Metaphorik und Christologie [Reprint 2012 ed.] 3110176459, 9783110176452, 9783110901221

Metaphern haben für die Rede von Christus im Neuen Testament und in der Theologiegeschichte eine besondere Bedeutung. Un

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Metaphorik und Christologie [Reprint 2012 ed.]
 3110176459, 9783110176452, 9783110901221

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Paradigmen einer metaphorischen Christologie. Eine Leseanleitung
Teil I. Metaphorische Christologie im Neuen Testament
Die Selbstpräsentation Jesu in den synoptischen Gleichnissen
Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus
Sohn und Sohn Gottes: Ubergänge zwischen Metapher und Titel. Verbindungslinien zwischen Metaphorik und Titelchristologie am Beispiel des Sohnestitels
„Du wirst noch Größeres sehen ...“ (Joh 1,50) Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium – Eine Skizze
Sprechende Bilder: Zur Christologie der Johannesapokalypse
Retter, Gott und Morgenstern: Metaphorik und Christologie im Zweiten Petrusbrief
Teil II. Metaphorik und Christologie in der Kirchen- und Theologiegeschichte
Viele Metaphern – viele Götter? Beobachtungen zum Monotheismus in der Spätantike
„Als wir diese spise essent, so werden wir gessen.“ Reale und metaphorische Nähe Christi bei Johannes Tauler
Luthers Arbeit an christologischen Metaphern
Theologische Grundlagen der Christus-Ikonographie
Vorbild, Urbild und Idee. Zur Christologie des 19. Jahrhunderts
Teil III. Systematische Perspektiven zur christologischen Metaphorizität
Sub contrario. Zur Christopoetik des Markusevangeliums
Christus als Wort Gottes. Entwicklung und Verwendung einer christologischen Grundmetapher vom Johannesevangelium bis zu Gerhard Ebeling
Biblische Bildersprache, christologische Metaphern und ihr historischer Erfahrungsgrund
Inkarnation als Interaktion. Zur religiösen Distanzreduktion der Inkarnationsmetapher
‚Jesus ist Christus‘. Zur symbolischen Form der Christusmetapher und einigen Folgen für die systematische Theologie
Teil IV. Wirkung und Produktion christologischer Metaphern
Urbild – Abbild – Vorbild. Das ontische Christusbild im Kunstraum theologischer Erkenntnis
Kleinod, Mandel, blaues Herz. Christusmetaphern in ausgewählten Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik
Live übertragen. Die Metaphemdebatte geht in die nächste Runde
„Halb Mensch, halb nicht, das weiß man nicht so sehr, denn Jesus ist ja eigentlich Gottes Sohn!“ Kindliche Versuche, die Paradoxien der Christologie bildhaft auszudrücken
Bibelstellenregister (in Auswahl)
Autorenverzeichnis

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Metaphorik und Christologie

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W Härle · H.-R Müller

Band 120

W DE G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 2003

Metaphofik und Christologie Herausgegeben von Jörg Frey, Jan Röhls und Ruben Zimmermann

W G DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York

2003

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 3-11-017645-9 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Vorwort Um zu sagen, wer Christus ist und welche Bedeutung ihm zukommt, wurden seit jeher in hohem Maße bildsprachliche Elemente benutzt. Das Neue Testament ist voll von bildhaften Aussagen, aber auch im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte kam der Christusmetaphorik immer wieder zentrale Bedeutung zu. Nicht zuletzt für die Prozesse der Vermittlung theologischer Inhalte und Traditionen in der Gegenwart erscheint metaphorische Rede vielen als unverzichtbares Medium. Daher wurden metaphorische Sprachformen in neuerer Zeit vermehrt sprachphilosophisch und theologisch reflektiert. Die Metaphorizität religiöser und theologischer Rede avancierte so zu einem eigenständigen Thema. Wie aber hängen metaphorische Christologie und christologische bzw. theologische Metaphorizität zusammen? Zu diesem Themenkomplex fand vom 7. — 9. Oktober 2002 ein interdisziplinäres Symposium in der Tagungsstätte Schloss Beuggen (bei Basel) statt, das Fachvertreter des Neuen Testaments, der Kirchen· und Theologiegeschichte, der Systematischen Theologie sowie angrenzender Fachgebiete miteinander ins Gespräch bringen sollte. Das Rundgespräch wurde dankenswerterweise durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglicht. Daneben haben der Stiftungsfonds Hellmut Ley und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern namhafte Zuschüsse bewilligt, die die Drucklegung des vorliegenden Bandes ermöglicht haben. Dieser dokumentiert die bei dem Symposium vorgetragenen Referate in überarbeiteter Form, ergänzt durch die „Leseanleitung" von Ruben Zimmermann und den Beitrag von Jörg Lauster. Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums für die anregenden Diskussionen, den Herausgebern der Reihe „Theologische Bibliothek Töpelmann" für die Aufnahme in die Reihe und dem Verlag Walter de Gruyter, namentlich Herrn Dr. Albrecht Döhnert, für die gute verlegerische Betreuung. Die Erstellung der Druckvorlage wäre ohne die kompetente Mitarbeit von Herrn Sebastian Eisele nicht möglich gewesen, bei den Korrekturen halfen darüber hinaus Sebastian Freisleder, Rüdiger Kronthaler, Florian Mühlegger und Tanja Schultheiß, letztere hat auch das Register der Bibelstellen zusammengetragen. Es ist unser Wunsch, dass der vorliegende Band das interdisziplinäre Gespräch fördern und zum reflektierten Gebrauch theologischer Sprache beitragen möge. München, Pfingsten 2003

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

RUBEN ZIMMERMANN

Paradigmen einer metaphorischen Christologie. Eine Leseanleitung . . . .

1

I. Metaphorische Christologie im Neuen Testament KURT ERLEMANN

Die Selbstpräsentation Jesu in den synoptischen Gleichnissen

37

JENS SCHRÖTER

Metaphorische Christologie. Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus

53

PETER MÜLLER

Sohn und Sohn Gottes: Übergänge zwischen Metapher und Titel. Verbindungslinien zwischen Metaphorik und Titelchristologie am Beispiel des Sohntitels

75

RUBEN ZIMMERMANN

„Du wirst noch Größeres sehen ..." (Joh 1,50). Zur Ästhetik und Hermeneutik der Christusbilder im Johannesevangelium Eine Skizze

93

MARTIN KARRER

Sprechende Bilder: Zur Christologie der Johannesapokalypse

111

JÖRG FREY

Retter, Gott und Morgenstern: Metaphorik und Christologie im Zweiten Petrusbrief

131

Inhaltsverzeichnis

Vili

II. Metaphorik und Christologie in der Kirchen- und Theologiegeschichte MARTIN WALLRAFF

Viele Metaphern - viele Götter? Beobachtungen zum Monotheismus in der Spätantike VOLKER LEPPIN

„Als wir diese spise essent, so werden wir gessen". Reale und metaphorische Nähe Christi bei Johannes Tauler . . JENSWOLFF

Luthers Arbeit an christologischen Metaphern VLADIMIR IVANOV

Theologische Grundlagen der Christus-Ikonographie JAN RÖHLS

Vorbild, Urbild und Idee. Zur Christologie des 19. Jahrhunderts

III. Systematische Perspektiven zur christologischen Metaphorizität HERMANN TIMM

Sub contrario. Zur Christopoetik des Markusevangeliums

. . . .

ULRICH H . J . KÖRTNER

Christus als Wort Gottes. Entwicklung und Verwendung einer christologischen Grundmetapher vom Johannesevangelium bis zu Gerhard Ebeling JÖRG LAUSTER

Biblische Bildersprache, christologische Metaphern und ihr historischer Erfahrungsgrund

Inhaltsverzeichnis

IX

MARKUS BUNTFUB

Inkarnation als Interaktion. Zur religiösen Distanzreduktion der Inkarnationsmetapher

299

PHILIPP STOELLGER

Jesus ist Christus'. Zur symbolischen Form der Christusmetapher und einigen Folgen für die systematische Theologie

319

IY Wirkung und Produktion christologischer Metaphern JOHANNES RAUCHENBERGER

Urbild — Abbild - Vorbild. Das ontische Christusbild im Kunstraum theologischer Erkenntnis

347

CHRISTINA HOEGEN-ROHLS

Kleinod, Mandel, blaues Herz. Christusmetaphern in ausgewählten Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik

363

KLAAS HUIZING

Live übertragen. Die Metapherndebatte geht in die nächste Runde . . . .

383

GERHARD BÜTTNER

„Halb Mensch, halb nicht, das weiß man nicht so sehr, denn Jesus ist ja eigentlich Gottes Sohn!" Kindliche Versuche, die Paradoxien der Christologie bildhaft auszudrücken

399

BIBELSTELLENREGISTER

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AUTORENVERZEICHNIS

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Ruben Zimmermann Paradigmen einer metaphorischen Christologie Eine Leseanleitung* Die Metaphorologe sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, &e Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auchfaßbar machen, mit welchem Mut sich der Gast in seinen Bildern selbst voraus ist. (Hans Blumenberg) Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes. (Kol 1,15) „Metaphorik und Christologie", so lautet der Titel des vorliegenden Sammelbandes und nennt die beiden Bereiche, die hier zusammengeführt und zusammengedacht werden sollen. Aber ist eine solche Synthese überhaupt möglich? Schließen sich Metaphorik und Christologie nicht wechselseitig aus, zumindest wenn Metaphorik den begrifflich unverfügbaren Bereich des Sprechens in Poesie und bildhafter Darstellung repräsentiert - Christologie hingegen als „Logie" gerade die begriffliche Präzision in der systematischen Entfaltung des Christuszeugnisses fordert? Gegenüber einer derartigen Skepsis gilt es zunächst, die phänomenologisch ermittelbare Vielfalt metaphorischer Sprach- und Darstellungsformen für Jesus wahrzunehmen (1.). Bevor dann die einzelnen Beiträge an konkreten Texten bzw. Problemfeldern und auf je eigene Weise die bestehenden Zusammenhänge zwischen Metaphorik und Christologie erörtern werden, soll hier einführend ein allgemeiner Horizont der Fragestellung abgesteckt werden. Dabei kann es keineswegs darum gehen, die verwendeten Begriffe (etwa der Metapher oder der Christologie) allgemeingültig zu definieren oder ein übergreifendes Gesamtkonzept vorzuordnen. Bildphänomene verwehren sich ohnehin dagegen, auf das Prokrustesbett enger Definitionslogik gepresst zu werden. Gleichwohl mag es

*

Ich danke Prof. Dr. Jörg Frey und Prof. Dr. Ulrich H. J. Körtner für die Durchsicht der Einfuhrung und hil&eiche Anregungen. Auch allen anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen an der Tagung in Beuggen sei an dieser Stelle für den instruktiven Austausch gedankt.

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Ruben Zimmermann

dem Leser/der Leserin hilfreich sein, wenn die Fragestellung forschungsgeschichtlich eingeordnet wird und bestimmte, in unterschiedlichen Varianten und Modifikationen wiederkehrende Grundfragen des Themenkomplexes benannt werden, um so das spezifische Profil der einzelnen Zugänge, sowie Kreuzungsstellen und Übergänge zwischen den Beiträgen deutlicher wahrnehmen zu können. Statt definitorischer Begrenzung möchte ich mit dieser kurzen Hinfuhrung also die Weite des Horizonts des Untersuchungsgegenstands markieren. Wenn dabei auf dem weiten Feld einer .metaphorischen Christologie', das durch die vielfältigen Beiträge aufgezeigt wird, einige Orientierungspunkte gegeben werden können, wird die Intention einer ,Leseanleitung' legitimiert. Zugespitzt auf den hier thematisierten Gegenstand sollen dabei bestimmte Aspekte der beiden Titelbegriffe benannt werden, wobei zunächst die Metaphorik im Allgemeinen (2.1.) wie auch innerhalb ihrer theologischen Verwendung (2.2.) im Blick ist, dann folgt eine Skizze über unterschiedliche Zugänge der Christologie (3.1.), vor deren Hintergrund sich der Ansatz einer .metaphorischen Christologie' abhebt (3.2.), dessen erste Versuche aufgenommen werden, der dann aber vor allem in den Beiträgen auf je eigene Weise entfaltet wird.

1. Phänomene einer Christusmetaphorik „Christe, du Lamm Gottes", das eucharistische „Brot des Lebens", „ein König aller Königreich", der „gute Hirte" 1 — derartige metaphorische Sprach- und Darstellungsformen für Jesus Christus begegnen auf vielfältige Weise in Liturgie und Kunst bis in die Gegenwart hinein. Bereits die urchristlichen Autoren haben diese und viele andere Bilder2 auf Jesus übertragen, um mit dem kreativen und appellativen Potential metaphorischer Rede ihrem Christuszeugnis Ausdruck zu verleihen. Ungewohnter mag die Beobachtung sein, dass auch die so genannten Hoheitstitel Jesu, die lange Zeit im Zentrum christologischer Forschung standen, vielfach als konventionalisierte Metaphern gedeutet werden können. So bedeutet „Christus" im Wortsinn „der Gesalbte" (hebr. ΓΡΟΠ), das wirkmächtige

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VgJ. exemplarisch Michael Fischer/Diana Rothaug (Hgg.), Das Motiv des Guten Hirten in Theologie, Literatur und Musik, Mainzer Hymnologische Studien 5, Tübingen - Basel 2002. Eine reiche, obgleich nicht erschöpfende Auflistung bietet Martin Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament, NTD.E 11, Göttingen 1998, 352f.

Paradigmen einer metaphorischen Christologie

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„Sohn"-Prädikat kann als Familienmetapher gelesen werden und „Kyrios" war in der hellenistischen Antike die gewöhnliche Anrede an einen Haus- oder Eheherm. Überraschender noch ist die Einsicht, dass auch die Christus-Prädikate, die im Laufe der Kirchen- und Theologiegeschichte bisweilen begriffliche Präzision für sich in Anspruch genommen haben, letztlich Metaphern sind, man denke nur an die Sohn-Gottes-Proklamation innerhalb der arianischen oder chalcedonensischen Streitigkeiten oder an die durch Calvin initiierte und dann durch Vertreter der altprotestantischen Orthodoxie breit entfaltete Rede vom dreifachen Amt (munus triplex) Jesu Christi als „Prophet", „König" und „Priester". Das heißt aber, sowohl in der theologischen Explikation von Jesu Person als auch von seinem Werk wurden Bilder und Metaphern herangezogen. Dies gilt unvermindert für die Jesus-,Bilder', die die neuzeitliche und neueste Forschung hervorgebracht hat. Selbst bei der Rückfrage nach dem so genannten „historischen Jesus" konnten doch bei allem Bemühen um historische Faktizität nur literarästhetische Konstrukte, Bilder und Metaphern also, aus den Quellenfragmenten gewonnen werden. Was schon Albert Schweitzer für die liberale Jesus-Forschung resümieren musste, wird heute innerhalb des so genannten „third quest" zum historischen Jesus sogar selbstkritisch anerkannt3, wenn Jesus nun als Sozialrevolutionär, Weisheitslehrer oder kynischer Wanderprediger gezeichnet wird. 4 Statt um eine positivistisch-historische Rekonstruktion von Vergangenheit, kann es auch hier ,nur' um eine aus den Quellen abgeleitete Konstruktion, um eine - wie Jens Schröter zu Recht formuliert — „historische Imagination" oder „Fiktion des Faktischen"5 gehen.

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So gehe es darum, „mit Hilfe der zur Verfugung stehenden Quellen (...) ein Bild der historischen Person Jesu und ihrer Wirksamkeit zu entwerfen." Jens Schröter, Jesus und die Anfänge der Christologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens, BThS 47, Neukirchen-Vluyn 2 0 0 1 , 1 3 mit Verweis auf John D. Crossan, The Historical Jesus. The Life of a Mediteranean Jewish Peasant, San Francisco 1991 (dt. Der historische Jesus, München 2. Aufl. 1995); John P. Meier, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Vol. 1: The Roots of the Problem and the Person, New York u.a., 140. Vgl. etwa die Skizze von „fünf einflußreichen Jesusbildern" der neueren Forschung durch David du Toit, Erneut auf der Suche nach Jesus. Eine kritische Bestandsaufnahme der Jesusforschung am Anfang des 21. Jahrhunderts, in: Ulrich H. J. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn 2002, 91-134. Du Toit zeigt auf, dass die neueren Monografien ganz unterschiedliche Jesusbilder erstellen, indem sie Jesus als Charismatiker (Marcus Borg), als Sozialrevolutionär (Richard Horsley), als jüdisch-kynischen Weisheitslehrer (John D. Crossan) oder als Endzeitpropheten (Ed Paul Sanders/Jürgen Becker) darstellen. Zum .third quest' allgemein s. unten (mit Lit.). Vgl. Schröter, Jesus und die Anfänge der Christologie (s. Anm. 3), 220f., der dabei auf eine Formulierung des Geschichtstheoretikers Hayden White zurückgreift.

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Ruben Zimmermann

A u f der anderen Seite konnte auch die streng begrifflich operierende Dogmatik des 20. J h . vielfach die bildhafte Sprache nicht abschütteln. W e n n Jesus nicht gar in kantischer oder schleiermacherschen Tradition als „ V o r b i l d ' oder

„Urbild'

beschrieben wurde 6 , so finden sich doch häufig metaphorische Bezeichnungen wie „ W o r t Gottes", „Versöhner" und „Erlöser" 7 oder „Bruder" und „Befreier" 8 . O d e r es w u r d e die „Sohn"-Appropriation in ihrer personal-relationalen Bildhaftigkeit im Rahmen der neueren Tritintätsdiskussion wieder entdeckt. 9 Erst recht wird der Bildcharakter christologischer Reflexions- und Wirkungsgeschichte deutlich, wenn Jesus innerhalb der modernen Medienlandschaft im wahrsten Sinne des Wortes bildlich in Szene gesetzt wird, sei es beim Spielfilm „Jesus v o n Montreal" 1 0 oder bei dem mythisch aufgeladenen Disney-Film der „ K ö n i g der Löwen" 1 1 , u m nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Ist die Metaphorik folglich das adäquate, weil dem Gegenstand angemessene, vielleicht sogar einzige Äußerungs- und Reflexionsmedium des Christusbekenntnisses? Ist diese bildliche Darstellungsform nicht nur durch die interpretierenden Quellen der Bibel und Tradition vorgezeichnet, sondern letztlich durch das bildhafte Wesen des Dargestellten selbst evoziert 1 2 , der nach dem Zeugnis der Synoptiker gerade in „Gleichnissen" zu G e h ö r kommt, sich nach den Bild-

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Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Jan Röhls in diesem Band. So etwa Kari Barth und die ihm folgende dogmatische Tradition, wie Gerhard Ebeling, vgl. dazu auch den Beitrag von Ulrich H. J. Körtner in diesem Band. 8 So z.B. Jürgen Moltmann, Die brüderliche Rede von Christus, in: ders., In der Geschichte des dreieinigen Gottes. Beiträge zur trinitarischen Theologie, München 1991, 59-73; stellvertretend für die Befieiungstheologie Leonardo Boff, Jesus, der Befreier, Freiburg 1993 (orig. Jesús Cristo Libertador, Petrópolis 1972). 9 Dies gilt für Arbeiten ganz unterschiedlicher Provenienz, sei es aus der röm.-kath. Theologie Gisbert Greshake, Der dreieine Gott eine trinitarische Theologie, Freiburg i. Br. 4., durchges. und erw. Aufl. 2001; ev. Theologie: Jürgen Moltmann, Trinität und Reich Gottes, München 2. Aufl. 1986, sowie den prozesstheologischen Entwurf von Joseph Bracken, The Triune Symbol: Persons, Process and Community, Lanham 1985; oder die orthodoxen Beiträge von John D. Zizioulas, Being as comunion. Studies in Personhood and the Church, Crestwood/N. Y. 1985 oder von Miroslav Volf, Trinität und Gemeinschaft, Mainz — Neukirchen-Vluyn 1996. 10 Eine theologisch-didaktische Rezeption dieses Spielfilms von Denys Arcands (1989) findet sich in Rudolf Mack/Qaus Ramsperger/Dieter Volpert, Jesus - Neue Aspekte der Christologie. Der Spielfilm Jesus von Montreal' im Unterricht, Stuttgart 2. Aufl. 1997. 11 Vgl. dazu Georg Seeßlen, König der Juden oder König der Löwen. Religiöse Zitate und Muster im populären Film, EZW-Texte 134, Berlin 1996; Hans-Martin Gutmann, Der Herr der Heerscharen, die Prinzessin der Herzen und der König der Löwen. Religion lehren zwischen Kirche, Schule und populärer Kultur, Gütersloh 2. Aufl. 2000, 75-84; ferner den Beitrag von Klaas Huizing in diesem Band. 12 So allgemein etwa Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, übers, v. Bernd Philippi, Frankfurt a. M. 2. Aufl. 1998, 36ff.: Die Darstellung gehört zum Dargestellten, weil sie eine Repräsentation und ein Ausdruck desselben ist, vgl. auch den Beitrag von Philipp Stoellger in diesem Band.

Paradigmen einer metaphorischen Christologie

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reden und Ich-bin-Worten des Johannesevangeliums selbst .metaphorisch' offenbart und der in der paulinischen Tradition „vor Augen gemalt" (Gal 3,1) oder sogar explizit „Bild" (είκών; 2 Kor 4,4; Kol 1,15) genannt wird. Bilder stehen in einem Verweiszusammenhang. Entsprechend gewinnt die Rede vom Bildsein Christi ihre entscheidende Tiefendimension, dadurch, dass Jesus - so macht es das letztgenannte Beispiel expressis verbis deutlich - „Bild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15: ε ί κ ώ ν τ ο ΰ θεοί) αοράτου) genannt wird. Der johanneische Jesus konstatiert entsprechend, dass in seiner Erscheinung zugleich der sonst jeder Sichtbarkeit entzogene Gott (Joh 1,18), der Vater, gesehen werden kann (Joh 12,45; 14,9). Ist der Gleichniserzähler also selbst das „Gleichnis Gottes"13, Jesus Christus wesenhaft metaphorisch, indem in seiner Person göttlicher und menschlicher Bereich, d. h. entsprechend der Definition der Metapher zwei ursprünglich nicht-zusammengehörige Sinnbereiche, zusammengeführt werden, Transzendenz und Immanenz koinzidieren? Kann die heute missverständliche ontologische Redeweise von Chalcedon, dass in Jesus Christus zwei Naturen zusammenkommen (vere deus et vere homo), sprachphilosophisch im Sinne einer Metapher als bewusste „Kategorienüberschreitung" (P. Ricoeur) bzw. „kalkulierte Absurdität" (Ch. Strub) neu verstanden werden? Kann man „Jesus Christus" dann möglicherweise sogar im Sinne Blumenbergs als eine „absolute Metapher" bzw. irreduzible symbolische Form bezeichnen, die sich nicht vollständig in unmetaphorische begriffliche Rede überführen lässt und gerade deshalb zur .Wurzelmetapher' des Christentums avancierte? Ist folglich die Jesus-Metaphorik nicht nur vorläufige Annäherung oder rhetorische Illustration, sondern ursprüngliches und unersetzbares Sprachmedium der Reflexion und Kommunikation der Christologie? Die hier zunächst nur skizzierte Vielschichtigkeit der Fragestellung sollte deutlich machen, dass eine Erörterung des Problems zumindest über die traditionelle Untersuchung christologischer Sprachformen im Neuen Testament oder der Anfänge christlicher Dogmenbildung hinausführen muss. So erklärt sich die interäsqplinäre Anlage des Sammelbandes, in dem neben neutestamentlichexegetischen auch dogmen- und kirchengeschichtliche, systematisch-theologische und verschiedene wirkungs- bzw. produktionsästhetische Aspekte zu Gehör und ins Gespräch kommen sollen.

13 So z.B. bei Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 2. Aufl. 1977,491.495; Edward Schillebeeckx, Jesus. Die Geschichte von einem Lebenden, Freiburg i. Br. 7. Aufl. 1980 (1975), 555, wieder Eduard Schweizer, Jesus, das Gleichnis Gottes. Was wissen wir wirklich vom Leben Jesu?, Göttingen 1995, 39f.

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2. Metaphorik 2.1. Funktionen der Metapher Es mag 2um Wesen metaphorischer und bildlicher Phänomene gehören, dass sie sich jeder begrifflichen Manifestation und kategorialen Erfassung zu entziehen scheinen, was die vielfältigen Bemühungen der Metaphern- und Bildtheoretiker aus ganz unterschiedlichen Disziplinen eindrucksvoll belegen.14 Bereits die Zuordnung von Metapher und Bild wird kontrovers beurteilt:15 Begrenzt man die Metapher auf ein bestimmtes sprachliches Phänomen, dann wäre das Bild der umfassendere Begriff, unter dem auch andere nichtsprachliche materiale Artefakte (im Blick auf den Gegenstand z.B. die Christusikone) zu fassen wären. Weitet man den Metaphernbegriff hingegen zur übergeordneten Kategorie aus, können neben metaphorischen Sprach- und Textformen darunter auch Phänomene subsumiert werden, die jenseits figurativer Anschauung liegen (z.B. Denkfiguren wie die ,Inkarnation'16), ebenso wie „visuelle Metaphern", die in materialer Gestalt begegnen (z.B. als Christusikone, Kunstwerk oder Film). Die Beispiele zeigen an, dass im vorliegenden Sammelband ein weites Metaphernverständnis vorausgesetzt wird, so dass die Metapher nicht nur als „wichtigste uneigentliche Sprachform" 17 , sondern als Oberbegriff aller hier verhandelten Übertragungsphänomene gebraucht wird18, was nicht

14 Einen guten Überblick geben die Sammelbände von Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, WdF 389, Darmstadt 2. Aufl. 1996 (1983) bzw. ders. (Hg.), Die paradoxe Metapher, Frankfurt a.M. 1998, der die wichtigsten Aufsätze zum Thema in dt. Übersetzung vereint. Vgl. ferner die umfangreichen Bibliographien von Jean-Piene van Noppen, Metaphor. A Bibliography of Post-1970 Publications, Amsterdam - Philadelphia 1985; ders./Edith Hols, Metaphor II. A classified Bibliography of Publications 1985-1990, Amsterdam - Philadelphia 1990. Vgl. ferner Gerhard Kurz, Metapher - Allegorie — Symbol, 4., durchges. Aufl. Göttingen 1997, 7-27; zur neueren Diskussion Ruben Zimmermann, Metaphemtheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, ThZ 56 (2000), 108-133 (mit Lit.!). 15 Vgl. dazu etwa Gottfried Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: ders., Was ist ein Bild?, München 3. Aufl. 2001,11-38, hier 26ff. 16 So konkret etwa im Beitrag von Markus Buntfuß, ein weites Metaphernverständnis auch bei der narrativen Christopoetik von Hermann Timm oder der Wurzelmetapher „Jesus Christus" bei Philipp Stoellger. 17 So etwa Wolfgang Kayser, Das sprachliche Kunstwerk. Eine Einfuhrung in die Literaturwissenschaft, Tübingen - Basel 20. Aufl. 1992 (1948), 119. 18 Hier stellt sich ferner die Frage, wie sich der Oberbegriff der „Metapher" zum Leitbegriff des „Zeichens" verhält, der derzeit zunehmend auch in der Theologie an Bedeutung gewinnt. Vgl. allgemein dazu bereits Wilhelm Koller, Semiotik und Metapher. Untersuchungen zur grammatischen Struktur und kommunikativen Funktion von Metaphern, Stuttgart 1975; Hermann Sturm/Achim Eschbach (Hgg.), Ästhetik & Semiotik. Zur Konstitution ästhetischer Zeichen, Tübingen 1981. Die hier anknüpfende Frage, in welchem Verhältnis

Paradigmen einer metaphorischen Christologje

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ausschließt, dass einzelne Autoren ihr Metaphernverständnis eingrenzen, um die Metapher von anderen Phänomenen wie dem Symbol (Karrer), dem Gleichnis (Erlemann), dem Titel (Müller) u.ä. abzugrenzen.

a) Metaphernforschung Innerhalb der neueren Theoriediskussion zur Metapher lassen sich stark vereinfacht vier Zugänge unterschiedlicher Wissenschaftstraditionen differenzieren: In der rhetorischen Tradition wurde ausgehend von Aristoteles berühmter Definition19 die Metapher als Übertragungsphänomen beschrieben, bei dem ein art- oder gattungsfremdes Wort auf ein anderes übertragen wird. Nach der so genannten Substitutions- oder Vergkichstheorie wird dabei das eigentliche Wort (verbum proprium) innerhalb der metaphorischen Aussage durch ein uneigentliches ersetzt. Statt des fremden Nomens kann ebenso ein Vergleich stehen, so dass man die Metapher auch als verkürzten Vergleich bezeichnet hat. Beruht die sinnstiftende Verknüpfung beider Wörter auf einer Analogiebeziehung oder Ähnlichkeit, kann ein tertium comparationis, d.h. ein gemeinsamer Vergleichspunkt, benannt werden.20 In beiden Fällen ist die Metapher prinzipiell durch einen Begriff bzw. wörtliche Umformungen ersetzbar und vor allem aus rhetorischstilistischen Gründen gewählt. Ivor Α. Richards, Max Black und weitere Vertreter der so genannten Interaktionstheorie haben darauf hingewiesen, dass sich viele Metaphern gerade nicht durch wörtliche Umformungen erklären oder ersetzen lassen. Vielmehr komme es in der metaphorischen Aussage zu einer Wechselwirkung bzw. prädikativen Interaktion zwischen focus (metaphernfähiges Sprachzeichen) und frame (Kontext), so dass die Metapher als Text- und Kontextphänomen beschrieben werden müsse.21 Innerhalb der metaphorischen Textteile wird bewusst eine semanmetapherntheoretische und semiotische Theologiekonzepte zueinander stehen, bedürfte einer eingehenderen Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. 19 Vgl. die Definition in der Poetik 1457b: „μεταφορά δέ ε σ τ ί ν ονόματος άλλοτρίου έπιφορά (...) - Die Metapher ist die Übertragung eines fremden Wortes (...)", vgl. Aristoteles, Poetik, Stuttgart 1994, 66f. (1457b). Zur Dynamik im aristotelischen Metaphembegriff neuerdings Detlef Otto, Wendungen der Metapher. Zur Übertragung in poetologischer, rhetorischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht bei Aristoteles und Nietzsche, München 1998,21-220. 20 Dass die antike Metapherntheorie insbesondere die Ausführungen von Aristoteles nicht mit diesen modernen Vorstellungen identisch sind, wurde in letzter Zeit häufig nachgewiesen, so etwa Otto, Wendungen der Metapher (s. Anm. 19); Ekkehard Eggs, Art. Metapher, Historisches Wörterbuch der Rhetorik 5 (2001), 1099-1183, hier: 1103f. 21 Der Begriff der Interaktion geht auf einen 1954 publizierten Aufsatz von Max Black zurück, vgl. die Übersetzung Max Black, Die Metapher, in: Haveiiamp, Theorie der Metapher (s. Anm. 14), 55-79, hier. 68 „interaction view of metaphor."

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tische Spannung erzeugt, die einen Leser bzw. Hörer auffordert, die scheinbare Widersprüchlichkeit der Aussage mit einem neuen, tieferen Sinn zu belegen. In dieser durch die „kalkulierte Absurdität"22 aufgezwungenen Sinnfindung liegt gerade die sprachkreative Funktion der Metapher, denn in der Suche nach neuer Kohärenz ergeben sich neue Sprach- und damit auch Erkenntnis formen, die ohne Metapher so nicht möglich wären. Die Metapher wird zur „lebendigen Metapher" (Paul Ricœur23). Die Metapher darf dann aber nicht mehr im pejorativen Sinn als .uneigentliche Rede' bezeichnet werden, sondern erweist sich als ursprüngliche und unersetzbare Sprachform. Zu ähnlichen Einsichten gelangte auch Hans Blumenberg in seinen hermeneutischen Untersuchungen zum Metaphernphänomen,24 legte den Schwerpunkt seiner Annäherung allerdings auf den geschichtlichen und lebensweltlichen Ort der Metapher. Gerade wenn das begriffliche Denken nicht zum Abschluss kommen kann, in der Beantwortung jener „prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz einfach darin liegt, dass sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellt vorfinden"25, wurde und wird metaphorische Rede in der Geistesgeschichte unausweichlich. Solche Metaphern, die sich „gegenüber dem terminologischen Anspruch als resistent erweisen, nicht in Begrifflichkeit aufgelöst werden können"26, werden von Blumenberg „absolute Metaphern" genannt. Sie bilden nicht nur eine eigengesetzliche „Substruktur des Denkens"27, sie besitzen eine Wahrheit im pragmatischen Sinn, eine „vérité à faire", indem sie „die fundamentalen, tragenden Gewißheiten, Vermutungen, Wertungen (indizieren), aus denen sich die Haltungen, Erwartungen, Tätigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten einer Epoche regulierten."28 Absolute Metaphern dienen im Sinne Blumenbergs somit der Lebens- und Weltbewältigung, indem sie strukturierend und orientierend wirken und sogar „das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität repräsentieren". 22 Vgl. zum Begriff Christian Strub, Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie, Freiburg i. Br. - München 1991. 23 Paul Ricœur, Die lebendig? Metapher, übers, v. Rainer Rochlitz (orig. La métaphore vive, Paris 1975), Übergänge 12, München 2. Aufl. 1991. 24 Neuerdings sind seine metapherntheoretischen Schriften zusammengefasst in Hans Blumenberg, Ästhetische und metaphorologische Schriften, Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp, Frankfurt a. M. 2001; vgl. auch die Neuausgabe der metapherntheoretischen Hauptschrift: ders., Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a. M. 1998 (1960). Vgl. umfassend zu Blumenbergs Metaphernverständnis Philipp StoeUger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, HUTh 39, Tübingen 2000. 25 Blumenberg, Paradigmen (s. Anm. 24), 23. 26 Ebd. 12. 27 Ebd. 13. 28 Ebd. 25ff. wie auch das folgende Zitat.

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Hatte sich die Interaktionstheorie auf die Beschreibung kreativer, poetischer Metaphern konzentriert und Blumenberg zentrale Metaphern der Philosophieund Kulturgeschichte in den Blick genommen, so ist es das Verdienst der kognitivistischen Metapherntheorie die Metaphernpfliehtigkeit der Alltagssprache empirisch nachgewiesen zu haben. Vor dem Hintergrund der holistischen kognitiven Semantik wurde von Lakoff/Johnson und ihren Nachfolgern29 darauf hingewiesen, dass sich unser gesamtes Sprechen und Denken in konventionalisierten Bildkonzepten vollzieht. Um komplexe Sachverhalte erfassen und kommunizieren zu können, werden elementare Erfahrungen der Alltagsbewältigung herangezogen. So wird z.B. der essentielle „Akt des Greifens" im Konzept ontologisierender Metaphern nutzbar gemacht, um auch Abstrakta „be-greifen" zu können. Metaphorische Konzeptualisierung stellt dabei in ihrer Typizität ein Raster der Erfahrungsbewältigung bereit. Die neuere Forschung hat gezeigt, dass frühere Versuche, die einzelnen Aspekte diachron gegeneinander auszuspielen oder in ein Gesamtsystem zu integrieren, scheitern müssen, haben doch die je unterschiedlichen Annäherungen an das Metaphernphänomen je nach Anschauungsgegenstand ihre Berechtigung und ihren unersetzbaren Eigenwert.30 Auch wenn z.B. die Funktionsweise einer Metapher nicht immer als Substitution auf der Basis einer Analogiebeziehung erklärt werden kann (wie bei der Substitutionstheorie), wird man nicht bestreiten können, dass einzelne Metaphern gerade nach diesem Muster gebildet werden. In ähnlicher Weise sind zwar einige, aber gewiss nicht alle Metaphern begrifflich irreduzibel, d.h. im Sinne Blumenbergs ,absolut'. Und auch wenn die Vertreter der kognitiven Theorie ihr Modell als umfassend verstehen (und z.B. kreative Metaphern als geschickte Umsetzung von Alltagsmetaphorik erklären), ist unbezweifelbar, dass die kognitiven Modelle gerade komplexe Metaphernkonstruktionen weit weniger präzise analysieren können als etwa linguistische Interaktionstheorien. Da die Metaphernbegriffe, die in den einzelnen Beiträgen des vorliegenden Bandes vorausgesetzt werden, beinahe so vielfältig sind wie das Feld der Metapherntheorie, halte ich im Folgenden eine phänomenologische bzw. funktionale Annäherung für sinnvoller als die Explikation einer bestimmten Tradition. 29 George Lakoff/Maik Johnson, Metaphors we live by, Chicago 1980; Übersetzung: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, aus dem Amerikanischen v. A. Hildenbrand, Heidelberg 2. Aufl. 2000; im dt. Sprachraum ferner Michael Pielenz, Argumentation und Metapher, TBL 38, Tübingen 1993, 59ff.; Gudrun Frieling, Untersuchungen zur Theorie der Metapher. Das Metaphemverstehen als sprachlich-kognitiver Verarbeitungsprozeß, Osnabrück 1996; Christa Baldauf, Metapher und Kognition. Grundlagen einer neuen Theorie der Alltagsmetapher, Frankfurt a.M. u.a. 1997. 30 Vgl. zur näheren Begründung Zimmermann, Metapherntheorie (s. Anm. 14), 112-118, Trends und Scheinalternativen.

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b) Grunddimensionen der Metapher Im Folgenden möchte ich einige durch die verschiedenen Metapherntheorien herausgearbeitete Grunddimensionen des Metaphernphänomens als dynamisches Geschehen zwischen polaren Aspekten zusammenfassen:

Textuaütät und Imagination Die Metapher begegnet nicht nur in lebensweltlichen Kontexten, sondern bedarf des Textes oder allgemeiner gesprochen einer Textur, eines konkreten Stoffes also, um ihren Gegenstand darzustellen. Es ist gerade diese konkrete Gestalt, die der Metapher Anschaulichkeit und Sinnlichkeit verleiht. Bei materialen Artefakten wie z.B. bei der Christusikone ist dies evident, indem Holz und Farbe als Bildmedium fungieren. Doch auch die Metaphern in der Sprache sind nur in ihrer konkreten oralen oder literalen Manifestation zugänglich.31 Allerdings erschöpft sich eine Metapher nicht in den Pigmenten oder sprachlichen Zeichen. Wer eine visuelle Metapher betrachtet oder eine Textmetapher liest, schaut mittels realer Bildmaterialien in eine imaginäre Welt. Metaphern implizieren einen Sinnüberschuss, sie bringen etwas zur Darstellung, was ohne sie nicht wahrzunehmen wäre. Dieser Aspekt lässt sich am Bild-Phänomen, hier verstanden als Teilklasse der Metapher, besonders verdeutlichen: „Bilder zeigen etwas, was sie selbst nicht sind."32 Während Piaton diese Unterscheidung in seiner terminologischen Differenzierung zwischen €ΐδωλον (Bild in seiner Sichtbarkeit) und εικών (Bild in seiner Darstellung) angedeutet hat, wurde in der neueren phänomenologischen Bilddiskussion für den im Bild sichtbaren, nur dargestellten Gegenstand der Begriff „imaginäres Bildobjekt"33 geprägt. Dieses Bildobjekt ist in gewisser Weise substanzlos, weil es weder im Raum noch in der Zeit existiert. Auch wenn der Bildträger (z.B. die Leinwand, der Text) substanzhaft existiert, oder sich das Bild auf einen realen Gegenstand oder eine historische Gestalt bezieht, entzieht sich das imaginäre Bildobjekt, d.h. das, was man im Bild anschaut, der physisch existierenden Wirklichkeit. Durch das Bild entsteht viel-

31 Vgl. dazu Daniel Oskui, Der Stoff, aus dem Metaphern sind. Zur Textualität zwischen Bild und Begriff bei Aristoteles, Ricoeur, Aldrich und Medeau-Ponty, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen. Mit einem Geleitwort von Hans-Georg Gadamer, Übergänge 38, München 2000,91-116. 32 Lambert Wiesing, Phänomene im Bild (Bild und Text), München 2000,10. 33 So vor allem die phänomenologische Bilddiskussion wie etwa Wiesing, Phänomene im Bild (s. Anm. 32), 10. Vgl. ferner die Beiträge in Boehm, Was ist ein Bild? (s. Anm. 15), sowie Gemot Böhme, Theorie des Bildes, München 1999.

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mehr das Phänomen der „reinen Sichtbarkeit"34. Diese Einsichten gelten für alle metaphorischen Darstellungsformen. Metaphern sind insofern Isolationsvorgänge, unterscheiden sich allerdings von einer rein kognitiven bzw. begrifflichen Abstraktion, weil sie der Welt des Sinnlichen verhaftet bleiben. Gerade das Konzept der Imagination ermöglicht das „Zusammenspiel von Sinn und Sinnen" 35 , denn die Bilder der Seele (φάντασμα/φαντασία) werden wie bereits Aristoteles wusste, zur Schnittstelle von sinnlicher Wahrnehmung (αισθησις) und Denken (νόησις). 36 Ernst Cassirer hatte sogar das Wesen der Metapher als einen solchen Umformungsprozess betrachtet, bei dem ein Anschauungs- oder Gefühlsgehalt in ein fremdes Medium transformiert wird.37

Metaphernstruktur und Subjekt Doch nicht bereits textlicher Artefakt und Darstellung - oder mit Saussure zu reden Signifikant und Signifikat - konstituieren die Metapher. Wie Peirce im Unterschied zu Saussure den Interpretanten von vornherein in die Definition eines Zeichens miteinbezogen hat38, bleibt auch für die Metapher der Interprétant als konstitutives Element unverzichtbar. Für Aristoteles erschließt sich dem Sehenden in seinem Vorstellungsbild (φάντασμα) der Gegenstand. Wittgenstein hat für diesen Interpretationsvorgang am Beispiel des berühmt gewordenen Hasen-Entenkopfes den Ausdruck „sehen als" fruchtbar gemacht.39 Indem ein Betrachter einen Gegenstand ,als etwas' sieht, anerkennt er nicht nur dessen Mehrdeutigkeit, sondern er bringt auch die eigene Perspektive, die persönliche Sichtweise zum Ausdruck. Entsprechend setzt das Modell der impertinenten 34 Dieser Begriff hat sich in der neukantianischen Tradition etabliert. Bereits Konrad Fiedler hatte im 19. Jh. daraufhingewiesen, dass die Sichtbarkeit eines Bildes ein Phänomen sui generis sei. Vgl. dazu ausfuhrlich Lambert Wiesing, Die Sichtbarkeit des Bildes. Geschichte und Perspektiven der formalen Ästhetik, Reinbek 1997. 35 Vgl. dazu Ricoeur, Die lebendige Metapher (s. Anm. 23), 199, der dabei die Arbeit von Marcus B. Hester aufnimmt. Zur Imagination auch Philipp Stoellger, Imagination Ltd. Considerations on the Quest for Limits of Imagination, Ars Disputandi 2 (2002). 36 Vgl. Aristoteles, de anima 111,7 431. 37 Vgl. Ernst Cassirer, Sprache und Mythos, in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 7. Aufl. 1983, 148; dazu etwa Enno Rudolph, Metapher, Symbol, Begriff. Anregungen zu einem möglichen Dialog zwischen Hans Blumenberg und Ernst Cassirer, in: Zimmermann, Bildersprache verstehen (s. Anm. 31), 77-90. 38 Vgl. etwa die triadische Definition des Zeichens in Charles S. Peirce, Collected Papers, Cambridge 1935, 608: „To exemplify what is meant, the dyadic relations of logical breadth and depth, often called denotation and connotation, have played a great part in logical discussions, but these take their origin in the triadic relation between a sign, its object, and its interprétant sign." 39 Vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: Werkausgabe in 8 Bänden, Frankfurt a. M. 1984, 518-577 (XI. Abschnitt des zweiten Teils).

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Prädikation der textlichen Metapher einen Interpretanten voraus, um die semantische Widersinnigkeit in neuen Sinn zu überfuhren. Rezeptionsästhetisch könnte man hier von der Appellstruktur der Metapher sprechen. So vielfältig der metaphorische Sinnfindungsprozess bei unterschiedlichen Rezipienten ablaufen kann, wird die Metapher doch nicht völlig dem freien Spiel des subjektiven Imaginierens ausgeliefert. Die Unscharfe des Metaphernsinns wird durch die materiale Gestalt, in der die Metapher begegnet, eingeschränkt. Entsprechend könnte man im Sinne von Iser von einer Wirkungsästhetik der Metapher sprechen40, bei der die metaphorische Sinndynamik durch die Textualität der Metapher vorstrukturiert wird. Während einseitig struktur- oder subjektbezogene Modelle zu kurz greifen, eröffnet die Metapher „Spielräume"41 des Verstehens, die zu einem ständigen Wechselspiel zwischen Struktur und Subjekt, Rezeption und Produktion einladen.

Traditio und Innovatio Nicht erst die konzeptuellen Metapherntheorien haben gezeigt, dass die Bildung und das Verstehen von Metaphern nur aufgrund kulturell tradierter Metaphernkonzepte oder Bildfelder möglich sind. Bereits Aristoteles hatte in „de memoria" darauf hingewiesen, dass Bilder ein einzigartiges Medium der vergegenwärtigenden Erinnerung darstellen.42 Um die „kalkulierte Absurdität" einer Metapher vor der Widersinnigkeit zu bewahren, müssen bestimmte konventionalisierte Kopplungen von Sinnbereichen, d.h. im Sinne Harald Weinrichs „Bildfelder"43, bekannt sein, an die der Rezipient anknüpfen kann. Je häufiger eine solche Metaphernkombination benutzt wird, desto mehr schleift sich die Kühnheit der impertinenten Prädikation ab, die Metapher erkaltet bzw. wird lexikalisiert, bis sie im unbewussten Metaphernschatz der Alltagssprache untergeht. Jede metaphorische Äußerung ist irgendwo innerhalb dieser Spanne zwischen frischer und konventionalisierter Metapher anzusiedeln, zwischen innovatio und

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Vgl. dazu Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wiikung, München 4. Aufl. 1994, IV. 41 Vgl. zu diesem Begriff Erwin Straus, Vom Sinn der Sinne, Bedin u.a. 2. Aufl. 1978, 274ff. Im Blick auf Bildersprache appliziert bei Ruben Zimmermann, Einfuhrung: Bildersprache verstehen oder Die offene Sinndynamik der Sprachbilder, in: ders., Bildersprache verstehen (s. Anm. 31), 13-54, hier: 25f. 4 2 Aristoteles, De memoria 450a: „Das Gedächtnis ist nur durch ein Vorstellungsbild ( φ ά ν τ α σ μ α ) mögjich". 43 Vg}. Harald Weinrich, Sprache in Texten. Stuttgart 1976, 283ff.

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traditio. Markus Buntfuß hat dieses Wechselspiel treffend charakterisiert: „Metaphern erinnern, um Neues zu sagen und sie erneuern, um Altes zu bewah-

Mimesis - Poiesis Indem Metaphern vorfindliche sprachliche Strukturen und sinnliche Erfahrung eines Rezipienten verknüpfen, wird zugleich deutlich, dass sie ein Bindeglied zwischen Sprache und außersprachlicher Wirklichkeit darstellen, das den Problemkomplex der Referenz berührt. Im Sinne eines .kritischen Realismus'45, d.h. in der Spannung zwischen Korrespondenz und bleibender Differenz, erfüllen Metaphern eine wirklichkeitsstrukturierende Funktion. Sie erlauben die erlebte Wirklichkeit mimetisch abzubilden und wirken somit wirklichkeitserhellend. Allerdings bleiben Metaphern nicht auf vorausliegende Strukturen begrenzt. Aufgrund ihrer Bedeutungsoffenheit und unter Einbeziehung der sprachlichen Verfasstheit unserer Wirklichkeitswahrnehmung kann man sagen, dass Metaphern nicht nur Abbild der Wirklichkeit, sondern — etwa im Sinne einer „verdoppelten Referenz"46 - zugleich Modell und Vorbild von Wirklichkeit sein können. Durch ihre sprachkreative und innovatorische Funktion können sie neue Dimensionen der Wirklichkeit erschließen, für die es bislang keine Reflexionsformen gegeben hat. So wie bereits Aristoteles in der Poetik die mimetische Funktion der Dichtkunst gerade in ihrer poietischen Dimension erfüllt sieht,47 könnte man sagen, dass auch die Metapher die Wirklichkeit nur erhellt, indem sie sie auf der Ebene metaphorischer Sinnfindung neu erstellt, also nicht nur rekonstruiert, sondern immer zugleich auch konstruiert. Mimetische und poietische Dimension der Metapher bleiben auf diese Weise eng miteinander verwoben.

44 Markus Buntfuß, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache, TBT 84, Bedin - New Yode 1997,227. 45 Vgl. dazu Hilary Putnam, Repräsentation und Realität, übers, v. Joachim Schulte, Frankfurt a. M. 1999. 46 So Ricoeur, Lebendige Metapher (s. Anm. 23), 220ff., der dabei eine Formulierung von Roman Jacobson {spät rtfertnei) aufnimmt. 47 Vgl. dazu Paul Ricoeur, Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache, in: ders./Jüngel, Metapher (s. Anm. 49), 45-70, hier 53: „diese mimesis fuhrt durch das Schöpferische, durch die,poiesis' einer Fabel, eines Mythos, der das Werk des Dichters ist."

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2.2. Metaphorik in der Theologe Nachdem die Metapher im antiallegorischen Impetus von Adolf Jülicher bzw. im Bannkreis der Entmythologisierungsbemühungen Rudolf Bultmanns in der ersten Hälfte des 20. Jh. einseitig verengt bzw. missachtet wurde, haben im Zuge des „linguistic turn" bzw. einer „ikonischen Wendung der Moderne" (Gottfried Boehm48) auch in der Theologie die bildlichen oder poetischen Ausdrucksformen theologischer Reflexion inzwischen wieder neues Gewicht erlangt. Als ein Impulsgeber für diese Trendwende kann eine Sammlung verschiedener Beiträge von Eberhard Jüngel und Paul Ricoeur unter dem Titel „Die Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache"49 angesehen werden. Darin wird die These der Interaktionstheorie der Metapher, die Ricoeur etwa zeitgleich in seiner Monographie zur .lebendigen Metapher' breit entfaltet50, auf die theologische Sprache und Hermeneutik appliziert. Metaphorik wird dabei in Anknüpfung an den späten Heidegger und vor allem an Nietzsche51 nicht mehr als rhetorisches Beiwerk der eigentlichen Sache deklassifiziert, sondern ist selbst „eine besondere Weise eigentlicher Rede und eine in besonderer Weise präzisierende Sprache"52, d.h. begrifflich unersetzliche Sprache. Metaphorisch ist dann nicht ein einzelnes Wort, sondern stets eine Prädikation, durch die neue Bedeutungen erschlossen werden können. Die Metapher beschränke sich dabei jedoch nicht auf eine innersprachliche Bedeutungsübertragung, sondern stehe in einem Verweisungsbezug. „Weil sie Sinn schafft, hat sie auch die Macht, Wirklichkeit nachzuzeichnen, d.h. der Sprache neue Bereiche von Welterfahrung zu eröffnen; in diesem Sinn kann man von metaphorischer Wahrheit sprechen."53

48 Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: ders., Was ist ein Bild? (s. Anm. 15), 11-38, hier: 13. 49 Paul Ricceur/Eberhard Jüngel, Die Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache. Mit einer Einfuhrung von Pierre Gisel, S.EvTh, München 1974. 50 Ricoeur, Die lebendige Metapher (s. Anm. 23). 51 Jüngel rekurriert auf Nietzsches Untersuchung „Ueber die Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne", vgl. Eberhard Jüngel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: Ricoeur/ ders., Metapher (s. Anm. 49), 71-122, hier. 82ff. 52 Jüngel, Metaphorische Wahrheit (s. Anm. 51), 121. 53 Vgl. Ricoeur, Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache (s. Anm. 47), 45; ferner 53: „Man kann mit der nötigen Vorsicht von .metaphorischer Wahrheit' sprechen, um jenen Anspruch, die Wirklichkeit zu erreichen, die dem Vermögen dichterischer Sprache zur Neubeschreibung eignet, zu bezeichnen." Die Überzeugung Ricœurs, dass metaphorische Aussagen grundsätzlich wahrheitsfähig, d.h. quasi prepositional sind, muss freilich von der Behauptung unterschieden werden, dass alle Wahrheit letztlich .nur' metaphorisch sei. Vgl. zum Wahrheitsproblem bei metaphorischen Aussagen Ulrich H. J. Körtner, Theologie des Wortes Gottes. Positionen - Probleme - Perspektiven, Göttingen 2001, 139ff.362ff.

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Der von Ricoeur hier sehr vorsichtig eingeführte Begriff der „metaphorischen Wahrheit" wird von Jüngel aufgenommen und theologisch präszisiert: Die durchgängig metaphorische Struktur der Sprache entspreche dem Wesen „der Wahrheit als Ereignis, in dem Welt schon immer in Sprache übertragen ist und deshalb Seiendes sich entdecken lässt."54 Die Wendung des Seienden in die Sprache sei zugleich eine „Seinssteigerung". Im hermeneutischen Prozess metaphorischer Rede komme ein „Mehr an Sein" zur Sprache, das christlich gesprochen primär als Rechtfertigung des Sünders zu verstehen sei. Die „durchweg metaphorisch(e)"55 Sprache des christlichen Glaubens ermögliche, dass der Seinsgewinn durch das Christusereignis für die Angesprochenen Ereignis werden könne. Jüngels abschließender Appell der „Ausarbeitung einer theologischen Metaphorologie"56 in der Dogmatik wird dann in der Folgezeit vor allem im Blick auf die Gottesrede aufgenommen, wie etwa die sprachphilosophische Arbeit von Ingolf U. Dalferth „Religiöse Rede von Gott" 57 demonstriert. Zu nennen wäre hier ferner die eigenständige Arbeit von Sallie McFague58, in der sie die Bedeutung der Metaphorik gerade im Übergang von primärer religiöser Sprache zu sekundärer theologischer Sprache hervorhebt. Indem die Interaktionstheorie die Metapher als Textphänomen beschrieben hat, wurde es möglich, ganze Textabschnitte als Metapher zu beschreiben. Diese Beobachtung wurde innerhalb der neutestamentlichen Exegese vor allem für die Glachnisforschung fruchtbar gemacht59, indem die Gleichnisse nun als Erzählmetaphern gedeutet wurden, bei denen zwei Sichtweisen der Welt (die Alltagswelt der Menschen und die Welt des Reiches Gottes) so zusammentreffen, dass sich ihrem Leser „ein neues Menschen- und Weltverständnis geradezu aufdrängt."60 Neben der Arbeit von Hans Weder (1978) waren hier die Untersuchung von Hans-Josef Klauck (1978) sowie die Publikationen von Wolfgang Harnisch61 54 55 56 57 58

Jüngel, Metaphorische Wahrheit (s. Anm. 51), 120. Ebd. 121. Ebd. 122. Ingolf U. Dalferth, Religiöse Rede von Gott, BEvTh 87, München 1981,171ff. Sallie McFague, Metaphorical Theology: Models of God in Religious Language, Philadelphia 1996 (Nachdr. der Ausgabe von 1982). 59 Vgl. zur Bedeutung der Metaphorik fur die Gleichnisforschung ausfiihilich den Beitrag von Klaas Huizing in diesem Band. 60 So etwa Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und Redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, FRLANT 120, 4. durchges. Aufl. 1990 (1978), 69; vgl. ders., Metapher und Gleichnis. Bemerkungen zur Reichweite des Bildes in religiöser Sprache, ZThK 90 (1993), 382-408. 61 Hans-Josef Klauck, Allegorie und Allegorese in synoptischen Gleichnistexten, NTA 13, Münster 1978; Wolfgang Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einfuhrung, 4. Aufl. Göttingen 2001 (1985). Einen guten Uberblick zur Gleichnisexegese verschafft auch der von Wolfgang Hämisch herausgegebene Sammelband: Gleichnisse Jesu.

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bahnbrechend. Die Arbeit am Gleichnis wurde dann wiederum innerhalb der Systematischen Theologie aufgenommen, wo etwa Eberhard Jüngel das Diktum prägte, dass das .Reich Gottes im Gleichnis als Gleichnis' zur Sprache kommt.62 Eine erste Bilanz zum damals erreichten internationalen Stand einer Rezeption der Metapherntheorie innerhalb theologischer Arbeitsfelder lässt sich an dem von Jean-Pierre van Noppen herausgegebenen Sammelband „Erinnern, um Neues zu sagen" (1988)63 ablesen, der vor allem exegetische und systematischtheologische Beiträge vereint. In der letzten Dekade ist nun die Metaphernforschung in einer solchen Breite innerhalb der Exegese, Dogmatik sowie anderer Bereiche der Theologie herangezogen worden, dass es hier unmöglich erscheint, die Arbeiten auch nur annäherungsweise zu nennen. Auch wenn die Metapherntheorie innerhalb der Exegese weiterhin für die Gleichnisauslegung herangezogen wird64, zeigen sich zwei Ausweitungen: Einerseits werden Einsichten der Metaphernforschung nun für die Exegese verschiedener Textformen in vielen Schriften der Bibel herangezogen65, andererseits werden nun vermehrt neben der Metaphorik auch andere

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Positionen der Auslegung von Adolf Jülicher bis zur Formgeschichte, WdF 366, Darmstadt 1982. Vgl. z.B. auch Martin Petzold, Die Gleichnisse Jesu in ihrer Bedeutung für die Dogmatik, Diss. Leipzig 1976; zur .Gleichnisthese' ausführlich den Beitrag von Philipp Stoellger in diesem Band. Jean-Pierre van Noppen (Hg.), Erinnern, um Neues zu sagen. Die Bedeutung der Metapher für die religiöse Sprache, Frankfurt a. M. 1988. Vgl. etwa Herrman-Josef Meurer, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Paul Ricoeurs Hermeneutik der Gleichniserzählung Jesu im Horizont des Symbols ,Gottesherrschaft/Reich Gottes', BBB 111, Bodenheim 1997; Dieter Massa, Verstehensbedingungen von Gleichnissen. Prozesse der Rezeption aus kognitiver Sicht, TANZ 31, Tübingen - Basel 1999; Ulrich Meli (Hg.), Die Gleichnisreden Jesu 1899-1999. Beiträge zum Dialog mit Adolf Jülicher, BZNW103, Berlin - New York 1999; Jacobus Liebenberg, The Language of the Kingdom and Jesus. Parable, Aphorism, and Metaphor in the Sayings Material Common to the Synoptic Tradition and the Gospel of Thomas, BZNW 102, Bedin - New Yode 2001; vgj. auch den Uberblick bei Kurt Erlemann, Gleichnis auslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen — Basel 1999,11-53. Vgl. etwa die Variationsbreite allein in der neutestamentlichen Forschung: Catherine Hezser, Lohnmetaphorik und Arbeitswelt in Mt 20,1-16. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinbeig im Rahmen rabbinischer Lohngleichnisse, NTOA 15, Fribourg - Göttingen 1990; Dale Β. Martin, Slavery as Salvation: The Metaphor of Slavery in Pauline Christianity, New Haven u.a. 1990; Troy W. Martin, Metaphor and Composition in lPeter, SBL.DS 131, Atlanta 1992; Petra v. Gemünden, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Bildfelduntersuchung, NTOA 18, Friboutg - Göttingen 1993; Otto Schwankl, Licht und Finsternis: ein metaphorisches Paradigma in den johanneischen Schriften, HBS 5, Freiburg i. Br. u.a. 1995; Christian G. Müller, Gottes Pflanzung - Gottes Bau — Gottes Tempel. Die metaphorische Dimension paulinischer Gemeindetheologie in IKor 3,5-17, Fuldaer Studien 5, Fulda 1995; Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT 11/122, Tübingen 2001.

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Deutekategorien zum Verständnis der Sprachbildlichkeit wie etwa Mythos und Symbol fruchtbar gemacht.66 Ein ähnlich weites Spektrum wird innerhalb der systematischen Theologie abgesteckt, wobei hier neben dem Dialog mit der Philosophie67 oder der Applikation metaphorischer Theorie auf einzelne Theologumena68 inzwischen sogar erste Ansätze einer umfassenden metaphorischen b%n>. poetologischen Theologie69 vorgelegt wurden. Eine poetologische Theologie nimmt Abschied von klar fixierten Begriffen und wählt ihren Ausgangspunkt bei bildhaften Sprach- und Lebensformen mit begrenzter Gültigkeit. Ganz unterschiedliche Versuche derartiger lebenspraktischer Orientierungswissenschaft sind zu verzeichnen, sei es, dass die rezeptionsästhetische Hermeneutik der Aneignung in den Vordergrund rückt (Ulrich Körtner, Klaas Huizing70), sei es, dass das Spezifische des christlichen Wirklichkeitsverständnisses als kombinatorische Grammatik des bildlichen Sprechens und der Praxis des Glaubens profiliert werden soll (Ingolf U. Dalferth71), sei es, dass Gott durch sein wirksames Schöpferwort selbst als „Poet" beschrieben wird (Oswald Bayer72) oder dass eine „poetische Dogmatik" als Reflexion der ästhetischen Erfahrungsräume in Kunst- und Wirkungsgeschichte entfaltet wird (Alex Stock, Matthias Zeindler73), um nur einige Beispiele zu nennen. 66 Vgl. etwa zur Wiederentdeckung des Mythos: Karl Kertelge (Hg.), Metaphorik und Mythos im Neuen Testament, QD 126, Freiburg i. Br. u.a. 1990; Thomas Schmidt, Das Ende der Zeit Mythos und Metaphorik als Fundamente einer Hermeneutik biblischer Eschatologie, BBB 109, Bodenheim 1996; Volker Hömer/Markus Leiner, Die Wirklichkeit des Mythos. Eine theologische Sputensuche, Gütersloh 1998; ferner Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, München 2. Aufl. 2001,47-70. 67 Vg}. dazu beispielhaft Stoellgpr, Metapher und Lebenswelt (s. Anm. 24). 68 So etwa Jürgen Werbick, Bilder sind Wege, Münster 1992; Reinhold Bernhardt/Ulrike LinkWieczorek (Hgg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigkeit im Reden von Gott, Mensch und Natur (FS Dietrich Ritsehl), Göttingen 1999. 69 Vgl. dazu den instruktiven Sammelband von Ulrich H. J. Körtner (Hg.), Poetologische Theologie. Zur ästhetischen Theorie christlicher Sprach- und Lebensformen, Ludwigsfelde 1999, der u.a. eine Differenzierung zwischen einer „poetischen" (d.h. selbst sprachkreativen) und einer „poetologischen" (d.h. das Poetische reflektierenden) Theologie geltend macht (ebd. 16). Richtungsweisend bereits Hermann Timm, Das ästhetische Jahrzehnt. Zur Postmodernisierung der Religion, Gütersloh 1990. 70 Vgl. Klaas Huizing, Homo legens. Vom Ursprung der Theologie im Lesen, Berlin 1996; Ulrich H. J. Körtner, Der inspirierte Leser. Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik, Güttingen 1994. 71 Ingolf U. Dalferth, Jenseits von Mythos und Logos. Die christologische Transformation der Theologie, QD 142, Freiburg i. Br. 1993; ders., Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994. 72 Oswald Bayer, Gott als Autor. Zu einer poietologischen Theologie, Tübingen 1999. 73 Vgl. Alex Stock, Poetische Dogmatik. Christologie Bd. 1-4, Paderborn u.a. 1992.1996.1998. 2001; Wolfgang Welsch (Hg.), Theologie und ästhetische Erfahrung. Beiträge zur Begegnung von Religion und Kunst, Darmstadt 1994; Matthias Zeindler, Gott und das Schöne. Studien zur Theologie der Schönheit, FSÖTh 68, Göttmgen 1993.

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Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass bei aller Breite der Rezeption v o n Metapherntheorien in der Theologie der letzten Jahre die Erkenntnis- und Sprachpotentiale der Metaphern im Bereich der Christologie bislang kaum fruchtbar gemacht wurden. 7 4 B e v o r die wenigen ersten Versuche einer metaphorischen Christologie benannt werden, soll das Projekt in die gegenwärtige christologische Forschung eingezeichnet werden.

3. Christologie 3.1. Ansätze der Christologie in der neueren exegetischen und systematischen Diskussion Die „Christologie" als die „Lehre v o n Jesus Christus" 75 bzw. als „Auslegung des Bekenntnisses J e s u s ist der Christus'" 76 zählt zum Kernstück christlicher Theologie, nicht nur innerhalb einer theologischen Binnendiskussion, sondern gerade auch an den Grenzen christlicher Theologie und Religionswissenschaft (z.B. im jüdisch-christlichen 77 oder interreligiösen Dialog 78 ). Umso mehr verwundert die Beobachtung, dass es u m die Christologie auffällig ruhig geworden ist. W ä h r e n d innerhalb der neutestamentlichen Wissenschaft die Diskussion u m den so genannten „third quest" nach dem historischen Jesus im vollen G a n g ist 79 , stellt 74 So auch das Urteil von Jens Schröter aus neu tes tamentlicher Perspektive, vgl. seinen Beitrag in diesem Band, 53f.: „Die Metaphemdiskussion wurde dagegen für die urchristliche Christologie bislang — was verwundern mag — noch wenig fruchtbar gemacht." 75 Wilfried Härie, Dogmatil·, 2., Überarb. Aufl. Bedin - New York 2000, 303. 76 Walter Kasper, Jesus der Christus, Mainz 12. Aufl. (Nachdr. der 10. Aufl.) 1998, 43; im Grundbestand besteht hier Einigkeit über den Begriff der .Christologie' bei Dogmatikem ganz unterschiedlicher Traditionen wie z.B. Wolfhart Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 7. Aufl. 1991 (1964), 15: „Die Christologie handelt von Jesus als dem Grund des Bekenntnisses und des Glaubens, daß er der Christus Gottes sei"; FriedrichWilhelm Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden. Eine Christologie. Bd. 1, München 1990, 11: „Christologie nennen wir die Auslegung des christlichen Bekenntnisses zu Jesus, dem Juden". 77 Vgl. dazu Stefan Vasel, Philosophisch verantwortete Christologie und christlich-jüdischer Dialog, München 2001. 78 Vgl. dazu etwa Raymund Schwager (Hg.) Relativierung der Wahrheit? Kontextuelle Christologie auf dem Prüfstand, QD 170, Freiburg i. Br. 1998; Volker Küster, Die vielen Gesichter Jesu Christi. Christologie interkulturell, Neukirchen-Vluyn 1999. 79 Vgl. dazu etwa Meier, A marginal Jew (s. Anm. 3); Bruce Chilton/Craig A. Evans (Hgg.), Studying the Historical Jesus: Evaluations of the State of Current Research, NTS 19, Leiden 2. Aufl. 1998; dies. (Hgg.), Authenticating the Words of Jesus, Leiden u.a. 1999 oder das „Jesus Seminary" von Robert W. Funk/Roy W. Hoover (Hgg.), The Five Gospels: The

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sich ein entsprechender Neuansatz im Blick auf die christologische Interpretation der Verkündigung und des Lebens Jesu nur zögerlich ein. In der Systematischen Theologie hat man den Eindruck, dass die Christologie als Teilaspekt der Trinitätslehre, Soteriologie oder Anthropologie behandelt wird, aber kaum eigenständige Aufmerksamkeit erhält.

a) Ansätze einer neutestamentlichen .Christologie' Eine .Christologie' im oben genannten dogmatisch präzisierten Verständnis als „Lehre von Jesus Christus" findet sich im Neuen Testament streng genommen nicht. Die urchristlichen Schriften sind keine theologischen Grundsatzreflexionen, sondern kontextuell geprägte Schriften, die entsprechend nur über historische Analysen zu erfassen sind. Gleichwohl hat sich ein weiterer ChristologieBegriff auch in der neutestamentlichen Wissenschaft eingebürgert, nach dem man unter Christologie im Neuen Testament „noch nicht die Lehre über Christus, sondern allg. die in Verkündigung, Paränese, Bekenntnis, Erinnerung und Erzählung geschehende gegenwartsbezogene Christusinterpretation"80 versteht. Hier wird also zum einen eine formale Ausweitung vollzogen, bei der „Christologie" in der Vielstimmigkeit der neutestamentlichen Sprachformen erscheinen kann und nicht auf die dogmatisch-rationale (Meta-)Reflexion beschränkt bleibt. Andererseits wird an der Gegenwartsbezogenheit der Christusinterpretation festgehalten, d.h. Christologie wird nicht auf die Weitergabe eines früheren Christusbekenntnisses reduziert, sondern erweist ihre Gültigkeit in der situationsbezogenen Applikation und Transformation, was letztlich die Vielfalt neutestamentlicher Christologien erklärt. In der neutestamentlichen Wissenschaft lassen sich — vereinfacht gesprochen - derzeit vor allem zwei Zugänge zu christologischen Fragen differenzieren81:

Search for the Authentic Words of Jesus. Sonoma New York 1993 bzw. dies. (Hgg.), The Acts of Jesus: What Did Jesus Really Do? The Search for the Authentic Deeds of Jesus, San Francisco 1998; im deutschsprachigen Raum etwa Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 3. Aufl. 2001 oder Jens Schröter/Ralph Brucker (Hgg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, B Z N W 1 1 4 , Berlin - New York 2002. 80 Ulrich Luz, Art. Christologie 1. C. im Neuen Testament, EKL 2 1 (1986), 714-718, hier: 714. 81 Vgl. dazu die Uberbücke Dieter Lührmann, Marinus de Jonge's Shaffer Lectures: Where Does Jesus Research now Stand?, in: From Jesus to John. Essays on Jesus and New Testament Christology in Honour of Marinus de Jonge, hg. v. Martinus C. De Boer, JSNT.S 84, Sheffield 1993, 51-64; ferner das Nachwort in Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel (s. Anm. 91), 443-488; sowie Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament (s. Anm. 2), 13-22; Frank J. Matera, New Testament Christology, Louisville/Ky 1999; Martin Hengel/Anna Maria Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfange der Christologie. Vier

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Einerseits wird der „historische Jesus" zum Ausgangspunkt gewählt, andererseits wird das nachösterliche Bekenntnis der Gemeinde bzw. einzelner urchristlicher Autoren zur Basis christologischer Reflexion. In beiden Zugängen dominieren traditionsgeschichtliche Fragen nach Wurzeln, Entstehung und Transformation christologischer Uberzeugung. Zunächst zum Ersten: Innerhalb der neutestamentlichen Forschung ist das Interesse an der Person des „historischen Jesus" auf neue Weise erwacht und man spricht aufgrund einer Fülle von Publikationen bereits vom so genannten „third quest"82 der Jesus-Forschung. Die Aufgabe einer Christologie, die beim historischen Jesus ihren Ausgang nimmt, besteht dann darin, die „Entwicklung vom Selbstverständnis des historischen Jesus zu seiner Verehrung im Urchristentum"83 nachzuzeichnen. Dabei wird heute verstärkt die Kontinuität zwischen .irdischem und erhöhtem Christus' wahrgenommen, indem Jesu Selbstverständnis (z.B. Messiasanspruch84 oder Selbstbezeichnung als .Menschensohn' 85 ), die Einheit seiner Verkündigung und Lebenspraxis oder die Todesperspektive vor der Passion86 herausgearbeitet werden. Im Blick auf die christologische Frage wird folglich das Leben Jesu als Ausgangspunkt christologischer Forschung bestimmt.87 Doch selbst wenn dabei eine hermeneutisch reflektierte Zugangsweise im Sinne kritischer Geschichtswissenschaft gewählt wird88, verläuft die Fragerichtung genau entgegengesetzt zu den ältesten Quellen über Jesus. Die urchristlichen Texte nehmen ihren Ausgangspunkt nicht bei Jesus von Nazareth, sondern beim Bekenntnis, dass in diesem Jesus in besonderer Weise Gott

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Studien, WUNT 138, Tübingen 2001; Christopher M. Tuckett, Christology and the New Testament. Jesus and his earliest Followers, Edinburgh 2001. Vgl. zur Terminologie Ben Witherington III, The Jesus Quest. The Third Search for the Jew of Nazareth, Downers Grow 1995; zur Sache die unter Anm. 79 genannte Literatur von Chilton/Evans, Funk/Hoover, Theißen/Merz, Schröter/Brucker oder eher methodologisch Gerd Theißen/Dagmar Winter, Die Kriterienfrage in der Jesus forschung. Vom Differenzkriterium zum Plausibili tätskriterium, NTOA 34, Göttingen 1997, 145-174; Albrecht Scriba, Echtheitskriterien der Jesus-Forschung. Kritische Revision und konstruktiver Neuansatz, BWANT, Stuttgart 2003 (im Druck). Theißen/Merz, Der historische Jesus (s. Anm. 79), 446, ähnlich Tuckett, Christology (s. Anm. 81), 1. So zuletzt Martin Hengel, Jesus der Messias Israels, in: ders./Schwemer, Anfange der Christologie (s. Anm. 81), 1-80. So z.B. Theißen/Merz, Der historische Jesus (s. Anm. 79), 470-480. So etwa Ulrich Luz, Warum zog Jesus nach Jerusalem?, in: Schröter/Brucker, Der Historische Jesus (s. Anm. 79), 409-427. Vgl. ferner Joel B. Green/Max Turner, Jesus of Nazareth: Lord and Christ. Essays on the Historical Jesus and New Testament Christology, Grand Rapids 1994 oder die Bibliographie von Craig A. Evans, Life of Jesus Research. An Annotated Bibliography, Leiden 2. Aufl. 1996. So etwa sehr umsichtig Schröter, Jesus und die Anfange der Christologie (s. Anm. 3), insbesondere Kap. 1 und 2,1-61.

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gehandelt hat und gegenwärtig begegnet.89 Schwierig erscheint der Ansatz beim historischen Jesus auch durch das erkenntnistheoretische Grundproblem, dass letztlich eine hinter dem überlieferten Text liegende historischen Wahrheit konstruiert oder postuliert werden muss, die bestenfalls eine „Fiktion des Faktischen"90 sein kann. Die nachösterliche Perspektive einer neutestamentlichen Christologie, bei der das in urchristlichen Schriften überkommene Christuszeugnis zum Ausgangspunkt gewählt wird, zeigt wiederum zwei Schwerpunkte: Nach wie vor spielen hier die so genannten „christologischen Hoheitstitel" eine entscheidende Rolle, auch wenn die Vorrangstellung, die ihnen früher zugemessen wurde91, inzwischen unter Kritik geraten ist. Denn die Hoheitsbezeichnungen repräsentieren keine übergreifenden Konzepte, die in ihrer traditionsgeschichdichen Herkunft oder urchristlichen Verwendung Eindeutigkeit erkennen ließen, was etwa neuere Forschungen zum Messias-Titel92 bzw. „Menschensohn"93 bewiesen haben. Während bei neueren Arbeiten zur Titular-Christologie die sprachliche Gestalt der Christustitel und die Form einer derartigen Theologiebildung selten reflektiert werden, interessieren wie bereits früher die traditions- und religionsgeschichtlichen Wurzeln einzelner Titel; ferner wird nun verstärkt nach der spezifischen Verwendung bestimmter Titel in einzelnen Schriften gefragt.94 89 Vgl. etwa programmatisch den Beginn des Mk-Evangeliums: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes" (Mk 1,1). 90 So die Formulierung bei Schröter, Jesus und die Anfange der Christologie (s. Anm. 3), 37ff. 91 Vgl. Ferdinand Hahn, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum (1.-4. Aufl. FRLANT 83), 5., erw. Aufl. Göttingen 1995 (1963); Werner Kramer, Christos Kyrios Gottessohn. Untersuchungen zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Bezeichnungen bei Paulus und der vorpaulinischen Gemeinde, AThANT 44, Zürich 1963; Klaus Wengst, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 2. Aufl. 1973 (1972). 92 James H. Charlesworth (Hg.), The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992; Johannes Zimmetmann, Messianische Texte in Qumran. Königliche, priestediche und prophetische Messiasvorstellungen in den Schriftfunden von Qumran, WUNT 11/104, Tübingen 1998; Stefan Schreiber, Gesalbter und König. Titel und Konzeption der königlichen Gesalbtenerwartung in frühjüdischen und urchristlichen Schriften, BZNW105, Berlin - New York 2000. 93 Vgl. dazu etwa Anton Vögde, Die .Gretchenfrage' des Menschensohnproblems. Bilanz und Perspektive, QD 152, Freibuig i. Br. u.a. 1994; Delbert Burkett, The Son of Man Debate. A History and Evaluation, Cambridge 1999. 94 Vgl. z.B. Martin Karrer, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1991; Ulrich Kmiecik, Der Menschensohn im Markusevangelium, FzB 81, Würzbuig 1997; Joachim Kügler, Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchungen zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im LkEv, BBB 113, Bodenheim 1997; Edwin Κ Broadhead: Naming Jesus. Titular Christology in the Gospel of Mark.JSNT.S 175, Sheffield 1999; Markus Sasse, Der Menschensohn im Johannesevangelium, TANZ 35, Tübingen 2000; Franz Jung, ΣΩΤΗΡ. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament, NtA 39, Münster 2002.

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Damit ist zugleich der zweite Zugang angesprochen, bei dem nun Christologien einzelner neutestamentlicher Autoren bzw. Schriftgruppen differenziert werden, was einer kontextuellen Verankerung und Pluralisierung der Christologie gleichkommt.95 Die von Bultmann in die Diskussion gebrachte Dimension der existentialen, gegenwartsbezogenen Interpretation des neutestamentlichen Christuszeugnisses96 wird kaum aufgegriffen. Lediglich in rezeptionsästhetischen Arbeiten könnte man eine sprachwissenschaftlich modifizierte Fortschreibung der existentialen Analyse Bultmanns erkennen97, allerdings wurde hier bislang nicht dezidiert die christologische Dimension in den Blick genommen.

b) Christologische Ansätze in der neueren Systematischen Theologie98 Die zentralen christologischen Entwürfe der neueren Systematischen Theologie sind entscheidend geprägt durch die zweite „Rückfrage nach Jesus". Eine besondere Rolle fällt dabei denjenigen Systematikern zu, die mit der BultmannSchule assoziert werden. Denn sowohl Ernst Fuchs wie auch Gerhard Ebeling wichen dadurch von Bultmann ab, dass sie nicht mehr in Nachfolge Kählers vom auferstandenen und erhöhten Christus des Kerygmas ausgingen, sondern vom irdischen Jesus und seinem vollmächtigen Wirken.99 Beide entfalteten ihre Christologie dann im Rahmen eines hermeneutischen Entwurfs und ersetzten die alte Zweinaturenlehre durch die These, dass Jesus Gottes Wort in Person ist, so dass in ihm Gott zur Sprache kommt. Der Ansatz der Christologie beim historischen Jesus, wie er auch von Friedrich Gogarten vertreten wurde, erwies sich in der Nachkriegszeit zwar als fruchtbar, doch er war nicht ohne Probleme. Nicht ohne Recht fragte Wolfhart Pannenberg100 nach einer Legitimation des 95 So richtungsweisend Marinus de Jonge, Christologie im Kontext. Die Jesusrezeption im Urchristentum, Neukirchen-Vluyn 1995. Im Blick auf die Evangelien auch Rudolf Schnackenburg, Jesus Christus im Spiegel der vier Evangelien, Freiburg i. Br. 1998, sowie das Vorgehen bei Tuckett, Christology (s. Anm. 81). 96 Vgl. dazu Ruben Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma. Zum Ansatz einer wirkungsästhetischen Christologie des Neuen Testaments, in: Körtner, Jesus im 21. Jahrhundert (s. Anm. 4), 153-188. 97 So z.B. Moisés Mayordomo-Marín, Den Anfang hören. Leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel von Matthäus 1-2, FRLANT 180, Göttingen 1998. 98 Ich danke Prof. Jan Röhls für die Durchsicht und einige Formulierungen dieser Skizze. 99 VgJ. Gerhard Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens, Neuausg. Freiburg i. Br. 1993 (1. Aufl. Stuttgart 1959); etwas modifiziert dann ders., Dogmatik des christlichen Glaubens II: Der Glaube an Gott den Versöhner der Welt, Tübingen 1979, hier etwa § 17: Einführung in die Christologie (3-44). 100 VgJ. Pannenberg, Grundzüge der Christologie (s. Anm. 76); sowie modifiziert ders., Systematische Theologie, Bd. 2, Göttingen 1991,315-511.

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von Jesus erhobenen Vollmachtsanspruchs. Dadurch gewann anders als bei Bultmann und seinen Schülern die Auferstehung eine zentrale Bedeutung, insofern sie als göttliche Bestätigung jenes Anspruchs verstanden werden konnte. Erst dadurch erweist sich Jesus als die Selbstoffenbarung Gottes, in der die Einheit Jesu mit dem Vater und damit seine Gottheit offenbar wird. Diese Argumentation setzte zwar als Christologie „von unten" ein, führte aber zu einer Christologie „von oben", insofern Jesus als der ewig zu Gott gehörende menschgewordene Sohn verstanden wurde. Damit kam es zu einer Erneuerung der alten Verknüpfung von Christologie und Trinitätslehre, die in den christologischen Entwürfen der von Karl Barth geprägten Theologen, etwa Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann — niemals preisgegeben worden war.101 Sieht man von der zweiten „Rückfrage nach Jesus" ab, so stehen vier Fragekomplexe im Zentrum der neueren systematischen Entwürfe zur Christologie. Zum einen handelt es sich um das Verhältnis von Christologie und Anthropologie, das vor allem von Karl Rahner thematisiert wurde.102 Rahners transzendentale Christologie fragt nach den apriorischen Voraussetzungen auf Seiten des Menschen für das Ankommenkönnen der Christusbotschaft und entwickelt zunächst völlig unabhängig von dem geschichdichen Jesus - die Idee des Gottmenschen als des absoluten Heilsbringers, die sich für den christlichen Glauben in der Person Jesu realisiert. Rahner reiht sich damit ein in eine Traditionslinie, die unter anderem die protestantische Urbildchristologie des 19. Jh. bestimmte. Damit — und das ist der zweite Fragekomplex — gewinnt das Verhältnis von Idee und Person für die Christologie entscheidende Bedeutung. Während etwa die Christologie Karl Barths ganz auf die Person Jesus Christus ausgerichtet war, interessierte Paul Tillich Jesus ausschließlich unter dem Aspekt, dass er als Manifestation des Neuen Seins oder der wesenhaften Einheit von Gott und Mensch geglaubt wird.103 Es ist also nicht die Person Jesu Christi, sondern die Idee oder das Prinzip, das sich in Jesus manifestiert. Eine vergleichbare Unterscheidung von allgemeiner Idee und geschichtlicher Person, wie sie in der Prinzipienchristologie des 19. Jh.s verankert ist, begegnet in der amerikanischen Prozesstheologie. Bereits Tillich maß auch der Christologie der Symbolsprache eine entscheidende Bedeutung bei (s.u.).

101 Vgl. etwa Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott, München 5. Aufl. 1987; ders., Trinität und Reich Gottes (s. Anm. 9), hier III: Die Geschichte des Sohnes, 77ff. 102 Vgl. Karl Rahner, Christologie - systematisch und exegetisch: Arbeitsgrundlagen für eine interdisziplinäre Vorlesung, Freiburg i. Br. 1972; ders., Beiträge zur Christologie, hg. v. Siegfried Hübner, Leipzig 1974. 103 Vgl. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. II, Stuttgart 5. Aufl. 1977 (Illinois 1957), 107-194.

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Damit ist schließlich der dritte Fragekomplex angesprochen. Denn gerade auf dem Hintergrund der Begegnung des Christentums mit anderen Religionen machte John Hick im Rahmen einer pluralistischen Religionstheorie104 den Vorschlag, die christologische These von der Menschwerdung Gottes nicht als eine die Person Jesu betreffende metaphysische, sondern als mythologische oder metaphorische Aussage zu verstehen (s.u.). Auch diese Frage nach dem Status christologischer Aussagen lenkt letztlich zurück zu älteren christologischen Entwürfen des 19. Jh., die sich mit dem Verhältnis von Vorstellung und Begriff, Symbol und Idee befassten.105 Schließlich entspricht der neuesten Ausrichtung am historischen Jesus der neutestamentlichen Wissenschaft (third quest) in der systematischen Theologie eine Reflexion des christologischen Bekenntnisses vor dem Hintergrund der jüdischen Verwurzelung Jesu bzw. im Horizont des christlich-jüdischen Dialogs·106 Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass weder in der exegetischen noch in der dogmatischen Forschung zur Christologie das Problem des Wechselspiels zwischen Traditionsbezug und Gegenwartsbedeutung christologischer Reflexion befriedigend gelöst ist. Ebenso offen bleiben die Fragen um den Kerngehalt des christologischen Bekenntnisses, in welcher Weise in Jesus Christus Gott zu unserem Heil begegnet.107 Ferner wird der sprachlichen Gestalt und Darstellungsform christologischer Aussagen bislang kaum besondere Beachtung geschenkt.

104 Vgl. John Hick, Gott und seine viele Namen, Frankfurt a. M. 2001 (orig. God has many names: Bntian's new religious pluralism, London 1980); ders., Problems of religious pluralism, London 1985. 105 Zur Sprachgestalt christologischer Aussagen neuerdings etwa Dalferth, Jenseits von Mythos und Logos (s. Anm. 71); ders., Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 71). 106 So etwa Marquardt, Das Bekenntnis zu Jesus, dem Juden (s. Anm. 76), Paul M. van Buren, A Theology of the Jewish-Christian Reality, Bd. 3: Christ in Context, Lanham u.a. 1995; vgj. umfassend die Analyse neuerer Entwürfe bei Vasel, Christologie und christlich-jüdischer Dialog (s. Anm. 77). 107 So etwa die Formulierung bei Herman Dembowski, Einführung in die Christologie, 3. Aufl. Darmstadt 1993.

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3.2. Chancen einer,metaphorischen Christologie' b%n>. ,christologischen Metaphori^tät" a) Rückblick Bei der Spurensuche nach den Wurzeln einer .metaphorischen Christologie' kann man mit gewissem Recht im christologischen Ansatz von Martin Kahler einen ersten Impuls für das Thema sehen, denn in kritischer Abwendung von der liberalen Leben-Jesu-Forschung hatte Kahler den „geschichtlichen, biblischen Christus" zum Ausgangspunkt christologischen Nachdenkens gemacht.108 Kahler führt dabei einerseits den Begriff des (Über-)Geschichtlichen ein, „um das zu bezeichnen, was zwar ohne die Geschichte gar nicht vorhanden wäre, aber dessen Bedeutung nicht aufgeht in die eines Gliedes in der Kette geschichtlicher Wirkungen oder auch eines geschichtlichen Ansatzes, weil in ihm sich das Allgemeingültige mit dem Geschichtlichen zu einem WirksamGegenwärtigen zusammenschließt."109 Andererseits spricht er vom „Christusbild"110, das uns aus den biblischen Schriften entgegenkommt, auch wenn dessen Urheber letztlich Christus selbst ist.111 Das (über)geschichtliche Christusbild der Schrift sei allein von bleibender Bedeutung für den Glauben, indem es den „unabweislichen Eindruck vollster Wirklichkeit hervorruft)."112 Der „geschichtliche Christus der Bibel"113 ist für Kahler also nicht eine zurückliegende Größe der Vergangenheit, sondern der in den biblischen Geschichten wirkmächtige, d.h. für den gegenwärtigen Leser wirksame Christus.114 108 Vgl. Martin Kahler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus. Vortrag auf der Wuppertaler Pastoralkonferenz, Leipzig 1892 (Neudr. hg. von E. Wolf, München 1953), 18: „Ich sehe diese ganze .Leben-Jesu-Bewegung' für einen Holzweg an."; vgl. zu Kahler Emst Fuchs, Hermeneutik, 2. Aufl. Bad Cannstatt 1958, 12-27; HansGeorg Link, Geschichte Jesu und Bild Christi. Die Entwicklung der Christologie Martin Kählers, Neukirchen-Vluyn 1975; neuerdings auch Ulrich H. J. Körtner, Historischer Jesus — geschichtlicher Christus. Zum Ansatz einer rezeptionsästhetischen Christologie, in: ders. u.a., Lesen und Leben. Drei Essays zur Grundlegung einer Lesetheologie, Bielefeld 1997, 99-135, hier: 108-114. 109 Kahler, Jesus (s. Anm. 108), 19 Anm. a). 110 Ebd. 62.66.73 u.v.a.; 60: „Was wir von ihnen (den Evangelien) empfangen, ist eigentlich nur ein .Charakterbild'."; femer ebd. 73: „das uns entgegenkommende Bild Christi". 111 Ebd. 68 Anm. b): „Christus selbst ist der Urheber seines biblischen Bildes." 112 Ebd. 57. 113 Ebd. 42, wie bereits auch im Titel der Schrift. 114 Den Unterschied zwischen dem historischen und dem geschichtlichen Christus hat Ulrich H. J. Körtner anhand der englischen Unterscheidung zwischen history und story treffend charakterisiert „Der geschichtliche Jesus der ntl. Evangelien ist demnach der Jesus ihrer story, nicht der Jesus der histoiy. Entsprechend ist eben der geschichtliche Jesus immer schon der gegenwärtig geglaubte, der in den Geschichten der Evangelien präsente Christus und gerade nicht, wie es die moderne Fragestellung historischer Forschung voraussetzt, eine Größe der zurückliegenden Vergangenheit." Körtner, Historischer Jesus (s. Anm. 108), 104f.

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So kann man Kählers Zugang als einen ersten wirkungsästhetischen Ansatz Christologie bezeichnen. Paul Tiläch geht bei seinen christologischen Überlegungen in doppelter Weise über seinen Lehrer Kahler hinaus, indem er einerseits die Rückfrage nach dem historischen Jesus nur im Sinn einer geschichtsphilosophisch-historischen Kategorienbildung gelten lässt (im Gegensatz zur historischen Lokalisation)115, andererseits die gegenwärtige Rezeption des Christusgeschehens zur notwendigen Bedingung christologischer Wahrheit erklärt. In Tillichs Terminologie manifestiert sich im geschichtlichen Faktum, dass Christus als Mensch in Erscheinung getreten ist, die Manifestation des Neuen Seins, d.h. aber die Erscheinung des essentiellen Seins unter den Bedingungen existentiellen Seins. Doch nur in der gegenwärtigen Rezeption dieses geschichtlichen Ereignisses durch den Gläubigen werde Jesus zum Christus.116 Das Bindeglied zwischen dem geschichtlichen und dem gegenwärtigen Christusereignis ist — und das ist im Blick auf unseren Gegenstand interessant — das Bild des Christus, das sich einerseits den Jüngern in der Begegnung mit Jesus einprägte (und im Neuen Testament konkret vermittelt wird117). Andererseits „war und ist (es) noch immer dieses Bild, das die verwandelnde Macht des Neuen Seins ausstrahlt (...). Kein einzelner Zug dieses Bildes läßt sich mit Sicherheit verifizieren. Aber wir haben die Gewißheit, daß das Neue Sein, das durch dieses Bild wirkt, die Kraft hat, uns zu verwandeln."118 Dorothee Solle fuhrt den Ansatz Tillichs in ihrer Abhandlung zur Stellvertretung weiter, indem sie Christus als Repräsentanten Gottes beschreibt, der den abwesenden Gott vertritt.119 „Da Christus es gewagt hat, den abwesenden Gott vorläufig zu vertreten, darum ist nun Christus überall dort impliziert, wo ein Mensch an der Stelle Gottes handelt oder leidet."120 Die Vorstellung der patenten Kirche' von Paul Tillich wird hier auf die Christologie übertragen, „der Ausdruck .Christus' (ist so) zu einer Chiffre oder Metapher geworden, die für anderes gutsteht, eben für das ,Neue Sein' (Tillich) als die unersetzliche Identität."121 115 So etwa in der Thesenieihe von Paul Tillich, Die christliche Gewißheit und der historische Jesus (1911), in: ders., Briefwechsel und Streitschriften, EW VI, Frankfurt a. M. 1983, 31-50, so etwa These 100 ebd. 42f.: „Historische Kategorien können ihre Wahrheit behalten, auch wenn ihre ursprüngliche Lokalisation sich als falsch erweist." Vgl. zum Folgenden auch Körtner, Historischer Jesus (s. Anm. 108), 114-127. 116 Tillich, Systematische Theologie, Bd. II (s. Anm. 103), 107ff.; 109: Jesus ist „ohne die, die ihn als den Christus aufnehmen, nicht der Christus". 1 1 7 Tillich, Systematische Theologie, Bd. II (s. Anm. 103), 125: „ohne die Konkretheit des neutestamentlichen Bildes (wäre) das Neue Sein eine leere Abstraktion." 1 1 8 Ebd. 119 Vgl. Dorothee Solle, Stellvertretung. Ein Kapitel Theologie nach dem ,Tode Gottes', Stuttgart 5. Aufl. 1968 (1965), 178. 120 Solle, Stellvertretung (s. Anm. 119), 182. 121 Ebd. 183.

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Hatte Tillich seine „Bilderchristologie" noch explizit auf eine Analogiebeziehung {analogia imaginis) gegründet122, betont Dorothee Solle die bewusste Widerstimmigkeit christologischer Aussagen zu aller Welterfahrung und spricht in diesem Zusammenhang m.W. erstmals von Christus als einer .absoluten Metapher': Man kann sagen, daß in einer unmenschlichen Welt der Name Christi eine nicht-auflösbare Chiffre, eine .absolute Metapher' darstellt, die anders als die klassische Metapher nicht gebunden ist durch die Analogie zwischen Sache und Bild. Weit entfernt von einer adaequatio rei, entstammt sie weniger dem Vergleich als einem Sprung. Wir vollziehen die Anschauung der Liebe Christi in der Tat nicht oder nur in geringen Spuren per analogiam irgendwelcher vorfindlicher Erfahrungen, wohl aber via negationis. Die absolute Metapher .Christus' enthält diese Negation aller .gottlosen' Verhältnisse, sie enthält das Versprechen der Identität in ihrer stellvertretenden Vorläufigkeit. Die Chif&e .Christus' ist die Weise, in der Jesus lebendig bleibt bis an der Welt Ende - als das Bewußtsein derer, die Gott vertreten und ihn in Anspruch nehmen füreinander. Der implizite Christus ist dort gegenwärtig, wo sich diese stellvertretende Inanspruchnahme ereignet.123

Sachgemäß wird diese Explikation des Christus praesens in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie aufgenommen, ohne dass hier jedoch m.W. die metapherntheoretischen Implikationen eine Rolle spielen.124 Eine gewisse Weiterfuhrung von Kählers und Tillichs Bild-Christologie wird in jüngerer Zeit von Ulrich H. J. Körtner geleistet, indem er die beiden Ansätze rezeptionsästhetisch interpretiert und durch Einsichten einer literarischen Hermeneutik befruchtet.125 Dabei wählt er — wie Kähler — die schriftlichen Texte des Neuen Testaments als Ausgangspunkt christologischer Reflexion126 und würdigt besonders ihre sprachliche Form bzw. ästhetisch-materiale Gestalt. Die urchristlichen Textzeugnisse über Jesus bleiben aber trotz ihrer konkreten Entstehungssituation „nicht situations'»»^», sondern wirken als autonome Artefakte ihrerseits situationsMfe»*/'127 und stellen somit die Schnittstelle zwischen Historie und gegenwärtiger Reflexion dar. So ist das biblisch vermittelte „Bild Christi, 122 Vgl. Tillich, Systematische Theologie, Bd. II (s. Anm. 103), 125. 123 Ebd. 183f. 124 Vgl. etwa die Darstellung Christi als „Christo campesino", femer die Beiträge bei Giancarlo Collet (Hg.), Der Christus der Armen. Das Christuszeugnis der lateinamerikanischen Befreiungstheologen, Freiburg i. Br. 1988. 125 Vgl. Körtner, Historischer Jesus (s. Anm. 108), 99-135. 126 Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählen innerhalb der neueren exegetischen Forschung zur Christologie auch Martin Karrer (Jesus Christus, s. Anm. 2) sowie Rudolf Schnackenburg (Jesus Christus, s. Anm. 95). Letzterer geht von „der Unerkennbarkeit und Unerforschlichkeit des .historischen Jesus' aus und wendet sich der Sicht der Evangelisten zu, die je ein besonderes Bild von Jesus Christus entworfen haben: „Ich glaube, wir müssen nach Anlage und der Intention der uns einzig zur Verfügung stehenden Quellen, der vier Evangelien, diesen historischen Horizont überschreiten und trotz aller Schwierigkeit von Tradition und Redaktion nach dem fragen, was sie uns wirklich sagen wollen." (ebd. 5f.) Schnackenburg weiß entsprechend „den historischen Jesus (...) in das gläubige Bekenntnis zu Jesus Christus eingebunden" (ebd. 15). 127 Vgl. dazu Körtner, Historischer Jesus (s. Anm. 108), 107.

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das den Glaubenden vor Augen steht, alles andere als eine bloße Erfindung, eine religiöse Illusion, sondern erfundene Wahrheit, die sich den Glaubenden einbildet und einprägt, so daß sie ihr eigenes Leben verwandelt und wahr macht."128 Einen zumindest im angelsächsischen Sprachraum vielbeachteten Anstoß zu einer metaphorischen Christologie hat unter einer ganz anderen Ausgangsfrage John Hick durch den im Jahr 1977 herausgegebenen Sammelband „The Myth of God Incarnate"125 gegeben. Gegenstand dieser Aufsatzsammlung ist eine radikale Kritik am Inkarnationsdogma. Da eine begriffliche Lösung des .vere deus et vere homo' nicht möglich sei, dürfe das Dogma der Inkarnation nicht länger als Tatsachenbehauptung („factual truth claim") verstanden werden, sondern müsse als Mythos aufgefasst werden. In seiner 1993 unter dem Titel The Metaphor of God Incarnate130 erschienenen monografischen Entfaltung seines christologischen Ansatzes präzisiert Hick seine Sicht dahingehend, dass er das Inkarnationsdogma nun als metaphorische Aussage interpretiert. Was die Metapher der göttlichen Inkarnation betrifft, so lässt sich das, was im Leben Jesu verkörpert, fleischgeworden bzw. inkamiert war, mindestens auf dreifache Weise bezeichnen (...): (1) Insofern Jesus den Willen Gottes erfüllte, wirkte Gott durch ihn auf Erden und war in diesem Sinn im Leben Jesu ,inkamiert'. (2) Insofern Jesus den Willen Gottes erfüllte, war in ihm das Ideal des menschlichen Lebens inkamiert, das heißt, eines Lebens in Offenheit und Entsprechung für Gott. (3) Insofern Jesus das Leben einer sich selbst gebenden Liebe bzw. agape lebte, war in ihm eine Liebe .inkamiert', die eine endliche Widerspiegelung der unendlichen göttlichen Liebe ist. Die Metapher ist dann wahr bzw. angemessen, wenn es wörtlich wahr ist, dass Jesus der göttlichen Gegenwart gehorsam entsprach und ein Leben in selbstloser Liebe führte. 131

Für Hick wird der Inkarnationsbegriff folglich uneigentlich verwendet, da damit etwas anderes ausgesagt wird, als eigentlich gemeint ist. So zeigt Hick - entgegen seinem eigenen Bekenntnis - , dass er letztlich einem substitutiven Metaphernverständnis verpflichtet bleibt, was Dalferth und Buntfuß mit vollem Recht kritisieren.132 In seiner Frontstellung gegen eine ontologisch verstandene Inkarnationstheologie möchte er zeigen, dass Inkarnationsaussagen ,nur' metaphorisch verstanden werden können, was einer pejorativen Relativierung gleichkommt.

128 Ebd. 134. 129 John Hick (Hg.), The Myth of God Incarnate, London - Philadelphia 1977; in dt. Übersetzung ders. (Hg.), Wurde Gott Mensch? Der Mythos vom fleischgewordenen Gott, Gütersloh 1979. 130 John Hick, The Metaphor of God Incarnate, London - New York 1993. 131 Hick, Metapher (s. Anm. 130), 105 (Übers, nach Perry Schmidt-Leukel, in: John Hick, Gott und seine vielen Namen, Frankfurt a. M. 2001,203). 132 Zur Auseinandersetzung mit Hick vgl. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte (s. Anm. 71), 7ff.; sowie Buntfuß, Tradition und Innovation (s. Anm. 44), 172-176.

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Auch wenn IngolfU. Dalferth in Anknüpfung an Jüngel die produktive und kreative Sprachpotenz metaphorischer Rede anerkennt, muss doch für ihn die bildliche Redeweise durch begriffliche Präzision der dogmatischen Tradition kontrolliert werden. „Nur so läßt sich herausfinden, was in der geschichtlichen Kontinuität christlichen Glaubenslebens als sachgerechter Bildgebrauch gelten kann oder als inadäquater Bildgebrauch korrigiert werden muß."133 Im Blick auf die Christologie werden dabei die christlichen Glaubenssymbole .Kreuz' und .Auferstehung' zum Strukturkern erhoben, an dem sich alle weiteren Aussagen messen lassen müssen. Markus Buntfuß versucht hier einen Schritt weiterzugehen, indem er auf der Grundlage der Interaktionstheorie der Metapher den Eigenwert der metaphorisch interpretierten Inkarnationsaussage hervorhebt, und so in ihr eine irreduzible Wurzelmetapher erkennt, die nicht nur rezeptiv wirklichkeitserhellende, sondern auch produktiv wirklichkeitserstellende Funktionen besitzt.134 In ähnlicher Weise hat Herrmann-]osef Meurer in Applikation von Ricceurs Metaphern- und Symboltheorie auf die Gleichnisrede in Jesus Christus' die Grundmetapher christlicher Inkarnationstheologie gesehen: Wie wir (...) im Rahmen unserer kleinen metaphorischen Christologie (...) angedeutet haben, kommen auch in Jesus Christus zwei Größen, die für gewöhnlich nicht zusammengehören, weil sie zwei verschiedenen Wirklichkeitsebenen angehören, nämlich Gott und Mensch, im Rahmen eines metaphorischen Prozesses so zusammen, daß daraus eine eigene Größe hervoigeht: der Gottmensch Jesus Christus. Das, was wir hier als metaphorischen Prozess bezeichnen, ist genau das, was die Theologie als Menschwerdung Gottes oder Inkarnation bezeichnet.135

Während bei Buntfuß die Rückfrage evoziert wird, ob sich Christologie bei einer absoluten Inkarnationsmetapher nicht zum bloßen Sprachspiel oder zur abstrakten Denkform verflüchtigt, versucht Meurer bewusst eine Brücke zum Neuen Testament zu schlagen, indem er seine Ausführungen durch die konkrete Analyse neutestamentlicher Gleichnistexte absichert. Eine eigenständige Forschung im Neuen Testament zu den christologischen Implikationen urchristlicher Metaphern- und Bildtexte findet sich jedoch bislang nicht. Während die Gleichnisexegese erst in jüngerer Zeit die christologische Fragestellung aufgenommen hat136, wurde von Martin Karrer im Rahmen seiner Einfuhrung in das Christuszeugnis des Neuen Testaments der Begriff einer

133 Vgl. Dalferth, Jenseits von Mythos und Logos (s. Anm. 71), 307. 134 Vgl. Buntfuß, Tradition und Innovation (s. Anm. 44), 177-185, sowie den Beitrag in diesem Band. 135 Vgl. Meurer, Die Gleichnisse Jesu (s. Anm. 64), 601f. 136 So Eriemann, Gleichnisauslegung (s. Anm. 64), insbesondere 2.6. „Die Sache der Gleichnisse: Verhalten und Geschick Jesu, christologische Aspekte" (106-109), sowie den Beitrag von Erlemann in diesem Band. Zuvor etwa Georg Baudler, Jesus im Spiegel seiner Gleichnisse, München 1986, was freilich keine exegetische Arbeit im strengen Sinn ist.

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„metaphorischen Christologie"137 gebraucht. Karrer sieht darin eine Sprachform, die in ihrer Synthese aus Narrativität und Bildlichkeit jenseits begrifflicher Präzision und Verfügbarkeit anzusiedeln ist. Eine solchen Christologisierung sei - so konstatiert Karrer mit vielen anderen - im Johannesevangelium138, weil hier im Gegenüber zu den synoptischen Gleichnissen die Bilderrede den Blick auf Jesu Person lenke. Die metaphorisch deutbaren prädikativen ,Ich-bin-Worte' können als exponierter Ausdruck dieser Bilderchristologie gewertet werden. Einen ganz eigenständigen Entwurf einer .metaphorischen Christologie' hat schließlich Alex Stock mit seiner mehrbändigen „Poetischen Dogmatik" vorgelegt.139 Seine Vorgehensweise beschreibt Stock so: Wahrend die klassische Christologie aus systematischen Gründen immer dazu neigte, die Zahl der Titel zu reduzieren und zumeist einen bestimmten Titel, vor allem den des Gott-Menschen oder des Erlösers zum prinzipiellen Ansatz zu erheben, scheint mir für die Poetische Dogmatik jener andere Traditionsstrang von Bedeutung, in dem die vielen Namen, ja gerade die Vielnamigkeit selbst wichtig waren. 140

Im ersten Band der poetischen Dogmatik stehen dann auch die vielen Namen Christi im Vordergrund, die aus Gesängen, Gebeten, Geschichten und Gedichten im Sinne einer Anthologie aufgelesen werden. Allerdings sind Namen — wie Stock betont - nicht die einzigen Artefakte der christopoetischen Einbildungskraft, so dass innerhalb des Gesamtwerks Christusbilder in großer Formvarianz aus Liturgie, Dichtung und Kunst aufgenommen und in thematischen Traktaten kommentiert werden. Besonders im jetzt erschienenen vierten Band „Figuren" werden sieben Christusmetaphern aufgenommen, die in der kirchlichen Tradition eine zentrale Rolle gespielt haben: Lehrer, Erlöser, Hirt, Richter, König, Lamm und Kreuz. Schließlich entsteht in der Gesamtheit der Anordnung „nach dem methodischen Modell der Liturgie" ein neues prägnantes Christusbild, wobei die Kohärenz der Darstellung im Verständnis des Autors den Titel .Dogmatik' bzw.,Christof«' rechtfertigt.

137 Vgl. Karrer, Jesus Christus (s. Anm. 2), 243f. 138 Der Bildcharakter des vierten Evangeliums und seine Bedeutung fur die Christologie wird nun verstärkt wahrgenommen, vgl. Arbeiten von Craig Koester, Symbolism in the Fourth Gospel, Minneapolis 1995; Jan G. van der Watt, Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Gospel according to John, Leiden 2000. Erste Übedegungen zu einer metaphorischen Christologie des JohEv auch in meinem Beitrag Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma (s. Anm. 96), 174-183, sowie im Aufsatz in diesem Band; umfassend jetzt ders., Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Zur Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, Diss, hábil. München 2003. 139 Alex Stock, Poetische Dogmatik. Christologie, Bd. 1 Namen. Christologie (1995); Bd. 2 Schrift und Gesicht (1996); Bd. 3 Leib und Leben (1998) ; Bd. 4 Figuren (2001), Paderborn u.a. 1995-2001. 140 Alex Stock, Über die Idee einer Poetischen Dogmatik, in: Körtner (Hg.), Poetologische Theologie (s. Anm. 69), 47-65, hier: 58.

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Fazit: Versucht man die wenigen bisherigen Arbeiten an einer metaphorischen Christologie zusammenzufassen, zeigt sich, dass die Fragestellung zuerst im Rahmen systematischer Reflexionen entwickelt wurde. In Abgrenzung von Rückfragen nach dem „historischen Jesus" wurde das Christusbild als Ausgangspunkt christologischen Nachdenkens gewählt. Ferner wurde die metaphorische Struktur des Inkarnationsdogmas wahrgenommen, denn im ,vere deus et vere homo' werden zwei eigentlich inkompatible Bereiche zusammen gezwungen. Auch wenn bereits Kahler sein Christusbild biblisch verankern wollte, kann kaum von einer eigenständigen Forschung zu den christologischen Implikationen urchristlicher Jesus-Metaphern gesprochen werden. Noch viel mehr fehlt eine Vernetzung oder Zusammenschau der unterschiedlichen Ansätze.

b) Ausblick Im interdisziplinären Austausch zwischen historischen, systematischen und ästhetischen Teilgebieten der Theologie sollen in diesem Band erste Ansätze einer metaphorischen Christologie zusammengeführt werden, um so deutlicher Konturen, Chancen, aber auch Grenzen dieses Teilbereichs einer poetologischen Theologie wahrnehmen zu können. Auch wenn die Beiträge kein umfassendes Panorama einer .metaphorischen Christologie' bieten können und wollen, soll doch dem deutlichen Forschungsdefizit im Bereich neutestamentlicher Theologie insofern entgegengearbeitet werden, als in der Analyse neutestamentlicher Christusmetaphern ein gewisser Schwerpunkt gesehen werden kann. Hier sind Beiträge zu bilderchristologischen Äußerungen in unterschiedlichen Schriften und Textgruppen aufgenommen, angefangen von der synoptischen Gleichnisrede (Erlemann) und den Übergängen von Hoheitstitel und Metapher (Müller), über Christusmetaphern im Corpus Paulinum (Schröter), dem Johannesevangelium (Zimmermann) oder der Apokalypse (Karrer) bis hin zum eigenwilligen Einsatz metaphorischer Rede in der wohl spätesten Schrift des Neuen Testaments, dem 2. Petrusbrief (Frey). Darüber hinaus werden einzelne Aspekte von Christusmetaphorik in ausgewählten kirchen- und theologiegeschichdichen Zeugnissen untersucht, sei es die litaneiartig zusammengestellten Christusnamen in der Alten Kirche (Wallraff), die Abendmahlsmetaphorik in der deutschen Mystik, näherhin bei Johannes Tauler (Leppin), Luthers Arbeit an christologischen Metaphern (Wolff), sowie die Vor- und Urbildchristologie im 19. Jahrhundert (Röhls). Auch wenn somit Zeugnisse der westlichen Kirchengeschichte dominieren, sollte mit dem Beitrag zur Christusikonographie (Ivanov) doch wenigstens ein Einblick in die Bilderchristologie der Ostkirche gegeben werden.

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Innerhalb der systematischen Reflexionen wird sowohl der bereits in früheren Arbeiten betonte Rückbezug auf biblische Christusbilder vertieft (Timm, Körtner, Lauster), als auch die metaphorische Interpretation des Inkarnationsdogmas weitergeführt (Buntfuß, vgl. Büttner). Einerseits werden auch hier zentrale Metaphern wie das „Wort-Gottes" zur Geltung gebracht (Körtner), andererseits geht es gerade darum, was die Metaphorik als grundlegende Sprachform (Buntfuß) oder als Topik (Stoellger) überhaupt für die systematische Theologie leisten kann. Auch Ansätze einer wirkungsästhetischen Annäherung zum Thema werden aufgenommen, indem z.B. hermeneutische Aspekte zum Christusbild in der religiösen Kunstgeschichte benannt werden, wobei die Struktur biblischer Bildlichkeit als Ausgangs- und Bezugspunkt gewählt wird (Rauchenberger). Eine entscheidende Ausweitung dieser Zugangsweise besteht jedoch darin, dass auch Beispiele der (profanen) Christopoetik in der deutschsprachigen Lyrik untersucht werden (Hoegen-Rohls), ferner werden Impulse der Metapherndebatte in der Medienlandschaft theologisch fruchtbar gemacht (Huizing) oder es wird die bildsprachliche Kreativität von Kindern christologisch befragt (Büttner). Die Vielfalt der Untersuchungsgegenstände und Zugänge der vorliegenden Beiträge spiegelt die Formvarian% in der Christusmetaphern begegnen: Viele Einzelbilder, die Christus z.B. als Sohn (Müller), Deckel der Bundeslade, Passa, Leib (Schröter), Tür, Weizenkorn, Licht (Zimmermann), Löwe, Wurzel (Karrer), Morgenstern (Frey), Fisch (Wallraff) oder Mandel und blaues Herz (HoegenRohls) metaphorisieren, werden untersucht, teilweise sogar unter Einbeziehung ihrer Wirkungsgeschichte (z.B. ,Wort Gottes' in der dialektischen Theologie und ihren Nachfolgern, vgl. Körtner). Die Metapher wird dabei in Beziehung und Abgrenzung zu verwandten Sprachformen wie Titel (Müller), Symbol (Karrer) oder Epitheta (Wallraff) zur Geltung gebracht. Ferner werden Strukturmuster in der Zusammenballung von Metaphern zu größeren Einheiten wahrgenommen, so dass in Gestalt von Puzzle (Erlemann), Mosaik (Zimmermann), Litanei (Wallraff) oder narrativer Inversionspoetik (Timm) bereits in urchristlichen Texten eine Christusmetaphorik zweiter Ordnung erkannt werden kann. Einerseits kann die sprachliche Bildlichkeit materiale Gestalt gewinnen, sei es in der ,vera icon' (Rauchenberger), der Christusikone (Ivanov) oder im modernen Jesusfilm (Huizing), andererseits kann die Christusmetapher zur Sprachund Denkstruktur abstrahiert werden, wenn sie in der „communicatio idiomatum" wiedererkannt wird (Wolff), wenn das Inkarnationsdogma als interaktioneile Grundübertragung des Christentums interpretiert (Buntfuß) oder die absolute Metapher „Jesus Christus" zur Basis einer umfassenden Lebenswelttopographie erhoben wird (Stoellger). In der Vielfalt der Untersuchungen werden zum einen markante Divergenzen in der Zugangsweise zum Thema sichtbar: Während in den historischen Fächern

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eher rezeptiv einzelne, meist,kühne' Christusmetaphern in ihrer sprachlichen und theologischen Relevanz analysiert werden, stellen sich systematische Beiträge eher der hermeneuüschen Aufgabe christologische Theoreme der Tradition (z.B. das Inkarnationsdogma) zu re-metaphorisieren, um ihnen neuen Sinn abzugewinnen. Schließlich können Metaphorik und Christologie auch in einer produktionsästhetischen Weise aufeinander bezogen werden, indem die christologische Metaphorizität als Bildungsmotor einer imaginativen Metaphernproduktion vorgeschlagen wird141, oder z.B. im konkreten Lebensvollzug mit Kindern traditionelle oder neue Christusbilder entdeckt werden. Die .metaphorische Christologie' wird somit in systematisch-theologischer Perspektive zur .christologischen Metaphorizität' transformiert, indem die metaphorische Rede nun nicht (mehr) als spezifische Ausdrucks- oder gar Sonderform, sondern als Grundform theologischen und somit auch christologischen Sprechens betrachtet wird (Buntfuß; Stoellger; Huizing). Zum anderen lassen die Beiträge jedoch auch deutliche Konvergenzen erkennen. Metaphorische Sprach- und Darstellungsformen werden als eigenständige und vielfach sogar unersetzliche Reflexionsweise des Christuszeugnisses anerkannt. Die materiale und ästhetische Beschaffenheit wird dabei nicht als Vehikel einer Botschaft betrachtet, vielmehr ist das Darstellungsmedium selbst ein Bestandteil des Dargestellten, the medium is the message (Timm). Das heißt freilich nicht, dass jede Christusdarstellung metaphorisch sein müsste. Gegenüber einem universalen Anspruch betonen die hier vertretenen Beiträge zur metaphorischen Christologie — wie auch die poetologische Theologie überhaupt — stattdessen die begrenzte Reichweite einzelner christologischer Aussagen. Schon die Vielfalt der Christusmetaphern macht deudich, dass nicht eine einzelne Metapher Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Metaphorische Prädikationen lassen sich auch nur bedingt und zum Teil gar nicht begrifflich dingfest machen. Christusmetaphern bleiben schließlich kontextuell bzw. lebensweltlich gebunden, ergänzungsbedürftig und historisch in gewisser Weise sogar kontingent, auch wenn sie im Laufe ihrer Wirkungsgeschichte zum Teil konventionalisiert oder wie bei .Christus' oder .Sohn' begrifflich oder dogmatisch fixiert werden konnten. In ihrer konzisen Unschärfe sind Christusmetaphern nicht nur deutungsoffen, sondern geradezu deutungsbedürftig. Die in allen Beiträgen als Grundstruktur der Metapher anerkannte Übertragung, Spannung oder sogar Paradoxie braucht einen Rezipienten oder eine Rezipientin, die hinter dem vordergründigen Widersinn einer metaphorischen Ausssage einen neuen, tieferen Sinn entdecken können. Der Sinngehalt einer Christusmetapher ist also nicht in seiner 141 Vgl. zu diesen Begriffen die Ausführungen bei Stoellger, Beitrag in diesem Band.

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Struktur bereits vorgegeben, sondern erschließt sich erst durch produktive Rezeption eines Lesers bzw. einer Leserin. Das Verstehen der Christologie erfolgt dabei im dynamischen Prozess der Wahrnehmung.142 In dieser Sinndynamik erschließen Christusmetaphem aufgrund ihrer sprachkreativen und innovativen Potentiale nicht nur Aspekte vom Wesen und Wirken Jesu Christi, sondern eröffnen zugleich dem Leser oder der Betrachterin ein neues Wirklichkeitsverständnis.

Epilog: „Metaphorische Christologie" als bleibende Herausforderung Die Verknüpfung von Metaphorik und Christologie wurde nicht mit der Intention vollzogen, alle systematischen Probleme der Christologie lösen zu wollen. Im Gegenteil. Nicht die klärende Ausmerzung klassischer Probleme und Unschärfen innerhalb christologischer Reflexion, sondern die bewusste Bejahung und sprachliche Artikulation der unaufgebbaren Spannungen im christologischen Nachdenken könnten ein Ertrag des Symposions und der vorliegenden Aufsatzsammlung sein. Eine metaphorische Christologie ersetzt auch nicht andere, traditionelle Zugangsweisen, denn bei der Annäherung an die urchristliche Christologie sind traditionsgeschichtliche und historische Arbeitsweisen ebenso unerlässlich wie innerhalb der dogmatischen Reflexion die begriffliche Präzisierung unverzichtbar bleibt. Gleichwohl relativiert, korrigiert und ergänzt die Metaphorik bisherige Zugänge zur Christologie um wesentliche Aspekte. Christologie ist um ihrer Lebendigkeit willen nur in einer prinzipiellen Offenheit und Multiperspektivität zu treiben. Um das wahre Christusbild muss gerungen, ja sogar gestritten werden! Es kann nicht vom Historiker verifiziert, vom Dogmatiker definiert oder vom Ästhetiker vereinnahmt werden. Es bleibt jedem absoluten Zugriff entzogen. Die Christusmetaphern sind Anlass eines solchen Streits und Austausche. Gefuhrt werden muss er freilich je und je neu. Denn nur so kann sich die ,christologische Wahrheit' ereignen.

142 Vgl. dazu Zimmermann, Einführung: Bildersprache verstehen (s. Anm. 41), 13-54.

Teil I Metaphorische Christologie im Neuen Testament

Kurt Erlemann Die Selbstpräsentation Jesu in den synoptischen Gleichnissen

1. Das Thema, Problemhorizont Die synoptischen Gleichnisse sind, neben den Bildreden des JohEv und den christologischen Aussagen der Paulusbriefe, die wichtigste Quelle für die Frage nach den Wurzeln der frühchristlichen Christologie. Unabhängig von der Frage sprachlicher Veränderungen im Vollzug ihrer schriftlichen Fixierung ist die metaphorische Form und die kontextuelle Einbettung der Gleichnisse ein Zeugnis dafür, wie Reden und Handeln Jesu von Nazareth schon früh aufeinander bezogen wurden. Die Gleichnisse sind die bevorzugte Sprachform der Rede Jesu vom Reich Gottes bzw. überhaupt vom Gott Israels. Sie spiegeln zugleich die frühchristliche Auffassung darüber wider, wie sich Jesus selbst in seinem Wirken verstanden hat. Kann aber aus den Gleichnissen so einfach eine implizite Christologie gewonnen werden? Diese Frage zielt letztlich auf die Interpretation der in den Gleichnissen begegnenden Metaphorik und die Frage der methodischen Legitimität einer Interpretation von Metaphern und Gleichnissen. Die folgenden Überlegungen haben die synoptischen Gleichnisse in ihrer schriftlich fixierten Gestalt als Ausgangspunkt.1 Sofern von mir die Schreibweise „Jesus (Christus)" gewählt ist, ist bewusst offen gehalten, ob die Tradenten der Jesusüberlieferung den so genannten historischen Jesus oder den erhöhten Christus zum Gegenstand ihrer christologischen Reflexion machen.

1

Vgl. die Ausführungen in Kurt Erlemann, Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen, BWANT 126, Stuttgart 1988, bes. 52-54.

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Kurt Edemann

2. Die Sprache der Gleichnisse und die Frage nach der „Sache" 2.1 Die Metaphori%tät dergkichnishaften

Rede

Die Neubewertung der metaphorischen Rede ab der Mitte des letzten Jahrhunderts trägt einer Sprachform Rechnung, die bis dato zu Unrecht als „uneigentliche Rede" bezeichnet wurde. 2 Heute ist allgemein anerkannt, dass Sprache nicht in erster Linie Wirklichkeit abbildet, sondern sie konstituiert. Zum Wesen menschlicher Wahrnehmung von Wirklichkeit gehört das Denken in Analogien, Vergleichen und Bildern. So kommt der Metapher erkenntnistheoretisch eine zentrale Rolle zu.3 Die Verwendung von Metaphern ist nicht durch andere, „nicht bildhafte" Sprache substituierbar, was wesentlich an der Bedeutungsoffenheit resp. Polyvalenz von Metaphern liegt. Die Bedeutung einer Metapher erschöpft sich nicht in einer einzigen Interpretation. Metaphern haben grundsätzlich einen Bedeutungsüberschuss und setzen immer wieder neue Bedeutungen aus sich heraus. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass es die ursprüngliche, so vom Autor intendierte Bedeutung einer Metapher gibt. Vielmehr dürfte es sich so verhalten, dass die Polyvalenz der Sprachform ihrem Sprecher nicht verborgen ist. Wenn ein Evangelist in den Gleichnissen metaphorisch vom κύριο? spricht, kann er durchaus mehrere Referenten damit im Blick haben: Gott selbst, aber auch Jesus Christus. Es ist von Fall zu Fall zu prüfen, welcher Möglichkeit der Vorrang zu geben ist bzw. ob beide Möglichkeiten im Blick sind. Ich behaupte, dass gerade in der Polyvalenz von Metaphern eine Wurzel frühchristlicher Christologie liegt: Metaphorische Prädikationen, die traditioneller Weise dem Gott Israels zukamen, konnten so auf Jesus (Christus) ausgeweitet bzw. übertragen werden. Frühchristliche Christologie steht schon rein semantisch in Kontinuität zur atl.-jüdischen Theo-logie. Die synoptischen Gleichnisse sind mithin eine Schaltstelle zwischen beiden.

2.2 Die Gleichnisse als fiktionale narratio Was fur Metaphern auf der Satzebene gilt, gilt für Gleichnisse auf der Textebene. Gleichnisse sind fiktionale Erzählstücke, die über das auf der semantischen

2

3

Adolf Jülicher, Die Gleichnisieden Jesu, 2 Bde., Tübingen 1886/1899 (2. Auflage 1910), Bd.I,53ff.; vgl. Ausführungen in K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2093, Tübingen 1999, 66-71. Dazu Edemann, Gleichnisauslegung, 29f.

Die Selbstpräsentalion Jesu in den synoptischen Gleichnissen

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Ebene Gesagte auf (mindestens) eine weitere Referenzebene verweisen.4 Im Fall der synoptischen Gleichnisse kommen mindestens drei Referenzebenen in Betracht: Zum ersten die theologische Ebene. Die „Sache"5 des Gleichnisses ist hier eine Aussage über Gott, sein Verhalten, seinen Willen, sein Verhältnis zu den Menschen. Zum zweiten die christologische Ebene. Die „Sache" ist hier eine Aussage über Jesu Wirken, seine Sendung, sein Geschick, seinen Auftrag an die Menschen, seine bleibende Bedeutung für die Gemeinde. Zum dritten die eschatologische Ebene. Die „Sache" ist hier eine Aussage über die (veränderte) Wirklichkeit, wie sie sich auf Grund der Sendung Jesu, seiner Auferstehung und Erhöhung sowie der proklamierten Nähe Gottes darstellt. Diese Wirklichkeit ist von bestimmten „Spielregeln" geprägt bzw. steht unter dem Vorzeichen zum Teil radikal veränderter Wertmaßstäbe, die zu einem veränderten Verhalten aufrufen. Was etwa angesichts der Nähe Gottes und des Wirkens Jesu „Gerechtigkeit" heißt, wird in den gleichnishaften narrationes paradigmatisch aufgezeigt. — Der szenische Charakter der Gleichnisse prädisponiert die in ihnen inhärente Theobzw. Christologie als punktuelle Ausschnitte aus einem Gesamtbild, das selbst von der Gesamtheit der Gleichnisse nicht eingefangen wird.6

2.3 Das Verhältnis von Bild und „Sache" Das Verhältnis von Bild und „Sache" ist bipolar: Zum einen spricht die Verwendung eines bestimmten Bildes für die Vergleichbarkeit zwischen Bild und „Sache". Sie setzt eine zumindest teilweise Fähigkeit der Menschen voraus, etwas von Gottes Wirklichkeit zu erfassen, bzw. eine partielle Analogie zwischen Gott und Welt. Die Gleichnisse sprechen vom Gott Israels anthropomorph bzw. anthropopathisch und lassen umgekehrt die erfahrbare Wirklichkeit in einem neuen, von Gottes Wirklichkeit bestimmten Licht erscheinen. — Zum anderen spricht die Verwendung eines bestimmten Bildes gerade für die Nichtidentität und Nichtvergleichbarkeit von Bild und „Sache". In dem Oszillieren zwischen 4 5

6

Zum Folgenden Edemann, Gleichnisauslegung, 61-63. Der Begriff wird von mir bewusst in Anfuhrungszeichen gesetzt, da er etwas Statisches suggeriert (eine religiöse Idee, eine „Moral" oder ähnliches). Ich definiere die „Sache" der synoptischen Gleichnisse als denjenigen „Bereich komplexer religiöser Erfahrung, der einem Gleichnis zugrunde liegt und der durch das Gleichnisbild .nahe gebracht' werden soll. [...] Von der .Sache' zu unterscheiden ist der situative Anlass (Themen- oder Problemstellung), „der mit Hilfe der im Gleichnis versprachlichten .Sache' aufgearbeitet werden soll." (Erlemann, Gleichnisauslegung, 101). Es bietet sich für diesen Sachverhalt die Metapher von einem (an den Rändern offenen) Puzzle an.

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Vergleichbarkeit und Unverfügbarkeit liegt der Vorzug der metaphorischen bzw. gleichnishaften Form fur die Rede von Gott und seiner Wirklichkeit: Das eigentlich Unsagbare, menschlicher Erkenntnis Entzogene wird dem auf Analogie fußenden Verstehen des Menschen partiell zugänglich gemacht und entzieht sich doch zugleich der menschlichen Verfügbarkeit: Wer oder wie Gott ist, lässt sich ansatzweise in szenischen Bildern erkennen, aber es lässt sich nicht vollständig erfassen oder auf eine bestimmte, eindeutige und statische Formel bringen. Gleichwohl beinhalten die Gleichnisse Aussagen, die von den Tradenten der Jesusüberlieferung (und wohl von Jesus selbst) als grundlegend für die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen erachtet wurden.

2.4 Die theologische Referen^ebene: Die Glächnisse als Rede von Gott

Wenn auch längst nicht alle synoptischen Gleichnisse die Gottesherrschaft als Bezugsgröße angeben, auch wenn nicht gesichert ist, dass die Gleichnisse schon im Munde Jesu auf die βασιλεία Gottes bezogen waren,7 so ist doch deutlich, dass sie die Wirklichkeit Gottes bzw. einen ihrer Aspekte im Blick haben. Dafür sprechen nicht nur die häufig begegnende, streng hierarchische Konstellation der Hauptakteure und die metaphorische Bezeichnung der obersten Autorität als κύριος, sondern auch die Themenstellung und — im Falle der schrifdich fixierten Gleichnisse — ihr theologisch determinierter Kontext. Neben der Vorstellung von Gottes königlicher Herrschaft, die besonders im MtEv dominiert,8 kommen in den Gleichnissen weitere theologische Vorstellungen zur Geltung, so die eschatologische Mahlgemeinschaft (Lk 14), die Freude im Himmel über die Umkehr des Sünders (Lk 15), das Verhältnis von Gott und Mammon (Lk 16) oder der Erfolg beständigen Betens zu Gott (Lk 18). In allen Fällen ist der κύριο? bzw. Gott/Jesus Christus als die höchste Instanz gezeichnet, dessen Tun und Reaktion menschlicher Nachfrage und Kritik entzogen ist.

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8

Darauf weist zu Recht François Vouga, Jesus als Erzähler, Überlegungen zu den Gleichnissen, WuD 19 (1987), 63-85, hin. Anders sind freilich die besprechenden Gleichnisse zu beurteilen: Der besprochene Alltags- oder Naturvorgang hängt ohne thematischen Bezug auf die βασιλεία gewissermaßen μη der Luft'. Auf die Auslegungsprobleme des Begriffs βασιλεία του fleoû bzw. βασιλεία των ουρανών muss hier nicht eingegangen werden. Vgl. dazu Erlemann, Gleichnisauslegung, 104106. Die Metapher vergleicht Gott mit einem Herrscher, der zum Heil der Gläubigen seinen Einflussbereich ausdehnt, gewissermaßen seine .Spielregeln' für die Menschen geltend macht oder umgekehrt die Gläubigen an seiner Herrschaft beteiligt. Die Metapher bezeichnet, kurz gefasst, die Durchsetzung des Heilswillens Gottes.

Die Selbstpräsentation Jesu in den synoptischen Gleichnissen

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2.5 Die christologische Referen^ebene: Die Gleichnisse als Kommentar %um Handeln und Geschick Jesu Es ist ein Charakteristikum der in Parabeln verwendeten KÚpiOS-Figur, dass sie selten eindeutig auf eine bestimmte Referenzebene verweist. So ist der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn auf Gott, aber auch auf Jesus (Christus) und sein Verhalten den Gerechten und den Sündern gegenüber beziehbar. Ähnlich verhält es sich mit dem König im Gleichnis vom Schalksknecht Mt 18,23-35 oder beim Herrn des Weinbergs Mt 20,1-16. Am ehesten ist da eine Monovalenz gegeben, wo theologische und christologische Referenzebene durch die Konstellation der Akteure neben- statt ineinander zu stehen kommen. So ist im Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Mt 22,1-14) die Vater-SohnKonstellation auf Gott in seinem Verhältnis zu Jesus (Christus) zu beziehen,9 ebenso im Gleichnis von den bösen Winzern (Mk 12,l-12parr.). Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen geht es um das Thema Ankunft resp. Wiederkunft des „Bräutigams" — auch hier liegt eine christologische Deutung näher als eine theologische. So sind die Parabeln in der Regel nicht nur Inszenierung einer theologischen Vorstellung, sondern auch Kommentar zum Wirken und Geschick Jesu (Christi). Um mit Hans Weder zu sprechen: „In den Gleichnissen expliziert Jesus sein eigenes Verhalten mit dem Verhalten Gottes. Dies zeigt sich darin, daß viele Figuren, die im Gleichnis untergeordnet auf Gott verweisen, so verwendet werden, daß aus ihnen das Verhalten Jesu transparent wird."10 So wird die umstrittene Kommensalität Jesu mit Sündern und Zöllnern (Lk 15,1 f.) in den Gleichnissen vom Gastmahl (Lk 14,15-24) und vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) erläutert und gerechtfertigt. Jesu Forderung nach Besitzverzicht (Lk 12,15.33 u.a.) wird in den Gleichnissen Lk 12 (reicher Narr) und Lk 16 (schlauer Verwalter, reicher Mann und armer Lazarus) begründet. Die Parusiegleichnisse Mt 24f. machen Jesu Wachsamkeitsforderung (Mt 24,32ff.) plausibel. Auch das Geschick Jesu wird in Parabeln thematisiert und gedeutet. Besonders deutlich in Mk 12,1-12 (böse Winzer) oder in Mt 22,1-14 (königliches Gastmahl). Weiterhin wird das Verhältnis zwischen Jesus (Christus) und den Seinen erläutert: Er ist die Grundlage und der „Dienstherr" der christlichen Gemeinschaft (Mt 13,24-30; Mt 20,1-16; Mt 25,14-30par. u.a.).

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Für den christologischen Bezug der Sohn-Figur spricht die christologische Verwendung der Hochzeitsmetaphorik in anderen Texten, wie in Mk 2,18-20 oder Apk 19,7-9. 10 Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, FRLANT 120, Göttingen 1978,95.

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2.6 Die eschatologische Referen^ebene: Die Gkichnisse: In-S%ene-Set%ung der neuen Wirklichkeit Dass die Gleichnisse prinzipiell eschatologisch ausgerichtet sind, haben bereits Charles H. Dodd und Joachim Jeremias heraus gearbeitet.11 Die eschatologische Ausrichtung lässt sich inhaltlich wie formal beschreiben.12 Inhaltlich gesehen, enthalten die synoptischen Gleichnisse Vorstellungen über die Wirklichkeit, wie sie sich unter dem Vorzeichen der Selbstdurchsetzung Gottes und der Sendung Jesu (Christi) darstellt. Mit anderen Worten, die Gleichnisse ermöglichen in einer fiktionalen, spielerischen Art eine Begegnung mit der eschatologischen Wirklichkeit Gottes. Die Rezipienten der Gleichnisse erfahren hierdurch ihre Wirklichkeit als eine, die sich durch das Wirken Jesu (Christi) und die ansetzende Selbstdurchsetzung Gottes in der Welt radikal verändert hat. Das hat Auswirkungen auf das Zeitverständnis und auf geltende bzw. nicht mehr geltende Wert- und Verhaltensmaßstäbe. Die Gegenwart steht unter dem Vorzeichen der Nähe Gottes, die Zukunft, auch die nächste, erscheint als Domäne Gottes, und so gibt es kein „neutrales" bzw. auswirkungsloses Verhalten der Menschen im Blick auf Gottes Gericht mehr. Die Gegenwart ist Zeit der Bewährung, des aktiven Wartens auf das endgültige Kommen Gottes bzw. auf die Parusie Jesu Christi. Gott erscheint als der Herr der Zeit, der schon jetzt, und jetzt unwiderruflich, im Kommen ist. Es ist eine Sache der Klugheit, das ethische Verhalten grundsätzlich zu überdenken und an den jetzt geltenden Maßstäben Gottes auszurichten.

3. Das Verhältnis von Theologie und Christologie in den Gleichnissen Theologie und Christologie liegen in den synoptischen Gleichnissen gewisser Maßen ineinander bzw. übereinander. Die Polyvalenz der Metaphorik bezieht die Rede über den Gott Israels, seinen Willen und sein Tun und das Wirken Jesu (Christi) aufeinander, und zwar dergestalt, dass einerseits Jesus als der Reprä11

Charles Harold Dodd, The Parables of the Kingdom, London 1935; Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 1947. 12 Zum formalen Aspekt vgj. Eberhard Jüngel, Paulus und Jesus. Eine Untersuchung zur Präzisierung der Frage nach dem Ursprung der Christologie, HUTh 2, Tübingen 6. Auflage 1986, 135ff., für den sich in der Gleichnisrede die β α σ ι λ ε ί α als endzeitliches (Sprach-) Geschehen ereignet.

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sentant Gottes und als Vollstrecker seines Willens transparent wird, und dass andererseits Gott als derjenige erkennbar wird, der in der Sendung seines Sohnes selbst Mensch geworden ist und die Menschen auf sein baldiges Kommen und auf seine Zuwendung zu allen Menschen — Sündern wie Gerechten — vorbereitet.13 Mit anderen Worten: Die Gleichnisse stellen Jesu Wirken in einen theologisch-eschatologischen Kontext und interpretieren zugleich das Handeln des Gottes Israels als ein auf eschatologische Gemeinschaft zielendes, Wirklichkeit verwandelndes Heilshandeln. Das Reden von Gott geschieht unter Hinblick auf das Wirken Jesu, Jesus erscheint als der Offenbarer bzw. „Promoter" Gottes und seines eschatologischen Heilshandelns.14 Die Gleichnisse lassen Theo-logie nicht mehr ohne (implizite) Christo-logie aussagbar erscheinen, sie beschreiben Gott als den, der in einer konkreten, historischen Gestalt, als Mensch unter Menschen begonnen hat, sich endgültig den Menschen mitzuteilen. Der Gott der Gleichnisse ist der, der im Handeln Jesu die Menschen mit seinem Anspruch und mit seinem Kommen konfrontiert und zugleich darum wirbt, sich auf ihn als den, der sein Heil alkn Menschen öffnet, einzulassen. Sprachlich geschieht die Erweiterung der Theo-logie um die Christo-logie durch die bereits beschriebene Erweiterung traditionell theo-logisch geprägter Bildfelder um christologische Komponenten (in Mt 22,1-14: Die Einfuhrung des „Sohnes" als des „Bräutigams", in Mk 12,l-12parr. gegenüber Jes 5,1-7: Die Einführung des „Sohnes" als des entscheidenden Boten und Repräsentanten des „Weinbergbesitzers". In beiden Texten erscheint der κύριος in der Vaterrolle) bzw. durch die christologische Umprägung traditionell theo-logischer Bildfelder und Metaphern (Mt 13,24-30.36-43: Der „Sämann"15 ist der Menschensohn; Mt 24f.: der „Bräutigam" ist der Menschensohn; vgl. Apk 19,7-9).

13 Die Wachstumsgleichnisse Mk 4parr. bieten eine Polyvalenz anderer Art Der ,Sämann' refeienziert auf Jesus (Christus) und auf die missionierenden Jünger (vgl. Joh 4,36-381). Zwischen Jesus und den Jüngern besteht die Analogie im Blick auf die Erfahrungen mit Welt und Mission. 14 Zum Begriff „Promoter" vgl. unten, Punkt 4.2. 15 Das Bildfeld Saat und Ernte hat seine Wurzeln in der Bezeichnung Israels als .heiliger Same' (Jes 6,13; Esr 9,2) bzw. als .Pflanzung'Jahwes (Ps 80,9ff.l5; Jes 5,1-7; Am 9,14f.). Gott als .Pflanzer' bzw. .Sämann' begegnet wiederholt im frühjüdischen Schrifttum (Philo, Cher 521; Leg All I 49,79; Vit Mos 279; vgl. 4 Esr 4,28f.). Für die Rabbinica vgl. HldR 7,3.

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4. Einzelne Aspekte impliziter Christologie 4.1 Der Offenbarer des HeilswiUens Gottes

Man kann diesen Aspekt als den grundlegenden der impliziten GleichnisChristologie bezeichnen: Indem sich Jesus heilend und heilvoll den Menschen zuwendet und in der Form der Gleichnisse vom Gott Israels spricht, wird er zu dessen Offenbarer. In der so genannten „Parabeltheorie" Mk 4,10-12 bringt Jesus selbst seine Gleichnisrede mit der Offenbarung der Geheimnisse der βασιλεία Gottes in Verbindung. Demnach ist die Gleichnisrede die angemessene Redeform, um zwischen Außenstehenden und Eingeweihten zu unterscheiden. In der Verkündigung bzw. in der Reaktion auf die βασιλεία-Botschaft Jesu vollzieht sich die Trennung zwischen beiden Gruppen. Nur wer Jesus nachfolgt, ihn als den Offenbarer Gottes akzeptiert, versteht die Geheimnisse der βασιλεία, die anderen nicht. Analoges gilt für die Wundertätigkeit Jesu: Nur für den, der davon ausgeht, dass Jesus den Geist Gottes trägt, sind die Wunder Hinweise auf Jesu Göttlichkeit (Mt 12,28; vgl. Lk 11,20). Damit wird der Offenbarer des Heilswillens Gottes zugleich zum Vollstrecker des göttlichen Gerichts, zum „Stein des Anstoßes" bzw. zum „Schlussstein" der Erwählung (Mk 12,10). Gott offenbart sich in Jesus (Christus) nicht unmissverständlich, unzweideutig durch unwiderlegbare Zeichen und die Veränderung irdischer Lebensverhältnisse, sondern geradezu inkognito, unscheinbar, höchst zweideutig, erkennbar nur für den, der in dem Menschen Jesus Gott am Werk sieht. Das Auftreten Jesu zeigt, dass Gott seinen Heilswillen nicht mit der Brechstange, sondern durch geduldiges Werben durchsetzt.

4.2 Der „Promoter" des Gottesmches

Indem Jesus von Gott und seiner βασιλεία spricht (so besonders in den Wachstumsgleichnissen Mk 4parr. und in den mt. Parabeln), und indem er in seinen Wundern und Reden auf Gottes anbrechende Herrschaft verweist, wird er als deren „Promoter" interpretiert. Der Begriff bewegt sich zwischen der Rolle dessen, der die Ankunft des Gottesreiches proleptisch vorweg nimmt, und der Rolle des „bloßen" Propheten, der das nahe Eingreifen Gottes zwar ankündigt, aber sein eigenes Tun vom Handeln Gottes scharf unterscheidet. Jesus kündigt die nahe Gottesherrschaft an (Mk l,15par.) und weist zugleich darauf hin, dass sie mit seinem Wirken bereits angebrochen sei (Mt 12,28 par. Lk 11,20: Exorzismen als Beginn der βασιλεία; Lk 17,20f.: präsentische Rede von der

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βασιλεία; Lk 14,15: Mahlgemeinschaft mit Sündern und Zöllnern; vgl. weiter Lk 4,18-21: Die Zeit Jesu als die Zeit der Erfüllung göttlicher Verheißung). Allerdings nicht im Sinne einer Prolepse: Zwischen dem zeichenhaften Tun Jesu und der tatsächlichen Aufrichtung der βασιλεία Gottes ist strikt zu unterscheiden, wenn auch nicht zu trennen. Zwischen dem Wirken Jesu und der Parusie Gottes besteht ein organischer Zusammenhang, wie er besonders deutlich in den Wachstumsgleichnissen Mk 4parr. zum Ausdruck kommt: Der Same ist ausgestreut, der Prozess der Reifung hat irreversibel begonnen, der Zeitpunkt der „Ernte" ist absehbar geworden. Man kann das Verhältnis von Wirksamkeit Jesu (Christi) und Parusie Gottes als Verhältnis von Anfang und Ganzem beschreiben.16 Ziel der Sendung Jesu ist es, die Menschen mit der neuen Situation bekannt zu machen und für die Akzeptanz der βασιλ€ΐα zu werben. Er tut dies mit der Vollmacht des autorisierten Repräsentanten oder, modern gesprochen, des Werbemanagers, des „Promoters". Die Funktion des auferstandenen und erhöhten Christus kommt hier noch nicht in den Blick, sie wird in Rom 8,34, 1 Joh 2,1 f.; Hebr 7,25 reflektiert: Hier erscheint Jesus Christus als der fürbittende „Anwalt" der Menschen vor Gottes Thron.

4.3 Der Gesandte und'Repräsentantdes Gottes Israels (Mk 12,1-12parr.)

Die allegorisch „unverdächtige" mk. Version des Gleichnisses, das unbefangen die Reihenfolge von „Töten" und „Hinauswerfen" des Sohnes entgegen der historischen Reihenfolge beim Prozess Jesu bietet, deutet auf die vorösterliche Provenienz dieses Gleichnisses hin, das deudich das Geschick und die Sendung Jesu interpretiert. Jesus ist der „Sohn", der in einer Reihe mit den Propheten Israels steht, die das Volk bzw. dessen Vertreter (die „Winzer" werden vom „Weinberg" Israel unterschieden17) dazu aufgerufen haben, seinem Gott das ihm Zustehende (die „Pachtzinsen") zu geben. Zugleich ist der Sohn von anderer Qualität als die Boten vor ihm: Er steht zum Vater in einem besonders innigen Verhältnis („geliebter Sohn", V.6) und fungiert sozusagen als die letzte Trumpfkarte des Vaters, die er in der Hoffnung ausspielt, dass er von den „Winzern" respektiert werden wird (vgl. das Selbstgespräch in V.6b). Der Sohn repräsentiert den Vater in einer einzigartigen Weise: Er ist der vollmächtige Vertreter des

16 Vgl. dazu Kurt Erlemann, Anfange, die das Ganze verbürgen, Überlegungen zu einer frühchristlichen Metapherngruppe, ThZ 57 (2001), 60-87. 17 Dazu vgf. Erlemann, Gottesbild, 228-231.

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Vaters und zugleich der Erbe. Das fatale Missverständnis der „Winzer" besteht darin, dass sie zum einen im Sohn nicht den letzten Versuch des Besitzers erkennen, das ihm Zustehende gütlich einzufordern, und dass sie zum anderen übersehen, dass das bisher nicht erfolgte strafende Eingreifen des κύριος nicht Zeichen von dessen Schwäche, sondern seiner (extravaganten) Geduld ist, die in der Sendung des Söhnes kulminiert und mit ihr freilich endet. Statt dessen sehen sie im Sohn einzig und allein den Erben, den Konkurrenten und in dessen Beseitigung die entscheidende Chance, sich den „Weinberg" endgültig anzueignen. Der Mord an Jesus erscheint in dieser Deutung nicht als von vornherein feststehendes, von Gott so eingeplantes Geschick, sondern eher als „Betriebsunfall" — der Weinbergbesitzer hat sich in seiner Einschätzung der Winzer fatal getäuscht. Die Winzer haben sich allerdings auch getäuscht und bezahlen den Mord mit dem Verlust ihrer Privilegien.

4.4 Oer Herr der Gemeinde

Die synoptischen Gleichnisse kommentieren und interpretieren das Verhältnis Jesu (Christi) zu seinen Jüngern bzw. zur Gemeinde. Im Kontext nichtgleichnishafter Aussagen über Jesu Gesandtsein an Israel, die Berufung der Jünger, die Mahlgemeinschaft mit den Nicht-Privilegierten Israels und die eschatologische Heilsgemeinschaft erscheint der κύριος der Gleichnisse als der Herr, der seine Gemeinschaft konstituiert, für ihren Zusammenhalt sorgt und sie zur eschatologischen Festfreude fuhrt.

a) Jesus (Christus) als der Begründer der Gemeinde: Zahlreiche Gleichnisse interpretieren Jesu Wirken als Gemeinschaft konstituierendes Verhalten. Mehrere Bildfelder zielen auf diese Funktion: Die Metaphorik von der Aussaat (Mk 4,3-9; Mt 13,24-30), von der Einladung (Lk 14,15-24) und von der Beauftragung (Mt 20,1-16; Mt 24f.; Lk 16,1-9; Lk 19,11-27). Das Gleichnis von der vierfachen Saat spiegelt unter anderem die ersten Erfolge und Misserfolge der Wirksamkeit Jesu und interpretiert diese als Aussaat des „Wortes", das in Summa die Ankündigung der nahen βασιλβία Gottes und den Aufruf zur Buße beinhaltet (Mk 1,15). Ziel des Wirkens Jesu ist es demnach, viel „Frucht" zu erzielen. Als derjenige, der mit seiner Botschaft Jünger gewonnen hat, ist Jesus (Christus) der Herr der Gemeinde und das Vorbild im missionarischen Tun. — Damit vergleichbar ist das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30), das in der nachfolgenden Allegorese (V.36-43) explizit

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auf das Tun des Menschensohns bezogen wird. Jesus (Christus) ist hier derjenige, der die „Kinder des Reichs" in die Welt streut, und der am Ende das Gericht vollziehen wird. Jesus (Christus) als der Herr der Gemeinde ist hier zugleich als deren Erhalter und Beschützer gezeichnet, indem er den „δούλοι" untersagt, vor der Zeit, in einem noch kritischen Stadium, für eine „reine" Gemeinde zu sorgen. — Die Hinwendung Jesu zu den Randständigen in der Gesellschaft wird im Gleichnis vom großen Gastmahl (Lk 14,15-24) als Reaktion auf die ablehnende Haltung Israels interpretiert. In der Formulierung, dass immer wieder Boten ausgeschickt werden, damit „das Haus voll werde" (V.23), wird Jesu (Christi) Wille verdeutlicht, möglichst viele Menschen zu erreichen. Die vorgängige Sendung Jesu an die Schicht der „Erwählten" und Etablierten wird nicht negiert, aber als (erst einmal18) gescheitert angesehen. — Die Gleichnisse, die eine Beauftragung oder In-Dienststellung von Menschen zum Ausgangspunkt haben (Mt 24f.; Lk 16,1-9; Lk 19,11-27; vgl. Mt 20,1-16) legen den Akzent auf das Abhängigkeits- und Loyalitätsverhältnis zwischen κύριος und δούλοι. Als Kommentar zur Reaktion Jesu auf gemeinschaftsinterne Probleme (Privilegien- und Proporzdenken: Mt 20,1-16; Verhalten der Gemeindeleiter: Mt 24,42-51) heben die Texte die besondere Affinität des κύριος zu den „Kleinen" und „Letzten" in der Gemeinschaft hervor. In den anderen genannten Gleichnissen wird die Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit der ,,οίκόνομοι" und „δούλοι" dem Herrn der Gemeinde gegenüber heraus gestellt. Jesus (Christus) ist dabei als der jetzt in der Ferne weilende Herr gezeichnet, dessen Abwesenheit aber nicht gegen sein baldiges Kommen zum Gericht spricht. Für die Bediensteten des κύριος ist es entscheidend, die Zeit der Abwesenheit bzw. den verbleibenden Handlungsspielraum als Zeit kluger Bewährung zu nutzen, um am Ende auf das Lob des κύριος hoffen zu dürfen. In seinem Urteil ist dieser unhinterfragbar, souverän.

b) Jesus (Christus) als der „Moderator" der Gemeinde: Einige Gleichnisse haben ihren christologischen Fokus auf der Rolle Jesu (Christi) als Schlichter bzw. Vermittler zwischen rivalisierenden Gruppen innerhalb der Gemeinschaft. So fungiert der κύριος im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) als der Anwalt der „Letzten", der durch die Suspendierung des Proporzgedankens neue Maßstäbe für das Verhalten den „Letzten" gegenüber setzt. Eine ähnliche „Bevorzugung" erfahrt das verlorene Schaf im gleichnamigen Gleichnis Lk 15,3-7. Jesus (Christus) wird hier als der Sammler 18 Für diese Einschränkung spricht der offene Schluss der Parabel.

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der Verlorenen interpretiert bzw. interpretiert sich selbst so. Im benachbarten Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) wird Jesu Zuwendung zu den Sündern und Heiden (Lk 15,lf.) mit der unüberbietbaren, da himmlischen Freude über die Rückgewinnung der Sünder begründet und zugleich das Werben um Versöhnung zwischen Sündern und Gerechten als Umsetzung des väterlichen Willens, die Vaterschaft auch über die „Verlorenen" wieder wahr zu nehmen, interpretiert. - In allen Fällen liegt der Schwerpunkt der impliziten Christologie auf dem Willen Jesu (Christi), die Einheit der Gemeinschaft zu erhalten bzw. zwischen heterogenen Gruppen moderierend zu vermitteln.

c) Jesus (Christus) als das Ziel der Gemeinde: Zuletzt heben einige Gleichnisse auf Jesus (Christus) als das Ziel der Gemeinde ab. Mit dem ad. vorgeprägten Bild der (endzeidichen) Hochzeit wird den Lesern schmackhaft gemacht, der Einladung zur Nachfolge nachzukommen (Gleichnis vom königlichen Gastmahl, Mt 22,1-14) bzw. bis zum Zeitpunkt der Parusie des „Bräutigams" in der Nachfolge auszuharren (Gleichnis von den zehn Jungfrauen, Mt 25,1-13). Im Bildwort vom Bräutigam (Mk 2,19f.) wird die Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu als besondere Festzeit charakterisiert. Mit dieser Facette wird das Bild vom Begründer, Erhalter, Dienstherrn und Moderator ergänzt: Jesus (Christus) hat nicht nur die Grundlage der Gemeinschaft gelegt, die Menschen in Pflicht und Verantwortung genommen, es ist ihm nicht nur am Erhalt und der Einigkeit der Gemeinschaft gelegen, sondern er verheißt auch himmlische Gemeinschaft all denen, die sich in die Nachfolge rufen lassen, sich loyal verhalten und im Warten bis zu seiner Parusie aushalten.

4.5 Der end^eitliche Menschensohn-'Richter

Das Pendant zur Verheißung des endzeidichen Heils ist die Ansage der kommenden Be- und Verurteilung derer, die sich nicht den „Spielregeln" des κύριος entsprechend verhalten oder ihm die Loyalität versagen. So wird der unbarmherzige Sklave, der zuvor seine Schulden erlassen bekommen hat, am Ende gleichwohl voll und ganz zur Rechenschaft gezogen, da sein Verhalten dem Mitsklaven gegenüber dem des κύριο? konträr widerspricht (Mt 18,23-35). Das Gleichnis kommentiert und illustriert damit unter anderem die Vaterunserbitte um Vergebung Mt 6,12. - Als der künftige „Lohngeber" stellt Jesus Christus seine eigenen Urteilskriterien auf. Dazu gehört nach Mt 20,1-16 die Einstellung zu den „Letzten" in der Gemeinde: Missgunst und Neid bzw. Proporzdenken

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machen aus Ersten Letzte. — Die engagierte Loyalität dem so fern scheinenden κύριο? ist das Urteilskriterium nach dem Gleichnis von den Talenten bzw. Pfunden Mt 25,14-30par. Das Urteil fallt unerwartet großzügig und hart zugleich aus. — Die implizite Christologie der synoptischen Gleichnisse endet nicht an den Grenzen der christlichen Gemeinschaft, sondern hat eine universale Facette. Das betont das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24-30), in dem es um das Mit- und Ineinander von Gemeinde und Welt und das kommende universale Gericht über die „Kinder des Bösen" geht.

5. Z u o r d n u n g zu b e s t i m m t e n Evangelien, Verhältnis zu den j o h a n n e i s c h e n παροιμίαι Die Übersicht zeigt, dass die Pointierung der in den Gleichnissen implizierten Christologie durchaus Nuancen von Evangelium zu Evangelium aufweist. So erscheint nach dem MtEv Jesus (Christus) als der Gründer seiner Gemeinde, dessen Hauptfunktion darin besteht, den Seinen Aufträge und Spielregeln an die Hand zu geben, die die Gemeinschaft als „Reich des Menschensohns" (Mt 13,41) identifizierbar machen. Die christliche Gemeinde ist nach diesem Evangelium der Raum, in dem Jesus Christus seine Herrschaft schon jetzt sichtbar ausübt. Die Gemeinde steht dementsprechend in einem besonderen Status von Erwähltheit und Verantwortlichkeit dem κύριο? gegenüber. Deutlich ist auch der universale Aspekt der Christologie: Jesus Christus wird sich bei seiner Parusie als der Menschensohn-Richter nicht nur über die Seinen erweisen, sondern auch über den gesamten κόσμο?. Die Christologie ist - wie die Rede von Gott — zeitlich strukturiert: Während Jesus als Gemeindegründer in Erinnerung gerufen wird, ist die Gegenwart die Zeit seiner (scheinbaren) Abwesenheit, die den Raum schafft für eigenverantwortliches Handeln. Die Zukunft wird die Parusie Christi bringen und damit die Auflösung des Problems des kosmologischen und innergemeindlichen Dualismus. Die Christologie des MtEv knüpft damit eng an die prophetisch-apokalyptischen Fragestellungen zur Theodizee an und behauptet die βασιλεία Gottes als im Handeln Jesu Christi irreversibel für angebrochen. Jesus Christus nimmt dabei die Position des „Promoters" der Gottesherrschaft und des endzeitlichen Menschensohn-Richters ein. Demgegenüber beinhaltet das LkEv eine Christologie in nuce, die ebenso universal orientiert; aber deutlich werbender ausgerichtet ist. Jesus Christus ist derjenige, der Sünder und Heiden zur eschatologischen Heilsveranstaltung einlädt — ohne dabei freilich Israel zu übergehen. Die Gleichnisse des LkEv lesen sich wie

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eine Apologie der Zuwendung zu den Sündern und Heiden und wie eine intensive Werbung um das Hinzukommen der Gerechten. Der Ubergang des Heilsvorzugs an die Sünder und Heiden ist kein Akt göttlicher Willkür, sondern ein Vorgang des (drohenden) Selbstausschlusses Israels. Doch ist das LkEv nicht einseitig werbend-freundlich in seiner Christologie, sondern kann mindestens so hart wie Mt das Gericht betonen - für den Fall, dass das intensive Werben auf kein Gehör stößt und dem κύριο? die Loyalität versagt wird. Ein Sonderfall metaphorisch entwickelter Christologie sind die joh. Bildreden (παροιμίαι, Joh 10,1-18; 15,1-8).19 Sie sind, im Unterschied zu den synoptischen Gleichnissen, monovalent auf den Sprecher zu beziehen („ich bin XY"). Die Aufgabe der Referenzierung übernimmt Jesus selbst, Bildrede und deutende Allegorese sind nicht getrennt, sondern gehen ineinander über. — Die Bildrede vom guten Hirten (Joh 10,1-18) ist als Rede Jesu an die Pharisäer konzipiert, genauer als Reaktion auf deren Unverständnis (Joh 9,39-41). Mehrere metaphorische Prädikationen (Jesus „die Tür" V.9; Jesus „der gute Hirte", V. 11.14) werden im Wechsel eingesetzt, um den Anspruch Jesu auf die religiöse Führung Israels zu reflektieren und zu begründen. Dabei wird seine einzigartige, exklusive Rolle im Blick auf das Heil hervor gehoben: Nur wer ihn anerkennt, ist legitimer „Hirte" des Volkes (V.2) bzw. wird selig (Makarismus V.9). Letztlich ist Jesus selbst der einzige legitime Führer des Volkes (V.9.14), da er sein Leben für Israel riskiert und weil er das Volk kennt, so wie ihn das Volk „instinktiv" als seinen „Hirten" erkennt. Jesus (Christus) ist demnach der einzige Heilsmittler. In V.17f. wird sein Verhältnis zu Gott angesprochen: Jesus ist der gehorsame und geliebte „Sohn", der Repräsentant des Vaters, der von ihm die Macht erhält, souverän als der „gute Hirte" aufzutreten. Seine Tötung ist nicht Zeichen von Ohnmacht, sondern souveräner Akt des Gehorsams. Was in Mk 12,1-12 narrativ entfaltet wird (Jesus [Christus] als der „Schlussstein" der Erwählung), wird hier in Form einer Bildrede mit metaphorischen Ich-Prädikationen entwickelt. — In Joh 15,1-8 wird die bleibende Angewiesenheit der Jünger auf Jesus (Christus) thematisiert. Das Bild vom Weinstock unterstreicht die existenzielle Bedeutung permanenter Verbindung bzw. gegenseitiger Immanenz mit dem erhöhten Christus. Ziel der Verbundenheit ist Jüngerschaft und Verherrlichung Gottes (V.8). Gott erscheint dabei als der Urheber des Ensembles von Weinstock und Reben sowie als der Herr des Gerichts (V.2). Damit ist die Abhängigkeit zwischen Vater und Sohn deutlich benannt: Letztes Ziel der Sendung Jesu (Christi) ist die δόξα Gottes, ihm verdankt auch der „Weinstock" seine Existenz. Die Christologie der beiden joh. παροιμίαι zielt auf die Betonung der exklusiven Heilsbedeutung Jesu (Christi) für Gegner wie für Jünger, auch über den 19 Zur Diskussion vgl. meine Ausführungen in Gleichnisauslegung, 84f.

