Liebesgedichte. Amores. Lateinisch - deutsch [Revised ed.]
 3110363720, 9783110363722

Table of contents :
EINFÜHRUNG
Elegische Liebe – ein literarisches Konstrukt
AMOR vs. ROMA
Von Sulmo nach Tomi
Gegenwelt als monde à l’envers
Das Spiel mit der Gattung
Arte allusiva und Selbstrefl exion
Psychologische Fallstudie
»Liebeserfahrungen« revidiert
TEXT UND ÜBERSETZUNG
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
ERLÄUTERUNGEN
SELBSTREZEPTION UND SELBSTREFLEXION – DIE AMORES ALS GRUNDBAUSTEIN DES OVIDISCHEN LEBENSWERKES
Amores als Antwort auf pascua
Noch auf Stufe 1: Die Epistulae Heroidum 1–15 als Amores
Stufe 2: Liebeskunst und Liebestherapie statt
Stufe 3a: Amores in den Metamorphosen
Stufe 3b: Die Fasti zwischen elegischem und
Unerwünschtes Nachspiel: die Exilelegien
Literaturhinweise zu diesem Aufsatz
BIBLIOGRAPHIE

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SAMMLUNG TUSCULUM

Herausgeber: Niklas Holzberg Bernhard Zimmermann

Wissenschaftlicher Beirat: Günther Figal Peter Kuhlmann Irmgard Männlein-Robert Rainer Nickel Christiane Reitz Antonios Rengakos Markus Schauer Christian Zgoll

PUBLIUS OV IDIUS NASO LIEBESGEDICHTE A MOR ES Lateinisch-deutsch

Herausgegeben und übersetzt von Niklas Holzberg 2., verbesserte und erweiterte Auflage

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-036372-2 e-ISBN 978-3-11-036476-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 2., verbesserte und erweiterte Auflage © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen: Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 52: 6v/7r (www.e-codices.unifr.ch) Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

INHALT 7 Elegische Liebe – ein literarisches Konstrukt 8 AMOR vs. ROMA 12 Von Sulmo nach Tomi 14 Gegenwelt als monde à l’envers 16 Das Spiel mit der Gattung 20 Arte allusiva und Selbstreflexion 23 Psychologische Fallstudie 28 »Liebeserfahrungen« revidiert 32

EINFÜHRUNG

TEXT UND ÜBERSETZUNG

Erstes Buch 38 Zweites Buch 89 Drittes Buch 143

ERLÄUTERUNGEN

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SELBSTREZEPTION UND SELBSTREFLEXION – DIE AMORES ALS GRUNDBAUSTEIN DES OVIDISCHEN LEBENSWERKES 235

Amores als Antwort auf pascua 237 Noch auf Stufe 1: Die Epistulae Heroidum 1–15 als Amores aus weiblicher Sicht 240 Stufe 2: Liebeskunst und Liebestherapie statt Landbau 246 Stufe 3a: Amores in den Metamorphosen 251 Stufe 3b: Die Fasti zwischen elegischem und augusteischem Diskurs 258 Unerwünschtes Nachspiel: die Exilelegien 263 Literaturhinweise zu diesem Aufsatz 267

6 BIBLIOGRAPHIE

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EINFÜHRUNG Die Erklärer moderner Lyrik trennen bekanntlich die Person des in einzelnen Gedichten »ich« Sagenden von derjenigen des Verfassers und sehen daher in dem Ich-Sprecher ein Produkt poetischer Phantasie. Wenn sie wollten, könnten sie sich auf einen antiken Mythos berufen, der gewissermaßen das Aition (»Ursprungssage«) der Metamorphose eines realen in ein fiktives Ich darstellt. Diesen Mythos erzählt Ovid in den Amores, die er mit etwa 28 Jahren publizierte, gleich im ersten Gedicht. Hier behauptet der Autor, den der Leser zunächst mit dem Ich-Sprecher identifizieren dürfte, er sei in dem Moment, als er angefangen habe, ein Epos in der Art von Vergils Aeneis zu schreiben, von Amor gezwungen worden, stattdessen erotische Elegien zu verfassen. Das »Umfunktionieren« eines Epikers zu einem Elegiker habe der Liebesgott bewirkt, indem er dem Dichter erst einmal aus dem zweiten Vers seines Epos, einem Hexameter, einen Versfuß stahl, wodurch das erste Verspaar zu einem elegischen Distichon wurde; danach habe er den Dichter durch einen Pfeilschuss verliebt gemacht. Es versteht sich von selbst, dass der Entschluss Ovids, erotische Elegien zu dichten, nicht auf diesem Wege herbeigeführt worden sein kann. Man darf deshalb Folgendes vermuten: Ovid verrät uns in mythischer Form, er beginne mit dem ersten Gedicht seiner Amores die von der Gattungstradition der Elegie vorgegebene Rolle des elegischen Ich-Sprechers zu spielen. Also präsentiert er sich als die von ihm erfundene Figur eines jungen Mannes, der in elegischen Distichen über seine Erfahrungen mit der elegischen Liebe berichtet.

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Elegische Liebe – ein literarisches Konstrukt Was ist das nun, »elegische« Liebe? Es ist eine literarische Variante der erotischen Hingabe eines Mannes an eine junge Frau oder einen Knaben. »Literarisch« bedeutet, dass die Äußerungen des elegisch Verliebten zu dem, was er mit dem Objekt der Leidenschaft erlebt hat und welche Gefühle er dabei hatte, nicht (oder zumindest nicht primär) auf Empirie des realen Autors fußen, sondern von den Gesetzen einer literarischen Gattung, einer »Grammatik« des Denkens und Handelns gesteuert sind. Wie eine solche »Grammatik« angewandt werden kann, wissen die meisten heutigen Rezipienten von Fiktionalität am besten aus Detektivgeschichten. Deren spezieller Reiz liegt ja gerade darin, dass man sie in Kenntnis bestimmter Erzählmotive, die u. a. berühmte Kriminalromanautoren wie Arthur Conan Doyle oder Agatha Christie kreiert und mehrfach haben »arbeiten« lassen, liest oder auf der Leinwand bzw. dem Bildschirm inszeniert sieht. Wie dort z. B. die Person des Detektivs (der ja auch als Ich-Erzähler fungieren kann) das sich ihm stellende Problem der Aufklärung eines Mordes mit Hilfe von Methoden, die literarischer Konvention verpflichtet sind, zu lösen versucht, so versucht der elegisch Verliebte, mit seinem Problem  – er möchte die uneingeschränkte Zuneigung der von ihm geliebten Frau (bzw. des Knaben) gewinnen und sich erhalten  – unter Beachtung der Regeln fertig zu werden, welche die »Grammatik« elegischen Liebens, das »elegische System«1, ihm diktiert. »Elegisches« Lieben wiederum bedeutet vergebliches bzw. nicht in der gewünschten Weise erwidertes Lieben. Unter der Elegie, dem Medium für die Artikulation dieser 1

Diesen Begriff führte F. Spoth, Ovids Heroides als Elegien, München 1992, ein.

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Art von Liebe, verstand man im Rom der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., als Ovid seine Amores schrieb, das überwiegend als Klage artikulierte Sprechen einer lyrischen Persona, insbesondere die Klage über Misserfolge in der erotischen Beziehung zu einer Frau (bzw. einem Knaben; da Päderastie in den Amores kein Thema ist, bleibt sie hier unberücksichtigt). Die Misserfolge resultieren aus Voraussetzungen, welche eine konstruierte Zwei-PersonenKonstellation schafft: Bei dem elegisch Verliebten handelt es sich um einen zwar kaum über finanzielle Mittel, dafür aber über enorme literarische Bildung und ein großes poetisches Talent verfügenden Römer aus gutem Hause – der Dichter der Amores gehört zur »zweiten Klasse«, der der Ritter (1,3,8; 3,15,6) –, dessen ganzes Dasein die Liebe zu einer einzigen Frau ausfüllt. Diese dagegen – bei Ovid heißt sie Corinna  – ist eine sozial erheblich unter den Rittern stehende Freigelassene, die wie eine Hetäre von der »Liebe« lebt, deshalb einen reichen Liebhaber bevorzugt und dem Elegiker, der nur Verse zu bieten hat, ihre Gunst höchstens gelegentlich schenkt. Meist verschließt sie ihm während der Nacht ihre Tür, so dass er sich gezwungen sieht, bis zum Morgengrauen in der Hoffnung, die Geliebte werde sich doch noch seiner erbarmen, auf der Schwelle zu liegen und dabei ein Paraklausithyron (griech. »an der Tür gesungenes Klagelied«) ertönen zu lassen (vgl. Am. 1,6). Die Situation des amator exclusus (»ausgeschlossener Liebhaber«) ist Emblem für die Gattung und zudem erotische Metapher, da ja einem vergeblich liebenden Mann von der Geliebten ihr »Eingang« nicht geöffnet wird. Aus den genannten Voraussetzungen für eine erotische Beziehung ergibt sich ferner dies: Ein Dichter, der die Maske des elegisch Liebenden und deshalb elegisch Dichtenden trägt, produziert durch sukzessive Vergegenwärtigung von erotischen Erfahrungen seiner poetischen Per-

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sona eine Sequenz von Gedichten. Diese ordnet der Autor so an, dass man bei fortlaufender Lektüre der Gedichte in der Reihenfolge, in der sie innerhalb der Gedichtsammlung stehen, den Eindruck gewinnt, der Ich-Sprecher erzähle die Geschichte seiner elegischen Liebe. In den erhaltenen Sammlungen römischer Liebeselegien – außer Ovids Amores sind das diejenigen Tibulls (um 55–19/18 v. Chr.) und des Properz (um 50 bis nach 16 v. Chr.) sowie das Elegienbuch Pseudo-Tibulls (Buch 3 des Corpus Tibullianum; wohl 1. Jh. n. Chr.) – kann man eine stereotype, von den einzelnen Autoren nur wenig abgewandelte Struktur beobachten: Am Anfang ist vom Beginn der elegischen Liebe (vgl. außer Am. 1,1–3 Prop. 1,1 sowie Tibull und Pseudo-Tibull, deren Sammlungen sich aus elegischen Zyklen zusammensetzen, 1,1; 1,4; 2,3; 3,8–12), dann in einer Gedichtsequenz vom Auf und Ab der elegischen Liebe (wobei das »Ab« überwiegt) und am Schluss von ihrem Ende (vgl. außer Am. 3,15 Prop. 3,24/25) bzw. von einer Situation die Rede, die das Ende unvermeidlich erscheinen lässt (Tib./Ps.-Tib. 1,6; 1,9; 2,6; 3,5; vielleicht 3,18). Man kann deshalb geradezu von »Liebesromanen« sprechen, wobei freilich die Einschränkung zu machen ist, dass die Gedichte, welche die Episoden des Auf und Ab widerspiegeln, nicht im Rahmen der eindeutig zu fixierenden Chronologie eines Geschehensverlaufs miteinander verknüpft sind. Strukturprinzip ist eher das einer kunstvollen Variation typisch »elegischer« Situationen, die man als linear voranschreitende Episoden einer Geschichte lesen kann, aber nicht muss. Obwohl die elegische Liebe dem Ich-Sprecher bei Tibull, Properz und Ovid häufiger Leid als Freude bringt, kann ihre »Geschichte« von beträchtlicher Dauer sein, d. h. sie kann in einer langen Reihe von Gedichten rekapituliert werden; bei Properz umfasst der Cynthia-»Roman« der Bücher 1–3 (gemäß der Zählung unserer Ausgaben) sogar

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81  Gedichte, 31 mehr als Ovids Corinna-»Roman«. Der Grund für die Länge der »Geschichte« ist: Elegische Liebe ebenso wie das Dichten über elegische Liebe lebt davon, ja wird überhaupt nur dadurch ermöglicht, dass der »ich« sagende poeta/amator (»Dichter/Liebhaber«) trotz der Vergeblichkeit seines Liebens, trotz der häufigen Zurückweisungen und Demütigungen durch die von ihm geliebte Frau auf seinem heftigen Verlangen, sie einmal doch noch für sich alleine zu gewinnen, eisern beharrt. Die Trotzhaltung, die er einnimmt, bis er schließlich doch keinen Sinn mehr darin sieht, manifestiert sich in der Elegiensammlung in einigen ständig wiederkehrenden Motiven. Als Liebhaber vergleicht er sich z. B. nicht selten mit einem Sklaven, der trotz der permanenten Überforderung und Misshandlung durch seine despotische domina (»Herrin«) unverdrossen seine harte Arbeit tut, in diesem Falle als einen »Sklavendienst für die Liebe bzw. für Amor« (servitium amoris bzw. Amoris; z. B. Am. 2,17). Oder mit einem Soldaten, der trotz aller Strapazen und Entbehrungen, denen er sich unterziehen muss, alle Befehle befolgt, und zwar im Bereich der Liebe diejenigen Amors, dem er »Kriegsdienst« (militia amoris bzw. Amoris) leistet (z. B. Am. 1,9). Analog dazu kann der Ich-Sprecher einer römischen Elegie auf der Ebene seiner Tätigkeit als Dichter die Trotzhaltung der sogenannten recusatio (»Weigerung«) an den Tag legen: Er bleibt, obwohl er mit dem Schreiben eines Epos oder einer Tragödie, also »großer« Poesie, mehr Ehre und Ruhm erringen könnte als mit seinen erotischen Elegien, bei dieser »kleinen« Poesie so lange, wie er Liebe zu seiner puella (»Mädchen, junge Frau; Geliebte«) zu empfinden vermag (Am. 2,1, 2,18 und 3,1). Man kann, da Bereitschaft zu servilen Diensten und zum Einsatz soldatischer Tugenden im erotischen Bereich sowie das Bekenntnis zu einem bestimmten literarischen Genre eine Art Ethos zum Ausdruck bringt, von »Wertbegriffen«

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innerhalb der fiktiven elegischen Welt sprechen, und es ist nun zu zeigen, in welchem Verhältnis diese Wertbegriffe zu denen der Gesellschaft standen, an die sich die Elegiker mit ihren Gedichtsammlungen wandten. AMOR vs. ROMA

Ganz allgemein kann man sagen, dass für einen dichtenden Liebhaber wie den, dessen Stimme wir in den Amores vernehmen, andere Normen gelten als diejenigen, die das Leben ihrer Mitmenschen, auch unser heutiges, steuern. Was speziell die römische Oberschicht des 1. Jahrhunderts v. Chr. betrifft, wurden ihre Wertbegriffe durch die elegischen ins Gegenteil verkehrt. Denn es hätte größten Anstoß erregt, wenn ein Senator oder ein Ritter sich bedingungslos der Willkür einer Frau und noch dazu einer Freigelassenen unterworfen und das sogar publik gemacht hätte. Als Soldat hatte ein Römer im Krieg zu kämpfen, nicht beim Minnedienst, zumal in den Senatorenfamilien um eine Frau nicht einmal geworben zu werden brauchte: Ehen wurden mit Rücksicht auf politische und finanzielle Interessen geschlossen, waren mithin das Resultat von Vereinbarungen zwischen den Familienoberhäuptern. Und spätestens nach dem Sieg Oktavians in der Schlacht bei Aktium (31 v. Chr.), durch den der Imperator die entscheidenden Voraussetzungen für die Errichtung der Monarchie geschaffen hatte, erwartete man von einem Dichter, dass er in einem Werk der »großen« Dichtung die Taten des Herrschers, der sich ab dem Jahre 27 v. Chr. Augustus nannte, schilderte und verherrlichte. Amor, Palindrom zu Roma, wurde von der führenden Kaste der Stadt, welche die Welt regierte, geradezu als Gegenprinzip zu Staatsräson und Standesethik angesehen. Wer sich dem Gott so uneingeschränkt verschrieb

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wie die Ich-Sprecher der erotischen Elegien, bekannte sich folglich zu einer alternativen Existenzform. Mit gutem Grund hat man deshalb darin, dass der elegische poeta/amator ganz in der Gegenwelt eines Daseins für die Liebe aufgeht, eine Protesthaltung und die indirekte Artikulation von Systemkritik erblickt; zum Vergleich verwies man auf die Staatsverdrossenheit der amerikanischen Jugend in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts mit ihrer Devise »Make love, not war«. Wirklich hatte in den Jahren des Übergangs von der Republik zum Prinzipat die Nachwuchsgeneration der Oberschicht allen Anlass, mit dem Staat unzufrieden zu sein. Schon seit der Zeit des Bürgerkriegs zwischen Caesar und Pompeius, also seit dem Ende der Fünfzigerjahre des 1. Jahrhunderts v. Chr., hatte die Konvention, wonach jeder Angehörige der höheren Stände eine reelle Chance hatte, auf legalem Wege zu einer Machtposition innerhalb der Senatsaristokratie aufzusteigen, faktisch mehr und mehr an Gültigkeit verloren; jetzt wurden die wichtigsten Ämter von den großen Imperatoren nach Gutdünken vergeben. Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt, als der Sieger von Aktium bereits seinen Ehrennamen trug und darauf hinarbeitete, seine Familie, die Julier, zur Herrschaftsdynastie zu machen. Genau in jener Phase der augusteischen Ära – das war in der ersten Hälfte der Zwanzigerjahre  – veröffentlichten Tibull und Properz ihre ersten Elegiebücher, nachdem schon rund 30 Jahre zuvor, noch zur Zeit der politischen Vormachtstellung Caesars, Catull (um 84–54 v. Chr.) u. a. Elegien und elegische Epigramme mit erotischer Thematik und in den Dreißigerjahren Cornelius Gallus (um 69/68–27/26 v. Chr.), der eigentliche Begründer der Gattung »Liebeselegie«, die (nicht überlieferte) erste Elegiensammlung mit dem Titel Amores publiziert hatte. Und um 15 v. Chr., als der augusteische Prinzipat fest etabliert war, erschienen Ovids Amores.

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Waren die Verfasser erotischer Elegien nun tatsächlich Systemkritiker, zumindest zwischen den Zeilen? Will man diese Frage beantworten, muss man zunächst bedenken, dass keine einzige der Passagen in den Texten des Tibull, Properz und Ovid, die man als antiaugusteisch interpretiert hat, nur so und nicht anders gelesen werden kann. Außerdem ist darauf zu verweisen, dass es explizite Äußerungen der Ich-Sprecher bei Properz und Ovid sowie motivverwandte implizite Äußerungen der Persona Tibulls gibt, durch die Positives über die Herrschaftsideologie des Augustus ausgesagt wird. Im Grunde können diejenigen, die die römische Elegie als systemkritisch begreifen, sich lediglich auf zwei Textzeugen berufen. Diese dokumentieren historisch glaubwürdig zwei Ereignisse der Ära des Augustus, bei denen wir Autoren von Liebeselegien im Konflikt mit dem Kaiser und damit zwangsläufig auf der »Gegenseite« sehen: den Selbstmord des Gallus 27/26 v. Chr., nachdem er bei Augustus in Ungnade gefallen und durch Senatsbeschluss von Verbannung und Vermögenseinzug bedroht war, und die Verbannung Ovids um 8 n. Chr. Bei Gallus jedoch ist zu vermuten, dass er in einer privaten Angelegenheit, nicht als Dichter Anstoß beim Kaiser erregt hatte und deshalb freiwillig aus dem Leben schied. Aber wie steht es mit Ovid? Wurde dieser Dichter nicht wegen der Abfassung einer seiner elegischen Dichtungen, der Ars amatoria (»Liebeskunst«), ohne Hoffnung auf Begnadigung ins Exil geschickt? Es ist an der Zeit, dass wir uns kurz seiner Biographie zuwenden. Von Sulmo nach Tomi Leider ist uns nicht allzu viel über die Vita des AmoresDichters bekannt. Er wurde am 20. März 43 v. Chr. in

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Sulmo, der 90 Meilen von Rom entfernten Hauptstadt des italischen Volksstamms der Päligner, als Spross einer alten Familie des Landadels geboren und gehörte in Rom, wo er in seiner Jugend zum Juristen ausgebildet wurde, zur Kaste der Ritter. Obgleich er die Option einer senatorischen Karriere gehabt hätte, verzichtete er darauf  – das konnte er sich vermutlich aufgrund eines gewissen Wohlstands leisten – und widmete sich ganz einem Dasein als Dichter. Als er bereits eine stattliche Reihe von poetischen Werken publiziert hatte  – um 15 v. Chr. die Amores, bald danach die erste Sammlung der Epistulae Heroidum (»Briefe mythischer Frauen«), also Epistel 1–15, und die Medicamina faciei femineae (»Schönheitsmittel für Frauen«), zwischen 2 v. und 4 n. Chr. die Ars amatoria (»Liebeskunst«) und Remedia amoris (»Heilmittel gegen die Liebe«), vielleicht schon vor 8 n. Chr. die Metamorphoses (»Verwandlungen«) und Buch 1–6 der (über diese erste Hälfte nie hinausgekommenen) Fasti (»Festkalender«) sowie andere Werke, die uns nicht überliefert sind, darunter vielleicht eine Tragödie (Medea)  –, traf ihn das Verbannungsurteil des Augustus. Er musste den Rest seines Lebens in Tomi am Schwarzen Meer verbringen, verlor allerdings nicht sein Bürgerrecht und sein Vermögen. Nach Vollendung weiterer Werke in den Jahren 8–16 – der Tristia (»Lieder der Trauer«), des Ibis, der Epistulae ex Ponto (»Briefe vom Schwarzen Meer«), der (wohl dort erst entstandenen) zweiten Sammlung der Epistulae Heroidum (Epistel 16–21) und möglicherweise der Metamorphosen sowie der ersten Hälfte der Fasti – starb der Dichter um 17 n. Chr. (wahrscheinlich) in Tomi. Was die Gründe für Ovids Verbannung betrifft, sind wir ganz auf die Aussagen der Persona in den Exilelegien angewiesen. Ihnen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, ob Ovid dem Prinzeps als Elegiker ein Ärgernis war oder nicht. Denn wenn sein poetisches Ego von zwei Verbannungs-

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gründen spricht, aber nur einen nennt – die Abfassung des elegischen Erotik-Lehrbuchs Ars amatoria  – und diesen Grund mit zahlreichen Argumenten als unzureichend darzustellen versucht, kann das ein Ablenkungsmanöver sein. Der Verbannte verrät uns nämlich, dass Augustus es nicht gerne gesehen hätte, wenn der zweite Grund publik geworden wäre, und das gibt uns Anlass zu folgender Vermutung: Der zweite Grund – laut Angabe des Dichters lieferte ihn ein error (»Irrtum«), er schweigt aber darüber, worin dieser bestand – dürfte ein rein politischer gewesen sein; Ovid könnte z. B. durch falsches oder ungeschicktes Verhalten im Zusammenhang mit den Maßnahmen des Augustus zur Sicherung der Herrschaft für seine Dynastie dessen Zorn erregt haben. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Verbannungsursache »Liebeskunst« kaum von Bedeutung war oder sogar von Ovid erfunden wurde und dass somit der Dichter ebenso wie Gallus beim Kaiser gar nicht in seiner Eigenschaft als Autor von Elegien in Ungnade fiel. Haben wir also neben der Möglichkeit, den betonten Rückzug des elegischen poeta/amator in eine alternative Existenz als Artikulation der Kritik am augusteischen Herrschaftssystem zu lesen, noch eine andere? Gegenwelt als monde à l’envers Eine literarisch konstruierte Welt, in der es anders zugeht als in der realen, kannte man in Rom schon lange vor der Zeit, in der die Elegiker schrieben, und zwar innerhalb der römischen Komödie. In den uns überlieferten Stücken des Plautus (um 240–184 v. Chr.) und Terenz (um 195 bis nach 159 v. Chr.) finden wir wie in den Elegien des Tibull, Properz und Ovid nicht selten den Typus des jungen Mannes aus gutem Hause, der sich ganz seiner heftigen Leidenschaft

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für eine von der Liebe lebende Frau, hier eine »richtige« Hetäre, hingibt  – in diesem Falle sehr zum Verdruss seines Vaters, der, wenn er mit dem Liebesleben seines Sohnes konfrontiert wird, auf der Bühne die gesellschaftliche Norm repräsentiert. Der Jüngling kann auch ein Soldat sein, der in erster Linie eine puella erobern möchte, während seine kriegerischen Heldentaten nur in seinen Prahlereien existieren (vgl. Am. 1,9). Und zum traditionellen Personeninventar der Komödie gehören weitere Figuren, die auch in der Elegie eine Rolle spielen und hier wie dort zusammen mit dem amator unter Voraussetzungen agieren, die von denen des bürgerlichen Alltags in Rom abweichen: der Freund, an den sich der verliebte Jüngling vertrauensvoll wendet (Am. 1,7, 1,9, 2,10[11] und 2,18[19]), die alte Kupplerin (Am. 1,8), die Magd der Hetäre (Am. 1,11/12 und 2,7/8) sowie natürlich die Hetäre selbst. Wie die Lesbia Catulls und dann bei den Elegikern die Lycoris des Gallus, Tibulls Delia und Nemesis, Properzens Cynthia, Ovids Corinna und die Neaera des Lygdamus bei Pseudo-Tibull trägt sie einen griechischen Namen. Überhaupt war es das griechische Milieu in seiner komödienhaften Verzerrung – vor allem Plautus lässt den way of life in Athen, das meist die Kulisse liefert, als allein Wein, Weib und Gesang gewidmetes Dasein erscheinen  –, das vom römischen Publikum des Plautus und Terenz sicherlich als Gegenwelt zu der eigenen bürgerlich-biederen Existenzform empfunden wurde. Doch die beiden Dramatiker, die diese Art von »Alternative« zum Rom ihrer Zeitgenossen inszenierten, begriffen sich schwerlich als Systemkritiker. Sie gaben den Zuschauern lediglich die Gelegenheit, zumindest für die Dauer der Vorführung einer Komödie im Geist aus ihrem römischen Alltag der strengen sittlichen Normen in ein gänzlich anderes Ambiente überzuwechseln, um sich angesichts seiner komischen Fremdartigkeit zu er-

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heitern, zu entspannen und seelisch für den Rückweg in die vertraute Welt zu stärken. Der allzu heftig verliebte Jüngling verkörperte also nicht die zentrale Figur einer Gegenwelt, die sich kritisch von der realen distanziert, sondern einer, die einfach auf komische Weise anders war; sagen wir daher besser: einer Verkehrten Welt. Und warum soll es mit dem poeta/amator der Elegie nicht ebenso gewesen sein? Einen Unterschied gegenüber der Komödie bot diese Gattung in ihrer Ausprägung durch Gallus, Tibull, Properz und Ovid u. a. dadurch, dass der monde à l’envers nach Rom transponiert war. Aber vielleicht diente das sogar noch der Verstärkung des komischen Effektes. Es ist ohne Weiteres vorstellbar, dass sich römische Senatoren, wenn ihnen ein Elegiker seine Gedichte vortrug, in denen er in der fiktiven Rolle des poeta/amator Verkehrte Welt spielt, einfach amüsierten – z. B. darüber, dass er wie ein griechischer Komödienjüngling betont pathetisch und entsprechend »unrömisch« über sein Liebesleid jammert. Natürlich schließt Komik Kritik keineswegs aus, im Gegenteil: Schon im Rom des Augustus sagte man die »Wahrheit« gerne lachend, etwa in den Satiren des Horaz (65–8 v. Chr.). Trotzdem werden die meisten zeitgenössischen Rezipienten der Elegie die Devise des »Make love, not war« nur lustig gefunden haben. Doch einigen verging vielleicht vorübergehend das Lachen, wenn sie daran dachten, dass die politische Lage unter einem Herrscher, der den Senatoren das Mitregieren lediglich noch zum Schein gestattete, dazu einladen könnte, sich mit der alternativen Attitüde eines poeta/amator zu identifizieren und sie als Ausdruck der Opposition gegenüber dem System zu verstehen. Es lässt sich wohl kaum zweifelsfrei entscheiden, ob die Elegiker ihr Publikum allein unterhalten und erheitern oder darüber hinaus auch zum Hinterfragen der im augusteischen Rom geltenden Werte anregen wollten. Eine

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Interpretation unter dem Aspekt der Wirkungsabsicht fällt am schwersten bei den Amores, da Ovid stärker als seine Vorgänger im Bereich der Liebeselegie an die literarische Tradition anknüpft, die die Gattung mit der römischen Komödie verbindet. Das zeigt sich zunächst einmal darin, dass er offensichtlich bestrebt war, die Sprechsituationen seiner Elegien möglichst eng an diejenigen von Komödien anzunähern. Während man bei Tibull und Properz oft große Mühe hat zu erkennen, unter welchen situativen Voraussetzungen der poeta/amator redet – z. B. kann man darüber streiten, ob Tib. 1,2 ein Paraklausithyron ist oder nicht  –, inszeniert Ovid sehr anschaulich. So präsentiert er uns in Elegie 1,8 die traditionelle Negativcharakteristik einer Kupplerin, die sich auch bei den beiden anderen Elegikern findet (Tib. 1,5,47 ff.; Prop. 4,5), aus der Perspektive eines heimlichen Zeugen: Hinter einer Tür versteckt, hört der Ich-Sprecher in der traditionellen Komödienrolle des Lauschers, wie die alte Frau seine Geliebte in den von einer Hetäre zu erlernenden Fertigkeiten unterweist. Der Dichter kann sein Alter Ego bei der Apostrophe einer als anwesend zu denkenden Person so realitätsnah agieren und zugleich das durch seine Worte ausgelöste Geschehen so plastisch schildern lassen, dass man sich dieses genau vorzustellen vermag. Besonders meisterhaft angewandt hat Ovid die Technik des Aufbauens einer »Wortkulisse«, wie die Theaterwissenschaft das nennt, in dem Gedicht 3,2, wo der Ich-Sprecher als Zuschauer beim Wagenrennen im Circus versucht, eine puella zu erobern. Der Leser sieht im Geist ganz genau die Reaktionen der Frau auf das, was der poeta/amator sagt, und zudem »erlebt« er, wie andere Zuschauer reagieren und was synchron auf der Rennbahn geschieht. In diesem Zusammenhang ist außerdem hervorzuheben, dass Monologisieren in den Amores weniger an das reflektierende Selbstgespräch eines lyrischen

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Ich als an die Rede einer Komödienfigur erinnert, die allein auf der Bühne steht. Ein Kabinettstück ovidischer Monologkunst bietet die Elegie 3,7, in welcher der poeta/amator darüber klagt, dass er bei einem Rendezvous impotent war. Er berichtet simultan über die Abfolge der Ereignisse und über die Abfolge seiner durch die Erinnerung ausgelösten Gedanken. Der Monolog erreicht seinen Höhepunkt dort, wo die »Wortkulisse« uns den Körperteil, der beim Rendezvous insuffizient war, in »allen seinen Prachten« (Goethe) vor das innere Auge stellt. Einerseits gerät Ovid damit an die Grenze der Gattung, soweit es ihr von der Tradition her gestattet ist, auch Obszönes in den erotischen Diskurs einzubeziehen. Denn die Elegie vermeidet das, während das mit ihr eng verwandte Epigramm, für uns vertreten durch Catull und Martial (um 40 bis um 104 n. Chr.), sich hier keinerlei Beschränkungen auferlegt. Andererseits ist es auch einfach wieder amüsant, wenn der Sprecher von Am. 3,7 seinen zur Unzeit erigierten Penis beschimpft, ihn also zum Partner in einem komischen »Dialog« macht, wie man ihn sonst von der Bühne her kennt. Heiterkeit wird bei Ovid jedoch nicht nur durch die Vergegenwärtigung einer komödienhaften Szenerie erzeugt, sondern auch und vor allem durch ein ebenso witziges Spiel mit den für die Liebeselegie typischen Gattungselementen; darum soll es im nächsten Abschnitt gehen. Das Spiel mit der Gattung Während man bei Tibull und Properz den Eindruck hat, in ihren Gedichten vertrete der jeweilige poeta/amator die elegischen »Werte« noch ganz im Ernst – bei näherem Hinsehen bemerkt man freilich auch in ihren Texten spielerisches Abwandeln von Motiven der Gattung  –, schwächt

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Ovid das Pathos der elegischen Liebe sehr ab oder führt sie sogar ad absurdum. Als Exempel diene sein Umgang mit der Situation der Klage vor der zugesperrten Tür. Auch der Ich-Sprecher der Amores erzählt uns einmal von einer dort verbrachten Nacht (1,6). Doch sein Paraklausithyron richtet sich nicht, wie sonst üblich, an die Tür oder die dahinter befindliche puella, sondern er bittet den Türsklaven, ihm aufzumachen. Derjenige also, der sich dem »Sklavendienst für die Liebe« unterzieht, hält eine Rede an einen »anderen« Sklaven, solidarisiert sich mit ihm und erscheint dadurch selbst als »echter« Sklave. Der poeta/amator nimmt somit eine in der Elegie häufig benutzte Metapher beim Wort. Das tut er in gewisser Weise auch am Anfang des Textes, indem er sagt, der Sklave brauche die Tür nur einen Spalt zu öffnen, da ihn, den amator, die lange Liebe dünn gemacht habe (V. 5 f.). Ovids Spiel mit der Bildersprache erotischer Dichtung hat nicht selten etwas von Eulenspiegelei. Während der poeta/amator in der Elegie 1,6 insofern noch im Sinne der Gattungstradition handelt, als er darüber klagt, dass die Tür der puella verriegelt ist, beschwert er sich in 2,19 darüber, dass ihm der Zugang zu einer Frau zu leicht ermöglicht werde. Er wendet sich damit an ihren Mann (oder ständigen Partner), der die puella nicht bewachen lässt. Die Rolle des ausgeschlossenen Liebhabers fordert der poeta/amator jetzt ganz ausdrücklich, weil der Reiz des Verbotenen für ihn ein unverzichtbares erotisches Stimulans darstellt. Doch während der elegisch Liebende hier das Leiden an der Liebe bewusst akzeptiert, zeigt er sich in einem anderen Gedicht, der Elegie 3,14, gerade dazu nicht bereit, indem er seiner Geliebten für den Fall, dass sie ihn betrügt, einen Vorschlag für ein »understanding« macht: Sie dürfe durchaus fremdgehen, solle das aber vor ihm verheimlichen, ja, wenn er doch etwas bemerke, alles abstreiten, damit ihm der Liebesschmerz erspart bleibe.

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Reflektiert man diesen Gedanken im Hinblick auf die Tradition der Gattung Elegie, sieht man deren Grenzen – das Gedicht steht nicht zufällig unmittelbar vor dem Epilog der Amores (3,15)  – endgültig überschritten. Denn Leiden ist im Wesentlichen identisch mit elegischem Lieben und kann deswegen nicht einfach durch einen Kompromiss des amator mit der puella, die ihm Grund zum Leiden gibt, ausgeschaltet werden. Ovids Spiel mit der Gattung Elegie kommt besonders deutlich darin zum Ausdruck, dass bei ihm die Persona – im Gegensatz zu den Ich-Sprechern bei Tibull und Properz – die zu Beginn als die eine Geliebte gewählte puella nicht während des gesamten »Liebesromans« einzig und allein begehrt, sondern auch andere Frauen. Der poeta/amator der Amores liebt nur in Buch 1 ausschließlich Corinna, bekundet schon in den beiden ersten Elegien, die in Buch 2 auf das gattungstheoretische Einleitungsgedicht folgen, Interesse an einer Dame, die er beim Herumspazieren kennengelernt hat, und verkündet in 2,4, dass er alle Frauen liebe; diese Elegie mit ihrer Aufzählung der diversen Formen weiblichen Sex-Appeals, die alle den Ich-Sprecher stimulieren können, diente als Vorbild für Leporellos »Registerarie« in Mozarts Don Giovanni. Ovids poeta/amator berichtet auch weiterhin in Buch 2 von seinen Bemühungen um andere puellae, wird aber gleichzeitig mit Seitensprüngen Corinnas konfrontiert und muss sich in 2,13(14) sogar fragen, ob die Geliebte, die abgetrieben hat, von ihm empfangen hatte. Man kann die Elegie 2,17(18), an die sich in Buch 2 noch ein gattungstheoretisches Gedicht (2,18[19]) sowie eines anschließt, das, motivverwandt mit 3,4, zum nächsten Buch überleitet (2,19[20]), als letztes Bekenntnis der Liebe des Ich-Sprechers zu Corinna lesen. Denn 2,17(18) klingt an 1,3 an – dort hatte er ihr erstmals seine Liebe erklärt –, und schon in 2,19(20),9–18 sowie in 3,7,25 f. redet er aus

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der Erinnerung an sie. Man kann nicht ausschließen, dass einzelne Gedichte von Buch 3 immer noch eine Beziehung des poeta/amator zu Corinna voraussetzen, welcher Art auch immer sie ist. Aber das Buch steht, wie noch näher gezeigt werden soll, ganz im Zeichen des Abschieds von der erotischen Elegie und so auch implizit von der puella, die, in 3,14, dem vorletzten Gedicht der Sammlung, nicht mit ihrem Namen angesprochen, mit Corinna identisch sein kann, aber nicht muss. In 3,15, dem Epilog der Amores, lässt Ovids Alter Ego sich nur noch gattungstheoretisch vernehmen, und da es sich insgesamt sehr viel zur Poetik der Gedichtsammlung äußert, sei im Folgenden Näheres zu diesem Thema ausgeführt. Arte allusiva und Selbstreflexion Das im vorausgegangenen Abschnitt behandelte Spiel der Amores mit der Gattung kann man nur dann adäquat würdigen, wenn man die elegischen Referenztexte, die bei Ovid Zielscheibe von Parodie und Persiflage sind, einigermaßen kennt. Aber dieses Wissen allein reicht nicht aus, da in den Amores auch zu Werken anderer Gattungen der antiken Poesie intertextuelle Bezüge hergestellt werden. Schon die ersten Worte der ersten Elegie evozieren den ersten Vers von Vergils Aeneis2, ja sogar das Präludium in Form eines Epigramms weiß wohl allein derjenige richtig zu deuten, der eine meines Erachtens darin enthaltene literarische Anspielung wahrnimmt. Die Interpreten pflegen diesen Text als autobiographische Aussage des realen Autors Ovid über die Genese der Elegiensammlung zu betrachten. Denn die in dem Vierzeiler sprechenden Gedichtbücher verkünden, sie 2 Siehe S. 236.

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seien, eben noch fünf an der Zahl, jetzt nur noch drei, weil für den Fall, dass die Lektüre auch jetzt immer noch kein Vergnügen bereite, die Pein aufgrund der Verminderung um zwei Bücher wenigstens geringer werde. Und daraus erhelle nun, Ovid habe die Amores erst in fünf Büchern und später in einer auf drei Bücher zusammengekürzten zweiten Auflage publiziert, die somit alleine überliefert wäre. Es ist natürlich keineswegs undenkbar, dass dies zutrifft. Aber muss Ovid den umfangreicheren Text, wenn es ihn denn tatsächlich gab, der Öffentlichkeit vorgelegt haben? Und warum sind von der »ersten Auflage« nicht einmal winzige Bruchstücke in Zitaten späterer Autoren, wie wir sie für viele verlorene Werke der Antike haben, überliefert? Soll es etwa wirklich ernst gemeint sein, wenn die drei Bücher erklären, der Leser werde weniger »Pein« bei ihrer Lektüre haben, als er sie hätte, wenn ihm die längere Fassung vorgelegt worden wäre? Zu den Amores als einer Dichtung, die ständig mit literarischen Bezügen spielt, passt doch wohl am besten eine Interpretation des Epigramms, die von solchen Bezügen ausgeht. Ovid erwartet offenbar, dass wir uns an ein berühmtes Wort des hellenistischen Dichters Kallimachos (um 320–245 v. Chr.) erinnern: Der »Klassiker« der recusatio, der programmatischen Ablehnung »großer« Poesie, in dessen Nachfolge sich nicht allein Catull und die Elegiker, sondern z. B. auch Vergil und Horaz stellten, spricht einmal von einem »großen Buch« als einem »großen Übel«. In komischem Rekurs darauf dürften die Bücher bei Ovid ganz einfach nur verkünden wollen – und das wäre dann sicherlich ironisch gemeint –, sie seien als weniger großes Werk das kleinere Übel. Dies impliziert nicht zwangsläufig, dass sie als »großes« Werk schon publiziert wurden, sondern kann bedeuten  – und ich halte das für wahrscheinlich  –, dass Ovid eine von ihm zunächst geschriebene größere

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Textmasse im Umfang von fünf Papyrusrollen noch vor der Veröffentlichung auf den Umfang von drei Rollen kürzte oder – das halte ich für noch wahrscheinlicher – die drei Rollen fälschlich behaupten ließ, sie seien ursprünglich zu fünft gewesen. Damit hätte er voll und ganz die Forderung einer an Kallimachos orientierten Poetik nach sorgfältig ausgearbeiteter und auf wirklich gelungene Verse beschränkter Dichtung erfüllt. Vielleicht spielt er in dem Epigramm auch auf zwei seiner Vorgänger an: Gallus, der laut dem VergilKommentator Servius vier Bücher Amores produzierte, und Properz, von dem ebenfalls, wie die Handschriften erweisen, vier Elegienbücher verfasst wurden. Ovid könnte also indirekt zum Ausdruck bringen: »Ich hätte ein Buch mehr als Gallus und Properz publizieren können, aber als guter Kallimacheer habe ich darauf verzichtet.« Wie man sieht, reflektiert der Ich-Sprecher der Amores in seiner epigrammatischen Vorrede sowohl direkt als auch zwischen den Zeilen über seine Tätigkeit als Dichter und verbindet das mit feinsinniger Intertextualität. Es gibt eine Handvoll Elegien in der Sammlung, die ganz ausdrücklich dem Thema Poetik gewidmet sind, und sie bilden sogar, linear gelesen, eine »Geschichte«, die parallel zu dem »Liebesroman« erzählt wird: Nachdem der poeta/amator in 1,1 berichtet hat, wie er von einem Epiker in einen Elegiker verwandelt wurde, prophezeit er seinen Liebesgedichten bereits am Ende von Buch 1 ebenso dauerhaften Ruhm, wie ihn eine lange Reihe von Vorgängern seit Homer und Hesiod errungen habe (1,15). In 2,1 erfahren wir, er habe erneut ein Epos zu schreiben begonnen, diesmal eine Gigantomachie, aber die puella habe ihn davon abgebracht, und 2,18(19) zufolge hinderte sie ihn auch am Verfassen einer Tragödie. In 3,1 aber verheißt er der Personifikation dieses dramatischen Genres, er werde nach Beendigung von Buch 3 zu ihr überwechseln, und seinen Entschluss bekräf-

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tigt er in 3,15, dem Epilog des Buches. Wie solche expliziten Äußerungen des dichterischen Selbstverständnisses sich über die ganze Elegiensammlung erstrecken, so zieht sich implizite Metapoetik wie ein roter Faden quer durch alle übrigen Gedichte. Man kann z. B. vieles, was Ovids Alter Ego über die puella sagt, auf einer zweiten Sinnebene, die durch die Polysemie bestimmter lateinischer Wörter eröffnet wird, als Charakterisierung seiner Poesie verstehen. Voraussetzung dafür ist, dass man die puella wie die Elegiensammlung als »sein Werk« betrachtet, und das scheint mir – zumindest auf der poetologischen Ebene – ohne Weiteres möglich. Während biographisches Interpretieren einst versuchte, die von den Ich-Sprechern der Elegien geliebten puellae zu »enttarnen«, also als Frauen zu identifizieren, die real existierten, geht man heute mit Recht davon aus, dass sie allesamt fiktive Gestalten sind, von den Elegikern offenkundig in der Absicht geschaffen, als Reflektoren der Gedanken ihres poetischen Ich zu dienen. Lycoris, Delia, Nemesis, Cynthia, Corinna und Neaera sind, wie Alison Sharrock es treffend formuliert hat (Journal of Roman Studies 81, 1991, 36 ff.), durch »womanufacture« kreierte weibliche Wesen. Daher dürfen wir, wenn der Sprecher von Amores 1,5 in den Versen über die Schönheit der nackten Corinna von ihrem corpus (»Körper«) redet, welches keinerlei menda (»Makel«) aufweise, das auch auf das Korpus seiner Elegien beziehen: Es präsentiert sich indirekt als eine von (Kunst-) Fehlern freie, mithin nicht zu »emendierende« Dichtung; eine solche erwartete man ja auch von Ovid gemäß der von Kallimachos inspirierten Poetik der augusteischen Dichter. Und wenn der poeta/amator in Elegie 2,4 erklärt, er sei polygam, und damit von der Gattungsnorm abweicht, die ihn zu sklavischer Hingabe an eine einzige puella verpflichtet, verrät er vermutlich auf der zweiten Sinnebene dies: Als poeta hat er ein Auge auf Spielarten der Gattung Elegie geworfen,

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in denen nicht die Liebe eines männlichen Ich-Sprechers zu der einen puella (oder dem einen Knaben) thematisiert wird. Wirklich finden wir bereits in den Amores – und zwar nicht zufällig im dritten Buch, in dessen Einleitungsgedicht Tragoedia den poeta zur Beendigung seiner Tätigkeit als Autor von Liebesgedichten ermahnt – vier Elegien, die, nur locker mit der erotischen Thematik der Sammlung verknüpft, andere für die Gattung geeignete Themen behandeln. Das beginnt mit 3,6, wo der Dichter angesichts der Tatsache, dass ein über die Ufer getretener Gießbach ihm den Weg zu der puella versperrt, in einer Scheltrede gegen das »liebesfeindliche« Produkt der Schneeschmelze die Namen verliebter Flussgötter sowie ihrer puellae auflistet und dann exemplarisch die Geschichte von der Liebe des Anio zu Ilia darbietet. 3,9 enthält die Klage des poeta/amator über den Tod Tibulls, 3,10 den Mythos von der Liebe der Göttin Ceres zu Jasius und 3,13 das Aition zu bestimmten Ritualen des jährlichen Junofestes in Falerii. Die elegische Mythenerzählung, zu der auch die aitiologische Geschichte gehört, und die elegische Klage über etwas anderes als Liebesleid – das sind Variationsformen der Gattung, die in Ovids übrigem Œuvre mehrfach auftauchen, vor allem im Spätwerk: einerseits in den Fasti, die Aitien zum römischen Festkalender aneinanderreihen, andererseits in den Exilelegien, in denen der Sprecher über die Verbannungssituation klagt und sich dabei nicht selten mit einem Toten vergleicht. Es dürfte klar geworden sein, welche Bedeutungsvielfalt des Textes sich uns erschließt, wenn wir die darin versteckten literarischen Bezüge und die Wortspiele wahrnehmen. Was die polysemantischen lateinischen Wörter betrifft, liegt es bei erotischer Poesie nahe, dass diejenigen mit sexueller Konnotation besonders häufig sind – allein schon deswegen, weil, wie erwähnt, offene Obszönität von der »Grammatik« der Gattung Elegie nicht erlaubt wird. Doch der Ersatz,

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die Innuendos, sind nicht für jedermann leicht bemerkbar und bereiten auch einem Übersetzer große Schwierigkeiten. Es gibt immerhin Möglichkeiten, in einer deutschen Wiedergabe des Ovid-Textes einigermaßen nachvollziehbar zu machen, wie zotenhaft der poeta/amator sich gelegentlich (zumindest indirekt) ausdrückt. Die bisherigen Verdeutschungen haben das zu ihrem Schaden ignoriert, weshalb ich mich nach Kräften bemüht habe  – speziell einer metrischen Übertragung sind da freilich Grenzen gesteckt –, das bisher Versäumte wenigstens an einigen signifikanten Stellen nachzuliefern. Weiteres nennen die Erläuterungen, aber sie können im Rahmen eines Tusculum-Bandes auf dem Gebiet der »Dekodierung« von Double-entendre, arte allusiva und impliziter Metapoetik lediglich erste Hilfe leisten und auch diese nur sporadisch; der Interessierte sei daher auf die Kommentare von John Barsby, Joan Booth und James C. McKeown3 verwiesen. Im Übrigen soll nicht der Eindruck erweckt werden, allein ein lector doctus (»gelehrter Leser«) könne noch im 21. Jahrhundert die Lektüre der Amores genießen. Es sei vielmehr betont, dass die Elegiensammlung zu den Texten des klassischen Altertums gehört, die, »herrlich wie am ersten Tag«, auch ein Publikum, das mit Interpretationskriterien der modernen Literaturkritik nicht vertraut ist, sehr direkt ansprechen können. Dazu ist jetzt einiges zu sagen. Psychologische Fallstudie Außer dem geistreichen Witz der Amores, der, wie dargelegt, allein schon durch die komödienhafte Präsentation der elegischen Thematik erzeugt wird und den man auf 3

Siehe S. 269.

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dieser Ebene ohne jedes Vorauswissen goutieren kann, ist es vor allem Ovids erotische Psychologie, durch welche die Elegiensammlung und andere Werke des Römers moderne Freunde antiker Literatur faszinieren; nicht zufällig kam es in der jüngeren Vergangenheit zu einem regelrechten »Ovid-Boom«. Den liebenden Menschen in seinem Denken und Handeln realistisch darzustellen, hat dieser Dichter mit allen Mitteln versucht. Auf sein Bemühen weist er selbst indirekt hin, wenn er in der Elegie 2,1 einen jungen Leser an der Person des poeta/amator der Amores die Symptome seiner eigenen Verliebtheit erkennen und voll Staunen ausrufen lässt: »Belehrt von welchem Verräter / schrieb der Poet da auf, was ich doch selber erlitt?« (V.  9 f.). Der Nebensatz der metrischen Verdeutschung gibt meos casus wieder. Zwar ist casus, abgeleitet von cadere (»fallen«), hier wohl in Übereinstimmung mit dem elegischen System als »Unglücksfall« zu verstehen und entsprechend verdeutscht, aber das lateinische Wort bedeutet auch neutral »Fall, der eintreten kann oder eintritt oder eingetreten ist« (und in diesem Sinne wird das lateinische Wort bildungssprachlich verwendet). Also ruft der junge Mann auch (wenn man casūs als dichterischen Plural auffasst): »Belehrt von welchem Verräter schrieb der Poet da meinen Fall  / meinen Kasus auf?« So zeigt sich: Man kann die Amores als psychologische Fallstudie bezeichnen, von der ein Identifikationsangebot ausgeht. Was dem Text zufolge der poeta/amator mit seiner Corinna und anderen puellae erlebt, spiegelt eine breite Palette von Möglichkeiten erotischer Erfahrungen wider, so dass zweifellos »für jeden etwas dabei« ist, das ohne Weiteres nachvollzogen werden kann. Mit Recht hat man deswegen den im Deutschen nicht adäquat wiederzugebenden Titel Amores – die Mehrzahl sowohl des Eigennamens Amor als auch des Wortes amor (»Liebe«) – außer mit »Liebesge-

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dichte« auch mit »Liebeserfahrungen« übersetzt.4 Von solchen ist bereits in den Elegiensammlungen des Tibull und Properz ausführlich die Rede, aber Ovid hat  – abgesehen davon, dass er anschaulicher erzählt – das Themenspektrum beträchtlich erweitert, vor allem im Bereich der Krisensituationen einer erotischen Beziehung. Er führt uns erstmals innerhalb der römischen Elegie vor Augen, wie ein junger amator sich verhalten kann, – wenn er mit seiner Geliebten und deren festem Partner beim selben Gastmahl weilt (1,4); – nachdem er die Geliebte geschlagen hat (1,7); – wenn ihr die Haare, die sie gefärbt hat – vermutlich um für einen anderen Mann attraktiv zu sein –, ausgegangen sind (1,14); – während sie ihn in seiner Gegenwart betrügt (2,5); – nachdem sie abgetrieben hat (2,13 und 14); – wenn er impotent ist (3,7). Doch auch Momente des Liebesglücks sind in den Amores nicht ausgespart, und hier erschließt Ovid der erotischen Poesie ebenso Neuland. So haben wir z. B. kein antikes Gedicht, das man mit der Elegie vergleichen kann, in welcher der Ich-Sprecher während der Siesta in einem halbdunklen Raum der keineswegs widerstrebenden Geliebten die Kleider vom Leib reißt, um mit ihr zu schlafen (1,5). Ebenso wenig kennen die römischen Vorgänger Ovids den (erst seit dem Mittelalter häufiger anzutreffenden) Gedichttyp »Tagelied«. In Ovids Elegie dieses Typs sagt der poeta/amator zu Beginn in sehr schönen Versen, wie herrlich es ist, während des Tagesanbruchs im Bett in den Armen der puella zu ruhen (1,13). Gedichte, welche die rund 2000 Jahre alte Elegiensammlung besonders »modern« erscheinen lassen, sind die4 B. M. Gauly, Liebeserfahrungen, Frankfurt a.M. 1990.

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jenigen, die das Thema »Untreue in der Liebe« behandeln. Nehmen wir als Beispiel nochmals die Elegie 3,14, in welcher der poeta/amator die Seitensprünge seiner puella unter der Bedingung duldet, dass sie ihm, der keine Eifersuchtsqualen leiden will, diese verheimlicht. Man kann sich gut vorstellen, dass heutzutage, wo Liebe, Partnerschaft und Ehe in die gefühlsarme Welt von Business und Elektroniktechnologie eingebunden sind, Männer und Frauen, die sich nicht durch die mit Eros und Sex verknüpften Unwägbarkeiten in ihrem modern life eingeschränkt sehen wollen, zu einem solchen agreement mit dem ständigen Partner bereit sind und sogar damit leben können. Nun, Ovid ging es wohl gar nicht darum, auch das Thema von 3,14 zu einer Art Modellfall zu machen, da er es, wie erwähnt, aus der Motivtradition der Gattung Elegie entwickelte, um damit deren Grenzen aufzuzeigen. Aber ein literarisches Werk muss ja nicht zu allen Zeiten so gelesen werden, wie es in der Epoche, in der es entstand, vielleicht gelesen werden wollte. Im Gegenteil: Wenn es die Jahrhunderte überdauert, weil es Menschen späterer Generationen etwas sagt, was es den Zeitgenossen noch nicht sagte, dann zeugt gerade das, wie ich meine, von hoher literarischer Qualität. Und diese Qualität der Zeitlosigkeit haben Ovids Amores mit ihrer ebenso humorvollen wie psychologisch eindringlichen Vergegenwärtigung von Szenen aus der Erfahrungswelt eines liebenden jungen Dichters zweifellos aufzuweisen. Deshalb ist es auch zu begrüßen, dass der Verlag der TusculumReihe, in der die Amores-Bilingue seit einigen Jahren nur als Paperback der ersten Auflage von 1999 lieferbar war, mir ermöglicht hat, eine zweite Auflage der gebundenen Ausgabe zu edieren. Dankenswerterweise durfte ich sogar vorher den ganzen Band einer gründlichen Überarbeitung unterziehen, die neueren Bedürfnissen Rechnung tragen möchte. Dazu nun noch ganz kurz!

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»Liebeserfahrungen« revidiert Für die vorliegende Bilingue der Amores habe ich die (jetzt nach vorne gezogene) Einführung erweitert, am lateinischen Text mit Blick auf jüngste textkritische Erkenntnisse einige Änderungen vorgenommen, die metrische Verdeutschung an zahlreichen Stellen zu verbessern versucht, die Erläuterungen revidiert und durch zusätzliche ergänzt, dahinter eine zusätzliche Abhandlung zum Nachwirken der Amores im übrigen Werk Ovids gesetzt und das Literaturverzeichnis aktualisiert. Die textkritische Basis für meine Edition des lateinischen Originals ist nach wie vor Kenneys Oxoniensis.5 Ich habe aber mehrfach Lesarten bzw. Konjekturen bevorzugt, die ich in den Kommentaren von Barsby, Booth und McKeown fand und dazu andere, die mir einschlägige Untersuchungen sowie der noch unveröffentlichte Band 4 von McKeowns Erläuterungswerk, also die Kommentierung von Buch 3 der Amores, lieferten. Der Autor war so großzügig, mich das Manuskript einsehen zu lassen, wofür ich ihm hiermit sehr herzlich danke. Für die Übersetzung hätte es sich angeboten, statt der metrischen Wiedergabe jetzt eine solche in Prosa anzufertigen und damit modernen Bedürfnissen entgegenzukommen. Mir persönlich scheint aber, dass der Verzicht auf ein Nachempfinden der poetischen Gestalt des Ovid-Textes den Lesern, die nur noch über »little Latin« verfügen und von lateinischer Metrik nicht viel wissen – und ihre Zahl wächst permanent, sogar unter Schülern humanistischer Gymnasien und Studenten der Latinistik –, die Möglichkeit nimmt, immerhin einen Eindruck von der Formalästhetik des Originals zu gewinnen. Das Deutsche ist im 5 Siehe S. 269, dort auch zu den des Weiteren zu nennenden Titeln.

