Management im Mittelstand: Erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven [1 ed.] 9783896447845, 9783896730077

Dieses Buch richtet sich vorwiegend an Entscheidungsträger in mittelständischen Unternehmen. In diesen Unternehmen müsse

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Management im Mittelstand: Erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven [1 ed.]
 9783896447845, 9783896730077

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Jürgen Bührens (Hrsg.)

Management im Mittelstand - erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven

Verlag Wissenschaft & Praxis

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Management im Mittelstand : erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven / hrsg. von Jürgen Bührens. - Sternenfels ; Berlin : Verl. Wiss. und Praxis, 1997 ISBN 3-89673-007-X NE: Bührens, Jürgen [Hrsg.] :

ISBN 3-89673-007-X

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1997 75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

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5 Zum Geleit: Anläßlich des Jubiläums „25 Jahre Fachhochschule Bielefeld" hat der Fachbereich Wirtschaft beschlossen, eine Festschrift mit dem Thema: Management im Mittelstand - erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven herauszugeben. Das Thema der Festschrift wurde gewählt, um besonders die zahlreichen mittelständischen Unternehmen aus Ostwestfalen anzusprechen und diesen Anregungen fur das Management zu geben. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik Deutschland gewinnen die mittelständischen Unternehmen weiter an Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigung zusätzlicher Arbeitnehmer bzw. einer Verbesserung der Situation auf den Arbeitsmärkten. Damit wurde erstmalig eine Veröffentlichung vorbereitet, in der nur Aufsätze von Professorinnen und Professoren des Fachbereiches Wirtschaft zusammengefaßt sind. Wegen des speziellen Themas haben sich naturgemäß vor allem die Professorinnen und Professoren an der Festschrift mit Aufsätzen beteiligt, bei denen das jeweilige Lehrgebiet eine Beschäftigung mit dem Mittelstand nahelegt. Für die Mitarbeit an dieser Festschrift soll an dieser Stelle • • •

allen Autoren für ihre Beiträge, Herrn Prof. Dr. Bührens für die geleistete Arbeit bei der Herausgabe und Frau Demoliner und Frau Schönenberg für die einheitliche Gestaltung der Aufsätze

gedankt werden. Der Fachbereich Wirtschaft hofft, daß die Festschrift bei Unternehmen und anderen Institutionen der Wirtschaft, insbesondere aber bei den mittelständischen Unternehmen ein breites Interesse findet.

Prof. Dr. Wöller Dekan des Fachbereiches Wirtschaft der Fachhochschule Bielefeld

7

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers

11

A. Grundsatzfragen Prof. Dr. Bussiek Erfolgsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert

13

B. Controlling und Unternehmenssteuerung Prof. Dr. Bramsemann Ein Erfolgssteuerungssystem für Kleinbetriebe

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Prof. Dr. Deßaules Geschäftsprozeßoptimierung ein Instrument des erfolgsorientierten Mangements

55

C. Personalwirtschaft Prof. Dr. Sauermann Menschenführung im Mittelstand Mitarbeiter erfolgreich machen - die besonderen Chancen der Menschenführung im Mittelstand

65

Prof. Dr. Herzig Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor fortschrittlichen Personalmanagements in mittelständischen Unternehmen

78

8

Inhaltsverzeichnis

Prof/in Dr. Detmers Über Erregungen spricht man nicht

90

D. Marketing und Internationalisierung Prof. Witt Existenz- und Wachstumssicherung durch Innovations-Management

103

Prof. Dr. Schmid Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance fur den mittelständischen Einzelhandel

121

Prof. Dr. Meyer Benchmarking im mittelständischen Fachhandel Kann der herkömmliche Betriebsvergleich hilfreich sein ?

140

Prof. Dr. Wöller Probleme von Exportabteilungen in mittelständischen Unternehmen

152

Prof. Dr. Scholz-Ligma Internationalisierung mittelständischer Unternehmen E. Finanzwirtschaftliche Probleme

168

Prof. Dr. Eistert Private Ausfuhrkreditversicherungen fur kleine und mittlere Unternehmen

190

9

Inhaltsverzeichnis

Prof. Dr. Bührens Existenzgründung und Existenzsicherung mittelständischer Unternehmen durch öffentliche Finanzierungshilfen

201

F. Juristische Teilprobleme Prof."in Dr. Huber-Jahn Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltung bei der Übertragung von Vermögen in die nächste Generation (vorweggenommene Erbfolge)

222

Prof/in Dr. Steckler Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung bei überbetrieblicher Arbeitsteilung

236

Prof. Dr. Oberrath Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil? - Das Umwelt-Audit

255

Prof. Dr. Többens Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht

265

Abkürzungsverzeichnis

280

Vorwort

11

Vorwort

Betriebswirtschaftliches Denken ist managementorientiert. Der vorliegende Sammelband enthält eine Reihe von Beiträgen zu Managementfragen in kleinen und mittleren (mittelständischen) Unternehmen. Dieser Unternehmensgruppe kommt von ihrer Anzahl und Vielfalt, aber auch von ihrer Leistungskraft eine besonders große Bedeutung in der Wirtschaft zu. Umso verwunderlicher ist es, daß sich die Betriebswirtschaftslehre traditionell vor allem mit Problemen von Großunternehmen befaßt. Erst in jüngster Zeit wird in zunehmendem Maß die Notwendigkeit gesehen, sich den besonderen größenbedingten Problemen kleiner und mittlerer Unternehmen zuzuwenden. Die vorliegende Aufsatzsammlung will hierzu einen Beitrag leisten. Dabei wurden in dem vorliegenden Band "Management im Mittelstand - erfolgsorientierte Ansätze und Perspektiven" die Aufsätze zu Themenkomplexen wie Grundsatzfragen, Controlling und Unternehmenssteuerung, Personalwirtschaft, Marketing und Internationalisierung sowie finanzwirtschaftliche Probleme und juristische Teilprobleme zusammengefaßt.

Bei den behandelten Themen steht der praxisorientierte Ansatz im Vordergrund, d.h. Vorschläge und Anregungen sollen konkrete Entscheidungshilfen für Verantwortliche in kleinen und mittleren Unternehmen darstellen. Selbstverständlich konnte nur ein Ausschnitt wichtiger betriebswirtschaftlicher Probleme des Mittelstands behandelt werden. Es bleibt zu hoffen, daß das vorliegende Werk einen Anstoß bilden wird für einen fruchtbaren Dialog mit Praktikern und damit schon bald weitere für die Praxis verwertbare Beiträge initiert.

Bielefeld, August 1996

Prof. Dr. Jürgen Bührens, Herausgeber

Bussiek, Erfolgsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen

Jürgen Bussiek

Erfolgsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert 1.

Herausforderungen der Zukunft

In Zukunft werden auf die Klein- und Mittelunternehmen (KMU) große Herausforderungen zukommen, auf die sich ein Unternehmer mehr als zuvor rechtzeitig einstellen muß. Der Innovation wird immer größere Bedeutung beigemessen. Der Lebenszyklus der Leistungen wird sich verkürzen. Neue Produkte und neue Verfahren und insbesondere auch neue Dienstleistungen bestimmen die Zukunft. Die Anforderungen der Käufer werden immer höher, die Käufer werden kritischer, aber auch zugleich unsicherer. Die Märkte werden zunehmend komplexer und wandeln sich schneller und tiefer. Die Wirtschaft wird sich weiter internationalisieren. Die Wandlung vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt wird sich auch in den marktfernsten Bereichen der Unternehmen bemerkbar machen. Der Satz, „der Kunde bezahlt nur das, was seinen Nutzen mehrt" wird zur Richtlinie aller Unternehmensaktivitäten werden. Daher wird sich auch das Unternehmen selbst ändern müssen. Die Arbeitswelt wird sich durch den Einfluß der Technik und ihres Kapitalbedarfs, durch Veränderungen im Arbeitsbewußtsein und in der Organisation, aber auch unter Berücksichtigung sozialer Erfordernisse verändern. Die Anforderungen an das Wissen werden immer mehr steigen. Im Rahmen der teamorientierten Arbeit wird der Trend zur Zerstückelung der Arbeitsabläufe nachlassen.

2.

Suche nach Erfolgspotentialen

A u f diese Herausforderungen müssen die K M U reagieren und in ihrer Unternehmenspolitik ihre Erfolgspotentiale erkennen und im Rahmen einer Strategie zu aktiven Erfolgsfaktoren entwickeln. Es gibt zwar keine für alle Unternehmen in gleicher Weise zutreffenden Erfolgspotentiale. Trotzdem wurde in den letzten Jahrzehnten versucht, einige allgemein gültige Erfolgsregeln für die Unternehmen zu präzisieren. Weltweit bekannt geworden ist die von Sidney Schoeffler angeregte PIMS-Studie (Profit Impact of Market Strategies). Peters/Watermann (1984) analysierten den Erfolg bekannter amerikanischer Unternehmen. R. Berth (1991) stellt neun Thesen als Grundlage des Erfolges auf. A. Weissmann (1992) weist auf fünf

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Erfolgsfaktoren hin. Auch beim oft zitierten Lean Management werden besonders erfolgreiche Vorgehensweisen herausgestellt. A l l diese Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, aus denen sich folgende Erfolgsfaktoren herauskristallisieren: • • • • • • • • • • • •

Konzentration auf Kernfähigkeiten, konsequente Kundenorientierung, hoher Marktanteil, Innovation, Kreativität, Einmaligkeit, hohe Produktivität der Mitarbeiter, hohe Qualität und Zuverlässigkeit, permanente Verbesserung, einfache, flexible Organisation, konsequentes Handeln, Führung durch gelebte Werte und Visionen, straff-lockere Führung, Identifikation von Mensch und Aufgabe.

Eine spezielle auf die K M U ausgerichtete internationale Untersuchung wurde von der STRATOS- Gruppe (Strategy Orientation of Small and Medium Sized Enterprises, Bamberger/Pleitner 1988, Fröhlich/Pichler 1988) durchgeführt. Fortgesetzt und erweitert wurde diese Studie durch die INTERSTRATOS-Studie (Internationalisation of Strategy Orientation of Small Business). Diese Untersuchungen weisen als die 10 bedeutendsten Faktoren aus: • • • • • • • • • •

Produktqualität, Lieferzuverlässigkeit, Qualität der Mitarbeiter, Flexibilität, guter Ruf des Unternehmens, Kundendienst, Qualifikation des Managements, Organisation, Problemlösungsfähigkeit, Kreativität.

Auffallig ist, daß qualitative Erfolgsfaktoren eine wesentlich größere Bedeutung haben als quantitativ meßbare wie „niedrige Kosten" oder „gute Finanzierung". Quantitative Größen scheinen mehr eine Folge als eine Ursache erfolgreicher

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Entwicklungen in Unternehmen zu sein. Dies sollte bei der Strategieentwicklung entsprechend berücksichtigt werden.

3.

Entwicklung der Strategien

Bei der Entwicklung der unternehmens-spezifischen Strategien müssen die K M U nun analysieren, welche Erfolgspotentiale sie für sich in wirksame Erfolgsfaktoren umwandeln können und wie bzw. wo diese wirksam werden können. 3.1

Unternehmenskultur

Von steigender Bedeutung ist zweifellos die Unternehmenskultur, die sich in der gesamten Unternehmenskonzeption niederschlägt. Daher sei sie auch an den Anfang der Überlegungen gestellt. Allerdings ist sie als selbständig zu betrachtender Erfolgsfaktor noch wenig in das Bewußtsein der Führung der K M U eingedrungen. Sie schlägt sich bislang mehr unbewußt im gesamten Verhalten nieder. So weisen auch Fröhlich/Pichler/Voithofer (IfG-Mitt.2.Hj.94) auf eine zunehmende Orientierungslosigkeit hinsichtlich des ethischen Verhaltens von Führungskräften hin, obwohl immerhin der weitaus größte Teil der Unternehmen ein ethisch orientiertes Verhalten bejaht. Die Bedeutung der Unternehmenskultur zeigt sich in Faktoren wie gelebte Werte und Visionen, Identifikation zwischen Mensch und Aufgabe, Ruf des Unternehmens. Ein bekannter Manager sieht in der Gestaltung der Unternehmenskultur die zukünftige Hauptaufgabe des Managements. „Der Unternehmensleiter schafft nicht nur die rational und greifbaren Aspekte seiner Organisation, wie die Struktur und Technologie, sondern er ist auch der Schöpfer von Symbolen, Ideologien." Auch die Forderung nach Einmaligkeit weist in diese Richtung. Darum muß an dieser Stelle ausdrücklich gewarnt werden vor dem Mißverständnis dessen, was heute als „Benchmarking" proklamiert wird. Die sogenannte „Orientierung an dem Besten" darf nicht darauf hinauslaufen, den Besten zu imitieren. Die Einmaligkeit des eigenen Tuns, die eigene Unternehmenskultur ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. 3.2

Marketingstrategien

Eine der wesentlichsten strategischen Überlegungen betrifft den gesamten Marketingbereich. Gegenüber den Großunternehmen haben K M U dabei typische Stärken und Schwächen. Zu den Schwächen der K M U zählt neben den prinzipiellen Nachteilen aber auch die Tatsache, daß die Marktaktivitäten selten auf systematisch erarbeiteten, unternehmensgerechten Marketingstrategien beruhen. Überbreite Sortimente, überlange Wertschöpfungsketten, zu große Lei-

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stungstiefe, zu starke Entscheidungszentralisation sind Schwächen vieler KMU. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich durch das Merkmal Einfachheit aus. Sie bereinigen ihre Sortiments- und Kundenstruktur, sie optimieren die Leistungstiefe, sie streben eine integrierte Produktentwicklung an durch ein enges Zusammenspiel von Kunden, Marketing, Forschung und Entwicklung, Einkauf, Produktion, Vertrieb, Kundenservice und Lieferanten - also eine Wertschöpfung aus einem Guß. Wettbewerb ist heute ein Bewegungskrieg, in dem der Erfolg abhängig ist vom frühen Erkennen der Markttendenzen und der schnellen Reaktion auf sich wandelnde Kundenbedürfhisse. Erfolgreiche Wettbewerber gehen schnell, aber nicht hektisch, in Produkte und Märkte und wieder aus ihnen heraus. In einem solchen Umfeld ist die Quintessenz der Strategie nicht die Struktur der Produkte und Märkte eines Unternehmens, sondern die Dynamik seines Verhaltens. Die nächsten Jahre werden ein Jahrzehnt der Geschwindigkeit sein (economy of speed). „Es wird nur 2 Typen von Managern geben: die Schnellen und die Toten" (David Vice, Northern Telekom, USA). Dies widerspricht nicht langfristig angelegten Strategien, sondern die Dynamik muß Bestandteil solcher Strategien sein. 3.2.1 Markt und Wettbewerb K M U müssen den Markt definieren, auf dem sie sich betätigen wollen. Nur dann können die marktbezogenen Erfolgsfaktoren wirksam werden wie z.B.. hohe Marktanteile, hohe Qualität und Zuverlässigkeit, konsequente Kundenorientierung. Das Grundmerkmal des Marktes ist die Art der Leistung. Die Bestimmung der Leistung als Marktkennzeichen geht aber über die Festlegung der Branche hinaus. Es müssen Qualitäts- und Preisniveau, bestimmte Charakteristika der Leistung, Innovationsniveau etc. festgelegt werden. Der Markt muß außerdem in der regionalen Abgrenzung so bestimmt werden, daß die Kräfte zur guten Marktbearbeitung ausreichen. Allzu häufig werden Kräfte zersplittert und verpuffen wirkungslos, weil der Markt zu groß gewählt ist und aufgrund der beschränkten Finanz- und Personalressourcen nicht intensiv bearbeitet werden kann. Der Markt wird auch durch die Zielgruppe definiert. Die notwendige Dauerbeziehung zum Kunden läßt sich nur aufbauen, wenn diese Zielgruppe eindeutig festgelegt wird und die Leistungen auf die Bedürfnisse gerade dieser Kundengruppe ausgerichtet werden. Die Zielgruppe wird nicht nur nach Branchen definiert. Bestimmte technische Lösungen können in den verschiedensten Branchen benötigt werden. Der Markt wird auch charakterisiert durch seine Marktform. Für die K M U heißt das, daß sie prüfen müssen, welcher Konkurrenz und welchen Nachfragenden sie

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gegenüberstehen. Ein einflußloser polypolistischer Anbieter in einem oligopolistisch strukturierten Nachfragemarkt oder gar gegenüber einem Monopolisten bedeutet in der Regel eine fast aussichtslose Position. Auch K M U müssen in einem abgegrenzten Markt einen hohen Marktanteil anstreben. Es ist in der Realität auch so, daß das Oligopol auf der Angebotsseite die häufigste Marktform ist und sich auch K M U als Oligopolisten betätigen. Ob es der Handwerker in seinem regionalen Markt ist, ob ein Hersteller modische Bekleidung in seinem speziellen Genre anbietet, ob ein Maschinenbauunternehmen mit seinen Spezialmaschinen weltweit auftritt; sie alle haben für ihre Produkte nur wenige echte Konkurrenten und sind somit Oligopolisten. Das bedeutet, daß die übrigen Anbieter bekannt sind und die Oligopolisten untereinander auf marktpolitische Maßnahmen reagieren. Jede Marktmaßnahme des einen Oligopolisten wird von den übrigen in irgendeiner Form beantwortet werden müssen. Selbst eine monopolistische Marktstellung in einem engen Marktsegment ist für die K M U keine Ausnahme. Eine derartige Machtposition am Markt wird nicht durch Größe, sondern durch spezielles Wissen, technische Leistungsfähigkeit, Vertrauenspräferenz u. ä. erreicht. Auch wirtschaftliche Tatbestände wie Gewohnheiten, technische Verfahren, hohe Investitionssummen bis zum ersten Umsatzerfolg u. ä. machen es einem Newcomer häufig sehr schwer, in einen Markt einzudringen. Ein besonderes Machtpotential können gerade K M U durch persönliche Präferenzen aufbauen. Der Unternehmer oder sein Außendienst pflegt einen solch persönlichen Kontakt mit den Kunden, daß es für andere sehr schwer wird, ein ernsthafter Konkurrent zu werden. Auch sachliche Präferenzen können eine Machtposition begründen. Im Investitionsgüterbereich sind die Ergänzungen zu bereits gelieferten Maschinen bzw. Ersatzteile nur bei dem Erstlieferanten zu bekommen. Der Kundendienst eines Lieferanten ist so flexibel, schnell und entgegenkommend, daß der Kunde allein schon aus diesem Grund immer wieder die Produkte dieses einen Lieferanten kaufen wird. Häufig bietet eine Standortnähe schon eine Präferenz gegenüber anderen Mitbewerbern. Die strategische Frage lautet demnach: Wie können die Eintrittsbarrieren im Markt erhöht werden? Zeichnet sich ein Absenken der Eintrittsbarrieren ab und wird damit die eigene Stellung gefährdet? Aber auch umgekehrt! Welche neuen Märkte bieten neue Chancen durch Absenken der Eintrittsbarrieren? Ζ. B. verändert der Binnenmarkt die Eintrittsbarrieren erheblich. Zwar fallen viele nationale Schutzbestimmungen weg, die die Unternehmen vielleicht bislang vor ausländischer Konkurrenz geschützt haben. Der Wegfall der Schutzbestimmungen bietet aber auch neue Chancen auf neuen Märkten.

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Aber nicht nur die eigene Macht als Anbieter, sondern auch die fremde Macht der Nachfrageseite ist gerade für die K M U sehr wichtig. Zweifellos ist ein polypolistischer Nachfragemarkt am problemlosesten. Härter ist in der Regel der Wettbewerb auf einem oligopolistischen Nachfragemarkt. K M U müssen sich dann bemühen, durch eine entsprechende Marktstrategie soviel Marktmacht zu entwickeln, daß sie auch gegenüber einem starken Nachfrager bestehen können. Ein Monopolist als Nachfrager ist allerdings nur dann eine Dauerverbindung, wenn auch umgekehrt der Nachfrager vom Anbieter abhängig ist, eine sehr seltene Position für KMU. Festzuhalten ist, daß K M U kaum Überlebenschancen haben, wenn sie nicht gezielt individuelle Machtpositionen und Präferenzen entwickeln, die den Kunden veranlassen, auf Dauer beim Anbieter zu beziehen. Hauptaufgabe des Marketings ist daher, derartige Machtstellungen und Präferenzen in bestimmten Marktsegmenten aufzubauen. Die eigene Leistung muß sich so von der Konkurrenz unterscheiden, daß ein direkter Vergleich kaum möglich ist. Dabei kann es auch notwendig werden, freiwillig auf interessante Produkte rechtzeitig zu verzichten. Wenn ein Produkt so erfolgreich ist, daß es auch für größere Unternehmen als Serie interessant wird und dann ein Preiskampf einsetzt, sollte das Produkt bereits vor der Reifephase des Lebenszyklusses aufgegeben werden. „Hidden-Champions" beschränken sich durchweg auf relativ kleine Marktsegmente und versuchen innerhalb dieser Nischen durch Weiterentwicklung ihres Know-how eine Spitzenstellung zu erreichen bzw. zu behaupten. Diese Spezialisierung erleichtert es ihnen auch, zusätzliche Märkte zu gewinnen. Bei allen Vorteilen einer Nischenstrategie darf aber die Gefahr nicht verkannt werden, daß ein solches Marktsegment schrumpfen oder sich gänzlich auflösen kann. Eine sorgfältige Marktbeobachtung ist zwingend erforderlich, um derartige Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Zur Bestimmung der Marktstrategien gehört auch die Frage nach alten und neuen Märkten. Gerade in Zeiten allgemeiner Internationalisierung kommt dem eine große Bedeutung zu. Untersuchungen raten zur Vorsicht und Initiative gleichermaßen. Nicht zuletzt hängt dies auch von dem Unternehmertyp ab (Fröhlich/Pichler 1988). Sofern der angestammte Markt noch Entwicklungsmöglichkeiten bietet, ist die Marktdurchdringung die sicherere und kostengünstigere Strategie. Auch die Produktentwicklung in angestammten Märkten ist für die meisten Unternehmen die erfolgreichere gegenüber dem Eindringen auf neuen Märkten. Die Diversifikation ist die erfolgreichste Strategie lt. STRATOSStudie nur für Pioniere; diese allerdings betreiben zum größten Teil derartige Aktivitäten. Neue Produkte auf neuen Märkten werden sich für K M U aber nur dann anbieten, wenn ein neuer Bedarf und damit ein neuer Markt entsteht und

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dieser mit neuen Produkten beliefert werden kann, die mit vorhandenem Knowhow entwickelt werden können. So haben gerade K M U in dem neuen Markt der Ökologietechnik hervorragende Erfolge erzielt, weil sie flexibel und kreativ auf dem neuen Markt mit neuen Produkten in Erscheinung getreten sind, die sie aufgrund ihres Know-how in kurzer Zeit in hervorragender Qualität haben anbieten können. Diversifikation mit Verdrängungswettbewerb hat wenig Aussicht auf Erfolg. Hinterhuber/Thom (1979) haben die Kosten der verschiedenen Strategien untersucht: Marktdurchdringungsstrategie

100 %

Marktentwicklungsstrategie

400 %

Produktentwicklungsstrategie

800 %

Diversifikationsstrategie 3.2.2

1.200-1.600 %

Produktpolitk

Obige Überlegungen berühren schon die Produktpolitik. Sie ist nicht zu trennen von einer abgestimmten Innovationpolitik. Als produkt- und innovationsbezogene Erfolgspotentiale sind bekannt: Qualität, Know-how, Kreativität, Einmaligkeit, Konzentration auf Kernfähigkeiten, permanente Verbesserung. Heutige große Unternehmen begannen als Kleinstbetriebe und konnten sich aufgrund ihrer originellen und von der Allgemeinheit unterscheidenden Idee profilieren und schnell wachsen. So erkannte Nixdorf sehr früh, daß die Datenverarbeitung nicht nur für Großabnehmer interessant war, die sich Großrechner leisten konnten, sondern konzentrierte sich auf die Entwicklung von Systemen für die Abnehmer, die von den großen Anbietern noch nicht als interessant angesehen wurden. Das Mövenpick-Imperium entstand dadurch, daß ein Schweizer Kavallerieoffizier im traditionsbewußten Zürich ein Restaurant eröffnete, das anders aussah und pfiffigere Kost servierte als all die traditionellen Lokale. Das Angebot von kleinen Leckerbissen statt großen Menus, glasweisen Weinausschanks statt teurer Flaschen, veranlaßte die Züricher, wie die „Möven" einen Leckerbissen zu „picken". Neue Einflüsse müssen allerdings nicht immer zu einer grundlegenden Neuentwicklung führen. Die Grundkonzeption oder der Zweck des Produkts kann durchaus konstant bleiben und sogar eine vorteilhafte Kontinuität dokumentieren. Der VW-Käfer hat über Jahrzehnte das Grundkonzept mit luftgekühltem Heckmotor und der geschwungenen Karosserie beibehalten, aber sonst nutzte man den technischen Fortschritt konsequent. Am letzten Käfer gab es nur ein

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einziges Teil, das der dauernden Überarbeitung nicht zum Opfer fiel: die Klemmleiste für den Dichtungsgummi unter der Fronthaube. Die „Hidden Champions" zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Stärke weniger in spektakulären Neuerungen als vielmehr in der kontinuierlichen Verbesserung von Produkten und Verfahren sowie in der gezielten Neuentwicklung und Spezialisierung auf bestimmte Erzeugnisse liegt. Die Anforderungen an Neuentwicklungen dürfen aber nicht mit den Maßstäben der eigenen Vorstellungen gemessen werden, sondern müssen den Wünschen des Verbrauchers entsprechen. Kundenorientierung ist der oft zitierte, aber meist vernachlässigte Erfolgsfaktor. Häufig werden Entwicklungen überdimensioniert und viel zu kompliziert angeboten. Als Beispiel sei die Übertechnisierung vieler Produkte genannt, die die Nutzer überfordert und das Produkt erheblich verteuert. So gehen einige Unternehmen bereits dazu über, neben ihren High-TechProdukten bewußt Low-Tech-Produkte anzubieten. Diese Überlegungen treffen ebenso auf den Erfolgsfaktor Qualität zu. Auch Qualität ist nachfrageorientiert und nicht das, was der Unternehmer darunter versteht, sondern wie sie der Kunde sieht. 3.2.3 Weitere Komponenten des Marketing-Mix Weitere Bestandteile der Marketingpolitik sind die Kommunikations-, die Preisund die Distributionspolitik. Die nur beschränkt zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen sollten die K M U veranlassen, sich auch in der Kommunikationspolitik zu konzentrieren. Sowohl die zur Image-Pflege notwendige PR-Arbeit wie auch die Werbemaßnahmen müssen Bestandteil strategischer Überlegungen sein, da sie nur langfristig - aufgestellt nach einem einheitlichen Konzept - wirksam werden können. Angesichts der knappen Ressourcen muß aber jede Aktion gezielt und intensiv vorbereitet werden, um eine Verschwendung von Mitteln zu vermeiden. Es gibt viele Möglichkeiten, wie gerade in K M U aufgrund ihres begrenzten Personenkreises mit geringen Mitteln aber guten persönlichen Kontakten die Kundenbeziehungen intensiver gepflegt werden können als von Großunternehmen mit hohem Mitteleinsatz. Die Preispolitik sollte keinesfalls ein Kampfinstrument am Markt sein, auch wenn Preispolitik und Zahlungsbedingungen in der STRATOS-Studie als wesentliche Erfolgsfaktoren genannt werden. Die in schwierigen Zeiten erkennbare Anfälligkeit , die Anstrengungen zur Verbesserung der Situation einseitig auf Kostensenkung und niedrige Preise auszurichten, erweist sich meist als der falsche Weg, da dadurch häufig auch die Innovations- und Marktanstrengungen eingeschränkt werden. Der Erfolg der K M U wird weitgehend von der Ertragsseite bestimmt, auf der Aufwandsseite gibt es nur wenig Spielräume. So zeigt

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eine Untersuchung der European Foundation for Entrepreneurship Research (EFER, Europe's 500 Dynamic Entrepreneurs 1995), daß bei überdurchschnittlich erfolgreichen Unternehmen nur ca 20 % die Kostenfuhrerschafit anstreben im Gegensatz zur durchschnittlichen Konkurrenz (50 %). Sie verfolgen aber zu 60 % die Strategie der Produktdifferenzierung gegenüber der Konkurrenz, die weniger erfolgreiche Konkurrenz sieht darin aber nur zu 20 % einen bestimmenden Strategie-Inhalt. Eine frühere Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung (Albach 1984) bestätigt diese Aussage mit der Feststellung, daß bei den untersuchten Spitzenunternehmen in keinem Fall der Preis eine wichtige Rolle spielt. Das heißt nicht, daß K M U keine Preispolitik betreiben müssen. Auch sie müssen sich am Marktpreis orientieren. Selbst in einer Quasimonopolstellung laufen sie bei überhöhten Preisen Gefahr, durch Substitutionsprodukte vom Markt verdrängt zu werden. Preise sollten aber kein Gestaltungsmerkmal der Marketingstrategie sein. In der Distributionspolitik werden sich hinsichtlich Absatzwegen und Absatzorganen neue Notwendigkeiten ergeben. Je mehr die K M U über die bisherigen Märkte hinausgehen und internationale Beziehungen aufbauen, umso mehr werden sie neue Wege z.B. Kooperationen mit anderen Unternehmen beschreiten müssen. Auch die EFER-Untersuchung weist aus, daß die erfolgreichen Unternehmen sehr stark auf Partnerschaft und Kooperation bauen. Für Unternehmer, die sich bislang als „Einzelkämpfer" verstanden haben, oft ein schwerer Entschluß. Die physische Distribution bzw. Marketinglogistik ist heute nicht mehr als abgegrenzter Bereich des Marketing zu sehen. Sie ist Bestandteil der gesamten Logistik und muß in diesem Zusammenhang gesehen werden. Es sind alle innerbetrieblichen Bereiche in die Logistikproblemaik eingebunden. 3.3

Unternehmensinterne Strategien

Die neuen Marktanforderungen haben erhebliche Veränderungen innerhalb des Unternehmens zur Folge. Die alten Funktionen werden in ihrer Abgegrenztheit nicht bestehen bleiben. Erfolgreiche K M U werden in Zukunft die Gesamtheit der heute üblichen Funktionen nur noch in Ausnahmefällen im eigenen Unternehmen haben. Dadurch entstehen völlig andere Unternehmen, bei denen die Grenzen nach außen flüssig werden. Nur so können Erfolgsfaktoren wie einfache flexible Organisation, Produktivität, Qualitätssicherung, Lieferzuverlässigkeit wirksam werden.

22 3.3.1

Bussiek, Erfolgsstrategien von kleineren und mittleren Unternehmen

Organisationsstrategien

Eine wesentliche Schwäche heutiger Organisationen ist der Vorrang der Aufbauorganisation mit seiner an traditionellen Funktionen ausgerichteten Stellenbildung und seiner hierarchischen Struktur. Dazu kommt eine Vorstellung von „Fabrik", die darauf beruht, daß alle Aufgaben in der Obhut des Unternehmens und unter Aufsicht der übergeordneten Stellen zu erfolgen hat. Es scheint nur eine Aufgabenerfüllung im eigenen Unternehmensbereich oder in gänzlich getrennten „Fabriken" zu geben. Eine Auflösung dieser internen und externen Abgrenzung mit ihren vielen Schnittstellen ist aber erforderlich. Die Dienstleistung bestimmt heute das Unternehmen. 75 - 90 % der Lohnkosten eines Fertigungsunternehmens gehen heute in den Dienstleistungssektor, in Wissensarbeiten in den Bereichen Informationssystem, Entwicklung und Konstruktion, Finanzwesen, Marketing, Training, usw.. Darauf muß sich das Unternehmen einstellen. Konzentration auf Kernfähigkeiten ist auch hier das Gebot der Stunde. Was andere besser können, sollte von anderen gemacht werden und die entsprechende Funktion ausgelagert werden. Ein erster Schritt zur Auflösung traditioneller Strukturen ist das Outsourcing, z.B. das Verlagern administrativer Arbeiten in das private Umfeld. Dies wird durch den Fortschritt der Elektronik ermöglicht. Im Rahmen einer Studie des Wirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen wurde bei 22 großen und mittleren Unternehmen verschiedener Branchen eine Untersuchung dieser Art der Arbeit gemacht. 41 % dieser Unternehmen wollen diese Telearbeit auf weitere Aufgabenbereiche ausdehnen, 36 % auf weitere Mitarbeiter in den bereits angesprochenen Bereichen. Aber auch Außendienstmitarbeiter im Verkauf und im Kundenservice müssen während der Arbeitszeit nicht mehr ins Büro kommen, sondern können den gesamten Tag für ihre Außendiensttätigkeit nutzen. Die Verbindung mit der Zentrale erfolgt vom heimischen Computer aus. Der Zeitgewinn durch die nicht mehr erforderlichen Fahrten zum Unternehmen ist erheblich. So geht z.B. auch in Handwerksunternehmen noch viel Zeit verloren, wenn deren Mitarbeiter nicht direkt von der Wohnung zur Arbeitsstelle fahren, sondern erst im Unternehmen eintreffen und von dort eingesetzt werden. Der Schritt vom Outsourcing mit Angestelltenverträgen über freie Mitarbeiter mit Werkverträgen zur echten Ausgliederung von Funktionen (Spinn Off) ist nur graduell. Es ist auch in K M U die strategische Überlegung erforderlich, ob in sich abgeschlossene Funktionen einer Person oder ganzer Abteilungen verselbständigt und dem oder den Mitarbeitern als selbständige Unternehmer oder anderen bestehenden Unternehmen übertragen werden. Dabei ist allerdings das rechtliche

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Problem des Teil-Betriebsübergangs zu beachten. Dazu hat der Europäische Gerichtshof (Rs C-392/92) entschieden: „Auch ein einzelner Arbeitnehmer kann Teil des Betriebes sein, bei dem er angestellt ist. Wird die Aufgabe des Arbeitnehmers auf ein Dritt-Unternehmen übertragen, handelt es sich um einen TeilBetriebsübergang mit der Folge, daß das Arbeitsverhältnis automatisch mit dem Dritt-Unternehmen fortgesetzt wird". Die verbleibenden Funktionen werden neuen Arbeitsabläufen unterworfen werden müssen. Die Aufbauorganisation verliert ihre Bedeutung und wird durch eine ablauforientierte Organisation abgelöst. Die einzelnen Aufgaben des Unternehmens können heute durch die Möglichkeit der Elektronik und damit der Verzahnung aller betrieblichen Daten zu einem gesamten Prozeß verbunden werden. Gänzlich neue Arbeitsbereiche werden damit gebildet. Alte hierarchische Organisationsstrukturen verlieren ihre Bedeutung und werden durch hierarchiearme, ablauforientierte Formen ersetzt (z.B. Netzorganisation, Prozeßorganisation). Dabei wird die Logistik eine Schlüsselrolle spielen. Wer das logistische Handwerk beherrscht, kann schneller als der Wettbewerb mit neuen Produkten und Dienstleistungen auf dem Markt sein, kann die Durchlaufzeiten der Fertigung verringern, kann durch elektronisch gesteuerte Lagerhaltung und Verteilsysteme bis zum Kunden die Zeit vom Bestelleingang bis zur Anlieferung nicht nur verkürzen, sondern Liefertermine auch zuverlässiger und pünktlicher einhalten. Der schnelle Wandel von Mode und Technik fuhrt zu höheren Umstellungszeiten, kleineren Produktionslosen, mehr Produkt- und Variantenvielfalt. A l l das sind Erfordernisse, die mit entsprechender logistischer Steuerung bewältigt werden können. Logistikexperten beklagen immer wieder ein zu enges Ressortdenken. K M U sollte es aber leichter als Großunternehmen möglich sein, diese Forderungen nach integrierter Steuerung des gesamten Prozesses zu erfüllen. Z.B. konnte ein mittleres Unternehmen durch ein Bündel von organisatorischen Umstellungen die Lieferzeit von ca. 6 Wochen auf höchstens 5 Tage verkürzen. Eine solche Reorganisation enthält auch die Verlagerung von mehr Entscheidungskompetenz in die ausfuhrenden Arbeitsstellen, die nicht mehr als Einzelarbeitsplätze anzusehen sind, sondern als Teams organisiert werden. Derartige selbständige Teams können dann schneller entscheiden und sich den sich ständig veränderndem Anforderungen anpassen. Zur strategischen Neuorientierung des Arbeitskräfteeinsatzes gehört ebenfalls die Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) zur Überbrückung von Engpässen oder für spezielle, nur sporadisch anfallende Arbeiten. Angefangen bei Hilfskräften reicht das Angebot über Facharbeiter und Büropersonal bis hin zu hoch qualifizierten Spezialisten. Bei der notwendigen Flexibilisierung im Leistungsprozeß und den steigenden Anforderungen an Spezialwissen wird die Leiharbeit

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Bussiek, Erfolgsstrategien von kleineren und mittleren Unternehmen

gerade in K M U an Bedeutung gewinnen, da diese die notwendigen Reserven nicht in Bereitschaft halten können. Eine bessere Verteilung der Arbeitszeit entsprechend der Auftragslage (z.B. Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeit) und eine wesentliche Ausweitung der Betriebsmittelzeit wird in Zukunft erforderlich sein. Es ist wirtschaftlich untragbar, daß die kapitalintensiven Anlagen nur 35 Std./Woche oder weniger arbeiten. Durch Trennung von Betriebszeit und Arbeitszeit sollte die Betriebsmittelzeit wesentlich erhöht werden, um die hohen Fixkosten zu senken und so einen Ausgleich für die hohen Arbeitskosten zu bekommen. Mitarbeiter in Unternehmen mit derartigen Arbeitszeitregelungen sehen darin durchaus auch Vorteile für ihre eigene Lebensgestaltung. Derartige grundlegende Änderungen müssen begleitet sein von Permanenz, Konsequenz und Perfektion im Kleinen. Das unaufhörliche Streben nach Perfektion als kontinuierlicher Verbesserungsprozeß ist K M U noch weitgehend fremd. Einerseits verführt das ABC-Analyse-Denken dazu, sich nur mit den großen Problemen der Verbesserungsmöglichkeit zu befassen und dabei tausend kleine Fehler nicht zu erkennen. Andererseits läßt die Intensität der Verbesserungsanstrengungen in Zeiten guter Auftragslage erheblich nach. Die permanente Verbesserung bezieht sich auch auf den Erfolgsfaktor Vermeidung von Verschwendung in sämtlichen Bereichen des Unternehmens. Das Maß für Verschwendung bestimmt der Kunde. Für notwendige Aktivitäten mit Wertzuwachs ist der Kunde bereit zu zahlen. Für nicht notwendige Aktivitäten ohne Wertzuwachs ist der Kunde nicht bereit zu zahlen, sie sind Verschwendung. Die Schätzungen, in welchem Umfang Verschwendung dieser Art betrieben wird, sind unterschiedlich und reichen bis zu 90 % außerhalb der eigentlichen Produktion. Letztlich muß auch die Standortpolitik klar festgelegt werden. Dabei sollte aber nicht zu leichtfertig der negative Aspekt zu hoher Löhne und Lohnnebenkosten als allein ausschlaggebendes Kriterium angesehen werden. Schon manche Standortverlagerung in lohngünstige Regionen, vielleicht sogar mit Steuerpräferenzen, haben sich als Fehlschlag erwiesen, weil die gesamte Infrastruktur nicht stimmte, weil Kleinigkeiten wie z.B. fehlende Ersatzteile, mangelhafter Kundendienst, schwankende Stromspannungen, schlechte Transportbedingungen etc. erhebliche Verluste verursachten. Gerade K M U können diese Schwierigkeiten nicht aus eigener Kraft bewältigen, Großunternehmen können sich ggfs. die notwendigen Bedingungen selbst schaffen.

Bussiek, Erfolgsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen

3.3.2 Führungs- und Personalstrategie Derartige Veränderungen können aber nicht ohne eine entsprechende Führungsund Personalstrategie durchgeführt werden. Hier kommen Erfolgsfaktoren zur Wirkung wie Qualität des Managements, Führung durch gelebte Visionen und Werte, straff-lockere Führung und konsequentes Handeln. Die Art und Weise der Führung wirkt sich auch direkt auf die Potentiale im Mitarbeiterstamm aus. Können durch den Führungsstil diese Potentiale geweckt werden oder werden sie verschüttet, verlassen die guten selbständigen Mitarbeiter das Unternehmen, weil sie sich nicht entwickeln können oder werden die entsprechenden Erfolgsfaktoren wirksam wie: Qualität und Produktivität der Mitarbeiter, Integration der Mitarbeiter, Kreativität, technisches Know-how und Kompetenz. Der amerikanische Philosoph Waldo Emerson (1803-1882) hat gesagt: „Wessen wir am meisten im Leben bedürfen ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind." Genau das ist die Führungsaufgabe. Antoine de SaintExupéry sagte einmal dazu: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer." In der Führungsstrategie werden die Grundsätze aufgestellt, nach denen diese Führungsaufgabe bewältigt werden soll. Zunächst sei festgehalten, daß in den K M U die Persönlichkeit des Unternehmers sehr prägend auf den gesamten Führungsstil einwirkt. Damit soll dem Unternehmer kein Freibrief für ein beliebiges Verhalten gegeben werden. Es wäre aber eine Illusion, zu glauben, ein antrainiertes Verhalten wäre der Weisheit letzter Schluß. Ein charismatischer Führer wird immer einen anderen Stil haben als ein verwaltender Routinier. Auf diesen Feststellungen bauen die personalpolitischen Überlegungen auf. Die wesentliche Voraussetzung für eine Motivation ist sicher ein als gerecht empfundener Lohn. Spezielle Untersuchungen in K M U zeigen aber, daß neben der Lohngerechtigkeit auch der Mitarbeiterbeteiligung an der Entscheidungsfindung große Bedeutung zugemessen wird (STRATOS). Dieser Einbeziehung in die Entscheidung muß dann auch die Anerkennung folgen (Pleitner, 1981). Kontraproduktiv ist es, wenn Mitarbeiter gute Entscheidungen und Anregungen einbringen, andere aber die Erfolge daraus fur sich verbuchen. Eine Anerkennung muß außerdem unverzüglich erfolgen. Es kommt mehr auf das „wie" als auf das „wieviel" an. Als etwas außergewöhnliches Beispiel schildern Peters/Watermann folgenden Vorfall: In einem großen amerikanischen Unternehmen kommt zu später Abendstunde ein Wissenschaftler mit einem funktionierenden Prototyp ins

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Bussiek, Erfolgsstrategien von kleineren und mittleren Unternehmen

Büro des Präsidenten. Beeindruckt von der Leistung wollte er den Mitarbeiter sofort belohnen, suchte in seinem Schreibtisch, fand nichts als eine Banane und sagte einfach: „Da!" und gab ihm die Banane. Seitdem ist die goldene Banane in diesem Unternehmen die höchste Anerkennung für wissenschaftliche Leistung. Zur Art der Führung gehört auch die innerbetriebliche Kommunikation. Ein Führungsverhalten, das vor allem durch Informationskonzentration auf wenige Führungskräfte gekennzeichnet ist, wird von der überwiegenden Mehrheit der Mitarbeiter abgelehnt. „Motivation durch Information" beugt Desinteresse und Entfremdung vor. Auch die EFER-Untersuchung bestätigt die herausgehobene Bedeutung der Personalpolitik bei den Europe's 500 Dynamic Entrepreneurs. 3.3.3

Führungsinstrumente

Auf die besondere Bedeutung der Information als Führungs- und Motivationinstrument wurde schon hingewiesen. Gerade dieser Sektor ist in K M U aber noch sehr unterentwickelt. Bei der Beurteilung der Information ist zu unterscheiden zwischen internen und externen sowie vergangenheitsbezogenen und zukunftsbezogenen Information. Die sich aus der Kombination ergebenen 4 Informationsarten sind in ihrer Bedeutung für Managemententscheidungen - und das ist der wesentliche Gesichtspunkt - sehr unterschiedlich zu bewerten. Die Betriebswirtschaftslehre hat die internen, vergangenheitsbezogenen Informationen insbesondere im Bereich des Rechnungswesens bis zu einer Perfektion entwikkelt (die EDV gab dazu die Möglichkeiten), die vor Jahren noch unvorstellbar erschien. Dabei wurde aber vernachlässigt, daß sich das Umfeld des Unternehmens und damit die Entscheidungsgrundlagen erheblich verändert haben und die alten, noch so perfekten Instrumente nicht die notwendige Aussagefähigkeit für zukunfitsbezogene Entscheidungen haben. So entsteht ein Instrumentarium aus unendlich vielen Daten (sie lassen sich halt so schön nach den unterschiedlichsten Fragestellungen hin-und herschaufeln), das mehr den Eindruck eines Disziplinierungsinstrumentes zur Schuldzuweisung oder Rechtfertigung weckt, als den Charakter eines zukunftsorientierten Entscheidungsinstrumentes hat. Mussnig zeigt sehr deutlich auf, daß das Rechnungswesen noch immer von einer Produktionsorientierung (Verkäufermarkt) der Betriebe ausgeht, und damit zum großen Teil nicht entscheidungsorientiert ist. Die Umstellung auf die Absatzorientierung (Käufermarkt) findet noch kaum ihren Niederschlag im Rechnungswesen (Mussnig, 1995). Was benötigt wird sind gerade die Informationen, die die Unternehmen und insbesondere die K M U am wenigsten haben, die zukunftsorientierten, externen Informationen, die rechtzeitig bevorstehende Veränderungen signalisieren. Dar-

Bussiek, Erfolgsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen

über hinaus müssen die Führungsinstrumente alle Mitarbeiter für die Ertragserwirtschaftung sensibilisieren. Der Grundsatz, „der Kunde bezahlt nur das, was seinen Nutzen mehrt", muß sich auch in den diversen Abrechnungen niederschlagen, selbst in Bereichen, die dem Marktgeschehen sehr fern sind. Im Abschnitt „Preispolitik" wurde bereits auf die Tatsache hingewiesen, daß der Erfolg der K M U von der Ertragsseite her bestimmt wird. Die Ertragsseite muß also in den Systemen des Rechnungswesens mehr Berücksichtigung finden, die schwerpunktmäßige Ausrichtung auf die Kostenseite verführt zu einem falschen, budgetorientierten und nicht ertragsorientierten Verhalten. Ansätze dazu bieten die Prozeßkostenrechnung verbunden mit dem Target Costing, eine Erweiterung des Profitcenter-Gedankens auf Abrechnungsobjekte, die bislang noch nicht als Profit-Center angesehen werden und ein Verzicht auf marktferne Verrechnungsgrößen (hochgerechnete Budgets, Verrechnugnspreise, Definition von nicht verkauften Beständen als Ertrag etc.). Ihren Niederschlag finden solche Überlegungen im Erfolgsbeitragsmangement (Bussiek 1981, 1994). Dieses geht von der Grundüberlegung aus, daß alle Aktivitäten gleichzeitig Kosten und Leistung und damit Ertrag verursachen. Daher müssen zur erfolgsorientierten Steuerung bei den Entscheidungen beide Größen berücksichtigt werden. So kann für zusammengefaßte Abrechnungsobjekte (Bereiche, Produktgruppen, Kundengruppen etc.) durch die Gegenüberstellung von Kosten und Ertragsanteilen der Beitrag zum Unternehmenserfolg (Erfolgsbeitrag) verdeutlicht werden. 3.4

Umsetzungsprobleme

Umstellungen dieser gravierenden Art sind nicht ohne Probleme durchzuführen. Der Mensch ist von Natur aus Veränderungen gegenüber nicht unbedingt aufgeschlossen, er baut eine innere Blockade gegen Neuerungen auf, bis sie unvermeidbar werden. So zeigen Untersuchungen, daß es sowohl der Führung wie auch den Mitarbeitern schwer fällt, sich solchen umfassenden Umstellungen zu unterziehen. Dazu kommt eine gewisse Betriebsblindheit, die die Schwächen nicht erkennen läßt. Auf dem International Small Business Congress in Nashville (1991) wurde die begründete Befürchtung laut, daß ein Großteil der K M U nicht in der Lage sei, diese Umstellungen rechtzeitig durchzuführen. Die Zukunft wird zeigen, ob es bei der Mehrzahl der K M U ohne große personelle Veränderungen möglich ist, einen noch gesunden Betrieb rechtzeitig weiter zu entwickeln oder ob erst eine Existenzgefährdung die notwendige Lernbereitschaft erzeugt. Häufig wird auch erst ein Generationenwechsel in der Führung zur Erneuerung führen. Leichter haben es Neugründungen, die schon vom Beginn an derartige Strategien verfolgen können. Es ist nicht auszuschließen, daß die oben beschriebenen Entwicklungen in den bestehenden K M U größtenteils erst über den Führungswechsel erfolgen oder durch einen Austausch der Unternehmen (Untergang

28

Bussiek, Erfolgsstrategien von kleineren und mittleren Unternehmen

und Neugründung) die erforderlichen Veränderungen in der Gesamtheit der K M U vollzogen werden.

Literatur Albach,H./Held,T. Hrsg.:Betriebswirtschafitslehre men, Stuttgart 1984

mittelständischer Unterneh-

Bamberger,I/Pleitner,H.J. Hrsg.:Strategische Ausrichtung kleiner und mittlerer Unternehmen, Berlin 1988 Berth,R.: Patentrezepte für Manager - gibt es das? in Gablers Magazin 8/91 Bussiek, J.:Erfolgsorientierte Steuerung mittelständischer Unternehmen, München 1981 Bussiek,J.:Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen, München 1994 Chew,B.W.: Beating Murphy's Law, in:Sloan Management Review, Spring 1991 EFER/European Commission:Europe's 500 Dynamic Entrepreneurs, Gent 1995 Fröhlich,E./Pichler,J.H.: Werte und Typen mittelständischer Unternehmer, Berlin 1988 Fröhlich,E./Pichler,J.H./Voithofer, P.: INTERSTRATOS 1994 Werte-Unternehmertypen-Anpassungsstrategien in IfG-Mitteilungen Wien 2.Hj.l994 Hinterhuber,H.H./Thom,N.:Innovation Wirtschaft, Heft 2,1979

in Unternehmen

in:Literatur

Berater

Mugler,J.: Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, Wien 1993 Mussnig,W.: Von der Kostenrechnung zum Management Accounting, Klagenfurt 1995, Wiesbaden 1996 Peters,T.J./Watermann.: Auf der Suche nach Spitzenleistungen, Landsberg 1984 Pleitner,H.J.:Die Arbeitszufriedenheit von Unternehmern und Mitarbeitern in gewerblichen Betrieben, Berlin 1981 Weissmann,A. .Management-Strategien - fünf Faktoren für den Erfolg,Landsberg 1992

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

29

Rainer Bramsemann

Ein Erfolgssteuerungssystem für Kleinbetriebe 1.

Rahmenbedingungen zukunftsorientierter Unternehmenspolitik in Klein- und Mittelbetrieben

Die Strukturen von Organisationen sind durch das Umfeld bestimmt, in dem sich die Organisation befindet. Dieser Kontext läßt sich durch eine Anzahl von Merkmalen beschreiben, wie etwa Umfeldkomplexität und -dynamik, Unternehmensgröße, Rechtsform, Branchenzugehörigkeit, Unternehmensorganisation, vertikale Abhängigkeit, Führungsstil. Die langfristige Sicherung der Organisation hängt davon ab, inwieweit es gelingt, diesen Faktoren durch konstitutive und situative Entscheidungen Rechnung zu tragen. Die wirtschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit bewirken in vielen Wirtschaftszweigen eine verstärkte Umfelddynamik und Umfeldkomplexität. Sie fuhrt zu einer zunehmenden Unsicherheit in der Entscheidungsfindung, da sie die zur Verfügung stehende Zeit verkürzt und gleichzeitig die Anzahl der zu berücksichtigenden Informationen ansteigen läßt. Die Situation verlangt •

Handelnde, die sich aufklare und abgestimmte Strategien stützen,



Organisationsformen, die die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen erhöhen,



Instrumente zur Information, Steuerung und Kontrolle strategischer und operativer Tätigkeiten.

Klein- und Mittelbetriebe 1 sind neben ihrer quantitativen Beschreibung insbesondere durch folgende Kriterien gekennzeichnet:2 •

Leitung durch den Eigentümer bzw. mehrheitlichen Kapitaleigner



Überschaubarkeit des Unternehmens für den Inhaber aufgrund der Größe

1

Die Betriebsgröße wird hier nach den Merkmalen Umsatz und Beschäftigtenzahl abgegrenzt. Bezogen auf das verarbeitende Gewerbe gelten als Kleinbetriebe Betriebe mit einer Beschäftigtenzahl bis 50 Mitarbeiter und einem Umsatzvolumen bis 5 Mio. DM. Als Mittelbetriebe werden Betriebe mit einer Beschäftigtenzahl von 50 bis 500 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von 5 bis 50 Mio. D M eingestuft. Bezüglich weiterer Abgrenzungskriterien vgl. Bussiek, J. : Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre für Klein- und Mittelunternehmen, München, Wien 1994, S. 17 ff. (Bussiek 1994)

2

vgl. Bussiek 1994, S. 18 ff.

30

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe



Vorrang der Ziele „Unternehmenssicherung" und „Selbständigkeit" vor „Gewinnsteigerung"



personenbezogene Prägung der Unternehmensleitung



begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen.

Die Unterversorgung vieler Klein- und Mittelunternehmen mit Controllingsystemen3 ist häufig die Folge einer Unternehmermentalität, die in einer tendenziellen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten Kontroll- und Steuerungssystemen mißtraut. Häufig fuhren erst Unternehmenskrisen mit einer unmittelbaren oder mittelbaren Bedrohung der ertragsmäßigen und/oder liquiditätsmäßigen Situation zu einem Umdenken. Dieser Zeitpunkt kann aber bereits zu spät sein.4 Das Ziel der langfristigen Unternehmenssicherung besteht in der Suche, Schaffung und Erhaltung hoher und sicherer Erfolgspotentiale. Als Erfolgspotentiale gelten sämtliche geschäftsspezifischen Voraussetzungen, die für die Realisierung des laufenden und zukünftigen Erfolges notwendig sind.5Es besteht Übereinstimmung darin, daß die Lösung dieser strategischen Aufgaben nur beschränkt mit den Informationen und dem Instrumentarium eines vergangenheits-orientierten Dokumentationssystems, dem externen Rechnungswesen, zu bewältigen ist. Notwendig ist eine systemimmanente Zukunftsorientierung; gefragt sind zusätzlich Abrechnungs- und Steuerungsinstrumente auf Renditebasis und Techniken mit planerischem Bezug.

2.

Der Denkansatz Controlling

2.1

Begriff und Aufgaben des Controlling

Das moderne Controlling versteht sich als Teilfunktion der Unternehmensführung (Managementaufgabe) und als fuhrungsunterstützendes (begleitendes) System mit der Aufgabe der Beschaffung und Bereitstellung von Instrumenten und Techniken zur Planung, Informationsversorgung und Steuerung

3

4

5

vgl. hierzu Bramsemann, R.: Handbuch Controlling, 3. Aufl. München, Wien 1993, S. 59 (Bramsemann 1993); Kind, H.: Das interne Rechnungswesen mittelständischer Industrieunternehmen, Emden 1984 , S. 32; (Kind 1984); Niedermayr, R.: Die Realität des Controlling, in: Eschenbach, R.: Controlling, Stuttgart 1995, S. 156 ff.); (Niedermayr 1995) In Betrieben bis 49 Beschäftigten sämtlicher Wirtschaftszweige bilden Führungsmängel mit 79 % der Ursachenarten nach der Finanzierung die Hauptursache betrieblicher Insolvenzen (vgl. Klein-Blenkers, F.: Sicherung des Betriebes als ein Führungsproblem mittelständischer Unternehmer, in: Sundhoff, E., Klein-Blenkers, F. [Hrsg.]: Mitteilungen des Instituts für Handelsforschung an der Universität zu Köln, Heft 3 [1983], S. 47. (Klein-Blenkers 1983) vgl. hierzu Bramsemann 1993, S. 71, 227, 360

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

31

(instrumentaler Controlling-Begriff). Controlling will als Querschnittsfunktion die zielgerichtete und zukunftsorientierte Systemsteuerung ermöglichen. Controlling beinhaltet damit Anpassung, Innovation, Zielausrichtung und Service. In der Sicht des systemorientierten Ansatzes der Betriebswirtschaftslehre eröffnet Controlling die Analogie zur Systemsteuerung. Als klassische Aufgabenfelder des Controllers ergeben sich:6 1. Planung und Budgetierung 2. Kosten- und Leistungsrechnung 3. Finanzbuchhaltung 4. Berichts- und Informationswesen 5. Finanzwesen 6. Allgemeine und spezielle Analysen einschließlich Überwachungsaufgaben 7. Organisation und Verwaltung Die Controllingfunktion ist unabhängig von einer eigens dafür eingerichteten Stelle oder Abteilung realisierbar. Controlling ist damit auch unabhängig von der Betriebsgröße. Ein vorhandener Controllingbereich ist lediglich der organisatorische Ausdruck einer herrschenden Arbeitsteilung. Die Stelle des Controllers und die Funktion Controlling sind voneinander zu trennen: Der Controllingprozeß (Zielsetzung, Planung, Realisation, Soll-Ist-Vergleich) wird bezüglich seiner Inhalte von jedem Manager selbst durchgeführt; der Controller „managt" das Controlling im Sinne des instrumentalen Controlling-Begriffs. Er schafft die Systemvoraussetzungen und organisiert den formalen Prozeß. Controlling entsteht als „Schnittmenge" der Tätigkeitsfelder von Managern und Controllern. 7 2.2

Bausteine eines Controlling-Systems

Die Einrichtung eines Controlling-Systems erfordert unter Berücksichtigung der jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten als Mindestausstattung: Planungssysteme Unternehmensgrundsätze, Zielsystem, Strategische Planung, Operative Planung, Taktische Planung

6 7

Bramsemann 1993, S.50 vgl. Deyhle, Α.: Controller und Controlling, in: Die Orientierung Nr. 93, Bern 1988 (Deyhle 1988); Controller-Verein: Leitbild Controller, o.J., S. 8 (Controller-Verein)

32

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

Abrechnungs- und Kontrollsysteme Finanzbuchhaltung, Kosten- und Leistungsrechnung (Erfolgssteuerungssystem) Informationssystem Basisinformationssystem, Management-Informationssystem Angepaßte Führungsorganisationen Die Reihenfolge der Einfuhrung der einzelnen Controlling-Module wird üblicherweise nach einer Erfassung und Analyse der Istsituation des Unternehmens bzw. der Organisationseinheit durchgeführt. Die Leistungsfähigkeit des Erfolgssteuerungssystems wird maßgeblich durch den Entwicklungsstand des externen Rechnungswesens bestimmt. Insofern ist die Abfolge in der Realisation der Controlling-Module wie folgt festgelegt: 1. Finanzbuchhaltung, 2. Kosten- und Leistungsrechnung, 3. Informationssystem, 4. Planungssystem. Es bietet sich an, die Entwicklung und Anpassung der Module Finanzbuchhaltung und Kostenund Leistungsrechnung (Erfolgssteuerungssystem) parallel durchzufuhren. 2.3

Anforderungskatalog und Sollkonzeption für ein Erfolgssteuerungssystem im Kleinbetrieb

Das Erfolgssteuerungssystem muß die folgenden Anforderungen erfüllen: •

Darstellung der Unternehmensentwicklung insgesamt und in den einzelnen Einheiten wie Produktgruppen, Kundengruppen, Leistungsarten, durch Transparenz von Ist-Kosten, Ist-Erlösen und Ist-Leistungen auf Monatsbasis.



Entwicklung eines Ziel- und Informationssystems auf der Basis typischer Führungskennziffern und Möglichkeit der dezentralen Zielvereinbarungen.



Ergänzung der Ist-Darstellung um eine mitlaufende operative Planung. Ermöglichung von Soll-Ist-Vergleichen einschließlich Analyse der wichtigsten Abweichungen.



Plan- und Ist-Kalkulation mit verschiedenen Preisuntergrenzen.



DV-gestützte Auswertung der Daten der Finanzbuchhaltung ohne zusätzlichen Erfassungsaufwand.



Einbindung in vorhandene Abrechnungssysteme und DV-Systemumgebungen. Keine zusätzlichen Hardwarekosten.

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem fìlr Kleinbetriebe

33

Diese Anforderungen werden durch controllinggerechte Systeme der Kostenund Leistungsrechnung erfüllt 8 . Sie stellen sich als integrierte Parallelrechnungen auf Voll- und Teilkostenbasis in etwa der folgenden Struktur dar: •

flexible (Voll)Plankostenrechnung in Kombination mit einer Grenzplankostenrechnung



Fixkostendeckungsrechnung



Relative Einzelkostenrechnung

als Systeme mit einer gestuften ^

Deckung der Vollkosten

Das Erfolgssteuerungssystem für Kleinbetriebe wird als System einer gestuften Deckungsbeitragsrechnung realisiert basierend auf den Grundgedanken der Relativen Einzelkostenrechnung 9: Definiert man den Deckungsbeitrag als Differenz zwischen dem Erlös und „bestimmten" Kosten, entfallt die Notwendigkeit der strengen Trennung in fix und proportional. Sämtliche Kosten werden als Einzelkosten bezogen auf die jeweilige Zuordnungseinheit (Organisationseinheit) aufgefaßt. Die Zuordnung erfolgt derart, daß sie in der Hierarchie möglicher Zuordnungseinheiten dort ausgewiesen werden, wo sie eindeutig und ohne zusätzliche Schlüsselung verrechnet werden können. Unter Berücksichtigung der Erlöse der Organisationseinheiten entsteht in einer retrograden Rechnung so ein vieldimensionales hierarchisches System von Erfolgsgrößen. Es verzichtet auf die Erstellung eines Betriebsabrechnungsbogens und legt die Schwerpunkte auf Erfolgsanalyse, Kalkulation und Planung. Für diese Entscheidung sind folgende Gründe maßgebend: •

Eine Kostentrennung in fix und proportional und eine darauf aufbauende einstufige Deckungsbeitragsrechnung führt in Wirtschaftszweigen mit einem hohen Fix- (Gemein-) kostenanteil bezogen auf die Gesamtkosten wegen der fehlenden verursachungsgerechten Fixkostenverrechnung zu wenig aussagefahigen Ergebnissen. Dies gilt für die Mehrzahl der Handels- und Dienstleistungsbetriebe.



Der Ausweis gestufter Deckungsbeiträge und Kennziffern der jeweiligen Zurechnungseinheiten unterstützt den Gedanken der dezentralen Erfolgspla-

8

Als controllinggerecht gelten Systeme, die folgende Anforderungen erfüllen: 1.: Ermittlung der Kosteneinflußgrößen durch systemimmanente Kontrollen sämtlicher Kostenarten (Wirtschaftlichkeitskontrollrechnung), 2.: Bereitstellung von Erfolgsinformationen zur laufenden Steuerung der Leistungserstellung und Leistungsverwertung (entscheidungsorientierte Rechnung).

9

vgl. Riebel, Paul: Das Rechnen mit Einzelkosten und Deckungsbeiträgen, in: Riebel, P.: Einzelkosten· und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl., Wiesbaden 1994, S. 39 (Riebel 1994 I)

34

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

nung und Erfolgskontrolle. Die im Rahmen dieses Abrechnungssystems möglicherweise noch entstehenden Fix- (Gemein-)kostenblöcke werden durch ihre Lokalisierung in Zuordnungs- (Verantwortungs-) bereiche und ihre z.B. kostenartenweise Schichtung transparent und damit leichter plan- und steuerbar. •

Für Zwecke der Vorkalkulation lassen sich verschiedene Preisuntergrenzen durch gestufte Soll-Deckungszuschläge darstellen.



Das System ist infolge seiner einfachen Struktur auch für Ungeübte schnell durchschaubar.



Der Erfassungs- und Abrechnungsaufwand wird weitestgehend automatisiert. Das System bindet im eingeschwungenen Zustand keine zusätzlichen personellen Ressourcen und initiiert wenig Einführungswiderstände; die Eingabe ergänzender Daten kann von der bisher kontierenden Stelle mit erledigt werden. Der damit verbundene Qualifikationsschub in Richtung Controlling setzt vielfältige Synergien frei.



Der differenzierte Kosten- und Erfolgsausweis bildet die Basis für weitere betriebswirtschaftliche Auswertungen.

Die Erfüllung der Anforderungen bedeutet eine neue Sicht des Rechnungswesens: es erhält die Aufgabe eines die betriebliche Leistungserstellung und Leistungsverwertung begleitenden Informations- und Kontrollinstruments, das entscheidungsorientierte Informationen weitestgehend ohne Zeitverzögerung und in einem Detaillierungsgrad liefert, der es ermöglicht, unmittelbar korrigierend in das laufende Geschehen einzugreifen.

3.

Einführung des Controlling-Systems

Die Einfuhrung und Umsetzung von Controllingsystemen erfolgt grundsätzlich als schrittweiser Prozeß in der unter 2.2 vorgeschlagenen Stufenfolge. Die organisatorische Ausgestaltung der einzelnen Schritte wird wesentlich bestimmt durch die jeweils zu erreichenden Teilziele, die ihrerseits durch die Informationserfordernisse der Informationsempfänger vorgegeben sind.

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

3.1

35

Stufe 1: Aufbau eines Systems einer gestuften Erfolgssteuerung

3.1.1 Struktur der Ist-Deckungsbeitragsrechnung Die Ist-Deckungsbeitragsrechnung entspricht dem Abrechnungsschema der Abb. I . 1 0 Das Berichtsblatt weist neben der Spalte „Gesamtsumme" die mit „PG 1" bis „PG 3" überschriebenen Spalten der Produktgruppen 1 bis 3 auf. Sie stellen Erfolgseinheiten (Profit Center) dar, also produzierende Einheiten, denen Markterlöse und Kosten direkt zugerechnet werden können. Je nach Unternehmen lassen sich vergleichbare Zuordnungseinheiten definieren, etwa Kundengruppen, Filialen, Vertriebswege, Teilbetriebe. Neben den Profit Centern werden in weiteren Spalten Cost Center ausgewiesen. Cost Center stellen Organisationseinheiten dar, die keine Markterlöse erwirtschaften, aber durch ihre Existenz Kosten verursachen. Es handelt sich in der Regel um interne Servicestellen wie Geschäftsführung, Verwaltung u.ä. In unserem Beispiel wurde ein Cost Center („CC1") für Büro- und Verwaltungsfunktionen angenommen. Das dem Berechnungsschema zugrunde liegende DV-Programm erlaubt die Anlage beliebig vieler Profit Center und Cost Center. Die Zeilenstruktur des Abrechnungsblattes folgt konsequent dem Schema der mehrstufigen Deckungsbeitragsrechnung (vgl. 2.3). Ausgehend vom Bruttoumsatz der Profit Center (Zeile 2) werden in Zeile 3 die Erlösschmälerungen als wichtige deckungsbeitragsmindernde Größe gesondert ausgewiesen. Der um die Bestandsveränderungen (Zeile 5; sofern erfaßbar) korrigierte Nettoumsatz (Zeile 4) führt zur Gesamtleistung des Profit Centers je Abrechnungsperiode (Zeile 6). Der in der Spalte „Gesamtsumme" ausgewiesene Betrag ist identisch mit der „Gesamtleistung" aus dem Gliederungsschema der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Nach Abzug des Materialverbrauchs (Zeile 7; in Handelsbetrieben tritt an die Stelle des Materialverbrauchs der Wareneinsatz) ergibt sich mit dem „Rohertrag" in Zeile 8 eine erste Steuerungsgröße des Betriebserfolges für die einzelnen Profit Center.

10 Ein vergleichbares Schema findet sich bei Mann, R., Mayer E.: Controlling für Einsteiger, Freiburg 1987, S. 143 (Mann/Mayer 1987). Die Weiterentwicklung zu dem hier vorgestellten Softwareprodukt „PC-Control" bindet konsequent sämtliche im Unternehmen bereits vorhandene Abrechnungsdaten ein, so daß kleine und mittlere Firmen in die Lage versetzt werden, einfach und schnell Kosten- und Erfolgsanalysen oder Kalkulationen durchzuführen. Das Erfolgssteuerungssystem ist unter den gängigen Betriebssystemen wie Windows 3.x, Windows 95 und Windows N T einsatzfähig.

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Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

IST-Deckungsbeitragsrechnung Auswertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1 bis Monat: 1 bis Produktgruppe: 11 Zeile Kosten-/Erlösart 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Leistungsmenge Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer Erlösschmälerungen Nettoumsatz Bestandsveränderungen Gesamtleistung Materialverbrauch, Fremdleistungen Rohertrag Lohnkosten Kosten der Warenabgabe u. ä. Leistungskosten (ohne Zeile 7) Deckungsbeitrag 1 Gehälter und Unternehmerlohn Zinsen Zwischensumme Zeilen 13, 14 Raum- und Energiekosten ohne Mieten Mieten Fahrzeugkosten Abschreibungen Instandhaltung und sonstige Kosten Bereitschaftskosten I Deckungsbeitrag 2 Bereitschaftskosten II Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) Abstimmbrücke Gewinn/Verlust

Produkt/Costcenter: PG 1 Von Monat: 1 bis: 1 Gesamtsumme 15.000.000 10.000.000 420.000 9.580.000 -180.000 9.400.000 2.100.000 7.300.000 2.900.000 200.000 3.100.000 4.200.000 1.700.000 100.000 1.800.000 600.000 200.000 250.000 250.000 300.000 3.400.000 800.000 700.000 100.000 10.000 110.000

absolut 4.000.000,00 5.000.000,00 250.000,00 4.750.000,00 -200.000,00 4.550.000,00 1.000.000,00 3.550.000,00 1.600.000,00 100.000,00 1.700.000,00 1.850.000,00 510.000,00 40.000,00 550.000,00 300.000,00 100.000,00 100.000,00 125.000,00 150.000,00 1.325.000,00 525.000,00 0,00 525.000,00 0,00 525.000,00

Anteil 26,7% 50,0% 59,5% 49,6% 111,1% 48,4% 47,6% 48,6% 55,2% 50,0% 54,8% 44,0% 30,0% 40,0% 30,6% 50,0% 50,0% 40,0% 50,0% 50,0% 39,0% 65.6% 0,0% 525,0% 0,0% 477,3%

37

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

Produkt/Costcenter: PG 2 Produkt/Costcenter: PG 3 Produkt/Costcenter: CC 1 Von Monat: 1 bis: 1 Von Monat: 1 bis: 1 Von Monat: 1 bis: 1 absolut

Anteil

6.000.000,00 3.000.000,00 150.000,00 2.850.000,00 10.000,00 2.860.000,00 500.000,00 2.360.000,00 700.000,00 50.000,00 750.000,00 1.610.000,00 170.000,00 20.000,00 190.000,00 120.000,00 40.000,00 75.000,00 65.000,00 90.000,00 580.000,00 1.030.000,00 0,00 1.030.000,00 0,00 1.030.000,00

40,0% 30,0% 35,7 % 29,7% -5,6% 30,4% 23,8% 32,3% 24,1% 25,0% 24,2% 38,3% 10,0% 20,0% 10,6% 20,0% 20,0% 30,0% 26,0% 30,0% 17,1% 128,8% 0,0% 1030,0% 0,0% 936,4%

absolut 5.000.000,00 2.000.000,00 20.000,00 1.980.000,00 10.000,00 1.990.000,00 600.000,00 1.390.000,00 600.000,00 50.000,00 650.000,00 740.000,00 170.000,00 20.000,00 190.000,00 60.000,00 20.000,00 25.000,00 40.000,00 60.000,00 395.000,00 345.000,00 0,00 345.000,00 0,00 345.000,00

Anteil

absolut

33,3% 20,0% 4,8% 20,7%

0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 0,00 0,0% 850.000,00 50,0% 20.000,00 20,0% 870.000,00 48,3% 120.000,00 20,0% 40.000,00 20,0% 50.000,00 20,0% 20.000,00 8,0% 0,00 0,0% 32,4% 1.100.000,00 -1.100.000,00 -137.5% 700.000,00 100,0% -1.800.000,00 -1800,0% 0,00 0,0% -1.800.000,00 -1636,4%

-5,6% 21,2% 28,6% 19,0% 20,7% 25,0% 21,0% 17,6% 10,0% 20,0% 10,6% 10,0% 10,0% 10,0% 16,0% 20,0% 11,6% 43,1% 0,0% 345,0% 0,0% 313,6%

Anteil

38

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

Der Materialverbrauch (Zeile 7), die Lohnkosten (Zeile 9) und die Kosten der Warenabgabe (Fracht, Verpackung) (Zeile 10) stellen die variablen Kosten ( = „Leistungskosten") 1 1 der in den Profit Centern erbrachten Leistungen dar. Subtrahiert man sie insgesamt bzw. in Stufen, entsteht der Deckungsbeitrag 1 (Zeile 12). Er bildet je nach Sichtweise die erste (zweite) wichtige Entscheidungs- und Steuerungsgröße des Unternehmens und seiner Teileinheiten. Unternehmerische Entscheidungen bedingen Kosten unabhängig von Art, Menge und Wert der erstellten Leistungen. Sie werden als Bereitschaftskosten bezeichnet. 12 Je nachdem, ob diese Entscheidungen das Gesamtunternehmen oder seine Teileinheiten betreffen, wird hier zwischen allgemeinen Bereitschaftskosten (Bereitschaftskosten II) und besonderen Bereitschaftskosten (Bereitschaftskosten I) unterschieden. 13 Das Abrechnungssystem verrechnet die besonderen Bereitschaftskosten daher direkt auf die Verursachungseinheiten Profit Center und Cost Center, während die allgemeinen Bereitschaftskosten als unter Verursachungsgesichtspunkten nicht verteilbarer Kostenrest dem Gesamtunternehmen angelastet werden. Die Umsetzung dieser Prinzipien kategorisiert die Aufwands- (Kosten-) arten „Gehälter" und /oder „kalkulatorischer Unternehmerlohn" (Zeile 13), „kalkulatorische Zinsen" (Zeile 14), „Raum- und Energiekosten" (Zeile 16), (kalkulatorische) „Mieten" (Zeile 17), „Fahrzeugkosten" (Zeile 18), (kalkulatorische) „Abschreibungen" (Zeile 19), „Instandhaltung und sonstige Kosten" zu Bereitschaftskosten I. Sie markieren neben ihrer Struktur das Volumen der entscheidungsrelevanten Kosten der Profit bzw. Cost Center-Verantwortlichen (Zeile 21) und weisen mit dem Deckungsbeitrag 2 die Profitabilität der jeweiligen Verantwortungsbereiche nach. Die vollständige Übernahme der Aufwands- (Kosten-) arten aus der Finanzbuchhaltung und ihre Zuordnung zu den jeweiligen Organisationseinheiten wird zuletzt mit den Bereitschaftskosten II eine Kategorie unverteilbarer, weil der obersten Entscheidungsinstanz zurechenbarer, Kosten generieren. Sie werden als

11 Als Leistungskosten werden im Anschluß an Riebel „..die durch kleinste Änderungen von Art, Menge und Verkaufserlös der tatsächlich erstellten Leistungen ... sowie der dabei angewandten Verfahren und Verfahrensbedingungen ausgelösten Ausgaben" verstanden. (Riebel, P.: Die Bereitschaftskosten in der entscheidungsorientierten Unternehmerrechnung, in: Riebel, P.: Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl. 1994, S. 87 Fußnote 27 [Riebel 1994 II]; Riebel, P.: Prozeßkostenrechnung - Ein früher Beitrag der Einzelkostenrechnung, in: Riebel, P.: Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl. 1994, S. 717 ff. [Riebel 1994 III]. 12 vgl. Riebel 19941, S. 87 13 vgl. hierzu in ähnlichem Zusammenhang Riebel 1994 III, S. 718 f.

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

39

Zeile 24 konsequenterweise nur noch in der Spalte „Gesamtsumme" ausgewiesen. Der „Deckungsbeitrag 3" in Zeile 24 ist identisch mit dem Betriebsergebnis auf Vollkostenbasis. Während die Deckungsbeiträge 1 und 2 eher die Basis fur operative Entscheidungen bilden, kann der Deckungsbeitrag 3 bereits als Informationsbasis für strategische Entscheidungen dienen. Die „Abstimmbrücke" der Zeile 25 dient dem Zweck, das vorliegende Abrechnungsschema mit den GuV-Daten der Finanzbuchhaltung zu synchronisieren. Sie enthält ggf. den Saldo gebildet aus den unterschiedlichen Wertansätzen von Finanzbuchhaltung und Kosten- und Leistungsrechnung. Der Aufbau der Abstimmbrücke ist der unternehmensspezifischen Kontenstruktur und den Kontierungsgepflogenheiten (z.B. Verbuchung neutraler Aufwendungen und Erträge) anzupassen. Die Abstimmbrücke führt in Zeile 26 auf das Ergebnis der Gewinnund Verlustrechnung zurück. Das (wertmäßige) Abrechnungsschema ist in Zeile 1 „Leistungsmenge" um eine (mengenmäßige) Bezugsgröße erweitert worden. Die richtige Wahl der Bezugsgröße (z.B. Leistungsstunden) bietet die Möglichkeit differenzierter Produktivitätsbetrachtungen für Planungs- und Kontrollzwecke. Die Realisation dieses Abrechnungsschemas ermöglicht die Darstellung der Unternehmensentwicklung insgesamt und in den einzelnen Einheiten. Sie schafft Transparenz von Ist-Kosten, Ist-Erlösen und Ist-Leistungen auf Monatsbasis. 3.1.2 Organisatorische Anpassungen Die praktische Umsetzung des Erfolgssteuerungssystems setzt verschiedene organisatorische Anpassungen voraus. Um Einführungswiderstände zu vermeiden, sind die späteren Systemnutzer von Anfang an in den Umsetzungsprozeß mit einzubeziehen. Der Prozeß ist ggf. durch fachliche Qualifizierungsmaßnahmen zu begleiten. 3.1.2.1 Festlegung der Profit und Cost Center und ihrer Verantwortlichen Für die Definition der Zurechnungseinheiten für Erlöse und Kosten bieten sich insbesondere die Kriterien Verrichtung, Objekt und Rang an. Sie können miteinander kombiniert werden. Je Gliederungsebene ist für vergleichbare Einheiten nur ein Kriterium zulässig. Parallel dazu ist die Hierarchie der Zurechnungseinheiten festzulegen. Die organisatorische Aufgabe besteht zunächst darin, das Unternehmen entsprechend zu strukturieren. Im Regelfalle bildet das Gesamtunternehmen die erste (oberste) Zuordnungsebene. Liegen verrichtungsorientierte Aufbauorganisatio-

40

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

nen vor, etwa im Falle eines Produktionsbetriebes, bilden die vorhandenen oder zu definierenden Produkte bzw. Produktgruppen als zweite Ebene die Zuordnungsobjekte für Erlöse und Kosten. Interne Servicefunktionen wie Verwaltung, Haus- und Reparaturdienste, deren Leistungen nicht am Markt veräußert werden, sind als Cost Center auf derselben Hierarchieebene auszuweisen. In Dienstleistungsbetrieben ist entsprechend zu verfahren. Für Filialbetriebe des Handels besteht die Möglichkeit, neben der Zentrale (1.Ebene) die einzelnen Filialen als Profit Center (2.Ebene) zu fuhren. Für Kalkulationszwecke kann die Einrichtung einer dritten Berichtsebene (etwa auf Produktbasis) notwendig werden. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob die vorgeschaltete Finanzbuchhaltung in der Lage ist, die Daten in dem notwendigen Auflösungsgrad zu liefern bzw. der zusätzliche Erfassungsaufwand wirtschaftlich vertretbar ist. Eine effektives zentrales und dezentrales Kosten- und Erfolgscontrolling ist nur über eindeutige Verantwortlichkeitsabgrenzungen zu erreichen. Für jedes Profit bzw. Cost Center ist ein Verantwortlicher zu benennen, der für seinen Bereich die Controllingfunktion realisiert; hilfsweise können auch mehrere Einheiten einem Verantwortlichen zugeordnet werden. Die Aufgabenverteilung im Rahmen der bisherigen Aufbauorganisation ist zu prüfen und ggf. den neuen Anforderungen anzupassen. 3.1.2.2 Anpassungen in der Finanzbuchhaltung Die Finanzbuchhaltung liefert weitestgehend die Ausgangsdaten des Erfolgssteuerungssystems. Die Ist-Kontensalden der Finanzbuchhaltung werden manuell erfaßt bzw. über eine Schnittstelle maschinell importiert. Das Programm PC-Control ordnet die Daten über Bezugsgrößen zeilenweise den Profit und Cost Centern zu. Die Kostenverrechnung sollte grundsätzlich verursachungsgerecht erfolgen, eine Verteilung über Schlüsselgrößen sollte die Ausnahme bilden. Das Programm ermöglicht alle bekannten Verrechnungsformen. Die Einführung des Erfolgssteuerungssystems PC-Control führt erfahrungsgemäß zu organisatorischen Anpassungen und Aufgabenerweiterungen in der Finanzbuchhaltung. Sie betreffen (1)

die Neustrukturierung und Ergänzung der vorhandenen Kontengliederung einschließlich der Änderung von Kontierungsgewohnheiten,

(2)

die Entwicklung eines Daten- und Kennziffernpools zur Abrechnung, Analyse und Steuerung des Systems,

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

(3)

41

den Erwerb zusätzlicher betriebswirtschaftlicher Kenntnisse und Fähigkeiten zur Kosten- und Leistungsrechnung und zum Controlling.

Zu(l): Um eine l:l-Zurechnung zu sichern, sind für den Ausweis der Leistungskosten und Bereitschaftskosten I soviel Erlös- und Aufwandsartenkonten einzurichten, wie Profit und Cost Center vorhanden sind. Dies erhöht in der Regel die Anzahl der Buchungen und setzt eine besondere Kontierungsdisziplin voraus. Die Ermittlung von kalkulatorischen Kostenarten (vgl. die Zeilen 13 und 14 in Abb.l) erfordert neue, bisher ungeübte Nebenrechnungen. Die Zuordnung der einzelnen Konten zu den Zeilen des Abrechnungsblattes verlangt vertiefte Kenntnisse zum Aufbau und zur Aussage von gestuften Deckungsbeitragsrechnungen. Zu (2): Ungeachtet des Prinzips der verursachungsgerechten Kostenverrechnung kann im Bereich der Bereitschaftskosten im Einzelfall auf eine Kostenschlüsselung nicht verzichtet werden. Es sind proportionale Bezugsgrößen zu definieren und anzuwenden. Der Ausbau des Abrechnungssystems zu einem Controllingsystem erfordert die Entwicklung und Anwendung geeigneter Kennziffern. Zu (3): Die Bewältigung der (zunächst operativen) Controllingaufgaben verlangt neben den Systemkenntnissen zur Kosten- und Leistungsrechnung Fähigkeiten im Einsatz von Planungs- und Analysetechniken. Das erfahrungsgemäß vorhandene Wissensdefizit ist durch prozeßbegleitende Schulung der Mitarbeiter abzugleichen.

3.2

Stufe 2: Zielvereinbarung und Planung

Die Stufe 2 sollte erst in Angriff genommen werden, wenn die Beteiligten ausreichende Erfahrungen im Umgang mit dem Ist-Abrechnungssystem erworben haben und infolge des Zeitablaufs sichere Tendenzen in der Datenentwicklung erkennbar sind. Steuernde Maßnahmen zur Unternehmenssicherung setzen ein abgestimmtes System quantitativer Ziele auf der Ebene des Gesamtunternehmens und seiner Teileinheiten voraus. Es bietet sich an, die Ziele auf der Basis typischer Führungskennziffern zu entwickeln.

42

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

3.2.1 Entwicklung von Führungskennziffern Kennziffern oder Kennzahlen stellen zunächst Maßstabswerte mit universeller Verwendung dar. Betriebliche Kennzahlen sind betriebswirtschaftliche Kennzahlen, wenn sie ausschließlich oder überwiegend betriebswirtschaftlichen Zwecken dienen, d.h. durch eine sinnvolle und aussagefähige Verdichtung von Basisdaten Planungs-, Entscheidungs- und Kontrollhilfen zu liefern imstande sind. Betriebswirtschaftliche Kennzahlen werden so zu Steuerungsgrößen der Entscheidungsträger. Als typische Kennziffern und damit als Basis für die Zielvereinbarung der Entscheidungsträger werden festgelegt: (1) Produktivität Produktivität (allgemein):

Verhältnis zwischen hervorgebrachten und verbrauchten Leistungen Produktionsleistung Faktoreinsatzmengen

Produktivität j e M A :

Umsatz / Absatz / DB1 / DB2 / DB3

(2) Wirtschaftlichkeit

Anzahl Mitarbeiter

Wirtschaftlichkeit (Sparsamkeitsgrad): Zeigt an, ob der größtmögliche Wirkungsgrad unter Berücksichtigung der Kosten (Aufwendungen) erreicht wurde.

Kostenwirtschaftliche W.: (3) Rentabilität

Istkosten 100 Sollkosten

Rentabilität: Bezugsgröße zum eingesetzten Kapital (erwirtschafteten Umsatz) Rentabilität des Eigenkapitals:

Gewinn · 100 Eigenkapital

Rentabilität des Gesamtkapitals:

(Gewinn + Zinsen fur Fremdkapital) · 100 Eigenkapital + Fremdkapital

Umsatzrentabilität:

Gewinn · 100 Umsatz

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(4)

Return on Investment (ROI)

Return on Investment (ROI):

ROI:

43

Ertrag des investierten Kapitals Rentabilitätskennzahl, bei der das gesamte investierte Kapital sowie der Umsatz zum Gewinn in Beziehung gesetzt werden kann.