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Zeitpunkt seiner Erhöhung hinaus. Sie arbeiten mit anderen Mitteln als die synoptischen Gleichnisse, sie konfrontieren die Adressaten mit exklusivistischen Prädikationen, die zur Auseinandersetzung heraus fordern. Demgegenüber schaffen die Parabeln der synoptischen Evangelien eine fiktionale Distanz zwischen der Situation der Adressaten und der erzählten Szenerie und ermöglichen damit einen „Spielraum", um auf die dargestellte Wirklichkeitssicht einzugehen oder nicht. Dem konfrontativen Charakter der παροιμίαι entspricht die Exklusivität der christologischen Aussagen; es werden nicht einzelne Züge der Wirksamkeit Jesu reflektiert, sondern dessen grundsätzliche Bedeutung für die Gegenwart der Gemeinde.

6. Zusammenfassung In den synoptischen Gleichnissen finden sich in narrativer Entfaltung in nuce christologische Gedanken. Diese werden nicht systematisch entfaltet, vielmehr dienen sie der Reflexion der Wirksamkeit Jesu im Licht der Botschaft von der Nähe des Gottes Israels. Der Vorzug der metaphorisch-gleichnishaften Rede von Gott bzw. Jesus (Christus) liegt im Oszillieren zwischen Analogie und Differenz von (weltlichem) Bild und (transzendent-göttlicher) „Sache". Theo-logie und Christologie gehen ineinander über, Jesus (Christus) erscheint als der exklusive Offenbarer des Gottes Israels, als sein vollmächtiger Repräsentant, Gott wiederum erscheint als der, der im Menschen Jesus von Nazareth seinen Willen zum Heil der Menschen menschlich greifbar, aber letzdich unverfügbar kundgetan hat. Die Summe der christologischen Aussagen in den synoptischen Gleichnissen ergibt kein geschlossenes Bild, sondern ein an den Rändern offenes Puzzle, dessen Konturen jedoch auf ein deutlich erkennbares Gesamtbild hinweisen. Das Bild, dessen Hauptzüge die des gerechten und barmherzigen Gottes sind, der seine Herrschaft über die Menschen im Wirken Jesu spürbar in Szene setzt (besonders MtEv), bzw. des liebenden und werbenden Herrn, dessen Freude darin besteht, möglichst viele Menschen miteinander zum eschatologischen Fest zu versammeln (besonders LkEv), steht in Kontinuität zum atl.jüdischen Gottesbild, wenn auch teilweise in Übersteigerung einzelner Facetten.20 Der Hauptunterschied zum atl.-jüdischen Gottesbild liegt nicht in einzelnen inhaltlichen Punkten, sondern in seiner Ausweitung auf die historische Person Jesu von Nazareth als des vollmächtigen Gesandten Gottes und „Pro20 Vgl. Erlemann, Gottesbild, 275-281.

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moters" seiner Herrschaft. Gegenüber der Gemeinde èrscheint Jesus (Christus) als deren Gründer, Herr und Ziel. Die Funktion der gleichnishaften Aussagen ist zum einen in der Reflexion des Wirkens Jesu (Christi), zum anderen in der Vergewisserung der Adressaten zu sehen, dass der gegenwärtig nicht sichtbare κύ-pioç der Gemeinde für die Seinen sorgt und sie in die Pflicht nimmt, die geschenkte Zeit als Zeit des aktiven Wartens und des loyalen Handelns wahr zu nehmen. Christologie und Theo-logie in den Gleichnissen sind dementsprechend nicht lehrhafter Selbstzweck, sondern auf konkrete Einstellungs- und Verhaltensänderung ausgerichtet: Die Adressaten werden spielerisch umworben, sich auf die „Spielregeln" Gottes und seiner Herrschaft einzulassen bzw. seine auf elementare menschliche Erfahrungen abzielende Liebe als Maßstab des eigenen ethischen Tuns gelten zu lassen. Jesus (Christus) erscheint in den Gleichnissen als der, der den universal ausgerichteten, die Sünder mit einbeziehenden Heilswillen des Gottes Israels, als Mensch unter Menschen spürbar und sichtbar hat werden lassen und dazu einlädt, ohne Ansehen der eigenen Person und der anderen Geladenen sich auf diesen Gott und sein Heilsangebot einzulassen, solange noch Zeit dafür ist.

Jens Schröter Metaphorische Christologie Überlegungen zum Beitrag eines metapherntheoretischen Zugangs zur Christologie anhand einiger christologischer Metaphern bei Paulus

1. Metaphorische und historische Christologie B e i d e r U n t e r s u c h u n g v o n B e g r i f f e n u n d V o r s t e l l u n g e n , die d a s U r c h r i s t e n t u m zur D e u t u n g d e r P e r s o n J e s u v e r w a n d t hat, h a t sich die F o r s c h u n g lange u n d intensiv m i t h i s t o r i s c h e n u n d traditionsgeschichtlichen F r a g e n b e f a s s t . S o w u r d e — u n d w i r d — das Verhältnis z w i s c h e n d e m Wirken u n d G e s c h i c k J e s u a u f d e r einen u n d d e r E n t s t e h u n g christologischer Ü b e r z e u g u n g e n d e s U r c h r i s t e n t u m s a u f d e r a n d e r e n Seite diskutiert, 1 d e s Weiteren spielte — u n d spielt — die O r i e n tierung an d e n a u f J e s u s a n g e w a n d t e n H o h e i t s b e z e i c h n u n g e n u n d i h r e m traditio n s g e s c h i c h t l i c h e n H i n t e r g r u n d eine wichtige Rolle. 2 D i e M e t a p h e r n d i s k u s s i o n

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Im 19. Jahrhundert spielte diese Frage im Rahmen der Begründung des christlichen Glaubens aus der historischen Persönlichkeit Jesu eine wichtige Rolle. Maikant sind hier etwa der Entwurf von Friedrich D.E. Schleiermacher, Das Leben Jesu, Berlin 1864, die in Auseinandersetzung mit David F. Strauß entwickelte Position von Christian H. Weiße sowie die — ebenfalls zu einem guten Teil in Auseinandersetzung mit Strauß stehende - liberale LebenJesu-Forschung. Hatten dagegen die Entwicklungen am Ende des 19. sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Zusammenbruch der Leben-Jesu-Forschung, Religionsgeschichtliche Schule, Formgeschichte) die Akzente auf die nachöstediche Bekenntnisbildung verschoben, so wird gegenwärtig wieder stärker nach Verbindungslinien zwischen Wiiien und Geschick Jesu und der Entstehung der Christologie gefragt. Wegweisend war hier die Untersuchung von Wilhelm Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen bis Irenäus, Göttingen 1913 (5. Aufl. 1965). Zu dieser Orientierung vgl. weiter - bei aller Unterschiedlichkeit der Darstellungen - Werner Kramer, Christos Kyrios Gottessohn. Untersuchungen zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Bezeichnungen bei Paulus und den vorpaulinischen Gemeinden, AThANT 44, Zürich 1963; Reginald Fuller, The Foundations of New Testament Christology, London/New York 1965; Oscar Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 1957 (5. Aufl. 1975); Ferdinand Hahn, Christologjsche Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, Göttingen 1965 (5. Aufl. 1995). Dieser Zugang hat wichtige

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w u r d e dagegen für die urchristliche Christologie bislang - w a s v e r w u n d e r n m a g -

n o c h w e n i g f r u c h t b a r g e m a c h t . Sie w i r d in d e r n e u t e s t a m e n t l i c h e n

Wissen-

s c h a f t v i e l m e h r zu e i n e m w e s e n t l i c h e n Teil innerhalb d e r G l e i c h n i s f o r s c h u n g g e f ü h r t 3 u n d h a t d a r ü b e r hinaus a u c h in d e r U n t e r s u c h u n g v o n Bildfeldern im N e u e n T e s t a m e n t 4 sowie in der Paulus- u n d J o h a n n e s e x e g e s e 5 ihre S p u r e n hinterlassen. H a n d e l t es sich j e d o c h bei d e r Darstellung d e r V o r g ä n g e u m J e s u s v o n N a z a r e t u m P r o z e s s e der Z u s c h r e i b u n g v o n B e d e u t u n g e n an historische E r e i g nisse, s o sind diese I n t e r p r e t a t i o n e n n i c h t aus d e m h i s t o r i s c h e n B e f u n d a n sich zugänglich — w i e w o h l sie sich in ihrer G e n e s e erklären lassen —, s o n d e r n n u r aus d e m Z u s a m m e n s p i e l v o n Ereignis u n d D e u t u n g . B e s i t z e n diese Sinnzuschreib u n g e n — w i e n o c h deutlich w e r d e n wird - o f t m a l s m e t a p h o r i s c h e n Charakter, d a n n liegt hier der A n s a t z p u n k t für eine m e t a p h o r i s c h e Christologie: Als k o n s titutives E l e m e n t der S p r a c h e besitzt die M e t a p h e r wirklichkeitsstrukturierende und

-erschließende

Christologie

Kraft.

erhellt deshalb

Die

Analyse

ihrer

einen wichtigen

Verwendung

Bereich

der

innerhalb

der

Konstruktion

der

Sinnwelt des urchristlichen G l a u b e n s . D i e B e d e u t u n g historischer u n d traditionsgeschichtlicher F r a g e n der E n t s t e h u n g d e r Christologie wird d a d u r c h n i c h t relativiert. D i e F r a g e n a c h d e m Z u -

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religionshistorische Erkenntnisse im Blick auf die Entstehung der Christologie zutage gefördert und besitzt deshalb - trotz der gjeich zu nennenden Einschränkungen — sein bleibendes Recht. Dies wird nicht zuletzt durch neuere Arbeiten dokumentiert, die sich der Bedeutung auf Jesus angewandter Bezeichnungen widmen. Vgl. etwa Udo Schnelle, Heilsgegenwart. Christologische Hoheitstitel bei Paulus, in: ders./Thomas Söding in Verbindung mit Michael Labahn (Hgg.), Paulinische Christologie (FS Hans Hübner), Göttingen 2000, 178-193; Martin Karrer, Jesus der Retter (Sôtêr). Zur Aufnahme eines hellenistischen Prädikats im Neuen Testament, Z N W 93 (2002), 153-176. Vgl. in neuerer Zeit die Untersuchungen von Hermann-Josef Meurer, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Paul Ricœurs Hermeneutik der Gleichniserzählung im Horizont des Symbols „Gottesherrschaft/Reich Gottes", B B B 111, Bodenheim 1997; Dieter Massa, Verstehensbedingungen von Gleichnissen. Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht, T A N Z 31, Tübingen 2000; Jacobus Liebenberg, The Language of the Kingdom and Jesus. Parable, Aphorism, and Metaphor in the Sayings Material Common to the Synoptic Tradition and the Gospel o f Thomas, B Z N W 1 0 2 , Berlin/New York 2001. Vgl. Petra von Gemünden, Vegetationsmetaphorik im Neuen Testament und seiner Umwelt Eine Bildfelduntersuchung, N T O A 18, Fribourg/Göttingen 1993; Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfeldes in Urchristentum und antiker Umwelt, W U N T 11/122, Tübingen 2001. Exemplarisch verwiesen sei auf Ingrid Kitzbeiger, Bau der Gemeinde. Das paulinische Wortfeld οικοδομή/(έπ)οίκοδομεΙν, feb 53, Würzburg 1986; Günter Röhser, Metaphorik und Personifikation der Sünde bei Paulus. Antike Sündenvorstellungen und antike Hamartia, W U N T 11/25, Tübingen 1987; Dale Β. Martin, Slavery as Salvation. The Metaphor o f Slavery in Pauline Christianity, New Haven u. a. 1990; Christoph G. Müller, Gottes Pflanzung — Gottes Bau - Gottes Tempel. Die metaphorische Dimension paulinischer Gemeindetheologie in 1 Kor 3,5-17, Fuldaer Studien 5, Fulda 1995; Otto Schwankl, Licht und Finsternis. Ein metaphorisches Paradigma in den johanneischen Schriften, HBS 5, Freiburg u. a. 1995.

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sammenhang zwischen Wirken und Geschick Jesu auf der einen und den urchristlichen Glaubensaussagen auf der anderen Seite macht vielmehr Aspekte der frühen Christologie, die bereits bei Jesus selbst angelegt waren, in ihrer Entstehung plausibel. Die neuere Diskussion hat gezeigt, dass sich hier mehr Verbindungslinien aufzeigen lassen, als die Forschung längere Zeit anzunehmen geneigt war.6 Zu nennen wären etwa die Bindung des Anbruchs der Gottesherrschaft an sein eigenes Wirken7, die Verwendung des Menschensohnausdrucks als Selbstbezeichnung8 sowie eine Integration seines bevorstehenden Todes in sein Wirken®. Die in den urchristlichen Texten begegnenden Aussagen von der Gottgleichheit Jesu (Phil 2,7: ϊσα θεφ), der Sendung des Gottessohnes (Gal 4,4; Rom 8,3; 1 Joh 4,9), der Bezeichnung Jesu als Ιλαστήριον (Rom 3,25) oder

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Vgl. etwa Ulrich Luz, Christologie im Neuen Testament, E K L 1 (1996), 714-718: „Doch bleibt es dabei, daß die urchristliche Christologie in wesentlichen Teilen schon bei Jesus grundgelegt ist" (715); Martin Hengel, Jesus der Messias Israels, in: ders./Anna Maria Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfange der Christologie. Vier Studien, W U N T 138, Tübingen 2001, 1-80; ders., Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit, a.a.O., 81-131; Marinus de Jonge, Christologie im Kontext, Neukirchen-Vluyn 1995, 193221. In Martin Kariers Untersuchung Jesus Christus im Neuen Testament, G N T 11, Göttingen 1998, nimmt die Nachzeichnung der Entstehung christologjscher Aussagen als Aufnahme und Weiterfiihrung von Wirken und Geschick Jesu breiten Raum ein (Teil 4: Der Sohn und sein irdisches Wirken, 174-334). Das Fazit seiner „Schlussreflexion" lautet „Der irdische Jesus gehört, zeigte sich, nicht nur in die Christologie. Sein Verständnis gibt ihr wesentliche Impulse." (327) Gegenläufig sind diejenigen Tendenzen innerhalb der sog. „Third Quest", die in der Tradition Bultmanns und der Religionsgeschichtlichen Schule eine Diskrepanz zwischen Jesus und den frühen Glaubensaussagen behaupten.

7

Vgl. etwa Helmut Merklein, Die Gottesherrschaft als Handlungsprinzip. Untersuchung zur Ethik Jesu, fzb 34, Würzbuig 3. Aufl. 1984; ders., Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft. Eine Skizze, SBS 111, Stuttgart 2. Aufl. 1989,51-91; Karrer,Jesus Christus (s. Anm. 6), 221235. Im Jesusbuch von Jürgen Becker (Jesus von Nazaret, Beriin/New York 1995) wird die Wirksamkeit Jesu von der Gottesherrschaft als „Zentralbegriff der Verkündigung Jesu" (122) her entfaltet (122-275).

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Dies ist freilich umstritten. In neuerer Zeit vgl. einerseits Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Göttingen 2. Aufl. 1997, 470-480, andererseits Becker, Jesus (s. Anm. 7), 249-267. Auch wenn, wie mitunter vorgeschlagen, Jesus eine von sich unterschiedene Person als den kommenden Menschensohn erwartet haben sollte und die Identifizierung mit ihm erst nach Ostern vorgenommen worden wäre (was mir allerdings unwahrscheinlich erscheint), ließe sich dies nur so verstehen, dass er sich selbst als das irdische Pendant zu dem himmlischen Menschensohn betrachtete, so dass sein exklusiver Hoheitsanspruch auch bei dieser Lösung festgehalten wäre. Becker, a.a.O., 267-275, ordnet Jesus in diesem Sinn als „endzeitlichen Heilspropheten" der Gottesherrschaft zu; ähnlich urteilt Merklein, Botschaft (s. Anm. 7), 152-164: Jesus als „eine Art irdische[r] Doppelgänger des himmlischen Menschensohnes" (164).

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Vgl. jüngst Ulrich Luz, Warum zog Jesus nach Jerusalem?, in: Jens Schröter/Ralph Brucker (Hgg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, B Z N W 114, Berlin/New York 2002, 409-427. Den Tod Jesu als integralen Bestandteil seines gesamten Wirkens zu verstehen, war darüber hinaus ein wichtiges Anliegen von Heinz Schürmann. Vgl. ders., Jesus. Gestalt und Geheimnis. Gesammelte Beiträge, hg. von Klaus Scholtissek, Paderborn 1994,157-315.

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προσφορά και θυσία (Eph 5,2) umgeben seine Person dagegen mit Deutungsfeldern, die über eine Ausrichtung an seinem irdischen Wirken weit hinausgehen. Die Orientierung an den sog. Hoheitstiteln kann beleuchten, mit welchen eschatologischen Heilsbringern und Erlösungsvorstellungen die frühen Christen Jesus in Verbindung brachten. Gleichwohl ist nicht zu verkennen — und schon des Öfteren herausgestellt worden - , dass dieser Ansatz mit edichen Problemen behaftet ist. Dass es sich bei den als „Hoheitstitel" eingestuften Bezeichnungen um Begriffe handelt, die mit einem fixierten Konzept verbunden waren, ist durch die Forschungen etwa zum Gesalbten- und zum Menschensohnausdruck fraglich geworden.10 Statt dessen hat sich gezeigt, dass es sich um Ausdrücke handelt, die im Judentum auf unterschiedliche Weise verwandt wurden, jedoch nicht um fest gefugte Vorstellungen, die dann lediglich auf Jesus übertragen worden wären. Ihre Anwendung auf Jesus stellt vielmehr einen Spezialfall ihrer Rezeption dar, bei der bestimmte semantische Merkmale aktualisiert und mit seinem Wirken und Geschick verbunden wurden. So ist etwa die Aussage, dass der Gesalbte starb, begraben und auferweckt wurde, eine nur angesichts des Geschickes Jesu verständliche Verwendung der jüdischen Gesalbtenvorstellung, die eine Innovation darstellt und ihrerseits das semantische Spektrum dieses Terminus erweitert.11 Was die unter den „Hoheitstiteln" subsumierten Ausdrücke von anderen auf Jesus angewandten Bezeichnungen — wie etwa σωτήρ 12 , είκών θεού 13 , θεοΰ σοφία 14 oder λόγος 15 - abgrenzt, ist angesichts dieses Befundes nicht recht deutlich.16 Die in der Regel zu den Hoheitstiteln gerechneten

10 Zum Messiastitel vgl. etwa Marinus de Jonge, The Earliest Use of Christos. Some Suggestions, NTS 32 (1986), 321-343; die Beiträge in: James H. Charlesworth (Hg.), The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992; Johannes Zimmermann, Messiasvorstellurigen in den Texten aus Qumran, W U N T 11/104, Tübingen 1998; Stefan Schreiber, Gesalbter und König. Titel und Konzeptionen der königlichen Gesalbtenerwartung in frühjüdischen und urchristlichen Schriften, B Z N W 105, Berlin/New Yode 2000; zum Menschensohnausdruck Norman Perrin, A Modem Pilgrimage in New Testament Christology, Philadelphia 1974; Mogens Müller, Der Ausdruck „Menschensohn" in den Evangelien. Voraussetzungen und Bedeutung, Leiden 1984; Barnabas Lindars, Jesus Son of Man, Grand Rapids 1983; John J. Collins, The Son o f Man in First-Century Judaism, NTS 38 (1992), 448-466; Anton Vögtle, Die „Gretchenfrage" des Menschensohnproblems. Bilanz und Perspektive, QD 152, Freibutg u. a. 1994. 11 Vgl. Nils A. Dahl (revised by Donald H. Juel), Messianic Ideas and the Crucifixion of Jesus, in: Chadesworth, Messiah (s. Anm. 10), 382-403. 12 Phil 3,20; Eph 5,23; 2 Tim 1,10; Tit 1,4; 2,13; 3,6; 2 Petr 1,1.11; 3,2.18; 1 Joh 4,14; Lk 2,11; Apg 5,31; 13,23; Joh 4,42. 13 2 Kor 4,4; Kol 1,15. 14 1 Kor 1,24; vgl. 1,30. 15 Joh 1,1. 16 Das Fehlen trennscharfer Kriterien zur Unterscheidung von „Titeln" und anderen Bezeichnungen Jesu findet auch darin sprechenden Ausdruck, dass die in den verschiedenen Dar-

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Bezeichnungen17 erfassen zudem nur bestimmte Aspekte, wogegen Deutungsfelder, die durch andere sprachliche Bilder geprägt sind, unberücksichtigt bleiben und auch die narrativ entfalteten Christologien der Evangelien allenfalls am Rand in den Blick treten.18 Diese Bemerkungen machen zunächst deutlich, dass eine Erhebung der christologischen Anschauungen des Urchristentums nicht auf die historischen und traditionsgeschichtlichen Aspekte der sog. Hoheitstitel zu beschränken ist. Zu fragen ist vielmehr nach denjenigen Zuschreibungen, durch die Wirken und Geschick Jesu zum Zentrum einer bestimmten Wirklichkeitsdeutung wurden. Blickt man aus dieser Perspektive auf die urchristlichen Schriften, so treten zahlreiche Bilder und Bildfelder in den Blick, die ein weites Spektrum aufweisen, in dem sich die Person Jesu bricht. Die Metaphern als eine spezifische Form der Bildersprache stellen einen wichtigen Bereich dieser „Bilderchristologie" dar.19 Der Beitrag einer „metaphorischen Christologie" kann deshalb darin bestehen, die mit den Metaphern verbundenen Vorstellungen zu erheben und auf diese Weise den Sprachgewinn, den ihre Verwendung zur Interpretation des Geschehens um Jesus bedeutet, herauszustellen. Dies fuhrt zu einigen Bemerkungen über die Metapher als Sprachphänomen.

Stellungen als „Titel" behandelten Bezeichnungen keineswegs immer dieselben sind. Die von Hahn in der Einleitung zu den Hoheitstiteln vertretene Auffassung, „die christologischen Anschauungen der ältesten Gemeinden haben sich doch weitgehend in Überiieferungsschichten Ausdruck verschafft, die durch einen bestimmten Hoheitstitel geprägt sind" (9), wird von ihm im Anhang zur 5. Auflage (1995) aufgrund verschiedentlich vorgebrachter Kritik durch die Aussage verdeutlicht, für eine Christologie des Neuen Testaments spielten die Hoheitstitel zwar „eine nicht unerhebliche Rolle", seien aber „nur teilweise maßgebend" und durch eine Untersuchung der „verschiedenen Aspekte christologjscher Bekenntnisaussagen und deren theologische[r] Explikationen" zu ergänzen (449). Bei einer derartigen Gesamtsicht bleibt eine Einbeziehung der Hoheitstitel selbstverständlich weiterhin ein wichtiger Beitrag zu einer Christologie des Neuen Testaments. 17 Hahn behandelt in seiner Untersuchung die Bezeichnungen Menschensohn, Kyrios, Christos, Davidssohn und Gottessohn. Angesichts der in frühen Bekenntnissen verwandten Bezeichnungen könnten durchaus weitere Ausdrücke — wie etwa Lehrer, Prophet oder Retter — hinzugefügt werden. 18 Vgl. Leander E. Keck, Toward the Renewal o f New Testament Christology, N T S 32 (1986), 362-377; Hahn, Hoheitstitel (s. Anm. 2), 449f.; Karrer, Jesus Christus (s. Anm. 6), 18. 19 Zur Einordnung der Metapher in das weiter zu fassende Phänomen der Bildersprache vgl. Ruben Zimmermann, Metapherntheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, T h Z 56 (2000), 108-133.

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2. Metapherntheoretische Klärungen Im Folgenden geht es nicht um eine Bestandsaufnahme der neueren Metapherndiskussion,20 sondern um einige, für die hier vorgestellten Überlegungen relevante Aspekte. In neuerer Zeit haben kognitivistische Zugänge den Blick auf die Metapher als generelles Merkmal menschlicher Sprache gelenkt. Grundlegend ist dabei die — bereits von Harald Weinrich und Max Black geltend gemachte21 — Überzeugung, es sei unzureichend, die Metapher von der Umgangssprache abzugrenzen und auf semantische Innovationen und bewusst erzeugte Spannungen zu beschränken. Hatte Weinrich auf die Kontextdetermination und Black auf die Bedeutung des Rezeptionsvorgangs als für die Bestimmung des Wesens der Metapher unverzichtbare Aspekte verwiesen, so lenken die kognitivistischen Metapherntheorien den Blick auf die Stellung der Metapher im System der Sprache. Überlegungen, die in diese Richtung weisen, finden sich bereits bei Ernst Cassirer, der die Übertragung von Anschauungen oder Gefühlen in Laute als Übertragungsvorgang in ein anderes Medium (μετάβασις e'iç άλλο γένος) erfasst und diesen Vorgang als das Wesen der „radikalen Metapher" bestimmt hatte, die damit gleichermaßen zum Ursprung von Sprache wie von Mythos wird.22 Ein vergleichbarer Zugang findet sich bei Eberhard Jüngel, der das Verständnis der Metapher als „uneigentlicher" Redeweise kritisiert und demgegenüber die Auffassung vom grundsätzlich metaphorischen Charakter der Sprache vertritt.23 Jüngel bestreitet die Angemessenheit derjenigen Auffassung, die die Metapher der Rhetorik zuordnet und sie als ornatus betrachtet.24 In Anknüpfung an Nietzsches Untersuchung „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" plädiert er stattdessen dafür, die μεταφορά als doppelten Übertragungsvorgang zu verstehen, nämlich zum einen als ,,anthropologische[n] Orientie-

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Verwiesen sei auf Lutz Danneberg/Andreas Graeser/Klaus Petrus (Hgg.), Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft, Berliner Reihe philosophischer Studien 16, Bern u. a. 1995 sowie theologischerseits auf Reinhold Bernhardt/Ulrike link-Wieczorek (Hgg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigjieit im Reden von Gott, Mensch und Natur (FS D. Ritsehl), Göttingen 1999. Harald Weinrich, Semantik der kühnen Metapher, in: ders., Sprache in Texten, Stuttgart 1976, 295-316, nachgedruckt in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 2. Aufl. 1996, 316-339 (zuerst 1963); Max Black, Mehr über die Metapher, in: Haverkamp, Theorie, 379-413 (en$. 1977). Ernst Cassirer, Sprache und Mythos, in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs, Darmstadt 1956 (7. Aufl. 1983), 71-158. Eberhard Jüngel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: ders./Paul Ricoeur, Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, EvTh Sonderheft 3, München 1974,71-122. A.a.O., 74-81.

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rungsvorgang"25, mit dem der Mensch auf die ihn affizierende Welt reagiert und sich ein Bild von ihr verschafft, zum anderen als Umsetzung dieses Bildes in die Sprache. Sprache besitzt Jüngel zufolge also keine unmittelbare Beziehung zur außersprachlichen Wirklichkeit, sondern strukturiert diese mit Hilfe der Zuschreibung von Bedeutungen. Im Blick auf die Metapher bedeutet dies, dass sie nicht als Bedeutungsübertragung zwischen verschiedenen sprachlichen Konzepten — also als Phänomen innerhalb der Sprache - , sondern als sprachtheoretische Kategorie zur Beschreibung des Wesens der Sprache überhaupt aufgefasst wird — mit der Folge, dass die Unterscheidung zwischen metaphorischem und nicht-metaphorischem Sprachgebrauch aufgehoben wird. Wird die Verwendung von Metaphern als Übertragungsvorgang verstanden, der der Sprachverwendung per se inhärent ist, dann handelt es sich nicht mehr um einen innersprachlichen Vorgang der Zuordnung von Bedeutungen durch Übertragung, sondern um die Art und Weise, in der sich menschliches Erkennen von Wirklichkeit vollzieht, überhaupt. Mit dieser Position hat Jüngel insofern einen wichtigen Hinweis gegeben, als er die Beschränkung der Metapher auf die Funktion des ornatus als unzureichend herausgestellt hat und sie stattdessen als generelles Phänomen der Sprache definiert. Fraglich ist dagegen, ob sich seine Aufhebung der Unterscheidung von metaphorischem und nicht-metaphorischem Sprachgebrauch aufrechterhalten lässt. In der kognitivistischen Metapherntheorie lässt sich insofern eine vergleichbare Sprachauffassung feststellen, als sie davon ausgeht, dass metaphorischer Sprachgebrauch nicht von der Umgangssprache zu trennen ist, sondern auf dieser basiert. Sprache wird hier zunächst — ähnlich wie bei Cassirer und Jüngel — als Instrumentarium beurteilt, mit dessen Hilfe Menschen Wirklichkeit erschließen und ordnen, indem sie bestimmte Konzepte entwerfen. Das Wesen der Metapher besteht nach der kognitivistischen Auffassung allerdings darin, ein Konzept durch ein anderes zu erläutern, also Bedeutung über mindestens zwei semantische Felder zu transportieren. Anders als bei Cassirer und Jüngel wird hier also durchaus zwischen metaphorischem und nicht-metaphorischem Sprachgebrauch unterschieden. Ein metaphorischer Sprachgebrauch liegt in dem Augenblick vor, wo ein Konzept, mit dem wir Wirklichkeit strukturieren, dazu verwandt wird, einen anderen Bereich zu erfassen. Diese Theorie wurde grundlegend in der Studie von George Lakoff und Marc Johnson „Metaphors we live by" vorgestellt und seither verschiedentlich ausgearbeitet.26 Trotz inzwi25 A.a.O., 84. 26 George Lakoff/Maic Johnson, Metaphors we live by, Chicago 1980 (dt.: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildem, Heidelberg 2. Aufl. 2000). Vgl. weiter George Lakoff/Mark Turner, More than cool Reason. A Field Guide to Poetic

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sehen vorgebrachter Kritik27 kann dieses Konzept als weiterführend angesehen werden, da es die Metapher vor dem Hintergrund einer kognitivistischen Sprachtheorie reflektiert und dabei erklären kann, wie Übertragungen von Bedeutungen von einem Bereich auf einen anderen funktionieren. Den skizzierten Ansätzen ist somit gemeinsam, dass sie das Wesen der Metapher nicht in erster Linie darin sehen, Spannung zu erzeugen oder semantisch innovativ zu sein. Der kognitivistische Ansatz eröffnet darüber hinaus zum einen die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Innovationsgraden metaphorischer Sprachverwendung zu differenzieren, zum anderen die kognitivistische Grundlage derjenigen Konzepte, die zur Strukturierung der Wirklichkeit eingesetzt werden, zu beschreiben. So sind etwa in den vorangegangenen Sätzen dieses Beitrags die Formulierungen „die Metapher von der alltäglichen Umgangssprache abgrenzen", „Einsichten spielen eine Rolle" oder „sich ein Bild verschaffen" keine semantischen Innovationen, sondern sie erläutern bestimmte Sachverhalte durch die Heranziehung eines anderen Konzeptes (wissenschaftliche Beschreibung als Eroberung eines Gebietes, Diskurs als Schauspiel, Erkenntnis der Wirklichkeit als Sicherung eines Besitzes). Diesen Konzeptmetaphern lassen sich dann weitere Einzelmetaphern zuordnen: eine Position behaupten, die Szene betreten, sich Wissen aneignen. Auf diese Weise wird schließlich der Beitrag metaphorischer Konzepte zur Strukturierung der Wirklichkeit ebenso erkennbar, wie deren programmatische Infragestellung. Dies ist für die Untersuchung metaphorischer Konzepte bei Paulus im Blick zu behalten. Dem kognitivistischen Ansatz zufolge besteht das Wesen metaphorischer Sprachverwendung also darin, Wirklichkeit zu strukturieren, indem Konzepte miteinander in Beziehung gesetzt und dadurch Ähnlichkeiten hergestellt werden. Der Unterschied zwischen konventionalisierten und neuen Metaphern ist dabei zunächst noch nicht von Belang. Diese Unterscheidung kommt vielmehr in dem Augenblick ins Spiel, wo Metaphern gebildet werden, die die Konzepte unserer Alltagswirklichkeit erweitern oder neue Konzeptmetaphern hervorbringen. Die kognitivistische Metapherntheorie lässt sich somit als erkenntnistheoretische Fundierung derjenigen Modelle verstehen, die das Wesen der Metapher vornehmlich oder ausschließlich von der semantischen Innovation bzw. der erMetaphor, Chicago 1989; Mark Turner, Design for a Theory of Meaning, in: Willis F. Overton/David S. Palermo (Hgg.), The Nature and Ontogenesis of Meaning, Hillsdale 1992,91-107. 27 Vgl. etwa Christa Baldauf, Sprachliche Evidenz metaphorischer Konzeptualisierung. Probleme und Perspektiven der kognitivistischen Metapherntheorie im Anschluss an George Lakoff und Marc Johnson, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, Übergänge 38, München 2000,117-132.

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zeugten Spannung her definieren. Diesen Ansätzen stellt die kognitivistische Theorie ein Modell gegenüber, das die Metapher in eine Gesamtauffassung über den Charakter der Sprache einbindet, die als in der Struktur menschlichen Denkens wurzelndes und von diesem geprägtes Instrumentarium zur Erschließung der Wirklichkeit aufgefasst wird. Die Innovationskraft der Metapher wird damit nicht in Abrede gestellt, sie wird jedoch innerhalb einer umfassenderen Theorie als ein der Sprache inhärentes Merkmal beurteilt. Mit diesen Bemerkungen wenden wir uns im nächsten Schritt metaphorischen Aspekten in der Christologie des Paulus zu.

3. Metaphorische Christologie bei Paulus Die Ausführungen des ersten Teils legen es nahe, die paulinische Christologie nicht über die Verwendung geprägter Bezeichnungen zu erschließen, sondern diejenigen sprachlichen Felder zu betrachten, mit deren Hilfe Paulus die Bedeutung der Person Jesu zur Sprache bringt. Im Anschluss an die Bemerkungen des zweiten Teils wird des Weiteren darauf zu achten sein, auf welche Konzepte Paulus zurückgreift und wo seine eigenen Innovationen liegen. Dabei empfiehlt es sich nicht, scharf zwischen vorpaulinischen Traditionen und paulinischen Interpretationen zu scheiden. Es ist bekannt, dass Paulus etliche, auch sprachlich geprägte Deutungen des Christusgeschehens aus der urchrisdichen Uberlieferung übernommen hat. Hierzu gehören einerseits Hoheitsbezeichnungen wie χ ρ ι σ τ ό ? , κύριος und υιό? θεοΰ, die Aussagen über das Sterben Christi für unsere Sünden (1 Kor 15,3; vgl. Gal 1,4), seine Bezeichnung als von Gott aufgerichtetes ίλαστήριον (Rom 3,25), die Sendung des Sohnes durch Gott (Rom 8,3; Gal 4,4), Aussagen über die Auferweckung Jesu (ζ. Β. 1 Thess 1,10; Rom 4,24f.; 10,9) oder seine Einsetzung zum Sohn Gottes durch die Auferweckung (Rom l,3f.), um nur einiges zu nennen.28 Dieses Traditionsgut wurde von Paulus aufgegriffen, sprachlich bearbeitet und seinen eigenen Argumentationen einge-

28 Um die Aufhellung der frühen Christologie, auf die Paulus bereits zurückgreift, haben sich im deutschen Sprachraum vor allem Ferdinand Hahn und Martin Hengel verdient gemacht, die Ansätze vornehmlich von Wilhelm Heitmüller und Wilhelm Bousset — z.T. kritisch — weiterentwickeln. Vgl. Hahn, Hoheitstitel (s. Anm. 2); Martin Hengel, Christologie und neutestamentliche Chronologie. Zu einer Aporie in der Geschichte des Urchristentums, in: Heinrich Baltensweiler/Bo Reicke (Hgg.), Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament (FS O. Cullmann), Tübingen 1972, 43-67, sowie die Beiträge in: ders., Studies in Early Christology, Edinburgh 1995.

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ordnet. Steht Paulus hier somit innerhalb eines urchristlichen Entfaltungsprozesses, so ist seine eigene Stimme aus dem Zusammenspiel von Traditionsaufnahme und deren Weiterentwicklung zu erheben. Unterschieden werden kann jedoch zwischen solchen Metaphern, die Paulus aus der Tradition übernimmt, ohne sie weiter auszudeuten, und solchen, in denen sich seine eigenen christologischen Anschauungen kristallisieren. So ist etwa die Bezeichnung Jesu als χριστός eine christologische Metapher, die Paulus übernimmt, ohne sie weiter auszubauen. Es handelt sich für ihn hierbei vielmehr um eine feststehende Bezeichnung für Jesus, die bereits in der vorpaulinischen Überlieferung vom Titel zum Beinamen Jesu verblasst ist und die von Paulus nicht verwandt wird, um das damit verbundene Bildfeld vom Gesalbtsein oder vom königlichen Gesalbten mit weiteren metaphorischen Aussagen anzureichern.29 Anders verhält es sich dagegen mit den Prädikationen Jesu als υιό? GeoD und κύριος. Auch diese begegnen in vorpaulinischen Traditionen,30 werden von Paulus jedoch zur Explikation zentraler Inhalte des Christusgeschehens verwandt.31 Anders verhält es sich auch mit der Metapher von der Auferweckung Jesu. Auch diese übernimmt Paulus aus der Tradition, bildet sie jedoch kreativ weiter. Im Folgenden werden, ausgehend von diesen Beobachtungen, zwei Bereiche der paulinischen Christologie näher in den Blick genommen und auf ihre metaphorische Basis hin befragt. Dabei setzen wir mit den umwertenden Metaphern bei einem zentralen Bereich christologischer Metaphorik des Paulus ein.

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Zur paulinischen Verwendung der Christusbezeichnung und ihren traditionsgeschichtlichen Hintergründen vgl. Martin Hengel, Erwägungen zum Sprachgebrauch von Χριστό? bei Paulus und in der vorpaulinischen Überlieferung, in: Moma D. Hooker/Stephen G. Wilson (Hgg.), Paul and Paulinism. Essays in honour of Charles Κ. Barrett, London 1982, 135-159. Paulus kennt freilich die Tradition der Herkunft Christi Jesu aus dem Geschlecht Davids (Rom 1,3) und betont, dass der Gesalbte κατά σάρκα aus Israel stammt (Rom 9,5; vg}. 11,26). 30 υιός θεοΐι: 1 Thess l,9f.; Rom 1,3£; 8,3; Gal 4,4; κύριος: Rom 10,9; 1 Kor 8,6; 12,3 (vgl. 16,21); Phil 2,11. 31 Der Gottessohn ist derjenige, der Paulus offenbart wurde (Gal 1,16), mit dem sich zudem wichtige soteriologische Funktionen wie die Bewahrung vor dem Gotteszom (1 Thess l,9f.), der Loskauf der unter dem Gesetz Versklavten (Gal 4,4) und das Richten der Sünde durch Gott (Rom 8,3) verbinden. Vgl. die berechtigte Korrektur der älteren Sicht, die dem Gottessohntitel keine grundlegende Bedeutung für die paulinische Christologie beimaß, durch Antje und Michael Labahn, Jesus als Sohn Gottes bei Paulus. Eine soteriologische Grundkonstante der paulinischen Christologie, in: Schnelle/Söding, Paulinische Christologie (s. Anm. 2), 97-120. Dass der Kyriostitel als Bezeichnung des Erhöhten, der über alle herrscht (Rom 10,12; 14,9) und den die Christen anrufen (Rom 10,9; 1 Kor 1,2; 16,21; Phil 2,11), eine zentrale Stellung innerhalb der paulinischen Christologie einnimmt, bedarf keiner weiteren Begründung.

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3.1 Umwertende Metaphern als Ausdruck derpaulinischen Christologie Der erste Bereich ist durch solche Metaphern geprägt, die herkömmliche Wertorientierungen in Frage stellen, indem die Realisierung dieser Werte in ihr Gegenteil verkehrt wird. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt dies in der paradoxen Verkehrung von Weisheit und Torheit in 1 Kor 1,18-2,16. Die herkömmliche Sicht, der zufolge Weisheit positiv und Torheit negativ besetzt ist, wird von Paulus beibehalten, im Blick auf ihre Realisierung jedoch in ein kontrafaktisches Verhältnis zu ihrer gängigen Beurteilung gesetzt: wahre Weisheit ist Torheit vor der Welt und umgekehrt, denn Gott hat die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht (1,20) und die Torheit der Welt erwählt (1,27). Ihre Basis hat diese Verkehrung in der Auferweckung des gekreuzigten Christus, die zeigt, dass das Handeln Gottes im Gegensatz zu irdischen Wertmaßstäben steht. Die Verkündigung von Jesus Christus heißt hier deshalb λόγος τοΰ σταυροί) und wird auf paradoxe Weise als Torheit bezeichnet, durch die Gott die Glaubenden rettet (1,22). Was Paulus verkündet, ist darum nur scheinbar Torheit, in Wahrheit dagegen die der Welt als Torheit erscheinende und nur den Vollkommenen zugängliche Weisheit Gottes (2,6f.). Diese Umwertung anerkannter Wertvorstellungen stellt einen zentralen Bereich paulinischer Christologie dar, der anhand einiger Metaphern, mit denen Paulus den Tod Jesu deutet, näher beleuchtet werden soll.

3.1.1 Jesus Christus als ίλαστήριον (Rom 3,25) Ein erster Bereich, in dem sich umwertende Metaphern finden, ist die Kultmetaphorik. Sie begegnet bei Paulus zunächst in der Bezeichnung Jesu als des von Gott aufgerichteten ίλαστήριον in Rom 3,25. Es ist umstritten und vielleicht nicht eindeutig zu klären, ob die Tradition, die Paulus hier zitiert, mit diesem Terminus auf den in der LXX-Übersetzung von Ex, Lev und Num als Ιλαστήριον επίθημα (so Ex 25,17) bzw. dann in abgekürzter Weise als ίλαστήριον bezeichneten Deckel der Bundeslade32 anspielt und dies auch von

32 Es ist darauf zu achten, dass es sich hierbei bereits in der LXX um eine metaphorische Zuschreibung handelt, die aus dem hebräischen Text übernommen ist, wo der Deckel als ΓΠΞ3 bezeichnet wird. Hierauf hatte bereits Adolf Deißmann aufmerksam gemacht: ΙΛΑΣΤΗΡΙΟΣ und ΙΛΑΣΤΗΡΙΟΝ. Eine lexikalische Studie, ZNW 4 (1903), 193-212, 207f.: „Es ist nicht überflüssig, noch besonders zu betonen, daß das Wort ίλαστήριον bei den LXX Deckel der Bundeslade weder bedeutet, noch daß es usuell bloß für den Deckel der Bundeslade gebraucht wurde" (dort kursiv).

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Paulus selbst als Bezug intendiert ist.33 Sollte dies der Fall sein, 34 würde es sich u m eine D e u t u n g des T o d e s Jesu vor dem Hintergrund des Rituals am Versöhnungstag nach Lev 16 handeln: D e r v o n G o t t öffentlich aufgestellte Jesus Christus — gedacht ist vermutlich an das öffentlich sichtbare Kreuz — tritt an die Stelle, die zuvor der Aufsatz der Lade innehatte und wird zu dem Ort, an dem sich nunmehr die Reinigung v o n Sünden ereignet. N i m m t man diesen Bezug dagegen nicht an, 35 wird mit dem Ausdruck ί λ α σ τ ή ρ ι ο ν der T o d Christi ohne die konkrete Zuspitzung auf den Tempelkult als ein Ereignis gedeutet, durch welches G o t t den Menschen die Möglichkeit eröffnet hat, durch den Glauben 3 6 v o n ihren Sünden loszukommen. Philologisch und traditionsgeschichtlich lässt sich die Frage, welche Möglichkeit zu favorisieren ist, nicht mit letzter Sicherheit

33 Der exegetische Streit über diese Frage hat eine ehrwürdige Tradition und soll hier nicht wieder aufgenommen werden. Für eine konzise Darstellung des philologischen Befundes sowie der Sinnmöglichkeiten des Terminus sei stattdessen - neben dem Beitrag Deißmanns — verwiesen auf Cüliers Breytenbach, Versöhnung. Eine Studie zur paulinischen Soteriologie, WMANT 60, Neukirchen-Vluyn 1989, 166-168. Hier genügt es festzuhalten, dass die Pointe der metaphorischen Konzeptualisierung dieses Textes darin besteht, die bisherigen Wege zur Reinigung von Sünden - ob an den Tempelkult gebunden oder hiervon abgelöst - angesichts des Kreuzestodes Jesu als überholt zu bezeichnen: Wenn das Kreuz von Gott als Ort der Sündenbeseitigung bestimmt wird, dann hat dies Konsequenzen für die bisherigen Möglichkeiten der Reinigung von Sünden. 34 Sicher ist dieser Bezug nicht. Der Terminus ίλαστήριον wird schon in der LXX außerhalb des Pentateuchs für andere Orte verwandt (Ez 43,14.17.20; Am 9,1; vgl. Gen 6,15 Sm.). Aus Rom 3,25 lässt sich zudem eine Anspielung auf den Deckel der Lade nicht eindeutig belegen. Dass ein solcher Bezug zudem seine Schwierigkeiten hat, weil der in Lev 16,1-19 beschriebene Kultvoigang jedenfalls auch der Reinigung des Heiligtums dient und die Bezüge zum Kreuzestod Jesu deshalb keineswegs eindeutig sind, ist bekannt. Vgl. hierzu jedoch Wolfgang Kraus, Der Tod Jesu als Heiligtumsweihe. Eine Untersuchung zum Umfeld der Sühnevorstellung in Römer 3,25-26a, WMANT 66, Neukirchen-Vluyn 1991, bes. 150-167. Ob man die Metaphorik hierauf begrenzt, hängt deshalb davon ab, welchen Hintergrund man heranzieht, um den Termini ίλαστήριον und αίμα Sinn zuzuschreiben. Die Notwendigkeit, hierfür nur die genannte LXX-Verwendung heranzuziehen, lässt sich dabei nur schwer begründen. 35 So ζ. B. Charles Ε. B. Cranfield, The Epistle to the Romans I, ICC, Edinburgh 1954 (repr. 2001), 214-218; Klaus Haacker, Der Brief des Paulus an die Römer, ThKNT 6, Leipzig 1999, 90f. Die stattdessen angeführten Analogien aus 2 und 4 Makk (vor allem 4 Makk 17,22) bedürfen freilich ihrerseits der Präzisierung: In Rom 3,25 handelt es sich um ein von Gott aufgerichtetes ίλαστήριον, nicht um einen Märtyrertod, der den Zorn Gottes zum Stillstand bringen soll, wie dies an den entsprechenden Stellen in 2 und 4 Makk vorausgesetzt ist. 36 Die präpositionale Ergänzung δια πίστεως wird oft als paulinische Zufugung zu der Formel beurteilt. So bereits Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments (hg. von O. Mede), Tübingen 8. Aufl. 1980, 49; Ernst Käsemann, Zum Verständnis von Rom 3,24-26, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1964, 96-100,100; in neuerer Zeit Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer (Römer 1-5; EKK VI/1), Zürich u. a./Neukirchen-Vluyn, 2. Aufl. 1987, 193f. Dann würde sie das paulinische Verständnis des ίλαστήριον besonders betonen: Die durch den Kreuzestod Christi möglich gewordene Reinigung von Sünden wird durch Glauben angeeignet.

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entscheiden. Die Aneignung des Angebots der Sündenbeseitigung δια π ί σ τ ε ω ς und der damit verbundene Zustandswechsel lassen sich jedenfalls als Weg von Sündern zu von Sünde Gereinigten beschreiben. Es ist somit deutlich, dass es sich in Rom 3,25 um eine kühne metaphorische Aussage handelt: Mit dem Satz „Ihn [nämlich Jesus Christus] hat Gott öffentlich als einen Ort zur Reinigung von Sünden hingestellt, die im Glauben angeeignet und durch sein Blut bewirkt wird . . . " wird der Kreuzigung Jesu ein Sinn zugeschrieben, der sich nur unter der Voraussetzung des Handelns Gottes durch Jesus Christus verstehen lässt. Dagegen ist unmittelbar evident, dass nicht das pure Ereignis der Hinrichtung Jesu diesen Sinn enthält — und auch nicht unbedingt nahe legt. Der metaphorische Prozess von Rom 3,25 lässt sich demnach so beschreiben, dass ein allgemein-antikes Konzept (Beseitigung von Schuld durch einen kultischen Akt, bei dem Blut vergossen wird) in seiner israelitisch-jüdischen Ausprägung (Gott beseitigt die Sünden Israels) auf das historische Ereignis des Kreuzestodes Jesu übertragen wird. Damit diese Übertragung funktioniert, müssen bei den Rezipienten bestimmte Identifizierungen vorgenommen, andere Aspekte dagegen ausgeblendet werden. Entscheidend ist, dass das Kreuz Jesu vor dem Horizont der anderen als ίλαστήριον bezeichneten Orte als eine von Gott eingesetzte Institution zur Beseitigung von Sünden begriffen wird. Des Weiteren muss die Kultmetaphorik mit dem Tod eines Menschen in Zusammenhang gebracht werden, was sich von der biblischen Tradition her nicht nahe legt.37 An dieser Stelle liegt deshalb die größte Kühnheit der Metapher, denn sie insinuiert, den Tod Jesu innerhalb eines kultischen Deutungsrahmens zu verstehen. Für den Rezeptionsvorgang ist demnach entscheidend, dass sowohl die Sünden beseitigende Wirkung des Blutes38 als auch der Ort, an dem sich dieser Vorgang vollzieht, auf Jesus übertragen werden. Der gelegentlich vorgebrachte Einwand, Jesus könne nicht gleichzeitig derjenige, dessen Blut vergossen wird, und Ort der Sündenbeseitigung sein, verkennt dagegen, dass der metaphorische Prozess gerade darin besteht, dass beides vom Tod Jesu her verstanden und von daher ineinsgesetzt wird. 37

Der einzige biblische Text, in dem Sündenbeseitigung und Tod eines Menschen miteinander in Beziehung gesetzt werden, ist bekanntlich Jes 53. Dieser ist jedoch nicht vor einem kultischen Horizont formuliert und kann deshalb hier außer Acht gelassen werden. Vgl. Bernd Janowski, E r trug unsere Sünden - Stellvertretung nach Jes 52,13-53,12, in: ders., Stellvertretung. Alttestamentìiche Studien zu einem theologischen Grundbegriff, SBS 165, Stuttgart 1997,67-96. 38 Dass €V τω αυτού αΐματι den gewaltsamen Tod Jesu bezeichne, wie neuerdings wieder Günter Röhser vorschlägt (Stellvertretung im Neuen Testament, SBS 195, Stuttgart 2002, 118), erscheint mir aufgrund der Tatsache, dass der präpositionale Ausdruck als Apposition zu ίλαστήριον zu lesen ist, unwahrscheinlich. Es liegt näher, dass sich die kultische Metaphorik auch auf diesen Ausdruck entreckt.

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Paulus stellt diese kultische Metapher in seiner Interpretation in den Horizont der gleichzeitigen Offenbarung von Zorn und Gerechtigkeit Gottes und damit in einen Kontext, der durch Gerichtsmetaphorik geprägt ist. Gott liefert die Menschen aus (paradou'nai, Rom 1,26), die Menschen sind unentschuldbar (ajnapolovghto", 2,1), es geht um Richten, Gericht, Vergeltung und Gerechtigkeit (2,lf.6.12-16; 3,5.10), für die der novmo" der Maßstab ist (3,19f.) bzw. die durch die Gnade Gottes (cavri") hergestellt wird (3,24). Durch die Verbindung der kultischen mit der Gerichtsmetaphorik entsteht auf diese Weise die komplexe Metapher „Gott stellt durch den Tod eines Menschen Gerechtigkeit her".

3.1.2 Christus als το πάσχα (1 Kor 5,7) Zum Bereich der Kultmetaphorik gehört des Weiteren die Bezeichnung Jesu als geschlachtetes Passalamm in 1 Kor 5,7. Hierbei handelt es sich um eine von Rom 3,25 zu unterscheidende Rezeption von Kultmetaphorik. Das Blut des Passalamms diente nicht dazu, von Sünden zu reinigen, noch handelt es sich bei der Tötung dieses Lammes überhaupt um einen Opfervorgang.39 Das θύειν in 1 Kor 5,7 sollte deshalb auch nicht als „opfern", sondern als „schlachten" wiedergegeben werden.40 Die Funktion des Passalamms war es vielmehr, vor Vernichtung zu bewahren. In dieser Weise ist die Passatradition in Jub 49,3 sowie später in der rabbinischen Literatur und bei Melito von Sardes rezipiert worden.41 Jeweils geht es darum, dass das Blut des Passalamms diejenigen vor dem Widersacher42 bewahrt, an deren Tür es gestrichen ist. Paulus greift diese Tradition in 1 Kor 5 auf, um damit auf die Bewahrung der Reinheit der Gemeinde zu dringen: Die Gemeinschaft derer, die zu Christus gehören, haben die Schlechtigkeit und Unzucht dieser Welt abgelegt und gehören zu einem Bereich, in dem man vor dem

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Kultus, Sündenbeseitigung und Opfer sind nicht notwendig miteinander verbunden. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zu fragen, um welchen Vorgang es sich handelt. Vgl. Ina WilliPlein, Opfer und Ritus im kultischen Lebenszusammenhang, in: Bernd Janowski/Michael Welker (Hgg.), Opfer. Theologische und kulturelle Kontexte, Frankfurt 2000, 150-177, 170f.: „Nicht jeder kultische Vollzug ist ein Opfer, nicht jedes Opfer dient der Sühne, erst recht nicht jeder opferähnliche Ritus. Wer einen Opfercharakter und eine Sühnewirkung des Todes Christi nicht nur annehmen, sondern auch biblisch begründen will, kann dafür nicht das Passa heranziehen. Weder das Passalamm noch Christus wird nach den biblischen Zeugnissen geopfert." 40 Die Formulierung ist vor dem Hinteigrund der geprägten Wendung Oueiv το πάσχα zu verstehen, die in E x 12,21 (vgl. V. 27); Dtn 16,2.5f.; 1 Esr 1,6 begegnet. 41 Vgl. Kad-Heinrich Ostmeyer, Satan und Passa in 1. Korinther 5, Z N T 9 (2002), 38-45, 39f. 42 In Jub ist dies Mastema, bei Melito der Würgeengel, bei Paulus sind es die die Gemeinde gefährdenden κακία καί πονηρία (V. 8).

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Zorn Gottes bewahrt wird.43 Die Passametaphorik44 in 1 Kor 5 dient somit dazu, die christliche Gemeinde als durch den Tod Jesu vor Sünde und Unreinheit geschützte Gemeinschaft zu beschreiben, die den Satan nicht wieder in ihren Bereich eindringen lassen darf. Vielmehr muss sie ihre Reinheit dadurch bewahren, dass sie den Unzuchtsünder aus ihrer Mitte entfernt. Auch hier handelt es sich somit um eine Metapher, die sich der übergeordneten Konzeptmetapher „Tod fuhrt zu Leben" zuordnen lässt. Wie bei der Ιλαστήριον-Metapher besteht die Übertragung darin, dass es um Tod geht, der Leben bewirkt, dort durch die Beseitigung von Sünden, hier durch die Bewahrung der Reinheit. Die Metaphorik von Christus als Passalamm hat somit einen anderen Fokus als Rom 3,25: Wird hier Leben dadurch erwirkt, dass der Tod Jesu durch den Glauben Reinigung von Sünden bewirkt, so dort dadurch, dass dieser Tod eine Gemeinschaft konstituiert hat, die vor dem Verderben geschützt ist, wenn sie ihre Reinheit bewahrt. Das jeweils herangezogene Bildfeld bestimmt sich dabei von der Intention der Aussage her: In Rom 3 soll die Möglichkeit der Reinigung von Sünden angesichts der Sündhaftigkeit aller Menschen dargelegt werden, in 1 Kor 5 dagegen geht es um den Erhalt der durch diesen Tod erwirkten Gemeinschaft und ihr Bestehen im endzeitlichen Gericht.

3.1.3 Christi Tod als Loskauf Zu den umwertenden Metaphern gehört des Weiteren diejenige vom Tod als Loskauf, ausgedrückt durch das Wortfeld (έξ)άγορά£€ΐν, λυτροϋσθαι, λύτρον bzw. άντίλυτρον, τιμή, Ιλευθηρία, έλευθβροΰν, δούλος, δουλεύεις. Bei Paulus begegnet sie in Gal 3,13; 4,4f.; 1 Kor 6,20; 7,23, im urchristlichen Schrifttum darüber hinaus in 2 Petr 2,1; Offb 5,9f.; 14,3f. Hier wird ein anderes Konzept, nämlich dasjenige des Sklavenfreikaufs auf den Tod Jesu übertragen.45 Die Verknüpfung beider Bereiche ist hier noch kühner als bei der 43 Vgl. Rom 5,9; 1 Hess 1,10; 5,9£ 44 Zu ihr gehören des Weiteren die Erwähnung von ζύμη und άζυμοδ, die Übergabe des Unzuchtsünders e i s δλεθρον της σαρκός (vgl. Ex 12.15LXX: was ôs âv φάγη ζύμην, έξολεθρευθήσεται ή ψυχή εΐκήυη έξ Ισραήλ), das konsequente Beseitigen des Sauerteigs (Ex 12,15; 1 Kor 5,7: έκκαθαίρειν) sowie das έορτάζειν in V. 8. 45 Für die Herkunft des Bildes gibt es bekanntlich verschiedene Vorschläge: sakraler SklavenIoskauf (Adolf Deißmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neu entdeckten Texte der hellenistisch-römischen Wel, Tübingen 4 1923, 270-287); redemptio ab hostibus (Werner Eiert, Redemptio ab hostibus, ThLZ 72 (1947), 265-270); Befreiung Israels aus Ägypten bzw. dem babylonischen Exil (Elpidius Pax, Der Loskauf. Zur Geschichte eines neutestamentlichen Begriffs, Antonianum 37 (1962, 239-278). Zum Ganzen vgl. auch Wilfried Haubeck, Loskauf durch Christus. Herkunft, Gestalt und Bedeutung des paulinischen Loskaufmotivs, Gießen/Basel/Witten 1985). Die paulinische Verwendung der entsprechenden

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Kultmetaphorik, da Sklavenfreikauf, anders als die in Rom 3,25 und 1 Kor 5,7 im Hintergrund stehenden kultischen Handlungen, nicht mit Tod verbunden ist. Die Metapher „Tod Christi ist Loskauf' korrespondiert somit der Metapher „Leben ist Versklavtsein". Diese wird vornehmlich im Galaterbrief expliziert, wo Paulus die Versklavung der Juden durch das Gesetz und der Heiden durch die Götzen unter der gemeinsamen Kategorie des aTOixeia-Dienstes subsumiert.46 Diese Metapher zieht deshalb dann auch die Deutung des Christusgeschehens als Befreiung (Gal 5,1.13; Rom 6,18.22; 8,21; vgl. 2 Kor 3,17) an sich. In 1 Kor 6,20 und 7,23 wird dagegen mit dem Terminus τ ι μ ή auf den Wert hingewiesen, der für die Gemeinde gezahlt wurde. Hier bildet also nicht die Vergangenheit die Folie für die Loskaufmetapher, sondern der Preis, der gezahlt wurde. Die korinthischen Christen werden dadurch auf den hohen Preis aufmerksam gemacht, der für sie gezahlt wurde, und so auf die Bewahrung ihres Status verpflichtet (7,23: τ ι μ ή ς ήγοράσθητε - μ ή γ ί ν ε σ θ ε δούλοι ανθρώπων). Auch bei der Loskaufmetapher handelt es sich somit um eine Sinngebung des Todes Jesu, die auf das neue Leben der Christen sowie die daraus erwachsende Verantwortung zielt. Wie bei den Kultmetaphern steht auch hier das Gegenüber von Einst und Jetzt im Vordergrund, nunmehr ausgedrückt als Gegenüber von Versklavtsein und Freiheit. Allen bisher besprochenen Metaphern ist somit gemeinsam, dass sie den durch den Tod Christi erwirkten neuen Status zur Sprache bringen. Die Vielfalt der Metaphorik, mit der Paulus die positiven Wirkungen des Todes Christi beschreibt, führt dabei zu einem erheblichen Sprach- und Bedeutungsgewinn dieses Ereignisses innerhalb der urchristlichen Christologie.

3.1.4 Partizipation an Christus Auch die Metapher der Partizipation an Christus gehört zu den umwertenden Metaphern, da sie Tod und Leben in ein neues Wertesystem einordnet: Der Tod mit Christus führt zur Auferstehung und bewahrt deshalb vor dem endgültigen Tod, nur das Sein in Christus ist wirkliches Leben, das vor Gott bestehen kann. Terminologie lässt sich keinem dieser Bereiche nahtlos einfügen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als Paulus sie aus einer bestimmten Perspektive (die Glaubenden gehören zu Christus und stehen nicht mehr unter anderen Mächten) einsetzt. Die Verwendung der Metaphorik erklärt sich von hierher, nicht durch die exklusive Zuweisung zu einem der metaphernspendenden Bereiche. 46 Vgl. Jens Schröter, Die Universalisierung des Gesetzes im Galaterbrief. Ein Beitrag zum Gesetzesverständnis des Paulus, in: Udo Kern (Hg.), Das Verständnis des Gesetzes bei Juden, Christen und im Islam, Rostocker Theologische Studien 5, Münster 2000, 27-63.

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Terminologisch kennzeichnend für die Partizipationsmetaphorik sind die σύνKomposita συμμορφί£εσθαι (Phil 3,10; Rom 8,29: συμμορφός), συμπάσχ ε ι ν (Rom 8,17; 1 K o r 12,26), συνθάπτεσθαι (Rom 6,4), σύμφυτος τω όμοιώματι του θανάτου αύτοΰ (Rom 6,5), συσταυρουσθαι (Rom 6,6; Gal 2,19), aber auch μ ε τ έ χ ε ι ν (1 Kor 10,17.21.30), κοινωνία (1 Kor 1,9; 10,16; Phil 3,10) sowie die Syntagmata συν Χ ρ ι σ τ ώ είναι (Phil 1,23) und Ctì έν εμοί Χ ρ ι σ τ ό ς (Gal 2,20). Dass die Partizipationsvorstellung zur christologischen Konzeptmetapher „Tod fuhrt zu Leben" gehört, wird daran deutlich, dass die negativ konnotierten σύν-Komposita des Öfteren direkt mit positiven verbunden sind, so etwa mit συ£ήν (Rom 6,8; vgl. 1 Thess 5,10: συν αύτω ζήσομεν), συνδο£ά£εσθαι (Rom 8,17), σύμφυτος τ η ς αναστάσεως αύτοΰ (Rom 6,5). Die Partizipationsmetaphorik wird von Paulus in verschiedener Weise entfaltet. Paradigmatisch verdichtet findet sie sich in 2 Kor 5,14f. Dort fuhrt Paulus aus, dass aufgrund des Todes Christi alle gestorben sind und nunmehr die Lebenden (οι ζώντες) nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde. Grundlegend ist demnach die Vorstellung des Mitvollzugs des Todes Christi, die bereits in der Gegenwart zu einer proleptischen Teilhabe an seiner Auferstehung fuhrt.47 Dieser stellt die Folie dar, vor der Paulus die Existenz der zu Christus Gehörenden deutet. In Phil 3,10 kann die Zugehörigkeit zu Christus deshalb als Gleichgestaltetwerden (συμμορφιζόμενος) mit seinem Tod beschrieben werden, die dann auch zur Auferstehung führen wird. Diese „christusförmige" Existenz zieht dann weitere Bereiche an sich: Die Existenz des Apostels wird in 2 Kor 4,8-12 vor dem Hintergrund von Tod und Auferstehung gedeutet und als „Umhertragen des Sterbens Jesu" bezeichnet; 48 die Taufe wird als Hineingetauchtwerden in den Tod, Mitbegrabensein sowie als Verwachsensein mit Tod und Auferstehung Christi interpretiert (Rom 6,3-5). Indem Paulus jedoch die vollständige Applikation des zweiten Teils, nämlich des Lebens, auf die Christen in die Zukunft verlegt, existieren sie in einer Art „Zwischenzustand" zwischen dem bereits vollzogenen Tod und dem künftigen Leben mit Christus. So ist nach Phil 3,10-14 das Geprägtsein durch den Tod bereits gegenwärtige Realität, wogegen die Teilhabe an der Auf47 Es ist bekannt, dass Paulus im Blick auf die Gegenwart der Glaubenden nicht von einem Mit-Auferwecktsein mit Christus spricht: συνεγειρειν fehlt bei ihm und begegnet erst in der nachpaulinischen Literatur (Kol 2,12; Eph 2,6). Die Be2eichnung οι ζωντΐς in 2 Kor 5,15 weist jedoch, ebenso wie der kurz darauf begegnende Ausdruck καινή κτισις (5,17; vgl. Gal 6,15), auf die bereits gegenwärtige neue Existenzweise der Glaubenden hin. 48 Zu diesem Text vgl. meine Analyse in: Jens Schröter, Der Apostolat des Paulus als Zugang zu seiner Theologie. Eine Auslegung von 2 Kor 4,7-12, in: Reimund Bieringer (Hg.), TTie Corinthian Correspondence, BETL 125, Leuven 1996, 679-692, sowie jetzt Johannes Krug, Die Kraft des Schwachen. Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheologie, TANZ 37, Tübingen 2001,212-222; Erich Grässer, Der zweite Brief an die Korinther, Kapitel 1,1-7,16, ÖTK 8/1, Gütersloh 2002,164-170.

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erstehung erst am Ende des Weges steht, der noch vor Paulus liegt. In 2 Kor 4,16-5,10 beschreibt Paulus auf analoge Weise seine eigene, von Christus bestimmte Existenz als Prozess des täglichen Vernichtet- und Erneuertwerdens, der ihn schließlich zum Herrn fuhrt.49 Zur Partizipationsmetaphorik gehört weiter die Vorstellung der Existenz kv Χ ρ ι σ τ φ bzw. kv κυρίω. Diese basiert auf dem Einbezogensein in Tod und Auferweckung Christi, geht darüber jedoch insofern hinaus, als sie eine Aufhebung der religiösen, sozialen und geschlechtlichen Unterschiede und daraus resultierend eine neue Identität impliziert. Die Stellen, an denen dies zum Ausdruck kommt, sind in erster Linie Gal 3,26-28; Gal 6,15; 2 Kor 5,17, die Bilder, die Verwendung finden, dasjenige des Anziehens Christi (Gal 3,27; Rom 13,14) sowie dasjenige der Existenz in Christus als Neuschöpfung. An dieser Stelle ist eine Verbindung von der individuell orientierten zu der auf die Gemeinschaft bezogenen Christusmetaphorik festzustellen: Wenn die Getauften in Christus Jesus zu einer Person „zusammengewachsen" sind (Gal 3,28: πάντες γαρ ú p e i s e í s έ σ τ ε έν Χριστώ Ίησοδ), dann resultiert aus der Verbindung mit Christus zugleich eine bestimmte Form der Christusgemeinschaft.50 Dies fuhrt zu dem zweiten hier zu besprechenden Metaphernbereich.

3.2 Die Vorstellung vom Leib Christi (1 Kor 12; Rom 12) Anknüpfend an die Partizipationsmetaphorik soll im Folgenden die Leib Christi-Vorstellung, die in 1 Kor 12,12-27 entfaltet wird und in Rom 12,4-8 noch einmal begegnet, betrachtet werden. Im Kontext von 1 Kor 12 wird mit Hilfe dieser Metapher ein Appell an die Gemeinde gerichtet, trotz der Vielfalt der Geistesgaben und Fähigkeiten an der Einheit der Gemeinschaft in Christus festzuhalten. Es ist bekannt, dass Paulus mit der σώμα-Metapher auf ein verbreitetes Motiv zurückgreift, das Analogien etwa bei Plato, Aristoteles, Dionys von Halikarnass, Livius, Plutarch, Seneca und Epiktet, jüdisch bei Philo und Jo-

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Christian Strecker hat diese Struktur der paulinischen Theologie vor dem Hintergrund der Ritual- und Gesellschaftstheorie Victor Turners reflektiert und die obengenannten Texte aus dieser Perspektive analysiert. Vgl. ders., Die liminale Theologie des Paulus. Zugänge zur paulinischen Theologie aus kulturanthropologischer Perspektive, FRLANT 185, Göttingen 1999. Dabei sind Transformation der Glaubenden und Partizipation an Christus als zentrale Elemente der Theologie des Paulus (wieder)entdeckt worden. Diesen Zusammenhang arbeitet auch Strecker heraus. Vgl. ders., Theologie (s. Aran. 49), 189-211. 351-358.

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sephus sowie in den T e s t X I I besitzt. 51 Die Metapher konnte auf unterschiedliche Weise verwandt werden, wobei je nach Argumentationsziel der Nutzen jedes einzelnen Gliedes für den Gesamtorganismus, die Unterordnung des einzelnen unter das Gemeinwohl, die Beziehungen der Glieder untereinander oder das Verhältnis von Haupt und Gliedern im Zentrum stehen konnte. 52 Die Innovation des Paulus besteht nun darin, die

Organismusmetapher

christologisch zu interpretieren und damit den Gemeinden von Korinth und R o m ein Modell vorzustellen, an dem sie ihre Identität als christliche Gemeinschaften orientieren können. Wie die Gleichordnung aller Glieder in 1 K o r 12 deutlich zeigt, ist dieses Modell egalitär ausgerichtet, also nicht an der Hinordnung auf Christus als Haupt des Leibes interessiert. 53 Vielmehr wird Ekklesiologie hier auf eine spezifische Weise christologisch begründet: Die Gemeinde als Organismus aus verschiedenen Gliedern bildet den Leib Christi ab, was sie in besonderer Weise zur Einheit verpflichtet. Auch diese Aussage lässt sich als christologische Metapher interpretieren, denn die Gemeinde wird nicht nur als Organismus (so 12,14-26), sondern auch als σ ώ μ α Χριστοΰ

bezeichnet (so

explizit in V. 27: ύ μ ε ί ς δε έ σ τ ε σ ώ μ α Χ ρ ί σ τ ο υ , vgl. jedoch bereits V. 12f.), als eine Gemeinschaft also, die Christus in der Welt repräsentiert. 54 51 Vgl. Matthias Walter, Gemeinde als Leib Christi. Untersuchungen zum Corpus Paulinum und zu den „Apostolischen Vätern", NTOA 49, Fribourg/Göttuigen, 2001, 70-104. 52 Vgl. Andreas Lindemann, Die Kirche als Leib. Beobachtungen zur „demokratischen" Ekklesiologie bei Paulus, in: ders., Paulus, Apostel und Lehrer der Kirche. Studien zu Paulus und zum frühen Paulusverständnis, Tübingen 1999,133-157,134-138. 53 Dieser Aspekt wird von Strecker, Theologie (s. Anm. 49), 345-348, besonders betont. Dass es sich dabei um einen „anti-strukturellen, inversiven Entwurf" (a.a.O., 347) handle, weil Paulus gerade den minderwertigen Körperteilen Würde zuschreibe, geht jedoch über den Text hinaus (und würde das Argument letztlich sogar konterkarieren). Die Pointe besteht nicht darin, dass den minderwertigen Gliedern besondere Würde zugestanden wird, sondern dass alle Glieder gleichermaßen wichtig sind und ihre je spezifische Aufgabe für das Funktionieren des Gesamtorganismus haben. 54 Nach Lindemann, Kirche (s. Anm. 52), 144, ist Paulus der Schritt von der Leib- zur Leib Girátó-Metaphorik erst während der Abfassung in den Sinn gekommen, war also während der Abfassung von 12,13-26 noch nicht vorausgesetzt. Die Argumentation basiere somit auf der Organismus-Metaphorik, nicht auf einer ekklesiologischen Leib Christi-Konzeption (ähnlich Helmut Merklein, Entstehung und Gehalt des paulinischen Leib-ChristiGedankens, in: ders., Studien zu Jesus, WUNT 43, Tübingen 1987, 319-344 und Christian Wolff, Der erste Brief des Paulus an die Korinther, ThKNT 7, Leipzig 1996, 297f.). Damit wird die Argumentation von Ernst Käsemann, Leib und Leib Christi, BHTh 9, Tübingen 1933, genau umgekehrt, der von einem Leib-Christi-Konzept ausgegangen war, das Paulus hier ekklesiologisch appliziere. Dieser Einspruch ist eine wichtige und berechtigte Korrektur, denn ein solches Konzept lässt sich in der Tat nicht erweisen (und ist, wie Lindemann und Merklein zu Recht betonen, in 1 Kor 1,13; 6,15; 11,17 auch nicht vorauszusetzen). Im Blick auf 12,12-27 erscheint es dennoch berechtigt, von einer cbristologschen Interpretation des Organismusgedankens zu sprechen: Bereits in V. 12f. wird das Bild vom Leib und den Gliedern auf Christus und die Getauften angewandt (man ist 6LS σωμα getauft, darum [vgl. das γαρ in V. 13] verhält es sich mit Christus wie mit dem einen Leib und den vielen

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Jens Schröter

Die Repräsentationsmetapher hat somit eine von dem ersten, an Tod und Auferweckung orientierten Bereich charakteristisch verschiedene Ausrichtung. Sie ist nicht an der individuellen Bestimmtheit derjenigen kv Χριστώ, sondern an der Repräsentation Christi durch die Gemeinde orientiert. Die Organismusmetapher wird dabei nicht unmittelbar mit Tod und Auferweckung Christi korreliert, sondern stellt die egalitäre Gemeinschaft als eine angemessene Form der Repräsentation Christi dar. Es ist dabei nicht notwendig, mit vorgegebenen Konzepten zu rechnen, die Paulus ekklesiologisch verwenden würde. Die genannten Analogien weisen stattdessen darauf hin, dass es sich um Metaphern handelt, die von der antiken Enzyklopädie her vorgegeben waren und von Paulus in einer seinem Argumentationsziel entsprechenden Weise rezipiert wurden.

4. Zusammenfassung Die hier in den Blick genommenen Bereiche paulinischer Metaphorik haben zwei wichtige Aspekte seiner Deutung des Christusgeschehens beleuchtet. Der erste Bereich besitzt sein Zentrum in der Umwertung herkömmlicher Wertorientierungen. Grundlegend dabei ist, dass Paulus aufgrund der Auferweckung Jesu dessen Tod - einschließlich seines Mitvollzugs - positiv besetzen kann. Konkret wirkt sich dies so aus, dass die Bereiche des Kultus sowie des Freikaufs aus Gefangenschaft herangezogen werden, um die positiven Wirkungen des Todes Christi zu beschreiben. Die Partizipation an diesem Tod, die sich auch auf die Auferstehung erstreckt, ist sodann eine Metapher, die sich auf das Selbstverständnis der zu Christus Gehörenden bezieht, insofern sie durch das Mitsterben dem endgültigen Tod entgehen und statt dessen zu „Lebenden" oder zu einer „neuen Schöpfung" werden. Die Verwendung dieser christologischen Metaphorik fuhrt somit zu einer von gängigen Wertvorstellungen abweichenden, ihnen ζ. T. sogar diametral entgegengesetzten Identität der zu Christus Gehörenden. Wenn sie aus dem Kreuzesgeschehen ableiten sollen, dass Gott das Niedrige und Schwache erwählt; dass das Kreuz der exklusive Ort zur Beseitigung der Sünden und die Gemeinschaft der Glaubenden ein Raum der Reinheit ist, in den die alte Unreinheit nicht wieder Einzug halten darf; wenn sie Sterben mit Christus als Gewinn und den leidenden Apostel als Vermittler des Gliedern), weshalb der Gedanke vom Leib Christi hier bereits vorausgesetzt ist, auch wenn der Ausdruck nicht explizit begegnet. Man kann V. 27 deshalb besser als einen verdeutlichenden Rekurs auf V. 12f. verstehen denn als einen neuen Gedanken. In diesem Sinn deutet auch Wolfgang Schräge, Der erste Brief an die Korinther (1 Kor 11,17-14,40), E K K VII/3, Zürich und Düsseldorf/Neukirchen-Vluyn 1999,210-217.

Metaphorische Christologie

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Christusgeschehens betrachten sollen, dann wird hier ein Verständnis der Existenz ev Χριστώ entworfen, das etablierten Ordnungen ein eigenes Wertesystem entgegenstellt und von daher auch Konsequenzen für die Sozialstrukturen innerhalb der christlichen Gemeinde zeitigt. Wir begegnen hier somit einer Dimension christologischer Metaphorik, die durch ihre Exklusivität gekennzeichnet ist:55 Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Glaubenden wird ausschließlich durch das Einbezogensein in das Christusgeschehen ermöglicht, das die Existenz als Neuschöpfung und reine Gemeinschaft vermittelt. Der zweite Bereich christologischer Metaphorik ist gekennzeichnet durch die Vorstellung der Christusgemeinschaft als eines Organismus. Diese Metaphorik hat somit eine ekklesiologische Pointe. Sie erweitert die an die Todes- und Partizipationsmetaphorik gebundenen christologischen Vorstellungen, indem sie die ekklesiologische Dimension (die Gemeinde soll sich als σώμα Χριστοί) verstehen, in dem alle Glieder gleichermaßen wichtig sind) des Christusgeschehens herausstellt. Die Metapher von der Gemeinschaft als Leib hat dabei stärker usuellen Charakter. Die Aufforderung an eine Gemeinschaft, sich als Organismus zu begreifen, ist ein in der antiken Enzyklopädie vorbereiteter Gedanke, der deshalb auch kein der exklusiven Bindung an Christus korrespondierendes Ethos evozieren würde.56 Die paulinische Christologie, das zeigen die hier angeführten Beispiele, ist in der Heranziehung metaphorischer Konzepte daran orientiert, aus dem Christusereignis Konsequenzen im Blick auf das Selbstverständnis der Glaubenden und ihrer Gemeinschaft herzuleiten. Ihre besondere Kreativität besteht dabei darin, aus der Konzentration auf Tod und Auferweckung sowie der Orientierung an der Repräsentanz Christi durch seine Gemeinschaft Deutungsfelder zu entwickeln, die sich sowohl auf die individuelle Zugehörigkeit zu Christus als auch auf die konkrete Gestalt der Christusgemeinschaft erstrecken. In Anknüpfung an die metapherntheoretischen Ausführungen des zweiten Teils kann somit gesagt werden, dass der Beitrag einer metaphorischen Christologie darin bestehen könnte, die Deutungsfelder, mit denen das Urchristentum die Person Jesu umgab, über die Frage nach ihren historischen und traditionsgeschichtlichen Voraussetzungen hinaus, als — um es mit einer Metapher zu sagen — Bausteine des Gebäudes der christlichen Wirklichkeitsdeutung zu erfassen. 55 Die folgenden Gedanken treffen sich mit Beobachtungen von Michael Wolter, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43 (1997), 430-444. Dort begegnet auch die Gegenüberstellung von exklusiver Identität und inklusivem Ethos, die hier aufgegriffen wird. 56 In 1 Kor 5 liegen die Dinge insofern etwas anders, als es Paulus hier darum zu tun ist, bestimmte Verhaltensweisen, die für Heidenchristen unproblematisch waren (die Formulierung ήτι? οΰδε èv t o Î s Ιθνεσιν in 5,1 wäre dann eine hyperbolische Unterstellung des Paulus), für unvereinbar mit der Christuszugehörigkeit zu erklären. Leitend wäre dabei jedoch nicht ein exklusives, sondern ein jüdisches (bzw. judenchristliches) Ethos.

Peter Müller Sohn und Sohn Gottes: Ubergänge zwischen Metapher und Titel Verbindungslinien zwischen Metaphorik und Titelchristologie am Beispiel des Sohnestitels

Der Titel dieses Aufsatzes lenkt die Aufmerksamkeit auf die Übergänge zwischen Metapher und Titel, und zwar im Blick auf die Bezeichnung Jesu als ,Sohn' und ,Sohn Gottes' in den neutestamentlichen Schriften. Bevor ich auf Ubergänge zu sprechen komme, gehe ich zunächst auf ,Sohn' und ,Sohn Gottes* als christologische Bezeichnungen und auf einige damit verbundene grundsätzliche Fragestellungen ein. In einem zweiten Abschnitt erprobe ich einen metaphernorientierten Zugang zu diesen Bezeichnungen Jesu. Danach beschreibe ich ,Sohn' und ,Vater' in ihrer wechselseitigen Beziehung, gehe auf ,Sohn' und ,Sohn Gottes' als metaphorische Bezeichnungen Jesu ein und komme schließlich auf Übergänge und Wechselwirkungen zwischen dem metaphorischen und dem titularen Sprachgebrauch zu sprechen.

1. ,Sohn' und ,Sohn Gottes' als Hoheitstitel In der exegetischen Literatur wird ,Sohn' bzw. ,Sohn Gottes' üblicherweise als Hoheits- oder Würdetitel bezeichnet. In Anlehnung an eine der bekanntesten Untersuchungen dieser Titel, an Ferdinand Hahns „Christologische Hoheitstitel"1, kann man die Fragestellungen und Methoden, die hier zur Anwendung kommen, folgendermaßen beschreiben: Es geht darum, mit Hilfe der Titel die christologischen Anschauungen des frühen Christentums darzustellen und ins-

1

Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, UTB 1873, Göttingen 5. Aufl. 1995, zuerst erschienen 1961.

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besondere zu klären, auf welche Traditionen diese Anschauungen zurückgreifen und wie sie sich bei der Neuinterpretation auf Jesus hin verändern und in den neutestamentlichen Schriften niederschlagen.2 Das methodische Vorgehen ist dementsprechend im Wesentlichen traditionsgeschichtlich orientiert. Der Einsatzpunkt wird bei den Hoheitstiteln gewählt, weil ihnen eine prägende Kraft für verschiedene Überlieferungsschichten zugestanden wird. Sie werden als Kristallisationspunkte für die christologische Bekenntnisbildung angesehen.3 Im Blick auf den Titel ,Sohn Gottes' sind vor allem folgende traditionsgeschichtliche Linien herausgearbeitet worden: Im AT wurden zunächst nicht Einzelne als ,Sohn Gottes' verstanden, sondern das Volk Israel (vgl. exemplarisch Hos 11,1-3). Diese kollektive Deutung weist bereits darauf hin, dass ,Sohn' hier nicht im naturhaft-genealogischen Sinn verstanden wird, sondern einen Akt der Erwählung bezeichnet.4 Dass Israel als erwählter ,Sohn' dieser Zuwendung Gottes nicht immer mit gleicher Treue entsprach, belastete allerdings das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk als wiederkehrende Störung. Neben die kollektive Deutung trat vor allem in der nachat.lichen Zeit eine individuelle. Einzelne Fromme oder Gerechte konnten nun als ,Sohn Gottes' bezeichnet werden, wie z.B. die Bezeichnung Josephs als ,Sohn Gottes' in JosAs 6,3.5 und besonders die wichtige Stelle SapSal 2,10ff. zeigen, wo es in Aufnahme des Gottesknechtsliedes aus Jes 52,13ff. darum geht, wie die Widersacher den Gerechten prüfen und vernichten können: „Denn wenn der Gerechte ein Sohn Gottes ist, wird er sich seiner annehmen" (V. 18). Eine andere Traditionslinie knüpft an die Nathanverheißung mit der Ankündigung eines Nachfolgers Davids in 2 Sam 7,12-15, besonders V. 14 an: „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein". Diese Verheißung konnte auf den König gedeutet werden, der als ,Sohn Gottes' angesehen wurde (vgl Ps 2 3

4

Ebd., 9f. 449. Ebd., 449f. Im Nachwort zur 5. Auflage unterstreicht Hahn, dass die Hoheitstitel für die verschiedenen Aspekte christologischer Bekenntnisaussagen zwar wichtig, aber keineswegs allein ausschlaggebend seien. Sie werden als Kristallisationspunkte bestimmt, die für bestimmte Heilbringervorstellungen zwar repräsentative Funktion haben, aber nicht isoliert werden dürfen. Der in der Umwelt Israels zu findende Gedanke einer Urzeugung durch eine Gottheit und eine daraus sich ergebende naturhafte Zusammengehörigkeit von Gott und Mensch wird im AT stark zurück gedrängt und durch die Erwählungsvorstellung ersetzt. Deshalb liegt in der Bezeichnung Gottes als Vater keine naturhaft-biologische Aussage vor (vgl. Jer 2,27), und auch die schöpfungstheologische Begründung (Dtn 32,6; Jes 45,11; 64,7) lässt sich nicht in diese Richtung interpretieren. Gott Vater zu nennen dient vielmehr als Ausdruck der Erwählung und des Bundes, den er mit Israel geschlossen hat (vgl. Jes 1,4; Mal l,2f. und die Kombination mit der schöpfungstheologischen Begründung in Mal 2,10), und der Beziehung, die daraus erwächst. Vater ist Gott durch seine Liebe, seine beständige Fürsorge und Erziehung (Jer 31,9) und durch sein Eintreten für die Schwachen (Ps 68,6).

Sohn und Sohn Gottes

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2,6f.). In Qumran ist eine endzeitliche Interpretation von 2 Sam 7,10-14 belegt, und zwar in der Textsammlung 4QTest (4Q175) und in 4Qflor (4Q174) I, 1-13. In einem Daniel-Midrasch in 4Q246 wird vom .König der Welt' gesagt: „Er wird Sohn Gottes heißen und der Sohn des Höchsten genannt werden." 5 Diese Vorstellungen wurden von den frühen Christen herangezogen, um die Bedeutung Jesu zu klären. In Aufnahme messianischer Erwartungen lässt Lukas den Engel über Jesus sagen: Er „wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben" (Lk 1,32; vgl. auch Mk 14,61f.; Mt 4,8-10; Rom 1,4a). Besondere Bedeutung erlangte auch der Rückbezug auf Jes 52,13ff., worin schon früh ein Hinweis auf die Passion Jesu entdeckt wurde. Im Vergleich mit SapSal 2,10ff wird dabei klar, wie Jesus als leidender Gerechter als ,Sohn Gottes* verstanden werden konnte. Die Traditionslinien lassen die Bezeichnung Jesu als ,Sohn Gottes' als Neuinterpretation bereits bekannter Vorstellungen erkennen. Sie zeigen, dass das Wirken Jesu in Aufnahme biblisch-jüdischer Auffassungen und Erwartungen beschrieben werden konnte. Zeigen lässt sich auch, dass diese Auffassungen durch andere ergänzt wurden, insbesondere dort, wo hellenistische Einflüsse wirksam wurden. Hier sind vor allem die Vorstellung einer jungfräulichen Geburt zu nennen und noch weitergehend der Gedanke einer Präexistenz Jesu (vgl. Phil 2,6-11; Kol l,12-14.15ff.; Hebr 1,1-4.5-14, dann auch Joh l,lff.). ,Sohn Gottes' konnte demnach im frühen Christentum höchst unterschiedlich verstanden werden, sei es im Sinne einer Adoption (Mk 1,9-11), einer Einsetzung in die Sohnschaft mit der Auferstehung (Rom 1,4), im Sinne exemplarisch frommer und gerechter Menschen oder eines bereits präexistent gedachten unmittelbaren Seins bei Gott. Insgesamt geht die traditionsgeschichtliche Analyse aber davon aus, dass diese unterschiedlichen Auffassungen eine in sich schlüssige und nachvollziehbare Entwicklung genommen haben. Für die Bezeichnung Jesus als ,der Sohn' muss man aller Wahrscheinlichkeit nach auf andere Traditionslinien zurückgreifen. Hier verweist man zum einen auf die Anrede Gottes als Vater im Gebet Jesu (vgl. vor allem Mt 6,9par.) und legt zum anderen verschiedene Herleitungsversuche vor, besonders die Ableitung aus der Menschensohnchristologie (vor allem im Blick auf Mt 11,27 und

5

Die Deutung der Stelle ist allerdings umstritten, je nachdem, ob man sie auf den Messias oder auf den Antimessias bezieht. Unabhängig von dieser Streitfrage handelt es sich aber um eine messianische Prädikation (Hahn, Hoheitstitel, 476).

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1 Kor 15,28) oder der präexistenten Weisheit.6 Ein Konsens hat sich im Blick auf diese traditionsgeschichtlichen Herleitungen der Sohnesaussage bisher nicht ergeben.7 Diese Herleitungen ergeben ein in sich mehr oder weniger schlüssiges Bild von Herkunft und Entwicklung einer christologischen Prädikation. Sie machen einerseits die Vielfalt der Positionen deudich, stellen andererseits aber ein Konzept auf, das die jeweiligen Akzentsetzungen ableitbar macht. Genau hier setzte allerdings auch die Kritik an einer solchen Behandlung christologischer Titel an. Sie betonte vor allem, dass die traditionsgeschichtiichen Herleitungen nicht immer wirklich klar seien, dass keineswegs eine konsistente und systematisch zu erhebende Verwendung der Titel in den frühchristlichen Schriften vorausgesetzt werden könne und dass insbesondere eine Isolierung der Titel abgesehen von den Kontexten, in denen sie begegnen, unstatthaft sei.8 Bereits der Begriff Hoheitstitel könne falsche Assoziationen wecken, insofern er die Konnotation von Würde und Ehre hervorrufe, die einer bestimmten Person zukomme und die mit einer gewisse Festigkeit, Verbindlichkeit und Akzeptanz verwendet werde.9 Dass christologische Bezeichnungen in diesem Sinne titular verwendet wurden, kann jedoch nicht vorausgesetzt werden. Und warum frühe Christen Jesus in so prominenter Weise Sohn Gottes nannten (vgl. nur Mk 1,1), obwohl diese Bezeichnung doch für jüdische Ohren keineswegs unproblematisch war (vgl. Mk 6 7

8

9

Vgl hierzu die Hinweise bei Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK 1/2, Neukirchen-Vluyn 1990,208f. Mit Luz, ebd., vermute ich, dass sich diese Bezeichnung Jesu gar nicht traditionsgeschichtlich herleiten lässt: „An fast allen Stellen ist das Gegenüber von ,der Sohn' und ,der Vater" konstitutiv. Es ist also .der Vater', der das Gegenüber .des Sohnes' rhetorisch - und nicht religionsgeschichtlich — fordert." Dieser Hinweis hat die vorliegenden Überlegungen inspiriert, wenngleich ich anstelle von Rhetorik eher von Metaphorik reden möchte. Vgl. exemplarisch Horst Robert Balz, Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie, WMANT 25, Neukirchen-Vluyn 1967, 20. Hahn ist in seinem Nachwort zur 5. Auflage seines Werkes auf diese Kritik eingegangen und hat einige Präzisierungen zur Diskussion beigetragen (Hoheitstitel, 449f.). Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus, Göttingen 1996, 453, vermuten hinter der Bezeichnung .Hoheitstitel' das Interesse traditioneller kirchlicher Christologie, die Hoheitjesu durch den Nachweis authentischer Titel abzusichern. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf Joh 19,19f., wo die Kreuzesinschrift mit einem Lehnwort aus dem Lateinischen als TLTXOS bezeichnet wird und ausgesprochen titulare Qualität gewinnt. Die Inschrift .König der Juden' ist dreisprachig, sie wird öffentlich wahrgenommen und von Pilatus gegen den Widerstand den .Hohenpriester der Juden' als verbindlich erklärt. Der öffentlich-rechtliche Aspekt des titulus zeigt sich auch in den lateinischen Redewendungen ire sub titulum = durch Anschlag zum Kauf anbieten, bzw. mittere aliquid sub titulum = etwas zum Verkauf anbieten. Die Wortbedeutung,Elire', jRuhm', .Ansehen' hat hier ebenfalls öffentlichen Charakter und bezieht sich auf die öffentlich anerkannten Verdienste und Taten bestimmter Personen. Im Deutschen handelt es sich bei einem Rechtstitel um einen gesetzlich oder durch ein rechtskräftiges Urteil erworbenen Anspruch, der mit entsprechenden Mitteln durchgesetzt werden kann.

Sohn und Sohn Gottes

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14,61) und im hellenistischen Umfeld nicht mit Einzigartigkeit verbunden sein musste, ist damit noch nicht geklärt. Vermutlich muss man vorsichtiger fragen: Wie kommt es, dass die frühen Christen Jesus als ,Sohn Gottes' oder als ,der Sohn' bezeichnen? Welche Vorstellungen verbinden sie damit? Welche Erfahrungen? Und nicht zuletzt: Welche Sprachformen?

2. Ein metaphernorientierter Zugang Seit einiger Zeit lässt sich in der Exegese ein metaphernorientierter Textzugang beobachten, vor allem in der Gleichnisexegese, darüber hinaus aber überall dort, wo in den Texten Sprachbilder eine Rolle spielen. Dabei werden Erkenntnisse aufgenommen, die in der neueren Diskussion um die Metapher gewonnen wurden.10 Grundlegend ist, dass gegenüber der lange vorherrschenden Substitutionstheorie, derzufolge eine Metapher ein anderes, eigentlich' gemeintes und durchaus vorhandenes Wort zum Zwecke des sprachlichen Schmucks ersetze, die Metapher selbst eine Aussage macht, die anders als eben durch die Metapher nicht gemacht werden kann. Dies gelingt ihr dadurch, dass sie in kreativer Weise ursprünglich nicht zusammenhängende Wirklichkeitsbereiche sprachlich aufeinander bezieht und damit die Wirklichkeit in neuer Perspektive zeigt. Insofern machen Metaphern eigenständige Aussagen und können als .kognitive Instrumente' fungieren. Aus geglückten Metaphern lässt sich erschließen, wie die sprachliche Strukturierung von Erfahrung und Erkennen erfolgt und wie der Erfahrungsbereich den im Bild zum Ausdruck gebrachten Sachverhalt bereits vorstrukturiert.11 Wenn nun die Metapher Unvereinbares so zusammenfugt, dass eine bisher nicht bekannte Perspektive eröffnet wird, dann gehören Interaktion und Kommunikation zu ihren Merkmalen.12 Interaktion bedeutet dabei

10 Vgl. exemplarisch die Sammelbände von Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 2. Aufl. 1996; ders. (Hg.), Die paradoxe Metapher, Frankfurt a. M. 1998; Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen, Übergänge Band 38, München 2000; darin ders., Einfuhrung: Bildersprache verstehen oder Die offene Sinndynamik der Sprachbilder, 13-54. 11 George Lakoff/Mark Johnson, Metaphors we Uve by, Chicago 1980, 5. Zur Kritik an dem Konzept von Lakoff und Johnson vgl. Christa Baldauf, Sprachliche Evidenz metaphorischer Konzeptualisierung. Probleme und Perspektiven der kognitivistischen Metapherntheorie im Anschluss an George Lakoff und Mark Johnson, in: Zimmermann, Bildersprache, 117-132. 12 Max Black, Mehr über die Metapher, in: Haverkamp, Theorie, 379-413 (393): „Wer eine metaphorische Aussage macht, selegiert, betont, unterdrückt und organisiert Merkmale des Primäigegenstandes, indem er auf ihn Aussagen bezieht, die den Gliedern des Implikationszusammenhangs des Sekundärgegenstandes isomorph sind.... Im Kontext einer bestimmten

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nicht, d a s s ein S i n n b e z i r k einlinig a u f einen a n d e r e n einwirkt, s o n d e r n ist als wechselseitiger S p i e l r a u m zu v e r s t e h e n ; a u c h d e r B i l d s p e n d e r k a n n v o m Bilde m p f á n g e r r ü c k w i r k e n d b e e i n f l u s s t w e r d e n . D e s h a l b r ü c k t d a s „ d i f f i z i l e Feld d e r Ü b e r g ä n g e v o n der M e t a p h e r z u m B e g r i f f ' 1 3 in d e n Blick. Z u g l e i c h ist die M e t a p h e r d a m i t als k o m m u n i k a t i v e s P h ä n o m e n b e s c h r i e b e n , d a s

Austausch

e r m ö g l i c h t . D i e s gilt i m B e r e i c h p o e t i s c h e r S p r a c h e e b e n s o w i e i m B e r e i c h der E r k l ä r u n g e n . D e r rationale V o r g r i f f ist f ü r die M e t a p h e r e b e n s o charakteristisch w i e die A n s c h l u s s f ä h i g k e i t an E r f a h r u n g . 1 4 E s liegt a u f d e r H a n d , d a s s d a s k o m p l e x e P h ä n o m e n m e t a p h o r i s c h e r S p r a c h e m i t einer einlinigen M e t h o d i k nur u n z u r e i c h e n d zugänglich ist. R u b e n

Zim-

m e r m a n n h a t in seiner D i s s e r t a t i o n einige L e i t f r a g e n z u s a m m e n g e s t e l l t , die d a s P h ä n o m e n metaphorischer Sprache im Blick auf bestimmte Sprachbilder aufzuschlüsseln h e l f e n . 1 5 E r legt dar, dass s o w o h l die Vielfalt d e r T e x t s o r t e n , in d e n e n b e s t i m m t e S p r a c h b i l d e r a u f g e n o m m e n sind, als a u c h die i m m a n e n t e U n s c h ä r f e d e r B i l d r e d e eine m e h r d i m e n s i o n a l e E x e g e s e n o t w e n d i g m a c h e n , eine „ m e t h o dische Circumambulatio",

bei der m a n zwar v e r s c h i e d e n e L e i t f r a g e n

ideal-

typisch b e n e n n e n kann, diese a b e r i m Blick a u f k o n k r e t e T e x t e jeweils a n g e m e s s e n zur A n w e n d u n g b r i n g e n m u s s . 1 6 I m F o l g e n d e n k o n z e n t r i e r e ich m i c h hin-

13 14

15 16

metaphorischen Aussage .interagieren' die beiden Gegenstände auf folgende Weise: (I) das Vorhandensein des Primärgegenstandes reizt den Zuhörer dazu, einige der Eigenschaften des Sekundärgegenstandes auszuwählen; und (II) fordert ihn auf, einen .parallelen ImplikationsZusammenhang' zu konstruieren, der auf den Primärgegentand passt; und umgekehrt (II) wiederum parallele Veränderungen im Sekundärgegenstand bewirkt" Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, in: Haverkamp, Theorie, 285-315 (295). So mit Recht Bernhard Debatin, Die Rationalität der Metapher (Grundlagen der Kommunikation und Kognition), Berlin/New York 1995, 342: „Im rationalen Vorgriff... erlaubt die Metapher nicht nur die Bezugnahme auf kognitive Gehalte, die Orientierung im lebensweltlich-praktischen Bereich und die Evokation von implizitem Wissen in Kommunikation und Argumentation, sondern sie ermöglicht auch und gerade in semantisch unstrukturiertem oder unübersichtlichem Gelände die Anschließbaikeit von Erfahrungen und Kommunikationen, sie schafft durch metaphorischen Schematransfer Übetgänge zwischen den Diskursen, sie bricht durch ihre Einheit von Perspektivenöffhung und Neubeschreibung eines Gegenstands festgefugte Semantiken auf und rekategorisiert bzw. reorganisiert den Bestand eingefahrener Sprachspiele. Die Metapher ... ist ein semantisches Attraktionszentrum, das durch seine vorgreifende Evidenz die kreative Produktion von Sinn antreibt." Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis, WUNT 2. Reihe, 122, Tübingen 2001, 47ff. Zimmermann nennt folgende mögliche Analyseschritte: Die syntaktische Analyse, die Analyse der bildspendenden und bildempfangenden Bereiche, die Bestimmung der syntaktischen Zuordnung von Bildspender und Bildempfánger, die semantische Analyse, die Einordnung der Metapher in die Bildfeldtradition (Vor- und Umfeld), die Analyse der metaphorischen Interaktion: Konterdetermination und neue Kohärenzbildung, Bedeutungstransfers auf den Bildempfänger, die Frage nach der Kühnheit bzw. Usualität des Sprachbildes, die pragmatische Analyse (Wirkung durch das Sprachbild auf die Leser/innen), die Untersuchung der emotiv-existenziellen Wirkung der Metapher, der Funktion der Bilder-

Sohn und Sohn Gottes

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sichtlich der Bezeichnungen ,Sohn' und ,Sohn Gottes' im Wesentlichen auf eine einige semantische Bemerkungen.

3. Sohn und Vater als Beziehungsworte ,Sohn' ist ein Wort aus dem unmittelbaren Umkreis der persönlichen Erfahrung und bezeichnet den direkten männlichen Nachkommen. Jeder Junge, jeder Mann ist ,Sohn', so wie jedes Mädchen und jede Frau Tochter ist — und zwar ,Sohn (bzw. Tochter) von ..Λ17 Die Beziehung zu einem Vater kommt dem Sohn nicht akzidentiell zu, sondern notwendig und unabdingbar. ,Sohn' kann man nicht für sich allein sein. Wer ,Sohn' sagt, sagt deshalb zugleich .Vater' und umgekehrt. Rezeptionsästhetisch gesprochen: Indem vom Sohn oder vom Vater gesprochen wird, wird zugleich eine Unbestimmtheitsstelle eröffnet, die auf kommunikative Wirksamkeit drängt.18 Sie aktualisiert Erfahrungen und Vorkenntnisse der Leser, bei Lesern des Neuen Testaments solche, die aus dem patriarchal geprägten, häuslich-familiären Bereich stammen und sich vor allem in folgenden reziproken Näherbestimmungen niederschlagen: In der Großfamilie ist der Vater die geachtete Autoritätsperson; von dem Sohn werden ihm die notwendige Ehrerbietung und Gehorsam entgegengebracht (vgl. Gen 37,10; Ex 20,12; Dtn 21,18ff.; Spr 30,17 u.ö.; im NT Mt 19,19parr.; 21,28-31; Lk 15,18f.). Der Vater sorgt für seine Kinder, er ernährt und beschützt sie, er fühlt sich ihnen verbunden; umgekehrt hat der Sohn die Verpflichtung, Vater und Mutter zu ehren und für seine Eltern zu sorgen (1 Sam 10,1; Ex 20,12; Dtn 5,16; Mk 10,19parr.; Mt 7,9f.; Lk 11,11-13). Der Vater erzieht den Sohn (bis hin zur Züchtigung); der Sohn entspricht in seinem Verhalten der Erziehung des Vaters (Dtn 8,5; 21,18; Spr 5,12; 13,24; 23,13; Sir 18,14; 30,13; Eph 6,4; Hebr 12,7); Insbesondere lehrt der Vater den Sohn die Tora und die Gottesfurcht (bzw. das ,Wort Gottes*); indem der Sohn die Tora selbständig zu ach-

sprache im Kommunikationsvorgang sowie der Rezeption innerhalb der Sprachgemeinschaft. 17 Im vorliegenden Aufsatz geht es um Jesus als ,Sohn' in seiner Relation zu Gott. Die SohnMutter-Relation wird deswegen nicht weiter verfolgt, auch nicht die Beziehungen einer Tochter zu Vater oder Mutter. 18 Vgl. Jörg Frey, Das Bild als Wirkungspotenzial. Ein rezeptionsästhetischer Versuch zur Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6, in: Zimmermann, Bildersprache, 331-361.

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ten lernt, stellt er sich in die väterliche Tradition (Jub 8,2; Eph 6,4; Hebr 13,7; Der Besitz des Vaters geht auf die Söhne (bzw. den ältesten Sohn) über; in dieser Perspektive ist der Sohn zugleich der Erbe19; der Sohn ist gegenüber dem Vater zu Ehrerbietung, Mitarbeit und Unterstützung verpflichtet (Mt 21,38parr.; Lk 15,31; Gal 4,7). Das Verhältnis des Sohnes zum Vater ist also vor allem durch eine Autoritätsbeziehung sowie durch erzieherische, rechtliche20 und fürsorgliche Aspekte bestimmt. Wenn in allgemein-antiken und in biblischen Texten vom ,Sohn' oder von .Söhnen' gesprochen wird, schwingen diese Erfahrungen und Kenntnisse als Gesamthorizont der Erfahrungen von Vätern und Söhnen mit, auch wenn sie nicht ausdrücklich thematisiert sind. Auf Grund dieser Bedeutungsfülle der Beziehungsworte Sohn und Vater können beide in vergleichbaren und weitergehenden Zusammenhängen verwendet werden. Abgesehen von der allgemeineren Bedeutung .Abkömmling', die auch auf Tiere21, Pflanzen22 oder die unbelebte Natur23 übertragen werden kann, bezeichnet .Sohn' im AT auch andere Verwandtschaftsgrade24, wobei vor allem die mögliche Bedeutung Enkel auf die weitergehende genealogische Linie hinweist. Wenn sich die Juden zur Zeit Jesu als .Söhne Abrahams' verstehen, ist dies Ausdruck dieses genealogischen Denkens, zu dem aber der Aspekt der Zugehörigkeit hinzu tritt, die sich in der Orientierung an Abraham Ausdruck verschafft (vgl. LibAnt 33,5; TestAbr Β 9; JustDial 44,1; 119,5 u.ö.). Ganz in den Bereich der Zugehörigkeit und der Orientierung an bestimmten Größen gehören die bildlichen Aussagen über die Söhne des Lichtes, des Zorns, aber auch des Teufels oder Gottes (vgl. Apg 13,10; Eph 2,3; 1 Joh 3,10 und Dtn 14,1; Hos 2,1; Mt 5,9; Joh 1,12; 11,52; Rom 8,14-21 u.ö.). Stärker am Erfahrungsbereich orientiert ist dagegen — ausgehend von der Lehrfunktion des Vaters — die Anrede eines Schülers durch den Lehrer (wie umgekehrt ein Lehrer auch Vater genannt wer-

19 ,Der Sohn' ist deshalb im biblischen Hebräisch gleichbedeutend mit ,der Erbe'. 20 In Rom 8,14ff. und Gal 4,5-7 wird der rechtliche Aspekt mit dem im hellenistischen Bereich bekannten Begriff der υιοθεσία aufgenommen und auf das Erbrecht bezogen. Mit der Einsetzung in das Sohnesrecht (vgj. hierzu James M. Scott, Adoption as Sons of God. An Exegetical Investigation into the Background of ΥΙΟΘΕΣΙΑ in the Pauline Corpus, WUNT 2,48, Tübingen 1992, 55; Peter Wülfing von Martitz/Eduard Schweizer, Artikel υιοθεσία, ThWNT Vili, 400-402) sind zugleich die Vorstellungen des Erbrechts verbunden. Hier schafft der rechtliche Rahmen der Vater-Kind-Beziehung der unanschaulichen Gottesbeziehung einen Erfahrungshorizont. 21 Vgl. Gen 32,16; 49,11; Nu 15,24; Dtn 22,6f.; Sach 9,9; Ps 29,6; Hiob 4,11; 39,4; Esr 6,9. 22 Vgl. Gen 49,22. 23 Vgl. die Feuerfunken als Abkömmlinge der Flamme in Hiob 5,7. 24 Vor allem den Bruder, den Enkel, den Neffen oder Vetter, vgl. Georg Fohrer, Artikel ulos κτλ., in: ThWNT VIII, 341f.

Sohn und Sohn Gottes

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den kann) oder eines jüngeren Gefährten durch einen Älteren.25 Wer von ,Sohn' und ,Vater' spricht, stellt sich damit also in einen gedanklichen Horizont, der von der unmittelbaren Erfahrung ausgeht und die vielfaltigen Beziehungen zwischen Vater und Sohn ebenso impliziert wie den Gedanken der Zugehörigkeit zu dem Vater und der Orientierung an ihm. Dieser Horizont wird nicht bei jeder Aussage über die Sohnschaft aktualisiert, steht aber implizit zur Verfügung.

4. ,Sohnc und ,Sohn Gottes' als metaphorische Kennzeichnungen Jesu Ein metaphorisch akzentuierter Zugang zu ,Sohn' und ,Sohn Gottes' als Bezeichnungen Jesu kann sich auf eine ganze Reihe von Stellen aus den neutestamentlichen Schriften stützen. Ich greife eine Stelle heraus, die zwar einen uneigentlichen Zugang zur Sohnesbezeichnung darstellt, aber einen — gerade in metaphorischer Betrachtung — durchaus nahe liegenden, nämlich die Anrede Gottes als Vater durch Jesus in Mk 14,36. Zwar konnte sich die Auffassung, dass es sich bei der Abba-Anrede um ein gänzlich singuläres Phänomen handele26, nicht durchsetzen. Denn einerseits gehört die Auffassung, „dass Gott,Vater' ist (und wie eine Mutter handelt) ... zum kollektiven Bilderschatz des Judentums". 27 Dies führt andererseits dazu, dass Gott im Gebet durchaus als Vater angeredet werden kann, zwar insgesamt nicht sehr häufig, aber eben doch an einigen Stellen.28 Dies gilt vereinzelt auch für die individuelle Vater-Anrede und für die Bezeichnung Gottes als ,abba'.29 Dass die Anrede Gottes als Abba Jesus nicht exklusiv zukommt schließt allerdings nicht aus, dass sie für ihn charakteristisch ist. Zwar ist sie auch im Munde Jesu nicht oft belegt (Mk 14,36). Aber der „unusual

25 Vgl. 1 Sam 3,6.16; 24,17; 26,17.21.25; 2 Sam 18.22; Spr 2,1; 3,1.21; 4,10.20; 5,1; 6,1; 7,1; Mt 12,27par.; Apg23,6; 1 Pete 5,13. 26 Joachim Jeremias hatte das aramäisch abba in diminutivem und affektivem Sinn als Papa, Papi, Daddy, Vati gedeutet (Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, 59f.l63). Später hat er diese Auffassung allerdings relativiert (vgl. Neutestamentliche Theologie. Erster Teil: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1971, 72-73); er kam zu der Einsicht, dass der .kindliche' Charakter der Anrede zur Zeit Jesu bereits in den Hintergrund getreten und abba zur normalen und vertrauensvollen Anrede des Vaters durch Erwachsene geworden war. 27 Theißen/Merz, Jesus, 458, unter Verweis auf Hos l l , 3 , J e r 31,20 und Jer 3,19. 28 Mit Recht Peter Stuhlmacher, Biblische Theologie des Neuen Testaments, Band 1: Grundlegung. Von Jesus zu Paulus, Göttingen 1992, 86f.: „Zur Zeit Jesu war die Anrufung Gottes als Vater eine mit der biblischen Uberlieferung zwar vorgegebene, aber keineswegs oft genutzte Redeform." 29 bTaan 23b, wenngleich nicht als direkte Anrede, sondern als Gottesbezeichnung.

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respect for the term"30 zeigt sich vor allem in der Tatsache, dass der aramäische Begriff in griechisch sprechenden Gemeinden weitergegeben wurde (Mk 14,36; Gal 4,6; Rom 8,15). Dies lässt sich am überzeugendsten so erklären, dass hier eine Erinnerung an den Sprachgebrauch Jesu vorliegt. Die anderen Stellen, an denen Jesu Gott als Vater anspricht, ohne abba zu verwenden, reflektieren diesen Sachverhalt (vgl Lk 22,42; Mt 11,25; Mt 26,39.42). Insofern handelt es sich bei der Vateranrede Gottes zwar nicht um die singuläre Stimme Jesu, wohl aber in charakteristischer Weise um seine eigene. Wer zu Gott als seinem Vater spricht, versteht sich selbst als Sohn (bzw. Tochter) Gottes. Die Anrede Gottes als ,Vater' ist gleichwohl etwas anderes als eine Bezeichnung oder eine Aussage. Mit dem ,Vater' geht es zugleich um den ,Sohn'. Wenn Jesus Gott als Vater anredet, gibt er keine Definition seiner selbst als Sohn, bewegt sich aber in der beziehungsreichen Bildwelt von Sohn und Vater. Deshalb verwundert es nicht, dass verschiedene Aspekte aus der erfahrbaren Beziehung zwischen Vätern und Söhnen in den Gebeten und den Äußerungen Jesu wiederbegegnen (während andere Aspekte, vor allem der Erziehungs- und der rechtliche Aspekt) in den Hintergrund treten: Gott, der Vater, ist Autorität, sein Wille ist bindend; der Sohn unterstellt sich diesem Willen (Mt 26,42/Mk 14,36/Lk 22,42). Gott sorgt als Vater für seine Kinder; er straft sie auch, wenn sie von seinem Willen abweichen; sie können sich aber vertrauensvoll an ihn wenden Oer 30,11; 46,28; Hos 10,10; Weish 5,16; 6,8; 2 Makk 7,33; Mt 6,8f. 32; 7,11; 1 Pete 5,7).31 Der Vater lehrt den Sohn; der Sohn übernimmt, was er bei dem Vater gesehen hat (Joh 5.19ff. 36; 8,28; 17,4.8 u.ö.). Wenn Jesus seine Jünger lehrt, Gott als Vater anzusprechen (Lk 11,1 f.; Mt 6,9), stellt er sie ebenfalls in eine Kindschaftsbeziehung zu Gott hinein. Zwar wendet er sich an keiner Stelle gemeinsam mit seinen Jüngern an .unseren Vater'. Zwischen dem ,mein Vater' Jesu und dem ,euer Vater' bzw.,unser Vater' im Munde der Jünger wird in den frühchristlichen Schriften offenbar ein Unterschied empfunden und die christologische Valenz der Selbstbezeichnung Jesu als Sohn wird durchgehend bewahrt. Die Gotteskindschaft der Glaubenden ist davon jedoch nicht tangiert; vielmehr wird mit ,euer' bzw. .unser Vater' die anthropologische Bedeutung der Gotteskindschaft in gleicher Weise betont. In der Anrede Gottes als Vater durch die Betenden vollzieht sich ihr Sohnsein (bzw. ihr Tochter30 Marianne Meye Thompson, Jesus and his God, in: Markus Bockmuehl, (Hg.), The Cambridge Companion to Jesus, Cambridge 2001,41-55 (48). 31 Dass die Hilfe Gottes die der Eltern übersteigt, ist bereits vorgeprägt in Ps 27,10 und S r 51,10£

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sein)32, und die Tatsache, dass sie von Jesus zu dieser Anrede ermutigt werden, zeigt, wie eng die christologische und die anthropologische Komponente dieser Anrede miteinander verknüpft sind. Eine eigene Würdigung verdienen in diesem Zusammenhang die einschlägigen Stellen im Johannesevangelium. Die Selbstbezeichnung Jesu als ,Sohn' oder ,der Sohn' findet sich sehr häufig und muss im Vergleich zu den anderen neutestamentlichen Schriften33 als charakteristisch für dieses Evangelium bezeichnet werden (vgl. [1,18]; 3,16f.35f.; 5,19-26; 6,40; 8,35f.; 14,13; 17,l). 34 Dies gilt umso mehr als man auch diejenigen Stellen mit heranziehen muss, in denen der johanneische Jesus von Gott als ,dem Vater' oder .seinem Vater' spricht oder diesen Vater im Gebet direkt anredet. „Das ,Vater-Sohn-Verhältnis' ist der Schlüssel zum Verständnis des joh. Jesus."35 Besonders aufschlussreich sind die Aussagen in 5,19-23, da hier neben ,den Sohn' komplementär ,der Vater' tritt (vgl. auch 3,35f.; 6,40): Der Sohn tut nichts von sich aus, sondern das, was er den Vater tun sieht (V. 19); der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut (V. 20); er wird ihm auch noch größere Werke zeigen (V. 20), und zwar die Auferweckung der Toten (V. 21) und das Gericht, das der Vater dem Sohn übergeben hat (V. 22) mit dem Ziel, dass alle den Sohn wie den Vater ehren; denn der Sohn ist vom Vater gesandt (V. 23) ,36 Die Aussage in V. 23 nimmt eine der grundlegenden Vorstellungen des 4. Evangeliums auf, nämlich diejenige vom „Vater, der mich gesandt hat" (vgl. 5,37; 6,44; 8,16.18; 12,49; 14,24.26). In dieser Sendung ist alles umschlossen, was Jesus von Gott empfangen hat Der Vater hat ihm alles gegeben, was er sagt (17,8) und tut (5,36), sein ganzes Werk (17,4), das Leben (5,26), alles hat er in seine Hände gegeben (4,34; 13,3), insbesondere auch die Glaubenden (6,37.39; 10,29; 17,2.6.9.24; 19,9). Deshalb sieht, wer ,den Sohn' sieht, zugleich ,den Vater'. Die Spitzenaussage dieses ganzen Komplexes findet sich in 10,30: „Ich und der Va-

32 Vgl. Hans Weder, Die „Rede der Reden". Eine Auslegung der Bergpredigt heute, Zürich 2. Aufl. 1987,179. 33 Das absolute ,der Sohn' findet sich in den Synoptikern nur in Mt ll,27par. Lk 10,22; Mk 13,32 par. Mt 24,36; Mt 28,19), einmal bei Paulus (1 Kor 15,28) und fiinfinal im Hebräerbrief (1,2.8; 3,6; 5,8; 7,28). 34 Vgl. hierzu den Exkurs bei Rudolf Schnackenbuig, Das Johannesevangelium II, HThK IV/2,150ff. 35 Ebd., 151. 36 Die von Haenchen (Das Johannesevangelium und sein Kommentar, ThLZ 89/1964, 890) vorgelegte Deutung der Aussagen im Sinne eines Vergleichs mit einem Handwerksmeister, „der seinem Sohn alles zeigt, was er tut, und ihm alles vormacht", oder auch die Deutung als Parabel im Sinne der Synoptiker (z.B. Dodd, Historical Tradition in the Fourth Gospel, Manchester 1935, 386, Anm.2) werden der Intensität dieser Aussagen nicht gerecht.

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ter sind eins"; sie ist aber nicht im Sinne späterer christologischer Deutungen zu verstehen, sondern als stärkster Ausdruck der engen Beziehung zwischen Sohn und Vater. Diese Beziehung prägt auch solche Aussagen, in denen von ,dem Sohn' ohne direkten Bezug zum ,Vater' die Rede ist, vor allem 8,35f.: „Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei." Auch hier ist ,der Sohn' nur in Verbindung mit ,dem Vater' zu verstehen, wie V. 38 („ich rede, was ich von meinem Vater gesehen habe") und V. 42 „ich bin von Gott ausgegangen und komme von ihm; denn ich bin nicht von selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt") zeigen. Daraus ergibt sich: die Selbstbezeichnung Jesu als ,Sohn' ist aufs engste bezogen auf ,den Vater'; diese Beziehung prägt alle Sohnesaussagen, auch diejenigen, in denen vom ,Vater' nicht ausdrücklich die Rede ist. Das Bildfeld von ,Vater und Sohn' erweist sich damit gerade für den johanneischen Gebrauch der Sohnesbezeichnung als charakteristisch und aufschlussreich.37 In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die unmittelbare und beziehungsreiche Anrede ,Vater' in Mk 14,36 im Gebet erfolgt. Das Gebet macht keine Aussage, sondern tritt in ein Gespräch ein. Die Gebetssprache ist demgemäß nicht definierend, sondern Beziehung schaffend und zugleich Ausdruck von Beziehung. Im Gebet Gott als Vater anzusprechen ist als Sprachform insofern von Bedeutung, als damit die Bilderwelt von Vater und Sohn zwar evoziert, aber nicht im Einzelnen ausgeführt wird oder ausgeführt zu werden braucht. Denn im Gebet wird in Dank oder Klage, in Fürbitte oder Bitte das eigene Leben zu Gott in Beziehung gesetzt. Diese Beziehung konnte Jesus mit der Vateranrede zum Ausdruck bringen; darin wird Gott vor allem als autoritatives und fürsorgliches Gegenüber angesprochen. Offensichtlich haben die Nachfolger/innen Jesu diese Anrede von Jesus übernommen und sich in ihrer weitergehenden Praxis auf ihn berufen, wie Lk 11,lf.; Mt 6,9 belegen. Dabei konnte man sogar auf die aramäische Anrede abba zurückgreifen. Die beiden Paulusstellen

37 Die Aussagen des Hebräerbriefs sind teilweise anders akzentuiert; in 1,1 ist ,der Sohn' mit dem Komplementärbegriff Gott und mit den Vorstellungen des Erben und der Schöpfungsmittlerschaft verbunden. In 3,6 wird im Gegenüber zu Mose als Knecht Gottes die Sohnschaft Christi und seine Treue „über Gottes Haus" hervorgehoben. Dass Jesus Gehorsam lernte, obwohl er Gottes Sohn war, hebt 5,7 hervor. 7,28 bezeichnet Jesus im Gegenüber zu menschlichen Hohenpriestern als den „ewigen und vollkommenen Sohn" und „den heiligen, unschuldigen und unbefleckten Hohenpriester (V. 26). Wo von Jesus als ,dem Sohn' die Rede ist, zeigt sich im Hebräerbrief somit eine eigenständige und titular orientierte Verwendungsweise.

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Rom 8,15; Gal 4,6 zeigen dabei, dass der Grund dieser Anrede (bzw. Akklamation38) in der Wirkung des Gottesgeistes selbst gesehen wurde, der die Glaubenden dazu befähigt, sich im Gebet intensiv (κράζειν) Gott zuzuwenden. Auch im Johannesevangelium ist die Vateranrede im Gebet Jesu zu finden (11,41; 12,27 und vor allem 17,1: „Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche"). In 11,41-42 und 12,30 wird das jeweilige Gebet Jesu als um der dabei Stehenden wegen gesprochen bezeichnet, eine aufschlussreiche Erläuterung, die einerseits erklärt, dass der in engster Beziehung, ja sogar Einheit zu Gott stehende ,Sohn' überhaupt zum .Vater' betet (in ll,41f. wird dementsprechend keine Bitte geäußert, sondern Dank für die beständige Erhörung)39, andererseits aber die aus den Synoptikern bekannte Tradition der Vateranrede Gottes im Gebet gleichwohl beibehält.40 Dass sich die Vateranrede gerade im „hohepriesterlichen Gebet" Joh 17 mehrfach findet (V. 1.5.11.21.24.26), unterstreicht diese Verknüpfung der frühchristlichen Vateranrede Gottes mit der Erinnerung an das Beten Jesu.

5. Übergänge zwischen Metapher und Titel Die Unterscheidung zwischen ,Sohn' und ,Sohn Gottes' ergibt sich nicht erst aus traditionsgeschichdicher Perspektive, sondern bereits aus den mit den beiden Bezeichnungen verbundenen Konnotationen. ,Sohn' verweist als Beziehungsbegriff von vornherein auf den Komplementärbegriff ,Vater' und damit auf den weiteren Horizont eines aus Erfahrung gespeisten Bildfeldes. Selbst das absolut gebrauchte ,der Sohn* bezieht unausgesprochen den Komplementärbegriff mit ein. Die Bezeichnung ,Sohn' stellt damit eine Bildwelt vor Augen und eröffnet einen damit verbundenen Kommunikationsraum.41 38 VgJ. Urich Wilckens, Der Brief an die Römer, E K K VI/2, Neukirchen-Vluyn 1980,137. 39 Auch die Bitten in Joh 17 sind nicht Bitten im eigentlich Sinn, sondern im Wissen um die beständige Erhörung gesprochen; vgl. V. 24 „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast", aber auch den Imperativ „verherrliche", der den ersten Abschnitt 17,1-5 prägt. „Die Bitten demonstrieren die Einheit von Vater und Sohn im Heilswillen gegenüber der Gemeinde" (Jürgen Becker, Das Evangelium nach Johannes ÖTK 4/2, Gütersloh 1981, 513; vgl. auch Christian Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes, Zürcher Bibelkommentare, NT 4/1, Zürich 2001, 354). 40 Dies wird vor allem an der Gethsemanetradition deutlich (vgl. Mk 14,36.41; vgl- Dietzfelbinger, Johannes, 391). 41 Insofern verorten Johannes P. Louw/Eugene A. Nida, Greek-English-Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains, Volume I, New York 2. Aufl. 1989, die beiden Begriffe mit Recht in der Domain „Supernatural Beings and Powers" einerseits (,Sohn Gottes1) und der Domain ,.kinship terms" andererseits (.Sohn1).

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Die Bezeichnung ,Sohn Gottes' spricht ebenfalls von einer Beziehung. Die Vater-Sohn-Relation mit ihren verschiedenen Assoziationen tritt hier jedoch stärker in den Hintergrund; stattdessen verschmilzt der Korrelatbegriff gewissermaßen mit der Sohnesaussage. Deshalb geht es hier weniger um Beziehung als vielmehr um Herkunft und Zugehörigkeit und damit um eine Qualifikation des so Bezeichneten. Während ,Sohn' notwendigerweise (wenn auch nicht immer ausgesprochen) ein Korrelat braucht, steht ,Sohn Gottes' als Bezeichnung Jesu stärker für sich und neigt schon deshalb zur titularen Verwendung. In Mt 11,27 ist ein Übergang zwischen einer Beziehungsaussage und einer stärker titularen Verwendung zu erkennen. 4 Aussagen sind in diesem Vers zusammengefasst: Π ά ν τ α μοι π α ρ ε δ ό θ η υ π ό τ ο ΰ π α τ ρ ό ς μου, και ο υ δ ε ί ς έ π ι γ ι ν ώ σ κ ε ι τ ο ν υ ί ό ν εί μ ή ό π α τ ή ρ , ο ΰ δ ε τ ο ν π α τ έ ρ α τ ι ς ε π ι γ ι ν ώ σ κ ε ι ει μ ή ό υ ι ό ς καΐ ω έ α ν β ο ύ λ η τ α ι ό υ ι ό ς ά π ο κ α λ ύ ψ α ι ,

wobei die beiden mittleren Aussagen in reziproker Weise aufeinander bezogen sind. Dass dem Sprecher „alles von meinem Vater übergeben worden ist", ist die Voraussetzung für das gegenseitige Erkennen von Vater und Sohn und damit von deren enger und einzigartiger Beziehung. Die Familienmetaphorik steht im Hintergrund, wird aber, wie der Artikel bei ,Vater' und ,Sohn' zeigt, auf Gott und Jesus konzentriert. Im letzten Satzteil, der die Zielaussage darstellt42, wird eine Ausweitung vorgenommen, die das Erkennen auf alle ausdehnt, denen es der Sohn offenbaren will. Das Verhältnis irdischer Väter und Söhne steht als Bild im Hintergrund und macht die reziproke Aussage von Vater und Sohn im Ansatz nachvollziehbar. Verstehbar — und zwar im Blick auf Jesus als ,den Sohn' — wird sie aber nur für diejenigen, denen der Sohn dies offenbart. Hier findet also eine Verknüpfung einer metaphorischen Aussage mit einer Offenbarungsaussage statt. Die Vater-Sohn-Metaphorik gewinnt durch die Konzentration auf ,den Vater' und ,den Sohn' eine stärker titulare Qualität, wobei die intensive Beziehung zwischen beiden aber nach wie vor prägend ist. Umgekehrt kann die titulare Bezeichnung ,Sohn Gottes' auch einwirken auf die Sohnesaussage. Dies zeigt sich vor allem da, wo das absolut gebrauchte ,der 42 Wolfgang Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus, T h H K 1, Leipzig 1998, 223: „Das vierteilige Logion ist so strukturiert, dass die Reziprozitätsaussage (wechselseitiges γινώσκειν des Sohnes und des Vaters) zwar die Mitte bildet, das Gewicht jedoch auf dem Schlussteil liegt: Es geht um die Offenbarung des Sohnes an die Gemeinde derer, die um das Geheimnis des Vaters und des Sohnes wissen sollen ..."

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Sohn' nicht in Beziehung zum ,Vater' als Komplementärbegriff gesetzt wird, sondern zu Gott (1 Kor 15,28). Dies weist darauf hin, dass ,der Sohn' hier stärker als Würdebezeichnung im Sinne von ,Sohn Gottes' verstanden wurde.43 Dies trifft ebenfalls auf 2 Kor 1,19 zu, wo die Bezeichnung ό του 0eoO γαρ νιος 'Ιησούς Χ ρ ι σ τ ό ς eine zusammenfassende christologische (und, wie der Kontext deutlich macht, zugleich soteriologische) Aussage mit titularer Qualität macht. In diesem Zusammenhang ist auch Rom 15,6; 2 Kor 11,31 zu nennen, obwohl hier gar nicht vom ,Sohn' die Rede ist. Die Tatsache aber, dass an dieser Stelle von Gott und dem Vater des Herrn Jesus gesprochen wird, belegt nicht nur die christologische Aussage von Jesus als dem gegenwärtigen Herrn über dem Leben des Apostels, sondern zeigt auch, dass an dieser Stelle nicht die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und Jesus als solche bedeutungsvoll ist, sondern die autoritative Bezugsgröße Gott und ,Vater des Herrn'. Von ,Vater' und ,Sohn' kann also jeweils auch unabhängig von der Beziehungsaussage zwischen beiden die Rede sein, wobei in diesen Fällen die titulare Qualität der Aussage stärker wird. Dass jedoch das absolut verwendete ,der Sohn' außerhalb des johanneischen Kreises insgesamt keine sehr weite Verbreitung gefunden hat, hängt sehr wahrscheinlich damit zusammen, dass sich ,der Sohn' nicht ohne weiteres aus der Beziehung zum Vater herauslösen und solitär verstehen lässt. Diese Verwendung gerät gewissermaßen in Konflikt mit dem Erfahrungsbereich des Bildfeldes; von ,dem Sohn' kann man eben in der Tat nicht ausschließlich und für sich allein reden. Aus diesem Grund kann ,Sohn Gottes' titular verwendet werden, das absolute ,der Sohn' jedoch nur in eingeschränktem Maß. Die johanneischen Stellen, an denen von ,dem Sohn' die Rede ist, bestätigen dies insofern, als sie den Beziehungsaspekt zum Vater in der Regel und an vielen Stellen ausdrücklich bei sich tragen. Die Anrede Gottes als Vater durch Jesus hat die Vorstellungswelt der neutestamentlichen Schriften in starkem Maß beeinflusst. Zusammen mit der Tatsache, dass Jesus seine Jünger dazu angehalten hat, Gott als Vater anzusprechen, ist sie ein grundlegender Impuls dafür, dass die Vorstellung von Gott als Vater im frühen Christentum breiten Raum eingenommen hat. Die Gnadenwünsche in den Briefeingängen der paulinischen (und teilweise nachpaulinischen) Briefe

43 Anders liegt der Fall in 1 Kor 8,6, wo die Aussagen Gott - Vater - Schöpfer miteinander und im Blick auf die Glaubenden verbunden sind (vgl. Jürgen Habermann, Präexistenzaussagen im Neuen Testament, EHS, Reihe XXIII, Band 362, Frankfurt u.a. 1990, 165), während Jesus nicht als Sohn, sondern als Christus und Kyrios qualifiziert ist. Ahnlich ist auch Eph 3,14f. zu verstehen, wo Gott als Vater schlechthin bezeichnet wird, von dem jegliche Vaterschaft her verstanden werden muss, während in V. 17 nicht von Jesus als dem Sohn die Rede ist, sondern von dem Christus.

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(χάρις ύ μ ΐ ν κ α ι ε ι ρ ή ν η από θεού π α τ ρ ό ς η μ ώ ν κ α ι κυρίου 'ΙησοΟ Χ ρ ί σ τ ο υ in Rom 1,7; 1 Kor 1,3; 2 Kor 1,2; Gal 1,3; Eph 1,3; Phil 1,2; vgl. Kol 1,3; 1 Thess 1,3; 2 Thess 1,1) weisen daraufhin, dass die Bezeichnung Gottes als Vater im frühen Christentum als grundlegend bedeutsam angesehen wurde. Von ihm stammt alles her, auch die Herrschaft des Herrn Jesus Christus, und die Glaubenden sind auf ihn hin orientiert (1 Kor 8,6). Die Anrufung Gottes als Vater im Gottesdienst (Rom 8,15; Gal 4,6) weist die Glaubenden als Kinder Gottes aus, die den Geist der Kindschaft empfangen haben. In Gal 4,6 ist dieser Geist ausdrücklich als Geist des Gottessohnes charakterisiert, der die Glaubenden aus der Knechtschaft zur Sohnschaft befreit. Dass Paulus in Gal 4 im Zusammenhang des Gebetsrufes rechtliche Überlegungen zu υΙοθεσία und κληρονομιά anfugt, lässt erkennen, dass hier der Erfahrungsbereich von Rechtsbeziehungen genutzt wird, um der unanschaulichen Gottesbeziehungen einen Erfahrungshorizont zu öffnen. Und mit der Akklamation im Gottesdienst wird die Kindschaft zugleich als Gemeinschaftsruf konturiert und gewinnt damit einen in der Gemeinschaft der Glaubenden erfahrbaren Ort. Auf diese Weise wird die Metapher ,Kind Gottes' im Erfahrungsbereich derer, die sie verwenden, verortet.44

6. Auswirkungen Metaphorische und titulare Aussagen ergänzen sich in ihren Eigenheiten. Metaphern lassen einen neuen Blick auf die Wirklichkeit zu, indem sie zunächst Unvereinbares verknüpfen und durch diese Inkompatibilität einen neuen Blick ermöglichen. Dadurch gewinnen Metaphern ihre Kreativität. Sie öffnen einen Verstehenshorizont, der Spielraum für eigene Erfahrung lässt und nicht auf einen Wissensbestand eingrenzt. Die klare Definition ist dagegen ihre Sache nicht. Wenn sie, wie im Falle des .Sohnes Gottes', titulare Funktion übernehmen, gewinnen sie größere Präzision. Mit dieser Hoheitsbezeichnung machen die frühen Christen den Versuch, die Bedeutung Jesu begrifflich zu verdichten. In der Klärung des eigenen Glaubens und in seiner Vermittlung sind begriffliche Verdichtungen unumgänglich. Insbesondere ist Klärung dort notwendig, wo überlieferte Traditionen auf andere kulturelle Verstehensvoraussetzungen stoßen.

44 Sie verweist - im Sinne Wittgensteins — deutlich auf eine Lebensform bzw. auf ein Sprachspiel, d.h. auf sprachliche Äußerungen in bestimmten Zusammenhängen, die von nichtsprachlichen Handlungen begleitet oder auf diese bezogen sind; vgl. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp TB 14, Frankfurt 1971, Nr. 19. 23 u. ö.

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Auf der anderen Seite verliert die Metapher in diesem Prozess an kreativer Kraft, zum Teil bis dahin, dass die titulare Verwendung mit dem Erfahrungsbereich der Metapher in Konflikt gerät. Gleichwohl wäre es nicht angebracht, metaphorische Kreativität und begriffliche Präzision gegeneinander auszuspielen. Begriffliche Klarheit kann die Offenheit der Metapher nicht ersetzen, wo nur grenzüberschreitende Aussagen möglich sind, metaphorische Offenheit kann aber auch die begriffliche Klarheit nicht ersetzen, wo sie zur Verständigung notwendig ist. Das Verstehensangebot der Metapher und die komprimierte Aussage einer Bezeichnung gehören in verschiedene Kommunikationszusammenhänge hinein. Nicht alles, was zu sagen ist, lässt sich im Diskurs sagen, nicht alles in Lob oder Gebet. Der Übergang von der Anrede Gottes als Vater im Gebet Jesu hin zur Bezeichnung Jesu als ,Sohn' und ,Sohn Gottes' lässt sich als Übergang zwischen impliziter und expliziter Christologie verstehen. Die Vateranrede stellt eine Fülle von Bildern, Assoziationen und Erfahrungen zur Verfugung, die im Einzelnen nicht aktualisiert werden und im Gebet nicht einmal auf Präzisierung drängen. Dass derjenige, der sich an Gott als ,den Vater' wendet, als ,Sohn' zu verstehen ist, ruft außerhalb des Gebets Präzisierungen jedoch hervor und ebnet damit den Weg zu Aussagen über ,den Sohn' und ,den Sohn Gottes'. 45 Die Sohnesaussage war für die Explikation besonders geeignet, weil sie von einem konkreten und vielfältig ausdifferenzierten Erfahrungsbereich ausgehend unter verschiedenen religiös-kulturellen Voraussetzungen unterschiedliche Konnotationen mit sich bringen konnte und sich dadurch als in verschiedene Richtungen deutbar erwies.

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Für das gegenwärtige Verstehen Jesu als ,Sohn Gottes' können die im Neuen Testament erkennbaren Übergänge von der Metapher zum Begriff eine wichtige Funktion gewinnen. Während im hellenistisch geprägten Umfeld des Neuen Testaments die Vorstellung des Gottessohnes als hilfreiche Vermittlung zum Verständnis der Bedeutung Jesu diente (mit der Konsequenz einer in den ersten christlichen Jahrhunderten notwendigerweise daraus entstehenden christologischen und trinitätstheologischen Dogmenbildung), erweist sich diese Vorstellung unter aktuellen Verstehensbedingungen vielfach als hinderlich. Zwar lässt sich im modernen Mythos beispielsweise das Wesen von .Superman' durchaus in die menschliche Existenz von Clark Kent und die übernatürliche von Kal-El

45 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten des Übergangs von impliziter zu expliziter Christologie Theißen/Merz, Jesus, 453-454. 46 Vgl. hierzu auch Marinus De Jonge, Christologie im Kontext. Die Jesusrezeption des Urchristentums, Neukirchen-Vluyn 1995,159f.

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vom Planeten Krypton47 — wenn auch ungetrennt und unvermischt — aufteilen; aber das trinitarische Dogma, zu dem der Begriff des Gottessohnes einen wesentlichen Anstoß gab, erschließt sich vielen Zeitgenossen heute dennoch nur schwer. Hier kann die Erkenntnis des metaphorischen Gehaltes und Sinnüberschusses der Sohnesaussage eine Brücke zum Verstehen bilden, die die Aussage als Begriff oder Titel verstanden nicht in gleicher Weise herzustellen vermag. Und im interreligiösen Dialog, insbesondere mit dem Islam, ist die Erkenntnis des metaphorischen Gehaltes der Sohnesaussage möglicherweise in der Lage, unnötige Verstehensbarrieren aus dem Weg zu räumen.

47 Unter http://www.dcfanpage.de/who_is_who/superman.php kann einschlägiger massenkultureller Nachholbedarf gedeckt werden.

Ruben Zimmermarin „Du wirst noch Größeres sehen ..." (Joh 1,50) Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium — Eine Skizze*

Jesus wird im Johannesevangelium buchstäblich ins Bild gesetzt. Mehr noch als in allen anderen Traditionszweigen der Jesusüberlieferung werden im vierten Evangelium bildliche Sprachformen verwendet, um Jesus darzustellen und zu deuten. Im Folgenden sind zunächst formal-ästhetische Aspekte dieser ChristusBildlichkeit zu untersuchen (1.). Die einzelnen Christusbilder lassen sich im Blick auf das gesamte Evangelium zu einem Christusmosaik zusammensetzen, das dann auch n^eptions-ästhetisch wahrgenommen werden kann. (2.)

1. Die Vielfalt der Christusbilder Erst langsam beginnt sich die Erforschung der johanneischen Bildrede aus dem Schatten der synoptischen Gleichnisexegese herauszulösen. Dabei wird sichtbar, dass offenbar die durch die frühere Formgeschichte gewonnenen Kategorien der synoptischen Bildrede wie Gleichnis, Parabel und Beispielerzählung1 für die Bildersprache des vierten Evangeliums nicht greifen. Während in der früheren Johannes-Forschung nur unspezifisch von „Bildreden" gesprochen oder allgemein der Rätselcharakter joh Sprache konstatiert wurde2, liegen inzwischen erste

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Vgl. umfassend meine Studie Ruben Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, Diss, hábil. München 2003 (erscheint in WUNT, Tübingen 2004). Vgl. diese Klassifikation mit epochaler Wirkung besonders bei Adolf Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, Tübingen 2. Aufl. 1910, Bd. 1, 25-118; zuletzt Kurt Eilemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen 1999, 75-85. So etwa Oscar Cullmann, Der joharaieische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke als Schlüssel zum Verständnis des 4. Evangeliums, ThZ 4 (1948), 360-372, neuerdings Saeed

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Monografien vor, die die Bildlichkeit joh Sprache in den Kategorien der Metapher3 oder des Symbols4 beschreiben. Ohne den Wert dieser Arbeiten bestreiten zu wollen, kann doch keine dieser methodischen Annäherungen den Anspruch erheben, die Christusbildlichkeit des vierten Evangeliums vollständig zu erfassen. Zur Beschreibung der vielfältigen Formen, in denen im JohEv ,bildlich' über Christus gesprochen wird, scheint mir eher eine flexible Methodik angemessen, bei der je nach Bildphänomen verschiedene Bildertheorien herangezogen werden. 5

1.1. Formen der Christusbildlichkeit (Mikroebene) Die auffälligste und sicherlich bekannteste Form der joh Bilderchristologie ist mit den Ich-bin-Worten6 gegeben, bei denen sich der joh Jesus selbst mit bestimmten Gegenstandsbereichen wie Licht, Brot, Hirte, Weinstock etc. identifiziert. Linguistisch betrachtet werden dabei Sat^metaphern der Form „A ist B" gebildet, wobei gilt, dass die mit der Kopula verbundenen Bereiche A und Β in einem semantischen Widerspruch stehen: Der Mensch Jesus ist keine hölzerne Tür, aber die Aussage Jesu: „Ich bin die Tür der Schafe" (Joh 10,7) kann als Metapher auf einer höheren Ebene sinnvoll gedeutet werden. In anderen Texten erfolgt die syntaktische Verknüpfung von „Jesus" mit einem bestimmten Gegenstandsbereich nicht so direkt, wird jedoch im Kontext sichtbar7, wie z.B. im Wort vom Weizenkorn: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht" (Joh 12,24).

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Hamid-Khani, Revelation and concealment of Christ a theological inquiry into the elusive of language of the Fourth Gospel, WUNT 11/120, Tübingen 2000 (msbes. Chapter 2: John's enigmatic Language, 33-123). Jan G. van der Watt, The Family of the King. Dynamics of metaphor in the Gospel according to John, BIS 47, Leiden 2000. Craig Koester, Symbolism in the Fourth GospeL Meaning, Mystery, Community, Minneapolis 1995. Vgl. dazu die ausfuhrliche Begründung in Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT 11/122, Tübingen 2 0 0 1 , 4 7 . Vgl. dazu Hartwig Thyen, Ich bin das Licht der Welt. Das Ich- und Ich-Bin-Sagen Jesu im Johannesevangelium, J A C 35 (1992), 19-46; Ders., Art. Ich-bin-Worte, RAC 1 7 (1996), 147213; Christian Cebulj, Ich bin es. Studien zur Identitätsbildung im Johannesevangelium, SBB 44, Stuttgart 2000. Insbesondere die Vertreter der „Interaktionstheorie" haben herausgearbeitet, dass die Metapher nie in einem einzigen Wort bestehen kann, sondern immer schon einen Text umfasst, der entsprechend ausgeweitet werden kann. VgJ. zur Syntax der Metapher Ruben Zimmermann, Metapherntheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, ThZ 56 (2000), 108-133, hier: 119-121.

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Diese einfache Bauernweisheit wird im Kontext von Joh 12 eindeutig auf Jesu Tod und Verherrlichung bezogen, so dass Jesus metaphorisch mit dem Weizenkorn identifiziert werden darf. Während bei Tür und Weizenkorn die metaphorische Verknüpfung eher unkonventionell ist, d.h. frische oder lebendige Metaphern gebildet werden, stellt der Evangelist seine Christusbilder vielfach auch bewusst in die Bildfeld- und Symboltradition Israels. Diese symbolische Cbristusbildlichkeit zeigt sich etwa bei der Anknüpfung an die geprägten jüdischen Sprachtraditionen vom Hirten, Weinstock oder Tempel, oder an ,archetypische' Grundsymbole wie Licht und Wasser, die für die gesamte Antike maßgeblich waren.8 Auch wenn hier keine impertinente Prädikation im engeren metaphorischen Sinn erfolgt, wird Jesus in einer bestimmten, von der Sprachgemeinschaft gekannten Symbolsprache bildhaft präsentiert. Die Pointe besteht jedoch darin, dass die geprägten symbolischen Codes nun zum Deuteschlüssel fur Jesu Person werden: So überbietet Jesus z.B. in Joh 7,37 mit der Einladung zum Lebenswasser nicht nur die Wasserspende auf dem Laubhüttenfest (mSukk 4,1-10 9 ), er erfüllt auch die Verheißung der Ausgießung endzeitlicher Paradiesströme (Ez 47,1-10; Sach 14,8)10. Otto Schwankl spricht folgerichtig von einer „Christologisierung der Symbole"11. Darüber hinaus zeigen selbst die in der christologischen Forschung als ,Hoheitstitel' bekannten Jesus-Prädikate bildliche Aspekte. Viele dieser Titel lassen sich auf bildhafte Attribute zurückfuhren, die durch den stereotypen Gebrauch in der Sprachgemeinschaft erst zu .Titeln', d.h. zu geprägten Deutekonzepten bzw. - linguistisch betrachtet - zu lexikalisierten Metaphern verfestigt wurden (so etwa der Gesalbte > Messias; Hausherr > Kyrios). Johannes ist nun in seinem Gebrauch dieser Titel besonders daran gelegen, den hinter einem Titel stehenden ursprünglichen Sinngehalt eines Würdenamens wieder ins Bewusstsein der Leser zu rufen. Durch sprachliche Kunstgriffe wie z.B. dem absoluten Gebrauch des Sohn-Titels, durch Parodien (der Kyrios-Hausherr wird in der Fußwaschung zum Diener, vgl. Joh 13) oder narrative Inszenierungen (wie z.B. die Salbung des Messias durch Maria in Joh 12,3), sowie durch Einbettung in metaphorische Netzwerke (z.B. Familien- oder Sendungsmetaphorik12) gelingt

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Vgl. zum Licht etwa Otto Schwankl, Licht und Finsternis. Ein metaphorisches Paradigma in den johanneischen Schriften, HBS 5, Freiburg i. Br. u.a. 1995, 38-73. 9 Vgl. dazu die Zusammenfassung bei Christian Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes, ZBK 4, Zürich 2001,2. Bd., 224f. 10 Vgl zur Wassersymbolik in Joh 7 Larry P. Jones, The Symbol of Water in the Gospel of John, JSNT.S 145, Sheffield 1997,148-160; Wai-yee Ng, Water Symbolism in John. An Eschatological Interpretation, Frankfurt a. M. - New York u. a. 2001, 58-86. 11 Vgl. Schwankl, Licht und Finsternis, 364ff. 12 Zur Familienmetaphorik als übergeordnetes Netzwerk vgl. insbesondere van der Watt, Family of the King.

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es dem Evangelisten, den Bildgehalt der Titel wieder transparent zu machen. Titel werden als Bilder aufgefasst, so dass es m.E. gerechtfertigt erscheint, von einer titularen Christusbildlichkeit zu sprechen. Ferner verdanken wir der literarisch-narrativen Johannesforschung 13 die Einsicht, dass Jesus auch als Erzähl- oder Dramenfigur (character) bildhaft inszeniert wird. Ein besonderes Gestaltungsmittel dieser narrativ-bildlicben Christologie kann dabei im „narrativen Rollentausch"14 gesehen werden. In Begegnungsszenen mit anderen Menschen werden bestimmte Rollen und Funktionen durch das narrative Setting auf Jesus übertragen. So erfüllt Jesus z.B. in Joh 2,1-11 durch die Weingabe die Rolle des Bräutigams, wird im Gespräch mit Nikodemus, einem anerkannten „Lehrer in Israel" (Joh 3,10) als der „von Gott gekommene Lehrer" (Joh 3,2) bezeichnet oder erweist sich im Verhör durch Pilatus als der wahre Richter und König (Joh 18; 19). Schließlich weiß der Evangelist auch die konventionalisierte Bildlichkeit der Alltagssprache für seine Christologie nutzbar zu machen. Jenseits des Symbolrepertoires der Tradition oder der innovativen Sprachkreativität poetischer Metaphern ist auch die Alltagssprache in der Weise bildlich konzeptualisiert, dass komplexe und schwer zugängliche Sachverhalte durch die Übertragung von konkreten und elementaren Erfahrungen kognitiv strukturiert und sprachlich artikuliert werden, wie George Lakoff und Mark Johnson im Rahmen der holistischen Semantik beschrieben haben.15 Joh nutzt diese Metaphernpßichtlichkeit der Alltagssprache, um göttliche Wirklichkeit zu beschreiben. Dazu ein Beispiel: Das elementare Metaphernkonzept „oben ist gut" (von Johnson als Skalen-Schema bezeichnet16), das auf der menschlichen Grunderfahrung von ,oben — unten' basiert, wird dann als theologisches Konzept „oben ist Heil" zu einem sprachlichen Orientierungsprinzip. So kommt es nicht nur zu Formulierungen wie z.B. „Geburt von oben" (Joh 3,3), Jesus wird konsequent dem oberen Bereich zugeordnet, er ist „von oben" (Joh 8,21.23), bleibt „über allen" (Joh 3,31), selbst im Akt äußerster menschlicher Erniedrigung, der Kreuzigung, wird er „erhöht". Das letzte Beispiel zeigt die Funktion dieser metaphorischen Konzeptualisierung: Indem sogar Jesu Sterben als „Erhöhung" bezeichnet wird (Joh 3,14; 8,28;

13 Wegweisend hier etwa R Alan Culpepper, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, Philadelphia 1983, 102-106, hier: 105f.: „we are dealing with Jesus as he is portrayed in the story, not with the historical person." 14 Vgl. Klaus Scholtissek, Ironie und Rollenwechsel im Johannesevangelium, ZNW 89 (1998), 235-255, wieder ders., In ihm sein und bleiben. Die Sprache der Immanenz in den johanneischen Schriften, HBS 21, Freibuig i. Br. u.a. 2000. 15 Vgl. George Lakoff/Mark Johnson, Metaphors we Live by, Chicago 1980 (dt. Übers: Leben in Metaphern, Heidelberg 2. Aufl. 2000); femer Mark Johnson, The Body in Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago - London 1987. 16 Vgl. Johnson, Body in Mind, 121.

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12,32-34), soll der Leser seine eigene validierende Erfahrung von „oben — unten" zur Bewertung des Kreuzesgeschehens einbringen. Selbst und gerade im Kreuz liegt nach Joh Heil.17

1.2. Verknüpfungen der Christusbilder (Makroebene) Versuchen wir, diese Vielfalt der Christusbilder des JohEv in einem größeren Zusammenhang zu sehen, sind sie keineswegs — wie einst Adolf Jülicher behauptet hatte - „ästhetisch wenig befriedigen(d)" oder gar „bunt und kraus"18, vielmehr zeigen sie eine innere Ordnung und erfüllen eine christologische Funktion. Soweit ich sehe, lassen sich drei Kompositionstechniken der joh Bilder erkennen: a) Bildvariationen; b) Bildnetze; c) Bildcluster.

1.2.1. Bildvariationen Ein Bild-Thema findet sich in unterschiedlichen Formen: Das gleiche Motiv wird transponiert, moduliert, umgekehrt und gespiegelt, gleich einer Melodie, die im Variationssatz kunstreich durchgeführt wird. So kann z.B. „Licht" in metaphorischen Wendungen vorkommen (Joh 8,12: „Ich bin das Licht der Welt"), an einigen Stellen tritt die Symboltradition deutlich hervor (z.B. Joh l,4f.: Schöpfungssymbolik19), während in der Perikope der Blindenheilung (Joh 9) eine narrative Durchführung des Themas erfolgt. Schließlich wird Licht durch ein ontologisches Metaphernkonzept versprachlicht und dadurch im wahrsten Sinne begreifiar gemacht: So wird der Licht-Logos als Gegenstand metaphorisiert, der ergriffen werden kann (Joh 1,5: καταλαμβάνω), den man haben kann 0oh 12,35.36) oder in der .Umkehrung' Finsternis als Raum, in dem man wandeln kann (Joh 12,35). Ein ähnliches Spiel mit Bildformen zeigt sich etwa auch bei der Gestaltung der „Brot-Christologie" in Joh 6: Brot wird als anthropologisches Grundsymbol der Lebenserhaltung angesprochen und zugleich stellt der Evangelist seine Κε-

ι 7 Vgl. dazu umfassend Jörg Frey, Die .theologia crucifixi' des Johannesevangeliums, in: Andreas Dettwiler/Jean Zumstein (Hg.), Kieuzestheologie im Neuen Testament, Tübingen 2002, 169-238, hier: 228f. Der Rückgriff auf traditionelle Motive, wie etwa die Erhöhung der Schlange nach Num 21,4-9 (vgl. Joh 3,14) oder des Gottesknechts nach Jes 52,13 (vgj. Jes 53,8bLXX) muss dadurch nicht ausgeschlossen werden. 18 Vg}. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu, 115, 201f., 264. 19 Vgl. dazu Schwankl, Licht und Finsternis, 84ff.

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flexionen bewusst in die Symboltradition Israels (z.B. Manna in Joh 6,31 ff.)20. Ferner findet sich das Bild in der narrativen Umsetzung als Speisungswundererzählung (Joh 6,5-15) und schließlich zeigen sich auch linguistisch verifizierbare metaphorische Wendungen, deren Metaphernkern in der Jesus-Brot-Zuordnung zu sehen ist, wie sie sich etwa im „Ich-bin-Wort" (Joh 6,35) manifestiert.

1.2.2. Bildnetze Durch die formale Variation einzelner Bilder entstehen aufs ganze Evangelium gesehen Bildnet^e aus wiederkehrenden Metaphern und Motiven21. Dabei kann ein Bild in einer Rede entfaltet werden (Weinstock Joh 15,1-β22) oder in Variationen zum Thema eines Kapitels werden (Brot/Speisung in Joh 6). Andere Bilder verknüpfen größere Abschnitte (Bräutigam innerhalb des Kana-Teils Joh 24; Licht innerhalb des ersten Teils Joh 1-1223), während einige Christusbilder sogar das Gesamtwerk wie rote Fäden durchziehen (Gesandter; Sohn etc.). Die Vernetzung der Bilder erfolgt zum Teil sogar jenseits der narrativen Erzählstruktur des Evangeliums. Offenbar sollen einzelne Bilder in ihrer Gesamtgestalt wahrgenommen werden, wobei die visuelle Logik der Simultaneität Vorrang vor der diskursiven Logik der Linearität gewinnt. Ähnlich wie ein materiales Bild unterschiedliche Aspekte gleichzeitig dem Betrachter darbietet, könnte die Konstruktion der Christusbilder als simultanes Neben- und Ineinander der unterschiedlichen Bildteile aufgefasst werden. Versucht man, diese Simultaneität des Textbildes mit sprachwissenschafdichen Kategorien zu erfassen, bieten sich am ehesten die der holistischen kognitiven Semantik an, die auf dem .Gestalt'Begriff der Berliner Schule aufbaut24. Grundannahme der Gestaltpsychologie ist das Postulat, dass komplexe Sachverhalte als Ganzheit und nicht in Form verschiedener Einzelaspekte wahrgenommen werden. Dies wird am klassischen

20 Vgl. Michael Theobald, Schriftzitate im .Lebensbrot'-Dialog Jesu (Joh 6). Ein Paradigma für den Schriftgebrauch des vierten Evangeliums, in: Christopher M. Tuckert (Hg.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 327-366. 21 Diese Bildnetze beschränken sich nicht auf die Christologie des vierten Evangeliums, sind im Blick auf das Jesusbild allerdings verdichtet wahrzunehmen. Übergeordnete Bildbereiche sind etwa Familie und Hausgemeinschaft, Hirtenleben, Landwirtschaft (Ernte, Sämann, Weinstock etc.), Grundnahrungsmittel (Brot, Fisch, Wein); vgl. dazu van der Watt, Family of the King. 22 In der Forschung werden gewöhnlich als joh „Bildreden" die Brotrede (Joh 6,30-59), die Lichtrede (Joh 8,12-20) sowie die Hirtenrede (Joh 10,1-18) unterschieden. 23 Vgl. zu den einzelnen Stellen Joh 1,4-5; 3,19-21; 8,12; 9,4f.; 11,9-10; 12,35f.; 12,46 die Analysen bei Schwankl, Licht und Finsternis, 80-329. 24 Die Gestaltpsychologie wurde durch Christian v. Ehrenfels (1890) angeregt und von Max Wertheimer (1967) begründet, bevor sie von Köhler, Koflka und Lewin zu einem System ausgebaut wurde.

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Beispiel einer „Melodie" evident. Obwohl die Melodie aus verschiedenen Einzeltönen zusammengesetzt ist, bildet sie eine selbstständige Größe und wird als Ganzheit wahrgenommen. Im JohEv kann etwa das Christusbild des ,Gesandten' als ein derartiges gestalthaftes Metaphernnetz aufgefasst werden, dessen innere Kohärenz erst im Ganzen wahrgenommen werden kann25: Schon formal hebt sich die Gesandtenmetapher von den anderen Christusprädikationen dadurch ab, dass sie sich fast ausschließlich als Verbal-Konstruktion manifestiert.26 Ferner zeigt sie, dass sich ein Christusbild nicht auf einen Begriff reduzieren lässt, denn die Sendung wird durch zwei unterschiedliche, synonym eingesetzte Verben ( π έ μ π ε ι ν und αποστέλλει.!/) 27 zum Ausdruck gebracht und muss auch noch die Rede vom Kommen Jesu bzw. seiner Rückkehr (mit ερχομαι/έξέρχομαι) einschließen. Vor allem sind jedoch die inhaltlichen Einzelaspekte und -motive der Sendung nirgends in einer „Sendungsrede" oder „Gesandtenreflexion" zusammengebracht, sondern begegnen an unterschiedlichen Stellen des Evangeliums. Erst der Leser/die Leserin vermag die bei ihrer Nennung weder zeitlich noch logisch aufeinander aufbauenden28 Sendungsaussagen gleich einem Mosaik zu einem Gesamtbild zusammenzufügen: Retrospektiv und im Blick auf das ganze Evangelium zeigt sich dann die idealtypische Ereignisfolge von „Beauftragung — Vorbereitung - Kommen in die Welt - Ausfuhren des Auftrags - Rückkehr und Berichterstattung an den Sendenden."29 Netzcharakter gewinnen die Verbindungen der Bilder aber vor allem auch in der Verknüpfung zu übergeordneten Bildbereichen sowie in der Verzweigung einzelner Bildbereiche untereinander: So lassen sich z.B. die Hirten- und die Lamm-Metaphern zum übergeordneten Bereich der Schafhaltung zusammenfas25 Ein anderes Beispiel wäre etwa die Tempel-Christologie, deten Konturen nur im Zusammenwirken verschiedener Einzelteile wahrgenommen werden können. Vgl. Johanna Rahner, Er aber sprach vom Tempel seines Leibes. Jesus von Nazaret als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium, BBB 117, Bodenheim 1998. 26 Nur in Joh 13,16 begegnet im Vergleich das Substantiv α π ό σ τ ο λ ο ? . 27 Vgl. dazu Andreas J. Koestenbeiger, The two Johannine verbs for sending: A study of John's use of words with reference to general linguistic theory, in: Stanley E. Porter/Donald A. Carson (Hg.), Linguistics and the New Testament. Critical junctures, JSNT.S 168, Sheffield 1999,125-143. 28 Um nur zwei Beispiele zu nennen: In Joh 3,16 wird von der Sendung berichtet, während erst in Joh 5,18-23 die Vorbereitung auf die Sendung erwähnt wird. Joh 7,33 spricht bereits von der Rückkehr, obwohl der Auftrag noch längst nicht ausgeführt ist. 29 Vgl. die Auflistung van der Watt, Family of the King, 297-300 mit der Zuordnung entsprechender (hier nur in Auswahl wiedergegebener) Belegstellen: a) Prerequisite for the mission (1,18); b) different locations (3,31); c) the sender briefs and trains the agent (5,18-23); d) mission and purpose (12,49); e) authorization of the Son (3,35; 13,3); f) Sending the Son (3,16; 10,36); g) mode of coming (1,14); h) fullfilment of mission (7,8; 8,19; 19,30); i) the agent receives similar honour as the Sender (5,23.43f.); j) returning to the original location after completing the task (7,33; 8,21 [bei van der Watt jedoch 3,14; 8,28]); k) the report of the Agent to the one who has sent him (chap. 17); 1) results of his mission (17,6-8; 14,1-3).

