Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 20. Band (1979) [1 ed.] 9783428444717, 9783428044719

Das Literaturwissenschaftliche Jahrbuch wurde 1926 von Günther Müller gegründet. Beabsichtigt war, in dieser Publikation

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Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 20. Band (1979) [1 ed.]
 9783428444717, 9783428044719

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LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH UND FRANZ LINK

NEUE FOLGE / ZWANZIGSTER BAND

1979

DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT H E R A U S G E G E B E N V O N PROF. DR. H E R M A N N U N D PROF. DR. F R A N Z

KUNISCH

LINK

NEUE FOLGE / ZWANZIGSTER

BAND

1979

Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* w i r d i m Auftrage der Görres-Gesellschaft herausgegeben v o n Prof.

Dr.

Hermann

Kunisch, Nürnberger

Straße 63,

8000

München 19, Professor D r . Theodor Berchem, Frühlingstr. 35, 8700 W ü r z b u r g Lengfeld (ab Bd. 21), und Professor D r . Franz L i n k , Eichrodtstr. 1, 7800 Freiburg. Redaktion: D r . K u r t M ü l l e r , Steinbuckstr. 2, 7830 Emmendingen 16. Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* erscheint als Jahresband jeweils i m U m fang v o n etwa 20 Bogen. Manuskripte sind an die Herausgeber zu senden. U n v e r langt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, w e n n

Rückporto

beigelegt ist. Es w i r d dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig, einseitig i n Maschinenschrift

einzureichen. E i n M e r k b l a t t

für

die typographische

Gestaltung

kann bei der Redaktion angefordert werden. D i e E i n h a l t u n g der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausstattung des Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare v o n Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäisdien Literaturwissenschaft, einschließlich Werkausgaben, werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Gewähr für die Besprechung k a n n nicht übernommen werden. Verlag: Duncker & H u m b l o t , Dietrich-Schäfer-Weg 9, 1000 Berlin 41.

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH ZWANZIGSTER

BAND

Marmorstatue des Naturforschers Giuseppe D e Cristoforis (1803 - 1877) i m Mailänder Museo di Storia N a t u r a l e , ausgeführt v o n A b b o n d i o Sangiorgio (1798 - 1879) (vgl. S. 107 ff.)

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE D E R G Ö R R E S G E S E L L S C H A F T H E R A U S G E G E B E N VON H E R M A N N K U N 1 S C H U N D F R A N Z

N E U E FOLGE / ZWANZIGSTER

LINK

BAND

1979

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Redaktion: Kurt Müller

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41 Printed in Germany Gedruckt 1979 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 I S B N 3 428 04471 1

VORWORT

M i t diesem X X . Band des Literaturwissensdiaftlichen Jahrbuchs t r i t t insofern eine Änderung ein, als zu dem bisherigen alleinigen Herausgeber, dem Germanisten Hermann Kunisch, ein weiterer h i n z u k o m m t : Franz Link, Anglist u n d Amerikanist an der Universität Freiburg i. Br. V o n Band X X I an w i r d Theodor Berchem, Romanist an der Universität Würzburg, als dritter Herausgeber m i t w i r k e n . Das Jahrbuch w a r v o n Anfang an nicht nur auf der Grundlage der deutschen Literaturgeschichte geplant. Neben dem Begründer Günther Müller waren seit 1929 der vorwiegend der österreichischen Literatur verbundene Josef Nadler u n d der Romanist Leo Wiese als Mitherausgeber tätig. Wenn der Begründer der Neuen Folge, Hermann Kunisch, nach der durch den Nationalsozialismus erzwungenen Unterbrechung, seit 1960 die Herausgeberschaft allein übernahm, so w a r das durch äußere Umstände bedingt. Die jetzige Erweiterung der Herausgeberschaft bedeutet also keine grundsätzliche Änderung. I n allen Bänden der Neuen Folge w a r der Herausgeber bemüht, die i m V o r w o r t z u m ersten Bande (1960) vorgesehene Einbeziehung aller Literaturen seit der A n t i k e u n d dem M i t t e l a l t e r zu v e r w i r k lichen. D i e dort umschriebenen Grundsätze für den Kreis der zu behandelnden Gegenstände wie für die geistige H a l t u n g gelten auch weiterhin. Das Herausgeberkollegium w i r d versuchen, durch Werbung v o n M i t arbeitern, Erteilung v o n Aufträgen, K r i t i k u n d Anregung, kurz, durch das, was Wilhelm Hausenstein als „ K u n s t des Redigierens" beschrieben hat, das Gesicht des Jahrbuchs als ein spezifisches unter literarischen Organen ähnlicher A r t zu erhalten und, w o möglich, deutlicher auszuprägen: als Erfüllung^ eines Auftrages, der v o n der Nachbarschaft u n d Weggenossenschaft anderer Unternehmungen der sie tragenden Görres-Gesellschaft gegeben ist. München, i m J u l i 1979 Hermann

Kunisch

I N H A L T

AUFSÄTZE Theo Kobusch (Tübingen), Sittliche Autonomie und Theologie bei Sophokles..

9

Alois Wolf (Freiburg i. Br.), Ja por les Fers ne Remanra (Chrétiens ,Karrenritter' V . 4600). Minnebann, ritterliches Selbstbewußtsein und concordia voluntatum

31

Martin Brunkhorst (Köln), Die ,Cato'-Kontroverse. Klassizistische K r i t i k an Addison, Deschamps und Gottsched

71

Kurt Schlüter (Freiburg i. Br.), Plot-Konstruktion als Grundlage des Sinngefüges von Shakespeares Komödie ,Twelfth Night*

89

Emmy Rosenf eld (Mailand), Goethe und der Mailänder Naturforscher Giuseppe D e Cristoforis. M i t unveröffentliditen Dokumenten 107 Johann Lachinger (Linz), Der Umgang des Menschen mit der N a t u r in Stifters Werk. Ein Modell für unsere Zeit? 139 Eckhard Heftrich

(Münster), Calderón — Grillpärzer — Hofmannsthal

155

M. E. Kronegger (East Lansing/Michigan), L'écrivain dans une société en mutation. Le cas de Hermann Bahr (1863 - 1933) 173 Amos Ν. Wilder (Cambridge/Mass.), " H e didn't go to Paris". Thornton Wilder, Middle America and the Critics 183 Franz H. Link (Freiburg i. Br.), Mythos und Image in der frühen Dichtung Ezra Pounds 209 Klaus Weiss (Freiburg i. Br.), Theorie und Ästhetik konkreter Poesie. Z u m Verständnis einer nicht-mimetischen Dichtung 261

KLEINE

BEITRÄGE

Bernd Lorenz (Regensburg), Das Bild der zwei Wege im carm. I I 1, 45 des Gregor von N a z i a n z und der Widerhall im ,Gregorius' des H a r t m a n n von Aue 277 Joseph Jurt (Regensburg), Realismusprobleme. Z u Ronald Daus, Zola und der französische Naturalismus 287 Dietmar

Goltschnigg (Graz), Z u Theodor Storms Liebeslyrik

299

8

Inhalt BUCHBESPRECHUNGEN

Renate Mohrmann , Die andere Frau. Emanzipationsansätze deutscher Schriftstellerinnen im Vorfeld der Achtundvierziger Revolution. (Von Gert Oberembt) 307 Remy Charbon , Die Naturwissenschaften Manfred Stöckler) P. E. Hübinger y Thomas (Von Werner Betz)

Mann,

die

im modernen deutschen Drama.

(Von 310

Universität

Bonn

und

die Zeitgeschichte. 313

BIBLIOGRAPHIE Martin Pfeifer (Hanau), Hermann Hesse 1977. Bibliographie im Jahr seines 100. Geburtstags 317 Namen- und Werkregister

NACHWEIS DER

381

ABBILDUNGEN

Titelbild: Marmorstatue des Naturforschers Giuseppe D e Cristoforis (1803 - 1877) im Mailänder Museo di Storia Naturale, ausgeführt von Abbondio Sangiorgio (1798 - 1879). Nach S. 266: Abb. 1 : Ian H a m i l t o n Finlay, Konkretes Gedicht ohne Titel, Reproduktion nach M a r y Ellen Solt, Concrete Poetry: A W o r l d View, Bloomington 1970, S. 207. Abb. 2: Ι . Η . Finlay, ,Fisherman's Cross', Reproduktion nach Solt, Concrete Poetry, S. 205. Ναώ S. 268: Abb. 3: M a r y Ellen Solt, ,Moonshot Sonnet', Reproduktion nach Solt, Concrete Poetry, S. 242. Abb. 4 : E d w i n Morgan, ,Archives', Reproduktion nach Mindplay: A n Anthology of British Concrete Poetry, hrsg. v. John J. Sharkey, London 1971, S. 70. Abb. 5: Ronald Johnson, Konkretes Gedicht ohne Titel, Reproduktion nach Solt, Concrete Poetry, S. 251.

SITTLICHE A U T O N O M I E U N D T H E O L O G I E BEI SOPHOKLES*

V o n Theo Kobusch

D i e Frage nach der sittlichen Autonomie des Menschen ist ein philosophisches Problem. O b es sie gibt u n d wie sie zu denken möglich sei, w i r d heutzutage zum Teil n o d i heftig diskutiert. Besonders auch die Theologie hat sich dieses Themas angenommen, u m formulieren zu können, wie A u t o n o mie verstanden werden muß, wenn zugleich G o t t z. B. als „legislator" gedacht w i r d . Dabei ist meist nicht bewußt, daß dieses Problem schon eine sehr lange Geschichte hat u n d auf die Griechen zurückgeht. Eine Besinnung auf den Ursprung der Lehre v o n der sittlichen Autonomie des Menschen kann verdeutlichen, wie die Selbstbestimmung menschlichen Daseins innerhalb eines Staates, einer Sippe, einer Familie oder vor G o t t denkbar u n d vorstellbar ist. Vorstellbar ist sie, w e i l nicht eine philosophische A b h a n d lung, sondern die i m Theater sinnlich darstellbaren Tragödien des Sophokles als dieser Ursprung anzusehen sind. H i e r , v o r der philosophischen Spekulation Piatons u n d Aristoteles', taucht nämlich das Thema der sittlichen — nicht der politischen — Autonomie des Menschen zum ersten M a l überhaupt i n der Geschichte des abendländischen Denkens auf. M i t Recht ist deswegen eine Sophoklesstelle als erster Beleg für den Begriff „ A u t o n o m i e " i n diesem Sinne genannt worden 1 . Dabei darf Autonomie allerdings nicht i m Sinne Kants bzw. des Deutschen Idealismus verstanden werden als die Selbstgesetzgebung einer reinen theoretischen oder praktischen Vernunft. Vernunft w i r d v o n den Griechen allgemein und besonders auch v o n Sophokles vielmehr als das menschliche Dasein gedacht, das immer schon i n einem Staat, i n einer Sippe oder Familie, d. h. i n einem Allgemeinen lebt u n d durch dieses bestimmt ist. Autonomie i m Sinne des Sophokles kann deswegen nur als die freie Aneignung eines schon vorgegebenen bestimmten Allgemeinen verstanden werden. Das zu zeigen, bemüht sich diese Interpretation.

* Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung der Görres-Gesellsdiaft 4. Oktober 1977 in Innsbruck.

am

ι Vgl. R. Pohlmann, „Autonomie", Hist. W b . Philos., Bd. I , 1971, 701. Z u m sophokleischen Autonomiebegriff vgl. auch J. Dalfen, Gibt es Tragik in den Tragödien des Sophokles? Literarwiss. Jahrb. 16 (1975) 39.

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Theo Kobusch

D a jedoch das Wesen menschlichen Daseins nach Sophokles nicht nur durch seine Eigengesetzlichkeit u n d Würde, sondern v o r allem auch durch das Verhältnis z u m göttlichen Sein bestimmt ist, müssen i n einem zweiten Abschnitt die Grundzüge der Theologie des Dichters kurz dargestellt werden. Nach der allgemeinen Meinung widersprechen sich aber die These v o n der sittlichen Autonomie des Menschen u n d die griechische Gottesauffassung. Deshalb ergibt sich als dritter H a u p t p u n k t für die Interpretation die A u f gabe darzustellen, wie nach Sophokles die Rede v o n der sittlichen A u t o n o mie u n d die Rede v o n G o t t vernünftigerweise zusammengedacht u n d m i t einander versöhnt werden können. Es mag ungewöhnlich scheinen, die Dichtung des Sophokles unter diesem Aspekt zu betrachten. Wenn aber das Problem, u m das es hier geht, — das Verhältnis der sittlichen Autonomie des Menschen zu seiner Abhängigkeit v o n G o t t , — seinen Ursprung i m W e r k dieses Dichters hat, dann w i r d möglicherweise durch eine Interpretation, die sich v o n einer nur scheinbar typisch modernen Fragestellung leiten läßt, ein Zugang zu dieser Dichtung selbst eröffnet. Gleichzeitig w i r d auch ein modernes Bewußtsein möglicherweise die theologische Aussage dieser Tragödien nicht als „ n u r historisch interessant" abtun, wenn es sich v o n dieser Dichtung ansprechen läßt. U m eine solche Aktualisierung zu ermöglichen, bedarf es daher einer Reflexion über die philosophischen Grundlagen u n d Konsequenzen besonders des spätsophokleischen Gottesbegriffs. Diese Reflexion ist der I n h a l t des 4. A b schnitts der Interpretation. I. „ U n d d r u m : Erlaucht u n d des Lobes gewiß / gelangst du hinab i n der Toten H e i m ; / n i c h t zehrender K r a n k h e i t erlägest du, / empfingst nicht des Schwertes blutigen L o h n : / du lebst nach eignem Gesetz, d r u m allein / zum Lande der Toten gehst du." — αλλ 9 αυτόνομος ζώσα μόνη δή / ένατων Ά ι δ α ν καταβήση. V o r allem die hier gerade zitierten W o r t e des Chors aus der ,Antigone* (817 ff.) berechtigen — terminologisch gesehen — u n d regen dazu an, v o n der Autonomie der Hauptfiguren der sophokleischen T r a gödien zu sprechen 2 . Wenig später heißt es: „ D i c h hat ein selbstbestimmender W i l l e (αύτόγνωτος οργά) vernichtet." Wenn man diese beiden Verse z u m Ausgangspunkt 2 D a ß αυτόνομος im M u n d des Chors nicht eben positiv gemeint ist, verhindert nicht, daß Sophokles es als positives Prädikat seiner H e l d i n verstanden hat. Vgl. G. Müller y Sophokles Antigone, Heidelberg 1967, 185.

Sittliche Autonomie und Theologie bei Sophokles

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einer Interpretation macht, die den Gesichtspunkt der Autonomie des H a n delns als den Schlüssel zum Verständnis aller sophokleischen Tragödien ansieht, ist der Frage, ob Sophokles' Tragödien als Aufklärungsdichtung gelesen werden müssen, nicht mehr auszuweichen. Dies besonders auch deswegen nicht, w e i l gerade nach der jüngsten Sophoklesdeutung v o n W . Bröcker 3 die Tragödie des Sophokles den Geist der A u f k l ä r u n g atmet. N u n ist es schon immer Z i e l einer jeden A u f k l ä r u n g gewesen, auch derjenigen, die Bröcker meint, nämlich der sophistischen, die W e l t zu entzaubern oder, was diesem gleichkommt, den Menschen „aus seiner selbstverschuldeten U n m ü n d i g k e i t " herauszuführen. W i l l Sophokles also aufklären? Wenn A u f klärung das bedeutet, was Bröcker unterstellt, dann allerdings scheint bei Sophokles v o n ihr nicht die Rede zu sein. Bröcker glaubt nämlich, i n den Tragödien als Meinung des Sophokles erkennen zu können, das menschliche H a n d e l n sei prinzipiell fremdbestimmt, der G o t t bewege die unschuldig leidenden Menschen w i e Marionetten (16), der G o t t sei der „letzte G r u n d des Unrechts, das die Menschen aus unvermeidlichem I r r t u m begehen" (28), es gäbe keine moralische Weltordnung (43), u n d schließlich: „Sophokles spiele nur m i t den altehrwürdigen Vorstellungen" (49). Wenn das unter A u f k l ä rung zu verstehen ist, dann allerdings ist es k a u m ein Gewinn, aufgeklärt zu werden, denn so bleibt der vermeintlich Aufgeklärte i n der U n m ü n d i g keit, u m die er jetzt freilich weiß, weiterhin gefangen. Sophokles w i l l i n anderer Weise aufklären. Es gehört offenbar zu seiner I n t e n t i o n zu zeigen, daß der Mensch, auch wenn die Entzauberung nicht gelingt u n d die Frage nach der H e r k u n f t u n d dem Sinn v o n Leid, Schuld u n d T o d unbefriedigend oder überhaupt nicht beantwortet werden kann, nicht i n U n m ü n d i g k e i t zu verharren braucht. Sophokles plädiert, so scheint es, für die Autonomie des menschlichen Handelns, dessen Sinn nicht durch den Blick auf das M a ß des Leides oder Glücks, welches dem Handelnden z u k o m m t , zu erkennen ist, w e i l sittliches H a n d e l n seinen Sinn i n sich selbst hat. Oberhaupt besteht die Autonomie des Handelnden nicht i n dem SichZurückziehen zu sich selbst v o r nicht verstehbaren Schicksalsschlägen, sondern der Weg des Leides w i r d oft genug v o n den Handelnden selbst gew ä h l t , w e i l sie nur so zu sich selbst kommen können u n d w e i l sie Heteronomie aller A r t verschmähen. W e n n Schadewaldt jedoch v o n „leidenschaftlich gewolltem L e i d " 4 einzelner Protagonisten spricht, scheint das nicht recht verständlich zu sein, da man eigentlich doch immer nur Leidlosigkeit u n d Glück oder, nach der Lehre des platonischen ,Gorgias c , immer nur das w i r k l i c h 3 W . Bröcker, Der Gott des Sophokles, Frankfurt/M. 1971. 4 W . Schadewaldt, Sophokles und das Leid, in: Gottheit und Mensch in der Tragödie des Sophokles, Darmstadt 1963, 51.

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Theo Kobusch

Gute w o l l e n kann. L e i d k a n n allenfalls nur i n K a u f genommen werden. W e n n dies richtig ist, dann gibt es nach Sophokles einen allem Leid, ja selbst dem T o d vorgängigen Sinn des menschlichen Handelns, den sich das Subjekt des Handelns, also die H a u p t f i g u r der Tragödie, immer schon selbst gegeben hat. Dieser dem Leben selbst immanente Sinn ist das sittlich Schöne, das den Charakter der autonom H a n d e l n d e n schmückt. Insofern k a n n man m i t F. Schlegel sagen, Sophokles habe „eine anmutige, beruhigende, schöne Ansicht der W e l t " 5 . Das autonome H a n d e l n des Einzelnen, das ja nicht auf w i l l k ü r liche Entscheidung einsamer Subjektivitäten zurückgeht, sondern die k o n sequente Realisierung einer v o n einem allgemeinen gleichwohl bestimmten Ethos getragenen Sittlichkeit darstellt, ist, wie zu zeigen sein w i r d , p r i n zipiell durch den W i l l e n anderer, auch des Gottes, nicht einholbar u n d z w a r i n dem Sinne nicht, daß es durch diesen fremden W i l l e n i n seiner Substanz beeinflußt oder gar bedroht werden könnte. Das zeigt deutlich die ,Antigone'. Durch keine der Persönlichkeiten des sophokleischen Dramas w i r d der Satz des H e r a k l i t , daß der Charakter dem Menschen der D a i m o n sei (ήθος άνθρώπω δαίμων), anschaulicher dargestellt u n d i n seiner Wahrheit mehr bestätigt als i n der Gestalt dieser Frau 6 . Sie, die nach ungeschriebenem göttlichem Gesetz zu handeln beansprucht, das ihr natürlich eingegeben ist (454 - 55), ist weder v o n ihrer labilen Schwester Ismene v o n ihrem Plan abzubringen, den Bruder zu beerdigen, noch v o n dem opportunistischen C h o r dazu zu bewegen, sich v o n ihrer T a t zu distanzieren. Antigone handelt so, w i e sie handelt, nicht deswegen, w e i l es göttliches Gesetz ist; vielmehr sind diese N o r m e n , die den Menschen als M e n schen betreffen u n d keinen Unterschied mehr machen zwischen Freund u n d Feind, wie ζ . B. die Beerdigung der Toten, v o n soldier Allgemeinheit u n d Allgemeingültigkeit, daß Antigone sagen k a n n : „ D e n n nicht v o n heut u n d gestern, sondern immerdar bestehen sie: niemand weiß, woher sie k o m m e n " . Antigones berechtigter Anspruch auf unbedingte G ü l t i g k e i t dieses Gesetzes gründet i m Wesen der Sache. D e n n wer so etwas — modern gesprochen — wie Respekt v o r Freiheit oder den Respekt v o r der W ü r d e des Menschen u n d die daraus resultierenden partikulären Rechte w i r k l i c h w i l l u n d bejaht, muß sie p r i n z i p i e l l , u n d das heißt für alle, insofern sie Menschen sind, wollen. Derjenige, der „Freundschaft" allem Menschlichen gegenüber empfindet, k a n n nicht nach Staatsangehörigkeit, Rasse oder sonstigen K r i t e r i e n (sowohl natura wie auch ex institutione) differenzieren wollen. Demgegen5

XI

Vgl. Wissenschaft der Europäischen Literatur, hg. v. E. Behler, 79.

6 Vgl. G. F. Elsey The Madness of Antigone, Heidelberg 1976.

K r i t . Ausg.

Sittliche Autonomie und Theologie bei Sophokles

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über gehört es zum Wesen des Hasses u n d der Feindschaft, gerade zu differenzieren, d. h. den anderen als einen bestimmten zu brandmarken oder zu verurteilen. Dieser Gegensatz, der i n den beiden Hauptfiguren des Stücks, i n der — sozusagen — das Menschliche schlechthin bejahenden Antigone u n d i n dem zwischen Menschen u n d Menschen unterscheidenden, Feindschaft empfindenden K r e o n Gestalt gewinnt, findet seinen Ausdruck i n einem berühmten Wortwechsel ( 5 1 7 - 2 3 ) : A : „ N i c h t ein beliebiger Knecht, ein Bruder k a m m i r u m . " — K : „ A l s Feind des Landes. Jener stritt für unseren Schutz." — A : „Gleichviel: D i e Toten w e i t gebietet diese Pflicht." — K : „ D o c h nicht, daß Edle gleiches Los w i e Schlechte t r i f f t . " — A : „ W e r weiß, ob das da unten auch für heilig gilt?" — K : „ D o c h niemals w i r d der Feind, auch nicht i m Tod, zum Freund." — Α : ΰ ο τοι συνέχθειν, άλλά συμφιλειν εφυν. Antigones autonome H a l t u n g ist — so scheint es — der radikale Anspruch auf die unbedingte G ü l t i g k e i t eines allgemeinen Menschenrechts 7 . Sie steht m i t ihrer T a t z w a r allein, was ihr ja auch den Tadel des Kreon, sie sei starrsinnig u n d eigenwillig, einbringt. Aber ihre Einstellung beruht nicht auf einer einsamen abnormen Entscheidung, sondern ist Ausdruck des allgemeinen Bewußtseins i n der Stadt — so behaupten zumindest Antigone selbst (504 ff.) u n d audi ihr Bräutigam (733). Deswegen erscheint es zweifelhaft, daß der Chor — wie Bröcker (25) behauptet — die i n der Polis gültige N o r m ausspricht. Er fungiert vielmehr als der theologische Beurteiler der Lage, u n d zwar als ein Vertreter einer bestimmten Theologie, der aischyleischen. Antigone läßt sich durch die theologische Deutung des Chors nicht beirren. Sie bedarf i n dieser Frage nicht unbedingt des Konsenses m i t anderen, das zeigt das Gespräch m i t ihrer Schwester. Sie weiß schon vor allem Sprechen m i t anderen, was sie unbedingt t u n muß. Auch wenn sie unter den Göttern keinen „Bundesgenossen" fände, wäre dies allenfalls beklagenswert: „ W e l ches Gesetz der Götter übertrat ich denn? Wie soll i n meinem Leid ich zu den Göttern noch aufblicken? Wen u m H i l f e bitten, da ich n u n als gottlos gelte für mein gottesfürchtig Tun?" (τήν δυσσέβειαν εύσεβοΰ σ9 εκτησάμην) 8 . Dies drückt die innere Gewißheit v o n der Richtigkeit ihres Handelns und ihr Bedauern darüber aus, daß niemand sich m i t ihr solidarisiert. Auch die folgenden Verse: „ D o c h wenn die Götter dieses billigen (seil, daß man mich lebendig begräbt), dann w i r d das m i r bevorstehende Leid dazu führen, daß ich meine Schuld erkenne", zeigen deutlich, daß nicht der W i l l e der Götter 7 Vgl. E. Dönty Zur Deutung des Tragischen bei Sophokles, Antike und Abendland 17 (1971) 55.

8 V . 924.

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Theo Kobusch

die Sittlichkeit einer H a n d l u n g konstituieren kann, denn Antigone erkennt i n ihrem L e i d j a gerade nicht eine eigene Schuld: Folglich k a n n man audi nicht annehmen, daß das, was m i t ihr geschieht, i n den Augen der Götter „schön" sei — u n d dies spricht eindeutig für die Götter. Das Sittliche einer H a n d l u n g , so w i l l Sophokles offenbar sagen, k a n n nur i n dem autonomen Entschluß selbst z u m H a n d e l n liegen, der auch durch Götter nicht beeinflußbar ist; dieser autonome Entschluß, so extravagant er scheinen mag, ist nicht gegen das allgemeine Bewußtsein gerichtet, sondern er erwächst gerade aus ihm. Wenn es nicht so etwas wie ein allgemeines menschliches Bedürfnis nach Totenkult u n d Totenverehrung (besonders, wenn es u m Angehörige geht) gäbe, wäre ein soldi engagierter Einsatz der Antigone für das Recht, das ihrem toten Bruder als Mensch z u k o m m t , gar nicht möglich. Das heißt aber, daß Antigone das, was allgemein bewußt ist, r a d i k a l realisiert. Diese kompromißlose H a l t u n g isoliert sie. So ist überhaupt die Einsamkeit aller sophokleischen Hauptfiguren zu erklären. Das zeigt eindrucksvoll das w o h l früheste Stück: der ,Aias c . Aias' Einsamkeit besteht j a nicht i n der revoltierenden H a l t u n g gegen die Gesellschaft, sondern ist durch das i h n i n seinem H a n d e l n bestimmende Ehrgefühl bedingt. Das zeigen seine verzweifelten Fragen, nachdem die Nacht des Wahnsinns v o n i h m gewichen ist: „ U n d jene sind entkommen gegen meinen Wunsch, verlachen mich u n d spotten" (454) oder: „ W i e schlag' ich dann v o r meinem Vater Telamon die Augen auf? Wie w i r d er es ertragen, wenn er mich erblickt: entblößt v o n jedem Siegespreis, indes er selbst den höchsten K r a n z des Ruhms empfing? Das ist nicht zu ertragen". (412). Aias beweist gerade durch seine Angst v o r der Schande, daß er die allgemeine Meinung der anderen über sich selbst — u n d so w i r d Ehre traditionell ja verstanden — p r i n z i p i e l l schon anerkannt hat. Seine einsame T a t , der Freitod, ist deswegen nicht als stiller Protest gegen eine falsche öffentliche Meinung aufzufassen, sondern resultiert aus dieser prinzipiellen Anerkennung der Meinung der anderen. D i e Einsamkeit des z u m eigenen T o d fest entschlossenen Aias ist Ausdruck der Verwirklichung eines Allgemeinen, das, u m w i r k l i c h zu werden, i n d i v i d u e l l werden muß. Das Verhältnis beider, der allgemeinen Meinung zu dem individuellen Bewußtsein des Aias, ist nicht so zu denken, als ob jene i h n zum Selbstmord getrieben hätte, sondern so, daß er nur m i t Rücksicht u n d i m H i n b l i c k auf das Allgemeine sich selbst verwirklichen kann. Nach der allgemeinen Meinung, v o n der man sagen kann, daß sie „ g i l t " — u n d „ G e l t u n g " drückt ja die Seinsweise eines allgemein Erkannten u n d Anerkannten aus — w a r Aias ein untadeliger ehrenwerter Kämpfer v o r Troja. Jetzt, nach seinem Wahnsinnsanfall, entschließt er sich allein zu einer Tat, die dem allgemeinen Ansehen, das er genießt, durchaus entspricht: „ N a c h einem Probestück muß ich mich umsehen, das

Sittliche Autonomie und Theologie bei Sophokles

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dem alten Vater zeigen soll, daß ich, sein Sohn, nicht feige, nicht entartet (φύσις) b i n " (470). D a Aias sich v o n Göttern u n d Menschen verlassen u n d verhaßt f ü h l t (vgl. 457), bleibt i h m nur der Tod, jedoch nicht als eine H a n d l u n g aus der Resignation heraus, sondern als die reale Möglichkeit, seine Ehre und damit sich selbst zu retten: „ R ü h m l i c h zu leben oder rühmlich t o t zu sein, geziehmt dem Edlen" (479). Aias bestimmt sich selbst z u m T o d , w e i l er nur so v o r sich selbst bestehen kann. Sein H a n d e l n ist i n dem Sinne autonom, daß kein äußerer, i h m fremder Druck i h n so zu handeln veranlaßte. Auch gegenüber den Göttern weiß er sich schuldenfrei: „ W e i ß t d u nicht, daß Göttern ich hinfort zu keinem Dienst mehr verpflichtet bin?" (589). E r hat das allgemein Geltende, sein Ansehen, sich selbst z u m Gesetz gemacht, dem er unbeirrt und, wie alle anderen Helden i n den Tragödien des Sophokles, kompromißlos folgt. N i c h t zuletzt unterstreicht die berühmte Trugrede diese Deutung, die i n der einsamen T a t des Aias den autonomen A k t der Selbstverwirklichung des Helden sieht 9 . D e n n i n dieser hintersinnigen A n k ü n d i g u n g dessen, was er t u n w i r d , ragt der Satz hervor, der ausdrückt, daß er nur so, i m Tod, bei sich selbst sein k a n n : „ W i e sollten w i r nicht lernen, uns zu mäßigen" (677). Dieser A k t des σωφρονείν, der Aias schon vorher als ideal erscheint (586) u n d i h n zum Gottgeliebten machen w i r d , wenn man Athenes W o r t e n am A n f a n g (132) Glauben schenken darf, setzt, w i e Aias selbst erklärt (678 ff.), eine gewisse Unabhängigkeit v o n Freund u n d Feind und die Beherrschung der Gefühle voraus, die man beiden gegenüber hegt. Der ungezügelte H a ß auf die Feinde würde i h n nämlich ebenso unfrei machen wie die allzu enge Bindung an liebe Menschen. W e n n deswegen auch der Anschein entsteht, als habe er Göttern u n d Feinden nadigegeben (666 ff.), so ist i n Wirklichkeit sein Freitod als die einzige Möglichkeit aufzufassen, bei sich selbst zu bleiben u n d sich äußeren Einflüssen nicht preiszugeben. Der Freitod ist seine „ R e t t u n g " , wie er i m letzten Vers seiner Trugrede andeutet: „ B a l d vielleicht vernehmt ihr, daß ich, zwar i m U n h e i l jetzt, errettet b i n " (691/2).

» M . Sickerl, D i e Tragik des Aias, Hermes 98 (1970) 14 - 37 hat zu zeigen versucht, daß es keine eigentliche Trugrede ist. Es ist nicht die Intention des Aias zu betrügen, und dodi werden die, die die Rede hören, getäuscht. Das ist nach Sicherl die Kunst des Dichters,, die dem Sprecher truglose, eindeutig gemeinte Worte, die jedoch mißverstanden werden können, in den M u n d zu legen vermag. „Diese D o p peldeutigkeit ist von Aias nicht beabsichtigt, denn nicht er braucht die Täuschung, sondern der Dichter" (33). Aber diese Erklärung erscheint besonders im Hinblick auf v. 666 f., wo Aias sagt, er werde „den Göttern fürderhin zu weichen und die Atriden zu ehren wissen", (trotz der Beobachtungen Sicherl ebd, 25) als problematisch. I n welchem eindeutigen Sinne könnte Aias ehrlich von der Ehrung seiner Todfeinde reden?

Theo Kobusch

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Antigones, wie auch Aias' T o d weisen auf ein Moment der sittlichen Autonomie des Menschen hin, das zu ihrem Wesen gehört: die Bindung an Wahrheit. Niemand, dem — wie ζ . B. Kallikles i m platonischen ,Gorgias' — an Wahrheit nichts liegt, geht f r e i w i l l i g i n den Tod. Für solche Wahrheitsverächter, wie Kallikles, ist nämlich Überleben alles. Sophokles' , ö d i p u s ' ist der ergreifende Beleg dafür, daß wahre Autonomie nur als durch das unbedingte W o l l e n der Wahrheit ermöglichte gedacht werden kann. D e n n ohne die Bindung an das, was w a h r ist, k a n n v o n Gesetz i n irgendeinem Sinne gar nicht mehr gesprochen werden, also auch nicht v o n Autonomie, „ ö d i p u s w i l l unbedingt die W a h r h e i t " 1 0 , das macht i h n rücksichtslos auch gegen sich selbst. Er k a n n nicht wie seine Frau u n d M u t t e r Jokaste i n der W e l t des Scheins leben, die sie zu erhalten sucht, damit nicht die W e l t der harten Wahrheit über sie hereinbreche. Jokaste hätte w o h l allein auch m i t der schrecklichen Wahrheit leben können, solange sie kein anderer u n d v o r allem ö d i p u s nicht erfahren hätte. Doch sie erträgt es nicht, m i t der allen offenbaren Wahrheit zu leben: sie geht nämlich weg, sich zu erhängen, als ö d i p u s Befehl gibt, den H i r t e n zu holen, der alles aufdeckt. Der , ö d i p u s Tyrannos' als ganze Tragödie ist die Aufdeckung einer Wahrheit, ohne die der Protagonist überhaupt nicht leben kann. Tragisch ist diese, w e i l seine Suche nach der „Befleckung des Landes" i n einer Selbstentlarvung des Suchenden endet. Als dieser unerbittlich — auch u n d gerade gegen sich — nach der Wahrheit Suchende k a n n ö d i p u s tatsächlich der „Bündnispartner" des Gottes (135; 244) heißen, der „die K r a f t der W a h r h e i t " (356; 369) aufgezeigt und sich v o n der Scheinwelt Jokastes getrennt hat. D i e ganze W a h r heit, die ö d i p u s am Schluß des Stücks erfährt, ist freilich so schrecklich, daß er, der jetzt alles durchschaut, sich blendet, u m nicht das Furchtbare zu schauen, ö d i p u s bringt sich nicht u m wie Jokaste, die den Zusammenbruch ihrer Scheinwelt nicht ertragen kann, sondern er verläßt das Land, so wie es der nichtsahnende Chor am Anfang der Tragödie erbeten h a t t e 1 1 , ö d i p u s ' selbstgewählte Verbannung verdeutlicht den unerbittlichen Entschluß, die Wahrheit, seine Wahrheit, zu ertragen u n d ihr nicht auszuweichen (1414: τάμά γαρ κακά /ουδείς οϊός τε πλήν εμοΰ φέρειν βροχών ;). N u r so k a n n er bleiben, der er immer w a r : ein gerechter M a n n , dessen Gerechtigkeit „allein die Zeit aufzeigt" (614). Sophokles w i l l durch seinen , ö d i p u s Tyrannos' zeigen, wie der gerechte sittlich autonome Mensch auch unter widrigen Verhältnissen der Versuchung z u m willkürlichen Verfügen u n d Manipulieren des Wahren widersteht. Vgl. W. Brö et vos de for s, V . 4514, wie sie auffällig programmatisch feststellt. M i t dieser absolut scheinenden Antithese v o n außen u n d innen ist eine nicht zu bewältigende Aufgabe markiert, die i n Parallele zu setzen ist m i t der Überquerung der Schwertbrücke, dort auf der Ebene der vordergründigen H a n d lung i m älteren mythischen Schema. D i e Ü b e r w i n d u n g dieses offenbar absoluten Getrenntseins, das i n diesem a u ß e n - i n n e n liegt, w i r d sich als die eigentliche Aufgabe des Ritters erweisen, die spektakuläre Überquerung der Schwertbrücke, w o es ebenfalls u m die Ü b e r w i n d u n g v o n Trennendem ging, nun i m Bereich des Innermenschlichen, des Erotischen, überhöhend. D i e Schilderung des Beisammenseins w i r d v o m Erzähler dann u m eine interessante Nuance bereichert. Neben möglichen Piramus- u n d Thisbe-Assoziationen t r i t t umrißhaft auch das Tagelied hervor u n d dessen Entsprechung, die Serena 56 . Dies ist deshalb besonders bedeutsam, w e i l dieses Beisammen-

5 5 V o n Bedeutung in diesen Minnereflexionen des Ritters Lancelot ist, daß sie aus dem immer mehr sich enthüllenden Selbstbewußtsein dieses Ritters aufsteigen. Er meditiert über sein Verhalten, das sich ihm Zusehens als Leistung darstellt, die er sich, grob gesagt, nicht schlechtmachen lassen will. Dieses Selbstbewußtsein des Ritters w i r d sich dann beim nächtlichen Beisammensein glänzend bewähren, was dem Roman eine besonders wichtige Perspektive eröffnen wird. 56 Wenn die Königin, V . 4516 f., feststellt, ne je ne porrai avenir a vos , fors de bocbe on de main , so erinnert das an die unglückliche Lage des antiken Liebes-

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sein durch das M o t i v des blutbefleckten Lagers der K ö n i g i n auch m i t der oben erwähnten Episode aus dem ,Tristan', w o als literarisches M o d e l l der frivole Sdiwank durchschlägt, verbunden w i r d . Auch beim hochhöfischen Tagelied gehört ja die Bindung an den Ehebruch zur Sache. Haugs Deutung, die das Tagelied nicht einbezieht, wäre also zu überprüfen; bei i h m heißt es „die ehebrecherische Liebe zwischen i h m u n d der K ö n i g i n steht n i d i t zur D e b a t t e " 5 7 . Freilich, hochhöfische Tageliedminne steht m i t frivoler Schwankerotik nicht auf einer Stufe. Mobilisiert also sozusagen Chrétien i n seiner Auseinandersetzung m i t dem i n der Problematik so bedenklich ähnlich angelegten ,Tristan' das hochstilisierte höfische Tagelied gegen den Ehebruchsschwank? Doch w o h l nicht. D i e Tageliedassoziationen — das darf nicht übersehen werden — bilden nur einen Rahmen; es steht nicht w i e beim Tagelied die schmerzliche Trennung des Liebespaars am Morgen i m M i t t e l p u n k t , sondern vielmehr die nächtliche, glückliche Vereinigung. Überdies, es ist eine Vereinigung besonderer A r t , die das Tagelied w e i t hinter sich läßt, so daß zu überlegen ist, ob nicht nur der Tristanschwank abgelehnt, sondern auch das hochstilisierte Tagelied als nicht ausreichend erwiesen werden sollte, als nur äußerlich m i t der Lancelot-Minne vergleichbar, doch nicht ihren K e r n treffend. Chrétien macht seine Schilderung dieses einmaligen nächtlichen Beisammenseins zu einer Verherrlichung des Minneritters Lancelot. Dabei w i r d sich zeigen, daß Chrétien den Karrenritter nicht als Marionette der typischen Minneherrin konzipiert hat. Zunächst beherrscht die Artuskönigin als Lichtgestalt die Szenerie. Weder M o n d noch Sterne sind am H i m m e l , V . 4561, und die molt blanche chemise der K ö n i g i n , V . 4579, leuchtet hinterm Fenster 5 8 . D a n n aber konzentriert sich die Schilderung auf die wuchtigen Gitterstäbe, die brutal das unüberwindliche Hindernis markieren, wodurch Innen u n d Außen, w o v o n die K ö n i g i n gesprochen hat, V . 4514, voneinander getrennt bleiben. D i e W o r t v a r i a n t e n fers, ferree, ferreure usw. ziehen sich dabei leitmotivisch durch diesen wichtigen Abschnitt V . 4585 ff. D e r trennenden Gew a l t der Eisenstangen steht die Einigungsformel des Liebespaars gegenüber il de li et eie de lui, V . 4589, die auch an die Geschichte v o n Tristan u n d Isolde denken läßt. D i e K ö n i g i n hält eine Vereinigung angesichts des tren-

paares, das nur durch eine Spalte in der Mauer etwas Verbindung miteinander halten konnte. Der mittelalterliche Ritter w i r d daraus die volle Liebesbegegnung machen; eine typisch mittelalterliche Überbietung der Antike also, die im Text vorbereitet ist, denn V . 3803 heißt es von Lancelot, daß er plus ama que Piramus! D i e Tagelied- bzw. Serena-Signale sind deutlich in den Versen V . 4536 ff., 4685; dazu gehört auch der Hinweis auf mögliche Aufpasser, V . 4527. 5 7

Haug,

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A u f das Problem möglicher Lichtsymbolik sei hier nicht weiter eingegangen.

s. o. Anm. 1, S. 86.