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Gegensatz zu anderen indogermanischen Sprachen relativ gut dafür geeignet, als Grundlage für Hexameter und Pentameter verwendet zu werden. Gewiss, auch unsere Sprache stößt hier oft an Grenzen. Wer also die von der Tradition der deutschen Dichtung entwickelten Vorschriften für den Versbau genauestens beachten will, muss Zugeständnisse sowohl an die Wiedergabe der Vorlage als auch an die eigene Diktion machen. Früher hat man an Stellen, die wegen des metrischen Zwangs nicht wörtlich übertragbar sind, unbekümmert etwas einigermaßen Sinngemäßes hingeschrieben oder ist sogar vom Originalwortlaut erheblich abgewichen. Insgesamt sind deshalb viele solche Übersetzungen keine solchen, sondern eher freie Bearbeitungen und deshalb nicht sehr passend für eine Bilingue. Einen Ausgleich versuchte man zu schaffen, indem man spezielle Ausdrücke des älteren deutschen Dichteridioms wie »er beut« oder poetische Syntax wie »Als er sie gesehen, rief er …« benutzte. Ich meine, dass man so etwas einem Publikum des 21. Jahrhunderts schon deshalb nicht mehr zumuten kann, weil bei uns die Fähigkeit, die Diktion von literarischen Werken früherer Zeiten wirklich zu verstehen, ebenfalls stetig zurückgeht; Faust in der Schule wird heute weniger gelesen als übersetzt. Daher habe ich mich bemüht, dem Gegenwartsdeutsch nahe zu bleiben und dennoch den lateinischen Text so wörtlich wiederzugeben, wie es irgend ging, wobei ich mich an die Regeln der deutschen Metrik nicht immer ganz so puritanisch hielt wie meine Vorgänger. So verfuhr ich schon bei der Vorbereitung der ersten Auflage, aber es ergab sich nun, dass ich in sehr vielen Versen Änderungen vornehmen konnte, die, glaube ich, meinen Text verbessern. Der auf die Erläuterungen folgende Essay sollte ursprünglich mit Rücksicht auf moderne Trends in der Klassischen Philologie etwas behandeln, was in allen Sprachen

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der Länder, die das Fach kennen, Nachleben und im Deutschen »Rezeption« heißt. Nun ist es aber so, dass die Amores von allen Werken Ovids nach dem Ende der Antike am wenigsten, ja überhaupt nicht sehr häufig rezipiert wurden; sie sind auch nach wie vor – und das ist schwer verständlich, weil in ihnen schon der ganze Naso steckt – ein Stiefkind der Ovid-Forschung. Sieht man einmal von vielen lateinischen Ovid-Epigonen der Renaissance ab, deren Namen mit Recht vergessen sind und die lediglich von Latinisten gewürdigt werden, denen zu den römischen Klassikern wohl nichts mehr einfällt, kann man keine Dichter innerhalb der mittelalterlichen und neuzeitlichen Literatur nennen, die sich von den Amores so weit anregen ließen, dass sie diese zur Folie für ein ganzes Werk machten und dann etwas Eigenständiges schufen. Intertextualität wurde meist nur punktuell hergestellt, etwa wenn Petrarca in Gedicht 5 des Canzoniere vermutlich mit Blick auf die erste Erwähnung des Namens Corinna in Am. 1,5 erstmals den Namen Laura benutzt. Oder, wie erwähnt, mit der Registerarie im Don Giovanni. Oder wenn Goethe in seinem ImpotenzGedicht Das Tagebuch auf Am. 3,7 rekurrierte (als Motto aber die zwei Tibull-Verse wählte, die ihn und Ovid motivisch anregten: 1,5,39 f.); Referenztexte für die Römischen Elegien sind ja nicht allein die Amores, sondern auch die Sammlungen Catulls, Tibulls und des Properz. Selten ist dagegen ein länger geführter und entsprechend fruchtbarer Dialog mit Ovids »Liebeserfahrungen«, wie wir ihn etwa bei John Donne finden, aber auch dieser Dichter »unterhält sich« gleichermaßen mit Tibull und Properz. Eine Abhandlung zur Rezeption der Amores erscheint daher nur sinnvoll, wenn sie die beiden anderen Elegiker einbezieht. Ich habe deshalb auf Darlegungen zu dem ursprünglich gewünschten Thema verzichtet und betrachte stattdessen Dichtungen, auf die zunächst die Amores gewirkt haben und die dann

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besonders seit der Renaissance ein so blühendes Nachleben entwickelten, dass man sie zur Weltliteratur zählen darf: die nach den Amores entstandenen Werke Ovids, die alle mehr oder weniger dem von ihm erstmals in der Gedichtsammlung angewandten elegischen System verpflichtet sind. Und das passt bestens zu einem spielfreudigen Dichter wie Ovid: dass er selbst die Rezeption seines ersten Werkes inszeniert. Zum Schluss der Einführung bleibt mir noch, meinen Dank an meine unermüdliche Helferin bei Literaturbeschaffung und Durchsicht der Datei zu richten: Maria Anna Oberlinner. Zur Zeit selbst ovidianisch tätig, indem sie über die Remedia amoris arbeitet, konnte sie auch wertvolle fachliche Ratschläge geben. Ihr sei daher dieses Buch gewidmet. München, im April 2014

Niklas Holzberg

TEXT UND ÜBERSETZUNG

LIBER PRIMUS Epigramma Ipsius Qui modo Nasonis fueramus quinque libelli, tres sumus: hoc illi praetulit auctor opus. ut iam nulla tibi nos sit legisse voluptas, at levior demptis poena duobus erit. 1 Arma gravi numero violentaque bella parabam edere, materia conveniente modis. par erat inferior versus; risisse Cupido dicitur atque unum surripuisse pedem. ‘quis tibi, saeve puer, dedit hoc in carmina iuris? 5 Pieridum vates, non tua, turba sumus. quid, si praeripiat flavae Venus arma Minervae, ventilet accensas flava Minerva faces? quis probet in silvis Cererem regnare iugosis, lege pharetratae virginis arva coli? 10 crinibus insignem quis acuta cuspide Phoebum instruat, Aoniam Marte movente lyram? sunt tibi magna, puer, nimiumque potentia regna: cur opus affectas, ambitiose, novum? an, quod ubique, tuum est? tua sunt Heliconia tempe? 15 vix etiam Phoebo iam lyra tuta sua est? cum bene surrexit versu nova pagina primo, attenuat nervos proximus ille meos. nec mihi materia est numeris levioribus apta, aut puer aut longas compta puella comas.’ 20

ERSTES BUCH Vorspruch des Dichters Waren gerade wir fünf Gedichtbücher Nasos, sind nur noch drei wir: Es zog dies Werk jenem der Dichter jetzt vor. Uns zu lesen mag dir noch immer nicht Freude bereiten, ohne die zwei wird jedoch leichter dir werden die Pein.

1 Waffengewalt und Kriege in wuchtigen Rhythmen besingen wollte ich, und mein Stoff passte zur metrischen Form. Gleich war dem ersten Vers der zweite; gelacht hat Cupido – so wird erzählt – und darauf mir einen Versfuß geraubt. »Wer gab, grimmiger Knabe, dir Jurisdiktion über Verse? Nur den Musen, nicht dir, folgen wir Dichter als Schar. Was, wenn Minerva, der blonden, die Wehr nähm Venus, und wenn die blonde Minerva schwäng brennende Fackeln herum? Wer fänd’s richtig, wenn Ceres im Bergwald herrschte, die Jungfrau, köcherbewehrt, die Macht über den Ackerbau hätt? Wer gäb, während Mars die Lyra Aoniens schlüge, Phöbus den spitzen Speer, ihm mit dem prächtigen Haar? Knabe, du hast ein Reich, das groß ist und allzu gewaltig: Ambitiöser, warum willst du ein neues Gebiet? Oder ist alles denn dein? Ist das Tal am Helikon deines? Ist auch die Lyra nicht mehr sichrer Besitz des Apoll? Mit Vers 1 hob bestens an die begonnene Seite, aber der folgende Vers schwächt mir die Dichterpotenz. Stoff auch fehlt mir, geeignet fürs leichtere Metrum, ein Knabe oder ein Mädchen, das Haar kunstvoll geordnet und lang.«

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LIBER PRIMUS

questus eram, pharetra cum protinus ille soluta legit in exitium spicula facta meum lunavitque genu sinuosum fortiter arcum ‘quod’que ‘canas, vates, accipe’ dixit ‘opus!’ me miserum! certas habuit puer ille sagittas: uror, et in vacuo pectore regnat Amor. sex mihi surgat opus numeris, in quinque residat; ferrea cum vestris bella valete modis! cingere litorea flaventia tempora myrto, Musa per undenos emodulanda pedes!

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2 Esse quid hoc dicam, quod tam mihi dura videntur strata, neque in lecto pallia nostra sedent, et vacuus somno noctem, quam longa, peregi, lassaque versati corporis ossa dolent? nam, puto, sentirem, si quo temptarer amore – an subit et tecta callidus arte nocet? sic erit: haeserunt tenues in corde sagittae, et possessa ferus pectora versat Amor. cedimus, an subitum luctando accendimus ignem? cedamus: leve fit, quod bene fertur, onus. vidi ego iactatas mota face crescere flammas et rursus nullo concutiente mori. verbera plura ferunt quam quos iuvat usus aratri, detractant prensi dum iuga prima, boves. asper equus duris contunditur ora lupatis: frena minus sentit, quisquis ad arma facit. acrius invitos multoque ferocius urget, quam qui servitium ferre fatentur, Amor. en ego confiteor: tua sum nova praeda, Cupido; porrigimus victas ad tua iura manus.

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So meine Klage; da öffnete gleich er den Köcher und wählte einen Pfeil aus – gemacht war zum Verderben er mir –, krümmte mit Kraft überm Knie zur Halbmondform seinen Bogen und sprach: »Da, für dein Lied, Dichter, empfange den Stoff!« Weh mir! Sichere Pfeile hatte der Knabe: Ich brenne, und mein Herz, das bisher frei war, beherrscht jetzt der Gott. Mit sechs Metren soll steigen mein Werk, in fünfen sich senken; eiserne Kriege mitsamt eueren Rhythmen, lebt wohl! Leg um die blonden Schläfen vom Strand die Myrte dir, Muse; hendekametrisch seist du zum Ertönen gebracht!

2 Was nur mag es bedeuten, dass mir mein Lager so hart scheint, und dass nicht auf dem Bett festsitzt das deckende Tuch, schlaflos die Nacht ich verbracht hab – wie lang war die! – und die müden Knochen im Leib, der sich oft wälzte, mir schmerzen davon? Griffe mich irgendeine Liebe an, merkt’ ich’s doch, glaub ich – oder schleicht sie sich ein, schadet mir schlau und mit List? So wird es sein: Es haftet der zarte Pfeil mir im Herzen; Amor beherrscht mir die Brust, wühlt sie, der wilde, mir auf. Weich ich oder entflamm ich das plötzliche Feuer durch Kämpfen? Weich ich denn: Leicht wird die Last, wenn mit Geschick man sie trägt. Sah ich doch Feuer, wenn Fackeln man schwang, durch Bewegung erstarken, ausgehn andererseits, schüttelte keiner sie mehr. Öfter als Ochsen, die gerne den Pflug ziehn, schlägt man die grad erst eingefangenen, die anfangs das Joch noch verschmähn. Sträubt sich’s, verletzt sich das Pferd an der harten Trense: Die Zügel spürt es weniger dann, wenn dem Geschirr es sich fügt. Wer nicht will, den bedrängt viel wilder und heftiger Amor als denjenigen, der zugibt, sein Sklave zu sein. Sieh, ich gesteh’s: Ich bin deine neue Beute, Cupido, strecke die Hände besiegt hin dir nach deinem Gesetz.

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LIBER PRIMUS

nil opus est bello: pacem veniamque rogamus; nec tibi laus armis victus inermis ero. necte comam myrto, maternas iunge columbas; qui deceant, currus vitricus ipse dabit, inque dato curru, populo clamante triumphum, stabis et adiunctas arte movebis aves. ducentur capti iuvenes captaeque puellae: haec tibi magnificus pompa triumphus erit. ipse ego, praeda recens, factum modo vulnus habebo et nova captiva vincula mente feram. Mens Bona ducetur manibus post terga retortis et Pudor et castris quicquid Amoris obest. omnia te metuent; ad te sua bracchia tendens vulgus ‘io’ magna voce ‘triumphe’ canet. Blanditiae comites tibi erunt Errorque Furorque, assidue partes turba secuta tuas. his tu militibus superas hominesque deosque; haec tibi si demas commoda, nudus eris. laeta triumphanti de summo mater Olympo plaudet et appositas sparget in ora rosas. tu pinnas gemma, gemma variante capillos, ibis in auratis aureus ipse rotis. tum quoque non paucos, si te bene novimus, ures; tum quoque praeteriens vulnera multa dabis. non possunt, licet ipse velis, cessare sagittae; fervida vicino flamma vapore nocet. talis erat domita Bacchus Gangetide terra: tu gravis alitibus, tigribus ille fuit. ergo cum possim sacri pars esse triumphi, parce tuas in me perdere, victor, opes! aspice cognati felicia Caesaris arma: qua vicit, victos protegit ille manu.

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ERSTES BUCH

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Nicht bedarf es des Krieges: Um Frieden bitt ich und Gnade; wehrlos durch Waffen besiegt bringe ich niemals dir Ruhm. Flicht dir Myrte ins Haar, schirr an die Tauben der Mutter; ein Gefährt, das dir ziemt, gibt dir dein Stiefvater selbst, und auf diesem Gefährt stehst du dann, »Triumph!« ruft die Menge, und du wirst mit Geschick lenken das Vogelgespann. Jünglinge als Gefangne und Mädchen wirst mit dir du führen: Ein grandioser Triumph wird dieser Festzug für dich. Ich, deine jüngste Beute, ertrage, gerade verwundet, Fesseln, noch nicht dran gewöhnt, dann mit gefangenem Sinn. Mitgeführt wird Vernunft, auf dem Rücken die Hände gefesselt, Scham auch und alles, was sich Amors Armee widersetzt. Alles wird Angst vor dir haben; zu dir die Arme erhebend werden die Leute laut rufen: »Hurra!« und »Triumph!« Dich eskortieren dann Schmeicheleien, Verblendung und Wahnsinn, eine Schar, welche stets deine Partei unterstützt. Du kannst Menschen und Götter mit diesen Soldaten besiegen; fehlt dieser Vorteil im Kampf, dann wirst du waffenlos sein. Froh beklatscht dann hoch vom Olymp die Mutter den Sieger, streut dir auch Rosen, die neben ihr liegen, aufs Haupt. Du, mit Juwelen geschmückt die Flügel, das Haar mit Juwelen, fährst dann auf Rädern von Gold, selber im Goldglanz, dahin. Kenn ich dich recht, entflammst du auch jetzt nicht wenige Herzen, schlägst im Vorüberfahrn mancherlei Wunden auch jetzt. Willst du’s auch selbst, die Pfeile können nicht ruhen; es schadet deine feurige Glut, wenn ihre Hitze sich naht. Bacchus war so nach dem Sieg übers Land am Ganges: ein Schrecken du durch das Vogelgespann, er durch das Tigergespann. Also, da ein Teil des heil’gen Triumphes ich sein kann, Sieger, verschwende nur ja nicht deine Kräfte an mich! Schau auf Caesars, deines Verwandten, gesegnete Waffen: Mit der Hand, die bezwang, schützt die Bezwungenen er.

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LIBER PRIMUS

3 Iusta precor: quae me nuper praedata puella est, aut amet aut faciat cur ego semper amem. a, nimium volui! tantum patiatur amari; audierit nostras tot Cytherea preces. accipe, per longos tibi qui deserviat annos; accipe, qui pura norit amare fide! si me non veterum commendant magna parentum nomina, si nostri sanguinis auctor eques, nec meus innumeris renovatur campus aratris, temperat et sumptus parcus uterque parens, at Phoebus comitesque novem vitisque repertor hac faciunt et me qui tibi donat Amor et nulli cessura fides, sine crimine mores, nudaque simplicitas purpureusque pudor. non mihi mille placent, non sum desultor amoris: tu mihi, si qua fides, cura perennis eris. tecum, quos dederint annos mihi fila sororum, vivere contingat teque dolente mori. te mihi materiem felicem in carmina praebe: provenient causa carmina digna sua. carmine nomen habent exterrita cornibus Io et quam fluminea lusit adulter ave quaeque super pontum simulato vecta iuvenco virginea tenuit cornua vara manu. nos quoque per totum pariter cantabimur orbem iunctaque semper erunt nomina nostra tuis. 4 Vir tuus est epulas nobis aditurus easdem: ultima cena tuo sit precor illa viro.

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3 Was ich erbitt, ist gerecht: Die Frau, die mich jüngst hat erobert, liebe mich oder bewirk’, dass ich sie immer begehr. Ach, ich wollte zu viel! Nur dulden soll sie mein Lieben; dann hat mir Venus gewährt, was ich so oft mir erbat. Ihn, der lange Jahre dir dienen möchte, mit reiner Treue zu lieben versteht, nimm ihn, ja nimm ihn doch an! Wenn mich auch nicht der Väter bedeutende Namen empfehlen, wenn nur ein Ritter der Ahn meiner Familie war, nicht unzählige Pflüge das Ackerland mir verjüngen, sparsam die Eltern sind, mäßig in ihrem Verbrauch, stehn doch Phöbus, die neun Begleiterinnen, des Rebstocks Finder dazu für mich ein, Amor auch, der mich dir schenkt, Treue, die keiner nachsteht, ein einwandfreier Charakter, ehrliche Schlichtheit, dazu purpurn errötende Scham. Nicht gefallen mir Tausend, ich bin in der Liebe nicht sprunghaft: Gibt es noch Treue, wirst du ewige Sehnsucht mir sein. Mir sei beschieden, zu leben mit dir die Zeit, die der Schwestern Fäden mir geben, mein Tod werde betrauert von dir. Gib als ergiebigen Stoff für meine Lieder dich selbst mir: Lieder entstehn dann, die würdig des Anlasses sind. Io wurde berühmt durch ein Lied, die durch Hörner Erschreckte, sie auch, die der Galan täuschte in Vogelgestalt, und dann sie, die beim Ritt übers Meer auf dem Trugbild des Stieres mit jungfräulicher Hand hielt das gebogene Horn. Uns auch wird auf der ganzen Welt zugleich man besingen, und mein Name ist dann immer mit deinem vereint.

4 Just zu demselben Gastmahl wie wir wird dein Mann sich begeben: Für den Mann – ich erfleh’s – sei es das letzte Bankett.

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LIBER PRIMUS

ergo ego dilectam tantum conviva puellam aspiciam? tangi quem iuvet, alter erit, 5 alteriusque sinus apte subiecta fovebis? iniciet collo, cum volet, ille manum? desine mirari, posito quod candida vino Atracis ambiguos traxit in arma viros. nec mihi silva domus, nec equo mea membra cohaerent: vix a te videor posse tenere manus. 10 quae tibi sint facienda tamen cognosce, nec Euris da mea nec tepidis verba ferenda Notis. ante veni quam vir; nec quid, si veneris ante, possit agi video, sed tamen ante veni. cum premet ille torum, vultu comes ipsa modesto 15 ibis ut accumbas, clam mihi tange pedem. me specta nutusque meos vultumque loquacem; excipe furtivas et refer ipsa notas. verba superciliis sine voce loquentia dicam; verba leges digitis, verba notata mero. 20 cum tibi succurret veneris lascivia nostrae, purpureas tenero pollice tange genas. si quid erit, de me tacita quod mente queraris, pendeat extrema mollis ab aure manus; cum tibi, quae faciam, mea lux, dicamve, placebunt, 25 versetur digitis anulus usque tuis. tange manu mensam, tangunt quo more precantes, optabis merito cum mala multa viro. quod tibi miscuerit, sapias, bibat ipse iubeto; 30 tu puerum leviter posce, quod ipsa voles. quae tu reddideris, ego primus pocula sumam, et, qua tu biberis, hac ego parte bibam. si tibi forte dabit quod praegustaverit ipse, reice libatos illius ore cibos. 35 nec premat indignis sinito tua colla lacertis, mite nec in rigido pectore pone caput;

ERSTES BUCH

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Also als Gast nur werd ich das Mädchen, welches ich liebe, sehen? Den anderen wird’s freuen, dass du ihn berührst, wärmen des anderen Brust wirst du, dich eng an ihn schmiegen? Jener legt, wenn er will, dir um den Hals seinen Arm? Wunder dich nicht, dass beim Wein die schöne Tochter des Atrax Männer in Zwittergestalt hinriss zur Waffengewalt. Nicht ist der Wald mein Zuhause, ein Pferd nicht zur Hälfte mein Körper: Kaum doch halt ich von dir, glaub ich, die Hände zurück. Dennoch: Was du zu tun hast, das lerne, und weder den Ostwind noch den lauen Süd lass meine Worte verwehn. Vor dem Mann komm an; was man dann, wenn du vorher schon ankommst, machen kann, seh ich noch nicht, komm aber eher als er. Wenn auf der Couch er lastet und du, um daneben zu liegen, keusch in der Miene, erscheinst, streife mir heimlich den Fuß. Schau auf mich, meine Winke und meine sprechende Miene; heimliche Zeichen empfang, sende auch solche du selbst. Lautlos redende Worte sprech mit den Brauen ich, Worte liest von den Fingern du ab, Worte, gemalt in den Wein. Kommt in den Sinn dir, wie frech wir es trieben, dann fasse an deine Wangen, die purpurnen, dir sanft mit dem Daumen du hin. Hast du etwas im Stillen an mir zu beklagen, dann lass am unteren Ende des Ohrs hängen die zierliche Hand; wenn dir aber, mein Licht, gefällt, was ich tu oder sage, dreh mit den Fingern den Ring wieder und wieder herum. Fass mit der Hand an den Tisch in der Art, wie es Betende machen, wenn dem Mann – er verdient’s – allerlei Übles du wünschst. Sei vernünftig und lass, was er mischt für dich, selber ihn trinken; ordre vom Sklaven diskret, was du persönlich dir wünschst. Reichst du den Becher zurück, werd ich ihn als erster ergreifen; wo du getrunken hast, dort trinke dann selber auch ich. Will er dir etwas, wovon er selbst schon gekostet hat, geben, weise du das, was sein Mund vorher berührt hat, zurück. Lass mit den Armen ihn nicht – er verdient’s nicht! – den Hals dir belasten, leg ihm den feinen Kopf nicht an die kantige Brust;

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LIBER PRIMUS

nec sinus admittat digitos habilesve papillae; oscula praecipue nulla dedisse velis. oscula si dederis, fiam manifestus amator et dicam ‘mea sunt’ iniciamque manum. haec tamen aspiciam, sed quae bene pallia celant, illa mihi caeci causa timoris erunt. nec femori committe femur nec crure cohaere nec tenerum duro cum pede iunge pedem. multa miser timeo, quia feci multa proterve, exemplique metu torqueor ipse mei: saepe mihi dominaeque meae properata voluptas veste sub iniecta dulce peregit opus. hoc tu non facies; sed ne fecisse puteris, conscia de tergo pallia deme tuo. vir bibat usque roga (precibus tamen oscula desint!), dumque bibit, furtim, si potes, adde merum. si bene compositus somno vinoque iacebit, consilium nobis resque locusque dabunt. cum surges abitura domum, surgemus et omnes, in medium turbae fac memor agmen eas: agmine me invenies aut invenieris in illo; quicquid ibi poteris tangere, tange, mei. me miserum! monui, paucas quod prosit in horas; separor a domina nocte iubente mea. nocte vir includet; lacrimis ego maestus obortis, qua licet, ad saevas prosequar usque fores. oscula iam sumet, iam non tantum oscula sumet; quod mihi das furtim, iure coacta dabis. verum invita dato (potes hoc) similisque coactae; blanditiae taceant sitque maligna Venus. si mea vota valent, illum quoque ne iuvet opto; si minus, at certe te iuvet inde nihil. sed quaecumque tamen noctem fortuna sequetur, cras mihi constanti voce dedisse nega.

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seinen Fingern versag die zum Streicheln geschaffenen Brüste, aber vor allem sei niemals zum Küssen bereit. Gibst du ihm Küsse, dann geb als Geliebter ich mich zu erkennen, sag: »Sie gehören nur mir!«, lege auf dich meine Hand. Dies kann ich wenigstens sehn, doch was gut versteckt durch ein Tuch wird, das wird blinde Furcht ständig erregen in mir. Presse nicht Schenkel an Schenkel, verschränk nicht die Beine mit seinen, nicht an den harten Fuß drück deinen zierlichen Fuß. Vieles fürchte ich Armer; ich tat ja schamlos schon vieles, und es quält mich die Angst, die mein Exempel mir weckt: Oft hat meine Lust und die der Geliebten in Eile ein beglückendes Werk unter der Decke vollbracht. Du wirst das nicht tun; doch damit man nicht denke, du tatst es, nimm von der Schulter das Tuch – Mitwisser ist’s ja – herab. Bitt ihn, dass ständig er Wein trinkt (küss ihn nicht, wenn du ihn bittest!); trinkt er ihn, gieß, wenn du kannst, puren verstohlen dazu. Liegt er dann da wie im Grab, vom Schlaf und vom Wein überwältigt, geben Lage und Ort uns schon den richtigen Rat. Stehst du zum Heimgehn auf, und wir andern erheben uns alle, sollst du – denke daran – gehen inmitten des Schwarms: Mich wirst im Schwarm du finden, oder du lässt dich dort finden; alles an mir, was dabei du dort berührn kannst, berühr. Weh mir! Belehrungen gab ich, die wenige Stunden nur nützen; von der Geliebten bin ich, weil es die Nacht will, getrennt. Einsperrn wird dich der Mann in der Nacht; mit Tränen und traurig folg ich, so weit ich es darf, dann bis zur grausamen Tür. Küsse, die wird er sich jetzt, jetzt nicht nur Küsse sich nehmen; geben, gezwungen vom Recht, wirst du, was heimlich ich krieg. Widerwillig jedoch gib’s ihm, wie gezwungen (du kannst das); sag nichts Liebes dabei, Venus sei geizig bei ihm. Nützt mein Gebet was, wünsch ich, auch ihm soll Lust nicht vergönnt sein; wenigstens du sollst gewiss keinerlei Lust dann verspürn. Welches Schicksal auch immer gleichwohl der Nacht dann zuteil wird, morgen leugne, dass du’s – fest sei die Stimme – ihm gabst.

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LIBER PRIMUS

5 Aestus erat mediamque dies exegerat horam; apposui medio membra levanda toro. pars adaperta fuit, pars altera clausa fenestrae, quale fere silvae lumen habere solent, qualia sublucent fugiente crepuscula Phoebo aut ubi nox abiit nec tamen orta dies. illa verecundis lux est praebenda puellis, qua timidus latebras speret habere pudor. ecce, Corinna venit tunica velata recincta, candida dividua colla tegente coma, qualiter in thalamos famosa Semiramis isse dicitur et multis Lais amata viris. deripui tunicam; nec multum rara nocebat, pugnabat tunica sed tamen illa tegi, cumque ita pugnaret tamquam quae vincere nollet, victa est non aegre proditione sua. ut stetit ante oculos posito velamine nostros, in toto nusquam corpore menda fuit. quos umeros, quales vidi tetigique lacertos! forma papillarum quam fuit apta premi! quam castigato planus sub pectore venter! quantum et quale latus! quam iuvenale femur! singula quid referam? nil non laudabile vidi, et nudam pressi corpus ad usque meum. cetera quis nescit? lassi requievimus ambo. proveniant medii sic mihi saepe dies! 6 Ianitor (indignum!) dura religate catena, difficilem moto cardine pande forem.

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5 Heiß war’s, der Tag hatte eben die mittlere Stunde vollendet; um zu ruhn, hab ich mitten aufs Bett mich gelegt. Nur der eine Laden des Fensters war offen, der andre war geschlossen – ein Licht, wie man’s vom Walde her kennt, wie die Dämmerung schimmert, wenn Phöbus entfliehen will, oder wenn vorbei ist die Nacht, noch nicht erschienen der Tag. So ein Licht sei gewährt den scheuen Mädchen, denn Hoffnung auf ein sichres Versteck gibt’s da für ängstliche Scham. Siehe, Corinna kommt, umhüllt vom entgürteten Kleide – über den weißen Hals fällt das gescheitelte Haar –, wie in das Brautgemach die schöne Semiramis eintrat – so erzählt man – und wie Laïs, von vielen begehrt. Ich entriss ihr das Kleid; es missgönnte, dünn nur, mir wenig, aber sie kämpfte: Bedeckt wollte sie bleiben vom Kleid. Weil sie kämpfte wie eine, die gar nicht Siegerin sein will, wurde durch eignen Verrat ohne Problem sie besiegt. Als nun hüllenlos vor meinen Augen sie dastand, war an dem ganzen Leib nirgends ein Makel zu sehn. Was für Schultern und Arme konnte ich sehn und berühren! Ihre Brüste! Die Form! Lud doch zum Streicheln sie ein! Unter dem straffen Busen, wie ebenmäßig der Körper! Hüften! Vollkommen und schlank! Beine, wie jugendlich schön! Doch was zähl ich das auf? Nichts, was nicht zu loben war, sah ich; immer wieder an mich drückte die Nackte ich da. Wer weiß nicht, was noch kam? Ermattet ruhten wir beide. Mittagsstunden wie die – stellten sie oft sich doch ein!

6 Pförtner mit harter Kette (schändlich!) gefesselt, den Riegel setz in Bewegung, und dann öffne die trotzige Tür.

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LIBER PRIMUS

quod precor, exiguum est: aditu fac ianua parvo obliquum capiat semiadaperta latus. longus amor tales corpus tenuavit in usus aptaque subducto pondere membra dedit. ille per excubias custodum leniter ire monstrat, inoffensos derigit ille pedes. at quondam noctem simulacraque vana timebam; mirabar, tenebris quisquis iturus erat. risit, ut audirem, tenera cum matre Cupido et leviter ‘fies tu quoque fortis’ ait. nec mora, venit amor: non umbras nocte volantes, non timeo strictas in mea fata manus; te nimium lentum timeo, tibi blandior uni; tu, me quo possis perdere, fulmen habes. aspice (uti videas, immitia claustra relaxa) uda sit ut lacrimis ianua facta meis. certe ego, cum posita stares ad verbera veste, ad dominam pro te verba tremente tuli. ergo, quae valuit pro te quoque gratia quondam, (heu facinus!) pro me nunc valet illa parum? redde vicem meritis: grato licet esse quod optas. tempora noctis eunt; excute poste seram! excute, sic dominae longa relevere catena, nec tibi perpetuo serva bibatur aqua! ferreus orantem nequiquam, ianitor, audis; roboribus duris ianua fulta riget. urbibus obsessis clausae munimina portae prosunt; in media pace quid arma times? quid facies hosti, qui sic excludis amantem? tempora noctis eunt; excute poste seram! non ego militibus venio comitatus et armis; solus eram, si non saevus adesset Amor. hunc ego, si cupiam, nusquam dimittere possum; ante vel a membris dividar ipse meis.

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Wenig erbitte ich: Mach, dass, halbgeöffnet, die Tür durch einen winzigen Spalt seitlich mir Durchschlupf gewährt. Lange Liebe machte für solche Zwecke den Körper dünn und weniger schwer, drahtig die Glieder zugleich. Wie man am Posten, der wach ist, vorbeischleicht, zeigt sie; die Füße, lenkt sie sicher, so dass die sich nicht stoßen dabei. Doch vor der Nacht war einst mir angst und vor leeren Gespenstern; jeden bewunderte ich, der sich ins Finstere wagt. Amor – ich hörte es – hat da gelacht mit der lieblichen Mutter. »Tapfer wirst nun auch du«, sagte er leichthin zu mir. Liebe kam da sogleich: Nicht nächtlich fliegende Schatten fürchte ich, nicht die Hand, die mit dem Tod mich bedroht; dich nur, den allzu Sturen, fürchte ich, schmeichle auch dir nur; du hast den Blitz, womit du mich zu töten vermagst. Schau (und damit du es siehst, mach locker den grausamen Riegel), wie von den Tränen bereits nass ist geworden die Tür. Als du entkleidet standst, um Schläge zu kriegen, war ich’s doch, der bei der Herrin für dich, während du zittertest, sprach. Bringt somit der Dienst, der dir doch Nutzen einst brachte, (wehe, die Schandtat!) mir keinerlei Nutzen jetzt ein? Meine Wohltat erwidre: Du kriegst, wenn du dankst, was du möchtest. Nächtliche Stunden vergehn; stoße den Riegel zurück! Stoß ihn, so wahr von der ewigen Kette der Herrin du frei sein mögest, nicht trinken sollst Wasser der Knechtschaft allzeit! Eisern hörst du mein Flehn, das vergeblich ist, Pförtner; von harter Eiche gesichert steht ohne Bewegung die Tür. Gut für belagerte Städte ist Schutz durch verschlossene Tore; aber was fürchtest du denn Waffen, wo Friede doch herrscht? Schließt einen Liebenden so du aus, was tust du dem Feind an? Nächtliche Stunden vergehn; stoße den Riegel zurück! Ich komm nicht mit Waffen und nicht von Soldaten begleitet, wäre alleine, wär Amor, der wilde, nicht da. Nirgends könnte ich den loswerden, auch wenn ich es wünschte; von meinen Gliedern sogar würde ich eher getrennt.

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LIBER PRIMUS

ergo Amor et modicum circa mea tempora vinum mecum est et madidis lapsa corona comis. arma quis haec timeat? quis non eat obvius illis? tempora noctis eunt; excute poste seram! lentus es, an somnus (qui te male perdat!) amantis verba dat in ventos aure repulsa tua? at, memini, primo, cum te celare volebam, pervigil in mediae sidera noctis eras. forsitan et tecum tua nunc requiescit amica; heu, melior quanto sors tua sorte mea! dummodo sic, in me durae transite catenae! tempora noctis eunt; excute poste seram! fallimur, an verso sonuerunt cardine postes raucaque concussae signa dedere fores? fallimur: impulsa est animoso ianua vento. ei mihi, quam longe spem tulit aura meam! si satis es raptae, Borea, memor Orithyiae, huc ades et surdas flamine tunde fores! urbe silent tota, vitreoque madentia rore tempora noctis eunt; excute poste seram, aut ego iam ferroque ignique paratior ipse, quem face sustineo, tecta superba petam. nox et Amor vinumque nihil moderabile suadent: illa pudore vacat, Liber Amorque metu. omnia consumpsi, nec te precibusque minisque movimus, o foribus durior ipse tuis. non te formosae decuit servare puellae limina; sollicito carcere dignus eras. iamque pruinosus molitur Lucifer axes, inque suum miseros excitat ales opus. at tu, non laetis detracta corona capillis, dura super tota limina nocte iace; tu dominae, cum te proiectam mane videbit, temporis absumpti tam male testis eris.

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Amor, ein wenig Wein um die Schläfen herum und ein Kranz, der mir vom gesalbten Haar rutschte, sind also bei mir. Wer soll diese Waffen fürchten und wer ihnen weichen? Nächtliche Stunden vergehn; stoße den Riegel zurück! Stur bist du, oder vertreibt vom Ohr der Schlaf (dein Verderben sei er!) des Liebenden Wort, lässt es vom Winde verwehn? Anfangs jedoch, wenn ich dich hintergehen wollte – ich weiß noch –, warst, bis der mittleren Nacht Sterne erschienen, du wach. Jetzt grad schläft vielleicht bei dir deine Freundin; o weh mir, um wie viel ist dein Los dann aber besser als meins! Wär es nur meines! Dann kommt doch zu mir, ihr grausamen Ketten! Nächtliche Stunden vergehn; stoße den Riegel zurück! Täusch ich mich oder knarrten vom Drehen der Angel die Pfosten, kam ein dumpfer Ton von der erbebenden Tür? Ja, ich täusch mich: Die Tür hat ein heftiger Windstoß getroffen. Ach, meine Hoffnung! Wie weit trug sie der Luftzug hinweg! Boreas, falls du dich gut des Raubs Orithyias erinnerst, komm, und die taube Tür stoße du auf durch dein Wehn! Alles schweigt in der Stadt, und feucht vom kristallenen Frühtau schwinden die Stunden der Nacht; stoße den Riegel zurück, oder ich stürm aggressiver noch als mein Schwert und das Feuer, das meine Fackel ernährt, dies überhebliche Haus. Nacht und Amor und Wein, zur Mäßigung raten die gar nicht: Jene ist frei von Scham, Liber und Amor von Furcht. Alles hab ich versucht, doch nicht durch Drohen und Bitten dich bewegt, o du, härter noch als deine Tür. Eines schönen Mädchens Schwelle hättst du nicht behüten dürfen; du hättest verdient, Wächter im Kerker zu sein. Luzifer setzt schon in Gang die Achsen, auf denen der Tau liegt; arme Sterbliche ruft jetzt an die Arbeit der Hahn. Aber du, auf der harten Schwelle, heruntergerissen von dem traurigen Haar, liege die Nacht durch, mein Kranz; sieht dann am Morgen die Herrin dich hingeworfen, wirst du ihr Zeugnis geben, wie schlecht ich hier verbrachte die Zeit.

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LIBER PRIMUS

qualiscumque vale sentique abeuntis honorem, lente nec admisso turpis amante, vale! vos quoque, crudeles rigido cum limine postes duraque conservae ligna, valete, fores! 7 Adde manus in vincla meas (meruere catenas), dum furor omnis abit, si quis amicus ades. nam furor in dominam temeraria bracchia movit; flet mea vesana laesa puella manu. 5 tunc ego vel caros potui violare parentes saeva vel in sanctos verbera ferre deos. quid? non et clipei dominus septemplicis Aiax stravit deprensos lata per arva greges, et, vindex in matre patris, malus ultor, Orestes ausus in arcanas poscere tela deas? 10 ergo ego digestos potui laniare capillos? nec dominam motae dedecuere comae: sic formosa fuit; talem Schoeneida dicam Maenalias arcu sollicitasse feras; talis periuri promissaque velaque Thesei 15 flevit praecipites Cressa tulisse Notos; sic, nisi vittatis quod erat, Cassandra, capillis, procubuit templo, casta Minerva, tuo. quis mihi non ‘demens’, quis non mihi ‘barbare’ dixit? 20 ipsa nihil: pavido est lingua retenta metu. sed taciti fecere tamen convicia vultus; egit me lacrimis ore silente reum. ante meos umeris vellem cecidisse lacertos; utilius potui parte carere mei. 25 in mea vesanas habui dispendia vires et valui poenam fortis in ipse meam.

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Du, leb wohl, wie du bist, hör des Scheidenden Grußwort: Du Sturer, Ehrloser ließest nicht ein einen Verliebten. Leb wohl! Ihr auch, grausame Pfosten mit starrer Schwelle, und du da, Tür, mit ihm versklavt, fühlloses Holzstück, lebt wohl!

7 Fessle die Hände mir (die verdienen Ketten), bis gänzlich endet die Raserei, Freund, wenn es hier einen gibt. Raserei ließ gegen die Herrin den Arm mich erheben blindlings; sie weint jetzt, verletzt von meiner tobenden Hand. Ebenso hätt ich verletzen können die teueren Eltern, heilige Götter sogar heftig mit Schlägen bedrohn. Packte nicht Aiax, der Herr des siebenhäutigen Schildes, Herden und machte sie dann nieder weithin auf dem Feld, rief nicht nach Waffen gegen die mystischen Göttinnen tollkühn, Rächer des Vaters – verrucht! – er an der Mutter, Orest? Wohlgeordnetes Haar zu zerraufen war ich also fähig? Doch, zerzaust wie es war, stand es der Herrin nicht schlecht: So war sie schön; so sah die Schoeneïs aus, würde ich sagen, wenn mit dem Bogen sie einst jagte mänalisches Wild, so die Kreterin, als, weil Versprechen und Segel des falschen Theseus der Süd mit sich trug schleunigst, sie Tränen vergoss, so Kassandra, als sie, du keusche Minerva, in deinem Tempel kniete (nur dass dort ihre Binde sie trug). Wer hat zu mir nicht »Barbar« gesagt, und wer nicht »du Irrer«? Sie sprach gar nichts: Gelähmt war ihr die Zunge von Furcht. Dennoch machte die schweigende Miene mir Vorwürfe, ja sie klagte, wenn auch ihr Mund stumm war, durch Tränen mich an. Wären mir vorher doch nur von den Schultern die Arme gefallen; dieser Teil meiner selbst hätte mir besser gefehlt. Mir zum Schaden besaß ich die Kräfte des Wahnsinns; zu meiner eignen Bestrafung benutzt hab meine Stärke ich da.

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LIBER PRIMUS

quid mihi vobiscum, caedis scelerumque ministrae? debita, sacrilegae, vincla subite, manus! an, si pulsassem minimum de plebe Quiritem, plecterer, in dominam ius mihi maius erit? pessima Tydides scelerum monimenta reliquit: ille deam primus perculit; alter ego. et minus ille nocens: mihi quam profitebar amare laesa est; Tydides saevus in hoste fuit. i nunc, magnificos, victor, molire triumphos, cinge comam lauro votaque redde Iovi, quaeque tuos currus comitantum turba sequetur, clamet ‘io! forti victa puella viro est!’ ante eat effuso tristis captiva capillo, si sinerent laesae, candida tota, genae. aptius impressis fuerat livere labellis et collum blandi dentis habere notam. denique si tumidi ritu torrentis agebar caecaque me praedam fecerat ira suam, nonne satis fuerat timidae inclamasse puellae nec nimium rigidas intonuisse minas aut tunicam a summa diducere turpiter ora ad mediam (mediae zona tulisset opem)? at nunc sustinui raptis a fronte capillis ferreus ingenuas ungue notare genas. astitit illa amens albo et sine sanguine vultu, caeduntur Pariis qualia saxa iugis. exanimes artus et membra trementia vidi, ut cum populeas ventilat aura comas, ut leni Zephyro gracilis vibratur harundo summave cum tepido stringitur unda Noto; suspensaeque diu lacrimae fluxere per ora, qualiter Alpina de nive manat aqua. tunc ego me primum coepi sentire nocentem; sanguis erat lacrimae, quas dabat illa, meus.

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Was hab mit euch ich zu schaffen, ihr Helfer bei Mord und Verbrechen? Frevelnde Hände, tragt Fesseln, ihr habt sie verdient! Schlüg ich den einfachsten Bürger der Plebs, man würde mich strafen; wird mir denn mehr Gewalt über die Herrin gewährt? Tydeus’ Sohn hinterließ ein übles Exempel für eine Untat: Geschlagen hat erst er eine Göttin, dann ich. Weniger schuldig ist er: Ich schlug die, die ich zu lieben vorgab; Tydeus’ Sohn fiel eine Feindin nur an. Geh jetzt, Sieger, und rüste pompöse Triumphe, mit Lorbeer kränze das Haar dir und gib Jupiter, was du versprachst; rufen soll die Schar der Begleiter, welche dem Wagen folgt: »Welch tapferer Mann! Hoch! Er bezwang eine Frau!« Traurig gehe voraus mit gelöstem Haar die Gefangne, strahlend schön, wär sie nicht an den Wangen verletzt. Passender wären Spuren des Drucks meiner Lippen gewesen oder von zärtlichem Zahn an ihrem Nacken ein Mal. Wenn ich nun schon tobte nach Art des schäumenden Wildbachs und blindwütiger Zorn machte zur Beute mich, nun, hätte es da nicht genügt, das ängstliche Mädchen zu schelten, donnernd zu drohen dabei, freilich nicht zu vehement, oder das Kleid ihr schändlich vom oberen Rand bis zur Mitte aufzureißen (bis dort hätt es der Gürtel erlaubt)? Dies aber brachte ich fertig: Ich riss von der Stirn ihr die Haare, grub die Nägel brutal ihr in das feine Gesicht. Sie stand da, ganz verwirrt, weiß war ihr Antlitz und blutleer, ähnlich dem Marmorgestein, wie man auf Paros es bricht. Leblos sah ich den Leib und ängstlich zittern die Glieder, wie an der Pappel das Laub, wenn es im Lüftchen erbebt, wie das schlanke Schilf, das im sanften Westwind erschauert, oder die Woge, wenn lau über sie hin streift der Süd; Tränen, die lang sie zurückhielt, flossen ihr über das Antlitz, wie das Schneewasser fließt hoch von den Alpen herab. Erstmals fing ich da an, mich schuldig zu fühlen; die Tränen, die nun jene vergoss, waren mein eigenes Blut.

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LIBER PRIMUS

ter tamen ante pedes volui procumbere supplex, ter formidatas reppulit illa manus. at tu ne dubita (minuet vindicta dolorem) protinus in vultus unguibus ire meos. nec nostris oculis nec nostris parce capillis; quamlibet infirmas adiuvat ira manus. neve mei sceleris tam tristia signa supersint, pone recompositas in statione comas.

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8 Est quaedam (quicumque volet cognoscere lenam, audiat), est quaedam nomine Dipsas anus. ex re nomen habet: nigri non illa parentem Memnonis in roseis sobria vidit equis. illa magas artes Aeaeaque carmina novit inque caput liquidas arte recurvat aquas. scit bene quid gramen, quid torto concita rhombo licia, quid valeat virus amantis equae. cum voluit, toto glomerantur nubila caelo; cum voluit, puro fulget in orbe dies. sanguine, si qua fides, stillantia sidera vidi; purpureus Lunae sanguine vultus erat. hanc ego nocturnas versam volitare per umbras suspicor et pluma corpus anile tegi; suspicor, et fama est. oculis quoque pupula duplex fulminat et gemino lumen ab orbe venit. evocat antiquis proavos atavosque sepulchris et solidam longo carmine findit humum. haec sibi proposuit thalamos temerare pudicos, nec tamen eloquio lingua nocente caret. fors me sermoni testem dedit; illa monebat talia (me duplices occuluere fores):

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Wenigstens dreimal zu Füßen wollt’ ich ihr fallen, doch dreimal stieß sie die Hände, die sie fürchtete, von sich zurück. Du aber zögere nicht (den Schmerz wird die Rache dir lindern), mir in mein Angesicht gleich mit den Nägeln zu gehn. Schone du nicht meine Augen und schone auch nicht meine Haare; sind sie auch noch so schwach, hilft ja den Händen der Zorn. Und damit nicht bleiben so traurige Spuren der Untat, mach dein Haar dir zurecht, gib ihm zurück seine Form.

8 Eine gewisse (wer eine Kupplerin kennen will, höre), eine gewisse Frau gibt’s, sie heißt Dipsas, ist alt. Wahrheit enthält ihr Name: Des dunkelhäutigen Memnon Mutter auf rotem Gespann schaute sie nüchtern noch nie. Magische Künste kennt sie, aiaische Zaubergesänge, und sie lenkt zum Quell fließendes Wasser zurück. Welche Kräfte die Kräuter, die Fäden, bewegt am gedrehten Kreisel, von Stuten der Schleim haben, das weiß sie genau. Will sie’s, dann ballen sich Wolken am ganzen Himmel zusammen; klar ist das Firmament, strahlend der Tag, wenn sie will. Sterne, tropfend von Blut, die hab ich gesehen, falls Glauben ihr mir schenkt; das Gesicht Lunas war purpurn von Blut. Wie ich vermute, fliegt sie verwandelt durch nächtliche Schatten; ganz mit Federn bedeckt ist dann ihr ältlicher Leib; so vermut ich, so sagt man. Auch blitzt eine Doppelpupille ihr in den Augen; ein Licht kommt auch aus zweifachem Kreis. Aus den alten Gräbern ruft sie die Väter und Ahnen; harten Grund kann sie spalten mit langem Gesang. Die hat vor, unsres reinen Bettes Bund zu beschmutzen; schaden durch Redetalent kann ihre Zunge durchaus. Ich war Zeuge bei ihrer Rede durch Zufall; sie lehrte solches (ich war versteckt hinter der doppelten Tür):

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LIBER PRIMUS

‘scis here te, mea lux, iuveni placuisse beato? haesit et in vultu constitit usque tuo. et cur non placeas? nulli tua forma secunda est; me miseram! dignus corpore cultus abest. tam felix esses quam formosissima vellem: non ego te facta divite pauper ero. stella tibi oppositi nocuit contraria Martis; Mars abiit; signo nunc Venus apta suo. prosit ut adveniens, en aspice: dives amator te cupiit; curae, quid tibi desit, habet. est etiam facies, quae se tibi comparet, illi: si te non emptam vellet, emendus erat. erubuit! decet alba quidem pudor ora, sed iste, si simules, prodest; verus obesse solet. cum bene deiectis gremium spectabis ocellis, quantum quisque ferat, respiciendus erit. forsitan immundae Tatio regnante Sabinae noluerint habiles pluribus esse viris; nunc Mars externis animos exercet in armis, at Venus Aeneae regnat in urbe sui. ludunt formosae: casta est quam nemo rogavit; aut, si rusticitas non vetat, ipsa rogat. has quoque, quae frontis rugas in vertice portant, excute: de rugis crimina multa cadent. Penelope iuvenum vires temptabat in arcu; qui latus argueret corneus arcus erat. labitur occulte fallitque volatilis aetas, ut celer admissis labitur amnis aquis. aera nitent usu, vestis bona quaerit haberi, canescunt turpi tecta relicta situ: forma, nisi admittas, nullo exercente senescit; nec satis effectus unus et alter habent. certior e multis nec tam invidiosa rapina est; plena venit canis de grege praeda lupis.

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»Weißt du’s? Gestern gefielst du, mein Licht, dem begüterten Jüngling; starr stand er da, und er sah ständig nur dir ins Gesicht. Klar, dass du ihm gefällst: Dir gleicht ja keine an Schönheit; ach, Eleganz nur fehlt, wie sie dein Körper verdient! Wenn doch nur dein Glück der großen Schönheit entspräche: Wirst du reich, ist’s für mich bald mit der Armut vorbei. Dir hat der Stern des feindlichen Mars geschadet; hinweg ist Mars nun, und günstig steht Venus im eigenen Haus. Sieh, wie ihr Kommen dir nützt: Ein Lover, der reich ist, begehrt dich; ihm liegt am Herzen, dass er das, was du bräuchtest, erfährt. Aussehn auch, das sich deinem vergleichen könnte, das hat er: Kaufen müsste man ihn, wollt’ er als Ware nicht dich. Rot wird sie! Klar, eine Zierde des weißen Gesichtes ist Scham, doch nur die gemimte nützt; echte, die schadet dir meist. Während du deine Augen senkst und brav in den Schoß blickst, musst du taxieren, wie viel jeder zu bringen vermag. Dass die schmutzigen Fraun der Sabiner, als Tatius herrschte, mehreren Männern zugleich willig nicht waren, mag sein; heute übt seinen Kampfgeist Mars nur in Kriegen im Ausland, doch des Äneas Stadt wird jetzt von Venus beherrscht. Schöne vergnügen sich: Keusch ist die, die niemand gefragt hat; oder, wenn Plumpheit sie nicht hindert, dann fragt sie von selbst. Die auch, die oben am Kopf Stirnfalten haben, die musst du schütteln nur: Manches Vergehn fällt aus den Falten heraus. Jünglingskräfte erprobte am Bogen Penelope; wer nun stark an den Lenden war, zeigte der Bogen aus Horn. Unbemerkt entgleitet auf Flügeln die Jugend und narrt uns, wie der schnelle Strom gleitet mit reißender Flut. Bronze wird blank durch Gebrauch, das schöne Gewand möcht am Leib sein, hässlicher Schimmel, der macht grau das verlassene Haus: Schönheit wird alt, wenn du keinen, mit dem sie sich üben kann, ranlässt; einer oder nur zwei, das hat zu wenig Effekt. Sicherer ist das von vielen Erraffte, bringt weniger Missgunst; grauen Wölfen wird viel Beute aus Herden zuteil.

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LIBER PRIMUS

ecce, quid iste tuus praeter nova carmina vates donat? amatoris milia multa – leges. ipse deus vatum palla spectabilis aurea tractat inauratae consona fila lyrae. qui dabit, ille tibi magno sit maior Homero; crede mihi, res est ingeniosa dare. nec tu, si quis erit capitis mercede redemptus, despice; gypsati crimen inane pedis. nec te decipiant veteres circum atria cerae: tolle tuos tecum, pauper amator, avos! qui, quia pulcher erit, poscet sine munere noctem, quod det, amatorem flagitet ante suum. parcius exigito pretium, dum retia tendis, ne fugiant; captos legibus ure tuis. nec nocuit simulatus amor: sine credat amari et cave ne gratis hic tibi constet amor. saepe nega noctes: capitis modo finge dolorem, et modo, quae causas praebeat, Isis erit. mox recipe, ut nullum patiendi colligat usum neve relentescat saepe repulsus amor. surda sit oranti tua ianua, laxa ferenti; audiat exclusi verba receptus amans. et quasi laesa prior nonnumquam irascere laeso: vanescit culpa culpa repensa tua. sed numquam dederis spatiosum tempus in iram: saepe simultates ira morata facit. quin etiam discant oculi lacrimare coacti, et faciant udas illa vel ille genas. nec, si quem falles, tu periurare timeto: commodat in lusus numina surda Venus. servus et ad partes sollers ancilla parentur, qui doceant apte quid tibi possit emi, et sibi pauca rogent: multos si pauca rogabunt, postmodo de stipula grandis acervus erit.

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Schau, was schenkt dein Poet da? Nur neue Verse! Die vielen Tausend des Lovers, ja du – kriegst zur Lektüre sie bloß. Herrlich im goldnen Gewand, hat sogar der Poetengott eine Lyra mit Goldschmuck, wenn tönende Saiten er schlägt. Wer dir was gibt, sei größer für dich als der große Homerus; glaub mir, von wahrem Genie zeugt es, wenn einer was gibt. Schau nicht verächtlich auf den, der für Geld seine Freiheit gekauft hat; leer ist der Vorwurf, der sagt: Du hast ja Kreide am Fuß! Lass dich von alten Porträts aus Wachs in der Halle nicht täuschen: Ärmlicher Lover, nimm all deine Ahnen und geh! Wer, weil er schön ist, von dir eine Nacht will, ohne zu schenken, fordre vom Lover, der ihn lieb hat, zuvor was für dich. Sparsamer fordere, während die Netze du spannst, denn sie könnten fliehen; fängst du sie dann, trieze sie, wie’s dir beliebt. Nie hat geheuchelte Liebe geschadet: Er glaube, du liebst ihn, und pass auf, dass sich dann so eine Liebe rentiert. Oft verweigre die Nächte: Bald sag, heut habest du Kopfweh, bald sei es Isis, die dir passende Gründe verschafft. Dann nimm wieder ihn auf, sonst kriegt er im Leiden Erfahrung, und die Liebe, die du häufig verschmähtest, erlahmt. Taub sei die Tür für Bitten, doch offen für Gaben; der Lover, den du empfängst, soll den hören, dem du dich verschließt. Manchmal spiel die Gekränkte und zürn, auch wenn du ihn gekränkt hast: Steht dann Schuld gegen Schuld, schwindet die deine dahin. Nie lass aber den Zorn über längere Zeit sich erstrecken: Oft führt Zorn, der zu lang dauert, zu Spannungen nur. Mehr noch: Lehre die Augen die Kunst, auf Kommando zu weinen; nass sei die Wange dir, weil’s die da und diesen da gibt. Wenn du einen betrügst, scheu nicht zurück vor dem Meineid: Taub stellt Venus sich, wenn Liebende falsch bei ihr schwörn. Zeig, wie sie ihren Part gut spielen, der Magd und dem Sklaven, dass sie ihn lehren, was passt, wenn er was einkauft für dich, wenig für sich auch erbitten: Wenn viele um wenig sie bitten, werden zum riesigen Berg alle die Halme zuletzt.

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LIBER PRIMUS

et soror et mater, nutrix quoque carpat amantem: fit cito per multas praeda petita manus. cum te deficient poscendi munera causae, natalem libo testificare tuum. ne securus amet nullo rivale caveto: non bene, si tollas proelia, durat amor. ille viri videat toto vestigia lecto factaque lascivis livida colla notis; munera praecipue videat quae miserit alter: si dederit nemo, Sacra roganda Via est. cum multa abstuleris, ut non tamen omnia donet, quod numquam reddas, commodet ipsa roga. lingua iuvet mentemque tegat: blandire noceque; impia sub dulci melle venena latent. haec si praestiteris, usu mihi cognita longo, nec tulerint voces ventus et aura meas, saepe mihi dices vivae bene, saepe rogabis ut mea defunctae molliter ossa cubent.’ vox erat in cursu, cum me mea prodidit umbra; at nostrae vix se continuere manus quin albam raramque comam lacrimosaque vino lumina rugosas distraherentque genas. di tibi dent nullosque lares inopemque senectam et longas hiemes perpetuamque sitim!

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9 Militat omnis amans, et habet sua castra Cupido; Attice, crede mihi, militat omnis amans. quae bello est habilis, Veneri quoque convenit aetas: turpe senex miles, turpe senilis amor. quos petiere duces animos in milite forti, hos petit in socio bella puella viro.

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ERSTES BUCH

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Lass deine Schwester, die Mutter, die Amme auch rupfen den Lover: Betteln viele darum, kommt eine Beute geschwind. Wenn’s dir an Gründen fehlt, Geschenke zu fordern, dann zeig durch einen Kuchen ihm an, dass du Geburtstag hast grad. Hüt dich davor, dass er sorglos liebt, weil’s niemanden sonst gibt: Liebe hat keinen Bestand, räumst die Konflikte du aus. Spuren eines Mannes im ganzen Bett soll er sehen, und dazu deinen Hals blau von den Malen der Lust, sehen vor allem Geschenke, die dir der andre geschickt hat: Wenn dir keiner was gab, bitte den Heiligen Weg. Nahmst du schon viel, dann bitte, damit er dir alles dann doch schenkt, selbst um ein Darlehn ihn, das er nicht wiederbekommt. Was du denkst, das verdecke die Zunge als Helferin: Schmeichelnd schade ihm; tückisches Gift liegt unter Honig versteckt. Führst du dieses aus, was mich lange Erfahrung gelehrt hat, lässt auch nicht tragen dahin, was ich dir sage, den Wind, wirst du mich, wenn ich noch leb, oft segnen und häufig auch bitten, dass, wenn ich sterbe, sanft ruhe im Grab mein Gebein.« Immer noch sprach sie, doch da verriet mich plötzlich mein Schatten; meine Hände jedoch hielten sich kaum noch zurück, ihr zu zerfetzen das weiße, spärliche Haar, die vom Weine triefenden Augen, dazu auch ihr zerfurchtes Gesicht. Mögen die Götter dir kein schützendes Dach und ein armes Alter und langen Frost geben und ewigen Durst.

9 Jeder, der liebt, ist Soldat, und sein eigenes Camp hat Cupido; Atticus, glaube mir nur, jeder, der liebt, ist Soldat. Nur zur Jugend, welche zum Krieg taugt, passt auch die Liebe: Schlimm ist ein Greis als Soldat, schlimm ist ein liebender Greis. Die Energie, die die Feldherrn vom tapfren Soldaten verlangen, fordert die Schöne vom Mann, welcher das Bett mit ihr teilt.

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LIBER PRIMUS

pervigilant ambo, terra requiescit uterque: ille fores dominae servat, at ille ducis. militis officium longa est via; mitte puellam, strenuus exempto fine sequetur amans; ibit in adversos montes duplicataque nimbo flumina, congestas exteret ille nives, nec freta pressurus tumidos causabitur Euros aptaque verrendis sidera quaeret aquis. quis, nisi vel miles vel amans, et frigora noctis et denso mixtas perferet imbre nives? mittitur infestos alter speculator in hostes, in rivale oculos alter, ut hoste, tenet. ille graves urbes, hic durae limen amicae obsidet; hic portas frangit, at ille fores. saepe soporatos invadere profuit hostes caedere et armata vulgus inerme manu; sic fera Threicii ceciderunt agmina Rhesi, et dominum capti deseruistis equi. nempe maritorum somnis utuntur amantes et sua sopitis hostibus arma movent. custodum transire manus vigilumque catervas militis et miseri semper amantis opus. Mars dubius, nec certa Venus: victique resurgunt, quosque neges umquam posse iacere, cadunt. ergo desidiam quicumque vocabat amorem, desinat: ingenii est experientis Amor. ardet in abducta Briseide magnus Achilles (dum licet, Argeas frangite, Troes, opes!). Hector ab Andromaches complexibus ibat ad arma, et, galeam capiti quae daret, uxor erat. summa ducum, Atrides visa Priameide fertur Maenadis effusis obstipuisse comis. Mars quoque deprensus fabrilia vincula sensit; notior in caelo fabula nulla fuit.

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Beide durchwachen die Nacht, auf der Erde ruhen sie beide, der bewacht bei der Frau, dieser beim Feldherrn die Tür. Lange Märsche sind Pflicht des Soldaten; entsende das Mädchen: Unaufhörlich und zäh folgt ihr der Liebende nach, geht auf schwer zu erkletternde Berge, durch Flüsse, verdoppelt durch den Regen, und stapft mitten durch Haufen von Schnee; muss er aufs Meer, dann schützt er nicht vor den tobenden Ostwind, harrt nicht auf Sterne, die günstig für Rudernde sind. Nachtfrost, Schnee, der mit prasselndem Regen vermischt ist, wer wird das durchstehn? Nur der Soldat oder der liebende Mann. Gegen gefährliche Feinde entsendet man jenen als Späher, dieser hat wie einen Feind seinen Rivalen im Blick. Trutzige Städte belagert jener, die Schwelle der spröden Freundin dieser; er bricht Türen auf, jener ein Tor. Oft war ein Überfall auf die schlafenden Feinde von Nutzen, Mord an wehrlosem Volk mit der bewaffneten Hand; so starb Rhesus, dem Thraker, sein wildes Heer, und ihr Pferde ließet, zur Beute gemacht, euren Gebieter im Stich. Liebende machen natürlich des Gatten Schlaf sich zunutze, setzen, während der Feind schlummert, die Waffen in Gang. Scharen von Wächtern und Posten umgehn – vom Soldaten sowie dem armen Liebenden wird’s ständig als Leistung erbracht. Mars und Venus sind schwankend: Besiegte erheben sich wieder; die, die nichts, wie du meinst, fällen kann, fallen dann doch. Drum, wer immer die Liebe Faulheit genannt hat, der höre auf nun: Amor besitzt eine aktive Natur. Nach der entführten Briseïs verzehrt sich der große Achilles (Troer, solang ihr es dürft, brecht die argivische Macht!). Hektor ging in die Schlacht aus Andromaches Armen, und sie, die ihm aufs Haupt seinen Helm setzte, das war seine Frau. Als der Atride, der größte Feldherr, Kassandra erblickte, war vom Mänadenhaar – sagt man – er gänzlich verzückt. Mars selbst wurde gefangen und spürte die Fesseln des Schmiedes; keine Geschichte war besser im Himmel bekannt.