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sen, der zusammen mit Weizenkorn- und Weinsstocksmetapher dem Gesamtbereich landwirtschaftlicher Bilder zuzurechnen ist. Innerhalb des Bildbereichs der Familie30 können die Kyrios-Prädikation (als Hausherr), Sohn- und Geburtsmetaphern unterschieden werden, wobei die Übergänge zwischen einzelnen Bereichen oft fließend sind (z.B. μονογενής als Geburts- und Sohnbild).

1.2.3. Bildcluster Neben der Variation und Vernetzung gleicher Bilder liegt ein weiteres Kompositionsprinzip darin, dass unterschiedliche Bilder ineinandergeschoben und übereinandergelagert werden.31 Die Anhäufung verschiedener Aussagenbereiche, die etwa bei Bekenntnissen mit titularen Hoheitsaussagen längst anerkannt wird32, findet sich auch im Bereich der bildlichen Christologie. Eine solche Zusammenballung ganz unterschiedlicher Christusprädikate zeigt sich bereits im Prolog (Logos, Licht, Leben, Fleisch u.a.), im Nathanael-Bekenntnis (Sohn Gottes/König) oder in narrativen Bildern (Joh 4: Bräutigam, Wasser, Prophet, Messias, Retter33). Anerkennt man dieses Kompositionsprinzip, dann müssen z.B. die unserer Primärlogik widersprechenden Aussagen in Joh 10, nach denen Jesus sowohl mit der Tür zu den Schafen (Joh 10,7-10) als auch mit dem Hirten (Joh 10,11-18) identifiziert wird, nicht länger literarkritisch ausgemerzt werden, sondern können als sich wechselseitig interpretierende Zusammenballung verschiedener Metaphern betrachtet werden. Als signifikantes Beispiel dieser Clusterbildung möchte ich auf die Vermischung von Sohn- und Gesandtenchristologie hinweisen. Während die diachrone Frage nach dem traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Sohn-Titel und

30 Vgl. hier auch die instruktiven Systematisierungen von van der Watt, der unter dem Leitbild der Familie zunächst die Teilbildbereiche des physischen Lebens (Geburt, Lebenserhaltung, Licht) und des sozialen Lebens (Erziehung, Kommunikation/Sendung, Liebe) subsumiert. Die disparate Auflistung im dritten Abschnitt bei van der Watt (Family of the King, 360ff.) zeigt, dass der „Familien-Bereich" zwar ein zentrales, jedoch nicht das einzige übergeordnete Bildnetz darstellt. 31 Der Begriff .Cluster' wird hierbei nicht im strengen sprachwissenschaftlichen Sinn verwendet, wonach ein Cluster morphologisch-phonetisch als Folge ungleicher Konsonanten oder semantisch als ungeordnete Menge von Bedeutungsmerkmalen definiert ist, vgl. etwa die Definition in Winfried Ulrich, Wörterbuch: Linguistische Grundbegriffe, 5., völlig neubearb. Aufl. Berlin Stuttgart 2002, 55 zum Stichwort Cluster „Bei Weinreich Häufung, ungeordnete Menge semantischer Merkmale (im Unterschied zur geordneten Konfiguration)." 32 Vgl. etwa Martha in Joh 11,27: Christus, Sohn Gottes, der in die Welt Kommende; Thomas in Joh 20,28: Mein Herr und mein Gott, vgl. Joh 20,31: Christus, Sohn Gottes. 33 Vgl. zur metaphorischen Netzstruktur von Joh 4 ausführlich Mirjam und Ruben Zimmermann, Brautwerbung in Samarien. Von der moralischen zur metaphorischen Interpretation von Joh 4, Z N T 2 (1998), 40-51.

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Sendungsaussagen kaum zu befriedigenden Ergebnissen führte34, kann man in synchron-metaphorischer Perspektive in der Verknüpfung beider Bereiche ein bewusstes Gestaltungsmittel des Evangelisten erkennen. Der Sendende wird mehrfach explizit mit Gott identifiziert (Joh 3,17.34; 6,29; 8,42; 17,3, vgl. 1 Joh 4,9f.35), häufiger noch wird „der Vater" Subjekt der Sendung genannt (Joh 5,23.36f.38; 6,44.57; 8,16.18; 10,36; 11,42; 12,49; 14,24; 17,8.18.21.23.25; 20,21 36 ). Die Formulierungen „der mich sendende Vater" (ό πέμψας με πατήρ) oder „du hast mich gesandt" (σύ με απέστειλα?) im Gebet an den Vater (Joh 17), machen zugleich deutlich, dass der Gesandte der Sohn sein muss, wie es explizit in Joh 3,17 und 5,23 ausgesagt wird. Joh 17,3 proklamiert schließlich, dass Jesus Christus der Gesandte ist (öv απέστειλα? ΊησοΟν Χριστόν). Sendungsmetaphorik und Familienmetaphorik werden zu einem Gesamtbild verwoben. Der Sendende ist gerade der Vater, während der Gesandte mit dem Sohn identifiziert werden kann. Die Vertrautheit zwischen Vater und Sohn findet im wechselseitigen Sich-Kennen von Sendendem und seinem Botschafter seine Entsprechung, die Vorbereitung des Gesandten entspricht der Erziehung des Sohnes, die Vollmacht des Gesandten erwächst aus der Rechtsgleichheit von Vater und Sohn etc.37 So ergeben sich folgende metaphorische Zuordnungen: Gott

Vater = Sendender

Jesus

Sohn = Gesandter

34 Einige Autoren gehen von einer Priorität des Sendungsgedankens aus (z.B. Juan P. Miranda, Der Vater, der mich gesandt hat. Religionsgeschichtliche Untersuchungen zu den johanneischen Sendungsformeln, Bern 2. Aufl. 1976, 38), andere betrachten die Vater-SohnChristologie als maßgeblich, die die Sendungschristologie „ihren letzten Sinn" vedeiht. (z.B. Karl Heinz Rengstorf, Art. αποστέλλω, ThWNT I [1933], 397-406, hier 405). Vgl. dazu Rudolf Schnackenburg, Der Vater, der mich gesandt hat. Zur johanneischen Christologie, in: Gliers Breytenbach/Henning Paulsen (Hg.), Anfange der Christologie, FS Ferdinand Hahn, Göttingen 1991, 275-291. Schnackenburg sieht ein Zusammenwachsen zweier Traditionslinien „bei Joh zu einer vielseitigen und facettenreichen Christologie" (ebd. 291). 35 In Joh 6,29 und 8,42 steht beim Partizip έκεΐνο?, das sich jedoch im unmittelbaren Kontext auf Gott beziehen lässt, in Joh 17,3 erscheint die Sendungsaussage in 2. Pers. Sg., wobei Gott unmittelbar angesprochen ist (dich, den allein wahren Gott,...). 36 In Joh 11,42 sowie 17,8.18.21.23.25 ist wiederum in 2. Pers. Sg. formuliert, wobei sich das ,Du' im Gebet Jesu direkt auf den zuvor expressis verbis angesprochenen Vater bezieht (so z.B. Joh 11,41). Ebenso verweist das εκείνος in Joh 5,38 auf den Vater in V 37. 37 So auch van der Watt, Family of the King, 302: „These examples illustrate the interrelatedness of the familial imagery and the mission of Jesus." Ahnlich Karrer, der konsequenterweise nur noch vom „gesandten Sohn" spricht, vgl. Martin Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament, NTD.E 11, Göttingen 1998,184-212.

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Fasgt: Die christologische Funktion der Christusbilder Die bildhafte Darstellungsweise Jesu im vierten Evangelium erfüllt m. E. christologische Funktionen. Weder ein geprägter Hoheitstitel der jüdischen Tradition, noch ein Grundsymbol des menschlichen Lebens, noch die sprachkreative Kraft eines Ich-bin-Worts oder die Erzählkunst einer Jesusgeschichte können für sich allein das Christuszeugnis des vierten Evangeliums fassen. Vielmehr ist es die Vielstimmigkeit und Multidimensionalität, die der joh Christologie ihr besonderes Gepräge verleihen.38 Damit werden die christologischen Aussagen vor jeder Engführung oder einseitigen Festlegung bewahrt. Ähnlich wie sich der verbergende Jesus auf Erzählebene einem vorschnellen Zugriff entzieht39, soll jedes Missverständnis, jede falsche Vereinnahmung Jesu vermieden werden. Allerdings erfüllen die Bildhaftigkeit der Rede, sowie die Kompositionsprinzipien der Christusbilder als Variation, Vernetzung und Cluster die Funktion, den Leser und die Leserin immer wieder in die christologische Reflexion hineinzuziehen. Die verschiedenen Bilder können und sollen in ihrer Appellstruktur vom Rezipienten zu einem Christusmosaik zusammengesetzt werden, das retrospektiv, in Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk gefunden werden kann. Christologie wird somit als „Sehvorgang" beschrieben, bei dem sich die Vielfalt der Christusbilder zwar nicht in die Einheit des Begriffs, wohl aber in die Einheit des Blicks zusammenfassen lässt.40

38 So auch Koester, Symbolism, 42: „The evangelist presents all the aspects of Jesus ' identity (...): Jesus was a man, but not only a man; he was a prophet and Messiah, but not only prophet and Messiah; he was divine, but not only divine. Even at the end of the Gospel, the evangplist stated that he wanted readers to believe that the man Jesus is also the Christ and the divine Son of God (20:31). Each facet has its own integrity. " 39 Vgl. etwa Joh 8,59; 12,36; zum Topos des ,sich-verbeigenden Jesus' Mark W. G. Stibbe, The elusive Christ. A New Reading of the Fourth Gospel, JSNT 44 (1991), 20-39. 40 Vgl. Einzelheiten zu diesem .christologischen Sehen' in Ruben Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma. Zum Ansatz einer wirk ungs ästhetischen Christologie des Neuen Testaments, in: Ulrich H. J. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen-Vluyn 2002,153-188, hier: 176-183.

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2. Das Mosaik der Christusbilder Doch wie ist diese Christologie der Bilder zu verstehen? Wie lässt sich das imaginierte Christusmosaik beschreiben, oder - mit Wittgenstein gesprochen -„als was" oder „als wer" soll Jesus im Ganzen gesehen werden?41

2.1. Die mer Dimensionen des Christusbildes Statt der einlinigen Begrenzung einer comprehensio logea sind es wiederum unterschiedliche Perspektiven, die uns die comprehensio aesthetica des Blicks zu erkennen gibt, so dass ich vier Dimensionen des joh Christusbildes unterscheiden möchte:

2.1.1. Spiegelbild (anthropologische Dimension) Wenn Jesus „als Brot", „als Weinstock" oder „als Hirte" gesehen wird, dann lassen die Leser vor ihrem inneren Auge ein Christusbild erwachsen, das eng mit ihrem eigenen Erfahrungshorizont verknüpft ist. Was ein Brot, eine Tür oder ein Weg ist, war (und ist) den Menschen aus der täglichen Anschauung und Lebenspraxis wohl bewusst. Drängt die textliche Metapher nun dazu das Bild „Jesus als Brot des Lebens" zu imaginieren, vollzieht sich ein produktives Sinngeschehen, das die christologische Reflexion unmittelbar an die Lebenswelt der Menschen bindet. Christologie ist dabei nicht ein Vorgang passiver Dekodierung, sondern ein gegenwartsbezogenes Sinngeschehen. Jesus wird zum Spiegelbild eigener Erfahrungswelten und gerade so können die Christusbilder den Menschen etwas zu verstehen geben, was sie selbst betrifft, was sie unmittelbar angeht.

2.1.2. Erinnerungsbild (geschichtliche Dimension) Doch das Jesusbild geht nicht in der Aneignung der Leser auf. Der Evangelist wie auch der Verfasser des 1 Joh — präsentieren ihr Christusbild bewusst als Augenzeugen (Joh 21,24; 1 Joh 1,1). Das JohEv erzählt die konkrete Geschichte 41

Im Rahmen seiner Überlegungen zum „Sehen" im 11. Abschnitt der philosophischen Untersuchungen hat Wittgenstein die Kategorie des „sehen als" in die sprachphilosophische Debatte eingebracht (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1984, 518-577), die z.B. von Paul Ricoeur, Die lebendige Metapher, Übergänge 12, München 2. Aufl. 1991,192-208 metaphemtheoretisch fruchtbar gemacht wurde.

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des Jesus von Nazareth. Entsprechend werden die Christusbilder auf Erzählebene etwa durch Rückbindung der Bilder an Zeichenhandlungen eng in situative Lebenszusammenhänge Jesu eingebunden. So geht der Bräutigam-Metapher in Joh 3,29 die Teilnahme Jesu auf einer konkreten Hochzeit (Joh 2,1-11) voraus, das Brot-Wort (Joh 6,35) wird im Kontext des Speisungswunders erzählt, während die bildliche Identifikation Jesu mit der Auferstehung (Joh 11,25) durch die Auferweckung des Lazarus konkretisiert wird, um nur einige Beispiele zu nennen. Die (in Raum und Zeit) erfahrbaren Handlungen des Menschen Jesus werden ins Bild gesetzt und lenken den Blick damit auf die Tiefendimension des geschichdichen Handelns Jesu. Christusbilder sind in dieser Weise Erinnerungsbilder, indem sie die Jesusgeschichte bildlich verdichtet wiedergeben. Da Bilder jedoch die Vergangenheit vor dem inneren Auge des Lesers erneut Wirklichkeit werden lassen, d.h. lebendig vor Augen fuhren, was einmal vor Augen war, erfüllt sich in ihnen in besonderer Weise das, was Franz Mußner die ,johanneische Sehweise' genannt hat42: Bilder zielen — wie das Evangelium überhaupt - auf eine vergegenwärtigende Erinnerung an Jesu Leben und Handeln. Im Christusbild verschmelzen die Zeithorizonte, indem es weder einseitig als Reproduktion geschichtlicher Ereignisse noch als reines Produkt des Sehakts der Gemeinde missverstanden werden darf.43

2.1.3. Abbild (theologische Dimension) Wenn Jesus über sein empirisches Menschsein hinaus ,als Christus' gesehen wird, wird dieses Bild zugleich durchsichtig für das hinter ihm stehende Urbild. Das Christusbild wird zum Abbild des Vaters. Der Evangelist selbst reflektiert diese — im engeren Sinn - theobgische Dimension der Christusbilder an verschiedenen Stellen, indem er Jesus sagen lässt: „Wer mich sieht, sieht den Vater" (Joh 14,9; vgl. 12,45). Im Erkennen Jesu ereignet sich gleichsam das Erkennen des Vaters. Dies gilt aber nicht nur auf der Ebene textinterner Kommunikation, sondern bleibt —wie nicht zuletzt das dynamisch-durative Perfekt der zitierten Stelle44 zum Ausdruck bringt — auch für die joh Gemeinde und den heutigen Leser gültig. Was die Leser nach dem Weggang Jesu konkret vor Augen haben, ist jedoch der Text und konkret das aus den Bildern des Textes imaginierbare 42 Franz Mußner, Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus, QD 28, Freiburg i. Br. 1965. 43 So auch Mußner, Die johanneische Sehweise, 24: „Der johanneische Christus ist nicht das Produkt des Sehakts der Gemeinde." (Hervorhebung F. M.). 44 Das Perfekt beschreibt einen Vorgang, der bis in die Gegenwart hinein fortdauert, so auch Jörg Frey, Die johanneische Eschatologie III, WUNT 117, Tübingen 2000, 156 Anm. 176; zum Gebrauch des Perfekt vgl. ders., Die johanneische Eschatologie II, WUNT 110, Tübingen 1998,96ff., zum Verbalaspekt 103.

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Christusbild. Die Abbildfunktion des Christusbildes wird dabei auf unterschiedliche Weise umgesetzt, sei es, dass einzelne relationale Bilder das Urbild bereits inhärent in sich tragen (Sohn; Gesandter), sei es, dass geprägte Gottesprädikate und -bilder der Tradition auf Jesus übertragen werden (z.B. der Hirte bzw. Herdenbesitzer in Joh 1045), sei es, dass im narrativen Jesusbild Gottes Handeln durchscheint oder sei es, dass Jesus unmittelbar in den Bereich Gottes hineingestellt wird (Joh 1,1-13). Wer in Jesus das Urbild erkennt, der kann — wie Thomas in Joh 20,28 beim Auferstandenen — Jesus sogar expressis verbis ,Gott' nennen. So erfüllt sich die Ankündigung des Prologs, dass das im Evangelium vermittelte Christusbild letztlich den sichtbar macht, den niemand zuvor gesehen hat Qoh 1,18).

2.1.4. Vorbild (eschatologisch-ekklesiologische Dimension) So sehr die Christusbilder in dieser Weise eine erschließende Funktion erfüllen, sichtbar machen können, was keine Auge zuvor gesehen hat, lassen sie sich in ihrer Appellstruktur doch nicht auf die reine Illustration allgemeiner Wahrheiten verengen. Das in Christus sichtbar gewordene Heil transzendiert die Gegenwart der Gläubigen, zieht sie selbst in die christologische Reflexion hinein. Dies wird im Bereich der Christusbilder so umgesetzt, dass einzelne Jesus-Metaphern nun auf die Gläubigen übertragen werden können: Jesus der gute Hirte beauftragt Petrus in Joh 21,15-17 zum Hirtenamt, der Gesandte sendet seine Jünger 0oh 17,18; 20,21), der Leib der Gläubigen wird selbst zur Quelle des lebendigen Wassers werden (Joh 4,14) usw46. Die Christusbilder werden auf diese Weise zu Vorbildern eines Lebens im Glauben.47

45 Vgl. dazu Ruben Zimmermann, Jesus im Bild Gottes. Zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums am Beispiel der Hirtenmetapher in Joh 10, in: Jöig Frey/Udo Schnelle (Hg.), Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT, Tübingen 2003 (im Erscheinen). 46 Im Horizont dieser Übertragung von Christustiteln bzw. Bildern kann man auch die Anrede κυρίςι im 2 Joh 1,1 als Ableitung aus dem KÚpios-Titel in neuem Licht verstehen. Vgl. dazu Martin Hengel, Die „auserwählte Herrin", die „Braut", die „Mutter" und die „Gottesstadt", in: La Cité de Dieu. Die Stadt Gottes, hg. v. ders./Siegfried Mittmann/Anna Maria Schwemer, WUNT 129, Tübingen 2000, 245-286. 47 Auch wenn Jesus seine Gottesbezogenheit für seine Jünger öffnet, bleibt deren Gottesbeziehung eine vermittelte. Die Gläubigen sind nicht in gleicher Weise Hirte, Sohn, Gesandte wie Jesus, was an feinsinnigen Differenzierungen sichtbar wird. So ist zwar Jesus (wie Gott in der Tradition) Herdenbesitzer (Joh 10,14.27), Petrus soll allerdings die Schafe Jesu weiden (Joh 21,15-17: Weide meine Schafe!) und wird nicht auch Herdeneigentümer.

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anthropologische

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ekklesiologische

2.2. Die Sohn-Metaphorik als Beispiel Abschließend möchte ich die hier nur grob skizzierten vier Dimensionen des Christusbildes an einem Beispiel vertiefen und wähle dazu die „Sohn-Metapher" als die bei weitem dominierende Jesusbezeichnung der joh Sprachtradition.48 Bereits der nur für Joh typische absolute Gebrauch des Sohnes49 und mehr noch die spezifische Verwendungsweise des Sohn-Prädikats machen deutlich, dass hier keine stereotype Reproduktion etwa des „Sohn-Gottes-Titels" vorliegt, sondern Joh ganz bewusst den Sohn-Begriff metaphorisch einsetzt, um die bildlichen Dimensionen ins Bewusstsein zu rufen. 2.2.1. Spiegelbild: Der Sohn als Familienmetapher Familienbeziehungen zählen, wie Lévi-Strauss gezeigt hat50, zu den elementarsten Strukturen des Menschen, ganz unabhängig von Kulturen und Zeiten. In48 Van der Watt, The Family of the King, 419: „Son is by far the most frequent way in which the Gospel speaks of Jesus." 49 So z.B. Joh 3,36; 6,40; 8,35, vgl. dazu auch Eduard Schweizer, Art. υ ι ό ? κτλ., D. Neues Testament, ThWNT 8 (1969), 364-395, hier: 387-390. 50 Claude Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt a. M. 1993 (orig. Les structures élémentaires de la parenté, Paris 1949); vgl. ders., Strukturale Anthro-

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dem bei J o h gerade die biologisch-generische (der Sohn geht aus dem Vater hervor) bzw. die sozial-relationale (der Sohn steht in Beziehung zum Vater) Dimension des Sohnseins — weit mehr als es traditionelle Prägungen des Sohntitels vorgeben — in den Mittelpunkt gerückt wird, ruft der Evangelist bewusst die Erfahrungswelt seiner Leser ab. Als Beispiel möchte ich auf den Motivkreis der Erziehung des Sohnes durch den Vater hinweisen: Der Sohn redet (Joh 8,38) und tut (Joh 5,19-24), was er bei seinem Vater sieht. Verdichtet dann in Joh 8,28: „(...) wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich" (καθώς· έ δ ί δ α ξ έ ν με π α τ ή ρ τ α ϋ τ α Χαλώ). Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Familienrealität sollen sie Christus als Sohn begreifen.

2.2.2. Erinnerungsbild: Der Sohn Josefs und seiner Mutter In auffälliger Weise wird im J o h E v jedoch zunächst die leibliche Sohnschaft Jesu thematisiert, indem Jesus als Sohn Josefs und seiner Mutter präsentiert wird. In J o h 1,45 und 6,42 wird Jesus explizit als Sohn Josefs ( Ί η σ ο υ ς ό υ ι ό ς Ι ω σ ή φ ) ausgewiesen. In J o h 6,42 wird ferner die Mutter Jesu erwähnt, die in Joh 2,1-11 und Joh 19,25-27, d.h. in zwei Erzählungen, die den Rahmen der öffentlichen Wirksamkeit Jesu bilden, als handelnde Person eigens gewichtet wird.51 Dass ein Eigenname der Mutter Jesu im Gegensatz zur synoptischen Tradition 52 im J o h E v nicht genannt wird, unterstreicht, dass sie vor allem in ihrer Funktion als Mutter hervorgehoben werden soll.53 Doch bereits die distanzierende Entgegnungjesu in Joh 2 54 , mehr noch die Szene unter dem Kreuz (Joh 19,25-27) machen deutlich, wo die Grenzen dieser erinnerten leiblichen Sohnschaft liegen. In der Zueignung des Lieblingsjüngers an Jesu Mutter liegt nicht nur ein Akt der Fürsorge, vielmehr wird aufgezeigt, dass Jesus nicht mehr weiterhin ihr Sohn bleiben kann. Dies liegt vordergründig in seinem T o d begründet, mit diesem verschieben sich aber gleichsam die Bezüge: der Sohn der Mutter wird in seiner

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pologie, übers, v. Hans Naumann, Frankfurt a. M. 6. Aufl. 1997, 46-94; 366ff. (orig. Anthropologie structurale, Paris 1958). Vgl. zur Mutter Jesu im JohEv André Feuillet, L'heure de la femme (Jn 16,21) et l'heure de la Mère de Jésus (Jn 19,25-27), Bib 47 (1966), 169-184.361-380.557-573; Judith Lieu, The mother of the Son in the Fourth Gospel, J B L 117 (1998), 61-77; Peter Dschulnigg, Jesus begegnen. Personen und ihre Bedeutung im Johannesevangelium, Theologie 30, Münster 2000, 90-105. Hier ist der Eigenname .Maria' breit bezeugt, etwa Mk 6,3; Mt 1,16.18.20; Lk 1,27.30.34 u.v.a. Mit Dschulnigg, Jesus begegnen, 90: „... in ihrer Funktion als Mutter Jesu vorgestellt.", ferner ebd. 104. Vgl. Joh 2,1-5; insbesondere V. 4: τί έμοί καΐ σοί, γυναί; (Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau?), so auch Dschulnigg, Jesus begegnen, 93.

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Erhöhung am Kreuz nun vollends als ,Sohn Gottes' bzw. als ,Sohn des Menschen' (Joh 3,14; 8,28; 12,34) ausgewiesen.

2.2.3. Abbild: Der Sohn des Vaters Nach antiker Abstammungslehre ist der Sohn eine Einheit mit dem Vater.55 Diese Vorstellung wird im JohEv explizit im Vorwurf der Juden in Joh 5,18 aufgenommen: Indem Jesus Gott seinen Vater nenne, mache er sich Gott gleich.54 Auch die Ähnlichkeits- (Joh 14,9) und Einheitsaussagen (Joh 10,30) Jesu können m.E. im Horizont der metaphorisch verstandenen Sohnschaft erhellt werden. Denn Jesu Sohnschaft wird explizit genetisch ausgeführt, wie der Begriff „Einziggezeugter" (δ μονογενής - Joh l,14d.l8b; 3,16.18) nahe legt, der in Joh 1,14; 3,16.18 mit dem Sohn-Titel verknüpft wird. Das hier zu Grund liegende Verb γίνομαι ist etymologisch eng mit γεννάω verbunden57, das sonst im JohEv ausschließlich im Blick auf leibliche Geburt und Abstammung verwendet wird.58 Auch in Joh 18,37 wird das Geboren- bzw. Gezeugtsein Jesu gleichwertig mit seinem Kommen als Voraussetzung seines Dienstes (für die Wahrheit) genannt.5' Adele Reinhartz hat sogar vermutet, dass die in hellenistisch-römischer Zeit maßgebliche biologische Abstammungslehre, die sich aus der exrιγένεσις des Aristoteles entwickelt hat, in das JohEv hineingewirkt hat.60

55 Vgl. ζ. B. Franz Josef Stendebach, Art. Sohn, NBL 3 (2001), 624f. In der ägyptischen Kamutó/^ Konstellation erscheint der Sohn sogar als Wiedelverkörperung des Vaters bzw. eines „überindividuellen genealogischen Prinzips, das beiden gemeinsam ist." Joachim Kügler, Der Sohn als Abbild des Vaters. Kulturgeschichtliche Notizen zu Sir 30,4-6, BN 107/08 (2001), 78-92, hier 82. ^ 56 Joh 5,18: δια τ ο ύ τ ο o w μάλλον ε ζ ή τ ο υ ν α ύ τ ό ν οι*Ιουδαίοι ά π ο κ τ ε ΐ ν α ι , ότι (...) π α τ έ ρ α ί δ ι ο ν Ι λ ε γ ε ν τ ο ν θεόν ί σ ο ν ε α υ τ ό ν ποιών τω θεω. „Darum suchten die Juden noch viel mehr, ihn zu töten, weil er (...) sagte, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich." Ganz ähnlich die Argumentation in Joh 10, wo Jesus mit Hinweis auf die Sohnschaft (Joh 10,36) den Blasphemie-Vorwurf seiner Gegner (Joh 10,33) bestätigt. Vgl. auch die Vorstellung in 1 Joh 3,9: Das Wesen des Vaters bleibt im Samen erhalten. 57 So etwa auch John V. Dahms, The johannine Use of monogenes reconsidered, NTS 29 (1983), 222-223, hier: 222: „The root gen seems to be closely related to genn, the root of gennao, ,to bring forth by birth', so that the idea of derivation, even if not by birth, may well be present." 58 So z.B. Joh 3,4; 8,41; 9,2.19.20.32.43; 16,21; 18,37. 59 Joh 18,37: έγώ e î ç τοίιτο γ ε γ έ ν ν η μ α ι και e i s τ ο ύ τ ο ελήλυθα e i s τ ο ν κόσμον, Ινα μαρτυρήσω τ ή αληθείς. „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, um fur die Wahrheit zu zeugen." 60 Vgl. Adele Reinhartz, „And the Word Was Begotten": Divine Epigénesis in the Gospel of John, in: dies. (Hg.), God the Father in the Gospel of John, Semeia 85, Atlanta 1999, 83104; vgl. dies. Vorwort, 3-5:,Johannine usage (of the father metaphor) draws on Aristotle's theory of epigénesis, which dominated the Greco-Roman understanding of the process of

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Zentrale Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang J o h 1,18, weil dort der Einziggezeugte zugleich Geós genannt wird61 und sogar in mütterlicher Metaphorik aus dem Schoß (κόλπο?) des Vaters hervorgeht. Dass das Geos-Prädikat hier genetisch eingeführt wird, sollte gegenüber der späteren chalcedonensischen Lesart beachtet werden, wird auf diese Weise doch die metaphorische Dimension einer familiären Identifikation von Vater und Sohn hervorgehoben, während die spätere dogmatische Tradition die ontologische Personalunion betont. D e r einzig vom Vater Gezeugte trägt die Wesensmerkmale, ja sogar das Lebens des Vaters in sich (Joh 5,26). Im Bild des Sohnes wird Jesus zum Abbild des Vaters.

2.2.4. Vorbild: Glaubende als .Söhne' Auch wenn das Sohnsein Jesu in seiner Sonderstellung hervorgehoben wird, bleibt doch die Vater-Sohn-Beziehung nicht exzeptionell auf Gott und Jesus beschränkt. Durch seine Sohnbeziehung eröffnet Jesus den Glaubenden gleichsam eine ähnlich intime Beziehung zu Gott. In der ersten Abschiedsrede kündigt Jesu seinen Jüngern an, sie in die Hausgemeinschaft mit dem Vater aufzunehmen (Joh 14,lf.); im so genannten ,hohepriesterlichen Gebet' bittet Jesus sogar darum, die Jünger in die Einheit mit seinem Vater hineinzunehmen (Joh 17,21). Wie Jesus Sohn Gottes ist, können die Glaubenden nun selbst zu Söhnen und Kindern Gottes werden (τέκνα bzw. τεκνία 9eo0), wie es programmatisch bereits im Prolog verheißen wird: όσοι δε ελαβον αυτόν, εδωκεν αύτοίζ έξουσίαν τέκνα θεού γενέσθαι, τοΊς πιστεύουσιν εις το όνομα αύτοΰ. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben. (Joh 1,12)

Die metaphorische Verflüssigung der Titel ermöglichte es, christologische Hoheitsprädikate aus dem Bereich der Exklusivität herauszuführen und zu Deutekonzepten bzw. Lebenshilfen der joh Christen und anderer Rezipienten zu machen.

generation. (...) The language of biological generation shapes Johannine theological discourse, including christology as well as soteriologe" 61 Früher hatte man nach den Handschriften A C3 u.a. μονογενής υιός gelesen. Die starke äußere Bezung (Ρ66 Χ* Β C*) ist jedoch zugleich lectio dificilior, so dass an der Lesart μονογενής θεός kein Zweifel besteht.

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Schluss: Das christologische Kunstwerk des J o h E v macht es dem Betrachter nicht leicht. Die Vielfalt der Christusbilder erinnert bisweilen an eine Escher-Grafik 62 , die Perspektiven und Horizonte des Betrachters bewusst in Frage stellt, visuellen Missverständnissen gleich, um seinen Blick doch gleichsam auf das Wesentliche zu lenken. Auch wenn jedes Teilbild seinen Eigenwert oder diachron betrachtet seine eigene Geschichte besitzt, schafft die Zusammenfugung der Einzelbilder zu einem Gesamtkunstwerk ein Neues, das mehr ist als die Summe der einzelnen Teile.63 Die einzelnen christologischen Metaphern bilden auf diese Weise eine Bildstruktur zweiter Ordnung, die spätere Prozesse einer christologischen Metaphorizität64 präfiguriert. Dieses Christus-Mosaik in seinen verschiedenen Dimensionen zu erkennen, ist der in unterschiedlichen Varianten vorgetragene Appell an den Leser und die Leserin 0oh 6,40), der programmatisch bereits bei der Berufung der ersten Jünger formuliert wird: Komm und sieh\ (Joh 1,46). Die betrachtenden Leser werden auf diese Weise „unmittelbar in die Christologie der Bilder hineingezogen. Sie sollen und können in Jesus „Größeres sehen" (Joh 1,50), sogar die Herrlichkeit des Logos schauen (Joh 1,14). Christologie wird somit zum Sehvorgang. 65 Dass dieses christologische Erkennen bzw. im Blick auf das Thema des Bandes formuliert: diese metaphorische Einsicht keineswegs selbstverständlich gelingt, weiß bereits der Evangelist (Joh l,10f.), denn — um es in den Worten Blumenbergs zu sagen —: Das Sehen ist nicht jederzeit für alles Sichtbare offen; Phänomene müssen für möglich gehalten werden, ehe man sie sehen kann.

62 Vgl. dazu Bruno Ernst, Der Zauberspiegel des M. C. Escher, Köln 1994. 63 Ganz ähnlich Tuckett bezüglich des Gebrauchs unterschiedlicher Hoheitstitel durch Joh, wobei er intuitiv den Bildbegriff (picture) heranzieht: „All this (...) illustrates the fact that the various terms used of Jesus have different origins and hence are used to relate to different aspects of the total picture of Jesus created by the Gospel. Alternatively, we have to recognise that the final completed picture presented by John has developed out of the various constituent elements something that is very different from anything previously envisaged or (...) articulated." Christopher M. Tuckett, Christology and the New Testament. Jesus and his eadierst Followers, Edinburgh 2001,159f. 64 Z.B. der Trinitäts- oder Inkarnationstheologie, vgl. dazu den Beitrag von Buntfuß in diesem Band. 65 Vgl. zum Gesamtkomplex des Sehens im JohEv Clemens Hergenröder, Wir schauten seine Herrlichkeit. Das johanneische Sprechen vom Sehen im Horizont von Selbsterschließung Jesu und Antwort des Menschen, FzB 80, Würzbuig 1996; femer speziell zum .metaphorisch-christologischen Sehen' Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma, 176-183. 66 Hans Blumenberg, Die Vorbereitung der Neuzeit, PhR 9 (1961), 81-133, hier 115.

Martin Karrer Sprechende Bilder: Zur Christologie der Johannesapokalypse

1. Die Apk zwischen Symbol und Metapher Die Apokalypse in eine Tagung über metaphorische Christologie einzubeziehen, birgt ein hohes Risiko. Fragten wir nämlich den bedeutendsten Dichter, der sich in einem umfassenden Essay mit ihr befasste, David H. Lawrence (bei uns besser bekannt durch Lady Chatterley's Lover), würde er ihre Welt nicht metaphorisch, sondern symbolisch nennen und sie metaphernkritisch entschlüsseln. Die in der Apokalypse „enthaltenen großartigen Bilder [...] sind", schrieb er 1926, „Symbole, sie gehören einem größeren Zeitalter an als dem des Johannes von Patmos. Und als Symbole trotzen sie der oberflächlichen Bedeutung, die Johannes ihnen gab", indem er sie u.a. metaphorisierte. „Man kann", erläuterte Lawrence, „einem großen Symbol keine .Bedeutung' geben, nicht mehr, als man einer Katze eine ,Bedeutung' geben kann. Symbole sind organische Einheiten des Bewußtseins, mit einem eigenen Leben." 1 Die Menschen „erfinden" sie nicht wie „Embleme [...] oder Metaphern (!) oder Bildnisse [...]. Sie liegen in der Seele eingebettet und sind bereit, lebendig zu werden, wenn man sie anrührt. Sie werden über Jahrhunderte im menschlichen Bewußtsein weitergetragen. Und dann, wenn die Menschen unempfänglich werden und halbtot sind, dann sterben die Symbole wieder." 2 Hören wir einen Augenblick auf diesen Text. Er definiert sein Verständnis der Metapher nicht. Doch können wir es indirekt erschließen: Die Metapher verbindet zwei semantische Bereiche und ist darin — mit heutiger Theorie gesagt - „Fiktion, ein freies Spiel mit den Sinnmöglichkeiten der Sprache". Der Autor — unser Johannes — formt sie, um seine Mitteilung kognitiv erkennbar zu ma1

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David H. Lawrence, Die Apokalypse. Aus dem Englischen von Axel Monte. Mit einem Nachwort versehen von Henning Schröer, Düsseldorf 2000 (verfasst 1926, englisch veröffentlicht 1931), alle Zitate 12 (Hervorhebung Karrer). A.a.O. 14 (beide Zitate).

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chen und um auf seine Gesprächspartnerinnen und -partner (oder Leserinnen und Leser) zu wirken.' Er gibt den Bildern im Text insofern als Metaphern seine Autor-„Bedeutung". Aber wenn wir seiner dadurch entstehenden Diktion folgen, verkennen wir — behauptet Lawrence — die eigentlich notwendige Wirkung der Apk. Wir lassen uns von einem schwachen Autor leiten, der Symbole, die ihm als „anderer Leute Blitze" zukommen, durch Weltfeindschaft umprägt und damit letztlich ebenso selbstmörderisch wie erfolglos zu verdecken versucht.4 Erst wenn wir den Autor Johannes verlassen, ergreift uns die befreiende Imagination der Symbole in seinem Werk. Was sind hier umgekehrt Symbole? Die Definition hellenistischer Rhetorik taugt als (bei Lawrence nicht mehr ausgesprochener) Hintergrund. PseudoDemetrios, ein für die Apk auch sonst bemerkenswerter Rhetoriker,5 formulierte sie prägnant (und interessanterweise für die Apk passend). Das Symbol sei, legte er dar, ein zentrales Element erschreckenden, harten Stiles (der δ ε ι ν ό τ η ς ; peri hermeneias 240). Es gehöre (was sich in der jüngeren Symbolgeschichte verlor) in eine Rhetorik, die durch Verhängnisse bestürzt. Zu bestimmen sei es dabei näherhin dadurch, dass es zweierlei zusammenwirft (συμβάλλει). 6 Im Text erscheint lediglich die eine, für die Aussage geringere Hälfte,7 was die Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer zwingt, die größere und erschreckendere Hälfte selbst zu erschließen. Demetrios wählte als Beispiel die Phrase „die Baumgrillen werden vom Boden aus für euch singen".8 Die Angeredeten ergänzen unwillkürlich „eure Bäume werden abgeschlagen" und erschrecken, weil sie kommende große, verhäng-

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Also mit kognitiver und kommunikativer Funktion. S. bes. Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfeldes in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT II 122, Tübingen 2001, 38-41 (Zitat 39). Auf Aspekte der Metapherntheorie werden wir mehrfach zurückkommen (s. bes. bei Anm. 51 und 81), verzichten aber unter Verweis auf andere Beiträge des vodiegenden Bandes und jenseits seiner breit vorhandene Zusammenfassungen (für Aspekte des Neuen Testaments 2002 z.B. in Bernd Kuschnerus, Die Gemeinde als Brief Christi. Die kommunikative Funktion der Metapher bei Paulus am Beispiel von 2 Kor 2-5, FRLANT 197, Göttingpn 2002, 21-92 und Annemarie C. Mayer, Sprache der Einheit im Epheserbrief und der Ökumene, WUNT II 150, Tübingen 2002, 92-124) auf eine ausfühdiche Bibliographie und Literaturdiskussion. S. die Linie von Lawrence, Apokalypse, 55 (Zitat) und 155f. (155 die These, die Apk habe den „Selbstmord [...] mit darauf folgender Selbstverherrlichung" gewählt). S. etwa seine Bestimmung der brieflichen und Dialog-Rhetorik (peri hermeneias 223-235) neben der brieflichen Gestaltung der Apk. Benützte Textausgabe: Démétrios, Du Style. Texte établi et traduit par Pierre Chiron, CUFr, Paris 1993 (zu den Datierungs- und Zuschreibungsproblemen XIII-XL). So die allgemeine Hedeitung, von Demetrios nicht direkt zitiert. Material bei Stephan Meier-Oeser, Art. Symbol I, HWP 10,1998,710-723. Als Brachylogie, wie Démétrios, Du Style, 243 sagt. A.a.O. 243; laut a.a.O. 99 ein Wort des Dionysios (den wir allerdings nicht näher bestimmen können).

Sprechende Bilder Zur Christologie der Johannesapokalypse

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nisvolle Schläge gegen ihr Leben assoziieren (a.a.O. 243). Noch drastischer — und für einen Dichter interessanter — könnte er sich eines Beispiels der Apk bedienen: Aus dem Mund ihres Christus ragt, lesen wir in 1,16, ein scharfes, zweischneidiges Schwert, eine ρομφαία. Das evoziert bei Kennern von Israels Schriften das Rammenschwert, mit dem Gott in Gen 3,24 (LXX) den Zugang zum Paradies verstellte, bei griechisch-römischen Hörern (und das waren die Adressaten der Apk9) außerdem das Breitschwert der bedrohlichen Thraker.10 Christus ist — bringen die Leserinnen und Leser bzw. Hörerinnen und Hörer deshalb als zweite Hälfte zum Symbol ein — gefährlich. Er vermag die Paradiesestür für immer verschlossen zu halten wie die Cherubim und anzugreifen wie die Thraker. Aber das ist — müssen wir die Theorie weiterführen — noch nicht alles. Das Bild modifiziert sich in der Anwendung.11 Der Kontext klärt, dass wir das Schwert Christi vorrangig vor dem Schwert des Kriegs oder dem Schwert der Vertreibung als Schwert des Wortes zu erfassen haben (es ist ρομφαία τοΰ στόματος; s. den Fortgang zu 2,16). Lawrence hebt das geradezu überschwänglich hervor. Gegen den Jesus der Klage von Gethsemane, des Wortes „Meine Seele ist betrübt", tritt so - schreibt er - „der große Prachtvolle" mit der ,,mächtige(n) Waffe des Logos" an, die „die Welt befallen (und am Ende zerstören) wird." 12 Unschwer erkennen wir die Liebe des Dichters zum Wort. Für ihn bildet das schneidende und dadurch die Welt verändernde (nicht bei der Klage stehen bleibende) Wort einen Höhepunkt der Christologie, weil er selber der Kraft des Wortes vertraut und in dieser Kraft die Vollmacht zu notwendigen Zerstörungen falschen Lebens findet. Gewiss vereinseitigt er die Apk, indes von einem ihr wesentlichen Zug aus. Denn ihr fehlt tatsächlich eine Metapher des Klagechristus. Ihr Jesus schlägt Wunden und heilt Tränen,13 er vergießt sie nicht selber (gegen Joh 11,35 und Hebr 5,7). Und wenn Lawrence dies in sozialreformerischem Willen überzieht, wird keine der heutigen Bild-Theorien ihn grundsätzlich kritisieren. Bilder sind — so die Theorie und ihre gegenwärtigen Anwendun-

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S. die Adresse 1,4 usw. (die Asia, in der die dort genannten Gemeinden liegen, war griechisch geprägt und verstand sich als durch Rom sehr gefördert). Vgl. bes. Plutarch, Aem. 18, aber auch Apk 6,8. Ein wesentlicher Zug fiir alle Bilder in der Apk: s. Heinz Giesen, Symbole und mythische Aussagen in der Johannesapokalypse und ihre theologische Bedeutung, in: Karl Kertelge (Hg.), Metaphorik und Mythos im Neuen Testament, QD 126, Freiburg i. Br. u.a. 1990, 255-277 (255). Lawrence, Apokalypse, 48 (alle Zitate). S. 7,17; 21,4; beide Stellen sind von der Christologie aus an Gott zurück gebunden.

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gen auf die Apk - polyvalent und geben der Leserschaft Freiraum.14 Die Leserschaft darf das Symbol, für Lawrence die Tiefenschicht in der Christologie der Apk, für ihre Zeit und ihr Leben ausziehen. Was allerdings geschieht, wenn wir uns durch Lawrence leiten lassen, im Fortgang der Apk, dort, wo der Autor (der Johannes von 1,9) dem Schwert Bedeutung gibt, wie das laut Lawrence die Metapher kennzeichnet? Das Schwert verlässt dann das Wort, um Krieg zu führen (beginnend schon 2,16; ausgeführt 19,15.21). Unvereinbares vereint sich (wie oft in der Metapher), und das Wort vernichtet alles, was sich einer weltkritischen Moral entgegenstellt. Es entblößt nicht nur mit scharfem rhetorischem Schnitt das falsche Herz der Welt. Es personifiziert sich und schneidet, erfahren wir, in kühnem Hieb alle ihre reifen Trauben ab und wirft sie in die Kelter, auf dass der Wort-Christus sie zerstampfe und zertrete (19,15).15 Die Mächte der Erde (ihre Könige, wie Apk 19,19 sagt) bluten auf diese Weise wortwörtlich aus. Das Schwert vernichtet sie, und die Vögel des Himmels fressen sich satt an ihrem Fleisch (19,17.21 nach Ez 39,17-20).16 Aasvögel mögen sich daran freuen. Der Mensch indessen und namendich der Dichter — so Lawrence — verliert das Interesse.17 Mag er dem Johannes der Apk noch zugute schreiben, dass er „kein sehr tiefgründiger Mensch war", sein Christusverständnis einer unversöhnlichen Feindschaft zum Kosmos und seine Wirkung bei den „wahren Christen" kann er nur verwerfen.18 Fazit: das starke Symbol des WortSchwertes verwandelt sich unter dem Zugriff des Autors zur schwachen und in einem merkwürdigen Gegengewicht der Schwäche zur blutigen Metapher.

2. Spannungen von Tradition und Theologie Dieser Zugang David H. Lawrence's berücksichtigt die große Forschungstradition, die in der Apk eine Fülle alter, aber eben deswegen von Johannes aufgegriffener, nicht poetisch selbst geschaffener Bilder entdeckt. Lawrence studierte 14 Vgl. paradigmatisch Elisabeth Schüssler Fiorenza, Das Buch der Offenbarung. Vision einer gerechten Welt, Stuttgart u.a. 1994, 46-52 und Gregory Stevenson, Power and Place. Temple and Identity in the Book of Revelation, BZNW 107, Berlin 2001, 6-10 (9 Zusammenfassung des „apocalyptic symbolism as open, multivalent and multilayered"). 15 Die Kunstgeschichte entschärfte dieses Gerichtsbild (vgl. Jes 63,3) allmählich zum sog. Kelterchristus (z.B. in Ansbach, St. Gumbertus). 16 Zur Interpretation neben den Kommentaren Svene Bee, Gog and Magog. Ezekiel 38-39 as Pre-text for Revelation 19,17-21 and 20,7-10, WUNT II 135, Tübingen 2001, 246-254 u.ö. 17 S. Lawrence, Apokalypse, 144-147. 18 A.a.O., 66 (beide Zitate) und Fortgang.

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dazu Wilhelm Boussets bis heute grundlegenden Kommentar. 1 5 Das inzwischen vielfach bereicherte Material bestätigt die Traditionsgebundenheit der Apk. 2 W i r können mithin nicht leugnen: Das poetisch-kreative Potential unseres A u tors Johannes ist, w e n n wir es an einem Maßstab der Originalität bemessen, begrenzt. Die K r a f t seines Werkes bekundet sich literarisch weniger durch p o e tische Neuschöpfungen als durch das Gespür für bereit liegende Bilder, Symbole und Sprachmotive und an ihrer Einbindung in eine eigene expressive Sprachgestaltung. 21 Dass ein Großteil der aktuellen Literaturkritik das Gewicht nicht mehr auf die Poesie im klassischen Verständnis (mit ihrer Suche nach Originalität) legt und gelegentlich ganz neue Versuche eines Zugangs zur A p k unternimmt, 2 2 schwächt nicht die Beobachtung, sondern lediglich das Verdikt in der literarischen Beurteilung ab. Mit der literarischen Analyse verwebt Lawrence ein zweites, und wieder bestimmt es die Wahrnehmung der A p k weit über ihn hinaus: E r schlägt Brücken zu den sozialkritischen Lektüren, die das 19. Jh. (mit einem prägnanten kritischen Ausläufer in Friedrich Engels) 23 und das 20. Jh. liebten, 24 und zu den tiefenpsychologischen Deutungen, die im letzten Jahrhundert an der A p k wie an keiner anderen biblischen Schrift erwuchsen. E r hat guten G r u n d dafür. D e n n Symbole beziehen, wie er im seinerzeitigen Stand der Symbolforschung artiku-

19 Wilhelm Bousset, Die Offenbarung Johannis, KEK 16, Göttingen 6.Aufl. 1906 (Nachdruck 1966). S. Henning Schröer im Nachwort zu Lawrence, Apokalypse, 176. 20 Für die Nachweise s. die Kommentare bis David E. Aune, Revelation, Bd. A: 1-5; Bd. Β: 616; Bd. C: 17-22, WBC 52 Α-C, Dallas, Texas 1997/1998/1998 und als Übersicht z.B. Peter Trümmer, Einige Aspekte zur Bildersprache der Johannesapokalypse, in: Kertelge, Metaphorik, 278-290 (281f.). 21 Eine Ubersicht zur Diskussion über die visionär-expressive Sprache bei Harald Ulland, Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes. Das Verhältnis der sieben Sendschreiben zu Apokalypse 12-13, TANZ 21, Tübingen/Basel 1997, 2-15. Jacques EUul, Apokalypse. Die Offenbarung des Johannes — Enthüllung der Wirklichkeit, Neukirchen 1981 (frz. 1975), bes. 3-27 entdeckt eine Sprachgestalt stri generis, die, weil es um eine Darstellung des Endes gehe, nicht in den Sprachmöglichkeiten der Zeiten vor dem Ende aufgehe. Sein Interpretationsansatz verfolgt damit nicht mehr einzelne Motive, sondern widmet sich der Gesamtkomposition. 22 Beachtenswert ist der Versuch zu einer Neubewertung nach Kriterien phantastischer Literatur — erstellt durch Tzvetan Todorov, Einführung in die fantastische Literatur, Literatur als Kunst, München 1972 (frz. 1970), bes. 25-39 - in Verbindung mit Sigmund Freuds psychoanalytischer Traumdeutung als Verdrängung bei Erhard Güttgemanns, Die Semiotik des Traums in apokalyptischen Texten am Beispiel von Apokalypse Johannis 1, LingBibl 59, 1987, 7-54 (vgl. grundlegend ders., Fragmenta semiotico-hermeneutica. Eine Texthermeneutik fur den Umgang mit der Hl. Schrift, FThL 9, Bonn 1983, 313-340). 23 Friedrich Engels, Das Buch der Offenbarung (1883), in: Karl Marx/ders., Werke 21, Berlin 1962, 9-15. 24 Aus dem Widerstand gegen Hitler nenne ich die Flugblätter der Weißen Rose (bes. Flugblatt 4 in Inge Scholl, Die Weiße Rose, Frankfurt a. M. [1950] 1990, 112), aus jüngerer Zeit exemplarisch Ernesto Cardenal, Apokalypse, in: ders., Gebet für Marilyn Monroe und andere Gedichte, Wuppertal 1972, 114-119; Alan Boesak, Schreibe dem Engel Südafrikas. Trost und Protest in der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 1988.

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liert, ihre Kraft daraus, dass ihre je größere, unausgesprochene Hälfte die organische Tiefe unseres Bewusstseins (und Unbewussten) anspricht. Die Freigabe des Werks an seine Leserinnen und Leser, die wir gerade ansprachen, ist deshalb nicht zuletzt eine Freigabe an ihre soziale und mehr noch an ihre psychische Prägung, an ihre Empfindungen und Reaktionen. Das inkludiert, dass die Apk durch ihre Bildersprache die Ratio durchbricht. Schon ein Bild, das als Symbol oder freie (noch nicht kritisch verengte) Metapher gesetzt wird, ist mehr als rational, und die Apk verbreitert die über die Ratio hinaus schießende Dynamik noch durch eine große Reihe stilistischer Mittel. Sie liebt den Kontrast — etwa zwischen dem Jubel der Braut Christi und dem Pfuhl des Gerichts25 - , die immer neue Wendung von Bildern — in den Wiederholungen der Siebenerreihen usw.26 — und Überraschungen im Erzählgefalle. Skizzieren wir die Überraschungen an noch einem Beispiel und setzen dafür wieder am Anfang ein, dort, wo die Apk die Weichen für die Lesehaltung stellt. 1,7 lenkt — noch vor der beschriebenen Wort-Schwert-Symbolik — den Blick darauf, Christus komme „mit den Wolken" (μετά τ ω ν νεφελών). Schatten und Dunkel umgeben Christus in diesem Bild und evozieren die Klage. Alle werden um ihn, den vom Tod Durchbohrten, klagen, expliziert der Vers.27 In Kap. 14 dagegen wendet sich das Bild. Christus thront wie ein Herrscher „auf der Wolke" (έπι τ η ν ν ε φ ε λ ή ν V 14), und die Wolke ist weiß (λευκή). Sie evoziert, befreit von den Schatten der Trauer, den makellosen Teppich vor dem Thron eines Herrschers (und dessen leuchtende Person).28 Was aber tut der Herrscher, Christus, nun? Das Gefalle wiederholt sich, das wir beim Schwert des Wortes sahen: Er sendet eine Sichel auf die Erde, um deren Trauben zu ernten und sie in die Kelter von Gottes Zorn zu werfen (14,1416).29 Erschreckende Macht löst die Düsternis der Klage aus Kap. 1 ab. Oder gibt sie nicht sogar schon der Klage ein neues Gesicht? Sind wir nach Kap. 14

25 S. das Nebeneinander von Apk 19,7 und 20,14f., von Apk 21,9 und 21,8. 26 Wobei hier irrelevant ist, ob diese Siebenerreihen von Kap. 6 bis 16 Motive rekapitulieren oder fortfuhren (worüber die Exegese seit alters und wieder seit Günther Bomkamm, Die Komposition der apokalyptischen Visionen in der Offenbarung Johannis, in: ders., Studien zur Antike und Urchristentum. Gesammelte Aufsätze II, BEvTh 28, München 1959, 204222 streitet). 27 Für die Erschließung der Bildlichkeit können wir dabei die komplizierte Schriftiezeption der Stelle zurückstellen (vielleicht, aber zweifelhaft, nach einem Testimonium, das Dan 7,13 Θ, Sach 12,10ff. und Gen 1 2 3 kombiniert; dazu Martin Karier, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort, FRLANT 140, Göttingen 1986,121-125). 28 Vgl. λ ε υ κ ό ? in der Skizze des Throns 20,11 und der Erscheinung Christi 1,14. 29 Die Farbe Weiß wird daraufhin zum Kontrast des Blutes in Kap. 19: „weißes" Pferd und „weiße" Kleidung der Himmelsheere umgeben das blutgetränkte Gewand in 19,13.

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noch sicher, dass die Klage in 1,7 dem toten, durchbohrten Christus gilt und nicht bereits den Schrei und die Minderung30 derer vorzeichnet, die die Sichel Christi auf sich herab schweben sehen? Überschauen wir das, konstituiert die Freigabe der Einzelbilder an das Gefalle der Erzählung — literaturtheoretisch gesagt: die „narrative Symbolisierung"31 — im Verbund mit den Einzelszenen (und vielleicht sogar noch mehr als letztere) die Ambivalenz der Apk, die David H. Lawrence und vielen Leserinnen und Lesern vor ihm wie nach ihm zu schaffen macht. Für Martin Luther, der den Bildern der Apk pointiert die „klaren und dürren wortte[n]" der Apostel zur christologischen Berichtigung entgegensetzte,32 interessierte sich Lawrence dabei weniger. Die Tiefenpsychologie stand ihm näher, doch auch sie entwickelt häufiger kritische als positive Deutungsmöglichkeiten. Die Christusschilderung gipfelt — um die wichtigsten Beispiele nach Lawrence zu nennen — bei Carl Gustav Jung in der heiligen Hochzeit (vgl. bes. Apk 19,1-10), die er für die Apk als eschatologisch-himmlische Versöhnung der Gegensätze im Menschen versteht.33 Eugen Drewermann wendet die Ambivalenz dessen ins Positive. Bei ihm löst die Apk die menschliche Weltangst, indem sie den Weg nachzeichnet, auf dem der Mensch aus Angst und Fremdbestimmung heraus zu selbst und zu seinem Ursprung zurückfindet.34 Hartmut Raguse, der wichtigste Kritiker der letzten Jahre, knüpft dagegen (intensiv durch Freud und Melanie Klein angeregt) wieder an klassische psychologische Distanz an. Laut ihm zerbirst die Apk in ein schizophrenes Chaos. Der Christus des Lichts findet keinen Ausgleich zum analen See von Apk 20, der brennt und stinkt wie Schwefei.35 Wir brauchen uns bei Einzelheiten nicht aufzuhalten.36 Wenn wir den Impulsen Lawrence's folgen, erklärt die Wucht der Symbole die positive Rezeption,

30 Totenklage, in unserem Fall (1,7) das Schlagen an die Brust (κόπτειν), ist in der Antike immer Selbstminderung als Reaktion auf (durch den Tod) erfahrene Minderung. 31 Begriff nach Schüssler Fiorenza, Offenbarung, 47. 32 Luther in der berühmten Vorrede auf die Apk, WA.DB VII 404. 33 Carl G. Jung, Antwort auf Hiob, Olten/Freibuig i. Br. 6. Aufl. 1978,98-100. 34 Eugen Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese II. Die Wahrheit der Werke und der Worte. Wunder, Visionen, Weissagungen, Apokalypse, Geschichte, Gleichnis, Ölten/ Freiburg i. Br. 1985,541-591 (589f.). 35 Hartmut Raguse, Psychoanalyse und biblische Interpretation. Eine Auseinandersetzung mit Eugen Drewermanns Auslegung der Johannes-Apokalypse, Stuttgart u.a. 1993, bes. 206209. Lawrence verortete den Apk-Autor nach A. Adler zwischen Überlegenheitsanspruch und Minderwertigkeitskomplex (Apokalypse, 46). 36 Ohne dass damit eine Kritik an den Ansätzen versagt wäre: s. für den Autor Martin Karrer, Weltangst und „Verengung der Seele". Zur neueren Diskussion um die Aneignung der Apokalypse, NELKB 45,1990,431-433 sowie ders., Psychoanalyse und Auslegung. Erwägungen nach der Studie Hartmut Raguses über Psychoanalyse und biblische Interpretation, EvTh 54, 1994, 467-476. Kritische Antwort darauf wieder durch Ekkehard W. Stegemann, Aspekte psychoanalytischer Auslegung der Johannesoffenbarung, EvTh 54,1994,452-466.

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die Schwäche des Autors in Theologie und Metaphorisierung sowie der narrative Abfall in der zweiten Hälfte des Werks (vor der Lawrence wenig interessierenden, ekklesiologisch großartigen Schlussvision)37 die Unmöglichkeit, sich als kritischer Leser wirklich mit den Symbolen der Apk zu identifizieren.

3. Eigenbewegung der Christologie und Metapherntheorie Um Johannes kein Unrecht zu tun, ist auch in Lawrence's Spuren38 eine wesentliche Beobachtung zu ergänzen: Johannes wahrt in der Christologie die Grenzen zur Allegorie39 und zum Emblem (dem Bild mit Unterschrift), und das, obwohl er Eins-zu-eins-Deutungen in anderen Bereichen der Darstellung kennt und gerne benützt. Signifikant begegnet uns dieses Phänomen gleich in der Eröffnungsvision (1,10-20). Wir gewahren dort eine hohe Gestalt in goldstrahlender Bekleidung und in überschäumendem Licht mit vielen Einzelheiten (entfaltet durch stilistische Mittel von der Personifizierung einer Stimme bis zum Vergleich) und identifizieren sie als Jesus.40 Doch der Text deutet die christologischen Einzelheiten nicht, ja nennt nicht einmal den Namen Jesus.41 Er bietet uns keine explizite Identifikation, sondern begnügt sich mit einer spezifischen Kombination der Motive, um die Person Jesu zu evozieren (menschensohnähnlich sei der Erscheinende, gestorben und doch lebendig). Das gibt der Lesehaltung christologisch beträchdiche Freiräume.

37 Apk 21-22,5; dazu zuletzt Pilchan Lee, The New Jerusalem in the Book of Revelation: A Study of Revelation 21-22, WUNT II 129, Tübingen 2001. 38 Also bei der Abhebung des Symbols von Metapher, Allegorie und Emblem: s. o. zu Lawrence, Apokalypse, 12ff. 39 Wenn wir den Begriff der allegorischen Erzählung nicht sehr weit fassen (vgl. aber Adela Yarbro Collins, Crisis and Catharsis. The Power of the Apocalypse, Philadelphia 1984, 146f.). 40 Die Einzelheit des Schwertes aus dem Mund (1,16) besprachen wir unter 1. Die Personifizierung der Stimme findet sich in V 10-12, Vergleiche mit „wie" und „ähnlich" in 13f. Zu den Details s. die Literatur von Karrer, Johannesoffenbarung, 139-147 über Loren T. Stuckenbruck, Angel Veneration and Christology. A Study in Early Judaism and in the Christology of the Apocalypse of John, WUNT II 70, Tübingen 1995, bes. 203-265 und Adela Yarbro Collins, The „Son of Man" Tradition and the Book of Revelation, in: James Hamilton Charlesworth e.a. ed., The Messiah. Developments in Earliest Judaism and Christianity, Minneapolis 1992, 536-568 bis Jörg Frey, Die Bildersprache der Johannesapokalypse, ZThK 9 8 , 2 0 0 1 , 1 6 1 - 1 8 5 (170-173). 41 Dieser Name begegnet in der Apk nach 1,9 (der Exposition vor der Vision) erst wieder 12,17.

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Anders verhält es sich mit den Brücken der Vision zur Ekklesiologie. Sieben goldene Leuchter um den Erscheinenden (1,13) und sieben Sterne in seiner Hand (1,16) wären durch ihre Bildtraditionen Symbole der heiligen Gegenwart des einen Gottes (die Leuchter)42 und herrscherlicher Macht (die sieben Sterne) unter durchsichtiger Kritik an flavischem Herrscherbewusstsein.43 Indes erhalten diese Züge im Text eine Unterschrift mit Eins-zu-eins-Deutung, geraten dadurch in die Nähe von Allegorie und Emblem:44 Die Leuchter stehen für sieben Gemeinden, die Sterne für Engel der Gemeinden (1,20). Das verschiebt die ursprüngliche Symbolkraft. Der Ausleger versteht das Anliegen — die Gemeinden, an die die Apk sich richtet, sollen ihre Nähe zu Gottes Heiligkeit und Macht assoziieren — und wird gleichwohl die Minderung an evokativer Kraft bedauern.45 Freilich, es sei nochmals gesagt: Diese Minderung betrifft die Ränder der Vision, nicht die christologische Mitte. Ein prägnanter Sachverhalt bestätigt das für den Fortgang der Apk. Dessen Visionen (und Auditionen) begleitet die Gestalt eines Deuteengels (s. den Rahmen in 1,1; 19,9f. und 22,8ff.). Aber der Deuteengel — mit seinen Erläuterungen wiederum ein Vorläufer des Emblems greift explizit allein dort ein, wo die Knechte Gottes, die von Erden kamen, und die Hure Babylons zu deuten sind (7,13f.; 17,6-18), nie bei einer christologischen Szene.46 Demnach brauchen Motive, die die Erde und Menschen, die von der Erde kommen, betreffen, die explizite Deutung. Die Erscheinung Jesu in ihrer Kraft bedarf ihrer nicht. Kombinieren wir die Sachverhalte der Eröffnungsvision und des Corpus, entdecken wir ein literarisches Programm: Johannes, unser Autor, wird durch die Christuserscheinung in die Höhe Gottes und den Himmel gerissen, was 4,1 42 Den Hintergrund der Leuchter bildet Ex 25,31 f. 43 Domitian signalisierte die Vergottung seines verstorbenen Sohnes auf einer Münze mit dem Siebengestim; Abbildung in Allen Brent, The Imperial Cult and the Development of Church Order. Concepts and Images of Authority in Paganism and Early Christianity before the Age of Cyprian, SVigChr 45, Leiden 1999, pi. 23 (nach BMC Domitian 62 [pl. 61,6] rev.). 44 Die prägnant emblemaùsche Bild-Text-Relation entwickelte erst das Barockzeitalter (Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 2. Aufl. 1968), doch ist sie über die Epochen zu abstrahieren. Manche Theoriediskussion entwickelt sogar eine beträchtliche grundsätzliche Nähe von Emblem- und Symbolstruktur (vgl. z.B. Volker Wiemann in: ders./Thomas Eicher, Arbeitsbuch: Literaturwissenschaft, UTB.WG 8124, Paderborn u.a. 2. Aufl. 1997, 74 [lit.]). 45 Lawrence, Apokalypse, 48 verfolgte seinem Vorzug fürs Symbol gemäß darauf nicht die Linie von den Leuchtern zu 1,20, sondern die zu den „archaischen Planeten"; andere Ausleger würden das Siebengestirn oder andere astrale Hebdomaden bevorzugen (vgl. z.B. PGrM IV 693ff. und Otto Böcher, Hellenistisches in der Apokalypse des Johannes, in: Hermann Lichtenberger [Hg.], Geschichte - Tradition - Reflexion. FS Martin Hengel, Tübingen 1996, III 473-492 [479]). 46 Näheres bei Hansgünter Reichelt, Angelus interpres-Texte in der Johannes-Apokalypse. Strukturen, Aussagen und Hintergründe, EHS.T 507, Frankfurt a. M. u.a. 1994.

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(nach l,7.9f.) narrativ in eine Himmelsreise umsetzt. Er darf das himmlische und irdische Geschehen aus den Höhen schauen und mitteilen, auf dass die Leserinnen und Leser47 es ihrerseits beeindruckt schauen (s. die regelhafte Leseranrede „siehe", ιδού, ab 4,1 f. und schon in 1,7). Diese Schau aber verbietet für den Christus in und aus den Himmelhöhen Eins-zu-eins-Identifikationen, da der Himmel mehr ist als alle Rede und alles einfach begriffene Bild. Erst neue Namen 48 und die Schau eines von jedem Schleier befreiten Auges49 könnten jedes umschreibende Wort lösen und jede bange Frage50 erübrigen. Deshalb dominiert in der Christologie die bildliche, sich lediglich annähernde Rede. Größere Kühnheit dagegen ist erlaubt, wenn wir die Christologie verlassen und Bögen zur Beurteilung irdischen Lebens schlagen; dort setzen die Eins-zu-einsIdentifikationen und emblematischen Unterschriften der Apk ein. Interessanterweise erlaubt dieses Programm nun eine Weiterentwicklung der Symbol-Metaphern-Theorie über David H. Lawrence hinaus. Der Autor der Apk sieht sich — bemerkten wir — in einer seinen Raum überschreitenden Weise genötigt, von Gott und Christus zu reden. Er sucht darum Worte und Bilder, die von vornherein durch die Begegnung mit Gott und Christus geprägt sind. Mehr noch, seiner Absicht nach bringt nicht sein Reden (das Reden des menschlichen Autors) diese Worte und Bilder ein. Vielmehr bringen die Christuserscheinung und der Himmelsweg sie samt ihren Aussagestrukturen mit. Dieses Mitbringen, griechisch μετα-φέρειν, geleitet uns zur Metapher. Ich fasse die Pointe zusammen: Christus bringt die Sprache, in der von ihm zu reden ist, mit, und wenn er das in einem - herkömmlich gesagt - Symbol tut (wie dem des Lichts), bringt er auch dieses Symbol mit (μ€τα-φέρει). Die Grenzen von Metapher und Symbol verwischen sich, weil Christus beides mitbringt, und das Symbol tritt (wenn wir den Namen Symbol überhaupt aufrechterhalten wollen) in ein Wechselspiel mit der Metapher bzw. in deren übergreifendes Feld ein. Es reizt, die Horizonte dieses erweiterten Metaphernverständnisses51 theologisch bis in die Tiefen von Israels Bilderverbot auszuloten. Denn die Liebe zum Wort-Bild gleicht in der Sache den Verzicht auf die materiellen Bilder aus, dem 47 Für Johannes laut 1,9 seine Mit-Teilhaber, zur familiären Metaphorik dieser Stelle s. Klaus Scholtissek, „Mitteilhaber an der Bedrängnis, der Königsherrschaft und der Ausdauer in Jesus" (Offb 1,9), in: Knut Backhaus (Hg.), Theologie als Vision. Studien zur JohannesOffenbarung, SBS191, Stuttgart 2001,172-207 (194f.). 48 Vgl. die Verheißung des neuen Namens in 2,17. 49 Ein Motiv, das 3,18 kritisch gegen die Gemeinde zu Laodizea zuspitzt. Sie hat - lesen wir den größten Bedarf, Salbe von Christus zum Schauen zu kaufen (ein Spiel mit dem antiken Wissen um die Produktion von Augensalben in Laodizea). Vgl. Knut Backhaus, Die Vision vom ganz Anderen. Geschichtlicher Ort und theologische Mitte der Johannes-Offenbarung, in: ders. (Hg.), Theologie als Vision, 10-53 (41). 50 S. das Spiel zwischen der Frage „wer ist würdig..." 5,2 und dem Weinen des Sehers 5,4. 51 Auf dessen Berührung mit der Metapherndiskussion in der Gleichnistheorie weisen wir hin, ohne sie weiter verfolgen zu können.

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Israel sich fur sein Gottesverständnis und die frühe Christenheit ebenso für ihre Christusdeutung verschrieb.52 Die Prägung der Apk durch Motive aus Israels Schriften und selbst ihr semitisierender, das Griechische fortwährend verletzender Sprachton erklärt sich von da aus.53 Johannes wählt den archaisierenden Sprach- und Bildklang, weil er überzeugt ist, Gott habe seine Wort-Bilder seinen Zeugen von alters her mitgeteilt und präge den alten Ton noch ins Griechische ein. Relevanter noch als dieser Hintergrund ist für heutige Theologie eine Folge: Das bildlich annäherungsweise, metaphorische Wort ist der Christologie nach dem beschriebenen Ansatz angemessener als der Begriff. Insofern stärkt die Apk den Impuls, Desiderate und ungelöste Kontroversen der Christologie über metaphorische Umkreisungen statt durch begriffliche Auseinandersetzungen zu lösen. Allerdings dürfen wir den Gewinn nicht überschätzen. Selbst wenn wir den durch Lawrence beklagten narrativen Abfall der Apk zurückstellen (und uns auf die von ihm54 gerühmte Eingangsvision konzentrieren), haben wir ein der metaphorischen Sprache inhärentes Dilemma zu vermerken: Diese Sprache enthält zwingend Unschärfen und gibt sie an die Leserinnen und Leser weiter. Daher löst die Metapher trotz ihres Gewinns die gelegentlich (auch in den Vorbereitungen der heutigen Tagung) geäußerte Hoffnung nicht ein, die Erörterung neuralgischer christologischer Fragen zu erleichtern. Verdeutlichen wir das an der gravierendsten christologischen Diskussion, die seit Jahrzehnten um Apk 1,10-20 geführt wird. Der Text kombiniert, wie angedeutet, verschiedene Bildfelder. Er beschreibt den Erscheinenden ähnlich einem Menschen und stellt dadurch bei Kennern himmlischer Visionen einen Bezug zu himmlischen Wesen in menschenähnlicher Gestalt her (vgl. Dan 7,13; 10,5f.l6). Die Leserinnen und Leser können dank der weißen Haare (vgl. den Alten der Tage Dan 7,9) fast eine Erscheinung Gottes gewahren.55 Zugleich überbietet Christi Glanz den Glanz der früher unter den Völkern (wo die Adressaten der Apk leben) geglaubten Himmelsgötter. Wie Helios, die Sonne und der lichte Sonnengott, ist er in seiner Macht anzusehen (1,16; das dortige h{lio~ evoziert nicht nur, wie meist übersetzt wird, die Sonne, sondern auch den Namen Ήλιος). 5 6

52 Weit über die neutestamentliche Zeit hinaus fehlt uns bekanntlich jedes (sei es gemalte, sei es plastische) Bild Jesu. Erst allmählich bricht die alte Kirche damit. 53 Vgl. Gerard Mussies, The Morphology of the Koine Greek as Used in the Apocalpse of St. John. A Study in Bilingualism, NT.S 27, Leiden 1971. 54 S. bes. Lawrence, Apokalypse, 48 (zur Kraft der Lichtsymbolik) und die Besprechung unter 1. zur Wortsymbolik. 55 Für den Eingang von Gottesattributen in die Skizze vgl. auch Dtn 32,40f. zu 1,18 und 1,16. 56 Vgl. Beschreibungen Sols bei Cicero, rep. 6,17; Plinius, nathist. 2,13 u.ö.

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Indes, ist dadurch das christologische Problem gelöst, wie von Jesus in Relation zu dem einen Gott, dem von allen Göttern unterschiedenen Gott Israels zu reden sei? Die Vision gestattet, Christus aus der Gotteserscheinung zu deuten,57 aber ebenso einen Seitenblick auf Engelserscheinungen (der Bezugstext Dan 10 ist ein solche58). Martin Werner nützte das vor einem halben Jahrhundert eigenwillig für seine Entwicklung einer Engelchristologie zur Korrektur christlicher Dogmatik.59 Er konnte sich nicht durchsetzen. Doch die religionsgeschichtliche Debatte, wie stark die Apk ihr Christusbild angelologisch formt, entbrannte eine Generation später neu, und eine Neuerwägung, ob Angelologie uns zur Lösung unserer christologischen Schwierigkeiten helfen könne, folgte.60 Wir benötigen hier kein Ergebnis der Debatte (und könnten es — so gewiss wir zum Vorrang der Gottesvergegenwärtigung neigen — auch nicht konsenshaft erstellen). Es genügt die Debatte als solche, um festzustellen: Die metaphorische Konzentration der Apk erübrigt und löst die systematisch-begriffliche Debatte in der Theologie nicht, sondern heizt sie in diesem Fall sogar an. Wir werden demnach durch metaphorische Christologie — jedenfalls nach der Apk — den schwierigen systematischen Dilemmata der Christologie nicht zu entgehen vermögen. Stattdessen erhalten wir die gleichermaßen interessante und diffizile Aufgabe, Bestimmtheit und Unbestimmtheit in bildlicher Rede auszuloten.

57 Mit dem Nebeneffekt, dass die Menschheit Jesu in der Apk trotz der Betonung von Jesu Tod geschwächt wird. Signifikant ist die visionäre Spiegelung der Geburt Jesu in Apk 12,5 als eine Geburt zu Bewahrung und himmlischer Entrückung auf Kosten irdischen Lebens (zu den komplexen religionsgeschichtlichen Hintergründen Adela Yarbro Collins, The Combat Myth in the Book of Revelation, HDR 9, Missoula, Montana 1976; Peter Busch, Der gefallene Drache. Mythenexegese am Beispiel von Apokalypse 12, TANZ 19, Tübingen 1996, 45-113 und Jüigen U. Kalms, Der Sturz des Gottesfeindes. Traditionsgeschichtliche Studien zu Apokalypse 12, WMANT 93, Neukirchen 2001,11-132 u.ö.). 58 Das Gefalle in dieser Richtung wird durch die Einbettung einer Erscheinung Christi als Menschensohnähnlicher zwischen Engelerscheinungen in Apk 14,14 verstärkt. 59 Martin Werner, Die Entstehung des christlichen Dogmas problemgeschichtlich dargestellt, Bern/Tübingen 2. Aufl. 1953, bes. 308-310. 60 Zur religionsgeschichtlichen Debatte s. neben Stuckenbruck, Angel Veneration bes. Charles A. Gieschen, Angelomorphic Christology. Antecedents and Eaiiy Evidence, AGJU 42, Leiden u.a. 1998 und Peter R. Carrell, Jesus and the Angels: Angelology and the Christology of the Apocalypse of John, MSSNTS 95, Cambridge 1997, zur weitergehenden Reflexion bes. Samuel Vollenweider, Zwischen Monotheismus und Engelchristologie. Überlegungen zur Frühgeschichte des Christusglaubens, in: ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie. Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 3-27.

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4. Alte Metaphern und Gegenwart Sprechen wir ein weiteres Problem an. Symbole werden, sagte David H. Lawrence, „über Jahrhunderte im menschlichen Bewußtsein weitergetragen. Und dann, wenn die Menschen unempfänglich werden und halbtot sind, [...] sterben" sie wieder.61 Dasselbe gilt für Metaphern. Sie überdauern in seltenen Fällen unbeschadet die Zeiten oder sind in alter Stringenz erneuerbar (Lawrence konzentrierte die heutige Kraft der Apk deshalb auf das schneidende Wort und brennende Licht Christi). In den meisten Fällen müssen wir tief in alte Horizonte eindringen, um der ursprünglichen Faszination wieder zu begegnen. Bekannt ist dieses Dilemma bei der eigentümlichsten Christusmetapher der Apk, Christi Schau als άρνίον. Schon die Übersetzung ist umstritten. Denn eigentlich heißt ά ρ ν ί ο ν junger Widder mit breiten Konnotaten vom Sternbild des Widders über das Opfertier bis zu einem weissagenden Widder antiker Spekulationen.62 Aber im Christentum beheimatete sich, wohl wegen der vorrangigen Rezeption des α μ ν ό ? (Lamms) aus Joh 1,29.36 und Act 8,32, die Übersetzung Lamm. Bis heute wird sie gelegentlich heftig verteidigt,63 und doch verliert auch sie an Relevanz — weniger aus exegetischen Gründen als wegen der Ferne agrarischer Bilder in der heutigen Industrie- und Erlebniskultur. Die Menschen werden (mit Lawrence gesagt) für den geschlachteten und trotz seiner Schlachtung stößigen Widder (den Apk 5,6 gleich mit sieben kraftvollen Hörnern ausstattet) wie für das Lamm unempfänglich. Leichter scheint die Belebung bei der Metapher des Löwen Judas (5,5). Denn die Vorstellung des Löwen als König der Tiere erhielt sich durch die Zeiten (und wurde durch einen bekannten Disneyfilm zusätzlich gestreut), und auch seine Gefährlichkeit blieb bewusst. Die Erschließung antiker Bezüge, vorrangig zum Judasegen von Gen 49,9 und daneben wegen der griechischen Adressaten

61 S.o. bei Anm. 2. 62 Literatur z.B. bei Traugott Holtz, Die Christologie der Apokalypse des Johannes, TU 85, Bedin 1962 (2. Aufl. 1971), 44ff.; Böcher, Hellenistisches in der Apokalypse, 480; Peter Stuhlmacher, Das Lamm Gottes - eine Skizze, in: Lichtenberger (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion, 529-542; Doo-Hwan Park, Tiere und Farben in der Offenbarung. Eine Untersuchung zur Herkunft, Funktion und theologischen Bedeutung der Tier- und Farbmotive in der Apokalypse des Johannes, Bielefeld-Bethel 1997 (Diss.-Druck) und Martin Karrer, Stärken des Randes: die Johannesoffenbarung, in: Ulrich Mell/Ulrich B. Müller (Hgg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte. FS Jürgen Becker, Berlin/New York 1999, 392-417 (407-410). Für den weissagenden Widder s. bes. Manetho (3.Jh. v.Chr.) fr. 65a Syncellus p. 140 und Aelian, nat. 12,3. 63 So bei Otfried Hofius, 'Apviov. Widder oder Lamm? Erwägungen zur Bedeutung des Wortes in der Johannesapokalypse, in: ders., Neutestamentliche Studien, WUNT 132, Tübingen 2000, 241-250 wegen der bei ihm bevorzugten Assoziation des Passa- und Opferlamms.

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Martin Karrer

der Apk zum kämpferischen oder verderbenden Löwen griechischer Literatur,64 fällt daher leicht. Irritieren wird heutige Rezeption allerdings das Gefalle der Metapher in der Apk: Sie betont vorzugsweise die Bedrohlichkeit des Löwen (s. bes. die Plagen 9,8.17), 65 so dass Christus implizit eine gefahrliche, für seine Feinde zerstörerische Hoheit zuwächst. Bleiben wir bei den Metaphern, die Christus mit Israel verbinden: Er zieht den Stern der Bileamsverheißung an sich (Num 24,17; vgl. Apk 22,16), und der Rezipient/die Rezipientin tritt vor die Frage, ob er/sie den Kontext der alten Verheißung — der Stern aus Jakob zerschlage Moab die Schläfen usw. - mit beleben soll. Apk 22,16 bricht vor einer Entscheidung dessen ab (wie 5,5 vor einem Zubeißen des Löwen Judas). Aber dürfen wir, wenn wir alte Motive erneuern, angesichts der vielen Schatten in der Apk nur die Lichtseite der Motive aufgreifen? Die Faszination der Analyse wird durch all das nicht beeinträchtigt. Keine andere Schrift des Neuen Testaments bietet eine solch unerschöpfliche Fundgrube für antike Assoziationsfelder. Es ist ausgeschlossen, sie hier auch nur im Mindesten auszuschreiten. Deshalb genüge ein weiteres komplexes Beispiel: Apk 5,5 greift den „Spross" aus der Wurzel Isais von Jes 11,1.10 auf und verwandelt das Motiv zur Wurzel Davids (ρίζα verweist in der Grundbedeutung auf Baumstrunk und Wurzelstock). Jesus sprosst aufgrund dessen nicht aus David, sondern trägt im Bild ihn und sein Geschlecht (γένος 22,16). Bislang noch unerörtert ist in der Forschung, ob diese Verschiebung ein Spiel mit griechischer ρίζα-Tradition einbezieht: Des Odysseus berühmtes Bett bestand aus einer ρίζα, 66 so dass griechische Leserinnen und Leser leicht das Konnotat ρίζα — Wiege eines Geschlechts herzustellen vermochten. Indes löst eine Faszination durch Religions- und Kulturgeschichte nicht das hermeneutische Problem: Die meisten christologischen Metaphern der Apk sprechen heute nicht unmittelbar an, sondern bedürfen zur Vermittlung eines langen und gegebenenfalls strittigen Anwegs. Die metaphorische Christologie der Apk unverkürzt zu vermitteln, wird eine schwierige und, wenn wir den Streit um die Bewertung ihrer Gewaltmetaphern einbeziehen — endlose Aufgabe.

64 Bekannt sind bis in die heutige Metaphertheorie die Beispiele von Schlachthelden, namentlich aufgrund der Rhetorik des Aristoteles (III 4, 1406B,20-26) „Löwe" für .Achill". Die zerstörerische Göttin (Artemis) kommt in der Antike hinzu (Homer, II. 21,483). 65 Die Metapher des Löwen Juda wird nach 5,5 nicht wiederholt. 66 Dem Ölbaum-Stock, um den er seine Schlafkammer baute: Homer, Od. 23,196.

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5. Metaphern „für" den Menschen und ihre Schatten Dürfen wir dieses Problem durch eine Auswahl lösen? Die Freigabe des Textes an seine Leserinnen und Leser in moderner rezeptionsorientierter Ästhetik könnte diese Möglichkeit eröffnen, und die Apk setzt durchaus Impulse dafür, den Anliegen der Menschen in der Christologie Raum zu geben. Das beginnt wieder bei der Vision des ebenso lichten wie gefährlich mächtigen Jesus in Kap. 1. Von „hinten" (ojpivsw) hört Johannes, erfahren wir in ihrer Einleitung, eine Stimme (1,10). „Hinten" hat in heutiger Psychologie und manchmal schon in der Antike (samt Apk67) einen ambivalenten Klang (von hinten schleicht sich Böses an). Leserin und Leser erwarten insofern Skepsis und Prüfung — und interessanterweise greift Johannes nicht unmittelbar zum Griffel oder Rohr, obwohl die Stimme ihm einen Auftrag zu schreiben gibt. Er dreht sich vielmehr um, um die Stimme zu sehen. Sie gilt erst — ergänzen Leserin und Leser - , wenn sie sich in der Schau bewährt. Das geschieht darauf. Die Stimme68 vergegenwärtigt die Stimme des einen personalen Gottes.69 Zugleich wird die Person sichtbar, die sie trägt. Es ist Christus in seiner kritischen und hilfreichen, zugewandten Stärke. Ziel ist letztere. Denn Christus benützt den Glanz seiner Hoheit, den wir ansprachen, am Höhepunkt der Szene gegen die Mächte, die den Menschen am meisten verunsichern, gegen den Tod und die düstere Unklarheit, was nach dem Tod komme. Er trägt, mit einem Bild antiker Mythologie gesagt, den Schlüssel der katachthonischen Götter, den Schlüssel des Thanatos (Todes/Todbringers) und Hades (des Gottes der unklaren Schatten; 1,18).70 Die Grabstraßen, zu denen die antiken Völker in Prozessionen schreiten (und die bis heute an vielen Orten erhalten sind),71 verlieren auf diese Weise das letzte Wort. Der Christus der Apk

67 S. Apk 12,15 und vgl. Daria Pezzoli-Olgiati, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung, FRLANT 175, Göttingen 1 9 9 7 , 1 2 9 (zu 1,10 wertet sie den Befund p. 27 nicht aus). 68 Das griechische Wort φ ω ν ή markiert ihre Dimension der Kehle gegenüber λ ό γ ο ς oder φθόγγο?. 69 Zur Religionsgeschichte s. James Hamilton Charlesworth, The Jewish Roots of Christology: the Discovery of the Hypostatic Voice, SJTh 39,1986,19-41. 70 Belege fur den Schlüssel bei Gottheiten oder Wächtern, die die Unterwelt schließen, bietet Joachim Jeremias, Art. KAeis, ThWNT 3, 1938, 745. Schüssler Fiorenza, Offenbarung, 50 verweist auf Hekate. Die beliebte Übertragung unserer Stelle ohne Götternamen in Bibelübersetzungen ist in jedem Fall ungenau. 71 Zur Prozessionsstraße in Ephesus, einer der Städte der Apk, s. Dieter Knibbe, Via Sacra Ephesiaca, in: Helmut Koester (Hg.), Ephesos metropolis of Asia, HThS 41, Valley Forge 1995,141-155.

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Martin Kairer

schlägt die Totengötter in Bann, bis sie weg von den Lebenden ganz dorthin ausgewiesen werden, wo sie gewissermaßen zu Hause sind, in die Unterwelt mit ihren Pfuhlen.72 Wer die Rhetorik des Textes soweit verfolgt, erkennt im οπίσω („hinten") von 1,10 eine zweite Schicht: Die Stimme tritt hinter Johannes nicht, weil sie das Angesicht scheut, sondern weil, wer sich hinter jemandem befindet, in der Antike dient.73 Johannes sowie seine Leserinnen und Leser brauchen sich, um das zu erfahren, aus der Bedrängnis ihres Lebens74 nur umzudrehen. Ihre Kehre zur Christusvision wird eine Kehre zum größeren, bei Gott gesicherten Leben.75 Verallgemeinern wir diesen Impuls, bemisst die Apk die Glaubwürdigkeit ihrer metaphorischen Christologie an der Hilfe für den Menschen. Die Hermeneutik darf sich ganz auf das Pro („Für") der Christologie konzentrieren. Ein Christus des Lichts und Lebens, der die Verfehlungen der Welt mit seinem schneidenden Wort zugunsten größeren Lebens aufdeckt, scheint von ihr freigegeben, ja in die Mitte gerückt. So richtig dies ist, wird abermals eine Einschränkung unausweichlich: Die Apk gibt ihren Text nicht unmittelbar frei, sondern integriert in ihm ein eigenes Bild ihrer Leserschaft (nach rezeptionsästhetischer Theorie den impliziten Leser) mit dem Bild Christi, und dieses Bild ist düster. Seine Leserschaft ist - so unser Johannes - wie er selbst aufs äußerste bedroht. Jesus kann deswegen die Gabe des Lebens am Ende allein durch Gewalt und den Ausschluss all dessen sichern, was ihm entgegensteht. Der lichte Christus wird nach Auffassung der Apk notwendig zugleich dunkel. Er gewährt Leben und schließt vom Leben aus (bis zum Blutbad von 19,11-21, Gericht von 20,7-15 und £ξω von 22,15). Wenn wir die Bilder des Lichtes sowie kritischen Wortes in der Apk loben und den beklemmenden Übergang zu eruptiven Bildern sowie schneidend blutiger Kritik tadeln, zeigen wir somit eine respektable, wortwörtlich „gute" Lesehaltung. Indes verdrängen wir die Schatten des Menschseins, die unser Autor wie kein anderer neutestamentlicher Zeuge wahrnimmt und an die Christologie heranzubringen wagt. Wie wir sie beurteilen, hängt nicht zuletzt daran, ob Johannes seine Krise des Christ- und Menschseins in der Welt aus objektiver Bedrängnis entwirft oder subjektiv verzerrt.76 72 Der Feuerpfuhl von 20,14 ist vor diesem Hintetgrund zu lesen: λίμνη ist ein geläufiges Wort fur die Zugangs- und Binnenseen der Unterwelt, und Plato (Phaid. 111E-114, bes. 113A) löste die Reflexion über das Btennen einer λίμνη wie Feuer aus (vgl. bes. Plutarch, De sera = mor. 567Q. 73 Vgl. fur Israel Franz Josef Helfineyer, Art. 'ΊΠΚ, in: ThWAT 1,1973, 220-224 (221 f.). 74 S. ΘΧΙψις 1,9. 75 Die Wahl des Verbs, eines klassischen Umkehrterminus, unterstreicht das: s. Pezzoli-Olgiati, Täuschung und Klarheit, 28f. 76 Eine Alternative, die seit Leonard L. Thompson, The Book of Revelation. Apocalypse and Empire, New York/Oxford 1990 heftig diskutiert wird. Für die jüngere Suche nach einer differenzierteren Sicht vgl. z.B. Ulrike Riemer, Das Tier auf dem Kaiserthron? Eine Unter-

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Immerhin mag man die Psychologie zugunsten der Apk in die Waagschale werfen: Auch wenn ihre Krise „nur" eine entworfene ist, gewährt sie Gefühlen, die sich nicht rational einschränken lassen, einzigartig im Christentum das Wort. Sie erlaubt ihren Leserinnen und Lesern neben „guten" Haltungen77 verletzte Empfindungen bis zum Hass und fangt sie in Sprache auf.78 Sie gibt sie frei und bändigt sie gerade dadurch paradox. Denn wer die Apk liest, dessen Befürchtungen dürfen sich im Wort befreiend lösen. Er/sie bedarf nicht der realen Gewalteruption. Genügt dies freilich? Die psychologischen Interpretationen differieren nicht zufallig (s. unter 2.) wie die literarischen. Kurz resümiert: Die Apk zielt auf eine Christologie des Lebens, plausibilisiert um dieser Christologie willen aber ein Zueinander von Schatten und Licht in der christologischen Symbolik und Metaphorik. Wo die Schatten die Vorderhand gewinnen — und das ist in der Wahrnehmung vieler Leserinnen und Leser der Fall —, wird eine Kritik an ihr schwer zu entschärfen sein.

6. Die christologische Metapher der Apk, Anspruch und Distanz Ein letztes. Die Apk beginnt, für jede metaphorische Lektüre erfreulich, nicht mit der Vision, sondern mit einer Kontaktaufnahme im Wort („Johannes an die sieben Kirchen in der Asia usw." 1,4). Diese Kontaktaufnahme enthält die erste bildliche Aussage über Christus: Er sei Zeuge usw. (1,5). Die Apk sieht demnach im Motiv des μ ά ρ τ υ ς , „Zeugen", einen ersten, erstaunlicherweise wenig bekannten, von uns nun nachzutragenden Zugang zu ihrer Christologie.75 Entschlüsseln wir das Motiv in seinem Bildkreis, steigt ein Gerichtshof oder eine Versammlung vor uns auf.80 Diese Versammlung mag skeptisch sein und den Zeugen, der vor sie tritt, auf seine Verlässlichkeit prüfen. Jesus erfüllt das; er ist ό π ι σ τ ό ς , „der Verlässliche" schlechthin, schiebt die Apk nach. Die Versammlung ist außerdem unendlich groß. Denn Jesus ist, erfahren wir im Vers weiter, „Erstgeborener der Toten"; auch Tote könnten ihn hören. Und er ist

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suchung zur Offenbarung des Johannes als historischer Quelle, Beiträge zur Altertumskunde 114, Stuttgart/Köln 1998. Die die Apk in Listen wie 2,19 einschärft. Ein Aspekt, der für die Untersuchungen von Yarbro Collins, Crisis and Catharsis, über die „perceived crisis" (143f. u.ö.) eine beträchtliche Rolle spielt. Der Text geht dabei in 1,5 inkorrekt zum Nominativ über. D.h. Christus wird als Zeuge zum Subjekt des Wortes vor der Vision und nach ihr (laut 1,2.11.19 ist die Apk ja nach der Vision niedergeschrieben). Das unterstreicht das Gewicht der Aussage. Das waren die beiden antiken Orte für die Ablegung von Zeugnissen.

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Martin Karrer

„Herrscher (άρχων) der Könige der Erde". Alle Welt sammelt sich unter ihm und darf sein Zeugnis wie das eines antiken Herrschers nicht in Frage stellen. Er, der Zeuge, verlangt überall zwingend Gehör. Lesen wir das in der Dynamik einer christologischen Metapherntheorie, vertieft sich der Eindruck. Dann nämlich ist das Bild zwar vom Autor gewählt, jedoch durch keine andere Aussageweise vertretbar und zur Mitteilung des Gemeinten unentbehrlich.81 Wir bedürfen unausweichlich der Zeugen-Metapher, um einen Einblick in die Christologie zu erhalten. Die Metapher kehrt dabei sogar das Wahrnehmungsgefälle um. Nicht die Wahrnehmenden (Leserin und Leser), sondern Jesus als Person, die ihnen schlechthin überlegen ist, füllt, was Zeuge heißt (personale Zuverlässigkeit mit dem Zeugnisrecht eines Herrschers, dem kein Lebender und kein Toter entgegen zu treten vermag). Das stützt die Leserinnen und Leser — sie können sich in ihrem zeugnishaften Leben bis zum Zeugnis eines etwaigen Martyriums auf Jesus verlassen — und irritiert sie gleichzeitig. Denn es verbietet einen kritischen Abstand. Weil Christus sich ins Wort bringt und dieses Wort in die Apk eingeht, wird das Wort der Apk verbindlich. Sie beschwört das Zeugnis Jesu und für Jesus nicht nur allgemein, sondern schließt - singular im Neuen Testament - mit einer Art Kanonformel, die verbietet, in ihren Text sachlich irgend einzugreifen. Jesus bezeuge, heißt es dort, es träfen die Plagen der Apk den, der ihren Worten etwas hinzufuge oder von ihnen etwas streiche (22,18f.).82 Gewiss ist letzteres in erster Linie ein Signal abgerundeter Ganzheit, kein Signal eines bis ins Detail verbindlichen Buchstabens.83 Dennoch wiederholen sich alle geschilderten Probleme. Die entstehende metaphorische Christologie

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Vgl. zur theoretischen Verbreiterung Enno Rudolph, Metapher, Symbol, Begriff. Anregungen zu einem möglichen Dialog zwischen Hans Blumenbeig und Emst Cassirer, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen. Mit einem Geleitwort von Hans-Georg Gadamer, Übergänge 38, München 2000,77-89 und dazu Zimmermann, ebd., 37. 82 Literatur zum Zeugen-Zeugnis-Motiv von 1,2 bis zur sog. Kanonformel 22,18f. bei Hanna Roose, „Das Zeugnis Jesu". Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophétie in der Offenbarung des Johannes, TANZ 32, Tübingen 2000 und Isabelle Donegani, „A cause de la parole de Dieu et du témoignage de Jésus...". Le témoignage selon l'Apocalypse de Jean, EtB.NS 36, Paris 1997; vgl. auch Martin Leutzsch, Die Bewährung der Wahrheit. Der Dritte Johannesbrief als Dokument urchristlichen Alltags, Habil.-Schrift Bochum 1994, bes. 31-58.132-155.189-194. 83 Von einer „Kanonisierungsformel" im Zusammenhang mit 22,18f. sprach schon Bousset, Offenbarung, 459. Ihrer Geschichte wandte sich grundlegend Willem Cornelius van Unnik, De la règle μ ή τ ε π ρ ο σ θ ε ΐ ν α ι μ ή τ ε ά φ ε λ ε ι ν dans l'histoire du canon (1949), in: Sparsa Collecta. The Collected Essays, NT.S 30, Leiden 1980,123-156 zu. Die Erträge der neueren Forschung gingen in die Kommentare bis Aune, Revelation, 1229-1232, z.St. ein (vgl. außerdem z.B. Christoph Dohmen/Manfred Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu? Eine Kanontheologie, QD 137, Freibuigi. Br. u.a. 1992,11-26).

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hat hohen Rang, aber die Apk überspitzt sie. Sie reduziert in ihrer Rhetorik bedrohlich den Freiraum der Leserinnen und Leser zu produktiver Rezeption,84 den sie durch die Bildsprache an sich evoziert. Anders gesagt: Eine Metapher zwingt im Wort. Aber zwingt sie in der Sache? Die Apk oder genauer: der Anspruch ihres Autors berücksichtigt - wenn ich auf unsere Untersuchung zurückblicke — zu wenig die Geschichtlichkeit der Metapher, die bei ihrer narrativen Gestaltung eindringenden Unsicherheiten und Überformungen sowie das unabdingbare Zusammenspiel jeder und allemal einer zugespitzten theologisch-christologischen Position mit einer kritischen Lektüre. Die Leserinnen und Leser der Apk beugten sich darauf bereits in der altkirchlichen Zeit nicht dem großen Gestus, Jesus, der Zeuge, bringe die Vision konkret dieses einen Werkes mit sich. Sie diskutierten bald,85 ob die Apk überhaupt kanonisch werden dürfe.86 Als sie sich dafür entschieden, taten sie das nur in kritischer Diskussion gegenüber ihrer Sache. Heutige Leserinnen und Leser werden sich bei aller Faszination durch die Apk auch in dieser Diskussion wiederfinden.

84 Zum Zusammenhang Bilderchiistologie - produktive Rezeption allg. vgl. Ruben Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma. Zum Ansatz einer wirkungsästhetischen Christologie des Neuen Testaments, in: Ulrich HJ. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, Neukirchen 2002,153-188 (183f.). 85 Vielleicht nach einer bis ca. 200 reichenden Übergangsphase hoher Würdigung: s. Karrer, Johannesoffenbarung, 17-22. 86 Zum altkirchlichen und reformatorischen Streit um den kanonischen Rang der Apk s. Georg Kretschmar, Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend, CThM.BW 9, Stuttgart 1985, 77-79 und Gerhard Maier, Die Johannesoffenbarung und die Kirche, WUNT 25, Tübingen 1981, 79-85.

Jörg Frey Retter, Gott und Morgenstern: Metaphorik und Christologie im Zweiten Petrusbrief1

Dass metaphorische Sprachformen in hohem Maße zur Ausgestaltung und Entfaltung der christologischen Aussagen des frühen Christentums beigetragen haben, ist in einigen der Beiträge bereits deudich geworden 2 . Gerade wo etwas ausgesagt werden sollte, das neu und .unerhört' war, das alles bisher Gesagte sprengte, da musste auch eine Sprache verwendet werden, die über die vertrauten Begriffe, Kategorien und Sprachmodi hinauszugehen vermochte. Von den familienmetaphorischen Elementen in Jesu eigener Gottesanrede und der Prädikation Jesu als „Sohn" über die Rezeption einer Fülle biblisch und frühjüdisch vorgeprägter Sprachbilder in den verschiedenen christologischen und soteriologischen Prädikationen bis hin zur Ausgestaltung dichter metaphorischer Netzwerke in den johanneischen .Bildreden' (Joh 10; 15)3 bot die metaphorische Sprache die Möglichkeit, von Jesus Christus so zu sprechen, dass die überlieferten und vorgegebenen Sprachmöglichkeiten immer wieder überholt und die herkömmlichen Kategorien gesprengt wurden. Eben das war erforderlich, um den Weg Jesu von Nazareth und die in der Ostererfahrung gründende Erkenntnis der frühen Christen4 über seine wahre Identität und Würde angemessen zur Sprache zu bringen. Aber was zunächst als kühne Metapher auf den Plan getreten war, konnte durch seine konventionalisierte Verwendung zu einem .Titel'

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Für Hilfe bei den Korrektuten danke ich Angelika Ohloff (München). S. die Beiträge von Kurt Edemann, Peter Müller, Jens Schröter, Martin Karrer und Ruben Zimmermann in diesem Band. Vgl. dazu den Beitrag von Ruben Zimmermann in diesem Band; s. auch Jörg Frey, Das Bild als Wirkungspotenzial. Ein rezeptionsästhetischer Versuch zur Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen, Übergänge 38, München 2000,331-362. Zur Duplizität der Erkenntnisgründe der urchristlichen Christologie s. Matthias Kreplin, Das Selbstverständnis Jesu, WUNT 11/141, Tübingen 2001, 342f.; vgl. Jörg Frey, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: Jens Schröter/Ralph Brucker (Hgg.), Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung, BZNW 114, Bedin - New York 2002,273-336 (321f.).

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Jörg Frey

gerinnen. Die Kühnheit der ursprünglichen Aussage konnte durch ihre gewohnheitsmäßige Verwendung und .Verfestigung' in Vergessenheit geraten. Ja, es konnten auch Situationen eintreten, in denen gar nicht mehr vorrangig das Bestreben vorherrschte, etwas Neues und Unerhörtes zur Sprache zu bringen, sondern gerade umgekehrt — in Abwehr anderer, möglicherweise allzu weit und kühn voranschreitender Aussagen 5 — eine Rückbindung an das einmal formulierte Bekenntnis zu erreichen. In der wohl spätesten Schrift des Neuen Testaments, dem zweiten Petrusbrief, der sich nachdrücklich dem Kampf gegen bestimmte, vermutlich gegenüber der christlichen Parusieerwartung skeptisch gewordene6 Irrlehrer widmet, scheint eben dies der Fall zu sein. Die christologischen Aussagen dieses Schreibens erscheinen - zumindest auf den ersten Blick - eher konventionell. In einer formelhaften Diktin dominieren die .Titel' κύριο? und σωτήρ. .Kühne' christologische Metaphern scheinen hier kaum vorzuliegen. Dies hat seinen Grund sicher nicht darin, dass der Autor nicht zur Bildung und zum Gebrauch metaphorischer Aussagen in der Lage wäre. Aber die Fähigkeit zur Bildung und Verwendung von Metaphern setzt er primär in einem anderen Interesse und in anderen Kontexten ein, etwa in eschatologischen Aussagen und dort, wo er die Irrlehrer, gegen die er kämpft, charakterisiert und das für sie bestimmte Geschick beschreibt. Seine christologischen Aussagen erscheinen hingegen weithin unmetaphorisch - mit einer kleinen, aber beachtlichen Ausnahme, die am Ende in den Blick kommen soll.

1. Metaphorik im Zweiten Petrusbrief Es besteht weithin Konsens, dass der Autor des zweiten Petrusbriefes zu den stilistisch kompetentesten neutestamentlichen Autoren gehört7. Das reiche Vo5

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Vgl. etwa die abwehrende Formulierung in 2 Joh 9: .Jeder, der weiter geht (πάς ό προάγων) und nicht in der Lehre Christi bleibt..."; vgl. dazu Martin Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey, WUNT 67, Tübingen 1993,144.167. Vgl. 2 Petr 3,3f. sowie die Argumentation in 3,8-13. Ob und inwieweit sich mit diesem eindeutigen Konfliktpunkt noch andere Probleme ergaben, ist strittig. S. zuletzt Thomas J. Kraus, Sprache, Stil und historischer Ort des zweiten Petrusbriefs, WUNT 11/136, Tübingen 2001, 21-26. Eine Tendenz zum .asianischen' Stil stellte Bo Reicke, The Epistles of James, Peter and Jude, Anchor Bible 37, Garden City, N Y 1964,146f., fest, ebenso John N. D. Kelly, The Epistles of Peter and of Jude, BNTC, London 1969, 228; Richard J. Bauckham, Jude, 2 Peter, WBC 50, Waco, T X 1983, 137; Henning Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, K E K 12/2, Göttingen 1992, 91; Otto Knoch, Der erste und der zweite Petrusbrief. Der Judasbrief, RNT 21, Regensburg 1990, 204.

Retter, Gott und Morgenstern

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kabular 8 , das sich in der Zahl der Hapaxlegomena und anderer .seltener 1 Lexeme bestätigt, die Vorliebe f ü r Kompositaverben und der e l a b o r i a t e Stil begründen diese Einschätzung 9 . Manche der genannten Züge hat er mit dem Judasbrief, v o n dem er literarisch abhängig ist 10 , gemeinsam: Auch dieses Schreiben verwendet ein sehr reiches Vokabular und zeigt beachtliche stilistische und rhetorische Fähigkeiten 11 . Auffällig ist neben der intensiven Rezeption biblischer und frühjüdischer Texte die Formung wirkungsvoller Metaphern — gerade in der Gegnerpolemik. A m deutlichsten zeigt sich dies in Jud 1 2 - 1 3 , w o der A u t o r — im Anschluss an eine Reihe biblischer Exempla (Jud 5 - 1 1 ) - die Irrlehrer in einer dichten Sequenz frei gebildeter 12 , kühner Metaphern charakterisiert: Zunächst erscheinen die Gegner, v o n denen gesagt wird, dass sie „ o h n e Scheu" an den Gemeindemählern teilnehmen, als σ π ι λ ά δ ε ς , was gewöhnlich „Felsen" bzw. „Klippen" bedeutet", also die Metapher v o m Schiffbruch anklingen lässt 14 und so ihre unterschwellige Gefährlichkeit zur Sprache bringt. Vier

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Nach Robert Morgenthaler, Statistik des neutestamentlichen Wortschatzes, Zürich — Frankfurt 1958, 164, hat 2 Petr bei einer Länge von 1103 Wörtern einen Wortbestand von 401 Lexemen. Davon sind 57 Lexeme neutestamentliche Hapaxlegomena, vgl. dazu und zu weiteren seltenen Worten Bauckham, Jude, 2 Peter, 135-138; Eric Fuchs/Pierre Reymond, La deuxième épître de Saint Pierre, CNT 13b, Genève 1988,15-17. 9 Zur Bewertung von Rhetorik und Stil des Schreibens s. auch Duane F. Watson, Invention, Arrangement and Style. Rhetorical Criticism of Jude and 2 Peter, SBL.DS 104, Atlanta 1988, 143-146, ebd 146: „Whereas it is clear that both Jude and 2 Peter are skilled rhetors, 2 Peter's rhetoric seems much more the product of study, he outshines Jude, both in inventional and in stylistic finesse." 10 Auch dies ist weithin Konsens, s. dazu So Tord Fornberg, An Eariy Church in Pluralistic Society. A Study of 2 Peter, CB.NT 9, Lund 1977,33-59; Jerome H. Neyrey, The Form and Background of the Polemic in 2 Peter, Diss. Yale University 1977,119-167; ders., 2 Peter, Jude, Anchor Bible 37C, New York 1993,120-122. 186-227; Richard J. Bauckham, 2 Peten An Account of Research, ANRW II 25/5, Bedin/New York 1988, 3713-3752, besonders 3714f.; ders., Jude, 2 Peter, 141; Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 97-100; weiter zuletzt mit zusätzlichen Argumenten Kraus, Sprache, 368-376. 11 S. dazu J. Daryl Charles, Literary Artifice in the Epistle of Jude, ZNW 82 (1991), 106-124; zum historischen Kontext des Jud s. die Überlegungen in Jörg Frey, Der Judasbrief zwischen Judentum und Hellenismus, in: Wolfgang Kraus/Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament Studien zu ihrem Verständnis im Horizont Biblischer Theologie, mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT, Tübingen 2003 (im Druck). 12 Trotz gelegentlicher Parallelen lässt sich in diesen beiden Versen keine unmittelbare Abhängigkeit von biblischen oder nachbiblisch-frühjüdischen Vorgaben nachweisen. Noch weniger plausibel ist die These von John P. Oleson, An Echo of Hesiod's Theogony W . 190-2 in Jude 13, NTS 25, 1979, 492-50, dass in diesen Versen unmittelbar Elemente aus Hesiod und Euripides rezipiert wären, zumal keine wörtlichen Übereinstimmungen bestehen. 13 Zur Begründung s. Bauckham, Jude, 2 Peter, 85f.; Anton Vögtle, Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, EKK 22, Solothum u.a. 1994, 67. Die verbreitete Wiedergabe mit .Schandflecken' folgt bereits der Deutung von 2 Petr 2,13 und ist nur durch das Wörterbuch des Hesychios und einen einzige profanen Beleg des 4. Jh. n. Chr. gestützt. 14 Vgl. 1 Tim 3,9; Barn 3,6.

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weitere kühne Metaphern lassen die Gegner dann als nutzlos und unstet, verderblich und todgeweiht erscheinen: Sie sind „wasserlose Wolken, von Winden umhergetrieben" (νεφέλαι άνυδροι ύττό ά ν ε μ ω ν παραφερόμεναι) 1 5 , „spätherbstliche, unfruchtbare, zweifach abgestorbene, entwurzelte Bäume" (δένδρα φθινοπωρινά άκαρπα δ ! ? α π ο θ α ν ό ν τ α έκρι£ωθέντα) 1 6 , „wilde Meereswogen, die ihre eigenen Schändlichkeiten ausschäumen" ( κ ύ μ α τ α α γ ρ ί α θαλάσσης έπαφρί£οντα τάς ε α υ τ ώ ν α ί σ χ ύ ν α ς ) 1 7 und schließlich „umherirrende Sterne" (αστέρες πλανήται) 1 8 , deren Los „die dunkelste Finsternis in Ewigkeit" ist. Hier zeigt sich — vielleicht etwas überladen, aber gewiß wirkungsvoll — die Kunst der Bildung einprägsamer Metaphern. Der zweite Petrusbrief nimmt die Ketzerpolemik des Judasbriefes auf19 und aktualisiert sie in einer neuen Situation, in Anbetracht anderer Gegner20. Doch der Autor nimmt die Metaphern aus seiner ,Vorlage' nur selektiv auf und geht mit ihnen sehr eigenständig um. Teilweise erweitert oder ,klärt' er die überaus dichten Sprachbilder des Judasbriefes, außerdem bildet er zusätzliche, von ihm selbst geschaffene Metaphern. Die stärkste Modifikation erfolgt in 2 Petr 2,17, wo aus den „wasserlosen Wolken, vom Wind umhergetrieben" (Jud 12) nun zwei Bilder werden: „wasserlose Brunnen und Wolken, vom Sturmwind getrieben" (πηγαι άνυδροι και ό μ ί χ λ α ι υπό λ α ί λ α π ο ς έλαυνόμεναι). Diese Entflechtung reduziert die metaphorische Kühnheit: das Bild der .wasserlosen Wolken' geht verloren, und an seiner Stelle entstehen zwei einfachere, aber für

15 Eine weitläufige Parallele für die Metapher bietet Prov 25,14, aber man kann nicht erweisen, dass die Metapher von dort abgeleitet sein muß (gegen Bauckham, Jude, 2 Peter, 87). In der Bildung zeigt sich vielmehr deutlich die Kunst des Autors des Jud. 16 Das Bild des unfruchtbaren Baumes ist traditionell, vgl. Lk 13,6. Vgl. weiter zum Bild des Baumes und seiner Früchte Ps 1,3; Jer 17,6.8; Weish 4,3-5; Sir 6,3; Mt 3,10 (par. Lk 3,9); Mt 7,16-20; 12,33 (par. Lk 6,43f.). Jak 3,12; zum Abhauen Mt 3,10 (par. Lk 3,9); 7,19; Lk 13,9; zum Ausreißen Ps 52,5; Prov 2,22; Weish 4,4; Mt 15,13. 17 Vgl. dazu Jes 57,20; lQHa X 14f. (Zählung von Kolumnen und Zeilen nach Hartmut Stegemann, Rekonstruktion der Hodajot, Diss, masch. Heidelbeig 1963; = 1QH II 12-13 nach der täüoprinceps von E. L. Sukenik); XVI 16 (= VIII15 ed. Sukenik). 18 Vgl. 1 Hen 18,13-16; 21,3-6; 88,1.3; 90,24. 19 Zum Vergleich von 2 Petr 2,1 - 3,3 mit Jud 5-18 s. Jerome H. Neyrey, 2 Peter, Jude, 120122. 186-227. 20 Während im Jud die skeptische Ablehnung der Engelmächte der Hauptvorwurf zu sein scheint (s. dazu Frey, Judasbrief, auch Gerhard Sellin, Die Häretiker des Judasbriefs, ZNW 77 [1986], 206-225), konzentriert sich die Charakterisierung der Gegner in 2 Petr auf die Frage der Leugnung der Parusieerwartung (2 Petr 3,3ff.). Der Rest der aus Jud übernommenen Polemik in 2 Petr 2 ist eher topisch und erscheint gerade in den Kernpunkten gegenüber der Vorlage verallgemeinert. Dies spricht klar gegen eine Identifizierung der Gegner, wie sie zuletzt wieder - mit problematischen literarischen Konstruktionen - von Anders Gerdmar, Rethinking the Judaism-Hellenism Dichotomy. A historiographical case study of Second Peter and Jude, CB.NT 36, Stockholm 2001,298-323, vorgenommen wurde (s. dazu meine Rez. in ThLZ 128 [2003], 393-395). Die Ausweitung und Verallgemeinerung einzelner anderer Topoi wurde durch die Umgestaltung des Materials zu einem Aposteltestament erforderlich, s. dazu die Beobachtungen bei Kraus, Sprache, 368-376.

Retter, Gott und Morgenstern

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die Polemik gleichermaßen wirkungsvolle, da unmittelbar verständliche Metaphern21. Freilich ist die anschließende Wendung von der .für sie' aufbewahrten Finsternis jetzt nur noch schwer verständlich. In Jud 13 war sie auf die .irrenden Sterne' bezogen22, doch diese werden in 2 Petr 2,17 gegenüber der Vorlage getilgt. In der nun erreichten syntaktischen Verknüpfung mit den .Brunnen' und den .Wolken' erscheint die Rede von der Finsternis weniger passend23, andererseits führt die Tilgung des aus der Henochtradition geschöpften Bildes der irrenden Sterne dazu, dass sowohl der Aspekt des Irrens (2 Petr 2,15) als auch das Los der .dunkelsten Finsternis' (2 Petr 2,17) unmittelbar auf die Gegner bezogen werden können. D. h. die Schärfe der Polemik wird durch die Reduktion der Metaphorik eher noch gesteigert. Die anderen Metaphern aus Jud 12-13 werden in der parallelen Passage in 2 Petr 2,17 ausgelassen24. Doch bleiben auch diese Bilder der Vorlage nicht völlig ungenutzt. Ubergangen wird das eindrückliche Bild von den ihren Unrat ausschäumenden Meereswogen, hingegen wird das in Jud 12 für den Sinn von .Klippen' gebrauchte Wort σ π ι λ ά δ ε ς in einer vorangehenden Passage in 2 Petr 2,13 in das ähnlich klingende σ π ί λ ο ί , d. h. .Schandflecken' umgedeutet, so dass nun eine neue Metapher vorliegt, die sich leicht mit anderen polemischen Topoi der Zügellosigkeit, Sündhaftigkeit und Verführung verbinden ließ (2 Petr 2,13f.). Auch hier wird in der Umdeutung der Metapher (durch Einsatz eines ähnlich klingenden Wortes) die Polemik verstärkt.

Die besonders überladen wirkende Metapher der ,,spätherbstliche[n], unfruchtbare[n], zweifach abgestorbene[n], entwurzelte[n] Bäume" wird im 2 Petr nur in einem einzigen Aspekt aufgenommen, nämlich dem der .Unfruchtbarkeit'. Diese wird jedoch nicht im Rahmen der Ketzerpolemik aufgenommen, sondern im Proömium, in 2 Petr 1,8. Dort wird der Aspekt der .Unfruchtbarkeit' in negierter Form auf die Adressaten bezogen und in einen eschatologischen Zuspruch verwandelt: Wenn bei ihnen die in der voranstehenden Reihe (V. 5-7) erwähnten Tugenden Glaube, Erkenntnis, Beherrschung, Geduld, Frömmigkeit und vor allem Liebe vorhanden sind, dann werden diese .Früchte'25 sie am Ende nicht

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Vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 274: „In any case he has substituted two equally effective metaphors." Eine Verbesserung sehen Fuchs/Reymond, 21: „La stérilité et la versatilité des hérétiques sont ainsi mieux mises en évidence." V. a. das Bild des Brunnens für religiöse Lehre ist sehr konventionell (vgl. Prov 13,14; Sir 24,25f.; CD VI 4), zu .wasserlosen Brunnen' s. bes. Jer 2,13 und in der Petrusapokalypse aus Nag Hammadi (NHC VII 79,31). Das Bild der umhergetriebenen Wolken verdeutlicht den Aspekt der Unstetheit. Dass die Aufbewahrung in der Finsternis für Sterne vorgesehen ist, hatte Jud 13 aus der angelologischen Tradition des Henochbuchs übernommen (s. 1 Hen 18,14-16; 88,1). Vgl. Paulsen, Der zweite Petrusbrief und der Judasbrief, 143. Vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 272: „probably because the author of 2 Peter, having expanded the first of Jude's metaphors into two, felt the rest to be redundant." So werden die Tugenden in paulinischer Terminologie genannt (Gal 5,22-24).

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„unnütz und unfruchtbar" dastehen lassen26. Für die Gegenseite wird eine andere Metapher gebraucht: Wer diese Tugenden nicht hat, „der ist blind und kurzsichtig" (τυφλός έ σ τ ι ν μυωπάζων)27. Insofern dient auch hier die Metaphorik der polemischen Entgegensetzung der Gegner und der Adressatengemeinde. Die dichten Metaphern aus Jud 12f. werden vom Autor des 2 Petr also nur teilweise übernommen, doch gestaltet der Autor einzelne Metaphern selbständig um in einfachere, aber polemisch nicht weniger wirkungsvolle Bilder. Nur eine der Metaphern aus Jud 12f. begegnet in einem anderen Kontext, außerhalb der unmittelbaren Gegnerpolemik, aber auch dort dient sie einer polemischen Entgegensetzung. Die übrigen im 2 Petr gebrauchten Metaphern sind ebenfalls relativ einfach und eher konventionell, so die des .Zeltes' (σκήνωμα) für das leibliche Leben (2 Petr l,13f.) 28 , des wahren oder geraden .Weges' für die Glaubensexistenz (2 Petr 2,2.15), der Leuchte für das prophetische Wort (2 Petr 1.19) 29 oder auch das Bild von Knechtschaft und Freiheit (2 Petr 2,19) für den Gegensatz zwischen der sündigen und der gläubigen Existenz. Auffällig ist, dass keine der hier zu erwähnenden Metaphern eindeutig zur Beschreibung der Person Christi dient. So sehr der 2 Petr also die Fähigkeit zeigt, Metaphern zu bilden und zu gebrauchen, so scheint er diese Möglichkeit für die Christologie kaum zu nutzen. Ist die Christologie des 2 Petr also tatsächlich .unmetaphorisch'?

2. Aspekte der Christologie im Zweiten Petrusbrief Die Christologie des Schreibens fand in der Forschung oft wenig Beachtung, weil sie hinter der Eschatologie und der Gegnerpolemik zurückzutreten schien. Außerdem sah man die christologischen Aussagen oft als „formelhaft und für Die durch die doppelte Negation gebildete Litotes impliziert eine Affirmation. Eine enge Parallele findet sich in 1 Clem 34,4. Zu ctpyous vgl. Jak 2,20¿ zur verbreiteten Metapher der Frucht für gute Werke oder Tugenden Prov 19,22 LXX; Mt 3,8.10; 21,43; Mk 4,20; Lk 13,69; Joh 15,2-8; Gal 5,22; Eph 5,9; Kol 1,10; Tit 3,14; Hebr 2,11; Jak 3,18; Herrn Sim IV; IX 19,2; OdSal 11,23. Vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 188, der es freilich für unwahrscheinlich hält, dass die Metapher aus Jud 12 entnommen ist. 27 Beide Termini werden hier in enger Verbindung gebraucht. μ,υωττάζειν ist ein neutestamentliches Hapaxlegomenon. Das Bild der Blindheit für die Nicht-Etkenntms der Wahrheit ist konventionell, vgj. Mt 15,14; 23,16.24; Lk 6,39; Joh 9,40f.; 12,40; Rom 2,19; 2 Kor 4,14; EvTh 28 und mit s t a i ethischem Bezug 1 Joh 2,11; Apk 3,17; 1 Clem 3,4. 28 Vgl. 2 Kor 5,1-5, schon dort ist das Bild verbunden mit dem ebenfalls metaphorischen Aspekt des .Ablegens' (von Kleidern); s. bereits Weish 9,15; Parjer 6,6f. 29 Vgl. bereits Ps 119(118),105; Weish 18,4; 4 Esra 12,42; 2 Bar 17,4; 59,2; 77,16; Ps.-Pbilo, Ant. Bibl. 9,8; 15,6; 19,5; Theophilus, ad Autol. 2,13 und öfter.

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die theologischen Anschauungen des Verfassers mehr oder weniger bedeutungslos" an 30 . Dieses Urteil ist jedoch kaum sachgemäß. Selbst w e n n man die meisten

christologischen

Formulierungen

als eher konventionell

einstufen

müßte, wäre dennoch festzustellen, dass das Schreiben eine - durch die Titel κ ύ ρ ι ο ς , σ ω τ ή ρ und 9 e ó s geprägte - „starke christologische Ausrichtung" aufweist 31 .

2.1 Christus als θεός Diese zeigt sich schon in der Adresse an die „durch die Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters ( τ ο υ 0eoO ή μ ώ ν και σ ω τ ή ρ ο ς ) Jesus Christus" Glaubenden (2 Petr 1,1). W e n n das Gottesprädikat hier syntaktisch auf Christus zu beziehen ist 32 , dann liegt sogar ein eindeutig hochchristologischer Eingang vor: D e r .Retter' Jesus Christus wird nicht nur als „Herr und Retter" ( κ ύ ρ ι ο ? και σωτήρ), sondern - programmatisch im Briefeingang - als „ G o t t und Retter" ( θ ε ό ς κανι σ ω τ ή ρ ) bezeichnet. In Anbetracht der späten Datierung des Schreibens - deutlich im 2. Jh. - ist dies nicht verwunderlich. Die Prädikation Christi als 9eós begegnet schon früher, vermutlich bereits in Rom 9,5 und dann in 2 Thess 1,12 und Hebr l,8f., im Corpus Johanneum in Joh 1,1.18; 20,28 (vgl. Joh

30 So das Referat bei Ingo Broer, Einleitung in das Neue Testament, NEB.NT Eigänzungsband 2/2, Würzburg 2001, 652. So formuliert ζ. B. Hubert Frankemölle, 1. und 2. Petrusbrief. Judasbrief, NEB.NT 18.20, Würzburg 1987, 113f., die Christologie könne „nur eine für die Theozentrik subsidiäre Funktion haben". Eine scharf polemische Bewertung der Christologie des Briefes findet sich bei Ernst Käsemann, Eine Apologie der urchristlichen Eschatologie, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I, Göttingen 1960,135-157. Der Vorwurf ist hier, dass sich die Christologie von der uichristlichen Eschatologie gelöst habe und so zur .theologia gjoriae' geworden sei (151). Ob Käsemann damit dem Anliegen des Autors und seiner Situation wirklich gerecht wird, erscheint fraglich. 31 So Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen "2002,477. Zur Christologie des 2 Petr s. Fombeig, An Eariy Church, 142-146; W. Grundmann, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus, ThHKNT 15, Berlin 1974, 83f.; Anton Vögtle, Christo-logie und Theo-logie im Zweiten Petrusbrief, in: Cilliers Breytenbach etc. (Hg.), Anfange der Christologie, Festschrift Ferdinand Hahn, Göttingen 1991, 383-398; ders., Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, 274f. 32 Textlich ist die v. 1. κυρίου als Adaption an die geläufigere Wendung zu beurteilen, θεού verdient eindeutig den Vorzug. Für den Bezug von θεοί) ήμών und σωτήρος auf dieselbe Person spricht das Fehlen eines Artikels vor σωτήρος (freilich ist das Argument nicht eindeutig). Für diesen Bezug sprechen aber auch die analog konstruierten Wendungen .unser Herr und Retter' in 2 Petr 1,11; 3,18 (vgl. 2,20; 3,2), die zweifellos ganz auf Christus bezogen sind, und auch die an Christus gerichtete Doxologie in 3,18 stützt den Bezug von 0eòs auf Christus in 1,1. Daher ist an dieser Stelle die Einheitsübersetzung dem Text der Lutherbibel (Revision von 1984) vorzuziehen. Die Ubersetzungen in den Kommentaren von Schelkle (184f.) und Vögtle (133f.) sind der zutreffenden exegetischen Einsicht der beiden Kommentatoren an dieser Stelle nicht angepasst.

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10,30) und 1 Joh 5,20 33 , in den Pastoralbriefen in Tit 2,13, sowie in den Schriften der .Apostolischen Väter', besonders häufig bei Ignatius 34 . Vor allem diese dem 2 Petr zeitlich benachbarten Texte zeigen, wie selbstverständlich das Prädikat in dieser Zeit aufgenommen weiden konnte 35 . Zwar bleiben die Implikationen dieses Prädikats noch etwas unscharf, und die unmittelbar anschließende salutatio (2 Petr 1,2) stellt „Gott" und den „KÜpLOS Jesus" wieder in einer konventionellen .binitarischen' Formel nebeneinander 36 , aber die Doxologie am Briefende wird ebenfalls auf Christus formuliert (2 Petr 3,18), so dass die christologische Position des Autors aufgrund dieser Stellen doch sehr eindeutig zutage tritt: Christus wird als „Gott" angesprochen. Man mag dahinter den starken Einfluss hellenistischer Frömmigkeit vermuten, zumindest das relativ starke Zurücktreten älterer, .judenchristlicher' Denkstrukturen, die an dieser Stelle noch .bremsten' 37 . Die Notwendigkeit, die Identität Christi vor paganen Hörern zu verdeutlichen, konnte jedenfalls die Verwendung dieser Kategorie fördern 38 . Im Blick auf die hier verfolgte Fragestellung nach ,metaphorischen' Elementen bleibt freilich ein eher negativer Befund. Zumindest, wenn man die Suche heuristisch auf die Phänomene der christologische Sprachräume erweiternden .kühnen' Metapher kon2entriert39, wird man feststellen müssen: Solche Elemente sind in der Geos-Prädikation nicht aufzuweisen.

33 Zur Hochchristologie des vierten Evangeliums s. weiter Jöig Frey, Die johanneische Eschatologie III: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000, 344f.349-351. Sachlich liegt eine solche Auffassung auch in der Johannesapokalypse vor, s. Martin Hengel, DieThrongpmeinschaft des Lammes mit Gott in der Johannesapokalypse, ThBeitr 27 (1996), 159-175; Otfiied Hofius, Das Zeugnis der Johannesoffenbarung von der Gottheit Jesu Christi, in: Hubert Cancik/Hermann Lichtenberger/Peter Schäfer (Hg.), Geschichte - Tradition - Reflexion, Festschrift Martin Hengel, Bd. III: Frühes Christentum, Tübingen 1996, 511-528; Jörg Frey, Erwägungen zum Verhältnis der Johannesapokalypse zu den übrigen Schriften im Corpus Johanneum, in: Martin Hengel, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch mit einem Beitrag zur Apokalypse von Jörg Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 326-429 (400); ders., Die Bildersprache der Johannesapokalypse, ZThK 98 (2001), 161-185 (171£). 34 Ign Eph, inscr, 1,1; 7,2; 18,2; 19,3; Ign Trail 7,1; Ign Rom 3,3; Ign Smym 10,1; Ign Pol 8,3; weiter Polyk Phil 12,2; 2 d e m 1,1. Vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 168f. 35 Vgl. Paulsen, Der zweite Petrusbrief, 105; sowie Karl-Hermann Schelkle, Die Petrusbriefe. Der Judasbrief, HThK 13/2, Freiburg etc. 31970,185. 36 Der Ausfall von κ α ΐ in dem einen Textzeugen P72 kann dies nicht in Frage stellen. 37 Dies bahnt sich bereits im älteren Judasbrief an, der zwar viele biblische und frühjüdische Traditionen aufnimmt, in seiner Position aber kaum mehr als .judenchristlich' einzuordnen ist, s. dazu Frey, Judasbrief (im Druck). Im Corpus Johanneum ist der Konflikt, der sich aus der hohen Christologie ergeben musste, noch deutlicher erkennbar. 38 So Fornberg, Early Church, 143, der mit Recht auf Plinius d. J., ep. X 96,7 verweist, wo von den Christen gesagt wird, dass sie Christus als Gott (quasi Deo) verehrten. 39 Nur dies erscheint für das hier vorliegende Erkenntnisinteresse sinnvoll. Unter Zugrundelegung anderer Konzepte von Metapher und Metaphorik könnte man anders urteilen. Freilich wäre der interpretatorische Gewinn einer Konstruktion, in der das gesamte Sinngefiige des Textes als .metaphorisch' angesehen würde, m.E. eher fraglich.

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2.2 Χριστός, κύριος und δεσπότης Auch die beiden am häufigsten gebrauchten christologischen Bezeichnungen fuhren für diese Frage nur wenig weiter. Χ ρ ι σ τ ό ς ist im 2 Petr 8 mal gebraucht, ganz im Sinne eines Eigennamens, der alle jüdisch-,messianologischen' Sinngehalte, die einst mit ihm verbunden waren, abgegeben hat40. Auch κύριο?, die mit insgesamt 14 Belegen, die freilich nicht alle eindeutig auf Christus zu beziehen sind41, häufigste Prädikation im 2 Petr, ist durchweg formelhaft gebraucht, wenn von „unserem Herrn" 42 oder dann auch „unserem Herrn und Retter" 43 Jesus Christus die Rede ist. Auch hier liegt zumindest keine .kühne' Metapher mehr vor. Ein Bildfeld erschließt sich jedoch, wenn der Autor in 2 Petr 1,11 von der „ewigen Königsherrschaft" (αιώνιος βασιλεία) „unseres Herrn und Retters" spricht, in die die Adressaten einziehen sollen. Die älteren Traditionen, in denen die Herrschaft Christi noch vom .ewigen' Gottesreich unterschieden wurde (vgl. 1 Kor 15,24ff.), hat er dabei längst hinter sich gelassen: Das Reich dieses Herrn ist .ewig'44, und es ist identisch mit dem Gottesreich, in das den Glaubenden „der Einzug" (ή ε ί σ ο δ ο ς ) „reichlich dargereicht werden wird" 45 . Gemeint ist wohl, dass dieser Einzug im Rahmen des Endgerichts stattfinden soll, aber das .ewige' Reich Christi ist hier sicher nicht nur eine zukünftige Größe 46 , sondern — in der Identität mit dem Gottesreich — bereits jenseitige Gegenwart 47 . Auch dies

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2 Petr l,l(bis).8.11.14.16; 2,20; 3,18. Das Prädikat begegnet jeweils in Verbindung mit Ι η σ ο ύ ς , diesem nachgestellt und außer in der Absenderangabe 1,1 je in Verbindung mit anderen explizierenden Titeln κύριος und/oder σωτήρ. Vgl. Fornberg, Early Church, 142. 2 Petr 2,9 begegnet κύριος indeterminiert, wobei ein Bezug auf Gott (vgl. V. 4) eher wahrscheinlich ist; vgl. ebenso 2,11 (in Abhängigkeit von Jud 9). Auch in den 2 Petr 3,8.9.10.15 ist der Bezug nicht eindeutig, da gerade in der Rede vom ,Tag des Herrn' eine Theologie und Christologie ineinander fließen. Vgl. Vögtle, Theo-logie, 397f. 2 Petr 1,8.11.14.16 (vgl. 1,1) 2 Petr 1,11; 2,20; 3,18 (vgl. 3,2) Bauckham, Jude, 2 Peter, 192, weist darauf hin, dass die Rede von der αιώνιος βασιλεία sonst im frühen Christentum kaum vorkommt. Es begegnet außer in 2 Petr 1,11 vor Justin nur noch in in der ApkPetr 14 (fr. Rainer, äthiop. Version), dann in einer ν. 1. zu Mart Polyk 20,2 und der syr. Version von Aristides, Apol. 16; außerdem bei Justin, Dial. 32,1; 117,3; Meli to, Horn. 68; Ps.-Clem. Horn. X 25,3. Sachlich liegt der Gedanke in Lk 1,33 und Apk 11,15 ebenfalls vor. Für 2 Petr 1,11 könnte eine Abhängigkeit von Dan 4,3 (Theodotion) und 7,27 ( L X X und Theodotion) vermutet werden. Vgl. auch Fornbeig, 145.

45 Die feierliche Formulierung erinnert dabei an das Bild des Einzugs von siegreichen Wettkämpfern zur Bekränzung oder zum Empfang in der Heimat (vgl. Vögtle, Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, 154). Frederick W. Danker, 2 Peter 1: A Solemn Decree, C B Q 40 (1978), 64-82 (76) bemerkt, dass „the term àsodos is used for the ceremonial time of inauguration for public service". 46 So das Verständnis bei Kelly, The Epistles o f Peter and o f Jude, 310: „it lies in the future and is equated with endless blessedness". 47 Vgl. Andreas lindemann, Art. Herrschaft Gottes/Reich Gottes IV, T R E 15,1986, 213, der von „gegenwärtige [r] Jenseitigkeit" spricht.

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ist nicht völlig neu 48 , sondern ζ. B. in den Aussagen des johanneischen Christus (Joh 18,36 u. ö.; vgl. Lk 22,30) über .seine β α σ ι λ ε ί α ' analog formuliert 4 9 . Dass die Rede v o n der β α σ ι λ ε ί α Christi nun gegenüber der traditionellen Redeweise v o n der .Herrschaft Gottes' stärker hervortritt, läßt sich vielleicht so erklären, dass diese Sprachform - gerade in einem nicht mehr v o n jüdischen Traditionen bestimmten Umfeld - es ermöglichte, Christus ins Zentrum der Verkündigung zu stellen und diese Verkündigung v o n den allgemeineren .monotheistischen' Tendenzen der hellenistischen W e l t zu unterscheiden 50 . Dabei tritt der Gedanke der Herrschaft Christi zugleich in einen Kontrast zu Formeln der Herrscherverehrung, die den Adressaten aus ihrer W e l t vertraut gewesen sein dürften 5 1 . Damit wird f ü r die Rezipienten die Vorstellung v o n der .Herrschaft' Christi mit bildhaften Elementen angereichert bzw. nach Analogie irdischer .Herrschaften' ausgestaltet 52 . Im Zusammenhang mit dem κ ύ ρ ι ο ς - T i t e l ist auch die Rede v o m δ ε σ π ό τ η ς in 2 Petr 2,1 v o n Interesse. Sie greift auf die Vorlage in Jud 4 zurück, w o der Terminus, der in der L X X , bei Josephus und Philo sowie im frühen Christentum eindeutig ein Gottesattribut ist 53 , bereits auf Christus bezogen sein könnte. 48 Wenn Vögtle, Christo-logie, 395, von der ,,erstmalige[n] Gleichsetzung des Reichens Christi mit dem .ewigen' Gottesreich" spricht, dann gilt dies, streng genommen, nur für das Attribut ,ewig'. 49 Vgl. dazu Martin Hengel, Reich Christi, Reich Gottes und Weltreich im 4. Evangellium, in: ders./Anna Maria Schwemer (Hg.), Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT 56, Tübingen 1991, 163184; Frey, Eschatologie III, 271ff. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass den Glaubenden nach Johannes bereits gegenwärtig die Teilhabe an der Herrschaft des Gekreuzigten gewährt ist, während nach 2 Petr 1,11 der .Einzug' erst am Ende erfolgen soll. Dass bei Johannes ebenfalls ein solches Moment im Hintergrund steht, könnte aus den futurisch formulierten ßaaiXeia-Worten Joh 3,3.5 hervorgehen (s. Frey, Eschatologie III, 253). 50 Vgl. Fornberg, Eady Church, 145. 51 Vögtle, Der zweite Petrusbrief, 155, verweist fur die Formulierung in 2 Petr 1,11 auf die Inschrift von Stratonicea; vgl. auch Martin Kaner, Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998, 348. Auch für Johannes ist ein solcher Kontrast erkennbar, ζ. B. im Bekenntnis zu Christus als „Herr und Gott" ([oh 20,28) und seiner Konkurrenz zu Formulierungen aus der Zeit Domitians, oder auch in der Prädikation Jesu als σωτήρ in Joh 4,42, die kaum zufällig in Samaria/Sebaste, einem der Zentren des Kaiserkults in Palästina, lokalisiert wird (vg). Karrer, op. cit., 53). Am schärfsten findet sich die Entgegensetzung zum Herrschedcult in der Johannesapokalypse thematisiert. 52 Auch dies ist nicht nur eine späte Entwicklung der Christologie. William Horbury, Jewish Messianism and the Cult of Christ, London 1998, 68ff., hat daraufhingewiesen, dass bereits die Ausgestaltung der frühjüdischen Messiasvorstellungen im Kontrast zu den Formen hellenistischer Herrscherverehrung erfolgte. Nimmt man dies wahr, dann lassen sich falsche Alternativen in der Erklärung der urchristlichen Christologie vermeiden (vgl. meine Rez. des Buches von Horbury in ZAC 6 [2002], 398-400). 53 Vgl. (meist in liturgischen Formeln) Lk 2,29; Apg 4,14; Offb 6,10; 1 d e m 7,5; 8,2; 9,4; 11,1; 20,8.11; 24,1.5; 33,1£; 36,2.4; 40,1; 48,1; 51,1; 56,16; 59,4; 61,If.; Did 10,3; Barn 1,7; 4,3; Herrn Vis. II 2,4f.; Sim I 9; Diogn 8,7; Justin, Apol I 61,3. Bei Josephus begegnet sogar die Wendung ó μόυος δ€σπότη5, vgl. Jos. Bell. VII 323.410; Ant. XVIII 23. S. zum Ganzen Bauckham, Jude, 2 Peter, 39.

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Aber während dies in Jud 4 textlich und semantisch noch unsicher bleibt54, ist der christologische Bezug in 2 Petr 2,1 eindeutig55. Er fügt sich damit in die Tendenz des Autors ein, Gottesprädikate auf Christus zu übertragen. Hier heißt es nun, dass die Irrlehrer „den, der sie losgekauft hat, den Gebieter" (δ€σττότης), leugnen. Das Prädikat ist also verknüpft mit der soteriologischen Metapher des Loskaufs56 und insofern mit dem im 2 Petr 2,19 aufgenommenen breiter verwendeten Bildfeld von Sklaverei und Freiheit verbunden. So bringt die Rede von Christus als „Gebieter" das für die Christen geltende neue Eigentumsverhältnis und — damit verbunden — auch die Herrschaft Christi über die von ihm .Erkauften' zur Sprache. Die christologische Rede vom .Herrn' bzw. ,Gebieter' verbindet sich mit soteriologischen Bildfeldern.

2.3. σωτήρ Damit müssen wir zu der für den Autor wohl wichtigsten, aber ebenfalls in formelhafter Weise gebrauchten Christusprädikation übergehen, der Rede von Christus als „Retter" (σωτήρ). Diese begegnet fünfmal an prominenten Stellen, in der Adresse (1,1), wo von „unserem Gott und Retter Jesus Christus" die Rede ist, in der Schlussdoxologie in der Formel „unser Herr und Retter" (3,18), sowie am Ende des Proömiums (1,11) und an zwei weiteren Stellen (2,20; 3,2) in derselben formelhaften Wendung. Die Rede von Christus als „unserem Herrn und Heiland" dürfte von hier aus in die Kirchensprache eingedrungen sein. Der zweite Petrusbrief bietet die dichteste Bezeugung für σωτήρ als christologischen Titel im Neuen Testament. Dessen titulare Verwendung wird vorbereitet durch ältere verbale Aussagen über die .rettende' Wirksamkeit Jesu bei seiner Parusie (so ζ. Β. 1 Thess 1,10) oder auch in den Berichten über das irdische Wirken Jesu (vgl. σ£ειν Mk 3,4 u. ö.), in der Aufnahme der Psalmensprache im ,Hosianna'-Ruf (Mk ll,9par.; Joh 12,13; vgl. Ps 118,25) und nicht zuletzt im 54 Da vor dem zweiten Glied, κύριον, kein Artikel steht, ist der Artikel vor δεσπότην syntaktisch wahrscheinlich auf beide Glieder zu beziehen (so Vögtle, Der Judasbrief. Der zweite Petrusbrief, 31, sowie Ferdinand Hahn, Randbemerkungen zum Judasbrief, T h Z 37, 1981, 209-218 [212 Anm. 16]), so dass der gesamte Ausdruck τον μόνον δεσπότην καΐ κύριον ημών auf Christus zu beziehen wäre. Dann muß man wohl auch übersetzen: „und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen". Freilich ist der Text der Stelle kaum ganz sicherzustellen. Vg}. auch die ausfuhrliche Argumentation bei Bauckham, Jude, 2 Peter, 39, der zugfeich aus der Tradition über die Angehörigen der Familie Jesu als δεσποσυνοι (d. h. die zum δεσπότης Gehörenden) in der palästinischen Kirche (Julius Africanus, bei Eus. h. e. I 7,14) ein Argument gewinnen will, dass dort von Jesus als ó δεσπότης die Rede war. Allerdings wird man Bauckhams Versuch, den Jud im palästinischen Urchristentum zu lokalisieren, kaum zustimmen können (s. Frey, Judasbrief). So bleibt der Hintergrund und präzise Sinn der Wendung im Jud strittig. 55 Vgl. Paulsen, Der zweite Petrusbrief 128; Vögtle, Der Judasbrief, 184. 56 Vgl. 1 Kor 6,20; 7,23; Apk 5,9; 14,3f., daneben auch 1 Petr l,18f. u. ö.; vgl. zum Hintergrund des Motivs Wilfrid Haubeck, Loskauf durch Christus, Glessen u.a. 1985.

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etymologischen Spiel mit dem Namen Jesu57. Schon in paulinischen Texten ist „der Rettende" nicht mehr nur Gott selbst, sondern der aus Zion kommende Parusiechristus (Rom 11,27; vgl. Jes 59,20)58, und in diesem Sinne begegnet auch erstmals in Phil 3,20 das Attribut σωτήρ, das in Bezug auf Christus auch in den späteren Schriften des Neuen Testaments eher selten bleibt einmal im Epheserbrief (Eph 5,23), dreimal im lukanischen Werk (Lk 2,11; Apg 5,31; 13,23), zweimal im Corpus Johanneum (Joh 4,42; 1 Joh 4,14), viermal in den Pastoralbriefen (2 Tim 1,10; Tit 1,4; 2,13; 3,6) und eben fünfmal im zweiten Petrusbrief59. Hier wird - wie explizit nur noch in Tit 2,13 - das „Retter"-Attribut mit dem Titel θεός verknüpft60. Der Terminus wird erst spät, „ab der zweiten christlichen Generation zu einem wesentlichen Attribut Jesu" 61 , und er tritt seinen eigentlichen Siegeszug erst in nachneutestamentlicher Zeit an62. Die späte Verwendung weist allerdings weniger auf einen erst spät entwickelten Aussagegehalt hin als vielmehr darauf, dass erst in späterer Zeit die Notwendigkeit gesehen wurde, die Aussagen über Jesu .rettendes' Handeln zu einem eigenen Christustitel zu verdichten 63 . Dabei weist der Gebrauch im zweiten Petrusbrief gegenüber den anderen neutestamentlichen Belegen Besonderheiten auf: Die Form der zweigliedrigen, syndetisch verbundenen Titulatur „unser Herr und Retter" bzw. „unser Gott und Retter" findet sich außer in Apg 5,31 (vgl. Tit 2,13) im Neuen Testament nur in den fünf Belegen dieses Schreibens. Diese Form hat besonders enge Parallelen in der Umwelt, ζ. B. in Ehrendekrete für herrscherliche Personen 64 , so dass man folgern kann, dass die Form der Verwendung des Soter-Titels entweder „aus dem pagan-herrscherlichen Gebrauch" übernommen 65 oder zumindest von diesem stark geprägt wurde.

57 Vgl. Martin Karrer, Jesus, der Retter (Soló). Zur Aufnahme eines hellenistischen Prädikats im Neuen Testament, ZNW 93 (2002), 153-176 (153-158); ders., Jesus Christus, 47. 58 Allerdings steht hier ein anderer Terminus: ό ρυόμενο?. Dies bezeichnet in Rom 11,27 „wie in 1 Thess 1,10 den Parusie-Christus" (Florian Wilk, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, 200; vgl. auch Karrer, Jesus Christus, 49). 59 Vgl. zu diesen Belegen Franz Jung, ΣΩΤΗΡ. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament, NTA 39, Münster 2002, 263-354. Erst in nachneutestamentlicher Zeit tritt der ,Retter'-Titel seinen Siegeszug an. 60 Sachlich ist eine solche Verbindung natürlich auch im Johannesevangelium (vgl. Joh 4,42 mit 1,1.18; 20,28) und im 1. Johannesbrief (vgl. 1 Joh 4,14 mit 5,20) gegeben. 61 Karrer, Jesus Christus, 53. 62 S. dazu die Hinweise bei Karrer, Jesus Christus, 54. Ein Beispiel dafür ist auch das so genannte .Unbekannte Berliner Evangelium', das nach dem dort hervortretenden Christustitel von den Editoren Charles Hedrick und Paul Mirecki „Gospel of the Savior" genannt wurde und schon aufgrund der Dominanz dieses Titels nicht vor der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts entstanden sein kann. S. dazu Jörg Frey, Das unbekannte Berliner Evangelium (Papyrus Berolinensis 22220) und die Gethsemane-Tradition, BZ N. F. 43 (2002), 71-96. 63 Karrer, Jesus Christus, 51. 64 Vgl. Jung, ΣΩΤΗΡ, 338f.; Karrer, Jesus, der Retter, 164-170; Danker, 2 Peter 1, 78; vgl. auch ders., Benefactor. Epigraphic Study of a Graeco-Roman and New Testament Semantic Field, St. Louis 1982,451-467. 65 So Jung, ΣΩΤΗΡ, 342. Eine Beeinflussung durch den Gebrauch des Judasbriefs ist unwahrscheinlich, weil dort das Prädikat in der Schlussdoxologje (Jud 25) auf Gott bezogen und insofern stark vom der Sprache der LXX bestimmt ist (s. op. cit., 335).

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Welche Bildfelder verbinden sich mit dieser Prädikation? Was charakterisiert Christus, den „Retter", in diesem Schreiben? Man wird hier vorsichtig formulieren müssen, um nicht einem argumentum e silentio zu erliegen66. Es scheint, als sei hier nicht in erster Linie das vergangene Heilswirken Jesu, auch nicht die von den Glaubenden erfahrene Reinigung von Sünden (2 Petr 1,9) oder „von der verderblichen Begierde der Welt" (2 Petr 1,4) im Blick, als vielmehr das eschatologisch bei der „Parusie" Christi (2 Petr 1,16; 3,4) erwartete, durch das „prophetische Wort" (2 Petr 1,19) verheißene Geschehen, die Rettung aus dem Endgericht und der „Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus" (2 Petr 1,11). Wenn „die Elemente vor Hitze schmelzen" und „alles zergeht", dann soll jenen Rettung gewährt werden, die sich aufgrund ihrer Erkenntnis Christi - primär seiner „Herrlichkeit und Kraft" (2 Petr 1,3) - in ihrer „Berufung und Erwählung" (2 Petr 1,10) bewährt67 und — trotz der Dehnung der Zeit — an der Verheißung seines Kommens festgehalten haben, dann also erweist sich Christus als „unser Herr und Retter". Gemeint ist also die Rettung vor dem eschatologischen Verderben, das in 2 Petr 3,10-12 in bunten Farben ausgemalt wird. Diese wird im Verlauf des Schreibens in dreifacher Weise expliziert: zu Beginn des Proömiums in ganz hellenistischer Diktion als „Teilhabe an der göttlichen Natur" (2 Petr 1,4)68, gegen Ende des Briefs in Anlehnung an biblische Traditionen als Teilhabe an „einem neuen Himmel und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3,13), und im Abschluss des Proömiums als „Einzug in das ewige Reich unseres Herrn und Retters Jesus Christus" (2 Petr 1,11). Es geht also um das definitive Teilhaftigwerden an der göttlichen neuen Welt, deren Heraufführung in den Bildern von Gericht und Rettung angekündigt ist. An der Bekräftigung dieser Verheißung ist dem Autor in erster Linie gelegen. Für unsere Fragestellung wird deutlich: Nicht die Retterprädikation selbst, sondern das eschatologisch erwartete Rettungsgeschehen provoziert bildhafte

66 Ein solches scheint mir gegeben, wenn z. B. Jung, ΣΩΤΗΡ, 342, die Verklärung als „das einzig relevante Heilsereignis" im 2 Petr bezeichnet. Die Tatsache, dass dies (zumal zur Legitimation des pseudo-petrinischen Autors) hervorgehoben wird, schließt die Bedeutung anderer Heilsereignisse sicher nicht aus. Daher ist es geradezu abenteuerlich, wenn Klaus Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen/Basel 1994, 520, aus diesem Befund eine protomarkinische Tradition rekonstruieren will, für die nur die Verklärung, nicht aber Kreuz und Auferstehung von Bedeutung seien. 67 Wo 2 Petr 1,10 von „befestigen" spricht, ist wohl die ethische Bewährung im Sinne der zuvorgenannten Tugenden gemeint. Vgl. auch 2 Petr 3,11.14. 68 Auch diese Aussage ist keine anthropologische, sondern eine eschatologjsche. Insofern ist der Vorschlag von Gerdmar, Rethinking, 230-242, beachtenswert, der die Wendung auf dem Hintergrund der Aussagen über die angelomorphe Verwandlung von Erlösten verstehen will, 2 Petr 1,4 freilich zu Unrecht auf das Sein der Glaubenden hier und jetzt bezieht (op. cit., 231).

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Ausdrucksweisen. Metaphorische Kühnheit verbindet sich besonders stark mit der Eschatologie. Für sie scheinen Metaphorik und Bildersprache noch unvermeidlicher zu sein als für die Christologie.

2.4. Die Metaphern Tag und Morgenstern Dies bestätigt sich auch an jener Stelle, die m. E. als einzige wirklich .metaphorische Christologie' bietet69, der Rede von Tag und Morgenstern in 2 Petr 1,19b. In V. 19-21 wird, im Anschluss an den Hinweis auf die Verklärung Christi und die Himmelsstimme, in der das apostolische Zeugnis seine Legitimation und die Erkenntnis der Herrlichkeit Christi ihren Grund hat, eine zweite Begründung dafür geboten, dass die Parusiehoffhung nicht auf „ausgeklügelten Mythen" (2 Petr 1,16a) beruht, sondern festzuhalten ist. Verwiesen wird auf den Charakter des prophetischen Wortes, also die alttestamentlich gegebene eschatologjsche Verheißung, die nun - neben der Tradition von der Verklärung - zur Begründung des Glaubens an Christi Kommen angeführt wird™.

Bevor der Autor in V. 20f. auf den ,inspirierten' Charakter der Prophetie und das Problem der .eigenmächtigen Auslegung' zu sprechen kommt, formuliert er eine metaphorische Mahnung, auf dieses Wort zu achten „als ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen". In dieser Mahnung verbinden sich verschiedene metaphorische Elemente nicht ganz spannungsfrei71, wobei auch hier Eschatologie und Christologie ineinander übergehen. Den Rahmen bildet die Lichtmetaphorik: Licht oder „Leuchter" (λύχνος) ist - nach einer gut biblischen Metapher72 - das Wort Gottes. Die Metapher vom „finsteren Ort" dürfte sich auf die von Unglaube und Sünde bestimmte Welt beziehen73, in der die Schrift, präziser: die prophetische Verheißung, als Quelle der Erkenntnis und Erleuchtung dient. Interessanterweise steht diese Funktion hier unter einem eschatologischen Vorbehalt: „bis 69 Dies gilt wiederum unter der Voraussetzung, dass man von .metaphorischer Christologie' exegetisch nur dann sinnvoll reden kann, wenn die metaphorische Kühnheit der Aussage noch in irgendeiner Weise spürbar mitschwingt. 70 Hier kann an Dan 7,13f., aber auch an Num 24,17 oder Ps 2,9 gedacht werden. Der Autor lässt den Bezug vermutlich mit Bedacht in der Schwebe. Gemeint sein kann auch die .Schrift' in ihrer Gesamtheit (so Paulsen, Der Zweite Petrusbrief, 120). 71 „Die Schwierigkeit der Interpretation resultiert aus der Koppelung metaphorischer und eigentlicher Rede" (Paulsen, Der Zweite Petrusbrief, 121). 72 S. die Belege o. Anm. 29. In 4 Esra 12,42 wird Esra (als Prophet) mit einer Lampe an einem dunklen Ort verglichen. 73 So auch Paulsen, Der zweite Petrusbrief, 121; Vögtle, Der Judasbrief, 170. Ein Bezug auf den Menschen (so Grundmann, Der Brief des Judas, 85) oder „the human mind" (so Bauckham, Jude, 2 Peter, 225), ist hier durch nichts angedeutet und erst aus dem späteren Verweis auf die .Herzen' konjiziert. Hier zeigt sich eine gewisse Inkohärenz der Bilder.

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der Tag anbricht...". Dabei bleibt der Autor noch ganz in der metaphorischen Sprache, ημέρα ist hier artikellos und damit zunächst noch nicht spezifisch auf „den Tag des Herrn" bzw. die Parusie bezogen, obwohl sich ein solcher Bezug im Fortgang des Schreibens dann nahe legt (vgl. 2 Petr 3,10). Die Rede vom Anbrechen des Tages ist zunächst Metapher für die Offenbarung. Wenn der Tag die Lampe ablöst, kommt klar zum Vorschein, was zuvor nur schemenhaft erkennbar war. Die Verknüpfung mit dem Morgenstern bringt Probleme: Wenn

mit

φωσφόρος hier, wie üblich, der Morgenstern (die Venus) bezeichnet wird, dann wäre dieser ja nicht nach Tagesanbruch, sondern vorher, als dessen Vorbote, sichtbar. Die .Abfolge' der Bilder ist mithin nicht ganz stimmig. Doch ist fraglich, ob vom Autor, zumal in einem Gefüge metaphorischer Aussagen, solche Stimmigkeit erwartet werden kann. Ein Grund dafür, φωσφόρος auf die Sonne zu deuten 74 , ergibt sich daraus nicht, zumal dieser Gebrauch kaum belegt ist75. Jedenfalls liegt auch in der Rede vom ,Aufgang' des Morgensterns eine eschatologische Metapher vor. Gemeint ist die eschatologische Zeit 76 , die für den Autor mit der Parusie Christi anbricht. Doch stellt sich das Problem, ob die Passage wirklich nicht nur eschatologisch, sondern auch christologisch zu verstehen ist, ob der Morgenstern also ein Christusprädikat darstellt. Es verschärft sich dadurch, dass der Autor das Bild durch den Zusatz „in euren Herzen" sofort wieder verschiebt und offenbar auf einen Erkenntnis- bzw. Erleuchtungsvorgang bezogen wissen will. In der Tat ist das Bild vom Morgenstern 77 (φώσφορος/Zwcí/er) im antiken Judentum und frühen Christentum sehr vielfältig verwendet. OrSib 5,516 belegt den Gebrauch für ein quasi-götdiches Wesen, das mit den Sternen kämpft, in Ps 110 L X X dient es als temporale Metapher (προ εωσφόρου έξεγέννησά σε) dazu, den Messias als ein „präexistentes, engelgleiches Wesen" zu charakterisieren 78 . In Jes 14,12 L X X ist er Bild für den gefallenen Tyrannen, in grApkEsra 74 So Franz Josef Dölger, Antike und Christentum 5, Münster 1936,1-43 (10f.). 75 Nach Walter Bauer/Kurt und Barbara Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin/ New York 6. Aufl. 1988, 1740, und Ceslas Spicq, Notes de lexicographie néotestamentaire, OBO 22, Bd. II, Fribourg/Güttingen 1978, 953f. (vgl. auch op. cit., Bd. III, Fribouig/Göttingen 1982, 693-695), ist das Lexem üblicherweise auf die Venus bezogen. Soweit ich sehe, fehlt eine nähere Untersuchung des Terminus bislang. 76 Vgl. Rom 13,12; 2 Petr 3,18. Ein Verständnis des .Tages' im bloßen Sinne einer ,,sittliche[n] Qualitätsbezeichnung", so Julius Boehmer, Tag und Morgenstern? Zu II Petr 1,19, Z N W 22 (1923), 228-233 (229), würde hier zu kurz greifen. Die von Boehmer (op. cit., 231) vorgeschlagene Ubersetzung „bis es tage und licht werde in euren Herzen" macht die spiritualisierende Interpretation perfekt, wird aber dem 2 Petr kaum gerecht. 77 Die dazu verwendeten Termini sind unterschiedlich. Jes 14,12 verwendet εωσφόρος, Apk 2,28 und 22,16 αστήρ πρωινός. 78 So bereits Wilhelm Bousset, Die Religion des Judentums im späthellenistischen Zeitalter, 3. Aufl. hg. V. H. Gressmann, HNT 21, Tübingen 1926, 265; vgj. Joachim Schaper, Eschatology of the Greek Psalter, WUNT 11/76, Tübingen 1995,101-106.

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4,29 für den eschatologischen Gegenspieler. In JosAs 14,1 erscheint der Morgenstern als .gutes Omen' am Ende des Gebets der Aseneth, und in einer späteren Passage kann gesagt werden, dass ihr Gesicht und ihre Augen selbst wie die Sonne und wie der Morgenstern leuchteten79. Ein eindeutiger christologischer Bezug der Metapher liegt erstmals in Apk 22,16b vor 80 , wo der erhöhte sich selbst als „der helle Morgenstern" prädiziert. Ignatius redet von Christus als dem Stern, der alle anderen überstrahlt (Ign Eph 19,2f.). An beiden Stellen liegt sehr wahrscheinlich ein — direkter oder eher durch eine frühchristliche exegetische Tradition vermittelter — Bezug auf die Verheißung vom „Stern aus Jakob" Num 24,17 vor 81 , die bekanntlich bereits im antiken Judentum breit messianisch gedeutet wurde82. An einzelnen Stellen verbindet sich die Stern-Verheißung aus Num 24,17 zusätzlich mit dem Bild der Sonne aus Mal 3,20 83 . Daraus könnte sich die Unschärfe der Metaphorik in 2 Petr 2,17 erklären. Der breite personale Gebrauch der Metaphern des .Sterns' (im messianischen Sinne) wie auch des .Morgensterns (für Engelwesen und eschatologische Gegenspieler wie auch dann für Christus) legt nahe, dass auch an dieser Stelle ein christologischer Sinn mitzuhören ist84. Da im Rahmen des Schreibens sowohl die Rede vom Anbrechen des .Tages' (in Verbindung mit der späteren Beschreibung des Kommens der ημέρα κυρίου) als auch das damit verbundene Bild vom Aufgehen des .Morgensterns' auf die Parusie Christi hin zu deuten sind, wird man auch den Morgenstern an dieser Stelle als Christusmetapher werten können. Christus ist der .Licht-Bringer' im (eschatologischen wie im epistemologischen Sinn), dessen Aufgang ebenso wie der .Anbruch des Tags' als Bilder für die mit der Parusie erwartete vollkommene Offenbarung verwendet werden können.