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nenden Eisens für unmöglich. Ihre Kleingläubigkeit kontrastiert zusehends m i t der sieghaften Gewißheit des minneerfüllten Ritters, jedes Hindernis beseitigen zu k ö n n e n 5 9 . N u r der W i l l e der K ö n i g i n , nicht aber Eisenstangen, könnten i h n hindern, diese Trennung v o n außen u n d innen zu überwinden: Ja ne cuit que fers rien i vaille ; rien fors vos ne me puet tenir que bien ne puisse a vos venir , V . 4608 ff. Diese unwiderstehliche T a t k r a f t Lancelots steht nicht i m Gegensatz zu dem Erzählstrang des Nachdenkens u n d Versunkenseins. Übrigens ist Lancelot schon seit seinem Auftreten i m Roman v o n großer A k t i v i t ä t erfüllt ( K a m p f i m W a l d , Besteigen des Karrens, nächtliches Abenteuer i m Wunderbett usw.). Diese äußere W i r k k r a f t hat vielmehr ihr Wurzeln i n seiner außergewöhnlich starken Innerlichkeit, deren Zentrum die M i n n e ist. Ängstlichkeit u n d Kleingläubigkeit humanisieren andererseits die Artuskönigin, deren hochgeschraubte Forderung man noch i m O h r hat. N u n ist nichts mehr davon zu spüren; keine Rede, daß sie etwa nun das Zerbiegen der Eisenstäbe verlangen würde. A n die Stelle der fordernden hohen Minneherrin ist ein fast kleinlautes, weibliches Wesen getreten 6 0 . W i e konsequent Chrétien bei der Gestaltung dieser entscheidenden Episode vorgeht u n d wie gut durchdacht sie ist, läßt sich daran ablesen, daß Lancelot die ängstliche K ö n i g i n auf folgende Weise beruhigen k a n n : Dame, fet il, or alez donques, mes de ce ne dotez vos onques que je i doie noise faire . Sie soëf an cuit les fers traire que ja ne m'an traveillerai ne nelui nyan esveillerai" , V . 4627 ff. D i e H ä n d e des Ritters vollbringen das „ W u n d e r " , daß die wuchtigen Eisenstangen soëf beiseite gebogen werden k ö n n e n 6 1 . Die-

se Bednars negative Deutung des nächtlichen Beisammenseins beruht auf einem Übersetzungsfehler, was ihr die Grundlage entzieht. Er übersetzt die Verse 4594 f. : De ce que ansanble ne vienent lor poise molt a desmesure wie folgt: „cette séparation les pousse (!) à la ,demesure' John Bednar, La spiritualité et le symbolisme dans les oeuvres de Chrétien de Troyes, Paris 1974„ S. 102. Brand , s. o. Anm. 26, S. 189, sieht audi hier nur den bloß äußerlichen Kraftakt. 60 Eine Überlegung, die freilich nur als Spekulation bezeichnet werden kann, sei hier angefügt. A n der Stelle, wo Lancelot in totaler Minneergebenheit die seltsame Laune der Minneherrin fraglos akzeptiert, wendet Chrétien auf ihn den Troubadourterminus fin'amant an, V . 3962. N u n , bei der Schilderung des unmittelbar bevorstehenden Beisammenseins, auf dem Höhepunkt also, fehlt eine derartige A n gabe. Soll damit ausgedrückt werden, daß das, was für den fin'amant nur Wunsch ist, nun Erfüllung findet? 61 Der Prosa-,Lancelot', der die eindrucksvolle Leitmotivik der Eisenstäbe und die Spannung zwischen sieghaftem Ritter und kleingläubiger Königin nicht kennt und auch sonst die Episode auf die für den neuen Erzählstil typische Weise umgeformt hat, zeigt dennoch seine Abhängigkeit von Chrétien, wenn es vom Ritter heißt, daß er sache les fers des pertuis si soef (!) j que noise rii fet. (Lancelot. Roman en prose du X l I I e siècle. Edition critique . . .par A . Micha, Genf 1978, Band I I , S. 75). D i e deutsche Fassung folgt dem frz. Original getreu: und Lancelot det das y sen alles so sanft (!) uß.. s. o. A n m . 8, S. 639 e Z . 8. D e r Terminus „Minnewunder", der sich aus dem Sachverhalt ergibt und diesem keineswegs aufgezwungen zu werden braucht, weist erneut auf die Präsenz der Legendenstruktur hin.

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ses Nebeneinander v o n soëf u n d fers i n einem Vers darf man w o h l i n diesem W e r k zu den glücklichsten Einfällen des an Einfallen nicht armen Chrétien zählen. Dieses „ M i n n e w u n d e r " , daß dem R i t t e r das Beseitigen der Eisenstangen subjektiv so leicht erscheint, w i r d begleitet v o n gekonnter Psychologie, wenn man die Schilderung des Verhaltens der K ö n i g i n betrachtet 6 2 . D i e K ö n i g i n verläßt ihren Platz am Fenster u n d begründet dies m i t Vorsichtsmaßregeln, für alle Fälle! M a n fragt sich, w o die Unbedingtheit der M i n n e u n d des Vertrauens bleibt? E i n kleiner Seitenhieb des Klerikus auf die Dame, die sich gewissermaßen ein Hintertürchen offenhält, mag m i t i m Spiel sein. Zugleich rückt aber i m H i n w e i s auf das Lager, das die K ö n i g i n aufsucht, ungezwungen das Erotische i n den M i t t e l p u n k t . D i e kühne Sakralisierung, die dann das Geschehen i m Innenraum einleitet, V . 4652 ff., 4689 ff. u n d i n gesteigerter Form abschließt, V . 4717 ff. — das Liebeslager w i r d z u m A l t a r — sei hier nicht weiter erörtert. Diese Sakralisierung setzt konsequent die adoratio des Kammes der K ö n i g i n fort u n d verbindet Chrétien m i t dem etwas späteren G o t t f r i e d v o n Straßburg. Weniger beachtet hat man, daß dabei der Erzählstrang Minnereflexion weitergeführt w i r d , w o durch erneut der R i t t e r Lancelot als der M i t t e l p u n k t erscheint. D i e Liebesintensität der Dame verblaßt dagegen. Was i n den Reflexionen, V . 365 - 377 begann, w i r d nun, parallel zur Sakralisierung, auf einen H ö h e p u n k t gebracht. D i e M i n n e der A r t u s k ö n i g i n w i r d z w a r auch m i t allem L o b bedacht, V . 4654 - 4661, der Erzähler läßt aber keinen Zweifel daran, daß die M i n n e Lancelots, die überbietend v o n der M i n n e der Artuskönigin abgesetzt w i r d , V . 4662 ff., eine andere Dimension h a t 6 3 . Z u der bloß quantitativen Überbietung et il c. mile tanz a li , V . 4663, k o m m t etwas Neues. D i e M i n n e selbst gewinnt i n Lancelots H e r z neues Leben u n d neue K r a f t , 62 Natürlich ist es, objektiv gesehen, nicht möglich, die Eisenstangen ohne Mühe und soef, wie Lancelot versichert, herauszubiegen; die blutenden Hände beweisen es auch — dem soef entspricht tranchanz , V . 4639! Beim Überqueren der Schwertbrücke — gebunden an das mythische Schema der Befreiung der Gefangenen — waren dem Ritter die unerhörten Schwierigkeiten und dann auch die Wunden bewußt. Das ist nun, im Minneschema — wenn man es so formulieren darf — grundsätzlich anders. Dabei gibt der Erzähler wiederum fast pedantisch genau die V e r letzung der Finger an, V . 4640 ff., was die seltsame Insensibilität des Ritters — man denke an H u g o von St. V i k t o r : Caritas insensibilem reddit — noch hervorhebt. Hang verweist auf die Parallele im Tristan: Aufbrechen der Wunde beim gewaltigen Sprung; daran ist zweifellos auch zu denken, doch liegt die Beziehung zu den Verletzungen, die sich der Ritter bei der Überquerung der Schwertbrücke zuzieht, nicht minder näher. Brand, s. o. Anm. 26, S. 135, weist im Zusammenhang mit den von ihm aufgezeigten Doppelungen auch auf die enge Beziehung der Verletzung bei der Überquerung der Schwertbrücke und beim Herausbiegen der Gitterstäbe hin. 63 Strukturell gesehen kommt es dabei sogar zu einer ähnlichen Spannung wie vorher zwischen Gawein und Lancelot; freilich stellt sich die Frage, wie weit man die ähnliche darstellerische Technik in gleicher Weise gehaltlich belasten darf. Für die Beurteilung der Anlage des Romans hinge viel davon ab, wie man diese Frage beantwortet.

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V . 4666 mes an son euer tote reprist Amors. Lancelots H e r z ist also ein ganz besonderer Nährboden für amors; amors braucht gleichsam das H e r z dieses besonderen Ritters, was ein weiteres I n d i z für die Verinnerlichungstendenz i n diesem Roman i s t 6 4 . Z w a r w i r d amors wie üblich i n mittelalterlicher Literatur sozusagen als Wesenheit, die außerhalb des Menschen existiert, betrachtet, doch zeigt sich eine bedeutsame Verschiebung h i n z u m M e n schen an, genauer, zum Herzen des Menschen, v o n dem amors abhängig ist u n d das somit praktisch nicht weniger wichtig ist als amors! Darstellerisch ist dabei zu beachten, daß der Erzähler zunächst einzuschwenken scheint auf die Schilderung des erotischen Geschehens; V . 4654 ff. legen das nahe. Gerade aus diesem vordergründigen Sachverhalt w i r d aber, zur Überraschung des Lesers, die große amors-Reflexion herausgesponnen, die die Überlegenheit des Ritters, seine große Minne-Exaltation, besiegelt. D a n n erst geht es m i t der Schilderung des erotischen Geschehens weiter. D i e Einungsformel, die zu Beginn der Episode nur als Wunsch formuliert werden konnte, V . 4589, il de li et eie de lui, ist n u n W i r k l i c h k e i t u n d erscheint variiert auf zwei Verse verteilt: il la tient ... et eie lui, V . 4672 ff. D e r literarisch versierte Verfasser scheint dabei auch diskret ein beliebtes Thema der m i t t e l lateinischen Dichter, die gradus amoris, anzutippen; aus den Versen 4674 ff. könnte man das ablesen. D i e frivole Ausführlichkeit der mittellateinischen Dichtung wurde aber gemieden; es geht eben u m eine andere Minneauffassung. M i t der Sakralisierung der M i n n e u n d der Verherrlichung der Macht u n d Leistung des liebenden Ritters überstieg Chrétien bei weitem eine bloße Umsetzung der Troubadourkanzone ins Romanhafte, wenn man einen T e i l seiner Aufgabe auf diese knappe Formel bringen w i l l . Daß Chrétien damit nicht nur der Lancelot-Tradition eine ganz bestimmte, neue Richtung gab, sondern auch die v o n i h m selbst geschaffene Struktur des Artusromans bedeutsam zu verwandeln begann, u n d einen wichtigen Schritt i n der Vertiefung der sich entwickelnden Problematik F i k t i o n u n d Wahrheit vollzog, hat H a u g gezeigt 6 5 . Abweichend v o n H a u g sehe ich, indem ich v o n den hier untersuchten Erzählsträngen Namensnennung u n d Minnehandlung aus64 Es ist, auch unter diesem Gesichtspunkt unverständlich, daß Southward sich zur ganzen Episode vom nächtlichen Beisammensein in folgender Weise äußern konnte: „Von diesem Punkt an in der Erzählung (gemeint sind die Selbstvorwürfe der Königin und ihr Eingeständnis, Lancelot zu lieben!) scheinen Chrétiens Ideen langsam zu verblassen. Z u erwähnen bleibt noch die Episode von Lancelots nächtlichem Besuch bei der Königin." M . E. ist diese Episode ein Markstein in der Entwicklung der hodimittelalterlichen Literatur; mit unter ,ferner liefen' w i r d man der Sache nicht gerecht! Elaine Southward, D i e Einheit des Lancelot von Chrétien, I n : Der Arthurische Roman, hrsg. von K u r t Wais 9 Darmstadt 1970 (Wege der Forschung 157) S. 268. 65

Haug,

s. o. Anm. 1, S. 38, 70.

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gehe, das Verhältnis Chrétiens z u m Mythos. Für H a u g scheint sich beides, „der Erlösungsmythos u n d die ehebrecherische Liebe, immer enger zu verflechten: der aventiuren-Weg des Liebenden stellt sich als Jenseitsfahrt des Erlöserhelden dar. Aber i n dem Augenblick, i n dem das Z i e l erreicht ist, setzt Chrétien die arturische Krise dazu ein, u m diese Rückbindung des Persönlichen ins Mythische zu zerstören. D i e mythische Rolle erweist sich als trügerisch. Der über den strukturierten Weg ausgefaltete Heilsplan bricht zusammen. Lancelot sieht sich einem totalen M i ß e r f o l g gegenüber, er versteht die Reaktion der K ö n i g i n nicht, er verzweifelt." 6 6 Demgegenüber sehe ich das Problem so, daß Chrétien schon v o n A n f a n g an seinen Roman bet o n t auf die Spannung zwischen Erlösermythos u n d M i n n e des Ritters angelegt hat u n d immer wieder Signale anbringt, die erkennen lassen, daß zwischen beiden Faktoren u n d den ihnen zugeordneten H a n d l u n g e n eine mehr zufällige Übereinstimmung vorliegt, die das wesenhafte Auseinanderklaffen u m so stärker hervortreten lassen soll. Dies zeigt sich bereits i n der Exposition. D i e Herausforderung, die Meleagant vorbringt, ist i n z w e i Teile zerlegt: zuerst weist der Herausforderer auf die Gefangenen hin, V . 51 ff.; i m Weggehen begriffen ·— betont i n einer „ach, da f ä l l t m i r j a noch ein"Pose äußert er den zweiten, eigentlichen T e i l der Herausforderung, er w i l l die K ö n i g i n entführen; das Schicksal der Gefangenen w i r d somit an die Besiegung des Entführers u n d an die Befreiung der K ö n i g i n gebunden. Daß dabei das don-contraignant-Thema überraschenderweise dem Herausforderer weggenommen u n d auf K e u verlagert w i r d , ist ein kräftiges I n d i z dafür, daß es sich u m bewußt zurechtgedadite ältere Erzählelemente h a n d e l t 6 7 . Der unbekannte R i t t e r , der m i t dem Entführer k ä m p f t , k a n n nur v o m Anblick der entführten K ö n i g i n m o t i v i e r t worden sein u n d weiß w o h l nichts v o n der Befreiung irgendwelcher Gefangener i n irgendeinem seltsamen Bereich. Die Friedhofsepisode, das herausgestellte Unwissen des Mönchs u n d die dezidierte Äußerung des Ritters, er sei ausschließlich wegen der K ö n i g i n unterwegs, zeigen deutlich, daß die zwei Themen für Chrétien nur äußerlich zusammenfallen. K a n n man dann v o n einer „mythischen R o l l e " sprechen, wenn der Betreffende v o n der mythischen Erlöserfunktion gar nichts wissen w i l l ? Demnach möchte ich H a u g nicht folgen, wenn er v o m Zusammenb r u d i des am mythisch strukturierten aventiure-Weg orientierten Heilsplans

« 6 Haug, ebda, S. 70. 67

I n der A r t , wie Chrétien im Verhalten Keus seinem H e r r n gegenüber bestimmte Problemkonstellationen aus dem Bereich der Feudalwelt der Chansons de geste andeutungsweise aufgreift und eigentlich denaturiert, zeigt sich, wie audi an anderen Stellen, die Ablösung des höfischen Romans von der Epik. Z u m don-contraignantProblem siehe Jean Frappier, Le motif du „don contraignant' dans la littérature du moyen âge. Abgedruckt in: Ders.: Amour courtois et table ronde, Genf 1973, S. 225 bis 265. (Publications romanes et françaises 126.)

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spricht, wonach Lancelot nach Bestehen der aventiure vor einem totalen Mißerfolg stehe u n d angesichts der Reaktion der K ö n i g i n verzweifle 6 8 . L a n celot verzweifelt nicht, er fügt sich, wie es sich für einen exemplarischen fin amant gehört, er läuft nicht als nackter Irrer i n die W i l d n i s wie ein I w e i n , er macht zunächst auch keinen Selbstmordversuch als Reaktion auf die Ablehnung durch die K ö n i g i n . D i e „arturische K r i s e " , zu deren Wesen doch das Verlassen des Artusbereichs gehört ( i m ,Erec* zusätzlich variiert), ist i m Karrenritterroman — wenn vorhanden — dann gründlich umgestaltet. Es k o m m t zu einem ausführlichen Meinungsaustausch Lancelots m i t Baudemagus u n d Keu, an dessen Ende aber eben nicht Lancelots Verzweiflung steht, sondern der Ausdruck seiner Minneergebenheit, wenn er sagt: Or soit a son comandemant , V . 4076. D a m i t faßt er seine H a l t u n g nochmals zusammen, wobei auf comandemant besonderes Gewicht zu legen ist, wenn w i r an den Erzählstrang Minnereflexionen denken, etwa ab V . 377 f f . 6 9 . U n m i t t e l b a r i m Anschluß an diese Äußerung Lancelots heißt es, daß er sich aufmacht, u m H e r r n Gawein zu suchen, V . 4079, was doch nur so zu verstehen ist, daß das auch am Mythischen orientierte vordergründige H a n d lungsschema äußerlich i n t a k t bleibt, ja v o n Lancelot selbst auf aktive Weise respektiert w i r d . Dieses Handlungsschema leistet aber, wie übrigens bisher auch schon, nur Handlangerdienste; es w i r d dadurch der nötige äußere Spielraum geschaffen für das Entstehen der Gerüchte v o n Lancelots T o d und, davon abhängig, v o m T o d der K ö n i g i n . Somit k a n n die eigentliche H a n d lung, die Minnehandlung, erneut inganggesetzt werden, u n d nun, losgelöst v o m mythischen Schema des Befreiens — das hat H a u g w o h l i m Sinn — , gleichsam i n einem Neueinsatz auf den glücklichen H ö h e p u n k t gelangen. Erst die K u n d e v o m vermeintlichen T o d der K ö n i g i n , nicht die Niedergeschlagenheit über den schlechten Empfang durch sie nach Bewährung i n einem Abenteuer, das i m Grunde dem mythischen Schema zugeordnet ist, treibt Lancelot i n den Selbstmordversuch hinein. W i e w i r oben w a h r scheinlich zu machen versuchten, ist aber selbst dieses Selbstmordthema nur ein äußeres, spektakuläres Vehikel, das zur eigentlichen „ H a n d l u n g " , nämlich den vertieften Minnereflexionen, hinführt, die dann i n das Gespräch der Liebenden und, auf einer dritten Stufe, ins Beisammensein übergehen. K a n n man bei Chrétiens Karrenritterroman überhaupt noch v o n arturischer Krise

6 8

Haug,

s. o. Anm. 1, S. 70.

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V o m Leitwort comandemanz ist der Bogen zu schlagen zurück zum Prolog V . 22. Das paßt zu Brands Beobachtung, wonach zwischen V . 4 des Prologs und V . 5654 f. eine Beziehung besteht. (Brand, s. o. Anm. 26, S. 140 f.) D e r Gedanke einer bewußt hergestellten spannungsvollen Teilidentität zwischen Autor und Hauptgestalt wäre weiter zu verfolgen. D e r ausdrückliche Hinweis der Exposition auf das elegante Parlieren an lengue françoise, V . 40, ist in Hinsicht auf die M ä zenin, deren Mutter immerhin occitanisch sprach, wohl auch nicht ohne Bedeutung. 5 Literaturwissensdiaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

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sprechen? Ich glaube kaum. So wenig, wie man, H a u g hat dies selbst deutlich gemacht, v o n einer Reintegration i n die Artusgesellsdiaft sprechen kann. Es geht also w o h l nicht mehr u m eine Krise gemäß der Struktur des Artusromans 7 0 . D e r Ritter, dem Schema der arturischen Krise entrückt, k a n n äußerlich dem vorgegebenen Geschehen folgen, w e i l er innerlich, u n d darauf k o m m t es an, durch seine vertieften Reflexionen, zu deren Intensivierung auch das Selbstmordmotiv dient, auf das sakralisierte Minnemysterium hingeführt w i r d . Dieses Ins-Leere-Gehenlassen einer möglichen E r w a r t u n g der typisch arturischen Krise eröffnet eine wichtige Perspektive. Diese verbindet sich m i t dem i n der Exposition gestalteten Ironisieren u n d Zurücksinken des Artushofs, w o z u audi gehört, daß Lancelot, die Hauptgestalt, schließlich nicht v o m Artushof aus zur Befreiung der K ö n i g i n aufbricht, sondern v o n irgendwo i m W a l d 7 1 . D a z u gehört schließlich auch, daß Chrétien anders als U l r i c h v o n Zatzikhofen, welcher, w i e zwangsläufig einer mächtigen K o n vention u n d T r a d i t i o n folgend, auf den vorbildlichen Herrscher hinsteuert, den Ritterroman eben nicht mehr i n den Herrscherroman münden läßt — u n d sei die Herrscherthematik bloß als Schwänzchen am Schluß präsent —-, sondern i h n davon loslöst und, vergleichbar dem kongenialen Gottfried v o n Straßburg, das künecriche des herzen z u m Entfaltungsbereich des höfischen Romans macht. N u n ist der hochwertige Artusroman, auch wenn er i m B i l d des v o r b i l d lichen Herrschers gipfeln mag, v o r allem ein Roman der Bewußtheit des I n dividuums. M a n denke an die Entscheidungen Ereks u n d Enitens u n d Parzivals. I m , I w e i n c w i r d dies durch Wahnsinn u n d Salbe v o m Märchenhaften überlagert, i m zweiten Abenteuerweg dafür aber immer wieder aktualisiert. Es ist auszuschließen, daß Chrétien i n seinem Karrenritterroman auf diesen zentralen P u n k t der Bewußtheit u n d Freiheit des I n d i v i d u u m s zugunsten einer der Tristanliebe ähnlichen Fatalität verzichtet hätte. D i e marionettenhaften Züge, m i t denen der Erzähler seinen Helden, vielleicht auch nicht ganz ohne leise Ironie oder K o m i k , gelegentlich ausstattet, könnten höchstens äußerlich als Zeichen grundsätzlicher Verfallenheit an ein Schicksal mißverstanden werden, w o es doch u m das fraglose, freilich extreme, A n nehmen des Willens der Geliebten geht. D i e fast bannhafte Minneversunkenheit des Ritters dagegen könnte eher für Fatalität u n d Auslöschen v o n Freiheit u n d Bewußtheit des Individuums sprechen, u n d zweifellos bet r i t t man, v o n der N a t u r der Sache her — man k a n n es drehen, wie man w i l l — , gemeinsamen G r u n d m i t der Tristanfabel; doch ist dabei stärker die ™ Haug, s. o. Anm. 1, S. 38, wo er sich besonders eindringlich und überzeugend zu Strukturproblemen äußert. 71 Der Prosa-,Lancelot' rationalisiert hier wieder auf die für ihn typische Weise; er duldet keine weißen Flecken in seinen Begründungszusammenhängen.

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I n t e n t i o n des Erzählers als diese faktische Gegebenheit, welche Gemeinsames m i t der Tristanfabel aufweist, zu beachten, u n d da ist zu sagen, daß die bannhafte Versunkenheit Lancelots nicht aus dumpfer Zwanghaftigkeit k o m m t , sondern aus der geistgeprägten H e l l i g k e i t des Schauens und M e d i tierens 7 2 . D i e großen Minnereflexionen kommen dazu und dann ist v o r allem die Schilderung des Höhepunkts, des nächtlichen Beisammenseins, heranzuziehen, w o r i n die Bewußtheit des Ritters i n der unwiderstehlichen Gewißheit, daß seine Liebe alles vermag, eine neue Stufe erreicht. Dies ist i n das eindrucksvolle Symbol der Eisenstäbe gefaßt, die i n den H ä n d e n dieses Ritters gleichsam zu Wachs werden. U n d was die Entscheidungsfreiheit bet r i f f t , so liegt sie, getragen v o n dieser sieghaften Gewißheit, darin, daß sich der Ritter dem W i l l e n der nun aber sehr vermenschlichten Minnedame anvertraut, wenn er sagt: Dame, fet il , or ne vos chaille ! Ja ne cuit que fers rien i vaille; rien fors vos ne me puet tenir .. V . 4607 ff. Diesem fet il entspricht sogleich i n totalem E i n k l a n g das fet eie der K ö n i g i n , V . 4616, w o auf psychologisch feine A r t z u m Ausdruck k o m m t , daß es nun nicht so sehr darum geht, daß die voluntas der Dame Forderungen an den Ritter stellt, sondern daß vielmehr die Dame sich ganz dem triumphierenden Selbstvertrauen des minneerfüllten Ritters beugt. I h r certes ... jel voel bien, mes voloirs pas ne vos detieni ist eher ein „ d e i n W i l l e geschehe" als Ausdruck eigener Forderungen. So verschmelzen i n dieser Höhepunktepisode die voluntates der beiden 7 3 . Das Verhältnis v o n Chrétiens R o m a n zur Lancelot-Tradition w i r d sich k a u m jemals genau bestimmen lassen; der T e x t Ulrichs ist keine ausreichende Vergleichsbasis. M a i l k a n n aber annehmen, daß Chrétiens Roman über seine F u n k t i o n als anspruchsvolle höfische Unterhaltung u n d vielleicht auch m i t Spannung erwartete Lösung einer schwierigen darstellerischen Aufgabe h i n aus ein gewichtiger Beitrag zur Auffächerung u n d Weiterentwicklung der Form des höfischen Romans geworden ist. V o n den negativen Urteilen der älteren Forschung bliebe nichts mehr übrig. D e r Karrenritterroman würde sich vielmehr einfügen i n die Reihe jener literarischen Werke, die zu den 72 Es ist daran zu erinnern, daß Gottfried von Straßburg versuchen wird, innerhalb der Tristanfabel selbst die dumpfe Heillosigkeit des Minnetrank-Eros mit der überwältigenden Lichtfülle der Minnegrotte — zumindest für kurze Zeit und außerhalb der Menschenwelt — zu überwinden und zu verklären. ™ Köhler, vom ,Cligès'-Roman herhommend, hat dem »Lancelot* eine eindringliche Betrachtung gewidmet. Er bezieht aber die Episode des nächtlichen Beisammenseins nicht in die Aufzählung von Lancelots T u n ein und kommt zum Schluß, daß „der Liebhaber mit dem Anschein der freien Willensentscheidung zur Liebe praktisch doch deren Sklave wird". Erich Köhler, Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik, 2. Aufl., Tübingen 1970 (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 97), S. 167 f.

5*

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besonders eigentümlichen Leistungen der K u l t u r der damaligen Zeit überhaupt zählen. Er erreicht nicht bloß das hohe stilistische N i v e a u des Lateinischen — das g i l t ja schon für Chrétiens ersten Artusroman — sondern i n i h m w i r d , über ,Erec c u n d jYvain* hinausgehend, auch die der volkssprachlichen T r a d i t i o n eigene K u l t i v i e r u n g der fin'amors weiterentwickelt u n d genutzt: zur weiteren romanhaften Erschließung seelisch-psychologischer Erfahrungen, zur Gewinnung eines neuen Bildes v o m M i n n e r i t t e r u n d zur I n tensivierung des Imaginär-Fiktiven, wobei raffiniert Signale u n d D e n k f o r men des Religiösen eingesetzt werden und das äußere u n d innere Geschehen bedeutsam durchhellen 7 4 . Der clericus Chrétien formt, w o h l auch i n spannungsvollem Zusammenw i r k e n m i t der literaturkundigen Mäzenin u n d deren Kreis, ein präzis idealisiertes B i l d v o n einem miles — der natürlich Königssohn ist! V o r allem i n der Schilderung v o m nächtlichen Beisammensein erhält dieses B i l d seine entscheidenden K o n t u r e n u n d w i r d zu einer laus militine amoris. Jahrzehnte vorher hatte die Kreuzzugsidee den ungebärdigen milites v o m Transzendenten her i m B i l d der militia Dei Sinngebung u n d Daseinserhöhung zugeteilt. E i n paar Jahrzehnte später wiederum findet sich, n u n m i t den M i t t e l n der Erzählkunst volkssprachlicher Prosa, i m Prosa-,Lancelot' ein ähnlicher Versuch, an den miles eine höhere religiöse Daseinserfüllung heranzutragen: aus dem M u n d der Dame, die Lancelot erzieht, bzw. i n der Queste del Saint G r a a l w o h l unmittelbar aus dem M u n d mönchischer Verfasser. I n Chrétiens höfischen Versromanen, die zeitlich dazwischenliegen u n d aus dem Bereich der profanen H o f k u l t u r westlichen Hochadels kommen, ist der Bogen der Problematisierung u n d Sinngebung ritterlichen Daseins v o n Roman zu R o m a n besonders w e i t gespannt. D i e Leitbilder, die darin dem miles, diesem bedeutenden militärischen u n d sozialen Machtfaktor der Zeit, vorgeführt werden, inspirieren sich aber nicht so sehr, b z w . nicht mehr nur, i m Transzendenten. Gemessen am ,Erec' oder ,Perceval· ist der Karrenritterroman w o h l der ungewöhnlichste u n d auch gewagteste Sinngebungsversuch dieser A r t , den der clericus dem höfischen P u b l i k u m vorlegt, da er i n i h m den miles loslöst v o m vorbildlichen Herrscher u n d guten Gemahl b z w . religiös fundierten Erlöser-Herrscher u n d Gemahl u n d dafür i n einem R a u m exaltierter Minne-Innerlichkeit seine E r f ü l l u n g suchen u n d finden läßt. 74 O b das Religiöse dabei möglicherweise letzter Bezugspunkt war — was theoretisch vorstellbar und von großen Konsequenzen wäre — und somit das Koordinatensystem für das Innermensdilidi-Weltliche bildete, oder ob es (als Analogie, Typologie, direkte Anspielung) seinerseits dienende Rolle in einem neuen Koordinatensystem (Psychologie und fin'amors) erhielt, ist, wie bei Gottfrieds ,Tristan', immer noch nicht ausdiskutiert; ich neige der zweiten Möglichkeit zu, gestützt auf die raffinierte Erzählweise, auf die Bedeutung des Psychologischen, der Ironie.

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I n dieser Sicht zeigt sich der höfische R o m a n zunächst nicht so sehr als idealisierende Selbstdeutung einer bestimmten Schicht innerhalb der ständisch ohnehin nicht k l a r fixierten militia; er ist vielmehr Fremdstilisierung — wenn man v o m miles ausgeht: der clericus, die Schriftstellerin — man denke an Marie de France — , die kultivierte Gönnerin, der Mäzen u n d das literarisch interessierte P u b l i k u m des Hofes arbeiten an einem dichterischen B i l d des miles . D e m miles i m engeren Sinn, i m Sinn des ritterlichen Laien, der durch die z w a r noch engen Aussagemöglichkeiten der v o n i h m selbst getragenen M i n n e l y r i k bereits vorbereitet w a r , fiel es dann seinerseits nicht schwer, sich ebenfalls i n das Hervorbringen höfischer Romane einzuschalten, wobei es zu Akzentuierungen k o m m t , die v o n Verfasser zu Verfasser i m einzelnen zu beurteilen sind 7 6 .

75 Wenn H a r t m a n n von Aue in seiner Namensnennung sich nicht zusätzlich als dienstman spezifiziert hätte, wäre man vielleicht weniger hurtig zur heute dominierenden marxistisch-inspirierten These gekommen, der Artusroman sei ein Produkt der (!) Situation der (!) Ministerialen. ( D a ß H a r t m a n n nur der Bearbeiter der Werke des französischen clericus Chrétien war, w i r d dabei verdrängt.) N u n dient Hartmanns Angabe dienstman was er... nur der genauen Identifizierung des selbstbewußten Autors. Was das literarische „Bewußtsein" Hartmanns betrifft, so ist festzuhalten, daß H a r t m a n n eben nicht sagt: ein dienstman sô geler et was, sondern ein riter. Für H a r t m a n n als literarisch Tätigen spielt also der die ständischen Schichten übergreifende miles- Begriff die Hauptrolle und beschwört den ebenfalls übergreifenden clericus-Begriff als Bezugspunkt. Für die übrigens keineswegs mit einheitlichem Bewußtsein ausstaffierten Ministerialen fällt dabei nichts ab. Vgl. dazu die kritische Sichtung der modernen Thesen durch Ursula Liebertz-Griin, Zur Soziologie des ,amour courtois 4 . Umrisse der Forschung. Heidelberg 1977 (Beihefte zum Euphorion 10).

D I E , C A T O ' - K O N T R O VERSE Klassizistische K r i t i k an Addison, Deschamps und Gottsched* V o n M a r t i n Brunkhorst Als „epitome of the classic-stoic mode" 1 ist Addisons ,Cato c (1713) eher berüchtigt als geschätzt. D i e Ablehnung der lebensfernen Rhetorik dieser Tragödie ist weit verbreitet: „ [ C a t o ] inhabits a kind of imaginary museum where rhetoric supplants ordinary human discourse " 2 D i e Ansicht, daß Addison i m ,Cato* „geniale H ö h e " erreicht habe 3 , hat i n der neueren Forschung Ausnahmestatus. Gottscheds deutsche ,Cato'-Bearbeitung (1731) w i r d sogar v ö l l i g abgewertet: „Sein W e r k ist t o t . " 4 Der heutigen Bewertung entgegengesetzt ist die, t r o t z aller damaligen K r i t i k , große Popularität beider Tragödien i m 18. Jahrhundert. Gottscheds Werk erreicht zehn Auflagen 5 , Addisons ,Cato* gar das Mehrfache dieser Zahl®. Gottsched k a n n auch dreißig Jahre nach dem Erscheinen seines S t e r benden Cato' noch m i t Stolz behaupten, daß er „doch einmal zu dem neuen Geschmack der dramatischen Dichtkunst, den Anfang gemachet." 7 Addison * Die Anregung zu den folgenden Ausführungen verdanke idi H e r r n Professor D r . Walter Hinck. 1 Robert D . Hume, The Development of English D r a m a in the Late Seventeenth Century, Oxford, 1976, S. 483. 2

Pat Rogers, The Augustan Vision, London, 1974, S. 164.

3

Franz Zaic , Joseph Addison: Cato', in: Das englische D r a m a im 18. und 19. Jahrhundert, Interpretationen, hg. ν. H . Kosok, Berlin, 1976, S. 46 - 56; S. 48. 4 K a r l O t t o Conrady, ,Gottsched: Sterbender Cato f , in: Das deutsche D r a m a vom Barock bis zur Gegenwart, Interpretationen, 2 Bde, hg. v. B. Wiese, Düsseldorf, 1962, Bd. 1, S. 6 1 - 7 8 ; S. 61, Das angeführte Zitat bezieht sich auf Gottscheds Gesamtwerk. 5 Cf. Christian Gottlob Köllner, ,Nachricht von den Schicksalen dieses sterbenden Cato in Frankreich und Deutschland', in: Johann Christoph Gottsched, Ausgewählte Werke, Bd. 2, hg. v. J. Birke, Berlin, 1970, S. 1 5 4 - 1 9 1 ; S. 168 - 170. Cf. aber auch das ,Nach wort' von Joachim Birke, der S. 455 f. nur 9 Auflagen nachweisen kann. 6 Cf. die Einleitung von C a r l J. Stratman, Bibliography of English Printed Tragedy 1565 - 1900* Carbondale, 1966, S. vii, der insgesamt 86 Separat- und 31 Anthologieausgaben des ,Cato' zählt. 7

Zit. nach Birke,

»Nachwort', S. 449.

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w i r d sogar noch eine weit größere historische Bedeutung seines Dramas für die ästhetische Entwicklung der englischen Tragödie bescheinigt: „ [ . . . ] cette tragédie, la seule bien écrite d'un bout à Vautre chez votre nation, [...] ne doit sa grande réputation qu'à ses beaux vers, c'est à dire a des pensées fortes et vraies, exprimées en vers harmonieux"* V o l t a i r e wiederholt hier seinem englischen Adressaten nur dessen eigenes U r t e i l . Er selber hat neben Hochachtung v o r Addison auch fundierte K r i t i k an dessen ,Cato' anzumelden. V o n A n f a n g an sehen sich sowohl Addison wie auch Gottsched t r o t z aller Popularität heftigen A n g r i f f e n der an der klassizistischen Dramentheorie orientierten K r i t i k e r ausgesetzt. So abwegig es wäre — wie Heinz-Joachim Müllenbrock feststellt 9 — , die umfangreiche literaturkritische Diskussion wiederbeleben zu wollen, so interessant sind doch die Hauptargumente dieser fast gesamteuropäischen Kontroverse unter dem rezeptionsästhetischen Aspekt einer Kritikgeschichte als Funktionsgeschichte 10 . W o die detaillierte Analyse sich über emotional-polemische Absichten hinaus u m eine kritische Wertung der vermeintlichen Fehler u n d Vorzüge der Cato-Dramen bemüht, gibt sie Einblick i n das poetologische Selbstverständnis der Epoche u n d die dramentechnischen Schwierigkeiten der Tragödienproduktion. D i e k o n t r o versen Positionen der ,Cato'-Rezeption erhalten symptomatische Geltung für die weite Ausdeutbarkeit u n d die große Flexibilität des klassizistischen Regelkanons. I

D i e A u f f ü h r u n g seiner jCato'-Tragödie p l a n t Addison i n enger Kollaborat i o n m i t seinen Freunden, die nicht nur das P u b l i k u m vorbereiten u n d den Premierenerfolg organisieren, sondern durchaus auch Änderungen am Text vorschlagen. A m rigorosesten nach klassizistischen Gesichtspunkten verfährt dabei M a r y W o r t l e y M o n t a g u 1 1 . V o n einem eng an der aristotelischen Poefi Œuvres complètes de Voltaire, 52 Bde, hg. v. L. Moland, S. 322.

Bd. 2, Paris, 1877,

* Heinz-Joachim Müllenbrock, Whigs kontra Tories, Studien zum Einfluß der Politik auf die englische Literatur des frühen 18. Jahrhunderts, Heidelberg, 1974, S. 83. 10 Cf. Wolfgang Theile, D i e Racine-Kritik bis 1800, Kritikgeschichte als Funktionsgeschichte, München, 1974, S. 10 - 1 4 , und Hans Robert Jauß, Literaturgeschichte als Provokation,, Frankfurt/M., 2 1970, S. 1 8 9 - 2 0 6 . 11 Cf. Robert Halsband, ,Addison's Cato and Lady M a r y Wortley Montagu', P M L A 65 (1950), S. 1 1 2 2 - 1 1 2 9 . Für die folgenden Ausführungen des ersten Teils stütze ich mich auf meine demnächst im de Gruyter- Verlag Berlin erscheinende Arbeit ,Tradition und Transformation, Klassizistische Tendenzen in der englischen Tragödie von Dryden bis Thomson*.

Die jGato'-Kontroverse

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t i k orientierten Standpunkt aus hat sie ernsthafte Bedenken sowohl gegen Figurenzeidinung u n d Handlungsgliederung wie auch gegen die Sprachebene des Dramas vorzubringen. Besonderen Ärger bereiten i h r die eingefügten Liebesepisoden, die nach ihrer Ansicht keinerlei Relation zur H a u p t h a n d lung des sterbenden Cato aufweisen. D i e v o n ihr ursprünglich als nicht dramatisch umsetzbar angesehene moralische Integrität Catos erscheint ihr dagegen i n Addisons Tragödie meisterhaft herausgestellt: „ [ C a t o ] appears here in all his beauty, his sentiments are great , and expressed without fustian , and smooth without a misbecoming softness . I think I hear a Roman with all the plain greatness of Ancient RomeZ12 I n ganz ähnlicher Form l o b t später auch Voltaire die makellose Charaktergröße der T i t e l figur, bedauert aber zugleich die formale Unzulänglichkeit der Handlungsentwicklung 1 3 . Was zunächst als freundschaftlich-wohlmeinende K r i t i k v o n M a r y W o r t ley M o n t a g u nie für die Öffentlichkeit bestimmt w a r u n d auch nicht veröffentlicht wurde, erfährt bei Voltaire einen Funktionswandel durch die Integration i n einen allgemeinen Uberblick über das englische Drama. V o l taires j C a t o ' - K r i t i k figuriert an prominenter Stelle i n der ausländischen Evaluation einer englischen D r a m a t i k , der schließlich generell eine Unfähigkeit zur formalen Geschlossenheit attestiert w i r d . Gleichzeitig werden i m privaten wie i m öffentlichen Bereich der D r a m e n k r i t i k zwei i n der ,Cato'Rezeption des 18. Jahrhunderts immer wieder auftauchende Punkte benannt. Z u m einen handelt es sich u m die grundsätzliche Schwierigkeit der Dramatisierung eines v o n den historiographischen Quellen nur wenig ereignis- oder episodenreich überlieferten Stoffes; z u m anderen ist es die Bewunderung für Addisons Fähigkeit, heroische Gefühle u n d ethische M a x i m e n i n großartige u n d d o d i schlichte Rhetorik umzusetzen. I n der Vielzahl der zur ,Cato c -Premiere i n L o n d o n erscheinenden Publikationen sind klassizistisch fundierte Dramenanalysen selten anzutreffen. Eine Ausnahme sowohl i n seiner Urteilsfähigkeit wie auch i n seiner — bisher v o n der Forschung übersehenen — kritischen Tendenz stellt der anonyme Verfasser v o n ,Cato E x a m i n ' d ' dar. T r o t z größter Hochachtung für Addison k o m m t er doch zu dem Schluß, daß ,Cato' i m Vergleich m i t dem griechischen Theater immer nur sekundäre Q u a l i t ä t zugesprochen werden k a n n : , , [ . . . ] 12 Z i t . nach George Paston [i. e. Emily Morse Symonds], Möntagu and H e r Times, London, 1907, S. 171.