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LIBER PRIMUS

ipse ego segnis eram discinctaque in otia natus; mollierant animos lectus et umbra meos. impulit ignavum formosae cura puellae, iussit et in castris aera merere suis. inde vides agilem nocturnaque bella gerentem: qui nolet fieri desidiosus, amet!

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10 Qualis ab Eurota Phrygiis avecta carinis coniugibus belli causa duobus erat, qualis erat Lede, quam plumis abditus albis callidus in falsa lusit adulter ave, qualis Amymone siccis erravit in Argis, cum premeret summi verticis urna comas, talis eras, aquilamque in te taurumque timebam et quicquid magno de Iove fecit Amor. nunc timor omnis abest animique resanuit error, nec facies oculos iam capit ista meos. cur sim mutatus quaeris? quia munera poscis. haec te non patitur causa placere mihi. donec eras simplex, animum cum corpore amavi; nunc mentis vitio laesa figura tua est. et puer est et nudus Amor; sine sordibus annos et nullas vestes, ut sit apertus, habet. quid puerum Veneris pretio prostare iubetis? quo pretium condat, non habet ille sinum. nec Venus apta feris Veneris nec filius armis: non decet imbelles aera merere deos. stat meretrix certo cuivis mercabilis aere et miseras iusso corpore quaerit opes; devovet imperium tamen haec lenonis avari et, quod vos facitis sponte, coacta facit.

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Ich nun selbst war faul und geboren zur Muße in lockrer Kleidung; Schatten und Bett hatten verweichlicht den Sinn. Liebe zu einem schönen Mädchen, sie machte den Trägen tätig; in ihrem Camp diene ich, wie sie’s befahl. Daher siehst du mich jetzt aktiv in nächtlichen Kämpfen: Wer nicht möchte, dass er träge wird, lieben soll der!

10 So wie sie, die weg vom Eurotas auf phrygischen Schiffen fuhr und Grund zum Krieg beiden Gemahlen dann war, so wie Leda war, die als falscher Vogel, in weißen Federn versteckt, der Galan listig zu täuschen verstand, wie Amymone quer durch Argos, das trockene, irrte, als auf dem Scheitel ihr schwer ruhte des Kruges Gewicht, so warst du, und ich hatte um dich vor dem Stier und dem Adler Angst, und vor allem, was sonst Amor aus Jupiter schuf. Jetzt ist die Angst ganz weg und geheilt meines Sinnes Verblendung; deine schöne Gestalt fängt meine Augen nicht mehr. Warum verwandelt ich bin, das fragst du? Du forderst Geschenke. Dies ist der Grund, der nicht duldet, dass du mir gefällst. Als du noch schuldlos warst, da liebte ich Seele und Körper; jetzt hat verworfener Sinn dir deine Schönheit entstellt. Knabe ist Amor und nackt, hat ein Alter, das frei ist von Habgier, trägt nicht Kleider, damit offen und ehrlich er ist. Was heißt Venus’ Sohn ihr für Geld sich prostituieren? Keine Tasche hat er, welche das Geld ihm verwahrt. Weder ihr Sohn noch Venus sind tauglich für grimmige Waffen: Göttern, die friedlich sind, ziemen nicht Dienste um Sold. Käuflich zum Festpreis steht für jeden da eine Hure, strebt mit gefügigem Leib nach dem erbärmlichen Geld, aber des gierigen Kupplers Macht über sie, die verwünscht sie; was von selber ihr tut, tut sie allein unter Zwang.

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LIBER PRIMUS

sumite in exemplum pecudes ratione carentes: turpe erit ingenium mitius esse feris. non equa munus equum, non taurum vacca poposcit, non aries placitam munere captat ovem. sola viro mulier spoliis exultat ademptis, sola locat noctes, sola licenda venit et vendit quod utrumque iuvat, quod uterque petebat, et pretium, quanti gaudeat ipsa, facit. quae venus ex aequo ventura est grata duobus, altera cur illam vendit et alter emit? cur mihi sit damno, tibi sit lucrosa voluptas, quam socio motu femina virque ferunt? nec bene conducti vendunt periuria testes nec bene selecti iudicis arca patet; turpe reos empta miseros defendere lingua, quod faciat magnas, turpe tribunal, opes; turpe tori reditu census augere paternos et faciem lucro prostituisse suam. gratia pro rebus merito debetur inemptis; pro male conducto gratia nulla toro. omnia conductor solvit mercede soluta; non manet officio debitor ille tuo. parcite, formosae, pretium pro nocte pacisci: non habet eventus sordida praeda bonos. non fuit armillas tanti pepigisse Sabinas ut premerent sacrae virginis arma caput. e quibus exierat, traiecit viscera ferro filius, et poenae causa monile fuit. nec tamen indignum est a divite praemia posci: munera poscenti quod dare possit, habet; carpite de plenis pendentes vitibus uvas, praebeat Alcinoi poma benignus ager. officium pauper numeret studiumque fidemque; quod quis habet, dominae conferat omne suae.

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Nehmt als Exempel das Vieh, das ohne Vernunft ist: Beschämend wird es sein, dass das Tier friedlicher ist von Natur. Kein Geschenk will die Stute vom Hengst, die Kuh von dem Stiere; freit er das Schaf, das er mag, schenkt auch der Widder ihm nichts. Nur die Frau frohlockt, hat dem Manne sie Beute entrissen, Nächte vermietet nur sie, sie nur kommt käuflich daher und verkauft, was doch beiden gefällt und was beide sich wünschten; nach dem Grad ihrer Lust richtet sich, was sie verlangt. Ist vom Koitus gleiche Lust zu erwarten für beide, warum verkauft sie ihn dann, er aber ist’s, der ihn kauft? Lust, die der Mann und die Frau, sich gemeinsam bewegend, erleben, warum soll die mir Verlust bringen, Gewinn aber dir? Schlecht ist’s, wenn Zeugen, gemietet, mit Meineid handeln, und wenn ein Richter, gewählt für sein Amt, öffnet die Kasse für Geld, schimpflich, für arme Verklagte mit käuflicher Zunge zu reden, schimpflich auch, wenn ein Gericht riesige Schätze verschafft, schimpflich, Gewinn im Bett zu machen zur Mehrung des Erbes, gleichfalls, gegen Entgelt Schönheit zu prostituiern. Dank wird mit Recht für das, was man nicht gekauft hat, geschuldet, wurde jedoch ein Bett schändlich gemietet, dann nicht. Hat er die Miete bezahlt, hat alles beglichen der Mieter; für deine Leistungen bleibt nicht mehr ein Schuldner er dann. Lasst es doch sein, ihr Schönen, für Nächte Geld zu verlangen: Schmutzige Beute, die bringt letztlich nichts Gutes ja ein. Nicht war’s das wert für die ruchlose Maid, sich sabinische Spangen auszubedingen, dass ihr Waffen zerquetschten das Haupt. Mit dem Schwert durchbohrte der Sohn den Leib, der zur Welt ihn brachte; ein Halsband, es war für die Bestrafung der Grund. Dennoch ist es nicht schändlich, vom Reichen Bezahlung zu fordern: Etwas zu geben hat der einer, die Gaben verlangt; pflückt die Trauben ab, die an vollen Weinstöcken hängen, Obst geb’ üppiges Land, wie es Alkinous hat. Doch der Arme bezahle mit Dienst, Hingabe und Treue; alles, was jeder so hat, trage der Herrin er hin.

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LIBER PRIMUS

est quoque carminibus meritas celebrare puellas dos mea: quam volui, nota fit arte mea. scindentur vestes, gemmae frangentur et aurum; carmina quam tribuent, fama perennis erit. nec dare, sed pretium posci dedignor et odi; quod nego poscenti, desine velle, dabo.

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11 Colligere incertos et in ordine ponere crines docta neque ancillas inter habenda Nape inque ministeriis furtivae cognita noctis utilis et dandis ingeniosa notis, saepe venire ad me dubitantem hortata Corinnam, saepe laboranti fida reperta mihi, accipe et ad dominam peraratas mane tabellas perfer et obstantes sedula pelle moras. nec silicum venae nec durum in pectore ferrum nec tibi simplicitas ordine maior adest. credibile est et te sensisse Cupidinis arcus; in me militiae signa tuere tuae. si quaeret quid agam, spe noctis vivere dices; cetera fert blanda cera notata manu. dum loquor, hora fugit; vacuae bene redde tabellas, verum continuo fac tamen illa legat. aspicias oculos mando frontemque legentis: et tacito vultu scire futura licet. nec mora, perlectis rescribat multa iubeto; odi, cum late splendida cera vacat. comprimat ordinibus versus, oculosque moretur margine in extremo littera rasa meos. quid digitos opus est graphio lassare tenendo? hoc habeat scriptum tota tabella ‘VENI’.

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Ich hab als Gabe auch, Mädchen, die’s wert sind, in Versen zu preisen: Wenn ich es will, macht berühmt die, die ich wähl, meine Kunst. Kleider werden zerreißen und Gold und Juwelen zerbrechen, ewig ist aber der Ruhm, welchen Gedichte verleihn. Dass ein Preis verlangt wird, verschmäh ich und hass ich, nicht geben; was ich versag, weil du’s willst, wünsche dir nicht, und ich geb’s.

11 Du, die du wirres Haar zu ordnen und kunstreich zu legen kundig bist, Nape, und die nicht zu den Mägden ich zähl, die du bei Diensten in heimlicher Nacht als nützlich erkannt bist und als einfallsreich, wenn du Signale mir gibst, oft, wenn Corinna zögerte, drängend, sie solle doch kommen, oft auch als treu erprobt, wenn ich in Not mich befand, nimm die Täfelchen, die ich am Morgen beschrieb, und zur Herrin trag sie, und sorge dafür, dass dich nichts hindert und hemmt. Nicht hast du Adern aus Stein, kein hartes Eisen im Busen; weniger schlau bist du nicht, als deinem Stande entspricht. Amors Bogen bekamst, wird man meinen, auch du schon zu spüren; hilf mir, denn deiner Armee Fahnen verteidigst du so. Fragt sie, wie’s geht, dann sag: Die Nacht erhoffend nur leb ich; Weiteres meldet das Wachs, zärtlich beschrieb es die Hand. Während ich rede, entflieht die Stunde; die Täfelchen gib ihr erst, wenn sie Zeit hat, doch schau, dass sie sie umgehend liest. Während sie liest, betrachte – das sag ich dir! – Augen und Stirne: Auch aus der Miene, die schweigt, lässt sich ersehn, was dann kommt. Las sie’s, lasse sofort eine lange Antwort sie schreiben; ist es weithin leer, hass ich das glänzende Wachs. Eng soll die Zeilen sie schreiben, verweilen lassen mein Auge sollen Lettern, die sie einritzt am äußersten Rand. Aber wozu die Finger durch Halten des Griffels ermüden? Quer übers Täfelchen sei dieses geschrieben nur: »Komm!«

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LIBER PRIMUS

25 non ego victrices lauro redimire tabellas nec Veneris media ponere in aede morer; subscribam VENERI FIDAS SIBI NASO MINISTRAS DEDICAT. AT NUPER VILE FUISTIS ACER.

12 Flete meos casus: tristes rediere tabellae; infelix hodie littera posse negat. omina sunt aliquid: modo cum discedere vellet, ad limen digitos restitit icta Nape. missa foras iterum limen transire memento cautius atque alte sobria ferre pedem. ite hinc, difficiles, funebria ligna, tabellae, tuque, negaturis cera referta notis, quam, puto, de longae collectam flore cicutae melle sub infami Corsica misit apis. at tamquam minio penitus medicata rubebas; ille color vere sanguinulentus erat. proiectae triviis iaceatis, inutile lignum, vosque rotae frangat praetereuntis onus. illum etiam, qui vos ex arbore vertit in usum, convincam puras non habuisse manus. praebuit illa arbor misero suspendia collo, carnifici diras praebuit illa cruces; illa dedit turpes raucis bubonibus umbras, vulturis in ramis et strigis ova tulit. his ego commisi nostros insanus amores molliaque ad dominam verba ferenda dedi! aptius hae capiant vadimonia garrula cerae, quas aliquis duro cognitor ore legat; inter ephemeridas melius tabulasque iacerent, in quibus absumptas fleret avarus opes.

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Dann zu bekränzen mit Lorbeer die siegreichen Täfelchen und im Tempel der Venus zu weihn, tät ich nicht zögern, und dies schriebe ich drunter: »Es weiht der Venus Naso die treuen Diener. Doch Ahornholz, billiges, wart ihr noch jüngst.«

12 Weinet über mein Pech: Mit Bitterem kamen die Tafeln wieder; der elende Brief meldet, sie könne nicht heut. Etwas ist wahr an den Omen: Als Nape zu gehn im Begriff war, blieb, weil die Zehen sie sich stieß an der Schwelle, sie stehn. Schick ich dich wieder, dann denke an dies: Geh über die Schwelle achtsamer, und dann sei nüchtern und hebe den Fuß. Spröde Täfelchen, Holz für die Leichenverbrennung, verschwindet, du auch, voll Lettern, die nein sagen, du Wachs, das gewiss Korsikas Biene von Blüten des Schierlings mit länglichem Stengel las und uns schickte; es lag bitterer Honig darauf. Doch du warst rot, wie wenn Zinnober dich gänzlich durchfärbt hätt; aber in Wahrheit war dies hier die Farbe des Bluts. Holz, nutzloses, am Dreiweg sollst, weggeworfen, du liegen; rollen dann Räder vorbei, soll dich zerbrechen die Last. Ihn auch, der euch vom Baum geschnitten und nützlich gemacht hat, überführ ich: Es war unschuldig nicht seine Hand. Einem elenden Nacken diente der Baum zum Erhängen, für ein schreckliches Kreuz gab er dem Henker das Holz; heiser krächzenden Uhus gewährte er schändlichen Schatten, Eier von Geiern trug, Eier von Eulen sein Ast. Anvertraut hab meine Liebe ich denen im Wahnsinn, ließ zur Gebieterin sie tragen den zärtlichen Text! Besser enthielte das Wachs Bürgschaften mit langem Gerede welche in strengem Ton läse ein Rechtskonsulent; besser, sie lägen bei Büchern, die Eingang und Ausgang verzeichnen, die betrachtend ein Filz seine Verluste beweint.

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LIBER PRIMUS

ergo ego vos rebus duplices pro nomine sensi; auspicii numerus non erat ipse boni. quid precer iratus, nisi vos cariosa senectus rodat, et immundo cera sit alba situ?

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13 Iam super Oceanum venit a seniore marito flava pruinoso quae vehit axe diem. quo properas, Aurora? mane! sic Memnonis umbris annua sollemni caede parentet avis. nunc iuvat in teneris dominae iacuisse lacertis; si quando, lateri nunc bene iuncta meo est. nunc etiam somni pingues et frigidus aer, et liquidum tenui gutture cantat avis. quo properas ingrata viris, ingrata puellis? roscida purpurea supprime lora manu. ante tuos ortus melius sua sidera servat navita nec media nescius errat aqua. te surgit quamvis lassus veniente viator et miles saevas aptat ad arma manus. prima bidente vides oneratos arva colentes, prima vocas tardos sub iuga panda boves. tu pueros somno fraudas tradisque magistris, ut subeant tenerae verbera saeva manus, atque eadem sponsum cultos ante Atria mittis, unius ut verbi grandia damna ferant. nec tu consulto, nec tu iucunda diserto: cogitur ad lites surgere uterque novas. tu, cum feminei possint cessare labores, lanificam revocas ad sua pensa manum. omnia perpeterer; sed surgere mane puellas quis, nisi cui non est ulla puella, ferat?

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Als zwiespältig erkannt’ ich euch also – klar, denn man nennt euch »doppelt«; nichts Gutes verhieß mir ja gerade die Zahl. Worum bet ich im Zorn? Euch fresse zersetzendes Alter; hässlicher Schimmel, von ihm werde noch weiß euer Wachs!

13 Schon kommt über das Meer von der Seite des greisen Gemahles, blond sie, welche den Tag bringt mit betautem Gespann. Wohin eilst du, Aurora? Verweil! Dann mögen die Vögel jährlich Memnons Tod sühnen durch eigenes Blut. Jetzt ist es herrlich, zu ruhn in den zarten Armen der Herrin, jetzt, wenn je, ist es schön, wie sie sich eng an mich schmiegt. Jetzt ist auch tief der Schlaf, und die Luft ist kühl, und aus zarter Kehle mit hellem Schall singen die Vögel ihr Lied. Wohin eilst du, den Männern, den Mädchen gar nicht willkommen? Zieh den betauten Zaum an mit der purpurnen Hand. Ehe du aufgehst, schaut auf die Sterne besser der Seemann, irrt nicht ahnungslos mitten im Meere umher. Kommst du, erhebt sich der Wandrer, wie müd er auch ist, und an seine Waffen muss der Soldat greifen mit grimmiger Hand. Du erblickst als erste mit Hacken Beladne beim Feldbau, rufst als erste das Rind unters gebogene Joch. Du betrügst um den Schlaf die Knaben und lässt bei den Lehrern grausame Schläge dann leiden die zierliche Hand, schickst auch als Bürgen die Leute in feiner Toga zum Prätor, wo dann ein einziges Wort großen Verlust ihnen bringt. Nicht bist dem Anwalt du und nicht dem Redner willkommen: Aufstehn müssen die zwei zu einem neuen Prozess. Während noch ruhen könnten die Tätigkeiten der Frauen, rufst du die webende Hand schon an ihr Pensum zurück. All das nähme ich hin, doch dass aufstehn morgens die Mädchen, wer erträgt das? Allein der, dem kein Mädchen gehört!

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LIBER PRIMUS

optavi quotiens ne Nox tibi cedere vellet, ne fugerent vultus sidera mota tuos! optavi quotiens aut ventus frangeret axem aut caderet spissa nube retentus equus! invida, quo properas? quod erat tibi filius ater, materni fuerat pectoris ille color. [quid, si non Cephali quondam flagrasset amore? an putat ignotam nequitiam esse suam?] Tithono vellem de te narrare liceret: femina non caelo turpior ulla foret. illum dum refugis, longo quia grandior aevo, surgis ad invisas a sene mane rotas. at si quem manibus Cephalum complexa teneres, clamares ‘lente currite, Noctis equi!’ cur ego plectar amans, si vir tibi marcet ab annis? num me nupsisti conciliante seni? aspice quot somnos iuveni donarit amato Luna, neque illius forma secunda tuae. ipse deum genitor, ne te tam saepe videret, commisit noctes in sua vota duas. iurgia finieram; scires audisse: rubebat, nec tamen assueto tardius orta dies.

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14 Dicebam ‘medicare tuos desiste capillos!’ tingere quam possis, iam tibi nulla coma est. at si passa fores, quid erat spatiosius illis? contigerant imum, qua patet usque, latus. quid, quod erant tenues et quos ornare timeres, vela colorati qualia Seres habent, vel pede quod gracili deducit aranea filum, cum leve deserta sub trabe nectit opus?

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Wie oft wünschte ich mir, nicht weichen wolle die Nacht dir, nicht zu fliehn dein Gesicht würden die Sterne bewegt! Wie oft wünschte ich mir, der Wind zerbräch dir die Achse, oder, von Wolken gehemmt, käme ein Pferd dir zu Fall! Neiderin, wohin eilst du? Wenn schwarz dein Sohn war, dann hatte diese Farbe zugleich seiner Erzeugerin Herz. [Was, wenn für Kephalus sie einst nicht in Liebe entbrannt wär? Oder glaubt sie, es weiß niemand, wie schlimm sie es treibt?] Wär doch nur dem Tithonus erlaubt, von dir zu erzählen: Keine verrufnere Frau gäb es im Himmel als dich. Weil er um vieles älter als du ist, erhebst du dich morgens, fliehst vor dem Greis und steigst auf das Gespann, das er hasst. Hieltst einen Kephalus du mit deinen Armen umschlungen, »Langsam«, riefest du dann, »lauft mir, ihr Rosse der Nacht!« Ich, der Liebende, büß, dass dein Mann mit den Jahren dahinwelkt? Habe denn ich arrangiert, dass du vermählt bis dem Greis? Schau nur, wie viel Schlaf dem geliebten Jüngling geschenkt hat Luna; was Schönheit betrifft, steht sie in nichts dir doch nach. Um dich so oft nicht zu sehn, schuf selbst der Vater der Götter eine Nacht aus zwein; so hat sein Wunsch sich erfüllt. Fertig war mein Protest; sie vernahm ihn, hätt meinen man können: Rot war sie, doch nicht später als sonst kam der Tag.

14 Ständig sagte ich dir: »Hör auf, dir die Haare zu färben!« Kein Haar hast du jetzt mehr übrig, das tönen du kannst. Hättst du’s in Ruhe gelassen, was gäb’s, das noch üppiger wäre? Bis zur Hüfte hinab hatten die Haare gereicht. Ja, und sie waren fein; man scheute sich fast, sie zu ordnen, Tüchern gleichend, wie sie farbigen Serern gehörn, oder dem Faden gleich, den die Spinne mit zierlichem Fuß zieht, wenn am verlassnen Gebälk leichte Gewebe sie knüpft.

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LIBER PRIMUS

nec tamen ater erat nec erat tamen aureus ille, sed, quamvis neuter, mixtus uterque color, qualem clivosae madidis in vallibus Idae ardua derepto cortice cedrus habet. adde quod et dociles et centum flexibus apti et tibi nullius causa doloris erant: non acus abrupit, non vallum pectinis illos; ornatrix tuto corpore semper erat. ante meos saepe est oculos ornata nec umquam bracchia derepta saucia fecit acu. saepe etiam nondum digestis mane capillis purpureo iacuit semisupina toro; tum quoque erat neglecta decens, ut Thracia Bacche, cum temere in viridi gramine lassa iacet. cum graciles essent tamen et lanuginis instar, heu, mala vexatae quanta tulere comae! quam se praebuerunt ferro patienter et igni, ut fieret torto nexilis orbe sinus! clamabam ‘scelus est istos, scelus, urere crines. sponte decent; capiti, ferrea, parce tuo! vim procul hinc remove: non est qui debeat uri; erudit admotas ipse capillus acus’. formosae periere comae, quas vellet Apollo, quas vellet capiti Bacchus inesse suo; illis contulerim, quas quondam nuda Dione pingitur umenti sustinuisse manu. quid male dispositos quereris periisse capillos? quid speculum maesta ponis, inepta, manu? non bene consuetis a te spectaris ocellis: ut placeas, debes immemor esse tui. non te cantatae laeserunt paelicis herbae, non anus Haemonia perfida lavit aqua, nec tibi vis morbi nocuit (procul omen abesto!), nec minuit densas invida lingua comas:

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Ihre Farbe, die war nicht schwarz, und sie war auch nicht golden; keines von beidem war’s, dennoch war’s beides gemischt, wie es die hohe Zeder, der Baum in des ragenden Ida feuchten Tälern ja hat, löst man die Rinde ihr ab. Ferner: Sie waren gelehrig, zu hundert Windungen fähig, und sie haben auch nicht jemals dir Ärger gemacht: Nicht riss die Nadel sie ab und nicht das Gehege des Kammes; körperlich sicher war stets die Friseuse bei dir. Oft die Herrin frisiert hat sie vor meinen Augen, und nie griff diese zur Nadel und stach ihr in die Arme damit. Oft in der Früh, wenn das Haar noch nicht geordnet war, lag sie halb zurückgelehnt auf ihrer purpurnen Couch; dann auch, noch ungekämmt, war sie schön wie die thrakische Bakche, wenn sie aufs grüne Gras lässig sich streckt und erschöpft. Aber obwohl es doch fein war und zartem Flaum zu vergleichen, ach, wie viel an Qual litt das gepeinigte Haar! Wie geduldig bot es dem Eisen und Feuer sich dar, bis Locken entstanden, gedreht und dann in Wellen gelegt! »Ein Vergehn«, rief oft ich, »das ist’s, dies Haar hier zu brennen. So wie es ist, ist es schön; Rohe du, schone dein Haupt! Fern sei Gewalt: Nicht so ist es, dass es gebrannt werden müsste; selber belehrt das Haar Nadeln, die du applizierst.« Schönes Haar ist dahin; ein solches hätte Apollo, hätte auch Bacchus gern auf seinem eigenen Haupt; jenem möcht ich’s vergleichen, das einst die nackte Dione hielt in der feuchten Hand, wie auf Gemälden man sieht. Was beklagst du dich, Haar, das schlecht saß, sei jetzt verloren? Was legst den Spiegel du weg, Dumme, mit trauriger Hand? Besser, du schaust nicht auf dich mit den Augen, die vorher dich ansahn: Ganz vergessen musst du selbst dich, damit du dich magst. Schaden brachte dir nicht das Zauberkraut der Rivalin, nicht mit hämonischem Nass wusch dich ein tückisches Weib, keiner Krankheit Gewalt ist schuld (unberufen!), und keine neidische Zunge ließ schwinden dein üppiges Haar:

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LIBER PRIMUS

facta manu culpaque tua dispendia sentis; ipsa dabas capiti mixta venena tuo. nunc tibi captivos mittet Germania crines; tuta triumphatae munere gentis eris. o quam saepe comas aliquo mirante rubebis et dices ‘empta nunc ego merce probor. nescioquam pro me laudat nunc iste Sygambram; fama tamen memini cum fuit ista mea’. me miserum! lacrimas male continet oraque dextra protegit, ingenuas picta rubore genas; sustinet antiquos gremio spectatque capillos, ei mihi, non illo munera digna loco. collige cum vultu mentem: reparabile damnum est; postmodo nativa conspiciere coma.

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15 Quid mihi, Livor edax, ignavos obicis annos ingeniique vocas carmen inertis opus, non me more patrum, dum strenua sustinet aetas, praemia militiae pulverulenta sequi nec me verbosas leges ediscere nec me ingrato vocem prostituisse foro? mortale est, quod quaeris, opus; mihi fama perennis quaeritur, in toto semper ut orbe canar. vivet Maeonides, Tenedos dum stabit et Ide, dum rapidas Simois in mare volvet aquas; vivet et Ascraeus, dum mustis uva tumebit, dum cadet incurva falce resecta Ceres. Battiades semper toto cantabitur orbe: quamvis ingenio non valet, arte valet. nulla Sophocleo veniet iactura cothurno; cum sole et luna semper Aratus erit.

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Diesen Verlust, der dich trifft, hast du eigenhändig verschuldet; selbst hast das Gift du gemischt, gabst es dem eigenen Kopf. Jetzt wird Germanien Haar von gefangenen Frauen dir schicken; retten wird dich das Geschenk einer besiegten Nation. O wie oft wirst du, wenn dein Haar man bewundert, errötend sagen: »Gekauftem Gut dank Komplimente ich jetzt. Irgendeine Sugambrerin lobt jetzt der da statt meiner; dieser Ruhm war jedoch meiner, ich weiß es noch gut.« Weh mir! Sie hält die Tränen kaum noch zurück; ihre edlen Wangen sind rot, das Gesicht deckt mit der Rechten sie zu, und ihre früheren Haare hält auf dem Schoß sie und schaut drauf, weh mir, ein Weihgeschenk, wert eines anderen Orts. Glätte die Miene und fass dich: Beheben lässt sich der Schaden; bald schon bewundert man dich wegen des eigenen Haars.

15 Nagender Neid, was wirfst du mir vor, ich lebte die Jahre träge dahin, und ein Werk müßigen Sinns sei mein Lied, nicht auf die staubigen Ehren des Kriegs sei ich aus nach der Väter Sitte, solang es die Zeit rüstiger Jugend erlaubt, lernte auch nicht der Gesetze Wortschwall, prostituierte auch auf dem Forum mich nicht, das es nicht dankt, mit dem Wort? Sterbliche Werke verlangst du; ich strebe nach ewigem Ruhme, will, dass die ganze Welt stets meine Dichtungen singt. Lebt doch der Lyder, solange noch Tenedos steht und der Ida und die reißende Flut meerwärts der Simoïs wälzt, leben auch wird der Askräer, solange, geschnitten von krummer Sichel, das Korn noch fällt, Trauben noch schwellen vom Saft. Stets wird des Battus Sohn in aller Welt man besingen: Wirkt er auch nicht durch Genie, wirkt er doch stark durch die Kunst. Nicht sein Prestige verliert der Kothurn des Sophokles jemals; ewige Zeit wird Arat leben mit Sonne und Mond.

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LIBER PRIMUS

dum fallax servus, durus pater, improba lena vivent et meretrix blanda, Menandros erit. Ennius arte carens animosique Accius oris casurum nullo tempore nomen habent. Varronem primamque ratem quae nesciet aetas aureaque Aesonio terga petita duci? carmina sublimis tunc sunt peritura Lucreti, exitio terras cum dabit una dies. Tityrus et segetes Aeneiaque arma legentur, Roma triumphati dum caput orbis erit. donec erunt ignes arcusque Cupidinis arma, discentur numeri, culte Tibulle, tui. Gallus et Hesperiis et Gallus notus Eois, et sua cum Gallo nota Lycoris erit. ergo cum silices, cum dens patientis aratri depereant aevo, carmina morte carent. cedant carminibus reges regumque triumphi, cedat et auriferi ripa benigna Tagi. vilia miretur vulgus; mihi flavus Apollo pocula Castalia plena ministret aqua, sustineamque coma metuentem frigora myrtum atque a sollicito multus amante legar. pascitur in vivis Livor; post fata quiescit, cum suus ex merito quemque tuetur honos. ergo etiam cum me supremus adederit ignis, vivam, parsque mei multa superstes erit.

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Lebt noch der listige Sklave, der harte Vater, die freche Kupplerin, lockt noch das Girl, ist auch Menander noch da. Ennius, dem es an Kunst fehlt, und Accius, der mit dem hohen Pathos, haben auch Namen, die niemals vergehn. Welcher Zeit ist nicht Varro, das erste Schiff und das Goldne Vlies, das Äsons Sohn suchte als Führer, bekannt? Dann erst wird des Lukrez, des erhabenen, Dichtung vergehen, wenn die Erde vergeht an einem einzigen Tag. Tityrus, Saaten, Aeneas-Waffen, die liest man, solange Roma das Haupt der Welt, die sie bezwungen hat, ist. Fackeln und Bogen und Waffen Cupidos – solang sie bestehen, werden, gepflegter Tibull, stets deine Rhythmen gelernt. Gallus wird im Westen bekannt sein und Gallus im Osten, und mit Gallus ist dann seine Lycoris bekannt. Auch wenn also Gestein und der Zahn des geduldigen Pfluges mit den Zeiten vergehn, Dichtung, die kennt nicht den Tod. Könige, Königstriumphe – Gedichten sollen sie weichen, auch das Ufer am Fluss Tagus, der Gold mit sich führt. Unwert lobe das Volk, mir aber reiche die Becher, die der kastalische Quell füllte, der blonde Apoll, und es trage mein Haar die kälteempfindliche Myrte; vielfach Lektüre sei ich dem, der beunruhigt liebt. Nur von den Lebenden nährt sich der Neid; er ruht, wenn sie tot sind, wenn der erworbene Ruhm jeden beschützt nach Verdienst. Also, wenn mich verzehrt hat das letzte Feuer, werd ich auch leben; ein großer Teil ist dann noch übrig von mir.

LIBER SECUNDUS 1 Hoc quoque composui, Paelignis natus aquosis, ille ego nequitiae Naso poeta meae. hoc quoque iussit Amor; procul hinc, procul este, severi! non estis teneris apta theatra modis. me legat in sponsi facie non frigida virgo 5 et rudis ignoto tactus amore puer. atque aliquis iuvenum, quo nunc ego, saucius arcu agnoscat flammae conscia signa suae miratusque diu ‘quo’ dicat ‘ab indice doctus composuit casus iste poeta meos?’ 10 ausus eram, memini, caelestia dicere bella centimanumque Gygen (et satis oris erat), cum male se Tellus ulta est ingestaque Olympo ardua devexum Pelion Ossa tulit: in manibus nimbos et cum Iove fulmen habebam, 15 quod bene pro caelo mitteret ille suo. clausit amica fores: ego cum Iove fulmen omisi; excidit ingenio Iuppiter ipse meo. Iuppiter, ignoscas: nil me tua tela iuvabant; clausa tuo maius ianua fulmen habet. 20 blanditias elegosque leves, mea tela, resumpsi: mollierunt duras lenia verba fores. carmina sanguineae deducunt cornua lunae et revocant niveos solis euntis equos; 25 carmine dissiliunt abruptis faucibus angues inque suos fontes versa recurrit aqua; carminibus cessere fores, insertaque posti, quamvis robur erat, carmine victa sera est.

ZWEITES BUCH 1 Dies auch schrieb ich, geboren im feuchten Gebiet der Päligner, Naso, ich, der Poet meiner verworfenen Art. Dies auch befahl mir Amor; hinweg von hier, weg, Puritaner! Für den elegischen Vers passt ihr als Publikum nicht. Lesen sollen mich Mädchen, die, sehn sie den Freier, nicht kalt sind, Knaben auch, grün noch, von Lust, die sie nicht kennen, berührt. Und ein Jüngling, wie ich vom Bogen verwundet, erkenne jene Symptome, die ihm zeigen die eigene Glut, wundre sich lange und rufe: »Belehrt von welchem Verräter schrieb der Poet da auf, was ich doch selber erlitt?« Himmlische Kriege besang ich, es wagend, und Gyges mit hundert Armen, ich weiß es noch (Schwung hatte ich reichlich dabei), wie die Erde einst bitter sich rächte und Ossa, der steile auf den Olympus getürmt, Pelion trug, das Geklüft: Wolken hatt’ ich zur Hand zusammen mit Jupiters Blitz, den schleudern sollte der Gott würdig, dem Himmel zum Schutz. Da verschloss mir die Freundin die Tür: Mit Jupiter ließ ich fallen den Blitz; es entschwand Jupiter selbst meinem Geist. Jupiter, mögst du verzeihn: Nichts nützten mir deine Geschosse; stärkere Blitze als du hat die verschlossene Tür. Meine Geschosse, Betörung und lockere Distichen, nahm ich wieder: Die harte Tür wurde durch Schmeicheln erweicht. Verse ziehen herab die roten Hörner des Mondes, rufen vom Weg des Sol schneeige Pferde zurück; Verse zerfetzen Schlangen und reißen weg ihren Rachen, Wasser wird umgekehrt, läuft zu der Quelle zurück; Versen wich die Tür, und, im Pfosten steckend, der Riegel, war er auch noch so robust, wurde durch Verse besiegt.

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LIBER SECUNDUS

quid mihi profuerit velox cantatus Achilles? quid pro me Atrides alter et alter agent, quique tot errando quot bello perdidit annos, raptus et Haemoniis flebilis Hector equis? at facie tenerae laudata saepe puellae ad vatem, pretium carminis, ipsa venit. magna datur merces: heroum clara valete nomina! non apta est gratia vestra mihi. ad mea formosos vultus adhibete, puellae, carmina, purpureus quae mihi dictat Amor!

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2 Quem penes est dominam servandi cura, Bagoe, dum perago tecum pauca, sed apta, vaca. hesterna vidi spatiantem luce puellam illa quae Danai porticus agmen habet. protinus, ut placuit, misi scriptoque rogavi; rescripsit trepida ‘non licet’ illa manu, et, cur non liceat, quaerenti reddita causa est, quod nimium dominae cura molesta tua est. si sapis, o custos, odium, mihi crede, mereri desine: quem metuit quisque, perisse cupit. vir quoque non sapiens: quid enim servare laboret unde nihil, quamvis non tueare, perit? sed gerat ille suo morem furiosus amori et castum, multis quod placet, esse putet; huic furtiva tuo libertas munere detur, quam dederis illi, reddat ut illa tibi. conscius esse velis? domina est obnoxia servo; conscius esse times? dissimulare licet. scripta leget secum: matrem misisse putato; venerit ignotus: postmodo notus erit.

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ZWEITES BUCH

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Was wär mir denn der schnelle Achilles, besäng ich ihn, nütze? Was nur werden für mich beide Atriden denn tun, er auch, der gleich viel Jahre durch Irrfahrt und Kämpfe vertan hat, Hektor auch, kläglich geschleift durch das hämon’sche Gespann? Doch wenn er häufig gelobt hat die Schönheit der zarten Geliebten, kommt sie als Lohn für das Lied selbst zu dem Sänger herbei. Groß ist der Preis, der so gegeben wird: All ihr berühmten Namen der Helden, lebt wohl! Nichts ist für mich euer Dank. Mädchen, richtet nun ihr die lieblichen Blicke auf meine Verse, die mir diktiert Amor, der purpurne Gott!

2 Der du als Hüter der Herrin amtierst, Bagous, nimm Zeit dir, während ich wenig, jedoch Nützliches sage zu dir. Gestern sah ich ein Mädchen spazieren gehn an dem Ort, wo Danaus’ Töchterschar in einer Portikus steht. Sie gefiel mir, ich schrieb ihr sogleich, um ein Treffen sie bittend, aber mir hastiger Hand schrieb sie »Ich darf nicht« zurück, und als ich fragte »Warum nicht?«, da gab sie als Grund an: Wie du als Hüter der Herrin amtierst, das sei zu stressig für sie. Hast du, o Wächter, Verstand, hör auf , dir Hass zuzuziehen, glaub mir: Fürchtet man wen, wünscht man sein Ende herbei. Auch der Mann ist nicht weise: Was hütet er eifrig, wovon doch gar nichts verloren geht, selbst wenn du’s gar nicht bewachst. Aber verrückt wie er ist, lass ihn seiner Liebe sich weihen, lass ihn auch glauben, es sei sittsam, was vielen gefällt; heimliche Freiheit sei als Geschenk von dir ihr gegeben, dass sie als Gegengeschenk deine dir gebe dafür. Möchtest du Mitwisser sein? Vom Sklaven hängt ab dann die Herrin; scheust du die Mitwisserschaft? Du kannst verhehln, was du weißt. Liest sie allein einen Brief, dann glaub, dass die Mutter ihn schickte; kommt wer, den du nicht kennst, kennen wirst du ihn schon bald.

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LIBER SECUNDUS

ibit ad affectam, quae non languebit, amicam: visat. iudiciis aegra sit illa tuis. si faciet tarde, ne te mora longa fatiget, imposita gremio stertere fronte potes. nec tu linigeram fieri quid possit ad Isin, quaesieris nec tu curva theatra time. conscius assiduos commissi tollet honores: quis minor est autem quam tacuisse labor? ille placet versatque domum neque verbera sentit, ille potens; alii, sordida turba, iacent. huic, verae ut lateant causae, finguntur inanes; atque ambo domini, quod probat una, probant. cum bene vir traxit vultum rugasque coegit, quod voluit fieri blanda puella, facit. sed tamen interdum tecum quoque iurgia nectat et simulet lacrimas carnificemque vocet. tu contra obiciens quae tuto diluat illa et veris falso crimine deme fidem. sic tibi semper honos, sic alta peculia crescent; haec fac, in exiguo tempore liber eris. aspicis indicibus nexas per colla catenas; squalidus orba fide pectora carcer habet. quaerit aquas in aquis et poma fugacia captat Tantalus: hoc illi garrula lingua dedit. dum nimium servat custos Iunonius Io, ante suos annos occidit; illa dea est. vidi ego compedibus liventia crura gerentem unde vir incestum scire coactus erat. poena minor merito: nocuit mala lingua duobus; vir doluit, famae damna puella tulit. crede mihi, nulli sunt crimina grata marito, nec quemquam, quamvis audiat, illa iuvant: seu tepet, indicium securas perdis ad aures; sive amat, officio fit miser ille tuo.

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Sie wird die kranke Freundin, die gar nicht erkrankt ist, besuchen: Lass sie sie sehn und glaub, jene sei wirklich erkrankt. Ist sie verspätet, dann kannst du, damit dich das Warten nicht müd macht, deine Stirn auf den Schoß legen und schnarchen dabei. Frag du nicht, was bei Isis, der linnengewandeten, vorgehn könnte, und fürchte das Rund eines Theaters nur nicht. Ständig kassiert ein Komplize für seine Dienste ein Trinkgeld: Was macht weniger Müh, als dass man Schweigen bewahrt? Er ist beliebt, macht im Haus, was er will, kennt die Rute nicht; er ist mächtig; die andern jedoch kuschen, das elende Pack. Gründe werden fingiert für den Herrn, damit er die wahren nicht kennt; alles was ihr recht ist, ist beiden dann recht. Erst macht ein strenges Gesicht der Mann und runzelt die Stirne, doch was die schmeichelnde Frau wollte, das tut er gleichwohl. Lass es jedoch zuweilen geschehn, dass sie Streit mit dir anfängt, Tränen auch vortäuscht, ja einen Halunken dich nennt. Du halt ihr entgegen, was leicht sie entkräftet; der Wahrheit nimm die Glaubwürdigkeit, fälschlich verklagend die Frau. So wird stetig dein Ansehn, so das Ersparte dir wachsen; handle so, und du hast bald schon die Freiheit erlangt. Siehst du? Verrätern umschließt den Hals eine Kette; die Kerker halten, starrend vor Schmutz, treulose Seelen in Haft. Wasser im Wasser sucht er, und es hascht nach fliehenden Früchten Tantalus: Durch ihr Geschwätz trug ihm die Zunge das ein. Während, von Juno geschickt, zu sorgsam er Io bewachte, starb der Wächter noch jung, Göttin dagegen ist sie. Einen sah ich, dem waren schon blau von den Fesseln die Schenkel: Wissen vom Fehltritt der Frau musste der Gatte durch ihn. Mild, nicht verdient, war die Strafe: Es schadete beiden die böse Zunge; gekränkt war der Mann, Schaden am Ruf nahm die Frau. Glaub mir, Anschuldigungen sind keinem Gatten willkommen; keiner, mag er sie auch hören, hat Freude daran: Ist sie ihm gleich, verrätst du um nichts sie den sorglosen Ohren; liebt er sie, machst du nur ihn elend durch Eifer im Dienst.

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LIBER SECUNDUS

culpa nec ex facili quamvis manifesta probatur: iudicis illa sui tuta favore venit. viderit ipse licet, credet tamen ille neganti damnabitque oculos et sibi verba dabit. aspiciat dominae lacrimas, plorabit et ipse et dicet ‘poenas garrulus iste dabit’. quid dispar certamen inis? tibi verbera victo assunt, in gremio iudicis illa sedet. non scelus aggredimur, non ad miscenda coimus toxica, non stricto fulminat ense manus; quaerimus ut tuto per te possimus amare: quid precibus nostris mollius esse potest?

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3 Ei mihi, quod dominam nec vir nec femina servas, mutua nec Veneris gaudia nosse potes! qui primus pueris genitalia membra recidit, vulnera quae fecit debuit ipse pati. mollis in obsequium facilisque rogantibus esses, si tuus in quavis praetepuisset amor. non tu natus equo, non fortibus utilis armis, bellica non dextrae convenit hasta tuae. ista mares tractent; tu spes depone viriles: sunt tibi cum domina signa ferenda tua. hanc imple meritis, huius tibi gratia prosit; si careas illa, quis tuus usus erit? est etiam facies, sunt apti lusibus anni; indigna est pigro forma perire situ. fallere te potuit, quamvis habeare molestus: non caret effectu quod voluere duo. aptius at fuerit precibus temptasse: rogamus, dum bene ponendi munera tempus habes.

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ZWEITES BUCH

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Ist sie auch offenkundig, ist Schuld nicht leicht zu beweisen: Durch ihres Richters Gunst ist die Geliebte geschützt. Hat er’s auch selbst gesehn, wird er doch, wenn sie leugnet, ihr glauben, zeiht dann die Augen des Trugs, schwindelt sich selber was vor. Sieht er die Tränen der Frau, wird selber er weinen und sagen: »Dieser geschwätzige Kerl kriegt seine Strafe dafür.« Ungleich ist der Kampf – das willst du? Besiegt wirst du werden, Schläge bekommst du, doch sie sitzt ihrem Richter im Schoß. Kein Verbrechen ist hier geplant, nicht um Gifte zu mischen treffen wir uns, kein Schwert funkelt gezückt in der Hand; ohne Gefahr wolln wir mit deiner Erlaubnis uns lieben: Was könnt harmloser als unsere Bitten wohl sein?

3 Weh mir, du, nicht Mann, nicht Frau, bewachst meine Herrin, du, der nicht wissen kann, wie Freuden der Venus man tauscht! Er, der Knaben zuerst abschnitt die Hoden, ihm hätte selbst zu erleiden gebührt Wunden, wie er sie da schlug. Weich und gefügig wärst du, zu Willen denen, die bitten, hätte dir, wer sie auch sei, eine dein Herz schon erwärmt. Nicht zum Reiten bist du geboren, nicht tauglich für tapfre Waffen, des Kriegsmanns Speer steht deiner Rechten nicht an. Solches ist Männergeschäft; hör auf, wie Männer zu hoffen: Halte die Fahne allein deiner Gebieterin hoch. Ihr mach stets dich verdient, dir nütze die Gnade der Herrin; hättst du sie nicht, wozu wärest du dann denn noch gut? Passen zum Liebesspiel ihr Gesicht, ihre Jugend doch bestens; Schönheit verdient es nicht, dass sie ganz unnütz verkommt. Täuschen hätt sie dich können, und giltst du als noch so pedantisch: Wollen ihn beide, dann stellt immer sich ein der Erfolg. Besser ist doch ein Versuch, dich zu bitten: Indem wir dich bitten, kriegst du die letzte Chance, dass deine Gunst sich rentiert.

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4 Non ego mendosos ausim defendere mores falsaque pro vitiis arma movere meis. confiteor, si quid prodest delicta fateri; in mea nunc demens crimina fassus eo. odi, nec possum, cupiens, non esse quod odi: heu quam, quae studeas ponere, ferre grave est! nam desunt vires ad me mihi iusque regendum; auferor ut rapida concita puppis aqua. non est certa meos quae forma invitet amores: centum sunt causae cur ego semper amem. sive aliqua est oculos in humum deiecta modestos, uror, et insidiae sunt pudor ille meae; sive procax aliqua est, capior quia rustica non est spemque dat in molli mobilis esse toro. aspera si visa est rigidasque imitata Sabinas, velle sed ex alto dissimulare puto. sive es docta, places raras dotata per artes; sive rudis, placita es simplicitate tua. est quae Callimachi prae nostris rustica dicat carmina: cui placeo, protinus ipsa placet. est etiam quae me vatem et mea carmina culpet: culpantis cupiam sustinuisse femur. molliter incedit: motu capit; altera dura est: at poterit tacto mollior esse viro. huic, quia dulce canit flectitque facillima vocem, oscula cantanti rapta dedisse velim. haec querulas habili percurrit pollice chordas: tam doctas quis non possit amare manus? illa placet gestu numerosaque bracchia ducit et tenerum molli torquet ab arte latus: ut taceam de me, qui causa tangor ab omni, illic Hippolytum pone, Priapus erit.

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4 Meine defekte Moral zu verteidigen möcht ich nicht wagen, für meine Laster auch nicht heuchlerisch Waffen zu führn. Ich gestehe, sofern es was nützt, die Vergehn zu gestehen, klag mich, verrückt wie ich bin, selbst an, indem ich gesteh. Mich selbst hass ich, doch muss – widerstrebend – ich sein, was ich hasse: O wie schwer trägt man, was man doch absetzen will! Denn mir fehlt es an Kraft und Beherrschung, mich selbst zu regieren; weggespült werd ich wie Schiffe in reißender Flut. Kein bestimmter Typ animiert mich zur Liebe: Ich habe Hundert Gründe; darum bin ich auch ständig verliebt. Sei es, dass eine zur Erde den Blick senkt züchtig, dann glüh ich, und die Sittsamkeit, die ist die Falle für mich; oder eine ist keck – die fängt mich, weil sie nicht plump ist; hoffen lässt sie, sie sei rege im molligen Bett. Scheint sie spröd in der Art einer strengen Sabinerin, denk ich: Die ist willig, doch tief hält sie’s im Herzen versteckt. Bist du gebildet, gefällst du durch dein erlesenes Können, bist du es nicht, dann gefällt mir die natürliche Art. Eine sagt, des Kallimachos Dichtung sei plump im Vergleich mit meiner: Sofort gefällt die mir, weil ich ihr gefall. Eine, die kritisiert mich, den Dichter, und meine Gedichte: Dieser Kritikerin Schenkel, die trüge ich gern. Die geht sexy: Sie wirkt durch Bewegung; steif ist die andre: Von einem Manne berührt, könnte sie lockerer sein. Die singt lieblich, die Stimme spielerisch leicht modulierend: Küsse ihr rauben möcht ich, geben ihr, während sie singt. Diese läuft mit dem Daumen geschickt über klagende Saiten: Wer wohl liebte denn nicht so eine kundige Hand? Jene gefällt durch Gestik, und rhythmisch bewegt sie die Arme, sinnlich und mit Geschick dreht sie den zierlichen Leib: Stell den Hippolytus hin – von mir ganz zu schweigen: Ich werd aus jeglichem Grund stimuliert –, und ein Priap wird aus ihm.

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tu, quia tam longa es, veteres heroidas aequas et potes in toto multa iacere toro. haec habilis brevitate sua est: corrumpor utraque; conveniunt voto longa brevisque meo. non est culta: subit quid cultae accedere possit; ornata est: dotes exhibet ipsa suas. candida me capiet, capiet me flava puella; est etiam in fusco grata colore venus. seu pendent nivea pulli cervice capilli, Leda fuit nigra conspicienda coma; seu flavent, placuit croceis Aurora capillis: omnibus historiis se meus aptat amor. me nova sollicitat, me tangit serior aetas: haec melior specie, moribus illa placet. denique quas tota quisquam probat Urbe puellas, noster in has omnes ambitiosus amor.

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5 Nullus amor tanti est (abeas, pharetrate Cupido!), ut mihi sint totiens maxima vota mori. vota mori mea sunt, cum te peccasse recordor, o mihi perpetuum nata puella malum! non mihi deceptae nudant tua facta tabellae nec data furtive munera crimen habent. o utinam arguerem sic, ut non vincere possem! me miserum! quare tam bona causa mea est? felix, qui quod amat defendere fortiter audet, cui sua ‘non feci’ dicere amica potest! ferreus est nimiumque suo favet ille dolori, cui petitur victa palma cruenta rea. ipse miser vidi, cum me dormire putares, sobrius apposito crimina vestra mero.

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Weil du so lang bist, gleichst du den Heroinen der Vorzeit: Ausfülln, wenn du liegst, kannst du das Lager total. Handlich ist die, weil sie klein ist: Ganz fertig machen mich beide; lang gewachsen und klein – beides entspricht meinem Wunsch. Nicht zurecht macht die sich: Ich denk, sie gewänn, wenn sie’s täte; die ist geschmückt: Sie selbst stellt ihre Gaben zur Schau. Eine Weiße wird mich erobern, das wird auch die Blonde; auch bei der Farbigen ist Eros für mich attraktiv. Fallen dunkle Locken herab auf den schneeigen Nacken – für ihr schwarzes Haar war eine Leda berühmt; blond ist sie – krokusfarbene Haare, die schmückten Aurora: Allen Geschichten von einst passt meine Liebe sich an. Mich stimuliert die Junge, mich reizt auch das reifere Alter: Schöner ist die von Gestalt, jene vom Wesen her nett. Kurz denn: Sämtliche Mädchen, die irgendwer in der ganzen Hauptstadt bewundert, die will meine Libido für sich.

5 Keine Liebe ist’s wert (fort, Amor, du mit dem Köcher!), dass so häufig ich sehnlichst zu sterben mir wünsch. Sterben möcht ich, sooft dein Fremdgehn mir in den Sinn kommt, Mädchen, geboren – o weh! – mir zu unendlicher Qual! Nicht enthüllen getarnte Täfelchen mir deine Taten, nicht beschuldigen dich Gaben, verstohlen gesandt. Spräch ich als Kläger doch so, dass ich nicht zu gewinnen vermöchte! Ach, ich Armer! Warum steht meine Sache so gut? Glücklich, wer unverzagt zu verteidigen wagt seine Freundin, wem »Ich hab’s nicht getan« sagen kann die, die er liebt! Der ist aus Eisen und liebt zu sehr sein Leiden, der blutig feiern will den Triumph, wenn die Beklagte verliert. Wein war aufgetischt, und du glaubtest, ich schliefe; da sah ich nüchtern euren Vergehn selber, ich Elender, zu.

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multa supercilio vidi vibrante loquentes; nutibus in vestris pars bona vocis erat. non oculi tacuere tui conscriptaque vino mensa, nec in digitis littera nulla fuit. sermonem agnovi, quod non videatur, agentem verbaque pro certis iussa valere notis. iamque frequens ierat mensa conviva relicta; compositi iuvenes unus et alter erant: improba tum vero iungentes oscula vidi (illa mihi lingua nexa fuisse liquet), qualia non fratri tulerit germana severo, sed tulerit cupido mollis amica viro, qualia credibile est non Phoebo ferre Dianam, sed Venerem Marti saepe tulisse suo. ‘quid facis?’ exclamo ‘quo nunc mea gaudia defers? iniciam dominas in mea iura manus! haec tibi sunt mecum, mihi sunt communia tecum: in bona cur quisquam tertius ista venit?’ haec ego, quaeque dolor linguae dictavit; at illi conscia purpureus venit in ora pudor, quale coloratum Tithoni coniuge caelum subrubet, aut sponso visa puella novo, quale rosae fulgent inter sua lilia mixtae, aut ubi cantatis Luna laborat equis aut quod, ne longis flavescere possit ab annis, Maeonis Assyrium femina tinxit ebur: his erat aut alicui color ille simillimus horum, et numquam casu pulchrior illa fuit. spectabat terram: terram spectare decebat; maesta erat in vultu: maesta decenter erat. sicut erant (et erant culti) laniare capillos et fuit in teneras impetus ire genas. ut faciem vidi, fortes cecidere lacerti: defensa est armis nostra puella suis.

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Vieles habt ihr – ich sah’s – durch Bewegung der Brauen gesprochen, nicktet ihr euch zu, war es fast, wie wenn ihr sprächt. Nicht warn stumm deine Augen, beschrieben mit Wein war der Tisch schon, und die Schrift habt ihr oft mit den Fingern geformt. Konversation mit versteckter Bedeutung war’s, wie ich merkte; was ihr sagtet, entsprach einem vereinbarten Code. Fort schon waren die meisten Gäste, die Tische verlassen; ein, zwei Jünglinge nur lagen betrunken noch da: Selbst hab ich da gesehn, wie ihr schamlos Küsse getauscht habt (eure Zungen – na klar! – waren verschlungen dabei), nicht wie sie von der Schwester der strenge Bruder bekommt, nein, wie einem lüsternen Mann zärtlich die Freundin sie schenkt, wie sie nicht denkbar wären zwischen Diana und Phöbus, aber wie ihrem Mars häufiger Venus sie gab. »He, was tust du? Wohin trägst Freuden du«, ruf ich, »die mir nur zustehn? Auf meinen Besitz werde ich legen ich die Hand! Das gehört dir mit mir, mit dir nur hab ich’s gemeinsam: Wie hat ein Dritter denn nun Anspruch auf diesen Besitz?« Dies sprach ich, und was sonst der Schmerz der Zunge diktierte; Schuld gab zu ihr Gesicht, färbte sich purpurn vor Scham, wie der Himmel erglüht, gefärbt von Tithonus’ Gemahlin, oder die junge Frau, wenn sie der Bräutigam sieht, wie die Rosen, vermischt mit ihren Lilien, leuchten, oder wie Luna sich färbt, sind ihre Rosse verhext, oder wie das assyrische Elfenbein, das, damit es nicht vergilbt mit der Zeit, färbt die Mäonierin: Ähnlich war ihre Farbe oder wie eine von diesen, und es ergab sich: Sie war schöner als jemals zuvor. Und sie blickte zu Boden: Zu Boden blicken, das stand ihr; traurig war ihr Gesicht: Trauer auch machte sie schön. So wie es war (und es war gepflegt), ihr Haar zu zerzausen, trieb’s mich, das zarte Gesicht ihr zu zerkratzen dazu. Doch als ich’s sah, ihr Gesicht, da sanken die tapferen Arme: Eigener Waffen Gebrauch hat die Geliebte geschützt.

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qui modo saevus eram, supplex ultroque rogavi 50 oscula ne nobis deteriora daret. risit et ex animo dedit optima, qualia possent excutere irato tela trisulca Iovi. torqueor infelix, ne tam bona senserit alter, et volo non ex hac illa fuisse nota. haec quoque, quam docui, multo meliora fuerunt, 55 et quiddam visa est addidicisse novi. quod nimium placuere, malum est, quod tota labellis lingua tua est nostris, nostra recepta tuis. nec tamen hoc unum doleo, non oscula tantum iuncta queror, quamvis haec quoque iuncta queror: 60 illa nisi in lecto nusquam potuere doceri; nescioquis pretium grande magister habet. 6 Psittacus, Eois imitatrix ales ab Indis, occidit: exequias ite frequenter, aves. ite, piae volucres, et plangite pectora pinnis et rigido teneras ungue notate genas. horrida pro maestis lanietur pluma capillis, pro longa resonent carmina vestra tuba. quod scelus Ismarii quereris, Philomela, tyranni, expleta est annis ista querela suis; alitis in rarae miserum devertere funus: magna sed antiqua est causa doloris Itys. omnes quae liquido libratis in aere cursus, tu tamen ante alios, turtur amice, dole. plena fuit vobis omni concordia vita et stetit ad finem longa tenaxque fides. quod fuit Argolico iuvenis Phoceus Orestae, hoc tibi, dum licuit, psittace, turtur erat.

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Der ich gerade noch wild war, ich bat sie auf Knien von selber, Küsse zu geben auch mir und nicht von schlechterer Art. Sie hat gelacht, gab gerne die besten, und solche wie diese könnten aus Jupiters Hand schlagen sein Dreifachgeschoss. Elend quäle ich mich, hab Angst, dem anderen schmeckten auch so gut sie; ich hoff, die Qualität war es nicht. Diese waren zudem weit besser als die, welche ich sie lehrte; sie hat offenbar noch etwas Neues gelernt. Dass zu gut sie mir schmeckten, dass deine Zunge in meinen Lippen verschwand und zugleich meine in deinen, ist schlimm. Aber mich schmerzt nicht nur dies; dass ihr Küsse euch gabt, das beklage ich nicht allein – gewiss, dieses beklage ich auch: Solche Küsse, die ließen allein im Bett sich erlernen; wer sie auch lehrte, er hat nun einen stattlichen Lohn.

6 Tot ist der Papagei, der indische Vogel, der alle nachahmt: Vögel, zuhauf kommt zur Bestattung herbei. Kommt, ihr getreuen Vögel, die zarten Wangen mit scharfen Krallen zerkratzt; an die Brust schlagt mit den Flügeln euch auch. Traurig zerrauft den sich sträubenden Flaum euch anstelle der Haare; euer Gesang ersetz’ langer Trompeten Getön. Was dein Klagen über den Frevel des Thrakertyrannen angeht, hat’s mit der Zeit sich, Philomela, erschöpft; wend dich des seltenen Vogels traurigem Tod zu: Ein ernster Anlass zum Schmerz ist gewiss Itys, ein neuer nicht mehr. Trauert alle, die durch die klare Luft ihr den Kurs lenkt, Turteltaube, doch du allen voran als sein Freund. Euer ganzes Leben, es war vollkommene Eintracht; eure Treue, die hielt lange und fest bis zum Tod. Was, Papagei, der Jüngling aus Phokis seinem Orest war, war die Taube, solang dies noch erlaubt war, für dich.