79 Vgl. die Überblicke bei David E. Aune, Revelation 1-5, WBC 52, Dallas, T X 1997, 212Í.; ders., Revelation 16-22, WBC 52C, Nashville, T N 1998,1226f. 80 Hingegen ist der Hinweis in Apk 2,28 nur mittelbar christologisch bezogen. Wem Christus den Morgenstern „gibt", der bekommt Anteil an seiner Herrlichkeit. Vgl. Aune, Revelation 1-5,212. 81 Vgl. zu Apk 22,17 Aune, Revelation 17-22,1227; zu Ign Eph 19,2f. s. ausführlich William R. Schoedel, Die Briefe des Ignatius von Antiochien, München 1990,159-173. 82 Vgl. CD VII 18f. (vgl. 4 Q D ' 3 IV 8), wo der Stern personal auf den „Deuter der Tora" bezogen wird. Vgl zur messianischen Deutung Mal 4,2 (LXX: 3,20); Sach 6,12; 1QM X I 6f.; 4QTest 9-13, sowie TLevi 18,3 und TJud 24,1, wo allerdings christliche Interpolationen vorliegen könnten. Zu verweisen ist weiter auf die Deutung des Namens von Bar Kosiba „Bar Kochba" (vgl. yTaan 68d sowie Bar-Kochba-Münzen mit dem Stern-Motiv). Die messianische Deutung von Num 24,17 wurde im frühen Christentum aufgenommen und z. T. mit anderen alttestamentlichen Texten verbunden, s. Mt 2,2-20; Justin, Apol. I 32,12; Dial. 106,4; Hippolyt, in Dan. 1,9; Orig., c. Cels. I 59f. 83 So z. B. in den vermutlich christlichen Interpolationen in den Patriarchentestamenten (TLevi 18,3; TJuda 24,1); vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 226. 84 Dabei ist immerhin bemerkenswert, dass der Autor mit φωσφόρο? einen Terminus verwendet, der im Griechentum für Gottheiten und Könige gebraucht wurde. Vgl. Bauckham, Jude, 2 Peter, 226.

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Dies wird auch durch die Zufugung „in euren Herzen" nicht aufgelöst. Diese Wendung hat manche Ausleger dazu verleitet, in 2 Petr 1,19 eine Umbiegung des Parusiegedankens in die individuell-psychologische Dimension zu sehen85. Doch wäre damit eine unnötige Spannung mit den sehr konkret kosmischen Aussagen in 2 Petr 3,10-13 konstruiert. Es ist sicher nicht die Intention des Autors, diese konkreten Erwartungen in die Innerlichkeit zu überfuhren. Man sollte nicht übersehen, dass der Kontext in 2 Petr 1,19 keine erschöpfende Behandlung der Parusieerwartung bieten will, sondern nur den einen Aspekt zur Sprache bringt, dass die volle Wahrheit dessen, was jetzt nur im prophetischen Wort angesagt ist, eschatologisch zutage treten wird. Das Ende wird die vollkommene Offenbarung bringen86. In diesem Sinne verbindet diese Wendung „den Aufgang des eschatologischen Tages ... mit der inneren Erleuchtung" 87 . Dass der Autor aber die kosmische Dimension dieser Hoffnung — zum Bedauern moderner Interpreten — keinesfalls außer Kraft setzen will, macht er in 2 Petr 3,10-13 hinreichend deutlich.

3. Schluss In der Rede vom „Aufgehen des Morgensterns" liegt insofern das klarste Beispiel metaphorischer Christologie im zweiten Petrusbrief vor. Kaum zufällig wird Metaphorik vor allem dort eingesetzt, wo zugleich eschatologisch geredet wird. Hier scheint die herkömmliche Sprache am ehesten an ihre Grenzen zu gelangen, und hier liegt zugleich das argumentative Hauptinteresse des Schreibens. Andererseits ist es auch kaum zufallig, dass dort, wo die Sprache metaphorisch wird, der exegetische Streit am heftigsten tobt und die Frage, ob ein Christusbezug vorliege oder nicht, auf welche traditionellen Vorgaben rekurriert werde und welche Implikationen mitgedacht seien, sich am wenigsten eindeutig lösen lässt. Die oben formulierte Beobachtung, dass der zweite Petrusbrief — trotz der unstrittigen Fähigkeit zum Gebrauch metaphorischer Sprache — seine Christologie weitgehend ohne den Einsatz neuer .kühner' Metaphern entfaltet, wird so zumindest relativiert. In der Tat zeigen die wesentlichen Christus-,Titel', Χ ρ ι σ τ ό ς , κύριος, σωτήρ und θεός kaum mehr metaphorische Züge. Ande85 Belege bietet Vögtle, Der Judasbrief, 171. 86 So Fornberg, Early Church, 85; Bauckham, Jude, 2 Peter, 226, der auf 1 Kor 13,8-12 als Parallele für eine solche Thematisierung des Eschaton verweist. 87 So Hans Windisch/Herbert Preisker, Die katholischen Briefe, HNT 15, Tübingen 3 1951, 90, der auf die parallele Metaphorik bei Philo, Ebr 44 u. ö. verweist.

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rerseits zeigt die Verbindung der Rede von Christus als δεσπότης mit dem Loskaufmotiv eine Rezeption traditionell soteriologischer Bilder. Die Rede von seiner „ewigen Königsherrschaft", die ebenso wie der σωτήρ-Titel in offenkundigem Kontrast zu Formulierungen der zeitgenössischen Herrscherverehrung steht, bot immerhin die Möglichkeit, die verwendeten Begriffe aus dem Repertoire der Adressaten zu .illustrieren'. Und schließlich zeigt die auf die endgerichtliche Rettung bezogene Rede von Christus als dem „Retter", dass auch die Christologie des zweiten Petrusbriefes — insbesondere in ihren eschatologischen Dimensionen — nicht ohne bildhafte Elemente auskommt. Die Metapher vom Aufgehen des Morgensterns bietet den deutlichsten Beleg dafür. Auch der zweite Petrusbrief kann in seiner Rede von Christus nicht auf den durch Metaphorik ermöglichten Sprachgewinn verzichten.

Teil II

Metaphorik und Christologie in der Kirchen- und Theologiegeschichte

Martin Wallraff Viele Metaphern — viele Götter? Beobachtungen zum Monotheismus in der Spätantike

„Gottes Kraftfelder, die durch die ganze Welt verteilt sind, rufen wir mit vielen Begriffen an, denn seinen eigentlichen Namen kennen wir doch alle nicht Allein die Bezeichnung ,Gott' ist nämlich allen Religionen gemeinsam." Diese Sätze, die einem interreligiös motivierten Artikel im Feuilleton-Teil der F. A. Z. oder ZEIT entstammen könnten, schrieb Anfang des fünften Jahrhunderts ein gebildeter Nicht-Christ an den chrisdichen Bischof und Theologen Augustin von Hippo. Zuvor hatte er an den Konsens unter den Gebildeten seiner Zeit appelliert: „Daß es einen einzigen höchsten Gott gibt, ohne Anfang, ohne natürliche Nachkommenschaft und doch wie ein großer und wunderbarer Vater - wer könnte so von Sinnen, so geistig umnachtet sein, dass er diese Gewißheit leugnete?" 1 Auch dieses Bekenntnis zum Monotheismus dürfte damals wie heute auf breite Zustimmung hoffen können. Die Auffassung, dass wir „im Grunde" doch alle den gleichen Gott meinen, dass Gott einer ist jenseits aller Differenzen des Kultes und der Religion, scheint kaum begründungsbedürftig zu sein. Wer sich außerhalb dieses Konsenses stellt, ist des Fundamentalismus verdächtig. Genau dies tat jedoch offenbar Augustin, denn Anlass des zitierten Briefes ist die Frage, warum sich die Christen dem magnus consensus der religiösen Kräfte der Zeit entziehen und auf ihrem Exklusivitätsanspruch beharren, der die bruchlose Eingliederung des Christentums in die Welt der römischen religio unmöglich macht. Es war eben diese wechselseitige Identifikation des jeweiligen Gottes, die den Bruch verursachte — nicht der Gegensatz zwischen Polytheismus und Monotheismus. An dieser Stelle sind unsere Vorstellungen und Darstellungen des 1

Maximus von Madaura an Augustin, überliefert in dessen Briefcorpus als ep. 16, hier §1: Et quidem unum esse deum summum sine initio, sine prole naturae ceu pattern magnum atque magnificimi quis tam demens, tam mente captus neget esse certissimum? huius nos uirtutes per mundanum opus diffusas multis uocabulis inuocamus, quoniam nomen eius cuncti proprium uidelicet ignoramus, nam deus omnibus religionibus commune nomen est. (CSEL 34, 37,9-15 Goldbacher).

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Christentums in der Antike immer noch häufig zu sehr von einer Stilisierung bestimmt, wie sie von den christlichen Autoren selbst induziert wurde, derzufolge dem monotheistischen Christentum ein polytheistisches Heidentum gegenüberstand. Dagegen sei schon jetzt betont — ich komme noch ausführlicher darauf zurück —, dass der Monotheismus als solcher in der Spätantike kaum strittig und jedenfalls mitnichten exklusives Proprium der jüdisch-chrisdichen Tradition war 2 . Freilich ist sogleich hinzuzufügen, dass damals wie heute Monotheismus nicht gleich Monotheismus ist und dass mit diesem Begriff teilweise sehr unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden. Mitunter helfen hier Differenzierungen weiter, die etwa in der Monotheismusdebatte der Alttestamentler bzw. Altorientalisten bewährt sind, wie Monolatrie, Henotheismus und Monotheismus, doch beschreibt auch dieses Begriffsgerüst die Komplexität der religiösen Phänomene in Spätantike und Gegenwart nur partiell3. Ich kann dieses Problem hier nicht vertiefen, möchte aber im Vorfeld darauf aufmerksam machen, dass der Begriff Monotheismus nicht so scharf und klar ist, wie er auf den ersten Blick scheinen mag und wie die Selbstverständlichkeit suggeriert, mit der man gerade in jüngerer Zeit wieder darauf rekurriert - wenn etwa die Solidarität der großen monotheistischen Weltreligionen eingefordert oder ein Weltethos be-

2

In dieser Hinsicht ist die jüngste Publikation über Pagan Monotheism in Late Antiquity, hrsg. v. Polymnia Athanassiadi und Michael Frede, Oxford 1999, überaus nützlich (überflüssige Häme verbreitet Marit Edwards in seiner Rezension in: J T h S 51 [2000] 339-342). Auch wenn der Sachverhalt als solcher nicht neu ist, sind doch Tragweite und Bedeutung des Monotheismus in der religiösen Kultur der Spätantike bei weitem noch nicht hinreichend ausgeleuchtet. Vgl. mit einigen (wenigen) weiteren Literaturverweisen René Bloch, Monotheismus, in: Der Neue Pauly, Bd. 8, Stuttgart 2000, Sp. 375-378. — Was umgekehrt den Monotheismus in der (früh-)jüdischen Tradition betrifft, so mahnt Peter Hayman, Monotheism - a Misused Word in Jewish Studies?, in: Journal o f Jewish Studies 42 (1991) 1-15 mit Recht zur Vorsicht In der Spätantike kann dort noch keine Rede davon sein, dass der theoretische Monotheismus im strengen Sinne das Feld beherrscht.

3

Zur jüngeren alttestamentlichen Diskussion vgj. den Forschungsüberblick von Bertram Herr, Jhwh und die Götter. Ein Querschnitt durch die Forschung zum syrischpalästinischen Gottesverständnis, in: Z R G G 52 (2000) 167-175, sowie seither Bob Becking u.a., Only One God? Monotheism in Ancient Israel and the Veneration o f the Goddess Asherah, London 2001. Aus der Sicht der Spätantike wäre jedenfalls noch der Begriff der μοναρχία zu nennen; unter den in der untersuchten Zeit selbst verwendeten Begriffen kommen wir hier dem modernen „Monotheismus" am nächsten — mit all den auch politischen Implikationen, die diese Terminologie umschloß, vgj. hierzu immer noch den „Klassiker" Erik Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Theologie im Imperium Romanum, Leipzig 1935; sowie dazu Alfred Schindler (Hg.), Monotheismus als politisches Problem? Erik Peterson und die Kritik der politischen Theologie, Gütersloh 1978.

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gründet werden soll. Dennoch würde ich nicht so weit gehen wie Jürgen Moltmann, der jüngst gefordert hat, diesen Begriff als untauglich ganz auszuscheiden4. Spätestens jetzt — wahrscheinlich schon viel früher — erhebt sich der Einwand: Das mag alles interessant und bedenkenswert sein, doch was hat es mit dem Thema des vorliegenden Bandes zu tun? Wo und wie kommt hier metaphorische Christologie ins Spiel? Die These meines Beitrages lautet, dass hier ein Zusammenhang besteht, dass sich Linien ziehen lassen vom sehr ausgeprägten Interesse an metaphorischer Christologie in der Alten Kirche zu dem in den Eingangsbemerkungen angedeuteten Monotheismusthema. Diese These hat zweifellos etwas Gewagtes, und damit der vorliegende Beitrag auch für den nicht völlig wertlos ist, der diese Hauptthese nicht nachzuvollziehen bereit ist, soll in einem ersten Teil über metaphorische Christologie in der Alten Kirche gesprochen werden; aus Raumgründen muss dies sehr skizzenhaft geschehen. In einem zweiten Teil werden zur weiteren Einordnung des Befundes etwas allgemeinere Beobachtungen zur religiösen Kultur der Spätantike gesammelt - vor allem außerhalb des Christentums. Zum Schluss komme ich auf die genannte These zurück.

1. Metaphorische Christologie Das Neue Testament stellte den Christen ein weites Spektrum von christologischen Metaphern zur Verfügung, die sich sowohl zur theologischen Reflexion als auch zur poetischen Entfaltung des Glaubens anboten und tatsächlich in der altkirchlichen Literatur bereitwillig aufgenommen wurden, später teilweise auch in der bildenden Kunst. Dazu gehörten nicht nur die bekannten, theologisch vielsagenden Titel wie Menschensohn, Messias oder Hoherpriester, sondern auch und gerade auf den ersten Blick unscheinbarere Namen wie Lamm, Hirt oder Fels5. Manche dieser Metaphern waren schon zu neutestamentlicher Zeit

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Jürgen Moltmann, Kein Monotheismus gleicht dem anderen. Destruktion eines untauglichen Begriffe, in: EvTh 62 (2002) 112-122. Leider war es mir nicht möglich, noch vor der Drucklegung die jüngste Publikation zum Thema einzusehen: Ist der Glaube Feind der Freiheit? Die neue Debatte um den Monotheismus, hrsg. v. Thomas Söding ( Q D 196), Freiburg 2003. Lamm: Joh 1,29.36; 1 Pt 1,19; Hirt Joh 10,11.14; Hebr 13,20; 1 Pt 2,25; Fels: 1 Kor 10,4, vgl. dazu das schöne Buch von Vincent Taylor, The Names of Jesus, London 1953 (diverse Nachdrucke). Für die spätere Verwendung vgl. die einschlägigen RAC-Artikel: Jean Daniélou, Fels, in: RAC 7, Stuttgart 1969, Sp. 723-732; Josef Engemann, Hirt, in: RAC 15, Stutt-

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gewissermaßen zu Eigennamen oder Titeln geronnen, etwa der Messias, griechisch Χριστό?. In anderen Fällen blieb es der patristischen Literatur vorbehalten, die Verfestigung voranzutreiben. Diesen Gerinnungsprozess in mehreren Stufen kann man beispielsweise am „Sohn Gottes" gut verfolgen. Was zunächst Metapher war, wurde im Laufe des zweiten Jahrhunderts zum Titel, und spätestens im dritten Jahrhundert - etwa bei Orígenes - ist von dort aus die Tendenz zur „Ontologisierung" weit fortgeschritten6. Bekanntlich ist dann ein großer Teil der dogmatischen Diskussionen im vierten Jahrhundert der Frage gewidmet, in welchem Sinne Jesus Sohn Gottes sei und wie er sich in seinem Gottsein zum Vater verhalte - all dies wurde in rein ontologischen Kategorien der zeitgenössischen Philosophie diskutiert. Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, dass es genau diese Prozesse sind, die üblicherweise den Schwerpunkt der Darstellungen altkirchlicher Christologie in der Forschung und in den Handbüchern bilden7; doch parallel zu dem Prozess der Vertiefung und Verfestigung lief eine Ausweitung und Verbreiterung des Bestandes der christologischen Sprache, die bislang weniger Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, aber für unsere Fragestellung erheblich interessanter ist. Der Bestand an biblischen Metaphern reicht nicht mehr aus, sondern wird stark erweitert. Nicht nur der Löwe ist Metapher für Christus (Apk 5,5), sondern alle vier apokalyptischen Tiere: Löwe, Stier, Mensch, Adler8. Nicht nur das Lamm ist Metapher für Christus, sondern auch der Fisch, der Hirsch und das Einhorn9. Ein atemberaubender Deutungs- und Sinnstiftungsprozess kommt in Gang, in dessen Verlauf schließlich beinahe alles metaphorisch auf Christus bezogen werden konnte. Ich gebe listenartig und selbstverständlich ganz unvollständig ein paar Eindrücke: Arzt, Auge, Baum, Berg, Biene, Löwe, Pelikan, Perle, Pflug, Phoenix, Stein, Wurm und viele andere10. Ja, selbst der Wurm: man entnahm ihn Psalm 22, dem Psalm Jesu am Kreuz („Ich bin ein Wurm und kein Mensch", V. 7) - in Kombination mit der antiken Auffassung, dass Würmer ohne Zeugung von selbst entstehen11. Die Zusammenstellung läßt sich sehr leicht und um gart 1991, Sp. 577-607, bes. Sp. 591-594 sowie einstweilen V. Loi, Lamb, in: Encyclopedia of the Early Church, Bd. 1, Cambridge 1992, 470. 6 Vgl. Domenico Ρ azzini, Figlio, in: Origene. Dizionario. La cultura, il pensiero, le opere, hrsg. v. Adele Monaci Castagno, Rom 2000,161-168. 7 Stellvertretend sei hier nur auf den meisterhaften „Jesus der Christus im Glauben der Kirche" von Alois Grillmeier (Freiburg 1979ff.) verwiesen. Dessen erster, hier im wesentlichen einschlägiger Band behandelt manche der im folgenden zu betrachtenden Themen unter den Überschriften „Das volkstümliche Christusbild" und „Zur vulgären Theologie der Mysterien des Lebens Jesu" (157-183). 8 Vgl. Alfred Stoiber, Christusepitheta, in: RAC 3, Stuttgart 1957, Sp. 24-29, hier Sp. 26. 9 Für den Fisch und den Hirsch s. unten Anm. 19 und 12; das Einhorn wird im zuerst Physiologos 22 auf Christus bezogen - und später öfter, etwa Euseb, dem.ev. 10,8,92. 10 Die Liste stützt sich teilweise auf Alfred Stoiber, Christusepitheta — ein Artikel, der auch sonst für das Thema grundlegend ist. 11 Etwa Hilarius von Poitiers, trin. 11,15; Augustin, ep. 102,6,35f.

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ein Beträchtliches erweitern, und es wäre eine reizvolle, bis jetzt noch nicht gelöste Aufgabe, einen umfangreichen Katalog mit Belegen aus der patristischen Literatur zusammenzustellen. Allerdings könnte gerade das Listenartige einer solchen Zusammenstellung den verkehrten Eindruck erwecken, es herrsche hier Beliebigkeit, als ließe sich für alles und jedes ein christologischer Bezug an den Haaren herbeiziehen, wenn man nur will. Nun ist es aber keineswegs so, dass in der Antike Beliebigkeit herrschte; vielmehr lassen sich bestimmte Regeln angeben, denen die „Metapherninflation" folgt, es lassen sich bestimmte Haupttypen unterscheiden. Eine erste Kategorie ist die alttestamentliche. Von Anfang an spielten Deutemuster aus der jüdischen Heiligen Schrift zum Verständnis des Auftretens Jesu eine zentrale Rolle. Dieser Prozess setzte sich auch nach Abschluss des neutestamentlichen Kanons ungebrochen fort. Vom Wurm aus Ps 22 war schon die Rede; ähnliches gilt für den Hirsch, der - meist an Ps 42,2 anknüpfend — auf Christus bezogen wird12. Der Tempel, schon in den neutestamentlichen Briefen in verschiedenen anderen metaphorischen Verwendungen belegt13, wird im dritten Jahrhundert zur zentralen Christusmetapher, später geradezu zum terminus technicus für seine menschliche Natur14. Der Stern aus der Bileam-Weissagung (Num 24,17) begegnet beiläufig in der Johannesapokalypse (22,16) als Metapher für Christus; Ignatios von Antiochien baut dieses Thema zu einem großen metaphorischen Christus-Hymnus aus15. Gerade der Stern ist insofern ein reizvolles Beispiel, als er nicht nur alttestamentlich gut verwurzelt ist, sondern gleichsam nebenbei auch eine kontroverstheologische Funktion in der zeitgenössischen religiösen Umwelt wahrnehmen kann. Schon bei Ignatios ist diese Frontstellung gegen Astrologie und Gestirnverehrung deudich zu spüren; in der späteren christlichen Literatur wurde das Thema zum geläufigen Topos16. Damit sind wir bei einem zweiten Typus von Christusmetaphern, nämlich solchen, die in der Auseinandersetzung mit der religiösen Umwelt entstanden sind. Christus als Arzt wäre hier zu nennen. Man konnte in Konkurrenz zu anderen Heilgöttern damit aussagen, dass Christus

12 Vgl. Bernhard Domagalski, Hirsch, in: RAC 15, Stuttgart 1991, Sp. 551-577, bes. Sp. 569ff. 13 1 Kor 3,16 (Gemeinde); 6,19 (menschlicher Leib); Eph 2,21 (Kirche). Vgl. dazu Gabriele Faßbeck, Der Tempel der Christen. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum (TANZ 33), Tübingen 2000. 14 Reiches Belegmaterial bei Geoffrey W.H. Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961 (verschiedene Nachdrucke), s.v. vaos, Abschnitt H. 15 IgnEph 19,2f. 16 Vgl. mit diversen Beispielen Kocku von Stuckrad, Das Ringen um die Astrologie. Jüdische und christliche Beiträge zum antiken Zeitverständnis ( R W 49), Berlin 2000, bes. 768-800, allerdings vielfach mit unnötig polemischem Unterton.

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wahres Heil und wahre Heilung bringt17. Auch einschlägige Götternamen konnten direkt auf Christus bezogen werden: Asklepios ebenso wie Dionysos oder Zeus (und ebenso wie auch schon Moses, Salomo und David aus dem Alten Testament) 18 ; hier liegen die Dinge freilich anders und komplizierter, denn die Ineinssetzung verschiedener Namen ist ein Spezialfall, auf den ich noch zurückkommen werde. Relativ selten hingegen ist — als dritter Typus - die völlig freie Erfindung neuer Metaphern für Christus. Das bedeutendste und faszinierendste Beispiel hierfür ist der Fisch - eine sehr verbreitete Metapher und in mehrfacher Hinsicht ein ganz ungewöhnlicher Fall19. Ein ausgeprägter alttestamentlicher Anknüpfungspunkt oder eine Themenvorgabe der religiösen Umwelt ist nicht erkennbar. Selbstverständlich spielen die Themen Fisch und Fischer im Neuen Testament keine ganz marginale Rolle, doch nirgends als Christusmetapher. Vermutlich war es das Ingenium eines unbekannten Christen in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, der den Fisch durch den bekannten Akrostichos ins Gespräch brachte: die Buchstaben von 'Ιχθύς gelesen als Anfangsbuchstaben von Ίησους· Χ ρ ι σ τ ό ς Θεοί) Υ ι ό ς Σωτήρ 2 0 . Diese hübsche Kombination gefiel und faszinierte; gerade das Chiffrenhafte und zugleich Tiefsinnige mag dazu beigetragen haben. Schon früh begegnet der Fisch nicht nur sprachlich, sondern auch bildlich, ja, es ist eine der frühesten Bilddarstellungen in der christlichen Kunst überhaupt, und es ist schwer entscheidbar, ob es eher die Bilddarstellung oder eher der Akrostichos war, der das Motiv aufbrachte. Wie dem auch sei — in jedem Falle handelt es sich um eine „erfundene", eine „künstliche" Metapher, die sich gleichwohl schnell und weit verbreitete. Es wäre möglich und reizvoll, an dieser Stelle weitere Metaphern aufzuzählen, zu untersuchen und dabei den drei Typen zuzuordnen. Ein interessantes Beispiel wäre etwa die Sonne, die einerseits alttestamentliche Wurzeln hat, ohne jedoch schon im Neuen Testament als christologische Metapher zu begegnen, und die zugleich eine kontroverstheologische Funktion hat im Gegenüber zu paganen Formen der Sonnenverehrung. Ich will das hier nicht vertiefen (da ich das bereits an anderer Stelle getan habe21), sondern etwas allgemeiner nach den 17 Vgl. Samuel Fernández, Cristo médico, según Orígenes. La actividad médica como metáfora de la acción divina (SEA 64), Rom 1999, neben dem Hauptteil zu Orígenes v.a. 36-43 zur Vorgeschichte. 18 Vgl. Stuiber, Christusepitheta, Sp. 26f. 19 Vgl. zum folgenden Josef Engemann, Fisch, in: RAC 7, Stuttgart 1969, Sp. 959-1097. Daneben behalten auch immer noch die älteren Arbeiten von Franz Joseph Dölger, ΙΧΘΤΣ. Der heilige Fisch in den antiken Religionen und im Christentum, 5 Bde, Münster 1910-43, durch die Fülle des ausgebreiteten Materials ihren Wert. 20 Vgl. die ältesten Belege bei Engemann, Fisch, Sp. 1031 f. 21 Vgl. Martin Wallraff, Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike (JAGE 32), Münster 2001.

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Funktionen dieser christologischen Metaphern fragen und nach den Gründen für ihre enorme Zunahme. Schon früh wurden die Metaphern auch systematisch zu Reihen zusammengestellt, zu litaneiartigen Listen von oft beträchtlicher sprachlicher Schönheit. Eines der frühesten Beispiele findet sich bei Justin: „Christus ist Kaiser und Priester und Gott und Herr und Engel und Mensch und oberster Feldherr und Stein"22. Zu geradezu hymnischer Steigerung gelangt Klemens von Alexandrien in einem wunderbaren Gedicht am Ende seines paidagogosr. „Jesus, Retter des sterblichen Geschlechtes, Hirt, Pflüger, Steuerruder, Zügel, himmlischer Flügel der allheiligen Herde, Fischer der Sterblichen, die errettet werden aus dem Abgrund des Bösen, ... andauerndes Wort, unermeßliche Zeit, ewiges Licht, Quelle des Erbarmens."23 Tatsächlich sind die Assoziationen Hymnus und Litanei am Platze, denn die Metaphernreihen knüpfen an und übernehmen die Funktion von Anrufungsreihen, wie sie antiker Religiosität entsprachen. Die Nennung des Namens hat Macht, ruft Macht herbei, und die Nennung vieler Namen, ihre listenhafte Häufung steigert diese Macht. Ganz offensichtlich steht diese Vorstellung im Hintergrund, wenn Christus in den Johannesakten angerufen wird: „Wir preisen deinen Samen, das Wort, die Gnade, den Glauben, das Salz, die unaussprechliche Perle, den Schatz, den Pflug, das Netz, die Größe, das Diadem, den unseretwegen Menschensohn Genannten, die Wahrheit, die Ruhe, die Erkenntnis, die Macht, das Gebot, die Freimütigkeit, die Freiheit, die Zuflucht zu dir."24 Man sollte solche Texte aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert nicht mit dem Hinweis auf ihren apokryphen Charakter relativieren. Dabei würde man Kriterien späterer Rechtgläubigkeit und Häresie unberechtigt zurückprojizieren25. Sicher ist es indessen richtig, dass an dieser Stelle die Grenze zur Magie 22 ó γαρ Χριστός βασιλεύς και ιερεύς καΐ θεός καΐ κύριος και άγγελος καΐ άνθρωπος καΐ αρχιστράτηγος και λίθος. dial. 34,2 (PTS 47,125,12-14 Marcovich). 23 βροτέας γενεάς σώτερ ΊησοΟ, ποιμήν, άροτήρ, οΐαξ, στόμιον, τττερόν οΰράνιον παναγοΰς ποίμνης, άλιεΟ μερόπων των σωζόμενων πελάγους κακίας ... λόγος αέναος, αιών άπλετος, φως άίδιον, ελέους πηγή. Hymnus in Christum Salvatorem (CPG 1356; GCS Clemens l 3 , 291,17-292,37 Stählin/Treu), vgl. zu dem Text Annewies van den Hoek, Hymn of the Holy Clement to Christ the Saviour. Clement of Alexandria, Pedagogue 3.12.101.4, in: Prayer from Alexander to Constantine. A Critical Anthology, hrsg. v. M. Kley, London 1997, 296-303. 24 δοξάζομέν σου τον σπόρον, τον λόγον, την χάριν, την πίστιν, το άλας, τον άλεκτον μαργαρίτην, τον θησαυρόν, το άροτρον, την σαγήνην, το μέγεθος, το διάδημα, τον 61G ημάς λεχθέντα υίόν ανθρώπου, την άλήθειαν, την άνάπαυσιν, τ η ν γνώσιν, την δίιναμιν, την εντολήν, την παρρησίαν, την ελευθερίαν, την εις σε καταφυγήν. Actjoh 109 (CChr.SA 1, 301,7-303,12 Junod/Kaestìi; Üs. Hennecke/Schneemelcher5 2,187f.), vgl. auch ActThom 10; 156; Actjoh 98. 25 Immerhin konnten solche Anrufiingsreihen später auch ohne weiteres Eingang in die (mehr oder minder) „offizielle" christliche Liturgie finden, siehe etwa das Exorzismusgebet im Athos-Codex Lavra Θ20, ediert von Louis Delatte, Un office byzantin d'exorcisme (MAB 2,52), Brüssel 1957: εξορκίζω υμάς δια των αγίων ονομάτων τοίι παντοδυνάμου Θεού..., es folgt eine lange Reihe christologischer Metaphern (52,11-22). Mit umfangrei-

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nahe liegt. Damit bewegen wir uns in einer Zone, in der in einer besonders schwer abgrenzbaren Weise Christliches, Nicht-Christliches und dezidiert Unchristliches miteinander kombiniert erscheinen. So ist es etwa nur ein kleiner Schritt von den zitierten Apostelakten zu magischen Papyri, in denen Anrufungen wie die folgenden stehen können: „Hör, Hör, phor, Eloei, Adonai, Iao, Sabaoth, Michael, Jesus Christus! Hilf uns und diesem Haus. Amen." 26 Solch ein Text kann schwerlich als Reihung von christologischen Metaphern durchgehen; vielmehr wird hier Christus in eine Reihe mit anderen Götternamen gestellt, wobei durchaus die Auffassung im Hintergrund stehen kann, dass der Multiplizität der Namen eine Einheit des angerufenen Gottes entspricht. Auf diese Frage werde ich noch zurückkommen. Einstweilen ist es mir darum zu tun, dem Eindruck entgegenzutreten, dass die Häufung der Namen und Metaphern für Christus ein randständiges Phänomen der Volksfrömmigkeit, der herabgesunkenen Religiosität, des ausfransenden Synkretismus ist. Von der Problematik solcher Begriffe einmal ganz abgesehen, ist das Phänomen durchaus auch Gegenstand der intellektuelltheologischen Reflexion bei zahlreichen christlichen Autoren, allen voran Orígenes. Gott selbst, so führt er im Prolog zum Johanneskommentar aus, ist „durchaus eines und einfach ( Ό 9eôç μέν ούν πάντη ev έστι και άπλοΰν)" 27 , doch Christus, unser Retter (σωτήρ), wird Vieles durch Vieles; in ihm entfaltet sich die Einheit Gottes in die Vielheit des Menschen. Auf dieser platonistischen Grundlage entwickelt Orígenes eine Lehre von den Vorstellungen oder Gedanken (επινοιαι). Ausgehend von Joh 1,1, dem λόγος als erster Vorstellung Christi, wird eine lange Liste weiterer Namen überwiegend biblischer Provenienz erklärt28. Es wäre zu fragen, worin Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Orígenes' èmvoia-Begriff und unserem modernen MetaphernBegriff liegen. Ein ausgeprägtes Differenz-Bewusstsein zwischen „Metapher" und „Titel" zeigt sich bei Orígenes jedenfalls nicht — ebenso wenig wie bei den anderen christlichen Autoren der Antike. Unter diesen Autoren hat Orígenes wenig Gefolgschaft gefunden im fast schon technischen Gebrauch des Begriffes έπίνοια, sehr wohl allerdings in der Gedankenfigur von der Einheit Gottes des Vaters und der Vielheit der Vorstellungen von Gott dem Sohn. Im vierten Jahrhundert wird die Reflexion auf die Namen Christi häufig und in allen Kulturkreisen der christlichen Patristik aufgegriffen. Bei Ephraim dem

chem weiterem Material vgl. C. Detlef G. Müller, Gottesnamen (Gottesepitheta) IV (christlich-volkstümlich), in: RAC 11, Stuttgart 1981, Sp. 1238-1278. 26 Ό ρ Ώρ φωρ Έλωεί, Άδω να ι, Ίαω, Σαβαώθ, Μιχαήλ, Ίεσοΰ Χριστέ, βοήθι ήμΐν και τούτω οικφ. αμήν. Papyri Graecae Magicae, hrsg. v. Kail Preisendanz, 2. Aufl., Stuttgart 1974, P6a. 27 Jo. 1,20,119 (GCS Orígenes 4, 24,23 Preuschen). 28 Jo. 1,16-39.

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Syrer kann man von einer regelrechten „Theologie der Namen sprechen"29, Nicetas von Remesiana hat sogar eigens ein kleines Traktätchen „De diversis appellationibus Iesu Christo convenientibus" verfasst30. Die tiefste und schönste Reflexion auf dieses Thema findet sich jedoch in dem Werk „De divinis nominibus" aus der Feder des Meisters der wechselseitigen gedanklichen Durchdringung von Piatonismus und Christentum im fünften Jahrhundert. Der Autor, der selbst namenlos bleibt und für uns nur unter dem selbstgewählten Pseudonym Dionys vom Areopag zu greifen ist, verbindet in dem Diskurs über die götdichen Namen apophatische und kataphatische Theologie, die Rede vom Deus absconditus und vom Deus revelatus: Gott ist einerseits namenlos (insofern sein Wesen uns nicht greifbar ist), andererseits der Vielnamige (insofern er sich auf vielfältige Weise zu erkennen gibt)31. Parallel zur Zunahme der christologischen Metaphern in hymnischen und liturgischen Kontexten und als gedanklicher Hintergrund dazu steht somit die Entstehung einer christlichen Lehre von der Vielnamigkeit Gottes. Die Polyonymie — ein Ausdruck, den der Areopagit auch selbst gebraucht32 - ist ein Gedanke, der sich nicht unmittelbar auf Piaton zurückführen läßt, aber sehr wohl Wurzeln in der religiösen Kultur der Antike hat. Damit komme ich zum zweiten Teil, in dem es um den paganen — oder vielleicht besser: den allgemein-religiösen Hintergrund gehen soll.

2. Polyonymie Vielnamigkeit war für einen antiken Gott, der auf sich hielt, ein sehr erstrebenswertes Gut. Bei Kallimachos sehen wir die kleine Artemis, eben erschaffen, wie sie auf den Knien ihres Vaters sitzt und ihn darum bittet, vielnamig zu sein wie ihr Bruder Apollon, um ihm gewachsen zu sein33; denn viele Namen zu besitzen, bedeutete vielfach zum Einsatz zu kommen, bedeutete Macht. Tatsächlich war Apollon schon von alters her der Großmeister der Vielnamigkeit, als Phoibos und Paian und Lykeios wurde er angerufen34. Der römische Götterhimmel hatte durch Gleichsetzung mit dem griechischen Olymp seine kanonische Gestalt 29 Vgl. Peter Bruns, Ephram der Syrer, in: Theologen der christlichen Antike. Eine Einführung, hrsg. v. Wilhelm Geedings, Darmstadt 2002,184-201, hier 196-198. 30 CPL 646; Andrew E. Burn, Nicetas of Remesiana, Cambridge 1905,1-5. 31 d.n. 1. 32 d.n. 1,8 (PTS 3 3 , 1 2 1 , 1 7 Suchla), vgl. auch 1,6 (118,11 S.). 33 In Dianam 7. Erst danach bittet sie um Pfeil und Bogenl 34 Vgl. Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (RdM 15), Stuttgart 1977,225-233.

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angenommen, und auf diese Weise war vielen Göttern ein zusätzlicher lateinischer Name zugewachsen: Zeus bekam Iuppiter zur Seite, Athene die Minerva, Hera die Iuno und so fort; zahlreiche weitere Gottheiten wurden in der Folgezeit durch solche interpretaüo romana absorbiert 35 . Vielfach schwindet bei solchen Prozessen der lokale Charakter einer Gottheit, und aus dem Sondergott wird ein zusätzlicher Beiname eines universalen Gottes, dessen Ursprung nicht mehr bewusst ist. Der Ausdruck „Sondergott" ist (freilich in anderem Sinne) geprägt von Hermann Usener, dessen „Götternamen" immer noch die anregendste Lektüre zu diesem Thema ist, die man sich vorstellen kann, auch wenn gerade im Blick auf die von ihm so genannten Sondergötter (die für ihn nicht einfach lokale Götter waren) seine Forschungsergebnisse weithin als überholt gelten können. Das brillante Werk ist vor gut hundert Jahren erschienen und hat seither jede Generation so fasziniert, dass beinahe alle Vierteljahrhundert ein unveränderter Nachdruck veranstaltet wurde (zuletzt im Jahr 2000), jeweils mit Vorworten der besten Religionshistoriker der Zeit 36 . Während die griechisch-römischen Götter von allem Anfang an ein ausgesprochen inklusives Wesen hatten, also die Fähigkeit zusätzliche Namen und Götter in sich aufzunehmen, wurde diese Fähigkeit in der Spätantike bis an die Grenzen des Sinnvollen ausgedehnt und geweitet. Die Verhältnisse zunehmender, aber im streng begrifflichen Sinne ungeklärter Identität wurden geradezu zum Regelfall. Man kann dies gut an Mithras und Sol ablesen. Schon Apollon hatte seit alters her viele solare Eigenschaften und Benennungen an sich gezo35 Vgl. immer noch Georg Wissowa, Religion und Kultus der Römer (HAW 5,4), 2. Auflage, München 1912 (Nachdruck 1971), 50-52; 62f. sowie Franz Altheim, Römische Religionsgeschichte, Bd. 1, Baden-Baden 1951,190-220 (anregend, aber zu eigenwillig). Zur interpretado romana (Tacitus, Germ. 43) vgl. den klassischen Aufsatz von Georg Wissowa, Interpretado Romana. Römische Götter im Barbarenlande, in: Archiv für Religionswissenschaft 19 (1918) 1-49 sowie J.-L. Girard, Interpretado romana. Questions historiques et problèmes de méthode, in: RHPhR 60 (1980) 21-27 und Fritz Graf, Interpretado. II. Religion, in: Der Neue Pauly, Bd. 5, Stuttgart 1998, Sp. 1041-1043. Der interpretatio romana entspricht schon längst vorher eine vergleichbare interpretaüo graeca, vgl. dazu und zu den sprachphilosophischen Implikationen Walter Budcert, Herodot über die Namen der Götter. Polytheismus als historisches Problem, in: Museum Helveticum 42 (1985) 121-132. 36

Hermann Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896 (Nachdrucke 1929 mit Geleitwort von Eduard Norden, 1948 mit Geleitwort von Martin P. Nilsson und zuletzt 2000). Vgl. dazu und zur Kritik daran in der modernen Diskussion Giulia Piccaluga, Attualità dei «Sondergötter»? «Divinità funzionali» e funzionalità divina nella religione romana arcaica, in: Aspetti di Hermann Usener, filologo della religione, hrsg. ν. Graziano Arrighetti u.a., Pisa 1982, 147-159. Grundlegend für die folgenden Ausführungen über „Namen" ist ferner Burkhard Gladigow, Gottesnamen (Gottesepitheta) I (allgemein), in: RAC 11, Stuttgart 1981, Sp. 1202-1238 (zu Usener 1208-1210) und ders., Götternamen und Name Gottes, in: Der Name Gottes, hrsg. v. Heinrich von Stietencron, Düsseldorf 1975,13-32. Biographisch zu Usener vgl. Jan N. Bremmer, Hermann Usener. 23 October 1834-21 October 1905, in: Classical Scholarship. A Biographical Encyclopedia, hrsg. v. Ward W. Briggs und William M. Calder III, New Yode 1990, 462-478.

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gen, ohne doch im strengen Sinne mit Helios identisch zu sein. Ebenso gerät nun auch der alte persische Lichtgott Mitra im Zuge seiner Rezeption als römischer Mithras in eine bedenkliche Nähe zum römischen Sonnengott. Dedikationen an den Gott „Sol Mithras" werden häufig, so als sei das ein einziger Gott, doch zugleich können die beiden in der Ikonographie durchaus noch als getrennte Personen erscheinen37. In diesem Sinne ungeklärte Verhältnisse herrschen auch bei Isis, die ägyptische Wurzeln hat und in der religiösen Kultur der Spätantike in eine beherrschende Stellung einrückt. In dem einschlägigen religiösen Roman von Apuleius tritt die Göttin nach langer ritueller Vorbereitung persönlich auf, stellt sich in einer großen Doxologie als höchste Gottheit vor und fährt fort: „Da bin ich, ... die unter vielerlei Namen der ganze Erdkreis verehrt: Dort nennen mich die Erstgeborenen der Menschen, die Phryger, die Pessinuntische Göttermutter, hier die Urbewohner ihres Landes, die Attiker, die kekropische Minerva, dort die meerumfluteten Kyprier die Paphische Venus, die pfeiltragenden Kreter die Diktynnische Diana, die dreisprachigen Sikuler die stygische Proserpina, die Eleusinier die alte Göttin Ceres, andere Juno, andere Bellona; diese dort Hekate, jene Rhamnusia, und, die von den beginnenden Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet werden, die Äthiopier beider Länder und die durch uralte Weisheit ausgezeichneten Ägypter, durch eigene Bräuche mich ehrend, mit meinem wahren Namen Königin Isis."38 Ob all den Göttinnen, die hier vereinnahmt werden, dies überhaupt recht war, ist mehr als ungewiss - gefragt wurden sie jedenfalls nicht. Nach und nach gerieten auf diese Weise in der Spätantike alle möglichen lokalen und ethnischen Götter in den großen Strudel der Theokrasie, wurden hineingezogen in den riesigen Reigen der Gleichsetzung unter dem uralten Leitbegriff der Polyonymie. Zur gleichen Zeit, in der Orígenes die Lehre von den diversen Ιπί.νοΐ(Η Christi entwickelt, vertritt sein Gegner Kelsos die Auffassung, dass der höchste Gott bei den verschiedenen Völkern verschiedene Bezeichnungen hat, aber doch immer der Gleiche ist39. Es ist deutlich, dass es hier nicht mehr nur einfach um Polyonymie geht, also um die diversen Namen eines partikularen Gottes, sondern dass vielmehr alk verschiedenen Götternamen, die es gibt, im Grunde immer nur den einen höchsten Gott bezeichnen, kurzum: Die Tendenz zum Monotheismus ist unverkennbar. „Ein einziger ist Zeus, einer Hades, einer Helios, einer Dionysos, ein einziger Gott in allem: wie sollte ich ohne dich dies sagen?"40, so drückt es ein orphischer 37 Vgl. Manfred Clauss, Sol Invictos Mithras, in: Athenaeum 78 (1990) 423-450, hier 427-431 sowie ders., Mithras. Kult und Mysterien, München 1990,153-156. 38 met. 11,5,1-3 (326,35-328,10 Helm, Üs. ebd.). 39 Orígenes, Cels. 5,41. 40 Eis Zeús, e l s ' Α ΐ δ η ς , els"HXios, el5 Διόνυσος, | els 0eòs kv π ά υ τ ε σ σ ι τ ί σοι δίχα τ α ΰ τ ' αγορεύω; Orph. fragm. 239 Kem, überliefert bei Ps.-Justin, coh. Gr. 15,1

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Text aus, und artikuliert damit zweifellos einen Konsens unter den Gebildeten der Zeit. „Es gibt Leute, die behaupten, Apollon, Helios und Dionysos seien derselbe Gott," so wendet sich Dion Chrysostomos an die Bevölkerung von Rhodos, „und auch ihr seid dieses Glaubens; ja viele ziehen sogar einfach alle Götter in einer Macht und Gewalt zusammen, so dass es gleichgültig ist, ob man diesen oder jenen Gott ehrt."41 Es ist aus diesem Grunde auch kein Zufall, dass einer der letzten auf dem Forum Romanum noch renovierten paganen Tempel dem „Götterkolleg" der di consentes geweiht ist42. Damit konnte man am traditionellen Polytheismus festhalten und zugleich mehr das Einigende und Einheitliche als das Trennende der Götterwelt betonen. Vielfach nahm in diesem forcierten Monotheismus die Sonne eine führende Stellung ein. So ist es bei Julian, der programmatisch eine christentumsfreie Reichsreligion entwickeln wollte unter Aufnahme möglichst vieler archaischer und archaisierender Wurzeln. In seinem philosophisch auf Jamblich gestützten monotheistischen Weltbild ist Helios der höchste Gott, dem sich die anderen unterordnen oder vielmehr: in dem sie durch Theokrasie verschwinden43. Und so ist es auch bei Macrobius im fünften Jahrhundert, bei dem diese Tendenz ihren abschließenden Ausdruck vor dem Untergang des sogenannten Heidentums fand. Er lässt den hochgebildeten Vettius Praetextatus aus bester römischer Familie einen langen Vortrag halten, in dem zahlreiche Götternamen als Bezeichnungen des einzigen Gottes Sol/Apollo gedeutet werden. Nur am Rande sei bemerkt, dass Vettius seine Bildung hauptsächlich durch viele, teilweise abenteuerliche Etymologien unter Beweis stellt: Sol kommt von solus und Apollon von πολλοί mit alphaprivativum, also: der Nicht-Viele, eben der Einzige44.

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(PTS 32, 44,27f. Marcovich), eine Parallele bei Macrobius, sat. 1,18,18, ähnlich auch Julian, or. 11(4),10. Vgl. zu dem Text den Kommentar von Christoph Riedweg, Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher „Cohortatio ad Graecos"). Einleitung und Kommentar (SBA 25), Basel 1994, 333f. καίτοι τ ο ν μεν 'απόλλω καΐ τ ο υ Ή λ ί ο ν καΐ τ ο ν Διόνυσον ενιοί φασιν είναι τον αυτόν, και ΰ μ ε ΐ ς οϋτω ν ο μ ί ζ ε τ ε , πολλοί δε και απλώς TOUS θεοί)5 π ά ν τ α δ ε ι ς μίαν τ ι ν ά ί σ χ υ ν και δυναμιν συνάγουσιν, ώστε μ η δ έ ν διαφέρειν τ ο τ ο ύ τ ο ν ή ε κ ε ί ν ο ν τ ι μ ά ν . or. 31,11 (1,222,14-17 von Arnim, Üs. B A W 361 Eiliger). Die Wiederherstellung geschah 367 durch den Stadtpräfekten Vettius Agorius Praetextatus, der gleich noch näher in den Blick kommen wird; sie ist bezeugt in der Inschrift C I L 6,102. Z u dem Bau vgl. Giuseppe Nieddu, in: Lexicon Topographicum Urbis Romae, hrsg. v. Eva Margaretha Steinby, Bd. 2, Rom 1995, 9f., zu den ä consentes vgl. Kurt Latte, Römische ReligionsgeschÍchte (HAW 5,4), München 1960, 334f. mit weiterem, auch epigraphischen Material. or. 11 (4), 5-8; vgl. zu dem Text und seinen Quellen Jean Bouffartigue, L'empereur Julien et la culture de son temps, Paris 1992, bes. 331-337; Rowland Smith, Julian's Gods. Religion and Philosophy in the Thought and Action o f Julian the Apostate, London 1995,139-163. sat. 1,17, die Etymologien in 1,17,7 (die erste wird schon von Cicero, nat. deor. 2,68 vertreten und könnte auf ihn zurückgehen, für die zweite beruft Vettius sich auf den Stoiker Chrysippos; zu der Tendenz, Götternamen zu etymologisieren vgl. Gladigow, Gottesnamen, Sp. 1225f.); allgemein über den Text vgl. zuletzt Wolf Liebeschuetz, The Significance o f the

Viele Metaphern — viele Götter?

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Aus dieser Perspektive ist auch deutlich, dass die Verehrung der verschiedenen Götter nicht in Konkurrenz zueinander stand, auch nicht die verschiedenen Geheimkulte, sondern dass sie sich vielmehr vorzüglich wechselseitig ergänzten, denn das Ziel und das Zentrum war ja immer der eine Gott. Von demselben Vettius Praetextatus, dem Macrobius ein literarisches Denkmal gesetzt hat, hat sich auch archäologisch ein Denkmal erhalten. Auf seinem Grabmal — heute in den Kapitolinischen Museen — gibt der Aristokrat stolz die Liste seiner religiösen Ehrentitel an; sie liest sich wie das Inhaltsverzeichnis eines Lehrbuchs für spätantike Religionsgeschichte: „Vettius Agorius Praetextatus, Augur, Oberpriester, Priester der Vesta, des Sol, Angehöriger des Fünfzehnerkollegs für die sibyllinischen Bücher und den Apollokult, Priester des Hercules, Eingeweihter in den Bacchusdienst und in die eleusinischen Mysterien, Einfuhrer in den geheimen Gottesdienst, Tempelaufseher [des Sarapis], Stieropferdarbringer, Pater patrum [im Mithraskult]."45 Auch wenn sich ein zeitgenössischer Leser dieser Inschrift selbst nie konkrete Gedanken über theoretischen Poly- und Monotheismus gemacht hatte, so diente ihm dennoch als Verständnishintergrund der gesellschaftliche Konsens, demzufolge all diese religiösen Aktivitäten nur unterschiedliche Verehrungsformen des einen, immer gleichen Gottes darstellten. Es ist eben der Konsens, den auch Maximus von Madaura, der eingangs genannte Briefpartner Augustins, selbstverständlich voraussetzt. Ich zitiere noch einmal: „Gottes Kraftfelder, die durch die ganze Welt verteilt sind, rufen wir mit vielen Begriffen an, denn seinen eigentlichen Namen kennen wir doch alle nicht." Bemerkenswert ist hieran, dass der Polyonymie des einen Gottes eine grundsätzliche Nicht-Verfügbarkeit seines eigentlichen Namens gegenübersteht, eine An-Onymie aus prinzipiellen Gründen. In dieser Hinsicht ist die Karriere des ά γ ν ω σ τ ο ? 9eôç interessant — christlichen Theologen aus Apg 17,23 geläufig. Die „unbekannten Götter" waren in der religiösen Kultur der Antike zunächst eine Art {sit venia verbo) „Lückenbüßer" in dem Sinne, dass sie der Reihe der verSpeech of Praetextatus, in: Athanassiadi/Frede, Pagan Monotheism (Anm. 2), 185-205, ferner insbesondere zur Quellenfrage: Jacques Flamant, Macrobe et le néoplatonisme latin à la fin du IV e siècle (EPRO 58), Leiden 1977, 652-680. 45 CIL 6,1779a (mit den Ergänzungen und Literaturangaben CIL 6,8,3, Bedin 2000, 47574759); ILS 1259; Üs. von E. Meinhardt aus Wolfgang Heibig, Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom, Bd. 2, 4. Auflage, Tübingen 1966, 76f.; gute Abb. in Gian Luca Giegori/Maria Mattei (Hgg.), Supplementa Italica Imagines, Roma (CIL VI) 1, Musei Capitolini, Rom 1999, Nr. 36,1. Vgl. ferner zu dieser berühmten Inschrift: Aurea Roma. Dalla città pagana alla città cristiana, hrsg. ν. Serena Ensoli und Eugenio La Rocca, Rom 2000, Nr. 130, 507f. (mit Abb. und weiterer lit.). — Interessant ist diesem Zusammenhang auch die Inschrift eines anderen begüterten Römers aus der paganen Oberschicht, der sich dem Taurobolion unterzog, einem besonders blutigen und gruseligen Ritual, und aus diesem Anlaß einen Altar stiftete, auf dessen Inschrift er sich rühmt, außerdem schon „Mitglied im Sieben-Priester-Kollegium [zu sein], Vater und heiliger Herold (pater et hieroceryx) im Sol-Invictus-Mithras-Kult, Meister (Hierophant) in den Mysterien der Hekate, Vorsteher (archibucolus) bei Dionysos", vgl. Aurea Roma Nr. 143, 515f.

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ehrten Götter 2ugesetzt wurde, um sicherzustellen, dass man nicht aus Versehen einen wichtigen Gott ausließ, nur weil er nicht oder nicht hinreichend bekannt war. (Vermutlich war es Paulus, der aus dem Plural einen Singular gemacht hat, um die theologische Anknüpfung in seinem Sinne zu erleichtern.) Nach und nach veränderte diese Randgestalt ihre Rolle und wurde zur Zentralgestalt in dem Sinn, dass man in ihr den eigentlichen, den höchsten, den einzigen Gott erblickte, eben den Gott, dessen Namen menschlicher Erkenntnismöglichkeit entzogen ist46. Als „vielnamig" und zugleich „von keinem Namen erfaßt" feiert eine Inschrift aus Oinoanda in Lykien den „höchsten Gott" 47 . Spätestens an dieser Stelle ist die Parallele zum christlichen Bereich deutlich, speziell zu Ps.-Dionysios Areopagites, der ebenfalls von dem seinem Wesen nach namenlosen Gott spricht und zugleich von der Vielfalt der Namen, unter denen er sich uns zu erkennen gibt. Ich breche daher hier ab und frage in einem kurzen Schlussabschnitt nach möglichen Parallelen zwischen den skizzierten Entwicklungen im paganen und im christlichen Bereich.

3. Viele Metaphern — viele Götter Für das Christentum war die Spätantike nicht nur Zeit dogmatischer Präzisierung einiger zentraler christologischer Metaphern, sondern vor allem Zeit einer unerhörten Zunahme an christologischen Metaphern, einer Verbreiterung des Bestandes; dabei entstand ein Reichtum theologisch-poetischer Sprache, der das ganze Mittelalter hindurch und vielfach bis heute prägend wurde. Parallel dazu 46 Dies gilt insbesondere für die philosophisch-religiöse Spekulation des (mittleren und) neuen Piatonismus, vgl. Proklos, inst. §123 (sowie §162), auch Numenios, frg. 17 des Places bei Euseb, praep. ev. 11,22. Die bekannte, meisterhafte Untersuchung von Eduard Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig 1913 (zahlreiche Nachdrucke) ist zu diesem Thema ebenso grundlegend wie in vieler Hinsicht überholt. Insbesondere der Gnosis-Begriff sowie die Gegenüberstellung von „Griechischem" und „Orientalischem" bedürfen der kritischen Überprüfung. Dies ist partiell bei Eric R. Dodds, The Unknown God in Neoplatonism, in: ders. (Hg.), Proclus, The Elements of Theology. A Revised Text, 2. Auflage, Oxford 1963, 310-313, im Blick auf die philosophische Tradition und bei Pieter Willem van der Horst, The Altar of the 'Unknown God' in Athens (Acts 17:23) and the Cult of the 'Unknown Gods' in the Hellenistic and Roman Periods, in: ANRW 2,18,2, Berlin 1989, 1426-1456, im Blick auf den epigraphischen und religionsgeschichtlichen Befund geschehen, doch harrt das Thema noch einer umfassenderen Aufarbeitung. 47 ουνομα μή χωρών, πολυώνυμο?; vgl. zu der religionsgeschichtlich außerordentlich interessanten Inschrift zuletzt ausführlich Stephen Mitchell, The Cult of Theos Hypsistos between Pagans, Jews, and Christians, in: Athanassiadi/Frede, Pagan Monotheism (Anm. 2), 81-148, bes. 81-92, dort auch der vollständige Text.

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verlief in der antiken Religionsgeschichte ein Prozess der Annäherung, der Zusammenführung und Vereinigung ursprünglich separater religiöser Traditionen auf einen Gott hin, auf eine Form des Monotheismus. Es bietet sich an, beide Prozesse in Beziehung zueinander zu setzen: Während der pagane Götterhimmel auf den einen Gott hin zusammengefaltet wird, wird der eine Gott der jüdisch-christlichen Tradition in vielen christologischen Metaphern entfaltet. Wer es gerne metaphorisch ausgedrückt haben möchte, kann an einen zu entfaltenden oder zusammenzufaltenden Regenschirm denken. Eine Konvergenz beider Bereiche ist kaum zu leugnen, eine Konvergenz, die in beiden Fällen auf einen differenzierten Monotheismus zuläuft, wobei freilich noch genauer zu klären wäre, wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede des jeweiligen Monotheismus liegen. Jedenfalls kam es bei aller Konvergenz eben doch nicht letzten Endes zur Fusion. Eine Integration des Christentums in die pagane religiöse Welt, wie sie vielleicht Kaiser Konstantin vorgeschwebt haben mag, kam nicht zustande — ebenso wenig wie umgekehrt eine bruchlose Aufnahme des religiösen Erbes der Antike ins Christentum. Vieles wurde rezipiert und aufgenommen, doch noch mehr wurde letzdich ausgeschieden und fiel den Archiven der Religionsgeschichte anheim. Man mag nach den Gründen für diesen Bruch fragen, doch vielleicht auffälliger als der letztlich erfolgte Bruch ist die Beobachtung, dass in der Spätantike über eine weite Strecke zwischen der Entfaltung der Welt der christologischen Metaphern und der Zusammenfaltung des paganen Götterhimmels auf einen Gott hin eine bemerkenswerte Parallele besteht. Während die nüchterne Konstatation der Parallelität dieser beiden Prozesse einigermaßen unproblematisch aus den Quellen zu erheben ist, wird die Frage sofort sehr viel komplizierter, wenn man sich die Frage stellt, wie man sich die Beziehungen zwischen diesen beiden Seiten genau vorzustellen hat. Man könnte etwa fragen, ob die Zunahme der christologischen Metaphern eine Reaktion oder gar ein Entgegenkommen dem vorfindlichen paganen Polytheismus gegenüber darstellt. Und ebenso könnte man umgekehrt fragen, ob und bis zu welchem Grad das Interesse am Monotheismus in der religiösen Kultur der Spätantike auf den zunehmenden Einfluss der jüdisch-christlichen Tradition zurückzuführen ist. Oder nochmals anders gewendet: ob der Aufstieg des Judentums und Christentums, ja der beispiellose Siegeszug des Christentums am Ausgang der Antike sich gerade dem Monotheismus verdankt oder ob es sich nicht vielmehr umgekehrt verhält. Nur zu gefragt! — Lauter ausgezeichnete Fragen, doch leichter ist's gefragt als geantwortet. Manche dieser Fragen verhalten sich wie die nach der Henne und dem Ei und werden daher nie eine eindeutige Antwort finden. Sie zu stellen ist dennoch produktiv und hat einen hohen heuristischen Wert, denn aus den Bausteinen einer Antwort, aus Zeugnissen für Abhängigkeiten hinüber oder herüber ließe sich die von mir angedeutete Parallelität sicherlich besser verstehen, genau-

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er herausarbeiten und in Chancen und Grenzen besser einordnen. Damit wäre allerdings ein weites Forschungsprogramm bezeichnet, das ich in den engen Grenzen dieses Beitrages nicht weiter verfolgen, geschweige denn ausführen kann.

Volker Leppin „Als wir diese spise essent, so werden wir gessen." Reale und metaphorische Nähe Christi bei Johannes Tauler

Es ist wohl erst der jüngeren deutschen Geistesgeschichte, vor allem dem Münchner katholischen Systematiker Franz von Baader (1765-1841) und dem Hegelschüler Karl Rosenkranz (1805-1879), von dem der unglückliche Begriff der „Deutschen Mystik" stammt, zu verdanken, dass die Wahrnehmung Johannes Taulers ganz in den Schatten Meister Eckharts geraten ist1. Wirkungsgeschichtlich waren die Verhältnisse über Jahrhunderte hinweg gerade umgekehrt. Auch wenn Tauler sich selbst in vielem dem älteren Eckhart verbunden gefühlt hatte, war es gerade dessen Verurteilung durch die Bulle „In agro dominico" im Jahre 13292 gewesen, die seine Wirkung lange Zeit verhindert hatte. Tauler hingegen konnte unverdächtig abgeschrieben, gedruckt und gelesen werden 3 . Seine Wirkung im Spätmittelalter sowie in protestantischer und, trotz zeitweiliger Indizierung, katholischer Frömmigkeit war daher groß. Martin Luther gehört ebenso in die Reihe derer, die von ihm inspiriert wurden4, wie Johannes vom Kreuz Johann Arndt oder Philipp Jakob Spener. Der Wirkung mag dabei auch entgegengekommen sein, dass sein erhaltenes Gesamtwerk eingängig, knapp und für den theologischen Gebrauch ansprechend gegliedert ist: Es besteht aus einer fast postillenartig dem Kirchenjahr

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Grundlegend zu Leben und Werk Taulers: Louise Gnädinger, Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre, München 1993. DS 950-980; zum Prozess Eckharts vgl. - freilich mit etwas apologetischer Ausrichtung Winfried Trusen, Der Prozeß gegen Meister Eckhart. Vorgeschichte, Verlauf und Folgen, RSWV N.F. 54, Paderborn u.a. 1988. Zu den ersten Drucken s. Henrik Otto, Vor- und frühreformatorische Rezeption. Annotationen in Drucken des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, Gütersloh 2003; zur Textgeschichte, die leider immer noch nicht durch eine modernen Ansprüchen genügende kritische Ausgabe erschlossen ist, Johannes Gottfried Mayer, Die „Vulgata"-Fassung der Predigten Johannes Taulers. Von der handschriftlichen Überlieferung des 14. Jahrhunderts bis zu den ersten Drucken, Texte und Wissen 1, Würzburg 1999. S. hierzu Volker Leppin, „omnem vitam fidelium pmitentiam esse voluit'. Zur Aufnahme mystischer Traditionen in Luthers erster Ablassthese, ARG 93 (2002), 7-25.

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Volker Leppin

folgenden Sammlung deutscher Predigten. Dem vorwiegend poimenischen Zweck der Predigten entsprechend, findet sich Christologie darin vor allem in soteriologischer Zuspitzung. Und diese wiederum hat ihre theologische Wurzel in einer starken Betonung der Inkarnation.

1. Inkarnatorische Christologie Tauler kennt natürlich die altkirchlichen Christusdogmen, und er rezipiert sie gelegendich auch. Freilich wirken die ausdrücklichen Hinweise darauf, dass Christus Gottessohn und Gott und Mensch ist5, oder die Rede von der vergotteten Menschheit Jesu Christi6 in seinem Oeuvre eher beiläufig, ja: wie Fremdkörper. Tauler hat hier nicht sein Thema — und muss es auch nicht haben. Seine Predigten erweisen ihn zwar als durchaus gebildeten Zeitgenossen des späten Mittelalters, der nicht nur die zeitgenössische Theologie, insbesondere die dominikanische, kennt, sondern auch spätantiken Neuplatonismus, aber einen akademischen Grad dürfte er nie erworben, wohl auch nie angestrebt haben, und seine eigentliche Aufgabe war die seelsorgerliche Betreuung von Frauen in klösterlichen Gemeinschaften 7 . Charakteristischer für Tauler als Theologen ist, wie er innerhalb des christologisch zur Verfügung stehenden Sets auswählte: Christologisches Grunddogma ist für ihn die Inkarnation, die er freilich im Rahmen seiner Metaphorik subordinatianisch deutet, wenn er Christus unter Berufung auf Augustin als die „minren sunnen" bezeichnet8. Diese inkarnatorische Zuspitzung ist im Blick auf die Frage nach metaphorischer Christologie nicht ganz unwesentlich, insofern spätestens seit den entsprechenden Überlegungen Eberhard Jüngels deutlich ist, 5

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Ferdinand Vetter (Hg.), Die Predigten Taulers aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften, Berlin 1910, 34, 23f.; Johannes Tauler, Predigten, hg. und übers, von Georg Hofmann, Freiburg 1961, 53. Bei der Vetter-Ausgabe handelt es sich um die derzeit beste mittelhochdeutsche Tauler-Ausgabe, bei der Ausgabe von Hofmann um eine relativ leicht zugängliche neuhochdeutsche Übersetzung. Tauler, Predigten (Vetter), 142,17f.; Tauler, Predigten (Hofinann), 272. S. hierzu Volker Leppin, Tauler, Johannes, TRE 32, 2001, 745-748 (745); eine auf Meister Eckhart bezogene, strukturell aber auf Tauler übertragbare Darstellung dieser cura moniabum findet sich bei Otto Langer, Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit, Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 91, München 1987 Tauler, Predigten (Vetter), 50,3; Tauler, Predigten (Hofinann), 73; zum Gebrauch der Sonnenmetapher bei Augustin s. Martin Wallraff, Christus verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike, JAC.E 32, Münster 2001, 53f.

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dass das die Metapher charakterisierende Zusammenbringen von Getrenntem gerade die Lehre von Jesus Christus als Gott und Mensch auszeichnet9 - ein Sachverhalt, den Hermann-Josef Meurer so zusammengefasst hat, dass der metaphorische Charakter einer metaphorischen Christologie sich in der Inkarnation zentriere10. So wenig bei Tauler die Heilsbedeutung des Kreuzes geleugnet wird11, so sehr ist doch seine Theologie eine durch und durch weihnachtliche. Zentraler theologischer Punkt seiner Lehre ist die Gottesgeburt in der Seele - und damit ein hochgradig metaphorischer Problembereich. Dabei liegt bei einer systematisch-theologisch abstrakten, begrifflichen Deutung dieses Bild von der Gottesgeburt, das eine Dynamik, die Veränderung von einem Zustand in einen anderen impliziert, in einem immanenten Konflikt mit anderen Aussagereihen Taulers, in denen eine eher schöpfungstheologisch begründete statische Dimension ausgedrückt wird, nach der Gott in der Seele des Menschen nicht neu wird, sondern immer schon präsent ist12. Historisch ist weniger die hier schwerlich mit glatter Auflösung zu findende systematische Stimmigkeit von Bedeutung, sondern die intentionale Gewichtung, die zeigt, worauf Tauler selbst den Akzent gelegt haben wollte. Und das war, allein schon nach der Häufigkeit der Belege, offenkundig jenes Bild von der Gottesgeburt. Das haben auch die mittelalterlichen Herausgeber seiner Predigtsammlung genau nachvollzogen, die an den Anfang dieser Sammlung eine Predigt über die Gottesgeburt stellten13: Es handelt sich - natürlich - um eine Weihnachtspredigt über Jes 9,5, in der drei Geburten Christi nachgezeichnet werden, die in geradezu klassischer Weise den Ubergang vom Anknüpfen an hohe Dogmatik zur soteriologischen Formulierung zeigen: Die höchste Geburt nämlich ist die innertrinitarische Zeugung, 9

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Eberhard Jüngel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: Paul Ricoeur/Eberhard Jüngel, Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, München 1974, 71122, 111 (= ders., Entsprechungen. Gott - Wahrheit - Mensch, BhEvTh 88, München 1980, 103-157 [145]); vgl. auch Rainer Fischer, Ist Poesie, was sich nicht zusammenreimt? Diskussionszusammenfassung, in: Henning Schröer u.a. (Hg.), Theopoesie. Theologie und Poesie in hermeneutischer Seht, Hermeneutica 1998, Rheinbach-Merzbach 1998, 43-48 (46), sowie den Beitrag von Markus Buntfuß und die Ausführungen von Ulrich Körtner zu Emil Brunner in diesem Band. Hermann-Josef Meurer, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, BBB 11, Bodenheim 1997, 601f. S. z.B. Tauler, Predigten (Vetter), 34,20-25. 304,19-22. 318,17-19; Tauler, Predigten (Hofmann), 53. 169f. 247, sowie Thomas Gandlau, Trinität und Kreuz. Die Nachfolge Christi in der Mystagogie Johannes Taulers, FThSt 150, Freiburg u.a. 1993,77-84. Tauler, Predigten (Vetter), 25, 24-26. 14,1-7; Tauler, Predigten (Hofmann), 40f. 273f.; Stefan Zekorn, Gelassenheit und Einkehr. Zu Grundlage und Gestalt geistlichen Lebens bei Johannes Tauler, Studien zur systematischen und spirituellen Theologie 10, Würzburg 1993, 53-61; zu diesem Problem s. Leppin, Tauler 746. Tauler, Predigten (Vetter), 7-12; Tauler, Predigten (Hofmann), 13-20.

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die zweite Geburt ist die weihnachtliche in Raum und Zeit und die dritte, entscheidende, „ist daz Got alle tage und alle stunde wurt werlichen geistlichen geborn in einer guoten sele mit gnoden und mit minnen" („besteht darin, dass Gott alle Tage und zu jeglicher Stunde in wahrer und geistiger Weise durch Gnade und aus Liebe in einer guten Seele geboren wird.") 14 Das mystische Nahewerden Christi beziehungsweise Gottes also wird zugleich mit den innertrinitarischen Hervorbringungen in inkarnatorischen dogmatischen Ansichten zusammengedacht und in jene Metapher gefasst, die den Menschen durch diese Verknüpfung gewissermaßen in die innergöttliche Dynamik, das Geburtsgeschehen hinein nimmt. Dieses Hineinnehmen in das innergöttliche Geschehen ist das Entscheidende an dem Gebrauch eben dieser Metapher bei Johannes Tauler — und das theologisch Brisante. Denn indem der Mensch durch die Geburt Gottes in ihm dessen selbst teilhaftig wird, gewinnt er eine Unmittelbarkeit zu Gott, die mit der sakramental strukturierten Kirche des Mittelalters nicht ohne weiteres konform geht15. Die Schärfe gerade dieses Gegensatzes drückt die Metaphorik des Essens und Gegessenwerden aus, die sich in einer Predigt zum Fronleichnamstag findet: Vordergründig geht es hier zunächst einmal um die Realpräsenz Christi, die Tauler mit einem Jubelruf begrüßt: „Wir essent unsern Gott" 16 . Diese Aussage als solche ist, streng genommen, noch keine Metapher, sondern die konsequente, verbale Folgerung aus der Deutung der Eucharistie als Vorgang des Essens eines in Leib und Blut Christi gewandelten Brotes, wie sie aus den Beschlüssen des vierten Lateranums zwingend folgte. Tauler aber macht nun eben aus dieser in dogmatischer Hinsicht eigentlichen, wenn auch in der Formulierung krassen Redeweise eine metaphorische, indem er das mit der realen Beschreibung angesprochene Bild zum Leben ruft. Wenig später nämlich fugt er hinzu: „Nu ist enkein materielich ding das als nahe und inwendiklich den menschen kume als essen und trinken, das der mensche zuo dem munde in nimet" „Nun gibt es keinen stofflichen Vorgang, der dem Menschen so nahe und vertraut wäre, als Essen und Trinken, das durch des Menschen Mund eingeht")17. Noch sind wir beim bloßen Ausmalen des Geschehens, aber dann folgt

14 Tauler, Predigten (Vetter), 7,20f.; Tauler, Predigten (Hofinann), 13. 15 S. hierau Alphons V. Müller, Luther und Tauler auf ihren theologischen Zusammenhang neu untersucht, Bern 1918; Bernd Moeller, Tauler u. Luther La mystique rhénane. Colloque de Strasbouig 16-19 mai 1961, Paris 1963,157-168; Steven E. Ozment, Homo spiritualis. A comparative study of the anthropology of Johannes Tauler, Jean Gerson and Martin Luther (1509-16) in the Context of their theological thought, SMRT 6, Leiden 1969; Volker Leppin, Mystische Frömmigkeit und sakramentale Heilsvermittlung im späten Mittelalter, Z K G 112 (2001), 189-204. 16 Tauler, Predigten (Vetter), 293,27; vgf. Tauler, Predigten (Hofinann), 208. 17 Tauler, Predigten (Vetter), 293,31-33; vgj. Tauler, Predigten (Hofinann), 208.

„Als wir diese spise essent, so werden wir gessen"

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die entscheidende Wendung: „als wir diese spise essent, so werden wir gessen" („ Wenn wir diese Speise essen, werden wir gegessen18. Mit einem Male steht nicht mehr die leibliche Nießung des Sakramentes durch den Menschen im Vordergrund, sondern der Vorgang des Gegessenwerdens durch Gott. Und der ist nun eben nicht mehr real-stofflich, ist nicht mehr in eigentlicher Redeweise verstehbar, sondern nur noch metaphorisch — wenn man übersetzen will: als Metapher für die innere Buße, genau genommen, jenen Teil des Bußsakramentes, den die mittelalterliche Lehre als contritio, als erste Stufe in den Sakramentenvollzug integriert hat. Denn von Gott gegessen werden wir, „wenn er in uns unser gebresten straffet und unser inwendigen ougen uf tuot und git uns ze erkennende unser gebresten" („wenn er in uns unsere Fehler straft, unsere inneren Augen öffnet und uns unsere Gebrechen erkennen lässt")19. Mit dieser Metaphorisierung des Essens verlagert sich das Geschehen von einem stofflichen Vorgang zu einem Gewissensvorgang. Damit aber ist schon in einzigartiger Weise deutlich, wie Tauler eine Metapher aufgreift, entfaltet und schließlich zur soteriologischen Christologie hinfuhrt: Ein und dasselbe Band des Essens fuhrt von einer strikt realpräsentisch gedachten Eucharstielehre hin zu Aussagen über den in der Reue als nah erfahrenen Christus. Theologisch und letztlich auch kirchensoziologisch aber machen solche Formulierungen noch einmal deutlich, welche Brisanz auch schon in der Rede von der Gottesgeburt in der Seele steckt. Der Mensch, der von Gott gegessen wird, der Mensch, in dem Gott geboren wird, wird unmittelbar zu Gott, und das heißt: Er bedarf der Vermitdung nicht. So kommt Tauler bei der Beschreibung dieses Geschehens, das übrigens ausdrücklich unabhängig von unseren Verdiensten erfolgt20, zu markanten Aussagen, die freilich durch die grundsätzliche Einbindung Taulers in das System sakramentaler Heilsvermittlung im späten Mittelalter deutlich von den reformatorischen Lehren unterschieden bleiben21: „Dieser gotdehtiger mensche das ist ein inwendiger mensche, der sol ein priester sin" („Dieser Mensch, dessen Gedanken bei Gott sind, ist ein innerlicher Mensch; er soll Priester sein")22 - eine adelnde Aussage, die ausdrücklich auch für Frauen gilt"·

18 Tauler, Predigten (Vetter), 294,3f.; Tauler, Predigten (Hofinann), 208. 19 Tauler, Predigten (Vetter), 294,24-26; Tauler, Predigten (Hofinann), 209. 20 Tauler, Predigten (Vetter), 123,7f.: „niemer von menschlichen weiken noch von verdiende, sunder von lüttere genaden und von dem verdiende unsers herren Jhesu Christi" ; Tauler, Predigten (Hofinann), 232. 21 Hierzu s. grundsätzlich Leppin, Mystische Frömmigkeit. 22 Tauler, Predigten (Vetter), 164,34-165,1; Tauler, Predigten (Hofinann), 326. 23 Tauler, Predigten (Vetter), 165,15-17; Tauler, Predigten (Hofinann), 326; vg}. Gandlau, Trinität und Kreuz, 146f., mit der Unterscheidung von sakramentalem und geistlichem Pries tertum.

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2. Taulers hermeneutische Voraussetzungen Schon im Bisherigen hat sich manches von Taulers Metaphorik gezeigt. Insbesondere an der Rede von der Gottesgeburt werden auch die - für einen Menschen des späten Mittelalters selbstverständlichen - Voraussetzungen deutlich, die für Tauler überhaupt jenen produktiven Umgang mit Sprache möglich machen, aus dem so etwas wie metaphorische Redeweise entspringen kann: der vierfache Schriftsinn. Eine schulmäßige Anwendung des vierfachen Schriftsinns wird man bei Tauler freilich nicht finden. Die Rede von der Gottesgeburt macht deutlich, dass man — will man die schulischen Einteilungen anwenden — im Zentrum natürlich den sensus históricas hat: jene Gottesgeburt im Stall von Bethlehem. Wir finden auch den sensus typologicus, der Schriftaussagen auf die Heilstatsachen des Neuen Bundes bezieht: das ist bei jener höchsten Form der Gottesgeburt unzweifelhaft der Fall, die die historische Aussage zu einer dogmatisch tiefgründigen macht. Und man findet den sensus moraäs, den Bezug auf das Glaubensleben des Einzelnen, überdeutlich in der Gottesgeburt in der Seele. Der anagogische Sinn spielt bei Tauler, der praktisch über keine Eschatologie verfügt, entsprechend kaum eine Rolle. Und letztlich ist auch der sensus typologicus in einer bestenfalls dienenden Funktion gegenüber den anderen Sinnformen. Die Betonung der Soteriologie in Taulers Christologie macht auch deutlich, dass es der Bezug zwischen dem historischen Christus - sensus historicus - und dem Glaubenden — sensus moraäs — ist, auf den es Tauler ankommt. So kann man bei Tauler durchaus präfiguriert sehen, was Ebeling als die hermeneutische Entdeckung des jungen Luther herausgearbeitet hat: Die Reduktion des vierfachen Schriftsinns auf zwei Bedeutungsebenen: den historischen Sinn und das pro nob i f 4 . Und es ist eben diese Beziehung der beiden Sinnebenen aufeinander, die die Stärke von Taulers metaphorischer Redeweise ausmacht: Die allegorische Sinndeutung macht den soteriologischen Uberschlag von Christus zu mir möglich, ohne dass ich eine gemeinsame Basis oder einen gemeinsamen Sinnraum verlasse, und doch drückt sie zugleich die uneinholbare Differenz zwischen mir und Christus aus.

24 Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, München 1942; die internationale Forschung hat Ebelings Grundeinsicht mittlerweile deutlich relativiert, insofern Kenneth Hagen, Luther's Approach to Scripture as seen in his „Commentaries" on Galatians. 1519-1538, Tübingen 1993, zeigen konnte, dass Luther noch bis 1538, ohne Anstoß zu nehmen, seine Galatervorlesung mit einer (durch Gal 4,21-31 paulinisch legitimierten) Bejahung der Möglichkeit allegorischer Auslegung, ja sogar des vierfachen Schriftsinns erscheinen ließ.

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3. Taulers metaphorisches Material Das von Tauler in metaphorischer Redeweise gebrauchte Material ist primär biblisch — Tauler ist Schrifttheologe, muss dies ja als Prediger fast selbstverständlich sein. Der übliche Weg ist immer wieder, dass er aus dem für die jeweilige Predigt vorgesehenen Text einen oder mehrere Begriffe beziehungsweise eben meist: Bilder herausgreift, die er dann sorgfältig auslegt. Neben der Rede von der Gottesgeburt sind dabei für die Christologie noch zwei Bildwelten von besonderem Interesse. Die eine betrifft die geradezu klassische Christusmetapher die Rede von Christus als Licht, in Auslegung von Joh 8,1225, wobei als Subtext dieser Auslegung der Johannesprolog durchscheint. Diese Predigt nutzt die Lichtmetaphorik wiederum, ganz ähnlich wie es bei der Gottesgeburt der Fall war, zur Verschränkung verschiedener Realitätsebenen, die theologisch als miteinander verknüpft zu denken sind und deren Verknüpfung nun in der Ausmalung einer Metapher geleistet wird. Er unterscheidet in der Ich-Aussage Jesu ein leibliches und ein geistliches Licht. Das leibliche gibt Sonne, Mond und Gestirnen, äußerlich auch allen anderen Geschöpfen das Licht - es ist offenkundig das Licht der Schöpfungsmittlerschaft Christi, das hier ausgedrückt wird. Wesentlicher aber ist für Tauler das geistige Licht, das für ihn nicht primär mit mystischen Erfahrungen assoziiert wird, sondern — offenbar in Andeutung einer augustinischen Illuminationstheorie — auf den Verstand des Menschen bezogen wird26. Der Effekt, Différentes zusammenzudenken wird nun aber durch mystische Grundfiguren erzielt: Jeder Mensch, so Tauler, strebe zu seinem Ursprung zurück. Das ist ganz neuplatonisch gedacht, entspricht nun aber auch der christologischen Anwendung der Lichtmetapher, die die gesamte Schöpfung mit dem Schöpfungsakt und das Innere des Menschen über das Licht zusammen zudenken vermag. Die Einheit stiftende Metapher also verbindet auch hier klassische dogmatische Topoi mit ihrer soteriologischen Anwendung. Freilich gibt es in derselben Predigt auch Äußerungen, die im Kontext einer mystischen Theologie zunächst überraschend erscheinen: eine Deutung Christi als Vorbild („bilde")27. Ein Verhältnis von Vorbild und Nachfolge28 kann bei Tauler nur dann sinnvoll sein, wenn man tatsächlich die Verbindungsfunktion der Lichtmetaphorik ernst nimmt: Weil das Licht des Vorbildes vom Ursprung herkommt und mit dem inneren Licht verwandt ist, kann es den Christen auf

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Tauler, Predigten (Vetter), 47-50; Tauler, Predigten (Hofinann), 69-74. Tauler, Predigten (Vetter), 47,11; Tauler, Predigten (Hofinann), 69. Tauler, Predigten (Vetter), 49,31 f.; Tauler, Predigten (Hofinann), 73. Zur Thematik der Nachfolge s. Gandlau, Trinität und Kreuz, 90-175 mit einer stark systematisierenden Tendenz, sowie Gnädinger, Tauler, 286-297.

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Christus beziehen. Das Vorbild ruft dann nicht nur krude Nachahmung hervor, sondern bedeutet ein Gleichförmigwerden. Vielleicht frappierender als diese Lichtmetaphorik ist die Metapher des Teiches Bethesda, die Tauler natürlich ebenfalls aus seinem Predigttext gewinnt29. Zunächst handelt es sich hier nur um eine Deutung der Rede vom Teich Bethesda nach Maßgabe des mehrfachen Schriftsinns: Dieser tich oder dis wasser das ist die minnecliche persone unsers herren jhesu Cristi, und daz wasser das alsus beweget wart, daz in diseme tiche oder in disem wiher ist, das ist das hochgelobete bluot dez minneklichen Gottes sunes, der got und mensche ist und uns alle in sime túien bluote geweschen het und von minnen alle die weschen will die zuo ime iemer kumment. (Dieser Teich oder dieses Wasser, das ist die liebreiche Person unseres Herrn Jesus Christus, und das so bewegte Wasser in diesem Teich oder Weiher ist das hochgelobte Blut des hebreichen Gottessohnes, der Gott und Mensch ist und uns alle in seinem teuren Blut gewaschen hat und aus Liebe alle die waschen will, die irgpndeinmal zu ihm kommen.)50

Hier können nicht alle Dimensionen des Bildes — vor allem auch die Anwendung auf den Sühnetod — interpretiert werden. Entscheidend ist für den vorliegenden Kontext die Dynamikumkehr, die man in Taulers Gebrauch beobachten kann: während die Gottesgeburt in der Seele das Hineinkommen Christi in den Gläubigen ausdrückt — wie man es von mystischen Konzeptionen erwarten sollte —, wird hier umgekehrt das Hineingenommenwerden des Gläubigen in Christus ausgedrückt. Beide Metaphern stehen nicht in derselben Predigt, aber sie stehen eben doch im selben Predigtcorpus und sind wenigstens dann, wenn man sie konsequentialisiert, widersprüchlich oder gegensätzlich. Auf begrifflicher Ebene wäre das mit ihnen Ausgedrückte wohl kaum zugleich aussagbar. Tauler nutzt also die Metapher zur Benennung von Sachverhalten, die mit strikter logischer Stringenz nicht aufschlüsselbar sind — ein für einen Mystiker naheliegendes Interesse. Wenigstens an zwei Beispielen sind aus dem Bereich der Christologie auffällige metaphorische Elemente zu erwähnen, die nicht ohne weiteres dem biblischen Sprachgebrauch entspringen: Es ist dies zum einen die Rede von der Gottverlassenheit Christi am Kreuz als seinem „Winter"31. Bezeichnenderweise wendet Tauler diese Metapher nicht in einer winterlichen Predigt an, sondern, der Passionsthematik angemessen, in einer Predigt am Mittwoch vor Palmsonntag - also zur Zeit des nahenden Frühjahrs, da man auf die Schrecken des Winters schon bald zurückblicken kann. Wenn man denn hier im Unterschied von den biblischen Metaphern von einer alltagsweltlichen sprechen kann, so ist das Bezeichnende, für Tauler Charakteristische hieran gewiss, dass die negative

29 Tauler, Predigten (Vetter), 34-40; Tauler, Predigten (Hofinann), 52-59. 30 Tauler, Predigten (Vetter), 34,20-25; Tauler, Predigten (Hofinann), 53. 31 Tauler, Predigten (Vetter), 61,18-62,5; Tauler, Predigten (Hofinann), 91.

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Metapher, betrachtet man sie in rezeptionsästhetischer Perspektive, positiv besetzt wird, insofern Tauler mit ihr in eine Situation hineinspricht, in der das als negativ Konnotierbare bereits sein Ende findet. Bedeutsamer ist das schon erwähnte Beispiel vom Essen und Gegessenwerden: Hier wird zwar sowohl mit biblischem Material - Predigttext ist Joh 6, 5558 — und alltagsweltlichem Erfahrungshorizont gespielt. Signifikant ist aber, dass es sich hier primär um eine liturgische Metapher, genauer: um eine Metaphorisierung der Liturgie handelt. Wenn irgendwo, dann dürfte hier in der mittelalterlichen Glaubenswelt ein Impuls gegeben sein, der als kritische Anfrage in das protestantische Denken und Nachdenken über Metaphern einzubringen ist: Arnold Angenendt hat daraufhingewiesen, dass für mittelalterliches Verständnis spätestens seit den Liturgiereformen von Cluny die gesamte Messe ein umfassendes metaphorisches Geschehen ist32. Das bedeutet aber: der gläubige Mensch des Mittelalters bewegt sich in ganz anderer Weise als der wort- und predigtorientierte Protestant der Neuzeit in einem metaphorisierten Raum, in dem die Metapher nicht eine mühsam zu gewinnende Deutungsebene darstellt, sondern — in Verbindung mit dem vierfachen Schriftsinn - geradezu eine selbstverständliche Wirklichkeitsdimension.

4. Die Leistung der Metapher bei Tauler Die Leistung der Metapher bei Johannes Tauler ist kirchenhistorisch zunächst an seinem historischen Ort zu bestimmen, wobei diese Einordnung im vorliegenden Kontext etwas grobschrittig erfolgen muss. Gerade so wird es dann aber vielleicht auch möglich werden, auf Überlegungen zu stoßen, die den Horizont des vierzehnten Jahrhunderts zu überschreiten in der Lage sind. Taulers historischer Ort wäre mit dem Schema von monastischer und scholastischer Theologie33 oder auch, etwas modifiziert, mystischer und scholastischer Theologie schwer zu begreifen. Gerade diejenige Gestalt, die Tauler am meisten geprägt hat, Meister Eckhart, ist Repräsentant für eine Verbindung bei32 Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 499-503; vgl. auch exemplarisch Kirstin Faupel-Drevs, Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum. Mittelalterliche Funktionsbestimmungen bildender Kunst im Rationale ttivinorum offidorum des Durandus von Mende (1230/1-1296), SHCT 89, Leiden u.a. 2000. 33 Zu diesem wohl vor allem für das 12. Jahrhundert tragfáhigen, von Jean Ledeicq begründeten Konzept vgf. Ulrich Köpf, Monastische und scholastische Theologe, in: Dieter R. Bauer/Gotthard Fuchs (Hg.), Bernhard von Qairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck/Wien 1996,96-135.

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der Kulturen: der Mystik und der Scholastik. Und die allermeisten großen Gelehrten der Scholastik waren in irgendeiner Weise auch in die monastische Lebenswelt eingebunden. Präziser wird man Tauler wohl als Vertreter eines mystisch-neuplatonischen Theologietypus34 fassen dürfen, der dann wenn nicht im Gegensatz, so doch in Differenz zu einem aristotelischen Theologietypus steht, wie er sich vor allem an den Universitäten etablierte. Diese Entgegensetzung ist nun nicht nur eine typologische, sondern eine sehr konkrete: in gewisser Weise war der Prozess gegen Meister Eckhart — von verschiedenen Verwicklungen im Kölschen Klüngel, die zur Anklageerhebung geführt hatten, abgesehen — eine Paradefall für die Konfrontation eines mystischen Denkers mit aristotelischer Scharfsinnigkeit und Konsequenzenmacherei. Steile Aussagen Eckharts wurden entkontextualisiert und auf ihren dogmatischen Befund und ihre dogmatischen Gefahren hin abgeklopft. Diesen Denkschemata entzieht sich Tauler nun kaum weniger als Eckhart selbst es getan hatte: Wie dieser arbeitet er mit Metaphern. Und diese Metaphern leisten vor allem eines: Sie ermöglichen es, Sachzusammenhänge zu Wort zu bringen, die in rein begrifflich-logischer Sprache — und das ist zeitgenössisch die entscheidende Alternative — wenigstens so nicht hätten auf den Begriff gebracht werden können. Insbesondere das Nebeneinander der Bilder von der Gottesgeburt und vom Teich Bethesda ist signifikant für diesen Vorgang, in dem die innen-außen-Dimension in begrifflich kaum mehr einholbarer Weise durchbrochen wird: Wenn eben derselbe Christus, der in mir geboren wird, auch der ist, in den ich eintauchen kann — wenn zudem eben derselbe Christus über die Metapher des Lichtes auch eine kosmische Dimension besitzt, dann wird die Fülle möglicher Christusaussagen tatsächlich nebeneinander aussagbar — ohne in einen konsequenten Zusammenhang gezwungen werden zu müssen. Dabei ist es für Tauler zweifellos auch hilfreich, dass er seine Metaphern je neu aktualisieren konnte: Der Zwang zur gedanklichen Stringenz ist für den allsonntäglichen Prediger geringer als für den Autor einer theologischen Summe. So hat Tauler zumindest einen Weg eröffnet, auf metaphorische Weise eine Christologie zu formulieren, die voraussetzt, dass hier auch solche Redeweisen zulässig sind, die um das Nichtsagbare und Überschüssige des Christusgeschehens gegenüber dem begrifflichen Denken wissen. Und er hat dies vornehmlich im Interesse einer soteriologisch ausgerichteten Christologie getan. Für reformatorische Christologie - auch und gerade dort, wo sie an mittelalterliche Theologen wie Johannes Tauler anzuknüpfen bereit ist — ist eine solche soteriologische Zuspitzung unverzichtbar, wenn sie denn von der Rechtfertigungsleh-

34 Zu den neuplatonischen Wurzeln s. Loris Studese, Tauler im Kontext. Die philosophischen Voraussetzungen des .Seelengrundes' in der Lehre des deutschen Neuplatonikers Berthold v. Moosburg, BGDS (Γ) 109 (1987) 390-426.

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re aus gedacht werden soll. Johannes Tauler ist ein Beispiel dafür, wie eine solche soteriologisch zugespitzte Christologie mit Wesensaussagen über Jesus Christus verknüpft werden kann. Die metaphorische Redeweise gibt dabei die Möglichkeit, die hierin zu verknüpfenden vielfaltigen Aspekte in der Einheit von je neuen Bildwelten zusammenzuführen. Noch zugespitzter formuliert: Wenn tatsächlich metaphorische Christologie in besonderer Weise mit dem Zusammenkommen von Gott und Mensch in der Inkarnation zu tun hat, so liegt der metaphorische Charakter beziehungsweise der metaphorische Gewinn von Taulers Christologie auf einer weniger dogmatischen als seelsorgerlichen Ebene: In einer frömmigkeitsgeschichtlichen Situation, in der das Bedürfnis, Christus näher an das Glaubensleben heranzurücken, ausgesprochen groß war, wie etwa das Aufkommen der Vesperbilder zeigt, nutzt er die Dynamik der Metapher, um die „nahe Gnade" (Berndt Hamm)35 auszudrücken, die den Menschen in Jesus Christus ungeachtet der durch seine göttliche Hoheit bedingten Ferne berührt.

35 Berndt Hamm, „Die nahe Gnade" - innovative Züge der spätmittelalterlichen Theologie und Frömmigkeit, in: Jan A. Aertsen/Martin Pickavé (Hg.), Herbst des Mittelalters? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts, im Druck.

Jens Wolff Luthers Arbeit an christologischen Metaphern

Am Œuvre Luthers wird deutlich, dass er unzählige biblische Texte auf unterschiedlichste Weise mittels neuer Metaphern beim Wort nimmt. Sein Interesse an dem basalen Sprachphänomen der Metaphorizität wird in der historischsystematischen Forschungsdiskussion jüngerer Zeit verstärkt berücksichtigt1. Die Hinsichtnahme auf Luthers christologische Metaphern und ihre Verwandten konzentriert sich vor allem auf den „Antilatomus" von 1521 und auf die Schrift „Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis" von 1528. Nicht zuletzt in einer stattlichen Anzahl späterer Luther-Texte kehren Christus-Metaphern in unterschiedlichsten Redevollzügen und in großer Formvarianz wieder2. Der phänomenologische Bestand der von ihm komponierten Textwelt und Luthers emphatisches Sprachverständnis erlauben es nicht, die reflektierende Entschlüsselung seiner Metaphorik als entferntes Objekt einer historistischen Metaphorologie zu entwerten. Dies gilt nicht zuletzt für seine christologische Metaphorik. Nur dann kann die Autovalenz metaphorischen Sprechens von Christus eingeholt und zugleich gewahrt werden, wenn die präsentische Sagbarkeit dieser (und anderer) Metaphern nicht untergraben wird3.

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Als Initialzündung der neueren Forschungsdiskussion ist in Bezug auf Luther zu nennen Gerhard Ebeling, „Christus ... factus est peccatum metaphorice" (1992), in: ders., Theologie in den Gegensätzen des Lebens, Wort und Glaube IV, Tübingen 1995, 583-609. - VgJ. Wilfried Härle „Christus factus est peccatum metaphorice". Zur Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi, NZSTh 36 (1994), 302-315. - Carl-Friedrich Geyer, Zum theologischen Metaphemgebrauch, NZSTh 39 (1997), 15-26. - Joachim Ringleben, Luther zur Metapher, ZThK 94 (1997), 336-369. - Vgl. zum „Antilatomus" auch Thomas Wabel, Sprache als Grenze in Luthers theologischer Hermeneutik und Wittgensteins Sprachphilosophie, TBT 92, Berlin/New York 1998,172-202. Vgl. Gerhard Ebeling, Des Todes Tod. Luthers Theologie der Konfrontation mit dem Tode (1987), in: ders., Theologie in den Gegensätzen des Lebens, Wort und Glaube IV, Tübingen 1995, 610-642. - Vgl. ferner die chronologisch vorgehende Studie von Uwe Rieske-Braun, Duellum mirabile. Studien zum Kampfmotiv in Martin Luthers Theologie, FKDG 73, Göttingen 1999. Vgl. Hans-Georg Gadamer, Geleitwort, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, Ubergänge 38, München 2000, 11 f.: .„Anschaulichkeit' hat niemals ein Wort allein, weil das, was wir

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Mit christologischer Metaphorik ist bei Luther engstens eine Sprachlehre vernetzt, die er selbst „Grammatik" nennt. Seiner christlichen Optik nach kann niemand außer den Christen diese „Grammatik" wieder aufrichten. Sie halten die Sache der Schrift fest: Christus, den Gottessohn. Durch seine Erkenntnis werden alle übrigen Dinge klar und durchsichtig4. Diesen christologischen Sinn von Sprachlehre holt Luther ein, indem er mit Metaphern und ihren Verwandten stets umgeht. Sein Umgang mit bildhafter Rede beruht dabei weniger auf einer systematisch kohärenten Metaphern-Theorie als vielmehr auf ständiger exegetisch5-homiletischer Einübung in Christusbilder. Dies erlaubt den Schluss, dass er eine in Ansätzen vorhandene christologische Metaphernlehre6 ausgebildet hat, die freilich nicht doktrinalisiert, funktionalisiert oder gar repristiniert werden darf, sondern ihre Pointe, wie angedeutet, in neu zu (er-) findenden Redevollzügen hat. Luthers Arbeit an christologischen Metaphern ist, wie in Modifikation einer anhand von Luther gewonnenen Sprachlehre zu betonen ist7, zugleich ein nicht unwesentlicher Bestandteil theologischer Sprachlehre'. Im Folgenden sei der Christus beim Wort nehmende Metapherngebrauch exemplarisch in zwei Durchgängen unter den Überschriften „Theologische Sprachlehre als christologische Metaphernlehre" (I.) und „Idiomenkommunikationsmetaphorische Redevollzüge im gekreuzigten Miteinander von Gott und Mensch in Jesus Christus" erörtert (II.). Als hermeneutisches Verfahren legt sich nahe, die Originalität von Luthers -Arbeit an diesen Metaphern im interpretierten Zitat zur Geltung zu bringen und hierbei bisher in der Forschungsdiskussion in diesem Zusammenhang wenig berücksichtigte späte Luther-Texte heranzuziehen. Die Würdigung christologischer Metaphern endet mit dem „Schlusswort" (III.). Die

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verstehen nicht Wörter sind, sondern das .Sprechen' ist es, bei dem etwas .anschaulich' wird". W A 44; 510,33-36 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). - Vgl ebd., 39,10-14 (zu Gen 31,26-30). Vor allem in den letzten Jahren sind eine Reihe alt- und neutestamentlicher Monographien erschienen, die verschiedene biblische Bildkomplexe traktieren. Aus der umfangreichen Sekundäriiteratur nenne ich als Beispiele zwei jüngere Arbeiten. In der ersten wird die Gegenwart Gottes als narrative und diskursive Hauptstruktur eines biblischen Buches herausgearbeitet, vgl. Melanie Köhlmoos, Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch, FAT 25, Tübingen 1999, bes. 355-363. - Vgl. sodann die umfangreiche Studie von Ruben Zimmermann, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT 122, 2. Reihe, Tübingen 2000. — Auf die neutestamentliche Gleichnisforschung darf kurz summarisch verwiesen werden. Es sei hervorgehoben, dass es sich hierbei nicht um einen Quellenbegriff handelt. Vgl. ohne Berücksichtigung des Bildlichen in diesem Zusammenhang z.B. zum Glauben Gerhard Ebeling, Einführung in theologische Sprachlehre, Tübingen 1971, 244-247.

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gebotene Relektüre dieser Texte bleibt auf die ständige Mitarbeit der Leserin und des Lesers angewiesen. Auch für Luther gilt: Schriftsteller und Redner geben der Metapher den Leib, aber die Lesenden und Hörenden die Seele8.

1. Theologische Sprachlehre als christologische Metaphernlehre 1.1. Kreaüv-maknder Glaube Glaube selbst drängt zur Antwort auf ihm zugesagte Bildworte. Er gewinnt in diesem Vollzug kreative Funktion. Denn so, wie ich mir Christus im Herzen bilde, ist er seiner Ich-Rede nach tatsächlich: „Ego stelle mich recht fur dein äugen. Non sum aliter in corde gesind, quam tibi bild fur stelle per verbum. Modo vide, ut nunc me recht malest per fidem, So ists bild fertig"9. Dem durch das Wort vorgestellten Bild antwortet der malende Glaube. Er zeichnet sich durch Rezeptivität und Spontaneität zugleich aus und vergegenwärtigt sich das durch Christi Wort vorgestellte Bild10. Die kommunikativ-mündliche ChristusMetapher, die certissima imago11, stellt lebendige Kommunikation zwischen Gott und dem diesem Metaphernwort Glauben Schenkenden dar12. Gott selbst „hat sich gebildet per Christum et verbum"13. Die Unvertretbarkeit des Glaubens bei dieser Wahrnehmung von Christus-Metaphern steht für Luther unverrückbar fest: Im Glauben an Christus kann ich nicht bloß Zuschauer sein. Auch Gott selbst legt sich im Bild aus. Er ist für Luther zwar kein menschliches Bild, wie der Prophet Daniel ihn als schönen alten Mann mit schneeweißen Haaren malt. Er hat keinen Bart und keine Haare, aber dennoch malt Daniel den wahren Gott in diesem Bild14. Er ist - wie Luther dies analog für Christus

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Dies in Fortschreibung eines Zitats von Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe, Bd. 1, hg. von Wolfgang Promies, Frankfurt am Main 6. Aufl. 1998, 512f. [Sudelbücher I, Heft F 375]. W A 37; 453,12-14 (Rö; 1534). - Vgl. ebd., 451,1-461,6. Vgl. die systematische Entfaltung bei Ulrich Barth, Luthers Verständnis der Subjektivität des Glaubens, NZSTh 34 (1992), 269-291. W A 37; 460,18 (Rö; 1534). Das Einswerden mit Christus im Hören auf das Wort wird wieder bildlich verbalisiert, vgl. W A 10,3; 425,17-22 (1522). - Zu der diffizilen historischen Überlieferungssituation dieser Zeit vgl. die minutiös argumentierende und ältere Datierungsversuche revidierende Arbeit von Susanne bei der Wieden, Luthers Predigten des Jahres 1522. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung, A W A 7, Köln 1999. W A 37; 458,5f. (Rö; 1534). W A 46; 308,3-9 (Rö; 1538). - Vgl. Eberhard Jüngel, Anthropomorphismus als Grundproblem neuzeitlicher Hermeneutik (1982), in: ders. Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Rele-

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behauptet hatte — grundsätzlich immer so, wie ein an ihn Glaubender sich sein Bild von ihm entwirft15. Dies gilt auch umgekehrt, so dass von Glauben und Unglauben zu lehren ist: Wie man Gott malt, ob süß oder sauer, gnädig oder zornig, so steht auch das eigene Herz zu ihm16. Es ist eine Gewohnheit der Schrift, dass sie um der einfachen Christen willen von Gott wie von einem Menschen redet17, von seiner Reue, seinem Zorn, seinem Herabsteigen vom Himmel, seinem Nichtwissen und seinem Aufwachen18. Gottes Selbstauslegung ist generell metaphernhaltig. Innerhalb metaphorischer Sprache unterscheidet Luther zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn unter Angabe von Sprachregeln. Dies wird insbesondere bei solchen biblischen Texten virulent, in denen beide gemeinsam als Protagonisten auftreten. Nach Luthers Kunst der Bildunterscheidens ist in einer Predigt zu Ps 110,5, wonach der Herr die Könige am Zornestag zerschmettern wird, nur der gottväterliche Zorn gemeint, so dass das Bild des Evangeliums sich in diesem Königspsalm als stärker erweist: „Als were Christus nicht da, gibt [der Prophet David] unserm herr Gott die räch und straff, das Christus fein bleibe im süssen, üblichem bild, der fur uns droben sitzt, gedencket keiner räch noch straffe"19. Zugesagt erscheint Christus dem kreativen Glauben in einer freundlichen Metapher.

1.2. Gesetz und Evangeäum im Bild Das mündliche Evangelium nimmt Luther ebenfalls bildlich beim Wort. Und durch eigentümlichen Bildcharakter zeichnet sich auch die Sprache des Gesetzes aus20. Gesetz und Evangelium sind trotz ihrer Polarität dadurch verbunden, dass sie bildlich reden und nicht anders begegnen denn als sprachliche Mitteilung. Im bildlichen Wort des Gesetzes schlägt sich Welterfahrung nieder, auf welche die Sprache des Glaubens und des Evangeliums antithetisch bezogen bleibt. Die

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vanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, BEvTh 107, München 1990,110-131. Vgl. WA 37; 589,8 (Rö; 1534). WA 37; 589,lOf. (Rö; 1534). - Vg}. den Fortgang ebd., 589,11-590,4. - Vgl. WA 30,1; 133,7f. (1529): Worauff du ... dein hertz hengest und vedesset, das ist eygentlich dein Gott. WA 10,1,1; 279,12-14 (1522). Vgl. die folgenden für die biblischen Lesarten Luthers aufschlussreichen Beispiele WA 10,1,1; 279,14-280,1 (1522). WA 41; 224,14-225,1 (Rö; 1535). - Vgl. den Vorspann ebd., 224,12-14. WA 10,1,1; 467,20-22 (zu Gal 3,24f.; 1522): Darumb hab ich gesagt, das ditz bild vom knaben und tzuchtmeyster eyn hübsch, liecht antzeygen ist, das gesetz und gnade ynn uns recht tzuuorstehen. - Vgl. WA 7; 601,21-25 (1521). - WA 9; 392,9-17 (PI; 1519/21).

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fundamentaltheologische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bleibt innerhalb der theologischen Sprach- als christologische Metaphernlehre in Kraft21. Das Bild, mit dem Christus Gesetz predigend die Welt angeht, ist die finstere und das Licht nicht erkennende Nacht in Bethlehem22. Sein Advent selbst ist dagegen ein Bild des Lebens und des Trostes23, aber eines, dem zugleich ein „scheuslich und greulich bild" beigeordnet ist, dass diesen Retter einige Menschen nicht empfangen24. Er selbst erscheint nicht wie bei den Altgläubigen als Drohfigur mit schwarzen Farben25, sondern als liebliches, nicht grausames26 Bild: bei seiner Geburt27, beim Abendmahl28 oder beim Einzug zur Passion in Jerusalem 29 . Zugleich widerspricht das Bildevangelium der in der Welt des Gesetzes etablierten Bildsprache: Christi Ritt auf einem Esel provoziert dazu, falsche Bilder, die man sich von ihm macht, in Frage zu stellen. Die ihn verachten, gaffen noch, dass ihr König weltlicher Weise auf einem goldenen Pferd einreite, wie Cäsar, Salomo und David30. Er kommt aber auf einem einfachen Mietesel31 und ist kein hochfahrender König mit prunkender Karosse, sondern mitleidender Erlöser32. Seine Ankunft in der Hauptstadt ist keine bukolisch-erbauliche Idylle, sondern Gottes Weisheit ist hier zugedeckt mit einem ärgerlichen Bild33. Es gibt keinen Gott außerhalb dieser Ärgernis erregenden imago34. Diesem Evangeliumsbild ist der Widerspruch der Welt und der Sprache des Gesetzes eingezeichnet. Das in Gesetz und Evangelium zu unterscheidende Wort nimmt bei Luther nicht nur in Hinsicht auf den engeren Christusbezug, sondern in Hinsicht auf alle Lebensbereiche bildlich-metaphorische Färbung an. Das Gesetz ist wie das 21 Vgl. ohne Berücksichtigung des Bildlichen in diesem Zusammenhang zu Gesetz und Evangelium Gerhard Ebeling, Einfuhrung, 247-249. 22 Vg}. W A 10,1,1; 64,3-10 (1522). - Vg. Lk 2,7. 23 W A 41; 728,13f. (Rö; 1536). 24 W A 41; 728,14-16 (Rö; 1536). 25 W A 47; 277,4-10 (Bearbeitung Aurifabers von Nachschriften Rörers und anderer, textkritisch nicht ganz zuvedässig; zu Mt 18,11; 1537/40). 2 6 W A 49; 711,12 (Rö; 1545). 27 W A 46; 527,llf. (Rö; 1538). - Es ist, wie Luther zur Geburtsszene im ärmlichen Stall bemerkt, allergrößte Gnade, dass ein so freundliches Bild endgültig festgelegt und ins Wort gefasst ist, vgl. W A 46; 527,llf. (Rö; 1538). - Vg. ebd., 527,18f. - Vgl. W A 29; 667,10-17 (Rö; 1529). 28 V g . zB. W A 38; 540,3f. (1538). 29 W A 41; 728,26-28 (Rö; 1536). 30 W A 41; 728,28f. (Rö; 1536). 31 W A 41; 729,3-6 (Rö; 1536). - Ebd., 729,15-17. 32 W A 41; 729,26 (Rö; 1536). - V g . ebd., 729,30f. 33 V g . W A 46; 250,20f. (Rö; 1538). 34 In diesem ärgerlichen Bild sieht Luther die ganze Trinität versammelt, vg. W A 46; 250,21251,1 (Rö; 1538). - V g . ähnlich zu Christi Geburtsgeschichte ebd., 526,20-527,1.

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mündliche Evangelium verbum efficax. Es erscheint bei Luther nicht als starre Kategorie oder Prinzip, sondern als bildlich ansprechende, den ganzen Erdkreis belagernde und erfüllende35 lex efficax36. Dieses nicht technisch misszuverstehende37, sondern anklagende Gesetz ist wie eine Handschrift in die Herzen eingedrückt38, vielmehr, dort erklingt39 und donnert es mit lauter Stimme40 und ruft affektive Wirkungen hervor: Wenn die Lehre des Gesetzes das Herz berührt, „so wirt einen [einem] die weite weit zu enge"41. Es ist im Bild ein schwarzer Redevollzug und wirkt tödlich als Gift42 und Pest43. Wie das Gesetz ist das gleichermaßen mündliche und effektive Evangelium bildlich plausibilisierbar, es unterscheidet sich jedoch von ihm durch ein anderes Bildfeld: Das Evangelium ist Brücke, Steg, Weg und Leiter44 und nicht „Stoppel und stro ut humana doctrina"45, sondern felsenzerschmetternder Hammer46 oder, in einem freundlicheren Bild, ins stille Wasser scheinende Sonne, die kräftig wärmt 47 . Und es ist Wein, den man aus einem Becher in sich hineintrinkt, wobei die Externität des verbum vocale durch das Trinkgefäß symbolisiert wird48. Die Einbildung des Evangeliums ins Herz49 ist angewiesen auf das passiv aufzunehmende und im Gleichnis der Sonne50 fassbare Wirken des heiligen Geistes51.

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WA 39,1; 455,22 (1538). WA 39,1; 435,7 (1538). WA 39,1; 456,13-16 (1538). Vgl. Kol 2,14. Vgl. WA 39,1; 455,15-21 (1538). VgJ. eindrücklich WA 39,1; 498,2-9 (1538). WA 39,1; 456,7f. (1538). Vgl. WA 39,1; 426,14-17 (1538). Vgl. WA 39,1; 427,1-3 (1538). - Der innovativ-bildliche Charakter des Gesetzes wird an Luthers Betonung des Innovationspotenzials einzelner neutestamentlicher Texte deutlich, vgl. WA 20; 710,9-12 (zu 1 Joh 3,13; 1527). Vgl. WA 18; 137,13 (1525). WA 46; 519,llf. (1538). - Vgl. WA 8; 523,29 (1521). WA 46; 519,13 (1538). - Vgl. Jer 23,29 (Vg). Vgl. WA 10,1,1; 62,8-14 (Hervorhebungen von mir, 1522): Die ßonne ynn eynem stillen wasser gar eben [gleichmässig] sich sehen lessit und kieffitig wermet, die ym rauschenden laufenden wasser nit alßo gesehen werden mag, auch tritt alßo wermen kan. Drumb willtu hie auch erleucht und warm werden, göttlich gnade und wunder sehen, das deyn hertz entprant, erleucht, andechtig und frolich werde, ßo gang hynn, da du stille seyest und das bilde d y r t i e f f y n ß hert^Jassest, da wirstu finden wunder ubir wunder. WA 12; 300,15-22 (1523). Vgl. das im Zitat Hervorgehobene Anm. 47. WA 9; 632,21-34 (PI; zu Gal 3,2 Ex auätufida Spìritum sanctum accepisús, 1519/21). WA 9; 632,34-633,3 (PI; zu Gal 3,2 Ex auätufida Spiritum sanctum accepisär, 1519/21).

Luthers Arbeit an christologischen Metaphern

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1.3. Gottes sprechende Ironie desfür uns Gekreuzigten Luthers berühmte Widerlegung des Latomus von 1521 ist, wie in der Forschung mehrmals zu Recht herausgearbeitet wurde, eine Programmschrift des Metaphorischen. Die dort getroffene bekannte theologische Unterscheidung von metaphora rerum und metaphora verborum52, welche Luthers programmatisches Interesse an Metaphern und ihren Verwandten in Bezug auf das Kreuz ausdrückt, ist jedoch keineswegs als eine seine gesamte theologia crucis bestimmende Ur-Unterscheidung zu betrachten. Die Übertragung der Sünde auf Christus, d.h. dieses Evangeliumswort vom Kreuz, sagt Luther ebenso weiter mittels einer Verwandten der übertragenen Redeweise — der Ironie. Zu Gen 42,29-34 53 bemerkt er, dass die Erläuterung leicht ist, wenn man auf die Menge der rednerischen Ausdrücke und Figuren Acht gibt54. Luther exemplifiziert dies an der Antiphrasis, einer Wortfigur, die, wie Quintilian bemerkt55 und Luther als geschulter Rhetor aufnimmt, der Ironie verwandt ist. Die sarkastisch-ironische Antiphrasis ist nicht irgendeine beliebige Wortfigur: Luther vergleicht sie mit dem heilschaffenden Wort vom Kreuz. Antiphrasisch sprechen wir beispielsweise dann, wenn wir irgendeinen auffallenden Taugenichts einen guten Mann heißen56. In der Sprache des Alltags ist diese Redeweise im Haushalt gegen Knechte oder Kinder üblich, wenn sie von Höhergestellten spöttisch mit „Lieber Juncker, Liebes frumichen" angeredet werden57. Hier wird irgend-

52 Vgl. Gerhard Ebeling, „Christus ... factus est peccatum metaphorice", 607f.: „Wenn Luther zwischen einer metaphora rerum und einer metaphora verborum unterscheidet, so scheint seine Erläuterung dazu der gängigen Auffassung Vorschub zu leisten: im einen Fall handele es sich um einen Sprachvorgang, im andern Fall dagegen um ein reales Geschehen. Dann aber wäre metaphora in beiden Fällen grundverschieden gebraucht, das eine Mal wie üblich als Redeform, das andere Mal realistisch als Übertragung eines Dinges von einem Ort an den andern. Die zweite Fassung stellt dann sozusagen einen metaphorischen Gebrauch des üblichen Wortsinns von Metapher dar. Nun warnt vor einer solchen grobschlächtigen Aufteilung allein schon die Partikel: non solum ... sed et [vgl. WA 8; 87,6f. (1521)], die bei Luther beides miteinander verbindet, das sprachliche und das wirkliche Geschehen". 53 Diesen Abschnitt deutet Luther insgesamt nicht christozentrisch. Im Zuge eines Ubersetzungsproblems kommt er aber bezeichnenderweise auf Fragen der christologischen Grammatik, vgl. den Fortgang. 54 WA 44; 510,36-38 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). 55 Vgl. Quintilian, Inst. Orat. IX; 2,46-49. 56 WA 44; 510,38-40 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). 57 WA 44; 510,40-511,1 (zu Gen 42,29-34; 1535/45): Praecipue vero in Oeconomia eius usus est erga fámulos, aut liberos: Lieber Juncker, Liebes frumichen etc. — „Frumichen" ist also spöttisch für „braves Kind", vgl. in der Konnotation „Scheinheiliger" ähnlich WA 30,2; 542,27 (1530): So wirstu sehen und finden, welch ein frömlin und kreutlin du bist. - Metaphorisch-allegorische Rede ist nicht nur auf den biblischen Sprachbereich zu begrenzen, sondern sie ist nicht zuletzt Wesensmerkmal deutscher Umgangssprache, vgl. das deutsche Beispiel AWA 2; 136,6 (zu Ps 3,4; 1519/21).

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etwas durch Ironie befohlen oder zugestanden und das Gegenteil davon gesagt. Ironie oder Sarkasmus ist es, mittels Antiphrase das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint58. In Bezug auf die Grammatik christologischer Sprache angewendet avanciert diese alltagssprachliche Beobachtung zur Explikation des Wortes vom Kreuz. Der Alltagssprachler Luther meint, Christus werde ähnlich antiphrasisch59 .Übertretung' genannt, obwohl er im Gegenteil das für die Übertretung der Sünde bezahlende Opfer sei. Wie bei „Lieber Juncker, Liebes frumichen" sagt die ironische Bezeichnung Christi als .Übertretung' das Gegenteil von dem, was sie meint. Dies ist ein Sprachgebrauch, der sich durch freies Ermessen, d.h. durch Sprachmacht und Sprachregel, auszeichnet60. Die Sprachkonventionen werden genötigt, diesem neuen Sprachgebrauch zu weichen. Dann sind grammatische Redewendungen aufzusuchen, durch welche die regelverletzenden Figuren gerettet oder entschuldigt werden 61 . Die ironische Redeweise ist ein Bestandteil von Luthers auch andernorts zu beobachtendem rhetorischen Humor 62 : Dass Christus, wie der „Antilatomus" metaphorisch expliziert, für uns zur Sünde gemacht wurde, ist nach der Genesisvorlesung Ironie - und zugleich rettendes Wort.

58 Vgl. WA 44; 511,1-4 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). - Das dem Hebräischen entgegengebrachte Erkenntnisinteresse bewegt sich oszillierend zwischen Text und Sprache, um beide auf Hörbarkeit zu prüfen und die gegenwärtige Verkündigung des Gekreuzigten und zur Sünde Gemachten zu vitalisieren, vgl. Karl Holl, Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. I, Luther, Tübingen 4-/5. Aufl. 1927, 569: „Es unterscheidet Luther von seinen Zeitgenossen, dass er seinen Text nicht bloß liest, sondern hört, er hat aber zugleich auch ein Gefühl dafür, dass die Sprache immer auch etwas Andeutendes behält und jede einzelne Sprache wieder ihr eigenes Klanggesetz besitzt". - Es besteht für Luther kein Zweifel, dass viele Vokabeln, als die hebräische Sprache noch blühte, in der Umgangs- und Alltagssprache ganz anders geklungen haben als jetzt, wo wir sie nur aus Büchern exzerpieren, vgl. WA 44; 38,23-26 (zu Gen 31,26-30; 1535/45). 59 So ist m. E. das folgernde sie zu verstehen WA 44; 511,21 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). Vgl. ähnlich auch im Kontext ebd., 511,5.10. 60 WA 44; 511,22f. (zu Gen 42,29-34; 1535/45). 61 WA 44; 511,23-25 (zu Gen 42,29-34; 1535/45). Vgl. ebd., 511,25-27. 62 Vgl. Birgt Stolt, Lächeln, Lachen und Auslachen. Rhetorischer Humor in M. Luthers Schrifttum, Rhetoric in German Contexts. Carleton Germanic Papers (1995), 53-56. - Vgl. ausführlicher dies., Humor in M. Luthers Schrifttum, in: dies., Martin Luthers Rhetorik des Herzens, UTB 2141, Tübingen 2000, 150: „Wir müssen damit rechnen, dass Luther und seine Zeit über andere Scherze gelacht haben, als wir heute ..., und dass es daher sehr schwer für uns ist, diese Seite des Reformators mit Sicherheit in den Griff zu bekommen".

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2. Idiomenkommunikationsmetaphorische Redevollzüge im gekreuzigten Miteinander von Gott und Mensch in Jesus Christus Die Vereinigung von Gott und Mensch in Tod und Auferstehung Christi, d.h. die Einheit von totem Menschen und lebendem Gott ist, wie Luther in idiomenkommunikationsmetaphorischen Disputationsgängen ausführt, nichts Abstraktes". Abstraktionen brechen nur jenseits bildlicher Redevollzüge auf. Die Bildrede hat daher auch in Bezug auf die Idiomenkommunikation eine eigene, unvertretbare Bedeutung. Die idiomenkommunikativen Metaphern sind eine von Luther verwendete performative Sprachgestalt, die einschärft, dass der eingefleischte Gott sich nicht unter subsumptionslogische Begriffe, wie Besonderes und Allgemeines es sind, zwingen lässt. Auch in diesem Zusammenhang sind Bilder und Metaphern unübertragbar in der Weise, dass sie nicht rückübersetzt werden können in philosophische Begriffe64. Sie dürfen, da für sie die Koinzidenz von Kommunikation und .Unübertragbarkeit' kennzeichnend ist, nicht logischen Kohärenzkriterien, wie dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, unterworfen werden, sondern haben eigene Sprachvalenz. Um Gottes Tod am Kreuz für das Leben des Sünders beim Wort zu nehmen, bedarf es einer neuen Sprache, welche den Kreuzestod ins rechte Licht rückt. Sie hat zu berücksichtigen, dass das gekreuzigte Miteinander von Gott und Mensch in Jesus Christus ohne soteriologische Verkündigung leer, und eine verkündigte Soteriologie ohne das gekreuzigte Miteinander von Gott und Mensch in Jesus Christus blind ist65. Wegen dieser soteriologisch-personalen Einheit von Gott und Mensch redet die gesamte Schrift vom gekreuzigten Gott grundsätzlich so, dass sie von ihm alles sagt, was dem Menschen Christus widerfährt, und umgekehrt66. Die idiomenkommunikationsmetaphorischen Redevollzüge erscheinen aus dieser Sicht als neue Sprache, die das Neue, das sich am Kreuz ereignet, verkündigend weitergeben. Und da idiomenkommunikationsmetaphorische Rede ohnehin nicht reflexionslogisch eingeholt werden kann, ist 63 Das, was an Gott unaussprechlich, abstrakt und nicht zu fassen ist, geht uns nichts an, vgl. die berühmte Äußerung W A 18; 685,3-24 (1525). 64 Auch Joachim Ringleben, Luther zur Metapher, 352 weist in seiner Kommentierung des „Antilatomus" kurz auf die Idiomenkommunikation, ohne die These des Metaphorischen jedoch auch an den hier traktierten späteren Texten auszuweisen. — Die zum Teil innerhalb des Rahmens einer spekulativen Sprachphilosophie verankerten Formeln, die ders., ebd., 356 in Anschlag bringt (vgl. zB. ebd., „Aussage eines ... Seins"), tendieren trotz gegenteiliger Absicht dazu, einen objektiven Sprachgestus zu manifestieren. Diese kritische Pointe hebe ich zuungunsten einer wirklichen Würdigung des Beitrags von Ringleben hervor. - Vgl. zu den späten christologischen Disputationen Thomas Wabel, Sprache als Grenze, 286-325. 65 W A 50; 269,8-10 (1538): Was hilffts, das du bekennest, Er [Christus] sey Gott und mensch, wo du nicht auch gleubest, das er für dich alles worden sey und gethan habe? — Vgl. W A 40,1; 447,12-448,7 (Hs; zu Gal 3,13; 1531). 66 Vgl. W A 26; 321,21-28 (Dr, 1528).

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sie im existentiellen Glauben beim Wort zu nehmen. Dass Bildworte nur innerhalb der Grenzen von Wort und Glaube recht ergriffen werden, bleibt die stete Voraussetzung relationaler Bild,logik'. Bildliche Redevollzüge dürfen daher nicht gepresst, sie sollen geglaubt werden67. Sie seien nun insbesondere in Hinsicht auf die basale Metaphorizität idiomenkommunikativer Redevollzüge68 erörtert, und zwar exemplarisch zuerst anhand der Textgattung der akademischen Disputation und sodann anhand von Luthers später Schriftauslegung.

2.1. Neue Kommunikation mit Metaphern und ihren Verwandten Das Zusammensein von Gott und Mensch in der einen Person Christus kleidet Luther in sprechend-ansprechende Einzelbilder und Metaphern. Er „plädiert... für eine neue Grammatik oder Dialektik in Sachen des Glaubens, die sich nicht mit stückweiser Reparatur der Philosophie begnügt, sondern die Andersheit der Verstehenshorizonte in Philosophie und Theologie berücksichtigt"69. Hier ist zu bedenken, dass Luthers neue Kommunikation mit Metaphern und ihren Verwandten sich bewusst zum Ziel setzt, eine ««aussprechliche Sache, wie die Vereinigung von Gott und Mensch es ist, weiterzusagen. Diesseits reflexiv verfugbarer Intentionen manifestiert die bildhafte Rede auf genuine Weise das im Verkündigen des Bildes präsente und zugleich absente Unsagbare, das aus Luthers Sicht mit Christus selbst identisch ist70: Dieser ist ,inenarrabilis' donum71 und .unaussprechliche Person'72. Und auch die Vereinigung von Gott und Mensch ist res .ineffabilis'73. 67 Die neue Sprache hat das Ziel, die unio personalis von Gott und Mensch ins Wort zu fassen. Sie stößt gleichzeitig an die Grenzen der Sprache, denn die Einheit von Gott und Mensch in der einen Person Christus ist enger, als es die Bilder, zB. das von Luther selbst gebrauchte Gleichnis von Seele und Leib, auszusprechen vermögen, vgf. WA 39,2; 102,1-5 (Arg. 2; 1540). - Vgl. auch ebd., 111,14-16 (Arg. 17). 68 Vgl. zu communicatio idiomatum Luthers Zurückhaltung bei der Übersetzung WA 50; 587,32 (1539): Das kan ich mit einem wort nicht deudsch reden. 69 Gerhard Ebeling, Lutherstudien 11,3, Tübingen 1989,158. 70 Trotz der anders gearteten Gegenstände ist die Nähe zu antiken und mittelalterlichen Formen der Rhetorik unverkennbar, vgl. zu den „Unsagbarkeitstopoi" Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen 11. Aufl. 1993,168-171. 71 WA 40,3; 686,27 (Präfatio zu Jes 53; 1544/50). 72 WA 41; 522,30-523,1 (Rö; 1536). 73 Vgl. WA 39,2; 94,5 (Th. 5; 1540). - Vgl. zur res incredibilis WA 40,3; 704,28 (zu Jes 53,1 Quis credit auätui nostn et brachium Domini cui rwelabitur·?, 1544/50). - Vgl. WA 37; 9,8-12 (Rö; 1533). - Vgl. WA 39,2; 98,13-15 (1540). - Vg}. ebd., 105,3f. (Arg. 7). - Vgl. Enrico de Negri, Offenbarung und Dialektik, Luthers Realtheologie, IdF 11, Darmstadt 1973, 78f.: „Vom Konzil zu Chalzedon bis zu Johannes Damascenus und Petrus Lombardus, von Thomas von Aquin bis zu dem Spätscholastiker Gabriel Biel versuchten die Theologen nach besten Kräften, eine einigermaßen brauchbare Regel zu finden, nach der unsere Aussagen von

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Angesichts der .Unaussprechlichkeit' der Person Christi ist die communicatio idiomatum für Luther die geeignetste Redeweise, die Einheit von Gott und Mensch in der einen Person des Gekreuzigten redend zu konkretisieren74. Die .Unaussprechlichkeit' der Vereinigung von Gott und Mensch wird mittels idiomenkommunikationsmetaphorischer Redevollzüge umgangen. Zugleich weist Luther sie als modus loquendi scripturae aus. Auf diese Weise repristiniert er das altkirchliche Dogma von der Gottmenschheit Christi nicht, sondern verleiht ihm neuen Glanz. In diesem Problemzusammenhang werden nun zuerst die Argumenta zur „Disputatio de divinitate et humanitate Christi" von 1540 unter der Überschrift „Christus akademisch disputiert" erörtert (2.). An den Argumenta kann gezeigt werden, dass der Mensch Christus aus Luthers Sicht Gottes konkret anredende Metapher ist75. Dann wird die in der genannten Disputation immer schon sichtbare exegetische Grundierung in einer Interpretation von Luthers Exegese von Jes 53 eingeholt, zumal sich diese späte und wenig bekannte Jesajaexegese für die Frage nach Gottes konkret anredender Metapher besonders eignet. Dem dient der Schlussabschnitt „Gott als Knecht am Kreuz gepredigt" (3.).

2.2. Christus akademisch disputiert Dass in Christus, wie die berühmte Bestimmung lautet, alle Vokabeln eine neue Bedeutung annehmen, gilt in der Theologie insbesondere für seine Bezeichnung als .Mensch'. .Homo' wird zu einem verbum metaphoricum. Und der sprachliche Grundvorgang der Übertragung besteht darin, dass in diesem einen Menschen Gott selbst es ist, der menschlich anredet. Ähnlich wie die sich bildlich zusprechende metaphorische Wahrheit des Gekreuzigten, dass Christus für uns zur Sünde gemacht wurde76, gehört die neue Bedeutung von .homo' in den

Christus sich mit der Unaussprechlickeit des Geheimnisses vereinbaren lassen". - Die communicatio idiomatum ist etwa seit dem zweiten Jahrhundert, wenn auch nicht in der kreuzestheologischen Pointierung, die Luther dieser Lehre gab, gebräuchlich, vgl. Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1: Von der Apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451), Freiburg i. Br. 3. Aufl. 1990, 56.167.201.246f. u.ö. Vgl. z.B. Johannes Damascenus, De fide orthodoxa, lib. III, cap. 3.4, MPG 94, 987-1000. Petrus Lombardus, Sent. III, dist. 6, cap. 1-6, 3. Aufl. 1981, 49-59. - Gabriel Biel, Epitome et collectorium ex Occamo circa quatuor sententiarum Libros, Sent. III, dist. 6, q. 1-2. 74 Trotz nahezu beschwörender Einforderung der Sprachaufgabe wird das geknuffte Miteinander von Gott und Mensch, das idiomenkommunikationsmetaphorisch einzuholen ist, nicht wahrgenommen bei Dietrich Korsch, Martin Luther zur Einfuhrung, Hamburg 1997, 70-73. 75 Dass Christus Gottes Gleichnis bzw. seine Metapher ist, besagt W A 17,2; 313,20f. (1527). 76 Vgl. Wilfried Härle, „Christus factus est peccatum metaphorice", 313f.

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Kontext plural verfasster biblischer Metaphorik. Zu diesem ,homo' betreffenden Problemkomplex streicht Luther heraus, dass Christus selbst anredende, sich durch höchste Kommunikationseffizienz auszeichnende Metapher ist, durch die zugleich Gott uns anspricht Das in der Frühzeit beginnende, in den späten christologischen Disputationen sich fortsetzende Interesse Luthers an metaphorischer Rede erstreckt sich nicht nur auf die Christusverkündigung, sondern auf alle theologischen Binnenbereiche. Man muss, wenn es um die Artikel des Glaubens geht, prinzipiell zu einer anderen Dialektik und Philosophie übergehen, die .Wort Gottes' und .Glauben' genannt werden 77 . Die andere Dialektik und die andere Philosophie haben ihren Grund in Christi prinzipieller Unvergleichlichkeit. Sie erfordert binnentheologisch neue Diskursregeln, die mit philosophisch normierten Rationalitätskonzepten oder gar einer „Versöhnung kraft der Logik" 78 nicht kompatibel sind79. Dass Christus völlig singular ist und ihm als Mensch niemand gleicht80, verlangt eigene Sprachregeln, die darauf zielen, den Menschen Christus als Gottes neue, anredende Metapher zu verkünden. Eine dieser im folgenden knapp zu skizzierenden Sprachregeln lautet, dass die Bedeutung von ,homo' antiphilosophisch81 loziert werden muss. An ,homo' kann stellvertretend vorgeführt werden, was auch sonst für theologisches Sprechen unabdingbar ist: Das Wort, wonach Gott konkreter Mensch ward, ist ohne Syllogismus auszusprechen 82 . Deshalb lässt sich nicht in Analogie zu Schlussverfahren der Philosophie deduzieren, Christus sei konkret-individueller Mensch und gehöre gleichzeitig der Gattung Mensch an83. Theologisch gilt vielmehr: „Homo ... hic aliquid maius 77 WA 39,2; 5,9f. (Th. 27; 1539). - Der Apostel Paulus, so die Römerbriefvorlesung von 1515/16, „aliter ... de rebus philosophatur et sapit quam philosophi et metaphysici ... novo et miro vocabulo et theologico dicit", vgf. WA 56; 371,1-9 (S zu Rom 8,19; 1515/16). 78 Gerhard Ebeling, Lutherstudien 11,3, Tübingen 1989,157. 79 Nicht zuletzt ist es die Predigt, welche die binnenphilosophische Nomenklatur von homo und humanitas in Bezug auf Christus als veraltet erscheinen lässt. - Dies hindert Luther nicht, zuweilen predigend auf Christi humanitas hinzuweisen, vgl. z.B. WA 27; 126,18-21 (Rö; 1528). - WA 41; 18,8-19,3 (Rö; 1535). 80 VgJ. WA 39,2; 115,31-116,2 (Arg. 25; 1540). - ,Homo' bezeichnet, weil er eine Person ist, konkret Christi menschliche Natur, vgl. ebd., 116,3-5. 81 Vgl. zur systematischen Ausarbeitung Ingolf U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994, 212: „Der Sinn christlicher Rede von Gott (ist) theologisch nicht mit dem semantischen Hilfsmittel der Analogie, sondern durch die Angabe von Regeln zu erhellen, die klarstellen, wie die verschiedenen figurativen, metaphorischen und bildlichen ... Redeweisen von Gott im theologischen Denken auf die Vielfalt christlicher Glaubensrede ... bezogen sind". - VgJ. ders., Esse est operari. Die antischolastischen Theologien Austin Farrers und Martin Luthers (1985), in: ders., Gott. Philosophischtheologische Denkversuche, Tübingen 1992,115. 82 WA 39,2; 12,7 (Arg. 4; 1539). 83 Das bekannte syllogistische Schulbeispiel verdeutlicht, obwohl Luther es in der Disputation nicht verwendet, diese Ubedegung üblicherweise am Menschsein des Sokrates. Die synonyme philosophische Verwendung von „Mensch und Menschheit" kann man sich ausgezeichnet an diesem Schulbeispiel klar machen: „Sokrates ist ein Mensch (Obersatz), alle

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et amplius significai:"84. Mit diesem Lösungsansatz, der das innovativ Metaphorische an ,homo' hervorkehrt, rückt Luther dem Äquivokationsproblem in seiner christologischen Zuspitzung auf den Leib85. Statt einer auf Christi Menschsein rekurrierenden ambivalenten Aussagenlogik privilegiert Luther die neue Konkretion bildlicher Redevollzüge, die Christus personal als homo zusprechen86. Und dieses neue metaphorische Wort ist, was man von dem abstrakten Allgemeinbegriff humanitas nicht behaupten kann, ein personales Wort 87 , ein „generale et maxime proprium vocabulum in hac re"88. Dort konkretisiert sich Christi die Person einschließendes Mensch,sein'85. Diesseits der Erstarrung von philosophischen und biblizistisch-schwärmerischen90 Fundamentalismen spricht sich der neue, von Paulus gemeinsam mit dem heiligen Geist etablierte biblische Duktus als Redeweise sui generis aus, einen Sprachenfrühling zeitigend, in dem die Sprache der Schrift auf ein Neues zum Vorschein kommt. Nüchterner formuliert: Kreative Abduktionen der Bibel sind ertragreich, weil die Schrift selbst, wie Luther immer wieder hervorkehrt, auf neue Weise von den Dingen redet91. Es ist etwas Anderes und mit den Mitteln syllogistischer Schlussverfahren nicht zu erfassendes Neues, wenn von Christus, diesem Deus incarnatus und homo deificatus, metaphorisch geredet

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Menschen sind sterblich (Untersatz), also ist Sokrates sterblich (Konklusion)". - Im Obersatz ist einmal der individuelle Mensch gemeint, im Untersatz die Gattung aller Menschen, d.h. die humanitas. Aufgrund der synonymen Verwendung von Individual- und Gattungsbegriff kann man logisch zulässige Schlüsse ziehen. Dieses Verfahren fuhrt in der Theologie bei dem „Menschen" Christus zu falschen Aussagen. ,Homo' meint, wenn von Christus prädiziert, etwas anderes als „Mensch" im Sinne des Schulbeispiels. Er wird zu einem neuen Wort, zum verbum metaphoricum. - Vgl. WA 39,2; 4,26-5,2 (Th. 17-23; 1539). Vgl. WA 39,2; 12,8-10 (Arg. 4; 1539). - Vgl. WA 36; 184,12f. (Rö; 1532). Vg}. Albrecht Beutel, In dem Anfang war das Wort. Studien zu Luthers Sprachverständnis, HUTh 27, Tübingen 1991, 204: „Das Äquivokationsproblem, zumal in seiner christologischen Zuspitzung (bedürfte) ... einer erneuten, die von R. Schwarz vor mehr als zwanzig Jahren vorgelegte Studie fortführenden Bemühung". - Vgl. ebd., 311-344. - Vg}. Gerhard Ebeling, Lutherstudien 11,3, Tübingen 1989,153-207. - Ders., Lutherstudien 11,1, Tübingen 1977, 102-112. - Ders., Lutherstudien 11,2, Tübingen 1982, 24-29. - Wenn Christi Menschsein anhand des Syllogismusdenkens strukturiert wird, tritt ein theologisch hinderlicher, zwischen homo und humanitas nicht genügend differenzierender und die beiden Wörter als Synonyme auffassender Ambivalenzsinn auf, vg}. WA 39,2; 93,20-94,2 (Th. 11 F; 1540). -Vgl. ebd., 116,14-16 (Arg. 25A). - Vgl. WA 39,2; 28,10 (Arg. 28; 1539): Aequivocatio est erroris mater. WA 39,2; 108,13-15 (Arg. 12; 1540). aber die relativierende und den theologisch gesäuberten Allgemeinbegriff humanitas in Grenzen tolerierende Präzisierung ebd., 105,1619 (Arg. 7). WA 39,2; 116,15 (Arg. 25A; 1540). - Vgl. auch ebd., 117,27f. (Arg. 27B). Vgl. WA 39,2; 116,27-117,15 (Arg. 27A; 1540). Vg}. WA 39,2; 115,lf. (Arg. 25; 1540). - Vgl. ebd., 116,3-7 (Arg. 25A). Vg}. in einem betont antischwärmerischen Zusammenhang WA 25; 250,36-251,19 (S zu Jes 40,3 Vox clamantis, 1532/34). Vgl. WA 55,2; 268,121-123 (S zu Ps 49,6 Ceti annunáant lusüäam da, quoniam Deus Iudex est, 1513/15). - Ebd., 536,62 (S zu Ps 77,9 Filii Ephram intendentes et rmttentes arcum). - Vg}. WA 40,3; 177,4-6 (Hs; zu Ps 126,1 Tunc erimus acut sommantes, 1532/33).

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wird, wie Luther in Bezug auf die communicatio idiomatum auch im „Antilatomus" andeutet92. Die Begriffe der Philosophie sind verwendbar nur, wenn sie gereinigt und ins theologische Bad geführt werden53. Die im Idealfall innovative Sprache der Predigt, die den Gekreuzigten als Menschen beim Wort nimmt, soll sich an diesem Christus selbst ausrichten. Es stellt aus Luthers Perspektive keinen Widerspruch dar, den disputativ analysierten metaphorischen Christus homiletisch ebenfalls mittels (idiomenkommunikations-)metaphorischer Redevollzüge einzuholen. Der neuen res, dass Gott Mensch und Herr auf Erden sein soll, entspricht seine eigene nova praedicatio94, die mit dem Evangelium identisch ist95. Der nach Apk 21,15 alles neu macht, spiegelt sich in der ihn weitersagenden neuen Predigt wider96. Die neue Sprache gründet in Christus selbst, der uns an sie gewöhnt. Er ist „ein ander Meister, der anders von sachen kan reden und besser trösten denn wir"97. Wenn das Evangelium mit 1 Kor 1,30 ansagt, dass Christus unsere Gerechtigkeit, Weisheit und Erlösung ist98, beharrt Luther im eigenen Auslegungsvollzug nicht strikt auf dieser paulinischen Vorgabe, sondern holt die nova praedicatio von Christus, welche die nova res erfordert99, mittels neuer Sprache ein. Hierzu erfindet er bildlich-eigentliche100 Bezeichnungen Christi: Er ist „servus Diaboli, inferorum, omnium peccatorum"101, Wegelagerer, Gotteslästerer, Tempelräuber und Dieb. Diese neuen verba metaphorica verdichten das in Christus zu gewinnende Heil102. Alles, was von ihm gesagt ist, sind neue Vokabeln, auch, dass er leidet103.

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Vgl. WA 8; 126,25-29 (1521). - V g l . WA 10,1,1; 155,17-24 (zu Heb l,lf.; 1522). Vgl. WA 39,1; 229,6-19 (Arg. 14A; 1537). Vgl. WA 31,1; 267,19-23 (zu Ps 2,7; 1530). WA 17,1; 245,7f. (Rö; 1525): Est nova praedicatio e coelis, quam mundus non intellexit. Vgl. WA 39,2; 304,3-9 (Arg. 21; 1544): Es muß nova íes sein. Christus est homo, Filius Dei est indutus humanitate, das kann man von keinem menschen reden. Homo est animal rationale, loquens, sedens,... et recte dicuntur secundum sua praedicamenta ... In Christo autem habent novam grammaticam et dialecticam, novam linguam et novam cogitationem et sapientiam, das heist: nova facit omnia [Apk 21,5; 2 Kor 5,17]. Drumb muß man hie originem, imagmem, similitudinem alle änderst verstehn. — Schon 1531 weist Luther auf diese neue Bedeutung von ,homo' hin, vgl. WA 40,1; 416,1-4 (Hs; zu Gal 3,10; 1531). WA 34,2; 480,21f. (Dr, 1531). - Vgl. ebd., 481 ¿f. (Rö): Er foret ein seltzam rede und grammatica. Vgl. WA 13; 122,30-33 (zu Jo 3,19 Et in luda in aeternum habitabitur, 1524/26). WA 55,2; 669,67-70 (S zu Ps 86,5 Nunqmd Zion äat: homa, 1513/15). Vgl. zur proprietas derartiger Reden WA 40,1; 448,8^50,3 (Hs; zu Gal 3,13; 1531). WA 40,3; 704,33-705,4 (zu Jes 53,1 Quis credit auâtui nom et bracbium Domini cui rmlabiturï, 1544/50). - Wir müssen ihn, so eine weitere Metapher, als .eingewickelt' in Fleisch und Blut, also auch in Sünden und Tod, «kennen, vgl. WA 40,1; 434,7-9 (Hs; zu Gal 3,13; 1531). WA 40,1; 433,7-434,1 (Hs; zu Gal 3,13; 1531). WA 39,2; 94¿3f. (Th. 23; 1540). auch ebd., 30,18f. (Disp. zujoh 1,14; Arg. 32; 1539).

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2.3. Gott als Knecht am Rreu^gepredigt Gottes Weltbezug kann nicht in allgemeinen philosophischen Begriffen, sondern nur durch die spezifisch christologische Interaktion Gottes mit den Menschen erfasst werden104. Nicht die allgemeine Tatsache, dass Gott in irgendeiner Weise an uns handelt, sondern der spezifische Charakter des sich im Kreuz vollziehenden Handelns am Sünder ist fur den göttlichen Weltbezug bestimmend. Soteriologische Aussagen über Gottes Welthandeln sind daher unter Rekurs auf Christi Kreuz zu treffen. Von diesem Inbegriff des Neuen, dem Miteinander von Gott und Mensch in der Person des Gekreuzigten, redet das gesamte Neue Testament. Schon im Zusammenhang der Gattung der akademischen Disputation fiel auf, dass Luther seine Argumentation zu ,homo' stets an der Schrift ausweist. In Fortfuhrung dieser Orientierung an der Schrift soll nun nachskizziert werden, wie Luther die nova locutio in der Gattung des biblischen Kommentars einholt. Für diese Fragestellung eignet sich vorzüglich Luthers Auslegung des Liedes vom leidenden Gottesknecht aus Jes 53 von 1544. Jesaja, behauptet Luther, hat soviel Licht, dass er deutlich und eigendich die Geheimnisse Christi abmalt, und zwar noch eigentlicher als die Evangelisten105. Fast die ganze Schrift hat keinen Abschnitt, der diesem Jesaja-Text ebenbürtig ist106. Überdies zeichnet sich die Auslegung durch den historischen Vorzug aus, dass Luther sie bald nach den skizzierten späten christologischen Disputationen verfasst. Und sie hat den systematischen Vorteil, dass sie (idiomen-)kommunikationsmetaphorisch auf den Gekreuzigten, den wahren Gott und wahren Mensch in einer Person, fokussiert ist.

a) Jesus das personale Wort Gottes Luthers Auslegung von Jes 53 hebt ganz auf das Wort des gekreuzigten Gottesknechts ab und (re-)metaphorisiert die ohnehin bildergeladene Sprache des Propheten. Vorausgesetzt ist, dass Christus mit dem ,Arm des Herrn', von dem Jes 53,1 redet, identisch ist. Er ist persona divinitatis und pontifex und zugleich wahrer Mensch, der uns erlöst107. Semantisch kehrt Luthers Exegese stets die Einzigartigkeit dieses brachium Dei hervor: Er ist die unica persona108, der ser104 Reinhard Schwarz, Gott ist Mensch. Zur Lehre von der Person Christi bei den Ockhamisten und bei Luther, ZThK 63 (1966), 308f. - Vgl. W A 39,2; 94,17f. (Th. 20; 1540). 105 Vgl. W A 4 0 3 ; 686,27-30 (Präfatio zu Jes 53; 1544/50). 106 W A 4 0 3 ; 686,30-687,2 (Präfatio zu Jes 53; 1544/50). 107 W A 40,3; 687,6-9 (Präfatio zu Jes 53; 1544/50). - Vgl. ebd., 687,2-5. 108 W A 40,3; 687,19 (zu Jes 53; 1544/50). - Vg. ebd., 687,23f.

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vus unicus109, der „unicus et solus naturalis filius Dei"110. Dieser eine ,Arm des Herrn' ist nach Jes 52,13 Gottes Knecht111. Und am Kreuz stirbt wahrlich der ,Arm Gottes'112. Die soteriologische Pointe dieser passionszentrierten Knechtsmetapher lautet nach Luther, dass mit dem Wort in Christus Gott selbst uns dient. Gleichzeitig ist der verus Christus Gott und Knecht113. Gottes Wort an uns hat eine ohnmächtige Gestalt und erscheint in Niedrigkeit. Christus ist aber gleichzeitig selbst von wahrer substantieller und essentieller Gottheit und ewig mit Gott geeint114. Dem Bild, dass Gott uns als Knecht in Christus dient, entspricht der modus loquendi scripturae in Jes 53, der ihn metaphorisch ,Arm Gottes' nennt115. Wenn Jesaja vom Knechtsein redet, meint dies immer die Worte des Sohnes Gottes116.

b) Jesu ohnmächtiges Wort von Gott Der Gottesknecht Christus nimmt im Wort eine functio servilis oder ministerialis an117: Was er redet, ist nicht sein eigenes, sondern Gottes Wort, auf dessen Geheiß er spricht. Durch dieses hat er, wie jeder Knecht, eine functio publica inne118: „Servitus proprie est ipsa funccio verbi et per verbum"119. Die heute verblasste Konnotation von ,Knecht' ist für Luther noch lebendig: „Ideo cum bild servi servorum describenda, istum virum, sein dinst ist maximus ... Er wird brod auffgelegt und trincken geben [haben] ... Ideo non verdrossen servire Apostolis ut hausknecht, deinde etdam toti mundo"120. Dass Christus Knecht ist, fällt nach Luthers Sicht auf Jesaja mit dem Kreuz in eins und artikuliert sich in seinem Wortdienst an uns.

109 VgJ. WA 40,3; 688,21f. (zu Jes 52,13; 1544/50). - VgJ. WA 31,2; 307,16-19 (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electus meus, 1527/30). - VgJ. ebd., 309,15f. 110 WA 40,3; 687,28f. (zu Jes 53; 1544/50). - Vgl. WA 45; 436,7f. (zu Lk 1,26-31; 1537). 111 WA 40,3; 687,33 (zu Jes 53; 1544/50). 112 Vgl. WA 40,3; 743,2-9 (zu Jes 53,12; 1544/50). - Vgl. auch WA 40,3; 708,7-30 (zu Jes 53,1 Quis créât auditui nostri et brachium Dormiti cui rmlabitur?·, 1544/50). 113 WA 40,3; 707,11-15 (zu Jes 53,1 Quis credit auditui nostri et brachium Domini cui levelabitur?; 1544/50). 114 WA 40,3; 687,29f. (zu Jes 53; 1544/50). 115 WA 40,3; 707,41-708,6 (zu Jes 53,1 Quis credit auditui nostri et brachium Domini cui revelabitur?; 1544/50). 116 WA 40,3; 706,22 (zu Jes 53,1 Quis credit auditui nostri et brachium Domini cui revelabitur?; 1544/50). 117 VgJ. WA 40,3; 688,12-14 (zu Jes 52,13; 1544/50). 118 VgJ. WA 31,2; 395,20-25 (zu Jes 49,3 Et dixit ad me: Servus meus es tu, Israel; 1527/30). 119 WA 31,2; 395,25f. (zu Jes 49,3 Et dixit ad me: Servus meus es tu, Israel; 1527/30). - Vgl. WA 40,3; 688,2f. (zu Jes 52,13; 1544/50). 120 WA 37; 605,12-17 (Rö; 1534). - Vgl. ebd., 605,19f. - Ebd., 605,24f.

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c) Der leidende Gottesknecht als Doktor Wegen seines Wortdienstes an uns ist der leidende jesajanische Gottesknecht überdies ein Doktor und Prediger, der im Predigtamt des Wortes dient121. Diese Doktor-Metapher schreibt Luther ähnlich wie das Bild vom Knecht fort: „Siehe, das ist mein Knecht!" — mit diesem Ausruf aus Jes 42,1 promoviert Gott selbst Christus zum Doktor122: „Sieh uff den, was er thut, redet, leret, quia servus meus est"123. Die Promotion ist für diesen göttlich Promovierten lebensbestimmend: „Es wyrt alles uffgehaben und alleyne dem eynheym [anheim] geben"124. Dem officium prudentis, das dieser neue125 und beste126 Doktor innehat, ist es nicht erlaubt, mit Gewalt zu herrschen oder „myt dem kopp erdurch, sed in mediis rebus eciam desperatis rem leniter perficere, feyn sewberlich erdurch gehen"127. Gegenstand seiner Lehre ist dieser Doktor selbst128. Narrative Theologie, wie Luther sie auffasst, besteht in der Selbstthematisierung des Erzählers, dessen ureigenste Aufgabe es ist, zu erzählen129. Die „definita doctrina ... Christi"130 besteht darin, nicht das Gesetz, sondern sich selbst zu lehren, dass man auf ihn sehe131. „Siehe, dies ist mein Knecht"132 — mit diesem Ausruf aus Jes 42,1 stellt Gott seinen Doktor in diesem Redevollzug in der ersten Person Singular zugleich als eigenes Wort vor: „Ich wyls euch gewiß sagen, quod non solum simplicem hominem audietis, sed me, quia praesens sum ... in ilio"133. Er ist sein Sprachrohr: „Filius per os patris loquitur. Ist ynn einander geflochten"134. Und es ist Gottes Empfehlung des von ihm selbst Promovierten, wenn er spricht: „Schaw nhur uff seynen mundt"135.

121 WA 40,3; 688,22-25 (zu Jes 52,14; 1544/50). - Er ist ein Rex doctor, vgl. WA 40,2; 246,12 (Hs; zu Ps 2,7 Narrabapraeceptum, 1532). 122 WA 31,2; 307,26f. (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electas meus, 1527/30). - Vgl. ebd., 307,27f. 123 WA 31,2; 307,28f. (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustentt eum, electus meus, 1527/30). 124 WA 31,2; 308,8f. (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electus meus, Hervorhebungen von mir; 1527/30). 125 Vgl. WA 31,2; 314,25f. (zu Jes 42,6 Et deäu infedus populi; 1527/30). 126 WA 31,2; 313,5f. (zu Jes 42,4 Non erit tristis et conquassata; 1527/30). - Vgl. ebd., 313,31-33 (zu Jes 42,4 Haec äcit; 1527/30). 127 WA 31,2; 428,27-29 (zu Jes 52,13 Ecce inteUiget servus meus et exaltabitur et elevabitur, 1527/30). Vgl. den Fortgang ebd., 428,29-33. - Vgl. ebd., 429,3-5. 128 Ps 2,7 stimmt mit dem paulinischen Evangelium von Christus Rom 1,1-4 überein, vgl. WA 40,2; 247,9-12 (Hs; zu Ps 2,7 Narrabo praeceptum, 1532). - Vgl. ebd., 248,5f.9f. 129 Vgl. WA 40,2; 242,9f. (Hs; zu Ps 2,7 Narrabo praeceptum, 1532). 130 WA 40,2; 248,li. (Hs; zu Ps 2,7 Narrabo praeceptum, 1532). 131 Vgl. WA 40,2; 248,7-9 (Hs; zu Ps 2,7 Narrabo praeceptum, 1532). 132 WA 31,2; 308,10 (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electus meus; 1527/30). 133 WA 31,2; 308,17f. (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electus meus, 1527/30). 134 WA 40,2; 255,13 (Hs; zu Ps 2,7 Narrabo praeceptum, 1532). 135 WA 31,2; 308,22 (zu Jes 42,1 Ecce servus meus, sustento eum, electus meus; 1527/30).

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Die Doktor-Metapher wird von Luther jedoch nicht exklusiv christologisch gebraucht. Jesaja selbst wird einem guten Doktor verglichen136, der fast immer Allegorien und Satzfiguren gebraucht137: „Der Gottesknecht wird das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen"131 — dieses Propheten- ist zugleich Christuswort und kann, wie Luther in direkter Aufnahme von Quintilians Definition bildhafter Rede formuliert, als Allegorie oder fortwährende Metapher bezeichnet werden135. Das Nicht-Zerbrechen und Nicht-Auslöschen schmückt mit lieblichsten Figuren das allerschönste Christusbild aus140. Es hat die gleiche Bedeutung wie das Christus-Wort aus Mt 11,28 »Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid«141. Christi Heilswort redet demnach wie Jesaja allegorisch-metaphorisch.

d) Gottes Wort am Kreuz „Et posuit os meum gladium acutum" — dieser (re-)metaphorisierte Redevollzug des Propheten, wonach Christi Reich laut Jes 49,2 nur durch das Wort besteht, ist nichts anderes als das Anpreisen seines Wortamtes142. Metaphorisch wird durch Jesaja das verbum efficax, der auserwählte Pfeil, der ausrichtet, was er tun soll, verkündigt. Christi wie ein Schwert scharfer Mund predigt das aus ihm hervorgehende Evangeliumswort nicht vergeblich, sondern wirksam und durchdringend143. Christi geistliches Reich schreitet nicht durch Waffen voran, sondern durch Wort und Erzählen144. Dieses abermals (idiomen-) kommunikationsmetaphorische Wort lässt Gottes Zuwendung zur Welt hörbar werden. Ähnlich zeichnen sich zahlreiche andere Redevollzüge, die Christus, Gottes Wort, weitersagen, dadurch aus, dass sie sein Geeintsein mit Gott in allerkonkretester Weise zusprechen: Dieser Mensch gründet die Sterne, Gott wimmert in der Wiege, der Mensch Christus, „creator et gubernator angelorum", saugt die Brüste seiner Mutter145. Der Herr der Welt ist 136 Vgl. WA 31,2; 9,20-23 (zu Jes 1,10; 1527/30). 137 Vgl. WA 31,2; 1,211 (zu Jes 1,5; 1527/30). - Vgl. ebd., 87,4-8 (zu Jes 11,6 Habitabit lupus cum agno). 138 Vgl. WA 38; 539,30f. (1538). 139 WA 38; 539,34 (1538): Totus versus allegoria est, seu perpetua metaphora. - Vgl. die Definition von Quintilian, Inst. Orat. IX; 2,46: Allegpriam facit perpetua metaphora. - Vgl. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, München 2. Aufl. 1973, § 895. 140 Vgl. WA 38; 539,32f. (1538). 141 WA 38; 539,35-540,2 (1538). 142 Vgl. WA 31,2; 395,5-10 (zu Jes 49,2 Et posuit me sicut sagttam electam, 1527/30). 143 Vgl. WA 31,2; 394,20-22 (zu Jes 49,2 Etposuit os meum gladium acutum, 1527/30). 144 WA 31,2; 430,14f. (zu Jes 52,15 Quomam quibus non est narratum, 1527/30). - Vgl. WA 40,2; 242,8-10 (zu Ps 2,7 Narrabopraeceptum, 1532). 145 WA 40,3; 704,5-7 (zu Jes 53,1 Quis credit auditui nostri et brachium Domini cui rmelabitur?·, Hervorhebungen von mir, 1544/50): Recte dicatur: hic homo condidit stellas; Deus vagt in cunis,

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ein „betthler der dem esel mus ein stuck von der krippen abbettel[n]" 14i . Diesen „windelherrn und krippenfursten"147 lässt Luther unnachahmlich besingen, hymnisch und voller Klangfiguren: „Den aller weit kreyß nye btscblos, der ligt in Maria schoß. Er ist ain kindlin worden khin, der alle ding erhelt alkin'"*.

3. Schlusswort An der Nachskizzierung (idiomen-)kommunikationsmetaphorischer Redevollzüge wurde deudich, dass der Gekreuzigte als wahrer Gott und wahrer Mensch in einer Person zusammenzusprechen ist. Zugleich ist er der Inbegriff des Neuen: Gott ist gekreuzigter Knecht. Thetisch formuliert: Nicht Jesus allgemein149, sondern spezifisch der Gekreuzigte ist Gottes konkret anredende Metapher, durch die sich das gekreuzigte Miteinander von Gott und Mensch zuspricht. Dies will im Wort vom Kreuz weitergesagt sein: An Christus sehe ich gewiss ein elendes Leben, er hat aber Leben und Tod in der Hand150. Selbst sein Tod am Kreuz dient uns und ist bildlich-soteriologische Anrede an uns. Als Christus zwischen den Räubern hängt, ist er ein mit hübschesten Kostbarkeiten geschmücktes Haus. Denn durch diese hässliche Gestalt leuchtet höchste Nachsicht, höchste Liebe gegen uns, das geschenkte Leben, der getötete Tod151. Abschließend ist zu bemerken, dass Luthers Arbeit an christologischen Metaphern sich offensichtlich nicht dem Interesse verdankt, eine vollständige meta-

et homo creator et gubemator angelorum, qui sugit ubera matris: qui creavit omnia, iacet in praesepio. - Vgl. Johann Anselm Steiger, Die communicatio idiomatum als Achse und Motor der Theologie Luthers. Der .fröhliche Wechsel' als hermeneutischer Schlüssel zu Abendmahlslehre, Anthropologie, Seelsorge, Naturtheologie, Rhetorik und Humor, NZSTh 38 (1996), 1-28. 146 WA 23; 728,33f. (Rö; 1527). 147 WA 32; 285,9 (Rö; 1530). 148 Vgl. Markus Jenny, Luthers geistliche Lieder und Kitchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimaraner Ausgabe, AWA 4, Köln 1985, 166 (Hervorhebungen von mir). 149 An diesem Punkt sei der anachronistische Vergleich festgehalten, dass Luther stärker als dies in Teilen der neutestamentlich-hermeneutischen Exegese der Fall ist, von der Übertragung Gottes auf den Gekreuzigten ausgeht, vgl. trotz sehr ähnlichen Anliegens unter der Überschrift „Übertragung Gottes auf Jesus" den anderen Akzent bei Hans Weder, Neutestamentliche Hermeneutik, Zürich 2. Aufl. 1989,420-422. - Vgl. ebd., 418-420. 150 WA 46; 254,lOf. (Rö; 1538). 151 WA 25; 364,1-5 (S zu Jes 60,7; 1532/34). - Vgl. WA 28; 486,35-37 (Rö; zu Joh 14,1; 1528).