Lady M a r y Wortley

13 Œuvres complètes, Bd. 22, S. 155: „Dans cette tragédie d'un patriote et d'un philosophe , le rôle de Caton me paraît surtout un de plus beaux personnages qui soient sur aucun théâtre . [. ..] Il est bien triste que quelque chose de si beau ne soit pas une belle tragédie"

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this Tragedy has not that Wonderful Peripetie or Change of Fortune , and Discovery , which we find in the ,Oedipus' of Sophocles. But then it must be said , that no other Poet but Sophocles had them so perfect" 14 Sehr viel flexibler i n der Anerkennung der formalen Korrektheit als M a r y W o r t ley M o n t a g u oder Voltaire konstatiert doch audi dieser K r i t i k e r das letztliche Defizit gegenüber dem antiken Tragödienideal, das d u r d i die Eulogie der didaktischen I n t e n t i o n Addisons nicht kaschiert werden kann. Addisons Begabung ist geringer als die Sophokles', aber größer als die seiner Zeitgenossen: i n dieser Feststellung liegt das L o b der anonymen K r i t i k . Wfcniger i n Lob u n d Anerkennung gekleidet ist die ,Cato c -Besprechung von John Dennis. Sie stellt die erste ausdrücklich negative K r i t i k des D r a mas dar und hat i n ihrer expliziten Opposition zur Flut der panegyrischen Pamphlete v o n A n f a n g an Aufsehen erregt. Der Bewertungsparameter der Dramenanalyse umfaßt drei systematische Punkte — den Nachweis v o n Verstößen gegen die aristotelische Poetik, den Nachweis v o n zu genauer u n d daher absurder Befolgung dieser Poetik u n d den Nachweis allgemeiner U n gereimtheiten — u n d w i r d dadurch v o n A n f a n g an aus einer zu engen pseudoaristotelischen Position auf eine allgemeinere rationalistische Basis verschoben. Einer der ersten u n d wesentlichsten Punkte der K r i t i k ist die Negation einer immanenten M o r a l des Dramengeschehens, d. h. seiner K o n formität m i t dem Prinzip der poetischen Gerechtigkeit 1 5 . D a Cato am Ende trotz seiner Tugenden u m k o m m t , kann er nicht dem P u b l i k u m als V o r b i l d empfohlen werden. Für Dennis' bewußt materialistische Mißinterpretation von der Niederlage der guten Sache, die Catos ideellen Sieg über seine Feinde nicht sieht, ist der didaktische Zweck des Dramas verfehlt. Weitere Verstöße gegen das aristotelische Tragödienkonzept sind für Dennis die i n den Liebesepisoden sich abzeichnende Nebenhandlung, die die Forderung nach Einheit der H a n d l u n g verletzt, u n d die fehlenden Peripetien i m Schicksal der Hauptfigur. Den Einwänden gegen die Fabelkonstrukt i o n schließen sich diejenigen gegen die Figurenzeichnung an. Schon die W a h l des Stoffes ist verfehlt: » [ . . * ] a S t o i c k , if his Manners are made convenient , can never be shewn , as Oedipus and some other principal Characters of Tragedy are shewn , viz. agitated and tormented by various violent Passions." 1* Neben dieser ungünstigen, w e i l die Zuschauer nicht erregenden 14 Anon.,, Cato ExaminM: or, Animadversions on the Fable or Plot, Manners, Sentiments, and Diction of the N e w Tragedy of Cato [ . . . ] , London, 1713, S. 17. Halsbandy op. cit., S. 1125 übersieht die hier enthaltene K r i t i k an ,Cato'. 15 Cf. zum Prinzip der poetischen Gerechtigkeit Curt A . Zimansky, ,Introduction' zu: The Critical Works of Thomas Rymer, hg. v. C. A . Zimansky, New Haven, 1956, S. xxiii f.

Die

ato-Kontroverse

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Grundeinstellung des historischen Cato ist aber auch Addisons Figurenzeichnung, wie Dennis zeigt, inkonsistent. Weder passen der Weltschmerz u n d die Todessehnsucht, die Cato angesichts der Verschwörung v o n Syphax u n d Sempronius zeigt, m i t dem v o n Portius u n d Juba i m ersten A k t entworfenen B i l d v o m unbewegt das Unglück ertragenden Helden überein, noch paßt Catos Rat an seinen Sohn Portius, er solle sich aus der K o r r u p t i o n des öffentlichen Lebens i n die I d y l l e seines Landsitzes zurückziehen, i n die V o r stellung v o m glühenden Patrioten, der i n Zeiten der N o t jedermann zur Verteidigung des Staates aufrufen sollte. Der H a u p t e i n w a n d gegen die Titelfigur bleibt jedoch deren starrer Tugendrigorismus, der der aristotelischen Forderung des gemischten Charakters eindeutig widerspricht: » [ . . . ] the Character of Cato is too virtuous for perfect Tragedy." 17 M i t der Aufdeckung der Verstöße Addisons gegen die Prinzipien einer an Aristoteles orientierten Dramenpöetik glaubt Dennis Indizien für den Nachweis einer antiklassizistischen Bewegung gegen die „Rules of the Drama , which are the Rules of exact Reason" 18, gefunden zu haben. Schon Addisons Mißachtung der poetic justice i m ,Cato c bestätigt für Dennis die i m »Spectator' durch die Bewunderung für die nationale englische Balladendichtung geäußerte A b k e h r v o m klassisch-antiken K a n o n jetzt auch für das Drama. H a t t e Addison die ,Chevy Chase'-Ballade i n ihrer natürlichen Schlichtheit als dichterisches V o r b i l d u n d poetisches Kunstwerk gelobt und sich zur Stützung seiner Hochschätzung volkstümlicher Literatur auf Ben Jonson u n d P h i l i p Sidney, aber auch auf H o m e r , Vergil, Valerius Flaccus u n d Statius sowie „the greatest Modern Criticks" berufen 1 9 , so droht Dennis Addisons Autoritätensammlung: „I shall confound them by invincible Reason, before which no Authority could ever stand." 20 I m weiteren K o n t e x t der Defensivposition Dennis' gegenüber Addisons vermeintlicher Infragestellung antiker Mustergültigkeit k o m m t so dem Nachweis einer mangelhaften Aristoteles-Befolgung i m ,Cato' besonderes Gewicht zu. Der eigentliche Spott u n d die K r i t i k des Rezensenten allerdings richten sich auf den angeblich verfehlten Rationalismusanspruch des Dramas. M i t Vehemenz u n d A k r i b i e weist Dennis nach den Regelverstößen die U n w a h r scheinlichkeiten u n d Absurditäten auf, die durch zu enge Regelbefolgung Ίβ The Critical Works of John Dennis, 2 Bde, hg. ν. Ε . N . Hooker, 1939 - 1943, Bd. 2, S. 50. 17 Ibid., S. 53. « 19

Baltimore,

Ibid., S. 49.

Joseph Addison, Richard Steele et al., The Spectator, 4 Bde, hg. v. G . G. Smith London, 1907; Neudr. 1950, N o . 70, Bd. 1, S. 216. so Dennis, op. cit., Bd. 2, S. 34.

Martin Brunkhorst

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entstehen. Dennis' Verurteilung v o n Addisons „Ungeschick" führt jedoch zu keiner generellen Infragestellung auch nur v o n Teilen des etablierten Regelkanons, sondern stellt lediglich die „ K o r r e k t h e i t " des Dramas i n Frage u n d denunziert es als unzureichende Realisation eines für den Dramatiker wie den K r i t i k e r gleichermaßen verpflichtenden Tragödienkonzepts. A n Dennis' , C a t o ' - K r i t i k zeigt sich der ideale Status des theoretischen Konstrukts, der jedes nach i h m entworfene D r a m a als unvollständige Annäherung immer einem v o n derselben Basis ausgehenden Nachweis der Zielverfehlung aussetzt. D i e Angreifbarkeit des klassizistischen Dramas ist integraler Bestandteil seiner theoretischen Grundlegung. Insofern ist Dennis nur als Exponent einer auch i n anderen ,Cato'-Analysen seit M a r y W o r t l e y M o n t a g u zu beobachtenden theoretischen Unzufriedenheit m i t Addisons Werk am kompromißlosesten hervorgetreten. Unter diesem Aspekt ist die grundsätzliche Berechtigung v o n Dennis' A n g r i f f auf Addison v o n Samuel Johnson bestätigt w o r d e n 2 1 . Spätere Literaturhistoriker haben Dennis jedoch aufgrund seiner literarischen Fehden nicht nur m i t A d d i s o n u n d Steele, sondern auch m i t Pope u n d anderen v o r allem als Querulanten gesehen, der aus persönlicher Animosität handelte. So hat Dennis' , C a t o c - K r i t i k schließlich i n deutlicher FunktionsVerfehlung zu keiner Zeit ihr Z i e l erreicht. ,Cato* ist erst sehr v i e l später und aus anderen Gründen abgewertet worden. Dennis' K r i t i k hat lediglich dazu beigetragen, daß er selber auch heute noch v o n der Literaturgeschichtsschreibung m i t unverdientem A r g w o h n betrachtet w i r d 2 2 .

II Deschamps' ,Caton d ' U t i q u e ' (1715) entsteht unabhängig v o n Addisons D r a m a u n d bildet gleichsam das Gegenmodell zu diesem. Deschamps' Eigenanalyse seines Dramenaufbaus kann als Paradebeispiel klassizistischer D r a mentechnik gelten. I m apologetischen „Préface " entwickelt er die Gesichtspunkte, denen er für Anlage u n d A u f b a u seiner Tragödie folgt. Ähnliche Überlegungen, w i e M a r y W o r t l e y M o n t a g u sie vorbrachte, führen i h n zur W a h l des Cato-Stoffes: „ [ . . . ] sa vertu exacte & I saustérité de ses moeurs sont des exemples si beaux à montrer au Public , qu'il seroit à souhaiter que le Public en profitât." 2S Zudem hebt Cato sich als weiser u n d gelehrter Feldherr vorteilhaft v o n den sonst meist kriegerischen und ungestümen 21 Cf. Samuel Johnson y Lives of the English Poets, Bd. 2, hg. v. G. Β. Oxford, 1905, S. 133. 22 23

Hill ,

Cf. etwa Rogers, op. cit., S. 121.

[François Michel Chrétien »Préface 1 (ohne Seitenzählung).

Caton d'Utique, Tragédie, Paris, 1735,

Die

ato'-Kontroverse

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Helden der römischen Geschidite ab. Freiheits- u n d Vaterlandsliebe sind Handlungsmotive edelster A r t . D i e Schwierigkeit, Catos republikanische Ideale m i t den Grundsätzen des französischen Absolutismus zur Entstehungszeit des Dramas i n Obereinstimmung zu bringen, löst Deschamps durch den H i n w e i s auf Catos exemplarische L o y a l i t ä t u n d Verfassungstreue, die unabhängig v o m I n h a l t der jeweiligen Staats- u n d Regierungsform zur Nachahmung empfohlen werden: „S'il eût pris naissance dans une Monarchie , le même respect pour les loix qui fit aimer la liberté , lui eût fait chérir l'obéissance: & l'exemple de Caton qui s'immole pour l'indépendance , doit nous porter à sacrifier nos jours pour le service & la conservation de nos Rois." 2* D i e mögliche politische Brisanz des Stoffes w i r d durch die didaktische A n a lyse v o n vornherein ausgeschaltet. N i c h t die Infragestellung der Regierungsform, sondern deren Konsolidierung w i r d angestrebt. D i e Begründung der A u s w a h l des Dramenstoffes ist einfach i m Vergleich m i t der Entwicklung der Handlungsdisposition. H i e r muß Deschamps sich auf seine dichterische Phantasie verlassen für eine freie Erweiterung u n d Ausschmückung des historiographischen Materials. E r erfindet eine rührende Geschichte u m Verlust u n d Wiederentdeckung einer fiktiven Tochter Catos, die zugleich auch z u m Zentrum der Liebeshandlung des Stücks w i r d , wenn César u n d der pontische K ö n i g Pharnace sich gleichermaßen u m ihre Gunst bewerben. E i n „intérêt de tendresse" ist das für die K o n s t i t u t i o n der D r a menhandlung unabdingbare Element. D i e anfängliche Kaschierung der wahren Identität der Cato-Tochter ergibt neben der theatralisch-effektvollen Erkennungsszene zwischen Vater u n d Tochter jetzt zusätzlich den K o n f l i k t der Tochter zwischen Liebe zu César u n d Gehorsam gegenüber Cato als auch die pikante Situation, daß der Erzrepublikaner Cato eine regierende Monarchin zur Tochter erhält: „D'ailleurs , quelle surprise pour Caton de voir sa fille avec un diadème!" 26 Aus solcher Konflikterfindung läßt sich dann ohne weiteres eine dramatische H a n d l u n g über fünf A k t e entwickeln, die noch durch Verrat u n d Mißverständnisse kompliziert w i r d . D i e Figurenzeichnung als dritter P u n k t nach Stoffwahl u n d Handlungsdisposition w i r d v o n Deschamps unter H i n w e i s auf das horazische ut pictura poesis angelegt. D i e „Schatten" i m B i l d beziehen sich jedoch nicht auf Charakterschwächen der Titelfigur. Der strahlenden Tugend Catos w i r d vielmehr i n linearer Sympathieverteilung der Opportunist u n d Verräter Pharnace entgegengestellt. Unter den historischen Figuren seiner Tragödie sieht Deschamps nicht Catos politischen Gegenspieler César, sondern den Ponter** Ibid., [S. 6 f.]. 25 Ibid., [S. 7].

Martin Brunkhrst

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könig Pharnace als am geeignetsten für die Rolle des Schurken an. César erhält dagegen eine Mittelstellung, die Deschamps durch den ausdrücklichen H i n w e i s auf die antike Historiographie gegenüber der K r i t i k seines Publikums verteidigt. Wenn später audi noch bei Gottsched Caesar als der interessantere, da komplexere Charakter der Tragödie erscheint, so argumentiert Deschamps umgekehrt m i t dem rührenden Effekt der leidenden Unschuld für den Vorrang seiner Titelfigur i m Publikumsinteresse: „Si le rolle[sie] de Caton semble avoir quelque chose de plus touchant que celui de César , c'est que l'infortune nous intere sse plus que la victoire." 26 Für Addison hatte sich eine solche Problematik der Sympathielenkung nicht ergeben: Bei i h m t r i t t Caesar nicht auf, Cato allein ist unbestrittener M i t t e l p u n k t der Haupthandlung. Doch durch das Auftreten Césars, nicht nur als Widersacher Catos, sondern auch als Geliebter von dessen Tochter, gelingt es Deschamps, die Liebeshandlung unmittelbar i n die Staatsaktion einzubinden. Dieser V o r t e i l w i r d auch i m Vergleich der englischen m i t der französischen Tragödie v o n der K r i t i k erkannt u n d entsprechend hervorgehoben. 1716 erscheint John Ozells englisdie Ubersetzung v o n Deschamps ,Cato'Tragödie. Der beigefügte Dramenvergleich macht deutlich, daß Deschamps' W e r k nicht nur als Alternativlösung der dramatischen Bearbeitung desselben Stoffes verstanden w i r d , sondern daß es unter klassizistischen Gesichtspunkten der Handlungsdisposition u n d Figurenzeichnung, der Konfliktlösung und Interessenverteilung auch eindeutig höher zu bewerten ist. Besonders die Liebesepisoden der K i n d e r Catos bei Addison verfallen der Verachtung des Ubersetzers: „The Episodes of the English Poet are absolutely detach'd from the principal Action , they conceal it; they make it very often disappear." 27 Das Eigengewicht u n d die Zersplitterung der Nebenhandlung sowie die mangelnde Zentrierung der einzelnen Dramenteile auf die Titelfigur h i n ergeben einen Verstoß gegen das aristotelische Gebot der Einheit der H a n d l u n g : „The English Poem, as we may observe , is without Unity ; there are three Tragedies , one within another " Gerade das formale Geschick hebt Deschamps' Werk vorteilhaft v o n dem Addisons ab: „The French Poet hath feign' d his Fable much better, and dispos' d it with more Art." 28 D i e vorbildliche Verknüpfung der Handlungsstränge, aber auch die effektvolle K o n f r o n t a t i o n der historischen Antagonisten Cato 26 27

Ibid., [S. 10].

Cato of Utica, A Tragedy, Translated from the French of M r . Des Champs, into Blank Verse, T o which is added, A Parallel betwixt this Piece and the Tragedy of Cato written by M r . Addison, London, 1716, S. 43. Erst in der nodi im selben Jahr erscheinenden 2. Auflage ist John Ozell als Übersetzer angegeben. 28 Ibid., S. 44.

Die

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u n d Caesar lassen O z e l l die Überlegenheit der französischen über die englische Tragödie am Schluß seines Vergleichs noch einmal nachdrücklich gegenüber seinem Adressaten betonen: »You will be convinc'd, my Lord, the Conduct of the Fable in the F r e η c h Tragedy is regular, wonderful, agreeable to Truth, moving and great" 29 Doch Addisons ,Cato' hat auch stets seine Verteidiger gefunden. Wie Dennis vor allem seinen U n m u t über die Abweichungen v o n einer rational modifizierenden A n t i k e n i m i t a t i o n ausdrückt, ist umgekehrt die Verschmelzung v o n aristotelischen, pseudoaristotelischen u n d antiaristotelischen Elementen i m ,Cato' auch gerade positiv hervorgehoben worden als Ausdruck eines spezifisch englischen Klassizismus. George Sewell faßt seine Verteidigung des englischen Cato-Dramas zusammen: „In short, Cato, the great Character in the Tragedy, is always uniform and the same, and as he is the Center of all the Hopes of his Friends, and the sole Object of the Conspirators' Villany, every Incident tends only to illustrate and raise his Character higher .W3° D i e formalen Detailfragen werden aus der Ubersicht über die Tragödie unter dem Aspekt einer überragenden zentralen H a u p t figur nicht mehr wahrgenommen u n d sind nach der Meinung des englischen K r i t i k e r s i n keiner Weise als so schwerwiegend anzusehen, daß sie den Gesamteindruck behindern oder schwächen würden. Nach Sewells Ansicht k a n n auch der übermenschlich-tugendhafte u n d damit unaristotelische Charakter des Cato keine Restriktion v o n Addisons Klassizismusanspruch ergeben. I n w i e w e i t das klassizistische Konzept i n seiner Realisation letztlich v o n Ermessensfragen abhängt, w i r d deutlich, wenn gerade am Beispiel der Liebesepisoden Addisons K o n f o r m i t ä t m i t den akzeptierten Regeln bewiesen werden soll: „ [ . . . ] the Love-scenes are a proper Part of the Action, and help on the main Design"* 1 Indem Sewell schon durch das M o t t o seiner Streitschrift auf die nationale Eigenständigkeit der englischen Dichtung verweist, w i r d ,Cato c i n den Traditionszusammenhang einer nationalen englischen Entwicklung gestellt. I n dieser Hinsicht aber w i r d die Tragödie dann das ganze 18. Jahrhundert hindurch als der positivste u n d reinste Ausdruck des klassizistischen Dramas begriffen.

2® Ibid., S. 46. 80 George Sewell, A Vindication of the English Stage, Exemplified in the ,Cato c of M r . Addison [ . . . ] , London, 1716, S. 17. si Ibid., S. 20 f.

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III I n seinem Bemühen u m die R e f o r m des deutschen Theaters u n d u m die A u f w e r t u n g der Verstragödie sieht Gottsched m i t N e i d auf die D r a m e n p r o d u k t i o n des Auslands. Z u r ästhetischen Erziehung des Publikums wünscht er sich auch f ü r Deutschland eine „ g r o ß e " Tragödie, die Begeisterung erweckt u n d den Dichtern als V o r b i l d f ü r weitere D r a m e n dienen k a n n . N e b e n Corneilles , C i d ' u n d Maffeis ,Merope* d e n k t er dabei v o r

allem

an Addisons , C a t o ' 3 2 . D a Gottsched sich außerstande sieht, eine diesen Theatererfolgen vergleichbare Tragödie selber z u schreiben, möchte er zumindest eine deutsche Obersetzung des , C a t o f anfertigen: „ A l l e i n so v i e l ist auch gewiß, daß dieses Trauerspiel sehr viele w a h r h a f t e Schönheiten i n sich h ä l t , die nicht n u r

Engelländern,

sondern allen vernünftigen

Zu-

schauern v o n der W e l t gefallen müssen." 3 8 Doch w ä h r e n d der Übersetzung k o m m e n Gottsched

Z w e i f e l . Das Stück k a n n wegen seiner ungenügenden

Beachtung der klassizistischen Regeln als V o r b i l d f ü r ein erst noch nach diesen Regeln neu z u begründendes deutsches Theater gefährlich werden. N i c h t Addisons dramatische Größe u n d Bedeutung, w o h l aber seine Regelk o n f o r m i t ä t w i r d bezweifelt. Es sind i m wesentlichen drei Punkte, die Gottsched an A d d i s o n z u m o nieren hat. Zunächst „ h a t A d d i s o n gleichsam drey Fabeln i n einer gemacht" u n d verstößt d a m i t gegen die aristotelische Vorschrift

der „ E i n h e i t

der

H a n d l u n g , die i n jedem Schauspiele seyn m u ß . " 3 4 N e b e n dieser immer w i e der gegen A d d i s o n

angeführten

fehlenden

Handlungseinheit

bemängelt

Gottsched die schlechte V e r k n ü p f u n g der A u f t r i t t e , die auch v o n V o l t a i r e v e r u r t e i l t w i r d 3 6 . F ü r eine solche Forderung der liaison

des scènes k a n n er

sich jedoch nicht mehr auf Aristoteles berufen, sondern verweist auf A u b i gnac. Schließlich stört i h n noch das glückliche Ende der Liebeshandlungen, die beiden Hochzeitsversprechen der K i n d e r Catos. O b w o h l der H i n w e i s , daß eine solche Liebeshandlung i n der a n t i k e n Tragödie „überaus selten angebracht" sei, auch i n der französischen u n d englischen Dramentheorie sattsam diskutiert w i r d , handelt es sich hier doch u m ein ganz persönliches Ärgernis f ü r Gottsched: „ D a s Hochzeitmachen hat i n theatralischen V o r stellungen dergestalt überhand genommen, daß ich es längst überdrüßig geworden

bin."36

Ähnlich

verärgert

schreibt

er auch i n

der

,Critischen

32 Gottsched, ,Des Herrn Verfassers Vorrede, zur ersten Ausgabe 1732', Ausgewählte Werke, Bd. 2, S. 3 - 18; S. 3. 33 Ibid., S. 10 f. 34 Ibid., S. 13 f. 35 Cf. Œuvres complètes* Bd. 22, S. 155: »Des scènes décousues , qui laissent souvent le théâtre vide."

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Dichtkunst* über die „abgedroschene" A r t der Schlußgestaltung v o n K o m ö d i e n : „ I s t denn weiter nichts i n der W e l t , als das Hochzeitmachen, was einen frölichen Ausgang geben k a n n ? * 3 7 D i e fehlende Regelmäßigkeit Addisons läßt Gottsched schließlich zur weniger berühmten Cato-Tragödie Deschamps' als Vorlage für seine Übersetzung greifen, die er dann u m die „Schönheiten" Addisons erweitert. D i e ersten dreieinhalb A k t e übernimmt Gottsched somit aus dem französischen, die letzten anderthalb A k t e aus dem englischen Drama. Durch diese K o n t a m i n a t i o n 3 8 entstehen jedoch gewisse Ungereimtheiten, die Gottsched nur z u m T e i l beseitigen kann. V o n den zwei Söhnen Catos bei A d d i s o n muß er zumindest einen übernehmen, damit der Anschluß der beiden D r a m e n i m vierten A k t hergestellt werden kann. Doch die v o n Gottsched i m zweiten A k t Deschamps' v o r genommene, v o n i h m selbst erfundene Einführung des Porcius w i r d i m N a c h w o r t zur französischen Übersetzung des ,Sterbenden Cato c als beliebig empfunden u n d die Liebe des Porcius zu seiner bis dahin noch unerkannten Schwester als äußerst unpassend angesehen, „parceque quand l'amour d'un frere pour une sœur n'amène pas des êvênemens intéressans , ne produit pas des situations piquantes , il ne peut-être qu'insipide & déplacé"** Auch auf die Reaktion des Cato auf den T o d des anderen Sohnes mag Gottsched nicht verzichten: „ [ . . . ] gleichwohl waren die Stellen i m englischen Trauerspiel gar zu schön, w o er den einen Sohn t o d t v o r sich sieht, u n d den andern zur Feindschaft der Tyranney ermahnet, als daß ich sie hätte weglassen sollen." 4 0 So ergibt sich i n Gottscheds D r a m a am Ende des vierten A k t s die merkwürdige Situation, daß die Leiche einer Figur, die bis dahin noch nicht aufgetreten w a r , hereingetragen w i r d . D e r französische K r i t i k e r weist spöttisch auf die dramentechnische Neuheit dieses V o r gehens h i n u n d verurteilt es entschieden 41 . I n dieser auf L o g i k , Vernunft u n d Wahrscheinlichkeit der Handlungsentwicklung gerichteten u n d alle drei ,Cato c -Dramen vergleichenden K r i t i k 3

» Gottsched, ,Vorrede', S. 15.

37

Gottsched, ,Versuch einer Critisdien Dichtkunst [ . . . ] ' , in: Ausgewählte Werke, Bd. 6, hg. v. J. u. B. Birke, Berlin, 1973, Teil 2, S. 351. 3 8

Diesen Ausdruck benutzt schon Conrady,

39

op. cit., S. 72.

Caton, Tragédie, Traduite de l'Allemand de Jean Christophe Gottsched, en Prose & en Vers avec des Remarques, in: Théâtre Allemand, ou Recueil de Diverses Pièces, Traduite de l'Allemand, en Prose & en Vers avec des Remarques, Par C . D . , Amsterdam, 1769. D i e ,Remarques sur Caton 4 befinden sich S. 100 - 143 ; S. 122. 40 Gottsched, »Vorrede', S. 16. 41

,Remarques sur Caton', S. 137.

6 Llteraturwissenschaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

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w i r d Gottsched zuerkannt, daß er den Dramenschluß entsprechend seiner A n k ü n d i g u n g besser als seine Vorlagen gelöst habe, jedoch die einzelnen Szenen nicht immer geschickt verbinde. D e r wesentlichste Gesichtspunkt jedoch, die Einheit der H a n d l l u n g , sei aufgrund der besonderen Schwierigkeit des Stoffes v o n keinem der drei besprochenen D r a m e n zufriedenstellend erreicht w o r d e n 4 2 . Das abschließende L o b des Gottsched-Dramas geht t r o t z der zahlreichen Fehler Gottscheds, wie auch seiner französischen u n d englischen Vorlagen, immer noch v o n einer grundsätzlichen Anerkennung der N a t ü r l i c h k e i t der Gefühle, der K o r r e k t h e i t der Handlungsentwicklung u n d der moralischen H ö h e des Themas aus. A u f der Basis eines französischen Klassizismus, v o r dem H i n t e r g r u n d einer ausgedehnten dramentheoretischen Diskussion, i m Traditionszusammenhang m i t Corneille u n d Racine schneidet Gottscheds , C a t o ' - A d a p t i o n nach eingehender Fehleranalyse schließlich doch nicht schlecht ab. I n diesem K o n t e x t aber w o l l t e Gottsched, wie er i m V o r w o r t , aber auch i n seinen anderen poetologischen Schriften zu erkennen gibt, beurteilt werden. Ä h n l i c h w i e Ozells englische Übersetzung des französischen Dramas w i r d auch die stark modifizierte französische Übersetzung v o n Gottscheds D r a m a jetzt, m o t i v i e r t durch einen Dramenvergleich, der auch dem einsprachigen Leser die Möglichkeit einer Nachprüfbarkeit der Urteilsfindung geben möchte. D i e Übersetzung w i r d i n beiden Fällen als Argumentationsbeleg u n d d a m i t als Überzeugungsstrategie für die Parteiergreifung innerhalb einer als k o m p e t i t i v verstandenen D r a m e n p r o d u k t i o n begriffen. D i e V e r gleichbarkeit der D r a m e n ergibt sich dabei nicht allein aus ihrer Stoffgleichheit, sondern sie erhält erst ihren Reiz durch das Bewußtsein, daß das zugrunde liegende D r a m e n m o d e l l immer dasselbe ist. D e r L i t e r a t u r k r i t i k f ä l l t dabei sowohl die F u n k t i o n des Schiedsrichters u n d Preisverteilers i n einem Wettstreit u m die größte Annäherung u n d überzeugendste Realisation dieses Modells zu w i e auch die der ästhetischen Sensibilisierung für die F l e x i b i l i t ä t u n d Variationsbreite dieses einen Modells. IV I n der ,Vorrede' zur ersten Auflage des ,Sterbenden Cato e r ü h m t sich Gottsched sowohl der klassizistischen Regelmäßigkeit als auch der großen Bühnenwirksamkeit seines Werks. D e r E r f o l g des Dramas hält an, der formalen K o r r e k t h e i t ist sich Gottsched jedoch schon bei der zweiten A u f lage nicht mehr ganz sicher 43 . Gleichsam aus einer Defensivposition heraus 42

Ibid., S. 122 f. 43 Gottsched, ^Erinnerung bey der neuen Auflage von 1736 f , Ausgewählte Werke, Bd. 2, S. 1 9 - 2 1 ; S. 20.

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druckt er eine wohlmeinende K r i t i k v o n Gottlieb Stolle m i t seinem Stück zusammen a b 4 4 , u m Gelegenheit zu haben, sich gegen die V o r w ü r f e einer unzureichenden oder auch übereifrigen Befolgung der liais o « - V o r Schriften u n d einer zu undifferenzierten Figurenzeichnung zu verteidigen. Er vergleicht sein D r a m a m i t Corneilles ,Cid', u m auf eine vergleichbare stereotype Handhabung der „Regel v o n dem Zusammenhange der A u f t r i t t e " Anspruch zu erheben 4 5 , u n d m i t den Tragödien des Sophokles u n d E u r i p i des, u m auf dem Eigensinn des Cato als Erfordernis eines „gemischten", d. h. hier eines nicht v ö l l i g schuldlosen Charakters i m aristotelischen Sinn zu beharren. Doch auch dem P r i n z i p der poetischen Gerechtigkeit werde durch eine Mischung von Schuld u n d Tugend entsprochen: „ W ä r e C a t o ganz unschuldig, u n d v o l l k o m m e n ohne Tadel gewesen: so würde man der T u gend einen schlechten Dienst gethan haben, u n d selbst der Vorsehung zu nahe getreten seyn; wenn man i h n dennoch hätte unglücklich werden lassen." 4 6 I n dieser Selbstverteidigung werden Probleme der Figurenzeichnung diskutiert, wie sie zuerst v o n Dennis i n seiner K r i t i k an Addison hervorgehoben wurden. O b Gottscheds Eigeninterpretation jedoch seinem D r a m a gerecht w i r d gerade dort, w o es u m komplexere Wirkungsstrategien u n d Katharsisdeutungen geht, ist fraglich. D i e Forschung hat es bestritten 4 7 . I n bezug auf das v o n Gottsched intendierte Sinnpotential seiner Tragödie handelt es sich bei dessen E x p l i k a t i o n i m V o r w o r t u m eine verfehlte Rezeptionssteuerung. D a ß es sich hierbei jedoch u m keine bewußte Fehllenkung des Publikums handelt, hat neuerdings Werner Rieck durch überzeugende Belege aus Gottscheds anderen Schriften zur historischen Cato-Figur nachgewiesen 48 . Bereits unmittelbar nach Erscheinen des ,Sterbenden Cato' hatte G o t t sched über Bodmer v o n Calepios K r i t i k an Addisons ,Cato' erfahren. Bodmer hatte dem italienischen Verfechter einer gegen die französische

44 [Gottlieb Stolle], »Eines ungenannten Freundes kritische Gedanken über den sterbenden Cato', in: Gottsched, Ausgewählte Werke, Bd. 2, S. 1 2 7 - 1 3 1 sowie Gottsched, ,Des Verfassers Bescheidene A n t w o r t auf die vorhergehenden kritischen Gedanken über den sterbenden Cato', Ausgewählte Werke, Bd. 2, S. 1 3 2 - 1 4 8 wurden zuerst schon 1733 veröffentlicht: Cf. Johann Christoph Gottsched und die Schweizer Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger, hg. v. J. Crüger, Berlin, 1884; Darmstadt, 1965, S. 31. 4 5 4

Gottsched, ,Bescheidene Antwort', S. 135.

« Ibid., S. 140, ähnlich auch schon »Vorrede', S. 17 f.

47 Cf. Conrady, op. cit., S. 75 : „ W i r urteilen wohl nicht falsch, wenn wir eine Diskrepanz zwischen der Gestaltung des Stückes und der Auslegung durch den Autor feststellen. [ . . . ] keineswegs sind seine [i. e. Catos] Charakterzüge, auch die extremsten nicht, in der Darstellung [im Stück] wirklich als Fehler gekennzeichnet.'' 4 8 Werner Rieck, Johann Christoph Gottsched, Eine kritische Würdigung seines Werks, Berlin, 1972, S. 208 - 2 1 5 .

Q*

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Theorie u n d besonders gegen Corneille gerichteten Aristoteles-Deutung das englische D r a m a „als ein Muster der vollkommensten Tragödie angepries e n . α 4 β Doch Calepio w a r konträrer Ansicht. E r hielt Catos Unglück keineswegs für mitleid- oder schreckerregend dargestellt u n d Addisons Werk folglich für eine nach aristotelischen Gesichtspunkten verfehlte Tragödie: „ [ . . . ] io non saprei affermare che il C a tone dell' Addison sortisca pienimente il suo effetto , ο riguardisi il terrore ο la pietà . Il primo è inutile, perché patisce un innocente; e rispetto alla seconda, quanto il merito della persona e la gravezza della calamità vagliano a muoverla, tanto la reprime l'intrepidezza del suo animo, avrenaché non desti perfettamente l'altrui dolore chi non lo mostra." 80 Deschamps' Titelfigur w i r d sogar als noch weniger mitleiderregend angesehen. Bodmers Brief an Gottsched w a r höchstens als indirekte K r i t i k an dessen ^ a t o ' - B e a r b e i t u n g anzusehen. D i e A n g r i f f e nach 1740 i m K o n t e x t des Streits m i t den Schweizern erfolgen dagegen m i t rücksichtsloser H e f t i g k e i t . I n direkter Erwiderung auf eine positive Besprechung des ,Sterbenden Cato' läßt Bodmer 1743 gleich z w e i Pamphlete erscheinen. Das böswillige D i k t u m , Gottsched habe seinen ,Cato c „ m i t Kleister u n d Schere" angefertigt, w i r d v o n Lessing w i e d e r h o l t 5 1 u n d seitdem v o n der Literaturgeschichtsschreibung ständig kolportiert i m Nachweis der U n o r i g i n a l i t ä t von Gottscheds „ O r i g i n a l t r a g ö d i e " 5 2 . Ausgehend v o n der alten bipolaren Produktionsformel v o n „ E r f i n d u n g " u n d „ V e r s t a n d " als Parameter der litera-

49 Bodmers Brief an Gottsched vom 29. Dez. 1732 ist abgedruckt bei Leone Donati, ,J. J. Bodmer und die italienische Literatur',, in: Johann Jakob Bodmer, Denkschrift zum C C . Geburtstag, Zürich, 1900, S. 241 - 312; S. 261 f. und bei Theodor W . Danzel, Gottsched und seine Zeit, Auszüge aus seinem Briefwechsel, Leipzig, 2 1 8 5 5 , S. 189. Danzel wie Donati vertreten die Ansicht, Bodmer übe hier indirekt K r i t i k an Gottscheds ,Cato'. D e r Bief Bodmers findet sich ebenfalls bei Köllner, op. cit., S. 140 - 132. 8 0 Pietro Calepio, Lettere a J . J . Bodmer, hg. v. R . Boldini, Bologna, 1964, Brief vom 17. Juni 1731, S. 131 - 141; S. 138.

,Briefe, die neueste Litteratur betreffend', in: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften, hg. v. K . Lachmann, Fr. MunUHomme

libre ' avec l'appel à l'âme:

Continuons toutefois à embellir et à agrandir notre être intime, tandis que nous roulerons parmi les tracas extérieurs. Soyons convaincus que les actes 20

Essays, p. 245. 21 L'Oeuvre de Maurice Barrés , p. 33. « Ibid., p. 243.