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quid tamen ista fides, quid rari forma coloris, quid vox mutandis ingeniosa sonis, quid iuvat, ut datus es, nostrae placuisse puellae? infelix, avium gloria, nempe iaces. tu poteras fragiles pinnis hebetare zmaragdos, tincta gerens rubro Punica rostra croco. non fuit in terris vocum simulantior ales: reddebas blaeso tam bene verba sono. raptus es invidia: non tu fera bella movebas; garrulus et placidae pacis amator eras. ecce, coturnices inter sua proelia vivunt, forsitan et fiunt inde frequenter anus. plenus eras minimo, nec prae sermonis amore in multos poteras ora vacare cibos: nux erat esca tibi causaeque papavera somni, pellebatque sitim simplicis umor aquae. vivit edax vultur ducensque per aera gyros miluus et pluviae graculus auctor aquae; vivit et armiferae cornix invisa Minervae, illa quidem saeclis vix moritura novem. occidit ille, loquax humanae vocis imago, psittacus, extremo munus ab orbe datum. optima prima fere manibus rapiuntur avaris; implentur numeris deteriora suis: tristia Phylacidae Thersites funera vidit iamque cinis vivis fratribus Hector erat. quid referam timidae pro te pia vota puellae, vota procelloso per mare rapta Noto? septima lux venit non exhibitura sequentem, et stabat vacuo iam tibi Parca colo. nec tamen ignavo stupuerunt verba palato: clamavit moriens lingua ‘Corinna, vale!’ colle sub Elysio nigra nemus ilice frondet udaque perpetuo gramine terra viret.

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Doch was nützt deine Treue, die Schönheit erlesener Farben, was die Stimme, begabt für das Verändern des Tons? Dass dich mein Mädchen, als dich sie bekam, gleich mochte, was nützt es? Armer, jetzt liegst du da doch, Zierde des Vogelgeschlechts. Stumpf ließ feine Smaragde der Glanz deiner Flügel erscheinen, rot war dein Schnabel, dazu ganz wie mit Safran gefärbt. Stimmen kopierte kein Vogel auf Erden genauer: Die Wörter gabst du dermaßen perfekt wieder mit schnarrendem Ton. Missgunst riss dich hinweg: Nie fingst du grimmigen Streit an; du warst ein Plauderer, hast Ruhe und Frieden geliebt. Wachteln dagegen – schau! –, die leben in ständigem Kampfe, und sie werden vielleicht deshalb nicht selten so alt. Wenig genügte, um satt dich zu machen; vor Freude am Sprechen hatte dein Schnabel auch nie Zeit für ein reichliches Mahl: Nur einschläfernder Mohn und Nüsse waren dein Futter, und den Durst hat ein Schluck einfachen Wassers gelöscht. Doch der gefräßige Geier, der Falke, der hoch in der Luft kreist, lebt, auch die Dohle, die uns Regen bringt, und es lebt auch die Krähe, verhasst der waffentragenden Pallas – neun Jahrhunderte lebt mindestens sie, bis sie stirbt. Aber der Plauderer starb, das Abbild der menschlichen Stimme, er, der Papagei, Gabe vom Ende der Welt. Meist ist’s das Beste, das früh von den gierigen Händen entrafft wird; Minderwertiges bleibt stets in der Menge konstant: Als man den Phylakiden begrub, sah zu ein Thersites; Hektor war Asche, doch noch waren die Brüder gesund. Was erwähn ich die frommen Gelübde des Mädchens, das um dich Angst hatte? Über das Meer trug sie der stürmische Süd. Dann kam der siebente Tag, kein weiterer sollte ihm folgen; deine Parze, schon stand da sie; der Rocken war leer. Doch deine Kehle, obwohl sie schon schwach war, konnte noch Worte bilden: Die Zunge rief sterbend: »Corinna, leb wohl!« Im Elysium grünt am Fuß eines Hügels mit schwarzen Eichen ein Hain; stets blüht Gras auf bewässertem Land.

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si qua fides dubiis, volucrum locus ille piarum dicitur, obscenae quo prohibentur aves. illic innocui late pascuntur olores et vivax phoenix, unica semper avis; explicat ipsa suas ales Iunonia pinnas, oscula dat cupido blanda columba mari. psittacus has inter nemorali sede receptus convertit volucres in sua verba pias. ossa tegit tumulus, tumulus pro corpore magnus, quo lapis exiguus par sibi carmen habet:

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60 COLLIGOR EX IPSO DOMINAE PLACUISSE SEPULCHRO. ORA FUERE MIHI PLUS AVE DOCTA LOQUI.

7 Ergo sufficiam reus in nova crimina semper? ut vincam, totiens dimicuisse piget. sive ego marmorei respexi summa theatri, eligis e multis unde dolere velis; candida seu tacito vidit me femina vultu, in vultu tacitas arguis esse notas. si quam laudavi, misero petis ungue capillos; si culpo, crimen dissimulare putas. sive bonus color est, in te quoque frigidus esse, seu malus, alterius dicor amore mori. atque ego peccati vellem mihi conscius essem! aequo animo poenam, qui meruere, ferunt. nunc temere insimulas credendoque omnia frustra ipsa vetas iram pondus habere tuam. aspice, ut auritus miserandae sortis asellus assiduo domitus verbere lentus eat. ecce, novum crimen: sollers ornare Cypassis obicitur dominae contemerasse torum.

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Darf man den Mythen vertraun, wird der Ort »der Wohnsitz der treuen Vögel« genannt; er ist garstigen Vögeln verwehrt. Schuldlos grasen Schwäne in Scharen dort und der Phönix, der so lange lebt, einziger stets seiner Art; Junos Vogel entfaltet von selbst sein Gefieder, und zärtlich küsst die Taube dort ihren verliebten Gemahl. Hier im Haine empfängt man den Papagei nun, und dieser schafft’s, dass die treue Schar achtsam vernimmt, was er sagt. Seine Gebeine bedeckt ein Hügel in passender Größe, grad so klein wie der Stein ist das Gedicht, das er trägt: »Dass ich der Herrin gefiel, lässt schon das Grabmal erschließen. Mehr als ein Vogel sonst spricht, brachte mein Schnabel hervor.«

7 Soll ich denn stets als Verklagter für neue Vorwürfe dienen? Selbst wenn ich siege, so oft kämpfen zu müssen, verdrießt. Seh ich im Marmortheater hinauf zu den oberen Rängen, wählst von den vielen du dir eine als Eifersuchtsgrund; blickt eine Schöne mich an mit stummer Miene, dann schimpfst du: Stumme Zeichen für mich berge die Miene in sich. Lobe ich eine, bedrohst du mein armes Haar mit den Nägeln, tadle ich, schließt du auf Schuld, die ich verheimlichen will. Seh ich gesund aus, dann heißt es, du ließest mich kalt; ist mein Aussehn schlecht, dann heißt’s, ich verging’, in eine andre verliebt. Wär es doch wirklich so, dass ich mir eines Fremdgehns bewusst wär! Wer eine Strafe verdient, nimmt auch gelassen sie hin. Blindlings jedoch beschuldigst du mich, glaubst alles und jedes grundlos: Du selbst nimmst so alles Gewicht deinem Zorn. Schau, wie langsam das Langohr, dessen bemitleidenswertes Schicksal es ist, dass es stets Prügel bezieht, sich bewegt. Sieh, ein neues Vergehn: Die geschickte Friseuse Cypassis hat – so der Vorwurf – entweiht ihrer Gebieterin Bett.

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di melius, quam me, si sit peccasse libido, sordida contemptae sortis amica iuvet! quis veneris famulae conubia liber inire tergaque complecti verbere secta velit? adde quod ornandis illa est operata capillis et tibi per doctas grata ministra manus: scilicet ancillam, quae tam tibi fida, rogarem? quid, nisi ut indicio iuncta repulsa foret? per Venerem iuro puerique volatilis arcus me non admissi criminis esse reum.

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8 Ponendis in mille modos perfecta capillis, comere sed solas digna, Cypassi, deas, et mihi iucundo non rustica cognita furto, apta quidem dominae sed magis apta mihi, quis fuit inter nos sociati corporis index? sensit concubitus unde Corinna tuos? num tamen erubui? num verbo lapsus in ullo furtivae veneris conscia signa dedi? quid quod, in ancilla si quis delinquere possit, illum ego contendi mente carere bona? Thessalus ancillae facie Briseidos arsit, serva Mycenaeo Phoebas amata duci. nec sum ego Tantalide maior, nec maior Achille: quod decuit reges, cur mihi turpe putem? ut tamen iratos in te defixit ocellos, vidi te totis erubuisse genis. at quanto, si forte refers, praesentior ipse per Veneris feci numina magna fidem! (tu, dea, tu iubeas animi periuria puri Carpathium tepidos per mare ferre Notos!)

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Gott bewahre mich! Nie, wenn ich fremdgehn wollte, wär eine niedere Freundin mir recht aus dem verachteten Stand! Welcher Freie schliefe mit einer Sklavin und legte um den Rücken, den schon Hiebe zerschnitten, den Arm? Noch dazu, wo diese sich müht, dein Haar zu verschönern, dir als Bedienstete lieb dank ihrer Hände Geschick: Klar, ich spiel bei der Magd, weil dir sie treu war, den Freier, nur damit sie dann mich abblitzt und dich informiert! Bei des geflügelten Knaben Bogen schwör ich, bei Venus, dass ich die Tat nicht beging, welche man mir unterstellt.

8 Du, perfekt in der Kunst, auf tausend Arten, Cypassis, Haare zu legen, doch wert, Göttinnen nur zu frisiern, du, die als gar nicht täppisch beim heimlichen Spiel ich erkannte, du, die zur Herrin du passt, aber noch besser zu mir, wer hat der Herrin gemeldet, dass wir unsre Körper vereinten? Wie hat Corinna bemerkt, dass du mit jemandem schliefst? Bin ich am Ende errötet? Entschlüpfte irgendein Wort mir, das im Bewusstsein der Schuld heimliches Treiben verriet? War es denn dies, dass ich sagte, wer jemals vergehen sich könne an einer Magd, der sei nicht bei gesundem Verstand? Feuer fing der Thessalier beim Anblick der Sklavin Briseïs, und der mykenische Fürst liebte Kassandra, die Magd. Ich bin bedeutender nicht als des Tantalus Spross, als Achilles: Warum soll schlimm sein, was doch Fürsten geziemte, für mich? Als sie dann aber nur dich mit zornigen Augen fixierte, sah deine Wangen ich gänzlich von Röte bedeckt. Wie viel größer war meine Geistesgegenwart! Weißt’s noch? Venus rief ich und schwor bei ihrer göttlichen Macht! (Lass doch die falschen Schwüre des reinen Gemütes, o Göttin, tragen vom lauen Süd übers karpathische Meer!)

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pro quibus officiis pretium mihi dulce repende concubitus hodie, fusca Cypassi, tuos. quid renuis fingisque novos, ingrata, timores? unum est e dominis emeruisse satis. quod si stulta negas, index ante acta fatebor et veniam culpae proditor ipse meae, quoque loco tecum fuerim quotiensque, Cypassi, narrabo dominae quotque quibusque modis.

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9 O numquam pro re satis indignande Cupido, o in corde meo desidiose puer, quid me, qui miles numquam tua signa reliqui, laedis, et in castris vulneror ipse meis? cur tua fax urit, figit tuus arcus amicos? gloria pugnantes vincere maior erat. quid? non Haemonius, quem cuspide perculit, heros confossum medica postmodo iuvit ope? venator sequitur fugientia, capta relinquit semper et inventis ulteriora petit. nos tua sentimus, populus tibi deditus, arma; pigra reluctanti cessat in hoste manus. quid iuvat in nudis hamata retundere tela ossibus? ossa mihi nuda relinquit amor. tot sine amore viri, tot sunt sine amore puellae: hinc tibi cum magna laude triumphus eat. Roma, nisi immensum vires promosset in orbem, stramineis esset nunc quoque tecta casis. fessus in acceptos miles deducitur agros, mittitur in saltus carcere liber equus, longaque subductam celant navalia pinum, tutaque deposito poscitur ense rudis:

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All die Dienste vergilt mir durch eine süße Belohnung, braune Cypassis: Noch heut teile das Lager mit mir. Undankbare, du willst nicht, befürchtest schon wieder was Neues? Einem von beiden Herrn dich zu verpflichten genügt. Wenn du dich weigerst, du Dumme, sag ich ihr alles, bekenne, was schon passiert ist, verrat selbst meine Schuld und erzähl dann der Gebieterin, wo und wie häufig wir’s machten, Cypassis, wie viel Stellungen wir jeweils probierten und wie.

9 Du, den man nie so sehr, wie’s der Lage entspräche, Cupido, schelten kann, Knabe, der du träge im Herzen mir sitzt, warum verwundest du mich, den Krieger, der nie desertierte, warum werd ich verletzt in meinem eigenen Camp? Warum versengt deine Fackel und trifft dein Bogen die Freunde? Größer wäre dein Ruhm, hättest du Kämpfer besiegt. Half der hämonische Held dem Manne, den mit dem Speer er traf und durchstach, etwa nicht später mit ärztlicher Kunst? Jäger verfolgen, was flieht, was sie fangen, lassen sie liegen; immer streben sie weit übers Erreichte hinaus. Wir, dein ergebenes Volk, bekommen die Waffen zu spüren; träg bleibt deine Hand, wenn sich der Feind widersetzt. Nützt es was, hakige Pfeile abzustumpfen an nackten Knochen? Das nackte Gebein ließ mir die Liebe ja nur. Leben doch ohne Liebe noch so viel Männer und Mädchen: Großen Ruhm hol dort und triumphier über sie. Hätte Rom seine Macht nicht ausgedehnt auf dem Erdkreis, gäbe es dort noch heut Hütten, mit Stroh nur bedeckt. Müden Soldaten teilt man Land zu und siedelt sie an dort; Pferde, frei von der Box, werden zum Weiden geschickt; zog man das Schiff an Land, wird im langen Dock es geborgen; der, der das Schwert nicht mehr führt, fordert den hölzernen Stab:

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me quoque, qui totiens merui sub amore puellae, defunctum placide vivere tempus erat. 9b (10) ‘Vive’ deus ‘posito’ si quis mihi dicat ‘amore’, deprecer: usque adeo dulce puella malum est. cum bene pertaesum est animoque relanguit ardor, nescioquo miserae turbine mentis agor. ut rapit in praeceps dominum spumantia frustra frena retentantem durior oris equus, ut subitus, prope iam prensa tellure, carinam tangentem portus ventus in alta rapit, sic me saepe refert incerta Cupidinis aura notaque purpureus tela resumit Amor. fige, puer! positis nudus tibi praebeor armis; hic tibi sunt vires, hic tua dextra facit, huc tamquam iussae veniunt iam sponte sagittae; vix illis prae me nota pharetra sua est. infelix, tota quicumque quiescere nocte sustinet et somnos praemia magna vocat! stulte, quid est somnus gelidae nisi mortis imago? longa quiescendi tempora fata dabunt. me modo decipiant voces fallacis amicae (sperando certe gaudia magna feram), et modo blanditias dicat, modo iurgia nectat, saepe fruar domina, saepe repulsus eam. quod dubius Mars est, per te, privigne Cupido, est, et movet exemplo vitricus arma tuo; tu levis es multoque tuis ventosior alis gaudiaque ambigua dasque negasque fide. si tamen exaudis, pulchra cum matre, Cupido, indeserta meo pectore regna gere!

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Auch für mich, der so oft unterm Banner der Liebe zum Mädchen diente, wär’s Zeit, dass ich frei lebte in friedlicher Ruh.

9b (10) Sagte ein Gott zu mir: »Leb ohne die Liebe!«, ich tät mich weigern: So süß ist nun doch das, was so schlimm ist, das Weib. Hab ich sie satt und das Brennen hat nachgelassen im Herzen, treibt mir den armen Geist irgendein Wirbel im Kreis. Wie ein Pferd mit zu hartem Maul mit dem Herrn, der die Zügel, die voll Schaum sind, umsonst anzieht, davongaloppiert, wie ein plötzlicher Wind ein Schiff, das das Land fast erreicht hat und den Hafen berührt, reißt auf das offene Meer, so trägt oft mich zurück die schwankende Brise Cupidos; wieder zum Pfeil, den man kennt, greift dann der purpurne Gott. Triff mich, Knabe! Ich biet mich dir dar entblößt und entwaffnet; hier bist du stark, und hier hat deine Rechte Erfolg, hierher kommen von selber und wie auf Befehl deine Pfeile; fast sind sie besser mit mir als mit dem Köcher vertraut. Arm ist doch der, der’s erträgt, die ganze Nacht durch zu ruhen, der vom Schlaf sagt, der sei doch ein großes Geschenk! Dummer, was ist denn der Schlaf, wenn nicht das Abbild des kalten Todes? Noch lange Zeit ist dir zu ruhen bestimmt. Mögen mich nur die Worte der listigen Freundin betrügen (große Lust wird schon Hoffnung mir sicher beschern); bald soll sie zärtlich reden, bald Streit beginnen; ich möcht sie oft ganz haben und oft gehen, weil sie mich nicht will. Mars ist unzuverlässig, denn du bist sein Stiefsohn, Cupido; wenn dein Stiefvater kämpft, nimmt als Exempel er dich. Flatterhafter bist du als deine Flügel, voll Leichtsinn, wankelmütig schenkst oder verweigerst du Lust. Doch wenn mein Flehn du erhörst, Cupido, zusammen mit deiner schönen Mutter, dann herrsch mir in der Brust permanent!

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accedant regno, nimium vaga turba, puellae! ambobus populis sic venerandus eris.

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10 (11) Tu mihi, tu certe, memini, Graecine, negabas uno posse aliquem tempore amare duas. per te ego decipior, per te deprensus inermis ecce duas uno tempore turpis amo. utraque formosa est, operosae cultibus ambae, artibus in dubio est haec sit an illa prior. pulchrior hac illa est, haec est quoque pulchrior illa, et magis haec nobis et magis illa placet. erro velut ventis discordibus acta phaselos, dividuumque tenent alter et alter amor. quid geminas, Erycina, meos sine fine dolores? non erat in curas una puella satis? quid folia arboribus, quid pleno sidera caelo, in freta collectas alta quid addis aquas? sed tamen hoc melius, quam si sine amore iacerem: hostibus eveniat vita severa meis; hostibus eveniat viduo dormire cubili et medio laxe ponere membra toro. at mihi saevus Amor somnos abrumpat inertes simque mei lecti non ego solus onus; me mea disperdat nullo prohibente puella, si satis una potest, si minus una, duae. sufficiam: graciles, non sunt sine viribus artus; pondere, non nervis, corpora nostra carent. et lateri dabit in vires alimenta voluptas: decepta est opera nulla puella mea. saepe ego lascive consumpsi tempora noctis, utilis et forti corpore mane fui.

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Hol in dein Reich auch die Mädchen, die Schar, die zu sehr hin und her schwankt! Künftig müssen dich dann beide Geschlechter verehrn.

10 (11) Du, ja gewiss, Graecinus – ich weiß es noch gut –, hast bestritten, dass zwei Frauen zugleich jemand zu lieben vermag. Dir nur verdank ich’s: Ich ließ mich täuschen und waffenlos fangen; sieh nur, da haben wir’s: Zwei lieb’ ich – wie schändlich! – zugleich. Beide sind schön und beide bemüht, elegant zu erscheinen; klar zu entscheiden ist nicht, wer die begabtere ist. Schöner als diese ist jene, doch diese auch schöner als jene; besser gefällt mir die, besser die andere auch. Wie ein Schifflein, getrieben von streitenden Winden, so irre ich umher und mich reißt doppelte Liebe entzwei. Was, Erykina, verdoppelst du mir die nicht endenden Schmerzen? Brachte die eine Frau mir nicht schon Sorgen genug? Was fügst Bäumen du Blätter, dem Himmel, der voll ist, noch Sterne, was dem offenen Meer Mengen von Wasser hinzu? Freilich ist dies noch besser, als ohne Liebe zu liegen: Keusch das Leben zu führn, wünsch meinen Feinden ich nur; meinen Feinden nur wünsch ich, auf leerem Lager zu schlafen und die Glieder bequem von sich zu strecken im Bett. Doch mir raube den Schlaf, den trägen, der grimmige Amor; nicht die einzige Last möchte ich sein auf dem Bett; ohne dass jemand es hindert, soll mich die Geliebte vernichten – eine, wenn das genügt, wenn aber nicht, dann halt zwei. Ich werd’s leisten: Nur zierlich, nicht kraftlos sind meine Glieder; nur an den Pfunden fehlt’s, nicht an der Spannkraft dem Leib. Und die Lust an der Liebe wird mir die Lendenkraft nähren: Nie war von meinem Bemühn irgendein Mädchen enttäuscht. Oft hab Stunden der Nacht ich für Liebesspiele verwendet, doch bei Kräften und frisch war ich am Morgen danach.

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felix, quem Veneris certamina mutua perdunt! di faciant, leti causa sit ista mei! induat adversis contraria pectora telis miles et aeternum sanguine nomen emat; quaerat avarus opes et, quae lassarit arando, aequora periuro naufragus ore bibat. at mihi contingat Veneris languescere motu, cum moriar, medium solvar et inter opus; atque aliquis nostro lacrimans in funere dicat ‘conveniens vitae mors fuit ista tuae’.

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11 (12) Prima malas docuit mirantibus aequoris undis Peliaco pinus vertice caesa vias, quae concurrentes inter temeraria cautes conspicuam fulvo vellere vexit ovem. o utinam, ne quis remo freta longa moveret, Argo funestas pressa bibisset aquas! ecce fugit notumque torum sociosque Penates fallacesque vias ire Corinna parat. quam tibi, me miserum, Zephyros Eurosque timebo et gelidum Borean egelidumque Notum! non illic urbes, non tu mirabere silvas: una est iniusti caerula forma maris. nec medius tenues conchas pictosque lapillos pontus habet: bibuli litoris illa mora est. litora marmoreis pedibus signate, puellae – hactenus est tutum, cetera caeca via est – et vobis alii ventorum proelia narrent, quas Scylla infestet quasve Charybdis aquas, et quibus emineant violenta Ceraunia saxis, quo lateant Syrtes magna minorque sinu.

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Glücklich ist der, der den Tod bei den Kämpfen der Liebe erleidet! Führten die Götter doch so einmal mein Ende herbei! Mag der Soldat in die Speere der Feinde rennen, und mag er ewigen Ruhm mit dem Blut kaufen. Wer Schätze begehrt, suche nach ihnen; die Flut, die er, bis sie’s leid war, durchpflügte, schlürfe nach Schiffbruch er ein mit dem verlogenen Mund. Doch mir soll beim Lieben dahinzuschwinden vergönnt sein, und wenn ich sterbe, dann will mitten im Sex ich vergehn; unter Tränen möge bei meiner Bestattung dann jemand sagen: »Dieser Tod war deinem Leben gemäß!«

11 (12) Eine Fichte, gefällt auf dem Gipfel des Pelion, lehrte böse Wege zuerst, sehr zum Erstaunen des Meers; tollkühn trug sie durch zusammenschlagende Felsen jenes berühmte Schaf, das mit dem goldenen Vlies. Wär doch, auf dass mit den Rudern dann keiner bewege die weiten Fluten, die Argo zerschellt, trinkend die tödliche Flut! Schau, das vertraute Bett, die gemeinsamen Götter des Hauses flieht Corinna und will reisen auf tückischem Weg. O wie werde für dich, ich Ärmster, den Westwind ich fürchten, Ostwind, eisigen Nord, glühenden Südwind dazu! Städte wirst du dort nicht, wirst keine Wälder bewundern: Immer sich gleich und blau zeigt sich das tückische Meer. Mitten im Meer gibt’s keine zierlichen Muscheln und bunte Steinchen: Der durstige Strand lockt zum Verweilen damit. Prägt in den Strand mit den Füßen, den marmorweißen, ihr Mädchen, Spuren – noch sicher ist’s hier, ungewiss weitere Fahrt –, und von der Winde Kampf, von Gewässern, welche die Skylla oder Charybdis bedroht, mögen euch andre erzähln, auch von den Klippen, die an den wilden Keraunien ragen, und von den Syrten, und wo beide die Meeresbucht birgt.

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haec alii referant; at vos, quod quisque loquetur, credite: credenti nulla procella nocet. sero respicitur tellus, ubi fune soluto currit in immensum panda carina salum, navita sollicitus cum ventos horret iniquos et prope tam letum quam prope cernit aquam. quod si concussas Triton exasperet undas, quam tibi sit toto nullus in ore color! tum generosa voces fecundae sidera Ledae et ‘felix’ dicas ‘quem sua terra tenet!’ tutius est fovisse torum, legisse libellos, Threiciam digitis increpuisse lyram. at, si vana ferunt volucres mea dicta procellae, aequa tamen puppi sit Galatea tuae: vestrum crimen erit talis iactura puellae, Nereidesque deae Nereidumque pater. vade memor nostri, vento reditura secundo; impleat illa tuos fortior aura sinus. tum mare in haec magnus proclinet litora Nereus, huc venti spectent, huc agat aestus aquas. ipsa roges, Zephyri veniant in lintea soli, ipsa tua moveas turgida vela manu. primus ego aspiciam notam de litore puppim et dicam ‘nostros advehit illa deos!’ excipiamque umeris et multa sine ordine carpam oscula. pro reditu victima vota cadet, inque tori formam molles sternentur harenae et cumulus mensae quilibet esse potest. illic apposito narrabis multa Lyaeo, paene sit ut mediis obruta navis aquis, dumque ad me properas, neque iniquae tempora noctis nec te praecipites extimuisse Notos. omnia pro veris credam, sint ficta licebit: cur ego non votis blandiar ipse meis?

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Das lasst andre berichten; doch ihr glaubt das, was ein jeder euch so erzählt: Kein Sturm schadet ja dem, der es glaubt. Rückwärts zum Land blickt man zu spät, wenn das Tau schon gelöst ist und der geschwungene Kiel fährt auf das riesige Meer, wenn der besorgte Seemann vor widrigen Winden erschauert und so nah wie die Flut vor sich sein Ende erblickt. Sollte Triton die Wogen aufwühlen und peitschen, wie wiche aus dem ganzen Gesicht jegliche Farbe dir dann! Dann anrufend der fruchtbarn Leda edle Gestirne sprächst du: »Glücklich ist der, der in der Heimat verbleibt.« Sicherer ist’s, mit den Fingern die thrakische Leier zu schlagen, Bücher zu lesen sowie warm sich zu halten das Bett. Tragen geflügelte Winde aber davon meine Worte nutzlos, sei deinem Schiff doch Galatea geneigt: Göttinnen ihr, Nereïden, und du, Nereïdenerzeuger, euer Verbrechen wird sein solch eines Mädchens Verlust. Fahr nun und denke an mich, kehr wieder mit günstiger Brise; kräftiger blase der Wind, dir deine Segel zu blähn. Dann soll Nereus das Meer zu unserer Küste hin neigen; hierher soll blicken der Wind, hierher soll branden die Flut. Dass in die Segel nur Zephyrn dir fallen, erbitte du selber, selber beweg mit der Hand du das sich blähende Tuch. Ich erblick dann als erster vom Strand aus das Schiff, das ich kenne, und werd sagen: »Es bringt mir meine Götter herbei« und auf die Schultern dich nehmen und wahllos Küsse dir rauben. Dann fällt das Opfertier, für deine Rückkehr gelobt, und gestreut wird weicher Sand, um ein Lager zu bilden; jeder Haufen davon kann dann auch dienen als Tisch. Vieles wirst du dort beim Wein erzählen: Wie beinah untergegangen wär mitten im Meere dein Schiff, wie, als zu mir du eiltest, du nicht vor den Stunden der bösen Nacht dich gefürchtet hast, nicht vor dem stürmischen Süd. Alles halte ich dann für wahr, und sei’s auch erfunden: Warum soll ich denn nicht schmeicheln dem eigenen Wunsch?

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haec mihi quam primum caelo nitidissimus alto Lucifer admisso tempora portet equo.

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12 (13) Ite triumphales circum mea tempora laurus! vicimus: in nostro est ecce Corinna sinu, quam vir, quam custos, quam ianua firma (tot hostes!) servabant, ne qua posset ab arte capi. haec est praecipuo victoria digna triumpho 5 in qua, quaecumque est, sanguine praeda caret. non humiles muri, non parvis oppida fossis cincta, sed est ductu capta puella meo. Pergama cum caderent bello superata bilustri, ex tot in Atridis pars quota laudis erat? 10 at mea seposita est et ab omni milite dissors gloria, nec titulum muneris alter habet: me duce ad hanc voti finem, me milite veni; ipse eques, ipse pedes, signifer ipse fui. nec casum fortuna meis immiscuit actis: 15 huc ades, o cura parte triumphe mea! nec belli est nova causa mei: nisi rapta fuisset Tyndaris, Europae pax Asiaeque foret. femina silvestres Lapithas populumque biformem turpiter apposito vertit in arma mero; 20 femina Troianos iterum nova bella movere impulit in regno, iuste Latine, tuo; femina Romanis etiamnunc Urbe recenti immisit soceros armaque saeva dedit. 25 vidi ego pro nivea pugnantes coniuge tauros: spectatrix animos ipsa iuvenca dabat. me quoque, qui multos, sed me sine caede, Cupido iussit militiae signa movere suae.

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Luzifer, der hoch oben am Himmel leuchtet, soll möglichst bald mir diesen Tag bringen mit eilendem Pferd.

12 (13) Triumphatorenlorbeer, komm und umkränz mir die Schläfen! Mein ist der Sieg! Ich halt – sieh nur! – Corinna im Arm, sie, die der Mann, der Wächter, die feste Pforte bewachten (so viel Feinde!), damit niemand sie raube mit List. Einen besondren Triumph verdient der Sieg, was auch immer dieser für einer war: Rein ist die Beute von Blut. Keine niedrigen Mauern, kein Städtchen, umgeben von schmalen Gräben, ein Mädchen war’s, das ich als Feldherr errang. Nach zehn Jahrn fiel Troja – wie klein war der Anteil am Ruhme von so vielen, der da auf die Atriden entfiel! Mir gehört mein Ruhm allein, und ich teil ihn mit keinem Krieger, kein anderer kann Anspruch erheben auf Lohn: Ich als mein Feldherr, mein Krieger gelangte ans Ziel meiner Wünsche, selber zu Pferd und zu Fuß, Träger der Fahnen auch selbst. Keinen Zufall vermischte mit meinen Taten Fortuna: Hierher, Triumph, den mir eigene Umsicht errang! Neu ist mein Kriegsgrund nicht: Europa und Asien hätten Frieden, wenn Helena nicht damals geraubt worden wär. Eine Frau auch trieb die Lapithen, das Waldvolk, und jenes zweigestaltige Volk schimpflich beim Weine zum Kampf; eine Frau auch ließ die Trojaner, gerechter Latinus, Kriege beginnen erneut mitten in deinem Gebiet; Frauen hetzten die Schwäher gegen die Römer, als Rom noch jung war und gaben sogar grausame Waffen dazu. Kämpfen um eine Kuh, eine schneeige, sah ich die Stiere: Mut gab ihnen sie selbst als ihre Zuschauerin. Mir auch, wie vielen andren, befahl Cupido, sein Banner vorwärts zu tragen im Kampf, lässt aber Töten nicht zu.

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13 (14) Dum labefactat onus gravidi temeraria ventris, in dubio vitae lassa Corinna iacet. illa quidem clam me tantum molita pericli ira digna mea est, sed cadit ira metu. sed tamen aut ex me conceperat, aut ego credo: est mihi pro facto saepe, quod esse potest. Isi, Paraetonium genialiaque arva Canopi quae colis et Memphin palmiferamque Pharon, quaque celer Nilus lato delapsus in alveo per septem portus in maris exit aquas, per tua sistra precor, per Anubidis ora verendi (sic tua sacra pius semper Osiris amet pigraque labatur circa donaria serpens et comes in pompa corniger Apis eat!), huc adhibe vultus et in una parce duobus: nam vitam dominae tu dabis, illa mihi. saepe tibi sedit certis operata diebus, qua tingit laurus Gallica turma tuas. tuque, laborantes utero miserata puellas quarum tarda latens corpora tendit onus, lenis ades precibusque meis fave, Ilithyia! digna est quam iubeas muneris esse tui. ipse ego tura dabo fumosis candidus aris, ipse feram ante tuos munera vota pedes; adiciam titulum: SERVATA NASO CORINNA; tu modo fac titulo muneribusque locum. si tamen in tanto fas est monuisse timore, hac tibi sit pugna dimicuisse satis.

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13 (14) Da sie sorglos die Last abtrieb ihres schwangeren Leibes, liegt Corinna nun da; krank ist sie, ringt mit dem Tod. Weil sie ohne mein Wissen so etwas Gefährliches wagte, hat meinen Zorn sie verdient, doch er verblasst durch die Angst. Aber von mir empfing sie, oder ich glaub es zumindest: Alles, was sein kann, seh’ häufig als Faktum ich an. Die du im fruchtbarn Land von Kanopus, in Memphis und Pharos, reich an Palmen, sowie in Parätonium wohnst, Isis, und dort, wo der Nil geschwinde fließt in dem breiten Flussbett, um siebenfach sich zu ergießen ins Meer, bei deinen Sistren fleh ich, beim Haupte des hehren Anubis (möge deinem Kult gnädig Osiris stets sein, möge die Schlange träg um die Weihgeschenke sich ringeln, möge dir Apis der Stier geben beim Zug das Geleit!) – wende dein Antlitz zu uns und schon’ sie, dann schonst du uns beide: Leben, das wirst du ihr geben, dann gibt sie es mir. Oft hat sie dienend dort an bestimmten Tagen gesessen, wo deinen Lorbeer färbt blutig die phrygische Schar. Du auch, die schwangerer Fraun sich erbarmt, die Schmerzen erleiden, dann, wenn den schweren Leib spannt die verborgene Last, hilf ihr sanft, Ilithyia, und sei meinen Bitten gewogen! Sie hat durch dein Geschenk weiterzuleben verdient. Ich will im weißen Gewand am Altar, dem dampfenden, Weihrauch opfern, zu Füßen will ich legen dir dann, wie gelobt, Gaben und schreiben dazu: »Für Corinnas Errettung von Naso«; gib mir für Gaben und das, was ich da schreibe, nur Grund. Darf man in solcher Angst sich mahnend äußern, dann sag ich: Diese eine Schlacht sei dir für immer genug.

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14 (15) Quid iuvat immunes belli cessare puellas nec fera peltatas agmina velle sequi, si sine Marte suis patiuntur vulnera telis et caecas armant in sua fata manus? quae prima instituit teneros convellere fetus, militia fuerat digna perire sua. scilicet ut careat rugarum crimine venter, sternetur pugnae tristis harena tuae? si mos antiquis placuisset matribus idem, gens hominum vitio deperitura fuit, quique iterum iaceret generis primordia nostri in vacuo lapides orbe, parandus erat. quis Priami fregisset opes, si numen aquarum iusta recusasset pondera ferre Thetis? Ilia si tumido geminos in ventre necasset, casurus dominae conditor Urbis erat. si Venus Aenean gravida temerasset in alvo, Caesaribus tellus orba futura fuit. tu quoque, cum posses nasci formosa, perisses, temptasset, quod tu, si tua mater opus. ipse ego, cum fuerim melius periturus amando, vidissem nullos matre necante dies. quid plenam fraudas vitem crescentibus uvis pomaque crudeli vellis acerba manu? sponte fluant matura sua; sine crescere nata: est pretium parvae non leve vita morae. vestra quid effoditis subiectis viscera telis et nondum natis dira venena datis? Colchida respersam puerorum sanguine culpant, aque sua caesum matre queruntur Ityn: utraque saeva parens, sed tristibus utraque causis iactura socii sanguinis ulta virum.

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14 (15) Was ist gut dran, dass Frauen vom Kriegsdienst frei sind und wilden Scharen zu folgen nicht willens, den Schild in der Hand, wenn sie ohne Mars sich durch eigene Waffen verwunden, blindlings die eigene Hand wappnen sich selbst zum Verderb? Sie, die die zarte Frucht zuerst aus dem Leib sich herausriss, hätte im Krieg mit sich selbst unterzugehen verdient. Nur damit nicht der Vorwurf dich trifft, dein Bauch, er sei runzlig, soll man für deinen Kampf streuen den schrecklichen Sand? Hätt es den Müttern der Vorzeit gefallen, sich so zu verhalten, wäre die Menschheit dahin durch ihre eigene Schuld; finden müsst man dann einen, der Steine – unsres Geschlechtes Samen – würfe erneut in der entvölkerten Welt. Hätt sich die Meergöttin Thetis geweigert die rechtmäß’ge Bürde auszutragen, wer hätt Priamus’ Macht dann zerstört? Hätte im schwangeren Leibe die Zwillinge Ilia ermordet, hätte der Welthauptstadt Gründer sein Leben verlorn. Hätte Venus Äneas im Mutterleibe verwundet, hätte den Erdkreis sie seiner Cäsaren beraubt. Du auch wärest dahin, statt als Schönheit geboren zu werden, hätte dasselbe wie du einst deine Mutter versucht. Hätt mich die meine getötet, dann hätt ich, – obwohl es doch besser wäre, ich stürbe beim Sex – niemals die Sonne gesehn. Was beraubst du den vollen Weinstock der wachsenden Trauben, reißt mit grausamer Hand unreif die Früchte vom Baum? Reifes falle von selber; lass wachsen, was einmal gekeimt hat: Leben ist reicher Lohn, hat man ein bisschen Geduld. Warum stecht ihr mit Waffen von unten heraus euer Innres und gebt grässliches Gift noch nicht Geborenen ein? Schuldig nennt man Medea, da Knabenblut sie befleckte, klagt um Itys, denn ihn hat ja die Mutter zerstückt: Beide warn grausame Mütter, doch beide aus traurigen Gründen; Rache am Mann hieß sie opfern gemeinsames Blut.

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dicite, quis Tereus, quis vos irritet Iason figere sollicita corpora vestra manu? hoc neque in Armeniis tigres fecere latebris, perdere nec fetus ausa leaena suos. at tenerae faciunt, sed non impune, puellae: saepe, suos utero quae necat, ipsa perit; ipsa perit, ferturque rogo resoluta capillos, et clamant ‘merito’ qui modo cumque vident. ista sed aetherias vanescant dicta per auras, et sint ominibus pondera nulla meis. di, faciles peccasse semel concedite tuto; et satis est: poenam culpa secunda ferat.

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15 (16) Anule, formosae digitum vincture puellae, in quo censendum nil nisi dantis amor, munus eas gratum; te laeta mente receptum protinus articulis induat illa suis. tam bene convenias quam mecum convenit illi, et digitum iusto commodus orbe teras. felix, a domina tractaberis, anule, nostra: invideo donis iam miser ipse meis. o utinam fieri subito mea munera possem artibus Aeaeae Carpathiive senis! tunc ego, cum cupiam dominae tetigisse papillas et laevam tunicis inseruisse manum, elabar digito quamvis angustus et haerens inque sinum mira laxus ab arte cadam. idem ego, ut arcanas possim signare tabellas neve tenax ceram siccaque gemma trahat, umida formosae tangam prius ora puellae; tantum ne signem scripta dolenda mihi.

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Sagt doch: Was für ein Tereus trieb euch denn, was für ein Jason, mit der verzweifelten Hand euch zu durchbohren den Leib? Keine Tigerin tat in armenischen Höhlen dergleichen. Töten den eigenen Wurf? Löwinnen wagen das nicht. Zärtliche Mädchen tun’s, doch ohne Strafe denn doch nicht: Sie, die ihr Kind im Leib tötet, kommt selber oft um, stirbt, wird mit offenem Haar zum Scheiterhaufen getragen, und die Leute, die’s sehn, rufen: »Verdient hat sie das!« Doch in den Lüften des Äthers soll das, was ich sagte, verfliegen; war’s ominös, was ich sprach, sei es doch ohne Gewicht. Gnädige Götter, gestattet, dass einmal gefahrlos sie fehlte; das ist genug: Bestraft werde das zweite Vergehn.

15 (16) Ring, zu umspannen bestimmt den Finger der schönen Geliebten, kostbar nur, weil der, der dich ihr schenkt, sie auch liebt, geh als willkommene Gabe; sie möge mit freudigem Herzen dich empfangen, und gleich stecke ihr Finger in dir. Passen mögest du ihm so gut, wie sie auch zu mir passt; reibe ihn angenehm, rund in dem richtigen Maß. Glücklicher Ring, mit dir wird meine Gebieterin spielen: Ach, ich Armer beneid jetzt schon mein eignes Geschenk! Wenn durch die Kunst des karpathischen Greises oder der Kirke ich doch verwandeln mich könnt in meine Gabe sogleich! Wär dann der Herrin danach, sich selbst an die Brüste zu fassen, steckte die linke Hand sie in die Tunika sich, glitt ich vom Finger, obwohl ich eng bin und haftend, und fiele, weiter gemacht durch Magie, auf ihren Busen herab. Um in der Lage zu sein, geheime Briefe zu siegeln, werd ich, damit nicht das Wachs klebt an dem trockenen Stein, vorher die feuchten Lippen berühren der schönen Geliebten; nur möcht ich nie einen Brief siegeln, der Kummer mir schafft.

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si dabor ut condar loculis, exire negabo, astringens digitos orbe minore tuos. non ego dedecori tibi sum, mea vita, futurus, quodve tener digitus ferre recuset, onus. me gere, cum calidis perfundes imbribus artus, damnaque sub gemmam perfer euntis aquae. sed, puto, te nuda mea membra libidine surgent, et peragam partes anulus ille viri. irrita quid voveo? parvum proficiscere munus! illa datam tecum sentiat esse fidem.

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16 (17) Pars me Sulmo tenet Paeligni tertia ruris, parva, sed irriguis ora salubris aquis. sol licet admoto tellurem sidere findat et micet Icarii stella proterva canis, arva pererrantur Paeligna liquentibus undis, et viret in tenero fertilis herba solo. terra ferax Cereris multoque feracior uvis, dat quoque baciferam Pallada rarus ager, perque resurgentes rivis labentibus herbas gramineus madidam caespes obumbrat humum. at meus ignis abest. verbo peccavimus uno: quae movet ardores, est procul; ardor adest. non ego, si medius Polluce et Castore ponar, in caeli sine te parte fuisse velim. solliciti iaceant terraque premantur iniqua, in longas orbem qui secuere vias; aut iuvenum comites iussissent ire puellas, si fuit in longas terra secanda vias. tum mihi, si premerem ventosas horridus Alpes, dummodo cum domina, molle fuisset iter.

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Willst aus der Hand du mich geben, damit ich im Kästchen verwahrt werd, weigre ich mich, indem eng ich den Finger umschließ. Nicht wirst dich meiner du schämen, mein Leben; dem zierlichen Finger werde ich nie eine Last, die er zu tragen verschmäht. Trage mich, wenn du die Glieder mit warmem Wasser dir abwäschst; dringt es dann unter den Stein, nimm nur den Schaden in Kauf. Aber ich glaub, wenn du nackt bist, wird Lust das Glied mir erheben, und in der Rolle des Manns trete dann ich auf, der Ring. Doch was wünsch ich umsonst? Geh nun, du winzige Gabe! Möge sie spüren: Mit dir schenk meine Treue ich ihr.

16 (17) Sulmo hält mich fest, ein Drittel des Lands der Päligner; klein ist‘s, doch wasserreich, dieses Gebiet, und gesund. Mag auch die Sonne die Erde zerspalten, wenn nah ihr Gestirn ist, mag der ikarische Hund funkeln, der hitzige Stern, klares Wasser durchschlängelt doch stets die pälignischen Fluren, und auf dem weichen Grund wuchert ein saftiges Grün. Reich ist das Land an Korn, viel reicher an Trauben, und lockrer Grund bringt Pallas’ Baum, reich an Oliven, hervor, und auf den Wiesen, die stets sich erneuern, weil Bäche dort fließen, spendet dem feuchten Grund Schatten das üppige Gras. Doch meine Flamme ist fern – nein, die Formulierung war falsch jetzt: Fern ist sie, die die Glut anfacht, doch da ist die Glut. Auch wenn man zwischen Pollux und Kastor mich setzte, ich wünschte, müsst ich dann ohne dich sein, Anteil am Himmel mir nicht. Alle, welche den Erdkreis mit langen Straßen durchzogen, mögen friedlos ruhn, schwer von der Erde gedrückt; oder sie hätten den Mädchen befehlen sollen, wenn lange Straßen die Erde durchziehn müssen, beim Manne zu sein. Selbst wenn ich schaudernd bestiege die stürmischen Alpen, dann fänd ich, wär nur die Herrin dabei, so eine Reise bequem.

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cum domina Libycas ausim perrumpere Syrtes et dare non aequis vela ferenda Notis; non quae virgineo portenta sub inguine latrant nec timeam vestros, curva Malea, sinus nec quae summersis ratibus saturata Charybdis fundit et effusas ore receptat aquas. quod si Neptuni ventosa potentia vincat et subventuros auferat unda deos, tu nostris niveos umeris impone lacertos: corpore nos facili dulce feremus onus. saepe petens Hero iuvenis tranaverat undas; tum quoque tranasset, sed via caeca fuit. at sine te, quamvis operosi vitibus agri me teneant, quamvis amnibus arva natent et vocet in rivos currentem rusticus undam, frigidaque arboreas mulceat aura comas, non ego Paelignos videor celebrare salubres, non ego natalem, rura paterna, locum, sed Scythiam Cilicasque feros viridesque Britannos quaeque Prometheo saxa cruore rubent. ulmus amat vitem, vitis non deserit ulmum; separor a domina cur ego saepe mea? at mihi te comitem iuraras usque futuram per me perque oculos, sidera nostra, tuos! verba puellarum, foliis leviora caducis, irrita, qua visum est, ventus et unda ferunt. si qua mei tamen est in te pia cura relicti, incipe pollicitis addere facta tuis parvaque quam primum rapientibus esseda mannis ipsa per admissas concute lora iubas! at vos, qua veniet, tumidi subsidite montes, et faciles curvis vallibus este, viae!

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Mit der Herrin durchstieße ich mutig die libyschen Syrten, setzte die Segel der Wut feindlicher Südwinde aus; weder das Bellen der Monster rings um die Lenden der Jungfrau machte mir Angst dann, noch, schroffes Malea, dein Kap, nicht die Charybdis, die an versunkenen Schiffen sich sättigt, Wasser speit und erneut schlürft, was soeben sie spie. Doch wenn die stürmische Macht Neptuns siegt, wenn uns die Woge alle Götter, die uns Helfer sein könnten, entführt, dann leg du auf die Schultern mir deine schneeigen Arme: Tragen mit wendigem Leib werd ich die liebliche Last. Oft durchschwamm auf dem Weg zu Hero der Jüngling die Wogen, hätt sie auch damals durchfurcht, dunkel jedoch war der Weg. Ohne dich – mag auch das Land, wo die Weinstöcke Arbeit machen, mich halten hier, mag überschwemmt sein die Flur und die fließenden Wogen in Gräben lenken der Landmann, mag auf den Bäumen das Laub streicheln ein kühlender Hauch – ist mir nicht so, als ob im gesunden Land der Päligner, meinem Geburtsort, ich wär, auf dem ererbten Besitz, sondern bei wilden Kilikiern, grünen Britanniern, Skythen und wo Prometheus’ Blut rötlich die Felsen verfärbt. Ulmen lieben die Reben, die Rebe verlässt nicht die Ulme; aber warum bin ich oft von meiner Herrin getrennt? Tatest du doch bei mir den Schwur und bei deinen Augen, meinen Sternen, mit mir immer zusammen zu sein! Worte der Mädchen sind leichter als fallende Blätter, es tragen Welle und Wind sie ins Nichts, ganz wie es ihnen gefällt. Hast du für mich, den Verlassnen, noch etwas an Liebe und Treue, dann beginne du, das, was du versprachst, auch zu tun: Selbst schwing über den fliegenden Mähnen der Ponys die Zügel, während die Esseda sie ziehen, so schnell wie es geht! Ihr aber, stolze Berge, senkt, wo sie naht, eure Gipfel; Wege, seid leicht zu befahrn quer durchs gewundene Tal!

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17 (18) Si quis erit, qui turpe putet servire puellae, illo convincar iudice turpis ego. sim licet infamis, dum me moderatius urat quae Paphon et fluctu pulsa Cythera tenet. atque utinam dominae miti quoque praeda fuissem, formosae quoniam praeda futurus eram! dat facies animos: facie violenta Corinna est; me miserum! cur est tam bene nota sibi? scilicet a speculi sumuntur imagine fastus, nec nisi compositam se prius illa videt. non, tibi si facies nimium dat in omnia regni (o facies oculos nata tenere meos!), collatum idcirco tibi me contemnere debes: aptari magnis inferiora licet. traditur et nymphe mortalis amore Calypso capta recusantem detinuisse virum. creditur aequoream Pthio Nereida regi, Egeriam iusto concubuisse Numae. Vulcani Venus est, quamvis incude relicta turpiter obliquo claudicet ille pede; carminis hoc ipsum genus impar, sed tamen apte iungitur herous cum breviore modo. tu quoque me, mea lux, in quaslibet accipe leges; te deceat medio iura dedisse foro. non tibi crimen ero, nec quo laetere remoto; non erit hic nobis infitiandus amor. sunt mihi pro magno felicia carmina censu, et multae per me nomen habere volunt. novi aliquam, quae se circumferat esse Corinnam; ut fiat, quid non illa dedisse velit? sed neque diversi ripa labuntur eadem frigidus Eurotas populiferque Padus,

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17 (18) Hält es jemand für Schmach, einem Mädchen als Sklave zu dienen, wird mich sein Urteilsspruch solch einer Schmach überführn. Wenn nur sie, der Kythera, das flutengepeitschte, und Paphos dienen, mich mäßiger brennt, sei ich mit Schande bedeckt. Wär ich doch nur der Fang einer Herrin, die mild ist, geworden! War’s mir doch vorbestimmt, Fang einer Schönen zu sein. Stolz macht Schönheit: Corinna ist herrisch aufgrund ihrer Schönheit; ach, ich Armer, warum kennt sie sich selber so gut? Klar, vom eigenen Bild im Spiegel bezieht sie den Hochmut, sieht sich nicht an, wenn sie nicht schön sich gemacht hat zuvor. Schenkt dir aber die Schönheit zu große Macht über alles (Schönheit, geschaffen allein, mir zu betören den Blick!), darfst du mich dennoch an dir nicht messen und deshalb verachten: Darf sich anpassen doch Großem das Niedrigere. Einst hielt, heißt es, Kalypso, die Nymphe, von Liebe ergriffen zu einem sterblichen Mann, ihn, der sich weigerte, fest. Mit dem gerechten Numa schlief Egeria, mit der Nereïde des Meers – heißt’s – der phthiotische Fürst. Venus gehört dem Vulkan, und das, obwohl er mit krummem Fuße hässlich hinkt, wenn er den Amboss verlässt; ungleichmäßig ist auch die Gattung der Dichtung hier, dennoch schmiegt sich der epische Vers dem, welcher kürzer ist, an. Du auch, mein Licht, akzeptier mich zu deinen Bedingungen; mitten auf dem Forum Recht sprechen, das steht dir ja zu. Schande mach ich dir nicht, und, getrennt von mir, wirst du nicht froh sein; unsere Liebe, nicht müssen verleugnen wir die. Keinen Reichtum besitz ich, doch reichlich Gedichte, und viele Mädchen wünschen sich, sie würden durch mich prominent. Eine kenne ich, welche herumträgt, sie sei Corinna; was gäb die nicht darum, dass sie es tatsächlich wird? Weder fließen der kalte Eurotas und, pappelumsäumt, der Po – sie sind weit getrennt – beide im nämlichen Bett,

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nec nisi tu nostris cantabitur ulla libellis; ingenio causas tu dabis una meo. 18 (19) Carmen ad iratum dum tu perducis Achillem primaque iuratis induis arma viris, nos, Macer, ignava Veneris cessamus in umbra, et tener ausuros grandia frangit Amor. saepe meae ‘tandem’ dixi ‘discede’ puellae: in gremio sedit protinus illa meo. saepe ‘pudet’ dixi: lacrimis vix illa retentis ‘me miseram! iam te’ dixit ‘amare pudet?’ implicuitque suos circum mea colla lacertos et, quae me perdunt, oscula mille dedit. vincor, et ingenium sumptis revocatur ab armis, resque domi gestas et mea bella cano. sceptra tamen sumpsi curaque tragoedia nostra crevit (et huic operi quamlibet aptus eram). risit Amor pallamque meam pictosque cothurnos sceptraque privata tam cito sumpta manu. hinc quoque me dominae numen deduxit iniquae, deque cothurnato vate triumphat Amor. quod licet, aut artes teneri profitemur Amoris (ei mihi, praeceptis urgeor ipse meis!), aut quod Penelopes verbis reddatur Ulixi scribimus et lacrimas, Phylli relicta, tuas, quod Paris et Macareus et quod male gratus Iason Hippolytique parens Hippolytusque legant, quodque tenens strictum Dido miserabilis ensem dicat et Aoniam Lesbis amica lyram. quam cito de toto rediit meus orbe Sabinus scriptaque diversis rettulit ipse locis!

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noch wird eine andre als dich mein Büchlein besingen; du allein wirst es sein, die mein Talent inspiriert.

18 (19) Während du bis zum Zorn des Achilles führst deine Dichtung und die verschworene Schar erstmals mit Waffen versiehst, Säume ich noch, Macer, im lähmenden Schatten der Venus, und wenn Erhabnes ich wag – Amor, der zarte, zerschlägt’s. Oftmals sprach ich zu meiner Geliebten: »So gehe doch endlich!« Aber sie hat sogleich mir auf den Schoß sich gesetzt. Oftmals sprach ich: »Ich schäm mich.« Zurück hielt kaum sie die Tränen, und sie sprach: »Weh mir! Schämst du dich jetzt, weil du liebst?« Und sie umschlang mit den Armen darauf den Hals mir, wobei sie tausend Küsse mir gab, Küsse, durch die ich vergeh. Ich, besiegt, wend ab mein Talent von ergriffenen Waffen, und von Taten im Haus sing ich, vom eigenen Krieg. Dennoch ergriff ich das Szepter, und eine Tragödie wachsen ließ mein Bemühen (begabt war ich durchaus für das Werk). Über den Mantel, das Szepter, die bunten Kothurne, ergriffen von des Privatmanns Hand vorschnell, hat Amor gelacht. Auch von da zog mich ab die Macht meiner zürnenden Herrin, und der Poet mit Kothurn sieht sich von Amor besiegt. Dieses darf ich: Ich künde von Künsten des zärtlichen Amor (Weh, in Bedrängnis bringt, was ich da lehre, mich selbst!), oder Penelopes Brief, der gebracht werden soll dem Odysseus, schreib ich, und Phyllis, wie du Tränen, Verlassne, vergießt, auch was für Paris, für Jason, den undankbaren, bestimmt ist, Makareus und Hippolyts Vater, Hippolytus selbst, was die arme Dido mit bloßem Schwert in der Hand und die von Lesbos, verliebt – sie mit der Kithara –, spricht. Mein Sabinus, wie schnell er mit Briefen verschiedener Herkunft wiederkam von der Fahrt überallhin auf der Welt!

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candida Penelope signum cognovit Ulixis, legit ab Hippolyto scripta noverca suo. iam pius Aeneas miserae rescripsit Elissae, quodque legat Phyllis, si modo vivit, adest. tristis ad Hypsipylen ab Iasone littera venit; dat votam Phoebo Lesbis amata lyram. nec tibi, qua tutum vati, Macer, arma canenti aureus in medio Marte tacetur Amor: et Paris est illic et adultera, nobile crimen, et comes extincto Laodamia viro. si bene te novi, non bella libentius istis dicis, et a vestris in mea castra venis.

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19 (10) Si tibi non opus est servata, stulte, puella, at mihi fac serves, quo magis ipse velim! quod licet, ingratum est; quod non licet, acrius urit: ferreus est, si quis, quod sinit alter, amat. speremus pariter, pariter metuamus amantes, et faciat voto rara repulsa locum. quo mihi fortunam, quae numquam fallere curet? nil ego, quod nullo tempore laedat, amo. viderat hoc in me vitium versuta Corinna, quaque capi possem, callida norat opem. a, quotiens sani capitis mentita dolores cunctantem tardo iussit abire pede! a, quotiens finxit culpam, quantumque licebat insonti, speciem praebuit esse nocens! sic ubi vexarat tepidosque refoverat ignes, rursus erat votis comis et apta meis. quas mihi blanditias, quam dulcia verba parabat! oscula, di magni, qualia quotque dabat!

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Wiedererkannt hat die reine Penelope ihres Odysseus Siegel, die Stiefmutter las ihres Hippolytus Brief. Schon hat der fromme Äneas der armen Elissa geschrieben, und was zum Lesen erhält Phyllis, sofern sie noch lebt. Zu Hypsipyle kommt ein trauriges Schreiben von Jason; die von Lesbos, geliebt, weiht ihre Lyra Apoll. Du auch schweigst nicht von Amor, dem goldenen, mitten im Kampfe, Macer, soweit ein Poet, Sänger von Waffen, das darf: Paris ist da, die Geliebte mitsamt der berühmten Affäre, Laodamia, dem Mann Partnerin auch noch im Tod. Wie ich dich kenne, besingst du nicht weniger gerne als Kriege solches; aus deinem Camp kommst du hinüber in meins.

19 (20) Wenn schon dir nichts dran liegt, dein Mädchen, du Tor, zu bewachen, tu es für mich denn, damit ich sie noch stärker begehr. Reizlos ist, was erlaubt ist; Verbotnes weckt heißere Sehnsucht: Der ist aus Eisen, der liebt, was ihm der andere lässt. Lass uns Liebende doch gleichzeitig hoffen und fürchten; hin und wieder ein Nein schaffe für Wünsche uns Raum. Was denn soll mir ein Glück, das sich niemals bemüht, mich zu täuschen? Nichts, was mich niemals schmerzt, bin ich zu lieben imstand. Diese Schwäche an mir hatte schlau Corinna gesehen, und, wie zu fangen ich war, hatte sie clever erkannt. Ach, wie oft fingierte sie Schmerzen im Kopf, der gesund war, hieß mich gehen, wenn noch zögernd verweilte mein Fuß! Ach, wie oft gab untreu sie sich und erweckte den Anschein, sie sei schuldig, soweit dies, wenn sie’s nicht war, noch ging! Hatte sie so mich gequält und aufs Neue entfacht mir die Flamme, wieder lieb war sie dann, all meinen Wünschen geneigt. Welche Zärtlichkeit sie mir schenkte, welch liebliche Worte! Große Götter, wie schön küsste sie mich und wie oft!

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tu quoque, quae nostros rapuisti nuper ocellos, saepe time insidias, saepe rogata nega, et sine me ante tuos proiectum in limine postes longa pruinosa frigora nocte pati. sic mihi durat amor longosque adolescit in annos; hoc iuvat, haec animi sunt alimenta mei. pinguis amor nimiumque patens in taedia nobis vertitur et, stomacho dulcis ut esca, nocet. si numquam Danaen habuisset aenea turris, non esset Danae de Iove facta parens. dum servat Iuno mutatam cornibus Io, facta est quam fuerat gratior illa Iovi. quod licet et facile est quisquis cupit, arbore frondes carpat et e magno flumine potet aquam. si qua volet regnare diu, deludat amantem! (ei mihi, ne monitis torquear ipse meis!) quidlibet eveniat, nocet indulgentia nobis: quod sequitur, fugio; quod fugit, ipse sequor. at tu, formosae nimium secure puellae, incipe iam prima claudere nocte forem; incipe, quis totiens furtim tua limina pulset, quaerere, quid latrent nocte silente canes, quas ferat et referat sollers ancilla tabellas, cur totiens vacuo secubet ipsa toro. mordeat ista tuas aliquando cura medullas, daque locum nostris materiamque dolis. ille potest vacuo furari litore harenas, uxorem stulti si quis amare potest. iamque ego praemoneo: nisi tu servare puellam incipis, incipiet desinere esse mea. multa diuque tuli; speravi saepe futurum, cum bene servasses, ut bene verba darem. lentus es et pateris nulli patienda marito; at mihi concessa finis amoris erit!