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phorische Sprachphilosophie152 oder eine systematisch und theoretisch geschlossene Metaphorologie zu entwerfen. Gleichwohl gebraucht er kontinuierlich eine Vielzahl metaphorischer Redevollzüge. Sie entziehen sich der Schematisierung und Klassifizierung, lassen sich weit über den „Antilatomus" von 1521 und der Abendmahlsschrift von 1528 aufweisen und berühren sich mit ähnlichen Redevollzügen wie der Ironie. Die bis in die Spätzeit überbordende Metaphern- (und Allegorien-) Fülle in Luthers Gesamtwerk gibt Anlass zu der Vermutung, dass sich die oft vertretene These, Luther hätte die allegorische Auslegungsmethode seit 1522 bei seiner Evangelienauslegung schrittweise und nach 1529 ganz preisgegeben153, nicht aufrecht erhalten läßt154. Als weiterfuhrende Arbeitshypothesen sind drei Punkte zu benennen: Erstens sind alle Textgattungen Luthers von Metaphern und ihren Verwandten geradezu durchtränkt. Da bildhafte Rede ein basales Sprachphänomen ist, sind christologische Metaphern und ihre Verwandten in Luthers Gesamtwerk ubiquitär präsent. Zweitens bedeutet die schrittweise Überwindung des erstarrten vierfachen Schriftsinns seit der ersten Psalmenvorlesung offensichtlich nicht, dass Metaphern, Allegorien und ihre Verwandten von Luther gänzlich eliminiert werden. Bildhafte Rede, zu der nicht nur christologische Metaphern zu zählen sind, reicht offensichtlich bis in die späte Genesisvorlesung hinein155. Und drittens ist auf das Rahmensprengende bildhafter Rede hinzuweisen. Dieser Umstand erlaubt es nicht, den Anspruch zu erheben, in einem kurzen Beitrag die Vielfalt und den Reichtum bildhafter Rede bei Luther erschöpfend dargestellt zu haben. Die umfassende historische156, systematische und hermeneutische Aufarbeitung von Luthers sprachvirtuoser Arbeit an Metaphern liegt trotz aller schon geleisteten Forschungsarbeit157 noch in den Anfängen. Und sie wird nur in interdisziplinärer Vernetzung geleistet werden können. 152 In Fortschreibung einer finnischen These (vgl. Risto Saarinen, Metapher und biblische Redefiguren als Elemente der Sprachphilosophie Luthers, NZSTh 30 [1988], 18-39) wird diese Auffassung zu Unrecht in der jüngeren Diskussion weiterhin vertreten, vgl. Uwe Rieske-Braun, Duellum mirabile, 254. 153 Vgl. Gerhard Ebeling, Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchung zu Luthers Hermeneutik, Tübingen 3. Aufl. 1991, 48-89, zusammenfassend bes. ebd., 87-89. - Diese These wird auch in jüngerer Zeit oft ohne nähere Prüfung des phänomenologischen Bestandes nachgeschrieben, vgl. nur stellvertretend als ein Beipiel Christoph Maikschies, „Hie ist das recht Osterlamm". Christuslamm und Lammsymbolik bei Martin Luther und Lukas Cranach, ZKG 102 (1991), 217 mit Anm. 43. 154 Als Retractado früher vertretener Auffassungen in Bezug auf die Valenz bildlicher Rede verstehe ich den Beitrag des späten Gerhard Ebeling, Des Todes Tod, 610-642. 155 Vgl. zB. WA 42; 368,lf.l4f. - Vgl. ferner Johann Anselm Steiger, Martin Luthers allegorisch-figürliche Auslegung der Heiligen Schrift, ZKG 110 (1999), 331-351. 156 Vgl. als anregenden Vergleich zB. den traditionsgeschichtìichen Ansatz von Michael Egerding, Die Metaphorik der spätmittelalterlichen Mystik, 2 Bde., Paderborn/München u.a. 1997. 157 Vgl. beispielsweise Hans-Jürgen Goertz, Allgemeines Priestertum und ordiniertes Amt bei Luther, MThSt 46, Marburg 1997.

Vladimir Ivanov Theologische Grundlagen der Christus-Ikonographie

1. Das Problem der kenotischen Ästhetik Darstellungen Jesu Christi sind bereits in der frühbyzantinischen Kirche vorhanden ohne jedwede theoretische Begründung. Viele Jahrhunderte lang haben Theologen nicht die geringste Veranlassung gesehen, die existierende ChristusIkonographie mit einem dogmatischen und ästhetischen Fundament zu untermauern. Aus einigen dürftigen Zeugnissen kann man schließen, dass die Verbreitung der Christusdarstellungen gewisse Zweifel und Fragen wecken konnte. Doch auch sie hatten einen mehr zufälligen Charakter und wurden nicht ernsthaft und konsequent reflektiert. Der Vater der Kirchengeschichte, Eusebius von Cäsarea, suchte sich in der Darlegung der Anfangsperiode des Christentums einer Beschreibung der Äußerlichkeit Jesu im Einzelnen zu enthalten und verneint in einem seiner Briefe selbst die Möglichkeit einer solchen Darstellung radikal. In seinen Argumenten begegnet der Hauptgedanke der späteren Ikonoklasten. Der ästhetische Horizont des Eusebius wird völlig vom späthellenistischen Naturalismus begrenzt, weil er sich nicht vorstellen kann, dass „die Strahlen der Glorie" Jesu Christi „mit leblosen Farben" dargestellt werden könnten.1 Die Evangelien selbst schweigen bewusst über die äußere Gestalt Jesu Christi und deuten die Notwendigkeit ihrer Darstellung nicht im geringsten an; ihnen lag nichts an einer diesbezüglichen theologischen Diskussion. Allerdings musste gerade der Gedanke der Inkarnation Gottes, die Menschwerdung des Logos und die Betonung der realen und völlig menschlichen Natur Jesu aus praktischen Gründen das Interesse an der äußeren Erscheinung des Heilandes wecken. Bereits seit dem zweiten Jahrhundert wird offensichtlich, wie stark die Frage nach der äußeren Gestalt Jesu mit einer bestimmten theologischen Optik korrespondiert. Der historische Jesus wird der theologische Christus mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Bewältigung der Frage nach dem Charakter seines Äußeren und dessen Darstellbarkeit. Neben dem 1

Hugo Koch, Die altchristliche Bilderfrage nach den literarischen Quellen, Göttingen 1917, 42.

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radikalen Verzicht auf jedwede Konkretisierung, die dem Mangel einer glaubwürdigen Übedieferung zuzuschreiben ist, zeichneten sich zwei Blickfelder ab, in denen verbal die Gestalt Jesu Christi beschrieben wurde. Ihr Vergleich ergibt eine tief im kirchlichen Bewusstsein verwurzelte Antinomie von zeitloser, archetypischer Natur. Bestiebungen zur Ignorierung dieser Antinomie oder zur einseitigen Beantwortung zugunsten eines Teils warfen ein negatives Licht auf die Entwicklung der Ikonenmalerei oder führten gar zu ihrer völligen Ablehnung.

Die frühe Christenheit stellte diese Antinomie (oder genauer gesagt eine der Antinomien) heraus, die strukturell-konstitutiv zu dem ikonographischen Archetyp gehörte, ohne sie theoretisch zu reflektieren. In der nächstliegenden Variante konnte man sie als Gegenüberstellung des kenotischen Bildes Christi mit dem eines Königs als Personifizierung des Ideals menschlicher Schönheit formulieren. Offensichtlich sind die biblisch-prophetischen Quellen für das kenotische Bild Jesu Christi. Der Messias erscheint als ein „Mann der Schmerzen und voller Krankheit" (Jes 53,3). „Er hatte keine Gestalt noch Schöne, wir sahen Ihn, aber das war keine Gestalt, die uns gefallen hätte" (Jes 53,2). Dieser Bibeltext legt im Voraus den Blick auf die Äußerlichkeit Christi fest, der auf der physisch-leiblichen Ebene bewusst allen äußeren Glanz göttlicher Schönheit entbehrt. In den Kategorien theologischer Ästhetik kann man von einem konsequent verkörperten Grundsatz kenotischer Unähnlichkeit sprechen, einer im Blick auf seinen Archetyp paradoxen Nichtentsprechung seiner Gestalt, bis hin zu kontrastreichem Gegensatz. Ihren radikal grotesken Ausdruck fand sie im Messias-Psalm 22: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volkes" (Ps 22,7). Theoretisch war der Grundsatz der Unähnlichkeit bedacht und verbal reflektiert in der „Himmlischen Hierarchie" des Dionysios Areopagita, praktisch verkörpert in dem Phänomen mittelalterlichen Narrentums in Christi, das von der Idee der im Evangelium bezeugten Kenosis inspiriert war. Obwohl die Evangelien sich der geringsten Hinweise auf das Äußere Jesu enthalten, bezeugen doch eine Reihe von Texten indirekt, dass die kenotische Gestalt des Heilandes für viele Juden „ein Stein des Anstoßes" bei der Frage nach Seiner messianischen Würde (Mk 3,21-22) war. Einen kenotischen Charakter trägt auch die Beschreibung des Milieus, in dem größtenteils das irdische Leben Jesu verlief, was bei den Pharisäern ganz natürlich die Frage auslöste: „Weshalb isst und trinkt euer Meister mit den Zöllnern und Sündern"(Mt 9,11). Die sakralisierte Aufnahme des Evangeliums mildert das eigenartige Paradoxon der hier beschriebenen Lebenssituationen. Daher erwies sich die Ikonographie für eine Verkörperung dieses Aspektes der Kenosis des Evangeliums hermetisch verschlossen. Was durch die Propheten und im Evangelium deskriptiv verlautete, wurde von dem Apostel Paulus auf das Niveau einer klaren theologischen Formel gebracht: Christus, „obwohl in göttlicher Gestalt, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte Sich Selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch

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erfunden" (Phil 2, 6-7). Der Apostel Paulus hat jedoch nicht die Frage nach den Konsequenzen dieser kenotischen Christologie für die Umsetzung in der Ikonographie gestellt, wenngleich eine Reihe von Textstellen in seinen Briefen den Gedanken an implizit darin enthaltene theologisch-ästhetische Intuitionen nahelegen (Gal 3,1; Gal 4,19). Überhaupt befasste sich das frühchristliche Denken noch nicht mit dem Problem der „Inkarnation" einer verbal beschriebenen Gestalt in eine visuelle; und erst später formulierte die byzantinische Theologie die These von ihrer gegenseitigen Bezogenheit und gewissen Gleichwertigkeit. Das rein verbale Zeugnis von der kenotischen Gestalt Jesu wurde nicht als eine notwendige Ausprägung einer entsprechenden Ikonographie verstanden, und vermutlich hätten wohl auch die frühchristlichen Schriftsteller und Apologeten diese Möglichkeit im Grundsatz verworfen. Im Falle einer solchen Aufgabenstellung muss das überaus schwierige Problem bewältigt werden, die kenotische Gestalt (die Knechtsgestalt) so zu vermitteln, dass man in ihr Christus als „göttliche Gestalt", als eine Ikone des „unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15) hätte erleben können. Für die späthellenistische Kunst ist diese Aufgabe grundsätzlich unlösbar. Der Hellenismus ließ Darstellungen des Hässlichen zu, ebenso wie auch der strenge Realismus in der römischen Porträtkunst, aber er unterschied strikt solche Darstellungen von der Sphäre der Verkörperung idealer Prinzipien. Im Rahmen einer solchen Ästhetik konnte man sich eine Gestalt nicht derartig vorstellen, dass durch ihre kenotische Unschönheit der Glanz der Gottheit durchleuchtete, während für den Apostel Paulus die „Knechtsgestalt" sich völlig mit dem Gedanken deckte, dass im kenotischen Christus „die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt" (Kol 2,9). Die kenotische Unansehnlichkeit musste man sich als freiwillige Entäußerung im Interesse der Wiederherstellung des wahren Menschenbildes vorstellen, das durch den Sündenfall verdunkelt war: „Ob Er wohl reich ist, ward Er doch arm um euretwillen, auf dass ihr durch Seine Armut reich würdet" (2 Kor 8,9). Erst auf diesem Hintergrund wird der kühne Mut frühchristlicher Theologie verständlich, die das „Unansehnliche" der äußeren Gestalt Jesu Christi unterstrich: „...daß er ein unansehnlicher Mensch sein werde, vom Leiden gezeichnet", schrieb Irinäus von Lyon.2 Tertullian, ein anderer frühchristlicher Schriftsteller, deutet im Mangel an Christi äußerer Schönheit eine reflektierte neue theologische Ästhetik an. Er sprach gern, als wollte er die hellenistischen Vorstellungen bewusst herausfordern, von der Unansehnlichkeit Jesu und sah darin ein Argument für die Realität der Inkarnation Gottes. Hätte der Erlöser idealisiert schön ausgesehen, würde es nach Meinung Tertullians niemand gewagt haben, ihn dem Spott und der Schande preiszugeben, was doch die Evangelien bezeugen. Für ihn ist das Ab2

Irenaus von Lyon, Adversus haereses, FC 8/3 (1995), 240-241.

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surde und Paradoxe, das vom gewöhnlichen Standpunkt unvorstellbar ist, der beste Beweis für die göttliche Wahrheit. In diesem Sinne ist Tertullian Begründer einer Ästhetik, die auf dem kenotischen Absurdum beruht. Gott ist umso offensichtlicher in Seiner Majestät, desto nichtssagender Seine Manifestation dem Menschen erscheint. „Hier beginnen Unansehnlichkeit und Niedrigkeit Jesu, der Mangel an Schönheit, bei Tertullian ein gewisses und beachtliches ästhetisches Prinzip, den Beweis für die Göttlichkeit Christi anzutreten, d.h. sie werden versehen mit einer nicht buchstäblichen, faktisch diametral entgegengesetzten Bedeutung. Das Abstoßende beginnt in der Ästhetik der Apologeten eine besondere Relevanz zu erlangen, die den Rezipienten auf etwas die Phänomina und Realien der geschaffenen Welt grundsätzlich Überragendes orientiert".3 In der Polemik mit den Kainiten, die eine Wassertaufe aus dem Grund abgelehnt haben, dass „es der Größe Gottes unwürdig ist, die sichtbaren Gaben des Geistes mit den äußeren materiellen Dingen in eins zu bringen", zeigte Tertullian, dass ganz im Gegenteil „hinter der sichtbaren Unziemlichkeit sich die Majestät Gottes verbirgt".4 Wenngleich die Apologeten eine durchdachte theologische Ästhetik noch nicht im Sinn hatten, war sie nichtsdestoweniger implizit in ihrer Christologie zugegen und gab hinreichend Material für die hauptsächlichen ästhetischen Kategorien. Die Korrelation von schön und unansehnlich gewann einen der antiken Welt völlig unbekannten Sinn, doch fand die Anwendung dieser Entdeckungen auf die kirchliche darstellende Kunst aus vielen Gründen nicht statt. In der Folge nahmen die byzantinische Theologie und Ästhetik für lange Zeit radikal Abschied von den kenotischen Ansichten der äußeren Gestalt Jesu. Eine gewisse Wiedergeburt der kenotischen Ästhetik wurde im Rahmen der Gotik und ihrer Konzentration auf die naturalistisch-expressive Wiedergabe der Kreuzesqualen und Leiden des Erlösers neu erlebt. Die gotische Ästhetik erwies sich jedoch als unfähig, das antinomische Gleichgewicht zwischen der menschlichen „Unansehnlichkeit" und der göttlichen Schönheit zu bewahren. Der Akzent verschob sich zugunsten des Naturalismus, was negative Konsequenzen für die folgende Entwicklung der kirchlichen Kunst hatte. Einseitig verstandener Kenotismus ließ die göttliche Natur Christi zwar nicht in der dogmatischen, so doch in der ästhetischen Dimension vergessen und förderte die Wandlung des sakral-hieratischen Bildes in ein illusionäres Gemälde mit religiösem Sujet. Die auf diese Weise erzielte Wirkung hat Dostojewski einem seiner Helden im Ro-

3 4

Viktor Byckov, 2000 let christianskoj kultury sub specie aestfaetica, Moskau-St.-Petersburg 1999, Bd. 1,82. Archiepiskop Filaret (Gumilevskij), Istoriceskoe ucenie ob Otzach Cerkvi, St.-Petersbuig 1882, Bd. 1,164.

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man „Der Idiot" charakterisierend in den Mund gelegt, als dieser einräumte, dass man bei der Betrachtung des Holbein-Gemäldes „Christus im Grabe" „auch den Glauben verlieren kann". s Entsprechend fuhrt der naturalistisch interpretierte Kenotismus in der Kunst zu einer Art ästhetischem .Atheismus'. Besonders abstoßend sind die Versuche eines realistischen „Bildes von Golgatha", die volens nolens in der Profanisierung enden, wie beispielsweise der sich hierauf beziehende Gemäldezyklus von Nikolaj Nikolajewitsch Gay (1831-1894). Bezeichnend ist auch das Schicksal eines anderen, noch begabteren russischen Künstlers, Alexander Ivanov (18061858), der im Laufe einer zwanzigjährigen Arbeit an seinem Gemälde „Erscheinung Christi vor dem Volk" den Glauben an den Gottesmenschen verloren hat. Neue Perspektiven für die kenotische Ästhetik eröffneten sich durch die radikale Ablösung vorherrschender Paradigmen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Das avantgardistische Verständnis für die ästhetische Bedeutung des Abstoßenden wurde ein machtvolles Instrument bei der Überwindung der kitschähnlichen Süße des Akademismus einerseits und des Naturalismus andererseits. Das Erreichte war ambivalent. Es öffnete auch die Tür für Experimente zerstörenden Charakters, der mit dem Christentum nichts gemein hatte. Sie ließen das ästhetische Bewusstsein völlig erlöschen, indem sie seinen Übergang in einen nachmenschlichen und nachbiologischen Zustand vorbereiteten. Immerhin gibt es auch Alternativen zu diesem trostlosen Szenarium. Der Tendenz, das christliche Element in der modernen Kunst zu marginalisieren oder ganz und gar zu verdrängen, widersteht das Streben nach seiner Erhöhung auf eine neue, spiritualisierte Ebene.

2. Der Glanz der göttlichen Schönheit Diese kenotische Ästhetik hat ihr komplementäres Gegenbild. Die Vorstellung von der Unansehnlichkeit der äußeren Gestalt Jesu bewirkte im kirchlichen Bewusstsein eine Art Gegenreaktion. Wenn auf verbaler Ebene die „Unansehnlichkeit" in einem vermittelnden, gemilderten Zug wahrgenommen wurde, stieß jeder Versuch ihrer Visualisierung auf nahezu unüberwindbare Schwierigkeiten. Die naturalistisch wiedergegebene „Knechtsgestalt" entsprach nicht der liturgischen Verfassung der Kirche, der die Widerspiegelung der göttlichen Schönheit ein ernsthaftes Anliegen ist. Daher wurden mit der Zeit gerade die Überlieferungen und theologischen Vorstellungen kenotischer Art von einem Christus5

Fjodor M. Dostojewski, Idiot, Polnoe sobranie socinenij, Leningrad 1973, Bd. VIII, 182.

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bild verdrängt, das bereits in seiner äußeren Erscheinung die ganze Fülle an Schönheit, Harmonie und Vollkommenheit in sich schließt. Allerdings traten im ersten wie im zweiten Falle von bestimmten biblischen Vorstellungen prophetisch-messianischen Charakters bedingte Bilder auf, in denen schon von Anfang an eine antinomische Struktur angelegt war und die die Ikonographie vor eine schwierige Wahl stellte. Den kenotischen Texten steht eine Reihe anderer Prophetien gegenüber, die des Messias' königliche Schönheit besingen. „Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, holdselig sind Deine Lippen; darum segnet Dich Gott ewiglich. Gürte Dein Schwert an Deine Seite, Du Held und schmücke Dich schön! Es müsse Dir gelingen in Deinem Schmuck. Zieh einher der Wahrheit zugut und die Elenden bei Recht zu erhalten, so wird Deine rechte Hand Wunder vollbringen" (Ps 45,3-5). Der zitierte Text setzt ein bestimmtes ästhetisches Programm für die Ikonographie voraus. Die Kategorien des Schönen und Erhabenen dominieren. Der Messias übertrifft in seiner äußeren Gestalt alle übrigen „Söhne der Menschen" an Schönheit. Durch den Psalm wird der Akzent auf seine Königsherrschaft gelegt. Schwert und Streitwagen sind die Attribute einer eindrucksstarken Schönheit des Messias. Doch bietet die Visualisierung solcher Bilder nicht weniger, sondern noch mehr Schwierigkeiten als die künstlerische Gestaltung der kenotischen Bilder. Wenn im letzten Fall die Gefahr der Erniedrigung des Bildes Christi bestand, gefahrlich für eine irdisch verhaftete Frömmigkeit, die im Unterbewusstsein der Betenden einen konsequent fortschreitenden Glaubensverlust an die Göttlichkeit des Messias provozierte, so erhebt sich durch die Betonung seiner königlichen Schönheit die Gefahr einer Formalisierung der Gestalt im Sinne des weltlichen Verständnisses von der Größe königlicher Macht. Betrachtet man die Genesis der byzantinischen Christus-Ikonographie, so wird ihre Abhängigkeit nicht so sehr von biblischprophetischen Texten deutlich als vielmehr von der Ikonographie römischer Cäsaren. Es heißt, dass „den entscheidenden Einfluss auf die christliche Ikonographie des 4. Jahrhunderts die höfische Kunst brachte. Sie diente als Modell für die Darstellung Christi auf dem Thron als Weltenherrscher, umgeben von Engeln und Heiligen. Wie ein auf dem Thron residierender Imperator, der seinen kaiserlichen Beamten die Rolle mit den Beglaubigungsschreiben überreicht, so übergibt auch Christus an Petrus das neue Gesetz".6 Unter dem Blickwinkel byzantinischer Ästhetik liegt dabei nichts Anstößiges vor. Nicht allein die Ikonographie, sondern auch das liturgische Leben der Kirche erfuhr in dieser Periode eine starke Prägung durch das höfische Zeremoniell. Da nun später das 6

Hugh Wybrew, The Orthodox Litutgy. The Development of the Eucharistie Liturgy in the Byzantine Rite, Cœstwood, N.Y. 1990,32.

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byzantinische Ideal der Symphonie, als Cäsaropapismus verstanden, negativ bewertet wurde, ist es nicht verwunderlich, wenn eine derart programmierte Ikonographie kritische Bewertung fand. Die frühchristliche Kunst hatte natürlich eine andere Schönheitsvorstellung. Die neuen geistlichen Impulse sollten jedoch visuelle Äquivalente bei der Uberwindung der Dekadenz späthellenistischer Kunst für sich finden, einerseits gekennzeichnet durch einen kalten Pseudoklassizismus, andererseits mit seiner Sentimentalität und Oberflächlichkeit und einer für den alltäglichen Geschmack gestutzten Ornamentik an einen eigenartigen Kitsch grenzend. Der Werdegang frühchristlicher Ikonographie geschah unter diesen Bedingungen völlig spontan und es ist schwierig, ihre historischen Quellen zu orten. Offensichtlich freilich ist eine seit dem zweiten Jahrhundert zu verfolgende Tendenz, die bereits in der antiken Kunst existierenden Muster und deren Stil und Technik zu überarbeiten. Zweifellos ist auch, dass in der ästhetischen Dimension die Kategorie des Schönen, auf allegorisch-symbolische Bilder projiziert, dominierte. Zur typischen Art wurde die Ikonographie des guten Hirten, deren Wurzeln sowohl in die biblische Tradition als auch in die antike Kunst zurückreichen. Gott selbst stellte man sich im alttestamentlichen Bewusstsein unter dem Bild des Hirten vor: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln" (Ps 23,1). Im Buch des Propheten Jesaja nahm die messianische Gestalt des Hirten leicht visualisierte Züge an: „Als Hirte wird Er Seine Herde weiden: die Lämmer wird Er auf den Arm nehmen und an Seiner Brust tragen" (Jes 40,11). An diesem Bild orientierte sich offensichtlich — neben der antiken Tradition — die frühchristliche Ikonographie. Die visuale Interpretation eines Bildes, das der antiken Schäferpoesie nahe steht, ist nicht selbstverständlich. In an Dekadenz überreifen Epochen erhielt das Bild des Hirten die Bedeutung eines Symbols der Rückkehr zu einem natürlichen Leben. So suchte das 18. Jahrhundert, ermüdet durch komplizierte Künstlichkeit, erfreuliche Kontemplationen und wandte sich idealisierten und von jedweder Lebenskonkretheit entfernten Bildern der Schäferidylle zu. Vergessen war die kenotische Seite des Bildes, das sich der ernsten Seite der Wirklichkeit zugewandt hatte. Die alttestamentliche Poesie hatte nichts gemein mit einer idealisierten Schäferidylle noch mit dem Naturalismus des Alltages. In der Bibel ist die Gestalt des Hirten in eine für die Epoche der Patriarchen charakteristische Atmosphäre getaucht. Abraham war nicht nur ein einfacher Herdenbesitzer, sondern „Fürst Gottes" unter den Völkern seiner Umgebung (Gen 23,6). In der frühchristlichen Kunst wurde der Hirte nach anderen ästhetischen Kriterien gemalt. Es ist vor allen Dingen ein sanfter und gediegener Mann, dessen Bild frei ist von der Berührung mit der schweren irdischen Wirklichkeit, aber auch von Vorstellungen der Macht und Größe alttestamentlicher Hirten und Patriarchen. Man kann auf Darstellungen des Schönen und Guten stoßen,

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einer Synthese aus Ästhetik und Ethik. Die Schönheit selbst ist die höchste Offenbarung ethischer Werte und nicht von ihnen zu trennen. Barmherzigkeit, Güte und Liebe zu den Nächsten bis hin zur Bereitschaft des Hirten, sein Leben für sie einzusetzen, beschreiben die Stilistik einer Christus-Ikonographie, die sich prinzipiell fernhält von jeder Diskussion über die historische Glaubwürdigkeit des Bildes. Das Bild des guten Hirten wurde teilweise auch in der frühbyzantinischen Periode bewahrt, obwohl es unter dem Einfluss einer neuen Reflektion der ästhetischen Kategorie des Schönen eine bedeutende Metamorphose erfuhr. In einem Mosaik des Mausoleums der Galla Plazida in Ravenna „hatte sich Christus aus einem bescheidenen ephebo-ähnlichen Jüngling in den König des Himmels gewandelt, gleich einem Imperator, der in Herrscherpose sitzt: Er stützt sich auf ein goldenes Kreuz, trägt einen goldgewirkten Rock mit hellblauen Klavi und oberhalb der Knie beginnt ein purpurfarbener Mantel. An diesem Bild wird klar, wie die arglose Schäferszenerie der frühchristlichen Malerei unter dem höfischen Zeremoniell hinter einer erhabenen, in vielem schon byzantinischanmutenden Feierlichkeit zurücktrat".7 Diese Synthese, die wichtige Elemente der frühchristlichen Ästhetik rettete und zugleich einen Weg in die Zukunft wies, hat sich leider in der byzantinischen Kunst nicht durchgesetzt. Der Symbolismus der frühchristlichen Kunst wie auch ihre Poesie fanden kein Verständnis mehr und schlugen um in einen massiven hieratisierten Historismus. Der bekannte 82. Kanon des Trullanums ist Zeuge für die totale Änderung ästhetischer Werte und Orientierungen. Nach dem Sieg der Ikonenverehrer bildete sich endgültig die Vorstellung des im liturgischen Bewusstsein und aus der Erfahrung geborenen, aber doch als historisch glaubwürdig wahrgenommenen Christus aus. Was den Charakter einer liturgischen Metapher hatte, verfestigte sich zu einer historischen Tatsache. Damit wird auf die zweite strukturelle Antinomie in der Ikonographie Christi verwiesen, von der noch im Weiteren die Rede sein wird. Jetzt indessen müssen wir bei der Anwendung der theologisch-ästhetischen Kategorie des Schönen auf die kirchliche Kunst stehen bleiben. Man kann dabei eine Rückwirkung der Kunst auf die Ästhetik nicht ausschließen. So glaubte der namhafte Kenner der Ikonographie, Fjodor Buslajev, dass des hl. Johannes Chrysostomos' Auffassung von der äußeren Schönheit des Erlösers bedingt war von der Kenntnis der zu Beginn des fünften Jahrhunderts entstandenen Darstellungen Christi als Träger der götdichen Schönheit und Vollkommenheit.8 In Wirklichkeit lässt sich natürlich der Bereich theologischer Ästhetik nur schwer von der künstlerischen Praxis trennen. Offensichtlich ist die Tendenz, die kenotische Gestalt einerseits und 7 8

Viktor Lasarev, Istoria byzantijskoi »vopisi, Moskau 1986, Bd. 1, 34. Fjodor Buslajev, O russkoj ikone, St.-Petersburg 1908, 87.

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die symbolisch-allegorische andererseits durch den sakramental-hieratischen ikonographischen Typ zu ersetzen. Für das an den trinitarischen und theologischen Diskussionen geschulte theologische Bewusstsein musste sich die Schönheit Jesu Christi als dem Stil der liturgischen Frömmigkeit völlig entsprechend erweisen. Doch gerade die Kunst festigte im Bewusstsein einen bestimmten ikonographischen Typ, der die Kraft historischen Zeugnisses besaß. „Vom 4. bis zur Hälfte des 8. Jahrhunderts", schrieb Fjodor Buslajev, „wurde mit solcher Klarheit der mosaikartige Typ Christi definiert, dass Johannes Damaszenus ihn mit ikonographischen, offensichtlich aus eingehender Kenntnis künstlerischer Werke geschöpften Einzelheiten beschreibt".5 Dabei blieben die stilistischen Besonderheiten der hieratischen Kunst unberücksichtigt. In diesem Fall gewann die Beschreibung des Christus den Charakter eines naturalistischen Porträts. Für Johannes Damaszenus stellte sich Christus hochgewachsen und schlank, mit schönen Augen, gerader Nase, gewellten Haaren und einem schwarzen Bart dar. Ein derartiges Außeres kann nicht nur hohen künstlerischen Zielen dienen, sondern auch einem süßlichen Kitsch, der im 19. und 20. Jahrhundert aufkam. Entscheidend ist die Ausarbeitung eines sakralen Stils, durch den das naturalistisch geprägte Bild überarbeitet wird. Die byzantinische Kunst war in dieser Beziehung vielfach der theologischen Ästhetik zuvorgekommen, die damals keinen begrifflich-kategorialen Apparat zur Beschreibung und Interpretation der Synthese von Historismus und Hieratismus in der Ikonographie zur Verfügung hatte. Der Sieg der Ikonenverehrung schrieb den zu jener Zeit üblichen ikonographischen Typ fest, der später als kanonisches Muster in die kommentierten Malbücher überging. Eine von diesen Beschreibungen hatte im neunten Jahrhundert der Mönch Epiphanios vorgelegt, die ohne besondere Korrekturen bis ins 14. Jahrhundert überdauerte, wenn man dem Text des Chronographen Nikephoros Kallistos glauben will. Ausgangssituation ist die allgemeine Behauptung, dass Christus „überaus schön von Anblick war". Diese These wurde durch das oben angeführte Zitat aus dem 45. Psalm erhärtet. „An Wuchs wohl sechs volle Fuß groß, blonde Haare, nicht sonderlich dicht, die eher an Ähren erinnerten, schwarze Augenbrauen, nicht sonderlich gebogen, helle und strahlende Augen..., schön geschnittene Augenpartien mit einer langen Nase und blondem Bart, lang herabfallendes Haar..., ein Körper von der Farbe reifenden Weizens, das Gesicht nicht rund, sondern wie bei Seiner Mutter, nach unten etwas verjüngt und von leichter Röte durchzogen, die ein frommes und verständiges Gemüt, eine sanfte Art und in allem Güte ohne Zorn ausweist".10

9 Ibid, 88. 10 Cit. Nach: Igor Pripackin, Ikonografija Gospoda Iisusa Christa, Moskau 2001, 5.

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Der zitierte Text aus dem neunten Jahrhundert beschränkt sich nicht auf eine naturalistische Beschreibung, sondern interpretiert das Außere Jesu vom Gesichtspunkt der Ästhetik, in deren Kalokagotie das Schöne ethisch gesättigt und deren Manifestation ist. Eine Verkörperung dieses Ideals ist die Gestalt des Erlösers in der Svenigoroder Reihe, einer Arbeit Andrej Rublevs. So große Kenner mittelalterlicher Kunst wie V. Lasarev und N.A. Demina heben dabei die Modifizierung des traditionellen ikonographischen Typs hervor, nicht im Sinne eines Abrückens von der Tradition, sondern eines künstlerisch-vertieften ikonographischen Kanons. Die Bilder der Svenigoroder Reihe, unterstreicht V. Lasarev, „nehmen wir als Träger des Prinzips des Guten wahr, eigen ist ihnen eine erstaunliche Zartheit, nichts an ihnen erinnert an die byzantinische Strenge. In seiner tiefen Menschlichkeit gleicht der Heiland der verherrlichten Gestalt des Christus im Tympanum des .Königsportales' der Kathedrale von Chartes. Sowohl bei Rublev wie auch bei dem frühgotischen Meister ist die Gestalt der Gottheit so vermenschlicht, dass sie vollkommen ihren abstrakt-kultischen Charakter verliert".11 Zwar formuliert Lasarev seinen Gedanken in etwas säkularer Manier, doch der Kern seiner Beobachtung ist auch vom theologischen Standpunkt aus zutiefst wahr, denn die übermäßige Betonung des kanonischen Prinzips ohne entsprechende schöpferische Bearbeitung begann im späten Mittelalter (und je weiter desto mehr) in steifen Schematismus zu münden. Andrej Rublev und der Meister von Chartes stellten dieser Tendenz die eigene geistliche Erfahrung gegenüber und erlebten den Kanon als ein meditatives Instrument zur inneren Vertiefung. In beiden Fällen fand die Kategorie des Schönen in der Anwendung auf die Gestalt Jesu Christi ihren vollkommenen Ausdruck.

3. Die kreativen Gegensätze in der ikonographischen Entwicklung Neben dem oben Erwähnten gibt es noch eine weitere konstitutive Antinomie, die sich aus den verschlungenen Wegen der Entwicklung der Ikonographie Christi ergibt. Man kann sie definieren als Gegensatz zweier theologischästhetischer Prinzipien: Das erste formuliert die Forderung nach Historizität der Darstellung als Bestätigung der Wirklichkeit göttlicher Inkarnation; das zweite begründet die Möglichkeit symbolischer Bilder Christi. Überschaut man die Geschichte der Ikonographie, wird deutlich, wie jede Epoche ihre eigene Art der Versöhnung oder radikalen Gegenüberstellung dieser beiden Prinzipien gefunden hat. Zuweilen führte die extreme Verschärfung des Prinzips der Historizität 11 Victor Lasarev, Andrej Rublev i ego skola, Moskau 1966, 32.

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zur Verdrängung allegorischer Bilder trotz der frühchristlichen darstellenden Überlieferung; das Paradoxon der Entwicklung besteht jedoch darin, dass solche Verdrängung nach gewisser Zeit Anlass zu einer Neubelebung des symbolischen Prinzips waren. Man braucht nur an die Situation zu denken, die im 16. Jahrhundert auch theologische Diskussionen in der Ikonographie zuwegebrachte. In gewisser Hinsicht erweist sich der Historismus nicht selten als eine verborgene Form des Symbolismus, und der Symbolismus war die beste Bestätigung für die Historizität der Ereignisse in den Evangelien. Der Inhalt, der in diesen Begriffen steckt, steht im engen Zusammenhang mit bestimmten kulturellen, mentalen und psychologischen Kontexten. Es wäre ein großer Fehler, diesen Umstand nicht zu berücksichtigen und die ästhetischen Prinzipien als etwas Statisches und Zeitloses anzusehen. Doch in anderer Perspektive sind sie tatsächlich solche. Auf die Notwendigkeit besonders aufmerksamer und einfühlsamer Vorsicht bei der Nutzung des mittelalterlichen Apparats theologischer Begriffe verwies seiner Zeit Pavel Florenskij. Andernfalls könnte viele ästhetische Begriffe leicht im Geiste des Subjektivismus und des Psychologismus erklärt werden; mit ihrer Hilfe ließen sich sogar ein darstellender Illusionismus und spiegelhafter Naturalismus rechtfertigen. Als Beispiel wählte Florenskij die moderne Deutung eines fundamentalen Begriffes der patristischen Ästhetik, der Anamnese, der in unlösbarer Verbindung mit dem Grundsatz des „Historismus" in der Ikonographie steht. Nach Florenskij begeht man „einen großen historischen Fehler", wenn man den Grundsatz der Anamnese im Sinne des Subjektivismus erklärt. „Man darf nicht vergessen, dass die patristische Terminologie die des althellenistischen Idealismus und überhaupt ontologisch gefärbt ist. In diesem Falle handelt es sich durchaus nicht um eine subjektive Anamnese der Kunst, sondern um eine platonische ,anámnisis' als Erscheinung der Idee selbst im sinnlich Erfassbaren: die Kunst führt aus der subjektiven Isolation, sprengt die Grenzen der bedingten Welt und führt von den Bildern und mittels der Bilder zu den Urbildern".12 Florenskij beobachtete beim Gebrauch der patristischen Terminologie insgeheim die Tendenz zur Modernisierung, obwohl er seinerseits nicht der Gefahr der Projizierung eigener theologischer Begriffe auf die mittelalterliche Ästhetik entging. Für viele Ikonenverehrer wurde wohl das „Bild" tatsächlich in den Kategorien eines naturalistisch verstandenen Historismus interpretiert. Doch ging — und darin hat Florenskij absolut recht - in der Praxis selbst die kirchliche Kunst nach dem Sieg der Ikonenverehrer zweifellos von der Vorstellung einer ontologischen Anamnese des Bildes aus. Da nun solcher ästhetischer Ontologismus verbal nicht festgeschrieben war und nicht die Kraft einer präzisen kanonischen Vorschrift hatte, unterlag beginnend mit dem 17. Jahrhundert, die kirchliche 12 Pavel Florenskij, Molennye ikony prepodobnogo Sergija. — in: Izbrannye trudy po iskusstvu, Moskau 1996,247.

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Kunst leicht den Versuchungen zur „Spiegelhaftigkeit", mit anderen Worten, führte zu naturalistischer Poetik und Stilistik in der Ikonographie, wogegen sich nur seltene und kraftlose Stimmen einzelner Theologen erhoben, während die überwältigende Mehrheit durchaus Genüge fand an einer naturalistischen Interpretation der traditionellen Ikonographie, ohne den theologischen Austausch oder gar die Fälschung zu bemerken, die sich klammheimlich in der kirchlichen Kunst abgespielt hatten. Alle Kompliziertheit und Ambivalenz im Blick auf anamnetische Historizität tritt bei der Herausbildung der Ikonographie des nicht mit Händen geschaffenen Heilandes (Acheiropoietos) offen zutage. Eine umfangreiche Literatur befasst sich mit ihrer Entstehung, deshalb macht es keinen Sinn, über das Zustandekommen der Überlieferung selbst und den Grad ihrer historischen Glaubwürdigkeit zu diskutieren. Ganz offensichtlich kann hier der Begriff der Historizität im modernen Sinne des Wortes überhaupt nicht auf diese Tradition angewandt werden. Interessanter ist ein anderer Aspekt des Überlieferten: Gerade in ihm, heißt es bei Florenskij, handelt es sich um „die Erscheinung der Idee im sinnlich Erfassbaren",13 um den Durchbruch der subjektiven Grenzen des erkennenden Bewusstseins, das mit Hilfe betender Kontemplation vom Bild zum Archetypos aufsteigt. Einerseits beschreibt die Überlieferung im naiv-realistischen Stil, wie Jesus, als er die Bemühungen eines vom Herrscher von Edessa gesandten Höflings sah, Sein Porträt zu zeichnen, ihn um ein Leinentuch bat, das Gesicht wusch, es am Tuch abtrocknete und darauf den Abdruck seines Gesichtes hinterließ. Aus dieser Erzählung kann man ein doppeltes Ergebnis festhalten. Man kann sie als Anlass für die Legitimation der naturalistischen Darstellung Christi ansehen. Der Illusionismus des Bildes gilt als eine eigenartige Garantie für die Echtheit der Inkarnation Gottes. Doch widerspricht ein solcher Naturalismus den Grundthesen orthodoxer Christologie über die beiden Naturen des Erlösers. Der Gesichtsabdruck ist eine Spur physischer Leiblichkeit, kann aber seinem Wesen nach die göttliche Natur nicht wiedergeben. Solch ein Tuch kann als Reliquie verehrt werden, doch darf es nicht als eine Rechtfertigung des Naturalismus gelten. Die byzantinische Kunst überwand diese Versuchung und ging den Weg einer Erarbeitung der hieratisch-sakramentalen Zeichenhaftigkeit des Bildes. Bei dieser Interpretation wird das Prinzip einer nicht mit Händen erbrachten Schöpfung akzentuiert. Die Überlieferung selbst gewinnt den Charakter eines Symbols. Die Ikone ist in dieser Beziehung Folge der gottmenschlichen Natur der Kirche. Gott wirkt in Seiner Gnade im Akt der Schaffung einer Ikone, die eben dadurch den Charakter gewinnt, nicht mit Händen geschaffen zu sein. Nach Johannes Damaszenus ist die Ikone „voller Energie und Gnade". „Diese hinreichend zweideutige und mit der Gefahr des Fetischismus belastete 13 Ibid, 247.

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Sage", schrieb E. Sendler, „stellt eine Metapher dar, mit deren Hilfe Damaszenus darauf verweist, dass der Leib Christi Seine Heiligkeit der geschaffenen Materie mitteilt".14 Auf diese Weise erhält die Überlieferung von der nicht mit Händen gemalten Ikone den Charakter einer Metapher, mit deren Hilfe die byzantinische Kunst sich die gottmenschliche Wurzel sakralen Schöpfertums bewusst machte, ohne die dieses Prinzip verbal zu formulieren. Die Reflektion über die Uberlieferung und ihre theologischen Schlussfolgerungen sind Aufgabe der Zukunft. Im Mittelalter erschwerte eine solche Reflektion die vollkommen anderen Formen des ästhetischen Bewusstseins, das nicht so genau zwischen den physischen und den spirituellen Realitäten differenzierte, wie es gegenwärtig der Fall ist. Der mittelalterliche Mensch verfugte noch über die Fähigkeit, einen historischen Fakt als Metapher und die Metapher als einen historischen Fakt zu erleben. Interessanterweise beginnt die Verbreitung der Ikonographie des nicht mit Händen geschaffenen Heilandes mit dem endgültigen Sieg der Ikonenverehrer; sie bekommt kanonischen Charakter erst seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, nach der Übertragung des wundertätigen Bildes aus Edessa nach Konstantinopel. Der aus diesem Anlass hervorgegangene Festgottesdienst behandelt es als visuelle Bestätigung für die Wahrheit der Ikonenverehrung. Die vor der Ikone Betenden gleichen den Aposteln, die die Manifestation des göttlichen Lichtes auf dem Tabor geschaut haben. Eine derartige theologische Auslegung der Überlieferung schloss für das mittelalterliche Bewusstsein durchaus nicht weitere Varianten des Kanons aus, die bis in die Sphäre religiöser Vorstellungskraft führt. In der spätmittelalterlichen Tradition, und zwar an der Grenze des Übergangs zur Neuzeit, zählte man nicht weniger als vier Traditionslinien für das nicht mit Händen geschaffene Bild: Die erste lässt den siebenjährigen Jesus einem „ägyptischen König" das Bild schenken; nach der zweiten wird er nach Edessa gesandt; die dritte erinnert an den Kreuzweg des Heilandes nach Golgatha und ist unter dem Einfluss der westlichen Überlieferung vom Tuch der Veronika entstanden; nach der vierten Variante wird das Bild von Christus der Märtyrerin Akiliana nach Seiner Himmelfahrt überreicht.15 Hier wird der Archetyp des nicht mit Händen Geschaffenen vielfach auf die Geschichte projiziert und gewinnt die Form von naivrealistischen Erzählungen. Symptomatisch ist, dass von dieser Zeit an eine strenge mittelalterliche Hieratik in naturalistischer Manier gerade in der Ikonographie des nicht mit Händen gemalten Heilandes sich zu wandeln beginnt. Der Moskauer Meister Simon Uschakov (1625 - 1686) neigte sogar dazu, sie als einen visuellen Beweis für die Richtigkeit seiner ästhetischen Theorie von der 14 Egon Sendler, Genesis i bogoslovskie ikony,-in: „Simvol" (18) 1987,49. 15 Pripackin, Ikonografija, 31.

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„Spiegelhafrigkeit" als oberstem Prinzip orthodoxer Ästhetik zu interpretieren. Auf diese Weise enthüllt sich das Prinzip der Historizität, verstanden als fundamentalerGrundlage und Rechtfertigung der Ikonenverehrung, in seiner Äquivalenz und verlangt Ergänzungen durch ein anderes Prinzip, das seinen Ausdruck in den sogenannten symbolischen Darstellungen findet. Ebenso wie der mittelalterliche Historismus sich von dem modernen Geschichtsverständnis unterscheidet, begegnet auch der Symbolismus in verschiedenen kulturellen und psychologischen Kontexten. Wenn die Gefahr des Historismus darin besteht, dass er in einen naiven Naturalismus und Illusionismus ausarten kann, kann sich der Symbolismus in einen künstlich ausgedachten Allegorismus verwandeln. Georgi) Florovskij schrieb im Blick auf die konkrete Situation in der kirchlichen Kunst des 16. Jahrhunderts von einem Konflikt „zweier religiös-ästhetischer Orientierungen: des traditionellen hieratischen Realismus und des von reger religiöser Vorstellungskraft gespeisten Symbolismus".16 Doch neben dem literarischen Allegorismus gab es auch den echten Symbolismus, der die sakrale Sprache entwickelt in nicht geringerem Maße hat, wie auch „der hieratische Realismus" die Wahrheit der Inkarnation Gottes bezeugt. Er ist in jenen Fällen angebracht, wo geistige Wahrheiten, darunter solche liturgischer und eschatologischer Ordnung, einem visuellen Ausdruck unterliegen. Schon bei der Behandlung der Ikonographie des Evangeliums wird die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf den Symbolismus (vorzugsweise von geometrischen und farblichen Zeichen) augenscheinlich. Beispielsweise kann die Erscheinung des Tabor-Lichtes nur mit Hilfe einer Zeichensymbolik abgebildet werden. Die Gestalt Christi ist eingebracht auf dem Hintergrund einer fünf- bis sechs- oder sogar achteckigen sternähnlichen Form, die in eine ovale oder runde Aureole eingelassen ist. Auch ihre Farbstruktur trägt symbolischen Charakter. Wenn in der realistischen Malerei das die Gestalt Christi umgebende Licht seine Kraft nach dem Maße der Entfernung von Ihm verliert, was völlig den optischen Gesetzmäßigkeiten der sinnlichen Welt entspricht, so wird auf den Ikonen der Verklärung die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass, je näher der Raum der Mandorla zu Christus hin liegt, desto dunkler wird sie... und im Mittelpunkt des Lichtes Dunkelheit herrscht, was „auf die absolute Unerkennbarkeit des Wesens Gottes" verweist.17 Mithin symbolisiert die Farbkomposition das Wesen des apophatischen Zugangs zur Gotteserkenntnis. Noch komplizierter liegen die Dinge bei der Deutung geometrischer Zeichen im Zusammenhang mit der Erscheinung des Tabor-Lichtes. In der frühbyzantinischen Kunst herrschte noch das Verständnis vor, dass solcherlei Sujets eine durchdachte Verbindung des hieratischen Realismus mit symbolischen Zeichen 16 Georgij Florovskij, Putì russkogo bogoslovija, Paris 1983, 28. 17 Karl Christian Felmy, Orthodoxe Theologie. Eine Einfuhrung. Darmstadt 1990,25.

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verlangen. So hat sich in der Altarabsis der Kirche des hl. Apollinarios in Classe eine Mosaikdarstellung der Verklärung erhalten, die auf den Gesetzen des metaphysischen Synthetismus beruht. Im Mittelpunkt der Komposition ist die Gestalt Christi an einem vierendigen Kreuz in einem Kreis, vor dem, getreu dem Bericht des Evangeliums, Elia und Mose stehen. Die Apostel Petrus, Jakobus und Johannes sind symbolisch als Lämmer dargestellt. Die ganze Komposition atmet die Harmonie innerer Einheit und scheint äußerlich unverbundene stilistische Elemente zu vereinen. In der theologischen Ästhetik verschieben sich jedoch mit der Zeit wesentlich die Akzente. Immer mehr schätzte man das Bild wegen seiner hieratisierten Wirklichkeitsnähe und immer weniger wurde man für die Sprache der Symbole empfänglich. Seit dem 14. Jahrhundert kommt es zu einer allmählichen Wiedergeburt des Symbolismus in der Ikonographie, die ihren Höhepunkt in der altrussischen Malerei des 16. Jahrhunderts erreichte. Als ein Beispiel harmonischer Verbindung von hieratischem Realismus und Symbolismus kann man die Ikonenmalerei des „Erlösers in Herrlichkeit" anfuhren, die im alten Russland an der Grenze des 14. zum 15. Jahrhundert Verbreitung fand. Sie trägt eschatologischen Charakter. Dargestellt wird das zweite Kommen, die Parusie. Die Gestalt Christi bleibt ganz in der Tradition mittelalterlicher Kunst. Sie wird indes auf dem Hintergrund eines komplizierten Symbolzeichens und unter Verwendung von drei geometrischen Figuren dargeboten: des Rhombus, Ovals und Vierecks. Der Rhombus symbolisiert die göttliche Energie, das Oval die Welt geistlicher Hierarchie und das Viereck die Erde. Ebenso ist im Geiste eines theologisch gesättigten Symbolismus auch das Kolorit der Ikonenkomposition gehalten. Ihr Sinn erschließt sich in der unmittelbaren Schau des Gebets. Darin liegt auch der Unterschied zu den künstlich konstruierten Allegorien, die an die Fähigkeit intellektuellen Begreifens appellieren. Entsprechend ist die Quelle solcher Ikonographie in der Welt der göttlichen Urbilder zu suchen. Um aus ihr zu schöpfen, bedarf es der geistlichen Schau, deren Qualität vom kirchlichen Bewusstsein bestimmt wird. In diesem Sinne ist die Ikone nach Florenskijs Definition „Festigung und Bekundung, Verkündigung der geistlichen Welt durch Farben" und „ist ihrem ganzen Wesen nach natürlich Werk dessen, der diese Welt sieht, des Heiligen".18 Vom Blickwinkel der theologischen Ästhetik ist die Anerkennung der Möglichkeit einer unmittelbaren Schau der göttlichen Urbilder als rechtmäßige Quelle der Ikonographie grundsätzlich wichtig. Dadurch wird die Bedeutung einer ersterschienenen Ikone begründet, d.h. einer solchen, die unmittelbar durch den Willen der geistlichen Welt erschienen ist. Die Existenz einer solchen Quelle erklärt auch die Erscheinung rein symbolischer Bilder von Jesus Christus, 18

Pavel Florenskij, Die Ikonostase, Stuttgart 1990,86.

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die keine direkte Beziehung zu Texten des Evangeliums haben. Zugleich ist zu bemerken, dass es neben der qualitativ guten geistlichen Erfahrung eine unbegrenzte Möglichkeit für falsche Erfahrung gibt, die die eigenen, subjektiv psychologischen oder nach einem Ausdruck des hl. Ignatij Brjantschaninov „blutvollen Visionen" hervorbringt, d.h. die durch die Wirkung des Blutes, durch die psychosomatische Organisation des Menschen hervorgerufen, der geistlichen Kontrolle entglitten sind. Das 16. und 17. Jahrhundert sind reich an Beispielen von ikonographischen Typen, die tatsächlich aus prophetischer Schau geboren worden sind, oder, mit anderen Worten ausgedrückt, aus geistlicher Schau, aber auch an Bildern, die einer überhitzten und unkontrollierten religiösen Phantasie entsprungen sind. In jedem Fall haben wir es mit einer ganzen Reihe von ikonographischen Varianten zu tun, die Christus rein symbolisch darstellen. Sie zu deuten ist bis heute ein schwieriges Unterfangen. Doch blieb auch für die Gläubigen des 16. Jahrhunderts vieles unklar. Dennoch stützte und schützte die kirchliche Hierarchie in der Person des Moskauer Metropoliten Makarij19 und die von ihm einberufene Synode diese Entwicklungstendenz orthodoxer Ikonographie. Mit ihrer Autorität grenzten sie sich von den Anhängern des hieratischen Realismus und Historismus ab. Während die historisch-orientierte Ikonographie ihr Ideal in der Tradition des nicht mit Händen gemalten Heilandes hatte, so unterstrichen die kirchlichen Symbolisten die Bedeutung prophetischer Visionen. Als dasjenige Bild, in dem diese Strömung ihren authentischen Ausdruck fand, muss die Darstellung Christi als Engel gesehen werden. Es ist schwierig, sich in einer schärferen Sicht die beiden antinomischen Pole theologischer Ästhetik vorzustellen, die der Ikonographie des Erlösers zugrunde liegen: einerseits der nicht mit Händen geschaffene Heiland, andererseits des großen Rates Engel. Die kirchlichen Symbolisten begründeten die Möglichkeit der Darstellung Christi als Engel vor allen Dingen mit einem Jesajatext (Jes 9,6), doch dürfte die wirkliche Quelle für diese Ikonographie unmittelbare geistliche Erfahrung sein. Zu den frühesten Bildern dieser Art wird man eine Freske in der Kirche der Gottesmutter Perivlepta in Ochrid (1295), aber auch die Freske in der Kirche des Heilandes in Decany (1335-1350) rechnen müssen. Eigentlich kristallisierte sich diese Schau erst an der Scheide des 15. zum 16. Jahrhundert heraus und gewann die Form der Ikone Sophia (Weisheit Gottes) in der Novgoroder Ausführung. Diese Ikonographie hat viele verwirrte und sich widersprechende Deutungen erfahren. Neben der vollen Identifikation des Bildes mit der Sophia, dargestellt als feuerartig geflügelter Engel auf dem Thron mit Christus, existiert noch eine ganze Reihe von Deutungsversuchen, die auf Wladimir Solowjew und Pavel Florenskij 19 Erzbischof von Wovgorod (1526 - 1542) und Metropolit von Moskau (1542 - 1 5 6 3 ) .

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zurückgehen. Im 16. Jahrhundert tauchte in Russland ein weiterer ikonographischer Typ auf, der Erlöser „Rechtes Schweigen", in der Gestalt eines Engels mit über der Brust gekreuzten Händen und einem achtzackigen Sternennimbus. Die Ikone erfreute sich großer Verbreitung und Verehrung im 17. bis 18. Jahrhundert. Auch dieses Bild ist vielfach und kommentarreich gedeutet worden, doch bleibt es schwierig, die Deutungen einheitlich zusammenzufassen. Die literarische Quelle für diese Ikonenmalerei festzustellen dürfte kaum möglich sein. Interessant ist die Meinung von Nikolai Vasilievic Pokrovskij, der sie mit der Lehre der Hesychasten zusammenzubringen suchte,20 was jedoch wenig wahrscheinlich bleibt. Noch rätselhafter ist die Ikonographie eines Typs „Du bist Priester in Ewigkeit". Im Zentrum der Komposition ist der gekreuzigte Christus, dessen Leib von Cherubinflügeln bedeckt wird, über Ihm ist in einem Medaillon die Gestalt des Herrn Zebaoth, des den Tagen nach Alten (Dan 7,9), mit Königskrone und segnenden Händen. Diese Darstellungen sind in konzentrischen, von den Strahlen der göttlichen Energien durchfluteten Sphären platziert, die auf dem Symbol der Erde, dem Viereck, mit den Symbolen der Evangelisten an den Rändern ruhen. Üblicherweise sieht man in dieser Ikonographie Spuren westlichen Einflusses, etwa auch der deutschen Mystik in der Tradition von Seuse. Die Suche nach den verschiedenen Einflüssen ist natürlich von sekundärer Bedeutung. Wesentlich ist bei der Analyse der symbolischen Ikonen die Erkenntnis ihrer geistigen Quelle. In gewissem Sinne lässt sich feststellen, dass die aus prophetischer Vision hervorgegangenen Bilder die göttliche Wahrheit bezeugen, während die ikonographischen Typen, die sich an der „Historizität" und dem Realismus orientieren, letzdich sich als Frucht einer subjektiven Frömmigkeit und Vorstellungskraft erweisen können.

4. Die theologischen Antinomien und der Versuch einer sophiologischen Bewältigung Die dritte Antinomie, die sich auf die Ikonographie Christi bezieht, hat eigentlich dogmatischen Sinn und sucht eine Antwort für die theologischen Begründungen der Darstellbarkeit des Gottmenschen. Es waren die Ikonoklasten des achten Jahrhunderts, die sich als erste um ein Begriffssystem als Reaktion auf die Weiterverbreitung der Ikonenverehrung ohne entsprechende theologische Legitimation mühten. Insofern der Bildersturm ein vielschichtiges, weitreichend 20 Pripackin, Ikonografija, 34.

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motiviertes, dem Christentum gegenüber sogar feindlich eingestelltes Phänomen war, erwuchs der Wunsch, das Problem aus dem dunkel überlagerten und völlig diskreditierten historischen Kontext zu lösen. Man kann es für den Ausgangspunkt der theologisch-dogmatischen Überlegungen halten, die viele Jahrhunderte währende Praxis der Ikonenverehrung in der byzantinischen Orthodoxie durchaus nicht zu negieren, sondern vielmehr die offensichtliche Schwierigkeit bei der Suche nach einer dogmatischen Begründung der kirchlichen Kunst zu formulieren, und das völlig überzeugt von ihrer Notwendigkeit. Voraussetzung für eine Beurteilung dieser Art ist die orthodoxe Christologie, die gerade zu Beginn des ikonoklastischen Streites ihren Abschluss fand und seitdem keine wesentlichen Ergänzungen oder Veränderungen erfuhr. Auf diese Weise hat es der moderne Theologe mit dem gleichen Ausgangspunkt zu tun wie die Denker des 8.-9. Jahrhunderts. Er muss, ohne hypothetisch die letztendlichen Ergebnisse vorwegzunehmen, die beiden Naturen, die göttliche und die menschliche, die in einer Hypostase vereint sind, berücksichtigen. Die beiden Extreme in der Interpretation des christologischen Mysteriums, die unter den Namen des Nestorianertums und des Monophysitismus bekannt sind, muss er notwendigerweise verneinen. Der Einfachheit und Klarheit halber sind beide Häresien, vom historischen Kontext abstrahiert, als markant umrissene Gegenbilder zum orthodoxen christologischen Modells zu betrachten. Stellen wir uns vor, dass ein auf dieser Position stehender Mensch die Ikone Christi anschaut und die Christologie mit der Ikonographie zu vergleichen sucht. Wenn er nun zugleich in den Kategorien naturalistischer Ästhetik denkt, tun sich möglicherweise zwei Schwierigkeiten vor ihm auf. 1) Er steht in der Gefahr, in den Nestorianismus zu verfallen, d.h. der Trennung beider Naturen in Christus, vereint „in dem Versuch, die unbeschreibliche Gottheit durch die Beschreibung des geschaffenen Fleisches zu beschreiben".21 Der realistisch dargestellte Jesus Christus zeigt in Wirklichkeit das Bild der menschlichen Natur (der Leiblichkeit), die von seiner Gottheit getrennt ist. Wenn nun behauptet wird, dass durch das körperliche Antlitz auch die göttliche Natur ausgedrückt wird, so verstößt das wesentlich gegen die dogmatische Vorstellung von der grundsätzlichen Nichtdarstellbarkeit der unsichtbaren und unerkennbaren Gottheit, einer These, die übrigens völlig von den orthodoxen Ikonenverehrern geteilt worden ist. Sie behaupten ihrerseits, dass „niemand malerisch die Gottheit darzustellen auch nur gedacht hat";22 er unterwirft sich der Beschreibbarkeit nur nach Seiner Menschheit. Nichtsdestotrotz „wird in ein und demselben Christus sowohl das Unbeschreibbare wie das Beschreibbare ge-

21

Giovanni D. Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Bd. XIII, Florenz 1767, Neudruck Graz 1969,672. 22 Ibid, 669.

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schaut".23 Möglich ist eine derartige Schau kraft der „anamnetischen" Natur der Ikone. Sie ist in gar keinem Fall „dem Urbild seinem Wesen nach ähnlich, sondern nur nach der Anamnese und der Position der dargestellten Glieder".24 Diese Position kann man auf zweierlei Weise interpretieren, entweder zugunsten eines naturalistischen Illusionismus (und in diesem Falle hätten die Ikonoklasten recht, weil sie hinter einer derartigen Darstellung eine Entsprechung orthodoxer Christologie verneinen), oder im Sinne eines sakramentalen Hieratismus, wo das Äußere des Menschen einen zeichenhaft symbolischen Sinn gewinnt. Auf diese Interpretation verweist das 15. Kapitel der „Himmlischen Hierarchie", wo die einzelnen Glieder des menschlichen Körpers als Symbole geistlicher Realitäten begriffen werden;25 mit anderen Worten, es wird die Behauptung als theologisch legitim erachtet, dass die Komposition schon die Art der Darstellung und die Verbindung der Teile auf diese Weise hervorbringen kann, dass die Ikone fähig wird, an das göttliche Urbild zu erinnern. 2) Ebenso wiesen die Ikonenverehrer die Beschuldigung einer Verschmelzung der beiden Naturen zurück, d.h. des Monophysitismus, da für die Ikonoklasten die Ikone an sich ein unlauterer Versuch ist, das Unverschmolzene zur Einheit zu verschmelzen. Nach dem siebenten Ökumenischen Konzil und dem Sieg der Ikonenverehrer im Jahre 843 hat diese Frage ihre endgültige Lösung erhalten, deren Überzeugung lediglich von Sergej Bulgakov in seinem Buch „Ikone und Ikonenverehrung" (1931) in Zweifel gezogen wurde. Die dogmatische Ikonenverehrung hielt er nur mit Hilfe der Sophiologie für möglich. Die traditionellen Argumente lösen keine Antinomien und führen zu einer klaren Aporie, deren Anerkennung zu vermeiden „nur um den Preis einer augenscheinlichen Inkonsequenz und Einseitigkeit gelingt; faktisch wurde tatsächlich in ihrer Lehre das Gleichgewicht in Bezug auf die Unteilbarkeit und Unverschmelzbarkeit beider Naturen in Christus verletzt, entsprechend dem Dogma von Chalcedon auf der Seite des Mono- oder Diaphysitismus".26 Die einer differenzierten theologischen Ästhetik ermangelnde byzantinische Kunst verstand es dennoch, geleitet von einem richtigen kirchlichen Instinkt, ein System von Kanones und Mitteln für ihre künstlerische Verwirklichung auszuarbeiten, fähig das Bild Christi der orthodoxen Christologie entsprechend darzubieten. Wenn man jedoch die Geschichte der christlichen Kunst insgesamt

23 24 25 26

Ibid, 669. Ibid, 669. PG 3, 529 C-332 D. Sergej Bulgakov, Ikona i ikonopocitanie, in: Izbrannye socinenia, Moskau — St. Petersburg 1999, Bd.2,258.

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betrachtet, wird deutlich, wie sehr die Ikonographie ständig zwischen dem Diaphysitismus des Naturalismus und dem Monophysitismus eines abstraktallegorischen Spiritualismus hin- und herschwankt und sich gegenwärtig in einer schweren Krise befindet.

Jan Röhls Vorbild, Urbild und Idee. Zur Christologie des 19. Jahrhunderts

Nachdem die Aufklärung sich die sozinianische Kritik an ihm zu Eigen gemacht hatte, war es um das christologische Dogma in seiner traditionellen Form geschehen. Dass Jesus Christus zugleich Gott und Mensch, der Mensch gewordene Sohn Gottes gewesen sei, die zweite Person der Trinität, die sich mit der menschlichen Natur verbunden habe, empfangen vom Heiligen Geist und geboren von der Jungfrau Maria, all das verfiel dem Richterspruch einer Vernunft, die darin nur logische Widersprüche zu entdecken mochte. Die Verstandeskritik am orthodoxen Dogma vom Gottmenschen Jesus Christus fand zusätzliche Unterstützung von Seiten der sich aus dem Bann der Dogmatik lösenden Exegese, und so brach denn die herkömmliche Zweinaturenlehre unter dem Ansturm der doppelten Kritik in sich zusammen. Doch schon bald gab es Versuche, dem Dogma vom Gottmenschen neue Deutungen abzugewinnen, und es war die Philosophie, die dabei eine entscheidende Rolle spielte und über die aufgeklärte Kritik hinaus einen vernünftigen Sinn im Dogma meinte entdecken zu können. Und der Philosophie, genauer gesagt: Kant ist es zu verdanken, dass die Christologie des neunzehnten Jahrhunderts um die Begriffe „Vorbild", „Urbild" und „Idee" kreist.

1. Ideal und Beispiel Im „Streit der Fakultäten" bezeichnet es Kant als einen philosophischen Grundsatz der Schriftauslegung, der der Beilegung des Streites zwischen der theologischen und der philosophischen Fakultät dienen soll, dass Schriftstellen, die gewisse theoretisch für heilig angekündigte, aber nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Vernunft übersteigende Lehren enthalten, zum Vorteil

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der praktischen Vernunft ausgelegt werden dürfen. Zu diesen Lehren rechnet Kant auch die Lehre von der Menschwerdung einer Person der Gottheit1. Kant fordert grundsätzlich, Glaubenssätze moralisch zu interpretieren, um sie so auf die moralische Bestimmung des Menschen zu beziehen. Auf das christologische Dogma bezogen bedeutet dies, dass es sich nicht auf die menschgewordene zweite Person der Trinität bezieht, die nicht nur in einer göttlichen, sondern auch in einer menschlichen Natur subsistiert. Mit dem Gottmenschen ist also nicht ein Mensch gemeint, der die Gottheit als zweite Natur besitzt. Vielmehr wird die orthodoxe Zweinaturenchristologie als moralisch irrelevant verworfen und ersetzt durch eine völlig neue Konzeption des Gottmenschen. Der Gottmensch ist die ewig und wesentlich zu Gott gehörige Idee der moralisch vollkommenen und daher Gott wohlgefälligen Menschheit. Kant beruft sich dabei ausdrücklich auf seine Religionsschrift, in der die Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit oder der Gott wohlgefällige Mensch als etwas bezeichnet wird, dessen Idee von Gottes Wesen ausgeht und daher mit dem eingeborenen Sohn, dem präexistenten Wort des Johannesevangeliums identifiziert werden kann. Kant spricht auch von dem Ideal der moralischen Vollkommenheit2. Um Kants philosophische Transformation des christologischen Dogmas zu verstehen, gilt es zunächst einmal, seinen Gebrauch der Begriffe „Idee" und „Ideal" zu klären. Aufschluss darüber liefert die „Kritik der reinen Vernunft", und zwar die transzendentale Dialektik, in der die Begriffe der reinen Vernunft als Ideen bezeichnet werden, um sie von den reinen Verstandesbegriffen, den Kategorien, zu unterscheiden. Kant greift damit bewusst auf den platonischen Terminus zurück. Piaton habe unter einer Idee etwas verstanden, das nicht nur nicht der sinnlichen Wahrnehmung entlehnt sei, sondern auch alle Verstandesbegriffe übersteige, insofern es sich niemals auf etwas Erfahrbares beziehe3. Dementsprechend sind Ideen für Kant zwar einerseits notwendige Vernunftbegriffe, andererseits kann ihnen aber kein kongruierender Gegenstand in den Sinnen gegeben werden. Als notwendige Vernunftbegriffe sind sie nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben. Zugleich sind sie transzendent, da sie die Grenze jeder Erfahrung übersteigen. Kant spricht daher von den reinen Vernunftbegriffen als transzendentalen Ideen4. Ideen sind in einem noch größeren Maße von der objektiven Realität entfernt als Kategorien, weil keine Erscheinung gefunden werden kann, an der

1 2 3 4

Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, Weite, Akademie-Textausgabe, Bd. VII, Berlin 1968,39. Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Werke, Akademie-Textausgabe, Bd. VI, Bedin 1968,61. Immanuel Kant, KrV Β 370. K r V Β 383-384.

Vorbild, Urbild und Idee

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sie sich konkret vorstellen lassen. Von der Idee unterscheidet Kant dann schließlich das Ideal, worunter er die Idee als ein einzelnes, durch die Idee allein bestimmtes Ding versteht5. Wie den Begriff der Idee bringt Kant auch den des Ideals mit Piaton in Verbindung. Ein Ideal ist für Kant das, was für Piaton und Kant bezieht sich hier natürlich weniger auf Piaton selbst denn auf den Piatonismus — eine Idee des göttlichen Verstandes und der Urgrund aller Nachbilder in der Erscheinung gewesen sei6. Nun möchte Kant diese platonische Auffassung des Ideals zwar nicht einfach restituieren; wohl aber hält er als deren Wahrheitsmoment fest, dass es wie Ideen auch Ideale gebe, die in der menschlichen Vernunft verankert seien. Anders als der Piatonismus schreibt er diesen Idealen keine schöpferische, sondern eine praktische Kraft zu, die ihnen als regulativen Prinzipien eigne. Denn es seien solche Ideale, die der Möglichkeit der Vollkommenheit bestimmter Handlungen zugrunde lägen. Als Beispiele für Ideen nennt Kant die Tugend und die Weisheit, als Beispiel eines Ideals den stoischen Weisen. Der stoische Weise ist ein Mensch, der mit der Idee der Weisheit völlig kongruiert. Dieser Mensch hat keine objektive Realität, sondern er existiert bloß in unseren Gedanken. Kant bezeichnet ihn als den göttlichen Menschen in uns7. Da das Ideal oder Urbild keine objektive Realität hat, ist es auch widersinnig, es in einer Erscheinung realisieren zu wollen. Nun führt Kant nicht nur Gott als das transzendentale Ideal oder Ideal der reinen Vernunft ein; vielmehr gelangt er nach dem Aufweis des Scheiterns der Physikotheologie zu der Grundthese seiner Ethikotheologie, dass der Mensch als moralisches Wesen der Endzweck der Schöpfung sei und Gott daher nicht nur als Urheber der natürlichen Welt, sondern auch als moralischer Gesetzgeber gedacht werden müsse8. Der Mensch als moralisches Wesen ist aber der unter dem moralischen Gesetz stehende Mensch, dem moralische Vollkommenheit unbedingt geboten wird 9 . Diese ethikotheologischen Thesen muss man im Auge haben, wenn man die moralphilosophische Transformation des christologischen Dogmas in Kants Religionsschrift verstehen will. Denn weil der moralisch vollkommene Mensch der Endzweck der Schöpfung ist, identifiziert Kant ihn mit Gottes eingeborenem Sohn oder Logos, durch den alle Dinge gemacht sind. Die Schöpfungsmittlerschaft des Logos bedeutet demnach, dass die Welt um des Menschen als eines moralisch vollkommenen Wesens willen erschaffen ist. Der präexistente Sohn ist also identisch mit dem Ideal oder Urbild der moralischen Vollkommenheit. Die moralische Aufgabe des Menschen ergibt sich aber aus 5

KrV Β 596.

6

Ebd.

7 8 9

KrV Β 597. KU 410-413. KpV A 230-238.

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diesem der Vernunft immanenten Ideal: Denn es ist laut Kant allgemeine Menschenpflicht, sich zu diesem Ideal der moralischen Vollkommenheit, zum Urbild der sitdichen Gesinnung zu erheben10. Kant belässt es jedoch nicht bei der moraltheologischen Identifikation des präexistenten Logos mit dem Ideal oder Urbild des moralisch vollkommenen Menschen. Vielmehr wird die Tatsache, dass wir selbst nicht Urheber des Ideals sind, sondern es in unserer Vernunft vorfinden, von ihm mit der Menschwerdung des Logos gleichgesetzt. Sie sei gleichbedeutend damit, dass jenes Urbild vom Himmel zu uns herabgekommen sei, dass es die Menschheit angenommen habe11. Die Menschwerdung des Logos besteht also darin, dass sich das Ideal der moralisch vollkommenen Menschheit mit uns vereint, insofern es in unserer Vernunft Platz nimmt. Wir müssen uns aber diesen moralisch vollkommenen Menschen, der das Ideal oder Urbild ist, so vorstellen, dass er nicht allein alle moralischen Pflichten erfüllt und durch Lehre und Beispiel das Gute in größtmöglichem Maße befördert, sondern auch bereit ist, um des Weltbesten willen alle möglichen Leiden zu ertragen, obgleich er aufgrund seiner moralischen Vollkommenheit keine Leiden erdulden müsste. Nur so kann sich der Mensch nämlich einen Begriff von der Kraft der moralischen Gesinnung machen, wenn er sie sich als alle Hindernisse überwindend vorstellt. Diese spezifische Vorstellungsweise des Ideals des moralisch vollkommenen Menschen identifiziert Kant mit dem Stand der Erniedrigung des menschgewordenen Logos. So vorgestellt dient das Urbild dem Menschen zugleich als Vorbild. Denn der Mensch könne nur dann hoffen, Gott wohlgefällig zu werden, wenn er sich einer solchen moralischen Gesinnung bewusst sei, dass er glaube, unter ähnlichen Versuchungen und Leiden dem Urbilde der Menschheit nachzustreben12. Es ist demnach das unserer Vernunft immanente Ideal oder Urbild selbst, das uns als Vorbild dient, und nicht etwa ein Beispiel der Erfahrung. Das bedeutet nicht, dass es kein Beispiel eines moralisch vollkommenen und daher Gott wohlgefälligen Menschen geben kann. Vielmehr ist für Kant im moralischen Gesetz impliziert, dass jeder Mensch ein Beispiel dieses Ideals sein soll. Aber gesetzt selbst, es gäbe einen einzelnen Menschen, der ein Beispiel dieses Ideals wäre, so würde er als Beispiel nicht identisch sein mit dem Urbild oder Ideal selbst, das nur in der Vernunft existiert. Denn kein Beispiel des Ideals ist diesem selbst adäquat.

10 Kant (Anm. 2), 61. 11 Ebd. 12 Ebd. 62.

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2. Urbild und Geschichte Während für Kant der menschgewordene Sohn Gottes identisch ist mit dem der Vernunft immanenten Ideal oder Urbild der moralisch vollkommenen Menschheit, überträgt Schleiermacher den Urbildbegriff auf die geschichtliche Person Jesu von Nazareth. Aufgrund seiner Kritik der Moraltheologie und der Behauptung der Selbständigkeit der Religion oder Frömmigkeit gegenüber Moral und Metaphysik nimmt bereits der frühe Schleiermacher Abschied von einer moraltheologischen Fassung der Christologie. In den Reden „Uber die Religion" wird die geschichtliche Person Jesu als religiöser Mittler charakterisiert, der die spezifische Grundanschauung des Christentums vermittelt. Diese Grundanschauung bezeichnet Schleiermacher auch als die Idee, dass alles Endliche höherer Vermittlungen bedürfe, um mit der Gottheit zusammenzuhängen 13 . Jesus als der Stifter des Christentums, dessen Bild den Evangelien entnommen werden kann, ist gekommen, um diese Idee darzustellen. Er ist selbst, obzwar endlich, das Vermittelnde, das selbst keiner Vermittlung bedarf, so dass er nicht nur endlich sein kann, sondern auch unendlich, nicht nur der menschlichen, sondern auch der göttlichen Natur teilhaftig sein muss. Der geschichtliche Jesus ist also selbst das Objekt der Anwendung seiner Idee, insofern er die Idee der Vermittlung vermittelt14. Entscheidend ist für die Christologie des frühen Schleiermacher aber nicht die geschichtliche Person Jesu, sondern die durch sie dargestellte und von ihm ablösbare Idee, die Grundanschauung, der Geist oder das Prinzip des Christentums. Gemeint ist damit die Idee der Vermitdung von Endlichem und Unendlichem, Menschlichem und Göttlichem. Diese These von der Ablösbarkeit der Idee von der Person gibt Schleiermacher allerdings später preis. In seiner Dogmatik „Der christliche Glaube" sieht er unsere Gemeinschaft mit Gott und damit das gegenüber dem sündigen neue Gesamtleben notwendigerweise geknüpft an die Lebensgemeinschaft mit der geschichtlichen Gestalt Jesu als Erlöser. Deren Würde bemisst sich aber an der Vollkommenheit seiner Wirkung, der von ihm gestifteten christlichen Frömmigkeit. Wegen der Vollkommenheit der Wirkung muss auch deren Ursache vollkommen, muss der Erlöser selbst mit urbildlicher Würde ausgestattet sein15. Dabei bezieht sich die Urbildlichkeit des Erlösers ausschließlich auf die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins. Schleiermacher befasst sich auch mit der Frage, ob denn zur Erklärung seiner Wirksamkeit nicht die Annahme einer vorbildlichen statt einer urbildlichen Würde des Erlösers genüge, da die Kräftigkeit des Gottesbewusstseins in dem

13 Daniel F. Schleiermacher, Über die Religion, Bedin 1799,301. 14 Ebd. 304. 15 Daniel F. Schleiermacher, Der christliche Glaube, hg. v. M. Redeker, Bd. 2, Berlin, 7. Aufl.1960, 34f.

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durch den Erlöser begründeten Gesamtleben ja stets unvollkommen bleibe. Um es als Wirkung des Erlösers begreifen zu können, müsse die Kräftigkeit von dessen Gottesbewusstsein daher mitnichten vollkommen und damit auch nicht urbildlich sein. Wenn aber Christus sich nicht durch eine vollkommene Kräftigkeit des Gottesbewusstseins auszeichnete, die Menschheitsgattung hingegen eine solche Vollkommenheit anstrebte, dann wäre damit die Hoffnung verbunden, über Christus hinauszugehen und ihn hinter sich zu lassen. Doch diese Hoffnung überschreitet Schleiermacher zufolge die Grenze des christlichen Glaubens 16 . Wäre Christus nur ein Vorbild für die Kräftigkeit des menschlichen Gottesbewusstseins, so wäre sein Gottesbewusstsein überbietbar und damit nicht vollkommen. Vorbilder können durch Nachahmung überboten werden, was für ein Urbild nicht zutrifft17. Mit dem Gedanken des Urbildes scheint Schleiermacher bislang nicht über Kant hinauszugehen, nur dass sein Urbild nicht der moralisch vollkommene, sondern der sich durch vollkommene Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins auszeichnende Mensch ist. Der Schritt über Kant hinaus besteht erst darin, dass er das Urbild nicht als ein der Vernunft immanentes Ideal begreift, sondern als ein geschichtliches Einzelwesen. Für Kant war das ausgeschlossen, da ein geschichtliches, dem Bereich der Erfahrung angehöriges Wesen für ihn allenfalls ein unvollkommenes Beispiel des Ideals, niemals aber das Ideal selbst sein konnte. Schleiermacher betrachtet es hingegen als mit dem christlichen Glauben unvereinbar, unabhängig von der geschichtlichen Person Jesu ein Urbild zu denken und es sekundär auf Jesus anzuwenden. Damit steht er aber vor einem Problem. Auf der einen Seite soll das Urbild eine geschichtliche Person sein, auf der anderen Seite ist das gesamte alte Gesamtleben durch Sündhaftigkeit gekennzeichnet. Wie aber lässt sich es sich erklären, dass der Mensch Jesus in dem Sinne urbildlich ist, dass er ein neues Gesamtleben im alten begründet? Schleiermachers Antwort lautet, dass man Jesus dazu als wunderbare Erscheinung begreifen müsse, die sich nicht aus dem alten Gesamtleben verstehen lasse18. Die geschichtliche Person Jesus ist Urbild, insofern sich in ihm der Begriff des Menschen als Subjekt des Gottesbewusstseins vollkommen realisiert. Die Geschichtlichkeit Jesu sieht Schleiermacher durch die weitere Annahme gewahrt, dass sich von der Geburt an die Kräfte Jesu, also auch sein Gottesbewusstsein, allmählich entwickelt hätten. Die Urbildlichkeit Jesu verlangt hingegen die Annahme, dass seine Entwicklung frei gewesen sein muss von allem Kampf. Das bedeutet, dass in ihm die sündlose Entwicklung eines menschlichen Individuums wirklich geworden sein muss. Die Urbildlichkeit der geschichtlichen Per-

16 Ebd. 35. 17 Ebd. 37. 18 Ebd. 38.

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son Jesus besteht somit in ihrer Sündlosigkeit. Schleiermacher behauptet demnach vom Erlöser, dass er als geschichtliches Einzelwesen zugleich urbildlich sein und das Urbildliche in ihm vollkommen geschichtlich werden musste19.

3. Anschauung, Vorstellung und Begriff Mit seiner Identifikation von Urbild und geschichdicher Person rückt der reife Schleiermacher von seiner eigenen frühen Christologie ab, die zwischen der Person des Mittlers und dem Prinzip, dem Geist oder der Idee des Christentums unterschieden hatte. Aber er grenzt sich damit zugleich von jenen christologischen Entwürfen des Idealismus ab, die Kants Urbildchristologie auf eine andere Weise als Schleiermacher weiter entwickelt hatten. In seinen „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" sieht Schelling das Spezifikum des Christentums darin, dass es das Universum als Geschichte anschaue. Dadurch unterscheide sich das Christentum von der griechischen Religion. Denn die Griechen hätten das Unendliche nur im Endlichen angeschaut und es so dem Endlichen untergeordnet. Das Endliche, die Natur sei hier Symbol des Unendlichen gewesen. Im Christentum sei hingegen das Endliche nur Allegorie des Unendlichen, werde das Göttliche als sich in der Geschichte offenbarend verstanden. Griechische Mythologie und christliche Offenbarung unterschieden sich daher wie Symbol und Allegorie. Weil Schelling aus christlichgeschichtlicher Perspektive die griechische Mythologie der alten, die christliche Offenbarung hingegen der neuen Welt zurechnet, gewinnt der Übergang von der alten zur neuen Welt für ihn zentrale Bedeutung. Diesen Übergang markiert aber Christus, in dem das wahre Unendliche in das Endliche kam, nicht um dieses zu vergöttern, sondern um es in seiner eignen Person Gott zu opfern und dadurch zu versöhnen. Die zentrale Idee des Christentums ist daher für Schelling der menschgewordene Gott, Christus als Gipfel und Ende der alten Götterwelt20. Zwar verendlicht Christus in sich das Göttliche, aber er ist eine in der Zeit vergängliche Erscheinung, insofern er in das Unsichtbare zurückgeht und statt seiner den Geist als das ideale Prinzip verheißt, das das Endliche zum Unendlichen zurück führt. Schelling knüpft so an die johanneische Christologie an, in der auch der Übergang von Christus zum Geist begründet ist. Statt von dem menschgewordenen Gott als der ersten Idee kann er auch von der Versöhnung

19 Ebd. 34. 20 Friedrich Wilhelm J. Schelling, Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, hg. V. Walter E. Ehrhardt, Hambuig 1974, 86.

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des von Gott abgefallenen Endlichen als dem ersten Gedanken des Christentums sprechen. Diese Versöhnung ist im trinitarischen Wesen Gottes selbst verankert und kommt dadurch zustande, dass Christus die Welt der Endlichkeit schließt und die Welt der Unendlichkeit oder die Herrschaft des Geistes eröffnet. Dabei hat Schelling Christus nicht als historische, sondern als symbolische Person im Blick. Das bedeutet in diesem Fall, dass er ihn nicht empirisch, sondern spekulativ interpretiert wissen will. Eine empirische Interpretation der Menschwerdung Gottes in Christus, wie sie von theologischer Seite gewöhnlich geboten wird, geht davon aus, dass Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Gestalt Christi menschliche Natur angenommen habe. Eine spekulative Interpretation versteht die Menschwerdung hingegen als einen geschichtlichen Entwicklungsprozess, in dem die Person Christi den Ubergang von der alten zur neuen Welt markiert21. Mit seinem Plädoyer für eine spekulative Interpretation der Menschwerdung Gottes tritt Schelling dafür ein, dass die Philosophie das wahre Organ der Theologie als Wissenschaft ist. Zwar lässt sich eine derartige Interpretation durchaus als Weiterfuhrung der kantischen Läuterung des Christentums zur Vernunftreligion begreifen, aber die Differenz zu Kant besteht darin, dass die spekulative Interpretation das Positive und Historische nicht aus dem Christentum entfernt und nicht einseitig moralphilosophisch verfährt. Mit seiner Unterscheidung von empirischer und spekulativer Interpretation weist Schelling voraus auf Hegels Unterscheidung von Vorstellung und Begriff, und sein Plädoyer für eine spekulative Interpretation nimmt Hegels These von der Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff vorweg. Der junge Hegel ist bald von seinem an Kant orientierten moralischen Verständnis der Person Jesu abgerückt und hat die Entstehung der Christologie zu begreifen versucht. In seiner Jugendschrift „Der Geist des Christentums und sein Schicksal" erklärt er den Übergang vom historischen Jesus zum erhöhten Christus soziologisch damit, dass die Gemeinde das Bedürfnis hatte, die sie selbst verbindende Liebe zu verobjektivieren. Die Differenz zwischen dem Bild reiner Menschlichkeit, das Jesus hinterlassen hat, und dem Andenken an das Leben dieses Bildes wird überwunden, indem die Gemeinde ihre Liebe im auferstandenen Jesus verobjektiviert22. Aber Hegel betrachtet es in seiner Frühzeit als trauriges Schicksal des Christentums, dass sich mit diesem Bild das des Gekreuzigten zu einer ungeheuren Verbindung verknüpft, während er später den Tod Christi als integralen Bestandteil des christlichen Gottesverständnisses positiv würdigt. Denn für die Gemeinde bedeute der Tod Christi zwar auch den gewalt-

21 Ebd. 88. 22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der Geist des Christentums und sein Schicksal, in: Werke, Bd. 1, hg. v. Eva Moldenhauer/Karl M. Michel, Frankfurt/M. 1971,408.

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samen Tod des Freundes und Lehrers; geistig aufgefasst sei es aber dieser Tod, der selbst zum Mittelpunkt der Versöhnung werde23. Hegel grenzt diese geistige Auffassung als die religiöse von der ersten als der irreligiösen ab, und er legitimiert sie mit dem Hinweis auf die Verheißung des die Wahrheit erschließenden Geistes durch den johanneischen Christus. Erst durch den Geist wird die Bedeutung des Todes Christi voll erfasst, insofern er als der Tod Gottes verstanden wird. Der Tod ist die Konsequenz der Menschwerdung Gottes und ist somit Moment in Gott, so dass das Anderssein, die Endlichkeit, nicht außer Gott, sondern Gott im Andern bei sich selbst ist. Indem die Gemeinde Christus nicht als bloßen Menschen, sondern als Gottmenschen fasst, ist die Geschichte Christi für sie Geschichte der Erscheinung Gottes, durch die sie zur Gewissheit der Wahrheit kommt24. Indem die Gemeinde die Geschichte Christi geistig als Geschichte der Erscheinung Gottes auffasst, erschließt sich ihr Gott selbst als an sich versöhnt mit der Welt und dem Menschen. Denn Gott als absolute Idee ist für Hegel dies, ein Anderes zu setzen und in diesem Anderen die Identität seiner mit sich selbst zu haben. Allerdings geht es hier um das Bewusstsein der absoluten Idee in der Form nicht des spekulativen Denkens, sondern der Gewissheit, also darum, dass dieser Inhalt, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, zur Gewissheit komme und für die Menschen die Form unmittelbarer sinnlicher Anschauung erhalte25. Die Bewusstseinsform der Gewissheit erfordert es also, dass die Einheit von Gott und Mensch der sinnlichen Anschauung in einem einzelnen Menschen unmittelbar zugänglich wird, und dies ist dort der Fall, wo der einzelne Mensch Jesus in seiner sinnlichen Gegenwart als menschgewordener Gott aufgefasst wird. Allerdings hört die Möglichkeit der sinnlichen Anschauung Jesu als des Gottmenschen mit dessen Tod auf. Mit dem Tode Jesu tritt daher an die Stelle der sinnlichen Anschauung die Vorstellung des Gottmenschen26. Für die nachösterliche Gemeinde ist die Bewusstseinsform der sinnlichen Anschauung immer schon eine vergangene, an deren Stelle die Form der Vorstellung getreten ist. Die Gemeinde stellt sich die zuvor in einem einzelnen Menschen sinnlich angeschaute gottmenschliche Einheit nach dem Ende der irdischen Existenz dieses Menschen vor, und das bedeutet, dass sie, die absolute Idee, dem Bewusstsein als ein Anderes gegenüber tritt. Sie wird durch himmlische Erhöhung, gläubige Erinnerung und eschatologische Hoffnung sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht zu einem Jenseits. Der Geist ist sich laut Hegel aber schlechthin gegenwärtig und fordert eine erfüllte Gegenwart, also mehr als nur 23 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 3, hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1995,249. 24 Ebd. 250. 25 Ebd. 237. 26 Ebd. 153.

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trübe Vorstellungen27. Damit spricht Hegel die Forderung an, die religiöse Vorstellung der gottmenschlichen Einheit in den philosophischen Begriff aufzuheben. Wodurch zeichnet sich die Vorstellung als spezifische Bewusstseinsform der Religion aus? Zur Vorstellung gehören erstens Bilder, die Hegel als sinnliche Formen definiert, bei denen der Hauptinhalt aus der sinnlichen Anschauung genommen ist. Als Bilder sind sie dadurch charakterisiert, dass sie eine von dem, was das Bild zunächst ausdrückt, verschiedene Bedeutung haben. Es handelt sich um Symbole, Allegorien und Metaphern, bei denen unterschieden werden muss zwischen der unmittelbaren äußeren Oberflächenstruktur und dem inneren Sinn. So ist es metaphorisch und bildlich, wenn wir sagen, dass Gott einen Sohn erzeugt habe28. Aber nicht nur das Bild zählt zur Vorstellungsform, sondern auch Geschichtliches, etwa die Geschichte Jesu, insofern hier wie beim Bild unterschieden werden muss zwischen der äußeren Geschichte eines bestimmten Menschen und der inneren götdichen Geschichte. Und schließlich gehört zur Vorstellungsform die Art und Weise, wie sich dem religiösen Bewusstsein Gott in seinem Verhältnis zur Welt darstellt. Für die religiöse Vorstellung ist grundsätzlich kennzeichnend, dass sie ihren Inhalt in einer Weise auffasst, der narrativ und additiv ist. Dadurch erscheint der Inhalt als etwas Partikulares und Kontingentes, das er Hegel zufolge jedoch nicht ist. Die religiöse Vorstellungsform widerspricht damit dem in ihr präsenten Inhalt, ein Widerspruch, der nur aufgelöst werden kann, indem man den Inhalt in die Form des begrifflichen Denkens, die religiöse Vorstellung in den philosophischen Begriff überfuhrt 29 . Denn durch die Flucht in den Begriff denkt die Vernunft die Notwendigkeit und Allgemeinheit des in der Religion nur vorgestellten Inhalts. Was die Christologie betrifft, sieht Hegel diesen Übergang bereits in der religiösen Vorstellung des Christentums selbst angelegt. Das Leben Christi mit Tod, Auferstehung und Himmelfahrt bringt dem einzelnen Bewusstsein zwar den Prozess der Natur des Geistes, die gottmenschliche Einheit, zur Vorstellung; aber diese Einheit ist in der Vorstellung selbst etwas Einzelnes, der Erhöhte, der den vielen Einzelnen gegenübersteht. Dennoch gilt für Hegel: „Einer ist Alle, Einmal ist Allemal"30. Denn durch den Geist wird die gottmenschliche Einheit, die die Vorstellung in dem erhöhten Christus fixiert, in allen Gliedern der Gemeinde verwirklicht. Aus der ausschließenden wird so die allgemeine gottmenschliche Einheit im Geist der Gemeinde31. Aber so sehr die religiöse 27 Ebd. 167. 28 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1, hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1993,293. 29 Hegpl (Anm. 23), 267. 30 Ebd. 69. 31 Ebd. 76.

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Vorstellung im Christentum auch über die Vorstellung des erhöhten Christus, in dem die gottmenschliche Einheit ausschließlich realisiert ist, mit der Vorstellung des in der Gemeinde wohnenden Geistes hinaustreibt, das religiöse Bewusstsein als solches gelangt aufgrund seiner immanenten Struktur niemals zu einer wirklichen Realisierung jener Einheit. Denn für das religiöse Bewusstsein bleibt der Unterschied zwischen dem Vorstellenden und dem Vorgestellten, dem einzelnen Menschen und der gottmenschlichen Einheit konstitutiv, und erst das philosophische Denken vermag ihn aufzuheben. Die religiöse Vorstellung beschränkt die Idee der gottmenschlichen Einheit letztlich auf das einzelne Individuum Christus, während das philosophische Denken sie von dieser Partikularität befreit, eine Befreiung, die im Christentum allerdings vorgebildet ist durch den Ubergang von der Christologie zur Pneumatologie.

4. Mythos und Idee Hegel sieht die religiöse Vorstellung der gpttmenschlichen Einheit durch bestimmte Momente wie Geschichtlichkeit und Bildhaftigkeit charakterisiert, die er als konstitutiv für die Vorstellung überhaupt erachtet. Bei der Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff wird die Idee der gottmenschlichen Einheit dieser Momente entkleidet. Bereits die allgemeine Bestimmung des Verhältnisses von Vorstellung und Begriff macht deutlich, dass Hegel eine Bindung der Idee an die geschichdiche Person Jesu in dem Sinne, dass diese wie bei Schleiermacher als Urbild bezeichnet werden könnte, nicht kennt. Von Hegel und Martin Lebrecht de Wette ausgehend gelangt David Friedrich Strauß in seinem Klassiker „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet" zu einer mythischen Erklärung der Evangelien sowie zu einer Kritik und spekulativen Rekonstruktion des christologischen Dogmas. De Wette hatte seiner Mythosdeutung die anthropologische Transformation der Vernunftkritik Kants durch Jakob Friedrich Fries zugrunde gelegt. Danach ist mit Kant zwischen dem auf die endliche Erscheinungswelt bezogenen Wissen und der auf die ewigen, unendlichen Ideen ausgerichteten Vernunft zu unterscheiden. Zwischen beiden vermittelt aber Fries zufolge die Ahndung, die Idee und Erscheinungswelt aufeinander bezieht. Wie dem Wissen der Begriff, der Vernunft die Idee so ist der Ahndung das Gefühl zugeordnet. Als Ahndung des Ewigen, Unendlichen im Endlichen ist die Religion aber Gefühl, und ihre Ausdrucksformen sind ästhe-

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tisch32. Daher kann de Wette in seinem Werk „Über Religion und Theologie" erklären, dass jede religiöse Vorstellung bildlich sei33. Dementsprechend könnten auch die Dogmen nur als symbolische und mythologische Bilder verstanden werden, als anschauliche Darstellungen der in der religiösen Ahnung erfassten Ideen34. — Und ebenso gelte im Hinblick auf die Evangelien, dass sie symbolisch-mythologisch verfahren35. Strauß versteht sich als Vollstrecker des von de Wette anvisierten Programms der mythischen Erklärung. Gerade im mythischen Bewusstsein erblickt er aber ein Wesensmerkmal der Religion, da es der Sphäre der Vorstellung angehöre, und da er sich Hegels Programm einer Aufhebung der religiösen Vorstellung in den philosophischen Begriff verpflichtet weiß, geht es ihm um die Herausarbeitung der Idee, die sich hinter dem neutestamentlichen Mythos und dem darauf aufbauenden kirchlichen Dogma verbirgt. Das ist für ihn wie für Hegel die Idee der gottmenschlichen Einheit, die das mythischvorstellungshafte Denken der Religion ausschließlich in der Person Christi realisiert sieht. Aber — so die berühmten Worte von Strauß — : „Das ist ja gar nicht die Art, wie die Idee sich realisirt, in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten, und gegen alle andern zu geizen; in jenem Einen sich vollständig, in allen übrigen aber immer nur unvollständig abzudrücken: sondern in einer Mannigfaltigkeit von Exemplaren, die sich gegenseitig ergänzen, im Wechsel sich setzender und wiederaufhebender Individuen, liebt sie ihren Reichthum auszubreiten"36. In seinem dogmatischen Hauptwerk „Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft" hat Strauß die Ergebnisse seiner Kritik des von den Evangelien entworfenen Christusbildes fur die Kritik des christologischen Dogmas und der neueren Versuche seiner Rekonstruktion fruchtbar gemacht. Er befasst er sich dort zunächst mit Schleiermachers Urbildchristologie und dann mit der spekulativen Christologie, die ihren Ausgang bei Kant nimmt und mit dem menschgewordenen Sohn Gottes als Vernunftidee arbeitet. Wie nicht anders zu erwarten, lässt Strauß an Schleiermachers Umformung der orthodoxen Christologie kein gutes Haar. Zwar teile Schleiermacher die historische und dogmatische Kritik an der orthodoxen Zweinaturenchristologie; aber dadurch, dass er ihn zum Gegenstand unbedingter religiöser Verehrung für alle Zeiten mache, sei sein Christus dem alten des orthodoxen Systems doch weitaus ähnlicher, als es zunächst den Anschein

32 Jacob Friedrich Fries, Wissen, Glaube und Ahndung, hg. v. Leonard Nelson, Göttingen 1905,75f. 176ff. 33 Martin Leberecht de Wette, Ueber Religion und Theologie, 2. Aufl., Beriin 1821, 228. 34 A.a.O. 251ff. 35 A.a.O. 185. 36 David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 2, 2. Aufl., Tübingen 1837, 739.

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habe. So rücke an die Stelle der alten Vorstellung, dass die göttliche Natur mit der menschlichen in Christus eins sei die nicht weniger schwer nachvollziehbare, dass das Urbildliche in ihm mit dem Geschichtlichen eins sei. Schleiermacher gelangt zu der These, dass Jesus von Nazareth das geschichtliche Urbild der Frömmigkeit sei, aufgrund der Annahme, dass nur unter dieser Voraussetzung das neue Gesamtleben erklärbar sei. Doch eben diese Annahme wird von Strauß bestritten, da zur Erklärung der auf jedem Punkt nur relativ vollkommenen Wirkung Jesu die Annahme genügen würde, dass Christus ein nur relativ vollkommenes Vorbild, nicht aber ein schlechthin vollkommenes Urbild gewesen sei. Strauß führt drei Gründe gegen Schleiermachers Charakterisierung Christi als Urbild an. Zum einen könnten wir als unvollkommene Wesen nicht beurteilen, ob das biblische und kirchliche Christusbild rein und vollkommen sei37. Zum andern sei die biblische Zeichnung von Jesus ganz unvollständig38. Und schließlich könne die Steigerung des Vorbildes zum Urbild auf die produktive Kraft der Menschen zurückgeführt werden39. Die von der Person Jesu ausgehende Wirkung lässt sich daher Strauß zufolge auch dann erklären, wenn man das geschichtliche Einzelwesen nicht für urbildlich erklärt. Doch abgesehen davon sei es ohnehin widersinnig, eine solche Identifikation von geschichtlichem Individuum und Urbild oder Idee der Frömmigkeit vorzunehmen. Denn so wenig die Idee der Menschheit sich vollständig in einem einzigen Individuum verwirkliche, so wenig auch die Idee der Religion40. Was die spekulative Christologie betrifft, so setzt sich Strauß vor allem kritisch mit der Hegelschule auseinander. Dabei stellt er seine eigene christologische Position als genuin hegelianisch den in seinen Augen verfehlten christologischen Entwürfen der so genannten Rechtshegelianer gegenüber. Der gemeinsame Fehler der Rechtshegelianer besteht für ihn darin, dass sie aus der Vernunftidee der gottmenschlichen Einheit deren Verwirklichung in einer einzelnen geschichtlichen Erscheinung ableiten; denn damit nähern sie sich ja tatsächlich der von Strauß befehdeten Urbildchristologie Schleiermachers an. Ob Carl Daub, Philipp Marheineke oder Karl Rosenkranz, sie alle sind für Strauß insofern Repräsentanten der Restauration in der Christologie, als sie die Idee der Gottmenschheit im historischen Christus voll realisiert sehen. Und sie berufen sich dabei auf Hegels Diktum, dass alles Vernünftige wirklich sei41. Denn gerade durch die geschichtliche Realisierung unterscheide sich die Idee Hegels von den

37 David Friedrich Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und in ihrem Kampfe mit der modernen Wissenschaft, Nachdruck der Ausgabe 1840/41, Frankfurt/M. 1984, Bd. 2,184. 38 Ebd. 39 Ebd. 185. 40 Ebd. 187. 41 Ebd. 209.

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kantischen Ideen. Nun will Strauß diesen Unterschied keineswegs in Frage stellen, wohl aber hält er die Art und Weise, wie sich die Rechtshegelianer die geschichtliche Realisierung der Idee der gottmenschlichen Einheit denken, für Hegel selbst unangemessen. Als echte Konsequenz der Hegeischen Philosophie betrachtet er vielmehr seine eigene christologische Position, wonach sich jene Idee nicht in einem einzigen Individuum, sondern in der Menschheitsgattung realisiert. Wenn Hegel erkläre, dass die Menschheit zum Bewusstsein der gottmenschlichen Einheit nur über die sinnliche Anschauung dieser Einheit in einem einzelnen Individuum gelange, so postuliere er damit keineswegs eine wirkliche gottmenschliche Erscheinung. Er nehme nicht an, dass Jesus der wirkliche Gottmensch gewesen sei, der sich selbst als gegenwärtigen Gott gewußt habe, sondern er gehe immer von dem Bewusstsein der Gemeinde aus, für die Jesus der Gottmensch gewesen sei42. Daher bemerkt Strauß mit Recht, dass es eine sinnliche Anschauung des Gottmenschen in Wirklichkeit niemals gegeben habe, da die Betrachtung Jesu als Gottmensch erst nach seinem Tode aufgekommen sei. Es ist also erst die nachösterliche Gemeinde, die Jesus nachträglich als einen sinnlich anschaubaren Gottmenschen konstruiert. Aber durch die nachösterliche Aufhebung der sinnlichen Anschauung in die Vorstellung ist die Aufhebung der der Idee unangemessenen Form nur eingeleitet. Denn der einzelne Gottmensch, obwohl im allgemeinen Bewusstsein der Gemeinde, wird doch als einzelner, von dem Gemeindebewusstsein verschiedener, festgehalten. Es muss auch diese letzte Scheidewand noch fallen, so dass das Selbstbewusstsein seine Einheit mit Gott nicht aus sich hinaus in ein Individuum verlegt, das vor Jahrhunderten gelebt hat, sondern als eine in allem wahrhaft menschlichen Denken und Tun sich vollziehende erkenne und genieße43.

5. Person und Prinzip Im letzten Band seiner dogmengeschichtlichen Monographie „Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung" behandelt Ferdinand Christian Baur die neuere Geschichte des christologischen Dogmas seit der Reformation und setzt sich wie sein Schüler Strauß ausführlich mit Schleiermachers Urbildchristologie auseinander. Es ist deren Grundannahme, dass das Urbildliche in Christus vollkommen geschichtlich geworden sei, die Baur als nicht zwingend angreift. In diesem Zu42 Ebd. 218. 43 Ebd. 220.

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sammenhang fallt auch erstmals die Unterscheidung von Prin2Ìp und Person. Zwar setze das christliche Bewusstsein ein wirkendes Prinzip voraus, aber man könne von ihm nicht auf eine bestimmte Person schließen. Alles drehe sich um das Verhältnis der Idee zur Wirklichkeit, des ideellen Christus zum historischen. Letztlich treffe auch Schleiermacher diese Unterscheidung, wenn er zwischen dem allein urbildlichen inneren Kern oder dem Wesen Christi und seiner zeitbedingten äußeren Erscheinung differenziere. Der ideale Christus werde zur eigentlichen Basis des Christentums gemacht, zur Idee der Menschheit, die in ihm auf ideale Weise angeschaut werde44. Damit sieht Baur aber Schleiermachers Urbildchristologie letztlich in Übereinstimmung mit der kantischen. Der urbildliche Christus Schleiermachers sei ja nichts anderes als der ideale Mensch, dessen Bild jeder Einzelne immer mehr in sich zu realisieren versuchen solle, ein neues Lebensprinzip, dessen Einpflanzung in die Menschheit zwar die Wirksamkeit einer historischen Persönlichkeit voraussetze, in der das neue Prinzip ursprünglich einwohne. Schleiermacher begründe jedoch nirgends, warum Jesus als urbildliche Darstellung des neuen Prinzips zu betrachten sei und nicht bloß als dessen erste persönliche Exemplifikation 45 . Diese Unterscheidung von Person und Prinzip leitet auch Baurs Interpretation von Hegels Christologie. Zwar liege für Hegel die Notwendigkeit der Menschwerdung Gottes in der Person Christi darin, dass die Einheit von Gott und Mensch die Form der sinnlichen Anschauung erhält, um so allen Menschen gewiss zu werden, doch betont Baur, dass diese Aussage nicht objektiv in dem Sinne verstanden werden dürfe, dass Gott in einem bestimmten Individuum Mensch geworden wäre. Vielmehr habe sich an ein bestimmtes einzelnes Individuum, nämlich Jesus, die subjektive Uberzeugung geknüpft, dass Gott in ihm Mensch geworden sei. Die als diese gottmenschliche Einheit angeschaute einzelne Person sei der Anknüpfungspunkt für das der Menschheit aufgehende Bewusstsein der Einheit des Göttlichen und Menschlichen46. Gerade hier setzt aber die Kritik an Hegels Christologie ein, die Baur exemplarisch an Isaak August Dorners Einwänden in dessen „Entwicklungsgeschichte der Lehre von der Person Christi" verdeutlicht47. Baur sieht allerdings überhaupt keine Möglichkeit, die Idee der Einheit von Gott und Mensch mit einem einzelnen Individuum zu identifizieren. Weder das christologische Dogma von Jesus als dem Gottmenschen noch Schleiermachers moderne These von Jesus als dem geschichtlichen Urbild vermag in seinen Augen diese Möglichkeit plausibel zu machen. Auch sei es, um die allgemeine Bedeutung der Person 44 Ferdinand Christian Baur, Die christliche Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 3. Teil, Tübingen 1843,871. 45 A.a.O. 879. 46 A.a.O. 889f. 47 A.a.O. 962.

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Christi zu sichern, keineswegs notwendig, diese objektiv zum Gottmenschen oder geschichtlichen Urbild zu machen. Vielmehr habe Christus eine allgemeine Bedeutung auch aufgrund seiner historischen Stellung, insofern durch ihn das Bewusstsein der Einheit von Gott und Mensch im Bewusstsein der Menschheit geschichtliche Realität gewonnen habe. Der Gottmensch des kirchlichen Dogmas löst sich bei Hegel auf und wird anders als bei Schleiermacher nicht durch das geschichtliche Urbild Jesus ersetzt. Vielmehr wird die Idee der gottmenschlichen Einheit von dem Individuum Jesus unterschieden, und der Gottmensch des kirchlichen Dogmas ist nur eine vorübergehende Form, durch die die Menschheit zum Bewusstsein jener Idee und damit zum Bewusstsein ihrer Einheit mit Gott gelangt48. Baur stimmt völlig mit Strauß überein, wenn er die Deutung der Hegeischen Christologie durch die Rechtshegelianer kritisiert, wonach die Idee der Gottmenschheit sich erst in der Persönlichkeit eines einzelnen Individuums verwirklicht. Zwar habe das Individuum Jesus der Menschheit das Bewusstsein ihrer Einheit mit Gott historisch vermittelt und der Glaube habe dieses Bewusstsein zunächst in der Form der Vorstellung vom Gottmenschen Christus verobjektiviert, aber aus der gläubigen Vorstellung lasse sich nicht ableiten, dass Jesus objektiv der Gottmensch gewesen sei49. Baurs Unterscheidung von Person und Prinzip ist in der Folgezeit vor allem von dem Züricher Systematiker Alois Emanuel Biedermann zur Grundlage seiner Umformung der orthodoxen Christologie gemacht worden. In seiner „Christlichen Dogmatik" behandelt er im Rahmen seiner Darstellung der Kritik der kirchlichen Christologie auch das, was er Abschwächungen der Kirchenlehre nennt. Dazu rechnet er alle modernen Fassungen der Christologie, die zwar auf der einen Seite das christologische Dogma preisgeben und Christus essentiell als Menschen fassen, die aber auf der anderen Seite das in ihm aufgeschlossene Prinzip mit seiner Person insofern identifizieren, als sie die allgemeine Wirksamkeit des Prinzips als Wirkung der Person Christi verstehen. Als prominentesten dieser Vermittlungsversuche fuhrt auch Biedermann Schleiermachers Urbildchristologie an, die aber für ihn aus den bereits von Strauß und Baur genannten Gründen scheitert. Was Schleiermacher identifiziert, wird von ihm auseinander gehalten, nämlich das Prinzip und die Person. Die Person als Stifter der Gemeinschaft, in der das Prinzip historisch ursprünglich hervortritt, ist zwar das Vorbild für die Realisierung des Prinzips in anderen Personen und mag als der historische Ursprung, weil ohne Vorbild vor sich, auch Urbild heißen. Aber diese urbildliche Person kann nicht identisch sein mit dem Prinzip oder der Idee, die erstmals in ihm erscheint50. Wenn man der Kritik des christologischen

48 A.a.O. 970. 49 A.a.O. 998f. 50 Alois Emanuel Biedermann, Christliche Dogmatik, Bd.2, 2. Aufl., Bedin 1885,440.

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Dogmas zustimmt und Christus als wahren Menschen fasst, dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder man hält sich an die geschichtliche Person Jesu, wie in Aufklärung und Rationalismus, dann bleibt nur die von ihr ausgehende Wirkung; oder man sucht den Kern der christlichen Wahrheit in einer von dieser Person und ihrer geschichtlichen Wirkung abstrahierten allgemeinen Idee51. Allerdings stellt sich in diesem Fall die Frage, inwieweit diese Idee tatsächlich mit dem christlichen Prinzip in Verbindung steht, das mit der religiösen Persönlichkeit Jesu in die Geschichte eingetreten ist. Dementsprechend klärt Biedermann zunächst die Idee des christlichen Prinzips und fragt dann nach dem Verhältnis dieses Prinzips zur historischen Person Jesu. Den Fehler der bisherigen spekulativen Christologien von Hegel bis Strauß erblickt er darin, dass sie die mit Jesus in die Geschichte eintretende Idee als eine metaphysische Wahrheit über das Verhältnis von Göttlichem und Menschlichem, nicht aber als eine spezifisch religiöse fassten. Die Idee des christlichen Prinzips ist also für Biedermann nichts, was auch unabhängig vom Auftreten Jesu dem menschlichen Bewusstsein bekannt sein könnte; sondern obgleich es an sich ewig im Wesen des Menschen und Gottes als ihr wahres religiöses Verhältnis enthalten ist, ist es erst in der religiösen Persönlichkeit Jesu und im Glauben an ihn in der Geschichte eingetreten. Bei dem christlichen Prinzip handelt es sich um die Idee der Gottmenschheit oder Gotteskindschaft, der realen Einigung des göttlichen und menschlichen Wesens zur Einheit persönlichen Geisteslebens52. Obwohl Biedermann ebensowenig wie Strauß und Baur das christliche Prinzip mit der Person Christi identifiziert, liegt ihm doch daran, das Verhältnis von Person und Prinzip nicht als ein äußerliches und akzidentelles, sondern als ein innerliches und bleibendes zu charakterisieren. Dies ist der Sinn seiner These, dass das persönliche religiöse Leben Jesu die erste Selbstverwirklichung jenes Prinzips zu einer weltgeschichtlichen Persönlichkeit gewesen sei. Diese Tatsache aber sei der Quellpunkt der Wirksamkeit dieses Prinzips in der Geschichte. Jesus sei so als die historische Offenbarung des Erlösungsprinzips der historische Erlöser53. Aus diesem Grund meint Biedermann, auch der Person Jesu eine bleibende Bedeutung sichern zu können, ist sie für ihn doch das welthistorisch gewährleistende Vorbild für die Wirksamkeit des Erlösungsprinzips54. Was bei Hegel die Überführung der religiösen Vorstellung vom Gottmenschen Christus in den philosophischen Begriff war, das wird bei Biedermann wie bei Strauß und Baur die Zurückführung der dogmatischen Bestimmungen der Person Jesu auf das christliche Prinzip. So ist etwa die vom gläubigen Bewusstsein vollzogene Steigerung der Gottessohnschaft Christi zur Anschauung eines metaphysischen 51 52 53 54

A.a.O. 433. A.a.O. 583. A.a.O. 593. Ebd.

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Verhältnisses des präexistierenden Ichs Christi zu Gott die notwendige Wirkung und darum in der gegebenen Vorstellungsform auch der relativ richtige Ausdruck der fundamentalen Wahrheit gewesen, dass nicht die historische Persönlichkeit als solche, sondern ein in dieser Persönlichkeit in das Menschheitsleben eingetretenes Prinzip der Realgrund des in dieser Person der Menschheit aufgeschlossenen neuen religiösen Verhältnisses der Gotteskindschaft ist55. In seiner „Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage" fuhrt der Baurschüler Otto Pfleiderer das christologische Dogma zurück auf das Johannesevangelium. Denn erst durch die Verbindung der griechischen Logosidee mit ihrem Christusbild habe sich die christliche Gemeinde zur vollen Höhe ihres religiösen Selbstbewusstseins erhoben. Damit sei aber das christliche Prinzip der gottmenschlichen Einheit zugleich personifiziert worden, und diese Personifizierung habe zunächst zum Dogma vom Gottmenschen, dann aber zur Destruktion eben dieses Dogmas gefuhrt. In der Gegenwart sieht sich Pfleiderer vor allem mit zwei christologischen Entwürfen konfrontiert, die zwischen Rationalismus und Supranaturalismus vermitteln. Auf der einen Seite steht die Urbildchristologie Schleiermachers, dessen Fehler er darin erblickt, dass er die hervorbringende Ursache der Erlösung für identisch hält mit dem geschichtlichen Anfänger der Erlösungsreligion56. Auf der anderen Seite ist die spekulative Erlösungslehre angesiedelt, die diese Identifikation vermeidet und zwischen dem ewigen Logos und dem geschichtlichen Jesus als dem ersten Träger des Logos unterscheidet. Was die verschiedenen Versionen der spekulativen Erlösungslehre miteinander verbindet, sei die Unterscheidung zwischen dem geschichtlichen Religionsstifter und dem allgemeinen Religionsprinzip. Pfleiderer knüpft zwar an Hegels Christologie an, möchte aber drei Fragen bei der Behandlung des Erlösungsglaubens voneinander unterscheiden. Erstens handelt es sich um die religiös-prinzipielle Frage nach dem Wesen und Grund der Erlösung überhaupt. Sie hat es mit der zeitlosen Idee der Erlösung zu tun, die Pfleiderer als innergeistigen Prozess versteht, der seinen Ort nur im Menschen, seinen Grund hingegen nur in Gott hat. Zweitens handelt es sich um die historische Frage nach der Wirklichkeit des Religionsstifters, dessen Bedeutung darin besteht, dass in ihm das christliche Prinzip auf ursprüngliche Weise wirksam gewesen ist. Und drittens schließlich handelt es sich um die kultisch-phänomenologische Frage nach Entstehung und Bedeutung der idealen Glaubensansicht von Person und Werk Christi, die es mit der Darstellung der Idee oder des Prinzips durch die Symbolik der idealen Erscheinung zu tun hat57.

55 A.a.O. 594. 56 Otto Pfleiderer, Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, Berlin 1878, 664. 57 A.a.O. 671f.

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Das ideale Christusbild, wie es dem Dogma zugrunde liegt, hat für Pfleiderer seinen Ursprung in der paulinisch-johanneischen Theologie, der jeder unmittelbare Eindruck des geschichtlichen Lebensbildes Jesu fehle. Das dogmatische Christusbild sei daher von seiner Entstehung her ein vom geschichtlichen Boden fast völlig gelöstes, selbständiges Produkt des christlichen Bewusstseins, die Vergegenständlichung des der Gemeinde immanenten Erlösungsprinzips oder Prinzips der Gottmenschheit in dem anschaulichen Bilde einer Einzelpersönlichkeit58. Für das christliche Erlösungsprinzip der gottmenschlichen Einheit sei aber eine solche anschauliche Vergegenständlichung deshalb ein dringendes Bedürfnis, weil es sich auf andere Weise nicht allgemeinverständlich darstellen lasse. Denn der innere Vorgang der Erlösung könne nicht einfacher dargestellt werden als unter dem Bilde einer solchen Persönlichkeit, deren ganzes Wesen darin aufgeht, der reine und wechsellose Ausdruck dieses richtigen Verhältnisses von Gott und Mensch zu sein, die schlechthin ideale Repräsentation der religiösen Einigung von Gott und Mensch, das personifizierte Symbol der Idee der Gottmenschheit59. Das dauernde innere Geschehen der Erlösung versinnbildliche sich für die Vorstellung in dem einmaligen Vorgang der Menschwerdung Gottes und Gottwerdung des Menschen. Dass aber diese ideale typische Personifikation des Prinzips sich mit der Person Jesu oder dem Christusbild der Gemeinde verbinde, habe seinen Grund darin, dass das Bewusstsein der Erlösung der Gemeinde von Jesus als ihrem Stifter her innewohne. Auf diese Weise komme es dazu, dass dank der Phantasie das geschichtliche Lebensbild Jesu immer mehr idealisiert werde, während umgekehrt das Idealbild von der Geschichte her immer anschaulichere Züge annehme. In dieser engen Verknüpfung von Ideal und Geschichte erblickt Pfleiderer das wirksamste Mittel zur fortwährenden Mitteilung und Belebung des Erlösungsprinzips in der Gemeinde. Denn in dem geschichtlich-idealen Gottmenschen schaue die Gemeinde das Urbild ihrer eigenen Einheit mit Gott. Nur durch den geschichtlichen Bezug habe der Gottmensch zum festen Mittelpunkt einer größeren Gemeindebildung werden können, während die ideale Seite sich als so flexibel erwiesen habe, dass sich das Christusbild allen geschichtlichen Wandlungen des Gemeindebewusstseins habe akkommodieren können60. Die Bedeutung des geschichtlich-idealen Christus erklärt sich für Pfleiderer somit aus seiner Rolle im Kultus. Denn aller Kultus vollziehe sich durch Symbol und Mysterium, durch Bildvorstellungen und Bildvorgänge, in denen sich das religiöse Innenleben äußerlich verkörpert. Der Mittelpunkt aber der christlichen Kultusrede sei das Symbol des Christusbildes61. 58 59 60 61

A.a.O. 683. A.a.O. 683f. A.a.O. 686. Ebd.

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6. Kult und Symbol Als Albrecht Ritsehl sein theologisches Hauptwerk „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung" publizierte, griff er auf Schleiermachers Wesensbestimmung des Christentums zurück und stellte deren ethische Implikationen heraus. Das Christentum ist für ihn die monotheistische vollendet geistige und sittliche Religion, welche auf Grund des erlösenden und das Gottesreich gründenden Lebens ihres Stifters in der Freiheit der Gotteskindschaft besteht, den Antrieb zu dem Handeln aus Liebe in sich schließt, welches auf die sittliche Organisation der Menschheit gerichtet ist, und in der Gotteskindschaft wie in dem Reiche Gottes die Seligkeit begründet62. Das bedeutete zugleich, dass Ritsehl der geschichtlichen Gestalt Jesu als des Stifters des Christentums eine bleibende und zentrale Rolle beimaß63. Von daher kehrte sich das Verhältnis von Person und Prinzip um. Selbst Theologen wie Albrecht Lipsius, der von Haus aus der Prinzipienchristologie nahestand, stellte jetzt die enge Verbindung von Person und Prinzip heraus. Denn wie die religiöse Bedeutung der Person Christi nur auf dem in ihr sich bekundenden christlichen Prinzip beruhe, so beruhe die tatsächliche Wirksamkeit dieses Prinzips in der christlichen Gemeinschaft auf seiner geschichtlichen Wirksamkeit in der Person Jesu als des Stifters der Reichsgemeinde. Dieses innere Verhältnis von Person und Prinzip begründe ihre Unabtrennbarkeit und ihre Einheit fur die religiöse Vorstellung. Zwar bestreitet auch Lipsius die unmittelbare Identität von Person und Prinzip. Aber beide seien auch nicht nur äußerlich so verbunden, als wäre Jesus bloß der erste Vertreter des Prinzips oder sein Wirken nur der äußere Anlass zur symbolischen Darstellung der allgemeinen Wirksamkeit des Prinzips in der Menschheit. Vielmehr lenkt Lipsius zur Urbildchristologie zurück, wenn er erklärt, dass die geschichtliche Wirklichkeit des christlichen Prinzips für die christliche Gemeinde in Christi Person und Werk ihre urbildliche Darstellung und schöpferische Grundlage habe64. Jesus ist für Lipsius nicht nur geschichtliches Vorbild des vollkommenen religiösen Menschen, sondern zugleich der persönliche Quellpunkt und die gemeinschaftsbildende Macht des christlichen Prinzips. Die Bedeutung der Person Jesu für die christliche Gemeinde erfasst man in seinen Augen nur, wenn man sie — wie dies ja auch bei Ritsehl geschieht — von ihrem Willen her versteht, das ethische Reich Gottes zu gründen65. In diesem Sinne ist Jesus zugleich bleibend das persönliche Haupt der Gottesgemeinde. 62 Albrecht Ritsehl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 2. Aufl., Bd. 3, Bonn 1883, Nachdruck Hüdesheim 1978,13f. 63 A.a.O. 358ff. 64 Richard Adelbert Lipsius, Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik, 2. Aufl., Braunschweig 1879,537. 65 A.a.O. 539.

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Noch deutlicher als bei Lipsius wird diese Bindung des christlichen Glaubens an die Person Jesu bei den Schülern Ritschis selbst, bei denen die Unterscheidung von Prinzip und Person ohnehin keine Rolle mehr spielt, die vielmehr ausschließlich die geschichtliche Person Jesu ins Zentrum rücken. In seinem Aufsatz „Der geschichtliche Christus der Grund unseres Glaubens" fasst Wilhelm Herrmann den geschichtlichen Christus als jenen Christus, der uns in dem neutestamentlichen Bild des inneren Lebens Jesu entgegentritt und sich dem ethisch ringenden Menschen als erlösende Macht aufdrängt66. Herrmann grenzt sich damit zugleich von Martin Kahler ab, der von seinem bibeltheologischen Standpunkt aus den geschichtlichen Christus mit dem biblischen Christus des apostolischen Kerygmas identifiziert hatte, der für ihn der auferstandene und erhöhte Weltenheiland ist, der von Schuld und Sünde erlöst67. Obgleich Herrmann der ideale Christus nicht genüge, erreiche er mit dem geschichtlichen Jesus nicht den Christus der apostolischen Predigt. Allerdings ist Kahler wie Herrmann daran gelegen, den Grund des Glaubens in der geschichtlichen Person Christi zu sehen, nur dass Herrmann darunter wie Schleiermacher und Ritsehl den irdischen Jesus und nicht den Erhöhten verstand. In seinem Beitrag „Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben" ist Ernst Troeltsch auf dem Hintergrund der Kontroverse zwischen Vertretern einer Prinzipienchristologie und Theologen, die wie Schleiermacher, Ritsehl und Herrmann der geschichtlichen Person Jesu eine konstitutive und bleibende Bedeutung einräumen, der Frage nachgegangen, ob und welche Rolle diese Person tatsächlich für die christliche Gemeinde spielt. Denn angesichts der Entwicklung der historischen Kritik scheine es zunächst so, als bliebe nur eine historisch-faktische und eine pädagogisch-symbolische Bedeutung der Person Jesu für die christliche Idee übrig. Doch Troeltsch meint, dass jede geistig-ethische Gemeinschaft nur in der Vergegenwärtigung eines geistigen Besitzes bestehen und diese Vergegenwärtigung nicht ohne persönlich-lebendige Darstellung ihres Besitzes in einem maßgebenden Urbild vollziehen könne68. Was dem Christentum als Kultus übrig bleibe, sei die Scharung um das Haupt der Gemeinde. Es gehe um die Anbetung und Vergegenwärtigung Gottes in dem unendlich konkreten und doch unendlich vieldeutigen Christusbild69. Troeltsch greift die Erkenntnis der zeitgenössischen Religionswissenschaft auf, wenn er erklärt, dass das Wesentliche aller Religion

66 Wilhelm Herrmann, Der geschichtliche Christus der Grund unseres Glaubens, in: ders., Schriften zur Grundlegung der Theologie, Bd.l, hg. v. P. Fischer-Appelt, München 1966, 170ff. 67 Martin Kahler, Der so genannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, hg. v. Emst Wolf, 4. Aufl., München 1969, 55f. 68 Emst Troeltsch, Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben, in: Emst Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, München/Hamburg 1969,146. 69 A.a.O. 147.

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Jan Röhls

nicht Dogma und Idee, sondern Kultus und Gemeinschaft sei. Er betrachtet es als ein sozialpsychologisches Gesetz, dass Gemeinschaftskreise eines konkreten Mittelpunkts bedürfen. In den Geistesreligionen seien das die Propheten und Stifterpersönlichkeiten, die als Urbilder, Autoritäten, Kraftquellen, Sammelpunkte dienten und als Bilder persönlich konkreten Lebens jener unendlich beweglichen und anpassenden Deutung fähig seien, die kein Dogma habe70. Daher setze die Wirksamkeit der christlichen Idee einen Kult voraus, der die Gemeinde um ihr im Christusbild anschauliches Haupt sammle. Die Verbindung der christlichen Idee mit der Zentralstellung Christi in Kult und Lehre stellt für Troeltsch eine sozialpsychologische Notwendigkeit dar. Jesus ist für ihn das Symbol des christlichen Glaubens, aber ein wirkliches Symbol, hinter dem eine geschichtliche Person steht, und nicht bloß die mythische Verkörperung einer Idee, wie er gegen Arthur Drews einwendet. Wenn Troeltsch die Zentralstellung der urbildlichen Person Christi sozialpsychologisch vom Kult her begründet, so formuliert er damit einen Gedanken, der sich so bereits bei Pfleiderer findet. Allerdings setzt er andere Akzente als Pfleiderer. Denn während Pfleiderer an der christlichen Idee liegt, betont Troeltsch die Geschichtlichkeit Jesu, die das Christussymbol erst zu einem wirklichen Symbol mache. Darin unterscheidet sich Troeltsch auch von Wilhelm Bousset, der in seinem Vortrag „Die Bedeutung der Person Jesu für den Glauben" zwar auch davon ausgeht, dass Jesus der gläubigen Gemeinde selbst zum Symbol geworden sei; dennoch kommt es ihm anders als Troeltsch nicht auf die hinter dem Symbol stehende geschichtliche Größe an, von der sich mit den Mitteln der historischen Kritik ein Gesamtbild zeichnen lassen muss. Bousset räumt sogar ein, dass das Bild Jesu, wie seine unmittelbare Gemeinde es in den Evangelien zeichnete, als Dichtung und Wahrheit wirksamer bleibt und bleiben werde als alle historischen, noch so genauen Rekonstruktionsversuche71. Es komme nämlich — wie der Neufriesianer Bousset im Anschluss an die Wette ausführt — nicht auf die geschichtliche Person hinter dem Symbol, sondern auf das Symbol und Bild selbst an. Das Christussymbol aber diene zur Illustration einer in der Vernunft liegenden Idee, und der christliche Glaube gründe weder auf einer geschichtlichen Tatsache noch auf einem Symbol, sondern auf einer ewigen Vernunftidee. Damit verschiebt sich bei Bousset der Schwerpunkt wieder weg von der geschichtlichen Person hin zum Prinzip und zur Idee.

70 A.a.O. 148. 71 Wilhelm Bousset, Die Bedeutung der Person Jesu für den Glauben. Historische und rationale Grundlagen des Glaubens, Berlin 1910,17.

Vorbild, Urbild und Idee

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Schluss Bousset und Troeltsch markieren den Endpunkt der durch Kant inaugurierten Urbildchristologie des neunzehnten Jahrhunderts. Das soll aber nicht heißen, dass die Urbildchristologie mit ihnen überhaupt an ihr Ende gelangt wäre. Zwar kehren die christologischen Entwürfe Barths und Brunners, die in steiler trinitarischer Höhe beginnen und Jesus Christus als den menschgewordenen Sohn Gottes fassen, zur orthodoxen Christologie zurück. Aber wenn Hirsch Jesus als Urbild neuen Menschseins fasst, wenn Gogarten ihn als Erstgeborenen unter vielen Brüdern begreift, der es den Menschen ermöglicht, wie er Söhne Gottes zu sein, wenn Ebeling ihn als Zeugen und Grund des Glaubens begreift, dann zehren sie alle vom Erbe Schleiermachers, da sie Jesus als geschichtliches Urbild begreifen. Aber auch die seit Kant mit der Urbildchristologie verbundene Unterscheidung von christlichem Prinzip und Person Christi bleibt lebendig. Das prominenteste Beispiel dafür ist Tillich, der den für seine Christologie zentralen Begriff des Neuen Seins mit dem Begriff des Urbilds verbindet. Der Begriff des Neuen Seins meint die Uberwindung der Entfremdung des existentiellen Seins vom essentiellen Sein und damit die Realisierung des wesenhaften Menschseins oder der wesenhaften Gott-Mensch-Einheit unter den Bedingungen der Existenz. Diese Einheit ist für Tillich in Jesus als dem Christus historische Wirklichkeit geworden. Jesus als der Christus ist die Manifestation des Neuen Seins. In ihm ist das Bild wesenhaften Menschseins unter den Bedingungen der Existenz erschienen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Die Person ist die geschichdiche Manifestation des Prinzips. Zwar macht Tillich auf den Unterschied zwischen dem Begriff des Neuen Seins und dem des Urbilds aufmerksam, insofern im Begriff des Neuen Seins auch die Teilnahme dessen, der Urbild ist, an der Existenz entscheidend sei. „Aber dieser Unterschied sollte die Tatsache nicht verdecken, dass ähnliche Probleme und Lösungen notwendig aufkommen, wenn die protestantische Theologie einen Weg sucht, der jenseits des Gegensatzes von orthodoxer und liberaler Christologie liegt. Das war Schleiermachers und das ist unsere gegenwärtige Situation."72

72 Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. 2,7. Aufl., Frankfurt/M. 1981,162.

Teil III

Systematische Perspektiven zur christologischen Metaphorizität

Hermann Timm Sub contrario. Zur Christopoetik des Markusevangeliums

Wenn „metaphorisch" widersprechende Prädikationen sind, die Fremdes, aus einem anderen Bedeutungsfeld Stammendes aussagen; wenn „metaphorisch" eine wechselseitige Semantisierung meint, derart, daß Bildspender und Bildempfänger ihre Bestimmung tauschen; wenn diese Metaphernrochade poetisch heißen kann, weil sie nicht vorgängige Gemeinsamkeiten abbildet, sondern allererst hervorbringt und originär, auf weder ersetzbare noch erschöpfbare Weise ins Werk setzt; und wenn schließlich diese metaphorisch-dichterische Bewusstmachung nicht nur — wie im Fall von: „Achill ist ein Löwe" — kleinformatig für einzelne Sätze, sondern im Großen ebenso für Gleichnisse, Gedichte und Erzähhverke gilt, dann darf auch das, was über die Christopoetik des Markusevangeliums gesagt werden soll, tagungskonform unter „metaphorische Christologie" verbucht werden. Zu den Biblikern zähle ich freilich nicht, weder zur Zunft der Alt- noch der Neutestamentier. Gleichwohl will ich mich auf deren Feld begeben und muss deshalb vorweg an ihre Nachsicht appellieren — allemal ratsam, wenn Systematiker fremdgehen unter die Exegeten. Ersatzweise für die fehlende Fachkompetenz sollen fleißig Autoritäten zitiert werden, wo immer sie passend erscheinen. Neues wird für Kenner allenfalls aus der Kombination von Altbekanntem zu hören sein. - Da das Markusevangelium nach seiner Titelüberschrift libralbewußt mit den Worten: „Wie geschrieben steht ..." anfängt, beginne ich bei der Vorschrift, in der Theopoetik des Alten Testaments zu finden. „Der Grund des N.T. ist das alte. Unmöglich verstehn wir jenes recht, wenn wir dieses nicht verstehn."1

1

Johann Gottfried Herder, Vom Geist der hebräischen Poesie, in: Schriften zum Alten Testament, hg. v. Rudolf Smend, Frankfurt a. M. 1993, 699.

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Hennami Timm

1. Ab und Auf. Vom Zweitakt der hebräischen Sakralpoesie Das Hauptmerkmal der jahwereligiösen Dichtung in den Libri poetiä etprophetiä des Alten Testaments ist der vom englischen Lordbischof Robert Lowth 1753 so genannte parallelismus membrorum. Ihre Aussagen sind keine einlinigen, positionalen, monopositionalen Feststellungen, sondern werden dichotomiert. Der Vers ist halbiert, zerlegt in Semikola. Er prädiziert Doppeltes von ein und demselben Subjekt, in zweifach wiederholter Form, mit einer Verweilphase in der Mitte für die Wende zwischen Ein- und Ausatmen. „Poetica sententiarum composito maximam partem constat in aequalitate, ac similitudine quadam, sive parallelismo, membrorum cuiusque periodi, ita ut in duobus plerumque membris res rebus, verbis verba, quasi demensa et paria respondeant."2 „Beide Hemistichien kommen in eine Art Symmetrie, wo Wort dem Wort, Begriff dem Begriff gegenüber stehet; in einer Abwechslung, die zugleich Parallele ist."3 Da der Dualrhythmus nicht an den Silben und homophonen Vokalen, vielmehr an korrespondierenden Inhalten hängt, wurde im Deutschen — Herder und de Wette folgend — der parallelismus membrorum mit „Gedankenreim" wiedergegeben. „Der hebräische Rhythmus ist bloß Rhythmus der Sätze, nicht der Silben; und zwar lediglich ein innerlicher: Parallelismus der Gedanken oder logischen Sätze (sog. Parallelismus membrorum = sententiarum)"? Nicht das Wort, vielmehr das Doppelwort war am Anfang der jahwetheologischen Poesie. Zweifach wird das Ό eus dixit menschensprachlich realisiert, als Hendiadyoin, als Hen diapheron heauto, um es mit Heraklit zu sagen. „Eines hat Gott geredet, zwei aber sind's, die ich gehört."5 Unter den verschiedenen Ausformungen, die dies Dualprinzip gefunden hat, verdient besonderes Interesse der von Lowth „antithetisch" genannte Parallelismus: „... cum opposito contrario res illustratur".6 Er besetzt beide Vershälften mit inhaltlich gegenteiligen Aussagen, bildet Wortpaare, die Extrempositionen in der einen und anderen Bedeutungsrichtung markieren und pausiert in der Mitte, um mit dem kontrastiven „Und" fortzufahren: ...und umgekehrt geht es weiter, über den ordo inversus in die Gegenrichtung. Et vice versa. Auch dafür ein reflexives Zitat, das nicht nur die Kontrarietät belegt, sondern als generelles Prinzip des göttlichen Handelns eigens ausspricht: „Ich sah an alle Werke des Höchsten, zwei — zwei, eines gegen das andere gewandt (hen katenanti

2 3 4 5 6

Robert Lowth, De sacra poesi hebraerorum praelectiones, hg. v. Ernst Friedrich C. Rosenmüller, Leipzig 1815, 208. Johann Gottfried Herder, Vom Geist der hebräischen Poesie, 684. Hermann Hupfeld, Die Psalmen, 2. Aufl, 1. Bd., Gotha 1867, 29. Psalm 61,12. Robert Lowth, De sacra poesi, 218.

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tou henos)".7 Jahwes Setzungen „sind von polarer Gegensätzlichkeit"8, These und Antithese, Spruch und Widerspruch, Position und Opposition, parallelistisch gehälftet und antinomisiert. Vielfältig wurde die Kontrafaktur variiert und so dicht mit Jahwe verbunden gedacht, daß der Dual am Ende personalisiert, von der Gegensätzlichkeit des Handelns auf das Wesen des Handelnden selbst, das Doppelwesen des „im Prinzip ambivalenten" Gottes9 übergehen konnte: ER gibt und nimmt, erwählt und verwirft, straft und lohnt, zerstreut und sammelt, richtet und rettet, bringt Krieg und Frieden. „ER ist's, der verletzt und verbindet, Wunden schlägt und heilt."10 Schematisiert wurde die Antagonie des Deus duplex am liebsten in der Vertikalen, vorgestellt als räumliche Deszendenz und Aszendenz seines rochierenden Wirkens: ER kehrt das Obere zu unterst und das Untere zu oberst. ER erniedrigt und erhöht, macht klein und groß, tot und lebendig. „ER stößt in die Grube und fuhrt herauf, wie es im Lied der Hanna bei der Geburt des Königspropheten Samuel heißt11, das von Maria im „Magnifikat" am Anfang des Lukasevangeliums wortwörtlich zitiert wird. So eng hing das Ab und Auf an Jahwe, dass es wie eine Definition eingesetzt werden konnte. „Bin ich denn Gott, der tötet und lebendig macht!"12 empörte sich der König von Israel auf die Erwartung des syrischen Kollegen, seinen Feldherrn Naemann vom Aussatz zu heilen. Gott = Der-tot-und-lebendig-Machende. Logisch gesehen ist der Antithesenparallelismus paradox, weil er beides zugleich in ein und demselben Handlungssubjekt entspringen läßt. Aufgelöst wird die coinädentia oppositorum durch eine Temporalisierung, die die Gegensinnigkeit in ein Nacheinander übersetzt, in eine Sequenz von zwei Akten mit gegenläufiger Bewegungsrichtung: abwärts fallend die eine, aufwärts steigend die andere, verbunden durch die Peripetie, den inversen Handlungsumschlag in der Mitte. Und in dieser Form narrativ dramatisiert worden ist die theophore Duplizität in den Makrotexten der poesia sacra: in zweistrophigen Gedichten über die Wechselerniedrigung und -erhöhung der Gotteserfahrung und in zweiphasig komponierten Erzählwerken über personal fingierte Träger des Gotteswortes, Gestalten, die mit dem Ab und Auf ihres Lebens die divine Dualunion in Szene setzen. Zwei Beispiele für die Gedichte. Zum einen Psalm 22: ein Kulttext, der formgeschichtlich zu den „individuellen Klageliedern mit nachfolgendem Loblied" (Claus Westermann) gezählt wird. Er beginnt mit der Beschreibung der 7 8 9 10 11 12

Jesus Sirach 33,15. Gerhard von Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen 1970,321. Manfred Görg, Der un-heile Gott, Düsseldorf 1995,188. Hiob 5,18. 1 Samuel 2,6. 2 Könige 5,7.

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Hermann Timm

Not, Anfeindung und Verlassenheit, gesteigert bis zur Klimax des Todes: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen / ... Wie Wasser bin ich ausgegossen, alle meine Gebeine lösen sich / ... In das Feuer des Todesstaubes setzt du mich." Er endet aber nach dem Stimmungsumschwung in der Mitte als Hymnus auf Jahwes Heilstaten, in den alle Welt einstimmt, die Lebenden wie die Toten: „Denn Jahwe gehört das Königtum, er ist der Völker Herrscher. / Vor ihm sollen niederfallen alle, die in der Erde schlafen."13 Zum anderen das vierte der so genannten „Gottesknechtslieder", Jesaja 52f. Es ist ebenfalls parallelistisch komponiert, aber zyklisch gerahmt. Anfang und Ende bilden die Gottesrede über den "na, die Erhabenheit und universale Heilsbedeutung seines Lebens für alle Völker: „Siehe, meinem Knecht wird es gelingen, er steigt auf und wird aufs höchste erhoben /... ihre Schuld trägt er. / Darum will ich ihm die Vielen zuteilen, und Gewaltige kann er als Beute austeilen."14 In der Mitte aber steht als Gegenstrophe das Klagelied eines Chores über die Unscheinbarkeit, Armut, Entstellung, Leiden und Tötung der Knechtsgestalt. Er klagt sich seiner eigenen Blindheit und Tötungsschuld an. „Was sich in Wirklichkeit vor seinen Augen vollzogen hat, war er unfähig zu begreifen".15 „Verachtet war er, verlassen von Menschen, ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut./ ... Man gab ihm bei Frevlem sein Grab und bei Übeltätern seine Stätte/ ... Aber Jahwes Plan war es, ihn zu schlagen."16 Zwei Beispiele seien auch für die revelatio sub contraáo im Großformat ganzer Erzählwerke genannt: narrative Artefakte über personale Darsteller des Deus duplex. Zum einen Hiob. Seine Schrift ist nicht nur intern voll der kühnsten Antilogien von Gottesklage und -lob, bis hin zur Aufgipfelung in der zweiten Antwort auf Bildad: „Seht, ich schreie: Gewalt! und bekomme keine Antwort / ... Sein Zorn ist wider mich entbrannt; er erachtet mich für seinen Feind." „O daß aufgeschrieben würden, in ein Buch verzeichnet meine Worte! / ... Ich aber weiß, mein Anwalt lebt und ein Fürsprecher ersteht mir über dem Staube."17 Ihre gesamte Handlung entwickelt sich aus der Duplizität des Gebens und Nehmens. „Dominus dedit — Dominus abstulit." Sie darzustellen und mit dem aus Widerstand und Ergebung gemalten Kontrastbild seines Lebens in Szene gesetzt zu haben, macht den Titelhelden am Ende zum einzig wahren Theologen — und das aus Gottes eigenem Mund, was keiner anderen Bibelgestalt zuteil geworden ist: „Mein Knecht Hiob hat recht von mir geredet."18 Das lässt ihn überdies zum Sühnepriester für die verfeindeten, die gottesschwätzerischen 13 14 15 16 17 18

Psalm 22,1.15f.28f. Jesaja 52,13. 5 3 , l l f . Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, München 1960,269. Jesaja 53,3. 9f. Hiob 19,7.11.23.25. Hiob 42,7.

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Freunde werden, die ihn hatten des Unrechts vor Gott beschuldigen wollen, so dass seinem Leben nachträglich e centrano Heilsqualität zuerkannt wird. Er, der Leidende, ist gerecht und macht gerecht, wie der Gottesknecht von Jesaja 52f. „Mein Knecht Hiob mag für euch bitten. Nur seine Fürbitte werde ich annehmen, daß ich euch nichts Schlimmes antue."19 Zum anderen, als zweites Beispiel für die Dualkomposition im Großformat, das Jesajabuch. Und zwar in Gänze, nicht historisch-kritisch in Proto-, Deuteround Tritojesaja zerteilt, sondern der Totojesaja von Kapitel 1-66. Also holistisch gelesen, wie im Urchristentum, wo Jesaja als der eine Prophet schlechthin galt, was von der integralen Exegese heute auch wieder ins Recht gesetzt wird. „The attempt to find meaningful patterns in the composition stamp of the book has at times recovered a sense of the book's wholeness and checked the endless process of atomization."20 Auf das „Gesamtwerk" kommt es an. Es will „wie ein gutes Buch", „metahistorisch" im Zusammenhang und Ablauf aller seiner Aussagen „als Sinnganzheit" gelesen sein.21 Der Großjesaja steckt nicht nur voller Gegensinnigkeiten: Licht und Dunkel, Kind und König, Richten und Retten, Zerstreuen und Sammeln, Herrschen und Dienen, Macht und Schwäche ... Es hat auch die götdiche Antagonie aufs dichteste zusammengezogen in der Gedankenfigur, die vom Neuen Testament am häufigsten zitiert wird und interlibral eingespielt wird: der Verstockung — eine paradoxe, das Gegenteil ihrer selbst bewirkenden Intention, mit der Jesaja bekanntlich die Literarisierung des Deus dixit begründet. Das Wort, welches auszutragen der Prophet berufen wird, scheitert und muß scheitern in seiner Mündlichkeit, um Schrift werden und in Buchform überleben zu können. Was schriftlich soll bestehen, muss mündlich untergehen. „Geh und sprich zu diesem Volk: Höret immerfort, doch versteht nicht, sehet immerfort, doch erkennet nicht... mache taub seine Ohren und blind seine Augen." 22 „Versiegeln will ich die Weisung ... und harren auf den Herrn, der sein Angesicht vor dem Hause Jacobs verbirgt."23 „Du bist wahrhaft ein verborgener Gott."24 Das Jesajabuch in toto vereint die mehrheitlich futurische Gerichtsprophetie (Kapitel 1-39) mit der mehrheitlich präsentischen Heilsprophetie (Kapitel 40-55) zu einer füturisch-präsentischen Heils-Unheilsprophetie (Kapitel 56-66). Und es konfiguriert die beiden Mittlergestalten des davidisch-zionistisch-messianischen Gottessohns von Jesaja 7, 9 und 11 mit der kontrastiv zur königlichen Machtfülle gezeichneten Gestalt des unerkannt leidenden und sterbenden Gottes19 20 21 22 23 24

Hiob 42,8. Brevard S. Childs, Introduction to the Old Testament as Scripture, London 1979, 324. Odil Hannes Steck, Gott in der Zeit entdecken, Neukirchen 2001,167.183.179. Jesaja 6,9f. Jesaja 8,16f. Jesaja 45,15.

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Hennann Timm

knechtes von Jesaja 42, 49, 50 und 52f. Die Septuaginta übersetzte ΠΤΡ Ή ϋ mit παις θεοϋ (Gottes Kind, Gottes Sohn) und leitete so die Messianisierung der Knechtsgestalt ein, die für die neutestamentliche Christologie leitend werden sollte. Das Konzept der Evangelien und ganze Perikopen ihrer Passionsgeschichten sind vom prophetischen, vom jesajanischen „Schriftbeweis nicht nur geformt, sondern auch geschaffen" worden, durch den „Schriftbeweis de facto", nicht nur „de verbo". 25 Gottessohn und -knecht „beziehen sich auf die gleiche Gestalt" 26 des proto- wie deuterojesajanischen Heilsbringers, zusammengelesen im Hinblick auf die schriftpleromatische Deutung des Lebens und Sterbens J e su: „... wie geschrieben steht beim Propheten."

2. Evangelische Kryptographie. Ostern in Händen Mit der poetologisch-literaturkritischen

Exegese, die in Nordamerika und

Frankreich begann, inzwischen aber auch bei uns akzeptiert wird,27 gehe ich davon aus, dass die Evangelien Erzählwerke sind und dass Markus, der Initiator des Genres, nicht nur Tradent, Sammler und Redaktor vorgegebener Überlieferungsstücke, sondern deren literarisch einheitlich komponierender Autor war. „Der Leser merke auf!" 28 Deshalb die „Christopoetik" in meinem Titel. Mit „Kryptographie" sei aufgenommen, was seit William Wredes „Messiasgeheimnis in den Evangelien" (1901) als grundlegend für die Markuskonzeption erkannt wurde: die „Theorie des Geheimbleiben- und Mißverstandenwerden-M»j·««/', unter welcher „zum erstenmal der vielfältige Stoff der synoptischen Tradition bernßt als sachliche Einheit begriffen wurde." 25 Die Person Christi wird „sub contrario" dargestellt: „Der Offenbarung von Jesu Würde korrespondiert die Verborgenheit, seiner Hoheit seine Niedrigkeit, seiner Inthronisation sein Leidensweg." 30 „Ostern in Händen" dagegen spielt an auf den markantesten Unterschied des Protoevangelisten gegenüber seinen Nachfolgern Matthäus, Lukas 25 26 27

28 29 30

Christian Maurer, Knecht Gottes und Sohn Gottes im Passionsbericht des Markusevangeliums, in: Z T h K 50. 1953,10.7. Ernst Lohmeyer, Gottesknecht und Davidssohn, FRLANT 61 = N.F. 43., 2. Aufl. Göttingen 1953,9. Vgl. die Berichte von Gerd Schunack, Neuere literaturkritische Interpretationsverfahren in der anglo-amerikanischen Exegese, in: V F 41,1996, 28-55 und Jean Zumstein, Narrative Analyse und neutestamentliche Exegese in der frankophonen Welt, in: VF 41,1996, 5-27. Markus 13,14. Hans Conzelmann, Gegenwart und Zukunft in der synoptischen Tradition, in: ZThK 54. 1957,295.293. Philipp Vielhauer, Erwägungen zur Christologie des Markusevangeliums, in: Aufsätze zum Neuen Testament, München 1965, 214.

Sub contrario

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und Johannes, nämlich die fehlenden Erscheinungsgeschichten am Ende. Für sie wird ersatzweise dem Leser die Schrift selbst in die Hand gegeben, das „Buch der geheimen Epiphanien" (Martin Dibelius). Das Wichtigste an einem Poem ist - Aristoteles zufolge - der mythos, die systasis prognato^, compositio fabulae oder Einheit der Handlung, gefolgt von der Einheit des Handelnden, des Charakters oder Protagonisten {ethos). In Markus' Fall besteht er aus der Vita Jesu Christi. Es ist - wie bei Hiob - ein personzentrierter, vom namengebenden Charakter bestimmter Buchmythos: „Evangelium von Jesus Christus ..." Der Doppelname steht für die binäre, auf einer unteren und oberen, einer tiefen und hohen Ebene verlaufende Handlungsführung. Nennen wir jene die der kenotischen Jesugraphie, weil sie dem aller Hoheitstitulaturen entleerten Lebensweg des Nazareners zwischen seiner Taufe durch Johannes und seiner Grablegung durch Josef von Arimathia folgt - diese die der pleromatischen Paidographie, weil sie die als einheitlich erfüllt angesehene Karriere des Messias-Christus-Gottesknecht-Gottessohns (παις θεού) von Jesaja LXX samt ihrer eschatologischen Erweiterung durch die apokalyptische Menschensohngestalt nachfahrt: „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohne Gottes". Beide Handlungsbögen werden parallel durchgezogen, aber wechselweise metaphorisiert, so dass Eigenschaften des einen dem anderen zukommen und Jesus bald als Christus, Christus bald als Jesus erscheint. Ein Doppelleben mit reziproker Diaphanie für seinen Hoch- und Tiefsinn entsteht. Was Ausdruck findet durch ironische Szenen, in denen anderes gesagt als gemeint und anderes getan als intendiert wird; durch Un- und Missverständnisse, die dem Leser etwas bedeuten, das den Akteuren verborgen bleibt, bis hinauf zur causa damnationis am Kreuz (INRI); und durch proleptische Episoden, die vorgreifend von der einen Ebene einspielen, was auf der anderen erst später seinen Platz findet. Gleichwohl macht die Wechselübertragung kein Zwitterwesen aus Jesus Christus — von der Verklärungsszene Markus 9,2-10 allenfalls abgesehen - , so dass man diese Poetik eine quasichalcedonensische nennen könnte: zwei Schriftnaturen, unvermischt und unverwandelt, ungeschieden und ungetrennt, aber verdichtet zur Einheit der Person durch die Idiomenkommunikation von Hoheit und Niedrigkeit. Auf dass der Leser des Buches am Ende dem Centurio am Kreuz im Präsenz nachsprechen kann: „Dieser Mensch ist wahrhaft Gottes Sohn".32 Zusammengehalten und dramaturgisch entfaltet wird die Einheit der Handlung von der fraglichen Zweieinigkeit der Person des Titelhelden. Ihre Antwort steht vorweg, im Prolog (Markus 1,1-15). Er beginnt mit der Überschrift: „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohne Gottes" und dem Mischzitat aus Jesaja: „Wie geschrieben steht beim Propheten ...", dann folgt die Taufe und am Ende steht

31 Aristoteles, Poetik 1.1447. 32 Markus 15,39.

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Hermann Timm

Jesu Verkündigung des „Gottesevangeliums": „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium." Zweischichtig wird die Taufszene erzählt, in einer Hiob analogen Weise auf der „Ober- und Unterbühne".33 Unten Jesus von Nazareth in der Masse der Judäer, die im Jordan auf die „Buße zur Vergebung der Sünden" getauft werden — oben die aus der alttestamentlichen Präexistenz kommende Himmelsstimme, das göttliche Selbstzitat von Jesaja 42,1 LXX: „Du bist mein geliebter Sohn."34 Jesus, Christus, Gott und Sohn bilden eine „mehrschichtige Kompositionsmetapher" und diese wird eingeschrieben ins doppelsinnig als Buch und Botschaft verstandene „Evangelium". „Die Kernmetaphern sind .Christus (Gottes)' und ,Sohn Gottes'. Diese werden zu Eigenschaften Jesu, so dass der Eigenname Jesus' in das metaphorische Geschehen hineingenommen wird. Jesus als Christus und Sohn ist Gott. Diese Metaphorik wird auf,Evangelium' erweitert: Das Evangelium Jesu Christi, des Sohnes, ist Gott. Spätestens 1,14 veranlaßt den Hörer/Leser, diese metaphorische Einbeziehung des Evangeliums zu erkennen: Das Evangelium ist Gott."35 Die theogene Identifizierung im Prolog ist allerdings exempt, wird nur dem Leser zuteil, während sie den handelnden Personen verborgen bleibt und im Fortgang des Geschehens an den dramatischen Wendepunkten der Vita nur ex negativo offenkundig wird: im Modus der Frage, der Missdeutung, der Verleugnung und der Ironisierung. „Wer ist er?" „Für wen haltet ihr mich?" „Bist du Christus?" „Bist du der König der Juden?" 36 Den Dämonen, die aus den Heilungswundern Christi Identität erkennen, wird Schweigen geboten37, wie auch den Jüngern, denen zwar das „Geheimnis des Reiches Gottes" gegeben wird38, die es aber ebensowenig verstehen können wie das Volk. Beide verfallen der Verstockung, dem hörenden Nichthören und sehenden Nichtsehen, das Jesus in Wort und Tat bewirkt39, und das parallel zum Jesajabuch den Blick vorauslenkt auf die Verschriftung des im Leben zum Scheitern bestimmten Wortes. Allen voran gilt das für Petrus, der zwar in Cäsarea-Philippi die Identitätsfrage löst: „Du bist Christus", sie aber im Sinne der davidisch-zionistischen Königsmessianität verkürzt und deshalb den von der Christus-Gottes-MenschensohnMessias-Weissagung des Totojesaja (παLS 6eoö) vorgezeichneten Leidens- und

33 Hans-Josef Klauck, Vorspiel im Himmel. Erzähltechnik und Theologie im Markusprolog, Neukirchen 2001,113. 34 Vgl. dazu: Dieter Lührmann, Das Maikusevangelium, Tübingen 1987,37-44. 35 Detlev Dormeyer, Die Kompositionsmetapher .Evangelium Jesu Christ, des Sohnes Gottes' Mk 1.1. Ihre theologische und literarische Aufgabe in der Jesus-Biographie des Markus, in: New Testament Studies XXXIII, 1987,458. 36 Markus 4,41. 8,29.14,61.15,2. 37 Markus 1,25. 38 Markus 4,11. 39 Markus 4,12f. 6,52. 8,17f.

Sub contrario

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Sterbensweg zurückweist. „Weg von mir, Satan, denn du hast nicht Gottessondern Menschengedanken im Sinne."40 Petrus lässt denn auch der Verkennung die Verleugnung auf dem Höhepunkt des Passionsprozesses in Jerusalem, der Davidsstadt, folgen,41 so dass mit ihm, dem Apostelfursten, der letzte Vertraute von der Lesebühne verschwindet und einzig die drei Frauen als mögliche Zeugen der Jesusvita übrig bleiben. Ihnen wird zwar - und das ist die dem Prolog korrespondierende Koda des Evangeliums — im leeren Grab Jesu Auferstehung verkündet, aber in Form einer letzten Kontrastepiphanie, die die Buchbotschaft im Ganzen rundet: Der Himmelsbote „im weißen Gewand" trägt ihnen auf, ihrerseits post Christum mortuum zu verkündigen, was zu Jesu Lebzeiten dem Schweigegebot unterlag. Er gebietet den Frauen zu reden, bewirkt aber das Gegenteil und verstockt sie: „Geht, sagt es den Jüngern und Petrus: ,Er zieht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat'". Sie tun es nicht, sondern fliehen. „Es hatten sie nämlich Zittern und Entsetzen erfasst, und sie sagten niemand etwas."42 Damit bricht auf der Erzählebene jede Kontinuität ab. Auch die letzten Tradenten des Weitersagens verlassen die Bühne und müssen - der Notwendigkeit des Buchbeweises de fado folgend — sie verlassen, damit als Medium für die Repräsentation des Geschehenen einzig und allein die Erzählung selbst übrigbleibt. Die Einheit der Handlung rundet sich ausschließlich vor den Augen des Lesers, sob äbro. Das sollte mit „Ostern in Händen" gemeint sein. Wie Jesaja über die Verstockungsfigur das Sendungsgebot: „Geh und sprich ..." zum Versagen des Wortes fuhren und so zum Motiv der Libralisierung seiner Botschaft werden ließ, „reserviert sich Markus im Blick auf den Leser unter Ausschluß aller anderen die Rolle, die innerhalb der Erzählung vom Boten gespielt wird. Auf diese Weise setzt er sich selbst am Ende des Buches in die Rolle des Evangelisten ein, der die gute Nachricht bringt."43 Der Schlusssatz seines Werkes manifestiert, was die Anfangszeile: „Evangelium von Jesus Christus, dem Sohne Gottes, wie geschrieben steht..." ankündigte. Markus hat das Evangelium „zum literarischen Metonym fur sein Buch gemacht"44. Sein Buch ist die Botschaft, das Evangelium, und es enthält es nicht nur. This medium is the message.

40 41 42 43 44

Markus 8,29.33. Markus 14,66-72. Markus 16,7f. Bas van Iersel: Markus, Düsseldorf 1993,252f. Detlev Dotmeyer, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte, Darmstadt 1993,201.

Ulrich H J. Körtner Christus als Wort Gottes. Entwicklung und Verwendung einer christologischen Grundmetapher vom Johannesevangelium bis zu Gerhard Ebeling

1. Wort Gottes und Wort-Gottes Theologie „Im Anfang war das Wort", so beginnt das Johannesevangelium in der Ubersetzung Martin Luthers. Das „Wort" - griechisch: ó λ ό γ ο ? - , von dem der Johannesprolog zunächst ohne Näherbestimmung spricht, ist eine zentrale Kategorie christlicher und insbesondere reformatorischer Theologie. Folgt man den hymnischen, hoch poetischen Aussagen des Johannesprologs, so ist dieses „Wort" götdichen Ursprungs und von göttlicher Art Durch dieses „Wort" ist die Welt erschaffen worden, durch dieses Wort wird sie auch erlöst. Schöpfung und Soteriologie sind verbunden durch den Gedanken, dass das „Wort" Gottes in Jesus von Nazareth inkarnierte. Das alles sind, wie gesagt, hoch poetische Formulierungen, deren innere Logik die Theologie seit jeher begrifflich zu erfassen sucht. Unbeschadet seiner zentralen Bedeutung für die christliche und insbesondere für die reformatorische Theologie des 16. Jahrhunderts ist der Begriff des Wortes Gottes allerdings erst im 20. Jahrhundert zu einem Leitbegriff evangelischer Theologie aufgestiegen. Dies geschah innerhalb und im Gefolge der sogenannten Wort-Gottes-Theologie, welche die evangelische Theologie seit dem Ende des 1. Weltkrieges dominiert hat und sie heute noch, trotz der Kritik, die seit den sechziger Jahren aus unterschiedlichen Richtungen an ihr geübt wird, beeinflusst. „Wort Gottes" wurde zur grundlegenden fündamentaltheologischen Kategorie des 20. Jahrhunderts, und zwar nicht nur in der evangelischen, sondern nicht selten auch in der römisch-katholischen Theologie. Als solche dient sie der Begründung aller theologischen Aussagen, ohne dass sie selber einer weiteren Begründung fähig oder bedürftig wäre. Dass Gott geredet hat und redet, ist folgt man der Wort-Gottes-Theologie — nicht das von der Theologie zu erklärende Problem, sondern der transzendentale Ausgangspunkt aller Theologie.