L'Écrivain dans une Société en Mutation

179

n'ont aucune importance, car ils ne signifient nullement l'âme qui les a ordonnés et ne valent que par l'interprétation qu'elle leur donne. 28 Pour que le cri de l'âme se transforme en action scénique i l fallait créer une forme nouvelle: ce fut le théâtre impressionniste d'une part, le théâtre expressionniste d'autre part. L a succession des états d'âme remplace l'enchaînement de l'action. Cette paisible assurance dans laquelle se complaisait la vie spirituelle de l'Autriche aux alentours de 1900, n'était qu'un leurre; dans tous les domaines, de l'inquiétude s'insinuait. A la sécurité artificiellement maintenue comme une survivance de l'époque „ B i e d e r m e i e r " , en réaction contre le naturalisme matérialiste, succède la conscience aiguë et déchirée d'une époque dans laquelle Bahr découvrira d' abord l'expressionnisme, de suite l'esprit buillonnant du cubisme, du dadaïsme, d u surréalisme, pour se replier finalement sur l'esprit baroque, l'âme de Vienne et de Salzbourg. Dans ,Expressionismus ( (1918) le regard de Bahr, qui est à la fois u n lien et un acte entre le m o i et le monde, tend à devenir contemplatif. I l découv r i r a dans la lecture de Goethe l'essentiel de la vision impressionniste. Ces instants de contemplation devant le visible et devant les pures formes d u monde à la lumière d u jour, mènent le poète à l'harmonie avec l'univers: i l atteint alors, pour u n moment, au m o i universel: Goethe hat noch gefragt: ,Was ist Beschauen ohne Denken?' Wir haben es seitdem erlebt. Wir könnten auf seine Frage jetzt antworten und ihm sagen, was es ist: Impressionismus . . . Impressionistisches Sehen . . . ist das Sehen einer Zeit, die den Sinnen allein v e r t r a u t . . . sie hält sich an Goethes Wort: ,Die Sinne trügen nicht, der Verstand trügt/ Ihr sind Mensch und Welt völlig eins geworden. Es gibt für sie nichts als Sinnesempfindungen. 24 V o i l à pourquoi la vision instantanée de Bahr critique nous donne l'impression de découvrir une infinité d'univers qui prennent forme, montrent des m Ibid., p. 265. Hermann Bahr, Expressionismus. München: Delphin Verlag, 1918, pp. 45 -47. La Revue Blanche (available as Slatkine Reprint, Geneva, 1971), October 1895, pp. 291 -300; Laforgue prépare un livre sur l'art allemand impressionniste, si proche de l'art baroque en ce qui concerne « la vue » : Les arts n'ont qu'une importance secondaire, mais merveilleusement nécessaire, pour les fins divines: leur mission est de développer indéfiniment les organes respectifs qu'ils exploitent et de concourir ainsi, dans un affinement sans frein de tout l'organisme, à l'état d'ivresse divinatoire du cerveau, du sens suprême, pour les conquetes de la première catégorie et surtout le mysticisme expérimental; en un mot, à l'épuration du miroir où se cherche l'Inconscient. Donc, en ce qui nous occupe, les arts optiques, la condition sine qua non du beau pour les oeuvres, sera avant tout le développement à outrance de l'organe exploité, l ' O e i l . . . . l'oeil, sens des lignes et du jeu aes perspectives des masses ondulatoires colorées de l'atmosphère, et cela par translocation raffinée du sens tactile." 24

12*

M. E. Kronegger

180

objects, des lieux, des événements, dans l'espace d ' u n instant, q u a n d la conscience de l ' h o m m e veut bien leur prêter sa lucidité. L ' é c r i v a i n impressionniste célèbre l ' u n i o n d u protagoniste avec le monde. Assez étrangement d'ailleurs cette u n i o n s'accomplit par la vue et n o n par l a p a r t i c i p a t i o n active. B a h r a donc reconnu, grâce à sa connaissance de Barrés et grâce à l'étude de l'oeuvre de Ernst M a d i que la relation de l ' i n d i v i d u avec le monde q u i l'entoure d o i t être réévaluée. I l y a une nouvelle façon de sentir, de prendre p a r t à l a vie des choses, puisque l'existence est une évasion vers l'expérience p r i m i t i v e , fragmentée en sensations instantanées, et u n retour vers l'intérieur d u M o i . A force de rechercher la vérité, les écrivains en a r r i v e n t donc à ne plus dépeindre que des perceptions, comme les artistes impressionnistes des taches de couleur, et cette quête insatiable vers la vérité a b o u t i t à sa destruction. M a i s Bahr, avec son surprenant instinct, y v o i t u n b o n d vers u n idéal baroque. L a recherche de ces concepts fondamentaux de l'oeuvre de B a h r s'est effectuée, à travers les études magistrales et les éditions critiques de H . K i n dermann et G . W u n b e r g , o ù les écrits théoriques de Bahr sur le théâtre, courants littéraires et artistiques, acteurs et régisseurs prennent une place de première importance, car B a h r y p a r v i e n t à mettre à n u le mensonge naturaliste p o u r atteindre la vérité théâtrale: l'acteur, selon Bahr, précisent les critiques, n'a d'autre mission que d'être lui-même. L e spectateur

doit

capter l'acteur dans u n contexte spatial et temporel p l u t ô t que dans une série de moments intermittents. Bahr s'explique sur l'acteur Emanuel Reicher: „ E r weiß das große Geheimnis, das alle moderne Psychologie u n d besonders alle Psychologie der M o d e r n e n ausmacht: die V i e l h e i t des Ichs, daß jeder i n jeder S t i m m u n g u n d f ü r jede S t i m m u n g sein besonderes Ich h a t u n d daß keiner z w e i verschiedene Stimmungen hindurch derselbe i s t . " 2 5 Que sommes nous? Q u e sont les choses? Des reflets, des masques, des i m a ges. V o i l à que l'impressionnisme de Bahr j o i n t l'esprit baroque de H o f mannsthal, de Richard Strauss et Goethe. I l ressemble l'acteur q u i v i t naturellement dans u n monde d ' i l l u s i o n et de métamorphoses. L a m é t a m o r phose est l ' i l l u s i o n en acte: Protée, le dieu m u l t i f o r m e , Circé, l a magicienne, sont les puissances q u i président à l ' é l a b o r a t i o n de l ' a r t baroque. Les motifs de l ' i l l u s i o n et de l a métamorphose accompagnent chacune des affirmations éclatantes de la vue, rappelant que nous sommes dans le domaine de v o i r et que cet éclat de lumière peut être à l a fois promesse et fumée. H e r m a n n B a h r a pris connaissance d'une pièce de G r i l l p a r z e r , ,Der Traum (,Le songe de la vie')

ein

Leben'

oeuvre inspirée au dramaturge autrichien par ,La Vie

est un songeβ de Calderon. Les deux pièces mettent en jeu le p o u v o i r de ^

Hermann Bahr, Ein Leben für das europäische Theater, p. 110.

L'Écrivain dans une Société en Mutation

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dédoublement du réel qui caractérise le baroque. Le songe et le réel, le masque et le visage, l'homme et son double, la vérité et le mensonge s'avancent dans ce théâtre en couples égaux et fraternels: on ne sait q u i est l ' u n et qui est l'autre. L'oeil effectue l'alliance de l'intérieur et de l'extérieur; i l est le p o i n t de rencontre du décor et du caractère. L a représentation est l'extériorisation de l'univers intérieur de l'auteur et des personnages qui l'habitent. Le spectateur-acteur incarne « Le Je est un autre » rimbaldien. I l se complaît dans la multiplicité telle que Bahr la résume: Diese Verhandlung des Zuschauers in den Helden ist es, auf die das Barocktheater zielt, und so drängt es nun, je reiner ihm selbst sein eigener tiefster Sinn aufgeht, von allen Künstlern, der es sich bedient, immer mehr den der verwandelnden Kraft vor und nötigt ihm, dem Schauspieler, sein innerstes Geheimnis ab, nämlich,, daß er einer ist, der auch noch ein anderer ist, in dem viele sind, ja, der vielleicht die ganze Menschheit ist, oder aber audi vielleicht gar nichts, selber ein N i c h t s . ^ Rappelons que Bahr et Hofmannsthal sont, avec M a x Reinhardt, les promoteurs du Festival de Salzbourg, v i l l e baroque. Quelqu'un ou la mort de l'homme riche* , joué à Salzbourg pour la première fois le 27 août 1922, et ,Le grand Théâtre du monde' rendront le mieux l'esprit baroque tel que Bahr l'entend: „die Barock- u n d Festspielstadt ist i h m seit seinen Gymnasiastentagen der Inbegriff abendländischer K u l t u r gewesen" 2 7 affirme le critique Kindermann. D e même, le génie baroque de Vienne est profondément un art de la mise en scène: i l y a abondance de spectacles, de cérémonies, processions religieuses, fêtes et bals; le baroque littéraire de Bahr se ramène à ce caractère théâtral de Salzbourg et Vienne où l'art est intimement lié à la vie: Bahr participe à ses montées et à ses rechutes, ses piqués vers la terre ou le ciel. Bahr est convaincu que le génie baroque, l'énergie et le dynamisme d'une vision globale où tout tient à tout, a prouvé sa fécondité en histoire littéraire européenne: Sein Zeitalter, vom Tridentischen Konzil über Teresa und Vinzenz von Paul zu Bernini und Calderon, dieses Zeitalter... dieses alle Sehnsucht, Himmelsgier und Geisteskraft von anderthalb tausend Jahren zusammenraffende Zeitalter . . . entwirft ein Reich von stürmischer Bewegung zu tiefster Ruhe, wo die himmlische Gnade von der irdischen Tat berührt, Gott vom Menschen ergriffen, der Mensch zum Täter der Gnade von oben wird, das Werden ins Sein zurücktaudit und die Zeit an die Ewigkeit stößt.12» 26 Hermann Bahr, Mensch, werde wesentlich, Graz: Verlag Styria, 1934, pp. 159-60. 27 Hermann Bahr, Ein Leben für das europäische Theater, p. 73. 2

® Essays, p. 226 - 227.

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M. E. Kronegger

Ciel et Terre, D i e u et le Diable, se confrontent de plus en plus dans la vie intérieure de Bahr converti au catholicisme. L a dualité des aspirations de Bahr, homme baroque, reflète sa manière d'être par accolement de contraires. L a pensée baroque s'installe au coeur du conflit pour en faire j a i l l i r un artifice dramatique qui renouvelle l'héritage gréco-romain et chrétien: ce q u i importe, c'est l'état de tension et de conflit permanent qui renouvellera et rajeunira l'esprit occidental, étant: Sinnbild jener ungeheuren Spannung . . . die der abendliche Geist braucht, um die Kraft zu seinem Schicksal, zu seinem geschichtlichen Amt, zur fortwährenden Bewältigung, Erneuerung und Gestaltung des griechisch-römisch-diristlichen Erbes aufzubringen. 29 L a grande oeuvre qui réalisera la synthèse de ses convictions philosophiques et aspirations esthétiques aux proportions d ' u n idéalisme humanitaire est celle de Goethe. L à se rencontrent toutes les résonances du monde, selon Bahr. Le dernier dialogue de Bahr s'intitule ,Himmel auf Erden c (1928): l'exaltation du monde terrestre l u i offre des possibilités infinies de la nature et les richesses illimitées de l'esprit, suivant les appels au dépassement personnel. I l met en évidence une continuité spirituelle entre les événements d'apparence disparate. A u milieu de l'incessante évolution des choses, l ' a r t seul l u i apparaît comme le bien suprême. L a création artistique l u i apporte le signe de l'éternité et de la libération du temps. Les essais de Bahr sont un m i r o i r réfléchissant de son m o i le plus profond qui de tout temps, s'est v o u l u universel. E n somme, diez Bahr tout s'entremêlait: les genres, les idées, les styles, les affirmations et les enthousiasmes les plus contradictoires. Le sens d u mouvement, de l'inconstance, que l ' o n relève dans la sensibilité de Bahr, n'est-il pas tout simplement lié au mouvement de l'histoire elle-même q u i refuse la ligne droite, les déterminations logiques? Q u a n d Bahr meurt, l'Autriche aussi paraît être brisée comme une colonne ou un fronton baroque, et sauvé sur le p l a n spirituel. Le choix des essais de Bahr précise les convictions profondes de l'Europe au tournant du siècle telles qu'elles se rattachent aux concepts philosophiques et moraux de l'époque et qu'elles expriment la vision particulière de Bahr. N ' y aurait-il point, beaucoup encore à suggérer touchant l'influence m u l t i p l e qu'exerça Bahr sur toute une génération de dramaturges, critiques de théâtre, régisseurs et acteurs? Kindermann tient à nous dire que Bahr est „ D i r i g e n t der europäischen S t i l e n t w i c k l u n g e n " 3 0 : vue douteuse, car la v o i x de Bahr ne se fait pas entendre en dehors des pays de langue allemande. 29 30

Hermann Bahr, Sendung des Künstlers. Hermann Bahr, p. 5.

Leipzig: Insel Verlag, 1923, p. 60.

" H E D I D N ' T GO TO PARIS" T h o r n t o n W i l d e r , M i d d l e America and the Critics

V o n Amos N . W i l d e r

Foreword Several kinds of promptings have led me to initiate and develop this essay. One was that k i n d o f interest i n f a m i l y history w h i d i often comes t o the fore as we grow older. Uncovering early strata of f a m i l y papers, letters and photographs quickened the retrospect. Since T h o r n t o n was o n l y a year and a h a l f younger than myself our associations were close i n childhood and i n early schooling. Though m y t w o years at Oberlin College preceded his, we shared that same experience, i n cluding that of a great teacher o f literature, Charles H . A . Wager. Though he was not like myself overseas i n W o r l d W a r I we had had summer farm ing experience together, and roomed together i n senior year at Yale, 1919 - 1920, i n Connecticut H a l l . A t Yale we shared such common literary excitements as the teaching of Jack: Adams, Berdan, Phelps and Tinker, the Yale Literary Magazine, and the Elizabethan C l u b where our friends i n cluded Steve Benêt, John Farrar and W i l m a r t h Lewis. A l l through these earlier years, reflecting the literary interests of the family, including our sisters, our correspondence testified t o new reading discoveries and w r i t i n g projects. I n the home, Walter Scott, Dickens and Thackeray had been read aloud. As children we had taken part i n the mob scenes of the classic drama enacted i n the Greek Theatre at Berkeley. I n college we had heard Vachel Lindsay read 'The Congo', and seen the Abbey Theatre do plays of L a d y Gregory and Synge. Though T h o r n t o n and I were not twins I always have felt that there was some sort of occult affinity i n m y make-up for his fabulation, like the telepathic understanding between Manuel and Esteban i n the 'Bridge of San Luis Rey'. Incidentally I recall here i n that connection that a Viennese psychiatrist, an authority on the special mentality of twins, wrote t o h i m asking where he had learned so much about this phenomenon. T h o r n t o n

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could o n l y reply that i n our time at Oberlin College there were t w o identical t w i n brothers among our fellow students w h o m he had observed. I n Thornton's w r i t i n g there are of course motifs which I recognize on the basis of shared experience. I n A c t I I of 'The Skin of O u r Teeth' the stage directions call for a weather signal whose successive black disks hung on a mast w i l l move finally f r o m w a r n i n g of a hurricane t o that of the Deluge or end of the w o r l d . When we were children i n H o n g k o n g we were muchi impressed w i t h a similar w a r n i n g system, before the days of sirens, erected at the port. As I recall, large balls were exposed on a y a r d - a r m especially as a w a r n i n g of bad weather to the hundreds of Chinese junks i n the harbor. The climax was reached w i t h four balls indicating a typhoon, and we experienced this at least once. Though our European study-years after college diverged we later were associated, though at different times, w i t h the exchange set up by Robert Hutchins between the University of Chicago and the University of Frankfort. I shall return to this below. Though, also, i n this period our callings diverged yet even as concerns theology he could sometimes be ahead of me, as for example i n appreciation o f the Roman liturgy. H e i t was, moreover, w h o introduced me to Kierkegaard. I n that process o f extrication from w h a t Hutchins called " t h e late foam-rubber period of American Protestantism" which our generation had to w o r k through, T h o r n t o n was always alerting me t o domains, sensitivities and austerities which were missing i n that t r a d i t i o n of piety. Under another heading, p r o m p t i n g to this essay relates to m y long interest as a theologian i n modern letters. This concern arose first of a l l as a need to come to terms after W o r l d W a r I w i t h shocks and disenchantments of the period and w i t h the revolution of language demanded b y the situation, not least i n religion. I n m y later several volumes devoted to modern writers I had never included his plays and novels. I knew that very early i n the Foreword to 'The Angel T h a t Troubled the Waters' (1928) he had w r i t t e n : I hope, through many mistakes, to discover the spirit that is not unequal to the elevation of the great religious themes, yet which does not fall into a repellent didacticism.

I recognized that i n his novel, 'The W o m a n of Andros' (1930), i n the opening and closing paragraphs, he presents the fable as a study o f love i n the ancient w o r l d anticipating the advent of Christianity. So' The Alcestiad', first played i n Edinburgh as Ά Life i n the Sun' i n 1955, presents a heroine of antiquity, a "servant of servants", through whose vicarious death and

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return to life and eventual apotheosis the gates of Hades are shaken as a pledge for the future. I always felt that m y brother's major works represented an artistic and therefore oblique, though critical, affirmation of the great traditions of the West, classical and biblical. M u d i criticism has not k n o w n w h a t to make of such affirmation i n our period, or of the diverse strategies and forms i n which i t was evoked. Even i f these were seen as masterly i n invention and sophistication they fell outside w h a t was considered to be the main line of modernist achievement and its proper iconoclasm. I have therefore found i t t i m e l y to consider these aspects of Thornton's w o r k and his place i n modern letters. As one w h o has so long defended the "modern classics" and their succession right d o w n to Samuel Beckett, especially as one w r i t i n g for t r a d i t i o n a l readers, I find i t specially intriguing to explain the seeming hiatus between that whole movement and m y brother's w r i t i n g and public. But this leads to fundamental and p r i o r questions as to the modern w o r l d and its quests. Perhaps the iconoclasms of modern thought and modern art, granted their merits and masterpieces, have forfeited too much of the ancient heritage — w i t h which they have indeed wrestled — and too much of that deeper continuity w i t h an elder w o r l d and an abiding h u m a n i t y which can still nourish us. Perhaps, as contemporary observers as various as T r i l ling, Octavio Paz and Steiner suggest, the whole great movement gives signs of diminishing returns or has even reached its term. I n this light the traditionalism of T h o r n t h o n W i l d e r — all the more because he was f u l l y versed i n modern sophistications — may be seen as calling attention to precious aspects of our h u m a n i t y not on the m a i n agenda of his contemporaries. I n this connection one further consideration has prompted m y essay. I t has to do w i t h the special situation o f the American writer. The focus of our intellectuals and critics and many of our artists has understandably been determined by w o r l d - w i d e and cosmopolitan cultural factors. Modernism i n the arts and i n sensibility has had its great antecedents abroad. I t has of course related itself to our N e w W o r l d situation. But the moral and imaginative climate here is stubbornly different. The pervasive archetypes and mythology of our society have a contribution to make to our modern quests. This is w h y I make so much i n w h a t follows of the grass-roots and religious influences i n m y brother's background and outlook. This is one dimension of his w o r k which is uncongenial to avant-garde circles, but which may w e l l relate h i m to deeper sources which are universal. C r i t i c a l discussion of Thornton's w o r k i n this country, to make another point, shows very little acqaintence w i t h the response to i t abroad, espe-

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cially i n Germany. Indeed, his immense vogue there was misconstrued on this side. W h a t has been interesting about his appeal to German readers and theatre goers was not o n l y the resonance of his native American archetypes but the level and extent o f the critical discussion given to his drama and fiction. I f social and p o l i t i c a l factors after W o r l d W a r I I p a r t l y explain this, notably i n the case of the extraordinary impact of 'The Skin of O u r Teeth', one has to look farther for a f u l l explanation. Intellectual and artistic life i n Germany, the terms of moral and cultural debate, were not so dominated b y modernist ideology as i n Paris and elsewhere. The oldw o r l d humanism i n those strata which had suffered through the N a z i years was richer and less eroded. I had occasion t o take i n this situation when I taught t w o semesters at the University of Frankfort i n 1951 and 1952 and visited both the theological faculties and the English seminars i n other German universities. O n m y first arrival at Frankfort T h o r n t o n wrote me and hailed m y i n i t i a t i o n into that state of mind which is Germany. It's a wonderful and irreplacable experience, not that there's anything réjouissant about it but we/igejc&ic&i/ic&e Stimmung [world-historical exhilaration] [ . . . ] it expands the mind w i t h awe, that's all I venture to say — and not primarily w i t h pity nor admiration [ . . . ] . Part of my joy in your going there is that now you must share my inarticulateness about I T — about Europe in dismay, irresolution and horror, — together w i t h the elements of hope and continuity. T o not be able to tell it is like a burden of guilt.

W h a t T h o r n t o n here speaks o f as weltgeschichtliche Stimmung points to the climate which could specially appreciate his w r i t i n g and his personal contacts. This included the l i v i n g sense of the classics and antiquity, but also those dimensions of good and evil, freedom and fate, which had so recently convulsed central Europe. I n short, both the scholars and the audiences of Germany were w e l l situated t o appraise, on the one hand, the new dramaturgy and, on the other, the o l d moralities of Thornton's plays. Here i n this country w h i l e there has always been a wide public w i t h a similar discernment and response, the situation i n criticism has been more complex. Both i n aesthetics and i n social as w e l l as political thought the task of renewal has had first claim, given the massive traditional conformities and Philistinisms which persist. But some circles have made of iconoclasm a program and w a y of life. Where modernism had been an exploration and debate grounded i n the t r a d i t i o n i t could later all too easily become a dogma. Where the best of our students of culture and our artists have maintained their openness to a complex reality and heritage, i n other circles narrower and narrower axioms prevail. Especially i n a time which

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many i d e n t i f y as "post-modern" and " a p o c a l y p t i c " simplifications should be shunned. W h a t shall one then say of a critic w h o can sum up the cultural situation i n America b y w r i t i n g that " a n imposing Puritanism has been sublimed i n t o I B M machinery"? 1 Here speaks the consistent ideologue, w r i t i n g about modernist and post-modern fiction. But surely even today America has other visages than this, and Puritanism other and more fertile sequels. I n w r i t i n g w h a t follows I have also been aware, finally, of recent attent i o n to m y brother's w o r k and career, especially f o l l o w i n g his death i n December 1975. I n this connection I quote from the m o v i n g tribute p a i d to h i m by E m i l Staiger at the 1976 proceedings i n Bonn of the Order Pour le Mérite , of which he was a member. I also cite w i t h appreciation the very perceptive address interpreting Thornton's place i n modern letters made b y Franz H . L i n k i n the memorial observance arranged at Freiburg. I n this country there have been a number of interesting developments. I n m y essay I speak of the recent publications of his play, 'The Alcestiad', n o w for the first time available i n English. Portions of the opera based on this play, composed by Louise Talma, w i t h Thornton's libretto, and produced i n Frankfort i n 1962, were sung at the Yale Music School i n March 1976. Most recent has been the inauguration of an annual T h o r n t o n W i l d e r Memorial Lecture at the German School i n Washington, D . C. I n conversat i o n w i t h the students of the School the first lecturer, H e n r y Kissinger, spoke of the impression made on h i m when as a young man he saw 'The Skin of O u r Teeth' i n 1946 i n Darmstadt i n a bombed theatre i n a bombed city. T h a t challenge to human survival he w o u l d never forget. Also very recent, March 1978, has been the television production of four of the 'Three M i n u t e Plays for Three Persons' from 'The Angel T h a t Troubled the Waters' (1928) by the University of Wisconsin (Madison) Theatre Department Faculty. Under the caption, "Producing the U n p r o ducible", even such a playlet as ' A n d the Sea Shall Give U p its Dead' was impressively rendered w i t h the professional help of W H A - T V and the M i l waukee Repertory Theatre. The most recent book-length study of m y brother has been Richard Goldstone's ' T h o r n t o n W i l d e r : A n Intimate Portrait' which came out shortly before his death. The author has marshalled a large documentation about his subject's career, his writings and their reception. As the author says i n his Foreword w h a t began as a critical study w i t h biographical back1

Marcus Klein , After Alienation: American Novels in Mid-Century, Cleveland,

1965, p. 295.

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ground turned into a detailed portrait. But the biography appears, at least to a member of the family, to be skewed, apart from a good number of factual errors, and the portrait to be partial. M y o w n chief issue w i t h the book, however, arises i n connection w i t h the author's v i e w of the " P u r i t a n " influence on m y brother, and its handicaps. This is related to the unbalanced picture afforded of our father. This leads to extravagant ventures into psydio-biography. I suppose that we should be glad that someone has done the spade w o r k represented i n the documentation here, and gone beyond the short manuals heretofore available i n English. I t is to be hoped, h o w ever, that students i n high school and college and other readers w i l l not get their m a i n impression of T h o r n t o n and his w o r k f r o m this source. T o that end the present no doubt prejudiced essay b y a brother may make some contribution. *

"There is a greater analogy between the instinctive life of the wider public and the talent of a great writer . . . than in the superficial verbiage and the changing criteria of the official judges." Marcel Proust, A la recherche du temps perdu , Pléiade ed., Vol. I I I , Paris 1957, p. 893.

N o w for some time the critics by and large have not been able to fit the novels and plays of T h o r n t o n W i l d e r i n t o their picture of modern w r i t i n g and its agenda. They evidently have some qualms about this since his w o r k was so innovative and versatile, and has had so profound a resonance i n a wide public both at home and abroad. Y e t there is a certain traditionalism i n his outlook which undermines the modern premise. I n his best k n o w n plays and i n much of his fiction he appears to speak for a grass roots American experience which they look on as banal, insipid or moralistic. But what i f his " n o t a t i o n of the heart" is, indeed, that of M r . and Mrs. A n trobus, i. e., Everyman? A n d what i f his inquisition goes beneath the sentiment of Grover's Corners or the Philistinism of Coaltown, Illinois, to some deeper human marrow? I t is a question of the anonymous millions i n our streets and countryside, and of finding a register and a language for their potential. I n 1957 this author spoke on 'Culture i n a Democracy' to a German audience i n Frankfort at the a w a r d of the Peace Prize of the German publishers. H e took as his text a shocking passage from W a l t W h i t m a n : is there one of the great classics of the ancients or of Europe " t h a t is consistent w i t h these U n i t e d States [. . .] or whose underlying basis is not a denial and insult to democracy?" H e went on to speak of the dangers but also of the " u n k n o w n factors" and the "promise" of an enfranchised society of equals o f the k i n d which W h i t m a n had envisaged. This k i n d of passionate empathy for

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Grover's Corners or M a i n Street — both magnanimous and austere — is too often missing i n our modern classics and our critics of culture. The response to change and its advocacy takes precedence over the deeper human continuities. I

Critics and critical schools i n this country have understandably been suspicious of writers w h o have had large popular success. They have been baffled b y any conjunction of true excellence w i t h m i d - b r o w or l o w - b r o w appeal as registered i n the categories of best-seller or book-club selection. I n the case of W i l d e r there has been a long history of embarassment i f not attack, and latterly of assignment to limbo or silence. One can recall disparagement of the first three novels as effete or precious; Blackmur's dissatisfaction w i t h 'Heaven's M y Destination' as destined for the book-clubs; the critics' snubbing of 'The Ides o f March'; more recently, dismissal b y Stanley K a u f f m a n n and others of 'The Eighth D a y ' as a sermon or an exercise i n o l d clichés. As for the plays, w h i l e they are continually being staged at the grass roots throughout the country any more ambitious revival is l i k e l y to meet the critical incomprehension which recently greeted 'The Skin of O u r Teeth' i n its Bicentennial presentation i n N e w Y o r k . For awareness of this dilemma one can cite a review i n the (London) 'Times Literary Supplement' ( J u l y 12, 1974) of this author's last novel, 'Theophilus N o r t h ' . I n a literary career spanning half a century, Thornton Wilder has successfully resisted any kind of classification as novelist or playwright. W e cannot pin him down, as we can Hemingway or Scott Fitzgerald, to background or subject-matter (though both his first and his latest books are almost entirely autobiographical),, and it is impossible to group him conveniently with any coterie of writers, whether prewar or postwar. Popularity and success — implicit in the huge sales (10,000 copies a week) of 'The Bridge of San Luis Rey' — may have dented his reputation a little among those for whom starving in a garret is the sole criterion of artistic excellence. H o w , on the other hand, are we to account for the fact that in several European countries M r . Wilder, along w i t h Shakespeare and Joyce, is one of a mere handful of Englishspeaking writers known to the reading public?

Yet many accomplished critics by now have their minds made up. Wilder, they agree, is indeed somewhat anomalous and hard to pigeonhole, but he falls outside the main line of advance of the novel or the drama. H i s w o r k has been on the margin o f those explorations and engagements so essential to our twentieth-century experience. Worst of all, he smacks of M i d d l e America and even a disguised religiosity. Thus all across the board — subject matter, outlook, style — he does not fit the common premise or lend himself to the central debate.

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But are not the options, strategies and agenda of modern letters richer than those envisaged i n even the best critical o r t h o d o x y of the time? Has i t been as responsive to ancient wisdoms and to w h a t D a v i d Jones called the "deposits", the "fertile ashes", the anathemata of the long past as i t has to our modern experience? Has i t been nourished b y the inchoate impulse, the stifled m y t h , o f the many as w e l l as b y the changing sensibility of the elites and the articulate? The modern focus has understandably been one of revolt and emancipation, and T h o r n t o n W i l d e r has not been a stranger to it. But there should always be those w h o speak for the deeper ground which continues through change. Perhaps artists of this k i n d f a l l through the net o f the existing tribunals. W h i l e the instinctive response of the wider public recognizes them, the official judges are at a loss. When one moves the question to the American scene the issues become clearer. H o w do we define the modern here, and w h a t is the relation of its proper iconoclasm to our older American heritage? I t is a question of locating the deeper potential and the hidden springs of our many-layered society. One premise is that clue and n o r m for us runs f r o m the expatriates after W o r l d W a r I d o w n through those writers w h o have extricated themselves not o n l y f r o m an earlier "genteel" t r a d i t i o n but f r o m any rootage i n w h a t seem the blinkered pieties and conformisms of an older America. I t is true that many of our best writers have r i g h t l y been i n rev o l t against Philistinism and i n h u m a n i t y i n our folkways. I n aesthetic terms they r i g h t l y sought a new language and new vehicles for a new sensibility. But, along w i t h the critics, have they not also scanted the depths of our people and left a great deal of unfinished business? The f e r t i l i t y of the N e w W o r l d has always t h r o w n up its o w n original and even plebeian celebrations, versions of its o w n native mythology. Here is one p o i n t at which T h o r n t o n W i l d e r comes in. N o t h i n g is more revealing of critical m y o p i a than assignment o f W i l d e r to the category of midcult. Granted that this is a step u p f r o m masscult i t still connotes ingratiation o f a Philistine public. B u t is the general public so obtuse and so negligible? There are i n our population various kinds of literacy and illiteracy. The great continental public " o u t there", seemingly regressive and insensitive, is h i g h l y complex and unpredictable. N o one dogma or program of the aesthetic should pretend to arbitrate for so rich and incalculable a gestation. I n assigning W i l d e r to midcult or whatever category may today replace it, certain critics i d e n t i f y his w o r k w i t h cliché, banality and indulgence. Y e t whatever readability for a general public his w r i t i n g possesses, this simplicity rests on an immense repertoire o f aesthetic and intellectual tuition.

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Rigor rather than indulgence appears also i n the ethos of his w o r k . I f there is a large charity i n his p o r t r a y a l o f life and much gaiety, yet no one should miss the uncompromising severity that accompanies them. There was i r o n i n his outlook, some combination perhaps of granite f r o m C a l v i n and w o r l d l y wisdom f r o m his cherished Goethe. We can recognize i t not only in the austere Caesar o f the 'Ides of March' but also i n the disabused acidity that runs through 'The Skin of O u r Teeth'. The unmasking of human m o t i v a t i o n associated w i t h modern thought was taken up by h i m into a more radical suspicion. But i t d i d not leave h i m i n the condition of so many writers w h o are tempted to cynicism, or w h o have nothing but pathos to f a l l back on w i t h respect to their heroes or anti-heroes. This combination of generosity of spirit w i t h austerity is far from sentimentality but equally uncongenial to many moderns.

II The f o l l o w i n g reflections combine literary observations w i t h a certain amount of biographical data about m y brother and f a m i l y history, and the latter aspect calls for some prefatory explanation. The annals and vicissitudes o f our f a m i l y have their transmuted echoes i n his w r i t i n g , and at various levels. The review i n question is very much to the p o i n t i f i t helps to identify the m a t r i x o f his o w n personal vision and his v i e w of the America w r i t e r . The recurrent epithet i n characterizations of m y brother's f a m i l y background is that i t was Puritan or Calvinist , and this is often taken as answering many questions about his w o r k . The several manuals about h i m commonly include a short account of his childhood and education. H i s parents were " v e r y religious"; his father was a reformer and disciplinarian; he went t o missionary schools i n C h i n a ; he was sent to a college w i t h a devout tradition, Oberlin, before transferring to Yale. A number of his early one-act plays and his first f u l l length play, 'The Trumpet Shall Sound', w r i t t e n when he was an undergraduate, show his l i k i n g for biblical texts. The rehearsal of these matters can then lead to the simplistic v i e w that Wilder's later w o r k was shaped by these influences to a b l a n d l y affirmative view of life. O r i t can be deduced that his bringing up sheltered h i m from exposure t o the real w o r l d w i t h which modern letters should deal. N o t o n l y that, but t o the handicaps of a pious formation was added the later buffer of long academic association. I n short, he was never deeply initiated i n t o the modern situation; "he d i d not go to Paris" w i t h the expatriates, and was not i n v o l v e d overseas i n W o r l d W a r I . H e was therefore never f u l l y disabused of V i c t o r i a n and bourgeois illusions just as he was disqualified

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b y a religious hangover from that necessary searing experience of modern alienation which is an essential premise of the modern artist! As a parenthesis here I cannot resist interjecting one observation, by w a y of anticipation. As his personal correspondence over the years shows, m y brother was w h o l l y conversant and profoundly sympathetic w i t h the great iconoclasts of our epoch, their revulsions and their works, whether discursive or literary. B o t h his letters and his conversation registered delighted encounters w i t h such figures as Freud and Sartre and searching appreciation of their thought. I f his sense for the modern departed f r o m that of the reigning ideologies and the arts associated w i t h them i t was not because he fell short of their experience and grasp but because he appropriated them to his o w n purposes. One citation from his letters is illustrative. I n the student protest at the University of Genoa I saw the slogan many times repeated MARX

MAO

MARCUSE

I've been reading Marcuse; lots of sharp diagnosis. The students know that he's just as harsh on Kremlin-corruption as he is on the Western total-authority. The Technological Society is soothingly blandly reducing man to onedimensional being — and the universities are instruments of this new enslavement, He's very drastic on the image of the erotic that is being imposed. Imperial Rome said "give them bread and circuses to keep them nerveless" — and the N e w Society says give them sexual permissiveness — "the opiate of the masses!" The word is de-sublimation. Very perceptive. But he can't describe the poly-dimensional man. Neither could Nietzsche — neither can Sartre.

T h o r n t o n W i l d e r was no stranger to the anomie of our epoch. A n d just as he was intimate over long periods of immersion i n the works of K a f k a , Joyce, Proust, Broch, Stein and other modern masters, so he was at home w i t h the great pioneers and iconoclasts of modern thought and w i t h the master texts and pamphlets of the time. Just as his earlier correspondence echoed his attention to Kierkegaard, Spengler, Lukacs, A l a i n and Valéry, so his later letters show h i m absorbed i n the successive volumes o f LéviStrauss. I t should be clear f r o m this review that he was no outsider to the cultural and aesthetic dislocations of our period or the great debates which have accompanied them. Whatever Puritan or academic or classicist liabilities may be charged against h i m and against his f a m i l y background these do not appear to have isolated h i m f r o m the main currents of the age. Quite the converse, they may rather have endowed h i m w i t h a deeper human orientation that could assimilate the new experience i n a more u n i versal vision.

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I return from this observation, however, to the matter of m y brother's f a m i l y background and nurture. Biographers are quick to pick up the label of Puritan w i t h a l l its authoritarian and moralistic implications. Emancipated critics are l i k e l y to go far astray i n assessing the k i n d of milieu i n question, or i n doing justice to the rich inwardnses of the k i n d of devout f a m i l y discipline here represented, especially after the lapse of t w o generations. The issue is important as i t bears on a right understanding of American grass-roots culture. As there are many religious strains i n our society so there are and have been many types of Protestant pattern. The k i n d of Puritan legacy represented i n m y brother's formation should be distinguished from others, together w i t h its cultural corollaries. I t is therefore instructive to rehearse some aspects of the f a m i l y history. I n referring to this writer's early years biographers are content to characterize our father as a forbidding Calvinist type, disposed to stifle aesthetic aspirations i n his children. I m p l i c i t l y or explicitly i t is suggested that this parent thwarted m y brother's development. W i t h the contemporary interest i n psycho-biography this opens the w a y to free-wheeling analysis. Familiar schemata can be imposed on the father-son relationship which then supposedly account for w h a t are seen as limitations i n the latter's art. I t follows from sudi views of m y brother's conditioning that he was never able to make a clean break w i t h the enervating influencce of a didactic, ascetic and moralistic rearing. H i s complaisance w i t h dated f a m i l y values — as reflected i n his w o r k , his espousal of the hopes of at least an underground remnant w i t h i n our society, his focus on a dimension of wrestling and surv i v a l deeper even than that of contemporary alienation: a l l this can be seen as evidence of a crippling anachronism. A w r i t t e r w i t h such nostalgias must be viewed as one tied to an older and irrelevant outlook. I n w h a t follows I am concerned to balance and correct the misleading picture of our father so generally reported. But m y main object is to trace major features of m y brother's accomplishment t o the k i n d of values and the k i n d of Americanism represented by the f a m i l y t r a d i t i o n as a whole. I f i n so doing I include other details of the f a m i l y chronicle I trust they w i l l not be lacking i n interest. I t is true that our mother was the daughter of a Presbyterian minister. O u r father, a journalist i n N e w Y o r k and then i n Madison, Wisconsin, later consul-general i n H o n g k o n g and Shanghai, was a devout Congregational layman, concerned for f a m i l y worship i n the home and for Christian education i n the Sunday School and i n school and college. As a consul he was a friend and supporter of missionaries i n China and was later for a time the executive-secretary, i n N e w Haven, of Yale-in-China. This strain 13 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

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of Protestant piety f r o m which most of our oldest colleges i n N e w England arose, and many i n the West and South, is also one that has been identified w i t h public concerns and reforming zeal. The life-style of families i n this t r a d i t i o n had their disciplines but there was no fanaticism or obscurantism as i n some forms o f Protestant sectarianism. I n any case the modern intellectual has long been baffled by and indisposed t o understand the so-called Puritan t r a d i t i o n i n our culture. I t is associated for h i m w i t h authoritarianism, w i t h special sex attitudes, w i t h the Puritan ethic of w o r k , t h r i f t and success, w i t h anti-aesthetic bias and w i t h law-and-order mentality. The phrase New England values sometimes serves as a surrogate. M a n y sophisticated circles today stand at such a d i stance f r o m the k i n d of home represented b y that of our parents that they can o n l y misread the record. This is related t o a w i d e r i n a b i l i t y to understand i m p o r t a n t aspects of American culture, and therefore of m y brother's w o r k , concerns and audience. Though the best o f our writers emerging f r o m mid-America, from farm, t o w n and mart, were iconoclastic about the folkways, yet their w o r k often honored the basic v i t a l i t y and potential. This w o u l d be true o f Faulkner. Visitors have reported that Gertrude Stein could angrily explode when addressed as an expatriate , and her persistent fascination w i t h the American type i n its common denominator is w e l l k n o w n , and not o n l y i n her 'The M a k i n g of Americans'. The case o f Stein is particularly relevant to the w o r k of W i l d e r since this is one of the areas where their exchange was most vigorous. For this issue one could also cite the case o f Glenway Wescott. Coming f r o m the same state as m y brother he wrote Goodbye , Wisconsin (1928), and went to Paris to seek those o l d societies where traditions are preserved " o f the conduct o f life w i t h death i n m i n d . " B u t Wescott could also pay tribute t o his pioneer stock i n his book, 'The Grandmothers' (1927). A n d he could describe the " m i d l a n d " as a great maternal source of, among other things, ability and brutal ardor and ingenuity and imagination — scarcely revisited, abandoned, almost unable to profit by its fruitfulness in men.

But many representatives o f the modern critical movement today and many of our writers are out of touch w i t h these deeper roots i n the American reality. I f W a l t W h i t m a n is honored i t is i n terms of his assertion of N e w W o r l d independence or his new poetic rather than of his democratic vision.