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Du auch, die du erst jüngst mein Auge betört hast, bekunde Angst vor Schlingen oft, oft auch sag nein, wenn ich bitt, lass mich auch hingestreckt daliegen bei dir auf der Schwelle, während ich ewigen Frost dulde in eisiger Nacht. So hält an meine Liebe und wächst mit der Länge der Jahre; das erfreut mich und ist Nahrung der Seele für mich. Reichlich vorhandne, zu leicht zu erreichende Liebe, die wird mir über und schadet mir so, wie etwas Süßes dem Bauch. Hätte Danaë nie ein Turm aus Bronze umschlossen, hätte Jupiter sie niemals zur Mutter gemacht. Als, in ein Hornvieh verwandelt, Io von Juno bewacht ward, wurde dem Jupiter sie teurer als jemals zuvor. Wer auch immer begehrt, was erlaubt ist und leicht zu gewinnen, pflücke sich Blätter vom Baum, trink vom gewaltigen Strom. Den, der sie liebt, soll die, die ihn lange beherrschen will, foppen! (Weh mir, ich fürcht, nur Qual bringt, was ich lehre, mir ein!) Mag da geschehen, was will! Mir bringt die Gefälligkeit Schaden: Setzt man mir nach, flieh ich, flieht was, dann setze ich nach. Du, der du deiner Schönen dir allzu sicher bist, fang nun damit an, wenn die Nacht anbricht, die Tür zu versperrn; fang auch an zu fragen, wer heimlich so oft an die Tür klopft, warum in schweigender Nacht bellende Hunde man hört, was für Briefe es sind, die die schlaue Magd hin und her trägt, warum so oft separat einsam im Bett liegt Madame. Diese Sorge soll endlich einmal das Mark dir verzehren, gib mir für all meine Tricks Spielraum und lohnenden Stoff. Der bringt es fertig, den Sand vom verlassenen Strande zu stehlen, wer eine Frau, deren Mann dumm ist, zu lieben vermag. Jetzt schon warne ich dich: Wenn du nicht deine Frau zu bewachen anfängst, fängt sie an, nicht mehr die Meine zu sein. Vieles ertrug ich und lang; oft hab ich gehofft, es sei möglich, dass ich, während du gut aufpasst, dich gut hintergeh. Stumpf bist du: Was kein Mann je dulden dürfte, du duldest’s; doch überlässt du sie mir, ist meine Liebe dahin!

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scilicet infelix numquam prohibebor adire? nox mihi sub nullo vindice semper erit? nil metuam? per nulla traham suspiria somnos? nil facies, cur te iure perisse velim? quid mihi cum facili, quid cum lenone marito? corrumpis vitio gaudia nostra tuo. quin alium, quem tanta iuvet patientia, quaeris? me tibi rivalem si iuvat esse, veta!

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Werde ich Armer denn wirklich am Zutritt niemals gehindert? Immer gehört mir die Nacht, ohne dass jemand sich rächt? Nichts soll ich fürchten, soll niemals seufzen müssen beim Schlafen? Nichts wirst du tun, dass mit Recht dir dein Verderben ich wünsch? Was soll mir denn ein Mann, der ein Kuppler ist und gefällig? Deine Nachlässigkeit macht mir den Spaß ganz kaputt. Warum suchst du dir nicht einen andern, den solche Geduld freut? Hast als Rivalen du mich gerne, verbiet, dass ich’s bin!

LIBER TERTIUS 1 Stat vetus et multos incaedua silva per annos; credibile est illi numen inesse loco. fons sacer in medio speluncaque pumice pendens, et latere ex omni dulce queruntur aves. hic ego dum spatior tectus nemoralibus umbris, (quod mea, quaerebam, Musa moveret, opus), venit odoratos Elegia nexa capillos, et, puto, pes illi longior alter erat. forma decens, vestis tenuissima, vultus amantis, et pedibus vitium causa decoris erat. venit et ingenti violenta Tragoedia passu: fronte comae torva, palla iacebat humi; laeva manus sceptrum late regale movebat, Lydius alta pedum vincla cothurnus erat. et prior ‘ecquis erit’ dixit, ‘tibi finis amandi, o argumenti lente poeta tui? nequitiam vinosa tuam convivia narrant, narrant in multas compita secta vias. saepe aliquis digito vatem designat euntem atque ait «hic, hic est, quem ferus urit Amor!” fabula, nec sentis, tota iactaris in Urbe, dum tua praeterito facta pudore refers. tempus erat thyrso pulsum graviore moveri; cessatum satis est: incipe maius opus. materia premis ingenium; cane facta virorum: «haec animo” dices «area digna meo est.” quod tenerae cantent lusit tua Musa puellae, primaque per numeros acta iuventa suos.

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DRITTES BUCH 1 Alt und so manches Jahr nicht behauen, so steht da ein Waldstück; eine Gottheit bewohnt – ja, das ist glaubhaft – den Ort. Eine heilige Quelle ist mitten darin und von Tropfstein eine Grotte; ringsum lieblicher Vogelgesang. Während ich hier im Schutz des Waldesschattens spazierte (»Welches Werk«, fragt’ ich mich, »setzt meine Muse in Gang?«), da erschien Elegia; ihr duftendes Haar war geflochten, und ihr einer Fuß schien etwas länger zu sein. Schön war sie, ihr Gewand hauchdünn, erotisch ihr Antlitz, und es verlieh ihr sogar Anmut der Fehler am Fuß. Grimmig kam auch Tragoedia mächtigen Schritts: In die Stirn fiel finster das Haar, und ihr schleifte am Boden das Kleid; weit ausladend schwang das Königsszepter die Linke, hoch umschnürte das Bein Lydiens Schuh, der Kothurn. Erst sprach sie. »Wird jemals ein Ende dein Lieben erreichen, o Poet, der du zäh haftest an deinem Sujet? Deine Liederlichkeit ist bei allen Gelagen Erzählstoff, auch an den Kreuzungen, wo vielfach die Straße sich teilt. Geht der Poet vorbei, zeigt oft man auf ihn mit dem Finger und sagt: ‚Der ist es, den Amor, der wilde, entflammt.‘ Anlass gibst du zum Klatsch ganz Rom, doch du merkst es nicht einmal, während du ohne Scham von deinen Taten erzählst. Zeit wär’s, vom ernsten Thyrsus dich inspirieren zu lassen; du hast genug nun gesäumt: Starte ein größeres Werk. Dein Sujet unterdrückt dein Talent; sing Taten von Männern: ‚Würdig ist dieses Gebiet‘, sagst du dann, ‚meines Esprits.‘ Lieder für zarte Mädchen gab tändelnd dir ein deine Muse; du hast die Jugend durchlebt, wie’s ihrem Rhythmus entspricht.

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nunc habeam per te Romana Tragoedia nomen! implebit leges spiritus iste meas’. hactenus, et movit pictis innixa cothurnis densum caesarie terque quaterque caput. altera, si memini, limis surrisit ocellis; fallor, an in dextra myrtea virga fuit? ‘quid gravibus verbis, animosa Tragoedia,’ dixit ‘me premis? an numquam non gravis esse potes? imparibus tamen es numeris dignata moveri; in me pugnasti versibus usa meis. non ego contulerim sublimia carmina nostris; obruit exiguas regia vestra fores. sum levis, et mecum levis est, mea cura, Cupido: non sum materia fortior ipsa mea. rustica sit sine me lascivi mater Amoris: huic ego proveni lena comesque deae. quam tu non poteris duro reserare cothurno, haec est blanditiis ianua laxa meis. per me decepto didicit custode Corinna liminis astricti sollicitare fidem delabique toro tunica velata soluta atque impercussos nocte movere pedes. et tamen emerui plus quam tu posse, ferendo multa supercilio non patienda tuo: vel quotiens foribus duris infixa pependi non verita a populo praetereunte legi! quin ego me memini, dum custos saevus abiret, ancillae miseram delituisse sinu. quid, cum me munus natali mittis, at illa rumpit et apposita barbara mergit aqua? prima tuae movi felicia semina mentis; munus habes, quod te iam petit ista, meum.’ desierat; coepi ‘per vos utramque rogamus, in vacuas aures verba timentis eant.

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Ich, die Tragödie Roms, will durch dich jetzt Berühmtheit erlangen! Was meine Gattung verlangt, das wird erfüllen dein Geist.« So sprach sie und bewegte, stelzend auf bunten Kothurnen, dreimal und viermal ihr Haupt, welches umwallt war vom Haar. Lächelnd – weiß ich’s noch recht? – sah mich an von der Seite die andre; hielt einen Myrtenzweig sie in der Hand oder nicht? »Warum, du stolze Tragoedia, drückst du mich nieder, voll Pathos sprechend?« sagte sie. »Kannst stets nur pathetisch du sein? Dennoch geruhtest du, ungleich lange Verse zu sprechen; meine Metren hast du, mich attackierend, benutzt. Nicht möcht hehre Gedichte ich mit den meinen vergleichen, überstrahlt euer Schloss doch meine winzige Tür. Leicht bin ich, leicht wie ich ist Cupido, er, der am Herzen stets mir liegt: Nicht bin stärker ich als mein Sujet. Ohne mich wär die Mutter des losen Amor ein Trampel: Sie begleit ich, für sie bin ich als Kupplerin da. Sie, die du nie mit den harten Kothurnen entriegeln kannst, meinen schmeichelnden Worten hat weit sie sich geöffnet, die Tür. Ihren Wächter zu täuschen, zu sprengen die sonst so verlässlich zugeriegelte Tür, lernte Corinna durch mich, auch in ein lockeres Kleid gehüllt aus dem Bette zu gleiten und in der Nacht ganz leis vorwärts zu setzen den Fuß. Mehr als du zu können, erdient hab ich’s mir, weil ich vieles auf mich nahm, was dein Stolz nie zu ertragen vermöcht: Wie oft hing ich zum Beispiel angeheftet an harter Pforte und schämte mich nicht, dass, wer vorbeiging, mich las! Wie ich Arme am Busen der Sklavin verborgen war, bis der grimmige Wächter verschwand, weiß ich sogar noch genau. Wenn als Geburtstagsgeschenk du mich schickst, da zerbricht mich doch jene und ins Wasserbassin neben sich taucht sie mich roh! Ich ließ erstmals aufgehn ergiebig die Saat deines Geistes; mein Geschenk ist es, dass diese da jetzt dich umwirbt.« »Bei euer beider Namen«, begann ich, als sie zu End war, »bitt ich: Ein offenes Ohr schenkt meinem schüchternen Wort.

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altera me sceptro decoras altoque cothurno: iam nunc contracto magnus in ore sonus. altera das nostro victurum nomen amori: ergo ades et longis versibus adde breves! exiguum vati concede, Tragoedia, tempus: tu labor aeternus; quod petit illa, breve est.’ mota dedit veniam. teneri properentur Amores, dum vacat: a tergo grandius urget opus!

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2 Non ego nobilium sedeo studiosus equorum; cui tamen ipsa faves, vincat ut ille, precor. ut loquerer tecum, veni, tecumque sederem, ne tibi non notus, quem facis, esset amor. tu cursus spectas, ego te; spectemus uterque quod iuvat atque oculos pascat uterque suos. o, cuicumque faves, felix agitator equorum! ergo illi curae contigit esse tuae? hoc mihi contingat, sacro de carcere missis insistam forti mente vehendus equis et modo lora dabo, modo verbere terga notabo, nunc stringam metas interiore rota. si mihi currenti fueris conspecta, morabor, deque meis manibus lora remissa fluent. a, quam paene Pelops Pisaea concidit hasta, dum spectat vultus, Hippodamia, tuos! nempe favore suae vicit tamen ille puellae: vincamus dominae quisque favore suae! quid frustra refugis? cogit nos linea iungi; haec in lege loci commoda Circus habet. tu tamen a dextra, quicumque es, parce puellae: contactu lateris laeditur ista tui.

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Du hier stattest mich aus mit dem Szepter und hohen Kothurnen: Mir in dem engen Mund tönt schon erhabener Klang. Du aber schenkst meiner Liebe Berühmtheit von ewiger Dauer: Bleib denn! Dem längeren Vers füge den kürzren hinzu! Gönn noch ein wenig Zeit, Tragoedia, deinem Poeten: Du schaffst ewige Müh; kurz ist, was jene verlangt.« Sie, gerührt, hat’s gewährt. Schnell, zarte Amores, solang noch Zeit ist: Von hinten bedrängt jetzt mich ein größeres Werk!

2 Nein, ich sitze hier nicht als Fan von rassigen Pferden; dem, zu dem du hältst, wünsche ich freilich den Sieg. Nur um mit dir zu sprechen, kam ich, bei dir möcht ich sitzen, nur damit du auch weißt, welch eine Liebe du weckst. Du betrachtest das Rennen, ich dich; betrachten wir beide, was uns gefällt; lass uns beide die Augen erfreun. Ach, zu wem du auch hältst, der Wagenlenker ist glücklich! Ihm wohl wurde zuteil, dass du besorgt bist um ihn? Würde doch mir das zuteil! Wenn heraus aus der heiligen Schranke stürmend die Pferde mich ziehn, stehe ich tapfer dann da; bald lass die Zügel ich schießen, bald peitsch ich den Pferden den Rücken, streife den Wendepunkt bald mit dem inneren Rad. Wenn ich in voller Fahrt dich sehe, dann halte ich inne, und es entgleiten der Hand lose die Zügel zugleich. Ach, der pisäischen Lanze wär beinah Pelops erlegen, während dir ins Gesicht, Hippodamia, er sah! Aber dank der Gunst des Mädchens konnte er siegen: Siege ein jeder von uns durch der Gebieterin Gunst! Du rückst ab? Doch umsonst. Die Markierung zwingt uns zusammen; so ist der Circus gebaut, das ist der Vorteil an ihm. Du da rechts, verschone das Mädchen, wer immer du sein magst: Sie wird gequetscht, weil du sie mit der Hüfte berührst.

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tu quoque, qui spectas post nos, tua contrahe crura, si pudor est, rigido nec preme terga genu. sed nimium demissa iacent tibi pallia terra: collige, vel digitis en ego tollo meis. invida, vestis, eras, quae tam bona crura tegebas; quoque magis spectes – invida, vestis, eras. talia Milanion Atalantes crura fugacis optavit manibus sustinuisse suis; talia pinguntur succinctae crura Dianae, cum sequitur fortes fortior ipsa feras. his ego non visis arsi; quid fiet ab ipsis? in flammam flammas, in mare fundis aquas. suspicor ex istis et cetera posse placere, quae bene sub tenui condita veste latent. vis tamen interea faciles arcessere ventos, quos faciet nostra mota tabella manu? an magis hic meus est animi, non aeris, aestus, captaque femineus pectora torret amor? dum loquor, alba levi sparsa est tibi pulvere vestis: sordide de niveo corpore pulvis abi! sed iam pompa venit: linguis animisque favete! tempus adest plausus: aurea pompa venit. prima loco fertur passis Victoria pinnis: huc ades et meus hic fac, dea, vincat amor! plaudite Neptuno, nimium qui creditis undis! nil mihi cum pelago; me mea terra capit. plaude tuo Marti, miles! nos odimus arma; pax iuvat et media pace repertus amor. auguribus Phoebus, Phoebe venantibus assit! artifices in te verte, Minerva, manus! ruricolae, Cereri teneroque assurgite Baccho! Pollucem pugiles, Castora placet eques! nos tibi, blanda Venus, puerisque potentibus arcu plaudimus: inceptis annue, diva, meis

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Du, der du hinter uns zuschaust, zieh deine Beine ein; hast du Anstand, dann drücke ihr nicht hart in den Rücken das Knie. Aber dein Kleid, zu weit hängt’s runter und schleift auf dem Boden. Zieh es herauf, nein ... ich hebe es – schau! – mit der Hand. Missgünstig warst du, Gewand, verbargst so herrliche Beine, und je mehr man sie sieht – missgünstig warst du, Gewand. Solche Beine, die hat Atalanta gehabt, die geschwinde; die hätt Milanion gern ihr mit den Händen gestützt; so malt mancher die Beine der hochgeschürzten Diana, dann, wenn sie starkes Getier, selber noch stärker, verfolgt. Eh ich sie sah, erglüht’ ich – was werden sie selbst noch bewirken? Flammen zur Glut trägst du, schüttest das Wasser ins Meer. Daraus schließe ich nun, auch das übrige könnt mir gefallen, was sich noch gut versteckt unter dem dünnen Gewand. Hast du inzwischen Verlangen nach einem erfrischenden Lüftchen, das dir mein Täfelchen bringt, wenn mit der Hand ich’s beweg? Oder ist nicht die Luft so heiß, ist’s mein Herz? Ist’s die Liebe zu der Frau, die mich bannt, welche versengt meine Brust? Während ich sprach, kam leichter Staub auf das weiße Gewand dir: Schmutziger Staub, verschwind ihr von dem schneeigen Leib! Aber da naht sich schon der Festzug: Schweiget voll Andacht! Zeit zum Applaus ist’s, weil golden der Festzug sich naht. Erst kommt die Göttin des Sieges mit ausgebreiteten Schwingen: Göttin, stehe mir bei, schenk meiner Liebe den Sieg! Applaudiert dem Neptun, die zu sehr ihr vertraut auf die Wogen! Mir liegt nichts an der See, mich hält im Banne mein Land. Applaudier deinem Mars, Soldat! Ich hasse die Waffen; Friede gefällt mir, sowie Liebe, die Frieden verschafft. Phöbus mag den Auguren, Phöbe den Jagenden helfen! Hände, die kunstreich sind, wende, Minerva, zu dir! Landbewohner, erhebt euch vor Ceres und Bacchus, dem zarten! Kastor versöhn’, wer zu Pferd, Pollux, wer boxend sich wehrt! Schmeichelnde Venus, für dich und den bogenkundigen Knaben klatsche ich: Göttin, nick meinem Beginnen jetzt zu;

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daque novae mentem dominae, patiatur amari! annuit et motu signa secunda dedit. quod dea promisit, promittas ipsa rogamus: pace loquar Veneris, tu dea maior eris. per tibi tot iuro testes pompamque deorum te dominam nobis tempus in omne peti. sed pendent tibi crura: potes, si forte iuvabit, cancellis primos inseruisse pedes. maxima iam vacuo praetor spectacula Circo quadriiugos aequo carcere misit equos. cui studeas, video; vincet, cuicumque favebis; quid cupias, ipsi scire videntur equi. me miserum! metam spatioso circuit orbe. quid facis? admoto proximus axe subit! quid facis, infelix? perdis bona vota puellae; tende, precor, valida lora sinistra manu! favimus ignavo. sed enim revocate, Quirites, et date iactatis undique signa togis! en revocant; ac ne turbet toga mota capillos, in nostros abdas te licet usque sinus. iamque patent iterum reserato carcere postes, evolat admissis discolor agmen equis. nunc saltem supera spatioque insurge patenti! sint mea, sint dominae fac rata vota meae! sunt dominae rata vota meae, mea vota supersunt; ille tenet palmam, palma petenda mea est. risit et argutis quiddam promisit ocellis: hoc satis est, alio cetera redde loco! 3 Esse deos, i, crede: fidem iurata fefellit, et facies illi, quae fuit ante, manet.

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gib meiner neuen Herrin ein Einsehn: Sie lasse sich lieben! Sie hat genickt, und Erfolg zeigt die Bewegung mir an. Was die Göttin versprach, versprich auch du mir, ich bitt dich. Venus möge verzeihn: Du wirst mir göttlicher sein. Dich – vor so viel Zeugen schwör ich’s beim Festzug der Götter – werd ich auf ewige Zeit als meine Herrin begehrn. Aber es fehlt deinen Beinen ein Halt: Die Fußspitzen kannst du hier in das Gitter hinein setzen, sofern’s dir beliebt. Frei ist die Bahn; aus Schranken, die gleich sind für alle, als größtes Schauspiel vom Prätor entsandt, brechen Quadrigen hervor. Wen du begünstigst, das seh ich; zu wem du auch hältst, er wird siegen; selbst die Pferde, so scheint’s, wissen, was du dir jetzt wünschst. Ach, um die Marke fährt er in weitem Bogen! Was tust du? Dicht mit der Achse an ihr folgt schon der nächste dir nach. Unglücksvogel, was tust du? Dem Mädchen verdirbst du die Hoffnung; ziehe die Zügel doch links an dich mit kräftiger Hand! Der Favorit hat versagt. Doch ruft sie zurück, ihr Quiriten, schwenkt zum Zeichen dafür allseits die Togen herum! Da! Man ruft sie zurück; doch damit die Togen die Haare dir nicht verwehen, versteck an meiner Brust dich solang. Schon sind aufs Neue die Schranken entriegelt, die Tore geöffnet; farbig schießt die Schar schneller Gespanne hervor. Wenigstens siege jetzt, presch vor auf offener Strecke! mach, dass der Herrin Wunsch, dass sich der meine erfüllt! Zwar ist der Herrin Wunsch erfüllt, doch noch übrig ist meiner; er hat die Palme, doch mir bleibt noch, dass ich sie erring. Sie hat gelacht und mit sprechenden Augen etwas verheißen: Hier ist’s genug, den Rest schenke mir anderen Orts!

3 Glaub, wenn du magst, an die Götter: Den Treueid hat sie gebrochen, und ihr Gesicht, es ist immer noch schön wie zuvor.

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quam longos habuit nondum periura capillos, tam longos, postquam numina laesit, habet. candida, candorem roseo suffusa rubore, ante fuit: niveo lucet in ore rubor. pes erat exiguus: pedis est artissima forma. longa decensque fuit: longa decensque manet. argutos habuit: radiant ut sidus ocelli, per quos mentita est perfida saepe mihi. scilicet aeterno falsum iurare puellis di quoque concedunt, formaque numen habet. perque suos illam nuper iurasse recordor perque meos oculos: et doluere mei! dicite, di, si vos impune fefellerat illa, alterius meriti cur ego damna tuli? at non invidiae vobis Cepheia virgo est pro male formosa iussa parente mori? non satis est, quod vos habui sine pondere testes et mecum lusos ridet inulta deos? ut sua per nostram redimat periuria poenam, victima deceptus decipientis ero? aut sine re nomen deus est frustraque timetur et stulta populos credulitate movet, aut, si quis deus est, teneras amat ille puellas: nimirum solas omnia posse iubet. nobis fatifero Mavors accingitur ense, nos petit invicta Palladis hasta manu, nobis flexibiles curvantur Apollinis arcus, in nos alta Iovis dextera fulmen habet. formosas superi metuunt offendere laesi atque ultro, quae se non timuere, timent. et quisquam pia tura focis imponere curat? certe plus animi debet inesse viris. Iuppiter igne suo lucos iaculatur et arces missaque periuras tela ferire vetat.

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Lang warn ihre Haare, bevor sie falsch hat geschworen; jetzt hat sie Götter gekränkt: Ebenso lange hat sie. Weiß war sie zuvor, das Weiß, es schimmerte rosig: Aus dem weißen Gesicht leuchtet es immer noch rot. Klein war ihr Fuß: Die Gestalt des Fußes ist immer noch zierlich. Sie war groß und schön: Groß ist sie jetzt noch und schön. Sprechend waren die Augen: Sie strahlen noch jetzt wie die Sterne, Augen, mit denen sie mich häufig – die Falsche! – belog. Sicher, sogar die Götter erlauben auf ewig den Mädchen, falsche Eide zu schwörn; Schönheit hat göttliche Macht. Ich erinnere mich, wie bei ihren Augen und meinen neulich sie schwor: Danach taten die Augen mir weh! Sagt mir, wenn straflos sie euch betrügen durfte, ihr Götter, warum büßte danach ich für ein fremdes Vergehn? Bringt’s euch nicht Hass ein, dass Kepheus’ Tochter den Tod für die Mutter leiden sollte, weil die schön war zum Schaden für sie? Ist’s nicht genug, dass als Zeugen ihr nicht verlässlich wart, dass sie euch wie mich hintergeht, straflos euch Götter verlacht? Soll ich, damit sie vom Meineid durch meine Bestrafung sich loskauft, ich, betrogen von ihr, Opfer der Trügenden sein? Gott ist entweder nur ein Wort und wird grundlos gefürchtet, und bewegt, weil es leicht glaubt und auch dumm ist, das Volk, oder es gibt einen Gott, dann liebt er die zärtlichen Mädchen: Klar, er befiehlt, allein ihnen sei alles erlaubt. Gegen uns umgürtet sich Mars mit dem tödlichen Schwerte, auf uns richtet den Speer Pallas mit siegreicher Hand, gegen uns wird gekrümmt Apollos biegsamer Bogen, hält die erhobene Hand Jupiters Blitze bereit. Schönen zu schaden scheun sich die Götter, auch wenn sie gekränkt sind; mehr noch: die, die sie nicht fürchten, die fürchten sie selbst. Wer legt da auf Altäre noch fromm und beflissen den Weihrauch? Wahrlich, größerer Mut sollte in Männern schon sein. Jupiter schleudert die Blitze auf Haine und Burgen, doch dass sie auch meineidige Fraun treffen, das lässt er nicht zu.

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tot meruere peti: Semele miserabilis arsit; officio est illi poena reperta suo; at si venturo se subduxisset amanti, 40 non pater in Baccho matris haberet opus. quid queror et toto facio convicia caelo? di quoque habent oculos, di quoque pectus habent. si deus ipse forem, numen sine fraude liceret femina mendaci falleret ore meum; ipse ego iurarem verum iurasse puellas 45 et non de tetricis dicerer esse deus. tu tamen illorum moderatius utere dono, aut oculis certe parce, puella, meis. 4 Dure vir, imposito tenerae custode puellae nil agis; ingenio est quaeque tuenda suo. si qua metu dempto casta est, ea denique casta est; quae, quia non liceat, non facit, illa facit. ut iam servaris bene corpus, adultera mens est nec custodiri, ne velit, illa potest; nec corpus servare potes, licet omnia claudas: omnibus exclusis intus adulter erit. cui peccare licet, peccat minus; ipsa potestas semina nequitiae languidiora facit. desine, crede mihi, vitia irritare vetando; obsequio vinces aptius illa tuo. vidi ego nuper equum contra sua vincla tenacem ore reluctanti fulminis ire modo; constitit, ut primum concessas sensit habenas frenaque in effusa laxa iacere iuba. nitimur in vetitum semper cupimusque negata: sic interdictis imminet aeger aquis.

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Viele hätten’s verdient: Verbrennen musste die arme Semele; willig war sie, aber sie wurde bestraft. Hätt sie sich, als der Galan zu ihr kommen wollte, verweigert, Bacchus’ Erzeuger, er tät nicht, was die Mutter sonst tut. Doch was klag ich und leg mit dem ganzen Himmel mich an hier? Götter, die haben ja auch Augen und haben ein Herz. Wäre ich selber ein Gott, einer Frau wär’s gestattet zu täuschen meine göttliche Macht straflos mit lügendem Mund; schwören würde ich, wahr geschworen hätten die Mädchen und als strengen Gott sollte dann niemand mich sehn. Mäßiger mach aber du Gebrauch von der Gabe der Götter, oder, Mädchen, verschon du meine Augen, wenn’s geht.

4 Harter Mann, durch Bewachung des zarten Mädchens erreichst du gar nichts; denn schützen muss jede von sich aus sich selbst. Ist eine keusch, auch wenn nichts zu befürchten ist, ist sie es wirklich; die, die’s nur deshalb nicht macht, weil’s ihr verboten ist, macht’s. Magst du den Leib auch bewachen, so bricht sie im Geiste die Ehe, niemand kann sie davor, dass sie es möchte, bewahrn; sperrst du auch alles zu, du bewahrst nicht einmal ihren Körper: Zwar schließt alle du aus, aber der Lover ist drin. Weniger sündigt, wer’s darf; allein schon die Freiheit zu handeln führt zur Schwächung der Kraft, die zur Verfehlung uns treibt. Glaub mir und hör doch auf, durch Verbote zum Laster zu reizen; wenn du es duldest, besiegst du’s auf geschicktere Art. Neulich sah ich ein Pferd, das sich gegen sein Zaumzeug beharrlich wehrte mit störrischem Maul, schnell wie der Blitz galoppiern; doch als es spürte, dass ihm auf der wallenden Mähne die Zügel lagen, weil man sie ihm lockerte, stand es gleich still. Ständig begehrn wir Verbotnes und trachten nach dem, was versagt ist: So ist der Kranke voll Gier nach dem verweigerten Trank.

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centum fronte oculos, centum cervice gerebat Argus, et hos unus saepe fefellit Amor. in thalamum Danae ferro saxoque perennem quae fuerat virgo tradita, mater erat. Penelope mansit, quamvis custode carebat, inter tot iuvenes intemerata procos. quicquid servatur, cupimus magis, ipsaque furem cura vocat; pauci, quod sinit alter, amant. nec facie placet illa sua, sed amore mariti: nescioquid, quod te ceperit, esse putant. non proba fit, quam vir servat, sed adultera cara: ipse timor pretium corpore maius habet. indignere licet, iuvat inconcessa voluptas: sola placet, ‘timeo!’ dicere si qua potest. nec tamen ingenuam ius est servare puellam; hic metus externae corpora gentis agat. scilicet ut possit custos ‘ego’ dicere ‘feci’, in laudem servi casta sit illa tui! rusticus est nimium, quem laedit adultera coniunx, et notos mores non satis Urbis habet, in qua Martigenae non sunt sine crimine nati Romulus Iliades Iliadesque Remus. quo tibi formosam, si non nisi casta placebat? non possunt ullis ista coire modis. si sapis, indulge dominae vultusque severos exue nec rigidi iura tuere viri et cole quos dederit (multos dabit) uxor amicos: gratia sic minimo magna labore venit; sic poteris iuvenum convivia semper inire et, quae non dederis, multa videre domi.

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Argus trug auf der Stirne hundert, im Nacken auch hundert Augen, und ganz allein täuschte Cupido sie oft. Danaë, die man als Jungfrau in ein Gemach, das auf Dauer sicherten Eisen und Stein, steckte, war Mutter dann doch. Unberührt blieb aber Penelope unter so vielen jungen Freiern, obwohl niemand als Wächter dort war. Stärker begehrn wir Bewachtes; die Vorsicht selbst ruft den Dieb her; wenige lieben, was ihnen ein anderer lässt. Manche gefällt, weil ihr Mann sie liebt, doch nicht, weil sie schön ist: Etwas muss es doch sein, denkt man sich, was dich berückt. Die, die der Gatte bewacht, wird nicht treu, nein, teuer als Freundin: Grad ihre Furcht, die hat höheren Wert als ihr Leib. Magst du dich auch entrüsten: Verbotnes Vergnügen macht Freude: Eine, die »Ich hab Angst« sagen kann, die nur gefällt. Freilich hast du kein Recht, eine Freie gefangen zu halten; Angst, dass dieses geschieht, sollen nur Fremde verspürn. Klar, versteht sich: Sie soll, dass der Wächter sagen kann: »Ich hab sie dazu gebracht«, keusch sein zum Ruhme des Knechts! Allzu bäurisch ist der, den es kränkt, wenn die Gattin nicht treu ist, und die Sitten in Rom kennt er nicht richtig, denn dort wurden die Kinder des Mars nicht ohne Vergehen geboren, Remus, Ilias Sohn, Romulus, Ilias Sohn. Was brauchst du, wenn sie dir nur gefiel, solange sie keusch war, eine schöne denn noch? Beides verträgt sich doch nicht. Hast du Verstand, üb’ Nachsicht gegen die Herrin, die finstre Miene leg ab, auf des Manns Rechten beharre nicht starr, und zu den Freunden, die sie dir schenkt (das sind viele) sei freundlich: Wenige Mühe verschafft so dir enormen Gewinn; so kannst du teilnehmen an Festen der Jugend und vieles sehen daheim, was nicht du selber ihr gabst als Geschenk.

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5 ‘Nox erat et somnus lassos summisit ocellos; terruerunt animum talia visa meum: colle sub aprico creberrimus ilice lucus stabat, et in ramis multa latebat avis. area gramineo suberat viridissima prato, umida de guttis lene sonantis aquae. ipse sub arboreis vitabam frondibus aestum, fronde sub arborea sed tamen aestus erat. ecce, petens variis immixtas floribus herbas, constitit ante oculos candida vacca meos, candidior nivibus tum cum cecidere recentes, in liquidas nondum quas mora vertit aquas, candidior, quod adhuc spumis stridentibus albet et modo siccatam, lacte, reliquit ovem. taurus erat comes huic, feliciter ille maritus, cumque sua teneram coniuge pressit humum. dum iacet et lente revocatas ruminat herbas atque iterum pasto pascitur ante cibo, visus erat, somno vires adimente ferendi, cornigerum terra deposuisse caput. huc levibus cornix pinnis delapsa per auras venit et in viridi garrula sedit humo terque bovis niveae petulanti pectora rostro fodit et albentes abstulit ore iubas. illa locum taurumque diu cunctata reliquit, sed niger in vaccae pectore livor erat; utque procul vidit carpentes pabula tauros (carpebant tauri pabula laeta procul), illuc se rapuit gregibusque immiscuit illis et petiit herbae fertilioris humum. dic age, nocturnae, quicumque es, imaginis augur, si quid habent veri, visa quid ista ferant.’

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5 »Nacht war’s, es hatte der Schlaf mir die müden Augen geschlossen; folgende Traumvision hat mir die Seele erschreckt: Dicht von Eichen stand am Fuß eines sonnigen Hügels da ein Hain; im Gezweig saßen viel Vögel versteckt. Nahe lag ein Landstück, von Gras ganz grün, und es war von Tropfen eines sanft murmelnden Wässerchens feucht. Unter dem Laub der Bäume wollt’ ich die Hitze vermeiden, aber die heiße Glut herrschte auch unter dem Laub. Schau, auf der Suche nach Gräsern und bunten Blumen dazwischen blieb eine weiße Kuh mir vor den Augen dort stehn, weißer noch als Schnee, wenn er frisch gefallen ist und in fließendes Wasser noch nicht ihn hat verwandelt die Zeit, weißer als Milch, die, hell noch schimmernd im sprudelnden Schaume, grade eben das Schaf während des Melkens verließ. Ihr Begleiter war ein Stier als glücklicher Gatte; auf den weichen Grund legte zur Gattin er sich. Wie er so lag und langsam wiederkäute die Gräser und das genossene Mahl wieder von Neuem genoss, sah man, wie auf die Erde das Haupt, das gehörnte, er legte; Schlaf nahm ihm die Kraft, aufrecht zu halten sich noch. Hierher kam, mit leichten Flügeln die Lüfte durchgleitend, eine Krähe, und die setzte sich schwatzend ins Grün, bohrte der schneeigen Kuh in die Brust den Schnabel, den frechen, dreimal, und Haare, ganz weiß, trug sie im Schnabel davon. Jene verließ den Ort und den Stier nach längerem Zögern, aber ein dunkler Fleck saß nun der Kuh auf der Brust; als weit weg sie erblickte das Gras grad rupfende Stiere (weit weg rupften grad Stiere das üppige Gras), eilte sie hin und mischte sich unter die Herde und suchte dort sich Boden, der ihr fettere Kräuter versprach. Sag denn, wer du auch bist, du Deuter der nächtlichen Bilder: Was prophezeit mir das Bild, wenn’s etwas Wahres verbirgt?«

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sic ego; nocturnae sic dixit imaginis augur, expendens animo singula dicta suo: ‘quem tu mobilibus foliis vitare volebas, sed male vitabas, aestus amoris erat. vacca puella tua est: aptus color ille puellae; tu vir et in vacca compare taurus eras. pectora quod rostro cornix fodiebat acuto, ingenium dominae lena movebit anus. quod cunctata diu taurum sua vacca reliquit, frigidus in viduo destituere toro. livor et adverso maculae sub pectore nigrae pectus adulterii labe carere negant.’ dixerat interpres; gelido mihi sanguis ab ore fugit, et ante oculos nox stetit alta meos.

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6 Amnis harundinibus limosas obsite ripas, ad dominam propero; siste parumper aquas. nec tibi sunt pontes nec quae sine remigis ictu concava traiecto cumba rudente vehat. parvus eras, memini, nec te transire refugi, summaque vix talos contigit unda meos; nunc ruis apposito nivibus de monte solutis et turpi crassas gurgite volvis aquas. quid properasse iuvat, quid parca dedisse quieti tempora, quid nocti conseruisse diem, si tamen hic standum est, si non datur artibus ullis ulterior nostro ripa premenda pedi? nunc ego, quas habuit pinnas Danaeius heros, terribili densum cum tulit angue caput, nunc opto currum, de quo Cerealia primum semina venerunt in rude missa solum.

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Dies sprach ich und dies der Deuter der nächtlichen Bilder, während er jedes Wort in seinem Inneren wog: »Die unter schwankenden Blättern du meiden wolltest, die Hitze, die du dann nicht vermiedst, Hitze der Liebe war sie. Die, die du liebst, ist die Kuh: Die Farbe passt zu dem Mädchen; du, der Mann, warst Stier, hattest als Freundin die Kuh. Dass eine Krähe die Brust mit dem spitzen Schnabel durchbohrte, heißt: Eine Kupplerin wird ändern der Herrin den Sinn. Dass die Kuh ihren Stier nach längerem Zögern zurückließ, heißt: Auf verwaistem Bett bleibst du dann frierend zurück. Vorn auf der Brust das Mal und die schwarzen Flecken besagen: Frei von der Treulosigkeit Makel ist nicht ihr die Brust.« So der Deuter; das Blut wich aus dem Gesicht mir, und eisig wurde mir; tiefe Nacht stieg vor den Augen mir auf.

6 Fluss, dem die schlammigen Ufer von Schilf bewachsen sind, meine Herrin zu sehn eil ich; hemm für ein Weilchen die Flut. Keine Brücke ist hier, kein bauchiger Kahn, der mich ohne Ruderschlag nun trüg, fest an das Fährseil gespannt. Klein, ich weiß es noch, warst du, und dich zu durchwaten hab ich mich niemals gescheut, und kaum netzte die Knöchel das Nass; jetzt ein reißender Strom, weil im nahen Gebirge der Schnee schmolz, wälzt du im Strudel herab hässlich die schlammige Flut. Dass ich mich eilte, was nützt’s mir, und was, dass zur Rast ich mir wenig Zeit gegönnt hab, was, dass mir zum Tag ward die Nacht, wenn ich dennoch hier stehn muss und wenn kein Mittel ermöglicht, dass ich zu setzen vermag drüben ans Ufer den Fuß? Flügel, wie Perseus sie hatte, als er das Haupt, das von grausen Schlangen wimmelte, trug, hätt ich jetzt gerne für mich, jetzt auch den Wagen, von dem die Samen der Ceres auf das noch unbebaute Land erstmals gefallen sind einst.

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prodigiosa loquor, veterum mendacia vatum: nec tulit haec umquam nec feret ulla dies. tu potius, ripis effuse capacibus amnis, (sic aeternus eas) labere fine tuo! non eris invidiae, torrens, mihi crede, ferendae, si dicar per te forte retentus amans. flumina debebant iuvenes in amore iuvare: flumina senserunt ipsa, quid esset amor. Inachus in Melie Bithynide pallidus isse dicitur et gelidis incaluisse vadis. nondum Troia fuit lustris obsessa duobus, cum rapuit vultus, Xanthe, Neaera tuos. quid? non Alpheon diversis currere terris virginis Arcadiae certus adegit amor? te quoque promissam Xutho, Penee, Creusam Pthiotum terris occuluisse ferunt. quid referam Asopon, quem cepit Martia Thebe, natarum Thebe quinque futura parens? cornua si tua nunc ubi sint, Acheloe, requiram, Herculis irata fracta querere manu; nec tanti Calydon nec tota Aetolia tanti, una tamen tanti Deianira fuit. ille fluens dives septena per ostia Nilus, qui patriam tantae tam bene celat aquae, fertur in Euanthe collectam Asopide flammam vincere gurgitibus non potuisse suis. siccus ut amplecti Salmonida posset, Enipeus cedere iussit aquam: iussa recessit aqua. nec te praetereo, qui per cava saxa volutans Tiburis Argei pomifera arva rigas, Ilia cui placuit, quamvis erat horrida cultu, ungue notata comas, ungue notata genas. illa, gemens patruique nefas delictaque Martis, errabat nudo per loca sola pede.

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Doch ich sprech von Mirakeln, von Lügen der alten Poeten: Kein Tag brachte das je, nie wird’s an einem geschehn. Fluss, der du über die weiten Ufer getreten bist, gleite lieber in deinem Bereich! (Ewig sollst fließen dann du!) Glaube mir, Wildbach, Objekt wirst du unerträglichen Hasses, falls sich’s herumspricht, du hättst mich, den Verliebten, gestoppt. Beistehn müssten die Flüsse den jungen Männern, die lieben: Denn was Liebe ist, das haben auch Flüsse verspürt. Bleich lief Inachus, sagt man, herum: Bis in eisige Tiefen ließ ihn Melie glühn, eine Bithynierin. Und noch nicht war zwei Jahrfünfte Troja belagert, da hat Neaera dir, Xanthus, die Augen betört. Hat den Alphëus nicht Liebe zu jener arkadischen Jungfrau dazu getrieben, dass er fremde Gebiete durchfloss? Du, Penëus, verstecktest, so sagt man, im Lande von Phthia einst die Krëusa; dabei war sie mit Xuthus verlobt. Was nenn Asopus ich, den des Kriegsgotts Tochter, die Thebe, die dann fünf Töchter gebar, durch ihre Liebe bezwang? Frage ich dich, Achelous, wo jetzt deine Hörner sind, wirst du klagen, dass Herkules’ Hand sie dir im Zorne zerbrach; so viel wert war dir nicht das ganze Ätolien, auch nicht Kalydon, nein, allein Deïanira war’s wert. Der mit den sieben Mündungen, reich an Segen, der Nilus, der so geschickt den Quell all seiner Wasser verbirgt, konnte die Liebesglut für Asopus’ Tochter Euanthe nicht mit der ganzen Flut löschen; so wird uns erzählt. Um des Salmoneus Tochter trocken umarmen zu können, hieß Enipeus die Flut weichen: Sie wich auch zurück. Dich übergeh ich auch nicht: Durch hohle Felsen dich windend, bringst du, Spender des Obsts, Tiburs Gefilden dein Nass. War sie auch ungepflegt – ihr Gesicht trug Spuren der Nägel, Spuren der Nägel ihr Haar –, mochtest du Ilia doch. Ihres Onkels Vergehn und die Untat des Mavors beklagend, irrte mit nacktem Fuß sie durch das einsame Feld.

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hanc Anien rapidis animosus vidit ab undis raucaque de mediis sustulit ora vadis atque ita ‘quid nostras’ dixit ‘teris anxia ripas, Ilia, ab Idaeo Laomedonte genus? quo cultus abiere tui? quid sola vagaris, vitta nec evinctas impedit alba comas? quid fles et madidos lacrimis corrumpis ocellos pectoraque insana plangis aperta manu? ille habet et silices et vivum in pectore ferrum, qui tenero lacrimas lentus in ore videt. Ilia, pone metus! tibi regia nostra patebit teque colent amnes: Ilia, pone metus! tu centum aut plures inter dominabere nymphas, nam centum aut plures flumina nostra tenent. ne me sperne, precor, tantum, Troiana propago: munera promissis uberiora feres’. dixerat; illa oculos in humum deiecta modestos spargebat tepido flebilis imbre sinus. ter molita fugam ter ad altas restitit undas, currendi vires eripiente metu. sera tamen scindens inimico pollice crinem edidit indignos ore tremente sonos: ‘o utinam mea lecta forent patrioque sepulchro condita, cum poterant virginis ossa legi! cur, modo Vestalis, taedas invitor ad ullas, turpis et Iliacis infitianda focis? quid moror et digitis designor adultera vulgi? desint famosus quae notet ora pudor!’ hactenus, et vestem tumidis praetendit ocellis atque ita se in rapidas perdita misit aquas. supposuisse manus ad pectora lubricus amnis dicitur et socii iura dedisse tori. te quoque credibile est aliqua caluisse puella, sed nemora et silvae crimina vestra tegunt.

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Anio sah sie, der wilde, aus seinen reißenden Wogen; mitten aus seiner Flut hob er den rauschenden Mund. »Warum, Ilia, du von des Phrygers Laomedon Sippe, streifst du an meinem Strand«, sprach er, »voll Sorge umher? Warum so ungepflegt? Was schweifst du allein rum, und keine weiße Binde umfängt dir das entfesselte Haar? Warum weinst du, entstellst dir die feuchten Augen mit Tränen, schlägst die entblößte Brust dir mit der rasenden Hand? Steine hat der in der Brust und rohes Eisen, der Tränen fühllos erblicken kann auf einem zarten Gesicht. Ilia, fürchte dich nicht! Mein Schloss, das wird sich dir öffnen, Flüsse werden dich ehrn: Ilia, fürchte dich nicht! Über hundert Nymphen oder noch mehr wirst du herrschen; hundert oder noch mehr wohnen bei mir ja im Fluss. Eins nur erbitt ich von dir: Verschmäh mich nicht, Trojaentsprossne: Mehr noch, als ich versprach, wird dir an Gaben zuteil.« Sprach’s, doch sie schlug sittsam die Augen nieder; ein Regen warmer Tränen ergoss ihr auf den Busen sich da. Dreimal wollte sie fliehen und dreimal blieb vor dem tiefen Wasser sie stehen; vor Angst war sie zum Laufen zu schwach. Spät erst raufte sie sich mit feindlichen Fingern die Haare, und mit bebendem Mund rief mit Empörung sie aus: »Wär doch gesammelt worden und beigesetzt in des Vaters Grab mein Gebein, solang das einer Jungfrau es war! Mir, noch vor kurzem Vestalin, entehrt und von Trojas Altären jetzt zu verleugnen, der bietet die Ehe man an? Warum warte ich, bis auf die Hure mit Fingern das Volk zeigt? Fort mit dem Antlitz, das schmachvoll die Röte entstellt!« Sprach’s und zog das Gewand vor ihre geschwollenen Augen, sprang in die reißende Flut, all ihrer Hoffnung beraubt. Ihr an die Brüste griff der schlüpfrige Strom da von unten – heißt’s – und nach Recht und Gesetz nahm er sie auf in sein Bett. Du hast vermutlich doch auch mal geglüht für irgendein Mädchen, aber Wald und Gebüsch halten verdeckt, was ihr triebt.

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85 dum loquor, increvit latis spatiosiosus in undis, nec capit admissas alveus altus aquas. quid mecum, furiose, tibi? quid mutua differs gaudia? quid coeptum, rustice, rumpis iter? quid? si legitimum flueres, si nobile flumen, si tibi per terras maxima fama foret? 90 nomen habes nullum, rivis collecte caducis, nec tibi sunt fontes nec tibi certa domus: fontis habes instar pluviamque nivesque solutas, quas tibi divitias pigra ministrat hiemps; aut lutulentus agis brumali tempore cursus 95 aut premis arentem pulverulentus humum. quis te tum potuit sitiens haurire viator? quis dixit grata voce ‘perennis eas’? damnosus pecori curris, damnosior agris: forsitan haec alios, me mea damna movent. 100 huic ego vae demens narrabam fluminum amores? iactasse indigne nomina tanta pudet. nescioquem hunc spectans Acheloon et Inachon amnem et potui nomen, Nile, referre tuum? at tibi pro meritis opto, non candide torrens, 105 sint rapidi soles siccaque semper hiemps!

7 At non formosa est, at non bene culta puella, at, puto, non votis saepe petita meis? hanc tamen in nullos tenui male languidus usus, sed iacui pigro crimen onusque toro nec potui cupiens, pariter cupiente puella, inguinis effeti parte iuvante frui. illa quidem nostro subiecit eburnea collo bracchia Sithonia candidiora nive,

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Während ich sprach, schwoll an er, mit breiten Wogen nun riesig, und sein tiefes Bett fasst nicht die reißende Flut. Warum, du Rasender, ich? Was verzögerst du zweien die Freuden? Was unterbrichst du den Weg, den ich begann, du Prolet? Schön, wenn als anerkannter, bedeutender Fluss du daherkämst, wenn in der ganzen Welt eine Berühmtheit du wärst! Aber keinen Namen hast du, aus dürftigen Bächen fließt du zusammen, dir fehlt Quelle und ständiger Sitz: Regen und Schmelzwasser hast du statt einer Quelle; der träge Winter ist es, der dir so einen Reichtum verschafft; entweder führst du Schlamm, wenn die Wintersonne sich wendet, mit dir, oder du liegst staubig auf trockenem Grund. Welcher Wanderer kann, wenn er durstig ist, dann von dir trinken? Wer sagt dankend zu dir: »Fließe auf ewig dahin«? Schädlich fürs Vieh ist dein Strom und noch mehr für die Äcker: Der Schaden ärgert andre vielleicht – mir macht der meine Verdruss. Weh mir! Dem da erzählte ich Narr von Amouren der Flüsse? Namen – ich schäm mich! – von Rang hab ich verschleudert um nichts. Mit der Null da im Blick konnt’ ich Achelous beim Namen nennen und Inachus, ja, dich bei dem Deinigen, Nil? Schlammiger Wildbach, ich wünsche, wie du es verdienst, dass die Sonne immer dich sengt und stets Dürre, wenn Winter ist, herrscht!

7 Aber ist’s denn nicht schön, ist es nicht gepflegt, dieses Mädchen, und hab ich sie mir nicht oft in Gedanken gewünscht? Dennoch: Im Arme sie haltend war schlaff ich, zu nichts zu gebrauchen, lag auf dem Bett, das sich nicht rührte, als schmähliche Last und, obwohl ich es wollte und sie nicht weniger, konnt’ ich, schwach an den Lenden, des Teils, der mir sonst hilft, mich nicht freun. Zwar schlang mir um den Hals sie die elfenbeinfarbenen Arme – weißer schimmerten die als der sithonische Schnee –,

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osculaque inseruit cupida luctantia lingua lascivum femori supposuitque femur et mihi blanditias dixit dominumque vocavit et quae praeterea publica verba iuvant. tacta tamen veluti gelida mea membra cicuta segnia propositum destituere meum. truncus iners iacui, species et inutile pondus, et non exactum, corpus an umbra forem. quae mihi ventura est, siquidem ventura, senectus, cum desit numeris ipsa iuventa suis? a, pudet annorum! quo me iuvenemque virumque? nec iuvenem nec me sensit amica virum. sic flammas aditura pias aeterna sacerdos surgit et a caro fratre verenda soror. at nuper bis flava Chlide, ter candida Pitho, ter Libas officio continuata meo est; exigere a nobis angusta nocte Corinnam, me memini numeros sustinuisse novem. num mea Thessalico languent devota veneno corpora? num misero carmen et herba nocent? sagave poenicea defixit nomina cera et medium tenues in iecur egit acus? carmine laesa Ceres sterilem vanescit in herbam, deficiunt laesi carmine fontis aquae; ilicibus glandes cantataque vitibus uva decidit et nullo poma movente fluunt. quid vetat et nervos magicas torpere per artes? forsitan impatiens fit latus inde meum. huc pudor accessit facti: pudor ipse nocebat; ille fuit vitii causa secunda mei. at qualem vidi tantum tetigique puellam! sic etiam tunica tangitur illa sua. illius ad tactum Pylius iuvenescere possit Tithonosque annis fortior esse suis.

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schob in den Mund mir beim Küssen die Zunge zum lüsternen Ringkampf, legte mir unter das Bein lüstern ihr eigenes Bein, sagte mir Koseworte und nannte mich ihren Gebieter, sprach, was man sonst noch so spricht zur Stimulierung der Lust. Doch mein Glied – wie berührt vom frostigen Schierling, so war es – ließ mich träge bei dem, was mir im Sinn war, im Stich. Stumpf lag ich wie ein Klotz, eine Last, nutzlos, und ein Schatten; Körper oder Gespenst, das zu bestimmen war schwer. Welches Alter blüht mir (sofern ich es jemals erreiche), wenn bei dem Werk, das ihr ziemt, selbst meine Jugend versagt? Ach, ich schäm mich der Jahre! Was nützt’s, dass ich jung und ein Mann bin? Gar nicht zu spüren bekam Jugend und Mannheit die Frau. So erhebt sich die fromme Vestalin und tritt an das ew’ge Feuer, die Schwester erhebt neben dem Bruder sich so. Jüngst hab ich Chlide, die blonde, doch zweimal und dreimal die weiße Pitho, auch Libas so oft hintereinander bedient; ja, neun Nummern verlangte Corinna in einer zu kurzen Nacht einst, das weiß ich noch gut, hab’s dann auch fertiggebracht. Ist mein Körper erschlafft, weil thessalisches Gift ihn verhext hat? Schaden mir Ärmstem vielleicht Kräuter und magischer Spruch? Hat meinen Namen geritzt in purpurnes Wachs eine Hexe, trieb in die Leber sie mir winzige Nadeln hinein? Dass zu trockenem Stroh das Korn wird, bewirken Gesänge, dass eine Quelle versiegt, wird durch Gesänge bewirkt, auch dass von Eichen die Eicheln fallen, vom Weinstock die Trauben, Äpfel vom Baum, obwohl niemand ihn schüttelt zuvor. Was verbietet, dass durch Magie erlahmt auch die Spannkraft? Nichts im Geschlechtsbereich fühle vielleicht ich daher. Scham kam dann noch hinzu: Geschadet hat grade die Scham mir; für mein Versagen war jene der Grund Nummer zwei. Welch ein Mädchen war sie, die ich lediglich sah und berührte! So eng wird sie ja sonst nur von dem Hemd noch berührt. Wieder zum Jüngling werden könnt Nestor durch ihre Berührung, stärker Tithonus sein, als es sein Alter erlaubt.

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haec mihi contigerat, sed vir non contigit illi. quas nunc concipiam per nova vota preces? credo etiam magnos, quo sum tam turpiter usus, muneris oblati paenituisse deos. optabam certe recipi: sum nempe receptus; oscula ferre: tuli; proximus esse: fui. quo mihi fortunae tantum? quo regna sine usu? quid, nisi possedi dives avarus opes? sic aret mediis taciti vulgator in undis pomaque, quae nullo tempore tangat, habet. a tenera quisquam sic surgit mane puella, protinus ut sanctos possit adire deos? sed, puto, non blande non optima perdidit in me oscula, non omni sollicitavit ope? illa graves potuit quercus adamantaque durum surdaque blanditiis saxa movere suis: digna movere fuit certe vivosque virosque, sed neque tum vixi nec vir, ut ante, fui. quid iuvet ad surdas si cantet Phemius aures? quid miserum Thamyran picta tabella iuvet? at quae non tacita formavi gaudia mente, quos ego non finxi disposuique modos! nostra tamen iacuere velut praemortua membra turpiter hesterna languidiora rosa, quae nunc, ecce, vigent intempestiva valentque, nunc opus exposcunt militiamque suam. quin istic pudibunda iaces, pars pessima nostri? sic sum pollicitis captus et ante tuis. tu dominum fallis, per te deprensus inermis tristia cum magno damna pudore tuli. hanc etiam non est mea dedignata puella molliter admota sollicitare manu; sed postquam nullas consurgere posse per artes immemoremque sui procubuisse videt,

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Mir beschert war sie, doch ihr kein Mann. Was für neue Wünsche soll ich denn nun äußern und welches Gebet? Dass sie mir dieses Geschenk, mit dem so schändlich ich umging, machten, ich denke es mir, hat auch die Götter gereut. Ja, ich wollte, dass sie mich empfing, und ich wurde empfangen, wollte sie küssen – und tat’s, wollte ihr nah sein – und war’s. Was nützt so viel Glück mir, ein Reich, das ich gar nicht regierte? Nur dass ich Schätze besaß wie ein vermögender Filz! So muss dürsten inmitten der Flut der Geheimnisverräter; Äpfel, welche er nie greifen kann, hat er zur Hand. Wer steht so am Morgen auf von der zarten Geliebten, dass er sich nahen kann heiligen Göttern sofort? Hat sie denn nicht liebkosend an mich verschwendet die schönsten Küsse, nicht alles getan, um mich zu reaktiviern? Wuchtige Eichen hätt sie durch ihre Liebkosungen, harten Stahl und taubes Gestein zu stimulieren vermocht, hätt es gewiss verdient, das, was lebt und was Mann heißt, zu reizen, ich aber lebte grad nicht, war auch kein Mann wie zuvor. Was kann es nützen, wenn Phemius singt vor Ohren, die taub sind? Können den armen Mann Thamyras Bilder erfreun? Welche Freuden malte ich mir nicht aus in der Stille, welche Stellungen nahm ich nicht im Geiste schon ein! Dennoch lag da schmachvoll, wie abgestorben und schlaffer als eine Rose, die gestern noch blühte, mein Glied, das – sieh an! – zur Unzeit jetzt wieder stark und gesund ist, jetzt nach der Arbeit verlangt, jetzt seinen Kriegsdienst begehrt. Schäme dich doch und bleib, du schlechtestes Stück von mir, liegen! Früher schon hast du mich so durch dein Versprechen getäuscht. Du betrügst deinen Herrn, hast bewirkt, dass ich, wehrlos ergriffen, große Schande sowie kläglichen Schaden erlitt. Nicht zu schade war sogar sich mein Mädchen, mit ihrer Hand ihn sanft zu berührn und zu erregen dadurch; doch als sie sah, dass keine Kunst ihn zum Stehen bewegen konnte und er nun da ruhend sie gänzlich vergaß,

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‘quid me ludis?’ ait ‘quis te, male sane, iubebat invitum nostro ponere membra toro? aut te traiectis Aeaea venefica lanis devovet, aut alio lassus amore venis’. nec mora, desiluit tunica velata soluta (et decuit nudos proripuisse pedes!), neve suae possent intactam scire ministrae, dedecus hoc sumpta dissimulavit aqua.

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8 Et quisquam ingenuas etiamnunc suscipit artes aut tenerum dotes carmen habere putat? ingenium quondam fuerat pretiosius auro, at nunc barbaria est grandis habere nihil. cum pulchre dominae nostri placuere libelli, quo licuit libris, non licet ire mihi; cum bene laudavit, laudato ianua clausa est: turpiter huc illuc ingeniosus eo. ecce, recens dives, parto per vulnera censu, praefertur nobis sanguine pastus eques. hunc potes amplecti formosis, vita, lacertis? huius in amplexu, vita, iacere potes? si nescis, caput hoc galeam portare solebat; ense latus cinctum, quod tibi servit, erat; laeva manus, cui nunc serum male convenit aurum, scuta tulit; dextram tange, cruenta fuit. qua periit aliquis, potes hanc contingere dextram? heu! ubi mollities pectoris illa tui? cerne cicatrices, veteris vestigia pugnae: quaesitum est illi corpore, quicquid habet. forsitan et quotiens hominem iugulaverit ille indicet: hoc fassas tangis, avara, manus?

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sprach sie: »Was treibst du mit mir für ein Spiel, wer hieß dich, du Irrer, wenn du’s nicht willst, dich bei mir niederzulassen im Bett? Eine aiaische Zauberin hat dich verhext mit durchbohrter Wolle, oder erschöpft kommst von ‘ner andern du her.« Gleich sprang sie vom Bett in der Tunika ohne den Gürtel (wie sie barfuß darauf fortlief, war herrlich zu sehn!), und damit, dass sie nicht berührt war, die Mägde nicht merkten, nahm sie Wasser und hat dadurch die Schande verdeckt.