Gewinn Umsatz ^ Umsatz Kapital (Umsatzrentabilität) · (Umschlagshäufigkeit · 100 d. invest. Kapitals)

(5) Deckungsbeitragsintensität Γϊ 1 ι ·. . . Deckungsbeitragsintensitat t1 - n:

DB1 / DB2 / DB3

. \ oo Umsatz Die Deckungsbeitragsintensitäten zeigen an, welche Deckungsbeitragsvolumina gestuft je 100 D M Umsatz erwirtschaftet werden. (6) Cash-flow Der Begriff Cash-flow (=Kassenzufluß) beinhaltet eine Kennziffer über den Mittelzufluß aus dem laufenden Umsatzprozeß. Der Cash-flow ermöglicht Einblicke in die Liquiditätslage und die finanzielle Entwicklung des Betriebes. Cash-flow: Indikator der Finanzkraft. Zeigt an, welche Beträge aus dem laufenden Umsatzprozeß für Zwecke der Investition, Schuldentilgung oder Ausschüttung zur Verfugung stehen (lnnenfinanzierungskraft) Der Cash-flow wird als Summe aus Jahresüberschuß + sämtliche nicht auszahlungswirksamen Aufwendungen sämtliche nicht einzahlungswirksamen Erträge = Cash-flow errechnet. 3.2.2 Planung der Zielgrößen Ziele sind „normative Aussagen eines Entscheidungsträgers, die einen gewünschten, angestrebten Zustand beschreiben" 14. Sie markieren einen Sollzustand, der im Rahmen des Unternehmens oder von dem Unternehmen angestrebt

14 Hauschild, J.: Zielsysteme, in: Grochla, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation, 2. Aufl., Stuttgart 1980, Sp. 2419 - 2430, hier Sp. 2419 (Hauschild 1980)

44

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

wird. Zur eindeutigen Beschreibung von Zielen ist die genaue Angabe der Zieldimensionen •

Zielinhalt: Was soll erreicht werden?;



Zielausmaß: Wieviel soll erreicht werden?;



Zeitliche Dimension: Wann soll ein Ziel erreicht werden?;



Räumlicher Geltungsbereich: Wo besitzt das Ziel Gültigkeit?; - erforderlich

Der quantitative Zielkatalog der Führungskennziffern in Abb. 2 entspricht auf einfache Weise diesen Anforderungen. Er wird jeweils fur das Gesamtunternehmen und seine Teileinheiten aufgestellt. Um die Entscheidungsträger zu zwingen, systematisch die Aktivitäten der näheren Zukunft zu durchdenken, wird ein Planungszeitraum von vier Jahren (1997 - 2000) mit unterschiedlichem Genauigkeitsgrad vorgeschlagen: Feinplanung für das erste Jahr des Planungszeitraums (1997) und Grobplanung für den Zeitraum 1998 - 2000). Die Planung sollte revolvierend erfolgen, d.h. mit Ablauf des ersten Planjahres sollte der Planungszeitraum um ein Jahr verschoben werden bei gleichzeitiger Planüberarbeitung aufgrund der Erkenntnisse aus der Entwicklung des abgelaufenen Planjahres und der ggf. entstandenen Veränderung der operativen und strategischen Rahmendaten. 3.2.3 Kosten- und Erlösplanung für das Gesamtunternehmen und seine Teileinheiten Die Durchführung des operativen Planungsprozesses gehört zu den wichtigsten Aufgaben der jeweiligen Profit und Cost Center-Verantwortlichen. Die Ableitung und Abstimmung der Plandaten sollte nach dem Gegenstrom verfahren 15 stattfinden: den aggregierten Plandaten der Teileinheiten werden die gemeinsam erarbeiteten Zielvorstellungen gegenübergestellt. Weichen sie voneinander ab, erfolgt eine Abstimmung in ggf. mehreren Durchläufen. Unter der Annahme, daß der Prozeß der operativen Planung für das Folgejahr in den letzten Monaten eines Geschäftsjahres stattfindet, wären gestützt auf das Programm PC-Control folgende Schritte notwendig: (1) Hochrechnung der kumulierten Werte der Ist-Deckungsbeitragsrechnung für die einzelnen Profit und Cost Center und das Gesamtunternehmen auf das Gesamtjahr.

15 vgl. Bramsemann 1993, S. 128

45

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

Zielkatalog

Kennziffer

Gesamtunternehmen....

Zeitraum:

PG/CC

1997-2000

Ziel 1997

Ziel 1998-2000

Umsatz Ergebnis Umsatzrentabilität Deckungsbeitragsintensität ROI Cash-flow Produktivität Marktanteil Abb. 2 Führungskennziffern

als quantitativer

Zielkatalog

(2) Festlegung der im Planjahr zu erreichenden Unternehmensziele. (3) Übernahme der erwarteten Jahres-Istdaten mit Hilfe der Fortschreibungsfunktion des Programms PC-Control auf das nachfolgende Planjahr als Kontensalden in der gewünschten Gliederung. (4) Planung der Werte des folgenden Jahres fur das Gesamtunternehmen und seine Teileinheiten auf der Basis der hochgerechneten Vorjahreswerte. (5) Abgleich der Gesamtwerte mit den unter (2) formulierten Zielen. Wenn diese Plausibilitätsprüfung negativ ausfällt, ist eine Zielkorrektur durchzuführen, oder es sind Maßnahmenpakete zur Zielerreichung zu entwickeln. (6) Verabschiedung der Jahresplanwerte und Aufteilung auf die einzelnen Abrechnungsperioden. (7) Das Ergebnis dieser Erfolgsplanung steht dem Anwender u.a. in einem Auswertungsblatt „Plan-Deckungsbeitragsrechnung" zur Verfügung. Es besitzt den gleichen Aufbau wie die „Ist-Deckungsbeitragsrechnung" in Abb. 1, weist aber an Stelle der Ist-jeweils Planwerte auf. Die Plandaten bilden die Basis der im Folgejahr durchzuführenden Soll-Ist-Vergleiche.

46

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

3.2.4 Durchführung einer Vorkalkulation mit gestuften Preisuntergrenzen Die Errechnung der Kalkulationsdaten für das Folgejahr stützt sich auf die Kosten und Erlöse sowie auf die Leistungsmengen der „Plan-Deckungsbeitragsrechnung" . Sie wird im System durch Anwahl der Schaltfläche „Kalkulation" vorbereitet. Die Kalkulation selbst erfolgt als differenzierte Deckungszuschlagskalkulation auf der Basis der Leistungskosten. Das Grundschema lautet: + =

Leistungskosten (z.B. Material, Lohn, sonstige Leistungskosten) Soll-Deckungsbeitrag fin % der Leistungskosten oder als Faktori Verkaufspreisforderung

Der Soll-DB errechnet sich aus: Bereitschaftskosten I des Profit Centers + anteilige Leistungs- und Bereitschaftskosten I des Cost Centers + anteilige Bereitschaftskosten II + Zielgewinn Je nach Einstellung der einzelnen Komponenten können Preisuntergrenzen in einer Spanne zwischen Vollkostendeckung einschließlich Zielgewinn und Dekkung der Leistungskosten errechnet werden. Kritisch bleibt anzumerken, daß die für einen Vollkostenausweis zwangsläufig zu verrechnenden anteiligen Bereitschaftskosten I des Profit Centers und Bereitschaftskosten II des Gesamtunternehmens in der Regel nicht verursachungsgerecht zugeordnet werden können.

3.3

Stufe 3: Auswertungen und Ausbaustufen des Controlling-Systems

Die Auswertung der Kosten- und Leistungsrechnung befaßt sich mit der Darstellung und Interpretation von Kosten- und Erfolgsabweichungen. Ziel ist die Kontrolle und Steuerung der Wirtschaftlichkeit des Leistungserstellungs- und Leistungsverwertungsprozesses. 3.3.1 Auswertungsformen Das vorgestellte Erfolgssteuerungssystem differenziert die Kosten und Erlöse nach Entstehungsarten und Verrechnungsobjekten im Zeitablauf in den Kategorien Ist und Plan. Es ergeben sich als sinnvolle Auswertungsmöglichkeiten: (1)

Analyse der Istdaten je Abrechnungsperiode nach Kosten-(Erlös-)arten und Kosten-(Erlös-)trägern,

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

47

(2)

Analyse der Plandaten je Abrechnungsperiode nach Kosten-(Erlös-) arten und Kosten-(Erlös-)trägern,

(3)

Analyse der Plan-Ist-Ab weichungen je Abrechnungsperiode nach Ko sten-(Erlös-)arten und Kosten-(Erlös-)trägern.

Zu(l): Die Ist-Analyse nach Abrechnungsperioden und Produktgruppen etwa der Periode 1 im Beispielfall (vgl. Abb. 1) zeigt z.B., daß PG 1 mit 44,0 % der Gesamtsumme das höchste Deckungsbeitragsvolumen erwirtschaftet hat gefolgt von PG 2 mit 38,3 % und PG 3 mit 17,6 %. Unter dem Gesichtspunkt des Deckungsgrades (Zeile 12 dividiert durch Zeile 2 χ 100) weist PG 2 mit 53,7 % das beste Verhältnis aus, gefolgt von PG 1 und 3 mit jeweils 37 %. Diese Entwicklung ist begründet in einem relativ größeren Rohertrag und relativ niedrigeren Löhnen im Vergleich zu den anderen Produktgruppen. Von den Bereitschaftskosten I und I I des Gesamtunternehmens in Höhe von 4,1 Mio. D M entfallen 1,8 Mio. D M auf das CC 1, 1,3 Mio. D M auf PG 1, 0,6 Mio. D M auf PG 2 und 0,4 Mio. D M auf PG 3. Das schlechte Betriebsergebnis des Gesamtunternehmens von D M 100.000 entsprechend 1 % Umsatzrentabilität ist im wesentlichen bestimmt durch die hohen Bereitschaftskostenblöcke im CCI und PG 1. Als vorläufiges und erstes Fazit bleibt die Erkenntnis, daß im Beispielfall eine nachhaltige Sicherung der Ertragslage nur durch gezielte Kostensenkungen erreicht werden kann. Zu (2): Die Analyse der Plandaten erfolgt im Regelfall im Zusammenhang mit dem laufenden Plan-Ist-Vergleich und am Jahresende im Zusammenhang mit der Planüberarbeitung. Sie wird hier nicht gesondert dargestellt. Zu (3): Der Plan-Ist-Vergleich (siehe Faltblatt) des Beispielfalls weist für das Gesamtunternehmen im Abrechnungszeitraum einen dramatischen Einbruch des Betriebsergebnisses um ./. 1,5 Mio. D M gegenüber Plan auf. Die Gründe liegen vor allem in einem Rückgang der Gesamtleistung von 19,9 % und in einem weiteren Anstieg der Gehalts- und Zinskosten. Die Lokalisierung dieser Negativtendenzen erfolgt durch Auflösung des Pianist-Vergleichs auf die Ebene der Profit und Cost Center. Im Beispielfall identifiziert ein erster Überblick die Produktgruppe 1 als Hauptverursacher des Umsatzrückgangs, gleichzeitig bestätigt sich der Eindruck, daß sich die Gehaltskosten durchgängig in allen Einheiten trotz sinkenden Geschäftsvolumens erhöht haben.

48

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Damit sind Maßnahmen zur Umsatzerhöhung vor allem in der Produktgruppe 1 und zur Senkung der Gehaltskosten in allen Profit und Cost Centern einzuleiten. 3.2.2

Weiterentwicklungen

Das System bietet Raum für weitere Entwicklungen: •

Die monatliche Gegenüberstellung der Plan- und Ist-Deckungsbeitragsvolumina liefert Hinweise auf den Vollkosten-Deckungspunkt (Break-EvenAnalyse).



Durch Erweiterung des Abrechnungsschemas um den Ansatz nicht ausgabewirksamer Posten (Abschreibungen, usw.) kann der Brutto-Cash-flow errechnet werden. Werden Kreditaufnahmen und Kredittilgungen einbezogen, entsteht ein einfacher Finanzplan und die Möglichkeit der Finanzkontrolle.



Ergänzung der operativen Mehrjahresplanung um strategische Aspekte.

Die Daten des Erfolgssteuerungssystems können den Anstoß zur Einrichtung eines erfolgsabhängigen Vergütungssystems der Mitarbeiter auf der Basis gestufter Deckungsbeiträge liefern.

4.

Zusammenfassung

Gezielte Erfolgssteuerung auf der Basis von Informationen des internen Rechnungswesens zählt in vielen Klein- und Mittelbetrieben noch zu den Ausnahmetatbeständen. Der Beitrag stellt ein einfaches PC-gestütztes Controllingsystem auf der Basis einer gestuften Deckungsbeitragsrechnung vor. Es ermöglicht, einfach und schnell Kostenanalysen, Erfolgsanalysen oder Kalkulationen durchzuführen. Es eignet sich insbesondere für den Einsatz in Handels- und Dienstleistungsbetrieben und kleinen Produktionsbetrieben. Bei möglichst geringem Einrichtungs- und Pflegeaufwand wird ein hohes Maß an Aussagekraft angestrebt. Die Einführung des Erfolgssteuerungssystems erfolgt in mehreren Schritten. Im ersten Schritt werden die Strukturen des Systems und die notwendigen organisatorischen Anpassungen beschrieben. Der zweite Schritt zeigt, wie über Ziel Vereinbarungen das Ist-Abrechnungssystem um ein Planungssystem ergänzt werden kann. Im dritten Schritt werden beispielhaft typische Auswertungen vorgestellt. Die so gewonnene Transparenz liefert Hinweise für effektive Analyse- und Steuerungsmaßnahmen.

Auswertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1 bis Monat: 1 bis Produktgruppe: 11 Zeile Kosten-ZErlösart Faktor Plan 1 Leistungsmenge 2 Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer 3 Erlösschmälerungen 4 Nettoumsatz 5 Bestandsveränderungen 6 Gesamtleistung 7 Materialverbrauch, Fremdleistungen 8 Rohertrag 9 Lohnkosten 10 Kosten der Warenabgabe u. ä. 11 Leistungskosten (ohne Zeile 7) 12 Deckungsbeitrag 1 13 Gehälter und Unternehmerlohn 14 Zinsen 15 Zwischensumme Zeilen 13, 14 16 Raum-und Energiekosten ohne Mieten 17 Mieten 18 Fahrzeugkosten 19 Abschreibungen 20 Instandhaltung und sonstige Kosten 21 Bereitschaftskosten I 22 Deckungsbeitrag 2 23 Bereitschaftskosten II 24 Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) 25 Abstimmbrücke 26 Gewinn/Verlust 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 83.300 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

Ist

Gesamt-Werte Abweichung absolut in % 15.416.600 15.000.000 -416.600 -2,78% 11.666.700 10.000.000 -1.666.700 -16,67% 395.800 420.000 24.200 5,76% 11.270.900 9.580.000 -1.690.900 -17,65% 0 -180.000 -180.000 100,00% 11.270.900 9.400.000 -1.870.900 -19,90% 2.416.600 2.100.000 -316.600 -15,08% 8.854.300 7.300.000 -1.554.300 -21,29% 2.958.300 2.900.000 -58.300 -2,01% 195.900 200.000 4.100 2,05% 3.154.200 3.100.000 -54.200 -1,75% 5.700.100 4.200.000 -1.500.100 -35,72 % 1.666.700 1.700.000 33.300 1,96% 100.000 16.700 16,70% 1.750.000 1.800.000 50.000 2,78% 600.000 600.000 0 0,00% 200.000 200.000 0 0,00% 250.000 250.000 0 0,00% 250.000 250.000 0 0,00% 300.000 300.000 0 0,00% 3.350.000 3.400.000 50.000 1,47% 2.350.100 800.000 -1.550.100 -193,76% 700.000 700.000 0 0,00% 1.650.100 100.000 -1.550.100 -1550,10% 0 10.000 10.000 100,00% 1.650.100 110.000 -1.540.100 -1400,09%

Deckungsbeitragsrechnung - Abweichungs-Analyse

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Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

Deckungsbeitragsrechnung - Abweichungs-Analyse

Auswertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1 bis Monat: 1 bis Produktgruppe: 11 Zeile Kosten-ZErlösart Faktor 1 Leistungsmenge 2 Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer 3 Erlösschmälerungen 4 Nettoumsatz 5 Bestandsveränderungen 6 Gesamtleistung 7 Materialverbrauch, Fremdleistungen 8 Rohertrag 9 Lohnkosten 10 Kosten der Warenabgabe u. ä. 11 Leistungskosten (ohne Zeile 7) 12 Deckungsbeitrag 1 13 Gehälter und Unternehmerlohn 14 Zinsen 15 Zwischensumme Zeilen 13, 14 16 Raum-und Energiekosten ohne Mieten 17 Mieten 18 Fahrzeugkosten 19 Abschreibungen 20 Instandhaltung und sonstige Kosten 21 Bereitschaftskosten I 22 Deckungsbeitrag 2 23 Bereitschaftskosten II 24 Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) 25 Abstimmbrücke 26 Gewinn/Verlust P r o d u k t g r u p p e / C o s t c e n t e r : PG 1 Von Monat: 1 bis: 1 Abweichung ^ ^ absolut in % 0 4.583.300 4.000.000,00 -583.300,00 -14,58% 0 6.666.700 5.000.000,00 -1.666.700,00 -33,33% 0 250.000 250.000,00 0.00 0,00% 0 6.416.700 4.750.000,00 -1.666.700,00 -35,09% 0 0 -200.000,00 -200.000,00 100,00% 0 6.416.700 4.550.000,00 -1.866.700,00 -41,03% 0 1.333.300 1.000.000,00 -333.300,00 -33,33% 0 5.083.400 3.550.000,00 -1.533.400,00 -43,19% 0 1.666.700 1.600.000,00 -66.700,00 -4,17% 0 104.200 100.000,00 -4.200,00 -4,20% 0 1.770.900 1.700.000,00 -70.900,00 -4,17% 0 3.312.500 1.850.000,00 -1.462.500,00 -79,05% 0 500.010 510.000,00 9.990,00 1,96% 0 33.320 40.000,00 6.680,00 16,70% 0 533.330 550.000,00 16.670,00 3,03% 0 300.000 300.000,00 0,00 0,00% 0 100.000 100.000,00 0,00 0,00% 0 100.000 100.000,00 0,00 0,00% 0 125.000 125.000,00 0,00 0,00% 0 150.000 150.000,00 0.00 0,00% 0 1.308.330 1.325.000,00 16.670,00 1,26% 0 2.004.170 525.000,00 -1.479.170,00 -281,75% 0 0 0,00 0,00 0,00% 0 2.004.170 525.000,00 -1.479.170,00 -281,75% 0 0 0,00 0,00 0,00% 0 2.004.170 525.000,00 -1.479.170,00 -281,75%

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Aus wertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1 bis Monat: 1 bis Produktgruppe: 11 Zeile Kosten-ZErlösart Faktor Plan 1 Leistungsmenge 2 Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer 3 Erlösschmälerungen 4 Nettoumsatz 5 Bestandsveränderungen 6 Gesamtleistung 7 Materialverbrauch, Fremdleistungen 8 Rohertrag 9 Lohnkosten 10 Kosten der Warenabgabe u. ä. 11 Leistungskosten (ohne Zeile 7) 12 Deckungsbeitrag 1 13 Gehälter und Unternehmerlohn 14 Zinsen 15 Zwischensumme Zeilen 13, 14 16 Raum- und Energiekosten ohne Mieten 17 Mieten 18 Fahrzeugkosten 19 Abschreibungen 20 Instandhaltung und sonstige Kosten 21 Bereitschaftskosten I 22 Deckungsbeitrag 2 23 Bereitschaftskosten II 24 Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) 25 Abstimmbrücke 26 Gewinn/Verlust P r o d u k t g r u p p e / C o s t c e n t e r : PG 2 Von Monat: 1 bis: 1 Abweichung Ist absolut in % 0 5.833.300 6.000.000,00 166.700,00 2,78% 0 2.916.700 3.000.000,00 83.300,00 2,78% 0 125.000 150.000,00 25.000.00 16,67% 0 2.791.700 2.850.000,00 58.300,00 2,05% 0 0 10.000,00 10.000,00 100,00% 0 2.791.700 2.860.000,00 68.300,00 2,39% 0 500.000 500.000,00 0,00 0,00% 0 2.291.700 2.360.000,00 68.300,00 2,89% 0 708.300 700.000,00 -8.300,00 -1,19% 0 41.700 50.000,00 8.300,00 16.60% 0 750.000 750.000,00 0,00 0,00% 0 1.541.700 1.610.000,00 68.300,00 4,24% 0 166.670 170.000,00 3.330,00 1,96% 0 16.660 20.000,00 3.340,00 16,70% 0 183.330 190.000,00 6.670,00 3,51% 0 120.000 120.000,00 0,00 0,00% 0 40.000 40.000,00 0,00 0,00% 0 75.000 75.000,00 0,00 0,00% 0 65.000 65.000,00 0,00 0,00% 0 90.000 90.000,00 0.00 0,00% 0 573.330 580.000,00 6.670,00 1,15% 0 968.370 1.030.000,00 61.630,00 5,98% 0 0 0,00 0,00 0,00% 0 968.370 1.030.000,00 61.630,00 5,98% 0 0 0,00 0,00 0,00% 0 968.370 1.030.000,00 61.630,00 5,98%

Deckungsbeitragsrechnung - Abweichungs-Analyse

Bramsemann, Ein Erfolgssteuerungssystem f r Kleinbetriebe

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Plan 0 0 0 20.800 0 0 0 0 0 0 0 50.000 0 0 0 0 16.660 0 0 60.000 0 20.000 0 25.000 0 40.000 0 60.000 0 0 0 0 0 0

in %

5.000.000 5.000.000,00 0,00 0,00% 2.083.300 2.000.000,00 -83.300,00 -4,17% 20.000,00 -800,00 -4,00% 2.062.500 1.980.000,00 -82.500,00 -4,17% 0 10.000,00 10.000,00 100,00% 2.062.500 1.990.000,00 -72.500,00 -3,64% 583.300 600.000,00 16.700,00 2,78% 1.479.200 1.390.000,00 -89.200,00 -6,42% 583.300 600.000,00 16.700,00 2,78% 50.000,00 0,00 0,00% 633.300 650.000,00 16.700,00 2,57% 845.900 740.000,00 -105.900,00 -14,31% 166.670 170.000,00 3.330,00 1,96% 20.000,00 3.340,00 16,70% 183.330 190.000,00 6.670,00 3,51% 60.000,00 0,00 0,00% 20.000,00 0,00 0,00% 25.000,00 0,00 0,00% 40.000,00 0,00 0,00% 60.000,00 0.00 0,00% 388.330 395.000,00 6.670,00 1,69% 457.570 345.000,00 -112.570,00 -32,63% 0 0,00 0,00 0,00% 457.570 345.000,00 -112.570,00 -32,63% 0 0,00 0,00 0,00% 457.570 345.000,00 -112.570,00 -32,63%

absolut

Ist

Faktor

Leistungsmenge Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer Erlösschmälerungen Nettoumsatz Bestandsveränderungen Gesamtleistung Materialverbrauch, Fremdleistungen Rohertrag Lohnkosten Kosten der Warenabgabe u. ä. Leistungskosten (ohne Zeile 7) Deckungsbeitrag 1 Gehälter und Unternehmerlohn Zinsen Zwischensumme Zeilen 13, 14 Raum-und Energiekosten ohne Mieten Mieten Fahrzeugkosten Abschreibungen Instandhaltung und sonstige Kosten Bereitschaftskosten I Deckungsbeitrag 2 Bereitschaftskosten II Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) Abstimmbrücke Gewinn/Verlust

Kosten-ZErlösart

Zeile

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

P r o d u k t g r u p p e / C o s t c e n t e r : PG 3 Von Monat: 1 bis: 1 Abweichung

Aus wertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1 bis Monat: 1 bis Produktgruppe: 11

Deckungsbeitragsrechnung - Abweichungs-Analyse

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1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Zeile

bis Produktgruppe:

11

Faktor

Plan

Leistungsmenge Bruttoumsatz ohne Mehrwertsteuer Erlösschmälerungen Nettoumsatz Bestandsveränderungen Gesamtleistung Materialverbrauch, Fremdleistungen Rohertrag Lohnkosten Kosten der Warenabgabe u. ä. Leistungskosten (ohne Zeile 7) Deckungsbeitrag 1 Gehälter und Unternehmerlohn Zinsen Zwischensumme Zeilen 13, 14 Raum-und Energiekosten ohne Mieten Mieten Fahrzeugkosten Abschreibungen Instandhaltung und sonstige Kosten Bereitschaftskosten I Deckungsbeitrag 2 Bereitschaftskosten II Deckungsbeitrag 3 (Betriebserfolg) Abstimmbrücke GewinnZVerlust

Kosten-ZErlösart

bis Monat: 1

Aus wertungs-Basisparameter : Auswertungsjahr: 1996 Stand: 25.07.1996 von Monat: 1 von Produktgruppe: 1

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 16.660 0 0 0 0 50.000 0 0 0 0 0 0 0 0

Ist

in %

1

1,11%

1,11%

1,82% 1,82%

2,30%

1,96%

Abweichung

CC

0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 0 0,00 0,00 0,00% 833.350 850.000,00 16.650,00 20.000,00 3.340,00 16,70% 850.010 870.000,00 19.990,00 120.000 120.000,00 0,00 0,00% 40.000 40.000,00 0,00 0,00% 50.000,00 0,00 0,00% 20.000 20.000,00 0,00 0,00% 0 0,00 0.00 0,00% 1.080.010 1.100.000,00 19.990,00 -1.080.010 -1.100.000,00 -19.990,00 700.000 700.000,00 0,00 0,00% -1.780.010 -1.800.000,00 -19.990,00 0 0,00 0,00 0,00% -1.780.010 -1.800.000,00 -19.990,00

absolut

Produktgruppe/Costcenter: Von Monat: 1 bis: 1

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Literaturverzeichnis Bramsemann, R.: Handbuch Controlling, 3. Aufl. München, Wien 1993 (Bramsemann 1993); Bussiek, J. : Anwendungsorientierte Betriebswirtschaftslehre fur Klein- und Mittelunternehmen, München, Wien 1994. (Bussiek 1994) Controller-Verein: Leitbild Controller, o.J., S. 8 (Controller-Verein) Deyhle, Α.: Controller und Controlling, in: Die Orientierung Nr. 93, Bern 1988 (Deyhle 1988) Hauschild, J.: Zielsysteme, in: Grochla, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation, 2. Aufl., Stuttgart 1980, Sp. 2419 - 2430 Kind, H.: Das interne Rechnungswesen mittelständischer Industrieunternehmen, Emden 1984 (Kind 1984); Klein-Blenkers, F.: Sicherung des Betriebes als ein Führungsproblem mittelständischer Unternehmer, in: Sundhoff, E., Klein-Blenkers, F. [Hrsg.]: Mitteilungen des Instituts fur Handelsforschung an der Universität zu Köln, Heft 3 [1983], S. 47. (Klein-Blenkers 1983) Mann, R., Mayer, E.: Controlling für Einsteiger, Freiburg 1987 (Mann/Mayer 1987) Niedermayr, R.: Die Realität des Controlling, in: Eschenbach, R.: Controlling, Stuttgart 1995, S. 156 ff.); (Niedermayr 1995) Riebel, Paul: Das Rechnen mit Einzelkosten und Deckungsbeiträgen, in: Riebel, P.: Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl., Wiesbaden 1994, S. 35 - 59 (Riebel 1994 I) Riebel, P.: Die Bereitschaftskosten in der entscheidungsorientierten Unternehmerrechnung, in: Riebel, P.: Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl. 1994, S. 81 - 97 (Riebel 1994 II) Riebel, P.: Prozeßkostenrechnung - Ein früher Beitrag der Einzelkostenrechnung, in: Riebel, P.: Einzelkosten- und Deckungsbeitragsrechnung, 7. Aufl. 1994, S. 704 - 741 ([Riebel 1994 III)

Deßaules, Geschäftsprozeßoptimierung

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Detlef Deßaules

Geschäftsprozeßoptimierung - ein Instrument des erfolgsorientierten Managements Abstract Die optimale Gestaltung von Geschäftsprozessen unter Anwendung ingenieurmäßiger Methoden ist ein aktuelles Arbeitsgebiet der Wirtschaftsinformatik. Es findet in Wissenschaft und Praxis gleichermaßen Beachtung und seine Beherrschung wird als eine wesentliche Voraussetzung angesehen, wenn es darum geht, den Unternehmenserfolg auf Dauer sicherzustellen. Dieser Beitrag will eine erste Vorstellung von dem Begriff Geschäftsprozeß vermitteln und mit Zielen und Wirkungen der Geschäftsprozeßoptimierung vertraut machen. Es wird aufgezeigt, welche Bedeutung die Möglichkeiten der modernen Informationstechnik für die erfolgreiche Umsetzung der Ziele besitzen und auf welche Hilfsmittel zurückgegriffen werden kann. Den Abschluß bildet schließlich eine Betrachtung zu der besonderen Situation, die die Geschäftsprozeßoptimierung in mittelständischen Unternehmen vorfindet.

1.

Das Wesen von Geschäftsprozessen

Geschäftsprozeßoptimierung, auch als Business Process Reengineering (BPR) oder kurz als Business Reengineering bezeichnet, ist ein derzeit viel diskutiertes Konzept der modernen Managementlehre. Initiiert wurde die Diskussion durch Michael Hammer und James Champy. Sie vertreten die These, daß eine geradezu radikale Neugestaltung der meisten Unternehmen notwendig sei, wenn diese auf Dauer erfolgreich bestehen wollten [HaCh94]. Jenen, die ihre Ratschläge beherzigen, versprechen sie meßbare Verbesserungen um Größenordnungen in Bezug auf Kosten, Zeit, Qualität und Service. Den Schlüssel zum Erfolg sehen Hammer und Champy in einer konsequenten Abkehr von traditionellen, vom Taylorismus geprägten Denk- und Verhaltensmustern. Dem Streben nach einer immer effizienteren Erfüllung von Einzelfunktionen, herbeigeführt durch eine zunehmende Spezialisierung und Hierarchisierung im Stellengefüge einer Unternehmung, stellen sie die funktionsübergreifende Gestaltung ganzheitlicher Abläufe - der Geschäftsprozesse - als Leitmotiv des Business Reengineering entgegen.

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Deßaules, Geschäftsprozeßoptimierung

Als Geschäfitsprozeß definieren Hammer und Champy ein Bündel von Aktivitäten, für das ein oder mehrere unterschiedliche Inputs benötigt werden und das für den Kunden ein Ergebnis von Wert erzeugt. Als anschauliches Beispiel für einen Geschäfitsprozeß nennen sie die Auftragsabwicklung, dessen Input der Auftrag und dessen Output die Auslieferung der bestellten Ware ist [HaCh94, S. 52]. Mittlerweile hat der Begriff des Geschäftsprozesses eine Reihe von Präzisierungen, Interpretationen und Abwandlungen erfahren, die sich bei der praktischen Umsetzung des Business Reengineering als hilfreich erweisen. Ein einführender Überblick hierzu findet sich in [BeVo96, S. 18-19]. Dort wird beispielsweise Eiff zitiert, der den Geschäfitsprozeß als einen am Kerngeschäft orientierten Arbeits-, Informations- und Entscheidungsprozeß mit einem für den Unternehmenserfolg relevanten Ergebnis sieht. Eiff löst sich damit vom Kundenbezug als obligatorisches Merkmal eines Geschäftsprozesses und läßt grundsätzlich alle aus den obersten Sachzielen des Unternehmens abgeleiteten Prozesse als Optimierungsgegenstand zu. Die Praxis zeigt, daß einer weiten Begriffsauslegung gegenüber einer zu dogmatischen der Vorzug zu geben ist. Andernfalls wäre wohl manch erfolgreiche Optimierung der Wareneingangsbearbeitung - weil unzulässig - zum Scheitern verurteilt gewesen. Gleichwohl sollte die unterschiedliche Kundennähe der vielfältigen im Unternehmen anzutreffenden Prozesse ein maßgebliches Kriterium für deren Priorisierung untereinander sein, um so die geforderte Fokussierung des Unternehmens auf den Dienst am Kunden herbeizuführen. Dies gilt sowohl für die zeitliche Reihenfolge verschiedener Optimierungsvorhaben als auch für die Rangordnung der Prozesse bei einem eventuell notwendigen Abgleich konkurrierender Interessen. Die vage Vorstellung von Geschäftsprozessen als Bündel von Aktivitäten, die einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, gibt noch wenig Aufschluß darüber, wie Geschäftsprozesse in der Praxis zu identifizieren und sinnvoll abzugrenzen sind. Es setzt sich deshalb zunehmend die Auffassung durch, daß es hilfreich ist, Geschäftsprozesse jeweils an einem betriebswirtschaftlich relevanten Objekt festzumachen, das es zu bearbeiten gilt. Als konstituierende Objekte können dabei sowohl Informationsobjekte wie Kundenaufträge, Rechnungen oder Zahlungseingänge als auch physische Objekte wie Materialien oder Enderzeugnisse fungieren. Ein Geschäftsprpzeß kann dann auch definiert werden als inhaltlich abgeschlossene zeitliche und sachlogische Abfolge der Funktionen, die zur Bearbeitung eines betriebswirtschaftlich relevanten Objektes notwendig sind. Dieses eine Objekt prägt den Prozeß, weitere Objekte können in den Prozeß einfließen [BeVo96, S. 19].

Deßaules, Geschäftsprozeßoptimierung

2.

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Merkmale optimierter Geschäftsprozesse

Aus aufbauorganisatorischer Sicht liegt eine grundlegende Idee des Business Reengineering darin, die Verantwortung fur sämtliche im Rahmen eines Geschäftsprozesses zu verrichtenden Aufgaben in einer Stelle, im Falle besonders komplizierter Prozesse zumindest in möglichst wenigen Stellen innerhalb einer Organisationseinheit zu vereinen. Eine solche Konzentration der Verantwortung bewirkt, daß Kommunikationsvorgänge zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher, auf bestimmte Funktionen spezialisierter Fachabteilungen eingespart werden, daß der Geschäftsprozeß beschleunigt wird und daß Quellen fur Kommunikationsfehler und Mißverständnisse beseitigt werden. Die Konzentration von Verantwortung geht einher mit einer weitestgehenden Delegation von Entscheidungsbefugnissen an die Verantwortlichen der Geschäftsprozesse. Sie erhalten die gesamte Entscheidungskompetenz, die für die selbständige Bearbeitung eines Geschäftsprozesses im Normalfall notwendig ist. Lediglich in Ausnahmesituationen sind Entscheidungen übergeordneter Instanzen herbeizuführen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß nicht der - oft erfolglose - Versuch unternommen wird, alle nur irgendwie vorstellbaren Ausnahmesituationen im Ablauf eines Geschäftsprozesses aufzuspüren, um sie einer organisatorischen Regelung zuzuführen. Dies würde den Prozeß im Normalfall unnötig belasten. Statt dessen ist pauschal festzulegen, wie im Prozeß verlauf auf Ereignisse zu reagieren ist, die sich den Regelungen für den Normalfall entziehen. Manche, mehr technische Verbesserungen stellen sich im Zuge der Geschäftsprozeßoptimierung fast zwangsläufig ein. Als Beispiel sei hier die Beseitigung sogenannter Medienbrüche genannt. Diese entstehen, wenn an einem Prozeß beteiligte Organisationseinheiten gleiche Informationen in unterschiedlicher Form speichern und verarbeiten, etwa auf der einen Seite als konventionelle Akte, auf der anderen Seite als Textdatei in einem EDV-System, und wenn diese im Zuge einer notwendigen Kommunikation gar noch in eine dritte Form transformiert werden muß, etwa in die Form eines Telefaxes. Solche Medienbrüche sind lediglich das Resultat einer fehlenden Prozeßsicht und eines daraus resultierenden Mangels an Koordination der beteiligten Fachabteilungen. Bei der ganzheitlichen Betrachtung von Geschäftsprozessen bedarf es keiner großen Anstrengungen, sie aufzuspüren und zu beseitigen. Unter der eingehenden Diskussion von Aspekten der formalen Aufbau- und Ablauforganisation und der Betrachtung zu erzielender Effizienzsteigerungen darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Geschäftsprozeßoptimierung stets gravierende Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Mitarbeiter hat. Der organi-

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satorische Wandel geht mit einem Job Enlargement und einem Job Enrichment einher und soll auf diese Weise zur größeren Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter beitragen, mittelbar auch zur Verbesserung von Arbeitsquantität und Arbeitsqualität. Die Umgestaltung der Aufgaben zieht zwangsläufig aber auch erhöhte Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter nach sich. Nicht jeder wird aufgrund seines gegebenen Ausbildungsstandes über sie verfugen beziehungsweise willens und in der Lage sein, sie zu erwerben. Aufgrund des eigenverantwortlichen Handelns eines jeden Mitarbeiters wird ein hoher Anteil von Managementpositionen überflüssig, Führungsaufgaben verlieren ihren Weisungs- und Kontrollcharakter und mutieren zu einer Betreuung von Mitarbeitern und einer Unterstützung in Ausnahmesituationen. Aufgrund der geschilderten Auswirkungen auf die Arbeitswelt im Unternehmen können die veränderten Organisationsformen nur durchgesetzt werden und zum angestrebten Erfolg fuhren, wenn sie auf eine breite Akzeptanz bei den Mitarbeitern stoßen. Diese muß durch eine gezielte Personalpolitik herbeigeführt werden und beginnt bei der Rekrutierung universell ausgebildeten Personals, umfaßt eine gezielte betriebliche Aus- und Weiterbildung, setzt sich mit einer Gehaltspolitik fort, die sich mehr an Leistungen, das heißt der erfolgreichen Bearbeitung von Geschäftsprozessen, als an der jeweiligen Position des Mitarbeiters orientiert und endet bei einer Beförderungspolitik, die das veränderte Anforderungsprofil für Führungskräfte beachtet.

3.

Die tragende Rolle der Informationstechnik

Der Erfolg des Business Reengineering hängt entscheidend von einer intelligenten Nutzung der durch die moderne Informationstechnik gebotenen Möglichkeiten ab. Der besondere Zusammenhang leitet sich allein schon aus der zunehmenden Dominanz ab, die die Informationsverarbeitung im betrieblichen Alltag gegenüber der physischen Bearbeitung von materiellen Gütern erlangt hat. So sind jüngere Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt, daß heute bereits bis zu 75% der Belegschaft eines Industrieunternehmens nicht mehr mit der physischen Be- oder Verarbeitung von Material zu tun haben, sondern ausschließlich Informationen erfassen, verarbeiten, speichern und übertragen sowie Entscheidungen vorbereiten und treffen. Es zeigt sich, daß sogar im Falle von Prozessen, in denen die physische Be- und Verarbeitung von Objekten im Vordergrund stehen, Optimierungen heute immer häufiger mit einem vermehrten Einsatz von Informationstechnik einhergehen. Flexible Fertigungszellen und intelligente Transportsysteme sind Beispiele dafür, wie Betriebsmittel mit Hilfe von CIM-Technologien (CIM = Computer Integra-

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ted Manufacturing) in die Lage versetzt werden, immer komplexere Aufgaben weitgehend autonom, ohne Eingriffe personeller Aufgabenträger auszufuhren. Gesteuert werden derartige Maschinen durch moderne Mikroelektronik. Unabhängig vom Automatisierungsgrad der physischen Bearbeitung wird die technische und betriebswirtschaftlich die Verantwortung für die Abläufe immer von Mitarbeitern zu tragen sein, die ihre Aufgabe nur zufriedenstellend wahrnehmen können, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz stets auf aktuelle und vollständige Informationen über die von ihnen zu beherrschenden Prozesse zurückgreifen können. Ein weiterer Aspekt, der die zentrale Rolle der Informationstechnik im Business Reengineering unterstreicht, ist darin zu sehen, daß den betrieblichen Informationssystemen heute allgemein eine große Bedeutung als Wettbewerbsfaktor beigemessen wird. Wettbewerbsvorteile lassen sich auf vielen Märkten nur noch dann erzielen, wenn ein Unternehmen schneller und flexibler auf individuelle Kundenwünsche eingehen kann als die Mitbewerber. Dies kann aber nur mit Hilfe eines leistungsfähigen Informationssystems gelingen. Verfolgt man nun das eine oder andere Verkaufsgespräch, kann man zu dem Schluß gelangen, daß es gerade der EDV-Einsatz ist, der die geforderte Kundennähe verhindert. Da dient schon einmal das zu starre EDV-System als Entschudigung dafür, daß ein bestimmter Kundenwunsch bei der Auftragserfassung nicht erfaßt werden kann, oder muß der fehlende Zugriff auf die Daten des EDV-gestützten Produktionsplanungssystems als Begründung dafür herhalten, daß keine Auskunft darüber erteilt werden kann, ob der für den nächsten Tag zugesagte Liefertermin auch tatsächlich eingehalten wird. Selbst wenn die Aussagen unseres fiktiven Verkaufsmitarbeiters in den betreffenden Fällen tatsächlich zutreffend sein sollten, darf daraus nicht geschlossen werden, daß der Einsatz von EDV-Systemen grundsätzlich mit einem Verlust an Flexibilität verbunden ist. Die beklagten Erscheinungen sind lediglich Ergebnis einer nicht mehr zeitgemäßen Einschätzung der EDV als bloßes Instrument der Automatisierung von Aufgaben der Informationsverarbeitung und zur Substitution menschlicher Aufgabenträger. Richtig wäre vielmehr, die Informationstechnik als Impulsgeber für die grundlegende Umgestaltung von Geschäftsprozessen zu betrachten, und zutreffend ist, daß viele der mit dem Business Reengineering angestrebten Verbesserungen erst durch die neueren Entwicklungen in der Informationstechnik möglich werden. Zur Inspiration anstehender Vorhaben des Business Reengineering seien abschließend noch einige Beispiele für die Innovationskraft der Informationstechnik gegeben. Die Auflistung soll beginnen mit einem Hinweis darauf, daß es heute infolge der erzielten Fortschritte auf dem Gebiet der Mikroelektronik möglich ist, jedem Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz zu vertretbaren Kosten

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einen PC zur Verfügung zu stellen, der ihm den Zugang zu Rechnerleistungen gewährt. Der Stand der Kommunikationstechnik macht es zudem möglich, von jedem Arbeitsplatz aus auf die im Unternehmen verfügbaren Informationen zuzugreifen, unabhängig davon, an welchem Ort diese gespeichert sind. Darüber hinaus erlaubt es die moderne Datenbanktechnik, Informationen über den Zustand von Objekten, die Gegenstand einer Bearbeitung in mehreren Geschäftsprozessen sind, redundanzfrei aufzuzeichnen und trotzdem jedem Prozeß stets aktuell genau jene Informationen zur Verfügung zu stellen, die er für seine speziellen Verarbeitungszwecke benötigt. Und schließlich sei noch auf moderne graphische Benutzeroberflächen verwiesen, die es den Benutzern ermöglichen, Rechnersysteme komfortabel und sicher zu bedienen.

4.

Techniken der Geschäftsprozeßoptimierung

Mit der Diskussion von Techniken der Geschäftsprozeßmodellierung verlagert sich der Schwerpunkt der Betrachtungen von den angestrebten Ergebnissen des Business Reengineering auf den Weg zu einer effektiv und effizient arbeitenden Unternehmensorganisation. Da jede Optimierung von Geschäftsprozessen mit einer Reform des betrieblichen Informationssystems einhergeht, ist nicht weiter verwunderlich, daß sich auch das Business Reengineering an den allgemein anerkannten Grundsätzen der Entwicklung von EDV-Anwendungen orientiert. So gilt es, zunächst das zu gestaltende Teilsystem abzugrenzen, bevor aus primär betriebswirtschaftlicher Sicht ein Fachkonzept erstellt wird und die darin formulierten Anforderungen schließlich einer EDV-technischen Realisierung zugeführt werden. Bereits zu Beginn eines jeden Entwicklungsvorhabens, bei der Systemabgrenzung, erweist sich die Prozeßorientierung als ein einfaches, aber weitgreifendes Prinzip der Systementwicklung. Zum Entwicklungsgegenstand werden nicht mehr - wie bisher üblich - ein Standort des Unternehmens, eine Fachabteilung oder eine bestehende EDV-Anwendung erklärt. Zur Disposition stehen vielmehr alle Standorte, Abteilungen und Anwendungsprogramme, die bis dahin an dem zu gestaltenden Prozeß beteiligt waren. Dem Anspruch einer ingenieurmäßigen Vorgehensweise folgend, werden die fachlichen Anforderungen an den zu gestaltenden Prozeß mit Hilfe standardisierter graphischer und textueller Beschreibungsformalismen definiert, so daß ein Modell des Prozesses entsteht. Um einerseits die Anforderungen vollständig zu dokumentieren und andererseits die Übersichtlichkeit zu wahren, werden unterschiedliche Sichten auf den Prozeß angefertigt. In den für die Modellierung von Geschäftsprozessen repräsentativen ARIS-Formalismen (ARIS = Architektur

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integrierter Informationssysteme) nach Scheer sind das die Funktions-, die Daten·, die Organisations- und die Prozeßsicht [SchJo96, S. 32]. Von besonderem Interesse fur das Business Reengineering ist die Prozeßsicht, die unter Anwendung sogenannter ereignisgesteuerter Prozeßketten (EPK) die zu einem Prozeß gehörenden Funktionen und ihre inhaltlichen und zeitlichen Abhängigkeiten beschreibt. Beachtung verdient die EPK-Technik an dieser Stelle vor allem, weil sie durch ihre Modellierungsregeln zum grundlegenden Verständnis von Geschäftsprozessen beiträgt. Die Regeln besagen: Ein Geschäfitsprozeß umfaßt mindestens eine Funktion, meist jedoch mehrere Funktionen. Damit eine Funktion zur Ausführung gelangt, bedarf es des Eintretens eines Ereignisses oder des Zusammentreffens mehrerer Ereignisse. Im Verlauf ihrer Ausführung erzeugt jede Funktion selbst ein Ereignis oder mehrere Ereignisse. Gestartet wird ein Prozeß grundsätzlich durch ein externes Ereignis (ausgelöst durch einen anderen Prozeß oder das Umsystem des Unternehmens). Beendet ist ein Prozeßdurchlauf dann, wenn keine Funktion mehr aktiv ist und außerdem kein in dem Durchlauf erzeugtes Ereignis mehr auf die Aktivierung einer Funktion im eigenen Prozeß wartet. Für die Formulierung von Prozeßmodellen werden heute bereits zahlreiche Modellierungswerkzeuge angeboten, die die formale Korrektheit der Modelle sicherstellen und eine komfortable, EDV-gestützte Pflege der Prozeßmodelle erlauben. Die Werkzeuge dienen als zentrales Bindeglied zwischen Konzeption und Realisierung von Geschäftsprozessen und leisten im Rahmen der Mitarbeiterschulung wertvolle Dienste. Besonders effizient verläuft die fachliche Konzeption von Geschäftsprozessen, wenn sie auf der Basis von Referenzmodellen erfolgen kann. Sie beinhalten allgemeine oder branchenspezifische, als repräsentativ erachtete Vorstellungen von Geschäftsprozessen oder von Geschäftsprozessen, wie sie in Standardsoftwaresystemen realisiert sind. Die Modelle von individuellen Geschäftsprozessen in einem Unternehmen können dann durch einfache Abwandlung der Referenzmodelle angefertigt werden. Führende betriebswirtschaftliche Standardanwendungssysteme wie zum Beispiel das System SAP R/3 werden heute zusammen mit Referenzmodellen ausgeliefert, die Abbilder der von der Software unterstützten Geschäftsprozesse enthalten. Mit Hilfe von Werkzeugen, die ebenfalls im Lieferumfang der Software enthalten sind, kann so beurteilt werden, ob die Standardsoftware die spezifischen Anforderungen des Unternehmens erfüllt. Ist dies nicht der Fall, können die abweichenden Anforderungen werkzeuggestützt in das Referenzmodell eingearbeitet werden. Dabei wird angestrebt, daß die Modifikationen im fachlichen Modell der Geschäftsprozesse in gewissen Gren-

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Deßaules, Geschäftsprozeßoptimierung

zen in der implementierten Softwarelösung nachvollzogen werden, ohne daß es hierzu irgendwelcher Programmierarbeiten bedarf. Einen wichtigen Beitrag zur EDV-technischen Implementierung der im Fachkonzept modellierten Geschäftsprozesse leisten sogenannte WorkflowManagement-Systeme. Sie greifen aktiv in den Ablauf von Geschäftsprozessen ein, indem sie das Eintreffen von Ereignissen, die die Abfolge der Funktionen in einem Prozeß bestimmen, überwachen und in Kenntnis der zugrundeliegenden Bearbeitungsregeln zu aktivierende Funktionen anstoßen. Dies kann je nach Funktionsträger durch den Start von Anwendungsprogrammen oder in Form von Nachrichten an Benutzer des EDV-Systems erfolgen. Auf diese Weise können unnötige Wartezeiten bei der Bearbeitung von Gesschäftsprozessen vermieden werden, erfolgt eine Synchronisierung zwischen dem EDV-System und seinen Benutzern und werden menschliche Aufgabenträger von der unproduktiven Überwachung erwarteter Ereignisse entlastet.

5.

Geschäftsprozeßoptimierung und Mittelstand

Empirische Untersuchungen in mittelständischen Unternehmen sind zu dem nicht überraschenden Ergebnis gelangt, daß diese im Vergleich mit Großunternehmen infolge geringerer Mitarbeiterzahlen über einfachere Organisationsstrukturen verfugen und das Ausmaß der Arbeitsteilung bei der Bearbeitung von Geschäftsprozessen vergleichsweise gering ausfällt [Huf95]. Gleichzeitig weisen mittelständische Unternehmen jedoch einen ähnlich hohen Organisationsgrad wie Großunternehmen auf, liegen die Anforderungen an eine aktuelle und vollständige Informationsversorgung der Geschäftsprozesse auf einem vergleichbaren Niveau, und stehen die Anforderungen an eine EDV-Unterstützung jenen in Großunternehmen allenfalls in quantitativer Hinsicht nach. Damii unterscheidet sich der Mittelstand wiederum deutlich von Kleinunternehmen, in denen an die Stelle fehlender organisatorischer Regelungen häufig das Prinzip der Improvisation tritt, und eine lückenlose EDV-Unterstützung der Geschäftsprozesse die Ausnahme ist. Als ein weiteres charakteristisches Merkmal für die Situation der Datenverarbeitung in mittelständischen Unternehmen hat es sich erwiesen, daß der Einsatz von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware als ein überdurchschnittlich wichtiges und schwieriges Thema angesehen wird. Wichtig ist es für die Unternehmen zum einen, weil die meisten von ihnen nicht über jene Entwicklungskapazitäten verfügen, die für das Erstellen einer umfassenden Individualsoftware notwendig wären, und zum anderen, weil die Einführung einer Standardsoftware in aller Regel kostengünstiger ist als die Eigenentwicklung einer Software mit ver-

Deßaules, Geschäfsprozeßoptimierung

gleichbarer Funktionalität. Als schwierig wird der Einsatz von Standardsoftware empfunden, weil die Produkte früherer Generationen bei weitem nicht die von ihren Anwendern gewünschte Flexibilität aufwiesen und die Einführung der Softwarepakete fast immer eine Anpassung der Organisation an die Software notwendig machte. Die mangelnde Flexibilität ihrer Produkte erwies sich für die Anbieter von Standardsoftware bei dem Versuch, zusätzliche Kunden zu gewinnen, zunehmend als ein unüberwindliches Hindernis. Mit der aufkeimenden Diskussion des Business Reengineering sehen sich immer mehr mittelständische Unternehmen vor die Entscheidung gestellt, ob nicht auch sie ihre betriebliche Informationsverarbeitung und die sie tragende Anwendungssoftware einer grundlegenden Erneuerung unterziehen müssen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, ihre größenbedingten Wettbewerbsvorteile gegenüber Großunternehmen zu verlieren. Zugleich stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln die angestrebten Veränderungen gegebenenfalls herbeigeführt werden sollen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Ausgangssituation wird das derzeit zu beobachtende Verhalten der Anbieter von Standardsoftware verständlich. Mit der Adaption wesentlicher Ideen und Techniken des Business Reengineering erleichtern sie die Anpassung ihrer Software an kundenspezifische Anforderungen. Sie begegnen damit der Kritik an der mangelnden Flexibilität ihrer Produkte. Gleichzeitig geben sie ihren Kunden ein mächtiges Instrumentarium an die Hand, das sie in die Lage versetzen soll, die von Hammer und Champy propagierte Optimierung von Geschäftsprozessen in Angriff zu nehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Das macht die neue Generation von Standardsoftware für Neukunden und Altkunden gleichermaßen attraktiv. Die aktuelle Entwicklung der Absatzzahlen moderner Standardsoftwarepakete belegt, daß viele mittelständische Unternehmen von dem Angebot, die Einführung einer neuen Standardsoftware mit einer grundlegenden Reform ihrer Unternehmensabläufe zu verbinden, Gebrauch machen. Es ist zu konstatieren, daß die Verbreitung von Standardsoftware infolge der großen Resonanz, die die Geschäftsprozeßoptimierung in den Unternehmen findet, derzeit einen sprunghaften Anstieg nimmt. Und es ist zu erwarten, daß die Disziplin des Business Reengineering Wissenschaft und Praxis der Wirtschaftsinformatik noch auf Jahre hinaus beschäftigen wird.

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Deßaules, Geschäftsprozeßoptimierung

Literaturverzeichnis [BeVo96]

Becker J., Vossen B.: Geschäftsprozeßmodellierung und Workflow-Management: Eine Einfuhrung. In: [VoBe96], S. 17-26.

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Hufgard Α.: Wirtschaftliche R/3-Einführung im Mittelstand Einsatzmöglichkeiten von Methoden und Tools. In [Wen95], S.43-82.

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SAP (Hrsg.): SAPinfo: Business Reengineering. Walldorf: 1995.

[SAP96]

SAP (Hrsg.): SAPinfo: Continuous Business Engineering. Walldorf: 1996.

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Scheer A.-W., Jost W.: Geschäftsprozeßmodellierung innerhalb einer Unternehmensarchitektur. In: [VoBe96), S.29-61.

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Vossen B., Becker J. (Hrsg.): Geschäftsprozeßmodellierung und Workflow-Management. Bonn, Albany: Internat. Thomson Pubi. 1996.

[Wen95]

Wenzel P. (Hrsg.): Geschäftsprozeßoptimierung mit SAP-R/3. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg Verlag 1995.

Sauermann, Mitarbeiter erfolgreich machen

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Peter Sauermann

Mitarbeiter erfolgreich machen - die besonderen Chancen der Menschenführung im Mittelstand 1.

Welche Art von Mitarbeitern braucht der Mittelstand in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?

Die Erkenntnis, daß der Mitarbeiter das wichtigste Kapital eines Unternehmens ist, ist nicht neu. Aber in den heutigen wirtschaftlich nicht einfachen Zeiten von besonderer Bedeutung. Was gerade mittelständische Unternehmen brauchen, sind Mitarbeiter von folgendem Schlag: • flexible Könner, d.h. sie müssen ihren Job perfekt beherrschen und dabei flexibel einsetzbar sein, nicht nur, um den Kollegen zu vertreten, sondern um neuen Anforderungen des Marktes sofort gewachsen zu sein, •

ideenreiche Problemloser, d.h. sie müssen bereit sein und Gelegenheit dazu haben, eigene Überlegungen und Lösungsansätze zur Verbesserung der Effektivität der Tagesarbeit wie auch grundlegender Probleme wie z.B. der Erschließung neuer Kundenpotentiale einzubringen,



wirklich innerlich motivierte Mitarbeiter, d.h. sie strengen sich nicht deshalb vorübergehend ein wenig mehr an, um in den Genuß einer Prämie zu kommen, sondern haben eine intrinsische Arbeitsfreude, bei der sie nicht pünktlich zu Ende der Arbeitszeit die Schreibgeräte oder Werkzeuge fallen lassen,



von der Unternehmenspolitik überzeugte Mitarbeiter, d.h. sie sind auch deshalb wirklich innerlich motiviert, weil ihnen der Kurs des Unternehmens verdeutlicht wurde und sie davon überzeugt sind, gemeinsam Erfolg zu haben.

Wie können nun diese Anforderungen an die Mitarbeiter erfüllt werden? Sicher ist es ein gefährlicher Gedankenfehler anzunehmen, die Angst um die Arbeitsplätze würde die Belegschaft per se zu einer Leistungssteigerung bewegen. Wer glaubt, daß er die Mitarbeiter dadurch erfolgreich fuhrt, daß er ihnen im Falle schlechter Leistung am besten mit Kündigung drohen könne („draußen warten viele andere, die Ihren Arbeitsplatz einnehmen können"), hat von den Erkenntnissen zur Arbeitsmotivation und moderner Menschenfuhrung wohl noch nichts gehört. Er würde nur „Arbeitssklaven" erzeugen, die genau das tun,

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Sauermann, Mitarbeiter erfolgreich machen

was man ihnen befiehlt, aber zu irgendeiner Eigeninitiative nicht den geringsten Mut haben. In dem berühmten Zwei-Faktoren-Modell des Amerikaners Herzberg (1966) zur Arbeitsmotivation ist schon deutlich geworden, daß das Bedürfnis nach einem gesicherten Arbeitsplatz lediglich ein sog. „Hygiene-Faktor" ist, dessen Nichtbefriedigung zu Unzufriedenheit fuhrt, im Falle einer ausreichenden Erfüllung aber lediglich als „beruhigend", keinesfalls aber automatisch als leistungssteigernd empfunden wird. Anmerkung am Rande: Trotz der im öffentlichen Dienst weitgehend vorhandenen Arbeitsplatzsicherheit weisen viele kritische Stimmen immer wieder auf die noch steigerungsfähige Leistungseffizienz hin. Was laut Herzberg die Mitarbeiter wirklich zu mehr bzw. besserer Leistung motiviert („Motivatoren"), sind interessante und fordernde Arbeitsinhalte, eigene Verantwortung, Anerkennung und Erfolgserlebnisse, sich weiter entwickeln können etc. Von Angsterlebnissen ist da nicht die Rede.

2.

Die besonderen Chancen der Mitarbeiterführung im Mittelstand

Der erfolgreiche Umgang mit Mitarbeitern ist natürlich an diverse Voraussetzungen gebunden; eine sehr wichtige ist dabei die Situation der Unternehmensorganisation. In großen Konzernen mit traditionellen Strukturen und oft schon unüberschaubaren Organisationseinheiten ist ein neues Führungsverhalten schwerer um- bzw. durchzusetzen, zumal auch die Denkweisen meist konservativ geprägt und damit für alternative Vorgehensweisen blockiert sind. Der Mittelstand aber hat hier seine besonderen Chancen, die folgendermaßen zu begründen sind: •

Die wesentlich geringere Anzahl von Organisationseinheiten ist eine gute Basis für Flexibilität: Veränderungen in den Arbeitsstrukturen lassen sich leichter und mit weniger Widerstand realisieren. Solche Veränderungen sind nötig, um den Anforderungen von außen rechtzeitig begegnen und die Mitarbeiter in neue Aufgabengebiete schnellstens einarbeiten zu können.



Die personelle und ablauforganisatorische Überschaubarkeit ermöglicht eher das Entstehen eines „Wir-Gefühls" („Wir sitzen alle in einem Boot"), das eine wichtige Voraussetzung auch für die Arbeits- und Unternehmensidentifikation jedes einzelnen Mitarbeiters ist. Man kennt auch die Kollegen der anderen Abteilungen, weiß, was sie warum machen und ist zu einer abtei-

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lungsübergreifenden Zusammenarbeit eher bereit. Beispiel: Ein- und Verkauf stimmen sich regelmäßig hinsichtlich der Kundenwünsche ab. •

Im Gegensatz zur Anonymität in der Großorganisation ist das Verhalten der (in wesentlich geringerer Anzahl vorhandenen) Führungskräfte eher offengelegt und beobachtbar. Führt im Großkonzern ein Abteilungsleiter seine Gruppe gnadenlos autoritär, braucht das nicht unbedingt so aufzufallen wie im Mittelstand, wo sich die Mitarbeiter untereinander austauschen und feedbacks über das jeweilige Vorgesetztenverhalten das Management eher erreichen. Beispiel: Der Firmeninhaber erfährt Klagen über unangebrachtes Führungsverhalten eines seiner Vorgesetzten. Er bespricht mit ihm anschließend notwendige Veränderungen des Führungsstils und kann die angestrebte Verhaltenskorrektur kontrollieren.



Wenn mittelständische Unternehmen zwar nicht den Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit haben wie ein Großkonzern, so lassen sie doch genauso oder vielleicht noch leichter eine Unternehmensidentifikation durch die Belegschaft zu, sei es daß die Firma eine traditionelle Prägung als Familienunternehmen hat oder als noch junges, schlagkräftiges Team mit innovativen Problemlösungen hoffnungsvoll im Markt agiert. In beiden Fällen kennt jeder Mitarbeiter die Geschäftsleitung persönlich und hat Gelegenheit, mit ihr zu kommunizieren. Wie wichtig diese gegenseitigen Kontakte sind, mag diesmal ein Beispiel von der Großkonzern-Seite belegen: Für Gustav Schikkedanz war es ein festgelegtes Ritual, einmal jährlich alle seine Werke und Unternehmen ausfuhrlich zu besuchen und Zeit zu finden, mit jedem Mitarbeiter ein paar Worte zu wechseln. Offensichtlich hatte er damals schon erkannt, wie leistungsmotivierend dieser persönliche Kontakt sein kann.

Wie kann der Mittelstand diese besonderen Chancen nun zu seinem Vorteil nutzen? Vier Ansätze versprechen nach dem heutigen Erkenntnisstand der Motivations· und Führungspsychologie, Mitarbeiter erfolgreich zu machen.

3.

Der Weg zum erfolgreichen Mitarbeiter

Mitarbeiter können noch erfolgreicher werden durch: • A ufgabenerweiterung m it Eigenverantwortung • Teamarbeit • Mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten • Überzeugende Unternehmensgrundsätze

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Sauermann, Mitarbeiter erfolgreich machen

Aufgabenerweiterung mit Eigenverantwortung

Wenn im folgenden der Vorschlag gemacht wird, einem Mitarbeiter am Arbeitsplatz sein Aufgabengebiet zu erweitern, so ist damit nicht gemeint, ihm einfach mehr Arbeit als solche aufzuladen, sondern vielmehr im Sinne von , jobenrichment": der Handlungs- und Verantwortungsspielraum bei einem Arbeitsplatz wird wesentlich erweitert (horizontal und vertikal). Die Arbeit bekommt für den Stelleninhaber einen Ganzheitscharakter und er kontrolliert sich dabei selbst (= Totalkontrolle). Er ist für einen kompletten Arbeitsvorgang allein verantwortlich. Ein Beispiel aus der Produktion: Eine Mitarbeiterin, die früher nur wenige Handgriffe zu tun hatte, nämlich Unterlegscheiben auf Kolbenstangen aufzustecken, montiert jetzt Kolbenstangen und Kolben komplett und überprüft anschließend das fertige Produkt auf Fehlerfreiheit. Ein Beispiel aus dem Verkauf: War bislang ein Mitarbeiter nur für die telefonische Auftragsannahme eingesetzt, bekommt er jetzt die umfassende Zuständigkeit für eine bestimmte Kundengruppe, die neben der Auftragsannahme auch Eigenakquisition, Kundenbetreuung und Reklamationsabwicklung beinhaltet. Diese neue Form der Arbeitsstrukturierung, ursprünglich aus den Humanisierungsbestrebungen entwickelt, die Arbeit nicht mehr so monoton erscheinen zu lassen, hat sich in der Praxis bereits hervorragend bewährt. Es liegen zahllose Erfahrungsberichte vor, die der Einführung von job-enrichment nicht nur eine mengenmäßige Effizienz, sondern insbesondere eine eindeutige Verbesserung der Arbeitsgüte bescheinigen. Die Gründe liegen primär in motivationalen Effekten: Den Mitarbeitern macht die Arbeit nicht nur mehr Spaß, weil sie abwechslungsreicher und mehr fordernd ist, sondern weil ihnen damit auch eine Eigenverantwortung übertragen wird, die sie als Anerkennung empfinden und die sie nicht enttäuschen wollen. Sie fühlen sich nicht als bloße Befehlsempfänger, die strikt nur auf Anweisungen zu handeln haben, sondern als „Subunternehmer", denen Vertrauen entgegengebracht wird, dem man gerecht werden will. Die Einführung der Aufgabenerweiterung mit Eigenverantwortung bedarf allerdings einer sorgfältigen Vorgehensweise. Der Mitarbeiter benötigt nicht nur vorab entsprechende Ausbildungsmaßnahmen für die zusätzlichen Tätigkeiten, er muß auch genügend Gelegenheit bekommen, die Aufgabenerweiterung vor dem „Ernstfall" zu üben und notwendige Hilfestellungen etwa durch den Vorgesetzten zu erfahren. Außerdem ist sehr sorgfältig zu prüfen, ob die vorgesehenen Mitarbeiter auch von den Fähigkeiten und persönlichen Motivationen her geeignet sind (nicht jeder ist unbedingt glücklich, wenn er Eigenverantwortung zu tragen hat).

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Gemäß einer Untersuchung von Simon (1996) über die Geheimnisse des Erfolgs von Weltklassefirmen ist eine hohe Identifikation und Motivation der Mitarbeiter eine wesentliche „Lektion"; die Mitarbeiter in solchen Unternehmen würden sich durch eine breite Einsetzbarkeit sowie hohe Aktivität bei Verbesserungsvorschlägen und Lernbereitschaft auszeichnen. Diese Erfahrung sollte sich der Mittelstand zu eigen machen. Solche Mitarbeiter bekommt man, wenn man ihnen ein erweitertes Aufgabengebiet ermöglicht, bei dem sie selbst ihr „Herr und Meister" sind. 3.2

Teamarbeit

Der Mittelstand sollte die Vorteile von Teamarbeit ebenso nutzen, wie dies Großunternehmen zwischenzeitlich längst praktizieren. Dabei hat er den Vorteil, daß die typischen Schwierigkeiten, die Konzerne bei der Teamarbeit erfahren (lange Vorlaufzeiten bis zur erfolgreichen Installierung), nicht so gegeben sind. Die schon erwähnte höhere Flexibilität kommt auch bei der Einfuhrung dieser Arbeitsform zugute. Der Erfolg von Teamarbeit wird v.a. auf folgende Gründe zurückgeführt (Bußmann/Rutschke 1996): • • • • • •

bessere Arbeitsergebnisse aufgrund sich ergänzender Fähigkeiten im Team höhere Motivation der Mitarbeiter höherer Identifikationsgrad der Mitarbeiter weniger Probleme bei der Durchsetzung von Maßnahmen höhere Flexibilität Steigerung der Leistungsfähigkeit

Teamarbeit kann entweder in einer permanenten Weise (organisatorisch fest installiert) oder auf Projektbasis (zeitlich begrenzte Gruppenarbeit) durchgeführt werden. In jedem Fall ergänzen sich die Teammitglieder fachlich und ideenbezogen durch intensiven Austausch und enge Kooperation. Die gefaßten Beschlüsse bedeuten für das einzelne Mitglied eine Umsetzungsverantwortung, der man sich nicht entziehen möchte, um nicht die Akzeptanz der anderen oder gar die (zukünftige) Teammitgliedschaft zu verlieren. Das gemeinsame Finden von Lösungen führt zu gewaltigen Erfolgserlebnissen. Dieser Effekt kann durch das Gruppenzugehörigkeitsbedürfnis der Menschen erklärt werden. Für das Unternehmen ergeben sich bessere Problemlösungen, Qualitätsverbesserungen, Kostenersparnis etc. Beispiele für Teamarbeit im Mittelstand: Ein Maschinenbauunternehmen organisiert die Zuständigkeiten für Verkauf und Service künden- bzw. regionbezogen in jeweils einem fest installierten Verkaufsteam. Jedes Verkaufsteam hat ab

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sofort die komplette Eigenverantwortung von der Angebotserstellung bis zur Bereitstellung kundenspezifischer Servicepakete. Stanke und Ulrich (1996) berichten von der dabei gemachten Erfahrung einer erheblichen Steigerung bei der Kundenzufriedenheit, Produktivität und Mitarbeitermotivation. Alternativ zu diesem Beispiel einer fest installierten Arbeitsgruppe, die eine in sich geschlossene Aufgabe hat und weitgehend autonom durchführt und kontrolliert, kann die Bildung von Projektgruppen gesehen werden, die eine Aufgabe auf Zeit bearbeiten und sich dann wieder auflösen. So wird z.B. im Großhandel eine mögliche grundsätzliche Sortimentserweiterung besprochen, wobei Mitarbeiter verschiedener Abteilungen (etwa Ein- und Verkauf) zusammenkommen. Oder eine Projektgruppe erarbeitet eine Neustrukturierung der Aufbauorganisation. Die Gründung einer Arbeitsgruppe bedeutet allerdings noch nicht automatisch den Beginn von Teamarbeit. Organisatorische und personalpolitische Voraussetzungen müssen erst erfüllt sein. Dazu zählen Klärung der Aufgaben und Zielvorstellungen, akzeptable Gruppengrößen ( 3 - 1 2 Mitglieder je nach sachlichen Anforderungen), räumliche Gegebenheiten („Besprechungsinseln"), aber auch Überprüfung der Teamfähigkeit der Beteiligten (Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Aufgeschlossenheit, Selbstkontrolle etc.) und gegebenenfalls zuvor Schulung der sozialen Kompetenz. Der introvertierte Eigenbrödler würde in der Gruppe nie aus sich herausgehen können, ist aber bei seiner Arbeit „im stillen Kämmerlein" für das Unternehmen möglicherweise genauso wertvoll. Auch müssen die Positionen und Rollen der Gruppensprecher, Projektleiter und Linien vorgesetzten vorab geklärt werden, z.B. interne und externe Koordination der Gruppe, Bearbeitung von Konflikten in der Gruppe). Leidvolle Erfahrungen zeigen immer wieder, daß für erfolgreiche Gruppenarbeit, insbesondere in der Phase des Problemlösens, eine unzulängliche Moderation ein Hemmschuh ist. Da wird durcheinander geredet, der Dauerredner nicht gebremst, sich im Kreise bewegt, weil keine Zusammenfassungen bzw. Strukturierungen erfolgen und da werden „Killerphrasen" geduldet, die den Teilnehmern den gedanklichen Innovationselan nehmen. Die richtige Moderationstechnik des Teamleiters entscheidet darüber, ob die Zusammenkunft mehrerer Personen für eine gewisse Zeit zu einem fruchtbaren Ergebnis oder zum teuren und frustrierenden Flop wird. Der Moderator muß sowohl die Gruppe zu einem Ergebnis führen (Lokomotionsfunktion) wie für den Zusammenhalt sorgen (Kohäsionsfunktion). Das bedeutet : Er muß u.a. • •

Spielregeln festlegen und ihre Einhaltung überwachen, die Teilnehmer durch Fragen aktivieren,

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• • • •

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dabei selbst keine eigenen Meinungen vertreten, wichtige Teilaspekte weiterführen lassen, nebensächliche abbrechen, den Erkenntnisstand immer wieder objektiv zusammenfassen, einzelne Teilnehmer nicht einseitig loben etc. '

Üblicherweise wird bei Besprechungen aller Art fast nur geredet. Viel effektiver aber ist der Einsatz auch visueller Techniken (wir nehmen über das Auge mit Abstand am meisten wahr!) wie Tageslichtschreiber, Flipchart, Pinnwände oder der Metaplantechnik selbst (Mehrmann 1994). Wenn innovative Denkleistungen gefordert sind, empfiehlt sich der Einsatz spezieller Kreativitätstechniken (z.B. Brainstorming). Gerade das Ausschöpfen der durchaus vorhandenen Kreativitätspotentiale von Mitarbeitern stellt eine Überlebenschance fur Unternehmen im Mittelstand dar, da sie eine innovationsorientierte Unternehmenspolitik betreiben, die durch die höhere Flexibilität gegenüber einem schwerfälligen Großunternehmen schneller umgesetzt werden kann und damit einen Wettbewerbsvorsprung sichert (siehe auch Nütten/Sauermann 1988). 3.3

Mitarbeiterorientiertes Führungsverhalten (Coaching)

„Die Führungspersönlichkeiten der Hidden Champions leben die Einheit von Person und Aufgabe. Sie führen autoritär in den Grundwerten und partizipativ im Detail. Sie sind große Energieträger und Inspiratoren. Die Kontinuität in der Führung ist extrem hoch." Dieses Zitat von Simon (1996) zur Erklärung des Erfolgs von Weltklassefirmen kann auch als grundlegende Empfehlung zur Führung im Mittelstand angeführt werden. Die „autoritäre" Führung in den „Grundwerten" darf dabei nicht mißverstanden werden. Der Mitarbeiter erwartert eine klare Grundsatzzielrichtung des Unternehmens, die ihm ein Sicherheitsgefühl vermittelt: Er weiß, welchen Kurs das Unternehmensschiff eingeschlagen hat und welchen Beitrag er zur Zielerreichung zu leisten hat. Dem Vorgesetzten kommt dabei die Aufgabe des Beraters, Helfers, Trainers, Coach (wie man neuerdings sicher zutreffend formuliert) zu. Im Sport ist es ja auch so: Der Trainer muß autoritär in der grundsätzlichen Zielrichtung sein („Wir wollen gewinnen"), partizipativ aber die Mannschaft auf den Kampf vorbereiten, indem er mit jedem einzelnen Spieler an seinem individuellen Leistungsniveau gemäß seiner Aufgabenstellung für das Team arbeitet und versucht, ihn optimal für das gemeinsame Spiel vorzubereiten. Besonderes Augenmerk ist aber auf Simons Hinweis „partizipativ 'im Detail" zu richten. Hier kommt eine grundsätzliche Führungstechnik zum Ausdruck, ohne die heute nicht mehr erfolgreich geführt werden kann. Es geht nur gemeinsam mit dem Mitarbeiter, er ist nicht nur eine „Verfügungsmasse", und es geht schon gar nicht mehr ohne ihn. Die Anforderungen und Belastungen sind für alle Angehörigen eines Unternehmens derart gewachsen, daß in den meisten Fällen die einzelnen Mitarbeiter vor Ort durch

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eine Fülle von Detailerfahrungen und -kenntnissen gekennzeichnet sind, die der Vorgesetzte gar nicht mehr haben kann. Seine fachliche Autorität ist heute nicht mehr entscheidend. Sein Job ist es, dem Mitarbeiter durch Kommunikation zu helfen, aktuelle und zukünftige Aufgaben erfolgreicher zu gestalten. „Coaching setzt das Potential eines Menschen frei, seine eigene Leistung zu maximieren. Es hilft ihm eher zu lernen, als daß es ihn etwas lehrt" (Whitmore 1994). In der täglichen Kommunikation mit dem Mitarbeiter bzw. den Mitarbeitern ist Coaching zu praktizieren. Kommunikation heißt dabei Dialog und nicht Monolog, was durch aktivierende Fragen und aktives Zuhören erreicht wird. Mehr denn je bedeutet dies fur Führungskräfte, die Fähigkeit der sozialen Kompetenz zu haben, die gekennzeichnet ist etwa durch • • • •

sich in die Situation des anderen versetzen können, eine Sprache sprechen, die der andere versteht, den anderen verstärken und um Vorschläge bitten, gemeinsam zu Beschlüssen und Vereinbarungen kommen etc.

Eine Faustregel zur mitarbeiterorientierten Gesprächsfiihrung heißt: Wenn in einem Gespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter letzterer mindestens die Hälfte der Redezeit für sich in Anspruch nehmen konnte, ist dies ein Zeichen für partizipative Führung. Natürlich können Vorgesetzte diese soziale Kompetenz um so leichter praktizieren, je besser sie den Mitarbeiter kennen und je geringer ihre Führungsspanne ist. Einmal mehr hat hier ein mittelständisches Unternehmen einen bedeutenden Vorteil. Die Überschaubarkeit in der Führungssituation und der (hoffentlich!) gewohnte partnerschaftliche Umgang sind gute Voraussetzungen für echte Kommunikation. Vergessen wir aber auch nicht, daß wir es heute mit sehr viel anspruchsvolleren Mitarbeitern als vielleicht in früheren Zeiten zu tun haben, die schon in jungen Jahren gelernt haben, als eigene Persönlichkeiten ernst genommen und gleichwertig behandelt zu werden. Einem Vorgesetzten, der auf seine formale Autorität pocht („Ich habe das Recht, Ihnen Anweisungen zu erteilen, und Sie haben diese ohne Kommentar auszuführen!"), wird heute kein Respekt und keine Gefolgsbereitschaft mehr entgegengebracht. Das notwendigerweise zu verändernde Führungsverhalten wird schon in den alltäglichen Anweisungen deutlich. Es genügt nicht mehr, sie nur klar und eindeutig zu formulieren (selbst das ist in der Praxis für Vorgesetzte oft noch ein Problem), sondern sie müssen auch begründet werden, wenn ihre Intention für den Mitarbeiter nicht sofort einsichtig ist oder sie von grundlegender Bedeutung für ihn ist. Die Hintergrundinformation wertet ihn nicht nur in seiner Persönlichkeit auf, er identifiziert sich auch eher mit dem Auftrag und weiß sich bei uner-

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warteten Schwierigkeiten eher zu helfen. Beispiel: Ein Vorgesetzter erteilt einem Mitarbeiter zu Beginn eines Arbeitstages einen Auftrag, der bis Dienstschluß erledigt sein soll, ohne ihm mitzuteilen, daß er das Ergebnis seiner Anweisung für eine abendliche Besprechung beim Vorstand benötigt. Er ist anschließend den ganzen Tag nicht mehr für den Mitarbeiter zu erreichen. Der Mitarbeiter wird am frühen Nachmittag gebeten, bei einer Projektsache auszuhelfen, was länger dauert, sodaß der ursprüngliche Auftrag nicht bis zum Abend fertig wird. Der Mitarbeiter nimmt sich vor, am nächsten Morgen eine Stunde früher zu kommen und die Angelegenheit in Ruhe fertigzustellen, und erfährt jetzt erst, daß dies zu spät ist. Eine kurze Begründung des Auftrages (ein halber Satz hätte genügt!) und der Angestellte hätte sich sicher anders verhalten. Vor wichtigen Anweisungen, mit denen der Mitarbeiter umzugehen hat, dessen Meinung dazu einzuholen, schwächt nicht etwa die eigene Führungsautorität, sondern wertet den Mitarbeiter als Partner auf. Möglicherweise hat er ja auch eigene, bessere Vorschläge, wie die vorgesehene Anweisung am besten durchgeführt wird, denn er kennt die Bedingungen vor Ort besser. Wir trauen oft unseren Mitarbeitern noch viel zu wenig zu, gute und praktikable Ideen zu haben. Richtiges Loben und Kritisieren sind Grundvoraussetzungen des erfolgreichen Coachingprozesses. Der Mitarbeiter weiß, wo er steht, wo er sich verbessern sollte. Außerdem ist Lob (und auch konstruktive Kritik) ein erfolgreicher Motivator zur Erhöhung der Anstrengungsbereitschaft. Aus der Lernpsychologie ergeben sich viele praktische Erkenntnisse hinsichtlich Anerkennung und Tadel wie z.B.: Lob: • möglichst sofort loben (unmittelbarer Lerneffekt), • differenziert loben (eine starke Leistung des Schwachen ist eine schwache Leistung des Starken), • die Leistung und nicht die Person als solche loben (Lerneffekt), • keine übertriebene Lob "liturgie" (etwa einseitiges Loben eines einzelnen vor versammelter Mannschaft), • sich auch wenn notwendig für den Mitarbeiter einsetzen etc. Kritik: • konstruktive Kritik (gemeinsam klären ohne vorschnelle Schuldzuweisung: Fehlerursache, Problemlösung, zukünftige Vermeidung), • von Tatsachen ausgehen und nicht von ungeprüften Vorwürfen, • unter vier Augen kritisieren, • sachlich und nicht affektiv kritisieren.

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Möglicherweise wird bei einer gemeinsamen Fehleranalyse deutlich, daß auch der Vorgesetzte eine Mitschuld hatte. Es fördert in diesem Falle nur die persönliche Autorität, den eigenen Fehler auch zuzugestehen. Wenn der Mitarbeiter z.B. einem Kunden deshalb ein falsches Gerät ausgeliefert hatte, weil er den telefonisch übermittelten Auftrag seines Vorgesetzten mißverstanden hatte, da dieser die Typenbezeichnung nicht ganz genau genannt hatte, so darf dies kein Anlaß sein, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, sondern zu überlegen, wie schnellstens der Kunde zufriedengestellt und ein derartiger Fehler zukünftig vermieden werden kann. Besonders einsichtig ist die Coaching-Aufgabe des Vorgesetzten bei Konflikten, sei es beim einzelnen Mitarbeiter oder in der Gruppe. In den Führungsanweisungen auch mittelständischer Unternehmen findet man immer häufiger die Pflicht des Vorgesetzten aufgeführt, sich auch „um das persönliche Wohlergehen zu kümmern". Beispiel: „Jeder Vorgesetzte hat die Pflicht, dem Wunsch seiner Mitarbeiter nach persönlicher Aussprache nachzukommen". Dies bezieht sich ausdrücklich auch auf Problembereiche privater Natur, was folgerichtig ist, da der Mitarbeiter Konflikte, die sich nicht unmittelbar auf den Arbeitsplatz beziehen, nicht einfach bei Arbeitsbeginn in die Schreibtischschublade sperren oder beim Pförtner abgeben kann. Erfahrungsgemäß fühlen sich hierbei viele Vorgesetzte überfordert, sie wollen (und können) keine Therapeuten sein. Darum geht es aber auch nicht. Oft hilft es dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin bereits, wenn er/sie jemanden zum Zuhören hat, der Verständnis zeigt und vielleicht mögliche Lösungsperspektiven mit dem Betreffenden durchdiskutiert. Wichtig für derartige Gespräche ist besonders eine ruhige Situation (z.B. nach Arbeitsschluß), die ausdrückliche Bestätigung der Vertraulichkeit des Gesprächs und eine nondirektive Gesprächstechik, bei der der Vorgesetzte nicht seine formale Autorität zur Schau stellt, sich wenig nützlicher moralischer Mahnungen enthält, stattdessen den anderen durch offene Fragen (W-Fragen) zum Reden ermuntert und wesentliche Inhalte des Gesprächs widerspiegelt. Es darf auf keinen Fall eine „Verhörsituation" werden. Beispiel: Ein Vorgesetzter beobachtet bei einem noch jungen, aber bislang sehr engagierten und selbständig arbeitenden Mitarbeiter einen relativ plötzlich einsetzenden Leistungsabfall (gehäufte Fehler, Konzentrationslosigkeit, zunehmende Unpünktlichkeit und Gereiztheit). Er spricht den Mitarbeiter an, daß er sich Sorgen um ihn mache und ihm gerne helfen würde, wieder der „Alte" zu werden, dazu aber wissen müsse, was los sei. In einem vertraulichen Gespräch außerhalb der Arbeitszeit erfährt er den Hintergrund: Die Aufkündigung der Beziehung zu ihm durch seine langjährige Freundin hat ihn derart aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er anfängt, verstärkt dem Alkohol zuzusprechen. Um auf andere Gedanken zu kommen, vereinbaren beide den intensiven Einsatz des Mitarbeiters bei einem besonders schwierigen Projekt.