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Die wechselvolle Geschichte christlicher Rede vom „Wort Gottes" kann hier nicht einmal in Grundzügen beschrieben werden, auch nicht ihre Problemgeschichte im Rahmen der Wort-Gottes-Theologie und ihrer Kritik.1 Ich beschränke mich auf einige wenige Beispiele, wie „Wort Gottes" in der WortGottes-Theologie als christologischer Grundbegriff verwendet und interpretiert worden ist. Befragt werden dazu Karl Barth, Emil Brunner und Gerhard Ebeling. Dabei gilt mein Augenmerk der Frage, inwiefern die Rede von Christus als „Wort Gottes" metaphorischen Charakter trägt bzw. inwiefern der semantische Status solcher Rede theologisch bedacht worden ist. Auch muss gefragt werden, welche inhaldichen Verschiebungen bei den herangezogenen Autoren gegenüber dem Neuen Testament stattgefunden haben. Dabei ist zunächst festzustellen, in welcher Weise überhaupt im Neuen Testament und speziell in christologischen Zusammenhängen vom „Wort Gottes" gesprochen wird. Sodann aber ist genauer zu untersuchen, in welchen Fällen man die Bezeichnung Christi als Wort Gottes tatsächlich als eine Metapher verstehen kann bzw. welche Übergänge möglicherweise von einem christologischen Titel zu einer christologischen Metapher stattgefunden haben. Die weiterfuhrende theologiegeschichtliche Frage lautet, inwiefern in der späteren chrisdichen Theologie, insbesondere in der Wort-Gottes-Theologie des 20. Jahrhunderts eine weitere Metaphorisierung der Bezeichnung Christi als Wort Gottes stattgefunden hat und in welchem Verhältnis Begriff und Metapher in der Dogmatik stehen. Entsprechende Überlegungen zum Begriff einer metaphorischen Christologie sowie zu „Wort Gottes" als einer christologischen Grundmetapher werden den Abschluss bilden.

2. „Wort Gottes" im Neuen Testament Zu den Schwierigkeiten, welche die Rede vom Wort Gottes der Systematischen Theologie bereitet, gehört nicht nur der zum Teil poetische oder metaphorische Charakter solcher Rede schon in der biblischen Tradition, sondern auch das Problem der Äquivokation. Mit diesem Problem sieht man sich auch konfrontiert, wenn „Wort Gottes" in christologischen Zusammenhängen verwendet wird.

1

Siehe dazu ausführlich Ulrich H.J. Körtner, Theologie des Wortes Gottes. Positionen Probleme - Perspektiven, Göttingen 2001.

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Im Neuen Testament kann auf recht unterschiedliche Weise vom Wort oder Reden Gottes gesprochen werden.2 Anders als im Alten Testament3 — und dies ist gegenüber der Wort-Gottes-Theologie des 20. Jahrhunderts kritisch anzumerken - wird das „Wort Gottes" im Neuen Testament „nicht als eigene theologische Größe eingeführt oder gar reflektiert"4. Entsprechend alttestamentlichem Sprachgebrauch ist vom ó λόγο? (θεού) die Rede, wenn ganz allgemein ein Befehl oder Auftrag Gottes gemeint ist5 oder die Verheißungen Gottes6 oder auch seine Gebote7 angesprochen werden. In Act 6,7; 12,24 und an anderen Stellen meint ó λόγος του θεοί die christliche Verkündigung bzw. das Evangelium. „Wort Gottes" bezeichnet im Neuen Testament vornehmlich die urchristliche Missionspredigt. Weil dieses göttliche Wort dem Menschen durch Christus gebracht worden ist, kann statt vom Wort Gottes mit gleicher Dignität vom Wort Christi gesprochen werden.8 Nach Joh 12,50 ist das Wort Christi mit dem Wort Gottes identisch. Abgekürzt kann unter Christen auch einfach von ó λόγος die Rede sein,9 wobei das Wort Christi nicht nur ein dem irdischen Jesus zugeschriebenes, sondern auch ein durch den erhöhten κύριος ergangenes sein kann. Dieser Umstand verweist uns auf das Phänomen der urchristlichen Prophétie.10 Neben λόγος wird auch die Vokabel λόγιον gebraucht. Rom 3,2 nennt die göttlichen Verheißungen an Israel λόγια. Hebr 5,12 bezeichnet Worte der Schrift, d.h. der alttestamentlichen Bücher, als τ α λόγια του θεοί). In der patristischen Literatur sind die λόγια του κυρίου oder λόγια κυριακά. Aussprüche Jesu oder auch (apophthegmatische) Jesusgeschichten.11 In 1 Petr 4,11

2

Vgl. Albert Debrunner, Art λέγω κτλ., ThWNT IV, 1942, 71-76; Gerhard Kittel, Art. λέγω κτλ. D, ThWNT IV, 100-140; Hubert Ritt, Art. λόγο?, EWNT II, 2. Aufl. 1992, Sp. 880-887; Rudolf Bultmann, Der Begriff des Wortes Gottes im Neuen Testament, in: ders., Glauben und Verstehen I, Tübingen 7. Aufl. 1971, 268-293; Geoige Christopher Stead, Art. Logos, TRE 21, 1991, 432-444; Michael Wolter, Art. Wort Gottes 2. Neues Testament, EKL 1 IV, 1996,1326-1329.

Vgl. Hermann Spieckermann, Art. Wort Gottes 1. Altes Testament, ELK 3 IV, 1996, 13241326. 4 Oda Wischmeyer, Das „Wort Gottes" im Neuen Testament. Eine theologische Problemanzeige, in: Ulrich H.J. Körtner (Hg.), Wort Gottes - Kergyma - Religion. Zur Frage nach dem Ort der Theologie, Neukirchen-Vluyn 2003, 27-40, hier 38. 5 Z.B. Mt 15,6. 6 Rom 9,6.9.28. 7 Rom 13,9; Gal 5,14. 8 Joh 5,24: ó λ ό γ ο ς μου; vgl. auch Apk 3,8! Siehe ferner Kol 3,16: ό λόγο? του Χρίστου; Act 8,25: ó λόγο? του κυρίου. 9 Mt 13,20-23. 10 Zur frühchristlichen Prophetie vgl. Emst Käsemann, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testament, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. II, Göttingen 3 1970, S. 69-82; Ulrich B. Müller, Prophetie und Predigt im Neuen Testament. Formgeschichtliche Untersuchungen zur urchristlichen Prophetie, StNT 10, Gütersloh 1975. 11 Vgl. Ulrich H.J. Körtner, Papias von Hierapolis. Ein Beitrag zur Geschichte des frühen Christentums, FRLANT 133, Göttingen 1983,151ff. 3

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sind λόγια κυρίου die (charismatische) Predigt einzelner Gemeindeglieder. Paulus wiederum kann seine Predigt als κήρυγμα ΊησοΟ Χρίστου bezeichnen (Rom 16,25), wobei diese Formulierung gleichermaßen als Gen. obi. wie als Gen. subi, zu lesen ist. Dem entspricht die Aussage in 2 Kor 13,3, aus Paulus spreche Christus selbst.12 Statt von λόγοι oder λόγια kann auch von ρήματα του θεοΰ die Rede sein, wobei ebenfalls sowohl an Gottes Gebote13 als auch an die Verkündigung Jesu14 bzw. an die christliche Predigt oder Lehre gedacht sein kann. In Rom 10,8 steht ρήμα für das Evangelium.15 Im Singular spricht 1 Petr 1,25 vom ewig bleibenden Wort Gottes (το ρήμα κυρίου), wobei Jes 40,8f. zitiert wird. Gemeint ist also der alttestamentliche Π1ΓΓ "DT, der nun mit der christlichen Verkündigung identifiziert wird.16 Zu einer Hypostasierung des "DT Gottes, die über entsprechende Ansätze im Alten Testament weit hinaus reicht, kommt es im Entwicklungsverlauf der urchristlichen Christologie. Das Johannesevangelium deutet Jesus Christus als fleischgewordenen Logos.17 Dieses Evangelium setzt das Wirken Jesu mit seiner Person gleich, die nicht irdischen, sondern göttlichen Ursprungs ist.18 Ist Christus der fleischgewordene "DT Gottes, durch den die Welt erschaffen wurde, so ist der Gedanke der Mitwirkung Christi am Schöpfungswerk Gottes die logische Konsequenz. Eine sachliche Parallele zu dieser christologischen Bestimmung des Wortes Gottes findet sich in Hebr 1,1-4, wo einleitend erklärt wird: „Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat (ó Oeoç λαλήσας) zu den Vätern durch die Propheten [!], hat er in diesen letzten Tagen zu uns [!] geredet durch den Sohn (έλάλησεν ήμιν έν υ'ιω), den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat." Wenn es heißt, Gott habe am Ende der Zeiten durch Christus bzw. in diesem gesprochen, sind nicht nur dessen einzelne Aussprüche oder seine gesamte Lehre gemeint, sondern seine Person und sein Wirken als Ganzes. Jesus Christus ist der 13Ί Gottes. Deutet sich an einigen Stellen des Alten Testaments eine Hypostasierung des 131 Gottes an19, so wird dieser im Neuen Testament personifiziert oder, besser gesagt, mit einer geschichtlichen Person identifiziert. 12 13 14 15 16 17

Vgl. dazu wiederum 2 Kor 11,10: e[stin ajlhvqeia Cristou' ejn ejmoiv. Hebr 11,3. Lk 7,1. Rom 10,8: το ρήμα της π ί σ τ ε ς δ κηρύσσομευ. 1 Petr 1,25: τδυτο δέ έ σ τ ι ν το ρήμα το έυαγγελισθεν e'is ύμάς. Joh 1,14. Vg}. auch das sog. Comma Iohanneum, einen redaktionellen Einschub in I Joh 5,7, der triadisch (noch nicht trinitarisch!) von ó πατήρ, ό λόγο? κα! το ά γ ι ο ν πνεύμα spricht. 18 Die Frage, wieweit der Begriff der Präexistenzchristologie für die damit üblicherweise bezeichneten neutestamentlichen Sachverhalte angemessen ist, kann hier nicht weiter erörtert werden. Vgl. dazu Kail-Josef Kuschel, Geboren vor aller Zeit? Der Streit um Christi Ursprung, München 1990, bes. 282ff. 19 Weish 18,14ff.

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Die religionsgeschichtliche Herleitung dieser Identifikation und damit ihre genaue Bedeutung ist exegetisch umstritten. Weithin wird mit dem Einfluss jüdischer Weisheitsspekulationen auf das Johannesevangelium und den johanneischen Kreis gerechnet. Im einzelnen werden drei Herleitungen diskutiert: 1. ein Philo von Alexandrien nahestehendes, philosophisch beeinflusstes hellenistisches Judentum 20 , 2. eine vorchristliche bzw. mit dem frühen Christentum zeitgleiche Gnosis 21 , 3. eine frühjüdische Verbindung der Weisheit mit der Schöpfung, die an Ps 33,6; 147,15ff. und Weish 9,lf. anschließt. 22 Die NagHammadi-Texte haben seit Bultmanns Arbeiten, die sich vor allem auf die Mandäer-Texte stützen, ein neues Licht auf die Geschichte der Gnosis geworfen. Sie gilt heute als mit dem Christentum im Wesentlichen gleichzeitige Bewegung. Gnostische Systeme, die uns bekannt sind, sind ihrerseits teilweise von christlichem Gedankengut abhängig. Andererseits sind manche Elemente im Johannesevangelium, z.B. sein negativer Begriff des κ ό σ μ ο ς und sein dualistisches Denken, spätantikes Allgemeingut, das z.B. auch in der Apokalyptik beheimatet, nicht aber spezifisch gnostisch ist. George Chr. Stead macht wahrscheinlich, dass der Verfasser des Johannesevangeliums zwar sicherlich mit einer frühen Form der Gnosis vertraut ist, sich teilweise mit ihrem Denken in Einklang befindet, diesem zum Teil aber auch scharf widerspricht. Die johanneische Logos-Christologie ist aber nicht religionsgeschichtlich aus der Gnosis herzuleiten. „Philo [...] ist möglicherweise immer noch die befriedigendste Quelle." 23

3. „Wort Gottes" als christologische Metapher Es stellt sich nun die Frage, ob und inwiefern die Identifikation Christi mit dem Logos im Neuen Testament als metaphorisch zu bezeichnen ist. Zwischen Metapher und Hypostasierung des Logos gilt es schließlich zunächst zu unterscheiden. Die Johannesapokalypse verwendet ό λόγος τ ο υ Geoü in Apk 19,13 als Namen, d.h. christologischen Titel, nicht als Metapher. Neben ihm stehen in 20 Charles H. Dodd, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 6. Aufl. 1963. Siehe auch Bernhard Jendorff, Der Logosbegriff. Seine philosophische Grundlegung bei Heraklit v. Ephesos und seine theologische Indienstnahme durch Johannes den Evangelisten, EHS.Phil. 19, Frankfurt a. M. u.a. 1976. 21 Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes, K E K 2, Göttingen 12. Aufl. 1986; ders., Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Prologs zum Johannesevangelium (1923), in: ders., Exegetica, Tübingen 1967,10-35. 22 Vgl. zum Ganzen auch Udo Schnelle, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium, Göttingen 1987. 23 Stead, Art. Logos, 439.

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dem zitierten Text weitere Namen: „Treu und Wahrhaftig" (V.ll) sowie „König der Könige und Herr der Herren" (V.16). Außerdem wird ein Name erwähnt, den niemand außer dem beschriebenen Reiter, d.h. Christus selbst, kennt (V.12). Allerdings wirft das Nebeneinander der verschiedenen Namen die Frage nach der Bedeutung des Ausdrucks „Name" an dieser Stelle auf. Zunächst ist festzustellen, dass die einzelnen Namen für sich genommen nicht schon eine eindeutige Identifikation der bezeichneten Person erlauben, handelt es sich doch um mehrere Namen für dieselbe Person. Apk 19,1 Iff. ist offenbar Jes 9,5 nachempfunden. Das aber bedeutet, dass das Nebeneinander der verschiedenen Namen bzw. der als Namen fungierenden Begriffe nicht nach der griechischen Vorstellung der Vielnamigkeit Gottes zu interpretieren ist, welche die Unzulänglichkeit aller menschlichen Versuche zum Ausdruck bringen soll, das Wesen der Gottheit sprachlich und gedanklich zu erfassen.24 Da es in Apk 19,llff. in Entsprechung zu Jes 9,5 „nicht um das Wesen, sondern das Handeln Gottes geht", können die auf Christus angewendeten Namen „wahr und zugleich zahlreich sein, wie auch Gottes Handeln, das sie beschreiben, mannigfaltig ist" 25 . Wenn aber die verschiedenen Namen Christi in ihrer Gesamtheit letztlich sein Handeln bzw. das sich darin manifestierende Handeln Gottes beschreiben sollen, haben sie eine metaphorische Funktion. Auch „Wort Gottes" (ό λόγος του θεού) ist demnach im vorliegenden Text kein wirklicher Eigenname, sondern eine Beschreibung des göttlichen Handelns.26 Wie verhält es sich nun mit der Bezeichnung Christi als Logos im Johannesprolog? Zunächst einmal sind die unterschiedlichen Kontexte in Apk 19 und Joh l,lff. zu beachten. Bei Apk 19,Iff. handelt es sich um eine Gerichtsvision, nicht um einen Hymnus auf den fleischgewordenen Logs wie im Johannesprolog. Das Erscheinen der Herrlichkeit des Schöpferlogos in Joh l,14ff. und die Wiederkunft Christi zum Gericht müssen exegetisch wie systematischtheologisch auseinandergehalten werden. Im Johannesevangelium lassen sich generell drei Kategorien von Christusbildern unterscheiden27: zum einen soziale bzw. funktionale Rollen wie Sohn (Joh 1,18; 3,16f. u.ö.), Bräutigam (Joh 3,28f.), Hirte (Joh 10,1-18), Richter (z.B. Joh 8,16), Lehrer (Joh 1,38), König (Joh 1,48 u.ö.) oder Prophet (z.B. Joh 4,19), ferner Bilder aus dem konkreten Leben wie Lamm (Joh 1,29.36), Brot (Joh 6,32ff.), Wasser (Joh 4,10ff.), Weinstock (Joh 15,Iff.) oder Tür (Joh 10,7), aber auch

24 Vgl. Heinrich Kraft, Die Offenbarung des Johannes, HNT 16a, Tübingen 1974,247. 25 Kraft, Offenbarung, 247f. 26 So auch Kraft, Offenbarung, 249. 27 Vgl. dazu Ruben Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma. Zum Ansatz einer wirkungsästhetischen Christologie des Neuen Testaments, in: Ulrich H.J. Körtner (Hg.), Jesus im 21. Jahrhundert. Bultmanns Jesusbuch und die heutige Jesusforschung, NeukirchenVluyn 2002,153-188, hier 174.

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Grundsymbole wie Licht (Joh 8,12) oder Leben (Joh 14,6), und schließlich Abstrakte wie Auferstehung (Joh 11,25) oder Wahrheit (Joh 14,6), die prädikativ mit Jesus verbunden werden. Den Logos-Begriff wird man allerdings nicht ohne weiteres der letztgenannten Kategorie johanneischer Christusbilder zuordnen dürfen.28 Denn weder im Johannesprolog noch an anderer Stelle im Johannesevangelium wird der Begriff „Logos" ausdrücklich prädikativ auf Jesus bezogen, weder in der Form eines Ich-bin-Wortes noch einer Prädikation durch Dritte. Im Prolog des Johannesevangeliums ist nicht Jesus oder Christus, sondern der Logos das grammatische und logische Subjekt der Aussagen. Kurz gesagt: Die Rede vom Logos im Johannesprolog ist zunächst nicht metaphorisch, sondern mythisch. Dass der präexistente und inkarnierte Logos im Johannesevangelium mit dem irdischen Jesus identisch ist, liegt auf der Hand. Es wird aber im gesamten Text des Evangeliums nicht ausdrücklich gesagt, sondern ergibt sich erst am Schluss des Prologs aus Joh l,17f. Im Prolog, der ja möglicherweise ein ursprünglich selbstständiger Hymnus war, fungieren Symbole wie Licht und Leben zunächst jedenfalls nicht als Metaphern für Jesus, sondern als solche für den hypostasierten Logos. 29 Eine Metapher für den Logos ist im Johannesprolog schließlich auch die Bezeichnung „Sohn", bzw. „einziggeborener Sohn" (Joh 1,14) oder „Einziggeborener" (Joh 1,18). „Logos" ist also genau betrachtet nicht eine Metapher für den Sohn, sondern „Sohn" umgekehrt eine Metapher für den Logos. Insofern der Logos nun aber mit Jesus Christus identifiziert wird, kann man sagen, dass „Jesus Christus" nach Joh l,lff. der Name für den personifizierten Logos ist und nicht etwa umgekehrt wie in Apk 19,13. Streng genommen kann man also nicht sagen, dass „Wort Gottes" bereits im Johannesevangelium eine christologische Metapher ist. Erst in Apk 19,13 findet gegenüber dem J o hannesprolog eine Metaphorisierung des Logos-Namens statt. Der Kontext ist freilich eine apokalyptische Vision voller mythischer Bildelemente. Dass die Metaphorisierung des Logos-Namens mit seiner Entmythologisierung einherginge, läßt sich für das Neue Testament, wenn überhaupt, so nur mit größter Zurückhaltung behaupten. Systematisch-theologisch ist schließlich noch eine weitere Beobachtung bedeutsam: Die Identifikation des Logos mit Jesus von Nazareth im Johannesprolog hat zunächst eine schöpfungstheologische, keine offenbarungstheologische Stoßrichtung.30 Der Gedanke der Λ/tòoffenbarung Gottes, wie ihn später Karl Barth entwickelt hat, wird jedenfalls im Prolog noch nicht explizit formuliert. Im Sehen der δόξα des fleischgewordenen Logos (Joh 1,14) ist er allenfalls

28 Anders Zimmermann, Jenseits von Historie und Kerygma, 174. 29 Joh 1,4.9. 30 Wischmeyer, Das „Wort Gottes", 39: „Die johanneische Aóyos-Christologie ist eine christologisch gewendete Spielart der Wort-Schöpfungstheologie Israels."

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implizit angelegt. Im weiteren Text des Evangeliums wird dieser Gedanke dann allerdings offenbarungstheologisch vertieft, wenn es in Joh 14,9 heißt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater". Bei der Redeweise der Wort-Gottes-Theologie von Christus oder dem Christusereignis als Wortgeschehen handelt es sich 2weifellos um eine metaphorische Ausdrucksweise. Mit der Interpretation dieses Wortgeschehens als Selbstoffenbarung Gottes wird jedoch gegenüber dem Prolog des Johannesevangeliums nicht nur der Übergang vom Mythos zur Metapher, sondern auch eine theologische Umdeutung bzw. Anreicherung vollzogen.

4. Christus als Wort Gottes bei Karl Barth Barths theologische Entwicklung lässt sich bekanntlich in mehrere Phasen unterteilen.31 Wir beschränken uns im Folgenden auf Barths „Kirchliche Dogmatik". Für diese wie für die in ihr entwickelte Lehre vom Wort Gottes ist die Denkfigur der analogia fidei grundlegend, die Barth in seinem 1931 erschienenen Buch über Anselm von Canterbury entwickelt hat.32 Für die Interpretation der Rede Barths von Christus als Wort Gottes spielt nun das Verhältnis von -Analogie und Metapher eine besondere Rolle. Unter dem Wort Gottes versteht Barth in seiner „Kirchlichen Dogmatik" die „Rede Gottes zum Menschen"33. Es hat dieses Wort aber Ereignischarakter und „geschieht, gilt und wirkt [...] in der Tat Gottes am Menschen" 34 . Dieses Handeln Gottes hat aber im Menschen keine ontologische Voraussetzung, sondern hat in Gott seinen alleinigen Grund.35 Um die Exklusivität des Wortes Gottes und seine Souveränität sicherzustellen, weist Barth den traditionellen Gedanken der analogia entis, d.h. der seinshaften Entsprechung zwischen Schöpfer und Geschöpf, die zwar nicht als hinreichende, jedoch als notwendige Voraussetzung der Erkennbarkeit Gottes gedacht wird, schärfstens zurück. Zwar geht auch Barth davon aus, dass Gott im Unterschied zur Welt nur auf analoge Weise erkannt und ausgesagt werden kann. Jedoch bestimmt er die erforderliche Analogie als analogia fidei. 31 Vgl. Eberhard Jüngel, Art. Karl Barth, TRE 5,1980,251-268. 32 Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms (1931), hg. v. Eberhaid Jüngel u. Ingolf U. Dalferth, GA11/13, Zürich 2. Aufl. 1986. 33 Karl Barth, K D 1/1,128. 34 Ebd. 35 Vgl. Barth, K D 1/1,194.

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Der Gedanke der analogia fidei besagt, dass zwischen Gott und Mensch keine seinshafte Entsprechung (analogia entis) besteht. Vielmehr ist der Ermöglichungsgrund aller Gotteserkenntnis und somit aller Rede von Gott in der Selbstoffenbarung Gottes zu sehen, bei welcher Gott den sündigen Menschen zu sich in Entsprechung bringt. Wie die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf ist die Erkennbarkeit und Sagbarkeit Gottes nach Barth kein immer schon gegebener Tatbestand, sondern ein je neu geschehendes Ereignis. Nicht nur das Wort Gottes, sondern auch seine Erkennbarkeit haben also nach Barth in Gott ihren alleinigen Grund. Das als Rede Gottes an den Menschen näher bestimmte Wort Gottes ist bei Barth identisch mit dem Logos aus Joh 1,1. Der Begriff der Rede ist nach Barth die „allein mögliche [...] Übersetzung des Logos", die durch die Begriffe „Tat" und „Geheimnis" näher erklärt, nicht aber ersetzt werden kann.36 Barth identifiziert also von Anfang an Gottes streng singularisch zu denkende Rede mit dem personhaften Logos Gottes, d.h. aber mit der Person Jesu Christi. „Die Verpersönlichung des Begriffs des Wortes Gottes" bedeutet nach Barth aber keineswegs „seine Entwörtlichung" oder einen Anthropomorphismus. 37 Der Satz, dass Gott redet bzw. wesenhaft als Redender zu denken ist, soll keinesfalls metaphorisch oder symbolisch verstanden werden, sondern „gewiss in menschlicher Inadäquatheit, in der Gebrochenheit, in der menschliche Sätze dem Wesen Gottes allein entsprechen können", jener „Möglichkeit, die Gott jedenfalls in seiner Kirche gewählt und verwirklicht hat", entsprechen.38 Er gilt also im Sinne der analogia fidei als eigentliche, keinesfalls als uneigentliche Aussage. Bezeichnet Barth als Wort Gottes zunächst die Rede Gottes zum Menschen, so präzisiert er später, dass das Wort Gottes nichts anderes als seine Selbstoffenbarung ist. „Gottes Wort ist Gott selbst in seiner Offenbarung." 39 Diese ist nach Barth aber trinitarisch zu denken. „Denn Gott offenbart sich als der Herr und das bedeutet nach der Schrift für den Begriff der Offenbarung, dass Gott selbst in unzerstörbarer Einheit, aber auch in unzerstörbarer Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein ist."40 Der eine Gott offenbart sich als Vater bzw. Schöpfer, als Sohn bzw. Versöhner und als Heiliger Geist bzw. Erlöser.41 Das Ereignis der Selbstoffenbarung Gottes ist Jesus Christus als Wort Gottes in Person. Die These zu § 69, welche bekanntlich identisch mit der 1. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 ist, lautet: „Jesus Christus, wie er 36 37 38 39 40 41

KD 1/1,137. KD 1/1,143. KD 1/1,137. KD 1/1,311. Ebd. (These zu § 8). Vgl. KD 1/1, § 10-12.

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uns in der heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben."42 Mit dieser Zitation beginnt Barth seine Versöhnungslehre. Die Identifikation Jesu mit dem einen Wort Gottes — womit Barth zugleich eine Trennung oder Opposition von Gesetz und Evangelium ablehnt - hat den Sinn, dass die Versöhnungslehre in die Offenbarungslehre integriert wird: „In und mit der Versöhnung geschieht - sie selbst ist auch Offenbarung."43 Umgekehrt hat alle Offenbarung nach Barth soteriologische Qualität, wofür er sich auf Joh l,4f. beruft.44 Exegetisch ist allerdings anzumerken, dass Barths Interpretation der christologischen Metapher von Christus als Wort Gottes über den Textsinn des Johannesprologs hinausgreift. Denn schon die Gleichsetzung des Wortes Gottes mit Gott selbst — genauer gesagt: mit Gott selbst in seiner Offenbarung - unterstellt der Aussage in Joh 1,1 eine offenbarungstheologische Zuspitzung, die sich am Text selbst nicht verifizieren lässt. In der Wendung: „(Ein) Gott war das Wort" (Joh 1,1c) fungiert das Wort „Gott" nicht - wie übrigens auch Luthers Übersetzung nahe legt — als Subjekt, sondern als Satzaussage.45 Das „Wort" ist also nicht mit „Gott", nicht mit dem „Vater", von dem im weiteren Evangelium die Rede ist, identisch. Wohl aber ist es von göttlicher Art. Damit liegt die johanneische Formulierung auf der Linie der jüdischen Weisheit, welche den alttestamentlichen Monotheismus unangetastet lässt. Kehren wir zurück zu Barth. In Jesus als dem Wort Gottes begegnet uns nach Barth der redende und handelnde Gott, zugleich aber der Gott wahrhaft entsprechende Mensch. Der Sünder dagegen ist das Gott widersprechende Geschöpf, das erst dann in ein Entsprechungsverhältnis zu Gott gelangt, wenn es in Entsprechung zu Jesus Christus gebracht wird. Erst damit ist für den Menschen die Erkennbarkeit des Wortes Gottes gegeben. Das Wort, welches Gott in seiner Selbstoffenbarung ist, begegnet dem Menschen freilich nur indirekt, hat es doch eine dreifache Gestalt.46 Jesus Christus als die zweite der drei göttlichen Seinsweisen, ist das fleischgewordene, das offenbarte Wort Gottes. Dieses ist uns aber nur durch die Vermittlung der Heiligen Schrift und der auf dieser beruhenden kirchlichen Verkündigung zugänglich.47 Neben dem offenbarten Wort Gottes stehen das geschriebene und das 42 K D r V / 3 , 1 . 43 K D I V / 3 , 7 . 44 Vgl. K D IV/3,7f. 45 Vgl. Siegfried Schulz, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 1975, 19. Andernfalls eigäbe die Aussage Joh 1,1b, der Logos sei bei Gott gewesen (ό λ ό γ ο ς ή ν προς τ ο ν θεόν) keinen Sinn. Vgl. Bultmann, Johannes, 5. 46 Vgl. K D I / 1 , § 4 . 47 Siehe dazu ausführlich Ulrich H.J. Körtner, Schriftwerdung des Wortes und Wortwerdung der Schrift. Die Schriftlehre Karl Barths im Kontext der Krise des protestantischen Schriftprinzips, Z D T 1 5 (1999), 107-130.

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verkündigte Wort Gottes, wobei die beiden letzteren das offenbarte Wort Gottes lediglich bezeugen. Dass Gottes Wort gleichbedeutend mit der Verkündigung, der Schrift und der Offenbarung Gottes ist, ist nach Barth „nur in âeser doppelten Indinktheit wahr [...], dass es sich bei dem Sprechen und Vernommenwerden des Wortes Gottes nicht nur überhaupt um einen Akt Gottes und nicht nur um einen Akt Gottes in der kreatürlichen Wirklichkeit als solcher, sondern um einen Akt Gottes in der Gott widersprechenden, Gott verhüllenden Wirklichkeit handelt, in der seine Offenbarung nicht nur seine Tat, sondern seine Wundertat, das Zerreißen eines unzerreißbar dichten Schleiers, d.h. aber eben: sein Geheimnis ist."48 Ist aber das Wort Gottes nur durch dieses selbst erkennbar und vernehmbar, so besteht seine Erkenntnis in seiner Anerkennung durch den Menschen. Diese ist gleichbedeutend mit dem Glauben, der seinem Wesen nach als Gehorsam bestimmt wird.49 Gottes als Wortgeschehen interpretierte Selbstoffenbarung ist also ein asymmetrisches Geschehen. Das Wort Gottes ist seine Entscheidung über den sündigen Menschen und seine freie, im Hier und Jetzt geschehende Wahl.50 Ist Gottes Wort oder Rede aber nichts Anderes als seine freie Tat, so hängt auch seine Verstehbarkeit einzig vom Wirken Gottes im Menschen ab. Barth lehnt es darum ab, die Verstehbarkeit des Wortes Gottes mit dem allgemeinen Problem der Hermeneutik in Verbindung zu bringen.51 Nun fragt sich allerdings, wie denn dieses behauptete Wort Gottes überhaupt erfahrbar sein soll, wenn es doch aus keiner vorgängigen Erfahrung abgeleitet werden kann. Da Barth unter „Erfahrung" die „Bestimmung der Existenz des erkennenden Menschen" versteht52, meint die Erfahrung des Wortes Gottes dementsprechend, dass sich ein Mensch in allen Dimensionen seiner Existenz ganz von Gott bestimmt weiß. Dabei besteht kein Gegensatz zwischen der menschlichen Autonomie und dem Bestimmtsein durch Gott, sondern in der Erfahrung des Wortes Gottes wird die menschliche Selbstbestimmung als durch Gott bestimmt gewusst.53 Formal aber ist die durch Gott bestimmte Selbstbestimmung nichts anderes als die Anerkennung Gottes durch den Menschen54, genauer gesagt „der Akt reiner Anerkennung"55. In diesem Akt wird der Mensch in die „Konformität mit dem Worte Gottes" gebracht.56 Dementsprechend meint „Anerkennung" bei Barth „ein Gutheißen, wie es auf Grund von Gehor48 49 50 51 52 53 54 55 56

KD 1/1,174 (kursiver Text im Original gesperrt). KD II/l, 1 (These zu § 25). KDI/1,162f. Vgl. KD 1/1,153. KD 1/1,206. KD 1/1,208. KD 1/1,214ff. KD 1/1,217. KD 1/1,215.

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sam, von Unterwerfung zwischen völlig Ungleichstehenden zustandekommt. Erfahrung vom Worte Gottes haben heißt zurückweichen vor seiner Überlegenheit."57 Die Theologie kann freilich nur die Möglichkeit solch eines Bestimmtwerdens menschlicher Existenz bezeugen, nicht aber deren Wirklichkeit herbeiführen. Die Sicherheit ihrer Aussagen über das Wort Gottes ist „die Sicherheit ihrer Erwartun¿', die sich auf das biblisch bezeugte „Ereignis ihrer Verwirklichung" bezieht.58 Alle Sätze einer Theologie des Wortes Gottes haben nach Barth darum keinen apophantischen, sondern einen assertorischen Charakter, d.h. sie behaupten nicht, sondern bekennen das Ereignis der Erkenntnis des götdichen Wortes.59 Die Bestimmung des Glaubens als Gehorsam bzw. als Akt der Anerkennung60 entspricht der Unbedingtheit des Wortes Gottes, die sich praktisch dahingehend auswirkt, dass das Wort Gottes zur unhinterfragbaren Letztinstanz theologischer Urteilsbildung erklärt wird. Diese bleibt freilich bei Barth ungreifbar. Fassbar ist allenfalls die Unbedingtheit theologischer Geltungsansprüche, die in ihrem Namen erhoben werden. Auch ist zu kritisieren, dass Barths offenbarungstheologische Konzeption des Wortes Gottes zu Äquivokationen bei der Verwendung des Wort-Begriffes führt und das Verhältnis von Begriff und Metapher nur unzureichend reflektiert. Das ließe sich an der Anthropomorphismusproblematik noch deutlicher zeigen. Das Problem der Semantik religiöser Rede ist bei Barth durchaus virulent, kann aber aufgrund der theologischen Prämissen Barths methodisch nicht bearbeitet werden. Gerade an dieser Stelle erweist sich die Konzeption Emil Brunners als weiterführend.

5. Christus als Wort Gottes bei Emil Brunner Angeregt durch den dialogischen Personalismus geht Brunner sowohl gegenüber Barth als auch gegenüber Bultmann theologisch eigene Wege. Das gilt auch für Brunners Lehre vom Wort Gottes, die ich anhand des ersten Bandes seiner Dogmatik skizzieren möchte" Der Grund christlicher Verkündigung und Theologie ist nach Brunner nicht unmittelbar Gottes Wort, sondern seine Offenbarung. Zwischen dieser und

57 58 59 60 61

Ebd. (im Orig. gesperrt). KD 1/1, 237 (im Orig. gesperrt). Ebd. Vgl. KD 1/1,241ff. Emil Brunner, Die christliche Lehre von Gott. Dogmatik Bd. I, Zürich 4. Aufl. 1972.

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dem Wort Gottes aber wird aus noch darzulegenden Gründen unterschieden. Aufgrund ihrer Unterscheidung ist nun zu fragen, inwiefern die Offenbarung als Wort Gottes in Erscheinung tritt.62 Brunner konstatiert einen gewichtigen Unterschied zwischen alttestamendicher und neutestamentlicher Auffassung vom Wort Gottes. Im Alten Testament meint der Begriff „in direkter Identität, in völliger Deckung" ein von Gott offenbartes Menschenwort, nämlich das Wort eines Propheten, das als Wort Gottes gehört werden will. Im Neuen Testament aber meint Offenbarung nicht primär die Übermittlung eines Prophetenspruches, sondern die Person Jesu Christi. Indem aber Jesus Christus selbst als Offenbarung Gottes in Person identifiziert wird, wird „Wort Gottes" zu einem uneigentlichen, metaphorischen Ausdruck. Zwar kann Christus auch als der Logos bezeichnet werden, aber er selbst als Person ist „überbegrifflich".63 An dieser Stelle unterscheidet sich Brunners Konzeption deutlich von derjenigen Barths, der ja den Begriff des Anthropomorphismus oder der Metaphorik im Blick auf die Identifikation von Rede und Logos Gottes nicht gelten lassen will. Brunner argumentiert dagegen: „Gewiss kann man sagen [...], in Jesus Christus ,rede' Gott mit uns. Aber dieser Ausdruck ist nicht mehr, wie beim prophetischen Wort, ein adäquater, sondern ein uneigentlicher geworden. Denn eine Person ist nun einmal keine Rede, so sehr sie uns, ohne zu reden, in ihrem Sein und Werk .etwas zu sagen' hat. Indem das Wort Fleisch wurde, ist das Reden Gottes aus einem eigendichen zu einem uneigentlichen Reden geworden."64 Anders gesagt: „Indem man Jesus ,das eigentliche Wort' nennt, macht man die Formel .Wort Gottes' zu einem uneigentlichen Ausdruck, zu einer Art Gleichnis, gerade wie wenn ich behaupte, die Musik Bachs ,sage' mir mehr als irgendein Gedicht."65 Nach Brunner ist das buchstäbliche Wort, nämlich das in menschlicher Sprache formulierte, im Neuen Testament — anders als im Alten Testament — nur noch im indirekten Sinne Offenbarung, nämlich nur insofern, als es Zeugnis der Offenbarung Gottes in der Person Christi ist. Brunner fragt nun aber, ob es einen Punkt der Identität von Christusoffenbarung und menschlichem RedeWort gibt. Die Antwort ist in der Pneumatologie zu finden: Die Identität von göttlicher Selbstoffenbarung und menschlicher Rede ist ereignishaft gegeben durch das Zeugnis des Heiligen Geistes.66 Brunner greift die reformierte Lehre vom testimonium spiritus sancii internum (dem inneren Zeugnis des Heiligen Geistes) und vom inneren Wort auf. Er knüpft also an mystische bzw. zwingliani-

62 63 64 65 66

Brunner, Brunner, Brunner, Brunner, Brunner,

Dogmatik Dogmatik Dogmatik Dogmatik Dogmatik

1,25-40. 1,29. I, 31. I, 32. I, 34£f.

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sehe Traditionen an. Zusammenfassend kann man sagen, dass Brunner den Spiritualismus Calvins bzw. Zwingiis, d.h. deren Unterscheidung zwischen Geist und Buchstabe, neu zur Geltung bringt. Als testimonium spiritus sancii internum bezeichnet man herkömmlicherweise das geistgewirkte Verstehen der Heiligen Schrift. Brunner aber fragt, wie es überhaupt zu diesem Schriftwort gekommen ist. Weil das Wort der Schrift Menschenwort ist, kann es nicht zur Voraussetzung einer Inspirationslehre gemacht, sondern muss von der Pneumatologie her allererst erklärt werden. Was aber ist der Grund und Ursprung menschlicher Rede von Gott, die in der Bibel zur Schrift geworden ist? Auf diese Frage geben uns nach Brunner „die Apostel selbst Auskunft: Der Geist Gottes bezeugt in ihnen Jesus als den Christus."67 Es gibt folglich „eine doppelte Herablassung [sc. Gottes] zum Menschen: eine geschichtlich-objektive, in der Menschwerdung des Sohnes, und eine innerlichsubjektive, in der Bezeugung des Sohnes durch den Geist im Herzen von Menschen."68 „In uns" oder „im Herzen" sind bei Brunner wiederum metaphorische Ausdrücke, welche die Form „menschlicher Innerlichkeit" bzw. „menschlicher Geistigkeit" bezeichnen. Das reformierte finitum non capax est infiniti zur Geltung bringend, bestimmt Brunner den erkenntnistheoretischen Sinn der neutestamentlichen Rede vom Heiligen Geist wie folgt: „Identifikation des göttlichen mit dem menschlichen Geist und gleichzeitig das Gegenüberbleiben von Gottesgeist und Menschengeist"69. Das Werk des Geistes geht folglich in seinem Zeugnis der Offenbarung nicht auf.70 Pneumatologisch erklärt nun Brunner den Sinn der Rede vom Wort Gottes wie folgt: „In solchen zentralen Erkenntnisakten des Glaubens erfährt der Mensch das Wirken des Heiligen Geistes als wirkliches Reden Gottes in der dem Menschen eigenen Sprache und Denkform. Erst in diesem Wort des Heiligen Geistes wird [sie!] ihm die Gottesoffenbarung in Jesus Christus zum wirklichen, eigentlichen GottesawZ, zum wörtlich zu nehmenden Deus dixit, in welchem sich das gleichnishafte Deus dixit der geschichtlichen Offenbarung hörbar macht."71 Das testimonium spiritus saneti ist nach Brunner eine unmittelbare Gotteserfahrung. „Durch den Heiligen Geist mit dem Christus verbunden sein heisst: unmittelbar mit ihm verbunden sein."72 Die zweite und alle nachfolgenden Chris-

67 68 69 70 71 72

Brunner, Dogmatil· I, 34. Brunner, Dogmatil· I, 35. Ebd. Vgl. Brunner, Dogmatil· I, 37. Brunner, Dogmatil· I, 36. Brunner, Dogmatil· I, 38.

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tengenerationen sind allerdings mit Christus verbunden nur mittels des Glaubenszeugnisses der ersten Generation. Insofern ist also das Wirken des Geistes ein vermitteltes, das aber nach Brunner zu Momenten der Unmittelbarkeit fuhrt.

6. Christus als Wort Gottes bei Gerhard Ebeling Als drittem Autor wollen wir uns mit Gerhard Ebeling befassen, weil seine Lehre vom Wort Gottes und seine Christologie durch die neue Frage nach dem historischen Jesus beeinflusst sind, die Mitte der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts von Ernst Käsemann aufgeworfen wurde. Die systematischtheologische Frage lautet also, in welcher Weise die Rede von Christus als Wort Gottes an Person und Leben des historischen Jesus rückgebunden werden kann. Die Frage nach dem historischen Jesus, welche nach Bultmann nicht in die christliche Theologie, sondern lediglich zu ihren Voraussetzungen gehört, wurde unter seinen Schülern theologisch virulent, weil sie die Abstraktheit und Inhaltsleere des Bultmannschen Kergymabegriffs überwinden wollten. An die Stelle des bloßen Dass des Dagewesenseins Jesu von Nazareth suchten sie das Wie und Was der Verkündigung Jesu und die inhaltliche Bestimmung seines Lebensweges zu setzen. Allerdings stimmt beispielsweise Hans Conzelmann im Ergebnis doch wieder seinem Lehrer Bultmann ausdrücklich zu, dass der Bezug des Glaubens auf den historischen Jesus „nur ein jeweils punktueller", sein historischer Fixpunkt also doch nur das Dass seines Dagewesenseins sein könne.73 Wie zwischen dem unanschaulichen Wort Gottes bzw. dem Kerygma und seinen sprachlichen Vermittlungen, so wird von den Schülern Bultmanns letztlich auch zwischen dem historischen Jesus als Zeichen und der von ihm bezeichneten Sache selbst unterschieden. Die Mitte, nämlich das Jesusbild, das dogmatische Relevanz haben könnte, bleibt folglich leer.74 Gerhard Ebeling bezeichnet Jesus Christus als „Gottes Wort in Person"75. Mit dieser Formel versucht Ebeling positiv zu bestimmen, „wie sich das Menschsein Jesu als Ort der Anwesenheit Gottes von anderen Auffassungen und Weisen der Anwesenheit Gottes unterscheidet"76. Nun wird die Lehre vom Wort Gottes bei Ebeling eingebettet in eine umfassende Analyse des Redens 73 Hans Conzelmann, Art. Jesus Christus, RGG 3 III, 1959,619-653, hier 651. 74 Vgl. Carl Heinz Ratschow, Art. Jesusbild der Gegenwart, RGG 3 III, 1959, 655-663, hier 658f. 75 Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. II, Tübingen 2. Aufl. 1982, 6974. 76 Ebeling, Dogmatik II, 69.

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von Gott überhaupt. In seiner „Dogmatik des christlichen Glaubens" handelt Ebeling zunächst vom Reden über Gott (§ 8), der Gotteslehre, dann vom Reden ψ Gott, also dem Gebet (§ 9), und schließlich vom Reden von Gott her, d.h. der Verkündigung oder dem Bekenntnis.77 Hier erst wird der Begriff des Wortes Gottes bestimmt78 und dem Begriff der Offenbarung zugeordnet.79 Ebeling definiert den Offenbarungsbegriff, der bei ihm im Unterschied etwa zu Barths exklusiver Rede von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus eine denkbare Weite hat, wie folgt: „Offenbarung im theologischen Sinne ist ein Geschehen, welches das Zusammensein Gottes und des Menschen betrifft, und zwar des Menschen in seinem Zusammensein mit der Welt." 80 Als Offenbarung Gottes an den Menschen ist sie „wesenhaft soteriologisch"81. In seiner Offenbarung offenbart sich Gott als „Geheimnis der Wirklichkeit".82 Der Begriff des Wortes Gottes dient bei Ebeling der Präzisierung des Offenbarungsbegriffs: „Der Deus revelatus ist der Deus praedicatus".83 Im Anschluss an Heinrich Bullingers Definition in der Confessio Helvetica posterior: „Praedicatio verbi Dei est verbum Dei"84 definiert Ebeling das Wort Gottes primär als verbum praedicatum.85 Das Wort Gottes wird also primär als mündliche Rede aufgefasst, wogegen das geschriebene Wort der Bibel nur im „Übergang aus dem mündlichen Wort in den Buchstaben, der wieder zum mündlichen Wort werden will"86, als Wort Gottes in Betracht kommt. Verbum praedicatum und verbum scriptum haben ihren Grund im verbum incarnatum, welches das verbum aeternum ist.87 Für Ebeling bildet somit „der Begriff des Wortes einen Leitfaden der ganzen Dogmatik"88, wobei freilich etwa gegenüber Brunner auffällt, dass Ebeling äquivok von „Wort" als ,,verbum"(!) spricht. Dies ist ein Verfahren, das uns auch sonst in der theologischen Rede vom Wort Gottes häufig begegnet und zu kritischen Rückfragen Anlass gibt. Bei Ebeling ist nun das Wort Gottes im Sinne des verbum praedicatum zugleich das menschliche Wort des

77 Vgl. Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. I, Tübingen 2. Aufl. 1982, 158-261. 78 Ebeling, Dogmatik II, 257ff. 79 Ebeling, Dogmatik 1,245ff. 80 Ebeling, Dogmatik 1,249. 81 Ebeling, Dogmatik 1,251. 82 Ebeling, Dogmatik 1,257. Zu dieser Gottesdefinition vgl. auch ebd., 187. 83 Ebeling, Dogmatik 1,257. 84 Text zitiert nach Ernst F. Karl Müller (Hg.), Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche, Leipzig 1903, Nachdruck Zürich 1987,171. 85 Ebeling, Dogmatik 1,258. 86 Ebd. 87 Vg}. Ebeling, Dogmatik 1,258f. 88 Ebeling, Dogmatik 1,259.

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Glaubens, 85 nämlich das den Glauben bezeugende wie schaffende Wort. „Das Zusammensein Gottes und des Menschen ist ein sprachliches Zusammensein, ein Zusammensein im Wort"90, wobei die Besinnung auf das Wort Gottes bzw. das Wort des Glaubens bei Ebeling schließlich in die „Fundamentalunterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium" mündet.91 Der Zusammenhang von Wort und Glaube fuhrt uns zur Christologie Ebelings. Wenn er Jesus Christus als Gottes Wort in Person bezeichnet, so setzt dies voraus, dass in ihm die übliche und notwendige Unterscheidung von Person und Werk aufgehoben ist. Jesus wurde „als ein Mensch erfahren, bei dem sich Person und Werk in völliger Deckung befinden. Er wurde deshalb als Gottes Wort in Person verstanden und verkündigt, als ein Mensch, dessen Werk Gottes Werk, dessen Wort Gottes Wort, dessen Person Gottes Person selbst ist." 92 Die Christologie würde jedoch doketisch, wenn nicht in kritischer Fortfuhrung der altkirchlichen Zweinaturenlehre auch das Menschsein Jesu, und d.h. die Existenz des historischen Jesus bedacht würde. Das Problem des historischen Jesus ist für Ebeling deshalb dogmatisch relevant, weil daran deutlich wird, dass die Christologie „ein hermeneutisches Problem des historischen Bewusstseins" 93 ist. Christologie basiert auf der Möglichkeit, dass sich die christologische und die historische Interpretation Jesu sinnvoll aufeinander beziehen lassen.94 Ebeling erörtert den hypothetischen Fall, durch historische Nachforschungen könnte eines Tages der Nachweis erbracht werden, Jesus von Nazareth habe niemals existiert. „Damit würde die Christologie jedenfalls in ihrem bisherigen Verständnis hinfällig", wenngleich nicht zu erwarten wäre, „dass zusammen damit schlechterdings alles seine Wahrheit und Kraft einbüßte, was in der christlichen Glaubensüberlieferung beschlossen liegt"95. Sodann geht es theologisch um das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität zwischen der Verkündigung Jesu und dem nachösterlichen Christusglauben. Inwiefern haben sich die ersten Christen zu Recht auf Jesus von Nazareth berufen? „Die Christologie überhaupt wird letztlich in Frage gestellt, indem bestritten wird, dass sie an Jesus Anhalt habe."96 Jesus muss als Grund christologischer Aussagen erkennbar bleiben, was bedeutet, dass christologische Aussagen von Jesus her kritisch zu interpretieren sind und dass die christologische Situation von Jesus her zu erschließen ist: „Christologie kann auch gegenwärtig nur so weit verantwortet werden, wie die 89 VgJ. Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. III, Tübingen 1979, 249330. 90 Ebeling, Dogmatik 1,260. 91 Ebeling, Dogmatik 1,261. Sehe dazu ausfuhrlich Ebeling, Dogmatik III, 251ff. 92 Ebeling, Dogmatik II, 73. 93 Ebeling, Dogmatik II, 318ff. 94 Vgl. Ebeling, Dogmatik II, 399ff. 95 Ebeling, Dogmatik II, 384. 96 Ebeling, Dogmatik II, 391.

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Erscheinung Jesus dazu provoziert, das, was er ist, im umfassendsten Horizont auszusagen, ihn also in Bezug auf unser eigenes Verhältnis zu Gott, zur Welt und zu den Mitmenschen entscheidend zu Wort kommen zu lassen."97 Weil der Zusammenhang zwischen Wort und Glaube christologisch begründet und vermittelt ist, sind nicht nur die Verkündigung und das Wirken Jesu, sondern auch sein Glaube theologisch von Bedeutung. Die Kontinuität und Diskontinuität zwischen dem Verkündiger und dem nachösterlich Verkündigten macht Ebeling unter anderem daran fest, dass der Glaube an Jesus zugleich ein Glauben wie Jesus ist. Freilich ist damit gerade nicht die Reduktion Jesu auf ein historisches Vorbild gemeint. Die Formel „glauben wie Jesus" ist „nur dann begriffen, wenn das ,wie Jesus' aus einem .durch Jesus' hervorgeht"98. Der christliche Glaube bleibt also auf die Extemität seines Glaubensgrundes angewiesen. Im Anschluss an Gerhard Ebeling möchte ich nun im Schlussabschnitt einige weiterfuhrende Überlegungen zur metaphorischen Rede von Christus als Wort Gottes in Person und ihrer theologischen Funktion vortragen.59

7. Gottes Wort in Person — Überlegungen zu einer metaphorischen Christologie Es liegt im Gefalle der Ausführungen Emil Brunners wie auch Gerhard Ebelings, wenn die Rede von Christus als Wort Gottes im Folgenden konsequent metaphorisch interpretiert wird. Der Begriff einer „metaphorischen Christologie" soll hier vorschlagsweise für das Programm einer Metaphorologie christologischer Aussagen stehen. Christologie, so die These, beginnt in dem Augenblick, wo mit dem Namen „Jesus (von Nazareth)" metaphorische Aussagen formuliert werden, welche seine Heilsbedeutung im Sinne des christlichen Glaubens zum Ausdruck bringen wollen.100 Schon der Name „Jesus Christus" ist eine zum Namen geronnene metaphorische Aussage, nämlich der prädikativen Bezeichnung Jesu als Messias: „Du bist der Christus" (Mk 8,29). 101 Ähnlich verdichtet ist die urchristliche Bekenntnisformel κύριος Χ ρ ι σ τ ό ς , die zunächst ebenfalls als substantivische Metapher verstanden werden kann. Christologische Grundmetaphern wie die hier untersuchte von Jesus als Wort Gottes lassen sich 97 98 99 100

Ebeling, Dogmatil· II, 407. Ebeling, Dogmatil· II, 532. Zum folgenden vgf. Körtner, Theologie des Wortes Gottes, 176ft Vgl. dazu Hermann Braun/Günter Figal/Ulrich H.J. Körtner, Meinen religiöse Sätze, was sie sagen?, WuD 19,1987,221-235. 101 Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Philipp Stoellger.

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im Anschluss an die Metaphorologie Hans Blumenbergs102 als absolute Metaphern verstehen103, d.h. als Metapher, deren Geschichte zwar theologisch-begrifflich interpretierbar, aber nicht begrifflich auflösbar ist. Die Bezeichnung Jesu als Wort Gottes — so lautet die These — lässt sich nicht in eigentliche Rede, in eine univoke Beschreibung der Relation und wesensmäßigen Einheit von Jesus und Gott bzw. der in Jesus gegebenen Relation zwischen Gott und Mensch auflösen oder übersetzen. Zur Interpretation dieser Metapher ist die Rekonstruktion ihrer Geschichte und der in ihr auftretenden Verschiebungen unerlässlich. Dazu wurden in den vorangehenden Abschnitten einige Beobachtungen gemacht. Eine metaphorische Christologie hat die Unvermeidlichkeit der Metapher in dogmatischen Bezügen nicht nur theoretisch zu reflektieren, sondern wird im Rahmen ihrer materialen Entfaltung selbst nicht auf die Verwendung von Metaphern verzichten können. Als Metaphorologie muss sie dabei Prozesse der Entmetaphorisierung und Remetaphorisierung analysieren. Die Bezeichnung Christi als λόγο? wandelt sich vom Namen zur Metapher, von der Metapher zum Begriff. Die neuzeitliche Kritik des altkirchlichen christologischen Dogmas und Versuche einer spekulativen Christologie nach der Aufklärung lassen sich wiederum als Remetaphorisierung überlieferter theologischer Begriffe interpretieren, die mit der Generierung einer neuen metatheoretischen Begriffssprache einhergeht.104 Das Verständnis christologischer Bezeichnungen wie „Wort Gottes" als absolute Metapher setzt allerdings voraus, dass es sich bei der Bezeichnung Jesu als Wort Gottes nicht um ein zufällig gewähltes und ersetzbares Bild, sondern um ein sachlich notwendiges handelt, welches in der Einheit von Person und Werk Jesu gründet. Die Remetaphorisierung altkirchlicher christologischer Begrifflichkeit seit der Aufklärung hängt nun auch mit der Kritik und Krise vorneuzeitlicher Metaphysik zusammen. Das zeigen letztlich auch die oben untersuchten Beispiele aus der Wort-Gottes-Theologie des 20. Jahrhunderts. Wenn Karl Barth die Bezeichung Jesu als Logos mit „Rede Gottes" übersetzt und diese mit dem Handeln Gottes gleichsetzt — auch die Rede vom Handeln Gottes selbst ist ja hoch metaphorisch —, so hängt dies mit seiner Kritik an der klassischen substanzontologischen Unterscheidung zwischen dem Sein und den Eigenschaften Gottes zusammen.105

102 Siehe v.a. Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, ABG 6 (1960), 7-142; ders., Beobachtungen an Metaphern, ABG 15 (1971), 161-214. Zur Metapherntheorie Blumenbergs vgl. auch Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, HUTh 39, Tübingen 2000. 103 Vgl. dazu ausführlich Körtner, Theologie des Wortes Gottes, 135ff. 104 Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Jan Röhls. 105 Vgl. dazu Ulrich H.J. Körtner, Der verborgene Gott. Zur Gotteslehre, Neukirchen-Vluyn 2000,117-141.

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Der Gewinn einer metaphorischen Christologie, so meine These, besteht unter anderem in der theologischen Neuformulierung ontologischer Probleme. Die nachfolgenden Überlegungen zu „Wort Gottes" als christologischer Grundmetapher setzen nochmals beim johanneischen Gedanken der Inkarnation des göttlichen Logos ein. Die Inkarnation Gottes ist nicht etwa nur im engeren Sinne das Thema der Christologie, sondern ein Grundthema der Theologie überhaupt und somit auch jeder Lehre vom Wort Gottes. Von Friedrich Christoph Oetinger stammt der tiefsinnige Satz: „Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes."106 Leiblichkeit ist ein Wesensmerkmal auch des Wortes Gottes. Gottes Wort ist „leibliches Wort".107 Diese Feststellung gilt nicht etwa nur für die Christologie und die Bezeichnung Jesu als Wort Gottes. Jedes Menschenwort wird leiblich vermittelt und somit auch jedes Wort Gottes, das als Menschenwort an uns gerichtet wird. Dem ist nicht nur deshalb so, weil jedes Reden von Gott sinnliche Vorstellungsgehalte hat und auf die Mittel metaphorischer Sprache angewiesen ist, sondern schlicht auch deswegen, weil jede Wortvermittlung sich sinnlich, nämlich akustisch im Hören oder visuell beim Lesen vollzieht und dazu an physikalische Medien (Schall- oder Lichtwellen) gebunden ist. Wenngleich Worte ihrem Inhalt nach geistige Entitäten sind, so können sie stets nur sinnlich, also physisch in Erscheinung treten. Wie aber lässt sich nun die absolute Metapher von Jesus als dem Wort Gottes theologisch sinnvoll verwenden? Negativ besagt sie zunächst, dass Jesus von Nazareth nicht nur der Verkündiger oder das Medium des göttlichen Wortes war, so wie dies von den alttestamentlichen Propheten gilt, bei denen grundsätzlich zwischen ihrer Gottesrede und ihrer Person unterschieden werden kann und muss. Allerdings haben auch die Propheten Gottes Wort nicht nur verbal verkündigt. In ihren Zeichenhandlungen wurde vielmehr auch ihr Tun zu einer Weise des göttlichen Redens. Denn prophetisches Wort und prophetische Zeichenhandlung gehören untrennbar zusammen und bilden einen einheitlichen performativen Sprechakt. Dennoch bleibt die Unterscheidung von Person und Werk selbst bei jenen Propheten gültig, die wie Ezechiel in extremer Weise Zeichenhandlungen vollzogen haben. Und nicht einmal von dem Gottesknecht bei Deuterojesaja wird behauptet, dass er, wiewohl sein Schicksal geradezu christologische Züge trägt108, das Wort Gottes ist. Genau diese Aussage über Jesus von Nazareth liegt aber im Gefälle des Neuen Testaments, auch wenn in seinen Schriften noch keine offenbarungstheologi106 Friedrich Christoph Oetinger, Biblisches und Emblematisches Wörterbuch, Repr. der Ausg. v. 1776, Hildesheim 1969, Art. Leib, soma, 407. 107 CA V (BSLK 58,12f.). Vgl. auch Oswald Bayer, Leibliches Wort. Reformation und Neuzeit im Konflikt, Tübingen 1992. 108 Vgl. Jes 52,13-53,12.

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sehe Lehre vom Wort Gottes als Medium der Selbsterschließung Gottes entwickelt wird. Insofern lässt sich die Formel Gerhard Ebelings, Jesus von Nazareth sei Gottes Wort in Person, theologisch durchaus rechtfertigen. Wohl lässt sich unterscheiden und muss unterschieden werden zwischen dem Wort Jesu und Jesus als Wort, zwischen dem Wort des irdischen Jesus und Worten frühchristlicher Propheten, welche als prophetische Worte des erhöhten Kyrios formuliert sind.109 Theologisch entscheidend ist aber, dass zwischen Person und Werk, zwischen Person und Wort, im Fall Jesu nicht unterschieden werden kann, sofern er als der Christus geglaubt und bekannt wird. Anstelle der problematischen dogmatischen Unterscheidung zwischen Person und Werk Christi, zwischen Christologie im engeren Sinne und Soteriologie ist eigentlich — wie schon Martin Kähler ausgeführt hat — eine kohärente „Soterologie" zu formulieren.110 Das bedeutet, dass die Person Jesu Christi nicht im Horizont einer vom Werk Christi isolierten, in metaphysischen Kategorien denkenden Zwei-Naturen-Lehre, sondern durch ihr geschichtliches Werk, das Werk der Versöhnung, zu interpretieren ist.111 „Persona" heißt: Durch dieses Medium ertönt ein Wort. Wird Jesus als der Christus Gottes bekannt, so ist die Person das Wort Gottes selbst. Und eben durch diese Deutung bekommt auch der Christustitel seine gegenüber dem Judentum spezifische Bedeutung, die es erfordert, zwischen Christologie und Messianologie zu unterscheiden.112 Wenn aber zwischen Person und Wort im Falle Christi nicht getrennt werden kann, so auch nicht zwischen dem Wort und dessen Inhalt. Das Wort ist dann vielmehr die bezeichnete Sache selbst. Es kann dann also nicht zur Entfaltung der Christologie eine Sprachtheorie herangezogen werden, welche Worte als Abbilder einer von ihnen unabhängigen Realität, nämlich von Gegenständen, deutet. Bild und Gegenstand lassen sich im Fall der Christologie gerade nicht trennen. In der Sprache der Semiotik ausgedrückt ist das Zeichen die Sache selbst. Was aber ist nun im Fall des mit Jesus von Nazareth identifizierten Wortes Gottes das Zeichen? Wir sagten, es ist die Person. Doch darf der Personbegriff nicht substanzontologisch gebraucht werden, als ob es sich bei der durch das Zeichen bezeichneten Sache um eine in sich abgeschlossene und ruhende Entität handelte. Es ist das Ungenügen der altkirchlichen Christologie und der ihr 109 Zum Wort des irdischen Jesus vgl. Ebeling, Dogmatik II, 409ff. (§ 22). Als Beispiel frühchristlicher Prophetie siehe 1 Thess 4,15ff. VgJ. dazu auch oben Anm. 10. 110 Kähler verwendet den Begriff einer Soterologie erstmals in: Martin Kähler, Die apostolischen Lehrbegriffe (1865), S.28f.34f.37.39 (Naumbutger Nachlass C Ib, 8). Siehe dazu ausführlich Hans-Geotg Link, Geschichte Jesu und Bild Christi. Die Entwicklung der Christologie Martin Kählers, Neukirchen-Vluyn 1975, 295f£, hier 301. 111 Vgl. Martin Kähler, Zur Lehre von der Versöhnung (Dogmatische Zeitfragen. Alte und neue Ausführungen zur Wissenschaft der christlichen Lehre, 2. Heft), 1898, 61 mit Anm.l. 112 VgJ. Jürgen Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/New York 1996,234ff.

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folgenden dogmatischen Tradition, die Person Christi in substanzontologischen Kategorien zu denken bzw. die Person Christi - wobei der Personbegriff in der Alten Kirche ein anderer als der heutige ist!113 - in ihrem An-sich-Sein oder Fürsich-Sein zu beschreiben. Es muss aber die Person Jesu einerseits relational in ihrem Für-uns-Sein und Mit-uns-Sein bedacht werden. Und andererseits umspannt der Begriff der Person ja nicht nur die leiblich-geistige Einheit des Menschen Jesus von Nazareth, sondern sein ganzes Leben, seine Lebensgeschichte und seinen Lebensweg.114 Es ist eben das Leben Jesu in seiner Gesamtheit, sein Reden und Handeln, aber eben auch und in ganz hervorgehobener Weise sein Leben und Sterben, sowie seine jede empirisch überprüfbare Historie übersteigende Auferweckung von den Toten, welches als Wort Gottes begriffen werden will. Dass Jesus von Nazareth Gottes Wort in Person ist, bedeutet, dass sein Leben insgesamt als Anrede Gottes an uns Menschen zu verstehen ist. Person und Leben Jesu sind in ihrer untrennbaren Einheit der performative Zuspruch Gottes, der sich in dem einen Satz zusammenfassen lässt: „Deine Sünden sind dir vergeben" (Mk 2,5). Als Anrede Gottes gedeutet ist das Leben Jesu promissio, performatives Verheißungswort in Person. Die Bezeichnung Jesu als Wort Gottes benennt die Erfahrung des Angesprochenseins von Gott in Jesus.115 Wohlgemerkt handelt es sich nicht nur um den Sachverhalt, dass sich Menschen überhaupt in irgendeiner Weise von der Person Jesu angesprochen fühlen, sondern dass sie sich in seiner Person von Gott angesprochen wissen. Das Angesprochensein von Gott in Jesus ist dogmatisch als Offenbarung zu bestimmen, worunter hier das Durchsichtigwerden der Existenz dessen, der sich durch die Person Jesu angesprochen weiß, verstanden werden soll. Es „geschieht unbehindert durch die zeitliche Distanz auf vielfaltige Weise: durch ein einzelnes Jesuswort, durch eine erzählte Situation, die sein Verhalten darstellt, durch den Gesamteindruck seiner Person, durch seinen bloßen Namen, der in schwer nachrechenbarer Weise Assoziationen seiner Erscheinung in sich aufgenommen hat, durch das wortlose Zeichen des Kreuzes oder durch den breiten Strom der Christusverkündigung, der dem Glauben gemäß ausbreitet, was in Jesus geschehen und in seinem Namen und seinem Geist zu sagen ist, oder aber auch in Verbindung damit durch das Lebenszeugnis der Glaubenden."116 1 1 3 Zur Begriffsgeschichte des Personbegriffs siehe ausfuhrlich Michael Murrmann-Kahl, „Mysterium Trinitatis"? Fallstudien zur Trinitätslehre in der evangelischen Dogmatik des 20. Jahrhunderts, TBT 79, Berlin/New York 1997, 241ff. und die dort genannte Literatur. 114 Siehe dazu ausführlich Ulrich H.J. Körtner, Historischer Jesus - geschichtlicher Christus. Zum Ansatz einer rezeptionsästhetischen Christologie, in: Klaas Huizing/Ulrich H.J. Körtner/Peter Müller, Lesen und Leben. Drei Essays zur Grundlegung einer Lesetheologie, Bielefeld 1997,99-135. 1 1 5 Vgl. Ebeling, Dogmatik II, 513f£ 116 Ebeling, Dogmatik II, 514f.

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Meint die Bezeichnung Jesu als Wort Gottes das Angesprochensein von Menschen durch Gott in der Begegnung mit der Christusbotschaft, so liegt auf der Hand, dass der Wortbegriff hier metaphorisch gebraucht wird. Darauf hat, wie oben gezeigt, vor allem Emil Brunner hingewiesen, der meinte, die Bezeichnung Jesu als „eigentliches Wort Gottes" bringe gleichnishaft zum Ausdruck, dass mir die Person Jesu „etwas sage", so wie ein Gedicht oder die Musik Bachs.117 Wenn von Jesus mit einer absoluten Metapher als Wort Gottes gesprochen wird, ist freilich das Verhältnis dieses metaphorischen Wortes zu buchstäblicher Rede im Namen Gottes zu klären. Emil Brunner erklärt: „Das Wort, das in menschlicher Sprache Geformte, ist jetzt nur noch in indirektem Sinne Offenbarung; es ist Offenbarung als Zeugnis von Ihm."118 Auch Karl Barth setzt das menschliche Wort von Gott in mündlicher Rede oder in schriftlicher Form als Zeugnis vom bezeugten Wort Gottes selbst ab.119 Ähnlich unterscheidet auch Wolfhart Pannenberg zwischen äußerem, menschlichem Wort und der eigentlichen Offenbarung Gottes.120 Ob nun die Person Jesu oder aber, wie bei Pannenberg, die Geschichte in ihrer Totalität als Offenbarung Gottes verstanden wird, so wird doch in beiden Fällen das Wort im univoken Sinne von der Offenbarung Gottes unterschieden, auch wenn betont wird, dass Gottes Offenbarung nur durch ihre Bezeugung in menschlicher Sprache zugänglich ist. Die menschliche Rede von der Offenbarung ist dann nur Deutung von Geschichte oder aber die Vermittlung von Offenbarung, nicht aber selbst das Ereignis von Offenbarung. So vermag insbesondere Pannenberg das Wort Gottes gar nicht als promissio zu denken. Bezeichnenderweise setzt er den Begriff der Verheißung mit demjenigen der Vorhersage gleich121 und bestimmt das Kerygma lediglich als Bericht über Gottes Offenbarung in der Geschichte bzw. im Geschick Jesu von Nazareth. Es hat aber das Menschenwort, welches im Namen Jesu gesprochen wird, nicht etwa nur die Form eines Berichtes, sondern — jedenfalls sofern es Evangelium genannt wird — die Struktur der promissio. Und es ist nun von Bedeutung, dass dasjenige Menschenwort, welches Jesus von Nazareth als das Wort Gottes bezeugt, seinerseits dieselbe Struktur aufweist wie die bezeugte Offenbarung. Eben darum, weil das Angeredetsein von Gott in Jesus von Nazareth strukturell dem performativen Zuspruch der Gnade Gottes im Namen Jesu durch menschliche Worte entspricht, ist es sachgemäß, Jesus von Nazareth mit einer absoluten Metapher als Wort Gottes zu bezeichnen, wie umgekehrt alle in ihrer Struktur diesem Offenbarungsgeschehen entsprechende menschliche Rede aus demsel117 118 119 120

Vgl. Biunner, Dogmatik I, 32. Brunner, Dogmatik I, 32. Barth, K D 1/1, § 4 (89-128). Vgl. Wolfhart Pannenberg, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung, in: ders. (Hg.), Offenbarung als Geschichte, Göttingen 5. Aufl. 1982,91-114, hier 112ff. (These 7). 121 Pannenberg, Dogmatische Thesen, 112.

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ben Grund als Wort Gottes zu bezeichnen ist. Diejenige menschliche Rede, welche dem Sprachgebrauch der prophetischen Tradition Israels folgend als Wort Gottes bezeichnet wird, ist also nicht nur ein Interpretament göttlicher Offenbarung oder ein Moment der Offenbarungsgeschichte, deren Ereignisse im übrigen „ihre eigene Sprache reden" würden122, sondern sie ist ein performativer Sprechakt, der seinerseits als Offenbarungsgeschehen zu bestimmen ist.123 Mit einem Begriff Paul Tillichs können wir vom Wortgeschehen der Verkündigung Christi sagen, dass es sich um eine abhängige Offenbarung handelt, wogegen Jesus als Wort Gottes in Person die letztgültige und originale Offenbarung Gottes ist.124 Während Tillich aber eine Vielzahl originaler Offenbarungen annimmt und die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth als letztgültige Offenbarung bezeichnet, sollte man von Jesus von Nazareth besser in einem ausgezeichneten Sinne als der originalen Offenbarung sprechen, insofern nämlich, als er unbeschadet seines nicht am Beginn der Religionsgeschichte stehenden historischen Auftretens die Uroffenbarung Gottes ist. Wir gebrauchen an dieser Stelle einen Begriff von Paul Althaus, den dieser allerdings gerade nicht in der Christologie, sondern im Rahmen der Schöpfungslehre verwendet hat.125 Während Althaus unter Uroffenbarung Gottes revelado generalis versteht, wollen wir den Begriff auf die revelatio specialis anwenden. Wiewohl historisch sekundär, ist die Offenbarung Gottes in Christus, logisch betrachtet, der Ursprung aller Offenbarung und der Grund jeder Rede von Gott bzw. im Namen Gottes. Dies muss gesagt werden, wenn die christliche Behauptung wahr ist, dass das Geschick Jesu universale Heilsbedeutung hat, und zwar derart, dass es das Durchsichtigwerden der Existenz eines jeden Menschen ist, der je gelebt hat oder leben wird. Gottes Wort in Person bedarf freilich der Vermittlung und ist auch nur in Vermittlungen präsent. Erst durch seine Vermittlung wird das Geschick Jesu zur aktuellen und den Einzelnen anredenden Offenbarung. So ist das im Namen Jesu gesprochene Menschenwort, die Verkündigung Jesu als Wort Gottes in Person nicht nur Zeugnis desselben, sondern seine vermittelte Gestalt. Da eine geschichtliche Person Gottes Wort ist, ist dieses Wort nicht mehr unmittelbar präsent. Folglich gibt es kein unmittelbares Gottesverhältnis und kein unmittelbares religiöses Bewusstsein. Wohl wird mit dem Bekenntnis zur Auferweckung des Gekreuzigten gesagt, dass Jesus keine Größe einer abgeschlossenen Vergangenheit, sondern gegenwärtig ist. Aber gegenwärtig ist er nur in seinen sprachlichen Vermittlungen bzw. in den mit diesen verbundenen nonver122 123 124 125 126

Ebd. Anders Pannenberg, Dogmatische Thesen, 113f. VgJ. Paul Tillich, Systematische Theologie, Bd. I, Stuttgart 5. Aufl. 1977,151ff.l58ff. Vgl. Paul Althaus, Grundriss der Dogmatil·, Beriin 1952,18ff. Die Genitiwerbindung ist als gen. subi, wie als gen. obi. zu verstehen!

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balen Vermittlungsformen. In ihnen ist Christus ganz präsent, ohne dass irgendeine seiner sprachlichen Vermittlungen mit ihm selbst identifiziert werden dürfte. So begegnet uns Gottes Wort in Person stets nur als Wort des Glaubens. In seinen Vermittlungen aber setzt sich die Leiblichkeit des persongewordenen Gotteswortes fort. Das „Wort des Glaubens" - es handelt sich bei dieser Wortverbindung um einen Genitivus obiectivus wie um einen Genitivus subiectivus! — wird verkündigt in der und durch die Gemeinschaft der Glaubenden, welche im Neuen Testament auch mit der Metapher des Leibes Christi bezeichnet wird.127 Das Wort des Glaubens ist eingebunden in die Lebens- und Tatgemeinschaft der Glaubenden. Den Sprachformen des Glaubens korrespondieren Lebensformen, ja, sie sind die Grammatik einer Lebensform. Wie Person, Leben und Wort Jesu eine Einheit bilden, so bilden auch das Wort des Glaubens und die nonverbale Präsenz Christi in der Gemeinschaft der Glaubenden einen inneren Zusammenhang. Daher mündet die Lehre vom Wort Gottes notwendigerweise in die Ekklesiologie.128 Doch muss zwischen Kirche und Christus, zwischen Gottes Wort in Person und seiner Vermittlung durch das Wort der Glaubenden unterschieden werden. Andernfalls bliebe das Wirken Gottes auf das menschliche Gottesbewusstsein beschränkt.129 Demgegenüber kommt es einer metaphorischen Christologie, wie sie hier skizziert wurde, nicht nur auf die Uberwindung subjektivitäts- und reflexionstheologischer Verengungen, sondern auch auf die Somatisierung einer Theologie des Wortes Gottes an.

127 Vgl. 1 Kor 12,12ff.; Rom 12,4ff. Zum Bild des Leibes Christi bei Paulus siehe Andreas Lindemann, Die Kirche als Leib. Beobachtungen zur „demokratischen" Ekklesiologie bei Paulus, ZThK 92 (1995), 140-165; Helmut Meiklein, Entstehung und Gehalt des paulinischen Leib-Christi-Gedankens, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 319-344; Thomas Söding, „Ihr aber seid Christi Leib" (1 Kor 12,27). Exegetische Beobachtungen an einem zentralen Motiv paulinischer Ekklesiologie, Cath 45 (1991), 135-162. 128 Siehe dazu Ulrich H.J. Körtner, Die Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Zur Lehre vom Heiligen Geist und der Kirche, Neukirchen-Vluyn 1999. 129 Vg}. auch Ebeling, Dogmatik II, 512.

Jörg Lauster Biblische Bildersprache, christologische Metaphern und ihr historischer Erfahrungsgrund

Die biblischen Schriften reden zu weiten Teilen in Bildern. Das gilt auch und gerade für die grundlegenden Erzählungen, Bekenntnisse und theologischen Ausführungen zur Person Jesu Christi. Die Christologie des Neuen Testaments zieht — was es ja schon schwierig macht, überhaupt von Christologie im Sinne einer begrifflichen Entfaltung zu sprechen - ganz offensichtlich die Bildersprache vor. Diese grundsätzliche Feststellung ist erstens nicht neu und zweitens kaum strittig. Das stark gestiegene Interesse, welches dem Phänomen der bildersprachlichen Kommunikation gegenwärtig von den verschiedenen Disziplinen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften entgegengebracht wird, ist daher auch für die Theologie zweifelsohne ein Gewinn. Das lässt sich insbesondere an den sprach- und literaturwissenschaftlichen Überlegungen zu Struktur und Funktionsweise der Bildersprache aufzeigen.1 In systematisch-theologischer Perspektive kristallisiert sich dabei eine grundlegende Ambivalenz der biblischen Bildersprachlichkeit heraus. Auf der einen Seite steht die große Vermittlungs- und Erschließungskraft der Bilder, die der rein begrifflichen Rede in dieser Hinsicht offensichtlich überlegen ist. Doch hat das seinen Preis. Bilder operieren im Gegensatz zur begrifflichen Rede mit einer Unschärfe, die mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulässt. Das wird spätestens dann zum Problem, wenn sich die jeweiligen Interpretationen gegenseitig aufheben. Klassische Vertreter der Moderne haben jedenfalls aus diesem Grund die Vielfalt der biblischen Vorstellungswelt und ihrer möglichen Auslegungen mit beträchtlicher Zurückhaltung beurteilt. Lessing konnte die Heilige Schrift als eine „wächserne Nase" 2 bezeichnen, die sich jeder nach Gutdünken gestaltet. Hegel nahm diese Kritik auf und verstärkte sie zum Vorwurf der Beliebigkeit: 1 2

Vgl. dazu exemplarisch den Sammelband von Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, München 2000. Gotthold Ephraim Lessing, Eine Dublik, in: ders., Sämtliche Werke, hg. von Karl Lachmann u. Franz Muncker, Band 13, Berlin/New York 1979,19-90, 62.

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Jörg Lauster

„Aus der Schrift sind daher die entgegengesetzten Meinungen exegetisch durch die Theologie bewiesen, und so ist diese sogenannte Heilige Schrift zu einer wächsernen Nase gemacht worden. Alle Ketzereien haben sich gemeinsam mit der Kirche auf die Schrift berufen" 3 . In einem markanten Diktum kann Hegel dann sogar festhalten: „Auch der Teufel zitiert die Bibel; aber das macht eben noch nicht den Theologen" 4 . Der starken affektiven und kognitiven Erschließungskraft biblischer Bildersprache steht damit offensichtlich das dringliche Verlangen nach einer Kriteriologie zur Seite, die es erlaubt, die Bildersprache in ein Maß an Bestimmbarkeit zu überfuhren, das ihre Verbindlichkeit sicherstellt. Die Bildersprache der Bibel drängt nach Auslegung. Ein zweiter schwerwiegender Vorbehalt hängt mit diesem Verdikt zusammen und zielt gleichsam auf die ontologischen Gründe dieser möglichen Beliebigkeit. Aus der emphatischen Betonung der Bildersprache der Bibel ließ und lässt sich die Folgerung ziehen, es handle sich dabei eben nur um Bilder. Man mag die dabei zugrunde liegende Entgegensetzung von Fiktion und Realität für naiv halten, die Tragweite des Arguments ist dennoch beträchdich. Sie zielt auf den ontologischen Status der Bildersprache, und daran hängt eine Reihe von Geltungsfragen, die letztlich in die Frage nach der Wahrheit der Bilder einmünden. Seit der Antike ist diese Fragestellung insbesondere in der Diskussion um die Metapher verhandelt und mit einer enormen Bandbreite von Lösungsversuchen erörtert worden, die von metaphysischen Relationen über pragmatischsemiotische Ansätze bis hin zur sprachphilosophischen Kritik der Metapher reichen. Ein zentrales Anliegen der Theologie sollte es m. E. in der Auseinandersetzung mit dieser Vielfalt von Begründungsansätzen sein, - um damit die These der folgenden Überlegungen vorwegzunehmen — den historischen Haftpunkt als entscheidendes Kriterium der für das Christentum prägenden Metaphorik im Bereich der Christologie festzuhalten. Denn die Geltungskraft der christologischen Metaphern nimmt ihren Ausgang in einem geschichtlichen Grund, der den Wirklichkeitsbezug der Bilder herstellt. Nun ist freilich diese Rede von einem historischen Grund der christologischen Metaphern erklärungsbedürftig. Das soll im Folgenden unter Rückgriff auf das Konzept der religiösen Erfahrung entfaltet werden.

3 4

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion I. Werke in 20 Bänden. Werke 16, Frankfurt 1986,37. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II. Werke in 20 Bänden. Werke 17, Frankfort 1986,199.

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1. Der geschichtliche Grund und die religiöse Erfahrung Dass die neutestamentlichen Schriften einen historischen Bezugspunkt haben, der an die Person Jesu Christi gebunden ist, gilt in dieser allgemeinen Fassung als Konsens innerhalb der protestantischen Theologie. Die Texte beziehen sich auf konkrete Ereignisse und bringen diese zur Darstellung. Es gibt zwischen Jesus und Christus einen inneren, unaufhebbaren Zusammenhang. In diesem Sinne sind die Metaphern und Bilder, mit denen die neutestamentlichen Autoren die Person Jesu zu beschreiben versuchen, selbst Teil der Wirkungsgeschichte seiner Person. Doch spätestens dann, wenn es darum geht, wie dieser innere Zusammenhang zu beschreiben ist, endet der Konsens. An zwei entgegengesetzten Lösungsversuchen lässt sich das deutlich machen. Auf der einen Seite steht der groß angelegte Versuch, den geschichtlichen Erfahrungsgrund durch die Erfahrungsverarbeitung in den biblischen Texten hindurch mit den Mitteln historisch-kritischer Textauslegung zu erschließen. Die große Zeit dieses Versuchs ist die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts, und mit ihr verbunden ist der Aufstieg der historischen Kritik. Es kam zur Ausbildung von Methodenschritten, die es ermöglichten, den Text, seine Entstehung und seine Uberlieferung im Kontext seiner Zeit zu verstehen. Dieser produktionsästhetische Zugang geschah nicht als Selbstzweck, sondern diente dem Hauptziel, durch die historische Arbeit aus den Texten das zugrunde liegende religiöse Erlebnis herauszudestillieren. Aus nahe liegenden Gründen spielt dabei die Person Jesu eine besondere Rolle. Das Projekt der Leben-Jesu-Forschung veranschaulicht in eindrücklicher Weise die Absicht, Jesu Leben historisch greifbar zu machen. In systematisch-theologischer Perspektive hat Richard Rothe am deutlichsten das offenbarungstheologische Grundkonzept formuliert. Das Neue Testament bezeichnet er „wenigstens in seinen Hauptschriften, annäherungsweise [als] das Lichtbild, welches der historische Christus selbst unmittelbar, d. h. ohne den Dazwischentritt einer bedeutenden menschlichen Reflexion, in das Bewusstsein seiner empfanglichen Umgebung reflectiert hat" 5 . Mit Blick auf die Evangelien kann Rothe sogar von der „Photographie des Erlösers"6 sprechen. Erfahrungseindruck und Erfahrungsausdruck stehen in einem unmittelbaren Verhältnis. Das zugrunde liegende Erlebnis reguliert im Bewusstsein der Empfänger die sprachliche Artikulation als getreue Wiedergabe des Erlebten. Hinsichtlich der Konzeption der religiösen Erfahrung steht dahinter

5

6

Richard Rothe, Heilige Schrift, in: ders., Zur Dogmatil·. Von Neuem durchgesehener und durchgängig vermehrter Abdruck aus den Theol. Studien und Kritiken, Gotha 1863, 305307. Richard Rothe, Heilige Schrift, 307.

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ein „Erlebnispositivismus"7, der dazu fuhrt, das Partizipationsverhältnis zwischen Erfahrungsgrund und Erfahrungsausdruck als Urbild-Abbild-Relation zu beschreiben. Eben daraus erhalten die biblischen Aussagen der Evangelien über Jesus ihre Geltungskraft. Das Phänomen der Bildersprache tritt damit allerdings in den Hintergrund. Die biblischen Bilder sind bestenfalls als sekundäre Ausschmückungen zu verstehen, die für die abbildgetreue Rekonstruktion des Eindrucks, den Jesus hinterließ, eher zweitrangig sind. Metapherntheoretisch kommt den Bildern eine rhetorische oder bestenfalls substituierende Funktion zu. Die Ergebnisse der historischen Kritik haben ein Verständnis der biblischen Texte im Sinne dieses getreuen Abbildcharakters weitgehend destruiert. Zwischen tatsächlicher und dargestellter Geschichte traten unübersehbare Differenzen zu Tage, und vor allem gelangte man zu der Einsicht, dass der Kern der religiösen Ursprungserfahrung nicht mehr aus den Texten herauszuschälen war. Die Texte stellen keine Abbilder, sondern jeweils schon konstruktive Deutungen des Geschehens dar. Aus dieser zentralen Einsicht zog David Friedrich Strauß die Konsequenz, dass die subjektive Erlebnisverarbeitung das produktive und konstruktive Prinzip der Evangelienabfassung darstellt. Die Bilder sind demnach keine getreuen Abbilder mehr, sondern selbst schon Ausdrucksformen einer subjektiven Deutung der Erlebnisse. In der Darstellung Strauß' rücken sie damit allerdings in die Nähe des Mythos und erhalten eine eingeschränkte Wirklichkeitskompetenz. Die ersten Versuche, das Phänomen der biblischen Bildersprache mit den produktionsästhetischen Methoden der historischen Kritik zu erfassen, enden gewissermaßen in einem Desaster. Bilder scheinen in dieser Perspektive den historischen Grund des Christentums offensichtlich mehr zu verdunkeln als zu erhellen. Von daher ist es nicht überraschend, dass in der Verhältnisbestimmung zwischen der Bildersprache, der Schrift und ihrem Wirklichkeitsbezug Wege beschritten werden, die von produktionsästhetischen und damit historisch erschließbaren Gesichtspunkten absehen. Die menschliche Darstellung des göttlichen Offenbarungshandelns, wie sie sich in den biblischen Schriften findet, wird selbst in das Offenbarungsgeschehen hineingenommen, jetzt aber nicht als historisches Abbild, sondern als die unverfugbare Selbstdurchsetzung des Wortes Gottes in den Bibelworten. Wegweisend ist hier Martin Kähler, der im Kontext der Bibeltheologie produktiv an die Einsicht anknüpft, dass es sich bei den biblischen Schriften nicht um fotografische Abbilder, sondern um Bekenntnisaussagen handelt, um Bilder also, die jeweils schon das subjektive Betroffensein der Uberlieferungsträger verkündigen. Kähler arbeitet noch mit zwei Be7

Matthias Jung, Erfahrung und Religion. Grundzüge einer hermeneutisch-pragmatischen Religionsphilosophie, Alber Thesen Philosophie 2, Freiburg/München 1999, 306.

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lichtungsquellen: Zu der Verankerung am geschichtlichen Offenbarungsgrund tritt Gottes freies Offenbarungshandeln durch das Wort Gottes in der Schrift hinzu. Im Kerygma setzt sich dann das ursprüngliche Offenbarungsereignis durch. Seine wirkmächtigste Ausgestaltung findet dieser Ansatz schließlich in der Wort-Gottes-Theologie Karl Barths. Über den Zeugnisbegriff knüpft Barth die Bibeltexte an die Christusoffenbarung, die sich historisch zwar ein für allemal in Christus ereignet hat, sich aber gleichwohl durch das daraus abgeleitete Zeugnis wieder ereignen kann. Dabei kappt Barth die Verbindungslinien zu einer erfahrungstheologischen Beschreibung der biblischen Schriften, um die Souveränität des göttlichen Handelns und die freie Selbstdurchsetzung seines Wortes zu garantieren. Die Geltungskraft der biblischen Bildersprache verdankt sich damit selbst einem Offenbarungshandeln Gottes. Die Aporien, in welche die historische Kritik die biblische Bildersprache gestürzt hat, sind damit vermieden. Das ist ideengeschichtlich sicher ein Grund für den außerordentlichen Erfolg der Wort-Gottes-Theologie im 20. Jahrhundert, doch ist der Preis, der dafür zu entrichten ist, hoch. Mit dem Insistieren auf der unverfügbaren Selbstdurchsetzung des Gotteswortes in den biblischen Sprachbildern lässt sich kein Weg finden, dieses Geschehen über die subjektive Evidenz hinaus auch für diejenigen, denen dieses Ereignis nicht oder nicht in dieser unmittelbaren Evidenz widerfährt, wenigstens nachvollziehbar und plausibel zu machen. Der Wirklichkeitsbezug der biblischen Bilder erweist sich in der unmittelbaren Evidenz des Glaubens oder überhaupt nicht Die Schwierigkeiten, in welche die Auffassung vom historisch getreuen Abbildcharakter der biblischen Texte auf der einen und das Konzept einer übernatürlichen göttlichen Selbstdurchsetzung im biblischen Bild auf der anderen Seite geraten, sind im wesentlichen durch ein bestimmtes Konzept der religiösen Erfahrung verursacht, das sich zunächst historisch als nicht haltbar erwies und darum offenbarungstheologisch in der Wort-Gottes-Theologie einseitig auszuhebeln versucht wurde. Blickt man auf die neuere Diskussion zum Begriff der religiösen Erfahrung 8 , so lassen sich diese beiden Alternativen vermeiden. Zunächst ist freilich festzuhalten, dass als kleinster gemeinsamer Ansatz beider Wege die inhaltliche Qualifizierung der biblischen Texte und damit auch der Bildersprache fungiert. Deren gemeinsamer Bezugspunkt ist die Schilderung und Beschreibung von etwas, was die Autoren und Tradenten als Transzendenzeinbruch in die menschliche Lebenswirklichkeit erlebt haben. Sie bezeichnen dieses Geschehen als götdiches Offenbarungshandeln. Die biblischen Texte sind damit die verarbeitende Ausdrucksgestalt von Transzendenzerfahrungen, die in der Person Jesu Christi ihren Höhepunkt finden. An der entscheidenden Nahtstelle, die den Ubergang zur Ausdrucksgestalt bezeichnet, spricht nun eine 8

Vgl. dazu grundlegend Matthias Jung, Erfahrung und Religion.

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Reihe von religionsphilosophischen, literatur- und geschichtswissenschaftlichen Gründen dafür, dass es so etwas wie einen reinen unmittelbaren Erfahrungseindruck, der dann im Erfahrungsausdruck seinen ebenso unmittelbaren und getreuen Niederschlag findet, nicht gibt9. Individuelles Erleben kann nur mit Hilfe kulturell geprägter Ausdrucksformen artikuliert und damit zur Erfahrung werden. Dabei gilt, dass die vorliegenden kulturellen Deutungsangebote ihrerseits „Sedimente früherer Artikulationsleistungen"10 sind. Daraus ergibt sich in Abwandlung des berühmten Kant-Worts die hermeneutische Regel: „Symbole ohne Erfahrung sind blind, Erfahrung ohne Symbole sind leer"11. Die Unterscheidung in ein primäres Erlebnis und eine sekundäre Interpretation ist damit hinfallig, jedes Erlebnis wird immer schon interpretierend erlebt. Zum Faktum kann nicht einfach die Deutung addiert werden, die dann auf der Suche nach dem Faktum wieder abge2ogen werden könnte. Erfahrung ist gerade die ineinander verwobene Einheit von Erlebnis und Interpretation, die Synthesis von Faktum und Deutung12. Das gilt auch für die biblischen Schriften. Sie sind nicht die zu den Fakten der Offenbarungsereignisse hinzutretenden religiösen Deutungen, deren historische Zuverlässigkeit dann kritisch untersucht werden könnte, sondern in ihnen verdichten sich unmittelbares Erleben und dessen Interpretation mit kulturell vorgegebenen Deutungsmustern zur Artikulation und Ausdrucksgestalt religiöser Erfahrung. Das deckt sich wiederum mit literatur- und kulturwissenschaftlichen Beobachtungen. In produktionsästhetischer Perspektive, also mit Blick auf die Entstehung, zeigt sich, dass Texte selbst als bestimmte Reaktionen auf die Wirklichkeit, nicht aber als deren Abbild zu begreifen sind. Einen absoluten Gegensatz zwischen Fiktion und Wirklichkeit gibt es daher in diesem Sinne nicht13. Denn 9

In religionsphilosophischer Hinsicht dokumentiert eindrücklich Matthias Jung die Abkehr vom Erlebnispositivismus. Gegen das Postulat einer reiner Erfahrung, die dann zum fundamentum inconcussum jeder religiösen Erfahrung gemacht werden kann, stellt Jung im Gefolge Diltheys, James' und Cassirers die Synthese von Erleben und kultureller Symbolform; vgl. Matthias Jung, Erfahrung und Religion, 262ff.; zur umfangreichen theologischen Diskussion um den Begriff der religiösen Erfahrung vgl. den luziden und kritischen Uberblick bei Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986,456-478 (hier besonders 463-469). 10 Matthias Jung, Erfahrung und Religion, 263. 1 1 Matthias Jung, Erfahrung und Religion, 264. 1 2 Zur Synthesis vgl. Falk Wagner, Was ist Religion?, 467. 13 Es ist hier beispielsweise auf Wolfgang Iser zu verweisen, der aus literaturwissenschaftlicher Perspektive darauf hinweist, dass „die Wirklichkeit der Texte [...] immer erst eine von ihnen konstituierte und damit Reaktion auf die Wirklichkeit [ist]. (Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, in: Rainer Warning, Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis, München 4. Aufl. 1994, 228-252, 232). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt unter ganz anderen Voraussetzungen Jan Assmann: „Fiktion (Mythos) gegen Realität (Geschichte) und wertbesetzte Zweckhaftigkeit (Mythos) gegen zweckfteie Objektivität (Geschichte). Beide Begriffspaare stehen seit längerem zur Verabschiedung an [...] Vergangenheit, die zur fundierenden Geschichte verfestigt und verinnedicht wird, ist Mythos, völlig unabhängig davon, ob sie fiktiv

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eine reine, sozusagen fotografische Wirklichkeitsabbildung ist im Medium der Sprache nicht möglich; jede sprachliche Artikulation stellt immer schon eine bestimmte Verarbeitung der sinnlichen Wirklichkeitswahrnehmung dar. Darin hat Ernst Cassirers Beobachtung vom metaphorischen Grundcharakter der Sprache ihre tiefe Berechtigung14. Das gilt dann in besonderer Weise für die biblischen Texte. Auch sie sind Reaktionen auf eine bestimmte Art der Wirklichkeitswahrnehmung und verarbeiten in besonderer Weise, was Menschen als Transzendenzeinbrüche in die Sphäre der Immanenz erlebt und geschildert haben. Es handelt sich also bei den neutestamentlichen Texten um symbolische Ausdrucksformen religiöser Erlebnisse - nichts anderes ist ja das Widerfahrnis des Transzendenzeinbruchs —, für die das Christusereignis in der Person Jesu als perspektivischer Fluchtpunkt fungiert. In seiner Person gewinnt das konkrete Gestalt, was die biblischen Schriften als Transzendenzeinbruch beschreiben. Die Texte haben damit trotz ihres kerygmatischen Charakters einen historischen Haftpunkt, den man nicht kappen kann, ohne damit zugleich auch ihre Ausdrucksleistung zu entstellen. Auch wenn die textliche Ausdrucksgestalt kein fotografisches Abbild ist, so ist es im Falle der biblischen Texte doch ein historisches Ereignis, auf das sich ihre fiktionale Verarbeitungsleistung bezieht. Sie sind eben nicht nur fromme Deutungen. Ebenso wie es einen von getreuen Abbildern ausgehenden Erlebnisfundamentalismus zu vermeiden gilt, ebenso sollte auch der konstruktive Aspekt der Ausdrucksleistung nicht symbolfundamentalistisch missverstanden werden.

2. Religiöse Erfahrung und biblische Bildersprache Es lässt sich an dieser Stelle deutlich machen, dass es in den gegenwärtigen Diskussionen um die religiöse Erfahrung einerseits und das Phänomen der biblischen Bildersprache und dabei insbesondere der Metapher andererseits bemerkenswerte Berührungspunkte gibt. Wird die Bildersprache grundsätzlich als ein

oder faktisch ist" (Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift. Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 2. Aufl. 1997, 75f.). 14 Vgl. Enno Rudolph, Metapher, Symbol, Begriff. Anregungen zu einem möglichen Dialog zwischen Hans Blumenberg und Emst Cassirer, in: Ruben Zimmermann (Hg), Bildersprache verstehen, 77-89, 83f. Allerdings sollte diese zentrale Einsicht nicht in eine Metapherneuphorie ausarten, welche die sprachpragmatisch berechtigte Unterscheidung in buchstäbliche und figürliche Rede einzieht vgl. dazu Martin Seel, Am Beispiel der Metapher. Zum Verhältnis von buchstäblicher und figürlicher Rede, in: ders., Sich bestimmen lassen. Studien zur theoretischen und praktischen Philosophie, Frankfurt 2002,11-44, 31.

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„relationales Geschehen auf der Basis sinnlicher Erfahrungen" 15 verstanden, dann ist sie dem Bereich der Erfahrung verarbeitenden Ausdrucksleistungen zuzurechnen. Sie steht mit der Erfahrung, die sie ausdrückt in Korrespondenz und artikuliert doch gleichermaßen auch die bleibende Differenz zwischen Sprachbild und Erfahrungsgrund16. Gerade darin erweist sich die Metapher dann als „unvertretbare Form der Wirklichkeitsreflexion" 17 . Die biblischen Schriften spiegeln die Form einer religiösen Erfahrungsverarbeitung und -darstellung wider, die sich zu weiten Teilen notwendigerweise nicht anders als bildlich ausdrücken lässt. Dabei vermag der Blick auf die Erfahrungsstruktur die metapherntheoretische Entscheidung zwischen der Frage, ob Sprachbilder die Erfahrung vorab strukturieren oder nachgängig deuten, als Scheinalternative zu entlarven. Da zwischen Eindruck und Ausdruck in der Erfahrungsverarbeitung nicht chirurgisch geschieden werden kann, ist auch zwischen Sprachbild und Erfahrungsgrund ein reziprokes Wechselverhältnis anzunehmen. Wie andere kulturelle Ausdrucksformen auch strukturiert die Bildersprache die Erfahrung und wird doch gleichwohl im Prozess der Erfahrungsverarbeitung in neue Artikulationsgestalten transformiert18. Umgekehrt erhält auch das Erfahrungsmodell durch die Metapherntheorie wichtige Impulse, denn sie vermag eindrücklich aufzuweisen, warum bestimmte Formen der Erfahrungsartikulation in bildlicher Rede erfolgen, ja man muss wohl sagen, erfolgen müssen. In der üblichen Klassifikation lassen sich Metaphern in drei Gruppen einteilen: erstens in rhetorische Figuren, zweitens in uneigentliche Rede, die begrifflich ersetzt und aufgelöst werden kann und schließlich drittens in die Gruppe der absoluten Metaphern, die durch die Irreduzibilität ihrer Gehalte, also durch die fehlende Möglichkeit einer begrifflichen Übertragung bestimmt ist. Mit Blick auf den Metaphernbestand des Neuen Testamentes wäre es müßig, die verschiedenen Gruppen gegeneinander auszuspielen. Es dürfte unbestreitbar sein, dass die neutestamentlichen Autoren ebenso Metaphern als rhetorische Figuren einsetzen, wie sich Beispiele bildlicher Rede finden, die sich begrifflich präziser substituieren lassen. Gleichwohl fällt jedoch auf, dass insbesondere die Metaphorik der neutestamentlichen Christologie überwiegend jener dritten Gruppe zuzurechnen ist. Wenn — um nur die

15 Ruben Zimmermann, Einfuhrung: Bildersprache verstehen, in: ders. (Hrg.), Bildersprache verstehen, 13-54 (20). 16 Vgl. Zimmermann, Einführung, 34. 17 Ebd. 18 Metaphemtheoretisch ließe sich diese Wechselwirkung m. E. als die produktive Spannung zwischen Traditions- und Innovationsmetapher beschreiben; vgl. Markus Buntfuß, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache, TBT 84, Berlin/New Yoik 1997, 207-224; zur Diskussion vg}. die Übersicht bei Ruben Zimmermann, Metapherntheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, ThZ 56 (2000), 108-133,114-116.

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gängigen Beispiele zu nennen - die Synoptiker von Jesus als Sohn Gottes, Heiland oder indirekt als Arzt sprechen, wenn Paulus zur Beschreibung seiner Wirksamkeit jüdische Kultterminologie verwendet oder Johannes Jesus als Weg, Wahrheit und Leben bezeichnet, dann sagen sie etwas von Christus aus, was nicht anders oder gar besser als durch Metaphern auszudrücken wäre. Die Artikulation von Transzendenzerfahrung muss notwendigerweise mit der Übertragung aus der Alltagserfahrung operieren, um in ihrer Aussageintention verständlich zu werden. Gerade darin liegt - wie Joachim Ringleben zu Recht im Anschluss an Luther deutlich gemacht hat - in theologischer Perspektive die entscheidende Leistung der Metapher, dass sie „in einem spezifischen Sinn metaphorisch ist, nämlich nicht .symbolisch' als Repräsentant für Unsagbares, rein Transzendentes" 19 . Die Metapher artikuliert nicht abstrakte, sondern erfahrbare Transzendenz. In dem an die Person Christi gebundenen Transzendenzeinbruch hat die urchristliche Metaphorik ihren Möglichkeitsgrund. Es lässt sich daher in der Tat sagen, dass Gottes Selbsterschließung in Christus die Bedingung metaphorischer Prädikation ist20. Man mag dieses Ereignis eschatologisch nennen, wenn damit das Phänomen des Transzendenzeinbruchs beschrieben werden soll. Wenig hilfreich wäre der Begriff allerdings dann, wenn er strikt antihistorisch zu verstehen wäre. Der Transzendenzeinbruch ereignet sich nicht über oder neben, sondern in der Geschichte. Er bildet damit einen Erfahrungsgrund für die sprachlichen Ausdrucksformen und fungiert als historischer Haftpunkt der christologischen Metaphembildung. Dieser erfahrungstheologische Ansatz zum Verständnis der christologischen Metaphern ist in dreifacher Hinsicht zu präzisieren: 1. Die biblischen Bilder sind nicht im direkten Verhältnis in ein konkretes Ereignis oder Erlebnis zurückübersetzbar. Legt man das dargestellte Modell der religiösen Erfahrung zugrunde, dann erweist sich die Suche nach einer Wahrheit hinter den Texten und Bildern als obsolet. Faktum und Deutung, Erfahrungsgrund und Erfahrungsartikulation können nicht so voneinander getrennt werden, dass letztlich ein reiner Kern an Sachverhalten oder Aussagen übrig bliebe. Aus den sprachlichen Ausdrucksformen lassen sich kein historischer Jesus und kein ipsissimum verbum Dei herausfiltern, für das die sprachliche Ausdrucksform lediglich die Funktion eines Katalysators einnähme. Es wäre daher absurd, jedem biblischen Sprachbild ein bestimmtes religiöses Erlebnis zuordnen zu wol-

19 Joachim Ringleben, Luther zur Metapher, ZThK 94 (1997) 353 (Kursiv im Original). Ringleben verbindet damit eine bedenkenswerte Kritik der Vagheit in Tillichs Symbolbegriff (vgj.ebd). 20 Vgl Eberhard Jüngel, Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: ders.: Entsprechungen: Gott - Wahrheit - Mensch. Theologische Erörterungen, BEvTh 88, München 1980, 103-157,148.

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len. Die Texte und mit ihnen die biblischen Bilder verkörpern - das lehrt die historisch-kritische Exegese eindrücklich — vielmehr ein Ausdrucksuniversum religiöser Erfahrung, d.h. sie repräsentieren die Vielfalt religiöser Ausdrucksmöglichkeiten, die sich aus der Erlebnisverarbeitung ergibt. Das reicht von der narrativen Erlebnisschilderung über den lyrisch-doxologischen Stimmungsausdruck, die eher .erlebnisfemen' Formen der Handlungsanweisung und der theologischen Reflexion bis hin zu Aussagen, die ausgehend von dem Erfahrungsgrund ihrer religiösen Wirklichkeitsdeutung der Zukunft hoffnungsvoll entgegensehen. Insbesondere für die letzte Gruppe der eschatologischen Texte gilt, dass sie auf der Grundlage eines erfahrungstheologischen Ansatzes nicht anders als in metaphorischer Sprache verfasst sein können. 2. Für eine bestimmte Gruppe der vorkommenden Metaphern und Bilder gilt daher, dass sie weder begrifflich noch durch narrative Paraphrase ohne Bedeutungsverlust zu ersetzen sind21. Innerhalb dieses Ausdrucksuniversums trifft das insbesondere für christologische Metaphern zu. Im Sinne einer absoluten Metapher können sie nicht einfach begrifflich substituiert werden. Gerade in ihrer Unübersetzbarkeit ermöglichen sie die Interaktion mit dem Erfahrungskontext und bilden so neue Anknüpfungsmöglichkeiten für eine religiöse Erfahrung für spätere Leser der biblischen Texte. Diese fortgesetzte interaktive Kompetenz der Metapher lässt sich an den neutestamentlichen Texten eindrücklich durch die Traditions- und Motivgeschichte aufweisen. An dieser Aufnahme und Fortfuhrung zeigt sich, dass Metaphern miteinander verknüpft werden, um sich wechselseitig zu interpretieren. Naturgemäß greifen die Überlieferungsträger im Prozess der Ausdrucksfindung, mit der sie auf das zu verarbeitende Ereignis reagieren, auf vorgegebene kulturelle Deutungsmuster und Symbolformen zurück22. Im Falle des Neuen Testaments geschieht das besonders eindrücklich durch die Aufnahme der alttestamentlichen Symbolwelt. Dabei fällt auf, dass bestimmte Metaphern zu einer stärkeren Traditionsbildung anregen als andere. Das dürfte seinen Grund vermutlich darin haben, dass sie erfahrungsproduktiver wirken. Es wird im Folgenden zu sehen sein, dass der Grund dafür allerdings nicht allein rezeptionsästhetisch ermittelt werden kann. 3. Die biblische Bildersprache beschreitet erfahrungstheologisch einen Mittelweg zwischen Ikonoklasmus und Ikonolatrie. Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts hat zu Recht mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Offenbarung nur als ein „durch das Medium des menschlichen Bewusstseins gebrochenes Licht"23 wahrzunehmen ist. Die Art und Weise, in der Menschen unter der Bedingung der Endlichkeit die Erfahrung der Transzendenz artikulieren, 21 Vgl. zum metaphorologischen Hintergrund Martin Seel, Am Beispiel der Metapher, 28f. 22 Vgl. Matthias Jung, Erfahrung und Religion, 262ff. 23 Otto Pfleiderer, Grundriss der christlichen Glaubens- und Sittenlehre als Compendium und als Leitfaden fur den Unterricht an höheren Schulen, 6. Aufl., Berlin 1898, 55.

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kann niemals das Transzendente in seiner Unendlichkeit vollständig erfassen. Die biblische Bildersprache und Metaphorik korrespondiert - wie oben schon angedeutet - mit der Transzendenzerfahrung, die sie ausdrückt, und steht doch zugleich in Differenz zu ihr. Als endliche Ausdrucksgestalten einer Unendlichkeitserfahrung bleiben sie notwendigerweise Fragment. Auch absolute Metaphern sind trotz ihrer Unübersetzbarkeit uneigentliche Rede, weil sich das, was sie artikulieren, nicht anders als uneigentlich sagen lässt. Zur Fragmentarität der Erfahrungsausdrücke gehört dann nicht nur notwendigerweise ihre Vielfalt, es ist zudem damit zu rechnen, dass sich in der menschlichen Ausdrucksbildung Verzerrungen, Verfälschungen und Fehlinterpretationen ereignen. Die Einsicht in ihren historisch kontingenten Charakter verlangt daher von selbst nach einem Verfahren der Kriteriologie. Eine Verabsolutierung der menschlichen Ausdrucksgestalten, die Endliches zum Unendlichen erhebt, käme einer Dämonisierung der biblischen Bildersprache gleich.

3. Die Macht der Bilder Selbst die glühendsten Verehrer begrifflicher Präzision würden es nicht für wünschenswert halten, wenn die Bibel im Stile einer mehrbändigen theologischen Summe verfasst wäre. Denn dann verlöre sie ihre eigentümliche Attraktion, die sich nicht unerheblich aus ihrer reichen Bildersprache speist. Doch übt sie diese Faszination offensichtlich nicht durch deren bloße Wiedergabe aus. Schon innerhalb des Neuen Testamentes selbst, vor allem aber in der anschließenden Theologie- und Dogmengeschichte zeigt sich die Tendenz, die christologischen Metaphern aus ihrer Unbestimmtheit in Bestimmtheit zu überfuhren 24 . In dieser prinzipiell unabschließbaren Aufgabe liegt der eigentliche Motor der christologischen Traditionsbildung. Das ist ein Prozess, bei dem sich in metapherntheoretischer Perspektive fließende Übergänge beobachten lassen. Metaphern gerinnen dabei zu Formeln, wie sich an einer Reihe christologischer Titel aufweisen ließe. Sie durchlaufen damit eine Entwicklung, in der über den titularischen Gebrauch gewissermaßen selbst die Überführung in Bestimmtheit intendiert ist25. Ebenso lassen sich aber auch umgekehrte Entwicklungen beobachten. Das ist z.B. der Fall, wenn in der gegenwärtigen Theologie die christologischen Formeln des 24 Vgl. zum Spannungsverhältnis von Unbestimmtheit und Bestimmtheitsgenenerung ausführlich Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbetgs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Hintergrund, HUTh 39, Tübingen 2000, 363-383. 25 Vgl. dazu den Beitrag von Peter Müller in diesem Band

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Konzils von Chalcedon metaphorisch verstanden werden. Mit Blick auf die Intention des Konzils handelt es sich hier m. E. um einen Anachronismus, denn Chalcedon steht für den Versuch, in den christologischen Streitigkeiten durch begriffliche und damit auch ontologische Bestimmtheit eine Klärung herbeizuführen. Entfallen allerdings die ontologischen Voraussetzungen dieser Bestimmtheitsgenerierung, schlägt die begriffliche Sprache selbst wieder in die Unbestimmtheit der Metapher um und führt so gerade zu dem, was Chalcedon zunächst ausschließen wollte: zu einem neuen Schub an Auslegungsbedürftigkeit. Es zeigt sich daran, wie die Spannung von metaphorischer Unbestimmtheit und begrifflicher Bestimmtheit zur treibenden Kraft der christologischen Traditionsbildung wird26. Es lässt sich nun - wie oben schon angedeutet — in dieser Entwicklung beobachten, dass manche Metaphern die Traditionsbildung in einem sehr viel stärkeren Maße begünstigen als andere. Offensichtlich ist auch hier das Spannungsverhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit von Bedeutung. Prominentes Beispiel sind in der Christologie die Sohn-Metapher, aber auch die johanneischen Bildworte. Es lässt sich feststellen, dass mit der Etablierung eines Metaphern-Bestandes „bestimmte Formen der Erlebnisverarbeitung (Wahrnehmungsgewohnheiten, Wirklichkeitsdeutungen, Werte) institutionalisiert werden"27. Erfahrungstheologisch ausgedrückt verfügt die biblische Bildersprache über eine besondere Kompetenz zur religiösen Erfahrungsvermittlung. Woraus speist sich die Macht dieser Bilder? Es sind in jüngerer Zeit vor allem die Einsichten der Rezeptionsästhetik, die für die Beantwortung dieser Frage neue Perspektiven eröffnen28. Sie beleuchten, 26 Das Problem des Konzils von Chalcedon lässt sich hier natürlich nicht annähernd in seiner Tragweite erörtern. Aus dem unabweislichen Umstand, dass die Konzilsformeln heute auslegungsbedürftig sind, kann m. E. wegen der genannten theologiegeschichtlichen Gründe nicht gefolgert werden, sie wären dem Selbstverständnis ihrer Verfasser zufolge metaphorisch oder als bloße Sprachregelungen zu verstehen (vgl. zu letzterem exemplarisch George A. Lindbeck, Christliche Lehre als Grammatik des Glaubens. Religion und Theologie im postliberalen Zeitalter, ThB 90, Gütersloh 1994, 135-142). Die Art der Durchführung steht m. E. vielmehr für das Bemühen, die Fragen der Zwei-Naturen-Lehre im Horizont der spätantiken Metaphysik begrifflich zu bestimmen; vgl. dazu wiederum exemplarisch Ch. Stead, Philosophie und Theologie I. Die Zeit der Alten Kirche, ThW 14,4, Stuttgart/Berlin/Köln 1990,129-150. 27 Wolfgang Iser, Die Wirklichkeit der Fiktion - Elemente eines funktionsgeschichtlichen Textmodells, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, 277-324, 302. (Klammer im Original). 28 Die Einführung dieser Perspektive in die deutschsprachige Systematische Theologie ist das Verdienst von Ulrich H. J. Körtner, Der inspirierte Leser. Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik, Göttingen 1994 und Klaus Huizing, Homo legens. Vom Ursprung der Theologie im Lesen, TBT 75, Berlin/New York 1996. Huizing hat diesen Ansatz in den bisher erschienenen Bänden seiner Ästhetischen Theologie weiter geführt. Eine exegetische Beurteilung des rezeptionsästhetischen Textmodells stammt von Jörg Frey, Der implizite Leser und die biblischen Texte, ThBeitr 23 (1992), 266-290; zur exegetischen Umsetzung vgl. ein-

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wie die Umsetzung von in Text geronnenem Erfahrungsausdruck und eigenem Erfahrungsaufbau auf der Ebene des individuellen Bewusstseins geleistet werden kann. Hier ist vor allem an das von Wolfgang Iser beschriebene Modell zu erinnern, demzufolge der Leser an der Bedeutungsproduktion der Texte und damit auch der Bilder mitwirkt. Durch Steuerungselemente im Text selbst wird in der Einbildungskraft des Rezipienten ein Bilderstrom produziert29, mit denen der Rezipient von seinem eigenen lebensweltlichen Erfahrungshintergrund aus Bedeutung in den Text einträgt. Der Text fungiert damit als „imaginärer Stimulus"30. Im Vorstellungsvermögen ereignet sich die imaginative Vergegenwärtigung der einstigen Erfahrung anhand des Erfahrungsausdrucks im Text. Zwischen der dabei zugrunde liegenden Texttheorie und dem oben vorgestellten Modell der religiösen Erfahrung gibt es auffallende Parallelen. So wenig rezeptionsästhetisch die Botschaft: hinter den Bildern zu suchen ist, so wenig ist auch ein bestimmtes religiöses Erlebnis von der Ausdrucksgestalt abzuheben. Wären Texte wirklich nur die Veranschaulichung von Botschaften, „dann bliebe für den Leser nicht mehr viel übrig. Er könnte sie nur annehmen oder verwerfen"31. Analog würde dann für die religiöse Erfahrung gelten: Wären die biblischen Texte bloße Erlebnisabbilder, könnte man die geschilderten Erlebnisse aus späterer Perspektive nur für wahr halten oder nicht. Es liegt auf der Hand, dass damit erstens die Dimension der Unvertretbarkeit der religiösen Erfahrung und zweitens das Phänomen der biblischen Bildersprache verloren geht. In seinen früheren Schriften postulierte Wolfgang Iser sogar die Möglichkeit, „die Fremderfahrung der Texte im Lesen zu einer privaten zu machen"32. Das trifft dann zu, wenn sich Erfahrung mit der erlebten Präsenz einer Vorstellung gleichsetzen ließe. In der hier vorgeschlagenen Verwendung des Erfahrungsbegriffs bezeichnet dieser aber die Einheit von Erlebnis und Artikulation, Erfahrung ist demnach das verarbeitete Erlebnis. Präziser müsste es dann heißen — im übrigen äußert sich Iser auch selbst in seinen späteren Schriften weit vorsichtiger - , dass die Textrezeption im Vorstellungsvermögen des Lesers jene Ausdrucksformen und symbolischen Deutungsmuster bereitstellt, die es ihm erst erlauben, eigene lebensweldiche Erlebnisse und Widerfahrnisse zu deuten. Auf die Texte der Bibel übertragen heißt dies, dass die biblischen Artikulationsformen die origi-

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driicklich ders., Das Bild als Wirkungspotenzial. Ein rezeptionsästhetischer Versuch zur Funktion der Brot-Metapher in Johannes 6, in: Ruben Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen, 331-361 und ders., Die Bildersprache der Johannesapokalypse, ZThK 98 (2001), 161-185. Vgl. Wolfgang Iser, Der Lesevorgang, in: Rainer Warning (Hg.), Rezeptionsästhetik, 253276,260. Umberto Eco, Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, München 1987,72. Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, 228. Wolfgang Iser, Die Appellstruktur der Texte, 249.

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näre Transzendenzerfahrung im Lichte ihrer jeweiligen Verarbeitungsvariante durch die kraftvolle Präsenz in der Vorstellung innerlich vergegenwärtigen. Entscheidend ist, dass bei diesem Vorgang den biblischen Bildern und Metaphern eine entscheidende Rolle zukommt. In der theologischen Aufnahme der Rezeptionsästhetik hat man mit gutem Grund diesen Vorgang als „Imaging the Sacred"33 beschrieben und auf die Bedeutung der atmosphärischen Repräsentierung des ursprünglichen Transzendenzeinbruchs hingewiesen34. Zu Recht wird dabei mit dem Instrumentarium der Rezeptionsästhetik auf die lebendige, erfahrungsproduktive Vermittlungskraft der biblischen Bilder aufmerksam gemacht, die in einer rein an historischer Rekonstruktion orientierten Betrachtungsweise nicht selten unterzugehen droht. Mit Blick auf die Erfahrungsvermitdung stellt die Rezeptionsästhetik zweifelsohne ein aufschlussreiches Potential bereit, um den Vermittlungsvorgang besser beschreibbar zu machen. Sie macht ihn damit freilich nicht schon verfugbar. Ein Missverständnis gilt es zudem auszuräumen. Das Kommunikationsgeschehen zwischen Text und Leser findet keineswegs in einer Art von Unmittelbarkeit statt, die historische und hermeneutische Textzugänge überflüssig macht. Wo das gelegentlich in der theologischen Übernahme der Rezeptionsästhetik behauptet wird, sitzt man wohl eher den dekonstruktivistischen Varianten der Rezeptionsästhetik in der Hoffnung auf, damit die produktionsästhetischen Probleme mühelos hinter sich lassen zu können. Zumindest in der von Iser und Eco vorgelegten Form hält die Rezeptionsästhetik jedoch an einer Textintention fest. Die dem Text immanenten Steuerungsmechanismen der Rezeption sind dann insbesondere bei Texten aus der Vergangenheit nicht ohne historische Kontextualisierung einzusehen. Das gilt auch für die Bildersprache. Darüber hinaus sind die Bedeutungseintragungen, die der Rezipient leisten kann, von seinen individuellen, lebensgeschichtlichen Anknüpfungspunkten abhängig, die sich ihrerseits aus seiner Stellung im Traditionszusammenhang der biblischen Wirkungsgeschichte ergeben. Eine einfache Unmittelbarkeit zwischen Text und Leser gibt es in diesem Sinne nicht. Am Beispiel der christologischen Metaphern lässt sich eindrücklich zeigen, wie sie in ihrer erfahrungsvermittelnden Funktion einen komplexen Überlieferungsstrom in Gang setzen, in dem sich neue Ausdrucksformen ausbilden. Als besonderer Motor dieses Prozesses hat sich dabei das Spannungsverhältnis von Bestimmtheit und Unbestimmtheit herausgestellt. Die Vermitdungsleistung der biblischen Bildersprache stellt sich in dieser Hinsicht als eine medien- und bilderproduzierende Kettenreaktion dar. Von der Dogmen- und Bekenntnisbildung als Versuch, die Unbestimmtheit in 33 Edgar McKnight, Postmodem Use of the Bible. The Emergence of Reader-Oriented Criticism, Nashville 1988,167. 34 Klaas Huizing, Ästhetische Theologie. Band I. Der erlesene Mensch. Eine literarische Anthropologie, Stuttgart 2000, 200f.

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Bestimmtheit zu übertragen, bis hin zu den Darstellungsformen in Kunst und Musik reicht die gewaltige Bandbreite der Medien, die durch den .imaginären Stimulus' der Bildersprachen entstehen und nun ihrerseits überhaupt erst Zugangsmöglichkeiten zu den Bildern bereitstellen. Es handelt sich hier also um ein wechselseitiges Verweisungsverhältnis im Kontext der christlichen Kulturgeschichte. Die Rezeptionsästhetik und ihre wirkungsgeschichtliche Fortfuhrung verfugt damit in der Tat über ein beträchtliches Potential, die Macht der Bilder zu erklären. Es deutet sich aber in ihrer Durchführung schon an, dass der Blick auf Rezeption und Wirkung allein das Problem nicht hinreichend beantworten kann, weil er die Frage nach dem Woher und dem Grund der Wirkung offen lassen muss35. Eine Kriteriologie, die Aufschluss über den Wirklichkeitsbezug der biblischen Bildersprache gibt, lässt sich jedenfalls allein aus der Beschreibung ihrer Wirkung nicht gewinnen. Schon an dem Problem der Textintention ist deutlich geworden, dass hier eine historische Kontextualisierung nötig ist. Freilich steht einer solchen Rückkehr zur produktionsästhetischen Behandlung des Problems entgegen, dass — wie oben angedeutet — prominente Versuche aus dem 19. Jahrhundert hier wenig ausgetragen haben und über ein Verständnis der Metapher als rhetorische Figur oder zu substituierende Rede nicht hinausgelangt sind. Doch liegt dies vor allem an dem defizienten Erfahrungsbegriff, der dabei zugrunde gelegt wurde. Es ist daher noch einmal an den skizzierten Konsens zu erinnern, dass die Wirkungskraft der biblischen Texte und ihrer Bilder christologisch zu begründen ist. Eine klassisch erfahrungstheologische Begründung liefert dafür Friedrich Schleiermacher. Nachgeborene Generationen, die in keiner historisch fassbaren Unmittelbarkeit zur Person Jesu stehen, sind grundsätzlich darauf angewiesen, dass die „Schilderung Christi und seiner Wirksamkeit [...] dieselbe innere Erfahrung in anderen hervorzurufen" 36 vermag. Damit basiert die Vermittlungsleistung der Schrift auf dem Begriff des Zeugnisses „von der eigenen Erfahrung, welches die Lust in anderen erregen sollte, dieselbe Erfahrung zu machen" 37 . Freilich wirft das die entscheidende Frage auf, ob und wie die Erfahrung anderer zu einer eigenen Erfahrung werden kann. Die bloße historische Rekonstruktion kann hier offensichtlich nicht weiter helfen. Denn sie würde mit gutem Grund die Kritik auf sich ziehen, die am schärfsten Rudolf

35 So weist Jörg Frey am Beispiel der Johannesapokolypse darauf hin: „Die rezeptionsästhetischen Aspekte können natürlich nicht die herkömmlichen exegetischen Fragestellungen ersetzen" (Jörg Frey, Die Bildersprache der Johannesapokalypse, 170). Er plädiert daher mit m. E. guten Gründen dafür, die Rezeptionsästhetik als fruchtbare Eigänzung zur klassisch produktionsästhetischen Zugangsart zu bewerten (vgl. ebd.). 36 Friedrich D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube. Band 1, 2. Aufl. Hg. von Martin Redeker, Bedin 6. Aufl. 1960, 95 (§14.1). 37 Friedrich D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube. Band 1, 96 (§ 14.1); zum christologischen Hintergrund vgl. den Beitrag von Jan Röhls in diesem Band.

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Bultmann formuliert hat: „Solche Erfahrungen an einer Person der Vergangenheit machen wollen, scheint mir künstlich und führt zur Sentimentalität"38. Das trifft zu, wenn sich die Erfahrungen auf die Rekonstruktion einer historischen Persönlichkeit zu beziehen hätte. Doch zeigt m. E. der erfahrungstheologische Ansatz, dass dies gar nicht möglich ist. Begreift man die biblischen Schriften als Ausdrucksgestalten der für das Christentum maßgeblichen Transzendenzerfahrungen, so handelt es sich dabei nicht bloß um ein abbildendes Ausdrucksgeschehen eines Erlebniseindrucks, sondern um ein reziprokes Wechselverhältnis, in dem Erlebnisgehalte mit kulturellen Artikulationen zu einem eigenständigen Erfahrungsausdruck verwoben werden. Damit greift erstens schon hier der Heteronomievorwurf zu kurz, da er letztlich auf einem unzutreffenden Erlebnispositivismus aufbaut. Bereits in den ersten Überlieferungsstadien bis hin zur Verschriftlichung ist es die Tätigkeit des Bewusstseins, die das eigene Erleben unter Rückgriff auf kulturelle Artikulationsleistungen zu einem eigenen Erfahrungsausdruck formt. Damit ist dann zweitens der Zusammenhang von historischem Offenbarungsereignis und dessen Ausdrucksgestalt festgehalten. Er liegt in dem religionsphilosophisch beschreibbaren Vorgang der Bildung von kulturell vermittelten Erfahrungsausdrücken39. Festzuhalten ist freilich, dass sich durch keine Form der Ausdrucksbildung die Unmittelbarkeit vergangener Erlebnisse heraufbeschwören lässt, sondern immer nur mittelbare Artikulationsformen bereitgestellt werden können. Die besondere Prägekraft erhalten die Artikulationsleistungen gleichwohl durch ihre historische Verankerung. Sie stellen aus der Sicht der Nachgeborenen die ersten schriftlich fixierten Erfahrungsausdrücke der Transzendenzerfahrungen dar, die für das Christentum prägend sind. Von daher ergibt sich die besondere Prägekraft aus der historischen Nähe zu den Erfahrungen des Transzendenzeinbruchs. Ersetzt man in diesem Sinne die Vorstellung des historischen Abbildes durch die Verfahren der Ausdrucksbildung, dann behält das Argument von der Ursprungsnähe der biblischen Schriften seinen Wert, um eine besondere Bedeutung der biblischen Schriften für die Erfahrungsvermittlung zu rechtfertigen. Der Struktur nach setzt sich damit in der Vermittlungsleistung der Texte fort, was selbst schon zu ihrer Ausbildung als Ausdrucksgestalt religiöser Erfahrung gefuhrt hat. Die Vermitdungskraft der biblischen Schriften besteht dann also darin, originäre Ausdrucksformen bereit zu stellen, die es späteren Generationen ermöglicht, lebensweltliche Erfahrungen im Horizont der das Christentum prägenden Transzendenzerfahrungen zu deuten und damit religiöse Erfahrung aufzubauen. Das ist weit mehr als die bloß äußerliche Übernahme und Anerken-

38 Rudolf Bultmann, Zur Frage der Chiistologie, in: den., Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze. 1. Bd., 9. Aufl. Tübingen 1993,85-113, 97. 39 Vgl. Matthias Jung, Erfahrung und Religion, 263ff.

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nung von Fremderfahrung und insofern auch kein Akt der Heteronomie. Die Synthesis, in der die Ausdrucksgestalt religiöser Erfahrung zu je eigener und unvertretbarer lebensweltlicher Evidenz gelangt, vollzieht sich im Bewusstsein des Individuums. Erfahrungstheologisch gewendet bedeutet dies, dass nicht alle Artikulationsleistungen als gleichermaßen erfahrungsproduktiv anzusehen sind. Identitätsstiftender Fluchtpunkt bleiben die Artikulationsformen, die aufgrund ihrer größeren Ursprungsnähe und der daraus resultierenden Prägekraft als authentische Ausdrucksform der bestimmenden Transzendenzerfahrung zu verstehen sind. Hierin liegt auch in produktionsästhetischer Perspektive die besondere Macht der biblischen Bildersprache. Am Beispiel der Christologie wird deutlich, dass entscheidende Aspekte der durch Christus vermittelten Transzendenzerfahrung nur metaphorisch artikuliert werden konnten. Durch diese erfahrungstheologische Einbettung erhält die produktionsästhetische Fragestellung zugleich auch eine neue Dimension. Die Fragen, wie etwas wirklich war oder wie sich die Entstehung eines Bildes oder Motivs vollzogen hat, sind legitime Fragerichtungen menschlicher Vergangenheitsbezüge, sie dürften aber zu einseitig gestellt sein, wenn sie die lebensweltliche Verankerung zurückstellen. Historische Rekonstruktion ist immer auch eine Rekonstruktion von Erfahrungen und deren lebensweltlich verankerten Ausdrucksformen 40 . Davon wird man sich auch für die Erschließung der biblischen Bildersprache und insbesondere der christologischen Metaphern nach wie vor Einsichten erwarten dürfen. In dieser Hinsicht kann der produktionsästhetische Blick auf die biblische Bildersprache und insbesondere die christologische Metaphorik als Erfahrungserhellung bezeichnet werden. Er kann motiv- und traditionsgeschichtlich die Verwendung und die Verarbeitung vorausliegender Artikulationsleistungen aufzeigen und er vermag form- und sozialgeschichtlich die lebensweltliche Evidenz der jeweiligen Symbolisierung deutlich zu machen. Erfahrungserhellung ist in diesem Sinne nicht mit dem .Nacherleben' der romantischen Hermeneutik gleichzusetzen. Vielmehr geht es darum, den „Resonanzboden" 41 der Ausdrucksgestalt religiöser Erfahrung zu beschreiben. Denn nur dort, wo die Artikulationsleistung in ihrer Aussagekraft verstanden wird, kann sie zum Aufbau eigener religiöser Erfahrung dienen. Was daher gegenwärtig in der Exegese un-

40 Wenn nicht alle Zeichen trügen, dann vollzieht sich in den exegetischen Disziplinen gegenwärtig ohnehin eine Wende, die dieser im übrigen von ihr selbst erbrachten Einsicht Rechnung trägt. Es liegt auf der Hand, dass die Exegese damit eine notwendige Korrektur ihrer Vorgehensweise vollzieht und sich stärker am Erfahrungs- und Lebensbezug der Texte ausrichtet 41 Gerhard Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens. Band 1, Tübingen 3. Aufl. 1987, 40.

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ter dem Stichwort „Rückkehr der Erfahrung" 42 erörtert wird, ist für die erfahrungstheologische Integration der Produktionsästhetik von größtem Interesse. Daran zeigt sich, dass die Ausdrucksformen nur dann angemessen verstanden werden, wenn sie im Kontext ihrer Lebensbezüge einsichtig gemacht werden, d. h. wenn aufgezeigt werden kann, wie sie in der „Dynamik des Lebens verwurzelt" 43 sind. Das gilt insbesondere auch für das Verstehen von biblischen Bildern und Metaphern. In den christologischen Metaphern schwingt ein lebensweltlicher Erfahrungshorizont mit, der ihren Wirklichkeitsbezug ausmacht. Durch das Erschließen dieses Erfahrungshorizonts soll - das sei noch einmal ausdrücklich angemerkt — keine historische Persönlichkeit rekonstruiert werden. Mit einer solchen Zielsetzung würde man der besonderen Gestalt der biblischen Ausdrucksformen nicht gerecht. Demgegenüber könnte eine erfahrungsorientierte Produktionsästhetik nicht nur deutlich machen, dass, sondern vor allem wie im Urchristentum das Leben und Wirken Jesu als Transzendenzeinbruch in die menschliche Lebenswelt aufgenommen wurde. An diesen Erfahrungshorizont gilt es anzuknüpfen, um die Macht der Bilder zu entfalten. Gegen Ende des platonischen Dialogs Menon rät Sokrates, die richtigen Vorstellungen, welche die Seele von der Wirklichkeit im Interesse einer lebensweltlichen Orientierung ausbildet, durch — wie Schleiermacher übersetzt — die „Beziehung des Grundes"44 zu binden. Andernfalls erginge es ihnen wie den Bildwerken des Daidalos: „Weil auch diese, wenn sie nicht gebunden sind, davongehen und fliehen, sind sie aber gebunden, so bleiben sie"45. Gleiches dürfte für die christologischen Metaphern auch gelten.

42 Heikki Räisänen, Neutestamentliche Theologie? Eine religionswissenschaftliche Alternative, (SBS 186), Stuttgart 2000,35. 43 Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000,17. 44 Piaton, Menon 98a. 45 Piaton, Menon 97d.

Markus Buntfuß Inkarnation als Interaktion. Zur religiösen Distanzreduktion der Inkarnationsmetapher

In seiner soeben neuaufgelegten Studie zur Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Ikationatismus1 hat Panajotis Kondylis den Antagonismus zwischen Geist und Sinnlichkeit nicht nur als die hintergründige Leitfrage der Aufklärungsepoche, sondern auch als eine Variante des Grundproblems des abendländischen Denkens überhaupt rekonstruiert. Infolge der Entdeckung des Geistes, der vom Sinnlich-Wahrnehmbaren getrennt wurde, sei das erste organisierte und allumfassende Weltbild auf abendländischem Boden dualistisch gewesen. Aus diesem Grund würden auch diejenigen „Philosopheme, die für die geistige Tradition des so genannten Abendlandes maßgeblich gewesen sind, dem Dualismus, d. h. der grundsätzlichen Entgegensetzung von Geist und Sinnlichkeit huldigen."2 Kondylis erinnert hier in erster Linie an den Piatonismus, der seine historische Wirksamkeit nicht zuletzt durch seine Rezeption im Christentum entfalten konnte. Piatonismus und Christentum hätten deshalb im Zuge der neuzeitlichen „Rehabilitation der Sinnlichkeit"3 erhebliche Plausibilitätsverluste zu verzeichnen. Wir überlassen Kondylis hier seinem weitausholenden Gang durch die neuzeitliche Geistesgeschichte und greifen nur das genannte Problem auf, um es auf unser Thema zu beziehen. Denn offensichtlich bezeichnet die Christologie genau denjenigen Punkt in der christlichen Glaubenslehre, an dem die Verhältnisbestimmung von Geist und Sinnlichkeit in Gestalt der Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch ihren systematisch-theologischen Ort hat.4 Insbesondere die biblische und patristische Rede von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus hat „das Verhältnis zwischen der geistigen Substanz Gottes und der

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Panajotis Kondylis, Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, Hamburg 2002. Ebd., 9. Ebd., 19. Diese Verbindung sieht auch Kondylis, wenn er die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch als Äquivalent der Unterscheidung zwischen Geist und Sinnlichkeit deutet (ebd., 10).

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körperlichen des Menschen"5 zum Gegenstand. Am zentralen Topos der Christologie entscheidet sich deshalb auch der Charakter des Christentums als einer mehr dualistischen oder mehr monistischen Religion. Vor diesem Fragehorizont versuchen die folgenden Überlegungen die These zu erweisen, dass bereits die Inkarnationschristologie des Urchristentums — entgegen der Eigendynamik ihrer terminologischen Denkmittel — den strukturellen Dualismus des Piatonismus zu unterlaufen angetreten war. Darüber hinaus möchte ich zeigen, dass eine metaphorologische Interpretation der Inkarnation auch ein geeignetes Theoriemodell für eine moderne Interpretation der christlichen Religion darstellt, weil sie nicht nur geeignet ist, die neuzeitliche .Rehabilitation der Sinnlichkeit' in Gestalt der konkreten Menschheit Jesu zu integrieren, sondern auch die ontotheologischen Hypotheken des Inkarnationsdogmas sprachtheologisch umzuformen, ohne darüber den religiösen Mehrwert der Christologie gegenüber einer Leben-Jesu-Theologie zu verspielen.

1. Inkarnationsmetapher und antignostische Distanzreduktion im Urchristentum In Bezug auf den ersten Teil meiner These beziehe ich mich auf den Entwurf einer Theorie des Urchristentums, den Gerd Theißen in seinem Buch Die Religion der ersten Christeit vorgelegt hat. Theißen bestimmt Religion zunächst formal als kulturelles Zeichensystem.7 Als solches basiere das Christentum auf den beiden Grundaxiomen des Monotheismus und des Erlöserglaubens, die sich in der Grunderzählung vom Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi zu einer Einheit von Mythos und Geschichte verbinden. „Ein konkreter Mensch wird zur Gottheit, die Gottheit inkarniert sich in einem konkreten Menschen."8 Von diesem Zentrum aus organisiert sich das neue religiöse Zeichensystem des Urchristentums und unterscheidet sich von seiner Umwelt. Ihre Anziehungskraft gewinnt die neue Religion dabei nicht nur als Glaube an den erhöhten Christus, sondern insbesondere durch eine neue Nähe Gottes zum Menschen.

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Art., Christoloffe, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 1,1764. Gerd Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, 2., durchges. Aufl., Gütersloh 2001. Die vollständige Definition lautet „Religion ist ein kulturelles Zeichensystem, das Lebensgewinn durch Entsprechung zu einer letzten Wiiklichkeit verheißt." (Ebd. 19). Theißen beruft sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Ernst Cassirer und Clifford Geertz. Ebd., 40.

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„Der inkarnierte Christus bedeutet Realpräsenz Gottes beim Menschen, bei seinem Tun und Leiden bis hin zum Tod. Die Trennung zwischen Gott und Mensch wird durch ihn überwunden." 9 Kann das Spezifikum der urchristlichen Erlöservorstellung somit als „Ausdruck religiöser Distanzreduktion"10 zwischen Gott und Mensch bezeichnet werden, in deren Konsequenz „die vorbehaltlose Annahme des Menschen in seiner Endlichkeit"11 zur Geltung gebracht wird,12 so erfährt dieser Aspekt eine zusätzliche Intensivierung im Zuge der Konsolidierung des Christentums, die sich in der Auseinandersetzung mit der Gnosis vollzieht. Bei der gnostischen Krise des 2. Jahrhunderts gehe es nämlich um die Autonomie des christlichreligiösen Zeichensystems gegenüber den religiösen und philosophischen Zeichensystemen der hellenistischen Umwelt. Abgesehen von ihrem inhaldichen Gepräge als dualistische Weltdeutung stehe die Begegnung mit der Gnosis für den formalen Versuch, „das urchristliche Zeichensystem als Variante eines universalen Zeichensystems zu interpretieren".13 Als Motiv für eine derartige Bemühung müsse in erster Linie die politischrechtliche Situation der urchristlichen Gemeinden berücksichtigt werden. Denn in Zeiten zunehmender sozialer Desintegration und beginnender Verfolgung14 waren Interpretationen der christlichen Religion gesucht, die das Christentum privatisierten und somit ein Leben in sozialer Unauffälligkeit ermöglichten. Eine solche Privatisierung der Religion stellte die Gnosis dar. Indem sie Heil durch Erkenntnis versprach, konnten die Mythen und Riten aller Religionen als vorläufige Symbole eines individuellen Selbstfindungsprozesses begriffen werden, in dessen Verlauf es zu einer Aufwertung des transzendenten Gottes sowie des intelligiblen Selbst, verbunden mit einer Abwertung der Welt und des leiblichen Selbst kam. Dieser Weg einer radikalen Unterscheidung zwischen Geist und Sinnlichkeit war allein Sache des intelligiblen Subjekts und bedurfte keiner reli-

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Ebd., 90. Ebd., 91. Ebd., 122. Die Bedingung der Möglichkeit für die Ausbildung eines Ethos, das sich auf die beiden Grundwerte Liebe und Statusverzicht gründet und in der Folge ein karitatives Engagement befördert hat, war - glaubt man Max Pohlenz — der entscheidende Grund für den Siegeszug des Christentums und die Schließung der Akademie (Max Pohlenz, Stoa und Stoiker. Die Gründer Panaitios, Poseidonios, Zürich 1950). Vgl. Klaas Huizing, Ästhetische Theologie Bd. II. Der inszenierte Mensch. Eine Medien-Anthropologie, Stuttgart 2002, HOf. 13 Theißen, Religion der ersten Christen, 285. 14 Der Pliniusbrief und das Reskript des Trajan hatten zu einer Klärung der Rechtslage dahingehend gefuhrt, dass das Christentum zwar aufgrund seiner Andersartigkeit strafbar war, gerichtliche Verfahren sowie Verurteilungen aber nach Möglichkeit vermieden werden sollten (ebd., 321).

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giösen Gemeinschaft, so dass sich die Gnosis als eine Art private Meta-Religion anbot, die einen Ausgleich zwischen christlichem Wahrheitsanspruch und allgemeinem Wahrheitsbewusstsein in Aussicht stellte. Trotz der sich bietenden Möglichkeit jedoch, den christlichen Erlöserglauben mit dem gnostischen Heilsweg zu vermitteln, um das Christentum so in weltanschaulicher Übereinstimmung mit der Umwelt und in sozialer Unauffálligkeit zu leben, war diesem Versuch kein nachhaltiger Erfolg beschert. Im Gegenteil. Das 2. Jahrhundert brachte antignostische Bewegungen und Schriften auf breiter Front hervor, die zu einer entschiedenen Abgrenzung vom dualistischen Heilsweg der Gnosis führten. Der Grund für diese Selbstbehauptung des Urchristentums lag vor allem im Widerspruch der Gnosis zu den beiden Grundaxiomen des christlich-religiösen Zeichensystems. Wie der kosmologische Dualismus von zwei Prinzipien dem monotheistischen Schöpferglauben, so widersprach der christologische Doketismus vom Scheinleib des Offenbarers dem urchristlichen Erlöserglauben. Die Gnosis stellte somit die geschichtsmythische Eigenständigkeit und Einheit der narrativen Grunderzählung des Christentums in Frage. „Sowohl die Einheit des Schöpfergottes wie die Einheit des Erlösers waren in der Gnosis bedroht — aufgrund einer Abwertung der Welt und des Leibes, die dem biblischen Zeichensystem des Urchristentums widersprach." 15 In programmatischer Abwehr des kosmologischen wie anthropologischen Dualismus der Gnosis bildete das Urchristentum deshalb die religiöse Grundüberzeugung einer einheidichen Wirklichkeit aus, in der Gott und Mensch zwar unterschieden werden, aber in Jesus Christus doch zu einer neuen Einheit gefünden haben. In einem langen Prozess des religiösen und geistigen Ringens wird in der religiösen Grammatik des Christentums eine positive Verknüpfüngsregel verankert, derzufolge Gott und Mensch in einer Person als vere homo et vere deus ausgesagt werden können. Der christliche Erlöserglaube „setzt nicht nur die monotheistische Dynamik durch, er bindet sie an eine menschliche Gestalt: Gott wird fest mit Christus verbunden. Der Inkarnationsgedanke überbietet alle bisherigen Formen der Anwesenheit Gottes in der Geschichte und in der Welt."16

15 Ebd., 325. 16 Ebd., 371.

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2. Bilder- und Abendmahlsstreit als Bewährung der dualismuskritischen Inkarnationsmetapher Die für das Urchristentum charakteristische Distanzreduktion zwischen Geist und Sinnlichkeit durch das Inkarnationsmotiv konnte von daher je nach Kontext und Problemzusammenhang auch in der weiteren Christentumsgeschichte zum Einsatz gelangen. So zum Beispiel im byzantinischen Bilderstreit vom 4. bis 8. Jahrhundert. Gegen die Bilder wendete Epiphanius ein, dass sie auf das Auge einen verführerischen Reiz ausüben, der im Gegensatz zum geistigen Gottesdienst stehe. Damit würden die Bilder der Menschen Vergötterung Vorschub leisten, weil man nicht Gott, sondern nur die menschliche Gestalt darstellen könne. Im Zuge seiner ikonoklastischen Polemik belegt Epiphanius die Bilderfreunde deshalb mit einem Anathema: „Wer es unternimmt, das göttliche Bild des Gott-Logos mit Berufung auf seine Menschwerdung in irdischen Farben anzuschauen, sei verflucht!"17 Deutlich wird hier auf den gnostischen und neuplatonischen Dualismus rekurriert, der sowohl anthropologisch zwischen Geist und Sinnlichkeit, als auch theologisch zwischen Gott und Mensch eine scharfe Trennlinie zieht. Im Gegenzug dazu verteidigte Johannes Damaszenus im 8. Jahrhundert die Bilder unter Verweis auf die Einheit des Menschen als Leib und Geist, sowie auf die Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus. Wer das Recht der Bilder leugne, leugne die Inkarnation und damit die Liebe Gottes und die Erlösung des Menschen. Damit traf er den religiösen Nerv des Christentums und die Bilderfreunde setzten sich durch. In vergleichbarer Weise stand die Frage nach der Anwesenheit Gottes in der Welt im reformatorischen Abendmahlsstreit zur Debatte. Während Luther aus soteriologischen Gründen den Grundsatz vertrat, das Endliche sei Gefäß des Unendlichen (finitum capax infiniti) und in Bezug auf das Abendmahl von der Realpräsenz Christi sprechen konnte,18 hielten sich Zwingli und später Calvin aus theozentrischen Gründen an das Motto finitum non capax infiniti. So argumentiert Zwingli ganz im Sinne einer dualistischen Entgegensetzung zwischen Geist und Sinnlichkeit: „Gottes Geist ist frei und wäre gefesselt, wenn man ihn an die Sakramente bände."19 Calvin wiederum behauptete gegen Luthers Inkarnationschristologie, dass der Logos trotz der Menschwerdung auch weiter für sich existiere und wirke {extra calvinisticum). Auch in Bezug auf das Abendmahl verwarf er deshalb den Gedanken einer Realpräsenz und vertrat die eigentümliche Ansicht, „dass die Gläubigen sich im Geist zu dem im Himmel befindlichen

17 Karl Holl, Die Schriften des Epiphanius gegen die Bilderverehrung, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Band II, Tübingen 1928, 351-387, 363. 18 Zur Vorgeschichte vgl. Volker Leppin in diesem Band. 19 Art. Abendmahl, RGG, 3. Aufl., Bd. 1,31.

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Christus erheben sollen (sursum corda), mit ihm in seinem mystischen Leibe geeinigt werden und durch denselben Geist mit den Lebenskräften des Fleisches Christi gespeist werden."*0 Mit dieser betonten Entgegensetzung Gottes zum Menschen zeichnet sich auch im rationalen Theismus der Reformierten jener lange Schatten des Dualismus zwischen Geist und Sinnlichkeit ab, der das Christentum seit seiner Inkulturation in den Hellenismus begleitet. Angesichts dieser Kontroversen vermag jedoch der Rückgang auf die historische Konstruktion des Christentums zu zeigen, wie der christliche Glaube von Anfang an bestrebt war, an der Einheit von Mythos und Geschichte in seiner narrativen Grunderzählung festzuhalten, um darin auch die Einheit von Gott und Mensch zu gewährleisten. Im Verlauf der Christentumsgeschichte wurde die religiöse Distanzreduktion des Inkarnationsmotivs deshalb immer wieder gegen dualistische Alteritätssteigerungen aufgeboten.

3. Inkarnation und neuzeitliche Distanzverschärfung Nicht der religiöse Gehalt, aber die theoretische Gestalt dieser dualismuskritischen Grundhaltung des Christentums wird in der Moderne problematisch. In Fortschreibung der neuzeitlichen Metaphysik, die den Begriff der Substanz entweder mit dem hen kai pan des Universums identifiziert (Spinoza), oder ihn als Individualität interpretiert (Leibniz), transformiert sich die Substanzontologie, mit der die alte Kirche die Zwei-Naturen-Lehre begründet hatte, zur neuzeitlichen Erkenntniskritik, in deren Folge sich der Gegensatz zwischen Göttlichem und Menschlichem in vorher nie gewesener Weise verschärft.21 Sowohl die cartesianische Trennung zwischen res cogitans und res extensa, als auch die kantische zwischen noumenaler und phänomenaler Wirklichkeit drohen der schöpfungstheologisch wie christologisch vermittelten Einheit zwischen Gott und Welt, sowie zwischen Gott und Mensch den philosophischen und weltanschaulichen Boden zu entziehen. Darüber hinaus geht im Zuge einer umfassenden ,Rehabi20 Ebd., 32. 21 An anderer Stelle habe ich zu zeigen versucht, wie die Autoren auf der Schwelle von Spätaufklärung und Frühromantik auf diese neue Differenz zwischen Transzendenz und Immanenz mit dem Versuch einer religiös-ästhetischen Überbrückungsstrategie reagieren, in deren Verlauf das überkommene Dogma von der Menschwerdung Gottes zum religiösästhetischen Topos von der Darstellung des Göttlichen in menschächer Gestalt umgeformt wird (Markus Buntfuß, Darstellung des Göttlichen in menschlicher Gestalt. Zu einem religiösästhetischen Topos bei Johann Gottfried Herder, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Wilhelm Martín Leberecht De Wette, in: Claudia Albes/Christiane Frey (Hgg.) Darstellbaikeit. Zu einem ästhetisch-philosophischen Problem um 1800, Würzburg im Erscheinen).

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litation der Sinnlichkeit' durch die moderne Naturphilosophie und Anthropologie die dogmatisch fixierte Einheit zwischen göttlicher und menschlicher Person in Jesus Christus zugunsten einer an dessen historischem Menschsein orientierten Jesulogie verloren. Schließlich transformiert sich die Auslegungsmethode des mehrfachen Schriftsinns, mit der die vorneuzeitliche Hermeneutik den religiösen Sinngehalt der biblischen Texte zu sichern wusste, im Zuge der Unterscheidung zwischen zufalligen Geschichtswahrheiten und notwendigen Vernunftwahrheiten, sowie des wachsenden historischen Bewusstseins zur historischen Kritik, in deren Folge die Einheit von Mythos und Geschichte, von religiöser Bedeutung und historischem Faktum endgültig zu zerbrechen droht. Da ich hier nicht auf die philosophischen Ansätze des deutschen Idealismus, sowohl zur Überwindung dieses neuzeitlichen Dualismus als auch zur spekulativen Reformulierung des Inkarnationsgedankens eingehen kann,22 wende ich mich direkt der modernen Kritik am Inkarnationsdogma zu, das vor allem in der anglikanischen Theologie seine zentrale Stellung bis ins 20. Jahrhundert hinein behaupten konnte.23 Anders als die deutschsprachige protestantische Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts nämlich hat der Anglikanismus von jeher eine starke Affinität zum Inkarnationsgedanken. Dabei resultiert die spezifische Situation in der modernen anglikanischen Theologie der letzten 200 Jahre aus einer Kombination von Piatonismus- und Idealismusrezeption mit einer tief verankerten Inkarnationsfrömmigkeit. Nur vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass noch 1977 ein von John Hick herausgegebener Sammelband mit dem Titel The Myth of God incarnate,24 der in Deutschland25 relativ unaufgeregt zur Kenntnis genommen wurde, in England enorme Auflagenzahlen und heftigste Reaktionen ausgelöst hat. Die anglikanische Diskussion um den Inkarnationsbegriff demonstriert in exemplarischer Weise, mit welchen Problemstellungen eine moderne Inkarnationstheologie zu ringen hat und welche Lösungsstrategien sich dabei anbieten. In Bezug auf das Dogma von der Inkarnation haben die Autoren des Mythosbandes um John Hick die zentralen Einwände zusammengetragen. Ihre Kritik konzentriert sich vor allem auf ein wörtliches Verständnis der christologischen Bekenntnisaussagen und lässt sich in vier Punkte unterteilen: 1) Die einseitige Behauptung einer Einheit zwischen Gott und Mensch stelle eine illegitime Aufhebung des jüdisch-chrisdichen Grundaxioms der Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf dar. 2) Die inkarnationschristologische Identifikation von Gott und Jesus liefe auf Doketismus hinaus und verhindere die 22 Vgl. dazu den Beitrag von Jan Röhls in diesem Band. 23 Vgl. Ulrike Link-Wieczorek, Inkarnation oder Inspiration? Christologische Grundfragen in der Diskussion mit britischer anglikanischer Theologje, Göttingen 1998. 24 John Hick (ed.): The Myth of God Incarnate, London 1977. 25 John Hick (Hg.): Wurde Gott Mensch? Der Mythos vom fleischgewordenen Gott, Gütersloh 1979.

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Integration der historischen Person Jesu von Nazareth in die christologische Theoriebildung. 3) Die Inkarnationschristologie stelle eine Verengung der Vielfalt neutestamentlicher Christologien dar. 4) Die Inkarnationschristologie stelle mit ihrem spezifischen Erfullungsbewußtsein ein ernstzunehmendes Hindernis im christlich-jüdischen Dialog sowie im interreligiösen Gespräch dar. Die Schlussfolgerung aller Kritikpunkte läuft immer wieder darauf hinaus, dass die Inkarnationschristologie daran scheitere, Jesus als ein Geschöpf wahrzunehmen und das heißt umgekehrt, dass man unter dem deus incarnatus keine historische Person verstehen könne. Religiöse oder theologische Rede, die dies trotzdem tue, dürfe nicht wörtlich, sondern müsse mythisch bzw. metaphorisch verstanden werden. Diesem vielversprechenden Hinweis soll deshalb im Folgenden nachgegangen werden.

4. Metaphorische Interpretation der Inkarnation Das weite Feld der Metapherntheorien lässt sich unter Inkaufnahme gewisser Vereinfachungen in .schwache' und .starke' Metapherntheorien unterteilen.26 Als schwache Metapherntheorien werden in der Regel die Substitutions- und die Vergleichstheorie bezeichnet, als starke Metapherntheorie dagegen die Interaktionstheorie. Der Substitutionstheorie zufolge, die ihrer Intention nach auf -Aristoteles zurückgeht, gilt die Metapher als Phänomen des Wortgebrauchs auf der Ebene des einzelnen Nomens. Dort fungiert sie qua Übertragung als Ersatz für ein verbum proprium, das ebenso hätte verwendet werden können. Die Metapher ist demnach auf ein passendes Wort zurückfuhrbar, das aus stilistischen Gründen vermieden wurde. Im Sinne der Substitutionstheorie ist die Metapher eine uneigentliche und ersetzbare Redeform, deren Verwendung sich zur Beförderung von poetischem Stil und rhetorischer Kunst trotzdem als opportun erweisen kann. Die Vergleichstheorie, die sich auch schon bei Aristoteles findet,

26 Zum folgenden vgl. Markus Buntfuß, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache (ΓΒΤ 84), Bedin/New York 1997. Als Überblick über die exegetische Rezeption der Metaphorologie eignet sich u. a. Ruben Zimmermann, Metapherntheorie und biblische Bildsprache. Ein methodologischer Versuch, in: Theologische Zeitschrift 2000, 108-133. Zimmermanns Kritik an meinen angeblichen Zuordnungen (ebd., 116) bedarf jedoch einer Korrektur. Die Unterscheidung zwischen schwachen und starken Metapherntheorien bezieht sich nur auf das Kriterium der Ersetzbarkeit bzw. Unersetzbarkeit der Metapher und deckt sich weder mit der Unterscheidung zwischen traditionell-konzeptuellen und innovativ-lebendigen Metaphern (Kriterium: Konvention bzw. Neubeschreibung) noch mit derjenigen zwischen wiiklichkeitserhellenden und wirklichkeitserstellenden Metaphern (Kriterium: Mimesis bzw. Poiesis).

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überwindet die Beschränkung auf den Bereich des Nomens und geht von der Ebene des sprachlichen Ausdrucks oder Satzes aus. Ihrer Intention nach zielt sie jedoch in eine ähnliche Richtung wie die Substitutionstheorie, da sie die metaphorische Aussage durch einen äquivalenten wörtlichen Vergleich fur ersetzbar hält. Statt der eigentlichen Wortbedeutung entspreche der Metapher eine eigentliche Aussageform. Die Metapher wird als impliziter Vergleich aufgefasst, dessen Relationshälften via Analogie oder Ähnlichkeit zusammenhängen. Dem bekannten Beispiel aus der antiken Rhetorik, .Achill ist ein Löwe', entspricht also nach der Substitutionstheorie die eigentliche Wortbedeutung ,Achill ist tapfer* (oder wild, etc.) und nach der Vergleichstheorie die eigentliche Aussageform .Achill ist me ein Löwe' (aufgrund seiner Tapferkeit oder Wildheit, etc.). Sowohl substitutive wie analoge Metaphern können durch wörtliche Umformung ersetzt werden und stellen keine eigenständige sprachliche Aussage dar. Im Unterschied dazu insistieren .starke' Metapherntheorien darauf, dass die metaphorische Aussage kein Ersatz für einen formalen Vergleich oder eine wörtliche Aussage ist, sondern eine eigenständige Sprachform mit eigenen Leistungen darstellt. Natürlich wird nicht bestritten, dass es auch Substitutionsund Vergleichsmetaphern gibt. Abgesprochen wird ihnen jedoch der Alleinvertretungsanspruch für das Phänomen des Metaphorischen überhaupt. Gerade die interessantesten Metaphern lassen sich nicht mit der Substitutions- oder Vergleichstheorie interpretieren, sondern erfordern ein anderes heuristisches Instrumentarium. Als besonders leistungsfähig hat sich dabei die so genannte Spannungs-, Wechselwirkungs- oder Interaktionstheorie erwiesen, die auf Max Black27 zurückgeht. Die wesentlichen Fortschritte der Interaktionstheorie gegenüber der Substitutions- und Vergleichstheorie bestehen Ricoeur28 zufolge darin, dass sie den Geltungsbereich des Nomens und des Satzes auf den Bereich des Textes und des Kontextes hin erweitert. Demnach ist es nicht nur sinnvoll, von einer Wortmetapher (Wolkenkratzer) und einer Satzmetapher (Der Herr ist mein Hirte) zu sprechen, sondern ebenso von der Metaphorizität eines Textes, bzw. Kontextes, in dem ein Wort, bzw. ein Satz zu stehen kommt (z. B. die implizite Kampfmetaphorik einer theologischen Diskussion oder die Kriegsmetaphorik eines theologischen Buches). Außerdem geht die Interaktionstheorie von einer zweistelligen statt von einer dreistelligen Übertragungsrelation aus. Während die 27 Max Black, Metaphor, in: Proceedings of the Aristotelian Society 55, 1954, 273-294; wieder abgedr. in: Ders.: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy, Ithaka/New York 1962, 3. Aufl. 1966, 25-47; dt. in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, 2., um ein Nachw. zur Neuausg. und einen bibliogr. Nachtr. erg. Aufl., Darmstadt 1996, 55-79. Sowie Max Black, More about Metaphors, Dialéctica 31, 1977, 431-457; dt. in: Havetkamp, Theorie der Metapher, 379-413. 28 Paul Ricoeur, La métaphore vive, Paris 1975; dt. Die lebendige Metapher, München 1986, 2. Aufl. 1991.