8 Und gibt’s einen, der heut noch der freien Künste sich annimmt oder glaubt, einen Wert habe ein zartes Gedicht? Mehr wert war Talent als Gold einst, heute ist’s eine große Barbarei, wenn einer gar nichts besitzt. Zwar gefielen recht gut meine Büchlein der Herrin, doch dorthin darf ich nicht gehen, wohin ihnen erlaubt war der Weg; hoch gelobt hat sie mich, doch versperrt ist die Tür dem Gelobten: Peinlich irr’ ich herum trotz meines ganzen Talents. Schau, ein Ritter, neureich, gemästet mit Blut – sein Vermögen hat er durch Metzeln gekriegt –, der wird mir nun präferiert. Ihn kannst du mit den schönen Armen umfangen, mein Leben, kannst, mein Leben, sogar ruhen, umfangen von ihm? Falls du’s nicht weißt: Einen Helm trug häufig der Kopf da; an seinen Unterleib, der dir dient, hatte ein Schwert er geschnallt; einen Schild trug die Linke, der schlecht das spät erst erworbne Gold steht; die Rechte war blutig einst: Fass sie nur an. Anrührn kannst du die Rechte, die Menschen ums Leben gebracht hat? Wehe! Dein weiches Herz, wo ist denn das im Moment? Sieh die Narben dir an, die Spuren früherer Schlachten: Alles, was er besitzt, ist mit dem Körper erkauft. Wie viel Menschen er schlachtete, wird er vielleicht dir verraten: Gierige, fasst du des Manns Hand an, der sowas gesteht?

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ille ego Musarum purus Phoebique sacerdos ad rigidas canto carmen inane fores. discite, qui sapitis, non quae nos scimus inertes, sed trepidas acies et fera castra sequi, proque bono versu primum deducite pilum; nox tibi, si belles, possit, Homere, dari. Iuppiter, admonitus nihil esse potentius auro, corruptae pretium virginis ipse fuit. dum merces aberat, durus pater, ipsa severa, aerati postes, ferrea turris erat; sed postquam sapiens in munere venit adulter, praebuit ipsa sinus et dare iussa dedit. at cum regna senex caeli Saturnus haberet, omne lucrum tenebris alta premebat humus: aeraque et argentum cumque auro pondera ferri Manibus admorat, nullaque massa fuit. at meliora dabat, curvo sine vomere fruges pomaque et in quercu mella reperta cava. nec valido quisquam terram scindebat aratro, signabat nullo limite mensor humum. non freta demisso verrebant eruta remo: ultima mortali tum via litus erat. contra te sollers, hominum natura, fuisti et nimium damnis ingeniosa tuis. quo tibi turritis incingere moenibus urbes? quo tibi discordes addere in arma manus? quid tibi cum pelago? terra contenta fuisses! cur non et caelum tertia regna facis? qua licet, affectas caelum quoque: templa Quirinus, Liber et Alcides et modo Caesar habent. eruimus terra solidum pro frugibus aurum; possidet inventas sanguine miles opes. curia pauperibus clausa est, dat census honores: inde gravis iudex, inde severus eques.

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Ich, schuldloser Priester des Phöbus Apoll und der Musen, singe vergeblich mein Lied vor der gefühllosen Tür. Habt ihr Verstand, lernt nicht, was wir Müßigen können, stattdessen, dass nach Gefechtslärm ihr trachtet und Härte des Camps. Statt eines guten Verses formiert den ersten Manipel; wärst du Soldat, eine Nacht würde zuteil dir, Homer. Jupiter selber war fürs Verführen der Jungfrau der Kaufpreis, denn er war sich bewusst: Nichts ist so mächtig wie Gold. Ohne Aussicht auf Lohn war ihr Vater hart und sie selber spröde, der Pfosten am Tor ehern und eisern der Turm; doch als schlau der Verführer erschien in Form einer Gabe, bot sie den Schoß ihm und gab, was er zu geben gebot. Aber die Erde hielt, als der greise Saturnus im Himmel herrschte, im Finstern und tief jede Gewinnsucht versteckt: Erz und Silber und Gold und das schwere Eisen, das hatte sie zu den Toten gebracht; nirgends auch gab es Metall. Sie gab Bessres: Getreide ohne die Pflugschar, die krumme, Früchte und Honig, der in spaltigen Eichen sich fand. Niemand zerfurchte den Boden mit schwerem Pfluge, nicht hatten Messer des Feldes ein Land durch eine Grenze markiert. Nicht mit gesenkten Rudern fegte man wirbelnde Fluten: Über die Küste hinaus führte für Menschen kein Weg. Menschennatur, geschickt warst gegen dich selbst du und hattest allzu großes Talent zu deinem eignen Verderb. Wofür mit turmbewehrten Mauern die Städte umgürten? Wofür die streitbare Hand auch noch mit Waffen versehn? Was soll das Meer dir? Du hättst mit Land begnügen dich müssen! Was machst zum dritten Bezirk du nicht den Himmel jetzt noch? Auch nach dem Himmel ja greifst du, soweit dir’s erlaubt ist: Quirinus, Liber, Herkules, auch Caesar hat jetzt seinen Kult. Statt des Getreides wühlt man gediegenes Gold aus der Erde; Schätze besitzt der Soldat, die er durch Blut sich erwarb. Armen verschließt sich die Kurie; Ämter verschafft das Vermögen: Geld gibt dem Richter Prestige, Geld gibt dem Ritter den Stolz.

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omnia possideant; illis Campusque Forumque serviat, hi pacem crudaque bella gerant; tantum ne nostros avidi liceantur amores et (satis est) aliquid pauperis esse sinant. at nunc, exaequet tetricas licet illa Sabinas, imperat ut captae, qui dare multa potest. me prohibet custos, in me timet illa maritum; si dederim, tota cedet uterque domo. o si neglecti quisquam deus ultor amantis tam male quaesitas pulvere mutet opes!

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9 Memnona si mater, mater ploravit Achillem, et tangunt magnas tristia fata deas, flebilis indignos, Elegia, solve capillos: a, nimis ex vero nunc tibi nomen erit! ille tui vates operis, tua fama, Tibullus ardet in exstructo, corpus inane, rogo. ecce, puer Veneris fert eversamque pharetram et fractos arcus et sine luce facem; aspice, demissis ut eat miserabilis alis pectoraque infesta tundat aperta manu. excipiunt lacrimas sparsi per colla capilli, oraque singultu concutiente sonant. fratris in Aeneae sic illum funere dicunt egressum tectis, pulcher Iule, tuis. nec minus est confusa Venus moriente Tibullo quam iuveni rupit cum ferus inguen aper. at sacri vates et divum cura vocamur; sunt etiam qui nos numen habere putent. scilicet omne sacrum Mors importuna profanat; omnibus obscuras inicit illa manus.

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Mögen sie alles besitzen; den einen soll Campus und Forum dienen, in Frieden und Krieg seien die andren die Herrn. Nur mein Mädchen sollen nicht auch noch sie kaufen voll Habgier; etwas (nicht viel muss es sein) sei auch dem Armen gewährt. Wer viel gibt, der befiehlt der Frau wie einer Gefangnen heute, ist sie auch spröd wie ein sabinisches Weib. Mich hält fern der Wächter, um mich hat sie Angst vor dem Gatten; geb ich genug, dann verlässt jeder von beiden das Haus. Gäb’s für verschmähte Verliebte doch nur einen Gott, der sie rächte! Mach’ er den Schatz, der so schnöde errafft ist, zu Staub!

9 Hat eine Mutter um Memnon geweint, um Achill eine Mutter Und rührt düstres Geschick mächtige Göttinnen an, klagend lös, Elegia, dein Haar – dass es leidet, verdient’s nicht; ach, nur allzu wahr wird ja dein Name jetzt sein! Er, deiner Gattung Meister, Tibull, durch den du berühmt bist, brennt, ein entseelter Leib, hoch auf dem Feuergerüst. Sieh, der Knabe der Venus trägt umgekehrt seinen Köcher, hat seinen Bogen zerstört und seine Fackel gelöscht; schau, wie bejammernswert er mit hängenden Flügeln daherkommt und die offene Brust schlägt mit der feindlichen Hand. Seine Tränen verschluckt das Haar, das ihm wirr übern Hals fällt; ihm aus dem Munde ertönt heftiges Schluchzen zugleich. So trat bei des Bruders Äneas Bestattung aus deinem Haus er – erzählt wird uns das –, herrlicher Julus, hervor. Und nicht mehr als beim Sterben Tibulls war Venus erschüttert, als ihres Jünglings Leib wütend der Eber zerriss. Heilige Seher sowie von den Göttern Umsorgte, so nennt man uns doch, und mancher glaubt, in uns, da wohne ein Gott. Freilich, alles Heilige schändet der Tod, der Verruchte, und an alles legt dieser die düstere Hand.

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quid pater Ismario, quid mater profuit Orpheo, carmine quid victas obstipuisse feras? et Linon in silvis idem pater ‘aelinon!’ altis dicitur invita concinuisse lyra. adice Maeoniden, a quo ceu fonte perenni vatum Pieriis ora rigantur aquis: hunc quoque summa dies nigro summersit Averno; efffugiunt avidos carmina sola rogos. durat, opus vatum, Troiani fama laboris tardaque nocturno tela retexta dolo: sic Nemesis longum, sic Delia nomen habebunt, altera cura recens, altera primus amor. quid vos sacra iuvant? quid nunc Aegyptia prosunt sistra? quid in vacuo secubuisse toro? cum rapiunt mala fata bonos, (ignoscite fasso!) sollicitor nullos esse putare deos. vive pius: moriere; pius cole sacra: colentem Mors gravis a templis in cava busta trahet. carminibus confide bonis: iacet, ecce, Tibullus; vix manet e tanto, parva quod urna capit. tene, sacer vates, flammae rapuere rogales pectoribus pasci nec timuere tuis? aurea sanctorum potuissent templa deorum urere, quae tantum sustinuere nefas. avertit vultus, Erycis quae possidet arces: sunt quoque qui lacrimas continuisse negant. sed tamen hoc melius, quam si Phaeacia tellus ignotum vili supposuisset humo. hic certe madidos fugientis pressit ocellos mater et in cineres ultima dona tulit; hic soror in partem misera cum matre doloris venit inornatas dilaniata comas, cumque tuis sua iunxerunt Nemesisque priorque oscula nec solos destituere rogos.

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Was hat der Vater genützt, was die Mutter dem thrakischen Orpheus, was, dass gebannt vom Gesang staunte das wilde Getier? Tief im Wald sang – sagt man – derselbe Vater für Linos »Ailinon!«, aber dabei stimmte die Lyra nicht ein. Nimm noch Homer, der wie eine ewig fließende Quelle netzt den Poeten den Mund mit dem pierischen Nass: Ihn auch versenkte der letzte Tag im schwarzen Avernus; nur die Gedichte entfliehn gierig verzehrender Glut. Bleibend ist, Werk der Dichter, der Ruhm der Mühen von Troja, stockend Gewobenes auch, listig zertrennt in der Nacht: So wird man Delias Namen und Nemesis lange noch nennen; jene hat er zuerst, diese als letzte geliebt. Was hilft Opfern, was nützen euch jetzt die ägyptischen Klappern, was die Nächte, verbracht züchtig und einsam im Bett? Rafft auch Gute hinweg das böse Geschick, dann (verzeiht mir!) bin ich zu glauben versucht, dass es die Götter nicht gibt. Lebe fromm: Du wirst sterben; opfere fromm: Aus dem Tempel reißt in die hohle Gruft doch dich der bittere Tod. Guten Gedichten vertrau: Tibull, schau, liegt da; was eine kleine Urne umfasst, bleibt vom so Großen fast nicht. Heiliger Sänger, dich verschlang die Glut auf dem Holzstoß, deine Brust zu verzehrn hatte sie keinerlei Scheu? Sie hätt goldene Tempel der heiligen Götter verbrennen können, ließ sie doch auch solch einen Frevel geschehn. Die, die des Eryx Höhen besitzt, sie wandte den Blick ab; manche berichten: Sie konnt’ nicht sich der Tränen erwehrn. Besser ist’s so doch, als wenn die phäakische Erde als Fremden aufgenommen ihn hätt in ein verachtetes Grab. Hier schloss wenigstens, als er entschwand, ihm die Mutter die feuchten Augen; die letzte Pflicht hat sie der Asche erfüllt; hierher kam, um den Schmerz mit der armen Mutter zu teilen, seine Schwester; ihr Haar hat sie, das wirre, zerrauft, und mit den Deinen vereint gab Nemesis, gab deine erste Freundin dir Küsse, und sie kamen vom nicht los vom Gerüst.

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55 Delia discedens ‘felicius’ inquit ‘amata sum tibi: vixisti, dum tuus ignis eram’. cui Nemesis ‘quid’ ait ‘tibi sunt mea damna dolori? me tenuit moriens deficiente manu’. si tamen e nobis aliquid nisi nomen et umbra restat, in Elysia valle Tibullus erit. 60 obvius huic venies hedera iuvenalia cinctus tempora cum Calvo, docte Catulle, tuo; tu quoque, si falsum est temerati crimen amici, sanguinis atque animae prodige Galle tuae. his comes umbra tua est, si qua est modo corporis umbra; 65 auxisti numeros, culte Tibulle, pios. ossa quieta, precor, tuta requiescite in urna, et sit humus cineri non onerosa tuo!

10 Annua venerunt Cerealis tempora sacri: secubat in vacuo sola puella toro. flava Ceres, tenues spicis redimita capillos, cur inhibes sacris commoda nostra tuis? te, dea, munificam gentes, ubi quaeque, loquuntur, nec minus humanis invidet ulla bonis. ante nec hirsuti torrebant farra coloni, nec notum terris area nomen erat, sed glandem quercus, oracula prima, ferebant; haec erat et teneri caespitis herba cibus. prima Ceres docuit turgescere semen in agris falce coloratas subsecuitque comas. prima iugis tauros supponere colla coegit, et veterem curvo dente revellit humum. hanc quisquam lacrimis laetari credit amantum et bene tormentis secubituque coli?

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Delia sprach, als sie schied: »Du warst glücklicher, während du mich nur liebtest: Du lebtest, solang ich dir entflammte das Herz.« Nemesis sagte zu ihr: »Mein Verlust – wie kann er dich schmerzen? Mich hielt sterbend er fest mit der ermattenden Hand.« Wenn denn von uns nicht allein noch bleiben Namen und Schatten, wird im elysischen Tal künftig Tibullus auch sein. Du begegnest ihm dort, umkränzt mit Efeu die jungen Schläfen, gelehrter Catull, du und dein Calvus mit dir, du auch, der du dein Blut und dein Leben sinnlos vertan hast, falls man des Freundesverrats, Gallus, zu Unrecht dich zieh. Ihr Gefährte ist dann dein Schattenbild, wenn’s das vom Leib gibt; du hast der Seligen Schar, feiner Tibullus, vermehrt. Ruht, ihr Gebeine, so bitt ich, friedlich im Schutze der Urne; deiner Asche, ihr sei niemals die Erde zu schwer!

10 Wiedergekehrt ist im Jahr die Zeit des Festes der Ceres: Auf dem leeren Bett liegt die Geliebte allein. Du mit den Ähren im Haar, du blonde Ceres, warum nur stehst du mit deinem Fest unserem Vorteil im Weg? Spenderin nennen dich, Göttin, sämtliche Völker, und keine gibt’s, die so wenig wie du Gutes den Menschen missgönnt. Keinen Weizen rösteten vormals die struppigen Bauern; nicht war da der Begriff »Tenne« auf Erden bekannt, Eichen, Orakelstätten der Frühzeit, trugen da Eicheln; zartes Wiesenkraut diente als Speise wie sie. Ceres lehrte als erste den Samen, in Äckern zu keimen, schnitt das goldene »Haar« mit einer Sichel zuerst. Sie zwang Stiere zuerst, unters Joch den Nacken zu beugen, riss mit dem krummen Zahn auf den verhärteten Grund. Und da glaubt man noch, froh machten sie Tränen Verliebter, einsam im Bett sein und Qual seien ein sinnvoller Kult?

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nec tamen est, quamvis agros amet illa feraces, rustica nec viduum pectus amoris habet. Cretes erunt testes; nec fingunt omnia Cretes: Crete nutrito terra superba Iove. illic, sideream mundi qui temperat arcem, exiguus tenero lac bibit ore puer. magna fides testi: testis laudatur alumno; fassuram Cererem crimina nota puto. viderat Iasium Cretaea diva sub Ida figentem certa terga ferina manu; vidit et, ut tenerae flammam rapuere medullae, hinc pudor, ex illa parte trahebat amor. victus amore pudor: sulcos arere videres et sata cum minima parte redire sui. cum bene iactati pulsarant arva ligones, ruperat et duram vomer aduncus humum seminaque in latos ierant aequaliter agros, irrita decepti vota colentis erant. diva potens frugum silvis cessabat in altis; deciderant longae spicea serta comae. sola fuit Crete fecundo fertilis anno: omnia, qua tulerat se dea, messis erat; ipse locus nemorum canebat frugibus Ide et ferus in silva farra metebat aper. optavit Minos similes sibi legifer annos; optasset, Cereris longus ut esset amor. qui tibi secubitus tristes, dea flava, fuissent, hos cogor sacris nunc ego ferre tuis. cur ego sim tristis, cum sit tibi nata reperta regnaque quam Iuno sorte minore regat? festa dies veneremque vocat cantusque merumque: haec decet ad dominos munera ferre deos.

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Ist sie doch nicht, obwohl sie ergiebiges Ackerland gern hat, bäurisch und nicht in der Brust gegen die Liebe immun. Zeugen sind mir die Kreter; nicht alles erlügen die Kreter: Kreta ist stolz, denn es wuchs Jupiter auf in dem Land. Der die gestirnte Feste der Welt regiert, hat als kleiner Knabe mit zartem Mund einst seine Milch dort gesaugt. Glaubhaft ist die Zeugin: Der Zögling bürgt für die Zeugin; ihr bekanntes Vergehn wird, denk ich, Ceres gestehn. Sie sah Jasius, wie er am Fuße des kretischen Ida Tiere im Rücken traf mit seiner sicheren Hand, sah ihn, und schon war ihr zartes Herz in Flammen: Zerrissen war sie im Innern dadurch nun zwischen Liebe und Scham. Liebe besiegte die Scham: Du hättest gesehn, wie die Furchen trocken warn und die Saat winzig nur war im Ertrag. Hatten auch, kräftig geschwungen, die Hacken die Fluren behauen, krumme Pflugscharn den Grund, war er auch spröde, zerwühlt, war auch aufs weite Land gleichmäßig Saatgut gefallen, dennoch: Umsonst war’s, enttäuscht wurde des Bauern Gebet. Sie, die Herrin des Korns, die Göttin, verweilte im tiefen Walde; der Ährenkranz fiel ihr vom wallenden Haar. Nur in Kreta gab’s ein ergiebiges Jahr: Denn wohin auch sich die Göttin begab, war eine Ernte hernach; selbst die waldige Gegend am Ida war weiß von Getreide, und es erntete gar Weizen der Eber im Wald. Ähnliche Jahre wünschte sich Minos, der Stifter des Rechtes; er hätt gewünscht, dass noch lang Ceres die Liebe empfänd. Einsam zu liegen im Bett – für dich wär’s traurig gewesen, blonde Göttin, doch mich zwingt jetzt dein Festtag dazu. Warum hab ich Kummer? Die Tochter, die fandst du doch wieder, die als Königin nur Juno noch über sich hat! Liebe, Gesang und Wein – danach ruft heute der Festtag: Das sind Geschenke, die Göttern zu bringen sich ziemt.

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11 Multa diuque tuli; vitiis patientia victa est: cede fatigato pectore, turpis Amor! scilicet asserui iam me fugique catenas, et, quae non puduit ferre, tulisse pudet. vicimus et domitum pedibus calcamus Amorem: venerunt capiti cornua sera meo. perfer et obdura! dolor hic tibi proderit olim: saepe tulit lassis sucus amarus opem. ergo ego sustinui, foribus tam saepe repulsus, ingenuum dura ponere corpus humo? ergo ego nesciocui, quem tu complexa tenebas, excubui clausam, servus ut, ante domum? vidi, cum foribus lassus prodiret amator invalidum referens emeritumque latus. hoc tamen est levius quam quod sum visus ab illo; eveniat nostris hostibus ille pudor. quando ego non fixus lateri patienter adhaesi, ipse tuus custos, ipse vir, ipse comes? scilicet et populo per me comitata placebas: causa fuit multis noster amoris amor. turpia quid referam vanae mendacia linguae et periuratos in mea damna deos, quid iuvenum tacitos inter convivia nutus verbaque compositis dissimulata notis? dicta erat aegra mihi: praeceps amensque cucurri; veni, et rivali non erat aegra meo. his et quae taceo duravi saepe ferendis: quaere alium pro me qui velit ista pati. iam mea votiva puppis redimita corona lenta tumescentes aequoris audit aquas. desine blanditias et verba potentia quondam perdere: non ego sum stultus, ut ante fui.

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11 Vieles ertrug ich und lang; deine Laster besiegten die Langmut: Schändlicher Amor, hinweg aus der ermüdeten Brust! Ja, schon sprach ich mich frei und bin den Ketten entronnen, schäm mich, da ohne Scham, was ich ertrug, ich ertrug. Mein ist der Sieg, und ich tret den bezwungenen Amor mit Füßen: Auf dem Kopf, wenn auch spät, wuchsen mir Hörner empor. Harre aus und werd hart! Der Schmerz wird dir einstmals noch nützen: Oft hat ein bitterer Saft Müden die Rettung gebracht. Also ertrug ich’s, den Leib auf den harten Boden zu legen, ich, ein Freier, den sie abwies so oft an der Tür? Also hielt ich, wer weiß, für wen, den umschlungen du hieltest, wie ein Sklave die Wacht vor dem verschlossenen Haus? Wie ein Lover erschöpft aus der Tür trat, sah ich, und wie er schleppte den Unterleib, schwach nach beendetem Dienst. Dennoch ist das nicht so schlimm wie dies: dass er dann auch noch mich sah; meinen Feinden soll solch eine Schmach widerfahrn. Wann bin ich nicht geduldig an deiner Seite gewesen, selber dein Wächter, dein Mann und dein Begleiter zugleich? Ja, auch den Leuten hast du in meiner Gesellschaft gefallen: Meine Liebe, sie hat viele zur Liebe gereizt. Was soll ich sagen, wie schändlich und leichthin log deine Zunge, wie zum Schaden für mich falsch bei den Götter du schworst, was von verstohlenen Winken junger Männer beim Gastmahl und von Worten, getarnt durch den vereinbarten Code? Sie sei krank, so hieß es: Ich stürzte zu ihr wie von Sinnen, kam, und gar nicht krank für den Rivalen war sie. Dieses und mehr – ich verschweig das – ertrug ich oft und bin hart nun: Such einen andren, der dies gerne statt meiner erträgt. Schon ist mein Schiff geschmückt mit dem Kranze, den ich gelobt hab; ruhig hört’s, wie des Meers Wasser zu schwillen beginnt. Hör jetzt auf, Schmeichelei zu verschwenden und Worte, die einstmals wirksam waren: Nicht mehr bin ich ein Narr wie zuvor.

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luctantur pectusque leve in contraria tendunt hac amor, hac odium; sed, puto, vincit amor. odero, si potero; si non, invitus amabo: nec iuga taurus amat; quae tamen odit, habet. nequitiam fugio, fugientem forma reducit; aversor morum crimina, corpus amo. sic ego nec sine te nec tecum vivere possum et videor voti nescius esse mei. aut formosa fores minus, aut minus improba vellem: non facit ad mores tam bona forma malos. facta merent odium, facies exorat amorem: me miserum! vitiis plus valet illa suis. parce per o lecti socialia iura, per omnes, qui dant fallendos se tibi saepe, deos, perque tuam faciem, magni mihi numinis instar, perque tuos oculos, qui rapuere meos. quicquid eris, mea semper eris; tu selige tantum, me quoque velle velis anne coactus amem. lintea dem potius ventisque ferentibus utar, ut, quam, si nolim, cogar amare, velim.

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12 Quis fuit ille dies, quo tristia semper amanti omina non albae concinuistis aves? quodve putem sidus nostris occurrere fatis, quosve deos in me bella movere querar? quae modo dicta mea est, quam coepi solus amare, cum multis vereor ne sit habenda mihi. fallimur, an nostris innotuit illa libellis? sic erit: ingenio prostitit illa meo. et merito! quid enim formae praeconia feci? vendibilis culpa facta puella mea est.

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Ringend ziehen mein leichtes Herz bald hierhin, bald dorthin Liebe und Hass; es siegt, glaub ich, die Liebe nun doch. Kann ich es, hass ich; wenn nicht, will ich widerwillig dich lieben: Liebt auch der Stier nicht sein Joch, trägt er doch das, was er hasst. Deine Verworfenheit flieh ich, zurück bringt den Flüchtling die Schönheit; deine schlechte Moral mag ich nicht, aber den Leib. So kann ich weder ohne dich leben, noch kann ich es mit dir, und ich weiß, wie mir scheint, selber nicht recht, was ich will. Wärst doch weniger schön du oder weniger ruchlos: So eine schöne Gestalt passt nicht zu übler Moral. Hass verdient, was du treibst, es verlangt nach Liebe dein Antlitz: Ach, ich Armer! Sie ist stärker als ihre Vergehn. Schone mich, bei der Gemeinschaft des Bettes, bei sämtlichen Göttern, die dir gestatten, dass du wieder und wieder sie täuschst, bei deinem Antlitz, das mir als große göttliche Macht gilt, bei deinen Augen, durch die meine du mir hast geraubt. Was du auch sein wirst, du wirst stets mein sein; entscheide nur, ob du willst, dass ich ebenfalls will oder gezwungen dich lieb. Lieber lass ich die Segel dem Wind, lass mich treiben, damit ich sie, die, auch wenn ich nicht will, lieben muss, freiwillig lieb.

12 Was für ein Tag war der, an dem ihr dem ständig Verliebten, finstere Vögel ihr, düstere Omina sangt? Welches Gestirn, soll ich glauben, steht meinem Schicksal im Wege, welche Götter soll ich zeihen des Kriegs gegen mich? Sie, die kürzlich noch mein hieß, sie, die erst ich nur geliebt hab, muss ich mit vielen hinfort teilen – so fürchte ich jetzt. Täusche ich mich oder haben bekannt sie gemacht meine Büchlein? Ja, durch mein eignes Talent wurde sie prostituiert. Und ich verdien’s! Ihre Schönheit, warum hab die ich gepriesen? Meine Geliebte ist nun käuflich, und schuld dran bin ich.

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me lenone placet, duce me perductus amator, ianua per nostras est adaperta manus. an prosint, dubium, nocuerunt carmina certe: invidiae nostris illa fuere bonis. cum Thebae, cum Troia foret, cum Caesaris acta, ingenium movit sola Corinna meum. aversis utinam tetigissem carmina Musis, Phoebus et inceptum destituisset opus! nec tamen ut testes mos est audire poetas; malueram verbis pondus abesse meis. per nos Scylla patri caros furata capillos pube premit rabidos inguinibusque canes. nos pedibus pinnas dedimus, nos crinibus angues; victor Abantiades alite fertur equo. idem per spatium Tityon porreximus ingens et tria vipereo fecimus ora cani; fecimus Enceladon iaculantem mille lacertis, ambiguae captos virginis ore viros; Aeolios Ithacis inclusimus utribus Euros; proditor in medio Tantalus amne sitit. de Niobe silicem, de virgine fecimus ursam; concinit Odrysium Cecropis ales Ityn. Iuppiter aut in aves aut se transformat in aurum aut secat imposita virgine taurus aquas. Protea quid referam Thebanaque semina, dentes, qui vomerent flammas ore, fuisse boves, flere genis electra tuas, auriga, sorores, quaeque rates fuerint, nunc maris esse deas, aversumque diem mensis furialibus Atrei, duraque percussam saxa secuta lyram? exit in immensum fecunda licentia vatum, obligat historica nec sua verba fide: et mea debuerat falso laudata videri femina; credulitas nunc mihi vestra nocet.

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Sie gefällt, ich war der Kuppler und hab ihr den Lover zugeführt, ließ ihn ein mit der eigenen Hand. Zweifeln darf man am Nutzen der Verse, doch brachten sie sicher Schaden: Sie lenkten auf das, was ich besessen hab, Neid. Zwar hätt’s Theben und Troja und Caesars Taten gegeben, aber Corinna allein setzte in Gang mein Genie. Hätt ich doch gegen den Willen der Musen zu dichten begonnen, hätt doch mein Werk, als ich’s grad anfing, verlassen Apoll! Aber es ist doch nicht üblich, die Dichter als Zeugen zu hören; mir wär’s lieber, mein Wort hätt keine Geltung gehabt. Dank uns Dichtern hat sie, die dem Vater das teuere Haar stahl, Skylla, an Lenden und Scham Hunde voll rasender Wut. Füßen haben wir Federn und Haaren Schlangen gegeben; Abas’ siegenden Sohn trägt ein geflügeltes Pferd. Wir auch streckten Tityos aus auf riesiger Fläche, und dem Schlangenhund gaben der Mäuler wir drei, ließen mit tausend Armen Enkeladus schleudern die Felsen, Frauen in Doppelgestalt Männer betörn mit dem Mund, sperrten des Äolus Winde ein in Ithakerschläuchen; mitten im Fluss hat Durst Tantalus wegen Verrats. Niobe machten zu Stein wir und machten zur Bärin die Jungfrau; Kekrops’ Vogel beklagt Itys, den Thraker, im Lied. Jupiter nimmt die Gestalt von Vögeln oder von Gold an oder zerteilt als Stier, tragend die Jungfrau, die Flut. Was soll von Proteus ich sagen, von Thebens Aussaat, den Zähnen, von den Stieren, die Glut spien aus den Mäulern heraus, davon, dass Bernstein weinten die Schwestern, du Lenker des Wagens, Göttinnen nun des Meers die sind, die Schiffe einst warn, dass sich der Tag abwandte vom grässlichen Mahle des Atreus und dem Kitharaklang folgte das harte Gestein? Ins Unendliche schweift fruchtbar die Willkür der Dichter; dass sie historisch korrekt schreiben, das fordert sie nicht: Als Fiktion hätt man das Lob meines Mädchens betrachten müssen; dass ihr so leicht glaubtet, das schadet mir jetzt.

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13 Cum mihi pomiferis coniunx foret orta Faliscis, moenia contigimus victa, Camille, tibi. casta sacerdotes Iunoni festa parabant et celebres ludos indigenamque bovem. grande morae pretium ritus cognoscere, quamvis difficilis clivis huc via praebet iter. stat vetus et densa praenubilus arbore lucus; aspice, concedes numinis esse locum. accipit ara preces votivaque tura piorum, ara per antiquas facta sine arte manus. huc, ubi praesonuit sollemni tibia cantu, it per velatas annua pompa vias. ducuntur niveae populo plaudente iuvencae, quas aluit campis herba Falisca suis, et vituli nondum metuenda fronte minaces et minor ex humili victima porcus hara duxque gregis cornu per tempora dura recurvo. invisa est dominae sola capella deae: illius indicio silvis inventa sub altis dicitur inceptam destituisse fugam. nunc quoque per pueros iaculis incessitur index et pretium auctori vulneris ipsa datur. qua ventura dea est, iuvenes timidaeque puellae praeverrunt latas veste iacente vias. virginei crines auro gemmaque premuntur, et tegit auratos palla superba pedes; more patrum Graio velatae vestibus albis tradita supposito vertice sacra ferunt. ora favent populi tum, cum venit aurea pompa ipsa sacerdotes subsequiturque suas. Argiva est pompae facies: Agamemnone caeso et scelus et patrias fugit Halaesus opes

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13 Da aus dem Land der Falisker, das reich ist an Obst, meine Frau stammt, haben die Stadt wir besucht, die du, Camillus, bezwangst. Priesterinnen bereiteten Juno ein sittsames Fest grad, Spiele, von vielen besucht, und eine Kuh, dort geborn. Lohnend ist’s, dort zu verweilen, damit man die Bräuche erkundet, mag auch ein steiler Pfad einem erschweren den Weg. Dort steht, alt schon, ein Hain; er ist düster, denn dicht sind die Bäume; schau nur, dann gibst du zu, dass eine Gottheit hier wohnt. Ein Altar empfängt Gebete, Gelübde und Weihrauch frommer Leute, Produkt einfachen Handwerks von einst. Hierher zieht, wenn das Vorspiel der Tibia festlich ertönt ist, jährlich der Festzug; der Weg ist von Gewändern bedeckt. Schneeige Kühe, genährt mit faliskischem Grün auf des Landes Wiesen führt man dort mit unter dem Beifall des Volks, Kälber, deren drohende Stirne noch niemandem Angst macht, und aus niedrigem Pferch, kleineres Opfer, ein Schwein und den Führer der Herde, das Horn gekrümmt an der harten Schläfe. Der Göttin ist einzig die Ziege verhasst: Die verriet sie, so heißt’s; im tiefen Walde gefunden, hat der begonnenen Flucht Juno ein Ende gesetzt. Heute noch werfen mit Spießen nach der Verräterin Knaben; wer sie verwunden kann, kriegt sie als Preis überreicht. Wo die Göttin dann geht, wird von jungen Männern und scheuen Mädchen der breite Weg erst mit Gewändern gefegt. Gold und Gemmen beschweren die Jungfraunhaare, und ihnen reicht ihr prächtiges Kleid bis zum vergoldeten Schuh; Heiliges tragen sie, ihnen anvertraut, auf dem Scheitel, weiß gekleidet, dem Brauch griechischer Ahnen gemäß. Naht der goldene Zug, schweigt alles in Ehrfucht, und ihrer Priesterinnen Schar folgt dann die Göttin gleich selbst. Argos’ Brauch zeigt der Festzug: Haläsus, nach Agamemnons Tötung dem Ort des Vergehns und seinem Erbe entflohn,

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iamque pererratis profugus terraque fretoque moenia felici condidit alta manu. ille suos docuit Iunonia sacra Faliscos: sint mihi, sint populo semper amica suo!

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14 Non ego, ne pecces, cum sis formosa, recuso, sed ne sit misero scire necesse mihi, nec te nostra iubet fieri censura pudicam sed tamen ut temptes dissimulare rogat. non peccat, quaecumque potest peccasse negare, solaque famosam culpa professa facit. quis furor est, quae nocte latent, in luce fateri et, quae clam facias, facta referre palam? ignoto meretrix corpus iunctura Quiriti opposita populum summovet ante sera; tu tua prostitues famae peccata sinistrae commissi perages indiciumque tui? sit tibi mens melior, saltemve imitare pudicas, teque probam, quamvis non eris, esse putem. quae facis, haec facito: tantum fecisse negato nec pudeat coram verba modesta loqui. est qui nequitiam locus exigat; omnibus illum deliciis imple, stet procul inde pudor. hinc simul exieris, lascivia protinus omnis absit, et in lecto crimina pone tuo. illic nec tunicam tibi sit posuisse pudori nec femori impositum sustinuisse femur; illic purpureis condatur lingua labellis, inque modos venerem mille figuret amor; illic nec voces nec verba iuvantia cessent spondaque lasciva mobilitate tremat.

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hat, als flüchtig er schon über Länder und Meere geirrt war, mit gesegneter Hand ragende Mauern erbaut. Er hat seine Falisker gelehrt die Riten der Juno: Ihrem Volke und mir möge stets gnädig sie sein!

14 Nicht dass du fremdgehst, lehne ich ab – denn du bist eine Schönheit –, doch dass ich armer Kerl auch noch erfahrn muss davon; nein, kein Zensor bin ich, der dir Keuschheit befiehlt, doch ich bitt dich, dass du zumindest versuchst, dich zu verstellen vor mir. Jede, die leugnen kann, dass sie schuldig ist, die ist nicht schuldig; in Verruf kommt sie nur, wenn sie sich schuldig bekennt. Was für ein Wahnsinn, am Tag, was die Nacht versteckt, zu gestehen und, was du heimlich treibst, öffentlich dann zu erzähln! Schläft eine Hure mit einem unbekannten Quiriten, schiebt erst den Riegel sie vor, schafft so Distanz zu dem Volk; du willst bösem Gerücht preisgeben deine Vergehen, kundtun möchtest du selbst, was du so alles begingst? Sei doch klüger: Zumindest mime das ehrbare Mädchen; lass mich glauben, du seist sittsam, auch wenn du’s nicht bist. Tu, was du tust, nur streite dann ab, dass du es getan hast; schäme dich nicht, vor der Welt biedere Reden zu führn. Einen Ort gibt’s, der fordert lockeres Treiben: Mit allen Lüsten füll ihn; es sei jegliche Scham von ihm fern. Aber sobald du dort weggehst, sei die ganze Erotik ferne sofort, und im Bett lass die Vergehen zurück. Auszuziehen das Kleid und Schenkel an Schenkel zu pressen, davor bewahre dich dort niemals die Schamhaftigkeit; dort sei die Zunge verborgen in purpurnen Lippen; auf tausend Arten gestalte dabei Liebe den Koitus aus; dort darf ’s nicht an Lauten und Lustbekundungen fehlen, und in Erschüttrung versetz’ wilde Bewegung das Bett.

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indue cum tunicis metuentem crimina vultum, et pudor obscenum diffiteatur opus. da populo, da verba mihi; sine nescius errem, et liceat stulta credulitate frui. cur totiens video mitti recipique tabellas? cur pressus prior est interiorque torus? cur plus quam somno turbatos esse capillos collaque conspicio dentis habere notam? tantum non oculos crimen deducis ad ipsos; si dubitas famae parcere, parce mihi. mens abit et morior, quotiens peccasse fateris, perque meos artus frigida gutta fluit. tunc amo, tunc odi frustra, quod amare necesse est; tunc ego, sed tecum, mortuus esse velim. nil equidem inquiram nec, quae celare parabis, insequar; et falli muneris instar erit. si tamen in media deprensa tenebere culpa et fuerint oculis probra videnda meis, quae bene visa mihi fuerint, bene visa negato: concedent verbis lumina nostra tuis. prona tibi vinci cupientem vincere palma est, sit modo ‘non feci’ dicere lingua memor. cum tibi contingat verbis superare duobus, etsi non causa, iudice vince tuo.

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15 Quaere novum vatem, tenerorum mater Amorum! raditur haec elegis ultima meta meis, quos ego composui, Paeligni ruris alumnus (nec me deliciae dedecuere meae), si quid id est, usque a proavis vetus ordinis heres, non modo militiae turbine factus eques.

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Doch mit dem Kleid zieh an eine Miene, die Vorwurf befürchtet, und verleugnen soll jetzt Scham das verworfene Tun. Täusche die Leute und mich; nichts wissen lass mich und mich irren, und vergönn mir das Glück törichter Gutgläubigkeit. Warum seh ich so oft, dass Täfelchen kommen und gehen? Warum ist vorne das Bett und in der Mitte zerdrückt? Warum seh ich von mehr als vom Schlaf verwirrt deine Haare und bemerk, dass ein Zahn Male am Hals hinterließ? Fehlt nur noch, dass du mir vor die Augen bringst dein Vergehen; willst du schon nicht deinen Ruf schonen, dann schone doch mich. Ich verlier den Verstand und sterbe, sooft du ein Fremdgehn zugibst, und kalter Schweiß rinnt mir dann über den Leib. Dann muss ich lieben, dann hass ich vergebens das, was ich lieben muss, dann wollt’ ich, ich wär tot, doch zusammen mit dir. Sicher, nach nichts werd ich forschen, nicht dem, was verhehlen du möchtest, nachgehn: Werd ich getäuscht, ist’s eine Gabe für mich. Wenn du aber dabei von mir in flagranti ertappt wirst, und mit den Augen ich selbst Unzucht beobachten muss, dann behaupte, nicht gut gesehn hätt ich, was ich doch gut sah, weichen werden dem Wort dann meine Augen sogleich. Den, der besiegt sein will, zu besiegen, ist leicht für dich, wenn nur nicht deine Zunge vergisst, dass sie »Ich tat es nicht« sagt. Da vier Worte nur zum Sieg dir verhelfen, erringe nicht in der Sache, jedoch durch deinen Richter den Sieg.

15 Mutter der zarten Amores, such einen anderen Dichter! Nun zum letzten Mal streifen das Mal Elegien, welche ich verfasste, ein Zögling des Lands der Päligner (keine Schande gebracht hat mir mein schlüpfriges Spiel), Erbe, wenn das was ist, einer langen Reihe von Ahnen, Ritter nicht erst durch des Kriegs wechselnde Zufälligkeit.

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Mantua Vergilio gaudet, Verona Catullo; Paelignae dicar gloria gentis ego, quam sua libertas ad honesta coegerat arma, cum timuit socias anxia Roma manus. atque aliquis spectans hospes Sulmonis aquosi moenia, quae campi iugera pauca tenent, ‘quae tantum’ dicet ‘potuistis ferre poetam, quantulacumque estis, vos ego magna voco’. culte puer puerique parens Amathusia culti, aurea de campo vellite signa meo! corniger increpuit thyrso graviore Lyaeus: pulsanda est magnis area maior equis. imbelles elegi, genialis Musa, valete, post mea mansurum fata superstes opus!

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Mantua rühmt sich Vergils, Catulls Verona; doch mich wird einst man nennen den Ruhm jenes pälignischen Stamms, den zu ehrendem Kampf die Freiheit vereinte, als vor der Bundesgenossenarmee ängstlich erzitterte Rom. Wenn des wasserreichen Sulmos Mauern, die wenig Fläche umschließen, dereinst irgendein Fremder erblickt, sagt er: »Ihr, die ihr einen so großen Poeten gebären konntet – euch muss ich groß nennen, so klein ihr auch seid.« Feiner Knabe und du, amathusische Mutter des Feinen, reißt die Standarten aus Gold aus meinem Camp nun heraus! Bacchus, er ließ, der Gehörnte, den Thyrsus, der schwerer ist, rasseln: Auf einem großen Gespann muss ich auf größere Bahn. Friedliche Elegien, heitere Muse, lebt wohl denn, Werk, das dann weiterlebt, wenn es zu End ist mit mir!

zum ersten Buch

ERLÄUTERUNGEN ERSTES BUCH Vorspruch des Dichters Man kann den Text als Hinweis des Dichters darauf verstehen, dass er eine bereits veröffentlichte Fassung der Amores, die »erste Auflage« (die uns dann nicht überliefert wäre), nun in einer »zweiten Auflage« publiziert, die nur noch drei Bücher umfasst. Wahrscheinlich jedoch spielt Ovid lediglich mit dem bekannten Ausspruch des Kallimachos, ein »großes Buch« sei einem »großen Übel« gleich; vgl. Einführung S. 24 f.

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Waffengewalt ...: Der Ich-Sprecher wollte ein Epos in der Art von Vergils Aeneis (mit ganz ähnlichem Anfang: Arma virumque cano »Von Waffen und dem Mann singe ich …«), deren Hauptthema Waffentaten und Kriege sind, schreiben. metrische Form: Fortlaufende Hexameter, die jeweils aus sechs daktylischen Versfüßen bestehen. mir einen Versfuß geraubt: Der jeweils zweite Vers wurde so zu dem aus zweimal zweieinhalb Daktylen, also sozusagen »fünf (Vers-)Füßen« bestehenden Pentameter und damit das, was als Epos begonnen hatte, zur Elegie, in der Hexameter und Pentameter (die zusammen das elegische Distichon bilden) miteinander abwechseln. brennende Fackeln: Als Symbol der Liebesglut, die (außer Amor) normalerweise Venus verursacht. im Bergwald: Wo Diana, die köcherbewehrt ist, also mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, zu jagen pflegt. Aonien: Böotien (zu V. 15). Phöbus: Als Gott der Dichtung und des Gesangs, wofür hier die Lyra steht.

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E R L ÄU T E RU N G E N

Helikon: Berg in der griechischen Landschaft Böotien, den Musen heilig. Dichterpotenz: Der Plural nervi (»Sehnen«) kann Kraft, Stärke, also auch die Wortgewalt eines Dichters, aber auch den erigierten Penis (vgl. V. 17 hob … an) bezeichnen. Das hier gewählte Wort soll wenigstens einen Eindruck von dem im Deutschen unnachahmlichen Wortspiel vermitteln. Stoff: Als Thema der Gattung Elegie mit dem leichteren (= nicht so wuchtigen) Metrum wird hier die Liebe eines Ich-Sprechers zu einer jungen Frau (so auch bei Properz und Tibull; vgl. Einführung S. 10) und/oder zu einem Knaben (so in Tibull 1,4,8 und 9) vorausgesetzt. Mit sechs Metren: Zu V. 2. Myrte: Der Venus heilig; sie wächst gern in Meeresnähe. hendekametrisch: In elf (griech. héndeka) Versfüßen (6 + 5). zum Ertönen: Die Muse ist hier (zumindest im Pentameter) Personifikation von Ovids Werk.

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andererseits: Mit Seneca, Controversiae 2,2,8 und McKeown zur Stelle lese ich rursus statt vidi. Myrte: Zu 1,29. Tauben: Sie waren der Venus, der Mutter Amors, heilig. Stiefvater: Entweder Vulkan, der Schmiedegott und Ehemann der Venus  – er wäre dann der Erbauer des Triumphwagens  –, oder Mars, der Liebhaber der Göttin, der dann seinen Streitwagen zur Verfügung stellen würde. Die Lesart deceant currus ist mit McKeown zur Stelle vorzuziehen. mit dir … führen: Beim römischen Triumphzug wurden Gefangene in Fesseln mitgeführt; sie gingen dem Triumphwagen voraus. Glut: Zu 1,8. Bacchus: Anspielung auf den bis nach Indien führenden Siegeszug des Weingottes auf einem von Tigern gezogenen Wagen. deines Verwandten: Augustus, der als Angehöriger der Julier-Familie seinen Stammbaum bis zu Venus zurückführte. Der Pentameter spielt auf die von dem Prinzeps und seinem Adoptivvater, dem Diktator

ZUM ERSTEN BUCH

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Caesar, immer wieder demonstrierte Herrschertugend der clementia (»Milde«) an.

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Venus: Im Originaltext Cytherea, nach Kythera, einer der Göttin heiligen Insel südlich der Peloponnes. 8 nur ein Ritter: Der Ritterstand, dem Ovid angehörte, zählte nicht zum Hochadel. 9 nicht unzählige Pflüge…: Es handelt sich also nicht um Großgrundbesitz. 11 die neun Begleiterinnen: Die neun Musen. des Rebstocks Finder: Bacchus, der auch als Dichtergott angerufen wird. 17 Schwestern: Die drei Parzen, die den Schicksalsfaden spinnen. 21 Io: Tochter des Flussgottes Inachus, die, von Jupiter vergewaltigt und in eine Kuh verwandelt, vor ihren eigenen Hörnern erschrickt (Ov. Met. 1,568 ff.). 22 der Galan ... in Vogelgestalt: Jupiter, der, in einen Schwan verwandelt, Leda verführt. 23 sie: Europa, die Jupiter in Gestalt eines Stiers über das Meer entführt (Ov. Met. 2,833 ff.; Fast. 5,603 ff.).

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dein Mann: Das Wort vir bezeichnet nicht nur den Ehemann, sondern auch einen ständigen Partner, und um einen solchen dürfte es sich hier handeln. 7 Tochter des Atrax: Hippodamia, bei deren Hochzeit mit Pirithous der Kampf der Lapithen und der Kentauren, der Männer in Zwittergestalt  – sie haben den Oberleib eines Menschen und den Unterleib eines Pferdes –, ausbricht (Ov. Met. 12,210 ff.). 35 er verdient’s nicht!: Die Lesart indignis ist mit Lenz und McKeown impositis (Kenney u. a.) vorzuziehen. 40 lege auf dich meine Hand: Nach dem römischen Recht eine Geste, die Besitzanspruch zum Ausdruck bringt.

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E R L ÄU T E RU N G E N

41 Tuch: Gemeint ist offenbar eine auf dem Speisesofa liegende Decke, die man nicht nur um die Schulter legen (vgl. V. 50), sondern auch zur »Bemäntelung« erotischer Aktivität benutzen konnte (V. 47 f.).

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Phöbus: Hier als der Sonnengott. Semiramis: In der Antike berühmte assyrische Königin, deren historisches Vorbild nicht zweifelsfrei zu bestimmen ist. Laïs: In der Antike berühmte korinthische Hetäre (5. Jh. v. Chr.).

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die trotzige Tür: Zu dem Motiv des von der Geliebten ausgeschlossenen Liebhabers, der ein Paraklausithyron singt, vgl. Einführung S. 9. der Herrin: McKeowns Konjektur dominae ist der von den meisten Ausgaben akzeptierten Lesart umquam vorzuziehen. Zur domina in der römischen Liebeselegie vgl. Einführung S. 11. Eiche: Pfosten und Riegel aus Eichenholz. ein wenig Wein um die Schläfen herum: Der Sprecher deutet an, dass er betrunken ist. Boreas: Der personifizierte Nordwind, der die athenische Königstochter Orithyia entführt (Ov. Met. 6,675 ff.). Liber: Bacchus. Luzifer: Der Morgenstern. Die Achsen sind die seines Wagens, mit dem er den neuen Tag bringt.

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Aiax: Als er die griechischen Heerführer, die nicht ihm, sondern Odysseus die Waffen des Achilles zugesprochen haben, ermorden will, schlägt Minerva ihn mit Wahnsinn, so dass er seine Schafe niedermetzelt. die mystischen Göttinnen: Die Erinnyen, Rachegöttinnen, die Orest verfolgen, als er seine Mutter Klytämnestra, die zusammen mit ihrem

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Liebhaber Ägisth seinen Vater Agamemnon ermordet, umgebracht hat. die Schoeneïs: Atalanta, die Tochter des Schoeneus, eine mänalische (=arkadische) Jägerin. die Kreterin: Ariadne, die Tochter des Königs Minos von Kreta, die, nachdem sie Theseus bei der Tötung des Minotaurus geholfen hat, mit ihm nach Athen segeln will, aber auf Naxos von ihm verlassen wird; vgl. Ov. Her. 10. Kassandra: Tochter des Priamus, des Königs von Troja, die, als die Griechen die Stadt erobern, in das Heiligtum der Minerva flüchtet. Als Priesterin trägt sie um ihr Haar eine Binde. besser: McKeown zur Stelle zeigt, dass utilius vor utiliter den Vorzug verdient. Plebs: (Ursprünglich) das einfache Volk in Rom. Tydeus’ Sohn: Diomedes, der beim Kampf um Troja Venus verwundet (vgl. Homer, Ilias 5,330 ff.). Triumphe: Zu 1,2,27. von den Alpen: Mit Martin Korenjak und Florian Schaffenrath (Classical Quarterly 62, 2012, 863–865) lese ich Alpina statt abiecta. waren: Im Original lese ich aber (mit McKeown zur Stelle) erat.

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Wahrheit enthält ihr Name: Die Giftschlange Dipsas (griech. »durstig«) erzeugt durch ihren Biss heftigen Durst. Zur Figur der alten Kupplerin vgl. Einführung S. 17. Des ... Memnon Mutter: Aurora mit dem rosafarbigen Pferdegespann, die personifizierte Morgenröte. aiaische Zaubergesänge: Zauberformeln, nach der Hexe Kirke, die auf der Insel Aiaia wohnt, oder nach der Hexe Medea, in deren Heimatland Kolchis sich die Halbinsel Aia befindet. die Fäden, bewegt am gedrehten Kreisel: Gerät zur Erzeugung eines Liebeszaubers. von Stuten der Schleim: Auch das vaginale Sekret der Stute, das hippomanés (griech.), galt in der Antike als wirkungsvolles Mittel der Liebesmagie. Luna: Die Mondgöttin (zu 2,1,23).

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33 das: Mit Recht behalten Lenz und McKeown das überlieferte quae bei. 39 als Tatius herrschte: In der »guten alten Zeit« unmittelbar nach der Gründung Roms, als die Römerinnen bzw. die Sabinerinnen, die ersten Frauen der Römer, diesen noch treu gewesen sein sollen. Für die Kupplerin ist das ein Zeichen von bäurischer Roheit, der sie im nachfolgenden Distichon die erotische »Kultur« des Roms der eigenen Zeit entgegenhält. In dieser Zeit gebe es – auch dies im Gegensatz zur Epoche des Tatius, in der wegen des Raubs der Sabinerinnen Kämpfe auf römischem Boden ausgetragen wurden – nur noch auswärtige Kriege (V. 41), so dass jetzt des Äneas Stadt Rom lediglich noch Domäne von dessen Mutter, der Liebesgöttin Venus, also ein Ort der freien Liebe sei. Bedenkt man, dass zur Zeit der Abfassung der Amores Rom tatsächlich insofern von Venus »beherrscht« war, als die Göttin die Stammmutter des Kaiserhauses war (zu 1,2,51), erweisen sich die Worte der Dipsas als reichlich frivol, zumal Augustus die Rückkehr zur Sittenreinheit der Frühzeit Roms propagierte und Ehegesetze erließ. 47 Penelope: Die Frau des Odysseus wird während der langen Zeit der Abwesenheit ihres Mannes von vielen Freiern bedrängt, hält ihm aber die Treue. Doch als er im zehnten Jahr nach dem Untergang Trojas noch nicht zurückgekehrt ist, veranstaltet sie (in Buch 22 von Homers Odyssee) einen Wettbewerb der Freier, bei dem derjenige der Sieger und ihr Bräutigam sein soll, der den Bogen ihres Mannes zu spannen vermag. In frivoler Weise deutet die Kupplerin den Vorgang zu einer Art Potenzwettbewerb um. 57 Die vielen Tausend ...: Man denkt zunächst an Geld, aber die Überraschungspointe – im Lateinischen das eine Wort leges (»du wirst lesen«) am Ende des Distichons – lässt im Nachhinein das Wort »Verse« ergänzen (vgl. Stroh, Die römische Liebeselegie [s. S. 271], S. 156 Anm. 56). 59 der Poetengott: Apollo. Hier wird vermutlich auf die von Skopas angefertigte Statue des Gottes in seinem (von Augustus geweihten) Tempel auf dem Palatin in Rom angespielt. 64 Kreide am Fuß: Kennzeichen von Sklaven, die zum Verkauf angeboten werden. 65 alte Porträts aus Wachs: Gemeint sind die Ahnenbilder, die die Angehörigen des Senatorenstandes in Rom im Atrium (»Halle«) aufstellten. 67 weil er schön ist: Anspielung darauf, dass in der Antike in einer mannmännlichen erotischen Beziehung von demjenigen, der die passive Rolle übernahm, jugendliche Schönheit erwartet wurde. Auf die Mög-

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lichkeit, ihre Schülerin könne einen Liebhaber haben, der seinerseits einen hat, kommt Dipsas auch kurz in V. 84 zu sprechen. Isis: Anspielung auf die kultische Keuschheit von Frauen im Dienste der Göttin. diesen da: Zu V.  67. Der lateinische Text entspricht hier dem der Handschrift H (vgl. die Ausgabe von Kenney sowie den Kommentar von McKeown zur Stelle). Meineid: Zu dem in der römischen Elegie häufigen Motiv »Falsche Schwüre Liebender verzeihen die Götter« vgl. bes. die Elegie 3,3. den Heiligen Weg: Die Sacra Via in Rom, an der offenbar gerne Geschenke gekauft wurden. Hier wird sie scherzhaft als potentielle Schenkerin personifiziert, steht aber natürlich für den Liebhaber, der dort etwas für sein Mädchen kaufen soll. ewigen Durst: Zu V. 3.

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Atticus: Einer der insgesamt nur drei namentlich angeredeten Leser der Amores (außerdem Graecinus in 2,10 [11] und Macer in 2,18 [19]); an ihn, der nicht weiter bekannt ist, richten sich auch Ovids Elegien Ex Ponto 2,4 und 7. 23 Rhesus: Thrakerkönig und Bundesgenosse der Trojaner, der zusammen mit seinen Soldaten von Odysseus und Diomedes im Schlaf getötet wird, wobei die beiden Griechen seine Pferde erbeuten (vgl. Homer, Ilias 10,464 ff.). 26 Waffen: arma kann im Lateinischen als Metapher für das männliche Glied verwendet werden. 29 Mars und Venus: Hier metonymisch für Krieg und Liebe, die beide unberechenbar sind. 33 Briseïs: Sklavin und Geliebte des Achilles, die, als Agamemnon seine Geliebte Chryseïs zurück zu ihrem Vater schicken muss, dem Heerführer als Ersatz gegeben wird. Daran entzündet sich der Zorn des Achilles, der die Handlung von Homers Ilias in Gang setzt: Der Held zieht sich vom Kampf zurück, woraufhin die Trojaner so stark werden, dass die Argiver (= Griechen) ernsthaft bedroht sind. 35 Hektor: In der Ilias der tapferste Trojaner; sein Abschied von Andromache, seiner Frau, wird ausführlich in Buch 6 geschildert (V. 390 ff.).

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37 der Atride: Agamemnon, der Sohn des Atreus. Die Priamustochter Kassandra (deren Haar wie das einer Mänade [= Bacchantin; zu 1,14,21] aufgelöst ist; vgl. 1,7,17) wird nach der Eroberung Trojas seine Sklavin. 39 Schmied: Vulkan, der, als seine Frau Venus ihn mit Mars betrügt, die beiden in unsichtbaren Fesseln fängt (vgl. Homer, Odyssee 8,266 ff.; Ov. Ars 2,561 ff.; Met. 4,169 ff.).

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sie: Helena, die von dem phrygischen (= trojanischen) Königssohn Paris aus dem Palast ihres Gemahls Menelaus in Sparta am Eurotas nach Troja entführt wird, was dann der Anlass für den Trojanischen Krieg ist. 3 Leda: Zu 1,3,22. 5 Amymone: Eine der Töchter des Danaus, des Königs von Argos, die, weil im Lande wegen des Zorns Neptuns die Quellen ausgetrocknet sind, vom Vater auf die Suche nach Wasser geschickt wird. Neptun zeigt ihr eine Quelle, nachdem er sie vergewaltigt hat. 7 Stier: Als solcher entführt Jupiter Europa (zu 1,3,23), als Adler den Knaben Ganymedes. 49 sabinische Spangen: Tarpeja, die Rom an die Sabiner verrät, erwartet als Lohn, was diese am Arm tragen, und meint damit goldene Armspangen. Sie wird aber unter den Schilden der Sabiner begraben. 51 der Sohn: Alkmäon, Sohn der Eriphyle. Weil diese, durch ein Halsband bestochen, Alkmäons Vater Amphiaraus überredet, am Kampf gegen Theben teilzunehmen, wo er dann fällt, wird sie von ihrem Sohn getötet. 56 Alkinous: König der Phäaken, dessen Garten in Buch 7 von Homers Odyssee beschrieben wird (V. 112 ff.). 59 Ich hab als Gabe auch …: Der Dichter/Liebhaber zählt zu den Armen, wie aus 1,3 hervorgeht; daraus ergibt sich der Anschluss an das vorausgehende Distichon.

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die Täfelchen: Briefliche Mitteilungen wurden mit einem Griffel auf Wachstäfelchen mit hölzernem Rand eingeritzt. 25 Lorbeer: Damit wurden die Berichte siegreicher Heerführer bekränzt.

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Omen: Es galt als schlechtes Vorzeichen, wenn man sich den Fuß an einer Türschwelle stieß. 9 Schierling: Giftpflanze, die eiskalte Erstarrung des Körpers verursacht. 10 bitter: Wörtlich »(als bitter) verrufen« (infamis). 11 du warst rot: Mit Mennige gefärbt. 28 »doppelt«: Es ist von einem (zusammengeklappten) Täfelchen die Rede. Das Wortspiel mit duplex (auch: »doppelzüngig, betrügerisch«) ließ sich im deutschen Vers nicht nachahmen.