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III

Rehearsal of aspects of our father's career may be useful i n suggesting one k i n d of misjudged strain i n our pluralistic American heritage. This review may also suggest positive as w e l l as negative factors i n m y brother's formation. O u r father was a very strong character w i t h w h a t are today viewed as old-fashioned ideas about the education of the young. H e no doubt maintained a heavy hand on the f a m i l y and combined torrents of affection w i t h unremitting plans, admonition and counsel. I t is not surprising i f his earnest goals for his children failed to take account of unpredictable developments i n a given case or values beyond his o w n code. Just as i n his public career this uncompromising crusader and prohibitionist could be pilloried, so w i t h i n the f a m i l y there could be vehement resistances and resentments. The f o l l o w i n g details about our f a m i l y and m y father's parental role should serve as a corrective to misjudgments of whatever source. M y review should also be useful i n suggesting the m a t r i x o f m y brother's outlook and values, a lineage which he d i d not by any means altogether repudiate. Both his disputed stature as artist and his suspect p o p u l a r i t y at the grass roots stem f r o m his empathy w i t h those ancestral M i d d l e A m e rican pieties, moral gropings and vitalities which modern sophistication scorns or ignores, but for whose propér appreciation he was largely indebted to his f a m i l y roots and training. There are many differing aspects and amalgams of the Calvinist and wider Protestant heritage i n our society, some gone to seed and devitalized, some i n g r o w n and anachronistic, some noxious, some absorbed into the Philistinism of the setting; but some still carriers of the visions and disciplines of the great reformers, as w e l l as of M i l t o n and Bunyan, of George Fox and the Wesleys, and of many of the early settlers o f this country. Granted a l l due appreciation of the ethnic pluralism and diverse cultural contributions i n our population i t w o u l d be a mistake t o underestimate this particular strain and its contemporary permutations, whether political, moral or cultural. The term Puritan applied to our parents and to the nurture i n our home is both imprecise and anachronistic. The k i n d of N e w England t r a d i t i o n represented on one side is suggested by our mother's grandfather, A r t h u r Tappan, friend of W i l l i a m L l o y d Garrison and himself the first president of the American Anti-Slavery Society (1837). A philanthropist — like his brother Lewis Tappan w h o financed the defense of the slaves i n the A m i s t a d slave-ship case all the w a y up to the Supreme Court — he helped f u n d the establish13*

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ment of Oberlin College because i t was the first to welcome black as w e l l as women students. H e and his N e w Y o r k store were repeatedly i n danger from pro-slavery mobs. This k i n d of Puritan t r a d i t i o n is no reproach. The k i n d of piety represented by the Congregationalism on m y father's side was similar, as is suggested by the fact that he chose schools like Oberlin, M t . H o l y o k e and N o r t h f i e l d for his children's education. The books of our father i n our possession which are the most marked up and annotated by h i m are Boswell's life of Johnson, the four-volume life of Garrison b y his sons and Whittier's poems. Favorites i n our f a m i l y Sunday reading along w i t h the Bible were the works of Bunyan, John Woolman, George Fox and Thoreau. This k i n d of non-conformist t r a d i t i o n is very different f r o m some kinds of Bible-belt piety and life-style as w e l l as f r o m familiar strains of Calvinist orthodoxy. The cultural level o f the home, suggested by our father's doctoral degree at Yale and our mother's participation i n French and I t a l i a n literary circles at Madison and Berkeley, could h a r d l y be viewed as stifling. The situation was not similar to that of other writers contemporaries of m y brother w h o broke sharply w i t h their f a m i l y patterns of fundamentalist or pietistic character, or that o f a Robinson Jeffers whose father was a biblical scholar i n a r i g i d Calvinist line. Contemporary intellectuals, as I have suggested, still have much to learn about the significance and vicissitudes of Calvinism i n America f r o m such writers as Perry M i l l e r or the more recent Miller-revisionists, and should be better acquainted w i t h the diverse moral and religious patterns of the M i d l a n d . They w o u l d have a better understanding of the so-called civic religion of the populace and of the contemporary m o r a l or moralistic groundswell as i t bears on our politics. But they could also better assess the political myth and the social imagination of our society as these reject or react to aesthetic importations from Europe or the Far East. IV The early Wisconsin years of our f a m i l y (1894 - 1906) suggest a number of observations. Though through our parents we had M a i n e and H u d s o n River antecedents these were n o w overlaid w i t h M i d d l e Western experience i n depth. I t was not just a question of regional but of social variety. A newspaper man like our father was i n v o l v e d i n the f u l l gamut of t o w n and country life. Madison, though the state capital and seat of a university, i n those days before the motor car was still o n l y a large t o w n . The 'Wisconsin State Journal' served the county and the region. M y father's editorials for which he is still remembered show his immersion i n the folkways and

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his populist sympathies. W e l l prepared by his doctorate i n political science and his years i n N e w Y o r k C i t y journalism, he identified himself vigorously w i t h the Wisconsin progressivism o f the time which was d r a w i n g national attention. But i t was especially his inimitable human interest editorials which were cherished and were copied far and wide. Here sentiment, fancy, eloquence and humor combined. Those same antennae for the common life and those fine filaments of the poetic and the histrionic which later evoked Grover's Corners i n the son had their antecedents i n the father. From his college days at Yale as fence orator and Glee Club antic he was remembered as word-painter, mimic and clown. I n Wisconsin as scribe and as favored speaker at county fair and Chautauqua he was a poet and w i t of the Midland. M y father thought there was no experience for a growing boy more valuable than w o r k i n g i n a country store or on a farm. H e never succeeded i n getting us i n t o a store, but the children were placed on a Dane C o u n t y farm i n the earliest years. Later T h o r n t o n was assigned to the farm of the M t . H e r m o n School i n Northfield, Massachusetts, i n the summer of 1915, to a long hot summer w i t h myself on the D u t t o n farm i n Dummerston, Vermont, i n 1916, and to the Berea College farm i n 1917. A l l this was part of w h a t our parent called "broadening experience". I n his educational philosophy m y father cherished the neighborly virtues and aspirations of grass roots America as he had k n o w n them i n his o w n Maine childhood. This meant neither Philistinism nor anti-intellectualism. The instincts of the people could be trusted, but they needed committed leaders and spokesmen initiated i n t o their experience but also equipped w i t h every advantage of education and culture, but above a l l w i t h moral earnestness. A t the t u r n of the century he and his Madison paper, as indicated, were identified w i t h many aspects of Wisconsin progressivism, though he later broke w i t h the senior L a Follette when the latter's reform movement appeared to h i m to have become tarnished w i t h demagoguery. H i s frieds during this period included such pioneers i n the social sciences at the University of Wisconsin as Commons, E l y and Ross. H i s pragmatic outlook was no doubt colored by a certain suspicion whether of Bohemia or of Academia. One could not get too much education but he was always w a r n i n g against a sheltered k i n d of learning which he associated w i t h t r i f l i n g and parlor games. Standards like Dickens, Scott and Thackeray were read aloud i n the home, besides the spiritual classics I have mentioned for Sundays. But such authors as Byron, W i l d e and H a r d y were looked on as " w o r l d l y " . Earnestness was certainly important, and awareness of a troubled w o r l d .

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H i s later H o n g k o n g journal shows h i m reflecting on brutalities and suicides among the Western m i l i t a r y and social circles on the island, and on the gulf between diplomatic formalism and the teeming h u m a n i t y of the Far East. I t is i n this l i g h t that one should understand his p l a y f u l disparagement o f Thornton's early literary attempts as " c a r v i n g cherry stones". I f this son and the rest o f us gave signs of becoming egg-heads he could accept it, but he was at least determined that we should have some basic substratum o f shirt-sleeve experience and the k i n d of sympathies which earned W i l l i a m Jennings Bryan the title of " t h e Great Commoner". V

I n any case our family's early experience and our father's plebeian sympathies left their impress on m y brother. Neither his precocious aestheticism nor his chafing at parental decrees nor his later sophistication alienated h i m f r o m the poignancies and ordeals of the commonplace or the deeper rootsystems of our American w a y . I f this was a handicap to h i m as an artist i n an age of iconoclasm perhaps time w o u l d vindicate him. Meanwhile his tapping of hidden springs i n our folkways appears to have found answering responses i n other societies, notably i n Germany. H i s fabulation and whatever affirmation or celebration may be reflected i n i t go deeper than the particular homespun or bourgeois settings of the novels or plays i n question. O u r T o w n ' is not a period piece or a genrepainting but a universal t r y p t i c i n which our deeper American pieties rejoin those of a w i d e r humanity. I n this horizon a l l those questions of social realism or psychological perception, so essential to much of our best modern literature, are not i n question. But neither is there anything here which disallows such concerns. Perhaps our father's insistence on the exposure of his children to bucolic and shirt-sleeve experience may be looked on as banal or romantic. Perhaps this crusading and pragmatic journalist had too much f a i t h i n Main Street. Perhaps this N e w England m o u l d of conscience and sentiment was i l l adapted to a new age and unattuned to new aesthetic sensibilities. Nevertheless the basic orientation i n w h a t was i m p o r t a n t i n our American reality was there and was carried over into m y brother's outlook. One aspect of this indebtedness is reflected i n remarks of T h o r n t o n cited i n Richard Goldstone's 'Paris Review' interview w i t h h i m i n 1957. Speaking there of his reasons for interrupting his literary career and volunteering for service i n W o r l d W a r I I he observed that he sought the benefit of "being t h r o w n into daily contact w i t h non-artists". The acquaintance of young

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American writers "should include those w h o have read o n l y 'Treasure Island* and have forgotten t h a t " . A n d further, " i t w o u l d be a very wonderful thing i f we see more and more works which close the gulf between the highbrows and the l o w b r o w s " . O f course one can say that there is nothing remarkable about this writer's f a m i l i a r i t y w i t h non-academic strata i n our society or his immediate awareness of the life of the many. M a n y of our artists are born into this k i n d o f background. But i t is a question of empathy and perspective. I t is a question of recognizing the deeper m y t h w i t h i n the moralities and rituals and conformities of Main Street itself. T o o many of our intellectuals and writers are captured b y the emancipations of the time to the p o i n t that they become deracinated. The liberating arts of the epoch have their undeniable importance and stature, not least i n their wrestling w i t h our modern disarray. But the imagination forfeits due nourishment when the archetypes are silenced. This k i n d of i n i t i a t i o n into the grass roots and the buried dreams gestating there is reflected i n 'The E i g h t h D a y ' and i n 'Heaven's M y Destination', which incidentally imports a reference to Ludington, the Michigan assembly where Oberlin students used to w a i t table i n the summer vacations, just as ' O u r T o w n ' picks up an allusion to N o r t h C o n w a y , Ν . H . , where I had a rural pastorate. The ' O u r T o w n ' locale and characters go back not o n l y to the Peterborough neighborhood of the M a c D o w e l l C o l o n y but also to m y brother's summers on farms i n the same region. Common to all these w r i t ings is the empathy for the small t o w n and the struggling families, the tapestry o f lives and genealogies, the anonymous multitudes and their livelihoods. But this plebeian vision had already been manifest i n 'The H a p p y Journey to Trenton and Camden' and i n 'The L o n g Christmas Dinner'. Even more important, i t links up w i t h the sense o f w h a t i t is to be an American as explored i n his Charles E l i o t N o r t o n lectures at H a r v a r d on Emerson, Thoreau and Dickinson and his Frankfort address on 'Culture i n a Democracy', a l l related to Gertude Stein's w r i t i n g on America and his conversations w i t h her. The point I am making here is that i f m y brother had not o n l y a democratic outlook but a profound sense of the potential of the many he was indebted for these to the f a m i l y tradition, including its religious underpinnings, and to his father's impress and educational dogmas. One can read the benefits of the paternal role between the lines of the Frankfort address referred to. This manifesto, spoken i n German, took the f o r m of a challenge to the elitism of the European but also the whole Western tradition, and this i n the presence of the then President of the West German Republic

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and other officials, as w e l l as of A l b e r t Schweitzer and C a r l J. Burckhardt. C i t i n g W a l t W h i t m a n , as already noted, and identifying T . S. E l i o t by name as representative of a feudal or elitist outlook, he spoke for " f a i t h i n the potential powers [. . . ] the i n t u i t i v e possibilities of average men i n a democracy", and called for recognition of "as yet u n k n o w n factors, the traits and properties of men and women w i t h their heads erect", that is, no longer servile. The address raised something of a storm i n the German press which continued for some time. 'Die Zeit' sent a copy of it, together w i t h a critique of i t by R u d o l f W a l t e r Leonhardt ('Goethe — eine Schmähung der Demokratie?') to E l i o t . The latter's reply was printed i n the Feuilleton of ' D i e Zeit', i n the issue o f November 14, 1957. E l i o t wrote that i t was difficult for h i m to comment on the speech o f M r . W i l d e r " i n as much as i t seems to me a piece of hysterical nonsense". Further, " t h i s democracy which should have no elite at a l l and which w o u l d fulfil M r . Wilder's ideals of the common, the ordinary and the vulgar, could o n l y lead t o a mass society ruled b y a dictatorship or a r i g i d bureaucratic class. [ . . . ] M r . W i l d e r should also reconsider his theology". T h o r n t o n d i d not respond to the i n v i t a t i o n f r o m ' D i e Zeit' to reply to E l i o t . M a n y German admirers took his side i n the controversy. I n a subsequent letter to myself he wrote: " I ' d hoped the ripples and eddies of the Frankfurt affair (tho' I don't regard that as a bad speech; m y mistake there was that I d i d not sufficiently indicate that i t was intended to be a bit spielend and darf man sagen and schau'n-Siemal) had died d o w n . " — A n able mediating discussion of the differences between E l i o t and W i l d e r appeared i n ' D i e Zeit', J u l y 11, 1958, w r i t t e n by Gerhard Hensel, the translator into German of Eliot's 'Notes T o w a r d a Definition of Culture'. I n the 'Paris Review' interview mentioned above the questioner asked W i l d e r at one p o i n t : " [ . . . ] do y o u feel that y o u were born i n a place and at a time, and to a f a m i l y — all o f which combined favorably to shape y o u for w h a t y o u were to do?" H i s reply was i n p a r t : By the standards of many people, and by my own, these dispositions were favorable; — but what are our judgments in such matters? Everyone is born with an array of handicaps — even Mozart, even Sophocles — and acquires new o n e s . . . The most valuable thing I inherited was a temperament that does not revolt against Necessity and that is constantly renewed in Hope ( I am alluding to Goethe's great poem about the problem of each man's "lot" — the Orpbiscbe Worte').

I n a letter to myself of about 1968 apropos of the prospect of an operation T h o r n t o n cited the stanza i n question of Goethe's poem 'Urworte : Orphisch '

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entitled *Nötigung '. H e then remarked: " T h a t ' s not Stoic but — as his Orphisch suggests — pre-Socratic mysticism. Y o u adapt yourself to necessity, 'after many a year', as though i t were a choice." M y brother cherished this motif. H e also recognized i t i n H ö l d e r l i n . A n d of course i n the inscription by Beethoven at the close of his last quartet: "Muss es seinf Es muss sein!" H e was fond of colloquializing this idea of accepting Fate or Ananke. Over against those w h o chafe at existence and whose days are lacerated w i t h resentments he set the equipoise of the beleaguered man or w o m a n w h o says of his condition, " I l i k e " , or " I like w h a t I g o t " . ( I t w o u l d be a crass confusion of categories to identify such acceptance w i t h social or political irresponsibility.) This theme has not been irrelevant to m y reminiscences of the family. I have cited Thornton's statement that he was indebted for this outlook to his inheritance. The reference to Goethe here suggests a brief digression. One of the reasons m y brother was so appreciated i n German student circles was that he knew their poets and dramatists intimately and could discuss their literature w i t h them, i n German, i n this searching w a y . H e w o u l d address them as "meine Kinder ", and both scold them and be p l a y f u l w i t h them. They valued the plays of O ' N e i l l , Tennessee Williams and A r t h u r M i l l e r , but this was another k i n d of American presence. They called h i m their "Amerikanischer Onkel". VI I n speaking of the early Wisconsin years of the family I have been led to anticipate somewhat on the themes of m y brother's grass roots i n i t i a t i o n and the paternal role. Some further account of our father's career may be of interest and w i l l fill out the picture of the inheritance i n question. As I have indicated, his Madison paper first supported L a Follette's progressive crusades and his campaign against the railroad power i n the state and o n l y later (1904) sided w i t h the Republican "stalwarts" against him. Meanwhile he became w i d e l y k n o w n through his addresses i n the East and various articles as an interpreter of Wisconsin progressivism. Under W i l l i a m Graham Sumner at Yale he had w r i t t e n the first doctoral thesis on municipal government i n any of our universities. A t Madison his coaching of young talents and reporters and his editorials became quasi-legendary. A l l this led to the distinction of his appointment as consul-general i n Hongkong, one of the top consular positions at that time, and one requiring confirmation by the U.S. Senate, despite L a Follette's attempt there to block it. A f t e r six months our mother brought the four children back to this

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Amos Ν . Wilder

country for better schooling than could then be had i n Hongkong, and we a l l attended the public schools i n Berkeley. This was i n 1906 when T h o r n ton was nine years of age. These years of separation — lasting u n t i l 1911 when m y father had been moved to Shanghai — were sometimes desperately d i f f i c u l t for our mother, w h o had four young children to care for w i t h very l i m i t e d funds. They had nevertheless their redeeming features. I n Berkeley as earlier i n Madison our mother had friends i n the University faculty. She was active i n both French and I t a l i a n circles, and we have her o w n translations of poems by Verhaeren and Carducci i n her collections o f these poets. We children took part i n the mob scenes i n the plays put on i n the Greek Theatre by the classics department. We likewise took part i n N a t i v i t y tableaux i n our church, and m y brother's w o r k early and late prolongs such initiations. Thornton's literary precocity, taste and range should certainly be traced to our mother's influence and encouragement f r o m these early years. O u r musical i n i t i a t i o n went back to the Wisconsin period and to her love of the piano. I n that time also, w i t h Madison friends, she had frequently attended the opera i n Chicago, and had visited the museums of Europe. I t was through her literary acquaintance and associations that he became aware of European writers and damatists. As he himself began to w r i t e i n his school days she was always his confidante and stimulus. H o w far this went is particularly clear later i n his letters to her f r o m Rome, Florence and Paris i n 1920 - 1921. Here he tells her of his first encounter w i t h the theatre of Pirandello, of his reading, and of his o w n narrative and dramatic projects and revisions — all assured of an instructed and delighted response. Thornton's residence i n China was confined to the six months i n H o n g kong and to one year when he attended the China I n l a n d Mission School in Chefoo after the f a m i l y was reunited i n Shanghai. I t is surely far fetched to assign a strain of Oriental mysticism i n his later w o r k to this experience as one handbook does. B u t recurrent emphasis i n his writings on the myriads of human beings w h o have l i v e d and died, that telescopic view of humanity instanced i n the words of the Stage Manager i n O u r T o w n ' about " a l l that was going o n " i n ancient Babylon — this vision T h o r n t o n himself traced to his China experience. I n his Shanghai post m y father i n i t i a t e d the first luncheon club in which Chinese members participated w i t h Western officials and business representatives. A letter f r o m a senior member of the American colony to the ' N e w H a v e n Journal Courier', on the occasion of this parent's death i n 1936, goes into detail about his contributions to the civic and

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cultural life of the city and his friendship w i t h the Chinese. This reporter adds that many anticipated that he w o u l d have been appointed as our Minister to Peking i f his illness had not intervened. Because of his assistance the Wisconsin sociologist, E d w a r d A . Ross, dedicated to h i m his volume, 'The Changing Chinese' (1911), w i t h the f o l l o w i n g characterizat i o n : " F r i e n d of the Changing Chinese, and Eloquent Interpreter to Them of the Best Americanism." VII I n this concluding section I return to the prior issue as to the task and options of modern letters. I have suggested at a number of points that the whole programm of modern revolt and iconoclasm has by-passed certain abiding aspects of our deeper human reality. This liberating movement, moreover may have readied its term. N o doubt i n our intellectual life and i n our arts there is always a demand for critical and imaginative exploration. But the particular anti-bourgeois, a n t i - V i c t o r i a n and antinomian reaction n o w i n our time shows diminishing returns. I n Trilling's terms the "adversary" aspect of liberal culture and the liberal imagination becomes itself open to question. Once this situation is recognized there may w e l l be a radical reassessment of the period we have passed through, and of its writers and artists, its critical schools and their premises. As a suggestion of h o w the w o r k of T h o r n t o n W i l d e r fits i n t o such a picture I call attention to a recent statement b y a German critic. I n January 1976 f o l l o w i n g his death a Commemorative observance was held i n the C i v i c Theatre of Freiburg. T w o of his one-act plays were produced. A n address, " H o m m a g e à T h o r n t o n W i l d e r " , was given by Franz H . L i n k , a scholar w h o has w r i t t e n extensively on American literature. I n his tribute the speaker first develops a somewhat detailed parallel between the careers and stage-craft of W i l d e r and Bertolt Brecht. Born w i t h i n a year of each other, they each achieved a w o r l d - w i d e public, W i l d e r w i t h 'The Bridge of San Luis Rey' i n 1927 and Brecht w i t h his 'Dreigroschenoper ' i n 1928. A f t e r a period of silence during the N a z i period and W o r l d W a r I I " t h e y dominated the literary scene i n decisive fashion". While Brecht coined the conceptions of epic theatre and of Verfremdung [...] Wilder developed contemporaneously and independently his conception of the incorporation of the audience in the action by abolishing the Fourth W a l l of proscenium drama and bringing to consciousness "the value of the least important events of daily life". What Brecht much later characterized as Verfremdung Wilder had exploited in the 'Three Minute Plays' which he was already writing as an undergraduate. I n his 'Pullman Car H i a w a t h a ' and in Ά H a p p y Journey to Trenton and Camden' he introduced the Stage Manager,

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Amos Ν . Wilder and assigned him in O u r Town' a place apart from which the modern theatre would not be what it is. W i t h 'The Long Christmas Dinner' and 'The Skin of O u r Teeth' he broke with all existing conventions of temporal sequence. Through time-montage, anachronism and actor-play he merged the time staged with that of the beholder. Brecht wrote plays-to-instruct (Lehrstücke). Wilder also thought of himself w i t h undisguised irony as "schoolmaster".

L i n k then notes that i n our later time Brecht is looked on as the great renewer of the modern theatre, w h i l e W i l d e r is characterized as classicist and humanist — " w i t h the clear implication: not w h o l l y at home i n our t i m e " . W h y so? One can answer such questions easily by observing that two elements are almost missing in Wilder, elements which pass today as modern, but which should rather in view of their over-emphasis be identified as fashionable. These are, on the one hand, social indictment, and, on the other, the abolishing of tabus in the sexual domain — manifestations of our often misconceived legacies from M a r x and Freud. But is our time which so willingly identifies itself as pluralistic to be defined by this inheritance alone? That this need not be the case is witnessed by the work of Thornton Wilder; and certainly not because lie falls back on positions which were rendered obsolete by the two elements in question, but because he occupies a position in his time which it is essential to grasp as an alternative.

I t may w e l l be i l l u m i n a t i n g for our o w n American assessment of Wilder's contribution to see h o w he is judged i n this European perspective. I n his o w n w a y , and i n a larger context, L i n k confirms m y o w n thesis that the tasks and options of modern letters are more diverse than are commonly recognized by the critical consensus of the period. L i n k returns to this issue i n connection w i t h m y brother's controversial address at Frankfort i n 1957. This frontal attack on elitism disturbed his conservative f o l l o w i n g among German readers and playgoers. But the theme of the common man as hero also alienated the radicals there whose hero was not the common man but the revolutionary. Thus Wilder's hero, anonymous and self-denying, M r . Antrobus or George Brush or Alcestis or John Ashley — the hero as fool or incognito — could appear as either offensively egalitarian or uncommitted i n Germany or he could appear as banal or sentimental i n America. But i n ' O u r T o w n ' and i n 'The Eighth D a y ' , i f the author is glorifying the commonplace and the diurnal, it is not a question of their actuality but of their promise. I t is a question of the hidden figure i n the tapestry and of that remnant which i f i t be an elite is one that does not so recognize itself, but which "transmits fairer messages than it is itself aware o f " .

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Grounded and comprehensive criticism of the w o r k of T h o r n t o n W i l d e r i n the U n i t e d States has still to be awaited. U n t i l n o w we have ad hoc reviews of his works, colorful personalia and such provisional assessments as are to be found i n the familiar manuals. As M a l c o l m C o w l e y has recently remarked: " [ . . . ] those ateliers [ i . e . of the Upper West Side or Greenwich V i l l a g e ] have failed to discuss his w o r k , and so, unfortunately, have most of our serious critics. I n point of intelligent criticism, W i l d e r is the most neglected author of a b r i l l i a n t generation". Even the appreciations of such commentators as E d m u n d Wilson, Glen w a y Wescott and E d m u n d Fuller relate only to controversial issues or to l i m i t e d aspects of his w o r k . American critics should be aware of the more serious analyses of the plays and novels that have been carried out abroad. Such matters as his dramaturgy, his Americanism, his use of classical sources, the variety of his genres and the ways i n which any thematic is absorbed and hidden i n his art — all such features are pursued i n a wide compass of comparative literary survey. Where critics dominated by the Zeitgeist and its aesthetic canons charge the author of O u r Town* and 'The Eighth Day* w i t h a superficial didactic moralism or optimism, a Swiss critic like E m i l Staiger can point to more fundamental categories. I n his tribute to m y brother at the recent ceremony i n Bonn of the Order Pour le Mérite , this master i n the field of German literature spoke of the hopefulness i n his outlook i n the f o l l o w i n g terms, w i t h special reference to 'The Eighth D a y ' : W h a t he has in mind is not the kind of Philistine hope which deceives itself w i t h words but elpis thraseia , that bold venture of the human spirit unintimidated by Ananke 3 the beating of whose wings, as Goethe says, leaves aeons behind it.

For the vicissitudes of T h o r n t o n Wilder's w o r k and standing among his American critics one can employ the analogy of a card game. A f t e r his first three novels whose settings were i n Rome, Peru and the island of Andros, the critics called for a locale here i n the American scene. W i l d e r threw d o w n an American card, indeed a Main Street card, 'Heaven's M y Destination', a k i n d of American ' D o n Quixote'. But this was not w h a t the players were looking for. They d i d not k n o w these aspects of Gopher Prairie or Plains, Georgia, very w e l l and could not identify w i t h this combination of farce and anguish i n the grass roots. Their America was cosmopolite, proletarian and haunted. They kept proposing an American fiction i n these terms. I n the sequel W i l d e r responded w i t h images of a deeper and more enduring America; as i t were outflanking their moves and t r u m p i n g their

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Amos Ν . Wilder

expectations: the America of G rover's Corners ( O u r T o w n ' ) , o f Excelsior, N . J. ('The Skin o f O u r Teeth'), and C o a l t o w n , Illinois ('The Eighth D a y ' ) . The dealers and arbiters of the game d i d not recognize these visages of America and could not honor these face cards. I n such portrayals they missed the k i n d of actuality and the k i n d o f sophisticated strategies w h i d i answered to their o w n repertoire and w i t h which their o w n hands were w e l l stocked. But the game as they played i t had its b u i l t - i n limitations. Their fables of liberation lacked the deeper octaves and registers. I t followed that the naiveté and mystical resonances of Wilder's America disoriented them and they could o n l y see his scenarios as belated or banal. W h a t was distinctive i n m y brother's w o r k was the combination of local and universal i n his vision and genres. Intending high praise a German critic observed that certain o f his dramas remind us of "ancient m o r a l i t y p l a y s " ; and another saw " a return to the world-theatre of the M i d d l e Ages and the baroque period". T o see ' O u r T o w n ' and 'The Skin of O u r Teeth' i n this light is one w a y of identifying i n them those diapasons and overtones which account for their popular a n d human appeal. The observation o f Proust which I have cited as epigraph speaks of the "analogy between the instinctive life of the wider public and the talent of a great w r i t e r " , and implies that greater reliance can be placed on the response of such a public than on that of the "official judges". This might be construed t o mean a pandering to Philistine taste, but Proust has i n m i n d a deeper register o f recognition. I n citing Proust's remark i t is not m y intention to disparage the modern critical movement as a whole. N o r do I wish to make exaggerated claims for m y brother's distinctive contribution. As w i t h v a r y i n g aspects of nature, so w i t h works of rare artistic excellence: they are incommensurable. Criticism of real stature is less concerned w i t h rank than w i t h delight and understanding. Nevertheless, the point made by Proust has its continuing v a l i d i t y . The "official judges" w i t h their "changing criteria" understandably have their excited attention d r a w n to voices o f the time or moment, oracles of change, especially t o new talents and special virtuosity. But there are t w o things that can be said about talent. For one t h i n g society is prodigal i n talent; one dazzling talent succeeds another. So i t is that one reputation succeeds another every six months, one master eclipses another every decade, and one school replaces another every generation. The other t h i n g to say is that sometimes talent or virtuosity is combined w i t h something more, some further stature and scope or power of conception, and this is both rare and disturbing. For those excited by talent or contemporaneity all such untimely or timeless works w i l l appear austere or insipid. But i n

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its marrow human nature senses unerringly w h a t is important. A l l about us — yesterday, today, t o m o r r o w — there is an unrecognized court i n the hearts of men and women which sifts the arts of an age and gives its suffrage to whatever provides us w i t h "incentives to go on l i v i n g " (Ezra Pound) and breaks through our modern fates.

MYTHOS U N D IMAGE I N DER F R Ü H E N D I C H T U N G EZRA POUNDS V o n Franz H . L i n k

Caelestis intus excitât vates vigor Ultroque semper promonet. Aurelius Augurellus in: E. Pounds The Spirit

of Romance

D i e durch Ezra Pound u n d T . S. E l i o t i m zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts i m englischsprachigen R a u m eingeführte Dichtweise u n d Literaturk r i t i k können — wie die zahlreichen Studien darüber belegen — auf vielfältige Weise bestimmt werden. Eines ihrer Merkmale ist jedoch zweifellos der Anspruch, Dichtung als eine A r t v o n Wissen sui generis zu betrachten, das sich von philosophisch-naturwissenschaftlichem Wissen unterscheidet, aber dennoch der Wahrheitsaussage fähig ist. Die Betonung gerade dieses Anspruchs führte zur Bildung einer eigenen Schule der L i t e r a t u r k r i t i k , dem New Criticism , dessen Glanzzeit denn auch m i t dem Erlöschen zumindest eines ihrer Leitsterne, nämlich T . S. Eliots, am literarischen H i m m e l k u r z nach der Jahrhundertmitte ablief 1 . M i t Recht könnte gesagt werden, daß Dichtung schon immer — auch v o r Pound u n d E l i o t — den Anspruch erhob, eine A r t v o n Wissen zu vermitteln. Der New Criticism geht v o n dieser Vorstellung aus. Der Anspruch der Dichtweise u n d der Literaturk r i t i k Pounds u n d Eliots sowie eines Teiles ihrer Zeitgenossen würde sich danach darauf verengen, daß die herkömmlichen Wege, Wissen um W i r k lichkeit zu gewinnen u n d zu vermitteln, für sie nicht mehr genügten und daß sie — wie die Philosophie u n d die Naturwissenschaft ihrer Zeit — neue Möglichkeiten dafür zu finden versuchten. Dabei stellt sich die Frage, ob es sich nur u m die Form handelt, Wissen zu gewinnen, oder u m das, was als Wissen vermittelt werden sollte. Z u lange hat sich die L i t e r a t u r k r i t i k v o r allem u m die Form der Wissensvermittlung i n Dichtung bemüht u n d dabei das, was vermittelt werden 1 Siehe Franz H . Link, Das Verhältnis der Dichtung zur Wirklichkeit bei Allen Tate und anderen new critics , D V L G 34 (1960), S. 554 - 580.

14 Litera Unwissenschaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

Franz H . Link

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sollte, vernachlässigt. Herbert N . Schneidau zeigt an Beispielen von James Joyce u n d Ezra Pound i n zutreffender Weise, wie die Form, „Style", audi i n der Moderne nur M i t t e l der „Transformation" v o n Betrachtungsgegenständen bedeuten k a n n 2 . Es k o m m t letzten Endes auf das an, was vermittelt werden soll. Doch i n der gleichen Weise, wie etwa James Joyce, Ezra Pound, Marianne Moore, W i l l i a m C. Williams oder Wallace Stevens ihren jeweils eigenen Stil ausprägten, so unterscheiden sie sich i n dem, was sie durch ihre besondere A r t der Formgebung mitzuteilen versuchen. Das Gemeinsame an diesem Neuen läßt sich wiederum auf verschiedene Weise v o n dem Voraufgegangenen absetzen. Gegensatzpaare w i e Romantisch u n d Klassisch oder Subjektiv u n d O b j e k t i v spielen dabei für die Urheber der Moderne w i e für ihre K r i t i k e r eine Rolle. Es ließe sich hier eine Parallele zu dem philosophischen Bemühen ihrer Zeit ziehen: zu dem Denken v o n Whitehead, Wittgenstein, Husserl, Heidegger oder anderen. Das Neue ließe sich aber auch — wenn w i r unser Augenmerk auf Pound konzentrieren — als das Unbehagen an einer Gesellschaft verstehen, i n der das W o r t , die Sprache, die Dichtung, die Kunst zu H u r e n der USURA geworden sind u n d menschliches Leben sich allein aus der F u n k t i o n seiner Leistung i m Getriebe v o n Wirtschaft u n d Industrie bestimmt. D i e bisherige K r i t i k an der Moderne hat gezeigt, daß sich ihr Verständnis nicht nur aus dem Gegensatz zur R o m a n t i k , sondern auch als deren Fortsetzung bestimmen läßt. V o n der englischen T r a d i t i o n her gesehen, ergibt sich die Frage nach dem Stellenwert v o n Coleridges Verständnis v o n imagination. I . Α . Richards w a r f die Frage i n seinem für die moderne englische L i t e r a t u r k r i t i k grundlegenden W e r k über ,Coleridge on Imagination' bereits 1935 auf. Bei allen möglichen Erklärungen bleibt als brennende Frage die nach dem humanum bestehen. D i e A n t w o r t darauf hängt davon ab, wie der Mensch die Wirklichkeit, i n der er zu leben hat, zu erkennen und zu bestimmen vermag: Erkennt er diese Wirklichkeit nur als eine O r d nung, i n der er, u m zu überleben, sich zu fügen hat? Erlaubt sie ihm, m i t H i l f e der V e r n u n f t seine Lebensmöglichkeiten verbessern zu können? Oder vermag er sich als T e i l dieser W i r k l i c h k e i t i n dem Sinne zu verstehen, daß er — v o n ihr getragen u n d sie mittragend — i n ihr E r f ü l l u n g zu finden vermag? Es ist ein Klischee, R o m a n t i k nur m i t Weltflucht zu assoziieren, m i t der Errichtung eines Reiches jenseits der Wirklichkeit, die das alltägliche Leben des Menschen bestimmt. D i e Moderne, wie Pound u n d E l i o t sie repräsentieren, w i r d dadurch bestimmt, daß sie sich gegen die Vorstellung wendet, die K u n s t dürfe eine Wirklichkeit vermitteln, die über diejenige des Alltags hinaushebt. Sie versucht aber, diese Wirklichkeit i n einer Weise zu 2 Style and S. 4 2 7 - 4 5 2 .

Sacrament

in

Modernist

Writing,

Georgia

Review

31

(1977),

Mythos und Image

211

interpretieren, die die Möglichkeit offen läßt, sie mitzubestimmen u n d an ihrer K r e a t i v i t ä t teilzuhaben. Es muß verwundern, daß i n einer Zeit, i n der die anglo-amerikanische Dichtung u n d K r i t i k sich entweder auf die Fragwürdigkeit der eigenen Person zurückgezogen hat oder aber ihre W e l t politisch u n d sozialkritisch auf neue Weise zu bestimmen sucht, ein Dichter u n d K r i t i k e r wie Ezra Pound i m Unterschied zu T . S. E l i o t noch eine nicht zu überhörende Resonanz i n Dichtung u n d K r i t i k findet: verfiel er doch i n dem Eifer, m i t dem er sein Anliegen verfolgte, der heute v o n k a u m jemandem geteilten Bewunderung des faschistischen Italien unter Mussolini oder den antisemitischen Tendenzen seiner Zeit, wenn er die Juden als die für den nach seiner Ansicht durch den Wucherzins bestimmten Untergang des Abendlandes verantwortlichen Schlüsselfiguren betrachtete 3 . Das Problem T . S. E l i o t sei hier ausgeklammert. Vielmehr sei die Frage gestellt, w o r i n Pound die Möglichkeit sah, der Enthumanisierung des Abendlandes durch seine Dichtung und seine Forderung an die Dichtung entgegenzutreten, w a r u m er glaubte, faschistischen Vorstellungen seinen T r i b u t zahlen zu müssen, dennoch aber v o n einer Generation v o n Dichtern, denen i n keiner Weise Faschismus oder Antisemitismus z u m V o r w u r f gemacht werden könnte, als Lehrmeister betrachtet w i r d . Welches Wissen also ist es, das die Dichtung Pounds vermittelt, u n d welche Weisen der dichterischen Wissensvermittlung, die unsere bleibende Aufmerksamkeit verdienen, hat er seiner u n d den i h m folgenden Generationen zur Verfügung gestellt? Zweifellos ist auch diese Fragestellung nicht neu. I n vielfältiger Weise wurde sie von kompetenten K r i t i k e r n aufgenommen 4 . Doch so trefflich auch die A n t w o r t e n ausgefallen sind, bleibt der Leser dieser Studien u n d des Poundschen Werkes aufgerufen weiterzufragen. D e n n — u m diesen P u n k t vorwegzunehmen — eine Eigenart der Poundschen Dichtung besteht darin, daß sie versucht, D i n g e zur Erscheinung zu bringen, ohne ihre Bedeutung zu dogmatisieren: der Leser w i r d aufgerufen, Wissen als Erfahrung zu erleben. Das auf diese Weise übermittelte Wissen w i r d bestimmt durch die virtù , die persönliche Erlebnisfähigkeit v o n Sender und Empfänger gegenüber dem, was sich für sie i n dem D i n g k u n d t u t . Der K r i t i k e r , der dieses 8 Siehe hierzu neuerdings John Lauber, Pound's ,Cantos': A Fascist Epic, JAS 12 (1978), S. 3 - 2 1 . 4 Es sei allein auf die Studien zum Frühwerk verwiesen, wie N . Christoph de Nagy, Ezra Pound's Poetics and Literary Tradition, Bern 1966; The Poetry of Ezra Pound: The Pre-Imagist Stage, B e r n 2 1 9 6 8 ; Thomas Jackson , The Early Poetry of Ezra Pound, Cambridge, Mass. 1968; Herbert Schneidau , Ezra Pound. The Image and the Real, Baton Rouge 1969; H u g h Witemeyer, The Poetry of Ezra Pound, Berkeley 1969.

14*

Franz H . Link

212

Erlebnis zu rationalisieren versucht, vermag die Wege aufzuzeigen, wie dieses Wissen zustandekommt, t u t sich aber schwer daran, es inhaltlich zu bestimmen, da er damit genau den Weg der Rationalisierung beschreitet, den die Dichtung als falschen Weg meidet. Das Unterfangen, das i n der Dichtung Pounds übermittelte Wissen zu bestimmen, ist daher i m Grunde ein Paradoxon. Indem der K r i t i k e r dieses Wissen rationalisiert, eliminiert er es. Wenn dennoch der Versuch unternommen w i r d , dieses Wissen näher zu umschreiben, so rechtfertigt der K r i t i k e r sich damit, daß wie jedes menschliche T u n auch der Versuch der Dichtung Pounds, ihre A r t v o n Wissen zu übermitteln, ein i n mancherlei Hinsicht unvollkommener Versuch ist, i n i h m selbst die rational faßbare Wissensübermittlung — wenn auch stark reduziert — doch ihre Spuren hinterlassen hat. Gegenüber anderen Versuchen rechtfertigt sich die vorliegende Studie dadurch, daß sie M y t h o s und Image nicht nur als Formen der Wissensübermittlung, sondern als i n Dichtung übermitteltes Wissen i n dem Frühwerk Ezra Pounds interpretiert. Methodisch stehen der Befragung zahlreiche Wege offen. W i r könnten das W e r k chronologisch verfolgen, uns den kritischen u n d den dichterischen Äußerungen getrennt zuwenden, v o n Form oder v o n Aussage ausgehen. Nachdem die bisherige K r i t i k vorwiegend v o n Pounds Äußerungen über Dichtung ausging, soll hier die Dichtung selbst i n den M i t t e l p u n k t gestellt werden, o b w o h l auf den ständigen Rückgriff auf Pounds theoretische Forderungen nicht verzichtet werden kann. W i r beschränken uns zunächst auf die Dichtung v o r den bzw. außerhalb der ,Cantos', verzichten dabei aber weitgehend auf eine Chronologisierung — etwa i n Prä-imagismus u n d I m a gismus — , nachdem i n der Forschung nachgewiesen werden konnte, daß der innere Zusammenhang aller Perioden seines Schaffens, insbesondere in bezug auf das zu vermittelnde Wissen, relativ konstant geblieben ist 5 . Metamorphose E i n erster Zugang zu einem Wissen besonderer A r t , ein Zugang, der sich aber bis i n sein Spätwerk als der vielleicht bedeutsamste erweisen sollte, findet sich für Pound i n der M e t a m o r p h o s e . I n ,The Tree ' aus seinem ersten Gedichtband ,A Lume Spento c v o n 1908 heißt es: I stood still and was a tree amid the wood Knowing the truth of things unseen before 6

und 5 6

Siehe unter 4 zitierte Werke.

H i e r , wie im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, zitiert nach Collected Early Poems of Ezra Pound, hrsg. v. Michael John King, N e w Y o r k 1976, S. 35.

Mythos und Image

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I have been a tree amid the wood A n d many new things understood.

Das Wissen, das er i n bzw. durch die Metamorphose erfährt, w a r „rank folly to my head before " oder, wie es i n ,A G i r l ' aus den ,Ripostes' v o n 1912 heißt: „folly to the world". Das frühe W e r k Pounds — und hier meinen w i r spezifisch das prä-imagistische Werk — enthält gleich drei Gedichte, die die Metamorphose in einen Baum zum Gegenstand haben. V o n O r i g i n a l i t ä t kann dabei zunächst nicht die Rede sein. D i e bisherige K r i t i k hat bezüglich der M o t i v e u n d der sprachlichen Ausformung die Abhängigkeit v o n Yeats herausgearbeitet. D a bei handelt es sich u m folgende drei Gedichte: y7he Madness of King Göll ', ,Ιη the Seven Woods' u n d yHe thinks of his past greatness when a part of the constellations of heaven\ W i r zitieren das letzte: I have drunk ale from the Country of the Young A n d weep because I know all things now: I have been a hazel-tree, and they hung The Pilot Star and the Crooked Plough Among my leaves in times out of mind: I became a rush that horses tread: I became a man, a hater of the wind, Knowing one, out of all things, alone,, that his head M a y not lie on the breast nor his lips on the hair O f the woman that he loves, until he dies. Ο beast of the wilderness, bird of the air, Must I endure your amorous cries?

Der Sprecher der Yeatsschen Zeilen durchläuft eine Reihe v o n Metamorphosen: v o n einem Baum über Binsen z u m Menschen. D i e Metamorphose verläuft v o m Baum zum Menschen u n d nicht wie bei Pound umgekehrt. Doch gemeinsam ist den Gedichten, daß der Sprecher durch die V e r w a n d lung zu Wissen k o m m t . Bei Yeats handelt es sich einerseits u m ein Wissen „aller Dinge" u n d andererseits u m das spezifische Wissen, daß einer — wahrscheinlich der Sprecher selbst — erst nach seinem Tode sein H a u p t an die Brust und seine Lippen auf das H a a r der Geliebten legen darf u n d sich zeitlebens i n der Liebe w i r d verzehren müssen. Bei Pound ist das Wissen weniger umfassend u n d zugleich weniger spezifisch. Es geht u m „the truth of things unseen before " bzw. „many new things" . Dieses Wissen u m Erfüllung der Liebe i n einem Bereich jenseits des Todes ist i n keinem der drei Gedichte Pounds — zumindest nicht direkt — angesprochen. Das Liebesthema selbst, nicht das durch die V e r w a n d l u n g ermöglichte Wissen u m sie, erscheint i n >La Fraisnedem wahrscheinlich frühesten der drei Poundschen Metamorphosengedichte. A n Stelle des Wissens e r w i r k t die Verwandlung i n diesem Gedicht Heiterkeit.