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Das signalisierte Vertrauen des Vorgesetzten will der Mitarbeiter nicht enttäuschen, er kniet sich in die Aufgabe förmlich hinein und hat sehr schnell sein ursprüngliches Problem verdrängt. Oft besteht fur den Vorgesetzten aber auch Coaching-Bedarf bei Problemen in der Arbeitsgruppe, seien es Intragruppenkonflikte oder z.B. Mobbingprozesse, wo ein einzelner Mitarbeiter (meist sind es die weiblichen) zum Opfer wird. Hier müssen erst die wahren Konfliktursachen aufgedeckt werden, ehe eine erfolgreiche Konfliktlösung versucht werden kann. In gemeinsamen Gesprächen mit den Beteiligten (ob Einzel- oder Gruppengespräche, ist vor Ort zu entscheiden) müssen erst die Ursachen für den Konflikt ohne Schuldzuweisungen erarbeitet werden, wobei hier die schon besprochene Moderationsfunktion von Bedeutung ist. Anschließend sind ebenfalls gemeinsam Lösungen zu suchen, mit denen alle Beteiligten leben können (üblicherweise Kompromisse). Schließlich ist eine gemeinsame Verpflichtung zur Einhaltung der vereinbarten Lösung einzugehen. Beispiel: Raucher und Nichtraucher arbeiten zusammen in einem Mehrpersonenraum. Auf der Basis eines Verständnisses für beide Seiten wird vereinbart, daß die Raucher zu jeder vollen Stunde eine Zigarette rauchen und dabei kurz gelüftet wird. Die für eine solche „Aussprache" geopferte Zeit wird durch zukünftigen Arbeitsfrieden mehr als wett gemacht. 3.4

Überzeugende Unternehmensgrundsätze

Die Erwartung, daß wir bei unseren Mitarbeitern japanische Mentalitätsgegebenheiten voraussetzen könnten, ist nur ein Wunschgedanke. In unseren Wertvorstellungen rangiert „die Firma" nicht an erster Stelle. Umfragen machen immer wieder deutlich, daß Familie, Partnerschaft, Gesundheit, Sicherheit, heile Umwelt etc. uns besonders beschäftigen. Andererseits darf nicht verleugnet werden, daß die meisten Arbeitnehmer sich viel mit ihrer Firma und ihrem Job auch außerhalb der Arbeit selbst beschäftigen. Man höre nur einmal zu bei Stammtischgesprächen, privaten Einladungen und - besonders deutlich - bei den Pausen- bzw. Abendgesprächen am Rande von Mitarbeiterschulungen und Seminaren. Der Mitarbeiter denkt eben doch mehr als nur die acht Stunden am Tag an seine Firma. Oft werden bei solchen Gesprächen kritische Äußerungen zur Firmenpolitik laut, die mehr als nur „Stammtischpolitik" darstellen, nämlich diskutierbare Lösungsansätze und konstruktive Kritik. Wenn nur manch ein Unternehmer als „stilles Mäuschen" dabei sein könnte ... Dies Verhalten macht deutlich, wie wichtig eine klar dokumentierte und überzeugende Firmenpolitik für die Leistungsmotivation der Mitarbeiter ist. Wenn man nicht weiß, welche grundsätzlichen Maßnahmen für die Zukunft geplant sind, wenn die Geschäftsleitung mit eisiger Miene durch die Abteilungen geht

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Sauermann, Mitarbeiter erfolgreich machen

und nichts verlauten läßt, ist das nicht nur für die Belegschaft demotivierend, sondern auch ideal für die Entstehung einer Gerüchteküche, begründbar mit dem nicht befriedigten Informationsbedürfnis. Eine mit dem Management abgestimmte Unternehmenspolitik, allen Beteiligten bekannt gemacht und auf der Basis der Unternehmensgrundsätze von der Geschäftsleitung auch vorgelebt, ist eine weitere gute Chance zur Erhöhung der Mitarbeitermotivation. Beispiel: Zum Motivationskonzept eines erfolgreichen Mittelständlers (Knoblauch 1996) gehört neben anderen wichtigen Unternehmensmaximen wie „Mitdenken", „Mitlernen", „Mitverantwortung". „Mitgenießen", „Mitbesitzen" erstrangig das „Mitwissen" des Mitarbeiters, das durch folgende Maßnahmen erreicht wird: • • • • • • • • • •

Mitarbeiterbroschüre (informiert über Unternehmenskultur), monatliche Mitarbeiterzeitschrift (informiert über geschäftliche Entwicklungen und Unternehmensaktivitäten), Kontaktabend (mehrfach jährlich werden neue Mitarbeiter zum Chef nach Hause eingeladen), Politik der offenen Tür (alle Mitglieder der Führungsriege sind jederzeit für alle Mitarbeiter ansprechbar), Tagesgenaue Informationen (über Umsatz, Gewinn und Auftragslage), Belegschaftsversammlung (zusätzlich zu Betriebsversammlungen als Information über betriebliches Geschehen), Informationsveranstaltungen für neue Mitarbeiter (auch für aushelfende Schüler und Studenten, da sie potentielle Mitarbeiter sind).

Gerade letzter Punkt macht deutlich, daß auch in der Öffentlichkeit die imagefördernden Grundsätze eines Unternehmens bekannt sein müssen, nicht nur zwecks Nachwuchsrekrutierung, sondern auch, um den vorhandenen Mitarbeiter seine Zugehörigkeit zum betreffenden Unternehmen bei Gesprächen mit Freunden, Nachbarn etc. mit einer gewissen Genugtuung bekennen zu lassen. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß dies auch für die Kaufbereitschaft von (potentiellen) Kunden von Vorteil ist. Beispiel: Ein Elektro- und Sanitätsinstallationsunternehmen inseriert in der örtlichen Tagespresse seine fünf Unternehmensgrundsätze, von denen einer den Mitarbeiter betrifft: „In Achtung der Fähigkeiten und der Persönlichkeit eines jeden Mitarbeiters arbeiten wir gemeinsam zum Nutzen unserer Kunden. Durch ständige Fortbildung unserer leistungswilligen Mitarbeiter werden wir der permanenten Weiterentwicklung von energiesparender und umweltschonender Technik gerecht. "

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Sauermann, Mitarbeiter erfolgreich machen

4.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!

In der Umkehrung des Leninschen Satzes ist das Rezept erfolgreicher Menschenfuhrung gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu sehen. Der Mitarbeiter, dem Vertrauen entgegengebracht wird durch Einbeziehung in alle Entscheidungssituationen und Übertragung von Eigenverantwortung, reagiert nach allen Erfahrungen der praktischen Führungspsychologie mit mehr innovativer und qualitativ wie quantitativ guter Leistung. Er ist motiviert, weit mehr als nur (üblicherweise) durchschnittliche 50% seiner Leistungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz einzusetzen. Mehr Leistung durch mehr Vertrauen bedeutet aber auch mehr Unternehmenserfolg. Kundenorientierung beginnt bei der Mitarbeiterorientierung - wer seine Mitarbeiter erfolgreich macht, schafft die besten Voraussetzungen fur das eigene Behaupten in den immer schwieriger werdenden Märkten. Wenn der Mittelstand damit beginnt, hat er schnell die Nase vorn!

Literaturhinweise: Bußmann/Rutschke: Sind Teams die besseren Verkäufer? 6/96, S. 48 ff

In: absatzwirtschafit

Herzberg, Frederik: Work and the nature of man. Cleveland 1966 Knoblauch, Jörg: 33 Rosen. In: Motivation 3/96, S. 8 ff Mehrmann, Elisabeth: Moderierte Gruppenarbeit mit Metaplantechnik. Düsseldorf 1994 Nütten/Sauermann: Die anonymen Kreativen.

Wiesbaden 1988

Simon, Hermann: Der Erfolg der Champions. In: absatzwirtschafit 4/96, S. 116 ff Stanke/Ulbricht: Kundenorientierung wirtschafit 5/96, S. 58 ff

durch geballte Kompetenz. In: absatz-

Whitmore, John: Coaching für die Praxis. Frankfurt/M. 1994

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Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Volker Herzig

Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor fortschrittlichen Personalmanagements in mittelständischen Unternehmen 1.

Den Wandel strategisch meistern

Die ökonomische Umwelt hat sich in den letzten Jahren für viele Unternehmen teilweise dramatisch geändert. Harter Wettbewerb in nationalen und internationalen Märkten um immer kritischer eingestellte und kostenbewußter handelnde Kunden kennzeichnen bei anhaltender konjunktureller Schwäche und diffusen Zukunftsaussichten die pessimistische Grundstimmung in vielen Betrieben. Volkswirtschaftliche Struktur- und Finanzprobleme bei einer insgesamt labilen weltwirtschaftlichen Lage zeichnen ein düsteres Szenario. Die häufig destruktiv geführte Diskussion um den Standort Deutschland und Horrormeldungen über Rekorde bei Firmeninsolvenzen tragen ebenfalls nicht dazu bei, daß bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern die auch aus psychologischer Sicht so notwendige Zuversicht und Aufbruchstimmung aufkommt. Dabei wissen wir nicht erst von den Chinesen, daß in jeder Krise neben Risiken auch Chancen stecken, die es zu ergreifen gilt. Technik, Organisation und Mensch waren von jeher die Faktoren, welche die betrieblichen Abläufe und das unternehmerische Handeln bestimmen. Seit der Studie der Amerikaner Peters und Waterman (1982) hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen. Auch weiterhin kann man auf die harten Faktoren wie Struktur, Systeme und Strategie nicht verzichten, aber sog. soft facts gewinnen zunehmend an Bedeutung. Im Rahmen des 7-S-Modells, das der Erklärung von herausragenden Erfolgen (Spitzenleistungen) dient, bezeichnen die beiden Autoren diese Einflußgrößen mit Selbstverständnis, Stil, Spezialkenntnisse und Stammpersonal. Somit steht der Mitarbeiter in seiner Funktion als Führungskraft, Know how- und Entscheidungsträger, als selbst bestimmtes Individuum sowie soziales Gruppen- und Organisationsmitglied an zentraler Stelle. Von seiner Qualifikation, seiner Lernfähigkeit, seiner Leistungsbereitschaft, seiner Motivation und Zufriedenheit, aber auch von seiner möglichst erfüllten Sinnsuche hängt es wesentlich ab, ob sich ein privatwirtschaftliches Unternehmen unter den Bedingungen der Marktwirtschaft zu behaupten vermag. Aufgrund des raschen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und vor allem technologischen Wandels sehen sich Mitarbeiter aller Fachbereiche und Hierarchieebe-

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

nen wachsenden Anforderungen gegenüber. Sowohl ihre Fähigkeit als auch ihre Bereitschaft, Wissen und Können den sich ständig ändernden Arbeitsbedingungen anzupassen, erlangen strategische Bedeutung und müssen auch in kleineren bis mittleren Unternehmen als wichtige Erfolgsfaktoren angesehen werden. Mit Hilfe einer systematischen, auf die langfristigen Unternehmensziele abgestimmten Personalentwicklungsarbeit wird ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung von Wandlungsprozessen geleistet. Denn nur wer sich rechtzeitig und gezielt um die Erhaltung und Förderung des vorhandenen Mitarbeiterpotentials kümmert, wird auf Dauer über den erforderlichen Stamm an qualifizierten Fach- und Führungskräften verfugen (Mentzel 1989). Während der Imitationsschutz bei technischen Verfahren, organisatorischen Abläufen oder Produkteigenschaften vergleichsweise niedrig angesetzt werden muß und folglich vorhandene Marktpräferenzen durch Mitbewerber kurzfristig kompensiert werden können, besteht bei der „Güte der personellen Ausstattung" aufgrund eher langfristiger Entwicklungsprozesse ein nachhaltig strategischer Wettbewerbsvorteil. Dieser zeigt sich insbesondere darin, daß über und durch die Mitarbeiter eine unnachahmbare, betriebsspezifische Unternehmensidentität (Corporate Identity) aufgebaut werden kann. Im Sinne von Corporate Culture entsteht eine von gemeinsamen Werten getragene und gelebte Unternehmensphilosopie, in der nicht nur fachliche Qualitäten, sondern insbesondere auch Einstellungs- und Verhaltensweisen gedeihen können, die sich am treffendsten in dem vielzitierten „Wir-Gefühl" dokumentieren. Ein Unternehmen aber, das eine allseits akzeptierte Verschmelzung von individuellen und betrieblichen Intentionen, d. h. eine weitgehende Interessenharmonie aller Organisationsmitglieder erreicht, wird aufgrund seiner Schlagkraft nach allen Erfahrungen eher erfolgreich sein und ökonomische Schwierigkeiten besser meistern. Doch handelt es sich bei diesem Konzept um ein Privileg von Großunternehmen, die sich offensichtlich um solch übergreifende, abstrakte Themen eher kümmern können? Sind Mittelständler aufgrund ihrer Ressourcenausstattung überhaupt geeignet und in der Lage, derartige Ideen und Ansätze zu entwickeln und konsequent voranzubringen, wenn schon bei der originären Leistungserstellung im Tagesgeschäft ständig Engpässe und Widrigkeiten zu bewältigen sind?

2.

Strategisches Personalmanagement als Rahmen der betrieblichen Personalentwicklung

Im Rahmen eines modernen Personalmanagements erhält die Personalentwicklung als ein früher eher marginales Aktionsfeld betrieblichen Handelns ein besonderes Gewicht. Im Gegensatz zur klassisch administrativen Funktion des

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Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

typischen Lohnbüros ist die Entwicklung von Mitarbeitern eine zukunftsgestaltende, antizipatorische und hochgradig innovative Aufgabe der gesamten Führungsmannschaft. Die Wettbewerbsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens hängt zunehmend davon ab, ob sie bereit ist, an die Stelle punktueller Qualifizierungsaktivitäten und reaktiven Handelns eine strategisch orientierte Entwicklung aller personellen Ressourcen (strategisches Human Ressourcen Management) zu setzen (Münch 1995). Im weitesten Sinne ist mit strategischem Vorgehen die tendenziell eher langfristige und problemorientierte, d. h. auf die Erreichung grundlegender Unternehmensziele gerichtete Gestaltung der Bereitstellung und des Einsatzes von Mitarbeitern gemeint. Trotz vieler öffentlicher Bekundungen in Unternehmensleitbildern und Führungsgrundsätzen, daß der Mitarbeiter wichtiger Erfolgsfaktor im Unternehmen sei, befinden sich derzeit viele Unternehmen wohl noch immer im Stadium der Personalverwaltung. Dies gilt besonders für kleinere und mittlere Betriebe, deren Verständis menschlicher Arbeit als physikalischer Produktionsfaktor häufig auf kurzfristige effizienz - bzw. produktivitätsorientierte Einsatzaspekte begrenzt ist. Es verwundert dann nicht, wenn sich ihre personelle Situation durch folgende Merkmale beschreiben läßt (Wieselhuber 1988): •

Gleichgültigkeit und mangelnde Identifkation mit der Aufgabe, den Produkten und dem Unternehmen bis hin zur „inneren Kündigung";



Bürokratie und Absicherungsverhalten, wenn Mitarbeiter in einem von Mißtrauen geprägten Arbeitsklima bei Fehlschlägen ausschließlich mit Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen reagieren;



fehlende Kundenorientierung und ungenügende Marktnähe, wenn interne und externe Aufträge nicht als grundlegender Zweck, sondern als Störung des Arbeitsprozesses aufgefaßt werden;



mangelnde Zielorientierung und wenig unternehmerisches Denken, wenn bestehende Arbeitsprozesse unreflektiert und routinehafit abgewickelt werden;



unzureichende Leistungsbereitschaft und Initiative, wenn Mitarbeiter desinteressiert und unbeteiligt „Dienst nachVorschrift" verrichten;



stark eingeschränkte Flexibilität und Veränderungsbereitschaft, wenn Neuerungen grundsätzlich als unbequem und riskant verworfen werden;



überzogener Individualismus und egozentrische Verhaltensweisen, die ζ. B. synergiestiftende Teamarbeit durch Einzelkämpfertum massiv behindern.

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Dabei stellen die turbulenten Entwicklungen in der unternehmensrelevanten Umwelt hohe und neue Anforderungen an alle Organisationsmitglieder. Bedrohungen müssen abgewehrt, Chancen frühzeitig erkannt und umgehend in Geschäftserfolge umgesetzt werden, wobei dem Zeitfaktor im Vergleich zur „optimalen Lösung" und vermutlich auch zu (überzogenen) Qualitätsansprüchen größere Bedeutung zukommt (Speedmanagement). Impulse hierfür sollten nicht nur von der Geschäftsleitung, sondern von allen Mitarbeitern ausgehen, die sowohl Markt- und Produktentwicklung als auch den Stand der Fertigungstechnologie kontinuierlich beobachten, kompetent bewerten und adäquat nutzen können. Aus den sogenannten Megatrends der Umweltveränderungen resultieren folgende grundlegende Qualifikationsansprüche: Umweltveränderungen

Mitarbeiteranforderungen

Komplexität der betrieblichen Abläufe und Strukturen

ganzheitliches, vernetztes Denken und Handeln

zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit bezüglich Aufgabeninhalte und Funktionen

Anpassungsfähigkeit; Aufgeschlossenheit; Entscheidungsfreudigkeit; Flexibilität; Gestaltungswille; Lern- und Lehrbereitschaft

Internationalisierung der Märkte

Wissen über und Toleranz gegenüber anderen Kulturen; Mobilität, Sprachkenntnisse

Reorganisation durch Hierarchieverflachung und dezentrale Organisationsstrukturen

Verantwortungsbereitschaft; Teamund Kommunikationsfähigkeit; Selbständigkeit; Selbstkontrolle

Wertewandel bei Konsumenten und Mitarbeitern

Überzeugungsfähigkeit; soziale Kompetenz; Verantwortungsbereitschaft; Kritikfähigkeit

Trend zur Dienstleistungsgesellschaft

Kunden-, Markt- und Serviceorientierung

82 geringe Leistungsvorsprünge gegenüber dem Wettbewerb kürzere Produktlebenszyklen

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

innovatives u. kreatives Handeln, Eigeninitiative; Engagement, Risikobereitschaft, Entscheidungsfähigkeit und -freudigkeit

Zusammenfassend läßt sich damit feststellen, daß der Umweltdynamik häufig eine beängstigende Stagnation im Personalbereich gegenübersteht. Das zweifellos gestiegene Qualifikationsniveau der Mitarbeiter wird wegen einer verharrenden Willenskraft und geringer Motivation nur unzureichend genutzt. Dieses Dilemma, dem somit stärker Willensbarrieren als fachliche Inkompetenz zugrunde liegen, gilt es durch ein aktives, planvolles und systematisches Personalmanagement zu beseitigen. Seine strategische Bedeutung ist aufgrund der anhaltenden Knappheit und weiter ansteigenden Kosten qualifizierter Mitarbeiter einerseits und aufgrund deren Bedeutung für die Entfaltung aller anderen Erfolgsfaktoren bei der betrieblichen Leistungserstellung andererseits evident. Patentrezepte hierfür gibt es allerdings nicht. Alle - auch kleinere - Organisationen bedürfen aufgrund ihrer spezifischen Situation (Sortiment, Standort, Image, Nachfrage- und Wettbewerbsverhalten, Fertigungstechnologie, Markt- und Produktentwicklung, Mitarbeiterreife und -potential etc.) individuell zugeschnittener Konzepte. Im Regelfall wird sich aber die Personalstrategie an der Unternehmensstrategie ausrichten. So erfordert beispielsweise eine aggressive, auf Anteilzugewinn ausgerichtete Marktbearbeitung auch eine Personalausstattung mit Mitarbeitertypen, die eher als „Angreifer" denn als „Verteidiger" oder „Mitläufer" bezeichnet werden können. Neben der Analyse verfügbarer bzw. heranzubildenden Verhaltenstypen verdeutlichen folgende Fragestellungen weitere wichtige Gestaltungsbereiche des strategischen Personalmanagements und dienen als Ansatzpunkte für eine Stärken-Schwächen-Untersuchung: Wie haben sich Mitarbeiterzahl, Altersstruktur, Arbeitsproduktivität, Krankenstand, Fluktuationsrate etc. in den einzelnen Funktionen im Branchen- bzw. Wettbewerbsvergleich entwickelt? Auf welchem Niveau befinden sich Qualifikation und Identifikation der Belegschaft? Welche Personal- und Anreizsysteme gibt es, inwieweit behindern oder fordern diese die Unternehmensentwicklung? Welcher Führungsstil wird in den einzelnen Unternehmensbereichen praktiziert und wie wirkt sich dieser auf Leistung und Motivation aus? Welche Formen und Regeln organisatorischer Gestaltung unterstützen die Harmonisierung von Unternehmens- und Mitarbeiterzielen? Welches Image und welche Attraktivität hat das Unternehmen im allgemeinen und der einzelne Funktionsbereich im besonderen als (potentieller) Arbeitgeber am Arbeitsmarkt?

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Die Entwicklung und Umsetzung der Personalstrategie ist eine originäre Führungsaufgabe der jeweiligen Ressortleiter. Eine vorhandene Personalabteilung stellt hierfür die erforderlichen Instrumente (ζ. B. Arbeitzeitmodelle, Entgeltsysteme, Führungsinstrumente, Förder- und Bildungsprogramme etc.) zur Verfügung, koordiniert die einzelne Maßnahmen und unterstützt die Fachbereiche durch fachkundige Beratung und Übernahme unterschiedlicher personalwirtschaftlicher Dienstleistungsaufgaben. Zweckmäßig erscheint auch die regelmäßige Durchführung von Human-Ressourcen-Audits, mit denen sowohl operative Personalkennzahlen als auch realisierte Ausprägungen der Personalstrategie auf den Prüfstand gestellt werden. Damit verbunden sind dann weitere flankierende Maßnahmen und Empfehlungen, um personelle Stärken auszubauen und aktuelle Schwächen - mit Blick auf bessere, bekannte Lösungen im Sinne des Benchmarkings - abzubauen. Auf diese Weise besteht die Chance, die betriebliche Personalarbeit selbst als kontinuierlichen Verbesserungsprozeß (KVP) zu begreifen und dynamisch den Umweltbedingungen anzupassen; besser sogar diesen aktiv prägend vorauszueilen. Da eine hauptamtliche Personalabteilung in der geschilderten Form weitgehend Servicecharakter hat und nicht selbst originärer Strategieauslöser und -Umsetzer ist, können und sollten auch mittelständische Unternehmen ohne eigenes Personalressort diesen Ansatz verinnerlichen und konsequent realisieren. Voraussetzung hierfür ist im Grunde nur ein entsprechendes Bewußtsein um die Bedeutung und der von der Unternehmensleitung gestützte Wille zur aktiven Gestaltung durch alle Führungskräfte und ggfs. Mitarbeiter. Ähnlich wie bei strategischen Marketingentscheidungen, deren betriebswirtschaftliche Relevanz gemessen am operativen Tagesgeschäft auch in Kleinstunternehmen mittlerweile außer Frage steht, müssen personalwirtschaftliche Entscheidungen hinsichtlich ihrer immensen Tragweite in das Blickfeld gelenkt werden. Bei beschränkten Handlungsalternativen (Service, Qualität und Innovationen können nur von Mitarbeitern ausgehen) und Korrekturmöglichkeiten (Kündigungsschutz) handelt es sich schließlich um Investitionen in das Humanvermögen, deren Amortisation vergleichbar mit Sachanlagen nur langfristig beurteilt werden kann.

3.

Personalentwicklung ist mehr als nur Weiterbildung

In Literatur und Praxis gibt es keine einheitliche, allgemein akzeptierte Definition dessen, was Personalentwicklung (PE) beinhaltet. Nahezu alle Begriffsklärungen sehen allerdings das vorrangige Ziel darin, die Qualifikation von Mitarbeitern zu erhalten, zu verbessern und/oder zu erweitern:

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Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

„Personalentwicklung ist ein organisierter Lernprozeß, der im sozialen Umfeld Unternehmen stattfindet und von ihm initiiert, beeinflußt oder gestaltet wird. Hierzu gehören alle planenden, durchfuhrenden und kontrollierenden Instrumente, Ergebnisse und Prozesse. Ebenso wichtig wie das Ergebnis (Bildungsstand) ist der Prozeß (Bildungsvorgang)." (Meier 1991) „Personalentwicklung kann definiert werden als Inbegriff aller Maßnahmen, die der individuellen beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen die zur optimalen Wahrnehmung ihrer jetzigen und zukünftigen Aufgaben erforderlichen Qualifikationen vermitteln." (Mentzel 1989) Wie bereits oben angedeutet stehen Personalentwicklungsmaßnahmen in einem engen dynamischen Beziehungsgeflecht zwischen den Systemelementen Mensch, Unternehmen, Markt und Arbeitsaufgabe. Letztere bestimmen am konkretesten die Ausgestaltung der Qualifzierungsrichtung, denn nur an den Anforderungen der jeweiligen Stellen lassen sich Eignung und Entwicklungsbedürfnisse der Stelleninhaber messen. Demgegenüber ist in der Praxis häufig noch eine angebotsorientierte Form der Weiterbildung anzutreffen, die nicht durch tätigkeitsbezogene Eignungslücken, sondern interessant erscheinende Bildungsofferten externer Träger ausgelöst werden und der somit eher eine Alibifunktion zukommt. Systematische, zielorientierte Personalentwicklung ist aber kein Selbstzweck oder lediglich Incentive fur die Mitarbeiter. Ausgerichtet an heutigen und zukünftig zu erwartenden Leistungserwartungen und -erfordernissen vermitteln PE-Maßnahmen konsequent und nachhaltig die notwendigen Fähigkeiten in Form von Wissen und Können. Während die Anpassungsentwicklung in diesem Sinne auf bereits übernommene Aufgabeninhalte rekurriert, zielt die Aufstiegsentwicklung ausgehend von zuvor identifizierten Potentialen darauf ab, Mitarbeiter für anspruchsvollere, höherwertige Aufgaben vorzubereiten. Die Personalentwicklung dient damit als Insstrument und Bezugsrahmen für die Personalbedarfs- und -einsatzplanung, deren Transparenz und Objektivität gesteigert wird. Ihre sowohl ökonomische wie auch soziale Einflußnahme begünstigt die Umsetzung einer mitarbeiterorientierten Unternehmensführung. Mit zunehmender „Entfachlichung „der Arbeitsprozesse bei ganzheitlicher Arbeitsorganisation einerseits und wachsender Bedeutung personaler Fähigkeiten andererseits sind die kognitiven (Kenntnisse) und psychomotorischen (Fertigkeiten) Dimensionen in besonderem Maße um affektive (Verhalten, Einstellungen) Aspekte erweitert worden. Hierbei handelt es sich wie bereits bei der Diskussion der Megatrends verdeutlicht um berufsübergreifende, überfunktionale und wohl auch überzeitliche Schlüsselqualifikationen (Döring 1994). Während die Ausbildungsordnungen des Berufsbildungsgesetzes im Dualen System

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

noch weitgehend durch detailliert aufgeführte berufsspezifische Kenntisse und Fertigkeiten bestimmt sind, wird dem Konzept der extrafunktionalen Qualifizierung im Rahmen der nicht reglementierten Personalentwicklung vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Dies mag vor allem daran liegen, daß aufgrund der Schnellebigkeit unserer Zeit kaum noch gesicherte und einigermaßen beständige Aussagen über konkrete Eignungsprofile formuliert werden können (oder sollen), die dann als operationalisierbare Lerninhalte und -ziele verwertbar wären. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn seit kurzem die PE auch den abstrakten Begriff der Handlungskompetenz verwendet, mit dem nicht nur die Zuständigkeit und Befugnis, sondern auch die generelle Fähigkeit einer Person zur situationsgerechten, zielgerichteten und verantwortungsbewußten Wahrnehmung einer bestimmte Aufgabe allein oder im Team dokumentiert wird (Münch 1995). Elemente der Handlungskompetenz sind wiederum die Fachkompetenz, die Methodenkompetenz und die Sozialkompetenz. Unter Fachkompetenz wird die Befähigung verstanden, auf der Basis von Fachkenntnissen und -fertigkeiten fachliche Probleme technischer oder kaufmännischer Art einwandfrei zu lösen. Methodenkompetenz meint die Fähigkeit, selbständig Wege und systematische Methoden bzw. Instrumente für die Aufgabenbewältigung zu entdecken und anzuwenden (ζ. B. Arbeits- und Problemlösungstechniken, Zeitmanagement, Kreativitätstechniken, Informatikanwendungen, Projektmanagement, Lernmethoden etc.). Wer über Sozialkompetenz verfügt, ist in der Lage, im Team zu handeln und konstruktiv mit anderen Probleme zu lösen. Als Persönlichkeitsentwicklung zählt hierzu der arbeitsklimaprägende Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzen genauso wie die dienstleistungsorientierte Betreuung etwa von Kunden und Lieferanten (ζ. B. Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Führung, Selbstvertrauen, Begeisterungsfähigkeit, Auftreten, Konfliktfähigkeit, Solidarität, Sensibilität, Anpassungsfähigkeit etc.). Zusammenfassend beinhaltet Personalentwicklung damit die Gesamtheit aller Maßnahmen, die geeignet sind, die Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter weiterzuentwickeln, zu erhalten und zu erneuern, und zwar mit dem Ziel, den Unternehmenserfolg unter weitgehender Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen zu sichern (Münch 1995). Die Gewinnung und Sicherung derartiger Interessenkongruenz setzt einerseits eine Unternehmenskultur voraus, in der das einzelne Individuum eine hohe Wertschätzung erlangt, und andererseits eine Arbeitsorganisation, die den Begabungen, Interessen und Bestrebungen der Mitarbeiter ein Höchstmaß an Entfaltungsspielraum läßt und ihnen sowohl Kreativität als auch Selbstkontrolle und -Verantwortung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund trägt die Personalentwicklung wesentlich dazu bei, einen mündigen und unternehmerisch denkenden Mit-

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Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

arbeiter auch und gerade in mittelständischen Unternehmen nicht nur zu gewinnen, sondern ideell zu binden. Der Akzent liegt dann weniger auf zweckorientierter Weiterbildung, Loyalität und Kontrolle als vielmehr auf Motivation, Partizipation und Mitarbeiterorientierung. Dabei erweist sich auch hier der Weg als Ziel. Die Personalentwicklung selbst durchläuft mehrere empirisch beobachtbare Phasen bzw. Generationen (Becker 1990). In der Institutionalisierungsphase wird die bereits vorhandene Ausbildung um eine angebotsorientierte Form der Weiterbildung ergänzt. Der Bildungsbeauftragte erstellt einen ihm sinnvoll erscheinenden Seminarkatalog mit allgemeinen Themen , wirbt um Teilnehmer und realisiert die einzelnen Maßnahmen in einem mehr oder weniger zufällig zusammengesetzten Kreis, wobei der Belohnungaspekt fur gute Leistungen eine wichtige Rolle spielt. Die Differenzierungsphase ist demgegenüber durch eine weitgehende Systematisierung der überwiegend auf Unternehmensziele ausgerichteten PE-Arbeit gekennzeichnet. Auf eine detailliert vorgenommene regelmäßige Bildungsbedarfsanalyse folgt die ebenso spezifizierte Bestimmung von Lernzielen und Bildungsmethoden. Die differenzierten Bildungsmaßnahmen werden anschließend geplant und regelmäßig als Zielgruppenprogramme durchgeführt. Eine zumindest pädagogische Erfolgskontrolle schließt im Sinne des Controlling diesen Regelkreis ab und liefert wichtige Ausgangsinformationen für den nächsten Turnus. Die PE-Arbeit der zweiten Generation gründet in der Regel bereits auf einheitlichen und anerkannten Grundsätzen, die Bildung und Förderung für das Gesamtunternehmen verbindlich regeln und als Legitimationsbasis für eine zentrale PE-Abteilung als Koordinationsstelle dienen. Zu ihnen gehört insbesondere die Einbeziehung und Verpflichtung aller Führungskräfte, denn Personalentwicklung stellt eine nicht delegierbare Managementaufgabe von höchster Priorität dar, die bedarfsorientiert auf freiwilliger Basis bei Berücksichtigung der Entwicklungsbedürfhisse der Mitarbeiter zu erfolgen habe. Mit der Integrationsphase wird schließlich die höchste Entwicklungsstufe erreicht. Gemeint ist damit die Integration von Lern- und Arbeitsfeld, d. h. von lernen und arbeiten als zwei untrennbaren Bestandteilen betrieblicher Tätigkeit. PE wird Hilfe zur Selbsthilfe bei der Lösung technischer, sozialer und organisatorischer Probleme, indem sie den einzelnen Mitarbeiter in die Lage versetzt, aus eigenen und fremden Erfahrungen zu lernen und Wissen durch weitreichende Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten weiterzugeben bzw. abzurufen. Das gemeinsame Ziel von Personal- und Organisationsentwicklung, die hier miteinander verschmelzen, besteht in der Effizienzsteigerung und Humanisierung ganzer Organisationseinheiten. Dabei wird nicht mehr einseitig eine Qualifikationsanpassung von Stelleninhabern an die Anforderungen vorhandener

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Arbeitsplätze erwogen, sondern es steht gleichgewichtig die Neugestaltung und Verbesserung von Arbeitsabläufen zur Diskussion. Betroffene werden zu Beteiligten. Lernen vollzieht sich weniger als Training oder Seminar im arbeitsplatzfernen Schulungsraum, sondern erfolgt als permanentes Prozeßlernen on the job mit der Möglichkeit, Erkenntnisse unmittelbar umzusetzen. Insofern vereinfacht sich die auch ökonomisch relevante Erfolgskontrolle im Tätigkeitsfeld und die sog. Transfersicherung erheblich. Der Nutzen neu erworbener Qualifikationen wird unmittelbar vom Mitarbeiter und seinen Kollegen erlebt und schafft damit eine günstige Voraussetzung fur weitere Bildungsanstrengungen der gesamten Gruppe. Da diese aber stets in ihrem Funktionsbereich „produktiv" bleibt, bestehen nur geringe Gefahren fur eine exogene Behinderung der Bildungsaktivitäten, wie sie in der Differenzierungsphase gerade in konjunkturell schwachen Zeiten aufgrund (kurzsichtiger) Kosteneinsparungen häufig anzutreffen sind. Die Rolle des klassischen Personalentwicklers in einem Großunternehmen verändert sich zunehmend von einem Koordinator, Dozent oder Trainer zu einem Prozeßbegleiter oder Coach. Dieser stellt allenfalls noch die notwendigen Lehr- und Lernmittel zur Verfugung, unterstützt bei methodisch-didaktischen Fragestellungen und initiiert als Moderator in der Anfangsphase den Bildungsprozeß, so daß dieser eine Eigendynamik entwickelt und die zentrale Betreuung sukzessive zurückgefahren werden kann. Genau unter diesem Aspekt ist nun allerdings auch die Situation von kleineren Betrieben zu sehen. In ihnen hat es weder die Institutionalisierungs- noch die Differenzierungsphase gegeben. Sofern diese Unternehmen Personalentwicklung überhaupt bewußt betreiben, geschieht dies unter Aussparung der ersten beiden Generationen auf der Ebene der Integration. Und hier liegt auch die besondere Chance dieser Organisationseinheiten. Sowohl in kleineren Handels- und Industrieunternehmen als auch im Handwerk mußten und müssen die Mitarbeiter mangels anderer Ressourcen den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und technologischen Veränderungsprozeß in Eigenregie - sozusagen nebenbei meistern. Glücklicherweise trägt unsere moderne Kommunikations- und Bildungsgesellschaft maßgeblich dazu bei, daß erforderliches Wissen, Können und Verhalten auch außerbetrieblich erkannt und in den Grundlagen angeeignet werden kann (Literatur, interaktive Lernprogramme, Medien, Kurse etc.). Gleichwohl kommt es darauf an, einmal erworbene Qualifikationen laufend an den betrieblichen Gegebenheit zu überprüfen und ggfs. zu erneuern. Dazu ist es aber nicht erforderlich und auch wirtschaftlich nicht vertretbar, daß jeder Mitarbeiter in allen Belangen und Facetten des Tätigkeitsspektrums über hervorragende Fähigkeiten verfugt. Viel sinn- und wirkungsvoller erscheint es, bei gegenseitigem Verständis in gemeinsamer Anstrengung anstehende oder sich abzeichnende Herausforderungen zu bewältigen.

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Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Hierzu ist das Wissen und Können aller Beteiligten gefragt, die als Arbeitsgruppe zusammenwirken und partnerschaftlich vom spezifischen Bildungsstand des jeweiligen anderen Teammitgliedes profitieren. Qualifikation und Know how dürfen in diesem Sinne keine Individualwerte mehr sein, die in der Einschätzung ihres Trägers Vorrechte auf Aufstieg und Belohnung verbriefen und deshalb vor dem Zugriff anderer besonders zu schützen sind. Erforderlich ist vielmehr eine durch Erfahrungsaustausch - auch über die eigenen Bereichsgrenzen hinweg - wechselseitige Nutzbarmachung von Kenntnissen, die im Multiplikatorenverfahren - ausgelöst vielleicht durch eine einmalige externe Bildungsmaßnahme - nunmehr an andere „bedürftige" Mitarbeiter intern weitervermittelt werden. Dies setzt dann allerdings auch voraus, daß lernen und lehren von allen Mitarbeitern als zwei komplementäre lebenslange Aufgaben wahrgenommen und konsequent praktiziert werden. Die aktuelle Situation bei der organisatorischen Neugestaltung in Großunternehmen (lean managment) zeigt, daß das entsprechende Bewußtsein ζ. B. während der Einrichtung teilautonomer Arbeitsgruppen nur sehr allmählich und mühsam aufzubauen ist. Dies gilt besonders dann, wenn auf Vorgesetztenfunktionen weitgehend verzichtet wird und die Gruppenmitglieder u. a. auch für ihre Bildung und die gemeinsamen Bildungsanstrengungen selbst verantwortlich zeichnen. Die gedankliche Trennung vom tayloristischen Fachspezialistentum hin zu einer ganzheitlichen Arbeitsauffassung mit grundlegend anderen Aufgabeninhalten und Prozessen erfordert nicht zuletzt wegen ihrer psychologischen Dimension besondere Anstrengungen. Auf dem Weg zur „Lernenden Organisation" (Dorau 1996) als der Inbegriff eines Systems, in dem Menschen kontinuierlich selbstgesteuert und eigeninitiativ ihre Fähigkeiten erweitern, hat der Mittelstand gewisse Vorteile. Diese zu nutzen und auszubauen ist seine besondere Chance.

Herzig, Personalentwicklung als strategischer Erfolgsfaktor

Literatur: Becker, M.

Personalentwicklung, In: Niederrheinkammer 1990

Döring, R.

Das Konzept der Schlüsselqualifikationen, Hallstadt 1994

Dorau, D.

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Meier, H.

Personalentwicklung, Wiesbaden 1991

Mentzel, W.

Unternehmenssicherung durch Personalentwicklung, Freiburg i. Br. 1989

Münch, J.

Personalentwicklung als Mittel und Aufgabe moderner Unternehmensfuhrung, Bielefeld 1995

Peters, T. J. / Waterman, R. H.

Auf der Suche nach Spitzenleistungen, München 1990

Wieselhuber (Hrsg.)

Strategisches Personal-Management, München 1988

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Ulrike Detmers

Über Erregungen spricht man nicht Spannungsursachen bei Führungskräften und Empfehlungen zum persönlichen Spannungsmanagement und zur Stärkung der persönlichen Leistungsfähigkeit

1.

Einleitende Worte

Führende in der Wirtschaft reden selten über persönliche Erregungszustände, die durch Gegebenheiten im Arbeits- und Berufsleben hervorgerufen werden. Sie befürchten, daß bei Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit aufkommen könnten. Steht jemand erst im Ruf eines Angeschlagenen, droht die Gefahr, daß ihm oder ihr der Stuhl vor die Tür gesetzt wird. Was Führende in der Wirtschaft belastet, konnte erstmals in einer Untersuchung herausgearbeitet werden, die ich Ende der 80er Jahre durchführte. Intensive Gespräche mit acht Managern und zwei Managerinnen ermöglichten Einblicke in tabuisierte seelische Krisenlagen. Diese psychischen Belastungen bedeuten für die Leitenden Streß, der je nach erlebter Stärke, Dauer und Häufigkeit die Leistungsfähigkeit herabsetzen kann. Die Streßforscher Bamberg und Greif (vgl. Bamberg/Greif 1982, S.l 1) konnten empirisch nachweisen, daß Streß emotional kurzfristig Angst, Ärger und Unsicherheit hervorrufen kann und langfristig zu Depressivität und Gereiztheit führt. Kognitiv trägt die Anspannung kurzfristig zur Reduktion von Ansprüchen bei und langfristig kann Streß die Aufgabe von Lebensplanung zur Folge haben. Diese Streßreaktionen üben auf das Leistungsvermögen der Managerinnen eine hemmende Wirkung aus, infolgedessen die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden kann. In diesem Beitrag zur Festschrift anläßlich des 25jährigen Bestehens des Fachbereiches Wirtschaft in der Fachhochschule Bielefeld schildere ich erforschte Fälle von Spannungsursachen und empfehle Hilfen zum persönlichen Spannungsmanagement, die die Eigenschaft, leistungsfähig zu sein, beleben können. Ein kurzer Ausblick auf die bevorstehenden Entwicklungen fundiert wirtschaftliche Anregungen zur Verbesserung zwischenmenschlicher Interaktion und Kommunikation.

Detmers, ber Erregungen spricht man nicht

2.

Spannungsursachen bei Führungskräften - Fallskizzen

Fallskizze 1 Der an führender Stelle der Industrie tätig gewesene und mittlerweile an Krebs verstorbene Manager, den ich aufgrund meiner persönlichen Kenntnisse als realistischen Selbstbescheider bezeichne, beschrieb in dem Intensiv-Interview sehr anschaulich, welche Erfahrungen ihn in Erregung versetzten. Da ist zunächst der permanente Leistungsdruck, dem sich Managerinnen ausgesetzt fühlen. Anstrengungen und positive materielle und immaterielle Ergebnisse erwarten die Managerinnen von sich selbst, weil es beruflich weiter gehen soll, und deren Familien, weil sie sich an ein Leben, das einen bestimmten Luxus bietet, gewöhnt haben. In einer erfolgs- und karriereorientierten Gesellschaft löst der Druck, unentwegt erfolgreich zu entscheiden, Angst vor dem persönlichen Versagen aus. Der Interviewte äußerte: " Ich habe Angst um den Job, den ich verlieren könnte, Angst, nicht mehr genug zum Lebensunterhalt der Familie beitragen zu können. " Die Angst vor dem Verlust der höheren beruflichen Stellung ist zu einem wesentlichen Phobiefaktor geworden. Diese Umstände verhindern nach Ansicht des Interviewten, daß Manager an positiven moralischen Grundsätzen festhalten. "Man kann zwar sagen: Ich habe meine moralischen Leitlinien, und bestimmte Dinge tue ich nicht, aber ich glaube, daß die wenigsten im Ernstfall standfest bleiben, wenn unmoralische Forderungen kommen. " Er bemerkte in unserem Gespräch, daß er sich gerne an einem moralischen Verhaltensmuster orientieren würde, allerdings gäbe es in der Wirtschaft kaum ethische Regeln des Verhaltens und Handelns, an denen sich Leitende orientieren könnten. Der fehlende Verhaltenskodex begünstigt seiner Ansicht nach betriebliche Intrigenwirtschaft, die sich für diejenigen, die hinterhältig sind, vorteilhaft auswirkt. Er beschrieb, daß es in der Managementszene günstige Bedingungen gibt, mit fiesen Tricks in Ungnade gefallene Mitglieder des Führungskaders "aus dem Weg zu räumen". Wenn Sie wollen, können Sie einem Spitzenmanager jeden Tag mindestens einmal ans Bein pinkeln. " Bei der Vielzahl von Entscheidungen, die ein Manager täglich ohne Erfolsgarantien treffen muß, sind immer wieder welche dabei, die sich später als fehlerhaft erweisen. Weniger richtige Entscheidungen können von aufstiegsorientierten Mitarbeitern, unfairen Kollegen und arroganten Vorgesetzten in subtiler Art und Weise zur Kompetenzschädigung genutzt werden. Im allerschlimmsten Falle wird der im Ruf eines Ungeeigneten stehende Manager Position und Stellung verlieren. Der Interviewte litt unter starken psychischen Spannungen, ausgelöst durch vielseitigen Druck, Angst, zum Nonvaleur zu werden und das zweifelhafte be-

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

rufliche Ethos. Die induzierten Erregungszustände versuchte er als realistischer Selbstbescheider einerseits durch Rationalisierung zu kontrollieren. Andererseits hätte er die beruflichen Spannungszustände gerne mit Hilfe seiner Frau bewältigt. Sie hatte sich allerdings wegen der wenigen Zeit, die ihr Mann für sie und die Kinder aufbrachte, ein eigenes Leben eingerichtet und kein Interesse mehr daran, miteinander Entspannendes zu unternehmen. Sich selbstbescheidend befriedigte der Manager seine Bedürfnisse nach einer romantischen häuslichen Szene allein, getreu seiner Lebenseinstellung:"Wir leben nicht im Konjunktiv."

Fallskizze 2 Das ethisch Mögliche wollte er wahr machen, der Vorsitzende des Vorstands eines weltweit tätigen Industrieunternehmens. Der Manager strebte an, Spiritus rector ethischer Unternehmensführung zu werden. Sein Credo lautete:"Die Finalität (Endziel) ist der Mensch." Mit Hilfe von Teamgeist, Teamarbeit und moralisch vorbildlichem Verhalten der Führungscrew wollte dieser Manager seine leidenschaftlich vertretenen Überzeugungen realisieren. Dabei zeigte er sich allem Anschein nach etwas zu elitär und nonkonformistisch gegenüber seinen Kollegen. Diese erwarteten, daß sich der Vorsitzende des Vorstands eines metallverarbeitenden Unternehmens so verhält, wie es allgemein üblich ist. Der ehemalige Vorstand hielt allerdings an seinem individualistischen Auftreten fest ("Ich brauche meine eigene Insel Ich benötige meine vier Wände, die unheimlich dick sind. Ich muß mich in ihnen wohl fühlen können und sagen: Das bin ich") Die unterschiedlichen Verhaltenserwartungen induzierten einen Rollenkonflikt. Ein Rollenkonflikt ist das Ergebnis nicht kongruenter Verhaltenserwartungen. Durch Flucht in die Öffentlichkeit und in die Kontemplation zugleich versuchte der ins moralische Dilemma geratene Spitzenmanager aus dem stressigen Konflikt herauszukommen. Mit Hilfe öffentlicher Zustimmung für sein ungewöhnliches Ethos wollte er vermutlich seine instabile Position festigen. Und er sonnte sich auch gern im Glänze seines öffentlichen Ruhmes und erzeugte damit eine weitere Spannungsursache: Abhängigkeit vom hohen Ansehen, das er wegen seines beruflichen Ethos genoß. Abhängig war der Interviewte überdies von der Wertschätzung durch seine Mitarbeiter - "Mir tut es gut, wenn ich erlebe, daß man mich mag" - ,vom hohen Status und vom Geld. Die Familie half ihm nicht, wenn der Industriemanager wegen der beruflichen Schwierigkeiten erregt war. "Meine Familie hat ihre eigenen Probleme und will aus diesem Grunde mit meinen Schwierigkeiten nichts zu tun haben. Die leben alle ganz gut und sind stolz auf mich, " äußerte der Interviewte allem Anschein nach etwas enttäuscht.

Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Fallskizze 3 Seelische Spannungen, die durch voneinander abweichenden Verhaltenserwartungen hervorgerufen werden, traten auch im Gespräch mit einer der beiden Managerinnen zutage. Dieser Rollenkonflikt wurde hervorgerufen, weil die Mitgeschäftsführerin in einem Widerstreit zwischen traditioneller Frauen- und Männerrolle lebte. Sie identifizierte sich auf der einen Seite mit den Werten Härte ("Man sagte mir im Vertrauen, daß viele im Betrieb Angst vor mir haben"), Erfolg und Karriere ("Es gibt für mich keine Situation, die ich nicht bewältigen kann") und paßte ihr Verhalten an die traditionelle Männerrolle an. Sie identifizierte sich mit der Fähigkeit, Entscheidungen und Verhalten am Verstand zu orientieren, weil sie das Stereotyp übernommen hatte, daß Männer diese Fähigkeit häufiger haben als Frauen. Andererseits machte die Managerin die den Frauen als typisch zugeschriebenen Eigenschaften und Einstellungen wie Sensibilität, Intuition, Nächstenliebe, Fürsorge und Humanität zu ihrer Sache ("Ich versuche, den unterschiedlichen Persönlichkeiten meiner Mitarbeiter gerecht zu werden, um sie zu fördern und zu motivieren"). Die Spannung, die sich aufgrund des Widerstreits ergab, versuchte sie aufzulösen, indem sie nicht zwischen Mann und Frau differenzierte, sondern beide schlechthin als Individuen begriff. Auf diese Art und Weise versuchte sich eine der wenigen Leitenden im "Herrenclub" freizumachen von dem subtilen Zwang: Identifikation mit der überkommenen Männerrolle, die ihr die Männergesellschaft in der Wirtschaft auferlegte.

Fallskizze 4 Der Anfang der 90er Jahre als Geschäftsführer des Tochterunternehmens einer High-Tech Unternehmensgruppe tätige Manager machte im Gespräch widersprüchliche Äußerungen zur beruflichen Abhängigkeit. Mit erstaunlicher Eindringlichkeit äußerte er einerseits, nicht abhängig zu sein, andererseits gestand er ein, de facto als leitender Angestellter nicht autonom entscheiden zu können. Die zwiespältigen Ansichten deuteten an, daß es ihm Schwierigkeiten bereitete, die Balance zwischen den internalisierten Erwartungen der obersten Geschäftsführung und den eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen herzustellen. Der leitende Angestellte hatte sich immer angepaßt und akzeptiert, daß er nach den Weisungen Vorgesetzter handeln mußte, denn er hatte sich vorgenommen, zu beruflichem Erfolg, Ehre und Anerkennung zu gelangen. Solange er das Gefühl hatte, sich Selbstrealisieren zu können, erfüllte er alle Erwartungen der Vorgesetzten. Im Zenit seiner Karriere stehend erzeugten die Kosten des steilen Aufstiegs Spannungen. Die Nachteile der Karriere waren Verzicht auf Unabhängigkeit. Seine Sache schien es nicht mehr zu sein, den Erwartungen der Vorgesetzten nachzukommen. Sein Bedürfnis nach Selbständigkeit wurde im Intensiv-Gespräch evident ("Ich muß meine Entscheidungs- und Entfaltungsmöglichkeiten

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

haben, muß absolut selbständig sein"). Ursächlich für Spannungen war beim Gesprächspartner weiterhin die Diskrepanz zwischen vorgestelltem ethischen Verhaltensmuster und tatsächlichem Verhalten, von dem er selbst sagte, daß es unmoralisch sei. Der Geschäftsführer versuchte die Spannung in den Griff zu bekommen mit Hilfe der Ansicht, daß es in praxi absolut üblich sei, mit allen Mitteln zu kämpfen. 'Wie du mir, so ich dir'.

Fallskizze 5 Negative ethische Verhaltensweisen machten dem Topmanager in der Computerbranche zu schaffen. "Ich strebe ein partnerschaftliches Zusammenleben an", äußerte der allem Anschein nach moralisch prinzipientreue Geschäftsführer. Ihn belastete es sehr, wenn Mitarbeiter, denen er unvoreingenommen entgegentrat, sein anständiges und vertrauenvolles Verhalten nutzten, um ihm in empörender Weise zu schaden. Beispielsweise überraschte es ihn immer wieder, wenn er merkte, daß jemand an seinem 'Stuhl sägte', was übrigens häufiger vorkam. Der Manager hatte Urvertrauen und infolgedessen zweifelte er nicht an der Vertrauenswürdigkeit seiner Kollegen und Mitarbeiter. Loyal gegenüber seinen moralischen Grundsätzen strebte er weiterhin einen von Kooperation und Partnerschaft charakterisierten Umgang mit der Führungsmannschaft und der Belegschaft an. Spannungsfaktor war überdies die weit verbreitete Käuflichkeit der Manager in der Computerbranche. Auslöser sei der extrem harte Konkurrenzkampf in dieser Branche, der dazu führe, daß alle Register gezogen würden, um Marktstellungen zu erhalten, meinte der Topmanager. Diese Wettbewerbslage trüge auch dazu bei, daß Opportunismus das häufigste Orientierungsmuster sei. Der nach moralischer Integrität Strebende wird eigenen Aussagen zufolge in Erregung versetzt, wenn er unter dem "neuen Verhaltensmuster" (vgl. Kaufmann/Kerber/Zulehner 1986, S.281) zu leiden hat. Ihm widerfuhr, daß jemand aus Opportunismus unter Vorgabe falscher Fakten versuchte, seine Autorität zu untergraben. Das führte bei ihm zu seelischen Verstimmungen, die mehrere Tage andauerten. Ein Spannungsfaktor anderer Qualität war der autoritäre Führungsstil der Konzernleitung. Negative Erlebnisse bei der Bundeswehr wurden bei dem Manager wieder lebendig. An der Führung dort hatte ihn das an Befehl und Gehorsam ausgerichte Führungsverhalten gestört. Es machte ihn unzufrieden, daß die oberste Leitung Manager der zweiten Hierarchieebene, die eine eigene Meinung vertreten, als Nörgler stigmatisiert. Er würde gern mehr Handlungsfreiheit bekommen und war der Ansicht, daß ihm die Konzernspitze das nötige Vertrauen geben könnte. Die geschilderten Gemütsbewegungen verarbeitete der Interviewte ohne seelischen Beistand von Lebenspartnerin und Familie.

Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

unpartnerschaftliches Verhalten

Angst vor dem Versagen

permanenter Erfolgs- und Leistungsdruck Grafik 1: Spannungsursachen bei Führungskräften

3.

Rollenkonflikte

Empfehlungen zum persönlichen Spannungsmanagement

Die geschilderten Fälle weisen eine Vielzahl von Spannungsursachen auf (siehe Grafik 1) und es wäre naiv anzunehmen, daß es gelänge, diese aus der Welt zu schaffen. Gefährdungen des Status, Rivalitäten, Erfolgsdruck und Rollenkonflikte charakterisieren normalerweise den Managerinnen-Beruf. Managerinnen verdienen gut (siehe Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen z.B. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), verfugen über viele Statussymbole (eine interessante Aufzählung findet sich bei Neuberger/Kompa 1987, S. 194 - 198) und besitzen Macht und Einfluß. Aus den genannten Gründen gehen Berufskollegen, Mitarbeiter und Öffentlichkeit nicht gerade zimperlich mit ihnen um. Dabei wird häufig nicht in Rechnung gestellt, daß Manager auch Menschen sind. Und die Tabuisierung von Belastungen fördert die allzuhäufige Reduktion von Managerinnen auf ihre Funktion und Leistung, auf die Einsatzfähigkeit einer "Megamaschine". An diesem Zustand wird sich zukünftig ganz sicher nichts ändern. Eher läßt die Intensivierung und damit einhergehende Verschärfung des globalen Wettbewerbs den Schluß zu, daß mit noch härteren Bandagen um

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Marktanteile gekämpft wird. Folglich müssen Managerinnen damit rechnen, daß Wirtschaft und Gesellschaft ihnen noch mehr Leistung abverlangen. Diese Forderung muß von Managerinnen erfüllt werden, wenn sie als leitende Angestellte ihren Lebensunterhalt verdienen wollen. Allerdings benötigt diese Berufsgruppe Hilfen zum persönlichen Spannungsmanagement und zur Stärkung der Leistungsfähigkeit. Menschliche Unterstützung können Lebenspartnerin und Familie geben. Ebenso können Gesprächskreise hilfreich sein. Auch die Inanspruchnahme eines Supervisors ist in bestimmten schwierigen Situationen nützlich. Die "alltäglichen Helfer", die ich zum persönlichen Spannungsmanagement empfehle, charakterisiere ich im vorletzten Abschnitt meines Beitrags zur Festschrift in ihren unterstützend wirkenden Grundmerkmalen.

Spannungsmanagement anhand intensiverer Partnerin-Zuwendung

Familien- und

Meine Forschungen haben ergeben, daß Familienangehörige bei der Spannungsbewältigung eine unbedeutende Rolle spielten. Nur der verstorbene Industriemanager hatte mir gegenüber geäußert, daß er gern mehr Zeit mit seiner Frau verbracht hätte. Partnerin und Familie können als Korrektiv gegen Erregungen und beruflich unbefriedigte Bedürfhisse wirken. Ein Manager, der unter Erregungen leidet, weil er befürchtet, daß sein Status gefährdet ist, kühlt sein Gemüt vielleicht ab, wenn er offen mit seiner Frau und den Kindern über sein Problem sprechen kann. Dadurch eröffnen sich leichter neue interessante Perspektiven, die zum Spannungsabbau beitragen Und besonders hilfreich dürfte es für belastete Leitende sein, wenn die Familienmitglieder bereit sind, im Krisenfall den Lebensstandard zu senken und Partner oder Partnerin darauf hinweisen, daß ihr Einkommen ausreichen würde, um die Lebensgemeinschaft über Wasser zu halten. Die nun wieder guten Aussichten stärken das Selbstvertrauen und die beruflich dringend benötigte Spannkraft. Psychisch und häufig auch physisch gestärkte Managerinnen haben den Kopf wieder frei und können zu neuen Ufern aufbrechen. Den permanenten Erfolgs- und Leistungsdruck können Managerinnen zeitweilig schwächen, wenn sie mit den Menschen, mit denen sie sich verbunden fühlen, Entspannendes unternehmen. Der verstorbene Manager äußerte, daß er gern mit seiner Frau zum Pilzesammeln gegangen wäre. Von Fahrradtouren durchs Grüne versprach er sich auch Erholung von den täglichen beruflichen Strapazen. Ausgleichend können gemeinsame Hobbys sein. Stimulierend wirken beispielsweise gemeinsame Besuche kultureller Veranstaltungen wie Opernauffuhrungen und Vernissagen - frei von repräsentativen Pflichten. Seelische Konflikte, hervorgerufen durch unmoralisches Verhalten in der Managementszene, können gemildert werden, indem die Betroffenen mit Partnerin oder Familie offen darüber reden. Das Austauschen von Gedanken fuhrt zu einer prüfenden

Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Betrachtung. Vielleicht sehen die Führungskräfte das belastende Ethos danach in einem milderen Licht. Der Austausch mit dem intimen Freund, der intimen Freundin kann dazu beitragen, alltägliche Konfliktursachen zu etwas anderem in Beziehung zu setzen und dadurch in ihrer Bedeutung einzuschränken. Seelische Gemütsbewegungen induziert durch Mißtrauen, Angst vor dem Versagen, fehlende Einflußchancen und berufliche Abhängigkeit lassen sich genauso wie all die anderen Spannungsursachen in einer Urvertrauen ermöglichenden Lebensgemeinschaft bezwingen. Lebensgemeinschaften bieten sich als Raum an, in dem sich gestreßte Managerinnen in unserer konkurrenzorientierten und von "Werteverfall und schwindendem Gemeinschafitsbewußtsein" (vgl. Schulze, Welt am Sonntag Nr. 28, S. 11) gekennzeichneten Gesellschaft frei bewegen und entfalten können. Die Privatsphäre eignet sich allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen fur das persönliche Spannungsmanagement. Als Grundanspruch ist eine freundschaftliche ungezwungene Atmosphäre unentbehrlich. Ein Gepräge familiärer Qualität erzeugen folgende Grundregeln zwischenmenschlichen Umgangs, die alle Beteiligten beachten sollten:

Grundregeln zum konstruktiven Spannungsmanagement Grundregel Nr 1 Schlüpfe in die Haut von Vertrauten, damit du dich in ihre Lage versetzen kannst, um qualifizierte, zur Bewältigung von Gemütsbewegungen geeignete Empfehlungen zu geben.

Grundregel Nr. 2 Verwende Formulierungen, die Vertraute verstehen. Verständlichkeitsmerkmale sind: - klare Problemformulierung - kurze und prägnante Problemformulierung .

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Grundregel Nr. 3 Verzichte auf zuviel Selbstdarstellung, d. h. strebe nicht an, zuviel Eindruck zu machen durch das Hervorkehren deiner Fähigkeiten.

Grundregel Nr. 4 Sei nicht rechthaberisch, schulmeisternd oder überheblich

Grundregel Nr. 5 Sorge für eine entspannte Atmosphäre. Schaffe eine zur Entspannung einladende Umgebung durch das Einstreuen von humorvollen Episoden, ein gutes Essen und guten Wein. Versuche eine Mischung von Ernsthaftigkeit und spielerischer Lässigkeit zu erzeugen.

Grundregel Nr. 6 Vertrete die Ansicht, daß Konflikte normal sind und mit Hilfe sozial-produktiver Strategien (Kompromißbildung/Konsensbildung) gehandhabt werden sollten.

Spannungsmanagement anhand von Gesprächskreisen Gesprächskreise können die Spannungsbewältigung anhand der konzentrierten Familien- und Partnerin-Zuwendung ergänzen oder ersetzen. Da eine FOCUSMagazin Umfrage dokumentiert, daß insbesondere Manager Probleme mit der Familie oder dem Partner haben (Nr. 16, 1996, S. 170 - 178), erscheint es mir notwendig, daß gestreßte Führungskräfte ihre Aufmerksamkeit auch auf Gesprächskreise richten. Die Betroffenen benötigen das Surrogat für das persönliche Spannungsmanagement. Gesprächskreise sind unter bestimmten Voraussetzungen geeignet, diese Funktion zu übernehmen. Der mündliche Gedankenaustausch in Rede und Gegenrede von Personen mit gleichen Interessen in regelmäßigen oder unregelmäßigen zeitlichen Abständen kennzeichnet einen Gesprächskreis. Die Teilnehmer sollen sich durch leichte Konversation lockern und vom beruflichen Streß lösen oder den intellektuellen Reifegrad durch die Erweiterung des persönlichen Gesichtkreises erhöhen und neue Perspektiven für das Leben sehen. Persönliche Spannungen werden dadurch relativiert, daß man durch die Teilnahme an intellektuellen Konversatio-

Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

nen neue Ideen aufgreift. Dieser Trick hat eine lange Tradition. Bereits der römische Politiker und spätere philosophische Schriftsteller Cicero suchte in erregter Stimmung das Gespräch mit seinem griechischen Hausphilosophen. Auch korrespondierte er in bestimmten Intervallen mit seinem Freund Attikus, den er auch als 'alter ego' bezeichnete.

Grundmuster des mündlichen Gedankenaustausches •

lockeres Gespräch in freundschaftlich entspannter Runde

Teilnehmer sind Freunde/innen, die in fröhlicher Runde Alltagssorgen abstreifen wollen. •

betont verstandesmäßiger Gesprächskreis

Teilnehmer sind Personen unterschiedlicher Provenienz. Horizonterweiternd erscheint mir beispielsweise eine wechselnde Zusammensetzung aus Wissenschaftlern, Künstlern, Managern , Politikern, Jugendlichen, Kirchenvertretern sowie Mitgliedern sozialer Randgruppen, die über interessante Themen diskutieren. Initiative und Engagement kann nur von den interessierten Teilnehmern ausgehen. Diese Gesprächskreise könnten in einem herrschaftsfreien Raum qua rationaler Kommunikation Ideen hervorbringen zur Gestaltung des künftigen Systems, nach dem eine Gesellschaft politisch, wirtschaftlich und sozial aufgebaut sein könnte. Ich denke bei diesem Vorschlag insbesondere an esoterische Bünde des 18. Jahrhunderts, deren Einfälle die Entwicklungslinien der bürgerlichen Gesellschaft maßgeblich mitbestimmten. Im Gegensatz zu esoterischen Gruppierungen sollten die Gesprächskreise offen sein und auf Mysterien verzichten. Eine grundsätzlich positive Einstellung zu Diskussionsrunden stellen Kaufmann/Kerber/Zulehner fest (1986, S.244). Deren quantitativ-empirische Rekonstruktion religiöser und ethischer Einstellungen von Führungskräften manifestiert bei 44 Prozent der Befragten eine positive Haltung gegenüber der Konstituierung von Gesprächskreisen. Diese Einstellung bestätigt die eigene Erkenntnis, daß Managerinnen ein Bedürfnis haben, ihr Denkvermögen für die spezielle Aufgabe Spannungsmanagement intensiv auszubilden.

Supervision Eine andere Methode des persönlichkeitsorientierten Krisenmanagements deutet sich in der Person des Supervisors an. Der Supervisor ist psychologisch orientierter Persönlichkeitsberater, der folgende Ziele verfolgt:

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Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

Supervisoren helfen Managerinnen, sich selbst zu beobachten und sich gegenüber dem Selbst zu öffnen.



Supervisoren zeigen Managerinnen Wege auf, berufliches Handeln selbstreflektierend zu analysieren.



Supervisoren regen Managerinnen an, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen.

(vgl. Scobel 1989, S.16)

Grafik 2:

Empfehlungen zum persönlichen Spannungsmanagement und zur Stärkung der persönlichen Leistungsfähigkeit

Supervisoren fungieren in diesem Interaktionsgefuge nicht als Kontrolleure, sondern als Vertraute derjenigen, die sich mit ihrer Hilfe seelisch auszubalancieren versuchen. Diese Aufgabe erfordert von Supervisoren Kenntnisse von Ma-

Detmers, Über Erregungen spricht man nicht

nagementsphäre und Ethos. Managerinnen, die in Einzelgesprächen seelische Konflikte lösen möchten, werden aufgrund ihres beruflichen Qualifikationsniveaus und ihrer umfangreichen Kompetenzen nur Supervisoren respektieren, die über ein hohes intellektuelles Qualifikationsniveau verfugen. Die Erfolge der Managementberater vom Format eines Rupert Lay oder des inzwischen verstorbenen Oswald Nell-Breuning sind auf ein beeindruckendes Denkvermögen zurückzuführen. Im Verlauf einer psychologisch orientierten Supervision, die von erfahrenen Supervisoren durchgeführt werden sollte, entsteht idealerweise eine kreative Atmosphäre, frei von autoritären, angstbesetzten, moralischen und ideologischen Bewertungen. Supervision ermöglicht durch Selbstanalyse das Erkennen von persönlichen Stärken und Schwächen und auf dieser Grundlage kann persönliche Weiterbildung ansetzen.

4.

Ausblick

Es werden sich in der nächsten Dekade tiefgreifende Umwälzungen vollziehen. Die grundlegenden wirtschaftlichen Veränderungen überstehen die Unternehmen ohne existenzbedrohende Friktionen, die über unbedingten Vorwärtsdrang, Kreativität, Standhafitigkeit im Kampf um möglichst gute Marktanteile und hinreichende Profite und eine gute bis sehr gute Leistungsfähigkeit der Führungskräfte und Mitarbeiterinnen verfügen. Spannungsfaktoren, wie die von mir empirisch herausgearbeiteten, schwächen die Schlagkraft des Managements und infolge der Belegschaft. Folgende betriebliche Maßnahmen sind geeignet, arbeitsinduzierten persönlichen Spannungen bei Führungskräften entgegenzuwirken: 1. Moralisch-ethische Verhaltensmaßregeln definieren und für verbindlich erklären. 2. Leuchtende Vorbilder belohnen. 3. Regelverstöße sanktionieren. 4. Arbeitszeiten flexibilisieren. Dadurch wird es Führungskräften grundsätzlich ermöglicht, intensivere Beziehungen zu Mitgliedern ihrer Privatsphäre aufzubauen. 5. Teilzeitarbeit organisatorisch ermöglichen. 6. Selbständig denkende Führungspersönlichkeiten wollen und fordern.

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Dieser Handlungskatalog soll lediglich Anregungen für oberste wirtschaftliche Entscheidungsträger geben, die schlagkräftige und operationsfähige "Truppen" für den harten Wettbewerb generieren möchten.

Literatur Bücher Detmers, U.: Identitätskonzepte von Managern, Opladen 1992 Kaufmann, Kerber, Zulehner: Ethos und Religion bei Führungskräften, München 1986 Scobel, W. Α.: Was ist Supervision, Göttingen 1989 Zeitschriften Bamberg, E./Greif, S.: Streß: Bedrohung der Gesundheit oder subjektiver Begriff? In: psychosozial, 5. Jg. 1982, S.8 - 28 Focus, Nr. 16, S. 170 - 178, Artikel:Karriere - Erfolgreiche Manager - Profis im Job, privat Amateure Welt am Sonntag, Nr. 28, S.l 1, Interview mit Schulze, G.: "Wir müssen uns vom Ideal der lebenslangen Berufstätigkeit verabschieden"

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Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

Jürgen Witt

Für den Innovationsprozeß ist * die Freude am Neuen die treibende Kraft, * *

der graue Alltag der Tod und das offene Denken die Voraussetzung.

Existenz- und Wachstumssicherung durch Innovations-Management16 1.

Was ist unter Innovations-Management zu verstehen?

Viele Unternehmen gehen im Tagesgeschäft unter. Die Mitarbeiter setzen in diesen Unternehmen ihre ganze Kraft für die Bewältigung des täglichen Arbeitspensums ein, ohne die Zeit zu finden, über zukunftsträchtige Weiterentwicklungen nachzudenken. Vielfach nehmen sie sich auch nicht die Zeit dazu, weil die Einsicht in die Notwendigkeit innovativen Handelns fehlt. Über Änderungen wird nur "aus dem Sachzwang" nachgedacht, d.h. wenn der Markt sie zwingend erfordert, die Fehlerquote im Leistungsprozeß sich drastisch erhöht, die Kosten davonlaufen u.a.m. Dieses "operative" Handlungskonzept, das sich auf das Heute beschränkt, reicht nicht aus, um Existenz und Wachstum des Unternehmens zu sichern. Es birgt die Gefahr in sich, daß das Unternehmen den Anschluß an den Wettbewerb verliert. Um dies zu vermeiden, brauchen die Unternehmen das Innovations-Management. Das Innovations-Management ist das Führungskonzept, das die Zukunft des Unternehmens dadurch sichert, daß es dessen Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln, systematisch ausbaut und fördert. Weiterentwicklung besteht darin, sich an veränderte Situationen anzupassen 16 entnommen aus: Witt, J. (Hrsg.): Produktinnovation, Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte, Verlag Franz Vahlen München 1996

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Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

und Situationen zu gestalten. In beiden Fällen werden in einem Unternehmen neue Wege beschritten. Das Innovations-Management liefert keine Patentrezepte für die Entwicklung revolutionärer Neuerungen. Nicht der "Geniestreich" ist das Ziel. Vielmehr sollen in einem Unternehmen die Grundlagen für die systematische Weiterentwicklung gelegt und ausgebaut werden. Zu diesem Zweck ist ein geistiges Klima zu schaffen, in dem das bisher Erreichte immer wieder in Frage gestellt und neue zukunftsträchtige Möglichkeiten aufgespürt werden. Wenn auf diese Weise bahnbrechende Neuerungen gefunden werden, so sind diese die Spitzenergebnisse des Innovations-Managements, nicht aber dessen Hauptanliegen. Das Innovationskonzept ist auf "Fortschritt durch Veränderung" ausgerichtet. "Das Bisherige anders und nicht allein besser zu machen" - das ist die Devise. In diesem Denkansatz liegt der entscheidende Unterschied des Innovations-Managements zum qualitätsorientierten Denken, das "Verbesserung durch Vervollkommnung" erreichen will. Zum qualitätsorientierten Denken gehört, möglichst jede Fehlerquelle im Leistungsprozeß auszumerzen. Dieser Denkansatz ist also auf Perfektion in Verbindung mit dem "0 Fehler-Ergebnis" ausgerichtet. Das qualitätsorientierte Denken ist nicht unproblematisch. Streben nach Perfektion birgt die Gefahr der Erstarrung in sich. Dies ist besonders der Fall, wenn jedem Experiment aus dem Wege gegangen wird, weil es immer mit einem erhöhten Fehlerrisiko und der Möglichkeit des Mißerfolges verbunden ist. Erstarrung bedeutet zunächst nachlassende Anpassungfähigkeit, in der Folge schwindende Lebenskraft. Gerade das soll durch das Innovations-Management vermieden werden. Das innovative Führungskonzept treibt die ständige Erneuerung des Unternehmens voran. Dabei wird in Kauf genommen, daß Fehler begangen werden, weil diese die unvermeidlichen Folgeerscheinungen von Neuerungen sind ("Kinderkrankheiten"!).

2.

Wozu braucht ein Unternehmen Innovationen?

Eine Unternehmensführung, die mit voller Kraft das Innovations-Management einführen will, muß von der Notwendigkeit dieses Konzeptes überzeugt sein. Dazu muß sie sich der Ursachen bewußt werden, die heute das Innovations-Management erfordern.

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Diese Beweggründe, die die Einführung des Innovations-Managements unverzichtbar machen, enthalten auch die Argumente, die die Unternehmensführung verwenden sollte, um die Mitarbeiter zu einer innovativen Geisteshaltung aufzurufen. Die Erfahrung lehrt, daß die Mehrheit der Mitarbeiter den Übergang zu einem innovativen Unternehmenskonzept nicht mit Begeisterung aufnimmt, sondern diesem Schritt eher mit Skepsis, wenn nicht sogar zumindest innerlich ablehnend, gegenübersteht. Die folgenden Tatbestände erfordern das Innovations-Management:

Die Situation - Veränderungen der Umwelt - zunehmender Wettbewerbsdruck - Tendenz der überhöhten Kosten - steigende Zahl gesättigter Märkte - Verkalkungstendenz von Organisationen

Abb. 1 Veränderungen der Umwelt: Unsere Zeit ist durch häufige Veränderungen der Umwelt, in der unsere Unternehmen operieren, gekennzeichnet. "Das einzig Beständige ist heute die Veränderung!" Neue Technologien werden entwickelt, die bisherige Verfahrensweisen veralten lassen, neue Produkte werden auf den Markt gebracht, die andere verdrängen; die Bevölkerungsstrukturen verändern sich, wodurch sich neue attraktive Verbrauchergruppen bilden und andere in den Hintergrund treten, neue Wertsysteme lösen traditionelle Denkweisen ab, neue Gesetze werden in Kraft gesetzt, die Umwelt schafft zunehmende Probleme u.a.m. Diese Umweltveränderungen stellen die Unternehmen ständig vor neue Herausforderungen, die gleichzeitig neue Risiken wie auch neue Chancen beinhalten. Zunehmender Wettbewerbsdruck: Die Unternehmen stehen zunehmendem Wettbewerbsdruck gegenüber. Insbesondere der internationale Handel (Japan!) und die Konzentration verschärfen den Konkurrenzkampf in früher ungewohnter Weise. Um sich im Wettbewerb durchzusetzen, müssen die Unternehmen um ihre Profilierung kämpfen. Dazu reichen verstärkte Anstrengungen auf der Grundlage traditioneller Konzepte nicht aus. Neue Wege müssen beschritten werden.

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Tendenz der überhöhten Kosten: Die Tendenz der überhöhten Kosten ist unter 2 Aspekten zu sehen: Zunächst gibt es einige wesentliche Kostengruppen, die langfristig absolut eine steigende Tendenz haben. Das sind die Personal-, die Energie-, die Umwelt- und auch die Werbekosten. Andererseits gibt es Kosten, die tendenziell fallen (Rohstoffkosten, Maschinenkosten). Von viel größerer Bedeutung als die absolute Entwicklung dieser Kosten ist ihre Relation zur Entwicklung der Verkaufspreise. In dieser Hinsicht läßt sich in vielen Wirtschaftszweigen ein struktureller Trend zu fallenden Preisen, wenn nicht sogar zum Preisverfall, beobachten, so daß die relative Kostenbelastung immer stärker wird. Diese Situation verlangt zunehmende Rationalisierungsmaßnahmen. Dabei geht es nicht allein darum, Verlustquellen auszuschalten. Innovative Strukturen (z.B. "lean management") und Verfahren (z.B. Automatisierung) müssen entwickelt werden. Steigende Zahl gesättigter Märkte: Die Entwicklungsphase unserer Marktwirtschaft - vielfach als Periode der Wohlfahrts-, wenn nicht sogar als Überflußgesellschaft bezeichnet - ist durch eine steigende Zahl gesättigter Märkte geprägt. Stagnierende Nachfrage, hervorgerufen durch Überfluß, ist möglicherweise die größte ökonomische Herausforderung der Zukunft auf den postindustriellen Märkten. Um mit dieser Situation fertig zu werden, reichen Rationalisierungsmaßnahmen und Kostensenkungsprogramme nicht aus. Neue Marketing-Konzepte werden gebraucht, die weniger auf quantitatives, sondern auf qualitatives Wachstum ausgerichtet sein sollten. Verkalkungstendenz von Organisationen: Letztlich ist die Verkalkungstendenz von Organisationen zu erwähnen, deren Bedeutung weitgehend unterschätzt wird. Erfolgreiche Unternehmen wachsen. Mit zunehmender Größe wächst das Bedürfnis nach ausgefeilten Organisationssystemen, die es ermöglichen, das Unternehmen straff zu fuhren. Das Ergebnis ist oftmals eine wuchernde Bürokratisierung, die zwar Ordnung schafft, die Initiative von Mitarbeitern jedoch tötet. Hinzu kommt die Routine des Tagesgeschäftes, die an den Kräften der Mitarbeiter zehrt. Unternehmen, die ihre Dynamik behalten wollen, brauchen die ständige Bewegung. Diese will das Innovations-Management schaffen.

3.

Was für Innovationen braucht ein Unternehmen?

Wenn in einem Unternehmen über Innovationen nachgedacht wird, steht vielfach die Entwicklung neuer Produkte im Vordergrund. In der Tat haben Produktinnovationen für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens eine er-

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hebliche Bedeutung. Das Innovations-Management befaßt sich jedoch mit weitaus mehr Bereichen als nur mit Produkten.

Bereiche für Innovationen -

Produkte Verfahren Organisation Strategien Führung

Abb. 2 Um die Schlagkraft, die Flexibilität und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu verbessern, sind die angewendeten Verfahren und die vorhandene Organisation im Hinblick auf ihre Modernität zu überprüfen. Um hier wesentliche Verbesserungen zu erreichen, genügt es meist nicht mehr, gegebene Systeme zu perfektionieren, sondern neue Systeme müssen entwickelt werden. Dies gilt nicht nur für die Produktion, sondern besonderes auch für das Marketing, die Logistik und die Verwaltung. Die Weichen für erfolgreiches Marketing werden über die Strategie gestellt, mit der Unternehmen ihren Markt bearbeiten. Auch in technischer Hinsicht funktionsfähige Produkte können sich auf vielen Märkten nicht mehr durchsetzen, wenn die Marketing-Strategie nicht stimmt. Marktveränderungen, neue Wettbewerbssituationen zwingen dazu, über neue Konzepte nachzudenken. Nicht nur Märkte verändern sich, sondern auch die Einstellung der Mitarbeiter zu ihrer Arbeitswelt. Steigendes Bildungsniveau, zunehmende Freizeit, höhere Einkommen u.a.m. haben neue Wertsysteme des arbeitenden Menschen geschaffen. Die überkommenen Formen der Führung werden in der Folge immer fragwürdiger. Neue Formen der Zusammenarbeit sind angezeigt.

4.

Die Bausteine des Innovationsprozesses

Die Entwicklung von Neuerungen wurde früher - und in vielen Unternehmen besteht diese Auffassung auch heute noch - im wesentlichen als ein Thema der Kreativität angesehen. So wurden im Laufe der Zeit eine Vielzahl von Kreativitätstechniken entwickelt - eine der bekanntesten ist das Brainstorming.

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Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

Inzwischen wissen wir, daß der Innovationsprozeß nicht nur aus dem Baustein "Kreativität" besteht.

Die Bausteine des Innovationsprozesses -

neue Ideen Akzeptanz Verwirklichung

Abb. 3 Neue Ideen: Kreativität wird gebraucht, um neue Ideen zu entwickeln. Dieser Prozeß kann durch geeignete Kreativitätstechniken gefördert werden. Akzeptanz: Die neue Idee im Kopf oder auf dem Papier führt jedoch noch nicht zu einer Veränderung. Dazu muß sie umgesetzt werden. Voraussetzung dazu ist zunächst einmal Akzeptanz bei den zuständigen Führungskräften und möglichst auch bei den betroffenen Mitarbeitern. Die Erfahrung lehrt, daß hier eine größere Hürde auf dem Weg zur Realisierung von neuen Ideen liegt, als vielfach angenommen wird. Neue Ideen werden tendenziell nicht als eine Bereicherung, sondern als eine Störung des gewohnten Ablaufes empfunden. Zahlreiche Firmen haben deshalb eigentlich keinen Mangel an kreativen Mitarbeitern; ihr Problem ist vielmehr die Unwilligkeit und Unfähigkeit des Managements, die Anregungen der Mitarbeiter aufzugreifen und umzusetzen. Verwirklichung: Auch Akzeptanz bedeutet noch nicht Verwirklichung. Eine Innovation liegt erst vor, wenn sie auch wirkungsvoll umgesetzt worden ist. Das verlangt zusätzliche Maßnahmen, die mehr organisatorische als kreative Fähigkeiten erfordern.

5.

Die Bausteine des Innovations-Managements

Welche Maßnahmen sind vom Management zu ergreifen, das beabsichtigt, den Innovationssprozeß im Unternehmen systematisch zu fördern? Um die notwendigen Schritte zu veranlassen, gilt es zunächst zu erkennen, daß Innovationen von Menschen erarbeitet und verwirklicht werden. Das Ergebnis des Innovationsprozesses hängt also von der Produktivität menschlicher Ar-

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beitskraft ab, die von deren Leistungsfähigkeit, -bereitschaft und -bedingungen bestimmt wird. Entsprechend lassen sich auch für den Innovationsprozeß die folgenden Einflußgrößen unterscheiden:

Die Einflußgrößen des Innovationsprozesses -

Innovationsfähigkeit Innovationsbereitschaft Innovationsbedingungen

Abb. 4 Es stellt sich nun die Frage, wie auf diese 3 Einflußgrößen des Innovationsprozesses möglichst vorteilhaft eingewirkt werden kann. Dies geschieht über die konkreten Maßnahmen - die Bausteine - des Innovations-Managements.

Die Bausteine des Innovations-Managements -

Mitarbeiter Führung Organisation Unternehmenskultur (Wertsystem) Ressourcen

Abb. 5

>

Die Mitarbeiter als Innovationskraft

Die Quelle für das Innovationspotential eines Unternehmens liegt in seinen Mitarbeitern. Wenn ein Unternehmen über keine innovativen Mitarbeiter verfügt, können die beste Führung, Organisation und die anderen oben erwähnten Rahmenbedingungen wenig bewirken. Allerdings können falsche Rahmenbedingun-

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gen wesentlich dazu beitragen, daß potentiell innovative Mitarbeiter blockiert werden. Um ein innovatives Unternehmen aufzubauen, muß also erreicht werden, daß bei den im Unternehmen beschäftigten Mitarbeitern ein ausreichendes Innovationspotential vorhanden ist. Dazu bedarf es einer entsprechenden Einstellungspolitik und gezielter Weiterbildungsmaßnahmen. Unternehmen, die zum Innovations-Management übergehen, werden im allgemeinen ihre bisherigen Auswahlverfahren für die Einstellung neuer Mitarbeiter korrigieren müssen. Zur Steigerung des Innovationspotentials reicht es nicht aus, Mitarbeiter einzustellen, die fachkundig, fleißig, zuverlässig sind und zum Unternehmen passen. Gerade der letzte Gesichtspunkt ist unter dem Aspekt der Innovation höchst problematisch, fordert er zwar die Harmonie in einem Unternehmen, dies aber zum Nachteil produktiver Konflikte mit vorhandenen, möglicherweise veralteten Einstellungen und Denkmustern. Der Querdenker bleibt möglichst draußen vor der Tür, wobei ein Unterschied zwischen Querdenker und Querulant zu machen ist. Unter der Perspektive des Innovationskonzeptes hat auch die Beförderungspraxis, die aus berechtigten motivationspsychologischen Gründen Mitarbeiter aus eigenem Haus bevorzugt, ihre Schattenseiten. Ohne Zweifel braucht ein Unternehmen zunächst Mitarbeiter mit Fachwissen, Pflichtbewußtsein, Ordnungssinn und kollegialem Verhalten. Diese Eigenschaften sind unverzichtbare Fähigkeiten, um das Tagesgeschäft einwandfrei abzuwickeln. Sie tragen jedoch nicht dazu bei, ein Unternehmen in seinen verschiedenen Bereichen weiterzuentwickeln. Welche Persönlichkeitsmerkmale kennzeichnen den innovativen Mitarbeiter? Der innovative Mitarbeiter ist sicherlich kreativ. Er ist fähig, neue Ideen zu entwickeln. Bereits bei Darstellung des Innovationsprozesses ist darauf hingewiesen worden, daß mit der neuen Idee noch keine Innovation vorliegt. Hinzu kommen müssen Akzeptanz und Verwirklichung. Diese Schritte des Innovationsprozesses erfordern zusätzliche Fähigkeiten. Sind diese Fähigkeiten bei einem kreativen Mitarbeiter nicht vorhanden, besteht die Gefahr, daß er sich als "kreativer Spinner" darstellt. Die Merkmale des innovativen Mitarbeiters lassen sich in kognitive, psychische und soziale Fähigkeiten zusammenfassen.

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

111

Die Mitarbeiter als Innovationskraft 1.

Kognitive Merkmale Wertsystem (Einstellungen) Kreativität Lernfähigkeit Denkvermögen Wissen Erfahrungen

2.

Psychische Merkmale Neugier Experimentierfreude Unzufriedenheit Offenheit Spontaneität Begeisterungsfähigkeit Durchhaltevermögen Frustrationstoleranz Mut zum Risiko Mut zum Chaos

3.

Soziale Merkmale Kommunikationsfähigkeit Teamorientierung Kritikfähigkeit Begeisterungsvermögen

Abb. 6 Die kognitiven Merkmale umfassen das "Wertsystem" und das "Intelligenzpotential" eines Mitarbeiters. Sie werden ergänzt durch die psychischen Fähigkeiten die als die emotionalen Grundlagen menschlichen Verhaltens den Aufbau und die Entfaltung der kognitiven Fähigkeiten unterstützen oder beeinträchtigen. Die soziale Kompetenz erleichtert die geistige Entwicklung des einzelnen Menschen und die Verwirklichung seiner Vorhaben.