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der greise Gemahl: Tithonus. Seine Frau Aurora, die Morgenröte, hatte für ihn das ewige Leben, aber (versehentlich) nicht die ewige Jugend erbeten. 4 Memnon: Dunkelhäutiger Sohn der Aurora, der beim Kampf um Troja von Achilles getötet wird. Aus seiner Asche entstehen Vögel, die jedes Jahr zu seinem Grab kommen, sich gegenseitig zerfleischen und so ein Blutopfer darbringen (Ov. Met. 13,576 ff.). 19 zum Prätor: Zum Gerichtshof der Prätoren. Im lateinischen Text heißt es wörtlich »vor das Atrium« (ante Atria): Der Gerichtshof lag in der Nähe vom Atrium des Vestatempels auf dem Forum. 24 Pensum: Die einer Weberin als Tagesration zugewogene Menge an Wolle. 33 Was, wenn ...: Das lateinische Distichon weist nicht nur sprachliche und metrische Unebenheiten auf, sondern stört auch inhaltlich den Zusammenhang, z. B. dadurch, dass unvermittelt von Aurora in der dritten Person die Rede ist, sie aber in V. 33 f. schon wieder direkt angesprochen wird. Das Distichon wird deshalb wohl zu Recht als unecht angesehen.

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Kephalus: Gatte der Prokris, der während der Jagd von Aurora entführt wird (Ov. Met. 7,700 ff.). 43 der geliebte Jüngling: Endymion, der Geliebte der Mondgöttin Luna. 45 der Vater der Götter: Jupiter, der, als er mit Amphitryons Frau Alkmene schläft, zwei Nächte ineinander übergehen lässt.

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Serer: Die Chinesen, die die Römer aber von den Indern nicht richtig unterscheiden konnten. 11 Ida: Berg in der Nähe von Troja, zu unterscheiden von dem gleichnamigen Berg auf Kreta (3,10,25). 21 die thrakische Bakche: Die Bacchantin, die an kultischen Orgien für den Weingott teilnimmt. 33 Dione: Name der Mutter der Venus, aber hier die Liebesgöttin selbst; Ovid spielt offenkundig auf die Venus Anadyomene (griech. »die Auftauchende«) an, eine Statue des Apelles, die von Augustus in Rom im Tempel des Divus Iulius aufgestellt worden war. 40 hämonisch: Thessalisch; Thessalien galt in der Antike als das Land der Hexen. 49 Sugambrerin: Die Sugambrer, ein westgermanischer Stamm, fielen im Jahre 16 v. Chr. überraschend in Gallien ein und besiegten ein römisches Heer unter M. Lollius. Als sie erfuhren, dass Augustus mit einer Armee zu einem Gegenschlag heranmarschierte, stellten sie die Feindseligkeiten ein und schlossen mit ihm einen Vertrag. In Rom wurde das offenbar zu einem Sieg des Kaisers hochstilisiert; es fällt auf, dass noch zwei weitere Gedichtbücher auf die Konfrontation mit den Sugambrern anspielen, das vierte Odenbuch des Horaz (4,2,36) und das vierte Elegienbuch des Properz (4,6,77). 54 Weihgeschenk, wert eines anderen Orts: Eines Tempels, in dem die Haarpracht dargebracht werden sollte. Diese Deutung (McKeown zur Stelle) ist jedoch nicht eindeutig gesichert.

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der Lyder: Homer, in dessen Ilias (8. oder 7. Jh. v. Chr.) die Insel Tenedos, der Berg Ida und der Fluss Simoïs vorkommen. der Askräer: Hesiod aus Askrä in Böotien (um 700 v. Chr.), dessen Lehrgedicht Werke und Tage einen Abschnitt über den Landbau enthält. des Battus Sohn: Kallimachos (ca. 320–245 v. Chr.), der bedeutendste griechische poeta doctus (»gelehrter Dichter«). der Kothurn: Der hohe Schuh der Schauspieler in der attischen Tragödie, als deren Vertreter hier Sophokles (497/96–406/5 v. Chr.) genannt ist. Arat: Hellenistischer Dichter (310/300–ca. 250 v. Chr.), Verfasser des Lehrgedichts Phainomena (»Himmelserscheinungen«). der listige Sklave ...: Typische Figuren in den Komödien des Atheners Menander (342/41–293/90 v. Chr.). Ennius: Frührömischer Dichter (239–169 v. Chr.) wie Accius (170–ca. 80 v. Chr.). Varro: Der römische Dichter mit dem Beinamen Atacinus (ca. 82–36 v. Chr.) verfasste ein (verlorenes) Argonautenepos, in dem erzählt wurde, wie Jason, Äsons Sohn, auf der Argo, dem ersten Schiff, nach Kolchis fuhr, um das Goldene Vlies zu holen. Lukrez: In der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. lebender Verfasser des Lehrgedichts De rerum natura (»Von der Natur der Dinge«), in dem er davon ausgeht, dass die Welt einmal untergehen wird. Tityrus, Saaten, Aeneas-Waffen: Stichwörter für die drei Werke Vergils (70–19 v. Chr.), die man in der Antike auch durch das erste Wort zitieren konnte; die Bucolica beginnen mit der Anrede Tityre, die Georgica, ein Lehrgedicht über den Landbau, haben segetes (hier mit McKeown zur Stelle der Lesart fruges vorgezogen) als viertes Wort im ersten Vers, und die Aeneis beginnt mit dem Wort arma, die Ovid durch Aeneia näher bezeichnet. Tibull: Vgl. Einführung S. 10 Gallus: Vgl. Einführung S. 13; die Geliebte des Ich-Sprechers in seinen erotischen Elegien heißt Lycoris. Tagus: Der spanische Fluss, jetzt Tajo genannt, soll Gold geführt haben.

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36 der kastalische Quell: Der Musenquell auf dem Berg Parnassus, dessen Wasser die Dichter inspiriert. 37 Myrte: Zu 1,1,29.

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Gebiet der Päligner: Vgl. Einführung S. 14 f. Bogen: Die Waffe Amors, von der der Ich-Sprecher in 1,1,23 ff. verwundet wird. 11 Himmlische Kriege: Der Ich-Sprecher hat sich an die Aufgabe gewagt, ein Epos über die Gigantomachie, den Kampf der Giganten, der Söhne der Mutter Erde, gegen die Olympischen Götter, zu dichten. Aufseiten der Giganten kämpft auch der hundertarmige Riese Gyges. 13 Ossa: Um den Himmel zu erstürmen, türmen die Giganten Otos und Ephialtes den Ossa, einen Berg in Thessalien, auf den ihm gegenüberliegenden Berg Pelion. 15 Wolken hatt’ ich zur Hand: Der Ich-Sprecher als Epiker agiert selbst wie eine epische Figur, indem er mit epischen »Waffen« hantiert, die ja gleichzeitig die Requisiten seiner Inszenierung einer epischen Handlung sind. Zu einer solchen gehört, dass Jupiter den Blitz würdig schleudert, das heißt mit der einem Epos angemessenen Grandezza. 21 lockere Distichen: Leichte elegische Verse, zu 1,1,4. 23 Verse: carmen bedeutet sowohl »Gesang, Gedicht« als auch »Zauberspruch«. Zaubersprüchen traute antiker Aberglaube z. B. zu, dass sie die Mondsichel (mit ihren Hörnern) blutig färben und vom Himmel herabziehen oder die Fahrt des Sol, des Sonnengottes, zurücklenken könnten. 29 besäng ich ihn: In einem Epos über den Trojanischen Krieg; die Atriden sind Agamemnon und Menelaus, die Söhne des Atreus. 31 er auch …: Odysseus, der zehn Jahre vor Troja kämpft und erst nach weiteren zehn Jahren in die Heimat zurückkehrt. 32 Hektor: Von dem hämonischen (= thessalischen) Helden Achilles wird er getötet und, an dessen Wagen gebunden, geschleift (vgl. Homer, Ilias 22,247 ff.).

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Bagous: Der Bewacher der Frau, in die sich der Ich-Sprecher gerade verliebt hat, trägt einen für einen Eunuchen typischen Namen. Hier ist mit Booth zur Stelle die Namensform Bagous gewählt. Portikus: Säulenhalle des Apollotempels auf dem Palatin (neben dem Haus des Augustus) in Rom, in der Statuen der fünfzig Töchter des Danaus standen. In der römischen Elegie erscheint die Portikus als Ort, wo der amator eine puella treffen kann. Ist sie verspätet: Das von Kenney und McKeown athetierte Distichon halte ich mit Booth zur Stelle für echt. bei Isis: Der Isistempel auf dem Marsfeld wird in elegischen Dichtungen gleichfalls als Ort für erotische Kontakte genannt, ebenso die Theater (in denen die Zuschauerbänke ein Halbrund bildeten). halt ihr entgegen …: Mit McKeown lese ich obiciens … et statt obicies … tu (Kenney). die Freiheit: Sklaven konnten sich freikaufen. Tantalus: Er muss, weil er, zur Tafel der Götter zugelassen, ihre Geheimnisse verrät und ihnen, um ihre Allwissenheit zu testen, seinen Sohn Pelops zum Mahle vorsetzt, in der Unterwelt ständig vergeblich nach Wasser und Früchten haschen, also ewig Durst und Hunger leiden. er: Argus, der auf Befehl der Juno die in eine Kuh verwandelte Io (zu 1,3,21) mit seinen hundert Augen bewacht und auf Befehl Jupiters von Merkur getötet wird; Io wird nach ihrer Rückverwandlung die ägyptische Göttin Isis (Ov. Met. 1,568 ff.).

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Du, nicht Mann, nicht Frau: Zu 2,2,1. Weich und gefügig ... zu Willen: Ovid spielt ganz offenkundig mit der obszönen Bedeutung, die alle Wörter des Verses auch haben; die deutsche Übersetzung versucht, das wenigstens anzudeuten. Eunuchen erscheinen in der erotischen Dichtung der Römer immer wieder als passive Partner in mannmännlichen Beziehungen. zum Reiten: equus (»Pferd«) bzw. equitare (»reiten«), arma (»Waffen«; zu 1,9,26) und hasta (»Lanze, Speer«) können im Lateinischen (wie

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ihre Äquivalente im Griechischen, aber auch im Deutschen) als erotische Metaphern verwendet werden.

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Mich selbst hass’ ich ...: Eine witzige Parodie auf Catulls berühmtes Epigramm Odi et amo (Carmen 85). Dort ist es eine Frau, die bewirkt, dass der Ich-Sprecher zwischen Hass und Liebe hin- und hergerissen ist, hier bezieht sich das Dilemma auf die eigene Person (vgl. den Kommentar von Booth zur Stelle). zur Erde: Mit McKeown zur Stelle lese ich humum statt se. Sabinerin: Zu 1,8,39. Kallimachos: Zu 1,15,13. Dieser Kritikerin Schenkel ... trüge ich gern: Eine von Ovid auch in 3,2,30 und Ars 3,775 angesprochene Stellung beim Liebesakt, bei der die Frau die in die Höhe gestreckten Beine auf den Schultern des Mannes aufliegen lässt. Hippolytus: Beliebtes Beispiel für einen in der Liebe enthaltsamen jungen Mann, da er es ablehnt, mit seiner Stiefmutter Phädra zu schlafen (vgl. Ov. Her. 4). Priap: Gott der Gärten, der in der bildenden Kunst mit einem überdimensionalen erigierten Glied dargestellt wird. Leda: Zu 1,3,22. Aurora: Zu 1,13,1.

5 27 Diana und Phöbus: Sie sind Geschwister, und Diana vertritt das Prinzip der Virginität besonders dezidiert. 28 Mars ... Venus: Zu 1,2,24 und 1,9,39. 30 Auf meinen Besitz …: Zu 1,4,40. 35 Tithonus’ Gemahlin: Zu 1,13,1. 38 Luna sich färbt: Zu 2,1,23. 40 die Mäonierin: Die Lyderin. Ovid spielt hier auf ein Gleichnis in Homers Ilias an (4,141 ff.).

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der alle nachahmt: Das kann man auch metaliterarisch lesen, denn der psittacus evoziert die »poetische Erinnerung« an Catulls passer, d. h. das berühmte Gedicht mit der Klage über den Tod von Lesbias Sperling (Carmen 3); vgl. Hinds, Generalising Ovid (s. S. 270), S. 7. Damit deutet sich jetzt schon an, was im Laufe des Gedichtes immer klarer erkennbar wird: dass der Papagei für den poeta/amator steht und dieser sich hier selbst karikiert (vgl. Myers, Ovid’s tecta ars [S. 273]). Thrakertyrann: Der thrakische König Tereus, der Philomela, die Schwes-ter der mit ihm verheirateten athenischen Königstochter Prokne, brutal vergewaltigt und deshalb von den Frauen seinen Sohn Itys zum Mahle vorgesetzt bekommt (Ov. Met. 6,412 ff.). Philomela, die danach in eine Nachtigall verwandelt wird und ewig um Itys klagt, soll, weil dessen Tod nun schon so lange her ist, jetzt um den Papagei klagen. der Jüngling aus Phokis: Pylades, der sprichwörtlich treue Freund Orests (zu 1,7,9). die Krähe: Cornix wird von Pallas Athene in eine Krähe verwandelt, als Neptun das Mädchen vergewaltigen will, später aber, weil sie ein Geheimnis verraten hat, aus dem Gefolge der Göttin ausgestoßen (Ov. Met. 2,542 ff.). den Phylakiden: Protesilaus, der als erster vor Troja fällt (vgl. Ov. Her. 13) und den der nicht nur hässliche, sondern auch ständig lästernde Grieche Thersites überlebt. Hektor: Zu 1,9,35 und 2,1,32. Deine Parze: Zu 1,3,17. Elysium: Ort in der Unterwelt, wohin nur die Seligen gelangen. der Phönix, der so lange lebt: Er wird immer wieder neu aus seiner eigenen Asche geboren. Junos Vogel: Der Pfau. Mehr als ein Vogel sonst spricht: Der lateinische Text lässt sich auch so verstehen, dass der Papagei mehr sagen konnte als ave (»Sei gegrüßt!«). Das im deutschen Vers nicht wiederzugebende docta (»gelehrt«) ist Anspielung auf den poeta doctus, der die Verse spricht (zu V. 1 und zu 1,15,13).

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zu den oberen Rängen: Dort sitzen im Theater die Frauen, während sie im Circus (s. 3,2) nicht von den Männern getrennt sind.

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der Thessalier: Achilles; zu 1,9,33. der mykenische Fürst: Agamemnon; zu 1,9,37. des Tantalus Spross: Agamemnon ist Nachkomme des Tantalus (zu 2,2,44). 19 die falschen Schwüre: Zu 1,8,85. 20 übers karpathische Meer: Über die südliche Ägäis, also weit weg.

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Du, den ...: Die Übersetzung gibt den von Madvig konjizierten Text wieder. Zu seiner Rechtfertigung vgl. die Kommentare von Booth und McKeown zur Stelle. 7 der hämonische Held: Achilles, der den Myserkönig Telephus durch Berührung mit dem Speer, mit dem er ihn einst verwundet hat, heilt. 19 Müde Soldaten: Römische Veteranen, die von ihrem Feldherrn als eine Art Entschädigung ein Landgut zugewiesen bekamen. 22 der, der das Schwert nicht mehr führt: Der Gladiator, dem man als Symbol seines Ausscheidens aus dem Dienst das zum Üben verwendete Holzschwert übergab.

9b (10) 25(1) Sagte ein Gott ...: Diejenigen Erklärer, die glauben, dass mit diesem Vers eine neue Elegie, also die zehnte des Buches, beginnt, haben m.E. die besseren Argumente als die »Unitarier«. Die Zählung der Gedichte, die sich darauf ergibt, wird im Folgenden in Klammern angegeben; entsprechend vermerke ich für 9b (10) eine eigene Versnumerierung in Klammern. 47(23) Stiefsohn: Zu 1,2,24.

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Graecinus: Zu 1,9,2. Auch über diesen Adressaten ist kaum etwas bekannt; an ihn sind außerdem die Elegien Ex Ponto 1,6, 2,6 und 4,9 gerichtet. wer die begabtere ist: In Künsten, wie Libertinen sie beherrschten, also vor allem Singen und Lyraspiel. Aber gleichzeitig ist natürlich an Liebeskünste zu denken. Erykina: Venus, nach ihrem Heiligtum auf dem Berg Eryx in Sizilien.

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Eine Fichte: Die Argo, das erste Schiff, ist aus Holz von dem thessalischen Berg Pelion gemacht. zusammenschlagende Felsen: Die Symplegaden, die die Argo unversehrt passiert. mit dem goldenen Vlies: Zu 1,15,21. Skylla ... Charybdis: Meerungeheuer, die Odysseus bedrohen (Hom. Od. 12,234 ff.) und die man sich an der Straße von Messina dachte. Keraunien: Gebirge in Epirus mit dem gefährlichen Kap Acroceraunia. beide: Die Große und die Kleine Syrte, Buchten an der libyschen Küste mit gefährlichen Untiefen. Triton: Meergott, der mit einem Muschelhorn die Wogen aufwühlt und besänftigt. edle Gestirne: Das Zwillingsgestirn der Dioskuren Kastor und Pollux, der Söhne der Leda (zu 1,3,22), die in Seenot helfen. die thrakische Leier: Die Herkunftsbezeichnung weist auf den mythischen Sänger Orpheus. Zum ganzen Distichon s. auch zu 2,10(11),6. Galatea: Meernymphe. Nereïden: Töchter des Meergottes Nereus. Zephyrn: Westwinde. Luzifer: Der Morgenstern (zu 1,6,65).

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was auch immer dieser für einer war: Das ist wohl im Sinne von »auch wenn es kein militärischer Sieg war« gemeint. die Atriden: Zu 2,1,29. Europa und Asien hätten Frieden: Der Raub der Helena (zu 1,10,1) als Anlass für den Trojanischen Krieg wird hier zugleich als Anlass für den in der Gegenwart des Sprechers anhaltenden Ost-West-Konflikt – die Parther gelten nach wie vor als bedrohlich – ge-sehen. die Lapithen: Zu 1,4,7. Latinus: Um seine Tochter Lavinia kämpfen in den Büchern 7–12 von Vergils Aeneis der Trojaner Äneas und der Rutuler Turnus. die Schwäher: Die Sabiner, deren Töchter die Römer unter König Romulus raubten.

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hat … verdient: Mit McKeown zur Stelle lese ich digna … est. Kanopus: Wie alle in dem Distichon genannten Orte Sitz eines Heiligtums der Isis in Ägypten. 10 siebenfach: Anspielung auf das Nildelta. 11 Sistren: Klappern aus Metall, die zum Isiskult gehörten. Anubis: Eine zusammen mit Isis und Osiris verehrte hundsköpfige Gottheit. 12 Osiris: Gatte der Isis. 13 Schlange: Der Isis heilig, ebenso Apis, der göttliche Stier. 18 die phrygische Schar: Die entmannten Priester der kleinasiatischen Göttin Kybele; ihre Erwähnung in diesem Zusammenhang ist ein bis heute nicht befriedigend gelöstes Interpretationsproblem. 21 Ilithyia: Die Geburtsgöttin.

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schrecklichen Sand: Vor dem Kampf der Gladiatoren wurde frischer Sand in die Arena gestreut. Steine: Nachdem die Götter die Menschheit durch die Große Flut ver-

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nichtet haben, lassen sie aus Steinen, die Deukalion und Pyrrha, die einzigen Überlebenden, hinter sich werfen, neue Menschen entstehen (Ov. Met. 1,253 ff.). 13 die rechtmäß’ge Bürde: Achilles, der größte Held im Kampf um das von König Priamus beherrschte Troja; vgl. auch zu 2,17(18),18. 15 Ilia: Rhea Silvia, die Mutter der Zwillinge Romulus und Remus, der Gründer Roms (zu 3,6,48). 17 Äneas: Ihr Sohn von Anchises; s. auch zu 1,2,51. Die Cäsaren führten sich auf Venus und Äneas zurück. 29 Medea: Sie tötet ihre beiden Söhne aus Rache an deren Vater Jason, der eine andere Frau geheiratet hat. 30 Itys: Zu 2,6,7.

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stecke ... in dir: Durch gezielte Wortwahl weckt der lateinische Text in diesem Vers und im nächsten Distichon Assoziationen von einem Koitus; die deutsche Übersetzung versucht, einen gewissen Eindruck davon zu geben. Ein besonderer Witz des Gedichtes liegt darin, dass nicht nur der Sprecher in seiner Wunschvorstellung, sondern auch der Ring eine »Verwandlung« durchläuft: Hier verhält er sich noch wie eine Vagina, später hat er ein erigiertes Glied. der karpathische Greis: Proteus, ein sich ständig verwandelnder Gott, der im karpathischen Meer (zu 2,8,20) wohnt. Kirke: Zu 1,8,5.

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Sulmo: Vgl. Einführung S. 14 f. der ikarische Hund: Der Hundsstern, dessen Aufgang Anfang August die Zeit der größten Hitze einleitet. Seinen Namen hat er von dem Hund des Atheners Ikarus; er wird wegen seiner Treue als Stern an den Himmel versetzt. Pallas’ Baum: Der Ölbaum, das Geschenk der Göttin. Pollux: Zu 2,11(12),29. Syrten: Zu 2,11(12),20.

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23 Jungfrau: Zu 2,11(12),17. Skylla, von Circe in ein Meerungeheuer verwandelt, hat am Unterleib bellende Hunde (Ov. Met. 14,59 ff.). Malea: Gefährliches Kap an der Spitze der Peloponnes. 25 Charybdis: Zu 2,11(12),17. 27 Götter: Figuren von Schutzgottheiten am Heck des Schiffes. 31 Hero: Aus Liebe zu ihr durchschwimmt Leander jede Nacht den Hellespont, bis er ertrinkt, weil die von ihr angezündete Fackel, die ihm den Weg weist, erlischt (vgl. Ov. Her. 18/19). 39 Kilikier: Bewohner einer Küstenlandschaft in Südkleinasien. Britannier: Sie werden wegen ihrer Gesichtsbemalung als grün bezeichnet. Skythen: Sie bewohnten das heutige Südrussland. 40 Prometheus: Weil er den von ihm aus Ton erschaffenen Menschen das Feuer gibt, lässt Jupiter ihn an den Kaukasus schmieden, wo ihm der Adler des Gottes täglich die Leber benagt. 50 Esseda: Britannischer Streitwagen, der in Rom als kleiner Reisewagen benutzt wurde (lat. esseda, i, n. und esseda, ae, f.).

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sie: Venus, der die Insel Kythera (zu 1,3,4) und die Stadt Paphos auf Zypern heilig sind. 15 Kalypso: Die Nymphe hält Odysseus während seiner Irrfahrten auf ihrer Insel Ortygia gegen seinen Willen fest (vgl. Hom. Od. 5). 17 Numa: Der (mythische) zweite König Roms, dessen Geliebte und Beraterin die Nymphe Egeria ist. 18 Nereïde des Meers: Thetis (zu 1,11[12],35), die von dem phthiotischen Fürsten Peleus verführt wird und ihm dann den Achilles gebiert (Ov. Met. 11,221 ff.). 19 Vulkan: Zu 1,2,24. 21 Gattung der Dichtung: Zu 1,1,4. 31 Eurotas: Fluss in Sparta. 32 Po: Der durch Norditalien fließende Strom.

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bis zum Zorn des Achilles: Macer schreibt also ein Epos über die Ereignisse des Trojanischen Krieges, die der Handlung von Homers Ilias (zu 1,9,33) vorausgehen. 3 Macer: Zu 1,9,2. Auch über diesen Adressaten ist fast nichts bekannt. An ihn ist noch die Elegie Ex Ponto 2,10 gerichtet. 13 eine Tragödie wachsen ließ mein Bemühen: Welche, sagt der Ich-Sprecher nicht. Man kann auch lesen: »das Ansehen der Tragödie mehrte mein Bemühen«; dann liegt vielleicht eine Anspielung auf Kap. 4 der Poetik des Aristoteles vor, bes. 1449a13: »sie [= die Tragödie] dehnte sich dann allmählich aus«, und der Ich-Sprecher würde primär von der tragoedia als Gattung, nicht von einem bestimmten Stück reden. Biographisches Interpretieren bezieht den Vers auf die Medea, die Ovid laut Seneca d. Ä., Quintilian und Tacitus verfasst haben soll (die aber in seinem Werk nirgendwo erwähnt ist und von der nur zwei Verse erhalten sind). Doch in dem ganzen Gedicht geht es wohl eher um die Konfrontation der »kleinen« Gattung Elegie und ihrer Variationsmöglichkeiten (Amores, Heroides) mit den »großen« Gattungen Epos und Tragödie als um eine autobiographische Aussage über Ovids Entwicklung als Dichter (vgl. Holzberg, Playing with His Life [S. 271]). 15 den Mantel: Wie das Szepter und die bunten Kothurne typische Requisiten der Tragödienschauspieler. 16 von des Privatmanns Hand: Die Tragödie, in der Könige die Protagonisten sind (daher auch das Szepter), passt nicht zu der Person des Ich-Sprechers, der als Elegiker einer Gegenwelt zur Welt der Hauptund Staatsaktionen angehört (vgl. Einführung S. 12 f.) und insofern ein »Privatmann« ist. 19 von Künsten des zärtlichen Amor ... was ich da lehre: Der vorausgehende Text, in dem es um die Rechtfertigung der Tatsache geht, dass der IchSprecher weiterhin elegische Liebesgedichte verfasst, legt nahe, dies auf die Amores (die ja auch Erotodidaxe enthalten) und nicht auf die Ars amatoria zu beziehen, wie es in biographischen Interpretationen in der Regel geschieht. Also: »Ich darf entweder die Amores weiterführen oder (V. 21 ff.) Heroides schreiben ...«. 21 Penelopes Brief: Anspielung auf Heroides 1. Im Folgenden wird (in dieser Reihenfolge) auf Her. 2, 5, 6, 11, 10, 4, 7 und 15 Bezug genommen.

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Penelope schreibt in Her. 1 an ihren noch nicht aus Troja zurückgekehrten Gatten Odysseus. Phyllis: Thrakische Königin, die von Theseus’ Sohn Demophoon verlassen wird und deshalb an ihn schreibt (Her. 2). Paris: Adressat der von ihm verlassenen Nymphe Önone (Her. 5). Jason: Adressat der von ihm verlassenen Hypsipyle, der Königin von Lemnos (Her. 6). V. 33 zufolge ist dieser Brief gemeint, nicht derjenige der Medea an Jason (Her. 12). Makareus: An ihn schreibt seine Schwester Kanake, die er geschwängert hat, nach der Entdeckung des Kindes durch den Vater und vor ihrem Selbstmord (Her. 11). Hippolyts Vater: Theseus, an den Ariadne von Naxos aus schreibt (Her. 10; zu 1,7,15). Hippolytus: An ihn schreibt Phädra (Her. 4; zu 2,4,31). Dido: Sie schreibt an Äneas, der sie verlassen hat (Her. 7). die von Lesbos: Die griechische Lyrikerin (daher die Kithara, ein Saiteninstrument) Sappho (um 600). In Her. 15 schreibt sie an Phaon, der sie verlassen hat. verliebt: Mit McKeown zur Stelle lese ich †Aoniam … amica statt Aoniae … amata (Kenney). Sabinus: Über ihn ist nichts weiter bekannt. Die Antwortbriefe, die er »mitgebracht« haben soll, enthalten offensichtlich das, was die von Ovid verfassten elegischen Episteln gerade nicht erwarten lassen: eine jeweils positive Reaktion des Adressaten. Elissa: Dido. die Geliebte: Helena; zu 1,10,1. Laodamia: Die Frau des Protesilaus (zu 2,6,41), die, nachdem ihr Mann sie aus der Unterwelt besucht hat, ihm dorthin folgt (vgl. Ov. Her. 13).

19 (20) 27 Danaë: Tochter des Akrisius, der sie, weil ihm prophezeit wird, ihr Sohn werde ihn töten, in ein ehernes Gemach sperrt. Jupiter schwängert sie in Gestalt eines Goldregens, sie gebiert Perseus, und dieser erschlägt versehentlich den Großvater. 29 Io: Zu 1,3,21 und 2,2,45.

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52 sie: Die puella, im Ablativ zu ergänzen zu concessa, das ich mit McKeown zur Stelle gegenüber concessi (was auf amoris zu beziehen wäre) bevorzuge. 58 Deine ...: Da der Wechsel in die dritte Person schwerlich in den Kontext passen würde, verdient corrumpis … tuo gegenüber corrumpit … suo den Vorzug (McKeown zur Stelle). 59 freut: Mit McKeown u. a. lese ich iuvet.

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Elegia: Die personifizierte Gattung Elegie. Bezeichnenderweise ist ihre äußere Erscheinung derjenigen Corinnas auffallend ähnlich: Als vom Dichter frei erfundene Figur ist auch die Geliebte sein »Werk« (vgl. Einführung S. 26). ihr einer Fuß ...: Anspielung auf die ungleiche Länge der beiden Verse des elegischen Distichons (zu 1,1,4). Tragoedia: Auch sie ist die personifizierte Gattung, nicht etwa die Personifikation eines bestimmten tragischen Stücks des realen Autors Ovid. Allein schon die Tatsache, dass sie den Ich-Sprecher auffordert, »Taten von Männern« zu singen und sich als die Romana Tragoedia bezeichnet, wodurch die Beschränkung auf römische Stoffe angedeutet sein könnte (vgl. V. 25 und 29), spricht gegen eine Gleichsetzung der Tragoedia mit der Medea (zu 2,18[19],13). Vgl. auch S. 238 f. Königsszepter ... Kothurn: Zu 1,15,15 sowie 2,18(19),15 und 16. Thyrsus: Mit Weinlaub oder Binden umwundener Stab, den der Weingott Dionysos-Bacchus und seine Anhänger tragen. Da Dionysos der Gott der Tragödie ist, kann er offenbar den Ich-Sprecher mit dem Thyrsus zum Tragödiendichter machen, indem er ihn damit berührt oder schlägt (zu 3,15,17). Myrtenzweig: Zu 1,1,29. ungleich lange: Zu 1,1,4 und V.8. euer Palast: Zu 2,18(19),16. angeheftet: Man hat sich offenbar vorzustellen, dass der von der Geliebten ausgeschlossene elegische Liebhaber ein Täfelchen (zu 1,11,7) mit einer darauf geschriebenen Elegie an die Tür hängt. zerbricht mich: Das Wachstäfelchen. Mir in dem engen Mund: In der Nachfolge des Kallimachos (zu 1,15,13), dem »Klassiker« der »kleinen« Poesie, der laut Properz »mit enger Brust« tönt (2,1,40), dichtet der Sprecher der Amores mit »engem Mund«.

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70 Von hinten ...: Da opus auch für penis verwendet werden kann, könnte eine derb obszöne Anspielung vorliegen, zumal Tragoedia als Mannweib dargestellt wird, Frauenrollen auf der antiken Bühne von Männern übernommen wurden und Tragoedia von dem Ich-Sprecher das Besingen der »Taten von Männern« (V.  25) verlangt (vgl. Kennedy, The Arts of Love [S. 271], 62).

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hier: Beim Wagenrennen im Circus. den Wendepunkt: Die Wendemarke, die in möglichst engem Bogen zu umfahren besonderes Geschick verlangte. in voller Fahrt: Wieder (zu 2,3,7) verwendet Ovid Wörter, die auch als Metaphern bei der Schilderung eines Koitus gebraucht werden können (vgl. bes. Ov. Ars 2,725 ff.). Pelops: König Önomaus von Pisa will ihm nur dann seine Tochter Hippodamia zur Frau geben, wenn er ihn beim Wagenrennen besiegt; verliert er, droht ihm der Tod durch die Lanze des Königs. Er siegt dank einer List Hippodamias. Die Markierung...: Zu 2,7,3. Atalanta: Als Jägerin (zu 1,7,13) ist sie wie die Jagdgöttin Diana aufgeschürzt, so dass man ihre Beine sieht. Milanion, der sie liebt, folgt ihr in die Wälder. mit den Händen gestützt: Zu 2,4,22. Täfelchen: Vermutlich eine Wachstafel zum Notieren der Gespanne und Lenker. der Festzug: Römische Spiele welcher Art auch immer sind Teil des Kults und daher mit religiösem Zeremoniell verbunden. Hier ist es ein Festzug mit getragenen oder gefahrenen Götterbildern, der, vom Kapitol kommend, vor dem Wagenrennen die Bahn entlanggeht. die Göttin des Sieges: Nike-Viktoria, die mit ausgebreiteten Flügeln dargestellt wurde. Augur: Weissager, der seine Prophezeiung auf die Vogelschau stützt. Phöbe: Diana. Kastor: Zu 2,11(12),29. Hier geht es um je eine weitere Funktion der Dioskuren. Prätor: Er gibt das Zeichen zum Start.

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Quadrigen: Viergespanne. 73 Quiriten: Römische Bürger. Das Publikum kann verlangen, dass ein Rennen abgebrochen oder wiederholt wird. 78 farbig: Die einzelnen Teams haben ihre eigenen Farben. 83 Sie hat gelacht: Wie schon mehrere frühere Bemerkungen im Text ist auch diese offensichtlich beiseite gesprochen wie das a parte in der antiken Komödie. Es besteht also kein Grund, die Rede des IchSprechers mit V. 82 enden, ihn V. 83 als Erzähler und die von ihm angeredete Frau V. 84 sprechen zu lassen. Man kann ja auch schwerlich voraussetzen, dass die Werbung bei ihr Erfolg hat.

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immer noch schön: Man glaubte in der Antike, Meineid, Treuebruch usw. würden von den Göttern mit körperlicher Entstellung bestraft, aber der Bereich der Liebe sei davon ausgenommen. 11 auf ewig: Statt aeterni, das auf di zu beziehen wäre, lese ich mit Lenz und McKeown aeterno. 17 Kepheus’ Tochter: Andromeda, die dafür büßen soll, dass ihre Mutter Kassiope sich den Nereïden (zu 2,11[12],35) gegenüber ihrer Schönheit gerühmt hat: Sie wird als Opfer für ein Meerungeheuer ausgesetzt. Aber Perseus rettet sie (Ov. Met. 4,604 ff.). 38 Semele: Sie verbrennt, als sie, von der als alte Frau auftretenden Göttin Juno dazu verleitet, ihren Liebhaber Jupiter bittet, ihr in seiner wahren, göttlichen Gestalt zu erscheinen und er dann mit Donner und Blitz zu ihr kommt. Bacchus, ihr noch ungeborenes Kind von ihm, näht der Gott in seinen Schenkel ein und trägt den Embryo so aus (Ov. Met. 3,253 ff.). 41 dem ganzen: Das besser überlieferte toto ist mit McKeown zur Stelle vorzuziehen.

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macht: facere hat dieselbe Doppelbedeutung wie unser »es machen«. sie: illa ist mit McKeown ulla vorzuziehen.

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schließt … du aus: Mit McKeown habe ich mich für exclusis entschieden. drin: Das ist wieder einmal doppeldeutig (vgl. Einführung S. 27 f. und S. 218). 19 Argus: Zu 2,2,45. 21 Danaë: Zu 2,19(20),27. 23 Penelope: Zu 1,8,47 und 3,9,29. 39 nicht ohne Vergehen: Zu 3,6,48.

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»Nachts war’s ...«: Der Sprecher redet einen Traumdeuter an. Aus überlieferungsgeschichtlichen, sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Gründen hält die Mehrzahl der Erklärer die Elegie für unecht (vgl. bes. McKeown, The Authenticity [S.  273], dagegen Bretzigheimer, Ovids Amores [S. 271], 146 ff.). Motivisch erinnert sie aber in mehrfacher Hinsicht an 1,5 (»Mittag war’s ...«!), nur dass das Verhältnis der puella zum Ich-Sprecher jetzt genau ins Gegenteil verkehrt ist. Da beim Vergleich zwischen den fünfzehn Gedichten des dritten Buches mit den fünfzehn Gedichten des ersten ständig eine thematische Verwandtschaft zwischen den einander von der Zählung her entsprechenden Gedichten erkennbar wird, fügt sich die Elegie (deren besondere Diktion und deren mittelalterliche Überlieferungsgeschichte durch das Thema »Traumdeutung und Allegorie« bedingt sein dürften) gut in die Motivstruktur des dritten Buches.

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Fuß: Der Dativ pedi ist mit McKeown zur Stelle dem Ablativ pede vorzuziehen. Perseus: Der Held, der Andromeda vor dem Meerungeheuer rettet (zu 3,3,17), bewegt sich mit Hilfe von Flügelschuhen durch die Lüfte und trägt dabei das Haupt der Medusa mit dem Schlangenhaar, deren Anblick versteinert (Ov. Met. 4,604 ff.). Wagen: Der von Drachen gezogene Wagen des Triptolemus, mit dem

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er im Auftrag der Göttin Ceres durch die ganze Welt fährt, um die Menschen den Ackerbau zu lehren (Ov. Met. 5,642 ff.). Inachus: Der Fluss(gott) von Argos auf der Peloponnes, der mit der Nymphe Melia verheiratet ist. Xanthus: Der Fluss von Troja, auch Skamander genannt. Über seine Liebesgeschichte mit Neaera ist nichts weiter bekannt. Alphëus: Der größte Fluss auf der Peloponnes. Verliebt in die arkadische Nymphe Arethusa, verfolgt er sie, die vor ihm flieht, bis nach Sizilien, wo sie in Syrakus wieder als Quelle zum Vorschein kommt (Ov. Met. 5,572 ff.). Penëus: Fluss in Thessalien, der Krëusa in der Einsamkeit von Phthia vor (ihrem späteren Gatten) Xuthus versteckt. Asopus: Der Fluss von Theben. Über die Geschichte seiner Liebe zu Thebe, nach der die Stadt benannt wurde, ist nichts weiter bekannt. Achelous: Der größte griechische Fluss. Er kämpft in der Gestalt eines Stiers mit Herkules um Deïanira, wobei der Held ihm ein Horn (hier: die Hörner) abbricht. Deïanira kommt aus Kalydon, dem Hauptort Ätoliens (Ov. Met. 9,1 ff.). Nilus: Der Ort seiner Quellen war in der Antike unbekannt. Über seine Liebe zu Euanthe ist nichts weiter tradiert. des Salmoneus Tochter: Tyro, die von dem thessalischen Fluss Enipeus geliebt wird. Dich: Den Anio, Nebenfluss des Tiber. Tibur ist das heutige Tivoli. Es wird im lateinischen Text als argivisch bezeichnet (was in der deutschen Wiedergabe nicht unterzubringen war), weil es von Argos aus gegründet wurde. Ilia: Rhea Silvia, Tochter des Königs Numitor von Alba Longa, die, nachdem ihr Oheim Amulius ihren Vater aus der Herrschaft verdrängt hat, Vestalin werden und somit ein Keuschheitsgelübde ablegen muss. Sie wird von Mavors (= Mars) vergewaltigt (Ov. Fasti 3,1 ff.) und gebiert Romulus und Remus, die späteren Gründer Roms. Die hier geschilderte Szene spielt unmittelbar nach der Vergewaltigung Ilias durch Mars. Laomedon: König von Troja und Vater des Priamus. Ilia stammt über Äneas von ihm ab. keine weiße Binde: Eine solche würde sie als Vestalin normalerweise tragen. warmer Tränen: Mit McKeown lese ich tepido.

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77 die Hure: D. h. »auf mich als Hure, Ehebrecherin«. Vergewaltigte Frauen galten in der Antike in der Regel nicht als Opfer einer Gewalttat, sondern als Schande für die Angehörigen. 81 schlüpfrig: Die deutsche Übersetzung versucht, wenigstens einen Eindruck von den obszönen Wortspielen des lateinischen Textes zu geben.

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sithonisch: Thrakisch. Schierling: Zu 1,12,9. die Vestalin: Zu 3,6,48. thessalisches Gift: Zu 1,14,40. Nadeln: Zu V. 79. Gesänge: Zu 2,1,23. Nestor: König von Pylos, der als Kämpfer vor Troja bereits im dritten Menschenalter steht. Tithonus: Zu 1,13,1. der Geheimnisverräter: Tantalus (zu 2,2,44). liebkosend: Ehwalds Konjektur blande ist nur ein Notbehelf; der Vers ist offenbar unrettbar verderbt. Phemius: Sänger auf Ithaka (erwähnt u. a. Hom. Od. 1,154). Thamyras: Thrakischer Sänger, den die Musen mit Blindheit schlagen, weil er sich mit ihnen misst (Hom. Il. 2,594 ff.; dort heißt er Thamyris). dich ... niederzulassen: Im Lateinischen membra ponere »die Glieder niederlegen«, aber man kann auch »das Glied« verstehen (dichterischer Plural wie 2,15[16],25; 3,7,13 und 65). Eine aiaische Zauberin: Zu 1,8,5. Die durchbohrte Wolle ist wohl eine »ersatzweise« mit einer Nadel durchstochene Puppe; man vgl. den Voodoo-Zauber.

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sich annimmt: suscipit ist mit McKeown suspicit vorzuziehen. das spät erst erworbne Gold: Ein Ring als Abzeichen des Ritterstandes.

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27 Manipel: Untereinheit einer Legion; die Aufstellung eines solchen in vorderster Front verlangte besondere militärische Erfahrung. »Formiert« für deducite, das gleichzeitig das »Texten« eines Verses und das Aufstellen einer Soldatentruppe bezeichnen kann, ist nur Notbehelf. 28 eine Nacht: Bei einer habgierigen Frau. 29 der Jungfrau: Der Danaë (zu 2,19[20],27). 30 Nichts ist so mächtig wie Gold: Man sagte normalerweise nihil est potentius Iove/deo (»Nichts ist so mächtig wie/mächtiger als Jupiter/Gott«; Hinweis von Gerlinde Bretzigheimer). 34 bot sie den Schoß ihm: sinus kann außer »Gewandbausch, Tasche« auch »Unterleib, Vagina« bedeuten, was im Deutschen nicht nachahmbar ist. 35 Saturnus: Der Vater Jupiters, der im Goldenen Zeitalter (Ov. Met. 1,89 ff.) der oberste Gott ist. 50 zum dritten Bezirk: Nach Erde und Meer. 51 Quirinus: Name des Romulus nach seiner Vergöttlichung. Zu Göttern erhoben wurden auch Liber (= Bacchus), Herkules und der Diktator Caesar (100–44 v. Chr.). 55 die Kurie: Der Ort der Sitzungen des römischen Senats. Das von Kenney athetierte Distichon halte ich mit McKeown für echt. 57 Campus: Das Marsfeld, auf dem (wie auch auf dem Forum) Wahlversammlungen stattfanden. 62 wie ein sabinisches Weib: Zu 1,8,39.

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eine Mutter ... eine Mutter: Aurora (zu 1,8,3 und 1,13,4) und Thetis (zu 2,17[18],18). 4 dein Name: In der Antike leitete man elegeía von e e légein (griech. »wehe, wehe sagen«) ab. 5 Tibull: Zu dem ca. 19 v. Chr. verstorbenen Elegiker vgl. Einführung S. 10. 7 der Knabe der Venus: Amor. 13 des Bruders Äneas: Beide sind Söhne der Venus. 14 Julus: Der auch Askanius genannte Sohn des Äneas. 16 ihres Jünglings: Des Adonis (Ov. Met. 10,503 ff.). 21 der Vater ... die Mutter: Apollo und die Muse Kalliope. Der Gesang

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des Orpheus verzaubert nicht nur Menschen, sondern auch Tiere und Pflanzen (Ov. Met. 10,1 ff.). Linos: Sohn des Apollo, der bei seinem Tod das Ailinon (»Wehe um Linos«) anstimmt. mit dem pierischen Nass: Dem Musenquell; Pierien am Olymp ist die Musenlandschaft. Avernus: See in Kampanien, der als Eingang in die Unterwelt galt. entfliehn: Mit McKeown lese ich effugiunt. Mühen von Troja: Der Kampf um Troja als Thema von Homers Ilias und den frühgriechischen Epen, durch die die Ilias nach vorne und hinten ergänzt wurde. Stockend Gewobenes spielt auf die Odyssee an: Penelope, die Frau des lange von zu Hause abwesenden Trojakämpfers Odysseus, hält ihre Freier dadurch hin, dass sie erklärt, sie müsse, bevor sie wieder heiratet, ihrem Schwiegervater Laërtes das Totenhemd weben, und dass sie jede Nacht auftrennt, was sie tagsüber gewoben hat. Delia ... Nemesis: In Tibulls Elegiensammlung ist Delia die Geliebte des Ich-Sprechers in 1,1–3 und 5–6, Nemesis in 2,3–6. die ägyptischen Klappern: Zu 2,13(14),11. Als Anhängerin des Isis-Kultes, der den Frauen auch Enthaltsamkeit vorschrieb, erscheint Delia in Tib. 1,3,23 ff. Die: Venus (zu 2,10[11],11). die phäakische Erde: Anspielung auf die Situation, in der sich der Ich-Sprecher in Tib. 1,3 befindet: Er liegt todkrank auf der Insel der Phäaken und fürchtet ein Begräbnis, bei dem seine Mutter und seine Schwester nicht anwesend sein können. Hier: In Rom (ebenso hierher in V. 51). Mich hielt sterbend er fest: Anspielung auf Tib. 1,1,60, wo der Sprecher sich wünscht, dass er, wenn er stirbt, Delia mit ermattender Hand halten kann. Hier behauptet Nemesis, ihre habe er gehalten. Man mag das als versteckten Hinweis auf die Fiktionalität dieser Art von Dichtung auffassen. im elysischen Tal: Zu 2,6,49. Catull: Vgl. Einführung S. 13. Wie er war Calvus (82–47 v. Chr.) Verfasser erotischer Gedichte (die in seinem Fall alle bis auf geringe Fragmente verloren sind). Gallus: Vgl. Einführung S.  13. Er starb 27/26 v. Chr. durch Selbstmord, zu dem ihn wahrscheinlich Augustus zwang.

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die Zeit des Festes der Ceres: Es begann am 12. April (Ov. Fasti 4,393 ff.). Zu den Zeremonien gehörte u. a. kultische Keuschheit. Orakelstätten: Ein berühmter Orakelbaum war die Eiche in Dodona. die Kreter: Sie galten in der Antike als notorisch verlogen. Jupiter: Er wird als Säugling auf Kreta vor seinem Vater Saturnus versteckt, damit dieser ihn nicht verschlingt, und von einer Ziege gesäugt (Ov. Fasti 5,111 ff.). die Zeugin: Die Insel Kreta (oder die Ziege Amalthea, die Jupiter gesäugt haben soll?). Jasius: Kreter, der mit Ceres Plutus, den Gott des Reichtums, zeugt. Minos: König von Kreta, als Gesetzgeber bekannt. Die Tochter: Proserpina, die, nachdem sie von Pluto, dem Gott der Unterwelt, entführt wurde, von Ceres gesucht wird (Ov. Met. 5,341 ff. und Fasti 4,417 ff.).

11 6 Hörner: Zum Gegenstoß. 29 ist mein Schiff geschmückt mit dem Kranze: Den Göttern zum Dank für die glückliche Heimkehr in den Hafen, der hier Metapher für ein Leben ohne elegische Liebe (und Dichtung) ist. 33 Ringend ziehen mein leichtes Herz...: Viele Erklärer meinen, hier beginne ein neues Gedicht. Vgl. aber Holzberg, Ovid [S. 270], 70 f. 35 Kann ich es …: Mit McKeown halte ich das Distichon für echt. 51 damit: Mit McKeown lese ich ut statt et.

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Theben und Troja und Caesars Taten: Stoffe für ein mythologisches bzw. historisches Epos, das der Ich-Sprecher statt der erotischen Elegien hätte verfassen können (zu 1,1,1); mit Caesar ist hier zweifellos Augustus gemeint. 18 Apoll: Als Dichtergott. 22 Skylla: Das Meerungeheuer (zu 2,11,[12]17 und 2,16,[17]23) wird hier

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gleichgesetzt mit der gleichnamigen Tochter des Königs Nisus von Megara. Sie schneidet ihrem Vater das magische Haar ab, das die Stärke der Stadt garantiert (Ov. Met. 8,1 ff.). Füßen … Federn ...: Anspielung auf die Flügelschuhe des Perseus und das Schlangenhaar der Medusa (zu 3,6,13). Perseus, der Nachkomme des Abas, reitet auf dem geflügelten Pferd Pegasus (auf dem allerdings normalerweise Bellerophon sitzt). Tityos: Gigant, der, weil er Latona zu vergewaltigen versucht, in der Unterwelt büßen muss. Dort liegt er über neun Klafter hingestreckt. Schlangenhund: Kerberus, der Wächter der Unterwelt, dessen drei Köpfe von Schlangen bedeckt sind. Enkeladus: Einer der Giganten (zu 2,1,11). Frauen in Doppelgestalt: Die Sirenen, Dämonen mit Vogelleib und Frauenkopf, die Seeleute durch ihren Gesang betören, so dass diese an den Klippen scheitern, auf denen die Sirenen sitzen (Hom. Od. 12,39 ff.). Äolus: Der Gott der Winde, der, um Odysseus eine sichere Heimfahrt nach Ithaka zu ermöglichen, ihm einen Schlauch mitgibt, in dem Winde eingesperrt sind (Od. 10,19 ff.). Tantalus: Zu 2,2,44. Niobe: Weil sie, stolz auf ihre vierzehn Kinder, Latona, die Mutter von nur zwei Kindern, Apollo und Diana, lästert, töten diese beiden Götter ihre Kinder, und sie wird vor Schmerz zu Stein (Ov. Met. 6,146 ff.). Jungfrau: Kallisto, die, nachdem Jupiter sie vergewaltigt hat, in eine Bärin verwandelt wird (Ov. Met. 2,401 ff.). Kekrops: Der erste König Athens, dessen Tochter Philomela hier als Cecropis ales bezeichnet wird (zu 2,6,7). Jupiter: Anspielung auf die Mythen von Leda, Danae und Europa (zu 1,3,22 und 23 sowie 2,19[20],27). Proteus: Zu 2,15(16),9. Thebens Aussaat: Kadmus sät die Zähne eines Drachens, den er tötet, und gründet mit den Helden, die aus der Saat hervorgehen, Theben (Ov. Met. 3,1 ff.). Stiere, die Glut spien: Jason (zu 1,15,21) muss in Kolchis mit feuerspeienden Stieren pflügen (Ov. Met. 7,100 ff.). Lenker des Wagens: Phaëthon, der Sohn des Sonnengottes, der den Wagen des Vaters so ungeschickt lenkt, dass Jupiter ihn töten muss.

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Aus den Tränen, die seine Schwestern, die Heliaden, deswegen weinen, entsteht Bernstein (Ov. Met. 2,1ff). 38 Göttinnen … Schiffe: Die Schiffe des Äneas werden in Meergöttinnen verwandelt (Ov. Met. 14,527 ff. nach Verg. Aen. 9,77 ff.). 39 Atreus: Er setzt seinem Bruder Thyestes dessen Kinder als Speise vor, weswegen sich die Sonne voll Grausen abwendet. 40 Kitharaklang: Anspielung auf den Mythos, demzufolge der Sänger Amphion durch sein Lyraspiel bewirkt, dass Steine sich von selbst zu den Mauern Thebens fügen.

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meine Frau: Zwar gehört coniunx zu den Wörtern, die auch für eine elegische Geliebte verwendet werden können, aber hier spricht das elegische Ich offensichtlich von seiner Ehefrau. Das geschieht nicht zufällig in einem der letzten Gedichte der Sammlung, sondern dient der impliziten Ankündigung, dass das Ende der elegischen Liebe (und der »subjektiven« elegischen Liebespoesie) des Sprechers nahe ist. Zum Beleg kann man Remedia amoris (»Heilmittel gegen die Liebe«) V. 565 f. heranziehen (Hinweis von Mario Labate): »Lebt einer ärmlich mit seiner Frau, deren Mitgift nur klein war, / denk er, zu seinem Pech komme die Frau noch hinzu«; d. h. auch hier dient die Gattin als »Heilmittel« gegen die elegische Liebe. Biographische Überlegungen dazu, welche seiner drei Frauen der reale Autor Ovid meinen könne, sind also müßig. Land der Falisker: Gemeint ist die Etruskerstadt Falerii nördlich von Rom, die 394 v. Chr. von dem römischen Diktator Camillus unterworfen wurde. 11 Tibia: Flöte, die die Griechen aulós nannten und die unserer Klarinette ähnelte. 19 Die verriet sie: Über diese Ursprungssage ist sonst nichts weiter bekannt. 28 griechischer Ahnen: Falerii galt als Gründung des Haläsus aus Argos (s. V. 31 ff.), eines unehelichen Sohnes Agamemnons. 31 Agamemnons Tötung: Zu 1,7,9.

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E R L ÄU T E RU N G E N

14 3 9 31

Zensor: Römischer Beamter, der u. a. die Einhaltung der von den Vorfahren überkommenen Sitten überwacht. Quirit: Römischer Bürger. Täfelchen: Zu 1,11,7.

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Mutter der zarten Amores: Venus, die Mutter der Eroten, aber auch (zusammen mit Amor) Inspirationsgottheit der Amores Ovids. 2 das Mal: Beim Wagenrennen muss die Bahn zwischen zwei Wendemarken (zu 3,2,12) mehrfach durchfahren werden. 3 Päligner: Vgl. Einführung S. 14 f. 5 Erbe …: Der Ich-Sprecher legt Wert auf die Feststellung, dass er Ritter aufgrund seiner Abstammung von einer langen Ahnenreihe ist, nicht ein durch Glück in den Bürgerkriegen begünstigter Emporkömmling. 7 Vergil: Zu 1,15,25. Catull: Zu 3,9,62. 10 Bundesgenossenarmee: Anspielung auf den italischen Bundesgenossenkrieg (91–88 v. Chr.), in dem Roms Hegemonie bedroht war. 15 amathusische Mutter: Venus, nach ihrem Kultort Amathus auf Zypern. 17 Bacchus: Der Weingott, der gelegentlich mit Stierhörnern dargestellt wird, ist zugleich der Gott der Tragödie. Er praktiziert hier eine Art Dichterweihe, indem er mit dem Thyrsus (zu 3,1,23) rasselt (und den Ich-Sprecher schlägt?). Der schwerere Thyrsus und die größere Bahn sind Metaphern für die Tragödie, die als Gattung »größer« ist als die zur »kleinen« Poesie gehörende Elegie (zu 2,18[19],13).