214

Franz H . Link Aie-e! 'Tis true that I am gay Quite gay, for I have her alone here A n d no man troubleth us.

V o n einem Wissen u m die Dinge ist i m Unterschied zu ,The Tree ' u n d ,A Girl' nicht unmittelbar die Rede. U m weiterfragen zu können, bedarf es i n bezug auf ,La Fraisne' einer ausführlichen Analyse. Für die Bedeutung dieses Gedichtes innerhalb des Poundschen Kanons spricht die Tatsache, daß es unsprünglich als Titelgedicht des ersten, dann als ,A Lume Spento ς erschienenen Gedichtbandes gedacht w a r , u n d die seiner K o m p l e x i t ä t der sprachlichen u n d literarischen Schichten, die der vielgerühmten Mehrschichtigkeit des ersten Cantos k a u m nachsteht. D i e Vielschichtigkeit des Gedichtes w i r d vermehrt durch die }Note Precedent* y die es i n seinen verschiedenen Veröffentlichungen bis 1920 begleitete. £ine dieser Schichten, die das Gedicht auch deutlich erkennen läßt, ist der Bezug zu den Yeatsschen Vorlagen. I n der ,Note Precedent ' beruft sich Pound direkt auf Yeats' yCeltic Twilight '. Der Sprecher des Gedichtes, „a gaunt y grave councilor findet seine Entsprechung i n Yeats' K i n g G ö l l . Wie dieser verläßt er den H o f , zieht sich i n die N a t u r zurück und singt sein Lied. Yeats' Refrain „They will not hush, the leaves a-flutter round me, the beach leaves old a w i r d v o n Pound aufgenommen i n der Zeile, die den Gegenstand v o n des Sprechers Loblied umschreibt — u n d dem Refrain entsprechend von der Strophe abgesetzt ist — als „Naught but the wind that flutters in the leaves Yeats' Titelgedicht v o n yIn the Seven Woods' k l i n g t an i m Vokabular der Poundschen Zeilen wie i n deren Thema, daß der Sprecher sich menschlicher N o t , repräsentiert durch den H o f , entzieht u n d sich der N a t u r zuwendet. Der Verwandlung i n den „hazel-tree" i n dem oben zitierten Gedicht entspricht die Erscheinung der Braut des Sprechers i n yLa Fraisne' als „dogwood tree". Der bewußte Gebrauch der Yeatsschen Vorlage ließe die Frage nach seiner Bedeutung offen, stellte die ,Note Precedent ' nicht einen eindeutigen Bezug her. I n dieser A n m e r k u n g heißt es: „Also has Mr Yeats in his ,Celtic Twilight' treated of such, and I because in such a mood [...] even so at peace and trans-sentient as a wood pool I made it [das Gedicht]." Pound identifiziert damit die Gemütslage, i n der er das Gedicht schrieb, m i t derjenigen Yeats'. Dieser w i r d dadurch zur Maske, zur Persona, oder zum M e d i u m , durch das er seiner eigenen Gemütsbewegung Ausdruck zu verleihen vermag. D i e „mood" selbst w i r d beschrieben als „feeling divided between myself corporal and a self aetherial 'a dweller by streams and in woodland ,' eternal

Mythos und Image

215

because single in elements " W i e aus dem weiteren K o n t e x t hervorgeht, m i t Bezug auf Zitate v o n dem für m i d i nicht identifizierbaren u n d vielleicht nur fiktiven „Janus of Basel" u n d v o n dem i n bezug auf die Daten falsch zitierten Sinistrari v o n Amasa, ist es das „seif corporal das sich „the faun and the dryad " oder dem Weiher i m W a l d als verwandt empfindet. Weder i n der A n m e r k u n g zu dem Gedicht noch i n diesem selbst ist v o n einer Metamorphose des Sprechers selbst die Rede. D i e Beziehung zu dem Faun oder der D r y a d e oder dem Waldsee w i r d nur als „kin", als V e r wandtschaft, umschrieben. Als D r y a d e erscheint die Braut des Sprechers: By the still pool of Mar-nan-otha H a v e I found me a bride That was a dog-wood tree some syne

U n d die Braut ist jetzt der Waldsee: Because my bride Is a pool of the w o o d . . .

Es muß angenommen werden, daß der Sprecher, u m Bräutigam einer solchen Braut zu sein, selbst eine V e r w a n d l u n g i n deren Elemente erfahren hat. D a f ü r spricht der T i t e l ,La Fraisne c?. I n einer bestimmten Gemütsverfassung, „mood", wissenschaftlich dokumentiert i n den gelehrten Werken frühneuzeitlicher Schriftsteller und dort umschrieben als ein Zustand, „when the soul is exhausted of fire " u n d „the spirit [doth] return unto its primal nature and there is upon it a peace great and of the woodland" , empfindet sich der Dichter den Faunen oder den N y m p h e n v e r w a n d t oder ihnen gleich. Er bringt diese Gemütsverfassung unter der Maske einer mythischen Gestalt i n einer dieser angepaßten altertümlichen Sprache z u m Ausdruck u n d bekundet die Ähnlichkeit seines Empfindens m i t demjenigen v o n Yeats, indem er sich der Vorlage seiner Dichtung bedient. Eine weitere Schicht bezieht das Gedicht durch die altprovençalische Form des Titels u n d durch den Verweis auf Lieder oder das Leben der Troubadours ein. I n der ,Note Precendent* w i r d die „Legend" des Gedichtes als die Geschichte eines fiktiven M i r a u t de Garzelas umschrieben, der wegen seiner verschmähten Liebe i n den W a l d lief u n d verrückt wurde. Sie w i r d ferner verglichen m i t den Geschichten Peire Vidais, der i n seiner vergeblichen Liebe als W o l f verkleidet die Wälder durchzog, u n d G a r u l f Bisclavrets aus dem yLai du Bisclaverat c der Marie de France, der einem ähnlichen Schicksal unterlag. Das Gemeinsame dieser Verweise besteht i n dem Verlassen der 7 I n der Mythologie erscheinen die Esdiennymphen, die Melischen Nymphen, als die ältesten. V o n Eschen stammen nadi altem Glauben die ersten Menschen ab. Hesiod, Theogonie, Z . 187. Siehe Herbert Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Hamburg 1974» S. 275.

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höfischen W e l t u n d dem Aufenthalt i m Bereich des Waldes, der v o n der W e l t als „madness " betrachtet w i r d . I h r A k z e n t liegt allerdings auf der verschmähten oder erfüllten Liebe. Uber Pounds Verständnis der Liebesl y r i k der Troubadours w i r d an anderer Stelle noch zu sprechen sein. H i e r sei nur der Bezug der Verweise auf den Text des Gedichtes selbst aufgenommen. Auch der Sprecher des Gedichtes blickt auf enttäuschte Liebe zurück. Once there was a woman . . . . . . but I forget . . . she was . . . . . . I hope she w i l l not come again. . . . I do not remember . . . I think she hurt me once but . . . That was very long ago.

D i e Bruchstückhaftigkeit der Sätze vollzieht sprachlich das Vergessen des Sprechers nach. Er vergißt, was er jetzt als die N a r r h e i t , „ folly", seines früheren Lebens betrachtet, w o z u auch das Verhältnis zu einer Frau gehört. Jetzt hat er i n der Begegnung m i t der N y m p h e Frieden gefunden. Dieser Frieden vertreibt seine alte Bitterkeit u n d macht ihn heiter. Die Gemütslage des Sprechers w i r d neben der Heiterkeit und dem Frieden bestimmt durch seine Zeitlosigkeit. Alles, was Wandel impliziert, liegt schon lange zurück. Z u dem gegenwärtigen Zustand gehört das Vergessen der Vergangenheit. Deutlicher noch w i r d die ,Note Precedent c: Als „a dweller by streams and in woodlands" f ü h l t sich der Dichter selbst „eternal because simple in elements cAeternus quia simplex naturae* " Das von der Seele befreite oder getrennte Selbst betrachtet sich als zeitlos. ,La Fraisne c vermittelt also als Gedicht nicht ein Wissen u m Dinge, sondern ein Empfinden, das als wissenschaftlich belegt betrachtet u n d i n Bildern seiner mythischen bzw. literarischen Erscheinungsform dargestellt w i r d . Es ist ein Empfinden der Heiterkeit und des Friedens i m Erleben der Verbundenheit oder der Einheit m i t der i n den N y m p h e n als göttlich erlebten N a t u r . Das vermittelte Empfinden umfaßt jedoch ein Wissen u m eine Schicht des Menschen, das „seif corporal ", die solchen Erlebens fähig ist. D i e Metamorphose i n einen Baum oder i n Wasser kann i n diesem Zusammenhang als Rückkehr des v o n der Seele getrennten „Geistes" oder leiblichen Ichs „unto its primal nature" betrachtet werden. D i e Seele selbst, das „seif aeth erial" , ist entschwunden, als sei sie h i n weggeführt worden von dem, der i m Totenbuch sagt: „I, lo I, am the assembler of souls " 8 8 Das Zitat stammt aus dem ägyptischen Totenbuch, das Pound in der Ubersetzung von E. A . Wallis Budge zugänglich war: The Book of the Dead, London 1898, S. 108. Siehe hierzu Gerd Schmidt, Far-Sourced Canticles: Komparatistische Studien zu T . S. Eliot und Ezra Pound, Freiburg i. Br. 1978, S. 95.

Mythos und Image

217

W e i t e r e n A u f s c h l u ß ü b e r das V e r s t ä n d n i s d e r M e t a m o r p h o s e als k e h r

A n m e r k u n g z u d e m z w e i t e n seiner M e t a m o r p h o s e n g e d i c h t e , ,The e i n e r F u ß n o t e z u ,Aube for

this

Yule',

the ancient Lume

R ü c k -

des l e i b l i c h e n Ichs i n seine u r s p r ü n g l i c h e N a t u r v e r m i t t e l t

1 9 0 8 , h e i ß t es: „I

myths

Spento'),

of the West

think

of the demigods; the

myths

of

Dawn ,

Venetian

from

as from

June'

i n ,A

such perceptions such as that

metamorphosis "

Diesen

Pounds Tree*.

as this

in ,The

In

Quinzaine arose

Tree'

Gedanken

(,A greift

P o u n d i n e i n e m A u f s a t z v o n 1 9 1 5 w i e d e r a u f . D o r t h e i ß t es: The first myth arose when a man walked sheer into 'nonesense', that is to say, when some very vivid and undeniable adventure befell him, and he told someone else who called him a liar. Thereupon, after bitter experience, perceiving that no one could understand what he meant, when he said that he 'turned into a tree* he made a myth — a work of art that is — an impersonal or objective story woven out of his own emotion, as the nearest equation that he was capable of putting into words. That story, perhaps, then gave rise to a weaker copy of his emotions in others, until there arose a cult, a company of people who could understand each other's nonsense about the gods.® I n d e m s p ä t e r i n ,The logy

and

Spirit

Troubadours'

t e i l t e E r l e b e n als „mood"

of Romance'

aufgenommenen Aufsatz

psycho-

v o n 1 9 1 2 w i r d das i n d e r F o r m des M y t h o s m i t g e bezeichnet:

Speaking aesthetically, the myths are explications of mood: you may stop there, or you may probe deeper. Certain it is that these myths are only intelligible in a vivid and glittering sense to those people to whom they occur. I know, I mean, one man who understands Persephone and Demeter, and one who understands the Laurel, and another who has, I should say, met Artemis. These things are for them m ? / . 1 0 universe"

ge-

w a h r . D i e F ä h i g k e i t , sich dieser V e r w a n d t s c h a f t b e w u ß t z u w e r d e n ,

I n dieser „mood"

w i r d d e r M e n s c h seine „kinship

to the vital

leitet

P o u n d i n diesem Z u s a m m e n h a n g v o n d e m , w a s d i e G r i e c h e n als kon

phantasti-

bezeichnen, a b : Their [men's] minds are [ . . . ] circumvolved about them like soap-bubbles reflecting sundry patches of the macrocosmos. A n d with certain others their consciousness is "germinal". Their thoughts are in them as the thought of the tree is in the seed, or in the grass, or the grain, or the blossom. A n d these minds arc the more poetic, and they affect mind about them* and transmute it as the seed the earth. A n d this latter sort of mind is close on the vital universe; and the strength of the Greek beauty rests in this, that it is ever at the interpretation of this vital universe, by its signs of gods and godly attendants and oreads. 11

9 Affirmations, N e w Age 16, N o . 10, Jan. 7 (1915), S. 246, wörtlich wiederholt in Arnold Dolmetsch (1918), Literary Essays, London 1954, S. 431. 10 11

The Spirit of Romance ( N e w Directions Ausgabe), N e w Y o r k 1968, S. 92.

Ebd., S. 92 f. Eine ähnliche Umschreibung von phantastikon erscheint in der ursprünglichen Version von ,Canto Γ (1917). Auch der Canto-Text erlaubt es nicht,

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Als Saat blüht demnach i m mythischen Erleben das „vital universe " i n der i m Menschen verankerten Seele auf, oder es w i r d v o n der Seele, die i h n umhüllt, aufgefangen. Sdion i n ,Masks c aus ,A Lume Spento β erscheint der Mythos als Verkleidung für eigenes Erleben: These tales of old disguisings, are they not Strange myths of souls that found themselves among Unwanted folk that spake an hostile tongue [ . . . ] ?

Was i n der Anmerkung zu ,La Fraisne ' als „ m o o d " erscheint, w i r d i n dem Aufsatz aus ,The New Agef als „emotion" umschrieben. Was i n der gleichen Anmerkung dem „seif corporal" zugeschrieben w i r d , erscheint i n anderen Äußerungen als „mind" u n d als „soul". Auch i n der , N o i e ' ist i n der Gleichung bereits v o n „spirit" die Rede. Allgemeiner Nenner der unterschiedlichen Aussagen dürfte sein, daß es sich u m ein E m p f i n d e n handelt, zu dem sich das Ich fähig fühlt, wenn es v o n dem T e i l seiner selbst, der es i n den A l l t a g des Lebens bannt, befreit w i r d . D i e Schwierigkeit der späteren Mythosdefinition besteht darin, daß die Verwandlung i n einen Baum als ein solches unmittelbares Erlebnis beschrieben w i r d u n d derjenige, dem es zuteil w i r d , sich genötigt sieht, es i n einen Mythos, „an impersonal or objective story" , umzusetzen, u m ernst genommen zu werden. Ist nicht, so stellt sich die Frage, die Aussage, i n einen Baum verwandelt worden zu sein, selbst Mythos? M i t Joseph N . R i d d e l ließe sich argumentieren, daß jede Umschreibung des ursprünglichen Erlebens, ja dieses Erleben selbst, bereits bildhafte Wiederholung des kreativen Prozesses sei, daß also „secondariness" als „an originary force" betrachtet werden müsse, die sich nicht transzendieren ließe 1 2 . D i e Ausgangsbasis der hier zunächst herangezogenen Metamorphosengedichte erlaubt es nicht, die Metamorphose des Sprechers als B i l d v o n etwas zu betrachten, das nicht i n einer ihr zugrundeliegenden Wirklichkeit wie Witemeyer die von der Außenwelt aufgenommenen Eindrücke nur als Material für die Bilder zu interpretieren, mit denen die in der „mood" gemachte Erfahrung wiedergegeben werden soll. Siehe Witemeyer, a.a.O., Chapt. 2, S. 50 f. u. ö. Pound and the Decentered Image, Georgia Review 29 (1975), S. 565 - 5 9 1 . Z u Riddels ähnlicher Argumentation in bezug auf H i l d a Doolittle siehe seinen A u f satz H . D . and the Poetics of „Spiritual Realism', Contemporary Literature 10 (1969), S. 447 - 473, und meine Stellungnahme dazu in Bild und Mythos in der Dichtung H i l d a Doolittles, Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Neue Folge Bd. 18 (1977), S. 271 - 308. Siehe ferner H . Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und W i r kungspotential des Mythos, in: Terror und Spiel — Probleme der Mythenrezeption, hrsg. v. M . Fuhrmann, München 1971, Poetik und Hermeneutik, Bd. 4, S. 1 1 - 1 6 . Blumenberg legt den Mythos entschieden auf eine immer schon nur in der Rezeption greifbare Erzählung fest.

Mythos und Image

219

verankert w ä r e 1 8 . Ausdrücklich w i r d auf die Möglichkeit eines Erlebens verwiesen, das der Dichter nur m i t H i l f e des M y t h o s verständlich machen kann. Doch bleibt die Frage, ob die Metamorphose des Sprechers als das eigentliche Erlebnis angesprochen werden darf. H i e r vermag das Gedicht, auf das sich der ursprüngliche Verweis Pounds auf die Entstehung des Mythos bezieht, mehr K l a r h e i t zu schaffen als die v o n Riddel herangezogenen verstreuten und sich teilweise widersprechenden Aussagen des Dichters. The Tree I stood still and was a tree amid the wood Knowing the truth of things unseen before, O f Daphne and the laurel bow A n d that god-feasting couple olde That grew elm-oak amid the wold. 'Twas not until the gods had been K i n d l y entreated and been brought within U n t o the hearth of their heart's home That they might do this wonder-thing. Nathless I have been a tree amid the wood A n d many new things understood That were rank folly to my head before.

Wie i n der späteren Aussage über die Entstehung v o n M y t h e n w i r d i n dem Gedicht selbst deutlich das Erleben des Sprechers, i n einem Baum verwandelt worden zu sein, v o n M y t h e n m i t ähnlichem Geschehen, wie der Verwandlung Daphnes i n einen Lorbeerbaum u n d derjenigen v o n Philemon und Baukis i n eine Eiche und eine U l m e (bei O v i d : Linde) unterschieden. Deutlich w i r d hier v o n einem Wissen gesprochen, das durch die V e r w a n d lung möglich wurde. Weniger deutlich w i r d allerdings, u m welches Wissen es sich handelt. Zunächst hat es den Anschein, es handle sich u m ein Verstehen der alten M y t h e n . I n der V e r w a n d l u n g erkennt der Sprecher i m Mythos sein eigenes Erleben wieder. Doch das Verstehen des M y t h o s i m p l i ziert auch allem Anschein nach das Wissen u m die Bedingungen der Verwandlung, und es entsteht die Frage, ob dieses nicht das Entscheidende ist. Philemon und Baukis wurde die V e r w a n d l u n g zuteil, w e i l sie Zeus u n d Hermes bewirteten. Daphne entzog sich, Diana dienend, der Liebe Apolls. Ihre V e r w a n d l u n g erfolgte auf ihre Bitte an den Flußgott Penäus, ihren Vater. Erleben der V e r w a n d l u n g wäre demnach Berührung m i t dem G ö t t lichen, u n d das Wissen, das durch dieses Erleben vermittelt w i r d , wäre ein Wissen um die Berührung m i t dem Göttlichen. Mehr enthüllt auch ,77? e Tree ' nicht von dem Wissen, das dem Sprecher zuteil wurde. I m Unterschied 13 So Riddel,

S. 568 f.

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zu yLa Fraisne € entfällt i n ,7he 7ree* die V e r m i t t l u n g durch einen nicht m i t dem Dichter identifizierbaren Sprecher. D e r Sprecher ist nicht wie der „councillor" — oder M i r a u t — als Person einer vergangenen Zeit gekennzeichnet, sondern ist m i t dem Dichter identifizierbar. Während Pound, so ließe sich sagen, i n yLa Fraisne c eine mythische Figur sprechen läßt, m i t deren „mood" er sich nur i n der das Gedicht begleitenden Anmerkung identifiziert, berichtet er i n y7he 7ree ( v o n eigenem Erleben, das in demjenigen der M y t h e n seine Entsprechung findet. Einen weiteren Schritt der Identifizierung vollzieht Pound i n dem letzten der drei Metamorphosengedichte: A Girl The tree has entered my hand, The sap has ascended my arms, The tree has grown in my breast — Downward, The branches grow out of me, like arms. Tree you are, Moss you are, Y o u are violets with wind above them. A child — so high — you are, A n d all this is folly to the world.

Äußere Kennzeichen mythischen Erzählens, wie der keltischen M y t h e n nachgebildete Ortsname „Mar-nan-otha" i n ,La Fraisne β oder der Bezug auf Daphne sowie Philemon und Baukis in y7he 7ree\ fehlen i n yA GirV. Das Gedicht ist aber als Palimpsest noch zu erkennen. Der als Vorlage dienende Text darf m i t der Wiedergabe des Daphne-Mythos i n Ovids »Metamorphosen* identifiziert werden, w o es heißt: V i x prece finita, torpor gravis occupât artus: mollia cinguntur tenui praecordia libro, in frondem crines, in ramos bracchia crescunt, pes, modo tarn velox, pigris radicibus haeret, ora cacumen obit; remanet nitor unus in illa. hanc quoque Phoebus amat, positaque in stipite dextra sentit adhuc trepidare novo sub cortice pectus, conplexusque suis ramos, ut membra, lacertis oscula dat ligno: refugit tarnen oscula lignum ( 1 , 5 4 7 - 555). Kaum hat so sie gefleht, da ergreift eine Starre die zäher Bast umspinnt das Fleisch des geschmeidigen wie als Blätter die Haare, so wachsen die Arme als eben so schnell noch, haften in steifen Wurzeln die

Glieder: Leibes; Zweige; Füße;

Mythos und Image

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Wipfel nimmt ein das Gesicht. Ein Glanz nur bleibt über allem. Phoebus liebt sie noch jetzt; er legt an den Stamm seine Redite, fühlt das H e r z der Geliebten nodi schlagen unter der Rinde; und es umschlingt sein A r m wie Glieder die Zweige,, mit Küssen deckt er das H o l z ; und er weicht nodi jetzt zurück vor den Lippen.

D i e ersten fünf Zeilen des Poundschen Gedichtes entsprechen den ersten fünf Zeilen der zitierten Stelle aus den Metamorphosen'. D i e letzten fünf Zeilen können als Entsprechung zu der Reaktion Apollos auf die V e r w a n d lung Daphnes i n den letzten vier Zeilen des Zitates betrachtet werden. So nahe der Text des Gedichtes auch der Vorlage ist, so sind dessen Kennzeichen doch ausgelöscht. Es w i r d weder von einem Verwandlungserleben i m Gewände einer mythischen Person gesprochen, noch eigenes zurückliegendes Erleben als dem M y t h o s entsprechendes gekennzeichnet. Dichter u n d Sprecher sind i n den ersten f ü n f Zeilen nicht identisch. Sprecher ist hier „a girl", das das, was an i h m sich vollzieht, beschreibt. Der Sprecher der zweiten Strophe ist derjenige, der die i n der ersten Strophe beschriebene Verwandlung miterlebt u n d dieses Miterleben nachzeichnet. Doch für den miterlebenden Sprecher erweitert sich das Erleben. Mädchen, Baum, Moos, Veilchen, W i n d u n d K i n d werden für i h n i n der V e r w a n d l u n g identisch. Das heißt aber, daß dieses Erleben nicht zuvörderst die jeweilige Partikularisation betrifft, sondern die Teilhabe an etwas, das die verschiedenen Partikularisationen möglich machte. D a m i t ist ein Erleben wie in den beiden anderen Metamorphosengedichten angesprochen, i n dem ein T e i l des Ichs jenseits der Zeit k r a f t göttlicher H i l f e oder eigener Göttlichkeit sich Dingen verwandt oder gleich weiß, denen das Ich i n seinem normalen Zustand fremd gegenübersteht. W i e i n den anderen Gedichten ist dieses Erleben „folly to the world" . Das Mädchen ließe sich als Daphne identifizieren, der Sprecher der zweiten Strophe als A p o l l , wenn an den Bezug zur Quelle gedacht w i r d . Doch ist die Herstellung des Bezuges in ,A Girl' überflüssig. Pound verzichtet darauf — u m seine eigene Terminologie zu gebrauchen — , die „presentation" durch „representation" zu vermitteln. Er verzichtet darauf, was er i n seiner Beschreibung v o n der Entstehung der M y t h e n für nötig hält, sein Erleben i n der Form eines M y t h o s verständlich zu machen. I n ,A Girl c werden Erleben u n d Mythos identisch; das Erleben des Sprechers w i r d zum Nachvollzug des Mythos', bzw. der Sprecher erlebt Mythos. ,A Girl ( erreicht als P r o t o k o l l mythischen Erlebens auf einfachere Weise das Gleiche, was ,La Fraisne' durch seine Vielschichtigkeit anstrebte. D i e Vielschichtigkeit dokumentierte die Möglichkeit durch ihre Realisation i n den Worten des Sprechers, die das Gedicht ausmachen. I n der Realisation sol-

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Franz H . Link

chen Erlebens i n den Worten des Gedidites kann, worauf noch ausführlicher einzugehen ist, ,A Girl ζ als Vorstufe zu den imagistischen Gedichten Pounds betrachtet werden. Persona

Kehren w i r zu der ,Note Precedent f zu ,La Fraisne s zurück u n d betrachten als Voraussetzung für die V e r w a n d l u n g des Sprechers, daß ein T e i l seines Ichs aus seiner geschichtlichen I n d i v i d u a t i o n entlassen ist, u m i n der N a t u r eine neue Gestalt anzunehmen, so begegnen w i r einem analogen Sachverhalt i n bezug auf das V e r h ä l t n i s d e s S p r e c h e r s zum D i c h t e r . Als zentrale Aussage darüber k a n n das Gedicht .Histrion ' aus ,A Quinzaine for this Yule ( betrachtet werden. Histrion N o man has dared to write this thing as yet, A n d yet I know, how that the souls of all men great A t times pass through us, A n d we are melted into them, and are not Save reflections of their souls. Thus I am Dante for a space and am One François Villon, ballad-lord and thief O r I am such holy ones I may not write, Lest blasphemy be writ against my name; This for an instant and the flame is gone. 'Tis as in midmost us there glows a sphere Translucent, molten gold, that is the " I " A n d into this some form projects itself: Christus, or John, or eke the Florentine; A n d as the clear space is not if a form's Imposed thereon, So cease we from all being for the time,, A n d these, the Masters of the Soul, live on.

Pounds Vorstellungen v o n der menschlichen Seele lassen sich — wie dies i n der bisherigen K r i t i k auch getan wurde — auf verschiedene Traditionen zurückführen: Neoplatonismus, R o m a n t i k , Nietzsche, Remis de Gourmont etc. Bei seinem Synkretismus läßt sidi aus den Quellen aber wenig gewinnen, v o r allem, wenn w i r sie zu isolieren versuchen. Entscheidend ist nur, wie er die Quellen zu seiner eigenen Vorstellung umformt. Das B i l d , das er v o n der Seele i n .Histrione n t w i r f t , unterscheidet sich v o n demjenigen i n der .Note Precedent f; d o d i versteht man die verschiedenen Aussagen als Bilder, ergibt sich eine konstante Vorstellung. Es ist die eines der Person i m manenten Bereiches, der zu unterschiedlicher I n d i v i d u a t i o n oder Identifika-

Mythos und Image

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t i o n fähig ist, sich, wie i n den Metamorphosengedichten, m i t Baum oder Gewässer zu identifizieren vermag, sich aber auch v o n einer früheren personalen I n d i v i d u a t i o n , wie sie i n den Gedichten als Sprecher i n Erscheinung t r i t t , formen läßt. Der Sprecher i m Poundschen Gedicht k a n n auf diese Weise — wenn nicht als der Dichter selbst — als Metamorphose des Dichters verstanden werden, wenn sein eigenes „Feuer" (flöte*), d. h. seine eigene I n d i v i d u a t i o n aufgegeben ist, u n d er v o n der „ F l a m m e " (, Histrion*), die die I n d i v i d u a t i o n eines der „Masters of the Soul" ausmacht, ergriffen w i r d . D i e I n d i v i d u a t i o n i m Sprecher des Gedichtes — nach Aufgabe der I n d i v i d u a t i o n des Dichters — könnte demnach als Basis betrachtet werden, die den bisherigen Definitionen seiner Personae zugrundeliegt. D i e Persona wäre die Maske, durch die das seiner eigenen I n d i v i d u a t i o n enthobene Ich i n dem Sprecher des Gedichtes Gestalt anzunehmen vermag. Als Personae würden demnach nicht nur die Gedichte zu betrachten sein, i n denen es sich wie i n den dramatischen Monologen Brownings u m eine »localized dramatic situation " h a n d e l t 1 4 , sondern u m alle diejenigen, i n denen ein nicht m i t dem Dichter identifizierbarer Sprecher auftritt. D i e Lokalisierung i n einer dramatischen Situation bedeutet i n bezug auf die Aussage der Gedichte wenig. ,Piere Vidal Old * w i r d erst durch seine letzte Zeile zur Persona i m engeren Sinne: Take your hands off me . . . H a ! This scent is hot!

D i e vorausgehende Aussage des Sprechers w i r d zwar dadurch noch einmal als diejenige eines Wahnsinnigen charakterisiert, der i n Gewahrsam gehalten w i r d , die Individualisierung des Sprechers als V i d a l w i r d jedoch davon nicht abhängig. I n dem erweiterten Sinne sind als Personae etwa auch ,La Fraisne' oder die ,Ballad of the Goodly Fere * anzusetzen. Doch entscheidend ist nicht die Definition des Begriffs i n diesem Zusammenhang, sondern die Tatsache, daß die Aussage v o n ,Histrion* nicht nur auf die Sprecher der Personae i m engeren Sinne beschränkt werden darf, sondern auch für andere Sprecher gültig ist, die m i t dem Dichter selbst nicht auf herkömmliche Weise identifizierbar sind. A u f unterschiedliche Weise ergreifen die „Masters of the Soul" v o n dem Dichter besitz u n d nehmen i m Gedicht Gestalt an: sie gewinnen Gestalt als Person i n einer für sie spezifischen Lebenssituation, i n der Übernahme v o n Elementen ihrer Dichtung u n d i n der Übertragung ihrer Dichtung. D i e drei Formen können einzeln oder auch kombiniert i n Erscheinung treten 1 6 . Der 14

Siehe Ch. de Nagy,

The Poetry of Ezra Pound, S. 113.

i* I n Anlehnung an Ch. de Nagy, Poundschen „Personae" spricht.

ebd., 5. I I I . , der von vier Funktionen der

Franz H . Link

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Sprecher i n .La Fraisne c kann nicht als historisch identifizierbarer „Master" betrachtet werden. Er erscheint als mythische Figur i m Sinne Yeats' u n d spricht i n W o r t e n u n d Bildern, die v o n Yeats vorgeprägt wurden. Yeats w i r d auf diese Weise zu dem „Master" als Vermittler eines i n i h m Gestalt gewinnenden mythischen Sprechers. I n den Übertragungen — nur u m ein zweites Beispiel anzuführen — erscheint der „Master" i n einer ausgeprägten Gestalt: der Dichter verleiht i h m i n diesem Falle nur das M e d i u m der anderen u n d zeitgemäßen Sprache. Die V e r w a n d l u n g der Seele des Dichters i n den Sprecher des Gedichtes k a n n also verschiedenen Grades sein. Eine völlige V e r w a n d l u n g ist ausgeschlossen, wie auch i n der Metamorphose i n Baum u n d Gewässer, da die Fähigkeit des Dichters, den Prozeß der V e r w a n d l u n g aufzuzeichnen, erhalten bleibt. K a n n n u n aber die Besitzergreifung der Seele des Dichters durch den Sprecher i n Analogie zu der V e r w a n d l u n g des Sprechers i n einen Baum oder i n ein Gewässer als Metamorphose betrachtet werden, so stellt sich die Frage, ob auch die A r t des damit erfaßten Lebens oder des damit vermittelten Wissens i n die Analogie miteinzubeziehen ist. D a ß es sich u m ein Wissen handelt, das gleicher A r t wie i n den Metamorphosen ist, besagen bereits die ersten beiden Zeilen aus .Histrion*. Wie der Dichter, der sich i n einen Baum verwandelt erlebt, fürchten muß, daß er v o n anderen nicht ernst genommen w i r d , heißt es hier, daß noch niemand gewagt habe, das auszusprechen, was der Dichter weiß: „yet I know" . Dieses Wissen bezieht sidi wie i n .The Tree 1 zunädist nur auf die Möglichkeit der Verwandlung. Darüber hinaus zu fragen, erfordert ein Eingehen auf den Charakter u n d die Situation des Sprechers i n den Gedichten. I n ,La Fraisne f verbindet sich die V e r w a n d l u n g des Dichters i n den Sprecher m i t der des Sprechers i n einen Baum bzw. m i t dessen Erlebnis von einer solchen Verwandlung. Der ,Note Precedent f zufolge entspricht die Verwandlung einer „mood", einer Gemütslage. Sie w a r m i t bedingt durch die unerfüllte bzw. enttäuschte Liebe v o r der V e r w a n d l u n g und ihre Erfüllung i m Erlebnis der Liebe zur N y m p h e . D i e gleiche Gemütslage findet sich i n dem häufig als Paradigma der Poundschen Persona zitierten Gedicht yCino f aus ,A Lume Spento Wie der alte „councilor" vergessen:

i n ,La Fraisne

c

w i l l Cino seine vergebliche Liebe

Bah! I have sung women in three cities, But it is all the same; A n d I w i l l sing of the sun.

Doch die zweifache Wiederaufnahme der Zeilen zeigt an, daß i h m das schwerfällt, wie selbst i n dem „councilor" nach dem Erlebnis der V e r w a n d lung die Erinnerung wieder auftaucht.

Mythos und Image

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D i e zurückliegenden Liebeserlebnisse werden n u r durch wenige W o r t e evoziert: Lips, words, and you snare them, Dreams, words [ . . . Ravens, nights, allurement: [...] Eyes, dreams, lips, and the night goes.

Was m i t den W o r t e n beschrieben w i r d , gleicht Juwelen. Sie sind: Strange spells of old deity.

W i e i n den Metamorphosengedichten k o m m t dabei der göttliche Charakte* des Erlebnisses z u m Ausdruck. Das Erlebnis liegt zur Zeit des Sprechens i n der Vergangenheit: A n d they are not; H a v i n g become the souls of song.

Als Dichter hat Cino das Erlebnis i n seinen Liedern Gestalt werden lassti* Für die Frauen, denen er die Lieder sang, lebt er i n ihren Träumen f o r t : Forgetful in their towers of our tuneing [···] They dream us-toward and Sighing, say[ . . . " W o u l d Cino of the Luth were here!"

I n ihrem A l l t a g ist C i n o jedoch nur eine blasse Erinnerung ohne weitere Bedeutung: "Cino?" " O h , eh, Cino Polnesi The singer is't you mean?" [...] " A saucy fellow, but [ . . . ] "

Cino weiß, daß auch die Herren, die v o n der Liebe, die er besingt, nichts wissen wollen, solcher Liebe i h r Leben verdanken. Für sie ist er aber nur der »saucy fellow") einer v o n „these vagabonds" . V o n den Frauen vergessen, versucht Cino v o n der Sonne zu singen. Sein L i e d w i r d jedoch m i t Anklängen an die v o n Pound als schlechte Kunst eingeschätzte zweite Olympische Ode Pindars n u r zur Parodie eines ,Cantico del Sole c. Er bricht m i t t e n i n der Strophe ab, weist die wiederkehrende E r innerung z u m letzten M a l zurück u n d beginnt ein neues Lied, m i t dem das Gedicht abschließt: 15 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

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Franz H . Link I w i l l sing of the white birds I n the blue waters of heaven, The clouds that are spray to its sea.

E r singt i m Grunde das, w o z u die N y m p h e den „councilor " i n ,La Fraisne* auffordert: Bidding me praise Naught but the wind that flutters in the leaves.

Beziehen w i r die Quelle, aus der Pound die Situation des Sprechers entwickelt, i n unsere Betrachtung ein, so läßt sich die *mood " des Gedichtes nach unserer kursorischen Interpretation noch genauer umschreiben. Nach Fragen Dantes über seine Liebesabenteuer antwortete C i n o da Pistoia i n einem Sonett: U n piacer sempre m i lega, e dissolve, N e l qual convien, ch'a simil di biltate Con molte donne sparte mi diletti. Ein Vergnügen bindet und löst mich immer; daß, von der gleichen stets versucht, mit vielen Frauen hier und dort ich midi vergnüge.

Nach der Verbannung aus seiner Heimatstadt ist für i h n die Geliebte — wie Beatrice für Dante — unerreichbar geworden. D i e Frauen, denen er i n seinem E x i l begegnet, können seine Liebe nicht erfüllen. D i e Liebe w i r d dafür zum Gegenstand seines Liedes; aber da sein Verlangen keine E r f ü l l u n g i n Gestalt der Frau zu finden vermag, überträgt er seine Bewunderung auf die N a t u r . D i e „mood" i n ,Cino f w i r d so ähnlich derjenigen i n ,La Fraisne' zum Erleben einer Erfüllung jenseits der zeitlich gebundenen Enttäuschung. D i e Nähe v o n ,Cino f zu yLa Fraisne f ist dadurch bekundet, daß die Gedichte nach den Zeilen, die den Band eröffnen, i n yA Lume Spento c unmittelbar aufeinander folgen. Es w i r d schwieriger sein, andere u n d v o r allem spätere der Personae damit i n Zusammenhang zu bringen. Dennoch finden sich Gemeinsamkeiten, die ihren Charakter als Verwandlungen erkennen lassen, i n denen die Sprecher sich dem A l l t a g enthoben fühlen. „Arnaut the less", der Sprecher des nach diesem benannten Gedichtes ,MarvoiV, befindet sich i n einer ähnlichen Situation wie Cino. A u f Betreiben seines Rivalen wurde er aus den Diensten seines H e r r n entlassen, dessen Dame er i n seinen Liedern besang: I n return for this first kiss she gave me.

D i e Liebe, die der historische A r n a u t de M a r e u i l seiner Dame vielleicht nie gestand, vertraut A r n a u t als Sprecher des Poundschen Gedichtes dem Pergament an u n d dem Loch i n der W a n d , i n das er es versteckt:

Mythos und Image

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O h hole in the w a l l here! be thou my jongleur As ne'er had I other, and when the w i n d blows, Sing thou the grace of the Lady of Beziers, For even as thou art hollow before I fill thee w i t h this parchment, So is my heart hollow when she filleth not mine eyes, A n d so were my mind hollow, did she not fill utterly m y thought.

I n der seltsam gemischten Metapher gewinnt die Liebe als Geheimnis deb Herzens Gestalt i n den Zeilen des Liedes, die er der Mauer anvertraut, die aber identisch sind m i t dem Lied, das der W i n d singt, wenn er durch das Loch i n der Mauer streicht. Versteckt i n der W a n d sind das L i e d u n d die Liebe, die es bekundet, der Zeit enthoben u n d eins geworden m i t dem Element, das alle N a t u r durchwebt. D i e Situation, b z w . die „mood", die die Situation bestimmt, ist damit i n ,Ciwo f w i e i n ,MarvoiV als Erlebnis der Verwandlung zu begreifen, i n der das Besingen der Frau z u m Gesang dessen w i r d , was als unvergängliche Wesenheit i n der N a t u r die Liebe zu i h r ausmacht. Komplexer erscheint das Erleben des Sprechers i n ,Pier e Vidal Old\ Blicken die Sprecher i n ,Cino c u n d ,MarvoiÎ eher w e h m ü t i g zurück auf ihre Begegnungen m i t den Frauen, so lebt der Sprecher des wahrscheinlich späteren Gedichtes aus des ,Exultations c v o n 1909 noch i n der „madness" y i n die i h n die Liebe zu seiner H e r r i n getrieben hatte. I n seinem W a h n hat er sidi, u m ihr — Loba = W ö l f i n — ähnlich zu sein, als W o l f verkleidet, spricht davon, w i e er als W o l f die Tiere riß, u n d v o n der Liebesnadit m i t Loba, an deren Ende er sie erdolchen wollte. Er u n d seine Geliebte sind alt. D o d i er spottet derer, die i h n seines Alters wegen nicht mehr ernst nehmen: A n d yet I mock you by the mighty fires That burnt me to this ash.

D i e — w o h l nur den anderen, die sidi noch immer streifen versucht, reißenden Tieres,

i m W a h n erlebte — E r f ü l l u n g seiner Liebe hat i h n v o i er verspottet, ausgezeichnet. I n seinem Wahn, i n dem er als der W o l f , der die Wälder auf den Bergen zu durchfühlt, bleibt er der Zeit enthoben, bleibt die K r a f t des die er auch i n seiner Liebe empfand, wirksam.