112

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

Wertsystem: Der innovative Mitarbeiter hat zunächst eine positive Einstellung zu Veränderungen. Er ist davon überzeugt, daß die Zukunft in erster Linie durch den Fortschritt und weniger durch die Tradition gewonnen wird. Aufgrund dieser Gewißheit ist er auch potentiell bereit, seine innovativen Fähigkeiten einzusetzen. Diese Charakterisierung läßt bereits erkennen, daß der Konflikt zwischen dem innovativen Mitarbeiter und einer traditionsorientierten Unternehmenskultur vorprogrammiert ist. Kreativität: Kreativität bedeutet Phantasie. Sie beruht auf der Vorstellungskraft für neue Lösungen. Lernfähigkeit: Lernfähigkeit setzt die Eigenschaft voraus, das eigene bisherige Wissen in Frage stellen zu können, um es weiterzuentwickeln. Sie beruht auf der Einsicht, daß das Lernen ein Prozeß ist, für den es keinen Abschluß gibt. Denkvermögen: Aus der Sicht des Innovationsprozesses beinhaltet das Denkvermögen die geistige Fähigkeit, Zusammenhänge und Abhängigkeit zu erkennen. Ein Mitarbeiter mit Phantasie(n), der nicht denken kann, ist ein "Wirrkopf Wissen und Erfahrungen: In den Anfängen der Kreativitätsforschung (z.B. in Zusammenhang mit dem Brainstorming) wurde die Auffassung vertreten, daß Wissen und vor allem Erfahrungen die Kreativität einschränken. Der Experte ist oftmals ein "Fachidiot", der mit fest strukturierten Denkmustern arbeitet und seinen Blick nicht "über den Tellerrand seines Wissens" zu heben vermag. Die Erfahrung wird mit der roten Lampe am Ende eines Schiffes verglichen, die nach hinten leuchtet und wertlos ist, um den künftigen Kurs zu bestimmen. Wissen und Erfahrungen mögen in gewisser Hinsicht eine Belastung für die freie Entfaltung kreativen Denkens sein. Andererseits -und das ist das Entscheidende- dürfte Kreativität weitgehend darauf beruhen, daß Bausteine des vorhandenen Wissens neu kombiniert werden. Je weniger Wissen verfügbar ist, desto kleiner ist der Vorrat an Bausteinen, aus denen neue gedankliche Modelle zusammengefügt werden können. Während die kognitiven Fähigkeiten das "Intelligenzpotential" eines Mitarbeiters darstellen, bilden die psychischen Fähigkeiten die emotionale Grundlage, die den Aufbau und die Entfaltung der kognitiven Fähigkeiten unterstützen oder beeinträchtigen. Neugier und Experimentierfreude: Entscheidende Antriebskräfte für die Entwicklung neuer Ideen sind Neugier und Experimentierfreude. Hinter

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diesen beiden Eigenschaften steht der Wunsch, neue Dinge kennenzulernen und auszuprobieren. Unzufriedenheit: Ähnlich wirkt die Unzufriedenheit, die auch dann keine Ruhe gibt, wenn nach allgemeiner Auffassung "alles in Ordnung" ist. Der unzufriedene kreative Mitarbeiter ist rastlos, er stellt im Extrem alles in Frage. So schafft er ständig nicht nur produktive Bewegung, sondern auch Unruhe, die nicht von jedermann geschätzt wird. Offenheit: Um zu neuen Erkenntnissen und Einsichten zu kommen, ist Offenheit im Denken gefordert. Offenes Denken ist nicht gerade weit verbreitet. Das Gegenteil ist eher der Fall. Eine typische menschliche Schwäche liegt darin, die durch persönliche Erfahrungen gewonnenen Auffassungen für allgemein gültige Wahrheiten zu halten. Abweichende Meinungen werden nicht zur Kenntnis genommen oder sogar abgelehnt. Es leuchtet ein, daß ein solches Denkmuster weder für den Lernprozeß des einzelnen noch für die gruppendynamische Erarbeitung neuer Problemlösungen vorteilhaft ist. Spontaneität und Begeisterungsfahigkeit: Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit sind wichtige Schubkräfte, die bewirken, daß innovative Aktivitäten aufgrund festgestellter Notwendigkeiten oder Chancen sofort in Angriff genommen werden. Die Erfahrung lehrt, daß aus vielen Vorhaben, die auf die lange Bank geschoben werden, nie etwas wird ("Jetzt oder nie!"). Fehlt die Begeisterung, werden Aufgaben halbherzig erledigt. Entsprechend ist auch das Ergebnis. Durchhaltevermögen: Spontane Begeisterung kann allerdings leicht in einem Strohfeuer enden, wenn das Durchhaltevermögen nicht hinzukommt. In dieser Hinsicht hat mancher Mitarbeiter, der hoch kreativ ist, seine Schwächen. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Die menschliche Neigung ist groß, aufzugeben, sobald die ersten Schwierigkeiten auftreten. Die Ausarbeitung und erst recht die Verwirklichung neuer Ideen verlangt oftmals geradezu Besessenheit. Frustrationstoleranz: Das Durchhaltevermögen hängt eng mit einer hohen Frustrationstoleranz zusammen. Gerade beim Innovationsprozeß liegen viele Steine der Enttäuschung auf dem Wege zum Ziel. Sei es, daß unvorhergesehene Hindernisse auftauchen, vermeidbare und unvermeidbare Fehler begangen werden, die beteiligten und auch andere Mitarbeiter ihre Fallstricke legen u.a.m., all diese Ärgernisse müssen seelisch verkraftet werden. Mitarbeiter mit hoher Empfindlichkeit haben hier ihre Schwierigkeiten. Mut zum Risiko und zum Chaos: Schließlich zeichnet den innovativen Mitarbeiter Mut zum Risiko und auch zum Chaos aus. Er geht bewußt die

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Gefahr ein, daß ihm im Rahmen des Innovationsprozesses Fehler unterlaufen, die bekanntlich nicht geeignet sind, Ansehen bei Vorgesetzten und Kollegen zu gewinnen. Auch bewirken Änderungen - oft länger als erwartet, - daß die Betriebsabläufe nicht ihren geregelten Gang nehmen. Es entsteht zumindest in der Einführungs- und Umstellungszeit eine gewisse Unordnung, die von den 'Ordnungsfanatikern" geradezu als Chaos empfunden werden. Menschliche Leistungen sind stets das Ergebnis eines sozialen Prozesses. Auch der Einzelgänger wirkt im Grunde nicht isoliert, wenn er auch die geistige Befruchtung durch die Kommunikation mit der Umwelt nicht so sehr benötigt. Spätestens bei der Umsetzung seiner Ideen, zu der er die Mithilfe anderer benötigt, stößt er auf Schwierigkeiten. Kommunikationsfahigkeit: Die Intensität der produktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt hängt zunächst von der Kommunikationsfähigkeit ab. Hiermit ist besonders die Fähigkeit gemeint, auf andere Menschen zuzugehen und den Kontakt zu ihnen herstellen zu können. Zur Kommunikation fähig ist weiterhin, wer konstruktive Gespräche fuhren kann. Das bedingt u.a. die Kunst des "aktiven Zuhörens". Wer Sympathien aufzubauen vermag, fördert wesentlich den Kontakt zu seinen Mitmenschen. Teamorientierung: Hinter der Teamorientierung steht das Bewußtsein, daß die (harmonische) Zusammenarbeit qualifizierter Arbeitskräfte zu einem besseren Ergebnis als die Tätigkeit des Einzelkämpfers fuhrt. Das gilt im Rahmen des Innovationsprozesses sowohl für die Erarbeitung von neuen Ideen (vgl. dazu das Brainstorming), als auch die Gewinnung von Akzeptanz für neue Ideen und deren Verwirklichung. Zur Teamorientierung gehört neben der Überzeugung über die höhere Produktivität der Gruppenarbeit auch die Fähigkeit, in der Gruppe konstruktiv mitzuarbeiten und die Arbeit in der Gruppe voranzutreiben. Kritikfähigkeit: Eine wichtige menschliche Eigenschaft dafür ist die Kritikfähigkeit. Gemeint ist die seelische Kraft, die Kritik anderer Menschen ertragen zu können, ohne aus der Fassung zu geraten. Sie beruht auf der Erkenntnis, daß Irren menschlich ist und dies nicht nur für andere, sondern auch für einen selbst zutrifft. Kritikfähigkeit wird durch Selbstbewußtsein gefestigt. Begeisterungsvermögen: Während die Kritikfähigkeit unnötige Spannungen und Auseinandersetzungen mit und in der Gruppe vermeidet, trägt das Begeisterungsvermögen dazu bei, die Gruppenarbeit in Schwung zu bringen und zu halten. Es ist die Fähigkeit, andere mitzureißen, die beson-

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

115

ders wichtig bei langwierigen Prozessen und Situationen der Enttäuschungen ist. >

Die Führung als Innovationspromotor

In vielen Unternehmen wird ein Führungsstil praktiziert, der das Innovationskonzept nicht nur vernachlässigt, sondern den Innovationsprozeß geradezu behindert. Das gilt besonders für die traditionelle Art der Führung, für die die Ordnung "eine heilige Kuh" ist und die jedem Vorschlag zu einer Neuerung mit größten Vorbehalten gegenübersteht. Im Rahmen des Innovationskonzept-Managements besteht die Aufgabe der Führung darin, das in den Mitarbeitern vorhandene Innovationspotential zu fördern und zur Entfaltung zu bringen.

Die Führung als Innovationspromotor Wertsystem (Ziele) kooperativer Führungsstil * großer Handlungsspielraum * viel Information * intensive Kommunikation * dezentrale Kontrolle Anreize für neue Ideen und Risiko Mißerfolgsakzeptanz Ermutigung zum Handeln und Unterstützung zügige Entscheidungen

Abb. 7 Wertsystem: Innovative Führung beruht auf einem innovativen Wertsystem der Führungskräfte. Sie müssen von der Notwendigkeit zur Innovation überzeugt sein und diese Überzeugung an ihre Mitarbeiter weitergeben. Insofern ist Führung zunächst ein Informations-, wenn nicht sogar Erziehungsprozeß. Ausgehend vom innovativen Wertsystem suchen die Führungskräfte nach neuen Aufgaben für ihre Mitarbeiter, um diese nicht im Trott des Tagesgeschäftes geistig untergehen zu lassen.

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Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

Kooperativer Führungsstil: Zur innovativen Führung gehört der kooperative Führungsstil. Dabei kommt es fur den Innovationsprozeß nicht allein darauf an, daß Mitarbeiter mitwirken können. Viel wichtiger ist, den Mitarbeitern einen großen Handlungsspielraum einzuräumen, um ihnen die Möglichkeit und den Anreiz zur eigenen Entfaltung zu geben. Hinreichende Qualifikation wird dabei vorausgesetzt. Wer neue Ideen produzieren soll, braucht Anregungen. Viel Information und intensive Kommunikation unterstützen den innovativen Mitarbeiter. Im Innovationskonzept-Management liegt eine wesentliche Aufgabe der Führungskräfte darin, Gesprächspartner ihrer Mitarbeiter zu sein. Straffe Kontrolle durch eine Zentrale sichert zwar Übersicht, schwächt jedoch die Motivation der Mitarbeiter und deren Verantwortungsgefühl für ihre Aufgaben. Das Innovationskonzept-Management neigt deshalb auf der Grundlage des Führens über Zielvereinbarungen zur dezentralen Kontrolle, bei der die Kontrolle über Details auf die Mitarbeiter verlagert wird. Das Prinzip ist, daß zur Selbständigkeit von Mitarbeitern auch die Selbstkontrolle gehört. Das schließt nicht aus, daß die Rahmenkontrolle weiterhin beim Management verbleibt. Anreize für neue Ideen und Risiko: Die innovative Führung gibt finanzielle und psychologische Anreize für neue Ideen und die Bereitschaft, die mit der Verwirklichung von neuen Ideen verbundenen persönlichen Risiken und Belastungen aufsichzunehmen. Auf diese Weise soll sowohl die Erarbeitung neuer Ideen (vgl. dazu das betriebliche Vorschlagswesen) als auch der Mut belohnt werden, diese trotz des mit Innovationen immer verbundenen Mißerfolgsrisikos umzusetzen. Mißerfolgsakzeptanz: Die Gewährung von Anreizen für innovatives Handeln ist verbunden mit einer hohen Mißerfolgsakzeptanz. Ermutigung zum Handeln und Unterstützung: Gerade wegen der Gefahr, Fehler zu begehen, bedürfen die Mitarbeiter der nachhaltigen Ermutigung zum Handeln und der Unterstützung durch ihre Führungskraft. Wichtig ist also auch die Unterstützung, weil erst durch konkrete Maßnahmen das Engagement der Führungskraft für den Innovationsprozeß deutlich wird. Zügige Entscheidungen: Zur Unterstützung innovativer Mitarbeiter gehören auch zügige Entscheidungen. Es gibt kaum etwas, daß besonders den innovativen Mitarbeiter, der die Dinge vorantreiben möchte, mehr frustriert, als ein umständlicher und langwieriger Entscheidungsprozeß.

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

>

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Die Organisation als Innovationsrahmen

Der Aufbau eines Unternehmens wirkt als Rahmen im positiven oder negativen Sinne auf den Innovationsprozeß.

Die Organisation als Innovationsrahmen -

kleine Einheiten (Flexibilität) flache Hierarchie dezentraler Aufbau intensive Kommunikation flexible Budgets

Abb. 8 Kleine Einheiten: Menschen fühlen sich wohler in kleinen Einheiten, die überschaubar sind und dem einzelnen einen vergleichsweise höheren Stellenwert einräumen. Kleine Einheiten führen zu einer höheren Motivation. Großorganisationen geben den in ihnen arbeitenden Menschen das Gefühl der Vermassung, in der der einzelne austauschbar ist und nichts zählt. Dieses Gefühl demotiviert. Großgebilde neigen außerdem zur Verbürokratisierung, die mit dem Innovationskonzept-Konzept unverträglich ist. Hinzu kommt, daß kleinere Einheiten leichter umgestellt werden können. Sie verfügen also über eine höhere Flexibilität. Flache Hierarchie: Zweckmäßig ist weiterhin eine flache Hierarchie, die einen unmittelbaren Kontakt des innovativen Mitarbeiters zu der Führungsebene mit der notwendigen Entscheidungskompetenz herstellt und schnelle Entscheidungen ermöglicht. Dezentraler Aufbau: Der dezentrale Aufbau führt zu kleineren Einheiten mit den beschriebenen Vorteilen. Intensive Kommunikation: Intensive Kommunikation heißt reger Gedankenaustausch zwischen den Mitarbeitern innerhalb eines Unternehmensbereiches aber auch zwischen den verschiedenen Unternehmenseinheiten. Dazu sind die geeigneten Informationswege zu schaffen. Wichtig sind besonders die Gelegenheiten zur informellen Kommunikation. In welchem Umfang dann diese Möglichkeiten von den Mitarbeitern auch genutzt werden, hängt von deren Bereitschaft zur Kommunikation ab, die durch die jeweilige Unternehmenskultur beeinflußt wird.

118

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

Flexible Budgets: Innovationsvorhaben werden oftmals aufgeschoben, weil die dazu erforderlichen finanziellen Mittel bereits anderweitig verplant sind. Im Interesse der Sache selbst aber auch zur Förderung der Innovationsbereitschaft der Mitarbeiter ist es vorteilhaft, wenn mit flexiblen Budgets gearbeitet wird, so daß zumindest für die Anschubfinanzierung Mittel freigesetzt werden können. Förderlich ist auch die Bildung einer "Reservekasse", über die Innovationen spontan finanziert werden können.

>

Die Unternehmenskultur (Wertsystem) als Innovationsgrundlage

Die Unternehmenskultur ist das "sichtbar gelebte Wertsystem". Sie beruht also auf einem Wertsystem, das im Verhalten der Mitarbeiter zum Ausdruck kommt. Wird das Wertsystem eines Unternehmens von den Mitarbeitern einheitlich akzeptiert, fördert dies das Verständnis untereinander. Die Zusammenarbeit wird erleichtert. Allerdings ist nicht jede Unternehmenskultur für den Innovationsprozeß förderlich. In traditionsorientierten Unternehmen, geprägt durch eine konservative Denkhaltung, hat der innovative Mitarbeiter einen schweren Stand und wenig Chancen zur Entfaltung seiner kreativen Fähigkeiten. Die Kultur eines innovativen Unternehmens ist durch die folgenden Leitgedanken geprägt:

Die Unternehmenskultur (Wertsystem) als Innovationsgrundlage Abb. 9

Änderung als Wert Wachstum durch Fortschritt Freiraum für Ideen Nähe zu den Geschäftspartnern Leistung durch Zusammenarbeit Akzeptanz von Mißerfolgen Vertrauen zum Mitarbeiter

Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

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A u f die meisten dieser Leitsätze ist an anderer Stelle bereits eingegangen worden. Zusätzlich zu erwähnen ist die Nähe zu den Geschäftspartnern, zu denen in erster Linie die Kunden, dann aber auch die Lieferanten, Berater und andere Serviceunternehmen gehören. Sie sind wichtige Ideenquellen, die viele Unternehmen viel zu wenig nutzen. Ob diese Leitsätze Wirklichkeit werden, hängt entscheidend davon ab, ob die Führungskräfte ihre Vorbildfunktion wahrnehmen.

>

Die Ressourcen als Innovationspotential

In welchem Umfang die Mitarbeiter eines Unternehmens ihre Innovationskraft entfalten können, hängt schließlich von den Mitteln ab, die ihnen zur Verfugung gestellt werden. Die für den Innovationsprozeß benötigten Ressourcen setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen.

Die Ressourcen als Innovationspotential -

Informationspotential technisches Know-how moderne Einrichtungen Kapitalausstattung (Risikokapital)

Abb. 10 Informationspotential: An vorderster Stelle steht das allgemeine Informationspotential. Es umfaßt alle Möglichkeiten, auf Informationen zurückgreifen zu können. Dazu gehören Spezialisten im eigenen Hause, von nahegelegenen Service-Unternehmen, von wissenschaftlichen Einrichtungen, Fachliteratur, Fachveranstaltungen u.a.m. Technisches Know-how und moderne Einrichtungen: In fachspezifischer Hinsicht besteht das Informationspotential im technischen Knowhow, verbunden mit den entsprechend modernen Einrichtungen. Es dürfte einleuchten, daß Mitarbeiter mit geringem fachlichen Wissen und ausgestattet mit veralteten Anlagen und Maschinen kaum imstande sind, Innovationen "auf hohem Niveau" zu erarbeiten. Kapitalausstattung: Die Kapitalausstattung ist das finanzpolitische Potential, das den Handlungsspielraum eines Unternehmens in jeglicher Hin-

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Witt, Existenz- und Wachstumssicherung

sieht und damit auch im Hinblick auf Innovationen bestimmt. Verfehlt ist allerdings die Auffassung, daß die Entwicklung neuer Ideen letztlich nur eine Frage des Geldes sei.

6.

Die Grenzen des Innovations-Managements

Das Innovations-Management ist auf "Fortschritt durch Änderungen" ausgerichtet. Änderungen bringen Unruhe mit sich, die die gewohnte Ordnung gefährden, wenn nicht sogar auflösen. Störungen im Leistungsprozeß sind - zumindest in der Übergangszeit - die Folge. Die Fehlerquote steigt, und die Qualität der Arbeitsergebnisse kann sich verschlechtern. Ungestümes Innovations-Management, das die Änderung zum Selbstzweck erhebt, kann ein Unternehmen in gefährliche Turbulenzen stürzen. Um dies zu vermeiden, braucht das Innovationskonzept eine Ergänzung durch das QualitätsManagement, das gegenwärtig wieder hoch aktuell ist (vgl. das KAIZEN). Das Qualitäts-Management stellt die Verbesserung der Qualität, verbunden mit einer 0 Fehler-Mentalität, in den Vordergrund, allerdings mit der Problematik des Perfektionismus, der keine Fehler zuläßt. Das Innovations-Management verfolgt als Hauptanliegen die Neuerung mit der Gefahr, daß die Qualität auf der Strecke bleibt. Perfektionismus oder Neuerungssucht - das sind die jeweiligen Schwächen dieser beiden Konzepte, die durch ihre Kombination ausgeglichen werden. Im Ergebnis muß die Unternehmensfuhrung also beide Konzepte verfolgen. Dabei dürfte es aus Gründen der Konzentration zweckmäßig sein, rotierende Schwerpunkte zu setzen. Das Innovationskonzept treibt ein Unternehmen voran, das Qualitätskonzept sorgt fur die notwendige Konsolidierung.

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Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

Günter Schmid ··

Kooperationen - Erfolgsfaktor u. Uberlebenschance für den mittelständischen Einzelhandel 1.

Abgrenzung und Bedeutung des mittelständischen Einzelhandels

Die Begriffe „Mittelstand" und „mittelständischer Einzelhandel" gehören, wie Nieschlag zutreffend festgestellt hat, zu den Termini, die man zwar ständig benutzt und bei denen man sich auch weitgehend über den Begriffsinhalt einig ist, aber bei denen es einem schwerfällt, „eine brauchbare, den Gegenstand voll erfassende Definition" 17 zu liefern. Es soll deshalb an dieser Stelle auch nicht der Versuch unternommen werden, den mehr als 200 nachgewiesenen Definitions18

Varianten zum Begriff „Mittelstand" eine weitere hinzuzufügen. Für die vorliegende Betrachtung ist es ausreichend, den mittelständischen Einzelhandel im wesentlichen quantitativ 19 gegenüber den Filialbetrieben als den Großbetriebsformen des Einzelhandels abzugrenzen. Lerchenmüller rechnet insbesondere die Einbetriebsunternehmen, dies sind Handelsbetriebe, die nur über eine Betriebsstätte verfügen, sowie Mehrbetriebsunternehmen mit bis zu 10 Betriebsstätten zum mittelständischen Einzelhandel.20 Bis zu dieser Größenordnung sieht er das für mittelständische Einzelhandelsunternehmen prägende Charakteristikum der Identität von Firmeninhaber und Unternehmensleitung als gegeben an. Jenseits dieser auch an Branchenusancen 21 angelehnten Grenzziehung geht für ihn „das persönliche geführte Mehrbetriebsunternehmen in ein Gebilde mit anonymer Führungsstruktur über" 22 , wobei der Übergang in der Praxis sicher fließender Natur ist. Da die amtliche Statistik bezüglich der Mehrbetriebsunternehmen keine weitere Trennung gegenüber den Filialunternehmen vornimmt, läßt sich die Zahl der

17 R. Nieschlag (1981), S. 2. 18 Vgl. G. Zeitel (1980), Sp. 1222 ff. 19 Zu den Problemen einer eindimensionalen Bestimmung des Begriffs „Mittelstand" und der Bedeutung qualitativer Aspekte siehe u.a. P. R. Wossidlo (1993), Sp. 2888 ff. 20 Vgl. M. Lerchenmüller (1995), S. 293 ff. 21 Während die amtliche Statistik ein Handelsunternehmen bereits als Filialunternehmen bezeichnet, wenn es über mindestens fünf Betriebsstätten verfügt, nimmt die Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittelfilialbetriebe e.V. (ALF) nur Unternehmen als Mitglied auf, die mindestens 10 Filialen besitzen. Vgl. B. Falk/J. Wolf (1992), S. 236. 22 M. Lerchenmüller (1995), S. 295.

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Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

mittelständischen Einzelhandelsunternehmen nicht ohne weiteres auf der Basis der oben vorgenommenen Abgrenzung quantifizieren. Hilfsweise wird man jedoch davon ausgehen dürfen, daß vor allem (Einzel-)Handelsunternehmen mit einem Jahresumsatz von unter 10 Mio. D M als typische mittelständische Unternehmen anzusehen sind. Bereits mit dieser sehr groben und wissenschaftlich alles andere als exakten Abgrenzung, selbstverständlich gibt es auch mittelständische Einzelhandelsbetriebe mit deutlich über 10 Mio. D M Jahresumsatz, zeigt sich, daß die weitaus überwiegende Zahl der deutschen Einzelhandelsbetriebe dem Mittelstand zuzurechnen ist. Gemäß der amtlichen Statistik kamen 1992 in Deutschland über 482.000 der 490.000 Einzelhandelsbetriebe nicht über einen Umsatz von 10 Mio. D M hinaus. Dabei entfiel auf diese Größenklasse aber nur ein Anteil von 42,5 % am gesamten Einzelhandelsumsatz mit einer seit vielen Jahren stark rückläufigen Tendenz.23 Daß der mittelständische Einzelhandel unter einem starken Wettbewerbsdruck steht, dem viele Handelsbetriebe offensichtlich nicht gewachsen sind, zeigt auch ein Blick in die Marktanteilszahlen der verschiedenen Einzelhandelsbetriebstypen. So weist das Ifo-Institut für die Fachgeschäfte als dem für den mittelständischen Einzelhandel besonders charakteristischen Betriebstyp allein von 1980 bis 1995 einen Marktanteilsverlust von annähernd 20 % von 55,4 % auf geschätzte 36,1 % aus. Zuwächse erzielten in diesem Zeitraum nur die großflächigen und preisbetont agierenden Betriebstypen, wie insbesondere die Discounter, die Fachmärkte, die Verbrauchermärkte und die SB-Warenhäuser, 24 die sich überwiegend im Besitz der filialisierten Großbetriebsformen des Handels befinden. Die Schwächen des mittelständischen Einzelhandels zeigen sich symptomatisch in seinen Betriebsergebnissen. Für den dt. Facheinzelhandel weisen die Auswertungen der vom Institut für Handelsforschung an der Universität Köln durchgeführten Betriebsvergleiche schon seit vielen Jahren unbefriedigende Ergebnisse auf. Nachdem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre vorübergehend eine Verbesserung der Situation zu beobachten war, das in Prozent vom Umsatz gemessene betriebswirtschaftliche Betriebsergebnis verringerte sich von -2,5 % auf -0,2 %, 2 5 hat sich die Gewinnsituation des Facheinzelhandels seit 1991 im Zuge der allgemeinen negativen Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmendaten wieder

23 Von 1972 bis 1992 ist der Marktanteil der Einzelhandelsunternehmen mit einem Umsatz bis 10 Mio. D M jährlich kontinuierlich um rund 2 % von 61,1 % auf 42,5 % gesunken. Vgl. Ifo-

Institut: (1994), L 7. 24 Vgl. ebenda, L 8. 25 Vgl. Monopolkommission (1994), S. 78.

123

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

sukzessive verschlechtert. 1994 lag das betriebswirtschaftliche Betriebsergebnis erneut bei -1,9 %. 2 6 Daß dabei die kleinen Unternehmen von dieser Entwicklung besonders stark betroffen sind, zeigt eine auf den Lebensmitteleinzelhandel bezogene, nach Beschäftigungsgrößenklassen differenzierte Sonderauswertung des 1994er Betriebsvergleichs, die in Abb. 1 wiedergegeben ist. 27 Abb. 1: Ergebnisrechnung im Lebensmitteleinzelhandel nach Beschäftigtengrößenklassena) 1994 in % vom Umsatz b) Größenklasse (Beschäftigte) Position

1

2-3

4-5

6-10

11-20

21-50 >50

alle Unter1nehmen

Rohgewinn

18,1

19,6

18,7

19,7

19,9

20,5

21,4

19,6

% Handlungskosten

11,3

16,7

16,9

18,4

19,3

19,6

19,8

17,6

=

+ 6,8

+ 2,9

+ 1,8

+1,3

+ 0,6

+ 0,9

+1,6

2,0

% Unternehmerlohn

13,3

6,6

5,0

3,2

2,1

1,4

0,9

4,3

% Zinsen für Eigenkapital

0,9

0,7

0,4

0,4

0,3

0,2

0,3

0,4

-7,4

-4,4

-3,6

-2,3

-1,8

-0,7

+ 0,4

-2,7

=

Ergebnis vor Steuern

Betriebswirtschaftliches Ergebnis

a) Alte Bundesländer; b) Einschließlich Mehrwertsteuer

Quelle: Institut fur Handelsforschung, Köln, zitiert aus Walter Meyerhöfer (1996), S. 64.

2.

Strukturdefizite des mittelständischen Einzelhandels

Die unbefriedigende Gewinnsituation ist u. a. Ausdruck struktureller Schwächen des in vielen Fällen auf (zu) kleinen Verkaufsflächen operierenden mittelständischen Einzelhandels. Diese Strukturschwächen sieht man vor allem in den Be-

26 Vgl. B. Erdmann (1995), S. 154 f. Zur Spreizung der betriebswirtschaftlichen Betriebsergebnisse in den einzelnen Branchen siehe ebenda, S. 190. 27 Vgl. W. Meyerhöfer (1996), S. 64.

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Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

reichen Beschaffung, (Absatz-)Marketing, Finanzierung sowie generell in Fragen der Unternehmensleitung. 28 2.1

Strukturelle Nachteile in der Beschaffung

Zu den typischen strukturellen Defiziten des mittelständischen Facheinzelhandels gehören Nachteile in der Beschaffung. 29 Relativ geringe Beschaffungsmengen, vielfach fehlende Möglichkeiten der Spezialisierung auf einzelne Sortimentsbereiche, häufig ist der klassische Einzelhändler für die Beschaffung des gesamten Sortiments zuständig, eine zwangsläufig begrenztere Übersicht über die Angebotspalette auf den Beschaffungsmärkten, vor allem auch auf den internationalen Märkten, wirken sich negativ auf die Beschaffung und die Beschaffungskonditionen kleiner(er) mittelständischer Einzelhändler aus. 2.2

Strukturelle Nachteile im Absatzmarketing

Mit dem Übergang zu Käufermärkten und den damit verbundenen Sättigungstendenzen auf den meisten Konsumgütermärkten haben die Großbetriebsformen im Einzelhandel ihre Handelsmarketingkonzeptionen zunehmend verfeinert und ihre Marketinganstrengungen wesentlich intensiviert. 30 Im Zuge dieser Veränderungen hat der Verdrängungswettbewerb, der - wie eingangs bereits herausgestellt - vor allem zu Lasten des kleinstrukturierten Einzelhandels geht, stark zugenommen. Will der mittelständische Einzelhandel seine Wettbewerbsposition halten, muß er - ähnlich wie seine großbetriebliche Konkurrenz - ein ausgefeiltes Handelsmarketing betreiben, das seiner Betriebsstätte und seiner Handelsleistung ein unverwechselbares Profil im Markt verschafft. In sich geschlossene, moderne Handelsmarketingkonzepte zu entwickeln, in denen das komplette Instrumentarium des Handelsmarketing optimal eingesetzt 28 Vgl. zu den strukturellen Nachteilen des mittelständischen Einzelhandels im einzelnen B. Treis: Der mittelständische Einzelhandel im Wettbewerb, München 1981. Auf Fragen der Informationswirtschaft soll hier aus Raumgründen nicht weiter eingegangen werden. Es darf unterstellt werden, daß in Zukunft diese Fragen auch für den mittelständischen Einzelhandel erheblich an Bedeutung gewinnen werden. Mit dem Versuch großer Markenartikelhersteller, im Rahmen ihrer ECR-Überlegungen über direkte Datenzugriffe der Produktionsbetriebe auf die Abverkäufe und Warenbestände der Filialen großer Handelsbetriebe die Distributionsaktivitäten weiter zu rationalisieren, wird auch ein entsprechender Rationalisierungsdruck auf den mittelständischen Einzelhandel ausgeübt werden, in den Verbundgruppen computergestützte Informationssysteme und moderne EDV-gestützte Warenwirtschaftssysteme mit Scannerkassen zu installieren. 29 Vgl. detaillierter zu den Vor- und Nachteilen des mittelständischen Einzelhandels in der Beschaffung B. Treis (1981), S. 43 ff. 30 Zur Emanzipation der Großbetriebsformen des Handels von den Konsumgüterherstellern durch ein eigenständiges Handelsmarketing siehe z.B. L. Berekoven (1990), S. 60 ff.; W. Oehme (1992), S. 39 ff.

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Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

wird und diese Marketingkonzepte zeitnah an die laufenden Veränderungen anzupassen, dürfte in vielen Fällen den einzelnen, auf sich allein gestellten Einzelhändler überfordern. 31 Auch in diesem Bereich benötigen viele Einzelhändler umfangreiche Hilfestellungen, die ihnen beispielsweise von modernen Kooperationen in umfassender Weise angeboten werden. 2.3

Strukturelle Nachteile im Finanzierungsbereich

Ein deutlich eingeschränkterer Zugang zu den Kapitalmärkten, so ist dem mittelständischen Einzelhandel z.B. der Zugang zur Börse verwehrt, eine Finanzierungsmöglichkeit, die die Großbetriebsformen des Handels immer intensiver nutzen, betriebsgrößenbedingte Nachteile bei der Beteiligungsfinanzierung, stark eingeschränkte Möglichkeiten der Selbstfinanzierung, die durch die ungünstige Ertragsentwicklung zusätzlich negativ beeinflußt werden, 32 Mängel in der Finanzplanung und fehlende Kenntnisse über alternative Finanzierungsmöglichkeiten schränken die Handlungsmöglichkeiten des mittelständischen 33

Einzelhandels zusätzlich von der finanziellen Seite ein.

31

32

33

Neben Nachteilen bei

W i e k o m p l e x m o d e r n e Handelsmarketingkonzepte ausfallen, zeigt allein ein B l i c k a u f die w i c h t i g s t e n z u o p t i m i e r e n d e n T e i l instrumente. D i e s e reichen u.a. v o n der S t a n d o r t p l a n u n g u n d -erschließung, • über eine m o d e r n e den K u n d e n u n d sein Erlebnisbedürfnis ansprechende äußere u n d innere Ladengestaltung, • über eine adäquate Warenpräsentation, • über eine Sortimentszusammenstellung, die laufend die sich stetig verändernden K u n d e n wünsche berücksichtigt • über die E i n b i n d u n g v o n H a n d e l s m a r k e n in die Sortimentspolitik, • über die Erarbeitung bedarfsrelevanter Serviceleistungen, • über eine betriebs- u . wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten gleichermaßen R e c h n u n g tragende K o n d i t i o n e n p o l i t i k bis h i n z u • einer modernen, d i e neuesten verhaltenswissenschaftlichen und medienpolitischen E r kenntnisse berücksichtigenden Werbepolitik. D a r ü b e r h i n a u s g i l t es d a s M a r k e t i n g - M i x i m E i n z e l h a n d e l v i e l f a c h s e h r k u r z f r i s t i g a u f V e r ä n derungen i m Verhalten der Wettbewerber anzupassen. Z u e i n e m Ü b e r b l i c k ü b e r das I n s t r u m e n t a r i u m des H a n d e l s m a r k e t i n g s siehe u.a. B . F a l k ( 1 9 9 1 ) , S. 7 9 6 . W e l c h e B e d e u t u n g einer ausreichenden Eigenkapitalfinanzierung z u k o m m t , z e i g e n u.a. A n a l y sen der Fa. S c h i m m e l p f e n g . D a n a c h bildet die z u geringe Eigenkapitalausstattung den häufigsten K o n k u r s g r u n d i m H a n d e l . V g l . U . Krystek ( 1 9 8 7 ) , S. 51. Z u m erheblichen R ü c k g a n g der E i g e n k a p i t a l q u o t e i m dt. E i n z e l h a n d e l u n d seinen G r ü n d e n siehe u.a. das S o n d e r g u t a c h t e n der M o n o p o l k o m m i s s i o n ( 1 9 9 4 ) , S . 7 4 ff. u . S . 8 1 f.). Z u d e n Finanzierungsnachteilen mittelständischer Einzelhandelsunternehmen siehe detaillierter B . T r e i s / A . R u ß ( 1 9 8 1 ) , S . 1 5 5 ff.

126

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

den Finanzierungskosten 34 verhindern die finanziellen Beschränkungen auch in vielen Fällen das Betreiben moderner großflächiger Betriebstypen. Allein die Einrichtungskosten eines 800 m 2 großen Supermarktes belaufen sich, legt man Zahlen des EHI zugrunde 35, auf etwa 500.000 D M - 600.000 DM, wobei dieser Wert nur die Kosten fur die Einrichtung und nicht auch den Finanzierungsbedarf für den Warenbestand (zusätzlich ca. 400.000 DM) und die Immobilien abdeckt. Vor allem bei Existenzgründungen sowie bei vielen betriebswirtschaftlich eigentlich erforderlichen Standortverlagerungen fehlt es den Einzelhändlern häufig am notwendigen Eigenkapital bzw. den erforderlichen Sicherheiten, um auf sich allein gestellt große, zeitgemäße Outlets errichten und betreiben zu können. Hinzu kommt, daß die Eigentümer attraktiver Geschäftslokale oftmals nicht bereit sind, diese an mittelständische Einzelhändler zu verpachten. 36 Aus Gründen der Risikoreduzierung präferieren sie als Pächter Groß- und Filialunternehmen oder Kooperationen. 37 2.4

Strukturelle Nachteile in der Unternehmensführung

Die im allgemeinen (zu) kleinen Betriebsgrößen des mittelständischen Einzelhandels wirken sich außerdem negativ auf den dispositiven Faktor aus. Im Gegensatz zu den Großbetriebsformen können im Management des mittelständischen Einzelhandels kaum Fachspezialisten beschäftigt werden. Die Möglichkeiten der Spezialisierung in der Unternehmensleitung stehen typischen mittelständischen Einzelhändlern in der Regel nicht offen. Vor allem im Falle der Einbetriebsunternehmen muß der Einzelhändler oft alle Leitungsaufgaben alleine wahrnehmen. Hieraus resultieren Qualitätsprobleme des dispositiven Faktors. Eine einzelne „Person kann nicht auf allen Gebieten über entsprechende Spezialkenntnisse und Fertigkeiten verfügen" 38 , die aber auf den ständig „enger" werdenden Märkten immer bedeutsamer werden. Hier entstehen dem mittelständischen Einzelhandel besonders gravierende Wettbewerbsnachteile gegenüber großen Handelsunternehmen. So sieht Barth 39 die Ursachen für den Wett-

34

35 36 37 38 39

So zeigen z.B. Bilanzanalysen der Deutschen Bundesbank, daß i m Einzelhandel die kleineren U n t e r n e h m e n w e s e n t l i c h häufiger a u f die teuere Kreditalternative des Lieferantenkredits z u r ü c k g r e i f e n als g r ö ß e r e H a n d e l s u n t e r n e h m e n . V g l . D e u t s c h e B u n d e s b a n k ( 1 9 9 4 ) , S. 6 6 f. V g l . E H I ( 1 9 9 5 ) , S. 2 9 5 ; z u m K a p i t a l b e d a r f e i n e s 1 5 0 0 0 m 2 g r o ß e n S B - W a r e n h a u s e s siehe z . B . B . F a l k / J . W o l f ( 1 9 9 2 ) , S. 1 3 3 . V g l . B . T r e i s / A . R u ß ( 1 9 8 1 ) , S. 1 7 6 . Z u r E i n s c h a l t u n g v o n K o o p e r a t i o n e n i n die S i c h e r u n g attraktiver Standorte für ihre M i t g l i e d e r siehe z . B . E . D i c h t l ( 1 9 7 9 ) , S. 7 4 f. M . L e r c h e n m ü l l e r ( 1 9 9 5 ) , S. 2 0 5 . V g l . K . B a r t h ( 1 9 9 3 ) , S. 6 4 .

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

127

bewerbsvorsprung der Großbetriebe nicht vorrangig in deren Beschaffiings- u. Finanzierungsvorteilen begründet, sondern in ihren Managementvorteilen.

3.

Kooperationen als Instrumente zur Überwindung der Strukturdefizite des mittelständischen Einzelhandels

Im folgenden soll detaillierter auf die Chancen, Voraussetzungen und Grenzen eingegangen werden, kleinen und mittelgroßen Einzelhandelsbetrieben mit Hilfe von Kooperationen bei der Behebung ihrer größenbedingten Wettbewerbsnachteile zu helfen. 40 Wenn hier von Kooperationen die Rede ist, soll darunter die „auf freiwilliger Basis beruhende vertraglich geregelte Zusammenarbeit rechtlich und wirtschaftlich selbständiger Unternehmen zum Zwecke der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit" 41 in Form von horizontal und/oder vertikal organisierten Einkaufsvereinigungen verstanden werden. Nach Schätzungen des Ifo-Instituts gehörten 1992 etwa 65 % aller Einzelhandelsunternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 500 000 D M einer Handelskooperation an. 42 Wie wichtig die Mitgliedschaft in einer Kooperation für den Einzelhandel ist, zeigt ein weiteres Erhebungsergebnis des Ifo-Instituts. Während danach der Marktanteil der kooperierenden Einzelhändler von 1970 bis 1995 von rd. 36 % auf geschätzte 45 % gestiegen ist, sank im gleichen Zeitraum der Marktanteil des nichtorganisierten Einzelhandels von 29 % auf 12 %. 4 3 ' 4 4

40

41 42 43 44

Z u r entscheidenden B e d e u t u n g der Kooperationen für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit u n d für die E x i s t e n z s i c h e r u n g mittelständischer E i n z e l h a n d e l s u n t e r n e h m e n siehe u.a. E. B a t z e r / J. L a c h n e r / W . M e y e r h ö f e r ( 1 9 8 9 ) , S. 7 8 . G . Olesch: Kooperation ( 1 9 9 5 ) , Sp. 1273. M o n o p o l k o m m i s s i o n ( 1 9 9 4 ) , S. 1 0 4 . V g l . E . B a t z e r / E . G r e i p l / U . C h r . T ä g e r ( 1 9 8 2 ) , S. 3 3 ; I f o - I n s t i t u t ( 1 9 9 4 ) , L 8 . D i e Marktanteilsgewinne d e r Kooperationsgruppen (speziell d e r führenden Einkaufsvereinigungen i m Lebensmittelhandel) sind allerdings i n erheblichem U m f a n g a u f die v o n ihn e n ü b e r n o m m e n e n u n d weitergeführten Filialunternehmen, die Regiebetriebe u n d ihre Franchisesysteme zurückzuführen. Besonders ausgeprägt ist diese E n t w i c k l u n g bei der R E W E Handelsgruppe z u beobachten. V o n d e m in 1994 erwirtschafteten Einzelhandelsumsatz in H ö h e v o n 4 1 , 6 4 M r d . D M entfielen 3 0 , 0 4 M r d . D M ( 7 2 , 1 % ) a u f d e n F i l i a l - u. Regiebetriebsbereich. D e r U m s a t z w e r t des selbständigen Einzelhandels b e l i e f sich a u f 11,6 M r d . D M , w o b e i in dieser Z a h l bereits der i m R E W E - F r a n c h i s e s y s t e m erwirtschaftete U m s a t z in H ö h e v o n 4 , 7 M r d . D M e n t h a l t e n ist, s o d a ß a u f d i e „ k l a s s i s c h e n " E i n z e l h a n d e l s m i t g l i e d e r m i t 6 , 9 M r d . D M n u r n o c h ein A n t e i l a m gesamten G r u p p e n u m s a t z v o n k n a p p 16,6 % entfällt. Z u den Z a h l e n vgl. R E W E Z e n t r a l o r g a n i s a t i o n e n ( 1 9 9 4 ) , S. 8 u. S. 14; H . R e i s c h l ( 1 9 9 6 ) , S. 7 0 .

128 3.1

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

Aufgabenwandel der Kooperationen im Zuge der Wettbewerbsintensivierung

Die Aufgaben der Kooperationen und ihr Auftreten am Markt haben im Laufe der Zeit erhebliche Veränderungen erfahren. Die ursprüngliche Idee der Einkaufskooperationen bestand in der Überlegung, über einen gemeinsamen Einkauf die Beschaffungsnachteile der kleinen und mittelgroßen Einzelhandelsbetriebe gegenüber den Großbetriebsformen zu beseitigen. Die Verbundgruppen versuchen dieser Aufgabe u.a. mit Hilfe von Ordersätzen, (Haus-)Messen, Handelsmarken, Zentralregulierungs- und Delcredereabkommen mit den Lieferanten, internationalen Beschaffungsaktivitäten und zunehmend auch der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen mit anderen Kooperationen auf europäischer Ebene 45 gerecht zu werden. Die möglichst optimale Wahrnehmung der Beschaffungsaufgabe ist auch heute noch von herausragender Bedeutung für den mittelständischen Einzelhandel, da die Konsumenten in zunehmendem Maße preisorientiert einkaufen, ein Trend, der - so Prognosen - in Zukunft anhalten wird 4 6 . In Anbetracht der Konzentrationsbewegungen bei den Groß- und Filialunternehmen und ihren ausgeprägten Beschaffungsmarketingaktivitäten kommt es für den mittelständischen Einzelhandel ganz entscheidend darauf an, daß seine Kooperation ein effizientes Beschaffungsmarketing betreibt, um ihm Einkaufsmöglichkeiten und -konditionen erschließen zu können, die denen seiner filialisierten Konkurrenz möglichst entsprechen. Daß dabei viele Kooperationen hinsichtlich der Konditionen immer noch „Nachholbedarf gegenüber den Großbetrieben aufweisen, zeigen sowohl Erhebungen des Ifo-Instituts 47 als auch in der Praxis zu beobachtende lfd. Veränderungen in den Organisationstrukturen der Verbundsysteme 48 . 49

45 46

V g l . H . R e i s c h l ( 1 9 9 2 ) , S . 2 5 7 ff. N i e l s e n prognostiziert beispielsweise für die Discounter i m L e b e n s m i t t e l e i n z e l h a n d e l bis z u m Jahr 2 0 0 0 einen U m s a t z a n t e i l v o n 2 0 % , nach 16 % in 1 9 9 4 und 14,1 % in 1992, w o b e i in dies e n Z a h l e n d i e U m s ä t z e d e s M a r k t f i i h r e r s A l d i n o c h n i c h t e n t h a l t e n s i n d . V g l . J. P r e t z e l ( 1 9 9 6 ) , S. 125. I n k l u s i v e A l d i w i r d der M a r k t a n t e i l der D i s c o u n t e r i m L e b e n s m i t t e l e i n z e l h a n d e l i m J a h r 1 9 9 4 b e r e i t s a u f 2 7 , 9 % g e s c h ä t z t . V g l . J. S c h a r r e r ( 1 9 9 5 ) , S . 3 8 .

47 48

V g l . E . B a t z e r / J . L a c h n e r / W . M e y e r h ö f e r ( 1 9 8 9 ) , S. 9 8 . S o versucht z.B. die E d e k a zur Z e i t durch eine Neuorganisation a u f der Großhandelsstufe e n d l i c h ihre s c h o n seit v i e l e n Jahren z u b e o b a c h t e n d e n K o n d i t i o n e n n a c h t e i l e i n der B e s c h a f fung abzubauen. Z u r Diskussion u m die Konditionennachteile der E d e k a u n d zur N e u o r g a n i s a t i o n s i e h e u . a . S . J e n s e n ( 1 9 9 5 ) , S . 1 1 0 f f . ; S. R ö s s i n g ( 1 9 9 5 ) , S . 3 6 ; J. S c h a r r e r ( 1 9 9 6 ) , S . 4 . D i e H ö h e d e r K o n d i t i o n e n ist n i c h t n u r e i n e F r a g e d e r B e s c h a f f t i n g s m e n g e n . D i e H e r s t e l l e r h o n o r i e r e n d e n F i l i a l u n t e r n e h m e n a u c h d e r e n F ä h i g k e i t , feste A b n a h m e z u s a g e n treffen z u k ö n nen, m i t positiven A u s w i r k u n g e n a u f die Produktionskosten. D i e s e M ö g l i c h k e i t steht d e n V e r -

49

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

129

Mit der vor allem ab den 70er Jahren beginnenden Wettbewerbsintensivierung, ausgelöst durch den eingangs erwähnten Siegeszug neuer großflächiger und preisaggressiv arbeitender Betriebstypen, kam es erstens, vor allem in Branchen, in denen Verbundgruppen bislang keine oder nur eine geringe Bedeutung spielten, zur Gründung neuer Kooperationen als Antwort des Fachhandels auf die neuen Herausforderungen des Marktes. 50 Zweitens begannen viele Verbundgruppen „von einer eher defensiven zu einer offensiven und innovativen Marktbearbeitung" 51 überzugehen. Damit verbunden war eine erhebliche Funktionsausweitung der Verbundzentralen - einen groben Überblick über die Leistungspalette moderner Full-Service-Kooperationen bietet Abb. 2 - und die Notwendigkeit, die Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern und der Kooperation auf neue Grundlagen zu stellen. Erheblich ausgeweitet wurden in dieser Phase die Marketing- und die Dienstleistungen der Verbundgruppen mit dem Ziel, fur ein einheitliches Auftreten aller Gruppenmitglieder am Markt zu sorgen und die Mitgliedsunternehmen vor Ort aktiv in ihrem Handelsmarketing zu unterstützen. Damit ging ein neues Selbstverständnis der Kooperationen einher. Modernes Kooperationsmanagement sah und sieht sein Aufgabenfeld nicht mehr nur auf die Leitung der Verbundunternehmung beschränkt. Es umfaßt vielmehr auch die Forderung nach aktiven Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten auf das Geschehen in den Absatzmärkten der angeschlossenen Mitgliederwirtschaften. Die Umsetzung dieser Konzeption stieß und stößt bis heute aufgrund eines stark ausgeprägten Selbständigkeitsstrebens vieler mittelständischer Einzelhändler auf z.T. erhebliche Hemmnisse im Mitgliederbereich.

50 51

bundgruppen aufgrund fehlender - auch rechtlich nicht erlaubter - Bezugsverpflichtungen noch nicht offen. Z u den Kooperationsneugründungen z.B. der Optiker, i m M ö b e l h a n d e l oder i n der K o n s u m e l e k t r o n i k s i e h e z . B . G . O l e s c h ( 1 9 9 1 ) , S . 1 2 ff; G . Olesch (1995), Sp. 1279.

130

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

Abb. 2: Häufigkeit der Nutzung von Waren- und Dienstleistungsangeboten von Handelskooperationen im Nahrungs- u. Genußmittelhandel A r t des W a r e n stungsangebots

und

Dienstlei-

... % d e r k o o p e r i e r e n d e n M i t g l i e d s u n t e r n e h m e n h a b e n d i e angegebenen Leistungsangebote d e r Kooperation i n d e n letzten 5 Jahren folgendermaßen in Anspruch g e n o m m e n selten überhaupt regelmäßig häufig nicht

Warengeschäft E i n k a u f per Ordersatz Lieferung per Strecke Zusatzsortimente (Non-Food) Eigen-/Handelsmarken Importe

100 76 49 80 52

-

-

-

14 21 12 13

9 23 7 21

1 7 1 14

Serviceangebote Betriebsvergleich Betriebsberatung Preisempfehlungen Kurzfristige Erfolgsrechnung Aus-/Fortbildung

59 29 80 57 34

9 14 12 7 24

13 37 5 12 27

19 20 3 24 15

Marketingangebote Sortimentsberatung Standortprüfung Ladengestaltung Werbemittel Warenbörse Verkaufsförderung Sonderangebote

68 14 18 78 74 73 86

18 11 20 11 11 13 10

12 42 40 7 11 10 3

2 33 22 4 4 4 1

Quelle: Erhebungen des Ifo-Instituts im Kreis kooperierender Einzelhandelsunternehmen mit Nahrungs- und Genußmitteln, 1987, zitiert aus: U. Chr. Täger (1994), S. 123. 3.2

Systemimmanente Wettbewerbsnachteile der Kooperationen gegenüber Filialsystemen

Eines der Zentralprobleme der Kooperationen liegt in der fehlenden Weisungsbefugnis der Verbundleitung gegenüber den Mitgliedern. Das einzelne Mitglied ist nicht gezwungen, seine Warenbeschaffung über „seine" Kooperation vorzunehmen oder die von der Zentrale erarbeitete Marketingkonzeption in seinem Geschäft umzusetzen. Es kann sich z.B. auch entscheiden, Waren über konkurrierende Großhändler zu beziehen und das Marketingkonzept der Gruppe nur teilweise, in Abänderung oder gar nicht zu realisieren. Eng mit der fehlenden Weisungsbefugnis des Verbundmanagements gegenüber den selbständigen Mitgliedern ist in der Regel ein wesentlich höherer Zeitbedarf verbunden, den

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

131

Verbundgruppen für die Planung und vor allem fur die Realisierung gruppenpolitischer Entscheidungen benötigen.52 Um Entscheidungen treffen zu können, sind ferner häufig Kompromisse erforderlich. Diese Kompromisse verwässern viele Entscheidungen und mindern damit ihre Effizienz. Darüber hinaus verzichtet manche Verbundleitung auf an sich notwendige Projekte, weil sie diese bei ihren Mitgliedern gegenwärtig nicht für durchsetzbar hält oder weil sie Reibungen mit den Mitgliedern aus dem Weg gehen möchte.53 Tietz sieht darin eine wesentliche Ursache, warum die „klassischen Verbundgruppen ... bei der Sortimentsbildung und der Betriebstypenprofilierung oft eigene Initiativen und auch eigene Originalität vermissen" 54 lassen. 3.3

Gruppenmarketingkonzepte zur Stärkung der Wettbewerbsposition des angeschlossenen Einzelhandels

Die Monopolkommission hält die einheitliche Absatz- und Beschaffungspolitik der Filialbetriebe für einen ganz wesentlichen Wettbewerbsvorteil. 55 Diesen Vorteil suchen die Kooperationen zumindest teilweise dadurch zu kompensieren, daß sie fur ihre Mitglieder komplette Marketingkonzeptionen erarbeiten, um auf diesem Weg einen möglichst gleichförmigen Marktauftritt der angeschlossenen Einzelhandelsbetriebe zu erreichen. Da die Mitgliederstruktur in den Kooperationen aber vielfach sehr heterogen ist und es der Entscheidung der Einzelhändler obliegt, ob und in welchem Umfang sie die Marketingkonzeptionen übernehmen, sind die Kooperationen dazu übergegangen, die Mitglieder in homogenere) Teilgruppen zu unterteilen und für die einzelnen Gruppen unterschiedliche Marketingkonzeptionen zu entwickeln. Dadurch hofft man, den verschiedenen Interessenlagen der Mitglieder besser gerecht werden und den Akzeptanzgrad für die einzelnen Konzeptionen im Mitgliederkreis erhöhen zu können. Beispielsweise bietet die Interfunk eG ihren Mitgliedern im wesentlichen drei verschiedene Marketing- bzw. Betriebstypenkonzepte an. Neben einem modular aufgebauten und in zwei Varianten angebotenen Betriebstyp „Zukunft" für Radio», Fernseh- und Elektrofachgeschäfte, wird mit dem Konzept „HiFinery" das auf HiFi ausgerichtete Spezialgeschäft angesprochen, wobei das Konzept sowohl als Stand-alone- als auch als Shop-in-the Shop-Lösung einsetzbar ist. Daneben

52

V g l . G . C . N e u m a n n ( 1 9 9 2 ) , S . 6 4 f. D a die Z e i t z u n e h m e n d z u e i n e m strategischen W e t t b e werbsfaktor wird, stellen langsame Entscheidungs- und Realisierungsprozesse einen gravierend e n W e t t b e w e r b s n a c h t e i l d a r . S i e h e i n d i e s e m S i n n a u c h J. Z e n t e s ( 1 9 9 4 ) , S . 8 0 f .

53

Z u den V o r - u n d N a c h t e i l e n der indikativen P l a n u n g gegenüber der für Filialbetriebe charakteristischen i m p e r a t i v e n P l a n u n g vgl. G . S c h m i d ( 1 9 8 8 ) , S. 3 9 1 f. Β . T i e t z ( 1 9 9 2 ) , S. 6 0 9 . V g l . M o n o p o l k o m m i s s i o n ( 1 9 9 4 ) , S. 8 4 f.

54 55

132

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

existiert mit dem „Mega-Company"-Konzept noch ein spezielles Fachmarktkonzept für großflächige Einzelhandelsbetriebe. 56 Trotz der Bildung von Mitgliedersegmenten und des Angebots verschiedener auf die einzelnen Segmente zugeschnittener Marketingkonzeptionen läßt sich auf diesem Weg nur eine begrenzte, oftmals nicht ausreichende Geschlossenheit im Marktauftritt erreichen. 57 Ein wichtiger Grund hierfür ist, daß die klassischen Verbundmitglieder selbst (Mehrheits-)Entscheidungen in den Gremien der Kooperation für ihre Einzelhandelsbetriebe nur „als eine unverbindliche Resolution" 5 8 ansehen. Die Mitglieder neigen dazu, alles aus der (Frosch-) Perspektive ihrer individualbetrieblichen Interessen zu beurteilen. In der Literatur empfohlene Appelle an die Einsicht der Einzelhändler, „daß ein Gruppenmarketing(konzept) übergeordneten Charakter hat und nicht jede betriebsindividuelle Einzellage mit einzubeziehen vermag" 59 und an ihre „Bereitschaft ... zur Subordination und zur gruppensolidaren Befolgung von Führungsentscheidungen bzw. Empfehlungen des Managements"60 haben in der Praxis im Konfliktfall wenig Aussicht auf Erfolg. Erstens fehlen dem Verbundmanagement negative Sanktionsmöglichkeiten im Falle eines nicht-gruppenkonformen Mitgliederverhaltens. Zweitens tragen die Einzelhändler als Träger ihres Handelsbetriebes „ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko, das sie im Falle tatsächlicher oder nur subjektiv angenommener Interessendivergenzen schnell den individualbetrieblichen Interessen den Vorrang einräumen läßt, und drittens verbinden viele Einzelhändler mit ihrem Selbständigendasein besondere berufliche Ambitionen, die ... (sie) im Zweifelsfall eher den eigenen Vorstellungen als denen des Genossenschaftsmanagements folgen läßt." 61 3.4

Franchising als zukunftsgerichtetes Instrument der Mitgliederförderung

Um schneller auf Marktänderungen reagieren zu können, um ein einheitliches Auftreten der Mitgliederwirtschaften im Markt zu erreichen und um durch Bezugsbindungen bessere Konditionen realisieren zu können, bietet sich im Verbund zur Organisation der Zusammenarbeit zwischen ausgewählten Mitgliedern und der Verbundzentrale auch das Franchising an. In Franchisekonzepten 62 wird

56 57 58 59 60 61 62

V g l . H . S e r i n g e r ( 1 9 9 2 a ) , S. 1 6 1 ; ders. ( 1 9 9 2 , S. 1 0 5 . V g l . i n d i e s e m S i n n a u c h U . C h r . T ä g e r ( 1 9 9 4 ) , S . 1 4 0 ff. H . S e r i n g e r ( 1 9 9 2 ) , S. 103. S. S c h e i t e r ( 1 9 8 2 ) , S. 7 9 . Ebenda. G . S c h m i d ( 1 9 8 9 ) , S . 3 8 f. Detailliert z u m Franchising siehe B. T i e t z ( 1 9 9 1 ) .

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

133

vertraglich eine klare Arbeitsteilung zwischen der Kooperationszentrale als Franchisegeber und dem Einzelhändler als Franchisenehmer vereinbart. Die Kooperationszentrale stellt die Schutzrechte und ist zuständig für die Erarbeitung und laufende Pflege des Marketingkonzeptes inklusive Beschaffungs- und Organisationskonzept sowie die Unterstützung der Franchisenehmer durch ein umfassendes Servicepaket, während der rechtlich selbständige Einzelhändler für die praktische Umsetzung der Konzeption vor Ort verantwortlich ist und seine lokalen Markt- und Kundenkenntnisse, seine Flexibilität und seine hohe Motivation in die Partnerschaft einbringt. Knigge charakterisiert die typischen Franchisenehmer als Menschen, „die eine nicht so ausgeprägte Kreativität und Risikobereitschaft zu ihrem Vorteil machen, indem sie lieber aktiv und freundlich verkaufen, das Ladenlokal in Schuß halten, das Personal fördern und motivieren und ggf. einen zweiten oder dritten Laden im System aufmachen." 63 Die vertraglich geregelte Aufgabenverteilung, die Bezugsbindungen sowie vereinbarte Kontroll- und Einflußrechte des Franchisegebers sorgen, ein durchdachtes und ausgereiftes Franchisekonzept vorausgesetzt, nicht nur fur einen geschlossenen Marktauftritt der beteiligten Einzelhändler, sondern verleihen dem System - verglichen mit klassischen Verbundsystemen - auch eine deutlich höhere Durchsetzungskraft und Schnelligkeit am Markt. Die Monopolkommission schätzt, daß rund 20 der ca. 250 Handelskooperationen bislang Franchisemodelle entwickelt haben.64 Zu den bekanntesten Systemen im Verbundbereich gehören das Konzept „Quick-Schuh" der Nord-West-Ring Schuheinkaufsgenossenschaft mit ca. 450 Geschäften und das dem Franchising stark angepaßte Modell „Partnerschaftsmärkte" der REWE-Gruppe. 65 Dieses Anfang der 70er Jahre erarbeitete Konzept ist in der REWE-Gruppe sehr erfolgreich und dient u.a. dazu, Nachwuchskräften, die sich selbständig machen wollen, auch ohne große Eigenkapitalbasis den Weg in die Selbständigkeit zu ermöglichen. Die Zahl der Partnerschaftsmärkte, deren durchschnittliche Verkaufsfläche inzwischen bei über 800 m 2 liegt, 66 stieg von 1980 bis 1994 von 371 auf knapp 700 Märkte. Ihr Umsatz erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 2 Mrd. D M auf über 4,7 Mrd. DM. Die Partnerschaftsmärkte entwickelten sich damit deutlich besser als der

63 64 65 66

J. K n i g g e ( 1 9 9 5 ) , S p . 7 0 9 . V g l . M o n o p o l k o m m i s s i o n ( 1 9 9 4 ) , S. 110. D e t a i l l i e r t e r z u m M o d e l l d e r „ P a r t n e r s c h a f t s m ä r k t e " s i e h e G . S c h m i d ( 1 9 8 8 ) , S . 2 3 5 ff. D i e durchschnittliche Verkaufsfläche i m selbständigen Einzelhandel der R E W E - G r u p p e l a g 1 9 9 4 b e i 4 0 6 m 2 . V g l . H . R e i s c h l ( 1 9 9 6 ) , S. 7 0 .

134

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

klassische Einzelhandel in der REWE-Gruppe, dessen Umsatz von 1980 bis 1994 nur um ca. 2 Mrd. D M auf etwa 6,9 Mrd. angestiegen ist. 67 Abb. 3: Entwicklungsrichtung traditioneller Verbundgruppen

Zukunft •

hoch Kooperationsintensität

y niedrig

• Heute

χ

„Irrweg"

wenige

^

viele

Kooperationsfelder Quelle: J. Zentes (1994), S. 82. Trotz der hier nur kurz angedeuteten Vorteile des Franchising bilden Franchisekonzepte für viele Verbundmitglieder noch ein „rotes Tuch". Die mit Franchising verbundene wesentlich engere Bindung an die Kooperation lehnen sie aus ihrem starken (und häufig überzogenen) Selbständigkeitsstreben ab. Bei einem sich weiter verschärfenden Verdrängungswettbewerb, der zudem immer mehr Branchen zu erfassen droht, wird aber auch der Druck auf die Einzelhändler zunehmen, sich (wesentlich) enger an ihre Kooperation anschließen zu müssen. Will der mittelständische Einzelhändler auch in Zukunft Erfolg haben, muß er sich seinen „Rücken freihalten", damit er sich intensiv seinen zentralen Aufgaben widmen kann. Diese bestehen im wesentlichen aus der letzten Feinabstimmung des von der Verbundgruppe vorgegebenen Marketingkonzeptes auf die standortspezifischen Besonderheiten, wobei der Spielraum allerdings zwangsläufig gering ist, „dem intensiven, persönlichen Kundenkontakt ... (sowie) der Mitarbeiterführung und Personalentwicklung" 68. Deshalb deutet nach Zentes auch vieles darauf hin, daß das Franchising bzw. franchiseähnliche Systeme langfristig „die herkömmlichen Verbundgruppenstrukturen ablösen

67 68

Z u den Zahlen vgl. G . Schmid (1988), S. 162; REWE-Zentralorganisationen (1994), S. 8 ; H . R e i s c h l ( 1 9 9 6 ) , S. 7 0 . D . A h l e r t / B . K r ö n f e l d ( 1 9 9 4 ) , S. 9 1 .

135

Schmid, Kooperation - Erfolgsfaktor und Überlebenschance

dürfte." Er hält es zu Recht fur einen „Irrweg" zu hoffen, dauerhaft die Wettbewerbsnachteile der Einzelhändler nur durch eine Ausweitung der Aufgabenfelder der Verbundgruppen ohne Erhöhung der Kooperationsintensität kompensieren zu können.

4.

Fazit

Insgesamt ist festzustellen, daß Kooperationen fur den mittelständischen Einzelhandel einen ganz wichtigen Erfolgsfaktor in der Wettbewerbsauseinandersetzung mit den Großbetriebsformen des Einzelhandels darstellen. Allerdings können auch durch Kooperationen objektiv unzureichende Betriebsgrößen und große Schwächen in der Unternehmensleitung letztlich nicht dauerhaft ausgeglichen werden. Die Möglichkeiten und die Bereitschaft von Kooperationen, leistungsschwache Mitglieder mit „durchzuschleppen", sind eng begrenzt. Es sind insbesondere die leistungsfähigen Mitglieder, die oftmals nicht bereit und - angesichts des Wettbewerbsdrucks - auch nicht in der Lage sind, zugunsten schwacher Mitglieder auf Förderkapazität der Kooperation zu verzichten. Der wettbewerbsbedingte Ausleseprozeß kleinflächiger Einzelhandelsbetriebe kann und darf auch durch Kooperationen nicht aufgehalten werden.

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140

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

Gerhard Meyer

Benchmarking im mittelständischen Fachhandel Kann der herkömmliche Betriebsvergleich hilfreich sein ?

Seit wenigen Jahren wird in Europa eine Managementtechnik namens „Benchmarking" propagiert, diskutiert und in einigen Fällen auch angewandt. Sie wurde in Nordamerika schon Anfang der 80er-Jahre entwickelt. Der englisch-amerikanische Begriff Benchmark stammt an sich aus der Geodäsie und beinhaltet im Rahmen von Vermessungen Richtpunkte. In der modernen Managementlehre wird die Bezeichnung im übertragenen Sinne als Orientierungsgröße und anzustrebendes Ziel verstanden. Die Managementtechnik läßt sich wie folgt beschreiben: Benchmarking ist eine systematisch und kontinuierlich angewandte Managementmethode, die der Verbesserung der Geschäftsaktivitäten - von der Leistung (Waren, Dienstleistungen) über die Leistungserstellung (Funktionen, Prozesse, Einzelaufgaben) bis zu den Verfahrens- und Verhaltensweisen - dadurch dient, daß Organisationen mit den besten Lösungen (best practices) ermittelt werden, wobei deren Vorgehensweisen (Praktiken) und Aktivitätsergebnisse dem Benchmarking treibenden Unternehmen als Anleitung und Ziel (Benchmark) dienen. Letztlich soll mit der Verbesserung der eigenen Produktivität und Wirtschaftlichkeit die Kundenzufriedenheit erhöht und möglichst ein Wettbewerbsvorteil erzielt werden. Zur Zeit steht beim Benchmarking die Untersuchung der funktionsübergreifenden Geschäftsprozesse im Vordergrund, wozu auf die parallelen Tendenzen in der Organisation (Prozessorganisation) und im Rechnungswesen (Prozesskostenrechnung) verwiesen sei. Soweit es das Suchfeld der besten Praktiken betrifft, wird gewöhnlich zwischen internem (z.B. in filialisierten Unternehmen) und externem Benchmarking unterschieden (Sänger 1996, S. 63 ff.), wobei letzteres allerdings auf Branchen-oder Wirtschaftszweige begrenzt sein kann. Die folgenden Erörterungen beschränken sich wegen der speziellen Fragestellung siehe Untertitel - auf das externe, jedoch auf eine Branche begrenzte Benchmarking. Zwangsläufig kann damit allenfalls die „branchenbeste" und nicht die eventuell noch günstigere „weitbeste" Praktik gefunden werden. Die Einführung des Benchmarking wird im mittelständischen Fachhandel durch zwei Umstände behindert:

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

1. In der Regel sind beim Benchmarking die verbesserungsbedürftigen Praktiken von vornherein bekannt und lösen damit das Benchmarking aus. Den mittelständischen Fachhändlern sind jedoch die Schwächen im einzelnen meistens nicht geläufig, da die zur Bewertung notwendigen Daten nicht erfaßt werden. Dazu trägt bei, daß in Unternehmen dieser Größenordnung das arbeitsteilige Arbeiten wenig ausgeprägt ist und die Mitarbeiter je nach Bedarf und verfugbarer Zeit an mehreren Prozessen u.ä. mitwirken. Man muß deshalb davon ausgehen, daß fast immer der Anstoß zur Verbesserung der Praktiken durch eine vergleichsweise niedrige Unternehmensrentabilität erfolgt, wobei man keine oder nur sehr vage Kenntnisse darüber hat, wo die Stärken und Schwächen des Unternehmens zu finden sind. 2. Weiterhin dürfte es fur den normalen Fachhändler sehr schwer sein, Kontakt zu den Organisationen mit den besten oder außergewöhnlich günstigen Praktiken zu finden. Vielfach wird den letzteren mangels Vergleichsmöglichkeiten sogar ihr eigener Vorsprung nicht bewußt sein. Dabei wird im Facheinzelhandel die Kontaktaufhahme zu branchengleichen Unternehmen - sofern sie keine direkten Konkurrenten sind - noch einfacher sein als zu anderen Firmen oder Institutionen mit gleichen Prozessen usw. Es ist sehr fraglich, ob man dazu in absehbarer Zeit eine Datenbank wie die des „Informationszentrum Benchmarking (IZB)" des Frauenhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin - bei dem die Güterherstellung im Vordergrund steht - in Anspruch nehmen kann (o.V. 1996, S. 1).

Im Hinblick auf den erstgenannten Tatbestand wird man u.E. zunächst vom Ziel der Verbesserung der globalen Größe Rentabilität ausgehen, um dann in anderen Unternehmen mit ungleich besserem Gesamtergebnis danach zu fahnden, ob dort gleiche oder sehr ähnliche Prozesse usw. mit außergewöhnlich hoher Produktivität bewerkstelligt werden. Wenn unter den geschilderten Verhältnissen ein vom üblichen abweichendes Vorgehen unumgänglich ist, stellt sich natürlich die Frage, wie man die Betriebe mit diesen außergewöhnlichen Problemlösungen findet. Auch dann, wenn man sich dabei auf branchengleiche Unternehmen beschränkt, sind im Fachhandel, zumal im Einzelhandel, meistens hunderte, wenn nicht gar tausende von Firmen einzubeziehen. Damit wird die Suche nach der besten oder wenigstens hervorragenden Problemlösung (Praktik) sicherlich kaum realisierbar. Hier kann u.E. der im Handel sehr verbreitete herkömmliche Betriebsvergleich (BV) hilfreich sein. Zunächst sei dazu festgehalten, daß der Betriebsvergleich

142

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

das Benchmarking nicht ersetzen kann, da der BV - neben den Daten zur Betriebsstruktur - nur den Niederschlag der konkreten betrieblichen Handlungen in den Zahlen des Rechnungswesens bietet. 70 Zudem kann der folgende Vorschlag nur von solchen Unternehmen realisiert werden, denen die „Synoptische Jahrestabelle" der Branche - eventuell auch interessanter anderer Branchen - zur Verfügung steht. Sie werden also in der Regel selbst am BV teilnehmen müssen. Voraussetzung des nachstehenden Vorschlages ist zudem, daß der einzelne BVTeilnehmer mit anderen Teilnehmern, die in den Tabellen nur mit einer Kennnummer aufgeführt sind, Kontakt aufnehmen kann. Das ist beispielsweise beim BV des „Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln (IfH)" sowie der „Forschungsstelle für den Handel Berlin (FfH)" durch Vermittlung dieser Institute der Fall. Der gewünschte Gesprächspartner wird unter Angabe der Anschrift des Interessenten um Erlaubnis zur Weitergabe der Firmenanschrift gebeten. Die hier vorgeschlagene Suche nach Betrieben mit den besten bzw. wenigstens hervorragenden Problemlösungen geht von der Annahme aus, daß man solche Praktiken am ehesten in Betrieben findet, die im Vergleich zu anderen Betrieben Spitzenrenditen erzielen. Sie würden letztere nicht erreichen, wenn sie nicht in wesentlichen Tätigkeitsbereichen derartige nachahmenswerte Vorgehensweisen realisierten. Nun würden allerdings die hier dargelegten Überlegungen kaum einen Artikel dieses Umfanges rechtfertigen, wenn die BV-Daten nicht noch mehr bieten würden. Man kann nämlich davon ausgehen, daß das BV-Zahlenmaterial noch Hinweise darauf gibt, welche konkreten Untersuchungen in dem ermittelten Vergleichsbetrieb voraussichtlich erfolgreich sein könnten. Das soll an Hand der folgenden 4 Beispiele gezeigt werden.

Struktur, Leistungen und Kosten der Unternehmen Da dem Verfasser die Synoptische Jahrestabelle 1994 des Glas-, Porzellan- und Keramikeinzelhandels (GPK-Einzelhandel) zur Verfügung steht, werden den Beispielen Unternehmen dieser Branche zugrundegelegt. Aus den insgesamt 142 meldenden Betrieben wird ein Betrieb (A) mit durchschnittlichem, d.h. negativem betriebswirtschaftlichem Nettoerfolg (./. 3 % vom Umsatz einschließlich Umsatzsteuer) und mittlerer Betriebsgröße ausgewählt. Er dient als Beispiel für ein das Benchmarking anstrebendes Unternehmen. Dem wird ein anderer Betrieb

70

L a m i a ( 1 9 9 5 , S . 4 8 ff.) b e z e i c h n e t B e n c h m a r k i n g als e i n e F o r m d e s B e t r i e b s v e r g l e i c h e s . W e n n h i e r v o n B e t r i e b s v e r g l e i c h g e s p r o c h e n w i r d , ist n u r d e r s e i t J a h r z e h n t e n p r a k t i z i e r t e B e t r i e b s vergleich gemeint.

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

(Β) mit der höchsten Rendite (+ 5 %) gegenübergestellt (2 weitere mit noch besserem Ergebnis fallen wegen unvollständiger Meldungen weg). Im übrigen sind in den nachstehenden Tabellen noch die Daten des Gesamtdurchschnittes der 142 BV-Teilnehmer aufgeführt. Die folgende Tabelle 1 gibt zunächst einen Überblick über wichtige Daten zu Struktur, Faktoreinsatz und Umsatzgröße.

Betrieb A

Betrieb Β

Betriebe insgesamt

20-50

Ortsgröße in Tsd. E i n w o h n e r G e schäftslage Eigentumsverhältnisse

mittl. Geschäftslage

in der Innenstadt

in der Innenstadt

a n Betriebs-

gebäuden Sortimentsanteile

50-100

Hauptgeschäftslage

Eigentum in Prozenten

Miete

vom

Umsatz: Glas

17

17

15

Porzellan

36

28

31

K e r a m i k und Steingut Kunstgewerbe Bestecke Haus- und Küchengeräte

8

5

7

13

31

14

9

8

7

17

-

15

-

11

11

690

690

1002

r a u m in %

49

77

61

Beschäftigte insgesamt

11,5

11,5

Sonstige W a r e n G e s c h ä f t s r a u m ges. i. m 2 davon Verkaufs-und Ausstellungs-

U m s a t z incl. Umsatzst. T D M

2.111

3.139

14,4 3.081

Tab. 1 : Ausgewählte Daten zu Betriebsstruktur, Faktoreinsatz und Umsatzhöhe Da bei der Bestimmung des Betriebes Β als Auswahlkriterium der Nettoerfolg in Prozenten vom Umsatz verwendet wird, ist es naheliegend, mit der Analyse der Leistungs- und Kostendaten zu beginnen. In der Tabelle 2 sind die entsprechenden BV-Werte in Prozenten vom Umsatz einschl. Umsatzsteuer aufgeführt.

144

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

Betrieb A

Betrieb Β

Betriebe insgesamt

Bruttoerfolg nach A b z u g der U m satzsteuer

38,0

42,4

38,2

Kosten: Personalkosten einschl. Unternehmerlohn

28,1

22,3

22,3

M i e t e oder M i e t w e r t

2,3

4,9

5,4

Sachkosten für Geschäftsräume

2,3

1,7

1,9

K o s t e n fiir W e r b u n g

1,3

1,4

1,9

Gewerbesteuer

0,4

0,1

0,4

Kraftfahrzeugkosten

0,5

0,5

0,7

Z i n s e n für F r e m d k a p .

0,5

1,1

2,0 0,6

Z i n s e n für Eigenkap.

1,4

1,2

Abschreibungen

1,0

2,1

1,8

Alle übrigen Kosten

3,2

2,1

3,2

Gesamtkosten

41,0

37,4

41,2

betriebsw. Nettoerfolg

-3,0

+5,0

-3,0

Tab. 2: Leistungen und Kosten in Prozenten vom Umsatz einschl.Umsatzsteuer

Beispiel 1: Differenz der Bruttoerfolge Besonders gravierend ist der um mehr als 4 Prozentpunkte höhere Bruttoerfolg (= Betriebshandelsspanne) des Betriebes B. Schon die ΒV-Werte selbst fuhren zu der Frage, ob eventuell der deutlich höhere Umsatzanteil der Warengruppe Kunstgewerbe (siehe Tab. 1) einen überdurchschnittlichen Bruttoerfolg mit sich bringt? Wenn ja, dann kann aber keinesfalls die ganze Differenz darin begründet liegen (ähnliches gilt für die Haus- und Küchengeräte). Mithin sind nähere Untersuchungen in Betrieb Β mit dem Ziel der Gewinnung von Benchmarks vorzunehmen. Diese sollten sich u.E. insbesondere auf folgende Prozesse u.ä. beziehen: •

Kommen im Unternehmen Β außergewöhnlich erfolgreiche Methoden der Sortimentspolitik (Informationsbeschaffung und Art des Entscheidungsprozesses) zur Anwendung ? Dazu ist zu beachten, daß im Fachhandel Sortimentsentscheidungen häufig subjektiv beeinflußt sind, insbesondere durch persönliche Vorlieben, Geschmack und langjährige Lieferantenkontakte der Entscheidungsträger (auch Händler zeigen gelegentlich eine robuste

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

„Markentreue"). Gibt es organisatorische Lösungen, die dem entgegenstehen, d.h. das Entscheidungsverhalten objektivieren ? •

Sind besondere Vorgehensweisen eingeführt, die die Lieferantenauswahl auch unter dem Aspekt der Alleinstellung im Händler-Einzugsgebiet vornehmen ? Eine solche Angebotssituation erlaubt in der Regel eine höhere Kalkulation.



Den letzten Umstand verallgemeinernd, ist festzustellen, ob im Betrieb Β eventuell vom branchenüblichen Vorgehen abweichende Kalkulationsverfahren eingeführt sind und wie sie im einzelnen realisiert werden. So ist beispielsweise an Preisdifferenzierungen nach Preisempfmdlichkeit und/oder Gängigkeit der Artikel/Sorten ebenso zu denken, wie an die Verwendung absoluter Kalkulationsbestandteile statt der üblichen Prozentkalkulation. Wichtig sind gegebenenfalls vor allem auch die Gewinnung und die Verarbeitung der dazu notwendigen „harten" Daten.



Sollte der stark überdurchschnittliche Bruttoerfolg u.a. auch auf signifikant niedrigere Inventurdifferenzen - insbesondere hinsichtlich des Diebstahls zurückzuführen sein, so sind die Methoden zu ihrer Verhinderung bzw.Verminderung zu ermitteln. Immerhin können Inventurdifferenzen im Einzelhandel einen Prozent vom Umsatz und eventuell noch mehr ausmachen.

Die hier angesprochenen Prozesse, Arbeitsaufgaben usw. berühren vielfach auch personalpolitische Fragen, die im folgenden mit angesprochen werden.

Beispiel 2: Differenz der Personalkostenbelastung Aus Tabelle 2 ist zu entnehmen, daß die Personalkostenbelastung des Betriebes Β die des Betriebes A um nicht weniger als 5,8 Prozentpunkte unterschreitet. Auch dann, wenn Β gegenüber dem Durchschnitt nur um einen Prozentpunkt das ist in Anbetracht der geringen Umsatzrendite ein durchaus beachtlicher Vorteil - besser liegt, ist zu vermuten, daß A von einer Analyse der Personalproduktivität des Unternehmens Β profitieren wird. Das wird durch die folgenden BV-Werte, die sich aus der Synoptischen Tabelle ablesen bzw. errechnen lassen, noch deutlicher:

146

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

Betrieb A U m s a t z j e beschäftige Person in D M B r u t t o e r f o l g j e beschäftigte Person i.

Betrieb Β

Betriebe insgesamt

183.592.-

272.930.-

213.278.-

69.765.-

115.722.-

81.472.-

51.589.-

60.863.-

49.694.-

18.176.-

54.859.-

31.778.-

2.887

4.822

3.380

DM Personalkosten j e besch. Person i . D M Deckungsbeitrag j e besch.

Person i n

DM U m s a t z a k t e j e besch.Person p.a.

Tab. 3: Personalleistung und Personalkosten/Person in D M Die Umsatzleistung der Mitarbeiter des Betriebes Β liegt um rund 50 % über der von A und ca. 25 % über dem Durchschnitt. Die Differenzen sind beim absoluten Bruttoerfolg je Person noch höher. Obgleich die Personalkosten je besch. Person im Betrieb Β deutlich über die Vergleichswerte hinausgehen, ergibt sich letztlich eine Verdreifachung des absoluten Deckungsbeitrages im Betrieb Β gegenüber Betrieb A. Abgesehen von dem höheren prozentualen Bruttoerfolg (siehe oben Tab. 2) ist es vor allem die erheblich größere Zahl der Umsatzakte je Person/Jahr, die die viel höhere Umsatzleistung und den ungleich größeren Dekkungsbeitrag je beschäftigte Person begründen. Die Fahndung nach außergewöhnlichen Leistungen in Betrieb Β zur Ermittlung hervorragender Praktiken sowie zur Ableitung von Benchmarks sollten sich u. E. auf 2 Bereiche erstrecken: •

Da die Untersuchungen durch die ungewöhnlich große Differenz der Personalkostenbelastung ausgelöst werden, sollten sich die Analysen zunächst auf den Einsatz des Faktors Arbeitskraft beziehen. Dabei geht es um einen Vergleich der quantitativen Personalstruktur, wie insbesondere nach Funktionen und/oder Prozessen sowie nach der Zusammensetzung von Voll- und Teilzeitkräften (einschl. Aushilfen). Ersteres dient der Ermittlung der besonders produktiven Betriebsbereiche in Betrieb Β bzw. der unproduktiven in Betrieb A. Mit dem zweiten Kriterium wird vor allem der Umstand angesprochen, in welchem Maße die Unternehmen auf die starken Schwankungen der Kundenfrequenzen reagieren können, was bei Einzelhandlungen mit vorwiegend Fremdbedienung überaus wichtig ist. Weiterhin geht es um die qualitative Zusammensetzung des Personals, da die Personalleistung sehr stark von der Personalqualität abhängig ist. Mißt man

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

die durchschnittliche Personalqualität an den durchschnittlichen Personalkosten je Person - tendenziell verändern sich beide parallel -, so steigt mit den höheren Personalkosten je Person die Personalleistung gewöhnlich überproportional (siehe auch Tab. 3 und Meyer 1979, S. 33ff.). Wenn also der Betrieb Β außerordentlich hohe Personalleistungen (Umsatz, Bruttoerfolg, DB und Umsatzakte) aufweist, so ist ein Vergleich bezüglich der qualitativen Zusammensetzung in den Betrieben unumgänglich. •

Das gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die Bewertung der Produktivität und Wirtschaftlichkeit der vorgefundenen Prozesse usw. als eigentliche Objekte des Benchmarking. Davon ausgehend, daß in dieser Branche mindestens 80% der Personalkosten durch die Beschaffungs- und Absatzaufgaben bestimmt sind, könnten u.a. folgende Prozesse (i.w.S.) auf „beste Praktiken" in Betrieb Β untersucht werden: • • • • • • • •

Beschaffungs-, Preisauszeichnungs- und Einlagerungsprozeß von Lagerware . Beschaffungs-, Abrechnungs- und Auslieferungsprozeß von sogenannter Kommissionsware. Nachfiillprozeß vom Lager in den Laden . Vorgehensweise bei der Personaleinsatzplanung (PEP) Verkaufsprozess mit den Teilbereichen Kundenempfang, Verkaufsgespräch, Verkaufsabschluß mit Verpackung, Abrechnung und Verabschiedung, eventuell Warenzustellung Reklamations- und Umtauschprozeß Maßnahmen zur Mitarbeiter-Motivation (Führungsstil, leistungsabhängige Entgelte, Weiterbildung u.a.m.)

Diese vorwiegend ablauforganisatorischen Fragen werden allerdings auch die Beachtung aufbauorganisatorischer Bedingungen mit einbeziehen müssen, wozu hier nur einige Stichworte aufgezählt werden sollen: Entscheidungsdelegation, Zentralisierung vs. Dezentralisation von Funktionen, Category-Management, Teamorganisation, Projektorganisation. Man kann von diesen Untersuchungen selbstverständlich lediglich erwarten, fur den einen oder anderen Prozeß usw. eine nachahmenswerte Lösung zu finden. Deshalb wird die Suche nach anderen erfolgversprechenden Unternehmen fortgesetzt werden müssen. So ist beispielsweise in der hier verwendeten Synoptischen Jahrestabelle ein Betrieb (C) mit einer Umsatzrendite von + 3,1 % mithin gut 6 Prozentpunkte über dem Durchschnitt - aufgeführt, der sich durch eine besonders niedrige Personalkostenbelastung vom Umsatz auszeichnet. Ge-

148

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

rade in Bezug auf die prozessbezogenen Analysen verspricht das wichtige Ergebnisse. Es wäre dabei wie eben dargelegt vorzugehen.