Selbstrezeption und Selbstreflexion

SELBSTREZEPTION UND SELBSTREFLEXION – D I E A M O R E S A L S G RU N D B AU S T E I N D E S OV I D I S C H E N LEBENSWERKES Das hier Auszuführende begreift sich nicht als wissenschaftliche Abhandlung, die in Anmerkungen Ross und Reiter nennt, sondern als einen Essay, der einen möglichst breiten Leserkreis anzusprechen versucht und deshalb bewusst auf den gelehrten Apparat verzichtet. Gewiss, ich weiß mich mit dem, was ich darlegen möchte, einer ganzen Reihe von Ovid-Forschern verpflichtet, vor allem meinem Innsbrucker Freund und Kollegen Martin Korenjak, der in einem kurzen, aber gehaltreichen Aufsatz den entscheidenden Anstoß gab. Außerdem rekurriere ich auf eigene Publikationen zu Ovid. Aber ich begnüge mich damit, die am intensivsten von mir studierten Arbeiten und eine aus meiner Werkstatt anhangsweise als Anregung zu vertiefter Beschäftigung mit den von mir erörterten Themen aufzulisten. Es soll darum gehen, die Amores, die trotz des seit 30 Jahren zu verzeichnenden Ovid-Booms immer noch nicht gründlich und schon gar nicht ihrer Bedeutung gemäß interpretiert worden sind – das glänzende Buch Gerlinde Bretzigheimers von 2001 bildet die Ausnahme, welche die Regel bestätigt –, als wichtigstes »Elementarteilchen« aller nach ihnen entstandenen Werke des Dichters zu würdigen und zugleich Folgendes zu zeigen: Auch wenn die Elegiensammlung als solche relativ wenig rezipiert wurde, lebt sie doch implizit durch die auf ihr aufbauenden übrigen Ovidiana als eines der ganz großen Werke der Weltliteratur fort. Allein deswegen verdienen die Amores mehr Beachtung, als man ihnen bisher geschenkt hat. Was ich über sie und die Gattung in

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der Einführung zum vorliegenden Band sage, wird für diesen Essay vorausgesetzt. Um 15 v. Chr. eröffnete Ovid die erste Elegie der Sammlung mit den drei Worten Arma gravi numero und evozierte damit Arma virumque cano, die drei berühmten Worte zu Beginn von Vergils Aeneis; dann ließ er sein poetisches Alter Ego, den poeta/amator, erzählen, wie dieser von Amor gezwungen worden sei, statt eines Epos in Hexametern erotische Gedichte in elegischen Distichen zu schreiben. Vielleicht hatte Ovid bereits damals die Absicht, sich eines Tages doch noch daran zu machen, zumindest etwas Ähnliches wie ein Epos zu produzieren: ein Werk, in dem von arma wenigstens unter anderem die Rede sein und durchgehend der gravis numerus des Hexameters als Metrum dienen werde. Warum darf man dem Dichter einen solchen Plan, der ja auf die Abfassung der Metamorphosen rund 25 Jahre später abgezielt hätte, schon zur Zeit der Genese seines Erstlingswerks zutrauen? Weil Ovid in dem Dichter der Aeneis ein Vorbild für den selbstreflexiven Aufbau eines Lebenswerkes hatte, das mit einem Epos seinen Zenit erreichte. Und weil er, wie nun zu zeigen ist, auch seine eigene poetische Karriere konstruierte, wobei er sich an derjenigen des älteren Dichters orientierte. Vergil hatte den »Bau« seines Lebenswerks in drei Stufen »errichtet«. Die erste Stufe bildeten zehn Gedichte über das Dichten und Lieben von Hirten in einer Phantasielandschaft: die Bucolica von etwa 35 v. Chr., die wegen ihres Sujets auf der untersten Ebene angesiedelt werden konnten. Etwas höher standen dann die Georgica von 29/28 v. Chr., ein Lehrgedicht über den Landbau. Denn nicht nur Vergils didaktische Pose in der Nachfolge Hesiods, des Gattungsarchegeten, sondern auch sein zwischen den Zeilen zu lesender Fürstenspiegel für Oktavian hoben das Niveau gegenüber demjenigen der Hirtenwelt. Und selbstverständlich

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hoch über den beiden anderen Werken thronte das von Königen und Schlachten kündende Epos von etwa 18 v. Chr., in dem der mittlerweile zum Prinzeps aufgestiegene und mit dem Beinamen Augustus geehrte Imperator sich in der Person des Helden Aeneas präfiguriert sehen konnte. Den Dreischritt fand Ovid in Vergils bekanntem Grabepigramm in drei Worten auf den Punkt gebracht: Dort sagt der Verstorbene am Ende, er habe von pascua rura duces gesungen. Nicht ganz so kurz, aber durchaus auch pointiert bezeichnet der jüngere Dichter in Am. 1,15 die Trias als Tityrus et fruges Aeneiaque arma (»Tityrus und Feldfrüchte und Aeneas-Waffen«). Amores als Antwort auf pascua Wie in den Bucolica geht es auch in den Amores, die Ovid auf seiner untersten Stufe platzierte, um Dichten und Lieben. Hier ist es die Persona des poeta/amator, die beides miteinander verbindet und die von den einzelnen Gedichten gebildete Sequenz als zwei synchron erzählte Geschichten von den Erfahrungen des poeta und denjenigen des amator präsentiert. Diese Doppelhandlung hat Ovid in einer Welt angesiedelt, wo das Dichten und Lieben von ganz bestimmten Gesetzen reguliert wird: von denjenigen des elegischen Systems. Es verlangt vom poeta, dass er »kleine« Poesie in der Nachfolge des Kallimachos schreibt und das Abfassen eines Werkes der »großen« Dichtung, eines Epos oder einer Tragödie, unterlässt. Und der amator soll sich einer einzigen Geliebten als Sklave unterwerfen, an die Stelle einer »bürgerlichen« Tätigkeit – z. B. des Kriegsdienstes – ausschließlich diejenige eines Liebenden setzen und bereit sein, für immer bei einer solchen Daseinsform zu bleiben. So hatten es Ovids Vorgänger in der Gattung, Gallus, Tibull und

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Properz, vorgegeben, und der poeta/amator der Amores erweckt zumindest noch in Buch 1 den Eindruck, als würde er sich im Großen und Ganzen an das elegische System halten. Genau auf dieses Buch wird Ovid dann, wie Korenjak nachgewiesen hat, in seinem Hexameter-Opus über mythische Verwandlungen strukturell und motivisch Bezug nehmen, was man schon im Titel angedeutet sehen kann: MetAMORphosES. Aber zu diesem Rekurs auf das früheste Werk kommt es erst etwa ein Vierteljahrhundert später, nachdem der Dichter aus den Amores in ihrer Gesamtheit Werke entwickelt hat, mit denen er zu der von den Metamorphosen repräsentierten dritten Stufe seiner poetischen Karriere aufgestiegen ist. Im ersten Opus auf der ersten Stufe fängt Ovid spätestens ab Buch 2 damit an, das elegische System zu dekonstruieren, indem er auf sehr amüsante Weise damit spielt. Als amator begnügt er sich nicht mehr mit der einen Geliebten, seiner Corinna, sondern bricht das für die Gattung gültige Gesetz, das ihn zur sklavischen Ergebenheit ihr gegenüber verpflichtet. Und als poeta liebäugelt er immerhin mit der »großen« Poesie und verkündet sogar am Ende der Elegiensammlung, er werde jetzt eine Tragödie dichten. Das wiederum suggeriert hier die Annahme, Ovid wende sich nach Beendigung der Amores von dem Genre ab, das er für die erste Stufe seiner Dichterlaufbahn gewählt hatte; nun werde er durch Überspringen einer mittleren Stufe gleich zu derjenigen aufsteigen, die der dritten bei Vergil entspricht, indem er eine Tragödie verfasst. Aber geschah das tatsächlich? Durch den älteren Seneca, Quintilian und Tacitus erfahren wir, von Ovid stamme eine Medea, aber folgte sie, wenn das stimmt – es sind allerdings nur zwei kleine Bruchstücke erhalten, welche wie die dem Dichter von Plinius d. Ä. fälschlich zugewiesenen Halieutica pseudo-ovidianisch sein

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könnten –, auf die Amores? Das ist eher unwahrscheinlich, da Frau Tragoedia den poeta/amator in Am. 3,1 ermahnt, er solle über facta virorum »singen«, und sich wünscht, als Romana Tragoedia durch ihn Berühmtheit zu erlangen. Um »Taten von Männern« wird es aber in einer Medea eher nicht gegangen sein. Bedenkt man außerdem, dass das von arma handelnde Epos, welches der poeta/amator ursprünglich hatte schreiben wollen, doch wohl wie die Aeneis einen römischen Stoff hätte haben sollen, könnte Romana auch im Falle der Tragödie das (potentielle) Sujet bezeichnen. Das aber wäre bei einer Medea bekanntlich ein griechisches gewesen. Also muss die Medea keineswegs unmittelbar nach den Amores entstanden sein, ja, Ovid dürfte seine Ankündigung in 3,1 und 3,15, er wolle als nächstes eine Tragödie dichten, gar nicht wahr gemacht haben. Doch welche Funktion könnte die Verheißung von etwas, das dann nicht stattfand, gehabt haben? Nun, zunächst einmal liefert die Behauptung des poeta/ amator, er werde zu einem Werk der »großen« Dichtung übergehen, einen effektvollen Abschluss der »Geschichte«, die mit dem durch Amor erzwungenen Verzicht des poeta/ amator auf Abfassung eines Werkes der großen Poesie begonnen hatte. Außerdem knüpfte Ovid damit, dass er am Ende seines Erstlingswerks etwas zum Thema »Aufstieg zur nächsten Gattung« sagte, an sein Vorbild Vergil an: Dessen Ich-Sprecher fordert die eigene Person in den letzten Versen der Bucolica dazu auf, sich zu »erheben« (Ecl. 10,75: surgamus!  – selbst ein Hirte, bastelt dieser poeta gerade im Sitzen ein Körbchen), und deutet damit das Aufsteigen zu den Georgica an. Aber meint ein Spieler wie Ovid es ernst, wenn er am Ende seines frühesten Opus implizit erklärt, dass auch er sich »erheben« werde, nämlich zur Tragödie? Dagegen spricht die Evidenz der Überlieferung seiner Werke. Wir haben nämlich eine Dichtung von ihm,

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die laut eigener Angabe Ovids in Am. 2,18(19) schon während der Entstehung der Amores mindestens in Teilstücken fertiggestellt war und die er höchstwahrscheinlich wenige Jahre nach Beendigung der Amores gleichfalls abschloss: die erste Sammlung der Epistulae Heroidum, die 15 Briefelegien vereint. Mit diesem Werk aber verblieb Ovid auf der ersten Stufe seiner Dichterkarriere. Denn er präsentierte es offenkundig als komplementäres Gegenstück zu den Amores. Noch auf Stufe 1: Die Epistulae Heroidum 1–15 als Amores aus weiblicher Sicht Gegenstück zum Erstlingswerk sind die 15 Briefelegien insofern, als wir es bei dem elegischen Ich der einzelnen Texte jedes Mal mit einer liebenden Frau zu tun haben, während wir in den Amores die Stimme eines liebenden Mannes vernehmen. Und auf der ersten Stufe seiner Dichterkarriere verblieb Ovid mit den Epistulae, weil es sich bei ihnen einerseits wie bei den Amores um erotische Gedichte handelt, die dem elegischen System verpflichtet sind – darauf ist gleich näher einzugehen –, zum anderen aus folgendem Grund: Die Gattung Elegie wurde hier mit dem Genre des literarischen Briefes gekreuzt, und einen solchen setzte die antike Literaturkritik, wenn er in Prosa verfasst war, auf die unterste Stufe der in ungebundener Sprache geschriebenen Texte. Denn der Stil eines Briefes pflegte kolloquial, also nicht allzu gehoben zu sein. Genau dieser Stil prägt auch die Epistulae des Horaz, mit denen der ältere augusteische Dichter das Genre der Versepistel begründet haben dürfte; Buch 1 erschien um 19 v. Chr., mithin nicht lange vor der ersten Sammlung der Epistulae Heroidum, die man auf etwa 10 v. Chr. datieren kann. Horaz hatte die Gattung aus

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seinen Satiren entwickelt, und diese bezeichnet er einmal als Produkt einer Musa pedestris (Sat. 2,6,17), einer »Muse zu Fuß«. Es deutet alles darauf hin, dass Ovid mit seinen Epistulae Heroidum außer an die elegische auch an diese Gattungstradition anknüpfte; eine implizite nachträgliche Bestätigung kann man darin sehen, dass er rund 20 Jahre später Tristia 2, seine elegische Epistel an Augustus, unverkennbar mit Blick auf Horazens Epistel 2,1 konzipierte, die ebenso an den Prinzeps adressiert ist. Ovid stellte sich – das ergibt sich meines Erachtens aus den bisherigen Überlegungen  – auf die erste Stufe seiner Dichterkarriere mit zwei Werken statt mit nur einem, und er wiederholte das, wie sich zeigen wird, auf der zweiten Stufe mit den Remedia amoris neben der Ars amatoria sowie auf der dritten mit den Fasti neben den Metamorphosen. Der jüngere Dichter sagt zu Vergil, dem älteren, gewissermaßen »I can too« und zugleich »I can two«, und das passt bestens zu dem Spieler, der in der epigrammatischen Vorbemerkung zu den Amores zwischen den Zeilen verraten hatte: »Ich hätte ein Buch mehr als Gallus und Properz publizieren können, aber weil ich ein braver Kallimacheer bin, begnüge ich mich mit dreien.« In der ersten Sammlung der Epistulae Heroidum  – die zweite, in der die Episteln 16–21 vereint sind, ist vermutlich ein Werk der Exilzeit – haben wir zunächst 14 Episteln, die, von je einer mythischen Heroine geschrieben, an den von ihr geliebten Mann bzw. an den Ehegatten gerichtet sind. Dann folgt eine Epistel (Nr. 15), welche die griechische Dichterin Sappho (um 600 v. Chr.) an Phaon adressiert; diesen Text halten mehrere Latinisten für das Werk eines Pseudo-Ovid, aber meines Erachtens haben diejenigen die besseren Argumente, die ihn für echt erklären. Es reden hier also nicht in Rom lebende puellae wie Corinna, welche die exakte weibliche Entsprechung zu dem poeta/

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amator der Amores gebildet hätten, sondern 14 griechische Frauen einer sagenhaften Vergangenheit und eine, die etwa ein halbes Jahrtausend vor Ovid geboren wurde. Aber wie dessen Persona im Erstlingswerk reden alle 15 Frauen elegisch und setzen mithin die elegischen »Wertbegriffe« als für ihre Auffassung von der Liebe gültig voraus. Diesmal jedoch kann Ovid die elegische »Geschichte« nicht frei gestalten wie in den Amores, da ihm die Mythen und die Vita der Sappho, welche den stofflichen Hintergrund zu den 15 Briefelegien liefern, verbindlich vorgegeben sind. So entsteht, wie erstmals Friedrich Spoth grundlegend herausgearbeitet hat, eine Spannung zwischen dem fiktionalen elegischen System und der mythischen bzw. historischen »Realität«, die den speziellen Reiz der Epistulae Heroidum ausmacht. Der Dichter nutzt sie zum einen für ein literarisches Wiedererkennungsspiel – der Leser soll z. B. die Worte der bei Ovid elegisch sprechenden Königin Dido (Epist. 7) mit dem vergleichen, was Vergil in der Aeneis über sie berichtet  –, zum anderen erneut für die Präsentation von sexualpsychologisch interessanten »Fällen«: Er »modernisiert«, indem er die mythischen Frauen und Sappho immerhin durch seine Charakterisierung als puellae seiner Zeit darstellt, und seine indirekte Porträtierung 15 verschiedener puellae gestaltet er zu 15 verschiedenen Psychogrammen aus. In den Amores hatte Ovid den Schwerpunkt seiner Sexualpsychologie auf die indirekte Charakterisierung des poeta/amator im Zusammenhang mit dessen vielfältigen erotischen Erfahrungen gelegt, während man über Denken und Fühlen Corinnas und der anderen puellae wenig erfuhr. Wenn Ovid jetzt Frauenporträts in die Gattung Elegie einbringt, schafft er gewissermaßen eine nachträgliche Ergänzung zu seinen früher im Rahmen des Genres verfassten Gedichten, ja schließt geradezu eine durch die Amores offen gelassene Lücke.

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Gemeinsam haben die Epistulae mit mehreren der vom poeta/amator gesprochenen Elegien die Situation der Trennung von dem jeweils geliebten Menschen im Moment des Redens bzw. Schreibens: Ovids Persona in den Amores kann z. B. als amator exclusus reden oder seine Worte an die anderswo weilende Geliebte richten, und die 15 puellae der Epistulae sind alle mehr oder weniger weit von ihren Adressaten entfernt; in einigen Fällen liegt ein Meer zwischen ihnen. Auch hier strebt Ovid größtmögliche Variationsbreite an, stellt uns also diverse Typen von »puellae exclusae« vor. Um exemplarisch einen Text zu nennen, der das Spielerische dieser Motivabwandlung besonders deutlich zeigt: Phädra liebt ihren Stiefsohn Hippolytus und ist deshalb zumindest im übertragenen Sinne sehr weit von ihm entfernt. Denn das erotische Verhältnis, das sie sich wünscht, wurde in der griechisch-römischen Antike als inzestuös verurteilt, und zudem hat der Stiefsohn sich dem Dienst an Diana und somit einem Keuschheitsideal verschrieben. Doch er und die Stiefmutter sind örtlich einander mehr als nahe, da sie im Hause des (abwesenden) Vaters bzw. Ehemanns Theseus wohnen. Die somit für Phädra existierende Spannung zwischen Ferne und Nähe nutzt Ovid unter anderem dazu, dass er die Frau dem von ihr geliebten Mann in der Briefelegie einen wichtigen Hinweis geben lässt (4,141 f.): non tibi per tenebras duri reseranda mariti ianua, non custos decipiendus erit. (Du musst nicht im Dunkeln entriegeln die Tür eines harten Ehemannes, auch musst täuschen den Wächter du nicht.)

Wer die Amores und die Elegien des Tibull und Properz kennt, weiß, dass ein amator es normalerweise nicht so leicht hat. Wie Ovid in Amores und Epistulae Heroidum mit dem

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Motiv »amator exclusus« spielt, so auch mit dem des servitium amoris. In Am. 1,6 nimmt der poeta/amator diese Metapher beim Wort, indem er als »Sklave« gewissermaßen solidarisch zu dem echten Sklaven spricht, der die Tür der puella bewacht, und in Epist. 3 gehört das elegische Ich wirklich dem Sklavenstand an: Es ist die Brisëis der Ilias, die Achill bei einem Kriegszug gefangen genommen und zu seiner Magd und Geliebten gemacht hat. Sie wurde von dem Helden getrennt, weil er sie gezwungenermaßen an den Heerführer Agamemnon abgetreten hat. Und weil er deswegen den Griechen zürnt, bleibt er dem Kampf um Troja jetzt fern und sitzt untätig bei den Schiffen seiner Myrmidonen, wobei er Lieder zur Lyra singt. Mit einem solchen Verhalten würde er an sich dem Typus des poeta/ amator gleichen, der sich der Muße ebenso wie der Muse hingibt und echte militia dezidiert ablehnt. Freilich kann Achills Alternative zu echter militia ohne Brisëis keine militia amoris sein. Doch diese könnte der Held mit Brisëis erneuern, falls er das mittlerweile an ihn ergangene Angebot akzeptiert, die Sklavin unter der Bedingung zurück zu bekommen, dass er wieder im Trojanischen Krieg mitkämpft. Da er das Angebot aber bisher ausgeschlagen hat, entsteht die paradoxe Situation, dass die Frau, die den Helden elegisch liebt, ihm ausdrücklich »make war« zuruft. Paradoxien wie diese finden sich schon in den Amores mehrfach, z. B. in Am. 2,19, wo der »ich« Sagende den Mann seiner puella bittet, sie streng zu bewachen und die Tür fest zu verriegeln, weil es nur unter einer solchen Voraussetzung reizvoll sei, sich um ein Verhältnis mit der puella zu bemühen. Nun noch zu Epist. 15, dem Sappho-Brief! Er wurde von Ovid offensichtlich aus guten Gründen exponiert an das Ende der ersten Sammlung seiner Epistulae Heroidum gestellt. Denn zum einen spannt sich so ein Bogen von Penelope, die den ersten Brief in mythischer Vorzeit schreibt, zur

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historischen Zeit, in der die Dichterin lebte; dadurch ist zu der »Geschichte«, welche die Amores erzählen, eine gewisse Analogie geschaffen, und als »Geschichten« hat Ovid, wie wir sehen werden, auch die auf Amores und Epistulae Heroidum folgenden Werke konzipiert. Zum anderen kann man in Sappho als einer poetria/amatrix die genaue weibliche Entsprechung zu dem poeta/amator erkennen. Wie dieser redet sie zu Beginn ihrer Epistel davon, dass sie von einer Gattung in eine andere überwechseln musste: Aus Liebe wurde die Lyrikerin zur Elegikerin. Als solche berichtet sie von den Erfahrungen während ihrer erotischen Beziehung zu dem jetzt von ihr getrennten Phaon und gelangt dabei bis zu dem Punkt, an dem sie eine im Traum nachvollzogene Liebesvereinigung mit dem jungen Mann schildert. Das bricht sie mit folgenden Worten ab (133 f.): ulteriora pudet narrare, sed omnia fiunt et iuvat, et siccae non licet esse mihi. (Was noch kommt zu erzählen, schäm ich mich, aber wir machen alles; geil ist’s, und feucht werden, ich muss es dabei.)

Wie Ovids poeta/amator in dem Impotenz-Gedicht 3,7, der viertletzten erotischen Elegie in den Amores, die für die Gattung nicht überschreitbare Grenze zu unverhüllter Obszönität immerhin antastet, so hier auch Sappho in der letzten Elegie der ersten Epistulae-Sammlung. Doch dann fährt sie mit ihrer elegischen Erzählung fort, verkündet ihre Bereitschaft zum Sprung vom Leukadischen Felsen und beendet ihr Schreiben mit beschwörenden Worten an den Geliebten. Insgesamt kann man in dem immerhin 220 Verse umfassenden Gedicht die Konturen eines »Liebesromans« entdecken, der demjenigen der Amores teils ähnelt, teils signifikante Unterschiede dazu aufweist, aber auch durch den Kontrast die erotischen Erfahrungen des poeta/amator prä-

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sent hält. Innerhalb der Epistulae Heroidum scheint mir der Sappho-Brief als Dokument der Selbstrezeption den Amores am nächsten zu stehen. Auf jeden Fall sind poeta/amator und poetria/amatrix einander ähnlich, und damit knüpft Ovid an Catull an: Dessen Ich-Sprecher versetzt sich in Gedicht 51 sogar in die Situation der in dem Sappho-Gedicht 31 redenden Persona der Dichterin, indem er das griechische Gedicht, soweit wir es kennen, nahezu wörtlich auf Lateinisch wiedergibt. Stufe 2: Liebeskunst und Liebestherapie statt Landbau Wie bereits angedeutet, platzierte Ovid seine beiden nach den ersten 15 Epistulae Heroidum entstandenen Werke, die erotischen Lehrgedichte Ars amatoria und Remedia amoris, welche in die Jahre zwischen 1 v. und 4 n. Chr. zu datieren sind, auf der zweiten Stufe seiner poetischen Karriere neben Vergils Lehrgedicht Georgica. Die Analogie zeigt sich allein schon daran, dass die beiden ovidischen Werke wie dasjenige Vergils zusammen vier Bücher umfassen. Ovid hatte vor seiner didaktischen Tetralogie die Medicamina faciei femineae (»Schönheitsmittel für Frauen«) geschrieben, aber diese (vermutlich nicht sehr umfangreiche) Dichtung bildete, soweit man das aus den uns allein überlieferten ersten 100 Versen erschließen kann, offenbar nur ein Präludium zu Ars und Remedia. Das Fragment steht auch in keiner auffallenden Verbindung zu den Amores, während die Ars gleich zu Beginn eine solche herstellt: Hatte Amor in Elegie 1 des Erstlingswerks dem poeta/amator seinen Willen aufgezwungen, so erklärt jetzt der »ich« Sagende der Ars im Prolog zu dem Werk, er sei Amors Lehrer und werde ihn, auch wenn er noch so wild sei, zum Nachgeben bringen. Im lateinischen Text nennt er sich des-

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wegen praeceptor Amoris, und da die Römer nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden, verstanden sie außer »Lehrer Amors« auch »Lehrer der Liebe«. Die Rolle des Letzteren zu spielen ist Ovids eigentliche Funktion in der Ars, und zwar über drei Bücher hin; von ihnen richten das erste und zweite sich an junge Männer und das dritte an puellae. In den Remedia dagegen agiert Ovid als Therapeut unglücklich liebender junger Männer und Frauen. Wieder treten dort zu Anfang der Ich-Sprecher und der Liebesgott einander gegenüber, so dass erneut die Amores als Prätext aufgerufen werden. Diesmal argwöhnt Amor, nachdem er den Titel Remedia amoris gelesen hat, der poeta wolle ihn bekriegen, also wie er, der laut Am. 1,1 den poeta mit seinem Pfeil traf, gewalttätig sein und so seine Abkehr von der Liebe bekunden, zu der ihn Amor einst zwang. Doch der poeta versichert ihm, er liebe nach wie vor selbst, verrate weder den Gott noch die »Liebeskunst« und wolle als Therapeut lediglich Menschen unterweisen, die so sehr an der Liebe leiden, dass sie, wenn sie nicht von ihrer Leidenschaft befreit werden, Selbstmord begehen. In der Ars geriert sich der praeceptor amoris als in der Liebe schon längere Zeit erfahrener Mann, der Fehler gemacht hat und nun zeigen möchte, wie man sie durch ars vermeiden könne. Die »Präzedenzfälle« sind z.T. unglückliche Situationen, in denen der Dichter sich als Persona der Amores befand; so evoziert etwa Ars 2,551 f. die Szene in Am. 2,5, in welcher der poeta/amator mit ansehen muss, wie die puella Küsse mit seinem Rivalen tauscht. Doch zum elegischen Diskurs gehört es von Haus aus eigentlich nicht, dass ars einem amator, der keinen Erfolg bei der Geliebten hat, dazu verhilft. Denn es ist ja gerade die Vergeblichkeit erotischen Bemühens und das Klagen darüber, das in der Amores-Dichtung die »Handlung« in Bewegung hält; d. h. der

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Misserfolg konstituiert die »Geschichte« der Erlebnisse des amator mit der puella. Mithin muss das Anwenden der Lehren des praeceptor amoris zur Befreiung von elegischer Liebe und zugleich zur Demontage der Gattung führen. So wird denn auch als »Lernziel« sowohl des Kurses für die jungen Männer als auch desjenigen für die puellae die glückliche Vereinigung mit der Partnerin bzw. dem Partner im Bett erreicht. Wenn davon am Ende der Bücher 2 und 3 ausgiebig die Rede ist, hat der Schüler bzw. die Schülerin des praeceptor amoris eine Reihe von Lektionen absolviert sowie eine »Handlung« zum Abschluss gebracht. Denn die Lektionen sind so angeordnet, dass sie, linear gelesen, einzelne Stadien einer Love Story vom Suchen nach der richtigen Partnerin bzw. dem richtigen Partner über die Werbung, den Anfang der Beziehung und das Auf und Ab des erotischen Miteinander bis zum Finale im Schlafzimmer nachzeichnen. Wir haben somit wie in den Amores einen »Liebesroman« vor uns, wobei hier wie dort keine Chronologie vorliegt, sondern einfach das Grobraster eines linearen Geschehensverlaufes. Eine der größten Diskrepanzen zwischen der Elegiensammlung und dem Lehrgedicht besteht zwischen dem Finale der ersteren auf der einen und den gerade von mir angesprochenen Finalia der Bücher 1 und 2 in der Ars auf der anderen Seite. Im letzten Liebesgedicht der Amores, 3,14, redet der poeta/amator sehr bildhaft davon, wie die puella ihn mit einem anderen Mann im Bett betrügt, und in 3,15, dem Epilog der Sammlung, ist es für ihn mit der elegischen Liebe und der Gattung vorbei, ohne dass er noch einmal Liebesfreuden genossen hat. Dem amator der Ars dagegen wird vom praeceptor amoris am Ende von Buch 2 dargelegt, wie er synchron mit der puella zum Orgasmus gelangen kann, und am Ende von Buch 3 erfährt er, dass jede nur eine ihrem Typ entsprechende Stellung beim Koitus einnehmen sollte, woraus er schließen darf, dass er,

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wenn er viele Positionen »studieren« möchte, mit vielen Frauen schlafen muss. Es findet somit zweimal das Happy End statt, das die Amores ebenso wenig kennen wie die Elegiensammlungen des Tibull und Properz. Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Ars amatoria, in der es um »erlernbare« erotische Erfolge geht, weit häufiger im Mittelalter und in der Neuzeit rezipiert wurde als die Amores, deren Grundthema elegisches Liebesleid ist und deren Autor zudem auf höchst subtile Art mit diesem Thema spielt. Da die Amores aber in der Ars noch stärker als in den Epistulae Heroidum intertextuell ständig präsent sind, lebten sie immerhin indirekt zusammen mit der Ars fort – und gleichfalls mit den Remedia. Wenn Ovid hier in der Rolle des Elegikers über Möglichkeiten der Liebestherapie doziert, gibt er zu verstehen, dass er sich endgültig von der »Grammatik« der Amores-Dichtung verabschiedet. Freilich präsentiert sich der Abschied dem kundigen Leser ausgesprochen heiter, da die in den Remedia amoris angebotenen Heilmethoden meist vorschreiben, dass der Schüler genau das Gegenteil von dem tut, was die Gattung von dem elegisch Liebenden erwartet. Das beginnt mit der Anweisung zur Vermeidung von Nichtstun z. B. dadurch, dass der amator Soldat wird – in den Amores ist er das aber allein im Bereich der Liebe (1,9: Militat omnis amans …) –, und gipfelt in der Behauptung, der »Patient« werde gesund sein, wenn er seinem Rivalen Küsse geben könne. Besonders krass sehen wir in Remedia 411 ff. den Kontrast zu einer im Erstlingswerk geschilderten Situation hergestellt, der Siestaszene in Am. 1,5. Dort vergegenwärtigt der poeta/amator sich, wie er die nackte Corinna im Dämmerlicht eines Zimmers mit halbgeschlossenem Fenster von oben bis unten betrachtet hat, um anschließend mit ihr zu schlafen; er beginnt den Bericht über sein »voyeuristisches« Erlebnis so (17 f.):

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ut stetit ante oculos posito velamine nostros, in toto nusquam corpore menda fuit. (Als nun hüllenlos vor meinen Augen sie dastand, war an dem ganzen Leib nirgends ein Makel zu sehn.)

Der für remedia amoris zuständige Sexualtherapeut rät dem Schüler, der von seiner Liebe zu einer puella befreit werden möchte, zunächst dasselbe zu tun wie der poeta/amator in Am. 1,5: sie vor dem Koitus ohne ihre Kleider anzuschauen. Aber er soll zuvor die Fenster weit öffnen, um die »abstoßenden Körperteile« deutlich sichtbar zu machen. Diese »Leibesvisitation« wird als Heilmittel gegen die Liebe freilich erst dann richtig wirken, wenn der »Patient« mit der puella geschlafen hat sowie durch den Orgasmus von seinem sexuellen Drang befreit, ja nunmehr mit Abscheu vor jedem physischen Kontakt erfüllt ist. Und nun soll er nochmals alles in Augenschein nehmen (417 f.): tunc animo signa, quaecumque in corpore menda est, luminaque in vitiis illius usque tene. (Dann vermerk, was an Makeln an ihrem Körper du findest, und lass jetzt permanent ruhn auf den Mängeln den Blick.)

Es liegt auf der Hand, dass der sarkastische Witz dieser Textpassage erst dann richtig gewürdigt werden kann, wenn man sie vor dem Hintergrund von Am. 1,5 liest; allein schon die verbalen Übereinstimmungen zwischen beiden Texten – die ausgewählten Zitate enthalten nur zwei – empfehlen die vergleichende Lektüre.

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Stufe 3a: Amores in den Metamorphosen Die um 8 n. Chr. oder vielleicht erst in Tomi vollendeten Metamorphosen werden durch ein Proömium eröffnet, das wie die epigrammatische Vorrede am Anfang der Amores aus nicht mehr als vier Versen besteht. Während die Kürze des Textes zu einem Werk der »kleinen« Poesie gut passt, erscheint sie für ein 15 Bücher umfassendes HexameterOpus ungewöhnlich. Offenbar wollte Ovid unter anderem wieder einmal an sein Erstlingswerk erinnern, und diesen Eindruck bestätigt V.  2, in dem sich  – zumindest implizit  – zum zweiten Mal der Übergang von einer Gattung in eine andere vollzieht: Hatte der Dichter der Amores sich in 1,1 vom Epiker in einen Elegiker verwandeln lassen, so wird das jetzt gewissermaßen rückgängig gemacht. Met. 1,2 corpora; di coeptis (nam vos mutastis et illa) ist so gebaut, dass, wer nach den Remedia amoris von Ovid ein weiteres Werk in elegischen Distichen erwartet, bis zu dem Wort nam annehmen kann, einen Pentameter vor sich zu haben. Doch vos mit dem langen o, das di aufgreift, signalisiert, dass der Vers nur als Hexameter enden kann, und so haben die Unsterblichen bewirkt, dass der Dichter weiter Hexameter schreiben muss. Er sagt in V. 2 ja auch, sein »Beginnen« (coepta) sei von den Göttern verwandelt worden. So sind die Amores, in deren erstem Gedicht Amor als »Verwandler« auftritt, in den ersten Versen der Metamorphosen erkennbar gegenwärtig, und das gilt auch für den Schluss des Hexameter-Opus: Der Epilog (15,871–879), in dem der poeta seinem Werk ewigen Nachruhm verheißt, erinnert, wie erstmals Martin Korenjak gebührend hervorgehoben hat, bis in den Wortlaut hinein an den Epilog zu Buch 1 des frühesten Opus, wo der poeta/amator diesem prophezeit, dass es ihn überleben werde. Unter den rund 250 Verwandlungsmythen, die Ovid in

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den Metamorphosen erzählt, befinden sich auch zahlreiche Erotika. Die erste Geschichte solcher Art, die von Apollos vergeblichem Werben um Daphne handelt (1,452–567), bildet, da sie auf eine Art Vorgeschichte folgt – diese beinhaltet Kosmogonie, Weltzeitaltermythos, Gigantomachie, Große Flut und Regeneration der Erde danach (1,1–451) –, die eigentliche Eröffnung des Mutationsreigens. Deshalb ist es bemerkenswert, dass Ovid hier erneut Amores 1,1 evoziert. Auch in dem Hexameter-Text wird ein junger Mann von Amor dazu gebracht, etwas anderes zu tun, als was er vorher getan hat: Apollo, der zwar kein Dichter, aber (unter anderem) der Dichtergott ist. Unmittelbar vor Beginn der Daphne-Geschichte agiert er noch als »epischer« Held, da er mit seinen Pfeilen die Pythonschlange tötet. Als er danach voll Stolz auf seine Leistung den Knaben Amor verspottet, weil dieser »tapfere Waffen« trage, die nur zu den Schultern des Drachentöters passen würden, trifft der Liebesgott ihn mit einem Pfeil und verwandelt so den »epischen« Helden in einen amator – und zwar in einen elegischen, da Daphne, die er von nun an liebt, vor ihm davonläuft. Wieder klingt die Metamorphosen-Stelle wörtlich an den Amores-Text an, besonders deutlich in 1,456, wo Apollo vor Amors Pfeilschuss sagt: ‘quid’que ‘tibi, lascive puer, cum fortibus armis …?’ (»Was, du lockerer Knabe, willst du mit tapferen Waffen?«)

Denn damit »zitiert« er die empörte Frage des poeta/amator nach dessen Mutation von einem Epiker in einen Elegiker (Am. 1,1,5): quis tibi, saeve puer, dedit hoc in carmina iuris …? (Wer gab, grimmiger Knabe, dir Jurisdiktion über Verse …?)

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Und in seiner an Daphne gerichteten Werberede klagt Apollo (Met. 1,519 f.): ‘certa quidem nostra est, nostra tamen una sagitta certior, in vacuo quae vulnera pectore fecit.’ (›Sicher trifft mein Pfeil, doch sicherer noch als der meine einer, der mir Wunden im Herzen schlug, das noch frei war.‹)

Das spielt auf Am. 1,1,25 f. an: me miserum! certas habuit puer ille sagittas: uror, et in vacuo pectore regnat Amor. (Weh mir! Sichere Pfeile hatte der Knabe: Ich brenne, und mein Herz, das bisher frei war, beherrscht jetzt der Gott.)

Die Werberede Apollos, in der diese Worte fallen, hat dieselbe Funktion wie in elegischer Poesie das Paraklausithyron des amator exclusus, mit dem sie auch die Vergeblichkeit gemeinsam hat. Aber hier wirbt der amator, während er der vor ihm davonlaufenden puella hinterherläuft, und das macht ihn zur komischen Figur. Die Szene ist vor allem durch die Skulptur des jungen Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) weltberühmt geworden, und man sollte bedenken, dass das Kunstwerk zugleich mit Met. 1,452 ff. die Elegie Am. 1,1 aufrufen kann, ob das seinem Schöpfer bewusst war oder nicht. Jedenfalls stellt er selbst »doppelte Intertextualität« her – die Literaturwissenschaft nennt das eine »window reference« –, indem er nicht nur Met. 1,452 ff. abbildet, sondern auch seinen Apollo eine Körperhaltung einnehmen lässt, die an diejenige des Apollo von Belvedere erinnert: Dadurch »verwandelt« er höchst amüsant den so erhabenen Gott der älteren Statue in einen Sprinter. Die elegischen Züge der Geschichte von Apollo und Daphne in Ovids Version verleihen ihr programmatischen

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Charakter. Denn mit allen Erotika, die in den Metamorphosen darauf folgen, evoziert der Dichter in irgendeiner Weise das elegische System. Weil er mit den einzelnen Motiven auch stets spielerisch umgeht, weshalb sogar Liebesgeschichten, die auf den ersten Blick tragisch scheinen, dem Leser zumindest ein Schmunzeln entlocken können, sind es eher die Amores als die Elegien des Tibull und Properz, die den Bezugsrahmen liefern. Um das an wenigstens drei Verwandlungsmythen exemplarisch zu demonstrieren, habe ich zunächst zwei sehr bekannte Geschichten gewählt, in denen Ovid erneut das Motiv »Klage des amator exclusus« abwandelt, und dann eine nicht ganz so prominente, die aber wegen ihrer Platzierung im Werk eine wichtige Bedeutung hat. »Narcissus und Echo« (3,339–510), die erste der drei Geschichten, heute noch durch das Adjektiv »narzisstisch« in Konturen sogar Menschen bekannt, die nie von Ovid gehört haben, enthält den Monolog des in sich selbst verliebten Jünglings an der Quelle, in der er sein Spiegelbild erblickt. Wie hier der amator beklagt, dass ihn vom Objekt seiner Liebe kein Meer, kein Gebirge und keine Mauer mit verschlossenen Toren, sondern nur ein wenig Wasser trennt (V. 448–450), so kann ein von der puella ausgesperrter Liebhaber darüber jammern, dass sich zwischen ihm und ihr nur eine Tür befindet. Dieser und Narcissus »vergehen« vor Sehnsucht, wie man es metaphorisch ausdrücken kann, und dem in sich selbst vernarrten Jüngling geschieht das ganz konkret: attenuatus amore liquitur (V.  489 f.), »von Liebe dünn gemacht, schwindet er dahin«, bis er ganz und gar verschwunden ist. Ovid nimmt somit die Metapher beim Wort, aber nicht zum ersten Mal: In Am. 1,6, wo er in der Rolle des amator exclusus zu dem Türsklaven der puella spricht, bittet er diesen, die Tür lediglich einen kleinen Spalt zu öffnen, damit er seitlich hineinschlüpfen könne;

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das sei möglich, weil longus amor seinen Körper für eine solche Funktion dünn gemacht (V.  5: tenuavit) und ihm durch Reduzierung seines Gewichts geschmeidige Glieder gegeben habe (V.  3 f.). Diese Stelle sollte bei der Lektüre der Narcissus-Geschichte unbedingt »mitlesen«, wer in den Metamorphosen nach Tiefsinn schürft – klassische Philologen, namentlich deutsche, neigen dazu  –, um sich in Erinnerung zu rufen, dass Ovid sich selbst auf der von ihm gewünschten Grabinschrift ganz einfach als tenerorum lusor amorum (»spielfreudiger Dichter von Geschichten über zarte Liebe«) bezeichnet (Trist. 3,3,73 und 4,10,1). In der anderen Geschichte, »Pyramus und Thisbe«, die das Motiv »Klage des amator exclusus« variiert (4,55–166), ist es auf höchst raffinierte Weise »verdoppelt«. Die beiden Liebenden wohnen Haus an Haus, wollen heiraten, aber die Väter verbieten es. Durch Liebe werden sie nun insofern erfinderisch, als sie in der gemeinsamen Wand beider Häuser einen feinen Riss entdecken und durch ihn hindurch ihr Liebesgeflüster hin und her gehen lassen. Wir haben also auf jeder Seite der »Tür« einen amator exclusus, und wie sonst in einem »echten« Paraklausithyron die Tür apostrophiert, beschimpft und angefleht wird, geschieht das hier von beiden Seiten mit der Wand. Auch in diesem Text wirkt Am. 1,6 nach: Die Liebenden beschwören die Wand, es würde ihr doch nicht viel ausmachen zu gestatten, dass die zwei sich mit dem ganzen Körper vereinen, oder, wenn das zu viel des Guten sei, solle sie sich wenigstens für Küsse weit genug öffnen. Die Geschichte, die auch im weiteren Verlauf vom »Sie-konnten-zusammen-nicht-kommen« berichtet und somit bis zum Ende elegisch eingefärbt ist, wurde durch Shakespeares Fassung, der »Rüpelkomödie« in A Midsummer Night’s Dream, sehr berühmt – und vielleicht noch berühmter dadurch, dass die Beatles sie in einer TVSendung von 1964 (heute auf YouTube leicht zugänglich) in

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Szene setzen, McCartney als Pyramus, Lennon als Thisbe, Starr als Löwe und Harrison als Man in the Moon. Wenn z. B. Pyramus McCartney, nachdem er sich erstochen hat, gut-Liverpoolisch sagt: »I’m c[u]ver’d with bl[u]d«, erinnert das sehr effektvoll an die Komik des ovidischen Originals, die wiederum bei aller Tragik nicht ignoriert werden sollte. Schon deswegen nicht, weil auch von den Amores ein direkter Weg zu dem spoof der Beatles führt, speziell zu der von ihnen besonders witzig dargebotenen Szene mit »O wicked wall«. Es ist sicher kein Zufall, dass das Motiv des amator exclusus in der letzten Liebesgeschichte der Metamorphosen, »Vertumnus und Pomona« (14,622–771), gleich zweimal auftaucht. Zunächst erscheint die Tür, hinter der sich die puella verschließt, abgewandelt zu dem Zaun oder der Mauer – was es ist, erfahren wir nicht –, mit der Pomona Männer aus ihrem Garten aussperrt. Vertumnus, der zu jeder Metamorphose fähige Gott, der die Nymphe liebt, hat offenbar in der Ars amatoria gelesen, dass ein amator Erfolg haben könne, wenn er sich als Verwandlungskünstler betätigt (1,755–770), und so bemüht er sich in allerlei Gestalten, zu der puella vorzudringen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelingt es ihm als alte Frau, die Pomona eine Geschichte erzählt, um sie von ihrer Liebesverweigerung abzubringen. Als ihm auch das nicht zum Erreichen seines Ziels verholfen hat, kehrt er zu seiner strahlend schönen Jünglingsgestalt zurück und bewirkt allein dadurch, dass Pomona in dem Moment, als er sie vergewaltigen will, ganz überraschend seine Liebe erwidert. Man ist verblüfft, wie »unelegisch« die letzte Love Story des Hexameter-Opus endet, sozusagen nach dem Motto »Friede, Freude, Eierkuchen«. Einen Hinweis darauf, warum Ovid diesmal ein Happy End gewählt hat, gibt vielleicht die Geschichte des in Ge-

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stalt einer alten Frau redenden Vertumnus (14,698–764). Darin geht es um einen Iphis, dem sich eine Anaxarete verweigert und der sich deshalb an ihrer Tür, deren Pfosten er oft als amator exclusus mit Kränzen geschmückt hat, erhängt – hier haben wir die zweite, nunmehr »echte« Tür in der Pomona-Geschichte –, sowie um die anschließende Transformation der hartherzigen puella zu Stein. Man muss wohl bedenken, dass die Pomona-Geschichte auf dem Boden Italiens angesiedelt ist, dem die pax Augusta (»augusteischer Frieden«) ein neues »Goldenes Zeitalter« bescheren wird, so dass der praeceptor amoris dann ausrufen kann (Ars 3,121 f.): prisca iuvent alios, ego me nunc denique natum gratulor: haec aetas moribus apta meis (Möge das Alte andre erfreun; da ich jetzt erst zur Welt kam, preis ich mich glücklich: Es passt diese Epoche zu mir),

weil, wie er fortfährt, jetzt feine Lebensart (cultus) herrsche. Dazu gehört – das lehrt er ja seine Schüler und Schülerinnen – die Überwindung elegischer Liebe durch kultivierte Erotik, wie sie sich am Ende der Pomona-Geschichte in der positiven Reaktion der Nymphe auf den Sexappeal des Gottes manifestiert. So betrachtet wirkt das Iphis-Exempel mit seiner Einbindung in das »alte« elegische System als Negativfolie für »moderne« Liebe. Im Proöm zu den Metamorphosen bittet der Dichter die Götter, sein Werk vom Ursprung der Welt bis in seine Zeit zu führen, ad mea tempora (1,4). Mit Tempora beginnt er seine wieder in elegischen Distichen geschriebenen Fasti, die um 8 n. Chr. synchron mit dem Hexameter-Epos entstanden sein dürften (und mit Sicherheit in der vorliegenden Form erst in Tomi zum Abschluss kamen). Nun wurden in der Antike literarische Werke außer nach ihrem Titel

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nach ihrem ersten Wort zitiert (weshalb man denn auch mit Arma sowohl die Aeneis als auch die Amores meinen konnte), und folglich kann man aus dem Proöm zu den Metamorphosen herauslesen, der Dichter habe das Opus bis zum Anfang der Fasti geführt und diese als Fortsetzung verfasst. Im Bereich der Thematik trifft das auch zu. Denn als Sammlungen von Mythen ergänzen sich die beiden Werke: Die überwiegend griechische Sagen enthaltenden Metamorphosen bieten nur jeweils am Ende der beiden letzten Bücher einige Mythen, welche die Frühgeschichte Roms widerspiegeln (14,772–851; 15,479–621), während sich in den Fasti mehrere römische Sagen finden, bei denen es sich größtenteils um Bearbeitungen von Einzelerzählungen des T. Livius aus der ersten Pentade seines Geschichtswerks Ab urbe condita (»Von der Gründung der Stadt an«) handelt. Beide Werke sind auch darin miteinander verwandt, dass man sie als aitiologische Kollektivgedichte bezeichnen kann, weil sie Aitien (»Ursprungssagen«) aneinanderreihen. Deshalb darf man davon ausgehen, dass Ovid die in Hexametern gedichteten Metamorphosen zusammen mit den elegischen Fasti als Entsprechung zur Aeneis, also als Repräsentanten der dritten Stufe seiner dichterischen Karriere gesehen wissen wollte. Stufe 3b: Die Fasti zwischen elegischem und augusteischem Diskurs In den Fasti spricht Ovid wie in den Medicamina faciei femineae, der Ars amatoria und den Remedia amoris in der fingierten Rolle eines Sachverständigen, und diesmal kommentiert er den römischen Kalender: Von Tag zu Tag fortschreitend, erklärt er abwechselnd die mit den Festtagen verbundenen kultischen Traditionen und die im Lauf des

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Jahres am Himmel zu beobachtenden Sternzeichen aitiologisch. Dabei erhält er, wie gesagt, oft Gelegenheit, altrömische Mythen zu erzählen, aber sein Alter Ego muss sich auch immer wieder zu politischen Ereignissen äußern, die in seine Lebenszeit fallen. Denn seit der Machtübernahme durch Augustus gedachte man an mehreren Festtagen der Taten des Prinzeps und seiner Familie. In der Vorrede an Augustus’ (Adoptiv-)Enkel Germanicus kündigt der Kalendererklärer die Erörterung von Kaisergedenktagen ausdrücklich an, aber zugleich den Verzicht auf das Singen von Caesaris arma (»Waffen Caesars«; 1,13 f.). Dadurch macht Ovid deutlich, seine Persona wolle in dem neuen elegischen Werk die spielerische Distanzierung von der Welt der militia, wie sie für den Ich-Sprecher der Amores typisch ist, fortsetzen. Das geschieht auch, und so entsteht eine Spannung zwischen elegischem und augusteischem Diskurs, die zu einem literarischen lusus nicht immer passen will. Offenbar fürchtete Ovid, dass er die beiden Welten in dem Moment, wo er zur aitiologischen Erklärung der beiden »julianischen« Monate Juli und August übergehen müsse, nur unter noch größeren Schwierigkeiten als bisher werde miteinander kombinieren können. Denn er beendete das Werk nach dem Ende seiner Ausführungen über den Juni. Dass er es nicht unfreiwillig, sondern in voller Absicht, ja selbstreflexiv als Torso hinterließ, darf man aus der Tatsache schließen, dass die letzten Abschnitte von Buch 6 unverkennbar »the sense of an ending« verraten. Ein gutes Exempel für das nicht so ganz befriedigend ausgeglichene Nebeneinander von amores und arma liefert Ovids Umgang mit der Person des Mars, des von den Römern besonders hoch verehrten Kriegsgottes. Einen für ihn als Mars Ultor (»Rächer Mars«) gestifteten Tempel weihte Augustus zusammen mit seinem Forum im Jahre 2 v. Chr. ein, und Ovid widmet der Aitiologie und Beschreibung des

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Bauwerks, das als eines der wichtigsten Symbole der Prinzipatsideologie gelten darf, einen relativ langen Abschnitt in Buch 5 (V. 545–598); hier zitiert er die trutzigen Worte des jungen Oktavian, mit denen dieser, als er die Errichtung des Tempels 42 v. Chr. gelobte, den Kriegsgott um Hilfe bei der Rache an den Caesar-Mördern gebeten haben soll (5,573–577). Dem Mars der blutigen militia wird nun in Buch 3 ein Mars der militia amoris gegenübergestellt. Es ist das Buch über den Monat März, den die Römer nach dem Kriegsgott benannt haben, und darin liest man mehr Geschichten über amores als über arma, ja begegnet sogar Mars zweimal als einem amator. Zu Beginn des Buches bittet der Kalendererklärer den Gott sozusagen programmatisch, zu ihm zu kommen – er will ihn als Sachverständigen zur Aitiologie des März befragen –, aber für eine Weile Helm, Lanze und Schild abzulegen; unbewaffnet sei der Gott ja auch gewesen, als er mit Rhea Silvia den Romgründer Romulus und dessen Zwillingsbruder Remus gezeugt habe. Mit diesem Hinweis leitet Ovids Persona zur Erzählung der Sage von der Vergewaltigung der Vestalin über und lässt so das MarsBuch mit einer erotischen Geschichte anfangen. Gewiss, »elegisch« verhält Mars sich in dem Mythos nicht. Wenn es von ihm heißt (3,21): Mars videt hanc visamque cupit potiturque cupita (Mars sieht, will, was er sieht, nimmt sie, die er will, sich gewaltsam.),

erinnert das an Caesar und sein veni vidi vici (»Ich kam, sah, siegte«), nicht an den poeta/amator der Amores. Aber in einem späteren Abschnitt von Buch 3 agiert der Kriegsgott als elegisch Liebender und wird noch dazu lächerlich gemacht (V. 675–696). Jetzt begehrt er ausgerechnet die no-

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torisch jungfräuliche Göttin Minerva, muss sich in Geduld üben und eine alte Frau, die Minerva mit ihm verkuppeln soll, mehrfach zur Erfüllung seines Wunsches drängen  – und als er endlich der »Braut« den Schleier abnehmen darf, erblickt er statt der Angebeteten die Greisin. Der Kontrast dieses Schwanks zu dem Mars-Ultor-Abschnitt, den der Gott durch Klirren mit den Waffen eröffnet und in dem das wahrhaft martialische Bildprogramm seines Tempels beschrieben wird, ist denkbar groß. Im Falle seiner Version der Lucretia-Geschichte (2,721–852) bewirkt Ovid den Gegensatz zwischen elegischer und römischer Welt durch betontes Abweichen von der patriotischen Fassung der Sage bei Livius (1,57,1–60,4). Lucretia tritt zum ersten Mal in Erscheinung, als sie sich wie eine der Heroinen in Ovids Epistulae nach ihrem im Kriegslager weilenden Mann sehnt und sich um ihn sorgt. Wenn sie hier sagt (V. 753 f.): ‘mens abit et morior, quotiens pugnantis imago me subit, et gelidum pectora frigus habet’ (»Ich verlier den Verstand, will sterben, sooft ich mir ausmal, wie er kämpft, und die Furcht greift mir dann eisig ans Herz.«),

»zitiert« sie die Worte, mit denen der poeta/amator in Am. 3,14 seine Eifersucht auf die fremdgehende puella artikuliert (V. 37 f.): mens abit et morior, quotiens peccasse fateris, perque meos artus frigida gutta fluit. (Ich verlier den Verstand und sterbe, sooft du ein Fremdgehn zugibst, und kalter Schweiß rinnt mir dann über den Leib.).

Ausgerechnet der Symbolfigur altrömischer pudicitia (»Schamhaftigkeit, Sittsamkeit«) verleiht Ovid die Züge

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einer elegischen puella! Ja, er geht sogar so weit, Sextus Tarquinius, der Lucretia brutal vergewaltigt, als elegischen amator zu charakterisieren. Empathisch schildert er, was der junge Mann empfindet, nachdem er die Frau gesehen und sich in sie verliebt hat (V. 769–774): carpitur attonitos absentis imagine sensus ille; recordanti plura magisque placent. sic sedit, sic culta fuit, sic stamina nevit, iniectae collo sic iacuere comae, hos habuit voltus, haec illi verba fuerunt, hic color, haec facies, hic decor oris erat. (Ihm raubt gänzlich die Sinne das Bild der Frau in der Ferne; in der Erinn’rung gefällt immer noch mehr ihm an ihr. So saß sie da, so gepflegt gekleidet war sie, die Fäden spann sie so, ja und so fiel in den Nacken ihr Haar! Dieses Gesicht hatte sie, und dieses sagte sie, diese Farbe, diese Figur hatte sie, dies war ihr Charme!).

Während Lucretia bei Livius vor ihrem Selbstmord pathetische Worte an die von ihr am Morgen nach der Vergewaltigung herbeigerufenen Männer richtet und ganz im Geiste der patriarchalischen Herrschaftsideologie redet (58,7 f. und 10), darf sie bei Ovid in derselben Situation ganz Frau sein: Sie schweigt lange, vergießt ein Meer von Tränen, kann erst reden, nachdem ihr dreimal die Stimme versagt hat, und lässt ultima aus (V. 827), also die Vergewaltigung als solche. Das liest sich einerseits wieder einmal psychologisch sehr überzeugend, da der Erzähler die Sprachnot eines Vergewaltigungsopfers speziell in der Gegenwart von Männern einfühlsam schildert, andererseits ist es von der »Grammatik« der Gattung Elegie vorgegeben: Der Begriff wurde in der Antike volksetymologisch von griechisch e e légein (»weh, weh sagen«) abgeleitet. Aber was das Spiel mit dem Genre

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betrifft, erfolgt es im Zusammenhang mit einer solchen Geschichte vielleicht nicht gerade passend und mag wohl auch bei den Konservativen unter den zeitgenössischen römischen Lesern Anstoß erregt haben. Freilich, Ovid war nun einmal ein lusor, und er blieb es auch in den beiden Gedichtsammlungen der Zeit unmittelbar vor seinem Tod, obwohl die Daseinsbedingungen, unter denen er sie hervorbrachte, keineswegs zum Scherzen ermunterten: Er lebte jetzt als Verbannter in Tomi und schrieb in elegischen Distichen außer dem Schmähgedicht Ibis (das außerhalb unserer Betrachtung liegt) die Tristia und Epistulae ex Ponto, die, wiederum am elegischen System orientiert, ein letztes Mal die Welt der Amores in eine andere transponieren. Unerwünschtes Nachspiel: die Exilelegien Natürlich waren »Lieder der Trauer« und »Briefe vom Schwarzen Meer« nach dem Erreichen von Stufe 3 der poetischen Karriere nicht vorgesehen. Aber es sind wie die Epistulae Heroidum Versbriefe, und Epistulae, in denen die Persona des poeta selbst spricht, waren immerhin schon aus Horazens Feder geflossen, als auch er eine Dichterlaufbahn nach dem Vorbild derjenigen Vergils durchlaufen hatte: von den Satiren, der »Muse zu Fuß« (s. o.) über die halb satirisch-jambischen, halb lyrischen Epoden zur hohen Lyrik der Oden. Vergil wiederum hatte laut der (von Donat geringfügig überarbeiteten) Biographie Suetons vorgehabt, sich im Alter der Philosophie zu widmen, was er dann nicht mehr verwirklichen konnte. Horazens Episteln sind über weite Strecken philosophisch, und soweit es sich bei Philosophie um den Versuch der Daseinsbewältigung handelt, stehen Exilbriefe ihr keineswegs sehr fern.

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Ovids Beitrag zu diesem Genre wurde denn auch bis in jüngere Zeit von der Ovid-Philologie als Dokument der Selbsttröstung eines Verbannten interpretiert, und so geschah es gleichfalls durch Rezipienten der Exilelegien, prominente Verbannte von Theodulf von Orléans über Puschkin bis zu Vintila Horia. Doch rein biographisches Interpretieren, auf das sich hier sowohl Latinisten als auch Autoren von Belletristik beschränkten, verstellt den Blick dafür, dass in Tristia und Ex Ponto ein poetisches Ich spricht, welches immer noch an den von Gallus, Tibull und Properz in die Amores übernommenen elegischen Diskurs anknüpft. So begegnet uns in den beiden Gedichtsammlungen wieder einmal in abgewandelter Form das elegische »Emblem«, das den elegisch Liebenden vor der verriegelten Tür der puella zeigt. Und wer spielt jetzt die Rolle der puella? Kein Geringerer als Augustus höchstpersönlich! Denn der Kaiser verschließt dem Verbannten die »Tür« zur Stadt Rom bzw. zu einem Ort – damit würde dieser sich begnügen –, an dem man angenehmer wohnt als in Tomi. Trist. 3,5,53–56 gibt sogar einen versteckten Hinweis darauf, dass der exul exclusus sich wie ein von seiner puella getrennter poeta/amator fühlen kann: spes igitur superest facturum ut molliat ipse mutati poenam condicione loci. hos utinam nitidi Solis praenuntius ortus afferat admisso Lucifer albus equo! (Also bleibt die Hoffnung, er [= Augustus] werde selber die Strafe mildern, indem er den Ort ändert, an welchem ich wohn. Wenn doch nur als Bote der glänzenden Sonne der lichte Luzifer diesen Tag brächte mit eilendem Pferd!).

Die Verse 55 f. verbinden die Passage mit den Amores: In 2,11(12) redet der Sprecher zu Corinna, die eine Seereise be-

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absichtigt, schildert in den letzten Versen, wie freudig er sich das Wiedersehen vorstellt, und endet mit den Worten (V. 55 f.): haec mihi quam primum caelo nitidissimus alto Lucifer admisso tempora portet equo. (Luzifer, der hoch oben am Himmel leuchtet, soll möglichst bald mir diesen Tag bringen mit eilendem Pferd.)

Wenn der Verbannte die Hoffnung äußert, Augustus werde die Strafe »mildern«, führt uns das lateinische Wort dafür, mollire, besonders nahe an Corinna heran. Denn dem vor der Tür auf der Schwelle liegenden poeta/amator gegenüber pflegt die puella dura (»hart«) zu sein wie die Tür, und das Paraklausithyron soll sie erweichen, was mollire ebenfalls bedeutet. Ovids Exilelegien sind also das Paraklausithyron des Verbannten, und wie ein solches nach dem Gesetz der Gattung stets vergeblich ertönt, so kann auch der Verbannte den Kaiser nicht dazu gewinnen, ihn an einen angenehmeren Ort übersiedeln zu lassen. Er hört aber niemals auf zu hoffen, und dazu ermuntert ihn in Pont. 3,3 ein weiterer guter Bekannter: Amor; dieser sagt zu ihm u. a. (83 f.): pone metus igitur: mitescit Caesaris ira, et veniet votis mollior hora tuis. (Fürchte dich also nicht: Denn Caesars Zorn wird sich mildern, und ein milderer Tag kommt, wie du’s wünschst im Gebet.).

Ja, Amor besucht seinen Dichter auch in Tomi. Nachdem dieser im ersten Gedicht des Erstlingswerks Amores über eine Begegnung mit dem Liebesgott berichtet hat, erzählt er von einer solchen nun auch in seiner letzten Elegiensammlung, die zugleich sein letztes Opus ist. In einer Nacht, als der Mond in der Monatsmitte hell

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durchs Fenster geschienen habe, sei der Verbannte, so lesen wir in Pont. 3,3, aus dem Schlaf hochgeschreckt und habe den vor ihm stehenden Gott erblickt. Dieser sei nicht mehr die strahlende Erscheinung gewesen, wie Am. 1,2,41 sie schildert – das Haar und die Schwingen z. B. habe der Dichter jetzt »struppig« erblickt (horrida 17 f.), es schmückten sie mithin keine Edelsteine mehr  –, und habe sich traurig am Bettpfosten festgehalten. Dann sei ein längerer Dialog gefolgt. Zuerst habe der Verbannte gesprochen: Er bereue, dass er Amor einst unterwiesen habe  – das spielt auf den Anfang der Ars an –, und der Gott habe ihm seine Jugendgedichte diktiert, nachdem er unter Amor als seinem Feldherrn Hexameter mit Pentametern verbunden, also Elegien verfasst habe; das evoziert Am. 1,1. Der Gott – so wirft er ihm dann vor – habe ihn weder ein mythisches noch ein historisches Epos produzieren lassen und ihm überdies die Verbannung eingebracht, die er nicht verdiene, weil er in der Ars keineswegs gelehrt habe, was römische Matronen zum Ehebruch verleitet hätte. Trotzdem wünsche er Amor und dem mit ihm verwandten Kaiser alles Gute, falls der Gott bewirke, dass der Zorn des Augustus nicht unversöhnlich sei und er an einen angenehmeren Ort versetzt werde. Nun, der Gott bestätigt, was der Verbannte über die Ars gesagt hat, erinnert ihn aber an den anderen Grund für die Verbannung (s. S. 15 f.), der mit Recht den Zorn des Prinzeps erregt habe, verheißt ihm dann, wie bereits zitiert, die Erfüllung seines Wunsches und verschwindet in den Lüften. Er hat, nachdem er die poetische Karriere des Dichters initiiert hatte, ihm Gelegenheit gegeben, diese noch einmal, beginnend mit der in Am. 1,1 beschriebenen Verwandlung seiner epischen in eine elegische Persona, bis zu der Exilsituation, in der er sich befindet, zu rekapitulieren. Amor ist somit sein wichtigster »Dialogpartner« unter den

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Unsterblichen, eine göttliche Instanz, der er nicht mehr wie in Am. 1,1 vorwirft, sie maße sich »Jurisdiktion« über carmina (»Gedichte«) an (V. 5). Der Bogen, der sich von Am. 1,1 zu Pont. 3,3 spannt, zeigt auf sehr einfache Weise, was der vorliegende Essay zu belegen versucht hat: dass Ovid als permanenter Rezipient seines Erstlingswerks mit dessen Motivarsenal, das es der Gattung Elegie zuordnet, gezielt und selbstreflexiv sein Lebenswerk aufbaute. Es ist faszinierend zu sehen, wie hier aus einem Grundbaustein Weltliteratur entsteht, und man sollte, wie ich meine, auch die Amores dazu rechnen. Literaturhinweise zu diesem Aufsatz Es sind nur Titel verzeichnet, die nicht in der Amores-Bibliographie am Ende des Bandes zu finden sind. Von ihnen wurden für diesen Essay die Bücher von Bretzigheimer (2001), Hardie (2002), Holzberg (32005), Stroh (1971), Thorsen (2013) und Volk (2012) sowie die von Boyd, Hardie, Janka/Schmitzer/Seng und Knox herausgegebenen Aufsatzsammlungen herangezogen. Barchiesi, A.: The Poet and the Prince: Ovid and Augustan Discourse. Berkeley usw. 1997. – Speaking Volumes: Narrative and Intertext in Ovid and Other Latin Poets. London 2001. Bretzigheimer, G.: Exul ludens. Zur Rolle von relegans und relegatus in Ovids Tristien. In: Gymnasium 98, 1991, 39–76. Farrell, J.: Ovid’s Virgilian Career. In: Materiali e discussioni per l’analisi dei testi classici 52, 2004, 41–55. Frings, I.: Das Spiel mit eigenen Texten. Wiederholung und Selbstzitat bei Ovid. München 2005 (Zetemata 124). Gibson, R. K./S. Green/A. Sharrock (Hgg.): The Art of Love: Bimillennial Essays on Ovid’s Ars Amatoria and Remedia Amoris. Oxford 2006.

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SELBSTREZEPTION UND SELBSTREFLEXION

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