Pound w a r n t i n einem Brief an einen Freund v o r einer Fehlinterpretation des Gedidites: I t would be most immoral of me to represent Piere Vidal's ravings as a spiritual extacy. W h a t the poem says is simply this: 'Animal passion is very near — in its extreme form, that is — to insanity, or dipsomania!' 1 6 16 Zitiert nach Κ . Κ . Ruthven, keley 1969, S. 194.

1*

A Guide to Ezra Pound's Personae (1926), Ber-

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I n Anbetracht der unterschiedlichen Beschreibungen der Seele i n der ,Note Precedent c w i r d aus dieser Äußerung keineswegs ersichtlich, w o r i n der U n terschied zwischen „spiritual extacy" u n d „animal extacy" zu sehen wäre. Dennoch scheint Pound hier ein moralisches U r t e i l zugunsten einer „spiritual extacy" zu fällen. Doch die „animal extacy", die er davon abhebt, ist i n ihrer extremen Form die des Wahnsinns. Das Entscheidende an dem i n dem Gedicht dargestellten Erlebnis ist demnach nicht der Unterschied zwischen „spiritual" u n d „animal" , sondern die Tatsache, daß es sich u m eine Ekstase handelt, die i n ihrem Extrem z u m Wahnsinn zu führen vermag. Das Erlebnis der Ekstase verbindet aber ,Piere Vidal Old c m i t den zuvor besprochenen Personae insofern, als sich der Sprecher darin i n seiner Vorstellung v o n der Liebe dem geschichtlichen Leben enthoben u n d m i t der N a t u r — hier nicht der organischen, sondern animalischen — verbunden bzw. identisch oder v o n ihr bestimmt weiß. D e r moralische Aspekt k o m m t insofern z u m Tragen, als die d a r i n erlebte V e r w a n d l u n g statt der E r f ü l l u n g auch Zerstörung bedeuten kann. Neben dem göttlichen Charakter, v o n dem bisher die Rede w a r , müßte alsdann auch v o n der Möglichkeit des Dämonischen gesprochen werden. D e m entsprächen die zwei Möglichkeiten mystischen Erlebens, wie sie Pound i n }Guide to Kulchur c definiert: The ecstatic-beneficent-and-benevolent, contemplation of the divine love, the divine splendour w i t h goodwill toward others. A n d the bestial, namely the fanatical, the man on fire w i t h G o d and anxious to stick his snotty nose into other men's business. 17

Witemeyer definiert Pounds Personae folgendermaßen: „Pound's personae are vital historic or pseudohistoric figures, caught in mid-career at some rare moment of passion, ecstacy, or contemplative lucidity" 1* D e r seltene c Augenblick i n ,La Fraisne wäre demnach als ein solcher der contemplative lucidity c zu umschreiben, w o h l auch die Augenblicke i n ,Cino € u n d ,Marvoil\ o b w o h l der Z o r n der Sprecher ihre Gemütsverfassung der Leidenschaft sehr nahe bringt. I n ,Pier e Vidal Old f ist die „mood" eindeutig die der „passion " oder „ecstacy", i n der das, was sonst erlösend oder erfüllend erlebt w i r d , i n Gefahr ist, zerstört z u werden. I n die gleiche Kategorie dürfte auch die ,Sestina: Altaforte f zu rechnen sein. H i e r ist nicht v o n Liebe die Rede, sondern v o n Krieg. Doch m i t den Personae, i n denen es u m Liebe geht, hat das Gedicht den Augenblick der Leidenschaft gemeint, v o n dem die Rede des Sprechers erfüllt ist. I m K r i e g ist er dem A l l t a g enthoben:

Guide to Kulchur ( N e w Directions Ausgabe), N e w Y o r k 1970, S. 223. !8 A.a.O., S. 62.

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Better one hour's stour than a year's peace W i t h fat boards, bawds, wine and frail music!

Seine Kriegslust macht i h n wahnsinnig, w i e V i d a l seine Liebe: Then howl I my heart nigh mad w i t h rejoicing.

I m K a m p f f ü h l t er sidi den Elementen gleich, wie dem Sturm i m Sommer u n d der Sonne i n ihrem K a m p f m i t dem D u n k e l . Der W e i n als das die Ekstase fördernde Getränk spielt dabei keine geringe Rolle. W i e i n den anderen Personae findet auch hier die Leidenschaft ihren Ausdruck i m Lied, allgemeiner hier: i n Musik. Als Gegenstück zur ,Sestina: Altaforte e k a n n unter unserem Gesichtspunkt die .Ballad of the Goodly Fere c betrachtet werden. Als Sprecher identifiziert das Epigraph des Gedichtes Simon Zelotes. Gegenstand seiner Erzählung ist die Kreuzigung Christi m i t Rückblicken auf sein Leben. I m Gegensatz zu dem Sprecher i n der Sestina ist Christus der M a n n des Friedens. Doch entscheidend ist, daß er M u t i n seinem Sterben zeigte. D i e Kreuzigung w i r d für i h n z u m M a h l als Zeichen der Vereinigung: " I ' l l go to the feast," quo' our Goodly Fere, "Though I go to the gallows tree." " Y e ha' seen me heal the lame and blind, A n d wake the dead," says he, " Y e shall see one thing to master all: 'Tis how a brave man dies on the tree."

D a m i t ist aber nicht der Augenblick der „passion" oder „contemplative lucidity" des Gedichtes erfaßt, der es m i t den bisher betrachteten Gedichten verbinden würde. Dieser erscheint erst i n den letzten Zeilen der Ballade: I f they think they ha' slain our Goodly Fere They are fools eternally. I ha' seen him eat o' the honey-comb Sin' they nailed him to the tree.

Die Jünger erkennen den auferstandenen Christus nach Lukas 24,42 daran wieder, daß er v o r ihren Augen ein Stück Honigwabe ißt. W a r u m w ä h l t Pound gerade die H o n i g w a b e u n d nicht den Fisch oder das Brot, das C h r i stus m i t den Jüngern i n Emmaus bricht? I m griechischen M y t h o s ist D i o n y sos der Erfinder des Honigs. (Seine Entsprechung Bacchus i n Ovids M e t a morphosen'.) Nach anderen Versionen wurde Dionysos als Säugling m i t H o n i g ernährt. E i n aus H o n i g gebrautes berauschendes Getränk w a r v o r

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dem W e i n charakterisierendes A t t r i b u t des Gottes 1 0 . Es ist der Augenblick der „contemplative lucidity* > da Simon Zelotes Christus/Dionysos als A u f erstandenen wiedererkennt. A u f diese Weise w i r d i n dieser Legende C h r i stus für den Heiden Pound verstehbar; darin zeigt sieh aber i n besonders deutlicher Form der Metamorphosencharakter der Persona- Individuation bei Pound, wenn die V e r w a n d l u n g sich auch nicht i m Sprecher vollzieht, sondern dieser sie an einem anderen — wie sdion i n .La Fraisne c oder i n ,A Girl c — wahrzunehmen vermag.

D i c h t e r

D i e V e r w a n d l u n g als Metamorphose und/oder Persona sowie das W a h r nehmen solcher V e r w a n d l u n g setzen bei Pound die Möglichkeit eines E r lebens voraus, i n dem das Ich oder ein T e i l des Ichs aus seiner geschichtlichen I n d i v i d u a t i o n herauszutreten vermag u n d fähig ist, an einem anderen Bereich teilzuhaben oder andere Formen der I n d i v i d u a t i o n anzunehmen. Solches Erleben bedeutet aber immer schon V e r w a n d l u n g d e s D i c h t e r s , auch wenn sie nicht zu Metamorphose oder I n d i v i d u a t i o n i n einem bestimmten Sprecher findet. Es bedeutet Verwandlung, insofern das Ich seiner geschichtlichen I n d i v i d u a t i o n enthoben w i r d . Ganz allgemein w i r d die V e r w a n d l u n g dadurch gekennzeichnet, daß sich derjenige, der sie erfährt, v o n anderen Menschen unterscheidet. I n zwei frühen Gedichten aus ,A Lume Spento' , .Li Bel Chasteus* u n d .Masks' ,kommt das Anderssein i n Bildern z u m Ausdruck, die auf göttliche H e r k u n f t bzw. pränatales Wissen u m eine frühere Existenz verweisen. I n dem ersteren der Gedichte spricht der Dichter i m Plural v o n „we", von „uns", die i n einem Schloß wohnen, deren Steine die Götter setzten u n d die D r u i d e n m i t Inschriften versahen, abseits v o n den fields below, where Staunch villein and wandered Burgher held the land [ . . . ]

I n der weiteren Entfaltung des Gedichtes w i r d das Schloß als Tintagoel identifiziert, der Sage nach der Geburtsort K ö n i g Arthurs. D i e Assoziation m i t dem K ö n i g der Sage verweist auf die Lieder, die bei seiner Tafelrunde gesungen wurden, u n d auf die M y t h e n , die sich u m seine sagenhafte Gestalt entwickelten. I n gewissem Sinne erscheint der Sprecher als Persona. Das Gedicht gehört zu jenen, die Pound i n einem H e f t , das er ,Hilda's Book f 19 Siehe K a r l Kerényi, Dionysos. U r b i l d des unzerstörbaren Lebens, München 1976. Erster Teil, I I , Licht und Honig, ferner meine N o t e on the Honey-Comb in ,Ballad of the Goodly Fere', Paideuma 7 (1978), S. 186.

Mythos und Image

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betitelte, H i l d a D o o l i t t l e zur Zeit ihrer Verlobung m i t i h m widmete. I n diesem H e f t erscheinen die folgenden Zeilen als „before the vision of ,Li Bel Chastens ' W e n as lang syne from shadowy castle towers T h y striving eyes did wander to discern Which compass point my homeward way should be.

Pound erschiene demnach als der R i t t e r aus der Tafelrunde, der auf Abenteuer i n die W e l t auszog u n d dessen Dame auf seine Rückkehr wartet. Sie gehören gemeinsam dieser W e l t göttlichen Ursprungs an, die sich über die W e l t des Bürgers erhebt u n d i n der i h r Leben i n M y t h e n Gestalt gewinnt. Jenseits der Geräuschhaftigkeit des bürgerlichen Lebens vernehmen sie das Singen des Meeres u n d des Windes: M e seems we could not see the great green waves N o r rocky shore by Tintagoel From this our hold, But came faint murmuring as undersong E'en as the burghers' hum arose A n d died as faint wind melody Beneath our gates.

Eine Beziehung zu den A r t h u s - M y t h e n w i r d auch i n dem anderen der beiden Gedichte, ,Masks', hergestellt. Es w a r schon Gelegenheit, die A n fangszeilen zu zitieren 2 0 . „Ere ballad-makers lisped of Camelot ", dem Sitz K ö n i g Arthurs, heißt es dort, w a r es nicht nötig, daß der Künstler sein Erlebnis unter der Maske der M y t h e n verbergen mußte. Was er unverhüllt zu sagen wußte, w a r „wonder-lore" ; was er noch nicht vergessen hatte, waren The star-span acres of a former lot Where boundless mid the clouds his course he swung, O r carnate w i t h his elder brothers sung.

„Singers", „painters", „poets" u n d „wizards", die hier angesprochen sind, zeichnen sich dadurch aus, daß sich ihre Seele noch an die Existenz v o r der Geburt erinnert u n d daß sie — w i e die „we" i n dem anderen Gedicht — unverhüllt von diesem Leben zu singen vermögen. Sie unterscheiden sich v o n dem „unwonted folk that spoke an hostile tongue" , aber auch v o n den Dichtern, die, u m singen zu können, eine Maske tragen müssen. Eine Verw a n d l u n g bedeutet ihr Dichter-Sein insofern, als sie der geschichtlichen I n d i v i d u a t i o n i m Erleben der Transzendenz oder i n der Erinnerung an sie enthoben sind. Ausführlicher w i r d das Verhältnis des Dichters zu den „Singers" i n purveyors General' aus Quinzaine for this Yule ζ umschrieben. Das Gedicht 20 Siehe S. 218.

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könnte audi den T i t e l .Surveyors General' tragen: D i e Dichter befinden sidi — wie später auf dem „periplum" der ,Cantos' — auf der Fahrt z u den fremden V ö l k e r n , an deren Küsten ferne Meere branden. Sie haben mancherlei Gefahren zu erleiden: through chaos have hurled O u r souls riven and burning, Torn, mad [ . . . ] [ . . . ] drinking the utmost lees O f all the word's wine and sorrowing.

Was sie bringen, stammt O u t of all lands and realms of the infinite;

es sind „ n e w „new songs". Dichter „the stayers" ihre

things ! And quaint tales", „dreams", „new mysteries" u n d „Driven from you", den Zu-Hause-Gebliebenen, sind die lonely ones" . Doch sie gehen auf Fahrt, u m den „HomeSchätze zu bringen: That new mysteries and increase O f sunlight should be amongst you, you, the home-stayers.

Sie bringen die neuen Lieder from out the breeze That maketh soft the far evenings, H a v e brought back these things U n t o your ease, Yours unto whom peace is given.

I n der an die Heiligen Schriften erinnernden Formelhaftigkeit der letzten Zeile verleihen die Dichter gewissermaßen den Zu-Hause-Gebliebenen den Segen, zu dem sie die Begegnung m i t dem Unendlichen befähigte. Sie werden für jene zu Priestern. D i e Begegnung m i t dem Unbekannten hat sie verwandelt, herausgehoben aus der Menge, hat ihnen aber auch eine Aufgabe für diese überantwortet. D a m i t schlägt das Gedicht bereits eine Brücke zu den — isoliert betrachtet, vielleicht ungewöhnlichen — Zeilen v o n ,Revolt' aus den .Personae' v o n 1909. .Revolt' f ü h r t den U n t e r t i t e l „Against the Crepuscular Spirit in Modern Poetry ". Pound wendet sich i n i h m — wie die bisherige K r i t i k mehrfach nachgewiesen hat — gegen eine Dichtung der Weltflucht, wie er sie bei den Prä-raphaeliten u n d Dekadenten der neunziger Jahre vertreten sah. Statt der Schatten fordert er Gestalten der Macht, statt der Träume Männer, M e n schen („men"). D i e Frage, ob es besser sei, zu träumen oder zu handeln, beantwortet er m i t Ja u n d N e i n . Er bejaht den Traum,

Mythos und Image

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i f we dream great deads, strong men, Hearts hot, thoughts mighty.

Der Dichter ist dazu verdammt, ein Träumer zu sein — i m Bilde v o n .Purveyors General f: auf fernen Meeren u n d i n fremden Landen Gefahren zu bestehen — , d o d i müssen seine Träume für diese W e l t v o n Bedeutung sein, müssen i h n z u m Gesetzgeber dieser W e l t werden lassen. W i e für Shelley i n seiner .Defense of Poetry c sind die Dichter die »unacknowledged legislators of the world Great God, if we be damn'd to be not man but only dreams, Then let us be such dreams the worlds shall tremble at A n d know we be its rulers though but dreams! Then let us be such shadows as the world shall tremble at A n d know we be its masters though but shadow!

T r a u m u n d Schatten stehen hier nur für den Dichter, der fähig ist, i n seinem Gedicht ein Erleben z u vermitteln, das Wissen u m eine W e l t erahnen läßt, v o n dem Andere keine A h n u n g haben, das aber nötig ist, u m i n Frieden leben zu können. E i n anderes B i l d für die V e r w a n d l u n g des Dichters ist das der Flamme, „Where time burns back about the eternal embers und sich i h m tausend H i m m e l öffnen. A u f die Interpretation der Liebe i n den Liedern der T r o u badours als verkleidetes mystisches Erleben anspielend, heißt es i n ,The Flame f aus den , das unzerstörbare Leben betrachten, teil, wie es die M y t h e n u m Artemis, Aphrodite, Persephone u n d v o r allem Dionysos am deutlichsten interpretieren. I m dionysischen B i l d erscheint das j„Image" unzerstörbaren Lebens denn audi i n einem der sinnfälligsten Gedichte, i n Coitus The gilded phaloi of the crocuses are thrusting at the spring air. Here is there naught of dead gods But a procession of festival, Ο Giulio Romano, Fit for your spirit to dwell in. Dione, your nights are upon us. The dew is upon the leaf. The night about us is restless.

I m T a u auf dem B l a t t u n d i n der Unruhe der Nacht als „images " scheint die Wirklichkeit, an der der Sprecher teilhat, auf analog zu der zweiten Strophe v o n ,The Garret f. D i e Krokusse, die i m Frühling als erste Blumen die Erde durchbrechen, werden zu dem Symbol des Dionysos, das zur Feier seines Festes i n Prozession z u m H e i l i g t u m getragen w i r d . D i e zweite G o t t heit, die m i t dem Sich-Zeigen des neuen Lebens assoziiert w i r d , ist Dione, die M u t t e r der Aphrodite. Bei allem direkten Bezug auf die griechischen Götter ist die Vorstellung Pounds v o n dem, was sich als Epiphanie k u n d t u t , nicht an sie gebunden. Das, w o f ü r sie stehen, braucht nicht ihren N a m e n zu tragen, u n d o f t ist nur die „mood", das Empfinden selbst, das i h r Erscheinen hervorruft, das E n t scheidende. Solches zeigt sich am deutlichsten i n den Gedichten, die einem ganz anderen Kulturkreis entstammen, wie z u m Beispiel die Übersetzungen aus dem Chinesischen. W i e offenbart sich die „griechische G o t t h e i t " i n einem Gedicht wie yThe Jewel Stairs' Grievances', der Übertragung eines Gedichtes v o n L i Po (bei Pound: Rihaku)?

Mythos und Image The I t is And And

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jewelled steps are already quite white w i t h dew. so late that the dew soaks m y gauze stockings, I let down the crystal curtain watch the moon through the clear àutumn.

D i e Unzufriedenheit der Sprecherin, »grievance* y ist als Epitheton auf die m i t Juwelen besetzten Stufen übertragen, über die sie schritt. Sicher darf angenommen werden, daß die Unzufriedenheit nicht durch die durchnäßten seidenen Strümpfe hervorgerufen w i r d . Diese tragen vielleicht nur zu ihrer Stimmung bei. Entscheidend i n diesen aus dem chinesischen O r i g i n a l übernommenen Bildern ist die Übertragung der Stimmung auf das Epitheton. Durch diese sprachliche Ausformung werden die Dinge z u m Teilhaber der Stimmung. D i e Ursache der Unzufriedenheit könnte dahingehend umschrieben werden, daß die Sprecherin v o n ihrem Geliebten Abschied nehmen mußte und sich allein i n ihrem Zimmer befindet. Das sie bestimmende E m p finden w i r d nicht unmittelbar beschrieben; es scheint ihr aus der sie umgebenden D i n g w e l t zuzuwachsen. Was ihr als D i n g w e l t aufscheint, hat teil an ihrem Empfinden. I n ihrer „ m o o d " hat sich etwas gezeigt, das i n früheren Gedichten als das Sich-Offenbaren v o n etwas Außergewöhnlichem, w i e es der M y t h o s der griechischen Gottheiten umschreibt, benannt wurde. I m „Image" zeigt es sich i m Durchsichtigwerden der Dinge für eine sie bestimmende intensivere Wirklichkeit. Oder projiziert die Sprecherin nur ihr Empfinden auf die Gegenstände? I n dem frühen Gedicht aus dem ,Trovaso Notebook'. ySonnet of the August Calm' y liegt der Dichter i m Grase u n d träumt so intensiv v o n einer seltsamen Wahrheit i n einem Reich des Schönen, daß er fast v o n der Ungewißheit alles Zeitlichen überwältigt w i r d , until Truth dawns to me That where the treasure is the heart has been.

Schon i n diesem frühen Gedicht bleibt es offen, ob die Traumwahrheit nur i n seinem Herzen geschaut w i r d , oder ob das H e r z , die Seele, als ewiger Bestandteil des i m Fleische vergänglichen Menschen teil an der i m Traume geschauten Wirklichkeit hat. Das Gleiche g i l t für die Frage, ob die „grievance" der Sprecherin i n dem oben zitierten Gedicht nur ihrem Herzen entspringt oder dem entstammt, was sich i h m i n der Bewegung m i t der Wirklichkeit offenbarte. Der doppelte Bezug bleibt aber i m Grunde irrelevant, insofern die Seele i n dem außergewöhnlichen Erleben teil hat an dem, was sich ihr i n der W i r k l i c h k e i t offenbart.

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I m a g e

D i e Frage nach dem Ursprung des Offenbarten w i r d v o n Pound i n seinen Definitionen des Imagismus u n d des I m a g e berührt. Eine der Forderungen, auf die sich nach seinem Bericht H i l d a D o o l i t t l e , Richard A l d i n g t o n u n d er i m Sommer 1912 einigten, w a r : „Direct treatment of the thing whether subjective or objective." 21 Deutlicher w i r d er i n seinem Aufsatz ,Âs for Imagismi: The Image can be of two sorts. I t can arise within the mind. I t is then 'subjective'. External causes play upon the mind, perhaps; if so, they are drawn into the mind, fused, transmitted, and emerge in an Image unlike themselves. Secondly, the Image can be objective. Emotion seizing upon some external scene or action carries it intact to the mind; and the vortex purges it of all save the essential and dominant or dramatic qualities, and it emerges like the external original. 3 2

A u f der einen Seite steht „mind", als Gemüt, H e r z oder Seele zu verstehen, auf der anderen „some external scene or action ". Dementsprechend wäre nach der Unterscheidung v o n Herbert N . Schneidau das B i l d entweder „perceptual " oder „conceptual"**. „The Image of the Imagists is" w i e Schneidau jedoch feststellt, „an attempt to combine the essentiality of the conceptual image with the definiteness of the perceptual image "84. Im Grunde werden „perceptual" u n d „conceptual image" dabei identisch. I n den Gedichten sind sie i n dem Augenblick nicht mehr unterscheidbar, da, wie Jürgen Peper zeigt, Bildspender u n d Bildempfänger austauschbar werden 3 5 . Was macht aber, so müßten w i r Schneidau fragen, die „essentiality of the conceptual image" aus, u n d w a r u m werden Bildspender u n d B i l d empfänger identisch? D i e A n t w o r t wäre aufgrund der voraufgegangenen Interpretation der meist prä-imagistischen Gedichte, daß die perzipierte W e l t teilhat bzw. identisch ist m i t der konzipierenden Seele, bzw. sich i n der Konzeption das gleiche ereignet wie i n der Perzeption. Pound bezeichnet es i n seiner bekanntesten Definition des „Image" als „intellectual and emotional complex" : A n 'Image' is that which presents an intellectual and emotional complex in an instant of time. [ . . . ] I t is the presentation of such a 'complex' instantaneously which gives that sense of sudden liberation; that sense of freedom from time 31

Ebd., S. 3.

» 2 The N e w Age, 16, N o . 13, January 28 (1915), S. 349. 33 Ezra Pound, S. 45 ff. 34 Ebd., S. 45. 35 Z w e i Bildauffassungen: Das imagistische ,Ein-Bild Gedicht 4 , G R M 22 (1972), S. 4 0 0 - 4 1 8 , hier S. 415 ff.

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limits and space limits; that sense of sudden growth, which we experience in the presence of the greatest works of a r t . 3 6

Der „ c o m p l e x " wäre demnach i n der Nähe des Komplexbegriffes der D e n k psychologie anzusiedeln, i n der er für die Gesamtgestalt eines zusammenhängenden Ganzen i m Sinn eines organischen Bezugsystems seiner Teile zueinander steht. H i e r wäre es der als Einheit erlebte Bezug v o n „mind" und „thing" i n dem, was bisher am sinnvollsten als Zoe bezeichnet wurde. Bei der Vagheit der Poundschen Definitionen w i r d es immer wieder erforderlich, die aus ihnen gezogenen Schlüsse an seinem W e r k selbst zu überprüfen. Daher soll noch einmal eine Reihe v o n Gedichten betrachtet werden, die als typisch imagistisch gelten können. Dabei sollen die Bezüge zur prä-imagistischen Dichtung jeweils aufgenommen werden, die w i r auch i n bezug auf die theoretischen Erörterungen nutzbar zu machen versuchten. I n einer scheinbar sehr einfachen Form zeigt sich das imagistische Gedicht Pounds etwa i n dem 1913 zuerst veröffentlichten ,Gentildonna f . She passed and left no quiver in the veins, who now Moving among the trees, and clinging in the air she severed, Fanning the grass she walked on then, endures: Grey olive leaves beneath a rain-cold sky.

W i e bereits i n ,A Girl\ i n .Dance Figure K oder i n ,The Garret c werden Dinge oder Vorgänge i n der N a t u r m i t Personen u n d menschlicher Beziehung i n Verbindung gebracht. Was das Vorübergehen der Dame hinterließ, w i r d , wie das K o l o n andeutet, i n dem B i l d der grauen Olivenblätter unter dem regenkalten H i m m e l wiedererkannt oder m i t i h m verglichen. D a i n den Zeilen des Gedichtes selbst keine Rationalisierung der Erlebnisse erscheint 37 , ist der Leser darauf angewiesen, sich auf seine eigene Reaktion gegenüber den Aussagen zu verlassen. Je nach seiner Sensibilität w i r d er vielleicht nacherleben, daß das Vorübergehen einer schönen, edlen Frau sich i n der Umgebung, die m i t ihr i n Berührung kam, niederschlägt, ja, daß selbst unter regennassem H i m m e l sich noch der Glanz der Olivenblätter zu zeigen vermag. Doch ebenso erweckt ihr Grau das Erlebnis des Bedauerns darüber, daß der Glanz erloschen ist, da die Dame nicht mehr gegenwärtig ist u n d

3 6 3 7

Literary Essays, S. 4.

Nach Wolfgang G . Müller erfolgt im imagistischen Gedicht eine Reduktion auf den „uneigentlichen Teil", d. h. auf den Bildspender. Das Bild stünde demnach „für" die im Gedicht selbst ausgesparte Empfindung des Sprechers. D e r Weg vom Symbolismus zum deutschen und anglo-amerikanisdien Dinggedicht des beginnenden 20. Jahrhunderts, Neophilologus, 58 (1974), S. 1 5 7 - 179.

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die Sonne die Blätter nicht glänzen läßt. D i e i n dem Gedicht eingefangene Situation mag für Pound eindeutig i n der einen oder anderen Richtung gewesen sein, für den Leser ist sie möglicherweise ambivalent. Jedoch ist nicht die Ambivalenz, die auch i n anderen Gedichten erscheint, entscheidend, sondern allein die Tatsache, daß i n der Wiedergabe der Situationen nachvollziehbares Erleben Gestalt gewinnt. D a nicht gesagt w i r d , u m welche A r t des Erlebens es sich handelt, bleibt es dem Leser überlassen, auf eigene Weise den präsentierten Dingen gegenüber zu reagieren. Eine der beiden Situationen mag für den Dichter selbst ein „conceptual image " gewesen sein. Für den Leser handelt es sich u m zwei „perceptual images" , die jedoch beide eine Respons herausfordern, die einem „conceptual image " entsprechen würde. Entscheidend ist dabei, daß sich ein u n d dasselbe i n zwei verschiedenen Dingen zeigt u n d i n dem Sprecher das gleiche Erleben auslöst. D a es sich i n dem einen B i l d wahrscheinlich u m ein „conceptual image" seitens des Dichters handelt, bedeutet es, etwas i n etwas Anderem zu sehen oder zu empfinden oder etwas Anderes als Eigenes zu empfinden. Wenn gesagt wurde, daß sich i n ,Gentildonna f das imagistische Gedicht i n einer nur scheinbar einfachen Form zeige, so w a r damit gemeint, daß sich i n i h m ein bedeutungsvoller mythischer Assoziationsbereich versteckt, v o m Dichter selbst bewußt oder unbewußt eingebracht. Das Vorübergehen einer Person erscheint nicht nur i n gentildonna' , sondern — bei den bereits betrachteten Gedichten — i n ähnlicher Form i n ,Canzone : Of the Angels' , i n etwas anderer F o r m i n der }Baliate tta'. Eine Assoziation m i t 2 M o 33, 1 8 - 2 3 u n d 34,6 liegt nahe. Moses, der den H e r r n bittet, seine Herrlichkeit schauen zu dürfen, erhält die A n t w o r t : „ I c h w i l l a l l meine Schönheit an d i r vorüberziehen lassen. [ . . . ] M e i n Angesicht kannst D u nicht schauen, denn kein Mensch sieht mich u n d bleibt am Leben." I n der ßallatetta' the sun Drives the clear emeralds from the bended grasses Lest they should parch too swiftly, where she passes.

Durch die Anlehnung an Jh 1, 14, bereits m i t G o t t assoziiert, w i r d die Schönheit der Frau nur erfahren, wenn sie vorüberschreitet. D i e Ausstrahlung ihrer Schönheit bringt das Gras i n Gefahr, versengt zu werden. I n Canzone: Of Angels' w i r d die H u l d der Frau verspürt, which clingeth in the air where she has passed.

I m K o n t e x t dieser Stellen w i r d das Vorübergehen der Frau zum Aufscheinen v o n etwas Göttlichem, das nur i n seinem Abglanz geschaut werden kann, dessen direkter Anblick zerstören w ü r d e 8 8 . 38 Siehe meine N o t e on „Passing" in gentildonna', Paideuma 7 (1978), S. 158.

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Das Vorüberschreiten steht aber auch i m Zusammenhang m i t anderen E r scheinungsweisen des Göttlichen. Es erscheint, es zieht vorüber oder es entschwindet. N i e w i r d es als permanente Präsenz umschrieben, sondern immer nur als ein Sich-Ereignen „in an instant of time" . D a m i t steht das i m B i l d eingefangene Erscheinen aber auch i m E i n k l a n g m i t Pounds v o n Fenollosa übernommener Vorstellung v o n dem Ideogramm, das die Dinge immer i n Bewegung darstellt. The great number of these ideographic roots, heißt es bei Fenollosa über die chinesische Sprache, carry in them a verbal idea of action. [ . . . ] The eye sees noun and verb as one: things in motion, motion in things, and so the Chinese conception tends to represent them,

i n den W o r t e n Schneidaus: „things

are

events"

99

.

Bei Fenollosa heißt es dann auch: Metaphor [im Sinne von Pounds Ideogramm und Image], the revealer of nature, is the very substance of poetry. The known interprets the obscure, the universe is alive w i t h myth.

Das Ideogramm legt gewissermaßen das bloß, was i n den Dingen an bewegenden K r ä f t e n i n Erscheinung t r i t t u n d dem Pound eine transzendente Wirklichkeit zukommen läßt. Gegenüber dem sehr direkten Bezug auf den M y t h o s i n ,Coitus' ist der Bezug i n ,Gentildonna ' versteckt, fast auf das „Image" reduziert. Eine U n terscheidung zwischen subjektiv u n d objektiv, „perceptual" u n d „conceptual" läßt sich am T e x t nicht vollziehen, genausowenig wie zwischen „Transzendenz" u n d „ I m m a n e n z " . Schneidau spricht i n diesem Zusammenhang v o n der Technik der „radical immanence" . Darunter versteht er die tatsächliche Anwesenheit des Göttlichen i m Sinne der Typologie u n d des Sakramentes u n d beruft sich, wie schon andere v o r ihm, auf die frühe K r i t i k e r i n des Imagismus, M a y Sinclair: „For them the bread and the wine are the body and the blood A l s r a d i k a l wäre diese Immanenz insofern zu verstehen, als das, was sich ereignet, immer schon u n d nur i n D i n g u n d Seele existiert. Es wäre jedoch i n der gleichen Weise als transzendent zu verstehen, da es sich „in an instant of time" ereignet u n d die Gebundenheit an Zeit u n d R a u m der normalen W i r k l i c h k e i t aufhebt u n d nur i m Abglanz, als V i s i o n gewissermaßen, faßbar w i r d . Z u ,Gentildonna ' steht ,Liu Ch'e' aus .Lustra' i n dem gleichen Verhältnis wie yCoitus' zu .The Jewel Stairs' Grievance insofern als i n den A d a p t i o 3» Fenollosa , The Chinese Written Character as a Medium for Poetry, nachgedruckt in Pounds Instigations, S. 364. Schneidau, Style and Sacrament, S. 440. 40 Ebd., S. 440.

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nen aus dem Chinesischen die uns geläufigen mythischen Assoziationen zu entfallen scheinen. The rustling of the silk is discontinued, Dust drifts over the court-yard, There is no sound of foot-fall, and the leaves Scurry into heaps and lie still, A n d she the rejoicer of the heart is beneath them: A wet leaf that clings to the threshold.

Eindeutiger als i n gentildonna' ist i n diesen Zeilen der Verbleib der Frau zum Ausdruck gebracht worden. Anstelle der, v o n der gesagt w i r d , „ n o w / Moving among the trees'' steht „she the rejoicer of the heart" , die unter den Blättern ist, d. h. begraben ist. Auch i n yLiu Ch'e' ist die Situation nach dem Weggang einer Frau erfaßt. Wie i n dem zuvor behandelten Gedicht etwas v o n ihr zurückbleibt, „clinging in the air" , erscheint nun als zweites „image" das nasse Blatt, „that clings to the threshold" . D e r Betrachter w i r d des Lebens der Verschiedenen i n ihrem Scheiden gewahr, an den Dingen, die davon zeugen, daß sie das Leben verläßt. Als Stimmung, die das i n den „images" eingefangene Erleben hervorruft, ließe sich die Trauer u m den T o d derjenigen nennen, die das H e r z erfreute. Aber S t i m m u n g würde das Erleben wieder i n einer verengenden Weise festlegen. D e m Ideogramm i m Sinne Fenollosas entsprechend, w i r d der Vorgang des sich i m Scheiden Kundtuns i n der K o m b i n a t i o n der „images" dessen, was ist, u n d dessen, was nicht mehr ist, zur Darstellung gebracht. D i e Sprache der „images" selbst enthüllt damit das Leben, das den v o n ihnen erfaßten Dingen innewohnt. Unzerstörbares Leben w i r d wie i n den mythologischen Bildern i m „Image" oder i m Ideogramm sichtbar gemacht, hier i n der Phase des Aufgebens seiner I n d i v i d u a t i o n i n „the rejoicer of the heart" . Fenollosa selbst bezeichnet das Enthüllen des noch nicht Erkannten durch die Bilder der chinesischen Schriftzeichen als Mythos. I n Anbetracht der so w e i t entwickelten Interpretation, daß sich das G ö t t liche, das Schöne — oder allgemeiner — das Besondere nur i m Vorgang des Aufscheinens, Vorübergehens oder Entziehens ereignet, f ä l l t es schwerer, scheinbar statische Bilder in den bisherigen Zusammenhang einzubeziehen oder das „Image" des Zweibildgedichtes nur durch die Technik der „superposition" 4 1 , des Zusammentretens zweier „images" Zustandekommen zu sehen. Neben dem Krokus, der die Erde durchbricht, stehen i n yCoitus' der T a u auf dem B l a t t u n d die unruhige Nacht. Neben dem Vorübergehen der 41 I n ,Vorticism c definiert Pound das „one image poemK position y that is to say it is one idea set on top of another view, 102 (1914), S. 467.

als „a form of superThe Fortnightly Re-

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Dame erscheinen i n ;Gentildonna f die grauen Olivenblätter unter einem regennassen H i m m e l . Neben dem verlassene H o f des Palastes ist es i n ,Liu Ch'e c das nasse, an der Schwelle haftende Blatt. Das jeweils zweite „image" kann, isoliert betrachtet, als statisch bezeichnet werden. I m Zusammenhatng des Gedichtes w i r d jedoch die D y n a m i k des einen Bildes auf das andere übertragen. Was diskursiv i m Bilde des Krokus, der die Erde durchbricht, ausgesagt w i r d , w i r d als Aufscheinen einer besonderen Q u a l i t ä t auf den T a u u n d die unruhige Nacht übertragen. W o wäre aber alsdann die D y n a m i k i n dem w o h l bekanntesten Zweizeiler Pounds zu sehen? I n a Station of the Metro The apparition of these faces in the crowd: Petals on a wet black bough.

D i e Gesichter i n der Menge wie die Blütenblätter an einem nassen schwarzen Ast wären statische „images" . Das ihnen Gemeinsame wäre das Besondere oder Schöne („these faces", „petals") auf dem H i n t e r g r u n d des U n differenzierten oder weniger Schönen („crowd" , „wet black bough"). Das Gedicht ist auf diese Weise interpretierbar. Das eine „image" wäre dann nur, wie auch Jürgen Peper es sieht, Metapher des anderen 4 2 . Entscheidend ist jedoch die Einführung des ersten „image" als „apparition" , als Erscheinen. D . h. nicht die Gesichter oder das Blütenblatt sind entscheidend, sondern die Tatsache, daß i n ihnen etwas — das Besondere, das Schöne, Leben — i n Erscheinung t r i t t , sich enthüllt. D i e D y n a m i k des ersten „image" wird dabei auf das zweite übertragen. Genauer gesagt: die D y n a m i k w o h n t beiden inne, braucht aber nur i n dem einen z u m Ausdruck gebracht zu werden. Auch das imagistische Gedicht entspricht damit bei Pound der D y n a m i k , die er später zusammen m i t W y n d h a m Lewis v o n der Kunst des Vortizismus fordert. The defect of earlier imagist propaganda was not in misstatement but in incomplete statement, sagt er in ,ABC of Reading*. The diluters took the handiest and easiest meaning, and thought only of the S T A T I O N A R Y image. I f you can't think of imagism or phanopoeia as including the moving image, you w i l l have to make a really needless division of fixed image and praxis or action. 4 3

Soweit Bildspender u n d Bildempfänger formal zu unterscheiden sind, handelt es sich i n den bisherigen Beispielen bei dem jeweils ersten „image" u m den Bildempfänger, bei dem jeweils zweiten u m den Bildspender, angezeigt durch das K o l o n am Ende des ersten. I n dem Metrogedicht verweist 42 A.a.O., S. 401 u. 415. 43

Zitiert nach der Londoner Ausgabe von 1961, S. 52.

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darauf auch die frühere Form des Gesamtbildes, w i e sie i n den ,Laudantes' erscheint: the perfect faces which I see at times When my eyes are closed — Faces fragile, pale, yet flushed a little, like petals of roses.

D i e D y n a m i k des Bildes w i r d i n dem Bildspender entweder vorausgesetzt oder sie w i r d erst i m Bildempfänger wirksam. N i c h t immer ist die D y n a m i k des Bildes auf den ersten Blick zu erkennen. N u r versteckt erscheint sie z. B. i n Alba As cool as the pale wet leaves of lily-of-the-valley She lay beside me in the dawn.

Veränderung ist i n diesen Zeilen nur i n der Zeitbestimmung impliziert. Diese steht allerdings m i t dem T i t e l , der die Gattung des Liebesliedes zur Morgendämmerung benennt, i m Einklang. Muster für das Tagelied (lat. Alba, franz. Aube) w a r für Pound allem Anschein nach ,Alba Belingalis c, jenes Gedicht, das er schon während seines Aufenthaltes am H a m i l t o n College aus der lateinischen Vorlage übersetzte. I n dieser A l b a aus dem 10. Jahrhundert steht das K o m m e n des Morgens i m V o r d e r g r u n d 4 4 . I m Allgemeinen ist die A l b a durch den Abschied v o n der Geliebten bei Tagesanbruch gekennzeichnet. I n ,Aube of the West Dawn' oder i n ,7he Garret ' ist v o m Scheiden der Geliebten nicht die Rede. W i e i n ,The Garret' w i r d das K o m m e n der M o r gendämmerung i n ,Alba' m i t dem Erwachen neben der Geliebten i n Verbindung gebracht. D i e D y n a m i k liegt gewissermaßen i m Erwachen b z w . i m Erfahren der Liebe i m Augenblick des Erwachens 4 5 . I n ,Fan-Piece, for her Imperial auf beide „images " bezogen.

Lord'

w i r d die V e r w a n d l u n g unmittelbar

Ο fan of white silk, clear as frost on the grass-blade, Y o u also are laid aside.

Beide, die Sprecherin w i e der Fächer, sind beiseitegelegt worden. Weder Sprecherin nach Fächer allein ermöglichen eine Aussage ohne die Ergänzung durch das, was m i t ihnen geschah. 44 Siehe hierzu Α . T . Hatto, Hrsg., Eos: A n Inquiry into the Theme of Lover's Meetings and Partings at D a w n , The Hague 1965, bes. S. 76 f. 45 Z u weiteren Ausführungen über das Gedicht siehe meine Studie zu ,Pound's Imagist Alba*.

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Das Ein-Bild-Gedicht lebt schließlich allein v o n dem i m „image" Erkennbar-Werden der Verwandlung. I n ,Ts 3ai Chi'h c w i r d i n der Veränderung der Farben das Verwelken des Blattes nachgezeichnet: The petals fall in the fountain, the orange-coloured rose-leaves, Their ochre clings to the stone.