Beispiel 3: Strategie-Differenzierung Hier soll auf einen weiteren Fingerzeig eingegangen werden, der sich aus der Gegenüberstellung erfolgsbestimmender BV-Werte der Unternehmen Β und C ergibt: Betrieb Β

Betrieb C

Bruttoerfolg in % v o m U m s a t z

42,4

35,3

Gesamtkosten in % v o m U m s a t z

37,4

32,2

Nettoerfolg in % v o m U m s a t z

+5,0

+3,1

Tab. 4:

Bruttoerfolg, Gesamtkosten und Nettoerfolg in Prozenten vom Umsatz einschl. Umsatzsteuer

Die nachstehenden Schlußfolgerungen wären für den Betrieb A, der bei diesem Vergleich nicht direkt angesprochen ist, zunächst nur ein zusätzliches, wenn auch durchaus wesentliches Nebenergebnis. Die Gegenüberstellung der erfolgsbestimmenden Größen legt die Vermutung nahe, daß in den Betrieben C und Β unterschiedliche Strategien verfolgt werden, und zwar wird: •



im hier zusätzlich herangezogenen Betrieb C eine „trading down"-Strategie angewandt, bei der durch die Reduzierung der übernommenen Handelsfunktionen (z.B. Beratung, Geschäftsausstattung und Warenpräsentation, Kundenkreditierung) Kostensenkungen realisiert werden, die eine niedrigere Preisstellung , vielleicht sogar eine aggressive Preispolitik gestatten, und im Betrieb Β eine „trading up"-Strategie praktiziert wird, die anstrebt, durch eine Intensivierung der Funktionsübernahme, insbesondere hinsichtlich der Dienstleistungen, Präferenzen bei den Kunden aufzubauen, die im Falle des Erfolges höhere Kalkulationssätze und damit insgesamt ein höheres Preisniveau erlauben.

Übrigens kann es sich in beiden Fällen um eine Reaktion auf eine Wettbewerbsverschärfung handeln, allerdings mit sehr unterschiedlicher Stoßrichtung. Sollten sich diese Schlußfolgerungen bei der Untersuchung als zutreffend erweisen, könnten für Betrieb A folgende Fragen sehr bedeutsam sein:

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

• • •



Welche Umfeldbedingungen haben zu diesen strategischen Entscheidungen gefuhrt ? Welche Informationen mußten zur Bewertung der Handlungsalternativen beschafft werden und auf welchem Wege geschah das ? Wer hat an der Vorbereitung und Verabschiedung der Entscheidung mitgewirkt (z.B. auch Berater) und welcher prozeßbezogene organisatorische Rahmen wurde dafür gewählt ? Welche Maßnahmen wurden im einzelnen zur Realisierung der Strategie vorgenommen, insbesondere hinsichtlich des Einsatzes der Marketing-Instrumente ?

Beispiel 4: Differenz in der Lagerbestandspolitik Gerade im Hinblick auf die eben erwähnten Marketing-Instrumente soll hier noch ein interessanter, schon aus den BV-Werten zu ersehender Umstand erörtert werden: Die beiden sehr erfolgreich arbeitenden Unternehmen, also auch der ein „trading down" praktizierende Betrieb C, haben weit überdurchschnittliche Warenbestände. Ihre Lagerumschläge liegen mit 1,4 (B) bzw. 1,5 (C) weit unter dem Durchschnitt von 2,2, während Betrieb A mit seinem deutlich negativen Nettoerfolg einen Lagerumschlag von 3,1 erreicht. Deshalb ist der sehr verbreitete Ratschlag, den Lagerumschlag zu steigern, mindestens für den Fachhandel mit Skepsis zu bewerten. Der Verfasser hat an anderer Stelle nachgewiesen, daß eine Steigerung des Warenbestandes je beschäftigte Person über das Durchschnittsniveau hinaus einen günstigen Einfluß auf Umsatz und Rentabilität hat, was auch durch amerikanische Untersuchungen belegt ist (Meyer 1992, S. 72 f.). Der Warenbestand/Person liegt im GPK-Einzelhandel insgesamt bei T D M 55, macht im Betrieb A knapp T D M 30 aus und erreicht bei den Betrieben Β und C TDM 70 und mehr. Das Unternehmen hat also zu prüfen, in welcher Hinsicht sein Warenangebot mangelhaft ist. Dabei geht es selbstverständlich nicht um die unbedachte Aufstockung der Warenbestände, sondern um die Beantwortung der beiden Fragen: •

Welche Lücken zeigt das angebotene Sortiment, und zwar hinsichtlich der Sortimentsbreite, d.h. der Kombination der Warengruppen, wie auch der fur Fachgeschäfte besonders wichtigen Sortimentstiefe im Sinne der Artikel- und Sortenvielfalt ?

150 •

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

Sind die Lagermengen je Dispositionseinheit (Sorte) so bemessen, daß die durchschnittliche Nachfrage (Frage richtiger Beschaffungszeitpunkte und -mengen) und die mögliche Mehrnachfrage (Frage der Sicherheitsbestände) bedient werden können.

Im ersten Falle handelt es sich um die Verminderung von sogenannten Nichtverkäufen, während man im zweiten Falle von einer Senkung der Fehlverkäufe spricht. Der Betrieb A wird also im Rahmen des Benchmarking die Vorgehensweise in der Sortimentspolitik (siehe auch oben Bruttoerfolgsanalyse) sowie die Methoden der Beschaffungspolitik (Bestellpunktermittlung und Bestellmengendisposition) erfassen müssen, um vergleichbare Ergebnisse wie in den Betrieben Β und C zu erreichen. Zusammenfassend kann man die im Titel gestellte Frage, ob der herkömmliche Betriebsvergleich das Benchmarking unterstützen kann, sicherlich positiv beantworten. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß der Suchraum relativ klein ist und die gegebenenfalls gefundene „beste Praktik" nur den Branchenbereich betrifft. Die Ausdehnung des Benchmarking auf andere Handelsbranchen oder Wirtschaftszweige oder nichtwirtschaftliche Organisationen sollte auf jeden Fall angestrebt werden. Dem mittelständischen Fachhandel wird das jedoch gewöhnlich verschlossen sein, da dann die Kosten des Benchmarking dessen monetären Erfolg leicht überschreiten können. Die Kosten je Betrieb können allerdings durch ein gemeinsames Vorgehen von Erfahrungsaustauschgruppen (ERFAGruppen) reduziert werden. Anderenfalls sollten überbetriebliche Institutionen tätig werden, wie beispielsweise handelseigene Beratungsorganisationen (z.B. Betriebswirtschaftliche Beratungsstelle fur den Einzelhandel (BBE), Beratungsstellen des Großhandels) oder private Beratungsunternehmen. Aber auch sie werden sich zum Einstieg vermutlich der hier vorgeschlagenen BV-Auswertung bedienen.

Literatur Göldenbot, K., Best Practice von innen heraus, in: absatzwirtschafit, Heft 10, Oktober 1995, S. 64 ff. Horvath, P.und Herter, R.N., Benchmarking - Vergleich mit den Besten der Besten, in: Controlling, Heft 1, Januar/Februar 1992, S. 4 ff. Lamia, J., Prozeßbenchmarking, München 1995 Meyer, G., Bessere Leistung durch höhere Bezahlung, in: Rationeller Handel, Heft 4, Juli/August 1979, S. 33 ff.

Meyer, Benchmarking im mittelständischen Fachhandel

Meyer, G., Die Faktorkombination - ein strategischer Erfolgsfaktor im Einzelhandel ?, in: Trommsdorff, V. (Hrsg.), Handelsforschung 1991, Wiesbaden 1992, S. 65 ff. Sänger, E., Benchmarking, in: Schulte, C. (Hrsg.), Lexikon des Controlling, München 1996, S. 62 ff. o.V., Benchmarking hilft dem Mittelstand im Wettbewerb, in: Blick durch die Wirtschaft, Nr. 81 vom 21.04.1996, S. 1

152

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

Rolf Wöller

Probleme von Exportabteilungen in mittelständischen Unternehmen 1.

Grundbegriffe des Themas

Unternehmen, die regelmäßig und in beträchtlichem Umfang Güter und/oder Dienstleistungen exportieren, benötigen dafür in der Regel eine Exportabteilung. Unter Export wird der Absatz von Gütern und Dienstleistungen durch Unternehmen eines bestimmten Landes bei Unternehmen oder beim Staat im Ausland verstanden. Exportabteilungen werden in der Literatur in der Regel behandelt, ohne daß auf die Größe der Unternehmen bzw. auf die Unterschiede zwischen multinationalen Unternehmen und mittelständischen Unternehmen eingegangen wird. 7 1 Unter Mittelstand werden im Gegensatz zu großen Unternehmen solche erfaßt, die unterschiedliche Kriterien, ζ. B. bestimmte Mitarbeiter- oder Umsatzzahlen nicht überschreiten. Im produzierenden Gewerbe gehören dazu Unternehmen mit 50 bis 500 Mitarbeitern und im Großhandel mit 10 bis 200 Beschäftigten. 72 Es werden aber auch mehrere Kriterien verwendet, ζ. B. für statistische Zwecke: Pauschalkategorisierung von kleinen und mittleren Unternehmen 73 Unternehmensgröße klein mittel

Zahl der Beschäftigten bis 49 50 bis 499

Umsatz in D M pro Jahr bis 1 Mio. 1 bis 100 Mio.

Die Europäische Kommission verwendet ebenfalls den Begriff der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Nach einer neuen Empfehlung gehören zu den kleinen und mittleren Unternehmen solche, • die nicht im Besitz von anderen Unternehmen sind, • die 10 bis 250 Beschäftigte haben, • die bis zu 40 Mio. ECU Jahresumsatz aufweisen oder • die eine Bilanzsumme bis zu 27 Mio. ECU ausweisen.74

71

72 73 74

siehe als A u s n a h m e n : P . G . D u r n i o k : S t ä r k e n u n d S c h w ä c h e n v o n m i t t e l s t ä n d i s c h e n U n t e r n e h m e n i m internationalen W e t t b e w e r b , in " D a s erfolgreiche Auslandsgeschäft", K ö l n 1 9 8 7 R . T h ü r b a c h / J. G e i s e r : E x p o r t p r o b l e m e m i t t e l s t ä n d i s c h e r B e t r i e b e , G ö t t i n g e n 1 9 7 7 G a b l e r W i r t s c h a f t s l e x i k o n , 13. A u f l . , W i e s b a d e n 1 9 9 3 siehe W . G r u h l e r : W i r t s c h a f t s f a k t o r M i t t e l s t a n d , K ö l n 1 9 8 4 , S. 1 6 v g l . A u ß e n w i r t s c h a f t , N r . 4 , Stuttgart 1 9 9 6 , S. 1 8

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

2.

Internationalisierung und Globalisierung ständischen Unternehmen

bei mittel-

Unabhängig von der genauen Festlegung der Kriterien beschränken mittelständische Unternehmen ihre Aktivitäten nicht nur auf die regionalen und nationalen Märkte. Mittelständische Unternehmen können sich Tendenzen zur Internationalisierung und Globalisierung nicht entziehen. Sie stehen in einem Prozeß, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern bedingt durch die Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegungen von Kapital und Technologie immer mehr voneinander abhängig werden. Bei erheblicher Zunahme des Wettbewerbs sind mittelständische Unternehmen in der zweiseitigen Verbundenheit mit Beschaffungs- und Absatzmärkten zunehmend auf den Import von Fertigprodukten, Fertigungsmaterialien und Rohstoffen aus dem Ausland und auf den Export eigener Produkte in andere Länder angewiesen. Während der Import Aufgabe der Einkaufsabteilung ist, erfolgt eine kompetente und erfolgreiche Bearbeitung des Exportgeschäftes in der Regel durch eine spezielle Exportabteilung. Als weitere Gründe für die Ausweitung des Exports durch mittelständische Unternehmen können genannt werden: • • • • • • •

Umsatzsteigerung, Steigerung des Gewinns, Verbesserung der Rentabilität, Erhöhung der Kapazitätsauslastung, Kostenvorteile (Skaleneffekte und Lernkurvenvorteile) 75, Ausgleich von Saison- und Konjunkturschwankungen, Verlängerung des Lebenszyklus von Produkten.

3.

Probleme bei Leistungsfaktoren der Exportabteilung

3.1

Mitarbeiter

In mittelständischen Unternehmen werden die Tätigkeit und die Erfolge der Exportabteilung weitgehend durch die Exportleitung bestimmt. Für die Exportleitung muß eine erfahrene Führungskraft gefunden werden, die in der Lage ist weitgehend selbständig zu arbeiten. Außerdem werden an die fachlichen Qualifikationen und persönlichen Eigenschaften hohe Anforderungen gestellt. Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören: • vielseitige Fähigkeiten,

75

vgl. d a z u G . Schoppe: K o m p e n d i u m der der internationalen Betriebswirtschaftslehre, 2 . A u f l . , M ü n c h e n 1 9 9 2 , S . 1 5 7 ff.

154 • • • • •

• • •

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

umfassendes Wissen und reichhaltige Erfahrungen (z.B. in Anbahnung und Abwicklung von Auslandsgeschäften), ein Höchstmaß an Flexibilität (z.B. wegen ständiger Veränderungen im Umfeld im Ausland), großes Interesse für neue Themen (z.B. Änderungen in der Technologie und neue Märkte), Lernfähigkeit über das gesamte Berufsleben, Bereitschaft zum Verzicht auf persönlichen Komfort (Reisen in Länder mit niederiger Entwicklungsstufe oder ungünstigem Klima), Bereitschaft zur Übernahme von Risiko und zum Nutzen von Risiken, evtl. Änderung eigener Meinungen und Ansichten (insbesondere von Vorurteilen), Bereitschaft zum Zuhören und zum Lernen von anderen. 76

Die Ergänzung dieser umfangreichen Liste durch • gute Kenntnisse in mehreren Sprachen, • Kenntnisse in speziellen Technologien und Branchen, • Aufenthalte in zahlreichen Ländern, • Kenntnis der kulturellen Unterschiede der Länder und • ethische Grundsätze und ethisch orientertes Handeln (Gesinnungs- und Verantwortungsethik) 77 zur Vermeidung von Geschäften mit unseriösen Partnern sowie Verwicklung in internationale Wirtschaftskriminalität macht deutlich, daß Bewerber für diese Position von mittelständischen Unternehmen nur schwer zu finden sind. Wegen der zahlreichen Anforderungen und Aufgaben ist eine Bearbeitung des Auslandsgeschäftes durch den Inhaber oder die Geschäftsleitung nur selten und eine Zuordnung zum Inlandsgeschäft bzw. vertrieb in der Regel nicht sinnvoll, es sei denn, daß das Auslandsgeschäft nur geringen Umfang und wenig Bedeutung hat. In der Regel ermöglicht nur die hierarchische Gleichstellung des Exportleiters mit Leitern anderer Funktionsbereiche die Durchsetzung einer integrierten Marketingkonzeption für Auslandsmärkte. 78 Bei entsprechendem Umfang des Auslandsgeschäftes und dem Erfordernis, regelmäßig längere Auslandsreisen durchzuführen, ist die Exportabteilung durch

76 77 78

v g l . d a z u K a r r i e r e - G e s p r ä c h m i t J o h n P . K o t t e n A u c h e i n g u t e r C h e f ist k e i n A l l e s k ö n n e r , i n H a n d e l s b l a t t , N r . 1 2 8 v o m 5 . 7 . 1 9 9 6 , S. Κ 1 v g l . d a z u B . Jöstingmeier: Z u r Unternehmensethik international tätiger U n t e r n e h m u n g e n , G ö t t i n g e n 1 9 9 4 , S . 1 5 5 ff. H . M e f f e r t / J. A l t h a n s : I n t e r n a t i o n a l e s M a r k e t i n g , S t u t t g a r t 1 9 8 2 , S . 1 9 9

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

einen Stellvertreter des Exportleiters zu ergänzen, damit in der Regel eine Führungskraft für die internen Aufgaben im Unternehmen zur Verfügung steht. Es ist vorteilhaft, wenn der Exportleiter weitgehend vertreten werden kann. So werden auch Einbrüche im Exportgeschäft vermieden, wenn der Exportleiter aus irgendeinem Grund kurzfristig nicht mehr zur Verfügung steht. Führung der Exportabteilung bedeutet, das Handeln der Mitarbeiter auf die Realisierung vorgegebener Ziele auszurichten. Die Aufgaben der Exportleitung in mittelständischen Unternehmen sind dadurch gekennzeichnet, daß neben der strategischen Führung bzw. Phasen des Managementkreises 79 • Zielsetzung, • Erstellung von Analysen, • Suche nach Alternativen bzw. Planung, • Entscheidung, • Realisierung, • Kontrolle auch wichtige Aufgaben bei Anbahnung und Abwicklung der Auslandsgeschäfte übernommen werden müssen. Es ist ein großes Problem der Exportleitungen mittelständischer Unternehmen, daß die strategische Führung oft dadurch beeinträchtigt wird, daß von der Exportleitung in erheblichem Umfang ausführende Tätigkeiten übernommen werden müssen. Weitere Probleme der Leitung der Exportabteilung sind: • dynamischer und individueller Charakter des Exportgeschäftes mit fallweisen Regelungen, • hoher Unsicherheitsgrad der Planung durch unzureichende Information, • Erfordernis der umfassenden Kenntnis einer Vielfalt von Details, • vergleichsweise große Risiken und hohe Kosten des Auslandsgeschäftes. Der Erfolg der Exportleitung hängt davon ab, daß zahlreiche interne (ζ. B. Leitung, Motivierung, Weiterbildung der Mitarbeiter) und externe Probleme (ζ. B. Herstellung und Aufrechterhaltung guter Kontakte zu Handelsvermittlern und Kunden im Ausland, Abschluß von Großaufträgen, Zufriedenheit der Kunden) in der jeweiligen Situation durch angemessene Entscheidungen optimal gelöst werden. Routineaufgaben werden dagegen meist selbständig von Sachbearbeitern bzw. Sachbearbeiterinnen übernommen, bei denen ebenfalls hohe Anforderungen an Wissen und Qualifikation gestellt werden. Besondere Bedeutung hat die Kompe-

79

v g l . d a z u J. B u s s i e k : A n w e n d u n g s o r i e n t i e r t e B e t r i e b s w i r t s c h a f t s l e h r e f ü r K l e i n - u n d M i t t e l u n t e r n e h m e n , M ü n c h e n 1 9 9 4 , S. 1 4 1 f.

156

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

tenz in Fremdsprachen in Wort und Schrift, da wegen der heterogen Märkte und der geringen Häufigkeit von Geschäften eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter oft in mehreren Fremdsprachen korrespondieren oder verhandeln muß. In diesen Fällen wird oft auf gut ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentinnen zurückgegriffen. Diesen sind innerbetrieblich notwendige Ergänzungen, ζ. B. Warenbzw. Produktkenntnisse, Wissen über Technologien bzw. technische Dienstleistungen und Informationen über Länder und Kunden zu vermitteln. Diese Ausbildung ist auch für ausgewählte Nachwuchskräfte sinnvoll, die das Personal der Auslandsabteilung auf Dauer ergänzen sollen. In der Regel ist erforderlich, daß Nachwuchskräfte die Gelegenheit erhalten, wichtige Auslandsmärkte durch Auslandsaufenthalte kennenzulernen. Ein für mittelständische Unternehmen geeigneter Organisationsplan für eine Exportabteilung ist der folgenden Abbildung 1 zu entnehmen. Es handelt sich dabei um eine gleichzeitig sprach- und gebietsorientierte Organisation. 80

Organisationsplan für die Exportabteilung eines mittelständischen Unternehmens

Abbildung 1

80

v g l . d a z u O r g a n i s a t i o n s s t r u k t u r e n d e r A u s l a n d s a b t e i l u n g b e i H . M e f f e r t / J. A l t h a n s : a . a . O . S . 1 9 9 ff.

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

3.2

Sachmittel

Die Ausstattung der Exportabteilung mittelständischer Betriebe mit speziellen Betriebsmitteln bereitet heute kaum Probleme. Computer und Geräte fur den Austausch von Informationen mit dem Ausland (Faxgeräte) sind leistungsfähiger und billiger geworden. Die durch den Wettbewerb bedingte Notwendigkeit im Unternehmen ständig Warenlager zur sofortigen Lieferung für das Auslandsgeschäft zu halten oder gar die sofortige Lieferbereitschaft ab Lager im Ausland (z. B. durch Konsignationslager) zu gewährleisten, kann dagegen für mittelständische Unternehmen eine schwere Belastung sein. Dies Erfordernis gilt für Ersatzoder Verschleißteile noch stärker als für Fertigprodukte. Wegen der längeren Nutzung von Gebrauchsgütern müssen Ersatzteile im Auslandsgeschäft oft länger vorrätig sein als im Inland. Die Bereitstellung von Sachmitteln (Geräte und Werkzeuge) oder deren mittel- oder langfristige Finanzierung kann für den Wartungs- und Reparaturdienst erforderlich sein. 3.3

Finanzmittel

Mittelständische Unternehmen sind oft mit dem Problem konfrontiert, daß erhebliche Investitionen in Auslandsmärkte (ζ. B. beim Markteintritt) vorgenommen werden müssen, die sich erst langfristig mit der erfolgreichen Abwicklung von umfangreichen Aufträgen amortisieren. Das Geschäft mittelständischer Unternehmen mit langfristig nutzbaren Konsum- und Investitionsgütern erfordert häufig erhebliche Mittel für mittel- und langfristige Finanzierungen. Auch bei Refinanzierung durch die Hausbank, die A K A und die KfW müssen mittelständische Unternehmen meist einen Teil der Mittel selbst aufbringen. Außerdem unterstützen Banken, andere Finanzierungsinstitute und private Exportkreditversicherungen die Exportabteilung mittelständischer Unternehmen oft weniger als große Unternehmen. Die für die Bearbeitung des Auslandsgeschäftes benötigten Mittel sind der Exportabteilung auch in mittelständischen Unternehmen in ausreichendem Umfang budgetmäßig bereitzustellen.

4.

Probleme beim internationalen Marketing der Exportabteilung

4.1

Produktpolitik

Nur wenige, vor allem kleine mittelständische Unternehmen begrenzen ihre Auslandsgeschäfte durch ein weitgehend passives Verhalten, d. h. es werden nur Anfragen von Kunden aus dem Ausland bearbeitet. Die meisten Exportabteilun-

158

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

gen mittelständischer Unternehmen setzen aktiv ausgewählte Instrumente des internationalen Marketing ein. 81 Dies gilt auch für die internationale Produktpolitik. Ein grundsätzliches Problem mittelständischer Unternehmen ist, daß personelle Voraussetzungen und finanzielle Mittel oft nicht ausreichen, um in der von der Exportabteilung gewünschten Weise Forschung und Entwicklung zu betreiben sowie neue Technologien und Innovationen, Verbesserungen von Produkteigenschaften, Neugestaltungen der Produkte sowie der Verpackungen in Material, Form und Farbe (Design) kurzfristig gemäß Anforderungen von Kunden im Ausland zu realisieren. Außerdem kann Probleme bereiten, daß Qualitätsansprüchen der Kunden im Ausland nicht voll entsprochen werden kann. Das Auslandsgeschäft wird jedoch oft dadurch erleichtert, daß Produkte und Leistungen mittelständischer Unternehmen deutliche Wettbewerbsvorteile aufweisen, ζ. B. durch Schutzrechte wie Patente, Warenzeichen, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, besonderen Produktnutzen oder spezielle Problemlösungen. Ein Beispiel für ein derartiges Unternehmen der Region ist die Firma Krause-Biagosch, die den Innovationspreis der OWLMarketinggesellschafi für die Entwicklung des CTP-Systems Laser-Star erhalten hat. Dieses Produkt mit zahlreichen Wettbewerbsvorteilen wird mit großem Erfolg in verschiedene Länder exportiert. 82 Wie in diesem Beispiel hat die Exportleitung immer wieder zu prüfen und zu entscheiden, welche Produkte und Leistungen unter Berücksichtigung der Konkurrenzfähigkeit im Ausland angeboten werden können. Dies wird oft nur bei einem Teil der Produkte der Fall sein. Weitere schwierige Entscheidungen beziehen sich auf die Reihenfolge des Markteintritts auf Auslandsmärkten mit neuen Produkten, auf Produktdifferenzierungen und Diversifikation für das Auslandsgeschäft sowie auf den Rückzug von Produkten von Auslandsmärkten. Eine bisweilen geäußerte Empfehlung für Exportabteilungen mittelständischer Unternehmen ist, bei Auftreten von Schwierigkeiten im Auslandsgeschäft Marktnischen zu besetzen. Eine Nischenpolitik der Exportabteilung ist aber mit erheblichen Gefahren verbunden, da diese sich gemäß der folgenden Abbildung 2 zu einem Teufelskreis entwickeln kann. Andere schwer zu realisierende Empfehlungen für die Exportabteilung sind, in allen wichtigen Auslandsmärkten präsent zu sein, neben hochwertigen Qualitätsprodukten auch Standardprodukte zu vertreiben und auch die Heimatmärkte der stärksten Konkurrenten zu beliefern. 83 So wird die Wettbewerbsfä-

81 82 83

v g l . d a z u P. G . D u r n i o k : a.a.O. S. 8 siehe T e c h n o l o g i e - V o r s p r u n g genutzt, in N e u e Westfälische, N r . 2 9 4 , v o m 16. 12. 1 9 9 5 vgl. dazu: W o deutsche Exporteure u m d e n k e n müssen, in Absatzwirtschaft, N r . 5 , 1992, S . 1 6 ff.

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

Das Problem der

A b s a t z stagniert

Nischenpolitik

- Preiswettbewerb - Überkapazitäten

1. S t u f e

M i t der Bedienung von Nischen nimmt die Produktvielfalt zu

\

Die Komplexitäts-

2. Stufe

kosten steigen ohne bedeutende Z u n a h m e des Marktanteils 3. Stufe

D i e K o s t e n für das gesamte Sortiment

i /

Wird zu

\

i

/

einem

\

l

„Teufels-

J

\

kreis"

/

Abbildung 2

e r h ö h e n sich

4. Stufe

\

>

Die Wettbewerbsf ä h i g k e i t des Unternehmens läßt nach

5. S t u f e

160

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

higkeit auf die Probe gestellt und die Produktpolitik, vor allem die Weiterentwicklung der Produkte gefördert. Ein weiteres Problem mittelständischer Unternehmen ist, daß nur selten umfangreiche Sortimente im Ausland angeboten werden. Daher wird die Vertriebsorganisation im Ausland nur zu einem geringen Teil ausgelastet. Wenn Partner im Vertrieb auch Produkte von anderen Lieferanten vertreiben, besteht die Gefahr, daß diese sich nur auf besonders attraktive Produkte mit hoher Handelsspanne und Rendite konzentrieren. 4.2

Kommunikationspolitik

Für das internationale Marketing der Exportabteilung eines mittelständischen Unternehmens ist die Marktforschung von besonderer Bedeutung. Allerdings machen Exportabteilungen wegen der geringen Zahl von Mitarbeitern und der hohen Kosten nur eingeschänkt von der Marktforschung Gebrauch: • Vergangenheitsbezogene Marktforschung hat meist Vorrang vor Prognosen und Szenarien. • Meist erfolgt eine Beschränkung auf Sekundärforschung. • Auf die Einschaltung von Markt- und Wirtschaftsforschungsinstituten sowie von Beratern wird oft verzichtet. • interne und externe Informationsquellen werden nur unvollständig genutzt, z.B. Zahlen des Unternehmens und der amtlichen Statistik im In- und Ausland, Informationen der BfAI, der Handelskammern, Außenhandelskammern, Verbände und Wirtschafts- und Fachzeitschriften und sonstigen Veröffentlichungen. 84 • Verzicht auf Beschaffung von Informationen durch eigene Mitarbeiter, inbesondere durch die Exportleitung bei Auslandsreisen. Wichtig ist die ständige Verfügung über vorhandene Informationen und Nutzung bei Anbahnung und Abwicklung von Auslandsgeschäften. Personalcomputer mit Datenbanksoftware können genutzt werden, um folgende Dateien zu fuhren: • Länderdatei (allgemeine Angaben aus verschiedenen Veröffentlichungen sind durch branchen- und produktspezifische Informationen zu ergänzen). • Produktdatei (Informationen über lieferbare Produkte mit wesentlichen Merkmalen und Eigenschaften). • Wettbewerbsdatei (alle wesentlichen Angaben über Wettbewerber). • Kundendatei (Informationen über, die Kunden in den verschiedenen Ländern).

84

v g l . w e i t e r e I n f o r m a t i o n s q u e l l e n b e i : J. M u g l e r : B e t r i e b s w i r t s c h a f t s l e h r e d e r K l e i n - u n d M i t t e l b e t r i e b e , 2 . A u f l . , W i e n S . 2 8 4 ff.

Wöller, Probleme von Exportabteilungen



Vertriebsorganisationsdatei (Informationen über in den Vertrieb eingeschaltete Handelsvermittler, Export-, Import-, Groß- und Einzelhändler sowie Handelsvertreter in den jeweiligen Ländern mit vertraglichen Vereinbarungen).

In der Literatur gibt es kaum Hinweise, ob und in welcher Weise derartige Hilfsmittel in den Exportabteilungen eingesetzt werden. Auch die Werbung wird von Exportleitungen mittelständischer Unternehmen nur begrenzt eingesetzt. Üblich ist die Verwendung von Katalogen, Prospekten und Preislisten, die meist nur in wenigen Sprachen verfugbar sind. Werbung der Exportabteilung mit Anzeigen, Radio- und Fernsehspots in zahlreichen Ländern und in verschiedenen Sprachen ist selten, da diese Werbemittel meist im Hinblick auf die Werbewirkung unterschiedlich gestaltet und landesspezifische fremdsprachliche Texte erarbeitet werden müssen. Dafür reichen die Werbebudgets oft nicht aus. Während direkt einsetzbare Werbemittel nur selektiv eingesetzt werden, werden indirekte Werbemittel, ζ. B. • pünktliche und vertragsgerechte Auftragsabwicklung, • zuverlässiger Kunden-, Wartungs- und Ersatzteildienst, • qualifizierte Beratung, • attraktive Marken, Warenzeichen, Typenschilder usw., • werbewirksam gestaltete Verpackungen, • verständliche Gebrauchs- und Bedienungsanleitungen sowie Ersatzteillisten in der Landessprache häufiger genutzt, um Werbeziele, insbesondere Verhaltensziele, zu erreichen. Public Relations und Verkaufsförderung werden von Exportabteilungen mittelständischer Unternehmen als Instrumente der Kommunikationspolitik nur selten eingesetzt. Große Bedeutung für mittelständische Unternehmen hat die Beteiligung an Messen und Ausstellungen im In- und Ausland. Bedeutende Messen und Ausstellungen in Deutschland werden auch von zahlreichen ausländischen Kunden besucht. Beteiligungen an Messen und Ausstellungen im Ausland können nach Bewertung und Auswahl durch die Exportabteilung vorbereitet und durch die Exportleitung oder Führungskräfte von Vertriebspartnern für Verkaufsgespräche besetzt werden. Während Messen in Deutschland i.d.R. Mustermessen sind, dienen Verkaufsmessen im Ausland oft dem Absatz vor Ort vorhandener Produkte. Beteiligungen an Messen und Ausstellungen können durch zahlreiche andere

162

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

Werbemaßnahmen ergänzt werden, sind aber ein sehr kostenintensives Instru85

ment der Kommunikationspolitik. Schwerpunkte der Kommunikationspolitik der Exportabteilung sind Beratung und persönlicher Verkauf bei den Kunden im Ausland. Auslandsreisen mit Kundenbesuchen, die sorgfältig vorbereitet werden müssen, werden meist von der Exportleitung mittelständischer Unternehmen durchgeführt. Für diese Aufgaben werden zahlreiche spezielle Kenntnisse und Qualifikationen benötigt, z.B. Kenntnis der im Ausland üblichen Verfahren bei Verhandlungen 86 (Basarhandel), der Sprache, der Produkte, der Umwelt, der Unterschiede in Kultur und Wertvorstellungen 87 sowie Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Ausdauer und Stehvermögen. Im Heimatmarkt übliche Phaseneinteilungen der Verkaufsgespräche, Argumente, Behandlung von Einwänden sowie Abschlußtechniken können nicht ungeprüft auf ausländische Märkte übernommen werden, wenn Widerstände oder der Abbruch von Gesprächen durch ausländische Kunden vermieden werden sollen. Beratungsgespräche, besonders über technische und wirtschaftliche Probleme, Vorschläge und Problemlösungen sind von Verhandlungspartnern mit vergleichbarer Ausbildung leichter zu führen. 4.3

Preis- und Konditionenpolitik

Exportabteilungen mittelständischer Unternehmen haben unterschiedliche Möglichkeiten, Preise im Rahmen der Preis- und Konditionenpolitik festzulegen: 1. 2. 3. 4.

kostenorientiert (auf der Basis von Exportkalkulationen), marktorientiert (auf der Basis von Angebot und Nachfrage), wettbewerbsorientiert (auf der Basis von Konkurrenzangeboten), regelungsorientiert (auf der Basis von Vorschriften des Staates, von Verbänden oder Kartellen), 5. verhandlungsorientiert (auf der Basis von Verhandlungsergebnissen).

Mittelständische Unternehmen können in der Regel keine Marktmacht ausüben, aber dennoch für nachfragegerechte Produkte mit Wettbewerbsvorteilen eine Präferenzpreispolitik oder sogar eine Abschöpfungspreispolitik betreiben. Im Ausland können bisweilen erheblich höhere Preise als im Inland verlangt werden

85 86 87

v g l . d a z u G . S t a h r : A u s l a n d s m a r k e t i n g , B a n d I I , S t u t t g a r t 1 9 7 9 , S . 9 9 J. A l t m a n n : A u ß e n w i r t s c h a f t f ü r U n t e r n e h m e n , S t u t t g a r t 1 9 9 3 , S . 3 9 ff. siehe dazu: A u f der Suche nach weitgehender Übereinstimmung, i n Handelsblatt, N r . 7 7 v o m 19. 4. 1 9 9 6 , S . K 8 v g l . E . D ü l f e r : I n t e r n a t i o n a l e s M a n a g e m e n t , 3 . A u f l . , M ü n c h e n 1 9 9 5 , S . 2 7 0 ff. siehe Beispiele für kulturelle Unterschiede i n : T w o w a t e r melons cannot be carried in one hand, i n P e r s o n a l w i r t s c h a f t , N r . 7 / 1 9 9 6 , S . 1 9 ff.

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

(z.B. bei Gütern mit hoher Qualität, Attraktivität oder Prestige). Diese decken oft nicht nur hohe Transport- und Vertriebskosten, so daß sich überdurchschnittliche Gewinne ergeben können. Größere Probleme ergeben sich fur Exportabteilungen mittelständischer Unternehmen, wenn wegen des Preiswettbewerbs starker Konkurrenten eine Promotionspreispolitik eingesetzt werden muß. Noch schwieriger wird die Preispolitik, wenn große Kunden im Ausland Preisdruck ausüben, d.h. unübliche Preissenkungen oder Rabatterhöhungen verlangen. Bisweilen besteht auch die Gefahr, daß Exportabteilungen die Konsequenzen von Konditionsverbesserungen für Kunden im Ausland (Verlängerung von Kreditfristen, Übernahme von Transport- und Versicherungskosten) nicht hinreichend beachten. 4.4

Distributionspolitik

Für Exportabteilungen mittelständischer Unternehmen ist es oft schwierig sicherzustellen, daß die verkauften Produkte und Leistungen zur richtigen Zeit am vereinbarten Ort in der gewünschten Menge und Qualität dem Kunden im Ausland zur Verfügung stehen. Beim Vertrieb im Ausland sind die Exportabteilungen oft auf Partner wie Export- und Importhändler, Groß- und Einzelhändler oder Vertretungen angewiesen. Bei der Auswahl der Partner, insbesondere bei Vertragshändlern und Vertretern ist große Sorgfalt, die Berücksichtigung zahlreicher Kriterien 88 und systematisches Vorgehen erforderlich, damit die Vertriebsziele erreicht, notwendige Vertriebsfunktionen erfüllt und Blockierungen von Absatzkanälen vermieden werden. Für die Errichtung von Niederlassungen und Tochtergesellschaften für Vertrieb und Produktion im Ausland gibt es bei mittelständischen Unternehmen wegen der hohen Investitionen enge Grenzen. Logistische Probleme, insbesondere beim Transport, können durch die Auswahl leistungsfähiger Hilfsbetriebe, z.B. Spediteure, Frachtführer, Reedereien und Fluggesellschaften gelöst werden. Trotz der vielfältigen Probleme gibt es zahlreiche mittelständische Unternehmen in Deutschland, die als Weltmarktführer bezeichnet werden können und zu deren Erfolgsstrategien vor allem technische Spitzenleistungen, enge Kundenbindungen und bedarfsgerechter Service gehören. 89

88 89

v g l . d a z u K . R o t h e r : D a s i n t e r n a t i o n a l e G e s c h ä f t , M ü n c h e n 1 9 9 1 , S . 1 9 0 ff. siehe dazu H . S i m o n : D i e heimlichen G e w i n n e r , Frankfurt 1966

164

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

5.

Probleme hinsichtlich Ergebnissen der Exportabteilung

5.1

Stärken und Schwächen

Die wirtschaftlichen Ergebnisse von Exportabteilungen hängen von zahlreichen Faktoren ab. Diese lassen sich in Stärken und Schwächen einteilen. Aufgabe der Exportabteilung ist es, im Interesse des Erfolges im Auslandsgeschäft, die aufgeführten Stärken zu nutzen.

Stärken beim Export 90 persönlicher Einsatz der Unternehmer und aller Führungskräfte Engagement und Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter gute Überschaubarkeit des Unternehmens direkte persönliche Kontakte und interne Information im Unternehmen Flexibilität und Anpassungsvermögen in der Fertigung moderne Produktionstechnik und -verfahren schnelle Einführung neuer Technologien und innovativer Produkte zügige Umsetzung von Forschung und Entwicklung in Wettbewerbsvorteile Differenzierung von Produkten, z.B. für Industrie- und Entwicklungsländer hohe Qualität der Produkte mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis Angebot von attraktiven Produkte und Dienstleistungen (Paketgeschäfte) Spezialisierung bei Produkten und Kundengruppen Kundenbindung durch persönliche Beziehungen große Nachfrage auf Auslandsmärkten kurzfristige Reaktionen auf Marktänderungen direkte Kontake mit Kunden und Partnern im Vertrieb individuelle Kundenbetreuung bei Beratung, Vertragsverhandlungen, Service Kooperation mit anderen Unternehmen zur Leistungssteigerung Fusionen mit anderen mittelständischen Unternehmen

91

schnelle unbürokratische Entscheidungen

90 91

v g l . H i n w e i s e i n : P o w e r f ü r M i t t e l b e t r i e b e , i n A b s a t z w i r t s c h a f t , N r . 4 , S. 3 4 ff. v g l . N e o t e c h n i k verbessert ihre E x p o r t - C h a n c e n , O s t w e s t f a l e n International, N r . 7 1 9 9 6 , S. 1 8

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

Die Exportabteilung kann vorhandene Stärken nur als Erfolgsfaktoren im Auslandsgeschäft nutzen, wenn diese mit Stärken- und Schwächenanalysen ermittelt wurden und bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Neben den Stärken sind von den Exportabteilungen die Schwächen zu berücksichtigen. Die für den Mittelstand oft typischen Schwächen oder Wettbewerbsnachteile sind abzubauen oder die Auswirkungen zu vermindern. Schwächen beim Export

52

zahlreiche Nachteile des Standorts Deutschland Überlastung der Leitung und Mitarbeiter der Exportabteilung Mangel an Führungsqualitäten und Erfahrungen bei der Exportleitung Verlust guter Mitarbeiter im Auslandsgeschäft Fehlende Kostenvorteile großer Unternehmen (durch Skaleneffekte und Lernkurve) Fehlen von Marketingstrategien und -konzeptionen Unzureichende Finanzierung für Auslandsgeschäfte geringe Information über Märkte im Ausland aggressive Wettbewerber zu geringe Akzeptanz politischer und wirtschaftlicher Risiken geringe Erfahrungen bei Vermeidung von Wechselkursrisiken geringe Möglichkeiten zur Absicherung von Exportkrediten Behinderungen durch Gesetze und Vorschriften im Export- oder Importland fehlende Voraussetzungen für die Errichtung von Niederlassungen oder Tochtergesellschaften für Vertrieb oder Produktion im Ausland geringes Know-How für Kooperationen (Joint Ventures, Lizenzen) unzureichende Planung, Organisation und Kontrolle des Auslandsgeschäftes geringe Exportförderung mittelständischer Unternehmen Mittelständische Unternehmen werden nur geringfügig durch spezielle Exportförderungen zum Ausgleich der Vorteile großer Unternehmen unterstützt, 93 ζ. B.

92 93

v g l . C u n n i n g h a m , A l d a g , S t o n e : B u s i n e s s i n a C h a n g i n g W o r l d , C i n c i n n a t i 1 9 9 6 , S . 2 1 9 ff. vgl. dazu B o n n s Exporthilfen gehen oft a m Mittelstand vorbei, in Handelsblatt, N r . 6 8 v o m 4 . 4 . 1 9 9 6 , S. 1 1

166

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

bei Messen und Ausstellungen94, Zuschüssen zu Patentgebühren95 und Kreditgarantien. 96 Die Exportabteilungen sind daher gut beraten, wenn sie sich auf eigene Stärken stützen und Schwächen, die zu Mißerfolgen führen, selbst ausgleichen oder abmildern. Um die jeweilige Situation oder Veränderungen im Zeitablauf zu ermitteln, sind Stärken- und Schwächenanalysen in festgelegten Zeitabständen zu erstellen. 5.2

Planung und Realisierung von Zielen

Die Beurteilung der Ergebnisse der Exportabteilung kann mit der Zielplanung erfolgen. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Ziele, die als Vorgaben in der Planung verwendet werden können. 97

Beispiele für Zielkriterien konkrete Angabe

Veränderung

Absatz in Mengeneinheiten

Absatzsteigerung

Umsatz in Geldeinheiten

Umsatzsteigerung

Marktanteil in %

Marktanteilssteigerung

Kapazitätsauslastung in %

Erhöhung der Kapazitätsauslastung

Kosten in D M

Kostensenkung

Deckungsbeitrag in D M

Erhöhung des Deckungsbeitrages

Gewinn in D M

Erhöhung des Gewinns

Umsatzrendite in %

Erhöhung der Umsatzrendite

Außenstände in Geldeinheiten

Reduzierung der Außenstände

Außerdem können Zielsysteme98 (Kennzahlensysteme) benutzt werden, in denen genannte und weitere Kriterien zusammengefaßt werden. Die Ziele der Exportabteilung können nach Produktgruppen, Produkten, Serviceleistungen, Ländergruppen und Ländern spezifiziert werden. Die Kontrolle der Ergebnisse der

94 95 96 97 98

vgl. Kleingruppenförderung N R W auf Auslandsmessen, i n Ostwestfalen International, Nr. 7 1 9 9 6 , S . 11 siehe B u n d gibt Zuschüsse z u Patentgebühren, Frankfurter A l l g e m e i n e Zeitung, N r . 110 v o m 1 1 . 5 . 1 9 9 6 , S. 14 siehe dazu: Kreditgarantien der E U für den Mittelstand, in Frankfurter A l l g e m e i n e Z e i t u n g , N r . 1 5 6 v o m 8. 7. 1 9 9 6 , S. 13 v g l . K . R o t h e r : a.a.O. S 2 5 ff. A . J. Fischer: E r f o l g r e i c h e T e c h n i k e n i m E x p o r t m a r k e t i n g , M ü n c h e n 1 9 7 3 , S . 5 5 ff. v g l . R . H ü n e r b e r g : I n t e r n a t i o n a l e s M a r k e t i n g , L a n d s b e r g 1 9 9 4 , S . 9 2 ff.

Wöller, Probleme von Exportabteilungen

Exportabteilung erfolgt durch Vergleich der Planzahlen mit den erreichten Istwerten der Planperiode. Dabei können Buchführung, Kostenrechnung (Kalkulationen, Deckungsbeitragsrechnung), Break-Even-Analysen, Lebenszyklusanalysen, Portfolios usw. als Instrumente eingesetzt werden. Die Kosten des Auslandsgeschäftes sind besonders sorgfaltig zu kontrollieren. Diese können wegen Unterschieden bei der Entfernung der Auslandsmärkte, bei Widerständen beim Markteintritt, bei Erfüllung von Sonderwünschen von Kunden, bei Leistungen der Vertriebsorganisation und der Hilfsbetriebe sowie bei der Risikopolitik in stark abweichender Höhe anfallen. Unerwartete Veränderungen auf den Auslandsmärkten erfordern, daß Zielsetzungen und Maßnahmen zur Zielerreichung ständig überprüft und revidiert werden durch • Anpassung der Ziele, • Anpassung der Maßnahmen oder • Anpassung der Ziele und Maßnahmen." Probleme bei Abweichungen vom Plan auf einem Auslandsmarkt sind in mittelständischen Unternehmen oft so zu lösen, daß diese durch Maßnahmen des internationalen Marketing in einem anderen Land ausgeglichen werden.

6.

Die Bedeutung von Exporten mittelständischer Unternehmen

Die Umsätze der Exportabteilungen mittelständischer Betriebe halten sich in der Regel bedingt durch die Größe in D M pro Jahr in überschaubaren Grenzen. Dennoch werden teilweise, insbesondere bei Weltmarktführern, hohe Exportquoten erreicht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mittelständische Unternehmen sich beim Export meist auf wenige Exportländer, insbesondere in Europa und Nordamerika beschränken. 100 Die Summe der Exportumsätze aller mittelständischen Unternehmen hat aber durchaus erhebliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Eine wichtige Aufgabe ist, die noch vorhandenen Umsatz- und Gewinnpotentiale des Auslandsgeschäftes in Zukunft stärker zu nutzen. Chancen dafür gibt es besonders in Asien und Osteuropa. 101

9 9 v g l . K . Rother: a.a.O. S. 2 8 100 vgl. U . Schwarting / M . Wittstock: Exportreserven mittelständischer Unternehmen 1981, Göttingen 1981 1 0 1 siehe A s i e n u n d O s t e u r o p a b l e i b e n Z u g p f e r d e des E x p o r t s , in H a n d e l s b l a t t , N r . 123 v o m 2 8 . 6 . 1 9 9 6 , S. 2 3

168

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Joachim Scholz-Ligma

Internationalisierung mittelständischer Unternehmen - Chancen und Risiken 1.

Einführung

Seit mehr als einem Jahrzehnt schreitet die Internationalisierung der deutschen Unternehmen unaufhaltsam voran. Die zweite Hälfte der achtziger und der Beginn der neunziger Jahre standen im Zeichen des "Managements der EuropaStrategie". 1 Fasziniert vom magischen Datum "Europa 1992" wurden die Unternehmensstrategien auf die Vollendung des Binnenmarktes ausgerichtet. Die neunziger Jahre sind - nach dem Zusammenbruch des Ostblocks - durch die wirtschaftlichen Reformen der mittel- und osteuropäischen Staaten gekennzeichnet. Das Aufstreben und die wirtschaftliche Dynamik der asiatischen Tigerstaaten scheint ungebrochen. Beide Entwicklungen bergen große Chancen und zugleich Herausforderungen für die Unternehmen der westlichen Industrieländer. Der Begriff "Globalisierung" scheint zum Schlüsselwort dieser Dekade zu avancieren. Welche Konsequenzen haben diese Entwicklungen für mittelständische Unternehmen?2 Werden sie Gewinner oder Verlierer der Internationalisierung und Globalisierung der Unternehmensaktivitäten sein? Diese Fragen lassen sich nicht mit einem einfachen 'Ja' oder 'Nein' beantworten. Oder anders ausgedrückt: Es wird unter den mittelständischen Unternehmen Gewinner und Verlierer geben. In diesem Beitrag sollen Wege für mittelständische Unternehmen aufgezeigt werden, die zur Erhöhung der Chancen beitragen können, sich auf der Gewinnerseite wiederzufinden.

1 2

vgl. Little, A . D . (Hrsg.) (1993): M a n a g e m e n t der Europa-Strategie, Wiesbaden. D i e folgenden A u s f ü h r u n g e n beziehen sich i m wesentlichen a u f mittlere u n d größere mittelständische U n t e r n e h m e n m i t e t w a 1 0 0 bis 2 . 0 0 0 Beschäftigten. A u f branchenspezifische U n t e r schiede in d e n G r ö ß e n s t r u k t u r e n soll nicht w e i t e r e i n g e g a n g e n w e r d e n . I n der Fachpresse w e r d e n z u n e h m e n d - insbesondere i m Z u s a m m e n h a n g m i t internationalen U n t e r n e h m e n s a k t i v ität e n - a u c h U n t e r n e h m e n m i t 5 . 0 0 0 u n d m e h r B e s c h ä f t i g t e n als M i t t e l s t ä n d l e r b e z e i c h n e t , u m diese Unternehmensgruppe gegenüber den international tätigen K o n z e r n e n abzugrenzen.

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

2.

Gründe für die geringe Internationalisierung ständischer Unternehmen

mittel-

Die Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit ist nicht nur eine Domäne der Großunternehmen. Laut einer aktuellen repräsentativen Befragung von 2.372 mittelständischen Unternehmen, sind 50% von ihnen im Auslandsgeschäft engagiert. 3 Jedoch geben nur 19,5% der befragten mittelständischen Unternehmen an, in starkem Umfang Auslandsgeschäfte zu betreiben. Zudem konzentriert sich das Auslandsengagement ganz überwiegend auf Exporte in die wachstumsschwachen westeuropäischen Märkte. Mittelständische Unternehmen tun sich offensichtlich schwer, die Chancen einer verstärkten Internationalisierung fur sich zu nutzen. Bereits 1981 beobachteten Kayser et al. eine weitgehende Zurückhaltung bei Auslandsengagements, insbesondere aufgrund massiver Informationsdefizite. 4 Diese Feststellung hat auch heute noch - zumindest teilweise - Gültigkeit. Auf dem Außenwirtschaftstag des Landes Nordrhein-Westfalen, am 22. Mai 1996 in Dortmund, äußerte der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammern in NRW, Hans-Georg Crone-Erdmann: "Wir können den Unternehmen bei der Erschließung ausländischer Märkte vielfältige Hilfen und Unterstützung anbieten. Wir nehmen die Unternehmen sozusagen an die Hand; auf Händen ins Ausland tragen können wir sie jedoch nicht". In der repräsentativen Umfrage der DG Bank 5 gaben lediglich 7% der befragten mittelständischen Unternehmen an, bereits Unternehmensteile ins Ausland verlagert zu haben; bei weiteren 4% existierten konkrete Planungen hierfür (vgl. Abb.

1).

3 4 5

vgl. D G Bank (1996): Konjunktur und Kapitalmarkt. Mittelstandsumfrage Frühjahr 1996, Frankfurt. v g l . K a y s e r , G . ; K i t t e r e r , B.J. e t al. ( 1 9 8 1 ) : I n v e s t i e r e n i m A u s l a n d , D e u t s c h e r I n d u s t r i e - u n d Handelstag Bonn. vgl. D G B a n k (1996): Konjunktur und Kapitalmarkt. Mittelstandsumfrage Frühjahr 1996, Frankfurt.

170

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Verlagerung geplant

Schon verlagert

4%

7%

Keine Verlagerung 81%

Abb. 1:

In ausländ. Besitz 8%

V e r l a g e r u n g v o n U n t e r n e h m e n s t e i l e n ins A u s l a n d n = 2 . 3 7 2 mittelständische Unternehmen Quelle: D G Bank (1996)

Die große Mehrheit der befragten Unternehmen betrachtet sich als zu klein für eine Internationalisierung; fast ein Viertel hat sich mit dieser Frage überhaupt noch nicht beschäftigt (vgl. Abb. 2). Das Internationalisierungspotential der mitelständischen Unternehmen scheint bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

Unternehmen ist zu klein

Noch nicht darüber nachgedacht

23%

Unzureichende Standortbedingungen

19%

Unsichere Rechtslage

4%

0%

A b b . 2:

5%

10%

Gründe gegen eine Verlagerung n = 2 . 3 7 2 mittelständische Unternehmen Quelle: D G Bank (1996)

15%

20%

25%

30%

35%

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Auch eine aktuelle Umfrage der Unternehmensberatung Schitag, Ernst & Young belegt die insgesamt schwach ausgeprägte Auslandsorientierung kleiner und mittlerer Unternehmen. 6 Viele Unternehmen befassen sich nicht oder nur unsystematisch mit einem möglichen Auslandsengagement. Wer im Inland gute Geschäfte tätigt, ist zu einem grenzüberschreitenden Engagement offensichtlich wenig bereit. Doch: auf welcher Grundlage soll ein 'going international· erfolgen, wenn nicht auf der Basis des Unternehmenserfolges im Inland? Nicht selten mangelt es kleinen und mittelständischen Unternehmen an internationaler Erfahrung, an mit Auslandsmärkten vertrautem Personal sowie an einer flexiblen Anpassungsbereitschaft an unterschiedliche Marktbedingungen. 7 Nach einer Untersuchung von Kumar 8 sind es in erster Linie knappe finanzielle und personelle Ressourcen, Zeitmangel, Risikoaversion und mangelndes Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Auslandsengagements, die mittelständische Unternehmen von der Gründung einer (Vertriebs-)Niederlassung in den USA abhalten. Nur wenige Mittelständler haben bisher erfolgreich den "großen Sprung" nach Asien bewältigt. "Im Gegensatz zu den deutschen Großkonzernen kämpfen die Mittelständler noch mit Markteintrittsthemen wie Marktverständnis, Produktanpassung, Partnerwahl und Aufbau eines Vertriebsnetzes." 9 Ein weiterer wichtiger Grund für den vergleichsweise geringen Internationalisierungsgrad mittelständischer Unternehmen liegt darin, daß die Hemmnisse auf dem Weg zur Internationalisierung, so das übereinstimmende Resultat aus vielfältigen empirischen Untersuchungen, in der Vorbereitungsphase meist überschätzt werden. 10 1 1 Sprachschwierigkeiten, der Umgang mit den lokalen Behörden sowie die fremde Mentalität stellen in der Vorbereitungs- und Startphase einer Auslandsinvestition erhebliche Probleme dar, werden aber von den meisten

6 7 8 9 10

11

vgl. M u n k e l t , I . ( 1 9 9 6 ) : G l o b a l Business für Mittelbetriebe. R i n g e n u m W e l t n i v e a u . In: absatzwirtschaft, N r . 4 / 9 6 , S. 3 2 - 3 7 . vgl. Meissner, H . G . ( 1 9 9 5 ) : Eintrittsstrategien a u f west- und osteuropäischen M ä r k t e n . I n : S c h o l z , C h . ; Z e n t e s , J. ( H r s g . ) , S t r a t e g i s c h e s E u r o - M a n a g e m e n t , S t u t t g a r t , S . 1 1 5 - 1 3 3 . vgl. K u m a r , B . N . ( 1 9 8 7 ) : Deutsche U n t e r n e h m e n in d e n U S A . D a s M a n a g e m e n t in a m e r i k a n i schen Niederlassungen deutscher Mittelbetriebe, Wiesbaden. o . V . ( 1 9 9 6 ) : D e r große Sprung nach Asien. In: Frankfurter A l l g e m e i n e Z e i t u n g v o m 11.6.96, S . B 2. vgl. K o c h , U . ( 1 9 8 9 ) : Z u s a m m e n s c h l u ß u n d Z u s a m m e n a r b e i t m i t U n t e r n e h m e n des E G A u s l a n d e s . In: P o e s c h e l R e p o r t 1, E G - B i n n e n m a r k t 1 9 9 2 . C h a n c e n u n d R i s i k e n für das m i t t e l ständische U n t e r n e h m e n , Stuttgart, S. 1 4 3 - 1 8 7 . v g l . W a l l d o r f , E . G . ( 1 9 8 7 ) : A u s l a n d s m a r k e t i n g . T h e o r i e u n d Praxis des A u s l a n d s g e s c h ä f t s , W i e s b a d e n , S. 3 3 8 .

172

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Unternehmen im nachhinein als weniger gravierend als zuvor angenommen bezeichnet. In empirischen Studien konnte mehrfach nachgewiesen werden, daß exportunerfahrene Unternehmen im Vergleich zu exporterfahrenen dem Auslandsgeschäft deutlich höhere Risikowerte zuweisen. 12 Obwohl im Zusammenhang mit Engagements in China immer wieder von Schwierigkeiten berichtet wird, würden sich laut einer im Auftrag des AsienPazifik-Ausschusses durchgeführten Unternehmensbefragung 81% der in China tätigen deutschen Unternehmer wieder für eine Investition in China entscheiden. 13 Zudem scheint vielfach die psychische Distanz zu den Auslandsmärkten größer als die physische. 14 Die Andersartigkeit der ausländischen Märkte läßt diese oft in subjektiv weite Ferne rücken. Die bereits 1986 als 'verkanntes Exporthemmnis' bezeichnete psychische Distanz 15 scheint sich gegenwärtig auch bei der Erschließung der asiatischen Märkte hemmend auszuwirken. Nach Einschätzung von Paul Strunk, dem Geschäftsführer der Deutsch-Thailändischen Handelskammer in Bangkok, haben deutsche Unternehmer und Manager mit der asiatischen Kultur und den Geschäftspraktiken derart große Probleme, daß sie möglichst schnell wieder von einer Dienstreise oder einem Auslandseinsatz nach Deutschland zurückkehren möchten. 16 Die vielfältigen Chancen werden offensichtlich nur unzureichend wahrgenommen. Die weit überwiegende Zahl von deutsch-indonesischen Unternehmenskooperationen basiert auf Initiativen der indonesischen Partner. Auf eine Vielzahl von Anfragen aus Indonesien haben deutsche Firmen äußerst abwartend oder gar nicht reagiert. 17 Eine umfassende Analyse über die Möglichkeiten deutscher Klein- und Mittelbetriebe, in Vietnam Joint Ventures zu errichten, kommt zu folgendem Ergebnis:

12

13 14 15

16 17

vgl. S i m p s o n , C . L . ; K u j a w a , D . ( 1 9 7 4 ) : T h e E x p o r t D e c i s i o n Process: A n E m p i r i c a l I n q u i r y . In: Journal o f International Business Studies, V o l . 5 (1), S. 1 0 7 - 1 1 7 ; K ö g l m a y r , H . - G . ; M ü l l e r , S . (1983): Das Exportverhalten mittelständischer Unternehmen: Eine Literaturübersicht. In: D e r M a r k t , N r . 8 8 , S. 1 5 0 - 1 5 5 . v g l . o . V . ( 1 9 9 6 ) : M i t t e l s t ä n d l e r h a b e n es i n C h i n a s c h w e r . I n : F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e Z e i t u n g v o m 3.7.96. v g l . M ü l l e r , S . ( 1 9 9 1 ) : D i e P s y c h e des M a n a g e r s als D e t e r m i n a n t e des E x p o r t e r f o l g e s , Stuttgart. vgl. M ü l l e r , S.; K ö g l m a y r , H . - G . ( 1 9 8 6 ) : D i e psychische D i s t a n z z u A u s l a n d s m ä r k t e n - E i n verkanntes Exporthemmnis. I n : Zeitschrift f ü r betriebswirtschaftliche Forschung Nr. 38/9, S. 7 8 8 - 8 0 4 . v g l . N ö l t i n g , A . ( 1 9 9 5 ) : D i e letzte C h a n c e . In: m a n a g e r m a g a z i n , A u g u s t 1 9 9 5 , S. 9 9 - 1 1 3 . vgl. o . V . ( 1 9 9 4 ) : Japan reagiert schneller. In: Handelsblatt v o m 7.12.94.

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

"Derzeit bietet sich für deutsche Unternehmen die einmalige Chance, sich auf dem vietnamesischen Markt zu etablieren" 18 . Nur: Deutschland steht mit einem Gesamtinvestitionswert von nur 112 Mio. US-$ im Zeitraum 1989 bis 1995 abgeschlagen auf Rang 16 der Investitionsländer. Mittelständische Unternehmen sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - mit Direktinvestitionen noch nicht vertreten, obwohl das große Reservoir deutschsprechender Vietnamesen einen überaus günstigen Standortfaktor darstellt. Das in den letzten Jahren rasant gewachsene Angebot an außenwirtschaftlichen Informationen hat - als unerwünschte Nebenwirkung - auch zu einer Informationsüberlastung gefuhrt. Es gibt zu viele allgemeine Informationen und zu wenig spezifische, die für den speziellen Entscheidungsprozeß des jeweiligen Unternehmens benötigt werden. 19 Die jüngste Entwicklung umfassender Internationaler-Marketing-Informationssysteme (IMIS) bietet neue, vielversprechende Lösungsansätze für die aufgezeigte Problematik. 20 Die wichtigsten Gründe, die einer (verstärkten) Internationalisierung entgegenstehen, sind in Abb. 3 im Überblick dargestellt.

Gründe für eine geringe Internationalisierung •

Informationsdefizite



"psychische Distanz" (kulturelle Fremdheit der Auslandsmärkte)



Eintrittsbarrieren und Risiken werden überschätzt



knappe finanzielle und personelle Ressourcen



unzureichende Kooperationsbereitschaft

A b b . 3: G r ü n d e für eine geringe Internationalisierung

Im verarbeitenden Gewerbe zeichnet sich jedoch ein deutlicher Trend hin zu einer verstärkten Internationalisierung ab. Von 328 befragten (überwiegend

18

19 20

Bullinger, H.-J.; Rieth, D.; N g u y e n , H . L . ; Ohlhausen, P.(1995): Deutsch-vietnamesische Joint Ventures. Aufbaumöglichkeiten f ü r klein- und mittelständische Unternehmen, Wiesbaden, S. 116. v g l . M ü l l e r , S . ( 1 9 9 1 ) : D i e P s y c h e des M a n a g e r s als D e t e r m i n a n t e des E x p o r t e r f o l g e s , Stuttgart, S. 3 1 3 . v g l . Stahr, G . ; B a c k e s , S. ( 1 9 9 5 ) : M a r k t f o r s c h u n g u n d I n f o r m a t i o n s m a n a g e m e n t i m internationalen Marketing. I n : Hermanns, Α . ; Wissmeier, U . K . (Hrsg.), Internationales MarketingM a n a g e m e n t , M ü n c h e n , S. 6 9 - 9 9 .

174

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

mittelständischen) Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Ostwestfalen haben 21% im Zeitraum von 1991 bis 1995 Unternehmensteile ins Ausland verlagert. 21 In den nächsten fünf Jahren planen 25% der befragten Unternehmen (weitere) Produktionsverlagerungen. Auch im IHK-Bezirk Osnabrück-Emsland planen rund ein Viertel der Betriebe des verarbeitenden Gewerbes Produktionsverlagerungen ins Ausland. 22 Die Branchen Fahrzeugbau, Bekleidung, Metall und Elektrotechnik erweisen sich als überdurchschnittlich auslandsorientiert. Während bei Verlagerungen in mittel- und osteuropäische Länder vor allem niedrige Produktionskosten ausschlaggebend sind, dominieren bei Investitionen in südostasiatische Länder marktstrategische Motive. In der bundesweiten Unternehmensbefragung des DIHT im Herbst 1993 zum Thema Produktionsverlagerung gaben 24% der befragten Industrieunternehmen an, in den letzten drei Jahren Produktionsverlagerungen ins Ausland vorgenommen zu haben; konkrete Planungen für Produktionsverlagerungen in den nächsten drei Jahren lagen bei 30% der Unternehmen vor. 2 3 Eine aktuelle Umfrage des DIHT bei 72 Auslands-Handelskammern bestätigt diesen Trend: Deutsche Unternehmen investieren verstärkt im Ausland, wobei die mittelständischen den Großbetrieben zunehmend nachfolgen. 24

3.

Chancen und Risiken der Internationalisierung

3.1

Chancen

Während größere Unternehmen von kostengünstigen Produktionsstandorten und wachstumsstarken Märkten im Ausland profitieren, besteht für mittelständische Unternehmen die Gefahr, Wettbewerbsnachteile zu erleiden. Ohne aktive Partizipation der mittelständischen Unternehmen an den neuen, internationalen

21

vgl. I H K Ostwestfalen z u Bielefeld (1995): Investitionen i m Ausland: Investitionsabsichten deutscher und ostwestfälischer Industrieunternehmen. Ergebnisse zweier Unternehmensbefragungen i m Herbst 1995, Bielefeld.

22 23

vgl. I H K O s n a b r ü c k - E m s l a n d (1993): Konjunkturumfrage 3. Quartal 1993, Osnabrück. v g l . D e u t s c h e r I n d u s t r i e - u n d H a n d e l s t a g ( 1 9 9 3 ) : P r o d u k t i o n s Verlagerungen i n s A u s l a n d . Ergebnisse einer Unternehmensbefragung, Bonn. Befragt wurden insgesamt 10.500 Unternehmen. vgl. o . V . (1996): I m m e r mehr deutsche Investitionen i m Ausland. In: Frankfurter A l l g e m e i n e Zeitung v o m 22.7.96.

24

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Marktchancen ist fur viele Unternehmen dieser Größenordnung die langfristige Existenzsicherung gefährdet. 25 Welche Ziele bzw. Chancen können für mittelständische Unternehmen mit einer (verstärkten) Internationalisierung im einzelnen verbunden sein? Die gegenwärtig wichtigsten Ziele und Motive sind: • Absatzorientierte Ziele: Erschließung neuer wachstumsstarker Märkte, Kundennähe, Senkung der Transportkosten, Umgehung von Zöllen und möglichen Importrestriktionen, Erbringung von Serviceleistungen vor Ort; • Einflußnahme wichtiger Großabnehmer auf Zulieferer und Dienstleister, an einem ausländischen Produktionsstandort präsent zu sein. So drohte das Volkswagenwerk in Shanghai vor vier Jahren: "Wenn die Deutschen nicht bald nach China kommen, werden wir unsere Aufträge an amerikanische und japanische Zulieferer vergeben." 26 • Produktions- und Kostenziele: Senkung der Lohn- und Lohnnebenkosten; • Beschaffungsorientierte Ziele: Erschließung kostengünstiger Bezugsquellen für Rohstoffe und Vorprodukte im Ausland (Global Sourcing). Die Verringerung der Fertigungstiefe durch Zukauf im Ausland wird beispielsweise derzeit von 48,5% der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Ostwestfalen praktiziert; rund 40% planen eine (weitere) Verringerung der Fertigungstiefe, so daß in den nächsten fünf Jahren fast 80% der Industrieunternehmen eine international ausgerichtete Einkaufspolitik betreiben werden. 27 Als weitere Ziele werden von den Unternehmen das Streben nach Synergieeffekten, Kooperation in Forschung und Entwicklung und Verringerung des Wechselkursrisikos genannt. In der aktuellen Umfrage der IHK Ostwestfalen dominieren mit 59% eindeutig Kostengründe gegenüber möglichen anderen Motiven für Direktinvestitionen (vgl. Abb. 4). Die zunehmende Internationalisierung ist vornehmlich Ausdruck einer eher defensiv orientierten Kostensenkungs- und nicht primär einer offensiven Markterschließungsstrategie.

25 26 27

vgl. Meissner, H . G . ( 1 9 9 5 ) : Eintrittsstrategien a u f west- u n d osteuropäischen M ä r k t e n . I n : S c h o l z , C h . ; Z e n t e s , J. ( H r s g . ) , S t r a t e g i s c h e s E u r o - M a n a g e m e n t , S t u t t g a r t , S . l 1 5 - 1 3 3 . Seidlitz, P . ( 1 9 9 6 ) : Selbst der A u d i w i r d in C h i n a kopiert. In: N e u e Osnabrücker Z e i t u n g v o m 27.4.96. vgl. I H K Ostwestfalen z u Bielefeld (1995): Investitionen i m Ausland: Investitionsabsichten deutscher u n d ostwestfälischer Industrieunternehmen fur 1 9 9 6 , Bielefeld.

176

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Sonstiges 6%

Kostengründe 59%

Abb. 4

3.2

Anschluß an Verlagerung wichtiger Kunden 22%

A u f b a u der A u s l a n d s m ä r k t e 13%

M o t i v e für Verlagerung n = 3 2 8 U n t e r n e h m e n des verarbeitenden G e w e r b e s Quelle: I H K Ostwestfalen zu Bielefeld (1995)

Formen der Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

Die neuen Tendenzen der Globalisierung verdeutlichen immer stärker, daß sich im Gegensatz zu früheren Jahren - die Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit nicht mehr nur in grenzüberschreitenden Warenlieferungen erschöpfen kann. Präsenz und Produktion vor Ort gewinnen insbesondere in den asiatischen Ländern immer mehr an Bedeutung, um von günstigen Produktionskosten zu profitieren und auf diesem Weg marktgerechte Angebote unterbreiten zu können. "Wenn die deutschen Firmen jetzt nicht ebenfalls verstärkt in Vorortfertigung investierten, würden sie die neuen Marktchancen schnell wieder verlieren." 28 Vielfach zwingen auch local content-Forderungen zu einer Produktion vor Ort. In China ist es erklärtes politisches Ziel, nur die Waren zu importieren, die nicht im Land selbst hergestellt werden können. 29 Erst eine Präsenz vor Ort schafft vielfach die Voraussetzung, das existierende Marktpotential besser auszuschöpfen. So steigerte beispielsweise die Fa. Bosch in Thailand innerhalb von vier Jahren nach Gründung einer eigenen Vertriebsniederlassung den Jahresumsatz von knapp 4 auf 46 Mill. D M . 3 0 Wer abwartet, bis das realisierte Umsatzvolumen eine eigene Niederlassung rechtfertigt, verhält

28 29 30

vgl. Pilz, C h . ( 1 9 9 5 ) : D e r Einkaufszettel B a n g k o k s wächst. In: Handelsblatt v o m 2.8.95. vgl. Heine, H . - G . (1993): Gelbe Gefahr oder Chance? In: Süddeutsche Zeitung v o m 6./7.11.93. vgl. Pilz, C h . ( 1 9 9 5 ) : D e r Einkaufszettel B a n g k o k s wächst. In: Handelsblatt v o m 2.8.95.

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

sich zu passiv und gefährdet in einem dynamisch wachsenden Markt mittel- und langfristig seine Position. Im folgenden werden Markterschließungsstrategien dargestellt, die sich insbesondere für mittelständische Unternehmen anbieten, da sie sich mit begrenzten finanziellen Ressourcen realisieren lassen. Im einzelnen: - Gründung einer Vertriebsrepräsentanz allein oder in Kooperation mit Partnerunternehmen; nur durch die Präsenz vor Ort läßt sich beispielsweise im Maschinen- und Anlagenbau ein leistungsfähiger After-Sales-Service (Kundendienst) gewährleisten. Zur Verbesserung der Ausgangsbasis sollte im Vorfeld eines stärkeren Auslandsengagements die Möglichkeit zur Kooperation mit anderen Firmen geprüft werden. In Betracht kommen in erster Linie nicht direkte Konkurrenten, sondern Anbieter sich ergänzender Produkte (Komplementärgüter). Neben dem Vorteil der Kosten- und Risikoteilung besteht die Möglichkeit, ein komplettes Leistungsbündel anzubieten. Ein aktuelles, erfolgversprechendes Beispiel: Fünf mittelständische Hersteller von Präzisionswerkzeugen kooperieren bei der Markterschließung in Asien. Gemeinsam betreiben Sie ein Verbindungsbüro mit einem gemeinsamen Markt- und Vertriebskoordinator in Singapur (German Precision Tools Cooperation). 31 Zu den Aufgaben des Koordinators zählen das Ausloten der Marktchancen sowie der Aufbau von Kontakten zu Händlern und potentiellen Kunden. Nach zwei Jahren ist die Gründung einer gemeinsamen Vertriebsgesellschaft geplant. - Gründung eines Joint Venture mit einem oder mehreren ausländischen Partnerunternehmen - Kooperation mit ausländischen Unternehmen / Bildung strategischer Allianzen; als "Türöffner" und zur Komplettierung fehlender eigener Kompetenzen wie z.B. lokale Marktkenntnis sowie aufgrund begrenzter personeller und finanzieller Ressourcen sind Kooperationen mit ausländischen Unternehmen - nach sorgfältiger Partnerwahl - häufig unumgänglich. "Ohne lokale Partner in Politik und Wirtschaft sind erfolgreiche Geschäfte in Asien nicht möglich", so das zentrale Ergebnis des dritten Europa-Ostasien-Forums in Singapur 1994. 32 Als weitere Formen eines Auslandsengagements ohne umfangreiche Direktinvestitionen sind die Auftragsproduktion im Ausland sowie die internationale Lizenzvergabe hervorzuheben. Für viele Länder (z.B. China, Indien) wird jedoch

31 32

v g l . M u n k e l t , I . ( 1 9 9 6 ) : R i n g e n u m W e l t n i v e a u . In: a b s a t z w i r t s c h a f t 4 / 9 6 , S. 3 2 - 3 7 . o . V . ( 1 9 9 4 ) : E i n z e l k ä m p f e r sind in A s i e n u n e r w ü n s c h t . In: H a n d e l s b l a t t v o m 1 3 . 1 0 . 9 4 , S. 8 .

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Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

vor einer leichtfertigen Lizenzvergabe gewarnt, da Schutzrechtsverletzungen weitverbreitet und durch mittelständische Unternehmen juristisch in vielen Fällen nicht wirksam verfolgt werden können. Zahlreichen mittelständischen Unternehmen sind diese vielfältigen Markterschließungsformen offensichtlich nicht präsent genug. Aufgrund mangelnder eigener Erfahrung in der Kooperation mit anderen Unternehmen und der Bearbeitung ausländischer Märkte überwiegt zudem große Skepsis. Man sieht Aufgaben einer neuen, bisher nicht gekannten Komplexität auf sich zukommen. Die Risiken erscheinen überdimensional, die Gewinnchancen werden erst in weiter (zeitlicher) Ferne sichtbar. Die im Rahmen von Unternehmenskooperationen erforderliche Abstimmung von Entscheidungen mit einem Partner wird nicht selten als Verlust oder zu starke Einschränkung der unternehmerischen Freiheit betrachtet. Auch für Unternehmen, die nicht selbst im Ausland aktiv werden möchten, eröffnen sich durch die Globalisierungstendenzen neue Chancen. Deutsche mittelständische Unternehmen können sich ausländischen Unternehmen als Kooperationspartner anbieten, die in den deutschen Markt eintreten möchten; auch aus einer derartigen Kooperation lassen sich neue unternehmerische Perspektiven ableiten. Die Deutsch-Japanische Gesellschaft berichtet von zahlreichen japanischen mittelständischen Unternehmen, die an der Kooperation mit deutschen Unternehmen Interesse zeigen. 33 Stellt die vielgepriesene und mittelständischen Unternehmen häufig empfohlene Konzentration auf eine Marktnische eine Alternative zur Markterschließung im Ausland dar? Hier scheint Vorsicht geboten: Die äußerst instruktive Analyse der Strategien und Erfolge der "Hidden Champions" 34 von Hermann Simon zeigt deutlich, daß sich häufig erst aus der Kombination von Nischen- und globaler Strategie ein überdurchschnittlicher Unternehmenserfolg erreichen läßt. Der Gefahr, daß eine Nische zu eng wird, kann durch eine Ausweitung des Marktareals wirksam begegnet werden. Kostensenkungen durch Größendegression und Erfahrungskurveneffekte werden durch eine globale Orientierung auch für den Nischenanbieter möglich. Alle von Simon untersuchten mittelständischen Weltmarktführer verfügen beispielsweise über eine eigene Vertriebsniederlassung in den USA, 80% in den wichtigsten europäischen Ländern und über 50% in Japan.

33 34

vgl. Vettel, K . ; Krischek, M . ( 1 9 9 4 ) : Deutsch-Japanische Kooperationen. O p t i o n für den M i t telstand, Deutsch-Japanische Gesellschaft, Saarbrücken. vgl. Simon, H . (1996): D i e heimlichen G e w i n n e r - H i d d e n Champions: Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktfuhrer, Frankfurt/Main.

Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

3.3

Risiken

Den enormen Chancen auf ausländischen Märkten stehen erhebliche Risiken gegenüber. Diesen Risiken sind auch Großunternehmen ausgesetzt, doch sind die möglichen negativen Auswirkungen für ein mittelständisches Unternehmen ungleich gravierender, vielleicht sogar existenzgefährdend. Fehlschläge sind insbesondere bei unzureichender Vorbereitung eines Auslandsengagements zu erwarten (vgl. hierzu auch Punkt 4.) Als Risiken sind hervorzuheben: • Finanzielles Verlustrisiko, • know-how-Verlust, • zu starke Belastung der (knappen) Personalressourcen durch komplizierte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse mit ausländischen Kooperationspartnern sowie • Gefahr der "Verzettelung" bei gleichzeitiger Erschließung einer größeren Zahl von Auslandsmärkten. Auch wenn die Risiken vielfach im Vorfeld eines Auslandsengagements überschätzt werden, dürfen die besonderen Probleme und Anforderungen nicht vernachlässigt werden; immerhin scheitern nach empirischen Schätzungen rund 30 60% aller Joint Ventures. 35 Jedoch können auch mit dem Verzicht auf ein Auslandsengagement erhebliche Nachteile verbunden sein. So wird berichtet, ein indonesischer Produzent von Stofftieren sei mit dem Anliegen an die Firma Steiff herangetreten, ein Gemeinschaftsunternehmen zu gründen. Diese Anfrage wurde nicht einmal beantwortet; mittlerweile werden 50% der indonesischen Produktion nach Deutschland, vor allem in die neuen Bundesländer, exportiert. 36

4.

Empfehlungen für die konkrete Vorgehensweise

Aus den vorliegenden Erfahrungsberichten über erfolgreiche und gescheiterte Auslandsengagements sowie aus empirischen Untersuchungen lassen sich zahlreiche konkrete Empfehlungen ableiten, um die Erfolgschancen zu erhöhen.

35 36

v g l . E i s e l e , J. ( 1 9 9 5 ) : E r f o l g s f a k t o r e n d e s J o i n t V e n t u r e - M a n a g e m e n t , W i e s b a d e n . o . V . : ( 1 9 9 4 ) : Japan reagiert schneller. In: Handelsblatt v o m 7.12.94.

180 4.1

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Entwicklung einer Internationalisierungsstrategie

Was mittelständischen Unternehmen offensichtlich häufig fehlt, ist eine systematische Internationalisierungsstrategie. Es dominiert das sogenannte 'muddlingthrough'. 37 Wie könnte eine solche strategische Orientierung aussehen? -

-

-

37 38 39

Präzise Zielformulierung fur das Auslandsengagement, abgeleitet aus den Unternehmenszielen; systematische Länderselektion, um sicherzustellen, daß die begrenzten finanziellen Mittel in den attraktivsten Ländermärkten eingesetzt werden. Als Analyseinstrumente können Checklisten, Scoring-Modelle (Punktbewertungsverfahren) oder Ländermarkt-Portfolios eingesetzt werden. Dem Eintritt in ausländische Märkte geht bislang vielfach kein systematischer Länderselektionsprozeß voraus. 38 Zufallskontakte und subjektiv-persönliche Kriterien erweisen sich nicht selten als ausschlaggebend.39 Neben den politischrechtlichen und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen sollten auch die Marktchancen (Marktpotential, Kundenpräferenzen, Wettbewerbsintensität) sorgfältig analysiert werden; systematische, kriteriengeleitete Auswahl der Markteintrittsstrategie; starre Grundsätze wie "Export statt Lizenzvergabe" erweisen sich zunehmend als überholt; vielmehr ist ein flexibel einzusetzendes Potpourri von unterschiedlichsten Markterschließungs- und -bearbeitungsformen erforderlich; systematische Partnerwahl, um das bei etwa 50% liegende Risiko des Scheiterns einer Unternehmenskooperation zu reduzieren; gerade bei Joint Ventures in osteuropäischen Ländern muß sorgfältig geprüft werden, ob möglicherweise ein ineffizientes Management, ein zu hoher Personalbestand und veraltete Produktionsanlagen überhaupt eine mittelfristige Gewinnerwartung zulassen. Insbesondere sollte ein überstürztes Engagement mit einem dem Unternehmen unbekannten ausländischem Partner vermieden werden.

vgl. Miesenböck, K.J. (1988): Kritische Variable i m Internationalisierungsprozeß v o n Kleinu n d M i t t e l b e t r i e b e n . In: der m a r k t , N r . 1 0 4 , S. 2 5 - 3 5 . v g l . Q u a c k , H . ( 1 9 9 5 ) : I n t e r n a t i o n a l e s M a r k e t i n g , M ü n c h e n , S. 1 8 2 - 1 8 3 . vgl. Rueß, A . ( 1 9 9 5 ) : R u n d u m die Kirche. Deutsches Bier genießt i n der ganzen W e l t einen guten Ruf, doch die Traditionalisten verpassen die C h a n c e n i m Ausland. In: Wirtschaftswoche N r . 17 v o m 2 0 . 5 . 9 5 . D i e Investitionsentscheidung der Fa. W a r s t e i n e r für eine B r a u e r e i i n A r g e n t i n i e n w i r d m i t der Stabilität des L a n d e s u n d d e m g r o ß e n M a r k t p o t e n t i a l begründet. D o c h : " W a s letztendlich aber w i r k l i c h den Ausschlag für den Staat m i t 3 3 M i l l i o n e n E i n w o h n e r n gab, w a r e n persönliche K o n t a k t e des Inhabers A l b e r t C r a m e r " (S. 64).

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4.2

Unterstützung durch vielfaltige Angebote zur Beratung und finanziellen Förderung

Die vielfältigen Beratungs- und Finanzhilfen für Auslandsgeschäfte, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, können im Rahmen dieses Beitrags nicht dargestellt werden. Auf zwei neue, beachtenswerte Serviceangebote soll jedoch aufmerksam gemacht werden. Das im Juni 1995 eröffnete Deutsche Haus (German Center) in Singapur beherbergt 104 deutsche, überwiegend mittelständische Unternehmen. Kostengünstig können von den Unternehmen Räume, Service- und Beratungsleistungen in Anspruch genommen werden. Mittlerweile stehen über 40 Mieter auf der Warteliste; weitere 5.000 deutsche Unternehmen haben bereits ihr Interesse durch Anfragen bekundet. 40 Neben Singapur und Shanghai ist die Einrichtung weiterer deutscher Häuser in Peking, Seoul, Jakarta, Bangkok und Bombay geplant. 41 Gemeinsam mit der IHK Düsseldorf haben 15 deutsche Unternehmen einen Firmenpool in der Ukraine gegründet. Ein gemeinsam finanziertes Büro mit einem lokalen Experten übernimmt Aufgaben im Bereich Marktanalyse, Kontaktanbahnung, Übersetzungen und Kundenpflege. 42 Eine erste empirische Evaluation hat ergeben, daß der Firmenpool eine kostengünstige und effiziente Markterschließungsmöglichkeit fur die beteiligten Unternehmen darstellt 4 3 Das Land Nordrhein-Westfalen wird die Bildung weiterer Firmenpools unterstützen, um mittelständischen Unternehmen den kostengünstigen Eintritt in schwierige Ländermärkte zu erleichtern. 44 Weiterhin wird die seit Jahren intensiv genutzte und je nach Unternehmensgröße bis zu 70% durch das Land Nordrhein-Westfalen bezuschußte Exportberatung angeboten.45 Hervorzuheben sind zudem die Finanzierungsangebote der DEG (Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbh), die im Auftrag der

40 41 42 43

44 45

v g l . R o h m u n d , S. ( 1 9 9 5 ) : D e u t s c h e s H a u s in S i n g a p u r a u f Erfolgskurs. In: H a n d e l s b l a t t N r . 115 v o m 19.6.95. vgl. o . V . ( 1 9 9 6 ) : A u c h deutsche Mittelständler müssen i n A s i e n fertigen. In: Frankfurter A l l gemeine Zeitung v o m 26.6.96. vgl. M i n i s t e r i u m für Wirtschaft u n d Mittelstand, T e c h n o l o g i e u n d V e r k e h r des L a n d e s N o r d r h e i n - W e s t f a l e n ( 1 9 9 6 ) : H i n w e i s e u n d T i p s für Auslandsgeschäfte, Düsseldorf, 5. A u f l a g e . vgl. M e i s , G . ( 1 9 9 5 ) : Außenwirtschaftsförderung für mittel ständische U n t e r n e h m e n i n schwier i g e n M ä r k t e n a m B e i s p i e l des K o n z e p t e s F i r m e n p o o l U k r a i n e . F a c h h o c h s c h u l e D ü s s e l d o r f , unveröffentlichte Diplomarbeit. vgl. M i n i s t e r i u m für W i r t s c h a f t u n d Mittelstand, T e c h n o l o g i e u n d V e r k e h r ( H r s g . ) ( 1 9 9 6 ) : Finanzierungshilfen für Auslandsgeschäfte, Düsseldorf. v g l . M i n i s t e r i u m ftir W i r t s c h a f t u n d M i t t e l s t a n d , T e c h n o l o g i e u n d V e r k e h r ( H r s g . ) ( 1 9 9 6 ) : Finanzierungshilfen für Auslandsgeschäfte, Düsseldorf.