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klassische Rhetorik die beiden Hälften der metaphorischen Aussage durch ein auf Analogie basierendes tertium comparationis vermittelt sein ließ, stoßen der Interaktionstheorie zufolge zwei unterschiedliche Kontexte oder Konzepte aufeinander, die nicht schon durch Analogie miteinander vermittelt sein müssen, deren Ähnlichkeit vielmehr erst durch die Metapher gestiftet wird.29 Das letztlich in der Ontologie wurzelnde Paradigma der Vermittlung durch Ähnlichkmt wird also durch das Paradigma der semantischen Spannung oder Wechselwirkung abgelöst. Metaphern, auf die diese Beschreibung zutrifft, leisten deshalb einen unersetzlichen Beitrag zur Erfassung und Konstruktion der Wirklichkeit. Denn sie vermögen sowohl bestehende Klassifizierungssysteme zu durchbrechen, um neue Ordnungen zu schaffen, als auch geltende Sinnbezüge zu stützen, um Orientierung zu gewährleisten.30 In dieser Funktion sind Interaktionsmetaphern irreduzibel und erlauben weder eine verlustfreie Übersetzung noch eine erschöpfende Paraphrase. Von der Interaktionstheorie her, die die Metapher als Kollision zweier Konzepte aus unterschiedlichen Seinsbereichen versteht, wäre nun zu fragen, ob es eine theologische Metapher gibt, für die diese gezielte Kategorienverletzung und -Überschreitung in besonderer Weise gilt. Und in der Tat, so eine Metapher gibt es: die kühnste theologische Interaktionsmetapher, die sich denken lässt, weil sie mit Hegels Worten eine „ungeheure Zusammensetzung" 31 darstellt, ist die Übertragung Gottes auf den Menschen und umgekehrt. Den produktivsten Vorstoß in die Richtung einer metaphorischen Interpretation der Inkarnation hat John Hick in seinem Buch The Metaphor of God Incarnate (1996)32 unternommen. Ihm geht es dabei jedoch weniger um einen Beitrag zur Funktionsbestimmung der theologischen Metapher, als vielmehr um eine Kritik am Primat des Inkarnationsdogmas im Neo-Anglikanismus. 33 Hicks Analysen zum Inkarnationsgedanken haben nämlich ihre Pointe darin, dass „Glaube an Jesus Christus nicht notwendig Inkarnationsglaube, Christologie daher nicht notwendig Inkarnationschristologie"34 sei. Als Grund für dessen Verabschiedung führt Hick das Scheitern jeder begrifflich-rationalen Explikation des Inkarnationsdogmas an. Dieses könne vor dem Hintergrund seiner Genese gar nicht anders als aporetisch ausfallen, weil sich das Dogma von der 29 Vgl. Christian Stmb, Abbilden und Schaffen von Ähnlichkeiten. Systematische und historische Thesen zum Zusammenhang von Metaphorik und Ontologie, in: Lutz Danneberg/Andreas Graeser/Klaus Petrus (Hgg.): Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft, Bern u. a. 1995,105-125. 30 Vgl. Michael Pielenz, Argumentation und Metapher, Tübingen 1993. 31 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Bd. 2, Werke, Bd. 17, neu edierte Ausgabe von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1970,278. 32 John Hick, The Metaphor of God Incarnate. Christology in a Pluralistic Age, London 1993. 33 Vgl. Ingolf U. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte. Zur Grammatik der Christologie, Tübingen 1994. 34 Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 7.

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Inkarnation als begriffliches Kürzel für die Glaubensvorstellung, dass Jesus Gottes Sohn war; etabliert habe. Damit freilich habe die theologische Lehrbildung einen folgenschweren Schritt vom ,Sohn Gottes' zu ,Gott dem Sohn' vollzogen, den Hick als unzulässigen Ebenenwechsel von der Metapher zur Metaphysik auffasst. „Während [die Aussage] Jesus ist Gottes Sohn' nach Hick eine metaphorische Aussage über Jesus von Nazareth ist, interpretiert er [die Aussage] Jesus ist Gott der Sohn' als eine metaphysische Aussage über Gott den Sohn."35 Die Aporie des wörtlich interpretierten Inkarnationsdogmas gründe demnach in „the incompatible-attributes problem'"** der Zwei-Naturen-Lehre, das Hick bis heute für ungelöst erachtet. Einzig der Weg der Negativbestimmung („unvermischt und unverwandelt"·, „nicht getrennt und nicht geschieden') sei in d e r L a g e g e w e s e n ,

die widersprechenden Aussagen zusammenzuhalten. Jeder Versuch dagegen, eine positive inhaltliche Formulierung zu finden, sei im Verlauf der Theologiegeschichte entweder als verfehlt bezeichnet oder als häretisch verurteilt worden. Die christologischen Kontroversen des 4. bis 7. Jahrhunderts seien von daher als vergebliche Versuche zu verstehen, dieses Problem der inkompatiblen Attribute zu vermeiden oder zu lösen. Daraus folgert Hick völlig zu Recht, dass das labile .Zugleich' von göttlicher und menschlicher Natur nur in und durch die Metapher bewahrt werden könne. Mit der Unmöglichkeit einer wörtlichbegrifflichen Erklärung und der daraus resultierenden Verabschiedung aus der Stellung eines Zentraldogmas solle keineswegs auch die religiöse Bedeutung des Inkarnationsgedankens verabschiedet werden. Die Rede von der Inkarnation müsse vielmehr als Metapher verstanden und ausgelegt werden.37 Dabei beruft sich Hick zwar auch auf die Interaktionstheorie der Metapher38 und referiert kurz, was er für deren wesentliche Einsichten hält. Doch zur Interpretation des Inkarnationsglaubens wird sie dann überraschenderweise gar nicht herangezogen. Stattdessen verlässt Hick die Metaphorologie genau dort, wo sie fruchtbar zu werden verspricht, und wendet sich wieder der Kategorie des Mythos zu, die er seit den 70er Jahren für seine Kritik am Inkarnationsdogma verwendet. Die Paraphrase der Metapher, bzw. die narrativ ausgeführte Metapher, versteht Hick nämlich im Unterschied zur Tradition nicht als Gleichnis, sondern als Mythos.39 Letztlich ist es also der Mythosverdacht und nicht der Metaphernverdacht, der gegen die Inkarnationsvorstellung erhoben wird. Den Begriff der Metapher verwendet Hick nur zu dem Zweck, um eine alternative Wahrheit des Mythos im Unterschied zur buchstäblichen Wahrheit des Begriffs behaupten zu 35 36 37 38 39

Ebd., 12. Hick, Metaphor, 102. Ebd.,104ff. Ebd., 99f. „A myth, so defined, is a much extended metaphor." (Ebd., 105).

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können. „Jesus ist Gottes' Sohn [sei] keine Aussage über Jesus, die wahr oder falsch sein könnte, sondern eine Metapher, die ein mythisches Motiv benützt, um Jesu Bedeutung für die Welt' auszusagen".40 An dieser Stelle jedoch wird deutlich, dass Hick der metaphorischen Interpretation der Inkarnation gerade keine Interaktionstheorie, sondern eine Substitutionstheorie zugrunde legt, insofern die Aussagegestalt Jesus ist Gottes Sohn' als Ersatz für den Aussagegehalt Jesu Bedeutung für die Welt' bzw. Jesu Bedeutung für uns' interpretiert wird. Weil Hick letztlich die Verabschiedung des Inkarnationsdogmas intendiert, wenn er die Inkarnation als Metapher verstanden wissen will, ist die Inkarnation nur eine Metapher für die .Bedeutung Jesu für uns'. Damit bleibt Hick aber bei einer unzureichenden Bestimmung der Metapher stehen und operiert letztlich wieder mit der substitutionstheoretischen Unterstellung, die religiöse Sprache sage, was sie eigentlich meine, mit Mythen und Metaphern. Seien diese hinsichtlich ihres Bedeutungsgehaltes entziffert, so könnten sie auch ersetzt werden. Festzuhalten sei nicht die kontingente Metaphorik, sondern das mit ihr Gemeinte. Mit diesem Metaphernverständnis jedoch wird die Rede von der Inkarnation letzdich überflüssig und die destruktive Intention verhindert eine zureichende Analyse der konstruktiven Funktion der theologischen Inkarnationsmetapher. Aus diesem Grund gehe ich im Unterschied zu Hick bei meiner Interpretation der Inkarnation als Interaktionsmetapher davon aus, dass die Paradoxalität des vere deus et vere homo keinen Fehler darstellt und folglich auch nicht als Mangel an begrifflicher Schärfe interpretiert darf, sondern als sprachliche Umgangsstrategie mit einem religiösen Paradox begriffen werden muss. So gesehen hätte das Chalcedonense nicht die Absicht, das Geheimnis der Inkarnation zu lösen, sondern es vielmehr als solches kundzutun. Unabhängig davon, ob das auch die Intention der Verfasser war und im Rahmen ihrer terminologischen Denkmittel lag, bestünde die besondere Funktion der interaktiven Inkarnationsmetapher dann darin, semantisch genau diejenige Schwebe zu halten, die eine begriffliche Fixierung zwangsläufig verlassen und zugunsten einer vereinseitigenden Bestimmung aufgeben muß. Was Hick, weil er die Zwei-Naturen-Lehre beim Wort nimmt, als Mangel einer nicht befriedigenden, weil nicht logisch-rationalen Explizierbarkeit beurteilt, verstehe ich als die Leistung der theologischen Inkarnationsmetapher. Die Metapher von der Inkarnation stellt demnach das präzise Bewusstsein von der nicht eindeutigen und nicht endgültigen Ausdeutbarkeit des in ihr zur Kontrastharmonie Verbundenen dar. Ihre Unbestimmtheit ist deshalb als qualifizierte Unscharfe zu bestimmen. Die Inkarnationsmetapher ist mit

40 Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 20.

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einer Formulierung des Sprachphilosophen Christian Strub41 eine .kalkulierte Absurdität', oder - wie Ricoeur es nennt - eine gezielte .Kategorienüberschreitung'.42 Nur so nämlich konnte die Inkarnationsmetapher zu der religionsproduktiven Grundübertragung des Christentums im Unterschied zur hellenistischen Gnosis werden. Dabei bleibt das vere deus et vere homo zwar auf Interpretation angewiesen. Doch erlaubt das keineswegs den Schluss, es sei auch auflösbar und ersetzbar. Die Inkarnationsmetapher verlangt zwar nach Deutung, aber so, dass sie selbst über jede realisierte Auslegung erhaben bleibt und durch keine bestimmte Deutung ausschöpfbar und fixierbar ist. Ich habe zu zeigen versucht, dass die theologische Rede von der Inkarnation einer metaphorischen Interpretation nicht nur bedürftig, sondern auch fähig ist, und dass diese metaphorische Interpretation keineswegs zu lasten ihrer religionsproduktiven Funktion fuhren muss, vorausgesetzt man bedient sich dabei einer leistungsfähigen Metapherntheorie. Doch meine These erschöpft sich nicht in der metaphorischen Interpretation der Inkarnation, sondern zielt darüber hinaus auf die inkarnatorische Interpretation der theologischen Metapher.

5. Inkarnatorische Interpretation der theologischen Metapher Indem die Inkarnationsmetapher dem Mensch-Konzept Göttliches und dem Gott-Konzept Menschliches prädiziert, stiftet sie eine neue Art des Aufeinander-bezogen-Seins von Gott und Mensch. Was ohne sie nur in der Weise der Entgegensetzung aussagbar ist, rückt durch die Inkarnationsmetapher in eine neue semantische und theologische Nähe.43 Insofern sich aus der theologischen Impertinenz, derzufolge Gott und Mensch zwei unterschiedlichen Sprach- und Seinsbereichen angehören, eine neue theologische Pertinenz ergibt, die es erlaubt, im Leben und Sterben des Menschen Jesus von Nazareth Gott selbst zu erkennen, resultiert aus der metaphorischen Wechselwirkung eine neue Nähe zwischen beiden Konzepten. Entscheidend für ein angemessenes Verständnis 41

Christian Strub, Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie, Fieiburg/München 1991. 42 Ricoeur, lebendige Metapher, 27f. u.ö. 43 „21. Denn .Kreatur' bedeutet nach Brauch der alten Sprache und in andern Sachen eine Sache, die auf unendliche Weise von der Gottheit getrennt ist. 22. Nach dem Brauch der neuen Sprache bedeutet es eine Sache, die mit der Gottheit untrennlich zu einer und derselbigen Person verbunden ist auf unaussprechliche Weise. 23. So müssen notwendig die Vokabeln Mensch, Menschheit, gelitten, usw. und alles, was man sonst von Christus sagt, neue Vokabeln sein." (Luther, Disputado de divinitate et humanitate Christi, W A 39 II, 93ff.; dt. nach Emanuel Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik, Bedin u. Leipzig 1937,41).

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der metaphorischen Funktion der Inkarnation bleibt dabei, dass ihre Bedeutung nicht in einer substituierten Aussageabsicht gesucht wird - etwa in der .Kräftigkeit von Jesu Gottesbewusstsein' oder in der .Bedeutung Jesu für uns' - sondern, dass sich die inhaltliche Bedeutung mit dem metaphorischen Verfahren deckt. Genau darin besteht ja die Pointe der Interaktionstheorie gegenüber der Vergleichs- und Substitutionstheorie. Für sie gilt, was Anselm Haverkamp bündig so formuliert: „An die Stelle des im Bild transportierten .Gehalts' tritt die Technik des sprachlichen Transports". 44 Dieser Verlagerung vom ontologischen Status zur sprachlichen Funktion hat auch die metaphorologische Interpretation religiöser und theologischer Redeweise zu folgen. Folgt man dieser Spur, dann erläutern sich der Vorgang der Menschwerdung und der metaphorische Prozess gegenseitig. Denn indem die Inkarnation als Übertragung interpretiert wird, erweist sie sich zugleich als deren Grund. Die Inkarnationsmetapher stellt gleichsam die strukturelle Übertragung des christlichen Glaubens dar. Die Figur der Metapher entspricht dem christologischen Grundvorgang selbst. Die Inkarnationsmetapher metaphorologisch interpretiert, gibt den Blick auf ihre selbstreferentiell-metaphorische Struktur frei: sie sagt, was sie macht, und sie macht, was sie sagt. Insofern die Metapher von der Inkarnation das Aufeinanderstoßen zweier — wie Hick ganz richtig bemerkt - inkompatibler Sprach- und Seinsbereiche vollzieht, die dabei nicht ineinander aufgehen, erfüllt sie die Charakteristika der semantisch beschriebenen Interaktionsmetapher in einer zumindest für die religiöse Sprache unübersteigbaren Weise. Deshalb aber erweist sich aus demselben Grund, aus dem inkarnationstheologisch von einem Zur-Sprache-Kommen Gottes gesprochen werden kann, auch das metaphorische Zu-Gott-Kommen der Sprache als legitim und begründet. Mit einer Formulierung von Hans Weder schreitet die metaphorologisch-theologische Sachordnung von der Fleischwerdung des Wortes zur „Auferstehung der Sprache" 45 fort. Die inkarnatorische Dimension der Metapher verweist den Gedanken auf die Leibhaftigkeit und die Materialität der biblische Texte und der ihm folgenden religiösen Sprache. Vor diesem Hintergrund müssen sowohl die historische Rückfrage nach den Spuren der Inkarnation im Leben Jesu von Nazareth als auch die ontologische Verhältnisbestimmung von zwei Naturen in Jesus Christus ihre Bedeutung verlieren. Weder in der historischen Faktizität noch in der reinen Bewusstheit eines damit eigentlich Gemeinten besteht der Sinn der Inkarnationsmetapher. Die Rückfrage hinter die Texte, in der Absicht, ihren .ontologischen Gehalt' bzw. ihr .sachliches Thema' zu rekonstruieren, erscheint mir von daher als verfehlt. Denn in44 Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, 2., um ein Nachw. zur Neuausg. und einen bibliogr. Nachtr. erg. Aufl., Darmstadt 1996,2. 45 Hans Weder, Neutestamentliche Hermeneutik, 2. Aufl., Zürich 1989, 419. Vgl. dazu auch Ch. L. Hart Nibbrig, Die Auferstehung des Körpers im Text, Frankfurt am Main 1985.

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dem die Metapher von der Inkarnation derart auf die inkarnierte Metapher verweist, konstituiert sie als Grund des christlichen Glaubens die materiale Textur und den Sprachleib des Inkarnationsglaubens selbst. Die semantische Funktion der theologischen Inkarnationsmetapher beruht weder auf einer von ihrer sprachlichen Form ablösbaren Bedeutung, noch darin, eine Oberflächenvariante des logisch-ontologischen Themas der Christologie zu sein. Das vere homo et vere deus ist vielmehr die metaphorologische Metapher schlechthin und somit die Grundübertragung des Christentums. Reduziert man die altkirchliche Christologie auf eine unstatthafte Transformation von biblischer Metaphorik in griechische Metaphysik, dann begreift man die Metapher noch immer von ihrem bildlichen Gehalt statt von ihrem Bedeutungstransfer her. Demgegenüber müssen die terminologischen Bestimmungen des Chalcedonense als Interaktionsmetaphorik interpretiert werden. Sie stellen zwei unvereinbare Kontexte bzw. Konzepte nebeneinander und bewirken deren Interaktion. Dabei wird eine Aussagehälfte durch die andere ausgelegt, ohne dabei in einem dritten Schritt einen Vereinigungs- oder Vermittlungspunkt anzustreben. Diese Interpretation des Chalcedonense ermöglicht es, die beiden Hälften der metaphorischen Aussage als unterschiedene festzuhalten. Die semantische Logik der Inkarnation zielt nicht auf eine neue ontologische Identität, sondern auf die Relationalität von Individualität. Das Gottkonzept und das Menschkonzept bleiben im vere homo et vere deus unterschieden, nur so können sie interagieren. Die Folge der interaktiven Inkarnationsmetapher ist somit eine ,Humanisierung des Konzeptes Gott' sowie eine .Deifizierung des Konzeptes Mensch'. Wie es die theologische Tradition seit Athanasius und Augustin festgehalten und Martin Luther mit folgenden Worten formuliert hat: „dass das, was des Menschen ist, mit Recht von Gott, und wiederum, was Gottes ist, vom Menschen gesagt werde."44 Insofern wurde zu Recht festgestellt, dass die Inkarnationschristologie in einer umfassenden Theanthropologie gipfelt.47 Im Anschluss an die Frage, wie Gott und Mensch zusammengehören, hat Hermann Deuser48 eine vergleichbare Neufassung des Inkarnationsgedankens vorgeschlagen, wobei er ebenfalls von dessen zentraler Stellung in der Grammatik des christlichen Glaubens ausgeht: „Das Spezifikum des Christentums liegt darin, dass es eine besonders radikale Repräsentation des Göttlichen zugrunde legt: die Menschlichkeit Gottes."49 Auf den metaphorischen Charakter dieser

46 Luther, Disputato de divinitate et humanitate Christi, nach Hirsch, Hilfsbuch, 40. 47 Gunther Wenz, „Et incarnatus est...et homo factus est.", in: MD 6/99, 103-108. Im Anschluss an Hegel bemüht Wenz jedoch noch einmal das Paradigma begrifflich-spekulativer Vermittlung, statt dasjenige einer sprachlich-hermeneutischen Übertragung. 48 Inkarnation und Repräsentation. Wie Gott und Mensch zusammengehören, ThLZ 124/1999,4,355-370. 49 Ebd., 365.

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Übertragung des Menschkonzepts auf das Gottkonzept geht Deuser jedoch nicht ein, obwohl er die Inkarnation ganz im Sinne der Spannungs- und Interaktionstheorie eine „Zusammensetzung der Extreme" 50 nennt. Deuser rekonstruiert den Inkarnationsgedanken nicht als Ergebnis metaphorischer Interaktion, sondern als Resultat semiotischer Repräsentation. „Dass Gott in Jesus Christus repräsentiert wird, kann spätestens seit Augustin als ein Darstellungsproblem rekonstruiert werden, worin nicht mehr Substanz sondern Relation als philosophischer Grundbegriff fungiert."51 Eine Beurteilung dieses Ansatzes im Vergleich zu dem hier vorgelegten hängt vor allem davon ab, welche Leistung man der Semiotik im Unterschied zur Metaphorologie für die Reformulierung überlieferter Glaubenssätze zumisst. Diese Diskussion kann hier nicht geführt werden. Deshalb sei nur auf einige charakteristische Unterschiede hingewiesen. 1. Zunächst sieht Deuser das Projekt einer semiotischen Theologie im engen Zusammenhang mit dem von Charles S. Peirce sogenannten „Vernachlässigte^] Argument für die Realität Gottes"52, weshalb er davon ausgeht, „dass in einer allgemeinen Religionstheorie sich die Unumgänglichkeit der Gott-Hypothese plausibel machen läßt".53 Demgegenüber beschränkt sich eine metaphorologische Theologie im hier skizzierten Sinne auf das religiöse Zeichensystem des Christentums, ohne damit den Anspruch einer Reformulierung der Gottesbeweise zu erheben. 2. Dagegen scheint sich der Begriff der Repräsentation auf ein monolaterales Darstellungsverhältnis zu beschränken: Darstellung Gottes im Menschen Jesus von Nazareth, wobei das soteriologische Interesse an der umgekehrten Ubertragungsrichtung („er wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden."54) verloren zu gehen droht. Gerade auf diesen Aspekt einer bilateralen Ubertragungsrichtung jedoch legt eine von der Interaktionstheorie ausgehende Metaphorologie ihren Schwerpunkt. 3. Insofern sich Deuser schließlich des dreistelligen Zeichenbegriffs von Peirce bedient und eine Entsprechung zwischen religiösem Gehalt und formaler Gestalt anvisiert, terminiert der zweistellige Inkarnationsgedanke bei ihm

50 Ebd., 357. 51 Ebd., 360. 52 Vgl. Charles S. Peirce: Religionsphilosophische Schriften, hrsg. von Hermann Deuser, Hamburg 1995 (PhB 478), Text-Nr. III.6. 53 Deuser, Inkarnation und Repräsentation, 360. 54 Athanasius, De incamaäone, Des HL Athanasius Schriften, Bd. 2 (Bibliothek der Kirchenväter Bd. 31), München 1917, 152. Nicht nur als Ausdruck hellenischer Unsterblichkeitssehnsucht, sondern auch im Interesse an der Erkennbarkeit Gottes wird Athanasius dabei vom Gedanken der Menschwerdung des Logos zum Gedanken einer Theopoiesis des Menschen geführt. Von Anbeginn an spielt also in die Inkarnationslehre ein soteriologischtheanthropologisches Interesse mit hinein.

Inkarnation als Interaktion

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erst im dreistelligen Trinitätsgedanken.55 Nicht die Inkarnation, sondern die Trinität steht somit im Mittelpunkt seines eigentlichen Interesses. Demgegenüber behauptet eine metaphorische Interpretation der Inkarnation auf der Basis der Interaktionstheorie gerade das christologische Proprium gegenüber einer trinitätstheologischen Aufgipfelung.

6. Inkarnationsmetapher und metaphorologische Theologie Nun könnte freilich der Eindruck entstehen, dass die Inkarnationsmetapher, indem sie als Grundübertragung des Christentums bezeichnet wird, als einzig legitime christologische Metapher überhaupt, oder sogar als implizite Formel für das Wesen des Christentums verstanden wird. Die entscheidende Intention bei der Rede von der Inkarnationsmetapher als Grundübertragung des Christentums zielt jedoch nicht auf die exklusive Erhebung der Inkarnationsvorstellung zum einzig adäquaten inhaltlichen Kriterium für die theologische Metaphembildung etwa im Unterschied zu anderen Metaphern und Symbolen, wie dem Wort vom Kreuz, der Auferstehung, oder dem Wort Gottes.56 Die Inkarnationsmetapher soll demnach nicht die Frage nach dem christologischen , Kanon im Kanon' lösen. Vielmehr nimmt sie die Funktion des theologischen Grundes für das strukturelle Faktum der religiösen Übertragung zwischen Gott und Mensch ein, die überall in der christlichen Glaubenssprache und der religiösen Poesie57 am Werk ist. Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Funktion kommt dann auch den anderen biblischen und religiösen Metaphern ihre spezifische Eigenbedeutung zu. Doch die Protosemantik des Christentums sehe ich durch die Protometaphorik der Inkarnation legitimiert {proto- nicht historisch, sondern sprachlogisch verstanden). Die theologische Sachordnung hat deshalb m. E. von der Inkarnationsmetapher auszugehen und von dort aus zur Auferstehungsmetapher fortzuschreiten. Bildet sich auch das österliche Kerygma in umgekehrter Reihenfolge, so bedeutet das gerade nicht eine sachliche Nachordnung der Inkarnation, wie dies in der Kritik an ihrer späten Genese immer wieder geäußert wurde. Bei der systematischen Anordnung von Inkarnation und Auferstehung geht es demnach um eine Reihenfolge in der Semantik des Glaubens. „Übertragung 55 Hennann Deuser, Trinität und Relation, in: MJTh X, 1998, 95-128. 56 Vgl. den Beitrag von Ulrich H. J. Körtner in diesem Band, sowie Ders.: Der handelnde Gott. Zum Verständnis der absoluten Metapher vom Handeln Gottes bei Kad Barth, NZSTh 31,1989,18-40. 57 Vgl. den Beitrag von Christina Hoegen-Rohls in diesem Band.

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der Lebendigkeit Gottes auf das Leben Jesu" 58 (Inkarnation): erste Metapher „Übertragung des Lebens und Sterbens Jesu auf Gott" 5 9 (Auferstehung): zweite Metapher! Am Anfang steht eine Metapher des Beginns und nicht eine Metapher des Endes wie es die Kreuzestheologie will. Die Inkarnationsmetapher will also keine Abschluss-, sondern eine Eröffnungsfigur sein. Indem sie den Gedanken nicht fixieren will, sondern eine Aufforderung zur unabschließbaren Arbeit der Interpretation ist, macht sie den Weg frei für eine pluralitätsoffene und pluralitätsfähige metaphorologischen Theologie.60 Und das heißt frei für eine Fülle von metaphorischen Annäherungen an das gesamte Themenspektrum der Theologie. Sowohl im engeren Sinne theo-logische Metaphern,61 wie christologische und pneumatologische Metaphern erhalten vor dem Hintergrund der prinzipiellen Übertragbarkeit zwischen Gott und Mensch ihre hermeneutische Begründung. Deshalb sehe ich auch keinen Grund, warum sich die metaphorische Theoriebildung der Theologie nur auf die Ausdeutung ihrer überlieferten Wurzelmetaphern beschränken sollte, sondern verstehe die prinzipielle Übertragbarkeit zwischen Menschkonzept und Gottkonzept als Einladung zur innovativen Erschließung immer neuer Sprachbereiche. Damit kommt einer an der Inkarnationsmetapher ausgerichteten theologischen Metaphorologie nicht nur eine rezeptive, sondern auch eine — ζ. B. für die Homiletik62 und eine aktuelle Medientheologie63 entscheidende - produktive Funktion zu. Unter diesen Bedingungen kann es sich bei der Rede von der Inkarnation also auch nicht mehr um die dogmatische Fixierung einer gegenständlichen Redeweise von Gott, dem Logos, oder der historischen Person Jesu von Nazareth handeln. Sie muss vielmehr als religiöser Interpretationstopos verstanden werden, mit dem in der christlichen Religion das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in den Blick genommen wird. So verstanden lebt die Inkarnationsvorstellung aus einem religiösen Modell, das seine Logik aus einem Gegenüber des Glaubens und das heißt aus einer spannungsvollen Wechselbeziehung zwischen dem Gläubigen und seinem Gegenstand bezieht. Ohne dieses Modell einer Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf — so die christliche Redeweise — oder zwischen Unendlichem und Endlichem, zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen Geist und Sinnlichkeit — ohne eine derartige polare Struktur wird 58 Weder, Hermeneutik, 422. 59 Weder, Hermeneutik, 200. In klassischer Weise gibt auch Melanchthon dieser Übertragungsrichtung Ausdruck: „Christus est homo, logos est homo, Christus est vulneratus, Christus est mortuus, Deus est mortuus." (Corpus Reformatorum, 23,90). 60 Eindrucksvoll hat Martin Wallraff den Vorgang einer geradezu ausufernden Metaphorisierung des Christusgeschehens in der Spätantike beleuchtet (Vgl. seinen Beitrag in diesem Band). 61 Vgl. Jürgen Werbick, Bilder sind Wege. Eine Gotteslehre, München 1992. 62 Vgl. Thomas Luksch, Predigt als metaphorische Gott-Rede. Zum Ertrag der Metaphernforschung fur die Homiletik, Würzbuig 1998. 63 Vgl. dazu den Beitrag von Klaas Huizing in diesem Band.

Inkarnation als Interaktion

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die Inkarnationsvorstellung sinnlos. Bleibt diese Polarität als religiöse Deutedifferenz jedoch erhalten, dann bezeichnet die Inkarnation in der christlichreligiösen Weltsicht genau diejenige Vorstellung, wodurch die Logik der christlichen Religion ihre Dynamik gewinnt. Dann wird die Inkarnation als die religionsproduktive Vorstellung des Christentums erkennbar, die dem Endlichen nicht einfach ein Unendliches, der Sinnlichkeit nicht einfach einen Geist entgegensetzt, sondern aus der je unterschiedlich akzentuierten Wechselbeziehung zwischen beiden einen dynamischen Kommunikationsprozeß, mithin die Lebendigkeit der Religion gewinnt. Insofern hat man im Christentum auch weniger ein verhängnisvolles Erbe, wie Kondylis suggeriert, als vielmehr eine konstruktive Adaption des Piatonismus zu erkennen. Freilich nicht im Sinne einer dualistischen Zwei-Welten-Theorie, sondern einer lebendigen Kontrastharmonie: Inkarnation als Interaktion.

Philipp Stoellger Jesus ist Christus'. Zur symbolischen Form der Christusmetapher und einigen Folgen für die systematische Theologie

Einleitung Was für Folgen hat die neuere Metapherntheorie für die Theologie, und zwar näherhin für die systematische Theologie? Oder vorsichtiger gefragt: welche Möglichkeiten und Aufgaben eröffnen sich? Angesichts dessen, dass in den exegetischen Fächern die Metaphemforschung längst gängig ist, scheint die Frage seltsam verspätet. Zwar ist die Metapherntheorie in der Systematik spätestens seit Eberhard Jüngels und Paul Ricoeurs Studien von 1974 präsent, aber einerseits ist dieser Anfang nur von wenigen fortgeschrieben worden, andererseits haben sich mittlerweile der Horizont und die Fragen etwas verändert. Wenn allein der Begriff einer Sache ihre klare, deutliche und adäquate Erkenntnis bildete, wären die Metaphern allenfalls eine façon de parier religiöser Rede. Als solche mögen sie in der Analyse religiöser Texte zu beachten sein, mehr aber auch nicht. Ebendiese Üblichkeit wird durch die Sprachphilosophie seit Vico und verwandte Theorien wie die Semiotik fraglich, sofern die Metapher nicht nur als ,νοη wörtlicher Rede' abgeleitet gilt. Dann fragt sich, inwiefern die Metapherntheorie nicht allein als Methode der historischen Forschung und der Textanalyse relevant ist, sondern Implikationen und Konsequenzen hat, die die Systematik der Theologie betreffen, ihre Methode, ihren Status und ihre Sprache. Allerdings war es vor allem die exegetische .Arbeit am Phänomen', die auch für die Systematik die Frage hat unausweichlich werden lassen, ob die Metaphern nicht doch gravierender sind, als man lange meinte. Die Gleichnisforschung ließ fraglich werden, ob vom Reich Gottes noch .eigentlich' geredet würde, wenn der Begriff an die Stelle der Metapher träte — und ergeht es nicht im Grunde allen Themen der Theologie so? Um dem nachzugehen, werde ich indirekt auf einem Umweg 1. zur Entselbstverständlichung eine geliehene Parabel anführen, in der die Christologie

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mit all ihren Häresien metaphorisiert wird; 2. diese Parabel im Licht der Gleichnisthese erörtern; 3. einige Folgen der Metaphernthese für die systematische Theologie ausführen; die ich 4. an einem Beispiel präzisiere, inwiefern Jesus Christus' eine Metapher ist; und 5. sei ein Ausblick auf die weiteren Folgen der Metaphorologie für die Systematik skizziert, und zwar unter dem Aspekt der Topik.

1. Ecos Theologenparabel: Christologie als Monstrologie Ecos jüngster Roman .Baudolino' erzählt die Geschichte eines piemontesischen Bauernsohnes, der durch glückliche Zufälle zum Berater und Adoptivsohn Friedrich Barbarossas avanciert. Während andere seiner Zeit auf der Suche nach dem heiligen Gral die Welt durchstreifen, sucht Baudolino nicht weniger als das sagenhafte Reich des Priesterkönigs Johannes, das irgendwo im Orient liegen soll, in der Nähe des irdischen Paradieses.1 So abwegig dieses Unternehmen scheint, eine Reise voller Hindernisse und Umwege, so hat auch Ecos Roman mühsame Längen auf dem Weg an die Grenzen der Welt und darüber hinaus. Aber gegen Ende, nach 400 Seiten, kommt auch der Leser endlich an2 — zumindest an die Grenzen dieses sagenhaften Reiches — und findet mit Baudolino eine vergangene Welt voller Fabelwesen, beinahe wie im Vorhof der Hölle. Dort finden sich: 1. Einbeinige Skiapoden, von denen ein besonders sprachbegabter namens Gavagai Baudolino und seinen Freunden als Hermeneut dieser versunkenen 1

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Umberto Eco, Baudolino, München/Wien 2001, 376. — Der .Priesterkönig Johannes' wird erstmals 1145 von Otto von Freising erwähnt. Er sei ein Nachkomme der heiligen drei Könige und herrsche über ein sagenhaftes Reich im Osten (wie Melchisedek). 1165 kursiert in Europa ein Brief von ihm, der sich an alle Herrscher Europas, besonders an Friedrich I. wendet, der immenses Aufsehen erregte (noch heute gibt es über 200 Abschriften). 1177 antwortete Papst Alexander III. darauf (nicht erhalten), und nennt Johannes .König der Inder'. Ob Indien gemeint ist, ist fraglich, denn .Indien' nannte man zu der Zeit das Horn von Afrika, also könnte Äthiopien gemeint sein (Verwechslung seit Vergil). - Selbst wenn dieses Reich und der Priesterkönig nur Legende wären, seine Wirkung auf das Abendland war eine merkliche Beunruhigung von Kaiser und Papst im Blick auf ihre Alleinvertretungsansprüche. Vgl. Wilhelm Baum, Die Verwandlungen des Mythos vom Priesterkönig Johannes, Klagenfurt 1999. Zu den Handschriften des Priesterkönig Johannes (.Presbyterbrief) vgl. Berlin, Staatsbibliothek, mgo 56, Bl. lr-13v; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. nova 2663, Bl. 235v-237v; München, Staatsbibliothek, Cgm 1113, Bl. 85r-91v; Paris, Nationalbibliothek, Ms. allem. 150, Bl. 192r-200v (zusammengestellt von Klaus Klein, Marburg 2000). Eco, Baudolino, 415ff. Ebd., 416ff.

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Welt dient. Das ist auch dringend nötig, denn dort tummelt sich ein monströses Allerlei, das dem Fremden so erschreckend wie unverständlich erscheinen muss. Auffallig an den vielen Monstern ist prima vista ihre groteske Gestalt. Sie selber aber, wie auch Gavagai, halten ihre Theologie für entscheidend. Während sie sich an die Gestalt der Anderen längst gewöhnt haben, wird in ihrer Perspektive die Gattungsdifferenz .eigentlich' durch ihre Theologie bestimmt. So lehren die Skiapoden: „daß Sohn nicht gleiche Natur wie Vater, weil Vater schon da vor aller Zeit, während Sohn geschaffen von Vater, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Wille. Darum Sohn im Grunde nur Adoptivsohn von Gott, nicht?"4. Demnach sind die Skiapoden Arianer oder zumindest deren getreue Nachfahren mit adoptianischer Christologie. 2. Die Blemmyer sind breitschultrige, untersetzte Wesen, mit schmaler Hüfte, zwei kurzen behaarten Beinen, aber ohne Kopf und Hals. Auf der Brust haben sie zwei mandelförmige, lebhafte Augen und etwas tiefer, ungefähr in Höhe des Bauches, ein dehnbares Loch, mit dem sie sprechen und essen. Zu ihnen meint der Skiapode Gavagai: „Sie Christen auf falschem Weg. Sie pbantasiastoi. ... Blemmys ... sage: Ja, Sohn nicht gleiche Natur wie Vater, aber Sohn Logos, und Logos, auch wenn nur Adoptivsohn von Vater, kann nicht werden Fleisch. Also Jesus nie Fleisch geworden, und was Apostel gesehen, war bloß ... wie sage ... Phantasma ... nur Phantasma von Gott am Kreuz gestorben, nicht geboren in Bethlehem, nicht geboren von Maria, sondern eines Tages am Fluß Jordan vor Johannes dem Täufer erschienen, und alle gerufen oh!"6. Offensichlich sind die Blemmyer Doketen, denen der Inkarnierte nur als Schein gilt und die darum auch kein Abendmahl feiern. 3. Die Panotbier sehen fast wie normale Menschen aus, haben aber zwei Ohren, die ihnen bis zu den Knien reichen, in die sie sich hüllen, wenn sie frieren, und mit denen sie sogar fliegen können. Gavagai zufolge ist „ihnen egal, was Sohn mach, wenn runtersteige auf Erde. Sie nur denke an Heiligen Geist. Sie sage, Christen in Abendland denke, dass Heiliger Geist ausgehe von Vater und Sohn. Sie protestiere und sage, dies ,und Sohn' später hinzugefügt und in Credo von Konstantinopolis noch nicht drin gewesen. Für sie Heiliger Geist nur ausgehe von Vater" . Wenn sie das filioque bestreiten, vertreten (und verkörpern) sie eine dezidiert .orthodoxe' Theologie.

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Ebd., 422. Ebd., 419. Blem(m)yes: „Ein nomadisches Volk in Untemubien, kopt. Belehmu ..., die .Blinden'", das „auf dem rechten Nilufer gegenüber den Nubai" wohnte und als Räuber gefürchtet war (Kleiner Pauly, Bd. 1, München 1979, 913). Eco, Baudolino, 422. Ebd., 421. Ebd., 422.

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4. Deren direkte Gegner sind die Pygmäen. Dunkelhäutig und nur mit einem Lendenschurz bekleidet, lehren sie im Gegenteil, dass „Heiliger Geist nur ausgehe von Sohn und nicht von Vater"10. 5. Die Ponkier sind Wesen mit geraden Beinen ohne Kniegelenke, die steif wie auf Pferdehufen daherstaksen.11 Den männlichen Ponkiern hängt der Phallus an der Brust, während bei den weiblichen an gleicher Stelle die Vagina ist. (Über ihre Christologie erfährt man nichts.) 6. Die einäugigen Giganten sind struppig und schlecht gekleidet, hüten Schafe und Rinder und hausen in Felsenhöhlen. In Gavagais Augen denken sie am allerschlechtesten. „Sie artotyritoi2, Leute, die glaube, daß Jesus im Letzten Abendmahl Brot und Käse gewandelt, weil sage, so war normales Essen bei alten Patriarchen. Darum mache Kommunion mit Brot und Käse"15. 7. Die Zungenlosen sind von menschlicher Gestalt, können aber nur stammeln und leben außerhalb der Stadt. Sie sind Messalianer, die glauben, „man könne allein durch ständiges stilles Gebet in den Himmel kommen", ohne Sakramente, ohne gute Werke und ohne Gottesdienst.14 Deswegen meinen sie auch, Arbeit als ein gutes Werk sei zu vermeiden — was sie nicht besonders beliebt macht. 8. Die Nubier5 sind „Circumcellionen" und besonders gute Krieger, weil sie unbedingt das Martyrium suchen, oder mit Gavagai gesagt: „Kaum irgendwo Krieg, gleich suche Martyrium" . 9. Schließlich gibt es noch Eunuchen, deren Oberster namens Praxeas dieses ganze Monstrositätenkabinett kommentiert: „Sie leben hier seit Jahrhunderten zusammen, sie haben sich aneinander gewöhnt, und indem sie sich weigern, die Monstrosität ihrer Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen, übersehen sie die eigene. Monster, jawohl, Tieren ähnlicher als Menschen, aber fähig, sich schneller als Kaninchen zu reproduzieren. Das ist das Volk, das wir regieren müssen, und zwar mit unbeugsamer Härte, um zu verhindern, daß sie einander gegenseitig umbringen, jeder benebelt von seiner eigenen Häresie ... Aber es ist ganz natürlich, daß die Natur auch Monster hervorbringt, unerklärlich ist eher, warum nicht inzwischen die ganze menschliche Gattung monströs geworden ist, seit sie das gräßlichste aller Verbrechen begangen und Gottvater gekreuzigt hat" .

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Ebd., 426. Ebd., 422. Ebd., 420. Aus ápTOS (Brot) und τυρόω (Käse raachen; durcheinanderrühren) - wohl metaphorisch zu hören: Brot-Käsemacher und die, die .alles durcheinanderriihren und verwirren'. Ebd., 428. Ebd., 423. Der Kleine Pauly, Bd. 1, 201ff., verweist auf Aithiopia. Eco, Baudolino, 429; vgl. 441f. (zu den Gtcumcellionen bzw. Donatisten). Ebd., 438.

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Praxeas ist demnach Patripassianer und verurteilt aus dieser Perspektive alle, die anders denken: „Einige dieser Monster glauben ..., daß der Sohn vom Vater nur adoptiert worden sei [wie die Skiapoden], andere hören nicht auf zu diskutieren, wer von wem ausgeht, und jeder läßt sich, monströs wie er ist, von seinem monströsen Irrtum dazu hinreißen, die Hypostasen der Gottheit zu vervielfachen, im Glauben, das Höchste Wesen bestehe aus drei oder gar vier verschiedenen Wesenheiten. Heiden! Es gibt eine einzige götdiche Wesenheit, die sich im Laufe der menschlichen Geschichte in verschiedenen Formen oder Personen manifestiert. Diese einzige göttliche Wesenheit ist, insofern sie zeugt, Vater, insofern sie gezeugt ist, Sohn, und insofern sie heiligt, Geist, aber es handelt sich stets um ein und dieselbe göttliche Natur — der Rest ist wie eine Maske, hinter der Gott sich verbirgt. Eine Wesenheit ist eine einzige dreifaltige Person und nicht, wie einige Häretiker behaupten, drei Personen in einem Wesen. Aber wenn das so ist und wenn Gott wirklich Fleisch geworden ist, als ganzer, wohlgemerkt, und nicht indem er bloß einen adoptierten Ableger seiner selbst delegiert, dann hat kein anderer als der Vater selbst am Kreuz gelitten ..." . Baudolino und seine Gefährten hatten erwartet, mit dem Reich des Presbyters Johannes die irdische Gestalt des Reiches Gottes zu finden. Was sie vorfinden ist dagegen einigermaßen skurril: ein lebendiger Hieronymus Bosch, alles voller Monster, eine Physiognomik der Häresien und ein theologiegeschichtliches Kuriositätenkabinett. All diese Monsterchen denken anscheinend ihrer körperlichen Absonderlichkeit entsprechend von Christus und der Trinität: die kinderlosen Eunuchen sind Patripassianer, die gewaltigen Nubier leidenschafdiche Märtyrer, die flugtauglichen Panothier mit ihren großen Ohren sind vehemente Pneumatologen, die das filioque bestreiten, die Giganten als Schafhirten feiern Abendmahl mit Käse, die Zungenlosen beten in der Stille, die kopflosen Blemmyer leugnen die Inkarnation und so weiter. Für die abendländischen Besucher ist beides befremdlich, die Gestalten wie deren theologischer .Gehalt', ihre theologischen Idiosynkrasien. Für derartige Spitzfindigkeiten haben die aus der Westkirche keinen Sinn, geschweige denn für deren lebensweltliche Verträglichkeit. Denn seltsam ist ja nicht nur, daß all diese Unverträglichkeiten überhaupt überlebt haben in einer Art häresiologischem Feuchtbiotop. Seltsam ist auch, dass sie friedlich miteinander leben. Wie

18 Ebd., 439. Des Weiteren sind noch zu nennen: 10. die Satyrn-die-man-nie-sieht; 11. den Diakon des Presbyters Johannes, von dem Gavagai meint „Diakon nix denke. Diakon befehle" (ebd., 429).

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Gavagai meint: „Hier niemand Feind von niemand ... Jeder denke, wie will, auch wenn schlecht denke"", denn: „Alles gute Christen und treue Diener von Diakon und Presbyter (Johannes]"20. Baudolino und seine Freunde sehen dagegen — physiognomisch gleichsam — nur was sichtbar ist, die absurden Gestalten. Worauf es den Fabelweltbewohnern ankommt, die theologischen Differenzen, sind ihnen gleichgültig. Sagt doch einer von Baudolinos Begleitern: „Mir scheint das eine Sache für Graeculi zu sein. Für uns im Norden war es immer viel wichtiger zu wissen, wer der wahre Papst und wer der Gegenpapst war"21. Wer sich nur an diesem groben Unterschied orientiert, hat für die Narzismen der feinen Unterschiede keinen Sinn. Die hätten im Westen nie überlebt. Der offensichtliche Pluralismus an Gestalten ist für die Monster erstaunlicherweise kein Grund, große Unterschiede zu machen — sondern es sind die christologischen und trinitarischen Divergenzen, die die feinen Unterschiede machen. Die Sozialstruktur ist theologisch definiert, wie ihre biologische Ausgestaltung. Die Artenvielfalt ist Gestalt gewordene Häresiologie. Wer anders denkt, hat einen anderen Leib, aber alle Arten leben in einer Welt zusammen. Nur ist diese ungeheure Verträglichkeit eben nicht in der Welt verortet, in der wir leben, nicht im Abendland, sondern in einer Vorform des Reiches Gottes. Dort sind viele Zimmer, für jede Häresie eines. Ecos postmoderne Perspektive auf sein prämodernes Kuriositätenkabinett ist eine Theologenparabel, wenn auch eine etwas frivole: Er fabuliert über den häretischen Pluralismus, der in grotesker Gestalt geradezu liebenswert wirkt — und aus italienischer Perspektive vermisst zu werden scheint. All die Absurditäten der Vergangenheit sind reale Gegenwart in diesem Fabelreich, und ohne sie wäre diese Lesewelt wüst und leer. ,Und wenn sie nicht gestorben sind, theologisieren sie noch heute' — so mag man Ecos Fabel resümieren, auch wenn das märchenhaft scheint, ein frommer Wunsch nach der Gegenwart der Vergangenheit. Ganz vergeblich aber ist dieser Wunsch zum Glück nicht. Denn da sie nicht gestorben sind, theologisieren sie tatsächlich noch heute: über allerlei Lehrverurteilungen und über das filioque, über die Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten und die Probleme des Adoptianismus, über den auferstandenen oder auferweckten Gekreuzigten und mit vollem Ernst auch noch über das leere Grab. Ecos Visionen sind so fiktiv nicht, wie sie scheinen. Manch ein Kongress mag belegen, dass Gavagai und

19 Ebd., 428. 20 Ebd., 420. 21 Ebd., 423.

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seine Freunde nicht gestorben sind, sondern noch heute leben und ihre feinen Unterschiede pflegen — auch wenn die physiognomischen Grotesken selten geworden sind. Dagegen wäre die römische Lösung, wie Eco sie karikiert, der Ausweg in eine theologische Monokultur: Wenn es nur um ,den wahren Papst' ginge, würden alle Ausgeburten der Theologiegeschichte auf der Strecke bleiben. Bedauerlicherweise ist dieser Ausweg, zumindest im Abendland, ja auch meist der gesuchte, und das nicht erst in der Ökumene: eine rechte Lehre als die Leitfigur, an der man sich zu orientieren hat und seine Erfahrungen eindeutig deuten kann, um nicht auf die Abwege der spekulativen Monster zu geraten. Und da es âne rechte Lehre immer nur als Lehre des einen gibt, darf es eigentlich auch nur einer sein, der diese Lehre lehrt. Zwei rechte Lehrer sind mindestens einer zuviel, denn jede Perspektivendifferenz lässt die eine rechte Lehre schon wieder problematisch werden. Baudolino hingegen ist auf seiner Reise in die vergessene Welt nicht von der einen rechten hehre geleitet, sondern von einer Legende, der des Priesterkönigs Johannes. Insofern ist seine Reise ein Weg auf .Vermutungen plus ultra', jenseits dieser Welt, und damit auch ein Weg des Vergessens, des Zurücklassens der rechten Lehre mit ihrer so (vermeintlich) eindeutigen wie engen Differenz von Papst und Gegenpapst. Er nimmt eine Phantasie als Orientierung, macht sich in freudiger Erwartung auf die Suche nach dem, was es nicht gibt — und findet es auch noch. Man könnte meinen, er verkörpert eine Kultur des Umwegs, der die grotesken und arabesken Abwege nicht nur nicht vermeiden kann, sondern schließlich sogar lieben lernt: eine Figur der gewagten Horizontüberschreitung.

2. Ecos Parabel im Licht der Gleichnisthese 2.1. Baudolinos Entdeckung der Unbestimmtheit Was Baudolino auf seinen Ab- und Umwegen entdeckt ist nicht weniger als die vom Westen in den Osten verdrängte Geschichte der Theologie. Was auf dem Weg der ,rechten Lehre' Roms auf der Strecke blieb und hier wiederkehrt ist die ungeheure Unbestimmtheit der Anfänge der Theologie. Bedrohlich an diesen häretischen Ungeheuern ist daher, dass sie durchaus Denkbares verkörpern — hier zumindest gilt: was einmal wirklich war, bleibt immer möglich. So gesehen stellen sie reale 22 Als würde der rechte Lehrer mit dem Parakleten gemessen oder der zweite Lehrer ein falscher Messias sein.

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Möglichkeiten der Theologie dar, nicht nur der vergangenen. Und bei aller Absurdität sind die primitiv wirkenden Monster ja mitnichten barbarisch, sondern theologisch durchaus gebildet. Wer für die Bildungsfunktion des Christentums plädiert, wird diese häretische Ausdifferenzierung jedenfalls kaum gering schätzen können. Nun läge angesichts der schönen alten Monsterwelt nichts näher, als Ecos fabelhafte Zuschauerdistanz einzunehmen und sich in skeptischer Heiterkeit dieses bunte Treiben anzuschauen, es sich gefallen zu lassen — und das wäre ja nicht wenig. Aber es wäre nicht genug, wenn man nicht nur Zuschauer dieses Treibens ist, sondern indirekt daran auch beteiligt. Was wird dabei ^»gespielt, oder wie wird einem «//gespielt? Ecos Parabel hält der Theologie einen Spiegel vor, einen Zerrspiegel allerdings, der die diversen Theologien als liebenswerte Monster darstellt. Was an Häresien der orthodoxen Präzisierung zum Opfer fiel, wird hier befremdlich sympathisch, vor allem in der Figur des arianischen Gavagai. Die Lektüre wird zur theologischen Geisterbahnfahrt, die man mit Schaudern genießen kann, um danach aufzuatmen und sich seiner Selbstgewissheit zu freuen und dessen, was man hinter sich gelassen hat. Dann wäre die einfallsreiche Erinnerung Ecos an die Auswüchse der Theologie ,nur' eine Selbstvergewisserung derjenigen, die die rechte, abendländische Orthodoxie ihr Eigen nennen. Oder es ginge noch weiter, ein nachchristlicher Leser wäre erheitert und erleichtert, was er mit Theologie und Christentum zum Glück alles hinter sich gelassen habe. Solche Stabilisierung des eigenen Standpunkts ist sicher ein möglicher Effekt dieser Parabel — aber es geht auch anders. Statt auf Distanz zu gehen, versucht Baudolino mit Gavagais Hilfe dieses Kuriositätenkabinett zu verstehen und findet mit der Zeit Gefallen daran. Dem Befremdlichen begegnet er mit Neugierde. Statt in der Gewissheit infalliblen Selbstbewusstseins auf Distanz zu gehen, bleibt er dort und gewinnt eine andere Sicht auf diese lebendige Vergangenheit seiner Theologie. Phänomenologisch formuliert — und das gälte auch für die historische Arbeit an der Geschichte der Theologie — geht es dabei um die Präsenz des Fremden wie des Befremdlichen, nicht nur als des Fernen und Vergessenen, sondern am Ort der Theologie selber und zwar bereits an ihrem Anfang: um die Entstehung des Christentums aus dem Gast der Metapher.

23 Kein Theologiegeschichtier würde mit dem eisernen Besen der .rechten Lehre' über seine Texte gehen, sondern Gefallen finden an den ungeheuren Verstrickungen des trinitarischen Pluralismus. 24 Leider findet der Protestantismus bei Eco keinen Platz (aus verständlichen Gründen).

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2.2. Zur Gleichnisthese Ecos Theologenparabel legt den Versuch nahe, sie im Lichte des .höchsten Punktes' der neutestamentlichen Gleichnisforschung zu lesen: dass das Reich Gottes im Gleichnis als Gleichnis zur Darstellung (bzw. ,zur Sprache") kommt.25 Bewährt sich das an Ecos Gleichnis vom Reich des Presbyters Johannes? — Klar ist, dieses Reich kommt im Gleichnis zur Darstellung, in aller Breite des Romans, zwar nicht als Gleichnis vom ,Reich Gottes', aber immerhin als das einer Vorform oder ,Parallelaktion' desselben. Es kommt aber nicht nur als Gleichnis zur Sprache. Auch wenn die oben gegebenen Hinweise nicht den Text ersetzen, auf den sie sich beziehen, kann dessen Thema offensichtlich in eigenen Worten zur Sprache kommen (und zwar trotz des Verlustes der Gleichnisform). Das Reich muss also nicht als Gleichnis zur Sprache kommen, um überhaupt sprachlich vergegenwärtigt zu werden. Demnach ist, a minore ad maius, dieses Reich auch nicht nur durch das Nadelöhr von Ecos Roman zugänglich, sondern auch in dessen Quellen und last not least durch die Lektüre. Aber nur in der Lektüre von Ecos Text2á wird es im Gleichnis als Gleichnis präsent, genauer gesagt als Theologenparabel. Das könnte heißen, nur im Gleichnis sei es als Gleichnis präsent, und das wäre trivial. Nicht trivial ist allerdings die originelle Variante dieses Themas, seine Neuperspektivierung als Gleichnis von der Theologenwelt. Diese Perspektive kommt durch eine doppelte Autorschaft zustande, und zwar die Ecos und die seiner Leser: durch Ecos Gebrauch seiner Quellen und durch den — nicht weniger freien — Gebrauch von Ecos Text (im gen. obj.). Damit ist eine doppelte Urheberschaft unterstellt, die produktionstheoretische von Eco als Autor des Textes (als Schrift) und die rezeptionstheoretische der Leser als Autoren der Sprache (im Lesen) und der Textwelt (im Verstehen) . Die Differenz hält kritisch offen, ob die Perspektive der Lektüre (als Theologenparabel) diejenige Ecos ist, oder ihm allenfalls vom Leser zugeschrieben wird. Die Relevanz dieser Differenz ist leicht ersichdich, wenn es um die Frage geht, ob denn die Gleichnisse vom Reich Gottes ,als Texte' oder .angesichts der intentio auctoris' im Sinne der neuen Gleichnisforschung zu verstehen seien? Da deren These eine der Leser ist und auf das Verstehen zielt, ist sie in jedem Fall eine Funktion der intentio lectoris bzw. des Gebrauchs der Texte (im Lesen und Verstehen). Aber dieser Gebrauch ist nicht das schlechte Andere der Inter25 Nun geht es in Ecos Parabel nicht gleich um das Reich Gottes, sondern nur um das des Presbyters Johannes, einer irdischen Antizipation desselben. 26 Und vermutlich in Ecos fabulösen Quellen? 27 Darin folge ich Klaus Weimar, Doppelte Autorschaft, in: Fotis Jannidis/Gerhard Lauer/Matias Martinez/Simone Winko (Hgg.), Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs, Tübingen 1999,123-133, bes. 130ff.

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pretation, sondern trifft die pragmatische Pointe der Gleichnisse: eine wirksame Vergegenwärtigung dessen zu sein, wovon die Rede ist.28 Nicht trivial ist daher die Pointe der Gleichnisthese, als Gleichnis sei das Reich im Gleichnis auch wirklich präsent, indem es zur Sprache kommt, und zwar nicht irgendwie (etwa in einer .Moral von der Geschieht"), sondern in .ansprechender' Weise, die die Leser im Gebrauch des Textes versammelt auf die affektiv bewegende und erwartungswidrige Pointe hin. Ob das für Ecos theologische Monsterwelt gilt? Wird in Lektüre und Verstehen die Lesewelt zur Welt, in der wir leben? Wenn man die Frage bejaht, liefe man Gefahr, Lese- und Lebenswelt zu konfundieren; wenn man sie verneint, würde nicht nur das Lesen, sondern auch die Erfahrung im Modus der Imagination unterschätzt. Für den theologischen Leser zumindest geraten in Ecos Gleichnis Lese- und Lebenswelt auf eine Weise in Spannung, die für die Metapher bezeichnend ist. Auch wenn es .nur* um eine Legende geht, kann zumindest das Gleichnis den Leser einvernehmen, seine Perspektive verändern, erwartungswidrig den Horizont erweitern — oder wie immer man die Wirksamkeit des Gleichniswortes fassen mag — notwendig ist das allerdings nicht. Ob oder ob nicht, scheint eine Frage des TtYigebrauchs zu sein. Dass das Pragma entscheidet - und das heißt, das Wie, Woher und Woraufhin der Lektüre — scheint mir auch für die Gleichnisthese zu gelten. Daher ist sie auch im Blick auf den .Text allein' (als Schrift) nicht notwendig, im Blick auf den Text als gelesenen (oder gehörten) und damit als Sprache allerdings sinnvoll, und im Blick auf ihn als zu verstehende Lesewelt hori^onterweiternd und in bestimmtem Sinne .lebenssteigernd'. Eine m. E. eine sinnvolle Horizonterweiterung der pragmatischen Fassung der Gleichnisthese ist, dass im Gleichnis nicht nur etwas als etwas zur Darstellung kommt, sondern dass die Darstellung selber ^um Dargestellten gehört, ihm nicht äußerlich ist, sondern, mit N. Goodman zu sagen, ein Beispiel und Ausdruck desselben. Man ist in und mit dieser Darstellung beim Dargestellten, und vice versa ist das Dargestellte in und mit dieser Darstellung beim Leser oder Hörer. Und das gilt nicht allein für das .Reich Gottes', sondern auch für den Verkündiger desselben. Insofern ist diese Vergegenwärtigung christologisch und pneumatologisch qualifiziert — und damit erscheint der Streit um die Gleichnisthese als eine Version des Abendmahlsstreites. So käme die Bestreitung der These über den Status und die symbolische Funktion der Gleichnisse in die seltsame Lage, das ,est'29 als .bloßes significat' zu untertreiben und damit anscheinend die .reale Gegenwart' des Reiches Gottes zu bestreiten. Ein solcher Illegitimitätsverdacht (gegen die Bestreitung der Gleichnisthese) wäre wissenschaftlich sc. unangebracht, aber er träfe durchaus 28 Nur drängt sich dann die Rückfrage auf: von welchen Texten gilt das eigentlich nicht? 29 Dass das Reich Gottes im Gleichnis als Gleichnis präsent pst'.

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die Diskussionslage: ob man die Metaphern und ihre Verwandten für irreduzibel hält, ist ein Schibboleth, an dem sich nicht nur in der Theologie die Geister scheiden.30 Diese Differenz lässt sich prima vista vermitteln, indem einerseits zuzugestehen ist, dass nicht alle Metaphern oder Gleichnisse .absolut' sein mögen, aber vice versa doch immerhin manche. Wenn es zumindest manche Metaphern gibt, die nicht auf ,wörtliche Rede' reduzibel sind — und der Nachweis dafür muss hier nicht wiederholt werden31 — kann man diese immer noch für ein Mangelphänomen halten oder für eine besonders passende, aufschlussreiche .symbolische Form'. Nun ist letzteres zwar über weite Bereiche zumindest der Exegese akzeptiert — aber im systematisch-theologischen Diskurs gilt .metaphorisch' oder .rhetorisch' immer noch als Makel, den es schleunigst zu beheben gelte, wolle man argumentativ für voll genommen werden. Damit ist anscheinend vorausgesetzt, in religiöser Rede möge metaphorisch geredet werden, in theologischer Sprache aber nicht. Dieses Zugeständnis vorläufiger Metaphorik greift zu kurz, wie auch der Verweis in die .vorwissenschaftliche' Sphäre. Nicht nur angesichts des faktischen Sprachgebrauchs in den Wissenschaften, sondern auch, weil sich basale und regulative Vorstellungen und Figuren (wie das Reich Gottes) nicht mittels .erfüllter Anschauung' auf den vollbestimmten Begriff bringen lassen. Selbst ein möglicher .Begriff des Reiches Gottes bedarf nicht nur vorläufig, sondern unvermeidlich der metaphorischen Darstellung — zumindest wenn mehr als die Logik des Begriffs und seine semantische Bestimmtheit artikuliert werden soll. Wenn ad hominem gesprochen wird, also pragmatisch situiert mit Performanz und Effekt, dann ist die Rhetorik nicht Adiaphoron, sondern das basale Wie der Wahrheit, das Medium der Artikulation. Nun könnte die Theologie dergleichen der religiösen Rede zuweisen und sich selbst davon freizuhalten suchen. Aber eben damit würde sie nicht nur, mit Husserl zu sprechen, die .Krisis der Wissenschaften' verschärfen, sondern auch ihre eigene Pragmatik und Rhetorik .verdrängen'. Ergo: Wenn man in bezug auf die biblischen Texte der hermeneutischen These ,im Gleichnis als Gleichnis' folgt, dann kann auch das theologische Sprechen 30 Damit ist man aber bereits beim Problem: 1. Gilt das fiir jedes Gleichnis, nur fur die Jesu, oder nur für die vom Reiche Gottes oder inwiefern gilt diese These auch fiir andere Gleichnisse von anderem?, 2. Gilt das nur fiir Gleichnisse oder auch fur verwandte Formen?, 3. Ist das Reich Gottes nur im Gleichnis darstellbar oder inwiefern gilt das beispielsweise auch für Sakrament und Vedtündigung? 4. Gilt die .Wesentlichkeit' des Gleichnisses nur für die religiöse Rede oder für jedes Sprechen vom Reich Gottes? 5. Und vor allem: Wie hat man sich dieses In- und Miteinander von Darstellung und Dargestelltem genauer vorzustellen? 31 Vgl. Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Horizont, HUTh 39, Tübingen 2000.

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vom Reich Gottes etc. nicht von der für das Thema wesentlichen symbolischen Form absehen und sie begrifflich zu substituieren suchen. Das ist der umstrittene Haken der Gleichnisthese: die theologischen Themen lassen sich nicht von ihrer metaphorischen Darstellung lösen, und daher ist auch die (Sprache der) Theologie selber unhintergehbar metaphorisch. Das heißt: die historische und hermeneutische Gleichnisthese hat auch für die Sprache der Theologie pragmatische und ,paradigmatische' (orientierende, regulative) Funktion. Versteht man die Gleichnisthese restriktiv, ist sie unzureichend, denn vom Thema der Gleichnisse lässt sich auch unmetaphorisch reden. Versteht man sie normativ, ist sie nicht zureichend begründet, denn so zu lesen ist nicht .notwendig'. Fasst man sie hingegen hermeneutisch (und zwar in einem weiteren Sinne) ist sie ein hilfreicher Vorschlag, das Wie, Wozu und Wodurch der metaphorischen Rede zu verstehen. Soweit reicht gemeinhin die Zustimmung, und soweit ist die Metaphorologie auch .ungefährlich', eben .nur' ein Vorschlag zum hermeneutischen Umgang mit den biblischen und übrigen religiösen Formen der Rede. Darüber hinaus geht der Vorschlag, die These pragmatisch zu fassen: ,im Gleichnis als Gleichnis' ist eine These über Performanz und Effekt dieser exemplarischen Ausdrucksformen des Reiches Gottes und eine These über den entsprechenden Gebrauch derselben: wie man mit solchen Figuren umgehen kann und wohl auch sprachlich umzugehen hat, will man nicht ihre Pointe verlieren, etwa wenn man nur auf die .Moral von der Geschieht' oder den .Begriff der Sache' aus wäre. Und in diesem pragmatischen Sinn kann man in der Tat auch Ecos Theologenparabel für einen .exemplifikatorischen Ausdruck' eines sagenhaften Reiches halten.

3. Folgen der Metaphernforschung für die systematische Theologie 3.1. Remetaphorisierung Nach dem exemplarischen Umweg über das .Reich des Priesterkönigs Johannes' und die Gleichnistheorie mit ihrer pragmatischen Pointe, seien im Folgenden einige Möglichkeiten und Konsequenzen skizziert, die der Eingangsfrage nachgehen: was aus der Gleichnis- und Metapherntheorie für die systematische Theologie folgen könnte. Ein Gewinn der Metapherntheorie ist, dass sie der Theologie einen erheblichen Wahrnehmungsgewinn beschert, eine Horizonterweiterung und zwar historisch wie systematisch. Nimmt man die Metapher als Leitfigur und Suchformel

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in der Arbeit an den Themen der Theologie - wie im Blick auf das Reich Gottes - wird man der Metaphorizität der religiösen Rede some der theologischen Sprache gewahr.,Remetaphorisierung würde ich das in Weiterfuhrung von Blumenberg nennen. Sie bildet eine vom Modell ,Metapher' geleitete Wahrnehmungskunst (einen Methodos), die gegen eine dominante Tendenz der religiösen Rede wie der theologischen Sprache anarbeitet.32 In reägiöser Ridi? werden die einst innovativen Varianten traditioneller Figuren, etwa die Gleichnisse oder die johanneischen Missverständlichkeiten, ,in der Regel' und ,mit der Zeit' zu nur noch traditionellen Wendungen. Diese Sedimentierung ist auch eine Trivialisierung. Denn die Wiederholung von Metaphern verliert deren Spannung, wenn sie nicht mehr auf dem Hintergrund ihrer ersten Verwendung gehört werden oder wenn sie nicht in ihrer Unselbstverständlichkeit wahrgenommen werden (in ihrer .kalkulierten Absurdität*). Was einst — etwa im Munde Jesu oder der Evangelisten — brisant und für nicht wenige sogar .häretisch' war, wird common sense. Die Performanz und der Effekt ist nicht mehr die erwartungswidrige Horizontüberschreitung, sondern dessen Begrenzung und Stabilisierung. Dagegen irritiert es die religiöse Rede vermutlich, wenn man von der Auferstehung .als Metapher' spräche, oder sogar von Christus .als Metapher' — beides provoziert ein Neuverstehen. Insofern ist Remetaphorisierung eine kreative Entselbstverständüchung. Und es ist m. E. ein Gewinn, über die Alternativen von wörtlichem Unverstehen, metaphysischer Behauptung, physikalischer Beschreibung oder psychologischer Verflüchtigung hinauszuführen — beispielsweise angesichts der jüngsten Auferstehungsdebatte. In theologischer Sprache ergeht es den Grundmetaphern zwar anders, aber nicht viel besser. Der Einwand gegen die Lesart der Remetaphorisierung könnte etwa lauten: Die Unbestimmtheit (der Metapher und der Lebenswelt) sei stets schon da, wenn man mit der Arbeit der Näherbestimmung anfängt. Unbestimmtheit sei selbstverständlich, die Aufgabe der Theologie hingegen sei die der Präzisierung. Diese Generalthesis zumindest mancher systematischer Theologie ist zunächst plausibel und unverächtlich. Braucht doch die Unbestimmtheit ihren Antagonisten, die Bestimmung, um nicht schlechte Unbestimmtheit zu bleiben, sondern als Hesúmmbarkeit angeeignet zu werden. Daher ist Ecos heiterer Pluralismus auch nicht ohne ernste Konflikte zu haben. Er lebt davon, daß die Monster im Ernst an ihrer Lehre festhalten und sie gegen andere verteidigen. Aber die Präzisierung der Begriffsbildung ist auch eine .Beschneidung' — die mir als Regel der Theologie deren Horizont zu verengen scheint. Denn Theo32 Das macht auch - prima facie — den Eindruck ihre Dissidenz aus. Der ist aber auf den zweiten Blick nicht treffend, denn in der Remetaphorisierung wird nicht .enttheologisiert', sondern die Theologie auf ihre lebensweltlichen Grundfiguren zurückgeführt — nicht um sie zu entsorgen, sondern um sie neu zu verstehen und in der theologischen Sprache wirksam werden zu lassen.

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logie allein als Begriffsbildung und Bestimmtheitsgenerierung zu konzipieren, hieße im Grenzwert die annihilatio ihrer Grundfigur, der bestimmten und bestimmbaren Unbestimmtheit. Käme eine so verstandene Theologie an ihr Ziel, zur definitiven Vollbestimmtheit, ginge sie zugrunde wie der absolute Begriff Hegels. Und so abwegig, wie solch eine .théologie définitive' erscheint, ist sie nicht. Denn es ist keine Seltenheit in der Systematik, daß sie nach wie vor im cartesianischen Modell des foundationalism betrieben wird, .klare, distinkte und adäquate' Begriffe zu bilden: von einem Grundbegriff aus ein Begriffssystem aufzubauen, um in dieser Logik des Begriffs den Grund zur Geltung zu bringen, und zwar eindeutig. Zu deren Motto gehört dann .Seit Ostern nichts Neues' womit, am Rande bemerkt, Pfingsten und die Folgen der Präzision zum Opfer fallen. Diese Strategie verdrängt nicht nur die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit der theologischen Grundfiguren, sie fuhrt auch in die .Krisis wissenschaftlicher Theologie'. Denn sie insinuiert, die Auslegungsspielräume zu recht auszumerzen und gefahrliche Unbestimmtheit in eindeutige Bestimmtheit zu überfuhren. Dass die Systematik mit einer einsinnigen Begriffsgenerierung die von Husserl vermißte .Rückbindung zur Lebenswelt' verlöre, scheint mir offensichtlich. Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass weite Bereiche der Theologie in die Geschichte auswandern (oder in die praktische Theologie), weil dort noch der Auslegungsspielraum zu finden ist, der mit der Engfuhrung des Begriffs verspielt wird. Dieser Spielraum der Auslegung und des Neuverstehens wäre allerdings auch im gegenwärtigen Horizont systematischer Theologie zurückzugewinnen. In diesem Sinne wäre die Entdeckung der Absolutheit der Metapher, ihrer Unersetzbarkeit durch den Begriff, als Gewahrwerden des Antagonisten der Bestimmtheitsgenerierung zu verstehen: dass die Theologie von und mit dem Anderen des Begriffs lebt. Wie Ecos Theologenparabel das Vergessene wiederkehren lässt als das Fremde, so ist die remetaphorisierende Lesart der theologischen Tradition eine kalkulierte Verfremdung, in der die irritierende .Unähnlichkeit', .Absurdität' oder zumindest .Unselbstverständlichkeit' der theologischen Grundmetaphern vergegenwärtigt wird. Die Reise in fremde Welten, die Horizontüberschreitung der eigenen Perspektive, ist erst dann mehr als eine Missionsreise, wenn sie die vor-

33 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Meditatìones De Cognitione, Ventate Et Ideis/Betrachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen (1684), in: ders., Philosophische Schriften Bd. 1, Kleine Schriften zur Metaphysik, hg. v. Hans Heinz Holz, Frankfurt a. M. 1996, 32-47. 34 Zu diskutieren wäre, ob die Metapher nur das .Andere seiner selbst' des Begriffe ist, oder das .radikal Andere*. Ich würde für letzteres plädieren, ohne eine Reduzibilität des Begriffs auf die Metapher zu vertreten (wie z.B. Vico oder Nietzsche). Beide sind gleichursprüngliche und antagonistische semiotische Formen.

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gefasste .rechte Lehre' einklammert. Nicht um sie definitiv, sondern nur um sie zeitweilig zu vergessen — um der Fremdwahrnehmung als Umweg des Neuverstehens willen.

3.2. rezeptiv, historisch und kritisch Für die historischen Fächer der Theologie bedeutet die Metaphernforschung eine Differenzierung und Schärfung der Textwahrnehmung wie -analyse. Gleiches gilt auch für die systematische Theologie: die Texte, an denen sie arbeitet, sind nie metaphernfrei. Demgemäß ist deren Ausdrucks- und Darstellungsfunktion zu erheben eine hermeneutische Aufgabe der systematischen Arbeit am Text. Dabei hilft die Metaphorologie insofern weiter, als sie nicht nur Oberflächenphänomene, sondern auch ,,tiefengrammatische' Metaphern erschließt. Hintergrundmetaphorik muss nicht explizit werden, um bestimmend zu sein; z.B. dass im Diskurs die Figur der .Argumentation als Kampf leitend ist, als Spiel, als Tanz, oder aber als gemeinsame Suche nach Verständigung. Wenn Hintergrundmetaphern eine wesentliche Orientierungsfunktion haben, hilft die metaphorologische Lektüre, grundverschiedene Orientierungen und .Diskurse' wahrnehmen und unterscheiden zu können — was nicht ohne Folgen für das eigene Handeln bzw. Antworten bleibt. Man wird nicht unbesehen auf eine Öffnung mit Schließung antworten, etwa wenn einer ein Problem zu artikulieren versucht mit einer vorschnellen Entproblematisierung, oder auf einen Versuch der Verständigung mit leichtfertiger Behauptung des längst Verstandenhabens. Dieser kritische Aspekt der Metaphorologie als einer Unterscheidungskunst hat zwei Aspekte: einerseits hilft sie, tragende Metaphern wahrzunehmen und auf ihre überschießenden Suggestionen zu befragen, etwa die Aufklärungsrhetorik mit ihrer .luciferischen' Metaphorik; andererseits hilft die Metaphernkritik (mit einer gewissen Besonnenheit), Metaphern nicht leichtfertig ,als bloße Metaphern' abzuweisen oder als absurd zu reduzieren, indem man sie .beim Wort nimmt'. Beides wären vermeintlich kritische, im Grunde aber verfehlte und unkritische Entmetaphorisierungsstrategien, die die eigene Metaphorik und die legitime Funktion der Metaphern des Anderen verkennen. Insofern ist die Metaphernkritik — besonnen angewandt - auch eine Kritik zu leichtfertiger Kritik: eine Weiterfuhrung der epistemischen Kritik in die Sprachkritik und eine Version des ,Sprachdenkens'. Das hat Folgen für die konstruktive Arbeit der Systematik. Der gern akzeptierte Wahrnehmungsgewinn ist vermutlich nicht ohne eine befremdende Erweiterung der Selbstwahrnehmung zu haben: wenn die SprachgwtaÄ theologi-

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scher Tradition durch und durch metaphorisch ist, dann droht den Gegenwärtigen die Aufgabe der Sprachgestaltung. Randphänomene wie Stil und Ausdruck werden auf unheimliche Weise relevant. Die Sprache im Zeichen der .Entsprechung' wird zur sachhaltigen Aufgabe der Theologie. Fast scheint es, als würden längst domestizierte Monster religiöser Rede wieder ihr Haupt erheben — Sprachgestalten, die in der Zunft längst der historischen und der praktischen Theologie überantwortet wurden.

3.3. konstruktiv Die Metaphorologie ist nicht allein eine historische und hermeneutische Methode. Denn die Prämissen der Metaphernthese haben basalen Status, und zwar diesseits der Ausdifferenzierung etwa in Theologie und Philosophie, und die Konsequenzen fuhren über die Arbeit am Text hinaus. Sie sind, soweit ich sehe, noch gar nicht ganz absehbar. Wenn Wahrnehmung interpretativ ist, wenn Denken Sprachdenken ist, wenn Erkenntnis semiotisch operiert, wenn kommunikatives Handeln rhetorisch verfasst ist etc. — und wenn man in allen diesen Hinsichten die Metapher nicht für sekundär und uneigentlich hält, sondern für ursprünglich und eigentlich, dann hat die Metaphernthese aisthetische, epistemische, ontologische, dialektische und auch ethische Konsequenzen bzw. Voraussetzungen.35 Diese Ausweitung der Metapher beruht auf einer Unterscheidung und zwar von Metapher und Metaphori^tät als die von bestimmten Phänomenen und deren Struktur. Unter Metaphorizität verstehe ich die Dynamik, die nicht nur in bestimmten Metaphern, sondern in der Struktur von Wahrnehmung, Reflexion und Handlungen präsent ist. Das heißt beispielsweise: Wenn ich von etwas spreche, es artikuliere und näher bestimme, kann ich auf Identifikation aus sein, etwa mittels Subsumtion unter einen vorgefassten Begriff. Das ist auch in vielen Fällen sinnvoll. In der Artikulation und Näherbestimmung ist indes stets eine Differenz am Werk, die von .etwas' und .etwas anderem'. In jedem Satz wie .dieses ist jenes' wird nicht nur eine Identität, sondern auch eine bleibende Differenz gesetzt" — die immer präsent, in manchen Fällen merklich und in einigen 35 Das ließe sich auf unterschiedliche Weise an Nietzsche, Lakoff/Johnson, Ricoeur oder Blumenberg zeigen. 36 Vgl. Bernhard Debatin, Die Rationalität der Metapher. Eine sprachphilosophische und kommunikationstheoretische Untersuchung, Berlin/New York 1995, 232ff., 262ff. 37 Am Rande notiert sei nur, dass diese Dififerenzthese nicht nur auf Anschauliches zielt. Metaphern sind nicht notwendigerweise .bildlich', daher ist die Bildtheorie auch eine andere Geschichte als die Metapherntheorie, beide überschneiden sich nur. Und gleichfalls notiert sei, dass die logische Struktur der Metapher nicht die Negation, sondern das Paradox ist.

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Fällen gerade intendiert ist, schon in Genetiven wie ,das Schwarzbier des Morgens'. Darin wird die Spannung von .etwas' und .etwas anderem' merklich. Diese Spannung kann marginal sein, kann stören oder kann erhellend sein. Ist sie intendiert und erhellend, wäre die Transformation in einen Begriff ein Zugriff auf das Phänomen, der es massiv verändert und jedenfalls dann ein Fehlgriff ist, wenn er die metaphorische Spannung, ihre Absurdität und deren Labilität .platzen lässt' oder vergessen macht. Diese Dynamik und den entsprechenden Sprachgebrauch Metaphori^ität zu nennen (also im Modell der Metapher zu verstehen), hat den Vorteil, nicht nur bestimmte Metaphern, sondern deren semiotische Struktur in diversen Zeichenprozessen fassen zu können — von der Wahrnehmung bis zur Interaktion, letztlich in allen symbolischen resp. kulturellen Formen. Wenn man diese Unterscheidung von Metapher und Metaphorizität macht, kann man mit ihrer Hilfe diejenige von .Begriff und Metapher' präzisieren: Der Begriff ist identifizierend, indem etwas als etwas bestimmt und in ein möglichst konsistentes Ordnungsgefüge eingereiht wird. Die Metapher hingegen ist differenzierend (gelegentlich sogar disseminierend), indem etwas durch etwas bleibend anderes dargestellt und das Außerordentliche, Eigenartige und Erwartungswidrige in einer Figur der Differenz artikuliert wird. Nun sollte man diese Unterscheidung nicht normativ besetzen, indem das eine gut, das andere böse ist, je nach Einstellung. Was angebracht ist, kann nicht abstrakt entschieden werden. Im Blick auf die religiöse Rede aber hat man es vor allem — jedenfalls vor dem Begriff — mit Metaphern zu tun. Dann wird die Unterscheidung von Begriff und Metapher kritisch, etwa im Blick auf die Christologie. Denn es wird unselbstverständlich, dass der Umgang mit der religiösen Rede vor allem in der Bildung von Begriffen, logischen Schlüssen und epideiktischen Urteilen bestehen soll. Es sieht vielmehr so aus, als ginge die Christologie von einer Metapher aus, die traditionell geworden ist, als Topos füngiert, als gemeinsamer Gesichtspunkt, der einst bei vielen, heute bei manchen Konsens findet, aus dem rhetorisch gefolgert wird, mit mehr oder weniger plausiblen Schlüssen, die lebensweltlich orientierend oder desorientierend sein können, und deren Performanz nicht zuletzt an der passenden Sprachgestaltung hängt. — Soweit im Vorgriff eine mögliche systematische Konsequenz der Metaphernthese.

Die theologische Folge ist daher nicht die negative Theologie, sondern die paradoxale, wie die des Cusanus.

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4. Zum Beispiel: Jesus Christus' als Metapher Jesus Christus', die confessio, dass Jesus der Christus sei, ist wohl áe entscheidende Grundmetapher des Christentums, von und mit der es lebt. Die irritierende Unbestimmtheit dieser Metapher bedeutet zugleich ihre Bestimmbarkeit: sie ist grundverschieden auslegbar, wie die verschiedenen Konfessionen und Ecos Theologenparabel zeigen. Dass Jesus Christus' eine Metapher sei, ist allerdings unselbstverständlich und für manche vermudich sogar empörend. Für gewöhnlich wird man den Ausdruck für einen Namen, einen Titel, ein identifizierendes Urteil oder ein Axiom halten. Nun wäre es unsinnig zu bestreiten, daß er all diese Funktionen haben und so verwendet werden kann. Das ändert aber nichts daran, dass die Struktur des (holophrastdschen) Ausdrucks metaphorisch ist38: Es wird ein individueller (oder je nach Messianologie kollektiver) Ausdruck auf ein Individuum übertragen. Diese Übertragung ist nicht eine fugenlose Subsumtion des Individuums unter den .Begriff des Messias', nicht .univok' also; allerdings auch nicht äquivok, sondern — aristotelisch gesagt — eine Übertragung ,nach der Analogie'. Dabei bleiben manifeste Unähnlichkeiten, die den eigenartigen und einigermaßen erwartungswidrigen Gebrauch des Messiastitels ausmachen. Denn der .eschatologische Heilskönig Israels' war er weder, noch beanspruchte er das zu sein. Dieses bleibend Unzutreffende, das Scheitern der fugenlosen Subsumtion, provoziert immer weitere Interpretationen. Und diese semiotische Dynamis würde man stillstellen, wenn Jesus Christus' nur als Name oder Begriff gefasst würde. Die metaphorische Lesart klammert diesen Zugriff ein und fragt (nicht voraussetzungslos, aber wenigstens) voraussetzungsärmer nach dem Spiel der Bedeutung und öffnet den Streit der Interpretationen. Die übertragende Zuschreibung war zunächst eine Fremdbestimmung — aus nichtchristlicher Perspektive - sei es als Irrtum, als Rechtstitel wie im ,titulus'

38 Dabei lasse ich ausser acht, dass eine remetaphorisieiende Lesart hier eine Übertragung einer Metapher auf einen metaphorischen Namen findet. Vgl. zur Remetaphorisierung Stoellger, Metapher und Lebenswelt, 325ff. 39 Die Übertragung vom Individuum auf ein anderes Individuum kennt Aristoteles nicht, vermutlich, weil sie im porphyrianischen Schema so abwegig ist wie die ebenfalls nicht genannte von Gattung auf Gattung vgl. Poetik 1457b. 40 Vgl. Otfried Hofius, Ist Jesus der Messias? Thesen, JBTh 8 (1993) Der Messias, 103-129, 128: „Damit ist ein völlig neuer .Messias'-Begriff geschaffen, der sich von der KönigsMessianologie ... in qualitativer Hinsicht fundamental unterscheidet". Denn im traditionellen Sinne ist er nicht der Messias: „Wenn unter .Messias' der Messias Israels im Sinne der aus bestimmten alttestamentlichen Texten erwachsenen frühjüdischen Messiaserwartung verstanden wird, so ist die Antwort eindeutig eine negative: Dieser Messias Israels ist der im Neuen Testament bezeugte Jesus Christus nicht' (ebd.). Damit wird die .kalkulierte Absurdität', die bleibende .Unähnlichkeit' und das metaphorische .ist nicht' deutlich.

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des Kreuzes oder als Spott der Zuschauer: eine Metapher ,aus Versehen', eine gelungene Fehlleistung gewissermaßen, wie die kalkulierten Missverständnisse bei Johannes. Wird diese Fremdbestimmung übernommen und angeeignet, bleibt sie Metapher, wechselt aber ihre Pointe, ihre Performanz und ihren Effekt. Sie wird vom Irrtum oder Spott zur Confessio mit polemischem Akzent. Wie eine Nagelprobe auf die Torheit der Welt und die Weisheit Gottes: dass sich Irrtum und Spott als Wahrheit erweisen. In dieser .Schubumkehr' der Aneignung zeigt sich allerdings auch, dass mit der .Lesart als Metapher' noch zuwenig gesagt ist. Dass etwas als Metapher verwendet (und gelesen) wird, ist das eine; rn^u und ψ welchem Ende das geschieht, ist das andere. Denn es wäre beispielsweise auch à la John Hick eine Lesart möglich, die viele metaphorische Verwendungen des Messiastitels erhebt, sie summiert und daraus eine allen Religionen gemeinsame Erlöseridee destilliert, um dann Christus fugenlos unter diese amorphe Idee zu subsumieren. Wenn man .Christus' als Metapher versteht, wird deutlich, dass das ungeheure Unternehmen, .Christus' als Grundbegriff einer .Logie' zu nehmen und dann in propositionaler Analyse den Gehalt dieser Behauptung zu explizieren, ein massiver Eingriff ist — in dem vor allem die Voraussetzungen dieses .propositional approachs' zur Geltung gebracht werden. So neigen die Anfange der Christof« zum Ende der Metapher. Denn nimmt man Metaphern als Beschreibung oder als metaphysische Behauptungen, werden sie .beim Wort genommen' und absurd — gewissermaßen eine sprachlogische Rache der Torheit an der Weisheit. Das wäre das eigentlich Monströse einer entsprechenden Christologie und ihrer metaphysischen Zerstrittenheit. Man könnte meinen, dass in der Verwörtlichung der Metaphorik religiöser Rede eine erneute Schubumkehr der Interpretation stattfinde: zurück zur missverstehenden Beschreibung. Monströs wäre daran, die metaphorische Bezeugung der Bedeutung Jesu .begründen' zu wollen — wie selbst manch ein Metaphorologe noch in subtiler Weise die metaphorische Wahrheit ontologisch zu begründen sucht. Der Rekurs auf den .harten Grund' des Begriffs wird grotesk, weil er die Differenz und die Spannung der Metapher nie fugenlos schließen und .entspannen' kann. Daher die absurden Auswüchse der begrifflichen Sicherung metaphorischer Rede. Diese Versuche sind metaphorologisch gesehen .Retraktationen', in denen das Risiko einer kalkulierten Absurdität letztlich doch wieder begrifflich abgesichert werden soll. Das klingt dann etwa so: In der Weiterfuhrung von der Meta41 Die Struktur dieser semiotischen .Schubumkehr' ist ähnlich der der .Ego eimi'-Worte. Vgl. Philipp Stoellger, Die Ich-bin-Worte als metaphorische Identität, in: Theologica 2/2000, 3134.

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pher über das Gleichnis zur Narration formuliert Jüngel, Gottes Sein ist „im Kommen" 42 , daher „ist" er, und hat nicht nur Geschichte43, weswegen „die Menschlichkeit Gottes sachgemäß auch in einer post-narrativen Zeit [1977!] nur als Geschichte erzählt werden kann"44. Aber er meint gleichwohl: „Der Gottesgedanke kann nur als - begrifflich kontrollierte — Erzählung von Geschichte gedacht werden. Will das Denken Gott denken, muß es sich im Erzählen versuchen"45. Zwar sei unbestritten, daß ex post die Reflexion eine Erzählung kritisch befragen kann, so wie die Metaphernkritik überschießende Metaphern. Aber wenn die begriffliche Kontrolle das erste und letzte Wort haben soll, würde die Dynamis dieser lebensweldichen Sprachformen, ihr Imaginationspotential und ihre riskante Horizonterweiterung von vornherein beschnitten. Gegen diese theologische Beschneidungsregel (von der auch die akademische Mahlgemeinschaft abhängen kann) wendet sich die Remetaphorisierung als Öffnung der Interpretation, als Rehabilitierung der (eben nicht illegitimen) Eigendynamik der Metapher und ihrer symbolischen Energie, auch wenn das gelegentlich riskant ist. Die trefflichen Gleichnisse Jesu jedenfalls wären ohne dieses Risiko nie erfunden worden. — Und die Theologie steht, soweit ich sehe, eher selten in der Gefahr, zuviel zu riskieren. Sie ist selten ,zu imaginativ' Die Remetaphorisierung als eine andere Version der Entsicherung (und nicht ohne Verunsicherungi), klammert die Grenzen der begrifflichen Kontrolle zumindest zeitweilig ein. Das läßt auch andere, dem Begriff verwandte Kontrollverfahren fraglich werden. Wenn man Jesus Christus' als Metapher versteht, verliert diese (unbestimmte) Bestimmung den Schein metaphysischer Notwendigkeit. Sie war vielmehr ursprünglich kontingent und bloß möglich. In der Tradition wurde sie faktizitär, nicht beliebig, sondern stabil und sedimentiert. Aber diese Selbstverständlichkeit religiöser und theologischer Rede ist nicht ,mehr als notwendig' (allenfalls .weniger"). Denn sonst würde man nolens volens die Logik der Notwendigkeit nur noch steigern. Remetaphorisierung heißt, ihrer bloßen Möglichkeit und Faktizität gewahr zu werden. .Christus' ist ein Interpretament und nie fugenlos identisch mit dem Interpretandum. Was mit der Christusmetapher interpretiert wird, ist - ,die Bedeutung des Todes Jesu', oder anders gesagt: die Passion. Dabei mag man bemerken, dass schon die Passion von eigentümlich metaphorischer Dynamis ist: eine gründlich erwartungswidrige Geschichte mit einer paradoxen Struktur. Und das scheint doch befremdlich genug, auch 42 Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 5. Aufl. 1986,430. 43 Ebd., 428f. 44 Ebd., 426. Kurz darauf präzisiert Jüngel: „Gottes Sein als Geschichte läßt sich zwar durch Geschichten andeuten, aber doch nicht einholen. Sie hat als Passionsgeschichte ihre eigene Anschauung an sich" (ebd., 428). Diese Grundgeschichte ist das .dynamische Objekt' aller weiteren Geschichten - aber sie ist ihrerseits nur als Geschichte sagbar. 45 Ebd., 414, kursiv P.S.

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wenn es exegetisch trivial klingen mag. Denn es ergibt sich dann von neuem mit einer gewissen Ursprünglichkeit die Aufgabe, zu sagen, was denn das Messianische an der Passion sein soll? Jüngels Antwort darauf war, dass sich am Kreuz die Macht in der Ohnmacht erweise. Er wählt demnach die metaphorische Paradoxierung nach der Figur des sub contrario. Das Ambige daran ist, dass es im Grunde doch wieder die Macht sein könnte, die sich selbst der Ohnmacht als mächtig erweist. Dann erginge es der Ohnmacht ähnlich wie der Metapher bei Jüngel: sie würde von einer immer noch mächtigeren Ontologie begründet Dementgegen wäre metaphorologisch für die Einklammerung der Analogieontologie zu argumentieren. Denn es erscheint, spätmodern zumindest, seltsam anachronistisch, mit einem letztlich alles integrierenden Horizont der Analogie zu operieren, in dem alles auf alles verweist und im Grunde eine finale Harmonie unterstellt wird. Zur Metaphorologie gehört eine Ontologie des offenen Horizontes.46 Und erst wenn von der Ohnmacht her die Macht neu und anders verstanden wird — ohne den Horizont einer letztlich allmächtigen Ontologie - wäre diese Ambiguität vermieden. Vielleicht ist es doch die Machtlosigkeit Gottes, die sich am Kreuz zeigt, und die keinen Rekurs auf eine immer noch größere Mächtigkeit mehr erlaubt. Eine schwächere Paradoxierung wäre, daß die Passion offenbar eine kreative Wendung genommen hat, also eine kreative Passivität bedeutet. Dann hätte man aber dem nachzudenken, was an einer Passion ,kreativ' sein kann? Die Frage für absurd zu halten hieße, ihre metaphorische Spannung zu verkennen.

5. Ausblick auf die Topik 5.1. Theologisches Verfahren Soviel dürfte nach dem bisherigen jedenfalls klar geworden sein, die Metaphernthese eröffnet der Systematik eine konstruktive Perspektive und damit auch neue Aufgaben. Wie in der Arbeit an der Geschichte im Zeichen der memoria könnte die Systematik nach den Fragen fragen, auf die die Metaphern einst

46 Vgl. Christian Strub, Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie, Freiburg/München 1991,471ff.

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Philipp Stoellger

Antwort waren, und nach neuen Fragen suchen, um in eigenen Worten Antwort zu geben und zwar beides nicht zuletzt im Zeichen der imagination Das legt Folgen nahe für die Methoden der Systematik. 1. Zur Eröffnung der imaginativen Freiheiten dient die Remetaphorisierung als metaphorische Reduktion·, als Rückbeziehung und Rückführung der .rechten Lehre' auf ihre ursprüngliche Metaphorizität. Damit werden die theologischen Grundfiguren neu modalisiert. Statt sie als notwendig oder gar ,mehr als notwendig' zu sanktionieren, werden sie historisch als kontingent und faktizitär, systematisch als möglich und (wenn's gut geht) als plausibel und hilfreich einsichtig. 2. Mit dieser Öffnung im Rücken könnte die Systematik dann den Mut haben, sich ihrer Einbildungskraft zu bedienen (der reflektierenden, nicht nur der bestimmenden), und zwar nicht immer schon .innerhalb der Grenzen der begrifflichen Kontrolle'. Für die historische Forschung käme keiner auf die Idee, die Phänomenwahrnehmung sofort durch vorgefasste Begriffe kontrollieren zu wollen. Wieso sollte das dann bei noch nicht entdeckten Problemen, bei offenen Fragen und noch ausstehenden Antworten der Fall sein? Im Anschluss an die metaphorische Reduktion wäre als Methode eine imaginative Variation zu erwägen. Was bei Husserl die eidetische Variation war, um das ,Wesen' einer Sache zu erschließen, wäre im Umgang mit den traditionellen Metaphern und ihren Verwandten ein Ausloten ihrer Faktizität, um ihre vergessenen oder übersehenen Möglichkeiten zu entdecken. Die Aufgabe der Systematik wäre angesichts dessen die prägnante Formvariano^ den traditionellen Figuren Möglichkeiten abzugewinnen, sie nicht schlechthin neu, aber doch hier und da neuartig zu wenden, um ihre Unselbstverständlichkeit und ihre Eigenart von neuem zur Sprache zu bringen. Nur sollte das nicht mit literarischem Anspruch sanktioniert werden. Im Zeichen der Poetologie oder literarischen Narratologie wird es einem schnell die Sprache verschlagen — oder obskur werden. Weniger wäre hier oft schon genug. 3. Die theologische Sprachgestaltung bedarf nicht nur der hermeneutischen, sondern auch der rhetorischen Kompetenz um in eigenen Worten ,Rede und Antwort' zu stehen. Die Prosa dürfte dazu in der Regel ,gut genug' sein. 4. Nun ist die Imagination nicht ortlos, sondern hat stets einen ,Sitz im Leben', ein Pragma, in dem sich bestimmte Fragen, Probleme und Aufgaben stellen und andere nicht. Zur Wahrnehmung derselben und zu deren Bearbeitung

47 Selbstredend sind memoria und imagination stets chiastisch miteinander verschränkt. Während die historische Perspektive (im Namen des .Anderen") vor allem der memoria folgt, hat die Systematik nicht .demgegenüber' die imaginario zu bemühen, sondern in Fortschreibung der Geschichten, in die wir verstrickt sind. Vgl. dazu Philipp Stoellger, Imagination Ltd., Considerations On The Quest For Limits Of Imagination, Ars Disputando (http:// www.ArsDisputandi.org) 2 (2002), ESPR Proceedings, Cambridge/UK, 2002, 85-110.

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bedürfte es einer Wahrnehmungskunst und einer gewissen Findigkeit, die ich topische Kompetenz zu nennen vorschlage. Was aber heißt es für die Theologie, wenn sie nicht vor allem mit harten Begriffen, sondern mit variantenreichen Metaphern zu tun hat, wenn sie nicht von Axiomen, sondern von Topoi ausgeht, nicht (epideiktisch) beweist, sondern rhetorisch argumentiert und wenn sie nicht Eindeutigkeit und Notwendigkeit, sondern Deutbarkeit und plausible Möglichkeit intendiert?

5.2. ZurTopik der Systematik Diese programmatischen Andeutungen seien wenigstens im Blick auf die Topik präzisiert: Wenn die Metapher wie die Gleichnisse als façon de parier ,zur Sache' gehört, ist die Rede von der .Sache' nicht ohne diese façon sachgemäß. Dementsprechend spricht die Theologie .metaphorisch'. Aber sie spricht nicht vor allem in ,kühnen Metaphern' — darin geht die Theologie m.E. fehl, wenn sie sich an Ricoeur und der Poetologie orientiert - , sondern meist in traditionellen, die man topisch nennen kann. Auch wenn Aristoteles weder .Topik' noch .Topos' definiert hat, ist ungefähr klar, was gemeint ist: ein Topos ist ein empfehlenswerter, hilfreicher, brauchbarer .Gesichtspunkt'; ein Ort, an dem man sich diskursiv treffen und versammeln kann, um von ihm aus eine Perspektive und einen Horizont gemeinsamer Verständigung zu gewinnen. Der Topos fungiert als Vordersatz einer rhetorischen Argumentation. Seine Geltung ist nicht notwendig, sondern möglich und, wenn's gut geht, von Konsens getragen. Topoi sind Plausibilitäten oder Wahrscheinlichkeiten (endoxa). Übliche Beispiele dafür sind Sprichwörter, Gemeinplätze und Dichterzitate in den Reden - und ebenso fungieren ja auch die theologischen Gemeinplätze in Predigten. Dabei darf man aber weder .Rhetorik' für einen Vorwurf halten noch die Gemeinplätze für etwas Unanständiges. Der seit der Aufklärung gängige Vorbehalt — auch ein Vorurteil — ist hier fehl am Platz. Denn was ist ein Bekenntnis, eine Confessio wie Jesus Christus', anderes als ein, wenn nicht der Gemeinplatz, aus dem alles weitere folgt? Aber er ist auch nicht mehr als ein Gemeinplatz, nicht ein Ort an dem sich unter dem Zwang des Arguments alle notwendigerweise zu versammeln hätten. Eine Theorie dieser Topoi, die Topik also, wäre angesichts der topischen Metaphern eine Metaphorologie als Sichtung, Erschließung und Darstellung derselben. Und sofern das Christentum und seine Theologie von und mit diesen topischen Metaphern leben, wäre das eine Lebenswelttopographie.

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5.3. Zum Beispiel: Perspektivität der Metapher Was aber zeigt sich in der Optik der Topik? Wie sieht die Welt, in der wir leben, aus, wenn man als eine systematische Konsequenz der Metaphernthese die Topik bemüht? Im Lichte der topischen Metapher Jesus Christus' bekommt man es mit einer Perspektivenäfferen£ zu tun. Üblicherweise hat man es mit der Differenz von subjektiver und objektiver Perspektive zu tun, oder einer besonderen und allgemeinen, mit der Folgefrage, wie sich beide vermitteln lassen. Meiner natürlichen individuellen Perspektive mit all ihren Neigungen tritt dann fordernd die moralische oder wissenschaftliche Perspektive der Allgemeinheit gegenüber. Wenn es keinen ,view from nowhere' gibt, ist das Allgemeine der Feind des Besonderen und die Aufgabe der Vermittlung im Grunde von vornherein aporetisch. Folgt man hingegen der Struktur der Metapher, sind die sinnlichen (und nicht nur die optischen) Wahrnehmungen und deren Interpretativität anders zu differenzieren, etwa so, daß man eine perspectiva naturalis von einer perspectiva Christiana unterscheidet; oder besser, zum Zwecke der Vermittlung, formuliert: eine perspectiva communis von einer anderen perspectiva communis. Von einem anderen Topos aus sieht die Welt anders aus. Über die Hermeneutik vergangener Perspektiven hinaus wird damit die Hermeneutik der eigenen thematisch: die Topik impliziert eine Dialektik der Perspektiven. Die beiden Perspektiven wie in der Metapher Jesus Christus' gehen nicht differenzlos ineinander auf, sondern, so würde ich vorschlagen, kreuzen sich chiastisch — wofür vielleicht schon Jüngel ein gelungenes Beispiel gegeben hat: „Der ... Anspruch des besonderen Ereignisses der Rechtfertigung auf Allgemeinverbindlichkeit und die dem entsprechende anthropologische Relevanz der Rede von Gott ist erst dann eingelöst, wenn die theologischen Aussagen über den Menschen auch für einen Nichtglaubenden einen anthropologischen Gewinn ergeben", d.h. dass die Sätze theologischer Anthropologie „auch dann sinnvoll und brauchbar sein müssen, wenn der Ausdruck ,Gott' als bloße Leerstelle mißverstanden ... werden sollte"49. Mit der Figur des Chiasmus setzt sich die christliche Perspektive nicht einfach der .natürlichen' entgegen wie eine .übernatürliche' oder sub specie aeternitatis. Es geht auch nicht um einen PerspektivenewAre/, als würde sukzessiv einmal

48 Bzw. die übliche perspectiva naturalis ist nicht mehr die einzige perspectiva communis. 49 Eberhard Jüngel, Extra Christum nulla salus - als Grundsatz natürlicher Theologie? Evangelische Erwägungen zur .Anonymität' des Christenmenschen, in: ders., Entsprechungen: Gott - Wahrheit - Mensch. Theologische Erörterungen, BevTh 88, München 2. Aufl. 1986, 178-192, 189£, vgl. ders., Der Gott entsprechende Mensch. Bemerkungen zur Gottebenbildlichkeit des Menschen als Grundfigur theologischer Anthropologie, in: ebd., 290-317, 291ff.

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diese, einmal jene Perspektive eingenommen. Ebenfalls ist das keine Perspektiveninversion, als würde ein Fernrohr umgedreht. Sondern: ein und dasselbe wird kalkuliert zweideutig (wie kalkuliert absurd in der Metapher), oder weniger anstößig formuliert: zweideutbar, wie in der Christologie oder im simul der entsprechenden Anthropologie. So gesehen ist die religiöse Perspektive in sich %wiefältig, nach dem Modell der Metapher strukturiert: Dieses ist auch jenes und nicht allein dieses.50 Am ehesten einsichtig wäre das in schöpfungstheologischer Hinsicht: die Maus ist nicht nur Maus, sondern vor allem Kreatur. Anthropologisch ist das allerdings schon weniger trivial: Fremdbestimmung beispielsweise ist nicht nur eine Verletzung der Autonomie, sondern kann in bestimmter Hinsicht als konstitutiv für das eigene Dasein oder sogar als heilsam erfahren werden. Aber die — natürlich offene - Frage ist, was durch diesen zweiten Aspekt (der zwiefáltigen Perspektive) erhellt wird, was sich in ihrer Überschreitung der natürlich offenen Frage zeigt? Es zeigt sich jedenfalls nicht in einer Vision die himmlische Welt, ein Horizont hinter den Horizonten. Sondern die Welt, in der wir leben, sieht dann etwas anders aus. Wenn man die Aufgabe theologischer Weltwahrnehmung und -beschreibung so nach dem Modell der Metapher strukturiert und dabei Jüngels ,Höchstforderung' für plausibel hält ,in zwei Hinsichten zu formulieren', dann gibt es offenbar noch einiges zu tun für die systematische Theologie. Um nur ein Beispiel anzudeuten: was heißt es für die Passion Christi, wenn sie mit Gewinn für die humane Passivität verstanden werden soll? Und vice versa, inwiefern ist die humane Passivität der Hintergrund, auf dem die Passion erst verstanden werden kann?

50 Damit ist zwar die Gefahr einer ,Wut des Vers te hens' gegeben, ähnlich wie in der Augustinischen Semiotik, aber der abusus erübrigt nicht den usus dieser anderen Perspektive.

Teil IV

Wirkung und Produktion christologischer Metaphern

Johannes Rauchenberger Urbild - Abbild - Vorbild Das ontische Christusbild im Kunstraum theologischer Erkenntnis

1. Bilder oder Bildlichkeit: Fragestellungen... Wenn wir nach dem „Bild" in der Bibel fragen, so sind zunächst Entscheidungen über den Gesprächsgegenstand zu treffen. Gemessen an der Unzahl der Christusbilder in unserer europäischen Geschichte findet man davon in den Heiligen Schriften wenig. Es wäre also zu fragen nach dem Vorkommen des Bildes in den Schriften, seinem faktischen Bildeigebrauch, schließlich seinem Status im jeweiligen theologischen Denken: Man findet die bekannten Elemente des Bilderverbotes, der Bilderkritik, aber auch des positiven Umgangs, etwa in der Ausschmückung des Tempels etc... Nichts findet man freilich von einem Christusbild. Nur Paulus am Areopag (Apg 17, 16ff.) nahm den Altar „zu einem unbekannten Gott" für seine Sache in Anspruch. Diese verschiedenen Traditionen wurden in den wechselnden Phasen der Bilderstreitigkeiten, die dem Christentum in seiner Geschichte immer wieder zu Eigen waren, verschieden stark betont. Die bilderfeindliche Tradition war meist jene, die verstärkt den Schriften verpflichtet war, die bilderfreundliche Tradition ging stärker von der unmittelbaren Notwendigkeit des Rezipienten des in der Schrift Erzählten aus, sie fand schließlich ihr stärkstes Argument in der Inkarnation. Über den Bildergebrauch, wie er in der Bibel zu heben wäre, wollen wir hier nicht nachdenken, vielmehr ob und wie Bilder - und näherhin das Christusbild - biblisch begründet werden können, obwohl sie dort (fast) gar nicht vorkommen. So bin ich bei der zweiten Möglichkeit, mit der Vergewisserung der Bibel über Bilder zu reden: Nach der bildlichen Struktur zu fragen, die vornehmlich in

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Johannes Rauchenberger

den Kristallisationspunkten der Offenbarungserzählungen vorkommen, kurz nach dem zu suchen, was „Biblische Bildlichkeit"1 genannt werden kann.

2. Bild und Herdichkeit 2.1 "I3D und Präsenz δόξα und Gegenwart Für unsere Fragestellung interessieren die Bildlichkeitsstrukturen an den Wendepunkten der Offenbarung: Das sind, verkürzt gesagt, die Theophanieer^ählungen (besonders am Sinai) im Alten Testament, die im Neuen Testament eine Zuspitzung erfahren, wo es um die Art und die Weise der Erscheinung Christi als körperliche Sichtbarmachung des per definitionem Unsichtbar-Göttlichen geht. Da diese Fragestellung Bibliotheken füllt (oder besser: füllen sollte), will ich mich auf zwei Bereiche beschränken, die bei unserer Art des Fragens aber doch den Kern ausmachen. Da ist zum einen, wenn es um das „Wie" der Struktur des Bildlichen geht, die „Herrächkdt Gottes", und, als B e g r i f f , natürlich auch: das „Bild Gottes". Die Termini in den Originalsprachen heißen bekanntlich: ΠΊΓΡ "DD, griechisch: δόξα του θεοΰ und schließlich είκών toû 0eoö. Mit diesen zwei bzw. drei Begriffen fällt in unserer Art des Fragens nach der Bildlichkeit eine weitere Entscheidung. Idealtypisch kann man dabei zwei Arten unterscheiden: Der alttestamentliche "DD ist mit der Bildächkeit der Präsen£ zu beschreiben: Im Bildlichen der Erscheinung ereignet sich „es selbst" - als pure Gegenwart, als Dialektik von Zeigen und Verhüllen, wie etwa in Ex 24,5-25,1. Indem etwas offenbar wird, nimmt es sich auch wieder verborgen zurück. Diese Bildlichkeit ist im hohen Maße in Einklang zu bringen mit der ganzen Debatte des Bilderverbotes, das der hebräischen Tradition ja zugerechnet wird, weil nur das Verbot den hohen Präsenzwert des Bildes überhaupt anerkennt. Die christliche Tradition hat auf Basis dieser Wurzel ein entscheidendes Problem zu lösen: Wie geht diese Bildlichkeit der Präsenz unter den Vorzeichen der Menschwerdung Gottes weiter? In der Tat kann man ja auch eine begriffliche Weiterschreibung festhalten: Die Schriften des Neuen Testaments schließen 1

2

Vgl. Johannes Rauchenbeiger, Biblische Bildlichkeit. Kunst — Raum theologischer Erkenntnis, (IKON. Bild+Theologie), Paderborn 1999. Über die bildtheologische Alternative der „Bildlichkeit" zum Modell der „Schriftbeweise" bei der Begründung und Bestreitung von Bildern, wie er in der Kontroverstheologie vornehmlich geführt wurde, vgl. bes. Kap 5: „Schrift und Kunst - und ihre Bildlichkeit", 187-216. „Bildlichkeit" wurde vor allem auf Gottfried Boehm aufbauend verwendet Vgl. Gottfried Boehm, Die Bilderfrage, in: ders., (Hg.) Was ist ein Bild?, München 1997,325-343. Ebd., Kap 6: „Dialektische Bildlichkeit - Gottes Wort im Modell bildlicher Logik", 217260.

Urbüd-Abbild-Vorbüd

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sich bei der Terminologie des 133 in der Übersetzung als δόξα 3 an, sie stehen dabei aber vor ganz neuen Aufgaben. Diese liegen zum einen im Aufweis der Kontinuität zur Tradition des Alten Testaments, aber auch in der typologisch betrachteten Erfüllung des dort Verheißenen. Die bildliche Struktur unter den Bedingungen der Inkarnation gewinnt allerdings eine besondere Brisanz: Bedeutet die Menschwerdung Gottes vollkommene Sichtbarkeit ohne jede Verhüllung, oder ist sie gerade im Gegenteil seine völlige Verhüllung durch die irdische Gestalt? Reinhard Hoeps hat in seiner Habilitation deutlich gemacht, dass die bildliche Struktur der δόξα bei Johannes und bei Paulus streng unterschieden werden muss. 4 Die johanneische Kreuzestheologie ist der Bildlichkeit des 133 zuzuordnen, mit der Transformation der Dialektik von Erniedrigung und Erhöhung. Dies löst auch das von Urs von Balthasar in einem kurzen Aufsatz aufgeworfene Problem der Spannung zwischen der Herrlichkeit Gottes und der Armseligkeit des Gottesknechts. 5 Johannes hat das Problem in einem komplexen Spiel von Identität und Differenz, in der Dialektik von Erhöhung und Erniedrigung gelöst.

2.2 δόξα und Geschichte, εικών und Teilhabe Präsenz und Gegenwart ist aber nur das eine Modell, das aus der Perspektive biblischer Bildlichkeit herausgestellt werden kann. Ein zweites — und jenes, das in dieser Fragestellung aufgrund der Themenstellung verfolgt wird — ist jenes von Urbild, Abbild und Vorbild. Es führt uns ins paulinische Schrifttum (dem gesamten kanonisch-endzeitlich angenommenen Corpus Paulinum, wie es in der Tradition schließlich rezipiert wurde), wo es in besonderer Ausführlichkeit und systematischer Stringenz verhandelt wird. „Herrlichkeit/δόξα wird bei Paulus als ein heilsgeschichtlicher Begriff verwendet und steht im Kontext der Darlegung der wichtigsten christologischen Vorgänge." 6 Man könnte also eher von einer Fortführung des 133 im geschichtlichen Modus sprechen.

3 4 5 6

Vgl. Kari Matthäus Woschitz, Art. „Herriichkeit/doxa", in: BThWB, 297-300. Vgl. Reinhard Hoeps, Das Gefühl des Erhabenen und die Herrlichkeit Gottes. Studien zur Beziehung von philosophischer und theologischer Ästhetik, Würzbuig 1989,149-158. Vgl. Hans Urs v. Balthasar, Weltliche Schönheit und göttliche Herdichkeit, in: Internat. Kath Zeitschrift (1982), 513-517. Woschitz, a.a.O., 298. Vgl. Eph 1,17; 3,16; Rom 9,23; Phil 4,19 (als Zuordnung zum Vater); 1 Kor 2,7 (Weisheit); Rom 1,19-23 (Schöpfung); Rom 9,4; 2 Kor 3,7.9 (Widerschein im Alten Bund); vgj. 2 Kor 4,4.6; 3,18; 1 Kor 2,8; Rom 6,4; Phil 3,21 (Widerschein am Angesicht Christi); vgl. 2 Kor 4,4; 3,8f. (Widerschein im Apostelamt); vgl. Rom 8,29f. (Widerschein im Menschen); Eph 3,16f.; Rom 2,7.10; 15,9 (gute Werfte und Lobpreis); vgl. Kol 1,27; 1 Thess 2,12 (Angeld auf die zukünftige Doxa); vgl. 2 Kor 3,18 (Verwandlungsmoment).

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Johannes Rauchenberger

Diese Begriffsverwendungen der δόξα eignen sich allerdings auf den ersten Blick nicht so sehr, Bildlichkeit zu konstituieren, jedenfalls nicht in dem Maße wie sein alttestamentliches und johanneisches Äquivalent. Der δόξα eignet nicht das Ereignishafte, durch das beim 13D die plötzliche Enthüllung des Verborgenen zum Ausdruck gebracht wird. Die kultischen Implikationen stehen ebenso nicht im Mittelpunkt des Interesses. Überhaupt scheint die Spannung von Unsichtbarkeit und Erscheinung, die dem 133 seine Brisanz verleiht, nicht den Grundton der Herrlichkeit auszumachen.7 Bemerkenswert ist aber, dass trotz dieser Differenzen Paulus die Tradition des "DD aufgegriffen und fortgeschrieben hat. Warum? Worin lassen sich aber diese Bindungen an die Tradition des Begriffs sowie ihre Weiterentwicklungen beobachten? Obwohl das Erscheinen des Verborgenen für Paulus nicht zum vorrangigen Problem geworden ist, bietet doch die Bildlichkeit der kontinuierlichen Präsenz, der Teilhabe und der Prozessualität einen entscheidenden Anhaltspunkt zur Erhellung der Bedeutung von δόξα, „ja δόξα scheint in dieser Beziehung nach Auskunft der Exegeten sogar deckungsgleich oder zumindest nahezu synonym mit Eikon zu sein"8, δόξα, pauünisch, ist gleich: εικών. Nach dem Bedeutungsgehalt und der Bildlichkeitsstruktur dieses Begriffes ist also - in seinem inneren Zusammenhang zu δόξα - nun zu fragen. Die Bezeichnung „Bild", eiKOJV, ein Grundbegriff in den späteren Legitimationsetappen zur „Bilderfrage", der im „Bilderstreit" kulminiert, bezieht sich im Neuen Testament nicht auf die Kunst, sondern zunächst auf Christus, insofern in ihm als dem Sohn sich der Vater offenbart. 9 εικών ist also zuerst eine „Offenbarungskategorie"10. Als eine solche wurde sie aber später — etwa bei Johannes von Damaskus - bildtheologisch verwendet11 und hat damit Bildkonzepte mit bedingt, die von weitreichender Tragweite sind. Als Offenbarungskategorie wird εικών dann auch zum Ermöglichungsgrund der Abbildbarkeit Christi, sie bezeichnet die Abstammung und Herkunft Christi, die an ihm sichtbar ist. Die Spitze der paulinischen Aussagen zum eiKiüV-Begriff findet sich in Kol 1,15: Christus ist „das Bild des unsichtbaren Gottes". Hebr 1,3 beschreibt mit einem verwandten Begriff den widergespiegelten Glanz und „Abdruck" des einen Gottes im Sohn: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit (δόξα) und das Abbild

7 8

Vgl. Rauchenbergpr, Biblische Bildlichkeit, 321-358. Hoeps, Herrlichkeit, 152. Vg}. dazu: Martin Kaner, Art. „Bild/Ebenbild (NT)", in:BThWB, 80-82, auch Gerhard Kittel, Art.: Eikon, in: ThWNT II, 378-396; hier: 396; Friedrich Wilhelm Eltester, Eikon im Neuen Testament, Berlin 1958, 155; Wilhelm Thüsing, Per Christum in Deum. Studien zum Verhältnis von Christozentrik und Theozentrik in den paulinischen Hauptbriefen, Münster 1965,125f. 9 Vgl. Karrer, Bild, 81; Eltester, Eikon, 152. 10 Hoeps, Herrlichkeit, 156. 11 Vgl. Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, 147ff. (Zum Bildbegriff von Johannes von Damaskus als theologische Schlüsselkategorie.)

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(charaktéì) seines Wesens." Das „Wie" dieses Ermöglichungsgrundes, also die Vorstellung, in der dieses Verhältnis von Vater und Sohn anschaulich wird, beschreibt Paulus — beispielsweise in 2 Kor 4,4 - mit dem Lichtglanz der δόξα: Es geht dabei um das einzigartige Aufleuchten der Herrlichkeit Gottes, das die Gläubigen im Blicken auf Jesus als den erhöhten Herrn wahrnehmen; denn die Ungläubigen, wie es im Text heißt, denen noch die Verhüllung anhaftet, werden eben in der dazu entsprechenden Negativfolie bestimmt: „So strahlt ihnen der Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit (δόξα) Christi, der Gottes Bild (εικών) ist" (2 Kor 4,4b). Das Licht, das im Evangelium von der δόξα Christi ausgeht, lässt in den Herzen - also in den Gläubigen, den „Rezipienten" — die Erkenntnis der δόξα Gottes wachsen (2 Kor 4,6), weil Christus das Bild des Vaters ist, und auf seinem Antlitz dessen δόξα erstrahlt. δόξα macht nicht nur die Erscheinung der Göttlichkeit Gottes anschaulich, sondern darüber hinaus vermag sie auf die Weise des reflektierenden Lichtglanzes die christo logtsche Vermittlung dieser Anschauung und damit die Götdichkeit Christi zu illustrieren. Die Bildlichkeit der ευκών, die das Verhältnis der Abbildlichkeit zu ihrem Ermöglichungsgrund anschaulich macht, „bezeichnet diese Vermittlungsform der Erscheinung und unterscheidet und verknüpft zugleich damit die δόξα Christi und die des Vaters"12. Was ist dies für eine Bildlichkeitsstruktur? Dazu benötigen wir neben δόξα und €ΐκών ein weiteres Feld im engen Kreis der Offenbarungstheologie: die Gottebenbildlichkeit}1 Das Ziel des Menschen ist in dieser Begriffsbedeutung ein Bildsein, indem er von der Taufe bis zur Auferstehung Christus als dem Vorbild nachgebildet wird, der Mensch soll in Bild und Glanz des Sohnes gleichgestaltet werden.14 Die Gottebenbildlichkeit (Gen l,26f.) ist die andere der beiden Traditionen von „Bild" im Alten Testament.15 Siegfried Kreuzer hat prägnant formuliert: „Der Grundgedanke von Ebenbild ist der Gedanke der Repräsentation."16 Wird die Gottebenbildlichkeit schon in der Genesis entscheidend umgeprägt — der Begriff wird nicht nur auf den Sohn des Gottes (als den König etc.) angewandt, sondern auf den Menschen allgemein — so erhält sie bei Paulus insofern noch eine weitere Bedeutungsnuance, als sie sich nun auf den „himmlischen Menschen", den „Logos" bezieht.17 Diese gnostischen Reflexionen wurden 12 Hoeps, Herrlichkeit, 152. 13 Gottfried Bachi, Art. „Bild IV - systematisch-theologisch", LThfO , Bd. 2, 446. Zur Bedeutung dieses Begriffs in der kunst-/bildtheologischen Diskussion vgj. zusammenfassend: Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, 68 (Hans Sedlmayr); 151 (Johannes von Damaskus); 180 (Orígenes); 189f. 14 Rom 8, 29; 1 Kor 15,49; 2 Kor 3,18; vgl. Gal. 4 , 1 9 . 15 Siegfried Kreuzer, Bild/Ebenbild (AT), in: BThWB, 77-80, Karrer, Bild, 81f. 16 Kreuzer, Bild/Ebenbild, 79. 17 Zu diesen gnostischen Begriffen vgl. Karrer, Bild/Ebenbild, 81, mit Bezug auf Jost Eckert, Christus als „Bild Gottes"[ ... ]. in: Vom Urchristentum zu Jesus, FS J. Gnilka, Freiburg 1989,337-357.

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Johannes Rauchenbeiger

schließlich auf Christus übertragen. Die Ebenbildlichkeit des Menschen bezieht sich nun vor allem auf Christus, und zwar im Modell der Teilhabe. Man kann deshalb mit Hoeps zu Recht diese Bildlichkeit „nach dem Schema von Urbild und Abbild"18 verstehen, und zwar „im Sinne eines Maßstabes, den das Urbild für das Urteil über das Gelingen des Abbildes gibt"19. Der Mensch als dieses Abbild ist dabei einer Prozessualität unterworfen, also im Werden begriffen, in einer Umgestaltung vom „alten" zum „neuen" Menschen, die erst mit der Auferstehung abgeschlossen ist. In 2 Kor 3,7f., wo explizit auf die Exodusstelle der Erscheinung zurückgegriffen wird, wird die Begegnung mit dem nicht in die sonst seiner Erscheinung entsprechenden Schau gefasst, „sondern im Sinne einer Partizipation"20 (V 7f.l2). Was in Exodus das „Gesicht des Moses" war, ist bei Paulus der „Dienst des Geistes", δόξα bezeichnet dabei den Maßstab und das Ziel der Abbildlichkeit des Menschen.21 Eschatologischer Charakter und Orientierung an Christus werden durch den Begriff der δόξα zum Ausdruck gebracht. In 2 Kor 3,18 drückt Paulus diesen Sachverhalt — mit aufgeladenen bildlichen Kategorien — so aus: Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.

Die Auffassung bzw. Umprägung des Bildbegriffes als Gottebenbildlichkeit bei Paulus lasse sich zuletzt „auf diesen Topos zurückführen, sowohl bei der Umwandlung des Menschen als auch bei der Offenbarung Gottes, deren theophane Elemente in der Vermittlung durch Christus in solche der Ur- und Abbildlichkeit übergehen analog der Beziehung zwischen Vater und Sohn"22. Die Anknüpfung an das Modell der Gottebenbildlichkeit macht es Paulus außerdem möglich, die „Gestaltung" der Gläubigen als eine Entwicklung zu beschreiben, während die Bildlichkeit, unter der sich die Theophanie ereignet, sich dem Empfanger so unvorbereitet und plötzlich wie in vollendeter Gestalt darbietet. Gottebenbildlichkeit bei Paulus meint aber einen inneren Prozess, der, mit der Taufe einsetzend, das Leben ethischen Anforderungen unterwirft und schließlich mit der Auferstehung erst sein Ziel, die Christusebenbildlichkeit erreicht.23 Die ethisch motivierte Bilderkritik findet in dieser Auffassung ihren zentralen biblischen Anhalt.24

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Hoeps, Herrlichkeit, 152. Ebd., 153. Hoeps, Herrlichkeit, 155. Vgl. Gerhard Kittel, Doxa, in: ThWNT II, 235-258, hier 253. Hoeps, Herrlichkeit, 153. Bes. in Kol 3,10 wird sie bereits zum Maßstab christlicher Ethik und Erkenntnis; vgj. auch Eph 4,24. Vgl. Karrer, Bild/Ebenbild, 81; Kittel, Die Herdichkeit Gottes, 206. 24 Bes. bei Orígenes, Clemens von Alexandrien, zusammengefasst bei Hans G. Thuemmel, Die Frühgeschichte der ostkirchlichen Bilderlehre. Texte und Untersuchungen zur Zeit vor

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Zusammenfassend lässt sich zu den beiden Begriffen der δόξα und der εικών in dieser Schicht des Neuen Testamentes sagen, dass die paulinische Theologie die anschauliche Qualität von δόξα zwar zitiert und so die alttestamentliche Tradition fortschreibt; der Doxabegriff verliert jedoch an konstitutiver Bedeutung zugunsten des Vorstellungsmodells der Partizipation. „Stand im AT das Schauen der Herrlichkeit Gottes im Vordergrund, so geht es im NT primär um die Teilnahme der Gläubigen an der Herrlichkeit Gottes."25 Auch Paulus geht von der Grundbedeutung der machtvollen Präsenz und Gewichtigkeit aus, doch teilt sich diese nicht mehr in einer überwältigenden Schau mit; die Wirkmächtigkeit Gottes wird allein sichtbar an den Veränderungen, die sie hervorruft; sie zeigt sich als unmittelbares Handeln Gottes am Menschen, der wiederum an dieser Herrlichkeit partizipieren kann. Paulus nimmt den Begriff gleichsam in seiner „geschichtstheologischen Funktion"26 und konstruiert ihn so als Leitfaden der Heilsgeschichte bis zu ihrem eschatologischen Ziel, in einer Bildlichkeit der Prozessualität. Besonderes Augenmerk wird auf die christologische Vermittlung gelegt. Die Bestimmung der Gegenwart durch die δόξα der Vollendung begreift Paulus aus dem Kontext der Gottebenbildlichkeitsvorstellung als Partizipation. In der johanneischen Verwendung der Herrlichkeit bzw. des Verherrlichens war hingegen die eschatologische Ausrichtung mit der Bildlichkeit der Präsenz in der inneren Dialektik von Nähe und Ferne, von Erhöhen und Erniedrigen betont. Die heilsgeschichtliche Universalisierung des Begriffs der δόξα bei Paulus zeugt von der konstitutiven Bedeutung seiner Bildlichkeit, insofern darin δόξα dem freilich mehr als Ebenbildlichkeit denn als Anschauung verstandenen — Eikonbegriff untergeordnet wird. In diese Auffassung einer Substitution der Anschaulichkeit durch das heilsgeschichdiche Modell unter dem Blickwinkel der Vollendung fugt sich auch die Vorstellung aus 1 Kor 13,12 ein, wo die gegenwärtigen Erkenntniskriterien „in speculo et aenigmate", wie die Vulgata übersetzt, also mit der Metapher des Spiegels und des Rätsels verglichen werden, im Gegensatz zur Bildlichkeit der Schau πρόσωπον προς· πρόσωπον im „Dann": „Jet^t sehen wir wie durch einen Spiegel, rätselhaft, dann aber von Angesicht Angesicht. " Unter der grundlegenden Prämisse, dass „wir im Glauben leben, nicht im Schauen" (2 Kor 5,7), gibt es für Paulus in der irdischen Existenz auch der Christen kein unmittelbares „ von Angesicht ψ Angesicht". Das zweite Modell, das sich zusammenfassend in der Beschreibung der Bildlichkeit der εικών eignet, - und auf welches das Bildkonzept der Ikone bzw. der Tradition des Anditzes besonders aufbaut - lässt sich in der Vorstellung des dem Bilderstreit, Berlin 1998, 30£f.; als Bildlichkeitsproblem vgl. Rauchenbeiger, Biblische Bildlichkeit, 177-182. 25 Woschitz, Herriichkeit/Doxa, 297. 26 Als „narratives und typologisches Bildkonzept" vgl. Rauchenbeiger, Biblische Bildlichkeit, bes. 273-276.

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Johannes Rauchenberger

Abdrucks umschreiben. Am Bild Christi wird Abstammung und Herkunft sichtbar. Das Unsichtbare wird in seiner Sichtbarwerdung im Modell der Repräsentation gelöst, die Vorstellung kann sich in ihrer Bildlichkeit auf platonische Bildvorstellungen berufen. Die δόξα wiederum hat in diesem Modell, vereinfachend gesagt, die Funktion der Ausführung dieses Ur- und Abbildverhältnisses, indem sie die Vorstellung dieses abhängigen Verhältnisses, das „Wie", vor allem in der Weise des reflektierenden Lichtglanzes, anschaulich macht. In zweiter Linie erfüllt die δόξα die Verknüpfung mit dem Modell der Ebenbildlichkeit: Sowie Christus in seiner €ΐκών die δόξα des Vaters offenbart, strebt der Christ seine Vollendung in der δόξα an.

3. Bildkonzepte als Urbild/Abbild/Vorbild — Partizipation 3.1 Das Urbild und das Abbild Das im engeren Sinn biblische Terrain verlassend interessiert uns hier ja vor allem die Bildlichkeitsstruktur: Diese zeigt, dass die Rückführung auf platonische und platonistische Theoreme nicht einer „Theorie von Erscheinung und Anschauung" angehört, wie in der Bildlichkeit des ~QD, sondern einer „Ontologie, die das Erscheinende gerade nicht als solches zum Gegenstand nimmt, sondern als Derivat eines anderen, im eigentlichen Sinne Seienden"27. Die Bildlichkeit ist hier eine der Prägung und des Abdrucks, sie legitimiert sich ontologisch aus ihrem Verhältnis zum Urbild; sie bezieht „seinen ontologischen Rang aus der Scheidung zwischen zwei Welten, die sich in ihrer Geschiedenheit wechselseitig bestimmen, während die Bildlichkeit der Theophanie gerade die zumindest partielle Aufhebung dieser Trennung zum Ausdruck bringt"28. War dort die durch die Dialektik von Enthüllen und Verbergen präsentische Struktur (in einem Spiel von Identität und Differenz) das Charakteristikum der Bildlichkeit, so sind hier Ur- und Abbild voneinander geschieden. Das Schwergewicht verlagert sich auf das Abbild, das sich vom Urbild her legitimiert, aber sich nun in seinem ontologischen Status explizieren muss. Die Bildlichkeit der eiK(i>u und der paulinischen δόξα ist bildlich heteronom strukturiert. In der Theorie der Ikone findet diese Art von Bildlichkeit — freilich unter Aufladung der jeweils zeitgenössischen Bildtheorie - ihre exemplarische Ausführung. Im Westen folgt der ursprünglichen Theorie der Ikone als Abdruck im Wesentlichen die lange Traditi27 Hoeps, Herrlichkeit, 154. 28 Ebd.

Urbild - Abbild - Vorbild

355

on der Vera Icon, samt all ihrer Legenden, bildlichen Verästelungen bis hin zu modernen Transformationen, wie es Alex Stock im 2. Band seiner Poetischen Dogmatik exemplarisch aufgezeigt hat.29

3.1.1 Ikone und die Folgen Das naheliegendste Beispiel für die Ur- und Abbildbeziehung ist selbstverständlich die Ikone. Die Thematisierung ihrer Abbildhaftigkeit war Gegenstand zentraler theologischer Auseinandersetzungen, sie wurde konziliar festgehalten und nobilitiert in den Ausführungen des II. Konzils von Nizäa.30 Die Ikone als „Abbild" des „Urbildes" ist in den Legenden — besonders der Abgarlegende — aber auch in theoretischen Äußerungen bezüglich der sog. Acheiropoieta Gegenstand der Betrachtung. Acheiropoieta sind „nicht von Menschenhand gemachte Bilder". „Der sich dem Zugriff des heidnischen Bilderwunsches entzieht, gibt, was man sich nicht nehmen kann. Er legt das Tuch auf sein Gesicht, es prägt sich selber darin ein. Als Abdruck ist eine .Photographie' möglich, weil das unfaßbare Gotteslicht mit der Menschennatur für immer ein menschliches Gesicht angenommen hat."31 So garantieren die „nicht von Menschenhand gemachten Bilder" die Bildlichkeit des (wörtlich verstandenen) neutestamentlichen Eikonbegriffes, insofern Christus das Bild des unsichtbaren Gottes ist. Die Persistenz der Ikonenformulare — nicht nur als Acheiropoieta — verdankt sich dieser theologischen Vorgabe; die verbindliche Nachahmung dieser Vorbilder ist die Voraussetzung nicht nur für die Existenz der Ikone als Ikone, sondern auch — in der späteren Entwicklung bei den Ikonodulen — für die Übertragung der göttlichen Gnade auf die neugefertigten Ikonen. Abbildhaftigkeit versteht sich in der Theorie der Ikone nicht im Sinne naturalistischer Nachahmung, sondern primär in dem ursprünglicheren Sinne der Prägung des Abbildes durch das Urbild, wie es die Abgarlegende als Legende bezeichnend überliefert hat. Indem Johannes von Damaskus das Bild in seiner Bildtheologie - und er meint natürlich die Ikone — dahingehend definiert, dass das Bild „eine Ähnlichkeit [ist], die das Urbild so ausdrückt, dass zwischen beiden ein Unterschied bestehen bleibt. [...]" und „eine Ähnlichkeit von irgend etwas [ist], eine Darstellung oder eine Abprägung, die in sich den abgeprägten Gegenstand zeigt"32, legt er klar, dass das Bild als Ausprägung (έκτύπωμα) von etwas anderem herkommt und in irgendeiner Form von

29 Alex Stock, Poetische Dogmatil·. Christologie. 2. Schrift und Gesicht, Paderborn 1996, 93258. 30 Vgl. Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, Kap. 4,145-160 (Liti). 31 Stock, Schrift und Gesicht, 110. 32 Johannes Damaszenus, Imag. or. III, 17, 2f. (126 Kotter III), vgl. Rauchenberger, a.a.O., Kap. 4c., 149.

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Ähnlichkeit (ομοίωμα) auf es hin und zurück verweist; dazwischengeschaltet ist der Betrachter bzw. der Verehrer des Bildes. Die Ähnlichkeit des Abbildes setzt das Urbild voraus, das Abbild ist eine Nachbildung, eine Ausprägung oder ein Abdruck (έκτύπωμα) des Prototyps nach seiner sichtbaren äußeren Gestalt. Die Ikone, so könnte man diese Art von Bildlichkeit beschreiben, bezieht auf dem Hintergrund der engen Interpretation des Eikonbegriffs die Regularien zu seiner Hervorbringung vom Dargestellten selbst. Nur so legitimiert sich auch formal, warum dem Bild überhaupt Verehrung in irgendeiner Form zukommt. Dem Bild wird in dieser Konzeption eine ontologische Beziehung zwischen Darstellung und Dargestelltem beigemessen. Das Bild erhält also seine Dignität nicht dadurch, dass es erfindungsreich und mit der List künstlerischer Technik dem Dargestellten in der Illusion möglichst nahe zu kommen trachtet, sondern, weil die Initiative zur Bildwerdung ganz beim Urbild liegt. Deshalb hat das Bild auch teil an der Verehrung des Abgebildeten, und umgekehrt garantiert diese ontologische Abhängigkeit, dass die dem Bild gezollte Verehrung tatsächlich auf das Urbild übergeht. Somit ist in der Bildlichkeit der Ikone nicht nur die Abbildhafrigkeit angelegt, die sich in einer Statik erschöpft, sondern auch die auf den Betrachter bezogene Bildlichkeit, die man prozessual bezeichnen kann: Der Betrachter-, d.h. der Verehrungsbezug, gehört notwendig zur Existenzbedingung der Ikone hinzu.

3.2 Ontische

Teilhabe

Die Vorstellung einer zu realisierenden Gottebenbildlichkeit unter dem Blickwinkel der Vollendung hat auch mit dazu beigetragen, dass sich in der Entwicklung christlicher Bildkonzepte die ontische Realität als darstellungswürdig erwiesen hat. Wie Götz Pochat am Beispiel des frühen Christentums aufgezeigt hat, wo das Bilderverbot noch ein besonderes Gewicht besaß, überging man dieses auch durch das Einsetzen der „ästhetischen Erlebniszeit" 33 . Diese bot sich anfangs besonders durch die Mosaiktechnik an, die nicht zuletzt den „realen Charakter des Materials und der dadurch zur Wirkung gelangenden, dahinter stehenden ontischen Realität zur Geltung kommen läßt" 34 . Die „Materialität der Mosaike, die Leuchtkraft ihrer Farben, der Glanz der bunten Steine und des Goldes" 35 trägt zur Offenbarung jener höheren Wirklichkeit bei, „die unmittelbar ästhe-

33 Götz Pochat, Bild-Zeit. Zeitgestalt und Erzählstruktur in der bildenden Kunst von den Anfangen bis zur Neuzeit, Wien 1996,146. 34 Ebd. 35 Ebd.

Urbild - Abbild - Vorbild

357

tisch empfunden und somit spirituell begriffen werden konnte"36. Dabei kommt auch in dieser künstlerisch manifest gewordenen Transformation die spezifische Zeitauffassung des Christentums, oder besser die Überhöhung der Gegenwart und der stets im Lauf der Geschichte gegenwärtige Bezug zum Göttlichen auch durch die ästhetische Wirkung von Material und Licht selbst zur Geltung. Der Verzicht auf funktionale Figurendarstellung und primär illusionistisch ausgerichtete Szenen bedeutet für das ästhetische Erleben des Betrachters eine neue Situation, „indem gerade der ontische Charakter der Schönheit, der Glanz des Materials und des Goldes, aber auch die stilisierten Formen des Ornaments, die endlose Wiederkehr von Flechtmustern, Ranken und Bändern oder die symmetrische Anordnung von Einzelmotiven zum Tragen kommen" 37 . Erfüllung und zeitlose Dauer werden nunmehr nicht, wie in der früheren, historisch-figuralen Betrachtungsweise, durch erzählerische Bilder zum Ausdruck gebracht, sondern durch die formale Gestaltung selbst und eine symbolische Bildsprache; eine ewige Präsenz des Göttlichen, die sich in der Materialität des Kunstwerks hier und jetzt bekundet.38 Etwa, in den Erfahrungen der Mosaiken und des Goldgrundes, in denen der Glanz der Farben und das Eigenlicht des Goldes als direkte Teilhabe am göttlichen Licht und an dessen Wirkungskraft. Im Kontext der mittelalterlichen Ästhetik ist eine solche Bildlichkeit immer wieder zur Ausführung gekommen. Bewegt und ruhend zugleich, bieten sich die Mosaike und Goldgründe dem Betrachter dar, nicht nur als Bild, sondern als Manifestation des Ewigen und Zeitlosen selbst, nach dem berühmten Ausspruch Kurt Badts: „Gold stellt nicht dar, sondern zeigt an"39. Diese „ontisch begründete Wirkungsästhetik"40 realisiert die Bildlichkeit der Abbildhaftigkeit vor allem kraft ihrer Materialität in einer Verdichtung des sich in der Präsenzzeit erfüllenden Zeitbewusstseins. Zugleich realisiert sie sich aber auch prozessual, indem die Erwartungshaltung des Betrachters im Nachklang intensiver ästhetischer Erfahrungswerte verstärkt auf jene Zukunft gerichtet wird, die als Ewigkeit alle Zeiten in sich begreift und in welcher der gläubige Mensch Gott von Angesicht zu Angesicht schauen wird. Was in der Liturgie als „Erfüllung in der Zeit" bereits vorweggenommen wird, das bekundet sich auch in der Jetzt-Zeit der ästhetischen Erfahrung, wie Theissing treffend formuliert: „In diesem Sinne ist der Tempel die entfernte Vision der himmlischen Gottesstadt, und die Iko-

36 Ebd; Zur Bildlichkeit der Mosaiken vgl. Hans Péter L'Orange/Per Jonas Nordhagen, Mosaics, (1958) London 1966. 37 Pochat, Bild-Zeit, 152. 38 Theissing, Die Zeit im Bild, Darmstadt 1987,169ff. 39 Kurt Badt, Raumphantasien und Raumillusionen. Wesen der Plastik, Köln 1963, 55; weitere Hinweise zur einschlägigen Literatur was Transzendenz, Figur und Grund in der frühmittelalterlichen Buchmalerei betrifft, in: Götz Pochat, Figur und Landschaft, Be din 1973, 20 ff.; weiters Theissing, Zeit, 170 ff. 40 Pochat, Bild-Zeit, 152.

358

Johannes Rauchenberger

ne" - oder das Mosaik - „nicht Abbild, sondern Vorbild einer künftigen Menschheit" 41 . Ähnlich wurde aus kunsthistorischer Perspektive auch vom Erfahrungsraum einer mittelalterlichen Kathedrale gesprochen 42 , besonders von der Intensität einer engen Bindung von sichtbarer Architektur und eschatologischer Vorstellung durch die Betrachter. 43 Die daraus sich herleitende Bildlichkeit, dass auf die ästhetische Wirkung von Material, Licht und Raum gesetzt wurde, ist nur sinnvoll, wenn der Betrachter in seiner ästhetischen Erlebniszeit seinen notwendigen Part findet. In der Vorstellung der Teilhabe an der eschatologischen Wirklichkeit löst eine solche Bildbzw. Kunstauffassung auf der Ebene der Kunst ein, was unter der Perspektive der Bildlichkeit in der Verbindung von δόξα und εικών bei Paulus entwickelt worden ist.44

4. Schluss: Partizipation, Erkenntnis und Stückwerk Ästhetische Erlebniszeit im Modell der Teilhabe, sowie die Explikation des Urbildes im Abbild: Zu fassen als Kunstraum theologischer Erkenntnis. Das Christusbild hat mit diesen beiden spodight-artig beleuchteten Dimensionen, denen — unter den Vorzeichen einer anderen Fragestellung — auch das präsentisch-dialektische, das geschichtlich-narrative, das typologisch-figurale, das ikonoklastische Moment von Bildlichkeit45 beizufügen wäre, eine enorme Entwicklung an den Tag gelegt, eine unglaubliche Vielfalt für die Geschichte des Christentums und darüber hinaus ist zu verzeichnen: Von den Ikonen bis zum Turiner Leichentuch, von den Mosaiken bis zu den Glasfenstern, von Fra Angelico bis Dürer, von Raffael bis Overbeck, von Michelangelo bis Bernini, von

41 Theissing, Zeit, 171f.; in gleichem Sinne ist auch Ohlys Interpretation der mittelalterlichen Architektur zu verstehen: Die Kathedrale als Zeitenraum. Zum Dom von Siena, in: Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, 171-273. 42 Otto von Simson etwa charakterisiert die romanische Kathedrale „als Vorahnung und Bild des Himmels" - sie diene als Bild und exemplum jener höheren Wirklichkeit, die sich dem Gläubigen am Tag seiner Edösung auftue, in: Otto von Simson, Die gotische Kathedrale, Darmstadt 1968, 2ff., vgl. auch Günter Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, (1951) Berlin 1981, 81ff., der den symbolischen Wert hervorhebt, oder Hans Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, (1950) Graz 1988, 95-164, der wiederholt versucht den anagogisch-symbolischen Sinn vom rein Verweisenden, Abbildhaften abzusetzen. 43 Vgl. Bandmann, Bedeutungsträger, l l l f . ; Sedlmayr, Kathedrale, 141; Erwin Panofsky, Meaning in the Visual Arts, New York 1955. 44 Vgl. zusammenfassend: „Bilder/Kunst als Vehikel zur geistigen Schau und Erkenntnis", in: Rauchenberger, Biblische Bildlichkeit, 163-168. 45 Vgl. die entsprechenden Kapiteln von „Biblischer Bildlichkeit" , in ebd.

Urbild - Abbild - Vorbüd

359

katholischer Sinnlichkeit im Bild bis zur protestantischen Sinnlichkeit in der Musik46, von Rembrandt bis van Gogh, von Jawlensky bis zu Joseph Beuys, um nur einige Schlaglichter zu nennen.47 Oder in unseren Tagen von Dorothee von Windheim bis zu Mark Wallinger. Letzterer bestritt mit einer Christusfigur und zwei Videos zum Johannesprolog und zur Himmelschwelle die Biennale von 2001 in Venedig.48 Bekanntlich ist die Geschichte des Christusbildes aber keineswegs eine mit immer stets gleicher Konjunktur, die weitgehende Krise der Moderne, die besonders die kultischen Implikationen des Christusbildes betrafen — man denke an Hegels berühmtes Diktum „Es hilft nichts, unsere Knie beugen wir doch nicht mehr" 49 - führte zumindest zu einem Bruch von „Hochkunst" und „Niederkunst" bzw. Kitsch. Darunter hat das Christusbild — obwohl weiterhin (teilweise umso intensiver kultisiert) im besonderen gelitten, weil es mit den Maßstäben der Kunst nicht mehr gemessen wurde, sondern nur mehr der frommen Auferbauung mit dem Verlust der Qualitätskriterien diente. Genau da ist abschließend die letzte Dimension der paulinischen Doxa- und Eikontheologie in Erinnerung zu rufen, die ein heilsames Korrektiv sein kann bzw. hätte sein können. Sofern die Schau nämlich Gegenstand einer bildlichkeitstheoretischen Äußerung wird, ist es die Spiegel- und die Enigmametapher, die das Erkenntnisstückwerk in einer prozessual und partizipativ verstandenen Bildlichkeit zum Ausdruck bringt. Wo Bilder — in unserer Perspektive Christusbilder — einen letzten Rest an Rätselhaftigkeit preisgeben, hin zu einer totalen Interpretierbarkeit und Zugänglichkeit, drohte der Absturz in die Verflachung, was gerade dem Christusbild im Besonderen widerfuhr. Auf dem Enigmatischen des Kunstwerks besteht in unserem Jahrhundert auch Adorno nachdrücklich, die Sprache der Ästhetischen Theorie ist dabei in verblüffender Ähnlichkeit zur Sprache von Bildlichkeit, die oben beschrieben worden ist. Wie in Rätseln werde die Antwort im Kunstwerk verschwiegen und doch ihre scheinbare Auflösung in der Struktur des Kunstwerks ersichtlich.

46

47

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Vgl. zurecht Michael Glasmeier, Schweben plus. AspektE des Abhebens im Barock, in: HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft, hgg. von Reinhard Hoeps/Alois Kölbl/Eleonora Louis/Johannes Rauchenberger, München 2003,304-311, hier: 306. Vgl. Stock, Poetische Dogmatik. Christologie. 2. Schrift und Gesicht (Paderborn 1995); 3. Leib und Leben (Paderborn 1998); 4. Figuren (Paderborn 2001); ders., Gesicht - bekannt und fremd. Neue Wege zu Christus durch Bilder des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1990; Günter Rombold/Horst Schwebel, Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Freiburg 1983. S E E I N G SALVATION, Ausst. Katalog, National Gallery, London 2000. Vgl. „Im Anfang war das Wort..." Mark Wallinger im Gespräch mit Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl, in: Kunst und Kirche 2 / 2 0 0 2 , Darmstadt 2002, 97-101. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik I-III (TheorieWerkausgabe Bd., 13-15) Frankhirt 1970, hier Werke 1 3 , 1 4 2 .

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Johannes Rauchenberger

In oberster Instanz sind die Kunstwerke rätselhaft nicht ihrer Komposition sondern ihrem Wahrheitsgehalt nach. Die Frage, mit der ein jegliches den aus sich entläßt, der es durchschritt die: Was soll das alles?, rastlos wiederkehrend, geht über in die: Ist es denn wahr?, die nach dem Absoluten, auf die jedes Kunstwerk dadurch reagiert, dass es der Form der diskursiven Antwort sich entschlägt. Die letzte Auskunft diskursiven Denkens bleibt das Tabu über der Antwort. 50

Sprachähnlich werden die Werke erst als Rätsel, im Nicht-Verstehen; dabei zerspringt der Totalitätsanspruch subjektiver Vernunft. Der Zugang der ästhetischen Erfahrung eröffnet sich nicht über den herkömmlichen Begriff des Verstehens: „Verstehen selbst ist angesichts des Rätselcharakters eine problematische Kategorie. [...] Als konstitutiv aber ist der Rätselcharakter dort zu erkennen, wo er fehlt: Kunstwerke, die der Betrachtung und dem Gedanken ohne Rest aufgehen, sind keine. [...] Jedes Kunstwerk ist ein Vexierbild, nur derart, dass es beim Vexieren bleibt, bei der prästabilierten Niederlage ihres Betrachters."51 Ich komme zum Schluss: Der Bildbegriff, den man theologisch aus der paulinischen Doxa- und Eikontheologie ableiten kann, ist in der Trias „UrbildAbbild-Vorbild" als besonders ästhetisch vermittelt zu denken. Die „ontologische Formulierung des Bildes als eschatologisch und prozessual verstandene Ebenbildlichkeit"52 (Hoeps) vermag einen Beitrag zu leisten in der Spannung, die zwischen Ästhetik und Ethik gesetzt ist: Ein Ansatz für die systematische Theologie.53 Denn der „Dienst des Geistes" kann eine produktive Speerspitze gegen die Gefahr der Ikonodulie oder der Ästhetisierung des Christentums sein — nicht zuletzt war die erste Art von Bilderkritik ethisch motiviert - es darf aber nicht vergessen werden, dass er ästhetisch vermittelt gedacht werden muss. Dies sollten vor allem jene bedenken, die das Unumstrittenste am Christentum an ihrer ethischen Ausrichtung sehen. Bei aller Ambivalenz der Bilder, die in der Geschichte des Christentums auch deutlich geworden ist, die ästhetische Dimension ist in der Gegenwart ein Desiderat. Im Wissen darüber, wie mit Bildern umgegangen worden ist, auch im Wissen, welche Bilderkriege 54 gefuhrt worden sind, wie Bilder das Christentum gespaltet haben, erlaube ich mir zum Schluss für unser Thema nicht eine abschließende Zusammenfassung, sondern ein Gebet. Es ist eines der kostbarsten

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Adorno, Ästhetische Theorie, 192f. Ebd., 184. Ebd., 156. Als fundamentaltheologisches Problem vgl. ebd., 46f., mit Rekurs auf Gerhard Laicher, Memoria zwischen Ethik und Ästhetik, 232; Wils, Kunst - Moral - Religion, 115ff. 54 Aus der umfangreichen Literatur zum Ikonoklasmus vgl. die jüngste Ausstellung im ZKMKarlsruhe: ICONOCLASH. The Image wars in Arts, Religon, Science (ed. Peter Weibel u.a.) MIT-Press, 2002.

Urbild-Abbild-Vorbild

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liturgischen D o k u m e n t e der G e s c h i c h t e d e r B i l d t h e o l o g i e : In d e r b e r ü h m t e n O r a t i o n v o n I n n o z e n z III., die eines der wichtigsten Bilder des C h r i s t e n t u m s , die V e r a I c o n , kultisch einsetzte, heißt es: Deus, qui nobis signatis himine vultus tui, memoriale tuum, ad instantiam B. Veronicae imaginem tuam Sudario impressam, relinquere voluisti; praesta, quaesumus per sanctam Crucem et gloriosam Passionem tuam; ut, qui earn hic in speculo et aenigmate veneramur in terris, desiderabilem ac veram faciem laeti ac securi videre meieamur in caelis: Qui vivis ac régnas etc. Gott, du wolltest uns, die mit dem Licht Deines Angesichts gezeichnet sind, ein Andenken hinterlassen: dein Bild, um das Veronika bat, eingeprägt ihrem Schweißtuch. Wir bitten dich durch das heilige Kreuz und deine gjoneiche Passion: Lass uns freudig und gewiss im Himmel schauen, was wir auf Erden hier verehren im Spiegel, rätselhaft das ersehnte wahre Angesicht Der du lebst und herrschst usw.55

55 Acta SS I, 452f.; zit bei und dt. Übersetzung von Alex Stock, in: ders., Schrift und Gesicht, 140f. Dok. auch bei Belting, Bild und Kult, 604.

Christina Hoegen-Rohls Kleinod, Mandel, blaues Herz. Christusmetaphern in ausgewählten Höhepunkten deutschsprachiger Lyrik

Nach Christusmetaphern in der Lyrik zu fragen, ist eine lohnende Aufgabe — aus mindestens drei Gründen: Erstens, weil diese Aufgabe w e d e r v o n Seiten der Germanistik noch v o n Seiten der Theologie als interdisziplinäres Forschungsanliegen fest etabliert wurde 1 ; zweitens, weil wir auf lyrische Texte aus unterschiedlichen literaturgeschichdichen Epochen stoßen, in denen sich Ansätze eines epochenübergreifenden Bildrepertoires finden lassen; und drittens, weil wir entdecken, dass Christus lyrisch ganz anders sein kann als wir ihn biblisch und dogmatisch kennen: E r ist Tänzer und Clown etwa, Tiger und grüner Vulkan 2 — und eben auch Kleinod,

Mandel,

blaues

Her%.

1

Entscheidende Impulse fur die Frage nach Christus bzw. die (in der Forschung methodologisch davon nicht ausdrücklich unterschiedene) Frage nach der Jesusgestalt in der deutschsprachigen Literatur sind den vielfachen, auf ein breites Publikum zielenden Veröffentlichungen von Karl-Josef Kuschel zu verdanken, deren Schwerpunkt jedoch auf der Erzählprosa, insbesondere der Romanliteratur, des 20. Jahrhunderts liegt (vgl. zuletzt KariJosef Kuschel, Jesus im Spiegel der Weltliteratur. Eine Jahrhundertbilanz in Texten und Einfuhrungen, Düsseldorf 1999). Zu Jesus (bzw. Christus) in der Lyrik vgl. ders., Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Mit einem Vorwort von Walter Jens (1978) und einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe, Serie Piper 627, München, Zürich 1987, 228297; ders./Georg Langenhorst, Jesus, in: Heinrich Schmidinger (Hrsg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd. 2: Personen und Figuren, Mainz 1999, 326-396, hier 327-334 (Rilke); 338-343 (Tucholsky); 343-349 (Benn). Die beiden von Heinrich Schmidinger herausgegebenen Bände (vgl. auch Bd. 1: Formen und Motive, Mainz 1999) fordern neuerdings programmatisch zur interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Literaturwissenschaft und Theologie auf und berücksichtigen dabei, wiederum konzentriert auf das 20. Jahrhundert, in zahlreichen Beiträgen auch lyrische Texte. Über das 20. Jahrhundert hinaus geht Gerhard Kaiser, Christus im Spiegel der Dichtung. Exemplarische Interpretationen vom Barock bis zur Gegenwart, Freiburg, Basel, Wien 1997, der außer ProsaTexten auch einige Gedichte behandelt.

2

Alle vier Bilder finden sich in dem Gedicht „frage" von Kurt Marti, geduld und revolte, die gedichte am rand (erstmals erschienen 1963), Stuttgart 1984/85, Neuausgabe 2002, hier 16.

364

Christina Hoegen-Rohls

Nach Christusmetaphern in deutschsprachiger Lyrik zu suchen, heißt jenen Themen- und Sprachraum zu betreten, der — vorbereitet durch die Geistlichendichtung des frühen Mittelalters3 - dem Neuhochdeutschen dank Luthers Bibelübersetzung erschlossen, im Geistlichen Lied des Barock wesentlich ausgestaltet und mit Klopstocks Messias endgültig erobert wurde. Gerade in der deutschen Sprache wurde seither das lyrische Potential des christologischen Themas in vielfaltiger Weise ausgeschöpft. Im Folgenden nun nach Christusmetaphern in der Lyrik Hölderlins, Celans und Loerkes zu fragen, heißt aber vor allem, nach sprachlichen Bildern zu suchen, die diesen Dichtern dazu dienen, Christus selbst poetisch auszumalen oder die Dimension des Göttlichen durch die Umrisse eines Christusmotivs zu konturieren. Welche Bedeutung von Christus und dem Göttlichen konturieren die Sprachbilder Kleinod, Mandel, blaues Her£ Welches „Bilderwissen", um mit Ruben Zimmermann zu sprechen4, können wir aktivieren, um dem in dieser Bildersprache angelegten „Sinngeschehen"5 auf die Spur zu kommen? Den ausgewählten Metaphern soll in chronologisch absteigender Linie gefolgt werden, beginnend mit Celans Bild der Mandel, fortfahrend mit Loerkes Bild des blauen Herzens und hinzielend auf Hölderlins Bild des Kleinods.

1. Das Bild der Mandel in Paul Celans Gedicht Mandorla (Aus dem Gedichtband: Die Niemandsrose, 1963) Der Gedichtband Die Niemandsrose, erstmals erschienen 1963 im S. FischerVerlag, ist nach den Sammlungen Mohn und Gedächtnis von 1952, Von Schwelle ψ Schwelle aus dem Jahr 1955 und Sprachgitter von 1959 die vierte der von Celan selbst für den Druck zusammengestellten und redigierten Gedichtsammlungen. Dabei nimmt innerhalb des insgesamt acht Bände umfassenden lyrischen Gesamtwerks Die Niemandsrose eine besondere Stellung ein: Sie repräsentiert chronologisch den Mittelpunkt des lyrischen CEvres Celans und kann inhaltlich, aufgrund ihres besonderen Reichtums an poetischen Formen und Motiven und

3 4

5

Vgl. dazu Fritz Martini, Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. In Zusammenarbeit mit Angela Martini-Wonde, Kröner Taschenausgabe 196,19., neu bearb. Aufl. Stuttgart 1991, 26-36. Vgl. Ruben Zimmermann, Einführung: Bildersprache verstehen oder. Die offene Sinndynamik der Sprachbilder, in: ders. (Hrsg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen. Mit einem Geleitwort von Hans-Geoig Gadamer, Übergänge 38, München 2000,13-54, (29.54). Zimmermann, Einführung: Bildersprache verstehen, 29f.

Kleinod, Mandel, blaues Herz

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dank der Dichte ihrer dichtungstheoretischen Aussagen, als Höhe- und Wendepunkt Celanscher Dichtung angesehen werden6. Sie gilt als „Schwellentext" zum Spätwerk, als „Resümee und Kritik des vergangenen und Antizipation des zukünftigen Schreibens"7. Entstanden in zeitlicher Nähe zu der in den späten fünfziger Jahren beginnenden übersetzerischen wie poetologischen Auseinandersetzung mit dem seiner jüdischen Herkunft wegen unter Stalin politisch verfolgten russischen Dichter Ossip Mandelstamm (1898-1938), dem als einem der „wichtigsten Inspiratoren von Celans Dichtung und Poetik"8 Die Niemandsrose gewidmet ist, erscheint der Gedichtzyklus als Zeugnis der eingehenden Beschäftigung mit der russischen Dichtung einerseits und der jüdischen Identität andererseits. Die dreiundfünfzig Gedichte der in vier Teile gegliederten Sammlung stammen aus der Zeit zwischen 1959 und 19639. Der metaphorisch geprägte Titel Die Niemandsrose, der dem im ersten Teil des Zyklus enthaltenen Gedicht Psalm entstammt, gilt seit 31. Januar 1961, nachdem Celan 1959 zunächst — in deutlicher Anlehnung an Rilkes Neue Gedichte — den formalen Titel Nouveaux poèmes erprobt und diesen wenig später durch die Überschrift Stationen ergänzt hatte10. Die Entstehung des Gedichts Mandorla fällt in die produktivste Phase der Niemandsrose während der biographisch besonders belasteten Jahre 1960/61", in der mehr als die Hälfte aller Gedichte des Zyklus verfasst wurden12. Erhalten sind als Textzeugen vier handschriftliche Entwürfe und drei Typoskripte des Gedichts, von denen zwei auf den 23. Mai 1961 datiert sind13. Erstmals gedruckt wurde es — im Kontext von fünf weiteren Gedichten - in der Neuen Rundschau 74 von 1963 auf Seite 7514 in einem Druckbild, das drei linksbündig gesetzte Strophen von 6 7 8 9

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Vgl. dazu Jürgen Lehmann, Christine Ivanovic, Vorwort, in: Jürgen Lehmann (Hg.), Kommentar zu Paul Celans „Die Niemandsrose". Unter Mitarbeit von Christine Ivanovic, Heidelberg 1997,7-9.11-35, (35). Jürgen Lehmann, „Gegenwort" und „Daseinsentwurf'. Paul Celans Die Niemandsrose. Eine Einführung, in: ders., Kommentar, 11-35, hier 35. Christine Ivanovic, Widmung: Dem Andenken Ossip Mandelstamms, in: Lehmann, Kommentar, 45-49, hier 45. Die genauen zeitlichen Angaben notiert der Kommentar: Etwa je ein Viertel der Gedichte entstehen in den Jahren 1959/60 und 1962/63, mehr als die Hälfte aber im Jahr 1961. Das erste Gedicht des Bandes ist auf den 5. März 1959, das letzte Gedicht auf den 30. März 1963 datiert; vgl. dazu Lehmann, Gegenwort und Daseinsentwurf, in: Lehmann, Kommentar, 18. Vgl. dazu Lehmann, Gegenwort und Daseinsentwurf, in: Lehmann, Kommentar, 20. Besonders die von Ivan Gölls Witwe Ciaire gegen Celan inszenierte Plagiatsaffare, aber auch kritische Reaktionen auf seinen der Niemandsrose unmittelbar vorausgehenden Gedichtband Sprachfftter sowie die Angst vor einem Wiederaufleben antisemitischer Tendenzen in Deutschland und ganz Europa führten 1962 zu einem ersten Klinikaufenthalt; vgl. dazu Lehmann, Gegenwort und Daseinsentwurf, in: Lehmann, Kommentar, 11. Lehmann, Gegenwort und Daseinsentwurf, in: Lehmann, Kommentar, 13. Vgl. dazu Leonard M. Olschner, Mandorla, in: Lehmann, Kommentar, 178-182, (178). Vgl. Olschner, Mandoda, in: Lehmann, Kommentar, 178.