W i e das nasse B l a t t i n yLiu Ch'e* an der Schwelle haftet, so klammert sich hier das vergilbte Blütenblatt am Brunnenrand an seine I n d i v i d u a t i o n , bev o r es i n das Wasser des Brunnens fällt, u m sie aufgeben zu müssen. Ohne Kenntnis der Quelle v o n der K r i t i k zunächst als Parodie verstanden, zeichnet ,Papyrus c i n kürzester Form das vorübergehend i n Erscheinung tretende Leben, an W i l l i a m Carlos Williams' ,Locust Tree in Flower c erinnernd. nach: Spring Too long . . . . Gongula . . . .

Pounds Emendation des dem Gedicht zugrunde liegenden Papyrus-Fragmentes darf als sehr fragwürdig betrachtet werden. A l s „Image" verstanden, t r i f f t sie jedoch den Charakter der Aussage der den Bruchstücken folgenden besser erhaltenen Zeilen, i n denen Sappho den ihr erscheinenden Hermes als Geieiter der Toten begrüßt u n d ihre Sehnsucht nach dem Hades zum Ausdruck bringt. I n der F o r m des Fragmentes erscheint das „Image* selbst bereits als etwas, aus dem das Leben weicht 4 ®. Es w i r d z u m M y t h o s des unzerstörbaren Lebens, das sich i n den verschiedensten Formen zu i n d i v i d u a l i sieren vermag, i n der Individualisierung aufscheint u n d i n die Formlosigkeit zurücksinkt. I n der W i r k l i c h k e i t immanent, transzendiert dieses Leben die Wirklichkeit als deren nur i m Abglanz erfahrbarer Grund. I n vielen Fällen impliziert das imagistische Gedicht nicht nur i m Image Gestalt gewinnenden Mythos, sondern macht — w i e bereits i n yCoitus K — v o n vorgegebenem M y t h o s Gebrauch. M y t h o s u n d Image können sich jedoch auch w i e die V i e l z a h l v o n „Images" i m Gedicht ergänzen, wie i n 9The Coming of War: Act aeonf. H i e r sind imagistisches Gedicht u n d mythisches Z i t a t auf eine Weise verbunden, daß das Gedicht zum Träger geschichtlicher Darstellung zu werden vermag, wie sie i n den späteren Gedichtfolgen v o r liegt. D i e als durchgöttlicht betrachtete N a t u r i n der ersten H ä l f t e des Gedichtes k a n n als „image" i m bisher umschriebenen Sinne verstanden werden: D i e Erscheinungen der N a t u r werden zu Erscheinungsformen der Götter bzw. Formen, in denen sich Götter bewegen. Das Erkennen der Götter w i r d 4

® Siehe Lobel-Page,

Poetarum Lesbiorum Fragmenta, O x f o r d 1954, Fragm. 95.

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zur Gefahr: „Perilous aspect Darauf wurde bereits i m Zusammenhang m i t Gentildonna* und dem H i n w e i s auf 2 M o 33, 18 f f aufmerksam gemacht. D i e Gefahr der Zerstörung durch das Sichtbarwerden der Götter w i r d i n der zweiten H ä l f t e des Gedichtes auf zweifache Weise konkretisiert, zunächst i n Aktaeon. Dieser ist i m griechischen M y t h o s der Jäger, der, als er Artemis beim Bade belauschte, i n einen Hirsch verwandelt u n d v o n seinen eigenen Hunden, die i h n nicht mehr erkannten, zerrissen wurde. Als „ A c taeon of golden grieves Γ erscheint er i n dem Gedicht nicht als Jäger, sondern — durch das homerische Epitheton charakterisiert — als Krieger. V o n den Göttern e r k a n n t 4 7 , droht i h m die Vernichtung. D i e restlichen f ü n f Zeilen des Gedichtes konkretisieren die Gefahr alsdann i m M y t h o s der w i l d e n Jagd, die, wie die apokalyptischen Reiter, T o d verkündet. Das „image" w i r d auf diese Weise i n dem Nebeneinander m i t der direkten Wiedergabe v o n M y t h e n i n seiner mythischen Dimension erkennbar. I n der wiedergegebenen D i n g w e l t ereignet sich das Gleiche w i e i m Mythos, hier die Zerstörung individualisierten Lebens durch den Krieg.

I n der frühen Dichtung Ezra Pounds zeigt sich deutlicher als i n seinen theoretischen Aussagen eine verhältnismäßig konstante Vorstellung v o n „Image" u n d Mythos. D i e Grundelemente dieser Vorstellung waren i n seiner Dichtung bereits präsent, bevor er i n K o n t a k t m i t Τ . E. H u l m e k a m oder sich intensiver m i t Remy de Gourmont, Gustave Flaubert, Ernest Fenollosa oder m i t der Dichtung der französischen Symbolisten beschäftigte. Sie b i l deten sich i m Grunde i n seiner Beschäftigung m i t der A n t i k e u n d der Romania einerseits u n d m i t der englischen Dichtung v o n Robert B r o w n i n g bis W i l l i a m Yeats andererseits heraus. Als treibende K r a f t seines künstlerischen Bemühens k a n n sein Versuch betrachtet werden, wie Dante die Dichtung zu erneuern, to resusciate the dead art O f poetry; to maintain 'the sublime' I n the old sense. 48

Das bedeutete für ihn, das i n der W i r k l i c h k e i t wieder zur Darstellung u n d zur Anschauung zu bringen, was das menschliche Leben möglich macht u n d 47

W i r identifizieren dabei „one" als einen der zuvor genannten Götter: H i g h form w i t h the movement of gods, Perilous aspect, A n d one said: ,This is Actaeon!' Actaeon of the golden grieves!

48 H u g h Selwyn Mauberley I , 1, 2 - 4 . Siehe iRuthven, a.a.O., S. 128, in bezug auf die in diesen Zeilen enthaltene Anspielung auf Dante.

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trägt. D a r i n sah er seinen A u f t r a g , an der H a l t u n g der W e l t seiner Zeit m i t z u w i r k e n . Das Scheitern dieses Bemühens bestimmt die Resignation i n ,Htigh Selwyn Mauberly c (1920) u n d die Idiosynkrasie großer Teile der Cantos u n d seiner späteren Prosaschriften, wenn er i n ihnen die Gründe für dieses Scheitern fast ausschließlich der Verderbtheit seiner W e l t durch die USURA zuschreibt. Das Wissen u m die lebentragende u n d -erhaltende, sich i n Schönheit u n d Liebe zeigende K r a f t bestimmt selbst seine Paraphrase der Elegien des Properz i n seinem ,Homage to Sextus Proper tins' (1917). Dieses Wissen versucht er, i n seiner Dichtung durch die exakte Wiedergabe der Wirklichkeit, i n der es sich i h m offenbar, z u vermitteln, wobei er oft den U m w e g über die Form, i n der solches Erkennen bereits i m M y t h o s oder i m W e r k seiner Vorgänger Gestalt gewonnen hat, w ä h l t . Entscheidend für das Wissen u n d für diese alles Leben tragende K r a f t ist für Pound, daß er sie — i n sich selbst erlebend — i n der Wirklichkeit, die sich seinen Sinnen darbietet, zu schauen vermag oder — vorsichtiger formuliert — sdiauen zu können glaubt. Darstellung v o n Wirklichkeit, D a r stellung eines Dinges ist für i h n daher nicht bloß — wie für die Symbolisten — bildhafte Wiedergabe einer innerlichen Zuständlichkeit oder — wie für formalistische K r i t i k e r 4 9 — D o k u m e n t a t i o n phänomenologischen W i r k l i c h keitsverständnisses, sondern das i n der Dichtung durch Schönheit z u m E r lebnis-Bringen dessen, was das Leben trägt. D i e Entwicklung innerhalb der frühen Dichtung Pounds zeichnet sich darin ab, daß er immer wieder neue Wege versucht, zur Darstellung zu bringen, was die W i r k l i c h k e i t für i h n bestimmt. Seine Beschäftigung m i t den Literaturen aller Zeiten u n d aller Sprachen k a n n aus diesem Anliegen heraus verstanden werden. Sein Bemühen, der Masse das i h r Unverständliche durch den M y t h o s faßbar zu machen, führt h i n zu dem Versuch, es durch das exakte Erfassen v o n geschauter W i r k l i c h k e i t i m Sinne Flauberts zur Erscheinung zu bringen, also letztlich den M y t h o s i m „Image" wirksam 4® Dabei ist vor allem gedacht an Riddel , a.a.O., H . Blumenberg, a.a.O., und W . Iser, Image und Montage. Z u r Bildkonzeption in der imagistischen L y r i k und in T . S. Eliots ,Waste Land', in: Immanente Ästhetik — ästhetische Reflexion, M ü n chen 1966, S. 361 - 393, aber auch an den viel vorsichtigeren W . Müller, a.a.O., sowie an die Interpretation Witemeyers, a.a.O., Chapt. 2. Anders dagegen Schneidau und Jackson. Zentral für letzteren ist das „real in ourseif [ . . . ] closely related — in fact continous w i t h — a permanent reality outside the poet. A n d the creative impulse itself is intimately related to the divine energy that animates the universe," a.a.O., S. 55. Wesentliche Korrekturen an Blumenberg und Iser befinden sich bereits bei Wilhelm Hortmann, Das ,Image' und sein Wirklichkeitsbezug, Miscellanea Anglo-Americana. Festschrift für H e l m u t Viebrock, hrsg. v. K . Schumann, W . Hortmann, A . P. Frank, München 1974, S. 291 - 319, und Reinhold Schiffer, D e r zweimal verwandelte Dionysos. Zur Mythenrezeption bei O v i d und Pound, Arcadia 8 (1973), S. 235 - 247. 17 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 20. Bd.

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werden zu lassen. I m Sinne seines ,Make It New m w i r d das „Image" zur Entsprechung der antiken M y t h e n : es w i r d zu seiner Möglichkeit, die W i r k lichkeit i m Sinne der alten M y t h e n zu erfassen. Wenn er immer wieder bekennt, an die antiken Götter zu glauben 5 1 , so ist es der Glaube an das i n seiner Identität nicht näher Definierbare u n d v o n den Griechen als Theos Bezeichnete 52 . D i e griechischen Götter kennzeichnen demnach für Pound nur etwas, was für i h n nicht näher bestimmbar ist, i n der W i r k l i c h k e i t als sie erhaltend jedoch immer wieder aufscheint. Es ist nicht leicht, näher zu bestimmen, was als das Leben Ermöglichende u n d Erhaltende umschrieben wurde. Für Pound selbst ist es oft nur das „unknown" 59. Gelegentlich erscheint es als „life-force " 5 4 . W i r zogen i m Verlauf der Analyse als H i l f s k o n s t r u k t i o n den Begriff der Zoe heran, wie i h n Kerényi i n seiner i n vieler Hinsicht verwirrenden u n d w i r r e n Studie über Dionysos i m Unterschied zu Bios, dem individualisierten Leben, als das es jeweils bestimmende K r a f t , darzustellen versucht. Es ließe sich bestimmen als das Dionysische Nietzsches i m Unterschied zu dem Apollinischen 5 5 oder — i n der Terminologie der Psychologie — als das Unbewußte. Welche Gleichungen auch immer herangezogen werden mögen, es handelt sich u m ein alle W i r k l i c h k e i t i n ihrem W a n d e l bestimmendes u n d sie erhaltendes Prinzip, an dem der Mensch selbst teilhat. Es kann als der W i r k l i c h k e i t i m manent betrachtet werden, insofern es als i n ihr w i r k s a m erfahren w i r d , oder als transzendent, insofern es nur i n seiner W i r k u n g oder i n seinem Abglanz erfahrbar w i r d u n d dieses Erfahren der jeweiligen geschichtlichen I n d i v i d u a t i o n enthebt. M i t seinem Bemühen, die Dinge bei ihrem richtigen N a m e n zu benennen, wie er es später m i t dem chinesischen Ideogramm

Ching

Ming

zu definieren versuchte, reiht sich Pound i m Grunde unter die M y s t i k e r ein. D e n n gerade die richtige Benennung der Dinge enthüllt für i h n die W i r k 5 0

London 1934.

51

Guide to Kulchur, ,For the Gods exist f (S. 125). „Without gods no culture. Without gods , something is lacking" (S. 126). „I assert that the Gods exist " (S. 299). 52 Siehe Witemeyer , a.a.O., S. 26. D o r t aus Pounds in dem den ,Aiomata' 1921 zuerst veröffentlichten ,Credo 4 zitiert. 53 Siehe Guide to Kulchur, S. 26, 340, oder ,Date Line* (1934) in Literary Essays, S. 86. 54 Spirit of Romance, S. 95; Guide to Kulchur, S. 397. 55

Siehe Die Geburt der Tragödie.

Mythos und Image

259

lichkeit bzw. das Prinzip, das diese W i r k l i c h k e i t u n d damit auch O r d n u n g erst möglich macht. I n Anlehnung an Fenollosa sieht er i n der die W i r k l i c h keit nachzeichnenden chinesischen Schrift diese als immer nur i n ihrer Bewegung u n d damit durch das sie bestimmende Prinzip erfaßbar. K o n k r e t i sierung findet dieses P r i n z i p für i h n i n den griechischen Göttern, v o r allem soweit sie m i t dem Fruchtbarkeitskult i n Verbindung treten, insbesondere daher i n Dionysos u n d — i n den p a n t o s ' häufiger — Aphrodite. I m E i n klang m i t diesem Prinzip stehen für i h n aber auch der Neoplatonnismus u n d die weitgehend auf i h m fußende christliche M y s t i k . I m Sinne eines Erigena, St. Ambrosius, St. Antonius oder Richard v o n St. V i c t o r glaubt er, selbst Christ sein zu k ö n n e n 5 6 . A u f der Ebene solchen mystischen Wirklichkeitsverständnisses begegnet er sich sogar m i t seinem Landsmann W a l t W h i t m a n , wenn er sich auch v o n dessen Vulgarisierung u n d D e m o k r a t i s i e r u n g des Prinzips distanziert 5 7 . Der v o n i h m stets nur verschmähte Emerson steht i h m m i t seiner Vorstellung der „Over-soul" dabei sehr v i e l näher. V o n W a l t W h i t m a n trennt i h n die Anschauung, daß die Erfahrung des alle Wirklichkeit tragenden Prinzips für i h n eine Auszeichnung bedeutet, die nicht jedem zuteil w i r d . Das Prinzip ist für i h n letztlich I d e e oder — noch genauer — P o t e n z . Eine Identifizierung v o n Potenz u n d W i r k lichkeit, Seele u n d K ö r p e r wie bei W h i t m a n 5 8 k o m m t für Pound nicht zustande. Das alles Leben Erhaltende bleibt daher auch letztlich unerreichbar. D i e geschichtliche Wirlichkeit erweist sich schließlich als resistent gegenüber dem, was sie bestimmen sollte. D i e Geliebte, eine der Formen, i n der sich sein Abglanz zeigt, bleibt dem Troubadour als die Frau seines Herren unerreichbar. Ysolde findet dauerhafte Vereinigung m i t Tristan nur i m Tode. U n t e r USURA w i r d , wie schon i n ,Salve Ο PonifexF, i n den .Cantos' der Dienst an Dionysos vernachlässigt u n d liegt das L a n d brach. D e r Dualismus zwischen dem Feiern der Zoe u n d der Klage über USURA , die es unmöglich macht, daß die W i r k l i c h k e i t v o n jener bestimmt w i r d , kennzeichnet denn das Werk, das den Dichter für den Rest seines langen Lebens beschäftigen sollte. Schon i n yHugh Selwyn Mauberly Dualismus zum „negativen Image".

c

w i r d das „Image"

als Träger dieses

wringing lilies from the acorn; Capaneus; trout for factitious bait. 56

Guide to Kulchur, S. 76.

57

Siehe Sdmeidau, Ezra Pound, S. 84.

5 8

Siehe meinen Aufsatz Identität und Identifizierung in Whitmans ,Song of Myself', Studien zur englischen und amerikanischen Sprache und Literatur: Festschrift für H . Papajewski, Neumünster 1974, S. 486 - 506. 1*

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Franz H . Link

Das Besondere vermag i n der W e l t seiner Zeit nicht mehr zur Entfaltung zu gelangen. Charm, smiling at the good mouth, Quick eyes gone under earth's lid,

werden zum Opfer For two gross of broken statues, For a few thousand battered books.

Dennoch bleibt für Pound auch nach dem Absdiluß des 1. Weltkrieges u n d nach der Periode seines frühen Schaffens die H o f f n u n g , daß sich jenseits allen Wandels das alle W i r k l i c h k e i t Tragende i n seiner Schönheit offenbart: Recking naugth else but that her graces give Life to the moment. [...] T i l l change has broken down. A l l things save beauty alone.

Was er bis zu seinem Lebensende i n den .Cantos' anstrebte, w a r — u n d es ist nur eine andere Umschreibung für die Wirklichkeit, die er beim richtigen N a m e n zu nennen versuchte — eine Utopie, nämlich: Das Paradies. Das W e r k seines Lebens schließt m i t .Canto CXX ( aus dem Jahre 1969: I have tried to write Paradise D o not move Let the wind speak that is paradise. Let the Gods forgive what I have made Let those I love try to forgive what I have made.

T H E O R I E U N D Ä S T H E T I K K O N K R E T E R POESIE Z u m Verständnis einer nidit-mimetisdien Dichtung

V o n Klaus Weiss

D i e konkrete Poesie ist eine literarische Bewegung auf internationaler Ebene 1 . I h r Auftreten ist i n Zusammenhang zu sehen m i t dem Vordringen der „naturwissenschaftlich-technischen R a t i o n a l i t ä t " 2 , speziell der K o m m e r zialisierung des gesellschaftlichen Lebens u m die M i t t e unseres Jahrhunderts u n d einer damit einhergehenden „Ästhetisierung der ( M a r k t ) - W e l t " 3 , die ihren Ausgang v o n der „industriellen Formgebung" 4 u n d der sie begleitenden Werbung nahm. Konkrete Poesie entstand zu A n f a n g der fünfziger Jahre 5 , nahm i m ersten Jahrzehnt einen raschen Aufschwung u n d fand schließlich i n verschiedenen Ländern Europas, Süd- und Nordamerikas sowie Asiens, u n d dort v o r allem i n Japan, Verbreitung®. Bereits die Dadaisten verwendeten ähnliche D a r stellungsmittel, u n d 1944 veröffentlichte der m i t unterschiedlichen poetischen Formen experimentierende italienische A u t o r Carlo B e l l o l i 7 Gedichte, die der konkreten Poesie nahe stehen 8 . 1 Eine umfassende Auswahlbibliographie gibt Dieter Kessler, Untersuchungen zur Konkreten Dichtung: Vorformen — Theorien — Texte, Meißenheim am Glan 1976, S. 2 7 4 - 4 1 3 , zit. als Kessler. 2 Diethelm Brüggemann, S. 163.

D i e Aporien der konkreten Poesie, Merkur 28 (1974),

3 Thomas Kopiermann, Die Poesie des Konkreten, in: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie. Texte und Bibliographie, hrsg. v. Thomas Kopfermann, Tübingen 1974, S. X I X , zit. als Kopfermann. 4

ebd.

5

Vgl. Susanne Lenz, Literatur im Widerspruch : Z u m Theorie-Praxis-Problem der konkreten Poesie, Köln, Phil. Diss. 1976. 6 Vgl. folgende internationale Anthologien: Konkrete Poesie International, hrsg. v. M a x Bense und Elisabeth Walter, Stuttgart 1965; Concrete Poetry: An International Anthology, hrsg. v. Stephan Bann, London 1967; Concrete Poetry: Great Britain, Canada and United States, hrsg. v. Hansjörg Mayer, Stuttgart 1966; Emmet Williams, An Anthology of Concrete Poetry, N e w Y o r k 1967; M a r y Ellen Solt, Concrete Poetry: A World View, Bloomington 1970; weitere Anthologien verzeichnen: Solt, a.a.O., S. 86, Lenz, a.a.O., S. 115 f., Kessler, a.a.O., S. 314 f. 7 Kessler, a.a.O., S. 93 - 97.

262

Klaus Weiss

Eugen Gomringer, 1925 i n Brasilien geboren, publizierte 1953 seine K o n stellationen', die den A u f t a k t für ein Erscheinen anderer Werke konkreter Poesie i m I n - u n d Ausland bildeten. Er w a r 1955 i n U l m an der Hochschule für Gestaltung Sekretär bei M a x B i l l , einem führenden Schweizer Künstler u n d Theoretiker der neuen Kunst, u n d t r a f dort m i t Decio Pignatari zusammen, einem M i t g l i e d der brasilianischen Noigrandes Gruppe 9 . A l s G o m ringer 1956 sein Manifest »Konkrete Dichtung' veröffentlichte, wurde dieser N a m e für die neue Richtung allgemein üblich 1 0 . D i e beiden bekanntesten u n d international einflußreichsten konkreten Dichter Großbritanniens sind Sylvester H o u é d a r d u n d I a n H a m i l t o n Finlay11. Houédard, 1924 geboren, studierte i n O x f o r d u n d Rom. Als Fünfundzwanzigjähriger t r a t er i n den Benediktinerorden ein. Er ist der führende Theoretiker des Konkreten i n Großbritannien 1 2 . Der 1925 geborene Finlay lebt i n Nordschottland. Seine zahlreichen Werke zeigen i h n als Meister der Typographie. E r schuf konkrete Objekte als Großplastiken i n Papier, Glas u n d Beton 1 3 . I n den U S A werden für die Entstehung u n d Ausbreitung der konkreten Poesie drei Faktoren maßgebend: 1. Amerikanische A u t o r e n u n d K r i t i k e r des 20. Jahrhunderts wie Gertrude Stein, Ezra Pound, T . S. E l i o t , E. E. Cummings, W i l l i a m Carlos W i l liams, Charles Olson, Robert Creely u n d Robert Lax. M . E. Solt rechnet sie zu den Vorläufern u n d Anregern der konkreten Poesie, da sie m i t der Sprache experimentierten, sich v o n Resten der normativen Poetik zu befreien suchten, die Banalität u n d Leere des Alltags i n eine meist offene poetische Form einbezogen u n d bereits m i t verwandten Techniken arbeite8 Z u r Differenzierung der Poesie siehe Manfred Pütz, Formen moderner Gedichte, Literatur in Wissenschaft und Unterricht 5 (1972), S. 1 7 7 - 196.

• Kessler, a.a.O., S. 23, 94 f. Bei Solt, a.a.O., heißt es: „This meeting of mutual interest and surprise can he taken as the beginning of international movement of concrete poetry * 10 Als Bezeichnung für die neue Richtung w i r d konkrete Poesie bereits zwei Jahre vorher gebraucht von ö y v i n d Fahlström, Hätila Ragulpr pa Fatskliaben, Manifest för konkret peste, Odysse [Stockholm] 2/3 (1953). Vgl. Kessler, a.a.O., S. 23, 322, N r . 670. 11

Stephan Bann, I a n H a m i l t o n Finlay, Dunsyre 1972.

12

Williams, a.a.O., S. 366. Solt, a.a.O., S. 46 f. Vgl. von Houédard besonders: Between poetry and painting chronology, Beilage zum Katalog Between Poetry and Painting, London 1964. 13 I a n H a m i l t o n Finlay, Poems to Hear and to See, London 1971 ; ders., Poster Poem, 1964, Edinburgh 1964.

Theorie und Ästhetik konkreter Poesie

263

ten wie m i t der Übernahme v o n Stereotypen, sprachlichen Versatzstücken, der Reihung v o n formelhaften Ausdrücken oder Satzteilen u n d so w e i t e r 1 4 . 2. Der Einfluß v o n Emmet Williams, der z u m Wegbereiter der konkreten Poesie i n den U S A w i r d . 1925 i n Greenville, South Carolina, geboren, studierte er Literatur bei John Crowe Ransom. I n den fünfziger Jahren gehörte er m i t Claus Bremer, Daniel Spoerri, Dieter Roth, Gerhard R ü h m u n d anderen dem Kreis der konkreten Dichter i n Darmstadt a n 1 5 , v o n dem eine direkte W i r k u n g auf die Entwicklung der neuen Poesie i n zahlreiche Länder ausstrahlte. Emmet W i l l i a m s verfaßte Gedichte i n Deutsch u n d Englisch, schrieb Essays u n d edierte 1967 eine inzwischen berühmt gewordene internationale Anthologie konkreter Dichtung i n englischer u n d eine weitere i n französischer Sprache 16 . Seine Konstellationen beziehungsweise Permutationsgedichte, die i h n bekannt gemacht haben, zeigen eine v o r k a l kulierte A n o r d n u n g v o n Bildtexten, die v o n einer Ästhetik auf der G r u n d lage der mathematischen K o m b i n a t o r i k ausgehen. 3. Das Echo, das die britischen Autoren H o u é d a r d u n d F i n l a y durch ihre konkrete Dichtung u n d Theorie i n den U S A fanden. Durch persönliche K o n t a k t e m i t F i n l a y kamen i n den sechziger Jahren drei Amerikaner zur konkreten Poesie: M a r y Ellen Solt, Jonathan W i l l i a m s u n d R o n a l d Johnson 1 7 . A m bekanntesten ist M a r y Ellen Solt, die 1920 i n Gilmore C i t y , I o w a , geboren wurde u n d nach eigenen Angaben nachhaltig durch die Dichtung W i l l i a m Carlos W i l l i a m s beeinflußt wurde. Solt schrieb v o r allem konkrete Poesie i n der Kompositionsform v o n Blumen. Ihre ,Flowers in Concrete c gelten als das bedeutendste W e r k dieser A r t 1 8 . 1968 erschien eine v o n i h r englisch-spanisch edierte Anthologie. Es ist die beste internationale A n t h o logie konkreter Poesie. Ronald Johnson wurde 1935 i n Ashland, Kansas, geboren u n d studierte an der Columbia University. Neben der Schreibmaschine als technisches M i t t e l konkreter Textdarstellung bevorzugt er die Kalligraphie. Er sieht die Hauptaufgabe konkreter Poesie i n der visuellen Gestaltung 1 9 . 14

Solt, a.a.O., S. 47 - 50. is Williams, a.a.O., S. 341. Solt, a.a.O., S. 50.

16

Siehe ebd., S. 50 - 52.

1 7 Solt, a.a.O., S. 51 f., 54. ebd., vgl. Williams, a.a.O., S. 340. Horst Priessnitz, M a r y Ellen Solt: Geranium, in: D i e amerikanische Lyrik, hrsg. v. Klaus Lubbers, Düsseldorf 1974, S. 406 bis 418. 19

ebd., S. 336. Solt, a.a.O., S. 52.

Klaus Weiss

264

Jonathan Williams, 1929 i n Ash ville, N o r t h Carolina, geboren u n d an dem für die neue Kunst u n d Poesie einflußreichen Black Mountain College ausgebildet, verwendet i n seinen Gedichten L a u t - u n d Wortspiele sowie W o r t - und Textüberlagerungen, d. h. Darstellungstechniken, wie sie z u m T e i l schon i m traditionellen Genre der Bilddichtung gebräuchlich sind 2 0 . Dieses ist schon ausgeprägt i n den Technopaignia u n d den carmina cancellata der A n t i k e , i n den Bildtexten des Mittelalters sowie i n den Figurengedichten des Barock u n d der englischen Metaphysicals 21. W i e die Embleme stehen die carmina figurata zwischen der Literatur u n d der Bildenden Kunst u n d — wie die Textbilder Appolinaires, Mallarmés u n d der Dadaisten — werden sie zu den „ V o r l ä u f e r n oder V o r b i l d e r n " 2 2 der konkreten Poesie gezählt. Ist das Prinzip der traditionellen Kunst u n d Dichtung die Nachahmung oder Mimesis, die sich entweder an der W i r k l i c h k e i t oder der N a t u r als L e i t b i l d sowie an naturbezogenen klassischen Vorlagen ausrichtet, so w i r d i n der konkreten Poesie — die sich die theoretischen Einsichten der konkreten Kunst zu eigen macht — dieser Anspruch aufgegeben. S. J. Schmidt schreibt: Konkrete Kunst, in welchem Medium auch immer sie verwirklicht wird, ist eine nicht-mimetische, generative Kunst, die die sinnliche Wahrnehmung der sichtbaren Wirklichkeit (entsprechend: die Schicht der rekurrenten Bedeutungsdimension pragmatischer Kommunikation) aufhebt und sich auf die Thematisierung ihrer künstlerischen M i t t e l selbst konzentriert. 2 3

D i e Auffassung v o n der Dichtung als einer nicht-mimetischen Kunst w i r d zum obersten Prinzip erhoben 2 4 , u n d sie n i m m t — auf die gesamte Literatur ausgedehnt — dieselbe zentrale Stellung ein wie die Mimesis i n der t r a d i t i o nellen Dichtung. Terminologisch sei angemerkt: Der griechische Ausdruck μίμησις, den bereits Plato und Aristoteles als philosophischen, kunst- u n d literaturtheo20

Williams,

a.a.O., S. 341. Solt, a.a.O., S. 52.

21

Für diese und verwandte Bildformen vgl. Massin, Buchstabenbilder und Bildalphabete, Ravensburg 1970; Klaus Peter Denker, Text-Bilder. Visuelle Poesie international von der Antike bis zur Gegenwart, K ö l n 1972; Siehe Kessler, a.a.O., S. 2 6 - 6 8 ; Lenz, a.a.O., 1 4 - 4 2 . 2 2 23

Kessler, a.a.O., S. 24.

Siegfried J. Schmidt, Ästhetische Prozesse. Beiträge zu einer Theorie der nichtmimetischen Kunst und Literatur, K ö l n 1971, S. 140 f., zit. als Ästhetische Prozesse. 24 Hans L . C. Jaffê, Mondrian und D e Stijl, K ö l n 1967, S. 19. Für Mondrians Stellungnahme vgl. S. 3 6 - 4 6 , 60, 65 f. Lenz, a.a.O., S. 6, 26, 29 f., 36, 39, 60. Vgl. Kopfermann, a.a.O., S. X . H e l m u t Heißenbüttel, Über Literatur, Freiburg i. Br. 1966, S. 71. Generell für die Beziehung der Literatur und bildenden Kunst zur M i mesis im 20. Jahrhundert siehe Wolfgang M a x Faust, Bilder werden Worte, M ü n chen 1977, besonders S. 24, 30, 36 f., 40 - 43, 53 f., 56, 59 f., 66 f., 70 - 73 u. ö.

Theorie und Ästhetik konkreter Poesie

265

mischen Terminus gebrauchten 25 , w i r d i n diesem Beitrag i n einer umfassenden Bedeutung verwendet. E r steht als Inbegriff nachbildender u n d darstellender Tätigkeit, umschließt m i t h i n eine Beziehung zur N a t u r oder Wirklichkeit und z u m Bewußtsein, zu einem perzeptiven u n d einem imaginativen Vorgang des Künstlerischen u n d Handwerklichen. Während Hegel das Nachahmungsprinzip bereits i n Frage stellt 2 6 , suchen i n der ersten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts Schelling u n d der v o n i h m i n Gedankenführung u n d Formulierung abhängige Samuel T a y l o r Coleridge noch einmal eine Neubegründung der Nachahmungslehre aus den Voraussetzungen einer romantisch verstandenen natura naturans, das heißt der absoluten Schöpferkraft 2 7 . I m Realismus u n d i m Naturalismus t r i t t die M i mesis m i t der Forderung auf, Kunst u n d Literatur habe die wahre, das heißt unverfälschte u n d unbeschönigte Erscheinung v o n N a t u r u n d Wirklichkeit in abbildlich-objektiver Weise, photographisch getreu wiederzugeben. Dichter u n d Theoretiker des Konkreten lehnen die Mimesis, die für sie ein Kennzeichen der traditionellen Kunst ist, nicht nur ab, sondern sie setzen vielmehr der Mimesis eine Anti-Mimesis entgegen u n d machen diese zur Grundlage ihrer Ästhetik. Anti-Mimesis heißt: D i e Kompositionen des K o n kreten bauen sich ausschließlich aus den Materialien u n d M i t t e l n einer natur- oder wirklichkeitsunabhängigen Kunst u n d Poesie a u f 2 8 . 1966 veröffentlichte I a n H a m i l t o n Finlay ein konkretes Gedicht ohne T i t e l (Figur N r . I ) 2 9 , das dem visuellen T y p zuzurechnen ist. Es besteht aus einem Textteil u n d einem spatialen Bildteil. Das B i l d — eine quadratische Farbphotographie — zeigt eine Hügellandschaft m i t wenigen Büschen u n d einem k a u m erkennbaren Gebäude zur Linken. D e n größten T e i l des Bildes n i m m t der bewölkte H i m m e l i n bläulich-weißem Farbton ein. V o r der 25 Folgende Schriften zur Mimesis seien erwähnt : W . J. Verdenius, Mimesis, Leiden 1949; Hermann Koller, Die Mimesis in der Antike: Nachahmung, Darstellung, Ausdruck, Bern 1954; Gerald F. Else, „Imitation" in the Fifth Century, Classical Philology 53 (1968), S. 7 3 - 9 0 , 245; ders., Aristotle's Poetics: The Argument , Cambridge, Mass. 1967, S. 12 f., 49 - 53, 93 f., 96 - 101; John D . Boyd , The Function of Mimesis and Its Decline , Cambridge, Mass. 1968. 26 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Ästhetik, hrsg. v. G. Lukacz, Berlin 1955, S. 84 - 88, 187 f., 192 f., 759, 849 ff. u. ö. 27 Friedrich Wilhelm Joseph Über das Verhältnis der bildenden Künste zur N a t u r , (1807), Schellings Werke, hrsg. v. Manfred Schröter, 3. Ergänzungsband, München 1959, S. 391 - 4 2 9 . Samuel Taylor Coleridge, On Poesy or Art , in: Biographia Liter aria, hrsg. v. J. Shawcross, London 1907, Neudr. 1973, besonders I I , S. 255 - 259. 28 Ästhetische Prozesse, S. 140 f„ 148, 158 f., 170 - 175. Konkrete Dichtung, hrsg. v. Siegfried J. Schmidt, München 1972, S. 9. 2

» Solt, a.a.O., Figure 106, S. 207. Siehe Abb. 1 nach S. 266.

Klaus Weiss

266

Hügellandschaft auf der unteren Bildhälfte ist eine rechteckige Glasplatte aufgestellt, an deren linker H a l t e r u n g zwei Finger einer H a n d sichtbar sind. H a u p t t e i l des konkreten Bildgedichts ist der aus den zwei W ö r t e r n *wave " u n d „rode" bestehende Text, der auf der Glasplatte durch ein Sandstrahlverfahren i n regelmäßig spatialer A n o r d n u n g eingeritzt i s t 3 0 . Finlays eigenen Angaben zufolge bewegen sich die wiederkehrenden Buchstaben des Wortes „wave" v o n links nach rechts u n d scheinen sich ineinander zu schieben u n d zu überlagern, wenn sie auf die blockartig massierten Buchstaben v o n „rock" auftreffen. Durch die räumliche Gestaltung der Schriftzeichen bildet sich als drittes W o r t „wrack" heraus, i n der Bedeutung „seaweed"* 1. D i e collageartige Verbindung v o n optischem B i l d u n d graphischer Buchstabenanordnung soll den betrachtenden Leser zu einem — wie Finlay kommentierend anmerkt — Visualisieren der „seaweedy rocks" , d. h. der v o n A l g e n bedeckten Felsen, veranlassen, gegen die unablässig Meereswogen anbranden. Der A u t o r sieht darin ein B i l d für den Widerstreit entgegengesetzter K r ä f t e 8 2 . I m Gegensatz zur herkömmlichen Dichtung treten die Sprachelemente — hier die Wörter „wave" u n d „rock" — nicht mehr als T e i l eines syntaktischen Gefüges auf. „ D i e veränderte Verwendung der Sprache" — so heißt es bei H e l m u t Heißenbüttel — bringt eine „neue Bedeutung" hervor. Sie erstrebt einerseits eine Destruktion überkommener syntaktischer Strukturen, u n d sie dient andererseits als „ M i t t e l [ . . . ] für eine veränderte Syntax u n d für eine veränderte S e m a n t i k " 3 3 . V o m F o r m t y p her gesehen vereinigt Finlays Gedicht Elemente des P i k t o gramms u n d des Typogramms. Nach Eugen Gomringer sind poetische piktogramme [ . . . ] textanordnungen, deren ersdieinungsbild absichtlich abbildende umrisse hat, während typogramme ergebnisse eines besonders intensiven eingehens auf die budistabengestalt wie auf das angebot der setzkästen und schriftbücher sind. 3 4

E i n anderes, nicht datiertes Gedicht v o n Finlay trägt den T i t e l ,Fisherman's Cross € (Figur N r . 2 ) 3 5 . Es ist ein Beispiel für das v o n der Theorie des Konkreten erstrebte Z u sammenwirken mehrerer Künste bei der Entstehung eines ästhetischen O b 30 V g l . Williams,

a.a.O., S. 333. Solt, a.a.O., S. 296.

31 ebd. Vgl. die Ausführungen bei Solt, a.a.O., S. 44 ff., und Lenz, a.a.O., S. 13,43. 32 Williams, a.a.O., S. 333. Solt, a.a.O., S. 296. 33 Text und K r i t i k 25 (1971) I , S. 21. Lenz, a.a.O., S. 42. Vgl. a.a.O., S. 71 - 74. 34

Heißenbüttel,

Konkrete Poesie, Deutschsprachige Autoren. Anthologie, Stuttgart 1976, S. 164. 3δ Solt, a.a.O., Figure 104, S. 205. Siehe Abb. 2 nach S. 266.

A b b . 1. I a n H a m i l t o n F i n l a y .

A b b . 2. I a n H a m i l t o n F i n l a y : ,Fishermari

s Cross'.

Theorie und Ästhetik konkreter Poesie

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jekts. Der in Kreuzform arrangierte Text besteht aus dem acht Mal wiederkehrenden Wort „seas", das die Achsen des Kreuzes bildet, und dem im Zentrum stehenden, aus den gleichen Lettern geformten „ease". Der Bildhauer Henry Clyne hat den kreuzförmigen Bildtext in eine Betonplatte von der Form eines unregelmäßigen Oktogons gegossen36. Für eine Deutung dieses konkretes Gedichtes ist wichtig: das ausgewogene Verhältnis zwischen dem Bildtext und seiner plastischen Gestaltung, die Relation des Bildtextes zur materiellen Beschaffenheit und Form des Oktogons und dessen Relation zur Raumaufteilung. Die Zahlen 4 und 8 erhalten eine strukturbildende Funktion. Alle Wörter bestehen aus 4 Buchstaben. Das in die Mitte gestellte „ease* ist von einem Viereck eingefaßt. 4 Mal tritt die Letter „s" in den Wortpaaren „seas" auf, das durch seine parallele Anordnung die 4 Achsen des Kreuzes bildet und als Orientierungssystem dient. Je 4 Mal kehrt der Laut [ i : ] bzw. die Buchstabenkombination „ea" in der horizontalen und vertikalen Anordnung von „ease" wieder. 8 Seiten und Ecken besitzt das Oktogon, 8 Mal steht „seas" und je 8 Mal wiederholt sich das „s" von „seas" auf der Horizontalen und Vertikalen. Die Anordnung w i l l sichtbar machen, daß das in der Mitte von Bild und Text stehende „ease" stärker von der horizontalen Dimension des irdisch-menschlichen und geschichtlich-sozialen Leben als von der Vertikalen des Göttlichen her wahrgenommen wird. Unmittelbar auf die Kreuzform des Textes und seine sprachliche Bedeutung bezieht sich der Titel. Er kennzeichnet als Überschrift das ganze Gebilde, ordnet es einer bestimmten Personen- und Berufsgruppe zu und spricht diese als seinen Adressaten an. Finlay hat das Werk zur Aufstellung in einer Kirche bestimmt 37 . Eine detaillierte Interpretation des Gedichtes kann zeigen, daß der Inhalt des Wortes „seas" semantisch in beide Richtungen, in die Horizontale und Vertikale, weist und der Text-Bild-Zusammenhang eine Überlagerung mehrerer Bedeutungen umfaßt. Dabei sollte man — und das ist audi ratsam für Finlays Text-Bild-Collage und für andere konkrete Werke — zwischen primären und sekundären Bedeutungen unterscheiden, je nachdem, ob diese durch das sprachliche und bildliche Zeicheninventar des konkreten Beziehungsgefüges hervorgerufen sind oder ob die Zeichen eine Erinnerung beim Betrachter wachrufen an historische, mimetische oder symbolische Sinnmuster, die vorgegeben sind durch einen früheren Gebrauch dieser Zeichen. I n Finlays Gedicht sind solche Zeichen — semantisch bzw. semiotisch betrachtet — ζ. B. das Kreuz, aber auch der Titel, der auf die Bedeutung des Kreuzes Bezug nimmt und dem Adressaten einen Hinweis für ein Verständnis des Werkes gibt. Solt, a.a.O., S. 44, 295. 37

Solt, a.a.O., S. 295: „It is intended for use in a