182

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Bundesregierung mittelständische Investoren beim Markteintritt in Mittel- und Osteuropa unterstützen soll. 4 6 4.3

Unternehmensinterne Maßnahmen

Die Erfolgswahrscheinlichkeit eines Auslandsengagements läßt sich durch eine professionalisierte Vorgehensweise deutlich steigern. Hierzu zählen: - realistische Einschätzung des erforderlichen Zeitbedarfs; zwischen Planung und laufendem Produktionsbetrieb in Osteuropa werden beispielsweise von der Unternehmensberatung Arthur D. Little etwa 33 Monate veranschlagt; - Beginn einer Unternehmenskooperation mit peripheren Projekten; keine Weitergabe von "existenziellem" know-how an einen ausländische Partner in der Startphase; - realistische Einschätzung der erforderlichen finanziellen Ressourcen. So wird bei der Erschließung des japanischen Marktes der Break-even meist erst nach fünf bis sieben Jahren erreicht. 47 Aber nicht nur in Asien, sondern auch in Osteuropa dauert es meist länger als angenommen, bis sich ein Engagement auszahlt, so das zentrale Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little. 4 8 Auch die zusätzlich im Stammhaus entstehenden Kosten, z.B. für Entsendung von Expatriates (Stammhausdelegierten), Schulung der Mitarbeiter, Bindung von Managementkapazitäten, Reisezeiten und -kosten werden vielfach unterschätzt. - Bereitstellung ausreichender Personalressourcen (in quantitativer und qualitativer Hinsicht): Unternehmen, die beispielsweise ihr China-Geschäft "nebenbei" aufbauen wollen, scheitern mit hoher Wahrscheinlichkeit 49 . Die Führungskräfte sollten z.B. durch interkulturelle Trainings rechtzeitig auf einen Auslandseinsatz vorbereitet werden. Mangelndes interkulturelles Verständnis ist der häufigste Grund für das Scheitern deutsch-chinesischer Joint Ventures. Neben Unkenntnis spielt auch Überheblichkeit eine Rolle, so das Ergebnis einer Studie der Gesellschaft zur Förderung der Weiterbildung

46 47 48

49

vgl. o . V . (1994): I m m e r mehr deutsche Firmen prüfen Investitionen vor Ort. In: Handelsblatt v o m 31.8.94. vgl. Vettel, K . ; Krischek, M . ( 1 9 9 4 ) : Deutsch-Japanische Kooperation. O p t i o n für den M i t t e l stand. Deutsch-Japanische Gesellschaft, Saarbrücken. vgl. Deutsch, C h . ( 1 9 9 6 ) : Skalp riskieren. B e i Produktionsverlagerungen nach Osteuropa überschätzen die U n t e r n e h m e n oft die K o s t e n v o r t e i l e . In: W i r t s c h a f t s w o c h e N r . 14 v o m 4 . 4 . 9 6 , S. 1 0 8 - 1 1 1 . v g l . o . V . ( 1 9 9 6 ) : M i t t e l s t ä n d l e r h a b e n es i n C h i n a s c h w e r . I n : F r a n k f u r t e r A l l g e m e i n e Z e i t u n g v o m 3. Juli 1996.

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-

-

4.4

(gfw). 5 0 Westliche Unternehmer erwarten nicht selten, daß sich Chinesen an westliche Geschäftspraktiken und Verhaltensmuster anpassen. In interkulturellen Trainings werden anhand von Workshops, Fallstudien und Rollenspielen typische Verhandlungs- und Kommunikationssituationen "geprobt". Der Mittelständler Kärcher, Weltmarktführer im Marktsegment der Hochdruckreiniger, investiert rund 60.000 D M Vorbereitungskosten für einen in der Regel drei Jahre dauernden Auslandseinsatz. Zur etwa sechsmonatigen Vorbereitung zählen Sprachkurse, interkulturelle Trainings sowie vorbereitende Reisen. 51 Sofern die personellen Ressourcen für ein Auslandsengagement nicht ausreichen, ist die Rekrutierung auslandserfahrener Mitarbeiter zu prüfen. Stärkere Beachtung der "weichen" Einflußfaktoren wie Unternehmenskultur und Führungsstil bei der Wahl eines ausländischen Kooperationspartners; in einer umfassenden empirischen Studie wurde festgestellt, daß rund die Hälfte aller Joint Ventures scheitert. Die Erfolgschancen steigen signifikant an, wenn der Formalisierungsgrad der Organisation, die Führungsstile sowie die Unternehmenskulturen der beteiligten Partner kompatibel sind. 5 2 Eine Untersuchung über die Gründe des Scheiterns deutsch-japanischer Joint Ventures bestätigt dieses Ergebnis. 53 Inkompatibilitäten der Unternehmenskulturen sind mit 57% der mit Abstand häufigste Grund für ein Joint Venture-Versagen. Erhöhung der Kooperationsbereitschaft; vielfach scheitern internationale Unternehmenskooperationen zwischen mittelständischen Unternehmen bereits in der Vorbereitungsphase am blockierenden Verhalten der "Patriarchen". 54 Kooperation mit (Fach-)Hochschulen

Praxisorientierte Diplomarbeiten können den Internationalisierungsprozeß mittelständischer Unternehmen unterstützen und konkrete Entscheidungshilfen bieten. Studierende, die an der Fachhochschule Bielefeld das betriebswirtschaftliche Schwerpunktfach Außenwirtschaft wählen, erwerben Kenntnisse auf

50 51 52 53 54

vgl. N e u m e y e r , Ch. (1995): Vorbereitung a u f C h i n a läßt z u wünschen übrig. In: Handelsblatt (Beilage Karriere) v o m 778.7.95. v g l . R i e k e r , J. ( 1 9 9 5 ) : K l e i n e s V o r b i l d . W a r u m M i t t e l s t ä n d l e r K ä r c h e r L e g i o n ä r e g u t v o r b e r e i t e n m u ß . I n : m a n a g e r m a g a z i n , 7 / 9 5 , S. 1 3 2 - 1 3 5 . v g l . E i s e l e , J. ( 1 9 9 5 ) : E r f o l g s f a k t o r e n d e s J o i n t V e n t u r e - M a n a g e m e n t , W i e s b a d e n . vgl. Vettel, K . ; Krischek, M . ( 1 9 9 4 ) : Deutsch-Japanische Kooperationen. O p t i o n für den M i t telstand. Deutsch-Japanische Gesellschaft, Saarbrücken. vgl. M u n k e l t , I . ( 1 9 9 6 ) : R i n g e n u m W e l t n i v e a u . G l o b a l Business für Mittelbetriebe. In: abs a t z w i r t s c h a f l 4 / 9 6 , S. 3 2 - 3 7 .

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allen Gebieten der internationalen Geschäftstätigkeit. Ein Teil dieser Studierenden absolviert darüber hinaus zwei Auslandssemester und ein Praktikum im Ausland. Dieses breite know-how fließt in die Anfertigung praxisorientierter Diplomarbeiten ein und führt in vielen Fällen zu einer kompetenten Bearbeitung der Aufgabenstellung. Im folgenden werden Thematik und Ergebnisse von sechs praxisorientierten Diplomarbeiten 55 , die in den Jahren 1994/95 an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Wirtschaft, angefertigt wurden, beispielhaft vorgestellt. • Auf der Grundlage einer umfassenden Analyse der politischen, rechtlichen, kulturellen sowie volks- und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der VR China wurde einem mittelständischen Unternehmen der Bekleidungsindustrie die Markterschließung mit direkten Exporten empfohlen. Die Lizenzvergabe erschien aufgrund möglicher und weitverbreiteter Schutzrechtsverletzungen als zu risikoreich. Der Gründung eines Produktions-Joint Venture standen mangelhafte Rohstoffqualitäten sowie zu hohe finanzielle Risiken entgegen56 • Zur Intensivierung der Marktbearbeitung in den ASEAN-Staaten wurde einem mittelständischen Maschinenbauunternehmen die Gründung einer eigenen Vertriebsniederlassung in Malaysia nahegelegt. Nach erfolgreicher Steigerung des Absatzvolumens in den ASEAN-Ländern könnte zu einem späteren Zeitpunkt die Errichtung einer eigenen Produktionsstätte erwogen werden, um kostengünstigere, für den asiatischen Markt adaptierte Produkte herzustellen. 57 • Aufgrund noch instabiler wirtschaftlicher Bedingungen und begrenzter Investitionsmittel wurde für den Markteintritt in Vietnam der direkte Export (konkret: Handelsvertreter) empfohlen. Es gilt, frühzeitig auf einem neuen Markt präsent zu sein, ohne eine zu hohe Kapitalbindung und ein zu hohes Investitionsrisiko einzugehen. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Diplomarbeit eine Checkliste zur zielgerichteten Auswahl eines geeigneten Handelsvertreters sowie Ansätze für die Ausgestaltung des absatzpolitischen Instrumentariums entwikkelt. 5 8

55 56

57

58

A u s G r ü n d e n der zugesicherten G e h e i m h a l t u n g können konkrete Details sowie die Firmennam e n nicht genannt werden. vgl. F r e u n d , A . ( 1 9 9 5 ) : Entscheidungshilfen für die M a r k t e r s c h l i e ß u n g der V R C h i n a für ein mittelständisches U n t e r n e h m e n der Bekleidungsindustrie. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. vgl. Schmauderer, D . (1995): Marktchancen und Marktbearbeitungsstrategien in den A S E A N Staaten - dargestellt a m Beispiel eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. v g l . Z a c h a r i a s , J. ( 1 9 9 5 ) : M a r k e t O p p o r t u n i t i e s a n d R e c o m m e n d a t i o n s o n E n t r y i n t o t h e V i e t namese Market. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit.

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• Ungeachtet der bekannten Negativfaktoren - wie langsam voranschreitende Privatisierung, ungeklärte Eigentumsverhältnisse, schwerfällige Bürokratie, Sprach- und Mentalitätsunterschiede - würde sich die große Mehrzahl der im Rahmen einer Diplomarbeit befragten deutschen Maschinen- und Anlagenbauunternehmen wieder fur eine Investition in der Tschechischen Republik entscheiden. Die befragten Unternehmen beabsichtigen, ihr Engagement in der CR in Zukunft weiter zu steigern. 59 • Mittelständische Betriebe können ihre Erfolgschancen bei einer Produktionsverlagerung in die mittel- und osteuropäischen Staaten durch systematische Vorbereitung (im konkreten Fall drei Jahre) sowie durch sorgfältige Auswahl eines Kooperationspartners bzw. des zu akquirierenden Unternehmens deutlich verbessern. 60 • In einer umfangreichen Befragung von Unternehmen wurde deutlich, daß weiterhin erhebliche interkultureller Konflikte zwischen deutschen und französischen Führungskräften bestehen. Unterschiede in der Mentalität, in der Arbeitsweise, im Führungsstil und Hierarchieverständnis belasten die deutschfranzösische Unternehmenskooperation. Erstaunlicherweise lösen sich diese interkulturellen Probleme zwischen deutschen und französischen Führungskräften nicht mit der Dauer der Zusammenarbeit. Auffällig sind zudem die als unzureichend zu betrachtenden Maßnahmen, mit denen die Unternehmen ihre Mitarbeiter auf einen Auslandseinsatz vorbereiten. Einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der aufgezeigten Konflikte können interkulturelle Trainings leisten. Darüber hinaus wird die Bildung unternehmensinterner, international besetzter Projektteams empfohlen. 61

5.

Schlußbetrachtung

Gerade die bekannten Stärken der mittelständischen Unternehmen wie kurze Entscheidungswege und Improvisationsvermögen können sich auch bei der Internationalisierung positiv auswirken. Die mit einer geringeren Unternehmensgröße verbundenen Nachteile können zumindest teilweise ausgeglichen werden.

59

vgl. M a r z i a n , C . (1994): Markteintrittsstrategien deutscher Unternehmen i n der Tschechischen R e p u b l i k - dargestellt a m B e i s p i e l des M a s c h i n e n - u n d A n l a g e n b a u s . F a c h h o c h s c h u l e B i e l e feld, unveröffentlichte Diplomarbeit.

60

vgl. K u n z e , P. (1994): Standortdiversifikation deutscher Unternehmen durch Investitionen i n der Tschechischen R e p u b l i k unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen R a h m e n b e d i n g u n g e n . Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. vgl. T r a u b , C h . ( 1 9 9 5 ) : Interkulturelle K o n f l i k t e u n d ihre A u s w i r k u n g e n a u f die Z u s a m m e n a r beit französischer und deutscher Führungskräfte. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit.

61

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Die Aussage des Geschäftsführers der Brauerei Beck, Josef Hattig, "Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen", hat auch hier Gültigkeit. 62 Positiv wird sich auch die immer deutlicher geforderte bessere Koordination und Bündelung der Außenwirtschaftsförderung zwischen den Bundesländern, der Bundesregierung sowie der EU auswirken. Der interministerielle Ausschuß leistet hierzu bereits einen wichtigen Beitrag. Staatliche Hilfen können aber nur als Initialzündung dienen und eine Anschubflnanzierung leisten. Das unternehmerische Engagement und die unternehmerische Risikobereitschaft können sie keinesfalls ersetzen. Angesichts extrem angespannter öffentlicher Haushalte ist zudem mit einer Kürzung der finanziellen Mittel zu rechnen; so werden einzelne Bundesländer in Zukunft keine Zuschüsse mehr für Auslandsmessebeteiligungen gewähren. Die deutschen Unternehmen, insbesondere die mittelständischen, stehen vor neuen Herausforderungen. Daher: Mehr Mut zum "kalkulierten" Risiko!

Literatur: Bullinger, H.-J.; Rieth, D.; Nguyen, H.L.; Ohlhausen, P. (1995): Deutsch-vietnamesische Joint Ventures. Aufbaumöglichkeiten für klein- und mittelständische Unternehmen, Wiesbaden, S. 116. Deutsch, Ch. (1996): Skalp riskieren. Bei Produktionsverlagerungen nach Osteuropa überschätzen die Unternehmen oft die Kostenvorteile. In: Wirtschaftswoche Nr. 14 vom 4.4.96, S. 108-111. Deutscher Industrie- und Handelstag (1993): Produktionsverlagerungen ins Ausland. Ergebnisse einer Unternehmensbefragung, Bonn. DG Bank (1996): Konjunktur und Kapitalmarkt. Mittelstandsumfrage Frühjahr 1996, Frankfurt. Eisele, J. (1995): Erfolgsfaktoren des Joint Venture-Management, Wiesbaden. Freund, A. (1995): Entscheidungshilfen für die Markterschließung der VR China für ein mittelständisches Unternehmen der Bekleidungsindustrie. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. Heine, H.-G. (1993): Gelbe Gefahr oder Chance? In: Süddeutsche Zeitung vom 677.11.93. IHK Osnabrück-Emsland (1993): Konjunkturumfrage 3. Quartal 1993, Osnabrück.

62

v g l . o . V . ( 1 9 9 4 ) : D i e schnellen B r a u e r e i e n fressen die l a n g s a m e n . In: Frankfurter A l l g e m e i n e Zeitung v o m 16.4.94.

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IHK Ostwestfalen zu Bielefeld (1995): Investitionen im Ausland: Investitionsabsichten deutscher und ostwestfalischer Industrieunternehmen. Ergebnisse zweier Unternehmensbefragungen im Herbst 1995, Bielefeld. Kayser, G.; Kitterer, B.J. et al. (1981): Investieren im Ausland, Deutscher Industrie- und Handelstag Bonn. Koch, U. (1989): Zusammenschluß und Zusammenarbeit mit Unternehmen des EG-Auslandes. In: PoeschelReport 1, EG-Binnenmarkt 1992. Chancen und Risiken für das mittelständische Unternehmen, Stuttgart, S. 143-187. Köglmayr, H.-G.; Müller, S. (1983): Das Exportverhalten mittelständischer Unternehmen: Eine Literaturübersicht. In: Der Markt, Nr.88, S. 150-155. Kumar, B.N. (1987): Deutsche Unternehmen in den USA. Das Management in amerikanischen Niederlassungen deutscher Mittelbetriebe, Wiesbaden. Kunze, P. (1994): Standortdiversifikation deutscher Unternehmen durch Investitionen in der Tschechischen Republik unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. Little, A.D. (Hrsg.) (1993): Management der Europa-Strategie, Wiesbaden. Marzian, C. (1994): Markteintrittsstrategien deutscher Unternehmen in der Tschechischen Republik - dargestellt am Beispiel des Maschinen- und Anlagenbaus. Fachhochschule Bielefeld, unveröffentlichte Diplomarbeit. Meis, G. (1995): Außenwirtschaftsforderung für mittelständische Unternehmen in schwierigen Märkten am Beispiel des Konzeptes Firmenpool Ukraine. Fachhochschule Düsseldorf, unveröffentlichte Diplomarbeit. Meissner, H.G. (1995): Eintrittsstrategien auf west- und osteuropäischen Märkten. In: Scholz, Ch.; Zentes, J. (Hrsg.), Strategisches Euro-Management, Stuttgart, S. 115-133. Miesenböck, K.J. (1988): Kritische Variable im Internationalisierungsprozeß von Klein- und Mittelbetrieben. In: der markt, Nr. 104, S. 25-35. Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (1996): Hinweise und Tips für Auslandsgeschäfte, Düsseldorf, 5. Auflage. Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Technologie und Verkehr (Hrsg.) (1996): Finanzierungshilfen für Auslandsgeschäfte, Düsseldorf. Müller, S. (1991): Die Psyche des Managers als Determinante des Exporterfolges, Stuttgart. Müller, S.; Köglmayr, H.-G. (1986): Die psychische Distanz zu Auslandsmärkten - Ein verkanntes Exporthemmnis. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Nr. 38/9, S. 788-804. Munkelt, I. (1996): Global Business für Mittelbetriebe. Ringen um Weltniveau. In: absatzwirtschafit, Nr. 4/96, S. 32-37.

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Scholz-Ligma, Internationalisierung mittelständischer Unternehmen

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Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

Ekkehard Eistert*

Private Ausfuhrkreditversicherungen für kleine und mittlere Unternehmen Kleine und mittlere Unternehmen sind die deutlich vorherrschenden Unternehmensgrößen in der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Stärkung der Europäischen Union und der allgemein fortschreitenden Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit fuhren auch kleine, aber insbesondere mittlere Unternehmen immer mehr Auslandsgeschäfte durch. Für den Abschluß von Außenhandelsgeschäften werden die Zahlungsmodalitäten zunehmend ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Von ausländischen Abnehmern werden verstärkt Zahlungsziele nachgefragt. Damit steigt das Risikopotential fur die Exporteure, auch weil in einigen Ländern Insolvenzen von Unternehmen ein relativ hohes Niveau haben. Dem Risikomanagement von Exportforderungen kommt aus diesen Gründen eine immer größere Bedeutung in den Unternehmen zu.

1.

Versicherte Risiken in der Ausfuhrkreditversicherung

In der Ausfuhrkreditversicherung beschäftigen sich die Versicherer mit der Risikolage aus dem grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr. Gegen die dabei drohenden Kreditrisiken soll den am Außenwirtschaftsverkehr teilnehmenden inländischen Firmen Deckungsschutz gewährt werden. 1 Die private Ausfuhrkreditversicherung wird in Literatur und Praxis auch oft als Exportkreditversicherung, Warenkreditversicherung oder Kreditversicherung fur Waren und Dienstleistungen im Außenhandel bezeichnet. Der grundsätzliche Inhalt dieser Bezeichnungen ist aber derselbe wie bei der Ausfuhrkreditversicherung . Die Ausfuhrkreditversicherung deckt das Risiko eines Forderungsausfalles des Exporteurs ab, falls bei seinem Abnehmer die Zahlungsunfähigkeit eintritt (Delkredereversicherung). Der deutsche Exporteur kann sich aber auch gegen das Risiko eines Zahlungsverzuges seines Abnehmers versichern. Bei diesem vorgezogenen Versicherungsfall (protracted default) bleibt die Bezahlung der

* 1

Herrn Rainer Artelt (cand. Dipl. Betriebswirt) danke ich für seine Mitarbeit. Vgl. Farny, DJ Helten, E./ Kock, Ρ./ Schmidt, R, ( Hrsg. ) Handwörterbuch der Versicherung, Karlsruhe, 1988, S. 177.

Eistert, Private Ausfhrkreditversicherungen

Forderung zum Fälligkeitszeitpunkt durch den ausländischen Schuldner aus und die Entschädigung durch die Versicherung erfolgt hier relativ frühzeitig nach einer gewissen Karenzzeit. Bestimmte Risiken des Exportgeschäftes werden von den deutschen Ausfuhrkreditversicherungen jedoch ausgeschlossen, dazu gehören vor allem politische Risiken, die durch Krieg, Revolution etc. verursacht werden, aber auch Konvertierungs-, Transfer- und Zahlungsverbote sowie Moratorien (KTZM- Risiken). Gleichfalls wird das Wechselkursrisiko des Exporteurs bei Fremdwährungsforderungen nicht mitversichert. Hier kann der Exporteur z.B. mit Devisenterminoder Devisenoptionsgeschäften eine gesonderte Wechselkurssicherung vornehmen.2 Private Ausfuhrkreditversicherungen gibt es für Unternehmen aller Größenklassen. Speziell für kleinere Unternehmen haben die Versicherungsgesellschaßen besondere Angebote entwickelt, wie z.B. die sogenannte Europa-Police oder die Warenkreditversicherung. Dabei geht es um eine verbundene Versicherung, die Deckungsschutz für Inlands- und Auslandsforderungen von Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis zu D M 4 Mio. gewährt. Die Versicherungsgesellschaften nehmen ausschließlich das Gesamtumsatzgeschäft und nicht nur Einzelgeschäfte eines Exportunternehmens in Deckung. Probleme kann es geben, wenn Großgeschäfte mit einem Volumen von D M 100 Mio. und mehr gedeckt werden sollen.

2.

Gesellschaften für Ausfuhrkreditversicherungen

Ausfuhrkreditversicherungen werden Exportunternehmen von folgenden Versicherungsgesellschaften mit Hauptsitz in Deutschland angeboten: • • • • •

Gerling- Konzern Speziale Kreditversicherungs- AG, Köln Hermes Kreditversicherungs- AG, Hamburg Allgemeine Kreditversicherung AG, Mainz Zürich Kautions- und Kreditversicherungs- AG, Frankfurt a.M. Gothaer Credit Versicherung AG, Köln

Es werden hauptsächlich Exportgeschäße in OECD- Länder (westeuropäische Staaten, sowie USA, Kanada, Iapan, Neuseeland, Australien) und in einge-

2

Vgl. Eistert, E., Auf was mittelständische Unternehmen bei der Finanzierung ihres Auslandsgeschäfts achten müssen, in: Das erfolgreiche Auslandsgeschäft, Handbuch für internationales Marketing, hrsg. von P.G. Durniok, Köln 1987. Teil 4.3.5.

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Eistert, Private Ausfhrkreditversicherungen

schränkten! Maße auch in Staaten Mitteleuropas (Tschechische Republik, Polen, Ungarn), sowie in Schwellenländer (Israel, Brasilien, Südkorea) von den privatwirtschaftlichen Versicherungsgesellschaften in Deckung genommen. Im Bereich der Ausfuhrkreditversicherung gibt es die staatlichen und die privaten Anbieter. Bei den staatlichen Ausfuhrkreditversicherungen der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um die sog. „Hermes Deckungen". In diesem Bereich tritt die Hermes Kreditversicherungs-AG als Mandatar der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Unterschied zwischen der staatlichen und der privaten Ausfuhrkreditversicherung beruht auf dem Subsidiaritätsprinzip. Danach soll der Staat nur dort eingreifen, wo die Privatwirtschaft bestimmte Funktionen nicht übernehmen kann.3 Die staatliche Ausfuhrkreditversicherung in Deutschland versichert hauptsächlich Exportgeschäfte in Länder außerhalb der OECD mit langfristigen Zahlungszielen, sowie unter Einschluß des politischen Risikos. Neben der deutschen Ausfuhrkreditversicherung gibt es auch noch staatliche und private Ausfuhrkreditversicherungen im Ausland, denen sich deutsche Exportunternehmen in bestimmten Fällen zur Absicherung ihrer Auslandsgeschäfte bedienen können. Hier bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede sowohl bei den Versicherungskonditionen, als auch bei den grundsätzlichen Versicherungsmöglichkeiten. Unter anderem sind hier die „Trade Indemnity" in England, die P.A.R.I.S. in Frankreich, sowie die ÖKV in Österreich zu nennen, die auch das politische Risiko mitversichern. Aufgrund der Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union können private Versicherungsgesellschaften, die ihren Hauptsitz in Deutschland haben, in allen Ländern der EU für die dort ansässigen Unternehmen tätig werden. Hier bestehen gute Versicherungsmöglichkeiten für ausländische Töchter deutscher Unternehmen, denn die deutsche Muttergesellschaft kann eine multinationale Versicherungspolice abschließen und dadurch für ihre gesamten Tochtergesellschaften innerhalb der EU den gleichen Service und vor allem einheitliche Versicherungsbedingungen vereinbaren. 4 Betrachten wir nun wichtige Aspekte der privaten Ausfuhrkreditversicherungen im Hinblick auf die Risikoabsicherung der Exportgeschäfte, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen.

3 4

Vgl. Eistert, E., Reform der staatlichen Exportkreditversicherung, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Frankfurt 2/94, S. 22 ff. Vgl. Meyer, B., Ausfuhrisikoabdeckung privater Kreditversicherer, Dokumentation des BDI zur Fachtagung „Exportkreditversicherung und Exportfinanzierung vor neuen Herausforderungen", Köln 1993, S. 48 f.

Eistert, Private Ausfhrkreditversicherungen

3.

Der Versicherungsvertrag in der Ausfuhrkreditversicherung

Bei der privaten Ausfuhrkreditversicherung ist die übliche Vertragsform der Mantelvertrag, wonach alle Auslandsforderungen des Exportunternehmens oder nur bestimmte Kategorien (z.B. bestimmte Länder oder Produktbereiche) gegen das wirtschaftliche Risiko abgesichert werden sollen. Hier besteht die sog. Andienungspflicht, d.h. das Exportunternehmen hat der Versicherungsgesellschaft alle im Versicherungsvertrag festgelegten Forderungen an seine ausländischen Abnehmer anzubieten. Hiermit wird eine Streuung der Risiken erreicht bzw. eine Selektierung von guten und schlechten Risiken durch das Exportunternehmen verhindert. Das deutsche Exportunternehmen kann aber auch eine untere Anbietungsgrenze mit der Versicherungsgesellschaft vereinbaren, bei der es seine Exportforderungen nur ab einem bestimmten, vertraglich vereinbarten Mindestbetrag versichert (z.B. D M 10.000 oder D M 20.000).5 Es hat dann das Ausfallrisiko bei diesen kleineren Forderungsbeträgen selbst zu tragen, was wegen der meist breiten Streuung und der geringen Quantitäten risikopolitisch möglich ist. Private Ausfuhrkreditversicherungen decken Lieferantenforderungen aus Warenlieferungen und Dienstleistungen unter Einschluß von Montage- und Speditionsleistungen. Das vereinbarte Zahlungsziel kann bis zu 12 Monaten reichen, wobei allerdings in den meisten Fällen die Grenze bei 4 bis 6 Monaten liegt. In Fällen des Fabrikationsrisikos beträgt die äußerste Grenze 24 Monate. Bei längerfristigen Zahlungszielen kann der Exporteur den Abschluß einer Investitionsgüterkreditversicherung beantragen. Die Exportforderungen dürfen nicht durch Zession (Abtretung durch den Berechtigten) erworben werden, sondern sie müssen aus dem regelmäßigen Geschäftsbetrieb des Exporteurs stammen, um versichert werden zu können Außerdem müssen die Forderungen rechtlich begründet und fakturiert sein. Ferner kommen als Abnehmer des Exporteurs nur gewerbliche Unternehmen - vom Handwerksbetrieb bis hin zu staatlichen Unternehmen mit privater Rechtsform für die Versicherungsgesellschaften in Frage. Öffentliche Abnehmer, wie z.B. Behörden, sind nicht versicherbar. Für den Exporteur als Versicherungsnehmer erfolgt stets eine Risikobeteiligung. Neben den nicht mitversicherten Nebenforderungen, wie beispielsweise die Verzugszinsen und Vertragsstrafen, kommen die Versicherungsgesellschaften

5

Vgl. Häberle, S., Handbuch der Außenhandelsfinanzierung, München 1994 S.465 ff.

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Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

auch nicht für etwaige Schadensersatzforderungen oder für die Kosten einer eventuellen Rechtsverfolgung auf. Am bedeutsamsten ist jedoch die Selbstbeteiligung, wonach der Exporteur von jedem Schaden - je nach Vereinbarung im Versicherungsvertrag - 25% bis 35% selbst zu tragen hat. In sog. „Partnerschaftsverträgen" (hier ist das wichtigste Ziel für den Exporteur die Informationsbeschaffung über die Kreditwürdigkeit seiner Kunden) oder bei überdurchschnittlich hoher Risikoeinschätzung der Forderungen durch die Versicherung kann die Selbstbeteiligung bis zu 50% betragen. Die Verträge für Ausfuhrkreditversicherungen können von beiden Parteien flexibel ausgehandelt werden. Einen Spielraum für individuelle Vereinbarungen bieten dabei zahlreiche Punkte •

die Eingrenzung der zu versichernden Forderungen auf bestimmte Kundengruppen, Länder oder Unternehmensbereiche • die Anbietungsgrenzen, Höchsthaftungsgrenzen, Serviceleistungen • die Ausdehnung der Deckung auf bereits bei Versicherungsabschluß bestehende Forderungen • die Prämienhöhe u.a.m. Der Versicherungsvertrag kann demnach also auf die individuellen Wünsche und vor allem finanziellen Möglichkeiten, besonders der kleinen und mittleren Unternehmen, zugeschnitten werden.

4.

Bonitätsprüfung beim Abnehmer und Dienstleistung des Versicherers

Für Exporteure ist der Abschluß einer Ausfuhrkreditversicherung ein wichtiges Instrument des Risikomanagements. Die Schadensvorsorge der Ausfuhrkreditversicherung beinhaltet dabei folgende drei Komolexe: • • •

Informationsbeschaffung Risikoanalyse Risikotransfer

Die Schadensprophylaxe der Versicherung enthält somit Dienstleistungsfunktionen und die Delkrederefunktion. Der Exporteur meldet zur Übernahme des Versicherungsrisikos der Kreditversicherungsgesellschaft seine Abnehmer oberhalb der eventuell festgelegten Anbietungsgrenze. In einem schriftlichen Antrag (Vordeklaration) werden die Firmen-

Eistert, Private Ausfhrkreditversicherungen

bezeichnung, Anschrift und das Kreditlimit genannt, das sich nach den bisherigen oder erwarteten maximalen Forderungsaußenständen richtet. 6 Im Anschluß daran prüft der Versicherer intensiv die Bonität der einzelnen Kunden des Exporteurs. Dazu nutzt er eine Reihe von Informationsquellen, wie z.B. Auskünfte von ausländischen Kreditversicherungsgesellschaften (i.d.R. sind dies Kooperationspartner der ICIA- International Credit Insurance Association), sowie von Banken, von gewerblichen Auskunfteien und von anderen Versicherten über das Zahlungsverhalten des Exporteurkunden. Außerdem werden Geschäftsberichte des Abnehmers ausgewertet, Selbstauskünfte eingeholt und in Einzelfällen sogar Kreditgespräche mit dem Abnehmer gefuhrt. Die Bonitätsprüfung stellt für die Versicherungsgesellschaft die Grundlage für die Deckungsentscheidung dar und zwar für jeden einzelnen Kunden des Exporteurs. Für die Deckungsentscheidung gibt es drei Möglichkeiten: (1)

Festlegung der beantragten Versicherungssumme fur den jeweiligen Abnehmer und Übernahme in die laufende Kreditüberwachung.

(2)

Teilannahme der beantragten Versicherungssumme mit anschließender Kreditüberwachung.

(3)

Ablehnung der beantragten Versicherungssumme insgesamt bei übermäßig schlechter Bonität.

Über die getroffene Entscheidung ergeht unverzüglich eine Kreditmitteilung an den Exporteur. Das Exportunternehmen kann bei kleineren Forderungsbeträgen, Größenordnung ähnlich Anbietungsgrenze, auch eine sog. Pauschaldeckung (unbenannte Versicherung) abschließen, allerdings muß es hier selbst die Bonität seiner Kunden nach genau vorgegebenen Kriterien überprüfen. Bei dieser Selbstprüfung dürfen dem Exporteur keine Umstände bekannt sein, die eine Krediteinräumung an seinen Kunden nicht rechtfertigen würden. Ferner kann bei „alten Kunden" eine genau spezifizierte, ordnungsgemäße Zahlungsweise in der Vergangenheit und bei „neuen Kunden" eine zweifelsfreie Beurteilung durch eine gewerbliche Auskunftei verlangt werden. Die Versicherungsgesellschaft überprüft ständig die im Vertrag aufgenommenen Kunden des Exporteurs auf eine mögliche Insolvenzgefährdung. Durch diese Kreditüberwachung werden die Informationen über die wirtschaftliche Situation

6

Vgl. Pütz, H., Vorteile privater Exportkreditversicherungen, in: Das neue Export- Handbuch, Bd. 2, Freiburg 1984, S. 46.

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Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

der Abnehmer des Exporteurs kontinuierlich auf den neuesten Stand gebracht. Sollten sich Veränderungen in der Bonitätsbeurteilung des Abnehmers ergeben, werden die Versicherungssummen für weitere Geschäfte mit diesem Abnehmer entsprechend nach oben oder unten angepaßt. Tritt eine übermäßig schlechte Bonitätsentwicklung beim Abnehmer ein, so könnte im schlimmsten Fall der gesamte Versicherungsschutz für weitere Geschäfte mit diesem Kunden aufgehoben werden. Bei der ständigen Kreditüberwachung wird dem Versicherungsnehmer nicht nur die Ablehnung oder die Gewährung des Versicherungsschutzes mitgeteilt, sondern der Exporteur wird umfassend über die wirtschaftliche und finanzielle Situation seines Abnehmers, insbesondere über eingetretene Veränderungen informiert. Dadurch kann er sich in seinem Geschäftsverhalten auf die neue Situation einstellen. Hiermit wird deutlich, daß die Versicherungsgesellschaft als Evidenzzentrale auftritt und u.U. als Frühwarnsystem wirkt, wovon das Exportunternehmen profitieren kann.

5.

Das Entschädigungsverfahren beim Ausfall der Forderung

Trotz bestmöglicher Informationen und Vorsichtsmaßnahmen kann es jedoch zu Forderungsausfällen kommen. Die private Ausfuhrkreditversicherung gewährt in diesem Fall den im Versicherungsvertrag festgelegten Risikoschutz gegen Zahlungsunfähigkeit des Exporteurkunden. Die Zahlungsunfähigkeit des Abnehmers gilt im allgemeinen bei Vorliegen eines der nachfolgend aufgeführten Ereignisse als eingetreten: • • • • • •

Erzielung eines außergerichtlichen Quoten- oder Liquidationsvergleichs mit sämtlichen Gläubigern Vereinbarung einer Warenrücknahme wegen Insolvenzgefahr (Ersatz von Mindererlös bei Verwertung der Ware) Zwangsvollstreckung beim Abnehmer durch den versicherten Lieferanten ohne volle Befriedigung Eröffnung des Konkursverfahrens oder Ablehnung mangels Masse Eröffnung des gerichtlichen Vergleichsverfahrens Aussichtslosigkeit von Zwangsmaßnahmen zur Erreichung einer Zahlung aufgrund nachgewiesener ungünstiger Umstände

Regelungen über den Zeitpunkt der Entschädigungszahlung finden sich im Versicherungsvertrag. Danach erfolgt drei Monate nach Eintritt des Versicherungsfalls normalerweise eine vorläufige Berechnung und Leistung der Entschädi-

Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

gung. Die exakte und endgültige Abrechnung wird nach Abschluß des Insolvenzverfahrens und Verwertung der Sicherheiten vorgenommen. Zwischen der Fälligkeit der Exportforderung und dem Eintritt des Versicherungsfalls aufgrund von Zahlungsunfähigkeit kann ein langer Zeitraum liegen, wodurch sich negative Konsequenzen insbesondere auf die Liquidität des Exportunternehmens ergeben können. Dieses Problem wird durch den Einschluß des protracted default vermindert, da dann z.B. sechs Monate nach Fälligkeit der Forderung vorläufig geleistet wird, ohne daß der Insolvenzfall eingetreten sein muß. Endgültig wird auch hier erst nach Abschluß des Insolvenzverfahrens abgerechnet. Bei der Berechnung des Entschädigungsbetrages wird vom Ausfall des vereinbarten Forderungsumfangs ausgegangen, wobei die bereits erwähnten Nebenforderungen jedoch nicht berücksichtigt werden. Vom Entschädigungsbetrag werden Erlöse aus der Verwertung von eventuellen Sicherheiten (z.B. Eigentumsvorbehalt) abgezogen. Letztlich wird die Selbstbeteiligung des Versicherten in Höhe des vereinbarten Prozentsatzes in Rechnung gestellt. Da in der Ausfuhrkreditversicherung eine Wechselkursversicherung nicht eingeschlossen ist, erfolgt die Entschädigung bei Fremdwährungsforderungen auf der Basis des aktuellen Mittelkurses der betreffenden Währung an der Frankfurter Devisenbörse. Ein höherer Kurs als bei Fakturierung ist jedoch ausgeschlossen, wodurch Wechselkursgewinne des Exporteurs verhindert werden. Im Versicherungsvertrag wird meist eine Höchstentschädigung festgesetzt. Diese beträgt innerhalb eines Versicherungsjahres in der Regel das Zwanzigfache der vom Exporteur zu zahlenden Jahresprämie. Dieser Standardwert hat zur Folge, daß der Exportumsatz des Versicherten nur in einer Größenordnung von maximal ca. 10% abgesichert ist. In manchen Fällen (z.B. bei stark verschiedenartiger Kundenstruktur) ist für den Exporteur eine Erweiterung der Höchsthaftung gegen Zahlung einer höheren Prämie erwägenswert.

6.

Kosten der Ausfuhrkreditversicherung

Die bei der Inanspruchnahme einer Ausfuhrkreditversicherung anfallenden Kosten richten sich nach dem von der Versicherungsgesellschaft übernommenen Risiko, das von den spezifischen Gegebenheiten des Exportunternehmens abhängt. Wie schon für die übrigen Vereinbarungen im Versicherungsvertrag, so können auch bei den Kosten der Versicherung individuelle Regelungen zwischen dem Exporteur und der Versicherung getroffen werden.

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Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

Wichtige Bestandteile fur die Prämienhöhe in der Ausfuhrkreditversicherung sind: • • • • • • •

die Branche des Versicherten das Umsatzvolumen des Exportunternehmens die Anzahl und Bonität der Abnehmer die Länderstreuung der Exporte bisherige Forderungsausfälle durchschnittliche Kreditlaufzeit die Vereinbarung von Sicherheiten

Die konkrete Berechnungsgrundlage fur die Versicherungsprämie ist entweder der Exportumsatz des Versicherungsnehmers p.a. oder der am Ende eines Monats offenstehende Forderungssaldo des Exporteurs. Die Prämiensätze verschiedener Versicherungsangebote differieren beträchtlich: von 0,35 bis 0,55% bei der Basis Umsatz p.a. bzw. 1,1 bis 1,7 %o beim Forderungssaldo p.m. Zwischen beiden Berechnungsmethoden bestehen enge Zusammenhänge wie folgendes Beispiel zeigt: Bei einem angenommenen Exportumsatz von D M 10 Mio. und einem Prämiensatz von 0,45 % p.a. (zuzüglich Versicherungssteuer) ergibt sich eine Jahresprämie von D M 45.000. Alternativ könnte beim monatlichen Forderungssaldo ein Satz von 1,5 %o p.m. zugrunde gelegt werden. Angenommen die Abnehmer des Exporteurs zahlen durchschnittlich nach 90 Tagen, so würde sich ein durchschnittlicher Bestand an Exportforderungen von D M 2,5 Mio. ergeben. Die auf dieser Grundlage berechnete Versicherungsprämie würde dann ebenfalls eine Höhe von D M 45.000 zuzüglich Versicherungssteuer im Jahr ergeben. Wenn tatsächlich ein Ausfall von Forderungen beim Exportunternehmen stattgefunden hat, fuhrt dies i.d.R. im nächsten Versicherungsjahr zur Einstufung in eine höhere Prämienklasse mit gestiegenen Sätzen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Möglichkeit einer Prämienrückvergütung bei Schadensfreiheit. Außerdem legen die Versicherungsgesellschaften wert auf die Vereinbarung einer „garantierten Prämie". Danach garantiert der Versicherungsnehmer dem Versicherer eine Mindestprämie pro Versicherungsjahr. Auch hier gibt es wiederum Verhandlungsspielraum. Mindestprämien können bei Angeboten deutscher Ausfuhrkreditversicherungen zwischen D M 10.000 und D M 25.000 p.a. liegen. Die Versicherungsgesellschaften erheben fur die Erstprüfung und die ständige Überwachung der Abnehmer eine gesonderte jährliche Kreditprüfungsgebühr. So werden für die Überprüfung eines ausländischen Abnehmers i.d.R. D M 125 berechnet. Einige Versicherungsgesellschaften bieten eine EDVunterstützte

Eistert, Private Ausfihrkreditversicherungen

Bearbeitung von Kreditprüfungen an; in diesem Fall liegt die Kreditprüfungsgebühr erheblich niedriger. Letztlich wird auch in der Ausfuhrkreditversicherung noch die Versicherungssteuer berechnet. Prämien und Gebühren unterliegen dieser Steuer in der jeweils gültigen Prozenthöhe.

7.

Empfehlungen für kleine und mittlere Exportunternehmen

Bei Betrachtung der Vor- und Nachteile einer Ausfuhrkreditversicherung stellt sich vor allem für kleine und mittlere Exportunternehmen die Frage, ob der Abschluß einer derartigen Versicherung per Saldo sinnvoll ist. Am Anfang ist zu prüfen, ob die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Ausfuhrkreditversicherung vorliegen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, wie sich die Kundenstruktur des Exportunternehmens darstellt, insbesondere in welche Länder primär geliefert wird. Private Ausfuhrkreditversicherungen kommen hauptsächlich zur Absicherung von wirtschaftlichen Risiken bei Exporten in OECD-Länder in Betracht, in eingeschränktem Maße auch in Staaten Mitteleuropas und in Schwellenländer. Kleine und mittlere Unternehmen müssen also schon ein Mindestmaß von Exportgeschäften in diese Länder aufweisen. Vorteile bei der Inanspruchnahme einer privaten Ausfuhrkreditversicherung sind für Exportunternehmen primär in folgenden Punkten zu sehen: •







Schutz von Rentabilität und Liquidität vor Forderungsausfällen: Hierbei sind allerdings die im Versicherungsvertrag festgelegten Grenzen des Risikoschutzes zu beachten. Beschaffung von qualifizierten Informationen für die Kreditprüfung und Kreditüberwachung der Abnehmer: Diese Dienstleistung der Versicherung dürfte gerade für kleine und mittlere Unternehmen mit relativ geringen Stabsfunktionen von großer Bedeutung sein. Marketingvorteile: Der zunehmenden Nachfrage der Abnehmer nach Zahlungszielen kann nach Abschluß einer Ausfuhrkreditversicherung u.U. in einem größeren Maße entsprochen werden. Erweiterung des Kreditspielraums: Die Kreditwürdigkeit eines Exportunternehmens steigt mit dem Abschluß einer Ausfuhrkreditversicherung durch die Verringerung des Risikopotentials. Im Falle der Abtretung von Forderungen erhöht sich durch die Versicherung der Wert der Kreditsicherheit und damit

200

Eistert, Private Ausfiihrkreditversicherungen

der Kreditspielraum bei Banken, was ebenfalls fur kleine und mittlere Unternehmen häufig ein besonders wichtiger Vorteil sein dürfte. Diesen positiven Aspekten einer Ausfuhrkreditversicherung stehen die nicht unerheblichen Kosten dieser Versicherung gegenüber. Die Abwägung der Vorteile mit den Kosten sollte individuell für das jeweilige Exportunternehmen durchgeführt werden, um so zu einer Entscheidung für den Einzelfall zu kommen. Dabei sind auch Überlegungen miteinzubeziehen, wie die Versicherungsprämien durch Vereinbarungen bezüglich Anbietungsgrenze, Pauschaldeckung, Selbstbeteiligungshöhe u.a.m. gesenkt werden können. Wegen der beträchtlichen Konditionenunterschiede verschiedener Versicherungsgesellschaften sollten auch kleine und mittlere Unternehmen Konkurrenzangebote einholen. Unbedingt sollten dem Abschluß einer privaten Ausfuhrkreditversicherung aber intensive Verhandlungsgespräche zwischen dem Exportunternehmen und der Versicherungsgesellschaft vorausgehen. Schließlich ist daran zu erinnern, daß es für das Risikomanagement von Exportforderungen neben der Ausfuhrkreditversicherung auch noch weitere Instrumente gibt. Zu denken ist dabei im Zusammenhang mit kurzfristigen Außenhandelsfinanzierungen 7 u.a. an Export-Factoring, Forfaitierung und Dokumenten-Akkreditive. Kleine und mittlere Unternehmen sollten sich dazu von Fachleuten ihrer Kreditinstitute beraten lassen.

7

Vgl. Eistert, E., Kurzfristige Bankkredite im Außenhandel: Die maßgeschneiderte Finanzierung, in: Bankkaufmann, Fachmagazin für Bankpraxis und Bankmanagement, Wiesbaden 3/90. S. 21 ff.

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

201

Jürgen Bührens

Existenzgründung und Existenzsicherung mittelständischer Unternehmen durch öffentliche Finanzierungshilfen 1.

Grundbegriffe

Existenzgründer sind natürliche Personen, die ihre wirtschaftliche Existenz auf ihre neu aufgenommene selbständige Tätigkeit im Bereich der Unternehmen oder der Freien Berufe gründen, d.h. die selbständige Tätigkeit soll eine nachhaltige tragfähige Vollexistenz gewährleisten. Existenzgründung ist also an die Gründerperson gebunden. Es kann sich dabei um die Gründung eines privaten Unternehmens oder einer freiberuflichen Existenz oder um deren Erwerb bzw. Übernahme handeln. Existenzgründungen werden dem wirtschaftlichen Mittelstand zugerechnet. Die folgenden Ausführungen sollen sich bei den Existenzgründungen vorwiegend auf den Bereich der Unternehmen konzentrieren. In diesem Bereich sind sie als eine spezielle Gruppe von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) anzusehen. Die Europäische Kommission legte im Frühjahr 1996 eine Definition des Wortes K M U vor. Laut Europäischer Kommission darf ein mittleres Unternehmen höchstens 250 Beschäftigte zählen und einen Jahresumsatz von maximal 40 Mio. Ecu oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 27 Mio. Ecu aufweisen. Gleichzeitig dürfen nicht mehr als 25 % des Eigenkapitals oder der Stimmanteile im Besitz von Unternehmen sein, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Bei einem kleinen Unternehmen sind die Beschäftigtenzahl auf 50 und der Jahresumsatz auf maximal 7 Mio. Ecu oder die Jahresbilanzsumme auf höchstens 5 Mio. Ecu begrenzt. Die angegebene Definition hat für die Mitgliedsstaaten den Charakter einer Empfehlung, d.h. die Mitgliedsstaaten können K M U nach eigenen Kriterien definieren. Die Abgrenzung ist für die Inanspruchnahme öffentlicher Finanzierungshilfen von Bedeutung, da öffentliche Finanzierungshilfen im Unternehmensbereich insbesondere K M U gewährt werden. Das gilt auch für etablierte KMU. Öffentliche Finanzierungshilfen in diesem Bereich sollen als Maßnahmen der Existenzsicherung verstanden werden. Es ist zu erwarten, daß die Europäische

202

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Kommission in Zukunft Fördermöglichkeiten von der Erfüllung der oben genannten Größenkriterien abhängig machen wird. Die aktuellen Förderprogramme auf allen Ebenen gehen von ζ. T. unterschiedlichen Größenanforderungen an Umsatz, Beschäftigtenzahl und dergleichen aus. Öffentliche Finanzierungshilfen stellen Subventionen dar, die insbesondere bei Kreditfinanzierungen eine im Vergleich zur marktmäßigen Finanzierung verbilligte Beschaffung von Kapital fur den Antragsteller ermöglichen oder ohne die eine hinreichende Beschaffung von Kapital nicht erreicht werden kann. Die Rechtfertigung von Finanzierungshilfen hängt von den Zielen bei der Gewährung von Finanzierungshilfen ab.

2.

Wirtschafts- und sozialpolitische Ziele bei der Gewährung von Finanzierungshilfen

Finanzierungshilfen sind notwendig und zweckmäßig, „wenn der Markt keine oder zu wenig Fremdkapitalien oder zu teure Kredite für solche Finanzierungsvorhaben zur Verfugung stellt, die zur Realisierung öffentlicher Ziele wesentliche Beiträge leisten könnten" 1 . In solchen Fällen überträgt die öffentliche Hand den Leistungsempfängern finanzielle Mittel in Form von zinsgünstigen Krediten oder erleichtert ihnen den Zugang zu finanziellen Mitteln des Marktes über Schuldendiensthilfen und Bürgschaften. Als übergeordnete gesamtwirtschaftliche Ziele können vor allem genannt werden: • Aufbau und Wiederherstellung einer volkswirtschaftlich gewünschten Produktionsstruktur. Hiermit sind Hilfen bezogen auf Branchen und Regionen gemeint, die dem Mittelstand zugute kommen. • Förderung von Stabilität und Wachstum der Wirtschaft. In diesem Bereich kommt den Finanzierungshilfen zugunsten des Mittelstands eine besondere Bedeutung zu. K M U werden als „Keimzellen für wirtschaftliches Wachstum, als Impulsgeber für Innovationen, als Stimulatoren für den Wettbewerb und als Hoffhungsträger am Arbeitsmarkt" 2 angesehen.

1

D.Dickertmann:Öffentliche Finanzierungshilfen, Baden-Baden 1980, S. 82.

2

Deutsche Ausgleichsbank: Neue Qualität der Gründungsförderung, Bonn 1995.

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

203

Die arbeitsmarktpolitische These kann z.B. dadurch belegt werden, daß neue Arbeitsplätze in den letzten Jahren vor allem durch den Aufbau neuer Existenzen in K M U entstanden sind. Gemäß Aussage des Vorstands des RKW anläßlich eines Symposiums „Offensive für Selbständigkeit" am 6.12.95 sind in den ersten 6 Monaten des Jahres 1995 200.000 Arbeitsplätze durch Existenzgründungen entstanden. Innovationsschübe sind insbesondere durch die Gründung von mittelständischen High-Tech-Unternehmen bewirkt worden. Spezielle gesamtwirtschaftliche Ziele können in der Förderung der heimischen Exportwirtschaft und in der nicht unproblematischen vorübergehenden Unterstützung von Unternehmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen gesehen werden, wenn die Unternehmen aufgrund unternehmerischer Fehldispositionen in Finanzierungsschwierigkeiten geraten sind. Aus fiskalischer Sicht muß es Ziel der öffentlichen Förderung sind, ein möglichst günstiges Verhältnis zwischen eingesetzten Mitteln und erzielten Wirkungen zu erreichen. Unter dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist folgende Reihenfolge von Finanzierungshilfen vorgegeben: Übernahme von Bürgschaften, unbedingt rückzahlbare Kredite, bedingt rückzahlbare Kredite und verlorene Zuschüsse. Die Wirkungen öffentlicher Finanzierungshilfen hängen davon ab, inwieweit geänderte Verhaltensweisen der Leistungsempfänger eintreten.

3.

Angestrebte Wirkungen von Fördermaßnahmen in den Unternehmen

K M U weisen im Vergleich zu Großunternehmen Wettbewerbsnachteile bei der Beschaffung von Kapital auf: • Bestimmte Finanzierungsformen bleiben den K M U aufgrund der hohen Finanzierungskosten oder größenbedingter Zugangskriterien vorenthalten. Insbesondere entfallen Kapitalbeschaffimgsmöglichkeiten durch den Gang an die Börse. •

Großunternehmen können im Unterschied zu K M U einzelne Finanzdienstleistungen ohne Einschaltung von Banken umsetzen.

Solche Maßnahmen bestehen z.B. im Anlegen und Aufnehmen von finanziellen Mitteln an Geld- und Kapitalmärkten. •

Bei K M U sind Informationsdefizite z.B. durch fehlende erfolgs- und finanzwirtschaftliche Unterlagen gegeben.

204

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Für Existenzgründungen, insbesondere für neu gegründete Unternehmen gelten im Vergleich zu etablierten K M U weitere Nachteile: • Fehlendes Eigenkapital, • fehlende Bilanzen, betriebswirtschaftliche Auswertungen oder sonstige Unterlagen zur Erfolgs- und Finanzlage, • fehlende verläßliche Unterlagen über die erwartete und erreichbare zukünftige Entwicklung des Unternehmens, • geringe Verhandlungsmacht gegenüber Kreditinstituten bei der Vergabe von Krediten, • höhere Eigenkapitalverzinsung für Beteiligungspartner, um Informationsdefizite und Risiken abzugleichen, • nicht ausreichende bzw. fehlende Sicherheiten.. Aus den angeführten Nachteilen ergibt sich, daß für K M U Finanzierungshilfen gerechtfertigt sind, für Existenzgründer eine staatliche Anschubfinanzierung unerläßlich ist. Das gravierendste Problem bei Existenzgründungen ist der häufig anzutreffende Eigenkapitalmangel. Eigenkapital kann unter Haftungsgesichtspunkten als alle den Gläubigern haftenden Mittel verstanden werden. 3 Bei Einzelunternehmen oder persönlich haftenden Gesellschaftern einer OHG oder KG gehört dazu auch das Privatvermögen. Eigenkapital ist für Existenzgründungen im Vergleich zu etablierten K M U und erst recht im Vergleich zu Großunternehmen besonders wichtig und zugleich erschwert zu beschaffen. Der Stellenwert der Eigenkapitalausstattungen ist bei Existenzgründungen deshalb deutlich höher anzusiedeln, da die Gefahr eines Fehlschlags am Markt aufgrund der Neuheit der Existenzgründung vergleichsweise groß ist und auch ungleich negative Auswirkungen hat. Die den Existenzgründungen zugrundeliegenden Unternehmen werden nach Aussage der Deutschen Ausgleichsbank in überwiegender Mehrheit in der Rechtsform eines Einzelunternehmens geführt. 45 Damit haftet der Gründer in vollem Umfang auch mit seinem Privatvermögen.

3

Zu den wichtigsten Unterschieden zwischen Eigen- und Fremdkapital vgl. Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim: "Eigenkapitalversorgung", Mannheim 1991, S. 9f.

4

Vgl. Deutsche Ausgleichsbank: Engpaß Eigenkapital, DtA-Studie, Bonn 1996, S.9.

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

205

Existenzgründer befinden sich kurz- und mittelfristig in einer größeren Abhängigkeit vom Erfolg ihrer selbständigen Tätigkeit als andere Unternehmer. Bei geringem Eigenkapital kann die Risikopufferfunktion des Eigenkapitals nicht hinreichend erfüllt werden, d.h. Ertragseinbußen z.B. aufgrund von Einnahmeausfällen und/ oder geändertem Zahlungsverhalten können schlechter verkraftet werden. Wegen des Innovationsrisikos und vorhandener Informationsdefizite ist die Beschaffung von Eigenkapital gegenüber bestehenden K M U vergleichsweise erschwert. Bei fehlender ausreichender Eigenkapitalbasis besteht die Gefahr, daß nur suboptimale Betriebsgrößen realisiert werden können bzw. für die Entwicklung und den Erfolg des Unternehmens zu einem späteren Zeitpunkt wichtige Erweiterungsinvestitionen ausbleiben müssen. Von den weiteren Eigenkapitalfunktionen 6 ist die Akquisitionsfunktion für Fremdkapital im vorliegenden Fall besonders wichtig. Häufiger Ablehnungsgrund von Banken bei Gründungsfinanzierungen ist fehlendes Eigenkapital. Ziel öffentlicher Finanzhilfen muß es sein, in notwendigem Umfang langfristig Ersatz-Eigenkapital bereitzustellen oder zu vermitteln, um auf dieser Basis die Fremdkapitalbeschaffung zu erleichtern und/oder durch kreditpolitische Maßnahmen die Finanzierungslücke zu schließen. Bei der Verfügbarmachung von Krediten muß gegebenenfalls auf die Bereitstellung materieller Sicherheiten verzichtet werden und/ oder es müssen staatliche Hilfen in Form von Bürgschaften gegeben werden. Durch Finanzierungshilfen für etablierte K M U soll die Eigenkapitalbasis erweitert werden. Wirkung einer Förderung dieser Unternehmen muß es sein, die Innovationsdynamik in der deutschen Wirtschaft zu verstärken. Dazu gehört die langfristige Mitfinanzierung marktnaher Forschung und Entwicklung neuer Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen sowie deren Markteinführung. Die Finanzierung langfristiger Investitionen in Deutschland, aber auch von deutschen Unternehmen im Ausland soll mitgetragen, Umweltschutzinvestitionen ermöglicht werden.

5 6

In neuester Zeit wird nach Auskunft von Hausbanken bevorzugt die Rechtsform der GmbH gewählt. Vgl. H. Vormbaum: Finanzierung der Betriebe, 8. Aufl., Wiesbaden 1990, S. 35 ff.

206

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Aus den angesprochenen Problemen kann gefolgert werden, daß öffentliche Finanzhilfen als Schlüssel für erfolgsreiche Existenzgründung und -Sicherung gelten.

4.

Voraussetzungen und Vorgehen zur Erlangung öffentlicher Finanzierungshilfen

Öffentliche Finanzierungshilfen werden nur auf Antrag geleistet. Sie kommen nicht für jedes Unternehmen in Betracht, sondern sind an bestimmte Adressatenkreise gerichtet. Im Vordergrund stehen hierbei die KMU. Die Förderhilfen sind auch an bestimmte Zwecke und an das Vorliegen bestimmter Bedingungen gebunden. Es besteht kein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Mittel aus einzelnen Programmen. Es kann zu Kürzungen oder zeitlichen Verschiebungen beantragter Mittel kommen. Die Zeitdauer von der Antragstellung bis zur Zusage liegt für Darlehen im Normalfall zwischen vier und sechs Wochen. Die Befürwortung eines Antrags, aber auch die Dauer bis zur Entscheidung, hängen ab u.a. von der Qualität der eingereichten Unterlagen. Wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Start in die unternehmerische Selbständigkeit und damit auch für eine Gründungsförderung ist ein überzeugendes Unternehmenskonzept. Dazu gehören Ideen und marktfähige Produktbzw. Leistungsvorstellungen unter Zugrundelegung von Entwicklungschancen des betreffenden Wirtschaftszweiges, Nachfrageschätzungen und Vorstellungen über die Erschließung eines Kundenstammes ebenso wie Kapitalbedarfsschätzungen. Insbesondere der Bedarf an notwendigen Finanzierungsmitteln wird vielfach unterschätzt. Die notwendigen persönlichen Voraussetzungen wie genügende Berufserfahrung und Ausbildung (fachliche Eignung) sowie Führungserfahrung und hohes persönliches Engagement und persönliche Zuverlässigkeit sind unabdingbar. Die sorgfältige Prüfung des Gründungsvorhabens besteht in ausführlichen Beratungsgesprächen, die z.B. von IHK-Beratern, Beratern der Handwerkskammern, privaten Unternehmensberatungen, Wirtschaftsprüfern sowie Steuerberatern und Hausbanken durchgeführt werden können. Durch Existenzgründungsberatung sollen Entscheidungshilfen für die Vorbereitung und Durchführung des beabsichtigten Gründungsvorhabens gegeben werden. Es soll vor allem geklärt werden, ob und auf welche Weise das Gründungs-

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

207

vorhaben zu einer tragfähigen Vollexistenz fuhren kann. Mit dem Antrag auf Gründungsförderung ist ein Investitions- und Finanzierungsplan einzureichen. Die Berater fassen fachliche Stellungnahmen ab, die dem Förderantrag beigefugt werden müssen. Bereits für die Beratungskosten stehen öffentliche Fördermittel zur Verfugung. 7 Ein unvollständiges, qualitativ unausgereiftes Unternehmenskonzept ist allein durch Beratungen und finanzielle Hilfen nicht hinreichend nachzubessern. Dabei muß auch auf die Knappheit und Überlastung von qualifizierten Beratern sowie auf die Unerfahrenheit der Existenzgründer hingewiesen werden. Beratungen sind begleitend auch nach erfolgter Gründung empfehlenswert bzw. notwendig. Sogenannte Existenzaufbauberatungen sollen wichtige strukturelle unternehmerische Entscheidungen vorbereiten. Bei Gründung durch Erwerb oder tätige Beteiligung ebenso wie bei Maßnahmen der Existenzsicherung etablierter K M U sind detaillierte Umsatz- und Ertragsvorschaurechnungen für mindestens 2 Jahre sowie Jahresabschlüsse der letzten beiden Jahre oder vergleichbare Unterlagen einzureichen. Den Anträgen ist ein Übernahmeentwurf bzw. eine aussagekräftige Beschreibung des Vorhabens beizufügen. Auch in diesem Fall sind Management-Beratungen empfehlenswert. Eine gute Beratung kann generell als Voraussetzung für die optimale Umsetzung von Fördermitteln angesehen werden. Neben den bereits genannten Voraussetzungen sind folgende allgemeine Vergabebedingungen für öffentliche Fördermittel zu beachten: • Die Mittel sollen nur dann gewährt werden, wenn die Durchführung des Vorhabens ohne diese Förderung wesentlich erschwert würde. • Der Antragsteller soll sich in angemessenem Umfang mit eigenen Mitteln und anderen Fremdmitteln an der Gesamtfinanzierung beteiligen. • Die Mittel dürfen nicht für ein Vorhaben gewährt werden, mit dessen Durchführung im Zeitpunkt der Antragsstellung bereits begonnen worden ist. • Hinsichtlich der Kombination von Förderprogrammen sind gewisse Grenzen zu beachten. Im alten Bundesgebiet kommt eine Förderung mit öffentlichen Mitteln i.a. bis zu 67 % der Bemessungsgrundlage in Betracht, in den neuen Bundesländern und Ostberlin sind öffentliche Förderanteile bis zu 90 % des Gesamtvolumens möglich.

7

Bei Existenzgründungsberatungen beträgt der Zuschuß 60 % der Beratungskosten, maximal D M 3.000.

208

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Die Inanspruchnahme von Fördermitteln ist von bestimmten Auflagen abhängig. Dazu gehört der Nachweis einer zweckentsprechenden Verwendung und die Erteilung von Auskünften auf Verlangen. Anträge auf Fördermittel sind über die Hausbank des Existenzgründers an die Förderinstitute zu stellen. Die Hausbank handelt als sog. durchleitendes Kreditinstitut, d.h. sie hält die entsprechenden Antragsformulare auf öffentliche Förderung bereit und fuhrt die banktechnische Prüfung durch. Für Kredite müssen grundsätzlich bankübliche Sicherheiten bereitgestellt werden. Eine Ausnahme hiervon bilden die sog. Eigenkapitalhilfe-Darlehen 8, bei denen die persönliche Haftung des Antragstellers und in eingeschränkter Form auch seines Ehepartners ausreichen. Die Hausbank gibt den Antrag auf öffentliche Finanzhilfen an das zuständige Förderinstitut weiter. Dabei handelt es sich auf Bundesebene insbesondere um die Deutsche Ausgleichsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Entsprechende Förderinstitute auf Landesebene prüfen Förderanträge auf Finanzmittel der Länder, in Nordrhein-Westfalen handelt es sich z.B. um die Investitionskreditbank NRW. Bei der Vielfalt von Förderprogrammen der EU und der Unterschiedlichkeit der Vergabebedingungen ist es empfehlenswert, neben einer Besprechung mit der Hausbank Kontakte zu speziellen Ansprechpartnern zu knüpfen. 9 Die jeweils zuständige Förderbank prüft die Subventionierung des Gründungsoder sonstigen Vorhabens aufgrund der fachlichen Stellungnahme im Rahmen der verfügbaren Fördermittel und der zu beachtenden Förderbedingungen. Bei einer Befürwortung der Anträge zahlt die Hausbank die Fördermittel an den Antragsteller aus. Das durchleitende Kreditinstitut haftet grundsätzlich (außer bei der Eigenkapitalhilfe) gegenüber dem öffentlichen Förderinstitut für die Rückzahlung des Kredits. Damit eine wirtschaftspolitisch gewünschte und wirtschaftlich begründete Förderung nicht an den risikoabgeneigten Kreditvergabebedingungen der Banken scheitert, sind bei vielen Vorhaben, insbesondere bei innovativen Projekten und Investitionen, teilweise Haftungsfreistellungen möglich.

8 9

Vgl. Kap. 5.1 dieses Aufsatzes. Hinweise gibt eine Dokumentation des Europäischen Beratungszentrums Wirtschaft: Europäische Fördermaßnahmen für Existenzgründungen, Köln 1995.

der Deutschen

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

5.

209

Arten von Finanzierungshilfen und Förderprogramme

Zur Erreichung der angestrebten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele und der sich daraus ergebenden Förderaufgaben und -zwecke sind unterschiedliche Finanzierungshilfen der öffentlichen Hand notwendig. Die Fördermaßnahmen lassen sich zu folgenden Finanzierungshilfearten zusammenfassen: •

Kreditgewährung

Öffentliche Kreditgewährung ist eine besonders wichtige Art von Finanzierungshilfe. Sie wird u.a. gewährt zur Gründungsfinanzierung, für Investitionen und als vorübergehende Liquiditätshilfe. •

Zinssubventionen

Durch öffentliche Finanzierungshilfen wird vielfach eine Kreditgewährung nicht nur ermöglicht, sondern die Kreditbereitstellung erfolgt auch zu günstigeren Konditionen verglichen mit dem Markt, insbesondere im Vergleich zum üblichen Marktzins. •

Nicht rückzahlbare Zulagen und Zuschüsse

Zulagen erfolgen in Form von Investitionszulagen, Zuschüsse werden als Investitionszuschüsse zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur gewährt oder zur Finanzierung von Schulungs- und Beratungsmaßnahmen. •

Bürgschaftshilfen

Bürgschaftshilfen werden direkt durch Bund oder Länder gewährt oder über Bürgschaftsbanken. •

Steuerliche Erleichterungen

Sie werden gewährt durch Sonderabschreibungen oder steuerliche Entlastungsmaßnahmen. •

Bereitstellung von Risikokapital

Der Eigenkapitalmangel in KMU, insbesondere bei Unternehmensgründungen, soll über Beteiligungsgesellschaften und Beteiligungsfonds behoben werden. Umsetzung und Ausgestaltung der Finanzhilfen erfolgt über einzelne Förderprogramme. Die Zahl der von Bund, Ländern und der EU angebotenen Förderprogramme ist erheblich und wächst kontinuierlich. Existenzgründer werden gemäß Aussage des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie

210

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

(BMBF) mit über 450 Programmen gefördert. Ein allgemeiner Überblick über alle Fördermaßnahmen des Staates für die Wirtschaft erscheint regelmäßig jährlich in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen. Eine Übersicht über die Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation in Deutschland vermittelt die „Förderfibel" des BMBF, die jährlich herausgegeben wird. In dieser Veröffentlichung sind Existenzgründer speziell berücksichtigt. Im folgenden sollen zunächst ausgewählte Förderprogramme des Bundes zur Existenzgründung und Existenzsicherung vorgestellt werden. Anschließend wird auf Förderprogramme der Bundesländer und der EU eingegangen. 5.1

Existenzgründungsprogramme des Bundes

Förderprogramme für Existenzgründer werden auf Bundesebene von der Deutschen Ausgleichsbank (DtA), der „deutschen Gründerbank", durchgeführt. Dazu gehören folgende Programme: • Eigenkapitalhilfe-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) zur Förderung selbständiger Existenzen, • ERP-Existenzgründungsprogramm, • DtA-Existenzgründungsprogramm. Im Rahmen des Eigenkapitalhilfe (EKH)-Programms soll es eigenkapitalarmen Existenzgründern ermöglicht werden, eine betriebswirtschaftlich erforderliche Finanzstruktur mit Hilfe eines eigenkapitalähnlichen Darlehens zustande zu bringen. EKH haftet als Risikokapital und besitzt insoweit Eigenkapital-Charakter; sie ist aber im Unterschied zu originärem Eigenkapital mittel- bzw. langfristig mit Zins- und Tilgungsleistungen belastet. Die Konditionen sind aus der Sicht des geforderten Existenzgründers äußerst vorteilhaft: • Lange Laufzeiten und 10 Jahre tilgungsfreie Zeit, • bei Neugründung in den ersten Jahren zunächst zinslos und dann zinsverbilligt. 1 0

10 Im einzelnen vgl. die folgende Gegenüberstellung der Förderprogramme zur Existenzgründung in Abb. 1.

211

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Programm

Eigenkapitalhilfe (EKH)

Antragsberechtigte und

Existenzgründer im Bereich der Existenzgiünder im Bereich der ge- Natürliche Personen, kleine undmittlere

deren Voraussetzungen

gewerblichen Wirtschaft und der Freien Berufe

ERP-Existenzgründungsprogramm

DtA-Existenzgründungsprogramm

werblichen Wirtschaft, Freie Berufe Unternehmen der gewerblichen Wirt(außer Heilberufe) nur in den neuen schaft und Freiberuflerzur ExistenzLändern, Mitarbeitergrenze: 250 (nur gründung und fur Investitionsvorhaben altes Bundesgebiet), Umsatzgrenze: zur Festigung der selbständigen 20/100 Mio Ecu in den alten/neuen Existenz innerhalb von 8 Jahren nach Bundesländern Bilanzsumme max. 10Geschäfts eröffnung Mio.Ecu

Max. Förderanteil an der Aufstockung auf Eigenmittel Bemessungsgrundlage

50%

75%

700.000 DM je Antragsteller,

1 Mio. DM in den alten Bundesl.,

4 Mio. DM

bei Reprivatisierung in den

2 Mio. DM in den neuen Bundesl.

i.w.S. von 40% bei mind. 15 % Eigenmittel i.e.S. (in den neuen Ländern auch darunter)

Kredithöchstbetrag

neuen Ländern max.2 Mio. DM Maximale Laufzeit/-

20/10

alte Bundesländer: 10/3; 15/3 bei

10/2; 20/3

Bauvorhaben; neue Bundesländer:

tilgungsfreie Jahre

15/5; 20/5 bei Bauvorhaben. Zinssatz (nom.,eff.)/

Bei Neugründung: 1+2 Jahr 0

alte Bundesländer. 6,ο % nom., 6,14 Bei Laufzeit 10/2: 5,75 % nom., 6,72 %

Auszahlung (Stand:

%, 3. Jahr 2%, 4. Jahr 3%, 5.

% eff/lOO, neue Bundesländer: 5,5 eff /96, bei Laufzeit 20/3. 6,25 % nom.,

25.7.96)

Jahr 5 %, 6.-1 O.Jahr 8,10%; eff.% nom., 5,62 % eff/100

7,06 % eff./96 (alte Bundesländer);

Zinssatz: 5,91 %

neue Länder nominal jeweils 0,25 %-

bei Erwerb/tätiger Beteiligung:

Punkte niedriger bei ebenfalls 96 %

Keine Zinsverbilligung in den

Auszahlung

ersten 5 Jahren; 2 % Bearbeitungsgebühr; 100 % Auszahlung Haftungsfreistel lung des nicht notwendig

in den neuen Bundesländers: 50 % in den neuen Ländern : 50 % fur

durchleitenden

Kredite bis 4 Mio.DM (auf Antrag)

Kreditinstituts max. Finanz.anteil unter Einbeziehung weiterer

keine Begrenzung

2/3 bzw. 85 % der

bis zu 75% der Bemessungsgrundlage

Bemessungsgrundlage alte bzw. neue

öffentl.Mittel

Abb. 1 : Übersicht über ausgewählte Finanzierungshilfen zur Existenzgründung Die Förderung kann zwischen 5.000 und 700.000 D M je Antragsteller liegen. Im Einzelfall richtet sich die Höhe nach der Investitionssumme einschließlich der Beschaffung des ersten Warenlagers oder nach dem Kaufpreis des Unternehmens. Hinzu kommen branchenübliche Markterschließungsaufwendungen „mit absehbar langfristiger Kapitalbindung" bis zu 10% der Investitionssumme. Voraussetzung für die Gewährung eines EKH-Darlehens ist, daß der Antragsteller in angemessenem Umfang eigene Mittel zur Verfügung stellt. In den alten Bundesländern beträgt der Mindestumfang an eigenen Mitteln derzeit 15 % der

212

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Bemessungsgrundlage. Im neuen Bundesgebiet ist eine Förderung auch bei weniger als 15% Eigenmitteln möglich, wenn „das Vorhaben sich dennoch betriebswirtschaftlich rechnet und eine dauerhafte Entwicklung verspricht" 11 Es werden umso höhere Anforderungen an die Erfolgs-/Risikorelation gestellt, je niedriger die Eigenmittel prozentual sind. Durch EKH können die Eigenmittel i.w.S., d.h. einschließlich EKH auf maximal 40 % der Bemessungsgrundlage aufgestockt werden. In dieser Höhe wird ein solider Eigenkapitalanteil vermutet. 12 Bei der Bemessung der notwendigen und angemessenen Eigenkapitalanteile sind folgende Sachverhalte zu berücksichtigen: • In den ersten Jahren nach Gründung treten häufig Anlaufverluste auf, z.B. durch erhöhte Beschaffungsaufwendungen oder Einfuhrungsaufwendungen auf Absatzmärkten. • Eine Verbesserung der Eigenkapitalausstattung auf dem Weg der Einbehaltung erwirtschafteter Gewinne (also durch Selbstfinanzierung) kommt in den ersten Jahren der Existenz kaum in Betracht. Kommt es in der Frühentwicklungsphase von Unternehmen zu starkem Wachstum, erfordern die damit verbundenen Investitionen vielfach zusätzliches Eigenkapital. Nur wenn zusätzliche Eigenmittel i.w.S. verfugbar sind, können die Investitionen im erforderlichen Umfang und ohne eine existenzbedrohende Risikoerhöhung realisiert werden. EKH werden aus diesem Grund auch für Existenzgründer noch 2 Jahre nach erfolgter Gründung bereitgestellt, um wachstumsbedingte Investitionen mitzufinanzieren. Dieser Zeitraum ist allerdings sehr knapp gewählt und auf 3 Jahre beim ERP-Existenzgründungsprogramm bzw. 8 Jahre beim DtA-Existenzgründungsprogramm ausgedehnt worden. Insgesamt bildet die EKH die entscheidende Grundlage für eine langfristige stabile Finanzierung bei Gründung. Sie ist durch andere Finanzierungshilfen zu ergänzen. Im Rahmen des ERP-Existenzgründungsprogramms können Darlehen aus dem ERP-Sondervermögen 13 für die Existenzgründung zur Finanzierung folgender Vorhaben gewährt werden:

11 Vgl. Deutsche Ausgleichsbank: Merkblatt zum EKH-Programm, in den neuen Bundesländern und Berlin (Ost),Punkt 5, in der Fassung vom 15.11.94, Bonn 1994. 12 40 % Eigenkapitalanteil entspricht dem durchschnittlichen Eigenkapitalanteil börsennotierter Großunternehmen. 13 Das ERP-Sondervermögen ist aus den bei der Bank Deutscher Länder eingezahlten Gegenwerten von inländischen Importeuren für den Bezug amerikanischer Waren im Rahmen des sog.

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

• •



213

Errichtung und Erwerb von Unternehmen sowie damit im Zusammenhang stehende Investitionen innerhalb von 3 Jahren nach Betriebseröffhung, Beschaffung eines ersten Lagers an Material, Handelsware und Ersatzteilen oder der Büroausstattung sowie deren Aufstockung innerhalb von 3 Jahren nach Betriebseröffhung, Übernahme von tätigen Beteiligungen.

In den neuen Ländern sind auch freiberufliche Existenzen forderfähig. Ziel der Förderung ist die kapitalmäßige Unterstützung der Unternehmen in der Anlaufphase sowie die Steigerung der Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit der Unternehmen. Hervorzuheben ist eine um 1 - 1,5%-Punkte günstigere Verzinsung im Vergleich zum marktüblichen Zins, lange Laufzeiten mit tilgungsfreien Jahren und die jederzeitige Rückzahlbarkeit des Darlehens ohne Vorfalligkeitsentschädigungen. Über das DtA-Existenzgründungsprogramm stellt die Deutsche Ausgleichbank Kredite zur Finanzierung von Gründung und Festigung selbständiger Existenzen bereit. Mit der Finanzierung zur Festigung selbständiger Existenzen sollen Investitionen für neue oder neuartige Produkte bzw. Verfahren (Innovationen) gefordert werden. Damit geht der Zweck dieses Förderprogramms über die eigentliche Gründungsforderung hinaus und entspricht ähnlichen Zwecken von Förderprogrammen für etablierte KMU. 5.2

Existenzsicherungsprogramme des Bundes

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) bietet als Förderinstitut des Bundes für bestehende K M U ein breites Spektrum zur Mitfinanzierung betrieblicher Investitionsaktivitäten. Dazu gehören Programme für • • • •

allgemeine Unternehmensinvestitionen, den Umweltschutz und für Innovationen sowie zur Unternehmensfinanzierung ohne Projektbindung.

Marshallhilfeplans(European Recovery Program = ERP) hervorgegangen. Kredite aus dem revolierenden ERP-Sondervermögensfonds sollen allgemein der Förderung der deutschen Wirtschaft dienen.

214

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Gemeinsam ist den Kreditprogrammen ähnlich wie bei der Gründungsförderung der günstige Zinssatz, lange Laufzeiten und die Zinsfestschreibung über mehrere Jahre. Die Kreditnehmer können in Anspruch genommene Kredite bei Senkung des allgemeinen Zinsniveaus vorzeitig ohne Vorfälligkeitsentschädigungen tilgen. Unter den Förderangeboten der KfW ist das KfW-Mittelstandsprogramm gemessen an dem zugesagten Kreditvolumen am bedeutendsten. Das KfW-Mittelstandsprogramm (Investitionskredite) dient der langfristigen Finanzierung von Investitionen zu einem günstigen Zinssatz. Der besondere Vorteil fur den Kreditnehmer besteht darin, daß dieser Zinssatz fur die gesamte Kreditlaufzeit fest ist und damit eine sichere Kalkulationsgrundlage für den Endkreditnehmer darstellt. Für Investitonen in den neuen Bundesländern gelten besonders günstige Konditionen. Das KfW-Mittelstandprogramm -Ausland dient der langfristigen Finanzierung von Investitionen im Ausland zu günstigen Konditionen. Mit dem KfW-Mittelstandsprogramm Liquiditätshilfe, das zunächst für das neue Bundesgebiet eingeführt wurde, seit Februar 1996 aber auf die alten Bundesländer ausgedehnt wurde, sollen vorübergehende Liquiditätsengpässe überbrückt werden. Die Gewährung der Mittel setzt die gutachterliche Einschätzung des durchleitenden Kreditinstituts voraus. Aus dem Gutachten muß hervorgehen, daß ein aktueller Liquiditätsbedarf besteht und die langfristigen Zukunftsaussichten grundsätzlich positiv sind. Von den Finanzierungskonditionen her im Vergleich zum Mittelstandsprogramm noch günstiger sind das ERP-Innovationsprogramm und das Aufbauprogramm für Investitionen in den neuen Bundesländern oder in westdeutschen Fördergebieten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (Regionalprogramm) sowie das KfW-Umweltprogramm. Das ERP-Innovationsprogramm kann zur Finanzierung von Aufwendungen in der Forschungs- und Entwicklungsphase (Programmteil I) sowie für Aufwendungen in der Markteinführungsphase (Programmteil II) eingesetzt werden. Um die Finanzierung risikoreicher Investitionen grundsätzlich zu erleichtern, ist beim ERP-Innovationsprogramm eine teilweise Haftungsfreistellung der durchleitenden Bank vorgesehen. Das KfW-Umweltprogramm dient der langfristigen Finanzierung von Umweltschutzmaßnahmen zu einem besonders günstigen und während der Laufzeit festen Zinssatz.

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

215

Drei der bisher angesprochenen Förderprogramme sind in einer weiteren Übersicht vergleichend zusammengestellt14 Das ERP-Beteiligungsprogramm dient der Förderung von Beteiligungen an kleinen und mittleren Unternehmen. Ein spezielles KfW/BMBF-TechnologieBeteiligungsprogramm (BTU) dient der Finanzierung von Beteiligungen an kleinen Technologie-Unternehmen. Aus dem KfW-Beteiligungsprogramm (Ost) werden zinsgünstige Refinanzierungskredite für Beteiligungen an K M U in den neuen Bundesländern bereitgestellt, um die Ausstattung der Unternehmen mit Haftungskapital zu verbessern. 5.3

Förderprogramme auf Länderebene

Fördermaßnahmen auf Länderebene sind über die Hausbank an das jeweilige Landesforderinstitut zu stellen. Für Nordrhein-Westfalen soll beispielhaft auf das Programm Gründung und Wachstum (GuW)-Existenzgründung NRW und das Programm Regionale Wirtschaftsforderung NRW eingegangen werden. Das Programm GuW-£xistenzgründung NRW steht Existenzgründern im Bereich der gewerblichen Wirtschaft und der naturwissenschaftlichen und technischen Freien Berufe (mit Ausnahme von Ärzten und Heilpraktikern) offen. Die Verwendungsmöglichkeiten sind für Gründung, Übernahme oder Erwerb einer tätigen Beteiligung mit Geschäftsfuhrertätigkeit gegeben. Eingeschlossen sind Investitionen, die der Sicherung der Existenz dienen, innerhalb der ersten 8 Jahre nach Betriebseröffnung. Die Konditionen (Stand: 25.7.96) betragen: 5,75 % p.a. (5,92 % eff.) Zinsen bei einer Laufzeit von 12 Jahren und max. 2 tilgungsfreien Jahren. Der max. Förderungsanteil beträgt 25 %, höchstens 300.000 DM, die Mindestinvestitionssumme 40.000 DM. Die Auszahlung des Kredits erfolgt zu 99 %.

14 Vgl.die folgende Abb. 2.

216

Programm

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

KfW -Mittelstandsprogramm Investitionskredite/ KfW-Mittel-

KfW-Umweltprogramm

ERP-Innovationsprogramm

standsprogramm -Ausland Antragsberechtigte und Unternehmen der gewerbl.Wirtschaft Unternehmen der gewerblichen deren Voraussetzungen und freiberufl.Tätige fur Vorhaben

Unternehmen der gewerb 1. Wirt-

Wirtschaft und Freiberufler fiir Investi- schaft fur Vorhaben mit einem

im Inland/Ausland; Umsatzgrenze: 1 tionen zur Umweltverbesserung

innovativen Beitrag; Programmteil I:

Mrd. DM(Konzembetrachtung)

Förderung der F+E-Phase; Umsatzgrenze: 250 Mio.DM (Regel); Programmteil Π: Förd. in der Markteinfuhmngsphase; alte Bundesl.: Umsatzgrenze 40 Mio. DM, max. 250 Beschäftigte; neue Bundesl.: Umsatzgrenze 250 Mio. DM

Max.Förderanteil an

a)bis 100 Mio.DM Umsatz.: 75%

bis 100 Mio.DM Umsatz: 75 %,

Programmteil I: 100%;

den Finanzierungs-

b) über

über 100 Mio.DM Umsatz: 67 %

Programmteil II: alte Bundesländer:

: 67%

kosten

2 Mio. DM, neue Bundesländer: 5 Mio. DM

Kredithöchstbetrag

zu a): 10 Mio überechreitbar, zu b): max. 10 Mio. DM

i.d.R. 10 Mio. DM

Programmteil I: 10 Mio. DM (Regel), Programmteil II: alte Bundesl.: 2 Mio. D M neue Bundesl.: 5 Mio. DM

Maximale Laufzeit/tilgungsfreie Jahre

10/2, 20/3 bei Bauvorhaben

10/2, 20/3 bei Bauvorhaben

10/2

Zinssatz (nom.,eff.)/

alte Länder: 5,75 % nom., 6,72 %

5,50 % nom., 6,45 % eff./96 (10/2),

alte Bundesländer. 5,50 % nom.,5,62

Auszahlung (Stand:

eff./96 (10/2) sowie 6,25 % nom.,

6,00 % nom., 6,79 % eft/96 (20/3)

% eff/100,

35.7.96)

7,06 % eff./96 (20/3);

neue Bundesländer: 5,00%om./100

neue Länder: 5,50 % nom./96 sowie 6,00 % nom./96; Ausland: 6,55 % nom, 6,72 % efïï 100 (10/2) sowie 6,88 % nom., 7,06 % eff./lOO (20/3) 50 % bei Unternehmen mit Umsatz

Haftungsfreistellung

neue Bundesl.: 50 % für Kredite bis 450 % bei Unternehmen mit Umsatz >

des durchleitenden

Mio. DM, Osteuropa: 50 % (auf

500 Mio.DM, neue Bundesl.: 50 % für 100 Mio. DM, aber < 25 Mio. DM

Abb. 2: Übersicht über ausgewählte Finanzierungshilfen zur Existenzsicherung Mit dem Programm Regionale Wirtschaftsförderung NRW werden K M U auf Antrag Investitionszuschüsse zur Verfugung gestellt. Antragsberechtigt sind Existenzgründer und K M U des verarbeitenden Gewerbes, in Form von Außenhandelsbetrieben, mit einer überörtlichen (> 20 km Radius) Güterherstellung oder Leistungserbringung oder K M U als Beherbergungsbetriebe mit mind. 8 Betten. Die Verwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie umfassen Errichtung, Erweiterung, Umstellung, grundlegende Rationalisierung oder Verlagerung einer

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

217

Betriebsstätte, die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze für Frauen und Maßnahmen des Fremdenverkehrs. Der Anteil der Zuschüsse beträgt 7,5 - 20 % des Investitionsvolumens bei einer Mindestinvestitionssumme von 50.000 DM. 5.4

Förderprogramme der EU

Die Förderprogramme der EU sind vielfältig und komplex und können an dieser Stelle nur beispielhaft angeführt werden. Bei der Existenzgründungsforderung konzentrieren sich die Maßnahmen der EU vorrangig auf eine mittelbare Unterstützung durch den Aufbau europäischer Netzwerke zur Unterstützung und Beratung von Existenzgründern. Herausgehoben werden soll die Europäische Vereinigung für Wagniskapital EVCA (European Venture Capital Association). Ziele der EVCA sind die Bereitstellung von Risikokapital für K M U und die Information über Risikokapital- und Beteiligungstechniken. Das Wagniskapital wird ausschließlich auf der Basis der geschätzten Ertragschancen des zu finanzierenden Objekts bereitgestellt. Weiterführende Informationen können über den Bundesverband deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften erfragt werden. Aus den Strukturfonds werden Mittel für die Entwicklung strukturschwacher Regionen zur Verfügung gestellt. Neben den Strukturfonds bietet die EU Finanzierungshilfen vor allem in den Bereichen Forschung und Entwicklung an. Die Europäische Investitionsbank (EIB) verfolgt die Aufgaben, eine langfristige Finanzierung von Anlageinvestitionen zu erleichtern, die strukturellen Ungleichgewichte abzubauen und eine wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedsstaaten herzustellen. Die von der EIB zur Verfugung gestellten Kredite mit Festzinsvereinbarung entsprechen den Mittelbeschaffungskosten des Instituts zuzüglich einer Marge von 0,15 %. Die EIB beschafft ihre Mittel im wesentlichen über Anleihen auf dem Kapitalmarkt. Die gewährten Darlehen haben eine Laufzeit zwischen 7 und 20 Jahren.