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Christina Hoegen-Rohls

zweimal vier und einmal fünf Versen zeigt sowie zwei nach rechts versetzte Einschübe, von denen der einzeilige erste Einschub die Mittelachse des Gedichts darstellt, während der zweite, zweizeilige Passus dessen Schluss bildet: VI V2 V3 V4

In der Mandel — was steht in der Mandel? Das Nichts. Es steht das Nichts in der Mandel. Da steht es und steht.

Strophe 1: 4 Verse

V5 V6 V7

Im Nichts - wer steht da? Der König. Da steht der König, der König. Da steht er und steht.

Strophe 2: 4 Verse

V8

Judenlocke, wirst nicht grau.

V9 V10 Vil V12 V13

Und dein Aug — wohin steht dein Auge? Dein Aug steht der Mandel entgegen. Dein Aug, dem Nichts stehts entgegen. Es steht zum König. So steht es und steht.

V14 V15

Menschenlocke, wirst nicht grau. Leere Mandel, königsblau.

- Mittelachse Strophe 3: 5 Verse

Schlussverse

Die Celan-Forschung hat das Gedicht Mandorla zu den „dunklen Gedichten" Celans gezählt, bei denen es darauf ankomme, „den Bezugsrahmen zu finden, in dem sie sinnvoll gelesen werden können"15. Wir müssen uns an diesen Bezugsrahmen durch Fragen herantasten: Handelt es sich bei dem spannungsvollen Schlussbild der leeren, königsblauen Mandel tatsächlich um eine Metapher für Christus oder um eine von einem Christusmotiv geprägte Metapher für die Erscheinung des Göttlichen ? Wie stehen die Bilder Mandel, Nichts und König zueinander? Was symbolisieren die personifiziert angesprochenen Locken, Judenlocke und Menschenlocke? Und mit wem spricht das lyrische Ich, wenn es dein Auge sagt? Vor allem aber: Welche Bedeutung hat die sprachliche Differenzierung zwischen italienisch Mandorla im Titel und deutsch Mandel im Korpus des Gedichts? Celan schafft durch die beiden - nota bene nacheinander gebrauchten Ausdrücke Mandorla und Mandel einen oszillierenden Verstehenshorizont: Der 15 Vgl. dazu Joachim Schulze, Celan und die Mystiker. Motivtypologische und quellenkundliche Kommentare (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft Bd. 190), 2. Aufl. Bonn 1983, 1. Das Gedicht Mandorla behandelt er dabei in seinem Ersten Teil („Erscheinungen Gottes") unter der Überschrift „Die Theophanie des Nichts" (vgl. a.a.O., 3).

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aus der kunsthistorischen Ikonographie stammende Terminus Mandorla gibt einen eindeutig christlichen Bezugsrahmen vor, ist es doch vor allem der „Christus in Majestät", den in der abendländisch-mittelalterlichen Bildersprache die Mandelglorie umgibt16: Auf dem Regenbogen als Symbol des neuen Bundes oder auf einem Thronkissen sitzend, erhebt der „Christus in der Glorie" richtend seine rechte Hand, während die linke das gebundene Buch des Lebens oder, motivisch variiert, eine Buchrolle hält. Der mandelförmige Lichtschein umschließt den Christus Pantokrator ganz, grenzt ihn aus den umliegenden Darstellungen aus und symbolisiert so seine himmlische Doxa. Albrecht Schöne gegenüber soll Celan von einer Mandorla in der Kapelle des Gutshofes Berzé-la-Ville im südlichen Burgund gesprochen haben17, bei der es sich um ein Apsisfresko handelt, das nach kunstgeschichtlicher Einschätzung als Abglanz der monumentalen Darstellung von Christus in der Glorie aus dem wenig weiter nördlich gelegenen Cluny gilt18. In überragender Größe thront Christus auf dem Fresko von Berzé-la-Ville im mandelförmigen Rahmen, den er mit seinen Füßen berührt und mit Händen und nimbusgeschmücktem Haupt noch überragt19. Neben dieses durch den Titel Mandorla evozierte, betont christlichikonographische Bilderwissen tritt das symbolische Bildfeld der Mandel, das wiederum christlich, aber auch jüdisch belegt ist. Christus selbst und seine Inkarnation kann durch die Mandel symbolisiert werden, deren süße Frucht für Christi göttliche Natur steht, die in der harten Mandelschale — als der menschlichen Natur — verborgen wird20. Aus alttestamentlich-jüdischer Bildersprache stammt die Symbolik des Mandelbaums als Zeichen neuen Lebens. Denn im Orient ist es der Mandelbaum, der schon im Januar wieder blüht. Er wird im Hebräischen — dessen der in Czernowitz in der Bukowina als Pessach Antschel geborene Sohn jüdischer Eltern seit seines Besuchs der Hebräischen Volksschule von 1927-30 mächtig war21 - daher „der Wachsame" genannt und begegnet so in der Berufungsgeschichte des Propheten Jeremía (vgl. Jer 1,11).

16 Vgl. dazu Engelbert Kirschbaum (Hg.), Lexikon der christlichen Ikonographie. In Zusammenarbeit mit Günter Bandmann u.a., Rom, Freiburg, Basel, Wien 1971 (Stichwörter Mandorla, Maiestas Domini); Gerd Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst (1971), 6., erw. Aufl. Düsseldorf, Köln 1981 (Stichwort: Mandorla); Manfred Lurker (Hrsg.), Wörterbuch der Symbolik, Kröners Taschenausgabe 464, 4., durchges. u. erw. Aufl. Stuttgart 1988 (Stichwörter: Mandel, Mandorla) 17 Vgl. Olschner, Mandoda, in: Lehmann, Kommentar, 179. 18 Vgl. dazu Klaus Bußmann, Burgund. Kunst, Geschichte, Landschaft. Buigen, Klöster und Kathedralen im Herzen Frankreichs: Das Land um Dijon, Auxerre, Nevers, Autun und Tournus (1977), 10. Aufl. Köln 1988, 80. 19 Vgl. die Abbildung Nr. 24 bei Bußmann, Burgund. 20 VgJ. Lurker, Wörterbuch der Symbolik, Sp. 442. 21 VgJ. dazu Wolfgang Emmerich, Paul Celan, rm 50397, 3. Aufl. Hamburg 2001, 20-56.176178, hier bes. 30Í.176; vgf. auch Klaus Reichert, Hebräische Züge in der Sprache Paul Ce-

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Eben der Aspekt der Wachsamkeit, verbunden mit dem Faktor der Bitterkeit die bittere Mandel - und der Funktion der Mandel als altes Zählmaß ist es, der die Verwendung der Mandel-Metapher in dem vor der Niemandsrose entstandenen Werk Celans prägt, exemplarisch fassbar in dem Schlussgedicht des Zyklus

Mohn und Gedächtnis Zähle die Mandeln, %üble was bitter war und dich wachhielt..?'2. Nach der Niemandsrose jedoch ist das Bild der Mandel bemerkenswerterweise nicht mehr belegt. Mit der in dem Gedicht Mandorla konnotierten Bedeutung scheint es für Celan zu einem Motivabschluss gekommen zu sein. Wie aber lässt sich nun die Eigenart der Mandorla-Mandel-Metapher genauer fassen? Sie erschließt sich über die Motivreihe Nichts — König — Auge und wird sich wesentlich als eine mystisch-meditative Metapher erweisen. Dafür spricht zunächst die der hochkomplexen Bildlichkeit gegenüberstehende klare, durch das Strukturelement der Wiederholung fast liturgisch geordnete äußere Form des Gedichts, in der die insgesamt vierzehnmal verwendete dritte Person Singular des einzigen im Gedicht erscheindenden Vollverbs stehen den meditativ reflektierenden Ton des Sprachgestus trägt23. Die Celan-Forschung wertet dieses Element als Zeichen pejorativ verstandener Starre, in der das lyrische Ich bei seiner Begegnung mit dem Mandel-Nichts-König verharrt. Das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein: So fest wie das Gedicht auf diesem einen Verb nur steht, so tief und fest vertraut das Auge auf den König, den es im Nichts, das ihm die Mandel zeigt, erkennt. Dabei gehört das Auge zu den Grundmotiven der Celanschen Sprache. Es steht, wie Otto Pöggeler gezeigt hat, für die elementare „Begegnung mit Urgegebenheiten des Lebens" 24 . Hier im Gedicht Mandorla tritt es, selbst mandelförmig, in einer horizontalen Achse mit der vertikal gestellten Mandel-Mandorla in Kontakt, wodurch sich für das Gedicht graphisch visualisiert — die Form des Kreuzes ergibt. Das Auge ist das Aug' des lyrischen Ich, das meditativ mit sich selbst spricht und seine Haltung prüft zum Nichts-König. Wer aber ist der König, der im Nichts steht? Gershom Scholem hat in seinem Standardwerk zur Kabbala, mit dem sich Celan seit 1957 intensiv beschäftigte25, deutlich gemacht, dass das Nichts ebenso wie der König ein Motiv jüdischer Mystik ist: Im Motiv des Kö-

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lans, in: Werner Hamacher/Winfried Menninghaus (Hgg.), Paul Celan, st 2083, Frankfurt a. M. 1988,156-169, hier exemplarisch 156. Vgl. Lurker, Wörterbuch der Symbolik, Sp. 442; Heinz-Mohr, Lexikon der Symbole, 198. Stilistisch auffallend ist die Beschränkung des verbalen Ausdrucks auf nur zwei Verben das Vollverb stehen und das Hilfsverb sein bzw. werden —, die jeweils gebunden an eine einzige grammatikalische Form erscheinen: Diese trägt verbmetaphorisch das gesamte Gedicht; die zweite Person Singular wirst markiert den Wechsel der Sprechhaltung in der Mittelachse. Vgl. Otto Pöggeler, Spur des Wortes. Zur Lyrik Paul Celans, Freiburg, Münchenl986, 76. Vgl. Emmerich, Paul Celan, 109; Lehmann, in: Lehmann, Kommentar, 12 mit Anm. 9.

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nigs zeige sich die mit der Lichtwelt identifizierte, als gestaltlose Glorie gefasste Heiligkeit Gottes „als herrscherliche Erhabenheit"26. Das Nichts aber sei „die Gottheit selbst in ihrem verborgensten Aspekt"27. Auch in der christlichen Mystik findet sich der Gedanke, dass das Nichts Gott selbst ist. In seinen Predigten deutet Meister Eckart die Blindheit, mit der Paulus nach Apg 9,8 bei seiner Berufungsvision vor Damaskus durch das Himmelslicht (fw"~ ejk tou" oujranoiT" Apg 9,3) geschlagen wird, mit den Worten: „dö er ûf stuont von der erden mit offenen ougen sach er niht unde daz niht was got (...). In deme daz er niht sach, dö sach er daz götdich niht" — als er aufstand von der Erde mit offenen Augen, sah er nichts und das Nichts war Gott (...). Indem er nichts sah, sah er das göttliche Nichts28. Gerade die Lichterscheinung scheint, wie Schulze ausgeführt hat, das eigentliche und primäre „amorphe" mystische Erlebnis zu sein, das Erkennen konkreter Gestalten im Lichtglanz hingegen bereits eine Auswirkung der einsetzenden Deutungsarbeit29. Von eben solcher Deutungsarbeit mystischen Erkennens scheint Paul Celans Gedicht Mandorla zu sprechen. In ihm verschmelzen, bemerkenswerterweise unter Führung eines christlichen Motivs, Sprachbilder und Bildersprache aus jüdischer wie christlicher Tradition. Die Metapher der Mandorla-Mandel erweist sich, ausgehend von dem christlich-ikonographischen Motiv des mandelförmigen Strahlenkranzes und kombiniert mit dem jüdischen Symbol des neuen Lebens, als Licht- und Lebensmetapher. Sie repräsentiert den jüdisch-christlichen Gedanken der himmlischen Herrlichkeit Gottes. Diese Herrlichkeit wird für das Auge in mystischer Schau gerade in der Verborgenheit des Nichts erkennbar und darin als ewige Königswürde deutbar: Da steht er und steht. Verbunden mit der Metapher des Auges wird die Mandel aber auch zu einem Bild für die Begegnung des Menschen mit dem Göttlichen, angesichts dessen das lyrischmeditierende Ich seinen eigenen Wert erkennt: Sich selbst - pars pro toto — in seiner spezifisch jüdischen Identität als Judenlocke, in seiner grundsätzlich menschlichen Identität als Menschenlocke ansprechend, nimmt es wahr, dass es

26 Gerschom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen (erstmals erschienen Zürich 1957), Frankfurt a. M. 1967,64£124f. 27 Scholem, Die jüdische Mystik, 27. 28 Vgl. dazu Schulze, Celan und die Mystiker, 13 mit Hinweis auf Meister Eckart, Predigten, Traktate, hrsg. v. F. Pfeiffer, Leipzig 1857; Neudruck: Aalen 1962, 79-84; vgl. auch Meister Eckehart, Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. u. übs. v. Josef Quint (1963), detebe 1979, Predigt 37: Surrexit autem Paulus de terra apertisque occulis nihil videbat (Act. 9,8), 328334, hier bes. 328: „Mich dünkt, daß dies Wörtlein vierfachen Sinn habe. Der eine Sinn ist dieser: Als er aufstand von der Erde, sah er mit offenen Augen nichts, und dieses Nichts war Gott: denn als er Gott sah, das nennt er ein Nichts. Der zweite Sinn: Als er aufstand, da sah er nichts als Gott. Der dritte: In allen Dingen sah er nichts als Gott. Der vierte: Als er Gott sah, da sah er alle Dinge als ein Nichts". 29 Schulze, Celan und die Mystiker, 13f.

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selbst nicht grau wird, nicht altert. Das heißt: Mit der mystischen Metapher der Mandel gelingt Celan lyrisch der theologisch-eschatologische Gedanke der Ewigkeit Gottes, in die der Mensch als Gottes Gegenüber einbezogen ist. Mit der letzten Zeile ist der König aus der Mandel verschwunden. Die Mandel ist leer — Leere als Variation zum Nichts — und doch, wie durch das Nichts, gefüllt: Geblieben ist von dem verborgenen König jene Farbe, die seine Hoheit koloriert — das Blau.

2. Die Metapher „blaues Herz" in Oskar Loerkes Gedicht Der Steinpfad, 10 (Aus dem Nachlass) Weit weniger als Paul Celans Lyrik ist das lyrische Werk Oskar Loerkes erforscht, und gerade die Frage nach seinem Christusbild hat in der Germanistik keine dominante Rolle gespielt. Maßgeblich ist daher noch immer die Arbeit des Münchener Germanisten Rudolf Eppelsheimer Mimesis und Imitatio Christi von 196830, in der eine zwischen Loerke, Däubler, Morgenstern und Hölderlin bestehende Wesensverwandtschaft erhoben wird, die auf drei Aspekten basiere: erstens auf den gemeinsamen Bezügen dieser vier Dichter zur Welt des Neuen Testaments; zweitens auf dem Umstand, dass diese von Haus aus protestantischen Dichter ihre traditionellen kirchlichen Bindungen verlieren und erst im Raum der Lyrik zu einem neuen Verständnis christlicher Inhalte finden; und drittens auf der Eigenart, dass ihr Dichten, „von kosmischer Sehweise getragen, mythische Gestalten heraufbeschwört"31. Ohne dass von einer gegenseitigen Abhängigkeit gesprochen werden könne, eröffne sich allen vier Lyrikern im Angesicht von Natur und Geschichte ein neuer, lebendiger Mythos, der eine neue, dichterische Christologie berge32. Oskar Loerke, geboren 1884 in Westpreußen, 1941 gestorben in Berlin, war einer der großen Literaturkritiker und Essayisten seiner Zeit, dessen zahlreiche Rezensionen und Aufsätze regelmäßig im Berliner Börsen-Courier und in der Neuen Rundschau erschienen33. Doch wie ist Loerke, dessen Prosawerk in völli-

30 Rudolf Eppelsheimer, Mimesis und Imitatio Christi bei Loerke, Däubler, Morgenstern, Hölderlin, Bern, München 1968. 31 Eppelsheimer, Mimesis und Imitatio Christi, 9. 32 Eppelsheimer, Mimesis und Imitatio Christi, 9. 33 Vgl. Oskar Loerke, Der Bücherkarren. Besprechungen im Berliner Börsen-Courier 19201928, unter Mitarb. v. Reinhard Tgahrt hrsg. v. Hermann Kasack, Heidelberg, Darmstadt 1965; ders., Literarische Aufsätze. Aus der „Neuen Rundschau" 1909-1941, hg. v. Reinhard Tgahrt, Heidelberg-Darmstadt 1967.

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ge Vergessenheit geriet und dessen lyrisches Werk seit zwanzig Jahren nicht mehr aufgelegt wird, literaturgeschichtlich einzuordnen? Man hat Loerke einen „Nachexpressionisten" genannt34, was vordergründig darin seine Berechtigung hat, dass sich Loerkes Lyrik nicht in der wirkungsgeschichdich weitreichenden Expressionismus-Anthologie Menschheitsdämmerung von Kurt Pinthus findet, die erstmals — als eine Art lyrische Bilanz des sog. „expressionistischen Jahrzehnts" seit 1910 - im Jahre 1920 erschien35. Fritz Martini hat allerdings darauf hingewiesen, dass sich der Expressionismus keineswegs rein zeitlich fassen lasse36. An der mit dem Expressionismus vollzogenen epochalen Wende in der Kunst habe durchaus auch Oskar Loerke teil. Mit dem Expressionismus verbindet ihn nach dem Urteil der Forschung das umgreifende Gemeinschaftsgefühl, das Bewusstsein, sich im Aufbruch zu einer Weltwahrnehmung jenseits impressionistischer oder naturalistischer Sicht zu befinden, und nicht zuletzt eine religiös-kosmische Sehnsucht, die auch im zehnten Steinpfad-Gedicht zu erkennen ist. Vor allem in thematischer und stilistischer Hinsicht jedoch weist Loerke — wie sich gerade am Steinpfad-Zyklus zeigen ließe — über den Expressionismus hinaus. Im letzten Lebensjahrzehnt, in dem Loerke in einer dem beruflichen Alltag als Lektor des S. Fischer-Verlags abgerungenen Konzentration sein lyrisches Werk vollendet, bewohnt er mit seiner Lebensgefährtin Clara Westphal ein Haus in dem Berliner Villen-Vorort Frohnau, in dessen Garten jener Steinpfad verläuft, nach dem sein im Sommer 1938 entstandener37, erst aus dem Nachlass herausgegebener Gedichtzyklus Steinpfad benannt ist. Das zehnte Gedicht, das Loerke selbst gemeinsam mit dem neunten als Mitte des Zyklus bezeichnet hat38, besteht aus vier vierzeiligen Strophen, die — bis auf die dritte — nach dem Reimschema a-b-b-a gebaut sind:

34 Eppelsheimer, Mimesis und Imitatio Christi, 47; vgl. dazu genauer Clemens Heselhaus, Oskar Loerke und Konrad Weiß. Zum Problem des literarischen Nachexpressionismus, in: Der Deutschunterricht 6,1954, Heft 6,28-55. 35 Kurt Pinthus (Hg.), Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus (erstmals: Menschheitsdämmerung, Symphonie jüngster Dichtung, Berlin 1920), Hamburg 1955 (31. Aufl. 2001). 36 Fritz Martini, Deutsche Literaturgeschichte, 522. 37 Im Winter 1938 erschienen als Privatdruck von Victor Otto Stomps 26 Exemplare auf grobem, bräunlich getöntem Büttenpapier, vgl. dazu Oskar Loerke 1884-1864. Eine Gedächtnisausstellung zum 80. Geburtstag des Dichters im Schiller-Nationalmuseum Marbach a.N. von 13. März bis 30 Juni 1964, Stuttgart 1964. 38 Vgl. Oskar Loerke, Geleitwort zum Steinpfad, in: ders., Gedichte und Prosa, Bd. 1: Die Gedichte, Frankfurt a. M. 1958, 687-691 (689f.): „Stück 9 und 10 bilden die Mitte des Gedichts (gemeint ist. des Zyklus, den Loerke als ein zusammenhängendes Ganzes verstand) mit zwei Dialogen, einem weltlichen und einem geistlichen".

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VI V2 V3 V4

Auch ich lustwandelte mit einem Gaste. Er war verborgen, doch nicht fremd. Nun glühte meine Achsel durch das Hemd. „Verzeih, wenn ich nach deiner Schulter taste.

a b b a

V5 V6 V7 V8

Laß uns ein wenig in der Sonne bleiben!" Es war, als ob er niedersitze, Mit eines Zittergrashalms Spitze Auf heiße Kalksteintafel aufzuschreiben:

c d d c

V9 VIO Vil VI 2

„Was hülf es dir, wenn du die Welt gewönnest Und nähmest Schaden" — hieß es Wort um Wort — „An deiner Seele. — Wenn du heut begönnest Und wüschest tausend Jahr, das wüschest du nicht fort."

e f e f

V13 V14 VI 5 V16

Dann hielt er ein und schrieb nicht mehr „Sieh, über uns das blaue Herz ist offen. Sind alle Qualen darin eingetroffen, Das blaue Herz bleibt qualenleer."

g h h g

Wer spricht in diesem Gedicht? Es sind dank der im Druck verwendeten Anfuhrungszeichen zwei Stimmen, die sich voneinander unterscheiden lassen: die Stimme des lyrischen Ich in der Rolle des Erzählers und die Stimme des verborgenen, und doch vertrauten Gastes. Das lyrische Ich erinnert sich an seine Begegnung mit jenem besonderen Gast, der in dreifacher Hinsicht selbst in die Szene tritt: körperlich berührend - indem er nach der Schulter des Erzählenden tastet —, sprechend und schreibend. So lassen sich im Verlauf des Gedichts drei kommunikative Sequenzen erkennen: Nach der rhythmisch und verbmetaphorisch evozierten Szene des angenehm gemächlichen Schreitens folgt als erste kommunikative Sequenz die Anrede des lyrischen Ich durch den sich höflich entschuldigenden Gast: Verleih, wenn ich nach düner Schultsr taste. Sie fuhrt mit der Aufforderung Laß uns ein wenig in der Sonne bleiben! über die Grenze der ersten Strophe hinaus, wodurch sich Form und Inhalt in subtiler Weise entsprechen: So wie die Rede des Gastes die Strophengrenze überspringt, so überschreitet auch der Gast die ihm gemäße prädizierte Rolle, indem er selbst in der Geste des Gastgebers seinen Begleiter einlädt, zu verweilen. In der zweiten, exakt an die dritte Strophe gebundenen kommunikativen Sequenz, äußert sich der Gast nicht sprechend, sondern schreibend (V8), unterbrochen nur von der Stimme des Erzählers, der festhält, dass er wortwörtlich wiedergibt, was ihm der Gast notierte: „Was hiilf es dir, wenn du die Weltgewön-

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nest/Und nähmest Schaden" - hieß es Wort um Wort -/deiner

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Seele. (...)" (V9-lla).

Spätestens hier ahnen mit Luthers Bibeltext39 Vertraute, dass hier ein geistliches Gespräch im Gange ist - so wie Loerke selbst es in seinem Geleitwort zum Steinpfad formuliert hat - , und exegetisch Kundige wissen, dass in den synoptischen Evangelien auf jenes Wort Jesu, das das Gedicht in den Versen 9-12 variiert, die Geschichte seiner Verklärung folgt (vgl. Mk 9,2-10parr.). Die dritte kommunikative Sequenz führt zurück zur sprechenden Haltung des Gastes. Eingeleitet durch die dank Luthers Übersetzung fest in den biblischen Sakralstil40 eingeführte Aufmerksamkeitspartikel Siehe, wird der Blick der miteinander sprechenden Personen nach oben zum Himmel gelenkt: „Sieh, über

uns das blaue Her% ist offen./Sind alle Qualen darin eingetroffen,/Das blaue Her% bläbt qualenleer. " Was symbolisiert das blaue Her£ Wer ist der Gast, der zum Gastgeber wird, indem er das Gespräch lenkt und zum Verweilen in der Sonne einlädt? Loerke selbst hat dieses Gedicht „Jesus-Gedicht" genannt und es gemeinsam mit dem vorausgehenden neunten Gedicht als inhaltliche Mitte des Steinpfad-Zyklus bezeichnet. Es sollte, testamentarisch verfugt, bei einer Gedenkfeier anlässlich seines Todes neben zwei anderen Gedichten — Pansmusik und Die späte Reise — gesprochen werden und gilt aufgrund solcher biographischen Relevanz „als das persönlichste Zeugnis Loerkescher Christo logie"41. Christus, den Loerke schon in seinem Gedicht Der Unsichtbare aus dem Gedichtzyklus Die hämliche Stadt durch die Metapher des Gastes eingeführt hatte42, ist im Steinpfad-Gedicht der verborgene Gast — deus absconditus — insofern, als er nicht eigentlich real im Sinne physischer Anwesenheit zugegen ist. Dafür spricht der auffallende Konjunktiv der zweiten Strophe: Es war, als ob er niedersit^e. Dieser Wechsel vom indikativischen Erzählmodus zum hypothetisch vergleichenden Konjunktiv zeigt den fiktionalen Charakter der Szene insgesamt an, die somit nicht als Erinnerung an ein äußerlich reales Geschehen, sondern als anamnetische Vergegenwärtigung einer im Innern imaginierten Begegnung zu verstehen ist. Loerke selbst hat über die Anregung zu dem Gedichtzyklus gesagt: „Ich ging in der Wirklichkeit der Gedanken (...) den kurzen Steinweg unseres kleinen Gartens entlang, der in der Rasenwelle, ohne weiterzufuhren, plötzlich abbricht (...) in der Unendlichkeit. (...) Ich hatte mein Geschäft, den Gesang der Unvergänglichkeit zu hören" 43 .

39 Luther übersetzt Mt 16,26 mit den Worten: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden doch an seiner Seele?". 40 Vgl. zur Stilebene des Sakralstils bei Luther Birgit Stolt, Martin Luthers Rhetorik des Herzens, UTB 2141, Tübingpn 2000,112-121. 41 Vgl. Eppelsheimer, Mimesis und Imitado Christi, 72. 42 Vgl. Eppelsheimer, Mimesis und Imitado Christi, 70-72. 43 Loerke, Geleitwort, 687f.

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Es zeigt sich also, dass das geführte Gespräch ein in Gedanken durchgespielter Dialog ist, in dem dialogische Initiative und Durchführung ganz bei dem Gast liegen. Wie lässt sich demgegenüber die kommunikative Haltung des lyrischen Ich beschreiben? Der entscheidende Hinweis liegt in dem dritten Vers der ersten Strophe: Unmittelbar bevor - oder genau in dem Augenblick, in dem Christus, der Gast, die Schulter seines Gesprächspartners berührt, nimmt dieser ein Glühen wahr an seiner Achsel. Nun gelten Schulter und Achsel in Loerkes Sprache zwar als äquivok. Doch lässt sich eine sachliche Nuance entdecken, die den Wortwechsel bedingt: Die Achsel, gewissermaßen die Innenseite der Schulter, weist auf die innerlich empfundene Intensität der äußeren Berührung hin, die verbmetaphorisch im Glühen zum Ausdruck kommt: Nun glühte meine Achsel durch das Hemd. Das lyrische Ich also, selbst wenn es weder verbal noch gestisch auf Berührung und Äußerungen des verborgenen Gastes reagiert, nimmt hochsensibel — in konzentrierter, sinnlich-geistiger Bereitschaft — dessen Gegenwart wahr, wie es sich, hineinprojiziert in die Natur, im Zittern der hauchfeinen Grashalmspitze abbildet (V7). Eben die Dimension der geistig-sinnlich erlebten Natur ist es, die nun zum Bild des blauen Herzens führt. Denn die Verbmetapher glühen in der ersten Strophe bildet mit der Nominalmetapher Sonne aus der zweiten und der Adjektivmetapher heiß der dritten Strophe ein dichtes, stilistisch aus drei Wortarten geknüpftes Netz von Wärme-, Licht- und impliziter Farbmetaphorik. Es ist die glühendheiße Sonne, mit der wir Gelb-, Orange- und Rottöne verbinden und in deren strahlend hellem Licht der Himmel blau wird. Das Bild des blauen Herzens verbindet den Aspekt der Wärme — das warme Blut, das unser Leben bestimmt, indem es vom Herzen aus den Körper durchpulst — mit der kosmischen Weite des Himmels, durch den für das religiöse Bewusstsein die Sphäre Gottes und die Sphäre des Erhöhten konnotiert ist. Das blaue Herz entpuppt sich so als Metapher für den erhöhten Christus. Doch können wir noch weiter gehen: Das blaue Herz ist nicht nur kosmisch weit, es ist offen, zugewandt geöffnet, um alle irdisch-menschlichen Qualen in sich aufzunehmen. Das blaue Herz ist also keineswegs das kalte Herz. Es ist das Herz der Liebe Gottes zu den Menschen, die sich im stellvertretenden Leiden Christi realisiert hat. Das aber heißt: Loerke gelingt lyrisch mit der Metapher des blauen, Qual aufnehmenden und doch qualenleer bleibenden Herzens die Verbindung der christologischen Motive Liebe, Stellvertretung und Auferstehung. Indem er die Metapher des blauen Herzens mit der Metapher des Gastes verknüpft, formuliert er lyrisch den christologischen Gedanken der irdischen Präsenz des Auferstandenen und Er-

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höhten, die sich dem Menschen im inneren Gespräch mit Christus erschließt. „Du siehst", schreibt Loerke an einen Freund über den Steinpfad-Zyklus, „nun bin ich doch beim bergeversetzenden Glauben angelangt" 44 .

3. Das Bild des Kleinods in Friedrich Hölderlins Hymne Der Einzige (Erste Fassung, 1802) Hölderlins Hymne Der Einige zählt zu dem erst seit 1914 durch den vierten Band der Hölderlinausgabe von Norberth von Hellingrath45 allmählich bekannt gewordenen Spätwerk Hölderlins, das wir dem Dreißig- bis Fünfunddreißigjährigen verdanken. Sachlich vorbereitet durch die bereits im Sommer 1797 nach dem „Frankfurter Plan" begonnene Arbeit am Tod des Empedokles, ist der Beginn des Spätwerks zeitlich mit dem Jahr 1800 anzusetzen, in dem Hölderlins intensive, zur Übersetzung fuhrende Beschäftigung mit den Oden Pindars44 einsetzt. Waren seine frühen, zwischen 1790 und 1793 unter dem Eindruck der Französischen Revolution entstandenen Hymnen der Tübinger Studienzeit besonders von der Auseinandersetzung mit Klopstock und Schiller geprägt, so gelten als entscheidendes Vorbild seiner späten Hymnik Pindars Siegeslieder, in denen das Dichter-Ich ausdrücklich als die den Gedankengang des Gedichts leitende und reflektierende Größe eingeführt wird47. Als Träger der poetologischen Reflexion begegnet das Dichter-Ich auch in Der Einige, und zwar besonders auffallend an dem abrupt wirkenden Schluss des Gedichtes. Die in den Jahren 1801-1803 entstandenen, von der Forschung so genannten „Christus-" oder „geschichtsphilosophischen Hymnen" Hölderlins — Friedensfeier, Der Einzige und Palmos — gelten als ein, wenn nicht der Höhepunkt des Hölderlinschen Werks48. Sie gehören nach dem Urteil der Forschung zu den schwierigsten Texten in deutscher Sprache überhaupt49. Nachdem Hölderlin zwischen

44 Loerke, Geleitwort, 691. 45 Hölderlin. Sämtliche Werke, Vierter Band, besorgt durch Norbert v. Hellingrath: Gedichte 1800-1806 (erstmals erschienen 1914), 2. Aufl. Bedin 1923,186-189. 46 Vgl. dazu Martin Vöhler, Das Hervortreten des Dichters. Zur poetischen Struktur in Hölderlins Hymnik, in: HJb 31 (2001), 50-68 (50.56-59). 47 Vgl. Vöhler, Das Hervortreten des Dichters, 50.56f. 48 Vgl. Jochen Schmidt, Die geschichtsphilosophischen Hymnen. „Friedensfeier" — „Der Einzige" - „Patmos", Darmstadt 1990, IX. Hellingrath, Hölderlin, Vierter Band XI, sah in dem von ihm editorisch besorgten Band „Herz, Kern und Gipfel des Höldedinschen Werkes, das eigentliche Vermächtnis. Die grossen Hymnen darin empfand der Dichter selbst als Wort Gottes". 49 Vgl. Schmidt, Die geschichtsphilosophischen Hymnen, IX.

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1790 und 1800, abgesehen von wenigen brieflichen Notizen, so gut wie ganz zum Thema Theologie und Christentum geschwiegen hatte50, setzt mit den Christushymnen, aufbauend auf der Elegie Bröl und Wein, zu Beginn des neuen Jahrhunderts jäh ein geradezu dramatisches Ringen um die Christusgestalt ein. Apostrophiert als „Christ" und „Herr", als „Sohn", als „Sohn des Höchsten", als „der frohlockende Sohn des Höchsten" wird Christus zum zentralen Gegenüber für das Dichter-Ich. Die Hymne Der Einige zählt in der Ersten Fassung von 1802, wie sie im Homburger Folioheft auf den Seiten 15-19 aufgezeichnet ist51, 9 Strophen52. Sie ist, wie die zweite und dritte Fassung auch, Fragment geblieben. Doch so oft Hölderlin die Hymne auch verändert hat - der Grundbestand jener Passagen, in denen er von und mit Christus spricht, steht vom ersten Entwurf an fest. VI V2 V3 V4 V5 V6 V7 V8 V9 V10 VI 1 V12

Was ist es, das An die alten seeligen Küsten Mich fesselt, daß ich mehr noch Sie liebe, als mein Vaterland? Denn wie in himmlische Gefangenschaft verkaufft Dort bin ich, wo Apollo gieng In Königsgestalt, Und zu unschuldigen Jünglingen sich Herablies Zevs und Söhn in heiliger Art Und Töchter zeugte Der Hohe unter den Menschen?

Strophe 1: 12 Verse

V13 V14 VI 5 VI 6 VI 7 V18

Der hohen Gedanken Sind nemlich viel Entsprungen des Vaters Haupt Und große Seelen Von ihm zu Menschen gekommen. Gehöret hab' ich

Strophe 2:12 Verse

50 Vgl. dazu Falk Wagner, Das Bild des Christentums bei Höldedin, in: Valérie Lawitschka (Hg.), Höldedin: Christentum und Antike, Tumi-Vorträge 1989/90/91,79-110 (82). 51 Geboten wird der Text nach der aus dem Hombuiger Folioheft textkritisch rekonstruierten Ersten „Fassung" in: Friedrich Höldedin, „Bevestigter Gesang". Die neu zu entdeckende hymnische Spätdichtung bis 1806, hrsg. u. textkritisch begründet von Dietrich Uffhausen, Stuttgart 1989; vgl. aber jetzt auch die text- und redakbonskritisch hochkomplexe Textwiedergabe in: Friedrich Hölderlin, sämtliche weite (sie), Frankfurter Ausgabe, historischkritische ausgabe (sie), hrsg. v. D.E. Sattler, band 7 gpsänge. dokumentarischer teil, 230-238 (sic); band 8 gesänge. editorischer teil (sie), 777-803, Frankfurt a. M., Basel 2000. 52 In der weiteten Ausarbeitung wuchs die Hymne zunächst auf zwölf, dann auf fünfzehn Strophen an.

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VI 9 V20 V21 V22 V23 V24

Von Elis und Olympia, bin Gestanden oben auf dem Parnaß, Und über Bergen des Isthmus, Und drüben auch Bei Smyrna und hinab Bei Ephesos bin ich gegangen;

V25 V26 V27 V28 V29 V30 V31 V32 V33 V34 V35

Viel hab' ich Schönes gesehn, Und gesungen Gottes Bild Hab' ich, das lebet unter Den Menschen, aber dennoch, Ihr alten Götter und all Ihr tapfern Söhne der Götter, Noch Einen such ich, den Ich liebe unter euch, Wo ihr den letzten eures Geschlechts Des Haußes Kleinod mir Dem fremden Gaste verberget.

Strophe 3: 11 Verse

V36 V37 V38 V39 V40 V41 V42 V43 V44 V45 V46 V47

Mein Meister und Herr! O du, mein Lehrer! Was bist du ferne geblieben? und da Ich fragte unter den Alten, Die Helden und Die Götter, warum bliebest Du aus? Und jetzt ist voll Von Trauern meine Seele, Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst, Daß, dien ich einem, mir Das andere fehlet.

Strophe 4: 12 Verse

V48 V49 V50 V51 V52 V53 V54 V55 V56

Ich weiß es aber, eigene Schuld Ists! denn zu sehr, O Christus! häng' ich an dir, Wiewohl Herakles Bruder Und kühn bekenn' ich, du Bist Bruder auch des Eviers, der An den Wagen spannte Die Tyger und hinab Bis an den Indus

Strophe 5:12 Verse

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Christina Hoegen-Rohls

V57 V58 V59

Gebietend freudigen Dienst Den Weinberg stiftet und Den Grimm bezähmte der Völker.

V60 V61 V62 V63 V64 V65 V66 V67 V68 V69 V70

Es hindert aber eine Schaam Mich dir zu vergleichen Die weltlichen Männer. Und freilich weiß Ich, der dich zeugte, dein Vater, Derselbe, der

Strophe 6: zunächst nur 5 Verse konzipiert; im freigelassenen Raum später auf 11 Verse ergänzt53.

V71 V72 V73 V74 V75 V76 V77 V78 V79 V80 V81 V82

Denn nimmer herrscht er allein

Strophe 7: Zunächst nach dem Anfangsvers ein Freiraum für ca. 11 Verse ausgespart; aufgefüllt durch das Warthäuser Fragment54.

V83 V84 V85 V86 V87 V88 V89 V90

Es hänget aber an Einem Die Liebe. Diesesmal Ist nemlich vom eigenen Herzen Zu sehr gegangen der Gesang Gut will ich aber machen Den Fehl, mit nächstem Wenn ich noch andere singe. Nie treff ich, wie ich wünsche,

Strophe 8: 12 Verse

53 Vgl. Uffhausen, Höldedin, 230. 54 Für die Frage nach der Textgestalt der Hymne spielt das sog. Warthäuser (oder Warthauser) Fragment eine zentrale Rolle; vgl. dazu Uffhausen, Höldedin, 230.

Kleinod, Mandel, blaues Herz

V91 V92 V93 V94

Das Maas. Ein Gott weiß aber Wenn kommet, was ich wünsche das Beste. Denn wie der Meister Gewandelt auf Erden

V95 V96 V97 V98 V99 VI 00 V101 VI 02 VI 03 VI 04 VI 05 VI 06

Ein gefangener Aar, Und viele, die Ihn sahen, fürchteten sich, Dieweil sein Äußerstes that Der Vater und sein Bestes unter Den Menschen wirkete wirklich, Und sehr betrübt war auch Der Sohn so lange, bis er Gen Himmel fuhr in den Lüften, Dem gleich ist gefangen die Seele der Helden. Die Dichter müssen auch Die geistigen weltlich seyn.

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Strophe 9:12 Verse

Unvermittelt und willkürlich anmutend endet dieser schwierige und doch so faszinierend oratorische5S Text mit der vom Dichter-Ich für alle Dichter verbindlich formulierten Verpflichtung zur weltlich vermittelten Dichtung. Es handelt sich dabei um einen typischen Pindarismus, denn Hölderlin setzt das Dichter-Ich hier in mnemotechnischer Absicht bewusst abrupt in Form einer so genannten „Abbruchsformel" ein, wie es für Pindars Epinikien charakteristisch ist56. Doch wozu dient Hölderlin diese Abbruchsformel poetologischer Reflexion? Auf welche Wirkung zielt er? Mit der exponiert hervorgehobenen Dichterthematik am Ende des Gedichts und der auf syntaktisch höchst kompliziertem Wege erreichten direkten Gegenüberstellung der beiden Dimensionen geistig und weltlich, eröffnet Hölderlin den Horizont, in dem allein er eine abgewogene, das rechte Maß treffende Antwort zu finden vermag auf die implizite Grundfrage, die hinter den im Verlauf des Gedichtes explizit gestellten Fragen steht — von der großen Eingangsfrage Was ist es, das an die alten seligen Küsten mich fesselt...! über die gleich anlautende Frage Was bist duferne gebäeben? bis hin zur wiederholenden Nachfrage Warum bliebest du aus. Es ist die Frage danach, wie heidnisch-antiker

55 Dass die Exposition einer Redesituation charakteristisch ist für die Gedichte Hölderlins, betont Gerhard Kurz, Hölderlins poetische Sprache, in: HJb 23 (1982/83), 34-53 (34): „Hölderlins Gedichte sind in höchstem Maße oratorische Gedichte. Die Wahl der Gattungen Hymne, Ode und Elegie ist die Wahl oratorischer Gattungen. Oratorisch nicht nur deshalb, weil die Gedichte für den Vortrag gedacht waren, sondern auch deshalb, weil das Oratorische ihr konstruktives Prinzip ist, mit dem Effekt deklamatorischer Intonation". 56 Vgl. dazu Vöhler, Das Hervortreten des Dichters, 58.60.

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Polytheismus und christlicher Monotheismus synkretistisch verbunden werden können57. Denn das Dichter-Ich macht deutlich, dass Christus ihm der Letzte des Geschlechts der olympischen Götter ist, also einerseits zu ihnen gehört und doch andererseits ihre Reihe abschließt und vollendet. In dieser Hinsicht ist Christus, wie der Titel ihn schon nennt, der Einzige. Doch sucht das DichterIch, hin- und hergerissen zwischen der Tendenz, Christus unter Göttern und Halbgöttern zu bevorzugen, und diese doch auch neben Christus gelten zu lassen, nach weiteren Gründen für seine Einzigkeit. Sie bündeln sich im Bild des Kleinods: Wenn Hölderlin von Christus als Kleinod spricht — wie Dannhauers Wörterbuch58 und Böschensteins Konkordanz59 belegen, ein Hapaxlegomenon in Hölderlins Werk —, dann verdanken wir es unserem uralten, nicht zuletzt durch das protestantische Kirchenlied60 vermittelten „Bilderwissen"61, dass wir ihn uns sogleich in tiefer Kostbarkeit als wertvollen Schatz vorstellen. Wir können mit dieser unserer Vorstellungskraft einen ersten, jedoch nur vagen Sinn konstitutieren62. Denn für wen genau ist Christus ein wertvoller Schatz? Inwiefern ist er eine besondere Kostbarkeit? Und worin liegt die Seltenheit seines Wertes begründet? Um diese Fragen zu beantworten, ist es methodisch wesendich, das Bild des Kleinods als Teil der Genitiwerbindung, in der es steht, auszulegen. Wie Momme Mommsen in seiner Untersuchung zur Gestalt des Dionysos in Hölderlins Dichtung gezeigt hat63, zitiert Hölderlin mit der Wendung des Hauses Kleinod wortwörtlich aus Aischylos' Tragödie Agamemnon, in der der Chor die Tochter Agamemnons, Iphigenie, vor deren Opfertod in Aulis als δόμων άγαλμα, des Hauses KJeinod, bezeichnet64. Mit eben diesen Worten hat Wilhelm 57 Vgl. dazu Jochen Schmidt, Zur Funktion synkretistischer Mythologie in Hölderlins Dichtung „Der Einzige" (Erste Fassung), in: HJb 25 (1986/87) 176-212 58 Wörterbuch zu Friedrich Hölderlin, I. Teil: Die Gedichte. Auf der Textgrundlage der Großen Stuttgarter Ausgabe, bearb. v. Heinz-Martin Dannhauer, Hans Otto Horch und Klaus Schuffei. In Verbindung mit Manfred Kammer u. Eugen Riiter, Indices zur deutschen Literatur Bd. 10/11, Tübingen 1983, s.v. 59 Bernhard Böschenstein, Konkordanz zu Hölderlins Gedichten nach 1800. Auf Grund des zweiten Bandes der Großen Stuttgarter Ausgabe, Göttingen 1964. 60 In dem Text von Johannes Eccard aus dem Jahr 1598 heißt es: „Mein schönste Zier und Kleinod bist auf Erden du, Herr Jesu Christ, dich will ich lassen walten und allezeit in Lieb und Leid in meinem Herzen halten". Eccards Text wurde gesungen nach einer Melodie aus Leipzig von 1573; vgl. Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe fur die EvangelischLutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, München, Weimar o.J., 835 (EG 473). 61 Vgl. Zimmermann, Bildersprache verstehen, 54. 62 Zum Zusammenhang von Vorstellungskraft und Sinnkonstitution vgl. Zimmermann, Bildersprache verstehen, 53. 63 VgJ. M. Mommsen, Dionysos in der Dichtung Hölderlins mit besonderer Berücksichtigung der „Friedensfeier", in: GRM NF 13 (1963) 345-379 (378). 64 VgJ. auch Schmidt, Zur Funktion synkretistischer Mythologie in Hölderlins Dichtung, 200f. mit Anm. 45.

Kleinod, Mandel, blaues Herz

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von Humboldt die Wendung in seiner Übersetzung des Agamemnon von 1816 wiedergegeben. Zwar konnte Hölderlin zu jenem Zeitpunkt, da Der Einige entstand, die Übersetzung Humboldts noch nicht kennen - wohl aber das Original. Und diesem scheint Hölderlin einen doppelten Impuls entnommen zu haben: So wie es in der attischen Tragödie des Aischylos Funktion des Chores ist, den Wert Iphigeniens zu benennen, so ist es in der hymnischen Dichtung das Dichter-Ich, das Christi Wert als Kleinod benennt und anerkennt. Und wie Agamemnon als Vater des Atridenhauses die geliebte Tochter, so gibt der Vater aller Götter den geliebten Sohn — doch nicht den Göttern selbst als Weihgeschenk, sondern den Menschen zum Zeichen seiner Liebe. Das aber heißt, dass sich die Metapher des Kkinods über die Liebesaussagen der Hymne und deren hart gefugte Schluss-Strophe erschließt: Die individuell empfundene Liebe des Dichters

zu Christus — Noch einen such ich, den ich lieber, sehr, o Christus, häng ich an dir— hat ihren Grund in der überindividuellen Feststellung: Es hänget aber an einem die Liebe. So sichtbar schön die olympischen Götter auch sein mögen - Apoll in seiner Königsgestalt und Zeus in seiner Zeugungskraft —, so sehr sie Anlass zu weltlicher Bewunderung geben — Herakles durch seine Taten, Dionysos65, der Evier66, durch seinen Indienfeldzug - , sie sind doch weder Gegenstand der Liebe noch selbst Liebende. Die Liebe vielmehr hänget an Einem — in dem doppelten Sinne, dass sie nur diesem Einen gilt und nur von diesem Einen ausgeht. Als einzig Liebender und einzig Geliebter ist Christus des Hauses Kleinod, der geliebte Mittelpunkt für den Vater selbst wie für den Dichter, der in ihm — nicht vergleichbar mit den „weltlichen Männern" — den wahren Geistigen sieht. Hölderlin formuliert also hymnisch mit der Metapher des Kleinods ein Vierfaches: das ethische Motiv der menschlichen Liebe zu Christus; den soteriologischen Gedanken des liebenden Christus selbst; den christologischen Aspekt des vom Vater geliebten Sohnes und schließlich die pneumatologische Pointe, dass Christus als Liebe Geist ist. So ist aus dem christlich-jüdisch schillernden, in der leeren Mandorla-Mandel verborgen stehenden König Celans und dem kosmisch-christologischen, irdisch verborgenen Gast Loerkes bei Hölderlin schließlich der unter den olympischen Göttern zwar eifersüchtig verborgene, für den aus Liebe suchenden Dichter aber offenbare Christus geworden.

65 Zur Gestalt des Dionysos in Hölderlins Lyrik vgl. Max L. Baeumer, Dionysos und das Dionysische bei Hölderlin, in: HJb 18 (1974/75) 97-118, hier zu Dionysos in den verschiedenen Fassungen der Hymne Der Einige bes. 103.107.108f.ll3-115. 66 Der Beiname „Evier" ist aus dem kultischen Ruf eiloi der Dionysien abgeleitet; vgl. dazu Baeumer, Dionysos und das Dionysische bei Hölderlin, 113.

Klaas Huizing Live übertragen. Die Metaphemdebatte geht in die nächste Runde

1. Einleitung: Historischer Edelrost und febrile Geistesgegenwart Fraglos gehören die Geschichten vom biblischen Jesus zu den Geschichten, die, mit Thomas Mann zu reden, bedenklich viel .historischen Edelrost' angesetzt haben. Diesen Edelrost abzuschleifen, also eine, nochmals mit einem geliehenen Wort von Thomas Mann bezeichnete .febrile Geistesgegenwart' erfahrbar zu machen, ist, will die Theologie nicht in einer ängstlichen Inventarisierungstreue erstarren, die Pathosformel der Theologie. Als eminent erfolgreich erwies sich vor diesem Hintergrund die während der letzten zwei Dekaden geführte Debatte zur Metapher, die sich an einem Kernbestand der historischen Jesusüberlieferung, den Gleichnissen, entzündete, weil, so die Pointe, die Gleichnisse als Horizontbildungen des nahen Gottesreiches für gegenwärtige Leserinnen neues Interesse finden und nicht länger als abgeliebtes Spielmaterial für eine allegorische Phantasie herhalten müssen. (En passant gesagt: In dieser Frage hat die Theologie — vor allem die Neutestamentliche Theologie — im Konzert der Geisteswissenschaften eigenständiges Profil gewonnen und Kompetenz gezeigt.) Diese Debatte muss fortgeschrieben werden, innertheologisch und interfakultär. In einem ersten Abschnitt inventarisiere ich die innertheologische Debatte und nenne Desiderate. Ich will die häufig latent vorherrschende Wort-GottesTheologie-Schematik der Gleichnistheorien durch eine ästhetisch-rituallogische Schematik ersetzen, nur so nämlich wird das Übertragungsgeschehen vom Text auf die Leserinnen angemessener beschreibbar. Aktuell entzündet sich die außertheologische Metapherntheorie an medientheoretischen Fragen, die auf eine Intuition des Gründervaters der Medientheorie, Herbert Marshall McLuhan, zurück reicht, der die Medien als Metaphern charakterisiert hat. In der deutschsprachigen Mediendebatte hat diese Intuition Jochen Hörisch aufgenommen und zu einer veritablen Konversions/Kon-

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vertierungs-Theorie umgebaut. Bei näherem Zusehen ist diese Theorie Theologie-affin. In einem zweiten Teil werde ich die Metapherndebatte vor diesem Hintergrund ausleuchten und kritisch befragen. Ein dritter Abschnitt füllt die inhaltliche Leerstelle des KonversionsKonzepts von Jochen Hörisch durch einen medienlogischen Legendenbegriff aus, der einen Konversionsdruck auf die Zuschauer ausübt. So wird deutlich, wie die außertheologische Metaphern-Debatte in eine mediale ästhetische Religionstheologie Eingang findet.

2. Der theologische Tanz um die Metapher Erkenntniszuwächse verdanken sich gewöhnlich neuen Unterscheidungen. Adolf Jülicher (1857-1938) untersuchte die Traditionsgeschichte der Gleichnisse und unterschied zwischen der ursprünglich sinnerschließenden Rede der Gleichnisse Jesu und der urgemeindlichen, allegorischen Gleichnistheorie (Mk 4, l-20f.), die die Gleichnisse entsprechend als verhüllte Unterweisungen deutete. Formgeschichtlich unterschied Jülicher zwischen Gleichnissen im engeren Sinne, den Parabeln und den sogenannten Beispielerzählungen. Diese formgeschichtliche Differenzierung blieb lange gültig, Wolfgang Harnisch1 hat allerdings — mit guten Argumenten — darauf verzichtet, die Beispielgeschichte als eigene Form zu qualifizieren. Und Georg Baudler 2 macht eine andere Unterscheidung auf, nämlich die zwischen den aus der Natur oder dem Alltag abgelesenen Vorgangsgleichnissen und inszenierten Handlungsgleichnissen.3 Einigkeit herrschte lange in der Frage des grundsätzlich didaktischen Charakters der Gleichnisse Jesu. In der Differenz von erzählter Bildhälfte und veranschaulichter Sachhälfte dienten die Gleichnisse als ,Streitwaffe' (Jeremias 4 ), ,Argumentationshilfe' (Bultmann5) oder als .Bekehrungsinstrument' (Linnemann/Sorger 4 ). Erst Eberhard Jüngel hat im produktiven Rückgriff auf Ernst 1 2 3

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Wolfgang Hämisch. Die Gleichniserzählungen Jesu, Göttingen 1985. Georg Baudler, Jesus im Spiegel seiner Gleichnisse, München 1986. Die konziseste Zusammenfassung der Gleichnisdebatte bietet Friedrich Johannsen, in: Becker, Johannsen, Noormann, Neutestamendiches Arbeitsbuch für Religionspädagogen, Überarb. Aufl. 1997, 63-80. Vgl. auch Wolfgang Harnisch (Hg.). Die neutestamentüche Gleichnisforschung im Horizont von Hermeneutik und Literaturwissenschaft, Darmstadt 1982. Joachim Jeremias, Gleichnisse Jesu, Gütersloh 8. Aufl. 1980. Vgl. Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, Göttingen 2. Aufl. 1981. Eta Linnemann, Gleichnisse Jesu. Einfuhrung und Auslegung, Göttingen 6. Aufl. 1975; Karlheinz Sorger, Gleichnisse im Unterricht. Grundsätzliche Überlegungen. Hilfen für die Parxis. Düsseldorf 2. Aufl. 1987.

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Fuchs den nur didaktischen Charakter der Gleichnisse hinterfragt und die These aufgestellt, die Gleichnisrede sei die der Sache vom Gottesreich einzig angemessene Rede: Gott und das Gottesreich lassen sich nur in der Gleichnisrede adäquat zur Darstellung bringen, lautete die These.7 Wenn sich dem Gleichnishörer vor dem Hintergrund der eigenen Wirklichkeitserfahrung ganz neue Möglichkeiten erschließen, wird die Gleichnisrede in ihrer analogischen Kraft erfahrbar. Wolfgang Harnisch hat daran anschließend - und neuere literaturwissenschaftliche Erkenntnisse aufnehmend - , die Sprachmacht der Gleichnisse präziser als metaphorischen Prozess innerhalb ties Gleichnisses (im Unterschied übrigens zu Weder8) beschrieben. Der metaphorische Prozess resultiere nicht aus der Spannung zwischen Gottesherrschaft und der erzählten Geschichte, sondern eine der Lebenswelt entnommene Geschichte werde mit einer Geschichte des Möglichen in eine metaphorische Spannung gebracht. Die ReichGottes-Erfahrung ereigne sich also im Prozess der Rezeption und sei keine vorab existierende Größe. Die literaturwissenschaftlich geprägte Arbeit von Dan O. Via9 schließlich schlägt vor, die Gleichnisse als autonome sprachliche Kunstwerke wahrzunehmen und aus der engen Bezogenheit auf Jesus zu lösen. Dieser (existentielle) Ansatz ist, worauf Johannsen10 treffend hinweist, für psychoanalytische und bibliodramatische Annäherungen sehr attraktiv, unterbietet meiner Einsicht nach aber die christologische Dimension der Gleichnisse. Leider nur halbherzig rezipiert wurde die epochale Einsicht von Georg Eichholz11, der die Gleichnisse Jesu als (Selbst)Porträts ausgab.12 Selbstredend geht es 7

Eberhard Jüngel: Die Problematik der Gleichnisrede, in Wolfgang Hämisch (Hg.), Gleichnisse Jesu. Positionen der Auslegung von Adolf Jülicher bis zur Formgeschichte, Darmstatdt 1982,281-342. 8 Loc. cit. 9 Dan O. Via, Die Gleichnisse Jesu. Ihre literarische und existentiale Dimension, München 1970. 10 Loc. cit. 11 Georg Eichholz, Gleichnisse der Evangelien, Neukirchen 3. Aufl. 1979. Der Eichholz-Text war mein Lese-Schlüsselerlebnis im Fach Neues Testament. Natürlich darf man nicht bei den Gleichnissen stehen bleiben, porträtähnliche Strukturen treten auch in anderen Textsorten auf. Ich habe allerdings meine Zurückhaltung dem Johannes-Evangelium gegenüber nicht abbauen können, weil bekanntermaßen dort die Gleichnisse fehlen. Das Johannesevangelium ist in großen Zügen ein prinzipienlogischer Traktat (vgl. auch den Aufsatz von Jan Röhls und den Beitrag von Markus Buntfuß in diesem Sammelband), historische Haftpunkte (vgl. zu diesem Terminus den Beitrag von Jörg Lauster) lassen sich - das war noch der große Irrtum Schleiermachers — dort kaum ausmachen. Ich wünsche mir von den Neutestamentlern, die sich besonders eingängig mit dem Johannes-Evangelium beschäftigt haben (siehe die Beiträge von Frey und Zimmermann) den Nachweis, wie Johannes diese Leerstelle gleich- oder sogar höherwertig ausfüllt. 12 Vgl. auch die Intuition beim späten Karl Barth: Kirchliche Dogmatik IV, 3,1, Zürich 1959, 125f. „(D)ie neutestamentlichen Gleichnisse sind so etwas wie das Urbild der Ordnung, in welcher es neben dem einen Wort Gottes, durch dieses beschaffen und bestimmt, ihm genau entsprechend, ihm vollkommen dienend und darum in seiner Macht und Autorität auch

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dabei nicht um eine bildnerische Ähnlichkeit, sondern um eine urbildliche Darstellung christlicher Lebensform, die einen Nachahmungsdruck auf die Leserinnen ausübt.13 Zwar wurde im Kontext der neueren Metaphern/Gleichnis-Theorien die schlichte didaktische Abzweckung zurück genommen, aber es bleibt, sieht man von den (bei vielen Theologen) wenig geliebten psychoanalytischen und bibliodramatischen Ansätzen ab, vor allem bei Jüngel und seinen Nachmietern, bei einer kognitiven und logo^ntrischen Deutungsperspektive: Gleichnisse gelten dann als Paradebeispiele für Wort-Ereignisse, die neue Einsichten zeitigen und in ihrer analogischen Kraft erfahren werden wollen. Und die eigentümliche biographische Kontingent der Gleichnisgeschichten wird häufig zugunsten eines unhinterfragten Szientismus (mit Ausnahme wiederum im Bibliodrama und im psychoanalytischen Modell) preisgegeben. Dieses gleichsam verdeckt vorherrschende Paradigma möchte ich umwidmen. An die Stelle des Kognitivismus und Logozentrismus treten Atmosphäre/Emotionaätät und Ritualität. Und der Szientismus muss zugunsten der biographischen Alltäglichkeit abgebaut werden. Dieses neue Paradigma segelt unter der Fahne der Ästhetik, um nicht in die Gefahr einer vorschnellen (und üblichen) moralischen Engführung der Gleichnisse zu geraten.14 Beginnen wir mit dem Stichwort der Ästhetik, die in einer neuen Spielart ebenfalls von allen kognitiven und logozentrischen Mustern befreit wurde. Gernot Böhme schlägt im Anschluss an Hermann Schmitz als Schlüsselbegriff einer neuen Ästhetik, die nicht sofort urteilt: schön/hässlich oder wahr/falsch, den Begriff der Atmosphäre vor. „(D)as atmosphärische Spüren von Anwesenheit (ist, K.H.) das grundlegende Phänomen der Wahrnehmung."15 Die neue, leibfreundliche Ästhetik untersucht die Beziehung von Atmosphären und menschlichem

andere, wahre Worte Gottes geben kann." Die Intuition, es „müsste diesen Menschen und ihren Worten die Gnade seiner Realpräsenz erwiesen" werden (124), ist bisher kaum hinreichend an der Gleichnisform ausgewiesen worden. 13 Zur Bedeutung des Porträtbegriffs für die Theologie siehe meine Monographien: Ästhetische Theologie, Bd. 1, Der erlesene Mensch. Eine literarische Anthropologie; Bd. 2, Der inszenierte Mensch. Eine Medien-Anthropologie, Stuttgart 2000, 2002. 14 Georg Pfleiderer hat in seinem Aufsatz: ,Gelebte Religion' - Notizen zu einem Theoriephänomen, in: Albrecht Grözinger/Geoig Pfleiderer (Hgg.): ,Gelebte Religion* als Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie, Christentum und Kultur Band 1, Basel 2002, 32, treffend notiert: „Gegen den Kognitivismus, den Logozentrismus und verdeckten Szientismus der Wort-Gottes-Theologie beispielsweise werden (in neueren religionstheoretischen Entwürfen, K.H.) Emotionalität, Ritualität und biographische Alltäglichkeit mobilisiert, gegen den ebenfalls nicht selten verdeckten Moralismus der Barthianer die Ästhetik." In meiner .Ästhetischen Theologie', Bd. 1, Der edesene Mensch; Bd. 2 Der inszenierte Mensch, Stuttgart 2000, 2002, habe ich dieses neue Paradigma bearbeitet. Die Gleichnistheorie von Harnisch bietet viele Übergänge, obwohl sein Diskurs die Leiblichkeit der Mitvollzüge zu stark ausklammert. 15 Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahmehmungslehre, 2001,42.

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Befinden. Für die Gleichnisrezeption heißt das: Der Hörer/Leser wird in die Geschichte mitverstrickt, identifiziert sich spielerisch mit einem Protagonisten und spürt damit auch eine bestimmte Atmosphäre bzw. den Streit von Atmosphären (etwa den Streit zwischen der Atmosphäre der Lebenswelt und der Atmosphäre des Möglichen, die immer eine Atmosphäre der Liebe ist.) Sieht man genauer hin, dann investieren die Gleichnisse unermüdlich Leiboder Inkarnationsmetaphern 16 , um den emotionalen Einstieg zu erleichtern und die Rituaätät des Geschehnisses zu steuern. Die affektive Betroffenheit reizt den Körper der Gleichnis-Hörerin zu (imaginativen) Bewegungen. Damit wird die Hörerin /Leserin Teil des Kunstwerks, bleibt nicht Betrachterin in sicherer Instanz. Ritualisierte Lese/Kunstprozesse ziehen ihre Überzeugungskraft daraus, dass sie miterlebt werden können 17 . Gleichnisse haben eine offenbare performative Binnenstruktur. 18 Natürlich erhebt die Gleichnis-Kunst den Anspruch auf Wiedererkenntnis. Hans-Georg Gadamer definiert die Symbolkraft jedes Kunstwerks durch die Kraft, „etwas als Gemeinsames bewußt zu machen." 19 Für die Gleichnisse ist dabei eigentümlich, dass biographische Kontingenten zum Ausgangspunkt der Gleichnisse gemacht werden und zugleich den Anspruch auf Authentizität erheben. Vielleicht wird man sogar soweit gehen müssen und sagen, dass Authentizität und Wahrheit „nur in und durch Inszenierung" zugänglich wird20. Bibliodramatische Inszenierungen haben das oft belegt. Vormoraliscb schließlich ist diese durch die Gleichnisse ermöglichte Kunsterfahrung in einem spezifischen Sinne. Ritualisierungen zielen immer auch auf Verwandlung, auf einen neuen Lebensstil hin. Ästhetik im neueren Sinne legt

16 Vgl. dazu Klaas Huizing, Homo legens. Vom Ursprung der Theologie im Lesen, Berlin u.a. 1996; ders.: Ästhetische Theologie Bd.l, Der edesene Mensch, loc. cit.; Für eine somatische Fortbestimmung der Wort-Gottes-Theologie plädiert treffend auch Ulrich H.J. Körtner im vorliegenden Aufsatzband. 17 Uber den engen Zusammenhang von Literatur und Ritual informiert: Wolfgang Braungart, Ritual und Literatur [Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft, 53], Tübingen 1996. 18 Glaubt man der Kunsthistorikerin Erika Fischer-Lichte, dann ist die Performance-Kunst leibhaftige Sachverwalterin des (ästhetischen) Rituals: Erika Fischer-lichte, Verwandlung als ästhetische Kategorie. Zur Entwicklung einer neuen Ästhetik des Performativen, in: Erika Fischer-Iichte/Friedemann Kreuder/Isabel Pflug (Hgg.), Theater seit den 60er Jahren. Grenzgänge der Neo-Avantgarde, Tübingen, Basel 1998, 21-91. Die performative Struktur der Gleichnisse hebt ebenfalls Harnisch hervor. 19 Hans Georg Gadamer, Ästhetische und religiöse Erfahrung (1964/1978), in: Gesammelte Werke 8, Ästhetik und Poetik I, Tübingen 1999,143-155. 20 Erika Fischer-lichte/lsabel Pflug (Hrsg.), Inszenierung von Authentizität, Tübingen und Basel 2000.

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den Nachdruck auf die vormoraäsche Motivation, die spielerische, ritualisierte Identifikation mit Lebensentwürfen und die Sensibilisierung und Stimulierung der Handlungsspielräume.21 Machen wir die Probe aufs Exempel anhand des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter - vielleicht dem literarischen Höhepunkt des Neuen Testaments.22 Die äußere Rahmung dieser Geschichte besticht. Ein Mensch (sie!) ist auf dem Weg nach unten - wörtlich und sprichwörtlich zugleich. Zurück bleibt das hochgelegene Jerusalem. E r steigt ab nach Jericho, ein offensichtlich gefährlicher Abstieg, der dem Menschen den aufrechten Gang kostet. Szenisch beschreibt Lukas denkbar knapp einen Überfall der brutalsten Sorte: Kleiderraub, Geldraub und schwere Körperverletzung. Weniger als die nackte Existenz bleibt zurück. Sich krümmend vor Schmerzen liegt ,der Mensch' im Staub. Gott sei dank naht ein Priester. Als Leserin soll man erwarten: Es naht Hilfe. Diese LeseErwartung wird enttäuscht. Der hohe Vertreter der Kultklasse sieht den Überfallenen und geht trotzdem weiter. Ein typisch lukanischer Lakonismus. Als nächster kommt ein Levit zum Tatort. Und auch jetzt wird erneut die LeseErwartung enttäuscht. Erst das Auftauchen einer dritten Figur - als Leserin muss man wissen, dass die Juden den Umgang mit den Samaritern mieden — tritt

21 Vgl. Marcus Diiwell, Ästhetische Erfahrung und Moral. Zur Bedeutung des Ästhetischen für die Handlungsspielräume des Menschen, Freiburg/München 1999. 22 Lk 10,30-35: Ein Mensch zog von Jerusalem nach Jericho hinunter und fiel unter die Räuber, die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon, ihn halbtot liegen lassend. 31 Zufällig aber zog ein Priester auf jenem Weg hinunter, als er ihn sah, ging er vorbei. "Gleichermaßen kam auch ein Levit an den Ort, und als er ihn sah, ging er vorbei. 3 3 Ein Samariter aber, der seines Weges ging, kam dort hin, und als er ihn sah, erbarmte er sich. 3 4 E r lief hinzu, verband seine Wunden, goß Ol und Wein darauf, setzte ihn auf sein eigenes Reittier und führte ihn in eine Herberge und sorgte für ihn. 3 5 Am nächsten Tag zog er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sprach: So ige für ihn, und wenn du etwas mehr brauchst, werde ich es dir zurückzahlen, wenn ich wiederkomme. Hermann Schmitz interpretiert diese Stelle so: „Die Frage (wer der Nächste ist, K.H.), richtet sich nicht nach permanenten sozialen Ordnungen und Rollen, sondern nach der spontanen Betroffenheit im Augenblick, die einen nicht vorhersehbaren Kontakt von Mensch zu Mensch herstellt, im Beispiel durch die mächtige Rührung des Samariters vom Elend des Verunglückten. Jesus spricht hier also als .existentieller Denker" für ein Herrenrecht der Situation, des Augenblicks, der Unmittelbarkeit und Spontaneität in der Kommunikation. (...) (Der Samariter ist, K.H.) Nächster des Verunglückten dank seiner Ergriffenheit von einem Gefühl, das die Griechen „oiktos" nannten und wir vielleicht mit .Jammer" — im Sinn von Wendungen wie: „Es jammert mich seiner", „Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an" — wiedergeben können." System der Philosophie, III, Vierter Teil, Bonn 1977, 30f. Ergriffen wird der Samariter freilich, weil seine Sensibilität nicht durch sprachliche Bindungen gestört ist. Der Samariter - und ich gehe hier davon aus, dass in diesem Stück ein wunderbares Selbstporträt Jesu (sofern denn die mündliche Form adäquat übertragen wurde) vorliegt - zeigt, wie eine Sinnlichkeit, eine Empfindsamkeit, die nicht gestört ist, funktioniert. Schmitz' Behauptung, es gehe hier nicht um eine Inszenierung der allgemeinen Menschenliebe, sondern um die Inthronisierung einer Hertenmoral, ist ein Irrtum, weil Schmitz die intertextuellen Spiele des Wiedererkennens übersieht.

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jetzt der dramatische Umschlag des Geschehens ein. Nur beim Samariter werden im Text Sehen und Erbarmen kurzgeschlossen. Die Folge ist eine Travestie von Samariter (Outcast) und Priester/Levit (Kultklasse). Für heutige Ohren besitzt das Verb .erbarmen' kaum noch appellative Kraft. Erbarmen klingt süßlich und schmeckt moralinsauer. Eine bestimmte Auslegungstradition hat sich im Verb abgelagert. Die muss zunächst abgetragen werden. Abgeleitet wird das Verb σ π λ α γ χ ν ί ζ ο μ α ι von τό σττλάγχνον, und dessen Bedeutungen sind: 1. Eingeweide (zumeist eines Opfertieres); Mutterschoß; 2. übertragen: Blutverwandte, das eigene Fleisch und Blut; das Innere, Herz, Gemüt. Eine Konsultation des Lexikons — eine etymologische Epiphanie im wahrsten Sinne des Wortes — verrät: Der Text verlangt vom Leser ein Wiedererkennen. Wie der Samariter soll der Leser in der geschundenen Existenz das wiedererkennen, was ihm eigentlich denkbar nahe verwandt ist, einen Menschen eben. Aus diesem Erkennen folgt wie von selbst die anschließende Geste der Zuwendung, der Transport in ein Gasthaus und die Bezahlung der Kosten. Was also leistet das Gleichnis? Den Leserinnen wird ein Wahrnehmungsschleier weggezogen, damit man im Anderen den — so wird er ironisch zu Beginn der Geschichte genannt — Menschen wiedererkennt. Dass auch heutige Leserinnen gemeint sind, lässt sich sehr leicht anhand der Rahmenhandlung des Textes demonstrieren. Das Gleichnis beginnt so: 25Und siehe ein Gesetzeskundiger stand auf, um ihn %u versuchen, und sagte: Lehrer, was soll ich tun, um ewiges heben %u erwerben? 26Er aber sprach ψ ihm: Was steht im Geset^ geschrieben? Wie äesest du? 27Er aber antwortete und sprach: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, Heben aus deinem ganzen Herten und deiner ganzen Seele und mit däner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken, und dánen Nächsten wie dich seihst. " 28Er sprach aber %u ihm: Du hast recht geantwortet, tue das, und du wirst leben. 29Er aber wollte sich rechtfertigen und sprach %u Jesus: Und wer ist man Nächster? Das Gleichnis endet so: 1 6 Wer von diesen dreien, scheint dir, ist dem, der unter die Räubergefallen ist, %um Nächsten geworden? 37Er aber sprach: Der ihm die Barmherzigkeit erwiesen hat. Jesus aber sprach %u ihm: Gehe auch du hin und tue gleichermaßen. Im griechischen Text verbirgt sich die alles entscheidende sprachspielerische Volte. Auf die Frage eines SchriftgcXchrXen folgt die höchst ironische Gegenfrage, die mit der Doppelbedeutung eines Verbes spielt: πώς α ν α γ ι ν ώ σ κ ε ι ς - Wie liest du? = Wie erkennst du wieder? Weil der Schriftkundige offensichtlich nicht wiedererkennen kann und sich rechtfertigen zu müssen meint — rechtfertigen muss sich doch nur derjenige, der sich missverstanden fühlt —, folgt die Bitte um eine Konkretisierung des Liebesgebots. Die folgende Beispielgeschichte gibt einen Crashkurs in hermeneuticis.

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Priester und Levit befanden sich durchaus in einem Zwiespalt. Als hohe Vertreter der Kultklasse, wahrscheinlich auf dem Weg, um Kultgeschäften nachzugehen, hätten sie sich nach der Verunreinigung mit dem Blut des Verletzten einer sehr aufwendigen Reinigungsprozedur unterziehen müssen, die einem beruflichen Zwangsurlaub gleichkäme. Wohl deshalb sind sie vorbeigegangen. Jeder Mensch nimmt Situationen wahr durch die Brille von sprachlichen (vielleicht sogar auch kultischen) Konventionen. Und diese Sprache(n) verstell(t)en häufig die situationsangemessene Wahrnehmung. Es ist also im vorliegenden Fall die Kultsprache, die ein Wiedererkennen unmöglich macht, deshalb muss von außen ein Fremder in diese Regelwelt einbrechen, ein Fremder, der vom Sprachschleier unbelastet im am Boden Liegenden den Menschen wiedererkennt. Um den Wahrnehmungsschleier, den die kultische Bilderwelt, die die Wahrnehmung reguliert, vor die Augen schiebt, zu lüften, investiert Lukas ein sinnlich kaum noch zu überbietendes Szenario: nackt, halbtot, im Staub liegend, kriechend. Leser und Hörer werden in der folgenden Geste der Aufrichtung dabei an die Geschichte von Adam=Mensch, der aus dem Staub geschaffen beseelend aufgerichtet wird, erinnert. Die Wiedererkenntniss^enerie stiftet also âne poetische Neuschöpfung der alten Paradiesgeschichte?1 Aber auch der Schriftgelehrte wird zu einer solchen Neuschöpfung eingeladen, denn auch er muss sich durch den Gleichniserzähler genötigt in den Staub bei Jericho knien, muss er sich doch mit dem Überfallenen identifizieren: „Wer von diesen dreien, scheint dir, ist dem, der unter die Räuber gefallen ist, zum Nächsten geworden?" (Lk 10,36) Fassen wir zusammen: 1. Jesus ist eine faszinierende Erscheinung, weil er — und das ist der eigentliche springende Punkt — eine unverstellte Empfindsamkeit und damit Verbundenheit mit allen Menschen zur Darstellung bringt. Er ist die personale Inkarnation der Liebesatmosphäre oder Güte. (Stichwort: Atmosphäre, Emotionalität.) 2. Eine faszinierende Erscheinung ist Jesus gerade deshalb, weil er Kreaturgefühle am Niederen, Verletzlichen inszeniert. Das beim Samariter/Leserin aufgerufene Kreaturgefühl ist - anders als Rudolf Otto will - nicht eine Gabe des Ubermächtigen, sondern eine Gabe des Niedrigen, des Kenotischen, des Inkarnierten. Die Autorität des aufgerufenen Gefühls zeigt sich in der Wirksamkeit der dann investierten Geste der Solidarität. Das Gleichnis ermöglicht im imaginativen Mitvollzug eine rituallogische Einübung in diese Geste der Solidarität, eine Übertragung oder Nachbildung. (Stichwort: Ritualität.) 23 Das Gleichnis verbleibt damit in einem Deutungsspiel theologischer Wahrnehmungsmuster, genauer: reaktiviert oder covert eine Deutung. Zwar spricht der Text pointiert immer vom Menschen, aber damit ist nicht eine quasi-natürliche Deutung des Menschen angesprochen, sondern der Mensch wird in der theologischen Deutung seiner Geschöpflichkeit neu lesbar.

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3. Die Leserin ,lernt' die ästhetischen Strategien dieser Szene zu „durchschauen". (Kognitive Prozesse haben natürlich weiterhin im Gesamtgeschehen ihren angemessenen Ort.) Vorgeführt wird, dass religiöse Symbolisierungen, sprich: religiöse Weltbilder durch das In-Szene-setzen - oder erneute InSzene-setzen — hinterfragt werden müssen. Durch die mehrfache (spielerische) Enttäuschung der Verhaltensmuster kommt es zu einer entscheidenden Travestie von Samariter (Outcast) und Priester/Levit (Kultklasse). Die Leserin lernt damit auch die Automatisierung von religiös bedingten Wahrnehmungsmustern — also die ganz kontingent mitgebrachten religiösen Sichtweisen - zu hinterfragen. (Stichwort: Biographische Kontingenz.) 4. Die .moralische' Geste der Solidarität verdankt sich dem ästhetischrituallogischen Mit-Spiel der Leserin. Der eigentliche metaphorische Prozess besteht in der somatischen (!) Interaktion zwischen Text und Leserin. (Stichwort: Ästhetik.) Soweit die vorgeschlagene ästhetische Umwidmung der Metaphern-Debatte im innertheologischen Sprachspiel. Abgeschattet blieb dabei die Frage, inwiefern die angesprochenen Verwandlungsprozesse von den Medien der Darstellung abhängig sind. Die Frage musste auch nicht diskutiert werden, so lange das Buch als Leitmedium unhinterfragt in Geltung stand. Nicht zufällig haben leitmediale Umbrüche diese Frage auf die Tagesordnung gesetzt und vielleicht auch nicht ganz zufällig hat die neu institutionalisierte Medientheorie sich dieser Frage angenommen und die Metaphern-Debatte als Mediendebatte inszeniert. Im zweiten Teil meines Essays möchte ich diesen außertheologischen Metapherndiskurs skizzieren.

3. Der medientheoretische Tanz um die Metapher Der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch hat eine enorm leistungsfähige Erzähl-Trilogie über die Leitmedien der abendländischen Kultur vorgelegt24. In seinem letzten Band macht Hörisch die audiovisuellen Medien als, wie er es nennt: .ontosemiologische Leitmedien' unserer Informationsgesellschaft aus, die nichts weniger leisten sollen als Sein und Sinn aufeinander zu beziehen und die soziale Synthesis herzustellen (15, 217, passim). Diente das christliche Abendmahl über Jahrhunderte als Modell eines Sinnversprechens, das sich in der 24 Jochen Hörisch: Brot und Wein - Die Poesie des Abendmahls (1992); Kopf oder Zahl Die Poesie des Geldes (1996); Ende der Vorstellung - Die Poesie der Medien (1999).

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Scheibe der Oblate verdichtete, trat ab dem 16. Jahrhundert die runde Geldmünze die Erbschaft eines universalen Sinnversprechens an („Geld regiert die Welt") und wurde zum „god term" (17), so markiert die dritte Scheibe der CDROM den bisher letzten Leitmediensprung: Blut- und Geldströme werden von den Medienströmen des World-Wide-Web auf die Plätze verwiesen. „Wenn Geldströme Blutströme abgelöst haben, so lösen heute Informations- und Elektrizitätsströme die Geldströme zwar nicht ab - aber sie geben ihnen eine neue (Ver)-Fassung." (25) Diese Geschichte der Leitmedien bekommt ihren eigentlichen Drive durch die suggestive medientheologische Lesart. Hörisch bedenkt die neuen Medien mit nahezu soteriologischem Gestus. Unzweideutig bekennt er: „Medientheorie ist nur als Revenant der Theologie möglich." (189) Pate dieser Auffassung ist Siegfried Krakauers Buch Theorie des Films mit dem markanten Untertitel: Die jErrettung der äußeren Wirklichkeit, eine These, die im Zuge einer freundlichen Übernahme eingemeindet wird. Der Mittelteil von Hörischs Buch heißt deshalb auch: Vom Sinn den Sinnen — Die Erlösung der Physis. Was er der Literatur vorrechnet, ist ihre heimliche Gnosisanfälligkeit. „Um es auf eine Formel zu bringen: Je buch- und schrifthöriger ein Geist ist, desto Gnosis-anfálliger ist er. Und Gnosis-anfallig-sein heißt: im Namen des reinen Geistes Materie tilgen wollen, zum Verschwinden-bringen-Wollen, was sich anschauen und betasten läßt, für Sinn jeden, aber auch jeden Preis zu zahlen bereit sein." (86) Die audiovisuellen Medien (analoge wie digitale) affizieren dagegen die Sinne der Zuschauer, bevor die Frage nach dem Sinn aufkommt. „Alles ist so, wie es ist. Die AV-Medien sind in diesem Sinne antimetaphysische, neobuddhistische Maschinen." (87) In einer Hinsicht geht Hörisch über Krakauer hinaus: Die analogen audiovisuellen Medien retten das Reale, das durch das Buch-Medium zugunsten des Sinns geopfert wurde, sind media salutis im neuen Sinne, die digitalen audiovisuellen Medien dagegen-erretten nicht die Wirklichkeit, sondern machen oder erzeugen sie: „Siehe, sie machen alles neu." (213) Es lohnt sich, Hörisch über die Schulter zu schauen, wenn er präzise die Differenz zwischen dem alten Leitmedium Buch und den neuen Medien vermisst: „Erstens: Bücher räsonieren, neue Medien resonieren." (117) Die These resümiert das Verhältnis von Medien und wirklicher Welt. Während das Buchmedium der wirklichen Welt gegenüber immer distanziert und abstrakt, also räsonierend verfahrt (Buchstaben stehen eben in keiner mimetischen Beziehung zur wirklichen Welt), „registrieren und archivieren (die neuen Medien, K.H.) dagegen reale Licht- und Tonschwingungen." (117) ,Das Ende der Vorstellung' - so der Titel des Buches — beschreibt sehr konzise die Differenz zwischen den Medien: Leser müssen imaginativ übersetzen, AV- Nutzer dürfen die Vorstellungskraft zurück fahren, weil die Welt direkt vor Augen liegt.

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„Zweitens: Neue Medien sind, anders als Bücher, im buchstäblichen Sinne obszön bzw. ob-scen: Sie zeigen geradezu systematisch, was nicht auf die Bühne, was nicht auf die Szene, was einst nicht in die Öffentlichkeit gehörte." (118) Die Massenmedien verschieben damit die bisher gültigen Koordinaten von öffentlich' und,privat'. Drittens entstammt die neue Medientechnik seit ihren Anfängen dem militärischen Komplex. Derselbe Ingenieur, der den Transportmechanismus für den Revolver erfand, transformierte anschließend seine Erfindung zugunsten des Transportmechanismus in der Filmkamera. Auch noch das Internet ist ein Abfallprodukt eines Networks im US-Verteidigungsministerium (vgl. 120). Allerdings sei, so Hörisch, die Gutenberg-Galaxis nun umgekehrt nicht „als a priori humanistisch und antimilitärisch zu charakterisieren, (...) einfach deshalb, weil die Literalisierung und Alphabetisierung an der allgemeinen Mobilmachung der europäischen Neuzeit initialen Anteil hatte." (120) „Viertens: Poetische Fiktionen kann man nicht verneinen. Sätze wie .Faust hat keinen Pakt mit Mephisto geschlossen' oder ,Anna Karenina verübte nicht Selbstmord' sind nicht sehr sinnvoll. Denn Fiktionen sind negationsimmun. (...) Simulationen sind hingegen Effekte eines Maximums an datenverarbeitender Manipulation." (121 f.) Simulationen und Fiktionen sind also voneinander abzugrenzen. „Fünftens: Bücher sind, rein technologisch gesehen, fast so antiquiert wie Tontafeln — und so verläßlich wie viele ausgereifte Techniken." (123) J e moderner die Informationsträger sind, desto geringer ist ihre Haltbarkeit. Im Verhältnis zur Schnelligkeit der modernen Medien ist das alte Buch im Wortsinne ,nachtragend'. Kurzum: Die AV-Medien sind nach Hörisch ideen-, geist- und transzendenzlos. Die AV-Medien „schalten von Transzendenz auf Transparenz um. Nicht himmlische, sondern einfach nur ferne Bereiche werden durch sie kontaktierbar. Nicht das Visionäre, sondern das Tele-Visionäre ist ihre Region. AVMedien bewirken Körper- bzw. Sinnes- und nicht länger Geist- und SinnExtensionen." (239) Buchenswert auch, wie Hörisch diesen Mediensprung ironisch bewertet: Der Verzicht auf alleinseligmachende und in Büchern transportierte Heilsversprechen fuhrt zu einer Guildo-Horn-Spaßkultur, der alles gleichgültig ist: „Kultischen Nonsens billigend in Kauf zu nehmen - das ist der coole Preis, den die späte Moderne für ihre alberne Friedfertigkeit von uns verlangt." (221) Wirft man einen Blick zurück auf die Trilogie und zieht zusätzlich seine jüngst erschienende Mediengeschichte25 hinzu, dann gibt sich die Theorie der 25 Jochen Hörisch, Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Frankfort a. M. 2001.

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sich ablösenden Leitmedien als eine Theorie der Konversion später Ordnung zu erkennen. Konversionen erster Ordnung vollziehen sich jeweils systemimmanent: Friedrich Schlegel konvertierte zum Katholizismus, der Dollar lässt sich in Euro konvertieren, ein Apple-User konvertiert(e) zum WindowsBetriebssystem, .Reibungsprobleme' und Transaktionskosten in Kauf nehmend. Aber: „Man konvertiert (...), um nicht wirklich zu konvertieren, also das System Religion, Wirtschaft, Datenverarbeitung verlassen zu müssen. Konvertiten sind die eigentlichen Anhänger der Systeme, die sie durch ihre Konversion stärken wollen. Konvertiten sind die prototypischen Verräter aus überwältigender Treue." (393) Heute ist up to date, wer Konversionsprozesse souverän beherrscht. „Konversionen zweiter Ordnung aber sind solche, in denen die ausschlaggebenden Rahmenordnungen selber konvertieren und anders werden. Dann findet so etwas wie eine leitmediale translatif) imperii statt. An die Stelle religiöser Umorientierungen treten dann monetäre Orientierungen, und monetäre Orientierungen werden späterhin in informationstechnologische umformatiert. Das System Religion konvertiert und wird ökonomisch, die Ökonomie konvertiert und wird Informationstechnologie. Das eigentlich Denk-Würdige (oder je nach intellektuellem Temperament: Empörende, Erschütternde, Faszinierende) ist dann, wie elegant sich religiöse Begriffe in ökonomische konvertieren lassen. Aus Konversionsproblemen werden Konvertibilitätsprobleme, wenn aus dem Credo der Kredit, aus einem Gläubigen der Gläubiger, aus einem Schuldigen der Schuldner, aus der Offenbarung ein Offenbarungseid, aus einem Lobpreis der Preis einer Ware, aus einer Hochamts-Messe die Industrie-Messe, aus der Hoffnung auf Erlösung die auf einen guten Erlös und aus dem Projekt der Mission das der Emission von Geld wird." (399f.) Hörisch konvertiert prompt den Prolog des Johannesevangeliums: „Am Anfang war das Wort" zu: „Am Anfang war die Konversion". Man kann sich dem eleganten und smarten Duktus dieser Medientheorie kaum entziehen — und trotzdem neige ich nur begrenzt zur Konversion.26 „Theologen wie Ökonomen reagieren irritiert bis gereizt, wenn man sie als Virtuosen zauberhafter und doch profaner Konvertierungsprozesse beschreibt." (402) Nett gesagt. Die neueste Verwindung der Metaphysik, jetzt in die Metaphorik der Konvertierung gekleidet, macht sich klammheimlich lustig über einen kindlichen Glauben, der steif und fest behauptet, dass sich Überzeugungen auf etwas beziehen, das die profanen Konvertierungsprozesse transzendiert. Über seine historistisch und nominalistisch geschulte Überzeugung lässt Hörisch nicht 26 In der Auseinandersetzung mit Jochen Hörisch wird eine Diskussion mit soziologischen Konversionstheorien zu fuhren sein. Vgl. Hubert Knoblauch/Volkhard Krech/Monika Wohlrab-Sahr (Hgg.): Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, Konstanz 1998.

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mit sich reden. Obwohl sich der ewige Konvertit Hörisch nie so recht ernst nimmt und nehmen darf, bleibt der Gestus indifferent. Dieser seltsame Metaphernrealismus kommt ohne Agenten aus. Uber existentielle und damit inhaltliche Prozesse im Konversionsgeschehen liest man nichts. Zwar ist es durchaus angenehm, wenn man nicht über Wahrheiten quengeln muss, aber letztlich surft dieser Ansatz auf einer Oberflächentiefe und lässt den Leser unbetroffen. Der Preis, der gezahlt werden muss, um vom Sinn zu den Sinnen zu konvertieren, ist eine existentielle Indifferenz. Es ist post-nietzeanischer Heroismus, sich souverän in differenten leitmedialen Paradigmen bewegen zu können und immer eingedenk zu sein, dass nichts unbedingt angeht. Ich werde deshalb dafür werben, die Konversion an einen emphatischen Sinnbegriff zurück zu binden ohne sich der Gnosis gegenüber schuldig zu machen. Von Konversion in einem starken Sinne zu reden macht nur Sinn, wenn Heiliges im Spiel ist. Vielleicht sollte man unterscheiden zwischen Theorien (und Konversionen), die existentiell schmerzen und solchen, die schmerzfrei zu haben sind. Theologie gehört bis auf weiteres zu den schmerzenden Theorien. Vielleicht ist, wie Hörisch will, die Medientheorie die Theologe maudite (1999, 190), aber sie ist deshalb verwünscht, weil ihr über die Vermittlungen der Mittler abhanden gekommen ist und das überrascht umso mehr, weil Hörisch zunächst die metaphorologisch-mediale Grundstruktur religiöser Prozesse benennt: Religion überhaupt ist, so Hörisch, „per definitionem auf Kommunikations- und Medienprobleme der anspruchsvollsten Art spezialisiert: Wie kann — je nach dem Design der Religion — sich ein transzendenter Gott (...) den sterblichen und kontingenten Menschen verständlich machen? (...) Religion (...) ist eines gewiß nicht: das Andere der Medien. Und das schon deshalb nicht, weil sich Medientechnik und Theologie demselben Kerngeschäft verschrieben haben: das Ferne und noch das Fernste nahezubringen" (2001, 312f.) Jochen Hörisch pointiert deshalb: „Christologie ist ab ovo Mediologie." (53) In medialen Urzeiten forderte bei Ferngesprächen die Stimme der Vermittlung gelegentlich den Benutzer auf, einen Betrag nachzuzahlen. Hier ist noch eine Rechnung offen.

4. Die febrile Geistesgegenwart von Legenden Selbst wenn man Hörisch vorhält, er unterbiete die existentielle Dimension metaphorisch-medialer Prozesse, bleibt der Vorwurf in Kraft, die (christliche) Religion orientiere sich an einem veralteten Medium und sei gnosis-anfällig.

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Dem fröhlich desertierten Germanisten Hörisch ist zuzustimmen, dass die Literatur im Streit mit den audiovisuellen Medien verliert, wenn es zunächst um die sinnlichen Affektionen geht. Allerdings unterschätzt er die körperbezogenen Schematiken von biblischer Literatur, verbindet, anders gesagt, mit dem theologischen Medium .Schrift' eine alte Wort-Gottes-Theologie. (Das ist rezeptionsgenetisch durchaus nachvollziehbar, an den Phänomenen aber nicht zu verifizieren.) Die von mir beschriebene Leibschematik biblischer Texte versucht im Medium des Textes Bewegungssuggestionen zu entziffern, die körperlich ansprechen. Nicht jede Literatur ist Gnosis-anfállig. Die inkarnationslogischen Texte des Neuen Testaments sind es — beileibe — nicht. Medientheoretisch geschärft lässt sich über die metaphorologische Valenz der Medien im theologischen Diskurs folgendes feststellen: 1. Das Schriftmedium dient im Verhältnis zur lebenden Jesus-Figur — zumindest — und ich nehme jetzt noch einmal die Intuition von Eichholz auf, — in den Gleichnis-Porträts als Eindrucksverstärker. Rituallogische Prozesse lassen sich dort festmachen. 2. Der Eindruck, den diese schriftlich porträtierte Gestalt macht, der Pool der zentralen Gesten, lässt sich durchaus auch in andere Medien übersetzen. Vielleicht gelingt das einigen Filmemachern, diesen spätmodernen religiösen Virtuosen, noch besser als den Evangelisten, weil das Medium des Films ein extrem sinnliches Medium ist, entschieden — daran ist nicht zu zweifeln — weniger leibfeindlich und gnosisanfällig als das Schriftmedium. Hier lässt sich der Eindruck und die zentrale Gestik hautnah verbildlichen. Wie auch für die Lesekultur, so gilt auch für die Filmkultur: Virtuosen schöpfen neue Verdichtungsleistungen. Es gibt eine vitale ästhetisch inszenierte Religion in den Massenmedien als Ausdruck privater — also von kirchlichen Institutionen und dogmatischen Richtigkeiten entlasteter - Religion. So gedeutet die-

nen die audiovisuellen Medien als ausgezeichnete Eindrucksverstärker. Mein Vorschlag scheint eine entgegengesetzte Gefahr herauf zu beschwören: Schrumpft damit nicht die neue Heimat der Religion im Film auf den (zumeist müden) Jesusfilm zusammen? Kann, muss aber nicht sein. Eine religiöse Kommunikation liegt auch dann vor, wenn, allgemeiner gesagt, eindruckerweckende Legenden 27 erzählt werden, Legenden, die zunächst unser Alltagsverständnis verstören und doch Angebote für eine Neujustierung der eigenen Lebensführung bieten. Auffallend viele Filme bearbeiten Stoffe oder Formen der religiösen Legendenbildung oder stiften neue Legenden. Im Pantheon der modernen Film- und Clipkultur sind zentrale Figuren (Forrest 27 Dazu das Standardwerk von Hans-Peter Ecker, Die Legende: kulturanthropologische Annäherung an eine literarische Gattung, Stuttgart, Weimar 1993. Protestantische Anknüpfungspunkte fur eine zentrale Positionierung des Legendenbegriffs bietet Wackenroder in

seinen Heragnsergeßmgen ânes kunstliebenden Klosterbruders.

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Gump, Truman) nach diesem Modell entworfen worden. Diese Helden sind oft (sozial) stigmatisierte Helden (Lipp), sind Narren, genauer: heilige Narren des Alltags. 3. Weil der Legendenbegriff vielfaltige Eindrucksgestalten zulässt, weil, anders als Walter Benjamin hoffte, vor allem der Film eine Auratisierung der Filmhelden produzieren kann, bedarf es eines kritischen Instrumentariums, um zwischen legendarischen Angeboten zu unterscheiden. Eine ästhetische Theologie ist also eine kritische Eindruckswissenschaft. Als Imperativ empfehle ich: An den Gesten sollst du sie erkennen. (Schwach) Christlich religiös sind diese Legenden, sofern sie zentrale Gesten der christlichen Lebensdeutung einspielen oder covern. Anders gewendet: Inszenieren diese Figuren den Deutungsspielraum einer warmen Nahgesellschaft oder einer kalten Distanzgesellschaft? Ich schlage folgenden medien-ästhetischen Religionsbegriff vor: Christliche Religion speist sich aus dem Eindruck, den die urbildliche Legende durch den Einsatz eines Ensembles von Güte-Gesten gemacht hat (1), der auch heute noch religiöse Virtuosen zu medialen Cover-Versionen inspiriert (2) und Alltagsrezipientinnen motiviert, sich spielerisch mit dieser (Medien)Legende zu identifizieren (3), um einen hermeneutischen Prozess des Wiedererkennens und damit ein Reflexivwerden der Biographie auszulösen, das im Idealfall eine Konversion evoziert (4) und auf lebensweltliche Darstellung (5) drängt.

5. Schluss Soweit der Versuch, den historischen Edelrost biblischer Geschichten abzutragen, um eine febrile Geistesgegenwart wahrnehmbar zu machen. Wenn denn Hörisch Recht hat und das Geschäft der Religion im me£alen=metaphorischen Nahebringen besteht, dann ist die Theologie gut beraten, die medientheoretischen Debatten vor dem Hintergrund der eigenen Beiträge zum Medium der Schrift zu begleiten. Und gegen eine bloß funktionale und inhaltsleere KonversionsKonvertibiltätstheorie darf die Theologie auf die Grundfigur der Legende als Motor der Konversionsprozesse verweisen. „Vor acht Tagen war (Hans Castorp, K.H.) am Schalter in sehr nahe Berührung mit Madame Chauchatt gekommen, so dass sie ihn sogar gestoßen und mit flüchtiger Kopf bewegung ,Pardon ' ihm gesagt hatte, — worauf er kraft einer febrilen Geistesgegenwart, die er segnete, φ antworten vermocht hatte: ,Pas de quoi, Madame. "as 28 Thomas Mann, Der Zauberberg, Roman (1924), Frankfurt a. M. 1997, 332.

Gerhard Büttner ,Halb Mensch, halb nicht, das weiß man nicht so sehr, denn Jesus ist ja eigentlich Gottes Sohn!" Kindliche Versuche, die Paradoxien der Christologie bildhaft auszudrücken.

1. Der Kontext der Untersuchung Dass Jesus sich Kindern in besonderer Weise zugewandt hat, ist eine der gut bezeugten Aussagen der synoptischen Evangelien.1 Der Frage, wie heutige Kinder Jesus sehen, hat man sich erst in jüngster Zeit wirklich gestellt.2 Bei den empirischen Studien zum Gleichnis3- bzw. Wunderverständnis4 der Kinder wurde dabei bewusst Anschluss gesucht an die rezeptionsästhetische Diskussion. Von der Fragestellung her bot sich eine Koppelung von Rezeptionstheorie und entwicklungspsychologischen Einsichten an. Die kognitivistische Psychologie in der Tradition Jean Piagets beschreibt bestimmte Denkschemata, in die die wahrgenommenen Gegenstände assimiliert werden. Diese Schemata verändern sich zwar auch unter dem Einfluss neuer Erfahrungen, zeigen jedoch eine gewisse zeidiche Stabilität. Von daher ist es möglich, bestimmte Erkenntnismodi altersspezifisch zu erwarten. Markant ist vor allem die Unterscheidung zwischen einer Phase konkreter Operation von einer solchen formalen Denkens. Verkürzt ge-

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Vgl. Peter Müller, In der Mitte der Gemeinde. Kinder im Neuen Testament, NeukirchenVluyn 1992. In umfassenderen Untersuchungen zu religiösen Vorstellungen z.B. Ronald Goldman, Religious Thinking from Childhood to Adolescence, London 4. Aufl. 1968, 156ff.; Ursula Arnold u.a., Was Kinder glauben. 24 Gespräche über Gott und die Welt. Stuttgart 1997; spezifisch auf Jesus Christus: Gerhard Büttner/Jöig Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen? Kinder und Jugendliche sehen Jesus Christus, Göttingen 2001; Gerhard Büttner, Jesus hilftl Untersuchungen zur Christologie von Schülerinnen und Schülern, Stuttgart 2002. Anton A. Bucher, Gleichnisse verstehen lernen. Strukturgenetische Untersuchungen zur Rezeption synoptischer Parabeln, PTD 5, Freiburg/CH 1990. Heike Bee-Schroedter, Neutestamentliche Wundergeschichten im Spiegel veigangener und gegenwärtiger Rezeption, SBS 38, Stuttgart 1998.

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sagt, ist erstere typisch vor allem für das Kind der Grundschulzeit. Die Fähigkeit zur formalen Operation entspricht in etwa dem, was man landläufig mit abstraktem Denken meint. Sie tritt im Allgemeinen erst mit der Pubertät auf und ist auch hier abhängig von Intelligenz und Bildungsgrad. Mit dieser Unterscheidung lässt sich auch bestimmen, in welcher Weise hier von Kindern und deren Christologie die Rede sein wird. Reto Luzius Fetz unterscheidet zwischen der Fähigkeit zur „Objektreflexion" bei Kindern und zur „Mittelreflexion" der Adoleszenten und schließlich der Erwachsenen.5 Dabei wird davon ausgegangen, dass den entsprechenden Reflexionsniveaus jeweils auch spezifische „Ontotogien" verbunden sind. „Dieses Instrumentarium spricht dem Kind und dem Jugendlichen genuin philosophische Erkenntnisleistungen zu, wenn auch nicht in ausgearbeiteter Form."6 Wenn ich in diesem Beitrag die Christologie der Kinder ins Auge fasse, dann heißt das, dass mich die theologischen Reflexions- und Konstruktionsleistungen interessieren, wie sie auf der Basis der konkreten Operation bzw. der Objektreflexion möglich sind. Hier treffe ich mich mit den Überlegungen, die im Zusammenhang der Möglichkeit einer „Kinderphilosophie" entwickelt wurden.7 Auf dieser Spur verfolge ich deshalb auch in erster Linie die kognitiv-logischen Hervorbringungen der Kinder im Sinne einer Kindertheologie* In der religionspädagogischen Diskussion bedeutet diese Zuordnung in der Tradition Piagets die Eigenart von Kindern anzuerkennen und positiv zu würdigen. Die spezifische Differenz kindlichen Denkens und Glaubens gegenüber Erwachsenen wird demnach nicht als Defizit interpretiert, sondern als Chance gewürdigt. Diese Vorentscheidung hat dann auch Konsequenzen im Hinblick auf das Metaphern- und Bildverstehen der Kinder. So hatte besonders Hubertus Halbfas auf der Basis der metaphernorientierten Gleichnistheorie für einen Einsatz von Gleichnissen in der Grundschule plädiert.9 Dagegen konstatierten die empirischen Studien von Bucher und Hermans deutliche Verständnisschwierigkeiten bei Grundschulkindern im Hinblick auf Gleichnisse und Metaphern.10 In

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Reto Luzius Fetz, Der Kindelglaube. Seine Eigenart und seine Bedeutung für die spätere Entwicklung, in: Engelbert Groß (Hg.), Der Kinderglaube. Perspektiven aus der Forschung für die Praxis, Donauwörth 1995,22. 6 Reto Luzius Fetz, Kail Helmut Reich/Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart u.a. 2001,140. 7 Zum Uberblick Stephan Engjhart, Modelle und Perspektiven der Kinderphilosophie, Heinsbelg 1997 und Ekkehart Martens, Philosophieren mit Kindern. Eine Einführung in die Philosophie, Redam UB 9778, Stuttgart 1999. 8 Gerhard Büttner/Hartmut Rupp (Hg.), Theologisieren mit Kindern, Stuttgart u.a. 2002. 9 Hubertus Halbfes, Religionsunterricht in der Grundschule. Lehrerhandbuch 3, Düsseldorf— Zürich 1985,542 ff. 10 Anton A. Bucher, Gleichnisse verstehen lernen und Chris Hermans, Wie werdet ihr die Gleichnisse verstehen? Empirisch-theologische Forschung zur Gleichnisdidaktik, Theologie

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dieser Tradition hat Christina Kailoch11 auf der Basis der Piaget'schen Stufenunterscheidungen eine kritische Anfrage an das Bildprogramm vieler Grundschulbücher vorgelegt, wobei sie die Tendenzen zur Nichtgegenständlichkeit und Symbolik beim Bildprogramm als altersunangemessen deutet.12 Mein eigenes Vorgehen knüpft an die skizzierten Erkenntnisvoraussetzungen im Sinne Piagets an. Allerdings geht es mir darum, die Leistungsfähigkeit des kindlichen Denkens auf der Ebene der Objektreflexion voll auszuloten. In Bezug auf das Gleichnisverstehen heißt das z.B., es muss darüber nachgedacht werden, bei welchen Gleichnissen die Konstruktionsprinzipien und der angesprochene Inhalt einen kindlichen Zugang erleichtern, bei welchem erschweren dürften. So ist der erzählerische Ablauf im „Gleichnis vom verlorenen S c h a f Kindern unmittelbar einleuchtend. Viele Kinder kennen die Situation, einmal, z.B. beim Einkaufen, ihren Eltern „verloren gegangen" zu sein. Von daher ist es sinnvoll und möglich, dann auch andere biblische Geschichten von „verlorenen" Personen ins Spiel zu bringen, etwa Bartimäus oder Zachäus. Wenn die Kinder die beiden Geschichten nebeneinander stellen, dann fallen ihnen Gemeinsamkeiten auf. Auf diese Art und Weise können dann auch Grundschulkinder etwas von der „gleichnishaften" Natur dieser Jesuserzählung nachvollziehen.13 Beim konkreten Procedere werden sich dabei sehr unterschiedliche, in der Regel aber interessante Interpretationen ergeben. Diese gehen allerdings häufig über die - von Piaget her zu erwartende - bloße Reproduktion der Geschichte als Geschichte hinaus.14 Unsere empirischen Befunde zum Gleichnisverstehen der Kinder lassen sich gut erklären im Zusammenhang der jüngeren Theorieentwicklung in Absetzung und Weiterfuhrung im Hinblick auf Piaget. Die oben auch von mir eingeführten Vorstellungen von bestimmten Denkniveaus gehen letztlich davon aus, dass sich dieses Vermögen über alle Wissensbereiche hin erstreckt. Neuere Untersuchungen stützen nun allerdings eine Dif-

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& Empirie 12, Kampen/NL - Weinheim 1990. Hermans referiert die Literatur zur Entwicklung des Metaphemverstehens. Christina Kalloch, Bilddidaktische Perspektiven für den Religionsunterricht in der Grundschule, Hildesheimer Beitr. zu den Erziehungs- und Sozialwissenschaften 37, Hildesheim 1997. Sie bezieht sich theoretisch v. a. auf Michael J. Parsons, How we understand art. A cognitive developmental account of aesthetic experience. Cambridge/UK u.a. 1987. Anton A. Bucher, „Das Bild gefällt mir Da ist ein Hund drauf' Die Entwicklung und Veränderung von Bildwahrnehmung und Bildpräferenz in Kindheit und Jugend, in: Diellind Fischer/Albrecht Schöll (Hg.), Religiöse Vorstellungen bilden, Münster 2000, 207-231 konnte zumindest eine deutliche Präferenz der Kinder in dieser Richtung ausmachen. Ich will damit betonen, was auch in der Piaget-Kritik herausgearbeitet wurde, dass die Fragestellung, bzw. die Präsentation eines Problems nicht unwesentlich ist fur das erhaltene Ergebnis. Peter Müller/Gerhard Büttner/Roman Heiligenthal/Jörg Thierfelder, Die Gleichnisse Jesu, Stuttgart 2002,104ff.; bereits früher Marie-Rose Debot-Sevrin, An Attempt in Experimental Teaching. The Assimilation of a Parable by Normal and Maladjusted Children in the 6-8 Age Group, in: André Godin (Hg.), From Cry to Word. Brüssel 1968,135-158.

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ferenzierung im Sinne einer Bereichsspezifität.15 Konkret bedeutet dies, dass es für das jeweilige Denkniveau nicht unwichtig ist, wie viel materielle Kenntnis von diesem Gegenstandsbereich vorhanden ist. So konnte etwa Judith Brunner zeigen, dass Vorschulkinder, die die Jesusfigur zunächst in ihrem Kontext bildlich darstellen (mit Blume oder Skateboard), mit zunehmender Kenntnis entsprechender biblischer Geschichten dann auch reichhaltigere und differenziertere Bilder malen konnten.16 Dies fuhrt im weiteren Verlauf dann auch zu dem Vermögen, durch intertextuelle Verknüpfungen verschiedener Perikopen eigenständige theologische Überlegungen zu formulieren.17 Das bedeutet, dass die Fähigkeit zu komplexeren Verständnisformen offensichtlich nicht nur vom Entwicklungsniveau abhängt, sondern auch vom Kenntnisstand in dem entsprechenden Bereich, sei es die agrarische Welt Palästinas zur Zeit Jesu in Bezug auf die Gleichnisse oder verschiedenen Auftretensweisen Jesu im Hinblick auf die Christologie. Soweit es uns gelingt, an dieser Stelle die Genese theologischer Vorstellungen gleichsam im „status nascendi" zu verfolgen, eröffnet dies natürlich die Frage nach Strukturen, die einem solchen Prozess zugrunde liegen könnten. So ließen sich etwa Verknüpfungsregeln für das Verständnis der christlichen Hochfeste ausmachen. Mit deren Hilfe können dann Kinder die unterschiedlichen Informationen zu Weihnachten und Ostern, die sie aus Folklore und Werbung einerseits, der biblischen Tradition andererseits, erhalten, sinnhaft für sich verknüpfen.18 In Bezug auf ältere Kinder und Erwachsene scheint es mir sinnvoll, nach spezifischen Logiken zu suchen, die sich bei der Bewältigung bestimmter Fragestellungen bewährt haben. Hier scheint mir eine Orientierung an den Befunden 15 Zum Überblick vgl. Claudia Mähler, Naive Theorien im kindlichen Denken. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie. 31 (1999), 53-66; Kurt Reusser, Denkstrukturen und Wissenserwerb in der Ontogenese, in: Friedhart Klix/Hans Spada (Hg.), Enzyklopädie der Psychologie. Serie II: Kognition, Bd. 6: Wissen, Göttingen u.a. 1998, 115-166; Lawrence Hirschfeld/Susan A. Gelman (Hg.) (1994), Mapping the Mind. Domain Specificy in Cognition and Culture. Cambridge. Darin zur domain specificy von Religion: Pascal Boyer, Cognitive constraints on cultural representations: Natural ontologies and religious ideas, 391-411. 16 Judith Brunner, „Der Jesus kann gut mit Kindern umgehen." Christologie der Vorschulkinder, in: Gerhard Büttner/Jörg Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen? Göttingen 2001, 2771. 17 Gerhard Büttner/Oliver Reis, W e werden Kinder zu (biblischen) Theologen oder wie entsteht ein kohärentes Bibelwissen? RpB 47 (2001), 43-54. 18 In der Regel geschieht dies durch temporale Verknüpfungen nach der Art „Wenn das Christkind kommt, hat Jesus Geburtstag." Vgl. Gerhard Büttner, Das Jesuskind zwischen Christkind und Weihnachtsmann — Untersuchungen zur Genese der Weihnachtsfiguren bei Vorschulkinder, in Anton Bucher u.a. (Hg.), „Mittendrin ist Gott", Jahrbuch für Kindertheologie 1 (2001), 28-41 und Gerhard Büttner/Ina Mähringer, „Wo der Osterhase gekommen ist, ist Jesus wieder auferstanden vom Grab." Osterkonzepte von Kindeigartenkindern, in: Anton Bucher u.a. (Hg.) „Im Himmelreich ist keiner sauer", Jahrbuch für Kindertheologie 2 (2003), 89-97.

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zur Dilemma-Diskussion hilfreich. Lawrence Kohlberg und Fritz Oser hatten zur Ermittlung von Stufen des moralischen bzw. religiösen Urteils Antwortmöglichkeiten auf Dilemmasituationen gesammelt und mit deren Hilfe Argumentationsstrukturen rekonstruiert. Dabei ließ sich zeigen, dass jedes Dilemma letzdich eine begrenze Anzahl von Antwortmöglichkeiten hervorbringt.19 Überträgt man diese Einsicht, dann fuhrt sie zu der Annahme, dass auch für theologische Fragestellungen vermutlich immer nur eine begrenzte Anzahl von Lösungsmöglichkeiten existiert. Ich bin geneigt in Bezug auf diese strukturellen Grundlagen mit Oser und Gmünder ausdrücklich von „Tiefenstrukturen" zu sprechen.20 Dabei können sich diese Strukturen vermutlich in dreifacher Weise manifestieren. Hatte bereits Gerhard Sauter einen Entdeckungs- und einen Begründungszusammenhang unterschieden, 21 so spricht vieles dafür, zusätzlich einen spezifischen Re^eptions^usammenhang in Rechnung zu stellen. Letzterer manifestiert sich in den verschiedenen Deutungsversuchen etwa der Kinder, der Laien, letzdich auch der Theologen selbst. Allerdings sind diese insgesamt gesehen weniger willkürlich und beliebig, als dies manchmal auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn auch die theologischen Interpretationen der Kinder folgen, dies ist zumindest meine Annahme auf der Basis — allerdings begrenzter — empirischer Einblicke, durchaus einer nachvollziehbaren Logik.22 Interessanterweise lassen sich die meisten der so beobachteten Argumentationsmuster durchaus anschließen an solche, die im Laufe der Kirchen- besser Dogmengeschichte auch schon gebraucht worden sind. Dies gilt auch und gerade für die Formulierungen zur Christologie. Allerdings greifen diese Logiken ihrerseits zurück auf bestimmte Erfahrungszusammenhänge, z.B. für die Christologie auf den der Familie im Zusammenhang mit der Vater-Sohn-Metapher. Damit sind die dort gesetzten logischen aber auch konnotativ mitgesetzten Spielregeln zunächst einmal akzeptiert. Dies gilt umso mehr, als besonders Kinder dann diesen konkreten Erfahrungshintergrund bei ihrem theologischen Nachdenken voll ausspielen.23 Allerdings bleiben auch sie letztlich nicht an diesem Bild kleben,

19 Die man dann im Falle Kohlbergs in einem dicken Manual nachlesen kann: Anne Colby u.a., The Measurement of Moral Judgement, Bd. 2, Cambridge u.a., 1987. 20 Fritz Oser/Paul Gmünder, Der Mensch — Stufen seiner religiösen Entwicklung, Gütersloh з. Aufl. 1992,43. 21 Zur Begrifflichkeit vgl. Gerhard Sauter, Wissenschafts theoretische Kritik der Theologie, München 1973,90ff. 22 Ich habe dies versucht zu zeigen im Hinblick auf die Kontroverse um den freien bzw. unfreien Wollen. Vgl. Gerhard Büttner/Jörg Thierfelder, Mit theologischen „Klassikern" theologisieren. Ein Unterrichtsversuch zum „freien" bzw. „unfreien" Willen in einer 5. Klasse, in: Gerhard Büttner/Hartmut Rupp (Hg.), Theologisieren mit Kindern, Stuttgart и.a. 2002,35-51. 23 Gott ist dann der „Vater", der ein Stockwerk höher „im Himmel" wohnt und ganz bestimmte Erwartungen an den „Sohn" hat.

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sondern treiben es — insbesondere wenn nachgefragt wird — über sich hinaus.24 Damit nähert sich der hier beschriebene Prozess den Überlegungen von Lakoff und Johnson, die ja ihrerseits in der Tradition Chomskys quasi von Tiefenstrukturen unserer Sprachwelt ausgehen, die sich in den impliziten normativen Vorgaben der Sprachbilder ausdrücken.25 Insoweit ist dieser Ansatz der Metapherntheorie recht nahe bei den von mir entfalteten strukturalistischen Vorannahmen in Hinblick auf die Theologieproduktion (nicht nur) der Kinder.

2. Die Fragestellung In bis heute gültiger Weise haben die Konzilsväter von Chalzedon formuliert, dass Jesus Christus „zugleich wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch" sei. Und zur Erläuterung haben sie hinzugefugt, dass wir Christus bekennen „in zwei Naturen unvermischt, unverwandelt, ungetrennt [und] ungesondert". 26 Schon zur Abfassungszeit äußerten gleichwohl einzelne Bischöfe Zweifel an dieser paradoxen Formulierung, „weil einfache Gläubige an dieser Zweinaturenformel Anstoß nehmen [würden]". Deshalb sei diese neue Lehrformel auch „als Grundlage der Taufkatechese [...] ungeeignet".27 Mit diesem Rückblick ins 5. Jahrhundert möchte ich auf ein Problem der Theologie aufmerksam machen. Es gehört zu den immer wieder geforderten Leistungen systematisch-theologischen Nachdenkens, den Zeugnissen der biblischen Uberlieferung in Auseinandersetzung und Zusammenspiel mit den Fragestellungen der Zeitgenossen eine prägnante Form zu geben. Dies sollte dann, dies gilt besonders für die Bekenntnisformulierungen, Klärungen und Grenzziehungen ermöglichen. Doch ist der Preis, der für diese Konzentrations- und Abstraktionsleistung zu entrichten ist, nicht gering. Dies wird deutlich bei der Gegenüberstellung der oben genannten Formulierungen mit einer beliebigen Stelle aus den Evangelien. Zweifellos lassen sich „die zwei Naturen Jesu Christi" an vielen neutestamentlichen Stellen festmachen, allerdings selten in der Prägnanz einer dogmatischen Formulierung. Auf 24 Dies zeigen sehr schön die Gespräche in John M. Hull, Wie Kinder über Gott reden, Gütersloher TB 984, Gütersloh 1997. 25 George Lakoff/Mark Johnson, Leben in Metaphern, Heidelberg 2. Aufl. 2000. 26 Übersetzung zit. nach Adolf Martin Ritter (Hg.), Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen Bd. 1: Alte Kirche, Neukirchen-Vluyn 6. Aufl. 1994, 221. 27 Helmut Reich, Kann Denken in Komplementarität die religiöse Entwicklung im Erwachsenenalter fördern? Überlegungen am Beispiel der Lehrformel von Chalzedon und weiterer theologischer .Paradoxe', in: Michael Böhnke u.a. (Hg.), Erwachsen im Glauben. Beiträge zum Verhältnis von Entwicklungspsychologie und religiöser Erwachsenenbildung, Stuttgart u.a. 1992,127-155, hier 141.

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der anderen Seite wird es, wie bereits die zitierten Bischöfe meinten, schwierig, das Gemeinte im Glauben von Nichttheologen, Kindern zumal, wiederzufinden. Wir können davon ausgehen, dass deren Glaubensvorstellungen zwangsläufig auf eine größere Konkretheit und damit auch Bildhaftigkeit angewiesen sind. Meine Frage lautet deshalb: Wieweit ist es möglich, mit bildhaften Mitteln Paradoxien im Bereich der Christologie darzustellen? Ich skizziere dazu in einem ersten Schritt Überlegungen zum sog. komplementären Denken und versuche, die Grenzen dieses Ansatzes aufzuzeigen. Im Anschluss daran stelle ich alternative Hypothesen zu möglichen „Logiken" der Darstellung von Paradoxien vor. Danach werde ich eine Gesprächsequenz von Schüler/innen einer 2. Klasse präsentieren und versuchen, einige der dort entwickelten christologischen Deutungsmuster zu bestimmen.

2.1 Das Konzept des „komplementären Denkens" und seine Grenzen Der frühere Physiker Karl Helmut Reich vermutet, dass die gedankliche Erfassung z.B. der christologischen Paradoxien ein bestimmtes Denkvermögen erfordert. Er nennt dieses „komplementäres Denken". Ein solches wäre dazu in der Lage, solche Phänomene gedanklich zu erfassen, wie sie etwa das aus der Physik bekannte Phänomen bildet, nach dem Licht sowohl als Welle als auch als Teilchen nachgewiesen werden kann. Reich sieht in dieser besonderen Ausprägung der formalen Denkstufe im Sinne Piagets die Voraussetzung dafür, komplexe Phänomene auch in der Theologie zu begreifen. Sein besonderes Interesse gilt der doppelten Konnotierung des Weltanfangs als „Schöpfung" und „Urknall". Dazu kommt dann der Versuch, auch die christologische Paradoxie mit Hilfe des „komplementären Denkens" gedanklich fassbar zu machen. So konnte er bei einer nicht-repräsentativen Befragung von Menschen mit überdurchschnitdicher Bildung bei fast der Hälfte seiner 28 Probanden ein wirkliches Verstehen der oben zitierten Chalzedon-Formel ausmachen. So äußerte etwa die fast 18jährige Brigitte:28 Bei diesen Wörtern [den vier Adverbien unvermischt und unverwandelt, ungeteilt und ungeschieden] ist mir als erstes der Widerspruch aufgefallen. Es ist gerade gegenteilig. Aber das ist trotzdem nicht so abwegig, wenn man es in Beziehung zu Jesus Christus, Mensch und Gott bringt.

Doch die Erkenntnis, dass einige Menschen in der Lage sind, diese Paradoxien zu verstehen, führt nur bedingt weiter bei der Frage, wie diese Aussagen anderen Menschen, vor allem auch Kindern zugänglich sein könnten. Oser und 28 A.a.O., 143.

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Reich stellten sich deshalb die Frage, ob es Vorstufen dieses „komplementären Denkens" gäbe. Sie befragten Kinder und Jugendliche zu einer, nach ihrer Meinung ähnlich gelagerten, aber anschaulicheren Problematik, nämlich ob die Leistung eines qualifizierten Klavierspielers vom Talent oder von der Übung abhänge. Dabei votierten die Kinder von der einseitigen Betonung eines Merkmals bis dann zur notwendigen Verknüpfung beider.29 Ich stelle das so entworfene Entwicklungsmodell der beiden Autoren vor und versuche gleichzeitig mit darzustellen, was dies für unsere Christologiethematik bedeuten könne.30 Niveau I

A und Β werden jeweils für sich alleine betrachtet. Je nach Kenntnis und Sozialisation wird meist A oder Β gewählt, gelegentlich beide, jedoch ohne Begründung

Jesus wird entweder als „berühmter" Mensch gesehen oder als göttliches Wesen („Gottes Sohn").

Niveau II

Die Möglichkeit, dass A und Β beide Es gibt Geschichten, da ist gelten können, wird in Betracht gezo- Jesus eher Mensch und gen. solche, da ist er mehr Gott.

Niveau III

A und Β werden beide als notwendig Beide Seiten von Jesus erkannt. gehören zusammen und werden z.B. durch die Auferstehung miteinander verknüpft.

Niveau IV

A und Β werden als zusammengehö- Wie bei III wird erkannt, rig verstanden und die Beziehung dass menschliche und zwischen beiden wird geklärt. göttliche Züge bei Jesus zusammengehören. Dabei wird verstanden, dass dabei zwei an sich nicht überbrückbare Dimensionen (Mensch und Gott) notwendigerweise zusammenfallen.

Das hier skizzierte Modell sieht plausibel aus, hat aber beim Versuch der praktischen Verifizierung bislang so nicht funktioniert. Ein Unterrichtsbericht von Reich selbst lässt erkennen, dass bei der Frage nach Jesus Christus bei Jugendli29 Fritz Oser/K. Helmut Reich, Wie Kinder und Jugendliche gegensätzliche Erklärungen miteinander vereinbaren, in: Gerhard Büttner/Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Die religiöse Entwicklung des Menschen, Stuttgart 2000,216-223. 30 A.a.O., 220.

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chen die Frage nach der Relevan^ Jesu Christi bedeutender ist als die von ihm verfolgte Fragestellung.31 Katja Leistenschneider konnte in einer kleinen empirischen Studie mit Realschüler/innen immerhin einige Einsichten gewinnen, warum das Komplementaritätsmodell nicht so einfach auf die christologische Thematik anwendbar ist. Wenn nämlich jüngere Kinder in ihrer Mehrheit Gott anthropomorph denken, dann steht die Christusgestalt in keinem diametralen Gegensatz dazu.32 Mir scheint es an dieser Stelle angemessen, das enge Schema des „Denkens in Komplementarität" hier zu verlassen und andere Ansätze zur Aufhellung christologischer Konzeptionen besonders bei auch bei Kindern heranzuziehen.

2.2 Alternative Theorieansät^e Ich möchte einige Beobachtungen vortragen, die der amerikanische Religionswissenschaftler Justin L. Barrett in seiner unveröffentlichten Dissertation mitgeteilt hat.33 Barrett begann damit, seine Probanden zu fragen, „Wie ist Gott?" Eine häufige Antwort lautete „Er kann vielen Dingen zur gleichen Zeit seine Aufmerksamkeit schenken im Gegensatz zu Menschen, die erst auf eine Sache achten und dann auf die andere." Danach las Barrett den Leuten Geschichten vor, in denen dieses Muster zur Geltung kommt. So rettet Gott in einer dieser Geschichten das Leben eines Mannes und %ur selben Zeit hilft er einer Frau, ihre verloren gegangene Geldbörse zu finden. Diese Geschichte sollten die Leute nach einer Weile wieder erzählen. Erstaunlicherweise erzählten viele der Probanden, dass Gott erst der einen Person geholfen habe und dann der anderen. Das Resultat lautet also dahin, dass Menschen einerseits ausdrücklich behaupten, es sei ein besonderes Wesensmerkmal Gottes, „zwei Dinge der oben genannten Art gleichzeitig zu tun", andererseits dann, wenn man sie um eine 31

So mein Fazit aus den eher collageartigen Einblicken, die zur Thematik (im Gegensatz zum breit referierten und auch vom Unterricht nachvollziehbareren Thematik Schöpfungsglaube — wissenschaftliche Erklärung) referiert werden; vgl. K. Helmut Reich/Anke Schröder, Komplementäres Denken im Religionsunterricht. Ein Werkstattbericht über ein Unterrichtsprojekt zum Thema „Schöpfung" und „Jesus Christus", o.O. o.J. (Freiburg/CH — Loccum 1995), 30ff., 47. 32 Katja Leistenschneider, Schülermeinungen zu Jesus. Eine Untersuchung zu Schüleraufsätzen und unterrichtliche Konsequenzen in Bezug auf die Wunderthematik. Wiss. Hausarbeit f. Erste Staatsprüfung Lehramt RS. PH Heidelberg 1998,24. 33 Justin L. Barrett, Anthropomorphism, intentional agents, and conceptualising God, Unveröffentl. Ph.D. Dissertation. Cornell University, Ithaca N.Y. 1996, i. F. zitiert in Pascal Boyer, Religion explained. The Evolutionary Origins of Religious Thought, New York 2001, 88.

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konkrete Ausführung bittet, die Sache so darstellen, dass Gott sie nacheinander tut. Dieses Ergebnis fand sich bei Gläubigen und Nichtgläubigen, in Indien wie in den USA. Ich lese diese Notiz so, dass die ungleich leichter als etwa die ChalzedonFormel zu fassende Abstraktion der Ubiquität Gottes für den Hausgebrauch dadurch fassbarer gemacht wird, dass sequenzialisiert wird. Das Paradox, dass niemand (außer Gott!) an zwei Stellen zu gleichen Zeit sein kann, wird in ein Nacheinander überführt und ihm damit sein paradoxer Charakter genommen. Genau diesen aber hatte man als Gottesprädikation gebraucht. Für die Christologie böte sich demnach immer die Möglichkeit, Christi Naturen in einem Nacheinander zu ordnen. Vermutlich lässt sich dies in den Evangelien so finden, z.B. in der Gestalt Jesu vor bzw. nach seiner Auferstehung. Aber auch innerhalb einzelner Perikopen finden sich solche Sequenzialisierungen. Ich denke hier etwa an die Perikope Joh 11, in der Jesu Weinen (V. 35) und die von ihm initiierte Erweckung des Lazarus (V. 39ff.) nacheinander geschildert werden, obgleich sie in ihrer Gleichzeitigkeit sehr gut die Paradoxie der beiden Naturen Jesu zum Ausdruck bringen. Betrachten wir genauer, wie das Mittel der Zeit hier eingesetzt wird, dann sehen wir, dass die zeitliche Zuordnung ein Mittel der 1Verortung ist. Damit wird der Blick gerichtet auf die zweite bedeutende Zuordnungsdimension, den Raum. Der Philosoph Ernst Cassirer hat die Bedeutung der Richtungsfunktion im Feld mythischen Denkens ausdrücklich untersucht und kommt zu dem Fazit:34 Die Anschauung des Raumes erwies sich insofern als Grundmoment des mythischen Denkens, als diese sich von der Tendenz beherrscht zeigte, alle Unterschiede, die es setzt und ergreift, in räumliche Unterschiede zu verwandeln und sie sich in dieser Form unmittelbar zu vergegenwärtigen.

Diese Erkenntnis dürfte auch für die Darstellung christologischer Aussagen nicht unwichtig sein. Wenn wir nämlich davon ausgehen, dass die Vorstellung etwa zu den zwei Naturen Christi eher selten in logisch-taxonomischen Zuordnungen erfolgt, sondern eher im Modus mythischer Sprache artikuliert wird, dann dürfte dem Mittel der räumlichen Verortung eine nicht geringe Rolle zufallen. Ich denke hier in erster Linie an die Oben-Unten-Dichotomie, die sich besonders zur Markierung des „Himmlischen", „Göttlichen" im oberen Bildraum eignet, was sich biblisch z.B. in der Gestaltung der Himmelfahrtsperikope ausdrückt (Lk 24,50ff.; Apg l,9ff.). Cassirer entnimmt seine Beobachtungen dem Bereich der Ethnologie. In Stammesgesellschaften findet er die typischen Einteilungen der „Welt" nach solchen Regeln der Zuordnung auf der Grundlage

34 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen 2.Teil: Das mythische Denken, Darmstadt 9. Aufl. 1994,116.

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von Richtungsangaben wie oben/unten oder nach den Himmelsrichtungen.35 Dabei zeigen Lakoff und Johnson, dass gerade die Oben-unten-Metaphorik als „Orientierungsmetapher" auch grundlegend für heutiges Denken und Sprechen ist.36 Kognitivistische Psychologie betont die Bedeutung von räumlichen Ordnungsmustern für das Behalten von Ereignissen. So prägen sich Szenen (scene), d.h. die Anordnung von Personen und Sachen in einem Raum, deutlich besser ein als ein entsprechendes Verzeichnis der dort auftauchenden Bildelemente in beliebiger Anordnung.37 Dabei weist die sog. Schema-Theorie darauf hin, dass ganzheitliche Muster wie „Szene" oder ein bestimmtes Ablaufkonzept von Ereignissen (script) die Wahrnehmung und die Erinnerung in der Weise steuern, dass Abweichungen im realen Verlauf an die Muster dieser Schemata assimiliert werden. Von daher erklärt sich die lange, wenn nicht sogar lebenslange Anhänglichkeit an eindrückliche Erstbegegnungen z.B. in Märchenbüchern oder Kinderbibeln. Von daher wäre es nicht überraschend, wenn sich die Darstellung der christologischen Problematik gerade auch dieser Mechanismen bedienen würde. Die Milleniumsausstellung „The Image of Christ" der National Gallery in London enthält einen eigenen Abschnitt zur doppelten Natur Christi. Dieser enthält schwerpunktmäßig Weihnachtsbilder. Dort sehen die Autoren die Inkarnation als „armes Kind" und die durch die Magier symbolisierte Anbetung der ganzen Welt zusammenfallen.38

3. Christologische Deutungsmuster von Zweitklässlern. Der folgende Gesprächsauszug gibt eine Gesprächsszene wieder, in der die Protagonisten der Klasse versuchen, sich mit ihren denkerischen Mitteln der Gestalt Jesu Christi in ihren zwei Naturen zu nähern. Ausgangspunkt ist ein Bild der Malerin Relindis Agethen. Diese hat zur Darstellung der Heilung eines Taubstummen eine Collage von verschiedenen Figuren vorgenommen. Grundidee ist dabei, dass die Christusfigur zusammen mit heutigen Menschen dargestellt wird, u.a. mit einem Jungen, der sich mittels Kopfhörer „taub" macht. Das Bild folgt damit den oben skizzierten Regeln insoweit, als es die göttliche Natur Christi „verzeitlicht", indem es den „damaligen" Jesus präsentisch darstellt, 35 A.a.O., 108ff. 36 Lakoff/Johnson, Leben in Metaphern, 22-30. 37 Jean Matter Mandler, Stories, Scripts, and Scenes: Aspects of Schema Theory, Hillsdale u.a. 1984,87ff. 38 Gabriele Finaldi u.a., The Image of Christ, Ausstellungskatalog, London 2000, 45.

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nämlich als auch noch heute wirkenden Zeitgenossen. Eine Klasse aus Erst- und Zweitklässlern hatte das auch bemerkt, konnte es aber im Gegensatz zu den Kindern dieser Klasse nicht zu eigenständigen Überlegungen nutzen. Der im Folgenden präsentierte Gesprächsausschnitt wird dann anschließend analysiert.35 Ramona: Bei dem Bild hatten die noch ganz alte Kopfhörer. Ich glaube, solche hat meine Oma zuhause. L: Ihr habt vorhin gesagt Kopfhörer, des gibt's nur bei uns, des gibt's noch net so lange. Und dann is trotzdem der Jesus auf dem Bild. Was meint ihr denn dazu? Was wollt' vielleicht der Künstler da wohl sagen? Philipp. Philipp: Ich weiß net so recht. 'Welleicht könnte er sagen, dass die Kopfhö / dass / dass / dass die Kopfhörer net so gut sin. Des is bestimmt irgendwann so in dem 19. Jahrhundert gemalt worden. L: Achim. Achim: Des is / des nich nur, äm / des is nich nur / der Jesus, mmm, nur früher gelebt hat, sondern des er immer noch heute bei uns is. L: Genau. Gregor. Gregor: Also halt, [L: Pssst] dass er nich äm / dass er nich / dass er immer noch bei uns is, nur wir ihn halt auch nich sehen, oder so. Und dass Jesus so / so ähnlich is wie Gott. Dass er [L: Wie meist du des?] Na, dass er auch eigentlich, na, so fast überall ist. L: Is Jesus nich 'n Mensch nur? Gregor Hai / hai biss / halb Mensch, hai / äh, halb nich. Des weiß ma nich so sehr, denn Jesus, mm, is ja eigentlich Gottes Sohn. Und deswegen is eins, ei / weiß man nich eins: Ob es jetzt en Mensch is, oder ob's jetzt en Gott is. [L: Valentin. S: Oder ob's en Tier is.] Er is halb Gott, halb Gott, [L: Halt!] halb Mensch sozusagen. So en Fabelwesen. L: Valentin. Valentin: Gott is kein / Gott is kein Mensch, kein Tier und keine Pflanze. L: Ja, wir reden ja über Jesus. [Valentin: Ja, aber der Jesus is] Was is der Jesus? [Achim: Der is Sohn Gottes]. Valentin: Das is der Sohn Gottes, und deshalb kann's eigentlich fast alles sein. L. Ja, aber is Jesus nich en Mensch, einfach? Als Mensch hat er doch gelebt, oder? Valentin: Also, äh, halb Mensch, halb Mensch. [L: Mhm. Sebastian.] Er is so/so gelaufen und hat gegessen wie en Mensch, aber / aber im Hi / im Herz drin is er kein Mensch. L: Sebastian. Sebastian: Iigendwie Gottes Sohn nicht (richtig) [L: Warum nich?] Weil / weil des is ja eigentlich nur en normaler Mensch, der halt was Besonderes kann. ((Gemurmel)) (Der halt was Besonderes is.) L: Philipp und dann Sofia. Philipp: Aber die sagen halt / die meisten sagen zu ihm: Gottes Sohn. Man weiß net so direkt / des is bestimmt Gottes Sohn, des weiß ma ja schon, aber [S: Der fällt doch nich vom Himmel, oder?] Der fallt auch net so einfach so vom Himmel. L: Erst die Sofia, dann der Valentin. Sofia: Am, aber äm, der / also Jesus war schon / en Mensch war er eigentlich schon, aber der hat was an sich, was andere Menschen nich können: Nämlich, dass er Leute heilen kann und / und halt Leute retten kann. Und [L: Valentin] Dass er auch ganz viel Liebe zu den Menschen hat. Und, und auch zu den bösen Leuten, auch zu den Dieben oder wer weiß was. Die bestraft er auch nich. Un er lasst die alle auch genau so wie die anderen Menschen leben. Die sind auch was Besonderes. L: Valentin, wolltst du? Hast's vergessen. Der Jacques zuletzt, und dann kommen wir bald zum Ende. Jacques.

39 Zu den Einzelheiten dieser Untersuchung vgl. Büttner, Jesus hilft, 138-153.

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Jacques: Der Gott [L: Ja], der hat / wenn er / der mag / der / in seim Gottesreich, da / des is / da / der mag alle, sogar auch die Dieben, die im Gefängnis sind. Und dann, paar fragten mal, auch die Bettlern, ob die auch bei Reich Gottes kommen. Da hat der Gott "Ja" gesagt. L: Mhm. So, Valentin. Valentin: Em, als / alle / wir sind auch Gottes Kinder, alle sind Gottes Kinder, also Gottes Sohn. L: Ein Satz, o.k.? (( Gemurmel)) Sofia: Am, aber der äm / der Jesus, der auch / was er hatte und auch zu essen, des teilt er mit den Armen. Der lasst nich wie / wie äh auch heut des is: Manche Leute gehen an den Bettlern, die auf der Straße sind vorbei und geben ihnen nichts, und er gibt da den Leuten und so was.

Achim entschlüsselt die Aussage des Bildes mit der Erkenntnis, dass Jesus nicht „nur früher gelebt hat, sondern immer noch heute bei uns ist". Mit dieser Überlegung auf der Zeitachse bereitet er die beiden Argumentationsketten von Gregor und Valentin vor. Beide greifen einmal auf logisch-taxonomische Modelle zurück, indem sie Jesus bzw. Gott deflatorisch zu fassen versuchen. Dann benutzen aber beide auch noch Raumvorstellungen, Gregor die Ubiqiuität und Valentin die Innen-Außen-Dichotomie. Gregor

Valentin

Raummetapher Ahnlich wie Gott — so Gelaufen und gegessen wie ein Mensch — im Herz drin kein fast überall Mensch Taxonomische Argumentation

Halb nicht.

Mensch,

halb Gott bzw. Gottes Sohn ist kein Mensch, kein Tier, keine Pflanze

Halb Gott, halb Mensch Kein Tier Während Valentin quasi mit den Mitteln einer negativen Theologie sich durch Ausschluss von Möglichkeiten Gott bzw. Gottes Sohn anzunähern versucht, schafft Gregor mit seiner Halb-und-halb-Lösung eine Aussage, die man zwischen den Niveaus II und III beim komplementären Denken einordnen könnte. Mit dem Stichwort von der Ubiquität bringt Gregor eine Gottesprädikation ins Spiel, mit der er die Anwesenheit Jesu in verschiedenen Zeiten [und Räumen] erklärbar macht. Interessanterweise findet dieses Thema nochmals eine Wiederaufnahme zum Stundenende: Jacques meint, Gott sei überall, aber unsichtbar. Gregor wendet sich gegen die Vorstellung, Gott könne mitten im Kreis hier in der Klasse sitzen. Dem stimmt wohl auch Valentin zu. Philipp nimmt das auf und widerspricht ausdrücklich der Vorstellung, Gott säße mitten im Kreis, bloß weil die Klasse jetzt Religion hätte. Doch Ramona hält ihren Vorrednern entgegen, Gott könne nicht bei jedem sein, da müsste er sich ja zerteilen.

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Wir sehen wie die Raummetapher des „Überall" schwankt zwischen konkreten Vorstellungen einer Präsenz gerade hier und jetzt und dem Gedanken einer allgemeinen, nicht sichtbaren Anwesenheit Gottes bzw. Jesu Christi.

4. Über die Raum-Zeit-Metapher hinausgehende Deutungsmuster Die bisherigen Ausführungen stützten die theoretischen Vorannahmen, nach denen Raum bzw. Zeit die Faktoren waren, mit deren Hilfe die Kinder versuchten, die paradoxale Struktur der Christologie darzustellen.

4.1 Der Sohn-Gottes-Titel Mit dem Sohn-Gottes-Titel kommt nun eine andere wichtige Größe ins Spiel, die ich die familiale Matrix nennen möchte. In unserem Textauszug kommt diese Dimension erst einmal nur unmittelbar zur Geltung. Gregor greift im Zuge seiner „Halbe-halbe-Theorie" auf den Sohn Gottes zurück, vom Tenor her eher, um die Göttlichkeit Jesu herauszustreichen. Er steht damit in der Tradition des Nizänums, wo dem Titel unmittelbar die Erläuterung folgt „aus dem Vater gezeugt, d.h. aus dem Wesen des Vaters, Gott von Gott".40 Gregor und Valentin bleiben auf dieser Spur. Erst Sebastian bricht diese Interpretation mit seinem Einwand: „Irgendwie Gottes Sohn nicht richtig. Denn er ist ja eigendich nur ein normaler Mensch, der was Besonderes kann." Philipp betont den konventionellen Status dieses Titels, wenn er meint: „Die mästen sagen zu ihm .Gottes Sohn"'. Interessanterweise setzt dann Valentin am Ende des Gesprächsgangs einen dekonstruktiven Kontrapunkt zu seiner anfanglichen Argumentation, wenn er sagt: „Wir sind auch Gottes Kinder, alle sind Gottes Kinder, also Gottes Sohn." Auffallig ist die Breite der Deutungen, die die Kinder mit dem Begriff des „Sohnes Gottes" verbinden. Sie bleiben dabei immer im Bild, thematisieren den Begriff also nicht auf der Metaebene.41 Dabei kleben sie aber überraschenderweise nicht immer an den konkreten sinnlich wahrnehmbaren Seiten des Vater-

40 Zit nach der Übersetzung in Ritter, Kirchen- und Theologiegeschichte, 136. 41 Vgl die obigen Ausführungen zur Objekt- bzw. Mittelreflexion bei Fetz, Kindelglaube, bes. 26.

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Sohn-Bildes. Wir finden ein solches Verständnis z.B. in der Vorstellung von den „beiden Vätern Jesu", wie etwa in dem folgenden Gespräch mit einem Kindergartenkind:42 Seiina: Das ist die Mutter von Jesus, die heißt Maria. Und der hat auch noch einen andern Vater der heißt Josef und Jesus ist der da. Willi: (Interviewer-Puppe): [...] Zwei Väter hatte Jesus? [...] Josef und Gott? [...] Wie geht denn das? Ihr habt doch auch nur einen Papa? [...] Seiina: Ja. Ich hab" aber zwei Väter [...] Also erst der John ist nicht mein richtiger Papa, der ist nur mein Stiefvater. Und ich gjaube der Josef ist auch nur der Stiefvater von Jesus. Aber der ist sehr, sehr nett.

Aber auch ältere Kinder greifen noch sehr konkret auf die familiale Matrix zurück. So äußerte etwa eine Sechstklässlerin auf die Frage nach dem Grund von Jesu Passion:43 Da Jesus Gottes Sohn war, und Gott im Himmel lebte, wollte er wahrscheinlich, dass Jesus in den Himmel kam und ihm half, die Welt in Ordnung zu halten.

Verglichen mit diesen beiden Beispielen schimmert im Gebrauch der Zweitklässler durchaus etwas von der metaphorischen Qualität des Titels durch.

4.2 Der Komparativ als Ausdrucksmittel Abschließend soll noch auf einen anderen Mechanismus der Zuordnung verwiesen werden. Sebastian hatte in seiner Definition von der Besonderheit Jesu gesprochen. Diese Qualifizierung nimmt auch Sofia auf, wenn sie davon spricht, Jesus hätte etwas an sich „was andere Menschen nicht können". Damit kommt eine weitere Möglichkeit ins Spiel, die paradoxale Struktur der beiden Naturen „einfacher" zum Ausdruck zu bringen. Jesus ist zwar Mensch, aber sein Menschsein ist geprägt durch viele Komparative. Dadurch ergibt sich dann als Resultat eine Verschiebung hin zum anderen Pol, nämlich seiner göttlichen Natur. Bereits Goldman hatte in seiner 1964er Studie hierzu treffende Formulierungen gefunden etwa beim 12jährigen Rodney über Heilungen: „Jesus could do it in a minute. Doctors take month. He also worked on Sabbath day,"44 Zusammenfassend können wir also feststellen, dass über die aus der Theorie ableitbaren Mechanismen der Verräumlichung oder Verzeitlichung als Modi „mythischen" Denkens den Kindern noch der Gebrauch familialer Muster und 42 Ina Mährmger in einer bislang unveröffentlichten Studie zu den Ostervorstellungen von Kindeigartenkindern. 43 Anke Blümm/Gerhard Büttner, „...es ist Gott vielleicht nicht leichtgefallen, seinen einzigen Sohn zu opfern." Wie Schüler/innen der Klassen 4 bis 8 den Tod Jesu sehen. Entwurf 1/1998 (1998), 35-37, hier 35. 44 Goldman, Religious Thinking, 159.

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der Einsatz von Komparativen zur Verfugung stand, um die paradoxalen Züge der Christologie zum Ausdruck zu bringen. Dabei konnten die konkreten Argumentationsmuster der Kinder die Leistungsfähigkeit dieser metaphorischen Denkweisen aufzeigen.

5. Die theologischen Interpretationen der Kinder zwischen Begrifflichkeit und Metaphorik Mit der Chalzedon-Formel haben meine Überlegungen ihren Ausgangspunkt auf der Seite der Begriffsbildung genommen. Das Nachdenken der hier zitierten Kinder führte in seiner bildhaften Weise zwangsläufig in den Bereich metaphorischen Redens. Es hängt vom jeweiligen Metaphemverständnis ab, ob man in den Formulierungen der Kinder literalistische Vorstellungen sieht, die sich an konkreten Bildern wie dem der Vater-Sohn-Beziehung festmachen, ohne dass die Kinder jedoch den metaphorischen Charakter ihrer Rede erfassen können.45 Religionspädagogisch hat man bisher meist gefragt, ob Kinder Metaphern, denen sie begegnen, als solche erkennen und gewissermaßen „übersetzen" können. Ich frage jedoch — in Übereinstimmung mit der neueren Metapherntheorie — , wie Kinder mit bildhafter Rede selbst operieren. Dabei spricht vieles dafür, dass die bildhafte Rede der Kinder zwar zunächst ganz konkret gemeint ist. Doch gleichzeitig enthält diese Redeweise offensichtlich auch bereits keimhaft Züge eines „übertragenen" Gebrauchs. Dies mag den Eindruck verstärken, dass bei den Kindern exemplarisch bildhafte und begriffliche Züge ineinander fallen, gerade da, wo beide Züge argumentative Funktionen übernehmen.46 Damit wird die — etwa von Philipp Stoellger47 - vermutete Diastase zwischen verengender

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Dies ist etwa der Tenor von Anton Buchers Kritik an der Halbfas'schen Version der Symboldidaktik: Anton Bucher, Symbol — Symbolbildung — Symbolerziehung, S P T 36, St. Ottilien 1990,379-384. 46 Ich denke, diese Überlegung lässt sich stützen durch die Untersuchungen von Claudia Mähler zum so genannten Animismus. In der Tradition Piagets bezeichnet man mit diesem Begriff die Gepflogenheit der Kinder, künstliche Objekte zu behandeln als ob sie lebend wären. Dieser Z u g findet sich natürlich auch noch bei Erwachsenen, sofern sie davon reden „ihr Computer .spinne' gerade". Claudia Mähler konnte zeigen, dass Kinder in einer analytisch orientierten Situation durchaus in der Lage waren, zwischen „toten" und „belebten" Objekten zu unterscheiden. In anderen Situationen griffen sie gleichwohl auf „animistische" Redeformen zurück. Die Autorin schließt daraus, dass animistische Rede demnach kein Defizit sei, sondern eher eine Kompetenz, ¿eichsam eine Frühform metaphorischen Redens. Vgl. Claudia Mähler, Weiß die Sonne, dass sie scheint? Münster/New York 1995. 47

Philipp Stoellger, Jesus ist Christus'. Zur symbolischen Form der Christusmetapher und einigen Folgen für die systematische Theologie, in diesem Band, bes. 329f.

Halb Mensch, halb nicht

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Begriffsbildung und öffnender Metapher zumindest vom „Theologisieren" der Kinder her faktisch unterlaufen. Deren Formulierungen versuchen — ihrem eigenen Verständnis nach —, Begriffsarbeit zu sein. Sie können freilich im Gegensatz zu Erwachsenen nur in dieser Form argumentieren, die Wahl zwischen mehr abstrakt begrifflichem oder mehr metaphorischem Reden besteht für sie eben noch nicht. Einer allein begriffsfixierten Theologie mag dies als Defizit erscheinen, im Kontext des obigen Beispiel wie auch der neueren Metapherntheorien erscheint es sinnvoller, von einer Kompetenz zu sprechen. Folgt man, wie ich dies tue, einem Konzept des „Theologisierens mit Kindern", dann verändert sich das Interesse bezüglich der Leistungsfähigkeit bildhafter theologischer Aussagen. Es geht nicht in erster Linie um deren theologische „Korrektheit" im Sinne einer Orthodoxie. Viel wichtiger ist es festzuhalten, was Kinder eines bestimmten kognitiven Entwicklungsniveaus an „Lösungsmöglichkeiten" für ein bestimmtes theologisches Problem hervor zu bringen imstande sind. Dabei werden wir in der Regel auf eine ganze Reihe von Denkversuchen der oben skizzierten Art stoßen, die gerade in ihrer spezifischen Durchdringung von begrifflicher und bildhafter Redeweise anschlussfahig an die Entwürfe der Theologiegeschichte sind, sofern sie erwachsene Interpreten finden, die dazu in der Lage sind, solche Zuordnungen zu vollziehen.48 Interessanterweise findet sich jedoch beim genaueren Betrachten der Deutungsversuche der Kinder nur eine begrenzte Zahl von Interpretamenten. D.h., dass deren Kenntnis es ermöglicht, in einem offenen Diskurs einen großen Teil der Argumentationsmuster zu identifizieren entweder als eine Figur der Tradition oder zumindest als eine solche, die sich offenbar im Kontext kindlichen Nachdenkens bewährt hat.49 Dies dürfte die Voraussetzung dafür sein, dass ein Gesprächsleiter in einer solchen Diskussion den Überblick behält. Mit dem Verweis auf den theologischen Diskurs mit Kindern - und damit paradigmatisch für „Laien" — habe ich einen konkreten, empirisch verifizierbaren „Sitz im Leben" für meine Funktionsbestimmung theologischer Bildrede bzw. hier konkret der metaphorischen Christologie gegeben. In ihrer Konkretion wird diese Christologie der Kinder stets vorläufig und offen bleiben und kann die begriffliche Festlegung der Tradition etwa des apostolischen Credos immer nur als regulative Idee für sich in Anspruch nehmen. Gleichwohl bleiben auch die christologischen Bilder der Kinder in den Rahmen traditioneller Denkund Bildformen eingezeichnet. Denn es lässt sich zeigen, dass die Herausbildung theologischer Sprachbilder und Metaphern im Endeffekt doch nicht ins Unendliche weitergeführt wird, sondern bei einer begrenzten Anzahl von Deu48 Insofern ist Stoellgers Rekurs auf die nichtchalzedonensischen Christologien stringent. 49 VgJ. dazu Gerhard Büttner, Landkarten des Denkens. Argumentationsstruktuien beim Nachdenken über das Verhältnis zwischen göttlicher Führung und menschlicher Autonomie, ZDPE 25 (2003), 74-81.

416

Gerhard Büttner

tungsmustern verbleibt. So wird auch bei der metaphorischen Christologie der Kinder das prinzipielle Wechselspiel zwischen theologischer Traditions- und situativer Innovationsmetaphorik bestätigt.50 Im Hinblick auf die Bemühungen um eine metaphorische Christologie spricht von daher viel dafür, diese nicht kontextfrei zu fuhren und auf empirische Validierungen im sozialen Raum nicht zu verzichten.

50 Vgl. dazu etwa Markus Buntfuß, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache, TBT 84, Berlin - New York 1997, 227: „Metaphern erinnern, um Neues zu sagen und sie erneuern, um Altes zu bewahren."

Bibelstellenregister (in Auswahl) Altes Testament Genesis l,26f. 3,24 LXX 23,6 49,9

351 113 205 123

Exodus 24,5-25,1

348

Leviticus 16

64

Numeri 24,17

124, 146,155

-2 Samuel 7,10-14 7,12-15

Jesq/a 5,1-7 7 9 9,5

11

11,1.10 14,12 LXX

77 76

43 249 249 260 249 124 145

40,11 42 42.1 49 49.2 50 52f. 52,13ff 52,13 53 53,2f.

205 250 195. 252 250 196 250 248, 250 76 194 193f. 200

Ezechiel 39,17-20 47,1-10

114 95

Hosea 11,1-3

76

Sacharja 14,8

95

Makachi 3,20

146

Psalmen 22

22,7 23,1

247 154, 200 205

Bibels tellenregis te r

418 Psalmen (Fortsetzung) 259 33,6 42,2 155 45,3-5 204 110 145 118,25 141

Daniel 7,9 7,13 10,5f.l6

215 121 121

Weisheit 2,10ff. 9,1 f·

76 259

Neues Testament Matthäus 6,9 11,25 11,27 11,28 12,28 13,24-30 13,30-43 18,23-35 20,1-16 22,1-14 24f. 24,42-51 25,1-13 25,14-30par. 26,39.42

86 84 88 196 44 43, 46, 49 43,46 41,48 41, 46-48 41, 43, 48 43, 46f. 47 48 49 84

Markus 1,1-15 1,14 l,15par. 2,5 2,19f. 3,4 3,21-22 4,3-9 4,10-12 8,29 9,2-10 ll,9par. 12,l-12parr. 14,36

251 252 44,46 276 48 141 200 46 44 272 251 141 41, 43, 45, 50 83f., 86

Lukas 1,32 2,11 4,18-21 10,25-37 10,30-35 11,lf. 11,20 14,15-24 14,15 15,lf. 15,3-7 15,11-32 16,1-9 17,20f. 19,11-27 22,30 22,42

77 142 45 389 388 86 44 41, 46f. 45 48 47 41, 48 46f. 44 46f. 140 84

Johannes 1,1 l,4f. 1,5

137, 158, 263f. 264 97

419

Bibelstellenregister

Johannes (Fortsetzung) 1,12 109 110,261 1,14 261 l,17f. 5, 109, 1,18 137,261 1,29.36 123 1,45 107 1,46 110 1,50 93,110 2,1-11 96,104,107 3,2 96 3,10 96 3,14 96,108 3,16f.35f. 85 3,17 101 3,29 104 4,14 105 4,42 142 5,18 108 5,19-26 85 5,19-24 107 5,19-23 85 5,23 101 5,26 109 6 97 6,5-15 98 6,35 104 6,40 85,110 6,42 107 7,37 95 8,12 97 8,28 96,108 8,35f. 85f. 8,38 107 10 131 10,1-18 50 10,7 94 10,7-10 100 10,11-18 100 10,30 85, 108

11,25 11,41 12,3 12,13 12,24 12,27 12,32-34 12,34 12,35 12,45 12,50 13 14,1 f. 14,9 14,13 15 15,1-8 17,1 17,3 17,21 18f. 18,36 18,37 19,25-27 20,28 21,15-17 21,24

104 86 95 141 90 86 97 108 97 104 257 95 109 104, 262 85 131 50,98 85f. 101 109 96 140 108 107 105, 137 105 103

Apostelgeschichte 5,31 6,7 8,32 9,3 9,8 12,24 13,10 13,23 17,23

142 257 123 369 369 257 82 142 163

420 Römer l,3f. 1.7

Bibelstellenregister

12,26

1,26

66

13,12 15,3 15,28

3.2 3,25

257 55, 61, 63, 65, 67f.

2 Korinther

4,24f. 6,3-5 6.5

61

1,2

69 69 69 69

I,19 3,7f. 3,17 4,4 4,6 4,8-12 4,16-5,10 5,14f. 5,17 8,9 II,31 13,3

6.6

6.8 6,18.22

61

90

68

8.3 8,15 8,17

55,61 84 69

8,21

68

8,29 8,34 9,5

69 45 137 258

10,8

10,9 11,27 12,4-8 13,14 15,6

1 Korinther 1,3 1,9 1,18-2,16

1,30 5,7 6,20

7,23 10,16

10,17.21.30 12,12-27 12,14-26

61

142 70 70 89

90 69 63 192 66, 68, 353 67f. 67f. 69 69 70 71

69 353 61

89

90 89 68 68

351 351 69 70 69 70 201

89 258

Galater 1,3 2.19 2.20 3,13 3,26-28 4,4f. 4,6 5,1.13 6,15

90 69 69 67 70 55, 61, 84 68 70

Epheser 1,3 2,3 5,2 5,23

90 82 56 142

Bibelstellenregister

mapper 1,2 1,23 2,6-7 2,7 3,10-14 3,20

1 Petrus 90 69 201 55 69 142

Kolosser l,12-14.15ff. 1,15

77 5, 201, 350

1 Thessalomeher 1,10 5,10

61,141 69

2 Thessalonicher 1,12

137

2 Timotheus 1,10

142

Titus 1,4 2,13 3,6

421

142 138,142 142

1,25 4,11

258 257

2 Petrus 1,1 1,2 1,3 1,4 1,8 1,9 1,10 1,11 l,13f. 1,16 1,16a 1,19-21 1,19 1,19b 2,1 2,2.15 2,15 2,17 2,19 2,20 3,2 3,4 3,10-12 3,10 3,13 3,18

137,141 138 143 143 135 143 143 139,141,143 136 143 144 143 136,142,147 144 67,140f. 136 135 134f. 141 141 141 143 143,147 145 143 138,141

Hebräer 1,1-4 1,1-4.5-14 1,3 l,8f. 5,12 7,25

258 77 350 137 257 45

1 Johannes 1,1 2,lf. 3,10 4,9 4,14 5,20

103 45 82 55 142 138

422

Judas 4 5-11 12 12f. 13

Bibelstellenregister

140f. 133 134 133,135f. 135

Offenbarung 1,7 1,10-20 1,10 1,16 1,18 4,1 5,5 5,9f.

116 118,121 125 113 125 119 123,154 67

7,13f. 14,3f. 14,14-16 17,6-18 19,Iff. 19,1-10 19,9f. 19,11-21 19,13 19,17.21 20,7-15 21,15 22,8ff. 22,15 22,16 22,18f.

119 67 116 119 260 117 119 126 259, 261 114 126 192 119 126 124,155 128

Autorenver2eichnis Gerhard Büttner, Dr. päd. hábil., geb. 1948, ist Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Universität Dortmund. Markus Buntfuß, Dr. theol., geb. 1964, ist Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg. Kurt Erlemann, Dr. theol. habil., geb. 1958, ist Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Neues Testament und Alte Kirche an der Bergischen Universität Wuppertal. Jörg Frey, Dr. theol. habil., geb. 1962, ist Professor für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München. Christina Hoegen-Rohls, Dr. theol., geb. 1958, ist Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München. Klaas Huizing, Dr. phil. Dr. theol. habil., geb. 1958, ist Schriftsteller und Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an der Philosophischen Fakultät der Universität Würzburg. Vladimir Ivanov, Dr. theol., geb. 1943, ist Professor für Praktische Theologie an der Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie der Universität München. Martin Karrer, Dr. theol. habil., geb. 1954, ist Professor für Neues Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Ulrich H. J. Körtner, Dr. theol. habil., geb. 1957, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Jörg Lauster, Dr. theol. habil., geb. 1966, ist Privatdozent für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Mainz. Volker Leppin, Dr. theol. habil., geb. 1966, ist Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Jena.

424 Peter Müller, Dr. theol. hábil., geb. 1950, ist Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Johannes Rauchenberger, Dr. theol., geb. 1969, ist Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten und Kurator der Minoriten-Galerien in Graz. Jan Röhls, Dr. theol. habil., geb. 1949, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München. Jens Schröter, Dr. theol. habil., geb. 1961, ist Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Hamburg. Philipp Stoellger, Dr. theol., geb. 1967, ist Geschäftsführer und Oberassistent des Instituts für Hermeneutik und Religionsphilosophie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Hermann Timm, Dr. phil. Dr. theol. habil., geb. 1938, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München. Martin Wallraff, Dr. theol. habil., geb. 1967, ist Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Jena. Jens Wolff, Dr. theol., geb. 1968, ist Vikar in Oldenburg. Ruben Zimmermann, Dr. theol. habil., geb. 1968, ist Privatdozent für Neues Testament an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität München.