6.

Beispielrechnungen

Für eine bessere Orientierung über Fördermöglichkeiten sind Beispielrechnungen hilfreich. Die mannigfaltigen Kombinationsmöglichkeiten der öffentlichen Finanzierungshilfen erfordern Spezialistenwissen. Die Banken setzen zur Unterstützung der Finanzberatungen verzweigte EDV-Expertensysteme ein, die über ein schrittweises Abfrageschema jede Kombination berücksichtigen und prüfen, um so die beste Finanzierung maßgeschneidert anbieten zu können.

218

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

Das folgende kleine Beispiel wurde mit dem Expertensystem GENO-STAR (Genossenschaftlicher Staathilfen-Ratgeber) gelöst. Fallbeschreibung: Es handelt sich um eine 41jährige Unternehmerin, die in Bielefeld (NRW) eine Umweltschutzinvestition durchführen will. Branche ist das verarbeitende Gewerbe (Industrie). Die Unternehmerin hat den Betrieb vor weniger als 2 Jahren übernommen und führt ihn in der Rechtsform einer Einzelfirma. Die Investitionsausgaben belaufen sich auf insgesamt 350.000 DM, davon 200.000 D M für Maschinen und 150.000 D M für Einrichtungen. Das eingesetzte Eigenkapital beträgt 50.000 DM. Durch die Investition werden ein zusätzlicher Arbeitsplatz (vorher 15) und ein weiterer Ausbildungsplatz (vorher 3) geschaffen. Es liegt eine positive Stellungnahme hinsichtlich einer tragfähigen Vollexistenz vor. Eigenkapitalhilfe wurde bereits im Umfang von 180.000 D M gewährt. Das Expertensystem GENO-STAR schlägt folgende Finanzierung vor: • • • • •

Eigenkapital Eigenkapitalhilfe-Programm West GuW Frauenförderung NRW ERP-Umweltprogramm Verbleibender Finanzierungsbedarf

Finanzierungsvolumen

50.000DM 90.000DM 150.000DM 60.000DM 0DM 350.000DM

Der Eigenmittel-Anteil liegt knapp unterhalb von 15 % der Investitionssumme. Trotzdem wird vom Expertensystem zunächst EKH akzeptiert. Ob die Deutsche Ausgleichsbank dies akzeptiert, bleibt offen. Einschließlich EKH betragen die Eigenmittel i.w.S. 140.000 D M (= 40 % der Investitionssumme). Der Antrag auf EKH liegt vor Ablauf der 2-Jahresfrist nach Betriebsgründung. Die ERP-Finanzierung liegt im Bereich des zulässigen Finanzierungsanteils. Zusammen mit der Liste der ausgewählten Förderprogramme und dem empfohlenen Förderumfang werden mit Hilfe des Expertensystems der Investitions- und Finanzierungsplan mit Anmerkungen und Hinweisen sowie der Kapitaldienstplan bereitgestellt. Hinweise auf die erforderlichen Antragsformulare werden beigefugt.

7.

Kritische Würdigung öffentlicher Finanzierungshilfen

Anspruch einer Studie der Deutschen Ausgleichsbank zur Qualität der Gründungsforderung ist es, daß keine gute Idee an der Finanzierung oder der Bera-

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

219

tung scheitern dürfe. 15 Die Deutsche Ausgleichsbank hält ihr Programm zur Gründungsförderung in den neuen Bundesländern für erfolgreich. Seit 1990 konnte sie 180.000 Gründungen mitfinanzieren und dadurch 1,5 Mio. Arbeitsplätze schaffen. Die Ausfallquote lag bislang unter 4 % . 1 6 Allerdings ist zu bedenken, daß die Rückflüsse aus dem EKH-Programm erst nach 10 tilgungsfreien Jahren zu erwarten sind. 40 % der Betriebsgründungen in den alten Ländern würden nach Aussage der Deutschen Ausgleichsbank ohne EKH nicht zustande gekommen sein. 17 Auf der anderen Seite ist die Eigenkapitalquote der in den neuen Ländern geförderten Unternehmen erheblich zurückgegangen, und zwar zwischen 1992 und 1994 von 19,9 % auf 16,5 % (einschließlich EKH). Rund die Hälfte der von der Deutschen Ausgleichsbank geförderten Unternehmen in den neuen Ländern weist einen Eigenkapitalanteil von unter 15 % auf. 18 Die Entwicklung des Eigenkapital-Anteils bei den angesprochenen Existenzgründungen ist beunruhigend. Die gemäß Vergabebedingungen in den neuen Ländern zulässige Unterschreitung des Mindest-Eigenmittelanteils i.e.S. von 15 % ist m.E. betriebswirtschaftlich nur im Ausnahmefall zu vertreten. I.a. haben Betriebsgründer in den neuen Ländern besondere Schwierigkeiten, sich auf bestehenden Märkten im Wettbewerb durchzusetzen oder neue Märkte zu erschließen. Zumindest ist nicht nachzuvollziehen, daß die Chancen eines Gründungsvorhabens im Vergleich zum alten Bundesgebiet tendenziell besser seien. Es besteht somit die Vermutung, daß in den neuen Ländern Gründungsförderungen durchgeführt worden sind, obwohl die gemäß Vergabebedingungen geforderten günstigen Erfolgs-/Risikorelationen nicht vorgelegen haben. Grundsätzlich können öffentliche Finanzierungshilfen nur „Hilfe zur Selbsthilfe" sein. Auch noch so günstige Kredite, wie etwa die EKH, müssen irgendwann zurückgezahlt werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß ein Mißlingen der Selbständigkeit in Abhängigkeit von der Rechtsform und der vertraglichen Ausgestaltung der Kreditverträge u.U. mit lebenslangen Schulden verbunden ist. Die Gefahr des Mißlingens wird um so größer, wenn Arbeitslose oder durch Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer in die Selbständigkeit hineingedrängt werden,

15 16 17 18

Vgl. Deutsche Ausgleichsbank: Neue Qualität der Gründungsförderung, a.a.O., S.21. Vgl. ebenda, S.2. Vgl. ebenda, S. 8. Deutsche Ausgleichsbank: Engpaß Eigenkapital,a.a.O.,S.24.

220

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

ohne dafür fachlich und persönlich ausreichend qualifiziert und ohne hinreichend finanziell abgesichert zu sein. Überhaupt ist in der Person des Existenzgründers das größte Problem zu sehen. Ob Unternehmensgründer bei geringen Eigenkapital-Anteilen eine größere, evtl. übermäßige Risikofreude in ihrem Entscheidungsverhalten zeigen, ist bislang nicht untersucht worden. Gründungsförderung ist noch aus weiteren Blickwinkeln zu beleuchten. Das RKW kommt zu dem Ergebnis, daß die Hälfte aller geförderten Gründungen auch ohne die Förderung zustandegekommen wäre. Falls das stimmt, wäre die durch Finanzierungshilfen angestrebte Wirkung einer Verhaltensänderung der Geforderten insoweit nicht eingetreten; man könnte von einem Mitnahmeeffekt sprechen. Die Gefahr von Mitnahmeeffekten besteht auch bei Fördermaßnahmen für etablierte Unternehmen. Sie kann durch Vergabebedingungen nur begrenzt verhindert werden. Es erscheint schwierig, einen unstrittigen Nachweis über eine Förderbedürftigkeit in Form von Mit-ohne-Rechnungen zu fordern. Besonders schwierig ist es zu entscheiden, ob knappe öffentliche Mittel gerechtfertigt für Liquiditätshilfen zur Verfügung gestellt werden können. Die Mittel müßten einerseits wirklich benötigt werden, andererseits müßte die Liquidität langfristig gesichert sein, damit die Finanzhilfen nicht von vornherein als verloren einzustufen sind. Als weiterer kritischer Punkt ist anzumerken, daß die Transparenz der Förderangebote für den Interessenten noch nicht gegeben ist. Solange die Programme nicht transparent sind, können sie auch nicht optimal zweckentsprechend genutzt werden. U.U. besteht allerdings seitens der öffentlichen Institutionen auch kein uneingeschränktes Interesse an einer vollständigen und durchsichtigen Informationspolitik über Fördermöglichkeiten. Die verfügbaren Fördermittel sind nämlich knapp. Durch Informationskampagnen könnte ein Anspruchsdenken gefordert werden. Enttäuschungen wären groß, wenn eingeplante Fördermittel wegen ausgeschöpfter Fonds nicht wie erwartet fließen würden. Die politische Rechtfertigung für Fördermaßnahmen und haushaltsrechtliche Konsequenzen stehen also in einem gewissen Konflikt. Die sinnvolle Kombination von Förderprogrammen kann, wie beispielhaft gezeigt, mit Hilfe der Hausbank über den Einsatz von Expertensystemen gefunden werden. Allerdings ist die Zinsmarge von 0,5 - 0,7 %, die den Hausbanken als durchleitende Institute zusteht, wesentlich niedriger im Vergleich zu Krediten in Eigenregie. Insofern ist das Interesse der Hausbank an einer Aufklärung über

Bührens, Existenzgründung und Existenzsicherung

221

öffentliche Fördermaßnahmen begrenzt. Damit ist der Entscheidungsträger in K M U selbst verantwortlich, sich vielseitig über Fördermöglichkeiten zu informieren. Unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist es nicht unproblematisch, wenn die Leistungsempfänger im Vergleich zu nicht geforderten Konkurrenten Finanzierungsvorteile realisieren, die im Extremfall zu Firmenzusammenbrüchen bei etablierten K M U fuhren. Zusammengefaßt kann festgestellt werden, daß eine noch effizientere Förderung mit öffentlichen Finanzierungshilfen noch spezieller auf konkrete Entwicklungsengpässe und Entwicklungsphasen von K M U zugeschnitten werden muß.

Literaturverzeichnis Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF): Förderfibel, Bonn 1995. Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi): Wirtschaftliche Förderung für den Mittelstand in den alten Bundesländern, Bonn 1996. dergleiche: Wirtschaftliche Förderung in den neuen Bundesländern, Bonn 1996. Bundesverband der Deutschen Industrie: Europäische Fördermaßnahmen für Existenzgründungen, Köln 1995. Deutsche Ausgleichsbank: Neue Qualität der Gründungsforschung, Schrift zum RKW-Symposium am 6.12.95, Bonn 1995. dergleiche: Engpaß Eigenkapital, DtA-Studie, Bonn 1996. Dickertmann, D.: Öffentliche Finanzhilfe, Baden-Baden 1980. Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim: „Eigenkapitalversorgung", Mannheim 1991. Klein, U., H.-E. Bachmann: Öffentliche Finanzierungshilfe des Bundes, der Länder und der EU, Bonn 1996. Kreditanstalt für Wiederaufbau(KfW): Zusammenstellung der Kreditprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau, Stand: 10.7.96. Vormbaum, H.: Finanzierung der Betriebe, 8. Aufl., Wiesbaden 1990.

222

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Ingrid C. Huber-Jahn

Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltung bei der Übertragung von Vermögen in die nächste Generation (vorweggenommene Erbfolge) 1.

Einleitung

Durch den seit dem 2. Weltkrieg ständig gestiegenen Wohlstand in Deutschland haben sich große Vermögen gebildet. Die Übertragung dieser Vermögen von einer Generation auf die nächste erfolgt spätestens im Erbfall. Nach Schätzungen von Experten 1, sollen in den 90er Jahren Vermögenswerte von bis zu 1,8 Billionen D M übergehen. Gründe, dieses Vermögen schon vor dem Erbfall im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge zu übertragen, können unterschiedlicher Art sein. Häufig wird die Unterstützung der jüngeren Generation durch die ältere Generation im Vordergrund stehen. Anlaß kann z.B. Heirat, Hauskauf oder Existenzgründung sein. Vorweggenommene Erbfolge kann weiterhin dazu dienen Vermögen als Einheit zu erhalten oder Streitigkeiten bei einer Erbauseinandersetzung zu verhindern. Aber auch steuerrechtliche Gründe können zur Übertragung von Vermögen fuhren: So rechnet z.B. das Erbschafitsteuer- und Schenkungsteuergesetz die von derselben Person anfallenden Erwerbe nur innerhalb von zehn Jahren zusammen (§ 14 Abs. 1 ErbStG), so daß bei frühzeitiger Schenkung von Vermögensteilen Freibeträge häufiger genutzt werden können. Im Einkommensteuerrecht kann die Einkommensteuerprogression durch Verlagerung von Einkunftsquellen auf die zukünftigen Erben gesenkt werden. Ferner kann im Einkommensteuerrecht die Nutzung von Freibeträgen (Sparerfreibetrag, Grundfreibetrag) durch die Erben ein Grund zur Übertragung von Vermögen sein. Mittelpunkt der folgenden Betrachtung sollen nur die erbschafit- und schenkungsteuerlichen Aspekte sein, da ein aktueller Gesetzesentwurf zum neuen Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz vorliegt, der im folgenden Berücksichtigung findet. Eine Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes war gemäß dem Urteil des BVerfG vom 22.06.952 nötig geworden, weil die bisherige Bewertung des Grundvermögens zu Einheitswerten mit dem Grundgesetz

1 2

Vgl. Fromm/Vogt, Richtig schenken und vererben, 1995, S. 1. BVerG 2 BVR 552/91, in: Halaczinsky/Obermeier/Teß, Einheitsbewertung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, S. 294.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

für unvereinbar erklärt wurde. Das alte Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz kann uneingeschränkt bis zum 31.12.1995 angewandt werden. Für Schenkungen und Erbschaften ab dem 1.1.1996 werden die Steuerfestsetzungen nur noch vorläufig durchgeführt. 3 Die Bundesregierung hat in einen Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1997 am 22.05.1996 u.a. den Entwurf des neuen Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vorgelegt. Da die Schlußberatung im Bundesrat erst für den 29.11.1996 vorgesehen ist, wird, wegen der noch unklaren zukünftigen Rechtslage, das bis zum 31.12.95 gültige Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Grundlage dieser Schrift sein. Die Änderungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, die sich durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 22.05.1996 ergeben könnten, sollen jedoch dargestellt werden und bei den Vergleichsrechnungen einbezogen werden.

2.

Definition der vorweggenommenen Erbfolge

Vorweggenommene Erbfolgeregelungen werden in der Praxis als Übergabeoder Überlassungsverträge oder als Schenkung beurkundet. Diese Verträge sind aber alle ihrem Wesen nach Schenkungen.4 Das BMF definiert die vorweggenommene Erbfolge als Vermögensübertragungen unter Lebenden mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge 5 Das BMF spricht hier von der künftigen Erbfolge und nicht von der gesetzlichen Erbfolge, d.h. die vorweggenommene Erbfolge ist nicht auf gesetzlich erbberechtigte Personen beschränkt. Auch versteht das BMF unter vorweggenommener Erbfolge nur unentgeltliche und teilentgeltliche Vermögensübertragungen. Vollentgeltliche Vermögensübertragungen sind nach BMF keine vorweggenommenen Erbfolgeregelungen. 6

3.

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes und des Bewertungsgesetzes vom 6.05.96

Die nachstehenden Gesetzentwürfe sind zusammen mit anderen Steuergesetzänderungen im Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1997 zusammengefaßt. Die

3 4 5 6

Vgl. Halaczinsky/Obermeier/Teß, Einheitsbewertg. nach der Entscheidung des BVerfG, S. 5. Vgl. Theilacker, a.a.O., S. 3. Vgl. BMF-Schreiben v. 13.01.1993, BStBl I 1992, S. 80. Anderer Ansicht ist Obermeier, a.a.O., S 51.

224

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Änderungen im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz und im Bewertungsgesetz treten rückwirkend zum 01.01.1996 in Kraft. Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteueraufkommen soll durch diese Änderungen von derzeit ca. 3,5 Mrd. D M auf 5,1 Mrd D M gesteigert werden. Ferner sollen durch das höhere Erbschaftsteuer- und Schenkungsteueraufkommen Steuermindereinnahmen bei den Bundesländern, die durch den geplanten Wegfall der Vermögenssteuer entstehen, kompensiert werden. Wesentliche Inhalte der Gesetzentwürfe zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz und zum Bewertungsgesetz sind die Neuordnung der Tarifstruktur und der Steuerklassen, die Anhebung der Freibeträge und die durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 22.06.957 für die Erbschaft- und Schenkungsteuer notwendig gewordene Neuregelung der Einheitsbewertung des Grundvermögens. 3.1

Die neuen Steuerklassen und Steuersätze

Die bisher im § 15 Abs. 1 ErbStG bekannten vier Steuerklassen sollen auf drei reduziert werden, wobei die bisherige Steuerklasse I und II zusammengefaßt wird. Die neuen Wertgrenzen und Steuersätze zeigt folgende Tabelle: Wert des steuer-

Vomhundertsatz

pflichtigen Erwerbs

in der Steuerklasse

(§ 10 ErbStG) bis einschließlich

3.2

I

II

100.000 D M

5

10

15

500.000 D M

10

20

25

III

1.000.000 D M

15

30

35

10.000.000 D M

20

35

45

über 10.000.000 D M

25

40

50

Die Erhöhung der Freibeträge

Die persönlichen Freibeträge gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG sollen bei Ehegatten von 250.000 D M auf 1.000.000 D M und bei Kindern von 90.000 D M auf 750.000 D M angehoben werden. Für die übrigen Personen der Steuerklasse I ist ein Freibetrag von 150.000 D M vorgesehen. In der neuen Steuerklasse II soll ein Freibetrag von 50.000 D M gelten. Die alte Steuerklasse III hatte für diesen Per-

7

BVerG 2 BVR 552/91.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

sonenkreis nur einen Freibetrag von 10.000 D M vorgesehen. Die übrigen Erwerber und die Zweckzuwendungen der alten Steuerklasse IV hatte bis zum 31.12.95 einen Freibetrag von 3.000 DM, der in der neuen Steuerklasse I I I jetzt auf 25.000 D M erhöht werden wird. Die Versorgungsfreibeträge für Erwerben von Todes wegen gem. § 17 ErbStG sollen sich verdoppeln. Der Freibetrag für Betriebsvermögen und für Anteile an sogenannten Familienkapitalgesellschaften beträgt weiter 500.000 DM. Der Bewertungsabschlag wird jedoch von 25 % auf 50 % erhöht. 3.3

Die zukünftige Bewertung des Grundvermögens

Bisher wurde für das Grundvermögen ein Einheitswert gem. §§ 19 ff BewG festgestellt. Grundvermögen wurde für die Erbschaft- und Schenkungsteuer dann gem. § 12 Abs. 2 ErbStG i.V.m. § 121a BewG mit dem 1,4-fachen Einheitswert angesetzt. Nach den Gesetzesentwürfen zur Änderung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes und des Bewertungsgesetzes wird die Einheitsbewertung durch eine Bedarfsbewertung ersetzt 9 Dies bedeutet, daß Grundbesitzwerte nur noch festgestellt werden, wenn sie erforderlich sind. Unbebaute Grundstücke sollen auf Grundlage der Bodenrichtwerte (=Vergleichspreise pro Quadratmeter, die frühestens Ende 1996 amtlich festgestellt sind) bewertet werden (§ 146 BewG), abzüglich eines Abschlages von 30% ( § 155 Abs. 1 BewG). Bebaute Grundstücke sollen nach einem neuen Wohn-/Nutzflächenverfahren bewertet werden. Zur Bewertung nach dem Wohn-/Nutzflächenverfahren müssen der Bodenwert und der Gebäudewert ermittelt werden ( § 150 BewG). Der Bodenwert ermittelt sich wie bei unbebauten Grundstücken nach den Bodenrichtwerten ( § 151 BewG). Der Gebäudewert ergibt sich aus der Wohn/Nutzfläche des Gebäudes und dem dazugehörigen Flächenpreis pro Quadratmeter. Die Höhe des Flächenpreises, der aus der Anlage 15 zum BewG zu entnehmen ist, richtet sich nach der Grundstücksart, der Nutzung und der Ausstattung (§ 152 Abs. 2 BewG) gem. den Baupreisverhältnissen zum 1.1.1996. Ausnahmen bilden hier die Gewerbegrundstücke und die sonstigen bebauten Grund-

8 9

Sämtliche in diesem Kapitel in Klammern genannten Paragraphen beziehen sich auf den Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1997 Im Gesetzentwurf: § 138 Abs. 5 BewG.

226

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

stücke (§152 Abs. 5 BewG). Bodenwert und Gebäudewert ergeben den Normalherstellungswert zum 1.1.1996. Von diesem Wert ist die Alterswertminderung zum 1.1.1996 abzuziehen (§152 Abs. 7 BewG). Ferner ist hiervon wie bei unbebauten Grundstücken ein Abschlag von 30 % zu berücksichtigen (§ 155 Abs. 1 BewG). Bei einer „Verprobung" des neuen Wohn-/Nutzflächenverfahrens lagen die ermittelten Grundstückswerte bei durchschnittlich 61,64 % des Kaufpreises. 10

4.

Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungsmöglichkeiten bei Übertragung von Vermögen in die nächste Generation

Ist die Übergabe eines Vermögensgegenstandes beschlossen, kann der Schenker verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit der Schenkung durchführen. Die wichtigsten sind: •

Schenkung ohne Gegenleistung und ohne Auflage,



Schenkung mit einmaliger Gegenleistung,



Schenkung unter Vorbehalt bzw. gegen Einräumung von Nutzungsrechten,



Schenkung gegen Versorgungsleistungen.

Von einer Schenkung ohne Gegenleistung und ohne Auflage spricht man, wenn das Vermögen voll dem Beschenkten zu Gute kommen soll. Oft ist die wirtschaftliche Situation des Schenkers schlecht, so daß Ausgleichszahlungen an andere Kinder des Schenkers notwendig werden, oder der Schenker benötigt Mittel um seine Altersversorgung abzusichern. Solche Gegenleistungen können als einmalige oder als wiederkehrende Leistungen verabredet werden. Eine Schenkung unter Vorbehalt bzw. gegen Einräumung von Nutzungs- bzw. Wohnrechten wird der Schenker vereinbaren, wenn er das übertragene Vermögen noch selbst nutzen will.

10 Vgl. Handelsblatt Nr. 89/19 v. 8.05.96, S. 4

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

4.1

Modell 1: Schenkung ohne Gegenleistung und ohne Auflage

Die Schenkung ohne Gegenleistung und ohne Auflage ist schenkungsteuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i.V.m. § 7 ErbStG. Der Steuerwert der Leistung der Zuwendung entspricht dem Steuerwert der Leistung des Schenkers. Vergleich: Schenkung von Grundvermögen oder Kapitalvermögen Um den Steuerwert des übertragenen Vermögens zu ermitteln, muß das Vermögen bewertet werden. Die Bewertung richtet sich, soweit im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz nichts anderes bestimmt ist, nach dem Bewertungsgesetz (§ 12 Abs. 1 ErbStG). Durch die richtige Wahl des Schenkungsgegenstandes kann die Schenkungsteuerbelastung verringert werden. Experten empfehlen Grundstücke statt Geld zu schenken. 1 Der § 9 BewG bestimmt, daß bei Bewertungen der gemeine Wert zugrunde zu legen ist, wenn das Bewertungsgesetz nichts anderes vorschreibt. Wertpapiere und Anteile, die zum amtlichen Handel zugelassen sind, werden nach § 11 BewG mit ihrem Kurswert angesetzt. Kapitalforderungen und Schulden sind gem. § 12 BewG zum Nennwert anzusetzen. Die Bewertung des Grundbesitzes war bis zum 31.12.1995 in § 12 Abs. 2 ErbStG geregelt. Danach war Grundbesitz mit dem erhöhten Einheitswert anzusetzen. Zur Berechnung der Schenkungsteuer wurde gem. § 121a BewG als Steuerwert in den alten Bundesländer der 140 % des Einheitswertes eines Grundstücks angesetzt. Für die neuen Bundesländer galten Sonderregelungen die im 4. Teil des Bewertungsgesetzes geregelt waren. Die Einheitswerte, die in den alten Bundesländer auf der letzten Hauptfeststellung vom 1.1.1964 beruhten, betrugen j e nach Lage des Grundstücks nur 10 - 30 % der tatsächlichen Verkehrswerte. 2 Im Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1997 v. 6.05.1996 ist die Bewertung des Grundbesitzes in § 12 Abs. 3 ErbStG neu geregelt. Dieser verweist ebenfalls auf das Bewertungsgesetz, wo in den §§ 145 ff BewG die Bewertung des Grundbesitzes, wie oben dargestellt, geregelt ist. Ein Beipiel soll die Schenkungsteuerbelastung bei einer Schenkung von Grundvermögen oder Kapitalvermögen zeigen. Ebenfalls soll die Einheitsbewertung mit dem Wohn-/Nutzwertverfahren auf der Basis des Gesetzentwurfes der Bundesregierung verglichen werden. Im Beispiel wird der Wohn-/Nutzwert mit 60 % des Verkehrswertes angenommen.

11 Vgl. Obermeier, a.a.O., S. 72 und Fromm/Vogt, a.a.O., S. 71. 12 Vgl Obermeier, a.a.O., S. 408

228

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Beispiel 13: Vater V verschenkt an die Tochter Τ ein bebautes Grundstück in den alten Bundesländern. An den Sohn S verschenkt er Bargeld. Der Verkehrwert des Grundstücks beträgt 1.000.000 D M (Einheitswert 200.000 DM; Wohn/Nutzwert 600.000 DM). Der Sohn erhält 1.000.00 D M in bar. Alternative A) Die Schenkungen erfolgten am 01.07.1995. Alternative B) Die Schenkungen erfolgten am 01.07.1996. Lösung: Bei der Alternative A muß S 91.000 D M Schenkungssteuer bezahlen, das sind 80.550 D M mehr als Τ bei der Grundstücksschenkung zu bezahlen hat. Auch bei der Alternative Β ergibt sich trotz Anwendung der neuen Grundstücksbewertung bei der Grundstückschenkung eine niedrigere Schenkungsteuer. Alternative A

Alternative Β

mit Einheitsbewertung

mit Wohn-/Nutzwertverfahren S

Τ

S

Τ

Steuerwert der Schenkung

280.000 D M

1.000.000.DM

600.000 D M

1.000.000 D M

./. Freibetrag Steuerklasse I

90.000 D M

90.000 D M

750.000 D M

750.000 D M

190.000 D M

910.000 D M

0 DM

250.000 D M

5,5%

10%

10.450 D M

91.000 D M

steuerpflichtiger Erwerb Steuersatz Schenkungsteuer

10% 0 DM

25.000 D M

Das Beispiel zeigt, daß aus schenkungsteuerlicher Sicht die Übertragung von Grundvermögen der Übertragung von Geldvermögen vorzuziehen ist. Auch nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 1997 bleibt die Übertragung von Grundvermögen weiterhin begünstigt und ist der Übertragung von Kapitalvermögen vorzuziehen. Mittelbare Grundstückschenkung Wenn beim Übergeber kein Grundstück vorhanden ist, die o.g. Vorteile einer Grundstückschenkung aber trotzdem genutzt werden wollen, kann eine mittelbare Grundstückschenkung eine schenkungsteueroptimale Lösung sein. Dazu schließt der Schenker mit dem Beschenkten einen Schenkungsvertrag und be-

13 Vgl. Obermeier, a.a.O, S. 407.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

zeichnet darin genau die vom Beschenkten durchzuführende Baumaßnahme oder das zu erwerbende Grundstück 14 . Die mittelbare Grundstücksschenkung kann auch genutzt werden, wenn nur ein Teil des Kaufpreises oder der Herstellungskosten zugewendet werden sollten. Beispiel·. Vater V schenkte 1995 seiner Tochter Τ 500.000 D M zum Erwerb einer bestimmten Eigentumswohnung (Kaufpreis 1.000.000 DM). Der Einheitswert betrug 200.000 DM. Lösung: Steuerwert der Eigentumswohnung (200.000 D M χ 140 %) 280.000 D M Anteiliger Steuerwert der Schenkung (1/2 χ 280.000 DM)

140.000 D M

./. Freibetrag Steuerklasse I

90.000 D M

steuerpflichtiger Erwerb

50.000 D M

Steuersatz Schenkungsteuer 4.2

3,00 % 1.500 D M

Modell 2: Schenkung mit einmaliger Gegenleistung

Der Schenker kann im Schenkungsvertrag Gegenleistungen für die Schenkung verlangen. Zu den einmaligen Gegenleistungen zählen • • •

Abstandszahlungen an den Übergeber, Gleichstellungsgelder an die Ehefrau des Übergebers oder an andere Kinder des Übergebers und die Übernahme von Verbindlichkeiten, die auf dem Grundstück lasten.

Diese Leistungen können aus Geld oder Sachwerten bestehen. Schenkungsteuerlich ist die Übernahme von Verbindlichkeiten und die Vereinbarung von Abstandszahlungen eine gemischte Schenkung. Die Zahlung von Gleichstellungsgelder ist eine Schenkung unter Leistungsauflage 15 . Der Schenkungsteuer unterliegt dabei die Bereicherung des Bedachten 1 6 . Der Steu-

14 Koordinierter Ländererlaß vom 2.11.89, BStBl. I 1989, S. 443. 15 Vgl. Obermeier, a.a.O., S. 433. 16 Vgl. Schulz, a.a.O., S. 377.

230

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

erwert der Bereicherung bei einer gemischten Schenkung und der Schenkung unter Leistungsauflage ergibt sich nach folgender Formel: 17 Steuerwert der Leistung des Schenkers

χ

Verkehrswert der Bereicherung des Beschenkten

Steuerwert der freigebigen Zuwendung

Verkehrswert der Leistung des Schenkers

Die Anwendung der Formel soll an folgendem Beispiel gezeigt werden. Auf ein Beispiel, indem die Änderungen des Jahressteuergesetzes 1997 berücksichtigt sind, wird verzichtet, weil die Formel in gleicher Weise angewandt werden kann. Beispiel: Vater V überträgt seinem Sohn S ein Grundstück am 1.01.95 mit einen Verkehrswert von 400.000 D M und einem Einheitswert von 100.000 DM. Das Grundstück ist mit einer Hypothekenschuld von 200.000 D M belastet. Lösung: Steuerwert der Leistung des Schenkers

140.000 D M

(Einheitswert 100.000 D M χ 140%) Verkehrswert der Bereicherung des Beschenkten

200.000 D M

(Verkehrswert 400.000 D M ./. Hypothekenschuld 200.000 DM) Verkehrswert der Leistung des Schenkers Steuerwert der freigebigen

400.000 D M

140.000 D M χ 200.000 D M =

Zuwendung

=

70.000 D M

400.000 D M

./. Freibetrag

90.000 D M

steuerpflichtiger Erwerb

0 DM

Schenkungsteuer

0 DM

17 Gleichlautende Erlasse v. 9.11.89, BStBl I 1989, S. 445.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

4.3

Modell 3: Schenkung unter Vorbehalt bzw. Einräumung von Nutzungsrechten

Der Übergeber kann sich am übertragenen Vermögen Nutzungsrechte vorbehalten bzw. vereinbaren, daß der Übernehmer dritten Personen Nutzungsrechte eingeräumt. Diese Nutzungsrechte bestehen häufig in einem Nießbrauch (§§ 1030 ff BGB) oder Wohnrecht (§§ 1090 ff BGB). Als schenkungsteuerpflichtiger Erwerb gilt gem. § 10 Abs. 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers. Die Bereicherung berechnet sich, in dem vom Steuerwert der Zuwendung die zu vollziehende Auflage als Last mit ihrem Kapitalwert gem. § § 1 3 - 1 6 BewG abgezogen wird. 1 8 Zu beachten ist hierbei der § 25 BewG, der den Abzug von Nutzungs- und Rentenlasten einschränkt. Nutzungs- und Rentenlasten zugunsten des Schenkers oder dessen Ehegatten werden ohne Berücksichtigung dieser Belastungen besteuert. Allerdings ist die Steuer auf die Nutzungs- oder Rentenlast bis zum Erlöschen der Last zinslos zu stunden. Beispiel: V überträgt seinem Sohn S 1995 ein Grundstück. Der Einheitswert beträgt 200.000 D M (Steuerwert 280.000 DM), der Verkehrswert 1.000.000 DM. Alternative A: Das Grundstück ist mit einem lebenslangen Wohnrecht zu Gunsten der Schwester Τ belastet. Das Wohnrecht hat einen Kapitalwert von 80.000 DM. Alternative B: S muß V ein Nießbrauch an dem Grundstück einräumen. Der Nießbrauch hat einen Kapitalwert von 80.000 DM. Lösung: Alternative A: Steuerwert der Leistung des Schenkers

200.000 D M

(280.000 D M ./. 80.000 DM) ./. Freibetrag steuerpflichtiger Erwerb Schenkungsteuer (Steuerklasse I, 4,5 %)

18 Vgl. Schulz, a.a.O., S. 174 ff

90.000 D M 110.000 D M 4.950 D M

232

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Alternative B: Steuerwert der Leistung des Schenkers

280.000 D M

(gem. § 25 ErbStG ist die Auflage nicht abzuziehen) ./. Freibetrag steuerpflichtiger Erwerb Schenkungsteuer (Steuerklasse I, 5,5%)

90.000 D M 190.000 D M 10.450 D M

Gem. § 25 ErbStG ist der Teil der Steuer zu stunden, der auf die Auflage entfällt. Hierzu muß die Steuerbelastung, die sich bei einer Berücksichtigung der Auflage ergeben würde, errechnet werden. 4.4

Modell 4: Schenkung gegen Versorgungsleistungen

Bei der Schenkung von Privatvermögen gegen Versorgungsleistungen muß zwischen der Schenkung von Grundvermögen und von Kapitalvermögen unterschieden werden. Bei der Schenkung von Grundvermögen kann in einem Übergabevertrag der Übernehmer zu wiederkehrenden Leistungen verpflichtet werden. Diese wiederkehrenden Leistungen können Versorgungsleistungen, Unterhaltsleistungen oder Veräußerungsrenten sein. Abgrenzung zwischen Unterhaltsleistung und Veräußerungsrente Unter einer Versorgungsleistung versteht man einen wiederkehrenden Bezug zur Versorgung des Übergebers oder von Angehörigen des Übergebers 19. Versorgungsleistungen sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, daß sich ihre Höhe nicht nach dem Gegenwert des übertragenen Vermögens, sondern nach den Versorgungsbedürfnissen der bisherigen Vermögensinhaber bzw. der betreffenden Angehörigen richtet. Bei Veräußerungsrenten haben Übergeber und Übernehmer die Rentenhöhe nach kaufmännischen Gesichtspunkten bestimmt. Der Wert des übergebenden Vermögens und der Rentenbarwert stehen sich in gleicher Höhe gegenüber. Das B F H vermutet aber bei Übertragungen gegen Rentenzahlung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge, daß grundsätzlich familiäre Überlegungen die Rentenhöhe bestimmen und schließt damit auf Versorgungsleistungen. 0 Wird eine entgeltliche Übertragung angetrebt, liegt die Nachweispflicht beim Steuer-

19 BFH,U. v. 26.11.1992 XR 187/87, BStBl II 1993, S. 298. 20 BFH, Β. v. 5.7.1990 GrS 4-6/89, BStBl II 1990, S. 847.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Pflichtigen, d.h. er sollte Wertermittlung des zu übertragenen Vermögens, Zinsfuß und die versicherungsmathematische Berechnung der Rente in einem Kaufvertrag nachvollziebar dokumentieren. 21 Wiederkehrende Bezüge sind als Unterhaltsleistungen anzusehen, wenn ihr Rentenbarwert mehr als das Doppelte des Wertes des übertragenen Vermögens ausmacht (50%-Regel). 22 Schenkungsteuerlich sind Grundvermögensübertragungen gegen Versorgungsleistungen Schenkungen unter Leistungsauflage. Der steuerliche Wert der freigebigen Zuwendung ergibt sich nach der in den gleichlautenden Ländererlassen 3 v. 9.11.1989 oben dargestellten Formel. Bei der Besteuerung von Versorgungsleistungen ist zu beachteten, daß der § 25 ErbStG für die Schenkung unter Leistungsauflage nicht angewandt werden kann. Beispiel: V überträgt seinem Sohn S 1995 ein Grundstück. Der Einheitswert beträgt 200.000 D M (Steuerwert 280.000 DM), der Verkehrswert 1.000.000 DM. S muß V eine im Übergabevertrag vereinbarte Rente mit einem Kapitalwert von 80.000 D M zahlen. Lösung: Steuerwert der Leistung des Schenkers

=

Verkehrswert der Bereicherung des Beschenkten

280.000 D M =

920.000 D M

(Verkehrswert 1.000.000 D M ./. Rente 80.000 DM) Verkehrswert der Leistung des Schenkers Steuerwert der freigebigen Zuwendung

= 1.000.000 D M

280.000 D M χ 920.000 D M =

= 1.000.000 D M

21 Vgl. Obermeier, a.a.O., S. 98 und Theilacker, a.a.O. S. 21 22 BFH, B. 15.07.1991 GrS 1/90, BStBl II 1992, S. 78 23 Gleichlautende Erlasse v. 9.11.89, BStBl 1989, S. 445.

257.600 D M

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Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

Berechnung der Schenkungsteuer: Steuerwert der freigebigen Zuwendung ./. Freibetrag steuerpflichtiger Erwerb Schenkungsteuer(Steuerklasse I, 5,5 %)

5.

257.600 D M 90.000 D M 167.600 D M 9.218 D M

Die optimale Gestaltung

Inhalt dieses Aufsatzes war die Darstellung der schenkungsteuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei der vorweggenommenen Erbfolge unter Berücksichtigung des derzeit vorliegenden Gesetzesentwurfs. Bei der vorweggenommenen Erbfolge sind jedoch weitaus mehr Steuerarten betroffen: Wie Einkommensteuer, Grunderwerbsteuer aber auch Umsatzsteuer, falls Betriebsvermögen von der Übertragung betroffen ist. Ein einfaches Lösungsschema mit einer optimalen Gestaltung gibt es nicht. Die individuell günstigste Lösung kann nur durch Verprobung unter Einbezug aller betroffenen Steuerarten ermittelt werden. Aber nicht nur steuerliche Aspekte, sondern auch die ausreichende Altersversorgung des Schenkers ist bei den Gestaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Die Aufteilung des Vermögens sollte in der Art erfolgen, daß sie von den Beteiligten (z.B. mehrere erbberechtigte Personen) als gerecht empfunden wird, um Streitigkeiten innerhalb der Familie zu vermeiden. Bis zur endgültigen Verkündung des neuen Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes sollte jedoch auf Gestaltungen im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge verzichtet werden, da die z.Zt. noch bestehende Rechtsunsicherheit bei Vergleichsrechnungen zwischen den Gestaltungsalternativen zu teilweise falschen Ergebnissen führen kann, wenn der Gesetzentwurf im Bundestag oder Bundesrat noch geändert wird. Wenn eine vorweggenommene Erbfolgeregelung vor Verkündung des Jahressteuergesetzes 1997 noch erfolgen muß, sollte aus schenkungsteuerlicher Sicht Grundvermögen und nicht Kapitalvermögen übertragen werden, da die Steuerwerte des Grundvermögens vermutlich auch in Zukunft deutlich unter den Verkehrswerten liegen werden.

Huber-Jahn, Erbschaft- und schenkungsteuerliche Gestaltungen

6.

Literaturauswahl

BMF-Schreiben v. 13.1.93, BStBl I 1992 BVerfG 2 BVR 552/91 Fromm/Vogt: Richtig schenken und vererben, 1995 Gesetzesentwurf der Bundesregierungzum Jahressteuergesetz 1997 GrS 4-6/89, BStBl I I 1990 Handelsblatt Nr. 89/19 v.8.5.96 Halaczinsky/Obermeier/Teß: Einheitsbewertung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Huber-Jahn/Pössl:Erbschaftsteuerliche Fragen vor, während und nach der Wende, 1995 Koordinierter Ländererlaß vom 2.11.89, BStBl I 1989 Obermeier:Vorweggenommene Erbfolge und Erbauseinandersetzung, 1995 Pietsch/Schulz: Erbschaftsteuer, Schenkungsteuer, 1992 Theilacker:Vorweggenommene Erbfolge im ESTG, 1993

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Brunhilde Steckler

Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung bei arbeitsteiliger Produktion Das Qualitätsmanagement zur Sicherung konstanter und steigender Qualität von Produkten und Dienstleistungen steht im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion um Standortsicherung und Arbeitsplätze. 1 Durch Reduzierung der Fertigungstiefe und Verlagerung der Produktion von Komponenten auf spezialisierte und überwiegend mittelständische Zulieferer haben sich neue Formen überbetrieblicher Zusammenarbeit entwickelt. Die modernen Beschaffungs- und Produktionsmethoden sowie die gestiegenen Anforderungen an die Produktsicherheit machen umfangreiche Qualitätssicherungsvereinbarungen unverzichtbar. Viele Systeme - ein Beispiel ist die Just-in-time-Produktion - funktionieren nur bei Einhaltung eines konstant hohen Qualitätsstandards,2 der fortlaufend den technischen Normen und den gesetzlichen Sicherheitsanforderungen angepaßt werden muß.3 Die Auswahl geeigneter Lieferanten und Zulieferer wird von einer Qualitäts-Auditierung abhängig gemacht. Im Bereich der überbetrieblichen Arbeitsteilung ist der nach japanischer Tradition kompromißlose Qualitätsanspruch 4 - Null-Fehler-Garantie - an die zugelieferten Komponenten Voraussetzung für die Erzielung der angestrebten betriebswirtschaftlichen Vorteile einer Senkung der Materialbestände, Verkürzung der

1

2

3 4

Qualitätssicherung wird im Hinblick auf effiziente betriebliche Aufbau- und Ablauforganisationen als unternehmerische Führungsaufgabe verstanden, Strauss/Scheuing, Der Malcolm Baldrige National Quality Award und seine Bedeutung als Managementkonzept in: Strauss (Hrsg.), Qualitätsmanagement und Zertifizierung, Von D I N ISO 9000 zum Total Quality Management, Wiesbaden 1994, 305 ff. Hill, Production, Operations Management, 2. Auflage, New York, London 1991, 249; Merz, Qualitätssicherungsvereinbarungen, Zulieferverträge, Vertragstypologie, Risikoverteilung, AGB-Kontrolle, Köln 1992, 10 ff; Migge, Qualitätssicherungsverträge: Versuch einer Zwischenbilanz aus der Sicht der betrieblichen Praxis, VersR 1992, 665 ff, Westphalen, Graf von /Bauer, Just-in-Time-Lieferungen und Qualitätssicherungsvereinbarungen, Köln 1993, 18 ff. Pfeifer, Qualitätsmanagement, München, Wien 1993, 162 ff. Holl/Trevor, Just-in-Time Systems and Euro-Japanese Industrial Collaboration, Frankfurt am Main 1988, 30 f; Langeley, The fortress faces east: Protecting Europe's auto industry, 1991 Wisconsin Law Review, 1043 ff, 1068; Schönberger, Implementing JIT and TQC, New York, London 1987, 152 ff; Wildemann, Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit von Just-intime, Zeitschrift fur Logistik 4/1990, 40 ff; ders., Einftihrungsstrategien für eine JIT-Produktion und -Logistik, ZfB 1991, 149 ff.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Durchlaufzeiten und Reduzierung der Kapitalbindung.5 Der hohe Qualitätsstandard der zugelieferten Komponenten hat sogar Vorrang vor dem Ziel einer möglichst zeitgenauen Belieferung, weil nur die absolute Einhaltung der vereinbarten Qualität eine erfolgreiche Just-in-time-Produktion überhaupt ermöglicht. 6 Deshalb stehen die Qualitätssicherungsvereinbarungen zwischen Hersteller und Zulieferer im Mittelpunkt der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung. 7 Zu den typischen Begleiterscheinungen bei dem Aufbau einer Qualitätssicherungsorganisation insbesondere im Hinblick auf die Zulieferung von Komponenten in den Herstellungsprozeß gehören: 8 •

Qualitätssicherung durch zertifizierte Zulieferer: Zur Vermeidung von Doppelprüfungen und der damit verbundenen Kosten wird die Qualitätssicherung vom Hersteller auf den Zulieferer verlagert. Die Wareneingangskontrolle im Betrieb des Herstellers kann auf Stichproben beschränkt werden.



Information, Dokumentation und Kontrolle: Der Informationsfluß zwischen dem Hersteller und den Zulieferern (electronic data interchange) sorgt für einen reibungslosen Ablauf der Einzelbestellungen nach Bedarfsplanung im Rolling-forecast-System. Kontrollrechte des Herstellers sichern einen gleichbleibenden Qualitätsstandard und reduzieren das Haftungsrisiko. Die Dokumentation der Qualitätssicherung erleichtert einen eventuellen Schadensausgleich.



Forschungs- und Entwicklungskooperationen: Wenn die Komponenten-Produktion in Zulieferbetriebe ausgelagert wird, muß dort auch die technische Fortentwicklung der Produkte und ihre Anpassung an den internationalen Standard sichergestellt werden. Lizenzen über Marken, Muster und Patente, ein kontinuierlicher Erfahrungsaus-

5

6

7 8

Steckler, Die rechtlichen Risiken der JIT-Produktion, Stuttgart 1996, S. 150 ff, Auswertung der Umfrage-Ergebnisse im empirischen Teil, insbesondere die Just-in-time-Definitionen aus der Praxis der Automobil industrie, S. 150 ff, 152. Baumgarten/Zibell, Just-in-time - strategisches Instrument im Wettbewerb, Der Betriebswirt 2/1990, 7 ff; Hill, a.a.O. (Fußnote 2), 249; Karmarkar, Just-in-time, Kanban oder was?, Havard-Manager 1989, 84. Popp, Die Qualitätssicherungsvereinbarung - Fehler und Fallen in „ship-to-stock"- und , just-intime"-Verträgen, München, Wien 1992, 117 ff. Wildemann, Einfuhrungsstrategien für „Just-in-time-Produktion und Beschaffung, Management-Zeitschrift Nr. 9/1988, 371 ff.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

tausch sowie Geheimhaltungspflichten und Wettbewerbsverbote sind zu vereinbaren. 9 •

Organisation und Qualifizierung des Personals: Die veränderten Arbeitsverfahren und -abläufe haben sich auf die betriebliche Organisationsstruktur der beteiligten Unternehmen ausgewirkt. Die Qualitätsüberwachung erfolgt nicht mehr traditionell beim Wareneingang oder beim Warenausgang, sondern in einem permanenten Prozeß auf jeder Stufe der Fertigung. Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen, Qualitätszirkel und andere personelle Maßnahmen der Qualifizierung begleiten die Umstellung von funktions- zu produktorientierten Arbeitsmethoden.

Qualitätssicherungsvereinbarungen bei überbetrieblicher Arbeitsteilung zwischen Hersteller und Zulieferern erfordern ein aufwendiges Zusammenwirken zwischen Technikern, Kaufleuten, Juristen und Versicherungsexperten. 10 Zunächst werden die technischen und organisatiorischen Rahmenbedingungen festgestellt, dazu gehören die technischen Spezifikationen - Normen und Standards - ebenso wie auch Gesetze und Verordnungen zur Arbeits- und Produktsicherheit (Gefahrstoffverordnung, Chemikaliengesetz, Gerätesicherheitsgesetz etc.). Dann werden Form, Art und Umfang der Zusammenarbeit bzw. Arbeitsteilung ausgelotet, d.h. es ist zu ermitteln, welche Komponenten von welchen und wievielen Zulieferern an welchen Standorten im In- und Ausland gefertigt werden. Die Produktions- und Qualitätsprüfverfahren sind näher festzulegen, wie z.B. Erstmusterprüfiingen, Qualitätskontrollen, technische und personelle Ausstattung etc. In diesem Zusammenhang erfolgt auch die Bewertung und Zertifizierung der in das Beschaffungssystem integrierten Lieferanten und Zulieferer. Zu den rechtlichen Überlegungen bei der Entwicklung langfristiger und qualitätsorientierter Lieferbeziehungen gehören Haftungsfragen aus Verträgen, vor allem des deutschen und des internationalen Kaufrechts, 11 sowie die Verteilung

9

Im Wege einer umfassensen Know-how-Vereinbarung sollten neben der Lizenzierung gewerblicher Schutzrechte auch Regelungen über Eigentumsrechte, Rücklizenzen, Betriebsgeheimnisse etc. getroffen werden. Dabei sind die wettbewerbsrechtlichen Grenzen gem. § 20 GWB und Art. 85, 86 EWGV zu berücksichtigen, vgl. Steckler, Gewerblicher Rechtsschutz - Lizenzen, Marken, Muster und Patente, 2. Auflage, München 1996, S. 185 ff, 197.

10 Westphalen, Graf von /Bauer, Just-in-Time-Lieferungen und Qualitätssicherungsvereinbarungen, Köln 1993, S. 112 ff. 11 Das UN-Kaufrecht (CISG = United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods) gilt seit dem 1. Januar 1991 auch in der Bundesrepublik Deutschland. Es findet An-

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

der Produkthaftungsrisiken und die Anforderungen an eine Produktsicherheitsorganisation. 12 Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der an der überbetrieblichen Arbeitsteilung beteiligten Unternehmen richtet sich nach den jeweils übernommenen Aufgaben innerhalb der Produktentwicklung und -konstruktion, der Materialauswahl, der Fertigung etc. Die Dokumentation der Vertriebswege, der Mängelrügen, des Ersatzteilumsatzes und der rückläufige Informationsfluß ermöglicht die fortlaufende Weiterentwicklung der Produkte und ihre Anpassung an den technischen Fortschritt und an Veränderungen der gesetzlichen Produktsicherheitserfordernisse. In der betrieblichen Praxis werden fünf Hauptfunktionen in der Vorbereitung von Qualitätssicherungsvereinbarungen unterschieden: 13 7. Erarbeitung der technischen Spezifikation, 2. Aufstellung eines organisatorischen Rahmens für die produktbezogene, zwischenbetriebliche Zusammenarbeit, 3. Definition der Herstellungs-, Qualitätssteuerungs- und Qualitätsprüfprozesse für das Produkt unter Berücksichtigung der Gebrauchs-, Integritäts- und Ertragsinteressen der Beteiligten, 4. Erarbeitung eines Interessenausgleichs im Hinblick auf die vertragliche Haftung und auf die Produkthaftung, 5. Risikominimierung und Kostenreduzierung. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Haftungsfragen der Qualitätssicherung bei überbetrieblicher Arbeitsteilung in der Beschaffung und Produktion, aus betrieblicher Sicht die vierte Funktion der optimalen vertraglichen Vorbereitung einer Qualitätssicherungsvereinbarung. Die Qualitätskontrolle zum Zweck der Qualitätssicherung im Unternehmen ist eine von mehreren Überwachungstechniken (Wareneingangsprüfung, Beurteilung der Qualitätsfähigkeit des Zulieferers, Erstmusterprüfung) zur Vermeidung oder zur Verringerung der Risiken und Gefahren, die von Produktfehlern ausgehen. Um aufwendige Doppel-

wendung, wenn die Parteien der Kaufverträge ihre Niederlassungen in verschiedenen Staaten haben, die beide Vertragsstaaten des UN-Übereinkommens sind, vgl. Art 1 Abs. 1 a) CISG; Schlechtriem/Schlechtriem, CISG, 2. Auflage München 1995, Art. 1 Rn. 25; BGH, Urt. v. 2.4.1996-Vili ZR 51/95. 12 Steckler, Die Produkthaftungsverantwortung des Zulieferers im Rahmen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung, WiB 1994, 300 ff. 13 Migge, Deutschland: Praktische Überlegungen bei der Vorbereitung von Qualitätssicherungsvereinbarungen, PHI 5/1991, 186 ff, 191. Der Beitrag enthält einen Fragenkatalog zu den Vorüberlegungen einer Risikoanalyse und Zielbestimmung von Qualitätssicherungsvereinbarungen und eine Vertragsentwurf-Checkliste zur inhaltlichen Umsetzung der Zielbestimmung und der Ergebnisse der Risikoanalyse.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Prüfungen zu vermeiden, verlagern die Hersteller die Qualitätssicherung in aller Regel auf den Zulieferer. Vielfach wird vereinbart, daß der oder die Zulieferer die Qualitätssicherung übernehmen und die Warenausgangskontrolle im Zuliefererbetrieb die Wareneingangskontrolle im Herstellerbetrieb ersetzen soll. 14 Diese Vereinbarung - der Zulieferer trägt die volle Verantwortung für die Qualität - birgt vertragliche und produkthaftungsrechtliche Risiken. Die Zulässigkeit einer derartigen Vertragsgestaltung im Verhältnis des Herstellers zum Zulieferer hängt zunächst davon ab, ob es sich um individuelle oder formularmäßige Vereinbarungen handelt. Qualitätssicherungsvereinbarungen können im Einzelfall unter Berücksichtigung der produktspezifischen Besonderheiten für jedes Zulieferteil mit dem hierauf spezialisierten System-Zulieferer hinsichtlich der jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten individuell ausgehandelt werden. Die Qualität wird durch technische Normen und Standards bedingt, die durch branchen-, produkt- und unternehmensbezogene Anforderungen des Herstellers in Kooperation mit dem Zulieferer ergänzt werden. In aller Regel sind Qualitätssicherungsvereinbarungen aber als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) anzusehen.15 Insbesondere, wenn die Qualitätssicherungsvereinbarung mit zwei oder mehreren Zulieferern gleicher Teile auf einem gleichen technischen Standard nach den Vorgaben des Herstellers erfolgen und damit keiner Disposition seitens der Zulieferer mehr zugänglich ist, besteht eine formularmäßige Vereinbarung. Qualitätssicherungsvereinbarungen im Zusammenhang mit komplexen Belieferungssystemen der Hersteller gelten damit überwiegend als Formularverträge im Sinne von § 1 Abs. 1 AGBG. 1 6 Die Zulässigkeit der Qualitätssicherungsvereinbarungen unterliegt damit der Inhaltskontrolle nach dem Gesetz zur Regelung Allgemeiner Geschäftsbedingungen

14 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fußnote 5), S. 26 ff. 15 Kreifels, Qualitätssicherungsvereinbarungen - Einfluß und Auswirkungen auf die Gewährleistung und Produkthaftung von Hersteller und Zulieferer, ZIP 1990, 489; Lehmann, Just-in-time: Handels- und AGB-rechtliche Probleme, BB 1990, 1849, 1851 f; Migge, Qualitätssicherungsverträge: Versuch einer Zwischenbilanz aus der Sicht der betrieblichen Praxis, VersR 1992, 665, 671 f; Westphalen, Graf von, Qualitätssicherungsvereinbarungen, Prüfstein für AGBKlauseln und Versicherungschutz, CR 1993, 65 ff. 16 Steckler, Die rechtlichen Risiken der JIT-Produktion (Fußnote 5), S. 159 ff. Die im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Just-in-time-Produktion vorgenommene Umfrage hat ergeben, daß in der Praxis der deutschen Unternehmen die Vereinbarung der JIT-Belieferung mit mehreren Zulieferern für ein Teilprodukt überwiegt,. Der von der Automobil industrie angestrebte Idealfall einer JIT-Belieferung durch einen Zulieferer für ein Systemteil (vgl. Seite 153) wird daher in der Praxis nur selten anzutreffen sein. Insofern handelt es sich bei den Qualitätssicherungsvereinbarungen, die von mehreren Zulieferern einzuhalten sind und deshalb nicht zur Disposition stehen, um Formularvertragsbedingungen.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

(AGBG). Die Inhaltskontrolle der unter Kaufleuten verwendeten Geschäftsbedingungen erfolgt über § 9 AGBG durch einen Vergleich mit der Rechtslage, von der durch Formularvertrag abgewichen wird. Im Einzelfall müßte durch Vertragsgestaltung eine unangemessene Benachteiligung des Lieferanten vermieden werden. 17 Der Zulieferer ist als Verkäufer gem. §§ 433, 459 ff BGB verpflichtet, die Ware vertragsgemäß zu liefern, so daß gegen die formularmäßige Hervorhebung dieser Aufgabe in standardisierten Qualitätssicherungsvereinbarungen keine Bedenken bestehen. Eine nähere Festlegung der durch Warenendkontrolle zu sichernden Qualität des Produkts durch technische Vorgaben in Geschäftsbedingungen ist daher ohne weiteres zulässig. Allerdings begünstigen die typischen Vereinbarungen überbetrieblicher Arbeitsteilung in Beschaffung und Produktion den Hersteller, insbesondere die Verlagerung der Qualitätssicherung vom Hersteller auf den Zulieferer, der zeitgenaue und mengenmäßige Abruf nach Bedarf und der - weitgehende - Verzicht des Herstellers auf die Wareneingangskontrolle: • • •

Der Personalaufwand des Herstellers wird reduziert und in die Zuliefererbetriebe verlagert, der Aufwand für die Lagerung der Zulieferteile entfällt, der Erwerb und die Wartung technischer Prüfgeräte erfolgt in den Betrieben der Zulieferer.

Den überwiegend mittelständischen Zulieferern werden die organisatorischen, personellen und sachlichen Kosten der Qualitätssicherung aufgebürdet. Die Vorgaben des Herstellers zur Qualitätskontrolle enthalten produktspezifische Untersuchungsverfahren, technische Prüfgeräte, ferner werden Umfang der Kontrollen und allgemeine Anforderungen detailliert festgelegt. Die Qualitätssicherungsvereinbarung kann in Form von Einkaufs-, Liefer-, Prüf- oder Abnahmebedingungen das Liefergeschäft ergänzen oder als standardisierte Rahmenvereinbarung gesondert niedergelegt werden. Die erforderlichen Qualitäts- und Warenausgangskontrollen sind vom Zulieferer nach Maßgabe näherer Spezifizierung des Herstellers durchzuführen. Allein darin liegt noch keine unangemessene Benachteiligung. Es müßte sich durch die organisatorischen Vorgaben des Herstellers bei der Qualitätssicherung im Zuliefererbetrieb eine unangemessene Einschränkung der gewerblichen Betätigungsfreiheit oder ein Gesetzesverstoß

17 Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, Kommentar zum Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 7. Auflage, Köln 1993, Anh. §§ 9-11, Einkaufsbedingungen, Rn. 300.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

feststellen lassen. Dabei wären sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere der prozentuale Anteil der vom Hersteller im Zuliefererbetrieb reservierten Fertigungskapazitäten, die datentechnische Verknüpfung beider Unternehmen, die Kontrollrechte des Herstellers im Zuliefererbetrieb etc. Im Einzelfall könnte sich möglicherweise die Nichtigkeit des Vertrages wegen sittenwidriger Knebelung gem. §§ 9 AGBG, 138 BGB oder wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ergeben. Die Inhaltskontrolle im Rahmen des bürgerlichen Rechts bezieht sich aber nicht pauschal auf die Wirksamkeit der Liefervereinbarung insgesamt, sondern beschränkt sich regelmäßig auf die Überprüfung einzelner Klauseln im Hinblick auf Abweichungen von der gesetzlichen Regelung.18 Als typische Bestandteile von Qualitätssicherungsvereinbarungen bei überbetrieblicher Arbeitsteilung ist die Verlagerung der Qualitätssicherung vom Hersteller auf den Zulieferer näher zu untersuchen. Die Durchfürhung der erforderlichen Qualitätskontrollen in den Unternehmen der Zulieferer erfolgt nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen; aus rechtlicher Sicht wird gleich ein doppeltes Ziel verfolgt: 19 (a)

(b)

Der Hersteller (Käufer/Besteller) will Sachmängelansprüche geltend machen, ohne die kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht gem. §§ 377, 378 HGB beachten zu müssen. Gleichzeitig soll eine Haftungsverlagerung auf den Zulieferer erreicht werden, falls Dritte wegen fehlerhafter Zulieferteile Schadensersatzansprüche geltend machen.20

Die Frage der Ansprüche aus dem Recht der Sachmängelgewährleistung gehört zum Bereich der Gestaltung vertraglicher Haftungsfolgen, während mögliche die Inanspruchnahme auf Schadensersatz durch Dritte dem Bereich der Produkt- und Produzentenhaftung zuzuordnen ist. (a)

Vertragliche Haftung:

Soweit Qualitätssicherungssysteme darauf basieren, daß seitens des Herstellers und AGB-Verwenders die Wareneingangskontrollen und damit die kaufmännische Untersuchung gem. §§ 377, 378 HGB entfallen, um Kosten und

18 Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz (Fußnote 17), § 9 Rn. 70 ff. 19 Steckler, Das Produkthaftungsrisiko im Rahmen von Just-in-time-Lieferbeziehungen, BB 1993, 1225, 1227. 20 Migge,Qualitätssicherungsverträge, VersR 1992, 665 ff, 671; Nagel, JIT-Produktion und Zivilrecht in: Schmidt (Hrsg.), Handbuch Logistik und Produktionsmanagement, Band I, 2. Auflage 1992, Kapitel 1.1.2., S. 13.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Aufwand zu sparen, kommt ein "Aushandeln" im Sinne von § 1 Abs. 2 AGBG 21

nicht infrage. Die Anwendung dieses Gesetzes auf formularmäßige Qualitätssicherungssysteme läßt sich nur dadurch vermeiden, daß für jedes Vorprodukt bzw. Teilprodukt ein einziger Zulieferer eingeschaltet wird. Diese Zielvorstellung - ein Zulieferer für jedes Teil - wurde von der Automobilindustrie im Zusammenhang mit der Just-in-time-Belieferung entwickelt. 22 Der Hersteller kann seine eigene ihm obliegende kaufvertragliche Pflicht zur Qualitätseinhaltung gegenüber seinen Abnehmern nicht auf den Zulieferer verlagern. Dadurch würden wesentliche vertragliche Pflichten eingeschränkt, so daß die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, vgl. §§9 Abs. 2 Nr. 2 und 11 Nr. 10 a) AGBG. 2 3 Eine allgemeine Haftungsfreizeichnungsklausel in Qualitätssicherungsvereinbarungen in dem Sinne, daß der Zulieferer für die Qualität der von ihm gefertigten und gelieferten Komponente verantwortlich sei, ist für die interne Haftungsregelung zwischen Hersteller (Besteller) und Zulieferer ohnehin irrelevant und wäre für die Außenhaftung als Verstoß gegen § 9 AGBG unwirksam. Im Rahmen individuell ausgehandelter Qualitätssicherungsvereinbarungen kann aber durchaus von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, daß der Zulieferer mit der Einhaltung eines Qualitätsstandards auch die Zusicherung von Eigenschaften des Produkts übernimmt. Dadurch erhält der Besteller einen verschudesunabhängigen Schadensersatzanspruch gem. §§ 463, 480 BGB - unabhängig von der Haftung für Mangelfolgeschäden nach dem Rechtsgrundsatz positiver Vertragsverletzung - und ist in seinen Gewährleistungsansprüchen nicht auf Wandelung, Minderung und Neulieferung beschränkt. Allerdings reicht es nicht aus, zu vereinbaren, daß "alle Merkmale und Angaben in Zeichnungen und Spezifikationen als zugesicherte Eigenschaften gelten", weil es sich um die bloße Beschreibung des Vertragsgegenstandes handelt, sondern es muß die Übernahme des Haftungsrisikos bei Fehlen der Eigenschaft im Sinne einer "Garantieübernähme" aus der Vereinbarung erkennbar werden. Sofern Eigenschaften formularmäßig zugesichert werden, gelten diese Klauseln als Überraschungsklauseln und sind gem. § 3 AGBG unwirksam. Auch die mit einem speziellen Zusatz versehene formularmäßige Eigenschaftszusicherung in Qualitätssicherungsvereinbarungen, die auf einen besonderen Hinweis des Herstellers in dem Abruf-

21 Westphalen, Graf von, Rechtsprobleme des "Just-in-Time-Delivery", CR 1990, 567, 568. 22 Steckler, Die rechtlichen Risiken der JIT-Produktion (Fußnote 5), S. 150 ff zur Auswertung der Umfrage-Ergebnisse in dem empirischen Teil, insbesondere S. 151 ff zu den JIT-Definitionen in der Praxis. 23 Quittnat, Qualitätssicherungsvereinbarungen und Prudukthafiung, BB 1989, 571, 573.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Auftrag der Komponenten bezug nimmt, genügt den Anforderungen des AGBG nicht. 24 Die Haftung des Zulieferers für zugesicherte Eigenschaften setzt daher voraus, daß eine individuelle vertragliche Zusicherung der Einhaltung eines bestimmten Qualitätsstandards erfolgt. Denn in diesem Fall werden gem. § 463 BGB Schadensersatzansprüche gegen den Zulieferer in unbegrenzter Höhe begründet, falls die Zulieferteile nicht dem vertraglich festgesetzten Standard entsprechen. Diese Regelung verstößt allerdings bei formularmäßiger Vereinbarung gegen § 9 AGBG, weil insofern eine unangemessene Benachteiligung des Lieferanten entsteht.25 Nachfolgende Formulierung einer Qualitätssicherungsabrede entspricht den gesetzlichen Anforderungen: Die Vertragsprodukte haben dem in der anliegenden Produktbeschreibung und Qualitätsvorschrift (Anlage) bezeichneten Spezifikations- und Qualitätsumfang und ergänzend dem allgemein für derartige Produkte vorausgesetzten Spezifikations- und Qualitätsumfang zu entsprechen. Sämtliche diesbezüglichen Produkt- und Qualitätseigenschaften werden vom Lieferanten zugesichert. Der Lieferant hat die Vertragsprodukte (Anlage) auf offenkundige Fehler zu prüfen und etwaige Fehler dem Hersteller mitzuteilen. Haben die Parteien vereinbart, daß die Vertragsprodukte bestimmten Muster-Vertragsprodukten zu entsprechen haben, so gelten die Ausführungen und Eigenschaften des Musters als vertraglich geschuldet 26 Die Zusicherung von Eigenschaften der Kaufsache erfolgt unter Bezugnahme auf eine dem Vertrag anliegende Produktbeschreibung und Qualitätsvorschrift mit konkreten Spezifikationen der Vertragsprodukte einschließlich detaillierter Festlegung der qualitativen Eigenschaften. Zusätzlich wird in der zweiten Vertragsklausel ein „Kauf nach Muster" vereinbart, wobei die Eigenschaften des Musters schon kraft Gesetzes gem. § 494 BGB als zugesichert gelten.

24 Schmidt, NJW 1991, 144 ff, 147 zitiert die pauschale Eigenschaftszusicherung „Mit Annahme des Auftrags sichert der Zulieferer sämtliche im Auftrag vorgeschriebenen Eigenschaften der Ware zu." und den möglichen Zusatz „... wenn er vom Hersteller bei Erteilung des Auftrags besonders darauf hingewiesen ist." Diese Formulierung ist wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam. 25 Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, (Fußnote 17), Anh. §§ 9-11, Einkaufsbedingungen, Rn. 300. 26 Steckler, Die rechtlichen Risiken der JIT-Produktion (Fußnote 5), Muster Allgemeiner Rahmenlieferbedingungen im Anhang A.

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Die Verlagerung der Qualitätskontrolle vom Hersteller (Käufer/Besteller) auf den Zulieferer unter gleichzeitiger Befreiung von der Wareneingangskontrolle erfolgt häufig unter Verzicht auf die kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht gem. §§ 377, 378 HGB. Die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen ist zunächst am Maßstab dieser Bestimmungen zu prüfen. Eine gesetzliche Pflicht zur Wareneingangskontrolle im Verhältnis des Käufers zum Zulieferer besteht nicht. Die dispositive Regelung der §§ 377, 378 HGB dient dazu, im kaufmännischen Geschäftsverkehr durch die unverzügliche Rüge schnellstens Klarheit über die Ordnungsmäßigkeit der Lieferung zu schaffen, damit der Verkäufer (Zulieferer) Abhilfe schaffen und sein - vertragliches und produkthaftungsrechtliches 27

Haftungsrisiko verringern kann. Doch kann aus der handelsrechtlichen Rügeverpflichtung des Käufers noch keine Pflicht zur Warenuntersuchung hergeleitet werden. Der Gesetzgeber hat die Rechtsfolgen des Verlusts von Gewährleistungsansprüchen nicht an die fehlende Warenuntersuchung, sondern an die unterlassene oder verspätete Rüge geknüpft. Deshalb bleibt die unterlassene Untersuchung der Waren zunächst folgenlos, wirkt sich aber indirekt aus, indem bei fehlender Warenkontrolle die Mängelanzeige - sofern zu einem späteren Zeitpunkt Mängel festgestellt werden - nicht mehr als rechtzeitig anzusehen ist. Denn der für die ordnungsgemäße Warenuntersuchung benötigte Zeitraum bestimmt die Rügefrist. Insoweit trägt der Käufer (Hersteller/Besteller) bei unterlassener Untersuchung die Folgen der verspäteten Mängelrüge gem. § 377 Abs. 2 HGB. In jedem Einzelfall der Abweichung der Lieferung von der Bestellung kommt es entscheidend darauf an zu überprüfen, ob eine Rügepflicht besteht und ob die Mängelrüge rechtzeitig erfolgt ist. Die kaufmännische Rügepflicht entsteht im beiderseitigen Handelskauf und auch im Werklieferungsvertrag bei Qualitätsabweichungen ohne weiteres, grundsätzlich auch bei Quantitäts- und Artabweichungen (= Aliud-Lieferungen) und entfällt lediglich bei groben Quantitäts- und Artabweichungen, welche nicht genehmigungsfähig sind. Die gesetzliche Genehmigungsfiktion des § 377 Abs. 2 HGB greift nur bei unterlassener oder verspäteter Mängelrüge ein und führt bei Qualitätsabweichungen zum Verlust der kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche. Da es sich bei den §§ 377, 378 HGB um dispositives Gesetzesrecht handelt, ist die inhaltliche Gestaltung der kaufmännischen Untersuchungs- und Rügepflicht durch einzelvertragliche Vereinbarungen möglich und zulässig. Insbesondere im

27 Die gesetzliche Regelung der kaufmännischen Untersuchungs- und Rügepflicht enthält eine ausgewogene Berücksichtigung der Interessen von Verkäufer und Käufer im Handelskauf, vgl. BGH L M Nr. 10, 13, 15 und 18 zu § 377 HGB.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Rahmen von Qualitätssiherungsvereinbarungen wird vielfach von der gesetzlichen Regelung zugunsten der von den Vertragsparteien gewünschten wirtschaftlichen Zielsetzung abgewichen. Auch bei dieser Vertragsgestaltung kommt es darauf an, ob die Qualitätssicherung durch individuelle oder formularmäßige Vereinbarung mit dem Zulieferer erfolgt ist. Denn die kaufmännische Untersuchungs- und Rügepflicht kann in vorformulierten Qualitätssicherungsvereinba28

rungen nicht pauschal ausgeschlossen werden. Wenn man die Untersuchungspflicht von der Rügepflicht getrennt betrachtet, so wird davon auszugehen sein, daß die Untersuchungspflicht ohne weiteres - zumal durch individuelle Vereinbarung - abbedungen werden kann. Denn die erforderlichen fachlichen Untersuchungsmethoden können - falls die eigene Sachkenntnis nicht ausreicht - von dritter Seite durch Sachverständige vorgenommen werden. Die Warenuntersuchung kann daher ebenso auch im Unternehmen des Zulieferers erfolgen. Mißt man die Einzelheiten der bekannt gewordenen Qualitätssicherungsabreden an den aus §§ 377, 378 HGB abgeleiteten Prinzipien (Ordnungsgemäßer Geschäftsgang, Tunlichkeit, fachmännische Sorgfalt), so bestehen gem. § 9 AGB-Gesetz keine Bedenken.29 Infolgedessen ist auch der Umstand, daß durch die Verlagerung der Qualitätssicherung auf den Zulieferer auch die handelsrechtliche Untersuchungspflicht des Käufers gem. § 377 HGB abbedungen und dem Verkäufer auferlegt wird, rechtlich nicht zu beanstanden.30 Die Zulässigkeit eines vollständigen Verzichts auf die kaufmännische Rügepflicht wird demgegenüber in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend verneint. 31 Die §§ 377, 378 HGB haben eine zentrale Bedeutung im Handelskauf und im kaufmännischen Werklieferungsvertrag. Sie dienen dem allgemeinen Interesse an einer raschen Abwicklung der Rechtsgeschäfte im Handelsverkehr und einer interessengerechten Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer. 32 Für Transportschäden ist die Wareneingangsprüfung die einzige Kontrolle; diese Schäden können erst im Wareneingang des Bestellers erkannt werden und müssen insoweit auch gerügt werden. 33 Selbst wenn in der Wareneingangskontrolle nur Stichproben erfolgen, werden Mängel durch die Außerachtlassung von Qualitätssicherungsmaßnahmen aufgedeckt, beispielsweise die Nichtanwendung von Sicherheitsmaßnahmen, maschinelle Störungen der technischen Kontrollge-

28 BGH W M 1991, 1634; Migge, VersR 1992, 665 ff, 672. 29 Westphalen, Graf von, CR 1990, 567, 569. 30 Nagel, JIT-Produktion und Zivilrecht in: Schmidt, Handbuch Logistik und ProduktionsManagement, Band I, 2. Auflage, S. 16. 31 Ulmer/Brandner/Hensen, (Fußnote 17), Anh. §§ 1-11, Rn. 299 f. 32 BGH Nrn. 15, 18, 19 und 21 zu § 377 HGB. 33 Steckler, Die rechtlichen Risiken der JIT-Produktion (Fußnote 5), S. 87 ff.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

räte, Viren oder Fehler in den eingesetzten Computerprogrammen, Abweichungen von Maschineneinstellungen und sonstige seriell auftretende Störungen. 34 Der Verzicht auf die Mängelrüge wird deshalb nur aufgrund individueller vertraglicher Abreden für zulässig erachtet. 35 Insbesondere bei offensichtlichen und leicht erkennbaren Mängeln muß der Verzicht auf die kaufmännische Rügepflicht als unzulässig angesehen werden mit der Folge, daß der Gewährleistungsanspruch für Sachmängel entfallen kann, weil die Rügepflicht fortbesteht. Es müßte also auch bei vertraglichem Rügeverzicht ein offensichtlich erkennbarer Mangel dem Verkäufer angezeigt werden, sonst gilt die Ware als genehmigt, § 377 Abs. 2 HGB. 3 6 Die häufig in Allgemeinen Einkaufsbedingungen anzutreffende Klausel, wonach der "Zulieferer auf den Einwand nicht rechtzeitiger Mängelrüge verzichtet", ist wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam. 37 Die Vereinbarung einer angemessenen Rügefrist kann aber wirksamer Bestandteil einer Qualitätssicherungsvereinbarung sein; ihre rechtliche Zulässigkeit richtet sich nach Art der Ware und der Leistungsfähigkeit des Käuferbetriebes. Eine regelmäßige Rügefrist läßt sich aus der Rechtsprechung nicht herleiten. Vielmehr richtet sich die Dauer der Rügefrist nach dem für eine ordnungsgemäße Untersuchung der Waren im Unternehmen des Bestellers anzusetzenden Zeitraum. 38 Die vertragliche Gestaltung der Rügeklausel darf sich deshalb nicht auf einen pauschalen Verzicht des Zulieferers auf den Einwand verspäteter Mängelrüge beschränken. Da die Rügefrist einen Ausschluß der Gewährleistungsansprüche des Käufers bewirkt, muß im Hinblick auf die gesetzliche Verjährungsfrist von 6 Monaten ab Ablieferung beweglicher Sachen gem. § 477 BGB und

34 Schmidt, Qualitätssicherungsvereinbarungen und ihre rechtlicher Rahmen, NJW 1991, 144 ff, 149; Lehmann, Just in time: Handels- und AGB-rechtliche Probleme, BB 1990, 1851. 35 Grunwald, Just-in-time-Geschäfte - Qualitätssicherungsvereinbarungen und Rügelast, NJW 1995, 1777, 1784; Quittnat, BB 1989, 571. 36 Im juristischen Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß infolge unterlassener Mängelrüge nicht nur die Gewährleistungsansprüche wegen Sachmängeln ausgeschlossen werden, sondern auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung wegen Mangelfolgeschäden, vgl. Lehmann, BB 1990, 1849 ff, 1855; Westphalen, Graf von, CR 1990, 569, 570. 37 Westphalen, Graf von, Allgemeine Einkaufsbedingungen, 2. Auflage, München 1990, S. 113; ders, Qualitätssicherungsvereinbarungen, Prüfstein für AGB-Klauseln und Versicherungsschutz, CR 1993, 65 ff. 38 So war z.B. bei der Rüge von Verpackungen ein Zeitraum von 8 Tagen zu lang und die Rüge nicht mehr unverzüglich, während bei der Kontrolle eines Werbefilms ein Zeitraum von 24 Stunden nach Erhalt des Films als angemessen angesehen wurde. Je nach Produktart - verderbliche Lebensmittel - kann die vorgeschlagene Rügefrist zu lang sein, vgl. Westphalen, Graf von, (Fußnote 37), Allgemeine Einkaufsbedingungen, 86 ff, 97.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

auf die zulässige Regelung von Ausschlußfristen gem. §§9, 11 Nr. 10 e) AGBG zwischen offenen und versteckten Mängeln unterschieden werden. Die Rügeklausel muß deshalb eine Rügefrist enthalten und damit eine Obergrenze für das Ende der Gewährleistungsfrist vorsehen. Denn ohne eine derartige Einschränkung der Schadenshaftung des Zulieferers läge ein Verstoß gegen § 9 AGBG vor. 3 9 Durch Vertrag kann aber die sechsmonatige Verjährungsfrist des § 477 BGB abbedungen und erweitert werden. Eine zulässige Gestaltung der Mängelrügeklausel könnte wie folgt aussehen: Dem Hersteller bleiben für 12 Monate ab Rechnungsdatum die Gewährleistungsansprüche sowohl für offene als auch für versteckte Mängel in vollem Umfang erhalten " oder "Die Gewährleistungsfrist beträgt 2 Jahre ". 40 Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen offenen und versteckten Mängeln ergibt sich aus den gesetzlichen Vorschriften, von denen durch die Rügeklausel abgewichen wird, vgl. §§ 377, 378 HGB, 477 BGB und §§ 9, 11 Nr. 10 e) AGBG. Die Mängelrüge ist nicht rechtzeitig, wenn der Käufer/Besteller bei ordnungsgemäßer Untersuchung den Mangel erkannt hätte. Daher ist der Käufer verpflichtet, die Untersuchung mit fachmännischer Sorgfalt entweder selbst durchzufuhren oder von Sachverständigen bzw. dem Zulieferer durchführen zu lassen. Bei versteckten Mängeln entsteht die Rügepflicht im Zeitpunkt der Entdeckung. Infolgedessen ist es in der betrieblichen Praxis geboten, Reklamationen und Schadensmeldungen der Abnehmer ständig daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit sich daraus Gewährleistungsansprüche ergeben, die dem Hersteller (Käufer/Besteller) gegenüber dem Zulieferer (Verkäufer) zustehen.41 Eine vereinbarte Rügefrist müßte nach Art und Umfang der Untersuchung angemessen sein, so daß die Art des Produkts, die Branchenübung und auch die Möglichkeiten des Betriebes zu berücksichtigen sind. 42 Der enge Zusammenhang zwischen der Verlagerung der Qualitätssicherung auf den Zulieferer und der Verpflichtung des Bestellers zur Mängelrüge wird in folgender Vereinbarung deutlich: Qualitätsüberprüfung: Die von dem Hersteller angenommenen Vertragsprodukte werden innerhalb von 30 Tagen nach Wareneingang nach den ver-

39 Die Konditionenempfehlung der Automobil industrie sieht eine Obergrenze für Gewährleistungsansprüche bei 12 bis 18 Monaten vor, vgl. Bunte, Handbuch der AGB, München 1982, 185 ff, 190. 40 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn 5), Vertragmuster einer Qualitätssicherungsvereinbarung im Anhang C. 41 Diese Rückfragen zur Spezifizierung etwaiger Mängel sind auch für die Produktbeobachtungspflicht im Rahmen deliktischer Haftung von Bedeutung. 42 Westphalen, Graf von,, Allgemeine Einkaufsbedingungen (Fußnote 37), 86 ff, 97.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

einbarten und ergänzend nach allgemein für derartige Produkte üblichen Qualitäts- bzw. Prüfvorschriften im Stichprobenverfahren geprüft. Dabei erkennbare Mängel sind innerhalb von 6 Wochen, verborgene Mängel innerhalb von 12 Monaten nach Wareneingang schriftlich zu rügen. Soweit die Vertragsprodukte zum Teil schon von dem Hersteller in der Produktion eingesetzt werden, bevor die Ergebnisse der Wareneingangsuntersuchung vorliegen, verpflichtet sich der Lieferant, vor Auslieferung der Vertragsprodukte Qualitätssicherungsmaßnahmen bzw. -kontrollen in einem solchen Umfang auf seine Kosten durchzuführen, daß eine Wareneingangskontrolle bei dem Hersteller auch entfallen könnte. Die durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen sind zu dokumentieren und aufzubewahren. 43 Bei der Formulierung einer zulässigen Rügeklausel wird deshalb auf die branchenspezifischen Besonderheiten abzustellen sein, denn der Zulieferer hat ein gesetzlich anerkanntes Interesse daran, unverzüglich darüber unterrichtet zu werden, ob er mit Gewährleistungsansprüchen des Käufers/Bestellers rechnen muß. Es ist insbesondere auf den Dauerschuldcharakter der langfristigen Liefervereinbarung zu achten und die Wirksamkeit der Mängelrüge auf die einzelne mangelhafte oder von der Bestellung abweichende Teillieferung zu beschränken: Mängelrügen sind nur wirksam, wenn sie schriftlich erhoben werden. Wird eine Teillieferung beanstandet, beschränkt sich die Wirkung der Mängelrüge nur auf diese Teillieferung. Die Verpflichtung zur Abnahme der weiteren Teillieferungen bleibt hiervon unberührt. Aus Beweisgründen wird die Rügeklausel mit einem vertraglichen Schriftformerfordernis verbunden. Die Mängelrüge per Fax genügt dieser Formvereinbarung; dagegen wären mündliche oder telefonische Mängelrügen nichtig, vgl. §§ 127, 126 BGB. (b)

Produkt- und Produzentenhaftung

Qualitätssicherungsvereinbarungen enthalten häufig Regelungen über den gesamtschuldnerischen Ausgleich der Produzenten- und Produkthaftung im Verhältnis des Endproduktherstellers zu den Zulieferern. Im Hinblick auf die überbetriebliche Arbeitsteilung haften alle beteiligten Hersteller fur Gefahren aus Fehlern der von ihnen gefertigten Teile sowohl nach dem Deliktsrecht (§ 823

43 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn. 5), Muster Allgemeiner Rahmenliefervereinbarungen im Anhang A.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Abs. 1 BGB) als auch nach dem Produkthaftungsgesetz (§ 1 ProdHaftG). 44 Im Außenverhältnis hat der Endprodukthersteller gegenüber den Geschädigten ohne Entlastungsmöglichkeit einzustehen. Dagegen erfolgt im Innenverhältnis der an der Herstellung des Gesamtprodukts beteiligten Unternehmen ein gesamtschuldnerischer Haftungsausgleich gem. §§ 840 BGB, 1 Abs. 3 ProdHaftG, 426, 254 BGB. Die in der Qualitätssicherungsvereinbarung enthaltenen Haftungsfteizeichnungsklauseln müssen diesen gesetzlichen Ausgleichsregeln entsprechen. Die durch überbetriebliche Arbeitsteilung veränderten Produkthaftungsrisiken können dazu führen, daß wirksame Freistellungsregelungen im Innenverhältnis den Hersteller auch im Außenverhältnis entlasten, während der Zulieferer das gestiegene Haftungsrisiko versicherungsrechtlich absichern müßte. Insofern ist die Verlagerung der Qualitätssicherung vom Hersteller auf den Zulieferer bei gleichzeitiger Beschränkung der Wareneingangskontrolle des Endproduktherstellers auf bestimmte gefahrengeneigte Situationen näher zu untersuchen. 45 In den Fällen vertikaler Arbeitsteilung stellt sich ein vollständiger Verzicht des Endproduktherstellers auf die Wareneingangsprüfung nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung als Verletzung der ihm gem. § 823 Abs. 1 BGB obliegenden Verkehrssicherungspflichten dar. 46 Denn der unter Außerachtlassung der kaufmännischen Untersuchungspflicht vorgenommene Einbau zugelieferter Teilprodukte in das Endprodukt ist ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten eines ordentlichen Kaufmanns. Transportschäden und serielle Fehler in der Qualitätskontrolle des Zulieferers lassen sich nur bei einer mindestens stichprobenartigen Wareneingangsprüfung feststellen. Der Hersteller kann die ihm zur Vermeidung von Produktfehlern obliegende Qualitätssicherung bei arbeitsteiliger Produktion vertraglich durchaus auf die Zulieferer verlagern. Die Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich dann auf die Prüfung der Eignung und Zuverlässigkeit des Lieferanten, auf die Übereinstimmung der Lieferung mit der Bestellung und darauf, ob die gelieferte Ware qualitativ der vereinbarten Spezifizierung entspricht. 47 Der Endprodukthersteller haftet mithin für die Verletzung eigener Verkehrssicherungspflichten, z.B. bei Konstruktionsmängeln des Endprodukts 48 wegen 44 Schmidt-Salzer, Produkthaftung, 2. Auflage, Heidelberg, Band III 1. Teil Deliktsrecht 1990, Rz. 4.332. 45 Hollmann, Zur rechtlichen und technischen Bedeutung von Qualitätssicherungsvereinbarungen, PHI 1989, 146, 149. 46 Westphalen, Graf von, CR 1990, 569, 570. 47 OLG Köln, CR 1990, 268 - Prüfungspflicht des Produzenten ftir Teile des Zulieferers. 48 Der Hersteller hat im Rahmen seiner deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflicht bei der Konstruktion seines Produkts zu berücksichtigen, daß die zugelieferten Produktteile nach Material und Belastbarkeit die vorgesehenen Funktionen im Endprodukt erfüllen, ohne Schäden

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

fehlerhafter Materialauswahl oder aufgrund von Produktionsfehlern im Endprodukt. Dagegen besteht keine primäre Verantwortung des Endproduktherstellers für die Schäden aus fehlerhaften zugelieferten Teilen. 49 Nach der Rechtsprechung entfällt die deliktische Haftung des Endproduktherstellers für Produktions- und Materialfehler der Zulieferteile bei hinreichender Spezifikation, sorgfältiger Auswahl und Kontrolle der Zuliefererbetriebe und Überprüfung einer Übereinstimmung von Bestellung und Lieferung. 50 Infolgedessen ist der Hersteller gehalten, das vom Zulieferer zu erstellende Teilprodukt technisch zutreffend zu spezifizieren und diese Leistungsbeschreibung in einem Pflichten- oder Lastenhaft schriftlich niederzulegen; nicht nur um die Vertragspflichten festzulegen, sondern auch um in einem möglichen Produkthaftungsfall den Nachweis für die Verteilung der Produktverantwortung im Innenverhältnis zu erleichtern. Demgegenüber ist der Zulieferer verpflichtet, das Teilprodukt entsprechend den Vorgaben des Endproduktherstellers zu produzieren. Fabrikationsfehler hinsichtlich des Teilprodukts fallen daher in den Haftungsbereich des Zulieferers. 51 Im Wege horizontaler Arbeitsteilung können Zulieferer auch mit der Planung und Konstruktion des Teilprodukts beauftragt werden. Diese haben als Auftragnehmer für die ordnungsgemäße Erfüllung der von ihnen übernommenen Aufgabe einzustehen, so daß sich die deliktsrechtliche Verantwortung eines Zuliefererunternehmens auch auf Konstruktionsfehler erstrecken kann. 52 Der Endprodukthersteller müßte bei der Vergabe der Konstruktion allerdings eine sorgfaltige Auswahl, Überwachung und Kontrolle des Auftragnehmers/Zulieferers vornehmen, um in der Qualitätssicherungsvereinbarung seine deliktische Haftung wirksam zu beschränken. 53 Mit der Konstruktion und/oder Produktion von Teilerzeugnissen können nur solche Zulieferer betraut werden, die die Gewähr dafür bieten, daß ihre Produkte die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik mögliche Sicherheit aufweisen. Das Unternehmen des Zulieferers muß ausreichend organisiert sein und über zuverlässiges Personal verfügen. 54. Die Lieferantenauswahl und -kontrolle hat bei der Verlagerung der Qualitätskontrolle auf den Zulieferer einen höheren Stellenwert als bei der herkömmlichen

49 50 51 52 53 54

für Dritte hervorzurufen, vgl. Foerste in: Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, Band 1, Vertragliche und deliktische Haftung, Strafrecht und Produkt-Haftpflichtversicherung, München 1989, § 25 Rn. 38. Schmidt-Salzer, (Fußnote 44), Rz. 4115 f, 4.3332 ff. OLG Köln, CR 1990, 268 - Prüfungspflicht des Produzenten für Teile des Zulieferers. Schmidt-Salzer, (Fußnote 44), Rz. 4.438. Kreifels, ZIP 1990, 489, 490. Schmidt-Salzer, (Fußnote 44), Rz. 4.343 ff. OLG Düsseldorf, NJW 1978, 1693.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

Beschaffung. Die Eignung des Zuliefererunternehmens richtet sich insbesondere nach dem Gefahrenpotential des zugelieferten Teilprodukts, so daß selbst langjährige vertragliche Bindungen ohne Beanstandungen nicht ausreichen, wenn eine neue Fertigung begonnen wird. Vielmehr ist die Leistungsfähigkeit des Zulieferers mit derjenigen anderer Zuliefererbetriebe im Hinblick auf die Spezifizierung des Teilerzeugnisses zu vergleichen. 55 Insofern beinhaltet die im Hinblick auf die deliktische Produzentenhaftung erforderliche Lieferantenauswahl nicht die kaufmännische Bewertung, sondern die Eignung des Lieferanten zur Erzielung der spezifizierten Produktqualität, sog. auftragsbezogene Qualifikation. 56 Dazu sollte eine Auswertung der Bearbeitungsbeanstandungen erfolgen, u.a. der Gewährleistungs-, Reparatur- und Schadendaten, die regelmäßig aus der Wareneingangskontrolle des Endproduktherstellers gewonnen werden. 57. Damit wird deutlich, daß der vollständige Verzicht auf die Wareneingangskontrolle das produkthaftungsrechtliche Risiko des Endproduktherstellers erhöht. Bei allen Formen überbetrieblicher Arbeitsteilung sollte die Qualitätssicherungsvereinbarung zwischen dem Endprodukthersteller und den Zulieferern auch eine Dokumentation der Qualitätssicherung der zugelieferten Teile einschließen. Der Zulieferer wird ohnehin für eine sachgerechte Qualitätskontrolle über ein eigenes Datenbankkonzept verfügen. Diese Ausstattung erleichtert ihm den Nachweis mangelfreier Erfüllung des Liefervertrages und im Drittschadensfall den gesamtschuldnerischen Haftungsausgleich nach den Regeln der Produzenten· und Produkthaftung im Innenverhältnis gegenüber dem Endprodukthersteller. 58 Aus einer sorgfältigen Dokumentation der Qualitätssicherung im Zuliefererunternehmen ergeben sich auch Vorteile für den Endprodukthersteller. Da im Außenverhältnis seine Mithaftung für Fehler zugelieferter Teile nicht nur nach Deliktsrecht, sondern als Quasihersteller auch im Rahmen der Produkthaftung gegeben sein kann, vgl. §§ 4, 5 ProdHaftG, ermöglicht ihm die Aufbewahrung der Dokumentation die Verteidigung gegenüber Rechtsansprüchen Drit-

55 Zur Feststellung der Anforderungen an die Eignung eines Zulieferers wird vielfach auf das vom Verband der Automobil industrie e.V. empfohlene Beurteilungsverfahren verwiesen, vgl. Foerste in Westphalen, Graf von, (Fußnote 37), § 25 Rn. 43 ff; Kulimann/ Ρ fister, Produzentenhaftung, Berlin 1980, Rn. 3250 S. 12/13; Verband der Automobilindustrie e.V., Sicherung der Qualität von Lieferungen in der Automobil industrie - Lieferantenbewertung/Erstmusterprüfting, 1975. 56 Schreiber, Produkthaftung bei arbeitsteiliger Produktion, Karlsruhe 1990, S. 170 ff, 172 mit Einzelbeispielen. 57 Schmidt-Salzer, (Fußnote 44), Rz. 4349. 58 Teichler, Qualitätssicherung und Qualitätssicherungsvereinbarungen, BB 1991, 428, 431.

Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

ter. 59 Infolgedessen werden die Einzelheiten der Prüfmethoden festgelegt und von dem Zulieferer in ein "Qualitätssicherungshandbuch" erstellt. 60 Die durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen werden dokumentiert und die Dokumentation aufbewahrt. In der Regel erstellt der Zulieferer ein Zertifikat, anhand dessen der Hersteller die Übereinstimmung der jeweils gelieferten Vertragsprodukte mit dem vereinbarten Spezifikations- und Leistungsumfang überprüfen kann. 61 Eine entsprechende Regelung in der Qualitätssicherungsvereinbarung kann folgendermaßen aussehen: Dokumentation und Prüfbescheinigung: Der Zulieferer fertigt Aufzeichnungen über die durchgeführten Prüfungen an. Die ermittelten Prüfergebnisse werden bei dem Zulieferer in einem Prüfprotokoll festgehalten und können jederzeit auf Anfrage dem Hersteller zugestellt werden. Der Lieferung wird ein Prüfzertifikat beigelegt. Sämtliche Dokumentationen sind von dem Zulieferer mindestens 4 Jahre aufzubewahren und dem Hersteller auf Verlangen zur Einsichtnahme zu überlassen 62 Der Endprodukthersteller kann sich das Recht vorbehalten, an internen Abnahmen und Prüfungen im Werk des Zulieferers bei der Herstellung der Zulieferteile teilzunehmen63, während der üblichen Geschäftszeiten und nach Voranmeldung bei dem Zulieferer die Herstellung, Prüfung und Lagerung der Vertragsprodukte zu besichtigen und die Herstell- und Prüfdokumentation einzusehen sowie Qualitatsaudits vorzunehmen, soweit der Hersteller dadurch nicht Einblick in die Betriebsgeheimnisse des Zulieferers erhält. 64 Der Umfang der datentechnischen Überwachung kann im Hinblick auf die gesamten Kooperationsvereinbarung

59 Kreifels, ZIP 1990, 489, 494; Landscheidt, N Z V 1989, 169 ff, 172; Quittnat, BB 1989, 571, 572; Schmidt-Salzer, BB 1981, 1041, 1044; 7eichler, BB 1991, 428, 431. 60 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn. 5), § 2 Ziff. 3.3. des Musters eines Rahmenvertrags zur Just-in-time-Belieferung im Anhang B. 61 Vgl. Muster Allgemeiner Rahmenlieferbedingungen im Anhang A. 62 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn. 5), Ziff. 3.2. des Musters einer Qualitätssicherungsvereinbarung im Anhang C. 63 Die pauschal und nicht hinreichend spezifizierte Vereinbarung von Zutritts- und Überwachungsrechten des Herstellers hinsichtlich des Betriebes und der Qualitätssicherung des Zulieferers begegnet allerdings bei formularmäßiger Vereinbarung rechtlicher Bedenken aus § 9 AGBG. 64 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn. 5), Muster Allgemeiner Rahmenlieferbedingungen im Anhang A; § 2 Ziff. 3.3. des Musters eines Rahmenvertrags zur Just-in-time-Belieferung im Anhang B.

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Steckler, Rechtliche Aspekte der Qualitätssicherung

auch wettbewerbsrechtliche, konzernrechtliche und arbeitsrechtliche Auswirkungen haben.65 Zusammenfassung: Qualitässicherungsvereinbarungen im Rahmen überbetrieblicher Arbeitsteilung zwischen dem Hersteller eines Produkts und den Zulieferern von Teil- oder Vorprodukten erfordern eine umfangreiche Zusammenarbeit von Ingenieuren, Kaufleuten und Juristen. Die kaufmännischen Ziele und die technischen Spezifizierungen sind in Übereinstimmung zu bringen und sodann die vertraglichen Regelungen - als Individualvereinbarung oder als Allgemeine Geschäftsbedingungen - interessengerecht zu gestalten. Durch die Verlagerung der Qualitätssicherung der zugelieferten Produkte in den Betrieb des Zulieferers bei gleichzeitiger Reduzierung der Wareneingangsprüfung auf Stichproben entstehen rechtliche Risiken im Bereich der Inhaltskontrolle nach dem AGBG und des Ausschlusses der Gewährleistungsansprüche durch die Verletzung der kaufmännischen Untersuchungs- und Rügepflicht. Diesen Risiken kann durch entsprechende Vertragsgestaltung begegnet werden, beispielsweise durch die Festlegung der Rügefrist, durch eine Verlängerung der gesetzlichen Verjährungsfristen, durch die Zusicherung von Eigenschaften und andere Vereinbarungen. Der vollständige Verzicht auf die Wareneingangsprüfung sollte unterbleiben und mindestens Sichtkontrollen und Stichproben im Wareneingang vorgenommen werden. Dadurch wird auch das produkthaftungsrechtliche Risiko des Herstellers durch Verletzung der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht reduziert. Der gesamtschuldnerische Schadensausgleich im Innenverhältnis der bei überbetrieblicher Arbeitsteilung beteiligten Hersteller untereinander wird durch die Dokumentation der Qualitätssicherung erleichtert.

65 Steckler, Die rechtlichen Risiken der Just-in-time-Produktion (Fn. 5), S. 139 ff zu den konzernrechtlichen, wettbewerbsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Auswirkungen der JIT-Produktion.

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil?

255

Jörg-Dieter Oberrath

Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil? - Das Umwelt-Audit Die immer größer werdende Bedeutung des Umweltschutzes und der immer stärker zunehmende Einfluß des Umweltrechtes auf die unternehmerische Tätigkeit zwingt die Unternehmen sich mit dem Umweltschutz auseinanderzusetzen und zumindest mittelfristig zu einer offensiven betrieblichen Umweltpolitik zu kommen 1 . Das gängigstes Mittel des Staates zur Förderung des Umweltschutzes und zur Durchsetzung des Umweltrechtes sind eingreifende Maßnahmen2. Nach dem im Umweltschutzrecht geltenden Kooperationsprinzip soll beim Umweltschutz aber auch auf Zusammenarbeit gesetzt werden. Dementsprechend versucht das Umweltschutzrecht die Unternehmen zur aktiven Mitarbeit zu bewegen. Dies ist der Ansatzpunkt für die Einführung des Umweltaudits3 durch die Umwelt-AuditVerordnung der EG -EG-UmwAuditVO- 4 . Diese setzt auf die freiwillige Teilnahme der Unternehmen an einem System, in dessen Mittelpunkt die Überprüfung des betrieblichen Umweltschutzes durch unabhängige Stellen steht. Im folgenden kurzen Abriß sollen zunächst die vom Unternehmen zu schaffenden Voraussetzungen sowie der Ablauf und die Folgen des Umweltaudits beschrieben und dann untersucht werden, welche Vorteile das Unternehmen aus der Teilnahme am Umwelt-Audit-System ziehen kann.

1 2 3

4

Allgemein zu den Vorteilen einer offensiven Umweltpolitik im Unternehmen Schulz/Schulz, Ökomanagement, S. 95 ff. Einen Überblick über die rechtlichen Instrumente des Umweltschutzes gibt Ketteier, Instrumente des Umweltrechts, Juristische Schulung 1994, S. 826 ff. und 909 ff. Statt Umweltaudit ist auch der Begriff Öko-Audit gebräuchlich; hier wird aber der Begriff Umweltaudit zugrundegelegt, da das der Ausdruck ist, den die einschlägigen Rechtsgrundlagen verwenden. Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 vom 29.06.1993 ABl. EG Nr. L 168, S. 1; ber. ABl. EG 1995 Nr. L 203, S. 17.

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Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil

1.

Erforderliche Maßnahmen des Unternehmens zur Teilnahme am Umwelt-Audit

1.1

Grundlegung

Rechtsgrundlagen für das Umweltaudit sind die EG-UmwAuditVO und das bundesdeutsche Umwelt-Audit Gesetz -UAG- 5 . Danach müssen auf Seiten des Unternehmens folgende Voraussetzungen gegeben sein oder geschaffen werden: • • • • • • • 1.2

Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit Festlegung einer betrieblichen Umweltpolitik Durchführung einer Umweltprüfung Entwicklung eines Umweltprogrammes Einführung eines Umweltmanagements Durchführung von Umweltbetriebsprüfungen Abgabe einer Umwelterklärung Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit

Nach Art 3 EG-UmwAuditVO können an dem System alle Unternehmen teilnehmen, die eine gewerbliche Tätigkeit ausüben. Die Teilnahme erfolgt standortbezogen. Der Begriff der gewerblichen Tätigkeit ist in der EG Verordnung Nr. 3037/90 näher umschrieben 6. Insbesondere werden erfaßt metallerzeugende oder -verarbeitende Betriebe, der Maschinenbau, die chemische Industrie, die Herstellung von Produkten, Fahrzeugbau und die Stromerzeugung. Nach Art. 14 EG-UmwAuditVO, § 3 UAG können durch Verordnung auch nichtgewerbliche Unternehmen, z.B. Dienstleistungsunternehmen, in den Kreis der teilnahmeberechtigten Unternehmen aufgenommen werden. 1.3

Festlegung einer betrieblichen Umweltpolitik

Die erste Maßnahme, die das teilnahmewillige Unternehmen treffen muß, ist nach Art. 3 lit. a) EG-UmwAuditVO die Festlegung einer betrieblichen Umweltpolitik 7 . Dies hat schriftlich und unter Beachtung der in Anhang I. D. festgelegten Handlungsgrundsätze, den sog. Guten Manangementpraktiken 8 zu erfolgen. Die Umweltpolitik soll danach durch entsprechende Selbstverpflichtung des

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8

Gesetz vom 07.12.1995, BGBl. I, S. 1591. Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 vom 09.10.1990, ABl. L 293, Abschn. C u. D. Trotz des Wortlautes des Art. 3 lit. a) EG-UmwAuditVO bezieht sich die Festlegung einer Umweltpolitik auf das gesamte Unternehmen, nicht nur auf den betreffenden Standort; vgl. Waskow, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht-Kommentar, Einführung Umweltaudit M l RN 61. Ausführlich dazu Schulz/ Schulz (FN 1), IX.3.1.3.

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil?

257

Unternehmens sicherstellen, daß die gesetzlichen Anforderungen an den Umweltschutz eingehalten und der betriebliche Umweltschutz in den Grenzen der wirtschaftlichen Vertretbarkeit und der verfügbaren Technik stetig verbessert wird. 1.4

Durchführung einer Umweltprüfung

Zweiter Schritt des Unternehmens ist nach Art. 3 lit. b) EG-UmwAuditVO das Anfertigen einer Bestandsaufnahme der Wechselbeziehungen, die sich zwischen der konkreten Unternehmenstätigkeit am betreffenden Standort und der Umwelt ergeben. Nach der EG-UmwAuditVO wird dieser Schritt als Umweltprüfung bezeichnet (Art. 2 lit. b) EG-UmwAuditVO). Gemäß Anhang I.C. EG-UmwAuditVO sind hierbei zum einen die vom Unternehmen ausgehenden Umweltbelastungen, wie die Schadstoffemissionen, der Abwasser- und Abfallanfall, der Verbrauch von natürlichen Ressourcen, wie Wasser oder Boden und die Freisetzung von Wärme, Lärm etc. zu erfassen. Zum anderen sind auch die schon bestehenden betrieblichen Umweltmaßnahmen zu dokumentieren. Nach der Erfassung erfolgt eine Bewertung der gesammelten Daten9. Diese kann durch internes oder externes Personal erfolgen, soweit dies fachkundig ist. 1.5

Entwicklung eines Umweltprogramms

Als nächstes ist gemäß Art. 3 lit. c) EG-UmwAuditVO für jeden Standort ein Umweltprogramm aufzustellen. Dieses beschreibt auf der Basis der durch die Umweltprüfung erzielten Ergebnisse, die Ziele, die sich das Unternehmen zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt setzt und die konkreten Maßnahmen, die zu deren Verwirklichung vorgesehen sind. 1.6

Einführung eines Umweltmanagementsystems

Am jeweiligen Standort muß das Unternehmen nach Art. 3 lit. c) UmwAuditVO ein Umweltmanagementsystem10 schaffen, das die Umsetzung des Umweltprogramms und der geplanten Maßnahmen gewährleistet. Die Anforderungen dafür sind in Anhang I.B. EG-UmwAuditVO festgeschrieben. Danach müssen insbesondere:

9 Näher dazu IHK Nordrhein-Westfalen, EG-Umwelt-Audit Wegweiser, S. 17 ff. 10 Allgemein zur Einführung eines Umweltmanagements in einem Betrieb vgl. Bundesumweltministerium/ Umweltbundesamt (Hrsg.), Umweltcontrolling, 1995; Winter, Das umweltbewußte Unternehmen, 1993; Meffert/ Kirchgeorg, Marktorientiertes Umweltmanagement, 2.Auflage 1993.

258 • •

• • •



Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil

Die festgelegten Umweltziele und -programme ständig überprüft und ggf. angepaßt werden. Organisationsstrukturen geschaffen werden, die die Umsetzung des betrieblichen Umweltschutzes sicherstellen. Dazu müssen auf allen Führungsebenen besondere Zuständigkeiten und Befugnisse geschaffen werden. Diese formellen Organisationsstrukturen müssen dadurch unterstützt werden, daß das gesamte Personal den betrieblichen Umweltschutz mitträgt. Dies ist durch entsprechende Informationen, Schulungen etc. sicherzustellen. Die Umweltauswirkungen des Unternehmens im Betriebsalltag ständig festgestellt, bewertet und dokumentiert werden. Kontrollmechanismen geschaffen werden, die für alle Tätigkeiten am Standort die Umsetzung der betrieblichen Umweltpolitik garantieren. Die einzelnen Elemente des Umweltmanagements laufend dokumentiert werden. Dies kann durch ein Umwelthandbuch erfolgen, das parallel zu einem Qualitätsmanagementhandbuch geführt werden kann 11 . Regelmäßige Umweltbetriebsprüfungen vorgesehen werden.

Bei der Einführung und der Fortschreibung eines Umweltmanagementsystems können Umwelt-Checklisten wertvolle Hilfe leisten. Sie erleichtern durch Fragenkataloge zu verschiedenen Unternehmensbereichen eine Einschätzung des Zustandes des betrieblichen Umweltschutzes12 1.7

Durchführung von Umweltbetriebsprüfungen

Nachdem die genannten Schritte durchlaufen sind, müßte gemäß Art. 3 lit. d) EG-UmwAuditVO eine Umweltbetriebsprüfung stattfinden.. Allerdings macht dies wenig Sinn, wenn das Umweltmanagementsystem gerade erst eingeführt wurde 13 . Nach überwiegender Interpretation ist daher bei der erstmaligen Durchführung des Umweltaudits eine Umweltbetriebsprüfung nicht durchzuführen. Die Umweltbetriebsprüfung kann nach Art. 4 Abs. 1 EG-UmwAuditVO durch interne oder externe Prüfer erfolgen, die in technischer, organisatorischer und rechtlicher Hinsicht die erforderliche Fachkunde haben. Der Gegenstand der Prüfung ist in Anhang I. C. und II EG-UmwAuditVO festgelegt. Danach ist insbesondere das bestehende Umweltmanagementsystem zu bewerten und zu überprüfen, ob das Management den eigenen Vorgaben des Unternehmens entspricht und ob die maßgeblichen Umweltvorschriften eingehalten werden.

11 Einzelheiten vgl. IHK Nordrhein-Westfalen (FN 9), S. 28 f. 12 Vgl. z.B. die Checklisten in Winter (FN 10), S. 98 ff. oder das im Handbuch Umweltcontrolling (FN 10) abgedruckte Modell. 13 Lübbe-Wolf, Das Umwelt-Audit-Gesetz, Natur und Recht 1996, S. 217 ff. (218).

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil?

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Die Umweltbetriebsprüfimg ist in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Nach Anhang II.D. EG-UmwAuditVO beträgt der Abstand zwischen zwei Prüfungen höchstens drei Jahre. Ein kürzerer Abstand kann aufgrund der Besonderheiten des Unternehmens von der Unternehmensleitung festgelegt werden. 1.8

Abgabe einer Umwelterklärung

Nach der Umweltprüfung und im Anschluß an die späteren Umweltbetriebsprüfungen wird vom Unternehmen für den betreffenden Standort eine Umwelterklärung abgegeben. Diese Erklärung dient der Information der Öffentlichkeit (Art. 5 Abs. 2 EG-UmwAuditVO) und ist in knapper und verständlicher Form abzugeben. Der einzelne Bürger hat einen Anspruch auf Einsicht in die Umwelterklärung 14 . Der Inhalt der Umwelterklärung ist in Art. 5 Abs. 3 EG-UmwAuditVO festgelegt. Danach müssen die Tätigkeiten des Unternehmens am jeweiligen Standort, die Umweltrelevanz dieser Tätigkeiten, die Zahlen über Emissionen, Abfallaufkommen etc. und Grundzüge des betrieblichen Umweltschutzes mitgeteilt werden. Bei der ersten Umwelterklärung, also der, die nach der Umweltprüfung abgegeben wird, müssen nach Art. 2 lit. f) EG-UmwAuditVO und Anhang V EG-UmwAuditVO zusätzliche Angaben gemacht werden. Zwischen den einzelnen Umweltbetriebsprüfungen wird gemäß Art. 5 Abs. 5 EG-UmwAuditVO grundsätzlich eine vereinfachte Teilnahmeerklärung abgegeben. Davon befreit sind nach Art. 5 Abs. 6 EG-UmwAuditVO kleine und mittlere Unternehmen, soweit dies bei der letzten Prüfung festgelegt wurde.

2.

Die Bewertung des betrieblichen Umweltschutzes

Die Besonderheit der Teilnahme am Umweltauditsystem liegt darin, daß der vom Unternehmen installierte betriebliche Umweltschutz durch externe Prüfer untersucht und damit seine objektive Eignung für eine Verbesserung der Umweltsituation festgestellt wird. Nach Art. 4 Abs. 3 EG-UmwAudit VO erfolgt diese Überprüfung durch unabhängige, vom jeweiligen Mitgliedstaat zugelassene Gutachter. Das UAG hat seinen Schwerpunkt in den Regelungen über die Umweltgutachter 15. Die § § 4 bis 29 bestimmen näheres zur Qualifikation und zur Zulassung von Umweltgut14 Näher dazu Sellner/Schnutenhaus, Umweltmangement und Umweltbetriebsprüfung, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1993, S.931ff. 15 Vgl. allgemein zum Umweltgutachter Schottelius, Der zugelassene Umweltgutachter - Ein neuer Beruf, BB 1996, S. 1235ff.

260

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil

achtern sowie zur Aufsicht über sie. Als zuständige Stelle für die Zulassung eines Umweltgutachters ist nach § 28 UAG die Deutsche Akkreditierungs- und Zulassungsgesellschaft für Umweltgutachter mbH (DAU) bestimmt worden 16 , die vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dem Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT), dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie dem Bundesverband Freier Berufe (BFB) gegründet wurde. Umweltgutachter müssen nach § 4 UAG zuverlässig und unabhängig sein sowie über eine bestimmte Fachkenntnis verfügen. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, ist in den §§5 (Zuverlässigkeit), 6 (Unabhängigkeit) und 7 (Fachkunde) UAG näher beschrieben. Die Zulassung als Umweltgutachter erfolgt auf Antrag (§ 11 UAG) nach einer erfolgreich abgelegten Prüfung über die Fachkenntnis (§§ 11 Abs. 2 und 12 UAG) durch Bescheid der Zulassungsstelle. Die zugelassenen Umweltgutachter werden gemäß § 14 UAG in ein öffentliches Register eingetragen. Gegenstand der Prüfung ist nach Art. 4 Abs.3 und 4 EG-UmwAuditVO, ob das Umweltprogramm, das eingeführte Managementsystem und die durchgeführte Betriebsprüfung den Anforderungen der EG-UmwAuditVO entsprechen 17 . Nicht genannt ist in Art. 4 Abs. 3 und 4 EG-UmwAuditVO die Einhaltung der einschlägigen Umweltvorschriften. Aus Sinn und Zweck der Überprüfung und aus Art. 8 Abs. 4 EG-UmwAuditVO, der nachträgliche Reaktionen der zuständigen Stelle zuläßt, wenn gegen einschlägige Umweltvorschriften verstoßen wird, ist aber zu schließen, daß sich die Prüfung darauf erstrecken muß 18 .

3.

Standorteintragung und Teilnahmeerklärung

Hat der Umweltgutachter festgestellt, daß der betriebliche Umweltschutz am jeweiligen Standort den Anforderungen entspricht und die Umwelterklärung für gültig erklärt, wird der betreffende Standort gegen Zahlung einer Gebühr in ein entsprechendes Verzeichnis eingetragen. Das Unternehmen muß dabei glaubhaft machen, daß am jeweiligen Standort die Vorgaben der EG-UmwAuditVO eingehalten werden (Art. 8 EG-UmwAuditVO). Nach § 34 Abs. 1 UAG ist dies

16 UAG- Beleihungsverordnung vom 18.12.1995 BGBl. I, S. 2013. 17 Nach Art. 7 Abs.4 EG-UmwAuditVO dürfen dabei erlangte Informationen und Angaben ohne Erlaubnis des Unternehmens nicht an Dritte weitergegeben werden; der Schutz von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen ist damit gewährleistet. 18 Ebenso Lübbe-Wolf (FN 12) und Köck, Umweltschutzsichernde Betriebsorganiastion als Gegenstand des Umweltrechts, Juristische Zeitung 1995, S.643 ff.; anderer Auffassung ist Müggenberg, Der Prüfungsumfang des Umweltgutachters nach dem Umweltauditgesetz, Der Betrieb 1996, S. 126 ff. (124).

261

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil?

nicht glaubhaft, wenn die Gültigkeitserklärung nicht von einem zugelassenen Umweltgutachter stammt oder wenn an ihrer Erstellung Personen mitgewirkt haben, die nicht über die erforderliche Fachkunde verfugen. In Deutschland wird dieses Verzeichnis gemäß § 32 Abs.l UAG von den Indu19

strie- und Handelskammern und den Handwerkskammern gefuhrt . Das Verzeichnis wird nach Art. 9 EG-UmwAuditVO jährlich an die EG-Kommission übermittelt und von dieser im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht. Nach Art. 8 Abs.3 EG-UmwAuditVO kann eine Eintragung wieder gestrichen und nach Art. 8 Abs. 4 EG-UmwAuditVO vorübergehend aufgehoben werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich herausstellt, daß das Unternehmen am fraglichen Standort die maßgeblichen Umweltvorschriften nicht einhält. Dazu haben die zuständigen Umweltbehörden etwaige Verstöße an die Registrierungsstelle weiterzumelden. § 34 UAG regelt das Verfahren vor Erlaß entsprechender Maßnahmen, insbesondere das Erfordernis einer vorherigen Anhörung des Unternehmens. Außerdem kann ein Unternehmen fur die eingetragenen Standorte gemäß Art. 10 EG-UmwAuditVO gegen Gebühr eine sogenannte Teilnahmeerklärung verwenden. Anhang IV der EG-UmwAuditVO enthält vier Varianten dieser Erklärung. Nach Art. 10 EG-UmwAuditVO und § 31 UAG kann dieses Zeichen auf Briefköpfen etc., nicht aber zur Produktwerbung verwendet werden. Nach Art. 12 EG-UmwAuditVO ist es möglich, eine Teilnahmeerklärung auch dann zu verwenden, wenn das eingeführte Umweltmanagementsystem nicht entsprechend der EG-UmwAuditVO entspricht, sondern anhand einer Qualitätssicherungsnorm, z.B. der ISO-Serie ausgerichtet und dem Unternehmen ein entsprechendes Zertifikat verliehen wurde 20 .

4.

Der Nutzen der Teilnahme am Umweltaudit für das Unternehmen

Die vorstehende Darstellung der einzelnen Schritte des Umweltaudits zeigt, daß es sich um ein sehr aufwendiges Verfahren handelt, das für ein Unternehmen

19 Zu Zweifeln, ob diese Wahl richtig ist, insbesondere zu der Frage ob diese Organisationen die notwendige Unabhängigkeit bieten siehe Lübbe-Wolf (FN 12), S.124. 20 Näher dazu Köck (FN 17), S.649; Reglau, Die Normierung von Umweltmanagementsystemen im Kontext der EG- Umweltaudit-Verordnung, Zeitschrift für Umweltrecht 1995, S. 19 ff.

262

Oberrath, Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil

zeit- und kostenintensiv21 ist. Daher ist zu fragen, welchen Nutzen die Teilnahme für das Unternehmen bringt. 4.1

Risikominimierung

Durch die Teilnahme am Umweltaudit wird ein innerbetriebliches System geschaffen, das zum einen die Einhaltung der maßgeblichen Umweltvorschriften garantiert und zum anderen Maßnahmen vorsieht, um aus der Tätigkeit des Unternehmens resultierende Umweltschäden zu vermeiden bzw. ihre Auswirkungen gering zu halten. Damit sind verschiedene Vorteile verbunden: -

Es verringert sich das Risiko, daß die Behörde wegen nicht eingehaltener Umweltvorschriften gegen das Unternehmen vorgeht.

-

Die Gefahr, wegen der Verursachung von Umweltschäden zivilrechtlich 22 oder strafrechtlich 23 verantwortlich gemacht zu werden wird verringert.

4.2

Einsparungseffekte

Das Umweltaudit zielt darauf ab, daß am jeweiligen Standort ein effektiver betrieblicher Umweltschutz geschaffen wird. Mittel dazu sind unter anderem den Rohstoffbedarf abzusenken, weniger Energie zu verbrauchen und die in der Regel sehr teuere Abfallbeseitigung ganz zu vermeiden, zu reduzieren oder umweltfreundlich zu verwerten. In diesen Maßnahmen liegen erhebliche Potentiale für Einsparungen, da sie besonders kostenintensive Bereiche betreffen 24.

21 Bei der Ermittlung der für die Teilnahme am Umweltaudit-System erforderlichen Kosten ist zu berücksichtigen, daß es vielfältige finanzielle Förderungsmöglichkeiten auf EG-, Bundes- und Landesebene gibt, eingehend dazu Schmitz, Förderung von Umwelt-Audits - Subventionssysthematische Ansätze in EU, Bund und Ländern, in: Klemmer/Meuser (Hrsg.), EGUmweltaudit, S. 167 ff. 22 Als Haftungsgrundlage kommt hier vor allem das Umwelthaftungssgesetz in Betracht, nach dem für die Betreiber bestimmter Anlagen eine verschuldensunabhängige Haftung besteht; zu den Auswirkungen des Umweltaudit auf die zivilrechtliche Haftung siehe Möllers, Qualitätsmanagement, Umweltmanagement und Haftung, Der Betrieb 1996, S. 1455. 23 Zu beachten ist, daß die strafrechtliche Verantwortung abgesehen von § 30 Ordnungswidrigkeitengesetz nicht das Unternehmen selbst, sondern die hinter ihm stehenden Verantwortlichen trifft; zu den Auswirkungen des Umweltaudit auf die strafrechtliche Haftung siehe Sanden, Öko-Audit und Umweltstrafrecht, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht 1995, S.283. 24 Vgl. Schulz/Schulz (FN 1), V. 3.

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4.3

263

Absatzsteigerungen

Empirische Untersuchungen zeigen, daß die Umweltorientierung des Konsumentenverhalten stark zugenommen hat 25 . Damit bringt ein hoher Standard an betrieblichem Umweltschutz die Chance auf die Erhaltung oder gar Steigerung des Absatzes der eigenen Produkte mit sich 26 . 4.4

Imageverbesserung

Schließlich kann durch einen hohen Umweltstandard, der durch die Verwendung der Teilnahmeerklärung auch für die Öffentlichkeitsarbeit nutzbar gemacht werden kann, auch das Ansehen eines Unternehmens in der Öffentlichkeit stark verbessert werden. Besonders bei sehr großen Unternehmen mit einem hohen Umweltgefährdungspotential liegen hier große Chancen. 4.5

Ergebnis

Die Teilnahme am Umweltaudit kann für ein Unternehmen, wie gerade gezeigt, im Wettbewerb zu Unternehmen, die sich dem System nicht anschließen, erhebliche Vorteile bringen. Dies gilt natürlich auch umgekehrt, d.h. ein Unternehmen, das anders als seine Konkurrenten am Umweltaudit nicht teilnimmt, muß im Wettbewerb mit deutlichen Nachteilen rechnen. Deswegen besteht, wie erste 27

Erfahrungen der Praxis zeigen, auch bei vielen mittelständischen Unternehmen ein starkes Interesse an der Teilnahme am Umweltaudit. Die Attraktivität des Umweltaudit könnte noch wesentlich gesteigert werden, wenn der Gesetzgeber bei der zukünftigen Entwicklung einige Kritikpunkte bzw. Wünsche der Unternehmerseite berücksichtigen würde. Zu nennen ist zum einen der Vorwurf, daß das Verfahren zur Erlangung der Teilnahmeerklärung am Umweltaudit zu zeitintensiv und zu formalisiert ist. Zum anderen bestehen Forderungen der Unternehmen, daß die Teilnehmer am Umweltaudit Vorteile bei der Durchführung genehmigungspflichtiger Objekte bzw. bei der Überwachungstätigkeit der Umweltbehörden eingeräumt bekommen sollen 28 . 25 Vgl. zu diesem Bereich Wicke/Haasis, Schafhausen/Schulz, Betriebliche Umweltökonomie, IV.C.l. 26 Dabei wird es nötig sein, durch gezieltes Umweltmarketing auf die Umweltfreundlichkeit des Unternehmens besonders hinzuweisen; allgemein zum Umweltmarketing siehe Hopfenbeck, Umweltorientiertes Management und Marketing, S. 315 ff. 27 Vgl. für Ost-Westfalen die Erfahrungsberichte in: Die ostwestfälische Wirtschaft 1996, S. 30 ff.; für ein Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft, Schmitz, Praktische Erfahrungen von Umwelt-Audits eines Unternehmens der Elektrizitätswirtschaft in: Klemmer/Meuser (FN 20), S. 289 ff. 28 Zu dieser Deregulierungsdebatte vgl. (befürwortend) Steger/Ebinger, Das ÖkoAuditing als Instrument der Organisationsentwicklung und der Deregulierung, in: Klemmer/Meuser (FN 20),

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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Umweltaudit auch schon in seiner jetzigen Form geeignet ist, sein Ziel, nämlich den Umweltschutz durch freiwillige Maßnahmen der Wirtschaft zu fördern, erreichen kann und, daß davon letztlich auch das am Umweltaudit teilnehmende Unternehmen profitieren kann.

S. 215 ff. (226 ff.) und (eher abwehrend) Liibbe-Wolff, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren auf Kosten des Umweltschutzes, Zeitschrift für Umweltrecht 1995, S. 75 ff.

Többens, Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht

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Hans W. Többens

Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht 1. Seit dem Sommersemester 1993 bietet der Verfasser am Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Bielefeld eine Vorlesung über "Wirtschaftskriminalität und Wirtschaftsstrafrecht" an, die insbesondere die Sicht mittelständischer Unternehmen mitberücksichtigt, da dort für die allermeisten unserer Studierenden deren späteres Wirkfeld liegt. Anlaß für diese neue Lehrveranstaltung waren einige spektakuläre wirtschaftsstrafrechtliche Ermittlungs- und Strafverfahren sowie die darauf von Studierenden an den Verfasser herangetragene Bitte, sie darüber zu informieren, was sie bei ihrer späteren beruflichen Tätigkeit als Diplom-Betriebswirte tunlichst beachten und unterlassen sollten, um sich nicht strafbar zu machen. Unter Einbeziehung seiner langjährigen Erfahrungen als StrafVerteidiger hat der Verfasser daraufhin die Vorlesung konzipiert, die sich bei Studierenden in höheren Semestern großer Beliebtheit erfreut. 2. Die Begriffe "Wirtschaftskriminalität" (aus der Sicht des Täters) und "Wirtschaftsstrafrecht" (aus der Sicht des sanktionierenden Staates) sind nicht klar abgrenzbar, einen einheitlichen und allgemein anerkannten Begriff des "Wirtschaftsdelikts" gibt es nicht. Als Wirtschaftskriminalität bezeichnet der allgemeine Sprachgebrauch eine Vielzahl von Verhaltensweisen im Wirtschaftsleben, die als besonders sozialschädlich empfunden werden und die deshalb unter Strafe gestellt sind. Wirtschaftsstrafrecht als Verbots- und Sanktionsrecht wird hier verstanden als ein Sammelbegriff für sämtliche Vorschriften, die die im Bereich der Wirtschaft liegenden Tatbestände entweder als Straftaten im engeren Sinne mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe (Kriminalstrafen) oder als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbuße (Ordnungsstrafe) ahnden1. Solche Strafnormen finden sich nicht etwa nur im Strafgesetzbuch, sondern verstreut in mannigfachen Gesetzen, dabei sind die §§ 331 ff. HGB (z.B. unrichtige Darstellungen in Bilanzen, Verletzung der Berichts- und Geheimhaltungspflicht) und die § § 8 2 ff. GmbHG (z.B. Pflichtverletzungen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) für mittelständische Unternehmen besonders relevant. Bereits aus diesem Grunde haben wir es beim Wirtschaftsstrafrecht mit einem nur äußerst schwer überschaubaren Rechtsgebiet zu tun.

1

Vgl. zum ganzen Müller-Gugenberger in Müller-Gugenberger (Hg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl., 1992, § 1, Rn. 1 ff. und Berckhauer, Die Erledigung von Wirtschaftsstraftaten durch Staatsanwaltschaften und Gerichte, ZStW 89 (1977), S. 1015 ff..

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Diese Eigenschaft gilt gleichermaßen auch für die Schadenshöhe, die Wirtschaftsstrafitäter jährlich anrichten, unter Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer wird davon ausgegangen, daß sie zwischen 2% und 10% des Bruttosozialproduktes liegt. Danach haben Wirtschaftsstraftäter in Deutschland im Jahre 1995 andere Mitbürger, den Staat und mithin die gesamte Volkswirtschaft um 68,9 bis 344,5 Milliarden D M geschädigt2. Und noch weitere Zahlenbeispiele sollen die weitreichenden finanziellen Dimensionen des Wirtschaftsstrafrechtes aufzeigen. Nach Schätzungen von Mitgliedern der EU-Kommission werden ca. 10% des EU-Haushaltes ( 1992: 126 Milliarden D M ) durch kriminelle Aktionen fehlgeleitet oder verkürzt 3. In der coop-Affäre wurde der ehemalige Vorstandschef der coop AG durch das Frankfurter Landgericht wegen Untreue (§ 266 StGB) in drei besonders schweren Fällen zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, da er 20 Millionen D M des Unternehmensvermögens verschoben hatte4. In dem derzeit vor dem Bielefelder Landgericht anhängigen Strafprozeß gegen Verantwortliche eines Steinhagener Sportbodenherstellers geht es um den Verdacht des Betruges in Milliardenhöhe. Das aus diesen Zahlen ableitbare Gefährdungs- und Schadenspotential für die Gesamtwirtschaft intensiviert sich noch durch die Erkenntnisse des Bundeskriminalamtes, daß Wirtschaftskriminalität und organisierte Kriminalität eng miteinander verflochten sind5. Neben den materiellen Schäden fallen auch die durch Wirtschaftsstraftaten angerichteten immateriellen Schäden ins Gewicht, die mit Ansteckungs-, Nachahmungs-, Sog-, Spiral- und Fernwirkung umschrieben werden, welche dann Kettenreaktionen verursachen. Ein sozialkonformer Kaufmann wird durch die wirtschaftskriminellen Aktivitäten der Konkurrenz zu ebensolchen Delikten verleitet, um nicht seine Konkurrenzfähigkeit und Existenz zu verlieren. In diesem Zusammenhang wird vor allem ein Schwinden des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit der geltenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung befürchtet 6, denn "einige menschliche Wölfe, die keine Hemmungen kennen, können eine ganze Gemeinschaft vor die Alternative von Mittun oder Untergang stellen"7.

2 3 4 5 6

7

Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Mai 1996, 48. Jahrgang, Nr. 5, S. 61.; Müller, Ermittler im Irrgarten, Die Zeit Nr. 42, 14. 10. 1994, S. 32 f.. Müller / Wabnitz, Wirtschaftskriminalität, 3. Aufl., 1993, S. 15. Süddeutsche Zeitung v. 15. 6. 1993. BKA-Vortragsreihe, "Wirtschaftskriminalität", Band 29, 1984. Heinz, Wirtschaftskriminologische Forschungen in der Bundesrepublik Deutschland, wistra 1983, S. 128 ff.; Schneider, Jugendstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Strafvollzug, PdW, 3. Aufl., 1992, S. 136. Schöllgen, Sozial widrige Trends im Vorfeld der eigentlichen Wirtschaftskriminalität (Grenzmoral), in: Grundfragen der Wirtschaftskriminalität, BKA (Hg.), Wiesbaden 1963, S. 15 ff..

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267

3. Die Teilnahme am Wirtschaftsleben war schon immer verführerisch im Hinblick auf die Begehung von Straftaten. "Schwerlich bleibt ein Kaufmann frei von Schuld; ein Händler wird sich nicht rein halten von Sünde. Des Geldes wegen haben schon viele gesündigt, wer es anzuhäufen sucht, schaut nicht genau hin. Zwischen zwei Steine läßt sich ein Pflock stecken; so drängt sich zwischen Kauf und Verkauf die Sünde", diese Belehrung finden wir bereits im Alten Testament 8 . Vor dererlei Übergriffen wird der einzelne insbesondere durch die klassischen Tatbestände wie Diebstahl (§ 242 StGB), Betrug (§ 263 StGB), Unterschlagung (§ 246 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB) etc. geschützt. Erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde anerkannt, daß auch die Gesamtwirtschaft des Volkes ein strafrechtlich zu wahrendes Rechtsgut ist, daß Wirtschaftsdelikte strafbare Handlungen sind, die sich gegen einzelne Mitbürger oder gegen die Volkswirtschaft oder Are funktionell wichtigen Einrichtungen und Zweige richten 9. Ein solcher überindividueller Rechtsgutsaspekt findet sich heute insbesondere in den Konkursstraftaten gem. den §§ 283 ff. StGB, denen eine typische Wirkung und generelle Eignung zur Beeinträchtigung überindividueller (sozialer) Belange zuerkannt wird 1 0 . Entsprechend ihrer Angriffsrichtung läßt sich die Wirtschaftskriminalität einteilen in • •

• •

Delikte mit Bezug auf die Finanzwirtschaft des Staates (z.B. Subventions-, Steuer- und Zolldelikte), Delikte mit Bezug auf die Volkswirtschaft (oder Gesamtwirtschaft) und ihre einzelnen Zweige (z.B. Kartellverstöße, Delikte gegen das Bank- und Börsenwesen), Delikte mit Bezug auf die Betriebswirtschaft (oder Einzelwirtschaft) und ihre einzelnen Zweige (z.B. Wettbewerbsdelikte, Geheimnisverrat), Delikte mit Bezug auf die Allgemeinheit und die Verbraucher (z.B. Umweltschutzdelikte, Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, Schneeballsysteme, spekulative und betrügerische Kapitalanlagegeschäfte),

dabei sind die Grenzen fließend 11.

8

Altes Testament, Das Buch Jesus Sirach, Kap. 26 f.; vgl. auch Middendorf, Historische und vergleichende Aspekte der Wirtschaftskriminalität, Freiburger Universitätsblätter 77 (1982), S. 55 ff.. 9 Richter in Müller-Gugenberger (Fn. 1), § 3, Rn. 16 ff.. 10 Vgl. Tiedemann, Strafgesetzbuch, Leipziger Kommentar, Band 6, 10. Aufl., 1988, Vor § 283, Rn. 50 ff.. 11 Heinz, Konzeption und Grundsätze des Wirtschaftsstrafrechts (einschließlich Verbraucherschutz), ZStW 96 (1984), S. 417 ff. (S. 422).

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Aus dieser Systematik wird ersichtlich, daß es "die" Wirtschaftskriminalität und "den" Wirtschaftskriminellen nicht gibt, sondern daß mit solchen Sammelbegriffen verschiedenartige Sachverhalte und Handlungsweisen unterschiedlicher Schweregrade erfaßt werden 12 . Auch die klassischen Vermögensdelikte wie Untreue und Betrug zählen zur Wirtschaftskriminalität, wenn sie eine Bedeutung erlangen, die über die individuelle Schädigung hinausgeht, oder wenn zur Beurteilung des Sachverhaltes besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind (§ 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG). 4.1. Die strafrechtliche Forschung in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sich erst seit dem Ende der 60er Jahre intensiv mit dem Phänomen der Wirtschaftskriminalität. Auf dem 49. Deutschen Juristentag 1972 wurde eine umfassende Überprüfung des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts gefordert, aufgrund dieser Initiative wurde noch 1972 eine "Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" eingesetzt. Außerdem wird seit 1974 die Sonderstatistik "Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten (BWE)" geführt, in der die während eines Jahres abgeschlossenen bedeutsameren Ermittlungsverfahren erfaßt werden. Auf der Grundlage der von der Kommission ausgearbeiteten Vorschläge trat 1976 das "Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" (1. WiKG) in Kraft, mit welchem zur besseren Bekämpfung der Wirtschaftsdelinquenz insbesondere die Vorschriften über den Subventionsbetrug (§ 264 StGB), den Kreditbetrug (§ 265b StGB) und den Wucher (§ 302a StGB) in das Strafgesetzbuch eingefügt wurden. Weiterhin wurde das Konkursstrafrecht überarbeitet und mit Rücksicht auf seine Bedeutung (bei etwa drei von vier Insolvenzen soll ein krimineller Hintergrund bestehen) aus der Konkursordnung in das Strafgesetzbuch übergeführt 13 . Die Tendenz der intensiveren Reaktion gegen Wirtschaftsstraftaten wurde auch durch das am 15. 5. 1986 verabschiedete "Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität" (2. WiKG) fortgesetzt, mit welchem den veränderten technisch-wirtschaftlichen Formen des Geschäftsverkehrs entsprochen werden sollte. Geregelt wurden insbesondere der Computerbetrug (§ 263a StGB), die Fälschung von Euroschecks und Euroscheckkarten (§ 152a StGB), der Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266b StGB) und der Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) 14 . Außerdem begegnete der Gesetzgeber mit Schaffung des § 266a StGB der häufig bei mittelständischen Unternehmen vorkommenden Unsit-

12 Vgl. Heinz (Fn. 6), S. 129. 13 Tiedemann (Fn. 10), Rn. 41; Kaiser, Kriminologie, 9. Aufl., 1993, S. 500. 14 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., 1996, S. 105 f..

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te, in einer Krisensituation Arbeitnehmerbeiträge nicht an die Sozialversicherung oder die Bundesanstalt für Arbeit abzuführen, um finanzielle Löcher zu stopfen. Diese Vorschrift faßt die früheren, für das Vorenthalten von Beiträgen geltenden §§ 529, 1428 RVO, § 225 AFG, § 150 AVG und § 234 RKG zusammen und erweitert ihren Anwendungsbereich. Danach werden untreueähnliche Manipulationen des Arbeitgebers bestraft, die sowohl die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer als auch die finanzielle Grundlage der Sozialversicherung gefährden. 1992 wurde der Tatbestand der Geldwäsche (§ 261 StGB) eingeführt, der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. 10. 1994 auf verschiedene Vergehen ausgedehnt wurde, aus denen das Geld, dessen Herkunft verschleiert werden soll, stammen kann 15 . Überdies wurde 1993 durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege § 78b Abs. 4 in das Strafgesetzbuch eingefügt. Damit soll insbesondere bei schweren Wirtschaftsstraftaten durch eine Verdoppelung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre nach Eröffnung des Hauptverfahrens verhindert werden, daß wegen der nicht zu bewältigenden Stoffülle der Ablauf der ordentlichen Verjährungsfrist von fünf Jahren noch während der Hauptverhandlung zu befürchten ist 16 . Ergänzt wurden diese Straftatbestände durch Modifikationen der §§ 88, 89 des Börsengesetzes (Kursbetrug, gewerbsmäßige Verleitung zu Spekulationsgeschäften), durch Einführung des § 6c UWG (Progressive Kundenwerbung, "Schneeballsystem") sowie durch eine Erweiterung der Strafvorschrift gegen Industriespionage (§ 17 UWG). 4.2. Strafrechtsdogmatisch weisen Wirtschaftsdelikte keine Besonderheiten auf. Nach dem gängigen Deliktsaufbau überprüfen die Strafgerichte die Tatbestandsmäßigkeit, die Rechtswidrigkeit und die Schuld, bei Erfüllung dieser drei Kriterien kann der Täter wegen der Tat bestraft werden. Tatbestandsmäßig ist eine menschliche Handlung, welche als positives Tun oder in der Form eines pflichtwidrigen Unterlassens (§ 13 StGB) die abstrakten gesetzlichen Merkmale erfüllt (objektiver Tatbestand) und vorsätzlich (wissentlich und willentlich) oder fahrlässig (durch Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt) begangen wird (subjektiver Tatbestand). Bei der Rechtswidrigkeit ist zu klären, ob das fragliche Tun oder Unterlassen im Widerspruch zum Recht als einer menschlichen Verhaltensordnung steht. Das ist zwar grundsätzlich der Fall, wenn die Tatbestandsmäßigkeit einer Handlung zu bejahen ist, die Rechtswidrigkeit kann aber ausnahmsweise durch das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes - etwa der Notwehr gem. § 32 StGB - entfallen. Und schließlich muß die Handlung

15 Kritisch zur Effektivität des "Geldwäschegesetzes" Friedlein, "Immer einen Schritt voraus", Die Zeit Nr. 46, 11. 11. 1994, S. 24. 16 Vgl. Jescheck/Weigend (Fn. 14), S. 914.

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schuldhaft in dem Sinne sein, daß sie dem speziellen Täter persönlich vorgeworfen werden kann. Ist der gesetzliche Tatbestand nur unvollständig erfüllt, aber vollständig gewollt, so kommt u. U. eine Bestrafung wegen des Versuchs des jeweiligen Deliktes in Betracht (§ 22 StGB). Dabei ist der Versuch eines Verbrechens (§ 12 Abs. 1 StGB) 17 stets, der Versuch eines Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB) 18 nur dann strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Da die meisten Wirtschaftsstraftaten als Vergehen konzipiert sind, ist also im Einzellfall jeweils zu prüfen, ob der einschlägige Straftatbestand auch den Versuch des Deliktes unter Strafe stellt, was beispielsweise beim Computerbetrug (§ 263a Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 2 StGB), beim Bankrott (§ 283 Abs. 3 StGB) oder bei der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO) der Fall ist. Wer die Tat selbst begeht, wird gem. § 25 Abs. 1 StGB als Täter bestraft, begehen mehrere eine Straftat gemeinschaftlich, so ist jeder (Mit-)Täter (§ 25 Abs. 2 StGB). Geringere Tatbeiträge werden als Teilnahmeformen entweder als Anstiftung gem. § 26 StGB oder als Beihilfe gem. § 27 StGB erfaßt, wobei darauf hinzuweisen ist, daß nur die Strafe für den Gehilfen gem. § 27 Abs. 2 StGB gemildert wird, der Anstifter hingegen wird wie der Täter bestraft. 4.3. Den häufig äußerst raffinierten Manipulationen und geschickten verschleiernden Vorgehensweisen von Wirtschaftsdelinquenten standen Polizei, Anklagebehörden und Gerichte lange Zeit recht hilflos gegenüber. Die Schwierigkeiten einer effizienten Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität wurden vor allem darin gesehen, "daß die Täter in der Regel sozial angepaßt und unauffällig sind, über ein teilweise den Strafverfolgungsorganen überlegenes Wissen verfügen und sich äußerlich der Formen und Mittel bedienen, mit denen auch der redliche Geschäftsverkehr arbeitet" 19 . Die Aufdeckung und der Nachweis von Wirtschaftsdelikten scheiterte häufig an der unzureichenden betriebswirtschaftlichen Ausbildung von Fahndern und Justizmitarbeitern. Den Straftatbestand einer unrichtigen Darstellung gem. § 331 HGB kann nämlich nur der beurteilen, der eine Eröffnungsbilanz oder einen Jahresabschluß lesen und verstehen kann. Die Anklage und die Verurteilung wegen einer Konkursstraftat gem § 283 StGB setzt bei Staatsanwälten und Richtern das genaue Erfassen der Begriffe "Überschuldung" und "drohende oder eingetretene Zahlungsunfähigkeit" voraus,

17 Nach § 12 Abs. 1 StGB sind Verbrechen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. 18 Gem. § 12 Abs. 2 StGB sind Vergehen rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (seil.: geringer als ein Jahr) oder mit Geldstrafe bedroht sind. 19 Heinz (Fn. 6), S. 132.

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da das Gesetz nur die Bankrotthandlungen pönalisiert, die in einer solchen "Krisensituation" begangen werden 20 . Überdies weist die Wirtschaftskriminalität häufig komplexe Deliktsbilder mit mannigfachen Tatbestandskombinationen auf, was die Verbrechensaufklärung, die Verfolgung und die Aburteilung er21

schwert . Zum Ausgleich dieser unbefriedigenden Situation und defizitären Konstellation wurden in verschiedenen Bundesländern bei der Kriminalpolizei und den Staatsanwaltschaften Sonderdezernate für Wirtschaftstrafsachen eingerichtet. Schwierige und umfangreiche Wirtschaftsstrafverfahren können gem. § 143 Abs. 4 GVG Schwerpunktstaatsanwaltschaften zugewiesen werden, die sich konzentriert und spezialisiert mit komplexer Wirtschaftsdelinquenz befassen und deren besonders geschulte Sachbearbeiter durch Betriebs- und Volkswirte sowie Buchhalter unterstützt werden 22 . Außerdem wurde mit § 74c GVG die Zuständigkeit von Wirtschaftsstrafkammern bei den Landgerichten begründet, die die in dieser Vorschrift aufgeführten Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität (z.B. Produktpiraterie gem. § 74c Abs. 1 Nr. 1 GVG und Konkursstraftaten gem. § 74c Abs. 1 Nr. 5 GVG) abzuurteilen haben und deren Richter über besondere Fachkenntnisse verfügen. Neben den staatlichen gibt es aber auch private Reaktionen auf die massive Herausforderung durch Wirtschaftsstraftäter. So gründeten in Frankfurt ein Professor und ein ehemaliger Direktor des Bundeskriminalamtes den Verein "Business Crime Control", der es sich nach dem Vorbild von Greenpeace und Amnesty International zum Ziel gesetzt hat, Wirtschaftsdelinquenz zu analysieren und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären 23. 5.1. Der Begriff Wirtschaftskriminalität wird vielfach gleichgesetzt mit dem Ausdruck "White-Collar-Crime" (Weiße-Kragen-Kriminalität, der Täter im weißen Kragen). Dabei handelt es sich um eine Wortschöpfung des USamerikanischen Soziologen Edwin H. Sutherland aus dem Jahre 1939, mit der er die Wirtschaftsstraftat berufsspezifisch als ein Verbrechen, begangen von einer ehrbaren Person mit hohem sozialen Ansehen im Rahmen ihres Berufes und

20 Vgl. zu den immensen Abgrenzungsschwierigkeiten bei diesen Begriffen aus juristischer und betriebswirtschaftlicher Sicht Tiedemann (Fn. 10), Rn. 117 ff.. 21 Kaiser (Fn. 13), S. 491. 22 In Nordrhein-Westfalen sind vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Bielefeld, Bochum, Düsseldorf und Köln eingerichtet worden; vgl. dazu auch Roxin, Strafverfahrensrecht, 24. Aufl., 1995, § 10, Rn. 5. 23 Stelz, Kapital-Verbrechen auf der Spur, Die Zeit Nr. 39, 22. 9. 1995, S. 31.

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unter Verletzung des Vertrauens, das man ihr entgegenbringt, erfassen wollte 24 . Obgleich diese Auffassung nach moderner Sicht überholt ist, da es den typischen Wirtschaftskriminellen nicht gibt, weshalb heutzutage die Wirtschaftsdelinquenz im Hinblick auf das von der Tat angegriffene soziale Interesse, das Rechtsgut, definiert wird, ist dennoch festzustellen, daß Wirtschaftskriminalität im Unterschied zur klassischen Kriminalität ganz überwiegend unternehmensgebundenes Verhalten ist. Etwa zwei Drittel aller Fälle schwerer Wirtschaftskriminalität werden unter dem Mantel einer Einzelfirma oder einer handelsrechtlichen Gesellschaft begangen; bei 80 bis 85 % aller Fälle besteht ein Zusammenhang zwischen der Straftat des Hauptbeschuldigten und seiner Tätigkeit im Unternehmen. Deshalb läßt sich hier auch von einer Art "Verbandskriminalität" sprechen. Branchenspezifisch treten dabei das Banken- und Kreditwesen, die Bau- und Immobilienwirtschaft sowie das Transport- und Reisegewerbe besonders in Erscheinung 25. 5.2. Bei einem mittelständischen Unternehmen, welches vorwiegend als Einzelfirma, GmbH, OHG, KG oder GmbH & Co KG gefuhrt wird, stellt sich mithin die Frage, wer im Falle der Begehung eines Wirtschaftsdeliktes dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Erfüllt der Einzelunternehmer persönlich einen Straftatbestand, wird er als Täter bestraft. Die GmbH ist bekanntlich gem. § 13 Abs. 1 GmbHG eine "juristische Person", ein gesellschaftsrechtliches Kunstgebilde mit eigener Rechtspersönlichkeit; OHG und KG sind Personen Vereinigungen, die über § 124 HGB einer juristischen Person angenähert sind; bei einer GmbH & Co KG handelt es sich um eine Typenvermischung, primär ist es aber eine KG. Wegen des im deutschen Strafrecht geltenden Schuldprinzips (persönliche Vorwerfbarkeit der Tat) gibt es keine (Kriminal-)Strafbarkeit von juristischen Personen und Personenverbänden. Sie sind nur durch ihre Organe handlungsfähig und nur gegenüber verantwortlichen Einzelpersonen kann ein Schuldvorwurf erhoben werden, nicht aber gegenüber unbeteiligten Mitgliedern oder einer Vermögensmasse. Gegen solche Verbände können indes gem. § 30 OWiG Ordnungsstrafen bis zu einer Million D M verhängt werden, wenn z.B. der Geschäftsführer einer GmbH eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, durch die Pflichten, welche die juristische Person treffen, verletzt worden sind. Nach der Rechtsprechung 26 kommt insbesondere eine Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG als Grundlage für eine Verbandsgeldbuße in Betracht. Mit § 30 OWiG soll Straftaten und

24 Schneider (Fn. 6), S. 133 m. w. N.. 25 Vgl. Kaiser (Fn. 13), S. 492 u. Heinz (Fn. 11), S. 446 ff.. 26 BGHSt,NStZ 1986, S. 79.

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Ordnungswidrigkeiten der Organe begegnet werden, die sie im Interesse des Verbandes begangen haben, außerdem sollen die dem Verband zugeflossenen Gewinne abgeschöpft werden 27 . Überdies existiert im europäischen Wirtschaftsrecht eine eigene Bußgeldgewalt der Europäischen Union, die sich unmittelbar gegen Unternehmen richtet, denen dann die Handlungen ihrer Organe sowie Mitarbeiter zugerechnet werden. Zur Durchsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts werden dabei in der Regel Sanktionen in Millionenhöhe verhängt; im Polypropylen-Fall wurden die beteiligten Unternehmen mit Geldbußen in Höhe von 58.850.000 ECU belegt 28 . 5.3. Da juristische Personen und andere Personenmehrheiten nach deutschem Strafrecht nicht handlungsfähig sind, trifft sie auch keine Verantwortlichkeit für Handlungen ihrer Organe, Vertreter und Mitarbeiter. Bei denen hängt die Strafbarkeit wiederum davon ab, ob sie in ihrer Person die gesetzlichen Vorausset29

zungen erfüllen . Wenn es sich um ein "Allgemeindelikt" handelt, also um eine Straftat, die von jedermann begangen werden kann, so gelten die oben dargestellten Grundsätze über die Täterschaft und Teilnahme. Der Mitarbeiter, der den Straftatbestand realisiert, ist Täter dieses Deliktes, unterstützende oder dazu auffordernde Kollegen oder Vorgesetzte sind je nach Tatbeitrag Mittäter, Gehilfen oder Anstifter. Für Leitungsorgane eines Unternehmens kann sich eine strafrechtliche Einstandspflicht auch unter dem Gesichtspunkt vorwerfbaren Unterlassens ergeben, wenn sie durch ein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahrenlage für Dritte geschaffen und den dadurch drohenden Schaden nicht abgewendet haben30. Darüber hinausgehend wird in diesem Zusammenhang besonders für den Bereich der Wirtschaftskriminalität zunehmend eine sog. Geschäftsherrenhaftung gefordert, wonach den Betriebsinhaber und leitenden Funktionär eine generelle Garantenpflicht zur Verhinderung betriebsbezogener Straftaten nachgeordneter Betriebsangehöriger trifft 31 . Desweiteren kann der Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens gem. § 130 OWiG eine Geldbuße bis zur Höhe von einer Million

27 Jescheck/Weigend (Fn. 14), S. 227 f.. 28 Dannecker, Die Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen als Mittel zur Durchsetzung des Europäischen Wettbewerbsrechts, MSchrKrim 1991, S. 268 ff.. 29 Lackner, Strafgesetzbuch, 21. Aufl., 1995, § 14, Rn. la. 30 Vgl. dazu die bekannte Lederspray-Entscheidung in BGHSt, NJW 1990, S. 2560 ff.: Die Geschäftsführer von GmbH, die Ledersprays herstellten und vertrieben, wurden wegen Körperverletzung zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt, da sie die Sprays trotz der Verursachung von Lungenödemen nicht zurückgerufen hatten. 31 Lackner (Fn. 29), § 13, Rn. 14 u. Bottke, Empfiehlt es sich, die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Wirtschaftsstraftaten zu verstärken?, wistra 1991, S. 81 ff..

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D M erhalten, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig Aufsichtsmaßnahmen unterläßt und es deshalb zu Zuwiderhandlungen kommt. Im Strafrecht gibt es zudem eine ganze Reihe von "Sonderdelikten", die sich an bestimmte Normadressaten richten; sie können nur von Tätern erfüllt werden, die besondere persönliche Merkmale aufweisen. So kann gem. § 266a StGB nur der Arbeitgeber bestraft werden, der der Sozialversicherung die Beiträge seiner Arbeitnehmer vorenthält. Nach § 283 StGB wird nur die Bankrotthandlung des Schuldners als Konkursstraftat erfaßt. "Hier besteht die Gefahr, daß die Strafdrohung dadurch umgangen wird, daß die nach dem Tatbestand als Täter qualifizierte Person nicht selbst handelt, sondern einen anderen für sich handeln läßt" 32 . Wenn der Geschäftsführer einer GmbH Arbeitnehmerbeiträge nicht abführt oder die der Gesellschaft drohende Zwangsvollstreckung durch Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen vereitelt, so fragt sich, wie er strafrechtlich zu belangen ist, da nicht er der Arbeitgeber bzw. Schuldner ist, sondern die GmbH. Solche Umgehungen verhindert § 14 StGB (wie auch § 9 OWiG), der die Erweiterung der Anwendungsmöglichkeit für Straftatbestände bewirkt, bei denen der Kreis möglicher Täter durch personenbezogene Merkmale eingeengt ist 33 . Gemäß dieser Vorschrift können einem Täter die persönlichen Merkmale eines anderen zugerechnet werden; es handelt sich dabei um einen Strafausdehnungsgrund ζ. B. auf einen GmbH-Geschäftsführer, wenn die erforderlichen besonderen persönlichen Merkmale (Arbeitgeber-/ Schuldnereigenschaft) zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen (also der GmbH) vorliegen. § 14 StGB gilt für die in dessen Abs. 1 aufgeführten Vertreter sowie gem. Abs. 2 auch für verantwortliche Beauftragte in Betrieben, Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen und wird als wichtige Waffe zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität angesehen34. 6.1. Im Bereich der Wirtschaftsdelinquenz kommt es oft vor, daß ein Verhalten mehrere Straftatbestände erfüllt, die dann miteinander konkurrieren. So kann z.B. eine unordentliche Buchführung eine Untreue gem. § 266 StGB, einen Betrug gem § 263 StGB, einen Subventions- und Kreditbetrug gem. §§ 264, 265b StGB, ein Sozialversicherungsdelikt gem. § 266a StGB und eine Urkundenfälschung gem. § 267 StGB darstellen. In einem solchen Fall der Tateinheit wird auf eine Strafe erkannt, die sich nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste

32 Jescheck/Weigend (Fn. 14), S. 230. 33 Vgl. auch Marxen, Die strafrechtliche Organ- und Vertreterhaftung - eine Waffe im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität?, JZ 1988, S. 286 ff.. 34 Die Vorschrift ist straf- und insbes. verfassungsrechtlich nicht unumstritten, vgl. Bottke (Fn. 31) und Marxen (Fn. 33), beide m. w. N..

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Strafe androht und nicht milder sein darf, als es die anderen anwendbaren Gesetze zulassen (§ 52 StGB). Häufig versucht sich ein Angeklagter dann damit zu verteidigen, er habe nicht gewußt, daß seine Handlung auch ein strafbares Urkundendelikt sei, da er sich unter einer Urkunde nur ein amtliches Schriftstück mit Unterschrift und möglichst auch gesiegelt vorstelle. Er beruft sich dabei auf einen angeblichen Tatbestandsirrtum, der nach § 16 Abs. 1 StGB den Vorsatz ausschließt. Daß ein Täter mit einem solchen Vorbringen nicht gehört werden kann, liegt auf der Hand. Nach der Rechtsprechung ist eine Urkunde jede durch beliebige Zeichen verkörperte Gedankenerklärung, die im Rechtsverkehr einen Beweis erbringen soll, mithin also auch das Handelsbuch des Kaufmanns, aus dem gem. § 238 Abs. 1 HGB seine Handelsgeschäfte sowie die Lage seines Vermögens ersichtlich sein müssen. Der Täter weiß also, daß mit Hilfe dieses Handelsbuches etwas bewiesen werden soll. Wenn er nachträglich darin Eintragungen vornimmt oder anderweitig herummanipuliert, hat er den sozialen Bedeutungsgehalt des Begriffs "Urkundenfälschung" erkannt, dann hat er in einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" den Sinn des Vorganges erfaßt, und das reicht für die Bejahung des Vorsatzes und die Verurteilung aus35. 6.2. Insbesondere in Wirtschaftsstrafverfahren bringen Beschuldigte auch die Einlassung vor, sie hätten nicht gewußt, daß das ihnen vorgeworfene Verhalten verboten und deshalb strafbar sei, weil der in einem Nebengesetz geregelte Straftatbestand ihnen unbekannt sei. Damit behaupten sie das Vorliegen eines strafrechtlichen Verbotsirrtums gem. § 17 StGB. In der Tat setzt eine Bestrafung die Einsicht des Täters voraus, Unrecht zu tun, fehlt dieses Unrechtsbewußtsein, so handelt er ohne Schuld. Das gilt aber nur dann, wenn die Verbotsunkenntnis unvermeidbar war, konnte der Angeklagte sie vermeiden, so kann die Strafe allenfalls gemildert werden. Nach der Rechtsprechung richtet sich das Maß der für die Verbotskenntnis aufzuwendenden Anstrengung nach den Umständen des Falles sowie nach dem Lebens- und Berufskreis des einzelnen36. Demzufolge wird insbesondere nach verschiedenen Gewerben und Berufen differenziert. Ein Bürger braucht die dafür geltenden speziellen Normen nicht zu kennen, wer aber auf diesen unterschiedlichen Gebieten arbeitet, wird bei Verletzung einschlägiger Vorschriften bestraft, wenn er sie nicht kennt 37 . Geschäftsleuten wird eine erhöhte Sorgfaltspflicht zugemutet, sie haben alle geistigen Erkenntniskräfte

35 Roxin, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Band 1, 2. Aufl., 1994, § 12, Rn. 85 f.. 36 Siehe nur BGHSt 2, S. 194 ff. (201); 4, S. 236 ff. (243); 21, S. 18 ff.; BayObLG, wistra 1989, S. 195 f.. 37 Roxin (Fn. 35), § 21, Rn. 34 ff..

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einzusetzen, etwa auftauchende Zweifel sind erforderlichenfalls durch Einholung von Rat zu beseitigen, für diese Erkundigungspflicht gelten strenge Maßstäbe. Wer ein Unternehmen gründen, einen Supermarkt eröffnen oder eine sonstige Firma betreiben will, weiß, daß für die Ausübung dieser Tätigkeiten rechtliche Vorschriften existieren, um die damit verbundenen Gefahren so weit wie möglich auszuschließen. Schon dieses Wissen hat für ihn ein Anlaß zu sein, sich über sämtliche hier einschlägigen Ge- und Verbote zu informieren, Unkenntnis schützt dann nicht vor der Strafe 38. Gleichermaßen rigoros judiziert auch der Europäische Gerichtshof. Ein Verbotsirrtum bezüglich des Kartellverbots gem. Art. 85 EWGV oder des Marktmachtmißbrauchsverbots gem. Art. 86 EWGV ist regelmäßig vermeidbar, auch von kleineren Unternehmen wird die Kenntnis des europäischen Wettbewerbsrechts verlangt 39 . 7. In der strafrechtlichen Praxis beschäftigen sich Anwälte und Justizbehörden immer wieder mit zwei Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität, die an dieser Stelle kurz skizziert werden sollen. 7.1. Die Täter bauen flächendeckend ein System auf, bei welchem Tausende auf Provisionsbasis arbeitende Vermittler bundesweit potentiellen Kunden die Beteiligung an spekulativen Börsengeschäften anbieten und sie dabei mit der Zusage besonders positiver Renditen ködern. Die Anleger zahlen zumeist vier- oder fünfstellige Beträge ein (die Sache soll sich doch auch lohnen!), wobei besonders "clevere" Mitbürger zu diesem Zweck sogar einen Bankkredit aufnehmen, da der versprochene Ertrag höher als der geschuldete Bankzins ist. In den ersten Monaten nach Vertragsabschluß werden die Renditen auch vereinbarungsgemäß überwiesen. Beim Kunden erweckt das den Eindruck, er beteilige sich an einem besonders lukrativen Geschäft, was er dann auch im Bekanntenkreis als "heißen Tip" weitergibt, woraufhin mehr und mehr Interessenten bereit sind, ihr Geld ebenfalls zu investieren. Der Verfasser war als Anwalt mit einem solchen Fall befaßt, bei welchem in einem Zeitraum von vier Jahren auf etwa 90.000 Verträge über 811 Millionen D M eingezahlt wurden. In der Folgezeit verspekulieren sich die Täter bei ihren riskanten Börsengeschäften und es kommt zu enormen Verlusten, gleichwohl entschließen sie sich, diese durch weitere Spekulationsgeschäfte mit neuen Kundengeldern wettzumachen. Nach außen werden aber Gewinne ausgewiesen und auch die Renditen mittels der Neueinzahlungen bedient. Auf Dauer steht dadurch immer weniger Geld für Börsenspekulationen zur Verfügung und irgendwann bricht das ganze System zusammen, alles Geld ist weg, die Täter sind flüchtig.

38 Vgl. auch Roxin (Fn. 35), § 21, Rn. 55. 39 Müller-Gugenberger in Müller-Gugenberger (Fn. 1), § 46, Rn. 103.

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Ein derartiges Vorgehen erfüllt in der Regel den Tatbestand eines fortgesetzten Betruges gem. § 263 StGB gegenüber den Anlegern, deren Vermögen erheblich gefährdet und letztendlich auch geschädigt wurde. Ihre zivilrechtlichen Schadensersatzklagen haben indes äußerst selten Aussicht auf Erfolg, da die Täter meistens vermögenslos sind und bleiben. Auffällig ist die Naivität, die Bürger häufig erkennen lassen, wenn sie für solche spekulativen Anlagegeschäfte umworben werden. In einem am Landgericht Duisburg verhandelten Fall lagen den Anlegern Vertragsformulare mit folgenden Angaben vor: Die Einzahlungen erfolgen auf ein Konto bei der X-Bank in Essen, Deutschland, die Firma ist im öffentlichen Register der Republik Panama eingetragen, die Verwaltung hat ihren Sitz in Vaduz, Liechtenstein40. Dabei handelt es sich um Informationen, die nachdenklich stimmen und Veranlassung bieten sollten, sich äußerst vorsichtig zu verhalten, gleichwohl verscheuchte die Aussicht auf einen raschen Gewinn bei vielen Anlegern sämtliche Bedenken, sie unterschrieben den Vertrag kritiklos und zahlten ein. 7.2. Die strafrechtliche Problematik der Preisabsprachen unter Anbietern bei Ausschreibungen, insb. der öffentlichen Hand, existiert bereits seit dem Altertum 41 . Bei diesem Spezifikum der Baubranche reichen die Anbieter nach vorheriger Vereinbarung überhöhte Scheinangebote ein mit der Folge, daß der Unternehmer den Zuschlag erhält, der verabredungsgemäß den günstigsten Preis kalkuliert hat. Und bei der nächsten Ausschreibung kommt dann ein anderes Mitglied dieses Preiskartells an die Reihe. Der Vergabestelle wird dabei vorgespiegelt, das Angebot sei das Ergebnis einer Wettbewerbssituation unter Konkurrenten, während tatsächlich der Wettbewerb durch die Absprache gerade ausgeschlossen ist. Ein solches Verhalten kann - wenn es denn nachweisbar ist - als Kartellordnungswidrigkeit gem. § 38 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 GWB mit einer Geldbuße bis zu einer Million D M geahndet werden. Seit etlichen Jahren wird zudem die Schaffung eines speziellen Straftatbestandes gegen den Submissionsbetrug gefordert, bislang jedoch vergeblich 42 . Die Rechtsprechung hat sich mit unterschiedlichen Ergebnissen bemüht, dieses Vorgehen als Ausschreibungsbetrug gem. § 263 StGB zu erfassen, ein Betrug kann aber nur bejaht werden, wenn der ausschreibenden Instanz durch die Kartellabrede ein nachweisbarer Schaden

40 LG Duisburg, Az.: X V I I Kls 28 Js 102/90 11/92. 41 Vgl. Müller-Gugenberger in Müller-Gugenberger (Fn. 1), § 47, Rn. 1, m .w. N.. 42 Baumann, Endlich strafrechtliche Bekämpfung des Submissionsbetruges, NJW 1992, S. 1661 ff..

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zugefügt wurde. Diesbezüglich gab es lange Zeit kontroverse Auffassungen 43, einen vorläufigen Schlußpunkt hat der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 8. 1. 1992 gesetzt44. Danach kann es im Falle von Submissionsabsprachen durch die Ausschaltung des Wettbewerbs zu einem Schaden des Auftraggebers kommen, der in der Differenz zwischen dem höheren Zuschlagspreis und dem Wettbewerbspreis liegt. Der Wettbewerbspreis wiederum ist der, der sich bei ordnungsgemäßer Durchführung des Ausschreibungsverfahrens, also ohne Kartellabsprache und ohne Täuschung des Auftraggebers, gebildet hätte und der vom Tatrichter aufgrund von Indizien festgelegt werden kann. 8. Bei den Strafgerichten wird die Wirtschaftsdelinquenz nach den Regeln der Strafprozeßordnung verhandelt. Für bestimmte Delikte sind die gem. § 74c GVG bei den Landgerichten zu bildenden Wirtschaftsstrafkammern zuständig, denn die justizförmige Behandlung solcher Straftaten, zu deren Beurteilung besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind, soll durch sachkundige Richter erfolgen 45. Neben den drei Berufsrichtern wirken gem. § 76 Abs. 1 GVG auch zwei Schöffen bei der Urteilsfindung mit, die gem. § 44 DRiG i. V. m. §§ 77, 30 GVG das Richteramt grundsätzlich in vollem Umfang und mit dem gleichen Stimmrecht wie die Berufsrichter ausüben. Zur Verurteilung eines Angeklagten bedarf es aber gem. § 263 StPO einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Richter. Die Laien verfügen damit in der Wirtschaftsstrafkammer über eine "Sperrminorität", sind beide nicht von der Schuld überzeugt, darf der Angeklagte nicht verurteilt, sondern muß freigesprochen werden. Der Ausgang eines Wirtschaftsstrafverfahrens hängt deshalb auch nicht unerheblich von der Meinung der Schöffen ab. Die Berufung in das Amt eines Laienrichters in einer Wirtschaftsstrafkammer ist aber gem. § 77 GVG i. V. m. §§ 28 ff. GVG nicht an irgendwelche wirtschaftlichen Kenntnisse oder fachlichen Erfahrungen geknüpft. Während das Gesetz für den vergleichbaren ehrenamtlichen Handelsrichter gem. § 109 GVG Sachkunde ζ. B. in Form der Kaufmannseigenschaft fordert, reicht beim Schöffen in einer Wirtschaftsstrafkammer aus, daß er ein bestimmtes Alter hat und nicht wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen für dieses Amt ungeeignet ist (§ 33 GVG). Auf der einen Seite werden besonders geschulte Staatsanwälte und fachkundige Berufsrichter aufgeboten, um der Kompliziertheit und Komplexität der Wirtschaftsdelinquenz auf den Grund zu gehen, auf der anderen Seite werden Laien mit gleichem Stimmrecht eingesetzt, die weder juristisch noch wirtschaftlich

43 Vgl. RGSt 63, S. 186 ff. einer- und BGHSt 16, S. 367 ff. andererseits. 44 BGHSt, NJW 1992, S. 921 ff.. 45 Vgl. oben unter 4.3..

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vorgebildet sind. Zwar mag es grundsätzlich richtig sein, daß eine Entscheidung durch die Zusammenfassung von Spezialisten- und Laienverstand optimiert werden kann 46 , dieses Ziel läßt sich aber nur dann erreichen, wenn der Laie versteht, was er be- und insbesondere verurteilen soll. Wirtschaftsstrafverfahren zeichnen sich häufig durch ihre besondere Stoffülle und eine schwierige Sachund Rechtslage aus, deren Bewältigung einen Schöffen oft überfordert. In einem solchen Fall besteht aber die Gefahr, daß er sich unkritisch der Meinung der Berufsrichter anschließt bzw. unterwirft, womit die Laienbeteiligung zu einer Farce reduziert wäre. Aus diesem Grunde sollten nur solche Personen als Schöffen für Wirtschaftsstrafkammern in Betracht kommen, die wirtschaftliches Verständnis und einschlägige Erfahrungen besitzen47.

46 Baumann, Juristenhochmut gegen Laienrichtertum bei Strafgerichten?, ZRP 1985, S. 311. 47 Dazu müßten die entsprechenden Vorschriften des GVG geändert werden. Vgl. auch Bietz, Wirtschaftsstrafkammern - erste Erfahrungen mit einer neuen Einrichtung, in Tiedemann (Hg.), Die Verbrechen in der Wirtschaft, 1970, S. 109 ff..

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AbkUrzungsveizeichnis

Abkürzungsverzeichnis Abs. AFG AG AGB AGBG AO ARIS Aufl. AVG Az. BayObLG Bd. BewG BGB BGHSt BKA BMBF BMWi BPR BVerfG CIM d. h. DRiG DtA EDV EIB EKH EPK ErbStG EVCA EWGV f. / ff. Fn. gem. GmbH

Absatz Arbeitsförderungsgesetz Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Abgabenordnung Architektur integrierter Informationssysteme Auflage Angestelltenversicherungsgesetz Aktenzeichen Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Bewertungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundeskriminalamt Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Bundesministerium für Wirtschaft Business Process Reengineering Bundesverfassungsgericht Computer Integrated Manufactoring das heißt Deutsches Richtergesetz Deutsche Ausgleichsbank Elektronische Datenverarbeitung Europäische Investitionsbank Eigenkapitalhilfe Ereignisgesteuerte Prozeßkette Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Europäischer Verein für Wagniskapital (European Venture Capital Association) Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft folgende / fortfolgende Fußnote / η gemäß Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Abkrzungsvezeichnis

GmbHG GuW GVG GWB Hg. HGB i. d. R. insb. i. V. m. JZ Kap. KfW KG KMU LG m. E. MSchrKrim m. w. N. NJW Nr. NStZ OHG OWiG p. a. PC PdW ProdHaftG RGSt RKG Rn. RVO S. seil. sog. StGB StPO u. u. a.

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Gründung und Wachstum Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Herausgeber Handelsgesetzbuch in der Regel insbesondere in Verbindung mit Juristenzeitung Kapitel Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommanditgesellschaft Klein- und Mittelunternehmen Landgericht meines Erachtens Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Offene Handelsgesellschaft Gesetz über Ordnungswidrigkeiten per anno Personal Computer Prüfe dein Wissen Produkthaftungsgesetz Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Reichsknappschaftsgesetz Randnummer / η Reichsversicherungsordnung Seite / η scilicet, nämlich sogenannte Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung und unter anderem

282 u. a. m. u. E. u. U. UWG vgl. wistra ZRP

zstw z. T.

Abkrzungsvezeichnis

und anderes mehr unseres Erachtens unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vergleiche Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil