Leistungspflichten und Schutzpflichten: Ein kritischer Vergleich des Leistungsstörungsrechts des BGB mit den Vorschlägen der Schuldrechtskommission [1 ed.] 9783428503308, 9783428103300

Mit dem Reformentwurf der Schuldrechtskommission von 1992 wurde dem allgemeinen Schuldrecht des BGB ein Leistungsstörung

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Leistungspflichten und Schutzpflichten: Ein kritischer Vergleich des Leistungsstörungsrechts des BGB mit den Vorschlägen der Schuldrechtskommission [1 ed.]
 9783428503308, 9783428103300

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KAI

KUHLMANN

Leistungspflichten und Schutzpflichten

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 249

Leistungspflichten und Schutzpflichten Ein kritischer Vergleich des Leistungsstörungsrechts des BGB mit den Vorschlägen der Schuldrechtskommission

Von Kai Kuhlmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Kuhlmann, Kai: Leistungspflichten und Schutzpflichten : ein kritischer Vergleich des Leistungsstörungsrechts des BGB mit den Vorschlägen der Schuldrechtskommission / Kai Kuhlmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 249) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10330-0

Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10330-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meinen Eltern, meinem Onkel

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im WS 1999/2000 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis August 1997 berücksichtigt und eingearbeitet werden. Ganz besonderer Dank gebührt meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Horst Ehmann für die Themenanregung, die engagierte Betreuung der Arbeit und die ständige Bereitschaft zur fachlichen Diskussion. Für die rasche Erstellung des konstruktiven Zweitgutachtens schulde ich Prof. Dr. Dr. Hans Wieling Dank. M i t größter Geduld hat Britta Baldus das Entstehen der Arbeit begleitet. Jens Conrad hat die Arbeit mit seinen vielfachen wertvollen Anregungen ebenso geprägt wie durch seine beharrliche Kritik. Meine Eltern haben mir in der Zeit der Promotion jede Unterstützung zukommen lassen. Ihnen allen bin ich sehr dankbar. Saßnitz/Rügen, im August 2000

Kai Kuhlmann

Inhaltsübersicht Einleitung

21

§ 1 Einführung

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

36

§ 3 Schutzpflichten

58

§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz im Leistungsstörungsrecht des BGB 171 § 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfes 200 § 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

251

§ 8 Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen und das Verhältnis zum Schadensersatz im Kommissionsentwurf 279 § 9 Unterlassungspflichten als Hauptpflichten und ihre Behandlung im geltenden Leistungsstörungsrecht 310 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs

358

§ 11 Anhang: Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

374

Literaturverzeichnis

410

Sachregister

421

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

§ 1 Einführung I. Reform des Leistungsstörungsrechts II. BGB und Kommissionsentwurf 1. Grundkonzeption der Regelung von Leistungsstörungen im geltenden Recht 2. Kritik am geltenden Recht 3. Grundkonzeption der Regelung von Leistungsstörungen im Kommissionsentwurf a) Einheitlicher Grundtatbestand der Pflichtverletzung b) Die Grenze der Primärleistungspflicht c) Schadensersatz und Rücktritt III. Hintergrund, Gegenstände und Entwicklung des Reformentwurfes der Schuldrechtskommission

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten I. Güterbewegung und Güterschutz II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch 1. Der Erwerbsanspruch 2. Schutzansprüche a) Gesetzliche Schutzansprüche b) Vertragliche Schutzansprüche aa) Unentwickelte und entwickelte Schutzansprüche bb) Der Schadensersatzanspruch als Schutzanspruch 3. Terminologische Erfassung der Schutzpflichten III. Das Schuld Verhältnis als Organismus IV. Haftung für Schutzpflichtverletzungen 1. § 224 E I und die allgemeine Haftung für Schutzpflichtverletzungen 2. Die positive Vertragsverletzung 3. Unmöglichkeit und Verzug als normierte Teilfragen der allgemeinen Haftung V. Nichterfüllung der Leistungspflicht und Schutzpflichtverletzung 1. Nichterfüllung der Leistungspflicht 2. Verletzung von Schutzpflichten 3. Nichterfüllung als Folge von Schutzpflichtverletzungen: Die Störungstatbestände des allgemeinen Leistungsstörungsrechts 4. Nichterfüllung, Schutzpflichtverletzung und der Umfang der Haftung

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55 56

§ 3 Schutzpflichten I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB

58 58

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Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4.

II.

III.

IV.

V.

Schutzpflichten und Schuldverhältnis, § 241 BGB Relative Schutzpflichten im BGB Einzelne gesetzliche Schutzpflichten Die Normierung der Schutzpflichten im BGB a) Zurückhaltung der Gesetzgeber bei der Normierung von Schutzpflichten b) Einheitliche Wertungen der normierten Schutzpflichten c) Obligationstypische Einwirkungsmöglichkeiten d) Prinzip und Abweichung als Gegenstand der Normierung e) Entwicklung der regelungsbedürftigen Interessenkonflikte f) Normierte Schutzpflichten und Vertragsauslegung Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende Konzepte 1. Schutzpflichten als „Leistungspflichten eigener Art" 2. Integration der Schutzpflichten ins Deliktsrecht 3. Das einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis a) Die Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis b) Entwicklungsgeschichtlicher Hinteigrund der Ausgliederung der Schutzpflichten seit dem Inkrafttreten des BGB c) Konsequenzen des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses d) Kritik am einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis aa) Allgemeine Kritikpunkte bb) Kritik an der Konstruktion cc) Das Vertrauen als Rechtsgrundlage Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten 1. Die sog. „Umschlagstheorie" 2. Die vertragliche Natur der Schutzpflichten bei bestehendem Vertrag a) Einheitlicher Rechtsgrund der Schutzpflichten b) Schutzpflichten und Nichtigkeitsgründe c) Wechselwirkungen zwischen Vertrag und Schutzpflicht aa) Schutzpflichten und Vertragsschluß bb) Schutzpflichten und der konkrete Vertrag cc) Schutzpflichten und Synallagma d) Die Anbindung der Schutzpflichten an den Parteiwillen Leistungsbezogene Schutzpflichten 1. Unmöglichkeit, Verzug und Pflichtverletzung 2. Hauptleistungspflicht und Nebenpflichten zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Erfüllung a) Inhalt und Rechtsgrund b) Die Obhutspflicht des Sachschuldners c) Leistungspflicht, Sorgfaltspflicht und Sorgfaltspflichtverstoß 3. Die Einheitlichkeit integritätswahrender und erfüllungsschützender Nebenpflichten a) Terminologische Einheitlichkeit b) Inhaltliche und strukturelle Übereinstimmungen Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten 1. Einteilung und Terminologisches 2. Schutz des Integritätsinteresses

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Inhaltsverzeichnis a) Besonderheiten der integritätswahrenden Schutzpflichten b) Inhalt der integritätswahrenden Schutzpflichten aa) Übergreifende Beschreibungen bb) Schutzpflichtverletzung durch Leistungserbringung cc) Schutzpflichtverletzung bei Gelegenheit der Leistungserbringung 3. Schutz des Erfüllungsinteresses a) Besonderheiten der erfüllungssichernden Schutzpflichten b) Inhalt der erfüllungssichernden Schutzpflichten c) Die Pflicht zur Vertragstreue VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers 1. Gesetzliche Regelungen 2. Vertragliche Regelungen 3. Das Problem des korrespondierenden Schutzanspruches a) Die Lehre vom unentwickelten Schutzanspruch b) Der Grundsatz der Durchsetzbarkeit jeder Schuldnerpflicht c) Voraussetzungen der Durchsetzbarkeit einer Schutzpflicht aa) Regel und Ausnahme bb) Einzelne Voraussetzungen

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§4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes I. Der Pflichtverletzungstatbestand und die pFV II. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Entwürfe von Heinrich Stoll III. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Einheitlichen Kaufrechte IV. Begriffswahl der Schuldrechtskommission V. Abstraktionshöhe des Pflichtverletzungstatbestands VI. Der Begriff der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf 1. Zufällige Nichterfüllung als Pflichtverletzung 2. Kritik an der Begriffsdefinition der Schuldrechtskommission 3. Handlungs- und erfolgsbezogenes Verständnis des Pflichtverletzungsbegriffs VII. Sprachliche Erfassung des doppelten Verständnisses der Pflichtverletzung ... VIII. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Pflicht zum Unmöglichen IX. Auflösung der Differenzierung von Störungsart und Störungsfolge im einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung X. Ansätze für die Kritik am einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung 1. Begriffliche und rechtskonstruktive Bedenken 2. Umsetzung vorgegebener Sachgesetzlichkeiten im Pflichtverletzungskonzept des Kommissionsentwurfes a) Typisierte Störungstatbestände b) Leistungspflicht und Schutzpflicht im einheitlichen Pflichtverletzungskonzept des Kommissionsentwurfes XI. § 241 Absatz II KE: „Pflicht zur Rücksichtsnahme" 1. Erweiterung des § 241 BGB durch § 241 Abs. II KE 2. Beschränkungen des §241 Abs. II KE a) Rechtsgrund b) Verjährung c) Schutzanspruch des Gläubigers

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Inhaltsverzeichnis d) Schutz des Erflillungsinteresses XII. Vorvertragliche Schutzpflichten, § 305 Abs. II KE 1. Normierung eines vorvertraglichen Schutzpflichtverhältnisses 2. Nachwirkende Schutzpflichten XIII. Normierung einzelner Schutzpflichten 1. Konkretisierung der Schutzpflichten im Kommissionsentwurf 2. Geeignete Kategorien

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz im Leistungsstörungsrecht des BGB 171 I. Anfängliche Unmöglichkeit, § 306 BGB und anfängliches Unvermögen 172 II. Nachträgliche Unmöglichkeit 174 III. Nachträgliche, zu vertretende objektive oder subjektive Unmöglichkeit 176 1. Fortbestand der Leistungspflicht trotz Unmöglichkeit 176 2. Fortbestand der Leistungspflicht trotz Unvermögens 179 IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§280, 325 BGB 180 1. Vorrang der Naturalerfüllung 181 2. Die Natur des Ersatzanspruches wegen Nichterfüllung 181 183 3. Unmöglichkeit im gegenseitigen Vertrag, §§ 323ff. BGB a) Das funktionelle Synallagma des §3231 BGB 183 b) Das ius variandi des § 3251 BGB 184 aa) Rechtsbehelf und Gegenleistungspflicht 185 bb) Alternativität der Rechtsbehelfe 186 cc) Schadensersatz wegen Nichterfüllung 186 c) Teilweise Unmöglichkeit 188 V. Verantwortlichkeit des Gläubigers, § 324 BGB 189 190 VI. Verzug, §284 ff. BGB 1. Leistungsverzögerung und Schutzpflichtverletzung 190 2. Leistungsverzögerung und Mahnung 192 3. Das Verhältnis von Verzug und Unmöglichkeit 193 VII. Die nicht zu vertretende LeistungsVerzögerung 193 VIII. Verzug und Nachfristsetzung, § 326 BGB 195 1. Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch in §3261 BGB 195 196 2. § 3261 BGB und der Vorrang des Erfüllungsanspruchs IX. Die Sonderstellung des §283 BGB 197 1. Funktion des §283 BGB 197 2. § 283 BGB und der Vorrang des Erfüllungsanspruchs 198 § 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfes 200 I. Einleitung 200 II. Die Grenze der Leistungspflicht, §275 KE 203 1. Auflösung der Störungstatbestände 203 2. Dauernde und vorübergehende Leistungshindemisse 205 3. Fortbestand der Primärleistungspflicht und Einredeerhebung 205 4. Die Störung der Geschäftsgrundlage, § 306 KE und das Verhältnis zu § 275 KE 207 5. Der Fortbestand der Primärleistungspflicht im Reformentwurf 208

Inhaltsverzeichnis

III. IV.

V.

VI.

a) Die Pflicht zum Unmöglichen 209 b) Anspruchsfortbestand und Einredeerhebung 210 c) Verzug trotz Unmöglichkeit 211 d) Anfängliche und nachträgliche Leistungshindemisse 212 6. Das Vertretenmüssen des Leistungshindernisses 213 7. Der dualistische Ansatz des Kommissionsentwurfes 214 8. Verzicht auf das Vertretenmüssen und Differenzierung der Störungsfolgen 215 9. Wiederverankerung der Unmöglichkeit in §275 KE 216 Das stellvertretende commodum des §281 KE 217 Das Rücktrittsrecht des § 323 KE 219 1. Vertragsaufhebung im allgemeinen Schuldrecht des BGB 219 a) Rücktritt bei dauerhafter Nichterfüllung 220 b) Rücktritt bei vorübergehender Nichterfüllung 221 c) Leistungsverzögerung und Schutzpflichtverletzungen 222 d) Wirkungen des Rücktritts 223 2. Grundsätzliches zum Rücktrittsrecht des § 323 KE 223 3. Dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht 226 a) Einheitliches Rücktrittsrecht und Notwendigkeit der Differenzierung . 227 b) Die Pflichtverletzung als Grundtatbestand des einheitlichen Rücktrittsrechts 228 c) Feststehen der Nichterfüllung vor Vertragsschluß 228 4. Vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht 229 a) Die Nachfrist des § 3231 S. 1 KE 230 b) Fristentbehrlichkeit gemäß § 323 II Nr. 2 KE 231 c) Nicht zu vertretende Leistungsverzögerung im Kommissionsentwurf.. 231 5. Teilweise Nichterfüllung der Leistungspflicht, § 3231 S. 3 KE 232 6. Abweichungen vom geltenden Recht 233 a) Verschuldensunabhängigkeit des Rücktritts 234 aa) Verschuldensunabhängige Vertragsaufhebung im BGB 234 bb) Die Entwicklung des Rücktrittsrechts im BGB 234 cc) Das Bedürfnis nach verschuldensunabhängiger Lösung vom Vertrag 237 dd) Rücktritt, Nichterfüllung und Haftung 238 239 ee) Rücktrittsgrund und Begriff der Pflichtverletzung b) Lösung des Rücktritts von der Anknüpfung an Störungsformen 240 aa) Ersetzung der Störungstatbestände durch das Erfordernis der Nachfristsetzung, § 3231 S. 1 KE 240 bb) Fristsetzung und Erfüllungsvorrang 242 c) Vertragsauflösung durch Parteiakt 242 aa) Vereinheitlichung der Parteiabhängigkeit 243 bb) Das Wahlrecht des § 323 Abs. V KE 243 Verantwortlichkeit des Gläubigers für ein Leistungshindernis, § 324 KE 244 1. Sprachliche Fassung des § 324 KE 245 2. Das Vertreten des Gläubigers und der Pflichtverletzungsbegriff des Kommissionsentwurfes 246 3. Systematische Aspekte des §324 KE 247 247 4. Rücktrittsausschluß gemäß § 323 III Nr. 3 KE Fazit: Störungsform und Störungsfolge im System des Kommissionsentwurfs 249

16

Inhaltsverzeichnis

§7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf 251 I. Das Haftungssystem des Kommissionsentwurfs 251 1. §280 Abs. I, II KE: Grundtatbestand und Abweichung 251 2. Die einzelnen Abweichungen des §28011 KE vom Grundtatbestand 254 a) Erste Abweichung: Ersatz des Verzögerungsschadens gemäß §§ 280 II S. 2 i. V. m. 284ff. KE 254 b) Zweite Abweichung: Schadensersatz statt Leistung, §§28011 S. 1 i. V. m. 283 KE 254 c) Dritte Abweichung: Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages, §§280II S. 3 i. V. m. 327 KE 255 d) Das Verhältnis der §§ 283, 327 KE zueinander 256 259 e) Trennung der Haftungsarten und Einheit des Haftungssystems f) Der Verzug im Kommissionsentwurf 262 aa) Der Verzug als eigenständige Störungsform im Kommissionsentwurf 262 bb) Pflichtendifferenzierung in § 287 KE 264 g) Wegfall des §283 BGB 265 II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes 266 1. Grundtatbestand der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung, § 280 Abs. I KE 266 2. Ersatz des Verzögerungsschadens: §§280 Abs. I, II S. 2 i. V. m. 284 ff. KE bei Schutzpflichtverletzungen 268 a) Schutz des Erfüllungsinteresses 268 b) Integritätswahrende Schutzpflichten 269 c) Mahnungsentbehrlichkeit bei Schutzpflichtverletzung, § 284 Abs. II 270 Nr. 3 und Nr. 4 KE 3. Schadensersatz statt Leistung: §§ 280 Abs. I, II S. 1 i. V. m. 283 KE bei Schutzpflichtverletzungen 271 a) Schadensersatz statt Leistung 271 b) Schadensersatz statt Leistung und Schutzpflichtverletzung 272 c) Fristsetzung und Fristentbehrlichkeit, § 283 Abs. I, II KE 274 4. Fazit: Haftung für Schutzpflichtverletzungen 277 § 8 Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen und das Verhältnis zum Schadensersatz im Kommissionsentwurf I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE 1. Erweiterungen des Rücktrittsrechts im Kommissionsentwurf, §323 Abs. I KE a) Erstreckung der Rücktrittsberechtigung auf alle Pflichtverletzungen, §323 Abs.I S. 1 KE b) Erstreckung des Rücktrittsrechts auf nicht zu vertretende Pflichtverletzungen, § 323 Abs.I S. 1 KE c) Auflösung der Störungstatbestände durch § 323 Abs. I S. 1 KE 2. Einschränkungen des Rücktrittsrechts und seiner Voraussetzungen gemäß § 323 Abs. II und Abs. III KE a) Mahnung und Fristentbehrlichkeit aa) Mahnung statt Fristsetzung, § 323 Abs. IS. 2 KE bb) Mahnungs- und Fristentbehrlichkeit gemäß § 323 Abs. II KE

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Inhaltsverzeichnis b) Korrektive des § 323 Abs. III Nr. 1 und Nr. 2 KE 3. Vorzeitiger Rücktritt, § 323 Abs. IV KE 4. Fazit: Rücktritt und Schutzpflichtverletzung II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung: Der Schadensersatz wegen Nichtausführung gegenseitiger Verträge, §§ 280 Abs. I, II S. 3 i. V. m. 327 KE 1. Grundsätzliches zur Kumulation von Rücktritt und Schadensersatzanspruch im BGB und Kommissionsentwurf 2. Historische Aspekte der Rechtsbehelfsaltemativität 3. Abweichungen des § 327 KE von der gegenwärtigen Rechtslage 4. Zwang zur Kumulation 5. Vertretenmüssen des Rücktrittsgrundes, §327 Abs. II KE a) Der Rücktrittsgrund als Bezugspunkt für das Vertretenmüssen b) Kausalität zwischen Pflichtverletzung und verursachtem Schaden c) Beispiele d) § 327 KE vor dem Hintergrund der Funktionen der Unmöglichkeit ....

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§ 9 Unterlassungspflichten als Hauptpflichten und ihre Behandlung im geltenden Leistungsstörungsrecht 310 I. Grundsätzliches zu den Unterlassungspflichten als Hauptpflichten 310 II. Die Unterlassungspflicht als Rechtskreiseinschränkung im Gegensatz zur Güterbewegung 313 1. Der Inhalt der Unterlassungspflicht und der Leistungsbegriff des BGB .... 313 2. Unterlassungspflichten als Rechtskreiseinschränkung 315 3. Praktische Bedeutung der Unterlassungspflichten 316 III. Grundsätzliche Besonderheiten des Unterlassungsanspruchs 317 1. Der unentwickelte Schutzanspruch und seine Durchsetzbarkeit 317 2. Durchsetzbarkeit und § 890 ZPO 319 3. Die Verletzung des primären Schutzanspruches und der Inhalt des Schadenersatzanspruches 320 IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit 322 1. Unmöglichkeit bei Unterlassungspflichten 323 a) Unmöglichkeit durch Zuwiderhandeln 323 b) Unmöglichkeit der Zuwiderhandlung 324 c) Unmöglichkeit der Unterlassung 325 2. Kritik vor dem Hintergrund der ratio der Unmöglichkeitsvorschriften 326 327 a) Schutzpflicht und §275 BGB b) Schutzpflicht und Verletzung des Gläubigerinteresses 328 c) Der Anspruchsfortbestand bei Schutzpflichten 328 d) Das ius variandi des § 3251 BGB bei Schutzpflichten 329 aa) Schadensersatz wegen Nichterfüllung 329 bb) Rücktritt 331 3. Die Unmöglichkeit als Fremdkörper für Schutzpflichten 332 V. Verzug bei Unterlassungspflichten 333 1. Zuwiderhandlung und Verzögerung 334 2. Mahnung 334 3. Der Verzug als Fremdkörper für die Schutzpflichten 335 VI. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der pFV 336 2 Kuhlmann

18

Inhaltsverzeichnis 1. Die Ansicht von Staub 336 2. Das Verhältnis von Schutzpflicht, Leistungspflicht und Unmöglichkeit .... 337 3. Fragwürdigkeit der analogen Anwendung der §§280,325 BGB auf die Unterlassungspflichten 339 VII. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der allgemeinen Haftung für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung 340 VIII. Rechtsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Unterlassungspflicht 343 1. Bedeutung der Unterlassungspflicht 343 2. Die Entwicklung von Verpflichtung und Haftung als Obligationsinhalt; insbesondere das Prinzip der condemnatio pecuniaria 344 3. Die condemnatio pecuniaria und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Unterlassungspflicht 345 IX. Weitere Besonderheiten der Unterlassungspflichten 348 1. Unterlassungspflicht und Erfüllung, §362 BGB 348 2. Unterlassungspflicht und Gesamtschuld, §§420ff. BGB 350 3. Teilbarkeit der Unterlassungspflicht 351 4. Die Unterlassungspflicht als absolute Verpflichtung 351 5. Unterlassungspflicht und Vertragstypik 352 6. Qualitative Abweichung vom Vereinbarten bei Unterlassungspflichten .... 352 7. Einmaliges Unterlassen und dauerndes Unterlassen 353 354 8. Zuwiderhandlung und Vertretenmüssen, § 276 BGB 9. Unterlassungspflicht und Unvermögen, §275 II BGB 354 10. Leistungsverweigerung und Zurückbehaltung bei Unterlassungspflichten, §§320, 273 BGB 356 11. Annahmeverzug bei Unterlassungspflichten, §§293 ff. BGB 357

§ 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs 358 I. Die Unterlassungspflicht im Spiegel der Normen des Kommissionsentwurfs . 358 II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz bei Unterlassungspflichten im Kommissionsentwurf 361 361 1. Die Grenze der primären Verpflichtung, § 275 KE a) Fortbestand der Unterlassungspflicht bei Zuwiderhandlung des Schuldners 362 b) Fortbestand der Unterlassungspflicht bei Hindernissen, die der Zuwiderhandlung entgegenstehen 363 c) Fortbestand der Unterlassungspflicht bei Hindernissen, die der Unterlassung entgegenstehen 363 364 d) Anwendbarkeit des § 275 KE auf Unterlassungspflichten 2. Der Rücktritt von der Unterlassungspflicht, § 323 KE 365 a) Rücktritt bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht 366 b) Rücktritt bei Hindernissen der Zuwiderhandlung 367 c) Rücktritt bei unvermeidbarer Zuwiderhandlung 368 d) Die Lösung von der vertraglichen Bindung bei Verpflichtungen zu dauerndem Unterlassen 368 e) Die Verschuldensunabhängigkeit des Rücktrittsrechts und der Pflichtverletzungsbegriff des Kommissionsentwurfs 370 3. Die Haftung für die Verletzung einer Unterlassungspflicht im Kommissionsentwurf 371

Inhaltsverzeichnis III. Fazit: Unterlassungspflichten im Kommissionsentwurf Anhang § 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung I. H. Staubs Lehre von der positiven Vertragsverletzung 1. Begründung der positiven Vertragsverletzung 2. Die positive Vertragsverletzung in ihrer heutigen Bedeutung II. Abweichende Haftungskonzepte zur Zeit Staubs und heute 1. § 276 BGB als allgemeiner Haftungstatbestand

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2. Schuldhafte Unmöglichkeit, §§280,325 BGB als umfassender Haftungstatbestand 379 3. Das Deliktsrecht als Ort der Haftung 382 4. Gesetzliche Vertrauenshaftung als dritte Spur der Haftung zwischen Vertrag und Delikt 383 384 III. Der Kommissionsentwurf und die positive Vertragsverletzung IV. Der Kem der Diskussion um den allgemeinen Haftungstatbestand 385 V. Rechtsgeschichtliche Aspekte eines allgemeinen Haftungstatbestandes: Die culpa-Haftung 386 VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB 1. Der Teilentwurf des Philip von Kübel 2. Der Kommissionsentwurf 3. § 224 des Ersten Entwurfes a) § 224 E I als allgemeiner Haftungstatbestand b) §240 E I und die Bedeutung der Unmöglichkeit 4. Zweite Kommission a) Verzicht auf die Normierung von Grundsätzlichem im BGB b) Verzicht auf die Normierung von Grundsätzlichem im Kommissionsentwurf der Schuldrechtskommission c) Das heutige Verständnis des § 276 BGB VII. Das Reichsgericht und §276 BGB als Haftungstatbestand VIII. Versuche zur Wiederaufnahme eines allgemeinen Haftungstatbestandes IX. Die allgemeine Haftung für Pflichtverletzungen im Spiegel der Vorschriften des BGB X. Kritische Würdigung der Durchsetzung der positiven Vertragsverletzung und des Verdienstes von Staub 1. Positive Vertragsverletzung und die Zäsur durch das neue BGB 2. Positive Vertragsverletzung und Pflichtendogmatik XI. Die positive Vertragsverletzung und Sibers Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus

389 389 390 391 392 393 395 396 398 398 399 401 402 403 404 406

407

Literaturverzeichnis

410

Sachregister

421

2*

Einleitung: Entwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2000 Bei Abschluss des Manuskripts zu diesem Buch im Sommer 1997 war es still geworden um den Reformentwurf von 1992. Die bis Mitte der neunziger Jahre recht lebhaft und kontrovers geführte rechtswissenschaftliche Diskussion um die Reformbemühungen im Schuldrecht verebbte und der Entwurf verschwand in den Schubladen des Bundesjustizministeriums, ohne Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens gewesen zu sein. In diesen Schubladen blieb der Reformentwurf freilich nicht lange, denn mit dem ersten Entwurf eines Gesetzes zur Schuldrechtsmodernisierung, den das Bundesjustizministerium im August 2000 der Öffentlichkeit vorlegte, ist er wieder, in weiten Teilen unversehrt, ans Tageslicht gelangt und erneut ins Zentrum der zivilrechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion gerückt. Als Anlass zur Wiederaufnahme seiner umfassenden Reformbemühungen im Schuldrecht dient dem Bundesjustizministerium die Umsetzung der Richtlinie 1999/44/EG zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbraucher, die bis zum 1.1.2002 abgeschlossen sein muss. Das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz als der gewaltige Rahmen, der dem recht begrenzten Vorhaben einer europäischen Harmonisierung der Verbraucherrechte in nicht nachvollziehbarer Weise übergestülpt wurde, teilt dessen Zeitplan: Es soll am 1.1.2002 in Kraft treten. Zu hoffen bleibt, dass die vielfältigen Ergebnisse der Diskussion um den Entwurf von 1992 nicht ignoriert werden, sondern Eingang in die aktuellen Überlegungen zur Neugestaltung des Schuldrechts finden. Bislang ist dies kaum geschehen. Die zentralen Vorschriften zur Befreiung von der Schuld, zu Rücktritt und Schadensersatz, die der Reformentwurf von 1992 für das allgemeine Schuldrecht vorschlug, sind wortgleich oder nur geringfügig umformuliert in den Entwurf zur Schuldrechtsmodernisierung übernommen worden. Die entsprechenden Ausführungen in diesem Buch haben deshalb uneingeschränkte Gültigkeit auch für das aktuelle Reformvorhaben des Bundesjustizministeriums. Zur Orientierung des Lesers sei eine kurze Synopse des Reformentwurfs von 1992 und des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes von 2000 dem Buch vorangestellt. Reformentwurf1992

Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes August 2000

§ 241 Abs. Π § 275

unverändert unverändert bis auf die Anpassung der Paragraphenzahlen in der Verweisung des S. 2

von

22

Einleitung

§ 279

unverändert

§ 280

unverändert bis auf die Anpassung der Paragraphenzahlen in der Verweisung des Abs. II inhaltlich unverändert, lediglich Änderung in der Formulierung

§ 281 §283 Abs.I S. 1 Abs.I S.2 Abs. I I Abs. ΙΠ Abs. IV § 284 Abs. I Abs. I I Abs. ΠΙ § 286 § 287 § 305 I I § 306 § 307 §323 Abs. I

Abs. I I

Abs. ΠΙ

jetzt §282 Satz 1 ist inhaltlich unverändert, lediglich leichte Änderung der Formulierung Satz 2 des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes ist neu und ersetzt den Satz 2 des Reformentwurfs inhaltlich unverändert, lediglich leichte Änderung der Formulierung unverändert Satz 1 ist inhaltlich leicht verändert worden. Satz 2 und 3 des Reformentwurfs fallen weg der Verzug ist nun in § 283 geregelt unverändert bis auf die Herausnahme der Alt. „Bestimmung einer Frist" in Satz 2 unverändert übernommen wurde Satz 1, neu ist Satz 2 unverändert übernommen als Abs. IV, neu ist die Einfügung des Abs. III weggefallen unverändert übernommen als § 284 unverändert übernommen als § 3051 S. 2 unverändert übernommen als § 307 unverändert übernommen als § 308 Satz 1 ist inhaltlich unverändert, lediglich leichte Änderung der Formulierung. Satz 2 und 3 sind inhaltlich unverändert übernommen worden, durch die Einfügung eines neuen Satz 2 jedoch nun Satz 3 und 4. Satz 1 ist bis auf die Ersetzung der „Bestimmung einer Frist" durch „Aufforderung" unverändert übernommen worden, neu hinzugefügt wurde Satz 1 Nr. 4 und Satz 2 unverändert übernommen wurden Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4, in Nr. 3 wurde die zweite Alt. Neu eingefügt

Abs. IV

unverändert übernommen

Abs. V

weggefallen

§ 324

inhaltlich und sprachlich geändert

§ 327

unverändert übernommen als § 325

§ 1 Einführung I. Reform des Leistungsstörungsrechts Jede Reformbemühung im Schuldrecht muß sich zunächst ihrer Grundlagen im allgemeinen Recht der Leistungsstörung und deren Neuordnung vergewissern. Nahezu alle Bereiche des Schuldrechts nehmen durch Überschneidungen, Verweisungen oder einzelne Tatbestandsvoraussetzungen an den Grundfragen der Leistungsbefreiung, Voraussetzungen sowie Umfang einer Haftung und Vertragsaufhebung teil. Im Regelungskonzept des Kommissionsentwurfes zur Überarbeitung des Schuldrechts1, das die Haftung des Verkäufers und Werkunternehmers in das allgemeine Leistungsstörungsrecht einfügt, wird diese Verflechtung in besonders ausgeprägter Weise aktuell. Schnittstellen, Abstimmungsprobleme und die Vereinigung verschiedener Sachprobleme unter allgemeinen Lösungen häufen sich durch diese Verschmelzung; auch andere besondere Vertragstypen und Sonderregeln müssen mit diesem neuen Kernstück harmonieren. Für die Bewältigung zahlreicher elementarer wie auch spezieller schuldrechtlicher Fragen stößt man deshalb schnell auf das dogmatische Urgestein, nämlich die Regeln für Leistungsstörungen2, denen bei einer Neukodifikation des Schuldrechts auf diese Weise zentrale Bedeutung zukommt. Das Leistungsstörungsrecht des BGB ist, wie die nähere Betrachtung zeigt, in Wahrheit viel besser als sein Ruf. Die Fülle der vorhandenen Streitfragen und Thesen ist wohl weniger dem Leistungsstörungsrecht anzulasten, als der dieses oft mißverstehenden Theorie und Praxis, die es mit der Figur der pFV überwuchert hat. Der Nachteil des Leistungsstörungsrechts ist nicht es selbst, sondern seine überkommene Interpretation, die sich immer weiter verfestigt hat. Eines der zentralen Mißverständnisse, das vom Inkrafttreten des BGB an bis hin zum Kommissionsentwurf das allgemeine Leistungsstörungsrecht als gesetzestechnisch mißglückt, lückenhaft und fragwürdig erscheinen läßt, ist die Stellung von Unmöglichkeit und Verzug im Regelungszusammenhang der §§ 275 ff. BGB. Dem allgemeinen Schuldrecht des BGB liegt das Prinzip der allgemeinen Haftung für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung zugrunde, wie es in §2241 seines ersten Entwurfes noch Ausdruck fand 3. Diesem Prinzip der allgemeinen Haftung für Schutzpflichtverletzungen korrespondiert die Normierung spezieller Schutzpflichten bei den einzelnen vertraglichen Schuldverhältnissen des Besonderen 1 2 3

Zu den Hintergründen dieses Reformentwurfs sogleich unten III. Ausdruck von Schlechtriem, Schuldrechtsreform S. 17. Dazu unten § 2 I V 1 und ausführlich §11.

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§ 1 Einführung 4

Teils . Modifiziert und ergänzt werden hier die Pflichten im Organismus Schuldverhältnis entsprechend der Eigenart des konkreten Vertrages. Durch Unmöglichkeit und Verzug werden demgegenüber nicht die Pflichten des Schuldners ausgeformt, sondern die Voraussetzungen bzw. Rechtsfolgen der Haftung für jede Pflichtverletzung erfahren eine Änderung. Die zu vertretende Unmöglichkeit führt zur Haftung auf den Nichterfüllungsschaden an Stelle der Leistung, der Verzug fügt der Grundvoraussetzung der schuldhaften Schutzpflichtverletzung als weitere Voraussetzung die erfolglose Fristsetzung hinzu. Unmöglichkeit und Verzug sind also keineswegs die eigentlichen oder einzigen haftungsbegründenden Tatbestände5, sondern lediglich haftungsmodifizierende Tatbestände innerhalb der allgemeinen Haftung. Bei diesem Verständnis rückt die Unmöglichkeit aus ihrem - vermeintlichen6 - Mittelpunkt des Systems an dessen Rand und erscheint nicht mehr als systembegründend, sondern als systembegrenzend. Im Mittelpunkt steht dagegen das Prinzip der allgemeinen Haftung für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung. Von der Verletzung einer Schutzpflicht ist die Nichterfüllung der Leistungspflicht stets zu trennen. Grund eines Schadensersatzanspruchs ist die schuldhafte Schutzpflichtverletung; die Nichterfüllung der Leistungspflicht gewinnt demgegenüber Bedeutung für die Befreiung vom Erfüllungsanspruch und den Umfang des Schadensersatzanspruchs. Die Schutzpflichten weisen zahlreiche Besonderheiten auf, die sie von den Leistungspflichten unterscheiden und deshalb auch eine unterschiedliche Behandlung im Recht der Leistungsstörungen erfordern Die Herausarbeitung und Darstellung dieser Besonderheiten der Schutzpflichten und ihrer Verletzung bildet den ersten Teil der Arbeit7 und wird die anschließende Untersuchung des Leistungsstörungsrechts des Kommissionsentwurfs bestimmen. Die dem Prinzip der Haftung für jede Schutzpflichtverletzung zugrundeliegende gemeinrechtliche culpa-Haftung ist von den Verfassern des BGB durch die §§ 280, 283,286ff., 325 f. BGB bewußt mit objektiven Elementen angereichert worden, um das reine Verschuldensprinzip auszuformen und mit festen Konturen zu versehen. Das entgegengesetzte Bestreben spiegeln die Vorschläge der Schuldrechtskommission wieder. Zwar wird mit § 280 Abs. I K E das Prinzip der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung als Regel im Gesetz verankert, in den Durchführungen der Regel aber soll die Ausformung der Haftung anhand objektiver Störungstatbestände dem einheitlichen Anknüpfungspunkt der Pflichtverletzung weichen, ergänzt vor allem durch die Fristsetzung. Auch für das Recht zum Rücktrittfindet der Kommis4

Dazu eingehend unten §313,4. Die Enge von Unmöglichkeit und Verzug als haftungsbegründend beklagt ζ. B. zuletzt noch Ahrens in ZRP 1995 S.417,420. 6 Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts (im Nachfolgenden als „Bericht" bezeichnet, vgl. Fn.78), S. 16: „Im Mittelpunkt des geltenden Leistungsstörungsrechts steht der Begriff der Unmöglichkeit der Leistung." Siehe auch noch jüngst Kollmer in NJW1997, S. 1129,1130: „Die rechtsdogmatisch größte Schieflage im BGB besteht darin, daß im Zentrum der Rechtssystematik des BGB... die Unmöglichkeit steht." 7 §§2, 3,5 und 9. 5

II. BGB und Kommissionsentwurf

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sionsentwurf den gemeinsamen Nenner aller Störungen des Vertrages im Begriff der Pflichtverletzung und integriert den Rücktritt auf diese Weise in sein einheitliches System. Die Frage, ob bei dieser Ausrichtung des Leistungsstörungsrechts am einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung die grundlegende Unterscheidung von Schutzund Leistungspflichten die erforderliche Berücksichtigungfindet und ihr Verhältnis zueinander zutreffend in den einzelnen Regelungen abgebildet wird, ist Gegenstand der zweiten Hälfte der Arbeit8.

II. BGB und Kommissionsentwurf 1. Grundkonzeption der Regelung von Leistungsstörungen im geltenden Recht Die Rechtssätze und Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts sind insbesondere ausgerichtet an den aus einem Kaufvertrag entspringenden Erwerbsansprüchen auf Verschaffung von Besitz und Eigentum an der Kaufsache und auf Zahlung des Kaufpreises. Der Kaufvertrag hatte insoweit eine Modellfunktion 9. Das BGB hat in der Ausgestaltung seines allgemeinen Leistungsstörungsrechts10 vielfach als Ausgangspunkt seiner Regelung den jeweiligen Störungstatbestand11 gewählt und daran anknüpfend die Rechtsfolgen dieses Störungstatbestandes normiert 12. Dies hat zur Folge, daß gleiche oder ähnliche Rechtsfolgen (Leistungsbefreiung, Voll- oder Teilrücktritt, Schadensersatz etc.) mehrfach 13 geregelt sind und eine Reihe von Störungstatbeständen als Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsbehelfe entstanden sind14. 8

§§4, 6, 7, 8, und 10. Vgl. schon RGZ70, S.349ff.; Köhler, AcP 190 (1990) S.496, 515. 10 Schon hier ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff der „Leistungsstörungen" bei näherer Betrachtung terminologisch problematisch ist, da er wegen seiner Leistungsbezogenheit nur einen Ausschnitt aus der Fülle möglicher Störungen im Schuldverhältnis erfaßt, nämlich die der Leistungspflicht. Eine solche liegt z.B. bei vorvertraglichen Störungen nicht vor, auch die Verletzung von Schutzpflichten muß sprachlich genau von Störungen der Leistungspflicht unterschieden werden; vgl. auch Fikentscher, S. 208,215,240; Kopeke, S. 12 und eingehend dazu im weiteren Verlauf der Arbeit. Der Begriff der Leistungsstörungen wird jedoch wegen seiner Allgemeinüblichkeit auch hier zunächst beibehalten. 11 Leser in FS für Wolf S. 373,384 spricht insoweit von einer Konkretisierung der allgemeinen Haftung in Einzelformen; Huber in FS für von Caemmerer S. 837, 868 von typischen Einzeltatbeständen; Wiedemann, System S. 367, 369 bezeichnet diese Vorgehensweise als Ausrichtung nach Störungsarten, nach der Art des Hindernisses. 12 So auch Stümer in der Beilage zu NJW 1994, Heft 25 S.2 und in FS für Brandner S. 635, 636f.; Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.21. 13 Diese Mehrfachregelung gleicher Rechtsfolgen wird noch verstärkt durch die jeweils eigene Regelung für ein- bzw. gegenseitige Schuldverhältnisse. 14 Eine Zusammenfassung der Regelungen erreicht das BGB erst wieder bei den weiteren Rechtsfolgen der Rechtsbehelfe; diese sind in §§249-254 BGB für den Schadensersatz und in §§ 346-361 BGB für den Rücktritt grundsätzlich einheitlich geregelt. 9

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§ 1 Einführung

Ein Störungstatbestand liegt bei dieser Regelung zunächst im Ausbleiben der Güterbewegung zum Zwecke der Erfüllung. Das BGB unterscheidet dabei zwischen der dauerhaften und der vorübergehenden Nichterfüllung der Leistungspflicht sowie nach dem Grund dieser Nichterfüllung. Zentrale Bedeutung mißt das BGB bei der Nichterfüllung der Leistungspflicht der dauerhaften Nichterfüllung aufgrund von Unmöglichkeit zu, §§ 275,280,306ff., 323 ff. BGB 15 . Historisch ist dies dadurch zu erklären, daß die Gesetzesverfasser von dem grundsätzlichen Vorrang der Naturalerfüllung ausgingen und so die Frage Bedeutung erlangte, wann der Gläubiger vom Erfüllungsanspruch zum Schadensersatz oder Rücktritt übergehen kann. Es wurde deshalb für die Nichterfüllung der Leistungspflicht an die Unmöglichkeit angeknüpft, da sie der Hauptfall ist, in dem der Gläubiger sofort Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder zurücktreten kann16. Die zweite im BGB typisierte Störung der Leistungspflicht ist die vorübergehende, zu vertretende Nichterfüllung. Der Schuldner erbringt die Leistung nicht, obwohl sie nicht unmöglich i. S. d. § 275 ff. BGB ist17. Das führt im Falle des Vertretenmüssens des Schuldners in Verbindung mit einer erfolglosen Mahnung zum Störungstatbestand des Schuldnerverzuges, §§ 284-292,326 BGB 18 , dessen Rechtsfolge grundsätzlich ist, daß neben den Erfüllungsanspruch des Gläubigers ein Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens, § 2861 BGB tritt. Im gesetzlich normierten Regelungssystem des allgemeinen Schuldrechts des geltenden Rechts stellen sich somit die verschiedenen Störungstatbestände als gedanklicher Ausgangspunkt und tatbestandliche Voraussetzung einer daran anknüpfenden Rechtsfolge dar 19. Nach ganz überwiegender Ansicht20 sind die oben genannten gesetzlich geregelten Störungsformen nicht geeignet, alle vorkommenden Fälle zu erfassen. Daher haben sich im Wege der Rechtsfortbildung durch Lehre und Rechtsprechung zwei wei15 Eingehend zur Entwicklung, Funktion und den Rechtsfolgen der Unmöglichkeit unten § 51-IV und §9IV 2, 3. 16 Vgl. ζ. B. Jakobs, Unmöglichkeit S.27ff. 17 Zur Sonderstellung des §283 BGB innerhalb der typisierten Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug unten § 5IX. 18 Vernachlässigt werden kann hier der Annahmeverzug des Gläubigers, §§ 293-305 BGB, da dieser Rechtsfigur keinerlei systembildende oder -tragende Funktion zukommt. 19 Für den Kauf- und Werkvertrag sieht das Schuldrecht des BGB besondere Gewährleistungsvorschriften vor, die nur insoweit mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht verzahnt sind, als es um die Haftung des Verkäufers und Werkunternehmers für Rechtsmängel geht (vgl. §§4401,6511 BGB). Soweit es hingegen um Sachmängel geht, hat das Bürgerliche Gesetzbuch an eine aus dem römischen Rechts stammende Tradition angeknüpft und in den §§459 ff., 633 ff. BGB mit dem Gewährleistungsrecht eine eigenständige Regelung getroffen, die grundsätzlich neben dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht steht. 20 Anderer Ansicht bezüglich der pFV ist Emmerich, § 2 m. w. N.; diesem vorsichtig zustimmend Medicus, Schuldrecht AT § 351; ähnlich auch Westhelle, S. 123; teilweise auch Gillig, S. 157, 160, 165 f., 363, 428f.; früh auch schon Himmelschein in AcP 135 (1932) S. 255ff.; AcP 158 (1959/60) S. 272 (posthum), dazu unten § 11 II und § 3 II 2, III 1.

II. BGB und Kommissionsentwurf

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tere Arten von Störungstatbeständen angesiedelt, die sich an die Rechtsfolgen der im BGB normierten Störungstatbestände anlehnen. Unter der Bezeichnung „culpa in contrahendo"21 werden dabei sehr verschiedene Fälle behandelt, denen eine Pflichtverletzung im vorvertraglichen Bereich gemeinsam ist22. Als positive Vertragsverletzung23 bezeichnet man heute (terminologisch irreführend 24) jeden Störungstatbestand im weitesten Sinn, der nicht unter eine der gesetzlich geregelten Formen der Leistungsstörungen fällt 25.

2. Kritik am geltenden Recht Die Kritik an dieser Konzeption setzte schon früh ein26 und hat bis heute angehalten. So wird von dem Gutachter zum Leistungsstörungsrecht27 und der Kommission28 zunächst bemängelt, daß das allgemeine Leistungsstörungsrecht die Unmöglichkeit zur beherrschenden Kategorie erhebe29. Damit werde ein Fall als Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung gewählt, der in der forensischen Praxis nicht nur selten aufträte, sondern überhaupt nur bei ganz bestimmten Schuldverhältnissen auftreten könne, so etwa beim Spezieskauf, wenn das verkaufte Einzelstück zerstört wird 30. Die mangelnde Eignung des Begriffs der Unmöglichkeit der Leistung werde insbesondere dadurch deutlich, daß die Unmöglickeit kein einheitlich abgegrenzter Tatbestand sei und auch die Rechtsfolgen der zum Teil gesetzlich geregelten, zum 21

Nachfolgend kurz cic. Grundlegend R. von Jhering, Jhering-Jahrbücher 4. Band 1861 S. 1 ff.; Nachdruck 1969 herausgegeben von E. Schmidt, zur Entstehung und Entwicklung vgl. auch das Nachwort von E. Schmidt, S. 131 ff. 23 Nachfolgend kurz pVV für positive Vertragsverletzung bzw. pFV für positive Forderungsverletzung; grundlegend H. Staub, 1904, Nachdruck 1969 S.93ff., vgl. vorhergehende Fußnote. Zur pFV ausführlich unten § 2IV 2, § 41 und § 111, X. 24 Die terminologische Schwäche wurde schon früh kritisiert, z.B. von Siber in Planck, Vorb. zu §§275-2921 Anm. 3 a; wieder einschränkend in neuerer Zeit ζ. B. Schünemann in JuS 1987 S.1,4. 25 In dieser Funktion kommt der pFV auch die Aufgabe der Lückenfüllung bei Vertragstypen ohne eigenes gesetzliches Gewährleistungsrecht zu. 26 Exemplarisch die Kritik von Rabel, GeS. AufS. S. 1 ff. (1907); S. 56ff. (1911); teilweise auch Heinrich Stoll, AcP 136 (1932) S.257, 266ff.; kritisch zu Rabel wiederum Himmelschein, AcP 135 (1932) S.255, 262; AcP 158 (1959/1960) S.273ff. (posthum). 27 Huber in Bd. I der Gutachten S. 648, 669ff., 756ff., der mit seiner Kritik jedoch weiter geht als später die Schuldrechtskommission. 28 Bericht, S. 16ff.; vgl. auch Heinrichs, Vortrag S.8f.; Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.22. 29 Bericht, S. 16; Rolland, NJW1992 S.2377,2381 ; Huber S.669,757 f. faßt zusammen, daß die Regelung insgesamt „unvollständig, widersprüchlich, unklar und fehlerhaft" sei; Wollschläger resümiert in seiner Untersuchung der Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S. 189, daß das BGB im Recht der Leistungsstörungen Entscheidungen und Dogmen konserviere, die der heutige Jurist nur schwer nachvollziehen könne. 30 So auch ausführlich Brüggemeier, Referat auf dem DJT1994, abgedruckt in Bd.II/1 Κ 47, 60 f. 22

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§ 1 Einführung

Teil von der Rechtsprechung entwickelten Varianten unterschiedlich seien31. Die dadurch nötigen Unterscheidungen bildeten eine ständige Quelle von Abgrenzungsschwierigkeiten, deren befriedigende Lösung daran scheitere, daß eine plausible rechtspolitische Rechtfertigung unterschiedlicher Rechtsfolgen, die je nach der getroffenen Wahl eintreten, nicht erkennbar sei32. Kritisiert wird auch die Regelung der objektiven Unmöglichkeit durch § 306 BGB, der die Nichtigkeit des Vertrages anordnet, sowie die Rechtsfolge des § 307, der die evtl. Haftung des Schuldners auf das negative Interesse einschränkt33. Unbefriedigend sei auch die unklare und umstrittene Rechtslage bei der anfänglichen subjektiven Unmöglichkeit. Überhaupt sei die gesetzliche Regelung der Haftung im allgemeinen Schuldrecht unvollständig, da sie nur zwei Arten der Leistungsstörung kenne34, nämlich Verzug und Unmöglichkeit als typisierte Störungstatbestände. Nicht erfaßt wäre deshalb die sog. Schlechtleistung und der Gläubiger könne zu einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ohne Unmöglichkeit oder Interessewegfall nur über § 283 BGB kommen35. Das aus dieser Begrenztheit der gesetzlichen Störungstatbestände entstandene Nebeneinander von gesetzlich geregelten und ungeschriebenen, von der Rechtsprechung entwickelten Ansprüchen wegen Leistungsstörungen sei nicht hinnehmbar, da diese Ansprüche auch untereinander nicht klar abgegrenzt werden könnten und die unterschiedlichen Rechtsfolgen, zu denen sie führten, keine einleuchtende rechtspolitische Grundlage hätten36. Das Rechtsinstitut der pFV belege besonders deutlich, daß das kodifizierte System des Leistungsstörungsrechts in sehr wichtigen Bereichen unvollkommen sei37. Eingehend kritisiert wird auch die vom allgemeinen Schuldrecht getrennte Regelung des Gewährleistungsrechtes bei Kauf- und Werkvertrag; die fehlende Abstimmung zwischen den beiden Regelungskomplexen bilde seit dem Inkrafttreten des BGB eine unerschöpfliche Quelle von Streitigkeiten38.

3. Grundkonzeption der Regelung von Leistungsstörungen im Kommissionsentwurf Der KE 3 9 zieht aus dieser Kritik an der Grundkonzeption des geltenden Rechts die Konsequenz und gibt die Anknüpfung an verschiedene Störungstatbestände als 31

Rolland in NJW 1992 S.2377, 2381; Bericht, S. 16f. Bericht, S. 17; Huber, S.757f. 33 Bericht, S. 16f.; eingehend und m. w. N. von Wallenberg in ZRP 1994 S. 306ff. 34 Bericht S. 128. 35 Bericht S. 133. 36 Rolland, S.2381; Bericht, S. 17 f. 37 Bericht, S. 17f. Die Kritik von Huber (Gutachten S. 760) findet ihren Höhepunkt in der Feststellung, daß es gegenwärtig überhaupt kein System des Leistungsstörungsrechts gäbe. 38 Bericht, S.21 ff.; Huber, Gutachten S.761, 763 ff., 670. 39 Das Gutachten von Huber, das in starker Anlehnung an das Einheitliche Kaufrecht (EKG, Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 1.7.1973; BGB1.I S. 856) bzw. das UN-Kaufrecht (United Nations Conventions on Contracts for the International 32

II. BGB und Kommissionsentwurf

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Ausgangspunkt der Regelung und die Unmöglichkeit der Leistung als dessen zentralen Störungstatbestand auf 0 . Statt der Unmöglichkeit stellt die Kommission den Begriff der Pflichtverletzung in den Mittelpunkt der von ihr entwickelten Regelung, § 2801S 1 KE. In § 2411 KE werden die Leistungspflichten erwähnt, in § 241 I I KE hingegen sog. Rücksichtspflichten. Das sind die Schutzpflichten41, die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses, letztlich also nach der konkreten Situation42 zu bestimmen sind. Satz 2 des § 241 I I KE stellt klar, daß die Schutzpflichten auch ohne Leistungspflichten, also isoliert vorkommen können. a) Einheitlicher

Grundtatbestand

der Pflichtverletzung

Der einheitliche Grundtatbestand des § 28011 KE, auf dem die Rechte des Gläubigers wegen einer Leistungsstörung aufbauen, besteht also in der Verletzung einer Pflicht 43. Dieses Merkmal der Pflichtverletzung verlangt lediglich den objektiven Verstoß gegen eine Pflicht, insbesondere soll keine Differenzierung nach der Art der verletzten Pflicht erforderlich sein, ebenso soll nicht mehr der Zeitpunkt der Pflichtverletzung entscheidend sein, auf welchen Gründen sie beruht oder welche Folgen sie hat44. Der Tatbestand erfaßt Pflichten jeder Art: Haupt- und Nebenpflichten, Leistungs- und Schutzpflichten; gleichgültig ist, ob die Pflicht auf einem Vertrag, der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses oder auf einem einseitigen Rechtsgeschäft beruht45. Anders als im geltenden Recht sind Unmöglichkeit und Verzug damit nicht Sale of Goods von 1980, kurz: CISG; vgl. BGBl. 1989 II S.588) sowohl das allgemeine Leistungsstörungsrecht erfaßt als auch Kauf, Miete und Werkvertrag wird hier nicht gesondert behandelt. Zwar betont auch die Kommission, daß das Konzept des UN-Kaufrechtes für den Bereich des internationalen Kaufes beweglicher Sachen (seit dem 1.1.1991 geltendes innerstaatliches Recht und Nachfolger des EKG, vgl. BGBl. 1990 II S. 1477) bei der Reform des Leistungsstörungsrechtes Beachtungfinden sollte und in vielen Regelungsbereichen als Vorbild dienen könne (Bericht S. 19 f., dazu unten §4111)). Die Kommission ist jedoch trotzdem dem Gutachten von Huber nur in einigen Grundpositionen gefolgt; nicht übernommen wurde der ganz überwiegende Teil der Einzelregelungen und Systematisierungen. Auch der Gutachter selbst hat sich auf dem DJT 1994 ausdrücklich und weitgehend von seinem eigenen Gutachten und dem Reformentwurf distanziert und eine insgesamt sehr restriktive Position eingenommen (vgl. Diskussionsbericht zum DJT 1994, Bd.II/2 Κ 183 ff. und unten §4IX). Eine umfassende Kritik an dem Gutachten Hubers leistet Jakobs in seinem Buch „Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht" (1985). Diese Kritik von Jakobs ist, soweit der Kommissionsentwurf mit dem Gutachten Hubers (d.h. mit dem UN-Kaufrecht) übereinstimmt, zugleich eine vorweggenommene Kritik des Kommissionsentwurfs. Im Abschlußbericht wird darauf in materiellrechtlicher Hinsicht jedoch nicht eingegangen (vgl. die lediglich allgemeinen Ausführungen im Bericht S. 41). 40

Kurze Darstellungen der Grundzüge auch im Bericht, S.29ff.; Heinrichs, S. 8ff. Bericht, S. 113 ff. 42 Bericht, S. 115. 43 Bericht, S. 29 f., 130; die Kommission orientiert sich - wie Huber - damit an den einheitlichen Kaufrechten. Eingehend zum Begriff der Pflichtverletzung im KE unten § 4. 44 Bericht, S.29. 43 Heinrichs, S. 10. 41

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§ 1 Einführung

mehr besondere und eigenständig geregelte Formen der Leistungsstörung46, § 2801 S 1 KE ist der umfassende Grund- und Auffangtatbestand 47. Das Leistungsstörungsrecht des KE 48 beruht so auf einer Weiterentwicklung und Verallgemeinerung der Grundsätze der Haftung wegen positiver Forderungsverletzung49, bezieht aber auch die Fälle der culpa in contrahendo mit ein50. Neben der neuartigen Pflichtverletzung soll - wie auch bisher - der Vorrang des Erfüllungsanspruches ein wesentliches Strukturmerkmal sein, dieser Vorrang soll jedoch im Gegensatz zum geltenden Recht51 dadurch gewahrt werden, daß der Gläubiger dem Schuldner grundsätzlich eine angemessene Frist zur Erfüllung setzen muß, bevor er nach ergebnislosem Ablauf weitere Rechte geltend machen kann52. b) Die Grenze der Ρrimärleistungspflicht An die Stelle des § 275 BGB, der die Bindung des Schuldners an die Primärleistung ipso iure aufhebt, wenn diese unmöglich ist, tritt § 275 KE. Für das Schicksal der Primärleistung wird in dieser Vorschrift nicht auf die Unmöglichkeit der Leistungspflicht, § 2411 KE abgestellt, sondern auf das zugrundeliegende Schuldverhältnis. Dieses bestimmt nach seinem „Inhalt und seiner Natur", §275 S. 1 KE, die Grenze der Anstrengungen, die der Schuldner zur Leistungserbringung aufzuwenden hat53. Entscheidend ist also nicht mehr, ob der Schuldner ein Leistungshindernis überwinden kann, sondern ob er es zu überwinden verpflichtet ist54. Eine Unterteilung nach objektiven, subjektiven, anfänglichen oder nachträglichen Leistungshindernissen bzw. nach dem Vertretenmüssen wird in § 275 KE nicht vorgenom46

Bericht, S.29f. Bericht, S. 130. 48 Die von der Kommission vorgeschlagene Neuregelung des Kaufvertragsrechts (umfassend dazu Rust; Bericht, S.32ff., 192ff.; vgl. auch Jakobs, Gesetzgebung S.79ff.; Flume in AcP 193 [1993]) S. 89ff.; Klein-Blenkers, AcP 194 (1994) S. 354ff.; Schubel, ZIP 1994 S. 1330; kurz auch Ehmann/Rust in Jura 1996 S.247,253f.; zu der Streichung des §447 BGB im Kommissionsentwurf vgl. Reinhardt) zielt vor allem darauf ab, die im geltenden Recht eigenständige Regelung der Gewährleistungsansprüche zu beseitigen und die Ansprüche des Käufers in das allgemeine Leistungsstörungsrecht einzufügen. Dadurch soll es ermöglicht werden, die Unterscheidung zwischen Sach- und Rechtsmängeln, zwischen Stück- und Gattungskauf sowie zwischen Kauf- und Werkvertrag zu beseitigen oder beträchtlich zu verringern. Die für eine nicht vertragsgemäße Leistung des Unternehmers geltenden Regelungen und die entsprechenden Vorschriften das Kaufrechts sollen nach dem Kommissionsentwurf deckungsgleich sein. 49 Bericht, S.32ff., 192ff.; Heinrichs, S. 10. 50 Heinrichs, S. 10. Die Möglichkeit eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses durch Anbahnung eines Vertrages ist im KE durch § 305 II KE normiert worden; vgl. unten § 4 XII. 51 Wo der Vorrang grundsätzlich durch die Voraussetzung der Unmöglichkeit, §§ 275, 280, 323 ff. BGB gesichert wird. 52 Bericht, S.30. 53 Bericht, S. 120. 54 Medicus in NJW 1992 S.2384, 2385; Bericht, S. 118f. 47

II. BGB und Kommissionsentwurf 55

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men . Die Kommission hat § 275 S. 1 KE als Einrede ausgestaltet , die Primärleistungspflicht erlischt im Falle eines Leistungshindernisses i. S. d. § 275 KE also nicht, sondern bleibt bestehen, allerdings dauerhaft in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt57 5 8 . c) Schadensersatz und Rücktritt Die Rechte des Gläubigers im Falle einer Pflichtverletzung stehen im System des Kommissionsentwurfes im wesentlichen auf zwei Säulen: Zum einen gibt der KE bei gegenseitigen Verträgen ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht, (§ 323 KE), zum anderen führt die vom Schuldner zu vertretende Pflichtverletzung zu einem Schadensersatzanspruch, § 2801 KE. § 2801 KE soll als Grundvoraussetzung des Schadensersatzanspruches dabei zunächst sowohl den Ersatz des sog. positiven Interesses, als auch das sog. negative Interesse erfassen; für verschiedene Arten des Schadensersatzes werden anschließend in Absatz II jedoch das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung des Absatzes I ergänzende, strengere Voraussetzungen normiert 59. Der Generaltatbestand des § 2801 KE wird auf diese Weise durch drei Spezialvorschriften modifiziert 60, was durch § 280 I I KE als „Verteilernorm" klargestellt wird, die auf Verzug, § 284 KE, den sog. „Schadensersatz statt Leistung", § 283 KE und den „Schadensersatz wegen Nichtausführung" für gegenseitige Verträge, § 327 KE, verweist. Erst in Verbindung mit den Voraussetzungen der §§ 280Π S. 1,283 KE bzw. § 280II S. 3, 327,323 KE kann der Gläubiger das positive Interesse, also sein Interesse an der Erfüllung der Verbindlichkeit verlangen; über §2801 KE selbst kann hingegen das Interesse des Geschädigten am Nichteintritt der Pflichtverletzung (negatives Interesse) geltend gemacht werden, das neben den Erfüllungsanspruch tritt. Der Kommissionsentwurf wählt folglich den umgekehrten Weg des BGB und nimmt die Betrachtung der einheitlichen Rechtsfolgen als Ausgangspunkt der Re« Medicus, S.2385. 56 Bericht, S. 119,121; ganz überwiegend kritisch dazu die Referenten und Diskussionsteilnehmer auf dem DJT 1994; vgl. auch Heinrichs (S. 17) und den insoweit ablehnenden Beschluss II 5 b) des DJT 1994. Näher dazu unten § 6 II 3, 5 b), 9. 57 Funktionslos wird durch diese Ausgestaltung des § 275 KE auch § 3231 BGB und § 306 BGB, der im geltenden Recht zur Nichtigkeit des Vertrages führt, dazu unten § 6111). 58 Liegt jedoch keine naturgesetzliche oder juristische Unmöglichkeit vor, sondern ist die Leistung noch möglich, wie ζ. B. im Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, so soll § 275 S. 1 KE hinter § 306 KE (bzw. für Dauerschuldverhältnisse § 307 KE) zurücktreten (Bericht, S. 120, 151 f., 168). In § 306 KE wurde das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage normiert, vorrangig soll also eine Anpassung des durch das Leistungshindemis gestörten Vertrages versucht werden. Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage und den vielfältigen Abgrenzungsproblemen, die sich aus den Regelungen der §§ 275, 306, 307 KE ergeben vgl. unten § 6 II 4 und Nauen. 59 Bericht, S.30f. 60 So der Bericht, S. 130.

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§ 1 Einführung

gelung, verlegt wird so der Schwerpunkt von den Tatbestandsvoraussetzungen zu den Rechtsfolgen. Die verschiedenen Störungstatbestände sind nicht mehr wie im BGB gedanklicher Ausgangspunkt, sondern Anlaß zur Modifikation der durch das einheitliche Tatbestandsmerkmal „Pflichtverletzung" ausgelösten Rechtsfolgen 61. Das Schicksal der Primärleistungspflicht und die Haftung des Schuldners auf Schadensersatz als Sekundärleistung werden unabhängig voneinander geregelt, der Kommissionsentwurf wählt also bezüglich der Schuldnerbefreiung von Primär- und Sekundärpflicht eine dualistische Regelung62.

I I I . Hintergrund, Gegenstände und Entwicklung des Reformentwurfes der Schuldrechtskommission Die Bestrebungen, das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich zu reformieren, setzten schon Ende der siebziger Jahre63 vor allem bei der in diesem Gebiet besonders ausgeprägten Rechtszersplitterung ein64. Die vom damaligen Bundesjustizminister Vogel angeregten Reformarbeiten setzten sich daher in erster Linie die Aufgabe, die Einheit des bürgerlichen Schuldrechts zu wahren bzw. wiederherzustellen65. Zu diesem Zweck leitete das Bundesjustizministerium Vorprüfungen ein, indem es zu einzelnen Teilproblemen von Rechtswissenschaftlern und Praktikern insgesamt vierundzwanzig Gutachten einholte66, die Teilgebiete aufarbeiten und erste Vorschläge zur legislatorischen Neugestaltung des BGB machen sollten67. Diese Gutachten spiegeln in ihren Themen und Schwerpunkten im wesentlichen die umfassenden Überlegungen wieder, die die Reformabsichten des Bundesjustizministeriums im früheren Stadium bestimmt haben. Sie betreffen nicht nur die zentralen schuldrechtlichen Themen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, des Kauf-, Miet- und Werkvertragsrechts, sondern auch das Recht des Schadensersatzes, das Delikts- und Bereicherungsrecht. Darüber hinaus wurde auch für eine Anzahl bisher im BGB nicht besonders geregelter Vertragsty61

Ähnlich auch Stümer in NJW 1994, Beilage zu Heft 25 S. 2 und FS für Brandner S. 635, 637; vgl. auch Wiedemann, System S.367, 374; Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.23, 43, 45. 62 Ernst JZ 1994 S. 801, 803; vgl. auch Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.25. 63 Genaue Nachweise bei Heinrichs, S.4f. und Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.8. 64 Vgl. insgesamt zur Geschichte des Kommissionsentwurfs z.B. A. Wolf, AcP 182 (1982) S. 80ff.; MüKo-Kramer, Einl. zu §§ 241 ff. Rn 95; Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 14 f.; Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.7ff.; Kötz, Referat auf dem 60. DJT 1994, abgedruckt in Bd.II/1 der Verhandlungen des 60. DJT, Κ 9 ff. 65 Vgl. Heinrichs S.4f.; Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.7ff. 66 Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Band I und II wurden 1981 veröffentlicht, 1983 folgte Band III. 67 Sehr kritisch schon zur Formulierung des dem Gutachten von Huber zugrundeliegenden Themas („Empfiehlt sich die Einführung eines Leistungsstörungsrechtes nach dem Vorbild des Einheitlichen Kaufrechtes?...", Bd.I S.648 ff.) äußert sich Jakobs, Gesetzgebung S. 10, insb. in Fn.3.

III. Hintergrund, Gegenstände und Entwicklung des Reformentwurfes

33

68

pen eine rechtliche Normierung erwogen . Es folgten erste Stellungnahmen der Rechtswissenschaft zu den Gutachten und Teilentwürfen 69 und 1983 waren die Grundfragen der Schuldrechtsreform Gegenstand der Sondertagung der Vereinigung der Zivilrechtslehrer in Stuttgart70·71. Nach dem Regierungswechsel wurde an dem Plan einer Reform grundsätzlich festgehalten, der neue Bundesjustizminister Engelhard faßte den Reformauftrag jedoch erheblich enger. Am 2.2.1984 konstituierte sich die vom Bundesjustizminister einberufene Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, sie erhielt den Auftrag, „Vorschläge zu erarbeiten, die es dem Gesetzgeber erlauben, das allgemeine Leistungsstörungsrecht, das Gewährleistungsrecht des Kauf- und Werkvertrages sowie das Verjährungsrecht unter Berücksichtigung insbesondere der Eigebnisse der Rechtsprechung und der Praxis übersichtlicher und zeitgemäßer zu gestalten^...)"72. Die ursprünglich umfassenden Reformüberlegungen waren somit auf die Kerngebiete zurückgeschnitten worden73. Der Bundesjustizminister betonte auf der konstituierenden Sitzung der Kommission, daß es nicht um einen Abschied vom BGB gehe, sondern um eine Überarbeitung, bei der unter Wahrung der systematischen Grundstrukturen 74, methodischen Ansätze und Grundwertungen des Gesetzes gewissermaßen die Erfahrungen aus acht Jahrzehnten seiner Anwendung aufgearbeitet werden75 7 6 . 68

So ζ. B. für den Heimvertrag, den medizinischen Behandlungsvertrag, den Girovertrag, den Energielieferungsvertrag und den Bauvertrag. 69 Vgl. ζ. B. die Beiträge von Diederichsen, Grunsky, Brüggemeier und Weyers in AcP 182 (1982), die teilweise auf der Tagung der Zivilrechtslehrervereinigung 1981 in Bamberg gehaltene Referate wiedergeben; Heft Nr. 37 der NJW 1982, dessen Beiträge ausschließlich die Schuldrechtsreform zum Gegenstand haben; weiterhin Bunte in BB 1982 S. 685 ff.; H.-P. Westermann in ZRP 1983 S.249ff.; Hüffer in AcP 1984 S.584ff.; eingehend zum Gutachten von Huber besonders Jakobs in Gesetzgebung, S. 1 ff. 70 Abdruck der Referate und Diskussionsberichte in AcP 183 (1983) Heft 4, 5: Lieb S. 327ff.; Picker, S. 369ff.; Vollkommer, S. 525 ff.; Leser, S. 568ff.; Hopt, S. 608ff. 71 Zur Resonanz vgl. insgesamt Schlechtriem, Schuldrechtsreform S. 14 f. 72 Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 15. 73 Zu den Einschränkungen des Reformvorhabens eingehend Heinrichs, S.5ff.; kurz auch der Abschlußbericht der Kommission S. 39. 74 Anders insoweit das Kommissionsmitglied Schlechtriem. Schlechtriem betonte auf dem DJT 1994 (Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 140, 143), daß es im geltenden Recht um Strukturmängel gehe und deshalb auch eine Strukturreform vorgeschlagen wurde; ähnlich Westermann, ebenda Κ 160: „Grundlagenreform des Schuldrechts an Haupt und Gliedern". Kritisch zur tatsächlichen Änderungstiefe des Kommissionsvorschlages äußert sich auch Emst in NJW 1994 S. 2177, 2180f.; sogar nach Einschätzung des Kommissionsvorsitzenden Rolland stellt der Entwurf einen „tiefen Einschnitt in das überkommene System dar", weshalb die vielfältigen Versuche, die Änderungen möglichst unbedenklich erscheinen zu lassen, „etwas bemüht" wirken (NJW 1992 S.2380). 75 Vgl. Engelhard in NJW 1984 S. 1201 ff. 76 Nicht im Rahmen dieser Arbeit kann der grundsätzlichen Frage des „Berufes unserer Zeit" (C.-F. von Savigny) zur Überarbeitung des Schuldrechtes nachgegangen werden, vgl. 3 Kuhlmann

34

§ 1 Einführung Die Kommission hat als Ergebnis ihrer Arbeit Ende 1991 ihren Schlußbericht

vorgelegt. Dieser Kommissionsbericht wurde 1992 vom Bundesminister der Justiz unter dem Titel „Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts" 77 herausgegeben 78 und enthält einen Gesetzesvorschlag 79 sowie Erläuterungen 80 zu den einzelnen Vorschriften 81. Die Stellungnahmen zu diesen Kommissionsvorschlägen fielen in der Folgezeit nicht so zahlreich aus wie erwartet 82 und waren überwiegend ablehnend oder kritisch 83 8 4 . 1993 war die Schuldrechtsreform und der vorliegende Kommissionsentwurf einer der Gegenstände des 24. Deutschen Notartages 85 dazu aber umfassend und m. w. N. Braun in JZ 1993 S. 1 ff.; vgl. auch E. Wolf in ZRP 1982 S. 1 ff. und ZRP 1983 S. 241 ff.; Huber Gutachten S. 772 ff.; kurz auch der Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts S.39ff., sowie jüngst auch Stürner in JZ 1996 S.741, 744 f., 750 ff. Zum-hier ebenfalls vernachlässigten- Aspekt der Ausarbeitung eines einheitlichen Europäischen Gesetzbuches für das Privatrecht vgl. ζ. B. Kötz, Referat auf dem DJT 1994 Bd.II/1 Κ 24ff.; Schlechtriem in ZEuP 1993 S.217ff. und Emst in NJW 1994 S. 2177,2178 f., der meint, daß man die Reform angesichts des Prozeßes europäischer und internationaler Rechtsangleichung als Daueraufgabe betrachten müsse. 77 In dieser Arbeit als Bericht/Abschlußbericht bezeichnet. 78 Der Bericht gibt keine(n) Verfasser an. Wie Heinrichs, S.7 betont, wurde er aber von den Mitgliedern der Kommission verfaßt. 79 Nachfolgend abgekürzt als Kommissionsentwurf, KE. Abdruck der Vorschriften ζ. B. bei MüKo-Kramer, Einl. vor §§ 241 ff. Rn 103; Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff. Rn 574. 80 Das Kommissionsmitglied Diederichsen erklärt dazu, daß man in den Abschlußbericht bewußt nur die wichtigsten Sachen habe eingehen lassen, dieser Beschränkung seien zahlreiche Verweisungen auf Literatur und Rechtsprechung zum Opfer gefallen (Diskussionsbeitrag auf dem DJT, Bd. II/2 Κ 216). 81 Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang, daß der Bericht bislang die alleinige Grundlage zur Einarbeitung in den Gesetzesvorschlag darstellt. Entgegen der berechtigten Hoffnung von Flume (in AcP 193 [1993] S.89,120), Schlechtriem (Schuldrechtsreform S. 19 Fn.21 und S. 21), D. Rabe (in FS für H.-J. Rabe S. 135,148 Fn.54) und entgegen sonstiger Übung bei Gesetzgebungsarbeiten sind weder die Sitzungsprotokolle veröffentlicht worden, noch die als Grundlage der Beratungen dienenden Referate und Teilentwürfe der Kommissionsmitglieder bzw. die Vorentwürfe, die von Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums verfaßt worden sind (vgl. Heinrichs, S.6f.; Schlechtriem, Schuldrechtsreform, S. 18ff.). Dem vorgelegten Bericht ist über unterschiedliche Meinungen der Kommissionsmitglieder ebenfalls nichts zu entnehmen. Es bleiben als Materialien neben dem Abschlußbericht nur die - vereinzelten- Stellungnahmen der Kommissionsmitglieder zu ihrem Entwurf in anderen Veröffentlichungen. 82 Dazu Heinrichs, S.3; ebenso Hensen auf dem DJT 1994, Diskussionsbericht Bd.II/2 Κ 170. 83 Vgl. ζ. Β. Schapp, JZ 1993 S. 637ff.; Köhler, W M 1993 S.45ff.; Emst JZ 1994 S.801 ff. und NJW 1994 S.2177ff.; Westerhoff, ZG 1994 S.97ff.; Flume AcP 193 (1993) S. 89ff.; insgesamt positiv hingegen Wörlen/Mentzinis in Jura 1995 S. 1 ff. 84 Den Inhalt des Kommissionsentwurfes geben einige der Mitglieder wieder z.B. in NJW 1992 S. 2377 ff. (Beiträge von Rolland, Haas, Medicus und Rabe) Bambring in DNotZ 1992 S.691 ff. 85 Zweite Arbeitssitzung: „Schuldrechtsreform und notarielle Vertragsgestaltung". Die Referate von G. Bambring und H. Amann sowie daran anschließende Diskussionsbeiträge sind abgedruckt im Sondeiiieft der DNotZ 1993 (im Anschluß an Heft 12) S.77-121.

III. Hintergrund, Gegenstände und Entwicklung des Reformentwurfes

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in Hamburg; 199486 war die Schuldrechtsreform bei den Verhandlungen des 60. Deutschen Juristentages das Thema87 der Abteilung Zivilrecht88. Auf beiden Veranstaltungen überwog deutlich die Zustimmung zu den vorgeschlagenen Neuregelungen des Kommissionsentwurfes und die Abteilung Zivilrecht des Deutschen Juristentages hat am 22. September 1994 der Grundkonzeption des Kommissionsentwurfes mit ganz überwiegender Mehrheit zugestimmt89. Zustimmung hat die Grundkonzeption des Kommissionsentwurfes auch seitens der Richterschaft 90 sowie einzelner Landesjustizverwaltungen91 erfahren. Unabhängig davon, ob die Vorschläge der Kommission schließlich vom Gesetzgeber übernommen werden92, kommt ihnen die nicht zu unterschätzende Bedeutung zu, den bis heute erreichten Stand der möglichen und geltenden Lösungen in wichtigen und zentralen Teilbereichen des Schuldrechts widerzuspiegeln. Der Kommissionsentwurf ist insoweit auch eine Bestandsaufnahme der Mängel und Schwierigkeiten des geltenden Rechts. Insbesondere ergibt sich durch die Reformarbeiten eine Chance, die weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammenden Schlüsselbegriffe des BGB daraufhin zu überprüfen, ob die in ihnen vorgezeichneten Lösungen auch heute noch sachgerecht sind, oder ob in der Anwendung und Fortentwicklung des BGB neue Grundkategorien entstanden sind, die den weiteren Bemühungen um eine transparente Ordnung des Schuldrechts zugrunde gelegt werden können.

86 Vgl. dazu die vorausgehende Themenpräsentation des Vorsitzenden der Abteilung Zivilrecht Stürner in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 S. 1 ff., derselbe kritisch zu der Grundkonzeption des Entwurfes in FS für Brand S. 635ff. 87 „Empfiehlt sich die von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene Neuregelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, der Mängelhaftung bei Kauf- und Werkvertrag und des Rechts der Verjährung?". 88 Die Referate von Kötz, Joussen und Brüggemeier sind abgedruckt in Bd.II/1 der Verhandlungen des 60. Deutschen Juristentages, Κ 7 - Κ 102; die Diskussionsbeiträge sind abgedruckt in Bd. II/2 Κ 113 - Κ 239. 89 Beschluß 11): Die geplante Schuldrechtsreform ist grundsätzlich wünschenswert; angenommen mit 101:10:3 Stimmen. Die genaue Beschlußfassung ist abgedruckt in Bd.II/2 der Verhandlungen des DJT 1994 Κ 232ff.; die Beschlüssefinden sich in Bd.II/1 Κ 103ff.; Bd.II/2 Κ 240ff.; ebenfalls in NJW 1994 S. 3069ff. und ZIP 1994 S. 1573f. 90 Zugestimmt hat der Präsident des BGH in seiner - bisher unveröffentlichten - Stellungnahme gegenüber dem Bundesjustizministerium, vgl. Heinrichs, Vortrag S.4; ebenso der Deutsche Richterbund, vgl. Dworazik, Diskussionsbericht des 60. DJT Bd. II/2 Κ 199 ff. 91 Vgl. zur Stellungnahme Nordrhein-Westfalens Weismann, Diskussionsbericht S. 153 ff.; Heinrichs, S.4. 92 Emst (ebenda S. 2181) befürchtet, daß die übertriebene Änderungstiefe des Entwurfes unnötige Akzeptanzprobleme mit sich bringe, die die Verwirklichung der Schuldrechtsreform verzögern. Skepsis gegenüber der Bestandfestigkeit einer nationalen Reform ist wohl auch wegen der zunehmenden Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Privatrechts auf europäischer Ebene angebracht. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Braun in JZ 1993 S. 1,7 zum allgemeinen Zustand der Gesetzgebung.

3*

§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten I. Güterbewegung und Güterschutz Für eine materielle Privatrechtsordnung stellt sich die Grundaufgabe, das Eigentum gegen Beeinträchigungen von außen zu schützen und Regelungen bereitzustellen, die eine freie Disposition über das Eigentum ermöglichen; in technischen Begriffen gesagt hat sie Güterschutz und Güterbewegung zu gewährleisten1. Zur Regelung der Bewegung der privaten Rechtsgüter ist es vor allem erforderlich, die Voraussetzungen und die Grenzen rechtsgeschäftlicher Dispositionen zu klären, die Verpflichtungen mit Verbindlichkeit auszustatten und die Güterbewegung sowie den Güterbestand gegen Beeinträchtigungen zu sichern. Das BGB nimmt keinen ausdrücklichen Bezug auf diese Grundpfeiler des Privatrechts, es setzt sie vielmehr voraus und wendet sich der Regelung der gestellten Aufgabe zu. Entsprechend dem Bedürfnis des wirtschaftenden Menschen, Güter zu erwerben und die erworbenen Güter zu bewahren, hat das Schuldrecht des BGB dabei auf der Grundlage der Privatautonomie Formen des wirtschaftlichen Verkehrs kodifiziert, die der Bewegung und dem Schutz der Güter dienen2. Die verschiedenen Formen der Güterbewegung und des Güterschutzes wurzeln somit in den Verkehrsgebräuchen, nicht in der Rechtsordnung3. Im Dienste der Güterbewegung steht der Erwerbsanspruch des Gläubigers, dem eine Leistungspflicht des Schuldners entspricht; diese Ansprüche sind regelmäßig auf eine Handlung (positive Leistung) des Schuldners gerichtet4. Der Schutz der privaten Rechtsgüter erfolgt demgegenüber primär über die Einräumung von Schutzansprüchen, für den Fall der Zuwiderhandlung durch sekundäre Restitutions- oder Schadensersatzansprüche. Die Schutzansprüche sollen den Schuldner mittels ihrer drohenden Entwicklung zu einem sekundären Schadensersatzanspruch bei Verletzung der Güter von einer Zuwiderhandlung abhalten5. Die zentralen Instrumente des 1 So auch schon grundlegend Kress, S. 1 f.; vgl. auch Kress in seiner Rektoratsrede, S. 18; ähnlich auch Gemhuber (Schuldverhältnis, § 1112,3,4), der jedoch vom Güterumsatz als Mittelpunkt ausgeht. 2 Dazu Kress, § 1 1) und 2); ähnlich auch Gernhuber, Schuldverhältnis § 1112. 3 Die Rechtsordnung gibt im Rahmen der Privatautonomie die Verfolgung aller Zwecke frei, eingegrenzt nur durch §§ 138, 134 BGB. Vgl. Ehmann, Einführung S.XVIf.; ähnlich auch Gemhuber (Schuldverhältnis, § 1112). 4 Ausnahmsweise auch auf eine Unterlassung, nämlich auf Duldung des Eingriffs des Gläubigers, vgl. Kress, S. 3. 5 Kress, S. 5,10,578. Zum Schutzanspruches siehe unten § 10 VI).

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch

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Schuldrechts einer materiellen Privatrechtsordnung sind damit die Erwerbsansprüche, denen Leistungspflichten korrespondieren und die Schutzansprüche, denen Schutzpflichten korrespondieren6. In terminologischer Hinsicht müßte dem „Erwerbsanspruch" des Gläubigers als Pflicht des Schuldners bei spachlich-symetrischer Entsprechung die „Erwerbspflicht" gegenüberstehen. Da dieser Begriff zu der unzutreffenden Vorstellung führt, den Schuldner treffe eine Verpflichtung, ein Gut zu erwerben, statt - genau umgekehrt - dem Gläubiger ein Gut zu verschaffen, wird im folgenden der allgemeinübliche Begriff der „Leistungpflicht" beibehalten7. Dem Erwerbsanspruch des Gläubigers korrespondiert terminologisch also die Leistungspflicht des Schuldners8.

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch 1. Der Erwerbsanspruch Der Bewegung der Güter dienen die vertraglichen Schuldverhältnisse, die dem Austausch der Güter dienen (ζ. B. Kauf, Miete und Dienst- und Werkvertrag). Diese Güterbewegung wird durch die Versprechensverträge eingeleitet, die die Erwerbsansprüche und die Leistungspflichten begründen. Leistung in diesem System ist dabei jede zu einem schuldrechtlich erheblichen Zweck bewirkte Güterverschiebung9. Leistungspflichten zielen somit regelmäßig auf eine Veränderung der Güterlage durch Güterverschiebung ab10. Bei den Leistungspflichten des Schuldners bzw. Erwerbsansprüchen des Gläubigers ist entsprechend der tatsächlichen Beschaffenheit des Leistungsinhaltes zu un6

Grundlegend dazu schon Kress, §§ 1, 2, 23. Die Trennung von Schutz- und Erwerbsansprüchen läßt sich zurückführen auf Stahl (Die Philosophie des Rechts, Bd. II, 1 III. Buch § 52 - zitiert nach Ehmann, Einführung S. XXIII -): „Alle Forderungen haben den Zweck, eine Vermögensmittheilung entweder ursprünglich zu begründen oder als Ersatz für vorher verursachten Schaden, jene in Folge von Vorgängen, die nach der Absicht der Parteien oder nach ihrer eigenen Natur auf Begründung eines Rechtsverhältnisses abzielen (Geschäft im weitesten Sinne), diese in Folge einer Schuld des zu Verpflichtenden." 7 Sutschet weist zutreffend darauf hin, daß dem Erwerbsanspruch entsprechende Begriffe wie „Erwerbherbeiführungspflicht" oder „Erwerbverschaffungspflicht" aus sprachästhetischen Gründen nicht in Betracht kommen; § 3 II 3. 8 Zur terminologischen Einordnung des Schadensersatzanspruchs siehe sogleich unten 2bbb) i.V.m.Fn.55. 9 Kress, S.3,186ff., 193 ff., 199ff.(§ 11 III); Ehmann, Einführung S.XIX; prägnant auch Siber in seinem Grundriß von 1931 (S.2): „Leistung ist Wertbewegung zwischen zwei Interessenkreisen"; Gemhuber, Schuldverhältnis § 114, §21113; Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1, §51. Dazu gehören nicht nur gegenständliche Leistungen, sondern auch Arbeits- und Werkleistungen. 10 So auch noch jüngst der Abschlußbericht (S. 113) der Schuldrechtskommission.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

terscheiden nach Sachleistungen11, Dienstleistungen12, Geldleistungen13 und Unterlassungen. Unterlassungen sind allerdings entgegen der Regel des § 241 S. 2 BGB grundsätzlich nicht als Leistungen in dem Sinne zu begreifen, daß dadurch das Vermögen des Unterlassungsgläubigers durch den Unterlassungsschuldner vermehrt werden soll14. Die Art der Hauptleistung und ihr Zweck bestimmen dabei den Typ des Schuldverhältnisses15, sie kennzeichnet den Vertragstypus und entscheidet darüber, welche dispositiven Regelungen im Zweifelsfall Anwendung finden. Man kann insoweit zwischen den vertragstypischen, „essentiellen" Leistungspflichten und den nicht vertragsbestimmenden, „akzidentiellen" Leistungspflichten, also essentialia und accidentialia negotii unterscheiden16. Die Leistungspflicht steht im Synallagma, soweit sie gegen das Versprechen einer Gegenleistung ausgetauscht ist17. Ist die Leistungspflicht jedoch nicht in das Synallgma einbezogen, bzw. gehört sie nicht zu den essentialia des Schuldverhältnisses, dann handelt es sich um eine sog. Nebenleistungspflicht. Nebenleistungspflichten haben dementsprechend einen selbständigen, auf ein Tun gerichteten Gegenstand, der für den Gläubiger in irgendeiner Weise von Vorteil ist. Er erweitert den Rechtsbestand des Gläubigers über den Bestand hinaus, den er durch die Erfüllung der Hauptleistungspflicht erlangt18. Erwerbsansprüche können ganz oder teilweise erfüllt werden (§ 362 BGB) oder ihre Erfüllung kann unmöglich werden (§§275, 280, 323ff. BGB), es kann Verzug eintreten (§§ 284, 293 BGB), sie können abgetreten (§ 398 BGB) und auf sie kann verzichtet werden. Der Gläubiger kann Befriedigung, Erfüllung verlangen19 und seinen Anspruch mit den Mitteln des Prozeßrechts durchsetzen. 11

Bei Sachleistungen ist weiter zu unterscheiden zwischen Sachleistungen, die der Eigentumsübertragung dienen (z.B. Kauf und Schenkung, §§433, 516 BGB) und Sachleistungen, die nur der Besitzverschaffung bzw. Nutzung auf Zeit dienen (z.B. Miete, Leihe, §§535, 598 BGB). 12 Bei Dienstleistungen ist zu unterscheiden zwischen Dienstleistungen, die ein Erfolgsversprechen beinhalten (z.B. Werkvertrag, §631 BGB) und solchen ohne Erfolgsversprechen (z. B. Dienstvertrag, § 611 BGB). Einen weiteren Typus der Dienstleistung bildet die in sozialer Abhängigkeit erbrachte Dienstleistung (Arbeitsvertrag). 13 Bei Geldleistungen ist ähnlich wie bei Sachleistungen auch die Geldleistung zur Eigentumsübertragung möglich (vgl. z. B. § 433 II BGB), als auch die Geldleistung zur Nutzung auf Zeit (Darlehen, §607 BGB). 14 Zur Problematik der Einordnung von Unterlassungspflichten als Leistungspflichten in dem hier dargelegten Sinn und der Anwendbarkeit der Vorschriften für Leistungspflichten vgl. eingehend unten § 8 V), IX), X) und XII). 15 Siehe Gernhuber, Schuldverhältnis §2114; eingehend auch Stephan, S.9ff., 119f. 16 Diese Einteilung nach Essentialien, Akzidentialien und Naturalien des Rechtsgeschäfts geht auf die Pandektenwissenschaft zurück, vgl. Kress, S. 19 f.; vgl. auch Gernhuber, Schuldverhältnis §2 II 4 a). 17 Kress, S. 18 f., 18 Gernhuber, Schuldverhältnis §21114; Stephan, S.9ff.; 119 f. 19 Vgl. §§ 1941,241 S. 1 BGB; Kress, S. 1 ff., 6,10.

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch

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Der Güterbewegung dienen auch die Schuldverhältnisse, die der Abwicklung des durch die Erwerbsansprüche und Leistungspflichten eingeleiteten Güteraustausches dienen, wie z.B. die Bürgschaft (§765 BGB), Schuldanerkenntnis (§781 BGB), Vergleich (§ 779 BGB) und sonstige Sicherungsgeschäfte sowie der Abwicklung des erloschenen Schuldverhältnisses20. Die Erwerbsansprüche sind relativ, sie bestehen nur unter den an der Vornahme des Rechtsgeschäftes beteiligten Personen21. 2. Schutzansprüche Im Gegensatz zu den Erwerbsansprüchen sind Schutzansprüche bzw. die entsprechenden Schutzpflichten nicht auf die Mehrung bzw. Bewegung von Gütern, nicht auf Befriedigung oder Erfüllung gerichtet22, sondern auf Abwendung der Verletzung von Gütern und Interessen, also auf Vorbeugung. Gemeinsamer Zweck aller Schutzansprüche ist der Schutz der schon erworbenen Güter und Interessen des Gläubigers sowie im Falle der Güterbewegung auch der Schutz des zu erwerbenden Gutes, also des Leistungsgegenstandes selbst. Zu unterscheiden sind aber die gesetzlichen von den vertraglichen Schutzansprüchen. a) Gesetzliche Schutzansprüche Zu den gesetzlichen Schutzansprüchen23 zählen vor allem die Ansprüche des Deliktsrechts24 (§§ 823 ff. BGB), das dem Schutz der Güter dient25. Hierher gehören jedoch auch die Ansprüche, die zum Schutz des Eigentums und anderer absoluter Rechte (wie z.B. §§985 ff., 1004,1065,1227,1017 BGB) und des Besitzes (§§858,861 ff., 1007 BGB) bestehen26. Das Vermögen wird geschützt z.B. durch §823H BGB 27 20 Kress, S. 19f.; so ζ. Β. der Rückerstattungsanspruch des Verleihers § 604 BGB; Hinterlegers, §695 BGB; Darlehensrückgebers, §6071 BGB; der Herausgabeanspruch des Schenkers nach §§ 528, 529 BGB usw. 21 Kress, S.2; Ausnahmen sind z.B. §§556111, 604IV BGB: Herausgabeansprüche gegen Dritte. 22 Eine Ausnahme kann hier erst der entwickelte Schutzanspruch, der sekundäre Schadensersatzanspruch darstellen; dazu sogleich unten b bb). 23 Eine allgemeine absolute Pflicht, niemanden zu schädigen (Gebot des „neminem laedere") gibt es nicht. Zum Rechtsgedanken des „nenimen laedere" in historischer Sicht und als rechtsideales Postulat eines umfassenden Intergritätsschutzes (sowie dessen Grenzen in der Rechtwirklichkeit) eingehend Picker in AcP 183 (1983) S.369,460ff. 24 Besonders § 8231 BGB hat dabei durch die Ausweitung des deliktischen Schutzes im Zusammenhang mit der Lehre der Verkehrssicherungspflichten und der Produzentenhaftung an Bedeutung gewonnen. 25 Anderer Ansicht ist insoweit Motzer (in JZ 1983 S. 884, 887), der die gesetzliche Pflicht des Deliktsschuldners zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes als Leistungspflicht einordnet. Kritisch zur Konzeption Motzers unten § 3 II 1). 26 Kress, S.4. 27 Der Tatbestand des § 823 II BGB stellt so die Grundnorm des Deliktsrechts dar.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

i. V. m. Schutzgesetzen, die Rechtssatzcharakter haben, und durch § 826 BGB. Auch die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, §§812ff. BGB sind insoweit zum Schutz des Vermögens bestimmt, als sie Ansprüche gegen jeden geben, der aus dem Vermögen eines anderen ohne rechtlichen Grund bereichert ist, erfaßt werden also die Eingriffskondiktionen der §§ 8121 S. 1 2. Alt und 816 BGB 28 . Ebenfalls zu den gesetzlichen Schutzansprüchen gehören die im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag entstehenden Ansprüche des Geschäftsherren auf nützliche Geschäftsführung (§§ 677,687II BGB) und Schadensersatz (§§ 678,687 II BGB); diese gehen gegen jeden, der in den Interessenkreis des Geschäftsherren eingreift 29. Die Schutzansprüche gehen im Fall ihrer Verletzung auf Wiedergutmachung des Eingriffs 30, die Wiedergutmachung erfolgt regelmäßig durch eine positive Handlung31, in diesem Falle ist das Interesse des Geschädigten am Nichteintritt der Verletzung zu leisten32. Die Entwicklung zum Anspruch auf Wiedergutmachung ist jedoch nur das sekundäre Ziel aller Schutzansprüche. Vorrangig soll diese Möglichkeit der Entwicklung der Schutzansprüche von ihrer Verletzung abhalten, schon die Drohung der Wiedergutmachung soll den Betroffenen zu einem Verhalten zwingen, das der Verletzung des geschützten Gutes ausweicht. Die Geltendmachung und Durchsetzung dieses absoluten Schutzanspruchs stellt deswegen die besonders zu begründende Ausnahme dar. Neben einzelnen gesetzlichen Bestimmungen33, die die Durchsetzung für den Einzelfall ausdrücklich ermöglichen, ist nach heutiger Auffassung im Zuge der Ausweitung des quasinegatorischen Abwehranspruches durch die Rechtsprechung in Analogie zu § 1004 BGB jedoch auch die Durchsetzung weiterer Schutzansprüche beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen möglich.34 28

Anderer Ansicht bezüglich der gesetzlichen Schuldverhältnisse ist Motzer (ebenda), der die daraus erwachsenden Anspüche und Pflichten sämtlich dem Leistungsbereich zuordnet, zu der Auffassung von Motzer eingehend sogleich in § 3 II 1); ähnlich auch E. Schmidt in Nachwort, S. 144. 29 Die Ansprüche aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag gehören hingegen zum Recht der Güterbewegung. 30 Ζ. B. bei Verletzung des Eigentums auf Herausgabe der Sache, § 985 BGB; Beseitigung der Beeinträchtigung, § 1004 BGB oder Schadensersatz, § 8231 BGB. 31 Ausnahmsweise auch durch ein Unterlassen, nämlich durch die Duldung des Wiedergutmachungseingriffes, vgl.z.B. §§867,1005 BGB. 32 Vgl. dazu insgesamt Kress, § 1, § 23 (insb. S. 589f.), ähnlich auch Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 512; informativ zum Schutz im Vorfeld des Schadensersatzanspruches auch Henckel, AcP 174 (1974) S.98ff. Die Wiederherstellung des dem absoluten Rechts oder Gutes entsprechenden ursprünglichen Zustandes (z.B. §§985,1004,1065,1227 BGB usw.) kann schon auf Grund des objektiv rechtswidrigen Eingriffes verlangt werden; Schadensersatz (§§249 ff. BGB) dagegen in der Regel nur, wenn den Verletzer ein Verschulden trifft. 33 Z.B. §§86212,100412,1134 BGB. 34 Enger insoweit noch Kress, S. 6,593 f.; der eine vorbeugende Durchsetzung neben den gesetzlich geregelten Fällen nur bei ausdrücklicher Vereinbarung für möglich hält, eine analoge Anwendung jedoch als kaum zulässig erachtet.

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch

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Die oben genannten gesetzlichen Schutzansprüche sind absolut, sie gehen gegen jeden, durch dessen Verhalten das geschützte Gut verletzt wird. Das absolute Recht stellt somit eine Hilfsvorstellung dar, die zwischen den absoluten unentwickelten Schutzanspruch und seine tatsächlichen Voraussetzungen tritt 35; es ist eine durch den Schutzanspruch vermittelte Machtstellung, hinter der sich die absoluten unentwickelten Schutzpflichten verbergen, deren Verletzung den Unrechtstatbestand bildet und notwendige Voraussetzung dafür ist, daß ein daraus entstehender Schaden vom Verletzer ersetzt werden muß. Die absoluten, unentwickelten Schutzansprüche bilden zwar den einen, notwendigen Pol der Schutzansprüche des BGB, treten jedoch für den Bereich des hier behandelten Themas hinter die sog. relativen Schutzansprüche zurück. b) Vertragliche

Schutzansprüche

Die Herausarbeitung der Unterscheidung von Erwerbs- und Schutzansprüchen im vertraglichen Bereich geht zurück auf Hugo Kress36. Mit den Kategorien der Erwerbs- und Schutzansprüche und der Einteilung der Schutzansprüche in unentwikkelte und entwickelte Ansprüche überwand Kress die unfruchtbare Gliederung in negatorische und deliktische sowie quasi-negatorische und quasi-deliktische Ansprüche und kam zu neuen, bislang noch nicht hinreichend wirksam gewordenen Erkenntnissen. Heinrich Stoll hat diese Unterscheidung von Hugo Kress übernommen37 und sich teilweise zu eigen gemacht38. 35

Kress, S.9, lOf. Kress, S. Iff., 578ff. 37 Vgl. ausdrücklich in AcP 136 (1932) S.257,288ff. und Fn.66ff.; ausdrückliche Verweise auf Kressfinden sich auch noch 1934 in seinem Referat vor der Akademie für Deutsches Recht, vgl. Schubert Bd. III, 3 S. 196, 198). 38 Wenn trotzdem in der Literatur vielfach unreflektiert die Herausarbeitung der Schutzpflichten Heinrich Stoll zugeschrieben wird (vgl. exemplarisch Larenz I § 21, Gemhuber, Schuldverhältnis §2IV 2a; Esser/Schmidt, Bd.I Tb. 1 §611; E. Schmidt in Nachwort S. 141; Teichmann in Soergel, § 242 Rn 178; Wiedemann in Soergel, vor § 275 Rn 357; J. Schmidt in Staudinger, Einl. zu § 241 ff. Rn 311; Huber in FS für von Caemmerer, S. 837, 865; Picker in AcP 183 [1983] S.369, 378 i.V.m. Fn.28, anders anschließend Fn.70; Stümer in JZ 1976 S.384,385 i.V.m. Fn.8; Thiele in JZ 1967 S.649,650 i.V.m. Fn.16; Motzer in JZ 1983, S.884, 885 i. V. m. Fn.17; besonders prononciert Frost, S. 13,46,141,205; jüngst noch Brüggemeier, Referat auf dem DJT 1994 Bd.II/1, Κ 47,49 und Bruggner-Wolter S.25 i.V.m. Fn.23. Noch anders der Abschlußbericht S. 113, der die Herausarbeitung der Schutzpflichten der „modernen Schuldrechtslehre" zuschreibt und dafür auf Larenz und Gemhuber verweist), so läßt sich das darauf zurückführen, daß häufig nicht Stolls früherer, an Kress ausdrücklich anschließender Beitrag (AcP 136 -1932- S.257 ff.) herangezogen wird, sondern eine etwas später veröffentlichte Ausarbeitung für den Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht (Die Lehre von den Leistungsstörungen, hrsg. 1936 als Denkschrift der Akademie für Deutsches Recht, vgl. Schubert Bd. III, 3 S. 232 ff.). In dieser Veröffentlichung legt Stoll nicht mehr offen, daß er das Konzept der Schutzpflichten dem Werk von Hugo Kress entlehnt hat; vgl. ebenda S. 27-30 (Seitenzahlen des Originals). Richtig insoweit aber ζ. B. Jakobs, Unmöglichkeit S. 34f. i. V.m. Fn.37; 36

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

Die relativen Schutzansprüche stehen im Gegensatz zu den absoluten Schutzansprüchen nur den an einem Schuldverhältnis Beteiligten gegen den anderen zu 39 , nicht auch gegen dritte Verletzer 40. Auch sie dienen dem Schutz der Güter und Interessen des Gläubigers. Zusammenfassend lassen sie sich dahingehend kennzeichnen, daß der Schuldner wie der Gläubiger ihr Verhalten so einzurichten haben, daß die bei der Begründung und Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehungen berührten Güter und Interessen einschließlich des Leistungsgegenstandes nicht verletzt oder beeinträchtigt werden41. In den folgenden Ausführungen werden elementare Strukturen der vertraglichen Schutzansprüche und ihr Verhältnis zu den Erwerbsansprüchen zunächst nur grob skizziert. Die eingehende Behandlung ihrer Eigenarten und Bedeutung bleibt späteren Abschnitten dieser Arbeit, insbesondere dem sich anschließenden § 3 und § 8 vorbehalten. aa) Unentwickelte und entwickelte Schutzansprüche Wie die absoluten Schutzansprüche gehen auch die relativen unentwickelten Schutzansprüche typischerweise auf ein Unterlassen des Schuldners, es kommt jedoch auch die Verpflichtung des Schuldners zu einer positiven Schutzhandlung in Betracht42. Die unentwickelten relativen Schutzansprüche sind nicht auf Erfüllung i. S. d. § 362 BGB gerichtet43, sondern auf Beachtung44. Der korrespondierende Schutzanspruch des Gläubigers ist in diesem Stadium regelmäßig „unentwickelt"45, erst seine Wiegand S.547,555 f.; Evans-von Krbek, AcP 179 (1979) S.85, 89 i. V.m. Fn.22; MüKo-Kramer, Einl. zu §241, Rdnr 72 i. V.m. Fn.172. 39 Eine Ergänzung und Erweiterung der Haftung stellen insofern das Rechtsinstitut des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter sowie die Drittschadensliquidation dar. Eingehend zu diesem Themenkreis Sutschet. 40 Schutzansprüche aus Gefährdungshaftung haben relativen Charakter insofern, als sie nur gegen bestimmte Personen gehen, durch deren Verhalten die geschützten Güter gefährdet werden, vgl.z.B. §833 BGB (Kress, S.4). 41 Kress, S. 582, 578ff. 42 Kress, S. 578 ff., insb. S. 579f., 5 f., vgl. auch S. 332; eingehend noch unten § 3 V2,3. Beispiele für eine positive Schutzhandlung sind die Pflicht zur Obhut für sachliche (ζ. B. die Obhut des Mieters in Ansehung der vermieteten Sache) und persönliche Güter (vgl. §618 BGB); die Pflicht zur Erstattung einer Anzeige (§§545,600, 665, 666 BGB usw.) sowie andere Aufklärungspflichten. 43 Zur Anwendbarkeit der Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechtes auf die Schutzpflichten eingehend z.B. unten §9IV), V). 44 Kress, S.585 f.; ausführlich zu den verschiedenen dazu vertretenen Meinungen z.B. unten §3 VI. 45 Kress S. 5 ff.; insb. S. 578 ff.; eingehend zum Schutzanpruch des Gläubigers unten § 3 VI). Auch die im Kaufrecht existierende Pflicht zur mangelfreien Lieferung, die zumindest beim Spezieskauf nicht durchsetzbar ist, ist demnach eine unentwickelte Pflicht. Sie ist eine Lei-

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch

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Nichtbeachtung, die eine Verletzung des durch ihn geschützten Gutes verursacht, führt zur Entwicklung dieses Anspruchs46. Der unentwickelte Schutzanspruch entwickelt sich dann zu einem Schadensersatzanspruch, zu ersetzen ist grundsätzlich das Interesse des Geschädigten an dem Nichteintritt der Verletzung47. Wie beim absoluten unentwickelten Schutzanspruch liegt auch beim relativen unentwickelten Schutzanspruches der Sinn darin, die Güter seines Inhabers dadurch zu schützen, daß der Schuldner durch die Drohung der Entwicklung zum Schadensersatzanspruch von seiner Nichtbeachtung abgehalten wird 48. Grundsätzlich bilden auch für die relativen Schutzansprüche ihre Geltendmachung und Durchsetzung die besonders zu begründende Ausnahme49. Doch auch wo die Geltendmachung des Schutzanspruches gegen den Schuldner möglich ist, führt diese Geltendmachung nicht zu einer Erfüllung, zu einer Befriedigung des Gläubigers, wie sie bei der Erfüllung der Erwerbsanprüche im Bereich der Güterbewegung eintritt, sondern nur zur Erhöhung seiner Sicherheit gegen die Verletzung des geschützten Gutes durch Anordnung entsprechender vorbeugender Maßnahmen50. bb) Der Schadensersatzanspruch als Schutzanspruch Der Schadensersatzanspruch ist ebenso wie der ihm zugrundeliegende Anspruch auf Beachtung der Schutzpflicht ein Schutzanspruch51. Zwar kann der Schutzmechanismus nicht mehr in der vorbeugenden Abwendung der Schädigung liegen, wie stungspflicht (vgl. Rust § 314), so daß das Kress'sche Verständnis, nach dem unentwickelte Pflichten nur als Schutzpflichten auftreten, wohl zu eng ist. Eine solche Zuordnung der Pflicht zur mangelfreien Lieferung als unentwickelte Schutzpflicht muß nämlich schon daran scheitern, daß diese Pflicht nicht den vorbeugenden Schutz des Käufers vor Rechtsgutsverletzungen bezweckt, sondern Bestandteil des genetischen Synyllagmas zur Sicherung des Äquivalenzinteresses in der Güterbewegung ist (vgl. Rust § 314; § 711 b). 46 Kress, ebenda. In die gleiche Richtung gehen die Ausführungen Sibers, der bald nach Kress (Grundriß S. 2) bezüglich der Pflichten im Schuldverhältnis grundsätzlich unterscheidet: „Leistung ist Wertbewegung zwischen zwei Interessenkreisen: ein Tun oder Unterlassen, das nicht Leistung an einen Empfänger ist, kann Inhalt einer Plicht, aber... nicht Inhalt eines Anspruchs sein." Aufgegriffen wird der auf Kress zurückgehende Gedanke der „Entwicklung" schon wenig später beispielweise von J. Hedemann in seinem Lehrbuch des Schuldrechts (1931) § 15 (S. 91 ff.). 47 Kress, S.4, 286 i. V.m. Fn.28; Jakobs, S.33f.; E. Schmidt, Nachwort S. 131, 137, 141; Kopeke S. 134, 150ff. 48 Kress, S. 5, 10, 578. Von einem unentwickelten Anspruch kann deshalb dann nicht gesprochen werden, wenn die Verpflichtung nach dem Willen der Beteiligten unmittelbar geltend gemacht werden kann; Kress, S. 580 Fn.5; vgl. unten § 3 VI 2). 49 Kress, S. 6,580 Fn.5,593 f. Gesetzlich bestimmte Ausnahmen bilden ζ. B. die §§444,550, 590a BGB. 50 Bei den Unterlassungsansprüchen ζ. B. durch die Androhung und Vollstreckung von Geld- und Haftstrafen, in Betracht kommt auch die Anordnung einer Sicherheitsleistung für den durch die Zuwiderhandlung entstehenden Schaden, § 890 ZPO; näher dazu unten § 9 III. 51 Vgl. Kress, S. 4 ff., S. 22,587 ff.: Der Anspruch auf Wiedergutmachung oder Schadensersatz ist ein entwickelter Schutzanspruch.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

es bei der unentwickelten Schutzpflicht der Fall ist, denn diese präventive Funktion ist der Schädigung sachlogisch vorgelagert. Doch entwickelt sich auch der Schutzmechanismus gewissermaßen mit der schuldhaften Pflichtverletzung von der vorbeugenden Abwendung durch Drohung hin zum nachträglichen Schutz durch den Ausgleich der eingetretenen Schädigung. Schadensersatzpflichten sind also nicht auf die Mehrung der Güter des Gläubigers im Sinne der Erfüllung eines Erwerbsanspruches gerichtet, sondern ihr Zweck ist der Schutz durch die Wiedergutmachung eines eingetretenen Schadens. Ein solcher Schadensersatzanspruch kann wie ein Erwerbsanspruch verlangt, erfüllt und durchgesetzt werden, da er in der Regel in einer Geldleistungsschuld besteht; der unentwickelte Schutzanspruch wird nach seiner Entwicklung also von den Vorschriften, die für Leistungsansprüche und -pflichten gelten erfaßt 52. Gleichwohl ist er nach wie vor von dem der Güterbewegung dienenden Erwerbsanspruch zu unterscheiden, denn auch in der Entwicklung verliert der Schutzanspruch nicht seinen Schutzzweck53; er dient dem Schadensausgleich, nicht aber der Güterbewegung54. Der Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz kann in terminologischer Hinsicht deshalb auch nicht als Erwerbsanspruch bezeichnet werden, da der Begriff des Erwerbsanspruchs auf den Bereich der Güterbewegung beschränkt ist55. Wie bei der sekundären Schadensersatzpflicht läßt sich nicht von einem unentwickelten Schutzanspruch sprechen, wenn die Schutzverpflichtung in einem positiven Tun besteht und nach dem Willen und der Vereinbarung der Vertragsparteien unmittelbar geltend gemacht werden kann, der Gläubiger vom Schuldner also die Beachtung seines Schutzanspruches verlangen kann56. An der Einordnung der fraglichen korrespondierenden Pflicht des Schuldners als Schutzpflicht ändert diese vereinbarte Durchsetzbarkeit freilich nichts. Sie führt jedoch dazu, daß die Schutzpflicht ihre Funktion insofern erweitert, als sie der vorbeugenden Verhaltenssteuerung nicht nur durch die drohende Entwicklung zum sekundären Schadensersatzan52

Vgl. Kress, S. 10. Ebenso kann der Schuldner eines Schadensersatzanspruches in Verzug kommen, der Anspruch kann teilweise erfüllt oder abgetreten werden etc. 53 Ähnlich betont auch Picker in AcP 183 (1983) S. 369, 398 f., daß die Leistungsverpflichtung, die auf eine Mehrung des Vermögens des Gläubigers abzielt, schon begrifflich und deshalb immer in klarem Gegensatz zu der Schadensersatzverbindlichkeit steht, die ein Minus im Vermögen des Gläubigers ausgleichen soll und die in der zurechenbaren Herbeiführung des Minus ihren materiellen Geltungsgrund hat. Motzer (in JZ 1983 S.884, 888) hingegen meint, diese sekundäre Schadensersatzpflicht nur als sekundäre Leistungspflicht einordnen zu können, da die gesetzlichen Vorschriften, die deren Entstehung anordnen, auch sämtlich an eine Störung der primären Leistungspflicht anknüpfen, §§ 280, 286ff., 323 f. BGB. Ablehnend zu dieser Auffassung unten § 3 II 1. 54 Vgl. dazu insgesamt Kress, §§1,2 und 23. Zur Frage der Identität von primärem Leistungsanspruch und sekundärem Schadensersatzanspruch siehe eingehend unten §5IV 2. 55 Möglich ist es hingegen, den Schadensersatzanspruch des Gläubigers als ,»Leistungsanspruch" zu bezeichnen, verstanden als Oberbegriff sowohl für Erwerbsansprüche als auch für den Schutzanspruch in seiner entwickelten Form; vgl. in diesem Sinne auch Sutschet, § 3 II 3. 56 Kress, S. 580 i.V.m.Fn.5.

II. Grundzüge von Erwerbsanspruch und Schutzanspruch

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spruch dient, sondern das jeweilige Verhalten des Schuldners als solches vom Gläubiger vor dieser Entwicklung verlangt werden kann. Auch das Gesetz selbst kennt vereinzelt Schutzansprüche, die entwickelt sind57, diese bilden aber die Ausnahmen zur grundsätzlichen Regel. Wie Erwerbsansprüche können auch Schutzansprüche im Synallagma stehen, d. h. gegen das vertragliche Versprechen einer Gegenleistung ausgetauscht sein und auch Schutzansprüche können als Hauptansprüche bzw. Hauptpflichten vereinbart58 sein59. Ungleich häufiger treten die unentwickelten Schutzanspüche aber im Zusammenhang mit Leistungspflichten auf, die die Hauptpflicht des Schuldverhältnisses bilden. Sie sind dann sog. Nebenpflichten 60.

3. Terminologische Erfassung der Schutzpflichten Die wohl überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung beschränkt den Begriff der Schutzpflichten auf die Nebenpflichten, die dem Schutz des Integritätsinteresses beider Vertragspartner dienen61, während alle anderen Nebenpflichten beispielsweise als „Leistungssicherungspflichten" oder „leistungsbezogene Nebenpflichten" 62 eingeordnet werden. Dieses auf den Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter beschränkte Verständnis der Schutzpflichten ist allerdings zu eng63. Je nach Vertragstyp und -inhalt kann sowohl das Integritäts- als auch das Erfüllungsinteresse betroffen sein, die Schutzpflichten dienen dann dem vollständigen Schutz des Gläubigers. Das zu schützende Interesse des Gläubigers ist in diesen Fällen nicht beschränkt auf den Bestand der Rechtsgüter vor dem Vertragsschluß, sondern erstreckt sich vielmehr auch auf den Bestandszuwachs, den er durch die ord57 So zum Beispiel die §§444, 550, 590a, 617 BGB. Die Tatsache, daß die Beachtung der Schutzpflicht verlangt werden kann (z.B. die Unterlassung des vertragswidrigen Gebrauchs) macht die Schutzpflicht nicht zur Leistungspflicht, da keine Mehrung der Güter des Gläubigers erzielt wird, sondern der Schutz seiner Güter und Interesssen, dazu unten §3 V I 1 und 2. 58 So wie es keine allgemein absolute Pflicht des „neminem laedere" gibt, so ist auch die Existenz einer allgemeinen relativen Pflicht, den Vertragspartner nicht zu schädigen (Pflicht des „partem non laedere") abzulehnen (vgl. ζ. B. Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 29 III 4 = S. 149: Eine lediglich ins Obligationengewand eingekleidete umfassende Verantwortlichkeit des „neminem laedere" sei nicht anzuerkennen; vgl. auch Kress, S. 584). 59 Z.B. wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverträge, Wettbewerbsverbote von Handelsgehilfen und Handelsvertretern, Unterbindung bestimmter Grundstücksnutzungen etc.; vgl. insgesamt und ausführlich zum Problem der Hauptpflichten, die in einem Unterlassen bestehen unten § 9. 60 Soweit sie nicht zu den essentialia des Schuldverhältnisses gehören. Relative Schutzpflichten können insoweit in einem bestimmtem Sinn nichtsynallagmatischer Natur sein, als ihre folgenlose Verletzung den Anspruch auf die Gegenleistung nicht berührt. 61 Exemplarisch MüKo-Roth, § 242 Rn 115 ff.; weiter Nachweise ζ. B. unten § 3IV 3 a, V1. 62 MüKo-Roth, ebenda. 63 Vgl. unten §3IV3, V I .

§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

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nungsgemäße Erfüllung des jeweiligen Vertrages erlangen soll. M i t anderen Worten: Geschützt wird das Interesse des Gläubigers daran, daß der Bestandszuwachs nicht gefährdet oder beeinträchtigt, sein Erwerb nicht durch pflichtwidriges Handeln des Schuldners geschmälert wird. Die Einordnung als „Leistungssicherungspflichten" oder „leistungsbezogene Nebenpflichten" hingegen besagt nur insofern etwas Richtiges, als die Schutzpflichten in diesen Konstellationen notwendigerweise im Zusammenhang mit der Erfüllung einer Hauptleistungspflicht stehen. In den folgenden Ausführungen wird der Begriff der Schutzpflichten deshalb in seinem oben 64 dargelegten umfassenden und ursprünglichen Sinn verwendet.

I I I . Das Schuldverhältnis als Organismus Schutzansprüche und Leistungsansprüche stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Das Schuldverhältnis 65 stellt vielmehr einen Organismus 66 dar, aus dem die einzelnen Forderungen und Verpflichtungen erwachsen; ein Rechtsverhältnis, in dem der Erwerbsanspruch nicht notwendig als das einzige, sondern als ein neben anderen Ansprüchen und Rechten bestehendes Element erscheint. Erwerbsansprü64

Zu der häufig verwendeten unzutreffenden Terminologie und dem umfassenden Verständnis ζ. B. auch eingehend unten § 3IV 3 und V. 65 Der Gebrauch des Wortes „Schuldverhältnis" im 2. Buch des BGB ist aufgrund historischer Ursachen nicht einheitlich. So wird das Wort „Schuldverhältnis" zur Bezeichnung eines einzelnen Forderungsrechtes verwendet (ζ. B. in §§24311,265 S. 1,3621,3641,366,3971,405, 781, 812 II BGB), während andererseits eine Fülle von Stellen mit dem Wort „Schuldverhältnis" nicht nur ein einzelnes Forderungsrecht bezeichnet, sondern mehrere Ansprüche angesprochen sind (z.B. im Titel des 2. Buches, sowie in den Titeln des 1., 2., 3. und insbesondere auch des 7. Abschnittes, wohl auch in den §§2731,2921 BGB). Es hat sich deshalb die Unterscheidung zwischen dem „Schuldverhältnis im engeren Sinne" (= Einzelforderung) und dem „Schuldverhältnis im weiteren Sinne" (= Gesamtheit der Ansprüche und Rechte, die aus der Rechtsbeziehung erwachsen) eingebürgert. Soweit im Rahmen dieser Arbeit der Terminus „Schuldverhältnis" verwendet wird, ist das Schuldverhältnis im weiteren Sinne gemeint. Vgl. dazu insgesamt und m. w. N. Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§ 241ff. Rn 99 ff. 66 Die Auffassung vom Schuldverhältnis als Organismus ist zurückzuführen auf H. Siber (in Planck, Vorb. § 241, Anm. 11 a, b; vgl. auch in seinem später erschienenen Grundriß S. 1). Dem nahestehend spricht Kress (S. 25 f.) vom Schuldverhältnis als Quelle; Herholz in AcP 130 (1929) S.257 ff. bezeichnet das Schuldverhältnis als konstante Rahmenbeziehung. Auch in neuerer Zeitfinden sich zahlreiche Versuche, das Schuld Verhältnis als Gesamtheit zu erfassen, Neuerungen werden dabei jedoch mehr in terminologischer Hinsicht erreicht. Exemplarisch seien erwähnt die Auffassung von Larenz (Schuldrecht I § 2 V) vom Schuldverhältnis als „sinnhaftem Gefüge" oder „Prozeß", der in der Zeit abläuft; P. Zepos (in AcP 155 [1956] S.486ff.) vertritt eine sog. „gestalttheoretische Auffassung" des Schuldverhältnisses (Schuldverhältnis als eine in sich oiganisierte Ganzheit von Rechtsverhältnissen zwischen Gläubiger und Schuldner); E. Wolf (in AcP 153 [1954] S. 114f. Fn.82) spricht von einem „UrsprungsVerhältnis"; Gemhuber (Schuldverhältnis § 2) sieht das Schuldverhältnis als eine „komplexe Einheit". Ausführlich zu den verschiedenen Ansichten z.B. Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§241 ff., Rn 99ff.; Frost S. 145ff., Gemhuber, Schuldverhältnis § 2. Zum Schuldverhältnis auch noch einmal unten §311), §11X1).

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III. Das Schuldverhältnis als Organismus 67

che und Schutzansprüche bilden zusammen mit Gestaltungsbefugnissen und sonstigen Rechtslagen68 das Schuldverhältnis, das zwischen Gläubiger und Schuldner besteht. Im BGB werden nur die Hauptansprüche bzw. pflichten (in der Regel Erwerbsansprüche) hervorgehoben69, die das Schuldverhältnis typisieren70 und als Einzelansprüche weiterverfolgt, so z.B. in den Bestimmungen über die Art der Bewirkung der Leistung, §§ 242, 262, 267 BGB; über die Aufhebung, §§ 275, 323ff., 362ff. BGB und über die Änderung der Ansprüche71. Die daneben auch zu dem Organismus Schuldverhältnis gehörenden Rechte und Pflichten der Parteien sind teilweise im Anschluß an die Begründung des jeweiligen Schuldverhältnisses gesetzlich geregelt72, ergeben sich dagegen vielfach erst im Wege der Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung des Prinzips von Treu und Glauben, § 242 BGB 73 . Die Hervorhebung des Erwerbsanspruchs und der diesem korrespondierenden Leistungspflicht in der Regelung des Schuldrechts des BGB 74 , insbesondere im allgemeinen Leistungsstörungsrecht unter gleichzeitiger Vernachlässigung der die Leistungspflicht flankierenden Schutzpflichten75 ist einer der tragenden Gründe nicht nur für die weitere Entwicklung des Leistungsstörungsrechtes nach Inkrafttreten des BGB, sondern auch für zahlreiche Mißverständnisse und die am Leistungsstörungsrecht geübte Kritik. Erst die scheinbare Beschränkung des allgemeinen Schuldrechts auf die Regelung der Leistungspflicht und ihrer Störungen führte dazu, daß sich die Haftungsfigur der positiven Vertragsverletzung etablierte, um die Verletzung der Nebenpflichten erfassen zu können.

67 Zur weiteren Differenzierung der möglichen Gestaltungsrechte im Organismus Schuldverhältnis vgl.z. B. Gernhuber, Schuldverhältnis §21111. 68 Ζ. B. Einziehungsberechtigungen und Empfangszuständigkeiten. 69 Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 5 II, 5 II 2. 70 Vgl. z. B. Kauf, § 4331 BGB: Anspruch auf Verschaffung von Besitz und Eigentum, §43311 BGB: Pflicht zur Kaufpreiszahlung. 71 Kress, S. 27; Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 51. Auch im Zivilprozeß geht es zumeist nicht um das Schuldverhältnis im Ganzen, sondern um die einzelne Forderung, deren gerichtliche Anerkennung sowie zwangsweise Durchsetzung erreicht werden soll. 72 Für den Kauf ζ. B. in §§ 434ff., 459 ff. BGB; vgl. auch die Beispiele für normierte Schutzpflichten unten § 312, 3. 73 Dazu unten §3I2d). 74 Esser/Schmidt (Bd. I Tb. 1 § 51, § 5 II 2, § 6 II) spricht insoweit von der Dominanz des Schuldverhältnisses als Vehikel zur Bedürfnisbefriedigung durch Erwerb bzw. Inanspruchnahme, vgl. auch Tb. 2 § 29, § 291. 75 Zu den Gründen und der Gesetzgebungsgeschichte unten § 11 VI und § 314.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

IV. Haftung für Schutzpflichtverletzungen 1. §224 E I und die allgemeine Haftung für Schutzpflichtverletzungen Die Schutzpflichtverletzungen, die auf andere Weise als durch vorübergehende oder dauerhafte Nichterfüllung den Vertragspartner schädigen und die sich wegen der Vielgestaltigkeit ihrer Form und Folgen der Typisierung entziehen, waren bis zur endgültigen Fassung des BGB durch § 224 des ersten Entwurfs zum BGB (im Folgenden EI) und die korrespondierenden Pflichtenanforderungen der besonderen Vertragstypen erfaßt. Auf den Hintergrund des allgemeinen Haftungstatbestandes, seine Wurzeln sowie seine Entwicklung im Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten wird umfassend in § 11 der Arbeit eingegangen. An dieser Stelle beschränken sich die Ausführungen deshalb auf wenige Grundzüge. Mit § 224 enthielt der erste Entwurf noch eine allgemeine und ausdrückliche Haftungsgrundlage, die die culpa-Haftung wiedergab: „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnis obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht bloß wegen vorsätzlichem sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit. (...)". Der Begriff des vollständigen Bewirkens wurde dabei in den Beratungen der Kommission nicht nur auf den Erwerbsanspruch bezogen, sondern auch auf die Pflichten des Schuldners, die sonstigen Rechtsgüter des Gläubigers zu schützen76. Da es von der Kommission für unmöglich gehalten wurde, „den Umfang und den Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben"77, beschränkte man sich darauf, durch § 224 E I in Verbindung mit einzelnen bei den Schuldverhältnissen des Besonderen Teils normierten Schutzpflichten (z.B. die §§44711, 548, 618, 694 BGB)78das allgemeine Prinzip einer Verschuldenshaftung für jede Schutzpflichtverletzung abzubilden. Die einzelnen Schutzpflichten sollten demgegenüber nach den Besonderheiten des konkreten Schuldverhältnisses im Einzelfall bestimmt werden. Erst durch die Redaktionskommission wurde § 224 E I in die heutigen §§ 157, 242,276,277 BGB zerstückelt79, so daß der allgemeine Haftungstatbestand für jede Schutzpflichtverletzung nicht mehr klar aus dem Gesetz abzulesen war. Der Weg war damit frei für das hartnäckige Mißverständnis, das BGB kenne keinen allgemeinen Haftungstatbestand. Auch das Reichsgericht, das im Bewußtsein der allgemeinen culpa-Haftung noch lange nach Inkrafttreten des BGB zur Begründung der Haftung § 276 BGB heranzog80, trennte sich schließlich von diesem Ansatz und bedien76

Mot. II, S.26ff.; vgl. auch S.460. Mot II, S.26. 78 Zu den Schutzpflichten im BGB ausführlich unten § 312, 3, 4. 79 Die Gründe dieser Entwicklung sind unten § 11 VI 4) und 5) wiedergegeben. 80 Rust (§ 314b)) weist zutreffend daraufhin, daß das Reichsgericht uneingeschränkte Zustimmung verdient hätte, wenn es die allgemeine Verschuldenshaftung an den §§157,242,276 BGB festgemacht hätte. 77

IV. Haftung für Schutzpflichtverletzungen

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te sich stattdessen der Grundsätze der positiven Vertragsverletzung 81, die unmittelbar nach der Einführung des BGB von Heinrich Staub entwickelt wurde.

2. Die positive Vertragsverletzung Die große und heterogene Gruppe von Schutzpflichtverletzungen, deren Folgen sowohl das Integritäts- als auch das Interesse des Gläubgers an der Erfüllung betreffen können, wird bis heute durch die Grundsätze der pFV aufgefangen, die die Haftung bei jeglicher schuldhafter Pflichtverletzung ermöglichen. Zur Beschreibung der häufig als „dritte Kategorie der Leistungsstörungen" bezeichneten positiven Vertragsverletzung ist ihre negative Abgrenzung zu den gesetzlich geregelten Fällen der Unmöglichkeit und des Verzuges gebräuchlich. Positive Vertragsverletzung ist danach jede schuldhafte Leistungsstörung, die nicht Unmöglichkeit oder Verzug begründet82. Sie wird als eigentlicher Grund- und Auffangtatbestand gesehen83, dessen typologische Erfassung jedoch in sehr unterschiedlicher Weise vorgenommen wird. Wahrend vereinzelt versucht wird, die pFV aus dem Blickwinkel ihrer Schadenswirkungen näher zu klassifizieren, also dadurch, welches Interesse (Erfüllungsinteresse oder Integritätsinteresse) betroffen ist84, gliedert die Mehrheit der Autoren das gesamte vertraglich geschuldete Verhalten auf, um die jeweils verletzte Vertragspflicht isolieren zu können. Hierbei steht also eine auf die Schadensursache abstellende Methodik im Vordergrund, die zur besseren Erfassung regelmäßig in der Bildung verschiedener Fallgruppen mündet85. Gewöhnlichfindet sich heute die dreifache Aufteilung in Schlechtleistung, Verletzung von Schutzpflichten und Verletzung anderer Nebenpflichten 86. Dieser Aufteilung liegt die oben87 kritisierte, unzutreffende Gegenüberstellung und terminologische Einteilung der Nebenpflichten zugrunde. Soweit das angesichts der unübersichtlichen Situation bezüglich der Ausfüllung der Grundsätze der pFV überhaupt möglich ist, läßt sich hier jedoch ein Konsens derart festhalten, daß die pFV die Verletzung der verschiedenen, die Leistungspflicht umgebenden Schutzpflichten (ungeachtet ihrer uneinheitlichen Aufteilung 81

Zu den Gründen des Reichsgerichts unten § 11 VII. Palandt-Heinrichs, §276Rn 106; Schwerdtner, S.213,215; Kopeke, S. 11 f.; BGH in NJW 1978 S.260. 83 Schwerdtner, S.213,215; Palandt-Heinrichs, §276 Rn 106. 84 Z. B. Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 29II; Evans-von Krbek, AcP 179 (1979) S. 85 ff.; Keuck S. 162 f. 85 Siehe z. B. die groß angelegte Arbeit von Köpcke; zu den verschiedenen Systematierungsversuchen in der Literatur vgl. auch Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 356ff. Medicus (BR Rn 314) resümiert jedoch, daß sich der Anwendungsbereich der pFV nicht positiv bestimmen lasse (ähnlich auch Schwerdtner, S. 215) und bezeichnet die pFV selber als die gesetzlich nicht geregelten Fälle der zu vertretenden Verletzungen von Rechtsgütem des Gläubigers durch Schutzpflichtverletzung oder schlechte Leistung. 86 Vgl. exemplarisch Palandt-Heinrichs §276 Rn 106 ff. 87 Vgl. auch unten §3IV 3. 82

4 Kuhlmann

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

und Bezeichung) erfaßt, deren gemeinsame Zielrichtung es ist, nach Möglichkeit eine schadensfreie Abwicklung des Leistungsvorganges zu gewährleisten, also die Rechtsgüter und Interessen der Beteiligten zu schützen. Die schuldhafte Verletzung vertraglicher Nebenpflichten ändert zunächst nichts am Fortbestand des Leistungsanspruchs des Geschädigten, soweit die Erfüllung noch möglich ist, kann der der Gläubiger demnach Erfüllung der vertraglich vereinbarten Leistung verlangen. Zusätzlich ergeben sich für ihn verschiedene Rechtsbehelfe, die in Analogie zu den §§ 280,286,325,326 BGB begründet werden. Im Vordergrund steht dabei der Anspruch auf Schadensersatz. Dieser Schadensersatzanspruch geht grundsätzlich auf das negative Interesse, der Berechtigte ist so zu stellen, als sei die Schutzpflicht beachtet worden88. Ein über das negative Interesse hinausgehendes positives Interesse bedarf hingegen immer der besonderen Rechtfertigung. Diese Rechtfertigung kann zunächst darin liegen, daß ein sachlicher Zusammenhang der Schutzpflicht mit der Hauptleistungspflicht in der Art vorliegt, daß die schuldhafte Verletzung der Schutzpflicht die Hauptpflicht als nicht bzw. nicht vollständig oder nicht ordentlich erfüllt erscheinen läßt. Möglich ist das bei den Schutzpflichten, die die Art und Weise der Leistung oder die Erhaltung des Leistungsgegenstandes betreffen bzw. die Leistungspflicht ergänzen. Die Begründung eines Anspruches auf Ersatz des Erfüllungsinteresses bzw. eines Rücktritts- oder Kündigungsrechtes kann jedoch auch durch eine wertende Betrachtung des Einflusses der Schutzpflichtverletzung auf das ganze Rechtsverhältnis erreicht werden. Ein Recht zur Vertragsliquidierung durch die Forderung von Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Rücktritt bzw. Kündigung wird dem Geschädigten deshalb regelmäßig zugestanden, wenn ihm unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Vertrages und damit die Bewirkung der ihm an sich obliegenden Leistung nicht mehr zugemutet werden kann89. In der Regel verlangt die Geltendmachung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung in analoger Anwendung des § 3261 BGB zusätzlich Fristsetzung und Ablehnungsandrohung; bei endgültiger und ernsthafter (u.U. auch vorzeitiger) Erfüllungsverweigerung sowie in anderen Fällen offenkundiger Zwecklosigkeit oder Unzumutbarkeit kann jedoch darauf verzichtet werden90.

88 MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 307; MüKo-Roth, §242 Rn 108,139; Kopeke S. 150ff.; Jakobs S. 32ff.; Frost S. 155 m. w. N. Der Ersatzanspruch kann deshalb auch auf Naturalrestitution gehen, wenn dem Interesse des Vertragstreuen Teiles nur auf diese Weise Rechnung getragen werden kann (ζ. B. BGH in NJW 1982 S. 1145 = L M § 652 Nr. 79; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 493. In aller Regel wird der Ersatzanspruch des Gläubigers jedoch auf Geldersatz gerichtet sein, §§251,252 BGB. 89 MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 318 m. z. w. N. der Rechtsprechung; Soeigel-Wiedemann, vor § 275 Rn 494; MüKo-Roth, § 242 Rn 138. 90 Müko-Emmerich m.z.N. der Rechtsprechung, z.B. BGH in NJW 1987 S.251,253; BGH in W M 1981 S.331, 332; BGH in W M 1984 S. 1375,1376.

IV. Haftung für Schutzpflichtverletzungen

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3. Unmöglichkeit und Verzug als normierte Teilfragen der allgemeinen Haftung Erschwert wird die klare Unterscheidung von Leistungspflichten und Schutzpflichten im allgemeinen Schuldrecht des BGB aber nicht nur durch die Leistungsbetonung der Regelungen, sondern weiterhin durch die eingangs schon angesprochene Anknüpfung der Regelung an verschiedene typisierte Störungstatbestände. Mit der Unmöglichkeit und dem Verzug91 hat das BGB dogmatische Figuren aufgenommen, die zwei der möglichen Störungen im Schuldverhältnis tatbestandlich klar eingrenzen. Eine solche Typisierung beinhaltet notwendigerweise eine Verflechtung von Leistungspflichten und Schutzpflichten, die den Blick auf die eigentlichen Vorgänge im Organismus Schuldverhältnis eher verdeckt als schärft. So stellen zu vertretende Unmöglichkeit und Verzug schon die Folgen dar, die von einer anderen, davor liegenden Schutzpflichtverletzung für die Leistungspflicht ausgehen: Unmöglichkeit und Verzug sind bei genauerer Betrachtung die dauerhafte bzw. vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht, die ihren Grund in einer Schutzpflichtverletzung des Schuldners hat, was im Folgenden noch genauer darzulegen ist. Augenfällig ist diese Verflechtung da, wo die Schutzpflichtverletzung als Anknüpfungspunkt für sekundäre Ansprüche dient, §§280, 284ff., 325, 326 BGB. Aber auch dort, wo es nur um Bestand oder Fortfall der primären Leistungspflicht geht, ζ. B. bei § 3231 BGBfindet sich diese Verflechtung von Schutzpflichtverletzung und Nichterfüllung, wenn auch in dem negativen Sinn, daß das Fehlen einer Schutzpflichtverletzung tatbestandlich vorausgesetzt wird. Sieht man Unmöglichkeit und Verzug vor dem Hintergrund der Schutzpflichten, die sich im Falle ihrer Verletzung zu sekundären Ansprüchen neben oder anstelle des Erwerbsanspruches entwickeln, dann sind Unmöglichkeit und Verzug nichts anderes als ein tatbestandlich umrissenes Abbild dieses abgeschlossenen Entwicklungsvorganges im Gesamtorganismus Schuldverhältnis. Das anfängliche Verhältnis von Schutzpflicht und Erwerbsanspruch tritt hinter diese tatbestandliche Momentaufnahme zurück, die schon die Folge des sorgfaltswidrigen Schuldnerverhaltens für die Schutzpflicht und den Erwerbsanspruch wiedergibt und daran eine Rechtsfolge knüpft. Die Störungstatbestände sind an der Perspektive des Gläubigers orientiert. Das erscheint sachgemäß, da es bei den Störungen des Erwerbsanspruchs zum einen vorrangig um die Erweiterung der Gläubigerrechte geht; zum anderen aber auch, weil für den Gläubiger regelmäßig nur diese Folgen der Schutzpflichtverletzungen für seinen Erwerbsanspruch sichtbar werden. Die Schutzpflichtverletzungen, die diese Folgen ausgelöst haben, werden sich mangels Vertrautheit mit der Sphäre des Schuldners regelmäßig dem Blick des Gläubigers entziehen; das sorgfaltsgerechte Verhalten des Schuldners interessiert ihn aber auch nicht als solches, sondern nur als Voraussetzung für die Erfüllung seines Leistungsanspruches. 91 Ebenso liegen den Gewährleistungsrechten des Besonderen Schuldrechts typisierte Störungen zugrunde.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

Die genaue Unterteilung nach Leistungspflichten und Schutzpflichten scheint für eine Regelung, die bestimmte Störungsformen tatbestandlich festgelegt hat, bei oberflächlicher Betrachtung entbehrlich, solange das gestörte Schuldverhältnis einem dieser typisierten Störungstatbestände im Wege der Subsumtion deckungsgleich zugeordnet werden kann. Um die Unterschiede der Leistungspflichten und Schutzpflichten im System des allgemeinen Schuldrechts des BGB sichtbar machen zu können, ist es aber unerläßlich, sie trotz ihrer Verflechtung in den Störungstatbeständen gedanklich scharf zu trennen bzw. die jeweils betroffene gestörte Pflicht im Schuldverhältnis herauszuarbeiten, da nur durch diese Zweiteilung die Abläufe im Organismus Schuldverhältnis transparent werden. Diese Transparenz hat durch die Streichung des allgemeinen Haftungstatbestandes für jede schuldhafte Pflichtverletzung und die enge Verflechtung von Leistungsund Schutzpflichten in den allein verbleibenden Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts freilich gelitten. Erst durch diesen Wegfall der ausdrücklichen Anspruchsgrundlage für jede Pflichtverletzung des Schuldners konnte es wohl auch zu dem Mißverständnis kommen, daß Unmöglichkeit und Verzug die einzigen Haftungsgrundlagen für Schadensersatz sind und dadurch ein weites Feld anderer Schutzpflichtverletzungen unberücksichtigt bleibt, während in Wahrheit Unmöglichkeit und Verzug nur Folgen beliebiger Schutzpflichtverletzungen sind, die aus der allgemeinen Haftung wegen ihrer besonderen Haftungsausformung tatbestandlich herausgehoben worden sind. Die vielbeklagte Enge von Unmöglichkeit und Verzug als haftungsbegründend 92 entpuppt sich vor diesem Hintergrund als die Folge eines verengten Blickwinkels, der sich schon bald nach dem Inkrafttreten des BGB zunehmend durchgesetzt hat93.

V. Nichterfüllung der Leistungspflicht und Schutzpflichtverletzung Es gibt nur zwei Formen der Störung innerhalb eines bestehenden Schuldverhältnisses, die prinzipiell zu unterscheiden sind, nämlich die Nichterfüllung einer Leistungspflicht einerseits und die Verletzung einer Schutzpflicht andererseits. Das Begriffspaar Leistungspflicht/Schutzpflicht ist insoweit abschließend, als es keine Pflichten gibt, die weder Leistungs- noch Schutzpflichten sind, die also weder auf Bewegung der Güter noch auf den Schutz der Güter und Interessen gerichtet sind. Die Leistungspflichten sind auf Erfüllung gerichtet, daraus folgt zwingend, daß ihre Störung stets in der teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der Leistungspflicht besteht. Die Schutzpflichten hingegen sind nicht auf eine irgendwie 92

Z.B. Ahrens in ZRP 1995 S.417,420. Eben dieser verengte Blickwinkel war es auch, der Staub zu der Annahme einer Lücke führte, die durch die Grundsätze der pVV zu schließen sei. Nicht von der Hand zu weisen sind deshalb die Ansichten, die den Reformbedarf auf die Klarstellung der allgemeinen Haftung reduzieren, vgl. oben § 4IX) a. E. 93

V. Nichterfüllung der Leistungspflicht und Schutzpflichtverletzung

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geartete Erfüllung im Sinne einer Güterbewegung gerichtet94, sondern auf die Beachtung einer objektiven Sorgfaltspflicht. Ihre Störung kann deshalb auch nie in einer Nichterfüllung bestehen, sondern liegt stets in der Verletzung durch Nichtbeachtung der Schutzpflicht. Betrachtet man vor dem Hintergrund dieser Zweiteilung die Rechtsfolgen der jeweiligen Störung, so zeigt sich eine weitere, an die erste anknüpfende Zweiteilung: Grundlage der Befreiung von der Primärleistungspflicht ist immer ihre Nichterfüllung, wenn und soweit sie auf den vom BGB normierten Gründen beruht; die Grundlage einer jeden sekundären Schadensersatzpflicht ist hingegen die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht. Wahrend die Schutzpflichtverletzung immer schon einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß beinhaltet95, ist die Nichterfüllung der Leistungspflicht unabhängig vom Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit, also unabhängig vom Vertretenmüssen der die Nichterfüllung auslösenden Umstände.

1. Nichterfüllung der Leistungspflicht Da der Tatbestand der Nichterfüllung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht stets im Ausbleiben der geschuldeten Leistung besteht, ist es zunächst unerheblich, ob das Ausbleiben der Leistung darauf beruht, daß der Schuldner überhaupt untätig bleibt, ob die Leistung durch Zufall ausbleibt oder ob das, was der Schuldner tut, seine Schutzpflicht verletzt. Die verschiedenen Gründe, auf denen die Nichterfüllung beruht, gewinnen erst Bedeutung bei der Frage nach den Rechtsfolgen der Nichterfüllung. Daß der Tatbestand der Nichterfüllung insofern in seiner Erscheinungsform per defìnitionem beschränkt ist, als er nur im Ausbleiben der geschuldeten Leistung liegen kann, erklärt sich daraus, daß er lediglich die Folge eines anderen, davor liegenden kausalen Ereignisses ist. Dieser Grund der Nichterfüllung ist die Variable, während die Nichterfüllung der Leistungspflicht die stets gleichbleibende Folge ist. Die Nichterfüllung der Leistungspflicht ist deshalb in diesem Sinne strikt von einer Schutzpflichtverletzung als Grund der Nichterfüllung zu trennen, da die Nichterfüllung noch nichts über Schuld und Verantwortlichkeit des Schuldners besagt, sondern lediglich das Ausbleiben der vertraglich festgelegten Leistung erfaßt. Losgelöst ist die Nichterfüllung von einer Schutzpflichtverletzung mit anderen Worten insoweit, als sie zwar auf einer solchen beruhen kann, aber keinesfalls zwingend auf einem Sorgfaltspflichtverstoß beruht. Die Nichterfüllung erfaßt deshalb auch den Bereich der zufälligen, weil vom Schuldnerverhalten losgelösten Nichterfüllung. 94 Außer acht bleibt hier der entwickelte Schutzanspruch, der als Schadensersatzanspruch erfüllbar und durchsetzbar ist, denn der Schadensersatzanspruch kann zwar als Leistungsanspruch verstanden werden, nicht jedoch als Erwerbsanspruch im Sinne der Güteibewegung, siehe soeben oben unter II2bbb). 95 Vgl. dazu Kress S. 8: „Ohne die Zuhilfenahme des relativen unentwickelten Schutzanspruches ist über den Sinn des § 276 BGB (und §§ 521,599,690,708 BGB) keine volle Klaiheit zu gewinnen".

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

Unterteilen läßt sich die Nichterfüllung quantitativ in die teilweise96 und die vollständige Nichterfüllung, wichtiger ist jedoch die zeitliche Unterteilung in vorübergehende und dauerhafte Nichterfüllung 97. Das BGB hat mehrere Tatbestände der dauerhaften Nichterfüllung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht normiert. Der Grundtatbestand ist § 2751 BGB 98 (für gegenseitige Verträge in Verbindung mit § 3231 BGB 99 ), bei dem die Nichterfüllung auf einer Unmöglichkeit der Leistungserbringung beruht. Das BGB knüpft an den Tatbestand der Nichterfüllung wegen nicht zu vertretender Unmöglichkeit die Rechtsfolge der Befreiung von der Leistungspflicht. Die Nichterfüllung hat hier also nur Bedeutung für das Schicksal der Leistungspflicht 100. Der Sinn der Voraussetzung „Unmöglichkeit" ist bezüglich der primären Leistungspflicht, einen klar abgrenzbaren, objektiven Tatbestand zu normieren, der als Grund der Nichterfüllung die Grenze markiert, bei der die Leistungspflicht wegfallen muß. Diese Grenze ist vor dem Hintergrund des dem BGB zugrunde gelegten Zwanges zur Erfüllung in forma specifica zu sehen: Nicht jede Nichterfüllung darf diesen Zwang zur Erbringung der ursprünglichen Leistung brechen, erforderlich sind vielmehr besondere, eng normierte Tatbestände. Die Nichterfüllung wegen Unmöglichkeit hat in § 275 BGB nur Einfluß auf die Leistungspflicht, indem sie den Wegfall der Primärleistungspflicht begründen kann, nicht aber erlangt sie Bedeutung für eine mögliche Haftung des Schuldners der unmöglich gewordenen Leistung. Für die nicht zu vertretende, vorübergehende Nichterfüllung findet sich im BGB hingegen keine den §§ 275, 323 BGB vergleichbare Regelung, der Schuldner bleibt zur Leistungserbringung verpflichtet. 101

96 Auch die Pflicht des Verkäufers zur mangelfreien Lieferung ist eine Leistungspflicht, die Lieferung einer mangelhaften Sache demnach Teilerfüllung des Kaufvertrages. Die §§459 ff. BGB stimmen aufgrund rechtshistorischer Entwicklungen mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht konstruktiv aber nicht durchweg überein, eine Besonderheit dieser Leistungspflicht liegt deshalb darin, daß sie zumindest beim Spezieskauf nicht durchgesetzt werden kann, es korrespondiert ihr insoweit also ein unentwickelter Anspruch des Gläubiger S. Eine weitere Besonderheit der Pflicht zur mangelfreien Lieferung ist, daß ihr der die Leistungspflichten kennzeichnende und unmittelbare Bezug zur Güterbewegung fehlt, da die Güterbewegung als solche unabhängig davon ist, ob sie eine mangelhafte oder mangelfreie Lieferung zum Gegenstand hat; mittelbar sichert die Pflicht zur mangelfreien Verschaffung aber das Äquivalenzverhältnis in der Güterbewegung. (Vgl. eingehend und mit zahlreichen weiteren Nachweisen U. Rust § 312 zu den unterschiedlichen Standpunkten von Nichterfüllungs- und Gewährleistungstheorie, § 314 und § 711 b zur Lieferung einer mangelhaften Sache.) 97 Siehe dazu auch Siber (in Planck) Einführung Anm. I). 98 Vgl. dazu eingehend § 5 II) und III). 99 Gemäß § 3231 BGB wird der Gläubiger infolge der synallagmatischen Verknüpfung der Leistungspflichten ipso iure von seiner Gegenleistungspflicht frei, vgl. dazu unten § 5IV 3 a). 100 Ygi auch Siber (in Planck), Einführung Anm.I, Ib). 101 Zu den Rechtsfolgen einer nur vorübergehenden, nicht zu vertretenden Nichterfüllung unten §5 VII)

V. Nichterfüllung der Leistungspflicht und Schutzpflichtverletzung

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2. Verletzung von Schutzpflichten Die Grundlage einer jeden Haftung der Vertragspartner ist die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht. Schon oben wurde dargelegt, daß der Grundsatz einer allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen einer langen Rechtstradition entspricht und auch dem BGB zugrunde gelegt worden ist. Im Gegensatz zur Nichterfüllung der Leistungspflicht sind die Schutzpflichtverletzungen eine in sich völlig heterogene Gruppe. Die Schutzpflichten verlangen vom Verpflichteten Beachtung eines bestimmten Verhaltens, so daß ihre Störung immer in der Verletzung durch Nichtbeachtung liegt. Da die Schutzpflichten an den Verpflichteten konkrete Verhaltensanforderungen stellen, beinhaltet ihre Verletzung immer auch schon einen Sorgfaltspflichtverstoß i. S. d. § 276 BGB. Im Gegensatz zum stets gleichförmigen Tatbestand der Nichterfüllung der Leistungspflicht ist die Nichtbeachtung einer Schutzpflicht entsprechend ihrer inhaltlichen Vielgestaltigkeit in jeder Form denkbar. 3. Nichterfüllung als Folge von Schutzpflichtverletzungen: Die Störungstatbestände des allgemeinen Leistungsstörungsrechts Wo die Nichterfüllung nicht losgelöst vom Schuldnerverhalten ist, also nicht auf Zufall beruht, wird sie immer auf einer Schutzpflichtverletzung beruhen und in diesem Sinne stellt sich die zur Haftung führende Nichterfüllung der Leistungspflicht stets als Folge einer schuldhaften Schutzpflichtverletzung dar. Diese Fälle, in denen die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht die Nichterfüllung der Leistungspflicht zur Folge hat, sind im BGB als Leistungsstörungen tatbestandlich ausgeformt, nämlich als Unmöglichkeit und Verzug, §§ 280, 324, 325, 284ff., 326 BGB. Der Funktionszusammenhang zwischen Schutz- ud Leistungspflicht zeigt sich in diesen Vorschriften deutlich: Bei den §§280,283,286,325 und 326 BGB 102 verbindet sich die Ebene der Verletzung einer Schutzpflicht mit der Ebene der Nichterfüllung der Leistungspflicht in der Weise, daß die Nichterfüllung der Leistungspflicht die Folge einer schuldhaften Pflichtverletzung ist, die Schutzpflichtverletzung wird hier also kausal für das Ausbleiben des vereinbarten Leistungserfolges 103. Im Falle der zu vertretenden Unmöglichkeit führt eine Schutzpflichtverletzung zum dauerhaften Ausbleiben der Erfüllung der Leistungspflicht; im Falle des Verzuges führt eine Schutzpflichtverletzung zum vorübergehenden Ausbleiben der Erfüllung der Leistungspflicht. Ihren Zusammenhang mit der Haftung gewinnt die Nichterfüllung aber erst aus der kausalen Verknüpfung mit dem Sorgfaltspflichtverstoß, der in der 102

Zu den §§ 283 und 326 BGB und ihrer Einordnung in die Funktionszusammenhänge von Nichterfüllung und Schutzpflichtverletzung ausführlich unten § 5 VIII und IX. 103 Deshalb ist es auch genauer, von typisierten Folgen anstatt von typisierten Störungen zu sprechen.

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§ 2 Schutzpflichten und Leistungspflichten

Schutzpflichtverletzung liegt; für sich gesehen hat die Nichterfüllung ja keine zwingende Verbindung zu einem Schuldnerverhalten und vermag deswegen auch keine Haftung auszulösen. Die Unmöglichkeit dient auf der Primärebene demnach als Grenzstein, von dem aus das Gebiet der Leistungspflicht vermessen werden kann, für die Sekundärverpflichtung hingegen ist sie die äußerste Erscheinungsform möglicher Störungsfälle und damit die Grenze der regelungsbedürftigen Sachverhalte. Die strenge Trennung von Sorgfaltspflichtverstoß durch Schutzpflichtverletzung und der daraus auf der Ebene der Leistungspflicht folgenden Nichterfüllung zeigt sich im Wortlaut der genannten Vorschriften, die zwischen der „Nichterfüllung" der Leistung bzw. dem „Unterbleiben der Leistung" (§ 285 BGB) und dem kausalen („infolge") „Umstand, den er (der Schuldner) zu vertreten hat" unterscheiden. Daß der Gesetzgeber gerade diese Störungsfolgen in mehreren Gesetzesvorschriften als Teilfragen der allgemeinen Haftung für jede Schutzpflichtverletzung 104 gesondert regelte, ist auch keinesfalls pragmatisch damit zu erklären, daß die Nichterfüllung als Leistungsstörung im Gegensatz zu den vielfältigen anderen möglichen Folgen einer Schutzpflichtverletzung überhaupt tatbestandlich umrissen werden konnte, sondern ist die notwendige Konsequenz aus der schon angesprochenen Entscheidung des Gesetzgebers für den Vorrang der Primärleistungspflicht vor sekundären Verpflichtungsinhalten. Denn dieser Vorrang der Primärleistungspflicht muß im Interesse beider Vertragspartner der Sekundärverpflichtung weichen, wo die Schutzpflichtverletzung zu einem endgültigen Ausbleiben der Leistung führt, der Übergang auf das Erfüllungsinteresse ist also im Falle der Unmöglichkeit freizugeben 105.

4. Nichterfüllung, Schutzpflichtverletzung und der Umfang der Haftung Es zeigt sich damit auch der Zusammenhang zwischen Schutzpflichtverletzung, Wegfall der Leistungspflicht und Umfang des Schadensersatzes: Führt die Schutzpflichtverletzung zur dauerhaften Nichterfüllung der Leistungspflicht, so geht die Sekundärpflicht auf das positive, das Erfüllungsinteresse und tritt an die Stelle der Leistungspflicht 106. Demgegenüber führt eine Schutzpflichtverletzung, die auf den Bestand der Primärleistungspflicht ohne Einfluß ist, zur Schadensersatzpflicht auf das negative Interesse, das neben die Leistungspflicht tritt 107. 104 Wie Unmöglichkeit und Verzug sind auch die speziellen Haftungsregelungen bei den Vertragstypen des Besonderen Teiles des Schuldrechts nur Ausformungen der allgemeinen Haftung des Schuldners, die den Eigenheiten des jeweiligen Schuldverhältnisses Rechnung tragen, teilweise aber auch stark rechtshistorisch geprägt sind. 103 Zur Frage des Bestandes der Primärleistungspflicht bei § 3251 BGB im Falle des Unvermögens vgl. unten §5111. 106 Vgl. Kress, S. 3; Stoll in AcP 136 (1932) S. 257,287 ff.; Jakobs, S. 34,40; vgl. auch schon von Thür, S.264; ebenso Keuck, S. 162,190; Neumann, S.4. 107 Hierzu gehört auch der Ersatz des Verzugsschadens, der die adäquaten Schäden einer schuldhaften Schutzpflichtverletzung ausgleicht, die zu vorübergehender Nichterfüllung geführt hat.

V. Nichterfüllung der Leistungspflicht und Schutzpflichtverletzung

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In den §§ 280, 325 BGB ist die Unmöglichkeit also nicht von Bedeutung für die Befreiung von der Primärleistungspflicht, denn in den §§ 280, 325 BGB wird die Befreiung des Schuldners gemäß § 275 BGB schon vorausgesetzt, noch ist sie der Grund für die Haftung auf Schadensersatz, weil Grund der Haftung allein die Schutzpflichtverletzung ist. Die Unmöglichkeit erlangt im Rahmen dieser Vorschriften aber entscheidende Bedeutung für den Umfang des Schadensersatzes wegen einer Schutzpflichtverletzung: Wenn und weil im Falle der Schutzpflichtverletzung die Erfüllung der Leistungspflicht unmöglich ist, hat der Gläubiger Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit, auf das Erfüllungsinteresse anstatt der Naturalerfüllung 108.

108 Eine Verbindung zu den §§ 275,323 BGB, die die Primärleistung betreffen liegt also nur insofern vor, als das gleiche objektive Tatbestandsmerkmal „Unmöglichkeit" über die Befreiung von der Erfüllungspflicht (in §§ 275, 323 BGB) sowie den Umfang des Schadensersatzes (in §§280,325 BGB) entscheidet.

§ 3 Schutzpflichten I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB 1. Schutzpflichten und Schuldverhältnis, §241 BGB § 241 BGB, der den Abschnitt über den Inhalt des Schuldverhältnisses eröffnet, kennt die Schutzpflichten nicht, sondern scheint das Schuldverhältnis auf die Leistungspflicht zu reduzieren. Daraus läßt sich für oder gegen die Existenz von Schutzpflichten als Teil des Schuldverhältnisses jedoch nichts ableiten, denn aufgrund der Erkenntnis Sibers1 ist heute allgemein anerkannt, daß der Gesetzgeber dem Begriff des Schuldverhältnisses eine enge und eine weite Bedeutung zugemessen hat2. Aus § 241 BGB ergibt sich dementsprechend nur die Legaldefinition des Schuldverhältnisses im engeren Sinne als eine Rechtsbeziehung zweier Personen, kraft derer die eine von der anderen eine Leistung fordern kann3. Angesprochen ist also von § 241 BGB nur der Bereich der Güterbewegung, die Leistungsebene. Demgegenüber steht das Schuldverhältnis im weiteren Sinne als Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner4, von denen die Leistungsbeziehung nur einen Teil darstellt, gleichsam in das weitere Schuldverhältnis eingebettet. Neben der Leistungserbringung ist deshalb im Schuldverhältnis Raum für die Schutzpflichten, die nicht der Güterbewegung dienen, sondern dem - häufig vorbeugenden - Schutz der Interessen und Güter der am Schuldverhältnis Beteiligten.

2. Relative Schutzpflichten im BGB Eine ganze Reihe solcher Schutzpflichten hat der Gesetzgeber bei den einzelnen Schuldverhältnissen festgeschrieben. 1

Siehe oben § 2 III und Anhang § 11XI. Vgl. oben §2111 i. V. m. Fn.65. 3 Dieses Verständnis liegt auch den §§ 362, 364, 397 BGB zugrunde. 4 Als Schuldverhältnis im weiteren Sinne liegt es dem BGB ζ. B. in den §§ 2731,245,2921 zugrunde. Die weite Bedeutung des Begriffes „Schuldverhältnis" begegnet auch in der Überschrift zum 7. Abschnitt des 2. Buches (vor §433): „Einzelne Schuldverhältnisse". Denn hier meint „Schuldveihältnis" etwa den Kauf, die Miete, die Geschäftsführung ohne Auftrag etc. und diese Rechtsverhältnisse bestehen regelmäßig aus einer Mehrzahl von Ansprüchen, die sich zudem im Laufe der Abwicklung des Verhältnisses noch verändern können. 2

I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB

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Regelmäßig gesehen werden in der Literatur die relativen Schutzpflichten, die das Gesetz in § 6181, II BGB normiert5. Die Einhelligkeit, mit der in § 618 BGB relative Schutzpflichten gefunden werden, erstaunt nicht, denn dort hat sie der Gesetzgeber ausdrücklich formuliert. Mit § 618 BGB sind jedoch die Schutzpflichten, die im BGB festgeschrieben wurden, bei weitem noch nicht erschöpft. Der Gesetzgeber hat sie vor allem, ausgerichtet an der Art des jeweiligen Schuldverhältnisses, bei den einzelnen Verträgen des Besonderen Schuldrechts, im Sachenrecht6 und auch im Familien· sowie Erbrecht7 eingeordnet. Im allgemeinen Schuldrechtfinden sich an normierten Schutzpflichten lediglich die §§ 374 I I und 384 I I BGB, die den Schuldner zur Benachrichtigung des Gläubigers verpflichten; häufiger sind jedoch die Schutzpflichten, die der Gesetzgeber im Besonderen Teil des Schuldrechts normiert hat. Zu nennen8 sind hier die §§ 444 S. 1, 447II, 5231, 5241, 545, 548, 665 S.2, 666, 675, 681, 691 S. 1, 692 S.2 BGB, 6949. Aus den Materialien zum BGB läßt sich jedoch erkennen, daß das BGB auch andere Schutzpflichten gelten lassen will 10 . Nur ausnahmsweise sind die relativen Schutzpflichten, die diesen Vorschriften zugrundeliegen, zwingend; nämlich gemäß § 619 BGB die dem Dienstherren obliegenden Pflichten; in der Regel sind sie jedoch dispositives Recht. Sie können als vermuteter Partei willen redlicher Vertragspartner betrachtet werden oder als sich aus der objektiven Natur des Vertrages ergebende Schutzpflichten. Als dispositives Recht können sie innerhalb des durch § 242 BGB, Treu und Glauben gezogenen Rahmens verschärft, reduziert oder ganz abbedungen werden11.

5 Vgl. beispielsweise Canaris in FS für Larenz S.30, 85 f., Stürner in JZ 1976 S.384, 385; MüKo-Roth, §242 Rn 189; Frost S.74; Kress S.5, 581; Medicus, Schuldverhältnis S. 16, der § 618 BGB allerdings für eine singuläre Vorschrift hält; vgl. auch den Abschlußbericht der Schuldrechtskommission S. 114 unter II. 6 Z.B. §§989,990, 1020, 1041, 1050ff., 1133,1215, 1220, 1241 BGB. 7 Z.B. §§ 1624II, 1626II, 1666; 2027, 2028, 2035II, 2127, 2132, 2183 BGB. 8 Vgl. Kress S. 5 ff., 580ff.; vgl. auch Stoll (AcP 136-1932- S.257,283 i. V.m. Fn.53) in Anlehnung an Kress. 9 Kress, S. 4f. nennt auch noch §701 BGB, bei dem die Schutzpflicht allerdings Hauptpflicht ist. 10 So Kress, S.580 i. V.m. Fn.6 mit Verweis auf die Motive II S. 28 (Mugdan II S. 15) zu § 224 des ersten Entwurfes; S.232 (Mugdan II S. 128) zur Wandlung; S.318 (Mugdan II S. 176) zu den Veipflichtungen des Verkäufers; S. 348 (Mugdan II S. 193) zur Anzeigepflicht des Vorkaufsberechtigten; S.400 (Mugdan II S.223) zur Anzeigepflicht des Mieters; S.430 (Mugdan II S. 240) zur Erhaltungspflicht des Pächters; S. 450 (Mugdan II S. 251) zur Haftung des Entleihers; S.460 (Mugdan II S.256) zu den Pflichten des Dienstherren; S.472, 478 (Mugdan II S. 263,266f.) zu den Pflichten im Werkvertrag; S. 501 (Mugdan II S. 280) zur Prüfungspflicht des Werkuntemehmers; S. 540 (Mugdan II S. 302) zu den Pflichten im Auftragsverhältnis; S.550 (Mugdan II S.307) zu den Pflichten der Erben des Auftraggebers; S.570f., 575 f. (Mugdan II S. 318 f., 321 f.) zur Haftung im Verwahrungsvertrag. 11 Unzutreffend insoweit E. Schmidt in Nachwort S. 150 und Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 §2912 (S. 132).

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§ 3 Schutzpflichten

Die relativen Schutzpflichten können sowohl auf ein Tun gerichtet sein (z.B. Anzeige- und Untersuchungs- oder Mitwirkungspflichten), als auch ein Unterlassen zum Gegenstand haben (Unterlassen von Eingriffen in das geschützte Gut). Die auf ein positives Tun gerichteten Schutzpflichten werden durch ihren Inhalt scheinbar in die Nähe der Leistungspflichten gerückt, was sich noch verstärkt, wenn keine unentwickelte Schutzpflicht vorliegt, sondern eine Schutzpflicht, der ein entwickelter, d. h. durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers korrespondiert 12. Gleichwohl sollten auch diese Schutzpflichten weder als „Nebenleistungspflichten" verstanden noch bezeichnet werden, da diese strukturellen Überschneidungen nichts an der grundsätzlichen Andersartigkeit und dem Schutzzweck dieser Pflichten zu ändern vermögen13. Das Auffinden der im BGB normierten Schutzpflichten wird vielfach dadurch erschwert, daß die Pflichten, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsfolgen ihrer Verletzung und die Rechtsfolgen selbst nicht einheitlich formuliert worden sind, sondern zum Teil erst aus den entsprechenden Vorschriften herausgearbeitet werden müssen; gleichsam erst freizulegen sind14. In einzelnen Bestimmungen treten die relativen Schutzpflichten klar hervor, so zum Beispiel als die dem Schutzanspruch des Vermieters, Verpächters oder Verleihers korrespondierende Schutzpflicht zur Unterlassung des durch den Vertrag nicht gestatteten Sachgebrauchs (§§550, 590 a, 603 BGB), als Unterlassung der Gebrauchsüberlassung an Dritte (§§ 5491, 603 S. 2, 691 S. 1 BGB), bei den Ansprüchen auf Erstattung von Anzeigen (§§ 665 S. 2, 666, 681, 692 S. 2 BGB) und auch bei den Ansprüchen des Auftraggebers, Dienstberechtigten oder Hinterlegers auf Unterlassung jeder Abweichung von der vertraglichen Geschäftsbesoigung bzw. von den Weisungen des Auftraggebers usw. (nach §§ 665 S. 2, 675, 692 S. 2 BGB). Der entwickelte, sekundäre Schutzanspruch auf Schadensersatz für den Fall der Verletzung oder andere Rechtsfolgen werden dabei nicht durchweg erwähnt, treten jedoch zum Beispiel in den §§ 374 Π, 384Π, 545, 5491, 618 BGB neben den unentwickelten Schutzanspruch des Gläubigers. In manchen Vorschriften wird auch nur die Rechtsfolge, der sekundäre entwickelte Schutzanspruch normiert und die korrespondierende Schutzpflicht dabei verdeckt, so zum Beispiel in den §§447Π, 5231,5241,600 und 694 BGB 15 .

12

Dazu schon oben § 2 II 2 aa) und erneut unten VI sowie § 9 III. Zur terminologischen Einordnung der Schutzpflichten als „Nebenleistungspflichten" im Falle ihrer Durchsetzbarkeit auch noch einmal unten V I 2. 14 Vgl. Kress, S. 7 f. 13 Nach Kress (S. 7 f.) liegt auch den §§548,602,665,675 BGB der Gedanke des unentwikkelten Schutzanspruches insofern zugrunde, als diese Vorschriften implizieren, daß demjenigen, der dem anderen den Eingriff in seine Güter vertraglich gestattet, kein Anspruch auf Unterlassung des vertragsgemäßen Gebrauchs zusteht; es sind also normierte Falle, in denen trotz eines Eingriffes in die Güter des Gläubigers keine Schutzpflichtverletzung vorliegt. 13

I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB

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3. Einzelne gesetzliche Schutzpflichten Exemplarisch sollen einige dieser Vorschriften näher betrachtet werden, um Aufschlüsse über ihre Struktur und Ausgestaltung gewinnen zu können16. Zunächst zu der relativen Schutzpflicht des § 6181 BGB 17 , die auch als Generalklausel des Arbeitsschutzrechts heute noch große Bedeutung hat18. Die Schutzpflicht des Dienstberechtigten ist hier eine positive Schutzpflicht insofern, als sie auf die Vornahme entsprechender Handlungen des Verpflichteten geht. Dieser positiven Schutzpflicht korrespondiert ein unentwickelter Anspruch, da bei dieser Schutzpflicht das Schwergewicht nicht auf ihrer Durchsetzbarkeit liegt, also beim Recht des Arbeitnehmers, vom Arbeitgeber die dieser Schutzpflicht entsprechende Einrichtung des Arbeitsplatzes zu verlangen, sondern beim sekundären Recht des Arbeitnehmers auf Schadensersatz im Falle der Schutzpflichtverletzung, § 618 IH BGB, das den Arbeitgeber zur Beachtung seiner Pflicht zwingen soll19. Geht man zurück ins allgemeine Schuldrecht zu den §§ 374Π, 384Π BGB, so findet sich auch hier diese gesetzliche Ausgestaltung des Schutzanspruches als unentwickelter Anspruch. Die §§ 374 Π, 384 Π BGB normieren die Schutzpflicht des Schuldners zur Anzeige, zur Information des Gläubigers; sie haben also eine positive Handlung zum Gegenstand. Beachtet der Schuldners diese Schutzpflicht nicht, entsteht im Fall eines Schadens der sekundäre Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz; ein primärer, durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers auf die Beachtung der Schutzpflicht erscheint jedoch - wie in aller Regel auch bei Anzeige- und Aufklärungspflichten - schon in tatsächlicher Hinsicht sinnlos, weil ein solcher pri16

Zu den Ausführungen unter 3) stand mir das Manuskript einer sich in Vorbereitung befindlichen Arbeit meines Lehrers Prof. Dr. Ehmann zur Verfügung. 17 Zur Gesetzgebungsgeschichte siehe Mugdan II Motive S. 256 und Protokolle S. 905 f. In den Beratungen zum ersten Entwurf wurde die ausdrückliche Normierung der Schutzpflichten noch für entbehrlich gehalten, da sich ihre Existenz im Wege der Vertragsauslegung ergeben sollte: »Außer der Verpflichtung des Dienstberechtigten zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung können aus dem Dienstvertrag für ihn unter Umständen noch andere Verbindlichkeiten entstehen. Insbesondere ist anzunehmen, daß der Dienstberechtigte im Falle der Lieferung ungeeigneter Werkzeuge oder der Versäumung der erforderlichen Schutzvorrichtungen dem Dienstverpflichteten für den ihm daraus entstehenden Schaden auch aufgrund seiner vertragsmäßigen Pflichten verantwortlich ist. Angesichts der §§359, 224, 144 (= 157, 242, 2761 BGB) fehlt es jedoch an einem Bedürfnisse, die Frage ausdrücklich im Gesetz zu entscheiden." Zu den §§144,224 und 359 des ersten Entwurfes siehe auch noch im Anhang § 11 VI 3) und 5). 18 Vgl. auch MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 298 zur Übertragung der dem § 618 zugrundeliegenden Wertung auf andere Verträge; MüKo-Roth, § 242 Rn 188 ff. zu weiteren Pflichten des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. 19 Darauf reduzieren sich die Rechte des Arbeitnehmers jedoch nicht, denn er kann, um nicht von vorneherein auf den Schadensersatzanspruch im Falle der Verletzung (dulde und liquidiere) verwiesen werden zu müssen, seine Arbeitsleistung anbieten und zurückhalten, solange der Arbeitgeber seine Schutzpflicht nicht beachtet; der Arbeitgeber gerät dann in Annahmeverzug, §§273, 295, 297,615 BGB.

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§ 3 Schutzpflichten

märer Anspruch eben die Kenntnis des Gläubigers voraussetzt, die er erst durch die Anzeige des Schuldners bekommt. Anzeigepflichten des Schuldners verbergen sich auch hinter den Vorschriften §§ 5231,5241,600 BGB. Diese sind nicht ausdrücklich normiert, stehen aber hinter der negativen Formulierung, daß der Schuldner die betreffende Tatsache nicht verschweigen darf. Ein weiteres läßt sich aus der tatbestandlichen Fassung dieser Vorschriften folgen, denn da die sekundäre Schadensersatzpflicht des Schuldners auf den Fall des arglistigen Verschweigens beschränkt ist, kann der Schuldner nur zur Anzeige ihm bekannter Tatsachen verpflichtet sein20, was eine weitergehende Untersuchungspflicht des Schuldners implizit ausschließt21. Wie bei den §§ 374 II, 384 Π BGB kann auch hier nicht die Beachtung der Anzeigepflicht vom Gläubiger verlangt werden, sondern erst der sekundäre Anspruch auf Schadensersatz, falls die Nichtbeachtung der Anzeigepflicht durch den Schuldner beim Gläubiger zu einem Schaden geführt hat. Die §§ 523,524 BGB sind darüberhinaus aber auch Teil des Bereiches der allgemeinen Schutzpflicht, daß der Schuldner Sorge für die Fehlerfreiheit des Vertragsgegenstandes zu tragen hat, um Schäden an den Rechtsgütern des Gläubigers zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund reiht sich auch die Schadensersatzpflicht des Hinterlegers, § 694 BGB ein22. Normiert wird in dieser Vorschrift nicht die Schutzpflicht des Hinterlegers, eine etwaige gefahrdrohende Beschaffenheit der hinterlegten Sache anzuzeigen, sondern die Normierung knüpft erst bei der aus der Verletzung dieser Schutzpflicht entstehenden, sekundären Schadensersatzpflicht an. Da diese Schadensersatzpflicht auch eintritt, wenn der Hinterleger die Eigenschaften der Sache nicht kannte aber kennen mußte, erschöpft sich seine Schutzpflicht jedoch - anders als bei § § 5231, 5241 BGB - nicht in der Pflicht zur Anzeige einer bekannten Beschaffenheit, sondern es tritt eine Untersuchungspflicht des Hinterlegers hinzu. Ein durchsetzbarer Anspruch des Verwahrers auf Beachtung der Untersuchungs- oder Anzeigepflicht korrespondiert dieser Schutzpflicht indes nicht, der Schutzanspruch ist deshalb unentwickelt und realisiert sich erst im Schadensersatzanspruch. Ein der Schutzpflicht entsprechender durchsetzbarer Anspruch wäre auch aus tatsächlichen Gründen regelmäßig sinnlos, weil der Verwahrer zu seiner Geltendmachung der Kenntnis bedürfte, die ihm gerade fehlt; hätte er hingegen diese Kenntnis, 20 Hier können sich Überschneidungen mit dem vorvertraglichen Bereich der Haftung für culpa in contrahendo ergeben, wenn der Schuldner die Tatsachen dem Gläubiger nach Sinn und Zweck schon vor dem Vertragsschluß mitteilen muß. 21 Anders ist es gemäß §§523 II, 524II BGB, wenn der Schuldner den Gegenstand erst noch anzuschaffen hatte; hier folgt aus der Schadensersatzpflicht auch für den Fall der grob fahrlässigen Unkenntnis eine Untersuchungspflicht des Schuldners, vgl. dazu Plank-Siber, Vorb. zu §§275-292 Anm.I3bbb (= S. 187), Anm.I4abb (= S. 191). 22 Auch hier können Überschneidungen zur culpa in contrahendo auftreten.

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so würde es schon an seiner Schutzbedürftigkeit fehlen, eines Schutzanspruches bedürfte es dann weder in entwickelter noch in unentwickelter Form; vgl. auch § 694 a. E. BGB. Das entspricht in vielen Punkten der Situation des § 5451, Π BGB. § 5451 S. 1 BGB statuiert mit der Pflicht des Mieters zur Anzeige eines auftretenden Sachmangels eine positive unentwickelte Schutzpflicht, die dem Schutz der vermieteten Sache dient, also dem Schutz des Eigentums des Vermieters23. In Absatz II wird dem Gläubiger für den Fall der Nichtbeachtung der entwickelte Schutzanspruch, der sekundäre Schadensersatz gegeben, ein primärer Anspruch auf die Vornahme der Mängelanzeige scheidet jedoch wie z.B. bei §§ 523, 524, 694 BGB aus. Verletzt der Mieter seine Schutzpflicht, indem er die Mängelanzeige schuldhaft unterläßt, entwickelt sich der unentwickelte Schutzanspruch des Gläubigers nicht nur zum durchsetzbaren Schadensersatzanspruch, sondern der Mieter verliert gemäß § 545 I I BGB seinerseits verschiedene Rechte, insbesondere das Recht auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Das leuchtet vor dem Grundsatz des „venire contra factum proprium", § 242 BGB ein, denn der Mieter kann nicht einerseits den Vermieter über den Sachmangel in Unkenntnis belassen und ihm so die Möglichkeit zur Abhilfe nehmen, sich aber andererseits auf eben diesen Mangel zur Begründung eigener Rechte berufen. Nach dem Wortlaut des § 5451 BGB ist eine Untersuchungspflicht des Mieters nicht gesetzlich vorgesehen, denn die Vorschrift spricht von Mängeln, die sich „zeigen". Der Mieter verletzt seine Anzeigepflicht gleichwohl auch dann, wenn er denn Mangel grob fahrlässig nicht erkannt hat, obwohl er jedem Mieter auffallen müßte24; das ergibt sich schon aus der gegenüber § 539 BGB abweichenden Formulierung, aber auch aus dem Normzweck. Es entsteht so eine Schutzpflicht zur Beobachtung, die aber im Gegensatz zur Untersuchungspflicht Nachforschungen zur Ermittlung von Mängeln nicht einschließt. Daß die Schutzpflicht zur Anzeige gar nicht erst entsteht, wenn der Vermieter schon Kenntnis hat, wußten schon die Verfasser des ersten Entwurfes 25; sie hielten die Normierung eines dahingehenden Zusatzes jedoch für überflüssig, weil in § 545 BGB „an die Unterlassung der Benachrichtigung die Verpflichtung zum Ersätze des dadurch entstandenen Schadens geknüpft ist, ein solcher aber aus jener Unterlassung bei der Voraussetzung, daß der Vermieter unterrichtet ist, nicht entstehen kann." Der Schutzanspruch des Vermieters ist also unentwickelt, geltend zu machen ist er nur als sekundärer Schadensersatzanspruch, ein primärer Anspruch auf Erstattung der Mängelanzeige kommt nicht in Betracht. 23

Nach Palandt-Putzo, § 545 Rn 1 ist die Anzeigepflicht die Folge der Obhutspflicht des Mieters, die das Gesetz als selbstverständlich voraussetzt. Zur Obhutspflicht (custodia) vgl. eingehend unten IV2b). 24 Vgl. BGH in NJW 1977 S. 1236. 25 Vgl. Mugdan II, Motive S.223 zu §519 EI.

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§ 3 Schutzpflichten

Im Bereich der schuldrechtlichen Gebrauchsüberlassung, dem auch die Anzeigepflicht des § 545 BGB angehört,findet sich regelmäßig die unentwickelte Schutzpflicht, vertragswidrigen Gebrauch der Sache zu unterlassen. Diese Schutzpflicht des Schuldners steht in §§548,602,603 BGB hinter den Formulierungen, die den Schuldner auf den „vertragsgemäßen Gebrauch" beschränken. Verletzt der Schuldner seine dementsprechende Unterlassungspflicht, ist er dem Gläubiger zum Ersatz des daraus enstehenden Schadens nach den Grundsätzen der pVV verpflichtet 26. Ausnahmsweise hat der Gesetzgeber jedoch im Recht der Miete, § 550 BGB 27 auch die Durchsetzung des Schutzanspruchs des Vermieters zugelassen, der der Unterlassungspflicht des Mieters korrespondiert. Dem liegt die Erwägung zugrunde, „es empfehle sich im Interesse der Deutlichkeit des Gesetzes, durch eine besondere Bestimmung klarzustellen, daß sich die Verpflichtung des Miethers, beim Gebrauche der Miethsache sich in den durch den Vertrag bestimmten Grenzen zu halten, nicht erst nach Beendigung des Miethverhältnisses bei der Rückgewährung der Miethsache gemäß § 520 28 , sondern schon während der Dauer des Miethverhältnisses in einem Ansprüche des Vermieters auf Unterlassen vertragswidrigen Gebrauches sich äußere."29 Der Gesetzgeber wollte demnach mit § 550 BGB allein die Durchsetzung des Anspruchs als Abweichung von der Regel der fehlenden Durchsetzbarkeit des Gläubigeranspruchs durch ausdrückliche Normierung kennzeichnen; denn der Inhalt des Anspruchs, die Unterlassung des vertragswidrigen Gebrauchs ergab sich für ihn schon „aus der Natur des Mietvertrages sowie den allgemeinen Grundsätzen über die Haftung des Schuldners wegen Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit, §§ 503, 504, 224."30 Aber nicht nur die Durchsetzbarkeit des Anspruchs31, sondern eine weitere Abweichung ist mit § 550 BGB normiert worden. Im Gegensatz zum sekundären, entwickelten Schadensersatzanspruch, der eine schuldhafte Verletzung der ihn tragenden Schutzpflicht voraussetzt, muß der vertragswidrige Gebrauch der Mietsache nur objektiv vorliegen, ein Verschulden ist dagegen nicht erforderlich. § 550 BGB reduziert die tatbestandlichen Voraussetzungen damit auf den objektiven Sorgfalts26

Bis zur letzten Fassung des BGB korrespondierte diesen Vorschriften die allgemeine Haftungsregel des § 224 des ersten Entwurfes, dazu unten im Anhang § 11IX. 27 Vgl. auch die parallele Vorschrift in § 590a BGB, die jedoch erst in jüngerer Zeit nachträglich eingefügt wurde. 28 § 520 des ersten Entwurfes entspricht dem heutigen §556 BGB. 29 Mugdan II Protokolle S. 849. Staudinger-Schmidt, Einl. zu § 241 ff. Rn 321 sieht in § 550 BGB eine verfehlte aktionenrechtliche Formulierung. 30 Mugdan II, Motive S. 224 zu § 520 (entspricht § 556 BGB). § 503 entspricht § 533 BGB; § 504 entspricht § 536 BGB; zu der allgemeinen Haftungsregel des § 224 unten § 11 VI). 31 Eine entsprechende Normierung im Recht der Leihe, § 580 ff., 603 BGB fehlt; an die Stelle der Durchsetzung des Anspruchs auf Unterlassung tritt dort aber der sofortige Rückgabeanspruch des § 605 Nr. 2 BGB im Falle der Kündigung wegen vertragswidrigen Gebrauchs.

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pflichtverstoß, der bei der Nichtbeachtung einer Schutzpflicht immer schon impliziert ist. Ähnlich wie bei den §§ 548,602,603 BGB, hinter denen die Pflicht zur Unterlassung eines vertragswidrigen Gebrauchs steht, führt § 665 BGB für den Beauftragten zur Schutzpflicht, ein Abweichen von den Weisungen des Auftraggebers zu unterlassen. Will der Beauftragte gleichwohl abweichen, erlegt ihm § 665 S. 2 BGB eine Schutzpflicht zur Anzeige an den Auftraggeber auf; Parallelen zu dieser Regelung finden sich in den §§ 447 II und 692 BGB. § 665 BGB erwähnt den entwickelten Schutzanspruch, den Schadensersatzanspruch des Auftraggebers für den Fall der Verletzung der Schutzpflicht nicht. Dieser ist jedoch trotzdem nie bezweifelt worden und auch in den ersten Entwürfen zum BGB korrespondierte der in § 665 BGB normierten besonderen Schutzpflicht im Auftragsverhältnis noch die allgemeine Haftungsregel des § 224 EI: „Zweifellos hat der Beauftragte sich nach den Anweisungen des Auftraggebers zu richten und dessen Interessen nach dem Inhalt des Auftrages und der Sachlage gebührend wahrzunehmen, §§ 224 I, 359."32 Die Schutzpflicht des § 665 BGB wird ergänzt durch § 666 BGB, der dem Beauftragten, ähnlich wie bei den eingangs betrachteten Anzeigepflichten, zur Auskunft und Rechenschaftslegung verpflichtet.

4. Die Normierung der Schutzpflichten im BGB Die Uneinheitlichkeit der gesetzlich normierten Schutzpflichten in Formulierung, Ausgestaltung, Voraussetzungen und Rechtsfolgen mag den Schluß nahelegen, daß bei den Arbeiten zum BGB das den relativen Schutzpflichten zugrundeliegende Prinzip als ein allgemeines, übergreifendes noch nicht hinreichend erkannt worden war. a) Zurückhaltung der Gesetzgeber bei der Normierung von Schutzpflichten Die Art und Weise, in der der Gesetzgeber die Schutzpflichten im Schuldrecht des BGB normierte, hat jedoch mehrere Gründe. Daß die Trennung von Leistungspflicht und Schutzpflicht erst nach Inkrafttreten des BGB zur vollen Blüte gelangte33, in die gesetzliche Regelung also nicht in vollem Umfang eingehen konnte, ist sicherlich einer davon, wohl aber nicht einmal einer der tragenden Gründe für die gesetzgeberische Zurückhaltung. Maßgebend für das gesetzgeberische Vorgehen war zunächst die Orientierung und Anlehnung der Normierung an die historisch überlieferten Quellen und Dog32 33

Mugdan II, Motive S. 299 zu § 590 des ersten Entwurfes. Siehe ζ. B. unten Anhang §11X1.

5 Kuhlmann

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§ 3 Schutzpflichten

men, mit der notwendig eine gewisse Beschränkung bei der Rezeption neuer, noch nicht hinreichend gefestigter Erkenntnisse einherging. Nahe lag es bei dieser vorsichtigen Umsetzung und Kodifizierung des vorhandenen Rechtsstoffes, den vertraglichen Schutzpflichten dort gesetzlich Raum zu verschaffen, wo die Parallele zu den deliktischen Pflichten des § 823 BGB als Leitbild dienen konnte. Der vertragliche Schutz von Eigentum und körperlicher Integrität der Vertragspartner, wie ihn die Schutzpflichten im Recht der Miete, Verwahrung, Schenkung und der Dienstleistungen gewährleisten, lag deshalb im Rahmen dessen, was die Gesetzgeber leisten konnten. b) Einheitliche Wertungen der normierten Schutzpflichten Betrachtet man die vom Gesetzgeber zurückhaltend normierten Schutzpflichten insgesamt, zeigen sich aber hinter der vordergründigen Uneinheitlichkeit der jeweiligen Regelungen durchaus einheitliche Wertungen, die der scheinbaren Orientierung am Einzelfall ein übergreifendes Konzept entgegensetzen. Bei der Frage, von welchen Wertungsgrundsätzen sich der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschriften hat leiten lassen, fällt schon bei einer oberflächlichen Betrachtung auf, daß es sich in allen Fällen um die Regelung solcher Schutzbedürfnisse handelt, die sich aus der verstärkten Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter und Interessen des anderen Teiles ergibt. So trägt der Gesetzgeber mit den Schutzpflichten, die er im Miet- und Pachtrecht normiert hat, dem Auseinanderfallen von Besitz und Eigentum Rechnung, das für diesen Vertragstyp der Gebrauchsüberlassung kennzeichnend ist. Mit der Überlassung der Sache ist stets eine Einwirkungsmöglichkeit von besonderer, das normale Maß übersteigender Intensität verbunden34. Der Vermieter beispielsweise überläßt dem Mieter den Besitz der Mietsache ohne zu wissen, ob der Mieter sein Eigentum achtet, gleichzeitig begibt er sich jeder weiteren Einflußmöglichkeit auf die betreffende Sache. Der Gesetzgeber hat daher den Mieter mit der Schutzpflicht belastet und dem Vermieter Schutzansprüche gegeben, die diesen Konflikt entschärfen und die Schutzbedürftigkeit der benachteiligten Partei ausgleicht. Weitere Schutzpflichten fügen sich in diese Wertung ein, z.B. die §§602, 603, 691, 692, 374Π, 384Π, 447 Π BGB. Der Gesetzgeber hat überall dort35 eine besondere vertragliche Schutzpflicht geschaffen, wo durch das Zusammenwirken der Beteiligten eine doppelte Zuordnung des Leistungsgegenstandes entsteht; in allen diesen Vorschriften spiegelt sich der allgemeine Grundsatz wieder, daß Schutz dann geschuldet wird, wenn im Rahmen eines Schuldverhältnisses eine den Einfluß des anderen überwiegende oder ausschließende Einwirkungsmöglichkeit auf dessen Güter oder Interessen vorliegt. 34 35

Vgl. in diesem Zusammenhang auch die §§ 1020,1041,1215 BGB. Vgl. auch die §§ 586,588 und 966 BGB.

I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB

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Ganz ähnlich ist die Situation in den §§618,665,666,694,5231,5241 BGB. Die intensive Einwirkungsmöglichkeit, die sich hier feststellen läßt, rührt bei diesen Vorschriften jedoch nicht daher, daß der eine Vertragspartner ein Rechtsgut gleichermaßen aus der Hand gibt und dem Einflußbereich des anderen überläßt, sondern ergibt sich - genau umgekehrt - daraus, daß Rechtsgüter oder Interessen des einen Vertragspartners im Rahmen des Schuldverhältnisses notwendigerweise in den Rechtskreis des anderen gelangen. Ganz deutlich wird das bei §618 BGB 36 : Der Dienstpflichtige behält zwar den Besitz an seinen Rechtsgütern, aber er ist gezwungen, sie im Rahmen des Schuldverhältnisses in den Rechtskreis des Dienstherren einzubringen und dessen Einfluß auszusetzen. Diese Überlagerung der Rechtskreise anläßlich eines Schuldverhältnisses ist an sich nicht ungewöhnlich, aber bei den angesprochenen Vorschriften liegt die Besonderheit darin, daß dieses Einbringen von Rechtsgütern des einen in den Rechtskreis des anderen zwingend erforderlich ist. Bei einem Kaufvertrag können Käufer oder Verkäufer diese Situation und ihre Intensität dadurch reduzieren, daß sie auch die Berührung der Rechtskreise auf ein Minimum beschränken. Diese Möglichkeit, das Ausmaß der Rechtskreisüberlagerung zu bestimmen, fehlt bei den §§618,665,666, 694 BGB, da sie hier notwendiger und typischer Bestandteil des Schuldverhältnisses ist. Ist für § 618 BGB typisch, daß der Dienstverpflichtete seine Rechtsgüter in den Rechtskreis des Dienstberechtigten einbringt und auf diese Weise dessen Einfluß preisgeben muß, vertauschen sich diese Rollen z.B. bei den §§ 665,666,694,5231, 5241 BGB. Bei diesen Schuldverhältnissen wird notwendig der Rechtskreis des Aufnehmenden dem Einfluß der aufgenommenen Person oder Sache ausgesetzt. Die Schutzpflichten, die etwaige Beeinträchtigungen der Güter oder Interessen des Aufnehmenden vorbeugen sollen betreffen immer denjenigen, in dessen Einflußbereich die Schadensverursachung liegt; der andere Teil ist schützenswert, weil die Öffnung seines Rechtskreises dem von beiden Teilen gemeinsam im Rahmen des Schuldverhältnisses verfolgten Zweck dient. c) Obligationstypische

Einwirkungsmöglichkeiten

Der Eindruck der Uneinheitlichkeit und Einzelfallorientierung, der angesichts der verschiedenen im Gesetz normierten Schutzpflichten entstehen mag, schwächt sich weiter ab, wenn man das allen Vorschriften Gemeinsame sucht. Diese Gemeinsamkeit liegt darin, daß in allen Vorschriften die Gefährdung von Rechtsgütern oder Interessen der Vertragspartner, die durch die Normierung von Schutzpflichten ausgeglichen wird, dem Schuldverhältnis immanent ist und als geradezu obligationstypisch bezeichnet werden kann. Die höhere Einwirkungsmöglichkeit, die die Beeinträchtigung von Gütern oder Interessen zur Folge haben kann, 36

5*

Vgl. auch §701 BGB, dazu Kress, S. 5.

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§ 3 Schutzpflichten

ergibt sich bei den im BGB normierten Schutzpflichten also regelmäßig aus der Eigenart der zugrundeliegenden Vertragsart. Bestimmte Konflikte sind vorhersehbar und typisch für diese Schuldverhältnisse, sie können deshalb auch durch die Normierung von Schutzpflichten vorbeugend reduziert werden. Damit liegt aber der Schluß nahe, daß die gesetzgeberische Zurückhaltung bei der Normierung von Schutzpflichten im BGB weniger darauf zurückzuführen ist, daß ein allgemeines Prinzip der Schutzpflichten noch nicht hinreichend bewußt war, als vielmehr auch auf gesetzestechnische Gründe: Der Gesetzgeber hat Schutzpflichten normiert, wo er sie normieren konnte, nämlich dort, wo die zu regelnden Konflikte obligationstypisch vorgegeben sind, wo die konkret erforderliche Verhaltensweise der Vertragspartner durch die Eigenart des jeweiligen Schuldverhältnisses vorgezeichnet ist und in ihren Modalitäten wesentlich durch das Ziel der sie verbindenden Rechtsbeziehung geprägt wird. d) Prinzip und Abweichung als Gegenstand der Normierung Die Normierung nur einzelner, an der Eigenart des jeweiligen Schuldverhältnisses orientierter Schutzpflichten entspricht aber auch insgesamt dem Vorgehen der Gesetzgeber bei der Abfassung des Schuldrechts. Die Gesetzgeber beschränkten sich häufig darauf, in den einzelnen Vorschriften nur diejenigen Abweichungen vom allgemeinen Prinzip zu verdeutlichen, die sich nicht schon selbstverständlich aus diesem ergeben37. Daß der Schuldner verpflichtet ist, seiner ihm nach dem Schuldverhältnis obliegende Verpflichtung „ihrem ganzen Umfange nach, insbesondere auch in Ansehung aller Nebenpunkte" nachzukommen und im Falle der Pflichtverletzung gemäß des allgemeinen Haftungstatbestandes, § 224 Schadensersatz zu leisten habe38, war dem Gesetzgeber aber eine Selbstverständlichkeit, so daß er nur einzelne Abweichungen in Tatbestand oder Rechtsfolge von dieser allgemeinen Haftung für die Verletzung von Nebenpflichten festschrieb. Sofinden sich als Abweichungen vom allgemeinen Prinzip besondere Schutzpflichten, die über die gewöhnlichen, bei jedem Schuldverhältnis durch Auslegung des Rechtsgeschäftes zu ermittelnden Schutzpflichten39 hinausgehen oder von diesen abweichen; aber auch Abweichungen in der tatbestandlichen Voraussetzung der korrespondierenden Haftung nach § 224 EI 4 0 .

37 Dazu eingehend unten § 11 V I 5 a) am Beispiel des allgemeinen Haftungstatbestandes und des Rücktrittsrechts. 38 Vgl. Mugdan II Motive S. 14. 39 Siehe unten ΠΙ. 40 Nach dem Wortlaut des §44711 BGB beispielsweise ist für die Entstehung des Schadensersatzanpruches kein Verschulden bei der Verletzung der Schutzpflicht erforderlich, es soll also ausnahmweise der objektive Soigfaltspflichtverstoß zur Haftungsbegründung reichen. Praktisch führt das allerdings wohl kaum zu Auswirkungen, da eine schuldhafte Pflichtverletzung

I. Schutzpflichten in den Vorschriften des BGB e) Entwicklung der regelungsbedürftigen

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Interessenkonflikte

Angesichts dieser Gründe der gesetzgeberischen Beschränkung bei der gesetzlichen Verankerung einzelner Nebenpflichten wird verständlich, daß der Gesetzgeber eine umfassende Normierung weder leisten wollte noch leisten konnte. Daß er sie nicht leisten konnte, liegt natürlich auch daran, daß viele der mittlerweile anerkannten Schutzpflichten der Lösung von Interessenkonflikten bzw. dem Ausgleich von Interessenbeeinträchtigungen dienen, die einer Zeit entstammen, der das BGB nicht vorausgreifen konnte. Die Gesetzgeber gingen bei der Abfassung des BGB noch von der heute vielfach durchbrochenen Vorstellung der formalen Gleichheit der Rechtssubjekte aus; sowohl der Bereich der Güterbewegung als auch der Güter- und Interessenschutz ist heutzutage von zahllosen Faktoren und Einflüssen geprägt, die sich weit von denjenigen entfernt haben, die der Gesetzgeber im ausklingenden neunzehnten Jahrhundert seiner Regelung zugrundegelegt hat. Daß das BGB zur Zeit seines Inkrafttretens nicht allen Konflikten normativ Rechnung tragen konnte, die sich im Laufe seiner Geltung fortwährend entwickelten und änderten, liegt also auf der Hand. Aber auch wo die Beeinträchtigungen der Schutzinteressen sich nicht der gesetzlichen Regelung entzogen, weil sie im Bereich der Zukunft lagen, sondern gleichermaßen auch zur Zeit des Inkrafttretens des BGB vorlagen, mußte die Herleitung der Schutzpflichten notwendig der Vertragsauslegung im einzelnen, konkreten Fall überlassen bleiben, wo die Konflikte nicht obligationstypisch vorgezeichnet waren, sondern ganz in der Besonderheit des jeweiligen Falles liegen. f) Normierte Schutzpflichten

und Vertragsauslegung

Das ist nach wie vor in der Mehrzahl der Fälle so, denn die erhöhte Einwirkungsmöglichkeit auf Rechtsgüter und Interessen der Vertragspartner ergibt sich zweifellos gleichermaßen und gleichartig auch im Rahmen anderer Schuldverhältnisse. Der Gesetzgeber war sich dieser ihm bei der Normierung von Schutzpflichten vorgegebenen Beschränkung genau bewußt, wie die Motive41 zeigen: „Es ist weder dem Gesetz, noch für die Regel dem Geschäftsverkehr möglich, den Umfang und Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben; vollständig läßt sich der Inhalt der Leistungsverbindlichkeit nur im konkreten Fall erkennen, mittels Auslegung des Gesetzes bzw. Rechtsgeschäftes, auf dem die Verbindlichkeit beruht (vgl. §§73,359)." 42 Wo der Gesetzgeber bei den einzelnen Schuldverhältnissen deshalb keine Schutzpflichten normiert hat, können bei regelmäßig vorliegen wird, wenn der Verkäufer „ohne dringenden Grund" von den Anweisungen des Käufers abweicht. 41 Mugdan II, Motive S. 14. 42 §§ 73, 395 entsprechen den heutigen §§ 133,157,242 BGB.

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§ 3 Schutzpflichten

der Auslegung des Vertrages gleichwohl die Wertungen von Nutzen sein, die den normierten Schutzpflichten zugrunde liegen. Für die Feststellung von Schutzpflichten im Schuldverhältnis sind daher folgende Grundsätze heranzuziehen43: Der Schuldner hat die Leistung in einer Art zu bewirken, daß die dabei berührten Güter des Gläubigers unverletzt bleiben. Der Gläubiger hat, wenn er zur Erfüllung mitzuwirken hat, diese Mitwirkung so einzurichten, daß die Person, die Sachen und auch andere wesentliche Interessen des Schuldners ungefährdet bleiben44, soweit die Art der geschuldeten Leistung es gestattet. Wenn nach dem Schuldverhältnis hingegen der Gläubiger oder Schuldner zum Gebrauch, zur Nutzung von Sachen oder zur Verfügung über diese, überhaupt zu Eingriffen in die Vermögenssphäre des anderen Teiles befugt ist, so ist jeder diese Befugnis überschreitende Eingriff zu unterlassen45. Der Schuldner hat dem Gläubiger Anzeige über Gefahren zu machen, der die Güter oder Interessen des Gläubigers bei der Erfüllung ausgesetzt sind46, insbesondere in Ansehung gefahrvoller Eigenschaften der zu leistenden Sache. Auch der Gläubiger hat jedoch dem Schuldner entsprechende Gefahranzeigen zu machen47. In ihrer allgemeinen Form lassen sich diese Grundsätze dahin zusammenfassen, daß der Schuldner wie der Gläubiger ihr Verhalten so einzurichten haben, daß die bei der Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehungen berührten Interessen und Güter des anderen Teiles nicht verletzt werden48. Die Schutzpflichten sind somit nach allem im BGB angelegt49. Ihre konsequente Fort- und Weiterentwicklung sollte deshalb auch dort unter Verwendung der gesetzlich vorgegebenen Wertungen und Leitbilder wieder aufgenommen werden, wo der Gesetzgeber noch Zurückhaltung geübt hat.

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende Konzepte Bei aller Uneinigkeit über Rechtsgrund, Reichweite und Besonderheiten der Schutzpflichten kann zumindest die Trennung der Schutzpflichten von der Leistungsbeziehung heute zum Bestand gesicherter Dogmatik gerechnet werden50. Sie 43

So Kress, S. 580f. Vgl. §618 BGB. 45 Vgl. §§665,666,694 BGB. 46 Vgl. §§ 523, 524, 374, 384,694, 665 BGB. 47 Kress, S. 582. 48 Kress, ebenda. 49 Kress, S. 7 f., 580f. Nach der Ansicht von Canaris (in FS für Larenz S. 30,93) ist darüber hinausgehend sogar die von ihm konstruierte Dreispurigkeit der Haftung für Delikt, Vertrag und Schutzpflichtverletzung (siehe sogleich unten II 1, 3)) im BGB angelegt. 50 Vgl. exemplarisch MüKo-Kramer, §241 Rn 1; Esser/Schmidt Bd.I Tb.2 S. 128f.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Artt. 55, 70 i. V. m. Art. 10 EKG. 44

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende Konzepte

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ist mittlerweile so selbstverständlich, daß regelmäßig ihre Berechtigung als solchc nicht mehr eigens herausgestellt wird, sondern sofort die verschiedenen Ansätze zui inhaltlichen Ausgestaltung dieser Trennung und ihre Probleme erörtert werden. Das war freilich nicht immer so. Die judizielle Praxis und die Lehre begann schor bald nach Inkrafttreten des BGB, entgegen der Leistungsbetonung des Gesetzes die Leistungsverhältnisse sukzessive mit einem Geflecht von Schutzpflichten zu überziehen. Gleichzeitig fanden sich jedoch auch gegenläufige Strömungen, die die derart in Gang gesetzte Emanzipation und Etablierung der Schutzpflichten wiedei rückgängig zu machen suchte, indem sie die Schutzpflichten in die Leistungsbeziehung einbezog. Bekannt geworden sind die Beiträge Himmelscheins51, nach dessen Ansicht dei Leistungsbegriff des § 241 BGB nicht gegenständlich gemeint sei, sondern vielmehi als ein auf die Herbeiführung des verabredeten Erfolges gerichtetes Verhalten. Aus spezielleren Vorschriften ergebe sich dann, ob sich die Leistungspflicht in einem solchen zweckgerichteten Verhalten erschöpfe oder ob der Erfolg selber geschuldet sei. Hierbei stellten jedoch solche Anforderungen wie Redlichkeit und Sorgfalt keine eigene Ebene im Organismus Schuldverhältnis dar, sondern seien mitbestimmend für den Inhalt der jeweiligen Leistungspflicht52. Deren Verletzung begründe den Tatbestand der (teilweisen) Unmöglichkeit und verpflichte den Schuldner daher zum Schadensersatz entsprechend der einschlägigen Haftung wegen Nichterfüllung. Dieser Versuch Himmelscheins galt nur in zweiter Linie dem Ziel, den Schutzpflichten die Eigenständigkeit abzusprechen, im Vordergrund stand vielmehr das Bemühen, alle Fälle denkbarer Störungen im Schuldverhältnis nur mit dem gesetzlichen Instrumentarium, das das allgemeine Leistungsstörungsrecht gibt, bewältigen zu können. Himmelscheins Ansatz war letztlich kein Erfolg beschieden, solcherart motivierte Versuchefinden sich aber vereinzelt noch bis in die jüngste Vergangenheit.

51 AcP 135 (1932) S.255ff. und AcP 158 (1959/60) S.273ff. (posthum). Himmelschein nahestehend beispielsweise Westhelle passim; ähnlich auch MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 3 f.; 220ff.; Hans Stoll in AcP 176 (1976) S. 151ff. (dazu Jakobs, Unmöglichkeit S.45f. i. V.m. Fn.82f.); weitere Nachweise bei Motzer in JZ 1983 S.884, Fn.6. Auch E. Wolf (in AcP 153 -1954- S. 97 ff., 112 scheint noch die Möglichkeit der Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten zu bestreiten. Der Schuldner schulde niemals „Sorgfalt" schlechthin, sondern immer nur sorgfältiges Leisten. Sorgfalt als solche sei keine Leistung, sondern lediglich die Modalität eines geschuldeten Verhaltens. Sorgfalt könne somit nie alleiniger Inhalt einer Verpflichtung sein. Diese Kritik gilt jedoch wohl in erster Linie den von Larenz gewählten Begrifflichkeiten, weniger aber der grundsätzlichen Berechtigung von Schutzpflichten, vgl. S. 113 [ähnlich auch von Lackum S. 146; zu Wolf auch Larenz selbst S. 10 in Fn.5]). 52 Dazu auch noch unten im Anhang § 11112. Zur Kritik an Himmelschein siehe Heinrich Stoll in AcP 136 (1932) S.257ff., 269ff.

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§3 Schutzpflichten

1. Schutzpflichten als „Leistungspflichten eigener Art" Exemplarisch sei hier der Einordnungsversuch von Motzer 53 wiedergegeben. Im Gegensatz zu Himmelschein kommt Motzer nicht am Faktum der rechtlichen Selbständigkeit der Schutzpflichten gegenüber der Leistungspflicht vorbei54, er erweitert diese Selbständigkeit aber, indem er die Schutzpflichten als ein weiteres, neben und außerhalb des Vertragsverhältnis stehendes gesetzliches Schuldverhältnis konstruiert55. Das vom Standpunkt des Vertragsverhältnisses aus gesehen „außererfüllungsmäßige" Interesse stelle sich innerhalb des Rahmens dieses rechtlich getrennte Schutzpflichtverhältnisses als Erfüllungsinteresse dar56. Das Erfüllungsinteresse im Vertragsverhältnis und dasjenige im gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis unterscheide sich zwar voneinander entsprechend der Verschiedenheit der Inhalte der Pflichten aus beiden Rechtsverhältnissen. Dies sei jedoch für die Bejahung oder Verneinung eines Erfüllungsinteresses ohne Bedeutung, da das Erfüllungsinteresse verschiedener Vertragsschuldverhältnisse durchaus unterschiedlich sein könne, Integritätsund Erfüllungsinteresse seien also keinesfalls per se Gegensätze57. Das Schutzinteresse werde innerhalb des Schutzpflichtverhältnisses zum Leistungsinteresse58, dieses Erfüllungsinteresse im Schutzpflichtverhältnis liege darin, daß dem Gläubiger mit der Beachtung der Schutzpflicht durch den Schuldner in der Regel mehr gedient sei als mit der Folge ihrer Verletzung, der Gläubiger sei an der Einhaltung deshalb durchaus materiell interessiert59. Motzer befördert die Schutzpflichten also kurzerhand auf die Ebene der primären Leistungspflicht, indem er aus dem Vermögenswert der geschützten Güter die Gleichstellung mit der Vermögenswerten Leistung ableitet und anschließend erwartungsgemäß in die Begrifflichkeiten des Schuldrechts einordnet: Die Schutzpflichten seien außervertragliche, gesetzliche Leistungspflichten eigener Art 60 . Mit der solcherart begründeten Anerkennung des Leistungscharakters der Schutzpflichten ist dann der Weg eröffnet zur Integration der Schutzpflichtverletzungen in das gesetzliche System der Leistungsstörungen, da die Grundsätze über Verzug und Unmöglichkeit nicht nur für die Verletzung vertraglicher, sondern auch für die Verletzung gesetzlicher Leistungsvorschriften gelten61. Ausgehend von § 280 BGB als gesetzlicher Anspruchsgrundlage ergebe sich die Rechtsfolge der Schutzpflichtverlet53 54 55 56 57 58 59 60 61

JZ 1983 S. 884ff. Ebenda S. 885, linke Spalte. Ebenda mit Verweis auf Canaris in JZ 1965 S.475 ff. Ebenda S. 886, linke Spalte. Ebenda. Ebenda S. 889, rechte Spalte. Ebenda. So Motzer, S. 887 unter 2. Motzer, S. 888, unter III 1.

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 7 3 zung aus § 249 ff. BGB; zu ersetzen sei das Interesse, das der Gläubiger an der Erfüllung der jeweiligen Schutzpflicht hat62. Auffällig ist bei diesem Konzept zunächst, daß Motzer die durch seine Gleichstellung gerade begründete Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstörungsrechts sogleich selber wieder auf eine einzige Vorschrift, nämlich § 280 BGB reduzieren muß, weil die §§ 320ff. BGB offenbar sinnlos sind und auch der Bereich des Verzugs, §§ 284 ff. BGB als „nicht weiterführend" 63 ausgenommen wird. Das erstaunt nicht, da Unmöglichkeit und Verzug nun einmal gegenständlich angelegt sind, nicht aber verhaltensbezogen. In den §§275 ff. BGB ist, insbesondere soweit sie Schadensersatz wegen Nichterfüllung gewähren, an den Ausgleich solcher Nachteile gedacht, die auf das Ausbleiben der gegenständlichen Leistung zurückzuführen sind, kompensiert wird in ihnen das Ausbleiben eines gegenständlichen Leistungserfolges, nicht aber die Minderung eines beim Gläubiger bereits vorhandenen Bestandes. Es ist eben dies der Einwand, den auch Himmelschein sich entgegenhalten lassen mußte und der wesentliche Bedeutung für die Einordnung der Schutzhauptpflicht in die §§ 275 ff. BGB bekommt64. Auch den Unterschied der aus § 280 BGB i. V. m. § 249 ff. BGB hergeleiteten Rechtsfolge des Ersatzes des „Erfüllungsinteresses" an der Schutzpflichtbeachtung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Leistungspflicht aber muß Motzer zugestehen: Der Gläubiger habe zwar an der Schutzpflicht ein Leistungsinteresse, negativ sei dieses Interesse jedoch insoweit, als es nicht auf Vermögensmehrung, sondern auf Erhaltung von Rechtsgütern gerichtet sei; der Gläubiger könne kein Mehr an Vermögenswerten verlangen, als er vor der Verletzung der Schutzpflicht durch den Schuldner hatte65. Läßt sich dieser Unterschied aber nicht wegdiskutieren, so bleibt eine Gleichsetzung notwendig an der begrifflichen Oberfläche und vermag daher kaum zu überzeugen. Zu welchen Konsequenzen Motzer durch diese Gleichsetzung gezwungen wird, zeigt seine Einordnung der vertragsbezogenen Fälle der culpa in contrahendo: Das Vertrauendürfen in das Zustandekommen und die Durchführung des künftigen Vertragsverhältnisses sei als Vermögenswerte Position schon Bestandteil der Rechtsgüter des einen Teils, deren Integrität der andere Teil nicht verletzen darf; das Interesse daran entspreche dem Erfüllungsinteresse 66. Doch nicht nur die dogmatische Unbekümmertheit, mit der die Einordnung der Schutzpflichtverletzungen in das allgemeine Leistungsstörungsrecht forciert wird, 62

Motzer, S. 889, unter 2. Motzer, S. 888, unter III 1. 64 Zu den Gründen der Nichtanwendbarkeit der Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug eingehend ζ. B. noch unten § 9IV2 und 3 sowie V. 65 So ausdrücklich Motzer, S. 889 linke Spalte. 66 Ebenda. Motzer selbst verweist in Fn.65 darauf, daß diese Deutung der vorvertraglichen Haftung allerdings nicht allgemein anerkannt sei. 63

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§ 3 Schutzpflichten

stimmt skeptisch, sondern auch das so erreichte Ziel erscheint fraglich. Denn vor dem Hintergrund des Fortschrittes, der in der Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus sowie der Verschiedenheit seiner Pflichten und die dadurch ermöglichte Lösung gerade von der Fixierung auf die zu engen gesetzlichen Anknüpfungspunkte Unmöglichkeit und Verzug liegt, muß das Konzept Motzers als Rückschritt betrachtet werden. Wie der Versuch Himmelscheins hat auch dieses Konzept zu Recht keine Gefolgschaft gefunden und stellt in seinem die Integration ins Leistungsstörungsrecht bezweckenden Ansatz eine Ausnahme dar.

2. Integration der Schutzpflichten ins Deliktsrecht Verbreitet hingegen sind die Tendenzen zur Verlagerung der Schutzpflichten ins Deliktsrecht67. Diese Tendenz zur gänzlichen Abkehr von der Grundidee einer zumindest auf das Rechtsgeschäft bezogenen Haftung sind wohl zu einem guten Teil vor dem Hintergrund der weitreichenden Uneinigkeiten zu sehen, die für den Bereich der Schutzpflichten immer noch kennzeichnend sind. Tatsächlich ist zuzugestehen, daß Rechtspraxis und Rechtsdogmatik in diesem Bereich in ungewöhnlich hohem Maße kontrastieren. In der Rechtspraxis wird eine Vielzahl von Fällen über die Haftung nach den Grundsätzen der pFV mit diskussionsloser Selbstverständlichkeit erledigt, auf dogmatische Einordnungsversuche wird jedoch weithin verzichtet. Von der näheren Reflektion stellt man sich nur allzu häufig mit dem formelhaften Hinweis frei, die positive Forderungsverletzung sei gewohnheitsrechtlich legitimiert. Daß dieser letztlich unbefriedigende Zustand zur Suche nach abweichenden Haftungskonzepten reizt, ist somit verständlich. Eines dieser Konzepte ist die Hinwendung zum Deliktsrecht. Mitbestimmend für die Verortung der Schutzpflichten in das Deliktsrecht ist die verbreitete und zu enge Sicht, daß die Schutzpflichten ihre Existenz und Bedeutung nur den Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts68 verdanken, ihre Funktion letztlich also wieder zur Einbettung in das Deliktsrecht dränge69. Der heutige Gebrauch der traditionellen Leistungsstörungsflguren cic und pFV wird von den Vertretern dieser Ansicht als das verfehlte Bemühen betrachtet, einen richtig erkannten Fehler an der falschen Stelle zu korrigieren; die Berufung auf diese 67

Dazu auch noch unten § 11 II 3. Diese Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts werden dabei regelmäßig in der Verjährungsregelung, der unterschiedlichen Beweislastverteilung, der Haftung für Verrichtungsgehilfen und im Problem des Vermögensschutzes gefunden. 69 Markant z. B. MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 294: „Diese (vertraglichen) Schutzpflichten treten neben die parallele deliktische Pflicht und haben vor allem die Aufgabe, etwaige Schutzlücken des Deliktsrechts, namentlich im Gefolge des mißglückten §831 BGB, zu schließen/1 Ähnlich E. Schmidt (in Nachwort S. 133,153), nach dessen Ansicht die Schutzpflichten einen Bereich abdecken, in dem die deliktischen Schutzzwecke mit dem Instrumentarium des Vertragsrechts wahrgenommen werden müssen. 68

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 7 5 Figuren sei nichts anderes als die durchsichtige dogmatische Scheinlegitimierung70 einer Praxis, die versucht, vermeintliche bzw. tatsächliche Unzulänglichkeiten des Deliktsrechts zu kompensieren71. Bei den Vorteilen, die für die Qualifizierung der vertraglichen gegenüber der deliktischen Schadensersatzhaftung sprechen, gehe es in erster Linie um die Haftung für primäre Vermögensschäden und bezüglich der Haftung für Dritte um die Ausschaltung der in § 831 BGB vorgesehenen Entlastungsmöglichkeit zugunsten der strengeren Einstandshaftung nach §278 BGB. Vorzuziehen sei eine strikte Dichotomie der Schadenshaftung: Nur noch die Haftung für die Verletzung eigentlich leistungsbezogener „Erfüllungsinteressen" wird dem Bereich der vertraglichen Haftung überlassen, die Haftung für die Verletzung jeglicher Integritätsinteressen wird dagegen geschlossen dem Recht der unerlaubten Handlungen zugewiesen. Bei diesen Integritätsverletzungen handele es sich nämlich keinesfalls um die Verletzung besonderer sekundärer Nebenpflichten, die aus dem Schuldverhältnis entstehen und die primäre Leistungspflicht begleiten, sondern es handele sich um die allgemeinen Verkehrspflichten i. S. d. Deliktsrechtes, die dem Schuldner gegenüber jedermann obliegen. Insoweit gehe es also um genuines Deliktsrecht mit der Folge, daß für die pFV (und cic) als Instrument eines verstärkten Integritätsschutzes kein Anwendungsbereich mehr verbleibt. Um den heute erreichten und gesicherten Bestand des Integritätsschutzes nicht durch die Überweisung ins Deliktsrecht wieder zu schmälern, müsse dieses jedoch sachgerecht erweitert werden. Dogmatisch sei für diese erforderliche Erweiterung des Deliktsschutzes der Boden hinreichend vorbereitet, da an die Entwicklung der Verkehrspflichten angeknüpft werden könne. Auszugehen sei davon, daß die in § 8231 BGB statuierte Haftung für unmittelbare Eingriffe in absolute Rechtspositionen ergänzt werden könne und müsse durch eine Haftung für Schäden, die aus der Verletzung sozialer und zumeist richterlich geschaffener Verhaltenspflichten entspringen und auch dem Schutz reiner Vermögensinteressen dienen können72. In der Konsequenz bedeutet dies nichts anderes als die vollständige Ausmusterung der vertraglichen Schutzpflichten aus dem Organismus Schuldverhältnis, eine Reduzierung der Funktionen des Vertragsrechts auf die der Güterbewegung73. Es mag naheliegen, den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum in erster Linie deliktsrechtlich zu bewältigen, da diese Rechtsgüter eine ausdrückliche Erwähnung in § 8231 BGBfinden. Das heißt jedoch nicht, daß man sich daneben zu dem 70

Picker, S. 381. Huber in seinem Gutachten S.667: „Die Schwierigkeiten des geltenden Rechts sind in erster Linie im Deliktsrecht begründet. (...) Die notwendigen Korrekturen müssen im Deliktsrecht, nicht im allgemeinen Leistungsstörungsrecht ansetzen." 72 Gutachten v.Bar Bd.II S. 1712ff., insb. 1714ff. 73 Nach Huber in der FS für von Caemmerer S. 837, 866 lautet die Entgegensetzung also nicht „Leistungspflicht" - „Schutzpflicht", sondern „Leistungspflicht" - „allgemeine Verkehrspflicht". Den Ausdruck „Schutzpflicht" solle man besser nur in den Fällen verwenden, in denen es wirklich Inhalt der Leistungspflicht des Schuldners ist, die Person, die Sachen oder das Vermögen des Gläubigers in bestimmter Hinsicht zu schützen. 71

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§ 3 Schutzpflichten

gleichen Zwecke nicht auch des Vertragsrechts bedienen könne. Aus der Tatsache, daß ein Rechtsgut gegenüber jedermann geschützt ist, kann nicht zwingend auf die deliktsrechtliche Natur der betreffenden Pflicht geschlossen werden, die den Bereich vertraglicher Haftung abschneidet. Dieser Bereich scheint nach wie vor um so mehr nötig, als der Gesetzgeber die notwendige korrespondierende Umgestaltung des Deliktsrechts74 im Zuge der Verengung der Reformpläne ausgeschlossen hat, eine gleichwohl erfolgende Verortung ins Deliktsrecht demnach unweigerlich Schutzlücken provozieren würde75. Doch nicht nur der pragmatische Hinweis auf die bisher noch nicht hinreichende Aufbereitung des Deliktsrechts muß zur Ablehnung dieser Tendenz führen. Vielmehr legt das Gesetz selbst die Einordnung als rechtsgeschäftliche Haftung nahe. Bestimmungen wie § 618 BGB zeigen prägnant, daß die rechtsgeschäftliche Haftung auch der Ansicht der Gesetzgeber entsprach76. Gerade § 618 III BGB, der die entsprechende Anwendung der §§ 842-846 BGB anordnet beweist, daß eine deliktsrechtliche Deutung dieser Vorschrift fehl geht, da sonst Absatz ΠΙ eine ebenso überflüssige wie widersinnige Wiederholung wäre. Vergessen wird bei dem Hinweis auf die „genuin deliktsrechtliche Natur" der Schutzpflichten auch, daß die Schutzpflichten nach allgemeinem Verständnis gar nicht derart weit bestimmt sind, daß sich die damit vorausgesetzte funktionelle Deckungsgleichheit ergeben könnte. Denn die Schutzpflichten zielen auf den Schutz der Vertragspartner oder leistungsnaher Dritter ja von vorneherein nur insoweit, als sich aus den besonderen Einwirkungsmöglichkeiten bei der Durchführung des Vertrages Schäden ergeben können. Letztlich wird also doch ein spezifisch vertraglicher, nicht nur die deliktsrechtlichen Intentionen wiederholender Schutz bezweckt, der damit auch innerlich und nicht nur konstruktiv zur rechtsgeschäftlichen Haftung gehört; die Schutzpflichten sind nicht lediglich eine ins Obligationengewand gekleidete umfassende Verantwortlichkeit des neminem laedere77.

3. Das einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis Ist die deliktsrechtliche Natur der Schutzpflichten also derart abzulehnen und geht man von der strengen Dichotomie zwischen deliktischen und vertraglichen Einstandspflichten aus, scheint nur der Schluß zu bleiben, daß die Schutzpflichten ihren Grund und Platz im Vertrag finden. 74

Dazu unten §11 III). Auch Medicus (Schuldverhältnis S. 19 f.) weist daraufhin, daß sich die Schutzproblematik auf absehbare Zeit nicht mit dem Deliktsrecht lösen lasse. 76 In diesem Sinne auch MüKo-Roth, §242 Rn 187 ff. 77 So zutreffend Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 S. 149. 75

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 7 7 Zwischen der Haftung aus Vertrag und Delikt setzt jedoch eine zweite große Strömung in der Zivilrechtsdogmatik an, die regelmäßig unter dem Terminus des „einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses" angesprochen wird 78. a) Die Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis Diese bis heute mit dem Namen von Canaris79 verbundene Lehre soll hier zunächst wiedergegeben werden. Auf ihren allgemeinen Kern reduziert, kennzeichnet sich die keineswegs neue80, aber erst in der jüngeren Rechtsentwicklung zunehmend vertretene Lehre durch den folgenden grundsätzlichen Ansatz aus: Die besondere Haftung für Schutzpflichtverletzungen ergibt sich für diese Lehre aus der reinen Tatsache einer besonderen, über den deliktischen Zufallskontakt hinausgehenden engen Beziehung. Dieser Beziehung als Faktum legt man also eine besondere, pflichtenbegründende Wirkung bei. Die Verantwortlichkeit des Schuldners für Schutzpflichtverletzungen wird damit nicht mehr an einem entsprechenden Erklärungsverhalten und teilweise überhaupt nicht mehr aus dem Zusammenhang mit einem rechtsgeschäftlichen Handeln gefolgert, vielmehr begnügt man sich unter Verzicht auf vertraglichen Bezug mit der Realität des Kontakts; dieser wird statt durch Auslegung durch originäre Wertung zur Grundlage von Schutzpflichten gemacht. In dem Vertrauensverhältnis, nicht aber in den Willenserklärungen der Parteien fänden die Schutzpflichten ihre Grundlage, so daß diese demgemäß auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhten, das seine Rechtfertigung in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen im Hinblick auf das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis und seine positivrechtliche Grundlage in § 242 BGB fände 81. Diese Lehre vom „sozialen Kontakt" verschmelzt dadurch in einem „einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis" die traditionellen Figuren der cic und pFV 82 und kommt so zu einer weitgehenden Reduzierung ihres Anwendungsbereiches. Das „einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis" soll dabei in Weiterentwicklung der Strukturen des Schuldverhältnisses scharf gegenüber dem vertraglichen Leistungsverhältnis abzugrenzen sein, die Schutzpflichten also ein gesonderter Komplex gesetzlicher Pflichten innerhalb des Organismus' Schuldverhältnis sein83. Das derart von dem vertraglichen Leistungsverhältnis zu unterschei78 Nicht mit einbezogen wird hier die dem nahestehende Lehre vom „sozialen Kontakt", die den Grund der Haftung auf die Faktizität der Parteibeziehungen reduzieren will. Eingehend und kritisch dazu Picker in AcP 183 (1983) S.369, 41 Iff.; vgl. auch Canaris in JZ 1965 S. 477ff. in Fn.40. 79 JZ 1965 S.477ff.; erneut in der FS für Larenz 1983 S.30, 84ff. 80 Vgl. die Angaben von Canaris in seinem Aufsatz ebenda in Fn.22ff. 81 Canaris, ebenda S.478, linke Spalte. 82 So auch der Titel der Arbeit von Lackums:" Verschmelzung und Neuordnung von culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung". 83 Canaris, ebenda S.479,480. Diese Unterteilung erfordert praktisch eine umfassende Neukonzipiemng des Obligationensystems, vgl. E. Schmidt in Nachwort S. 150f.; auf die Einzel-

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§ 3 Schutzpflichten

dende einheitliche Schutzverhältnis beginne mit der Aufnahme des geschäftlichen Kontaktes und verdichte sich über verschiedene Stufen wie Vertragsschluß und Eintritt in das Erfüllungsstadium 84·85. Hintergrund der Ausgliederung b) Entwicklungsgeschichtlicher der Schutzpflichten seit dem Inkrafttreten des BGB Die strenge Abgrenzung der Schutzpflichten und ihre Ausgliederung aus dem Vertragsverhältnis ist das aktuelle und wohl vorläufig auch letzte Stadium einer Entwicklung, die unter dem Zeichen der zunehmenden Verselbständigung der Nebenpflichten von der vertraglichen Hauptleistungspflicht steht86. Die vielen Elemente dieses sehr komplexen Prozesses, in dem eine Reihe von Faktoren ineinandergreifen, die ihrerseits wiederum Teile einer sich grundsätzlich verändernden Konzeption des Schuldverhältnisses darstellen, sollen hier nur kurz in ihren Zusammenhang gestellt werden87. Ausgangspunkt der Verselbständigung der Schutzpflichten war 1902 die Abhandlung Staubs, in der er aufzeigt, daß die gesetzlich geregelten Formen der Leistungsstörungen des gerade in Kraft getretenen BGB nicht alle möglichen Fälle der Störungen des Schuldverhältnisses erfassen können. Staub selber war jedoch der Blick noch verstellt für die Einsicht, daß es nur vordergründig um die Verletzung der Hauptpflicht geht, letztlich entscheidend aber die Nebenpflichten sind. Lehmann kommt das Verdienst zu, die Verschiedenheit der von Staub behandelten Fälle erkannt zu haben. Er arbeitete die selbständigen Unterlassungspflichten im Vertrag heraus88 und unterschied sie von sekundären Unterlassungspflichten, die funktionell nur der Hauptleistungspflicht dienen89. Seine Ausrichtung auf die Nebenpflichten als lediglich der Hauptleistung funktionell heiten und Probleme dieser Auffassung wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch einzugehen sein. 84 Canaris, ebenda S.479. 85 Diesem Ansatz im Wesentlichen zustimmend beispielsweise Thiele in JZ 1967 S. 649 ff.; Stürner in JZ 1976 S. 384ff.; MüKo-Kramer, Einl. zu § 241 Rn 72ff.; E. Schmidt in Nachwort S. 143f., 148ff.; Esser/Schmidt Bd.I Tb.2 §2912 (= S. 132); von Lackum S. 158ff.; Gerhard in JuS 1970 S. 598 f. und JZ 1970 S. 535; Müller-Graff in JZ 1976 S. 155 f.; Frost S. 211 ff.; Brüggemeier in Band II/l der Verhandlungen des DJT 1994 Κ 47,50ff. (der allerdings von „quasivertraglichen Verkehrspflichten" spricht); Bruggner-Wolter S.24f.; zustimmend zur Herleitung der Schutzpflichten, aber die Konstruktion Canaris * ablehnend Larenz S. 119 f.; w. N. bei Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 362 i.V.m. Fn.58; Soergel-Teichmann, §242 Rn 181. 86 Eingehend zu diesem Fragenkreis noch unten § 11XI; weiterführend dazu auch Kopeke S. 14ff.; Ruhig S. 344ff. und Wiegand in FS für Gagnér S. 547, 551 ff. 87 Vgl. aber dazu auch §11. 88 Umfassend dazu unten § 9 m. z. w. 89 AcP96 (1905) S.67ff., 75ff. und in Unterlassungspflichten (1906) S. lOff., 90ff., 166ff., 219. Vgl. auch die weiterführenden Nachweise zu anderen zeitgenössischen Autoren bei Ruhig S. 345.

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 7 9 zugeordnete Unterlassungspflichten gab jedoch auch ihm den Blick noch nicht frei für die Vielgestaltigkeit der Nebenpflichten in Inhalt, Erscheinungsform und Zweck. Hier machte erst Siber den entscheidenden Schritt in die richtige Richtung90. Siber erkennt das Schuldverhältnis zutreffend als Organismus verschiedener Pflichten und Rechte und folgert daraus, daß die von Staub eingeleitete Entwicklung an sich begrüßenswert sei, seine Fragestellung jedoch die Dinge in unzulässiger Weise vereinfache. Entscheidend sei die Frage, welchen Inhalt die verletzte Vertragspflicht habe und dieser Ansatz führt Siber zu der Unterscheidung der Nebenpflichten in Erhaltungs-, Anzeige-, und allgemeine Sorgfaltspflichten 91. Siber erkannte auch schon den Schutzcharakter vieler Nebenpflichten, doch betrachtete er die Nebenpflichten - ähnlich wie Lehmann - noch zu sehr als Ausfluß der Leistungspflichten; auch nahm er unzutreffend an, daß ihre Verletzung regelmäßig dazu führe, daß der Schuldner in Ansehung der Nebenpflicht ohne Mahnung in Verzug gerate und so eine Haftung angenommen werden könne92. Wichtig für die Verselbständigung der Schutzpflichten war deshalb die zunehmende Ablösung der Nebenpflichten von der Hauptpflicht durch die hilfsweise Bezugnahme auf § 242 BGB, die Verankerung im Grundsatz von Treu und Glauben. Wichtiger noch war es aber, die übergreifenden Gemeinsamkeiten und Besonderheiten der Schutzpflichten herauszuarbeiten, da erst die Erkenntnis von ihrer Eigenart die Unterscheidung und damit Trennung von der Leistungspflicht wirklich ermöglichte. Richtungsweisend sind deshalb die Ausführungen und der Ansatz von Kress, dessen Lehre für die weitere Entwicklung der Nebenpflichten maßgebend wurde93. Kress weist den Schutzpflichten zutreffend eine verhaltenssteuernde sowie haftungsbegründende Funktion zu und kann anhand der solcherart umschriebenen Funktion der Schutzpflichten die Brücke von der positiven Vertragsverletzung zur culpa in contrahendo schlagen. Erstmalig nach Inkrafttreten des BGB ist damit eine umfassende, an den Parteiwillen sowie Treu und Glauben anknüpfende Schutzkonzeption gelungen, die dadurch gleichzeitig die Verselbständigung des gesamten Schutzkomplexes vom Leistungsbereich konsequent erkennen läßt.

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Dazu schon oben § 2 III und unten § 11XI. Siber in Plank, Vorb. zu §§275-292, Anm.I3. Zahlreiche weiterführende Nachweise zu der dadurch in Gang gesetzten Pflichtendifferenzierung gibt Kopeke S. 11 ff. mit Darstellung der Ansichten beispielsweise von Krückmann, Zitelmann und Leonhard; vgl. auch Ruhig S.346 i. V. m. Fn.768 ff. 92 Siber in Planck, Anm.I3bbb = S. 187f. 93 So auch Wiegand, S.555; zu der Bedeutung von Kress im Rahmen der Entwicklung siehe auch Ruhig S. 349f. und Kopeke S. 19f. 91

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§ 3 Schutzpflichten

Schon bald darauf nimmt Heinrich Stoll94 diesen Ansatz auf und versucht in seinem auf der Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten aufbauenden Konzept, die Haftung nach den Grundsätzen der pVV zu verabschieden. Das Schutzpflichtverhältnis begründet er wie folgt 95: „Jedes Schuldverhältnis ist heute ein bonaefldei judicum. Treu und Glauben ist der beherrschende Grundsatz, der für das Verhalten beider Parteien, des Schuldners und des Gläubigers, maßgebend ist. Das bedeutet, daß nach modernem Recht bei allen Schuldverhältnissen nicht nur die genaue Verwirklichung des positiven Leistungszieles gefordert wird, sondern auch das gesamte Verhalten der Parteien nach Treu und Glauben zu beurteilen ist. Durch das Schutzverhältnis ist unter den Parteien eine Sonderbeziehung geschaffen worden, die von unserem Recht als ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis gesehen wird. Die Sonderbeziehung eröffnet für beide Parteien die Möglichkeit der Einwirkung auf Personen und Sachen der anderen Partei; die Folge der Treu- und Glaubensverpflichtung ist die Pflicht, sich hierbei jeder schädigenden Einwirkung zu enthalten. Diese Treu- und Glaubensverpflichtung hat notwendigerweise ein negatives Ziel, sie soll die Gegenpartei vor Schädigungen bewahren, die sich aus der Sonderbeziehung und durch sie ergeben können. Sie dient also nicht dem Leistungsinteresse, sondern dem Schutzinteresse des Gläubigers. Wir sprechen von Schutzpflichten." Das Ziel, die pVV zu verabschieden, hat Stoll wie manch anderer vor ihm nicht erreicht, seine dazu angestellten Vorüberlegungen waren jedoch in anderer Richtung nicht ohne Einfluß. Neu war dabei allerdings weder die Erkenntnis, daß der Vertrag für die Parteien die Einwirkungsmöglichkeit auf Güter und Interessen der jeweils anderen Partei erhöht und die Parteien diesbezüglich die Pflicht trifft, Schädigungen zu vermeiden, noch die Einsicht, daß die dementsprechende Pflicht ein negatives Ziel hat, denn beides wußte auch schon Kress96. Entscheidend war es vielmehr, das gesamte Verhalten in Treu und Glauben, § 242 BGB zu verankern und so die Schutzpflichten als Konkretisierung der „Treu- und Glaubensverpflichtung" von der Bindung an den rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragsparteien zunehmend zu lösen. Zu der Trennung der Schutzpflichten von der Leistungspflicht tritt dadurch eine zweite Dimension, nämlich die Lösung vom rechtsgeschäftlich Vereinbarten als Geltungsgrund der Schutzpflichten, die stattdessen in ein „Vertrauensverhältnis" verortet werden97. 94 In AcP 136 (1932) S. 255 ff. zu Heinrich Stoll auch noch eingehend unten §411 und §11VIII. 95 Ebenda S. 288 f. 96 Kress, S. Iff., 578ff. 97 Vgl. dazu auch das Referat von Stoll vor dem Ausschuß für Personen-, Vereins-, und Schuldrecht der Akademie für Deutsches Recht von 1934, abgedruckt in Schubert Bd. III, 3 S. 190 ff., insbesondere S. 198 f., S. 207 mit Vorschlägen zu § 241 und die Begründung dazu auf

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende Konzepte

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Auch in den von Larenz fortgeführten Reformbemühungen der Akademie für Deutsches Recht98 wird die Schutzpflicht, bezeichnet als vertragliche Sorgfaltspflicht in ihrer Begründung auf das Prinzip von Treu und Glauben und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien reduziert 99. Es verwundert daher nicht, wenn im Anschluß an die Zäsur, die der Krieg und die Nachkriegszeit100 auch für die Rechtswissenschaft darstellte, Canaris die Entwicklung eben dort wieder aufnimmt, wo sie unterbrochen wurde, nämlich bei der Betonung des Vertrauensverhältnisses und § 242 BGB als Grundlage eines Schutzpflichtverhältnisses101. c) Konsequenzen des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses Canaris findet für seine Abhandlung102 also die grundlegenden Elemente vor, nämlich zum einen die von Kress herausgestellte einheitliche Schutzfunktion 103, zum anderen die von Stoll vorgenommene Begründung mit dem Vertrauensverhältnis und § 242 BGB. Sein Beitrag besteht nun darin, nach Verbindung dieser beiden Elemente alle Schutzpflichten, d. h. sowohl vorvertragliche als auch solche nach Vertragsschluß zu einem einheitlichen Schuldverhältnis zu verklammern und dieses von dem Leistungsverhältnis abzusondern. Begründet wird das folgendermaßen: Wenn die Schutzpflichten von den Leistungspflichten im Organismus Schuldverhältnis wegen ihrer strukturellen Andersartigkeit zu unterscheiden, untereinander jedoch gänzlich gleichartig seien, so wäre es ein Gebot der Folgerichtigkeit, nunmehr auch konstruktiv ein einheitliches, gesetzliches Schutzverhältnis und einen einheitlichen Tatbestand der Schutzpflichtverletzung zu bilden104. Denn es sei nicht einzusehen, warum vor Vertragsschluß alle Schutzpflichten aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis erwachsen und ihre Rechtfertigung im Vertrauensgedanken finden, nach Vertragsschluß hingegen vertragliche Pflichten, also rechtsgeschäftlicher Natur sein sollten und ihren Geltungsgrund im - wenn auch ausgelegten oder ergänzten - Parteiwillen haben, wenn doch ihre Struktur und ihr Inhalt gleich blieben105. Wolle man nicht willkürliche, d.h. ungerechte Unterschiede hinnehmen, so müsse deshalb nach Vertragsschluß ebenso S.213f. Ebenso in seiner Denkschrift S. 232ff., insb. S. 261 ff., §2 seines dortigen Vorschlages (= S. 297) mit Begründung. 98 Dazu schon oben §411. 99 Referat von 1940, Abdruck bei Schubert Bd. III, 5 S. 68 ff., 74 und § 1 seines Vorschlages. 100 Zum Schrifttum nach 1945 vgl. die Nachweise bei Ruhig S. 356ff. 101 Vgl. dazu die häufige ausdrückliche Bezugnahme von Canaris auf Stolls Arbeiten, bsp. in JZ 1965 S.475 in Fn.9, 13, insb. 15f. und S.476 i.V.m. Fn.19, 33, 39. 102 JZ 1965 S.475 ff. 103 Vgl. ebenda in Fn.7. 104 Ebenda S. 478 f., unter I V I . 105 Ebenda S. 479. 6 Kuhlmann

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§3 Schutzpflichten

gelten, was im vorvertraglichen Stadium allgemein anerkannt sei106; zumal ein besonderes Vertrauensverhältnis erst recht nach Vertragsschluß zwischen den Parteien bestehe107. Nicht zweifelhaft könne deshalb sein, daß im wesentlichen die Regeln der culpa in contrahendo zu übernehmen wären, denn nur bei diesen seien bisher die konstruktiven Folgerungen aus der Erkenntnis gezogen worden, daß die Schutzpflichten in dem rein tatsächlichen Vertrauensverhältnis wurzeln, man könne daher die Theorie des „einheitlichen Schutzverhältnisses" - wie eingangs wiedergegeben - formulieren 108. Wie groß die Versuchung ist, auf diesem Wege mit der Lösung vom rechtsgeschäftlichen Geltungsgrund auch noch die letzte Verbindung der Schutzpflichten zu den Leistungspflichten zu kappen, wird verständlich vor den Konsequenzen, die Canaris und andere sogleich aus der Annahme eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses ziehen. Ausgehend von der Annahme, daß dieses einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis eine „dritte Spur" zwischen der Haftung nach den Regeln des allgemeinen Leistungsstörungsrechts und der Haftung aus unerlaubter Handlung bilde109, soll zunächst die Abgrenzung zwischen pVV und culpa in contrahendo bedeutungslos werden110, zugleich soll durch die Zusammenfassung und Aussonderung des Schutzpflichtverhältnisses aus dem Anwendungsgebiet der pVV der häufigen Forderung nach einer scharfen und tragfähigen Differenzierung der verschiedenen Fallgruppen der pVV Rechnung getragen werden können111. Weiterhin soll die Anknüpfung an das tatsächliche Vertrauensverhältnis die umfassende Erweiterung des Kreises der an einem Schuldverhältnis Beteiligten und insbesondere auch die Begründung von Schutzpflichten gegenüber Dritten ermöglichen; ein Problem, das bisher durch das Festhalten am „Willensdogma" außerordentliche Schwierigkeiten bereitet habe112. Wichtig ist für Canaris auch die Möglichkeit der Herleitung von Schadensersatzansprüchen wegen Schutzpflichtverletzung bei nichtigen Verträgen, ein Problem, das den Ausgangs-113 und Endpunkt114 seiner Überlegungen bildet. Gelöst sei es durch die strikte Trennung des Schutzpflichtverhältnisses vom Leistungsverhältnis, da die Nichtigkeitsgründe nur das Leistungsverhältnis erfassen 115. Die Konstruktion des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses biete 106

Ebenda S. 476, unter I I I . Ebenda. 108 Ebenda S. 479, linke Spalte. 109 Canaris in FS für Larenz S. 30,102. 110 Canaris in JZ 1965 S.475,479. 111 Ebenda, vgl. aber die Einschränkung in Fn.38. 112 So ausdrücklich Canaris, ebenda S.480, rechte Spalte. Auch die neueren Probleme der Produzenten- und Prospekthaftung löst Canaris z.B. über diese Figur, vgl. in FS für Larenz S.30,91 ff. 113 JZ 1965 S.475 114 Ebenda S. 481 f. 115 Das begründet Canaris einzeln für die §§ 306, 134, 118, 123, 138, 177 und 105 BGB. 107

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende Konzepte

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demnach die Lösung verschiedenster Problembereiche unter einem gemeinsamen Ansatz. d) Kritik

am einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis aa)

Allgemeine Kritikpunkte

Es ist sicherlich auch eben dies, nämlich der Reiz einer einfachen, übergreifenden Lösung komplexer und unterschiedlicher Probleme116 einer der tragenden Gründe des Anklanges, den die Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis schon bald gefunden hat117. Nichts anderes war schon für die - dogmatisch mehr als zweifelhafte - Ausbreitung der Figur der pVV festzustellen 118, aber ebenso wie bei der pVV reicht die in dieser Feststellung liegende Kritik nicht aus, um den Wert oder die Richtigkeit dieser Lehre zu verneinen. Richtig, aber nur am Rande von Bedeutung ist es, überhaupt schon die Berechtigung in Frage zu stellen, von einem „gesetzlichen" Schutzpflichtverhältnis zu sprechen119, da doch offensichtlich gerade das Gesetz von einem derartigen Schuldverhältnis nichts weiß. Canaris selber scheint zu spüren, daß diese Bezeichnung angreifbar ist, wenn er abschwächt120, daß dies nicht mehr sei als eine - von der c. i. c. her vertraute - Konstruktionshilfe, eine Vereinfachung der Formulierung um zu kennzeichnen, daß das Schuldverhältnis vom Parteiwillen und seiner Anerkennung unabhängig ist; dem MißVerständnis, daß das Schutzpflichtverhältnis eines unter anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen ist, aber entgegentritt. In Frage gestellt werden muß auch der Vereinfachungseffekt zumindest im Hinblick auf die Figur der pVV. Denn die Aussonderung der Schutzpflichtverletzungen führt lediglich zu einer Spaltung der pVV, da die aus dem behaupteten gesetzlichen Schutzverhältnis stammenden Pflichten nur einen Teil der Anwendungsfälle der pVV abdecken, die leistungsbezogenen Nebenpflichten aber nach wie vor nach den Grundsätzen der pVV behandelt werden müssen121. 116 Vgl. Canaris in FS für Larenz S. 104 ff., der die „ E i n h e i t l i c h k e i t " die „dogmatische Kraft" und die „spontane Überzeugungskraft" seiner Figur „in einer Vielzahl von Fällen" herausstellt. Nicht ohne Ironie spricht Picker (in AcP 183 S. 309,520 in Fn.362) bezüglich der Ausführungen von Canaris in FS für Larenz S. 92 ff. von einer das Wunderbare streifenden Auflösung aller Schwierigkeiten und bewundert die zu diesem Parforceritt erforderliche Verwegenheit, mit der Canaris alle modernen Probleme erledigt. 117 Vgl. dazu die Nachweise oben in Fn.85. 118 Siehe unten §111 und X. 119 So Gemhuber in Schuldverhältnis S.27. 120 So ausdrücklich in JZ 1965 S.475,479f. rechte Spalte. 121 So zutreffend Medicus in JuS 1986 S.665, 669 und Schünemann in JuS 1987 S. 1, 7 i. V.m. Fn.93 m. w. N.; Palandt-Heinrichs in § 276 Anm 7 A b; auch Canaris selbst muß das eingestehen, vgl. in JZ 1965 S.476,479 in Fn.39.

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§ 3 Schutzpflichten bb) Kritik an der Konstruktion

Einiges Gewicht haben darüber hinaus die vielfach 122 geäußerten Bedenken, die die konstruktive Seite des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses betreffen. Diese erschöpfen sich nicht nur darin, daß die Vorstellung, die Schutzpflichten würden in Form eines eigenständigen gesetzlichen Schuldverhältnisses abgekoppelt und neben einem weiteren, die Haupt- und sonstigen Nebenpflichten umfassenden Schuldverhältnis ein rechtliches Eigenleben führen, einigermaßen gekünstelt erscheint123 und auf einen Überschuß an rechtlicher Durchdringung eines tatsächlichen Geschehens hinweist124. Die derartige Trennung des Schutzpflichtverhältnisses von der Leistungspflicht verdeckt auch den Blick für unbestreitbare Verbindungen zwischen beiden Pflichten. So wird beispielsweise die Möglichkeit vertan, die Bedeutung und die verschiedenen Auswirkungen der Schutzpflichtverletzung auf die Leistungspflicht anschaulich darzulegen125. Genau umgekehrt verschleiert die Aufspaltung von Leistungs- und Schutzpflichten in zwei separate Schuldverhältnisse den Einfluß, den die Leistungspflicht auf die Schutzpflicht hat. Denn die Schutzpflichten werden in vielfältiger Form durch die Leistungspflicht geprägt, pflichtenformend wirken sowohl der Vertragstyp als auch der konkrete Leistungsgegenstand; bestimmte Schutzpflichten entstehen auch erst im Zusammenhang mit der vertraglichen Hauptleistungspflicht 126. Canaris beteuert zwar 127 , daß die Schutzpflichten vom Vertragszweck völlig unabhängig seien und inhaltlich nur durch die tatsächlichen Beziehungen der Parteien zueinander bestimmt seien; sierichtetensich nur danach, welche tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten zwischen den Parteien gegeben sind. Diese Sicht der Dinge greift aber zu kurz, denn daß eben diese tatsächlichen Beziehungen keinesfalls grundlosen Zufälligkeiten ausgesetzt sind, sondern durch die 122

In dieser Richtung üben beispielsweise Kritik Soeigel-Wiedemann, vor § 275 Rn 363; Larenz S. 120; Gernhuber in Schuldverhältnis S. 27 f.; Staudinger-Löwisch, vor § 275 Rn 26; MüKo-Roth, §242 Rn 132; Frost S.218,223; Dahm in JZ 1992 S. 1167,1171. Ablehnend auch Sutschet, §3IV 5). 123 So ζ. B. Wiedemann ebenda, Roth ebenda; Dahm, S. 1171 und Larenz S. 119f. Larenz, der Canaris in der Herleitung der Schutzpflichten zustimmt (S. 119) bezieht die Schutzpflichten deshalb in das Gesamtgefüge des vertraglichen Schuldverhältnisses ein (S.9ff., 118); ähnlich auch Frost S.213ff., 219ff. 124 So Gernhuber in Schuldveiiiältnis S. 27, der darüberhinaus zutreffend darauf hinweist, daß man gezwungen wäre, diese Konsequenz auch für die zur Leistung verpflichtenden gesetzlichen Schuldverhältnisse zu ziehen, die mit dem weiteren gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis zu überziehen nicht eben sinnvoll sei. 125 Hierher gehören nicht nur die Rückwirkungen von Schutzpflichtverletzungen auf die Leistungspflicht, die zu Rücktritt oder Kündigung führen, sondern auch Unmöglichkeit und Verzug 126 Dazu n o c h unten III 2 c). 127

In JZ 1965 S.475,479 i. V.m. Fn.39.

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 8 5 Art der Vertragsbeziehung vorgezeichnet und geprägt sind, liegt auf der Hand. Auch Canaris muß deshalb zumindest zugestehen, daß mit Vertragsschluß neue Pflichten hinzutreten und andere gegenstandslos werden können128. Gerade beim Vertragsschluß zeigt sich die Crux der Konstruktion eines separaten, auch das vor- und nachvertragliche Stadium umfassenden Schutzpflichtverhältnisses, das neben der Leistungspflicht liegt. Denn die Zäsur, die der Vertragsschluß innerhalb dieser verschiedenen Stadien darstellt, muß eine solche Konstruktion verleugnen, will sie nicht die behauptete Unabhängigkeit des Schutzpflichtverhältnisses dadurch wieder in Frage stellen, daß sie dem Entstehen der Leistungspflicht Bedeutung für die Schutzpflichten zumißt129. Dünn wirkt die Erklärung 130, die Wandlung der Schutzplichten sei keine Besonderheit des Augenblicks des Vertragsschlusses, sondern sie vollziehe sich auch vorher und nachher in gleicher Weise, der Inhalt der Schutzpflichten hänge eben vom Wandel der jeweiligen tatsächlichen Beziehungen ab. Denn diese sind eben unlösbar mit der Vertragsbeziehung verbunden, die sich mit Vertragsschluß aktualisiert, da die Leistungserbringung notwendigerweise einen vertragsspezifischen Rechtsgüterkontakt bedingt. Durch diese Wechselbeziehung zur vertraglichen Leistung wird die behauptete strikte Trennlinie alsoflüssig, ein unabhängiges Schutzpflichtverhältnis könnte man daher nur bejahen, wenn man die Schutzpflichten als abstrakte Größe definiert. Das würde aber den zu regelnden Lebenssachverhalt in keiner Weise ausschöpfen und wird auch von Canaris nicht getan, da er die Schutzpflichten ja an die jeweilige tatsächliche Situation bindet. Gerade in der Situation des bestehenden Vertrages, die die Masse des Rechtslebens ausmacht, gerät die Konstruktion des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses also in Begründungsnotstand, wenn nicht die Trennung, sondern die Verbindungslininien von Schutz- und Leistungspflichten aufgezeigt werden sollen131. Daß diese Zusammenhänge von Schutz- und Leistungspflicht aufgegeben werden, ist offenbar der Preis, den diese Konstruktion dafür zahlen muß, daß sie alle Schutzpflichtverhältnisse ohne Leistungspflicht, insbesondere im vor- und nachvertraglichen Stadium sowie bei nichtigen Verträgen einheitlich verklammern \ind erklären will: Erst weil ein Schutzpflichtverhältnis vereinheitlicht und von der Leistungspflicht abgesondert wird gelingt die Zusammenfassung aller Konstellationen ohne Leistungspflicht; gerade weil die Schutzpflichten derart von ihrer Verbindung zur Leistungspflicht getrennt werden, versagt die Konstruktion dann aber, wo eine Leistungspflicht vorliegt. Fraglich ist deshalb vor allem, ob mit dieser vertragsun128

Ebenda in Fn.30. Vgl. dazu auch Frost (S. 158 ff.), die ebenfalls versucht, die Bedeutung des Vertragsschlusses abzuschwächen, schließlich aber doch zugeben muß, daß die Schutzpflichten wegen des Vertragsschlusses einen plastischeren und konkreteren Inhalt gewinnen (S. 160). 130 Canaris in JZ 1965 S.479 in Fn.36. 131 In diesem Sinne auch Medicus in JuS 1986 S.665,669 (rechte Spalte). 129

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§ 3 Schutzpflichten

abhängigen Ausrichtung des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses an vor- und nachvertraglichen Stadien bzw. nichtigen Verträgen unter Ausblendung der Situation des wirksamen Vertrages nicht die natürlichen Schwerpunkte vollständig vertauscht werden132. Daß durch die Aufspaltung des Schuldverhältnisses in ein Schutzpflichtverhältnis und ein Leistungsverhältnis nicht nur Vereinfachung erreicht wird, sondern auch neue Probleme geschaffen werden, läßt sich an der vieldiskutierten Frage der Geltung von gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsmilderungen bzw. -freizeichnungen für Schutzpflichten verfolgen 133. Auch hier muß das einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis die selbstgeschaffene Trennung von Schutz- und Leistungspflicht wieder mühsam überwinden, um etwaige Wechselwirkungen und Übertragungen erklären zu können134. Unklar bleibt auch, wo Schutzpflichten anzusiedeln sind, die von den Beteiligten als Konkretisierung oder Abänderung der allgemeinen Verpflichtung vereinbart worden sind. Ein weiterer, grundsätzlicher Aspekt verdient Beachtung, nämlich die Frage, ob die Ausgliederung des Schutzpflichtverhältnisses aus dem Schuldverhältnis nicht einen Rückschritt gegenüber der wertvollen und gerade erst gesicherten Erkenntnis darstellt, daß das Schuldverhältnis eine komplexe Einheit verschiedener Pflichten, ein Organismus ist. Diese Einheit wieder zu reduzieren, indem man es ablehnt, die Schutzpflichten als Teil des Schuldverhältnisses zu sehen oder zumindest ihren Ursprung dort zu finden135, hieße eine Kehrtwende einzuleiten, die dogmatische Errungenschaften leichtfertig wieder preisgibt136.

cc) Das Vertrauen als Rechtsgrundlage Die im Vorangegangenen geübte Kritik betrifft die Auswirkungen und Folgen bzw. die Ausgestaltung des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses. Viel zu selten wird dagegen beachtet, daß schon die Grundlage, die diese Lehre für sich in Anspruch nimmt, schwerwiegenden Bedenken begegnet. 132

Zu der am einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis vielfach geübten Kritik nimmt Canaris in der FS für Larenz S. 30, 102 ff. kurz Stellung, ohne jedoch neue Gesichtspunkte anführen zu können. 133 Vgl. einführend und m. w. N. Staudinger-Löwisch § 276 Rn 26; vgl. BGHZ 93 S. 23 („Pülpe-Entscheidung"); Canaris in JZ 1965 S.475,481; Thiele in JZ 1967 S.649, 654; Frost S.229ff.; von Lackum S.228f.; Gerhard in JuS 1970 S.97ff.; Larenz S. 120. 134 Dieser Problembereich soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. 135 So prononciert Thiele (S. 654 unter 3.), der Canaris (in Fn.49) insoweit Inkonsequenz vorwirft. 136 In diesem Sinne auch Gernhuber (Schuldverhältnis S. 28 f.).

II. Von der Eigenständigkeit der Schutzpflichten abweichende K o n z e p t e 8 7 Das gesetzliche Schutzpflichtverhältnis soll seine Grundlage und Rechtfertigung in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen finden 137; dieses Vertrauensverhältnis sei ein rein tatsächliches138 und ergebe sich aus der besonderen Einwirkungsmöglichkeit der Vertragsparteien auf die Rechtsgüter des anderen Teils139. Schon hier muß die Kritik ansetzen140, denn der unbestreitbaren Suggestivkraft des Vertrauensgedankens stehen grundsätzliche praktische und theoretische Probleme gegenüber. Auffällig ist zunächst, daß die gleiche Überlegung, die den vertragsorientierten Lehren dient141, nämlich die Eröffnung der besonderen Einwirkungsmöglichkeit, auch im Rahmen der Vertrauenshaftung tragende Bedeutung gewinnt. Den vertragsorientierten Lehren dient dieser Befund zur übergreifenden, inhaltlichen Kennzeichnung der schon vertraglich begründeten Pflichten. Die Lehre von der Vertrauenshaftung benötigt diesen Gesichtspunkt der besonderen Einwirkungsmöglichkeit der Vertragspartner, aus der sich ein Vertrauen ergebe hingegen, um dem noch völlig unbestimmten und tatsächlichen Datum des sozialen Kontakts überhaupt erste Gestalt verleihen zu können. Daß damit die Suche nach dem die Haftung tragenden Rechtfertigungsgrund nicht schon beendet sein kann, sondern erst eröffnet ist, liegt auf der Hand. Die Untauglichkeit des tatsächlichen Kontaktes der Parteien als Haftungsgrund der besonderen Einstandspflicht zeigt sich weiterhin daran, daß diese Pflicht auch von den Anhängern dieser Lehre immer erst dann angenommen wird, wenn zwischen Schädiger und Geschädigtem bereits eine rechtliche Sonderverbindung vorliegt, wenn namentlich also ein Vertrag, eine Vertragsanbahnung oder ein gesetzliches Schuldverhältnis besteht. Unbeachtet bleibt dabei der Umstand, daß nicht notwendig erst die Existenz einer Rechtsbeziehung die besondere tatsächliche Intensität von Kontakt und Einwirkungsmöglichkeiten begründet. Das Kriterium des tatsächlichen Kontaktes dient also in Wahrheit nicht dazu, aus dem Kreis denkbarer Konstellationen die haftungsrelevanten Sonderbeziehungen auszuwählen, sondern es ist nicht mehr als eine erläuternde Beschreibung die gegeben wird, wenn die Haftung aufgrund einer schon bestehenden Sonderbeziehung ohnehin schon bejaht worden ist. Aber auch das Vertrauensverhältnis, das aus der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit der Vertragsparteien folgen soll, kann als tragender Grund des einheitlichen 137

Canaris in JZ 1965 S. 478. Ebenda S. 479 139 Ebenda S.476; vgl. auch erneut in der FS für Larenz S.30,91 ff., insbesondere S. 102ff.; dem zustimmend z.B. Thiele, S.650ff. mit ausführlicher Begründung dieses „Bekenntnisses zur rein faktischen Grundlage dieser Sonderhaftung" (S.651 unter III 1 b). 140 In diesem Sinne auch Picker in AcP 183 (1983) S. 369,410ff.; dem weitgehend zustimmend Medicus in Schuldverhältnis S.20ff.; skeptisch auch Westhelle S. llOfif.; Anklänge ebenfalls bei Bruggner-Wolter S. 24 f. 141 Vgl.z.B. Kress, S.580ff. 138

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§ 3 Schutzpflichten

gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses und der Haftung im Falle seiner Verletzung nur schwer herhalten. Virulent ist bei der Figur der Vertrauenshaftung ständig das Problem der Abgrenzbarkeit der relevanten von den irrelevanten Tatbeständen, also die Trennung des haftungsbegründenden vom unbeachtlichen Vertrauen. Denn mit der unausweichlichen Bezogenheit auf die jeweilige Form des tatsächlichen Kontaktes ist es ebenso vielgestaltig und gleitend wie dieser, so daß scharfe und mit rechtlichen Folgen verbundene Zäsuren nur schwer zu setzen sind. An diesem tatsächlichen Befund vermögen auch die ausgefeiltesten soziologischen und rollentheoretischen Beschreibungen kaum etwas zu ändern, da ihre Umsetzung auf die juristische und insbesondere auf die positiv-rechtliche Ebene nicht gelingen kann142.

Wird dagegen, wie es heute nur allzu häufig geschieht, die Haftung auf die Fälle beschränkt, in denen zwischen den Parteien eine rechtliche Sonderverbindung besteht, so dient auch das Vertrauen nicht mehr der Bestimmung der tatbestandsmäßigen Konstellationen. Canaris selbst gibt ein Beispiel dafür, indem er anführt, die Schutzpflichten beruhten auf einem Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht, das seine Rechtfertigung in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen143 im Hinblick auf das zwischen den Hauptparteien bestehende Schuldver hältnis findet 144und dazu erläutert 145, es genüge also keineswegs lediglich der soziale Kontakt, da nur die Bezugnahme auf ein Schuldverhältnis die Anwendung „obligationsmäßiger" Haftungsregeln rechtfertige. Deutlich wird damit der Zirkelschluß, der auch schon bei dem Kriterium des sozialen Kontaktes festzustellen war: Die Vertrauenshaftung wird zwar einerseits aus dem Vertrauen begründet, dieses haftungsbegründende Vertrauen wird aber andererseits eben nur im Fall einer Sonderbeziehung bejaht. Die fehlende Spezifität und Abgrenzungskraft ist nicht der einzige Mangel, denn schwieriger noch als das ist für die Vertrauenslehren der schlüssige Nachweis eines gegenüber Vertrag und Delikt eigenständigen Haftungsgrundes. Das gilt zunächst für die Abgrenzung gegenüber der deliktischen Haftung, denn in den Konstellationen, die vom Recht der unerlaubten Handlungen erfaßt werden, besteht ein Vertrauen regelmäßig und darf bzw. soll nach der Intention der Gesetz142 Exemplarisch Medicus (Schuldverhältnis S. 23 f.), der feststellt, daß er für die Gesichtspunkte, durch die das Vertrauenskriterium zu ergänzen oder zu ersetzen ist, keine brauchbare einheitliche Formulierung wisse, ihm bleibe als Eigebnis daher nur das Eingeständnis dogmatischer Verlegenheit, denn letzlich komme er über die Jahrtausende alte Unbestimmtheit des bonaefidei oder von Treu und Glauben kaum hinaus. 143 Hingewiesen sei hier noch darauf, daß häufig auch nicht unterschieden wird, ob der Geschädigte vertraut hat oder vertrauen durfte, letzlich also Faktisches und Normatives gemischt und nicht mehr zwischen Ursache und Wirkung differenziert wird. 144 So ausdrücklich in JZ 1965 S.478 linke Spalte. Canaris selbst setzt den kursiv gestellten Teil in Klammem. 145 Ebenda in Fn.26.

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

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geber auch bestehen, ohne daß deswegen eine unzweifelhaft gegebene Haftung mit dem Element des Vertrauens begründet würde146. Deutlicher noch wird die Fraglichkeit der Eigenständigkeit des Haftungsgrundes bei der Abgrenzung zu den vertraglichen Haftungspflichten. Repräsentativ mag hier die Diskussion über das zentrale Problem der Haftung für falsche Auskunftserteilung sein. Obwohl es in diesen Fällen wie bei der Vertrauenshaftung um geschäftsbezogene Kontakte geht, das Vertrauen also gleichartig ist, wird es als Haftungsgrund nicht relevant, wenn die Parteien einen Auskunftsvertrag geschlossen haben, wenn der Vertragspartner also einen manifesten Grund zum Vertrauen besitzt. Entscheidend wird das Vertrauen dann aber, wenn ein Vertrag nicht vorliegt, wenn also das Vertrauen in seinem Vorliegen und seiner Berechtigung zweifelhaft ist. Das kann kaum überzeugen, denn der gesamte psychologische und kausale Vorgang, der sich von der Aufnahme des Kontaktes bis zur Entstehung des Schadens erstreckt, ist in beiden Fällen gleich, das Vertrauen verliert aber als haftungsrelevanter Gesichtspunkt umso mehr an Bedeutung, je mehr es tatsächlich und berechtigterweise vorliegt. Konsequent wäre nach dem Ausgangspunkt der Vertrauenshaftung allein die entgegengesetzte Folgerung, daß das angeblich haftungsbegründende Element des Vertrauens erst recht dort zur Schadensersatzpflicht führt, wo eine geradezu beispielhafte und intendierte Erwartungshaltung besteht. Die mit dem Vertrauen begründete Haftung stellt sich damit als eine Haftung heraus, deren tragendes Element sich zwar auch bei Vertrag und Delikt übereinstimmend findet 147, die sich von diesen aber gleichwohl im Prinzip unterscheiden soll148.

I I I . Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten Den bisher dargelegten Ansichten vom Wesen und Grund der Schutzpflichten steht die Ansicht gegenüber, die sich am rechtsgeschäftlichen Akt der Vertragsparteien orientiert und im Geltungsgrund der rechtsgeschäftlichen Leistungsverpflichtung149 zugleich auch die materielle Rechtfertigung der Schutzpflichten sieht.

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Vgl. auch Medicus, Schuldverhältnis S.21. Es verwundert daher nicht, wenn Canaris (in FS für Larenz S.30,108 ff.) ausführt, man solle im Zuge der Vertrauenshaftung auch vor der Anwendung einzelner Deliktsregeln nicht zurückschrecken, über die Anwendbarkeit solle man undoktrinär von Problem zu Problem entscheiden. 148 Medicus (Schuldverhältnis S.21) reduziert deshalb die Bedeutung des Vertrauens auf die Funktion als notwendiges Element des haftungsbegründenden Kausalzusammenhanges; einen Vertrauensschaden könne eben nur erleiden, wer irgendwie vertraut habe. 149 Wo diese sich nicht aus den Vorschriften des BGB eigeben. 147

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§ 3 Schutzpflichten

1. Die sog. „Umschlagstheorie" Diese Sichtweise ist die ursprüngliche und mußte so lange die einzige sein, wie man die Schutzpflichten von den Leistungspflichten überhaupt nicht ausreichend unterschied. Hierher gehört deswegen an sich auch die Ansicht Himmelscheins, der die Pflicht zum Schutz der Integrität nicht nur mit dem vertraglich Vereinbarten erklärt, sondern diese Pflichten mit den vertraglichen Leistungspflichten sogar zur Deckungsgleichheit bringt, indem er in ihnen nichts anderes sieht als eine bloße Umkehrung der primären Schuldnerpflicht und die Fälle ihrer Verletzung demgemäß den Unmöglichkeitsregeln unterstellt. Ähnlich liegt die Vorstellung einer vertraglichen Pflicht - trotz unverkennbarer Hinwendung zu einem gesetzlichen Schuldverhältnis - selbst noch dem Ansatz von Heinrich Stoll zugrunde, wenn er die von ihm als eigenständige Kategorie erfaßten Schutzpflichten als „Kehrseite oder Ergänzung des positiven Zieles der Obligation" versteht150. Erst mit der Trennung der Schutzpflicht von der Leistungspflicht konnte überhaupt die Frage auftauchen, ob die Schutzpflicht auch einen von der Leistungspflicht unterschiedlichen Rechtsgrund hat. Trotz der Tendenz zur Einordnung der Schutzpflichten in ein gesetzliches Schuldverhältnis ist die ursprüngliche Sichtweise der Schutzpflichten als vertragliche Nebenpflichten auch heute noch in maßgeblichen Teilen der Literatur verbreitet und liegt auch der Rechtsprechung des BGH zugrunde151. Die naheliegende Einordnung der Schutzpflichten und der Haftung für ihre Verletzung als vertragliche 152 begegnet auch zunächst keinerlei Bedenken, wenn man sich am Normalfall der Situation bei bestehendem, wirksamen Vertrag orientiert 153. 150 In AcP 136 (1932) S.255,298ff. Vgl. auch schon oben II 1 den Ansatz von Motzer (in JZ 1983 S. 886 ff.), der die Schutzpflichten zwar gesetzlich begründet, aber gleichwohl den §§280 ff. BGB unterstellt. 151 Vgl. die Nachweise unten in Fn.156. 152 Eine Zwischenstellung nehmen Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 2912 (= S. 132) ein. Schmidt lehnt es zwar ab, das rechtsgeschäftliche Versprechen als begründendes Element der Schutzpflichten einzuordnen, betont aber gleichzeitig, daß es lediglich eine terminologische Frage sei, ob man die Haftung - wenigstens bei bestehender und rechtswirksamer Leistungsbeziehung - als vertraglich qualifiziere. Ähnlich äußert sich auch Schünemainn (in JuS 1987 S. 1,7): Die Einordnung sei gleichgültig und nur von sprachlichem Interesse. 153 Anderer Ansicht ist beispielsweise Picker in AcP 183 (1983) S. 369, 393 ff. Auch dieser lehnt zwar die Einordnung als Delikts- oder Vertrauenshaftung ab, verneint aber ebenso kategorisch, daß eine Verpflichtung zum Schadensersatz ihren Grund in der Eigenbindung haben könne (S. 395). Die Verpflichtung zum Schadensersatz stände direkt antinomisch der durch das Rechtsgeschäft begründeten Leistungsverpflichtung gegenüber, die vertragliche Beziehung sei für die Haftung auf Schadensersatz daher von totaler Irrelevanz (S. 403). Selbst bei ausgeprägtester Fiktionsbereitschaft könne man sich schwerlich zu der Behauptung bekennen, es werde mit dem eigentlichen Leistungsversprechen auch für mögliche Störungen Ersatz zugesagt (S. 402). Zur Kritik an Picker vgl. die verschiedenen Diskussionsbeiträge in AcP 183 S. 521 ff.

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

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Anlaß zur Kritik wird aber gefunden, sobald neben die Schutzpflichten bei bestehendem Vertrag diejenigen Schutzpflichten gestellt werden, die schon vor Vertragsschluß, also im vorvertraglichen Bereich existieren. Argumentiert wird, wenn diese vorvertraglichen Schutzpflichten vom Parteiwillen unabhängig seien, so wäre es nicht einzusehen, wie und warum sie im Augenblick des Vertragsschlusses eine Wandlung der Natur ihres Geltungsgrundes durchmachen, wenn doch ihr Inhalt und ihre Struktur gleich blieben 154 . Dieser unterschiedliche Haftungsgrund wird tatsächlich regelmäßig bejaht, so daß die Haftung für Schutzpflichtverletzung bei bestehendem Vertrag auch als vertragliche Haftung zu qualifizieren ist 155 . Bekannt geworden sind die diesen Wechsel bildhaft beschreibenden Formulierungen, daß im Augenblick des Vertragsschlusses der zunächst gegebene Haftungsgrund gleichsam von der stärkeren Haftung für das gegebene Wort überholt werde 156 oder daß der im vorvertraglichen Bereich vorliegende Haftungsgrund von der stärkeren Haftung aus Vertrag überholt werde 157 . In der Literatur findet sich deshalb häufig die dem „einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis" gegenübergestellte Kennzeichnung als „Umschlagstheorie" 158. und Medicus in Schuldverhältnis (S.24). Picker versucht stattdessen ein Konzept zu entwerfen, bei dem jegliche Schadensersatzhaftung als gesetzliche Haftung aus Sonderverbindung qualifiziert wird. Ähnliche Bedenken wie Picker äußert Roth in MüKo, § 242 Rn 132, der sich aber ebenso gegen das einheitliche gesetzliche Schutzpflichtverhältnis ausspricht und deshalb unbestimmt von rechtsfortbildender Entwicklung und Ergänzung des Leistungsverhältnisses spricht. 154 So Canaris in JZ 1965 S.475, 479 linke Spalte, ebenso in der FS für Larenz S.30, 89, 102f.; im Anschluß an Canaris auch von Lackum S. 149ff.; Thiele in JZ 1967 S.649,653 unter 2.; FrostS. 141 ff.; Gerhard in JZ 1970S. 545 ff. und JuS 1982S.823,826; E. Schmidt in Nachwort S. 149f.; Bruggner-Wolter S.26f. 155 So beispielsweise von Kress S. 5ff., 579f., 590ff.; Palandt-Heinrichs, vor §241 Rn 8; § 276 Anm 7 A b; Staudinger-Löwisch, vor § 275 Rn 26 m. w. N., vgl. auch Rn 22, 37; Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 362, 363f.; MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 294; Gemhuber, Schuldverhältnis S.26ff.; Medicus in JuS 1986 S.665, 669; Sutschet, § 3 I V 5); Dahm in JZ 1992 S. 1167,1171; weitere Nachweise bei von Lackum S. 149f. und Frost S. 142 in Fn.17; zur Rechtsprechung vgl. BGH in BB 1953 S.956; BGH in VersR 1964 S.977, 979 (= JZ 1964 S. 1654); BGHZ 63 S. 382, 388 (= LM Nr. 4 zu § 276); BGHZ 70 S.337, 343; BGHZ 93 S.23, 27 f.; offengelassen in BGH W M 1976 S.427f.; vgl. auch BGH in NJW 1987 S. 1269, 1270. Nur eine Spielart dieser Deutung des Haftungsgrundes ist es ferner, wenn man - wie Evansvon Krbek in AcP 179 (1979) S. 85, 96ff. - unter analoger Anwendung der §§ 104ff., 145 ff. BGB ein „rechtsgeschäftsähnliches Schuldverhältnis" annimmt, weil es gerechtfertigt sei, dem Schuldner kraft der auf rechtsgeschäftlichen Kontakt angelegten Beziehung einen objektiven, rechtsgeschäftsanalogen Erklärungstatbestand zuzurechnen. 156 So Beierstedt in AcP 151 (1950/51) S.501, 529. 157 BGHZ 63 S. 382,388. Canaris (in der FS für Larenz S. 30,103) kritisiert diese Äußerung als „freilich höchst dunkle und unwissenschaftliche Bildersprache"; im Zusammenhang mit dieser Kritik vgl. aber wiederum die Beschreibungen von Canaris selbst, dazu sogleich unten 2caa). 158 Diese Bezeichnung geht jedoch nicht auf ihre Anhänger zurück, sondern ist von Canaris (in JZ 1965 S.475, 479 in Fn.35) vorgeschlagen worden und hat sich offenbar weitgehend durchgesetzt, vgl. ζ. B. MüKo-Kramer, Einl. zu § 241 Rn 76 i. V. m. Fn.175.

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§ 3 Schutzpflichten

2. Die vertragliche Natur der Schutzpflichten bei bestehendem Vertrag Daß dieses Umschlagen des Haftungsgrundes hin zur vertraglichen Einstandspflicht weder als ein Schönheitsfehler empfunden werden muß159, noch der Annahme eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses dogmatisch und in den Ergebnissen unterlegen ist, zeigt sich an vielfältigen Überlegungen. a) Einheitlicher

Rechtsgrund der Schutzpflichten

Zunächst ist schon der Prämisse entgegenzutreten, daß die Schutzpflichten im vorvertraglichen und anschließenden vertraglichen Bereich überhaupt einen einheitlichen Rechtsgrund haben müssen. Verwiesen wird zur Begründung dieser Gleichheit des Rechtsgrundes regelmäßig auf die inhaltliche und strukturelle Gleichheit der Pflichten in beiden Bereichen160. Die inhaltliche Gleichheit ist aber nichts besonderes, sie besteht vielfach auch zu den deliktischen Verhaltenspflichten, ohne daß deswegen die Konsequenz gezogen werden müßte oder gezogen würde, einen eigenständigen Rechtsgrund zu verneinen und diese Pflichten dem Bereich der unerlaubten Handlungen zuzuschlagen. Soweit jedoch die strukturelle Gleichheit der Pflichten bemüht wird, bleibt dieses Stichwort ohne weitere Erklärung 161 oder wird gerade mit der Gleichheit des Rechtsgrundes erklärt, die erst noch dargelegt werden muß162. Häufig wird auch argumentiert, Gleichheit des Rechtsgrundes müsse vorliegen, weil auch der zugrundeliegende Kontakt der Parteien im vorvertraglichen, vertraglichen und nachvertraglichen Bereich gleich bleibe. Solange die dadurch bedingte Einwirkungsmöglichkeit der Parteien faktisch gegeben sei, bestehe auch das entsprechende Schutzverhältnis. Das werde bei Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes besonders deutlich, da diese ja keineswegs die Realität des Kontaktes beseitige163. Auch diese Erklärung vermag jedoch nicht zu befriedigen. Denn zum einen kann die „Realität des Kontaktes" nicht als Haftungsgrund dienen, mit ihrer Gleichheit ist also für die Darlegung der Gleichheit des Rechtsgrundes nichts gewonnen, zum anderen aber findet sich auch hier wieder implizit die erst zu beweisende Prämisse, daß möglicherweise vorhandene Überschneidungen im Tatsächlichen die Annahme des gleichen Rechtsgrundes zwingend erforderlich mache. Ihren Höhepunktfindet diese in allen Ansichten mehr 159

So Canaris in FS für Larenz S. 30, 89. Exemplarisch Canaris in JZ 1965 S.475,479. 161 Vgl. zum Beispiel die von Lackum S. 150 angeführte „Wesensgleichheit". 162 Exemplarisch von Lackum ebenda. Die Versuche, die strukturelle Gleichheit aus dem gemeinsamen Schutzzweck zu erklären, führen ebenfalls nicht weiter, weil dieser den deliktischen Verhaltenspflichten ebenfalls eigen ist. 163 Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 §2912 (= S. 132). 160

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

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oder weniger ausdrücklich mitschwingende Prämisse in Formulierungen wie der, daß ein Weiterbestehen der vorvertraglichen Schutzpflicht dogmatisch zwingend wäre, wenn diese wegen ihres nicht rechtsgeschäftlichen Ursprungs durch den Vertrag überhaupt nicht in eine vertragliche Pflicht verwandelt werden könne, dann wäre nicht nur die Identität von vorvertraglichen und vertraglichen Schutzpflichten, sondern gleichzeitig die Richtigkeit der dieses vertretenden Meinung bewiesen164. Mißachtet wird dabei völlig, daß sich die eine Pflicht weder in eine andere verwandeln muß, noch daß diese Verwandlung überhaupt angenommen würde. Diese Vorstellung ist auch unnötig, denn wo die eine, vorvertragliche Schutzpflicht endet, entsteht mit Vertragsschluß eine zweite, neue Schutzpflicht; das ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang, der ohne die Annahme einer einzigen und daher zur irgendwie gearteten Umwandlung gezwungenen Schutzpflicht auskommt. Die Schwierigkeiten, die die Anhänger des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses bezüglich einer Umwandlung sehen, beruhen also darauf, daß sie ihre eigene Prämisse unterlegen und so zu einem Zirkelschluß gelangen. Weil sie die Einheitlichkeit der Schutzpflichten annehmen, muß sich aus ihrer Sicht die einheitlich verstandene Schutzpflicht beim Eintritt ins vertragliche Stadium wandeln und es entsteht damit ein Erklärungsproblem, das die Anhänger der rechtsgeschäftlichen Deutung gar nicht teilen. Denn wenn die Einheitlichkeit der Schutzpflichten verneint wird, bleibt zwanglos Raum für die Entstehung einer zweiten, neuen und in das Rechtsgeschäft eingebetteten Pflicht, ohne daß dafür eine Umwandlung der vorvertraglichen Pflicht bemüht werden müßte. Auch die Schwierigkeit einer „Pflichtenumwandlung" kann also gegen die rechtsgeschäftliche Deutung der Schutzpflicht bei bestehendem Vertrag nicht ins Feld geführt werden, da diese Sichtweise gerade ohne eine Umwandlung auskommt. b) Schutzpflichten

und Nichtigkeitsgründe

Häufig findet sich auch der Einwand, daß der rechtsgeschäftliche Konsens die Änderung des Rechtsgrundes nicht bewirken könne, zeige sich schon daran, daß die Güter und Interessen der Vertragspartner auch ohne ihn, insbesondere trotz seines Scheiterns, also im Falle der Vertragsnichtigkeit geschützt seien165. Bei diesem Problem geht es um die - von Canaris166 zum Ausgangs - und Endpunkt seiner Überlegung gemachten - Frage, ob aus einem nichtigen Vertrag Ansprüche wegen Schutzpflichtverletzung geltend gemacht werden können, ob also trotz Fehlens der Leistungspflicht der Bestand von Schutzpflichten denkbar ist 167 . 164 165 166 167

So Frost S. 149, vgl. insgesamt S. 143 ff. E. Schmidt in Nachwort S. 149. In JZ 1965 S.475 ff. Vgl. dazu auch Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 364.

94

§ 3 Schutzpflichten

Canaris bejaht diese Frage, indem er die Schutzpflichten in dem von ihm angenommenen einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis absondert und für dieses Schutzpflichtverhältnis anhand der einzelnen Nichtigkeitsgründe jeweils nachweist, daß diese nach ihrem Sinn und Zweck nur das Leistungsverhältnis betreffen, das Schutzpflichtverhältnis hingegen unberührt lassen168. Dem ist weitestgehend zuzustimmen169, indes läßt sich daraus keinerlei Rückschluß auf die Natur der Schutzpflichten ziehen, denn die Herausnahme der Schutzpflichten aus der Nichtigkeitsfolge der jeweiligen Norm ergibt sich auch für Canaris nicht aus ihrem von der Leistungspflicht verschiedenen Rechtsgrund, sondern allein aus ihrem eigenständigen Zweck und ihrer Trennung von der Leistungspflicht 170. Diese Trennung und Unterscheidung der Schutzpflichten von der Leistungspflicht wird aber auch von denjenigen befürwortet und durchgeführt, die die Schutzpflichten rechtsgeschäftlich erklären, so daß die bezüglich der Nichtigkeitsfolgen von Canaris herausgearbeiteten Ergebnisse mühelos übertragen werden können und sollten. Die andersartige Deutung des Rechtsgrundes stellt hier kein Hindernis dar, denn entscheidend für die richtige Erfassung der Nichtigkeitswirkungen ist allein die beiden Ansichten vorausliegende und von beiden nicht bezweifelte Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus, die die differenzierte Betrachtung und Bezugnahme einzelner Rechtsfolgen auf einzelne Pflichten erlaubt. Grundsätzlich läßt sich angesichts der Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflicht daher zunächst sagen, daß die durch den Vertragsschluß entstandenen Schutzpflichten von der Nichtigkeitsfolge nur erfaßt werden, wenn sich das Unwerturteil des jeweiligen Nichtigkeitstatbestandes auch auf diese bezieht, was nach Sinn 168

Canaris ebenda S. 481 f. Auch für diese Erkenntnis kann Canaris jedoch auf eingehende Vorarbeiten zurückgreifen; vgl.z. B. § 279 des Entwurfes von Stoll (1934) in seinem Referat vor der Akademie für Deutsches Recht: „Der durch die Verletzung einer Schutzpflicht entstandene Schaden kann ohne Rücksicht auf Gültigkeit und Fortbestand des Vertrages und neben sonstigen Ansprüchen geltend gemacht werden.", Abdruck der Vorschrift bei Schubert Bd. III, 3 S. 208 mit Begründung auf S. 218: „Der Paragraph zieht nur die Folgerung aus der Erkenntnis der Schutzpflicht; er stellt somit klar, daß die Schadensersatzpflicht... unabhängig von der Gültigkeit des Vertrages besteht und daß sog. Nebenschäden auch bei Aufhebung des Vertrages, ζ. B. durch Rücktritt, geltend gemacht werden können." Ähnlich § 1 Abs. II S. 2 des Entwurfs von Larenz (1940) für die Akademie für Deutsches Recht (dazu oben §411), abgedruckt in Schubert III, 5 S. 110: „... Die vertragliche Sorgfaltspflicht bleibt auch dann bestehen, wenn das Vertragsverhältnis nachträglich durch Anfechtung, Rücktritt oder einen ähnlichen Rechtsbehelf wieder aufgehoben wird." (Begründung S.74); vgl. auch §2 S. 1: ,Auch schon vor Abschluß eines Vertrages und unabhängig von seiner Rechtsgültigkeit sind die Beteiligten einander verpflichtet, auf die Belange des anderen die durch Treu und Glauben gebotene Rücksicht zu nehmen,..." (Begründung S. 74). 169 Zu den Einschränkungen sogleich im Text. 170 Richtig insoweit Frost S. 224ff.; vgl. auch Canaris in JZ 1965 S.481 unter e).

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

95

und Zweck der Vorschrift zu entscheiden ist171. Es zeigt sich dabei schnell, daß der Fortbestand der Schutzpflicht die Regel, ihre Nichtigkeit jedoch die Ausnahme ist. Auf der Hand liegt das beispielsweise bei § 306 BGB, dessen Zweck darin zu sehen ist, die sinnlose - weil unmögliche - Leistungsverpflichtung zu beseitigen; aus diesem Grunde jedoch die Vertragsparteien auch schutzlos zu stellen, besteht kein Anlaß. Ebenso offensichtlich ist das bei der Nichtigkeit wegen Formmangels, denn der vom Gesetz intendierte Schutz vor Übereilung oder die Sicherung des Beweises bezieht sich auf die Leistungsverpflichtung, die Schutzpflichten liegen außerhalb dieser Zwecke. Bei den §§116-118 BGB betrifft die Nichtigkeit ihrem Sinn nach nur die Erklärungen bezüglich der Leistung, nicht aber die Schutzpflichten, was mittelbar auch § 122 BGB klarstellt172. Bei den die Anfechtung der bei Vertragsschluß abgegebenen Willenserklärungen betreffenden Vorschriften, §§119, 123 BGB hat die Anfechtung nach dem Wortlaut des § 142 BGB zwar zur Folge, daß das „Rechtsgeschäft" als nichtig anzusehen ist. Um den bei Abgabe der Willenserklärung vorhandenen Willensmängeln differenziert Rechnung zu tragen, ist aber auch hier grundsätzlich zu fragen, ob die Anfechtung nur die Leistungspflicht beseitigt oder auch den Bestand der Schutzpflichten berührt. Bei den Irrtumsfällen des § 119 BGB gibt das Anfechtungsrecht dem Anfechtenden die Möglichkeit, sich von einer belastenden Leistungspflicht zu lösen, die nicht seinem Willen entspricht. Dem korrespondiert regelmäßig, daß die Schutzpflichten seines Vertragspartners, die ihn ja nur begünstigen, durch die Anfechtung nicht beseitigt werden. Aber auch der Anfechtende selbst kann sich durch die Anfechtung seiner eigenen Schutzpflichten gegenüber dem Anfechtungsgegner nicht entledigen, denn der Willensmangel wird sich regelmäßig nur auf die Leistungsverpflichtung beziehen, nur die Rechtsfolgen der nicht gewollten Erklärung werden jedoch als nicht eingetreten betrachtet. Nichts anderes gilt für § 123 BGB. Da § 123 BGB den Getäuschten oder Bedrohten in seiner Willensfreiheit schützen will, muß dieser seine Schutzansprüche behalten, wenn der Schutzzweck des § 123 BGB nicht in sein Gegenteil verkehrt werden 171

Die Anhänger des einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses müssen dabei zunächst konstruktiv überbrücken, daß die Nichtigkeitsgründe überhaupt keine unmittelbare Anwendung auf das so verstandene „gesetzliche" Schuldverhältnisfinden können. Auf welchem Wege dies geschieht, bleibt allerdings auch bei Canaris offen, der immerhin dieses Problem kurz aufzeigt (ebenda S.481 unter e). Deutet man die Schutzpflichten hingegen vertraglich, bereitet die Anwendbarkeit keinerlei Probleme. >72 Gegen die von Canaris (ebenda S.481 unter 3.) vorgenommene Einschränkung bezüglich des Scheingeschäftes wendet sich Frost (S.225) mit dem zutreffenden Hinweis, eine derartige Abgrenzung würde darauf hinauslaufen, Schutzpflichten aus moralischen Gründen zu negieren.

96

§ 3 Schutzpflichten

soll. Aber auch der Anfechtungsgegner verliert, wie bei § 119 BGB, nicht seine Schutzansprüche. Wenn vereinzelt173 vertreten wird, daß der arglistig Handelnde keinen Schutz verdient und sich nicht auf ein Vertrauensverhältnis berufen könne, das er selber mißbraucht habe, so wird dabei verkannt, daß § 123 BGB keinen Strafcharakter hat und der Grundsatz des „versari in re illicita" im Zivilrecht nicht gilt; übersehen wird dabei auch, daß man ebenso wenig deshalb und gleichzeitig dem Anfechtungsgegner den deliktischen Schutz versagen könnte. Bei den §§ 134, 138 BGB wird der Inhalt der Leistungsverpflichtung von der Rechtsordnung mißbilligt, dieses Unwerturteil bezieht sich regelmäßig aber nicht auf bestehende Schutzpflichten, denn Schutzpflichten können per definitionem kaum gegen das Recht oder die sittlichen Maßstäbe verstoßen. Wie bei § 123 BGB kommt die Nichtigkeit der Schutzpflichten jedoch auch deshalb nicht in Betracht, weil die Beteiligten nicht durch den Verlust ihres Schutzes zivilrechtlich dafür sanktioniert werden können, daß sie gesetzes- oder sittenwidrige Geschäfte betreiben174. Das Zivilrecht kennt keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, daß derjenige, der sich außerhalb der Rechtsordnung bewegt, keinen Schutz oder zumindest sekundären Schadensersatz beanspruchen könne175. Bei den §§ 105, 104 BGB ist dem Schutzzweck entsprechend zu differenzieren: Der nicht voll Geschäftsfähige soll weder mit einer Leistungspflicht, noch mit einer Haftung aus der Verletzung einer Schutzpflicht belastet werden, so daß hier die Nichtigkeit ausnahmsweise auch die Schutzpflichten ergreift. Nimmt man den von dieser Vorschrift intendierten Schutz ernst, so muß man gleichwohl dem nicht Geschäftsfähigen die Schutzansprüche zugestehen, die Schutzpflichten auf Seiten des Geschäftsgegners also von der Nichtigkeit ausnehmen176. Eine derartige Spaltung von Haftung und Berechtigung mag ungewöhnlich sein, ist aber die notwendige Konsequenz aus dem Sinn und Zweck der Nichtigkeitsnorm und illustriert anschaulich die durch die Trennung von Leistungs- und Schutzpflicht ermöglichte Herausarbeitung differenzierter Rechtsfolgen. Da diese Erklärung der differenzierten Nichtigkeitsfolgen, wie gezeigt, nur auf der Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten beruht, also auch bei einer rechtsgeschäftlich geprägten Schutzpflichtherleitung in gleicher Weise gelingt, läßt sich aus dem Problembereich der Schutzpflichten im nichtigen Vertrag kein Argument gegen die Deutung der Schutzpflichten als vertraglich begründete gewinnen177. 173

Z.B. Canaris in JZ 1965 S.481 unter 4. Bedenklich ist deswegen die differenzierende Ansicht von Canaris (JZ 1965 S.481 f. unter 5 a), der den Schutz des sittenwidrig Handelnden beim einseitigen Sittenverstoß ablehnt. 175 Die Vorschrift des § 817 BGB, der gelegentlich von manchen Autoren Strafcharakter beigelegt wird, ist als solche eine Ausnahmevorschrift und daher kaum verallgemeinerungsfähig. 176 Zutreffend Canaris ebenda S.482 unter 7. 177 Nicht ganz nachzuvollziehen ist es deshalb, daß Medicus (in JuS 1986 S.665, 669) anmerkt, bei der Herleitung des Schutzes im Falle des nichtigen Vertrages stoße die Lehre vom einheitlichen Schutzpflichtverhältnis auf geringere Schwierigkeiten. 174

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten c) Wechselwirkungen

zwischen Vertrag

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und Schutzpflicht

aa) Schutzpflichten und Vertragsschluß Die Bedeutung des Vertragsschlusses erschöpft sich freilich nicht darin, daß er für die Schutzpflichten im bestehenden Vertragsverhältnis den Rechtsgrund abgibt, sondern der Vertragsschluß wirkt darüberhinaus unmittelbar formend auf die Schutzpflichten, denn der Vertragstyp und der konkrete Leistungsgegenstand bestimmen Inhalt und Umfang der Schutzpflichten. Auch die Ansicht vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis muß die Zäsur, die der Vertragsschluß darstellt, bewältigen und trägt dem Einfluß der Parteivereinbarung deshalb Rechnung, indem eine „Verdichtung"178 bzw. eine „Intensivierung des Schutzpflichtverhältnisses" 179 attestiert wird. Augenfällig ist dabei, daß nicht auf die konkrete Pflicht Bezug genommen, sondern auf die abstrakte Ebene des Schutzpüichtverhältnisses ausgewichen wird; dunkel bleibt schon, in welcher Hinsicht, ob in qualitativer oder quantitativer Weise eine „Intensivierung" erfolgt. Das ist nicht erstaunlich, denn die angenommene „Verdichtung des Schutzpflichtverhältnisses" ist in Wahrheit nichts anderes als eine diffuse, sich bis ins Assoziative verflüchtigende Beschreibung eben des pflichtenformenden Einflusses des Vertrages, den sie zu verdecken sucht, ein eigenständiger Erklärungswert kommt der Berufung auf die Verdichtung hingegen nicht zu 180 . Mit dem von der Lehre des gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses postulierten und streng von der Leistungspflicht zu trennenden Eigenleben der Schutzpflichten und deren Einheitlichkeit verschließt sich für diese Konstruktion die Möglichkeit, die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen dem Entstehen der Leistungspflicht und der diese begleitenden bzw. flankierenden Schutzpflichten befriedigend zu erklären; der Hinweis auf die den geänderten tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten korrespondierende Verdichtung des Schutzpflichtverhältnisses greift dafür zu kurz und schöpft den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt nicht hinreichend aus. bb) Schutzpflichten und der konkrete Vertrag Die allgemeine Formulierung, die Vertragspartner treffe die Pflicht, die Leistung in einer Art zu bewirken, daß die dabei berührten Güter und Interessen des anderen unverletzt bleiben181, erfährt ihre notwendige Konkretisierung erst, wenn man zwi178

So Canaris, JZ 1965 S.479. So die Beschreibung von Lackums auf S. 150. 180 Den pflichtenformenden Einfluß muß auch Canaris zugestehen, dazu schon oben II3dbb). 181 Kress, S. 580. 179

7 Kuhlmann

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§ 3 Schutzpflichten

sehen den verschiedenen Typen von Leistungen, Leistungserfolgen und Obligationszwecken differenziert. Die konkrete Leistungserbringung wirkt deshalb unmittelbar auch auf die korrespondierenden Schutzpflichten zurück, die unterschiedlich ausfallen, je nach dem ob eine Sache oder eine Dienstleistung geschuldet ist, eine Handlung oder eine Unterlassung; ob beispielsweise ein Austausch bezweckt ist, eine Gebrauchsgewährung oder eine Sicherung und ob ein Einzel- oder ein Dauerschuldverhältnis vorliegt182. Auch das verhaltensbezogene Unwerturteil, das Verschulden der Schutzpflichtverletzung muß die Eigenart des Vertrages, seinen Typus und seinen besonderen Inhalt berücksichtigen, maßgeblich können nur die Anforderungen sein, die der Vertrag nach dem Willen der Parteien an das Verhalten der Vertragsparteien stellt. Wenn unterschiedliche Vertragstypen und Vertragszwecke aber unterschiedliche Schutzpflichten bedingen183, reduziert sich die behauptete Einheitlichkeit der Schutzpflichten letztlich auf ihren gemeinsamen Schutzzweck; das wiederum aber ist ein Befund, der weder neu ist184 noch bestritten wird. cc) Schutzpflichten und Synallagma Erkennt man die Wechselwirkung von Leistungs- und Schutzpflicht und ihre Verankerung im rechtsgeschäftlichen Akt der Parteien an, lassen sich weitere Verknüpfungen erklären. Nicht außer acht gelassen werden darf zum Beispiel die Frage der Einbeziehung einer Schutzpflicht in das synallagmatische Gefüge des Vertrages 185. Diese Einbeziehung der Schutzpflicht in das Synallagma stellt wohl eher die Ausnahme als die Regel dar. Sie kann aber zum einen in der Form vorliegen, daß die Vertragspartner ein Entgelt nicht nur als Äquivalent für den reinen Verkehrswert der Leistung verstehen, sondern auch auf eine typische oder spezielle Verwendbarkeit des Leistungsgegenstandes beziehen186, die wiederum die Freiheit von gewissen Mängeln voraussetzt, die notwendig zu Einbußen am Güterbestand des Gläubigers führen müßten. Kurz ausgedrückt, kann auch die Gefahrenfreiheit des Vertragsgegenstandes mitentgolten sein, ein dergestalt erweitertes Interesse steht dann im Synallagma. Das Interesse mag zum anderen aber nicht nur die Gefahrenfreiheit des Leistungs182

Zur Systematisierung nach den verschiedenen Zwecken grundlegend Kress S. 35 ff. In diesem Sinne auch Medicus in JuS 1986 S.665, 669; Staudinger-Löwisch, §276 Rn 26; Gernhuber S. 28; Frost S. 217 (mit der Umschreibung, daß die Schutzpflichten durch die Leistungserbringung „eine gewisse Farbe" erhalten), Dahm in JZ 1992 S. 1167,1171; Larenz S. 119f. 184 Vgl. Kress, S. Iff., 578 ff. 183 Anklänge dazu auch bei Larenz S. 120. 186 Vgl. §536 BGB. 183

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

99

gegenständes betreffen, sondern auch die Gefahrenfreiheit der Leistungshandlung, des Leistungsvorgangs als solchem. Wann das vorliegt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Ist die subjektive Äquivalenz, die nach der Auffassung der Parteien vorhandene Balance von Leistung und Gegenleistung auch dann noch gewahrt, wenn eine Schutzpflicht gedanklich unberücksichtigt bleiben kann, so ist diese Schutzpflicht nichtsynallagmatisch. Sie ist hingegen in das Synallagma einbezogen, wenn die Balance von Leistung und Gegenleistung durch den gedachten Abzug der Beachtung der Schutzpflicht gestört wird 187. Bei der Betrachtung sind Leistung und Gegenleistung i. S. d. jeweiligen Gesamtleistung zu sehen, denn auf sie bezieht sich das subjektive Urteil der Äquivalenz. Eine Schutzpflicht ist daher nicht nur dann in das Synallagma einbezogen, wenn ihr eine selbständige Gegenleistung gegenübersteht, sondern auch dann, wenn sie bei der Festsetzung einer einheitlichen Gegenleistung berücksichtigt worden ist; maßgeblich zu beachten ist dabei die Frage der Entgeltlichkeit. Eine derartige Erklärung der Einbettung von Schutzpflichten in das synallagmatische Gefüge des Vertrages muß scheitern, wenn man die Schutzpflichten einheitlich als gesetzliche versteht; oder man muß aus dem einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis doch wieder solche Schutzpflichten herausnehmen, die synallagmatisch und daher vertraglich sind. d) Die Anbindung der Schutzpflichten

an den Parteiwillen

Die Loslösung der Schutzpflicht von der Leistungspflicht ist zu begreifen als ein Teil der Gesamtentwicklung des Schuldverhältnisses vom reinen Austauschverhältnis hin zum komplexen Organismus. In der jüngeren Entwicklung tritt der pflichtbegründende Parteiwille im Rahmen dieses Organismus* jedoch immer mehr in den Hintergrund, während die unabhängig vom Parteiwillen gedachten Rahmenregeln immer stärker an Bedeutung gewinnen. Dieser Vorgang hängt seinerseits wieder zusammen mit der in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einsetzenden Tendenz, der dem Vertragsrecht zugrundeliegenden Idee der formalen Gleichheit der Rechtssubjekte durchflankierende Maßnahmen die Schärfe zu nehmen und zu einer Ausbalancierung von Ungleichgewichtslagen beizutragen. Die Ablösung der Schutzpflichten vom Parteiwillen zugunsten der Verankerung im Vertrauensgedanken und dem Prinzip von Treu und Glauben hat jedoch zur Konsequenz, daß der Entwicklung und Ausbildung immer neuer Schutzpflichten praktisch keine Grenzen gesetzt sind. Es kann beinahe jedes denkbare Interesse dadurch geschützt werden, daß nach dem Schadenseintritt eine dementsprechende, korre187

Vgl.bsp. MüKo-Roth, § 242 Rn 163 zum Wettbewerbsverbot im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf.



100

§ 3 Schutzpflichten

spondierende Schutzpflicht begründet wird. Die Gefahr dieser Verselbständigung188 besteht darin, daß eine Eigendynamik entsteht und die Entwicklung außer Kontrolle gerät. Diese Gefahr ist besonders groß im Grenzbereich zwischen vertraglichem und außervertraglichem Haftungsrecht, wo in nahezu beliebiger Weise Schutzpflichten konstruiert werden, um Schwächen des deliktischen Rechtsschutzes zu kompensieren. Klar tritt dieser kompensatorische Effekt der so begründeten Schutzpflichten auch bei all denjenigen Fallgestaltungen zutage, in denen auf größerer wirtschaftlicher Macht oder Fachkenntnis beruhende Ungleichgewichtslagen zwischen den Vertragsparteien ausgeglichen werden. Gerade in diesen Fällen bildet die Begründung von Schutzpflichten nach Eintritt des Schadens das Instrument für eine Entscheidung, die oft schon in der Wertung darüber getroffen worden ist, ob und auf welcher Seite ein schutzwürdiges Interesse besteht. Die über diese Wertung bestehenden Unstimmigkeiten sind die eigentlichen Ursachen zahlreicher Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten, die deshalb auch mit Hilfe noch so ausgefeilter dogmatischer Konzeptionen nicht beseitigt werden können. Der Bereich der Begründung von Schutzpflichten im bestehenden Vertrag sollte deshalb der Autonomie der Vertragsparteien überlassen bleiben. Der Interessenwiderstreit der Parteien löst sich auf im rechtsgeschäftlichen Konsens, aus dem die vertragliche Regelung als selbständiger Organismus hervorgeht; diese vertragliche Regelung sollte darum auch der Gegenstand der juristischen Betrachtung im Wege der Auslegung gemäß §§ 133,157 BGB sein. Bei der Auslegung hat der nach dem Schadensfall entscheidende Richter seine Entscheidung an der Wertungen der Parteien zu orientieren, was einer Rechtsordnung, die auf Privatautonomie und Vertragsfreiheit basiert, weitaus mehr gerecht wird als die zunehmende Loslösung vom Parteiwillen durch die Konstruierung eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses. Der Anbindung an den Parteiwillen kommt somit eine wesentliche Eingrenzungs- und Steuerungsfunktion zu 189 , da die Pflichtenbegründung durch die konkreten Vereinbarungen von vorneherein begrenzt ist und das Ergebnis der Auslegung jedenfalls nicht im Widerspruch zu dem stehen darf, worauf sich die Parteien geeinigt haben oder hätten. 188

Symptomatisch beispielsweise E. Schmidt in Nachwort S. 150, der die vertragliche Natur der Schutzpflichten mit der Begründung ablehnt, daß eine Privatautonomie, die dazu führen müßte, an sich bestehende Rechte einzuschränken oder aufzuheben, zumindest heute keine Existenzberechtigung mehr habe; ähnlich auch in Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 2912 (S. 132). 189 Vgl. auch Medicus (in Schuldverhältnis S.26), der für das „selbstgeschaffene Pflichtenerfindungsrecht der Gerichte" Ziel und Schranken fordert. Genau entgegengesetzt nimmt E. Schmidt (S. 153) an, der Versuch, mit rechtsgeschäftlichen Kategorien zu arbeiten, müsse als gescheitelt gelten, da er den Arm der Privatautonomie in Bereiche eingreifen läßt, die ihm kaum mehr offenstünden.

III. Rechtsgeschäftliche Begründung der Schutzpflichten

101

Dabei soll zunächst nicht verkannt werden, daß sich nur allzuhäufig eine ausdrückliche Vereinbarung der Vertragspartner nicht wird feststellen lassen; verkannt werden soll ebenfalls nicht, daß auch die ergänzende Vertragsauslegung, die sich nach § 157 BGB an den objektiven Grundsätzen von Treu und Glauben und der Verkehrsitte zu orientieren hat, richterlichen Wertentscheidungen breiten Raum bietet 190 , denn diese setzt erst ein, wenn die Auslegung der einzelnen Willenserklärungen ergebnislos geblieben ist. Die ergänzende Vertragsauslegung dient der Schließung von Vertragslücken, sie setzt ein, wenn ein nach dem Vertragszweck regelungsbedürftiger Punkt im rechtsgeschäftlichen Gesamtzusammenhang planwidrig offen geblieben ist. Schon die Feststellung der Planwidrigkeit, der Regelungsbedürftigkeit nach dem Vertragszweck ist aber ein Auslegungsproblem191. Die Lückenfeststellung läßt sich nicht scharf von der Lückenschließung, der eigentlichen Vertragsergänzung trennen. Es handelt sich um zwei ineinander übergehende, gedanklich miteinander verwobene Vorgänge, denn wenn man feststellt, daß etwas fehlt, entwickelt man zugleich auch eine Vorstellung dessen, was an die Stelle des Fehlenden treten soll. Es handelt sich jedoch trotzdem bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht um eine rein objektive Interessenwertung. Entscheidend dafür, was an die Stelle des Fehlenden tritt, muß nämlich der hypothetische Parteiwille sein, der in Form einer normativen Wertung ermittelt wird, die auf dem tatsächlich erklärten, dem realen Parteiwillen aufbaut, wie er durch einfache Auslegung gemäß § 133 BGB festgestellt wurde. Da der hypothetische Parteiwille gemäß § 157 BGB auch mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ermitteln ist, gelangen die wesentlichen Grundgedanken der einzelnen Vertragstypen zur Geltung192 und der hypothetische Parteiwille wird auch durch die Gesichtspunkte der Üblichkeit und Billigkeit bestimmt. Gefragt werden muß danach, was die Parteien, wäre ihnen die Vertragslücke bewußt gewesen, unter Berücksichtigung von Treu und Glauben vereinbart hätten193. 190

So geben auch einzelne gerichtliche Auslegungsergebnisse, beispielsweise bei der Begründung von Drittschutz, durchaus Anlaß zur Kritik. Jedoch darf dabei nicht über die Einzelfallkritik hinausgehend das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden, indem der grundsätzliche dogmatische Ansatz mit der Begründung abgelehnt wird, daß die Annahme eines auf Drittschutz gerichteten Parteiwillens regelmäßig fiktiv sei und häufig sogar den tasächlichen Vorstellungen der Parteien widerspreche. 191 Falsch ist es zumindest, wenn man (wie Frost S. 157) argumentiert, das Fehlen einer Vereinbarung lasse sich darauf zurückführen, daß die Parteien gehofft hätten, es käme zu keiner Schutzpflichtverletzung und diesen Punkt schon aus diesem Grund bewußt keiner ausdrücklichen Regelung zugeführt hätten. 192 Vgl. §9AGBG. 193 Diese Vorgehensweise schließt es durchaus ein, daß das gefundene Auslegungsergebnis dem tatsächlichen Interesse jedenfalls einer Partei zuwiderläuft. Hieraufkommt es indes nicht an, da es allein darum geht, ob die Parteien nach Anlage und Zweck der vertraglichen Gesamtregelung bei redlicher Denkweise die Schutzpflichten hätten vereinbaren müssen.

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§ 3 Schutzpflichten

Die ergänzende Vertragsauslegung ist mithin keine ungebundene Wertung des jeweils Auslegenden. Dennoch darf angesichts des Blankettcharakters des Prinzips von Treu und Glauben, § 242 BGB 194 als objektivem Auslegungsmaßstab die Gefahr unkalkulierbarer Auslegungsergebnisse nicht verkannt werden. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, bietet sich die Aufstellung von Auslegungsgrundsätzen195 an, für die das BGB mit seinen normierten Schutzpflichten und den diesen zugrundeliegenden Wertungen selbst das erforderliche Leitbild geben kann. Insgesamt handelt es sich bei diesem Vorgehen um den Grundansatz, aus dem Vertrag als einem Konsensgeschäft privatautonomer Parteien Schutzpflichten zu begründen und solche nicht durch fortgebildetes, richterliches „Gesetz" zu statuieren; eben diese ist die Idee, die der zentralen Norm des § 305 BGB zugrundeliegt.196

IV. Leistungsbezogene Schutzpflichten Der Gesetzgeber hat im Besonderen Teil des Schuldrechts einzelne Schutzpflichten normiert, wo ihm dies möglich war, weil bestimmte Konfliktlagen dort obligationstypisch vorhersehbar sind und konkrete Verhaltensweisen der Vertragspartner deshalb vorbeugend zum Inhalt von Schutzpflichten gemacht werden konnten.

1. Unmöglichkeit, Verzug und Pflichtverletzung Vor dem Hintergrund dieser oben herausgearbeiteten Erkenntnis fügt sich auch die Haftung des Schuldners wegen Unmöglichkeit und Verzug wieder ein. Denn auch hinter der zu vertretenden Unmöglichkeit und dem Verzug steht die Verletzung einer Schutzpflicht, die eine bestimmte Verhaltensanforderung an den Schuldner zum Inhalt hat. Unmöglichkeit und Verzug stehen nicht ohne die verbindende Kausalität zu einem bestimmten Schuldnerverhalten beziehungslos im Raum und begründen gleichwohl die Haftung, sondern beruhen auf einer Schutzpflichtverletzung des Schuldners197. Eine Formulierung der konkreten Nebenpflichten die den Schuldner treffen, hat der Gesetzgeber im allgemeinen Schuldrecht des BGB jedoch unterlassen und sie stattdessen mit dem „Umstand", infolgedessen der Schuldner Unmöglichkeit oder Verzug zu vertreten hat, erfaßt, §§ 280, 285, 325 BGB. Normiert hat er aber zwei Folgen dieser generalklauselartig belassenen Nichtbeachtung einer Verhaltens194 195

Zu § 242 BGB vgl. auch Kress, S. 374 ff. Vgl. Kress, S. 580ff. mit verschiedenen Grundsätzen zur Feststellung von Schutzpflich-

ten. 196 Befremdlich ist es dagegen, wenn E. Schmidt (S. 150) ausführt, daß Schutzpflichten der privatautonomen Gestaltungs- und Verfügungsfreiheit weitestgehend entzogen seien. 197 Zu diesem Fragenkreis eingehend z.B. schon oben § 2IV3 und V3 sowie unten §5IV und VI.

IV. Leistungsbezogene Schutzpflichten

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pflicht, nämlich dauerhafte und vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht 198, in der Terminologie des allgemeinen Schuldrechts Unmöglichkeit und Verzug 199. Geregelt worden sind also diejenigen Schutzpflichtverletzungen, die zu Unmöglichkeit oder Verzug der Leistung führen.

2. Hauptleistungspflicht und Nebenpflichten zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Erfüllung Daß Unmöglichkeit und Verzug der Leistungserbringung mögliche Störungsfolgen von Verhaltenspflichtverletzungen sind, illustriert deutlich, daß dem Leistungsanspruch des Gläubigers nicht lediglich eine eindimensionale Pflicht des Schuldners korrespondiert, sondern daß diese Pflicht sich bei näherer Betrachtung als ein Bündel von Einzelpflichten entpuppt, die darauf bezogen sind, den vereinbarten Leistungserfolg, § 362 BGB zu bewirken oder seine Gefährdung zu verhüten; sie dienen also der Erbringung, Förderung und Sicherung des Erfüllungsinteresses. In der Literatur ist ihre Benennung uneinheitlich, vielfach werden sie als leistungsbegleitende200, leistungsbezogene201 oder leistungssichernde202 Nebenpflichten oder auch als Sorgfaltspflichten 203 bzw. weitere Verhaltenspflichten 204 bezeichnet. Überwiegend wird dabei vertreten, daß diese Nebenpflichten im Anschluß an die derartige Kennzeichnung den Schutzpflichten gegenüberzustellen sind, denn weil sie sich auf den Leistungsgegenstand beziehen, seien sie keine Schutzpflichten mehr 205. Daß diese terminologische Gegenüberstellung unzutreffend ist, wird im folgenden noch darzulegen sein. 198

Ruhig (S. 330) sieht in der Vernachlässigung des Pflichteninhalts zugunsten der Anknüpfung an den Leistungsanspruch des Gläubigers die Folge des subjektiven Rechtsdenkens, in dem die aktionenrechtliche Betrachtung fortlebt. 199 Keine Störungstatbeständefinden sich dagegen für Verletzungen von Nebenpflichten, die einen anderen als den Erfüllungs- oder Verzugsschaden auslösen. Grundlage für die Ansprüche des Gläubigers auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens war bis zur letzten Fassung des BGB der § 224 des ersten Entwurfes. Auch bei der Verletzung der als Nebenpflichten im Besonderen Teil vorhandenen Anzeige, Erhaltungs- und Unterlassungspflichten spricht das Gesetz nicht vom „Schadensersatz wegen Nichterfüllung", sondern einfach vom Ersatz des „daraus entstehenden Schadens", §§5231,5241,545,600 BGB. Diese Formulierung bezieht sich ebenfalls auf § 224 EI als allgemeine Haftungsgrundlage, die heute durch die p W ersetzt ist (dazu eingehend unten § 11 VI) ff.). 200 So ζ. B. Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 5 II 1 (= S. 88). 201 So ζ. B. Soergel-Teichmann, § 242 Rn 133. 202 So z. B. Palandt-Heinrichs, § 242 in Anm.4 B. 203 So Stürner in JZ 1976 S. 384, 390. 204 Vgl. Larenz S. lOf. 205 Gemhuber, Schuldverhältnis S. 23; Canaris in der FS für Larenz S. 30, 84,90, 105; Esser/Schmidt Bd.I Tb. 1 S.90, Tb. 2 S. 128,145,149; Soeigel-Teichmann, §242 Rn 133; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 484; MüKo-Roth, § 242 Rn 116f., 147, 184; MüKo-Kramer, Einl. zu § 241 ff. Rn 72; Picker in AcP 183 (1983) S. 369,408; Thiele in JZ 1967 S.635 f.; Stoll in AcP 136 (1932) S.257,298f.

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§ 3 Schutzpflichten a) Inhalt und Rechtsgrund

Inhaltlich sind die Schutzpflichten, die den Bereich der Erfüllung, ihrer Vorbereitung und Durchführung betreffen 206, vielgestaltig207. In Betracht kommen Pflichten zur sorgfältigen Auswahl und Untersuchung des Leistungsgegenstandes sowie zu seiner Obhut und Erhaltung, aber auch Auskunfts-, Aufklärungs- und Beratungspflichten, Rechenschafts- und Mitwirkungspflichten, die unter Umständen auch den Gläubiger betreffen können. Darüberhinaus sind beide Parteien verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Leistungserfolg während, nach oder vor der Erfüllungsphase gefährden oder vereiteln könnte. Daß der Gesetzgeber die Konkretisierung dieser Verhaltenspflichten im allgemeinen Schuldrecht geschlossen der Vertragsauslegung im Einzelfall überlassen hat, ist einleuchtend208. Denn das zur Erreichung des Obligationszweckes erforderliche Verhalten der Vertragspartner, insbesondere des Schuldners ist zwar durchaus am gemeinsam vereinbarten Zweck auszurichten und insoweit auch von Art und Inhalt des Schuldverhältnisses geprägt, es läßt sich aber gleichwohl kaum konkret vorherbestimmen; zu verschieden sind die einzelnen Situationen und Anforderungen des täglichen Lebens. Das Gesetz stellt es dem Schuldner deshalb frei, wie er den vereinbarten Leistungserfolg herbeiführen will 209 . Es ist auch den Parteien in der Regel nicht möglich, die tatsächlichen Entwicklungen zwischen Vertragsschluß und Erfüllungszeitpunkt vorauszusehen, die, soll der Obligationszweck erreichbar bleiben, Reaktionen vom Schuldner verlangen. So stehen meist von vorneherein nur die letzten Handlungen fest, die zur Verwirklichung des Leistungserfolges wahrzunehmen sind210, während, je mehr man sich zeitlich von den letzten Akten entfernt, das Verhalten ungewiß ist, das zur Erreichung des Obligationszweckes notwendig ist. Die Hauptleistungspflicht ist deshalb nur ein abstrakt umrissener Leistungserfolg, der je nach Art und Verknüpfung im Schuldverhältnis den Typus des betreffenden Schuldverhältnisses bestimmt. Die der Durchführung, Sicherung und För206

Auch Canaris muß im Rahmen seines „einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses" für den Eintritt in das Erfüllungsstadium wieder eine „Verdichtung des Schutzpflichtverhältnisses" feststellen, dazu schon kritisch oben III 2 c). 207 Vgl. schon Enneccerus-Lehmann §4112. 208 Ruhig (S. 330) hingegen sieht darin die Folge einer unzureichenden Rechtstatsachenforschung der Gesetzgeber zur gemeinrechtlichen Verschuldenshaftung. 209 Vgl. auch Kress, S. 375 f.: Nach Treu und Glauben könne der Schuldner die Art und Bewirkung der Leistung insoweit frei bestimmen, als er nicht gegen die Interessen des Gläubigers verstößt. Zutreffend weist Kress daraufhin, daß diese Selbstbestimmung des Schuldners bei einer Erfolgsleistung weiter reicht als bei einer Arbeitsleistung. Vgl. auch Stürner JZ 1976 S.390 unter D III; Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 6ΙΠ 2 (= S. 108 f.). 210 Vgl. z. B. §4331 BGB: Übergabe der Kaufsache und Eigentumsverschaffung.

IV. Leistungsbezogene Schutzpflichten

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derung des Leistungserfolges dienenden Schutzpflichten haben also die konkreten Verhaltensweisen zum Inhalt, die sich mit Rücksicht auf den vereinbarten Leistungserfolg tatsächlicher Umstände halber aus dem abstrakt gefaßten, gesetzlichen Vertragstypus herauskristallisieren, während die Hauptleistungspflicht, betrachtet man sie zu irgendeinem Zeitpunkt nach Vertragsschluß aus der Gläubigerperspektive, als der letzte Akt, die Verwirklichung des Leistungserfolges erscheint211.

b) Die Obhutspflicht des Sachschuldners Für einen Teilbereich der so gekennzeichneten Schutzpflichten haben die Gesetzgeber ihren Verzicht auf die Normierung konkreter Verhaltenspflichten im allgemeinen Leistungsstörungsrecht prägnant erklärt 212: „Der Regel des Entwurfs zu Folge war es überflüssig, besondere Vorschriften über die Haftung für custodia aufzunehmen. Es ist nach dem konkreten Schuldverhältnisse zu prüfen, ob dem Schuldner eine Verpflichtung zur Bewahrung oder Beaufsichtigung des Gegenstandes seiner Verpflichtung obliegt. Trifft dies zu, so hat er die ihm nach dem betreffenden Schuldverhältnisse obliegende Sorgfalt auch in der besonderen Richtung auf die Verwahrung (custodia) zu bethätigen; übrigens ist es, falls in einem Schuldverhältnis die Verpflichtung zur custodia überhaupt oder nur in Beziehung auf eine gewisse Gefahr besonders übernommen oder auferlegt wurde, Sache der Auslegung, den Sinn dieser Verpflichtung zu ermitteln." Der mittlerweile nicht mehr gebräuchliche Begriff der „custodia" bedarf zunächst der Erläuterung, aber auch der Einordnung in die heute geläufigen Kategorien der Nebenpflichten. Brinz 213 beschreibt die custodia als das „Hüten und Bewahren", den „Schutz von körperlichen Sachen gegen jede Gefährde"; sie sei nicht „blos Sicherung gegen das Abhandenkommen der Sache, den Verlust, sondern auch gegen deren Untergang und Beschädigung", überhaupt gegen alle Umstände, „die die Sache auf irgendeine Weise in ihrem Werth herabsetzen" oder sie dem Gläubiger entziehen. Diese Verpflichtung gelte nicht „blos da, wo Jemand lediglich custodiam übernimmt, sondern ebensowohl für den Fall, da Jemand neben ander211

Gemhuber (Schuldverhältnis S. 24) hingegen meint, in der Regel treffe den Schuldner keinerlei Pflicht, um seine Leistungsbereitschaft besoigt zu sein; es sei deshalb nutzlos und sachlich falsch, die Phase der Leistungsvorbereitung mit einem Bündel von Pflichten zu durchdringen. Diese Ansicht ist schwer nachzuvollziehen, zumal Gemhuber sogleich - und zutreffend - im Anschluß an seine Ausführungen feststellt, daß Fehler in der Leistungsvorbereitung sich notwendig in einer Leistungsstörung auswirken, deren Schadensersatzfolge die Interessen des Gläubigers wahren soll. Wenn aber aus Fehlem in der Leistungsvorbereitung eine Haftung erwächst, so muß dieser Haftung auch ein konkreter Verhaltenspflichtverstoß korrespondieren, mit einem abstrakten „Fehler" läßt sie sich kaum begründen. 212 Mugdan II Motive S. 15 zu § 224 des ersten Entwurfes. 2,3 Lehrbuch der Pandekten II, 1 (2. Aufl. 1879) § 268 (= S. 261 ff., insb. 261 f.)

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§ 3 Schutzpflichten

weitigen Leistungen ausdrücklich oder stillschweigend auch custodiam auf sich nimmt."214 In der custodia, deren Normierung den Verfassern des BGB überflüssig erschien, begegnet einem also die Schutzpflicht des Sachschuldners, den geschuldeten Gegenstand bis zur vollständigen Erfüllung, § 362 BGB aufzubewahren, zu schützen und pfleglich zu behandeln, um die vertragsgemäße Befriedigung des Erfüllungsinteresses des Gläubigers zu sichern215. c) Leistungspflicht,

Sorgfaltspflicht

und Sorgfaltspflichtverstoß

Die Sachschuld hatte für die Regelungen des Leistungsstörungsrechts im BGB Modellcharakter 216. Da sich der Inhalt aller denkbaren Schuldverhältnisse jedoch keinesfalls auf die Sachschuld beschränkt, erschöpfen sich die Schutzpflichten, die die Verwirklichung des Erfüllungsinteresses schützen sollen, auch nicht in der custodia. Diese steht zwar mit den Vertragstypen der Eigentums- bzw. Besitzübertragung oder -Überlassung217 im Vordergrund, es entstehen aber, je nach Art und Inhalt der Hauptleistungspflicht ganz verschiedene, der Erfüllung vorgelagerte Verhaltenspflichten, die nicht unbedingt Bezug zu einer Sachschuld aufweisen müssen218. Denn jede Verpflichtung zu einer positiven Leistung219 umfaßt notwendig ein Anstrengen der körperlichen, finanziellen, intellektuellen oder psychischen Kräfte. Was die im Schuldrecht des BGB im Vordergrund stehende Verpflichtung zu einem positiven Tun betrifft, so ist sie immer ein Überwinden auch äußerer Hindernisse, weil sie die gegebene Wirklichkeit, den status quo verändern soll und will. Keine schuldrechtliche Verpflichtung kann also von den Verhältnissen, die sie verändern soll, isoliert begriffen werden, sondern impliziert sachlogisch auch eine - wie auch immer geartete - Verpflichtung zu einem Verhalten, das zu dieser Änderung des status quo erst führt. Daß die Verpflichtung zur Erfüllung der Leistungspflicht dementsprechende Schutzpflichten des Schuldners mit sich bringt, die das Erfüllungsinteresse des Gläubigers schützen, war schon vom Redaktor des Vorentwurfes zum Schuldrecht, 214

Ebenda S. 264. Windscheid (Pandekten II, 7. Aufl. § 265 = S. 54ff. i. V. m. Fn.2) formuliert kürzer: „Den Gegensatz zur culpa im technischen Sinne bezeichnet der Ausdruck diligentia. Eine besondere Art der diligentia bildet die custodia; custodia ist die auf Schutz einer Sache gerichtete diligentia." 215 Zu dieser Verpflichtung vgl. bsp. Staudinger-Schmidt, § 242 Rn 863 ff. mit zahlreichen Nachweisen der Rechtsprechung; vgl. auch die Fallbeispiele unten § 7 II 2 und 3 sowie § 8115 c). 216 Vgl. schon oben § 1 II 1). 217 Z.B. in den §§433, 533,581,688 BGB. 218 Z.B. §665 BGB. 219 Zu den Besonderheiten der Unterlassungspflichten eingehend unten §9 II ff.

IV. Leistungsbezogene Schutzpflichten

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220

Philip von Kübel, genau erkannt worden : „In der Verpflichtung zur Erfüllung liegt zugleich die Verpflichtung zur Aufwendung des nöthigen Fleißes, der nöthigen Achtsamkeit und Sorgfalt, und in diesem Sinne ist die Verpflichtung eine doppelte, nämlich eine äußere zu einem gewissen Thun oder Lassen und eine innerliche, zur Anspannung des Willens und der Kraft, welche dieses Thun oder Lassen erheischt." Welches Verhalten nun im einzelnen notwendig, welche die Leistung vorbereitenden und sichernden Schutzpflichten den Schuldner im einzelnen treffen, konnte - wie oben dargelegt - nicht erschöpfend vorherbestimmt werden; es kommt insoweit ganz auf die Umstände des einzelnen Falles, auf die gegebenen Verhältnisse an. Dementsprechend haben auch die Verfasser des ersten Entwurfes des BGB bei der Normierung des § 224, an dessen Stelle letztlich die §§ 276, 157, 242 BGB getreten sind, diesbezüglich Zurückhaltung geübt: „Es ist weder dem Gesetz noch für die Regel dem Geschäftsverkehr möglich, den Umfang und Inhalt einer Schuldnerverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben; vollständig läßt sich der Inhalt einer Leistungsverbindlichkeit nur im konkreten Fall erkennen."221 Sie nahmen an, durch die Regelung des § 359 im Allgemeinen Schuldrecht 222 könne „vielfach bei der durch den Entwurf vorgenommenen Normierung der einzelnen Verträge spezielle Vorschriften über die aus denselben für die eine oder andere Partei sich ergebenden Verpflichtungen entbehrt werden, während, wo es nöthig oder besonders wünschenswert erscheinen mußte, im Einzelnen die kontraktlichen Verpflichtungen näher aufgeführt werden (z.B. §462 223 , vgl. §301 224 ) oder auf die Regel besonders verwiesen wird." Wenn die Verfasser des BGB es auch abgelehnt haben, das dem Schuldner zur Erfüllung der Leistung obliegende Verhalten näher zu beschreiben, so gibt das BGB doch den Leitgedanken, aus dem im Einzelfall diese Entscheidung zufinden ist. Es ist dies nicht nur der das Wie der Leistung beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben, sondern es ist konkreter die Verkehrssitte, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt des § 2761 BGB; der Maßstab der Zurechnung, nach dem zu entscheiden ist, welches Verhalten der Schuldner nach den Umständen des einzelnen Falles zum Zwecke der jeweiligen, durch den Vertragstyp bestimmten Leistung zu beobachten hat. Anschaulich weiß Kress das Verhältnis des § 2761 BGB zur Hauptleistungspflicht, den Schutzpflichten und der sekundären Haftung auszudrücken225: Mit der Feststellung des Gegenstandes der Leistung sei der Inhalt der Schuld noch nicht erschöpft, es bliebe die Frage, welches Maß geistiger, körperlicher und wirtschaftli220 221 222 223 224 225

Vorentwurf zum Schuldrecht: Begründung zu Abschnitt I, Titel 3, §§ 196, 198 (S.6). Mugdan II Motive S. 14. §242 BGB. §462 E I = §444 BGB. § 301 E I = §§396, 397 BGB. Kress, S. 401.

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§ 3 Schutzpflichten

cher Kraft der Schuldner zur Erfüllung der Schuld einsetzen müsse. Das sei die Frage nach der „Spannung der Schuld", gemäß der Ausdrucksweise des BGB die Frage, inwieweit der Schuldner die dauernde oder vorübergehende Nichterfüllung der Leistung (Unmöglichkeit oder Verzug) „zu vertreten habe". Der Schuldner habe Sorgfalt zu beobachten, in der Regel die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, § 2761 BGB; nach dem Grade der Sorgfalt sei die Spannung der Schuld zu bemessen, die Verletzung der Sorgfaltspflicht sei Verschulden. Diese Beobachtung der Sorgfalt sei dem Schuldner aber nicht als selbständige Leistungspflicht auferlegt, sondern zur Vermeidung der Schärfung der Schuld durch die sekundäre Verpflichtung zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens oder die Erweiterung seiner primären Verpflichtung durch die sekundäre Verpflichtung zum Ersatz des Verzugsschadens. Die vertraglichen Schutzpflichten sind also mit der objektiven Sorgfaltspflicht des § 2761 BGB identisch, ihre schuldhafte Verletzung, die zum sekundären Schadensersatzanspruch führt, beinhaltet deswegen immer auch schon den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß 226. Ihre Funktion besteht darin, dem Leistungsanspruch korrespondierende Verhaltensanforderungen aufzustellen, an die im Falle ihrer schuldhaften Nichtbeachtung zur Begründung der sekundären Haftung angeknüpft werden kann. Die Erkenntnis, daß die so verstandenen Pflichten ihre Bedeutung in der Begründung des sekundären Schadensersatzanspruches haben, klingt auch schon bei Siber 227 an. Er führt aus, es gäbe „keine Verpflichtung, bei deren Erfüllung der Schuldner nicht ein gewisses Maß an Sorgfalt anzuwenden hätte", die Sorgfalt sei „eine Eigenschaft des Verhaltens, das die Erfüllung konkreter Verbindlichkeiten herbeizuführen sucht." Siberfindet hinter der Diligenzpflicht verschiedene, die Erfüllung vorbereitenden Nebenpflichten 228 zur Erhaltung229 sowie zur Anzeige und Untersuchung230, die er als Rechtsbedingung der sekundären Ersatzpflicht betrachtet231. Da Siber noch nicht hinreichend zwischen den Leistungspflichten und den sie begleitenden Schutzpflichten unterscheidet, begründet er die Haftung aber mit der „endgültigen oder 226 So auch Rust, S. 168; Sutschet, III2b); vgl. auch Kress, S. 8: Ohne die Zuhilfenahme der vertraglichen Schutzpflichten sei über Vorschriften wie §§276ff., 521, 599, 690, 708 BGB, nach denen die am Schuldverhältnis Beteiligten bestimmte Verschuldensgrade zu vertreten haben, keine volle Klarheit zu gewinnen; der Beteiligte habe dem anderen nicht etwa für die Folgen jedes schuldhaften Verhaltens einzustehen, sondern nur für die schuldhafte Verletzung der sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Pflichten. 227 Rechtszwang S. 171, 176; vgl. auch später in Planck, Vorb. §§275-292, Anm.I3b-d (= S. 185 ff.). 228 Zutreffend wendet sich Siber (in Plank, Vorb. zu §§ 275-292 BGB Anm. 13 d = S. 189) deshalb gegen eine abstrakte, übergreifende Bezeichnung als „Sorgfaltspflichtverstoß". 229 Siber in Plank, ebenda unter Anm.I3b (= S. 185ff.). 230 Ebenda S. 187 f. 231 Rechtszwang, S. 175, 180.

IV. Leistungsbezogene Schutzpfichten

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232

zeitweiligen Nichterfüllung" der Nebenpflicht, die zu „Verzug ohne Mahnung"233 allein in bezug auf die Nebenpflicht führe, da er auch den Inhalt der Nebenpflichten in einem Bekommensollen des Gläubigers sieht. Daß dies nicht der Fall ist, weil diese Schutzpflichten lediglich unselbständig der Erbringung der Hauptleistung dienen, ist schon oben gezeigt worden. Richtig und entscheidend ist jedoch die Sonderung dieser Pflichten von der Hauptleistungspflicht, ihre Kennzeichnung als Anknüpfungspunkt für die sekundäre Schadensersatzhaftung und die Klarstellung, daß das „Vertretenmüssen" des § 2761 BGB zur Begründung der Haftung einen objektiven Bezugspunkt braucht, nämlich eine konkrete Verhaltenspflicht des Schuldners.

3. Die Einheitlichkeit integritätswahrender und erfüllungsschützender Nebenpflichten Der objektive Bezugspunkt aber, an den sich jede sekundäre Verpflichtung auf Schadensersatz knüpft, die Verhaltenspflicht, mit deren schuldhafter Verletzung die Haftung begründet wird, ist immer eine Schutzpflicht 234. Die jeweilige Schutzpflicht kann dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen, sie kann aber auch zum Schutz des Integritätsinteresses bestehen.

a) Terminologische Einheitlichkeit In der Literatur wird freilich überwiegend von „leistungssichernden" oder „leistungsbegleitenden" Nebenpflichten gesprochen235, sobald die jeweiligen Pflichten nicht nur den Schutz des Integritätsinteresses bezwecken, sondern die Wahrung des Erfüllungsinteresses der Vertragspartner betreffen. Diese sprachliche Trennung von den integritätsbezogenen Schutzpflichten ist indes inkonsequent und irreführend, denn sie suggeriert eine grundsätzliche und strukturelle Verschiedenheit der so gekennzeichneten Nebenpflichten auf Kosten der Klarstellung ihrer übergreifenden Gemeinsamkeiten. Unterschiede können lediglich das Schutzgut betreffen, die Frage, ob die konkrete Pflicht dem Schutz des Erfüllungs- oder des Integritätsinteresses dient. Implizit schwingt diese Erkenntnis der gleichartigen Ausrichtung der Nebenpflichten auf Schutz der Güter und des Interesses mit, wenn von „leistungssichernden Neben232 233 234 235

Siber in Planck, S. 185, 187 unter Anm. bb). Ebenda S. 188. Ausnahmen sind freilich die Fälle der Garantiehaftung. Siehe die Nachweise oben in Fn.200ff.

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§ 3 Schutzpflichten

pflichten" gesprochen wird, und es liegt deshalb nahe, die „Sicherung" sprachlich zutreffend zum „Schutz" zu präzisieren 236. Die Benennung als „leistungsbegleitend" oder „leistungsbezogen" kann zwar verdeutlichen, daß diese Pflichten notwendig in Verbindung mit einer Hauptleistungspflicht stehen, muß jedoch die Erklärung schuldig bleiben, worin diese Verbindung zur Hauptleistungspflicht besteht. Denn diese Pflichten begleiten und flankieren die Hauptleistungspflicht nicht ohne Sinn und Zweck, sondern um zu gewährleisten, daß die von den Vertragspartnern vereinbarte Leistung bewirkt und ihre Gefährdung verhütet wird 237, mithin zum Schutz des Erfüllungsinteresses. b) Inhaltliche und strukturelle

Übereinstimmungen

Doch nicht nur die Schutzrichtung ist diesen Schutzpflichten gemeinsam, sondern auch ihre grundsätzliche Struktur, die ihnen zugrundeliegende Wertung und häufig stimmen auch ihre inhaltlichen Anforderungen an das Verhalten des Pflichtigen überein. So kann das inhaltlich gleiche Verhalten des Schuldners sowohl dem Integritätsais auch dem Erfüllungsinteresse dienen, beispielsweise bei einer Aufklärungspflicht. Die Aufklärung über Eigenschaften, die richtige Verwendung und etwaige Gefahren des Leistungsgegenstandes mag zum einen dem Gläubiger erst die zweckentsprechende Nutzung ermöglichen, zugleich aber auch verhüten, daß durch den Leistungsgegenstand Gefährdungen oder Beschädigungen seines vorhandenen Güterbestandes verursacht werden238. Bleibt man bei diesem Beispiel, läßt sich gut nachvollziehen, daß auch die Wertung der Interessen der Vertragsparteien von der den gesetzlich normierten Schutzpflichten zugrundeliegenden Wertung nicht abweicht. Für die gesetzlich normierten relativen Schutzpflichten war festgestellt worden, daß diese regelmäßig einer besonderen Einwirkungsmöglichkeit des einen Vertragspartners auf die Güter oder Interessen des anderen Vertragspartners durch Statuierung besonderer Verhaltensanforderungen vorbeugend Rechnung tragen; insbesondere, wo Besitz und Eigentum in ihrer Zuordnung auseinanderfallen. 236 Exemplarisch zeigt sich diese Deckungsgleichheit der Nebenpflichten trotz ihrer unterschiedlichen sprachlichen Erfassung bei Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 464 (der gleichwohl zwischen den integritätsbezogenen „Schutzpflichten", ebenda Rn 484 ff. und den übrigen Nebenpflichten trennt): „Neben den Hauptpflichten können in einem Vertragsverhältnis Nebenpflichten bestehen, die dazu dienen, eine vertragsgemäße Vertragsdurchführung zu gewährleisten. Die Nicht- oder Schlechterfüllung der Nebenpflichten führt dann zu einer Schlechterfüllung der gesamten Vertragsdurchführung. Schutzgegenstand der Nebenpflichten sind insbesondere das Erfüllungsinteresse, das Verwendungsinteresse sowie das Interesse, bei der Vertragsdurchführung keine Begleit- oder Folgeschäden am sonstigen Vermögen zu erleiden." 237 Diese Ausrichtung wird auch durchweg betont, vgl. ζ. B. Soergel-Teichmann, § 242 Rn 133. 238 Zu den Überschneidungen auch noch unten IV 3 b).

IV. Leistungsbezogene Schutzpflichten

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Nicht anders ist es bei den Schutzpflichten, die die Durchführung und Erfüllung der Hauptleistungspflicht begleiten. Solange der Leistungsgegenstand dem Gläubiger noch nicht übergeben ist, liegt dieses Auseinanderfallen der Zuordnung vor, sogar mit der Besonderheit, daß die Zuordnung des Gegenstandes noch nicht dinglich abgesichelt, sondern erst schuldrechtlich vereinbart worden ist. Verletzt der Schuldner seine Schutzpflicht, spiegelt sich für den Gläubiger dieser Unterschied jedoch nur in der Art der Schädigung seines Interesses wieder, nämlich darin, ob sein Integritäts- oder Erfüllungsinteresse beeinträchtigt wird. Aber auch, wo sich die besondere Einwirkungsmöglichkeit nicht daraus ergibt, daß sich der Leistungsgegenstand noch in der Einflußsphäre des Schuldners befindet, kann sich die Einwirkungsmöglichkeit auf das Vermögen des Gläubigers z.B. daraus ergeben, daß der Schuldner ein dem Gläubiger überlegenes und von diesem zur zweckgerechten Verwendung und Nutzung benötigtes Wissen über den Gegenstand der Leistung hat. Der Schuldner ist daher zur Aufklärung, Beratung und Förderung verpflichtet, damit die Befriedigung des Erfüllungsinteresses gewährleistet ist: Geschützt ist damit das Vermögen des Gläubigers vor Schaden, Schaden ist aber auch die unterlassene Vermehrung des Vermögens durch den Gläubiger selbst239. Ein dritter, die gesetzlich normierten Schutzpflichten tragender Wertungspunkt war der, daß der eine Vertragspartner dem anderen seinen Rechtskreis öffnet. Auch hier stimmen die Wertungen zu den die Leistung betreffenden Schutzpflichten überein, denn mit der schuldrechtlichen Vereinbarung gegenseitiger Leistungen geht notwendig eine Öffnung des Rechtskreises der Vertragspartner einher. Daß die Schutzpflichten angesichts dieser Rechtskreisöffnung nicht nur den bereits vorhandenen Güterbestand schützen sollen, sondern erst recht auch den angestrebten, zukünftigen Vermögensstand nach der Güterbewegung, ist naheliegend, denn gerade das Erfüllungsinteresse ist doch regelmäßig das vorrangige Interesse des Gläubigers, der lediglich begleitend erwartet, durch oder anläßlich der Erfüllung nicht in seinem Integritätsinteresse verletzt zu werden. Auch in der grundsätzlichen Struktur der Schutzpflichten, die dem Schutz des Integritätsinteresses dienen und denen, die den Schutz des Erfüllungsinteresses bezwecken, besteht Deckungsgleicheit. Zunächstfinden beide ihren Rechtsgrund in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertrag. Für die leistungsbezogenen Schutzpflichten liegt das auf der Hand, denn sie ergeben sich aus dem Leistungsversprechen der Vertragspartner und dem gemeinsam vereinbarten Zweck; für die integritätsbezogenen Schutzpflichten ist diese Frage schon eingehend oben behandelt worden. Die vielfach postulierte Einheitlichkeit der Schutzpflichten 240 besteht also nicht in der einheitlichen gesetzlichen Begründung der Schutzpflichten im Gegensatz zur vertraglichen Begründung der übrigen Nebenpflichten, sondern genau zur anderen, der vertraglichen Seite hin: 239 240

Vgl. §252 BGB. Vgl.z.B.obenIIl,3).

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§ 3 Schutzpflichten

Die Schutzpflichten haben ihre Herkunft regelmäßig in dem zwischen den Parteien begründeten Vertragsverhältnis oder dessen Anbahnung. Ebenso einheitlich ist auch ihre Funktion als haftungsbegründend; ihre Verletzung impliziert den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß des Schuldners und führt im Falle des Verschuldens gemäß § 2761 BGB deshalb zur Haftung auf Ersatz des entstandenen Schadens, gleichviel ob eine erfüllungs- oder integritätsbezogene Nebenpflicht verletzt ist241. Insofern dienen auch alle derartigen Schutzpflichten dem Schutz der Vertragspartner durch die Drohung eben dieser Entwicklung zum sekundären Schadensersatzanspruch; vorher korrespondieren den Schutzpflichten jedoch lediglich unentwickelte Ansprüche des Gläubigers, da dieser grundsätzlich nicht die Beachtung des jeweiligen Verhaltens als solches verlangen kann242.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten 1. Einteilung und Terminologisches Erfüllungsschützende und integritätsschützende Schutzpflichten sollten wegen ihrer Gemeinsamkeiten in Struktur, Inhalt und Schutzzweck übergreifend und umfassend als Schutzpflichten gekennzeichnet werden. Wenig sinnvoll hingegen ist es, allgemein von „Sorgfaltspflichten" zu sprechen243, denn es ist zwar richtig, daß sorgfältiges Leisten geschuldet wird, die „Sorgfalt" bringt aber nichts über das konkret geschuldete Verhalten zum Ausdruck, sondern betrifft nur den Haftungsmaßstab. Aber auch die Bezeichnung als „weitere Ver241 Nicht zu den Schutzpflichten zählt deshalb die Pflicht zur mangelfreien Lieferung beim Spezieskauf, denn die Lieferung einer fehlerhaften Sache kann zwar auf einem objektiven Sorgfaltspflichtverstoß beruhen, dies ist aber nicht zwingend. Diese Pflicht ist als Leistungspflicht zu verstehen, sie ist Bestandteil des genetischen Synallagmas zur Sicherung des Äquivalenzinteresses. Ihre Nichterfüllung ist grundsätzlich mit den Rechtsbehelfen der Wandlung und Minderung (sowie der Nacherfüllung beim Gattungskauf) sanktioniert, ein etwaiger Verschuldensvorwurf auf Verkäuferseite ist dabei unbeachtlich. Ein solcher Haftungsgrund, der den Schadensersatzanspruch begründet, ist aber gegeben, wenn die Nichterfüllung der Leistungspflicht zu mangelfreier Lieferung ihrerseits auf eine Schutzpflichtverletzung zurückzuführen ist; beispielsweise auf die fehlende Untersuchung der Kaufsache, ihre nicht sorgfältige Konkretisierung aus der Gattung, oder auch die Verletzung der Obhutspflicht nach Vertragsschluß; vgl. eingehend dazu Rust, §314; §71 l b und in MDR 1998 S.947ff. Kress, S.580 i. V. m. Fn.7 formuliert, der Schuldner habe die sog. Schlechterfüllung zu vermeiden und einen daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 242 Eingehend dazu sogleich unten VI. 243 Dagegen wendet sich schon Siber, vgl. oben Fn.229; siehe auch Wolf in AcP 153 S.97, 112; Larenz S. 10; Gernhuber, Schuldverhältnis S.23.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

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haltenspflichten" 244 ist ohne Aussagekraft, denn auch die Hauptleistungspflicht zielt ja auf ein bestimmtes Schuldnerverhalten und ist damit zugleich Verhaltenspflicht 245; der spezifische Sinn der Schutzpflichten ist aber ein anderer und steht gerade im Gegensatz zu der Hauptleistungspflicht, was allein durch den sprachlichen Zusatz „weitere" kaum zum Ausdruck gebracht werden kann. Ähnlich liegt es bei der übergreifenden Bezeichnung als „Treuepflichtverletzungen"246. Wie die „Verhaltenspflichten" hat auch dieser Terminus keinerlei spezifischen Aussagegehalt; zudem gibt er Anlaß zu Mißverständnissen, weil der Treuegedanke nicht nur die Nebenpflichten, sondern das ganze Schuldverhältnis beherrscht 247. Der Begriff der Schutzpflichten hingegen verdeutlicht den gemeinsamen Zweck der Nebenpflichten und bietet gleichzeitig Raum sowohl für erfüllungs- als auch für integritätsbezogene Nebenpflichten, indem er weder einseitig die Verpflichtung betont, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu sichern, noch verengend nur auf die Erhaltung vorhandener Rechtsgüter abzielt. Die Einteilung und Darstellung der so gekennzeichneten Schutzpflichten in der Literatur ist denkbar uneinheitlich. Häufig findet sich die Anknüpfung an das konkret geschuldete Verhalten des Pflichtigen 248. Ob die Schutzpflicht indes als Obhutsoder Untersuchungs, als Aufklärungs-, Anzeige-, Mitwirkungs- oder Auskunftspflicht, als Aufbewahrungs- oder Erhaltungspflicht zu bezeichnen ist, stellt sich nur als Frage der gliedernden Inhaltsbestimmung dar, nicht aber als Systemstruktur. Schon an der Möglichkeit, daß eine Schutzpflichtverletzung zugleich das Integritäts- und das Erfüllungsinteresse betreffen kann, zeigt sich, daß eine Zuordnung der Schutzpflichten nicht nach dem Inhalt der konkreten Pflicht, sondern nur anhand der Zweckrichtung in Bezug auf das geschützte Interesse erfolgen kann. Die Anknüpfung an den Inhalt der Schutzpflicht ist bei näherem Hinsehen aber auch in sich durchaus nicht unproblematisch, wie der Versuch249 zeigt, Aufklärungspflicht und Auskunftspflicht begrifflich exakt voneinander zu scheiden: Die Aufklärungspüicht sei die Pflicht, den anderen Teil spontan über erkennbar entscheidungserhebliche Umstände zu informieren, die diesem verborgen geblieben sind. Die Betrachtung sei retrospektiv, es gehe immer um Informationen, an denen der andere Teil sein früheres Verhalten ausgerichtet hätte. Bei der Auskunftspfücht hingegen gehe es immer um Informationen, nach denen der andere sein künftiges Verhalten bestimmen will. 244

So Larenz S.9f., dem zustimmend beispielsweise Gemhuber, Schuldverhältnis S.23. Das sieht auch Larenz selbst, vgl.S. 10 i.V.m. Fn.5. 246 Vgl. Kopeke S. 66; Erman-Wemer, § 242 Rn 61. 247 Zu weiteren Bezeichnungen vgl. Staudinger-Schmidt, Einl. zu§241ff. Rn311. 248 Exemplarisch Stephan S. 114ff.; vgl. auch Bruggner-Wolter S. 22f.; Soeigel-Wiedemann, vor § 275 Rn 464ff.; MüKo-Roth, § 242 Rn 167 ff. 249 MüKo-Roth, § 242 Rn 210. 245

8 Kuhlmann

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§ 3 Schutzpflichten

Diese Unterscheidung mag assoziativ nachvollziehbar sein, das Gesetz kennt sie jedoch in dieser Konsequenz nicht und auch der Sprachgebrauch - sowohl der natürliche als auch der fachlich aufbereitete 250 - verwendet beide Begriffe synonym. Vollends undurchführbar wird diese Unterscheidung, wenn der Aufklärungspflicht die Beratungspflicht gleichgestellt wird 251 , denn bei der Beratung geht es zweifellos um Informationen, nach denen der andere Vertragsteil „sein künftiges Verhalten bestimmen will", es besteht also eine inhaltliche Deckungsgleichheit gerade zu der der Aufklärungspflicht entgegengesetzten Auskunftspflicht. Ähnlich liegt es bei dem Ansatz, eine Typenbildung der Schutzpflichtverletzungen vorzunehmen252. Denn zum Kriterium der Typenbildung wird das verletzende Verhalten des Schuldners und damit letztlich auch hier wieder der Inhalt der verletzten Pflicht 253. Wo jedoch nicht an den Inhalt der jeweiligen Schutzpflicht angeknüpft wird, sondern davon unabängige Systematisierungen vorgenommen werden 254, kann über den Sinn und die Berechtigung dieser Einteilungskriterien nicht gut gestritten werden, soweit und solange sie nur konsequent durchgehalten werden. Notwendig ist es aber in jedem Fall, zwischen dem Schutz des Erfüllungsinteresses und dem Schutz des Integritätsinteresses zu unterscheiden, mithin zu differenzieren, ob die schuldhafte Nichtbeachtung der Schutzpflicht das positive Interesse des Gläubigers oder sein negatives Interesse verletzt.

2. Schutz des Integritätsinteresses Über die Existenz, die Berechtigung und die Funktion der Schutzpflichten, die dem Schutz der bereits vorhandenen Rechtsgüter und Interessen der Vertragspartner dienen sowie über die Rechtsfolgen ihrer Verletzung besteht weitgehende Einigkeit. Diese Akzeptanz mag nicht zuletzt daran liegen, daß vordergründig eine gewisse Ähnlichkeit zum Deliktsrecht besteht, die aus der inhaltlichen Ähnlichkeit mancher Schutzpflichten mit den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten und aus dem gemeinsamen Schutzzweck herrührt.

250 Vgl. nur „Der grosse Duden" (Bd. 2,6. Aufl. 1970), Stichwort »Auskunft" einerseits: a) aufklärende Mitteilung, Unterrichtung, Antwort auf eine Anfrage, (...) und Stichwort «Aufklärung" andererseits: 2.) Aufschluß, Auskunft, Unterrichtung, (...). 251 MüKo-Roth, § 242 Rn 210 a. 252 So der Versuch von Köpcke, S. 30ff., 65ff. 253 Zutreffend ist deshalb die Kritik bei Ruhig S. 363 f. 254 Vgl. zum Beispiel einerseits die Einteilung von Wiedemann in Soergel, vor § 275 Rn 373 ff. (Übersicht auf S. 703ff.) und Emmerich in MüKo andererseits, vor § 275 Rn 226ff. (Übersicht auf S. 664f.); ganz anders wiederum Kramer in MüKo, § 241 Rn 12ff., insb. Rn 14, 19.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

a) Besonderheiten der integritätswahrenden

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Schutzpflichten

Die integritätsbezogenen Schutzpflichten weisen mehrere Besonderheiten auf. Auffällig ist zunächst, daß bei diesen Schutzpflichten die „Polarität" im Sinne einer Verteilung der Gläubiger und Schuldnerrrolle nicht notwendig von vorneherein feststeht. Es zeigt sich damit auch wieder, daß § 241 BGB die Schutzpflichten nur unzulänglich erfassen kann, denn diese Vorschrift geht von einer Polarität zwischen Gläubiger und Schuldner aus. Es gibt zwar regelmäßig wechselseitige Verpflichtungen, aber in Bezug auf eine bestimmte Pflicht steht von vorneherein fest, wer Gläubiger ist und wer Schuldner. So kann nur der Verkäufer die Preiszahlung und nur der Käufer die Lieferung des Kaufgegenstandes verlangen. Das verhält sich bei den Schutzpflichten anders, denn zum einen braucht dort die Polarität nicht mit derjenigen der Leistungspflicht übereinstimmen, vielmehr haben der Schuldner wie der Gläubiger gleichermaßen ihr Verhalten so einzurichten, daß die bei der Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehung berührten Interessen und Güter des anderen Teiles nicht verletzt werden255. Zum anderen aber ist die Entstehung von Schutzpflichten vielfach situationsgebunden, erst aus der konkreten Situation ergibt sich nicht nur die Pflicht selbst, sondern auch die Zuweisung der Gläubiger- und der Schuldnerrolle. Das führt zu einer weiteren Besonderheit, denn Gläubiger und Schuldner der Schutzpflicht brauchen nicht notwendig identisch zu sein mit den Parteien der Leistungsbeziehung. Gerade in der so ermöglichten Einbeziehung Dritter in das Schutzpflichtverhältnis tritt wohl am deutlichsten dessen Verselbständigung gegenüber der Leistungspflicht zutage256. Auf der einen Seite können Dritte als Berechtigte in den Schutzbereich als Schutzpflichtgläubiger einbezogen sein, auf der anderen Seite kommt auch eine Eigenhaftung von Personen in Betracht, die in den geschäftlichen Kontakt einbezogen sind, ohne selbst Vertragspartner zu sein. Die Eigenhaftung Dritter aus Schutzpflichtverletzung und die Einbeziehung Dritter ist ein wichtiger Teilbereich einer Erscheinung, die häufig unter dem Oberbegriff der „Schutzpflichten ohne Leistungspflicht" angesprochen wird 257. Doch nicht nur die Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und die Schutzpflichten bei Vertragsnichtigkeit zählen zu den Schutzpflichtverhältnissen ohne Leistungspflicht, sondern auch der Bereich der culpa in contrahendo258. Hier fehlt die 255 256

Kress, S. 582 Den Schutzanspruch zugunsten Dritter behandelt Sutschet in seiner gleichnamigen Ar-

beit. 257

Vgl. zum Beispiel Larenz, §9. Dieses Phänomen der Schutzpflicht ohne Leistungspflicht ist einer der Gründe für die Versuche, die Schutzpflicht nicht nur von der Leistungspflicht zu lösen, sondern vom ganzen Vertrag. 258 Wenn - wie im Verhandlungsstadium - Leistungspflichten noch ganz fehlen, paßt die eng verstandene, an eine Leistungspflicht angelehnte Definition des Schuldverhältnisses gemäß



116

§3 Schutzpflichten

Leistungspflicht nicht nur im Verhältnis zwischen bestimmten Personen, sondern sie fehlt völlig, da sie ja erst durch den Vertragsschluß begründet werden soll. Ob schließlich eine solche Leistungspflicht begründet wird, ist aber für die Haftung wegen einer Schutzpflichtverletzung unerheblich, denn die Haftung aus Schutzpflichtverletzung ist unabhängig von der Leistungspflicht. Ein weiteres folgt aus der Trennung von der Leistungspflicht. Die integritätswahrenden Schutzpflichten sind anders als die Leistungspflicht nicht auf Erfüllung gerichtet259, sondern auf Beachtung; sie dienen nicht der Güterbewegung, sondern dem Güterschutz. Deshalb sollte auch der Sprachgebrauch dahin gehen, der Nichterfüllung der Leistungspflicht die Verletzung oder Nichtbeachtung der Schutzpflicht gegenüberzustellen260, die Unterschiede zwischen beiden Pflichtenkomplexen aber nicht dadurch terminologisch zu verwischen, daß von der „Nichterfüllung einer Schutzpflicht" gesprochen wird 261. Die schuldhafte Verletzung der integritätswahrenden Schutzpflicht durch ihre Nichtbeachtung führt zur sekundären Haftung des Pflichtigen auf das negative Interesse, zu ersetzen ist das Interesse des Geschädigten am Nichteintritt der Verletzung. Ihre Verletzung bleibt jedoch folgenlos, wenn die Nichtbeachtung der Schutzpflicht zu keiner Beeinträchtigung des geschützten Interesses und daher zu keinem Schaden geführt hat. b) Inhalt der integritätswahrenden

Schutzpflichten

aa) Übergreifende Beschreibungen Die beschreibende Formulierung der integritätswahrenden Schutzpflichten ist angesichts ihrer Vielgestaltigkeit notwendig abstrakt. Häufig wird zur übergreifenden Kennzeichnung deshalb auf unbestimmte Formeln zurückgegriffen, etwa in der Weise, je nach der besonderen Art und Intensität der schuldrechtlichen Verbindung bestünden Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme, bei deren Verletzung eine Schadenshaftung nach Vertragsrecht in Frage komme262; die Parteien treffe eine Pflicht zu redlichem Verhalten263; jeder Partner habe sich so zu verhalten, daß er unter Beachtung der gebotenen Sorgfaltspflicht nicht wesentliche schutzwürdige ma§ 241 BGB nicht. Man spricht daher in solchen Fällen statt von einem „Schuldverhältnis" vielfach umfassend von einer „Sonderverbindung" (vgl. ζ. B. Picker in AcP 183 S. 369 ff.). Damit soll ausgedrückt werden, daß zwischen den Beteiligten eine rechtliche Verbindung besteht, die über das allgemein geltende Deliktsrecht hinausgeht. 259 Vgl. auch Larenz, S. 13 und Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 6IV (= S. 110). 260 In diesem Sinne auch Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101, 119; vgl. auch den Abschlußbericht der Kommission auf S. 130. 261 Diese Trennung wird vielfach nicht konsequent durchgehalten. 262 BGH in W M 1969 S. 247. 263 BGH in NJW 1980 S. 180.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

117

264

terielle und immaterielle Schutzgüter des anderen verletze ; die Beteiligten hätten sich so zu verhalten, daß dem Partner kein vermeidbarer Schaden entstehe265. Kress formuliert, daß der Schuldner wie der Gläubiger ihr Verhalten so einzurichten haben, daß die bei der Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehung berührten Güter und Interessen des anderen Teiles nicht verletzt werden266, für den Einzelfall könne die Entscheidung aber letzten Endes nur nach Treu und Glauben getroffen werden267. E. Schmidt268 versucht eine Verdeutlichung in der übergreifenden Beschreibung dieser Schutzpflichten zu erreichen, indem er von einer generellen „Verpflichtung zur Gutleistung" im Sinne einer integritätswahrenden Schulderfüllung spricht; diese Kennzeichnung ist jedoch wegen der naheliegenden Verwechslung mit der Pflicht des Verkäufers zur mangelfreien Lieferung, die als solche gerade keine Schutzpflicht darstellt, wenig glücklich gewählt. Wichtig ist zur inhaltlichen Erfassung der Nebenpflichten, die den Schutz der vorhandenen Rechtsgüter der Vertragspartner bezwecken, zunächst die grundsätzliche Unterscheidung zwischen zwei Situationen, nämlich zwischen der Schutzpflichtverletzung durch die Leistung und der Schutzpflichtverletzung bei Gelegenheit der Leistung. bb) Schutzpflichtverletzung durch Leistungserbringung Auf der einen Seite stehen daher die Schutzpflichtverletzungen, die durch die Erbringung der vereinbarten Leistung entstehen, d.h. Verhaltensweisen zum Inhalt haben, die mit dem jeweiligen vertragsspezifischen Leistungsinhalt unmittelbar im Zusammenhang stehen. Der Schuldner hat die sogenannte Schlechterfüllung zu vermeiden269; da die so entstehenden Schutzpflichten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leistungsinhalt stehen, werden die einzelnen, zum vorbeugenden Schutz erforderlichen Verhaltensweisen durch den jeweiligen Vertragsinhalt entscheidend geprägt. Es entstehen so vor allen Dingen am Leistungsinhalt ausgerichtete Aufklärungs- und Untersuchungspflichten270, aber auch Obhutspflichten und Pflichten zur sorgfältigen Konkretisierung (§ 243 BGB), Auswahl oder Produktion. 264

LG Dortmund in W M 1981 S.280,282. OLG Düsseldorf in W M 1977 S.545, 547. 266 Kress, S. 582. 267 Ebenda; vgl. die Auslegungsgrundsätze S.580f., dazu oben I4f); vgl. auch III 2d). 268 In Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 29 III2 a, 5 b (= S. 146,152). 269 Kress, S. 580 i.V.m.Fn.7. 270 Wo die Information nicht erst nach, sondern nach Sinn und Zweck schon vor Vertragsschluß dem Vertragspartner mitzuteilen ist, liegt eine Überschneidung mit dem Bereich der culpa in contrahendo vor; vgl. dazu auch Kress, S. 583 und MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 285. 265

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§ 3 Schutzpflichten

Grundsätzlich muß derjenige, von dem die Gefahr ausgeht, dafür Sorge tragen, daß sie sich nicht realisiert, also kein Schaden beim Partner eintritt. Da viele Gefahren ihre Drohung verlieren, wenn sie bekannt sind, konkretisiert sich das erforderliche Verhalten häufig darin, daß der Pflichtige lediglich auf eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Umstand aufmerksam und die Gefahr damit für den anderen kalkulierbar machen muß. Wo der Leistungsinhalt die Verschaffung, Überlassung oder Aufbewahrung eines körperlichen Gegenstandes betrifft, geht es bei den Aufklärungspflichten zum einen um die Beschreibung des Gegenstandes selbst, um Hinweise für die Verwendungsfähigkeit und deren sachliche Voraussetzungen, vor allem aber auch um die Aufklärung über Risiken, also Tatsachen, die den Verwendungszweck beeinträchtigen und zur Gefährdung der Rechtsgüter des Vertragspartners führen können271. Vor diese Verpflichtung des Vertragspartners zur Aufklärung über solche Umstände kann jedoch eine weitere Verpflichtung, nämlich die zur Untersuchung des betreffenden Gegenstandes treten272. Oft ist eine solche Untersuchungspflicht das notwendige Korrelat zur späteren Aufklärungspflicht, denn aufklären kann der Schutzpflichtige nur über Umstände, die ihm selber bekannt sind. Diese Verbindung von Untersuchungs- und Aufklärungspflicht ist gleichwohl keinesfalls zwingend, denn denkbar ist, daß der mitzuteilende Umstand dem Schutzpflichtigen auch ohne die vorhergehende Untersuchung bekannt ist, oder umgekehrt eine Untersuchung keinen Umstand ergibt, der dem Vertragspartner mitzuteilen ist. Offensichtlich ist aber, daß die Beachtung der Untersuchungspflicht dem anderen wenig nützt, wenn ihr gegebenenfalls nicht auch eine Aufklärungspflicht korrespondiert. Der Schutzpflicht zur Untersuchung des Leistungsgegenstandes nahestehend ist die Verpflichtung des Verkäufers einer Speziessache zur sorgfältigen Konkretisierung 273. Diese leistungsgegenstandsbezogenen Schutzpflichten fehlen, wo der Leistungsinhalt auf eine Tätigkeit, eine Dienst- oder Arbeitsleistung beschränkt ist; in gleicher oder ähnlicher Weise finden sich jedoch hier die vielfältigen Aufklärungspflichten über gefahrträchtige Handlungen, Umstände oder Situationen274. In der terminologischen und inhaltlichen Nachbarschaft der Aufklärungspflicht finden sich zahlreiche weitere Schutzpflichten, die als Anzeige-, Hinweis-, War271

Zu derartigen Pflichten siehe beispielsweise MüKo-Roth, §242 Rn 118, 212 m. w.N., 210ff.; MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 285ff.; Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 473ff.; Soergel-Teichmann, §242 Rn 149, 188; Erman-Werner, §242 Rn 63 ff.; Stürner in JZ 1976 S.384, 386 unter 3. 272 Vgl. beispielsweise MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 239 ff.; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 476. 273 Siehe Rust, § 71 lbbb. 274 Dazu bsp. Soergel-Teichmann, § 242 Rn 149 mit Nachweisen der Rechtsprechung.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

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nungs-, Auskunfts-, Beratungs-, Mitteilungs- oder Offenbarungspflichten die Leistungspflicht begleiten. Im Mittelpunkt dieser Schutzpflichten steht das, was damit auch das allen Gemeisame ist, nämlich die Information des Vertragspartners über ihm bis dahin unbekannte Umstände, die hinsichtlich des Schutzes seines Integritätsinteresses von Bedeutung sind. Ihre inhaltliche und terminologische Abgrenzung ist nicht nur angesichts dieser wesentlichen Gemeinsamkeit kaum durchführbar 275, sondern auch sinnlos, solange über eine solche Abgrenzung kein übergreifender und allgemein beachteter Konsens erreicht ist. cc) Schutzpflichtverletzung bei Gelegenheit der Leistungserbringung Den Schutzpflichten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Leistungsinhalt und der Erbringung der Leistung stehen, also durch die Erfüllung bedingt sind, stehen die Schutzpflichtverletzungen gegenüber, die lediglich bei Gelegenheit der Erfüllung, aber unabhängig von ihrem konkreten Inhalt zu Schädigungen der Vertragspartner führen. Verletzt ist in dieser Konstellation die Schutzpflicht, die Leistung in einer Art zu bewirken, daß die dabei berührten Güter der Vertragspartner unverletzt bleiben276. Diese Schutzpflicht ist situationsgebunden und wird regelmäßig ein Unterlassen zum Gegenstand haben, nämlich die Pflicht zur Unterlassung derjenigen Handlung, die zur Gefahrdung oder Beeinträchtigung des Rechtsgutes geführt hat. Ihr Inhalt konkretisiert sich also durch das pflichtwidrige gegenwärtige oder bevorstehende Verhalten277. Ihre Bedeutung haben diese Schutzpflichten immer dort, wo anläßlich des Schuldverhältnisses einer der Vertragspartner sich oder einen seiner Vermögenswerte in die Obhut oder den Einflußbereich des anderen Vertragspartners bringt 278.

3. Schutz des Erfüllungsinteresses a) Besonderheiten der erfiillungssichernden

Schutzpflichten

Von den integritätsbezogenen Schutzpflichten unterscheiden sich in ihrer Zielsetzung diejenigen Nebenpflichten, die die Erfüllung der Hauptleistungspflicht vorbe273

Vgl. nur oben 1 zur Abgrenzung der Aufklärungs- von der Auskunftspflicht. Kress, S. 580. 277 Einzelne Beispiele und Nachweise aus der Rechtsprechung gibt z. B. Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 488; vgl. auch MüKo-Roth, § 242 Rn 191 ff.; Soergel-Teichmann, § 242 Rn 276

186.

278 Diese Pflichten werden gelegentlich deshalb als Obhutspflichten bezeichnet, vgl. ζ. B. MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 293.

120

§ 3 Schutzpflichten

reiten, fördern und sichern sollen. Sie sind der Hauptleistungspflicht zwar funktionell zugeordnet, inhaltlich aber von ihr zu unterscheiden279; im Gegensatz zu den integritätsbezogenen Schutzpflichten dienen diese Schutzpflichten dem Schutz des Erfüllungsinteresses des jeweiligen Vertragspartners. Sie nehmen angesichts der Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der möglichen Hauptleistungspflichten einen entsprechend unterschiedlichen Inhalt an; stärker noch als die integritätsbezogenen Schutzpflichten werden diese Schutzpflichten vom Inhalt und Zweck des vereinbarten Leistungsinhalts geprägt. Entscheidende Bedeutung für die Konkretisierung der allgemeinen erfüllungsbezogenen Schutzpflicht, während des gesamten Ablaufs des Schuldverhältnisses Vorkehrungen dafür zu treffen, daß der angestrebte Leistungserfolg erreicht und nicht gefährdet oder entwertet wird, hat deshalb die Differenzierung nach den verschiedenen Typen von Leistungserfolgen und Obligationszwecken. Denn erst der Inhalt der Obligation erlaubt es, diejenigen Handlungen der Parteien zu bestimmen, die erforderlich sind, um den angestrebten Erfolg erreichen zu können; ebenso bedingt erst der jeweilige Inhalt der Obligation, welche Handlungen der Parteien als obligationswidrig angesehen werden müssen, da sie den angestrebten Erfolg gefährden oder entwerten würden. Prägend für die erfüllungsbezogenen Schutzpflichten ist daher beispielsweise, ob ein Austauschzweck vorliegt, ob eine Gebrauchsgewährung oder ein Sicherungszweck angestrebt ist, ob eine Sach-, Dienst- oder Arbeitsleitung oder ein Dauerschuldverhältnis vorliegt. Wie bei den integritätsschützenden Nebenpflichten läßt sich auch bei den erfüllungsschützenden Nebenpflichten beobachten, daß die Polarität im Sinne der Verteilung von Gläubiger und Schuldnerrolle nicht immer mit derjenigen der Leistungspflicht übereinstimmt280 und nicht vorherbestimmt ist, sondern sich vielfach erst aus der konkreten Situation heraus ergibt. Anders als bei den Nebenpflichten, die dem Schutz des Integritätsinteresses dienen und auch ohne die Leistungspflicht vorkommen können, sind Nebenpflichten, die dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen, ohne eine wirksame Hauptleistungspflicht jedoch nicht denkbar. Die Nichtigkeit der Leistungspflicht führt deshalb - abweichend von den integritätsbezogenen Schutzpflichten - immer auch zur Unwirksamkeit sämtlicher erfüllungsbezogener Nebenpflichten, von der Leistungspflicht isoliert fortbestehende Schutzpflichten kommen nach Sinn und Zweck der Nichtigkeitsgründe nicht in Betracht. Ein weiterer Unterschied zeigt sich bei den möglichen Rechtsfolgen der schuldhaften Verletzung dieser Nebenpflichten: Entsprechend ihrer Ausrichtung auf den Schutz des Erfüllungsinteresses kann ihre Nichtbeachtung zum Anspruch auf Ersatz des positiven, des Erfüllungsinteresses an der Leistungspflicht führen. Zwar bildet auch hier der Anspruch auf den Ersatz des Schadens, der neben den fortbestehenden 279 280

Zutreffend Soergel-Teichmann, § 242 Rn 162. Zum Beispiel bei Mitwirkungspflichten.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

121

Erfüllungsanspruch tritt, die Regel; Ausnahmen, in denen der Gläubiger den Nichterfüllungsschaden anstelle seines ursprünglichen Erfüllungsanspruches geltend machen kann, sind aber häufig. Dieser sekundäre Anspruch ist immer dann gerechtfertigt, wenn die Nebenpflichtverletzung unmittelbar aufgrund ihres sachlichen Zusammenhanges zur dauerhaften Nichterfüllung der Leistungspflicht führt 281; er ist aber auch aufgrund einer wertenden Betrachtung zu bejahen, wenn die Nebenpflichtverletzung - unabhängig von der Erfüllung der Leistungspflicht - dazu führt, daß die Fortsetzung der Leistungsbeziehung als unzumutbar erscheint. b) Inhalt der erfiillungssichernden

Schutzpflichten

Nach ihrer Art lassen sich verschiedene Nebenpflichten inhaltlich unterscheiden. Einen wichtigen Platz nehmen wiederum die Konkretisierungs-, Produktions- sowie Untersuchungspflichten und die vielfältigen Aufklärungspflichten ein 282 . Es zeigt sich damit ein breiter Bereich inhaltlicher Überschneidung zu den integritätswahrenden Schutzpflichten. Gerade wo es um die Untersuchung des Leistungsgegenstandes oder um die Information über bestimmte Eigenschaften der erbrachten Leistung geht, kann ein und dieselbe Nebenpflicht in gleicher Weise sowohl der vertragsgerechten Verwendbarkeit und Nutzung der Leistung, also dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen, als auch dem Schutz vor Gefährdungen durch gefährliche Eigenschaften des Leistungsgegenstandes oder seine unsachgemäße Handhabung283. Es entstehen deshalb wie beim Schutz des Integritätsinteresses auch vielfältige Aufklärungs-, Anzeige- und Beratungspflichten. Zu den Pflichten, die dem Integritäts- und dem Erfüllungsinteresse dienen können, treten aber noch weitere, nur dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienende Nebenpflichten hinzu. Es handelt sich dabei um Obhuts-, Mitwirkungs- bzw. Förderungs- und Treuepflichten sowie Unterlassungspflichten, die teilweise ihre Bedeutung auch erst im Bereich nach Erfüllung der Leistungspflicht haben. Die Obhutspflicht der Vertragspartner ist schon eingehend in ihrem Ursprung und dem Problem ihrer Normierung im BGB angesprochen worden. Es geht bei der Obhutspflicht um die Pflicht einer Partei zur sorgfältigen Aufbewahrung einer Sache, wenn diese im Rahmen der Vertragsabwicklung in den Besitz des anderen ge281

Vgl. zu diesem Fragenkreis schon oben § 2 V und noch unten § 5IV, VIII und IX sowie

§9IV. 282

Vgl. bsp. Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 467 ff. Zutreffend MüKo-Roth, § 242 Rn 147,184,212,214; Esser/Schmidt, Bd.I Tb. 1 § 6 vor I (= S. 102), der davon spricht, daß „dieselbe Planabweichung gelegentlich zu mehrstufigen Reaktionen führe", vgl. auch Bd.I Tb.2 §291112b (= S. 146f); Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 476 spricht von einer Doppelfunktion der Prüfungs- und Untersuchungspflicht zur Sicherung des Vertragszwecks und zum Schutz des Vertragspartners; vgl. auch Soeigel-Teichmann, § 242 Rn 149. Für den Bereich des Kaufrechts insgesamt und die Problematik des Mangel- und Mangelfolgeschadens insbesondere siehe Rust, §711 c; § 7 I l c c c sowie in MDR 1998 S.947ff. 283

122

§3 Schutzpflichten

langt284. Wichtig ist eine weitere Gruppe von Nebenpflichten, die uneinheitlich als Mitwirkungspflichten 285, Unterstützungs- oder Förderungspflichten 286 bezeichnet werden. Hinter diesen Bezeichnungen verbirgt sich die Pflicht der Vertragspartner, bei der Ausräumung tatsächlicher oder rechtlicher Hindernisse287, die der Vertragsdurchführung entgegenstehen, mitzuwirken und die jeweils andere Partei gegen Dritte zu unterstützen, die den reibungslosen Ablauf der Vertragsdurchführung oder sonstige Interessen der Parteien zu stören drohen. Im Gegensatz zu den Mitwirkungspflichten, die ein aktives Handeln des Pflichtigen erfordern, stehen verschiedene Unterlassungspflichten. Allgemein lassen sich diese Unterlassungspflichten dahingehend umschreiben, daß alle Handlungen zu unterlassen sind, die den angestrebten Leistungserfolg gefährden oder entwerten. Es kann so beispielsweise zur Schutzpflicht kommen, Wettbewerb zu unterlassen288, denkbar sind aber zum Beispiel auch Verschwiegenheitspflichten 289. Diese werden vorliegen, wo die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien Einblicksmöglichkeiten in Tatsachen eröffnet, an deren Geheimhaltung oder alleiniger geschäftlicher Verwertung der Vertragspartner ein schutzwürdiges Interesse hat, oder wenn die Vertragsbeziehung von vorneherein auf eine andauernde vertrauensvolle Zusammenarbeit der Parteien angelegt ist. Auch nach dem eigentlichen Leistungsaustausch, also nach der Erfüllung der Hauptleistungspflicht gemäß § 362 BGB kann es erforderlich sein, daß die Beteiligten den vereinbarten Vertragszweck fördern und sichern oder negativ formuliert, alles unterlassen, was der anderen Partei die ihr nach dem Leistungsaustausch zugeflossenen Vermögens- oder Rechtspositionen wieder entzieht, schmälert oder entwertet. Denn wenn die Parteien des Schuldverhältnisses - wie in aller Regel - mit dem Leistungsaustausch einen bestimmten, darüber hinausgehenden Zweck verfolgen, dann kann es für den Schutz des Erfüllungsinteresses nicht auf den Zeitpunkt des eigentlichen Leistungsaustausches ankommen. Die dargelegten Unterlassungspflichten, aber auch die Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten können deshalb nicht nur auf den Schutz des Leistungsaustausches hinzielen, sondern in gleicher Weise auch noch nach diesem zum Schutz der erlangten Vermögenspositionen bestehen. Diese Pflichten, die sich weder inhaltlich noch strukturell von den Nebenpflichten unterscheiden, die vor dem Leistungsaustausch liegen, werden häufig als „nachvertragliche" oder „nachwirkende Vertragspflich284 Vgl. Staudinger-Schmidt, §242 Rn 863 ff.; Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 482; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 293; MüKo-Roth, § 242 Rn 148 f. 285 MüKo-Roth, §242 Rn 167 ff.; Staudinger-Schmidt, §242 Rn 856; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 272f.; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 395 ff. 286 Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 477 ff.; MüKo-Roth, § 242 Rn 158 f. 287 Insbesondere geht es um die Herbeiführung von Genehmigungen. 288 Vgl. MüKo-Roth, § 242 Rn 156,163 m. w. N.; Staudinger-Schmidt, § 242 Rn 889 m. w. N. 289 Beispiele und Rechtsprechungsnachweise bei Soeigel-Wiedemann, vor § 275 Rn 480; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 291 f.; Staudinger-Schmidt, § 242 Rn 887.

V. Die Nebenpflichten zum Schutz der am Schuldverhältnis Beteiligten

123

ten" bezeichnet290. Bei diesen Schutzpflichten ist zu beachten, daß die Parteien des Schuldverhältnisses, wenn sie nicht gerade eine Dauerverpflichtung übernommen haben, mit der Erbringung der Leistungfrei sein und sich aus ihrem Plichtenverhältnis zueinander lösen wollen. Nachwirkende Schutzpflichten werden daher in aller Regel nur für eine nach Lage des Einzelfalles angemessene Übergangsphase zu begründen sein.

c) Die Pflicht zur Vertragstreue Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob zu den erfüllungsschützenden Nebenpflichten auch eine spezifische Nebenpflicht zur Leistungs- bzw. Vertragstreue zu zählen ist, eine Nebenpflicht des Inhalts, Vertragsuntreue oder Vertragsbruch zu unterlassen. Diskutiert wird eine solche Pflicht in den Fällen, in denen einer der Vertragspartner unberechtigterweise ausdrücklich oder konkludent erklärt, sich nicht mehr an das gegebene vertragliche Versprechen oder die vereinbarten Modalitäten halten zu wollen. So etwa, wenn das Bestehen eines wirksamen Vertrages bestritten oder grundlos die Anullierung des Vertrages erklärt wird; wenn unberechtigt gekündigt oder erklärt wird, an Stelle der vereinbarten Bedingungen nur zu abweichenden, eigenen leisten zu wollen. Wichtiger noch sind jedoch die Fälle der ernsthaften und endgültigen, auch schon vor Fälligkeit erklärten Erfüllungsverweigerung 291. Die wohl überwiegende Ansicht sieht in unterschiedlichen Umschreibungen in diesem Fall die Pflicht verletzt, sich vertragskonform zu verhalten292, das Vertrauen in die Erfüllung des Vertrages, in die Vertragstreue des anderen Teiles nicht ernstlich zu erschüttern293 bzw. sich loyal zu verhalten294 oder alles zu unterlassen, was die begründete Besorgnis hervorrufen könne, daß der Schuldner seine Verpflichtung nicht erfüllen werde 295. Alle diese Fälle lassen sich auf den gemeinsamen Nenner zurückführen, daß der Schuldner die Leistung, so wie sie im Vertrag vereinbart wurde, nicht erfüllen will, daß er also seine Verpflichtung durch die Weigerung leugnet296. 290

Zu diesem Bereich vgl. v.Bar in AcP 179 (1979) S.452ff.; Staudinger-Schmidt, §242 Rn 887,889; Emmerich, vor § 275 Rn 291 f.; MüKo-Roth, § 242 Rn 161; Esser/Schmidt Bd.I Tb. 1 §6V (= S. 112); BGH in NJW RR 1990 S. 142. 291 Zu den verschiedenen Erscheinungsformen der Vertragsuntreue und insbesondere der Erfüllungsverweigerung vgl. Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 373 ff. mit Nachweisen der Rechtsprechung und Leser in FS für Rheinstein S. 643 ff. Die Fälle der Erfüllungsverweigerung wurden auch schon von Heinrich Staub in seiner berühmten Abhandlung problematisiert (S. 26 f.); vgl. auch von Lackum S. 156 f. m. w. 292 MüKo-Roth, § 242 Rn 152. 293 Kress, S. 582 i.V.m. Fn. 15. 294 Larenz, S. 10. 295 So die Formulierung von Staub, S.26f. 296 Kopeke (S. 132) spricht - wenig gelungen - vom „Versuch der Vertragsverletzung".

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§ 3 Schutzpflichten

Eingewendet wird nun, das Typische dieser Konstellationen liege nicht darin, daß eine Nebenpflicht verletzt wird, sondern daß die primäre Leistungspflicht selbst negiert wird. Eine dieses Verhalten erfassende Nebenpflicht wäre hier nur die negative Formulierung der entsprechenden positiven Leistungspflicht 297, eine solche Umformulierung der entsprechenden Pflicht aber sei überflüssig 298 und führe zu einer unnötigen und irreführenden Duplizität der ja ohnehin auf Erfüllung gerichteten Leistungspflicht 299. Oft gehe es bei der Annahme einer solchen Pflicht lediglich darum, dem Gläubiger den Zugang zu den Totalrechten des § 326 BGB schon vor Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen dieser Vorschrift zu eröffnen 300. Die vor die Erfüllungshauptpflicht tretende Pflicht zur Vertragstreue mag tatsächlich zunächst als verwirrende Verdoppelung erscheinen, ihre Berechtigung und sogar Notwendigkeit wird jedoch klar, wenn man sich vor Augen hält, daß die Nichterfüllung der Leistungspflicht als solche noch keinen Sorgfaltspflichtverstoß impliziert 301, also auch nicht haftungsbegründend sein kann. Die Nichterfüllung kann auf einem Sorgfaltspflichtverstoß beruhen, dies ist aber nicht zwingend, denn über ein zugrundeliegendes Schuldnerverhalten sagt die Nichterfüllung der Leistungspflicht zunächst nichts aus. Erst der schuldhafte Verstoß gegen eine konkrete Verhaltenspflicht aber vermag die Haftung zu begründen, die Nichterfüllung der Leistungspflicht als solche hingegen kann zunächst nur zu verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfen führen 302. Die Schutzpflicht zur Vertragstreue ist deshalb unerläßlich, um den konkreten Sorgfaltspflichtverstoß herausarbeiten zu können, der die sekundäre Haftung des Schuldners trägt. Jeder Vertrag wird von der Pflicht der Vertragsparteien geprägt, das Vertragsversprechen zu erfüllen. Die Pflicht zur Vertragstreue ergibt sich gerade daraus, daß die Parteien zur gemeinsamen Verwirklichung des angestrebten Leistungserfolges das Vertragsverhältnis gemeinsam begründet haben. Bis zum Eintritt der Leistungszeit ist die normative Wirkung des Vertrages die wesentliche Grundlage für das Verhältnis der Parteien zueinander. Durch das Leugnen seiner Vertragspflicht stellt der Schuldner jedoch diese normative Bindung durch den Vertrag in Abrede, so daß angesichts der Zweckausrichtung des Vertrages 297

Staudinger-Schmidt, §242 Rn 876. Schmidt, ebenda. 299 So Schünemann in JuS 1987 S. 1, 7. 300 MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 265, vgl. auch Rn 274ff. Skeptisch äußert sich auch Gernhuber (Schuldverhältnis S. 21), der betont, daß das fragliche Verhalten nur schlecht von der Leistungspflicht isoliert betrachtet werden könne; vgl. auch Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 38 III 2c (= S. 120); Huber in FS für von Caemmerer S. 837, 857 m. w. N. und die Nachweise bei Leser, S. 652f. 301 Dazu schon oben § 2 V). 302 Z. B. §§ 273, 320 BGB. Blaurock (S. 51, 61) weist darauf hin, daß bei der Haftung für endgültige und emstliche Erfüllungsverweigerung die gemeinrechtliche culpa-Haftung durchschimmere, bei der ein Haftungsgrund gerade das schuldhafte Nichtleisten war. 298

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers

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solche Handlungen den angestrebten Erfolg gefährden und deshalb als pflichtwidrig anzusehen sind. Der haftungbegründende Verhaltensvorwurf ergibt sich also auch allein aus der Negierung des Vertrages und nicht noch aus weiteren, erst daraus folgenden Umständen wie zum Beispiel der Erschütterung des Vertrauensverhältnisses oder der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung 303. Solche Umstände müssen jedoch hinzutreten, wo nicht die vertragliche Bindung unmittelbar negiert wird, sondern die Gefährdung des Leistungsaustausches auf anderen Verhaltensweisen beruht. Hier kommen beleidigende, rufschädigende oder gar tätliche Verhaltensweisen einer Vertragspartei in Betracht304. Verstöße gegen die Pflicht zur Leistungstreue sind hier umso eher anzunehmen, je enger die Parteien auf eine gemeinsame, unter Umständen dauerhafte Vertragsdurchführung angewiesen sind. Denn in solchen Konstellationen rückt über die Zuverlässigkeit der Leistungserbringung hinaus und unabhängig davon auch das Vertrauen in die persönliche Zusammenarbeit in den Mittelpunkt der Soigfaltsanforderung; es können so Schutzpflichten zu loyalem Verhalten der Person des Vertragspartners gegenüber entstehen.

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers Es bleibt die regelmäßig im Zusammenhang mit den Nebenpflichten angesprochene Frage 305, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beachtung solcher Verhaltenspflichten vom Gläubiger verlangt werden kann. Diese Frage wird häufig nur als Problem der Klagbarkeit von Nebenpflichten formuliert und die Beantwortung der Frage davon abhängig gemacht, ob es sich bei der fraglichen Pflicht um eine Leistungspflicht bzw. eine „selbständige" Nebenpflicht oder eine „unselbständige" Nebenpflicht handelt306. Dabei werden jedoch verschiedene Teilfragen miteinander vermengt, denn die Befugnis zur Klage setzt eine andere Befugnis, ein subjektives Recht voraus. Die Frage nach der Existenz eines entsprechenden materiellen Rechts wird also unzutreffenderweise in die Frage nach einer Klagemöglichkeit umgemünzt und verdeckt so das eigentlich Entscheidende, nämlich ob dem Gläubiger der Schutzpflicht ein Anspruch auf Vornahme der be303

Zutreffend und m. w. N. Leser, S. 665. Vgl. Kress, S.582 i.V.m. Fn.15 mit Nachweisen der Reichsgerichtsrechtsprechung; MüKo-Roth, § 242 Rn 155; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 393. 305 Dazu beispielsweise Stümer in JZ 1976S.384ff. m.w.N.; Soergel-Teichmann, §242 Rn 173 ff., 189; MüKo-Roth, §242 Rn 140, 209, 231; Staudinger-Schmidt, Einl. zu §241 ff. Rn 317ff., 854; MüKo-Kramer, §241 Rn lOff. m.w.N.; Kress, S.3ff.,578ff.; Gemhuber,Schuldverhältnis S.24f.; Larenz, S. 12f.; Esser/Schmidt Bd.I Tb. 1 §61112 (= S. 109); Medicus, Bürgerliches Recht Rn 208; Neumann S. 113; Ruhig S. 285 ff.; von Lackum S. 152ff. 306 Exemplarisch MüKo-Kramer, §241 Rn 10,14,18f. 304

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§ 3 Schutzpflichten

gehrten Handlung oder Unterlassung zusteht oder nicht307. Im Zentrum des Problèmes geht es deshalb um die Frage, ob den Schutzpflichten des Schuldners als konstruktive Brücke zwischen der berechtigenden Rechtsordnung und ihrer verfahrensmäßigen Verwirklichung 308 ein materiellrechtlicher Anspruch des Gläubigers korrespondiert. 1. Gesetzliche Regelungen Entbehrlich ist diese Frage dort, wo das Gesetz selbst zu dem Anspruch oder seiner verfahrensmäßigen Verwirklichung Stellung nimmt. Solche Vorschriften sind allerdings selten, vgl. §§402, 444, 550, 590a, 666 BGB, so daß aus ihnen kaum Schlüsse, zum Beispiel im Wege der Analogie für alle Schutzpflichten gezogen werden können. Denn zum einen ist die vorhandene Analogiebasis wohl zu schmal, zum anderen aber ist prinzipiell offen, welchen Schluß man aus den wenigen gesetzlichen Regelungen ziehen will. Genauso gut wie die Annahme, daß diese Vorschriften Ausnahmen darstellen und deshalb der Analogie kaum zugänglich sind309 läßt sich vertreten, daß diese Regelungen nicht als abschließend verstanden werden dürfen, da dem Gesetzgeber die allgemeine Problematik der Schutzpflichten noch nicht bewußt war 310. Das Ergebnis würde damit letztlich im wesentlichen von einer vorgefaßten Annahme abhängen, gewonnen ist damit wenig. 2. Vertragliche Regelungen Keine Probleme bereitet die Frage der Berechtigung auf Gläubigerseite auch dort, wo sich der entwickelte Schutzanspruch aus dem Vertrag ergibt. Haben die Parteien vereinbart, daß der Schuldner eine bestimmte Handlung oder Unterlassung vorzunehmen hat, so kann an einem korrespondierenden Anspruch des Gläubigers auf Beachtung dieser Verhaltenspflicht kein Zweifel bestehen. Daß die Feststellung einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung Schwierigkeiten machen kann311 ist kein besonderes Problem des vorliegenden Zusammenhanges, sondern nur ein allgemeines Vertragsproblem. Ergibt die Vertragsauslegung also, 307 Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§ 241 ff. Rn 319 vermutet hinter diesem Abstellen auf die Klage die Orientierung an dem bei § 823 BGB gebräuchlichen Ausdruck der „vorbeugenden Unterlassungsklage". 308 So Stümer in JZ 1976 S. 384, 391 unter E. 309 So Kress, S.6 und S.7 i. V.m. Fn.16, S.594; vgl. auch Lenzen in NJW 1967 S. 1260,1261 und Ruhig S. 295 ff. 310 So MüKo-Roth, § 242 Rn 209; Stümer, JZ 1976 S. 385 unter ΒI; vgl. auch Gernhuber, S.25; MüKo-Kramer, §241 Rn 10. 311 Vgl. OLG Frankfurt in JZ 1985 S.337f. (nicht rechtskräftig).

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers

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daß der Gläubiger die zum Schutz erforderliche Handlung selbst verlangen kann, so sind gewöhnliche Ansprüche gegeben312; hierüber besteht weitgehende Einigkeit313. Abweichungen zeigen sich jedoch in der terminologischen Erfassung der Schutzpflichten, denen ein Anspruch des Gläubigers korrespondiert. Gelegentlich werden diese Schutzpflichten als „Nebenleistungspflichten" bezeichnet, die mit einem „Erfüllungsanspruch" sanktioniert sind314, denn für die Unterscheidung der einzelnen Pflichten komme es allein auf das Kriterium der Klagbarkeit an, nicht jedoch auf die Zweckausrichtung des jeweiligen Verhaltens315, klagbare Pflichten aber seien immer Leistungspflichten. Dem muß jedoch entgegengetreten werden, denn ein Vorteil, der es rechtfertigt, den Zweck der jeweiligen Pflicht als ihr primäres Kennzeichen hinter die erst sekundäre Frage ihrer Verwirklichung zurücktreten zu lassen, ist nicht ersichtlich. Mehr noch: Auch wenn die Parteien das fragliche Verhalten im Wege der vertraglichen Vereinbarung zur durchsetzbaren Pflicht erheben, dient dieses Verhalten doch trotzdem weiterhin dem Schutz des Gläubigers, ist deshalb also weiterhin auch eine Schutzpflicht. Sie gleichwohl als „Nebenleistungspflicht" zu bezeichnen kann angesichts der grundsätzlichen Gegenüberstellung von Leistungs- und Schutzpflichten nur ein Rückschritt sein, der die in vielen Jahrzehnten herausgearbeitete Grenze zwischen diesen beiden Pflichtenkomplexen wiederfließend macht.

3. Das Problem des korrespondierenden Schutzanspruches Das Problem, ob der Schutzpflicht des Schuldners ein durchsetzbarer Schutzanspruch des Gläubigers korrespondiert oder nicht, entsteht immer erst, wenn von dem Schutzpflichtigen eine bestimmte Verhaltensweise, ein Tun oder ein Unterlassen verlangt wird, für das es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Regelung gibt. Hierzu werden verschiedene Positionen vertreten. a) Die Lehre vom unentwickelten Schutzanspruch Wichtig ist aber, zunächst im Auge zu behalten, daß als Alternative zur Bejahung einer Pflicht zur Vornahme des bestimmten Verhaltens durch den Schuldner keines312

Kress, S. 580 i.V.m.Fn.5. In diesem Sinne beispielsweise auch MüKo-Kramer, § 241 Rn 10 m. w. N., Rn 62; Stürner, JZ 1976 S. 386,388 (einschränkend auf S. 391); Larenz S. 12; Staudinger-Schmidt, Einl. zu § 241 ff. Rn 320; Unzen in NJW 1967 S. 1260,1261; Köhler in AcP 190 (1990) S.496,500ff.; Ruhig S. 294. Die derart im Wege der Parteivereinbarung mit Ansprüchen verbundenen Schutzpflichten des Schuldners werden häufig als „selbständige1* Nebenpflichten bezeichnet; exemplarisch MüKo-Kramer, §241 Rn 8,10, 18 f. 314 Exemplarisch MüKo-Kramer, §241 Rn 14 (i.V.m. Fn.27), Rn 17ff.; ähnlich auch Larenz, S. 12. 3,5 So Kramer, a. a. Ο. Rn 14, 19; ähnlich MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 282. 313

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§ 3 Schutzpflichten

wegs die Verneinung jeder Pflicht des Schuldners vertreten wird, sondern die Grundannahme, daß die Verletzung der entsprechenden Pflicht nur zur Gewährung eines sekundären Schadensersatzanspruches führt. Die Verletzung der Verhaltenspflicht ist demnach also Tatbestandsmerkmal eines Schadensersatzanspruches, nicht aber ist das fragliche Verhalten Inhalt eines durchsetzbaren Anspruchs316. Eben dies ist die Grundannahme, die H. Kress mit der Figur des unentwickelten Schutzanspruches erfaßt: Den Schutzpflichten des Schuldners korrespondieren regelmäßig nur Schutzansprüche des Gläubigers die insofern unentwickelt sind, als der Gläubiger den durchsetzbaren, entwickelten Anspruch erst in Form des sekundären Schadensersatzanspruches erhält, der aus der schuldhaften Verletzung der Schutzpflichten entsteht317. Die Beobachtung des jeweiligen Verhaltens hingegen kann er vom Schutzpflichtigen nicht verlangen, aber schon die drohende Schadensersatzpflicht übt einen hinreichenden Verhaltenszwang aus und gibt dem Inhaber des geschützten Gutes eine entsprechende Machtstellung; die Zuweisung eines Anspruchs mit der Folge der gerichtlichen Durchsetzbarkeit ist daher überflüssig. Diese Überlegung trifft jedoch nicht nur für die integritätswahrenden Schutzpflichten zu, sondern in gleichem Maße für diejenigen Schutzpflichten, die der Sicherung des Erfüllungsinteresses dienen. Für diese treten weitere Aspekte hinzu. Der Leistungsanspruch des Gläubigers richtet sich nicht schlechthin auf ein Verhalten, sondern auf das zur Erreichung des vereinbarten Leistungserfolges erforderliche Verhalten318. Da der Leistungsanspruch von der Rechtsordnung als Mittel zur Verwirklichung der Güterbewegung, des vereinbarten Leistungserfolges gewährt wird, gibt er dem Gläubiger die Macht, das zur Befriedigung dieses Interesses führende, also das den Leistungserfolg verwirklichende Verhalten zu verlangen; der Leistungsanspruch erfaßt beides: Den Leistungserfolg und das vertragsmäßige Verhalten, das zu seiner Herbeiführung erforderlich ist. Die Rechtsstellung des Begünstigten einer erfüllungsbezogenen Schutzpflicht kann als „Anspruch" demnach nur aufgefaßt werden, wenn das Verhalten, das der Schuldner zu beobachten hat, den Leistungserfolg ganz oder zumindest teilweise herbeiführt. Die fraglichen Schutzpflichten des Schuldners aber bewirken nur die Wahrung der Möglichkeit der Erreichung des Vertragszwecks oder sichern die Erfüllung, indem sie sie vorbereiten; sie führen ihn aber nicht, auch nicht teilweise herbei. Der Gläubiger kann darum regelmäßig die Beachtung der einzelnen erfüllungsbezogenen Schutzpflichten nicht beanspruchen. Dem liegt auch die zutreffende Erwägung zugrunde, daß es bei den Schutzpflichten, die der Vorbereitung und sorgfäl316 Siber, Rechtszwang S.85ff., 180; Lehmann, Unterlassungspflicht S.90ff.; EnneccerusLehmann § 4112, § 252IV; Kress, S. 5 ff., 578 ff.; vgl. auch Ruhig S. 285 ff.; Anklänge auch bei Larenz, S. 12. 317 Eingehend dazu auch Sutschet, § 3 II. 318 Vgl. auch Wieacker in FS für Nipperdey S. 783,798 ff.

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers

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tigen Ausführung der Hauptleistung dienen, häufig viele Varianten vertragsgemäßen Verhaltens gibt, die letztlich im Ermessen des Schuldners liegen. Dieser Grundsatz, daß den Schutzpflichten kein Anspruch des Gläubigers auf Vornahme des jeweiligen Verhaltens entspricht, kommt freilich nicht ohne Ausnahmen aus. Für den Bereich der erfüllungsbezogenen Schutzpflichten zeigen sie sich zunächst dann, wenn aufgrund eines eindeutigen Fehlverhaltens des Schuldners in der Erfüllungszeit eine ernsthafte Gefährdung des Leistungserfolges droht 319. Hier sprechen überwiegende Gründe für die Gewährung eines vorbeugenden Leistungsschutzes durch ein gerichtliches Verhaltensgebot, zum Beispiel im Wege der einstweiligen Verfügung. Aber auch dort, wo die Schutzpflicht sich nicht nur in der Sicherung des Leistungserfolges erschöpft, sondern einem gegenüber der Hauptleistungspflicht eigenständigen Zweck dient320, muß die Durchsetzbarkeit des jeweiligen Verhaltensgebotes in Betracht gezogen werden321. Denkbar ist das etwa bei manchen Mitwirkungspflichten, bei Aufklärungspflichten sowie bei Konkurrenzverboten. Im Bereich der integritätswahrenden Schutzpflichten ist ein weiterer Aspekt zu beachten: Bei der Diskussion um den „quasi-negatorischen" Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch hat sich gezeigt, daß in allen Fällen, in denen das Gesetz einen Schadensersatzanspruch zum Schutze bestimmter Rechtspositionen gewährt, auch eine Unterlassungsklage als vorbeugender Rechtsschutz zur Schadensverhütung zu gewähren ist. Für die vertraglichen Schutzpflichten, die der Wahrung vorhandener Güter und Interessen dienen, kann die Entwicklung nicht anders verlaufen 322; auch hier ist deshalb beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen323 die Durchsetzbarkeit des Schutzanpruches zu bejahen324.

b) Der Grundsatz der Durchsetzbarkeit jeder Schuldnerpflicht Der Lehre vom unentwickelten Schutzanspruch gegenüber stehen die Ansichten, die vom Grundsatz der Durchsetzbarkeit des jeweiligen Verhaltensgebotes ausgehen. 319

So schon Siber in Planck, Vorb. zu § 241 ff., Anm. III C 1 (= S. 21 f.); zutreffend auch Stümer, JZ 1976 S. 390f. unter DIV; Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 5 II 1 (= S. 88). 320 Diese Nebenpflichten werden gelegentlich als „selbständige" Nebenpflichten gekennzeichnet, vgl.z.B. Palandt-Heinrichs, §242 Rn 25; MüKo-Kramer, §241 Rn 18f. 321 Zu den näheren Voraussetzungen sogleich unten c). 322 In diesem Sinne auch Stümer, JZ 1976 S. 385 unter Β I, S. 387 unter 2; MüKo-Roth, § 242 Rn 209. 323 Zu den verschiedenen Voraussetzungen, die für die Durchsetzbarkeit notwendig gegeben sein müssen, siehe sogleich unten c bb). 324 Kress (auf S. 6 und S. 594) sieht deshalb diese Frage noch zu eng. 9 Kuhlmann

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§ 3 Schutzpflichten

Innerhalb dieser Ansichten muß differenziert werden. Am weitesten in der Bejahung einer Durchsetzbarkeit gehen die Meinungen, die im Bereich des materiellen Rechts bei allen Nebenpflichten des Schuldners einen korrespondierenden materiellen Schutzanspruch des Gläubigers zulassen wollen, ohne daß weitere Voraussetzungen vorliegen müßten und die auftauchenden Probleme geschlossen dem Prozeßrecht zuweisen325. Angeführt wird, daß jede Partei grundsätzlich auf Leistung bzw. auf Unterlassung einer Störung auch bei den Nebenpflichten klagen können müsse, denn der Verweis auf einen Schadensersatzanspruch nach der Pflichtverletzung stelle den Vertragspartner regelmäßig schlechter, als ihm im Vertrag zugesagt war 326 . Läßt man die Frage beiseite, ob das das gesamte Schuldrecht stützende Instrument des Schadensersatzanspruches tatsächlich das Ausbleiben der Erfüllung nur unzulänglich kompensieren kann, bleibt immer noch einzuwenden, daß die Bejahung des Bedürfnisses einer Durchsetzbarkeit noch nichts über ihre Berechtigung oder gar Begründung sagt; mit der Feststellung eines solchen Bedürfnisses allein kann der Anspruch also kaum begründet werden. Geäußert wird jedoch auch, in einem Staatswesen, das grundsätzlich Rechtsschutz gewährt, bedürfe nicht die Klagbarkeit des Beweises, sondern deren Ausschluß327. Zugestanden wird aber sogleich, daß überhaupt eine Position vorhanden sein muß, deren Struktur eine Klage erlaubt, richtig sei es deshalb, daß eine Vielzahl von Verhaltenspflichten im Einzelfall nicht eingeklagt werden können; dies jedoch nicht, weil sie Nebenpflichten seien, sondern nur, weil der ihnen entsprechende Anspruch des materiellen Rechts den Anforderungen des Prozeßrechts nicht gewachsen ist 328 . Mißachtet wird dabei, daß dieses Auseinanderfallen des Schutzanspruches und seiner Duchsetzbarkeit keinesfalls zufällig ist, sondern ein Charakteristikum dieser Pflichten, das gerade gegen die Annahme einer grundsätzlichen Durchsetzbarkeit spricht. Abzulehnen sind auch Leerformeln derart, daß die Klagbarkeit regelmäßig dann anzunehmen sei, „wenn nach Lage des Falles ein schutzwürdiges besonderes Interesse des Gläubigers die Gewährung der Klage geboten erscheinen läßt"329. Die Schutzwürdigkeit des Gläubigerinteresses ergibt sich immer schon daraus, daß es Gegenstand einer Schutzpflicht ist, deren Durchsetzbarkeit ja erst noch zu begründen ist, woraus aber die Besonderheit" des Interesses folgen soll, die die Klagbarkeit rechtfertigt, bleibt völlig offen 330. 325 In diesem Sinne Gernhuber, Schuldverhältnis S. 24f.; Soergel-Teichmann, § 242 Rn 173; Esser/Schmidt Bd.I Tb. 1 § 6 III 2 (= S. 109); vgl. auch Motzer in JZ 1983 S.884, 886f. und Neumann passim; Anklänge auch bei Lenzen in NJW 1967 S. 1261 f. 326 So Soergel-Teichmann, §242 Rn 173. 327 Gernhuber, Schuldverhältnis S. 25; Anklänge auch bei Stümer, JZ 1976 S. 391 f. unter E. 328 Gernhuber, ebenda. 329 MüKo-Kramer, § 241 Rn 10 m. w. N. in Fn.24 b. 330 Aus der Schutzwürdigkeit zumindest kann sie nicht gefolgert werden, da dies zu einem Zirkelschluß führen würde.

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers

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Im Begründungsansatz abweichend, im Ergebnis jedoch nahestehend sind die Ansichten, die für die Beantwortung der Frage nach der Durchsetzbarkeit nicht erst bei der Klagbarkeit anknüpfen und den zugrundeliegenden Anspruch pauschal voraussetzen, sondern schon den materiellen Schutzanspruch des Gläubigers selbst problematisieren. Ausgegangen wird jedoch auch hier von der Grundannahme, daß der Gläubiger einen Anspruch auf Vornahme der entsprechenden Handlung habe331. Begründet wird das zum einen mit der Entwicklung des vorbeugenden Rechtsschutzes im Deliktsrecht332, zum anderen wird jedoch auf die lange Entwicklungslinie von der condemnatio pecuniaria333 hin zum Anspruch des Gläubigers auf Realexekution verwiesen. Die Begründung für die Bejahung eines Anspruchs des Gläubigers auf effektive Vornahme der entsprechenden Handlung ergebe sich aus der Grundentscheidung des BGB, anstelle der Pekuniarkondemnation bei Nichterfüllung der Pflicht des Schuldners die Realexekution von Pflichten zuzulassen. Der Ausschluß der Realexekution und die Zuerkennung von Schadensersatz an deren Stelle wäre ein Rückfall in dieses überwundene System334. Mit der Emanzipation des Anspruchs auf den primären Inhalt des Schuldverhältnisses ist sicherlich ein wichtiger Aspekt des Schuldrechts des BGB angesprochen, für die Frage des Anspruchs auf die Beachtung von Nebenpflichten ist damit allerdings wenig gewonnen, denn bei der Entscheidung des BGB, die Realexekution einer Pflicht zuzulassen und so den sekundären Schadensersatzanspruch zurückzudrängen, bleibt eben die hier zu beantwortende Frage noch offen, welche Pflichten im Wege der Realexekution durchgesetzt werden können; kurz: Ob dies nur die Erfüllung der Hauptleistungspflicht betrifft oder auch die Beachtung der einzelnen Nebenpflichten, die diese Hauptleistungspflicht begleiten und flankieren. Dementsprechend wird aus dem Bekenntnis des BGB zur Realexekution von den Vertretern dieser Ansicht auch keinesfalls abgeleitet, daß tatsächlich allen Nebenpflichten ein durchsetzbarer Anspruch korrespondiert. Vielmehr werden sogleich differenzierend zahlreiche einzelne Nebenpflichten oder ganze Pflichtenkomplexe von der Annahme eines Anspruchs wieder ausgenommen. c) Voraussetzungen der Durchsetzbarkeit

einer Schutzpflicht

Die dieser Differenzierung zugrundeliegenden Überlegungen sollen hier abschließend etwas näher betrachtet werden, da sie vielfach in gleichem Maße auch 331

So zum Beispiel Stümer, JZ 1976 S. 391 f. unter E; Palandt-Heinrichs, § 242 Rn 25, Einl. zu § 241 Rn 7; Medicus, Bürgerliches Recht Rn 208; Köhler in AcP 1990 (1990) S.496, 508, 510ff.; Staudinger-Schmidt, Einl. zu §241ff. Rn 331. 332 D ^ y ΐς υ Γ Ζ oben a). 333 334

9*

Eingehend zur condemnatio pecuniaria auch noch unten § 9 VIII3. So Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§ 241ff. Rn 329; Stümer JZ 1976 S. 389 unter 1.

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§ 3 Schutzpflichten

Gültigkeit und Relevanz für die Ausnahmen besitzen, die von der entgegengesetzten Grundannahme des unentwickelten Schutzanspruches zu machen sind.

aa) Regel und Ausnahme Probleme bereitet die Annahme eines Anspruchs des Gläubigers auf Vornahme einer Handlung häufig bereits in tatsächlicher Hinsicht335, nämlich immer dann, wenn der Inhalt des fraglichen Anspruchs nicht ex ante, sondern erst ex post nach dem Schadenseintritt konkretisiert werden kann. Offensichtlich wird das im Bereich der vielfältigen Nebenpflichten, die eine Information des Vertragspartners über diesem noch nicht bekannte Umstände zum Inhalt haben. Diese sind regelmäßig spontan vom Schuldner zu beachten, ein Anspruch des Gläubigers auf Beachtung jedoch ist nur möglich über einen zuvor abgesteckten Fragenkreis, eben dazu fehlt dem Gläubiger des Informationanspruchs aber die Kenntnis336. Faktisch werden deshalb auch häufig die Ereignisse schon die Möglichkeit eines vorbeugenden, dem Schaden ausweichenden Anspruchs des Gläubigers überholen; die hinreichende Konkretisierung des erforderlichen Verhaltens ergibt sich erst aus dem situationsgebundenen Geschehensablauf. Hierauf ist wohl auch die vergleichsweise geringe praktische Bedeutung des Schutzanspruches - insbesondere im Bereich des Integritätsschutzes - zurückzuführen 337. Ebenfalls wird häufig der gesamte Bereich der leistungsvorbereitenden Schutzpflichten von der Annahme eines Anspruchs ausgenommen338. Die Nebenpflichten, die der Vorbereitung und Herbeiführung des Leistungserfolges dienen, seien unselbständig, da sie neben der Hauptleistungspflicht keinem eigenständigen Zweck die335 Vgl. Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 466; MüKo-Roth, § 242 Rn 209; StaudingerSchmidt, Einl. zu § 241 ff. Rn 334; Medicus, Schuldverhältnis S. 15; Ruhig S. 291,299; Stümer, JZ 1976 S.385, 386, 389; Larenz S. 12. 336 Staudinger-Schmidt (Einl. zu §§ 241 ff. Rn 334) wendet dagegen - wenig überzeugend - ein, der Unterschied zu durchsetzbaren Pflichten liege lediglich darin, daß der Gläubiger seinen an sich gegebenen Anspruch nicht durchsetzen könne, weil er von dessen Existenz nichts weiß. 337 Medicus (Schuldveihältnis S. 16) bemerkt dazu nicht ohne Spott und in Anspielung auf die vieldiskutierten „Kaufhausfälle", daß bei den Schutzpflichten der Anspruch, möge er nun rechtlich gegeben sein oder nicht, praktisch keine Rolle spiele: Niemand verlange auch nur außergerichtlich die Beseitigung rutschiger Kohlblätter, den sorgsamen Umgang mit Linoleumrollen oder die Warnung vor Gefahren; Klagen mit solchen Begehren kämen vollends nicht vor. Vielmehr dominiere hier der auf die zu vertretende Pflichtverletzung gestützte Schadensersatzanspruch. Vgl. in diesem Sinne auch Gernhuber, Schuldverhältnis S. 19. 338 Vgl. exemplarisch Stümer, JZ 1976 S. 390f. unter D; MüKo-Roth, § 242 Rn 141; ErmanWemer, § 242 Rn 54; Palandt-Heinrichs, § 242 Rn 25; MüKo-Kramer, § 241 Rn 10; Lenzen in NJW 1967 S. 1260f.

VI. Der Schutzanspruch des Gläubigers

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nen; der Schutz des Gläubigers werde diesbezüglich durch dessen Anspruch auf Erfüllung des Vertrages, d. h. auf Erfüllung der Hauptleistungspflicht verwirklicht 339. Betrachtet man den verbleibenden Bereich der Nebenpflichten, für die ein Anspruch des Gläubigers in Betracht gezogen wird, so zeigt sich, daß es hauptsächlich um die integritätswahrenden Schutzpflichten und diejenigen erfüllungssichernden Schutzpflichten geht, denen ein Zweck zukommt, der sich nicht im reinen Leistungsaustausch erschöpft. Eben das ist aber auch der Schutzpflichtbereich, für den die entgegengesetzte Position des grundsätzlich unentwickelten Anspruchs die Durchsetzbarkeit des Anspruchs als Ausnahme zur Regel bejaht. Die beiden vertretenen Positionen weisen also letztlich im praktischen Ergebnis viel weniger Abweichungen auf, als die einander entgegengesetzten Ausgangspunkte zunächst ahnen lassen. Der wesentliche Unterschied liegt in der jeweiligen Grundannahme, von der aus das Ergebnis begründet wird; die Regel der einen Grundannahme wird so zur Ausnahme der anderen und umgekehrt, in der Mitte aber findet sich ein weitgehender Konsens über diejenigen Nebenpflichten, denen im Endeffekt ein durchsetzbarer Anspruch korrespondiert. bb) Einzelne Voraussetzungen Aber auch für die Annahme eines Anspruchs bei diesen Schutzpflichten müssen weitere Voraussetzungen vorliegen340, die für beide Ansichten gleichermaßen Gültigkeit besitzen. Zum einen ist vor der Bejahung eines Anspruchs auf Vornahme der konkreten Handlung zu fragen, ob die Rechtsordnung nicht andere gesetzgeberische Gestaltungsmittel vorsieht, die den Anspruch mit seinem unmittelbaren Erfüllungszwang ersetzen können und ersetzen sollen341. Zum anderen aber soll der Anspruch des Gläubigers stets erst die „ultima ratio" darstellen. Wo ein Ausweichen aus der besonderen Einwirkungsmöglichkeit im Rahmen des Schuldverhältnisses möglich und auch zumutbar ist, muß dieses verhältnismäßige Mittel des Rechtsgüter- und Vermögensschutzes dem erzwingbaren Anspruch vorgezogen werden. Deshalb gehen auch die Änderung oder die Auflösung der besonderen Einwirkungsmöglichkeit 339 Lenzen, ebenda. Zudemfindet sich auch hier wieder das Problem, daß in aller Regel erst das der Erfüllung zuwiderlaufende Verhalten die Schutzpflicht des Schuldners konkretisiert. 340 Diese Voraussetzungen sind insbesondere von Stümer in seinem Beitrag in JZ 1976 S. 384 ff. herausgearbeitet worden und haben weitgehend Zustimmung gefunden; vgl.z. B. Staudinger-Schmidt, Einl. zu § 241 ff. Rn 332 ff. m. w. 341 Stümer, JZ 1976 S. 385 unter II. Hierher gehört die dem Geschädigten günstige Rechtsgestaltung als Folge einer Pflichtverletzung, etwa als Kündigungs- bzw. Rücktrittsrecht oder Rechtsvorteile bei Obliegenheiten, staatliche Maßnahmen, die der Schädigung durch pflichtwidriges Verhalten vorbeugen sollen (z.B. im Wege der einstweiligen Verfügung), hierzu muß aber auch die Schadensersatzsanktion mit ihrem Erfüllungszwang für den Verpflichteten gerechnet werden.

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§ 3 Schutzpflichten

im Rahmen des Schuldverhältnisses unter der Voraussetzung der Zumutbarkeit der Bejahung eines Anspruchs des Gläubigers auf Beachtung der Verhaltenspflicht vor 342. In der Sache werden damit die Konsequenzen aus § 2541 BGB gezogen, indem die Beschränkungen, die § 2541 BGB für den Schadensersatzanspruch enthält, auf die Voraussetzungen des dem sekundären Schadensersatzanspruch vorausliegenden primären Anspruchs übertragen werden343. Viele der betroffenen Schuldverhältnisse erlauben die Umgestaltung der tatsächlichen Verhältnisse, so daß die gefahrschaffende Einwirkungsmöglichkeit umgangen wird; wo diese Umgestaltung jedoch nicht möglich oder unzumutbar ist, kann eine Beendigung der vertraglichen Beziehungen die Gefahr für Rechtsgüter und Vermögen beheben344. Die Zumutbarkeit einer solchen Beendigung wird dort zu bejahen sein, wo für den bedrohten Vertragsteil nur geldwerte Interessen auf dem Spiel stehen, denn in diesem Fall wird das Erfüllungsinteresse durch eine etwaige Schadensersatzpflicht vollauf kompensiert. Anders kann das erst dort sein, wo eine Beendigung des Schuldverhältnisses unzumutbar ist, weil ein besonderes, über geldwerte Interessen hinausgehendes Abwicklungsinteresse anzuerkennen ist, das die Fortsetzung des Schuldverhältnisses voraussetzt, wie es z.B. bei Miet- oder Arbeitsverhältnissen denkbar ist345. Liegen diese Voraussetzungen vor und wird deshalb Raum für die Annahme eines Anspruches bejaht, bleibt immer noch die oben schon angeklungene Voraussetzung der hinreichenden Konkretisierbarkeit des zum Schutz der Güter und Interessen erforderlichen Verhaltens des Pflichtigen 346. Denn der Anspruch des Gläubigers auf Vornahme einer Handlung kann den Schuldner nicht zu irgendeinem Verhalten, sondern muß ihn zu einem bestimmten Verhalten verpflichten 347. Häufig wird sich die erforderliche Konkretisierbarkeit wegen der Vielzahl möglicher gefährdender oder verletzender Schuldnerhandlungen erst durch die schon erfolgte Pflichtverletzung ergeben, so daß der Gläubiger mit dem Schutzanspruch erst der Wiederholungsgefahr begegnen kann348, gegen einen schon entstandenen Schaden jedoch durch den Schadensersatzanspruch geschützt ist. Deutlich wird damit, daß der Schutzanspruch letztlich doch unentwickelt ist, weil die Verhaltenspflicht in erster Linie zum Tatbestand der sekundären Haftung gehört und nur unter besonderen, eng gefaßten Voraussetzungen zum Inhalt eines primären Gläubigeranspruches wird. 342

Stümer, JZ 1976 S. 386 unter I V 1 mit Beispielen. Darauf weist zutreffend Staudinger-Schmidt (Einl. zu § 241ff. Rn 336) hin. 344 Das Gesetz sieht Kündigungsmöglichkeiten ζ. B. bei §§544,533,605 S. 2,622 BGB vor. 345 Die überwiegende Auslegung der §§ 536, 618 BGB als Pflichten, denen Ansprüche des Mieters bzw. Arbeitnehmers korrespondieren, erscheint deshalb überzeugend. 346 Zu diesem Problem differenzierend nach der Art der Pflicht Stümer, JZ 1976 S. 386 unter 2, S. 388 unter CΙΠ und S. 390 unter D III. 347 So schon zutreffend Kress, S. 594. 348 Zutreffend Kress, S. 6. 343

§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes Im Gegensatz zum BGB, das mit Unmöglichkeit, Verzug und den Gewährleistungstatbeständen im Besonderen Teil verschiedene Folgen von Schutzpflichtverletzungen ausgeformt und zum Anknüpfungspunkt für bestimmte Rechtsfolgen gemacht hat, steht im Mittelpunkt des von der Kommission entwickelten Systems der Begriff der Pflichtverletzung selbst. Die Unmöglichkeit, deren Stellung, Funktion und Bedeutung im geltenden Recht als verfehlt angesehen wird1, soll durch einen einheitlichen Grundtatbestand abgelöst werden. Dieser einheitliche Grundtatbestand, auf dem die Rechte des Gläubigers wegen einer Leistungsstörung aufbauen, besteht in der Verletzung einer Pflicht. Dies gilt für die Schadensersatzansprüche des Gläubigers (vgl. §§280,283, 327 KE) ebenso wie für ein Recht zum Rücktritt vom Vertrag (vgl. § 323 KE) 2 . Nicht von Bedeutung ist für das Merkmal der Pflichtverletzung, auf welchen Gründen sie beruht oder welche Folgen sie hat. Insbesondere ist es nicht entscheidend, ob die Pflichtverletzung darin liegt, daß dem Schuldner die Leistung von Anfang an unmöglich war oder daß sie ihm nachträglich unmöglich geworden ist, Unmöglichkeit und Verzug sind damit nicht mehr besondere und eigenständig geregelte Formen der Leistungsstörung3. Dieser Ansatz bringt zahlreiche Probleme mit sich. So wird im Folgenden zu zeigen sein, daß die unerläßliche Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten sich im Grundtatbestand der Pflichtverletzung sprachlich nicht abbildet, sondern vielmehr erst durch die Unterscheidung von transitivem und intransitivem4 Verständnis herausgearbeitet werden muß. Die Nichterfüllung einer Leistungspflicht kann nur als Pflichtverletzung begriffen werden, wenn man den Begriff der Pflichtverletzung vom Vertreten des Schuldners löst; die Verletzung einer Schutzpflicht hingegen ist zwar immer eine Pflichtverletzung, doch liegt dort auch immer schon ein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß vor, die „Pflichtverletzung" muß dann also wieder per definitionem auf ein Vertreten bezogen werden.

» Bericht S. 16f. Bericht S. 29. Daß auch § 275 Satz 1 KE, der die Grenze der Leistungspflicht des Schuldners bestimmen soll, mit dem Merkmal der Pflichtverletzung verknüpft ist, ergibt sich aus der Verweisung des § 275 Satz 2 KE; vgl. in diesem Sinne die Ausführungen im Abschlußbericht S. 121 : „Satz 2 des § 275 BGB-KE soll klarstellen, daß auch die durch eine Einrede gedeckte Nichtleistung eine Pflichtverletzung sein kann." 3 So wörtlich der Bericht S. 29. 4 Dazu unten VII. 2

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Es wird damit schon deutlich, daß der von der Kommission gewählte Grundtatbestand der Pflichtverletzung nur bei oberflächlicher Betrachtung ein zusammenhängendes und geschlossenes System bieten kann, das sich schon bei der grundsätzlichen Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten wieder aufgliedern muß. Diese ersten Bedenken setzen sich fort, wo der isolierten Betrachtung des Grundtatbestandes das Zusammenspiel mit anderen Vorschriften folgt. Der Begriff der Pflicht wechselt notwendigerweise seinen Inhalt, wenn der Bezugspunkt im Oiganismus Schuldverhältnis von der Primärleistungsebene auf die Sekundärebene wechselt, wo es nicht nur um das synallagmatische Verhältnis, sondern um die Erweiterung der Gläubigerrechte geht, kurz: wenn zur Frage der Erfüllung der Leistungspflicht die Frage nach der Verletzung einer Schutzpflicht tritt. Diese Anknüpfung der Rechtsfolgen an unterschiedliche Pflichteninhalte ist in den entsprechenden Normen aber nicht ausdrücklich angelegt, eingehend und in detaillierter Form ist das im weiteren Verlauf der Arbeit aufzuzeigen. Müssen die Unterschiede von Leistungs- und Schutzpflichten aber auch in dem vereinheitlichenden Konzept des Kommissionsentwurfes bei dessen Anwendung letztlich immer wieder hervorbrechen, dann ist es fraglich, ob der Grundtatbestand der Pflichtverletzung für die verschiedenen Pflichten der geeignete Rahmen ist, oder nicht sogar einen Rückschritt darstellt, da er versucht, die Unterschiede und Störungstatbestände einzuebnen und so dogmatisch wertvolle Errungenschaften 5 preisgibt.

I. Der Pflichtverletzungstatbestand und die pFV Die Kommission sieht in ihrem Konzept die „Weiterentwicklung und Verallgemeinerung der Grundsätze über die Haftung wegen positiver Forderungsverletzung".6 Wenn die Rechtsprechung als positive Forderungsverletzungen alle Pflichtverletzungen ansehe, die weder Unmöglichkeit noch Verzug herbeiführen, so beruhe dies auf der Erkenntnis, daß auch die Nichtleistung wegen Unmöglichkeit und der Verzug Pflichtverletzungen darstellen7. Daran, daß die Kommission ihr Konzept als Fortführung der Lehren Staubs begreift, ist zunächstrichtig,daß auch die positive Forderungsverletzung in ihrer heutigen Form die schuldhafte Pflichtverletzung zum Anknüpfungspunkt für Schadensersatz und Rücktritt macht. Daß dieses Prinzip jedoch nicht von Staub entdeckt wur5

Vgl. Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101,117ff. Bericht S. 30; ebenso die Kommissionsmitglieder Heinrichs (Vortrag S. 30) und Schlechtriem (Schuldrechtsreform S.22f.). 7 Bericht S. 30. Das ist grundsätzlich richtig, bedarf aber bezüglich der Unmöglichkeit der Korrektur, daß hier die Nichterfüllung auf einer Pflichtverletzung beruhen kann (§ 3251 BGB), dies aber nicht zwingend ist (vgl. § 323 BGB). Es stellt also durchaus nicht jede Nichterfüllung auch immer schon eine Pflichtverletzung dar (eingehend dazu sogleich unten VI)). 6

II. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Entwürfe von Heinrich Stoll

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de, sondern die gemeinrechtliche culpa-Haftung wiedergibt, wie sie auch dem BGB zugrunde liegt und in § 2241 seines ersten Entwurfes noch ausdrücklich verankert war, wurde schon oben8 mehrfach angesprochen. Die Kommission greift also zu kurz, wenn sie sich selbst in der Tradition von Staub ansiedelt9, da die schuldhafte Pflichtverletzung als Grundtatbestand der Schuldnerhaftung weitaus ältere Wurzeln aufweisen kann.

II. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Entwürfe von Heinrich Stoll Auch der Bezug nur auf die Lehren von Staub reicht aber, um zunächst einem rechtshistorischen Einwand gegen die Pflichtverletzung als Grundtatbestand zu begegnen, der in der Auseinandersetzung um die Reformvorschläge auftauchte. W. Flume hatte anläßlich des Deutschen Juristentages 1994 engagiert auf Übereinstimmungen des Grundtatbestandes des Kommissionsentwurfes mit Gesetzesentwürfen hingewiesen10, die Heinrich Stoll im Jahre 1936 als Teil einer Denkschrift der Akademie für Deutsches Recht vorgelegt hatte11. Diese 1933 gegründete Akademie sollte unter anderem Anregungen zu Gesetzesänderungen geben, „die die Erneuerung des deutschen Rechtes im Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung vorbereiten, um das Reformwerk des nationalsozialistischen Deutschlands auch auf dem Gebiet des Rechtslebens zu vollenden"12. Tatsächlich hatte Stoll in Entwicklung seiner früheren Überlegungen zur positiven Forderungsverletzung 13 ein auch als Gesetzesvorschlag14 ausgearbeitetes Konzept zum allgemeinen Schuldrecht entworfen, das als § 31 vorsieht: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig seine Verpflichtung 8

Eingehend dazu noch unten in § 11. Umgekehrt ist es deswegen erstaunlich, wenn Brüggemeier (Referat auf dem DJT, abgedruckt in Bd. II/l Κ 47,58) es als ein „nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst der Schuldrechtskommission" ansieht, daß sie das im BGB „extrem verfremdete gemeinrechtliche Grundprinzip... wieder zum Kem- und Angelpunkt ihrer Reformvorschläge gemacht hat", denn zumindest im Abschlußberichtfindet sich dieser Bezug gerade nicht. 10 DiskussionsbeitragBd.il/2K 112ff.; abgedrucktauch in ZIP 1994S.1497ff. Nicht minder engagiert ist die Erwiederung des Kommissionsmitgliedes D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135ff. und in ZIP 1996 S. 1652ff.; vgl. auch die Stellungnahme des Kommissionsvorsitzenden Rolland, Diskussionsbeitrag Κ 156. 11 „Die Lehre von den Leistungsstörungen", abgedruckt bei Schubert, Bd.III, 3 S. 232ff. 12 Vgl. die Nachweise bei D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 135,138 f. 13 AcP 136 (1932) S.257,316ff.; Referat vor der Akademie für Deutsches Recht 1934, abgedruckt in Schubert, Bd.III, 3 S. 190ff. mit Gesetzesvorschlag (S.207ff.) und Begründung. Stoll stellt zunächst ein an der lnteressenjurisprudenz von Heck ausgerichtetes System der Forderungsverletzungen auf, das er zunehmend mit dem nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken vermischt (vgl. auch Ahrens, ZRP 1995 S.417ff. und Rabe, ZIP 1996 S. 1652ff.). 14 Die Vorschläge von 1936 sind als Teil der Denkschrift zufinden bei Schubert Bd. III, 3 S.294 ff. 9

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

(Leistungspflicht oder Schutzpflicht) verletzt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet." 15 Die an die Kommission gerichtete und eine Vorbildfunktion 16 des ideologisch belasteten Entwurfes implizierende Mahnung Humes vor den Spuren der verunglückten Vorgänger17 geht aber wohl ins Leere: Nicht nur, weil die Überlegungen Stolls der Schuldrechtskommission nicht als Vorbild gedient haben18 und die Verwendung der Pflichtverletzung als Grundtatbestand auch bei Stoll vielmehr ein Beleg dafür ist, wie sehr wertneutrale Rechtsbegriffe der Beliebigkeit von Zeitgeist und Ideologie ausgesetzt sind19, sondern weil die Pflichtverletzung als Grundtatbestand Wurzeln hat, die weit über die Zeit der Akademie für Deutsches Recht hinausreichen und sie so dem Verdacht der Befrachtung mit nationalsozialistischer Rechtsideologie entziehen20. Gegen eine solche Befrachtung spricht auch die weitere Entwicklung der Überlegungen Stolls im Verlauf der Beratungen der Akademie21, die im Wesentlichen von der durch Larenz22 geübten Kritik 23 und dem von ihm erarbeiteten Gesetzesentwurf 24 bestimmt war. Dieser Entwurf aber ist in vielen Grundpositionen weit von dem heutigen Kommissionsvorschlag entfernt. Nur weil der Begriff der Pflichtverletzung auch für Gesetzesentwürfe fruchtbar gemacht worden ist25, die der nationalsozialistischen Rechtsidee dienen sollten, haftet ihm noch nicht jener Makel an, der sich aus der Rolle der Akademie für Deutsches Recht ergibt; nicht allein schon, weil es diese Entwürfe gibt, müssen sie auch dem aktuellen Entwurf als Vorbild zugerechnet werden.

15

Vgl. zu dieser Vorschrift auch unten § 11VIII). Ähnlich auch Brüggemeier Referat Κ 47,48 in Fn.9. 17 Diskussionsbeitrag Bd. II/2 Κ 112 (= ZIP 1994 S. 1497): vestigia terrent; vgl. auch Rabe ZIP 1996 S. 1652, 1655. 18 So nachdrücklich das Kommissionsmitglied D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 135, 137, 142f. und in ZIP 1996 S. 1652,1655; ebenso Heinrichs, Vortrag S. 10 und der Vorsitzende der Kommission Rolland, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 156. 19 Überzeugend insoweit D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135, 141, 143 und in ZIP 1996 S. 1652, 1653. 20 Ähnlich auch Medicus, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 134; Mötsch, Diskussionsbeitrag ebenda Κ 179. 21 Dazu Ahrens in ZRP 1995 S.417,418ff. 22 Larenz war nach Stolls Tod neuer Referent des Ausschusses für Schadensersatzrecht. 23 Abgedruckt in Schubert Bd. III, 5 S. 68 ff. 24 Ebenda S. 1 lOff.; spätere Fassungenfinden sich S. 185ff. und S. 273 ff.; die endgültige Fassung in Bd. III, 1 S. 138 ff. 25 Vgl. als Endpunkt der Reformüberlegungen den Teilentwurf zu einem Volksgesetzbuch von 1942, 2. Teil: Haftungsordnung, 1. Abschnitt: Pflichtverletzungen (abgedruckt bei Schubert Bd. III, 1 S. 138 ff.). 16

III. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Einheitlichen Kaufrechte

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I I I . Der Pflichtverletzungstatbestand und die Einheitlichen Kaufrechte Solche Vorbilder hat die Kommission hingegen in den einheitlichen Kaufrechten, insbesondere dem E K G 2 6 und dem UN-Kaufrecht (CISG 2 7 ) gesehen28. Der Gedanke des einheitlichen Grundtatbestandes als systematischer Ausgangspunkt findet sich auch schon in dem gutachterlichen Gesetzentwurf von U. Huber 29 , der sich ausdrücklich und seiner Themenstellung entsprechend am E K G orientiert. Diesem entlehnt Huber als Grundtatbestand seines Entwurfes die „Nichterfüllung 30 ,, als Oberbegriff 31 (§ 2751 Entwurf Huber 32 ), durch den Unmöglichkeit, Verzug, pFV und Schlechterfüllung als eigene Kategorien entbehrlich werden sollen. Der Begriff der „Nichterfüllung" ist in der Literatur zutreffend kritisiert worden, da er nicht die Verletzung von Schutzpflichten erfaßt, denen ja kein Erfüllungsanspruch korrespondiert 33. Als Grundtatbestand findet sich die „Nichterfüllung" auch 26 „Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen" von 1973, vgl. BGBL. 1973 S.856ff. 27 „United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods", vgl. BGBL. 1989II S. 588 ff., durch das Inkrafttreten des UN-Kaufrechtes wurde das EKG abgelöst. 28 Bericht S. 16, 19f., 30,130; D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 135,147ff.; Heinrichs, Vortrag S. 10f.; eingehend auch Schlechtriem, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 140ff. Kritisch zu dieser Anlehnung an die einheitlichen Kaufrechte z.B. Emst in NJW 1994 S.2177ff. Der von Ahrens (ZIP 1995 S. 417 ff.) ausführlich begründete Vorwurf, daß die Kommission in ihrem Entwurf durch die Zusammenführung von Elementen heterogener Systeme (Stoll, Larenz, Huber) notwendig systematische Brüche hervorrufe, geht deshalb ebenfalls fehl. Solche Brüche mögen sich zeigen, wenn man - wie Ahrens - alle von ihm zitierten Konzepte dem Kommissionsentwurf unterlegen will. Die Kommission wollte sie ihrem Entwurf jedenfalls nicht zugrundelegen, so daß sich der Entwurf dem von Ahrens gestellten Anspruch einer stimmigen Synthese aller Systemansätze nicht aussetzen muß. 29 Anklänge schon in der FS für von Caemmerer S. 837 ff. 30 „non performance". 31 Der Grundtatbestand des EKG ist entgegen Huber (Gutachten S. 649,699) aber die „Vertragsverletzung", Art. 10 EKG („breach of contract"), die alle möglichen Fälle der Nichterfüllung oder Schlechterfüllung von Vertragspflichten umfaßt; ebenso der Bericht (S. 129), der betont, daß die Terminologie, an die Huber anknüpft, keine einheitliche ist. Nach Huber (FS von Caemmerer S. 837) ist die „Nichterfüllung" der „konkretere und grundlegendere" Begriff, „Vertragsverletzung" hingegen der abgeleitete, da die Feststellung, daß eine Partei den Vertrag verletzt hat, nur getroffen werden könne indem man feststellt, daß sie eine ihrer Verbindlichkeiten nicht erfüllt habe. 32 Erläuterungen zu dem Grundtatbestand der Nichterfüllung finden sich in Hubers Gutachten S.649, 699, 752ff., 779ff. 33 Medicus in AcP 188 (1988) S.268,277; ähnlich in Schuldveriiältnis S. 18 f.; Picker in AcP 183 (1983) S. 369, 436,445; zum Begriff der Nichterfüllung ausführliche Kritik auch bei Jakobs, Gesetzgebung S. lOff., 51 ff.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

im UN-Kaufrecht 34, das daneben aber gleichbedeutend den Begriff der „Vertragsverletzung" verwendet35.

IV. Begriffswahl der Schuldrechtskommission Die Schuldrechtskommission wollte aus verschiedenen Gründen weder den Begriff der Nichterfüllung, noch den der Vertragsverletzung übernehmen, sondern entschied sich für den Begriff der Pflichtverletzung. Der Begriff der Vertragsverletzung sei zu eng, da er die Einbeziehung von gesetzlichen Schuldverhältnissen nicht erlaube36; ähnlich sei es bei dem Begriff der Nichterfüllung, wie Huber ihn vorschlug. Von diesem Vorschlag weicht die Kommission bewußt ab. Der Begriff lasse Mißverständnisse befürchten, da er im geltenden Recht nur den Fall bezeichne, daß die geschuldete Leistung ausbleibe, bloße Abweichungen der Leistung vom Geschuldeten hinsichtlich der Zeit oder der Begleitumstände hingegen üblicherweise und in der Umgangssprache nicht als „Nichterfüllung" bezeichnet würden37. Da die Kommission nicht ohne hinreichenden Grund eine ungewohnte Terminologie wählen wollte, habe man sich für den Begriff der Pflichtverletzung entschieden38. Dies entspreche dem UN-Kaufrecht 39; zwar verwende dieses den Begriff der Nichterfüllung vertraglicher Pflichten, doch liege darin nur ein verbaler, aber kein sachlicher Unterschied40. Ausgeräumt ist mittlerweile das Mißverständnis, daß der Begriff der Pflichtverletzung auf einen Vorschlag von Diederichsen zurückgeht41; daß die Begriffswahl der Kommission aber auch sonst Probleme bereitet hat, zeigt deutlich die Stellungnahme des Vorsitzenden Rolland auf dem Juristentag 199442. Rolland betonte, daß 34

Artt.451,611. Artt. 25,491,74. 36 Heinrichs, Vortrag S. 10; Rolland, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 156 37 Bericht, S. 130. 38 Bericht, ebenda. 39 Nicht berücksichtigt wurden von der Kommission die Arbeiten der sog. Lando-Kommission (Kommission zum europäischen Vetragsrecht), die teilweise schon abgeschlossen sind (Performance and Non-Performance and Remedies). Vgl. zum Aspekt des europäischen \fertragsrechts z.B. Schlechtriem in ZEuP 1993 S.217ff.; Bamberg, DNotZ Sonderheft 1993 S. 116f.; Stümer in FS für Brandner S.635, 637 und in JZ 1996 S.741, 744f., 751 f. 40 Bericht, S. 30; den Ausführungen des Kommissionsmitgliedes Heinrich (Vortrag S. 10) zufolge ist hingegen nicht der Begriff der Nichterfüllung, sondern der der Vertragsverletzung erweitert worden. 41 So der Bericht, S. 130 mit Verweis auf Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101, 117ff. (doch erklärt Diederichsen dort gerade, daß die klassischen Rechtsinstitute der Leistungsstörungen auch in einem künftigen Recht unverzichtbar seien); ebenso Medicus in Schuldverhältnis S. 18 Fn.31 und in AcP 188 (1988) S. 168,172; berichtigend jetzt D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135,148f.; vgl. auch schon Ahrens, S.419. 42 Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 156f.; ähnlich Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.22f. 35

V. Abstraktionshöhe des Pflichtverletzungstatbestands

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auch die Kommission angesichts der sprachlichen Probleme gerne einen anderen präzisen, aber doch alles abdeckenden Begriff gefunden hätte und diesbezügliche Anregungen willkommen seien. Die in der Diskussion um den Grundtatbestand der Pflichtverletzung gemachten Vorschläge zu einem passenden Oberbegriff zeigen jedoch die gleichen Schwächen bzw. Probleme und bringen deshalb keinerlei Gewinn. Eingebracht wird neben den Ansichten, die-wie Huber in seinem Gutachten - die Nichterfüllung bevorzugen44 zum Beispiel der Begriff der „Obligationsverletzung"45, die „Vertragsverletzung" 46, die Kombination von „Pflichtverletzung" und „Vertragsstörung" 47, der Modellcharakter des Verzuges48 und vom Kommissionsmitglied Rabe wird schließlich als gemeinsamer Nenner vorgeschlagen, daß „eine Partei einer ihr obliegenden Pflicht im weitesten Sinne nicht nachkomme" 49. Rabe selbst wendet gegen diesen Ansatz jedoch ein, er bereite in seiner substantivischen Formulierung erhebliche sprachliche Probleme50, auch hafte ihm der Makel der Farblosigkeit an51.

V. Abstraktionshöhe des Pflichtverletzungstatbestands Eben diese Aussagekraft der „Pflichtverletzung" als Grundtatbestand wird vielfach unter dem Stichwort der Abstraktionshöhe bezweifelt. Es sei gute gesetzgeberische Tradition, im Regelfall auf einer mittleren Abstraktionshöhe zu bleiben, auf der auch noch die Anschaulichkeit gewährleistet ist52, die vom Kommissionsentwurf vorgenommene Abstraktion hingegen sei eine Abstraktion ins Unbestimmte, die der Gesetzmäßigkeit der Rechtsentwicklung widerspreche. Diese Entwicklung habe bezüglich der Abstraktion im BGB schon ihren Höhe43

Dazu sogleich unten VI), VII). So beispielsweise Flume in ZIP 1994 S. 1497, 1498; Stümer in FS für Brandner S.635, 640, Anklänge auch schon in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 (S. 1,4). 45 Vorschlag von Mötsch auf dem DJT 1994 (Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 179f.) für den Fall, daß man sich entscheiden könne, das Schuldrecht in „Obligationenrecht" umzubenennen. 46 Mötsch, ebenda. 47 Schapp in JZ 1883 S.637,639 ff. 48 Ahrens, S.419; ähnlich auch Emst in JZ 1994 S.801, 809. 49 D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 147 ff.; (kursiv gesetzt von D. Rabe). 50 Ζ. B. in §§ 3231S. 2; III S. 1 KE; auch allgemein beim Schadensersatz: „Schadensersatz wegen der Nichtnachkommung einer Pflicht". 51 D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 151. Nicht eine Farblosigkeit stört hier aber, sondern eher die assoziative Nähe zum Verzug. Insgesamt kann man sich dem Eindruck nicht ganz verschließen, daß Rabe diese Erwägung vorausschickt, um sogleich wieder den Bgreifif der Pflichtverletzung kontrastierend entgegenzusetzen und so feststellen zu können... kennzeichnet demgegenüber die Pflichtverletzung ebenso treffend wie aussagekräftig den Tatbestand, der Gegenstand der Leistungsstörung ist." (ebenda S. 151) 52 Schapp, S.641. 44

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

punkt gefunden und könne in ihrer Fortführung nur noch zu inhaltsleeren Begriffen kommen53. Diese Abstraktion würde auch keineswegs Vereinfachung bedeuten, sondern vielmehr das Gegenteil dessen bewirken, was doch eines der Ziele des Reformvorhabens sei, nämlich das Gesetz transparenter zu gestalten, da sie die Unterschiede nicht beseitige, sondern lediglich verdecke54. Letztlich sei der Begriff ohne Aussagekraft, weil es sich um eine Zusammenfassung inkommensurabler Tatbestände handle. Einen anderen Aspekt betreffen die Befürchtungen, daß die vom Kommissionsentwurf vorgenommene Lösung der zentralen Begriffe von konkreten Tatbestandsmerkmalen eine „Abdankung des Gesetzgebers zugunsten des Richters" bedeute55. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des Kommissionsmitgliedes Schlechtriem 56 verdeutlichen sich diese Befürchtungen, denn Schlechtriem forderte eingehend einen Kodifikationsstil, der die Notwendigkeit von Richterrecht stärker berücksichtigt. Die Kernbegriffe des Leistungsstörungsrechts müßten genügend flexibel sein, um richterrechtlichen Erwägungen Raum zu lassen, für das Gericht müßten Entscheidungsspielräume und Wertungsspielräume freigegeben werden57.

VI. Der Begriff der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf Wesentlich häufiger jedoch als an der Abstraktionshöhe, in der der Begriff der Pflichtverletzung sich befindet, entzündet sich die Kritik an einem anderen „sprachlichen Sündenfall" 58 des einheitlichen Grundtatbestandes der Pflichtverletzung.

1. Zufällige Nichterfüllung als Pflichtverletzung Dieser soll als Mittelpunkt des von der Kommission entwickelten Systems alle nur denkbaren Störungsfälle im Organismus Schuldverhältnis erfassen. Eine Unterscheidung nach der Art der verletzten Pflicht wird deshalb nicht getroffen. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob eine Haupt- oder eine Nebenpflicht, eine Leistungs· oder eine Schutzpflicht verletzt ist, ebensowenig darauf, ob überhaupt nicht, nicht rechtzeitig oder am falschen Ort geleistet wurde oder ob eine ganz andere als die geschuldete Leistung erbracht wurde, die nach Menge, Qualität und Art oder aus sonstigen Gründen hinter der vertraglich geschuldeten Leistung zurückbleibt59. 53 Westerhoff in ZG 1994 S.97, 101, 103; ähnlich auf dem DJT 1994, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 176ff. 54 Eingehend Emst in JZ 1994 S.801, 805f., 809 und in NJW 1994 S.2177, 2180. 55 Westerhoff, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 176ff. 56 Schuldrechtsreform, S.56ff. 57 Dieser Problematik kann hier jedoch nicht vertiefend nachgegangen werden. 58 Stümer in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 S. 1,4. 59 Bericht, S. 30.

VI. Der Begriff der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf

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Von Bedeutung ist es für den Grundtatbestand also nicht, auf welchen Gründen die Pflichtverletzung beruht oder welche Folgen sie hat, in der „Pflichtverletzung" sollen sich damit insbesondere die verschiedenen Störungstatbestände der Unmöglichkeit und des Verzugs auflösen. Die Unmöglichkeit als dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht kann aber auch auf Zufall beruhen, d. h. entweder auf einem Verhalten des Schuldners, das dieser aber nicht zu vertreten hat60, oder sogar auf äußeren Umständen, losgelöst von einem ursächlichen Verhalten des Schuldners. Anders als die Schutzpflichtverletzung, die immer einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß i. S. d. § 2761 BGB impliziert, fehlt der Nichterfüllung der Leistungspflicht die zwingende Verbindung zum Schuldnerverhalten. Will die Kommission aber mit ihrem Begriff der Pflichtverletzung auch die Fälle der vom Schuldnerverhalten unabhängigen Nichterfüllung erfassen, dann ist sie gezwungen, den Begriff entsprechend zu definieren. Eine Deckungsgleichheit der Nichterfüllung mit dem Begriff der Pflichtverletzung kann die Kommission also nur erreichen, wenn sie auch den Begriff der Pflichtverletzung vom zusätzlichen Merkmal des zugrundeliegenden Schuldnerverhaltens löst, wenn sie ihn unabhängig vom Vorwurf der objektiven Sorgfaltswidrigkeit versteht und sogar unabhängig vom ursächlichen Handeln des Schuldners. Diese Konsequenz wird von der Kommission auch folgerichtig gezogen. So erläutert der Abschlußbericht61, das Merkmal der Pflichtverletzung verlange nur den objektiven Verstoß gegen eine Pflicht, es komme aber nicht darauf an, daß dem Schuldner die Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Anschaulicher formuliert das Kommissionsmitglied Schlechtriem62, die Pflichtverletzung im Sinne des Kommissionsentwurfes besage nichts über Schuld und Verantwortung des Schuldners, sondern bezeichne nur ein Abweichung vom gesetzlich oder vertraglich festgelegten Pflichtenprogramm des Schuldners.

2. Kritik an der Begriffsdefinition der Schuldrechtskommission Diese Lösung des Begriffes der Pflichtverletzung von einem ihr zugrundeliegenden Verhalten63 wird dem Entwurf vielfach vorgeworfen. Es sei ein Bruch mit dem allgemeinen Begriffsverständnis, daß für das Vorliegen einer Pflichtverletzung ein Störungsfall im objektiven Sinn genügen soll64, und tat60

Nach dem jeweiligen Haftungsmaßstab des Schuldverhältnisses; i. d. R. § 276 BGB. Bericht, S.29. 62 ZEuP 1993 S.217, 222. 63 Zum Wandel des Begriffes der Pflichtverletzung vom personalisierten Verständnis bei Stoll bis hin zur Ausklammerung verhaltensunabhängiger Leistungshindernisse bei Larenz vgl. Ahrens in ZRP 1995 S. 417 ff. 64 Emst in JZ 1994 S.801, 805 f. 61

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

sächlich sträubt sich das herkömmliche Verständnis des Begriffs „Pflichtverletzung" gegen diese Erweiterung des Bedeutungsgehaltes, da es intuitiv hin zur Verknüpfung mit einem ursächlichen Handeln drängt65: Es fällt schwer zu formulieren, es liege eine Verletzung der Leistungspflicht des Verkäufers vor, wenn der von ihm zu übergebende Speziesgegenstand zufällig untergeht. Weitere, durch das System des Kommissionsentwurfes verursachte Überdehnungen des hergebrachten Verständnisses werden im Verlaufe der Arbeit noch aufzuzeigen sein.

3. Handlungs- und erfolgsbezogenes Verständnis des Pflichtverletzungsbegriffs Doch ist dieses Verständnis letztlich nur eine Frage gewohnter Denkkategorien, deshalb aber keineswegs zwingend66. Die der Kritik zugrundeliegende sprachliche Verengung des Begriffs der Pflichtverletzung durch das zusätzliche Merkmal des Schuldnerverhaltens ist nicht berechtigt, denn die Pflichtverletzung kann sehr wohl in einem doppelten Sinne verstanden werden, der einerseits nur erfolgsbezogen ist, andererseits aber auch handlungsbezogen sein kann. Sieht man die Pflichtverletzung im ersteren Sinne nur erfolgsbezogen und losgelöst vom Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit des Schuldners, dann erfaßt die Pflichtverletzung alle Fälle der Nichterfüllung der Leistungspflicht. Die Frage, ob diese Nichterfüllung auch noch auf einem Sorgfaltspflichtverstoß des Schuldners beruht, spielt bei der Nichterfüllung der Leistungspflicht zunächst keine Rolle. Sprachlich spiegelt sich dieses erfolgsbezogene Verständnis der Pflichtverletzung in der Formulierung wieder, daß die Pflicht verletzt ist. Beim handlungsbezogenen Verständnis hingegen ist zu unterscheiden. Der Begriff der Pflichtverletzung kann hier den Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit enthalten. Das ist immer dann der Fall, wenn der Schuldner eine Schutzpflicht verletzt hat, da diese Verletzung den Vorwurf der objektiven Sorgfaltswidrigkeit impliziert. Hier kommt es also zur Deckungsgleicheit mit dem bisherigen Verständnis67. 65

Das gesteht auch das Kommissionsmitglied D. Rabe (in FS für H.-J. Rabe S. 135, 150) den Kritikern zu: ,3is auf die wenigen Fälle, in denen der Schuldner aufgrund eines Vorganges nicht nachkommt, der außerhalb seines Einflußbereiches liegt, kennzeichnet... die Pflichtverletzung ebenso zutreffend wie aussagekräftig den Tatbestand, der Gegenstand des Leistungsstörungsrechts ist." 66 Die Kommission muß sich - gerade wegen des bisherigen Verständnisses der Pflichtverletzung· aber den Vorwurf gefallen lassen, entgegen ihrem ausdrücklichen Anliegen (Bericht S. 130) eine ungewohnte Terminologie gewählt zu haben. 67 Hierhergehört auch die bei Schutzpflichten denkbare Konstellation, daß der Verpflichtete seine Pflicht verletzt, ohne daß daraus eine Beeinträchtigung der geschützten Interessen oder Güter des Gläubigers erwächst.

VII. Sprachliche Erfassung des doppelten Verständnisses der Pflichtverletzung

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Wo das Handeln des Schuldners hingegen keine Schutzpflichtverletzung darstellt, sondern den Sorgfaltsanforderungen entspricht, ist wieder der Bereich der zufälligen Leistungsstörung betroffen, falls die Handlung des Schuldners Auswirkungen auf die Leistungspflicht hat. Trotz der Handlung des Schuldners kann hier also nur das erfolgsbezogene Verständnis des Begriffs zu seiner Anwendbarkeit führen: Die Pflicht (nämlich die Leistungspflicht) ist verletzt, ohne daß der Schuldner sie verletzt hat (da kein Sorgfaltspflichtverstoß vorliegt). Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Begriff der Pflichtverletzung in seiner Verwendung im System des Kommissionsentwurfes zu einem vom hergebrachten Verständnis abweichenden erfolgsbezogenen Verständnis immer dort zwingt, wo der Bereich des zivilrechtlichen Zufalls beginnt, weil das Vertretenmüssen des Verpflichteten endet68. Der Begriff der Pflichtverletzung ist bisher auf wenig Gegenliebe gestoßen69, der Kommission und den Befürwortern ihres Entwurfes ist aber zuzugeben, daß der Begriff sprachlich als Grundtatbestand Verwendung finden kann 70, auch wenn diese Verwendung dem bisherigen Verständnis zuwiderläuft.

V I I . Sprachliche Erfassung des doppelten Verständnisses der Pflichtverletzung Schon bis hierhin hat sich jedoch klar gezeigt, daß der Begriff der Pflichtverletzung gerade wegen der geschilderten Doppeldeutigkeit der ständigen, zunächst sprachlichen Unterscheidung bedarf. Im Abschlußbericht selbstfindet sich dazu andeutungsweise die terminologische Anknüpfung an das Begriffspaar „objektiv/subjektiv"71. Doch sind diese Begriffe 68

Zutreffend hat auch Huber auf dem DJT 94 (Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 185,186) darauf hingewiesen, daß die Einwände, die gegen den im KE verwendeten Begriff der Pflichtverletzung vorgebracht wurden, sich nur auf den Fall der nicht zu vertretenden Pflichtverletzung beziehen. 69 Begrüßt wird der Begriff von Brüggemeier, Referat auf dem DJT 1994, Bd.II/1 Κ 47,58f. Brüggemeier selbst sieht in der Pflichtverletzung als Oberbegriff drei schuldrechtliche Tatbestände vereinigt, nämlich Vertragsverletzungen, die Nichterfüllung gesetzlicher Leistungspflichten und Schutzpflichtverletzungen. Jedoch sind auch die Schutzpflichtverletzungen Vertragsverletzungen und ebenso unverständlich ist es, wenn Brüggemeier weiter ausführt, „die objektive Vertragsverletzung ist das nicht obligationsgemäße Verhalten", also erfolgsbezogenes und handlungsbezogenes Verständnis wieder gleichsetzt. 70 Zu Unrecht meint daher Flume (ZIP 1994 S. 1497), diese Verwendung sei nicht nur evident widersinnig, sondern auch mit dem Sprachsinn schlechthin unvereinbar. Ähnlich meint Schapp (S. 638 f.) mit Hinweis auf die Lehre vom Verhaltensunrecht im Deliktsrecht, daß von Pflichtverletzung in einem dogmatischen Sinn nur in Bezug auf Handlungen gesprochen werden könne; dagegen zutreffend Medicus, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 133f. und D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135, 150 i.V.m. Fn.61. 71 Bericht, S.30. 10 Kuhlmann

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

wohl ungeeignet zur Kennzeichnung der unterschiedlichen Bedeutungen der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf, da sie auch in Bezug auf den Sorgfaltspflichtverstoß angewendet werden, in dieser Verwendung also auf Schutzpflichten beschränkt sind. Die gleichzeitige Verwendung zur Differenzierung des umfassenden Pflichtverletzungsbegriffs würde deshalb zu sprachlichen Überschneidungen und Widersprüchlichkeiten führen 72. Möglich erscheint es stattdessen, das handlungs- und erfolgsbezogene Verständnis der Pflichtverletzung mit dem Vertretenmüssen bzw. Nichtvertretenmüssen der Pflichtverletzung gleichzusetzen: immer wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat, ist der Begriff handlungsbezogen zu verstehen; erfolgsbezogen hingegen dann, wenn die Pflichtverletzung nicht zu vertreten ist. Auch hier treten aber Bedenken auf. Das liegt zunächst daran, daß auch der Begriff des Vertretens eine assoziative Nähe zum Schuldnerverhalten und damit das gleiche Problem wie der Begriff der Pflichtverletzung selbst aufweist. Es müßten darüber hinaus auch Einschränkungen z.B. dort gemacht werden, wo eine Garantiehaftung des Verpflichteten vorliegt: hier muß der Schuldner eine Pflichtverletzung vertreten, ohne daß diese zwingend auf seine Handlung zurückgeführt werden kann. Vorzugswürdig erscheint daher die Kennzeichnung der beiden im Kommissionsentwurf angelegten Verständnisarten des Begriffs der Pflichtverletzung als „transitiv" 73 bzw. „intransitiv"74. Die Pflichtverletzung ist in ihrem transitiven Verständnis dann geprägt durch die Überleitung der Pflichtverletzung zu einem sorgfaltswidrigen Verhalten, also durch den Bezug auf ein zu vertretendes Schuldnerverhalten, während die intransitive Pflichtverletzung von diesem Bezug losgelöst ist. Das intransitive Verständnis erfaßt damit insbesondere die Fälle, in denen gar keine Handlung des Verpflichteten vorliegt, aber auch die Fälle, in denen eine Handlung zwar vorliegt, aber nicht zu vertreten ist.

V I I I . Der Pflichtverletzungstatbestand und die Pflicht zum Unmöglichen Ein weiterer, in der Diskussion um den Kommissionsentwurf häufig aufgegriffener Kritikpunkt ergibt sich aus einem nicht nur sprachlichen, sondern auch rechtskonstruktiven Unbehagen am Grundtatbestand der Pflichtverletzung im Zusammenwirken mit dem die Grenze der Leistungspflicht bestimmenden § 275 KE. 72 So liegt beispielsweise das Charakteristische der („objektiv" zu nennenden) Pflichtverletzung gerade darin, daß ihr kein objektiver Sorgfaltspflichtverstoß zugrunde liegen muß. 73 Übergehend, überleitend, zielend auf; vgl.z.B. Meyers neues Lexikon, 2. Aufl. Bd. 13; Brockhaus Enzyklopädie 19. Auflage (1993). 74 So wohl zuerst Schapp, S.639. Diese Terminologie wird beispielsweise aufgegriffen von Ahrens, S.419 und Weismann, Diskussionsbeitrag auf dem DJT Bd.II/2 Κ 153,155.

VIII. Der Pflichtverletzungstatbestand und die Pflicht zum Unmöglichen

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§ 275 KE, der im Gegensatz zu § 275 BGB weder das Merkmal der Unmöglichkeit noch die Befreiung von der Primärleistungspflicht kennt, sondern in allen denkbaren Fällen der Leistungserschwerung dem Schuldner lediglich eine Einrede gibt75, führt in Fällen der (anfänglichen 76 wie nachträglichen) Unmöglichkeit zum Anspruch auf eine unmögliche Leistung, zur „Pflicht zum Unmöglichen"77. Zur Veranschaulichung soll hier zunächst der vielzitierte78 „Blitzfall" reichen. In diesem Beispiel79 wird das verkaufte Pferd noch vor der Übergabe an den Käufer auf der Weide vom Blitz erschlagen80. Im BGB ist das bisher ein Fall der zufälligen und dauerhaften Nichterfüllung der Leistungspflicht, für die Annahme einer Pflichtverletzung hingegen ist kein Raum, da der Schuldner nach § 2751 BGB von seiner Leistungspflicht befreit wird und die nicht mehr bestehende Leistungspflicht nicht mehr verletzt werden kann. Im Kommissionsentwurf hingegen bleibt die Leistungspflicht des Verkäufers gemäß § 275 KE - einredebehaftet - bestehen, ihre Nichterfüllung kann dementsprechend als Pflichtverletzung gewertet werden. Eingewendet wird nun wieder, die Nichterfüllung sei aber keine Pflichtverletzung. Eine Pflichtverletzung beinhalte nach ihrem Sinn bereits ein Moment des Vorwurfes an den Schuldner, daß er bei seinem Handeln der ihm auferlegten Pflicht nicht gerecht geworden sei81. Da die Rechtsordnung dem Schuldner aber kein unmögliches Handeln gebiete, liege in der Nichterfüllung einer unmöglichen Pflicht auch keine Verletzung dieser Pflicht 82. Läßt man zunächst die Frage beiseite83, ob die „Pflicht zum Unmöglichen" ein erkenntnistheoretisch bedenkliches84 bzw. ein unsinniges Konstrukt ist85, das die Grenzen übersteigt, die auch der juristischen Gestaltungskraft schließlich durch die Vernunft gezogen sind86, so reduziert sich die 75

Sofern nicht § 306 KE greift. Dazu von Wallenberg in ZRP 1994 S. 306ff. 77 Relevant wird das für den Kauf insbesondere bei den Fällen der endgültig mangelhaften Speziessache. 78 Vgl. zum Beispiel Schapp, S.638; Flume in ZIP 1994 S. 1497 und Diskussionsbeitrag Bd. II/2 Κ113 f.; D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135,149 und in ZIP 1996 S. 1652,1666; Brüggemeier, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 172; Rust § 3II2c. 79 Gebildet von Schapp, S.638. 80 D. Rabe (in FS für H.-J. Rabe) merkt zu diesem Fall an, daß er wohl eher dem täglichen Universitätsleben entstamme und Brüggemeier (Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 172) fügt hinzu, daß die Rechtsordnung nicht von derart pathologischen Rechtsfällen her zu strukturieren sei. 81 Schapp, S.640. 82 „Sollen impliziert Können", dazu unten § 5 III 1 und 2. 83 Eingehend dazu unten § 5 III 1 und 2. 84 Stümer in Sonderheft DNotZ 1993 S. 106; ähnlich in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 und in FS für Brandner S. 635, 640: „Nicht sehr überzeugende Figur, die mit sonst akzeptierten Merkmalen des Pflichtbegriffes kaum harmoniert". 85 Emst in JZ 1994 S. 801, 808. 86 So Kress (S. 417) zum Fortbestand des Primäranspruches bei objektiver Unmöglichkeit. 76

10*

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Kritik wieder auf den Einwand, daß der Begriff der Nichterfüllung nur einen Zustand bezeichne, der entweder durch eine Pflichtverletzung des Schuldners oder in anderer Weise herbeigeführt werden kann, aber nicht gleichbedeutend mit dem Begriff der Pflichtverletzung selbst ist87. Dieser Einwand löst sich jedoch durch das intransitive Verständnis der Pflichtverletzung auf und die zweifellos vorliegende Abweichung vom bisherigen Begriffsverständnis allein vermag die Ablehnung nicht zu legitimieren.

IX. Auflösung der Differenzierung von Störungsart und Störungsfolge im einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung Häufig gestellt und beinahe ebenso häufig bejaht wird die Frage, ob der Kommissionsentwurf entgegen seinem Grundanliegen nicht doch immer wieder auf Pflichtendifferenzierung und die typisierten Störungstatbestände zurückgreifen muß88. Tenor der Kritik ist, daß sich der einheitliche Begriff der Pflichtverletzung für die Erweiterung der Gläubigerrechte doch wieder nur unter Rückgriff auf die schon vorhandenen Typisierungen und Differenzierungen zur Tatbestands- und Rechtsfolgenseite hin fruchtbar machen läßt. Es erscheint auch nicht als ausreichend, dieser Kritik mit dem Vorwurf des Beharrens auf Hergebrachtem und liebgewordenen Denkkategorien zu begegnen89, wenn diese Differenzierungen und Typisierungen nicht durch das geltende Recht bedingt sind, sondern das Resultat einer diesem vorgegebenen Sachgesetzlichkeit, die zur Unterscheidung zwingt und nicht durch eine einfache Abstraktion beseitigt werden kann. Die im Schuldrecht zu entscheidenden Sachverhalte bringen unter Umständen eine Komplexität mit sich, dem die gesetz87 Schapp, S.639; ähnlich Wiedemann, System S. 367,373. Nicht ganz nachzuvollziehen ist es, wenn das Kommissionsmitglied D. Rabe (in FS für H.-J. Rabe S. 135, 150) erklärt, „Verletzen" sei gleichbedeutend mit „Schädigen", es sei aber die zwischen den Parteien eines Schuldverhältnisses bestehende Verbindung, die beschädigt wird. Diese „Beschädigung des Schuldverhältnisses", von wem und von welchem Ereignis sie auch immer ausgehen mag, sei Gegenstand der Frage, welche Rechtsfolgen hieran geknüpft werden. 88 Die Stellungnahmen zum Kommissionsentwurf sind trotz unterschiedlichster Grundpositionen in diesem Punkt von auffälliger Übereinstimmung; vgl. beispielsweise Stümer im Sonderheft der DNotZ 1993 S. 106,110f., 113; in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 S. 3 f.; in der FS für Brandner S.635,639f.; in JZ 1996 S.741,744f.; Hume in ZIP 1994 S. 1497,1500; Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101,117ff.; Wiedemann, System S.367, 379f.; Vollkommerin AcP 183 (1983) S.535,547; Ahrens in ZRP1995 S.417,419ff.; Emst in JZ 1994 S.801, 805, 809; Schapp, S. 641; Kanzleitner im Sonderheft der DNotZ 1993 S. 114; ebenda S. 109 auch Langenfeld; Diskussionsbeiträge vom DJT 1994 in Bd.II/2 von Horn, Κ 148; Westermann, Κ 161; Huber, Κ 183ff.; Weber, Κ 193; Bälz, Κ 195; vorsichtig zustimmend auch die Kommissionsmitglieder Heinrichs, Vortrag S. 11 und D. Rabe in FS für H.-J. Rabe, S. 135,147 sowie in ZIP 1996 S. 1652, 1655; vgl. auch Schlechtriem, Schuldrechtsreform S.38 und Jakobs, Gesetzgebung S. 10ff., 51 ff. (zum gleichen Problem beim Grundtatbestand der Nichterfüllung). 89 So D. Rabe (in FS für H.-J. Rabe, S. 135,136,162) zur Kritik von Flume an der Neuregelung des Kaufrechtes.

IX. Auflösung der Differenzierung von Störungsart und Störungsfolge

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liehe Regelung Rechnung tragen muß, indem sie notwendigerweise eine gewisse Komplexität auch transformiert. Ein kurzer Blick auf die dem Kommissionsentwurf als Vorbilder dienenden einheitlichen Kaufrechte bestätigen dies. Der Grundtatbestand des EKG, die „Vertragsverletzung", erfährt hinsichtlich ihrer Sanktionen eine mehrfache Differenzierung 90 nach dem Inhalt der Vertragsverletzung 91, ihrem Grund92 und ihrem Gewicht93. Nicht anders liegt es beim UN-Kaufrecht, das ζ. B. in Art. 491 auf das Gewicht der Vertragsverletzung abstellt und in Art. 791 auf objektiv nicht beherrschbare Leistungshindernisse. Letztlich kommen also auch die einheitlichen Kaufrechte nicht umhin, die von ihnen vorangestellten Grundtatbestände zur angemessenen Regelung durch Fallgruppen mit Unterscheidungen für die konkrete Art der Pflichtverletzung wieder aufzulösen. Auch der Gutachter Huber, der seinen Entwurf ebenfalls am Grundtatbestand der Nichterfüllung ausgerichtet hat, korrigierte diesen auf dem Juristentag 199494. Der Kommissionsentwurf habe ihn davon überzeugt, daß ein einheitlicher Grundtatbestand, wie auch er ihn versucht habe, der falsche Weg sei. Die Probleme würden die alten bleiben, und um den einheitlichen Grundtatbestand zu einem geordneten Verständnis zu bringen, bedürfte man genau wieder der alten Differenzierungen. Der Schluß liegt damit nahe, daß kein Grundtatbestand des Leistungsstörungsrechts ohne die Differenzierungen nach der Art der Pflicht und ihrer Verletzung bzw. Folgen auskommt und diese Differenzierungen wegen einer übergreifenden Sachgesetzlichkeit letztlich den Differenzierungen und Typisierungen des BGB gleichen müssen. Der Abschied von den Störungstatbeständen im Kommissionsentwurf wäre damit nicht bloß ein halbherzige^5, sondern lediglich ein scheinbarer*6. Erste Zugeständnisse in dieser Hinsicht zeigen sich exemplarisch daran, daß in den Beschlüssen des Juristentages 1994 gefordert wurde, den Fall der objektiven Unmöglichkeit in § 275 KE entgegen seiner jetzigen Fassung wieder ausdrücklich zu verankern97. 90 Zum EKG und seinen Differenzierungen vgl. Weitnauer in Rechtsvereinheitlichung und Rechtsveigleichung, S. 71ff.; siehe dazu auch Huber in FS für von Caemmerer, S. 837, 839f., 851 ff. 91 Ζ. B. die nicht rechtzeitige Lieferung (Artt.24ff. EKG), die nicht vertragsgemäße Lieferung (Artt. 41 ff EKG) oder die Nichtbezahlung des Kaufpreises (Artt. 61ff. EKG). 92 Z.B. Art.74EKG. 93 Vgl. dazu die Artt. 3011, 3211,431 EKG. 94 Diskussionsbeitrag, Bd.II/2 Κ 183ff. 95 So Stümer in der FS für Rabe, S. 635,639. 96 Ähnlich dem Abschied, den Heinrich Stoll (in AcP 136 -1932- S.257 ff., insbesondere S. 320) der positiven Vertragsverletzung gab und die jetzt dem Grundtatbestand des Kommissionsentwurfes als Vorbild dienen soll. 97 Beschluß II 5a), angenommen mit 116:4:9 Stimmen (Abdruck in Bd. Π/2 der Verhandlungen des DJT 1994 Κ 233 und Bd.II/1 Κ 103); vgl. dazu auch das Kommissionsmitglied

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§4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Weiter gehen demgegenüber die Vertreter der Ansicht, daß angesichts dessen, daß letztlich doch wieder die bisherigen Differenzierungen und Typisierungen entscheidend sein werden, eine umfassende Reform der falsche Ansatz ist. Vorzuziehen sei die Vervollständigung des geltenden Rechts durch Einfügung 98 bzw. Korrektur einzelner Vorschriften, die das vorhandene System aber als grundsätzlich maßgebend anerkennt99. Durchgesetzt hat sich diese Ansicht - zumindest auf dem Juristentag 1994 - allerdings nicht100.

X. Ansätze für die Kritik am einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung Das Kommissionsmitglied Rabe hat jüngst geäußert, ob der Kommissionsentwurf Rechtswirklichkeit würde, hänge nicht so sehr von der Kritik an einzelnen Vorschriften ab, sondern von der Billigung des Gesamtkonzeptes. Da dieses in entscheidendem Maße auf dem Gedanken der Pflichtverletzung als Grundtatbestand beruht, stehe und falle die Reform letztlich damit, ob die Berechtigung der allumfassenden Kategorie „Pflichtverletzung" anerkannt werde 101.

1. Begriffliche und rechtskonstruktive Bedenken Die oben angesprochenen Bedenken in sprachlicher und rechtskonstruktiver Hinsicht werden die Akzeptanz des Gesamtkonzeptes sicherlich nicht fördern, dürfen aber auch nicht zu dessen Ablehnung führen. Ein Begriffsverständnis ist keine feste Heinrichs, Vortrag S. 17 und Diskussionsbeitrag auf dem DJT (Bd.II/2 Κ 191). Dieser Beschluß ist zurückzuführen auf die Ausführungen Brüggemeiers in seinem vorbereitenden Referat auf dem DJT (Bd. II/l Κ 47,60ff., 99). Brüggemeier versteht § 275 KE in seiner jetzigen Fassung als inhaltlich auf die subjektiv-wirtschaftliche Unmöglichkeit beschränkt, was allerdings weder durch den Wortlaut der Vorschrift nahegelegt wird, noch durch die Erläuterungen im Abschlußbericht (S.29f., 118ff., 120ff.). Der Abschlußbericht legt vielmehr (S. 118f.) die Überwindung der Beschränkung des § 275 BGB auf nachträgliche Unmöglichkeit oder Unvermögen dar, nicht aber eine weitere Reduzierung des Anwendungsbereiches und erklärt zu §275 KE (S. 120f.) dementsprechend ausdrücklich: „Die... Anknüpfung an die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses geschuldeten Anstrengungen umfaßt neben der echten Unmöglichkeit auch weitere Tatbestände." Vgl. zu der Frage der Wiederverankerung der objektiven Unmöglichkeit auch noch die Ausführungen unten in Fußnote 114 und unten §6119). 98 Vgl. in diesem Zusammenhang den - wenig überzeugenden - Versuch von Wiedemann (System S. 367, 389f.), die pFV rechtssatzmäßig zu formulieren. 99 Emst in JZ 1994 S. 806; eingehend in NJW 1994 S.2177,2180ff.; Stümer in FS für Brander S.641; Huber, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 186 (mit Vorschlägen und zu einer entsprechenden Beschlußvorlage); Schapp, S. 641; zu solchen Vorschlägen wird im Abschlußbericht auf S. 129 kurz Stellung genommen. 100 Vgl Beschluß 114): „Der angestrebte einheitliche Grundtatbestand der Pflichtverletzung ist der überkommenen Aufgliederung in verschiedene Störungstatbestände vorzuziehen", angenommen mit 103:29:5 Stimmen (Abdruck in Bd. II/2 der Verhandlungen des DJT). 101

D. Rabe in ZIP 1996 S. 1652,1657; ähnlich in FS für H.-J. Rabe, S. 135,163.

X. Ansätze für die Kritik am einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung 151 Größe, sondern kann sich durch veränderten Begriffsgebrauch und mit dessen zunehmender Dauer wandeln; Sprache ist insofern Gewöhnung. Auch der Begriff der Pflichtverletzung könnte sich deshalb durchaus in seinem intransitiven Verständnis etablieren und die Beschränkung auf das transitive Verständnis überwinden. Ein naheliegendes Beispiel für einen solchen Wandel des Begriffsverständnisses bietet der Begriff der „Leistungsstörung" bzw. des „Leistungsstörungsrechts". Dieser Begriff wird regelmäßig auf Stoll und seine gleichnamige Denkschrift zurückgeführt 102. Er geht aber wohl auf Hedemann zurück, der ihn in seinem Lehrbuch103 verwendet und Stoll in seiner Eigenschaft als Ausschußvorsitzender104 als Titel für dessen Abhandlung nahelegte105. Stoll, der die Unterscheidung von Leistungs- und Schutzpflichten im Anschluß an Kress verinnerlicht hatte, stand dem Begriff der Leistungsstörung als Oberbegriff für alle zu erfassenden Störungen skeptisch gegenüber und wollte stattdessen lieber übergreifend von „Störungen des Schuldverhältnisses" sprechen106. Aber auch Hedemann selbst verwendet die „Leistungsstörung" nicht als Oberbegriff für alle Störungen, sondern spricht in seinen Ausführungen abwechselnd von leistungsstörenden Ereignissen (in den gesetzlichen Fällen der Unmöglichkeit, des Verzuges und der Mängelhaftung) und den „Unregelmäßigkeiten beim Leistungsvollzug"107. Heute wird der Begriff der „Leistungsstörung" übereinstimmend und nahezu unreflektiert verwendet, um das Gebiet aller denkbaren Störungen im Schuldverhältnis begrifflich zu erfassen 108. Wie die „Pflichtverletzung" ist auch die „Leistungsstörung" ihrem ursprünglichen Sinn nach aber beschränkt, und zwar auf Abweichungen der Leistungspflicht vom Vereinbarten. Begrifflich nicht erfaßt werden damit die vielgestaltigen Schutzpflichten. Und obwohl die Existenz der Schutzpflichten im Organismus Schuldverhältnis allgemein gegenwärtig ist 109 , stören sich die we102

Vgl. die Nachweise oben in Fn.l3f. Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. 1931. 104 Vorsitzender des Ausschusses für Personen-, Vereins- und Schuldrecht der Akademie für Deutsches Recht. 105 Ahrens, S.418. 106 Referat auf der Sitzung des Ausschusses, Abdruck der schriftlichen Ausarbeitung bei Schubert, Bd.III, 3 S. 189,195. 107 Hedemann, S. 139ff. Auch die Fortentwicklung der Vorschläge der Akademie für Deutsches Recht hält sich an die notwendige Unterscheidung. Im Entwurf von Larenz (Nachweise in Fn.22f.) findet sich - zutreffend - die Aufteilung in Leistungsstörungen und Pflichtverletzungen, die später in Leistungshindernisse und Pflichtverletzungen umgeändert wurde. 108 Exemplarisch für den hier interessierenden Bereich ist die ständige \ferwendung des Ausdruckes im Abschlußbericht der Kommission; vgl. aber auch Leser in FS für Wolf S. 373, 383 m. w.N. und Schlechtriem, Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994 (Bd.II/2 Κ 141). 109 So erläutert selbst der Abschlußbericht (S. 114) zu § 241 S. 2 KE, daß an der Existenz von Schutzpflichten, die sich von Leistungspflichten unterscheiden, in der Reformdiskussion kein Zweifel aufgetaucht ist. Eingehend dazu z.B. noch unten XI). 103

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§4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

nigsten heute noch an der umfassenden Verwendung des Begriffes „Leistungsstörungsrecht", die eben diese Schutzpflichten völlig verdeckt110. Der Kommissionsentwurf ist mit dem von ihm vorausgesetzten Begriffsverständnis ähnlich weit entfernt davon, das Recht auch sprachlich zu vereinfachen und zu veranschaulichen. Ebenso führt der umfassende Begriff der Pflichtverletzung sicher nicht in allen Fällen zu einem rechtskonstruktiv und logisch einleuchtenden Zusammenspiel mit anderen Normen, was sich an der Pflicht zum Unmöglichen zeigt. Aber das BGB selbst ist ein markantes Beispiel dafür, daß die natürliche Anschauung mit der juristischen Konstruktion nicht deckungsgleich sein muß; den Verfassern des BGB war vielmehr ein Denken geläufig, das Logik und Anschauungskraft in oft hohem Maße herausfordert 111.

2. Umsetzung vorgegebener Sachgesetzlichkeiten im Pflichtverletzungskonzept des Kommissionsentwurfes Entscheidend für die Anerkennung oder Ablehnung des Konzeptes der Pflichtverletzung müssen daher andere Wertungen sein. Die rechtskonstruktiven und sprachlichen Probleme sind ja nur dem gewählten Konzept schon innewohnende und erst durch dieses Konzept selbst aufgeworfene Schwierigkeiten, während wichtiger ist, ob das Konzept die ihm vorausliegenden Strukturen und Sachprobleme zutreffend in Systemstrukturen und Einzelnormierungen umsetzt. a) Typisierte

Störungstatbestände

Das führt zunächst erneut zu der oben schon erwähnten Frage, ob der Verzicht des Kommissionsentwurfes auf die Verwendung typischer Störungsformen und -folgen ein Fortschritt ist, oder ob diese Störungstatbestände vorgegebene Sachgesetzlichkeiten und Sachverhalte widerspiegeln, die deshalb auch bei der Anwendung des Entwurfes letztlich wieder hervorbrechen. In diesem Zusammenhang des gesetzgeberischen Verzichts auf die typisierten Störungstatbestände taucht aber ein weiterer Aspekt auf. Für die Rechtfertigung des Reformbedarfes wird immer wieder auf die unbefriedigende Existenz nebengesetzlicher Haftungsfiguren, insbesondere auf die positive Forderungsverletzung verwiesen112. Daß die positive Forderungsverletzung ihre Existenz letztendlich nur einem 110 Als inkonsequent muß es dann aber erscheinen, wenn gleichwohl dem Begriff der „Nichterfüllung" vorgeworfen wird, er erfasse nicht die Verletzung von Schutz- und Verhaltenspflichten (so z.B. Medicus in AcP 186 -1986- S.268,277). Die „Nichterfüllung" ist genau wie die „Leistungsstörung" an der Leistungspflicht ausgerichtet, letzlich sind also beide Begriffe auf den gleichen Ausschnitt der möglichen Störungsfälle beschränkt. 111 Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeit, S. 180; zur Gesetzessprache und Logik des Schuldrechts vgl. auch Jakobs, Gesetzgebung S. 16ff., insb. S. 18,46,f., 51 ff. 112 Vgl. nur Bericht, S.17.

X. Ansätze für die Kritik am einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung 153 Verständnis des Schuldrechts verdankt, das sich immer weiter von dem ihr zugrundeliegenden gesetzgeberischen Konzept entfernt hat, ist schon dargelegt worden113: Erst die Streichung des § 2241 des ersten Entwurfes durch die Redaktionskommission führte zu der „Lücke" im Gesetz, deren Ausfüllung dem Gesetzgeber so selbstverständlich war, daß er auf ihre Normierung verzichtete. Ein ähnliches Mißverständnis des Konzeptes der Kommission - allerdings unter umgekehrten Vorzeichen - mag man befürchten, wenn die Betonung der Leistungspflicht und die typisierten Störungsformen gegen die alles umfassende Abstraktion der Pflichtverletzung ausgetauscht wird. Bei der Anwendung des Kommissionsentwurfes stellt sich dann freilich nicht mehr die Frage nach der allgemeinen Haftungsgrundlage; einstellen könnte sich aber sehr wohl die Frage, ob Figuren wie zum Beispiel die Unmöglichkeit von der gesetzlichen Regelung mitumfaßt sind oder aber praeter legem bemüht werden müssen - wie früher die positive Forderungsverletzung. Daß diese Überlegungen nicht reine Spekulation sind, ist oben bereits angeklungen, denn der Ruf nach Klarstellung durch ausdrückliche Wiederverankerung der Unmöglichkeit in § 275 KE ist schon laut geworden - obwohl es der Kommission selbstverständlich war, daß auch und gerade die Unmöglichkeit von § 275 KE erfaßt ist114. b) Leistungspflicht und Schutzpflicht im einheitlichen Pflichtverletzungskonzept des Kommissionsentwurfes Aber auch die damit aufgeworfene Frage nach dem Wert des gesetzgeberischen Verzichts auf die Typisierungen und Differenzierungen greift noch zu kurz, da diese selber nur ein Reflex der Gegenüberstellung von Leistungs- und Schutzpflichten, ein Abbild ihres Verhältnisses zueinander sind. Leistungspflichten und Schutzpflichten korrespondieren den Grundaufgaben jeden Schuldrechts, Güterbewegung zu ermöglichen und gleichzeitig Güter- und Interessenschutz zu gewährleisten, es handelt sich um Elemente, die sich als vorgegebene Strukturen im Kommissionsentwurf wiederfinden müssen115. Die Anerkennung des Entwurfes hängt damit davon ab, wie dessen aus dem einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung heraus konzipiertes und auf diesen beschränktes System die 113

Eingehend dazu unten § 11. So ausdrücklich der Abschlußbericht S. 120f. zu § 275 KE: „Die... Anknüpfung an die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses geschuldeten Anstrengungen umfaßt neben der echten Unmöglichkeit auch weitere Tatbestände"; dies betonte auch noch einmal das Kommissionsmitglied Heinrichs auf dem DJT 1994 (Diskussionsbeitrag, Bd.II/2 Κ 191):."Der Vorschlag ist deswegen nicht ganz verständlich, weil natürlich § 275 Β GB-KE... schon den Fall der objektiven Unmöglichkeit mitumfaßt." 115 Auch der grundsätzliche Vorrang der Naturalerfüllung ist nicht Gegenstand der Reform, muß also in den Regelungen des Entwurfes Berücksichtigung finden. 114

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Gegenüberstellung und das Verhältnis von Leistungspflichten und Schutzpflichten bewältigt. Ein kurzer Blick zurück bekräftigt die Bedeutung dieses Aspektes. Nachdem Siber mit seiner Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus den Blick für die verschiedenen Pflichten im Schuldverhältnis freigegeben hatte und im Anschluß daran Kress die Schutzpflichten in ihrer Existenz und Eigenart umfassend herausgearbeitet hatte, war erstmalig nach Inkrafttreten des BGB der Boden dogmatisch wieder hinreichend aufbereitet für Reformvorhaben. Heinrich Stoll wagte 1934 mit seinem Entwurf eines Leistungsstörungsrechts einen Anfang und ging dabei davon aus, daß „in dem großartigen Siber'schen Begriff des schuldrechtlichen Organismus, hinter dem so bedeutungsvolle Wertungen stekken, (und) in der scharfen Scheidung von Leistungspflicht und Schutzpflicht, die wir vor allem Kress verdanken..." die „wichtigsten dogmatischen Vertiefungen" liegen116. Weiter führt Stoll aus117: „Die scharfe Trennung zwischen Schutzpflicht und Leistungspflicht halte ich für notwendig, um eine wesentliche Vereinfachung und Klärung im Gebiet der Störungen des Schuldverhältnisses herbeiführen zu können." Die Zeit ist über Stolls eigenen Entwurf hinweggegangen, seine oben wiedergegebenen Ausführungen aber haben an Gewicht und Aktualität nichts eingebüßt. Auch der Kommissionsentwurf muß der Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten gerecht werden, um die von ihm angestrebte Vereinfachung und Transparenz bei der Regelung aller Störungen im Schuldverhältnis zu erreichen. Ob der Fortschritt der Rechtsdogmatik, der in der Trennung von Leistungspflichten und Schutzpflichten und der Herausarbeitung ihrer Eigenarten liegt, im Kommissionsentwurf die hinreichende Berücksichtigung gefunden hat, ist allerdings sehr zweifelhaft 118.

XI. § 241 Absatz I I KE: „Pflicht zur Rücksichtsnahme" 1. Erweiterung des § 241 BGB durch § 241 Abs. I I KE Durch die Einfügung des zweiten Absatzes in § 241 KE wird der Fortschritt der Trennung von Leistungs- und Schutzpflichten und die ihm innewohnende Chance zumindest nicht ausgeschöpft, denn über die Existenz von Schutzpflichten bestehen 1,6 Stoll, Referat vor dem Ausschuß für Personen-, Vereins- und Schuldrecht; Abdruck bei Schubert, Bd.III, 3 S. 189,196. 117 Ebenda, S. 198. 118 Vgl. Westermann, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 161, der für die Zukunft befürchtet, daß bei Anwendung des Kommissionsentwurfes die Unterschiede zwischen diesen Pflichten erst wieder mühsam gegenwärtig gemacht werden müßten; ähnlich auch Ahrens, S.422.

XI. § 241 Absatz II KE: „Pflicht zur Rücksichtsnahme"

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wohl keinerlei Zweifel mehr 119 und bestanden auch in der Reformdiskussion nicht120. Für den neuen Absatz I I des § 241 KE schlägt die Kommission vor zu formulieren: „Das Schuldverhältnis kann unter Berücksichtigung seines Inhalts und seiner Natur jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teiles verpflichten. Hierauf kann sich das Schuldverhältnis beschränken." Erfaßt werden sollen durch Absatz II die vielfältigen Schutzpflichten, die regelmäßig Schuldverhältnisse begleiten, grundsätzliche Bedeutung gewinnt § 241 Abs. Π KE dabei in zweifacher Hinsicht. Zunächst stellt § 241 Abs. II KE die positiv-rechtliche Sanktionierung der Lehre von den Schutzpflichten dar. Diese Lehre habe sich allgemein durchgesetzt, auch in der Reformdiskussion 121 sei in der Sache selbst, nämlich an der Existenz von Schutzpflichten, die sich von Leistungspflichten unterscheiden, keinerlei Zweifel aufgetaucht 122. Die Kommission habe es deshalb für sinnvoll gehalten, an der Lehre von den Schutzpflichten nichts zu ändern, sondern ihre Stellung als geltendes Recht durch eine Ergänzung des § 241 BGB auch im Gesetzestext klar zum Ausdruck zu bringen123. Im vorbereitenden Gutachten von Huber fehlte dazu ein formulierter Vorschlag, weil Huber dort prononciert die Auffassung vertritt, daß es sich bei Schutzpflichten um allgemeine Verkehrspflichten im Sinne des Deliktsrechts handle und dem Schadensersatzanpruch in aller Regel als haftungsbegründender Tatbestand somit die Verletzung einer Verkehrspflicht zugrundeliege124. Auf die Vorschläge der Schuldrechtskommission sind diese Ausführungen Hubers offensichtlich ohne Einfluß geblieben, mehr noch: Die Entscheidung der Kommission für die Anfügung des Abs. Π weist die Rechtsentwicklung genau in die entgegengesetzte Richtung und erteilt der Tendenz zum Deliktsrecht für die Zukunft eine deutliche Absage125. 119 Eine Ausnahme stellt in der Herleitung der Schutzpflichten die Ansicht dar, die die Schutzpflichten in das Deliktsrecht durch dessen Erweiterung verorten will, vgl. das Gutachten von Huber (S. 648, 736ff.), oben § 3 II 2 m. w. N. und unten § 11 II 3. 120 Bericht, S. 114. 121 Erste Vorschläge für eine Erwähnung der Schutzpflichten in einem neugefaßten § 241 BGB machte das Kommissionsmitglied Medicus schon 1987; vgl. Schuldverhältnis S. 26 i. V.m. Fn.58. 122 Bericht, S. 114. Das Resümee des Vorgutachters Huber (Gutachten S.737), daß die Lehre von den Schutzpflichten einen inzwischen überholten Kenntnisstand wiedergebe, der die neue Entwicklung der Dogmatik noch nicht rezipiert habe, erscheint somit als voreilig. 123 Bericht, ebenda. Brüggemeier schlägt in seinem Referat auf dem DJT 1994 (Abdruck Bd.II/1 Κ 47 ff., Κ 50) vor, korrespondierend in §278 BGB den Erfüllungsgehilfen unter den Voraussetzungen des §241 Abs. II KE explizit die Bewahrungsgehilfen gleichzustellen. 124 Gutachtens. 736 ff. 125 Ein terminologischer Rückschritt ist es deshalb auch, wenn Brüggemeier (Bd.II/1 Κ 50) in bezug auf § 241 Abs. II KE von „quasi-vertraglichen Verkehrspflichten" spricht.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Durch die in § 241 Abs. II KE formulierte Betonung der „besonderen Rücksicht" soll dementsprechend verdeutlicht werden, daß die gemeinten Schutzpflichten eben nicht dem entsprechen, was schon nach allgemeinem Deliktsrecht geboten ist, insbesondere soll eine Abgrenzung zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten erreicht werden, die keine Sonderverbindung im Sinne eines Schuldverhältnisses schaffen, auf das z.B. § 278 BGB anwendbar ist126. Die uneingeschränkte Erwähnung der,»Rechtsgüter" neben den „Rechten" soll dabei klarstellen, daß über den insoweit begrenzten Schutzbereich von § 8231 BGB hinaus auch das bloße Vermögen geschützt sein kann127. Der Versuch, die Schutzpflichten von dem Bereich der deliktischen Verkehrssicherungspflichten abzugrenzen und gleichzeitig ihren Schutzbereich zu kennzeichnen, ist uneingeschränkt zu begrüßen; die dafür von der Schuldrechtskommission gewählten Formulierungen müssen sich gleichwohl Kritik gefallen lassen. Zum einen ist es fraglich, ob mit der Betonung der „besonderen Rücksicht" nicht Mißverständnisse provoziert werden. Denn diese Formulierung legt es sprachlich nahe, hinter der „besonderen Rücksicht" einen von § 2761BGB/KE abweichenden, strengeren Haftungsmaßstab zu suchen128, das „Besondere" also auf eine Abweichung, eine Erhöhung der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" zu beziehen. Verhaltensmaßstab ist für § 241 Abs. Π KE aber wie auch sonst das Verschulden im Sinne des § 2761 BGB/KE; die „Rücksicht" gewinnt ihre „Besonderheit" erst vor dem Hintergrund des Schutzes, der durch das Deliktsrecht gewährt wird: Besonders sind die Schutzpflichten wegen ihrer Einbindung in das vertragliche Schuldverhältnis129. Durch die Formulierung in § 241 Abs. Π KE wird das jedoch nicht hinreichend deutlich 130 . Zum anderen ist es auch nicht ausreichend, nur durch den Verzicht auf die Enumeration der geschützten Positionen zugunsten des umfassenden Oberbegriffes der „Rechtsgüter" die Einbeziehung des Vermögens klarzustellen. Zu Recht wurde kritisiert 131, daß die Begriffe „Rechte und Rechtsgüter" schuldrechtlich so stark durch § 8231 BGB vorgeprägt sind, daß die Absicht der Kommission, mit dem Begriff der Rechtsgüter auch reine Vermögensschäden zu erfassen, sprachlich nicht deutlich wird 132 . 126

So der Bericht, S. 114 unter VI. Bericht, ebenda. 128 Vgl. in diesem Zusammenhang Westerhoff in ZG 1994 S.97,99 unter b). 129 Zu der Unterscheidung der relativen von den absoluten Schutzpflichten vgl. Kress, S. 3ff., 9, lOff. 130 Kritisch auch Brüggemeier, Bd. II/1K 52; Westerhoff in ZG 1994 S. 99f. i. V. m. Fn.l 1: Unklar sei, wodurch sich die „besondere Rücksicht" von der „im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" (2761 BGB) unterscheide. 131 Brüggemeier, Bd.II/1 Κ 52 132 Brüggemeier, ebenda, schlägt deshalb die Formulierung „Rechte, Rechtsgüter und Vermögensinteressen des anderen Teiles" vor. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Vorschläge 127

XI. § 241 Absatz II KE:Pflicht zur Rücksichtsnahme"

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Die Bezugnahme auf „Inhalt und Natur" des Schuldverhältnisses soll andeuten, daß die Schutzpflichten letztlich nach der konkreten Situation zu bestimmen sind133. Dabei meint die Bezugnahme auf den „Inhalt" vor allem das konkret Geregelte, die - in der Kommission stärker umstrittene - Hinzufügung der „Natur" soll dagegen dasjenige bezeichnen, was unausgesprochen durch den Zweck des Schuldverhältnisses erfordert werde; der Doppelbegriff solle die Rechtsanwendung zum sorgfältigen Eingehen auf die Besonderheiten des konkreten Schuldverhältnisses anhalten134. Unnötig umständlich und in einer von der gewohnten Terminologie abweichenden Formulierung versucht die Kommission also etwas sachlich zutreffendes sprachlich zu erfassen, nämlich den Umstand, daß die relativen Schutzpflichten, wo sie nicht ausdrücklich vereinbart wurden, durch Auslegung gemäß §§ 133,157 BGB festzustellen und in Inhalt und Schutzgut durch den jeweiligen Vertrag geprägt sind. Die Erwähnung des „Inhalts" des Schuldverhältnisses als bestimmender Faktor der Schutzpflichten ist deshalb sachlichrichtig,in gleicher Weise aber auch überflüssig. Denn daß bei der Feststellung vertraglicher Schutzpflichten der Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere das konkret Geregelte zu berücksichtigen ist, muß als Selbstverständlichkeit und daher als Leerfomel bezeichnet werden. Wo aber eine konkrete Regelung nicht vorliegt, kommt es zur Auslegung gemäß §§ 133,157 BGB auch ohne daß in § 241 Abs. Π KE dafür erst auf die Berücksichtigung des „Inhalts" des Schuldverhältnisses verwiesen werden müßte. Auch bei der Bezugnahme auf die Berücksichtigung der „Natur" des Schuldverhältnisses will die Kommission für denrichtigenAnsatzpunkt den falschen Weg einschlagen. Ihre Absicht, bei der Herausarbeitung der konkreten Schutzpflichten durch die Erwähnung der , ,Natur" des Schuldverhältnisses dasjenige sprachlich zu erfassen, was „unausgesprochen durch den Zweck des Schuldverhältnisses erfordert wird" 135 , ist auf diese Weise kaum zu verwirklichen, denn daß die „Natur" des von Heinrich Stoll und Larenz in ihren Arbeiten für die Akademie für Deutsches Recht (dazu schon oben § 5). Stoll formuliert 1934 als § 241 : „Schuldner und Gläubiger stehen vom Beginn der Vertragsverhandlungen bis zur Beendigung des Schuldverhältnisses in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis, das sie wechselseitig zur Rücksichtnahme verpflichtet (Schutzpflicht). Sie haben zur Verwirklichung der Leistung unter Beachtung des Gemeinwohls so zusammen zu arbeiten, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern." (Abdruck bei Schubert Bd. III, 3 S.207, Begründung auf S.213, vgl. auch S. 196,198. In §242 findet sich in Übereinstimmung mit §241 BGB die Leistungspflicht.) Larenz formuliert 1940 als § 1 II S. 1: „Beide Teile sind verpflichtet, bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses die Anforderungen der Volksgemeinschaft zu beachten, zur Förderung des Leistungszweckes zusammenzuwirken und auf die Belange des anderen die durch Treu und Glauben gebotene Rücksicht zu nehmen (Vertragliche Sorgfaltspflicht)." (Abdruck bei Schubert, Bd. III, 5 S. 110; vgl. die Entwicklung von Larenz* Vorschlag, S. 185,213 bis hin zum Teilentwurf eines Volksgesetzbuches in Bd. III, 3 S. 138). 133 Bericht, S. 115. 134 So die Erläuterungen im Bericht, S. 115. 135 Bericht, S. 115.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Schuldverhältnisses etwas von seinem „Zweck" grundlegend Verschiedenes darstellt, liegt auf der Hand. Die Kommission kann deshalb nicht beide Begriffe synonym verwenden und gleichzeitig erwarten, daß der Rechtsanwender die Orientierung am „Zweck" des Schuldverhältnisses hinter der Bezugnahme auf seine „Natur" erkennt. Daß die Kommission trotz der offensichtlichen sprachlichen und sachlichen Ungenauigkeiten gleichwohl an „Inhalt und Natur" des Schuldverhältnisses anknüpft, muß daher wohl der Suche nach terminologischer Einheitlichkeit zugerechnet werden136, denn dieser Doppelbegriff taucht an anderen zentralen Stellen, §§ 275, 2761 KE wieder auf. In diesen Paragraphen dient er jedoch zur Erfassung der Grenze der primären Verpflichtung bzw. des Haftungsmaßstabes, so daß sich also letztlich hinter der dreimaligen Verwendung der gleichen Formulierung dreierlei verschiedene Problembereiche verbergen. Überzeugen kann dieses Vorgehen nicht, denn der terminologischen Einheitlichkeit kann bei der Normierung weder der Vorrang vor sachlichen Unterschieden eingeräumt werden, noch kann sie die zutreffende Behandlung sachlich verschiedener Probleme gewährleisten. Es bleibt in der Formulierung des § 241 Abs. I I KE noch die Wendung „jeder Teil" und „der andere Teil" statt „Gläubiger" und „Schuldner", wie sie das BGB und der Kommissionsentwurf in § 241 für die Leistungspflicht kennt. Durch diese offene und flexible Formulierung soll angedeutet werden, daß da, wo zugleich Leistungspflichten bestehen, die für diese geltende Rollenverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner nicht mit derjenigen bei den Schutzpflichten übereinzustimmen braucht, insbesondere könne auch der Gläubiger einer Leistungspflicht zugleich Schuldner einer Schutzpflicht sein137. Zutreffend und in begrüßenswerter Weise wird damit also der fehlenden Polarität der Schutzpflichten Rechnung getragen und einer wichtigen Eigenart der relativen Schutzpflichten Raum belassen. Ebenso begrüßenswert ist die grundsätzliche gesetzliche Anerkennung, die § 241 Abs. Π KE für die relativen Schutzpflichten ein halbes Jahrhundert nach ihrer Herausarbeitung darstellt. Mit der Übernahme dieser Vorschrift in das BGB wäre die längst überfällige Angleichung von Rechtswirklichkeit und Gesetz in einem wesentlichen Punkt vorgenommen. Beendet wäre damit gleichzeitig die zu enge und in der Lehre schon früh überwundene Beschränkung des § 241 auf die Leistungspflicht und die Beschreibung des „Inhalts des Schuldverhältnisses"138 rückt die gesetzliche Definition ein wichtiges Stück näher an die Erkenntnis vom Schuldverhältnis als vielschichtigem Organismus. 136

Das klingt auch im Bericht, S. 115 unter e) an. Bericht, S. 115. 138 So noch die Bezeichnung des §241 BGB, die im Kommissionsentwurf der Bezeichnung ,.Pflichten aus dem Schuldverhältnis" weicht. 137

XI. § 241 Absatz II KE: „Pflicht zur Rücksichtsnahme"

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Viel mehr als die Klarstellung der Durchsetzung der Lehre von den Schutzpflichten und ihrer Existenz leistet § 241 Abs. I I KE jedoch nicht; vorsichtig im Gesetz festgeschrieben wurde lediglich der allgemeine Konsens139 so weit er reicht. Dem entspricht das geringe - positive wie negative - Echo auf die Hinzufügung des zweiten Absatzes in den Stellungnahmen und Beiträgen zum Kommissionsentwurf 140, denn wo der Konsens bezüglich der Schutzpflichten endet, endet auch die Normierung in § 241 Abs. I I KE, der letztlich für die Schutzpflichten nur einen Ort und Rahmen im Gesetz gibt, einer Stellungnahme zu der kontrovers geführten Diskussion aber ausweicht.

2. Beschränkungen des § 241 Abs. I I KE a) Rechtsgrund Bewußt verzichtet hat die Kommission „auf eine Regelung der Frage, ob das die Schutzpflichten erzeugende Schuldverhältnis in jedem Fall auf Gesetz beruht (wie Canaris annimmt) oder auch auf einem wirksamen Rechtsgeschäft beruhen kann."141 Die Zurückhaltung der Kommission bei der Stellungnahme zu diesem Problemkreis ist angesichts der oben geschilderten Uneinigkeit zur Frage des Rechtsgrundes verständlich. Hier ist die Diskussion noch zu sehr im Ruß, um einer der vertretenen Ansichten durch gesetzliche Normierung dauerhafte Festigkeit zu verleihen. Die Frage des Rechtsgrundes und seiner systematischen Einordnung ist nach wie vor von der Rechtswissenschaft zu beantworten142, die dementsprechende Beschränkung der Normierung in § 241 Abs. Π KE verdient deshalb Zustimmung. Gleichwohl läßt die ausweichende Stellungnahme der Kommission im Abschlußbericht bei näherem Hinsehen mehr erkennen, als es zunächst scheint. Denn wenn die Kommission formuliert, die Frage sei, ob die Schutzpflichten in jedem Fall auf Gesetz beruhen oder auch auf einem wirksamen Rechtsgeschäft beruhen können, dann kann das im Gegenschluß nur bedeuten, daß die Schutzpflichten auf einem unwirksamen Rechtsgeschäft zumindest nicht beruhen können, demnach in diesem Falle gesetzlicher Natur sind. Es ist dies die Frage der Schutzpflichten bei nichtigen Verträgen, und die Kommission beantwortet sie - wie gezeigt - dahingehend, daß bei Vertragsnichtigkeit 139 Dieser Konsens spiegelte sich auf dem DJT 1994 dadurch wieder, daß § 241 Abs. II KE lediglich von Brüggemeier problematisiert wurde (vgl. oben in Fn.123,130ff.), ansonsten aber weder Gegenstand der Diskussion noch der Beschlußfassungen war. 140 Soweit ersichtlich, äußern sich nur Westerhoff (vgl. oben Fn.128) und Brüggemeier (vgl. oben Fn.123) zu § 241 Abs. II KE. 141 So der Bericht auf S. 115 unter 2). Daß die dazu vertretenen Ansichten der Kommission wohlbekannt sind, zeigt die Problemstellung S. 113 unter I mit Nachweisen der Literatur. 142 So auch die Kommission in ihren Erläuterungen, Bericht S. 115.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

das die Schutzpflichten erzeugende Schuldverhältnis auf Gesetz beruht. Daß die Herleitung der Schutzpflichten auch im Falle der Vertragsnichtigkeit jedoch aus dem Rechtsgeschäft erfolgen kann, da die Nichtigkeitsnormen in aller Regel nach ihrem Sinn und Zweck nur die Leistungspflicht, nicht aber die Schutzpflichten erfassen, ist oben143 eingehend gezeigt worden; die Kommission weicht hier also ohne Not auf die Lehre vom einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis aus. Dies entspricht der Tendenz, die darüberhinaus in der Formulierung der Frage zum Ausdruck kommt, da die Fragestellung die gesetzliche Herleitung als Regel, die rechtsgeschäftliche jedoch als Ausnahme impliziert144. Die Zurückhaltung der Schuldrechtskommission ist also zumindest in den Erläuterungen des Abschlußberichts nur eine scheinbare; in der Formulierung des § 241 Abs. I I KE hat dies aber keinen Niederschlag gefunden, denn dessen Formulierung erlaubt beide Deutungen. b) Verjährung Die praktische Bedeutung der Einordnung des Rechtsgrundes kann sich beim Problem der Verjährung von Ansprüchen zeigen145. Ein vertraglicher Anspruch, also auch ein primärer oder sekundärer Schutzanspruch verjährt gemäß § 195 I KE grundsätzlich in drei Jahren, ein gesetzlicher Anspruch hingegen unterliegt gemäß § 198 KE grundsätzlich der langen Verjährung innerhalb von zehn Jahren. Daß hier Probleme entstehen können wird im Abschlußbericht nicht übersehen, diese seien jedoch durch den vorgeschlagenen § 197 KE gemindert146. § 197 KE sieht eine Angleichung an die vertragliche Verjährungsregelung des § 195 KE aber lediglich vor für Ansprüche aus einseitigen Rechtsgeschäften (in Absatz I) und für die Fälle vorvertraglicher Schutzpflichtverletzungen (in Absatz II) 1 4 7 . Für die ungleich häufigeren Schutzpflichtverletzungen nach Vertragsschluß hingegen fehlt eine angleichende oder zumindest zuordnende Verjährungsregelung, so daß letztlich ein weites Problemfeld offen gelassen wird. Abhilfe für einen Ausschnitt der möglichen Schutzpflichtverletzungen kann hier wohl nur § 201 KE schaffen 148. Gemäß § 201 KE verjähren Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit unabhängig von ihrem Rechtsgrund in drei bzw. dreißig Jahren. Auch bei Anwendung 143

Ebenda. Vgl. auch Bericht, S. 66 unter 2. 145 Auf dieses Problem weist auch Westerhoff in ZG 1994 S. 97, 99 i. V. m. Fn.14 hin; vgl. auch den Diskussionsbeitrag von Westerhoff auf dem DJT 1994, abgedruckt in Bd.II/2 Κ 229f. 146 Berichts. 115 unter2. 147 Zu den vorvertraglichen Schutzpflichtverletzungen sogleich unten XII. 148 Die Schuldrechtskommission erwähnt in ihren Erläuterungen diese Möglichkeit allerdings nicht. 144

XI. § 241 Absatz II KE: „Pflicht zur Rücksichtsnahme"

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dieser Vorschrift bleiben jedoch die zahlreichen Fälle ungeregelt, in denen keines der in § 201 KE genannten Rechtsgüter, sondern das Vermögen eines der Vertragspartner verletzt worden ist. c) Schutzanspruch des Gläubigers Noch nicht abschließend geklärt ist für das geltende Recht, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger des Schutzanspruches nicht nur den sekundären Schadensersatzanspruch, sondern auch das fragliche Verhalten des Schutzpflichtigen als solches verlangen kann149. Wie die Frage des Rechtsgrundes der Schutzpflichten hat die Schuldrechtskommission in § 241 Abs. II KE auch diese Frage des korrespondierenden Schutzanspruches des Gläubigers nicht ausdrücklich beantwortet. Deutlich läßt der Gesamtzusammenhang des § 241 KE jedoch erkennen, daß die Beschränkung auf den sekundären Ersatzanspruch für die Schutzpflichten zumindest die Regel, die Geltendmachung aber die Ausnahme ist. Denn ein korrespondierendes Forderungsrecht des Gläubigers kennt § 241 KE (wie auch § 241 BGB) nur in Absatz I für die Leistungspflicht, dem im anschließenden Absatz I I die Verpflichtung des Schuldners zu besonderer Rücksicht gegenübergestellt wird und Satz 2 bekräftigt: „Hierauf kann sich das Schuldverhältnis beschränken." Die von der Kommission gewählte Formulierung stellt die Schutzpflicht des Schuldners also zutreffend in den Vordergrund und nimmt den Schutzanspruch des Gläubigers gleichzeitig zurück, ohne ihn jedoch abschließend zu verneinen. Auch das verdient Zustimmung, denn die Frage des korrespondierenden Schutzanspruches ist letztlich nur nach den konkreten Voraussetzungen des Einzelfalles zu beantworten150. Auch wo ein solcher Schutzanspruch zu bejahen ist, bleibt die Verpflichtung des Schuldners jedoch eine Schutzpflicht nach § 241 Abs. Π KE, keinesfalls kann sie deshalb als Leistungspflicht des § 241 Abs.I KE verstanden werden. § 241 Abs. I I S. 2 KE dient weiterhin der Klarstellung, daß die Schutzpflichten auch „isoliert", d. h. ohne Leistungspflicht vorkommen können151. Erfaßt werden sollen damit insbesondere die Schutzpflichten bei nichtigen Verträgen, die Schutzwirkung zugunsten Dritter und die vorvertraglichen Schutzpflichtverletzungen. d) Schutz des Erfüllungsinteresses Es bleibt das Problem der systematischen und terminologischen Unterteilung bzw. Einheitlichkeit der Nebenpflichten, die Frage, ob zwischen den integritätswahrenden Nebenpflichten und den erfüllungsschützenden Nebenpflichten eine Grenze 149 150 151

Zum unentwickelten Schutzanspruch ausführlich oben § 3 VI. Ausführlich zu diesen Voraussetzungen oben § 3 V I 3 aa). Berichts. 114 unter V I lb.

11 Kuhlmann

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

zu ziehen oder ob vielmehr ein umfassendes Verständnis der Schutzpflichten vorzugswürdig ist152. Die Formulierung des § 241 Abs. I I KE erlaubt die Einordnung der erfüllungsschützenden Nebenpflichten unter dem Begriff der Schutzpflichten als Oberbegriff, denn unter den „Rechten", auf die der Schutzpflichtige Rücksicht zu nehmen hat, läßt sich auch das subjektive Recht des Gläubigers auf Erfüllung, sein Leistungsanspruch verstehen. Dafür spräche auch die von der Kommission intendierte Einbeziehung des Vermögens in den Schutzbereich des § 241 Abs. I I KE und die Erwähnung der „Rechtsgüter" ohne eine Beschränkung auf schon vorhandene Rechtsgüter. Auf diese Weise wäre der Bereich der erfüllungsschützenden Nebenpflichten des Schuldners dem §241 Abs. I I KE unterstellt. Daß es zwischen den leistungsschützenden und den integritätswahrenden Nebenpflichten keine klare Grenzziehung geben kann, eine Nebenpflicht vielmehr sowohl dem Leistungsinteresse als auch dem Integritätsinteresse dienen kann, sieht zutreffend auch die Schuldrechtskommission153. Gleichwohl widersprechen die Erläuterungen im Abschlußbericht dieser umfassenden Deutung des zweiten Absatzes, denn dort 154 werden die Schutzpflichten terminologisch und in ihrer Funktion auf den Schutz vor Beeinträchtigungen der gegenwärtigen Güterlage beschränkt155. Diese Beschränkung entspricht der überwiegenden Ansicht in der Literatur und Rechtsprechung, gleichwohl sollte die Kommission diese beabsichtigte Beschränkung in § 241 Abs. Π KE deutlicher herausstellen, da - wie gezeigt - auch ein umfassendes Verständnis dieser Vorschrift naheliegt, Mißverständnisse also auftreten könnten.

X I I . Vorvertragliche Schutzpflichten, §305 Abs. I I KE 1. Normierung eines vorvertraglichen Schutzpflichtverhältnisses Ähnlich zurückhaltend wie bei der Normierung der Schutzpflichten in § 241 Abs. Π KE ging die Kommission auch bei der Normierung eines vorvertraglichen Schutzpflichtverhältnisses vor und beschränkte sich mit § 305 Abs. Π KE auf eine Formulierung, die nicht über die grundsätzliche Anerkennung der möglichen Existenz von Schutzpflichten auch vor Vertragsschluß hinausgeht: „Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB-KE kann bereits durch Anbahnung eines Vertrages entstehen." 132 133 134 133

Ein solches umfassendes Verständnis ist oben § 3IV 3 befürwortet worden. Im Abschlußbericht (S. 113) wird dafür das Beispiel einer Aufklärungspflicht gegeben. Berichts. 113 unter I. Bestätigt wird diese Unterteilung indirekt durch § 323 Abs. III Nr. 1,2 KE.

XII. Vorvertragliche Schutzpflichten, § 305 Abs. II KE

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Die Kommission war der Ansicht, daß das Institut der culpa in contrahendo nach den bisherigen Erkenntnissen in Wissenschaft und Rechtsprechung nicht in allen Einzelheiten geregelt werden könne. Die große Bandbreite und Vielfalt der zu berücksichtigenden Pflichten und die Unterschiede in den durch diese Pflichten geschützten Interessen verhindere eine solche Regelung im einzelnen. Die Beschränkung auf eine grundsätzliche Aussage erkläre sich daraus, daß der Vorschlag nicht hinter den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zurückbleiben und eine Abweichung der geltenden Rechtslage vermieden werden solle156. Auch eine Konkretisierung des Anwendungsbereiches durch Fallgruppen wurde verworfen, da sie zu einer unerwünschten Festschreibung einzelner Haftungstatbestände führen könne. Die vorgeschlagene Formulierung „kann entstehen" mache deutlich, daß Kontakt zur Anbahnung eines Vertrages nicht notwendig und auch nicht immer für beide Seiten Pflichten entstehen lasse, damit bleibe genügend Raum für Rechtsentwicklung und dogmatische Weichenstellungen. Für die möglichen Inhalte der Pflichten aus einem vor Vertragsschluß entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnis habe dagegen auf § 241 Abs. II KE verwiesen werden können157. Mitbestimmend für die Normierung des § 241 Abs. I I KE war demnach auch, daß ein Sonderfall der isolierten Schutzpflichten aus Vertragsanbahnung in § 305 Abs. I I KE Erwähnungfinden sollte158. Durch die Verweisung auf § 241 Abs. Π KE werde deutlich gemacht, daß es um Pflichten zum Schutz der Rechte und Rechtsgüter des jeweils anderen Teiles gehe, diese Schutzverpflichtung könne natürlich auch ein Leistungs verhalten159 erfordern, etwa zur Information oder Aufklärung, ohne daß darauf ein Erfüllungsanspruch bestehen müsse160. Zutreffend wird damit gekennzeichnet, daß der den Schutzpflichten korrespondierende Schutzanspruch grundsätzlich unentwickelt ist, weil der Gläubiger auf die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches beschränkt ist. Richtig erscheint es auch, von einer weitergehenden Konkretisierung der vorvertraglichen Schutzpflichten abzusehen161; die Versuche, einzelne Bereiche hervorzuheben162 oder herauszu156

Bericht, S. 144. Bericht, S. 145. 158 Bericht, S. 114 unter III. Die Möglichkeit von Schutzpflichten ohne Leistungspflicht wird durch § 241 Abs. II Satz 2 KE klargestellt. 159 Terminologisch ist dies ungenau, da Schutzverpflichtung und Leistungsverhalten gleichgesetzt werden. Gemeint ist wohl, daß die Verpflichtung nicht nur ein Unterlassen, sondern auch ein aktives Tun zum Inhalt haben kann. 160 Bericht, S. 144; vgl. auch Bericht, S. 31 f. unter g). 161 Vgl. dazu die Formulierung von Heinrich Stoll, wiedergegeben oben in Fn.132. 162 Larenz beispielsweise formuliert in seinem Entwurf von 1940 für die Akademie für Deutsches Recht in §2 S. 1 (Abdruck bei Schubert, Bd.III, 5 S. 110) zunächst allgemein die vorvertragliche Sorgfaltspflicht:,Auch schon vor Abschluß eines Vertrages und unabhängig von seiner Rechtsgültigkeit sind die Beteiligten einander verpflichtet, auf die Belange des anderen die durch Treu und Glauben gebotene Rücksicht zu nehmen, sobald sie zur Vorbereitung des Vertragsschlusses miteinander in Verbindung getreten sind." Anschließend betont er aber 157

11*

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

nehmen163, hemmen die Rechtsentwicklung vorzeitig und unnötig und hätten gleichzeitig präjudizielle Wirkungen für die Schutzpflichten nach Vertragsschluß, bei denen auf eine Konkretisierung bewußt verzichtet wurde 164. Der Rechtsgrund der Haftung im vorvertraglichen Bereich bleibt offen, für die Frage der Verjährung von Ansprüchen aus einer Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten unterstellt § 197 I I KE diese jedoch der grundsätzlich dreijährigen Frist des § 195 KE für vertragliche Ansprüche. Nur angerissen werden kann hier die Frage der Rechtsfolgen vorvertraglicher Schutzpflichtverletzungen im System des Kommissionsentwurfes. Grundsätzlich ergeben sich die Rechtsfolgen eines Anspruchs aus culpa in contrahendo, §§305 Abs. I I i. V. m. 241 Abs. I I KE aus § 280 KE 165 , ersetzt wird gemäß § 2801 KE also der Schaden, der dem Verhandlungspartner durch die Verletzung der vorvertraglichen Schutzpflichten entstanden ist. Das ist zutreffend, bedenklich erscheint es aber, wenn die Kommission in ihren Erläuterungen zur Streichung des § 306 BGB erwägt166, in denjenigen Fällen, bei denen die vorvertragliche Pflichtverletzung in der unterbliebenen Vergewisserung über das eigene Leistungsvermögen liegt, Ersatz auch des positiven Interesses zuzusprechen. Möglich wird das im System des Kommissionsentwurfes durch die Auflösung des § 306 BGB und die anschließende Einfügung der vorvertraglichen Pflichtverletzungen, §§ 305 Abs. I I i. V. m. 241 Abs. I I KE in die umfassende Haftungsnorm § 280 KE 1 6 7 . Sachlich ist der Ersatz des positiven Interesses im Falle vorvertraglicher Schutzpflichtverletzungen jedoch abzulehnen, denn der Geschädigte ist bei Schutzpflichtverletzungen grundsätzlich immer so zu stellen, wie er ohne die Pflichtwidrigkeit des anderen Teiles stehen würde 168 ; hätte der Schuldner aber seine vorvertragliche Schutzpflicht zur Vergewissern Satz 2, wohl unter dem Eindruck der damals gegenwärtigen Rechtsprechung: „Diese Verpflichtung trifft insbesondere auch den, der Verkaufsräume, Ausstellungsräume oder dergleichen für das Publikum offenhält, gegenüber den Besuchern der Räume." (Begründung S. 74 f.) In den späteren Fassungen (vgl. S. 185,273 und Bd. III, 3 S. 138) fällt diese Hervorhebung fort. 163 Brüggemeier (Referat auf dem DJT 1994 Bd.II/1 Κ 47, 51) schlägt beispielsweise vor, das Rechtsinstitut der c. i. c. in Zukunft auf die „transaktionsbezogene Variante" zu beschränken, d.h. auf den Schutz des Interesses an „richtigen" Vertragsabschlüssen auf möglichst vollständiger Informationsgrundlage, während der Integritätsschutz ausschließlich einem einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis überantwortet werden solle. In eine ähnliche Richtung gingen schon die Vorschläge des Gutachters Medicus zur c. i.. Ob eine solche Differenzierung angesichts der häufigen Überschneidungen konsequent durchgehalten werden könnte erscheint indes zweifelhaft. 164

Dazu sogleich unten XIII1. So der Bericht auf S. 144. Ausführlich zum Haftungssystem des Entwurfs unten §71). 166 Bericht, S. 147 f.; vgl. auch S. 32 unter i). 167 Schapp (in JZ 1993 S.637,641) kritisiert, daß das Institut der culpa in contrahendo durch § 280 KE keine für die Rechtsanwendung ausreichende Konturen erhalte, die Abgrenzungen blieben weiterhin offen. 168 Das betont auch die Kommission in ihren Erläuterungen (S. 146) unter Bezugnahme auf den BGH in NJW 1988 S.2234,2236. 163

XII. Vorvertragliche Schutzpflichten, § 305 Abs. II KE

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rung über sein Leistungsvermögen beachtet und dabei mangelndes Leistungsvermögen erkannt, wäre es erst gar nicht zum Vertragsschluß mit dem Gläubiger gekommen, ein positives Interesse kommt daher nicht in Betracht. Letztlich scheint auch die Kommission trotz der rechtstechnischen Möglichkeit im System des Kommissionsentwurfes den gegebenen Rahmen der §§ 283, 327 KE nicht ausschöpfen zu wollen; betont wird vielmehr, daß eine Abweichung von der geltenden Rechtslage nicht beabsichtigt ist169. Der Anspruch auf das Erfüllungsinteresse wird auf den Fall reduziert, daß der Gläubiger statt des wegen der Schutzpflichtverletzung undurchführbaren Geschäfts ein anderes abgeschlossen hätte: Dann könne der Gläubiger ersetzt verlangen, was ihm aus diesem Geschäft zugeflossen wäre; in aller Regel aber ginge der Anspruch auf den Ersatz des negativen Interesses170. Deutlich wird aber zumindest, daß die Einfügung der Fälle anfänglicher objektiver und subjektiver Unmöglichkeit in das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo neue Abgrenzungsprobleme aufwirft, die der Kommissionsentwurf weitgehend unbeachtet läßt.

2. Nachwirkende Schutzpflichten Keine den §§ 241 Π, 305 II KE vergleichbare Erwähnung im Kommissionsentwurf findet die Möglichkeit der Existenz von Schutzpflichten auch nach Erfüllung der Hauptleistungspflicht 171. Eine eigenständige Anerkennung der Schutzpflichten im Stadium nach Erfüllung ist indes auch nicht erforderlich, da sie sich nicht grundsätzlich von anderen Schutzpflichten unterscheiden, sondern ihre Besonderheit lediglich im Zeitpunkt ihres Vorliegens und darin besteht, daß sie ohne Leistungspflicht vorkommen, da diese durch Erfüllung gemäß § 362 BGB erloschen ist. Erfaßt werden können die nachwirkenden Schutzpflichten deshalb mühelos von der Rahmenregelung des § 241 Abs. Π KE, der in seinem Satz 2 eben dieser Möglichkeit isoliert vorkommender Schutzpflichten Rechnung trägt. Im Abschlußbericht wird auf dieses Problem nicht eingegangen, erläutert wird jedoch, daß Satz 2 des §241 Abs. I I „insbesondere das Verschulden bei Vertragsanbahnung, die Schutzwirkung zugunsten Dritter und den nichtigen Vertrag" betreffe 172, die Regelung ist demnach offen für Anwendungen, die über die genannten hinausgehen.

169 170 171 172

Bericht, S. 144 unter VI. Bericht, S. 145. Die nachwirkenden Schutzpflichten wurden oben § 3 V3b) angesprochen. Bericht, S. 114.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

X I I I . Normierung einzelner Schutzpflichten Mit § 241 Abs. Π KE ist nur die überfällige Angleichung des Gesetzes an die Rechtswirklichkeit bezüglich der Existenz von Schutzpflichten vorgenommen worden. Darüberhinaus gegangen ist die Schuldrechtskommission, wie auch die Verfasser des BGB, jedoch nicht. Wie diese überläßt sie die Feststellung konkreter Schutzpflichten der Vertragsauslegung im Einzelfall, neben der Rahmenregelung des § 241 Abs. Π KE sind im allgemeinen Schuldrecht des Kommissionsentwurfes keinerlei einzelne Schutzpflichten normiert worden.

1. Konkretisierung der Schutzpflichten im Kommissionsentwurf Ob eine solche Formulierung einzelner Schutzpflichten zur Konkretisierung des § 241 Abs. I I KE vorzunehmen sei, war in den Vorarbeiten zum Entwurf eingehend problematisiert worden. Das Kommissionsmitglied Heinrichs räumte ein 173 , daß in dieser Hinsicht ein Konkretisierungsbedarf bestehe174, den der Entwurf nicht erfülle, es gehe dabei um die Nebenpflichten: Um Schutz-, Aufklärungs-, Beratungs- und Hinweispflichten vor und nach Vertragsschluß. Die Kommission habe mehrere Tage darüber diskutiert und noch länger darüber nachgedacht, ob es angebracht sei, diesen Katalog von Nebenpflichten in einer gesetzlichen Vorschrift auszuformulieren, letztlich sei man aber zu der Auffassung gekommen, daß eine solche Regelung für den Rechtsanwender keine Hilfe sein würde; wie bisher müsse es Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen bleiben, fallbezogen neue Pflichten zu entwickeln175. Ähnlich bezog das Kommissionsmitglied Medicus zur Frage der Normierung konkreter Pflichten Stellung. Zu den Aufgaben der Rechtsordnung gehöre es, diejenigen Pflichten zu konkretisieren, deren Beachtung sie verlangt176. Ehe man Gesetze mache, müsse man aber wissen, was diese enthalten sollen. Dies ließe sich nach sei173

Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994, Bd.II/1 Κ 189,190. Auch Westerhoff (Diskussionsbeitrag, Bd.II/1 Κ 176f.) kritisiert, daß die Pflichten, die im täglichen Leben zu erfüllen sind, überhaupt nicht angesprochen seien; es sei gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, Pflichten zu normieren. In Bezug auf § 280 KE führt Westerhoff aus, daß es unklar sei, wie ein solcher Rechtssatz ohne Verhaltensnonn sich praktisch von der deliktischen Generalklausel unterscheide; eine solche Generalklausel sei aber bewußt nicht in das BGB aufgenommen worden (in letzterer Beziehung muß Westerhoff jedoch widersprochen werden, vgl. ausführlich unten § 11 VI) ff. zu § 224 des ersten Entwurfes des BGB und seiner Entwicklung.) Wenn die Gerichte eine solche Vorschrift anwendeten, so würden sie die Entscheidung nicht aus dem Oberbegriff ableiten, sondern der Umfang des unbestimmten Begriffes werde erst durch die Zuordnung bestimmter Sachverhalte jeweils konkretisiert (ZG 1994 S. 97,99 unter cc)); die Formulierung eines Grundtatbestandes der Pflichtverletzung sei daher eine Abdankung des Gesetzgebers zugunsten des Richters. Diese Flucht in die Generalklausel, die früher schon der Rechtsprechung vorgeworfen wurde, sei bei der Gesetzgebung nicht weniger problematisch (Diskussionsbeitrag, Bd.II/1 Κ 177. 175 Heinrichs, Diskussionsbeitrag Bd.II/1 Κ 189,190. 176 Schuldverhältnis S.24. 174

XIII. Normierung einzelner Schutzpflichten

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ner Ansicht derzeitig und auf absehbare Zeit noch nicht angeben, der Gesetzgeber könne Vorfragen nach der Entstehung und dem Inhalt der Schutzpflichten derzeit allenfalls in groben Ansätzen lösen, notwendig seien noch wesentliche Vorarbeiten von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung. Diese seien im Interesse der Rechtssicherheit selbst dann nötig, wenn es nicht zu einer gesetzlichen Neuregelung kommen sollte, denn einerseits müsse das „selbstgeschaffene Pflichtenerfindungsrecht der Gerichte" Ziel und Schrankenfinden, andererseits seien Prozesse zu vermeiden, die nur durch die Unklarheit der Rechtslage veranlaßt werden177. Ein weiterer Grund für die Enthaltsamkeit der Schuldrechtskommission bei der Formulierung einzelner Schutzpflichten wird nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber an anderer Stelle in den Erläuterungen des Abschlußberichts178: Eine Konkretisierung - auch nur durch Fallgruppen - wurde verworfen, da sie zu einer unerwünschten Festschreibung einzelner Haftungstatbestände führen könnte. Das System des Kommissionsentwurfes würde auf diese Weise von eben dem konstruktiven Element der normierten Störungstatbestände wieder eingeholt, das er durch die §§ 275,280, 323 KE gerade verabschieden will und so eines der Grundanliegen des Reformvorschlages in Frage gestellt. Zuzustimmen ist den obigen Ausführungen jedoch insoweit, als die Rechtsprechung zu den einzelnen Nebenpflichten noch nicht genügend gefestigt ist, um Gegenstand einer gesetzlichen Normierung zu sein; zudem muß dieser Bereich für eine Weiterentwicklung durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung weiterhin offen bleiben. Die erforderliche Konkretisierung der Nebenpflichten, so das Kommissionsmitglied Heinrichs179, insbesondere wie der Haftungstatbestand des §2801 KE zu konkretisieren sei, ergebe sich aus den Vorschriften des Besonderen Schuldrechts. Dem kann jedoch nur bedingt zugestimmt werden. Denn zum einen hat der Besondere Teil des Schuldrechts nicht alle auftretenden Schuldvertragstypen normiert und zum anderen sind auch im Rahmen der normierten Vertragstypen bei weitem nicht alle relevanten und möglichen Schutzpflichten der Vertragspartner Gegenstand der gesetzlichen Regelung, so daß die Frage nach der erforderlichen Konkretisierung mit dem Verweis auf die Schuldverhältnisse des Besonderen Teils nur unvollständig zu beantworten ist. Hier helfe aber die von der Kommission vorgenommene Neuregelung des Kaufvertragsrechts. Aus dem Pflichtenprogramm der §§ 433 ff. KE ergebe sich die Konkretisierung des § 280 KE nicht nur beim Kaufvertrag, sondern bei allen Typen des Besonderen Schuldrechts180. 177 178 179 180

Schuldverhältnis S. 18 f., 26. Zur Normierung der culpa in contrahendo, Bericht S. 144. Bericht S. 144. So das Kommissionsmitglied Heinrichs, Schuldverhältnis S. 18 f., 26.

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§ 4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Es muß indes zweifelhaft erscheinen, ob die in den §§433 ff. KE vorgenommene Regelung181 ohne weiteres und ohne daß Lücken auftreten auch auf alle anderen Schuldvertragstypen übertragen werden kann; fraglich ist darüberhinaus, ob dem Kaufvertrag wie schon bei der Schaffung des BGB überhaupt eine derartige Modellund Leitbildfunktion zugedacht werden sollte, oder ob dem Vertragstyp der entgeltlichen Sachverschaffung nicht längst andere Vertragstypen, insbesondere die entgeltliche Dienstleistung in ihrer praktischen Bedeutung gleichwertig gegenüberstehen. Grundsätzlich richtig aber ist es, daß die Konkretisierung der einzelnen Schutzpflichten bei den jeweiligen besonderen Schuldvertragstypen ansetzen muß. Schon oben182 wurde dargelegt, daß die allgemeine Formulierung, die Vertragspartner treffe die Pflicht, die Leistung in einer Art zu bewirken, daß die dabei berührten Güter und Interessen des anderen unverletzt bleiben183 erst aufgrund der verschiedenen Typen von Leistungen, Leistungserfolgen und Obligationszwecken konkretisiert werden kann. Der jeweilige Vertragstyp wirkt unmittelbar pflichtenformend und -bestimmend, die konkrete Leistungserbringung wirkt deshalb unmittelbar auch auf die korrespondierenden Schutzpflichten zurück. Bei den unterschiedlichen Vertragstypen muß daher auch die Normierung der konkreten Schutzpflichten vorrangig ansetzen, durchführbar ist dies überall dort, wo die mögliche Beeinträchtigung eines Rechtsguts oder Interesses obligationstypisch vorgezeichnet ist, dem jeweiligen Schuldvertragstyp geradezu immanent ist184. Deutlich wird damit das Dilemma der Reformbemühungen. Die Möglichkeiten der Schuldrechtskommission zur Normierung konkreter Pflichten mußten nämlich auf diese Weise in eben dem Maß begrenzt bleiben, wie auch die Reform selber begrenzt ist, diese aber wurde in ihrer zweiten Phase für das Besondere Schuldrecht auf das Kauf- und Werkvertragsrecht zurückgeschnitten. Die Möglichkeit einer eingehenden Normierung einzelner Schutzpflichten an ihrem originären Ort blieb der Kommission also weitgehend verschlossen. Die daraus folgende Begrenzung läßt sich jedoch nicht mit dem einfachen Hinweis auf die Leitbildfunktion der im Kaufvertragsrecht normierten Pflichten überwinden, da dies den einzelnen Schuldvertragstypen in keiner Weise gerecht würde, sondern notwendige Differenzierungen einebnet. Offen stand den Reformbemühungen hingegen der Bereich des allgemeinen Schuldrechts. Daß die Kommission gleichwohl für die Konkretisierung einzelner Schutzpflichten nicht vom Besonderen Teil in das allgemeine Schuldrecht ausgewichen ist, muß uneingeschränkt begrüßt werden. 181 Zu den Schutzpflichten im Kaufvertrag vgl. eingehend Rust, § 711 bbb; § 7 II; vgl. vorerst nur §§434 und 632 KE. 182 §314. 183 Kress, S. 586. 184 Dazu schon oben § 314c).

XIII. Normierung einzelner Schutzpflichten

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Eine derartige Regelung im allgemeinen Schuldrecht müßte notwendig abstrakt ausfallen, weil sie von den einzelnen Schuldverhältnissen gelöst ist. Als solche könnte sie nicht mehr leisten als die Aufzählung und Benennung einzelner möglicher Schutzpflichten wie Aufklärungs-, Mitwirkungs-, Treue- und Unterlassungspflichten; gewonnen ist damit allerdings nichts. Offen bleiben müßte die entscheidende Frage ihrer konkreten Entstehung und ihres konkreten Inhalts, so daß dem Rechtsanwender mit ihrer Erwähnung kaum gedient ist; mehr noch, die gesetzliche Erwähnung einzelner Schutzpflichten impliziert ihre Hervorhebung und legt der sich noch im Fluß befindlichen Diskussion und Entwicklung ebenso hemmende wie überflüssige Fesseln an. Auch für den Kommissionsentwurf bleibt es deshalb dabei, daß die jeweiligen Schutzpflichten im konkreten Fall durch Auslegung gemäß §§133, 157 BGB festgestellt werden müssen, wo sie nicht gesetzlich normiert sind oder von den Parteien ausdrücklich vereinbart worden sind185. Hilfreich können dabei die Auslegungsgrundsätze sein, die sich aus den gemeinsamen Wertungen der einzelnen, normierten Schutzpflichten ergeben186. § 241 Abs. Π KE hilft allerdings für die Feststellung konkreter Schutzpflichten nicht weiter, denn über die Möglichkeit der Existenz und ihre allgemeine Kennzeichnung im Falle ihrer Existenz kommt diese Vorschrift nicht hinaus.

2. Geeignete Kategorien Obwohl der eigentlich relevante Ort für die Normierung der Schutzpflichten, das Besondere Schuldrecht der Kommission weitgehend verschlossen blieb, muß dies nicht zum Eingeständnis gesetzgeberischer Verlegenheit oder gar dazu führen, daß die Kommission sich im Bereich der Schutzpflichten zur Untätigkeit gezwungen sieht. Denn unabhängig von ihrer konkreten Normierung und über ihre Erwähnung in § 241 Abs. I I KE hinaus kann den Schutzpflichten in den einzelnen Normen des allgemeinen Leistungsstörungsrechtes Raum geschaffen werden, indem jede in Betracht kommende Norm derart ausgestaltet wird, daß sie grundsätzlich geeignet ist, nicht nur die Leistungspflicht, sondern zumindest auch die Schutzpflichten zu erfassen. Zutreffend hat das Kommissionsmitglied Medicus für den Störungstatbestand des Verzuges schon früh auf diese Möglichkeit hingewiesen187: Beim Schuldnerverzug habe man beispielsweise eine Sonderregelung für die spontan zu erfüllenden 185

Dazu oben § 3 III 2 d), 14 f). Siehe oben § 314 f). Auf diese Weise können auch die in den §§ 433 ff. KE und §§ 631 ff. KE normierten Pflichten Bedeutung erlangen. 187 Schuldverhältnis, S. 19 f. 186

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§4 Die Pflichtverletzung als zentraler Begriff des Kommissionsentwurfes

Schutzpflichten vorzusehen, diese müßten vom Erfordernis der Mahnung oder Terminvereinbarung ausgenommen werden188. Führt man diesen Gedanken konsequent fort, so muß die Aufgabe der Schuldrechtsreform dahingehend formuliert werden, daß im Recht der Leistungsstörungen Kategorien zu entwickeln sind, die auch für Schutzpflichten und ihre Verletzung passen. Das Bemühen der Reform muß sinnvollerweise nicht der Normierung einzelner konkreter Schutzpflichten gelten, sondern der Schaffung geeigneter Normen, Zusammenhänge und Begriffe, die den Schutzpflichten und ihren Eigenarten vollständig Rechnung tragen. Dieser Gesichtspunkt der Normierung geeigneter Kategorien und Begriffe soll deshalb auch die im weiteren Verlauf folgende Betrachtung des Rücktrittsrechts, § 323 KE und der Haftung, § 2801, Π KE bestimmen.

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Mit § 284 Abs. II Nr. 4 KE hat der Entwurf eine Vorschrift aufgenommen, die diese Konstellation zwar nicht ausdrücklich aufzeigt, sie aber zumindest erfassen kann (vgl. Bericht S. 139).

§ S Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz i m Leistungsstörungsrecht des BGB Die wechselseitige Beschränkung und Bedingtheit von Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatzanspruch prägt das Leistungsstörungsrecht des BGB. Bei der Schaffung des BGB wurde dem Leistungsstörungsrecht der Zwang zur Erfüllung in forma specifica zugrundegelegt1, eine Befreiung von diesem Zwang sehen nur wenige, enge Tatbestände vor. Einher geht damit die Beschränkung des Gläubigers auf seinen Erfüllungsanspruch, dessen Vorrang nur ausnahmsweise durch Tatbestände durchbrochen wird, denen ein dauerndes oder feststehendes Ausbleiben der Leistung gemeinsam ist. Die Erweiterung der Rechte der Vertragspartner ist systematisch gesehen insofern immer nur die positiv zu begründende Ausnahme zum Prinzip der Beschränkung auf den Erfüllungsanspruch 2. Im Falle einer Schutzpflichtverletzung wird dem Gläubiger nur der Schadensersatzanspruch gegeben, der neben seinen Erfüllungsanspruch tritt, solange dieser noch fortbesteht; nur die zur Nichterfüllung der Leistungspflicht führende Schutzpflichtverletzung bedingt den Anspruch auf das Erfüllungsinteresse. Die nähere Ausgestaltung des Verhältnisses von Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz in den einzelnen Bestimmungen der §§275 ff. BGB soll im Folgenden dargestellt werden. Ausgangspunkt der Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechtes ist die Unmöglichkeit der Leistung. Das BGB spricht in den §§ 275, 280-283, 306-308 und 323-325 zwar ausdrücklich von der Unmöglichkeit der Leistung, gibt aber selbst keine Definition des Begriffes. Bis heute nicht übereinstimmend geklärt ist deshalb die Frage, welche Fälle unter den Begriff der Unmöglichkeit fallen 3 und wie die Fälle zu behandeln sind, die diesem Begriff nicht mehr zu unterstellen sind4. Ne1 Zum gesetzgeberischen Hinteigrund vgl. Mugdan II, Motive S. 49; Himmelschein AcP 135 (1932) S. 255, 263 ff. m. z. w. N.; Jakobs, Unmöglichkeit S. 27ff.; auch der Kommissionsentwurf geht von diesem Prinzip aus: Bericht S. 30. 2 Die eingehende Behandlung der ersten Frage nach der Befreiung des Schuldners von seiner Leistungspflicht wird hier - soweit als im Zusammenhang mit der Behandlung der Leistungs- und Schutzpflichten möglich - ausgeklammert. Siehe dazu jedoch insgesamt und für den Kommissionsentwurf Nauen. 3 Umfassend zur Unmöglichkeitslehre jüngst Ehmann/Kley in JuS 1998 S.481 ff. 4 Eine Auseinandersetzung mit diesem komplexen Problem ist für die hier angestrebte Darstellung der Zusammenhänge von Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatzanspruch jedoch auch entbehrlich, da insoweit der vorhandene Grundkonsens bezüglich der physischen, logischen und rechtlichen Unmöglichkeit ausreicht.

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

ben der Unterscheidung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit differenziert das BGB zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit sowie ferner zwischen zu vertretender und nicht zu vertretender Unmöglichkeit.

I. Anfängliche Unmöglichkeit, § 306 BGB und anfangliches Unvermögen Dargelegt werden soll hier zunächst5 die objektive anfängliche Unmöglichkeit. Die anfängliche Unmöglichkeit bildet eine Schranke der Vertragsfreiheit (§ 305 BGB)6. Die wichtigste Rechtsfolge der objektiven anfänglichen Unmöglichkeit ergibt sich unmittelbar aus § 306 BGB: der Vertrag ist nichtig7. Diese Nichtigkeitsfolge ist zurückzuführen auf den römischrechtlichen Satz „impossibilium nulla obligatio est"8. Ein Anspruch auf Schadensersatz, und zwar in Höhe des durch das Erfüllungsinteresse begrenzten negativen Interesses, entsteht nur unter den Voraussetzungen des § 307 BGB. Wo die Nichterfüllbarkeit der angestrebten Leistungsverpflichtung schon vor Vertragsschluß feststand, liegt nur vordergründig eine Nichterfüllung vor, da die Leistungspflicht wegen der Nichtigkeitsfolge des § 306 BGB unwirksam ist. Anknüpfungspunkt für sekundäre Ansprüche kann hier demnach nicht eine Schutzpflicht sein, die sich auf den Leistungsgegenstand als solchen bezieht, sondern nur die Schutzpflicht des Schuldners zur Vergewisserung über sein eigenes Leistungsvermögen9. Diese Schutzpflichtverletzung wird kausal nur für einen Vertrauensschaden, nicht aber für einen Nichterfüllungsschaden. Das negative Interesse umfaßt dabei insbesondere die Aufwendungen, die die Vertragspartner im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages gemacht haben10. Die Haftung entfällt dementspre5

Dies entspricht auch der tatsächlichen zeitlichen Reihenfolge der möglichen Störungen. Ehmann/Kley, S. 490 unter IV). 7 Eine wichtige Ausnahme von der Regelung des § 306 BGB bildet §437 BGB: Beim Verkauf einer nicht bestehenden Forderung oder eines sonstigen Rechts haftet der Verkäufer für deren rechtlichen Bestand, sofern das Recht seiner Art nach überhaupt entstehen konnte. Auch nach § 5381 BGB ist der Mietvertrag über eine Sache, die von Anfang an mit einem die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigenden Mangel behaftet ist, gültig und dient als Grundlage einer Verpflichtung zum Schadensersatz. 8 Dig. 50.17.185 (Regel des Iuventius Celsus), vgl. auch Motive II S. 176. Zu den verschiedenen Herleitungen und Deutungen dieses Satzes siehe einerseits Wieacker in FS für Nipperdey, S. 783, 800f., andererseits Medicus in SZ (RomAbt) 86 (1969) S.67ff. und Blaurock, S.51, 52f.; vgl. auch Ehmann/Kley, S.483 unter 3., S.491 unter 2).; Wollschläger S.7, lOff. 9 Führt diese Vergewisserung allerdings zu Zweifeln über dieses Leistungsvermögen, so tritt notwendig eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Gläubiger hinzu, da diesem mit der Vergewisserung des Schuldners allein nicht gedient ist. 10 Emmerich, § 3 V2b. Zu einem anderen Ergebnis gelangt in Fällen höchstpersönlicher Leistung z. B. Kress, der die Abgrenzung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit danach vornimmt, ob sie in den persönlichen Verhältnissen des Schuldners ihre Gründe hat. (S. 116, 118 i. V.m.S. 102). 6

I. Anfängliche Unmöglichkeit, § 306 BGB und anfängliches Unvermögen

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chend, wenn der andere Partner die Unmöglichkeit kannte oder kennen mußte, §307 IS. 2 BGB 11 . Aus der Regelung des § 306 BGB läßt sich (e contrario) nur schließen, daß ein Vertrag wegen anfänglichen Unvermögens des Schuldners nicht unwirksam ist12. Bezüglich der weiteren Rechtsfolgen weist das BGB hier jedoch eine Lücke auf 13. Die Bestimmung der Voraussetzungen, die an eine Haftung wegen anfänglichen Unvermögens zu stellen sind, führte daher auch zu einer Streitfrage, die seit dem Inkrafttreten des BGB lebhaft erörtert wird 14. So wird insbesondere von der Rechtsprechung15 und auch von einem großen Teil der Literatur 16 angenommen, daß der Schuldner mit der Eingehung des Vertrages eine Einstandspflicht hinsichtlich der eigenen Leistungsfähigkeit übernommen habe. Danach stehe dem Gläubiger, ohne daß es auf ein Verschulden des Schuldners ankomme, ein Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu, sog. Garantiehaftung. Im Gegensatz zu dieser Garantiehaftung wird schon seit dem Inkrafttreten des BGB die Auffassung vertreten, daß auf ein Verschulden des Schuldners an seinem Unvermögen nicht verzichtet werden kann, wenn er auf das Erfüllungsinteresse haften soll. Deshalb wird das anfängliche Unvermögen dem nachträglichen gleichgestellt und die §§ 275, 280, 323, 325 BGB analog angewendet17. Danach haftet ein Schuldner bei anfänglichem Unvermögen immer nur dann auf das Erfüllungsinteresse, wenn ihn an diesem Unvermögen ein Verschulden trifft. Dabei könne sich das Verschulden entweder auf die Herbeiführung des Unvermögens beziehen oder aber in der Kenntnis bzw. dem Kennenmüssen der das Unvermögen auslösenden Gründe liegen. Diese Anknüpfungspunkte für eine Haftung auf das positive Interesse müssen sich jedoch dem Einwand aussetzen, daß den Schuldner vor Vertragsschluß keine Leistungspflichten gegenüber dem Gläubiger treffen, so daß mangels einer bestehenden Verpflichtung zur Leistung dem auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht bezogenen Verschuldensvorwurf die Basis fehlt. Soweit aber mit der Kenntnis des 11

Zur häufigen Kritik an den Rechtsfolgen der objektiven anfänglichen Unmöglichkeit und den Versuchen, den §306 BGB (z.B. durch die Annahme einer stillschweigenden GarantieÜbernahme) restriktiv anzuwenden siehe von Wallenberg in ZRP 1994, S. 306ff.; Berghoff, S. 25 ff., jeweils m. w. 12 Ehmann/Kley, S.484. 13 Larenz, §8 II. 14 Vgl. schon 1935 Oertmann in AcP 140, S. 129ff.; umfangreiche Nachweise zu den verschiedenen Standpunkten der Literatur und der Rechtsprechung z.B. bei Eichenhofer, JuS 1989, S.777ff.; Berghoff, S.37ff. 15 Z.B. RGZ69,355,357; 80,247,250; 99,233,235; Β GHZ 8,222,231; 11,16,21; BGH in W M 1972, 656f.; BGH in NJW 1974,1784. 16 Larenz, § 8 II mit Nachweisen in Fn.9; weitere Nachweise bei Emmerich §411, umfangreiche Nachweise auch zur älteren Literatur bei Beighoff, S. 38. 17 Ζ. B. Heck, Schuldrecht § 47, Evans-von Krbek in AcP 177 (1977) S. 35,47 ff.; w. Ν. ζ. B. bei Berghoff S. 38 f.

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

Schuldners eine Schutzpflichtverletzung zum Anknüpfungspunkt des Vorwurfs gemacht wird, kommt nur eine Haftung auf das negative Interesse in Betracht: Hätte der Schuldner seiner Kenntnis entsprechend gehandelt, so wäre es gar nicht zum Vertragsschluß gekommen, eine Haftung auf das positive Interesse kann so nicht entstehen18. Über die große Beachtung, die der Frage der Haftung bei anfänglichem Unvermögen geschenkt wird, tritt die Frage nach Bestand oder Fortfall der Primärleistungspflicht regelmäßig in den Hintergrund. Richtigerweise ist jedoch vom Fortbestand der Leistungspflicht auszugehen19.

II. Nachträgliche Unmöglichkeit Im Gegensatz zur objektiven anfänglichen Unmöglichkeit und zum anfänglichen Unvermögen betrifft die nachträgliche Unmöglichkeit nur solche Fälle, in denen die Unmöglichkeit erst nach der Entstehung des Schuldverhältnisses, bei Verträgen also nach Vertragsschluß eingetreten ist. Die zentrale Vorschrift ist § 275 BGB. So ergibt sich bereits aus § 275 BGB die im Bereich der nachträglichen Leistungsstörungen entscheidende Differenzierung danach, ob der Schuldner die Nichterfüllung der Leistungspflicht zu vertreten hat oder nicht. Gemäß § 2751 BGB wird der Schuldner im Falle der von ihm nicht zu vertretenden objektiven Unmöglichkeit von seiner Verpflichtung zur Primärleistung frei, die nicht zu vertretende objektive Unmöglichkeit wirkt damit als anspruchsausschließender Tatbestand20. Diese im Gesetz ausdrücklich geregelte Rechtsfolge ist wohl unbestritten. Verschiedene Positionen werden jedoch hinsichtlich des Leistungsinhaltes, von dem § 2751 BGB Befreiung gewährt, vertreten. Sicher ist zunächst, daß durch diese Befreiungswirkung das zugrundeliegende Schuldverhältnis nicht gänzlich beendet ist21. 18

Vgl. schon Oertmann, S. 146; siehe Ehmann/Kley, S. 490IV1 c). Ehmann/Kley, S.484. 20 Es ist allerdings immer wieder in Frage gestellt worden, daß der Grund für das Freiwerden des Schuldners in der Unmöglichkeit liegt. Zum Teil wird die Ansicht vertreten, die Befreiung des Schuldners sei darauf zurückzuführen, daß er die Nichterfüllung nicht zu vertreten habe; so ζ. B. Jakobs, Unmöglichkeit, passim, insbes. S. 196ff.; dem zustimmend Huber in FS für von Caemmerer, S.837, 840; Emmerich in Leistungsstörungen, §28IIb; Gillig, S.94. 21 Daß das Schuldverhältnis als Organismus bestehen bleibt und die Grundlage weiterer Ansprüche bilden kann, folgt schon aus den §§323 II, III, 281 BGB (unter deren Voraussetzungen der Schuldner zur Surrogatleistung verpflichtet bleibt). Auch ist allgemein anerkannt, daß für den Schuldner die Schutzpflicht entsteht, dem Gläubiger binnen angemessener Frist mitzuteilen, daß und welche Hindemisse für die Vertragserfüllung eingetreten sind. Siehe schon Planck-Siber, § 275 Anm. 3; RG Recht 1918, S. 108 Nr. 204; BGH L M Nr. 4 zu § 536; MüKoEmmerich, §275 Rn 46; Staudinger-Löwisch, §275 Rn 44; Soergel-Wiedemann, §275 Rn 7, 81. 19

II. Nachträgliche Unmöglichkeit

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Möglich erscheint es jedoch, die Befreiungswirkung des § 2751 BGB nicht nur als Befreiung von der Primärleistungspflicht zu verstehen, sondern auch als Ausschluß der Schadensersatzpflicht des Schuldners22. Doch sind die Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung in den §§ 280, 325 BGB für den Fall der Unmöglichkeit ausdrücklich normiert, § 2751 BGB würde insoweit nur eine (überflüssige) Wiederholung bringen. Zutreffend erscheint es demnach allein, die Befreiungswirkung des § 2751 BGB auf den Leistungsinhalt vor Eintritt der Unmöglichkeit zu beziehen. Denn nur von bestehenden, nicht von zukünftigen Verpflichtungen soll der Schuldner durch § 275 BGB befreit werden; Leistungsinhalte hingegen, die erst mit Eintritt der Unmöglichkeit Bedeutung erlangen (wie das Surrogat, § 281 BGB oder der Schadensersatz wegen Nichterfüllung im Falle der Unmöglichkeit)23, bleiben von der Befreiungswirkung des § 2751 BGB unberührt. Der nachträglichen, nicht zu vertretenden Unmöglichkeit steht gemäß § 275 Π BGB das nachträgliche Unvermögen zur Leistung gleich24. Klargestellt wird durch § 275 Π BGB zunächst, daß Hindernisse, die lediglich in der Person des Schuldners liegen, die Unmöglichkeit eben nicht begründen. Vielmehr wird ein Teil der Fälle dieser Leistungshindernisse der oben dargelegten Rechtsfolge des § 2751 BGB angeglichen, wobei jedoch Uneinigkeit bezüglich des Anwendungsbereiches herrscht, in dem die Regelung des § 275 I I BGB Bedeutung gewinnt25. Wie die Entstehungsgeschichte des § 275 Π BGB zeigt, betrifft diese Vorschrift ihrem ursprünglichen Sinn nach nur einen eng begrenzten Sonderfall, nämlich die Situation, daß der Schuldner einer individuell bestimmten Sache diese aus einem nicht von ihm zu vertretenden Grund nachträglich abhanden kommt26. Festzuhalten bleibt, daß im Falle des § 275 BGB der Schuldner von seiner Verpflichtung zur Primärleistung frei wird. Diese Befreiungswirkung ist in gleichem Maße jedoch für den Gläubiger von Bedeutung27, da sie für ihn die Befreiung aus 22 So ζ. B. Weber-Will/Kern in JZ 1981 S.257, 259 (siehe auch ebenda Fn.32), die eine „ganzheitliche", die Primär- und Sekundärleistungspflicht des § 275 BGB erfassende Betrachtung aus dem Sinn und der Entstehungsgeschichte der Nonn abzuleiten versuchen. Ähnlich auch Wollschläger S. 34; Staudinger-Löwisch § 275 Rn 56. 23 Soergel-Wiedemann, §275 Rn7; Meincke AcP 171 (1971) S. 19,20; Jakobs, Unmöglichkeit S. 68 ff.; Berghoff S. 84; ablehnend zur Erstreckung der BefreiungsWirkung auf sekundäre Pflichten auch der Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S. 118. 24 Dazu Ehamnn/Kley, S.482,491 unter 3 a), die darlegen, daß der Fall der subjektiven Unmöglichkeit nicht mit der Autorität des Satzes „impossibilium nulla est obligatio" entschieden werden kann. Entscheidend für die Befreiung des Schuldners ist vielmehr, ob die Leistung seine geistigen, köiperlichen oderfinanziellen Kräfte übersteigt, sog. „Spannung der Schuld". 25 § 275 II BGB ist sinnvoll nur im Zusammenhang mit § 279 BGB zu erfassen, wie sich schon aus der Gesetzgebungsgeschichte eigibt (vgl. ζ. B. Jakobs/Schubert, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. IS. 211 ff.; Motive II S.45; Protokolle I S.314ff.; Zusammenfassung der Gesetzgebungsgeschichte auch bei Soergel-Wiedemann, § 275 Rn 2; § 279 Rn 1; siehe auch Jakobs, Unmöglichkeit S.45 ff.; 126 ff.). 26 Jakobs, ebenda; Huber in FS für von Caemmerer, S. 837, 855. 27 Jakobs, Unmöglichkeit S. 68 ff., 73; kritisch dazu Soergel-Wiedemann, § 280 Rn 30.

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

seiner Beschränkung auf die Geltendmachung des Primärleistungsanspruches zur Folge hat, die aus dem Vorrang der Naturalerfüllung resultiert.

I I I . Nachträgliche, zu vertretende objektive oder subjektive Unmöglichkeit Ist die Befreiung von der Primärleistungspflicht für den Schuldner bzw. die damit korrespondierende Lösung des Gläubigers aus der Beschränkung auf den Primärleistungsanspruch gemäß § 2751, II BGB bei nicht zu vertretender Unmöglichkeit unbestritten, so teilen sich die Meinungen bezüglich der Rechtsfolgen dieser Norm bei zu vertretender objektiver oder subjektiver Unmöglichkeit. Hinter der zur dauerhaften Nichterfüllung führenden zu vertretenden Unmöglichkeit wird regelmäßig die Verletzung einer Schutzpflicht stehen, die zum Erhalt des Leistungsgegenstandes verpflichtet (z.B. durch Sicherung, Verwahrung, Instandhaltung).

1. Fortbestand der Leistungspflicht trotz Unmöglichkeit Eine ausdrückliche Regelung des Wegfalls der Primärleistungspflicht für die vom Schuldner zu vertretende nachträgliche Unmöglichkeit fehlt 28. Die Fassung des § 275 BGB legt jedoch den Umkehrschluß nahe, daß im Falle des Vertretenmüssens der Schuldner zur ursprünglichen Leistung verpflichtet bleibt. Diese Ansicht wird dementsprechend (ζ. T. im Anschluß an die gemeinrechtliche Literatur 29 und an die Rechtsprechung des Reichsgerichtes30) in der Literatur 31 vertreten. 28

Die Passagen in den Motiven II S. 49,50 werden von den Vertretern der beiden entgegengesetzten Ansichten jeweils als Beweis der Übereinstimmung ihrer Ansicht mit den gesetzgeberischen Absichten in Anspruch genommen (vgl. ζ. B. Brehm in JZ 1974, S. 573 m. w. N. in Fn.3; Jakobs, Unmöglichkeit S.231f.; Himmelschein in AcP 135 -1932- S. 255 ff., 275). Zutreffend ist wohl, daß es dort lediglich um rein sprachliche Klarstellungen des Problems ging, daß die Unmöglichkeit nicht das Schuldverhältnis als Organismus trifft, sondern nur die einzelne Leistungspflicht (richtig Soergel-Wiedemann, § 280 Rn 30). 29 Nachweise dieser Literatur z.B. bei Meincke, AcP 171 (1971) S. 19, 22 Fn.l 1. 30 Vgl.z.B. RGZ 54, 28; 88, 76; 99, 232; 107, 15; 160, 257; 168, 321; z.w.N. der Rechtsprechung des Reichsgerichtes bei Soeigel-Wiedemann, § 280 Fn.31. Nach dieser Rechtsprechung ist ein Schuldner zu einer unmöglichen Leistung zu verurteilen, wenn er die Unmöglichkeit zu vertreten hat, Ausnahmen sollen nur für den Fall der bereits im Prozeß feststehenden Unmöglichkeit gelten. Die zu vertretende Unmöglichkeit wird damit - soweit sie nicht feststeht - als erheblicher Einwand des Schuldners nicht anerkannt, was mit dem Fortbestand des Erfüllungsanspruches zu erklären ist; Kress, S.417 Fn.4. 31 Rabel, Studie S. 1 ff., 11; Jakobs, Unmöglichkeit S. 230ff., der im Anschluß an Himmelschein die Primärleistung als Form der Haftung versteht (ebenso Huber in FS für von Caemmerer, S. 837, 870, Gutachten S.779f.; MüKo-Emmerich in 1. Aufl. §280 Rn 3; Blaurock, S.51,59; Köhler in JuS 1991,S.945.)

III. Nachträgliche, zu vertretende objektive oder subjektive Unmöglichkeit

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Verwiesen wird dabei nicht nur auf die gesetzessystematisch naheliegende Folgerung aus § 275 BGB, sondern auch auf den Zusammenhang mit § 283 B G B 3 2 , dessen Funktion den Bestand der Primärleistungspflicht voraussetzt. Zu beachten sei weiter die Notwendigkeit, dem Gläubiger seine Chance zu erhalten, die Realisierbarkeit der Leistung im Vollstreckungsverfahren zu überprüfen 33, indem der Erfüllungsanspruch fortbestehe und der Gläubiger sich entscheiden könne, ob er weiter auf der Erfüllung der versprochenen Leistung bestehen oder aber Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen wolle. Dieser Fortbestand des auf die unmögliche Leistung gerichteten Anspruches ist gelegentlich als logisch undenkbar bezeichnet worden 34 . Die Regeln der Logik ver32 Aus einer Gesamtschau verfahrensrechtlicher (§§ 883 ff. ZPO, insb. § 893 ZPO) und materiellrechtlicher Vorschriften (§§ 275,280, 325, 326 BGB) wird dabei die grundsätzliche Zulässigkeit der Verurteilung zur Primärleistung auch im Falle der Unmöglichkeit abgeleitet, wenn die nachträgliche Unmöglichkeit vom Gläubiger bestritten wird (vgl. auch Fn.30). Insbesondere die §§283 BGB, 893 ZPO sähen eine Verurteilung des Schuldners zur Leistung vor, wenn die Leistung entweder möglich oder aus von ihm zu vertretenden Umständen unmöglich geworden ist. Notwendig ist dafür jedoch, daß ein Erfüllungsanspruch auch im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit überhaupt besteht. Dabei entstünde für den Schuldner keine Benachteiligung, da er in jedem Fall hafte, wenn er die Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten hat (K. Schmidt in ZZP 87 -1974- S.49, 61). Dem Leistung verlangenden Gläubiger soll so der Übergang vom Erfüllungs- auf den Schadensersatzanspruch erleichtert werden, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dem Schuldner die Leistung unmöglich geworden ist. Der Schuldner ist daher im Prozeß auch nicht in jedem Fall zum Beweis der Unmöglichkeit zugelassen. Ein Anspruch auf Zulassung zum Beweis der Unmöglichkeit besteht vielmehr nur dann, wenn er darlegen kann, daß er die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat, denn in diesem Fall wäre er gemäß § 275 BGB von der Verpflichtung zur Leistung befreit. § 283 BGB eröffnet dem Gläubiger somit in bestimmten Konstellationen die Möglichkeit, ohne den Nachweis der Unmöglichkeit nach rechtskräftiger Verurteilung auf den Schadensersatzanspruch aus §§283,325 II, I BGB überzugehen, denn im (Zweit-) Prozeß kann die Unmöglichkeit der Leistung gemäß § 2831S. 3 BGB nicht mehr eingewendet werden. Aus diesem Zusammenhang folgt, daß eine Verurteilung zur Leistung bei unbestrittener oder zugestandener, d. h. feststehender Unmöglichkeit nicht erfaßt wird. Wenn demgegenüber eingewendet wird, dem Gläubiger müsse das Recht genügen, die zu vertretende Unmöglichkeit unstreitig zu stellen und dann gemäß § 264 Nr. 3 ZPO auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung überzugehen (so z. B. Meincke, S. 24; Soergel-Wiedemann, § 280 Rn 30), so führt dies für den Gläubiger zu der Alternative, entweder auf diesem Wege auf seinen Erfüllungsanspruch zu verzichten oder zuriskieren, den Erfüllungsprozeß zu verlieren und dann erneut auf Schadensersatz klagen zu müssen. Diese Auffassung ignoriert also die Funktion des § 283 BGB, die auch darin liegt, dem Gläubiger dieses Risiko durch den Fortbestand des Primärleistungsanspruches abzunehmen (Kohler, JuS 1991 S.943, 944). Im einzelnen ist hier jedoch vieles streitig, vgl. umfassend Kohler in JuS 1991, S. 943 ff. und JuS 1992, S. 58 ff.; K. Schmidt in ZZP (1974) - S. 49ff.; Jakobs, Unmöglichkeit S. 226ff. und auch Siber in Planck, Anm. 2b) zu § 280 (S. 240f.). 33

Jakobs, Unmöglichkeit S. 240ff.; MüKo-Emmerich in 1. Aufl. §280 Rn 85; Rabel, Studie S. 7 f.; kritisch dazu Brehm in JZ 1974 S.573,575. Meincke in AcP 171 (1971) S. 19,23 spricht von der „Detektivkompetenz" des Gläubigers, dazu auch Köhler in JuS 1991 S.943 ff. 34 Ζ. B. bei Kleineidam, S. 35, 127 und in JherJB 43 S. 124; diese und w. N. bei Meincke S. 19 ff. in Fn.25. Dem nahestehend stellt Wolff seinen Ausführungen zum Bestand des Primärleistungsanspruches bei Unmöglichkeit und Unvermögen in JZ 1995 S.280ff. die These „Sollen impliziert Können" voran. 12 Kuhlmann

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

bieten es jedoch nicht, einen Anspruch anzunehmen, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist35. Normatives Sollen und tatsächliches Können liegen nicht auf derselben logischen Ebene, weshalb es logisch ohne Widerspruch denkbar ist, daß der Schuldner auch dann zur Leistung verpflichtet ist, wenn diese unmöglich ist. Auch die Wurzeln des römischrechtlichen Grundsatzes „impossibilium nulla obligatio est" liegen nicht in einer logischen Ebene, sondern in juristischen Konsequenzen des damaligen Rechtsdenkens36. Die Aufstellung einer Pflicht dient nicht denknotwendig dazu, das betreffende Verhalten erzwingen zu können, juristisch kann sich die Funktion einer Pflicht auch darin erschöpfen, im Falle der Pflichtverletzung Sanktionen zu rechtfertigen. Nur der Fortbestand des Erfüllungsanspruches scheidet dann aus, Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Rücktritt bleiben möglich. Gegen die Rechtskonstruktion der „Pflicht zum Unmöglichen" wurde eingewendet, daß das Rechtsinstitut des Anspruches durch die Erfüllbarkeit der Leistungsbeziehung gekennzeichnet sei, was durch die §§ 362 ff. BGB mit aller Deutlichkeit gezeigt werde. Ein nicht erfüllbarer Anspruch sprenge daher die gesetzlich vorgezeichneten Grenzen dieser Rechtsfigur 37, weshalb auch im Falle der zu vertretenden, nachträglichen Unmöglichkeit der Fortfall der Primärleistungspflicht anzunehmen sei. Daß der Anspruchsbegriff im BGB jedoch nicht notwendig den Erfüllungsvorschriften der §§ 362 ff. BGB entsprechen muß, wurde aber bezüglich der Schutzansprüche schon oben38 angesprochen. Auch bei diesen liegt ein wesentliches Merkmal in der Entwicklung zum sekundären Rechtsbehelf, sie sind jedoch keiner Erfüllung i. S. d. §§ 362ff. BGB zugänglich. Entscheidend muß es trotz der grundsätzlichen Möglichkeit des Fortbestandes der Primärleistungspflicht bei objektiver zu vertretender Unmöglichkeit wohl aber sein, die Grenzen zu achten, die auch der juristischen Gestaltungskraft durch die Vernunft gezogen sind39. Wo das Interesse des Gläubigers an der Primärleistung unter keinen Umständen mehr verwirklicht werden kann, erscheint der Anspruchsfortbestand als ein sinnentleertes Konstrukt. Zudem wäre es im System des allgemeinen 35 So auch schon Rabel (Studie S.5 ff.; Vortrag S. 56,60ff.), der daraufhinweist, daß die Obligation nur ein Sollen enthalte, ein Sollen könne aber sehr wohl auf ein Unmögliches gerichtet werden; ebenso Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechts Vereinheitlichung S. 71, 89; Brehm in JZ 1974 S.573 und in JuS 1989, S.540f. m.w.N.; Gillig S. 186; Roth in JuS 1968 S. 101; Wolff in JZ 1995, S.280,282 in Fn.38. 36 Vgl. ausfuhrlich ζ. B. einerseits Wieacker in FS für Nipperdey S. 783,800ff.; andererseits Medicus in SZ (RomAbt) 86 (1969) S.67ff. 37 Meincke, S.25. 38 Ausführlich auch § 8IX1). 39 So schon Kress, S. 417. Auf diese Weise läßt es sich auch vermeiden, eine Ausnahme vom Prinzip der Realexekution zu machen, die bei Annahme eines per definitionem unvollstreckbaren Anspruches unumgänglich wäre. Zutreffend in dieser Hinsicht ist deswegen die Ansicht, die auf die Abstimmung von Erfüllungsanspnich und Vollstreckungsmöglichkeit hinweist; vgl. Brehm in JZ 1974 S. 573, 574 m. w.

III. Nachträgliche, zu vertretende objektive oder subjektive Unmöglichkeit

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Leistungsstörungsrechtes des BGB widersprüchlich, wenn eine Leistungspflicht zur Erbringung einer anfänglich objektiv unmöglichen Leistung gemäß § 306 BGB erst gar nicht entstehen könnte, aber im Falle der nachträglichen Unmöglichkeit Bestand hätte40. Auch im Falle der zu vertretenden nachträglichen objektiven Unmöglichkeit erscheint es somit überzeugender, vom Wegfall der Primärleistungspflicht bzw. des Primärleistungsanspruches auszugehen41.

2. Fortbestand der Leistungspflicht trotz Unvermögens Anders ist die Situation beim nachträglichen zu vertretenden Unvermögen. Im Falle der nur subjektiv unmöglichen Leistungserbringung ist die Erfüllungsmöglichkeit nicht generell ausgeschlossen, sondern nur der Schuldner ist zur Erfüllung außerstande. Die Argumente, die dem Fortbestand der Primärleistungspflicht bei objektiver Unmöglichkeit entgegenstehen, greifen beim Unvermögen nicht. Soweit dem Unvermögen, § 275 II BGB überhaupt rechtliche Relevanz zuerkannt wird 42, bejahen viele Ansichten in der Literatur trotzdem die Befreiungswirkung bezüglich der Primärleistungspflicht 43. Wo der Schuldner nicht leisten könne, sei seine Verpflichtung zur Leistung fehl am Platz, dem Interesse des Gläubigers sei in ausreichendem Maße durch die Sekundäransprüche Rechnung getragen44. Die Vertreter dieser Ansicht sind allerdings gezwungen, den insoweit klaren Wortlaut des § 275 BGB zu ignorieren, ohne für dieses Vorgehen eine befriedigende Erklärung geben zu können45. Darüberhinaus wird beim Wegfall des Primärleistungsanspruches nicht das Interesse des Gläubigers an der Möglichkeit beachtet, den Anspruch auf Erfüllung noch geltend zu machen, die Zwangsvollstreckung zu versuchen und ohne den für ihn mangels Vertrautheit mit der Leistungssphäre des Schuldners oft schwierigen Nachweis des Unvermögens zur Umstellung in das Erfüllungsinteresse nach §§ 283, 325 II, I BGB zu gelangen46. Im Falle des nachträglichen zu vertretenden Unvermö40

Kress, S.417f. So im Ergebnis auch Planck-Siber, § 280 Anm. 2 b; Staudinger-Löwisch, § 275 Rn 44, § 280 Rn 2; Palandt-Heinrichs, § 275 Rn 25, § 280 Rn 3; Larenz § 221 a; Roth in JuS 1968 S. 101 ; Weber-Will/Kem in JZ 1981 S.257,259; Meincke S.22; Neumann S.97f.; Gillig S.96. 42 Nach Jakobs, Unmöglichkeit S. 150,253 ff. und Emmerich in MüKo § 275 Rn 52,59 fehlt dem § 275 II BGB ein Anwendungsbereich, so daß es schon aus diesem Grund zu keiner Befreiung des Schuldners wegen Unvermögens kommt. 43 So ζ. B. Staudinger-Löwisch, § 275 Rn 56; Soeigel-Wiedemann, § 280 Rn 280; PalandtHeinrichs, §275 Rn 24; Meincke S.27; Neumann S. lOOf.; Wolff in JZ 1995 S.280,281 m. w. 44 Wolff, S. 282. 45 Löwisch in Staudinger (§ 275 Rn 56) führt ζ. B. an, der Wortlaut sei „mißverständlich", die Frage, ob Unmöglichkeit oder Unvermögen zu vertreten sei, erlange Bedeutung nur für die weiteren Rechtsfolgen der Unmöglichkeit. 46 Kress, S. 416f.; Planck-Siber, § 280 Anm. 2b; Brehm in JZ 1974 S.573,576; Gillig S. 111 ; K. Schmidt in ZZP 87 S.49,75 f.; vgl. auch Ehmann/Kley S.490. 41

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gens ist daher vom Fortbestand des Primärleistungsanspruches auszugehen47. Auch hier ist wieder die Stimmigkeit der Rechtsfolge im Hinblick auf das anfängliche Unvermögen zu beachten; beim anfänglichen Unvermögen bleibt der Erfüllungsanspruch bestehen48, warum er demgegenüber bei nachträglichem zu vertretendem Unvermögen ausgeschlossen sein sollte, ist nicht einzusehen49 5 0 .

IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§280, 325 BGB Die §§ 280, 325 BGB bestimmen in ihrem Anwendungsbereich die Rechtsfolgen der vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit der Leistung. 47

Dieser Fortbestand der Primärleistungspflicht im Falle zu vertretenden Unvermögens muß konsequenterweise auch im Rahmen des § 3251 BGB gelten, der Primärleistungsanspruch des Gläubigers entfällt hier dann erst, wenn und weil der Gläubiger den Rücktritt, die Abstandnahme oder das Surrogat wählt. Wählt er hingegen den Schadensersatz wegen Nichterfüllung, so bleibt der Primärleistungsanspruch nach der Vorstellung der Gesetzgeber, die dem § 3251 BGB die Surrogationstheorie zugrunde legten, zumindest insoweit bestehen, als der Schadensersatz den Wert der ursprünglichen Leistung surrogieren soll. Diese Vorstellung mußte freilich schnell der Differenztheorie weichen, bei der der Primärleistungsanspruch dann ebenfalls mit der Wahl des Rechtsbehelfes erlischt. 48 MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 9 und in Leistungsstörungen § 7 I V 3 m. w. N.; SoergelWolf, § 306 Rn 25; Staudinger-Löwisch (12. Aufl.) § 306 Rn 32; vgl. auch Siber in Planck, Anm. 2b zu § 280 (S. 242f.) und RGZ 80 S.247,249. 49 Anderer Ansicht ist insoweit Wolff in JZ 1995 S. 280,283 f. („Sollen impliziert Können"), der genau umgekehrt aus seiner Prämisse der Befreiung im Falle nachträglichen Unvermögens auch die Befreiung des Schuldners im Falle des anfänglichen Unvermögens (wenig überzeugend) durch die analoge Anwendung des § 275 II BGB erreichen will. 50 Meincke (S. 24) kritisiert, daß die Auffassung vom Fortbestand der Primärleistungspflicht zu einem Nebeneinander von Leistungs- und Schadensersatzansprüchen führe, das dem BGB unbekannt sei. Wo ein solches Nebeneinander an sich denkbar wäre, wie bei §§ 283,326 BGB habe das Gesetz den Erfüllungsanspruch ausdrücklich ausgeschlossen (§§28312 letzter Hs, 32612 letzter HS. BGB). Auch ein Ablehnungsrecht, wie es das Gesetz für die Fälle der Teilunmöglichkeit (§ 280 II BGB) und des Verzuges, § 286 II, 326 BGB kenne, sei nicht vorgesehen, was klar zeige, daß der Gesetzgeber nicht vom Fortbestand des auf die unmögliche Leistung gerichteten Anspruchs ausging. Dem liçgt jedoch ein unzutreffendes Verständnis der Alternativität im allgemeinen Leistungsstörungsrecht zugrunde. Wie ζ. B. Jakobs in seiner Monographie (Unmöglichkeit und Nichterfüllung) eingehend nachgewiesen hat, sind nur Schuld (§§241, 280, 325 BGB) und Befreiung bei nicht zu vertretender Unmöglichkeit streng alternativ zu denken, nicht aber Erfüllung und Schadensersatzverbindlichkeiten. Für diese besagen die §§ 280, 325 BGB lediglich, daß der Schuldner nicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden darf, solange noch Erfüllung zu erwarten ist (was bei Unmöglichkeit nicht der Fall ist). Dies ist jedoch auch unter den Voraussetzungen der §§283, 326 BGB gegeben, hier darf der Gläubiger deshalb Schadensersatz verlangen, ohne daß es dazu der Unmöglichkeit bedürfte. Der gesetzliche Ausschluß des Erfüllungsanspruches normiert somit keine grundsätzliche Alternativität von Primärleistungs- und Schadensersatzanspruch, sondern setzt das Bestehen des Erfüllungsanspruches zunächst sogar voraus; ausgeschlossen ist er erst, wenn und weil der Gläubiger den Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt.

IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§ 280,325 BGB

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1. Vorrang der Naturalerfüllung Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann danach nicht schon bei bloßer (also unter Umständen vorübergehender) Nichterfüllung vom Schuldner erbracht bzw. vom Gläubiger verlangt werden, sondern nur, wenn und soweit die Leistung unmöglich geworden ist51. In den §§ 280, 325 BGB zeigt sich auf diese Weise deutlich das sog. Prinzip des Vorrangs der Naturalerfüllung 52: Solange die Erfüllung der Primärleistung noch grundsätzlich möglich ist, sind Schuldner und Gläubiger auf diese beschränkt. Wird die Leistung im Falle ihrer Teilbarkeit aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund teilweise unmöglich, so ist entscheidend für die Rechtsfolge, ob die noch mögliche Teilerfüllung für den Gläubiger noch von Interesse ist, § 280 Π, 3251 S. 2 BGB. Ist das gegeben, so bleibt er insoweit an den Vertrag gebunden und hat das Recht auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur hinsichtlich der unmöglichen gewordenen Teilleistung. Hat die teilweise Erfüllung für den Gläubiger jedoch kein Interesse mehr (wobei es genügt, daß er nur an der ganzen Vertragsausführung, an dem Austausch der noch möglichen Leistungen kein Interesse hat53), dann steht dem Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit zu.

2. Die Natur des Ersatzanspruches wegen Nichterfüllung Der Gläubiger kann als Schadensersatz verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei Erfüllung stehen würde. Dabei ist die tatsächliche Vermögenslage mit der zu vergleichen, die bei Erfüllung eingetreten wäre54, sog. positives Interesse. Dieser sekundäre Schadensersatzanspruch ist die entwickelte Form des Schutzanspruches des Gläubigers, er tritt nach der Verletzung an die Stelle des bis dahin unentwickelten Schutzanspruchs. Demgegenüber wird gelegentlich vertreten, daß dieser sekundäre Schadensersatzanspruch55 nicht als selbständiger Anspruch anzusehen sei, sondern vielmehr nur als unselbständige Modifizierung des primären Leistungsanspruchs. Die Befreiung von der primären Leistungspflicht soll unter den Voraussetzungen der §§ 280, 51 Emmerich (in MüKo§280Rn 1, vor §275 Rn 4,220ff.; §275 Rn 7 f m.w.N.) vertritt im Anschluß an Himmelschein (in AcP 135 S. 253 ff.), daß § 280 BGB seiner ursprünglichen Konzeption nach auch sämtliche Fälle der Schlechterfüllung (als Teilunmöglichkeit der Qualität nach) und damit die Masse der Fälle der pFV erfaßt, dazu unten § 11 II 2). 52 Motive II S.49f.; Jakobs/Schubert, Das Recht der Schuldverhältnisse I, S.274; MüKoEmmerich, §280 Rn 1; Soergel-Wiedemann, §280 Rn 3; Neumann S.73ff.; Himmelschein in AcP 135 S.258,274; Stoll in AcP 136 (1932) S.257,273 ff. m.w.N.; Brehm in JuS 1989 S.539 53 Soergel-Wiedemann, §280 Rn 18; Emmerich, Leistungsstörungen § 12 I I 1. 54 Vgl. schon RGZ 91S. 30,34; BGHZ 2 S. 310,313; 11 S. 16,26; BGH in NJW 1983 S.442, 443; Larenz I § 221; Soergel-Wiedemann § 280 Rn 20. 55 Und der Anspruch auf das stellvertretende commodum, § 2811 BGB.

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

281,325 BGB den Bestand der Pflicht selbst unberührt lassen56. Die Unmöglichkeit bewirke lediglich eine „Verwandlung" der Leistungspflicht, durch die unter Wahrung der Anspruchsidentität die Sekundärverpflichtung der Primärleistungspflicht folgt 57. Doch vermag die Vorstellung einer solchen Identität von primären und sekundären Ansprüchen nicht zu überzeugen. Der gelegentlich als Begründung herangezogene gemeinsame Entstehungsgrund im Vertrag58 reicht nicht aus, um diese Vorstellung zu tragen; sie verstellt auch den Blick dafür, daß der Sekundäranspruch gegenüber dem Primäranspruch einen anderen Inhalt hat und auf einer selbständigen Anspruchsnorm beruht. Wahrend nämlich der Primäranspruch seinem Inhalt nach dem Interesse des Gläubigers an der Güterbewegung dient, hat der Sekundäranspruch den Ausgleich des durch eine Schutzpflichtverletzung hervorgerufenen Schadens zum Inhalt. Dieser sekundäre Schadensersatzanspruch entwickelt sich aus einem unentwickelten Schutzanspruch, wenn dieser verletzt wird, nicht aber aus der durch diese Verletzung unmöglich gewordenen Leistungspflicht. In der konsequenten Durchführung der Ansicht von der Anspruchsidentität käme es auch zu einem in sich identischen Anspruch, der unter Umständen auf drei verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht59, drei verschiedene Anspruchsinhalte hat und gleichzeitig in zwei verschiedenen Formen60 existiert61. Dem Wechsel von An56

Blomeyer formuliert: „Der Ersatzanspruch ist deshalb als der ursprüngliche Anspruch mit geändertem Inhalt anzusehen." (Hervorhebung im Original), Nachw. bei Sutschet, § 3 III 1). 57 Vgl.z.B. Enneccerus-Lehmann, §481; Palandt-Heinrichs, §280 Rn 1, Brehm in JZ 1974 S.573,575; Kress S.416 i. V.m. Fn.2; w.N. bei Meincke in AcP 171 (1971) S. 19,27; ausführlich auch Siber in Planck, Anm. 2 a zu § 280 (= S. 240f.), weitere Nachweise gibt Sutschet in Fn.221. Diese Lehre von der Identität zwischen Erfüllungs- und Ersatzanspruch hat ihre Wurzeln wohl im gemeinen Recht (vgl. dazu Jakobs, Unmöglichkeit S. 173 ff., 230ff.; Leser in FS für Rheinstein Bd. II, S.643, 645 ff.; Blaurock S.53, 56). Weil im römischen Formularprozeß nur bestimmte Klageformeln zur Verfügung standen und auch der Ersatzanspruch mit derjenigen actio geltend zu machen war, die für den Primärleistungsanspruch gegeben war, folgte daraus, daß die actio auch bei Veränderungen des Anspruchsinhaltes vom Primär- zum Sekundäranspruch identisch blieb. Diese Begründung der Anspruchsidentität beruht demnach auf den Besonderheiten des Formulaiprozesses, für das heutige Recht kann sie nicht mehr tragen. 58 Picker betont (in AcP 183 S. 378,394 ff.) zu Recht, daß die causa der Schadensersatzverpflichtung immer eine andere ist als die der durch das Rechtsgeschäft begründeten Leistungsverpflichtung. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die Bürgen- und Pfandhaftung der §§76712,121011 BGB, vgl. Ennecerus-Lehmann §481. 59 Auf der Anspruchsgrundlage für den Primärleistungsanspruch (z.B. §4331 BGB, Anspruch auf Verschaffung von Besitz und Eigentum), der Anspruchsgrundlage für den sekundären Schutzanspruch (z.B. §§280,325 BGB) und §2811 BGB als Surrogat, das der Vorteilsabschöpfung dient. 60 Vgl. oben: Der Surrogatanspruch des § 2811 BGB ist im Gegensatz zu dem Anspruch aus §§280, 325 BGB kein Schadensersatzanspruch. 61 Auf die Bedenklichkeit einer solchen Konstruktion hat schon Rabel, Studie S. 11 ff. hingewiesen („... das eigäbe wohl das Monstrum einer Konstruktion, die auszudenken denn auch niemand bis zur Stunde Lust gezeigt hat", ebenda S. 12). Die Vorstellung vom Sekundäranspruch als lediglich umgewandelten Primärleistungsanspruch versagt auch da, wo ein Primär-

IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§ 280, 325 BGB

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spruchsinhalt und Anspruchsgrund wird es allein gerecht, wenn man Primärleistungsanspruch und Sekundäranspruch ausdrücklich gegenüberstellt: Der Sekundäranspruch tritt an die Stelle des Primärleistungsanspruches62. Nur diese Vorstellung entspricht auch der grundsätzlichen Verschiedenheit der Ansprüche, die darin liegt, daß der Primärleistungsanspruch der Güterbewegung dient, der Schadensersatzanspruch jedoch dem Schutz der Interessen und Güter des Gläubigers. 3. Unmöglichkeit im gegenseitigen Vertrag, §§323 ff. BGB Stehen die von den Parteien vereinbarten Leistungspflichten in einer derartigen wechselseitigen Zweckbeziehung, daß der Zweck der Verpflichtung der einen Partei in der Verpflichtung der anderen Partei liegt (Prinzip des „do ut des" bzw. funktionellen Synallagmas)63, so hat die Störung der einen Leistung im gesamten zeitlichen Ablauf notwendig auch Einfluß auf die andere Pflicht. Das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB normiert deshalb für gegenseitige Verträge mit den §§ 320ff. BGB, insb.§§ 323-325 BGB Vorschriften, die der Behebung dieser Störungen synallagmatischer Leistungspflichten dienen. a) Das funktionelle

Synallagma des § 3231 BGB

Handelt es sich um Leistungspflichten, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und wird der eine Teil gemäß § 275 BGB von seiner Leistungspflicht frei, so verliert er als Ausdruck des sog. funktionellen Synallagmas gemäß § 32311 BGB seinen Anspruch auf die Gegenleistung64. § 32311 BGB zeigt auf diese Weise, daß der Schuldner grundsätzlich während des gesamten Erfüllungszeitraumes die Gegenleistungsgefahr trägt, während die sog. Leistungsgefahr (vgl. die §§ 243 Π, 300 Π BGB) beim Gläubiger liegt. Der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung wird von seiner Leistungspflicht 65 ipso iure frei, einer Rücktrittserklärung bedarf es nicht. Die Befreiung ipso leistungsanspruch nicht entstanden ist, wie z.B. bei der anfänglichen objektiven Unmöglichkeit, §306 BGB. 62 So auch schon Heck, §33; siehe auch Roth in JuS 1968 S. 101 i.V.m. Fn.4; StaudingerLöwisch § 280 Rn 10; Meincke in AcP 171 S. 19,27 ff.; User in FS für Wolf S. 373,386; Larenz § 221; Wolff in JZ 1995 S. 280,281 ; ebenso Sutschet, § 3 III); vgl. auch K. Schmidt in ZZP 87 (1974) S. 49,75. 63 Vgl. dazu Leser in FS für Wolf S. 373,386,390. Die gegenseitigen Leistungspflichten stehen dabei in einem Äquivalenzverhältnis in dem Sinne, daß die Parteien kraft ihrer rechtsgeschäftlichen Entscheidung eine rechtliche Gleichwertigkeit beider Verpflichtungen hergestellt haben. 64 Falls nicht die Unmöglichkeit seiner Leistung gerade von dem anderen Teil zu vertreten ist, §3241 BGB. 65 Eine Ausnahme bildet insoweit § 323 Π i. V. m. § 281 BGB. Gemäß § 323 I I HS. 2 BGB mindert sich gegebenenfalls jedoch die Gegenleistung in dem Verhältnis, in welchem das com-

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

iure ist die logische und sachgerechte Folge daraus, daß die Regelungsalternative, nämlich die Umgestaltung des Schuldverhältnisses von einem Parteiakt abhängig zu machen, nur sinnvoll ist, wenn dem Ausübenden damit eine Wahlmöglichkeit an die Hand gegeben wird. Im Falle der nicht zu vertretenden Unmöglichkeit ist aber eine Wahlmöglichkeit zwischen der Aufrechterhaltung des Schuldverhältnisses mit veränderter Gegenleistung und Umgestaltung in ein Rückgewährsverhältnis nicht gegeben, so daß das vom Parteiakt unabhängige Erlöschen des Anspruchs durch § 32311 BGB als natürliche und sachgerechte Folge des Synallagmas66 erscheint. Hat der Gläubiger schon geleistet, kann er das Geleistete nach den Vorschriften der §§ 812 ff. BGB insoweit heraus verlangen67, als der andere jetzt noch bereichert ist, § 818 ΠΙ BGB. Ist die Leistung des einen Vertragsteiles nur teilweise unmöglich geworden, so bleibt der Schuldner „insoweit", § 275 BGB zur Leistung und infolgedessen auch der Gläubiger zu einer entsprechend herabgesetzten68 Gegenleistung verpflichtet, § 3231 a. E. BGB. b) Das ius variandi des §3251 BGB Hat im Falle der synallagmatischen Verknüpfung der Leistungspflichten der Schuldner die nachträgliche Unmöglichkeit seiner Leistungserbringung zu vertreten, so gibt das Gesetz dem Gläubiger ein vierfaches Wahlrecht bezüglich seiner Rechtsbehelfsmöglichkeiten, sog. ius variandi, § 3251 S. 1, 3, I I i. V. m. § 3231 BGB 69 . Der Gläubiger kann danach gemäß § 3251 S. 1 BGB entweder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, wobei er auch gemäß § 2811 BGB in Anrechnung auf den Schadensersatz ein evtl. stellvertretendes commodum verlangen kann; oder er kann vom Vertrag zurücktreten mit der Folge, daß die beiderseits noch nicht erfüllten Leistungspflichten erlöschen und der Gläubiger, falls er seinerseits bereits geleistet hatte, daß Geleistete gemäß § 327 S. 1 BGB nach den Vorschriften der §§ 346ff. BGB zurückfordern kann. Durch diese Einbeziehung des Rücktrittsrechtes in die möglichen Rechtsfolgen zu vertretender Unmöglichkeit wird es vom Verschulden der anderen Vertragspartei abhängig. Der Gläubiger kann jedoch stattdessen auch gemäß § 3251S. 3 BGB die in § 323 BGB bestimmten Rechte geltend machen. Demnach kann er sich entweder gemäß modum hinter dem Wert des Leistungsgegenstandes zurückbleibt; vgl. MüKo-Emmerich § 323 Rn 36ff.; Soergel-Wiedemann § 323 Rn 46f. und Ehmann/Rust in Jura 1996 S.247ff. 66 Grundlegend und zu den historischen Hinteigründen der Vorschrift Staudinger-Otto § 323 Rn 3ff. 67 Ausführlich und kritisch zur Rückabwicklung de lege lata z.B. Meincke in AcP 171 S. 19, 37 ff. 68 Im Wege der Minderung nach Maßgabe der §§472,473 BGB. 69 Dazu insgesamt Kress S.416,419ff.; Soergel-Wiedemann § 325 Rn 20ff.; Staudinger-Otto § 325 Rn 25 ff.; Emmerich, Leistungsstörungen § 11,12;

IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§ 280, 325 B G B 1 8 5 § 3231 BGB auf den Standpunkt stellen, daß seine Verpflichtung zur Gegenleistung erloschen ist (sog. Abstandnahme); oder er kann gemäß §§ 323 Π, 2811 BGB die Herausgabe des stellvertretenden commodums verlangen, evtl. unter entsprechender Minderung seiner Gegenleistung.

aa) Rechtsbehelf und Gegenleistungspflicht Verzichtet der Gläubiger auf die Inanspruchnahme von Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Surrogat und wählt stattdessen die Abstandnahme, § 32513 BGB i. V. m. § 3231 BGB, so ist fraglich, ob die Leistungspflicht des Gläubigers schon ipso iure aufgehoben worden ist, dieser sich in diesem Fall also nur auf die bereits eingetretene Rechtslage beruft, oder ob die Ausschlußwirkung des § 3231 BGB erst durch die rechtsgestaltende (konkludente oder ausdrückliche) Erklärung der Abstandnahme des Gläubigers hervorgerufen wird. Bejaht man die Aufhebung ipso iure, so würde dementsprechend diese Wirkung durch die Geltendmachung der Sekundärrechte (der §§ 3251 und § 323 I I BGB) entfallen, die Geltendmachung hätte das Wiederaufleben der Gegenleistungspflicht zur Folge. Häufig wird vertreten, daß vor Inanspruchnahme der Sekundäransprüche weder die Ausschlußwirkung noch der Anspruchsfortbestand zu bejahen ist, die beiderseitigen Verpflichtungen sich vielmehr bis dahin in der Schwebe befänden 70. Doch vermag die Annahme eines Schwebezustandes, bei dem von zwei sich ausschließenden Rechtsfolgen weder die eine noch die andere verwirklicht ist, also letztendlich ein non liquet vorliegt, nicht zu befriedigen. Angesichts des konditionellen Synallagmas ist auch unter den Voraussetzungen der §§ 3251, 323 Π BGB zunächst von der Ausschlußwirkung der Unmöglichkeit auszugehen; nur wenn und soweit der Gläubiger die Sekundärleistungen im Austauschwege (d. h. bei § 32511 BGB im Wege der Surrogationstheoie) in Anspruch nimmt, lebt der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung wieder auf. Der Gläubiger ist somit bereits vor Ausübung seines Wahlrechtes nicht mehr verpflichtet, die Gegenleistung zu erbringen 71.

70 Larenz, §22 a; Siber, Grundriß S. 197f.; Staudinger-Otto, §325 Rn 103 m.w.N., der aber § 32311 BGB analog anwendet. 71 Diese Konstruktion ist darüber hinaus auch nur die konsequente Fortsetzung der Ansicht, daß bei Primär- und Sekundäranspruch keine Anspruchsidentität vorliegt, also auch nicht aus einer solchen Identität die automatische Fortsetzung der synallagmatischen Beziehung mit den Sekundäransprüchen folgen kann und damit zugleich der Fortbestand der Gegenleistungspflicht schon vor Inanspruchnahme der Sekundärleistung zu bejahen ist. Diese synallagmatische Beziehung lebt erst wieder durch die Geltendmachung von Surrogat- oder Schadensersatzanspruch (im Wege der Surrogationstheorie) auf (ebenso MüKo-Emmerich, § 325 Rn 30 m. w. N.; Meincke S. 32 ff.; Leser in FS Wolf S. 373,387; eingehend auch Soeigel-Wiedemann, § 325 Rn 21 ff.).

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz bb) Alternativität der Rechtsbehelfe

Die Bestimmung des § 3251 BGB gibt dem Gläubiger die verschiedenen Rechte nur alternativ, nicht aber kumulativ. Der Gläubiger kann daher, wenn er selbst schon geleistet hat, nur entweder vom Vertrag zurücktreten und dann seine eigene Leistung zurückfordern, oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordern, nicht aber beides zugleich72. Der Grund dieser Regelung wird allgemein darin gesehen, daß derjenige, der Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt, damit die Vorteile des Vertrages für sich in Anspruch nimmt und sich folglich nicht seinerseits lösen kann. Umgekehrt bedeutet Rücktritt bzw. Abstandnahme vom Vertrag, daß der Gläubiger sich damit zwar seiner eigenen Leistungspflicht entledigt, dann aber auch seinerseits keine Ansprüche auf Erfüllung stellen können soll 73 · 74 . cc) Schadensersatz wegen Nichterfüllung Schadensersatz wegen Nichterfüllung leisten bedeutet grundsätzlich, den Gläubiger wirtschaftlich, d. h. wertmäßig so zu stellen, wie er im Falle der Erfüllung stehen würde75. Handelt es sich um ein einseitiges Schuldverhältnis, so ist also der Wert der unmöglich gewordenen Leistung zu ersetzen; bei gegenseitigen Leistungsverpflichtungen muß jedoch stets das Schicksal der vom Gläubiger geschuldeten und möglicherweise schon erbrachten Gegenleistung mit beachtet werden. Hierbei gibt es zwei Vorgehens weisen: Nach der Auffassung der Surrogationstheorie 76, die heute in reiner Form nicht mehr vertreten wird 77, bleibt die synallagmatische Verknüpfung der Leistungen im gegenseitigen Vertrag trotz der Unmöglichkeit der Leistung des einen Teiles bestehen. Es tritt lediglich an die Stelle der nicht mehr möglichen Leistung als Surrogat 72

Nach allgemeiner Ansicht bestehen für die Ausübung des Wahlrechts Beschränkungen. Da die rechtsgestaltende Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ist, ist sie gemäß § 130 BGB nach ihrem Zugang unwiderruflich. Die Wahl des Schadensersatzes hingegen bindet den Gläubiger nicht, solange der Schuldner dem noch nicht nachgekommen ist (vgl. z. B. Palandt-Heinrichs, § 325 Rn 7). 73 Motive II S.211; eingehend zum historischen Hinteigrund auch Jakobs, Gesetzgebung S. 54,57 ff. und in FS für Mann S. 35 ff. m. w. N.; ebenso Leser in FS für Wolf S. 373,388 ff.; vgl auch Köhler in W M 1983 S. 45,46 m. w. N.; Larenz § 22 II a. Auf den historischen Hinteigrund wird unten § 8 II 2) eingegangen. 74 Abweichende gesetzliche Regelungenfinden sich aber ζ. B. in § 628 II BGB und (dem allerdings erst 1974eingefügten) §651 f BGB. 75 Kress S. 285 ff.; Larenz I § 22 b. 76 Nachweise der Vertreter bei Soergel-Wiedemann, § 325 Fn.8 und Staudinger-Kaduk (11. Aufl.) Vorb. zu §§ 323-327 Rn 52. 77 MüKo-Emmerich, § 325 Rn 69; vgl. auch Kress S.420; zu den historischen Hinteigründen vgl. ζ. B. Leser in FS für Wolf S. 373, 385 f.

IV. Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit, §§ 280, 325 B G B 1 8 7 ihr Wert, so daß dieses Surrogat nun gegen die nach wie vor mögliche Gegenleistung des Gläubigers auszutauschen78 ist. Im Regelfall der Sach- oder Dienstleistungen gegen Geld ergeben sich damit keine Unterschiede gegenüber der Differenztheorie, solange der Gläubiger selbst noch nicht geleistet hat oder die Vertragsansprüche abgetreten sind, da sich dann nur der Schadensersatzanspruch des Gläubigers und dessen auf Zahlung gerichtete Gegenleistungspflicht gegenüberstehen. Der Gläubiger kann (und wird) in dieser Situation gemäß §§ 387 ff. BGB aufrechnen 79, so daß sich Unterschiede nur da ergeben, wo es um den Austausch von Sachleistungen geht: hier führt die Surrogationstheorie dazu, daß an die Stelle eines Tausches ein Kauf gesetzt wird. Die Differenztheorie 80 hingegen verzichtet grundsätzlich auf eine weitere Durchführung des Vertrages und billigt stattdessen dem Gläubiger einen einheitlichen, einseitigen Geldersatzanspruch 81 wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages zu 8 2 , berechnet nach der Differenz des Wertes der beiden Leistungen 83 .

78

Wegen dieses Austausches der Schadensersatzleistung gegen die unveränderte Gegenleistung wird vielfach statt von der Surrogationstheorie auch von der Austauschtheorie gesprochen, vgl. Staudinger-Otto, § 325 Rn 36. Als Argument für die Surrogationstheorie läßt sich vor allem anführen, daß sie den Vertrag so weit wie möglich aufrechterhält und dem Charakter des Vertrages als synallagmatisches Gefüge gerecht wird. Auch meint man, daß sie am ehesten geeignet sei, die vom Gesetz untersagte Verbindung von Schadensersatz und Rücktritt zu vermeiden. 79 Kress, S.421 i.V.m.Fn.l9. 80 Grundlegend schon die Rechtsprechung des Reichsgerichtes seit RGZ 50 S. 255, 264 (1902); daran anknüpfend z.B. RGZ 61 S.348,351; 91 S.30,33f.; 141 S.259,262; eingehend zur Rechtsprechung des Reichsgerichtes und ihrer Entwicklung nach Inkrafttreten des BGB Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, S. 71, 93 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Kress S.420; BGH in NJW 1958 S. 1915; BGHZ 87 S. 156,158 f.; BGH in W M 1983 S.418; BGH in NJW 1994 S.2480. Zur Differenztheorie eingehend ebenfalls Jakobs in Gesetzgebung S. 57 ff.; zu rechtshistorischen Aspekten der Differenztheorie siehe beispielsweise auch unten § 8 II 2). 81 Diese Anrechnung ist keine Aufrechnung i. S. d. §§ 387 BGB, der Anspruch des Gläubigers vermindert sich vielmehr „ipso iure", indem ein einheitliches rechnerisches Ergebnis ermittelt wird; vgl. RGZ 83 S.279, 281; 152, 111, 112. 82 Auch und gerade im Zusammenhang mit der die Praxis beherrschenden Differenztheorie ist die Lehre von der Anspruchsidentität von Primär- und Sekundäranspruch abzulehnen, denn nach der Differenztheorie verwandelt sich der unerfüllte Leistungsanspruch ja gerade nicht in einen Schadensersatzanspruch, sondern vielmehr tritt der Ersatzanspruch unter Abrechnung des Vertrages an die Stelle des gesamten synallagmatischen Gefüges von Leistungs- und Gegenleistungspflicht. 83 Anhaltspunkte für die grundsätzliche Zulässigkeit einer Berechnung nach der Differenztheorie ergeben sich zum Beispiel aus § 376 II HGB, einer Vorschrift, die für das handelsrechtliche Fixgeschäft bei markt- und börsengängigen Waren unter Schadensersatz wegen Nichterfüllung die Differenz des Interesses des Gläubigers an der ausgebliebenen Leistung und dem Wert der ersparten Gegenleistung versteht. Die gleiche Vorstellung liegt § 18 II KO und § 104 II 1 der Insolvenzordnung zugrunde. Kritisch zur Differenztheorie angesichts der Gesetzesmaterialien äußert sich Kress S.420.

188

§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

Ein dem § 275 BGB auf der Gläubigerseite entsprechender Rechtssatz kann § 325 BGB allenfalls konkludent entnommen werden84. Die Befreiung des Vertragstreuen Teiles von seiner eigenen Leistungspflicht folgt zwar aus der Abrechnung, aber ihr eigentlicher Grund ist auch hier das Synallagma, die Beziehung des „do ut des", denn es läßt sich nicht rechtfertigen, den Vertragstreuen Teil an der Leistungspflicht festzuhalten, wenn der andere Teil nicht mehr leisten muß85. Da die beiden Forderungen zu bloßen Rechnungsposten in der Differenzrechnung werden, verliert das an sich bei §§281,283,325,326 BGB bestehende Leistungsverweigerungsrecht aus § 320 BGB seine Funktion86. In ihrer abgeschwächten Form 87, die in der Praxis88 und in der Lehre89 überwiegend angewendet wird, bleibt der Gläubiger neben seinem Geldanspruch befugt, seine eigene Leistung anzubieten und vollen Wertersatz für die unmöglich gewordene Leistung zu verlangen, also nach der Surrogationstheorie vorzugehen, falls es ihm vorteilhafter erscheint90. Dieses Wahlrecht zwischen den beiden Methoden hat der Gläubiger jedoch nicht, sobald der Gläubiger seine Leistung einmal erbracht hat. Von diesem Zeitpunkt an wird dem Schuldner nur der Anspruch auf Schadensersatz nach der Surrogationstheorie zugebilligt, um zu verhindern, daß er entgegen dem System der §§ 325, 323 BGB im Ergebnis doch den Schadensersatzanspruch mit dem Rücktritt kombinieren kann91.

c) Teilweise Unmöglichkeit Wird die Leistung - ihre Teilbarkeit vorausgesetzt - aus einem vom Schuldner zu vertretenden Grund teilweise unmöglich, so bleibt dem Gläubiger grundsätzlich der Anspruch auf den noch möglichen Teil, dazu erhält er den Anspruch auf das Erfüllungsinteresse in Ansehung des unmöglich gewordenen Teiles92. Hat der Gläubiger jedoch an der teilweisen Erfüllung des Vertrages93 kein Interesse, dann kann er ge-

84

So z. B. Soergel-Wiedemann, § 325 Rn 31. Vgl. dazu Leser in FS für Rheinstein, S.643, 647 und in FS für Wolf, S. 373, 390. 86 Palandt-Heinrichs, § 320 Rn 4; vor § 320 Rn 7. 87 Häufig als „eingeschränkte Differenztheorie" bezeichnet. 88 RGZ 96 S.20; RG in JW 1931 S. 1183,1184; BGHZ 20 S.338, 343; BGH in MDR 1960 S. 750; BGH in W M 1991 S. 1737,1739. 89 Planck-Siber §325 Anm. 1 a; Kress S.420f.; Heck S. 133; Soergel-Wiedemann § 325 Rn 33; Larenz §22IIb; w.N. bei MüKo-Emmerich, §325 Fn.144. 90 Hieran wird der Gläubiger in erster Linie interessiert sein, wenn die Gegenleistung nicht in Geld besteht; zu den weiteren Vorteilen vgl. Staudinger-Otto, § 325 Rn 42 f. 91 RG in JW 1913 S.595,596; 1931 S. 1183,1184; BGH L M Nr. 4 zu §454 BGB; BGH in NJW 1984 S.42. 92 Vgl. ausführlich Kress S. 422 f. 93 Diese führt zur Spaltung des Schuldverhältnisses, Kress ebenda. 85

V. Verantwortlichkeit des Gläubigers, § 324 BGB

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mäß § 32512 BGB nach Maßgabe des § 280 Π BGB die Rechte des § 3251 BGB hinsichtlich der ganzen Leistung geltend machen (sog. Totalrechte94).

V. Verantwortlichkeit des Gläubigers, § 324 BGB Besonderheiten bei der Regelung des synallagmatischen Gefüges von Leistungsund Gegenleistungspflicht zeigen sich, wenn die Leistung des Schuldners aus einem Grund unmöglich wird, den der Gläubiger zu vertreten hat95. Dieser Fallfindet sich in § 3241 BGB, der systematisch die Ausnahme zur Regel des § 3231 BGB bildet: Der Schuldner wird (mangels Vertretenmüssen) nach wie vor gemäß § 2751 BGB frei, § 3241 BGB bestimmt jedoch, daß er gleichwohl den Anspruch auf die Gegenleistung behält, evtl. unter Anrechnung des Ersparten nach § 3241S. 2 BGB. § 324 BGB bürdet damit bei gegenseitigen Verträgen als Ausnahme zu § 3231 BGB 96 dem Gläubiger die Gegenleistungsgefahr auf, wenn dieser für die Unmöglichkeit verantwortlich ist (§ 3241 BGB) oder die Unmöglichkeit während seines Annahmeverzuges (§ 324II i. V. m. §§ 293 ff. BGB) eintritt. Dem liegt das allgemeine Prinzip zugrunde, daß der Gläubiger die Folgen seines eigenen Verhaltens nicht auf den Schuldner abwälzen darf, die Berufung auf die Befreiung folglich als treuwidrig erschiene97. Rechtsfolge der zu vertretenden Unmöglichkeit ist bei § 3241 BGB also nicht wie bei §§280,325 BGB ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung 98, sondern dem Schuldner steht einfach weiterhin sein ursprünglicher Erfüllungsanspruch zu. § 3241 BGB will lediglich verhindern, daß der Schuldner durch eine vom Gläubiger zu vertretende Leistungsstörung geschädigt wird, nicht bezweckt wird hingegen eine Verbesserung der Situation des Schuldners gegenüber derjenigen bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrages99. 94

Kress S. 423; Emmerich, Leistungsstörungen § 12II 1. Noch nicht abschließend geklärt ist, was der Gläubiger i. S. d. § 324 BGB zu vertreten hat, da sich die §§ 276 ff. BGB nur auf die Verletzung von Schuldnerpflichten beziehen. Ein nicht geregelter Bereich ergibt sich deshalb dort, wo es um Mitwirkungsobliegenheiten des Gläubigers geht; hier wird häufig eine Verantwortlichkeit des Gläubigers für den gesamten von ihm beherrschten Tätigkeits- und Risikobereich angenommen bzw. an die vertragliche Risikoverteilung angeknüpft (vgl. Staudinger-Otto, § 324 Rn 7 ff.; Soergel-Wiedemann, § 324 Rn 9; Emmerich, Leistungsstörungen § 13 II). 96 MüKo-Emmerich, § 324 Rn 1; Soergel-Wiedemann, § 324 Rn 2; kritisch dazu aber Hadding in AcP 168 (1968) S. 150, 161 i. V.m. Fn.39. 97 Verbot des venire contra factum proprium; vgl. Soergel-Wiedemann § 324 Rn 3; Emmerich in Leistungsstörungen §28112; BGH in W M 1960 S.468,470. 98 Abweichend insoweit Meincke (in AcP 171 -1971- S. 19, 36f.), der in Anlehnung an das gemeine Recht (vgl. die Nachweise ebenda in Fn.73) und mit rechtskonstruktiven Erwägungen auch im Rahmen des § 3241 BGB für die Befreiungswirkung des § 3231 BGB unter Zubilligung eines Schadensausgleiches für den Anspruchsfortfall plädiert, § 3241 BGB also dem § 3251 BGB angleichen will. 99 So schon die Motive II S. 208 (= Mugdan II S. 114, 115) zu § 368 des ersten Entwurfes. Der Gesetzgeber ging davon aus, daß der Gläubiger sich unter den Voraussetzungen des § 3241 95

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

VI. Verzug, §284 ff. BGB Neben den oben dargelegten Unmöglichkeitstatbeständen ist der Verzug, §§ 284-292 B G B 1 0 0 der zweite vom BGB näher geregelte Störungstatbestand. Schon im römischen Recht wurde von der Unmöglichkeit der Leistung die bloße Leistungsverzögerung, die sog. mora unterschieden.

1. Leistungsverzögerung und Schutzpflichtverletzung Wie bei der zu vertretenden Unmöglichkeit verstellt auch beim Verzug die Typisierung der Störung und die damit einhergehende Verflechtung von Leistungspflichten und Schutzpflichten den Blick für die eigentlichen Vorgänge im Organismus Schuldverhältnis. Unscharf bzw. kontrovers sind dementsprechend auch die gängigen Beschreibungen der zu vertretenden Leistungs Verzögerung. Häufig anzutreffen ist die vage Formulierung, betroffen sei beim Verzug die Art und Weise der Erfüllung nicht als eigenständige Pflicht, sondern als Modalität der Leistungspflicht 101. Vertreten wird auch, Verzug sei zeitliche Schlechterfüllung 102 oder die Verletzung einer formell in die Leistungspflicht integrierten Verhaltens- oder Sorgfaltspflicht BGB die unmögliche Leistung als erfüllt zurechnen lassen müsse (ebenda S. 115: „Der Vertrag bleibt bestehen und der Schuldner ist berechtigt, die Gegenleistung zu fordern, wie wenn er erfüllt hätte. Die ihm obliegende Leistung gilt als erfüllt." In dem weiteren Gesetzgebungsverfahren wurden daran keine sachlichen Änderungen mehr vorgenommen, vgl. Mugdan II, Protokolle S. 638 zu § 275 des zweiten Entwurfes.) Wird also die Erfüllung der Schuldnerpflichten derart fingiert, so ist naturgemäß für die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit der Erfüllung kein Raum. Fraglich kann bei dieser insoweit eindeutigen Rechtslage (abzulehnen ist deshalb die Ansicht von Meincke in der vorangehenden Fußnote) nur sein, ob die Regelung des § 324 BGB durch andere Anspruchsgrundlagen zu ergänzen ist, die dem Schuldner unter Umständen doch noch einen (über den ursprünglichen Erfüllungsanspruch des § 3241 BGB hinausgehenden) Schadensersatzanspruch geben. Für den gesetzlichen Anspruch aus unerlaubter Handlung ist das unstreitig zu bejahen und war auch schon vom Gesetzgeber als selbstverständlich angesehen worden (Mugdan II, Motive S. 115). Nicht einheitlich wird hingegen die Frage beantwortet, ob der Schuldner nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung einen vertraglichen Schadensersatzanspruch neben seinem ursprünglichen Erfüllungsanspruch aus § 3241 BGB haben kann (bejahend z.B. Staudinger-Otto §324 Rn 54; Emmerich, Leistungsstörung § 18IV1 i. V. m. Fn.32, zurückhaltender - auch im Gegensatz zu den Vorauflagen - in MüKo § 324 Rn 42; ablehnend Soergel-Wiedemann, § 324 Rn 29). Nicht gefolgt werden kann zumindest der Argumentation von Otto in Staudinger § 324 Rn 54, nach der die Beschränkung seitens des Gesetzgebers die pFV gar nicht erfassen kann, da dem Gesetzgeber eine solche Haftung noch gar nicht als mögliche Anspruchsgrundlage bewußt war. Die Verfasser des BGB wollten vielmehr an der überkommenen gemeinrechtlichen culpa-Haftung festhalten, waren sich also sehr wohl dieser Möglichkeit bewußt. 100 Die §§284-292 BGB gelten mit Ausnahme des §28611 BGB für Leistungspflichten aller Art, letztere Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf nicht synallagmatische Leistungspflichten, da für Leistungspflichten, die synallagmatisch verknüpft sind, § 326 BGB insoweit lex specialis ist, vgl. Palandt-Heinrichs §286 Rn 1; MüKo-Thode §286 Rn 2. 101 So zum Beispiel Esser/Schmidt, Bd.I Tb. 1 §6, § 15II3; Neumann S. 106. 102 Fikentscher, 8. Aufl. S.209.

VI. Verzug, § 284ff. BGB

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zur Bewirkung der Leistung zur rechten Zeit 103 . Noch einen anderen Ansatzpunkt nahmen die Ansichten ein, die im Verzug nur einen Fall teilweiser Unmöglichkeit, nämlich in Anbetracht der Zeit der Leistung sahen104. Diese Versuche, die Störung zu konkretisieren, die für den Störungstatbestand Verzug kennzeichnend ist, setzen jedoch an der falschen Stelle an. Wie bei der zu vertretenden Unmöglichkeit steht auch beim Verzug hinter der Nichterfüllung der Leistungspflicht eine Schutzpflichtverletzung des Schuldners, die die Nichterfüllung zur Folge hat105. Im Gegensatz zur Unmöglichkeit führt die Verletzung der Schutzpflicht des Schuldners nur zu einem vorübergehenden Leistungshindernis. Beim Verzug als vorübergehende Nichterfüllung sind zwei grundsätzlich verschiedene Anknüpfungspunkte für den Vorwurf der Sorgfaltspflichtverletzung denkbar. Praktisch häufig wird (wie bei der zu vertretenden Unmöglichkeit) die Verletzung einer Schutzpflicht sein, die auf den Leistungsgegenstand selbst bezogen ist, wie ζ. B. die rechtzeitige Herstellung, Beschaffung oder Konkretisierung (§ 2431 BGB), kurz: Sorge für das eigene Leistungsvermögen zum Zeitpunkt der Fälligkeit 106 zu tragen107. Denkbar ist jedoch auch, das dieses Leistungsvermögen des Schuldners vorliegt, der Schuldner aber gleichwohl nicht leistet. Hier muß der Vorwurf der Sorgfaltswidrigkeit beim inneren Willen des Schuldners ansetzen; verletzt ist regelmäßig die Pflicht des Schuldners zur Leistungstreue, d.h. den Leistungserfolg trotz Leistungsvermögens nicht zu gefährden oder zu beeinträchtigen. Es zeigt sich bei dieser Störungsform die Bedeutung der Leistungszeit für den Erwerbsanspruch108: Der Schuldner hat nicht nur die Leistungspflicht, den Erwerbsanspruch zu erfüllen (§ 362 BGB), sondern er muß rechtzeitig erfüllen. Das Verhalten des Schuldners, das im konkreten Fall die Rechtzeitigkeit der Leistung sicherstellt, ist Gegenstand einer von der Leistungspflicht zu unterscheidenden Schutzpflicht. Das entsprechende Verhalten des Schuldners kann der Gläubiger nicht verlangen, er ist, wie es für den Schutzanspruch kennzeichnend ist, auf den Ersatz des aus der Schutzpflichtverletzung entstehenden Schadens beschränkt. Dies ist der Anspruch auf den Ersatz des Verzögerungsschadens, der gemäß §§ 284, 285 103

Evans-von Krbek in AcP 179 (1979) S.85,124f., 139. Vgl. ζ. B. Himmelschein m. w. N. in AcP 135 (1932) S.255,286, 291ff., 297. 105 So auch Sutschet, § 3 III 3. 106 Beim Fehlen abweichender Vereinbarungen gemäß §271 BGB. 107 Sutschet § 3 III 3: Der Schuldner hat die Pflicht, sein Verhalten so einzurichten, daß ihm die rechtzeitige Leistung möglich bleibt oder wird. 108 Eine dem vergleichbare gesetzliche Typisierung und Sanktionierung der Störungen im Leistungsort (§ 269 BGB) ist im BGB nicht vorgenommen worden. Das erklärt sich daraus, daß eine Pflichtverletzung des Schuldners bezüglich des Leistungsortes dazu führt, daß eine Erfüllung noch nicht stattgefunden hat, was zwangsläufig eine Verzögerung der Erfüllung mit sich bringt. Die Störung der Leistungsmodalität des Ortes löst sich damit in der Störung der Leistungszeit auf, es ergab sich für den BGB-Gesetzgeber also gar nicht die Notwendigkeit einer speziellen Vorschrift wie §2861 BGB (vgl. auch Evans-von Krbek in AcP 179 -1979- S.85, 125f m. w.N.). 104

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

BGB nach erfolgloser Mahnung neben den unveränderten Erfüllungsanspruch tritt, § 2861 B G B 1 0 9 . Darunter fällt nur Schaden des Gläubigers, der gerade darauf beruht, daß die Leistung nicht rechtzeitig erbracht wurde, der also adäquat durch die Schutzpflichtverletzung verursacht wurde.

2. Leistungsverzögerung und Mahnung Die Störungsform Verzug erschöpft sich tatbestandlich nicht in dem Ausbleiben der Leistung nach Fälligkeit 110 , sondern hat weiterhin zur Voraussetzung, daß der Schuldner diese Leistungsverzögerung zu vertreten hat, § 285 BGB und daß der Gläubigers nach dem Eintritt der Fälligkeit den Schuldner erfolglos gemahnt hat, §284 B G B 1 1 1 . Das Kennzeichnende des Verzugs liegt also darin, daß für die Haftung des Schuldners auf Schadensersatz zur schuldhaften Schutzpflichtverletzung noch ein weiteres hinzutreten muß, nämlich die erfolglose Mahnung oder eine ihrer Surrogate 1 1 2 . Daß ausnahmsweise die Haftung durch die Schutzpflichtverletzung zwar be109 Daneben tritt gemäß § 287 BGB eine Haftungsverschärfung für den Schuldner ein. Erhöht wird durch §287 BGB die Spannung der Schuld, vgl. Kress S. 434. Wird die Leistung während des Verzuges durch Zufall (d. h. durch von keiner der Parteien zu vertretende Umstände) unmöglich, so ist der Schuldner in der Regel ohne weiteres verantwortlich. 1,0 In der Regel gemäß § 271 BGB. 111 Das Gesetz macht somit den Eintritt der Verzugsfolgen von einem Tätigwerden des Gläubigers abhängig. Um im Interesse billiger Eigebnisse diese Erfordernisse im Falle von Nebenleistungspflichten umgehen zu können, wurde in der Rechtsprechung des RG mehrfach die Verletzung solcher Pflichten als Erfüllungsverweigerung eingeordnet und damit den Regeln der positiven Forderungsverletzung unterstellt, vgl. z.B. RGZ 68 S. 192; RGZ149 S.401; RGZ 171 S.297, 301; Kopeke S.75, 149; Staudinger-Löwisch, Vorb. zu §284 Rn 12; Soeigel-Wiedemann, vor § 284 Rn 18; Siber, (Nachweis bei Himmelschein in AcP 135 -1932- S.255, 303 f.): „Sicherheitsventil gegen ein stetes Mahnungserfordernis". Die §§284ff. BGB gehen als Sondervorschriften den von Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der pFV vor. Kommt es - wie bei der endgültigen und emsthaften Erfüllungsverweigerung - zu Überschneidungen, steht es dem Gläubiger frei, zwischen dem Schadensersatzanspruch aus pFV oder der Abwicklung nach den Verzugsvorschriften zu wählen (MüKo-Thode, § 284 Rn 2 a m.w.N.). 112 Nicht einheitlich wird die Frage beurteilt, ob schon das Bestehen einer dauernden oder aufschiebenden Einrede (z.B. aus §§222, 478, 771, 821, 853 BGB) den Verzug ausschließt, ohne daß es darauf ankäme, daß der Schuldner die Einrede erhebt, wobei überwiegend argumentiert wird, das Bestehen der Einrede schließe die Fälligkeit der Forderung aus; teilweise auch damit, daß der Schuldner das Ausbleiben der Leistung nicht i.S. d. § 285 BGB zu vertreten habe (So die wohl überwiegende Ansicht, vgl. beispielsweise Kress, S.428; Enneccerus-Lehmann, §51 II 1; MüKo-Thode, § 284 Rn 13; offengelassen in BGHZ 104 S.6,11; BGH in NJW 1991 S. 1084,1049.). Nach der Gegenansicht gehört es zum Charakter eines Gestaltungsrechts, daß es ausgeübt wird; mache der Schuldner von diesem Recht keinen Gebrauch, so bliebe der Anspruch unberührt, die Verzugsfolgen könnten somit eintreten (Vgl. z. B. Planck-Siber, § 284 Anm. 3 a; Staudinger-Löwisch, § 284 Rn 10f.; differenzierend Soergel-Wiedemann, § 284 Rn 14 ff.).

VII. Die nicht zu vertretende Leistungsverzögerung

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gründet wird, aber gleichermaßen ruht, falls nicht eine der Voraussetzungen des § 284 BGB hinzutritt, ist als Wertung zu verstehen, die Eingang ins BGB gefunden hat: Die Rechtzeitigkeit der Leistung hat für den Gläubiger keine besondere Bedeutung, wenn das Gegenteil nicht aufgrund einer individuellen zeitlichen Fixierung, wie § 284 BGB sie voraussetzt, anzunehmen ist. Das entspricht regelmäßig der tatsächlichen Interessenlage, denn wo der Gläubiger aus der vorübergehenden Nichterfüllung eine Beeinträchtigung seiner Interessen befürchtet, wird er für eine dem § 284 BGB entsprechende zeitliche Fixierung seines Erwerbsanspruches sorgen. In dieser zusätzlichen Voraussetzung der Haftung liegt die Besonderheit der Störungsform Verzug, nicht aber in einer besonderen Pflichtverletzung, wie sie die oben wiedergegebenen Ansichten zu begründen versuchen. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Prinzips der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung stellt sich der Verzug damit als eine Erweiterung der tatbestandlichen Voraussetzungen dar. Für die Verfasser des BGB war eben diese Stellung des Verzugs als Modifizierung der allgemeinen Haftung der Anlaß zur eigenständigen Normierung, entsprechend ihres Prinzips, im Gesetz nur die Abweichungen vom selbstverständlichen Grundsatz durch tatbestandliche Ausformung sichtbar zu machen.

3. Das Verhältnis von Verzug und Unmöglichkeit Die Anwendung der Vorschriften über den Verzug setzt grundsätzlich die Nachholbarkeit der Leistung voraus, so daß sich im geltenden Recht Unmöglichkeit und Verzug gegenseitig ausschließen113. Auch bei der Regelung des Verzuges sind die Gesetzesverfasser von dem grundsätzlichen Vorrang der Naturalerfüllung vor der Aufhebung des Schuldverhältnisses ausgegangen, der Gläubiger kann daher nach wie vor Erfüllung und im Regelfall auch nur Erfüllung sowie Ersatz seines etwaigen Verzögerungsschadens gemäß § 2861 BGB verlangen, ein Übergang vom primären Erfüllungsanspruch auf einen sekundären Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ist von zusätzlichen, engen Voraussetzungen abhängig, wie § 326 BGB zeigt.

V I I . Die nicht zu vertretende Leistungsverzögerung Für die nicht zu vertretende, vorübergehende Nichterfüllung 114 findet sich im BGB hingegen keine den §§ 275, 323 BGB vergleichbare Regelung115. 113

Kress, S. 432; Staudinger-Löwisch, §284 Rn 2; MüKo-Thode, §284 Rn 3; Emmerich, Leistungsstörungen § 161; Medicus, SchuR AT § 3412; Soergel-Wiedemann, vor §284 Rn 12; diese Prämisse zeigt sich auch in den Vorschriften der §§ 284,286 II, 287 und § 326 BGB, die von der Möglickeit der Nachleistung ausgehen. 114 Zu den kontroversen Ansichten über die Voraussetzungen der mora im 19. Jahrhundert vgl. Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S. 71,103 f. 115 Vgl. jedoch §§ 273,320 BGB. 13 Kuhlmann

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber bei der Abfassung des BGB Selbstverständliches für überflüssig hielt und deshalb nur die Fragen in Gesetzesform goß, deren Entscheidung sich nicht mit Selbstverständlichkeit aus der Durchführung der Prinzipien ergibt 116, so folgt aus dem Fehlen einer Regelung in Verbindung mit dem Prinzip des Zwanges zur Erfüllung in forma specifica, daß bei vorübergehender Nichterfüllung eben keine Befreiung von der Leistungspflicht eintritt, der Schuldner also ohne weiteres zur Leistungserbringung verpflichtet bleibt117. Das BGB sieht die vorübergehende Nichterfüllung grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für die Befreiung von der Primärleistungspflicht an, da die Leistung noch möglich ist. Von der Systematik des allgemeinen Schuldrechts her stellt die bloße Nichterfüllung noch keine Leistungsstörung dar, sondern nur den Zustand vor der möglicherweise ordnungsgemäßen Erfüllung, § 362 BGB. Sonderregeln finden sich lediglich für Fixgeschäfte in § 361 BGB (und § 376 HGB) sowie für Werkverträge in § 63611 BGB 118 . Grundsätzlich behält der Gläubiger seinen Erfüllungsanspruch, jedoch erlangt auch der Schuldner ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht, wodurch ein dauernder Schwebezustand entstehen kann, aus dem sich der Gläubiger wegen der Verschuldensabhängigkeit des Rücktrittsrechtes (§ 32511 BGB) bzw. der Abhängigkeit des Erlöschens der Leistungspflicht von der Unmöglichkeit (§ 323 I BGB) nicht lösen kann. Dies ist offensichtlich unbillig, denn für die Bewertung der Gläubigerinteressen an einer Rücktrittsmöglichkeit ist es ohne Einfluß, ob das Ausbleiben der Leistung vom Schuldner zu vertreten ist oder nicht, ob also Verzug vorliegt oder die Verzögerung auf Umständen außerhalb des Verantwortungsbereiches des Schuldners beruht. Um dieses Gläubigerinteresse doch berücksichtigen zu können, wird häufig mit einem kleinen „Umweg" die Befreiung des Gläubigers über §§ 275, 323 BGB erreicht 119: Der Fall der nicht rechtzeitigen Leistung aus einem vom Schuldner nicht zu vertretenden Grund wird zumeist der sein, daß eine vorübergehende Leistungsunmöglichkeit vorliegt. Führt die Dringlichkeit des Gläubigerinteresses dazu, daß diesem das Zuwarten auf den Wegfall des Leistungshindernisses nicht zuzumuten ist, wird die vorübergehende Unmöglichkeit wie eine dauernde behandelt, die §§ 275, 323 BGB kommen zur Anwendung120. 116

Dazu bsp. oben §3I4a) und unten § 11 VI5a). Das erscheint insoweit auch sachgerecht, doch muß mit zunehmender Dauer der Nichterfüllung auch das Gläubigerinteresse an der Lösung aus der vertraglichen Bindung stärker beachtet werden. Das BGB trägt diesem Interesse mit den §§361, 63611 (ebenso § 376 HGB) nicht genügend Rechnung, zu den Lösungsversuchen vgl. unten § 5 VII). 118 Zu den Hintergründen dieser Vorschrift eingehend Jakobs in FS für Mann S. 35 ff. 119 Siehe dazu auch Beinert S. 167,170ff. Nach Jakobs (in FS für Mann S.44,46) liegt darin eine klare Umgehung der gesetzlichen Sperre gegen ein allgemeines Rücktrittsrecht (vgl. Motive S. 198 f. = Mugdan II S. 109) wegen nicht rechtzeitiger Leistung. 120 Vgl. schon RGZ 42, S. 114ff. 117

VIII. Verzug und Nachfristsetzung, § 326 BGB

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Demgegenüber setzt es sich immer mehr durch, bei nicht zu vertretender Leistungsverzögerung im Falle der Unzumutbarkeit für den Gläubiger (namentlich wenn er andere Dispositionen treffen muß) diesem analog §§ 323, 326 und § 6361 BGB sowie § 3761HGB das Recht zuzubilligen, dem Schuldner eine Frist zu setzen und nach deren fruchtlosen Ablauf vom Vertrag zurückzutreten. Die Haftung des Schuldners beurteilt sich dann nach Bereicherungsrecht, § 327 S. 2 BGB 121 .

V I I I . Verzug und Nachfristsetzung, § 326 BGB § 326 BGB 122 , der in der Praxis die wohl wichtigste Vorschrift des allgemeinen Leistungsstörungsrechtes darstellt123, erweitert die Rechte des Gläubigers, falls der Schuldner sich beim gegenseitigen Vertrag im Verzug mit einer synallagmatisch verknüpften Leistungspflicht 124 befindet.

1. Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch in §3261 BGB § 3261 BGB gibt dem Gläubiger das Recht, nach Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung vom Vertrag zurückzutreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen. Die Nachfristsetzung hat dabei die doppelte Funktion, dem säumigen Schuldner sowohl Zeit zur Erbringung der Leistung zu geben - echte Nachfristfunktion - als auch durch die mit der Nachfrist verbundene Ablehnungsandrohung als Warnung ihn auf mögliche Folgen seiner Säumnis hinzuweisen125. Nach dem fruchtlosen Ablauf der Nachfrist erlischt gemäß § 3261 S. 2 letzter HS. BGB der Primäranspruch des Gläubigers auf Erfüllung, angeordnet wird also nur die Befreiung eines Vertragsteiles, nämlich des säumigen Schuldners, nach dem Wortlaut des Gesetzes bleibt die Stellung des anderen, Vertragstreuen Teiles den Abwicklungsbehelfen überlassen. Angesichts der synallagmatischen Verknüpfung, des 121

Vgl. Jakobs in FS für Mann S.44ff.; Coester-Waltjen in AcP 183 (1983) S.279, 281 ff.; Huber in Gutachten S.716; Emmerich in Leistungsstörungen § 19 II m. w.N.; zur nicht zu vertretenden Leistungsverzögerung eingehend auch Jakobs, Unmöglichkeit S. 82 ff. 122 Diese Vorschrift fand ihr Vorbild im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861, vgl. Artt 354-356 des ADHGB, zur historischen Entwicklung der Vorschrift siehe auch Leser in FS für Rheinstein, S. 643, 644ff. m. z. w. 123 MüKo-Emmerich, § 326 Rn 3; Leser in FS für Wolf S. 373, 385; Blaurock S.53,60 124 So schon RGZ 53 S. 161, 164; 57 S. 105, llOff.; BGH L M §631 BGB Nr. 21; Larenz I § 23 II b m. w. N.; anders z. B. Kriechbaum in JZ 1993 S. 642, 643 ff. 125 Dieses Modell der Nachfristsetzung hat das Einheitliche Kaufgesetz in Artt. 27 II, 62 II, 44,51,66 II übernommen (teilweise zur Steigerung einer einfachen Vertragsverletzung zu einer wesentlichen Verletzung durch Fristablauf); auch im UN-Kaufrecht wird die Nachfrist benutzt (vgl. Artt. 491, 63, 64). 13»

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§5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

„do ut des"-Prinzipes wird jedoch nach heute allgemeiner Auffassung 126 mit dem Ablauf der Nachfrist auch der Vertragstreue Teil von seiner unerfüllten Leistungspflicht frei. An die Stelle der beiderseitigen Leistungsansprüche tritt stattdessen ein einseitiges Wahlrecht des Gläubigers zwischen verschiedenen Rechtsbehelfen, § 3261 S. 2 HS. 1 BGB. Für dieses Wahlrecht des Gläubigers, seine Ausübung und Beschränkung gilt im wesentlichen dasselbe wie zu § 325 BGB, so daß insoweit auf die entsprechenden obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

2. § 3261 BGB und der Vorrang des Erfüllungsanspruchs Auch § 3261 BGB ist vor dem Hintergrund des Vorranges der Naturalerfüllung zu sehen127: Grundsätzlich ist der Gläubiger auf seinen Primäranspruch beschränkt, ein Übergang auf die Sekundäransprüche muß auch ohne Leistungsunmöglichkeit für den Gläubiger erreichbar sein, wenn - wie nach fruchtlosem Ablauf der Nachfrist mit Ablehnungsandrohung - endgültig feststeht 128, daß der Schuldner freiwillig nicht mehr erfüllen wird. § 3261 BGB spiegelt damit zugleich notwendige Grenzen des Vorranges der Primärleistung wieder. Bedeutend (und in rechtshistorischer Sicht eine entscheidende Neuerung gegenüber dem gemeinen Recht) ist die Regelung des § 3261 BGB dabei nicht nur in der Hinsicht, daß sie eine zusätzliche Möglichkeit gibt, vom ursprünglichen Leistungsgegenstand zum Sekundärinteresse überzugehen, sondern insbesondere bezüglich des dafür gewählten Weges. Durch das Element der Nachfristsetzung hat die Vertragstreue Partei es eigenverantwortlich in der Hand, über das Festhalten am Vertrag oder den Übergang zur Abwicklung im Wege des Rücktrittes oder des Schadenser126 So schon RGZ 52 S. 92,94; 53 S. 11,14f.; BGHZ 20 S. 338,343; Larenz I § 23 IIb; Leser in FS für Wolf S. 373, 385 f. m. w. Diese Befreiung tritt ein, bevor ein Abwicklungsbehelf gewählt ist. 127 Leser in FS für Rheinstein S.643, 645; Emmerich in Leistungsstörungen § 181, III 5 b; Blaurock S. 53,60. 128 Die innere Verbindung zur Unmöglichkeit als Fall der feststehenden Nichterfüllung wird in den Protokollen der 2. Kommission prägnant dargelegt: Damit Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt werden kann, muß es als feststehend gelten, daß die Verbindlichkeit nicht erfüllt wird (vgl. Mugdan II, Protokolle S. 522). Es kommt also nicht darauf an, daß sich die Leistung auch zwangsweise nicht mehr realisieren lassen wird, sondern es genügt, wenn es als feststehend gelten kann, daß der Schuldner seiner Primärleistungspflicht auch freiwillig nicht mehr nachkommen wird, wovon beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 3261 BGB auszugehen ist. Ebenso liegt es auch im Fall des § 283 BGB, vgl. unten (eingehend dazu Jakobs, Unmöglichkeit S.48ff.; 261 ff., Gesetzgebung S.46ff.). Siber (in Planck, Vorb. §§ 275-292 BGB Anm. 11 a S. 181) sieht weitergehend im Fall des § 3261 BGB (und § 283 BGB, vgl. dazu unten) eine „wirkliche" Unmöglichkeit vorliegen: Die Schuld werde durch die Erklärung des Gläubigers zu einer absoluten Fixschuld, die nur noch innerhalb der Frist oder gar nicht mehr erfüllt werden könne. Die Leistung nach dem Fristablauf sei nicht mehr geschuldet, und die Möglichkeit einer nicht mehr geschuldeten Leistung sei dann, wie überall, belanglos; die nach der Fristsetzung allein noch geschuldete Leistung innerhalb der Frist werde durch deren Ablauf wirklich unmöglich (ebenda).

IX. Die Sonderstellung des § 283 BGB

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satzes wegen Nichterfüllung zu entscheiden. Die Befreiung von der ursprünglichen Vertragsleistung tritt damit im Gegensatz zu der Unmöglichkeit nicht mehr als eine automatische Folge ein, sondern die beiden Entscheidungen, nämlich über die Abkehr von der Primärleistung und über den Weg, auf dem der gestörte Austauschvertrag abgewickelt werden soll, liegen in der Hand des Gläubigers 129 .

IX. Die Sonderstellung des §283 BGB Eine besondere Stellung zwischen den Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug nimmt § 283 BGB ein 1 3 0 .

1. Funktion des §283 BGB Oft wird der Gläubiger einer Leistung mangels Vertrautheit mit der Leistungssphäre des Schuldners nicht sicher wissen, ob im Falle des Ausbleibens der Leistung diese unmöglich geworden ist, eine etwaige Unmöglichkeit vom Schuldner zu vertreten ist oder ob lediglich eine vorübergehende Nichterfüllung vorliegt. Dem Gläubiger stellt sich dann die Frage, ob er weiter Erfüllung verlangen soll, ob er auf eine Erfüllungsklage verzichten soll oder ob er sofort nach den §§ 280 bzw. 325 BGB vorgehen soll. In dieser unbefriedigenden Situation gibt §283 BGB dem Gläubiger 129

Leser in FS für Rheinstein S. 643, 646f. und in FS für Wolf S. 373, 384. Im Anschluß an die Motive (vgl. Mugdan II S. 29: „... tritt zu Gunsten des Gläubigers gewissermaßen die Fiktion ein, die Leistung sei aus einem vom Schuldner zu vertretenden Umstand unmöglich geworden,...", ebenso Mot. II S. 49 = Mugd. II Mot. S. 27) wurde in der Rechtsprechung und der Literatur häufig angenommen, § 283 BGB sei eine gesetzliche Fiktion der Unmöglichkeit; vgl.z.B. RGZ 66 S.61,67; RG in JW 1911 S.37; RG in JW 1913 S. 1035; Enneccerus-Lehmann; § 50 II; Staudinger-Werner in der 11. Auflage (1967) § 283 Rn 1. Noch weitergehend sah Siber (in Planck, § 283 Anm. 1 a = S. 251) in § 283 BGB eine Vorschrift, die ihrer juristischen Struktur nach ein Verzugsanspruch sei, inhaltlich aber auf Ersatz eines Unmöglichkeitsschadens gehe. Dieser beruhe keinesfalls auf einerfingierten Unmöglichkeit, vielmehr liege eine „wirkliche" Unmöglichkeit vor, die (ebenso im Falle des § 3261 BGB) bei Zeitablauf dadurch eintrete, daß der Schuldner durch seine Fristsetzung die Schuld in eine absolute Fixschuld verwandelt hat (ebenda S. 252; vgl. auch ausführlich schon die Nachweise in Fn.128 zu § 3261 BGB). Diese Ansichten fußen wohl auf dem Wunsch, die eigenartige Norm des § 283 BGB in das System der Haftung wegen Unmöglichkeit einbetten zu können (Blaurock, S.51, 60; vgl. auch Jakobs, Unmöglichkeit S.49f.) und sind in der neueren Entwicklung einer Betonung der eigenständigen Bedeutung gewichen, die allerdings in untrennbarem Zusammenhang mit den Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug steht. So wird die Bedeutung darin gesehen, daß der Vorrang der Naturalerfüllung vor dem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung hinfällig werde, sobald feststehe, daß der Schuldner freiwillig nicht mehr erfüllen werde (z.B. Emmerich in Leistungsstömng §7IV1 a; Jakobs, Gesetzgebung S.46ff.; Unmöglichkeit S.47,49ff.); bzw. daß der Schuldner seinen Schutz vor Schadensersatzansprüchen verlieren müsse, wenn er seine Leistung freiwillig nicht mehr erbringen könne oder wolle (Staudinger-Löwisch §283 Rn 2; Westhelle S.64ff.; K. Schmidt in ZZP 87 S.49,76; Blaurock, S.51, 60). 130

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§ 5 Erfüllungsanspruch, Befreiung und Schadensersatz

ein Mittel an die Hand: er kann hiernach zunächst weiterhin auf Erfüllung 131 klagen132. Hat diese Klage Erfolg, so kann er außerdem dem Schuldner eine angemessene Frist mit der Erklärung setzen, daß er im Falle des fruchtlosen Ablaufs der Frist die Leistung ablehne, § 28311 BGB 133 . Liegen diese Voraussetzungen vor, so kann er ohne weiteres Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen134; für Leistungspflichten, die im Verhältnis gegenseitiger synallagmatischer Verknüpfung stehen, hat er gemäß § 325 II BGB das ius variandi des § 3251 BGB. Kommt es bezüglich der Sekundärrechte des Gläubigers zum Prozeß135, so ist der Schuldner durch die Präklusionswirkung des Ersturteils gemäß § 767 I I ZPO i. V. m. § 283 BGB mit sämtlichen Einwendungen, die vor der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz des ersten Prozesses entstanden sind, ausgeschlossen. Vorbringen kann der Schuldner im Zweitprozeß nur noch Einwendungen, die vor diesem Zeitpunkt entstanden sind, was namentlich für den Einwand der Unmöglichkeit der Leistung von Bedeutung ist136, vgl. § 2831 S. 3 BGB.

2. § 283 BGB und der Vorrang des Erfüllungsanspruchs Wie die Vorschriften über die Unmöglichkeit und § 286 II, 326 BGB ist auch § 283 BGB vor dem Hintergrund des Prinzipes des Vorranges der Naturalerfüllung zu sehen, das das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB beherrscht137: Der Gläubiger soll grundsätzlich nur Erfüllung verlangen, der Schuldner nur die Erfüllung anbieten können; diese Beschränkung endet naturgemäß, wenn die Erfüllung unmöglich ist (§ 2751 BGB). Diese Beschränkung auf die Primärleistung muß nach ihrem Sinn und Zweck aber auch an ihre Grenzen stoßen, wenn und soweit - namentlich aufgrund des fruchtlosen Ablaufs einer letzten Nachfrist - endgültig feststeht, daß der Schuldner 131

Jedenfalls solange die Unmöglichkeit nicht endgültig feststeht, vgl. schon oben Fn.30 und Fn.32 zum Zusammenhanges § 283 BGB mit dem Fortbestand der Primärleistungspflicht bei zu vertretender Unmöglichkeit. 132 Sog. Erstprozeß, vgl. eingehend Köhler in JuS 1991 S. 943 ff. 133 Stoll in AcP 136 (1932) S.257, 296 spricht von der „UngehorsamsVorschrift". 134 Nach § 280 BGB bzw. § 325 II, 11 BGB. Der Schadensersatzanspruch umfaßt dabei das Erfüllungsinteresse und wird in aller Regel auf Geldersatz gerichtet sein, wenn und weil die Naturalrestitution nach § 249 BGB zur Wiederherstellung des ursprünglichen Primäranspruches führen würde, vgl. § 28312 2. HS. BGB. 135 Sog. Zweitprozeß, vgl. ausführlich Köhler in JuS 1992 S.58ff. 136 Dieser befreit den Schuldner von seiner Primärleistungspflicht nur noch, wenn sie nach dem genannten Zeitpunkt eingetreten und vom Schuldner nicht zu vertreten ist; da der Schuldner jedoch in aller Regel gleichzeitig im Leistungsverzug ist, unterfällt er der verschärften Haftung des § 287 S. 2 BGB, so daß eine Befreiung kaum je praktisch wird. 137 Jakobs, GesetzgebungS.46ff.; UnmöglichkeitS.47,49ff.; Emmerich, §7IV 1; ebenfalls in MüKo § 283 Rn 1; Köhler in JuS 1992 S. 58; Soergel-Wiedemann, § 283 Rn 2; Blaurock S.53,60.

IX. Die Sonderstellung des § 283 BGB

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freiwillig nicht erfüllen wird. Fehlt es hier auch unter Umständen an der Unmöglichkeit der Leistung, so kann der Gläubiger trotzdem nicht um jeden Preis auf seinen Primärleistungsanspruch verwiesen werden, er braucht eine Handhabe, mit der er zu den Sekundäranspriichen übergehen kann. Auf diese Weise weicht § 2831 BGB - ebenso wie § 326 BGB - ein wenig die Starre auf, die sich daraus eigibt, daß das allgemeine Leistungsstörungsrecht die Befreiung von der Primärleistungspflicht grundsätzlich auf die Unmöglichkeit beschränkt138.

138 Köhler weist (in JuS 1992 S. 58) daraufhin, daß die praktische Bedeutung der Vorschrift hinsichtlich des Überganges auf die Sekundäransprüche nicht überschätzt werden sollte, da der Gläubiger bei streitig gewordener Leistungsmöglichkeit zumindest bei vertretbaren Sachen die Leistungsunmöglichkeit seinerseits unstreitig stellen wird, um dann gemäß § 264 I I ZPO sogleich auf die Sekundärrechte überzugehen. Im übrigen sei eine unmittelbare Lösung über die Verzugsregeln und § 3261 BGB ohnehin der schnellere Weg (ähnlich MüKo-Emmerich, § 325 Rn 153: „praktisch bedeutungslos" und Blaurock S.53,60). Anders ist es jedoch, wo sich das Interesse des Schuldners gerade auf die Primärleistung bezieht, mag diese Situation auch die weniger häufigere sein.

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfes I. Einleitung Ausgangspunkt des allgemeinen Schuldrechts bleibt auch im Kommissionsentwurf unverändert die Regelung des Schuldverhältnisses in § 241 und nach wie vor eröffnet § 241 den ersten Abschnitt „Inhalt des Schuldverhältnisses" mit dem Satz: „Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern." Nötig wurde jedoch durch die Erweiterung des § 241 KE auf die „Rücksichtspflichten" des zweiten Absatzes die Änderung der ParagraphenÜberschrift. Wo sich bei § 241 BGB noch die Überschrift „Schuldverhältnis und Leistungspflicht" findet, ist jetzt dem § 241 KE die Überschrift „Pflichten aus dem Schuldverhältnis" vorausgestellt. Sachlich ändert sich dadurch für die Leistungspflichten freilich nichts, vielmehr erläutert auch der Abschlußbericht bezüglich § 2411 KE zutreffend, daß die Leistungspflichten regelmäßig auf eine Veränderung der Güterlage des Gläubigers abzielen1. Die Reformvorschläge des Entwurfes setzen für die Leistungspflicht ganz woanders an, nämlich bei ihren Störungen. Die Störungen der Leistungspflicht, die das Schuldrecht des BGB als besondere, tatbestandlich typisierte Ausformungen der allgemeinen Haftung prägen, will der Kommissionsentwurf verabschieden. Die Typisierungen einzelner Störungsformen sollen im Grundtatbestand der Pflichtverletzung tatbestandlich wieder aufgelöst werden. Der Abschlußbericht erklärt2: „Anders als im geltenden Recht sind Unmöglichkeit und Verzug nicht mehr besondere und eigenständig geregelte Formen der Leistungsstörung." Diese Einebnung von Unmöglichkeit und Verzug ist die Konsequenz daraus, daß die Kommission hier eines der Grundübel des allgemeinen Schuldrechts lokalisiert, so deutlich der Abschlußbericht: „Der Hauptmangel des geltenden Rechts besteht in der Heraushebung der Unmöglichkeit (neben dem Schuldnerverzug) als eine der beiden Säulen des Rechts der Leistungsstörungen."3. Das Kommissionsmitglied Heinrichs formuliert 4: „Es war eine Fehlentscheidung, die Unmöglichkeit zum Grundtatbestand der Leistungsstörungen zu machen." Doch nicht nur die Stellung von Unmöglichkeit und Verzug wird kritisiert, sondern auch, 1 2 3 4

Bericht, S. 113. Bericht, S.29. Bericht, S. 118, vgl. auch S. 16f. Vortrag, S. 8. In diesem Sinne auch Huber in seinem Gutachten S. 757 ff.

I. Einleitung

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daß sie einem Bestand streng begrifflich gefaßter und strukturierter Normen angehören, der noch der Tradition der Pandektenwissenschaft entstammt5. Mit der Aufgabe des Störungstatbestandes der Unmöglichkeit einher geht für die Kommission der Verzicht auf die Unterscheidung von Störungen, die vor Vertragsschluß liegen und solchen, die erst danach eintreten6. Diese Unterscheidungen, die im geltenden Recht das System der Störungen strukturieren, sollen sich nach den Vorstellungen der Kommission sämtlich im einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung auflösen. Dazu der Bericht: „Die Unmöglichkeit soll ihre zentrale Position im Recht der Leistungsstörungen verlieren. Als Oberbegriff, der alle Arten von Leistungsstörungen umfaßt, soll der Begriff der Pflichtverletzung eingeführt werden.7 (...) Im Mittelpunkt des von der Kommission entwickelten allgemeinen Leistungsstörungsrechtes steht der Begriff der Pflichtverletzung. (...) Das Merkmal der Pflichtverletzung verlangt nur den objektiven Verstoß gegen eine Pflicht; hingegen kommt es nicht darauf an, daß dem Schuldner die Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Ebensowenig ist es von Bedeutung, auf welchen Gründen die Pflichtverletzung beruht oder welche Folgen sie hat. Insbesondere ist es nicht entscheidend, ob die Pflichtverletzung darin liegt, daß dem Schuldner die Leistung von Anfang an unmöglich war oder daß sie ihm nachträglich unmöglich geworden ist. (...) Was den Verzug anbelangt, so bildet auch er neben der Pflichtverletzung nur ein zusätzliches Erfordernis für den Anspruch des Gläubigers auf Ersatz des Verzögerungsschadens."8 Mit dieser Auflösung tatbestandlich fest umrissener Störungsformen im einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung trennt sich der Kommissionsentwurf bewußt von einem wesentlichen Strukturelement des geltenden Leistungsstörungsrechts9. Offensichtlich ist dabei schon hier, daß diese tatbestandliche Ausweitung auf alle Störungsfälle notwendig auch eine ebensolche tatbestandliche Aufweichung bedeutet. Sie bedeutet jedoch auch, daß im Kommissionsentwurf Leistungsund Schutzpflichten aus ihrem für das BGB so typischen Funktionszusammen5 Vgl. Heinrichs, Vortrag S. 8; ähnlich das Kommissionsmitglied Schlechtriem in der FS für Müller-Freienfels, S.525, 545. 6 Auch die Gegenüberstellung von Spezies- und Gattungsschuld wird im Kommissionsentwurf zugunsten der Trennung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Sachen, § 91 BGB aufgegeben (Kritisch dazu Brüggemeier auf dem DJT 1994, Bd.II/1 Κ 47, 53 ff.). Bedeutung gewinnt dies vor allem im Zusammenhang mit dem Nacherfüllungsanspruch der §§438,635 KE; vgl. Bericht S. 32 f. und S. 211 ff. 7 Bericht, S. 120, siehe auch S. 130. 8 Bericht, S.29f. 9 Nicht überzeugend ist es daher, wenn das Kommissionsmitglied Heinrichs abschwächend vorträgt, die Kommission habe an den Grundelementen des Systems festgehalten und sie nur behutsam weiterentwickelt (Vortrag S. 8); eingeebnet würde von den Vorschlägen der Kommission in Wahrheit nur eine einzige Unterscheidung, nämlich die zwischen der Unmöglichkeit und dem ungeschriebenen Tatbestand der pFV (Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994, Bd.II/2 Κ 190).

202

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

hang10 wieder herausgelöst werden. Als Anknüpfungspunkt für eine bestimmte Rechtsfolge dient damit nicht mehr die typisierte Störungsfolge als ein tatbestandlichfixiertes Abbild der Auswirkung der Schutzpflichtverletzung auf die Leistungspflicht, sondern immer und einheitlich die „Pflichtverletzung", verstanden als Abweichung vom Vereinbarten11. Ausgeblendet wird in diesem Abschnitt zunächst der Bereich der Schutzpflichten, ihrer Verletzung und ihrer Entwicklung zum sekundären Anspruch12; kurz: die Haftungsebene, so daß es im folgenden ausschließlich um die Grenze der Leistungspflicht sowie die Folgen ihrer Störungen geht. Der Bereich möglicher Störungen verengt sich für die Leistungspflicht auf ihre vorübergehende oder dauerhafte Nichterfüllung. Im allgemeinen Schuldrecht des BGBfindet das seine Entsprechung in der Gegenüberstellung von Erfüllung der Leistungspflicht (§ 362 BGB) und dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Leistungspflicht (§§ 280, 286 II, 3251 und 326 BGB) 13 . Im Reformentwurf hingegen sucht man die „Nichterfüllung" als Störung der Leistungspflicht vergeblich in den Normen, was aber nur eine terminologische Verschiebung bedeuten kann14, nicht aber eine in der Sache, da die Nichterfüllung als Störungsform auch dem Kommissionsentwurf sachlich vorgegeben ist. Die Grenze der Leistungspflicht ist im Entwurf in § 275 KE geregelt, die Folgen ihrer vorübergehenden oder dauerhaften Nichterfüllung werden vorrangig durch § 323 KE, das Rücktrittsrecht bestimmt, so daß diesen zwei Regelungen die hauptsächliche Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Grenze der primären Leistungspflicht und ihre Gesatltung im Entwurf wird im hier gesteckten Rahmen jedoch nur insoweit behandelt, als es für das Zusammenspiel mit anderen Normen des Entwurfs bzw. für die Ausfüllung des Begriffs der Pflichtverletzung und seiner Stellung notwendig ist. Mit einbezogen in die Untersuchung werden wegen des unmittelbaren Bezuges zur Leistungspflicht aber auch § 281 KE, der-am gleichen Ort wie im BGB - die Herausgabe eines stellvertretenden commodums normiert und § 324 KE, der wie sein Vorgänger im BGB die (Gegen-)Leistungspflicht des Gläubigers betrifft 15. 10

In den §§275, 280, 284f., 323ff. BGB. Siehe dazu oben §4 VI). 12 In die Betrachtung der Leistungspflichten einbezogen werden Schutzpflichtverletzungen jedoch, wo sie Eigenarten des Kommissionsentwurfs bei der Behandlung der Leistungspflicht illustrieren. 13 Unverständlich ist es daher, wenn im Bericht (S. 128) ausgeführt wird: „Die §§275-292 BGB unterscheiden zwei Arten der Leistungsstörung: Die den primären Erfüllungsanspruch aufhebende Unmöglichkeit und die ihn zunächst bestehen lassende Leistungsverweigerung. Ein beide Arten umfassender Oberbegriff kommt im allgemeinen Schuldrecht nicht vor." 14 Dafür spricht auch der Abschlußbericht (S. 131); eingehend zu dieser terminologischen Verschiebung oben § 712c) und d). 13 Nicht nachgegangen werden kann hier allen sich vielfältig stellenden und verwiegenden Datailfragen und -problemen (ein breites Feld bietet insoweit die beachtliche Anzahl an ver11

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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Die Schuldrechtsreform hat sich als eines ihrer Hauptanliegen den Abschied vom Störungstatbestand zum Ziel gesetzt. Auch der Entwurf kann sich aber den im BGB durch die Unmöglichkeit gekennzeichneten Problemlagen nicht entziehen und ihre rechtliche Bewältigung nur verorten, in andere Lösungen einbetten. Besondere Aufmerksamkeit verdient deshalb die Frage, ob in den Vorschlägen der Kommission die Auflösung der Störungsformen im einheitlichen Tatbestand der Pflichtverletzung tatsächlich gelungen ist, oder ob diese an gleicher oder anderer Stelle in andere Normen eingekleidet wieder zutage treten. Aber auch aus einem weiteren Grund muß dem einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung bei der Untersuchung der Störungen der Leistungspflicht besondere Beachtung gelten. Dieser einheitliche Begriff der Pflichtverletzung wird - wie schon gezeigt16 - problematisch erst in seinem intransitiven, d. h. vom Vertreten des Schuldners losgelösten Sinn. Eben dieser Bereich ist jedoch bei der Nichterfüllung der Leistungspflicht betroffen, so daß sich die „Pflichtverletzung" in ihrer vom Entwurf vorausgesetzten transitiven Bedeutung gerade hier bewähren muß.

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE Vor die Frage nach den Störungen der Leistungspflicht tritt die Frage nach ihrer Grenze; zu welchen Anstrengungen seiner geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Kraft der Schuldner zur Erfüllung der Schuld verpflichtet ist17. Im BGB wird diese Frage durch die §§ 306, 275 und 276 sowie durch das nicht kodifizierte Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage beantwortet.

1. Auflösung der Störungstatbestände Im Entwurf wurde § 306 BGB sowohl in Bezug auf seine Nichtigkeitsfolge als auch bezüglich des Ersatzanspruches als unsachgemäß und entbehrlich18 angesehen und deshalb gestrichen. An seinem Platz wurde eine Vorschrift über das Fehlen und den Wegfall der Geschäftsgrundlage aufgenommen19, die dem § 306 BGB unterstehenden Fälle der objektiven, anfänglichen Unmöglichkeit werden der zentralen schiedenen Fristen im Kommissionsentwurf - Westerhoff in ZG 1994 S.97,103 f. zählt insgesamt 31 Erklärungen auf, die nach einer Pflichtverletzung Relevanz bekommen können - und ihr oft kompliziertes Zusammenspiel.) Diese werden ohnehin häufig erst als unbeabsichtigte Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten oder Problemfälle neuer Art, gleichsam als Kinderkrankheiten des Entwurfs (so Emst in NJW 1994 S.2177,2180) bei seiner praktischen Anwendung zutage treten. 16 Siehe oben §4 V I und VIII. 17 Vgl. Kress, S. 401 ff.; sog. Spannung der Schuld. 18 Bericht, S. 145. 19 § 306 KE: „Störung der Geschäftsgrundlage", dazu der Bericht, S. 146ff.

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Norm des Kommissionsentwurfes für die Grenze der Leistungspflicht unterstellt, § 275 KE 20 : ,3esteht die Schuld nicht in einer Geldschuld, kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit und solange er diese nicht mit denjenigen Anstrengungen zu erbringen vermag, zu denen er nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses verpflichtet ist. Für die Rechte des Gläubigers gelten die §§280,281,283, 323 BGB-KE."

An die Stelle des § 275 BGB, der die Primärleistung des Schuldners ipso iure aufhebt, tritt also § 275 KE 21 . Für das Schicksal der Primärleistungspflicht wird in dieser Vorschrift nicht mehr auf die Unmöglichkeit der Leistungspflicht abgestellt, sondern auf das der Leistungspflicht zugrundeliegende Schuldverhältnis. Der Kommissionsvorschlag will damit die Leistungsgrenze von dem Hindernis trennen und allein aus dem Schuldverhältnis ableiten. Dieses bestimmt nach seinem „Inhalt und seiner Natur" 22 die Grenze der Anstrengungen, die der Schuldner zur Leistungserbringung aufzuwenden hat23. Entscheidend ist damit nicht mehr, ob der Schuldner ein Leistungshindernis überwinden kann, sondern ob er es zu überwinden verpflichtet ist24. Im Gegensatz zum an die Person gebundenen Maßstab der Unzumutbarkeit, wie ihn der Reformentwurf beispielsweise in den §§ 306, 307 KE verwendet, wird für § 275 KE der Ansatzpunkt auch von der Leistungsfähigkeit des Schuldner gelöst, es entscheidet allein das Schuldverhältnis als solches25. Eine Unterteilung nach objektiven, subjektiven, anfänglichen oder nachträglichen, dauernden oder vorübergehenden Leistungshindernissen bzw. nach dem Vertretenmüssen wird in § 275 KE nicht mehr vorgenommen. Das entspricht dem Grundanliegen des Kommissionsentwurfes, die verschiedenen Störungstatbestände in einheitlichen Begriffen aufzulösen und der Abschlußbericht erläutert dazu26: „Was der Schuldner nicht leisten kann, das schuldet er auch nicht, und zwar unabhängig von dem Grund seiner Unfähigkeit." 20

Die §§ 275 und 306 KE und die vielfältigen damit verbundenen Probleme sind Gegenstand eigener Themen. Die Grenze der primären Leistungspflicht und ihre Gestaltung im Entwurf wird im hier gezogenen Rahmen deshalb nur soweit behandelt, als er für das Zusammenspiel mit anderen Normen des Entwurfes bzw. für die Ausfüllung des Begriffes der Pflichtverletzung und seiner Stellung notwendig ist. 21 Zu § 275 KE vgl. die Beiträge von Schapp in JZ 1993 S.637, 638; Ahrens in ZRP 1995 S.417,420 ff.; Emst in JZ 1994 S.801 ff.; Brüggemeier, Referat auf dem DJT 1994, Bd.II/1 Κ 47,59ff.; Huber, Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994, Bd.II/2 Κ 83ff. 22 Der gleiche Maßstabfindet sich für die Schutzpflichten in § 241 II KE, kritisch dazu unten §4X11 und 2. 23 Ahrens (ZRP 1995 S.417, 420) sieht diesen Kommissionsvorschlag in der - unausgesprochenen - Tradition der von Brecht weitergeführten Kraftanstrengungslehre Hartmanns (Nachweise jeweils ebenda in Fn.34 und 36); vgl. zu dieser Lehre auch eingehend Jakobs, Unmöglichkeit S. 196 ff. 24 Vgl. Medicus in NJW 1992 S.2384,2385. 25 Bericht, S. 120: „(Das Schuldverhältnis kann dadurch)... für den Schuldner auch eine Opfergrenze ziehen, deren Überschreitung ihm nicht in jedem Fall unzumutbar sein muß." 26 Bericht, S. 118.

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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2. Dauernde und vorübergehende Leistungshindernisse Die Aufgabe der Unterteilung von anfänglichen und nachträglichen Leistungshindernissen, wie sie das BGB durch die §§ 306, 275 trifft, ist die zwangsläufige Folge der Streichung des § 306 BGB 27 . Daß auch die Gegenüberstellung von dauerhaften und vorübergehenden Leistungshindernissen im Reformentwurf eingeebnet wird, ergibt sich erst aus dem Wort „solange", das in § 275 S. 1 KE dem unveränderten „soweit"28 zugefügt wird 29. Im BGB findet diese Differenzierung ihre Entsprechung in den Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug; die Befreiung von der Primärpflicht ist an die dauerhafte Nichterfüllung gebunden30. Durch die Einfügung des Wortes „solange" in § 275 KE hingegen wird eine Tatbestandserweiterung erreicht, in der sowohl vorübergehende als auch dauerhafte Nichterfüllungen aufgehen: Solange die Nichterfüllung wegen eines Leistungshindernisses auch andauert, der Schuldner kann dem Erfüllungsverlangen des Gläubigers die Einrede des § 275 S. 1 KE entgegenhalten, wenn die Überwindung dieses Hindernisses die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses geschuldeten Anstrengungen übersteigt.

3. Fortbestand der Primärleistungspflicht und Einredeerhebung Die Kommission hat § 275 S. 1 KE als Einrede ausgestaltet, weil sie der Ansicht war, daß der Gläubiger bzw. auch der Richter das Vorliegen eines Leistungshindernisses nicht überblicken könne, da es regelmäßig im Bereich des Schuldners liege31; der Schuldner solle sich daher auf das ihn entlastende Hindernis und auf seinen Willen zur Entlastung berufen müssen32. Die Primärleistung erlischt im Falle eines Lei27

Das schimmert auch im Bericht (S. 119) durch: „Aber wenn... diese Vorschrift gestrichen werden soll, muß die Befreiung des Schuldners von schon anfänglich unmöglichen Primärleistungspflichten in § 275 BGB-KE formuliert werden." 28 Das „soweit" in § 275 BGB und KE öffnet den Tatbestand der Vorschrift auch für Leistungshindemisse, die nur einen Teil der Leistung betreffen. Für den Entwurf gewinnt er eine neue Bedeutung im Zusammenhang mit der Neuregelung des Kaufrechts, insbesondere bezüglich der Pflicht des Verkäufers zur mangelfreien Eigentumsverschaffung, § 434 KE (vgl. auch §634 KE). 29 Der Abschlußbericht verliert über diese Erweiterung kein Wort. 30 Wo die Nichterfüllung nicht wegen Unmöglichkeit eine dauerhafte ist, muß sie zumindest (beispielsweise durch erfolglose Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung, § 3261 BGB) feststehen. 31 Bericht, S. 121. 32 Das Argument der besseren Kenntnis des Schuldners liegt jedoch neben der Sache. Ob das Gesetz eine Einrede verlangt oder nicht, ist prozessual nur in den Fällen von Bedeutung, in denen ein bestimmter Umstand dem Gericht schon in verfahrensrelevanter Weise bereits zur Kenntnis gebracht worden ist; erst dann erhebt sich die Frage, ob das Gericht diesen Umstand nur dann berücksichtigen darf, wenn sich der Verpflichtete selbst darauf beruft oder auch ohne diese Voraussetzung. Was das Gericht aber nicht weiß, wird in keinem Fall berücksichtigt, ob

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

stungshindernisses damit im Gegensatz zu § 275 BGB nicht mehr ipso iure, sondern bleibt immer bestehen, allerdings dauerhaft in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt. Es liegen durch diese rechtskonstruktive Gestaltung also zwei wesentliche Änderungen vor, zum einen, daß das Schicksal der Primärleistung von einem Parteiakt abhängig gemacht wird; zum anderen, daß als Rechtsfolge das Erlöschen der Primärleistungspflicht reduziert wird auf die Hemmung ihrer Durchsetzbarkeit. Gerade die letztgenannte Änderung hat weitreichende Folgen insofern, als der kontinuierliche Bestand der Primärleistungspflicht im Konzept des Kommissionsentwurfes ein wesentliches rechtskonstruktives Element ist und als Anknüpfungspunkt oder Voraussetzung für das Zusammenspiel mit anderen Normen dient. Dies zeigt sich schon markant am zweiten Satz des § 275 KE, der dem Gläubiger für den Fall der Einredeerhebung auf verschiedene Rechtsbehelfe verweist. Der Abschlußbericht erläutert: „Satz 2 des § 275 soll klarstellen, daß auch die durch eine Einrede gedeckte Nichtleistung eine Pflichtverletzung sein kann."33 Es ist wohl nun - wie oben34 schon eingehend dargelegt - noch möglich, auch die nicht zu vertretende Nichterfüllung unter den Begriff der Pflichtverletzung zu fassen, wenn man diesem Begriff der Pflichtverletzung das entsprechende intransitive Verständnis zugrunde legt35. Gesprengt werden die Grenzen des Pflichtverletzungsbegriffs jedoch in jedem Fall dort, wo die „Nichterfüllung" einer nicht mehr bestehenden Leistungspflicht als Pflichtverletzung verstanden werden soll: Eine Pflicht, die nicht existiert, kann auch nicht verletzt werden. Würde der Reformentwurf also statt der Einredelösung bei Fortbestand der Leistungspflicht den Wegfall der Primärpflicht wählen, wie das BGB es in den §§ 275, 3231 statuiert36, so würde das gleichzeitig und unausweichlich dazu führen, daß damit auch deren Nichterfüllung als Fall einer Pflichtverletzung wegfiele. Dadurch aber geriete der Kommissionsentwurf in eine konstruktive Sackgasse, denn wo keine Pflichtverletzung vorliegt, fehlt im System des Reformentwurfs der Anknüpfungspunkt, an den jede Erweiterung der Gläubigerrechte gebunden ist. Auf diese Weise37 stellt der Fortbestand der Leistungspflicht einen wichtigen Baustein im Pflichtverletzungssystem des Kommissionsentwurfes dar.

der betreffende Umstand einredeweise geltend zu machen wäre oder nicht, spielt dabei keine Rolle. 33 Bericht, S. 121. 34 § 4 V I 1. 35 §4 VI 3, VII. 36 Das BGB kann in den §§275, 3231 - angesichts der synallagmatischen Verknüpfung zutreffend - den Wegfall der Leistungspflichten anordnen, weil im BGB nicht deren Nichterfüllung als Anknüpfungspunkt für Rechtsbehelfe des Gläubigers herhalten muß, sondern diese immer an eine Schutzpflichtverletzung geknüpft werden. 37 Zu einem weiteren Beispiel für die Bedeutung des Fortbestandes der Primärpflicht als konstruktives Element im System des Reformentwurfs vgl. unten §813c).

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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4. Die Störung der Geschäftsgrundlage, § 306 KE und das Verhältnis zu § 275 KE Durchgreifende Neuerungenfinden sich jedoch wieder bei § 306 KE, der „Störung der Geschäftsgrundlage" 38. Diese Vorschrift soll zum Zuge kommen, wo die Leistung noch möglich ist. Ist das der Fall, so soll § 275 S. 1 KE hinter § 306 KE zurücktreten, vorrangig soll also immer die Anpassung des durch das Leistungshindernis gestörten Vertrages versucht werden39. Ist eine Anpassung nach diesen Vorschriften nicht möglich oder unzumutbar, so ist das Rücktrittsrecht des § 306 Π KE einschlägig40. Die Vertragsanpassung im Fall der Leistungserschwerung oder Äquivalenzstörung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist im geltenden Recht ein anerkanntes Rechtsinstitut, neuartig ist jedoch, daß nunmehr in allen Fällen des § 275 S. 1 KE, also immer bei Auftreten eines Leistungshindernisses zunächst die Möglichkeit einer Vertragsanpassung zu prüfen ist, der Anpassung also der Vorrang vor der Befreiung eingeräumt wird 41. Die Anwendung des § 275 KE kommt daher nur in Betracht, wenn die Anpassung nach § 306 KE ausscheidet42. Das ist in aller Regel der Fall, wo der Schuldner ein Leistungshindernis zu vertreten hat, weil ihm dann regelmäßig das Festhalten am Vertrag zugemutet werden muß, insoweit greift dann § 275 KE 43 . Zieht man die Konsequenz aus diesen Erläuterungen der Kommission zu ihrem Entwurf, so beschränkt sich § 275 KE im Zusammenspiel mit § 306 KE entgegen seinem Wortlaut (und entgegen § 275 BGB) faktisch auf die Fälle zu vertretender Leistungshindernisse, in den Fällen nicht zu vertretender Hindernisse ist der Vertrag nach § 306 KE anzupassen. Ist er gemäß § 306 KE angepaßt, scheidet § 275 KE schon per se aus, weil das nun Vereinbarte nach Inhalt und Natur des angepaßten Schuldverhältnisses selbstverständlich geschuldet wird. Ist eine Anpassung des Vertrages jedoch nicht möglich oder nicht zumutbar im Sinne des § 306 ΠΙ KE, greift das Rücktritts- oder Kündigungsrecht des § 306 ΠΙ KE: auch hier kommt es nicht mehr zur Anwendung von § 275 S. 1 KE. 38

Zu § 306 KE und dem Wegfall der Geschäftsgrundlage umfassend B. Nauen. Flume (Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994, Bd. II/2 Κ 112, 114) sieht den Reformentwurf - wie beim Begriff der Pflichtverletzung, siehe oben § 4 II) - auch bei dieser Vorschrift in der unausgesprochenen Tradition der Stoll'sehen Denkschrift für die Akademie für Deutsches Recht. 39 Bericht, S. 120, 151, 168. 40 Bericht, S. 120. 41 Vgl. Emst in JZ 1994 S. 801 f. 42 Bericht, S. 151: „Nach Auffassung der Kommission geht im vertraglichen Bereich § 306 BGB-KE als Spezialregelung dem § 275 BGB-KE grundsätzlich vor. Soweit eine Anpassung nach § 306 BGB-KE stattfindet, enthält diese Vorschrift eine vorrangige Rechtsfolge." 43 Bericht, S. 151 f.

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Folgt man also den Erläuterungen der Kommission, so unterliegt die Anwendung des § 275 KE so starken Beschränkungen, daß seine Erweiterung gegenüber der Regelung des § 275 BGB wesentlich an Bedeutung verliert. Darüberhinaus zeigt das Vorrangverhältnis des § 306 KE zu § 275 KE schon das erste Mal, daß auch im Reformentwurf die nähere Differenzierung der Störungsfälle nicht unterbleiben kann, da eine Vertragsanpassung überhaupt nur bei Störungsfällen in Betracht kommt, bei denen die Leistungserbringung noch möglich ist. Erforderlich ist also wiederum die Entscheidung der Frage, ob Unmöglichkeit vorliegt oder nicht. Nicht anders verhält es sich mit dem Erfordernis des Vertretens: Wurde dieses in § 275 KE gestrichen, weil es für die Primärleistungspflicht ohne Bedeutung sein soll, auf welchen Gründen die Nichterfüllung beruht, so entscheidet es plötzlich - unausgesprochen - über den einschlägigen Tatbestand, weil es den Vorrang des § 306 KE ausschließt. Kritisiert werden muß darüberhinaus die mangelnde gesetzestechnische Durchführung, da die Vorrangigkeit des § 306 KE, die entscheidende Bedeutung in dem von der Reform angestrebten Zusammenspiel beider Normen hat, im Wortlaut des Gesetzes keinerlei Ausdruck gefunden hat, sondern sich lediglich aus den Erläuterungen des Abschlußberichts ergibt44. Sachlich bedenklich erscheint die erhebliche Ausweitung der richterlichen Vertragsanpassung, weil es zu den Prinzipien der Rechtsordnung gehört, daß in Achtung der Privatautonomie grundsätzlich nicht an die Stelle der privatautonomen die richterliche Gestaltung tritt 45. Der Richter darf nicht ermächtigt werden, den Schuldner zu Anstrengungen zu verpflichten, zu denen sich dieser selbst gerade nicht verpflichtet hat. Zuletzt erscheint die Abstimmung der beiden Tatbestände aufeinander als problematisch46, da es für die Vertragsanpassung auf die „Unzumutbarkeit" und damit auf die Person des Schuldners ankommt, für das Einrederecht des § 275 S. 1 KE jedoch auf das Schuldverhältnis. Für zwei Regelungen, die nach dem Willen der Kommission einen gemeinsamen Bereich erfassen sollen, werden also zwei vollkommen unterschiedliche Begriffe und Bezugspunkte gewählt. Das wird auch im Abschlußbericht klar erkannt47, Konsequenzen werden daraus aber daraus nicht gezogen.

5. Der Fortbestand der Primärleistungspflicht im Reformentwurf Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, daß der kontinuierliche Fortbestand der Primärleistungspflicht bei allen Leistungshindernissen gemäß § 275 S. 1 44

Das bemängelt auch Emst in JZ 1994 S. 801 f. Vgl. Flume, Rechtsgeschäft S.528; in diesem Sinne auch Emst in JZ 1994 S.801 f. 46 Emst, JZ 1994 S. 801, 803. 47 Bericht, S. 120: „Die Kommission ist sich jedoch darüber im klaren, daß diese terminologische Trennung Schwierigkeiten bei der Rechtsanwendung nicht wird verhindern können." 45

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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KE nicht lediglich ein unwesentlicher Reflex der von der Kommission gewählten Einredelösung ist, sondern ein nicht zu unterschätzendes Element im System des Kommissionsentwurfes. Im Gegensatz zum BGB, das bei verschiedenen Störungen den Wegfall der Primärpflicht ipso iure anordnet, läßt der Entwurf diese - wenn auch in ihrer Durchsetzbarkeit gehemmt - immer bestehen, ungeachtet der Störungsform, ihrer Intensität oder ihrer Ursache. Auch in dieser Hinsicht nivelliert der Kommissionsentwurf also das ausdifferenzierte System der Befreiungstatbestände des BGB zugunsten einer einheitlichen Lösung: dem Bestand der Primärleistungspflicht. Aus diesem Fortbestand folgen viele rechtskonstruktive Änderungen, die sich bei § 275 S. 1 KE selbst zeigen, häufig aber auch erst im Zusammenspiel mit anderen Normen zutage treten.

a) Die Pflicht zum Unmöglichen Daß § 275 KE durch den Fortbestand der Leistungspflicht zur „Pflicht zum Unmöglichen" führen kann, ist schon oben48 bei der Betrachtung des einheitlichen Grundtatbestandes der Pflichtverletzung angesprochen worden. Diese Verpflichtung zur Leistung trotz Unmöglichkeit der Leistungserbringung ist bei näherem Hinsehen jedoch durchaus plausibel, sofern sich ihre Funktion darin erschöpft, als Anknüpfungspunkt für sekundäre Ansprüche zu dienen. Sollen impliziert zwar Können, aber rechtliches Sollen und tatsächliches Können liegen auf zwei verschiedenen Ebenen, so daß ein logischer Widerspruch nicht auftritt. Über ihre Berechtigung und ihren Sinn als Element des allgemeinen Leistungsstörungsrechts entscheiden also letztlich die rechtliche Ausgestaltung dieser Pflicht und ihre Konsequenzen. In dieser Hinsicht ist der Reformentwurf jedoch verschiedenen Bedenken ausgesetzt. Unnötig kompliziert ist zunächst der Weg, über den sich Gläubiger und Schuldner von der durch den Fortbestand der Leistungspflicht aufrechterhaltenen Bindung an die wechselseitigen Vertragspflichten lösen können: Für anfängliche Unmöglichkeit beispielsweise kommt der Entwurf zu einem wirksamen Vertrag, bei dem der Schuldner zu einer von Anfang an unmöglichen Leistung verpflichtet ist, hiergegen aber ein Recht zur Einredeerhebung hätte (§ 275 S. 1 KE), woraufhin der Gläubiger zum Rücktritt berechtigt wäre (§ 275 S. 2 i. V. m. § 3231 S. 1, Π Nr. 1 KE). Dieser rechtskonstruktive Ballast ist zu Recht kritisiert worden49; es ist bei Unmöglichkeit der Leistung auch angesichts der synallagmatischen Verknüpfung der Pflichten wenig überzeugend, sowohl für den Gläubiger als auch für den Schuldner die Befreiung von der Primärpflicht noch von einem Parteiakt abhängig zu ma48 49

§4 VIII. Siehe Emst in JZ 1994 S. 801, 808 und Schapp in JZ 1993 S. 801, 808.

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chen . Denn bei einem Leistungshindernis, das seiner Natur nach ein dauerndes ist, besteht für den Gläubiger wenig Veranlassung und wird der Schuldner auch nicht erwarten, daß der Gläubiger noch ausdrücklich vom Vertrag zurücktritt oder ihm gar zur Erfüllung noch eine Frist setzt. Zu Recht hebt § 3231 BGB deshalb bei solchen Leistungshindernissen die Primärpflichten ipso iure auf 51.

b) Anspruchsfortbestand

und Einredeerhebung

Ein weiteres Problem zeigt sich an diesem Beispiel bezüglich der Einredeerhebung, § 275 S. 1 KE 52 . Ein Einrederecht soll üblicherweise dem Berechtigten die Entscheidung freistellen, ob er den einredebehafteten Anspruch noch erfüllen will oder nicht; im Falle eines Einrederechts bleibt der Anspruch erfüllbar bestehen, ist jedoch auf die Entscheidung des Schuldners hin in seiner Durchsetzbarkeit im Prozeß gehemmt. Voraussetzung ist demnach sachlogisch, daß der fragliche Anspruch überhaupt erfüllbar ist, genau daran fehlt es aber bei der Unmöglichkeit. Der kontinuierliche Fortbestand der Primärleistungspflicht führt auf diese Weise dazu, daß das Institut der Einrede in Fällen der Unmöglichkeit nicht in seinem ursprünglichen Sinn greifen kann. Dieser Sinn scheint sich vollends im einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung zu verlieren. Wenn der Schuldner die Einrede des § 275 S. 1 KE erhebt, so braucht er den trotz Unmöglichkeit fortbestehenden Anspruch nicht zu erfüllen. Er verletzt durch dieses rechtmäßige Verhalten folglich auch keine Pflicht, denn wenn der Schuldner den an ihn ergehenden Befehl der Rechtsordnung zur Leistung suspendieren kann, verletzt er auch durch seine Nichtleistung diesen Befehl der Rechtsordnung und damit eine entsprechende Pflicht nicht mehr. Es kommt im Reformentwurf somit zu einer „rechtmäßigen Pflichtverletzung", eine auf den ersten Blick grobe Widersprüchlichkeit, die sich wiederum53 erst mühsam durch das intransitive Verständnis des Begriffs der „Pflichtverletzung" auflösen läßt: Die Pflicht ist verletzt, weil Nichterfüllung vorliegt.

50 Wenig überzeugend ist auch die Lösung, die der Bericht (S. 121) für den Fall anbietet, daß der Schuldner im Falle der Unmöglichkeit die Einrede des § 275 S. 1 KE gar nicht erst erhebt: Hier soll der Richter beim Leistungsverlangen des Gläubigers eine unzulässige Rechtsausübung des Klägers annehmen oder schon das Rechtsschutzbedürfnis verneinen. Gerade solche „Notbremsen", durch die die Verfasser des Entwurfs den Konsequenzen ihrer Einredelösung auszuweichen versuchen, stellen diese aber in Frage. 51 Siehe dazu auch Jakobs in FS für Mann, S. 35,48 und Gesetzgebung, S. 76; Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, S.71,91. 52 Hierauf weist auch Schapp in JZ 1993 S. 801, 808 hin. 53 Siehe schon oben §4 V I 1,3; VII.

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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c) Verzug trotz Unmöglichkeit Durch die Entscheidung für den einredebehafteten Fortbestand der Leistungspflicht bei allen Leistungshindernissen muß sich der Kommissionsentwurf auch von einer anderen, im geltenden Recht nie bezweifelten Prämisse entfernen. Für das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB ist eindeutig, daß Unmöglichkeit den Verzug ausschließt, da der Verzug die Nachholbarkeit der Leistung voraussetzt54. Im System des Reformentwurfs hingegen löst sich auch diese klare und sinnvolle Gegenüberstellung durch die Nivellierung aller Störungsformen in § 275 S. 1 KE auf. Im geltenden Recht wird bei Unmöglichkeit durch den Wegfall der primären Leistungspflicht dem Verzug schon der Anknüpfungspunkt genommen. Im Entwurf hingegen besteht dieser Anknüpfungspunkt immer, da § 275 KE den Fortbestand der Pflicht anordnet, ungeachtet der Frage ob sie überhaupt noch erbringbar und damit auch nachholbar ist. Die Nachholbarkeit der Leistung ist demnach nicht mehr notwendige Voraussetzung für den in § 280 I I S. 2 i. V. m. 284ff. KE geregelten Verzug55. Mehr noch: § 284 II 3. Fall KE, der bei offensichtlicher Erfolglosigkeit der Mahnung diese für den Eintritt der Verzugsfolgen als entbehrlich erklärt, erfaßt nach den Erläuterungen des Abschlußberichts auch und gerade die Fälle der Unmöglichkeit56. Möglich ist also die Geltendmachung eines Verzugsschadens, obwohl die Leistungserbringung unmöglich ist, eine Konstellation, die ein erhebliches Maß an Lebensferne aufweist 57. Im Abschlußberichtfindet sich dazu nur der lakonische Satz, daß es im übrigen beim Schuldner läge, die Einrede aus § 275 KE zu erheben58. Daß das lediglich im erzielten Ergebnis, nicht aber bezüglich des Weges, auf dem es erreicht wird überzeugen kann, ist offensichtlich. Auch hier zeigt sich, daß die klare Gegenüberstellung von dauerhafter und vorübergehender Nichterfüllung in den Störungstatbeständen Unmöglichkeit und Verzug, die sich gegenseitig ausschließen, sinnvoll ist. Der Kommissionsentwurf löst diese Gegenüberstellung zunächst zwar in der umfassenden und einheitlichen, dafür aber konturenlosen Norm des § 275 KE auf. Diese Auflösung muß aber sofort zur Bestimmung der Störungsform zurückkehren, wenn es um die Rechtsfolge geht: Nur bei der dauerhaften Nichterfüllung, der Unmöglichkeit kann der Schuldner im System des Entwurfs immer den Verzugseintritt 54

Vgl. dazu oben §5 VI 3. Der Bericht bemerkt dazu (S. 139): „Nicht geregelt zu werden braucht das Verhältnis zwischen Schuldnerverzug und Unmöglichkeit." 56 Bericht, S. 139. Ebenso kann die Haftungsverschärfung des § 287 S. 2 KE nicht mehr eintreten. Daß hinter § 284 II 3. Fall nichts weiter als die Störungsform der Unmöglichkeit steht, wird im Zusammenhang mit § 323 II Nr. 1 KE erneut aufgegriffen werden. 57 Fraglich ist auch, wie sich das mit der Aussage des Berichtes (S. 118) verträgt, was der Schuldner nicht leisten könne, das schulde er auch nicht. 58 Berichts. 118. 55

14*

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

durch Einredeerhebung hindern, nicht jedoch bei der vorübergehenden Nichterfüllung 59 . Wie auch bei der anfänglichen Unmöglichkeit hat die Anordnung des Fortbestandes der Leistungspflicht für alle Leistungshindernisse damit lediglich eine unnötige und wenig überzeugende Komplizierung zur Folge, die im geltenden Recht durch die Befreiung beim Störungstatbestand der Unmöglichkeit vermieden wird.

d) Anfängliche und nachträgliche Leistungshindernisse Ähnliche Probleme zeigen sich bei der Aufgabe der Unterscheidung zwischen anfänglichen und nachträglichen Störungen der Leistungspflicht 60, die die notwendige Konsequenz aus der Streichung des § 306 BGB war. Im Gegensatz zu § 306 BGB nimmt der Kommissionsentwurf auch im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit die Wirksamkeit des Vertrages an, notwendig war deshalb die Einbeziehung dieser Fälle in die Einrederegelung des § 275 S. 1 K E 6 1 , da die Primärleistungspflicht des Schuldners nun bestehen bleibt 62 . 39 Bei genauer Betrachtung des Zusammenspiels der Einrede aus §275 S. 1 KE und der Verzugsvoraussetzungen in den §§ 284 ff. KE zeigt sich etwas Eigenartiges. Im geltenden Recht ist umstritten, ob und wieweit schon das Bestehen einer Einrede und nicht erst deren Geltendmachung den Schuldnerverzug ausschließt (siehe oben § 5 VI 2). Gerade für den zentralen Fall der Einrede des § 275 S. 1 KE werden durch das Zusammenspiel der Normen die möglichen Lösungen dieses Problems auf eine einzige Lösung verengt. Wie schon oben angesprochen, sieht § 284 II S. 3 KE die Entbehrlichkeit der Mahnung nach Fälligkeit der Forderung vor, wenn die Erfolglosigkeit einer Mahnung offensichtlich ist. Diese Regel erfaßt auch und gerade den Fall der Unmöglichkeit der Leistung, der wiederum den Schuldner zur Erhebung der Einrede des § 275 S. 1 KE berechtigt: Fälle der Einrede des § 275 S. 1 KE sollen also zur Mahnungsentbehrlichkeit führen. Würde jedoch schon das Bestehen der Einrede aus § 275 S. 1 KE genügen, um die Fälligkeit der Forderung auszuschließen bzw. die Forderung als solche unwirksam zu machen, so wäre die Regelung einer Mahnungsentbehrlichkeit für die Fälle des § 275 S. 1 KE überflüssig. Eine Mahnung käme hier überhaupt nicht mehr in Betracht, da sie die Fälligkeit der wirksamen Forderung voraussetzt. § 284II S. 3 KE kann also für die Einrede aus § 275 S. 1 KE allein einen Anwendungsbereich haben, wenn man die Ansicht zugrundelegt, daß nur die vom Schuldner erhobene Einrede des § 275 S. 1 KE den Verzugseintritt hindert (und der Schuldner im konkreten Fall die Einrede nicht erhebt); vgl. auch die dementsprechende Ausgestaltung des Rücktrittsausschlusses in § 323 Π Nr. 4 KE und dazu den Bericht, S. 170. Es ist nicht anzunehmen, daß die Kommission sich dieser Konsequenz gegenwärtig war, denn im Abschlußbericht wird geäußert (S. 139): „Bewußt nicht geregelt hat die Kommission die Frage, ob und in wieweit schon das Bestehen einer Einrede (und nicht erst deren Geltendmachung) den Schuldnerverzug ausschließt." Daß die Kommission die Frage durch ihr Vorgehen doch teilweise entschieden hat, muß daher dem schon oben angesprochenen Bereich der ungewollten und unbewußten Unstimmigkeiten und Widersprüche im Detail zugewiesen werden, die erst nach und nach sichtbar werden. 60

Kritisch zur Aufgabe dieser Unterscheidung äußern sich zum Beispiel Stümer in FS für Brandner S.635,641; Huber in seinem Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994 Bd.II/2 Κ 183, 184ff. und Emst in JZ 1994 S. 801, 808 f. 61 Für die Falle des Versprechens einer Leistung, in denen die Vertragsverpflichtung keinen juristisch sinnvollen Gegenstand hat, weil es sie nach unserer Rechtsordnung nicht gibt oder

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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Keinen Platz mehr im Kommissionsentwurf hat damit die tiefverwurzelte Regelung „impossibilium nulla obligatio est"63, sowohl Schuldner als auch Gläubiger müssen sich durch Einredeerhebung bzw. Rücktritt (§ 275 S. 2 i. V. m. § 323 KE) von der bestehenden Verbindlichkeit befreien. Es erscheint jedoch wenig überzeugend, bei schon vor Vertragsschluß feststehender Nichterfüllung der Leistungspflicht diese Leistungspflicht trotzdem noch einem Instrumentarium zu unterstellen, das für seine sinnvolle Anwendung die Erfüllbarkeit der Leistung voraussetzt. Fraglich ist auch, ob die Unterscheidung zwischen anfänglichen und nachträglichen Leistungshindernissen im Rahmen des §275 S. 1 KE nicht deshalb wieder erforderlich wird, weil der Schuldner nach „Inhalt und Natur" des Schuldverhältnisses bei vor Vertragsschluß liegenden Schwierigkeiten zu größeren Anstrengungen verpflichtet ist als bei nachträglich eintretenden64. Zumindest tritt diese Unterscheidung aber wieder auf, wo es um den Anknüpfungspunkt für eine Schadensersatzpflicht des Schuldners geht, denn vor Vertragsschluß kann diese mangels bestehender Leistungspflicht nur bei der Schutzpflicht zur Vergewisserung über das eigene Leistungsvermögen ansetzen, nach Vertragsschluß hingegen bei der nicht hinreichend sorgfältigen Bemühung um die Erfüllung der Leistungspflicht.

6. Das Vertretenmüssen des Leistungshindernisses Das leitet über zu einer weiteren, im BGB tragenden Differenzierung, nämlich der nach dem Grund der Nichterfüllung der Leistungspflicht, nach dem Vertretenmüssen des Schuldners. Der Kommissionsentwurf will sich demgegenüber mit seiner Anknüpfung an die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses geschuldeten Anstrengungen von der Person des Schuldners und der Frage nach dem Vertretenmüssen des Leistungshindernisses lösen65; Maßstab für das Ausmaß der Leistungspflicht ist nicht, ob der nur Aberglaube sie für möglich halten kann und die bisher über § 306 BGB gelöst wurden (vgl. beispielsweise LG Kassel in NJW 1985 S. 1642; LG Kassel in NJW RR 1988 S. 1317), verweist der Kommissionsentwurf in seinen Erläuterungen auf die Anwendung des § 138 BGB als Nichtigkeitsregel (S. 145), sieht aber wohl dabei, daß durchaus nicht alle dieser Fälle als sittenwidrig behandelt werden können. Siehe zu § 306ff. BGB und der Streichung im Entwurf auch von Wallenberg in ZRP 1994 S. 306ff. 62 Siehe oben 115 a): Die Pflicht zum Unmöglichen. 63 Das Kommissionsmitglied Schlechtriem hatte 1987 in seinem \brtrag (S.26) hingegen noch für das neue System gefordert, daß zwar die Regelung der §§ 306ff. BGB in einem allgemeinen Leistungsstörungsrecht aufgehen solle, die „impossibilium-Regel" aber insoweit Bedeutung behalten solle, als bei anfänglicher Unmöglichkeit der Erfüllungsanspruch entfällt. 64 Garantiehaftung des Schuldners für anfängliches Unvermögen: Nach herrschender Ansicht übernimmt der Schuldner mit der Eingehung des Vertrages eine Einstandspflicht für seine Leistungsfähigkeit. 65 Bericht, S. 120 f. : Klar ergibt sich das auch noch einmal auf S. 124: „Die Vorschriften über das Vertretenmüssen können sinnvollerweise nur vor denjenigen Normen stehen, die an das Vertreten Rechtsfolgen knüpfen. Das sind im Kommissionsentwurf die §§280ff. KE."

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Schuldner sich sorgfaltsgerecht verhält, sondern das Schuldverhältnis als solches „muß die Anstrengungen bestimmen, die der Schuldner zur Erbringung der Leistung zu unternehmen hat."66 Zweifelhaft ist indes schon, ob sich Inhalt und Natur des Vertrages einerseits und Person des Schuldners andererseits in dieser Weise auseinander dividieren lassen. Darüberhinaus hat Ernst67 zutreffend darauf hingewiesen, daß der Reformentwurf mit der Aufgabe der Frage nach der Verantwortung des Schuldners für das Leistungshindernis bei gleichzeitiger Erweiterung des § 275 KE auf alle Leistungshindernisse letztlich zwei inkompatible Linien verbindet. Die in der Praxis zum BGB entwickelte Ausweitung der Unmöglichkeit auf die Fälle bloßer Leistungserschwerung ist juristisch nur unter der Voraussetzung sinnvoll, daß der Schuldner für die Leistungserschwerung und damit für die Nichterfüllung der Leistungspflicht keinerlei Verantwortung trägt. Die bloße Leistungserschwerung kann erst dann wie eine befreiende „echte" Unmöglichkeit behandelt werden, wenn man die gesetzliche Voraussetzung, wonach sich der Schuldner mit der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB und KE) verhalten haben muß, beachtet. Will man - wie es der Reformentwurf in § 275 KE versucht - alle Leistungshindernisse erfassen, kann man also nicht gleichzeitig die Frage nach dem Verschulden ausblenden, ohne dadurch notwendig Brüche zu erzeugen.

7. Der dualistische Ansatz des Kommissionsentwurfes Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB sind Befreiung von der Primärleistungspflicht und die Haftung für deren Nichterfüllung ein einheitlicher Regelungsbereich, da sie gemeinsam an die Kriterien der Unmöglichkeit und des Vertretenmüssens anknüpfen. Mit der Aufgabe des Vertretenmüssens als Kriterium für die Leistungsgrenze trennt der Kommissionsentwurf demgegenüber den Regelungsbereich der Leistungsgrenze von dem der Haftung für die Nichterfüllung. Während der Entwurf die Haftung 68 vom sorgfaltsgerechten Handeln, also vom Verhalten des Schuldners abhängig macht, § 2801S. 2 KE 69 , bildet den für die Grenzziehung der Leistungspflicht maßgeblichen Gesichtspunkt das Schuldverhältnis, § 275 S. 1 KE. Diese dualistische Lösung70 führt dazu, daß die Verpflichtung zum Schadensersatz und das Rück66

Bericht, S. 120. In JZ 1994 S. 801, 805. 68 Ebenso wie das BGB. 69 Vgl. auch §§284111 und 327II KE. 70 Emst in JZ 1994 S. 801, 803; vgl. auch Schlechtriem, Vortrag S. 25 und in ZEuP 1993, S.224f. 67

II. Die Grenze der Leistungspflicht, § 275 KE

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trittsrecht vom Schicksal der Primärleistungspflicht unabhängig wird 71. Vor dem Hintergrund des geltenden Rechts stellt diese Trennung einen erheblichen systematischen Bruch dar, denn die Anknüpfung von primärem und sekundärem Verpflichtungsinhalt an den gleichen Maßstab, nämlich das soigfaltsgerechte Verhalten des Schuldners gewährleistet zum einen die einheitliche Behandlung von Zusammengehörigem und ermöglicht zum anderen ein geschlossenes System72. Der Kommissionsentwurf hingegen muß diese Geschlossenheit notwendig wieder aufgeben, da er seinem Grundanliegen entsprechend die Differenzierung nach dem Grund des Leistungshindernisses einebnet: Die angestrebte Vereinheitlichung führt so zu der entgegengesetzten Folge der Spaltung.

8. Verzicht auf das Vertretenmüssen und Differenzierung der Störungsfolgen Daß auch die Aufgabe des Vertretenmüssens in § 275 S. 1 KE, ähnlich wie die oben angesprochenen Differenzierungen letztlich wieder zu der Frage der Notwendigkeit von typisierten Störungsformen führt, zeigt folgende Überlegung: Der Schuldner ist nach § 275 S. 1 KE für die Erbringung der Leistung zu denjenigen Anstrengungen verpflichtet, die er „nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses" schuldet. Wo der Schuldner das fragliche Leistungshindernis zu vertreten hat73, beruht es auf einem Sorgfaltspflichtverstoß i. S. d. § 276 KE, also auf einer Schutzpflichtverletzung. Hat der Schuldner aber eine Schutzpflichtverletzung begangen, läßt sich nicht davon sprechen, daß er das getan hat, wozu er „nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses" verpflichtet ist (vgl. § 276 KE). Im Falle des Vertretenmüssens könnte es somit nie zur Einredeerhebung gemäß § 275 S. 1 KE kommen. Daß das nicht sein kann, zeigt sich schon am Verhältnis des § 275 S. 1 KE zu § 306 KE, da die Fälle der nicht zu vertretenden Leistungshindernisse schon von § 306 KE erfaßt werden74. Kann es somit nicht auf die Schutzpflichtverletzung als solche ankommen, was die Erläuterungen im Abschlußbericht ja auch bestätigen, dann bleibt als Bezugspunkt für § 275 S. 1 KE nur die Folge der Schutzpflichtverletzung und ihr Einfluß auf 71

Das Kommissionsmitglied Schlechtriem (Vortrag S.25 und in ZEuP 1993, S.224f.) hielt diese Normierung unterschiedlicher Voraussetzungen für nötig, um die im geltenden Recht mögliche Konstellation zu vermeiden, daß der Schuldner, der Unmöglichkeit oder Unvermögen zu vertreten hat, an sich weiterhin Erfüllung schuldet, solange der Gläubiger sich nicht für einen anderen Rechtsbehelf, nämlich Schadensersatz oder Rücktritt entschieden hat. Schlechtriem ging bei seinen Ausführungen jedoch noch davon aus, daß die Unmöglichkeit auch im Kommissionsentwurf zur Befreiung führen müsse, während der Entwurf sich für den Fortbestand der Leistungspflicht entschieden hat - was zu eben dieser Konstellation führt. 72 Ein weiteres wichtiges Element in diesem System ist das objektive Kriterium der Unmöglichkeit, da es die Grenze der Primärleistung und gleichzeitig den Übergang zum Sekundäranspruch kennzeichnet. 73 Was in der Praxis der wohl überwiegende Fall sein wird. 74 Siehe oben Π 4.

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

die Erbringbarkeit der Leistung. Genau dieser Bezugspunkt aber, nämlich das Abstellen auf die Folge der Schutzpflichtverletzung für die Erbringbarkeit der Leistungspflicht drängt zur Typisierung, zur Unterteilung in verschiedene Störungsfolgen. Das BGB hat diese Frage nach den Folgen der Schutzpflichtverletzung für die Erfüllbarkeit der Leistungspflicht mit den Kategorien der Unmöglichkeit und des Verzugs beantwortet, um für die Grenze der Primärleistungspflicht und ihr Verhältnis zum sekundären Schadensersatzanspruch objektive, fest umrissene Anknüpfungspunkte zu geben. Der Kommissionsentwurf will eben dieser An wort durch die einheitlichen, am Einzelfall anknüpfenden Normen ausweichen, was schon deshalb nicht überzeugt, weil auch er - wie gezeigt - die Frage nicht vermeiden kann.

9. Wiederverankerung der Unmöglichkeit in § 275 KE Angesprochen wurde diese Frage nach der Bedeutung der Störungsfolge für die Leistungspflicht im Kommissionsentwurf dann auch folgerichtig in den Stellungnahmen75 sowie den Referaten und Diskussionsbeiträgen zum Kommissionsentwurf auf dem Juristentag 199476. Die Antwort fällt eindeutig aus: Der Fall der Unmöglichkeit soll in § 275 S. 1 KE wieder ausdrücklich verankert werden77. Der Ruf nach der Unmöglichkeit gilt dabei nicht der inhaltlichen Eingliederung der Unmöglichkeit in § 275 S. 1 KE, denn daß auch eine unmögliche Leistung „nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses" nicht geschuldet ist, liegt auf der Hand78 und steht auch im Abschlußbericht79. Gefordert wird vielmehr, die Unmöglichkeit wieder als besonderen Störungsfall von anderen, durch § 275 KE erfaßten Leistungshindernissen deutlich abzuheben80.

75

Emst in JZ 1994 S. 801,803; Ahrens in ZRP 1995 S.417,420f.; Stümer in FS für Brandner S.635,639f.; vgl. auch den Vortrag von Schlechtriem, S.25f. 76 Brüggemeier, Bd.II/l Κ 47, 59ff. (insb. Κ 64), 99f.; Huber, Bd. II/2 Κ 183,184f. 77 Bd.II/2 Κ 233: „Der Vorsitzende Medicus stellt... die These 5a) in der Fassung des Antrages Medicus, wonach in § 275 BGB-KE klargestellt werden soll, daß er auch die objektive Unmöglichkeit umfasse, zur Abstimmung: angenommen mit 116:4:9." (vgl. auch Beschluß 5a) Bd. II/l Κ 103). Eingehend zu dieser Frage der Wiedereingliederung von Störungstatbeständen in das System des Kommissionsentwurfes auch schon oben §4IX und X 2 a). 78 Impossibilium nulla obligatio est. 79 S. 120f. 80 Noch weiter geht der Vorschlag von Brüggemeier Bd. II/l Κ 64. Brüggemeier schlägt vor, § 275 KE auf die Fälle der anfänglichen und nachträglichen Unmöglichkeit zu beschränken, andere Leistungshindernisse hingegen vollständig unter § 306 BGB zu subsumieren (vgl. den Beschluß II5c) in Bd.II/2 Κ 240: abgelehnt mit 18:83:14 Stimmen). Siehe dazu auch oben §6V2).

III. Das stellvertretende commodum des § 281 KE

217

Das Kommissionsmitglied Heinrichs berichtete im Anschluß an den Juristentag81, daß sich die Mitglieder der Schuldrechtskommission am Rande der Veranstaltung einig waren, daß diese Kritik an § 275 S. 1 KE berechtigt sei; § 275 S. 1 KE bedürfe einer Neufassung: Der Fall der Unmöglichkeit der Leistung müsse wie im geltenden Recht ausdrücklich als Schuldbefreiungsgrund angeführt werden82. Auch die Ausgestaltung als Einrede stieß beim Juristentag auf wenig Verständnis83. Für die Fälle dauerhafter Leistungshindernisse sei sie nicht sachgerecht, aber auch für die anderen Leistungshindernisse sei sie nicht zwingend erforderlich; eine Ausgestaltung als Einwendung daher angemessener84. Isoliert betrachtet erscheint eine solche Einwendungslösung tatsächlich wünschenswert, mitbedacht werden müssen jedoch auch die Konsequenzen des daraus folgenden Wegfalls der Primärleistungspflicht für das Zusammenspiel mit anderen Vorschriften im System des Kommissionsentwurfes. Daß gerade durch den Fortbestand der Primärleistung, wie § 275 KE in seiner jetzigen Fassung ihn mit sich bringt, viele Weichen gestellt werden und ein Anknüpfungspunkt für den zentralen Begriff der Pflichtverletzung gegeben wird, ist oben85 gezeigt worden. Entzieht man dem Kommissionsentwurf diesen Baustein, indem man §275 S. 1 KE als Einwendung ausgestaltet, ist also fraglich, ob dadurch für das System des Entwurfs nicht Brüche und Verschiebungen ausgelöst werden, die weit über die Änderung hinausgehen, die mit dem Wechsel von der Einrede zur Einwendung beabsichtigt ist.

I I I . Das stellvertretende commodum des § 281 K E In allen Fällen der nachträglichen objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit kann der Gläubiger unabhängig vom Vertretenmüssen des Schuldners86 im BGB gemäß § 2811 BGB die Herausgabe eines sog. stellvertretenden commodums verlan81

Vortrag, S. 17; vgl. auch die Stellungnahme Heinrichs auf dem DJT, abgedruckt in Bd.II/2 Κ 190 f. 82 Auch das Verhältnis des § 275 KE zum Recht der Störung der Geschäftsgrundlage soll überprüft werden, vgl. Vortrag S. 17. 83 Vgl. das Referat von Brüggemeier, Bd. II/l Κ 59, insb. 61 f., 99 f. 84 So auch der Beschluß (II 5b des DJT, abgedruckt in Bd. II/2 Κ 240): „Der Leistungsbefreiungstatbestand des § 275 KE sollte als Einwendung ausgestaltet sein."; angenommen mit 66:42:19 Stimmen. Siehe dazu auch Heinrichs (Vortrag S. 17), der die Einredelösung im Gegensatz dazu wohl nur auf die Unmöglichkeitsfälle beschränken will, was allerdings zwangsläufig wieder zur Differenzierung zwischen Unmöglichkeit und anderen Leistungshindemissen führt. 85 Z.B. 113; vgl. auch unten VI3c. 86 Das Vertretenmüssen des Schuldners gewinnt Bedeutung erst im Zusammenhang mit § 281 II BGB, der für den Fall, daß der Gläubiger von seinem Recht Gebrauch macht, einen eventuell bestehenden Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung um den Wert des nach § 2811 BGB Erlangten mindert.

218

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

gen; geknüpft ist dieser Anspruch als Surrogationsanspruch daran, daß der Schuldner tatsächlich einen Ersatz oder Ersatzanspruch infolge des die Unmöglichkeit herbeiführenden Umstandes erlangt hat. Der Surrogationsanspruch wird dem Gläubiger als Ausgleich für die ihn treffende Leistungsgefahr 87 zugesprochen. Die Norm soll ihrem Sinn und Zweck nach also nicht einen eingetretenen Schaden regulieren, sondern eine unrichtig gewordene tatsächliche Verteilung der Vermögenswerte ausgleichen88, bezweckt wird eine Vorteilsabschöpfung 89. Im Anschluß an das Gutachten von Huber90 will die Kommission mit § 281 KE den § 281 BGB praktisch unverändert übernehmen91. Aus der Umänderung des § 275 S. 1 KE ergab sich jedoch auch für § 281 KE die Notwendigkeit einer angepaßten Formulierung, denn zum einen stellt §281 BGB auf die Unmöglichkeit ab, während es nach § 275 KE auf bestimmte Störungstatbestände nicht mehr ankommt; zum anderen aber führen die nach § 275 KE beachtlichen Leistungshindernisse nicht mehr zur Befreiung des Schuldners, sondern berechtigen ihn nur zur Erhebung einer Einrede. § 281 KE lautet dementsprechend: „Erlangt der Schuldner infolge des Umstandes, der sein Einrederecht nach §275 BGB-KE begründet, für den geschuldeten Gegenstand einen Ersatz oder Ersatzanspruch, so kann der Gläubiger Herausgabe des als Ersatz Empfangenen oder den Ersatzanspruch verlangen/*92

Sachliche Änderungen waren mit dieser Anpassung der Formulierung nicht beabsichtigt93, zeigen sich gleichwohl aber beispielsweise im Zusammenhang mit der anfänglichen Unmöglichkeit: Wo der Gläubiger im geltenden Recht durch die Nichtigkeit des Vertrages auf den Ersatz des negativen Interesses gemäß § 307 BGB beschränkt ist, eröffnet ihm § 281 KE i. V. m. § 275 S. 1 KE nun den Weg zum Surrogat, denn auch bei objektiver anfänglicher Unmöglichkeit besteht die Leistungspflicht fort und führt zur Einredeerhebung. Schon an anderer Stelle94 ist darauf hingewiesen worden, daß zum einen - anders als im BGB, § 323 I I HS. 2 - die bei Herausgabe des commodums bestehende Gegenleistungspflicht nicht zu mindern ist, falls das commodum den Wert der Sache bei Vertragsschluß unterschreitet; zum anderen zeigt sich gerade auch im Zusammenhang mit dem Anspruch auf das commodum, daß entgegen der vom Re87

Soergel-Wiedemann, §281 Rn 2; Staudinger-Löwisch §281 Rn 8. Vgl. schon RGZ 88 S. 287,289; 120 S. 297,299; 120 S. 347,349; auch BGHZ 25 S. 1,9; 99 S. 385,388; Soergel-Wiedemann § 281 Rn 2; Ehmann/Rust in Jura 1996 S.247,250; Picker in AcP 183 (1983) S.369, 512; Meincke S.34f. 89 Entsprechend den Motiven II S.56 wird in §281 BGB eine gesetzlich geregelte ergänzende Vertragsauslegung gesehen. 90 Gutachten, S. 802, 811. 91 Bericht, S. 132. 92 Entsprechend wurde §281 II KE terminologisch an den Schadensersatzanspruch aus § 280II S. 1 i. V. m. § 283 KE angepaßt. 93 Bericht, S. 132. 94 Ehmann/Rust in Jura 1996 S. 247, 254. 88

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

219

formentwurf angestrebten Vereinheitlichung die genaue Herausarbeitung der Art der Pflichtverletzung keinesfalls überflüssig wird. Es ist nicht anzunehmen, daß diese Konsequenzen im Sinne der Kommission lagen, unklar ist, ob sich die Verfasser des Entwurfs dieser Probleme ihrer Vorschläge bewußt waren. Auch hier handelt es sich daher wohl um die „Kinderkrankheiten"95, um die unbewußten Unstimmigkeiten und Brüche, die sich erst im Zusammenspiel mit anderen Normen zeigen.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE Besondere Aufmerksamkeit verdient das zentrale Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes, § 323 KE, das eine der beiden Säulen darstellt, auf dem die Rechte des Gläubigers im System des Reformvorschlages stehen. In diesem Rücktrittsrecht wird in besonders ausgeprägter Weise die Vereinheitlichung aktuell, die durch die Zusammenführung und Auflösung aller Störungstatbestände in wenigen, zentralen Normen erreicht werden soll96. Der Rechtsbehelf Rücktritt steht dabei im grundsätzlichen Spannungsfeld zwischen der Bindung an den Vertrag, dem Grundsatz des „pacta sunt servanda"97 und dem Bedürfnis der Parteien, sich in bestimmten Konstellationen aus dieser vertraglichen Bindung lösen zu können. Der Grundsatz des „pacta sunt servanda" ist für das Recht der Leistungsstörungen bildlich gesprochen die Gegenkraft zu den für eine Vertragsauflösung sprechenden Umständen; also die Kraft, die im Falle und trotz einer Vertragsstörung auf eine Vertragserhaltung bzw. Vertragserfüllung hin abzielt98.

1. Vertragsaufhebung im allgemeinen Schuldrecht des BGB Im Schuldrecht des BGB wird die Antwort auf die Frage, wann die Störung des Vertrages so gewichtig ist, daß die Lösung aus der vertraglichen Bindung ermöglicht werden muß, nicht einheitlich gegeben. Von den Rechtsbehelfen im BGB ist die Vertragsaufhebung vielmehr wohl der in Terminologie, Voraussetzungen und Folgen am stärksten zersplitterte. Betrachtet man die Möglichkeiten, die das allgemeine Schuldrecht den Parteien gibt, um sich aus ihren vertraglichen Verpflichtun95

Horn (auf dem DJT 1994, Diskussionsbeitrag Bd.II/2 Κ 149) hingegen hält dem Kommissionsentwurf mit den Worten Baldus' zugute, daß der Gesetzgeber nie alle Fälle voraussehen könne, die „der Mutterschoß der Natur jeden Tag neu gebäre"; die Kommission könne also nur Grundlinien normieren. 96 Im System des Kommissionsentwurfes wird auch die Wandlung des §462 BGB durch den Verweis auf das zentrale Rücktrittsrecht des §323 KE ersetzt, vgl. §439 KE und §637 KE. 97 Siehe dazu eingehend Stephan, S.43ff. 98 Für den Bereich der Güterbewegung kommt ihm deshalb elementare Bedeutung zu.

220

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

gen zu lösen, so bietet sich ein ebenso buntes wie - scheinbar - uneinheitliches Bild". a) Rücktritt

bei dauerhafter

Nichterfüllung

Eine zentrale Rolle übernimmt im allgemeinen Schuldrecht zunächst die Kategorie der Unmöglichkeit der Leistung, die dem Grundsatz des „pacta sunt servanda" entgegensteht. Die Auswirkung dieser Leistungsstörung auf den Fortbestand der vertraglichen Pflichten ist weiter ausdifferenziert nach der Voraussetzung des Vertretenmüssens, nach dem Zeitpunkt ihres Vorliegens und nach ihrem subjektiven bzw. objektiven Charakter. Bei objektiver anfänglicher Unmöglichkeit führt § 306 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages, für die Parteien entfällt damit jegliche Bindung an ihre primären Leistungspflichten. Ist die anfängliche Unmöglichkeit hingegen eine subjektive, so bleibt die vertragliche Bindung zunächst bestehen. In erster Linie wird dem Gläubiger Anspruch auf Schadensersatz gegeben, er kann jedoch auch über § 32511 BGB analog oder gemäß § 326 BGB zum Rücktritt vom Vertrag kommen. Treten subjektive oder objektive Unmöglichkeit nach Vertragsschluß ein, dann führen entweder § 3231 BGB oder § 32511 BGB als Teil des ius variandi zum Erlöschen der gegenseitigen Hauptpflichten. Zwar geht es in § 3231 BGB um die nicht zu vertretende Unmöglichkeit auf Seiten des Schuldners und die daraus folgende Befreiung des anderen Teiles, während nach § 32511 BGB Voraussetzung ist, daß der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat. Aber für die hier im Blickfeld stehende Frage hat das zunächst kein Gewicht, denn auch § 3251S. 3 BGB verweist auf die nach § 3231 BGB ipso iure eintretende Befreiung von den Hauptleistungspflichten, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und eröffnet so die durch Erklärung mögliche Aufhebung des Vertrages. Über den Absatz Π des § 325 BGB wird dem Gläubiger das Rücktritts- bzw. Aufhebungsrecht gewährt, falls er den Weg über § 283 BGB gewählt hat, auf diese Weise wird bei Ungewißheit über die Störungsform nach erfolglosem Fristablauf zumindest an die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit angeknüpft. Mit der Orientierung der Lösung von den Vertragspflichten am Kriterium der Unmöglichkeit der Leistungspflicht erfaßt das BGB zunächst alle Störungen der Leistungspflicht, die zu ihrer dauerhaften Nichterfüllung führen. Das ist auch folgerichtig, denn wo die Nichterfüllung der Leistungspflicht als eine dauerhafte feststeht, 99 Außer Betracht gelassen werden hier jedoch die verschiedenen Möglichkeiten, die sich im Besonderen Teil des Schuldrechts finden, wie beispielsweise die Wandlung des Käufers, §§ 462,465ff. BGB; das Kündigungsrecht des Dienstverpflichteten und im Weikvertragsrecht sowie die Rechtsbehelfe des Reisevertragsrechts (vgl. §§651 e, i, j BGB). Hierzu siehe Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung, S. 71, 76ff.; auch Schlechtriem in FS für Müller-Freienfels, S. 525,530f.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

221

hat die Störung offensichtlich ein Ausmaß, das die Möglichkeit einer Lösung vom Vertrag zwingend erforderlich macht. Der Fortbestand der Bindung an den Vertrag ist angesichts der synallagmatischen Verknüpfung der Leistungspflichten sinnlos, wenn eine der Leistungspflichten nicht mehr erfüllt werden kann. Konsequent schreibt das BGB deshalb vor, daß bei 7W/unmöglichkeit diese allein die Lösung vom Vertrag noch nicht zu rechtfertigen vermag. Vielmehr muß ein weiteres entscheiden, nämlich das Ausmaß der Beeinträchtigung, das die Teilunmöglichkeit für das Interesse des anderen Teils darstellt, § 3251S. 2 BGB: „Der Gläubiger kann vom ganzen Vertrag zurücktreten, wenn die teilweise Erfüllung für ihn kein Interesse mehr hat."100

b) Rücktritt

bei vorübergehender Nichterfüllung

Ähnlich liegt es in den Fällen, wo die Nichterfüllung der Leistungspflicht, anders als bei der Unmöglichkeit, keine dauerhafte, sondern eine vorübergehende ist. Auch hier muß zur Nichterfüllung der Leistungspflicht noch ein weiteres hinzutreten, das die Störung als eine so gravierende kennzeichnet, daß sie - wie die dauerhafte Nichterfüllung - zur Möglichkeit des Rücktritts vom Vertrag zwingt. Eine Sonderstellung nimmt diesbezüglich zunächst das Fixgeschäft ein. Bei diesem kann die Leistungspflicht durch absolute Terminbestimmung in der Art geprägt sein, daß ihre Erfüllung nach dem Termin für den Gläubiger sinnlos ist. Wie bei der Unmöglichkeit steht damit die Nichterfüllung - dauerhaft - fest, so daß die Aufhebung der beiderseitigen Leistungspflichten gerechtfertigt ist101. Wo der Leistungsinhalt nicht derart festgelegt ist, führt für gegenseitige Verträge § 3261 BGB bei zu vertretender, vorübergehender Nichterfüllung nach vergeblicher Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung zum Rücktrittsrecht. Dieser Fristsetzung bedarf es nicht, wenn der Gläubiger bereits aufgrund des Verzuges an der Erfüllung der Leistungspflicht kein Interesse mehr hat, § 326II BGB. Auch bei der vorübergehenden Nichterfüllung kommen also die gleichen Kriterien wie bei der dauerhaften zum Tragen: Erfüllt der Schuldner seine Leistungspflicht trotz Nachfristsetzung und Ablehnungsandrohung nicht, so muß die Nichterfüllung als feststehend angesehen werden und die Vertragsstörung erreicht - ungeachtet der grundsätzlichen Erbringbarkeit der Leistung - damit ein Ausmaß, das der dauerhaften Nichterfüllung gleichsteht. Diese in § 3261 BGB durch die Fristsetzung bewirkte Gleichstellung ist entbehrlich, wo die Nichterfüllung schon deshalb ein 100

Vgl. auch §323IS.2BGB. In diesen Zusammenhang gehört auch das sog. relative Fixgeschäft des § 361 BGB, bei dem das Rücktrittsrecht im Falle der Fristüberschreitung als im Zweifel vereinbart angesehen wird. 101

222

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

eben solches Gewicht wie die dauerhafte hat, weil der Gläubiger infolge der Nichterfüllung das Interesse an der Leistung verloren hat102.

c) Leistungsverzögerung

und Schutzpflichtverletzungen

Keinen Rücktritt gewährt die gesetzliche Regelung des allgemeinen Schuldrechts also für zwei Bereiche. Ausgespart ist zunächst der Fall, daß zwar eine vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht vorliegt, diese aber nicht vom Schuldner zu vertreten ist. Im geltenden Recht wird hier auf verschiedene Weise Abhilfe geschaffen 103, um auch bei der bloßen Leistungsverzögerung dem Gläubiger die Lösung von der vertraglichen Bindung zu ermöglichen. Kein Rücktrittsrecht findet sich jedoch auch für alle Fälle von Schutzpflichtverletzungen, die keinen Einfluß auf die Leistungspflicht haben, also nicht zu deren Nichterfüllung führen. Hier zeigt sich wieder die Ausrichtung des allgemeinen Schuldrechts an der Leistungspflicht, die für das Rücktrittsrecht prägnant dadurch in Erscheinung tritt, daß es nur für Störungen der Leistungspflicht gewährt wird. Lehre und Praxis haben sich damit jedoch nicht abgefunden, sondern über die Figur der pFV den Ausweg gesucht104. Regelmäßig wird für den Geschädigten der Schutzpflichtverletzung zwar die Haftung, also ein Schadensersatzanspruch im Vordergrund stehen, für dessen Begründung die Annahme des Instituts der pFV zunächst das entscheidende Motiv war 105. Aber auch die Gewährung eines Rücktrittsrechts kommt in Betracht, und zwar wenn „die Verletzung der Pflicht den Vertragszweck derart gefährdet, daß dem anderen Teil nach Treu und Glauben ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann."106. Da es in diesem Abschnitt der Arbeit vorrangig jedoch um die Störungen der Leistungspflicht geht, wird die Frage des Rücktritts bei Schutzpflichtverletzungen hier ausgespart107.

102

Der gleiche Gedankefindet sich in § 286 II BGB für Pflichten, die nicht im Synallagma stehen. 103 Siehe dazu oben §5 VII. 104 Dazu auch noch eingehend unten §11. 105 Für das Reichsgericht, das den Schadensersatzanspruch noch lange nach Inkrafttreten des BGB aus § 276 BGB ableitete, stand freilich sofort die Möglichkeit eines Rücktritts nach den Grundsätzen der pFV im Vordergrund, weil § 276 BGB ein solches nicht geben konnte, vgl. unten §11 VII. 106 So die ständige Formel, vgl. z. B. BGH in NJW 1984 S. 2287 f.; BGHZ 11 S. 80,84; BGH in NJW 1969 S.975,976; BGH in W M 1961, S. 109,112; RGZ 161 S.330, 337f.; 171 S.297, 301. »07 Dazu aber oben § 8.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

223

d) Wirkungen des Rücktritts Das Rücktrittsrecht im BGB ist somit in seiner Entwicklung zum einen durch seine Erweiterung auf andere Störungsformen geprägt. Zum anderen aber unterlag auch das Verständnis der Wirkung des Rücktritts seit dem Inkrafttreten des BGB einem grundsätzlichen Wandel. Dieser Wandel ist gekennzeichnet von der Entwicklung des Rücktritts als Vernichtung des Vertrages hin zum Verständnis des Rücktritts als Abwicklungsbehelf. Während früher die Ansicht herrschte, daß die Befreiung von den nicht erfüllten Vertragspflichten nur über die Vorstellung des rückwirkenden Wegfalls der ganzen Verpflichtung zu erreichen sei108, setzte sich bis heute die Beschränkung der Rücktrittswirkungen auf die unerfüllten Pflichten bei weiterbestehendem Vertragsrahmen durch109. Notwendige Voraussetzung für dieses Verständnis der Rücktrittswirkungen war die Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus verschiedener Pflichten, denn erst mit der Differenzierung der verschiedenen Pflichten war auch die Beschränkung der Rücktrittswirkung auf einzelne dieser Pflichten möglich. Der Rücktritt kann so als Rechtsbehelf verstanden werden, dessen Wirkungen unter Beseitigung der Leistungspflichten das als Rahmen fortbestehende ursprüngliche Schuldverhältnis in ein Abwicklungsverhältnis umwandelt. Nebenpflichten, insbesondere Schutzpflichten aus dem Schuldverhältnis und aus deren Verletzung entwickelte Schadensersatzanspüche hingegen überdauern den Rücktritt 110.

2. Grundsätzliches zum Rücktrittsrecht des § 323 KE Es fehlt nicht an Kodifikationen, die - entgegen dem differenzierenden System des BGB - versuchen, für das Rücktrittsrecht vom Vertrag einen gemeinsamen Nenner zufinden, um so ein einheitliches, von einzelnen Störungsformen unabhängiges Rücktrittsrecht normieren zu können. Das Einheitliche Kaufrecht, EKG, wählt beispielsweise die „wesentliche Vertragsverletzung" als Anknüpfungspunkt für das Recht der verletzten Partei, die Vertragsaufhebung 111 durch Erklärung herbeizuführen 112. Auch der Nachfolger des tos Vgl Leser, Rücktritt S.90ff.; Weitnauer, Rechtsvergleichung und Reechtsvereinheitlichung S. 92 m. w. 109 Weitnauer, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S. 92 f.; Harst S. 150ff.; Schlechtriem in FS für Müller-Freienfels S. 525,527 f.; Leser in FS für Wolf S. 373,374,382, 388 m. w. N.; Huber, Gutachten S. 716. 110 Vgl. MüKo-Janßen, vor § 346 Rn 30ff. 111 Zur Figur der Vertragsaufhebung im englischen Recht als Rechtsbehelf, der von der Wahl der Abwicklung des gestörten Vertrages getrennt normiert ist, siehe Leser in FS für Wolf, S.373, 375 ff., 381. 112 Artt. 261 und II, 27,30,31 631 EKG; vgl. Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S. 73 f. und Huber in seinem Gutachten S. 705 ff., der seinen Vorschlag

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

EKG, das UN-Kaufrecht versucht die Zusammenfassung aller Störungsformen unter dem Begriff der wesentlichen Vertragsverletzung, dem „fundamental breach" 113 als grundsätzliche Voraussetzung der Vertragsaufhebung, die unabhängig vom Vertretenmüssen des Vertragsteiles, der seine Leistung nicht oder nicht richtig erbringt, durch gestaltende Erklärung des anderen Teils herbeigeführt werden kann. Der Kommissionsentwurf hingegen findet den gemeinsamen Nenner aller Störungen des Vertrages im Begriff der „Pflichtverletzung" 114. Über diesen Begriff der Pflichtverletzung wird das gesetzliche Rücktrittsrecht in das einheitliche System des Kommissionsentwurfes integriert 115 . Grundsätzlich verbunden ist das Recht zum Rücktritt mit der Setzung einer Nachfrist: § 3231 KE: „Verletzt der eine Teil eine Pflicht aus einem gegenseitigen Vertrag, so kann der andere Teil nach erfolglosem Ablauf einer vom ihm bestimmten angemessenen Frist vom Vertrag zurücktreten (...)." 1 1 6 Absatz Π umfaßt die Fälle, in denen die Setzung der Frist entbehrlich ist; in Absatz Π Ι geregelt sind Fälle des Ausschlusses des Rücktrittsrechts und Absatz V schließlich beschränkt das Wahlrecht des Gläubigers zwischen Rücktritt und dem Erfüllungs§ 326 a an das EKG stark anlehnt. Kritisch zu diesem Vorschlag Hubers äußert sich Jakobs, Gesetzgebung S. 54 ff., 71 ff. 113 Artt.25, 49 CISG. Siehe zum „fundamental breach" im englischen Recht Leser a.a.O. S. 375 ff.; vgl. auch Schapp in JZ 1993 S.637,639f., der das Rücktrittsrecht einheitlich aus einer „schweren Vertragsstörung" ableiten will. 114 Zum Begriff der Pflichtverletzung eingehend oben § 4. 115 Für die Dauerschuldverhältnisse normiert der Entwurf mit § 307 KE ein eigenständiges Kündigungsrecht für die Kündigung aus wichtigem Grund (dazu der Bericht S. 155 f.). Die Definition des „wichtigen Grundes" in Absatz I orientiert sich dabei im wesentlichen an §6261 BGB; in Absatz II wird das Kündigungsrecht über das Tatbestandsmerkmal der Pflichtverletzung mit den Voraussetzungen des Rücktrittsrechts, § 323 KE verknüpft und auf diese Weise auch dem System des Reformentwurfes eingefügt. Ein eigenständiges Rücktrittsrecht, das vom zentralen Rücktrittsrecht des § 323 KE und dessen Voraussetzungen unabhängig ist,findet sich jedoch in § 306 II KE für den Fall, daß die Vertragsanpassung bei Störung der Geschäftsgrundlage nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 116 Zu §323 KE vgl. die - überwiegend kritischen - Stellungnahmen beispielsweise von Schapp, JZ 1993 S.637 f.; Emst in JZ 1994 S.801, 806f.; Köhler in W M 1993 S.45ff.; Kriechbaum in JZ 1993 S.642, 646f.; Brüggemeier, Referat in Bd. II/l Κ 47, 73ff.; vgl. auch die Kommissionsmitglieder Heinrichs (Vortrag S. 13), Medicus (in AcP -1988- S. 168, 174) und Schlechtriem (Vortrag S.27ff. und Diskussionsbeitrag auf dem DJT Bd.II/2 Κ 141). In den Beratungen der Kommission zur Ausgestaltung des Anknüpfungspunktes für das Rücktrittsrecht war erwogen worden, den Rücktritt allgemein dadurch zu erschweren, daß - entsprechend der Rechtsprechung zum Rücktritt wegen positiver Forderungsverletzung - eine Zumutbarkeitsschwelle eingefügt oder mindestens eine erhebliche oder wesentliche Pflichtverletzung verlangt wird. So ist daran gedacht worden, den Rücktritt nur bei Unzumutbarkeit des weiteren Festhaltens am Vertrag oder bei einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Schuldners zu ermöglichen (vgl. Bericht, S. 169). Diese Kriterien sind in der vorliegenden Fassung des Kommissionsentwurfes als zusätzliche Voraussetzungen des Absatzes II zu finden.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

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anspruch117. Der Abschlußbericht erläutert zu § 323 I KE 118 : „Die Kommission schlägt vor, daß die Vertragsauflösung als Rechtsbehelf bei Pflichtverletzungen künftig in einer zentralen, für alle Pflichtverletzungen aus Verträgen geltenden Norm geregelt werden soll. Ausgehend vom Grundtatbestand der Pflichtverletzung als zentralem Merkmal des Leistungsstörungsrechts ermöglicht § 323 BGB-KE Vertragsauflösung von gegenseitigen Verträgen bei Pflichtverletzungen jeglicher Art. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob eine synallagmatische oder eine andere Pflicht verletzt worden ist, ob die Nichtleistung wegen Unmöglichkeit oder auf Grund einer Leistungsverweigerung geschieht, ob Unmöglichkeit oder Verzug vorliegen oder ob eine sonstige Vertragsstörung durch Schlechterbringung der Hauptleistung oder Verletzung von Nebenpflichten zu beurteilen ist. (...) Für die Auflösung des Vertrages wegen Pflichtverletzung kommt es ebenfalls nicht darauf an, ob der Vertragsbrüchige Teil die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Auch bei einer vom Schuldner nicht zu vertretenden Pflichtverletzung kann der Gläubiger den Vertrag auflösen. (...) Die Auflösung des Vertrages geschieht in allen Fällen der Pflichtverletzung durch Rücktritt. Der Rücktritt erfolgt nach § 349 BGB durch rechtsgestaltende, zugangsbedürftige Erklärung. (...) Vertragsauflösung soll als tief einschneidender Rechtsbehelf nur dann zur Verfügung stehen, wenn die Pflichtverletzung erheblich ist, wovon nach Fristablauf regelmäßig auszugehen ist." Der Kommissionsentwurf will damit dem Regelungsmodell folgen, das auch dem Vorschlag Hubers zugrundeliegt; im geltenden Rechtfindet es seine Parallele in § 3261, II BGB 119 . Faßt man die Änderungen, die sich dadurch gegenüber der oben geschilderten gesetzlichen Regelung des BGB ergeben, kurz zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Rechtskonstruktiv löst sich das Rücktrittsrecht im Kommissionsentwurf nicht nur von der Anbindung an Unmöglichkeit, Verzug bzw. Interessefortfall, sondern auch von der Beschränkung auf die Störungen der Leistungspüicht. Die Kennzeichnung des Gewichts der Vertragsstörung als ein zur Vertragsaufhebung zwingendes, die im Leistungsstörungsrecht des BGB durch die Typisierung verschiedener Störungsformen der Leistungspflicht, insbesondere die Unmöglichkeit erreicht wird, ersetzt § 3231 KE durch den erfolglosen Ablauf der Nachfrist. Betrachtet man die Störungsfälle, bei denen durch diese rechtskonstruktiven Änderungen nun ein Rücktrittsrecht eröffnet ist, das die gesetzliche Regelung des BGB nicht vorsieht, so sind dies die Fälle der Schutzpflichtverletzungen, die sich nicht als Nichterfüllung der Leistungspflicht niederschlagen, sowie die Fälle der nicht zu vertretenden vorübergehenden Nichterfüllung der Leistungspflicht 120. 117 Abatz IV des § 323 KE, der die vorzeitige Erfüllungsverweigerung betrifft, wird erst im Zusammenhang mit den Schutzpflichten aktuell und soll daher auch erst unten § 813) angesprochen werden. 1,8 Bericht, S. 166. 119 Ebenda. 120 Also die Störungen, die heute praeter legem der Möglichkeit des Rücktritts zugeführt werden.

1

Kuhlmann

226

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Es zeigt sich schon hier, daß die Erweiterung der gesetzlichen Rücktrittsmöglichkeit damit weniger durch die Verschuldensunabhängigkeit121 erreicht wird, als vielmehr dadurch, daß das Rücktrittsrecht sich von der Nichterfüllung der Leistungspflicht als grundsätzliche Voraussetzung trennt und sich für die Verletzung von Schutzpflichten öffnet 122. Das Rücktrittsrecht bei der Verletzung von Schutzpflichten ist jedoch thematisch in anderen Abschnitten der Arbeit angesiedelt123, vorliegend geht es vorrangig um die Störung der Leistungspflicht, um ihre nicht zu vertretende Nichterfüllung. Es ist also zunächst der Frage nachzugehen, wie vorübergehende und dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht in die zentrale Regelung des § 323 KE eingebettet wird; dies sei im folgenden nachgezeichnet.

3. Dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht Auszugehen ist zunächst von dem Fall, daß die Nichterfüllung der Leistungspflicht als dauerhafte feststeht. Im geltenden Recht ist diese Situation typisiert als Unmöglichkeit der Leistungserbringung, im Reformentwurf hingegen führt die Nichterfüllung zur Annahme einer Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 S. 1 KE, genauer gesagt zur Verletzung der Leistungspflicht. Illustrieren läßt sich das durch das in der Diskussion um den Pflichtverletzungsbegriff des Reformentwurfes häufig zitierte und oben schon angesprochene Beispiel der zufälligen Nichterfüllung, auf das der Einfachheit halber auch hier zurückgegriffen werden soll. Bsp.: Der Verkäufer V hat dem Käufer Κ ein Pferd verkauft; noch bevor V das Pferd dem Κ übergeben kann, wird es auf der Weide vom Blitz erschlagen. Deutlich zeigt sich in diesem Beispiel das vom Vertreten des Schuldners losgelöste, intransitive Verständnis der „Pflichtverletzung" im Kommissionsentwurf, denn wo die Nichterfüllung der Leistungspflicht nicht auf ein Vertreten zurückzuführen ist, läßt sich nur davon sprechen, daß die Leistungspflicht verletzt ist, nicht aber davon, daß der Schuldner sie verletzt hat. Die durch die Nichterfüllung vorliegende Pflichtverletzung ermöglicht dem Gläubiger den Rücktritt vom Vertrag, § 3231 S. 1 KE. Denkbar ist auch, daß der Schuldner einem vorausgegangenen Erfüllungsverlangen des Gläubigers die Einrede des § 275 S. 1 KE entgegengehalten hat, für diesen Fall verweist § 275 S. 2 KE den Gläubiger auf § 323 KE. Diese Verweisung stellt klar, daß auch die durch eine Einrede gedeckte Nichterfüllung eine Pflichtverletzung ist 124 . Grundsätzlich erfor121

Zur Verschuldensunabhängigkeit des Rücktrittsrechts unten IV 6 a). Kritisch äußert sich Kriechbaum (in JZ 1993 S. 642,647 ff.) zur Aufgabe der Unterscheidung zwischen synallagmatischen und nicht synallagmatischen Pflichten im Rücktrittsrecht des Reformentwurfs. 123 Insbesondere § 8 der Arbeit. 124 Bericht, S. 121; vgl. in diesem Zusammenhang auch § 323 II Nr. 4 KE, der die Erhebung der Einrede aus § 275 S. 1 folgerichtig aus seiner Regelung ausklammert. 122

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

227

derlich ist für den Rücktritt aber zusätzlich die erfolglose Setzung einer Nachfrist, § 3231 S. 1 KE. Diese Nachfristsetzung erscheint sinnlos, wo die Nichterfüllung als eine dauerhafte feststeht, so daß sich die Frage nach der Fristentbehrlichkeit stellen muß. Beantwortet wird diese Frage von § 323 Absatz II Nr. 1 KE: Der Frist bedarf es nicht, wenn offensichtlich ist, daß sie keinen Erfolg hätte. Der Abschlußbericht erklärt dazu125, daß diese Bestimmung vor allem die Fälle der Unmöglichkeit, des absoluten Fixgeschäftes und der unüberwindbaren Leistungserschwerung erfasse. Die Störungsform der dauerhaften Nichterfüllung führt demnach zur Entbehrlichkeit der Nachfristsetzung, so daß der Gläubiger sofort durch rechtsgestaltende Erklärung zurücktreten könnte. Vorher ist aber noch zu fragen, ob einer der Rücktrittsausschlußgründe des Absatz III einschlägig ist. Nr. 2 beschränkt das Rücktrittsrecht für den Fall, daß eine Pflicht im Sinne des § 241 I I KE, also eine Schutzpflicht verletzt ist. Erforderlich wird dadurch die Zuordnung der konkret verletzten Pflicht zu einem der Absätze des § 241 KE. Da vorliegend von der Verletzung der Leistungspflicht ausgegangen wird und diese § 2411 KE unterfällt, ist § 323 III Nr. 2 KE jedoch nicht einschlägig. § 323 III Nr. 1 KE schließt den Rücktritt aus, wenn die Pflichtverletzung „unerheblich" ist. In dieser Bestimmungfindet sich damit die schon oben angesprochene, elementare Frage nach dem Ausmaß, dem Gewicht der Störung, die der Bindung an den Vertrag entgegensteht. Der Abschlußbericht konkretisiert zu § 323 III Nr. 1 KE, daß die Vorschrift den Rücktritt bei geringfügigen Nebenpflichtverletzungen ausschließe; bei Unmöglichkeit einer Hauptleistungspflicht würde sie einem Rücktritt aber wohl nie entgegenstehen126. Für die dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht greift § 323ΙΠ Nr. 1 KE also nicht, so daß es dabei bleibt, daß der Gläubiger sofort durch Erklärung gemäß § 349 BGB vom Vertrag zurücktreten kann. a) Einheitliches Rücktrittsrecht

und Notwendigkeit

der Differenzierung

Das entspricht im Ergebnis § 3231 BGB, der allerdings ipso iure zum Erlöschen der Hauptleistungspflichten führt, ohne daß ein rechtsgestaltender Parteiakt dafür erforderlich wäre. Angesichts des gleichen Ergebnisses gilt das Augenmerk dem Weg zum Rücktrittsrecht, den § 323 KE dem Gläubiger bietet und dabei zeigt sich der gleiche Befund, der auch für § 275 S. 1 KE prägend ist: An allen entscheidenden Stellen findet sich hinter dem einheitlichen Begriff die Notwendigkeit, zwischen Leistungspflicht und Schutzpflicht zu differenzieren und auf deren verschiedene Störungsformen Rücksicht zu nehmen. Für die Regelung der Fristentbehrlichkeit ist die Frage nach 125 126

15*

Bericht, S. 168. Bericht, S. 169.

228

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

der Leistungsmöglichkeit bzw -Unmöglichkeit entscheidend; für den Rücktrittsausschluß läßt sich nicht der Frage ausweichen, ob eine Schutz- oder Leistungspflicht verletzt ist (§ 323 III Nr. 2 KE), bzw. ob eine Haupt- oder eine Nebenpflicht verletzt ist § 323 III Nr. 1 KE). Der einheitliche Grundtatbestand des § 3231 S. 1 KE erweist sich damit als Illusion, da seine Einheitlichkeit durch die weiteren Voraussetzungen des Rücktrittsrechts sofort wieder in die Differenzierungen zerfällt, die auch für das geltende Recht kennzeichnend sind, nämlich Art der Pflicht und Störungsform 127. b) Die Pflichtverletzung

als Grundtatbestand

des einheitlichen Rücktrittsrechts

Noch deutlicher wird die Fragwürdigkeit des einheitlichen Anknüpfungspunktes der Pflichtverletzung in § 3231 S. 1 KE, wenn man nicht - wie im vorausgegangenen - davon ausgeht, daß eine nicht zu vertretende Nichterfüllung vorliegt, sondern zum Ausgangspunkt macht, daß die Nichterfüllung der Leistungspflicht auf einem schuldhaften Schutzpflichtverstoß im Sinne des § 276 KE beruht128. Es liegen damit für den Kommissionsentwurf zwei Pflichtverletzungen vor: die Nichterfüllung der Leistungspflicht als intransitive Pflichtverletzung und die Schutzpflichtverletzung, die zu der Nichterfüllung geführt hat129. Das scheint zunächst keine Probleme aufzuwerfen, da sowohl die eine als auch die andere Pflichtverletzung ihren Platz im einheitlichen Tatbestand des § 3231 S. 1 KE hat. Wie aber schon oben deutlich wurde, knüpft § 323 KE in seinen Absätzen I I und ΠΙ die weiteren Voraussetzungen an die Differenzierung der Art der Pflicht und der Störungsform, so daß plötzlich zweifelhaft wird, welche der beiden vorliegenden Pflichtverletzungen den Anknüpfungspunkt bildet und damit über die weiteren Voraussetzungen des Rücktritts entscheidet. Für das Rücktrittsrecht selbst stellt das Vertretenmüssen der Nichterfüllung jedoch einen Begründungsüberschuß dar, da der Gläubiger schon dann zurücktreten kann, wenn lediglich die Nichterfüllung der Leistungspflicht vorliegt. c) Feststehen der Nichterfüllung

vor Vertragsschluß

Ebenso wie bei der dauerhaften Nichterfüllung, die erst nach Vertragsschluß eintritt, kann der Gläubiger nach § 323 KE auch zurücktreten, wenn die Nichterfüllung schon vor Vertragsschluß feststand. Die Nichterfüllung ist eine Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 KE, die Friststetzung ist gemäß § 323 Π Nr. 1 KE wegen der Unmöglichkeit der Leistungserbringung entbehrlich und einer der Rücktrittsauschlüsse des Absatzes ΠΙ greift nicht, da die Pflichtverletzung die Leistungspflicht betrifft. 127 In diesem Sinne auch Stümer in Sonderheft zu DNotZ 1993 S. 110,113 und Brüggemeier, Bd. I I / l Κ 47, 74. 128 Im geltenden Recht ist das der Fall der zu vertretenden Unmöglichkeit, § 3251 BGB. 129 Vgl. dazu auch das Beispiel unten § 8 II 5 c) in seiner 1. Abwandlung.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

229

Eine erste Besonderheit zeigt sich im Zusammenhang mit dem grundsätzlichen Erfordernis des § 323 KE, daß eine Pflicht „aus einem gegenseitigen Vertrag" verletzt worden ist. Daß überhaupt ein gegenseitiger Vertrag trotz der anfänglichen Nichterfüllbarkeit vorliegt 130, wird nämlich nur dadurch ermöglicht, daß § 275 KE auch in diesen Fällen die Leistungspflicht und damit das Gefüge wechselseitiger Verpflichtungen fortbestehen läßt, die fortbestehende Pflicht also auch durch ihre Nichterfüllung verletzt werden kann. In Anspruch genommen wird durch die derartige Einbettung der Fälle objektiver Unmöglichkeit in ein parteibestimmtes Rücktrittsrecht ein Instrumentarium, das gar nicht erforderlich wäre 131. Auch die anfängliche Nichterfüllung muß als besondere Störungsform aus dem vereinheitlichenden Begriff der Pflichtverletzung wieder herausgearbeitet werden, und zwar für die Anwendung des § 323 Absatz IV KE. Nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger auch schon vor Fälligkeit seines Anspruchs zurücktreten, wenn offensichtlich ist, daß die Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht eintreten werden. Laut Abschlußbericht132 stehen hinter dieser Regel die Konstellationen, in denen ein unbehebbares Leistungshindernis schon vor der Fälligkeit feststeht. Da Fälligkeit und Vertragsschluß jedoch häufig zusammenfallen werden, vgl. § 271 BGB, greift die Regel auch und gerade bei anfänglich feststehender Nichterfüllung. Das einheitliche Rücktrittsrecht wegen Pflichtverletzung wird also auch bezüglich der Störungsform der anfänglichen Nichterfüllung durch seine eigenen Voraussetzungen von der Notwendigkeit zur Differenzierung wieder eingeholt.

4. Vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht Probleme bereitet im geltenden Recht der Rücktritt des Gläubigers, wenn die Nichterfüllung nicht als dauerhafte feststeht, sondern eine lediglich vorübergehende ist. Die gesetzliche Regelung sieht ein Rücktrittsrecht in diesem Fall nur vor, wenn die vorübergehende Nichterfüllung auf einem Schutzpflichtverstoß des Schuldners beruht (Verzug, § 285 BGB) und sich die darin liegende Vertragsstörung durch weitere Voraussetzungen, nämlich Interessefortfall (§ 286 Π und § 326 Π BGB) oder Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung (§ § 3261 BGB) derart verstärkt, daß sie in der Intensität der dauerhaften Nichterfüllung gleichsteht. Der Kommissionsentwurf senkt hier die Voraussetzungen für ein Rücktrittsrecht in zweifacher Hinsicht ab. Zum einen stellt auch die nicht zu vertretende Nichterfüllung eine Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 KE dar, zum anderen entfällt die Verknüpfung der Nachfristsetzung mit der Ablehnungsandrohung. Erhebt im Falle der vorübergehenden Nichterfüllung der Schuldner die Einrede des § 275 S. 1 KE („... kann der Schuldner die Leistung verweigern,... solange er diese nicht... zu er130 131 132

Im Gegensatz zu § 306 BGB. Dazu schon oben U6a) und erneut unten 6c). Bericht, S. 170.

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

230 133

bringen vermag." ), so führt § 275 S. 2 KE den Gläubiger zum Rücktrittsrecht; erhebt der Schuldner die Einrede nicht, dann reicht die bloße Nichterfüllung der Leistungspflicht für die Annahme einer Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 S. 1 KE. Im Gegensatz zu der dauerhaften Nichterfüllung wird hier die Setzung einer Nachfrist aktuell, denn die Leistungserbringung ist grundsätzlich noch möglich.

a) Die Nachfrist

des § 323 IS.l KE

Diese Nachfrist muß zum einen angemessen sein, zum anderen hat sie zur Voraussetzung, daß der Schuldner aufgrund der Fristsetzung mit dem Rücktritt rechnen mußte. Der Abschlußbericht gibt keine Hinweise dafür, nach welchen Kriterien die „Angemessenheit" dieser Frist zu beurteilen ist134. Grundsätzlich ist wie im geltenden Recht daher davon auszugehen, daß die Fristsetzung dem Schuldner die Möglichkeit der Erfüllung noch offen halten soll, was auch durch den Gegenschluß zu § 323 I I Nr. 1 KE bestätigt wird, der die Fristsetzung für entbehrlich erklärt, wo die Möglichkeit der Erfüllung nicht mehr besteht135. Nähere Erläuterungen gibt der Bericht jedoch bezüglich der Frage, wann der Schuldner denn aufgrund der Fristsetzung „mit dem Rücktritt rechnen mußte": Dies könne mit der Androhung rechtlicher Schritte zum Ausdruck gebracht werden, sich aber auch aus der Bedeutung der verletzten Pflicht ergeben136. Hier muß wiederum Kritik geübt werden. Soweit die Androhung rechtlicher Schritte für die Wirksamkeit der Frist gefordert wird, verbirgt sich dahinter nicht anderes als eben die Ablehnungsandrohung des § 3261 BGB, die der Kommissionsentwurf als „Stolperstein für den vom Vertragsbruch betroffenen Teil" 137 vermeiden will 138 . Soweit jedoch auf die ,3edeutung der verletzten Pflicht" abgestellt wird, be133

Dazu oben 112. Für die Frist des § 283 KE erläutert der Bericht (S. 134) jedoch, die Kommission gehe davon aus, daß hinsichtlich der Angemessenheit der Frist das zu § 3261 BGB Entwickelte fortgeführt wird. 135 Jakobs (in FS für Mann S. 35,49) stellt als Maßstab der Angemessenheit einer Nachfristsetzung vor Rücktritt hingegen auf den Gläubiger ab: Als angemessen habe eine solche Frist zu gelten, nach deren Ablauf der Gläubiger seine Bedürfnisse noch anderweitig befriedigen könne. 136 Bericht, S. 167. 137 Ebenda. 138 Die Kommission sieht zutreffend (Bericht S. 162), daß im geltenden Recht die Bedeutung der Nachfristsetzung als Schwelle für den Rücktritt durch die Ablehnungsandrohung verdeutlicht wird; zu überlegen sei deshalb, ob nicht nach dem Verzicht auf die Ablehnungsandrohung zusätzlich zum Fristablauf eine Voraussetzung aufgenommen werden müsse, die für den Vertragsbrüchigen Teil erkennbar mache, daß es mit Ablauf der Nachfrist „ernst" werde. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob dem Entwurf diese Verdeutlichung mit dem von ihm gewählten Kriterium gelungen ist oder nicht vielmehr das vage Kriterium des „Rechnenmüssens mit dem Rückttritt" nun sowohl für den von der Pflichtverletzung betroffenen Teil als auch für den ver134

231

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

gegnet den Beteiligten hier ein weiteres Mal die Notwendigkeit, die verletzte Pflicht zunächst zu konkretisieren und anschließend zu klassifizieren. Wie bei dem Kriterium der „Erheblichkeit" in § 323 ΠΙ Nr. 1 KE führt auch die Frage nach der „Bedeutung" der Pflicht notwendig zur Einteilung nach Haupt- und Nebenpflicht sowie Leistungs- und Schutzpflicht; diesmal als Erfordernis für die Wirksamkeit der Fristsetzung. b) Fristentbehrlichkeit

gemäß § 323 II Nr. 2 KE

Nicht zur Pflichtendifferenzierung, aber zur Frage nach der Störungsform zwingt bei vorübergehender Nichterfüllung § 323 Π Nr. 2 KE, der einen weiteren Fall der Fristentbehrlichkeit normiert. Hinter dieser Norm verbirgt sich, leicht abweichend von dem im Kommissionsentwurf gestrichenen § 361 BGB, aber entsprechend § 376 HGB das Fixgeschäft 139. Liegt die Störungsform also darin, daß die noch mögliche Erfüllung der Leistungspflicht sich für den Gläubiger wie eine dauerhafte Nichterfüllung darstellt, weil sie an einen bestimmten Termin gebunden war, kann der Gläubiger auch ohne die Fristsetzung zurücktreten. Konsequenterweise hätte die Kommission die Fristentbehrlichkeit beim Fixgeschäft daher auch § 323 II Nr. 1 KE unterstellen können, weil auch die Überschreitung des festen Leistungstermins dazu führt, daß eine Fristsetzung „offensichtlich keinen Erfolg hätte." Daß die Kommission dennoch das Fixgeschäft des BGB in einer eigenständigen Regelung wieder aufleben läßt, dokumentiert in einem weiteren Punkt, wie brüchig die vom Kommissionsentwurf angestrebte Vereinheitlichung im Begriff der Pflichtverletzung letztlich ist. c) Nicht zu vertretende

Leistungsverzögerung

im Kommissionsentwurf

Zu begrüßen ist, daß der Kommissionsentwurf mit § 323 KE die Rechtsbehelfslücke schließt140, die das BGB für die nicht zu vertretende Leistungsverzögerung läßt141. Daß die Lehre und Praxis hier konstruktive Umwege gehen müssen, um dem Gläubiger die Lösung aus seiner vertraglichen Bindung zu ermöglichen, wurde schon gezeigt142; der Entwurf unterscheidet sich von diesen Lösungen im Ergebnis tragsbrüchigen Teil in der Praxis zum Stolperstein wird, da er der Auslegung bedarf und Fiktionen provoziert. 139 Bericht, S. 168. 140 Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 13 des Entwurfs von Larenz (Fassung von November 1940) für die Akademie für Deutsches Recht:,»Leistet der Schuldner nach Billigkeit seiner Verbindlichkeit nicht, ohne daß ihm die Leistung unmöglich wäre, und hat er die Verzögerung der Leistung nicht zu vertreten, so kann ihm bei einem gegenseitigen Vertrag der Gläubiger gleichwohl eine angemessene Frist setzen und nach erfolglosem Ablauf vom Vetrag zurücktreten. (...)" (Abdruck des Entwurfs bei Schubert, Bd.III, 5 S. 187) 141 So auch Emst in JZ 1993 S. 801, 806. 142 Oben §5 VII.

232

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

hauptsächlich dadurch, daß er zur Rückabwicklung nach den §§ 346 ff. KE führt, während das geltende Recht über § 327 S. 2 BGB zu den Vorschriften des Bereicherungsrechts kommt, §§ 812ff. BGB.

5. Teilweise Nichterfüllung der Leistungspflicht, § 3231 S. 3 KE Als letzte Art der Störungsform der Leistungspflicht bleibt deren teilweise Nichterfüllung. § 3231 KE gibt hier - abweichend vom Grundsatz des Satz 1 - in Satz 3 eine eigenständige Voraussetzung für den Rücktritt vom ganzen Vertrag: „Beschränkt sich die Pflichtverletzung auf einen Teil der Leistung, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat."143 Laut Abschlußbericht144 steht diese Vorschrift in engem Zusammenhang mit der Überlegung, die Minderung als generellen Rechtsbehelf für teilweise Leistungsstörungen auszugestalten. Letztlich entschied man sich aber für den Teilrücktritt, was durch die Einführung des Wortes „nur" in § 3231 S. 3 KE deutlich gemacht werden soll. Mit dem Kriterium des Interessefortfalls entspricht die Vorschrift den §§ 3251S. 2 BGB und § 3261 S. 3 BGB 145 . Für die Nachfristsetzung bezüglich der noch ausstehenden Teilleistung zeigt sich auch hier die schon oben geschilderte Notwendigkeit, im Hinblick auf die in § 323 Π Nr. 1 KE geregelte Fristentbehrlichkeit die Frage nach der Möglichkeit der vollständigen Erfüllung zu stellen. Die gleiche Frage stellt sich ebenfalls, wenn der Gläubiger den Teilrücktritt wählt, da auch dann die Fristentbehrlichkeit von der Erbringbarkeit der Teilleistung abhängt. Neben dem Erfordernis der Fristsetzung unterliegt die Berechtigung zum Teilrücktritt jedoch noch einer weiteren Voraussetzung, nämlich dem Korrektiv des § 323 ΠΙ Nr. 1 KE: Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Bestimmt werden muß daher, wann das Fehlen eines Teiles der Leistung so erheblich ist, daß es zum Teilrücktritt berechtigt. Hier kommt es dann aber zu Unstimmigkeiten. Wie die Bestimmung über den Teilrücktritt, § 3231S. 3 KE unmißverständlich und zutreffend zeigt, entscheidet die Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses über die Erheblichkeit der Pflichtverletzung, wobei der Interessefortfall die stärkste Form der Beeinträchtigung bildet. 143

Die §§ 3251S. 2 und 286II BGB gehen in dieser Bestimmung auf. Bericht, S. 168. 145 Der Interessefortfall als Kriterium entspricht andererseits auch der Anknüpfung an die „wesentliche Vertragsverletzung" (vgl. oben IV 2), die immer auch dann zu bejahen ist, wenn die Durchführung des Vertrages infolge der Vertragsverletzung für den Gläubiger kein Interesse mehr hat; vgl. das Gutachten von Huber S. 705, 836 und Jakobs, Gesetzgebung S. 71 ff. 144

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

233

Im BGB verzahnt sich dieses Kriterium des Interessefortfalls (§ 3251 S. 2 BGB) nahtlos mit der Unmöglichkeit, denn von fehlendem Interesse an der Leistung kann man sinnvollerweise nur sprechen, wo diese noch möglich ist. Ist sie hingegen unmöglich, so fehlt dem Gläubiger durchaus nicht das Interesse an der Leistung, es kann dieses vorhandene Interesse nur eben nicht mehr befriedigt werden, so daß dem Gläubiger ohne weiteres die Lösung von seiner vertraglichen Bindung ermöglicht wird. Im Kommissionsentwurf steht stattdessen dem Kriterium des Interessefortfalls als dem einen Maßstab für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung als weiterer Anhaltspunkt die Fristsetzung des § 3231 S. 1 KE gegenüber: Regelmäßig ist auch nach Fristablauf davon auszugehen, daß die Pflichtverletzung eine erhebliche ist 146 . Wie Fristablauf, Interessefortfall und die Erheblichkeitsschwelle des § 323 ΠΙ Nr. 1 KE jedoch zusammenwirken, bleibt unklar 147. Die Häufung von verschiedenen Rücktrittsvoraussetzungen und tatbestandlichen Verengungen führt hier zu einer Komplizierung, die sich als Folge der Notwendigkeit herausstellt, für verschiedene Pflichtverletzungsformen im Anschluß an den einheitlichen Grundtatbestand des § 3231 S. 3 KE auch wieder verschiedene Rücktrittsvoraussetzungen zu normieren. Das Kommissionsmitglied Schlechtriem schließt seine Ausführungen 148 zu einem einheitlichen Rücktrittsrecht mit dem Eingeständnis, daß das schwerste Problem wohl erst noch ansteht, wenn man sich auf ein einheitliches Grundprinzip einläßt. Dieses Problem läge in der Entscheidung für einen Maßstab bezüglich der Schwere der die Aufhebung rechtfertigenden Vertragsverletzung: Ob es auf den objektiven Schaden des Gläubigers als Kriterium ankommen solle, oder unabhängig von einem Schaden auf die Bedeutung der verletzten Pflicht oder auf das Interesse des Gläubigers. Der Kommissionsentwurf hingegen hat sich nicht für einen Maßstab entscheiden können, sondern letztlich und wie gezeigt alle drei Kriterien in seinen Rücktrittsvoraussetzungen verwendet.

6. Abweichungen vom geltenden Recht Faßt man die wesentlichen Änderungen zusammen, die das zentrale und einheitliche Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes für die Störungen der Leistungspflicht mit sich bringt, dann konzentriert sich die Betrachtung auf die Lösung des Rücktrittsrechts vom Vertretenmüssen des Schuldners, die Lösung von den typisierten Störungsformen des geltenden Rechts und die generelle Entscheidung für ein vom Parteiakt abhängiges Rücktrittsrecht. 146 So ausdrücklich der Abschlußbericht, S. 166. Vgl. in diesem Zusammenhang auch §651 e Abs. II S. 1 BGB. 147 Kritisch insoweit auch Emst in JZ 1993 S. 801, 806; zu § 3231 S. 3 KE insgesamt auch Kriechbaum in JZ 1993 S.642,647ff. 148 Festschrift für Müller-Freienfels S. 25, 35.

234

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht a) Verschuldensunabhängigkeit

des Rücktritts

Zunächst zur verschuldensunabhängigen Ausgestaltung des Rücktrittsrechts im Kommissionsentwurf. Die Abweichungen, die sich für die Nichterfüllung der Leistungspflicht dadurch ergeben, erreichen bei näherer Betrachtung bei weitem nicht das Ausmaß, das man auf den ersten Blick vermuten könnte. Denn wie die Übersicht149 oben gezeigt hat, ist auch im geltenden Recht für die Voraussetzungen der Vertragsaufhebung im Falle der Nichterfüllung der Leistungspflicht die Frage nach dem Verschulden letztlich weitgehend irrelevant 150. aa) Verschuldensunabhängige Vertragsaufhebung im BGB Deutlich zeigt sich das an § 3231 BGB, der zum Rücktritt aus § 32511 BGB parallelen Möglichkeit zur Vertragsaufhebung bei Unmöglichkeit. Das Vertretenmüssen hat vor dem Hintergrund dieser beiden Vorschriften primär nicht Bedeutung als Voraussetzung für die Aufhebung bzw. das Erlöschen der gegenseitigen Pflichten, sondern gewinnt seine Bedeutung erst für die Rückabwicklung und Haftung der Parteien. Während die gemäß § 3231 BGB ipso iure eintretende Aufhebung der Leistungspflicht zur Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht führt, eine sekundäre Haftung jedoch ausscheidet, sind die für den Rücktritt nach § 32511 BGB maßgebenden Vorschriften die §§346 ff. BGB, eine sekundäre Haftung auf das negative Interesse kommt in Betracht. Diese im BGB angelegte Trennung der Vorschriften von Vertragsaufhebung und Haftung zeigt sich umgekehrt daran, daß die verschuldensunabhängige Regelung des § 3231 BGB auch Teil des verschuldensabhängigen ius variandi, § 3251 BGB ist, die Verknüpfung der Rechtsfolgen des § 3251 BGB mit dem Verschulden also nicht konsequent durchgeführt ist151. bb) Die Entwicklung des Rücktrittsrechts im BGB BGB und Kommissionsentwurf sind in der Frage der Verschuldensunabhängigkeit des Rücktritts demnach gar nicht weit voneinander entfernt, was verständlich wird, wenn man die rechtshistorische Entwicklung des Rücktrittsrechts bis zum Inkrafttreten des BGB einbezieht. An mehreren Stellen152 ist überzeugend nachgewie149

Vgl. oben IV1. Abgeschwächt wird die Bedeutung des Verschuldens darüberhinaus in den Fällen, in denen die Rechtsprechung eine Garantiehaftung annimmt. Dem entspricht, daß der Abschlußbericht (S. 164) die Mängel der geltenden Regelung weniger in der Verknüpfung mit dem Vertretenmüssen sieht, als vielmehr in der Vielfalt der Voraussetzungen und ihrer Verschiedenheit. 151 Zum Verschulden im Rahmen des § 326 BGB siehe sogleich unten bb). 152 Leser, Rücktritt S.207ff.; Jakobs, FS für Mann S.35, 49ff. und Gesetzgebung S.55ff.; Beinert, S. 176ff.; früh auch schon Weitnauer, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitli150

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

235

sen worden, daß der Gesetzgeber mit dem im BGB normierten Rücktrittsrecht einen Entwicklungsprozeß zu früh festgeschrieben hat, dessen Fortführung noch aussteht. Dieser Entwicklungsprozeß soll hier noch einmal - in der gebotenen Kürze - wiedergegeben werden. Daß das BGB dem Rechtsinstitut des Rücktritts mit einer gewissen Unsicherheit153 und Scheu154 gegenübergetreten ist, erklärt sich wohl zunächst daraus, daß der Rücktritt im gemeinen Recht zwar als ein vertraglich vorbehaltenes Rücktrittsrecht, nicht aber als ein gesetzlich angeordneter Rechtsbehelf für den Fall der Nichterfüllung der Leistungspflicht bekannt war 155. Das Prinzip der Verfasser des BGB war die Verbindlichkeit des geschlossenen Vertrages - "pacta sunt servanda". Nur weil der eine Teil seine Verpflichtung zur Leistung nicht erfüllt, sollte der andere nicht berechtigt sein, sich aus der vertraglichen Bindung zu lösen, ein Rücktrittsrecht konnte immer nur die besonders zu begründende Ausnahme der Regel sein, die § 360 des Ersten Entwurfes zum BGB noch klar zum Ausdruck brachte156: „Erfüllt der eine Vertragsschliessende seine Verbindlichkeit nicht, so ist der andere deshalb nicht berechtigt, einseitig von dem Vertrage abzugehen, wenn nicht durch Gesetz oder Vereinbarung ein Anderes bestimmt ist." Dieses Prinzip schließt an die jüngeren gemeinrechtlichen Lehren an, für die der Rücktritt als Rechtsbehelf nur von außen her dem Vertrag als eine zusätzliche Bestimmung hinzugefügt werden konnte, weil die einzige dem Vertrag innewohnende Abwicklungsmöglichkeit der Schadensersatz war. Da sich ein Rücktrittsrecht für die gemeinrechtlichen Lehren damit aber nicht aus dem Wesen des gegenseitigen Vertrages ableiten ließ, blieb zur Herleitung des einseitigen Abgehens vom Vertrag nur der Schadensersatz. Die Rückabwicklung wurde durch den Schadensersatzanspruch verwirklicht, indem aus der Verpflichtung zur Interesseleistung für den Gläubiger ein Zurückweisungsrecht hinsichtlich der nutzlos gewordenen Leistung des Schuldners abgeleitet wurde 157. Hatte der zum Ersatz Berechtigte seinerseits noch nicht geleistet, so ergab sich als Folge der Zurückweisung, daß er selbst nicht mehr leisten mußte. Zur Konsequenz hatte das aber notwendig, das ein einseitiges Abgehen vom Vertrag nur in den Fällen der Verpflichtung zur Interesseleistung, also bei einem Vertretenmüssen begründet werden konnte158. chung S. 73, 103ff.; vgl. auch Schlechtriem, Vortrag S. 30f. und FS für Müller-Freienfels S.541 f.; Hoffmann-Burchardi, S. 146ff. 153 So Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.73, 103. 154 Jakobs, Gesetzgebung S.55. 155 Leser, Rücktritt S. 140ff. 156 Siehe dazu auch unten § 11 VI 5 a) mit weiteren Nachweisen und der Darstellung der weiteren Entwicklung im Gesetzgebungsverfahren. 157 Windscheid, Pandekten (9. Aufl.) § 280 Anm. 1; w. N. bei Jakobs, Gesetzgebung S. 57 i. V. m. Fn. 109 und in FS für Mann S. 51. 158 Eine andere Konsequenz dieser Lehre ist, daß für die Befreiung des Gläubigers in den Fällen nicht zu vertretender Nichterfüllung der Leistungspflicht nur der Weg über die Unmöglichkeit als Befreiungsgrund blieb.

236

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Diese Verbindung von Schadensersatzanspruch und Abwicklung hat als Grundsatz in die Regelung des BGB noch Eingang gefunden, wurde aber durch die gesetzliche Ausgestaltung des Rücktritts letztlich immer stärker durchbrochen. Die Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz, die bei einer Ableitung des Rücktrittsrechts aus der Schadensersatzpflicht selbstverständlich ist, wurde schon von der ersten Kommission abgelehnt, nachdem sie das Rücktrittsrecht auch im Falle einer vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit zuerkannt hatte. Die Kommission hob diese Kumulierung auf, weil sie der Ansicht war 159 , daß zwischen dem Rücktrittsrecht und dem aus dem Vertrag entspringenden Anspruch auf Schadensersatz ein innerer Widerspruch bestehe. Zum einen bilde das Rücktrittsrecht den Gegensatz zum Recht auf Schadensersatz und müsse daher jeden Anspruch auf Schadensersatz ausschließen; zum anderen aber solle der Rücktritt die Parteien in die Lage zurückversetzen, als sei der Vertrag nicht geschlossen worden, womit sich ein Anspruch auf Erfüllung - sei es durch Naturalerfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung - nicht vereinbaren lasse. Mit dieser deutlichen Trennung des Rücktritts vom Schadensersatzanspruch des Gläubigers war ein wichtiger Schritt zur Emanzipation des Rücktritts als selbständiger Rechtsfigur getan. Diese Entwicklung setzte sich fort bei dem am Handelsrecht orientierten 160, für das BGB neuartigen § 3261 BGB 161 . Hier wurde die letzte Verbindung zum Schadensersatz gelöst, indem man das Rücktrittsrecht an Fristsetzung und Ablehnungsandrohung des Gläubigers band. In der Konsequenz dieser Vorschrift hätte es gelegen zu überdenken, ob das in § 3261 BGB integrierte Erfordernis des Verzuges, das für ein aus dem Schadensersatzanspruch abgeleitetes Rücktrittsrecht durchaus sinngemäß war, nun nicht seine Rechtfertigung verloren habe. Diese Frage ist folgerichtig in den Beratungen der zweiten Kommission gestellt worden162 und über den dementsprechenden Antrag zur Neufassung des § 3261 BGB wurde abgestimmt; er konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Diese Ablehnung erstaunt um so mehr, als das BGB in einer anderen Vorschrift, nämlich in § 636 BGB ohne Rücksicht auf alle dogmatischen und systematischen Begründungen, aber mit Rücksicht auf die praktische Zweckmäßigkeit163 die Vertragsaufhebung aufgrund der bloßen Tatsache der Nichterfüllung gewährt. 159

Nachweise bei Jakobs, FS für Mann S. 53 in Fn.36ff. Dazu schon oben § 5 VIII m. z. w. N. zu § 3261 BGB und seiner „Pionierstellung" (Leser in FS für WolfS. 373, 384). 161 Zur Entwicklung des Rücktrittsrechts im Handelsrecht vgl. Weitnauer, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S. 73,104f. 162 Frage- und Antragsteller war das Kommissionsmitglied Jacubezky, vgl. Prot. II, Bd. 1 S. 643; vgl. auch die Nachweise zu diesem Antrag bei Jakobs in FS für Mann S. 54. 163 So die Protokolle IS. 2309 f.; Motive II S.480; vgl. eingehend zu §636 BGB Jakobs, FS für Mann S. 35 ff. und vor ihm schon Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.73,105 f. 160

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

237

Erklären läßt sich diese Verweigerung wohl nur dadurch, daß den Gesetzesverfassern der endgültige Abschied vom Verschulden mit Blick auf die ihnen geläufigen Lehren Unbehagen bereitete, da er als zu weitgehend erschien, sollte doch nur der vorhandene Rechtsstoff kodifiziert werden. Im Gegensatz zum Werkvertragsrecht, wo sich das BGB von den Fesseln der Tradition freimachen konnte164, sahen sich die Verfasser des BGB bei der Regelung des Rücktritts im allgemeinen Leistungsstörungsrecht durch die Verschuldensabhängigkeit noch dem Standpunkt des gemeinen Rechts verbunden, den sie vorfanden 165. Nicht wahrgenommen wurde dabei, daß sich das BGB auch mit der Kodifizierung des § 3261 BGB schon längst von diesem Standpunkt entfernt hatte. Denn in § 3261 BGB ist es nicht mehr die Funktion des Schadensersatzes, die das Rücktrittsrecht begründet, sondern die durch Fristablauf feststehende dauerhafte Nichterfüllung führt für den Gläubiger zur Unzumutbarkeit der vertraglichen Bindung. Es ist also die Geschichte des Rücktrittsrechts selbst, die dazu drängt, den Entwicklungsprozeß dort wieder aufzunehmen, wo der Gesetzgeber ihn unterbrochen hat und in Fortführung des im BGB Erreichten das Erfordernis des Verschuldens für den Rücktritt insgesamt fallen zu lassen166. Daß der Kommissionsentwurf sein Rücktrittsrecht in § 323 KE verschuldensunabhängig ausgestaltet und sich dabei auch auf den Modellcharakter des § 3261 BGB beruft, ist demnach grundsätzlich zu begrüßen. cc) Das Bedürfnis nach verschuldensunabhängiger Lösung vom Vertrag Jakobs hat das Problem, ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht für das BGB zu rechtfertigen, zutreffend auf die Notwendigkeit verengt, zum einen die geschichtliche Bedingtheit der Regelung nachzuweisen und zum anderen ein dahingehendes praktisches Bedürfnis darzulegen167. Daß mit der Einführung eines verschuldensunabhängigen Rücktrittsrechts kein dogmatischer Fremdkörper ins BGB gelangt, sondern vielmehr eine dort schon angelegte Entwicklung konsequent fortgeführt wird, ist gerade beschrieben worden. Es bleibt also die Frage nach dem praktischen Bedürfnis, die unschwer zu bejahen ist. Die frühzeitige und klare Lösung von den Vertragspflichten hat für den Vertragstreuen Teil unmittelbare und entscheidende Bedeutung, denn er muß gerade zur Geringhaltung des Schadens neue Entscheidungen für die Zukunft treffen können, 164

So Weitnauer, ebenda S. 105. Jakobs in FS für Mann (S. 55 f.) sieht in der Ablehnung des Antrages eine dogmatische Bewußtlosigkeit und die immer wieder zu treffende Feststellung dokumentiert, daß das, was im ersten Entwurf dogmatisch nicht erreicht war, von der Kommissionsmehrheit nicht mehr geleistet werden konnte. 166 Kritisch zu einer Verschuldensunabhängigkeit des Rücktrittsrechts äußert sich Wiedemann, System S.367, 376ff. 167 Jakobs in FS für Mann S.42. 165

238

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

ohne durch die Bindung aus dem bisherigen Vertrag belastet zu bleiben. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann hier nicht helfen, denn der Schadensersatz für die nicht erbrachte Leistung ist inhaltlich etwas ganz anderes als die ursprünglich geschuldete Vertragserfüllung. Neben den Anspruch auf Schadensersatz für die Störung des Vertrages tritt deshalb als gleichrangiges Interesse die Wiederherstellung der Dispositionsfreiheit 168 durch Lösung vom Vertrag. Erst die Befreiung von den alten Vertragspflichten erlaubt eine Ersatzbeschaffung oder anderweitige Disposition. Für dieses berechtigte Interesse des Vertragstreuen Teiles an der Wiedergewinnung seiner Dispositionsfreiheit ist es aber ohne Bedeutung, ob die Nichterfüllung der Leistung vom Schuldner zu vertreten ist oder nicht, ob also Verzug vorliegt oder die Verzögerung169 auf Umständen außerhalb des Verantwortungsbereiches des Schuldners beruht. Die Diffenzierung nach zu vertretender und nicht zu vertretender Säumnis stellt daher ein für die Zumutbarkeit der vertraglichen Bindung sachfremdes Kriterium dar. Daß ein dementsprechendes praktisches Bedürfnis nach verschuldensunabhängiger Lösung von der vertraglichen Bindung die Praxis und die Überlegungen der Literatur lange schon prägt, dokumentieren darüberhinaus auch die Versuche, einen solchen Rechtsbehelf aus dem im BGB vorhandenen Instrumentarium abzuleiten; Versuche, die in § 3231 KE ihren legitimen Platz finden würden. dd) Rücktritt, Nichterfüllung und Haftung Die Lösung des Rücktrittsrechts vom Erfordernis des Verschuldens und damit vom Sorgfaltspflichtsverstoß erweist sich als sinnvoll auch vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Leistungspflichten und Schutzpflichten. Die Verknüpfung dieser verschiedenartigen Pflichten und ihrer Störungen in den Störungstatbeständen des geltenden Leistungsstörungsrechts verstellt den Blick für die Vorgänge im Organismus Schuldverhältnis; hier führt § 3231 KE für die Störungen der Leistungspflicht zu mehr Transparenz170. Daß die Verletzung einer Schutzpflicht entscheidend nur für die Frage nach der sekundären Verpflichtung auf Schadensersatz ist, wurde schon mehrfach betont. Den Verfassern des BGB fehlte durchaus nicht das Bewußtsein, daß die Verletzung einer Schutzpflicht nur ihre Entwicklung zum Schadensersatzanspruch zur Folge hat, dies zeigt die oben dargelegte Entwicklung des Rücktrittsrechts im BGB. Sie scheuten sich jedoch vor der Konsequenz, daß das Rücktrittsrecht demzufolge einen ganz anderen Ansatzpunkt als den Sorgfaltspflichtverstoß haben muß, nämlich die 168

Leser in FS für Wolf S. 373, 375, 387. Bei der dauerhaften Nichterfüllung hilft § 3231 BGB. 170 Anders muß möglicherweise die Bewertung des § 323 KE ausfallen, wo es nicht um die Störungen der Leistungspflicht geht, sondern um Schutzpflichtverletzungen, die nicht zu einer Störung der Leistungspflicht führen. Dem wird unten §81 nachgegangen. 169

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

239

Störung des Vertrages und deren Ausmaß. Für das Rücktrittsrecht kann eine Schutzpflichtverletzung dann nur mittelbare Bedeutung insofern erlangen, als die fragliche Störung des Vertrages auch auf einer Schutzpflichtverletzung beruhen kann. Nur von der Störung des Vertrages und ihrem Gewicht jedoch darf die Gewährung des Rücktrittsrechts als Ausnahme zum Grundsatz des „pacta sunt servanda" abhängen; ob diese Störung auf einem Sorgfaltspflichtverstoß beruht oder nicht, ist für ihre Existenz und ihr Ausmaß dabei unerheblich171. Ist die Störung auf eine Schutzpflichtverletzung zurückzuführen, so liegt im Sorgfaltspflichtverstoß für das Rücktrittsrecht ein Begründungsüberschuß, der einen - zusätzlichen - Schadensersatzanspruch trägt 172, nicht aber das Rücktrittsrecht 173. Das verschuldensunabhängige Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes öffnet das Bewußtsein für diese Zusammenhänge wieder. ee) Rücktrittsgrund und Begriff der Pflichtverletzung Nicht überzeugen kann demgegenüber, daß sich im Kommissionsentwurf das für den Rücktritt entscheidende Kriterium, die schwere Vertragsstörung hinter dem einheitlichen Begriff der Plichtverletzung, § 3231 S. 1 KE verbirgt. Knüpft man das Rücktrittsrecht derart an den Begriff der Pflichtverletzung, dann wird das eigentliche Verhältnis der Pflichtverletzung zur schweren Vertragsstörung verschleiert, denn die schwere Vertragsstörung stellt im System des Kommissionsentwurfs zwar immer auch eine Pflichtverletzung dar; nicht aber ist umgekehrt jede Pflichtverletzung auch eine schwere Vertragsstörung. Die Kommission überdehnt für den Bereich des Rücktritts also den Begriff der Pflichtverletzung; die äußere Vereinheitlichung des gesamten Systems im Begriff der Pflichtverletzung erreicht sie damit nur auf Kosten einer sorgfältigen Herausarbeitung der Begründung, die das Rücktrittsrecht trägt. Wie sehr der Begriff der Pflichtverletzung gerade als Anknüpfungspunkt für das Rücktrittsrecht strapaziert wird, zeigt sich daran, daß sogar die Nichtleistung des Schuldners, die vom Gläubiger zu verantworten ist, eine Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 S. 1 KE darstellt, die den Gläubiger grundsätzlich zum Rücktritt berechtigt. Diese nur schwer nachvollziehbare Wertung ist eine unumgängliche Folge der Lösung des Rücktrittsrechts vom Verschulden, denn diese Lösung gilt ja nicht nur für Pflichtverletzungen des Schuldners, sondern eliminiert auch das Verschulden auf der Gläubigerseite als das notwendige Korrektiv zu dessen Rücktrittsberechtigung174. 171

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schlechtriem in FS für Müller-Freienfels S. 525,

542. 172 173 174

Vgl. §§ 3231 KE i. V. m. § 3271, II KE, dazu eingehend unten § 8 II. Siehe dazu auch das Beispiel unten §8 II 5 c) in seiner 1. Abwandlung. Dazu und zu § 323 III Nr. 3 KE noch einmal unten V4.

240

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht b) Lösung des Rücktritts

von der Anknüpfung an Störungsformen

Schon im Zusammenhang mit § 275 S. 1 KE und auch bei der allgemeinen Betrachtung des Begriffs der „Pflichtverletzung" ist angeklungen, daß die Vereinheitlichung aller Störungsformen in der,»Pflichtverletzung" zur Streichung verschiedener Tatbestände des geltenden Rechts geführt hat. Die typisierten Störungstatbestände der §§ 306 ff., 280, 284 ff. und 323-325 BGB lösen sich im einheitlichen Grundtatbestand der Pflichtverletzung, §§ 2801 S. 1 KE und § 3231 S. 1 KE sowie in der Regelung der Leistungsgrenze, § 275 S. 1 KE auf. § 326 BGB existiert ebenfalls nicht mehr, seine Funktionen als Übergang zum Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung oder als Begründung des Rücktrittsrechts finden sich aber im Kommissionsentwurf in den §§ 2831 und 3231 KE wieder. aa) Ersetzung der Störungstatbestände durch das Erfordernis der Nachfristsetzung, § 3231 S. 1 KE Ersetzt werden soll die Einteilung nach Störungstatbeständen für den Bereich des Rücktritts durch das Erfordernis der Fristsetzung, § 3231 S. 1 KE. Wahrend das geltende Recht die Schwere der Störung, die die Lösung vom Vertrag rechtfertigen soll, grundsätzlich an den objektiven Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug orientiert, geht der Kommissionsentwurf von der erfolglosen Nachfristsetzung aus, um die Störung als so gewichtig zu qualifizieren, daß sie den Rücktritt erforderlich macht175: „Vertragsauflösender Rücktritt soll als tief einschneidender Rechtsbehelf nur dann zur Verfügung stehen, wenn die Pflichtverletzung erheblich ist, wovon nach Fristablauf regelmäßig auszugehen ist."176 Diese Verallgemeinerung ist nicht unbedenklich, denn sie bedeutet, daß grundsätzlich jede Pflichtverletzung durch Setzen und Ablauf einer Nachfrist zu einer Vertragsstörung „aufgebläht" 177 werden könnte, die den Rücktritt rechtfertigt 178. Die Senkung der Rücktrittsschwelle und die Schwächung der Vertragsstabilität wären 175 Daß die Nachfristsetzung die Unmöglichkeit ersetzt, ergibt sich auch aus dem Gegenschluß zu § 323 II Nr. 1 KE, denn nach dieser Norm ist die Fristsetzung entbehrlich, wo die Nichterfüllung wegen Unmöglichkeit feststeht. 176 Bericht S. 166; so auch das Kommissionsmitglied Heinrichs in seinem Vortrag, S. 13. Vgl. auch Leser in FS für Wolf S. 373,383 zum entsprechenden Vorgehen im EKG (Artt. 27 II, 62 II, 44, 51,66 II), ebenso im CISG in Artt. 491, 63, 64. 177 So Schlechtriem, Vortrag S. 33. 178 Kritisch zu dieser Verallgemeinerung auch Kriechbaum in JZ 1993 S.642,647, die fordert, daß grundsätzlich für alle Pflichtverletzungen (außer denen des § 323 III Nr. 2 KE) das Kriterium des Interessefortfalls des § 3231S. 3 KE mitberücksichtigt werden müsse, da das Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes sonst zu weit ginge. Skeptisch äußern sich auch Emst in JZ 1993 S. 801, 807 und das Kommissionsmitglied Bambring (in Sonderheft zu DNotZ 1993 S. 81), der befürchtet, daß die Hürde für den Rücktritt zu niedrig sei; ähnlich Amann, DNotZ 1993 S.83, 86 f.

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

241

die Folge; der Einfluß der Vertragstreuen Partei auf den Fortbestand des Vertrages hingegen wäre gestärkt. Diese Bedenken können jedoch für den hier behandelten Bereich der Nichterfüllung der Leistungspflicht zurückgestellt werden, da die Nichterfüllung der Leistungspflicht per se geeignet ist, eine schwere Vertragsstörung auszulösen, wie auch die Fristregelung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB zeigt. Die erfolglose Nachfristsetzung in den § 3261 BGB und § 2831 BGB führt dazu, daß sich die Nichterfüllung der Leistungspflicht dis feststehend darstellt, so daß dem Gläubiger wie bei der Unmöglichkeit der Rücktritt zur Wiedererlangung seiner Dispositionsfreiheit ermöglicht werden muß179. Dem entspricht die Nachfristsetzung in § 3231 S. 1 KE für die Nichterfüllung der Leistungspflicht. Herabgesetzt werden die Voraussetzungen des Rücktritts aber in anderer Hinsicht: Wo das geltende Recht dem Gläubiger die Lösung vom Vertrag (bzw. den Übergang zum sekundären Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung) durch Fristsetzung ermöglicht, kombiniert es diese mit der Ablehnungsandrohung, §§2831 S. 1 und 3261 S. 1 BGB. Diese soll dem Vertragsbrüchigen Teil die Bedeutung der Fristsetzung als Schwelle zum Rücktritt klar vor Augen führen 180. Der Kommissionsentwurf ersetzt diese sinnvolle Kennzeichnung der Folgen der Fristsetzung durch die Voraussetzung, daß der Schuldner aufgrund der Fristsetzung mit dem Rücktritt „rechnen mußte" und reduziert dieses Merkmal letztlich auf das Erkennen der Bedeutung der verletzten Pflicht 181. Daß auf diese Weise nicht die erforderliche Deutlichkeit erreicht wird, liegt auf der Hand; die Frage, ob der Vertrag durch die Fristsetzung wirksam aufgehoben ist und dementsprechende Dispositionen getroffen werden können, bleibt für beide Parteien mit erheblichen Unsicherheiten belastet.

179 Unrichtig ist es daher, wenn Schlechtriem (in FS für Müller-Freienfels S. 525,529) ausführt, die Frist des § 3261 BGB bewirke eine Klärung der Interessenlage; genauer, ob die Versäumung der Leistungszeit ein solches Ausmaß der Interessenbeeinträchtigung erreicht, daß es die Auflösung des Vertrages rechtfertigt. Durch die Nichterfüllung der Leistungspflicht muß durchaus nicht das Interesse an der noch möglichen Leistung beeinträchtigt sein; wo der Schuldner nach Fristsetzung und Ablehnungsandrohung aber dieses Interesse nicht befriedigt, muß es als feststehend gelten, daß es nicht mehr befriedigt wird. Das Interesse und seine Beeinträchtigung gewinnt Bedeutung erst bei den §§28611, 3251S. 2 und 326II BGB. 180 Ist die Leistung unmöglich, ergibt sich der Übergang zum sekundären Rechtsbehelf für den Schuldner mit hinreichender Deutlichkeit daraus, daß er die Leistung nicht mehr erfüllen kann. »« Dazu oben IV 4 a).

16 Kuhlmann

242

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht bb) Fristsetzung und Erfüllungsvorrang

Dadurch, daß die erfolglose Nachfristsetzung im Kommissionsentwurf über das Ausmaß der Störung des Vertrages entscheidet182, fällt ihr eine weitere, wichtige Aufgabe zu, nämlich die Sicherung des Vorranges der Erfüllung in forma specifica. Das geltende Recht geht vom Grundsatz des Vorrangs der Naturalerfüllung erst ab, wenn und weil die Nichterfüllung feststeht 183. Ausdruckfindet das vorrangig in der an die Unmöglichkeit gebundene Befreiung in den §§ 280, 325 BGB, aber auch in der erfolglosen Nachfristsetzung mit Ablehnungsandrohung, § 3261 und § 2831 BGB. Der Kommissionsentwurf trennt sich in seinem System von der Unmöglichkeit und reduziert die Schwelle zum Übeigang auf sekundäre Rechtsbehelfe auf die erfolglose Fristsetzung. Ein zentrales Element des geltenden Leistungsstörungsrechts, der Erfüllungsvorrang wird damit komplett verortet, tatbestandlich aufgeweicht und vollständig184 in die Hand der Parteien gelegt. Der Abschlußbericht erwähnt dazu lediglich, die Fristsetzung solle nun „den Vorrang des Erfüllungsanspruches sichern und damit allgemein die Aufgabe übernehmen, die im geltenden Recht von den einzelnen Leistungsstörungstatbeständen mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen nur unzulänglich erfüllt wird." 185Das dies einen wesentlichen Eingriff in das System des BGB darstellt, verschweigt der Abschlußbericht186.

c) Vertragsauflösung

durch Parteiakt

Weniger gravierend sind die Änderungen, die sich aus der Entscheidung der Kommission ergeben, den Rücktritt einheitlich von einer einseitigen, rechtsgestaltenden Erklärung, § 349 BGB abhängig zu machen187. Das geltende Recht kennt sowohl die ipso iure eintretende Befreiung in den §§275,323 BGB als auch den Rücktritt durch Erklärung, beispielsweise in den §§ 325, 326 BGB 188 . Es überwiegt die Abhängigkeit des Rücktritts vom Parteiakt, und auch die ipso iure-Befreiung des § 3231 BGB bedarf der Erklärung, wenn sie im Rahmen des § 3251 BGB als Teil des ius variandi gewählt wird.

182

Vgl. §§ 3231S. 1,2831S. 1; 307 II S. 1; 4391,4411,6371,6391 KE. Jakobs, Unmöglichkeit S. 48 ff., 261 ff. 184 Ein Korrektiv für den Rücktritt bilden hier lediglich § 323 III Nr. 1 und Nr. 2 KE: Bestimmungen, die für den Übeigang auf den Schadensersatz des § 283 KE gänzlich fehlen. 185 Bericht S. 30f.; vgl. auch S. 20. 186 Die von Emst (JZ 1993 S.801,804) befürchtete „Preisgabe" des Gläubigerrechts auf Erfüllung in forma specifica scheint indes etwas zu weitgehend. 187 Vgl. dazu auch Schlechtriem, Vortrag S. 35 und Stümer in FS für Brandner S. 635,639. 188 Vgl. auch den Wandelungsvertrag, §§462,465 BGB. 183

IV. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE

243

aa) Vereinheitlichung der Parteiabhängigkeit Auch bei der Frage der Parteiabhängigkeit des Rücktritts bringt die Vereinheitlichung dieser Lösung für alle Störungsformen aber verschiedene Probleme mit sich. Für den Fall der Unmöglichkeit ist schon oben angesprochen worden, daß die Abhängigkeit der Vertragsauflösung vom Parteiakt notwendig ins Leere geht. Es ist nur sinnvoll, die Umgestaltung des Schuldverhältnisses von einem Parteiakt abhängig zu machen, wenn dem Ausübenden damit eine Wahlmöglichkeit an die Hand gegeben wird. Wo eine nicht zu vertretende Unmöglichkeit vorliegt, fehlt es aber an dieser Wahlmöglichkeit, die Rücktrittserklärung wird hier zu einer sinnlosen Formalie 189. Die Einebnung sachlich gerechtfertigter Differenzierungen erweist sich auch hier als Preis der Vereinheitlichung. Eine weitere Schwäche weist der Reformentwurf im Gegensatz zum BGB mit seiner einheitlichen Lösung auf: Dem Schuldner, der die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, zeigt der Kommissionsentwurf keinen Weg auf, wie er sich nach einer angemessenen Frist selbst vom Vertrag lösen kann, um nicht bei einer Nichterfüllung auf unabsehbare Zeit an den Vertrag gebunden und damit in seiner Disposition eingeschränkt zu sein190.

bb) Das Wahlrecht des § 323 Abs. V KE Das Problem, daß durch die Abhängigkeit des Rücktritts vom Gläubiger für den Schuldner eine unbefriedigende Schwebelage entsteht, wird ebenfalls akut, wo es nicht nur um die Wahl des Gläubigers zwischen Rücktritt und Vertragsfortbestand geht, sondern um die Wahl zwischen Rücktritt und Schadensersatz. Im geltenden Recht entsteht dieses Problem erst gar nicht, da bei Unmöglichkeit die Leistungspflicht des Schuldners erlischt; bei Verzug gemäß § 3261 S.2 letzter HS. BGB mit Fristablauf zwangsläufig die Befreiung des säumigen Vertragspartners eintritt 191, dem Gläubiger eine Wahlmöglichkeit also gar nicht an die Hand gegeben 189 Sachgerecht ist deshalb die ipso iure Befreiung des § 3231 BGB. Daß auch der Kommissionsentwurf das grundsätzlich anerkennt zeigt sich daran, daß wenigstens die Fristsetzung gemäß § 323 II Nr. 1 KE entbehrlich wird. 190 Neben der Sache liegt der Hinweis von Brüggemeier in seinem Referat auf dem DJT 1994 Bd. II/l Κ 47,75, daß der Schuldner sich durch § 275 KE von seiner Leistungspflicht befreien könne. Wie oben schon ausführlich dargelegt, führt § 275 S. 1 KE eben nicht zur Befreiung, zum Erlöschen der Leistungspflicht, sondern hemmt die kontinuierlich fortbestehende Leistungspflicht lediglich in ihrer Durchsetzbarkeit. 191 Leser (in FS für Wolf S. 373,385) sieht darin für den Gläubiger eine Bindung, die weiter geht als nötig. Leser muß jedoch widersprochen werden, da der Gläubiger sich in unmittelbaren Widerspruch zu seiner Ablehnungsandrohung setzen würde, wenn er nach Fristablauf gleichwohl Erfüllung verlangt: venire contra factum proprium.

16»

244

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht 192

wird . Das Wahlrecht zwischen Erfüllung und Rücktritt ist für den Kommissionsentwurf also ein „hausgemachtes" Problem. Regelungsbedürftige Ausmaße entwikkelt es erst dadurch, daß der Kommissionsentwurf - im Gegensatz zum BGB - die Leistungspflicht des Schuldners immer fortbestehen läßt. Entschärfen will der Kommissionsentwurf diese Schwebelage durch § 323 Abs. V KE: „Der Schuldner kann dem Gläubiger für die Ausübung des Rücktrittsrechts eine angemessene Frist setzen. Übt der Gläubiger das Rücktrittsrecht innerhalb der Frist nicht aus, so kann er vom Vertrag erst nach erfolglosem Ablauf einer von ihm bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zurücktreten." 193

Es liegt aber auf der Hand, daß diese Regelung als weitgehend unbrauchbar für ihren Zweck angesehen werden muß. In Gang gesetzt wird damit nur ein Wechselspiel gegenseitiger Fristsetzungen; Klarheit für den Schuldner besteht jedoch immer nur für eine begrenzte Zeit, nämlich genau bis der Gläubiger nach seinem Belieben wieder eine neue Frist setzt. In den Erläuterungen wird dieses Problem wohl gesehen, doch wird dagegen eingewandt, daß der Schuldner vor dem Andauern des Schwebezustandes dadurch ausreichend geschützt sei, daß er die Leistung ja rechtzeitig erbringen könne und erbringe, wozu er verpflichtet sei194. Verweist man den Schuldner für die Klärung der Schwebelage derart auf die Erfüllung seiner ursprünglichen Leistungspflicht, hätte es der Regelung des § 323 V KE allerdings nicht bedurft, da der Schuldner selbstverständlich und immer erfüllen soll. Ignoriert wird darüberhinaus, daß es gerade die Störung dieser Erfüllungspflicht ist, die überhaupt zur klärungsbedürftigen Lage führt und deshalb auch eine Regelung erforderlich macht, die sich am Vorliegen einer Störung orientiert, nicht aber an der Erfüllbarkeit der Leistungspflicht.

V. Verantwortlichkeit des Gläubigers für ein Leistungshindernis, § 324 KE An das zentrale Rücktrittsrecht des § 323 KE schließt sich mit § 324 KE eine Regelung für den Fall an, daß der Gläubiger für die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Leistung durch den Schuldner verantwortlich ist oder der leistungshindernde Umstand während des Gläubigerverzuges eintritt 195. § 324 KE entspricht damit in 192

Vgl. auch §3761S. 2 HGB. Diese Vorschrift entspricht im wesentlichen § 283 V KE; Zielsetzung ist „auch dort, die für den Schuldner unbefriedigende Schwebelage zu vermeiden, während derer er nicht absehen kann, ob von ihm noch Erfüllung verlangt wird." (Bericht S. 136). 194 So der Abschlußbericht, S. 171. Vgl. auch S. 136: Die Regelung klinge zwar recht kompliziert, besondere Schwierigkeiten brauche man aber angesichts der „gewiß selten vorkommenden Durchführung" nicht befürchten. 195 Bericht, S. 172. 193

V. Verantwortlichkeit des Gläubigers für ein Leistungshindernis, § 324 KE

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196

Regelungsort und Regelungsgegenstand § 324 BGB . Die diesem zugrundeliegende Wertung, daß die Verantwortung des Gläubigers für die Leistungsstörung das Risiko auf den Gläubiger übergehen läßt197, der Gläubiger also zu seiner Gegenleistung verpflichtet bleibt, sollte nach dem Willen der Kommission auch im Entwurf unverändert zum Ausdruck kommen.

1. Sprachliche Fassung des § 324 KE Die Auflösung der ipso iure Befreiung des § 3231 BGB im Rücktrittsrecht des § 323 KE und die Neufassung des § 275 KE machten jedoch auch für § 324 KE entsprechende Folgeänderungen erforderlich. Die Fassung des § 324 KE trägt dem Rechnung, indem nicht mehr auf die Unmöglichkeit der Leistungserbringung abgestellt wird, sondern auf die Leistungsverweigerung nach § 275 S. 1 KE und den die Einrede des § 275 S. 1 KE begründenden Umstand. § 3241 S. 1 KE:" Kann bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner die ihm obliegende Leistung nach § 275 S. 1 BGB-KE verweigern und ist der Umstand, der ihn dazu berechtigt, von dem Gläubiger zu vertreten, so behält er den Anspruch auf die Gegenleistung.198 Er muß sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterläßt." Daß die sprachliche Anpassung nicht konsequent durchgeführt wurde, zeigt Satz 2, der noch auf die „Befreiung von der Leistung" abstellt. In seinen Erläuterungen zu § 324 KE betont der Abschlußbericht selber, daß nach der Neufassung des § 275 KE der Schuldner nicht mehr befreit werde, sondern nur ein Leistungsverweigerungsrecht erhalte199. Warum die Kommission gleichwohl diesen Umstand in Satz 1, nicht mehr aber in Satz 2 des § 324 KE berücksichtigt, ist nicht nachzuvollziehen200. Völlig unverständlich wird es aber, wenn der Kommissionsentwurf im Anschluß an § 3241 KE als Absatz Π fortfährt: i yDies gilt nicht, wenn der die Einrede begründende Umstand zu einer Zeit eingetreten ist, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist."

Angesichts der Erläuterungen zu § 324 KE im Abschlußbericht, die den Gläubigerverzug - im Einklang mit dem BGB - gerade in die Regelung des § 324 KE einbeziehen, kann es sich bei der den Gläubigerverzug ausschließenden, gegenteiligen 196

Zu §324 oben §5 VI. Ebenda. 198 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den gutachterlichen Vorschlag von Huber (Gutachten S. 847): „Vertragsverletzung des Gläubigers". 199 Bericht, S. 172. 200 § 3241S. 2 KE entspricht wörtlich § 3241S. 2 BGB. 197

246

§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Fassung des § 324 Abs. II KE nur um ein - allerdings beachtliches - redaktionelles Versehen handeln. Hier hätte es wohl, entsprechend der parallelen Bestimmung des § 324 Abs. I I BGB heißen sollen: t yDas gleiche gilt, wenn der die Einrede begründende Umstand zu einer Zeit eingetreten ist, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist."

2. Das Vertreten des Gläubigers und der Pflichtverletzungsbegriff des Kommissionsentwurfes Zu der Frage, welche Umstände der Gläubiger denn „zu vertreten" hat, nimmt auch der Kommissionsentwurf keine Stellung201. Bemerkenswert scheint in diesem Zusammenhang, daß die Kommission wohl nicht zu der Erwägung gekommen ist, auch die Gläubigerverantwortlichkeit für das Leistungshindernis als „Pflichtverletzung" zu verstehen und so in das einheitliche System integrieren zu können. Der umfassende Begriff der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf hätte es nahegelegt zu fragen, ob nicht eine Pflichtverletzung des Gläubigers darin liegt, daß er - allein oder überwiegend - für den die Erfüllung hindernden Umstand verantwortlich ist202. In § 324 KE muß stattdessen der rechtskonstruktiv ebenso umständliche wie lebensferne Umweg eingeschlagen werden, auf die Verantwortlichkeit des Gläubigers für die intransitiv zu verstehende Pflichtverletzung des Schuldners abzustellen: Der Gläubiger hat zu vertreten, daß der Schuldner die Einrede aus § 275 S. 1 KE erhebt und durch diese rechtmäßige Nichterfüllung des Leistungsanspruches eine Pflichtverletzung vorliegt203. Markant zeigt § 3241 KE damit, wie eine Störung, die im Kommissionsentwurf nicht selbst als Pflichtverletzung eingeordnet wird, trotzdem der Zentrierung im Grundtatbestand der Pflichtverletzung unterliegt. Offensichtlich ist, daß das Merkmal des „Vertretens", wie immer es auch inhaltlich auszufüllen ist, wieder und entgegen der Auflösung der Störungsformen in § 275 KE zur Konkretisierung der Störungsform und ihrer Ursachen zwingt, denn das fragliche Leistungshindernis muß für § 3241 KE in Beziehung zum Gläubigerverhalten gesetzt werden.

201 Ebenso bleibt die Frage ausgespart, wie sich das Verhältnis des § 324 KE zum Anspruch des Schuldners auf Schadensersatz gestaltet, ob also der Schuldner über den Anspruch auf die Gegenleistung des Schuldners hinaus auch noch einen Schadensersatzanspruch geltend machen kann. Folgt man der heute wohl überwiegenden Meinung, die die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches aus pFV bejaht, dann bliebe dementsprechend ein Anspruch des Schuldners aus § 2801 KE von § 324 KE unberührt, sofern sich das in Frage stehende Verhalten des Gläubigers als Pflichtverletzung einordnen läßt. Zu dieser Einordnung sogleich im Text. 202 Beispielsweise durch die Verletzung einer Mitwirkungspflicht. 203 Dazu noch einmal unten 4.

V. Verantwortlichkeit des Gläubigers für ein Leistungshindernis, § 324 KE

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3. Systematische Aspekte des § 324 KE In systematischer Hinsicht führt § 324 KE bei näherer Betrachtung und im Gesamtkontext des Kommissionsentwurfs zu bedeutenden Änderungen. Das Vertreten des Umstandes, der zum Leistunghindernis geführt hat,findet im geltenden Recht in den Unmöglichkeitsvorschriften der §§280,323,325 BGB seine tatbestandliche Entsprechung, da auch in diesen Vorschriften die Rechtsfolgen des Vorliegens einer Unmöglichkeit vom Vertretenmüssen der Parteien abhängig gemacht wird. Im Kommissionsentwurf fallen diese korrespondierenden Vorschriften weg, weil § 275 KE alle Störungsformen unabhängig vom Vertretenmüssen in sich vereinigt. § 324 KE wird dadurch zur einzigen Vorschrift, die entgegen der Grundnorm § 275 KE ausdrücklich nach dem Grund des Leistungshindernisses fragt und erscheint auf diese Weise im System des Reformentwurfes plötzlich als Fremdkörper. Am deutlichsten zeigt sich das vor dem Hintergrund des Wegfalls von § 323 BGB. § 323 und § 324 stehen im BGB in einem Regel - Ausnahme Verhältnis, das das grundsätzliche synallagmatische Gefüge der Hauptleistungspflichten sowie die Gefahrtragungsregeln und ihre Ausnahmen verdeutlicht. Im Kommissionsentwurf bleibt nach der Streichung des § 323 BGB von diesem Regel - Ausnahme Verhältnis mit § 324 KE nur noch die Ausnahme übrig, deren derart gekennzeichnete Funktion mangels einer Regel sinnlos wird. § 324 KE stellt sich im Kommissionsentwurf also nunmehr als ein Relikt eines Systems dar, dessen weitere Elemente im Grundtatbestand der Pflichtverletzung und in § 275 KE aufgelöst werden. Es zeigt sich an diesem Relikt darüberhinaus, daß im einheitlichen Pflichtverletzungssystem des Kommissionsentwurfes durch die Einebnung der Unmöglichkeitsvorschriften auch das gesamte synallagmatische Gefüge der Hauptleistungspflichten in seiner Deutlichkeit verschüttet wird; nichts anderes gilt für die Gefahrtragungsregeln 204. Hier werden durch den Reformvorschlag Grundstrukturen, die das allgemeine Schuldrecht tragen, nicht abgeschafft, aber in einem Ausmaß verwässert, das dem Anliegen größerer Transparenz des Gesetzes unmittelbar entgegenwirkt und das Bewußtsein für elementare Zusammenhänge erheblich schwächt: Wiederum erreicht die Kommission die Vereinheitlichung nur auf Kosten der deutlichen Herausarbeitung wesentlicher Elemente.

4. Rücktrittsausschluß gemäß § 323 I I I Nr. 3 KE In anderer Hinsicht wird das Regel - Ausnahme Verhältnis zwischen § 323 und § 324 im Kommissionsentwurf wieder aufgenommen, und zwar derart, daß das Rücktrittsrecht des § 3231 KE ausgeschlossen ist, wenn der Gläubiger für die das 204

Gestrichen wird im Kommissionsentwurf auch §447 BGB; die Unterscheidung zwischen Stück- und Gattungsschuld wird ersetzt.

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Rücktrittsrecht begründende Pflichtverletzung des Schuldners allein oder überwiegend verantwortlich ist, § 323 III Nr. 3 KE. Das ist sachlich zutreffend, stellt aber nur die Lösung für ein hausgemachtes Problem des Kommissionsentwurfes dar, denn im geltenden Recht bleibt der Gläubiger der unmöglich gewordenen Leistung sowieso an den Vertrag gebunden; mangels Rücktrittsmöglichkeit muß eine solche für den verantwortlichen Gläubiger auch nicht eingeschränkt werden. Im System des Reformentwurfs hingegen wird für das Rücktrittsrecht lediglich auf das Vorliegen einer Pflichtverletzung abgestellt, § 3231 S. 1 KE. Eine Pflichtverletzung des Schuldners liegt nach dem umfassenden Verständnis der Kommission aber auch dort vor, wo die Nichterfüllung der Leistungspflicht des Schuldners auf Umständen beruht, die der Gläubiger zu vertreten hat. Spätestens hier wird der Begriff der Pflichtverletzung auch in seinem intransitiven Verständnis endgültig überstrapaziert: Bei der durch den Gläubiger zu verantwortenden Nichterfüllung der Leistungspflicht von einer Pflichtverletzung des Schuldners zu sprechen, übersteigt die begrifflichen Grenzen, die dem Rechtsanwender zumutbar sind205. Für den Kommissionsentwurf ist die Konsequenz jedoch nur, dem Gläubiger in diesen Fällen das Rücktrittsrecht durch § 323 III Nr. 3 KE zu nehmen206, um offensichtlich unsinnige Folgen der verschuldensunabhängigen Ausgestaltung des Rücktrittsrechts zu vermeiden. Daß sich der Ausschluß des Rücktrittsrechts allerdings schon aus dem Gegenschluß zu § 3241 KE ergibt, ignoriert die Kommission. Denn wenn diese Vorschrift als Rechtsfolge der Gläubigerverantwortlichkeit den Bestand der Gegenleistungspflicht des Gläubigers anordnet, kann er sich wohl kaum von dieser durch den Rücktritt gemäß § 3231 KE lösen, ohne daß § 3241 S. 1 KE jegliche Funktion verlöre. Es bliebe für einen sinnvollen Anwendungsbereich die Folgerung, daß § 323 III Nr. 3 KE das Rücktrittsrecht gerade in den Fällen ausschließen soll, in denen sich dieser Ausschluß nicht schon aus der ratio legis des § 3241 S. 1 ergibt. Das wären die Fälle, in denen der Schuldner sich nicht auf § 275 S. 1 KE berufen kann, weil das durch den Gläubiger zu verantwortende Leistungshindernis nicht groß genug ist. Der Abschlußbericht läßt jedoch keinen Zweifel: Dem Gläubiger soll das Rücktrittsrecht für alle Fälle von Pflichtverletzungen des Schuldners genommen werden, die der Gläubiger zu vertreten hat207. Eine Ausnahme soll nur gelten, wo den Gläubiger lediglich eine geringfügige Mitverantwortung trifft, hier bleibt dem Gläubiger das Recht zum Rücktritt unbenommen208. 205

Dazu auch schon oben IIa, b). Bericht, S. 170. 207 Bericht, S. 170. 208 Den Schuldner verweist der Abschlußbericht (S. 170) für diesen Fall auf einen möglichen Schadensersatzanspruch aus § 280 KE, sofern eine Pflichtverletzung des Gläubigers hinsichtlich der Leistungsmöglichkeit und Leistungserbringung vorliegt. Die Kommission übersieht dabei jedoch, daß eben diese Pflichtverletzung des Gläubigers auch den Schuldner zum Rücktritt nach § 3231 S. 1 KE berechtigt, letzlich also beiden Parteien das Rücktrittsrecht zustünde. 206

VI. Fazit: Störungsform und Störungsfolge im System des Kommissionsentwurfs 249

VI. Fazit: Störungsform und Störungsfolge im System des Kommissionsentwurfs Welche elementare Bedeutung die richtig verstandene Funktion der Unmöglichkeit hat, ist kaum besser zu belegen als dadurch, daß sie sich auch im System des Kommissionsentwurfes immer wieder durchsetzt. Die Grundprobleme, die sich in den durch die Unmöglichkeit angesprochenen Abgrenzungsfragen artikulieren, finden sich im Kommissionsentwurf an anderer Stelle wieder, sie werden lediglich aus den Tatbestandsvoraussetzungen gelöst und auf die Rechtsfolgenseite verortet. Das Kommissionsmitglied Schlechtriem hat in seinem - dem Kommissionsentwurf vorausgehenden - Vortrag 209 die Position vertreten, daß es auf die Normierung verschiedener Erscheinungsformen der Leistungsstörungen nicht ankomme, wenngleich „natürlich" die Unmöglichkeit wie schon de lege lata zu behandeln sei. Damit ist etwas wichtiges insoweit angesprochen worden, als die Funktion der Unmöglichkeit tatsächlich einer natürlichen Sachgesetzlichkeit rechtskonstruktiv Rechnung trägt, gleichermaßen naturrechtliche Qualität hat. Es ist diese Eigenschaft als aus der Natur der Sache der Regelung vorgegebene Struktur, die auch den Kommissionsentwurf dazu zwingt, diese Erscheinung in sein System zu integrieren. Die allgemeine Frage liegt damit nahe, ob der Kommissionsentwurf überhaupt der Differenzierung nach Störungsform und Störungsfolge ausweichen kann, oder ob die Differenzierungen immer wieder durchbrechen müssen, weil sie aus der Natur der Sache folgen. Die Antwort wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß jede Pflichtverletzung, jedes Abweichen vom Inhalt des vertraglich Vereinbarten für ihre Funktion als Grundlage einer bestimmten Rechtsfolge der Differenzierung und Qualifizierung nach dem Ausmaß der Pflichtverletzung und ihrer Auswirkung auf das Interesse des anderen Teils bedarf. Das Gewicht der Pflichtverletzung und ihrer Folge wird aber am deutlichsten in der Erscheinungsform der Störung und genau das drängt dazu, verschiedene Erscheinungsformen auch tatbestandlich festzuschreiben, nämlich eben diejenigen, die ein Abweichen vom grundsätzlichen Gefüge von Leistungs- und Schadensersatzpflicht rechtfertigen. Der Kommissionsentwurf will diese tatbestandliche Normierung verschiedener Störungsformen aufgeben; die Differenzierung nach Art und Ausmaß der einer Rechtsfolge korrespondierenden Störungsform muß er deshalb an anderer Stelle leisten. Er tut dies, oft verdeckt und erst im Zusammenspiel mit anderen Normen erkennbar, durch Fristen, Korrektive und tatbestandliche Verengungen innerhalb der Rechtsfolgen. Die Sachprobleme, die diesen Rechtsfolgenmodifizierungen zugrunde liegen sind genau die gleichen, die im BGB zur Modifizierung der Tatbestandvoraussetzungen und Ausprägung verschiedener Störungstatbestände geführt haben210. 209

Bericht S.31; vgl. auch S.22f. und S.25. Sofern sie nicht auf systembedingte, also „hausgemachte" Besonderheiten des Kommissionsentwurfs zurückzuführen sind. 210

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§ 6 Nichterfüllung der Leistungspflicht

Wenn der Kommissionsentwurf also sachlich nichts weiter als eine Verschiebung erreichen kann, nicht aber eine Veränderung, dann bleibt unter dem Strich zunächst nur der Austausch der tatbestandlich umrissenen Störungsformen gegen die ausfüllungsbedürftigen, weil umfassenden Begriffe der Reformvorschläge. Diese Änderung des Kodifikationsstiles ist schon oben211 kritisch beleuchtet worden. Der Kommissionsentwurf entfernt sich bewußt von dem aus dem neunzehnten Jahrhundert stammenden Bestreben, Begriffe zu schaffen, die wegen ihrer objektiven und möglichst genauen tatbestandlichen Fassung Rechtsfolgen allein aufgrund der Subsumtion auslösen. An ihre Stelle treten wenige umfassende Schlüsselbegriffe, die Entscheidungs- und Wertungsspielräume in Ansehung des konkreten Falles freigeben212 und letztlich den Gerichten überantworten213. Zugestanden werden muß in diesem Zusammenhang, daß die begriffliche Abgrenzung verschiedener Störungsfälle notwendig zur Folge hat, daß an den Grenzen harte Unterschiede auftreten. Darüberhinaus hat die Entwicklung des geltenden Rechts gezeigt, daß durch die wertende Einordnung verschiedener Störungsfälle in die Tatbestände des BGB diese über ihre ursprünglichen Grenzen hinweg ausgedehnt worden sind. Zweifelhaft muß es jedoch trotzdem bleiben, ob dieser Befund die Ablösung der Störungstatbestände durch umfassende, einheitliche Begriffe und die dadurch bewirkte Ersetzung der Subsumtion durch die Abwägung rechtfertigen kann, denn es liegt auf der Hand, daß die Abwägung des konkreten Falles ein von der Subsumtion grundsätzlich verschiedener Rechtsvorgang ist. Zweifelhaft muß die Bevorzugung der umfassenden und einheitlichen Begriffe um so mehr sein, wenn diese - wie gezeigt - nur durch die Ausfüllung mit denjenigen Differenzierungen nach Störungsform und - folge zum Leben erweckt werden können, die auch das geltende Recht prägen214. Gänzlich in Frage gestellt wird aber der Versuch, die Störungstatbestände aufzulösen und zur Vereinheitlichung zu gelangen durch den Preis, der dafür im System des Kommissionsentwurfs gezahlt wird: Die begriffliche Ausweitung führt zu einer an Konturenlosigkeit grenzenden tatbestandlichen Aufweichung; die tatbestandliche Vereinheitlichung bleibt vordergründig und hat keinesfalls Vereinfachung zur Folge, sondern birgt vielmehr die Gefahr innerer Selbstwidersprüche und Unstimmigkeiten durch die gleichartige Gestaltung verschiedenartiger Sachverhalte.

211

§4V. Eingehend dazu das Kommissionsmitglied Schlechtriem in seinem Vortrag S.56ff. 213 So auch der Abschlußbericht, S. 169 (zu § 323II KE): „... ist als Auffangtatbestand konzipiert... und soll den Gerichten entsprechende Weitungsspielräume geben." 214 Vgl. zu dieser Frage auch die Nachweise der kritischen Literatur zum Kommissionsentwurf in §4IX. 212

§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf I. Das Haftungssystem des Kommissionsentwurfs 1. § 280 Abs. I, I I KE: Grundtatbestand und Abweichung Die erste große Säule der Rechtsbehelfe des Gläubigers im Falle einer Schutzpflichtverletzung ist die Haftung des Schuldners auf Schadensersatz. Normiert wird mit § 280 Abs. I KE ein allgemeiner Haftungstatbestand, wie ihn auch das BGB in seinen Entwürfen mit § 224 noch enthielt und wie er seit Inkrafttreten der endgültigen Fassung mehrfach wieder angeregt wurde1. Geblieben sind im allgemeinen Schuldrecht des BGB nach der Streichung des allgemeinen Haftungstatbestandes nur noch die Normierung seiner Abweichungen in Voraussetzungen und Rechtsfolgen in den §§ 280,284ff., 324ff. BGB. Mit § 280 Abs.I KE ersetzt die Kommission dieses fehlende Stück wieder undfindet so zurück zu einem geschlossenen System der Normierung von Regel, § 280 Abs. I KE und Abweichungen, § 280 Abs. I I KE. Dieses Haftungssystem ist jedoch deshalb keinesfalls deckungsgleich mit dem des BGB, da der Vorschlag des Reformentwurfs die Anknüpfung der Abweichungen an objektiven Störungstatbeständen aufgibt und durch verschiedene andere Voraussetzungen ersetzt. In den Mittelpunkt ihres Vorschlages stellt die Schuldrechtskommission bei der Haftung auf Schadensersatz den Begriff der Pflichtverletzung: „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen", § 280 Abs.I S. 1 KE. Gemäß § 2801 S. 2 KE gilt dies jedoch nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Satz 2 stellt damit die Verschuldensabhängigkeit2 der 1 Vgl. dazu auch unten § 11VIII m. w. N. der Vorschläge von Heinrich Stoll und Larenz für die Akademie für Deutsches Recht: „Haftung wegen Verschuldens: Jede vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung einer Verbindlichkeit (Schutzpflicht oder Leistungspflicht) verpflichtet zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens." (§ 276 des Vorschlages von Stoll, 1934); „Grundsatz: Haftung für Verschulden. Wer seine Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis oder eine vertragliche Sorgfaltspflicht schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung bleibt unberührt." (§ 3 des Vorschlages von Larenz 1940). 2 Zur erneuten Normierung des Verschuldenserfordemisses in §§284111 und 327 II KE vgl. unten 2f) i. V.m. Fn.38.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Haftung auf Schadensersatz klar. Im Gegensatz zur Situation beim Rücktrittsrecht hat die Möglichkeit einer nicht zu vertretenden, intransitiv zu verstehenden3 Pflichtverletzung bei der Haftung auf Schadensersatz deshalb keine Relevanz4. Es bleibt beim verhaltensbezogenen, transitiven Verständnis5 des Begriffs der Pflichtverletzung. Die Behauptungs- und Beweislast für das fehlende Verschulden liegt entsprechend der §§ 282,285 BGB beim Schuldner, was sich aus der Fassung der Vorschrift ergibt6. Gleichzeitig wird durch die Gegenüberstellung von Satz 1 und Satz 2 deutlich, daß der Begriff der Pflichtverletzung im Kommissionsentwurf das Verschulden nicht notwendig impliziert. Die Rechtsfolge des Haftungsgrundtatbestandes § 2801 KE ist die Pflicht des Schuldners zum Ersatz des Schadens, der aus der Pflichtverletzung entstanden ist. Der Umfang des Schadensersatzes wird also bestimmt durch das Interesse des Gläubigers am Nichteintritt der Pflichtverletzung, das sog. negative Interesse7. Im Gegensatz zu den anderen Rechtsbehelfen des Kommissionsentwurfes ist der Anspruch des Gläubigers auf den Ersatz seines negativen Interesses nicht an die vorherige Setzung einer Nachfrist geknüpft. Der Grund für das Fehlen dieses Fristsetzungserfordernisses wird klar, wenn man sich vor Augen hält, welche Schädigungen des Gläubigers von § 2801 KE erfaßt sind. Es sind dies nämlich die Schädigungen, die nicht den Leistungsgegenstand betreffen, sondern ein sonstiges Rechtsgut des Gläubigers. Wird der Gläubiger an seinem Eigentum oder Körper geschädigt, zu nutzlosen Vermögensaufwendungen veranlaßt oder Ersatzansprüchen Dritter ausgesetzt, so kann die Setzung einer Nachfrist dem Gläubiger nicht mehr dienen, da der schon eingetretene Schaden durch Fristsetzung nicht mehr zu beseitigen ist. Sinnvollen Bezug hat die Fristsetzung also nur da, wo die Pflichtverletzung den Leistungsgegenstand betrifft, für den Ersatz des negativen Interesses ist sie ein Fremdkörper. Nachdem im Grundtatbestand des ersten Absatzes des § 280 KE der Ersatz des negativen Interesses geregelt ist, liegt der systematische Gegenschluß nahe, im zweiten Absatz den Regelungsort für den Schadensersatz auf das positive Interesse zu sehen, der an die Stelle der primären Verpflichtung tritt. 3

Vgl. dazu oben § 4 V I I , VII. Deutlich wird durch die Gegenüberstellung von Satz 1 und Satz 2 des § 280 Abs. I KE zwar, daß der Begriff der Pflichtverletzung im Verständnis der Kommission das Vertreten nicht notwendig impliziert, Bedeutung kann das für die Haftung auf Schadensersatz jedoch nur in den Fällen der Garantiehaftung erlangen, denen durch die leicht geänderte Fassung des § 2761 S. 1 KE Rechnung getragen werden soll (Bericht, S. 123). Auf die Fälle der Garantiehaftung wird im Folgenden jedoch nicht weiter eingegangen. 5 Vgl. dazu oben § 4 V I I , VII. 6 Bericht, S. 130. 7 Für das Kaufrecht vgl. Bericht S. 223 und Rust § 7 II 1 c): § 2801 KE soll nicht den Schaden erfassen, der im Mangel der Sache selbst liegt. 4

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Haftungssystem des Kommissionsentwurfs

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Dieser Gegenschluß ist auch mehrfach gezogen worden und führte zu der - in sich konsequenten - Kritik, daß § 280 Abs. Π KE einen systematischen Bruch aufweise8. Denn von den drei Spezialvorschriften 9 des zweiten Absatzes betreffen lediglich zwei den Ersatz des Erfüllungsinteresses. Nur der „Schadensersatz statt Leistung", Abs. I I S. 1 und der „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages", Abs. I I S. 3 führen zum Ersatz des positiven Interesses, während Abs. I I Satz 2 den Verzögerungsschaden zum Gegenstand hat. Sieht man in § 280 Absatz I I KE den Ersatz des positiven Interesses dem negativen Schadensersatzanspruch in Absatz I gegenübergestellt, dann muß der Ersatz des Verzögerungsschadens freilich als ein systematischer Fremdkörper erscheinen. Doch liegt dieser systematischen Einteilung des § 280 KE ein Irrtum zugrunde. Denn mit Absatz I und Absatz II stehen sich keinesfalls die Haftung auf das negative und das positive Interesse gegenüber, sondern der Grundsatz der allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung und seine besonderen Ausformungen in Rechtsfolge und Voraussetzung. Es ist dies nichts anderes als genau das systematische Vorgehen, das auch das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB prägt: Mit den Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften werden besondere Ausformungen des allgemeinen Haftungstatbestandes gegeben, deren Normierung sich durch die Abweichung von der Grundregel erklärt 10. Sieht man § 280 Absatz I und Absatz I I KE in diesem systematischen Zusammenhang, dann ist der Ersatz des Verzögerungsschadens für Absatz Π auch kein Fremdkörper mehr, sondern wie Satz 1 und Satz 3 einer der Fälle, in denen die Grundregel des Absatzes I zur Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite hin abgeändert oder ergänzt wird 11. Bestätigt wird dieses Verständnis durch den Abschlußbericht, der vom Generaltatbestand des § 280 Absatz I KE spricht, der durch die Spezialvorschriften des § 280 Absatz I I KE ergänzt oder modifiziert wird 12. Die Vorschriften des zweiten Absatzes haben dabei Vorrang vor Absatz I, der so zum Grund- und Aufifangtatbestand wird 13.

8 So beispielsweise Brüggemeier, Referat auf dem DJT 1994, Bd.II/1 Κ 47,65,72 und Ahrens in ZRP 1995 S.417,421. 9 So der Bericht, S. 130. 10 Vgl. auch den dementsprechenden Aufbau des Entwurfs einer Regelung der Leistungsstörungen von Larenz für die Akademie für Deutsches Recht (1940); abgedruckt bei Schubert, Bd. III, 5 S. 110ff. 11 Unzutreffend ist deswegen die von Brüggemeier (in Bd.II/1 Κ 47,65,72) und Ahrens (in ZRP 1995 S.417,421) geübte Krtitik an der systematischen Stimmigkeit des §280 KE. 12 Bericht, S. 130. 13 Ebenda.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

2. Die einzelnen Abweichungen des § 280 I I KE vom Grundtatbestand Nachdem die beiden Absätze des § 280 KE derart in ihren systematischen Zusammenhang gestellt worden sind, gilt es nun, die drei Haftungsarten des § 280 Abs. I I KE dahingehend zu untersuchen, in welcher Weise sie in Voraussetzung oder Rechtsfolge vom Grundtatbestand des Absatz I abweichen. a) Erste Abweichung: Ersatz des Verzögerungsschadens gemäß §§28011S. 2 i. V. m. 284ff. KE Auf der Hand liegt diese Abweichung beim Ersatz des Verzögerungsschadens, für den § 280II S. 2 KE auf den § 284 KE verweist: „Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des Verzugs nach § 284 BGB-KE verlangen." Klargestellt wird dadurch, daß für den Anspruch auf Schadensersatz wegen Verzögerung im Gegensatz zur Grundregel des Abs. I die schuldhafte Verzögerung allein noch nicht ausreicht; hinzukommen muß noch die erfolglose Mahnung oder eines ihrer Surrogate. Das entspricht exakt der Haftungsausformung des geltenden Rechts14 in § 284 ff. BGB.

b) Zweite Abweichung: Schadensersatz statt Leistung, §§ 280II S. 1 i. V. m. 283 KE Der sog „Schadensersatz statt Leistung", §§ 280II S. 2 i. V. m. 283 KE hat hingegen keine derartige tatbestandliche Entsprechung im geltenden Recht. Er ist zunächst dadurch geprägt, daß der Schadensersatzanspruch des Gläubigers anders als in § 280 Absatz I KE nicht neben den primären Erfüllungsanspruch tritt, sondern an dessen Stelle. Der Schadensersatzanspruch geht also inhaltlich auf das positive Interesse, kennzeichnend ist für den Ersatzanspruch aus § 283 KE aber weiterhin, daß das Schuldverhältnis und die Gegenleistungspflicht des Gläubigers unverändert fortbestehen 15. Lediglich die primäre Leistungspflicht des Schuldners weicht im Organismus Schuldverhältnis aufgrund der Pflichtverletzung der sekundären, umfassenden Schadensersatzpflicht. Erforderlich ist für diesen „Schadensersatz statt Leistung" jedoch tatbestandlich die erfolglose Setzung einer Nachfrist, eine Voraussetzung, die die Funktion übernimmt, den Vorrang der primären Verpflichtung sicherzustellen16. 14

Vgl. dazu noch einmal unten f)· Vgl. die Ausführungen im Abschlußbericht, S. 131, 223. 16 Vgl. Bericht, S. 30 und eingehend zur Sicherung des Vorrangs der Naturalerfüllung durch Fristsetzung oben § 61V 6 bbb). 15

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Der „Schadensersatz statt Leistung", § 280Π S. 1 i. V. m. 283 KE modifiziert die Grundregel des Absatzes I also in zweierlei Hinsicht; zum einen tritt zur Pflichtverletzung die erfolglose Fristsetzung als weitere Voraussetzung hinzu, zum anderen ändert sich auf der Rechtsfolgenseite der Haftungsumfang vom negativen zum positiven Interesse. Zur Terminologie bleibt anzumerken: Die Kommission schlägt vor, den im BGB verwendeten Ausdruck „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" durch den Ausdruck „Schadensersatz statt Leistung" zu ersetzen, weil sie ihn für treffender hält. Denn der Schadensersatz solle ja die primär geschuldete Leistung und nicht die Erfüllung ersetzen, vielmehr bedeute auch die Leistung von Schadensersatz Erfüllung, nämlich Erfüllung der auf Schadensersatz gerichteten Verbindlichkeit17. c) Dritte Abweichung: Schadensersatz wegen Nichtausführung §§28011S. 3 i.V.m. 327 KE

des Vertrages,

Es bleibt der sog. „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages" gemäß §§ 327, 323 KE, auf den der dritte Satz des zweiten Absatzes verweist: „Bei einem gegenseitigen Vertrag kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages nur gemäß § 327 nach Rücktritt verlangen."

Sowohl auf der Voraussetzungs- als auch auf der Rechtsfolgenseite sind bei diesem Schadensersatz die gravierendsten Abweichungen zur Regel des § 280 Absatz I KE zu verzeichnen. Wie bei § 283 KE geht die Haftung inhaltlich auf das positive Interesse des Gläubigers18; anders als dort tritt der sekundäre Schadensersatzanspruch im Organismus Schuldverhältnis jedoch nicht an die Stelle des primären Leistungsanspruches, sondern durch die zwingende Verbindung mit dem vorherigen Rücktritt verwandelt sich das Schuldverhältnis in ein RückabwicklungsVerhältnis. Es entfällt dadurch die Gegenleistungspflicht des Gläubigers, das Schuldverhältnis reduziert sich auf die Rückgewährspflichten bezüglich der schon erbrachten Leistungen19 und die Schadensersatzpflicht des Schuldners. Von der grundsätzlichen Haftungsregel des § 280 Abs. I KE bleibt somit wenig. Die beliebige Pflichtverletzung des § 2801 S. 1 KE wird durch die zwingende Vorschaltung des Rücktritts dahingehend qualifiziert, daß nur eine solche Pflichtverletzung den „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages" trägt, die auch den Voraussetzungen des Rücktrittsrechts gemäß § 323 Abs. I I und ΠΙ entspricht; das „Vertretenmüssen der Pflichtverletzung" des § 2801 Satz 2 KE wird konkretisiert durch § 327 Abs. I I KE, denn ausreichend ist nicht irgendeine verschuldete 17

So wörtlich der Bericht, S. 131. Möglich ist jedoch auch, daß der Gläubiger anstatt des Erfüllungsschadens den Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 3271 Satz 2 KE geltend macht; vgl. dazu unten § 8 II 1 i. V. m. Fn.63. 19 Gemäß der §§346ff. KE. 18

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Pflichtverletzung, sondern diejenige Pflichtverletzung muß schuldhaft erfolgt sein, die zum Rücktritt geführt hat20. Die dem § 2801 KE zugrundeliegende Regel aber, daß der Schadensersatzanspruch neben den primären Anspruch tritt, wird dadurch vollständig außer Kraft gesetzt, daß die primären Verpflichtungen infolge des Rücktritts erlöschen. Durch den Rücktritt gemäß § 323 KE ist weder Raum für ein Nebeneinander von Leistungsanspruch und Schadensersatzanspruch, noch kann - wie bei § 283 KE - der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Leistungsanspruches treten, denn diese Beziehung der wechselseitigen Verpflichtung von Leistung und Gegenleistung fällt fort.

d) Das Verhältnis

der §§283, 327 KE zueinander

Klärungsbedürftig ist das Verhältnis, das die beiden Schadensersatzarten der §§ 283 und 327 KE zueinander einnehmen. aa) Entgegengetreten werden muß in diesem Zusammenhang zunächst dem Mißverständnis, daß § 283 KE nur einseitige Schuldverhältnisse erfasse, so daß alle gegenseitigen Schuldverhältnisse dem § 327 KE unterfielen 21. Diese Sichtweise hat zur Folge, daß sich der Schadensersatz wegen Nichtausführung, also mit zwingend vorgeschaltetem Rücktritt als einziger Weg für den Gläubiger einer gegenseitigen Verpflichtung darstellt, Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses zu erlangen, was verständlicherweise Anlaß zur Kritik gäbe22. Die Gegenüberstellung der §§ 283 und 327 KE als Regelung für ein- und zweiseitige Schuldverhältnisse entspringt wohl der Orientierung an den §§ 280, 325 BGB, ist für das Haftungssystem des Kommissionsentwurfes aber unzutreffend 23. § 283 KE ist keinesfalls auf einseitige Schuldverhältnisse beschränkt, sondern erfaßt auch die Haftung bei Verpflichtungen, die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Klar ergibt sich das schon daraus, daß § 327 KE dem Haftungssystem erst nachträglich eingefügt wurde24. Es ist nicht anzunehmen, daß die Kommission vor der Einfügung des § 327 KE mit § 283 KE eine Haftungsregelung nur für einseitige Schuldverhältnisse treffen wollte, die Haftung bei gegenseitigen Verpflichtungen aber unberücksichtigt ließ. Daß § 327 KE hingegen nur gegenseitige Verpflichtungen erfaßt, ist schon aus seinem Wortlaut offensichtlich. 20

Zu dieser Konkretisierung des § 327 II KE noch eingehend unten § 8 II. So ausdrücklich Brüggemeier, Bd. II/l Κ 66ff., 100. 22 Vgl. Brüggemeier ebenda: § 327 KE würde unzulässigerweise verallgemeinert und als Regeltatbestand der Nichterfüllungshaftung für alle gegenseitigen Verträge eingeführt. 23 Abzulehnen ist deshalb auch die Kritik Brüggemeiers ebenda. 24 Vgl. Bericht, S. 131 und den Zwischenbericht über den Stand des Reformentwurfes von Medicus in AcP 188 (1988) S. 168,172 f., in dem § 327 KE noch nicht erwähnt wird. 21

I. Das Haftungssystem des Kommissionsentwurfs

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bb) Auch die häufig anzutreffende ausdrückliche oder implizite Gleichstellung25 der §§ 283, 327 KE mit der Schadensberechnung nach der Surrogations- und Differenzmethode ist Vorbehalten ausgesetzt. Die Versuchung, diese Kategorien des geltenden Rechts in den Schadensersatzarten des Kommissionsentwurfes wiederzufinden, ist verständlich, wird aber dem Inhalt der §§ 283, 327 KE nicht gerecht. Zwar stimmt § 283 KE insofern mit der Schadensberechnung nach der Surrogationstheorie überein, als bei beiden der Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses an die Stelle der ursprünglich geschuldeten Leistung tritt 26. Diese Parallele endet aber, wo §§ 327, 323 KE und die Differenzmethode nebeneinander gestellt werden: Der Schadensersatz wegen Nichtausführung gemäß § 327 KE setzt zwingend die Kumulierung von Schadensersatz und vorherigem Rücktritt voraus, während die Schadensberechnung nach der Differenzmethode gerade die Folge davon ist, daß im BGB Schadensersatz und Rücktritt nicht kumuliert werden dürfen, eine rücktrittsähnliche Wirkung deshalb aus dem Recht auf Interesseersatz gewonnen werden muß27. Surrogations- und Differenzmethode sind also Problembeschreibungen des geltenden Rechts; will man gleichwohl in den §§ 283,327 KE ihre Entsprechungen finden, so ist das nicht nur rechtskonstruktiv unzutreffend, sondern es hieße auch, daß Problem mit seiner Lösung gleichzusetzen. Surrogations- und Differenzmethode haben ihren Platz und Grund in § 325 BGB. Da dieser im Kommissionsentwurf bewußt beseitigt wird, sollten seine Folgen bezüglich des Haftungssystems des Kommissionsentwurfes nicht terminologisch weiter verwendet werden; die §§283 und 327 KE sind als eigenständige Haftungsarten zu sehen. cc) Der entscheidende und für ihr Verhältnis prägende Unterschied des „Schadensersatzes statt Leistung" und des „Schadensersatzes wegen Nichtausführung des Vertrages" liegt auch nicht im Umfang der Haftung, denn sowohl § 283 KE als auch § 327 KE ermöglichen es dem Gläubiger, Schadensersatz in Höhe seines positiven Interesses zu bekommen. Ausgangspunkt der Unterscheidung ist vielmehr das Schicksal der Gegenleistungspflicht des Gläubigers: Dem bis auf die Verpflichtung des Schuldners unveränderten Schuldverhältnis bei § 283 KE steht mit § 327 KE die weitgehende Aufhebung und Umgestaltung des Schuldverhältnisses gegenüber. Klar wird vor diesem Hintergrund zunächst, warum es im System des Kommissionsentwurfs notwendig war, den im BGB gewährten „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" terminologisch abzulösen. Es war dies keinesfalls erforderlich um klarzustellen, daß auch die Leistung von Schadensersatz Erfüllung bedeuten kann, nämlich die der sekundären Verpflichtung auf Schadensersatz. Diese im Abschluß25

Auch im Abschlußbericht selbst klingt diese Gleichstellung an, vgl. dort die Ausführungen auf S. 172 f. 26 Da § 283 KE auch für einseitige Schuldverhältnisse gilt, stößt auch diese Gleichsetzung auf ihre Grenzen. 27 Eingehend dazu beispielsweise oben §6IV6abb). 17 Kuhlmann

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

bericht gegebene Begründung28 vermag sowieso in keiner Hinsicht zu überzeugen, denn zum einen hat der Begriff des „Schadensersatzes wegen Nichterfüllung" im geltenden Recht niemals Anlaß zu derartigen Mißverständnissen gegeben, zum anderen aber ist die Erfüllung der primären Verpflichtung etwas grundlegend anderes als die Erfüllung des sekundären Schadensersatzanspruches; die Leistung von Schadensersatz stellt eben gerade nicht Erfüllung des primären Leistungsanspruches dar. Der Grund für den Abschied von der gewohnten und zutreffenden Terminologie muß also woanders gesucht werden und erklärt sich dadurch, daß sowohl § 283 KE als auch § 327 KE inhaltlich den „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" gewähren. Zu ihrer terminologischen Abgrenzung mußten also zwei verschiedene, an anderer Stelle als am Haftungsumfang ansetzende Begriffe gefunden werden. Die Kommission fand diese Begriffe im „Schadensersatz statt Leistung" und dem „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages", die beide terminologisch nicht am Haftungsumfang anknüpfen, sondern stattdessen orientiert sind an der Auswirkung der Haftung auf den Organismus Schuldverhältnis im Gesamten. Der auf diese Weise auch terminologisch gekennzeichnete Unterschied zwischen der Fortführung des Schuldverhältnisses mit geänderter Pflicht des Schuldners und der Nichtausführung des Schuldverhältnisses ist es auch, der die strenge Trennung der beiden Schadensersatzarten voneinander erforderlich macht. Der Schadensersatz wegen Nichtausführung, bei dem zugleich die Gegenleistungspflicht des Gläubigers entfällt, soll auch nur nach erfolgtem Rücktritt beansprucht werden dürfen. Diesfindet seinen Ausdruck in § 280 I I S. 3 KE: „Bei einem gegenseitigen Vertrag kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages nur gemäß § 327 BGB-KE nach Rücktritt verlangen." Verhindert werden soll dadurch, daß der Gläubiger mit der Differenzmethode über § 283 KE den Schadensersatz wegen Nichterfüllung mit den Rücktrittsfolgen im Effekt kombiniert, ohne aber zurückgetreten zu sein. Denn auf diese Weise könnte der Gläubiger die Voraussetzungen des § 323 Abs. Π und ΠΙ KE umgehen, die wesentlich strenger sind als § 2831 KE, der lediglich die erfolglose Fristsetzung voraussetzt. Sollen demnach die durch § 323 Π und ΠΙ KE strengeren Voraussetzungen des „Schadensersatzes wegen Nichtausführung des Vertrages" nicht funktionslos werden, muß die tatbestandliche Verengung, der dieser Schadensersatzanspruch durch die Vorschaltung des Rücktritts unterliegt, durch die strikte Trennung vom Schadensersatzanspruch des § 283 KE gewährleistet werden. Für das Kaufrecht aktualisiert sich diese Trennung der §§ 283,327 KE in der Abgrenzung des sog. „großen Schadensersatzes", bei dem der Käufer unter Ablehnung der mangelhaften Sache den durch die Nichterfüllung entstandenen Schaden verlangt, vom sog. „kleinen Schadensersatz", bei dem der Käufer die mangelhafte Sache behält, aber den Minderweit liquidiert. Den großen Schadensersatz kann der 28

Berichts. 131.

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Käufer nur geltend machen, wenn auch die gegenüber § 2831 KE strengeren Voraussetzungen des Rücktrittsrechts erfüllt sind, vgl. §§ 441 III KE i. V. m. § 327 KE 29 .

e) Trennung der Haftungsarten

und Einheit des Haftungssystems

Eine ähnlich strenge Trennung von anderen Haftungsausformungen findet sich im Kommissionsentwurf bezüglich des Verzuges. Auch den „Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 284 BGB-KE verlangen", § 280 Π S. 2 KE. Zu welchen konstruktiven Verschachtelungen, Verschränkungen und Unklarheiten die strenge Abgrenzung der verschiedenen Haftungsarten im Haftungssystem des Entwurfs, das gleichzeitig vom einheitlichen Grundtatbestand ausgeht, letztlich führt, soll am Verzug exemplarisch gezeigt werden. Für die Rechtsfolgen des Verzuges findet sich in § 286 KE der Hinweis: „Der Gläubiger kann wegen des Verzuges nach Maßgabe der §§ 280,283 BGB-KE Schadensersatz verlangen." Ersetzt wird dadurch § 286 BGB, der in seinem Absätzen I und I I den Anspruch auf Verzugsschaden sowie die Voraussetzungen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung eigenständig regelt. Der Abschlußbericht erläutert § 286 KE mit dem einen, lapidaren Satz, die Vorschrift habe lediglich klarstellende Bedeutung30. Unklar bleibt aber schon die pauschale Verweisung auf § 280 KE, denn § 280 KE kennt insgesamt - und wie gezeigt - vier verschiedene Arten der Haftung. Daß § 286 insoweit letztlich nur auf § 2801 S. 1 KE verweisen kann, erhellt sich erst aus dem Zusammenhang, denn wäre auch der zweite Absatz des § 280 KE erfaßt, würde § 286 KE durch § 280II S. 2 KE sinnloserweise auf sich selbst verweisen; auch eine Verweisung auf § 280II S. 1 KE wäre überflüssig, da § 283 KE schon durch § 286 KE erwähnt wird. Es bleibt die Haftungsgrundregel des § 28011 KE 31 , nach der der Gläubiger Ersatz desjenigen Schadens verlangen kann, der ihm durch die Pflichtverletzung entstanden ist. Für den Fall des Verzuges ist das der Schaden, der dem Gläubiger adäquat kausal aus der Verzögerung der Leistungserbringung entstanden ist; er entspricht damit § 2861 BGB. § 2801 S. 1 KE erhält auf diese Weise eine eigenartige Doppelfunktion. Zunächst ist diese Vorschrift Grund- und Ausgangspunkt der Haftung, der dann durch den Satz 2 des Absatzes I I modifiziert wird und, nachdem die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 284 KE durchlaufen sind, über die Verweisung des § 286 KE 29

Ebenso § 639 III KE für den Schadensersatzanspruch des Bestellers im Werkvertrags-

recht. 30

Bericht, S. 139. Das Verschuldenserfordernis des § 2801S. 2 KE wird dadurch überflüssig, daß dem Verzug das Verschulden gemäß § 284 Abs. III KE schon immanent ist. 31

1

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schließlich die Rechtsfolge bestimmt: Die Haftung auf das negative Interesse, das neben die fortbestehende Primärverpflichtung tritt. Die Verweisung des § 286 KE auf den Schadensersatz statt Leistung des § 283 KE hingegen beantwortet die Frage, wann der Gläubiger der schuldhaft verzögerten Leistung Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses hat, das an die Stelle des Primärleistungsanspruchs tritt. Erforderlich ist dafür gemäß § 283 KE zunächst die Setzung einer Nachfrist zur Leistungserbringung, so daß § 286 KE i. V. m. § 283 KE im Ergebnis und den Voraussetzungen dem § 3261 BGB gleicht32. Der Gläubiger der schuldhaft verzögerten Leistung kann also - wie im geltenden Recht - Ersatz sowohl des negativen als auch des positiven Interesses verlangen. Die strikte Abgrenzung des Verzögerungsschadens, § 280II S. 2 KE vom „Schadensersatz statt Leistung", § 280II S. 1 KE zeigt sich aber weniger an § 286 i. V. m. § 283 KE, also für den Fall, daß der Verzug zum Ersatz des positiven Interesses führen soll, als vielmehr an der umgekehrten Konstellation. Begehrt der Gläubiger zunächst den „Schadensersatz statt Leistung" gemäß §§ 280II S. 1 i. V. m. 283 KE, so ist ein etwaiger Verzögerungsschaden darin nicht enthalten33, dieser kann nur gemäß §§ 280Π S. 2 i. V. m. 284 KE „unter den zusätzlichen Voraussetzungen des Verzuges" geltend gemacht werden34. Der Kommissionsentwurf mildert diese grundsätzliche Trennung des Schadensersatzes statt Leistung vom Verzugsschaden gemäß § 284 KE aber geschickt wieder ab, indem er ihre tatbestandlichen Voraussetzungen zur Deckungsgleichen bringt. Der Abschlußbericht klärt auf 35: „In § 2841 S. 2 KE soll den schon in § 2841S. 2 BGB genannten Mahnungssurrogaten auch die Fristbestimmung gleichgestellt werden. Das ist die Frist nach §28311 KE, die den Übergang vom Primärleistungsanspruch auf den Schadensersatzanspruch einleitet." Geht der Gläubiger also nach § 2831 KE vor, um Schadensersatz statt der Leistung zu erhalten, so kann er gleichzeitig und immer auch den Verzugsschaden gemäß § 284 KE geltend machen, da die erfolglose Fristsetzung des § 2831 S. 1 KE auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2841 KE erfüllt. Nicht bedacht hat die Schuldrechtskommission dabei, daß damit zwei Haftungsausformungen nebeneinander treten, die rechtskonstruktiv schwerlich zusammenpassen, nämlich die Haftung gemäß §§ 286 i. V. m. 2801 S. 1 KE, bei der der Ersatz32

Im Gegensatz zu § 3261 BGB entfällt jedoch die Voraussetzung der Ablehnungsandrohung. Das Kriterium des Interessefortfalls, das § 286 II BGB zur Voraussetzung des positiven Interesses erhebt, taucht in der Regelung des § 284 ff. KE nicht mehr auf. 33 Nach geltendem Recht hingegen kann der Verzugsschaden als im Schadensersatz wegen Nichterfüllung mitenthalten angesehen werden, es bedarf also keiner getrennten Voraussetzungen (vgl. MüKo-Emmerich, § 325 Rn 66; MüKo-Thode, § 286 Rn 13 m. w. N.; Soergel-Wiedemann, § 286 Rn 9). 34 Zum Verzug trotz Unmöglichkeit im Kommissionsentwurf siehe oben §6 II 5 c). 33 Bericht, S. 138. Aus dem Gesetzestext allein läßt sich dieser wichtige Zusammenhang von §§ 284 und 283 KE allerdings nicht entnehmen, denn „Fristen"finden sich im Kommissionsentwurf zuhauf auch außerhalb des § 2831 KE.

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ansprach neben dem fortbestehenden Primärleistungsanspruch steht und die Haftung gemäß §§ 280 I I S. 1 i. V. m. 283 KE, bei der der Schadensersatzansprach an die Stelle des fortgefallenen, primären Leistungsansprachs tritt. Auch gestaltet sich das aufwendige Zusammenspiel und Nebeneinander der verschiedenen Haftungsausformungen, in die sich der einheitliche Grandtatbestand aufgliedert, kaum weniger kompliziert als die im geltenden Recht vorgenommene Anknüpfung der Rechtsfolgen an bestimmte Störangstatbestände, die notwendig mit sich bringt, daß die gleichen Rechtsfolgen mehrfach geregelt sind. Kehrt man zurück zu der Verweisungsvorschrift des § 286 KE, so bleibt eine weitere Frage offen. Da § 286 KE - wie oben gezeigt - nicht umfassend auf die vier verschiedenen Haftungsausformungen des § 280 KE verweist, sondern lediglich zwei davon heraushebt, nämlich den Schadensersatz statt Leistung und den Ersatz des negativen Interesses gem. § 2801 S. 1 KE, muß im Gegenschluß davon ausgegangen werden, daß § 327 KE nicht zu den Rechtsfolgen des Verzuges zählen soll. Die schuldhafte Verzögerung der Leistung soll im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes demzufolge nicht zur Kombination von Rücktritt und Schadensersatz berechtigen. Das Verbot der Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz für den Gläubiger der schuldhaft verzögerten Leistung wäre aber aus mehreren Gründen fragwürdig. Zunächst widerspräche es der Wertung, die dem geltenden Recht in § 286 Π BGB zugrandeliegt. Denn nach dieser Vorschrift kann der Gläubiger den Schadensersatz wegen Nichterfüllung mit den Rücktrittsfolgen kombinieren; der Ausschluß dieses Rechtes würde demnach eine rechtfertigungsbedürftige Verengung der Gläubigerrechte darstellen. Zum anderen aber hindert den Gläubiger einer schuldhaft verzögerten Leistung im Haftungssystem des Entwurfs tatbestandlich nichts daran, über § 280 I I S. 3 i. V. m. § 327 KE unmittelbar Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages zu beanspruchen, solange er nur nicht über §§ 280Π S. 2 i. V. m. 284 ff. KE wegen Verzuges vorgeht und deshalb der verengenden Rechtsfolgenverweisung des §286 KE unterliegt. Wenn § 286 KE also die Möglichkeit des Vorgehens nach § 327 KE gar nicht gänzlich ausschließt, so kann der Ausschluß des Schadensersatzes wegen Nichtausführung des Vertrages als Rechtsfolge des Verzuges nur den Sinn haben, der Abgrenzung der Haftungsarten untereinander zu dienen. Klargestellt wird dadurch lediglich, daß der Schadensersatz wegen Nichtausführung gemäß § 327 KE nicht tatbestandlich in die Verzugs Vorschriften und -folgen gemäß §§ 284,286 KE integriert werden kann, sondern einen eigenständigen, von den Verzugsfolgen zu trennenden Rechtsbehelf des Gläubigers darstellt. Auch hier 36 muß der Kommissionsentwurf also sicherstellen, daß die in seinem Haftungssystem durchgeführte strenge formale

36

Wie bei der Abgrenzung des § 327 KE zu § 283 KE.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Trennung der verschiedenen Haftungsformen nicht dadurch illusorisch und inhaltsleer wird, daß jede Haftungsform letztlich auch die jeweils anderen beinhaltet.

f) Der Verzug im Kommissionsentwurf Durch den neuen Grundtatbestand der Pflichtverletzung soll der Schuldnerverzug als besondere und eigenständig geregelte Form einer Störung der Leistungspflicht entbehrlich werden37. Neben der Grundvoraussetzung der Pflichtverletzung, § 280 Abs.I S. 1 KE bilde der Verzug, so erklärt die Schuldrechtskommission, lediglich ein zusätzliches Erfordernis für die Berechtigung des Gläubigers, den Ersatz des Verzögerungsschadens zu verlangen, § 280 Abs. II Satz 2 KE. aa) Der Verzug als eigenständige Störungsform im Kommissionsentwurf Nirgendwo zeigt sich jedoch so deutlich wie bei der Figur des Verzuges, daß die Kommission in ihrem Bestreben, die Störungsformen der Leistungspflicht in der Pflichtverletzung zu vereinheitlichen, nicht über den Wunsch hinausgekommen ist. Die Auflösung des Verzuges im Grundtatbestand des § 2801 S. 1 KE währt nur kurz, denn in den §§ 280II S. 2 i. V. m. 284ff. KEfindet sich der Verzug als Störungsform wieder und steht damit nicht nur am gewohnten Regelungsort, sondern zeigt in Tatbestand und Rechtsfolge genau umrissene und eigenständige Konturen, die sich nur unwesentlich von denen des geltenden Rechts abheben. Grundsätzliche Voraussetzung ist auch im Kommissionsentwurf gemäß §2841, I I KE eine zu vertretende38 Verzögerung der Leistung über die Fälligkeit hinaus trotz Mahnung des Gläubigers. Im § 2841 S. 2 KE wird jedoch dem schon in § 2841 S. 2 BGB genannten Mahnungssurrogat auch die Fristbestimmung gleichgestellt39. § 284 Π KE, der die Fälle der Mahnungsentbehrlichkeit regelt, ist erweitert worden. Gegenüber dem § 284Π S. 1 BGB ist die „Kündigung" durch ein „Ereignis" ersetzt 37 Bericht, S. 29. Zum Schuldnerverzug im Kommissionsentwurf vgl. auch H. P. Westermann in der FS für Gernhuber S. 529ff.; allerdings beschränkt auf die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges bei Geldschulden. 38 Das Vertreten der Verzögerung ist jetzt in §284111 KE geregelt; gestrichen werden konnte deshalb § 285 BGB. Die Normierung des Verschuldenserfordemisses innerhalb der Verzugsvoraussetzungen ist an sich überflüssig, da schon der Grundtatbestand des § 2801 KE in seinem Satz 2 dieses Erfordernis übergreifend für alle Ansprüche auf Schadensersatz normiert. Der Abschlußbericht erklärt die wiederholte Erwähnung des Verschuldens damit, daß in den § 284 ff. KE auch die Voraussetzungen für andere Verzugsfolgen wie Haftungsverschärfung und Zinspflicht geregelt sind (Bericht, S. 139). 39 Gemeint ist damit die Frist des § 2831 S. 1 KE, die den Übergang vom Primärleistungsanspruch zum Schadensersatzanspruch einleitet (Bericht, S. 138). Welche Bedeutung das im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes für die Trennung der verschiedenen Haftungsarten des § 280 II KE hat, ist soeben in e) dargelegt worden.

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worden, § 284 II Nr. 2 KE 40 . Damit können auch andere Ereignisse als die Kündigung, nämlich etwa Lieferung oder Rechnungserteilung zum Ausgangspunkt einer kalendermäßigen Berechnung werden41. Nach § 284 I I Nr. 3 KE führen auch die Fälle offensichtlicher Erfolglosigkeit zur Mahnungsentbehrlichkeit, erfaßt werden sollen damit etwa die Unmöglichkeit sowie Fälle der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung 42. Im Rahmen der Verzugsvoraussetzungen wird im Kommissionsentwurf damit wieder die Frage nach der Leistungsmöglichkeit oder -Unmöglichkeit bedeutsam43. Die Haftungsfolgen des Schuldnerverzuges bestimmt zunächst § 286 KE, nach der der Gläubiger Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 280, 283 KE verlangen kann44. Beachtenswert ist von diesen Änderungen allein die Erweiterung der Mahnungssurrogation auf die Fristbestimmung; die Aufnahme der Fälle der Mahnungsentbehrlichkeit in § 284 I I Nr. 3 und Nr. 4 KE hingegen entspricht der ständigen Rechtsprechung45. Nicht ändern kann der Kommissionsentwurf freilich, daß für die Haftung des Schuldners auf Schadensersatz zu der schuldhaften Verzögerung der Leistung grundsätzlich noch ein weiteres hinzutreten muß, nämlich die Mahnung oder eines ihrer Surrogate. Es war diese Besonderheit, die die Verfasser des BGB dazu veranlaßte, den Verzug aus dem allgemeinen Haftungstatbestand des § 224 des ersten Entwurfes durch eigenständige tatbestandliche Ausformung hervorzuheben, und um die Ausformung dieser Besonderheit in den Haftungsvoraussetzungen kommen auch die Verfasser des Kommissionsentwurfes nicht herum. Die Einordnung der Leistungsverzögerung in den Pflichtverletzungsgrundtatbestand des § 280 Abs. I KE bringt daher nur eine scheinbare Vereinheitlichung, da die Verzögerung in § 280 Abs. Π S. 2 KE sofort wieder ausgesondert und mit eigenständigen Voraussetzungen versehen werden muß; der in § 2801 KE ertränkte Störungstatbestand des Verzuges taucht gleichermaßen in den §§ 280Π S. 2 i. V. m. 284ff. KE unversehrt wieder auf. 40 Kritisch dazu Stümer (in der Beilage zu Heft 25 der NJW 1994 S.5), der befürchtet, daß bei dieser Bestimmung die Warnfunktion der Mahnung großzügig aufgegeben werde. 41 Berichts. 138. 42 Bericht, S. 139. § 284II Nr.4 KE will die Fälle erfassen, in denen die Erfüllung der Pflicht offensichtlich besonders eilig ist oder eine Pflicht ihrer Natur nach spontan zu erfüllen ist (so ζ. B. Aufklärungs- und Warnpflichten). 43 Zum Verzug trotz Unmöglichkeit im System des Kommissionsentwurfes siehe oben § 6 II 5 c); zur voraussetzungsgleichen Regelung der Fristentbehrlichkeit bei § 323 Π Nr. 1 KE eingehend oben § 6 I V 3. 44 Diese Vorschrift soll nach den Erklärungen im Abschlußbericht (S. 139) lediglich klarstellende Bedeutung haben. Eingehend dazu oben unter e). 45 Vgl. nur MüKo-Thode, § 284 Rn 40f. und Bericht S. 137. Emst (in NJW 1994 S.2177, 2179) weist auf die problematische Abstimmung der Mahnungsentbehrlichkeit mit den Vorschriften des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hin; vgl. in diesem Zusammenhang den Abschlußbericht S.279.

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Wohl ungewollt prägnant formuliert das der Abschlußbericht46: „Der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens baut auf § 280 Abs. I BGB-KE auf; nach § 280 Abs. II (i. V. m. §§ 284ff.) BGB-KE ist aber weiterhin Verzug erforderlich." Ebenso verhält es sich auch im Regelungsmodell, das Huber als Vorgutachter der Schuldrechtsreform verfaßt hat. Huber wollte die Vielfalt unterschiedlicher Störungstatbestände im einheitlichen Tatbestand der Nichterfüllung aufgehen lassen47, § 2751 seines Entwurfs 48. Des besonderen Begriffes des Verzuges bedürfe es nicht, der Verzugsschaden sei von der allgemeinen Regel des § 2751 mitumfaßt 49. Sachlich stimme die Regelung mit der des geltenden Rechts weitgehend überein, ohne daß es sich deshalb als erforderlich erwiesen hätte, auf die Kategorie des Verzuges zurückzugreifen. In § 275 a normiert Huber jedoch das Mahnungserfordernis um klarzustellen, daß der Schuldner nicht sofort nach Fälligkeit Verzugsschaden ersetzen müsse50, in § 275 b erscheint der Verzug dann auch als Störungsform. Diese Definition, die der Entwurf in Anlehnung an die §§284,285 BGB vorsieht, sei aber nur eingefügt worden, um Bestimmungen an anderer Stelle des Gesetzes, die auf den Verzug verweisen, nicht ins Leere laufen zu lassen51. Vereinzelt habe der Entwurf von dieser Verweisungstechnik jedoch auch selber Gebrauch gemacht, da es als „sprachlich bequem" erschien, den Begriff für den Fall beizubehalten, daß der Schuldner bei Fälligkeit und nach Mahnung nicht geleistet hat. Der Fall des Verzuges bilde im System des Entwurfes also einen durch Unterscheidung gewonnenen Unterfall der Nichterfüllung 52. Diese Erläuterungen Hubers zeigen markant, wie der Verzug vom Grundtatbestand schnell wieder hin zu seiner Berechtigung als eigenständige Störungsform findet, die sich nicht einebnen läßt53. bb) Pflichtendifferenzierung in § 287 KE Bei der Betrachtung der Rechtsfolgen des Verzuges taucht erneut die Notwendigkeit auf, entgegen dem einheitlichen Grundtatbestand des § 2801 KE zu differenzieren. 46 Bericht, S.31. Vgl. auch die Ausführungen des Kommissionsmitgliedes Heinrichs in seinem Vortrag S. 16: „Auch beim Verzug soll im wesentlichen alles beim Alten bleiben." 47 Dazu schon oben §4111, IV. 48 Gutachten S.699,779ff.; vgl. auch S.758. 49 Gutachtens.700. 50 Gutachtens. 784. 51 Ebenda. 52 Gutachten, S.701. Als systematische Grundkategorie, die er nach dem BGB darstelle, sei der Begriff des Verzuges dagegen entbehrlich. Daß der Verzug auch im BGB nun gerade keine Grundkategorie der Haftung darstellt, sondern lediglich einen tatbestandlich umrissenen besonderer Fall der allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung, ist jedoch schon eingehend dargelegt worden. 33 Kritisch bezüglich der Erläuterungen von Huber zum Verzug auch Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101,119f.

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Haftungssystem des Kommissionsentwurfs

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Diese sich aus § 287 KE ergebende Differenzierung betrifft jedoch nicht - wie gerade - die Störungsform, sondern die Pflicht, die von den Rechtsfolgen dieser Störung betroffen ist. Gemäß § 287 KE verschärft sich die Haftung des Schuldners während des Verzuges54. Die in § 287 S. 2 KE normierte verschuldensunabhängige Haftung soll jedoch - im Gegensatz zur Haftung nach § 287 S. 1 KE - nur für die Leistungspflicht des Schuldners gelten, nicht jedoch hinsichtlich seiner Schutzpflichten55. Für diese bleibt es bei der normalen Verschuldenshaftung, damit beispielsweise während des Schuldnerverzuges keine verschuldensunabhängige Haftung für Beeinträchtigungen des Integritätsinteresses des Gläubigers eintritt56. Die Bestimmung, was der Schuldner im Verzug zu verantworten hat, setzt also notwendig die Bestimmung der im Verzug verletzten Pflicht voraus, der Kommissionsentwurf muß auch hier wieder mit seinem einheitlichen Pflichtverletzungstatbestand brechen.

g) Wegfall

des §283 BGB

Ein weitere Regelungsbereich entfällt durch den im Reformentwurf angestrebten Abschied vom Störungstatbestand vollständig, nämlich die Konstellation, die im geltenden Recht durch § 283 BGB bewältigt wird. § 283 BGB hilft dem Gläubiger einer gegenseitigen Leistungspflicht, wenn das Ausbleiben der Leistung keiner der Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug eindeutig zugeordnet werden kann, indem er zunächst weiter auf Erfüllung klagen kann und nach ergebnislosem Fristablauf dann gemäß § 325 Π BGB das ius variandi des § 3251 BGB hat57. Diese Vorschrift eröffnet dem Gläubiger also die Möglichkeit, sich auch ohne den Nachweis von Verzug oder Unmöglichkeit von seiner vertraglichen Bindung zu lösen58 bzw. Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen59. Offensichtlich wird damit, daß die Problematik, zu deren Klärung § 283 BGB dient, erst durch die Normierung verschiedener Störungstatbestände als Anknüpfungspunkt für verschiedene Rechtsfolgen geschaffen wird. Wo diese Störungstatbestände jedoch entfallen, entfällt mit ihnen die ganze Problematik der Zuordnung einer Störung zum Störungstatbestand. § 283 BGB ist im System des Kommissionsentwurfes demnach gänzlich überflüssig60. 54

Vgl. in diesem Zusammenhang §32411 KE. Bericht, S. 141. 56 Ebenda. 57 Eingehend zu § 283 BGB oben § 5IX i. V. m. Fn.30, 32, 33. 58 Zur praktischen Bedeutung dieser Möglichkeit siehe aber oben § 5 I X ) i. V. m. Fn.171. 59 Die Funktion des § 283 BGB als Übergang zum Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung übernimmt im Kommissionsentwurf § 283 KE, vgl. Bericht S. 133 f. 60 Auch auf der prozessualen Ebene entfallen die Probleme, die der Nachweis der Unmöglichkeit für den Gläubiger unter Umständen mit sich bringt und die §2831 BGB durch Beweiserleichterungen auffängt (vgl. oben § 5 I X i. V. m. Fn.30, 32), denn im Kommissionsentwurf 55

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes Das soeben dargestellte Haftungssystem des Kommissionsentwurfes soll im Folgenden auf die Verletzung von Schutzpflichten und die verschiedenen, daraus entstehenden Schäden angewendet werden.

1. Grundtatbestand der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung, § 280 Abs. I KE Die Kommission erklärt zum umfassenden Grund- und Auffangtatbestand 61des § 2801 KE, sie habe den Gedanken aufgegriffen, Grundelement jeder Schadensersatzpflicht sei es, daß der Schuldner die sich aus dem Schuldverhältnis ergebenden Pflichten zur Leistung oder zum Schutz nicht erfüllt 62. Dem kann jedoch nur eingeschränkt zugestimmt werden. In terminologischer Hinsicht ist im Verlaufe der Arbeit schon mehrfach auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, der Unterschiedlichkeit zwischen Leistungs- und Schutzpflichten auch sprachlich Rechnung zu tragen, indem die Nichterfüllung der Leistungspflicht von der Verletzung bzw. Nichtbeachtung der Schutzpflichten unterschieden wird. Den eigentlichen Kritikpunkt bildet aber die Erläuterung der Schuldrechtskommission zu § 280 Abs. I KE, die Schadensersatzpflicht des Schuldners ergebe sich daraus, daß dieser eine Leistungs- oder Schutzpflicht verletzt. Das ist ungenau, denn begründend für die Schadensersatzpflicht des Schuldners ist immer nur die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht. Diese Schutzpflichtverletzung mag eine Nichterfüllung der Leistungspflicht zur Folge haben, haftungsbegründend ist aber auch dann nicht die Verletzung der Leistungspflicht, sondern die zugrundeliegende schuldhafte Verletzung der Schutzpflicht. Die Nichterfüllung der Leistungspflicht selbst kann nur die verschuldensunabhängigen Rechtsbehelfe des Gläubigers, insbesondere den Rücktritt, § 323 KE begründen63. Gerade im System des Kommissionsentwurfes, das den Begriff der Pflichtverletzung vom Vertretenmüssen des Schuldners löst und auf diese Weise die Einbeziehung der Nichterfüllung der Leistungspflicht erreicht, wird diese Trennung wichtig. Für die Schadensersatzpflicht darf auch nach dem Reformvorschlag nicht die zu vertretende Nichterfüllung der Leistungspflicht maßgeblich sein, sondern muß die schuldhafte Verletzung einer konkreten Schutzpflicht herausgearbeitet werden. Ein kann die bloße Nichterfüllung als Pflichtverletzung und damit als Anknüpfungspunkt für Rechtsbehelfe eingeordnet werden. 61 Bericht, S. 130. Westerhoff kritisiert (Diskussionsbeitrag auf dem DJT 1994, Bd.II/2 Κ 176), § 280 Abs. I KE sei ein Rechtssatz ohne Verhaltensnorm, der sich praktisch nicht von der deliktischen Generalklausel unterscheide; ähnlich seine Stellungnahme in ZG 1994 S.97,98 f. 62 Bericht,S. 130 unter VI. 63 Siehe dazu oben §6IV, insb.IV3 und IV6add).

II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes

267

Abstellen auf die Leistungspflicht hingegen verwischt das jeweils erforderliche Kausalitätsverhältnis zwischen konkreter Schutzpflichtverletzung und konkret eingetretenem Schaden64. § 280 Abs. I KE weist diesbezüglich - trotz der irreführenden Erläuterungen der Schuldrechtskommission - zumindest in dierichtigeRichtung, indem dort „Ersatz des hierdurch (die Pflichtverletzung) entstandenen Schadens" gewährt wird, was im Ergebnis eine Schadensberechnung nach adäquater Kausalität von Sorgfaltspflichverstoß und Schaden ermöglicht. Erfaßt werden vom Grundtatbestand § 280 Abs. I KE zunächst alle Schutzpflichtverletzungen. Rechtsfolge ist, daß der von der Schutzpflichtverletzung betroffene Gläubiger Anspruch auf Ersatz des adäquat kausal entstandenen Schadens hat; dieser Anspruch tritt neben den Erfüllungsanspruch 65. Beispiel: Das vom Verkäufer V an Käufer Κ verkaufte Pferd soll bis zur Übergabe an Κ in den Stallungen des V bleiben. Dort steckt es sich bei einem der Pferde des V mit einer Krankheit an; nach der Übergabe an Κ infiziert es weitere Pferde des K 6 6 . Κ wußte, daß eines seiner Pferde nicht gesund ist. Der Verkäufer V hat seine Schutzpflicht zur Obhut und Fürsorge über den Leistungsgegenstand schuldhaft verletzt, Κ hat deshalb Anspruch auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens. Ersetzt wird nach § 280 Abs. I S. 1 KE das Interesse am Nichteintritt der Verletzung, also die Beeinträchtigung des Integritätsinteresses. Κ kann demnach alle Kosten ersetzt verlangen, die ihm durch die Infizierung des Pferdes entstehen. Im geltenden Recht wird dieser Schaden regelmäßig im Rahmen der Grundsätze der positiven Vertragsverletzung ausgeglichen, da im allgemeinen Schuldrecht eine Haftungsnorm für Beeinträchtigungen des Integritätsinteresses fehlt. Offen bleibt damit zunächst der Schaden, der darin liegt, daß durch die Schutzpflichtverletzung auch der Leistungsgegenstand selbst beeinträchtigt ist, also der Schaden, der in der Mangelhaftigkeit der Sache selbst liegt. Von seinem Wortlaut 64

Zutreffend weist das für die Schadensersatzpflicht des Verkäufers im Falle eines Sachmangels Rust (§ 7 II 1 d) nach: Nicht die Verletzung der Leistungspflicht zur mangelfreien Verschaffung, § 434 KE begründet die Haftung, sondern eine konkrete Schutzpflichtverletzung, die dem Sachmangel zugrundeliegt (vgl. auch Rust § 711 bbb). 65 Daß der Schadensersatzanspruch neben den Erfüllungsanspruch tritt ist die Regel, die auch § 224 des ersten Entwurfes des BGB zugrundelag. Siefindet sich auch in späteren Vorschlägen, vgl. ζ. B. § 279 des Entwurfs von Heinrich Stoll für die Akademie für Deutsches Recht (Abdruck bei Schubert, Bd. III, 3 S. 208 mit Begründung auf S. 218): „Verletzung von Schutzpflichten. Der durch die Verletzung einer Schutzpflicht entstandene Schaden kann ohne Rücksicht auf Gültigkeit und Fortbestand des Vertrages und neben sonstigen Ansprüchen geltend gemacht werden." Ebenso Larenz in seinem Grundsatz der Haftung für Verschulden (vgl. oben in Fn.l) als Satz 2: „Die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung bleibt unberührt." (Abdruck bei Schubert, Bd. III, 5 S. 110 mit Begründung S. 75 f.). 66 Vgl. auch RGZ 66 S. 289.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

her umfaßt § 280 Abs. I S. 1 KE diesen Schaden ebenfalls, da auch die Infizierung des verkauften Pferdes auf der schuldhaften Schutzpflichtverletzung des V beruht. Gleichwohl greift hier der Haftungsgrundtatbestand § 280 Abs. I S. 1 KE schon nicht mehr unmittelbar, vielmehr werden nun die weiteren Voraussetzungen relevant, die der zweite Absatz für verschiedene Konstellationen aufstellt 67. Deutlich wird damit schon, daß der alle Pflichtverletzungen umfassende Grundtatbestand § 280 Abs. I KE durch die drei Spezialvorschriften des § 280 Abs. Π KE, die besondere und eigenständige Voraussetzungen aufstellen und ihn so ergänzen und modifizieren 68, in seinem Anwendungsbereich sogleich erheblich reduziert wird 69: Aus dem Grundtatbestand heraus fallen sämtliche Schutzpflichtverletzungen, bei denen der Anspruch des Gläubigers auf „Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens" in Voraussetzung und Ausgestaltung über die Regel des § 280 Abs. I S. 1 KE hinausgeht.

2. Ersatz des Verzögerungsschadens: §§ 280 Abs. I, I I S. 2 i. V. m. 284ff. KE bei Schutzpflichtverletzungen Das betrifft zunächst alle Fälle schuldhafter Schutzpflichtverletzungen, die sich in einer Verzögerung der Leistung über den Zeitpunkt der Fälligkeit hinaus auswirken. Tatbestandlich nahezu unversehrt greift der Kommissionsentwurf hier den Störungstatbestand Verzug wieder auf. a) Schutz des Erfüllungsinteresses Will der Gläubiger der verzögerten Leistung Ersatz eines entstandenen Verzögerungsschadens geltend machen, so tritt zum Erfordernis der schuldhaften Schutzpflichtverletzung des § 280 Abs. I S. 1 KE gemäß § 280 Abs. Π S. 2 i. V. m. § 284 Abs. I KE eine weitere Voraussetzung hinzu: Die erfolglose Mahnung oder eines ihrer Surrogate. Gewahrt bleibt die Grundregel insoweit, als der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens neben den fortbestehenden Erfüllungsanspruch tritt, die Abweichung liegt also nicht in der Ausgestaltung des Schadensersatzanspruches, sondern in seinen Voraussetzungen70. Die Schutzpflicht bedarf zu ihrer Entwicklung 67

Für den Mangelschaden sind dies die §§280 Abs. II S. 1 i. V. m. 434,441, 283 KE, die im Beispielsfall zum Schadensersatz statt Leistung ohne Fristsetzung gemäß §283 Abs. II KE führen; vgl. Bericht S.222f. und Rust §7111 c. 68 Bericht, S. 130. 69 Praktisch wird wohl häufig nur ein schmaler Restbereich unmittelbarer Anwendbarkeit bleiben, der die Bezeichnung als , Aufifangtatbestand" treffender erscheinen läßt als die überwiegende Bedeutung implizierende Bezeichnung als „Grundtatbestand". 70 Dieses Verhältnis von Regel und Abweichung tritt deutlich in den Überschriften hervor, die Larenz in seinem Entwurf den entsprechenden Bestimmungen voranstellt: § 3 Grundsatz der Haftung für Verschulden; §4 Insbesondere Verzug.

II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes

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zur sekundären Schadensersatzpflicht nicht nur ihrer schuldhaften Verletzung, sondern darüber hinaus auch noch der erfolglosen Mahnung71. Beispiel: Das von V an Κ verkaufte Pferd soll bis zur Übergabe in der Koppel des V verbleiben. V schließt aus Nachlässigkeit das Gatter nicht, so daß das Pferd entkommen kann; auch noch nach der Mahnung des Κ ist das Pferd nicht aufzufinden. K, der einen Reitstall betreibt, muß sich anderweitig ein Pferd mieten, um seine Reitstunden termingerecht abhalten zu können. Die Verzögerung der Erfüllung der Leistungspflicht beruht - wie schon im obigen Beispiel - darauf, daß der V seine Schutzpflicht zur Obhut über den Leistungsgegenstand verletzt hat. Diese Pflicht dient dem Schutz des Erfüllungsinteresses, ihre schuldhafte Verletzung erfüllt den Grundtatbestand des § 280 Abs. I KE und führt vorliegend dazu, daß Κ nach erfolgloser Mahnung oder im Falle eines ihrer Surrogate gemäß §§ 280 Abs. I, Abs. I I S. 2 i. V. m. §§284,286 KE Ersatz desjenigen Schadens verlangen kann, der ihm durch die Verzögerung der Erfüllung entstanden ist. b) Integritätswahrende

Schutzpflichten

Fraglich ist damit, ob die Verzugsregelung Anwendung finden kann, wenn die Schutzpflichtverletzung sich nicht auf die Erfüllung der Leistungspflicht auswirkt, sondern unabhängig von der Erfüllung nur das Integritätsinteresse des Gläubigers beeinträchtigt. Zwar ist auch im obigen Beispiel das Integritätsinteresse des Gläubigers insoweit betroffen, als der Verzögerungsschaden typischerweise dadurch entsteht, daß der Gläubiger der Leistung deren Ausbleiben aus seinem eigenen Vermögen kompensiert, der Bestand seiner geschützten Güter72 also geschmälert wird. Gleichwohl aber ist der Anknüpfungspunkt für den Tatbestand Verzug das Ausbleiben der Leistung, so daß die Frage offen bleibt, ob der Schuldner auch mit der Beachtung der Schutzpflicht als solcher in Verzug geraten kann. Beispiel - wie oben: Das an Κ verkaufte Pferd infiziert sich vor der Übergabe in den Stallungen des V, weil dieser es gemeinsam mit einem erkrankten Tier unterbringt; beim Κ steckt es weitere Tiere an. Das Beispiel zeigt, daß Schutzpflichten, soweit sie dem Schutz des Integritätsinteresses dienen, sofort und immer zu beachten sind. Eine Verzögerung der Beachtung kommt nicht in Betracht, da die Nichtbeachtung, die die Verzögerung impliziert, logisch schon die Pflichtverletzung ist73. 71

Zum Erfordernis der Mahnung, ihren Surrogaten sowie ihrer Entbehrlichkeit gemäß § 284 Abs. I S. 2, Abs. II KE siehe oben 12f), dort auch zu § 287 KE. 72 Zur Einbeziehung des Vermögens in den Schutzbereich der Schutzpflichten gemäß § 241 Abs. II KE vgl. oben §4X11. 73 Zum Verzug bei Schutzpflichten vgl. auch die Ausführungen unten § 9 V m. w.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Darüber hinaus erweist sich der Zusammenhang zwischen der Schutzpflichtverletzung und einem Verzögerungsschaden wegen Nichtbeachtung als problematisch. Verletzt der Verkäufer V seine Schutzpflicht, indem er das dem Κ verkaufte Pferd gemeinsam mit einem seiner kranken Tiere unterbringt, kann der Κ solange keinen Schadensersatzanspruch geltend machen, wie sein Pferd gleichwohl gesund bleibt. Hat sich das Pferd aber schon angesteckt und weitere Tiere des Κ infiziert, ist dies kein Schaden, der aus der verzögerten Beachtung des sorgfaltsgerechten Verhaltens herrührt, sondern schon aus der ursprünglichen und anfänglichen Nichtbeachtung: Es läßt sich kaum davon sprechen, daß der Schaden des Κ auf der Verzögerung der separaten Unterbringung seines Pferdes beruht. Integritätswahrende Schutzpflichten sind also dem Verzug nicht zugänglich. Weitere Überlegungen bekräftigen dies. Wo der fraglichen Pflicht, wie es bei Schutzpflichten häufig der Fall sein wird, kein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers korrespondiert 74, kann weder Fälligkeit noch Verzögerung eines Anspruchs eintreten. Es sind dies Problembeschreibungen, die nicht die Schutzpflichten, sondern vorrangig die Leistungspflichten betreffen. Verzug ist deshalb im Zusammenhang mit Schutzpflichten möglich, wo die Schutzpflichtverletzung sich in der Nichterfüllung der Leistungspflicht abbildet; denkbar muß Verzug dann aber auch erscheinen, wenn eine Schutzpflicht verletzt wird, der ein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers korrespondiert. c) Mahnungsentbehrlichkeit bei Schutzpflichtverletzung, § 284 Abs. II Nr. 3 und Nr. 4 KE Der Abschlußbericht erwähnt in seinen Erläuterungen zu § 284 KE Aufklärungsund Warnpflichten 75; er scheint diese Schutzpflichten also in die Verzugsregelung einbeziehen zu wollen. Auch wenn man voraussetzt, daß diesen Pflichten im konkreten Fall ein Anspruch des Gläubigers korrespondiert, ist die Einbeziehung in die Verzugsregelung aus tatsächlichen Gründen problematisch. Weiß der Gläubiger einer Aufklärungspflicht, daß es ihm an den zum Schutz von Integritäts- oder Erfüllungsinteresse erforderlichen Informationen noch mangelt, weil er ζ. B. bemerkt, daß eine Gebrauchsanweisung fehlt, stellt die Geltendmachung eines Verzugsschadens gemäß § § 280 Abs. I, I I S. 2 i. V. m. 284 ff. KE kein Problem dar. Gerade im Bereich der Schutzpflichten, die einen mangelnden Informationsstand des Gläubigers betreffen 76, wird es aber häufig an der Kenntnis von der Schutzpflichtverletzung fehlen, die für die Mahnung erforderlich ist. Weiß der Gläubiger jedoch nicht, daß ihm Informationen beispielsweise über die Verwendung des Leistungsgegenstandes und deren Risiken fehlen, kann er den Schuldner auch nicht mahnen, seine Aufklärungspflicht zu beachten. 74 75 76

Ausführlich zum unentwickelten Schutzanspruch oben § 3 VI. Bericht, S. 139. Dazu oben § 3 V2bbb) und V3b).

II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes

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Aufgefangen werden soll dieses Problem im Kommissionsentwurf durch § 284 Abs. I I Nr. 4 KE: „Der Mahnung bedarf es nicht, wenn aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist."77 Hierbei gehe es auch um Pflichten, die spontan zu erfüllen sind, wie z.B. Aufklärungs· und Warnpflichten 78. Sachlich zutreffend ermöglicht es § 284 Abs. Π Nr. 4 KE so, bei Schutzpflichtverletzungen auf die Erforderlichkeit der Mahnung zu verzichten, wenn sich auch dieser Anwendungsbereich in der generalklauselartigen Formulierung der Vorschrift nicht ohne zusätzliche Erläuterungen erkennen läßt. Gestrichen wird in § 284 Abs. I I Nr. 4 KE eben dasjenige zusätzliche Erfordernis der Haftung, das zuvor in § 284 Abs. I S. 1 KE aufgestellt wird und den Verzug vom Haftungsgrundtatbestand des § 280 Abs. I KE unterscheidet. Durch den Wegfall des Mahnungserfordernisses kommt es dann zur Deckungsgleichheit der Verzugsvoraussetzungen mit dem Grundtatbestand § 280 Abs. I KE, da wieder die schuldhafte Schutzpflichtverletzung allein zur Haftungsbegründung ausreicht; der Unterschied liegt nur noch in der Art des zu ersetzenden Schadens. Auch bezüglich des Schadens ist es aber ausreichend, auf § 280 Abs. I KE zurückzugreifen, der seinem Wortlaut nach („...hierdurch entstandener Schaden...") alle adäquat verursachten Schäden erfaßt. Damit schließt sich der Kreis und es zeigt sich, daß Verletzungen integritätswahrender Schutzpflichten letztlich in den Verzugsregeln keinen Platzfinden, sondern durch Reduzierung der Verzugsvoraussetzungen tatbestandlich wieder zurück in den Grundtatbestand, § 280 Abs. I KE verortet werden. Das ist sachlich zutreffend, unnötig ist es deshalb aber auch, sie überhaupt unter die Verzugsregeln zu subsumieren.

3. Schadensersatz statt Leistung: §§ 280 Abs. I, I I S. 1 i. V. m. 283 KE bei Schutzpflichtverletzungen a) Schadensersatz statt Leistung Die zweite Abweichung vom Grundtatbestand des § 280 Abs. I KE ist der „Schadensersatz statt Leistung", § 283 KE, auf den in § 280 Abs. Π S. 1 KE verwiesen wird. 77

Vgl. die entsprechende Regelung für den sofortigen Rücktritt in § 323 Abs. II Nr. 3 KE. So die Erläuterungen im Abschlußbericht S. 139 unter 3 b. Genauso gut könnten diese Konstellationen wohl auch unter § 284 Abs. II Nr. 3 subsumiert werden, der die Mahnung für entbehrlich erklärt, wenn „offensichtlich ist, daß sie keinen Erfolg hätte", denn ist der zu vermeidende Schaden erst einmal eingetreten, hat eine Mahnung zur Beachtung des sorgfaltsgerechten Verhaltens keinen Sinn mehr. Der Abschlußbericht erwähnt diese Möglichkeit jedoch nicht. 78

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Dieser Schadensersatz statt Leistung modifiziert die Grundregel des § 280 Abs. I KE in zweierlei Hinsicht. Zum einen tritt zur schuldhaften Pflichtverletzung die erfolglose Fristsetzung als weitere Voraussetzung des Schadensersatzanspruches hinzu; zum anderen ändert sich auf der Rechtsfolgenseite der Haftungsumfang vom negativen hin zum positiven Interesse79. Anders als in § 280 Abs. I KE tritt der Schadensersatzanspruch des Gläubigers nicht neben seinen primären Erfüllungsanspruch, sondern an dessen Stelle; ansonsten bleibt das Schuldverhältnis und insbesondere die Gegenleistungspflicht des Gläubigers unverändert bestehen80. Der Haftungsumfang orientiert sich also am Nichterfüllungsschaden, der Vorschlag der Kommission mußte jedoch, wie oben geschildert, den Begriff „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" durch den „Schadensersatz statt Leistung" ersetzen, um die zwei Schadensersatzarten der §§ 283, 327 KE unterscheiden zu können, die beide den Ersatz des Nichterfüllungsschadens ermöglichen. b) Schadensersatz statt Leistung und Schutzpflichtverletzung Schon in der Terminologie des § 283 KE deutet sich eine Verengung seines Anwendungsbereiches auf die Fälle der zu vertretenden Nichterfüllung der Leistungspflicht an. Für diese Verengung auf die Leistungspflicht spricht auch, daß in § 283 Abs. I KE dem grundsätzlichen Erfordernis der Fristsetzung nicht die erfolglose Mahnung gleichgestellt wird, wie es die Kommission in § 323 Abs. I S. 2 KE und § 307 Abs. II S. 1 KE getan hat, um Schutzpflichten und insbesondere die Unterlassungspflichten erfassen zu können. Erfaßt und dem Schadensersatz statt Leistung zugeführt werden könnten demnach nur diejenigen Schutzpflichtverletzungen, die zum - dauerhaften oder vorübergehenden - Ausbleiben81 der geschuldeten Leistung führen. Beispiel: Das Pferd, das V dem Κ verkauft hat, entkommt nach Vertragsschluß, aber vor der Übergabe an Κ infolge der Unachtsamkeit des V aus dessen Koppel und ist nicht mehr aufzufinden. V hat schuldhaft seine Obhutspflicht verletzt, es liegen damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des Grundtatbestandes § 280 Abs. I KE vor. Will der Κ Ersatz seines positiven Interesses beanspruchen, so muß er dem V jedoch zuvor eine ange79 Zu den Voraussetzungen des Ersatzanspruches auf das positive Interesse in den Vorschlägen von Stoll und Larenz vgl. § 280 des Entwurfs von Stoll: Leistungsvereitelung und -beeinträchtigung (S. 208 mit Begründung S. 218 f.) und § 5 des Entwurfs von Larenz: Schadensersatz wegen Nichterfüllung (S. 111 mit Begründung S. 76). 80 Im Kaufrecht des Kommissionsentwurfes verweist § 441 Abs. I KE auf § 283 KE und ermöglicht dem Gläubiger die Geltendmachung des sog. „kleinen Schadensersatzes", bei dem der Anspruch auf den Ersatz des durch den Mangel verursachten Minderwertes der Kaufsache beschränkt ist; vgl. im Abschlußbericht S. 131,222ff. und eingehend Rust, § 7 II 1 c. 81 Oder zur Verschlechterung eines Leistungsgegenstandes, vgl. dazu Rust, §411; § 5 II und §711.

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messene Frist zur Übergabe des verkauften Pferdes setzen, § 283 Abs. I S. 1 KE 82 . Leistet der V nach Ablauf der Frist nicht, kann Κ seinen Nichterfüllungsschaden ersetzt verlangen, seinerseits bleibt er zur Leistung verpflichtet. Entscheidend für den Schadensersatz statt Leistung ist also der Anspruch des Gläubigers auf die Leistung und dessen Nichterfüllung, die schuldhafte Schutzpflichtverletzung des Schuldners hingegen begründet nur seine grundsätzliche Schadensersatzpflicht. Mit diesem Anknüpfungspunkt des Leistungsanspruches des Gläubigers ist der Schadensersatz statt Leistung - ebenso wie der Verzug - daher von vorneherein begrenzt auf die Schutzpflichten, die dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen. Nur wo der unentwickelte Schutzanspruch des Gläubigers sich überhaupt zu einem sekundären Schadensersatzanspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens entwickeln kann,findet § 283 KE einen Anwendungsbereich. Alle anderen, das Integritätsinteresse der Vertragspartner wahrenden Schutzpflichten können deshalb von § 283 KE nicht erfaßt werden. Ihnen korrespondiert regelmäßig auch kein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers, der eine diesbezügliche Fristsetzung ermöglicht und sie entwickeln sich im Falle ihrer Verletzung sogleich zum Anspruch auf das negative Interesse. Einer Regelung, die für den Übergang auf die sekundäre Verpflichtung besondere und zusätzliche Voraussetzungen statuiert, bedarf es deshalb auch gar nicht83. Das zeigt sich schon im oben zum Verzug angeführten Beispiel des verkauften Pferdes, das infolge einer Infektion noch weitere Tiere des Käufers ansteckt. Soweit die Obhutspflicht des Verkäufers das Integritätsinteresse des Käufers betrifft, kommt weder eine Fristsetzung noch ein Schadensersatz statt Leistung sinnvoll in Betracht. Der Schaden, dessen Vermeidung die Schutzpflicht vorbeugend dient, ist schon eingetreten, eine Nachholung des zu beachtenden Verhaltens des Schutzpflichtigen kommt nicht in Betracht. Beeinträchtigt worden ist jedoch nicht das Interesse des Käufers an der Erfüllung seines Leistungsanspruches, sondern sein Interesse an der Beachtung der Schutzpflicht; zu ersetzen ist deshalb auch kein Schadensersatz statt Leistung, sondern gemäß § 280 Abs. I KE der durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden84. Das gesamte rechtliche Instrumentarium des § 283 KE, seine Ausrichtung auf die Leistung, die Fristsetzung für ihre Erbringung bzw. deren Entbehrlichkeit leistet der Subsumtion von Schutzpflichten einen erheblichen Widerstand, der die Nichtan82

Zur Fristentbehrlichketi gemäß § 283 Abs. II KE siehe sogleich unten c.) Dies ist auch für das parallel liegende Beispiel der Unterlassungspflichten festzustellen, dazu unten §9 V). 84 Zustimmung verdient insoweit die von Stoll in seinem Entwurf vorgenommene ausdrückliche Trennung der Haftung gemäß § 279 für die Verletzung einer Schutzpflicht (Wiedergabe oben in Fn.61) im Gegensatz zu § 280, Leistungsvereitelung und -beeinträchtigung: „Soweit der Schuldner infolge eines von ihm zu vertretenden Umstandes die Leistung nicht oder nicht in gehöriger Weise erbringt, hat er dem Gläubiger den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen. (...)" (Abdruck bei Schubert, Bd. III, 3 S. 208 ff.). 83

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

wendbarkeit auf die integritätswahrenden Schutzpflichten deutlich illustriert. Es sind dies Kategorien der Güterbewegung, nicht aber des Güter- oder Interessenschutzes und dementsprechend können sie nur dann sinnvoll ausgefüllt werden, wenn die Schutzpflichtverletzung sich nicht in einer Schädigung der vorhandenen Güter erschöpft, sondern die Güterbewegung beeinträchtigt85.

c) Fristsetzung

und Fristentbehrlichkeit,

§ 283 Abs. I, II KE

Wie im allgemeinen Schuldrecht des BGB soll auch im Kommissionsentwurf der Vorrang der Erfüllung der Primärleistung vor dem sekundären Schadensersatzanspruch, der an dessen Stelle tritt, sichergestellt werden. An die Stelle der normierten Störungstatbestände Unmöglichkeit und Verzug als objektive Bezugspunkte für den Übergang tritt in den Vorschlägen der Kommission jedoch die erfolglose Fristsetzung86: Der Vorrang der Erfüllung wird dadurch sichergestellt, daß in §§ 280 Abs. I I S. 1 i. V. m. 283 Abs. I KE für diesen Fall das Erfordernis der Fristsetzung festgeschrieben ist; Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger grundsätzlich erst verlangen, wenn eine dem Gläubiger gesetzte angemessene Frist für die Leistung ergebnislos verstrichen ist87. Auch das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB kennt das Erfordernis der Fristsetzung bezüglich des Übergangs auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, nämlich in § 326 Abs. I BGB, der für die Normierung des § 283 KE Modellfunktion hatte88. In § 326 Abs. I BGB wird es jedoch kumulativ zum Störungstatbestand Verzug verwendet, in den Fällen der Unmöglichkeit fehlt es ganz. Die Fristsetzung ist somit eine der Haftungsvoraussetzungen, in denen die Störungstatbestände aufgelöst werden sollen, sie soll nach den Erläuterungen der Kommission allgemein die Aufgabe übernehmen, die im geltenden Recht von den einzelnen Leistungsstörungstatbeständen mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen nur unzulänglich erfüllt werde89. Daß diese Auflösung zum einen nicht vollständig gelingt und zum anderen neue Probleme aufwirft, ist schon oben im Zusammenhang mit der Leistungspflicht gezeigt worden. Ein weiteres tritt aber hinzu, das sich bei § 283 KE aktualisiert. Durch das Erfordernis der Fristsetzung wird zwar gesichert, daß der Gläubiger im Falle der Pflichtverletzung nicht ohne weitere Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf die Erfüllbarkeit des primären Anspruchs auf den sekundären Anspruch übergehen 85 Ebenfalls aus dem Anwendungsbereich von § 283 KE hinaus fallen damit die Schutzpflichten, die ihre Bedeutung erst nach der Erfüllung der Hauptleistungspflicht entfalten und der Sicherung und Erhaltung des Erfüllungsinteresses dienen, vgl. oben § 3 V 3 b). 86 Vgl. auch §§ 32311 KE, § 323 i. V.m. § 327 KE, § 307 II KE. 87 So die Erläuterungen im Abschlußbericht auf S. 30f. «Vgl. Bericht, S. 30,133 ff. 89 Bericht, S. 30 unter b).

II. Die Schutzpflichten im Haftungssystem des Kommissionsentwurfes

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kann, diese Voraussetzungen bleiben aber in mancher Hinsicht hinter denen des geltenden Rechts zurück. Für das geltende Recht läßt sich der Übergang auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung übergreifend dahingehend kennzeichnen, daß das Vorliegen seiner Voraussetzungen sowohl für den Gläubiger als auch für den Schuldner erkennbar sein muß. Diese Erkennbarkeit ergibt sich bei der Unmöglichkeit schon allein aus der dauerhaften Nichterfüllbarkeit der Leistungspflicht, die die Unmöglichkeit impliziert. Bei der vorübergehenden Nichterfüllung fehlt diese Offensichtlichkeit, es tritt zum Störungstatbestand deshalb noch die Fristsetzung mit einer Ablehnungsandrohung hinzu. Die Fristsetzung zeigt im Falle ihrer Erfolglosigkeit dem Gläubiger an, daß die Nichterfüllung feststeht und so der dauerhaften gleichzusetzen ist, die Ablehnungsandrohung aber verdeutlicht dem Schuldner die Schwelle zum Übergang auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung 90. Die Kommission reduziert diese Voraussetzungen für alle Konstellationen auf die bloße Fristsetzung, die Ablehnungsandrohung wird für obsolet erklärt. Das Erfordernis der Ablehnungsandrohung sei offenbar wenig praktikabel, wie die zahlreich vorkommenden unwirksamen Fristsetzungen insbesondere bei § 326 Abs. I BGB zeigten; es leuchte aber auch nicht ein, daß der Gläubiger zu einer Zeit, zu der er die Leistung noch verlangt, bereits deren Ablehnung androhen soll91. Diese Erklärungen der Kommission vermögen den gänzlichen Verzicht auf eine Tatbestandsvoraussetzung, die die Erkennbarkeit des Überganges sichert, kaum zu rechtfertigen. Zuzustimmen ist der Kommission zwar darin, daß die Ablehnungsandrohung im geltenden Recht zu mancherlei Schwierigkeiten führt. Die Kommission selbstfindet aber für eben dieses Problem der Ablehnungsandrohung in § 323 Abs. I S. 1 KE beim Rückritt eine Lösung, indem sie die Fristsetzung dadurch ergänzt, daß „der Schuldner auf Grund der Fristsetzung mit dem Rücktritt rechnen mußte"92. Warum sich die Kommission beim gleichen Problem im Rahmen des Überganges zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu einer ähnlichen Lösung außerstande sieht, ist nicht ersichtlich. Entgegengetreten werden muß ebenfalls dem Argument, daß eine Ablehnungsandrohumg nicht einleuchte, wenn der Gläubiger gleichzeitig noch Erfüllung verlange. Den Widerspruch, den die Kommission hier aufzeigen will, gibt es nicht, denn der Gläubiger verlangt ja nicht gleichzeitig und kumulativ zur Erfüllung den Schadensersatz wegen Nichterfüllung, sondern er verlangt diesen lediglich alternativ zur 90 Wo weder Verzug noch Unmöglichkeit eindeutig für den Gläubiger zu erkennen ist, hilft § 283 BGB, der ebenfalls die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung zur Voraussetzung hat. 91 So die Erklärungen im Abschlußbericht auf S. 134 f. 92 Vgl. die Erläuterungen im Bericht, S. 167. Daß diese Formulierung allerdings gegenüber dem Erfordernis der Ablehnungsandrohung keinen Fortschritt darstellt, ist schon oben § 6IV 4 a) gezeigt worden.

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§ 7 Schadensersatz für Schutzpflichtverletzungen im Kommissionsentwurf

Erfüllung und erst für die Zeit nach Fristablauf 93. Das aber ist eine völlig gebräuchliche rechtliche Konstruktion, die jeder Fristsetzung immanent ist, ein Problem liegt darin nicht. Die Frage, ob dem pflichtverletzenden Vertragspartner die Bedeutung der Fristsetzung als Schwelle zum Übergang auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung deutlich geworden ist, wird in § 283 KE also vollständig ausgeblendet; unerheblich bleibt, ob - wie es der Abschlußbericht formuliert 94 - erkennbar war, daß es mit Ablauf der Frist ernst wird, die Fristsetzung also nicht nur ein höfliches Drängen des Gläubigers zum Ausdruck bringen sollte. Es bleibt damit der Eindruck, daß sich die Kommission bei ihren Vorschlägen zwar weiterhin auf den Vorrang des Erfüllungsanspruchs beruft, diesen aber tatbestandlich nicht umsetzt und dessen Aushöhlung letztlich in Kauf nimmt. Noch stärker herabgesetzt werden die Voraussetzungen für den Schadensersatz statt Leistung in den Fällen des § 283 Abs. I I KE. Gemäß Absatz I I ist die Bestimmung einer Frist entbehrlich, „wenn es offensichtlich ist, daß diese Bestimmung keinen Erfolg hätte oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruches rechtfertigen." 95 Solche Erfolglosigkeit sei anzunehmen bei einer für den Schuldner unüberwindbaren Leistungserschwernis, insbesondere der Unmöglichkeit oder bei einer ernsthaften Erfüllungsverweigerung 96. Dabei soll es genügen, daß die Offensichtlichkeit gerade für den Gläubiger bestehe, der ja auch die Fristsetzung vorzunehmen habe97. Zumindest für die Fälle der Leistungserschwernis bis hin zur Unmöglichkeit liegt darin ein Selbstwiderspruch der Kommission, denn sie hat § 275 KE, der die Leistungshindernisse erfaßt, gerade mit der Erwägung als Einrede ausgestaltet, daß der Gläubiger das Vorliegen von Leistungshindernissen regelmäßig nicht überblicken könne, da diese im Bereich des Schuldners lägen98.

93 Zu kritisieren ist in diesem Zusammenhang auch § 283 Abs. IV KE, der das Wahlrecht des Gläubigers zwischen Erfüllungs- und Sekundäranspruch regeln soll, um einen für den Schuldner unbefriedigenden Schwebezustand zu vermeiden, während dessen er nicht weiß, ob noch Erfüllung von ihm verlangt wird oder nicht (Bericht, S. 136). Für die Klärung dieses Schwebezustandes muß § 283 Abs. IV KE als weitgehend mißglückt angesehen werden, da durch eine Regelung, bei der das Wahlrecht des Gläubigers nicht beendet, sondern lediglich für die Zeit zwischen den Fristsetzungen gehemmt ist, zu der den Schuldner interessierenden Klärung nichts beigetragen wird. Eingehend zur deckungsgleichen Regelung beim Rücktritt in § 323 Abs. V KE schon oben §6IV6cbb). 94 S. 167 zum gleichen Problem bei § 323 Abs. I S. 1 KE. 95 Diese Formulierung entspricht § 284 Abs. II Nr. 3,4; § 323 Abs. II Nr. 1,3 KE; vgl. deshalb beispielsweise schon oben §6IV 3. 96 Bericht, S. 135. 97 Bericht, S. 135. 98 Dazu oben § 6113 und Bericht, S. 120.

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Führt eine schuldhafte Schutzpflichtverletzung gemäß § 280 Abs. I KE also zur dauerhaften Nichterfüllung der Leistung, fällt das Erfordernis der erfolglosen Fristsetzung fort, der Gläubiger kann sofort und ohne weitere Voraussetzungen sein positives Interesse geltend machen, indem er den Schadensersatz statt Leistung beansprucht. Ebenso ist es, wenn der Schuldner seine Schutzpflicht zur Vertragstreue 99 verletzt, indem er die Erfüllung der Leistung ausdrücklich oder konkludent verweigert: Die schuldhafte Schutzpflichtverletzung reicht zur Begründung des sekundären Schadensersatzanspruches in Höhe des positiven Interesses100. Bedeutung hat die Fristsetzung für § 283 KE also nur, wo die Erfüllung der Leistung noch in Betracht kommt. Wo die Schutzpflichtverletzung hingegen die dauerhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht zur Folge hat, kommt es 101 zur Entbehrlichkeit der Fristsetzung und damit zur Deckungsgleichheit der Voraussetzungen für die Haftung nach § 283 KE und dem Haftungsgrundtatbestand §280 Abs.I KE. Indem eben dasjenige zusätzliche Erfordernis gemäß § 283 Abs. I I KE für bedeutungslos erklärt wird, das den Schadensersatz statt Leistung gemäß §§ 280 Abs. I, Π S. 2 i. V. m. 283 KE von der allgemeinen Haftung gemäß § 280 Abs. I KE unterscheidet, fallen beide tatbestandlich wieder zusammen, unterschiedlich ist lediglich die Rechtsfolge. Das entspricht der Haftungsausformung im allgemeinen Schuldrecht des BGB: Ist die Erfüllung noch möglich, tritt zur schuldhaften Schutzpflichtverletzung noch die erfolglose Fristsetzung hinzu, § 326 Abs. I BGB. Steht die Nichterfüllung jedoch fest, ist für den Anspruch auf das positive Interesse eine Fristsetzung sinnlos, das stellt § 325 Abs. I S. 1 BGB mit dem Kriterium der Unmöglichkeit klar. Sieht man von der oben dargelegten Herabsetzung der Voraussetzungen ab, leistet § 283 KE also nicht mehr und vor allem nichts anderes als die §§ 325, 326 BGB, er verdeckt lediglich das entscheidende Kriterium, nämlich die Erfüllbarkeit der Leistungspflicht hinter dem Kriterium der Fristsetzung.

4. Fazit: Haftung für Schutzpflichtverletzungen Die von der Kommission angestrebte Auflösung der objektiven Tatbestände reduziert sich bei näherer Betrachtung häufig auf eine Verschiebung; die tragenden Differenzierungen, deren Erfassung die objektiven Störungstatbestände im geltenden Recht dienen, werden nur in andere Tatbestandsmerkmale eingekleidet oder auf die Rechtsfolgenseite verortet. Ebenfalls nicht beseitigt werden kann mit der Auflösung der Störungstatbestände im einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung die das BGB prägende Mehrfachregelung von Schadensersatzansprüchen, da auch der Kommis99

Siehe oben §3 V3c). Blaurock (S. 51,61) weist zutreffend daraufhin, daß die schuldhafte Nichterfüllung einer der Hauptanwendungsfälle der gemeinrechtlichen culpa-Haftung war. 10! Wie bei § 284 Abs. II KE; vgl. dazu oben 3 c). 100

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sionsentwurf zwischen dem Ersatz des negativen und des positiven Interesses sowie der vorübergehenden und der dauerhaften Nichterfüllung unterscheiden muß. Wenn aber die Rechtsfolgen verschieden sind, so sind es auch die Tatbestände, an die sie geknüpft werden, denn es ist sinnlos, differierende Rechtsfolgen an ein und denselben Tatbestand anzuknüpfen. Sinnvollerweise sind deshalb für die verschiedenen Tatbestände dementsprechende verschiedene Begriffe zu verwenden; auch der Kommissionsentwurf muß in dieser Hinsicht Zugeständnisse machen und greift zumindest den Verzug wieder - tatbestandlich unversehrt - auf und ordnet ihn dem einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung unter. Das derart gekennzeichnete Haftungssystem des Kommissionsentwurfes bietet systematisch keine wesentliche Veränderung oder Verbesserung gegenüber dem richtig verstandenen System des BGB. Festzustellen ist aber eine Absenkung der tatbestandlichen Voraussetzungen zum Übergang auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung, geschwächt wird dadurch der Vorrang der Primärleistung. Die Auflösung der objektiven Störungstatbestände hat für das System des Kommissionsentwurfes eine regelungstechnische Notwendigkeit zur Folge: Wenn die Schutzpflichten und Leistungspflichten aus ihrer tatbestandlichen Verflechtung in den normierten Störungstatbeständen herausgelöst werden sollen, müssen gleichzeitig passende Kategorien bereitgestellt werden, die die einzelnen Elemente, die Nichterfüllung einer Leistungspflicht und die Verletzung einer Schutzpflicht sachgerecht aufnehmen können und in stimmige Zusammenhänge stellen. Es zeigt sich jedoch, daß der Kommissionsentwurf dieser selbstgeschaffenen Herausforderung vielfach nicht gewachsen ist. Mit § 241 Abs. I I KE wird nur der längst anerkannten Existenz von Schutzpflichten Rechnung getragen, über den bestehenden Grundkonsens hinaus trifft § 241 Abs. Π KE jedoch keine Regelung. Teils beabsichtigt, teils wohl eher als zufälliger Nebeneffekt anderer Regelungsziele finden Schutzpflichten und ihre Eigenarten Berücksichtigung in Regelungen wie § 284 Abs. Π Nr. 1, 3 und § 2801 KE. Häufiger sind jedoch die Stellen im Gesetz, die zur Differenzierung zwingen, ohne daß dem tatbestandlich Rechnung getragen würde. Die einseitige Orientierung der gesetzlichen Regelung an der Leistungspflicht wird also nur vereinzelt überwunden, die erforderliche Differenzierung des Begriffes der Pflichtverletzung nach Schutzpflicht und Leistungspflicht bleibt im System des Entwurfes an vielen Stellen unbewältigt. Die Ausrichtung des allgemeinen Schuldrechts am einheitlichen Begriff der Pflichtverletzung erweist sich somit als wenig tragfähig, und so groß die Kraft ihrer momentanen Suggestion ist, so gering ist der bleibende Fortschritt.

§ 8 Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen und das Verhältnis zum Schadensersatz i m Kommissionsentwurf I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE Eine der Säulen, auf denen die Rechte des Gläubigers im Kommissionsentwurf stehen, ist das zentrale Rücktrittsrecht des § 323 KE 1 . Einheitlich knüpft dieses die Berechtigung des Gläubigers zum Rücktritt an eine „Pflichtverletzung" des Vertragspartners, § 323 1 1 KE 2 . Für die Nichterfüllung der Leistungspflicht ist das Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes oben eingehend untersucht worden, so daß nun die oben noch ausgeblendete Möglichkeit des Rücktritts im Falle einer Schutzpflichtverletzung Gegenstand der Betrachtung ist. Denkbar sind hier zwei grundsätzlich verschiedene Konstellationen; zum einen die Konstellation, daß die Verletzung einer Schutzpflicht Auswirkungen auf die Erfüllung oder die Erfüllbarkeit der Leistungspflicht hat, zum anderen aber, daß eine solche unmittelbare Verbindung von Schutzpflichtverletzung und Erfüllung der Leistungspflicht fehlt, die Leistungspflicht also unabhängig von der Schutzpflichtverletzung erfüllt werden kann und wird.

1. Erweiterungen des Rücktrittsrechts im Kommissionsentwurf, §323 Abs.IKE Schon im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Leistungspflicht war dargelegt worden, daß drei Erweiterungen das Rücktrittsrecht im System des Kommissionsentwurfes wesentlich prägen. Zunächst weicht die Anknüpfung des Rücktritts an die Nichterfüllung der Leistungspflicht dem einheitlichen und umfassenden Begriff der Pflichtverletzung; erfaßt werden dadurch alle Pflichten, die der Organismus Schuldverhältnis beinhaltet. Darüber hinaus wird im Verständnis des Kommissionsentwurfes der Begriff der 1 § 323 KE lautet: „Verletzt der eine Teil eine Pflicht aus einem gegenseitigen Vertrag, so kann der andere Teil nach erfolglosem Ablauf einer von ihm bestimmten angemessenen Frist vom Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner auf Grund der Fristsetzung mit dem Rücktritt rechnen mußte. Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung. Beschränkt sich die Pflichtverletzung auf einen Teil der Leistung, so kann der Gläubiger vom ganzen Vertrag nur zurücktreten, wenn er an der Teilleistung kein Interesse hat." (Absatz I). 2 Zum Begriff der Pflichtverletzung im Verständnis des Kommissionsentwurfes siehe oben §4.

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

Pflichtverletzung vom Erfordernis des Vertretenmüssens des Pflichtigen gänzlich gelöst, es entsteht so ein verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht3. Zuletzt ersetzt das System des Kommissionsentwurfes die Anbindung des Rückritts an bestimmte Störungstatbestände durch das Erfordernis der erfolglosen Nachfristsetzung, diese soll grundsätzlich ein Ausmaß der Vertragsstörung indizieren, das die Vertragsauflösung rechtfertigt 4. a) Erstreckung der Rücktrittsberechtigung auf alle Pflichtverletzungen, §323 Abs.I S. 1 KE Für das Rücktrittsrecht im Kommissionsentwurf soll zunächst unerheblich sein, welche Pflicht aus dem die Vertragspartner verbindenden Schuldverhältnis verletzt ist. Aufgegeben werden soll die Differenzierung nach Haupt- oder Nebenpflicht, synallagmatischer oder nicht synallagmatischer Pflicht, Verpflichtungen zum Tun oder Unterlassen, Leistungs- oder Schutzpflicht5. Alle Pflichtverletzungen taugen zunächst gleichermaßen zur Rechtfertigung eines Rücktritts. Eröffnet wäre damit die Möglichkeit, nun auch sämtliche Nebenpflichten des Schuldverhältnisses im Falle ihrer Verletzung zur Rechtfertigung einer Vertragsauflösung heranzuziehen; die einseitige Orientierung der Rücktrittsberechtigung an der Leistungspflicht, wie sie das BGB konsequent durchführt, wird dadurch überwunden, die Verletzung der vielfältigen Aufklärungs-, Untersuchungs-, Mitwirkungs-, Treue- und Unterlassungspflichten wird einbezogen. Freilich ist die dadurch erreichte Erweiterung der Rücktrittsmöglichkeit nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Denn auch in den Bestimmungen des BGB können alle Nebenpflichtverletzungen den Gläubiger zum Rücktritt berechtigen, wenn und weil sie zur vorübergehenden oder dauerhaften Nichterfüllung der Leistungspflicht führen, §§ 325,326 BGB. Offen bleibt also nur der Bereich der Nebenpflichtverletzungen, die sich nicht derart auf die Leistungspflicht auswirken, sondern gleichsam von der Leistungspflicht isoliert in anderer Weise den Organismus Schuldverhältnis betreffen 6. Dennoch ist diese Änderung zu begrüßen, denn sie setzt die Erkenntnis um, daß sich das Schuldverhältnis keineswegs in der Leistungsbeziehung der Vertragspartner erschöpft, sondern vielfältige Nebenpflichten hervorbringt, die die Leistungspflicht begleiten undflankieren. Darüber hinaus trägt die Einbeziehung aller Nebenpflichten als Anknüpfungspunkt für ein Rücktrittsrecht der Neubewertung des Verhältnisses von Leistungs- und Schutzpflicht Rechnung, denn auch wo die Verlet3

Vgl. zum verschuldensunabhängigen Rücktrittsrecht oben §6IV 6 a). Zu diesem Ansatz siehe auch oben § 6IV 6b). 5 Bericht, S. 166. Der Vorgutachter Huber hingegen hatte für den Fall der „Nichterfüllung von Nebenpflichten" in § 326c II seines Entwurfes ein eigenständiges Rücktrittsrecht normiert; vgl. Gutachten S. 835, Begründung S. 837 f. 6 Beispiel unten c). 4

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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zung einer Schutzpflicht keinerlei Auswirkungen auf die Leistungspflicht und ihre Erfüllung hat, kann das Schuldverhältnis gleichwohl in einem Ausmaß gestört sein, das zur Auflösung des Vertrages drängt. Dieses Ausmaß der Vertragsstörung aber ist es, was für das Rücktrittsrecht letztlich entscheidend sein muß, unabhängig von der Erbringbarkeit der Leistung, mag sich die Vertragsstörung auch häufig in einer Nichterfüllung der Leistungspflicht manifestieren 7. Im geltenden Recht wird dies aufgefangen, indem ein Rücktrittsrecht nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung analog §§ 325,326 BGB zugestanden wird, ein zweifelhafter Umweg, der durch § 3231 KE überflüssig würde. Die Aufgabe der Pflichtendifferenzierung zugunsten des Begriffes der Pflichtverletzung für das Rücktrittsrecht in § 323 Abs. I Satz 1 KE bietet somit sowohl die Möglichkeit, das bislang praeter legem geführte Rücktrittsrecht bei Schutzpflichtverletzungen in das Gesetz aufzunehmen und gibt einen ebenso einfachen wie einheitlichen Anknüpfungspunkt für das Rücktrittsrecht. Ob § 323 Abs. I S. 1 KE jedoch hält, was er zunächst verspricht, ob die Normierung eines derartigen einheitlichen Grundtatbestandes für ein Rücktrittsrecht bei Schutzpflichtverletzungen jedoch konsequent durchgehalten wird oder letztlich doch schnell wieder der Differenzierung nach Art und Folge der verletzten Pflicht weichen muß, zeigt sich erst in der weiteren Ausgestaltung des § 323 KE.

b) Erstreckung des Rücktrittsrechts auf nicht zu vertretende Pflichtverletzungen, § 323 Abs. I S.l KE Eine andere von der Kommission vorgeschlagene Erweiterung des Rücktrittsrechts setzt bei der Frage der Verschuldensabhängigkeit des Rechtsbehelfes an: Im System des Kommissionsentwurfes kommt es für die Auflösung des Vertrages wegen Pflichtverletzung nicht darauf an, ob der Rücktrittsgegner die Pflichtverletzung zu vertreten hat, auch bei einer nicht vom Schuldner zu vertretenden Pflichtverletzung kann der Gläubiger den Vertrag auflösen8. Beim Rücktritt gemäß § 323 KE wird deshalb auch das umfassende, von der gewohnten Terminologie abweichende Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung aktuell. Denn zum einen erfaßt die Pflichtverletzung - wie bisher - die vom Vertragspartner verursachte und zu vertretende Abweichung vom vertraglich Vereinbarten, der Begriff der Pflichtverletzung ist dann transitiv zu verstehen9. Darüber hinaus sind im Verständnis des Kommissionsentwurfes aber auch solche Abweichungen vom vertraglich Vereinbarten Pflichtverletzungen, die vom Vertragspartner zwar verursacht, aber nicht zu vertreten sind oder nicht einmal ihre Ursache im Ver7 8 9

Zu dieser Frage oben § 6IV1, IV 6 a dd). Bericht, S. 166. Dazu oben §4 VII.

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

halten der Vertragspartner haben. Die Pflichtverletzung ist dann intransitiv, d. h. losgelöst vom Verhalten des Vertragspartners zu verstehen10. Der Lösung des Rücktrittsrechts vom Vertretenmüssen der Pflichtverletzung war für die verschiedenen Erscheinungsformen der Nichterfüllung der Leistungspflicht oben mit der Überlegung uneingeschränkt zugestimmt worden, daß allein entscheidend für die Rechtfertigung der Vertragsauflösung als Ausnahme vom Grundsatz des „pacta sunt servanda" die Störung des Vertrages und deren Gewicht ist, unabhängig davon, ob diese Störung auf einem schuldhaften Sorgfaltspflichtverstoß beruht oder nicht. Für die Fälle der Verletzung von Schutzpflichten muß die gleiche Überlegung Gültigkeit haben: Entscheidend ist nicht die Ursache der Vertragsstörung, sondern ihr Ausmaß11. Deutlich wird damit aber auch gleich, daß die - grundsätzlich zutreffende - Lösung des Rücktrittsrechts vom Vertretenmüssen bei der Verletzung von Schutzpflichten nur in einem schmalen Bereich Relevanz gewinnt, denn die Verletzung einer Schutzpflicht impliziert - anders als die Nichterfüllung der Leistungspflicht - schon den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß; für eine nicht zu vertretende Schutzpflichtverletzung bleibt wenig Raum. Klar auf der Hand liegt das für den Fall der intransitiven, vom Verhalten des Pflichtigen losgelösten Pflichtverletzung. Da Schutzpflichten immer ein bestimmtes Verhalten, ein konkretes Tun oder Unterlassen zum Inhalt haben, können sie nur durch ein dieser Verpflichtung entgegengesetztes Verhalten des Schutzpflichtigen verletzt werden; eine zufällige, weil vom ursächlichen Schuldnerverhalten losgelöste Pflichtverletzung gibt es deshalb nicht. Das intransitive Verständnis der Pflichtverletzung als Anknüpfungspunkt für ein Rücktrittsrecht bleibt also per definitionem in seiner Anwendung auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht beschränkt; für die Verletzung von Schutzpflichten bleibt es beim hergebrachten, handlungsbezogenen Verständnis. Einen möglichen Anwendungsbereich hat der erweiterte Pflichtverletzungsbegriff als Anknüpfungspunkt für ein Rücktrittsrecht jedoch dort, wo er nicht als gänzlich vom Schuldnerverhalten gelöst verstanden wird, sondern nur die Unabhängigkeit der Pflichtverletzung vom Vertretenmüssen erfaßt. Dem Gläubiger einer Schutzpflicht wäre dann gemäß § 323 Abs. I S. 1 KE der Rücktritt auch dann eröffnet, wenn der Schutzpflichtige seine Schutzpflicht zwar verletzt hat, diese Verletzung aber nicht schuldhaft war. Solche Konstellationen mögen auftreten, wenn ein von § 2761 BGB abweichender, ζ. B. auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beschränkter Verschuldensmaßstab vorliegt. Diese Erweiterung ist konsequent, denn für die Rücktrittsberechtigung des Schutzpflichtgläubigers kann es nur darauf ankommen, ob die Schutzpflichtverletzung eine die Vertragsaufhe10

Dazu oben §4 VII. Die Frage des Vertretenmüssens gewinnt Bedeutung erst für die Haftung, für den Rücktritt ist die Schuldhaftigkeit der Verursachung der Vertragsstörung jedoch ein Begründungsüberschuß. 11

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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bung rechtfertigende Vertragsstörung zur Folge hat; die Frage der Schuldhaftigkeit der Schutzpflichtverletzung hingegen gewinnt Bedeutung erst im Rahmen der Haftung auf Schadensersatz. Die Lösung des Rücktrittsrechts vom Vertretenmüssen ist also wie bei der Nichterfüllung der Leistungspflicht auch für Schutzpflichtverletzungen sachlich zutreffend. Deutlich sollte aber auch geworden sein, daß die Verschuldensunabhängigkeit im Bereich der Schutzpflichtverletzungen nur begrenzte Bedeutung hat, da sie lediglich zur Geltung kommt, wo Verschulden und objektiver Sorgfaltspflichtverstoß auseinanderfallen, weil ein von § 2761 BGB abweichender Maßstab vorliegt; dies ist jedoch die Ausnahme. c) Auflösung der Störungstatbestände

durch § 323 Abs. I S.l KE

Das geltende Recht orientiert sich für die Beantwortung der Frage, ob eine Vertragsstörung ein Ausmaß erreicht, das die Lösung vom Vertrag rechtfertigt, an den tatbestandlich normierten, objektiven Störungsformen Unmöglichkeit und Verzug12. Der Kommissionsentwurf ersetzt diese Einteilung nach Störungstatbeständen für das Rücktrittsrecht durch das Erfordernis der Fristsetzung, § 323 Abs. I S. 1 KE; ausgegangen wird davon, daß die erfolglose Nachfristsetzung die Pflichtverletzung als eine so gewichtige qualifiziert, daß sie den Rücktritt erforderlich macht13. Vertragsauflösender Rücktritt soll nach dem Vorschlag der Kommission als tief einschneidender Rechtsbehelf nur dann zur Verfügung stehen, wenn die Pflichtverletzung erheblich ist, wovon jedoch nach Fristablauf regelmäßig auszugehen sei14. Ob indes tatsächlich jede Pflichtverletzung, die gemäß § 323 Abs.I S. 1 KE als Anknüpfungspunkt des Rücktritts dient, durch die erfolglose Setzung einer Nachfrist auch das für die Vertragsauflösung ausreichende Gewicht erhält, erscheint zweifelhaft 15. Für die Nichterfüllung der Leistungspflicht konnten diese Bedenken oben zurückgestellt werden, da die Nichterfüllung der Leistungspflicht immer geeignet ist, eine schwere Vertragsstörung auszulösen, wie auch die Regelung des BGB zeigt. Keine Probleme bereitet deshalb die Antwort auf die Frage, ob der Verletzung von Schutzpflichten in jedem Fall durch die erfolglose Nachfristsetzung ein zur Vertragsauflösung drängendes Gewicht verliehen wird auch dort, wo die Schutzpflichtverletzung eine dauerhafte oder vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht zur Folge hat. Tritt zu der auf einer Schutzpflichtverletzung beruhenden Nichterfüllung der Leistungspflicht noch der erfolglose Fristablauf hinzu, so stellt sich die Nichterfüllung als feststehend dar, die Störung des Vertrages ist damit derart gewichtig, daß sie dessen Auflösung rechtfertigt. 12 13 14 15

Eingehend dazu oben § 6 I V 1 a, b) und IV6baa). Dazu schon oben §6IV6baa, bb). So die Kommission in ihren Erläuterungen (Bericht S. 166). Vgl. auch die Nachweise der kritischen Stellungnahmen oben bei §6IV6baa).

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

Als problematisch stellen sich damit diejenigen Schutzpflichtverletzungen dar, die nicht derart mit der Erfüllung der Leistungspflicht verflochten sind. Die erforderliche Schwere der Vertragsstörung kann hier nicht aus der Nichterfüllung der Leistungspflicht abgeleitet werden, sondern muß anders begründet werden. Beispiel16: Verkäufer V hat dem Käufer Κ das verkaufte Pferd mittlerweile übergeben. Den schriftlichen Nachweis einer (unstreitig vorgenommenen) Impfung des Pferdes hat er dem Κ entgegen seiner Zusage bei Vertragsschluß noch nicht zukommen lassen. Κ fordert den V auf, ihm den Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist zu übergeben. V hat seine Nebenpflicht zur Mitwirkung verletzt, auf die Erfüllung der Hauptleistungspflicht ist diese Pflichtverletzung aber ohne Einfluß. Ob diese Pflichtverletzung des V auch nach erfolgloser Fristsetzung den Rücktritt vom ganzen Vertrag rechtfertigt, erscheint deshalb fraglich 17. Unklar ist schon, in welchem Zusammenhang Schutzpflichtverletzung, Fristablauf und Ausmaß der Vertragsstörung stehen. Denn die Pflichtverletzung als solche ändert sich durch den Zeitablauf nicht, insbesondere tritt keine irgendwie geartete Steigerung der Pflichtverletzung ein; in dem vorangestellten Beispiel fehlt der schriftliche Nachweis auch nach der erfolglosen Fristsetzung in der gleichen Weise wie nach Übergabe des Pferdes. Auch stellt das Verstreichenlassen der Frist keine neuerliche Pflichtverletzung dar, denn den Schuldner trifft keine eigenständige Nebenpflicht, Fristen nicht verstreichen zu lassen, sondern nur die ursprüngliche, verletzte Pflicht. Dementsprechend zeigt der Fristablauf auch nur an, daß die ursprüngliche Pflichtverletzung nicht beseitigt worden ist und deshalb noch andauert. Wenn der Fristablauf also die Pflichtverletzung des Schuldners gar nicht erschweren kann, muß die Auswirkung der Frist auf der anderen Seite, der Gläubigerseite gesucht und die Frage dahingehend gestellt werden, ob die Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses, die durch die Schutzpflichtverletzung ausgelöst wird, im Wege des Zeitablaufes ein Ausmaß erreicht, das die Vertragsauflösung rechtfertigt. Unrichtig ist damit zumindest schon die Erläuterung der Kommission, die Pflichtverletzung werde durch Fristablauf regelmäßig zu einer erheblichen Pflichtverletzung18; zweifelhaft muß es darüber hinaus auch sein, ob dem Zeitablauf für die Steigerung der Vertragsstörung derart pauschal Relevanz zugesprochen werden kann19. Häufig mag dies der Fall sein, wenn der von der Schutzpflichtverletzung betroffene Teil nach erfolgloser Fristsetzung seine Dispositionsfreiheit gerade wiedererlangen muß, um den Schaden gering zu halten20. Ebenso häufig mag die Situation 16

Anknüpfend an den Gnindfall des verkauften Pferdes, vgl. oben §4 VIII und § 6 I V 3. Zu der Voraussetzung des §323 Abs.I S. 1 KE oben §6IV 6b aa, bb), zu den Korrektiven des § 323 Abs. III KE sogleich unten 2b). 18 Bericht, S. 166. 19 Vgl. zu dieser Frage im Zusammenhang mit der Nacherfüllung, §§438,439,323 KE Rust, §611 lb). 20 Oben §6IV6acc). 17

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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jedoch auch so liegen, daß dem Gläubiger ein geldwertes Interesse anstatt des Rücktritts ohne weiteres auch in Geld ausgeglichen werden kann; ohne Not würde dann der sekundäre Schadensausgleich durch Schadensersatz der Vertragsauflösung weichen21. Angesprochen ist damit wiederum22 die Frage, ob im System des Kommissionsentwurfes der Vorrang der Primärleistung und die Vertragsstabilität nicht vielfach abgeschwächt wird, indem die Voraussetzungen zum Übergang auf die Sekundärleistung23 und zur Vertragsauflösung herabgesetzt werden. Eine solche Abschwächung liegt sicherlich in der Öffnung des Rücktrittsrechts für alle Pflichtverletzungen bei gleichzeitiger Ersetzung der Störungstatbestände durch das Kriterium der Fristsetzung, so daß abzuwarten wäre, ob in der judiziellen Praxis diese Herabsetzung der Rücktritts Voraussetzungen im Wege der Korrektive des § 323 Abs. DI KE 2 4 wieder ausgeglichen wird.

2. Einschränkungen des Rücktrittsrechts und seiner Voraussetzungen gemäß § 323 Abs. I I und Abs. I I I KE Die soeben dargelegte Erweiterung und Vereinheitlichung des Rücktrittsrechts gemäß § 323 Abs. I S. 1 KE kommt freilich nicht ohne Einschränkungen in zweifacher Hinsicht aus. Zum einen wird die Erweiterung der Rücktrittsmöglichkeit auf alle Pflichtverletzungen durch die Korrektive des Abs. ΠΙ Nr. 1-4 KE wieder eingeschränkt. Von diesen vier Bestimmungen gewinnen für den Bereich der Verletzung von Nebenpflichten nur die Nr. 1,2 und 3 Relevanz25; da Nr. 3 jedoch schon oben im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Leistungspflicht dargelegt wurde26, verengt sich die folgende Betrachtung auf § 323 Abs. ΠΙ Nr. 1 und 2 KE. Zum anderen ergibt sich eine Einschränkung der Rücktrittsvoraussetzungen daraus, daß das grundsätzliche Erfordernis der Fristsetzung, § 323 Abs. I S. 1 KE in mehrfacher Hinsicht modifiziert oder entbehrlich wird.

21 In diesem Sinne auch Emst in JZ 1993 S.801, 807. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Amann in DNotZ, Sonderheft 1993 S.86; Bambring, Referat ebenda S.81; Kriechbaum in JZ 1993 S. 642,647 ff., die es deswegen für unumgänglich hält, stets auch die Regelung zur Teilleistungsstörung in § 3231S. 3 KE mit zu berücksichtigen, in der der Interessefortfall des Gläubigers als entscheidendes Kriterium dient. Der Vorgutachter Huber (Gutachten S. 835, 837 f.) knüpft die Rücktrittsberechtigung bei der „Nichterfüllung von Nebenpflichten", § 326 c II an die zusätzliche Voraussetzung, daß die Nichterfüllung der fraglichen Verpflichtung eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt. 22 Siehe schon oben §6IV6baa, bb). 23 Vgl. oben §7 II 3 c). 24 Dazu sogleich unten 2 b). 25 Zu § 323 III Nr. 4 KE vgl. die Erläuterungen im Bericht S. 170. 26 § 6IV 3 und 4. Für die Verletzung von Nebenpflichten ergibt sich keinerlei Abweichung.

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§ 8 Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

a) Mahnung und Fristentbehrlichkeit Für verschiedene Pflichten und Konstellationen weicht der Vorschlag der Kommission zum einheitlichen Rücktrittsrecht vom Erfordernis der erfolglosen Nachfristsetzung ab. aa) Mahnung statt Fristsetzung, § 323 Abs. I S. 2 KE Eine solche Abweichung stellt zunächst § 323 Abs. IS. 2 KE dar, der an die Stelle der Fristsetzung eine Abmahnung treten läßt, falls „nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht" kommt. Auffällig ist dabei, daß in § 3231 Satz 2 KE nicht auf die Art der Pflicht, sondern auf die Art der Pflichtverletzung abgestellt wird, scheinbar also Grund und Folge vertauscht werden. Diese Formulierung ist aber zutreffend, denn letztlich entscheidet nicht die Art der verletzten Pflicht, also ob sie zu einem positiven Tun oder einem Unterlassen verpflichtet darüber, ob eine Fristsetzung in Betracht kommt. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beachtung der Pflicht nachholbar ist oder aber die Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses durch die Verletzung schon feststeht. Nur im ersteren Fall ist die Setzung einer Frist sinnvoll, im letzteren Fall hingegen kann nur noch für die Zukunft gemahnt werden. Zu eng sind deshalb auch die Erläuterungen der Schuldrechtskommission im Abschlußbericht27, die Modifizierung des § 323 Abs.I S. 1 KE erfasse die Unterlassungspflichten, da bei Unterlassungspflichten eine Fristsetzung bei geschehener Zuwiderhandlung regelmäßig keinen Zweck mehr hätte. Die Unterlassungspflichten werden von Satz 2 zutreffend erfaßt, erfaßt werden in gleicher Weise aber auch Schutzpflichten, die den Schuldner zu einem positiven Tuen verpflichten. Deutlich wird das am Beispiel der Aufklärungspflicht über bestimmte gefahrträchtige Eigenschaften des Leistungsgegenstandes. Verletzt der Schuldner eine solche Aufklärungspflicht und kommt es deshalb beim Gläubiger zu einem Schaden, so hat eine Nachfristsetzung gemäß § 323 Abs. I S. 1 KE keinen Zweck mehr, da der eingetretene Schaden durch die nachgeholte Aufklärung nicht mehr verhindert werden kann. Der Gläubiger kann den Schuldner jedoch gemäß § 3231 S. 2 KE für die Zukunft mahnen, seine Aufklärungspflichten zum Schutz des Vertragspartners zu beachten, Bedeutung hat § 323 Abs. I S. 2 KE also für alle spontan zu beachtenden Schutzpflichten. In ähnlicher Weise kann das Erfordernis der Mahnung die Fristsetzung in allen denjenigen Fällen von Schutzpflichten ersetzen, in denen sich das geschuldete Schutzverhalten erst durch die eingetretene Schädigung konkretisiert28; für die Fälle 27 28

S. 167. Zu diesem Problem oben § 3 VI 3 c aa).

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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von Schutzpflichtverletzungen gewinnt § 323 Abs. I S. 2 KE somit zunächst einen weiten Anwendungsbereich29.

bb) Mahnungs- und Fristentbehrlichkeit gemäß § 323 Abs. Π KE § 323 Abs. I I KE normiert Fälle, in denen der Rücktritt ohne Nachfristsetzung gemäß § 323 Abs. I S. 1 KE oder Mahnung gemäß § 323 Abs. IS. 2 KE sofort möglich ist30. Entbehrlich sind Mahnung und Fristsetzung nach § 323 Abs. I I Nr. 1 KE zunächst, wenn „offensichtlich ist, daß sie keinen Erfolg hätten". Diese Ausnahme zu § 323 Abs. I S. 1 KE folgt unmittelbar aus dem dortigen Erfordernis der erfolglosen Fristsetzung, denn wenn eine Fristsetzung überhaupt keinen Erfolg haben kann, muß sie der möglichen, aber erfolglos gebliebenen Fristsetzung gleichstehen. Sucht man eine solche offensichtliche Erfolglosigkeit einer Mahnung oder Fristsetzung im Bereich der Schutzpflichtverletzungen, so gelangt man wieder zu den gerade schon angesprochenen Fällen der spontan zu beachtenden Schutzpflichten, zu den Schutzpflichten, deren Beachtung nicht nachholbar ist, da durch ihre Beachtung nach Schadenseintritt dem Gläubiger kein Schutz mehr gewährt werden kann. Angesprochen ist damit die elementare Grundstruktur der Schutzpflichten, der Schädigung des Vertragspartners durch ein entsprechendes Verhalten vorzubeugen, während der Schutz des Vertragspartners nach Schadenseintritt auf den Ausgleich durch den sekundären Schadensersatzanspruch beschränkt ist. Beispiel: Das Pferd, das V dem Κ verkauft hat, hat schon mehrfach bei Transporten im Anhänger gescheut und dabei sich selbst verletzt und den Anhänger beschädigt. V ist das bekannt, gleichwohl weist er den Κ nicht darauf hin, als dieser das Pferd bei V mit seinem Anhänger abholt. Wiederum scheut das Pferd, es kommt zu erheblichen Schäden. Daß es hier zwecklos ist, den V bezüglich seiner Aufklärungspflicht zu mahnen, ist einleuchtend, denn der Schaden, zu dessen Verhinderung die Aufklärungspflicht bestand, ist schon eingetreten. Gemäß § 323 Abs. I I Nr. 1 KE fällt die Erforderlichkeit einer erfolglosen Mahnung fort, so daß Κ sofort von dem Kaufvertrag zurücktreten könnte31. § 323 Abs. I I Nr. 1 KE kann Anwendung jedoch nicht nur bei den Schutzpflichten finden, in denen es um die Information des Schutzpflichtgläubigers über ihm bislang 29

Zur Entbehrlichkeit der Mahnung gemäß § 323 II Nr. 1 KE jedoch sogleich unten bb). Zu diesen Vorschriften siehe schon oben §6IV 3, IV4. 31 Vorbehaltlich der Korrektive des § 323 III Nr. 1,2 KE; dazu sogleich unten b). Zur Frage, ob Κ gemäß §§ 2801, II S. 3 i. V. m. 327,323 KE auch Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages verlangen kann, siehe unten II). 30

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

unbekannte Umstände geht32, sondern auch bei der Schutzpflicht, Beeinträchtigungen der Rechtsgüter und Interessen des Gläubigers bei Gelegenheit der Erfüllung zu unterlassen33. Ebenfalls in Betracht kommt die Anwendung bei der Schutzpflicht des Schuldners, jede Gefährdung oder Entwertung des Leistungserfolges nach der Erfüllung zu unterlassen34, sowie bei der Verletzung der Schutzpflicht zur Vertragstreue durch ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung 35. Ob bei der Normierung der Mahnungs- bzw. Fristentbehrlichkeit jedoch an diese Schutzpflichten gedacht wurde, ist fraglich und angesichts der Erläuterungen im Abschlußbericht wohl eher zu verneinen, denn dort wird als Anwendungsgebiet des § 323 Abs. Π Nr. 1 KE vor allem auf die Fälle der Unmöglichkeit der Leistungserbringung verwiesen36, die Verletzung von Schutzpflichten ohne einen solchen Einfluß auf die Leistungspflicht aber nicht erwähnt. Die Nr. 2 des § 323 Abs. I I KE regelt die Fristentbehrlichkeit im Falle des einfachen Fixgeschäftes37, betrifft also die Nichterfüllung der Leistungspflicht, nicht aber die Verletzung von Nebenpflichten; Nr. 3 hingegen ist als Auffangtatbestand für die in Nr. 1 und Nr. 2 nicht erfaßten Fälle konzipiert und soll den Gerichten entsprechende Wertungsspielräume geben38. Seine Anwendung auf Schutzpflichtverletzungen ist angesichts seiner offenen Formulierung möglich, absehbar ist ein Anwendungsbereich aber nicht39, diesen kann erst die Praxis zeigen. In Betracht käme beispielsweise die Verletzung der Schutzpflicht zur Vertragstreue durch beleidigendes oder tätliches Verhalten dem Vertragspartner gegenüber40, hier kann unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Rücktritt gerechtfertigt sein, obgleich eine Mahnung durchaus Erfolg haben mag.

b) Korrektive

des § 323 Abs. III Nr. 1 und Nr. 2 KE

Gewichtige Einschränkungen ergeben sich für das in § 323 Abs. I KE zunächst großzügig erweiterte Rücktrittsrecht durch § 323 Abs. III Nr. 1 und Nr. 2 KE. Nach dieser Vorschrift ist der Rücktritt „ausgeschlossen, wenn 1. die Pflichtverletzung unerheblich ist; 32

Zu diesen Schutzpflichten vgl. oben § 3 V2bbb) und V3b). Siehe oben §3 V2bcc). 34 Siehe oben §3 V3b). 35 Siehe oben § 3 V3c). Diese Anwendungsmöglichkeit erwähnt auch der Bericht, S. 169. 36 Bericht, S. 168; vgl. dazu auch schon oben §6IV3 und IV4b). 37 Bericht, S. 168 f. 38 Bericht, S. 169. Diese Vorschrift soll auch die jetzt in § 326 Abs. II BGB geregelten Fälle erfassen, soweit nicht das besondere Interesse bereits im Vertrag so hervorgehoben ist, daß von einem Fixgeschäft ausgegangen werden kann. 39 Kritisch äußert sich diesbezüglich Westerhoff in ZG 1994 S.97, 105 f. «> Siehe oben §3 V3c). 33

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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2. eine Pflicht im Sinne des § 241 Abs. I I KE verletzt ist und dem Gläubiger trotz der Pflichtverletzung das Festhalten am Vertrag zugemutet werden kann."41 Diese auf den ersten Blick griffig erscheinende Regelung wirft bei näherer Betrachtung erhebliche Probleme auf, zu deren Lösung die Erläuterungen im Abschlußbericht kaum beitragen42. Die Probleme beginnen bei der Frage, wie das Kriterium der „unerheblichen Pflichtverletzung" (Nr. 1) inhaltlich auszufüllen ist. Denkbar wäre es zunächst, nach der Art der verletzten Pflicht zu differenzieren und zu argumentieren, die Verletzung einer synallagmatischen Pflicht sei erheblich, weil die Pflicht wegen ihrer Einbindung in das Synallagma ebenfalls erheblich sei. Unerheblich wäre dementsprechend jede Verletzung einer nicht synallagmatischen Pflicht 43. Das Kriterium erheblich/ unerheblich paßt jedoch inhaltlich nur für verschiedene Grade der Verletzung von Pflichten, nicht für verschiedene Arten von Pflichten. Darüberhinaus kann nicht jede Verletzung einer nicht synallagmatischen Pflicht automatisch den Rücktritt ausschließen, da § 323 Abs. III Nr. 2 KE eine selbständige Regelung für die Schutzpflichtverletzungen enthält, die zum Rücktritt berechtigen können, obwohl sie regelmäßig nicht im Synallagma stehen. In Betracht käme es auch, zwischen Haupt- und Nebenpflichten zu unterscheiden und Nebenpflichtverletzungen grundsätzlich als unerheblich einzustufen. Dieser Überlegung widerspricht jedoch der Abschlußbericht indem er erläutert: § 323 Abs. III Nr. 1 KE schließe nur geringfügige Nebenpflichtverletzungen aus, so daß im Gegenschluß Nebenpflichtverletzungen grundsätzlich zum Rücktritt berechtigen müssen. Näher liegt es deshalb, die Auswirkung der Pflichtverletzung in die Frage nach der Erheblichkeit miteinzubeziehen, denn die Formulierung „unerhebliche Pflichtverletzung" bezieht sich wörtlich genommen darauf, daß die Art der Verletzung als unerheblich anzusehen ist. Entscheidend würde damit wieder die Frage, ob infolge der Pflichtverletzung eine derart gewichtige Störung des Vertragsverhältnisses vorliegt, daß der Rücktritt gerechtfertigt ist. Erheblich wäre damit also nicht die Pflichtverletzung verstanden im Sinne der Handlung des Schuldners, sondern erheblich wäre die Auswirkung auf der Gläubigerseite. Das führt jedoch zu einer weiteren Frage, nämlich zum Zusammenspiel der erfolglosen Nachfristsetzung und der Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Insbesondere bleibt diesbezüglich nämlich unklar, ob die Frage nach der Erheblichkeit der Pflichtverletzung vor der Fristsetzung oder nach erfolglosem Fristablauf zu stellen ist. Steht die Frage nach der Erheblichkeit erst hinter der Nachfristsetzung, so könn41 Zu diesen Vorschriften siehe auch schon oben § 6 I V 3) für die Nichterfüllung der Leistungspflicht. 42 Vgl. die Ausführungen im Bericht auf S. 169 f. 43 Vgl. in diesem Sinne auch die Überlegungen von Kriechbaum in JZ 1993 S.642, 647.

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

te eine zunächst unerhebliche Pflichtverletzung im Wege der erfolglosen Nachfristsetzung die zum Rücktritt erforderliche Erheblichkeit erlangen; zu fragen wäre dann, ob die Pflichtverletzung sich auch nach erfolgloser Fristsetzung noch als unerhebliche darstellt. Tritt die Frage nach der Erheblichkeit jedoch vor das Erfordernis der Nachfristsetzung, bliebe das Rücktrittsrecht für einen weiten Bereich von Nebenpflichtverletzungen von vorneherein verschlossen. Einmal als unerhebliche Pflichtverletzung eingestuft, könnte die Pflichverletzung nicht mehr als Anknüpfungspunkt für den Rücktritt dienen und zu einer Nachfristsetzung käme es gar nicht mehr, ungeachtet der Frage, ob sich die Auswirkungen der Pflichtverletzung nach einer Fristsetzung als erheblich darstellen. Der Unterschied ist also gravierend, welches Verständnis der Regelung zugrundezulegen ist, bleibt im Kommissionsentwurf gleichwohl offen. Nicht anders ist es für das Kriterium der „Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag (Nr. 2) im Falle der Schutzpflichtverletzung im Sinne des § 241 Abs. I I KE. Mit diesem Kriterium wird die Rechtsprechung zum Rücktritt nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung aufgenommen und in das neu geschaffene Rücktrittsrecht integriert. Diese Integration wird aber nicht im Wege der Angleichung an die sonstigen Rücktrittsvoraussetzungen des § 323 KE vorgenommen, sondern vielmehr wird das Rücktrittsrecht bei Schutzpflichtverletzungen dem Rücktritt bei allen anderen Pflichtverletzungen explizit gegenübergestellt und einem abweichenden Maßstab, der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung unterworfen. Dieses Vorgehen erscheint wenig glücklich. Zunächst muß die Kommission dadurch, daß sie die Rechtsprechungskriterien aufnehmen will, einen tatbestandlichen Fremdkörper in ihren Vorschlag integrieren und so die angestrebte Einheitlichkeit des Rücktrittsrechts aufgeben. Aber auch die in § 323 Abs. III Nr. 2 KE gewählte Formulierung wirft Probleme auf. Für Schutzpflichtverletzungen kommt sie einer widerleglichen Vermutung gleich, daß dem von einer Schutzpflichtverletzung betroffenen Gläubiger das Festhalten am Vertrag regelmäßig zugemutet werden könne; impliziert wird dadurch, daß Schutzpflichtverletzungen für den Bestand oder die Auflösung des Vertragsverhältnisses geringere Relevanz zukommt als anderen Pflichtverletzungen. Daß dies in keiner Weise der Dogmatik und Praxis entspricht, ist schon eingehend gezeigt worden. Gewichtiger aber sind weitere Bedenken, die sich wiederum erst aus dem Zusammenspiel mit einer anderen Vorschrift, nämlich § 323 Abs. III Nr. 1 KE ergeben und den - häufigen - Fall betreffen, daß eine Nebenpflicht sowohl dem Schutz des Integritätsinteresses als auch dem Schutz des Erfüllungsinteresses des Gläubigers dient44. Der Kommission sind solche Fälle durchaus nicht unbekannt, sie gibt im 44

Siehe dazu beispielweise oben § 3IV 3 b) und V 3 b).

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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Abschlußbericht selbst ein typisches Beispiel : Die Anleitung über die richtige Bedienung einer Motorsäge könne sowohl dem Leistungsinteresse als auch dem Schutzinteresse dienen; Zweck der Aufklärung könne nämlich sowohl das Funktionieren der Säge sein als auch Verletzungen des Benutzers (oder auch das bloße Zerstören der Säge) zu verhindern. Verletzt der Schuldner diese Aufklärungspflicht, stellt sich für die Rücktrittsberechtigung des Gläubigers nun die Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 323 Abs. III Nr. 1 und Nr. 2 KE. Wird für die Frage nach den Rücktritts Voraussetzungen auf den Schutz des Integritätsinteresses abgestellt, so wäre entscheidend für die Vertragsauflösung die Frage nach der Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag trotz der Verletzung des Integritätsinteresses, § 323 Abs. III Nr. 2 KE. Stellt man hingegen die Funktion der Aufklärungspflicht zum Schutz des Leistungsinteresses in den Vordergrund, müßte gefragt werden, ob die Nichtbeachtung der Aufklärungspflicht eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt, § 323 Abs. III Nr. 1 KE. Die Anwort kann hier durchaus unterschiedlich ausfallen, da nicht jede Pflichtverletzung, die mehr als unerheblich ist, zugleich auch zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung führt; unterschiedliche Rechtsfolgen erscheinen aber nicht gerechtfertigt, wenn Pflichtinhalt und Pflichtverletzung identisch sind. Als Ausweg bliebe hier wohl nur, die Zumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag gemäß § 323 Abs. ΠΙ Nr. 2 KE entsprechend der Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. III Nr. 1 KE zu interpretieren, sobald eine Schutzpflicht sowohl dem Integritäts- als auch dem Erfüllungsinteresse dient46. Das Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes bietet durch den einheitlichen Oberbegriff der Pflichtverletzung, der unabhängig von der Art der Pflichtverletzung zum Rücktrittsrecht führt also nur eine scheinbare Gleichbehandlung aller Interessenlagen, denn welche Probleme die nachfolgende Differenzierung zwischen der Erheblichkeit und der Unzumutbarkeit beim Rücktrittsausschluß mit sich bringt, mag dieses Beispiel gezeigt haben. Weitere Bedenken allgemeiner Art treten hinzu. Bei der überaus wichtigen Frage, ob der Vertrag aufgehoben worden ist oder fortbesteht, also weiterhin Erfüllung zu verlangen oder die Gegenleistung hierfür bereitzuhalten ist, erscheint die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unangebracht, da sie den Parteien nicht die hinreichende und erforderliche Klarheit verschafft. Wenn die Wirksamkeit eines schon erklärten Rücktritts noch von der Erheblichkeit oder der Unzumutbarkeit der Pflichtverletzung abhängt, bleibt die Frage, ob der Vertrag wirksam aufgehoben ist und dementsprechende Dispositionen getroffen werden können, für beide Parteien mit erheblichen Unsicherheiten belastet. 45

S. 113. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die ähnliche Problemstellung für das Kaufrecht bei Rust, §6 II lc). 46

19*

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§ 8 Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

3. Vorzeitiger Rücktritt, § 323 Abs. I V KE Eine Sonderregelung für die Ausübung des Rücktritts, die ihre Bedeutung bei der Verletzung von Schutzpflichten hat, bringt § 323 Abs. IV KE. Diese Vorschrift ermöglicht dem Gläubiger den Rücktritt schon vor Fälligkeit, „wenn offensichtlich ist, daß die Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht eintreten werden". Diese Regelung soll Situationen erfassen, in denen vor Fälligkeit eine unbehebbare Leistungshinderung droht oder der Schuldner unmißverständlich und endgültig die Leistungsverweigerung ankündigt47. Angesprochen sind damit zwei ganz unterschiedliche Schutzpflichtverletzungen. Hinter der Situation der unbehebbaren Leistungshinderung, die schon vor Fälligkeit der Leistungspflicht droht, wird regelmäßig die Verletzung einer Schutzpflicht stehen, die die Leistung vorbereitet und ihre Erfüllung sichert. In Betracht kommen hier insbesondere die Pflicht zur Obhut über den Leistungsgegenstand (custodia48), aber auch die Pflicht zur sorgfältigen Konkretisierung, Untersuchung des Leistungsgegenstandes und Mitwirkungspflichten. Ein möglicher Regelungsgegenstand von § 323 Abs. IV KE sind damit zunächst Schutzpflichten, die dem Schutz des Erfüllungsinteresses dienen und deren Verletzung sich dementsprechend darin zeigt, daß dem Schuldner die vertragsgemäße Erfüllung zum Zeitpunkt der Fälligkeit nicht möglich ist, das Erfüllungsinteresse des Gläubigers deshalb beeinträchtigt wird. Etwas anders liegt es bei der von § 323 Abs. IV KE erfaßten Situation, daß der Schuldner unmißverständlich und endgültig die Leistungsverweigerung ankündigt. Verletzt ist in diesem Fall die Schutzpflicht zur Leistungstreue49, die Pflicht der Vertragspartner, das Vertrauen in die Erfüllung des Vertrages, in die Vertragstreue des anderen Teiles nicht ernsthaft zu erschüttern. Auch die Verletzung dieser Schutzpflicht hat zur Folge, daß die vereinbarte Leistung zum Zeitpunkt der Fälligkeit ausbleibt, so daß dem Gläubiger der vereinbarten Leistung das Rücktrittsrecht des § 323 Abs. I KE nach Fälligkeit ohnehin offenstünde. Zeigt sich jedoch schon vor der Fälligkeit, daß die vereinbarte Leistung nicht erbracht wird, soll für den Gläubiger ein unzumutbares Abwarten des Fälligkeitszeitpunktes vermieden werden, die Rücktrittsmöglichkeit soll ihm sofort eröffnet werden50. Auch die grundsätzlich erforderliche Fristsetzung bzw. Abmahnung dürfte in den geschilderten Situationen gemäß § 323 Abs. Π Nr. 1 KE entbehrlich sein, denn ist das Leistungshindernis unbehebbar oder die Leistungsverweigerung endgültig, so ist offensichtlich, daß die Fristsetzung keinerlei Erfolg hätte.

47 So der Abschlußbericht auf S. 170. Die Erfüllungsverweigerung nach Fälligkeit hingegen berechtigt zum fristlosen Rücktritt gemäß § 3231, II Nr. 1 KE; vgl. Bericht S. 168. 48 Eingehend oben §3IV2b) und V3b). 49 Dazu ausführlich oben § 3 V 3 c). 30 Bericht, S. 170.

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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Die in § 323 Abs. IV KE getroffene Regelung ist keine grundlegende Neuerung, da sie lediglich ein allgemein anerkanntes Ergebnis festschreibt, dessen dogmatische Grundlage allerdings umstritten ist51. § 323 Abs. IV KE stellt dabei rechtstechnisch auf das offensichtliche Vorliegen der Rücktrittsvoraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt - nämlich dem der Fälligkeit - ab, um das Problem zu umgehen, daß vor der Fälligkeit noch keine Hauptleistungspflicht vorliegt, die verletzt werden kann52. Fraglich ist bei diesem rechtstechnischen Vorgehen jedoch, ob das Abstellen auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt erforderlich ist. Denn wenn man die Schutzpflichten, die der Leistungspflicht und dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit vorgelagert sind, zutreffend anerkennt, muß es für das Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes ausreichen, an deren Verletzung anzuknüpfen, ein Ausweichen auf die spätere Leistungspflicht ist überflüssig. Kennzeichnend für das Rücktrittsrecht des Kommissionsentwurfes ist es ja gerade, daß grundsätzlich jede Pflichtverletzung als Anknüpfungspunkt für den Rücktritt dienen kann, sofern sie nicht den Korrektiven des § 323 Abs. III KE unterliegt, was bei der Erfüllungsverweigerung nicht der Fall ist. Konsequent wäre es also, die spätere Nichterfüllung der Leistungspflicht auszublenden und stattdessen die konkrete Verletzung der Schutzpflicht zur Leistungstreue in den Blickpunkt zu rücken. Entgegenstehen kann dem auch nicht, daß dieser Schutzpflicht häufig kein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers korrespondieren wird 53, denn wie gezeigt54 ist entscheidend für die Rechtfertigung des Rücktrittsrechts allein das Ausmaß der Vertragsstörung. Für das Ausmaß der Störung aber ist die Frage, ob der verletzten Pflicht ein Anspruch des Gläubigers korrespondiert, ebenso irrelevant wie die Frage nach dem Vertretenmüssen der Pflichtverletzung. Daß die Schuldrechtskommission gleichwohl im Wege einer tatbestandlichen Fiktion an die Leistungspflicht anknüpft, um die Vertragsauflösung zu rechtfertigen, ist also nicht nur unnötig, sondern - trotz des zutreffenden Ergebnisses - ein bedenklicher Rückschritt55 auch insoweit, als letztlich die Möglichkeit nicht genutzt 51

Siehe oben § 3 V 3c) und die Nachweise im Abschlußbericht S. 170f. Bericht, S. 170. 53 Vgl. oben §3 VI. 54 Beispielsweise oben in §6IV1, IV6add). 35 Vgl. in diesem Zusammenhang den Vorschlag von Stoll für die Akademie für Deutsches Recht (1934), abgedruckt bei Schubert Bd. III, 3 S. 209:"§ 15 (Vertrauensbruch) Macht sich der Schuldner oder der Gläubiger durch sein schuldhaftes Verhalten, insbesondere durch Verletzung von Schutzpflichten eines so schweren Vertrauensbruches schuldig, daß dem anderen Teil die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden kann, so kann der andere Teil vom Vertrag zurücktreten und Ersatz des Vertrauensschadens verlangen." Zutreffend knüpft Stoll die Rücktrittsberechtigung an die Schutzpflichtverletzung und ihre Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis. Überwunden ist im Kommissionsentwurf jedoch die Beschränkung auf den Ersatz des negativen Interesses, falls der Gläubiger im Falle der Erfüllungsverweigerung zurücktritt (so auch Larenz in seinem Entwurf, vgl. § 5 Abs. IS. 2 i. V. m. § 6 Abs. I I S. 2; abgedruckt bei 52

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

wurde, die Dominanz der Leistungspflicht und ihrer Nichterfüllung als Orientierungspunkt für Rechtsbehelfe zu überwinden und die eigenständige Bedeutung der Schutzpflichten auch im Gesetz durchgehend abzubilden.

4. Fazit: Rücktritt und Schutzpflichtverletzung Die Schuldrechtskommission stellt auch für das Rücktrittsrecht den Begriff der Pflichtverletzung in den Mittelpunkt ihres Vorschlages. Die dadurch erreichte Erweiterung des Rücktrittsrechts nutzt zutreffend die Möglichkeit, die das Schuldrecht des BGB prägende Betonung der Leistungspflicht und ihrer Nichterfüllung abzulösen. In begrüßenswerter Weise spiegelt die Einbeziehung aller Pflichten in das Rücktrittsrecht wieder, daß auch das Schuldverhältnis sich keinesfalls auf die Leistungsbeziehung reduzieren läßt, sondern ein Organismus von Leistungs- und Schutzpflichten ist. Daß dieser Abschied von der beherrschenden Position der Leistungspflicht nicht immer konsequent durchgeführt wurde, zeigt eine Regelung wie § 323 Abs. IV KE, in der die Kommission von der Ausrichtung des Rechtsbehelfs an der Leistungspflicht und ihrer Störung wieder eingeholt wird. Überflüssig würde durch § 323 KE der Rücktritt nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung. Die Verletzungen von Schutzpflichten, die sich nicht unter die §§283, 325, 326 BGB oder die Störungstatbestände des Besonderen Schuldrechts subsumieren lassen und deshalb bislang in wenig befriedigender Weise praeter legem im Rahmen der positiven Vertragsverletzung der Rücktrittsmöglichkeit zugeführt werden, gehen vollständig in der Regelung des § 323 KE auf. Zustimmung verdient auch die Lösung des Rücktrittsrechts vom Erfordernis des Verschuldens. Diese gilt jedoch weniger den erzielten Ergebnissen, als vielmehr der dadurch erzielten Transparenz und Abbildung entscheidender Zusammenhänge in der gesetzlichen Regelung. Die praktisch erzielten Rücktrittsmöglichkeiten würden für den Bereich der Schutzpflichtverletzungen über die des geltenden Rechts nur wenig hinausgehen, da die nicht zu vertretende Schutzpflichtverletzung - wie gezeigt - die seltene Ausnahme zur Regel der schuldhaften Verletzung darstellt. Diese aber kann auch nach geltendem Recht zum Rücktritt führen; sei es über die §§ 325, 326 BGB, falls die Schutzpflichtverletzung zur dauerhaften Nichterfüllung der Leistungspflicht führt, oder sei es über die analoge Anwendung dieser Vorschriften in den übrigen Fällen. Die Ausblendung des Verschuldens im Rahmen des Rücktrittsrechts gibt jedoch den Blick dafür frei, daß es nicht die Art der verletzten Pflicht oder das Vertretenmüssen ihrer Verletzung ist, die über die Rücktrittsberechtigung entscheidet, sonSchubert Bd. III, 5 S. 110 f.) Gemäß §§2801, II S. 3 i. V. m. 327,323 KE kann der Gläubiger unter den dortigen Voraussetzungen zwischen dem Ersatz des Vertrauensschadens und dem Ersatz des Erfüllungsschadens wählen.

I. Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen, § 323 KE

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dem das Ausmaß der Vertragsstörung, das durch die Pflichtverletzung verursacht wurde. Angeschlossen wird damit an eine dogmatische Entwicklung des neunzehnten Jahrhunderts, deren Erkenntnisse bis in die Gesetzgebungsarbeiten zum BGB hineinreichen und die auch in den gesetzlichen Bestimmungen des Schuldrechts noch ihre Spuren hinterlassen konnte, letzlich aber durch die Kodifikation des BGB noch weit vor ihrer Vollendung festgeschrieben wurde56. Ob es für den erneuten Anschluß an diese Entwicklung jedoch nötig war, nicht nur das Verschuldenserfordernis zu verabschieden, sondern darüberhinaus auch die im BGB normierten Störungstatbestände Unmöglichkeit und Verzug aufzulösen, ist zweifelhaft. Unmöglichkeit und Verzug können für die Frage nach dem Ausmaß der Vertragsstörung wichtige objektive Orientierungspunkte bieten, auch in § 323 KE schimmern sie - versteckt hinter anderen Regelungen - immer wieder durch, widersetzen sich also letztlich erfolgreich ihrer Auflösung. Die Erweiterung des Rücktritts auf alle Pflichtverletzungen gemäß § 323 Abs. I S. 1 KE ermöglicht jedoch nicht nur die Einbeziehung aller Schutzpflichtverletzungen, sondern bringt gleichzeitig eine Herabsetzung der Rücktrittsvoraussetzungen mit sich, die durch das Korrektiv der grundsätzlich erforderlichen Fristsetzung sowie durch § 323 Abs. III KE nur unzureichend aufgefangen wird. Darüberhinaus zeigen diese zusätzlichen Rücktrittsvoraussetzungen, daß der einheitliche Grundtatbestand des § 323 Abs. I S. 1 KE sogleich wieder zergliedert wird und eben die Differenzierungen nach Art der verletzten Pflicht, Störungsform und Störungsfolge wieder erforderlich werden, die auch für das geltende Rücktrittsrecht entscheidend sind. Deutlich wird, daß es dem Reformvorschlag nicht möglich ist, die von ihm angestrebte Vereinheitlichung57 bei der Normierung durchzuhalten. Es ist dies aber auch weder wünschenswert noch nötig, da es für die sachgerechte Erfassung verschiedener Pflichtverletzungen gerade nicht um Vereinheitlichung geht, sondern letztlich nur darum gehen kann, Kategorien in den gesetzlichen Regelungen zu etablieren, die unterschiedlichen Pflichtverletzungen, insbesondere Schutzpflichtverletzungen Rechnung tragen können58. In dieser Hinsicht bietet § 323 KE mit § 323 Abs. IS. 2 KE zunächst die Mahnung, die für Schutzpflichtverletzungen in vielen Fällen die Fristsetzung ersetzen würde. Darüberhinaus ist mit § 323 Abs. Π Nr. 1 KE, der die Entbehrlichkeit von Fristsetzung oder Mahnung normiert eine Regelung vorhanden, die Besonderheiten der Schutzpflichtverletzung Rechnung tragen kann; in § 323 ΠΙ Nr. 2 KE schließlich wird für Schutzpflichtverletzungen ein eigenständiger Maßstab für die Rücktrittsberechtigung festgelegt. 56 Eingehend zur Entwicklung und zum historischen Hinteigrund der Verschuldensunabhängigkeit oben § 6IV 6 abb, cc). 57 Bericht, S. 164 unter III; S. 166 unter IV. 58 Zu diesem Ausgangspunkt siehe schon oben I3b).

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

Sieht man von § 323 Abs. III Nr. 2 KE ab, der die Schutzpflichten gezielt berücksichtigt und zum Regelungsgegenstand macht, erscheint es aber als fraglich, ob die Kommission bei der Ausgestaltung der genannten Vorschriften von dem Bestreben geleitet war, auch den vielfältigen Schutzpflichtverletzungen geeigneten Raum zu verschaffen. Die Erläuterungen im Abschlußbericht zumindest spiegeln ein solches Bestreben nicht wieder, die Vermutung liegt deshalb nahe, daß es sich bei der tatbestandlichen Anwendbarkeit auf Schutzpflichten um einen - wenn auch wünschenswerten - Nebeneffekt handelt, der bei der tatbestandlichen Ausweitung des Rücktrittsrechts zur Auflösung der Störungstatbestände anfiel. Zweifelhaft muß es deshalb ebenso sein, ob mit der Ausgestaltung des Rücktrittsrechts im Kommissionsentwurf die Möglichkeiten schon erschöpft sind, geeignete Kategorien auch für die Verletzung von Schutzpflichten in der gesetzlichen Regelung zu verankern.

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung: Der Schadensersatz wegen Nichtausführung gegenseitiger Verträge, §§ 280 Abs. I, I I S. 3 i. V. m. 327 KE Gewichtig scheinen die Abweichungen zu sein, die der Grundtatbestand der Haftung, § 280 Abs. I KE gemäß § 280 Abs. II S. 3 i. V. m. §§ 327, 323 KE erfährt. Die letzte der drei Spezialvorschriften des § 280 Abs. I I KE bestimmt für den sog. „Schadensersatz wegen Nichtausführung gegenseitiger Verträge", daß dieser gemäß § 327 KE nur nach erfolgtem Rücktritt geltend gemacht werden kann. Die beiden tragenden Säulen der Rechtsbehelfe des Gläubigers werden beim Schadensersatz wegen Nichtausführung also kumuliert, was zur Folge hat, daß der Schadensersatzanspruch entgegen der Grundregel des § 2801 KE nicht nur an die Stelle des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs tritt, sondern auch die Gegenleistungspflicht des Gläubigers erlischt und das ursprünglich auf Güteraustausch gerichtete Schuldverhältnis sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt.

1. Grundsätzliches zur Kumulation von Rücktritt und Schadensersatzanspruch im BGB und Kommissionsentwurf Das allgemeine Leistungsstörungsrecht des BGB ist geprägt von der grundsätzlichen Alternativität zwischen dem Rücktrittsrecht und dem Schadensersatz, der an die Stelle der Leistungspflicht tritt, also dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Ausdruck gefunden hat das in den §§ 325, 326,2831 i. V. m. 325 Π BGB: Der Gläubiger muß zwischen der Möglichkeit des Rücktritts und dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung wählen, die Verbindung beider Rechtsbehelfe im Sinne einer Kumulierung ist diesen Vorschriften fremd. Dieser Entscheidung liegt die Frage nach dem Verhältnis zugrunde, das Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung als Rechtsbehelfe zueinander und zur ur-

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung 297 sprünglichen Leistungspflicht haben. Formuliert man diese Frage vor dem Hintergrund der Vorgänge im Organismus Schuldverhältnis, dann veranschaulicht sie sich dahingehend, ob sich die Leistungspflichten durch Rücktritt in ein Rückgewährsschuldverhältnis verwandeln können und gleichzeitig die Entwicklung einer Schutzpflicht zur Schadensersatzpflicht möglich ist, die an die Stelle der Leistungspflicht tritt; oder ob vielmehr die Umwandlung der Leistungspflicht durch Rücktritt und die Entwicklung der Schutzpflicht sich gegenseitig ausschließen. Kurz: Ob die Leistungspflicht sich gleichzeitig zur Rückgewährspflicht umwandeln und durch die Schadensersatzpflicht auf das positive Interesse ersetzt werden kann. Der Kommissionsentwurf bejaht diese Frage, indem er für gegenseitige Verträge gemäß § 327 KE 59 die Kumulierung von Rücktritt und Schadensersatz ausdrücklich vorsieht: (1) „Nach dem Rücktritt kann der Gläubiger Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die Nichtausführung des Vertrages entsteht. Er kann statt dessen auch Ersatz des Schadens verlangen, der ihm daraus entsteht, daß er auf die Ausführung des Vertrages vertraut hat. (2) Dies gilt nicht, wenn der Schuldner den Rücktrittsgrund nicht zu vertreten hat."

Diese Vorschrift bedarf zunächst der Klarstellung in terminologischer Hinsicht. Dem Kommissionsentwurf ist der „Schadensersatz wegen Nichterfüllung" sowie überhaupt die „Nichterfüllung" als Ausdruck unbekannt, ersetzt werden soll dieser im BGB verwendete Ausdruck durch den „Schadensersatz statt Leistung", § 283 KE 60 . Der „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages" ist also eine Neuschöpfung des Reformentwurfes, die der Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz sprachlich Rechnung trägt61. Inhaltlich steckt auch hinter dieser Haftung freilich der Schadensersatz wegen Nichterfüllung, der sich von dem Schadensersatz statt Leistung des § 283 KE aber durch seine Voraussetzungen und Konstruktion unterscheidet62. § 3271 Satz 2 KE ist für den hier angesprochenen Problembereich ohne Belang63; Absatz Π stellt klar, 59 § 327 BGB weicht im Kommissionsentwurf der einheitlichen Rückabwicklung nach §§346 ff. KE. 60 Bericht, S. 131. Eingehend zur Terminologie der Haftung im Kommissionsentwurf und ihren Hintergründen oben § 712b) und c). 61 Im BGBfindet dieser Schadensersatzanspruch keine Entsprechung, da ja dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht auch die Kumulation von Schadensersatz und Rücktritt fremd ist. 62 Ausführlich dazu oben § 712c) und d). 63 Anstatt des Ersatzes des positiven Interesses nach § 3271 S. 1 KE kann der Gläubiger auch Ersatz des Schadens verlangen, der ihm daraus entstanden ist, daß er auf die Ausführung des Vertrages vertraut hat. Dieser Anspruch auf das negative Interesse ist nicht durch das positive Interesse begrenzt; der Rücktrittsberechtigte soll im Falle eines vom Rücktrittsgegner zu verantwortenden Rücktrittsgrundes ohne Nachteile aus dem Vertrag herauskommen können (Bericht, S. 173 f.). Diese Regelung soll die bisher im geltenden Recht bestehende Schwierigkeit beseitigen, die daraus resultiert, daß evtl. Aufwendungen des Gläubigers an sich nicht durch das Verhalten des Schuldners verursacht worden sind; diese Kosten wären unabhängig von der Vertragsverletzung auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung entstanden. Die Rechtsprechung be-

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

daß auch der „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages" vom Verschulden des Schuldners abhängig ist64. Die durch § 327 I S. 1 KE ermöglichte Kumulierung der beiden elementaren Rechtsbehelfe65 wurde überwiegend begrüßt66. Dieses positive Echo auf § 327 KE kann kaum überraschen angesichts der offenen Korrektur, die die im BGB angelegte Alternativität von Schadensersatz und Rücktritt durch die Differenztheorie in ständiger und langgeübter Praxis erfährt 67. Der Umstand, daß schon das Reichsgericht von Anfang an68 mit Entschiedenheit und im Anschluß an die Rechtsprechung zum alten HGB die Differenztheorie vertrat, veranschaulicht mit großer Deutlichkeit, wie wenig die alternative Regelung der §§ 325, 326 BGB letztlich den praktischen Bedürfnissen des Gläubigers im Falle der Nichterfüllung seines Leistungsanspruches gerecht zu werden vermag. Die Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung im Wege der Differenzmethode konnte diese Alternativität weitgehend abschwächen, denn nach ihr tritt der Schadensersatzanspruch nicht nur an die Stelle der unmöglich gewordenen Leistung, sondern der Vertrag wird durch das Verlangen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung inhaltlich umgestaltet: an die Stelle des gesamten zweiseitigen Schuldverhältnisses tritt der Ersatzanspruch, auf den sich das Schuldverhältnis deshalb konzentriert69. Haben beide Vertragsteile ihre Leistung noch nicht erbracht, ergibt sich vom Standpunkt der Differenzmethode eine deutliche Parallele zum Rücktritt, denn da nach dieser Methode die Leistungspflichten beider Parteien durch das Verlangen des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung aufgehoben werden, entfällt wie beim Rücktritt die Verpflichtung bezüglich der ursprünglich geschuldeten Leihilft sich hier mit der Unterstellung, daß vergebliche Aufwendungen als Kostenfaktor in die Kalkulation des Gläubigers mit eingegangen seien und so als eine Art Mindestschaden angesehen werden können, da für eine Deckung solcher Kosten durch die Gegenleistung eine sog. - widerlegbare - Rentabilitätsvermutung spreche (Bericht, S. 173 f.; Staudinger-Medicus, § 249 Rn 129 m. w. N.). Dieses praktische Ergebnis der Rechtsprechung wird durch § 3271S. 2 KE leicht erweitert, da dem betroffenen Gläubiger stets die Möglichkeit zustehen soll, Ersatz seiner Aufwendungen als Schaden ersetzt zu bekommen, unabhängig davon, ob sie aufgrund einer - vermuteten - Rentabilität des Vertrages als der kostendeckende Teil des entgangenen materiellen Ertrages aus dem Geschäft qualifiziert werden können oder nicht. Weitere Unterschiede ergeben sich für den Fall des Rücktritts des Verkäufers, vgl. §439111 KE. 64 Eingehend zu der Funktion des Absatz II unten 5). 65 Auch die einheitlichen Kaufrechte lassen die Kumulierung von Vertragsaufhebung und Schadensersatz zu, vgl. beispielweise Art. 811 CISG und die rechtsvergleichenden Hinweise im Abschlußbericht, S. 173 sowie Huber in seinem Gutachten S. 713 ff. 66 Beschluß 116) des DJT 1994 (Abdruck in Bd.II/2 Κ 234): Eine Koppelung von Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§§280113, 327 BGB-KE) ist nicht sachgerecht. Abgelehnt mit 37:73:17 Stimmen; vgl. auch Staudinger-Otto in § 325 Rn 38,46 f. Ablehnend hingegen Brüggemeier in seinem Referat auf dem DJT 1994 Bd.II/1 Κ 47,70; skeptisch auch Köhler in W M 1993 S.45,46ff. 67 Vgl. auch Weitnauer in Rechts vergleichung und Rechts Vereinheitlichung S. 71,93 ff. « RGZ 50 S. 265; RGZ 61 S. 352. 69 Weitnauer, Rechts vergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.71,93.

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung

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stung. Der verletzte Vertragsteil kann aber zusätzlich Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die Nichterfüllung der Leistungspflicht entstanden ist.

2. Historische Aspekte der Rechtsbehelfsalternativität Indem der zum Ersatz Berechtigte seinen Schaden derart unter Ablehnung der Durchführung des Vertrages berechnet, werden im Effekt die Rücktrittsfolgen mit dem Ersatzanspruch kombiniert. Diese Ableitung der Rücktrittsfolgen aus dem Schadensersatzanspruch entspricht der Anschauung des gemeinen Rechts70, bei der ein dem Rücktritt entsprechendes Ergebnis überhaupt nur dadurch erzielt werden konnte, daß man annahm, der zum Ersatz seines Interesses berechtigte Gläubiger könne geltend machen, daß die noch ausstehende Leistung des Schuldners sein Interesse nicht mehr befriedige, so daß die Annahme der noch ausstehenden Leistung seinem Recht auf Interesseersatz also widerspreche. Hatte der zum Ersatz Berechtigte seinerseits noch nicht geleistet, so ergab sich in Konsequenz der Zurückweisung der Leistung des Schuldners, daß er selbst nicht mehr leisten mußte. Nicht erreicht werden konnte auf diesem Wege jedoch die Möglichkeit des Schadensersatzgläubigers, aus seinem Recht zum Interesseersatz auch eine bereits erbrachte Leistung zurückzuverlangen. Für den Fall, daß diese Leistung in einer Geldleistung bestand, nahm man aber an, daß die Geldleistung der Mindestbetrag des zu ersetzenden Schadens sei71, so daß letztlich nur die Fälle übrig blieben, in denen der Ersatzberechtigte eine Sachleistung schuldet und schon erbracht hat72. Ebenso ist es im BGB aufgrund der Anwendung der differenztheoretischen Schadensberechnung: die Ausschließlichkeit von Rücktritt und Schadensersatz zeigt sich erst dann, wenn der Ersatzberechtigte mit einer Sachleistung in Vorleistung gegangen ist73. Für die Verfasser des BGB 74 ergab sich das Verbot, wegen Nichterfüllung Schadensersatz zu verlangen und gleichzeitig zurückzutreten als notwendige Konsequenz der Verselbständigung des Rücktrittsrechts75. Das Rücktrittsrecht war von ihnen vorsichtig von seiner Ableitung aus dem Schadensersatzanspruch gelöst und als 70

Eingehend dazu auch Harst S. 114 ff. Ebenso verfährt die Differenztheorie, vgl. Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.71, 94. 72 Dazu insgesamt Harst S. 17ff. und Jakobs, Gesetzgebung S.57ff. 73 Und der geleistete Gegenstand nicht (ζ. B. kraft eines Eigentumsvorbehaltes) zurückverlangt werden kann. 74 Vgl. in diesem Zusammenhang auch den §22 des Entwurfes von Stoll in seinem Referat vor der Akademie für Deutsches Recht (vgl. dazu oben § 4 II)), abgedruckt bei Schubert, Bd. III, 3 S. 189,210 mit Begründung auf S. 221 und den § 6 Abs. II des späteren Entwurfs von Larenz, abgedruckt bei Schubert, Bd. III, 5 S. 111 mit Begründung ebenda S. 77f. 7 ' Dazu oben §6IV6abb). 71

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

ein Rechtsbehelf konstruiert worden, der den Vertrag ex tunc beseitigt und damit gleichzeitig auch die Grundlage für einen Schadensersatzanspruch nimmt76. Das Kombinationsverbot ist demnach in seinem historischen Ursprung durchaus sachlich begründet, da der Rücktritt und das Schadensersatzverlangen in einem inneren Widerspruch zu stehen schienen77: Wer zurücktritt, will sein Interesse nicht geltend machen und muß deshalb mit seinem Anspruch auf Interesseersatz ausgeschlossen bleiben; die konstruktive Einkleidung für diese Erwägung war, den Vertrag im Falle des Rücktritts so anzusehen, als sei er nie geschlossen worden. Auch die Ableitung der Rücktrittsfolgen aus dem Schadensersatzanspruch, wie sie die Differenztheorie vornimmt, hätte deshalb nach Inkrafttreten des BGB nicht mehr stattfinden dürfen, weil mit dieser Ableitung die Kombination von Rücktritt, der den Vertrag vernichten sollte, und Schadensersatz, der den Vertrag voraussetzt, verbunden war.

3. Abweichungen des § 327 KE von der gegenwärtigen Rechtslage Der Widerspruch, den die Differenztheorie mit der Kombination der Folgen beider Rechtsbehelfe zur gesetzlichen Konzeption darzustellen scheint, ist aber viel schwächer, als der erste Blick vermuten läßt. Zum einen löst er sich dadurch auf, daß durch das heutige Verständnis der Rücktrittswirkungen78 die Einwände, die dem Gesetzgeber Entscheidungsgrundlage für seine konstruktiven Erwägungen waren, entfallen 79; denn indem der Rücktritt lediglich eine Umgestaltung des Schuldverhältnisses bewirkt, kann es als Rahmen für Schadensersatzansprüche weiterbestehen. Zum anderen schwächt sich der Widerspruch aber ab, weil für die Fälle der Vorleistung einer Sachleistung das Kombinationsverbot respektiert wird, die grundsätzliche Alternativität also gewahrt bleibt80. Daß diese Alternativität von Vertragsaufhebung und Schadensersatz jedoch auch im 76

Sein Vorbild fand das Kombinationsverbot wohl in den §§ 354, 355 ADHGB. Vgl. in diesem Sinne auch die Begründung von Larenz zur Rechtsbehelfsalternativität in seinem Entwurf für die Akademie für Deutsches Recht (abgedruckt bei Schubert Bd. III, 5 S.78). 78 Dazu oben §6IV ld). 79 Eingehend dazu Harst S. 150ff., insb. 153 f.; vgl. auch Huber in seinem Gutachten S.71; Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.71, 92f.; Leser in FS für Wolf S. 373, 388 und in Rücktritt S. 150ff. 80 Nach einer beachtlichen Literaturmeinung kann jedoch die erbrachte Leistung sogar in diesen Fällen auch bei der Wahl des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung zurückgefordert werden; vgl. Weitnauer in Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.71, 94ff. (kritisch dazu wiederum Jakobs, Gesetzgebung S.63 i. V.m. Fn.122); Gillig S.256ff.; Huber, Gutachten S. 713 ff. Diese Ansicht hat manches für sich, denn es ist kaum einzusehen, warum grundsätzlich die Leistungsstörung auf der Schuldnerseite den Fortfall der Gegenleistungspflicht mit sich bringen, die Verpflichtung aber bestehen bleiben soll, wenn der Gläubiger bereits vorgeleistet hat. Die Folgen des konditionellen Synallagmas treten unabhängig davon auf, ob eine der gegenseitigen Pflichten bereits erfüllt ist oder nicht. 77

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung

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Schuldrecht des BGB keinesfalls eine so klare und einfache ist, wie die §§ 326, 326 BGB es nahezulegen scheinen, hat Weitnauer für die besonderen Schuldvertragstypen eingehend nachgewiesen81. Nach allem ist also auch im geltenden Recht die Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung zwar nicht gesetzlich, aber praktisch weitgehend verwirklicht und stößt erst in der - wohl seltenen - Situation an ihre Grenzen, in der der Gläubiger einen anderen Gegenstand als Geld vorgeleistet hat und er diesen Gegenstand nicht kraft eines vereinbarten Sicherungsrechtes zurückverlangen kann. Erst mit dieser voraussetzungsreichen Konstellation ist also auch die Schnittmenge zwischen geltendem Recht und Kommissionsentwurf verlassen, denn der Gläubiger kann im Kommissionsentwurf auch in diesen Fällen gemäß § 327 KE Rücktritt und Schadensersatz kombinieren. Gerade weil der Kommissionsentwurf also nur in einem kleinen Teilbereich möglicher Fallgestaltungen die Rechte des Gläubigers gegenüber dem im geltenden Recht durch die Differenztheorie erreichten Stand erweitert, entzündet sich die Kritik. Bezweifelt wird schon, ob der von dem Reformvorschlag jetzt erfaßte, aber praktisch seltene Fall der Regelung im Wege einer umfassenden Änderung des Leistungsstörungsrechts überhaupt würdig sei oder nicht schon de lege lata im Sinne des Kommissionsvorschlages zu lösen sei. Zumindest aber sei die gewählte Lösung unnötig aufwendig und verwirrend, indem sie formell Rücktritt und Schadensersatz kumuliere, obwohl nichts weiter beabsichtigt sei als die Erweiterung der differenztheoretischen Schadensberechnung auf die Fälle einer gegenständlichen Vorleistung. Dieser Zweck hätte wohl auch erreicht werden können, so die Kritik, indem im Rahmen der Schadensersatzregelung Surrogations- und Differenzmethode als zulässige Schadensberechnungsmethoden beschrieben werden und dabei klargestellt wird, daß bei der Differenzmethode die Leistungspflicht des Schadensersatzgläubigers rücktrittsrechtlichen Grundsätzen unterliegt82.

4. Zwang zur Kumulation Es läßt sich nicht von der Hand weisen, daß der Kommissionsentwurf mit § 327 KE ein überschießendes Regelungsinstrumentarium gewählt hat, wenn man dem konstruktiven Aufwand die dadurch erreichte praktische Änderung gegenüberstellt. Der eingeschlagene rechtskonstruktive Weg ließe sich wohl noch mit dem Verweis auf die größere Klarheit und Rechtssicherheit der gesetzlichen Ausformung rechtfertigen, wenn die Kommission mit der Regelung des § 327 KE nicht eine weitere, bisher wenig beachtete Änderung geschaffen hätte, nämlich den Zwang zur 81 Weitnauer, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung S.71, 76ff.; vgl. ebenfalls Harst S.45ff. 82 So Kohler in W M 1993 S.47f.; kritisch auch Emst in JZ 1994 S.801,807f. Zur Kritik an dem Vorschlag des Gutachters Huber siehe Jakobs, Gesetzgebung S.66ff.

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz83. Das Kommissionsmitglied Heinrichs84 formuliert prägnant: „Die Kommission tritt... dafür ein, die Kumulierung von Rücktritt und Schadensersatz zuzulassen. In Wahrheit geht der Kommissionsentwurf sogar noch weiter. Nach § 327 KE kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur beanspruchen, wenn er vom Vertrag zurückgetreten ist. (...) Wenn der Gläubiger Schadensersatz statt Leistung unter Liquidation des Vertrages im Ganzen beanspruchen will, muß er vom Vertrag zurücktreten."85 Mit diesem Zwang zur Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz geht der Kommissionsentwurf weit über die Schadensberechnung nach der Differenzmethode hinaus86, denn wo die Differenzmethode greifen kann, wird nicht der Rücktritt mit dem Schadensersatzanspruch kombiniert, sondern es besteht für ein Rücktrittsrecht überhaupt kein Bedürfnis mehr. Verbunden werden durch die Differenzmethode nur die Rücktritts/o/ge/z mit dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung; der Rücktritt wird im geltenden Recht jedoch nur gebraucht, wo die Ableitung der Rücktrittsfolgen aus dem Schadensersatzanspruch an ihre Grenzen stößt. Diese Grenze beginnt erst dort, wo die eine Leistungspflicht schon erfüllt worden ist. Denn wer ein Recht auf ersatzweise Befriedigung seines Interesses hat, kann nicht zu einer seinem Interesse widerstreitenden Vertragserfüllung gezwungen werden; nur die noch ausstehende Vertragerfüllung aber kann dem Interesse des Ersatzberechtigten zuwiderlaufen. Die Notwendigkeit eines Rücktrittsrechts reduziert sich deshalb auf die Fälle der Vorleistung - zumindest für das geltende Recht. Insbesondere der Umstand, daß gemäß § 327 KE für den Schadensersatz wegen Nichterfüllung demgegenüber immer und zwingend die Ausübung des Rücktrittsrechts mit dem Ersatzanspruch kombiniert wird, müßte daher als unnötiger Ballast erscheinen. Für den Kommissionsentwurf zeigt aber die nähere Betrachtung, daß dieser mit der zwingenden Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz keinesfalls weit über das an sich bescheidene Ziel hinausschießt, sondern einem inneren, systembedingten Zwang Rechnung trägt. Für den umfassenden Rechtsbehelf des Schadensersat83 Kurz entgegengetreten werden muß an dieser Stelle noch einmal dem bei Brüggemeier (Referat auf dem DJT 1994 Bd.II/1, Κ 57,68 ff. 100) auftretenden und folgenreichen Mißverständnis, daß nach dem Haftungssystem des Kommissionsentwurfes im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages ein Schadensersatzanspruch auf das positive Interesse immer und nur über § 327 KE, d.h. nach Rücktritt zu erlangen sei, während die einseitigen Schuldverhältnisse von § 283 KE erfaßt würden. Vielmehr gilt § 283 KE für ein- und zweiseitige Verträge, während § 327 KE nur für den besonderen Ersatzanspruch wegen Nichtausführung des Vertrages zum Rücktritt zwingt; eingehend dazu oben § 712 d cc). 84 Vortrag S. 14. 85 Vgl. auch den Abschlußbericht S. 173,131 und 223. 86 Zur unzutreffenden Gleichsetzung von §§283 und 327 KE mit der Surrogations- bzw. Differenzmethode des geltenden Rechts siehe oben §7I2dbb).

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung

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zes wegen Nichterfüllung besteht immer die Notwendigkeit einer Lösung von den unerfüllten Pflichten, denn die sekundäre Schadensersatzpflicht auf das positive Interesse beruht gerade darauf, daß sie an die Stelle der bisherigen Leistungspflicht tritt. Es ist dies das oben87 schon angesprochene Problem der fehlenden Identität von Primär- und Sekundäranspruch: Der sekundäre Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ist keinesfalls nur eine unselbständige Modifizierung des primären Leistungsanspruchs, der durch die Nichterfüllung „verwandelt" wird, sondern der Ersatzanspruch ist ein selbständiger, sich aus einer Schutzpflicht entwickelnder Anspruch, der an die Stelle des Primäranspruchs tritt. Im Leistungsstörungsrecht des BGB wird diese wechselseitige Ausschließlichkeit88 von Leistungspflicht und sekundärer Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung konstruktiv durch die Mechanismen zur Befreiung von der Leistungspflicht abgesichert, denen letzlich das funktionelle Synallagma, die Beziehung des „do ut des" zugrundeliegt89. Dem System des Kommissionsentwurfes fehlen diese gesetzlich normierten Mechanismen zur Befreiung von der Leistungs- und Gegenleistungspflicht; das im BGB vielen Vorschriften implizit zugrundeliegende und diese prägende konditioneile Synallagma wird verdeckt, wie die Behandlung von § 275 und 323 KE ergeben hat90. Eine Befreiung von den Leistungspflichten im Sinne des BGB kennt der Reformentwurf nicht einmal, vielmehr ordnet § 275 KE den Fortbestand der Leistungspflicht an. Soll eine Schadensersatzpflicht an die Stelle der Primärleistung treten, so muß jedoch der Fortbestand der Primärleistungspflicht zunächst beendet werden. Es ist daher nicht verwunderlich, an sich sogar folgerichtig, wenn der Kommissionsentwurf als Ausweg aus der durch § 275 KE selbstgeschaffenen Zwangslage auf den Rücktritt zurückgreift und diesen zur Voraussetzung des umfassenden Ersatzanspruchs wegen Nichterfüllung macht. Denn nur über den Rücktritt kann im System des Entwurfs die Lösung von den Leistungspflichten erreicht werden91. Die zwangsweise Verbindung von Rücktritt und Schadensersatz ist also demnach keinesfalls ein konstruktiver Überschuß, sondern die unumgängliche Konsequenz daraus, daß das Gefüge des konditioneilen Synallagmas im System des Kommissionsentwurfes tatbestandlich verschoben worden ist92. Indem § 275 KE den Fortbestand der Leistungspflicht anordnet, kann nicht mehr aus der Schuldnerbefreiung 87

§ 5IV 2. Siehe in diesem Zusammenhang beispielsweise §5IV1, 2) und 3baa). 89 Siehe oben § 5IV 3 a) für § 3231 BGB; 3 b) für das ius variandi des § 3251 BGB, 3bcc) für die Differenzberechnung und VIII2) für § 3261 BGB. 90 Siehe beispielsweise oben §6 II 6 a); IV6caa) und V3). 91 Der Kommissionsentwurf kennt das Erlöschen der Leistungsverpflichtung einzig und allein als Konsequenz daraus, daß der Schuldner Schadensersatz statt der Leistung schon erbracht hat, § 283IV KE. 92 Dazu schon oben § 6 V 3 Die zwangsweise Kumulierung dient gleichzeitig auch der Abgrenzung des § 327 KE vom § 283 KE, dazu oben § 712 d cc). 88

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

die Befreiung des Gläubigers gefolgert werden93; der Gläubiger muß für die Befreiung von seiner (Gegen-)Leistungspflicht auf den Rücktritt verwiesen werden. Ebenso folgt für den Schuldner die Befreiung von seiner Primärleistungspflicht erst aus dem Rücktritt des Gläubigers, der Rücktritt wird damit für den Schadensersatz auf das positive Interesse, bei dem die Leistungspflichten entfallen, zum notwendigen Element. Auch der rechtskonstruktive Aufwand, der vom Kommissionsentwurf betrieben werden muß, um in seinem System die Schadensberechnung nach der Differenzmethode festzuschreiben und zu vervollständigen, stellt sich somit als Resultat der Auflösung der Störungstatbestände in den §§275,280 KE dar, die an anderer Stelle wieder aufgefangen werden muß. Im Rahmen des Systems des Kommissionsentwurfs ist die Vorschaltung des Rücktritts als Voraussetzung für den Ersatzanspruch wegen Nichterfüllung bei Wegfall der Leistungspflichten zwar die folgerichtige und konsequente Konstruktion, die Notwendigkeit einer solchen Konstruktion ist aber nichtsdestotrotz der Preis für die vom Kommissionsentwurf angestrebte Vereinheitlichung.

5. Vertretenmüssen des Rücktrittsgrundes, § 327 Abs. I I KE Der von § 327 Abs. I S. 1 KE erfaßte „Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages" kann vom Gläubiger nur verlangt werden, wenn ein Vertretenmüssen des Schuldners vorliegt, wie § 327 Abs. Π KE klarstellt: „Dies gilt nicht, wenn der Schuldner den Rücktrittsgrund nicht zu vertreten hat." Diese - auf den ersten Blick kaum problemträchtige - Bestimmung birgt trotz ihrer schlichten Fassung mancherlei Unklarheiten. a) Der Rücktritts grund als Bezugspunkt für das Vertretenmüssen Unklar ist zunächst, warum der Kommissionsentwurf in dieser Bestimmung für das Vertretenmüssen des Schuldners auf den „Rücktrittsgrund" und nicht auf die Pflichtverletzung abstellt. Ohne Not bricht der Kommissionsentwurf an dieser Stelle mit der einheitlichen Zentrierung im Grundtatbestand der Pflichtverletzung, denn daß derfragliche Rücktrittsgrund nichts anderes als eine Pflichtverletzung ist und auch nur eine solche sein kann, sagt unmißverständlich § 3231 S. 1 KE. Denkbar wäre allein, daß das Abstellen auf den „Rücktrittsgrund" im Rahmen der Schadensersatzregelung auch sprachlich die Verknüpfung von Schadensersatzanspruch und Rücktritt verdeutlichen soll. Illustriert würde damit, daß der Rücktrittsgrund auch gleichzeitig der Anknüpfungspunkt für die Haftung auf den „Schadensersatz wegen Nichtausführung" darstellen soll. 93

Siehe bsp. oben § 5IV 3.

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung 305 Die Deutung, daß § 327 I I KE nur dieser Hervorhebung dienen kann, wird durch eine weitere Überlegung bekräftigt, die beim Haftungsgrundtatbestand des § 280 KE ansetzt. § 2801 KE bestimmt in seinem Satz 2, daß die Schadensersatzpflicht des Schuldners nur im Falle des Vertretenmüssens der Pflichtverletzung entsteht. Diese Bestimmung gilt dabei übergreifend auch für die vom Kommissionsentwurf anschließend in den drei Spezialvorschriften des § 280 II KE ergänzten oder modifizierten Haftungsarten. Folgerichtig wird für den Schadensersatzanspruch statt Leistung des §§ 280II S. 1 i. V. m. 283 KE das Vertreten als Voraussetzung nicht mehr erwähnt; ebenso entfällt für den Verzug, § § 280 II S. 2 i. V. m. 284 ff. KE die Notwendigkeit eines Verschuldenserfordernisses 94. Für den Schadensersatz wegen Nichtausführung, §§ 280 II S. 3 i. V. m. 327 KE kann nichts anderes gelten, so daß die Regelung des Vertretenmüssens in § 327 Π KE für die Haftungsvoraussetzungen nur eine überflüssige Wiederholung dessen ist, was § 2801S. 2 KE schon bestimmt hat95. Bringt also die Voraussetzung des Vertretens im Rahmen der § 327 II KE lediglich eine sinnlose tatbestandliche Verdoppelung zu § 2801 S. 2 KE, kann sich der Sinn der Vorschrift nur noch aus dem von § 2801 KE abweichenden Inhalt ergeben; eben diese Abweichung liegt in der Wahl des „Rücktrittsgrundes" als Anknüpfungspunkt für das Vertretenmüssen des Schuldners. b) Kausalität zwischen Pflichtverletzung

und verursachtem Schaden

Es liegt damit die Frage nahe, warum es dem Kommissionsentwurf so wichtig ist, den Rücktrittsgrund im Rahmen des Schadensersatzanspruches wegen Nichtausführung des Vertrages als Anknüpfungspunkt für das Verschulden herauszustellen, anstatt es bei der Pflichtverletzung als Anknüpfungspunkt zu belassen, wenn doch hinter dem Rücktrittsgrund immer eine solche Pflichtverletzung steht96. Die Antwort wird klar, wenn man sich vor Augen hält, daß im Entwurf der Rücktritt zwar grundsätzlich nur die Pflichtverletzung voraussetzt, § 3231 S. 1 KE, diese Pflichtverletzung letztlich aber doch nach der Art der verletzten Pflicht und ihrer Störung zu einer schwerwiegenden Pflichtverletzung qualifiziert werden muß, § 323 III Nr. 1 und Nr. 2. Durch die Anknüpfung des Schadensersatzanspruches an den Rücktrittsgrund soll folglich gewährleistet werden, daß mir diejenige Pflichtverletzung zum Schadensersatzanspruch wegen Nichtausführung des Vertrages führt, die auch zur Auflösung des Vertrages berechtigt hat, nicht aber eine Pflichtverlet94 Die Normierung in § 284 Abs.III KE hat andere Hintergründe, dazu schon oben § 7I2f) i. V.m. Fn.38. 95 Und für das Rücktrittsrecht des § 323 KE stellt das Vertretenmüssen des Rücktrittsgrundes einen unnötigen Begründungsüberschuß dar. 96 Der Abschlußbericht verliert zu dieser Frage kein Wort.

20 Kuhlmann

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

zung, die das Rücktrittsrecht nicht tragen konnte. Denn für den Schadensersatzanspruch reicht im Kommissionsentwurf ja grundsätzlich jede zu vertretende Pflichtverletzung, § 2801 KE; es bestünde also die Gefahr, daß der Gläubiger den Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages geltend macht, obwohl die Pflichtverletzung nicht das für das Rücktrittsrecht nötige Gewicht erreicht hat. Die Formulierung des § 2801 KE, der Schuldner habe den Schaden zu ersetzen, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten habe, ist demnach zu ungenau. Mit dieser Formulierung wird das konkrete Kausalitätserfordernis zwischen Pflichtverletzung und verursachtem Schaden vernachlässigt. Für die besondere Ausformung der Haftung des § 3271 S. 1 KE muß die fragliche Pflichtverletzung daher wieder konkretisiert und in Bezug zum Schaden wegen Nichtausführung des Vertrages gesetzt werden. Verengt wird durch § 327 I I KE der Bereich möglicher haftungsbegründender Pflichtverletzungen auf die Konstellationen, in denen die schuldhafte Pflichtverletzung zum Rücktritt geführt hat; sei es, weil die Pflichtverletzung die Nichterfüllung der Leistungspflicht zur Folge hatte97 und das Rücktrittsrecht an die Nichterfüllung geknüpft wurde oder aber, weil die Pflichtverletzung die Schwelle des § 323 III KE überschritten hat und die Nichterfüllung der Leistungspflicht erst die Folge des Rücktritts ist. Ausgeschieden werden damit die Konstellationen, in denen zwar eine Nichterfüllung der Leistungspflicht vorliegt, die den Gläubiger als Pflichtverletzung zum Rücktritt berechtigt, diese Nichterfüllung aber nicht die Folge einer ebenfalls vorliegenden schuldhaften Pflichtverletzung ist. c) Beispiele Wegen ihrer Komplexität soll diese Situation und die Funktion des § 327 Abs. I I KE an einem Beispiel veranschaulicht werden; der Anschaulichkeit halber wird auch hier wieder auf das schon oben zitierte Beispiel zurückgegriffen, das in der Diskussion um den Kommissionsentwurf immer wieder auftauchte. Grundfall: Der Verkäufer V hat dem Käufer Κ ein Pferd verkauft; noch bevor V das Pferd dem Κ übergeben kann, wird es auf der Weide vom Blitz erschlagen. V kann Κ das Pferd nicht mehr übereignen, seine Leistungspflicht also nicht mehr erfüllen. Er ist deshalb zur Erhebung der Einrede des § 275 S. 1 KE berechtigt, was für den Κ über § 275 S. 2 KE 9 8 zum Rücktritt gemäß § 3231 S. 1 KE (i. V. m. § 323 Π Nr. 1 ohne Fristsetzung) führt, da im Kommissionsentwurf auch die nicht zu vertretende, zufällige Nichterfüllung der Leistungspflicht eine - intransitiv zu verstehende - Pflichtverletzung darstellt. Einen Schadensersatzanspruch hat Κ hingegen 97

Das ist die dem § 3251 S. 1 BGB entsprechende Konstellation. Auch ohne daß der V die Einrede des § 275 S. 1 KE erhebt, könnte der Κ unmittelbar über § 3231 KE vorgehen, da es dieser Verbindung nicht zwingend bedarf. 98

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung 307 nicht, da die Haftung das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung voraussetzt, § 2801 S.2 KE. 1. Abwandlung: Das Pferd fällt nicht dem Blitzschlag zum Opfer, sondern wird nach Vertragsschluß vom Verkäufer V auf seinem Hof schuldhaft mit dem Traktor angefahren und stirbt infolge seiner Verletzungen. Auch hier steht dem Käufer Κ das Rücktrittsrecht des § 3231 KE zu, es zeigen sich aber schon die ersten Unterschiede. Κ kann sein Rücktrittsrecht - wie im Grundfall - auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht stützen"; diese Nichterfüllung reicht unabhängig von ihrem Grund für das Rücktrittsrecht, das Vertretenmüssen stellt insoweit für den Rücktritt einen Begründungsüberschuß dar. Κ kann sein Rücktrittsrecht jedoch auch auf die Pflichtverletzung stützen, die darin liegt, daß V seine Schutzpflicht zur Obhut über den Leistungsgegenstand fahrlässig verletzt hat. Die aus dieser Schutzpflichtverletzung/ö/ge/zde Nichterfüllung der Leistungspflicht tritt hier zurück, es ändern sich damit auch die Maßstäbe, an denen die Pflichtverletzung gemessen wird, vgl. § 323 ΠΙ Nr. 1 und Nr. 2 KE. Dem Κ steht im Falle seines Rücktritts auch100 - folgerichtig - der Schadensersatzanpruch wegen Nichtausführung des Vertrages gemäß § 3271 S. 1 KE zu, denn der V hat den Rücktrittsgrund zu vertreten, ungeachtet dessen, ob man für den Rücktritt auf die Nichterfüllung der Leistungspflicht abstellt oder auf die Schutzpflichtverletzung. 2. Abwandlung: Der Käufer Κ besucht überraschend vor dem Übergabetermin die Stallungen des Verkäufers V undfindet das ihm verkaufte Pferd in völlig verwahrlostem Zustand vor: Halbverhungert, krank und verstört, weil der V es seit dem Vertragsschluß aus Nachlässigkeit nicht mehr gepflegt und gefüttert hat. Die Übereignung des Pferdes ist hier grundsätzlich noch möglich, so daß Κ sein Rücktrittsrecht, anders als in der ersten Abwandlung, nicht mit der Nichterfüllbarkeit der Leistungspflicht begründen kann. Das ist aber auch nicht erforderlich, denn der Rücktritt des Κ wäre gemäß § 3231 i. V. m. Abs. Π Nr. 3, Abs. m Nr. 2 KE begründet, da V seine Schutzpflicht zur Obhut und Pflege des verkauften Pferdes derart mißachtet hat, daß dem Käufer Κ das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Da der V seine Schutzpflicht schuldhaft verletzt hat, steht dem Κ auch101 gemäß § 32711 KE das Recht zu, nach seinem Rücktritt den Schadensersatz wegen Nichtausführung des Vertrages zu verlangen, da der Rücktrittsgrund, nämlich die Schutzpflichtverletzung, zu vertreten ist, § 327 Π KE. Dieser Anspruch des Κ ist sachgerecht, da die Nichterfüllung der Leistungspflicht zwar auf dem Rücktritt des Κ be99

Im Falle der Einredeerhebung des V über § 275 S. 2 KE. 100 Neben der Möglichkeit, gemäß § 283 KE den sog. Schadensersatz statt Leistung (bei fortbestehender Gegenleistungspflicht) zu verlangen. 101

20*

Auch hier könnte der Κ stattdessen ebenfalls nach § 283 KE vorgehen.

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Rücktritt bei Schutzpflichtverletzungen

ruht, der Grund dieses Rücktritts aber vom V zu vertreten ist, mithin auch die Nichterfüllung. Die Probleme, die durch die Fassung des § 327 I I KE gelöst werden sollen, zeigen sich erst in der 3. Abwandlung: Wie im Grundfall wird das verkaufte Pferd auf der Weide vom Blitz getroffen; der Verkäufer V informiert aus Nachlässigkeit den Käufer Κ jedoch nicht über den Tod des Pferdes, so daß Κ noch verschiedene, nutzlose Aufwendungen in Erwartung der Übereignung macht. Wiederum kann Käufer Κ gemäß § 3231, I I Nr. 1 KE fristlos vom Vertrag zurücktreten, denn die zufällige Nichterfüllung seines Erwerbsanspruches stellt eine Pflichtverletzung dar 102. Κ kann das Rücktrittsrecht jedoch nicht auf die Pflichtverletzung stützen, die darin liegt, daß der V seine Schutzpflicht zur Aufklärung des Κ nicht beachtet hat, denn diese Pflichtverletzung übersteigt nicht die Erheblichkeitsschwelle des § 323 III Nr. 1, 2 KE. Diese schuldhafte Pflichtverletzung berechtigt den Käufer aber, gemäß § 2801 KE Ersatz seiner nutzlosen Aufwendungen von V zu verlangen. Der Schadensersatzanspruch wegen Nichtausführung des Vertrages gemäß § 3271 S. 1 KE muß dem Κ in dieser Konstellation demgegenüber gemäß § 327 I I KE trotz des erfolgten Rücktritts verschlossen bleiben, denn es war nicht die zu vertretende Schutzpflichtverletzung, die das Rücktrittsrecht begründet hat, sondern die nicht zu vertretende Nichterfüllung der Leistungspflicht; nur die Deckungsgleichheit von zu vertretender Pflichtverletzung und Rücktrittsgrund kann aber auch die Kombination von Haftung wegen Nichterfüllung und Rücktritt rechtfertigen. Dieses Erfordernis der Deckungsgleichheit wird durch die Fassung des § 327 Abs. Π KE klargestellt. Ließe es der Kommissionsentwurf beim Vertretenmüssen der nicht näher konkretisierten „Pflichtverletzung", könnte im letzten Beispiel der Κ gemäß § 3271 S. 1 KE Schadensersatz wegen Nichterfüllung bei Wegfall seiner Leistungspflicht verlangen, da er zurücktreten kann und der V eine Pflichtverletzung schuldhaft begangen hat. Der Pflichtverletzung des V entspräche diese Schadensersatzpflicht jedoch nicht, da V zur Haftung wegen Nichterfüllung verpflichtet wäre, ohne daß der V die Nichterfüllung schuldhaft verursacht hätte. Dadurch, daß das Vertretenmüssen des Rücktrittsgrundes für den Schadensersatz wegen Nichtausführung Voraussetzung ist, wird also letztendlich abgesichert, daß der Schuldner zur Haftung auf den Nichterfüllungsschaden nur verpflichtet wird, wenn er auch für die Nichterfüllung verantwortlich ist.

102

Erhebt V seinerseits die Einrede des § 275 S. 1 KE, verweist § 275 S. 2 KE den Κ auf das Rücktrittsrecht des § 323 KE.

II. Kumulation von Rücktritt und Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung d) §327 KE vor dem Hintergrund

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der Funktionen der Unmöglichkeit

Im geltenden Recht findet das seine Entsprechung im Vertretenmüssen der Unmöglichkeit, §§ 280,325 BGB: Wenn und weil der Schuldner die Unmöglichkeit der Leistungserbringung zu vertreten hat, ist er für die daraus entstehende Nichterfüllung der Leistungspflicht schadensersatzpflichtig, und zwar in Höhe des Erfüllungsinteresses. Hinter § 327 Abs. II KE verbirgt sich damit nichts anderes als die Funktion, die die Unmöglichkeit für die Haftung des Schuldners hat, nämlich die Rechtfertigung der Modifizierung der allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung zur Haftung auf das positive Interesse, das an die Stelle der Leistungspflicht tritt. Die beiden Funktionen, die im BGB die Unmöglichkeit für die Befreiung von der Primärleistungspflicht und die Ausformung der allgemeinen Haftung hat, finden sich - kurz gesagt - also in § 327 KE auf die Absätze I und Π aufgeteilt wieder, werden jedoch dort von anderen rechtskonstruktiven Mechanismen übernommen. Die für den Schadensersatz wegen Nichterfüllung notwendige Befreiung von der Primärleistungspflicht wird in § 327 Abs.I KE durch die Vorschaltung des Rücktritts gewährleistet; die sachgerechte Abgrenzung des Schadensersatzanspruches auf das positive Interesse vom negativen Interesse sichert in § 327 Π KE das Abstellen auf den Rücktrittsgrund als Bezugspunkt für das Vertretenmüssen. Verengt werden muß dadurch wieder der umfassende Begriff der Pflichtverletzung des § 28011 KE, denn wie gezeigt kann eben nicht jede Pflichtverletzung auch jede Rechtsfolge tragen, Pflichtverletzung und Rechtsfolge müssen einander entsprechen. Den rechtlichen Problemen, die den Unmöglichkeitsvorschriften zugrundeliegen, kann also auch der Kommissionsentwurf nicht ausweichen, umgestaltet wird lediglich der Weg, auf dem sie gelöst werden. Der im Kommissionsentwurf eingeschlagene Weg führt zum sachgerechten Ergebnis, aber welches Maß an Differenzierung nach der Art der verletzten Pflicht sowie Art und Ausmaß ihrer Störung für das Zusammenspiel von § 323 KE und § 327 KE letztlich aber wieder erforderlich wird, mögen die Beispiele verdeutlicht haben.

§ 9 Unterlassungspflichten als Hauptpflichten und ihre Behandlung im geltenden Leistungsstörungsrecht I. Grundsätzliches zu den Unterlassungspflichten als Hauptpflichten In seiner Ausrichtung an der Leistungspflicht 1 ist im Schuldrecht des BGB die Regelung der Schutzpflichten vernachlässigt worden; ein wichtiger Pfeiler der Schutzpflichten wurde dem Gesetz durch die Streichung des § 2241 des ersten Entwurfes dem Gesetz wieder genommen. Die Pflicht zum Unterlassen als Gegenstand eines schuldrechtlichen Vertrages findet im BGB nur spärlich Erwähnung; ein Eingehen auf die dogmatischen Besonderheiten fehlt fast gänzlich2. Vielmehr scheint § 241 S. 2 BGB lapidar eine Gleichstellung von Tun und Unterlassen anzuordnen, indem die Leistung, die der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses zu fordern berechtigt ist, „auch in einem Unterlassen" bestehen kann. § 198 BGB legt für den „Anspruch auf Unterlassung" fest, daß dessen Verjährung erst mit der Zuwiderhandlung beginnt und auch die Vorschriften über die Vertragsstrafe, §§ 339 S. 2,345 2. Alt. BGB erwähnen die Möglichkeit, daß Gegenstand der Verbindlichkeit die Verpflichtung zu einem Unterlassen ist. Damit erschöpft sich die positivrechtliche Beachtung der Unterlassungspflicht als Hauptpflicht eines Schuldverhältnisses3. 1 Medicus (Schuldverhältnis S.9,17) erklärt die „Skelettierung des Schuldverhältnisses bis auf die Leistungspflichten" damit, daß-im Gegensatz zu den erst allmählich erkannten Schutzpflichten - über die Leistungspflicht etwa des Verkäufers mehr als zweitausend Jahre lang nachgedacht worden ist. 2 Auch in der Literatur ist die Unterlassungspflicht - soweit ersichtlich - seit der 1911 erschienen Monographie von Heinrich Lehmann nicht mehr Gegenstand einer umfassenden Betrachtung gewesen (vor Lehmann befaßten sich eingehend beispielweise Wendt in AcP 92 -1902- S. 30ff. und Rogowski in AcP 104 -1909- S. 303 ff. mit der Unterlassungspflicht). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann notwendigerweise auf die Besonderheiten der Unterlassungspflicht nur insoweit eingegangen werden, als es für die Dogmatik der Schutzpflichten aufschlußreich ist. 3 In der Literatur ist sogar immer wieder bezweifelt worden, ob die Unterscheidung zwischen T\in und Unterlassen überhaupt sinnvoll und berechtigt ist (so schon Husserl 1933 in FS für Papenheim, S.87ff.; eingehend auch Rödig, Rechtstheorie Bd.3 -1972- S. Iff.). Rödig (S. 11 f.) kommt aufgrund komplexer rechtstheoretisch-formaler Analysen zu dem Ergebnis, daß die Struktur der Unterlassungspflichten nicht von der Struktur der Pflicht zum Tätigwerden zu unterscheiden sei. In beiden Fällen habe man es mit einer jeweils erschöpfenden Gliederung des Verhaltensspielraums in teils positive, teils negative Verhaltensweisen zu tun. Es sei nur eine Frage der Formulierung, ob man Verhaltensanforderungen negativ - vom Unterlassen heroder positiv - vom Tün her - beschreibe, woraus die prinzipielle Gleichwertigkeit und Aus-

I. Grundsätzliches zu den Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

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Das BGB greift in seiner Leistungsbetonung jedoch zu kurz. Wo es mit seinen Leistungspflichten und korrespondierenden Erwerbsansprüchen das nötige Instrumentarium zur Güterbewegung gibt, legt es den Fall zugrunde, daß die vertragliche Hauptpflicht den Schuldner zu einem Tätigwerden verpflichtet. Schutz des Gläubigers 4, seiner Güter 5 oder ihm nahestehender Dritter 6 als Gegenstand einer vertraglich vereinbarten Hauptpflicht kann aber nicht nur durch ein aktives Handeln des Schuldners erreicht werden, sondern wird häufig und genau entgegengesetzt dadurch erreicht, daß sich der Schuldner einer bestimmten Tätigkeit enthält. Hauptpflicht der vertraglichen Vereinbarung ist dann eine Unterlassungspflicht. Als Hauptpflicht wird eine Unterlassungspflicht in aller Regel gegen das Versprechen einer Gegenleistung ausgetauscht sein und so im Synallagma stehen7. Wo eine Unterlassungspflicht als Hauptpflicht vereinbart wird, ist sie immer eine Schutzpflicht und weist als solche eine Reihe von Besonderheiten auf 8 , die zu einer von den Leistungspflichten abweichenden Behandlung zwingen. § 241 S. 2 BGB, der besagt, daß die Leistung auch in einem Unterlassen bestehen kann, scheint demgegenüber die Einordnung der Unterlassungspflichten in die Vorschriften, die der Güterbewegung dienen, nahe zu legen. Doch darf man die Aussagekraft dieser

tauschbarkeit der Kategorien von Tun und Unterlassen folge. Auch Rödig muß (S. 15 ff.) jedoch Besonderheiten der Unterlassungspflichten zugeben. Diese Besonderheit erschließt sich für Rödig aber erst aufgrund der Unterscheidung zwischen einem „Erfüllungszeitraum" als dem Zeitraum, in dem der Schuldner seine Verpflichtung erfüllen kann und einem ,3efriedigungszeitraum" als dem Zeitraum, innerhalb dessen sich die Befriedigung des Gläubigers vollzieht. Während bei Pflichten zu einem positiven Tun nun Erfüllungs- und Befriedigungszeitraum nicht identisch seien, sondern der Befriedigungszeitraum nur einen Teil des Erfüllungszeitraumes ausmache, seien bei den Unterlassungspflichten beide kongruent. Dem ist insoweit zuzustimmen; der Wert dieser Konstruktion erscheint indes zweifelhaft. Was Rödig aufgrund seiner komplexen theoretischen Analysen feststellt, beschreibt eigentlich nur ein tatsächliches Phänomen. Hinter Rödigs Konstruktion verbirgt sich nichts anderes als der Umstand, daß sich sowohl das geschuldete Verhalten im Falle der Unterlassungspflicht in Passivität erschöpft, als auch das Interesse des Gläubigers nicht über das Interesse an dieser Passivität hinausgeht, „Erfüllung" und „Befriedigung" also im Tatsächlichen zusammenfallen. Die Frage nach der grundsätzlichen Berechtigung der Kategorie des Unterlassens erscheint danibeihinaus aber auch als müßig, wenn das BGB sie doch schon selber zugrunde gelegt hat (in diesem Sinn auch Köhler in AcP 190 -1990- S.496,499 f. mit dem zutreffenden Hinweis auf die korrespondierenden Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung), ebenso schon Lehmann (Unterlassungspflicht S. 88); zurückhaltender Kramer (in MüKo, § 241 Rn 7), der mit dem „naheliegenden" und „natürlichen Sprachgebrauch" argumentiert. 4 Ζ. B. beim ständigen Personenschutz (,3odyguards"). 5 Ζ. B. durch Wach- und Schließgesellschaften, Nachtwächter etc. 6 Ζ. B. beim Babysittervertrag. 7 In der Literatur wird eine solche vertragliche Pflicht häufig als „selbständige Unterlassungspflicht" bezeichnet, vgl.z.B. Stoll in AcP 136 (1932) S.257,262f.; Siber, Grundriß S.99, Lehmann, S. 166, 172ff.; MüKo-Kramer, §241 Rn 8, 12ff.; ähnlich Palandt-Heinrichs, §242 Rn 25, Köhler in AcP 190 (1990) S.496,498; vgl. auch die Entscheidung des OLG Frankfurt in JZ 1985 S.337 (nicht rechtskräftig). 8 Zu den Besonderheiten eingehend unten II), III) und IX).

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Norm nicht zu hoch ansetzen. § 241 S. 2 BGB sagt zunächst nicht mehr, als daß die Parteien auch die Verpflichtung zu einem Unterlassen vereinbaren können, daß Gegenstand der Verpflichtung auch ein Unterlassen sein kann. Nicht kann man dieser Norm aber entnehmen, daß damit diese Verpflichtung auch die gleichen rechtlichen Strukturen aufweist wie die Leistung des §241 S. 1 BGB9. Auch den anderen Normen, die ein Unterlassen erwähnen, läßt sich dies nicht entnehmen. Vielmehr läßt die ausdrückliche Unterscheidung (z.B. in § 339 BGB) auch den Schluß auf die Unterschiedlichkeit zu. Gernhuber10 bemerkt treffend in Bezug auf § 241 S. 2 BGB, daß auch durch einen legislatorischen Akt nicht ermöglicht werden könne, was nicht möglich sei; der lapidare Hinweis auf diese Norm also nicht zu befriedigen vermag. Letztlich entscheidend muß für die Beantwortung der Frage daher sein, ob das Instrumentarium des allgemeinen Schuldrechts und die Funktionen, denen es dient, sinnvoll auch bei Schutzpflichten greifen. Ein großer Teil der Literatur nimmt § 241 S. 2 BGB gleichwohl „beim Wort"; dieser Paragraph wird so zum Eingangstor der Schutzpflichten in die nachfolgenden Vorschriften der §§ 275 ff. BGB. Die darin liegende Mißachtung der Eigenarten von Schutzpflichten führt zu vielfältigen Brüchen, Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten bei der Rechtsanwendung, was in den Abschnitten IV und V dieses Paragraphens aufgezeigt wird. Unmöglichkeit und Verzug sind als besondere Ausformungen der allgemeinen Haftung für jede Schutzpflichtverletzung bei Unterlassungspflichten nicht nur überflüssig, sondern stellen für Unterlassungspflichten auch einen dogmatischen Fremdkörper dar. Schon früh wurde der unmittelbaren Anwendung der §§ 275,280,286, 325 BGB ihre lediglich analoge Anwendung i. R. d. positiven Forderungsverletzung entgegengesetzt, um die auftretenden Unstimmigkeiten zu umgehen, was im Abschnitt V I dargestellt wird. Auch die analoge Anwendung der Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften ist jedoch angesichts der Besonderheiten der Unterlassungspflichten (dargestellt in den Abschnitten Π, ΠΙ und IX) dogmatisch unzutreffend (dazu Abschnitt V I 3) und es zeigt sich letzlich, daß - wie im Abschnitt V n gezeigt wird - auch die Unterlassungspflichten dem allgemeinen Haftungstatbestand für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung unterfallen, wie er in § 224 des Ersten Entwurfes zum BGB noch ausdrücklich normiert war.

9 Zur funktionellen Bedeutung des §241 S. 1 BGB für Struktur und Zwang im Schuldverhältnis vgl. Avenarius in JR 1996 S.492ff. 10 Erfüllung, S. 128.

II. Die Unterlassungspflicht als Rechtskreiseinschränkung

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II. Die Unterlassungspflicht als Rechtskreiseinschränkung im Gegensatz zur Güterbewegung Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung um die Anwendbarkeit der Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts liegt bei den §§ 275, 280, 286 und 323 ff. BGB. Das führt zunächst zu der Befassung mit der Frage, was der Inhalt der Unterlassungsverpflichtung ist und ob dieser Inhalt denjenigen Leistungsbegriff auszufüllen vermag, der den Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug zugrundeliegt.

1. Der Inhalt der Unterlassungspflicht und der Leistungsbegriff des BGB Der Leistungsbegriff des Schuldrechts des BGB weist grundsätzlich zwei mögliche, entgegengesetzte Aspekte als Gegenstand der Verpflichtung auf. Die Verpflichtung läßt sich zum einen handlungsbezogen als ein Bündel von Leistungspflichten verstehen, die zum Leistungserfolg hinführen sollen; zum anderen aber auch erfolgsbezogen als Verwirklichung des Gläubigerinteresses. Der erste Aspekt ist also geprägt von der Vorstellung des Sichverhaltensollens des Schuldners; der zweite hingegen von der Vorstellung eines Bekommensollens des Gläubigers. Diese-im BGB angelegte - Ambivalenz des Leistungsbegriffes 11 ist aber sachlogisch auf den Bereich der Güterbewegung, also auf Leistungspflichten beschränkt. Auf den Bereich der Unterlassungspflichten läßt sich diese Ambivalenz der Kategorien Handlung und Erfolg nicht übertragen. Nur bei Leistungspflichten kann überhaupt eine Differenzierung, eine Trennung zwischen Schuldnerverhalten und dadurch im Wege eines gestreckten Ablaufes erreichter Erfolgsverwirklichung beim Gläubiger getroffen werden. Denn nur beim Güteraustausch geht es darum, daß sich das Schuldnerverhalten äußerlich manifestiert, daß der Handlungsablauf in einen wahrnehmbaren Erfolg in Form einer materiellen Veränderung beim Gläubiger mündet. Im Bereich der Schutzpflichten, die in einem Unterlassen bestehen, geht diese Differenzierung zwischen Leistungserfolg und Leistungshandlung jedoch ins Leere; „Leistungshandlung" und „Leistungserfolg" fallen hier gleichermaßen zusammen12, da das Schuldnerverhalten und die Verwirklichung des Gläubigerinteresses schon identisch sind. Das Unterlassen des Schuldners kann als bloße Passivität in 11

Eingehend untersucht von Wieacker in FS für Nipperdey, S. 783 ff. Auch Lehmann hatte diese „Mehrdeutigkeit, Doppeldeutigkeit" des Leistungsbegriffes (Unterlassungspflicht S.56f.) schon genau erkannt. Er führt aus (ebenda), daß „Leistung" sowohl das Verhalten betreffe, dessen Beachtung durch das objektive Recht dem Schuldner zur Pflicht gemacht wird, als auch das Ergebnis des schuldnerischen Bemühens, den Gegenstand der Leistung. 12 So auch MüKo-Kramer, § 241 Rn 4; Huber in FS für von Caemmerer, S. 837, 844; Gemhuber, Erfüllung S. 123; ebenso schon Köhler in AcP 91 (1901) S. 180.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

der Vermögenssphäre des Gläubigers keinen greifbaren Zuwachs darstellen und darum geht es den Beteiligten ja auch gar nicht. Denn angestrebt ist ja keine Veränderung innerhalb des Rechtskreises des Gläubigers durch Güterzuwachs, sondern lediglich eine Änderung der Grenzen dieses Rechtskreises13. Für einen „Leistungserfolg" ist in dieser Situation kein Raum, der „Leistungserfolg", von dem Schuldner und Gläubiger ausgehen, ist insoweit nur eine Zustandsprojektion, die die Aufrechterhaltung oder die ungestörte Weiterentwicklung des vom Gläubiger angestrebten Zustandes wiedergibt. Der Zweck der Unterlassungsverpflichtung ist somit nicht unsichtbar, aber doch nur durch einen hypothetischen Vergleich des Bestehenden mit dem, was ohne die Beachtung der Schutzpflicht sein könnte, zu erkennen14. Es ist deshalb angebracht, anstatt die Besonderheit der Unterlassungspflicht durch ein Zusammenfallen von Leistungshandlung und Leistungserfolg zu kennzeichnen, auf diese Kategorien ganz zu verzichten15. Sie können die Strukturen von Pflichten erfassen, die dem Bereich der Güterbewegung angehören, für Schutzpflichten mit Unterlassungsinhaltfinden sie keine sinnvolle Anwendung16. Bei Unterlassungsschutzpflichten geht es nur um das der Verpflichtung entsprechende Verhalten, nur dieses ist zunächst Gegenstand des (unentwickelten) Anspruchs des Gläubigers. Mißachtet der Schuldner seine Schutzpflicht, indem er zuwiderhandelt, so führt das auch nicht zum Ausbleiben eines „Leistungserfolges", sondern hat die Entwicklung zum Sekundäranspruch zur Folge. Da die Schutzverpflichtung nicht auf einen Leistungserfolg hinzielt, sondern sich in einem Verhalten erschöpft, umfaßt dieser Anspruch auch grundsätzlich nur das negative Interesse, das Interesse des Gläubigers an dem Nichteintritt der Verletzung; nicht aber einen darüber hinausgehenden „Erfolg".

13

Dazu sogleich unten 2). Im Ansatz ähnlich, aber mit abweichendem Ergebnis Beuthien, S. 13; dem zustimmend Neumann, S.39. 15 Obwohl Lehmann (Unterlassungspflichten S. 57) klar erkennt, daß „bei den negativen Verbindlichkeiten der Scheidung zwischen Verhalten und Erfolg keine unmittelbare Bedeutung zukommt, da ein rein subjektives Verhalten gefordert wird, das nicht in einem bestimmten objektiven äußeren Resultat mündet", kommt er doch zum gegenteiligen Ergebnis. Dem Leistungsverhalten entspreche die Geistes- und Willensanspannung der Schuldners, dem Erfolg die rein äußerliche Passivität. Als Beleg für die Richtigkeit seiner Ansicht zieht Lehmann den Dienstvertrag zum Vergleich heran: Auch hier gehe die Verpflichtung des Schuldners auf ein rein subjektives Bemühen, ein besonderer objektiver Erfolg müsse dem Bemühen des Schuldners nicht gegenüberstehen. Lehmann ignoriert dabei aber, daß sich der Austausch von Arbeitskraft auch ohne einen solchen „objektiv greifbaren Erfolg" in der Vermögenssphäre des Dienstberechtigten unmittelbar niederschlägt (vgl. Kress S. 193 ff. zur Tätigkeit als Leistung und Neumann, S. 38 m. w. N.), genau das aber fehlt der Unterlassung. 16 Vor diesem Hintergrund wird erneut deutlich, daß den Unterlassungspflichten auch keine „Erfüllbarkeit" i. S. d. § 362 BGB korrespondiert, vgl. dazu auch eingehend unten IX1. 14

II. Die Unterlassungspflicht als Rechtskreiseinschränkung

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2. Unterlassungspflichten als Rechtskreiseinschränkung Daß keine Vermögensmehrung in dem Sinne stattfindet, daß der Schuldner einen Vermögenswert in die Sphäre des Gläubigers verbringt 17, heißt jedoch nicht, daß eine Unterlassung kein vemögenswerter Inhalt einer Verbindlichkeit sein könnte. Vielmehr wird sich der Gläubiger regelmäßig zu einer Gegenleistung verpflichten, in der Praxis meist zu einer Geldzahlung18. Was bekommt aber der Gläubiger für seine gegenständliche Leistung, wenn es nicht um einen Austausch von Gütern geht? Worin genau liegt der geldwerte Vorteil, der dazu führt, daß ein Unterlassen zum Gegenstand synallagmatischer Verknüpfung gemacht wird? Vereinfachend gesagt besteht dieser Vorteil in einer freiwilligen und bindenden Rechtskreiseinschränkung des Unterlassungsschuldners. Der Schuldner beschränkt durch die Unterlassungsverpflichtung eine bestimmte und rechtmäßige, innerhalb seines Rechtskreises bestehende Wahlmöglichkeit zwischen Tun und Unterlassen auf das Unterlassen und beschneidet auf diese Weise eine bestimmte Nutzungsmöglichkeit. Die Unterlassungsverpflichtung stellt insoweit einen freiwillig übernommenen Nachteil dar; dieser Nachteil entspricht dem Vorteil, den der Gläubiger anstrebt. Der vertraglichen Einschränkung des Rechtskreises des Unterlassungsschuldners korrespondiert die daraus erwachsende Erweiterung des Rechtskreises des Gläubigers über die Grenze hinaus, die ohne die Verpflichtung des Schuldners bestehen würde. Diese Erweiterung gibt dem Unterlassungsgläubiger einen Vorteil in Form erhöhter Chancen bzw. größerer Nutzungsmöglichkeiten innerhalb seines Rechtskreises, wobei die Nutzungsmöglichkeiten häufig kommerzieller Art19sein werden, jedoch auch ideelle Natur haben können20. Der Unterlassungsschuldner verpflichtet sich also, eine bestimmte21 Handlung zu unterlassen22, die vom Gläubiger als störend empfunden wird oder aus der Sicht des Gläubigers die Gefahr eines als nachteilig empfun17 Prägnant Siber in seinem Grundriß S. 3: „Unterlassungen sind keine Wertbewegungen, also keine Leistungen." 18 Insoweitfindet also ein einseitiger Gütertransfer statt, nämlich die Erbringung der Gegenleistung durch den Gläubiger. 19 So beispielsweise bei den Wettbewerbsabreden: Hier erhält der Gläubiger einen Vorteil in Gestalt erhöhter Absatzmöglichkeiten und einer größeren Vorhersehbarkeit seiner geschäftlichen Planung. 20 Diese ideellen Interessen stehen beispielsweise oft bei den verschiedenen Beschränkungen der Bebaubarkeit von Grundstücken im Vordergrund. Die Beschränkungen werden aber letzlich Weitsteigerungen des begünstigten Grundstückes nach sich ziehen, weisen also auch kommerzielle Aspekte auf. 21 Zu der Frage der Abgrenzung der „bestimmten" Handlung von den möglichen Verhaltensspielräumen des Unterlassungsschuldners vgl. Rödig, S.7ff. 22 Unrichtig ist es daher, wenn Beuthien, S. 14 ausführt, die Unterlassungspflicht beschränke die Willenssphäre des Schuldners. Beschränkt wird lediglich die Handlungssphäre, der Schuldner kann aber weiterhin jeden beliebigen Willen haben, solange er diesen nicht entgegen der schuldrechtlichen Vereinbarung in einer Zuwiderhandlung manifestiert.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

denen Erfolges in sich birgt. Sucht man wieder den Kontrast zu den Leistungspflichten, so wird deutlich, daß es bei den Unterlassungshauptpflichten um eine Verschiebung der gemeinsamen Grenze zwischen den Rechtskreisen des Schuldners und des Gläubigers zugunsten des Gläubigers geht, nicht aber um eine Güterbewegung über die gemeinsame Grenze der beiden Rechtskreise23.

3. Praktische Bedeutung der Unterlassungspflichten Der Funktion der Unterlassungspflicht, Grenzen zwischen den räumlichen Sphären bzw. Interessensphären der Vertragspartner zu ziehen und Übergriffe in den so abgesteckten Bereich zu vermeiden, entspricht das Bild der Unterlassungsverpflichtungen in der Praxis. Ihre Bedeutung zeigen sich dort, wo Menschen im privaten oder geschäftlichen Bereich in enge Berührung kommen und so eine ungehinderte Ausübung der jeweiligen Rechte zu Spannungen und gegenläufigen Interessen führt 24. Zu den Unterlassungsverträgen gehört beispielsweise der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsvertrag, in dem sich ein Unternehmen - in der Regel unter entsprechendem Vertragsstrafeversprechen - verpflichtet, bestimmte Wettbewerbshandlungen zu unterlassen; die sog. Wettbewerbsabreden von Handelsgehilfen und Handelsvertretern oder anderen Absatzmittlern, bei denen sich der Schuldner gegen Zahlung einer Karenzentschädigung verpflichtet, dem Unternehmen keinen Wettbewerb zu machen (vgl. §§ 74 ff., 90 a HGB). Diese Wettbewerbsverbote treten häufig auch zur Verwirklichung und Sicherung von Gewinninteressen im Zusammenhang mit einem Leistungsaustausch25, z.B. einem Unternehmenskaufvertrag auf; dem nahestehendfinden sich oft Nutzungsbeschränkungen in Kauf- Miet- und Lizenzverträgen. Das Instrument des Unterlassungsvertrages dient in der Praxis auch häufig dazu, bestimmte Grundstücksnutzungen zu unterbinden (z.B. in Form von Bau verboten oder -beschränkungen, Immissions- und Betriebsverboten); ebenso kommt er als Instrument des zivilrechtlichen Ehrenschutzes in Betracht. Weniger praktische 23

Eine besondere Konstellation kann insoweit die Verpflichtung zum Dulden darstellen (Ausführlich zum Dulden als Verpflichtungsinhalt schon Lehhmann, S.23ff.). Bei der Verpflichtung zum Dulden geht es nicht um die Unterlassung einer bestimmten Handlung, sondern um die vertragliche Gestattung oder gesetzlich angeordnete Hinnahme eines Eingriffs in den Rechtskreis des Verpflichteten. Das Dulden kann deshalb eine einschneidendere Form der Unterlassung sein, sie gründet sich in der Regel auf das Bedürfnis des Gläubigers, in die Befugnisse des Schuldners einzugreifen (vgl. auch Henke, Die Leistung S. 31 ff.). Für den ersten Entwurf des BGB wurde diese Eigenständigkeit des Duldens noch herausgehoben. So hieß es, ,Das Unterlassen umfaßt auch das Dulden." (Mugdan Bd. II, Motive S. 3). In der ZPO ist die ausdrückliche Unterscheidung verwirklicht, vgl. § 8901 S. 1 2. Al. Wo der Anspruch auf Duldung dem Ausgleich vorher beeinträchtigter Interessen dient (Nach Kress - S. 4 i. V. m. Fn.8 - kommen hier z.B. die §§ 867,1005 BGB in Betracht), ist er zu den Schutzansprüchen zu rechnen. 24 Beispiele gibt schon Wendt, AcP 92 (1902) S. 30ff., 39ff.; Lehmann in AcP 96 (1905) S.60,66; Kress, S. 5,579; vgl. auch MüKo-Kramer, § 241 Rn 8. 25 Hierher gehören auch die Bezugs- und Verwendungsbeschränkungen in Absatzmittlungsverträgen (vgl. § 18 GWB).

III. Grundsätzliche Besonderheiten des Unterlassungsanspruchs

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Bedeutung hat wohl der vielzitierte Vertrag über das Abhalten vom Bieten bei einer Auktion o. ä., sog. pactum de non licitando26, während der Vereinbarung über die Nichtausübung eines Stimmrechtes (z.B. in der Gesellschaft) die Relevanz nicht abzusprechen ist. Auch Lizenzverträge lassen sich als Verträge verstehen, in denen sich der Inhaber des Schutzrechtes verpflichtet, die Geltendmachung von Verbietungsrechten zu unterlassen bzw. die Nutzung des Schutzrechtes zu dulden27. Allen Unterlassungsverträgen gemeinsam ist also, daß durch die Begründung relativer Pflichten vorbeugender Schutz ideeller oder kommerzieller Interessen gewährleistet werden soll. Geht man zurück zu der Grundfunktion der Unterlassungspflicht, die im Interessenschutz durch Grenzziehung zwischen den Bereichen von Unterlassungsschuldner und Unterlassungsgläubiger zu finden ist, so zeigt sich schnell, daß angesichts der ständig zunehmenden Dichte und Verflechtung privater und geschäftlicher Sphären auch die Bedeutung der Unterlassungsverträge als Schutzinstrument zunimmt und die Bedeutung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGB bei weitem übersteigt.

I I I . Grundsätzliche Besonderheiten des Unterlassungsanspruchs 1. Der unentwickelte Schutzanspruch und seine Durchsetzbarkeit Schutzpflichten zielen nicht wie Leistungspflichten auf eine Erfüllung im Sinne eines Güteraustausches, sondern auf Beachtung. Der Unterlassungspflicht des Schuldners korrespondiert deshalb auch kein Erfüllungsanspruch des Gläubigers, sondern ein Anspruch auf Beachtung. Abgesehen von dieser zunächst begrifflichen Unterscheidung ist dieser Anspruch auf Beachtung jedoch auch insoweit mit rechtlichen Besonderheiten besetzt, als er in dieser Form grundsätzlich nicht durchsetzbar ist28. Seine Funktion besteht vielmehr darin, als Instrument vorbeugenden Schutzes den Schuldner schon durch die drohende Entwicklung zum sekundären Schadensersatzanspruch zu einem der Verpflichtung entsprechenden Verhalten zu zwingen, also von der Zuwiderhandlung ab26 Dieses Beispielfindet sich schon 1905 bei Lehmann, AcP 96 S.60, 66, wird aber auch heute noch regelmäßig bemüht, vgl. Palandt-Heinrichs § 241 Rn 8; MüKo-Kramer § 241 Rn 5. 27 Vgl. Köhler in AcP 190 (1990) S.496,498. 28 Vgl. Kress, S.593f.; ähnlich auch Siber in Grundriß S.2f.: „Ein... Unterlassen, das nicht Leistung an einen Empfanger ist, kann Inhalt einer Pflicht sein, aber... nicht Inhalt eines Anspruchs sein... Es bestehen Pflichten zur Unterlassung..., aber keine Ansprüche darauf, denn solche Unterlassungen sind keine Wertbewegungen, also keine Leistungen"; vgl. dazu auch Evans-von Krbek in AcP 179 (1979) S. 85,102ff. Diese fehlende Durchsetzbarkeit wird in der Praxis zwar durch die extensive Gewährung vorbeugender Unterlassungsklagen in Analogie zu den gesetzlich normierten Ausnahmen (§§ 100412 BGB, vgl. auch §§86212 und 1134 BGB) zunehmend aufgeweicht, doch ändern diese Ausnahmen nichts an dem zugrundeliegenden Prinzip.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten 29

zuhalten . Diese Grundsätze sind im bisherigen Verlauf dieser Arbeit für die Konstellation herausgearbeitet worden, daß Schutzpflichten als Nebenpflichten zu einer Hauptleistungspflicht bestehen. Sie gelten jedoch in gleicher Weise für die hier behandelte Konstellation, daß eine Unterlassungspflicht Hauptpflicht des Schuldverhältnisses ist. Auch dort, wo der Schutzanspruch einer Unterlassungshauptpflicht korrespondiert, ist er unentwickelt30, ein erfüllbarer und durchsetzbarer Anspruch liegt erst in der Verpflichtung des Schuldners zum Schadensersatz. Dieser Schadensersatzanspruch ist seinem Zweck nach ebenfalls ein Schutzanspruch. Der Schutz liegt jedoch nicht mehr in der präventiven Willensbeugung des Schuldners durch die Drohung sekundärer Verpflichtungen, sondern im nachträglichen Ausgleich etwaiger Beeinträchtigungen des geschützten Gläubigerinteresses. Gerade wo die Unterlassungspflicht entgeltliche Hauptpflicht des Schuldverhältnisses ist, wird deshalb häufig zur Stärkung der Stellung des Gläubigers eine Vereinbarung der Vertragspartner über vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, um die Einhaltung der Schutzverpflichtung erzwingen zu können. So kommt die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall der Zuwiderhandlung, § 339 S. 2 BGB in Betracht oder auch Klauseln, die die Anwendung der Zwangsvollstreckungsvorschriften der ZPO, insbesondere des § 890 ZPO erleichtern. Eine solche Vereinbarung der (vorbeugenden) Durchsetzbarkeit bedarf aber der Ausdrücklichkeit; darüberhinaus muß als Voraussetzung der Durchsetzbarkeit das zu erzwingende Verhalten bestimmt genug bezeichnet sein, damit die Vollstreckung durchgeführt werden kann31. Aber auch wo solche Vereinbarungen über die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Beachtung der Schutzpflicht vorliegen, führen sie für den Gläubiger keinesfalls zu einer der Durchsetzbarkeit eines Erwerbsanspruches entsprechenden Stellung. Anders als beim Erwerbsanspruch, dessen zwangsweise Durchsetzung im Wege der §§ 883-887 ZPO für den Rechtskreis des Gläubigers exakt zu dem Zustand führt, der ursprünglich durch die vertragliche Vereinbarung des Leistungsaustausches herbeigeführt werden sollte, kann die Durchsetzung des Unterlassungsanspruches nicht zu einer solchen Befriedigung des Gläubigers führen. Aufgrund der Natur des Inhalts des Leistungsaustausches kann ein dem Leistungsaustausch entgegenstehender Wille des Verpflichteten wirksam durch den Zugriff auf den Leistungsgegenstand oder eine Ersatzvornahme umgangen werden. Wo hingegen einer Schutzpflicht durch ein Unterlassen nachzukommen ist32, kann eine zwangsweise Durchsetzung ausschließlich am Willen des Verpflichteten selbst ansetzen; dieser kann 29

Kress, S. 5 f., 578 f. Weitnauer (in FS für v. Caemmerer, S. 255 269 Fn.51) formuliert anschaulich, daß die Unterlassungsansprüche „bis zur Verletzung der sie tragenden Pflicht" unentwickelt sind, so daß eine Erfüllung im eigentlichen Sinn des § 362 BGB nicht in Betracht kommt. 31 Vgl. Kress, S. 594; zur Klagbarkeit vgl. auch Lehmann, S. 81 ff., 90ff. 32 Ähnliche Probleme bereitet die Durchsetzung unvertretbarer Handlungen, vgl. § 888 ZPO. 30

III. Grundsätzliche Besonderheiten des Unterlassungsanspruchs

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sich aber in letzter Konsequenz immer der Erfassung entziehen. Eine unmittelbare und sichere, den entgegenstehenden Willen des Schuldners überspielende Abwendung der Interessenverletzung des Gläubigers ist deshalb bei Unterlassungen ausgeschlossen. Auch wo zwischen Unterlassungsgläubiger und Unterlassungsschuldner flankierende Vereinbarungen über die-auch vorbeugende - Durchsetzbarkeit der Verpflichtung vorliegen, kann diese deshalb nicht zu einer Befriedigung des Gläubigers, sondern nur zu einer Erhöhung seiner Sicherheit gegen die Verletzung des geschützten Interesses durch Verstärkung der Drohung führen 33. So kann die Vertragsstrafe den Schuldner nicht wirklich von der Zuwiderhandlung abhalten, setzt ihre Verwirkung doch schon diese Zuwiderhandlung voraus, § 339 S.2 BGB. Ähnlich wie bei den unentwickelten Ansprüchen setzt auch hier der Anspruch des Gläubigers die Verletzung voraus, vor dieser Verletzung wirkt die Vereinbarung nur durch die Drohung ihrer Entwicklung zur nachträglichen Sanktion.

2. Durchsetzbarkeit und § 890 ZPO Ebenso verhält es sich, wo der Gläubiger sich mit dem Instrumentarium des § 890 ZPO begnügen muß. Dort wird die Beachtung der Unterlassungspflicht durch die Strafdrohung der Ordnungshaft und des Ordnungsgeldes angestrebt, diese sollen präventiv die Motivation des Vollstreckungsschuldners beeinflussen34. Es handelt sich also nur um eine präventive Verstärkung der den Willen des Schuldners beugenden Drohung, die materiellrechtlich durch die mögliche Entwicklung zum sekundären Schadensersatz erreicht werden soll. Die Schwäche des § 890 ZPO liegt nun darin, daß die Maßnahmen des § 890 ZPO zunächst als Vollstreckungstitel ein Unterlassungsurteil voraussetzen35, einem solchen Urteil ist in der Regel aber schon eine Zuwiderhandlung des Schuldners vorausgegangen, deren Umstände eine Wiederholungsgefahr nahelegen. Solange der Unterlassungsgläubiger einen solchen Vollstreckungstitel jedoch noch nicht hat, ist für den Schuldner die erste Zuwiderhandlung sozusagen „frei" 36; erriskiert damit - abgesehen von etwaigen Schadens33

Vgl. Kress, S. 6. Ob auch die Strafe selbst präventiven Charakter hat und deshalb Beugestrafe ist oder aber repressive Sanktion für die begangene Zuwiderhandlung, ist streitig (vgl. zuletzt auch noch BGH in MDR 1996 S.447). Sieht man die Strafe als präventive Maßnahme, stellt sich aber notwendig die Frage, wie schon die erste Unterlassung nach dem Urteil verhindert werden soll, denn erst nach dieser Zuwiderhandlung darf nach § 890 ZPO die Strafe verhängt werden. Soll sie aber nur präventiven Charakter haben, so bliebe eine erste Zuwiderhandlung sanktionslos, wenn feststeht, daß weitere Zuwiderhandlungen nicht zu befürchten sind, da dann das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers für eine Vollstreckungsmaßnahme fehlt. 35 Zu den weiteren Voraussetzungen einer solchen Verurteilung zur Unterlassung und den Möglichkeiten, auch bei Erstbegehungsgefahr ein Urteil zu erwirken vgl. Köhler, S. 509 ff. und Henckel in AcP 174 (1974) S.97,104ff. 36 Köhler, S.512. 34

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

ersatzansprüchen - allenfalls die Unterlassungsklage, die dann dem Gläubiger erst den Weg zu § 890 ZPO eröffnen kann37. Die Durchsetzung von Unterlassungspflichten über § 890 ZPO ist aus der Sicht des Vollstreckungsgläubigers die schwächste Vollzugsmaßnahme des prozessualen Rechtsschutzes, da sie letztlich nur weiteren Zuwiderhandlungen durch Verstärkung der Drohung vorbeugen kann38, also nur nachträglich auf schon begangene Zuwiderhandlungen reagieren kann. Wahrend die Durchsetzung eines Leistungsanspruches im Wege der Vollstrekkung dem Gläubiger effektiven Rechtsschutz gewährt, läuft der Berechtigte eines Schutzanspruches Gefahr, daß der Verpflichtete bis zum Einsatz der Ordnungsmittel des § 890 ZPO - und falls er diese in Kauf nimmt noch darüber hinaus - seiner Unterlassungsverpflichtung zuwiderhandelt. Diese grundsätzliche Schwäche der prozessualen Durchsetzbarkeit einer Unterlassungspflicht ist unvermeidlich und korrespondiert der „Unentwickeltheit" aller Schutzansprüche auf Beachtung: Der Wille des Schuldners kann nicht anders gebeugt werden als durch die Androhung von Nachteilen39, durch die Androhung der Entwicklung zum sekundären Schadensersatzanspruch.

3. Die Verletzung des primären Schutzanspruches und der Inhalt des Schadensersatzanspruches Handelt der Schuldner seiner Pflicht zur Unterlassung einer bestimmten Handlung zuwider und führt dies zu einer Beeinträchtigung des geschützten Gläubigerinteresses, so wird die Schutzpflicht des Schuldners zu einer Schadensersatzpflicht, der der Schutzpflicht korrespondierende Schutzanspruch des Gläubigers auf Beachtung entwickelt sich zum - durchsetzbaren - Anspruch auf Schadensersatz. Dieser Schadensersatzanspruch geht auf das negative Interesse40, nämlich auf das Interesse des Gläubigers am Nichteintritt der Verletzung41. Der Gläubiger des Schutzanspruches kann im Falle der Schutzpflichtverletzung also verlangen, so gestellt zu werden, als sei das schädigende Ereignis nicht eingetreten. Der Gläubiger kann demnach Ersatz aller Schäden verlangen, die ihm aus der Verletzung seiner geschützten Interessen adäquat kausal erwachsen sind. Ein positives Interesse hinge37 Köhler (S. 514) resümiert, die Ordnungsmittel des § 890 ZPO seien zwar ein scharfes Schwert, aber nur schwer aus der Scheide zu ziehen. 38 Ebenso bei § 890 Abs. III ZPO, der eine Sicherheitsleistung für fernere Zuwiderhandlungen vorsieht. 39 Den Schuldner am Zuwiderhandeln schlechthin zu hindern, indem man ihn unter Bewachung stellt oder gar einsperrt, ist keine mögliche Alternative. 40 Kress, S.591 i. V.m. Fn.3; ausführlich auch Jakobs, Unmöglichkeit S.32f., 37f. 41 Die Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners wird dabei erst dadurch von einer an sich rechtmäßigen Nutzung seiner Rechtssphäre zu einer „Verletzung" des Gläubigerinteresses, daß er sich vorher vertraglich gegenüber dem Gläubiger für den Bereich dieser Handlung eingeschränkt hat.

III. Grundsätzliche Besonderheiten des Unterlassungsanspruchs

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gen, wie es bei der Nichterfüllung von Leistungspflichten Gegenstand des Anspruches sein kann42, kommt bei Unterlassungspflichten grundsätzlich nicht in Betracht43. Der Gläubiger eines Schutzanspruches kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als sei die Schutzpflicht erfüllt worden. Dies allein schon deswegen, weil es mangels eines Erfüllungsanspruches kein dementsprechendes Erfüllungsinteresse gibt. Die Schlüssigkeit dieser Feststellung zeigt sich deutlich aber auch bei weiteren Erwägungen, für die es hilfreich ist, gedanklich exakt zu unterscheiden zwischen der Unterlassungshandlung des Schuldners, dem vom Gläubiger angestrebten störungsfreien Zustand seines Rechtskreises und der Nutzung dieses Rechtskreises. Ein „Erfüllungsinteresse" des Gläubigers könnte sich zunächst nur auf die Unterlassungshandlung als Gegenstand der Verpflichtung beziehen. Hier könnte es jedoch auch nicht zu einem das negative Interesse übersteigenden, positiven Interesse kommen, da das Unterlassen als solches für den Gläubiger keinen Wert mit sich bringen kann, der über den möglichen Schaden im Falle der Zuwiderhandlung hinausgeht. Denn kommt der Unterlassungsschuldner seiner Verpflichtung vertragsgemäß nach, so kann zunächst nur das Ausbleiben einer Verletzung des geschützten Interesses die Folge sein, also die Störungsfreiheit des Rechtskreises des Gläubigers. Negatives Interesse und „positives" Interesse wären folglich sowieso dekkungsgleich. Diesem Befund, daß das Interesse des Gläubigers also insoweit ein negatives ist, als es nur am Nichteintritt der Verletzung, nicht aber an der Unterlassung als solcher besteht, entspricht, daß dieses Interesse - folgerichtig - nicht verletzt ist, wo der Unterlassungsschuldner seiner Verpflichtung zuwiderhandelt, ohne daß das geschützte Interesse des Unterlassungsgläubigers dadurch beeinträchtigt wird 44. Umgekehrt kann auch das Interesse des Gläubigers an der Störungsfreiheit seines Rechtskreises beeinträchtigt sein, ohne daß diese Störung auf einer Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners beruht, nämlich immer dann, wenn die Beeinträchtigung auf zufällige, d. h. vom Schuldnerverhalten losgelöste Ereignisse zurückzuführen ist45. 42

Vgl. oben § 2 V 3: Nämlich wenn und weil eine Schutzpflichtverletzung zur dauernden Nichterfüllung der Leistungspflicht führt. 43 Anderer Ansicht scheint insoweit Wiedemann (in Soeigel, § 280 Rn 11) zu sein, der auf den von der Rechtsprechung gewährten Anspruch auf Rückgängigmachung etwaiger Folgen verweist, dieser Anspruch sei ein Erfüllungsanspruch. 44 Als Beispiel stelle man sich vor, daß der Verpflichtete eines Wettwerbsverbotes der Vereinbarung zuwider Kontakt zu potentiellen Kunden sucht, seine Verhandlungen aber nicht zu Vertragsabschlüssen führen. Eine andere Frage ist dann die, wie sich die in der Zuwiderhandlung liegende Pflichtverletzung auf die Gegenleistung auswirkt bzw. ihre Bedeutung als Voraussetzung vorbeugenden Rechtsschutzes, z.B. als Grundlage für eine einstweilige Verfügung (vgl. schon Siber in Planck, Vorbemerkungen zu §241 Anm. III C 1). 45 Dieser Konstellation entspricht bei den Leistungspflichten die Nichterfüllung, die vom Schuldner nicht zu vertreten ist. 21 Kuhlmann

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Ein positives Interesse im Sinn eines Erfüllungsinteresses, wie es sich im Bereich der Güterbewegung findet, kann der Unterlassungsgläubiger immer nur bezüglich der Nutzung haben, die ihm durch das Unterlassen des Schuldners ermöglicht wird 46. Das ist regelmäßig der Fall, wo der durch das Unterlassen geschaffene, störungsfreie Raum zum Güteraustausch mit Dritten dienen soll47. Diese Selbstbereicherung des Gläubigers innerhalb des störungsfreien Raumes aber ist nicht Inhalt des Vertrages zwischen Schuldner und Gläubiger geworden, sondern stellt lediglich das Motiv des Gläubigers zur Eingehung der Unterlassungsverpflichtung dar. Die Unterlassung des Schuldners kann für diese in der Hand des Gläubigers liegende Nutzung nicht einmal direkt kausal sein48, auch in dieser Hinsicht kann von einem positiven Interesse als Inhalt eines möglichen Schadensersatzanspruches demnach nicht die Rede sein49. Das Interesse beschränkt sich also wie bei allen Schutzpflichten grundsätzlich auf das negative Interesse am Nichteintritt der Verletzung. Das Unterlassen als solches gewinnt seine Bedeutung demgegenüber dadurch, daß es als negative Voraussetzung der Entwicklung zum Schadensersatzanspruch unentbehrlich ist. Handelt der Unterlassungsschuldner seiner Verpflichtung zuwider, so indiziert diese Pflichtverletzung einen objektiven Sorgfaltspflichtverstoß, der Grundlage jeder Haftung ist.

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit Mit dem Schutzzweck, der fehlenden Durchsetzbarkeit und der Entwicklung zum sekundären Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse sind elementare Eigenschaften der Schutzpflicht als Hauptpflicht in ersten Linien nachgezeichnet. Diese besonderen Eigenschaften erfordern notwendig eine besondere Behandlung und Einordnung in das Leistungsstörungssystem des geltenden Rechts, was von der heute überwiegenden Ansicht in der Rechtswissenschaft insbesondere dadurch mißachtet wird, daß die Zuwiderhandlungen gegen eine Unterlassungspflicht vielfach als Fall der Unmöglichkeit mit den entsprechenden Rechtsfolgen der §§ 275 ff. BGB behandelt werden. Diese Vorgehensweise der herrschenden Ansicht in der Literatur wird im folgenden dargelegt. 46

Und eine solche Nutzung wird auch nur dort relevant, wo der Gläubiger kommerziellen, nicht lediglich ideellen Nutzen aus seiner Rechtskreiserweiterung ziehen will. 47 Auch hier bieten sich die Wettbewerbsverbote als Beispiel an: Der Unterlassungsgläubiger strebt den vom Unterlassungsschuldner ungestörten Handel mit Dritten an. 48 Eine Kausalität zwischen dem Verhalten des Schuldners und dem angestrebten Zustand in dem Rechtskreis des Gläubigers, wie sie bei Leistungspflichten unproblematisch nachzuvollziehen ist, gestaltet sich bei Unterlassungspflichten schwieriger. Hier unterscheidet sich der vom Gläubiger angestrebte Zustand ja in nichts von dem Zustand, der vorläge, wenn es den Unterlassungsschuldner überhaupt nicht gäbe. 49 Falsch daher Gillig (S. 27 f.): Bei Unterlassungen läge ein positives Interesse vor, da es auf eine ungestörte Selbstbereicherung gehe.

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit

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1. Unmöglichkeit bei Unterlassungspflichten Ausgangspunkt der Anwendung der Unmöglichkeitsvorschriften auf die Unterlassungspflichten ist § 2751 BGB, der bei nicht vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit zum Fortfall der Primärleistungspflicht führt. Wahrend bei den Leistungspflichten die Unmöglichkeit i. S. d. § 275 ff. BGB immer und zwingend in der überobligationsmäßigen Schwierigkeit der Leistungserbringung liegt, zeigen sich für den Bereich der Unterlassungsschutzpflichten schon die ersten Auffälligkeiten. Dort werden in der Regel drei ganz heterogene Varianten der „Unmöglichkeit" unterschieden. Unmöglichkeit soll nach dieser Unterscheidung zunächst vorliegen, wenn und weil der Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wurde. Darüberhinaus aber auch dort, wo die Zuwiderhandlung selbst unmöglich ist (denkbar ist dies auch in den Fällen, in denen der Gegenstand der Unterlassungspflicht entfallen ist); zuletzt aber auch, wo genau das Gegenteil vorliegt, nämlich wo die Zuwiderhandlung unvermeidbar ist50. Diese dreifache Unmöglichkeit ergibt sich daraus, daß die Unterlassung eine Wahlentscheidung zwischen zwei möglichen Verhaltensweisen darstellt und dementsprechend immer dann unmöglich ist, wenn dem Unterlassungspflichtigen keine Wahlmöglichkeit bleibt51.

a) Unmöglichkeit durch Zuwiderhandeln Zunächst zu der ersten, wohl wichtigsten Variante der Unmöglichkeit bei Unterlassungspflichten. Nach der wohl überwiegenden Ansicht in der Literatur 52 macht die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht deren Erfüllung unmöglich i. S. d. §§ 275 ff. BGB. Begründet wird dies damit, daß das auf ein Unterbleiben der Zuwiderhandlung gerichtete Gläubigerinteresse infolge der Zuwiderhandlung nicht mehr verwirklicht werden könne53. Regelmäßig liege dabei wegen der höchstpersönlichen 50

Dazu kommt noch die Differenzierung zwischen einmaligem und dauerndem Unterlas-

sen. 51

Beuthien, S.25. Vgl. aber auch Fn.68. Ζ. B. Soergel-Wiedemann vor § 275 Rn 216 mit zahlreichen Nachweisen der älteren Literatur; Staudinger-Löwisch § 275 Rn 7, Vorb. §§284-292 Rn 6; Palandt-Heinrichs § 275 Rn 9; Esser/Schmidt Tb. 2 S. 148; Köhler in AcP 190 (1990) S.497, 515 f.; Neumann S.39, i.V.m. Fn.196, S. 96; Nastelski in JuS 1962 S. 289, 294f.; Lehmann in Unterlassungspflichten S. 243ff., 250, 257 ff.; Rogowski in AcP 104 (1909) S.303, 325 ff.; Siber in Planck, Vorb. zu §§ 275-292 Anm. III4c, anders später in seinem Grundriß S.98ff. 53 Eine Ausnahme bei der Bejahung der Unmöglichkeit wegen Zuwiderhandlung macht die Rechtsprechung deshalb da, wo die Folgen der Zuwiderhandlung wieder rückgängig gemacht werden können (z.B. RGZ 70 S.439,441; RG in JW 1930 S.2922; BGHZ 37 S. 147,150f.; vgl. auch Soergel-Wiedemann vor § 275 Rn 216). In solchen Fällen werde durch die geschehene Zuwiderhandlung die Verbindlichkeit des Unterlassungsanspruches nicht gegenstandslos, der Anspruch aus dem Vertrag bestehe noch und gehe nunmehr auf Rückgängigmachung. Mit die52

21*

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Natur der Unterlassungspflichten eine objektive Unmöglichkeit vor. Differenziert wird bei den Rechtsfolgen zwischen der Verpflichtung zu einem einmaligen Unterlassen und der Verpflichtung zu einer Dauerunterlassung54. Beziehe sich die Unterlassungspflicht auf die Unterlassung eines einzelnen, bestimmten Aktes, so trete mit der Zuwiderhandlung endgültige Unmöglichkeit mit den Folgen der §§275, 323ff. BGB ein55. Die Störung sei endgültig und die Unterlassungsschutzpflicht habe sich erledigt, da sie keinen Gegenstand mehr habe, auf den sie sich beziehen könne. Die Unterlassungsschutzpflicht kann jedoch auch zum Inhalt haben, daß eine bestimmte Störung für eine bestimmte Zeit oder auf Dauer unterbleiben soll. Hier führe die Zuwiderhandlung nur für die Zeit, auf die sie sich erstreckt, zur Unmöglichkeit. Sie bewirke teilweise, insoweit jedoch nicht vorübergehende, sondern dauernde Unmöglichkeit, wenn der Verpflichtung für einen Teil des vereinbarten Zeitraumes zuwidergehandelt werde und führe zu völliger Unmöglichkeit, wenn ihr über den gesamten Zeitraum hinweg zuwidergehandelt werde56. Eine Zuwiderhandlung führe allerdings nur dann zur (teilweisen) Unmöglichkeit der Dauerunterlassung, wenn sie ihrerseits Dauercharakter habe und nicht nur in punktuellen Zuwiderhandlungen bestehe57. Folge der Unmöglichkeit sei die Anwendung der §§ 275, 280, 323 ff. BGB. Teilweise Unmöglichkeit der Unterlassung könne aber nicht nur in den Fällen der zeitweiligen Zuwiderhandlung bei Dauerunterlassung eintreten, sondern auch in Bezug auf den Inhalt des Unterlassens, wenn die Unterlassungspflicht selber teilbar sei58, entscheidend seien dann die §§ 280 I I 1, 32512 BGB. b) Unmöglichkeit der Zuwiderhandlung In der nächsten Variante der Unmöglichkeit bei Unterlassungsschutzpflichten liegen die Dinge anders: Hier ist es nicht die Unterlassung, sondern die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassung, die vom Schuldner nicht verwirklicht werden kann und deshalb eine Unmöglichkeit begründen soll. Denkbar sei das, wenn dem Schuldner der Schutzpflicht die Zuwiderhandlung als solche unmöglich werde59 sem Anspruch erstrebe der Gläubiger keinen Schadensersatz, sondern begehre nach wie vor Vertragserfüllung. 54 Soergel-Wiedemann, vor §275 Rn 216; Köhler, S.515f. 55 Ablehnend insoweit Kress, vgl. unten VI 2. 56 Zur teilweisen Unmöglichkeit ausführlich auch Lehmann, S. 246ff. 57 Köhler, S.515f. 58 Köhler, S. 522. 39 Köhler, S. 520 gibt das Beispiel, daß der Handelsvertreter, der ein nachträgliches Wettbewerbsverbot auf sich genommen hat, später berufsunfähig wird; ein anderes Beispiel ist das des Grundstückseigentümers, der sich zur Unterlassung der Bebauung verpflichtet hat, das Grundstück aber bald darauf einem öffentlich-rechtlichen Bauverbot untersteht.

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit

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oder weil der Gegenstand der Unterlassungspflicht entfalle 60. Auch hier liege eine Unmöglichkeit61 i.S.d. §§275, 280, 323ff. BGB vor 62. Gemäß § 275 BGB werde die Unterlassungspflicht durch den Eintritt der Unmöglichkeit aufgehoben63; wenn das durch die Schutzpflicht dem Schuldner auferlegte Unterlassen unmöglich werde, ohne daß der Schuldner oder der Gläubiger dies zu vertreten hat, so sei § 323 BGB anwendbar; der Schuldner verliere also den Anspruch auf die Gegenleistung oder einen entsprechenden Teil 64 . Die Schutzverpflichtung erlösche auch, wenn dem Gläubiger die Gegenleistung ohne Verschulden eines Beteiligten unmöglich werde, der Schuldner könne der Schutzverpflichtung dann zuwiderhandeln65. Ebenso sei § 324 BGB anwendbar, wenn der Gläubiger der Schutzverpflichtung den Eintritt der Unmöglichkeit des Unterlassens oder der Schuldner das Unmöglichwerden der Gegenleistung zu vertreten hat. Habe der Schuldner die Unmöglichkeit des ihm auferlegten Unterlassens zu vertreten, könne der Gläubiger die Rechte des § 325 BGB geltend machen; habe hingegen der Gläubiger der Schutzverpflichtung die Unmöglichkeit der ihm obliegenden Leistung zu vertreten, so lägen die Rechte des § 3251 BGB beim Schuldner, insbesondere auch das Recht, nach § 3251 S. 2 BGB die Schutzverpflichtung aufzuheben, mit der Folge, daß er zuwiderhandeln könne66. c) Unmöglichkeit der Unterlassung Die Einbettung der Unterlassungsschutzpflicht in die Unmöglichkeitsvorschriften wird auch in der dritten Konstellation durchgehalten, die sich durch einen ungewöhnlich hohen Grad von Lebensferne 67 auszeichnet. In dieser Konstellation ist die 60

Kress (S. 586) gibt die Beispiele, daß der geschützte gewerbliche Betrieb des Gläubigers eingestellt wird und seine Wiederaufnahme nicht in Betracht kommt bzw. daß feststeht, daß die Generalversammlung, für die die Verpflichtung zur Stimmenthaltung übernommen worden war, nicht stattfindet. 61 Gelegentlich wurde in diesem Zusammenhang auch mit der Figur der Zweckerreichung bzw. dem eigenständigen Erlöschensgrund des „Wegfalls des Gläubigerinteresses" argumentiert (vgl. die Darstellung bei Beuthien S.45 und S. 251,259 ff. mit zahlreichen Nachweisen der Ansichten von Lehmann und Böhmer). Diese Ansichten vermochten sich jedoch nicht durchzusetzen. 62 Köhler, S.520; vorsichtig zustimmend auch Kress S. 586 („denkbar**, „dürfte zutreffen"); Gemhuber, Erfüllung §5 VI 2c; Beuthien S.25, 251, 263ff.; vgl. auch Henckel in AcP 174 (1974) S.96,124; MüKo-Kramer §241 Rn 8 i.V.m. Fn.20, der vorschlägt, §275 BGB analog anzuwenden. « Kress, S. 586. 64 Kress, S. 588 f. 63 Kress, S. 588 f. Diese Konstellation wird wohl kaum praxisrelevant sein, da die fragliche Gegenleistung des Gläubigers in aller Regel in einer Geldleistung bestehen wird. 66 Kress S. 589. 67 Dementsprechend zurückhaltend ist die Literatur zu diesem Thema bei der Unterlegung mit Beispielen.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Unterlassung selbst unmöglich, die Zuwiderhandlung demnach unvermeidbar68. Hier liege der Fall so, daß der Unterlassungsschuldner seine Pflicht überhaupt nicht erfüllen könne, weil er aus rechtlichen, sittlichen oder tatsächlichen Gründen zur Vornahme der untersagten Tätigkeit gezwungen wäre. Stehe dies schon bei Vertragsschluß fest, so liege ein Fall anfänglicher, objektiver69 Unmöglichkeit vor, so daß grundsätzlich § 306 BGB zur Anwendung komme70. Weil sie die persönliche Freiheit des Schuldners über das erträgliche Maß hinaus einschränken, dürften solche Unterlassungspflichten in der Regel jedoch bereits gegen die Schranken der §§ 134,138 BGB verstoßen71 und schon deswegen nichtig sein, ohne daß § 306 BGB noch zum Tragen kommt.

2. Kritik vor dem Hintergrund der ratio der Unmöglichkeitsvorschriften Die soeben geschilderte Art und Weise der Anwendung der §§ 275 ff. BGB zeigt, daß die Unterlassungspflichten nicht reibungslos den Vorschriften der Unmöglichkeit unterstellt werden können. Das erklärt sich daraus, daß der die Unmöglichkeitsvorschriften tragende Grundgedanke keine Anwendung auf Unterlassungspflichten finden kann72. Dieser Grundgedanke der Unmöglichkeitsvorschriften ist die Beschränkung des Gläubigers auf den Primärleistungsanspruch und dem korrespondierend die des Schuldners auf seine Primärleistungspflicht. Der Vorrang der Primärleistung73 endet erst, wo Unmöglichkeit der Leistungserbringung vorliegt. Hat der Schuldner74 diese nicht zu vertreten, wird er von seiner Primärpflicht frei; liegt ein Vertreten i. S. d. § 2761 BGB vor, so tritt an die Stelle der Primärleistungspflicht die sekundäre Verpflichtung zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung 75. Kurz: Die 68

Auf diese Notwendigkeit des Zuwiderhandelns wurde früher die Annahme der Unmöglichkeit einer Unterlassung beschränkt, vgl. Beuthien, S.24f. mit zahlreichen weiteren Nachweisen zur älteren Literatur und die Darstellung bei Lehmann, S. 236ff. 69 Objektive Unmöglichkeit notwendigerweise wegen der persönlichen Natur der Unterlassungspflicht. 70 Beispielsweise Köhler, S. 519; Kress, S. 103; Planck-Siber, Vorb. zu §§ 275-292 Anm.III4c; vgl. auch Lehmann S. 236ff. Kress hält darüberhinaus auch objektive Unmöglichkeit für gegeben, wenn eine objektiv unmögliche Tätigkeit zu unterlassen ist, die Zuwiderhandlung also niemandem möglich ist: unter solchen Umständen könne durch die Begründung der Schutzverpflichtung weder ein Druck auf den Schuldner ausgeübt noch einem Gut des Gläubigers Schutz gewährt werden. 71 Das räumt schon Kress ein (S. 103 i. V.m. Fn.16). 72 Daß letzlich nur der Aspekt entscheidend sein kann, ob der die Unmöglichkeitsvorschriften tragende Grundgedanke auch die Anwendung auf die Unterlassungspflichten rechtfertigen kann, wurde schon früh von Lehmann (S. 54) derart formuliert, daß ein Verzicht auf die Anwendung den Nachweis voraussetze, daß bei einer auf die Grundprinzipien der fraglichen Rechtssätze zurückgehenden Prüfung diese an der Natur der Unterlassung scheitere. 73 Vgl. dazu grundlegend Himmelschein in AcP 135 (1932) S.255, 258,274ff. 74 Bzw. der Gläubiger, § 3241 BGB. 75 Ζ. B. aus §§280,325 BGB. Der Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ist die entwickelte Form des durch den Schuldner verletzten Schutzanspruches. Er ist auch ein Schutz-

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit327 Unmöglichkeit als Störungsform ist für die Primärleistungspflicht des Schuldners die Grenze, an der sie endet; für seine Sekundärpflicht bestimmt sie den Umfang seiner Haftung auf den Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Primärleistungspflicht. a) Schutzpflicht

und §275 BGB

Bei Unterlassungspflichten liegt der Annahme einer Unmöglichkeit der Unterlassung durch Zuwiderhandlung, die wohl die praktisch häufigste Form darstellen wird, die Verknüpfung des Verpflichtungsinhalts mit dem Kriterium des Zeitablaufes zugrunde76. Die Unmöglichkeit im Sinne der §§ 275 ff. BGB ist jedoch77 rein gegenständlich gemeint78, die Bedeutung der Zeit für die Nichterfüllung kommt dagegen in der Störungsform des Verzuges, §§ 284 ff., 326 BGB zum Tragen. Den Unterlassungspflichten wird der Zugang zu den Unmöglichkeitsvorschriften also erst durch Zuhilfenahme eines den Vorschriften eigentlich fremden Elementes ermöglicht. Dabei erscheint es zum Beispiel bezüglich des § 275 BGB freilich als unnötig, den Zugang zu einer Vorschrift zu ermöglichen, die die Befreiung von Primärleistungspflicht bzw. -anspruch normiert, wenn - wie bei unentwickelten Ansprüchen - ein solcher Primärleistungsanspruch gar nicht erst besteht. Schutzansprüche weisen auf der Primärebene nicht das bei Leistungspflichten charakteristische Verhältnis von korrespondierendem und durchsetzbarem Leistungsanspruch und Leistungspflicht auf; eine Regelung wie § 275 BGB, die sich auf dieses Verhältnis bezieht, geht bei Schutzpflichten notwendig ins Leere. Aber auch, wenn man diesen grundlegenden Unterschied zunächst außer acht läßt, bleibt sichtbar, daß die §§ 275 ff. BGB von einem in Tätigkeit, in der Anspannung der geistigen, körperlichen und wirtschaftlichen Kräfte des Schuldners79 liegenden Verpflichtungsinhalt ausgehen, während es demgegenüber bei Unterlassungsschutzpflichten lediglich um Passivität des Verpflichteten geht. Weil sich das bei der Unterlassungsschutzpflicht geschuldete Verhalten in Passivität erschöpft und die Verhaltensspielräume des Schuldners sich auf die Alternativen Beachtung und Zuwiderhandlung verengen80, macht die Unmöglichkeit auch als Grenze, als äußeranspruch, hat aber sein präventives Element verloren und dient jetzt dem nachfolgenden Ausgleich; vgl. oben. §2II2bbb). 76 Vgl. dazu auch Lehmann S. 243 ff. 77 Eine Ausnahme bildet die absolute Fixschuld, hier führt die zeitliche Fixierung zur Annahme einer Leistungsunmöglichkeit. 78 Ausführlich schon Stoll, AcP 136 (1932) S.257,267ff., insb. S.273ff. Inkonsequent ist es daher, wenn im Anschluß an Stoll einhellig die auf der Einbeziehung der Leistungszeit aufbauenden Lehren Himmelscheins (in AcP 135 S.258 ff.) abgelehnt werden, eben dieses Kriterium aber zur Integration der Unterlassungspflichten in die §§ 275 ff. BGB wieder herangezogen wird. 79 Kress, S. 401 ff., sog. Spannung der Schuld. 80 Vgl. unten 1X6 zur Schlechterfüllung und Mängelgewähr.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

ste Intensität einer Störungsform keinen Sinn. Anders als bei Leistungspflichten treten bei Unterlassungspflichten erst gar keine verschiedenen Formen bzw. Intensitäten von Störungen auf. Weder die Beachtung noch die Zuwiderhandlung ist in sich einer differenzierenden Abstufung zugänglich81, die die logische Voraussetzung für die Typisierung verschiedener Störungsformen ist.

b) Schutzpflicht

und Verletzung des Gläubigerinteresses

In Schwierigkeiten gerät das Kriterium der Unmöglichkeit bei Fallkonstellationen, in denen die Zuwiderhandlung des Schuldners zwar vorliegt, aber zu keiner Verletzung des Gläubigerinteresses geführt hat. Auch hier müßte konsequenterweise Unmöglichkeit bejaht werden. Die Unmöglichkeit setzt ihrem Sinn und Zweck nach aber voraus, daß das Interesse des Gläubigers an der Verwirklichung des Verpflichtungsinhalts unbefriedigt bleibt, denn nur dann kann sich überhaupt die Frage nach der Befreiung vom Primäranspruch und dem Übergang auf einen sekundären Anspruch stellen. Die Annahme einer Unmöglichkeit zieht hier also ganz unzutreffende Folgen82 nach sich.

c) Der Anspruchsfortbestand

bei Schutzpflichten

Solche der Regelung zuwiderlaufenden Folgen ergeben sich bei konsequenter Anwendung des § 275 BGB auch dort, wo der Schuldner seiner Pflicht zur Beachtung schuldhaft i. S. d. § 2761 zuwiderhandelt83. Bei Anwendung des § 2751 BGB ergäbe sich, daß der Unterlassungsschuldner grundsätzlich weiterhin zur Beachtung der Schutzpflicht verpflichtet bliebe, ein Ergebnis, das sinnlos ist, da die schon eingetretene Störung durch die Anordnung des Fortbestandes der Pflicht für die Zukunft das Gläubigerinteresse nicht mehr verwirklicht werden, die Beeinträchtigung nicht mehr ausgeglichen werden kann. Dies vermag nur noch die Entwicklung der Schutzpflicht zum Sekundäranspruch auf Schadensersatz zu bewirken. Noch eigenartiger stellt sich der Fortbestand der Beachtungspflicht dar, wo die Unmöglichkeit nicht auf einer Zuwiderhandlung beruht, sondern darauf, daß dem Unterlassungsschuldner die Zuwiderhandlung unmöglich ist. Trifft ihn insoweit ein 81 Eine nur scheinbare Ausnahme bildet die teilweise Zuwiderhandlung bei Dauerunterlassungen. 82 Insbesondere im Hinblick auf die §§280,325 BGB, die einen Schaden voraussetzen. 83 Die schuldhafte Zuwiderhandlung wird in der Praxis - stärker noch als bei Leistungspflichten - den Hauptanteil der Störungen ausmachen, erne auf Zufall beruhende Zuwiderhandlung des Verpflichteten ist wegen der höchstpersönlichen Natur der Unterlassungspflichten nur schwer vorstellbar.

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit329 Verschulden, bliebe er gemäß § 2751 BGB zur Beachtung verpflichtet 84. Der Sinn des § 2751 BGB wird hier vollständig von der tatsächlichen Situation überholt: wo der Schuldner nicht zuwiderhandeln kann, braucht der Gläubiger keinen (fortbestehenden) Schutzanspruch mehr. Um die unsinnige Konsequenz des Fortbestandes des Schutzanspruches zu vermeiden, müßte man - wie auch bei der objektiven Unmöglichkeit von Leistungspflichten im Rahmen des § 2751 BGB 85 - als entscheidendes Kriterium die Grenze sehen, die auch der juristischen Gestaltungskraft letztlich durch die Vernunft gezogen wird. d) Das ius variandi des § 3251 BGB bei Schutzpflichten Die bei § 275 BGB auftretenden Unstimmigkeiten zwischen den Grundgedanken der Regelung und Unterlassungspflichten setzen sich auf der von § 3251 BGB dominierten Rechtsfolgenseite fort. § 3251 BGB gibt dem Gläubiger für den Fall der vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit das ius variandi, das ihm die Wahl zwischen verschiedenen Ersatzansprüchen und der Lösung vom Vertrag gibt. aa) Schadensersatz wegen Nichterfüllung Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung, den § 32511 BGB dem Gläubiger gewährt, geht auf das positive Interesse, auf das Interesse des Gläubigers an der vertragsgemäßen Erfüllung. Das führt zum ersten Problem, denn das positive Interesse ist als Haftungsumfang bei § 3251 BGB die Konsequenz einer Störungsform, die es bei Unterlassungspflichten nicht gibt, nämlich die Konsequenz der Unmöglichkeit. § 3251 BGB ist sinnvoll nur als eine der verschiedenen möglichen Schadensersatzarten einzuordnen und im Gegensatz zum Schadensersatz zu sehen, der neben dem fortbestehenden Primärleistungsanspruch steht. Bei Unterlassungsschutzpflichten gibt es eine solche Alternativität nicht, der Schadensersatz geht immer auf das negative Interesse86. Ist bei den Leistungspflichten über das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der §§ 2751, 32511 BGB der Weg zu den Rechtsfolgen eröffnet, so liegt wegen der Tatbestandsmäßigkeit immer und zwingend auch ein Schaden des Gläubigers vor, denn die Unmöglichkeit setzt ja die Nichterfüllung voraus. Bei Unterlassungspflichten ist 84

Was dem Unterlassungsschuldner nicht schwerfallen wird, wenn ihm ein Zuwiderhandeln gar nicht mehr möglich ist. 85 Kress, S. 417 f. 86 Auffällig ist, daß auch die Vertreter der Anwendung der §§ 280, 3251 BGB wohl angesichts der Konsequenzen der Subsumtion unter die Rechtsfolgen diese nur zögerlich durchführen. Exemplarisch Köhler, S. 517, der unbestimmt von einer „Entschädigung nach §§ 280 bzw. 325 BGB" spricht.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

das - wie oben schon gezeigt - nicht zwingend. In den als Unmöglichkeit eingestuften Konstellationen, in denen die Zuwiderhandlung unmöglich ist, fehlt ein Schaden des Gläubigers, der über sein Interesse an seiner möglicherweise schon erbrachten Gegenleistung hinausgeht. Für die Lösung dieser lediglich das synallagmatische Problem der Gegenleistung betreffenden Situation bedarf es aber offensichtlich nicht der Einbettung in eine verschuldensabhängige Rechtsfolgenregelung, wie § 325 I BGB sie bietet. Ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers kommt von vorneherein nicht in Betracht, und greift der Gläubiger auf § 32513 i. V. m. § 3231 BGB zurück, um so über §§ 323 III, 818 BGB seine Gegenleistung zu bekommen, so ist das ein rechtskonstruktiv völlig unnötiger Umweg, der zudem für den Gläubiger das Risiko des Entreicherungseinwandes, § 818 III BGB birgt. Wo jedoch ein Schaden des Gläubigers vorliegt, stellt sich für Leistungspflichten die im Rahmen des § 32511 BGB vielbehandelte Frage nach der Vorgehensweise bei Berechnung und Abwicklung. Für Unterlassungspflichten reduziert sich das durch Surrogations- und Differenztheorie gekennzeichnete Problem allerdings, denn beide Vorgehensweisen haben ihre Funktion grundsätzlich nur, wo es um den Leistungsaustausch geht. Offensichtlich ist das bei der Surrogationstheorie, bei der der Wert der unmöglich gewordenen Leistung als Surrogat gegen die nach wie vor mögliche Gegenleistung auszutauschen ist, denn bei Unterlassungsschutzpflichten geht es nicht um Güteraustausch, sondern um die Beachtung der schuldrechtlichen Gebundenheit bezüglich eines Verhaltens. Dieses Element des Leistungsaustausches entfällt insofern bei der Differenztheorie, als bei ihr dem Gläubiger ein einheitlicher und einseitiger Geldanspruch zugebilligt wird, der nach der Differenz des Wertes87 der beiden Leistungen zu berechnen ist. Die Übertragung dieser Vorgehens weise auf die Hauptpflicht zur Beachtung einer Unterlassungspflicht ist wohl möglich, die Differenztheorie ist aber in ihrer Bedeutung mit der Surrogationstheorie als deren Gegensatz verknüpft; wo die Surroga87 Dies führt zu einem weiteren Problem. Der Wert der Leistung des Gläubigers wird sich unschwer bestimmen lassen, zumal sie häufig in einer Geldzahlung bestehen wird. Schwieriger ist dagegen die Bestimmung des Wertes der Unterlassung, die den Verpflichtungsinhalt des Schuldners darstellt. Denn die Unterlassung ist - anders als eine gegenständliche Leistungnicht schon ein Vermögenswert an sich, sondern gewinnt diesen erst aus dem der entsprechenden Tätigkeit entgegenstehenden Interesse des Unterlassungsgläubigers. Seinen greifbaren Ausdruckfindet dieses Interesse aber in der Gegenleistung des Gläubigers, so daß diese wohl bei der Bemessung des Wertes immer eine maßgebende Rolle spielen wird. Ein ähnliches Problem stellt sich - neben der Frage, ob eine Leistungskondiktion angenommen werden kann, dazu Henckel in AcP 174 (1974) S.97,125; Köhler in AcP 190 (1990) S.496,530ff.- im Rahmen der §§ 812,818 II BGB, wenn es um die Frage der Unterlassung als Gegenstand eines Bereicherungsanspruches geht. Im Einzelfall mag es so liegen, daß der objektive Wert einer Unterlassung gleich Null ist, so z.B. wenn der Schuldner für das Unterlassen keine Vermögenswerte opfern muß und der Gläubiger nur immaterielle Vorteile angestrebt hat. Aber auch wo der Gläubiger sich aus der Erweiterung seines Rechtskreises die Möglichkeit versprach, diese zur Mehrung seines Vermögens zu nutzen, läßt sich kaum zuverlässig feststellen, in welchem Umfang es zu einem solchen Vermögenszuwachs gekommen ist, denn dazu müßte man wissen, wie sich eine etwaige Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners ausgewirkt hätte.

IV. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der Unmöglichkeit331 tionstheorie mangels Güterbewegung nicht greifen kann, bedarf es auch nicht der Differenztheorie zur Vermeidung ihrer unliebsamen Konsequenzen88 für den Gläubiger. bb) Rücktritt Ein ähnliches Bild bietet sich beim Rücktrittsrecht des § 3251 1 BGB i. V. m. §§ 346ff. BGB. Ob es in der Praxis überhaupt oft zum Rücktritt von der Unterlassungshauptpflicht kommen wird, ist eine Frage, die schon im Hinblick auf die an den Leistungspflichten orientierten §§ 350 ff. BGB regelmäßig zu verneinen sein wird. Der sinnvolle Anwendungsbereich wäre auch denkbar klein, da er dreifach eingeschränkt ist. Zunächst kann der Rücktritt für den Gläubiger nur in den Konstellationen von Interesse sein, in denen eine Unmöglichkeit der Zuwiderhandlung vorliegt bzw. die Unmöglichkeit wegen der Zuwiderhandlung angenommen wird 89; weiterhin setzt seine sinnvolle Anwendung voraus, daß der Gläubiger seine Leistung schon erbracht hat90 und zuletzt muß diese Gegenleistung einen anderen Gegenstand als Geld zum Inhalt haben91. Mehr als fraglich ist also, ob bei Unterlassungspflichten die Verknüpfung des Rücktritts mit zwei weiteren Tatbestandsmerkmalen, der Unmöglichkeit und dem Verschulden der tatsächlichen Situation und dem Interesse des Gläubigers gerecht wird 92. Beim Rücktritt ist nur das Interesse des Gläubigers an der synallagmatischen Verknüpfung der Hauptpflichten betroffen, dieses muß aber auseinandergehalten werden von dem darüber hinausgehenden entwickelten Schutzanspruch auf Schadensersatz. Während letzterer immer eine schuldhafte Pflichtverletzung voraussetzt, ist das bei der Störung des Synallagmas nicht zwingend der Fall. Das Interesse der Vertragspartner an der synallagmatischen Verknüpfung kann ja auch aufgrund zufälliger Umstände gestört sein, so daß die Verbindung des Rücktritts mit der verschuldeten Unmöglichkeit die Möglichkeit zum Rücktritt systemwidrig verengt.

88 Diese zeigen sich dort, wo die Leistung des Gläubigers nicht in einer Geldzahlung, sondern in einer Sachleistung besteht. 89 Wo dem Unterlassungsschuldner die Unterlassung unmöglich ist, wird es nicht mehr zur Anwendung der §§275, 325 BGB kommen. 90 Anderenfalls gibt es nichts, was der Gläubiger zurückfordern kann, so daß er auch die Abstandnahme, §§ 32513 i. V. m. 3231 BGB wählen könnte. 91 Bei einer Geldleistung ist eine Rückforderung zwar möglich, aber unnötig, da die schon erbrachte Geldleistung im Rahmen des Schadensersatzanspruches, der ja ebenfalls auf Geld geht (§ 251 BGB) als Posten bei der Schadensberechnung berücksichtigt werden kann. 92 Die gleiche Frage stellt sich jedoch - zumindest bezüglich der Verschuldensabhängigkeit des Rücktrittsrechtes - auch bei Leistungspflichten, vgl. oben § 6 I V 1 und IV 6 a).

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Insgesamt bietet § 325 I BGB für Unterlassungspflichten ein überschießendes Rechtsfolgeninstrumentarium, das in vielen Fällen notwendig leerläuft 93.

3. Die Unmöglichkeit als Fremdkörper für Schutzpflichten Die dargelegten Unstimmigkeiten lassen sich weitestgehend auf ein Problem zurückführen, nämlich die systematische Stellung der typisierten Störungstatbestände als besondere Ausformungen der allgemeinen Haftung für jede Schutzpflichtverletzung. Diese sei zunächst dargelegt für den Störungstatbestand der Unmöglichkeit. Das allgemeine Schuldrecht knüpft die Schadensersatzpflicht des Schuldners in den §§ 275 ff. BGB an das Tatbestandsmerkmal der Unmöglichkeit, um zu verdeutlichen, daß der Gläubiger auf die Primärleistung beschränkt ist und nicht statt dieser Schadensersatz verlangen kann, solange das Ausbleiben der Erfüllung nicht als feststehend gilt. Die Funktion der Unmöglichkeit besteht also für die Haftung des Schuldners in der Regelung des Verhältnisses von Primärleistungspflicht und sekundärem Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Wenn eine Konkurrenz von primärer Leistungspflicht und sekundärer Schadensersatzpflicht aber gar nicht denkbar ist, dann hat auch die Unmöglichkeit der Leistung als Voraussetzung der sekundären Haftung des Schuldners keinen Sinn, sondern würde vielmehr über das zu regelnde Problem hinausschießen. Die Konkurrenz zwischen Primärleistungspflicht und Schadensersatz wegen Nichterfüllung kann sich nur ergeben, wenn das, was Inhalt der Verpflichtung des Schuldners ist, als solches für den Gläubiger von Interesse ist; wenn dem Gläubiger etwas verschafft werden soll, was er noch nicht hat. Dementsprechend kann sich diese Konkurrenz nicht stellen, wenn es dem Gläubiger nicht darum geht, daß er etwas bekommen soll, was er noch nicht hat, sondern wenn es ihm bei der Schuldnerverpflichtung um Schutz durch Störungsfreiheit seines Rechtskreises geht. Genauso liegt es aber bei den Unterlassungspflichten. Die Beachtung einer solchen Pflicht hat für den Gläubiger nicht als solche ein Interesse, sondern nur wegen der möglichen nachteiligen Folgen einer Zuwiderhandlung für seine Rechtsgüter bzw. Interessen; auf die Beachtung hat er folglich auch keinen durchsetzbaren Anspruch. Hat aber die Verletzung der Pflicht durch Zuwiderhandlung einen solchen Schaden als Folge, so kommt auch nur noch die Schadensersatzpflicht in Betracht. Denn nur durch die Gewährung von Schadensersatz, niemals aber durch die Beachtung der Schutzpflicht kann, nachdem durch Zuwiderhandlung ein Schaden schon eingetreten ist, das Interesse des Gläubigers noch befriedigt werden, wenn der Gläu93

Es verwundert daher nicht, daß mit der Anwendung des ius variandi nur selten Emst gemacht wird. Exemplarisch Köhler (S. 517 ff.), der es bei der Nennung der Vorschriften beläßt, die Subsumtion seiner Beispiele jedoch schuldig bleibt.

Unterlassungspflichten biger nicht an der Beachtung als solcher, sondern nur an der Vermeidung eben des eingetretenen Schadens interessiert war. Die Verpflichtung des Schuldners auf das negative Interesse ist also die allein in Betracht kommende Haftung 94, eine Konkurrenz im oben geschilderten Sinne existiert nicht95. Es ist deshalb sinnlos, diese Ersatzpflicht noch an die Unmöglichkeit als weitere, zusätzliche Voraussetzung zu knüpfen. Die Unmöglichkeit ist durch ihre Funktion auf den Regelungsbereich der Güterbewegung bezogen96, sie dient für die Frage der Haftung des Schuldners der Lösung von Problemen, die sich im Bereich des Güterschutzes nicht eigeben. Letztlich muß die Unmöglichkeit also nicht nur wegen des sprachlichen Unbehagens und des konstruktiven Ballastes, den ihre Anwendung mit sich bringt, für den Bereich der Schutzpflichten abgelehnt werden, sondern vielmehr, weil sie für Schutzpflichten einen dogmatischen Fremdkörper darstellt.

V. Verzug bei Unterlassungspflichten Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist das Problem der Anwendung der Verzugsregelungen, §§ 284 ff. BGB 97 nur noch kurz anzusprechen. Auch die Vertreter der Ansicht, daß eine Anwendung des Leistungsstörungsrechts der §§275 ff. BGB auf Unterlassungspflichten geboten sei, lehnen die Annahme eines Verzuges grundsätzlich ab. Schon bei den Vorarbeiten zum BGB sprach sich der Redaktor von Kübel entschieden gegen die Annahme eines Verzuges aus: „Daß bei den auf eine Unterlassung gerichteten Obligationen vom Verzug des Schuldners nicht die Rede sein kann, versteht sich von selbst; die Verbindlichkeit ist, wie bemerkt, mit jeder Zuwiderhandlung unmittelbar und sofort verletzt."98 ".

94 Jakobs (Unmöglichkeit S. 35) führt aus, daß die Unterlassungsverpflichtung geradezu das Muster einer Verpflichtung sei, deren Ziel nicht ein positives, sondern ein negatives ist, an der der Gläubiger also nicht ein positives, sondern ein negatives Interesse hat und bei der die Beschränkung der Haftung des Schuldners durch die Unmöglichkeit deswegen nicht gelten kann. 95 Wegen des Fehlens einer solchen Konkurrenz von Primär- und Sekundärpflicht sind auch die §§ 283, 326 BGB für Schutzhauptpflichten nicht anzuwenden. 96 Insoweit ist Staub also in seinen Lehren zuzustimmen (ebenso Jakobs, Unmöglichkeit S. 35), gerade über diesen Teil seiner Lehren ist die überwiegende Ansicht aber rasch hinweggegangen. 97 § 326 BGB ist schon aus den gleichen Gründen wie die Unmöglichkeitsvorschriften nicht anzuwenden. Auch bei Anwendbarkeit käme jedoch beispielsweise die Setzung der Nachfrist für das durch die Schutzpflicht gebotene Verhalten nicht in Betracht, diese Fristsetzung kann sich sinnvoll nur auf Leistungen i. S. v. Güterbewegungen beziehen (Kress, S. 589; a. Α. Lehmann, S. 270). 98 Erläuterungen zu § 8 des I Abschnittes, 3. Titel; III 1; Teilentwurf S. 17. 99 Vgl. auch Staudinger-Löwisch vor § 284 Rn 8 f.; Palandt-Heinrichs § 284 Rn 3; Lehmann in AcP 96 (1905) S.66,72f. und in Unterlassungspflichten, S.262,265ff.; MüKo-Thode §284 Rn 27; Henke S. 31 mit Beispielen aus der Rechtsprechung.

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§ 9 Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

1. Zuwiderhandlung und Verzögerung Die Begründungen, die seit dem Inkrafttreten des BGB für die Ablehnung angeführt werden, lauten ähnlich. Bei Schuldverhältnissen die auf ein Unterlassen gerichtet sind, bedeute die nicht rechtzeitige Erfüllung in der Regel keine bloße Leistungsverzögerung, sondern eine Unmöglichkeit. Das Interesse des Gläubigers gehe bei der Unterlassung darauf, daß eine Zuwiderhandlung überhaupt unterbleibt. Erfolge die Zuwiderhandlung dennoch, so könne dieses Gläubigerinteresse nicht mehr erfüllt werden. Dies entspreche dem regelmäßigen Charakter der Unterlassungspflicht als absoluter Fixschuld. Sei einmal getan, was in einem bestimmten Zeitpunkt unterlassen werden sollte, so ließe sich das spätere Unterlassen der fraglichen Handlung nie mehr als Nachholung des früher geschuldeten Unterlassens auffassen, da es etwas ökonomisch und juristisch vollkommen anderes sei100. Weil die Verletzung der Unterlassungspflicht nur durch Zuwiderhandlung erfolgen könne, ergebe sich, daß die Leistung durch eine Pflichtverletzung nicht nur in Ansehung der Zeit, sondern auch in Ansehung des Gegenstandes unmöglich werde.

2. Mahnung Dementsprechend wird die Annahme eines Verzuges und die Geltendmachung eines eventuellen Verzögerungsschadens jedoch für möglich gehalten, wo ein für eine bestimmte Dauer versprochenes, zeitlich aber nichtfixiertes Unterlassen geschuldet wird 101 und das Gläubigerinteresse auch noch bei verspäteter Unterlassung voll erfüllt werden kann102. Hier treten dann - wie bei der Unmöglichkeit - aber tatbestandliche Schwierigkeiten auf, die sich aus dem Erfordernis der den Verzug begründenden Mahnung ergeben. Eine Mahnung ist in mehrfacher Hinsicht bei Unterlassungspflichten nicht möglich. Denn da den Schutzpflichten grundsätzlich kein durchsetzbarer Anspruch des Gläubigers auf Beachtung korrespondiert, ist eine Mahnung rechtlich ausgeschlossen; in tatsächlicher Hinsicht setzt sie die Kenntnis des Gläubigers von den Umständen voraus, die die Mahnung begründen. Der Gläubiger müßte also Kenntnis davon haben, daß der Unterlassungsschuldner seiner Ver100

Lehmann, S. 72f. Praktisch sind solche Fälle schwerlich vorstellbar und schon Lehmann muß zugestehen (Unterlassungspflicht S.270), daß dies wohl eine seltene Erscheinung sein wird. 102 Staudinger-Löwisch Vorb. zu § 284,292 Rn 6 m. w. N.; MüKo-Thode § 284 Rn 27; Köhler, S.522; Lehmann, Unterlassungspflicht S.265. Auch Kress (S. 590) hält eine nachholbare Unterlassung für denkbar, gerade wegen ihrer Nachholbarkeit sei eine Pflichtverletzung im Falle der Zuwiderhandlung aber nicht gegeben. Das ist konsequent, denn die Nachholbarkeit setzt ja voraus, daß eine Beeinträchtigung noch nicht eingetreten ist. Es fehlt dann schon an einem Verzugsschaden (§ 286 BGB), für den die Feststellung des Vorliegens eines Verzuges überhaupt sinnvoll ist. Auch Lehmann (S. 269 f.) gibt zu, daß „gerade die eigentümlichen Verzugswirkungen für die Unmöglickeit nur eine beschränkte Bedeutung haben", daß sich der „ganze Gesichtspunkt des Verzuges mit der Unterlassung als ziemlich wertlos darstellt,...". 101

Unterlassungspflichten pflichtung zuwiderhandelt; dessen wird sich der Gläubiger in aller Regel aber erst bewußt werden, wenn durch die Zuwiderhandlung schon ein Schaden eingetreten ist. Nach der Zuwiderhandlung ist dem Gläubiger jedoch mit einer Mahnung nicht mehr gedient, da sich dann sein Anspruch auf Beachtung schon zum sekundären Anspruch auf Schadensersatz entwickelt hat. Selbst wenn man den - praktisch wohl kaum relevanten - Fall bemüht, daß der Gläubiger den eine Zuwiderhandlung beabsichtigenden Schuldner vor dem maßgebenden Zeitpunkt oder spätestens im Augenblick seiner Zuwiderhandlung mahnt, kann diese Mahnung nie Verzug begründen, weil die notwendige Tatbestandsvoraussetzung einer nach der Mahnung liegenden Nichtleistung nicht eintreten kann. Denn entweder befolgt der Schutzverpflichtete die Mahnung, dann ist das Gläubigerinteresse verwirklicht, oder er handelt trotzdem zuwider - dann muß man jedoch wieder zur Annahme einer Unmöglichkeit kommen103.

3. Der Verzug als Fremdkörper für die Schutzpflichten Wie bei der Unmöglichkeit ist aber der Widerstand, den die Unterlassungspflichten der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale des Verzuges leisten, nicht das eigentliche Problem, sondern lediglich Resultat der Tatsache, daß auch der Verzug eine typisierte Störungsform ist, die für die Haftung im Bereich des Güterschutzes einen Fremdkörper darstellt104. Der Gesetzgeber hat den Verzug eigenständig tatbestandlich ausgeformt, weil er zum allgemeinen Prinzip der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung insofern eine Modifizierung darstellt, als für die Haftung des Schuldners noch die erfolglose Mahnung hinzutreten muß. Für die Schutzpflicht hat diese Modifizierung - wie gezeigt-keinen Sinn, ihre Anwendung muß auf den Güteraustausch beschränkt bleiben105. Liegt eine Schutzpflicht vor, so ist zwar auch dort eine Verzögerung der Beachtung denkbar, solange jedoch daraus keine Schädigung des geschützten Interesses resultiert, liegt-trotz Pflichtverletzung - keine Störung vor. Führt die Pflichtverletzung hingegen zu einem Schaden, dann ist diese Zuwiderhandlung auch endgültig, eine Mahnung also sinnlos und der Verzögerung 103

Daß die §§287-290 BGB bei Unterlassungspflichten zweifellos unanwendbar sind, wird auch von den Verfechtern des Verzuges eingeräumt, vgl. Lehmann, Unterlassungspflicht S. 269. 104 Auch Lehmann (Unterlassungspflicht S.268) führt aus: „Es ist ohne weiteres zuzugeben: das Gesetz hat bei der Regelung des Verzuges offenbar nur an die positive Leistung gedacht. Nirgends paßt der Wortlaut schlechter auf die negative Leistung wie hier." Ähnlich Kopeke (S. 130): „Die gesetzlichen Verletzungsformen Unmöglichkeit und Verzug sind von den Umsatzverträgen her entwickelt worden und daher... nur auf einklagbare, gegenständliche, in einer Sache oder in einer konkreten Tätigkeit verkörperten Leistung anzuwenden." Dafür spricht auch § 339 BGB, der dem Verzug in Satz 1 ausdrücklich den Satz 2 für die Zuwiderhandlungen bei Unterlassungspflichten gegenüberstellt (so schon Dernburg, Bürgerliches Recht II 1 § 7 II). 105 Ablehnend gegenüber dem Verzug auch Kress, S. 589 f.; Siber in Grundriß, S. 95 m. w. N.; Jakobs, S. 37 m.w.N.; Medicus, Schuldverhältnis S. 15, 18; Kopeke, S. 130f.; Henke, S.31; zahlreiche Nachweise des ablehnenden älteren Schrifttums auch bei Lehmann, S.262 in Fn.l.

336

Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

einer Leistungserbringung i. S. d. §§ 284,285 BGB nicht vergleichbar; es kann deshalb auch nicht zu einem Schadensersatzanspruch kommen, der neben die weiterhin bestehende Pflicht zur Beachtung tritt. Da die Unmöglichkeitsvorschriften bei Unterlassungspflichten keine Anwendung finden, verwundert es nicht, das gleiche Ergebnis beim Verzug zufinden. Unmöglichkeit und Verzug sind als dauerhafte und vorübergehende Nichterfüllung ja beide nur Typisierungen der Störungen der Leistungspflicht, die besondere Ausformungen der allgemeinen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung wiedergeben. Solche von der allgemeinen Haftung für Pflichtverletzung abweichenden tatbestandlichen Ausformungen sind bei Unterlassungspflichten aber überflüssig.

VI. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der pFV Die Art und Weise, in der sich die oben geschilderte Ansicht drehen und wenden muß, um die tatsächlichen Vorgänge bei Unterlassungsschutzpflichten mit den Vorschriften über die Unmöglichkeit und Verzug in Einklang zu bringen, läßt schnell erkennen, daß diese Einordnung unzutreffend ist.

1. Die Ansicht von Staub Früh bemerkte auch Heinrich Staub diese Unstimmigkeiten und wurde nicht müde, in seiner Abhandlung das „Geschraubte, Gekünstelte und Gewundene" dieser Konstruktion hervorzuheben106. Der von Staub zum Anlaß seiner Überlegungen genommene Widerstand, den die Unterlassungspflichten der Subsumtion unter die Unmöglichkeitsvorschriften leisten, ist in der Perspektive Staubs zunächst ein sprachliches Problem, das aber auf verschiedenen Pflichtenkategorien und damit auf dogmatischen Strukturen beruht. Staub löste diesen Widerstand auf, indem er auf die analoge Anwendung der Verzugsvorschriften zurückgriff und daraus einen Grundsatz der allgemeinen Haftung des Schuldners für Pflichtverletzungen ableitete. 106 ygi z β. die Seiten 96,97,98,99 seiner Abhandlung (Seitenzahlen des Nachdrucks von 1969). Auch die Beliebigkeit, mit der bis heute immer wieder ohne Rücksicht auf die dogmatische Absicherung eine Rechtsfigur bzw. Vorschrift gewählt wird, die über die Möglichkeit der reibungslosen Subsumtion hinaus auch noch das passende Eigebnis liefert, schreckt ab. Exemplarisch sei insoweit Köhler (S. 515 ff.) genannt, der Unmöglichkeit, Verzug, pFV, Wegfall der Geschäftsgrundlage und Fortfall des Gläubigerinteresses, also die ganze Bandbreite eigentlich kontrovers vorgetragener Ansichten nebeneinander und austauschbar anwendet und dazu beispielsweise ausführt, dies „erscheine (hier) zwangloser" (S.518), „möge in vielen Fällen die eleganteste Lösung sein" (S.520) bzw. die „angemessenere", weilflexiblere Lösungen ermöglichend. Solche Erwägungen zeigen viel von der Unsicherheit im Umgang mit Schutzpflichten und können letzlich nicht die Stringenz und Stimmigkeit eines zugrundeliegenden gemeinsamen dogmatischen Prinzips ersetzen.

VI. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der pFV

337 107

Über die Zuwiderhandlungen bei Unterlassungspflichten führte er aus , daß es durch sie dem Schuldner nur unmöglich werde, die dadurch begangene Pflichtverletzung ungeschehen zu machen. Dieses Ungeschehenmachen sei aber nicht Gegenstand des Schuldverhältnisses, sondern die §§ 280, 325 BGB bezögen sich auf den Fall, daß diejenige Leistung, die den Gegenstand des Schuldverhältnisses bilde, unmöglich werde. Das Ungeschehenmachen könne auch gar nicht Gegenstand der Verpflichtung sein, denn ein auf eine unmögliche Leistung gerichtetes Versprechen sei nichtig108. Staub unterstellt die Unterlassungspflichten 109 deshalb dem von ihm im Analogieschluß zu § 286 BGB gewonnenen Haftungsgrundsatz und erkennt damit etwas Richtiges, er dringt aber nicht zum eigentlichen Problem vor, da er das Schuldverhältnis noch nicht als einen Organismus sieht, in dem Schutz- und Leistungspflichten nebeneinander bestehen. Staub macht letztlich den gleichen Fehler wie die Ansicht, die er widerlegen will, indem er in seine Überlegungen die Dimension „Zeit" einbezieht. Denn stellt man auf die Zeit und ihren Ablauf ab, so muß man freilich beides als für die Gegenwart bzw. Zukunft „unmöglich" auffassen: sowohl die versprochene Unterlassung als in der Zeitfixierte Handlung als auch das „Ungeschehenmachen", da zur Vergangenheit niemand Zugang hat. Die Verbindung der Zeit mit dem Begriff der Unmöglichkeit bringt also keinen Fortschritt 110.

2. Das Verhältnis von Schutzpflicht, Leistungspflicht und Unmöglichkeit Beide Erwägungen gehen jedoch auch am Kern des Verhältnisses von Unmöglichkeit und Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsschutzpflicht vorbei. Dieses Verhältnis von Schutzpflicht, Leistungspflicht und Unmöglichkeit gestaltet sich im Rahmen der §§ 275 ff. BGB vielmehr folgendermaßen 111: Es geht bei den Schutzpflichten nur um die Unmöglichkeit als Folge, die die Zuwiderhandlung gegen die Schutzpflicht für eine Leistungspflicht haben kann; bei den Leistungspflichten ist diese Unmöglichkeit dann der Grund für ihre Nichterfüllung. Wo es um die Störungen von Leistungs- und Schutzpflichten geht, ist deren Verhältnis zur Un107

S. 116 des Nachdrucks. Kritik zu dieser Begründung bei Lehmann, Unterlassungspflicht S. 243 ff. 109 Daß Staub dabei irrtümlich die Unterlassungspflichten mit Nebenpflichten zu einem positiven Tün vermischt, wird unten im Anhang § 11 unter X dargestellt. 110 Klar erkannt ist das bei Kress (S. 586 i. V. m. Fn.27), der zutreffend bemerkt, daß an ein Unmöglichwerden der Unterlassung wohl überhaupt nur gedacht werden könne, wenn für die Unterlassung eine absolut feste Zeit bestimmt sei, in diesem Fall erlösche die Unterlassungspflicht wegen ihrer inhaltlichen Beschränkung aber schon mit dem Ablauf der Zeit, gleichgültig, ob eine Zuwiderhandlung erfolgt sei oder nicht. 111 Vgl. schon die Ausführungen oben § 2 V zu den Leistungs- und Schutzpflichten als verschiedene Ebenen des primären Anspruchs und der sekundären Haftung. 108

22 Kuhlmann

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

möglichkeit also ein genau entgegengesetztes: Bei Störungen von Schutzpflichten ist sie Folge, bei der Störung von Leistungspflichten ist sie Grund. Die Unterlassungsschutzpflicht kann im Falle ihrer Verletzung demnach zur Unmöglichkeit führen, nie aber kann eine Unterlassungsschutzpflicht selbst unmöglich i. S. d. §§ 275 ff. BGB sein. Das erkennt Kress ganz klar, wenn er 112 in Bezug auf die relativen Schutzpflichten, die zum Unterlassen verpflichten formuliert, daß die Herbeiführung der Unmöglichkeit der Leistung zwar immer eine Verletzung der relativen Schutzpflicht ist, nicht aber umgekehrt die Verletzung der Schutzpflicht als solche eine Herbeiführung der Unmöglichkeit ist. Folgerichtig kommt Kress zu der Konsequenz, daß die Verletzung der Schutzpflicht wohl in analoger Anwendung der §§ 280,3251 BGB 113 nach den Grundsätzen der verschuldeten Unmöglichkeit behandelt, aber nicht im Widerspruch mit der Wirklichkeit und Logik als ein Unmöglichkeitsfall hingestellt werden könne114. Der Gläubiger einer einseitigen Schutzverpflichtung hat demnach in entsprechender Anwendung des § 2801 BGB Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung; ist eine synallagmatische Schutzverpflichtung verletzt, so kann der Gläubiger in entsprechender Anwendung des § 3251 BGB das Differenzinteresse geltend machen oder vom Vertrag zurücktreten 115. Liegt die Schutzverpflichtung in der Verpflichtung zu einem dauernden Unterlassen und wird ihr zeitweilig zuwidergehandelt, so wäre dies einer teilweisen Unmöglichkeit gleichzusetzen. Entsprechend §§ 280 Π, 3251 S. 2 BGB hat der Gläubiger dann Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung bzw. die Rechte der Geltendmachung des Differenzinteresses oder des Rücktritts in Ansehung des ganzen Vertrages, wenn sein Interesse an der weiteren Beachtung der Schutzpflicht fortgefallen ist.

112

S.586. Kress geht im ausdrücklichen Gegensatz zu Staub (vgl. Kress, S. 591 i. V. m. Fn.2) also von den §§ 280, 3251 BGB aus, da Staub aber bei der analogen Anwendung der Verzugsvorschriften von den Fristerfordemissen absieht, kommt es zu keinen Abweichungen. Heute greift man sowohl auf die Verzugs- als auch auf die Unmöglichkeitsvorschriften zurück. 114 S.589. 115 Kress, S.589. Ebenfalls zur pFV greifen beispielsweise Siber in Gnindriß S.98ff.; Kopeke, S. 130; vgl. auch MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 291 f.; weitere Nachweise bei Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 481, § 280 Rn 5. Zu widersprechen ist deshalb Westhelle, der äußert, man sei sich „seit langem darüber einig" (S. 12) und es sei eine „heute völlig anerkannte Tasache, daß auch die in einem Unterlassen bestehende Leistung unmöglich werden könne" (S. 29). 113

VI. Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der pFV

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3. Fragwürdigkeit der analogen Anwendung der §§ 280, 325 BGB auf die Unterlassungspflichten Angesichts der völlig unterschiedlichen Zielsetzung von Leistungs- und Schutzpflichten und den daraus resultierenden Besonderheiten scheint die Anwendung der pFV gegenüber der unmittelbaren Anwendung der Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften vorzugswürdig zu sein. Sie bewahrt die Unterlassungsschutzpflichten zumindest vor dem „Prokrustesbett"116 der Subsumtion unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale der auf Leistungspflichten zugeschnittenen Vorschriften, erscheint also vordergründig als das „kleinere Übel". Ein Unbehagen bleibt jedoch trotzdem. Obwohl sich die Eigenarten der Schutzpflichten in der Konturenlosigkeit der pFV zu verlieren scheinen, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß das ganze Instrumentarium der §§ 275 ff. BGB auch in der analogen Anwendung nicht mit den Besonderheiten der Schutzpflichten harmoniert. Zunächst ist einzuwenden, daß auch die analoge Anwendung der Vorschriften nicht von der Beachtung aller Tatbestandsmerkmale freistellen kann117, letztlich also wenig gewonnen ist, denn selbst die „nur" analoge Anwendung von Kategorien wie Unmöglichkeit, Leistung und Nichterfüllung vermag nicht zu befriedigen, wo es um Pflichtverletzung, Beachtung und Zuwiderhandlung geht. Ein anderer Einwand tritt aber hinzu, der insofern über den vorigen hinausgeht, als er nicht bei den Problemen des vollzogenen Analogieschlusses ansetzt, sondern diesen Analogieschluß schon als solchen in Frage stellen muß118. Die Analogie erscheint nämlich insgesamt fragwürdig, weil sie zu einer unhaltbaren Anlehnung an die durch die Nichterfüllung einer Leistungspflicht geschaffenen charakteristischen Störungsformen der Unmöglichkeit oder des Verzuges zwingt, also gerade den Gesichtspunkt verwenden muß, durch dessen vorherige Ablehnung die zu füllende Lücke entstanden ist. Eine befriedigende Ausfüllung dieser Lücke ist nur möglich, wenn es gelingt darzulegen, daß nach einem allgemeinen, dem BGB zugrundeliegenden Prinzip jede schuldhafte Pflichtverletzung zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet 119. Leitet man diesen Grundsatz jedoch aus den Unmöglichkeits- und Ver116

Staub, S. 100. Deshalb ist Evans-von Krbek (AcP 179, S.85,101) der Meinung, daß sich die herrschende Ansicht mit der Analogie zu den §§280,286,325,326 BGB am eigentlichen Problem „vorbeischludert": Nicht nur die Unmöglichkeit, sondern auch alle anderen Tatbestandsmerkmale dieser Vorschriften sind auf Leistungspflichten zugeschnitten, eine Übertragung auf Schutzpflichten muß deshalb insgesamt auf Probleme stoßen. 118 Dies wird auch von Evans-von Krbek (ebenda S. 104) erkannt. Sie weist zutreffend darauf hin, daß im Rahmen der Analogie nicht auf die schematische Ersetzung einzelner Tatbestands·, d. h. Begriffsmerkmale abzustellen ist, sondern daß das Entscheidende vielmehr bei der Ersetzung des vom Gesetz geregelten Falltypus oder Tatbestandstypus durch den nicht erfaßten liegt. 119 Zutreffend insoweit auch Staub. 117

22*

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten 120

zugsvorschriften ab , dann kommt man nicht über den Befund hinaus, daß das Gesetz die Haftung des Schuldnets eben nicht aufgrund jeder Pflichtverletzung des Schuldners entstehen läßt, sondern erst an eine durch diese Pflichtverletzung verursachte, typisierte Form der Störung knüpft. Um das fragliche Haftungsprinzip zu begründen, erscheint also vielmehr gerade der Nachweis nötig, daß die typisierten Störungsformen der Unmöglichkeit und des Verzugs überhaupt nicht die Grundlage der Haftung sind, sondern nur der Grund für eine besondere inhaltliche Ausformung 121 der allgemeinen Haftung 122. Dieser Nachweis läßt sich - wie oben123 schon angesprochen wurde und später noch zu vertiefen ist - überzeugend führen. Das Haftungssystem des Schuldrechts des BGB fußt auf dem Prinzip der allgemeinen Haftung des Schuldners für jede schuldhafte Pflichtverletzung, wie es in § 2241 bis zur letzten redaktionellen Änderung des BGB noch seinen Ausdruck fand 124. Eine Analogie, die sich an den Unmöglichkeitsvorschriften anlehnt, ist daher nicht nur inhaltlich wenig überzeugend, sondern erscheint schon als der grundsätzlich falsche Ansatz.

V I I . Die Verletzung einer Unterlassungspflicht als Fall der allgemeinen Haftung für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung Die Haftung für die Verletzung einer Unterlassungspflicht findet ihre Grundlage demnach weder in der unmittelbaren noch in der entsprechenden Anwendung der §§ 275 ff. BGB, sondern ist ein Fall der allgemeinen Haftung für jede schuldhafte Schutzpflichtverletzung. Der Schuldner einer Unterlassungsverpflichtung haftet dem Gläubiger im Falle einer Zuwiderhandlung sofort und immer in Höhe des negativen Interesses.

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So Staub, S. 100. So bestimmt die (zu vertretende) Unmöglichkeit beispielsweise, daß die Haftung auf das positive Interesse, auf den Nichterfüllungsschaden geht. 122 Lehmann, Unterlassungspflicht S.273. 123 Vgl. schon oben § 2 I V 1 und eingehend im Anhang § 11IV-IX. 124 Diese Gesetzgebungsgeschichte wird von Lehmann trotz der richtigen Fragestellung (vgl. Fn. 122) unverständlicherweise nicht berücksichtigt, trennt doch kaum ein Jahrzehnt seine Ausführungen vom Abschluß der Gesetzgebungsarbeiten. In Bezug auf § 276 BGB begnügt sich Lehmann (Unterlassungspflicht S. 273) mit dem Verweis auf seinen Beitrag in AcP 96 S. 78 ff.; dort aber schließt er sich lediglich der schon von Staub vorgetragenen Kritik an (Staub S. 65) und ergänzt sie (S. 81 f.) durch Erwägungen zum Wortlaut bzw. systematischen Zusammenhang der Vorschrift. Den fraglichen Grundsatz leitet Lehmann (Unterlassungspflicht S. 274ff.) aus einzelnen Bestimmungen des Schuldrechts ab, die tatsächlich auch nur vor dem Hinteigrund dieses Haftungsprinzips sinnvoll werden, aber nicht dessen Grund, sondern schon dessen tatbestandliche Ausformungen sind. 121

VII. Die Verletzung als Fall der allgemeinen Haftung

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Der Grundsatz der Haftung für jede Schutzpflichtverletzung war in § 224 des Ersten Entwurfes zum BGB ausdrücklich niedergeschrieben worden und spiegelt sich auch heute noch in verschiedenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Schuldrechts125. Daß dieser Grundsatz auch der originäre Ort der Haftung für die Verletzung einer Unterlassungspflicht ist, läßt sich an den Vorarbeiten zum BGB verfolgen. In seinem Teilentwurf zum Recht der Schuldverhältnisse126 schlägt der Redaktor von Kübel in Abschnitt III, Folgen der Nichterfüllung der Verbindlichkeit, als Ausnahme zu § 1, der die Nichterfüllung der Leistung behandelt, folgende Regel vor: § 8: „Ist die Verbindlichkeit auf die Unterlassung einer Handlung gerichtet und nimmt der Schuldner die Handlung dennoch vor, so kann der Gläubiger neben der Wiederherstellung des früheren Zustandes und dem Ersatz des ihm verursachten Schadens... die Androhung einer Geld- oder Haftstrafe für den Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung verlangen..."

In seiner Begründung127 führt von Kübel aus, daß eine auf Unterlassung einer Handlung gerichtete Verbindlichkeit unmittelbar und sofort verletzt sei, so oft ihr zuwider die Handlung vorgenommen werde, mit jeder Zuwiderhandlung entstehe der Anspruch auf Ersatz des durch die obligationswidrige Handlung verursachten Schadens. Diese zutreffende Kennzeichnung und Behandlung der Unterlassungspflicht hat freilich im BGB in seiner heutigen Fassung nicht den ausdrücklichen Niederschlag gefunden, den von Kübel durch seinen Vorschlag beabsichtigte. Erwähnung findet das Unterlassen im allgemeinen Schuldrecht vielmehr nur in den §§241, 339, 345 BGB 128 . Doch darf diese gesetzgeberische Enthaltsamkeit bei der Regelung der Unterlassungspflichten nicht zu dem Schluß verleiten, daß das nur die beabsichtigte Gleichbehandlung mit den Leistungspflichten bedeuten könne. Unzutreffend wird unter Berufung auf die Motive 129 gelegentlich ausgeführt, daß noch die Verfasser des ersten Entwurfes des BGB die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht eindeutig den Haftungsnormen für verschuldete Unmöglichkeit unterstellen wollten130. Die zur Untermauerung herangezogene Stelle der Motive ergibt jedoch klar, daß Gegenstand der Beratung keinesfalls die Einordnung der Unterlassung in das Unmöglichkeitsrecht war, sondern die Verknüpfung der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht mit dem Erfordernis des Verschul125

Dazu eingehend oben § 31 und § 11IX. Bd. I, Allgemeiner Theil mit Begründung (1882); Abschnitt I Titel 3ΙΠ. 1. 127 S. 16f. 128 Lehmann bemerkt dazu (Unterlassungspflicht S. 53) - nicht ohne Spott-, daß der Gesetzgeber die von ihm durch Einbringung der Unterlassungspflichten vorgenommene Erweiterung des Leistungsbegriffes dann bei der Einzelnormiening offenbar selbst wieder vergessen habe. 129 Mugdan II S. 27 zu § 240 E I (= § 280 BGB). 130 Wollschläger, S. 180. 126

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten 131

dens . Daß die Frage der Verschuldensabhängigkeit des Zuwiderhandelns Gegenstand kontroverser Ansichten sein konnte, wird klar vor dem Hintergrund des Teilentwurfes von Kübel. Denn von Kübel verknüpft das Zuwiderhandeln im Anschluß an andere Gesetze132 nicht mit einem Vertretenmüssen133. Die Annahme, daß die Verfasser des ersten Entwurfes die Unterlassungspflichten den Unmöglichkeitsvorschriften unterstellen wollten fällt auch schwer, wenn man die Motive zu dem die Unmöglichkeit behandelnden § 237 E I 1 3 4 untersucht - hier wird nämlich die Unterlassungspflicht mit keinem Wort erwähnt. Verbietet sich also der Schluß von der gesetzgeberischen Enthaltsamkeit auf die Gleichbehandlung mit den Leistungspflichten, dann bleibt Raum für eine andere, schon an ähnlicher Stelle135 getroffene Folgerung: Wie bei der Entwicklung von § 2241 des Ersten Entwurfes, der eine allgemeine Haftungsgrundlage für schuldhafte Pflichtverletzungen ausdrücklich normierte, bis hin zur heutigen Fassung, die diesen Grundsatz nicht mehr ausspricht, hat der Gesetzgeber auch bei Unterlassungspflichten entgegen ihm vorliegender Entwürfe auf eine ausdrückliche Normierung bewußt verzichtet. Bei der Frage der Normierung der Haftung des Schuldners beschränkte sich der Gesetzgeber letztlich darauf, den sich von selbst verstehenden Grundsatz der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung nur in seinen besonderen Ausformungen zu formulieren, nämlich bei der Frage des Schadensersatzes wegen endgültiger Nichterfüllung, §§ 280,283, 325 f BGB und der Frage des Schadensersatzes wegen verzögerter Erfüllung, § 284 ff. BGB. Diese oben zum gesetzgeberischen Vorgehen bei der Entscheidung gegen einen allgemeinen Haftungstatbestand gezogenen Schlüsse betreffen in gleicher Weise die Situation bei den Unterlassungspflichten. Für die Unterlassungspflichten kommt wie oben aufgezeigt - weder die Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, noch ein Schadensersatzanspruch neben einer fortbestehenden Unterlassungspflicht 131 Mugdan II (Motive S.27): „...Nicht schon die bloße Zuwiderhandlung (schweizerisches Obligationenrecht 112) verpflichtet zum Schadensersatze. Regelmäßig ist also Verschulden des Schuldners erforderlich, es müßte denn, was bei auf Vertrag beruhenden, auf Unterlassen gerichteten Schuldverhältnissen häufig anzunehmen sein mag, der Schuldner die Garantie für unbeschränkte Haftung übernommen haben...." In den Protokollen wird diese Diskussion nicht mehr aufgenommen. 132 Siehe die rechtsvergleichenden Nachweise in der Begründung, ebenda. 133 Im Gegensatz zu seinem § 1, der auf einen vom Schuldner zu vertretenden Umstand abstellt. Praktisch wird die Lösung der Zuwiderhandlung vom Erfordernis des Verschuldens keine wesentlichen Auswirkungen haben, da die Zuwiderhandlung in aller Regel schuldhaft ist. Zur Frage des Verschuldens bei Unterlassungsverpflichtungen vgl. auch Siber (Grundriß S. 99 f.) mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 134 §237 E I = §275 BGB. 135 Vgl. den Anhang § 11 VI zur Normierung ernes allgemeinen Haftungstatbestandes und § 224 des ersten Entwurfes.

VIII. Rechtsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Unterlassungspflicht

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wegen Verzögerung in Betracht, so daß sich für Unterlassungspflichten also auch die gesetzliche Ausformung solcher Haftungsarten erübrigt. Die Haftung bei Unterlassungspflichten ist vielmehr immer die grundsätzliche Haftung des Schuldners auf Schadensersatz für den Fall einer schuldhaften Pflichtverletzung, wie sie in § 2241 des Ersten Entwurfes explizit geregelt war 136. Mit der Zergliederung des § 224 E I durch die Redaktionskommission wurde also auch den Unterlassungshauptpflichten die ausdrückliche Haftungsgrundlage entzogen. Im Gegensatz zu der Situation bei den vielfältigen Nebenpflichten ersetzte man die Haftungsgrundlage im Laufe der Anwendung des BGB aber nicht durch die analoge Anwendung der Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften im Rahmen der pFV, sondern man versuchte, die Unterlassungspflichten diesen Vorschriften unmittelbar zu unterstellen, um der vermeintlichen Lücke auszuweichen137.

V I I I . Rechtsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Unterlassungspflicht Um den entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund der Unterlassungspflicht zu erhellen, sollen im Folgenden kurz einige wichtige Aspekte und Linien aufgezeigt werden. Sie belegen, daß das Bewußtsein der Andersartigkeit der Unterlassungspflichten, das Ende des neunzehnten Jahrhunderts Eingang in die Arbeiten zum BGB fand, trotz der vereinheitlichenden Entwicklung des Anspruchsbegriffs weit zurück reicht.

1. Bedeutung der Unterlassungspflicht Im römischen und älteren deutschen Recht hat die relative Unterlassungspflicht nur geringe Beachtung erfahren 138. Obwohl nicht verkannt wird, daß die Obligation auch auf ein Unterlassen, ein „non facere" gerichtet sein kann, findet sich doch eine grundsätzliche Parallele zu den Leistungen als Obligationsinhalt nirgends. 136 Auch anderen Gesetzen bzw. Gesetzentwürfen ist die Haftung bei Unterlassungspflichten nicht zu selbstverständlich, um nicht doch eine Erwähnung wert zu sein, vgl. beispielsweise § 290 des DDR-Gesetzes über Wirtschaftsverträge von 1976 (abgedruckt unter der Ordnungszahl 4. 2 bei Schiery/Wetzke: Wirtschaftsgesetze der DDR);§ 2751 des Reformentwurfes von Huber (Gutachten S. 779ff. mit Erläuterungen) und Art 1143 des Code Civil (dazu Rütten, S.945f.). 137 Mitbestimmend mag hierbei - ebenso wie bei der analogen Anwendung der §§ 325,326 BGB - der Wunsch gewesen sein, entgegen der gesetzgeberischen Weitung dem Gläubiger die Möglichkeit eines Rücktrittsrechtes zu geben. Daß dieses bei Unterlassungspflichten jedoch in keiner Weise die Bedeutung hat, die es bei Leistungspflichten aufweist, war schon oben IV2dbb) zu zeigen. 138 Ausführlich und mit weiteren Nachweisen dazu Lehmann, Unterlassungspflichten S.51ff.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Dieser geringen rechtlichen Relevanz korrespondiert ihre ebenso geringe praktische Bedeutung im Rechtsverkehr. Im Vordergrund stand demgegenüber die Unterlassungspflicht, die den Zwecken der absoluten Rechte dient139. Die hinter diese absoluten Schutzpflichten zurücktretende Bedeutung der relativen Unterlassungspflicht leuchtet ein, wenn man sich die Sachverhalte vor Augen hält, in denen die relative Unterlassungspflicht heute ihre Bedeutung erlangt. Die Unterlassungshauptpflichten dienen - wie oben schon dargelegt - dem Schutz der Interessen und Güter durch Grenzverschiebungen zwischen Rechtskreisen; nötig wird das überall dort, wo sich die Rechtskreise der Individuen durch die zunehmende soziale und wirtschaftliche Verflechtung immer stärker annähern. Diese zunehmende Intensität der Verflechtung und Überlagerung, die die Unterlassungshauptpflichten als Schutzinstrument so wichtig machen, ist ein Problem dieses Jahrhunderts; zur Zeit des römischen Rechts kam solchen Problemen wohl nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

2. Die Entwicklung von Verpflichtung und Haftung als Obligationsinhalt; insbesondere das Prinzip der condemnatio pecuniaria Wichtiger als dieser praktische Hintergrund ist für die Entwicklung der Unterlassungspflicht und ihre Gegensätzlichkeiten zur Leistungspflicht jedoch der rechtsgeschichtliche Entwicklungsprozeß des Verhältnisses von Verpflichtung und Haftung als Inhalt der Obligation. In der hier notwendigen Vereinfachung gesagt, bewegt sich dieser Entwicklungsprozeß zwischen den entgegengesetzten Polen der sog. Pekuniarkondemnation (condemnatio pecuniaria) des klassischen Formularprozesses und der Emanzipation des Leistungsanspruches hin zum heutigen Erfüllungszwang 140 durch Savigny und Windscheid. Im Gegensatz zum älteren römischen Recht ist schon im klassischen römischen Recht die Obligation nicht mehr als reines Haftungsverhältnis aufgefaßt worden. Sowohl das Leistensollen als auch das Einstehenmüssen für das Nichtleisten wurden als die beiden Seiten, die die obligatio ausmachten, verstanden141. Die Verpflichtung zum Leistensollen, die heutige Primärleistungspflicht, war aber trotz ihrer Zugehörigkeit zum Inhalt der Obligation nur sehr unvollkommen ausgestaltet. Denn das rechtliche Sollen ist zwar auf diese Verpflichtung zum „dare facere" gerichtet und es ist auch darauf zu klagen, infolge des Prinzipes der condemnatio pecuniaria kommt es aber gleichwohl nicht zur Durchsetzung des „Leistensollens". 139

Lehmann, ebenda. Dieses sind heute die absoluten Schutzpflichten, vgl. oben §2 II 2 a). Zum Zwang zur Erfüllung in forma specifica vgl. z. B. oben § 2IV 3, V 3 und 4, sowie unten §11 V I 3b). 141 Jakobs, Unmöglichkeit S. 173 ff.; vgl. auch Wieacker in FS für Nipperdey S. 783 ff. 140

VIII. Rechtsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Unterlassungspflicht

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Nach dieser im klassischen Formularprozeß geltenden Regel der condemnatio pecuniaria142 muß jede Verurteilung auf Geld gerichtet sein, die Verurteilung und Vollstreckung ist notwendigerweise immer auf eine Ersatzleistung gerichtet143; die Verurteilung enthielt materiellrechtlich damit eine Novation144. Man war sich demnach wohl gedanklich bewußt, daß die Verpflichtung im Verhältnis zur Haftung das Primäre ist, in der Verwirklichung der Obligation dominierte aber nach wie vor der historisch ältere Aspekt der Haftung. Leistungspflichten und Unterlassungspflichten wurden also durch die Pekuniarkondemnation gleich behandelt. Ihre Unterschiedlichkeit hinsichtlich des primären Verpflichtungsinhalts wurde durch die automatische und für beide identische Rechtsfolge der sekundären Haftung gar nicht erst relevant. Einer Regelung des Verhältnisses von Primärleistungspflicht und sekundärer Pflicht wegen Nichterfüllung, wie sie im BGB mit der Unmöglichkeit getroffen ist, bedurfte es daher auch nicht.

3. Die condemnatio pecuniaria und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Unterlassungspflicht Im Gegensatz zu den Leistungspflichten, deren Eigenständigkeit und Durchsetzbarkeit nach heutigem Verständnis in direktem Gegensatz zu dem Prinzip der Pekuniarkondemnation steht, harmonisiert eben dieses Prinzip auch heute noch mühelos mit den Unterlassungsschutzpflichten, da diesen ja ein Anspruch des Gläubigers nur in unentwickelter Form korrespondiert, sein Interesse letztlich aber auf die sekundäre Schadensersatzhaftung geht. Für den Bereich des Güter- und Interessenschutzes liegt diesem Prinzip mit der Dominanz der sekundären Haftung als Verwirklichung des Anspruchs demnach die richtige Überlegung zugrunde. Die Linien, die durch die condemnatio pecuniaria für die Verwirklichung des Verpflichtungsinhaltes abgesteckt wurden, blieben bis ins neunzehnte Jahrhundert erhalten, obwohl das Prinzip selber schon in nachklassischer Zeit zugleich mit dem Formularprozeß zurückgedrängt wurde145. Hierbei zeigt sich dann aber etwas Aufschlußreiches: Während für die Verpflichtungen, die eine Rechts- oder Sachübertragung zum Inhalt haben, der Grundsatz, daß nur auf das Interesse verurteilt werden kann, zunehmend eingeschränkt wird, bleibt es für Verpflichtungen, deren Gegenstand ein facere, ein reines Handeln ist, bei der Geldkondemnation. Mit der Herauslösung der Leistung als Verpflichtungsinhalt aus dem gleichschaltenden Prinzip der Geldkondemnation zeigen sich die Unterschiede zwischen dem Bereich des Güter142

Zur Pekuniarkondemnation vgl. auch Rütten in FS für Gemhuber, S. 939,941 ff. Darin liegt eine wesentliche Ähnlichkeit zum Common Law, das den Zwang zur „specific performance" nur als Ausnahme kennt. 144 Soweit nicht schon die Klageforderung auf Geld gerichtet war. 143 Jakobs, Unmöglichkeit S. 191 ff.; ausführlich zu den Entwicklungslinien der condemnatio pecuniaria auch Rütten, S. 941 ff. 143

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

austausches und dem des Unterlassens, die Entwicklung geht dabei notwendigerweise getrennte Wege. Beispiele gesetzlicher Regelungen, die für die Verpflichtung zum Unterlassen an der condemnatio pecuniaria festhalten und damit dogmatisch zutreffend für den Bereich des Güterschutzes das Verhältnis von Primär- und Sekundäranspruch zugunsten des letzteren entscheiden,finden sich zahlreich durch die Jahrhunderte146. Exemplarisch sei hier nur der § 22 des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern von 1811 wiedergegeben147: § 22: „Ein Vertrag, welcher kein Geben, sondern ein bloßes Thun oder Unterlaßen zum Vortheile des Anderen zum Gegenstand hat, verpflichtet 1.) keineswegs die versprochene Handlung in Natur zu leisten, vielmehr kann sich der Schuldner von dieser Verbindlichkeit durch die Leistung des Intereßes befreien; 2.)..."

Genau entgegengestzt, nämlich hin zum Prinzip des Zwanges zur Naturalerfüllung entwickelte sich die Obligation, wo ihr Verpflichtungsinhalt nicht in einem facere, einer „reinen Handlung" besteht148. Zunehmend setzte sich die Vorstellung einer materiellrechtlichen Verpflichtung zur Leistung durch, der grundsätzlich ein durchsetzbarer Anspruch korrespondiert; die Vorstellung von der Obligation als Rechtsverhältnis, das primär auf Leistung und erst sekundär auf Haftung gerichtet ist. Herausgearbeitet, geprägt und erweitert wird dieses Verständnis dann entscheidend von Savigny und Windscheid. Auf Savigny geht die Verlagerung der Betonung des Wesens der Obligation von der Haftung auf die Leistung zurück149; Windscheid hat als eine seiner wichtigsten Thesen zum Anspruchsbegriff hervorgehoben, daß der Anspruch, anders als die actio in der Prägung Savignys150, keine Rechtsverletzung voraussetzt151. Der schuldrechtliche Anspruch wird so identisch mit dem Forderungsrecht, also dem subjektiven Recht auf Leistung. Diese Entwicklung erfaßt jedoch nicht nur die Pflichten, die nicht auf eine Tätigkeit gehen, sondern wird von Savigny und Windscheid undifferenziert auch auf die Verpflichtung zu einem facere übertragen. Bei Savigny heißt es lapidar, daß die condemnatio pecuniaria eine „Eigentümlichkeit des alten Prozeßes"152 sei, und Wind146

Vgl. die Darstellung bei Rütten, ebenda. Siehe Rütten, S. 946. 148 Vgl. zur Entwicklung der Durchsetzbarkeit vor dem Hintergrund des § 241 S. 1 BGB auch Avenarius in JR 1996 S. 492ff. 149 Vgl. Obligationenrecht, Bd. 1 S.5 150 In dieser - für das römische Recht typischen - aktionenrechtlichen Betrachtungsweise sind die Rechtssätze durch die Fragestellung bestimmt, ob zur Durchsetzung des materiellen Rechts ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht. 151 Zum Anspruchsbegriff Windscheids vgl. z. B. Neumann, S. 21 ff.; Rütten, S. 949ff.; Henckel in AcP 174 (1974) S.97, 139f. 152 System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 5 S. 122, 145. 147

VIII. Rechtsgeschichtliche Aspekte der Entwicklung der Unterlassungspflicht

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scheid führt nur noch als Erinnerungsposten mit, daß ein facere anders zu behandeln sei als andere Verpflichtungsinhalte 153. Die Beschränkung der Verurteilung oder der Vollstreckung auf das Interesse, wie sie bei der condemnatio pecuniaria vorliege, sei nur ein prozeßrechtliches Problem, das die Obligation als solche, verstanden als ein Recht auf eine Handlung des Schuldners, nicht berühre 154. Diese Stellungnahmen markieren den Wandel in der Hinwendung zum Prinzip der Naturalerfüllung als einem nicht nur partiellen, auf die Leistungspflichten beschränkten, sondern das ganze Schuldrecht beherrschenden Prinzip 155. Exemplarisch für den Niederschlag dieses Wandels in gesetzgeberischen Arbeiten mag wieder der Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern sein, der von 1861 datiert und ausdrücklich und durchgängig für alle Leistungen die Klage auf Naturalerfüllung vorsieht. Art. 115: „So lange die Verbindlichkeit selbst möglich ist, kann der Gläubiger im Falle des Art. 109 156 lediglich die Klage auf Erfüllung stellen."

Diesen Zwang zur Naturalerfüllung muß der Entwurf jedoch sogleich wieder einschränken: „Nur wenn die Versäumung des Schuldners bereits die Unmöglichkeit der späteren Erfüllung herbeigeführt hat, kann sofort, statt auf Erfüllung, auf Schadensersatz geklagt werden, weil die Klage in ersterer Beziehung zu keinem Erfolg führen würde."157 Hinter dieser Formulierung stecken allerdings genau die Unterlassungspflichten, die gerade vorher erst der Naturalerfüllung unterstellt wurden und damit offenbart sich das ganze Dilemma. Die Lösung der Leistungspflicht aus der Pekuniarkondemnation und ihrer Bindung an das aktionenrechtliche Denken war die folgerichtige und notwendige Voraussetzung für ihre heutige rechtliche Ausgestaltung158, die ihrer Aufgabe als Instrument der Güterbewegung voll entspricht. Für die Unterlassungspflichten, die dem Güter- und Interessenschutz dienen, ist genau das Gegenteil festzustellen. Ihre Eigenarten fanden in der condemnatio pecuniaria eine genaue Entsprechung, auch der aktionenrechtliche Grundgedanke, daß die 153

Windscheid/Kipp, Pandekten Bd.2 (9. Aufl.) S. 13ff.; vgl. Rütten, S.951. Windscheid/Kipp, ebenda S.2f. 155 Erst die materiellrechtliche Verselbständigung von Leistungspflicht und Haftung wegen Nichterfüllung durch Einführung des Zwanges zur Naturalerfüllung und Realexekution warf überhaupt die Frage des Verhältnisses beider zueinander auf und führte zur Beantwortung dieser Frage durch die Vorschriften, die den Vorrang der Naturalerfüllung sicherstellen sollen (vgl. Jakobs, Unmöglichkeit S. 188f.). 156 Art. 109: „Wird von dem Schuldner die ihm obliegende Verbindlichkeit nicht erfüllt oder nicht gehörig erfüllt, und liegt der Grund hiervon in einer absichtlich rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung (Unredlichkeit) desselben oder in der Versäumung der schuldigen Achtsamkeit und Sorgfalt (Versehen), so ist er dem Gläubiger vorbehaltlich besonderer Vorschriften... zum Schadensersatz verpflichtet." (zitiert nach Rütten, S.955). 157 Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern, 1861 S. 89 (zitiert nach Rütten, S.955). 158 Die gleiche Entwicklung wurde in Frankreich durch den Code Civil, Artt. 1142 ff. aufgehalten. 154

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Durchsetzbarkeit des Anspruchs seine Verletzung voraussetzt, trifft für das Wesen der Unterlassungspflichten zu. Eine Herauslösung aus diesen Zusammenhängen konnte also für die Unterlassungspflichten keine Verbesserung ihrer rechtlichen Ausformung bedeuten, sondern nur, daß sie Strukturen unterstellt werden, die ihnen fremd sind, nämlich den Strukturen der Leistungspflichten.

IX. Weitere Besonderheiten der Unterlassungspflichten Die im Zusammenhang mit Unmöglichkeit und Verzug auftretenden Schwierigkeiten haben gezeigt, daß Leistungspflichten und Unterlassungspflichten zu unterschiedlich sind, um sie auf der Ebene der auf Leistungen zugeschnittenen §§ 275 ff. BGB einheitlich behandeln zu können. Daß sich die Besonderheiten der Unterlassungspflicht auch in anderen Regelungsbereichen des allgemeinen Schuldrechts durchsetzen, soll zur Abrundung dieser Abschnitts nur noch kurz dargestellt werden.

1. Unterlassungspflicht und Erfüllung, § 362 BGB Zunächst soll die Frage der Erfüllung, § 362 BGB behandelt werden. Zum einen, weil Probleme der Erfüllbarkeit schon im Zusammenhang mit dem Schutzanspruch angeklungen sind, zum anderen aber, weil diese Frage - im Gegensatz zu vielen anderen Fragen - vergleichsweise viel Beachtung gefunden hat und in der Regel mit dem eingangs erwähnten § 241 S. 2 BGB verbunden wird. Wohl überwiegend wird die Erfüllbarkeit gem. § 362 BGB 159 auch für die Unterlassungspflicht bejaht160, die zugrundeliegenden Ansätze gehen dabei aber unterschiedliche Wege. Häufig trifft man auf die Formulierung, daß, wo das Unterlassen als Leistung versprochen und ordnungsgemäß eingehalten worden ist, dies auch zur Befriedigung des Gläubigerinteresses führe und aus diesem Grund „Erfüllung" sei161. Gerade das Abstellen auf den rein sprachlichen Aspekt der Formulierung der Vereinbarung kann nicht überzeugen, offenbart vielmehr neue Unterschiede zwischen Unterlassung und Leistung. Unter dem „Leisten" und der „Leistung" versteht 159 Fraglich und umstritten ist in diesem Zusammenhang darüberhinaus, ob zum Tatbestand der Erfüllung das Einhalten der Unterlassung genügt, um das Schuldverhältnis erlöschen zu lassen, oder ob zum Tatbestand der Erfüllung auch ein subjektives Tatbestandsmerkmal, eine Willenseinigung der Parteien oder jedenfalls ein Erfüllungswille des Schuldners gehört; vgl. Henckel in AcP 174 (1974) S.97,123; Gernhuber, Erfüllung S. 128 f. (mit Darstellung des Meinungsstandes) und Staudinger-Kaduk, Vorb. zu §§ 362ff. Rdnr 11 ff. 160 MüKo-Kramer §241 Rn 8 m. w.N.; Köhler in AcP 190 (1990) S.496,503; MüKo-Heinrich § 362 Rn 2,3,12; Henckel in AcP 174 (1974) S. 97,123 f.; Beuthien S. 15; vgl. auch Gernhuber, Erfüllung S. 127 ff. 161 Köhler, S.503 (Anführungszeichen von Köhler); Henckel, S. 123.

Unterlassungspflichten nicht nur der natürliche Sprachgebrauch ein tätiges Handeln162, während es beim Unterlassungsverpflichteten nicht einmal notwendig einer Anspannung seiner Willenskraft zur Einhaltung der Passivität bedarf. Schon Lehmann betonte, daß sich das natürliche Empfinden gegen die Bezeichnung der Unterlassung als „Leistung" auflehne, der Ausdruck „Leistung" schließe streng genommen ein Moment des Geschehens in sich ein 163 . Die Formulierung einer Unterlassungspflicht als „Leistung" vermag also keinesfalls die Unterschiedlichkeiten zu überspielen und die Erfüllbarkeit i. S. d. § 362 BGB zu begründen164. Gelegentlich wird als Argument für die Erfüllbarkeit von Unterlassungsansprüchen auch § 345 BGB herangezogen. Aus der Formulierung dieser Bestimmung ergebe sich deutlich, daß mit dem Unterlassen eine Leistung zur Erfüllung einer Verbindlichkeit erbracht werden könne165. Dem muß jedoch widersprochen werden, denn § 345 BGB formuliert das Unterlassen gerade als Ausnahme zu der vorangehenden Bestimmung. Wenn man dieser Vorschrift also überhaupt Hinweise für die Erfüllbarkeit entnehmen will, dann deuten diese eher in die entgegengesetzte Richtung. Schwerer wiegen andere Begründungsansätze. So wird dargelegt, daß bei Unterlassungspflichten die Leistung des Schuldners darin bestehe, daß er von einer Handlung, die er sonst vornehmen könnte, absieht, also in der Übernahme und Achtung einer Willensbildung. Deshalb könnten auch Unterlassungspflichten erfüllt werden166. Demgegenüber läßt sich jedoch einwenden, daß es dem Unterlassungsanspruch an der Spannung fehlt, die zwischen Schuldverhältnis und Güterzuordnung notwendig bestehen muß, wenn durch Güterverschiebung ein erfüllender Ausgleich überhaupt stattfinden können soll167. Denkbar ist eine Güterverschiebung durch Unterlassen und damit auch Erfüllbarkeit des entsprechenden Anspruches deshalb nur, wo der Schuldner einen Eingriff des Gläubigers zu dulden hat, so daß dieser das geschuldete Gut holen oder es nutzen bzw. gebrauchen kann168. Ein Schutzanspruch, der ein Unterlassen zum Gegenstand hat, ist jedoch nicht auf eine Güterbewegung gerichtet, sondern auf Respektierung der durch die Verpflichtung bestehenden Handlungsgebundenheit. Verpflichtet sich der Schuldner zu einem Unterlassen, so schränkt er damit seine Rechtssphäre ein, um dem Gläubiger einen dementsprechenden Rechtszuwachs zu verschaffen, die Rechtssphäre des Gläubigers wird also 162

Eine eingehende sprachliche Untersuchung der,»Leistung"findet sich bei Wieacker in FS für Nipperdey, S. 783,785 f. 163 Lehmann, S. 50 f. Auf S. 53 spricht Lehmann sogar von der „Vergewaltigung des Sprachgefühls" durch diese „Denaturierung des Leistungsbegriffes". 164 Noch anders geht Henke (S. 32 ff.) vor, der trotz zutreffender Bedenken letzlich aus „Nützlichkeitserwägungen" heraus die Eigenschaft der Unterlassung als Leistung i. S. d. §§241,362 BGB bejaht. 165 Henckel in AcP 174 (1974) S.97,123; Lehmann S.205. 166 Beuthien, S. 15 m.w.N. in Fn.51. 167 Thomae in JZ 1962 S.622,626. 168 Kress, S. 3.

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über die von Rechts wegen bestehenden Grenzen hinaus erweitert. Diese Erweiterung ist aber keine Güterbewegung und damit nicht der Erfüllung im Sinne des § 362 BGB zugänglich169. Schutzansprüche, die eine Unterlassung zum Gegenstand haben, erlöschen vielmehr durch Ablauf des Zeitpunktes oder der Zeitdauer, für die sie vereinbart wurden170. Erfüllbare Schutzansprüche entstehen erst durch die Zuwiderhandlung, die die Entwicklung zum Schadensersatzanspruch auslöst. Verschiedentlich wurde die Erfüllbarkeit von Unterlassungsansprüchen auch mit dem Argument angezweifelt, daß der Gläubiger sich während der Unterlassung in einem fortdauernden Zustand der Befriedigung befände und sprach vom „saturierten Anspruch"171. Überzeugender ist es jedoch, die Erfüllbarkeit des unentwickelten Schutzanspruches, der in einem Unterlassen besteht, angesichts seiner von Leistungsansprüchen unterschiedlichen Zielsetzung zu verneinen. Entscheidend ist seine Ausrichtung auf vorbeugenden Güter- und Interessenschutz im Gegensatz zur Änderung der Güterzuordnung.

2. Unterlassungspflicht und Gesamtschuld, §§420 ff. BGB Daß ein Unterlassen nicht unreflektiert als Leistung verstanden werden kann sowie eine weitere Besonderheit der Unterlassungspflichten wird bei Betrachtung eines anderen Regelungsbereiches des allgemeinen Schuldrechts deutlich, nämlich da, wo es um die Mehrheit von Schuldnern geht, §§ 420ff. BGB. Für die Schuldnerverbindung bei Unterlassungspflichten führen diese Vorschriften in die Irre. Obwohl das Gesetz die Schuldner durch §431 BGB sogar bei unteilbaren Leistungen zu Gesamtschuldnern macht, kann das Unterlassen hier nicht wie eine Leistung behandelt werden. Sind zwei Personen Schuldner einer Unterlassungsverpflichtung, so befreit die Unterlassung des einen Schuldners nicht den anderen, wie es die Regelung der Gesamtschuld vorsieht (§§ 4221 BGB). Vielmehr haben beide jeder für sich und für den anderen kraft einer wechselseitigen Garantie dafür einzustehen, daß die Zuwiderhandlung unterbleibt. Die Unterlassungsverbindlichkeit ist in diesem Fall vervielfältigte Verbindlichkeit ohne die Tilgungswirkung der Gesamtschuld, ein Schuldband, das jeden einzel169 So im Ergebnis beispielsweise Kress S. 5 ff., 585; Schlechtriem, Vortrag S.24; Thomae in JZ 1962 S. 622,626; Esser/Schmidt Bd. I Tb. 1 § 61 a in der 6. Aufl. und § 6IV in der 7. Auflage; vgl. auch Schünemann in JuS 1987 S. 1,5 i. V. m. Fn.59 und Huber in von Caemmerer/Schlechtriem, Art.46 Rn 27; Hans Stoll in FS von Hippel (1967) S.528,539; vgl. auch Evans-von Krbek in AcP 179 (1979) S. 85, 102ff.; weitere Nachweise bei Staudinger-Kaduk, Vorb. zu § 362ff. Rn 32. 170 Kress, S. 585. 171 Nachweise bei Thomae, S.626 und Kress, S.8 i. V.m. Fn.19.

Unterlassungspflichten nen auf das Ganze in Anspruch nimmt172. Diese Folgerung ergibt sich aus dem Zweck der Unterlassungsverpflichtung, denn die Beachtung der Schutzpflicht durch den einen oder den anderen Unterlassungsschuldner nützt dem Gläubiger nichts. Schon in den Windscheidschen Pandekten173findet sich die treffende Formulierung, daß „zweimaliges Nichtstun zu je ein halb so wenig ein ganzes Nichtstun ist, wie es umgekehrt ein ganzes Tun ist".

3. Teilbarkeit der Unterlassungspflicht Dies leitet direkt weiter zu der grundsätzlichen Frage der Teilbarkeit einer Unterlassungsschutzpflicht. Auszugehen ist dabei davon, daß nach Sinn und Zweck die Teilbarkeit einer Verpflichtung nur zu bejahen ist, wenn der durch sie bezweckte rechtliche Erfolg durch eine Mehrheit qualitativ gleicher Bruchteile der Verpflichtung verwirklicht werden kann174. Entscheidend ist dabei die Möglichkeit, durch mehrere gleichartige neben- oder nacheinander vorzunehmende Handlungen den ganzen Erfolg zu erzielen. Einer solche Annahme einer qualitativen Gleichheit „einzelner" Unterlassungen und damit ihrer Charakterisierung als gleiche Teile einer „Gesamtunterlassung" steht der Umstand im Wege, daß jede „Teilunterlassung" in der Regel nur zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgenommen und nicht nachgeholt werden kann. Mit Rücksicht auf diese individuelle zeitliche Fixierung läßt sich nicht von einer Gleichartigkeit verschiedener Teile sprechen. Schwerer aber als das wiegt ein anderer Aspekt. Da die nur teilweise Unterlassung notwendig die teilweise Zuwiderhandlung bedingt, ist ebenso notwendig auch der vom Gläubiger verfolgte Zweck teilweise vereitelt175. Für die Annahme einer Teilbarkeit kann es aber nicht angehen, daß sie die zwingende Beeinträchtigung des durch die Unterlassungspflicht geschützten Gläubigerinteresses zum Preis hat. Die Anwendung der Vorschriften der §420 ff. BGB muß also auf die Leistungen, auf den Bereich der Güterbewegung beschränkt bleiben.

4. Die Unterlassungspflicht als absolute Verpflichtung Die Unteilbarkeit der Unterlassungsverpflichtung ist dabei auch nur die logische Konsequenz eines übergreifenden Aspektes: Die Unterlassung ist in einem bestimmten Sinne absolut. Im Gegensatz zur Tätigkeit, die unendlich viele Formen annehmen kann, so daß bei einer Leistungspflicht der Vielgestaltigkeit der zum angestrebten Erfolg hinführenden Handlungen keine Grenze gesetzt ist, reduzieren sich 172

So schon Lehmann S. 313 ff.; ebenso Wendt in AcP 92 (1902) S. 1, 76. Windscheid/Kipp II, §300,2. 174 Anders können die Kriterien jedoch bei der teilweisen Erfüllung bzw. Nichterfüllung im Rahmen der §§275 ff. BGB liegen. 175 Lehmann, Unterlassungspflicht S. 198. 173

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

beim Unterlassen die Möglichkeiten zur Verwirklichung auf eine einzige176: nämlich die Passivität des Verpflichteten, die Nichtvornahme der bestimmten Handlung. Die Ausschließlichkeit dieser einen Verwirklichungsmöglichkeit folgt aus der Negativität des Verpflichtungsinhalts, der ja nicht auf eine Änderung der Güterlage des Gläubigers, sondern lediglich auf einen Zustand seines Rechtskreises abzielt, nämlich auf Schutz durch Störungsfreiheit.

5. Unterlassungspflicht und Vertragstypik Das führt sofort weiter zu einer anderen, augenfälligen Konsequenz. Da es nur um eine permanente Passivität177 des Unterlassungsschuldners geht, um einen vom Gläubiger angestrebten Zustand, fehlt dem Verpflichtungsinhalt irgendein Charakteristikum, das die komplette oder auch nur partielle Zuordnung des Unterlassungsvertrages zu einem der besonderen Schuldtypen erlaubt178. Es fehlt das den Verträgen der Güterbewegung innewohnende gegenständliche179 oder zumindest sich äußerlich manifestierende 180 Element, das zu einer Typisierung wie der im Besonderen Schuldrecht vorgenommenen drängt. Eine solche Typisierung kann wegen des lediglich in Passivität liegenden Verpflichtungsinhaltes der Unterlassungsverträge nirgendwo sinnvoll greifen; die dennoch teilweise existierende spezielle Normierung muß sich daher mit dem Kriterium des Bereiches der jeweiligen Anwendung der Unterlassung begnügen181.

6. Qualitative Abweichung vom Vereinbarten bei Unterlassungspflichten Bei Unterlassungspflichten gibt es deswegen auch keine Probleme der qualitativen Abweichung, wie sie im Bereich der Güterbewegung wohl die praktisch häufigsten Störungen darstellen; der Schlechterfüllung der Leistungspflicht kann keine „Schlechtbeachtung" der Unterlassungsschutzpflicht gegenüber gestellt werden. Von vorneherein bleibt damit auch kein Raum für eine etwaige „Mängelgewähr", wie sie bei den besonderen Schuldvertragstypen, insbesondere bei Kauf, Miete und Werkvertrag normiert ist182.

176

Vgl. Husserl, S.71, 81 und Neumann, S. 117f. Esser/Schmidt, Bd. I Tb. 1 § 614. 178 Zur Vertragstypik vgl. Kress, S. 68 ff. 179 Exemplarisch ist der Kaufvertrag, §433 BGB. 180 Auch die Arbeitsleistung als Gegenstand des Güteraustausches findet ihren sichtbaren Niederschlag durch Änderungen in der Sphäre des Gläubigers. 181 Z.B. in §§74ff., 90a HGB; 133f GewO, vgl. auch §51 BerufsbildungsG. 182 Esser/Schmidt Bd.I Tb. 1 § 614. Richtig auch insoweit Kopeke, der zugesteht, daß es eine Schlechterfüllung bei den Unterlassungen dem Begriff nach nicht geben kann. 177

IX. Weitere Besonderheiten der Unterlassungspflichten

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Das leuchtet schon intuitiv ein, wird aber vollends deutlich, wenn man sich erneut die Ausschließlichkeit der Unterlassungspflicht bewußt macht. Der Unterlassungspflicht korrespondiert nicht wie der Leistungspflicht ein breites Verhaltensspektrum einzelner Handlungen - die in ebenso vielfältiger Weise sorgfaltswidrig vorgenommen werden können - , sondern nur eine Möglichkeit: ihre Beachtung. Der Verletzung der Unterlassungspflicht kann also auch immer nur eine Pflichtverletzung zugrundeliegen, nämlich die Zuwiderhandlung, während die Nicht- oder Schlechterfüllung der Leistungspflicht auf den verschiedenartigsten Schutzpflichtverletzungen beruhen kann. Ein Regelungsinstrumentarium, das diesen verschiedenen Schutzpflichtverletzungen und ihren Folgen für die Leistungspflicht zumindest ausschnittweise Rechnung trägt, ist bei den Unterlassungspflichten also unnötig.

7. Einmaliges Unterlassen und dauerndes Unterlassen Entzieht sich die Unterlassungsverpflichtung als solche also zunächst einer qualitativen Differenzierung, so wird eine Unterteilung doch noch möglich, wo die Unterlassungsverpflichtung in die Dimension Zeit gestellt wird. Vor dem Hintergrund eines fortschreitenden Zeitablaufes ergibt sich dann die quantitative Differenzierung zwischen dem einmaligen Unterlassen und den sog. Dauerunterlassungen. Die Grenze zwischen einmaligem und dauerndem Unterlassen läßt sich dabei nicht dahingehend bestimmen, daß die einmalige Unterlassung ähnlich wie die einmalige Tätigkeit ein momentaner Vorgang ist, während die Dauerunterlassung sich aus einer Summe solcher Vorgänge zusammensetzt oder in eine solche unterteilen lasse183. Entscheidend muß ein anderer Gesichtspunkt sein, nämlich der vom Gläubiger mit der Unterlassung angestrebte Zweck184. Bezweckt die Unterlassungsverpflichtung das Ausbleiben eines Ereignisses, dessen einmaliges Eintreten für den Gläubiger in Frage steht185 und dadurch den Interessenschutz als einmaliges, vorübergehendes Bedürfnis, dann liegt eine Verpflichtung zu einmaligem Unterlassen vor. Wird hingegen durch die Unterlassungsverpflichtung vom Gläubiger der Schutz seiner Interessen durch eine andauernde Störungsfreiheit seines Rechtskreises bezweckt, also ein andauerndes Schutzbedürfnis der Verpflichtung zugrunde gelegt, so handelt es sich um eine Dauerunterlassung186. Eine Besonderheit und eher seltene Erscheinung stellt die Verpflichtung zu einem einmaligen Unterlassen dar, die an keinen festen Zeitpunkt gebunden ist. Solche 183

Vgl. schon die Ausführungen oben 3 zur Unteilbarkeit. Lehmann, Unterlassungspflicht S.59f. 185 Ζ. B. beim pactum de non licitando das Bieten bei einem bestimmten Stück auf einer bestimmten Auktion. 186 Die absoluten Schutzpflichten des BGB begründen deshalb die Verpflichtung zu Dauerunterlassungen, vgl. z. B. § 8231 BGB: Die Verpflichtung, die Schädigung eines der in § 8231 BGB aufgeführten Rechtsgüter eines anderen zu unterlassen, besteht immer. 184

23 Kuhlmann

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

Unterlassungen sind wohl eher eine theoretische als eine praktische Erscheinung, da der vom Gläubiger durch die Unterlassung verfolgte Schutzzweck in aller Regel auch eine zeitliche Dimension haben wird.

8. Zuwiderhandlung und Vertretenmüssen, § 276 BGB Weitere Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts des BGB decken Besonderheiten der Unterlassungshauptpflicht auf. Mehr in tatsächlicher als in rechtlicher Hinsicht liegen sie zunächst bei § 2761 BGB, der in seiner heutigen Form 187 die Definition des zivilrechtlichen Verschuldens enthält: „Der Schuldner hat, sofern nicht ein anderes bestimmt ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten." Für die Pflichten, die zu einer Tätigkeit anhalten188, liegt in der Praxis das Schwergewicht wohl auf der fahrlässigen Pflichtverletzung. Bei den Unterlassungsschutzverpflichtungen steht hingegen die - zumindest bedingt - vorsätzliche Zuwiderhandlung im Vordergrund, sei es in der Hoffnung, daß aus der Zuwiderhandlung kein Schaden entsteht oder sei es, weil der Unterlassungsschuldner die Entwicklung des unentwickelten Schutzanspruches in Kauf nimmt. Letzteres mag ihm um so leichter fallen, als dem möglichen Verlust durch die Inanspruchnahme seitens des Gläubigers häufig der Gewinn gegenüberstehen wird, der ihm durch die - der Verpflichtung zuwider laufende - Nutzung seines Rechtskreises erwachsen ist. Eine fahrlässige Zuwiderhandlung ist wohl nur denkbar, wo der Unterlassungsschuldner seine Verpflichtung schlichtweg vergessen hat, wo er sich im Moment der Zuwiderhandlung seiner Verpflichtung nicht bewußt war. Es fehlt ihm dann an der Anspannung seiner geistigen Kräfte 189, die zur vertragsgemäßen Beachtung seiner Schutzpflicht erforderlich wäre. Aber auch die Möglichkeit einer fahrlässigen Zuwiderhandlung ist begrenzt, denn das Wissen um die Verpflichtung braucht freilich nicht das Ergebnis eines im Bewußtsein ständig und substantiiert ablaufenden Denkprozesses zu sein, vielmehr muß schon ein unreflektiertes, sachgedankliches Mitbewußtsein am Rande des aktuellen Vorstellungsinhaltes ausreichen.

9. Unterlassungspflicht und Unvermögen, § 275 I I BGB Die Unterlassung als ein rein passives Verhalten läßt sich nicht von der Person des Schuldners lösen190. An eine Verwirklichung des Gläubigerinteresses durch einen 187

Zu der Entstehungsgeschichte von der Normierung der culpa-Haftung bis hin zur heutigen Fassung vgl. im Anhang § 11V und VI. 188 Dies ist immer der Fall bei der Leistungspflicht, kann aber auch bei Schutznebenpflichten vorliegen, z.B. bei Aufklärungs-, Untersuchungs-, oder Obhutspflichten; vgl. Kress S.5f., 579 f. und oben § 3 V. 189 Vgl. zur Spannung der Schuld Kress, S. 401 ff. 190 So schon Lehmann, Unterlassungspflichten S. 193.

IX. Weitere Besonderheiten der Unterlassungspflichten

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Dritten läßt sich nur dann denken, wenn dieses durch das Verhalten einer anderen Person in gleicher Weise wie durch das Handeln des Schuldners erreicht werden kann, wenn ein Dritter anstatt des Schuldners handeln kann. Die Unterlassungspflicht ist also eine persönliche, an den Schuldner gebundene Schutzpflicht. Diese persönliche Natur der Unterlassungspflicht führt dazu, daß Absatz I I des § 275 BGB, der das nachträglich eintretende Unvermögen zur Leistung der Unmöglichkeit gleichstellt, ins Leere geht. Nimmt man die Möglichkeit der Verwirklichung des Gläubigerinteresses durch Dritte als Abgrenzungskriterium zwischen objektiver und subjektiver Unmöglichkeit191, dann bleibt für die Unterlassung, die von der Person des Schuldners nicht zu lösen ist, nur die Kategorie der objektiven Unmöglichkeit - sofern man das Unterlassen mit der heute herrschenden Ansicht überhaupt den Unmöglichkeitsvorschriften unterstellen will. Verneint man die Kategorie des Unvermögens bei den Unterlassungspflichten grundsätzlich, so scheidet automatisch auch § 279 BGB aus, der die Haftung des Schuldners einer Gattungssache für den Fall des Unvermögens erweitert 192. Auch ohne die Beschränkung auf das Unvermögen könnte § 279 BGB jedoch bei Unterlassungspflichten nicht greifen, da schon die der Vorschrift zugrunde liegende Unterscheidung zwischen Spezies- und Gattungsschuld auf gegenständliche Leistungspflichten zugeschnitten und deshalb bei Unterlassungen offensichtlich fehl am Platz ist. Zuletzt stellt sich die von § 279 BGB erfaßte Problematik der Schwierigkeit einer Beschaffung bei Unterlassungen, die sich ja in Passivität erschöpfen, erst gar nicht193.

191 Kress (S. 103, 116, 118) stellt hingegen-und für Leistungspflichten wohl zutreffenddarauf ab, ob das Leistungshindernis in der Person des Schuldners begründet ist, was gerade bei den persönlichen Leistungen zu der Annahme einer subjektiven Unmöglichkeit führt (S. 102). Bei Schutzpflichten, die ein Unterlassen zum Inhalt haben, differenziert Kress zwischen der analogen Anwendung der §§280,325 BGB im Rahmen der pFV und ihrer unmittelbaren Anwendung; eine subjektive Unmöglichkeit gem. § 275 II BGB mit der Folge der Aufhebung der Schutzpflicht hält Kress für „denkbar, wenn späterhin die Zuwiderhandlung... für den Schuldner (subjektiv) unvermeidbar oder unmöglich wird." (S.586). Vgl. zur Unmöglichkeit bei Unterlassungspflichten oben IV. 192 Ebenso Lehmann, Unterlassungspflichten S.242f., 256. 193 Auch § 281 BGB, der dem Gläubiger einer unmöglich gewordenen Leistung Anspruch auf ein Surrogat geben kann, gehört in die Reihe der Vorschriften, deren Anwendbarkeit an der besonderen Natur der Unterlassungspflichten scheitert, da es bei Unterlassungspflichten an dem in § 281 BGB vorausgesetzten Erfordernis der Identität zwischen geschuldetem und ersetztem Gegenstand fehlt (Lehmann, Unterlassungspflichten S. 256; Soergel-Wiedemann, § 281 Rn 7 m. w. Ν. in Fn.21). Das ist jedoch keine Besonderheit, die sich auf Schutzpflichten beschränkt, sondern trifft in gleichem Maße auch für Handlungen zu, die dem Güteraustausch zuzuordnen sind, wie z.B. die Überlassung des Sachgebrauches oder die Arbeitsleistung; vgl. Kress, S. 407.

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Unterlassungspflichten als Hauptpflichten

10. Leistungsverweigerung und Zurückbehaltung bei Unterlassungspflichten, §§320, 273 BGB Weitgehende Einigkeit herrscht - zumindest im Ergebnis - bezüglich der Nichtanwendbarkeit der §§ 273, 320 BGB. Folgt man konsequent der Einteilung nach Schutz- und Leistungspflichten, so ergibt sich, daß die Geltendmachung des § 320 BGB für den Gläubiger einer synallagmatischen Schutzpflicht nicht in Betracht kommt, die Gegenleistung also nicht bis zur Erfüllung der Schutzpflicht verweigert werden kann, da eine solche Durchsetzung bzw. Erfüllung wegen des besonderen Charakters der Schutzverpflichtung ausgeschlossen ist194. Auch der Schuldner kann die Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht geltend machen, da er keine Leistung i. S. d. § 320 BGB zurückbehalten, sondern lediglich der Unterlassungspflicht zuwiderhandeln kann195. Soweit man den Eintritt von Unmöglichkeit durch Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht überhaupt bejahen will, ergibt sich die Nichtanwendbarkeit des § 320 BGB weiterhin daraus, daß die zurückbehaltene Leistung noch erbringbar sein muß 196 , im Falle ihrer Unmöglichkeit ein Zurückbehaltungsrecht also ausscheidet. Aus den gleichen Gründen kommt auch die Anwendung des Zurückbehaltungsrechtes aus § 273 BGB 197 bei Schutzpflichten, die ein Unterlassen zum Gegenstand haben, nicht in Betracht. Die Geltendmachung seitens des Schuldners wäre nur durch Zuwiderhandlung möglich, diese stellt aber eine Verletzung der Schutzverpflichtung dar, wozu der Schuldner durch ein Zurückbehaltungsrecht nicht befugt wäre 198. Nach anderer Ansicht führt die Zuwiderhandlung zur Unmöglichkeit, so daß § 273 BGB mangels Erbringbarkeit des Verpflichtungsinhalts ausscheidet199. Doch auch wo die Zuwiderhandlung nicht zur endgültigen Unmöglichkeit führt, läßt sich gegen die Anwendbarkeit der §§ 273, 320 BGB anführen, daß diese mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften nicht vereinbar ist. Die §§273,320 BGB haben nicht den Sinn, das berechtigte Interesse des Gläubigers an einem ungeschmälerten Fortbestand seines Unterlassungsanspruches zu beeinträchtigen oder zu gefährden; das wäre aber die Folge einer jeden Zuwiderhandlung200. Gerade das Zurückbehaltungs194 Kress, S. 588; anderer Ansicht ist (jedoch ohne Begründung) insoweit Henckel in AcP 174 (1974) S. 97,124. 195 Kress, S. 588; Staudinger-Otto, § 320 Rn 45; Köhler, S. 524; vgl. auch RGZ 102, S. 107, 130. 196 Köhler, S. 524; vgl. auch Lehmann, S. 306f., der eine Anwendbarkeit deshalb für gegeben hält, wenn die Unterlassung nachholbar ist, eine Konstellation, die in der Praxis jedoch kaum eine Rolle spielen wird. 197 Dazu Lehmann, Unterlassungspflicht S. 304ff. 198 Kress, S.588 i. V.m. Fn.32; vgl. auch Palandt-Heinrichs, §273 Rn 5. 199 Vgl. Köhler, S. 524. 200 Vgl. Staudinger-Otto, § 320 Rn 45 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung; Lehmann, Unterlassungspflicht S. 306.

Unterlassungspflichten recht ist ein Sicherungs- und Zwangsmittel, das über diese Funktion hinaus jedoch nicht zu einer völligen Aufhebung des Gläubigerrechtes führen darf.

11. Annahmeverzug bei Unterlassungspflichten, §§293 ff. BGB Demgegenüber erscheint die Überflüssigkeit der Regelung einer Annahme des Gläubigers, §§293 ff. BGB bei Unterlassungsschutzpflichten fast als selbstverständlich 201 . Es gibt aber auch hier Kontroversen zu verzeichnen, da vereinzelt die Möglichkeit eines Gläubigerverzuges beim Unterlassen ausdrücklich bejaht wird 202 . Zu Unrecht, denn die vom Schuldner eingehaltene Beachtung seiner Schutzpflicht liegt immer auch ohne eine - wie auch immer geartete - Mitwirkung seitens des Gläubigers vor, sie ist unabhängig von einer weiteren Handlung in der Außenwelt. Es leuchtet auch nicht ein, welche Handlung des Gläubigers der vom Schuldner erwarteten Passivität den Zugang zu seinem Rechtskreis ermöglichen sollte, kurz: wie ein Schutz angenommen werden sollte. Eine solche, für die Eingliederung des Verpflichtungsinhaltes in den Rechtskreis des Gläubigers erforderliche Handlung ist sachlogisch auf Güterbewegungen zwischen Rechtskreisen beschränkt; wo es um Schutz durch Einschränkung bzw. Erweiterung der Rechtskreise geht, bedarf es keiner Annahme203.

201 Die Offensichtlichkeit der Antwort könnte auch erklären, warum die Frage in der Literatur kaum Erwähnung findet. 202 So ζ. B. Köhler (S. 523) für den Fall, daß das Unterlassen nachholbar ist und der Schuldner seiner Unterlassungsverpflichtung nicht nachkommt, weil der Gläubiger eine erforderliche Mitwiikungshandlung nicht vornimmt. 203 Das von Köhler (S. 523) seinen Ausführungen unterlegte Beispiel betrifft dementsprechend auch gar nicht die „Nichtannahme" einer Unterlassung, sondern die Verletzung einer ausdrücklich vereinbarten Nebenpflicht des Gläubigers, deren Verletzung nach den Grundsätzen der pFV zu behandeln ist. Richtig hingegen Lehmann (Unterlassungspflicht S. 258), der zutreffend darauf hinweist, daß auch § 324 Π BGB für Unterlassungspflichten ausscheidet und Beuthien, S. 130.

§ 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs Der Kommissionsentwurf sucht die Einheit aller Störungsformen und -folgen im Begriff der Pflichtverletzung. Daß dieser einheitliche Begriff der Pflichtverletzung bei der Behandlung der Leistungspflicht und ihrer Störungen zu wesentlichen Schwächen und Unstimmigkeiten führt, ist im siebten Abschnitt gezeigt worden. In diesem Abschnitt ist nun zu untersuchen, ob der einheitliche Begriff der Pflichtverletzung und das System des Kommissionsentwurfes die Verletzung der Unterlassungspflicht und ihre Eigenheiten sachgerecht bewältigt. Im Zentrum des Kommissionsentwurfes steht mit § 2801 KE genau der allgemeine Haftungstatbestand für schuldhafte Pflichtverletzungen, der auch im Mittelpunkt des Haftungssystems des BGB stand, bis er von der Redaktionskommission zum heutigen § 276 BGB umgearbeitet wurde. Daß damit für die Behandlung der Unterlassungspflichten eine deutliche Verringerung der Problematik des geltenden Rechts verbunden ist, soll einführend schon an dieser Stelle gesagt werden und ist nach den im vorangegangenen Abschnitt angeführten Aspekten der Gesetzgebungsgeschichte auch naheliegend. Dieser Problemverringerung entspricht, daß auch der Umfang des folgenden Abschnitts sich im Vergleich zum Vorangegangenen bescheiden ausnimmt. Der geringere Umfang der Ausführungen liegt freilich auch daran, daß der Kommissionsentwurf nur in Teilbereichen der aufgezeigten Problemfelder Änderungen vornimmt, nur diese Änderungen aber Gegenstand der Betrachtung sind. Wie schon bei der Behandlung der Leistungspflicht gezeigt, liegen diese Änderungen vorrangig bei der Bestimmung der Grenze des primären Verpflichtungsinhalts sowie bei den Rechtsbehelfen Rücktritt und Schadensersatz.

I. Die Unterlassungspflicht im Spiegel der Normen des Kommissionsentwurfs Im geltenden Recht wird den Besonderheiten der Unterlassungspflicht nicht durch eine eigenständige Normierung Rechnung getragen, so daß die Einbettung der Unterlassungspflicht in Vorschriften, die an der Leistungspflicht orientiert sind, immer wieder zu Unebenheiten und Unstimmigkeiten führt. Auch der Kommissionsentwurf leistet diese ausdrückliche Berücksichtigung nicht, die Erwähnung der Unterlassungspflicht bleibt - wie im BGB - sporadisch1, und wie das BGB nor1 Die Unterlassungspflicht findet sich beispielsweise in den Verjährungsvorschriften der §§1961 S.2 und 198 S.2 KE.

I. Die Unterlassungspflicht im Spiegel der Normen des Kommissionsentwurfs

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miert auch der Kommissionsentwurf in § 2411S. 2 KE zunächst: „Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen." Fraglich ist aber, ob diese in mancher Hinsicht irreführende Gleichstellung2 durch den neu hinzugefügten Absatz I I wieder modifiziert wird: „Das Schuldverhältnis kann unter Berücksichtigung seines Inhalts und seiner Natur jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils verpflichten. Hierauf kann sich das Schuldverhältnis beschränken." Inhaltlich ist § 241 Abs. Π KE damit eine zutreffende Umschreibung der Unterlassungsverpflichtung, die durch die Einschränkung des eigenen Rechtskreises zugunsten der Interessen oder Güter des Unterlassungsgläubigers gekennzeichnet ist3. Dem Abschlußbericht ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob durch den neuen Absatz I I auch die Konstellation festgeschrieben werden soll, daß im Gegensatz zur Leistungspflicht des § 241 Abs. I S. 1 KE die Hauptpflicht des Schuldverhältnisses eine Unterlassungspflicht ist. Esfindet sich lediglich die Erläuterung4: „Satz 2 des Absatzes I I stellt klar, daß die Schutzpflichten auch ohne Leistungspflichten - also isoliert - vorkommen können. Das betrifft insbesondere das Verschulden bei Vertragsanbahnung, die Schutzwirkung für Dritte und den nichtigen Vertrag." Die Verwendung des Wortes „insbesondere" führt fast zwangsläufig zu der Frage, in welcher außer der aufgezählten Konstellationen sich das Schuldverhältnis auf eine Schutzpflicht beschränkt und es liegt nahe, die Schutzhauptpflicht hier anzusiedeln. Der Rückschluß aus einer weiteren Vorschrift spricht aber wiederum gegen diese Deutung des § 241 Abs. Π KE als Regelungsort der Konstellation einer Schutzpflicht als Hauptpflicht. Für das Rücktrittsrecht tritt zum allgemeinen Erfordernis der erfolglosen Fristsetzung eine Zumutbarkeitsschwelle für den Fall hinzu, daß eine Schutzpflicht im Sinne des § 241 Abs. Π KE verletzt ist, vgl. § 323 Abs. m Nr. 2 KE. Sinnvoll kann eine solche Qualifizierung der Pflichtverletzung nur sein, wo sie grundsätzlich nicht das Gewicht erreicht, das die Vertragsauflösung rechtfertigt. Ist die Schutzpflicht aber Hauptpflicht, führt die Zuwiderhandlung sofort und zwangsläufig zur vollständigen Vereitelung des Gläubigerinteresses5, eine weitere Qualifizierung der in der Zuwiderhandlung liegenden Pflichtverletzung ist hier weder möglich noch erforderlich. § 323 Abs. ΠΙ Nr. 2 KE spricht deshalb eher dafür, daß bei der Normierung des § 241 Absatz I I KE der Kommission nicht die Unterlassungspflicht vorschwebte, als das Schuldverhältnis umrissen wurde, das sich auf Schutzpflichten beschränkt, son2 3 4 5

Vgl. oben §8111. Vgl. oben §8 II 2. Bericht, S. 114. Vgl. oben §8 III 3 und Vn.

360 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs dem die Schutzjzeòe/zpflichten, die ohne eine Leistungshauptpflicht das Schuldverhältnis bestimmen6. Läßt sich demnach für § 241 Absatz II KE nicht klar feststellen, ob durch seine Schaffung - zumindest auch - den Besonderheiten der Unterlassungspflicht im Gegensatz zur Leistungspflicht des § 241 Absatz I KE Rechnung getragen werden sollte, so fällt diese Berücksichtigung an anderer, zentraler Stelle ins Auge. § 3231 KE modifiziert das allgemeine Erfordernis der Nachfristsetzung des Satzes 1 sogleich in einem anschließenden zweiten Satz: „Kommt nach der Art der Pflichtverletzung eine Fristsetzung nicht in Betracht, so tritt an deren Stelle eine Abmahnung."7 Der Abschlußbericht erklärt dazu: „Für die Fälle unterbliebener oder schlecht erbrachter Leistung ist im Kommissionsentwurf eine Frist zur Abhilfe vorgesehen, bei Unterlassungspflichten muß abgemahnt werden. Bei Unterlassungspflichten muß die Verwarnung des Schuldners also nicht mit einer Nachfrist verbunden werden, da eine solche Fristsetzung bei geschehener Zuwiderhandlung regelmäßig keinen Zweck mehr hätte."8 Diese zutreffenden Ausführungen zeigen klar, daß sich die Schuldrechtskommission der Besonderheiten, die die Schutzhauptpflichten prägen, nicht nur gegenwärtig war, sondern diese auch in entsprechenden Modifizierungen der auf Leistung abgestimmten Normen auffangen wollte. Wenn die Kommission bei der Formulierung der Normen aber im Bewußtsein der Andersartigkeit von Schutz- und Leistungspflichten vorgegangen ist, dann liegt die Konsequenz nahe, diejenigen Normen von vorneherein nicht auf Schutzpflichten anzuwenden, in denen ihre Besonderheiten nicht wie in § 3231 KE berücksichtigt sind. Für die Anwendbarkeit der §§ 275 ff. KE auf Schutz- oder Leistungspflichten wäre dann danach zu unterscheiden, ob sie nur die Probleme der Leistungspflicht oder auch die Störungen der Schutzpflichten erfassen können. Einer derartigen Differenzierung der §§ 275 ff. KE entspräche es terminologisch, diejenigen Normen von der Anwendbarkeit auf Unterlassungspflichten auszunehmen, die auf „die Leistung", den „Gegenstand der Leistung" oder die „Verpflichtung zur Leistung" abstellen, während Normen, die den übergreifenden Begriff der Pflichtverletzung zum Anknüpfungspunkt haben, der Anwendung auf Unterlassungspflichten zugänglich sind.

6 Dafür spricht auch der Abschlußbericht (S. 113): „Solche Schutzpflichten begleiten regelmäßig wirksame Schuldverträge... Inhaltlich teils gleiche Schutzpflichten können aber auch unabhängig von Leistungspflichten vorkommen." 7 Vgl. die entsprechende Modifizierung der Fristsetzung für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen in § 307 II S. 1 KE. 8 Bericht S. 167.

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz

361

Die die Schutzpflichten betreffenden Normen wären damit auf die §§ 241Π, 276, 2801,307 Π, 3231 und 327 KE beschränkt, alle übrigen Vorschriften wären den Leistungspflichten vorbehalten. Ob diese Rückschlüsse aus der Normierung der Abmahnung in § 3231 S. 2 KE jedoch auch sachlich zutreffend sind, kann erst die Betrachtung der jeweiligen Vorschrift zeigen9. Es gilt nun also wieder, die Normen für die Grenze der primären Verpflichtung, für Rücktritt und Schadensersatz vor dem Hintergrund der im letzten Abschnitt herausgearbeiteten Besonderheiten und Gegensätzlichkeiten von Leistungs- und Unterlassungspflicht auf ihre Anwendbarkeit hin zu prüfen.

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz bei Unterlassungspflichten im Kommissionsentwurf 1. Die Grenze der primären Verpflichtung, §275 K E Für das geltende Recht war oben10 festgestellt worden, daß die Unmöglichkeit, die § 2751 BGB zum Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Grenze der Primärpflicht macht, bei Unterlassungspflichten notwendig leerläuft. Der Aktivität indizierenden Erfüllung der Leistungspflicht steht bei Unterlassungspflichten ein rein passives Verhalten, die Beachtung gegenüber. Der Nichterfüllung der Leistungspflicht entspricht bei Unterlassungspflichten die Zuwiderhandlung; hat der Unterlassungsschuldner aber schon zuwidergehandelt, erübrigt sich die Frage des Fortbestandes der Unterlassungspflicht 11. Der Kommissionsentwurf ersetzt in § 275 KE das objektive Merkmal der Unmöglichkeit durch das Abstellen auf „die nach Inhalt und Natur des Schuldverhältnisses geschuldeten Anstrengungen"; die Befreiung von der primären Verpflichtung weicht der Einredeerhebung des Schuldners12. Ausgangspunkt der Frage ist daher, ob dadurch eine sinnvolle Bestimmbarkeit der Verpflichtungsgrenze der Schutzvereinbarung gegeben ist. Wie schon im geltenden Recht muß auch hier wieder zwischen den drei möglichen Störungen unterschieden werden, die der Beachtung der primären Unterlassungspflicht entgegenstehen können13. Denkbar - und wohl am häufigsten - ist zunächst, daß der Unterlassungsschuldner seiner Verpflichtung (schon) zuwidergehandelt hat; möglich ist jedoch auch, daß die Zuwiderhandlung Hindernissen ausgesetzt oder genau umgekehrt die Zuwiderhandlung unvermeidbar ist. 9 Der Abschlußbericht hilft hier mit seinen sparsamen und wenig präzisen Erläuterungen nicht weiter. 10 Vgl. oben §8IV 2 und 3. 11 Vgl. oben §8IV 2 c). 12 Vgl. oben § 6 II 3,5 b) für die Leistungspflicht. 13 Vgl. oben § 8 I V I .

362 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs a) Fortbestand der Unterlassungspflicht

bei Zuwiderhandlung

des Schuldners

Ist der Unterlassungspflicht vom Schuldner schon zuwidergehandelt worden, müßte die Frage nach dem Fortbestand der primären Verpflichtung des Schuldners gemäß § 275 KE dahingehend formuliert werden, ob der Unterlassungsschuldner seiner Verpflichtung zur Beachtung der Schutzpflicht mit den Anstrengungen nachkommen kann, die sich aus dem konkreten Schuldverhältnis als vereinbart ergeben. Das ist zu verneinen, da durch die Zuwiderhandlung das Schutzinteresse des Unterlassungsgläubigers schon vereitelt worden ist und der Unterlassungsschuldner an dieser in der Vergangenheit liegenden Vereitelung nichts mehr ändern kann. Die Beachtung der Unterlassungspflicht in der Zukunft aber ist etwas anderes als die ursprünglich geschuldete Unterlassung. Rechtsfolge wäre gemäß § 275 S. 1 KE, daß der Unterlassungsschuldner die Beachtung seiner Unterlassungsverpflichtung „verweigern" dürfte. Der Verweigerung der Erfüllung der Leistungspflicht entspricht die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht 14. Der Unterlassungsschuldner kann seiner Verpflichtung also zuwiderhandeln15, weil ihre Beachtung aufgrund der Zuwiderhandlung nicht mehr möglich ist. Beispiel: Gesellschafter A vereinbart mit Gesellschafter B, daß Β sich bei einer bevorstehenden Abstimmung seiner Stimme enthält. Stimmt der Β gleichwohl bei der fraglichen Abstimmung mit, so vermag ein Fortbestand der vereinbarten Unterlassungspflicht jedoch nichts mehr zu bewirken; genauso wenig aber ist dem Β mit seinem Recht zur Zuwiderhandlung, also zur Stimmabgabe gedient. Diese Unsinnigkeiten, die bei der Subsumtion unter § 275 S. 1 KE auftreten, zeigen ganz deutlich, daß § 275 KE an Fällen orientiert ist, in denen es um die Erbringung einer gegenständlichen Leistung für die Zukunft geht; die Pflicht zur Unterlassung kann an den dementsprechenden Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen dieser Norm keinerlei Haltfinden. Schon die Verbindung des Verpflichtungsinhalts mit den geschuldeten »Anstrengungen" ist unmißverständlich auf die aktive Leistungserbringung sowie die ihr von außen entgegenstehenden Hindernisse zugeschnitten und steht der bei Unterlassungspflichten geschuldeten Passivität deshalb diametral gegenüber16.

14

Vgl. oben §8IX10. Sprachlich befriedigt diese Übertragung allerdings wenig, denn die „Zuwiderhandlung" impliziert eine über das rechtlich erlaubte Maß hinausgreifende Handlung des Schuldners, der Unterlassungsschuldner füllt aber durch die „Zuwiderhandlung lediglich seinen ursprünglichen, nicht eingeschränkten Rechtskreis wieder aus (vgl. oben §8112). 16 Vgl. zu den sprachlichen Aspekten auch oben § 8 II 1 und IX 2. Denkbar ist lediglich, daß die Nachteile, die die übernommene Rechtskreiseinschränkung für den Schuldner mit sich bringt, größer sind als angenommen. Das ist dann eine Störung, die zur Anwendung des §306 KE führen könnte, wenn dessen Voraussetzungen vorliegen, keinesfalls aber erschweren diese Nachteile die Unterlassung als solche. 15

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz

363

b) Fortbestand der Unterlassungspflicht bei Hindernissen, die der Zuwiderhandlung entgegenstehen Vollständig am Problem vorbei geht der Maßstab der geschuldeten Anstrengungen zur Beachtung der Unterlassungspflicht, wenn die vertragliche Unterlassungsvereinbarung deshalb gestört ist, weil der Zuwiderhandlung Hindernisse entgegenstehen. Beispiel: Die Versammlung, für die die Verpflichtung zur Stimmenthaltung übernommen worden war,findet nicht statt17. Nach geltendem Recht stellt sich damit die Frage, ob der Unterlassungsschuldner von seiner Schutzpflicht zu befreien ist, weil ihm die Zuwiderhandlung unmöglich ist18. Für den Kommissionsentwurf kann wohl offen bleiben, ob § 275 S. 1 KE deswegen fehl geht, weil die Unterlassung den Schuldner überhaupt keine Anstrengungen kostet, da es ihm schon an der Gelegenheit fehlt, zuwiderzuhandeln, oder ob genau umgekehrt die Unterlassung für ihn eine überobligationsmäßige Anstrengung darstellen würde, weil er das Schutzinteresse des Gläubigers nicht mehr verwirklichen kann. Auch das Recht des Unterlassungsschuldners zur Zuwiderhandlung stellt sich mangels Gegenstand der Unterlassungsverpflichtung als sinnentleertes Konstrukt dar. Offensichtlich wird letztlich, daß § 275 S. 1 KE hier komplett am Regelungsbedarf vorbeigeht. Regelungsbedürftig ist in diesen Konstellationen nämlich nicht mehr die Frage, ob der Unterlassungsschuldner trotz der Störung gleichwohl verpflichtet bleibt, sondern vielmehr, wie sich das Hindernis auf das Synallagma, die Gegenleistungsverpflichtung des Gläubigers auswirkt. c) Fortbestand der Unterlassungspflicht bei Hindernissen, die der Unterlassung entgegenstehen Einen Anwendungsbereich scheint § 275 S. 1 KE jedoch in der dritten Konstellation zufinden. Bei dieser Störung der Unterlassungsvereinbarung liegt das Hindernis darin, daß dem Schuldner die Unterlassung erschwert oder nicht möglich ist, der Schuldner sich also zur Zuwiderhandlung gedrängt sieht oder diese sogar unvermeidbar ist. Beispiel: Bleibt man beim Fall des Unterlassens der Stimmabgabe, dann wäre dieser dahingehend abzuwandeln, daß der Schuldner - beispielsweise aus sittlichen Gründen19 - seiner Unterlassungsverpflichtung nicht nachkommen kann. 17

Vgl. die weiteren Beispiele oben § 8 I V 1 b). Vgl. ebenda. 19 Vgl. dazu auch die - sehr theoretischen - Beispiele und Ausführungen von Lehmann, Unterlassungspflicht S. 239 ff. 18

364 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs Hier ist es sinnvoll, nach der Grenze zu fragen, bis zu der der Schuldner seine Willenskraft entgegen seiner Überzeugung anspannen muß, um der Vereinbarung gerecht zu werden. Die Antwort auf diese Frage wird aber auch für den Kommissionsentwurf regelmäßig schon durch die §§ 134,138 BGB gegeben, deren Nichtigkeitsfolge die Anwendung des § 275 KE ausschließt20. d) Anwendbarkeit

des §275 KE auf Unterlassungspflichten

Insgesamt sollte die Anwendung des § 275 S. 1 KE auf die möglichen Hindernisse, die sich der Beachtung der Unterlassungspflicht entgegenstellen können, gezeigt haben, daß § 275 KE ebenso wie § 275 BGB für die Schutzpflichten ein rechtskonstruktiver Fremdkörper ist. Schon zu § 275 BGB ist angeklungen, daß es für die in einem Unterlassen bestehenden Schutzhauptpflichten keiner Norm bedarf, die über die Grenze der obligationsmäßigen Verpflichtung und ihren Fortbestand bestimmt. Entscheidend für Wegfall oder Fortbestand der Unterlassungspflicht sind nur die Zuwiderhandlung oder der Ablauf des Zeitraumes bzw. Zeitpunktes, für den sie vereinbart wurde21. Ist der Unterlassungspflicht zuwidergehandelt, dann entwickelt sie sich zur sekundären Verpflichtung auf Schadensersatz, alleinige Folge ihrer Verletzung ist immer die Haftung. Beachtet der Schuldner jedoch seine Verpflichtung, so erschöpft sich sein vereinbartes Verhalten in Passivität, die Bestimmung einer Grenze zu erbringender Anstrengungen ist fehl am Platze, da die Passivität in sich gar keiner differenzierenden Abstufung verschiedener Bemühungen des Schuldners zugänglich ist. Es erscheint insgesamt von vorneherein als fehlgehend, eine Regelung für überobligationsmäßige Leistungshindernisse anzuwenden, wo die Verpflichtung des Schuldners darin besteht, daß er freiwillig seinen Rechtskreis zugunsten eines anderen einschränkt. Das geschuldete Unterlassen ist dann vorrangig vom Willen des Verpflichteten abhängig, nicht jedoch der Störung durch Umstände oder Hindernisse ausgesetzt, die außerhalb seines Willens liegen und denen durch eine Regelung über die Grenze der primären Verpflichtung Rechnung getragen werden soll. Letztlich führt das wieder zu der grundsätzlichen Verschiedenheit von Schutzund Leistungspflicht. Den Schutzpflichten fehlt auf der Primärebene der die Leistungspflichten kennzeichnende, durchsetzbare Anspruch; eine Bestimmung, die die Grenzen dieses Anspruchs aufzeigt, muß überflüssig sein. Auch vor einem anderen Hintergrund wird die Entbehrlichkeit des § 275 KE für die Schutzpflichten deutlich. Im geltenden Recht wird die Unterlassungspflicht ohne Rücksicht auf dogmatische Stimmigkeit dem § 275 BGB unterstellt, um über die Annahme einer Unmöglichkeit des Unterlassens dem Gläubiger die Rechtsfol20

Denkbar ist auch eine Anpassung oder Aufhebung der Vereinbarung nach § 306 KE, die der Anwendung des § 275 S. 1 KE vorgeht (vgl. oben § 6 I I 4). 21 Kress, S. 585.

365

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz 22

gen der §§ 280, 323 ff. BGB, insbesondere die Haftung eröffnen zu können . Die Einbettung der Unterlassungspflicht in die Unmöglichkeitsvorschriften erscheint als nächstliegender Weg, um die Lücke zu füllen, die die Streichung des allgemeinen Haftungstatbestandes in der Regelung der §§ 275 ff. BGB gelassen hat. Im System des Kommissionsentwurfes entfällt diese Zwangslage, weil die normierten Rechtsfolgen die Unmöglichkeit der primären Verpflichtung nicht mehr tatbestandlich voraussetzen. Mehr noch: Es entfällt nicht nur die Unmöglichkeit der Primärleistung als tatbestandliche Voraussetzung, sondern die Rechtsbehelfe Schadensersatz und Rücktritt sind im System des Kommissionsentwurfes gänzlich vom Schicksal der primären Verpflichtung gelöst23, so daß damit im Kommissionsentwurf für die Behandlung der Schutzpflichten zutreffend 24 die Notwendigkeit fortfallt, überhaupt die Frage nach der Grenze der primären Verpflichtung der Frage nach den Rechtsbehelfen vorzuschalten. § 275 KE hat also bei Unterlassungspflichten weder für die Ebene der primären Verpflichtung Bedeutung, noch für die sekundäre Ebene der Rechtsbehelfe. 2. Der Rücktritt von der Unterlassungspflicht, § 323 KE Unterbleibt die Erfüllung einer Leistungspflicht, weil sich der Leistungserbringung Hindernisse entgegenstellen, zu deren Überwindung der Schuldner gemäß § 275 S. 1 KE nicht verpflichtet ist, so eröffnet die Verweisung des § 275 S. 2 KE dem Gläubiger die Möglichkeit des Rücktritts. Hinter dieser Verweisung steckt die eigenartige, im System des Kommissionsentwurfes aber erforderliche Wertung25, daß auch die durch eine Einrede gedeckte Nichterfüllung eine Pflichtverletzung des Schuldners ist, die als Anknüpfungspunkt für Rechtsbehelfe dient. Wie soeben angesprochen, bedarf es im Kommissionsentwurf dieser Verbindung von Befreiungsregel, § 275 KE und Rechtsbehelf jedoch nicht zwingend. Auch ohne daß der Schuldner gemäß § 275 S. 1 KE zur Leistungs Verweigerung berechtigt ist, stellt seine Nichterfüllung eine Pflichtverletzung dar, so daß dem Gläubiger die Rechte der §§ 280 ff. KE immer auch ohne die Vorschaltung des § 275 KE zustehen26. Es zeigt sich auf diese Weise der dualistische Systemansatz des Kommissionsentwurfes, der den Fortbestand der primären Pflicht und die Rechte des Gläubigers unabhängig voneinander regelt. Aktuell wird diese unabhängige Regelung bei den Unterlassungspflichten, für die § 275 KE - wie gezeigt - nicht anzuwenden 22

Dazu oben §8IV 2. Sog. dualistischer Ansatz, vgl. oben 6II7. Einzige Verbindung ist §275 S.2 KE, dazu schon oben §6113. 24 Zu den Problemen, die dieser dualistischen Ansatz hingegen bei Störungen der Leistungspflichten mit sich bringt vgl. oben §6117. 25 Vgl. oben §6113. 26 Ausnahmen sind die §§281, 324 KE insofern, als sie tatbestandlich an §275 S. 1 KE anknüpfen. 23

366 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs ist. Anknüpfungspunkt für die Erweiterung der Gläubigerrechte kann damit nur eine Pflichtverletzung des Unterlassungsschuldners sein. Das Rücktrittsrecht, § 323 KE, ist oben27 schon für die Leistungspflicht ausführlich behandelt worden und auch bezüglich der Unterlassungspflicht ist es schon im Zusammenhang mit der die Fristsetzung modifizierenden Abmahnung, § 3231 S. 2 KE in Erscheinung getreten. Orientiert an den drei möglichen Störungsformen der Unterlassungspflicht sind nun weitere Probleme und Besonderheiten des Rücktritts gemäß § 323 KE aufzuzeigen. a) Rücktritt

bei Zuwiderhandlung

gegen die Unterlassungspflicht

Begonnen werden soll wieder mit der wohl häufigsten Störungsform, bei der der Schuldner seiner Verpflichtung zuwiderhandelt. Beispiel wie oben: Der Gesellschafter Β nutzt entgegen seiner Vereinbarung mit Gesellschafter A bei der fraglichen Abstimmung sein Stimmrecht. Diese Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsvereinbarung ist unproblematisch eine Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 S. 1 KE. Die weiterhin vorausgesetzte erfolglose Fristsetzung wird gemäß § 3231S. 2 KE durch eine Abmahnung ersetzt, da bei Unterlassungspflichten eine Fristsetzung sinnvoll nicht in Betracht kommt. Dieser Abmahnung bedarf es gemäß § 323 II Nr. 1 KE jedoch nicht, wenn offensichtlich ist, daß sie keinen Erfolg mehr hätte. Vorliegend ist dies zu bejahen, da sich die Unterlassung in einem einmaligen Verhalten erschöpft, eine Abmahnung für die Zukunft also keinen Erfolg mehr bringen kann28. Zu beachten sind weiterhin die Ausschlußgriinde des Absatzes III, die vorliegend jedoch nicht greifen. Das Gläubigerinteresse ist durch die Zuwiderhandlung vollständig vereitelt, die Pflichtverletzung ist damit per se erheblich (Nr. I ) 2 9 und das Festhalten am Vertrag unzumutbar (Nr.2) 30 . A kann sich im Beispiel somit gemäß § 3231, I I Nr. 1, III Nr. 1 und 2 KE ohne Abmahnung des Β durch Rücktrittserklärung gemäß § 349 BGB von der vertraglichen Unterlassungsvereinbarung lösen. Das ist ein sinnvolles Ergebnis jedoch nur bezüglich der grundsätzlichen Einordnung der Zuwiderhandlung als eine Störung, die die 27

§6IV. Das gleiche Ergebnis könnte wohl auch zutreffend gemäß § 323 II Nr. 2 KE erreicht werden, doch betrifft diese Vorschrift das „Unterbleiben einer Leistung", was von der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht grundsätzlich zu unterscheiden ist. 29 Die Nr. 1 des Absatz III erfaßt die Verletzung von Nebenpflichten (Bericht S. 169), so daß er bei Störungen der Hauptpflicht wohl nie zum Ausschluß führen kann. 30 Da sich nicht eindeutig klarstellen läßt, ob die Unterlassungshauptpflicht als Pflicht im Sinne des § 241 Abs. II KE einzuordnen ist, müssen wohl beide Ausschlußgriinde beachtet werden; vgl. in diesem Zusammenhang auch unten §4X1. 28

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz

367

Lösung vom Vertrag rechtfertigt. Wie schon bei der Unmöglichkeit der Leistungspflicht 31 stellt die parteiabhängige Lösung vom Vertrag und ihre zahlreichen Voraussetzungen bei der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht eine sinnlose Hülle dar, eine unnötige Überhöhung tatbestandlicher Voraussetzungen. Das Rücktrittsrecht des § 323 KE kann vorliegend nicht mehr, und nichts anderes leisten als das, was schon durch die synallagmatische Verknüpfung der primären Pflichten zwingend ist32. Die Lösung von der vertraglichen Bindung durch Rücktritt und Rücktrittserklärung wird bei lebensnaher Betrachtung weder der Unterlassungsschuldner erwarten, noch der Gläubiger für erforderlich halten, weil die grundsätzlichen, aus der Natur der Sache stammenden Zusammenhänge aus sich selbst heraus wirken und deshalb nicht mehr der Einbettung in rechtsgestaltende Parteihandlungen bedürfen. Auch33 für die Unterlassungspflicht zeigt sich also, wie durch die Auflösung einer solchen Vorschrift wie § 3231 BGB in einer einheitlichen Regelungen das Bewußtsein für grundlegende Zusammenhänge im Schuldrecht geschwächt wird.

b) Rücktritt

bei Hindernissen der Zuwiderhandlung

Die zweite Störungsform der Unterlassungspflicht, bei der der Zuwiderhandlung des Unterlassungsschuldners Hindernisse entgegenstehen, führt zu ähnlichen Problemen. Denn wo der Unterlassungsschuldner nicht zuwiderhandeln kann, fehlt es schon an der für den Rücktritt erforderlichen Pflichtverletzung. Ungeachtet der Frage, warum der Unterlassungsschuldner die fragliche Handlung unterläßt, bleibt sie aus, so daß keine Abweichung vom Vereinbarten vorliegt, die als Pflichtverletzung eingeordnet werden könnte. Beispiel wie oben: Die Versammlung, für die Gesellschafter Β gegenüber A die Verpflichtung zur Stimmenthaltung übernommen hat, fällt aus. Als Anknüpfungspunkt für ein Rücktrittsrecht des A bedarf es einer Pflichtverletzung des B, die mangels Zuwiderhandlung des Β jedoch nicht begründbar ist. Ein Rücktrittsrecht wird für den A aber immer im Hinblick auf seine Gegenleistungspflicht wichtig sein, insbesondere, wenn er seine Gegenleistung schon erbracht hat. Der Kommissionsentwurf führt hier über § 3231 KE in eine konstruktive Sackgasse, die wohl nur wieder unter Rückgriff auf das konditionelle Synallagma und die Grundsätze der Verteilung der Gegenleistungsgefahr verlassen werden kann34.

31

Vgl. oben § 6 II 5 a); IV 3 a, c) und IV 6 c aa). Im geltenden Rechtfindet das in § 3231 BGB seinen Ausdruck. 33 Vgl. für die Leistungspflicht oben §6 V3. 34 Zur strittigen Frage der Behandlung des Zweckfortfalls siehe beispielsweise MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 36 ff. 32

368 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs

c) Rücktritt

bei unvermeidbarer

Zuwiderhandlung

In der dritten Konstellation, bei der dem Unterlassungsschuldner die Unterlassung nicht möglich, die Zuwiderhandlung daher unvermeidlich ist, kann der Rücktritt des § 323 KE grundsätzlich greifen, da die Zuwiderhandlung wie in der ersten Konstellation eine Pflichtverletzung im Sinne des § 3231 S. 1 KE darstellt. Die Bedeutung des Rücktrittsrechts wird jedoch durch die §§ 134, 138 BGB stark geschmälert, da diese in der Regel die gesetzliche Nichtigkeit der Unterlassungsverpflichtung zur Folge haben werden, ein parteibestimmter Rücktritt soweit funktionslos wird. d) Die Lösung von der vertraglichen Bindung bei Verpflichtungen zu dauerndem Unterlassen Die bisherige Betrachtung des Rücktritts von der Unterlassungspflicht gemäß § 323 KE hat gezeigt, wie wenig diese Norm die auftretenden Besonderheiten auffangen kann. Ausgegangen wurde aber auch bisher nur von der Verpflichtung zum einmaligen Unterlassen, so daß es weiterhin erforderlich ist zu fragen, ob das Rücktrittsrecht gemäß § 323 KE bei der Verpflichtung zu einem dauernden Unterlassen35 einen sinnvollen Anwendungsbereichfinden kann. Im Rahmen des § 323 KE führt die vorübergehende Zuwiderhandlung gegen eine dauernde Unterlassungspflicht zur Anwendung des § 3231 S. 3 KE 36 : Entscheidend wird damit für die Rücktrittsberechtigung des Gläubigers bezüglich des ganzen Vertrages, ob er an der weiteren Beachtung der Unterlassungspflicht für den verbleibenden Zeitraum noch ein Interesse hat. Die Anknüpfung des Rücktrittsrechtes an das Ausmaß der Beeinträchtigung des Gläubigerinteresses entspricht dem Kriterium, das das geltende Recht für Dauerunterlassungen durch die direkte oder analoge Anwendung der §§ 280Π, 3251S. 2 BGB benutzt. Im Gegensatz zum geltenden Recht tritt an die Stelle der (teilweisen) Unmöglichkeit aber das grundsätzliche Erfordernis der Abmahnung. Erst bei der Zuwiderhandlung gegen eine Verpflichtung zum dauernden Unterlassen kann eine Abmahnung des Schuldners gemäß § 3231S. 2 KE überhaupt sinnvoll erfolgen, weil nur bei Unterlassungspflichten, die sich nicht in einem einmaligen Unterlassen erschöpfen, für die Zukunft auf das Verhalten des Schuldners eingewirkt werden kann. Beispiel: Die Firmeninhaber A und Β haben für die Dauer eines Jahres ein Wettbewerbsverbot vereinbart. Handelt A dieser Vereinbarung jedoch schon im ersten Quartal ständig zuwider und unterläßt er dies auch nicht auf die Abmahnung des Β hin, dann ist Β gemäß § 3231 KE zum Rücktritt von der Unterlassungsvereinbarung 35

Vgl. zu der Unterscheidung von einmaligem und dauerndem Unterlassen oben § 8IX 7. Sinnvoll ist in diesem Zusammenhang auch die Gleichstellung des §2411S. 2 KE, insoweit sie als Hinweis auf die entsprechende Anwendbarkeit des § 3231S. 3 KE verstanden wird. 36

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz

369

berechtigt, falls er für die verbleibende Zeit an der Beachtung der Vereinbarung sein Interesse verloren hat. Der Anwendungsbereich des Rücktrittsrechts entfaltet sich sinnvoll demnach erst für Unterlassungspflichten, deren Inhalt sich nicht auf ein einmaliges Unterlassen beschränkt, denn Abmahnung, Rücktrittserklärung und die ex nunc wirkende Lösung von den Hauptpflichten laufen notwendig ins Leere, wenn durch die geschehene Zuwiderhandlung das Gläubigerinteresse schon vollständig vereitelt ist. Obwohl das Rücktrittsrecht des § 3231S. 3 KE die Zuwiderhandlung gegen Dauerunterlassungen im Ergebnis sachgerecht zu erfassen vermag, erscheint es als naheliegender, die Möglichkeit zur Lösung von der Verpflichtung zu einem dauernden Unterlassen in § 307 KE zu suchen. § 307 KE normiert die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund und macht die nach Abwägung der beiderseitigen Interessen vorliegende Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung zum entscheidenden Kriterium für die Aufhebung der wechselseitigen Verpflichtungen. Das Abstellen auf die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung infolge der Pflichtverletzung (§ 307 II KE) entspricht den Voraussetzungen des Rücktritts wegen Schutzpflichtverletzung nach den Grundsätzen der pFV und wird letztlich kaum zu anderen Ergebnissen führen als das Abstellen auf den Interesseverlust an der Vertragsfortsetzung infolge der Pflichtverletzung. Vorzugswürdig erscheint § 307 KE aber deshalb, weil er in mancher Hinsicht den Besonderheiten der Unterlassungspflicht stärker Rechnung tragen kann. So zwingt er nicht zur terminologischen Gleichstellung von Leistung und Unterlassung (vgl. § 3231S. 3 KE) und ermöglicht die Lösung von der vertraglichen Vereinbarung auch unabhägig vom Vorliegen einer Pflichtverletzung (§ 307 Abs. I im Gegensatz zu § 307 Abs II, der an die Pflichtverletzung anknüpft). Wichtig kann die Möglichkeit, sich auch ohne das Vorliegen einer Pflichtverletzung vom Vertrag zu lösen, für den Unteilassungsschuldner werden. Wo sich seiner Unterlassungsverpflichtung Hindernisse oder Schwierigkeiten entgegenstellen, bleibt er bei Anwendung des § 323 KE gleichwohl verpflichtet, solange nur der Gläubiger die vereinbarte Gegenleistung erbringt: Eine Lösung von seiner vertraglichen Unterlassungsverpflichtung ist ihm verwehrt, da sie eine Pflichtverletzung des Gläubigers voraussetzt, § 3231 S. 1 KE. Hält man sich vor Augen, daß der Schuldner einer Unterlassungsverpflichtung seinen Rechtskreis freiwillig zugunsten des Gläubigers einschränkt, so erscheint es grundsätzlich als sachgerecht, dem Unterlassungsschuldner beim Vorliegen wichtiger Gründe die Rückgängigmachung dieser Einschränkung zu ermöglichen, auch ohne daß diese Gründe an einer Pflichtverletzung seines Vertragspartners anknüpfen. Im Abschlußbericht der Kommission findet sich jedoch kein Hinweis dafür, daß Verpflichtungen zu einem dauernden Unterlassen dem Kündigungsrecht des § 307 KE unterfallen sollen, so daß wohl nur die Anwendung des § 3231S. 3 KE bleibt.

24 Kuhlmann

370 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs e) Die Verschuldensunabhängigkeit des Rücktrittsrechts des Kommissionsentwurfs und der Pflichtverletzungsbegriff Nicht erforderlich ist für den Rücktritt gemäß § 3231 KE das Vertretenmüssen der Pflichtverletzung 37. Für den Rücktritt von der Unterlassungspflicht bedeutet das, daß die Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nicht der Differenzierung nach ihrem Grund oder ihrer subjektiven Zurechenbarkeit bedarf. Dogmatisch ist die Lösung der Pflichtverletzung vom Vertretenmüssen für den Rücktritt zutreffend, denn die Frage des Vertretenmüssens gewinnt Bedeutung erst für die sekundäre Haftung; bezüglich des Gewichts der Vertragsstörung ist es hingegen unerheblich, ob die Störung auf einem zu vertretenden Schuldnerverhalten beruht oder nicht38. Für die Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht wird der Wegfall dieser Differenzierung im Rahmen des Rücktrittsrechts jedoch schwerlich Bedeutung erlangen können. Die Lösung der Pflichtverletzung vom Vertretenmüssen öffnet den Begriff der Pflichtverletzung in zweierlei Hinsicht: Zum einen werden dadurch Störungen erfaßt, die zwar auf ein Verhalten des Schuldners zurückzuführen sind, jedoch keinen Sorgfaltspflichtverstoß im Sinne des § 276 KE darstellen; zum anderen aber unterfallen auch Störungen des Schuldverhältnisses dem Begriff der Pflichtverletzung, die gänzlich vom Verhalten der Vertragspartner unabhängig sind39. Die erste Erweiterung des Pflichtverletzungsbegriffes, die im Rahmen des § 323 KE zum verschuldensunabhängigen Rücktritt führt, wird in tatsächlicher Hinsicht wenig relevant sein. Denn die nicht zumindest fahrlässige Zuwiderhandlung ist zwar theoretisch denkbar, praktisch aber wohl ohne Belang40: Sie würde voraussetzen, daß der Unterlassungsschuldner seine zur vertragsgemäßen Beachtung der Unterlassungspflicht erforderlichen geistigen Kräfte hinreichend angespannt hat, sich gleichwohl aber seiner Verpflichtung nicht bewußt ist - eine sichtlich lebensferne Situation. Diese Möglichkeit einer nicht zu vertretenden Verletzung einer Unterlassungspflicht wird im Gegensatz zur Leistungspflicht dadurch verengt, daß die Verletzung der Unterlassungspflicht den objektiven Sorgfaltspflichtverstoß schon indiziert, das gleichzeitige Fehlen der subjektiven Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Zuwiderhandlung aber schwerlich vorstellbar ist. Die zweite Erweiterung des Pflichtverletzungsbegriffs auf die vom Schuldnerverhalten losgelösten Störungen kann bei Unterlassungspflichten aus dogmatischen Gründen nicht erreicht werden. Wie oben41 schon anklang, ist die Unterlassungs37

Vgl. dazu schon oben § 6IV 6. Eingehend zur Lösung des Rücktritts vom Erfordernis des Vertretens oben § 6 I V 6 a). 39 Zu diesem intransitiven Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung eingehend schon oben § 4 V I 3 und VII. 40 Vgl. schon ober. §8 DC 8. 41 Vgl. §8DC4 und 9. 38

II. Verpflichtungsgrenze, Rücktritt und Schadensersatz

371

pflicht per definitionem eine persönliche, an den Schuldner gebundene Pflicht; die Unterlassung als ein rein passives Verhalten läßt sich nicht von der Person des Schuldners trennen. Für den Unterlassungsschuldner verengen sich deshalb die möglichen Handlungsalternativen derart, daß er entweder die fragliche Handlung unterläßt und damit seine Schutzpflicht beachtet oder der Unterlassungspflicht zuwiderhandelt und dadurch seine Schutzpflicht verletzt. Für eine vom Schuldner unabhängige Verletzung der Schutzpflicht ist hier zwangsläufig kein Raum, denn wenn der Unterlassungsschuldner selber der Schutzpflicht zuwiderhandelt, beruht die Verletzung auf seinem Verhalten; beachtet er aber die Schutzpflicht, indem er die fragliche Handlung unterläßt, kann die Schutzpflicht nicht gleichzeitig durch Nichtbeachtung verletzt sein. Das intransitive Verständnis des Begriffs der Pflichtverletzung stößt bei Unterlassungspflichten also auf seine Grenzen, da es als Voraussetzung ein lediglich objektives Abweichen vom vertraglich Vereinbarten verlangt42. Wo der Unterlassungsschuldner aber zuwiderhandelt, liegt gleichzeitig und immer schon die subjektive Zurechenbarkeit vor; handelt er hingegen nicht zuwider, fehlt es schon an der objektiven Abweichung von der Unterlassungsverpflichtung. Der Rücktritt von der Vereinbarung über ein Unterlassen wird demnach in aller Regel auf einer zu vertretenden Zuwiderhandlung beruhen. Für die Verletzung einer Unterlassungspflicht stellt sich deshalb der Gewinn, den die Erweiterung des Pflichtverletzungsbegriffs im Rahmen des Rücktritts, § 3231 S. 1 KE mit sich bringt, als gering heraus.

3. Die Haftung für die Verletzung einer Unterlassungspflicht im Kommissionsentwurf Es bleibt die Frage nach den Voraussetzungen und dem Umfang der Haftung für den Fall der Verletzung der Unterlassungshauptpflicht. Das geltende Recht behilft sich bei der Frage nach der Haftung mit der direkten oder analogen Anwendung der §§ 280,325 BGB, um die Lücke auszufüllen, die die Streichung des allgemeinen Haftungstatbestandes, §2241 des ersten Entwurfes des BGB auch für die Haftung bei Unterlassungspflichten hinterläßt. Der Kommissionsentwurf greift den Gedanken, daß Grundelememt einer jeden vertraglichen Schadensersatzpflicht die schuldhafte Verletzung einer vertraglichen Pflicht ist, wieder auf und normiert ihn in § 2801 KE. Dieser Grundtatbestand der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung findet Anwendung auf die Haftung des Unterlassungsschuldners: Handelt der Schuldner seiner vertraglichen Unterlassungspflicht schuldhaft zuwider, so ist er gemäß § 2801 KE zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Dieser Anspruch des Gläubigers geht auf den Ersatz des Interesses, das er am Nichteintritt der Verletzung hat, also auf sein negatives Interesse. 42

24*

Dazu oben §4 Via.

372 § 10 Unterlassungspflichten im Leistungsstörungsrecht des Kommissionsentwurfs Die Haftung für Zuwiderhandlung gegen Unterlassungspflichten unterfällt demzufolge der grundsätzlichen Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen in ihrer regelmäßigen Form. Die Ergänzungen und Modifizierungen, die durch die drei Sätze des § 280 I I KE normiert werden, können auf die Verletzung einer Unterlassungspflicht hingegen nicht angewendet werden. Ein „Schadensersatz statt Leistung" gemäß §§ 280II S. 1 i. V. m. 283 KE kommt nicht in Betracht. § 283 KE ist schon tatbestandlich auf „Leistungen" verengt, sein grundsätzliches Erfordernis der Fristsetzung ist für Unterlassungspflichten sinnlos, wie der Entwurf selber durch § 3231S. 2 KE klarstellt. Aber auch in seiner konstruktiven Ausgestaltung geht § 283 KE an den rechtlichen Besonderheiten der Unterlassungspflicht und ihrer Verletzung vorbei. Im Gegensatz zu Leistungspflichten tritt bei der Verletzung von Unterlassungspflichten das Recht auf Interesseersatz immer und sofort an die Stelle des primären Anspruchs, es bedarf deshalb keiner Regelung, die für den Übergang auf die sekundäre Verpflichtung besondere und zusätzliche Voraussetzungen statuiert43. Die sekundäre Verpflichtung jedoch geht immer auf das negative Interesse, so daß die Gegenüberstellung von positivem und negativem Interesse für Unterlassungspflichten ebenfalls fehl am Platze ist. Die Unterlassungspflicht ist insgesamt nicht der Einbettung in eine der besonderen Ausformungen der Grundregel des § 2801 KE zugänglich. So ist auch eine Verletzung der Unterlassungspflicht, die in einer Verzögerung der Unterlassung besteht und deshalb einen Verzugsschaden gemäß §§ 280Π S. 2 i. V. m. 284, 286 KE auslösen könnte, aus tatsächlichen Gründen nicht denkbar44. Eine nur scheinbare Ausnahme ist § 327 KE. Das Vorgehen nach § 327 KE, also die Kombination von Rücktritt und Schadensersatz kann für den Gläubiger von gewissem Interesse sein, sofern die fragliche Verpflichtung nicht ein einmaliges, sondern ein dauerndes Unterlassen beinhaltet45. Der Vorteil dieses Vorgehens bezieht sich jedoch nicht auf den Inhalt des Schadensersatzanspruches, denn der auf das negative Interesse beschränkte Umfang des Anspruches kann auch durch § 327 KE nicht geändert werden, sondern besteht darin, daß der Gläubiger im Falle einer teilweisen Zuwiderhandlung von dem Vertrag im Ganzen zurücktreten kann und eine eventuell erbrachte Gegenleistung zurück erhält46. In der Vertragsauflösung und Rückabwicklung liegt also der Unterschied zu § 2801 KE, der dem Gläubiger zwar inhaltlich den gleichen Schadensersatzanspruch gibt, im übrigen das Schuldverhältnis und die wechselseitigen Verpflichtungen aber fortbestehen läßt. 43

Eingehend dazu schon oben § 8IV 2 und 3. Vgl. oben §8 V. 45 Für die Verpflichtung zu einem einmaligen Unterlassen ist ja schon der Rücktritt fragwürdig, vgl. oben 2 a, b, c. 46 Die für Leistungspflichten wichtige Funktion des § 327 II KE, die Kausalität der schuldhaften Pflichtverletzung für die Nichtausführung des Vertrages sicherzustellen (vgl. oben § 8 Π 5)) ist für Unterlassungspflichten überflüssig, da bei Unterlassungspflichten kerne andere Pflichtverletzung als die Zuwiderhandlung denkbar ist, diese also immer gleichzeitig auch der Rücktrittsgrund ist. 44

Unterlassungspflichten im Kommissionsentwurf

I I I . Fazit: Unterlassungspflichten im Kommissionsentwurf Vergleicht man die Lösungen, die der Kommissionsentwurf für Haftung und Rücktritt von der Unterlassungspflicht bietet mit denen des geltenden Rechts, dann liegt auf der Hand, daß viel unnötiger Ballast abgeworfen wurde, der bei Anwendung der herrschenden Meinung bislang mit der Behandlung der Unterlassungspflicht verbunden war. Entbehrlich wird sowohl die aufwendige und dogmatisch unzutreffende Einordnung der Unterlassungspflichten in die Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften als auch deren ebenso unbefriedigende analoge Anwendung. Ausschlaggebend dafür ist zum einen die Normierung des zentralen, eigenständigen Rücktrittsrechts; größere Bedeutung aber noch hat die Wiederaufnahme des allgemeinen Haftungstatbestandes für schuldhafte Pflichtverletzungen in § 2801 KE. Auch wenn der Kommissionsentwurf insgesamt den Besonderheiten der Unterlassungspflicht zu wenig Beachtung schenkt47, hat er mit § 2801 KE zumindest dem drängenden Problem der Haftung für die Zuwiderhandlung gegen Unterlassungspflichten die ausdrückliche Lösung gegeben, die durch die Streichung des §2241 seines ersten Entwurfes dem BGB verloren ging. So begrüßenswert das im Ergebnis ist, so sehr muß deshalb jedoch daran erinnert werden, daß die allgemeine Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung keine Fortentwicklung ist, sondern eine Rückbesinnung auf die Anfange des BGB, auf eine Gesetzgebungsgeschichte, angesichts derer diese Frage überhaupt nie hätte zum Problem werden dürfen. Darüberhinaus muß der dargelegte Gewinn für die Behandlung der Unterlassungspflicht wohl auch eher als fast beiläufiger Reflex der Verbesserungen angesehen werden, die für die Leistungspflicht angestrebt wurden. Denn der Erfassung der Schlechterfüllung von Leistungspflichten48, nicht aber der Erfassung der Verletzung von Unterlassungspflichten gilt der Abschied von den Störungstatbeständen des BGB und die Schaffung des allgemeinen Haftungstatbestandes; die Schuldrechtskommission unterlag damit der gleichen leistungsbezogenen Orientierung, die auch schon die Verfasser des BGB leitete.

47 48

Siehe oben I. Bericht,S. 128 f.

Anhang § 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGBfinden sich lediglich Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug als typisierte Störungstatbestände. Unmöglichkeit und Verzug stellen dabei die als Tatbestand normierten Folgen einer im Gesetz nicht weiter differenzierten Pflichtverletzung für die Leistung dar1. Geregelt sind damit die dauernde und die vorübergehende Nichterfüllung der Leistungspflicht. Darüber hinaus haben aber weder die schuldhafte Schlechtleistung noch unabhängig von der Leistungsbeziehung erfolgende Verletzungen anderer Interessen und Rechtsgüter der Vertragspartner im Regelungssystem des allgemeinen Leistungsstörungssystem des BGB ihren Niederschlag in Form einer Rechtsbehelfsregelung gefunden2. Expressis verbis enthält das BGB mithin keinen allgemeinen Haftungstatbestand, der jegliches Schuldnerverhalten erfaßt.

I. H. Staubs Lehre von der positiven Vertragsverletzung Aus diesem Dualismus von Unmöglichkeit und Verzug heraus entwickelte schon kurz nach Inkrafttreten des BGB Hermann Staub die Rechtsfigur der sog. positiven Vertragsverletzung 3·4. 1 Zusätzlich sind aber bei den einzelnen Vertragstypen im Besonderen Teil des Schuldrechts vielfach die Folgen der fehlerhaften Erbringung der Leistung geregelt, zu erwähnen sind vor allem die Gewährleistung für Mängel beim Kauf (§§ 459 ff., 480 BGB); bei der Miete (§§ 538 ff. BGB) und beim Werkvertrag (§§ 638ff. BGB); femer die §§524, 618, 628 II, 671112 BGB. 2 Die eingehende Erörterung der Rechtsfigur der culpa in contrahendo kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. 3 Über die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen, 1902; Abhandlung in der Festgabe für den 26. Deutschen Juristentag; daran anschließend die erweiterte Fassung von 1904: Die positiven Vertragsverletzungen. 4 Ungeachtet der schon früh einsetzenden Kritik zu dieser Terminologie (vgl.z. B. PlanckSiber, Vorb. zu §§275-292 Anm.I3 a; Stoll in AcP 136 [1932]) S.257,320: nichtssagendes, aber gefährliches Schlagwort, das die Einsicht in die wahre Sachlage verdunkelt"... und die ausführlichen Nachweise bei Soergel-Wiedemann vor § 275 Rn 211, Kopeke S. 12 f.) hat sich diese Bezeichnung weitgehend etabliert, häufig jedoch erweitert als „positive Forderungsverletzung", um zumindest klarzustellen, daß nicht nur vertragliche Schuldverhältnisse erfaßt werden.

I. H. Staubs Lehre von der positiven Vertragsverletzung

375

1. Begründung der positiven Vertragsverletzung Anhand verschiedener Fälle aus der Rechtspraxis5 versuchte Staub darzulegen, daß überall Unmöglichkeit und Verzug nicht greifen, wo eine Pflichtverletzung nicht im Unterlassen des Geschuldeten besteht, sondern im positiven Tun, nämlich dem Verstoß gegen etwas, was der Schuldner unterlassen soll 6 . Verzug und Unmöglichkeit 7 könnten hier nicht vorliegen, denn in keinem der Fälle sei etwas unterlassen worden, was der Verpflichtete hätte tun sollen; überall sei vielmehr umgekehrt etwas getan worden, was hätte unterbleiben sollen8. Eine Einordnung der genannten Fälle in die Figuren Unmöglichkeit und Verzug 9 wäre eine Hineinzwängung in das Prokrustesbett des Gesetzestextes10, das Gesetz sei insofern für eine Vielzahl von Fällen lückenhaft 11 . Man sei daher berechtigt, auf Grund der nach der ganzen Sachlage naheliegenden und zwingenden Analogie des § 286 BGB anzunehmen, daß ein Rechtsgrundsatz bestehe, wonach derjenige, der eine Verbindlichkeit durch eine positive Handlung schuldhaft verletze, dem anderen Teil den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen hat 12 . Mit diesem Rechtsgrundsatz allein sei dem Verkehr jedoch nicht gedient, bei zweiseitigen Verträgen müsse man auch die weitergehenden

5

Die Grundsätze der positiven Vertragsverletzung wurden also von Staub zunächst nicht aus Prinzipien deduziert, sondern anhand konkret zu lösender Fallgestaltungen entwickelt. Staub führt aus seiner eigenen Rechtspraxis dabei folgende Fälle als Beispiel an: Es verpflichtet sich jemand, die ihm verkauften Lampen nicht weiter zu verkaufen; er tut es doch. Ein Kaufmann liefert einem anderen einen von ihm fabrizierten Leuchtstoff, der explosive Bestandteile hat, ohne den Käufer darauf aufmerksam zu machen; der Leuchtstoff richtetim Laden des Käufers großen Schaden an. Ein Agent gibt aus Nachlässigkeit unrichtige Berichte über die Solvenz eines von ihm gewonnenen Kunden; ein anderer arbeitet fortgesetzt für ein anderes Konkurrenzgeschäft. Ein Kommis verkauft aus Fahrlässigkeit weit unter dem Einkaufspreis; ein Prinzipal gibt seinem Handlungsgehilfen ein unrichtiges Zeugnis. (S.93f.). Ein Gesellschafter, dem die Bücherführung obliegt, hat innerhalb der ersten drei Monate des Geschäftsjahres die Bilanz aufzustellen, schon nach zwei Wochen stellt er aus grober Fahrlässigkeit eine günstige, aber falsche Bilanz auf, die anderen Gesellschafter treffen daraufhin entsprechende Dispositionen (S. 97). Ein Verkäufer schickt dem Käufer wurmstichige Äpfel, durch die die gesunden Äpfel des Käufers angesteckt werden (S.98); weitere Beispiele für die fahrlässige Lieferung mangelhafter Waren gibt Staub auf S. 101 f. 6

S.93f. (Zitiert nach den Seitenzahlen des Nachdruckes von 1969.) Eingehend zur Unmöglichkeit auf S. 96 ff. 8 S. 94. 9 Mit den Versuchen einer solchen Einordnung durch zeitgenössische Autoren wie Titze, Goldmann und Lilienthal sowie Schöller setzt sich Staub eingehend auseinander, S. 95 ff. (dort auch zu dem anderen Ansatzpunkt von Crome), S. 99f. m. w. Ν., zu heutigen Ansätzen siehe oben §3 II). 10 S. 100,105. 11 Das vielzitierte Schlagwort einer „riesengroßen Lücke" stammt jedoch gar nicht von Staub selbst, wie immer wieder behauptet wird (so beispielweise noch jüngst D. Rabe in FS für H.-J. Rabe S. 135,145), sondern geht zurück auf Himmelschein in AcP 135 (1932) S.255,268, einem der entschiedensten Gegner der positiven Vertragsverletzung. 12 S. lOOf. 7

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

Rechte auf Rücktritt oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages gewähren13. Hier helfe die Analogie zu § 326 BGB, denn wie dort ein Wahlrecht zwischen Rücktritt und Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages gegeben ist, wenn der Verpflichtete schuldhaft unterläßt, was er tun solle, so sei man berechtigt, analog ein solches Wahlrecht auch zu gewähren, wenn eine Vertragspflicht durch positives Tun verletzt wird, denn der Rechtsgedanke sei der gleiche und das Interesse des Geschäftsverkehrs gebiete die gleiche Regelung14. Der Vertragstreue Teil habe hiernach bei positiven Vertragsverletzungen ein dreifaches Wahlrecht wie beim Verzug, er könne beim Vertrag stehen bleiben und Schadensersatz wegen jeder einzelnen Vertragsverletzung fordern, er könne aber auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages unter Ablehnung der Annahme jeder weiteren Vertragsleistung verlangen, endlich könne er auch vom Vertrag zurücktreten15. Bei teilweisen Vertragsverletzungen durch rechtswidrige positive Handlungen greife §325IS.2BGB analog16. Staub sah also das Besondere der von ihm dargelegten Störungen darin, daß der Vertragsschuldner das tut, was zu unterlassen er verpflichtet war, im Gegensatz dazu standen nach seiner Vorstellung die gesetzlich geregelten Tatbestände von Unmöglichkeit und Verzug, die im Unterbleiben der vertraglich geschuldeten Leistung bestehen. Die positiven Verletzungen von Unterlassungspflichten stellten damit für ihn die dritte Kategorie der Leistungsstörungen dar, die Lösung dieser Fälle fand er auf der Grundlage des den §§ 286, 326 BGB zu entnehmenden Rechtsgrundsatzes, wonach derjenige, der eine Verbindlichkeit durch eine positive Handlung schuldhaft verletze, dem anderen Teil den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen habe.

2. Die positive Vertragsverletzung in ihrer heutigen Bedeutung Diese Grundsätze der positiven Vertragsverletzung haben sich in den letzten neunzig Jahren in Rechtslehre und Praxis fest etabliert; die Sicht der positiven Forderungsverletzung als dritte Kategorie des allgemeinen Leistungsstörungsrechts neben Unmöglichkeit und Verzug muß als juristisches Allgemeingut bezeichnet wer13

Auch hierfür gibt Staub praktische Beispiele (S. 103 f.): Ein Gastwirt, der mit einer Brauerei einen langfristigen Bierbezugsvertrag hat, erhält trotz wiedeiholter Beanstandung einen Monat hindurch schlechtes Bier; der Besitzer einer Badeanstalt hat einen Vertrag über eine tägliche Lieferung Kohlen geschlossen, die Kohlen fallen drei Wochen hintereinander schlecht aus, so daß der Badebetrieb in dieser Zeit nicht ordnungsgemäß ablaufen kann; zwei Gesellschaften schließen einen gegenseitigen Alleinbelieferungsvertrag mit der Klausel, auch nicht ins Ausland zu liefern, wogegen die eine Gesellschaft fortwährend verstößt. 14 S. 106. 15 S. 109. 16 Ebenda.

I. H. Staubs Lehre von der positiven Vertragsverletzung

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den. Auch die große praktische Bedeutung der durch sie erfaßten Fälle ist nicht zu leugnen und überwiegt wohl die der Unmöglichkeit17. Sie wird heute häufig als gewohnheitsrechtlich anerkanntes Rechtsinstitut angeführt 18 und dementsprechend mehrfloskelhaft mit der Analogie19 zu den §§ 280, 286, 325, 326 BGB begründet20. Verfolgt man die Entwicklung der pFV durch die Jahrzehnte, so mag die Verfestigung ihrer Position in der Rechtswissenschaft erstaunen, denn kritische Stimmen zu dieser Rechtsfigur sind schon früh laut geworden und bis heute nicht mehr verstummt21. Ebenso hat es nicht an Konzepten und Ver17 Zur praktischen Bedeutung der pFV Soeigel-Wiedemann, 11. Aufl. vor § 275 Rn 212: „...zahlenmäßig bedeutendste Gruppe der zu vertretenden Leistungsstörungen..."; ähnlich Blaurock S. 51,64; kritisch zur Bedeutung der pFV aber Ahrens in ZRP 1995 S.417,419. Nach Ahrens ist diese Aussage sowohl in ihrer empirischen als auch in ihrer systembildenden Kraft zu bestreiten, in der täglichen Anschauung bilde vielmehr der Schuldnerverzug die häufigste Störungsform. 18 Palandt-Heinrichs, §276 Rn 105; Larenz, §241; Staudinger-Löwisch, vor §275 Rn 21; Kopeke S. 133; Medicus, SchuR AT § 35 II; BGHZ11 S. 80 ff. (1953). Oft wird für die gewohnheitsrechtliche Anerkennung seitens des Gesetzgebers auch auf § 11 Nr. 7 AGBG verwiesen. Ablehnend zur gewohnheitsrechtlichen Anerkennung z.B. Jakobs, Unmöglichkeit S.58ff.; Schünemann S. 1 f. 19 Zu Recht kritisch äußern sich zu dieser Analogie E. Schmidt in Nachwort, S. 142 f. und Evans-von Krbek in AcP 179 (1979) S. 85,101 ff., 144 (nach der sich die herrschende Meinung am eigentlichen Problem „vorbeischludert"). Zutreffend weisen beide darauf hin, daß diese Vorschriften den Ausgleich von Nachteilen kompensieren, die auf das Ausbleiben der Leistung zurückgehen; eine Übertragung auf die Restitution bei Schutzpflichtverletzungen also wegen der Andersartigkeit der Schutzpflichten auf erhebliche Probleme stoßen muß. Vgl. dazu auch schon eingehend oben § 8 VI 3). 20 Schünemann, S. 1 f. kritisiert, daß diese Begründung wohl eine sinnentleerte und überflüssige Pflichtübung sei, wenn die pFV wirklich gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Dies scheint auch Schwerdtner (in Jura 1980 S.213,216) zu spüren wenn er formuliert: „Wenn man so will, kann die pFV auf eine Gesamtanalogie zu §§280, 286, 325, 326 BGB gestützt werden." 21 Exemplarisch und in chronologischer Reihenfolge seien hier verschiedene prägnante Äußerungen zur pFV wiedergegeben. Siber in Planck, Vorb. zu §§ 275—292 Anm. 13 a:,,... theoretische Grundlage ist aber anfechtbar... nur ein Sammelname für Dinge, die nichts miteinander zu tun haben."; Zitelmann (Nachweis bei Jakobs, Unmöglichkeit S. 16): „...Grundsatz ist völlig frei erfunden..."; Himmelschein in AcP 135 (1932) S.255,268,269,309: „... wenig glaubhaft..., höchst merkwürdig..., auffallender Widerspruch..., überaus schädliches Gewächs auf dem Boden der Rechtstheorie..., ganz falsche Vorstellung."; Stoll in AcP 136 (1932) S.257, 260, 268, 317, 320: kein Ruhmesblatt in der deutschen Rechtswissenschaft..., Blüte der Buchstabenjurisprudenz..., unbrauchbar und irreführend..., nichtssagendes aber gefährliches Schlagwort, das die Einsicht in die wahre Sachlage verdunkelt und mehr hemmt als fördert..., erheblicher Irrtum"; Jakobs, Unmöglichkeit S. 30, 61: „... Ungetüm einer systematischen Kategorie ...; Sammelname für alles, was man im Gesetz nicht ohne weiteres unterzubringen weiß..., eine Lehre von den verschiedenartigen Mängeln des Gesetzes"; dem wörtlich folgend Huber in seinem Gutachten S.701; Picker in AcP 183 (1983) S.369, 377, 386: „...völlig disparates Gebilde..., Konglomerat verschiedenartiger Schutzfunktionen..., unerforschtes Terrain, in dem Haftungsfiguren vagabundieren, die sich mangels einer plausiblen materialen Rechtfertigung der dogmatischen Erfassung entziehen"; Medicus in SchuR AT 2. Aufl. S. 176: „... amorphes Gebilde..."; Schünemann in JuS 1987 S. 1 f.: „...geradezu beängstigende Bandbreite..."; Emmerich in MüKo, (1. Aufl. 1979) vor §275 Rn 190: konturenloses Allzweck-

378

§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

suchen gefehlt, die die Überflüssigkeit der pFV als dritte Kategorie der Leistungsstörungen beweisen sollten22.

II. Abweichende Haftungskonzepte zur Zeit Staubs und heute Um die Zusammenhänge transparent zu machen, in die die Entwicklung der pFV eingebettet ist, werden hier kurz einige der abweichenden Konzepte zur Erfassung der von Staub angeführten Fälle wiedergegeben. Staub betritt zur Zeit seiner Abhandlung mit seiner Idee, daß das BGB einen allgemeinen Rechtsgrundsatz der Haftung für alle schuldhaften Verletzungen einer Verbindlichkeit enthalten müsse, keinesfalls juristisches Neuland. Schon andere Autoren hatten sich nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes mit dieser Frage auseinandergesetzt und versucht, dem neuen Gesetzestext auf verschiedene Weise einen solchen Grundsatz zu entnehmen. Trotz ganz unterschiedlicher Ansätze ist diesen Autoren zunächst gemeinsam, daß sie im Gegensatz zu Staub keine Lücke im BGB diagnostizierten, sondern vielmehr die Lösung der in Frage stehenden Fälle in den Vorschriften des Schuldrechtes des BGB zufinden meinten.

1. § 276 BGB als allgemeiner Haftungstatbestand Einige der ersten Lehrbücher und Kommentare zum neuen Gesetz entnahmen die Verpflichtung zum Schadensersatz einfach dem § 276 BGB: Wer Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, der habe für die schuldhaft begangenen Handlungen und Unterlassungen Schadensersatz zu leisten23. Bereits im Gemeinen Recht sei eine Haftung des Schuldners für culpa eingetreten, wenn dieser seine Pflichten verletzt habe; an diesem Zustand hätten die Gesetzesverfasser nichts ändern wollen; der Passus „zu vertreten haben" in § 2761 S. 1 BGB sei deshalb ohne weiteres als „Schadensersatz leisten" zu interpretieren. Auch das Reichsgericht sah in ständiger Rechtsprechung § 276 BGB als Grundlage des Schadensersatzanspruches für die Verletzung der dem Schuldner obliegeninstrument..., das es erlaubt, nahezu jedes beliebige Ergebnis praktisch ohne Bindungen an die Wertungen und die Systematik des Gesetzes zu begründen." 22 Dazu sogleich unten II. 23 Ausdrücklich z.B. Crome, System II S.65ff.; weitere Nachweise bei Picker in AcP 183 (1983) S.269, 458 i.V.m. Fn.251; Soergel-Wiedemann (11. Aufl.) vor §275 Rn 204 i.V.m. Fn.13; kritisch dazu Planck-Siber § 276 Anm. 1 a. Himmelschein in AcP 135 S.260 sieht darüberhinaus eben diesen Schluß stillschweigend in vielen Kommentaren und Lehrbüchern dadurch gezogen, daß die Autoren sich mit diesem Problem überhaupt nicht beschäftigten; offensichtlich hielten sie diese Rechtsfolge für zu selbstverständlich, um darin ein Problem zu sehen.

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den Verpflichtungen an . Der Lehre Staubs folgte das Reichsgericht nur zögernd25, lediglich in den Fällen der Erfüllungsverweigerung seitens des Schuldners und der Gefährdung des Vertragszwecks wendet das Reichsgericht die Grundsätze teilweise an, was jedoch darin begründet ist, daß Staubs Analogie zu §§ 325, 326 BGB dem Gläubiger zum Rücktrittsrecht verhelfen konnte, eine auch nach Ansicht des Reichsgerichtes dem Verkehrsbedürfnis entsprechende Rechtsfolge, die bei Anwendung des § 2761 BGB aber zwangsläufig verschlossen bleiben mußte. Etwas verfrüht erscheint es daher, wenn Staub in der zweiten, erweiterten und aktualisierten Fassung seiner Abhandlung feststellt, daß das Reichsgericht26 die Theorie der positiven Vertragsverletzung durch seine Autorität sanktioniert habe und die Ausführungen des Reichsgerichtes bekräftigend ergänzt27.

2. Schuldhafte Unmöglichkeit, §§280,325 BGB als umfassender Haftungstatbestand Genau entgegengesetzt wurde schon kurz nach Inkrafttreten des BGB vertreten, daß eine Lücke gar nicht bestehe, nicht jedoch weil § 2761 BGB als allgemeiner Haftungstatbestand greife, sondern weil in allen Fällen die Unmöglichkeitsvorschrift des § 280 BGB angewendet werden könne28. Nach dieser Ansicht ist die Leistung des Schuldners weit zu verstehen und nach Gegenstand, Ort und Zeit zu individualisieren. Jede schuldhafte Nichterfüllung der Leistungspflicht beinhalte so eine zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung und folglich eine Verpflichtung zum Schadensersatz, da sie bezüglich jeder ihrer Bestandteile - des Gegenstandes, des Ortes, der Zeit - unmöglich werden könne. Eine Leistung, die in einer dieser Beziehungen fehlerhaft sei, mache eine fehlerfreie Leistung unmöglich, mindestens in Ansehung der Zeit der Leistung. Wenn die fehlerhafte Leistung möglich bleibe und vielleicht erfolge, so bliebe sie doch für die Zeit, in der sie erfolgen sollte, unmöglich. Die fehlerhafte Leistung stelle damit immer eine Unmöglichkeit der fehlerfreien Leistung dar 29. 24

RGZ 52 S. 18,19; 53 S.200,201 f.; 62 S. 119,120; 66 S.289,291; 68 S. 104; 97 S. 116; 99 S.96; 101 S.330, 337. 25 In den Urteilen RGZ 106 S.22,25f. (1922); 148 S. 148; 161 S. 330,337f. bezieht sich das Reichsgericht zwar auf die Begründung Staubs, beschränkt die Anwendung aber auf bestimmte Fallkonstellationen. Exemplarisch sind insoweit auch zwei Entscheidungen in Band 54 der Reichsgerichtsentscheidungen; in der Entscheidung S.98ff. folgt das Gericht der Auffassung Staubs zu der analogen Anwendung von § 326 BGB, in der zweiten Entscheidung wendet es jedoch für einen Fall der Unterlassungspflicht die Unmöglichkeitsvorschriften unmittelbar an (S. 286ff.). Erst der BGH (BGHZ 11 S.80, 84) folgt uneingeschränkt und ausdrücklich der Lehre Staubs. Vgl. dazu auch Jakobs, Unmöglichkeit S. 61 ff. 26 In einer Entscheidung von 1904 in DJZ Bd. 9 S. 345. 27 (Nachdruck) S. 125 ff., 126. M So ζ. B. Goldmann-Lilienthal, Das BGB, systematisch dargestellt; 2. Aufl. Bd. IS. 333 (zitiert nach StaubS. 95). 29 Zu dem etwas anders angelegten Versuch von Schöller, die Unmöglichkeit im Falle jeder Verletzung der Schuldnerpflicht durch Annahme einer Vertragspflicht, „vertragswidrige Lei-

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Diese auf einem weiten Leistungsbegriff aufbauende Theorie wurde später erneut aufgegriffen 30, um die These von der Lückenhaftigkeit des Gesetzes zu widerlegen. Nach Himmelschein31 liegt dem BGB die Unmöglichkeitslehre Friedrich Mommsens zu Grunde32, die unter Leistung die vollständige, nach Gegenstand, Zeit und Ort individualisierte Leistung verstehe33 und für die eine Nichterfüllung nicht nur dann vorliege, wenn überhaupt nicht geleistet worden ist, sondern auch, wenn das Geleistete in irgendeiner Beziehung von dem Geschuldeten abweicht. Die so verstandene Leistung könne nicht nur vollständig, sondern auch hinsichtlich jeder Einzelleistung der Gesamtverpflichtung und hinsichtlich jeder Modalität unmöglich werden. Teilweise Unmöglichkeit sei daher schon dann gegeben, wenn die Leistung nicht mehr so wie geschuldet, nicht mehr „präzise" bewirkt werden könne, weshalb auch der Verzug nichts anderes sei als ein Fall teilweiser Unmöglichkeit, nämlich in Anbetracht der Zeit der Leistung. Verfolgt man diesen Ansatz konsequent, so könne es keinen Fall der Pflichtverletzung geben, der nicht zu vollständiger oder teilweiser Unmöglichkeit exakter Leistung führe 34. Anhand der Gesetzgebungsgeschichte des heutigen § 276 BGB 35 kommt Himmelschein zu der Ansicht36, daß diese Vorschrift nicht lediglich eine Begriffsbestimmung, eine Definition der zivilrechtlichen Schuld sei37, sondern eine „Blankettnorm"38 bezüglich der Haftung, die nur im Zusammenhang mit anderen Normen bestimmte Rechtsfolgen auszulösen vermöge; um einen Leitsatz der Haftung des stung zu unterlassen" begründen zu können vgl. Himmelschein in AcP 135 (1932) S.253, 263 f., kritisch dazu S.287f. und Westhelle, S.29ff. 30 Staubs nach seiner Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen resümierende Prognose, daß diese Theorien „wohl kaum noch Anklängefinden" (S. 115) stellt sich somit als Irrtum dar. 31 In AcP 135 (1932) S.253 ff. und 158 (1959/60) S. 284 ff. (posthum veröffentlicht). In der letzteren Abhandlung nimmt er zu der Kritik von Stoll in AcP 136 (1932) S. 257 ff. und Heck in AcP 137 (1933) S.259ff. Stellung und bekräftigt seine früheren Aussagen nochmals. 32 Dazu ausführlich Jakobs, Unmöglichkeit S. 112ff. 33 Himmelschein in AcP 158 S. 284ff. 34 Himmelschein in AcP 158 S. 308:„Der Kreis ist geschlossen." Himmelschein führt weiter aus, die Mängel des Gesetzes bestünden nicht in seiner Lückenhaftigkeit, sondern in der Dunkelheit seiner Bestimmungen. Zur Verteidigung seines zugrundeliegenden weiten Leistungsbegriffes führt er an, die Unmöglichkeit sei eine juristische Formel, an dieses schwierige Denkgebilde dürfe man nicht mit einer dem Gesetz fremden, wenn auch der natürlichen Auffassung entsprechenden Begriffsbildung herangehen (in AcP 135 S.253, 281 ff., 308, 315ff. im Anschluß an Lehmann) Ähnlich auch Wollschläger, S. 179f. „... solches Denken, das Logik und Anschauungskraft bis zum äußersten strapaziert, (war) den Verfassern des BGB geläufig,...", zusammenfassend S. 187 f. 35 Himmelschein in AcP 135 S.253,273ff. 36 Diese Ansicht hatte das Reichsgericht schon lange vertreten, jedoch in anderem Zusammenhang, vgl. oben. 37 So aber die überwiegende Ansicht, ζ. B. Siber in Planck § 276 Anm. 1 a m. w. Ν.; Kress S.591 i. V.m. Fn.2; Heck in AcP 137 S.259ff.; Staub S.95f. 38 AcP 135 S.253,273.

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Schuldners für jede Nichterfüllung, der hinsichtlich der Rechtsfolgenseite der Konkretisierung durch Einzeltatbestände bedürfe. „Vertreten" sei in § 276 BGB der Oberbegriff für alle Arten der Haftung 39 und die Frage, welche Art des Ausgleichs im jeweiligen Fall zu gewähren ist, werde durch § 280 BGB beantwortet. Nur wenn und soweit die Primärleistung unmöglich sei, könne der Gläubiger Schadensersatz begehren; die Sekundärleistung sei grundsätzlich subsidiär, der Schuldner dürfe die noch mögliche Primärleistung nicht durch die Ersatzleistung umgehen. Die sich gegenseitig ergänzenden Vorschriften der §§ 276, 280 BGB hätten demnach den Zweck, daß der Gläubiger vollständig befriedigt wird (§ 276 BGB) und der Vorrang der Naturalerfüllung vor der Ersatzleistung gesichert wird 4 0 (§ 280 BGB): Der Schuldner soll erst Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen dürfen, wenn die Unmöglichkeit der Erbringung der Primärleistung feststeht 41 . Auch dieses Konzept, das eine Geschlossenheit des gesetzlich normierten allgemeinen Leistungsstörungsrechtes bietet, ist schon früh 42 und vielfach 43 kritisiert worden und vermochte die Grundsätze der pFV letztlich nicht abzulösen44.

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Himmelschein versteht dabei unter „Haftung" zwei allgemeine Arten von Schadensausgleich, nämlich die Bewirkung der geschuldeten Leistung (= Primärleistungsanspruch) und den Schadensersatz (= Sekundäranspruch). Dem zustimmend Jakobs, Unmöglichkeit S.23f., Gesetzgebung S. 39 f.; Huber in FS für von Caemmerer S. 837,846; Staudinger-Schmidt, Einl. zu §§241 ff. Rn 329. 40 Zum Hintergrund dieses Vorrangprinzipes Himmelschein, AcP 135 S. 255-259, 273 ff. 41 Ebenda S. 275. 42 Grundlegend und bis heute maßgebend Stoll in AcP 136 (1932) S.257,268ff.; die dazu erfolgte Erwiederung von Himmelschein in AcP 158 (1959/60) S. 284ff. blieb in ihrer Wirkung beschränkt (vgl.z.B. Soergel-Wiedemann, vor §275 -11. Aufl.- Rn 206 i.V.m. Fn.17: „ohne jede Überzeugungskraft"; Jakobs, UnmöglichkeitS.24 i.V.m. Fn.35: „Unverständlich ist, was Himmelschein gegen die Einwände Stolls vorbringt."). 43 Siehe z.B. Heck in AcP 137 S.259ff.; Kopeke S. 10f.; Westhelle S.41ff; Jakobs, Unmöglichkeit S.24f.; Evans-von Krbek in AcP 179 S.85, 112ff., 128; E. Schmidt, Nachwort S. 139ff.; Wieacker in FS für Nipperdey S. 783ff.; weitere Nachweise bei Soeigel-Wiedemann (11. Aufl.) vor § 275 Rn 206 ff. 44 Diese Kritik soll hier nicht erneut wiedelgegeben werden. Die Konzeption Himmelscheins hat freilich bis heute immer wieder auch Befürworter gefunden, die sich den Grundansatz, insbesondere den weiten Leistungsbegriff zu eigen machen. Uneingeschränkt folgt Wicher in AcP 158 (1959/60) S.297ff. den Ansichten Himmelscheins, pronnonciert auch Emmerich in MüKo, vor §275 3f., 220ff. und Leistungsstörungen §20IV (m.w.N. in Fn.26). Vgl. auch Himmelschein teilweise nahestehend Westhelle, S. 87ff.; Wollschläger S. 179f.; 188 ff.; in der Tendenz zustimmend auch Medicus SchuR AT § 251; Staudinger-Schmidt, § 242 Rn 824; siehe auch OLG Düsseldorf in JuS 1978 S. 780 Nr. 3 und jüngst BGH in NJW 1995 S. 1737 (Sachmangel als Teilunmöglichkeit, Urt. vom 10.03.1995).

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3. Das Deliktsrecht als Ort der Haftung Auch heute wird in der Rechtslehre angesichts der nie verstummenden Kritik an der pFV versucht, ohne diese dogmatisch unbefriedigende Lösung alle Fälle zu erfassen. Sehr verbreitet ist dabei die schon oben schon dargestellte Tendenz zum Deliktsrecht45 als eigentlichem und originärem Platz der zu erfassenden Fälle. Dieser Ansatz ist keineswegs neu, denn vereinzeltfinden sich auch schon vor der Abhandlung von Staub Versuche, diefraglichen Fälle über das Deliktsrecht zu lösen, d. h. dem Gläubiger Ersatzansprüche aus § 823 BGB zu gewähren und so ohne die Grundsätze der pVV mit den gesetzlichen Vorschriften auszukommen46. Ihren deutlichsten Niederschlag hat diese weit verbreitete Tendenz in den die Reform vorbereitenden Gutachten zum Deliktsrecht47 bzw. zur c. i. c. 48 im Zusammenspiel mit den Reformvorschlägen von Huber zum Leistungsstörungsrecht gefunden. Der Gutachtervorschlag zum Deliktsrecht bemüht sich, die beschriebene Haftungsdogmatik zu übernehmen und in Gesetzesvorschriften zu fassen, so daß die flankierenden Erneuerungen im Bereich des Deliktsrechts vorliegen, die für den Ausschluß des Integritätsschutzes aus dem Bereich der vertraglichen Haftung erforderlich sind. Für Huber ist damit in seinen Vorschlägen zur Reform des allgemeinen Leistungsstörungsrechtes der Weg zu dem Resûmeé frei, für die Dogmatik gelte, daß die Lehre von den Schutzpflichten einen inzwischen überholten Kenntnisstand wiedergebe, der die neuere Entwicklung des Deliktsrecht noch nicht rezipiert habe49. Konsequent verneint Huber dann einen Anwendungsbereich für die pFV im neuen Recht, da er Pflichtverletzungen von der vertraglichen Haftung ausklammert, die zu solchen Schäden an Rechtsgütern und Interessen des Vertrags45

Siehe oben §3112). Vgl. exemplarisch das Gutachten von Huber S.667,701 ff., 736ff. und schon früher in der FS für von Caemmerer S. 837,861 ff.; Gutachten v. Bar in Bd. II S. 1681 ff.; eindringlich auch Westhelle, S. 110ff.; jüngst auch noch Anklänge bei Brüggemeier, Referat auf dem DJT Bd. II/l, Κ 50ff.; für weitere Nachweise sei verwiesen auf Picker in AcP 183 S.369, 376 i. V.m. Fn.17. 46 Nachweise bei Himmelschein AcP 135 S.253, 267, vgl. auch ebenda S.268 und Staub S. 116f., der in diesem Zusammenhang schon auf die daraus entstehenden Probleme der Gehilfenhaftung, § 831 BGB und der Begrenzung des Rechtsgüterschutzes auf die absoluten Rechte des § 8231 BGB hinweist. 47 Gutachten v. Bar in Bd. II S. 1618 ff.: „Empfiehlt es sich, die Voraussetzungen der Haftung für unerlaubte Handlungen mit Rücksicht auf die gewandelte Rechtswirklichkeit und die Entwicklungen in Rechtsprechung und Lehre neu zu ordnen? Wäre es insbesondere zweckmäßig, die Grundtatbestände des § 8231 BGB und 826 BGB zu erweitem oder zu eigänzen?" 48 Gutachten von Medicus in Bd. I S. 480ff.: „Empfiehlt sich eine Normierung der Lehre vom Verschulden bei Vertragsverhandlungen und eine Neuregelung vorvertraglicher Rechte und Pflichten im BGB?" Eine Haftung für die Verletzung vertragsfremder Güter, die sich nach den Prinzipien der vertraglichen Einstandspflicht richtet, scheidet nach den Vorschlägen von Medicus aus, insoweit reiche die Ausbildung von Verkehrspflichten im Deliktsrecht (ebenda S.489,494) Das Anwendungsgebiet der c. i. c. reduziert sich dadurch auf die Pflichten hinsichtlich des angestrebten Vertragsschlusses selbst. 49 Gutachten, S.737.

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partners führen, die unabhängig von dem konkreten Schuldverhältnis bestehen und alle anderen Pflichtverletzungen im Gegensatz dazu mit dem Begriff der Nichterfüllung erfassen will 50 . Die Reformpläne der ersten Phase zielten demgemäß darauf ab, die trotz aller unterschiedlichen Begründungen und Konstruktionen heute doch eingewurzelte Vorstellung zu überwinden, daß zusätzlich zu der gesetzlichen Haftung aus Delikt und der gesetzlich normierten, vertraglichen Haftung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts noch eine dritte, selbständige Kategorie von Einstandspflichten anzuerkennen sei.

4. Gesetzliche Vertrauenshaftung als dritte Spur der Haftung zwischen Vertrag und Delikt Eine zweite Gruppe von in jüngerer Zeit vertretenen Lehren, bei denen sich zahlreiche Übergänge und Überschneidungen finden, geht demgegenüber davon aus, daß nicht nur eine dritte Kategorie der nach Vertragsgrundsätzen zu behandelnden Leistungsstörungen existiere, sondern daß sogar eine „dritte Spur" der Haftung zwischen der aus Vertrag und der aus Delikt existiere51. Nach dieser oben eingehend untersuchten und dogmatisch unzutreffenden Ansicht steht zwischen der gesetzlichen Deliktshaftung und der vertraglichen Haftung für die Verletzung von Haupt- und Nebenleistungspflichten als dritte Haftungsform eine „gesetzliche Vertrauenshaftung", die alle Fälle von Schutzpflichtverletzungen vom Beginn des rechtsgeschäftlichen Kontaktes an bis zur vollständigen Beendigung des Schuldverhältnisses hin erfasse 52. Diese Lehre einer Vertrauenshaftung als Grundlage eines einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses ist in ihren unterschiedlichen Spielarten und Ausformungen neben der Hinwendung zum Deliktsrecht in heutiger Zeit wohl die zweite große Strömung in der Rechtslehre, die versucht, der pFV ein dogmatisch stimmiges bzw. integratives Konzept entgegenzusetzen.

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Gutachten, S. 699ff., 779ff. Siehe oben §3 II 3. 52 Exemplarisch ist die Lehre Canaris' vom „einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis" in JZ 1965 S.475 ff. und später (1983) z.B. in FS für Larenz S.27ff. m.z. w.N. zur Diskussion; zustimmend beispielsweise Thiele in JZ 1967 S.652; von Lackum S. 158 ff.; Gerhardt in JuS 1970 S. 597ff.; eingeschränkt auch E. Schmidt in Nachwort S. 143f., 148 ff. und in Esser/Schmidt Bd. I Tb. 2 § 2912, III; prononciert aber Frost S. 211 ff., weitere Nachweise ζ. B. bei MüKo-Kramer, Einl. zu §§ 241 ff. Rn 72ff. 51

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III. Der Kommissionsentwurf und die positive Vertragsverletzung Der Kommissionsentwurf von 1992 ist freilich beiden Strömungen nicht gefolgt 53. Die Integration der Problematik ins Deliktsrecht mußte schon zwangsläufig daran scheitern, daß die Novellierung des Deliktsrechts als notwendige Voraussetzung für eine solche Lösung infolge der Verengung der Reformpläne 54 nicht mehr verfolgt wurde. Die Kommission konnte sich jedoch auch nicht dafür entscheiden, die ihr wohlbekannten55 Theorien zur Vertrauenshaftung und dem einheitlichen gesetzlichen Schutzpflichtverhältnis als dritter Spur der Haftung zwischen Vertrag und Delikt in Gesetzesform zu gießen. Sie beschränkt sich vielmehr darauf, in §241 I I KE die Schutzpflichten zu erwähnen und klarzustellen, daß sie auch ohne eine dazugehörige Leistungspflicht, also „isoliert" vorkommen können56. Auf eine Regelung der Frage, ob das die Schutzpflichten erzeugende Schuldverhältnis in jedem Fall auf Gesetz beruht oder ob diese Schutzpflichten ihre Grundlage in einem Rechtsgeschäft haben, wird bewußt verzichtet. Mit ihrem Grund- und Auffangtatbestand der Pflichtverletzung wählt die Kommission hingegen gerade die positive Forderungsverletzung als Ausgangspunkt ihres Leistungsstörungssystems57, dieses „beruht damit auf einer Weiterentwicklung und Verallgemeinerung der Grundsätze über die Haftung wegen positiver Forderungsverletzung"58. Sieht man den Kommissionsentwurf als zumindest zeitlich letzten Stand der Rechtsentwicklung an und behält gleichzeitig im Auge, daß es die Aufgabe der Kommission war, unter Wahrung der systematischen Grundstrukturen und Grundwertungen die Erfahrungen aus acht Jahrzehnten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung und Praxis aufzuarbeiten 59, gewissermaßen also den entstandenen Konsens60 festzuschreiben, so zeigt sich, daß die pFV sich ungeachtet aller Kritik und des vielfach geforderten Abschieds nicht nur in ihrer Bedeutung behaupten konnte, sondern vielmehr noch aufgewertet wurde, indem die Kommission sie als das tragende Fundament ihres Entwurfes ansieht. Die pFV erhebt sich damit von ihrem unbestimmten Dasein als dritte Kategorie zwischen Unmöglichkeit und Verzug

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Zu den Schutzpflichten im Kommissionsentwurf eingehend oben §4XI-XIII. Vgl. dazu oben § 1 III. 55 Siehe Berichts. 113. 56 Bericht,S. 114. 57 Kritisch zu dieser Sicht der Kommission oben § 51. 58 Bericht, S. 30. 39 So der Bundesjustizminister Engelhard zu den Aufgaben der Kommission, vgl. NJW 1984 S. 1201. 60 Kritisch zu einem solchen Konsens hinsichtlich der pFV äußert sich Schünemann in JuS 1987 S. 1, 2. Nach seiner Vermutung steht eine ganz eihebliche Anzahl der Rechtswissenschaftler nach näherer Beschäftigung mit der Materie der herrschenden Doktrin skeptisch gegenüber, hält jedoch aus didaktischer Rücksicht und aus Gründen der vereinfachten wissenschaftlichen Kommunikation an den geläufigen Lehren fest. 54

IV. Der Kern der Diskussion um den allgemeinen Haftungstatbestand

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über diese hinaus und wird zur umfassenden Grundkategorie, in der sich Unmöglichkeit und Verzug auflösen sollen. Die scheinbar unaufhaltsame Etablierung der pFV mag man - wenn auch nicht ganz zu Unrecht, so aber doch etwas vordergründig - auf die „Attraktivität des Einfachen" (simplex sigillum veri) zurückführen, da diese Rechtsfigur mit ihrer zunehmenden Konturenlosigkeit eine immer größere Flexibilität61 bei der rechtlichen Bewältigung von Leistungsstörungen mit sich gebracht hat, die in krassem Gegensatz zu den komplizierten, teilweise hoch abstrakten und wenig griffigen anderen Konzepten steht. Doch trifft man damit nicht den Kern, der das Phänomen der pFV und ihrer raschen Durchsetzung bis hin zu ihrer heutigen Bedeutung ausmacht.

IV. Der Kern der Diskussion um den allgemeinen Haftungstatbestand Betrachtet man den heute erreichten Diskussionsstand zur Haftung der Vertragspartner für Pflichtverletzungen, so zeigt sich, daß die ganze Bandbreite möglicher Haftungsformen vertreten wird, von dem einen Pol der umfassenden vertraglichen Haftung durch Integration in die Unmöglichkeitsvorschriften des BGB über die Haftung nach der analogen Anwendung dieser Vorschriften bis hin zum entgegengesetzten Pol der gesetzlichen Haftung durch Konstruktion eines gesetzlichen Schutzpflichtverhältnisses oder letztlich der Einbettung in das Deliktsrecht. Gegenstand der Diskussion ist damit die Frage, ob und in welcher Weise ein umfassender Schutz der Rechtsgüter und Interessen der Vertragspartner schon vom Gesetz selber angelegt sei oder ob und wie er praeter legem zu konstruieren sei - darüber, daß ein solcher Schutz gewährleistet ist und gewährleistet sein muß, ist man sich über alle Unterschiede der Begründung hinweg einig. Konsens besteht somit heute hinsichtlich des allgemeinen Grundsatzes, daß jede schuldhafte Verletzung einer Pflicht zum Schadensersatz verpflichten müsse; ebenfalls besteht darüber Einigkeit, daß dieser allgemeine Haftungstatbestand im BGB jedenfalls keine ausdrückliche Erwähnung gefunden hat. Geht man zurück zum Zeitpunkt des Erscheinens von Staubs Abhandlung, so zeigt sich bald, daß dies auch bei Inkrafttreten des BGB keinesfalls anders war. Staub selbst setzt in seiner Abhandlung bei der Lösung seiner Beispielsfälle mit Selbstverständlichkeit zum einen voraus, daß überhaupt Schadensersatz zu leisten ist und zum anderen, daß diese Verpflichtung zum Schadensersatz ihren Grund in ei61

H. P. Westermann (zitiert bei Medicus, Schuldverhältnis S. 26) spricht kritisch von einem „selbstgeschaffenen Pflichtenerfindungsrecht der Gerichte"; kritisch z.B. auch Esser/Schmidt (Bd. I Tb. 2 § 29 III 2, 3) zur Überdehnung der Pflichtenanforderungen nach ex post-Gesichtspunkten und dem voreiligen Rückgriff der Judikatur auf den vermeintlichen Auffangtatbestand der pFV; vgl. auch Wiegand in FS für Gagnér S. 547, 561 f., der auf die Gefahr der Verselbständigung aufmerksam macht. Früh schon hat Hedemann (Schuldrecht 1931 S. 169) auf diese Gefahr einer übermäßigen Ausnützung der Kategorie der positiven Vertragsverletzung hingewiesen. 25 Kuhlmann

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ner Pflichtverletzung hat. Und mit Blick auf die zeitgenössische Literatur kann er zu Recht feststellen, daß „wohl niemand zweifeln (wird), daß in allen diesen Fällen der pflichtverletzende Teil die Verpflichtung hat, dem anderen Teil denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Pflichtverletzung erwachsen ist"62. Staub ist sich bewußt, daß angesichts dieser grundsätzlichen Übereinstimmung das Feld der Auseinandersetzung ganz wo anders liegt, wenn er das Problem auf die Frage reduziert, „wie aber dieser Rechtssatz zu begründen sei, auf welche Gesetzesbestimmung er sich stütze"63. Dementsprechend diskutieren die Staubs Abhandlung vorausgehenden Beiträge, Staub selber und diejenigen, die sich in der Folgezeit an der durch ihn ausgelösten Debatte64 beteiligen, nur über die Verankerung des allgemein anerkannten Prinzips der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzung. Daß es die von Staub angenommenen Pflichten, deren Verletzung er mit Schadensersatz oder Rücktritt sanktionieren will, überhaupt gibt, wird nicht eigentlich in Frage gestellt; im Vordergrund steht die Frage, ob die von Staub postulierten Rechtsfolgen durch die gesetzlichen Kategorien der Unmöglichkeit bzw. des Verzuges erfaßt oder unmittelbar aus § 276 BGB abgeleitet werden können. Sieht man die pFV und die durch sie ausgelöste Diskussion also in ihrem Gesamtkontext, so reduziert sich das Problem auf die nach Inkrafttreten des BGB zu leistende positivrechtliche Absicherung einer offenbar eingewurzelten und elementaren Rechtsüberzeugung bezüglich eines allgemeinen Haftungstatbestandes für schuldhafte Pflichtverletzungen.

V. Rechtsgeschichtliche Aspekte eines allgemeinen Haftungstatbestandes: Die culpa-Haftung Dies legt es nahe, auf der Suche nach einer solchen Tradition und Verbreitung dieser haftungsrechtlichen Wertung die Entwicklung der Haftung bis zum Inkrafttreten des BGB in seiner endgültigen Fassung kurz in das Blickfeld zu rücken. Was zunächst den Rechtszustand vor Beginn der Gesetzgebungsarbeiten am BGB anbetrifft, muß sich die Darstellung hier notwendigerweise auf einige kurze, aber exemplarische Hinweise beschränken und die Entwicklung der Haftung bis hin zum 62

Und sofern diese Rechtsfolge durch Gesetz nicht beseitigt ist (Staub S.94). Staub spricht mit dieser Einschränkung die Frage der Haftung im Kaufrecht und des Zusammenhanges mit den ädilizischen Rechtsbehelfen an; eine Problematik, die im vorliegenden Zusammenhang aber unberücksichtigt bleiben kann. 63 Staub S.94; ebenfalls in der erweiterten Fassung von 1904 (S. 111): „... so ist man sich allseitig darüber einig, daß der... allgemeine Rechtsgrundsatz besteht, wonach derjenige, der seine Vertragspflicht schuldhaft verletzt, dem anderen Teil zum Schadensersatz verpflichtet ist. Nur über die Begründung herrscht hier Streit." 64 Staub selber konnte sich an dieser Debatte nicht mehr beteiligen, da er kurz nach dem Erscheinen seiner Abhandlung verstarb.

V. Rechtsgeschichtliche Aspekte eines allgemeinen Haftungstatbestandes

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gemeinen Recht ausblenden . Setzt man in dieser Zeit an, so zeigt sich, daß im gemeinen Recht die Obligation sowohl das Leistensollen der Schuld, als auch die Haftung enthielt. Im Rahmen dieser Obligation haftete der Schuldner im allgemeinen für dolus und culpa66, der haftungsbegründende Tatbestand war das schuldhafte Nichtleisten67. Die Pflicht des Verkäufers zum Ersatz des dem Käufer durch die mangelhafte Beschaffenheit der Sache verursachten Schadens bei Verschulden in Form der Kenntnis des Mangels war in der gemeinrechtlichen Literatur so gut wie unstrittig68, Zweifel hatte man nur, ob der Gläubiger auch ohne Verschuldensnachweis den ganzen Schaden verlangen könne. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 fand sich die gemeinrechtliche culpa-Haftung in ALRI5 § 285: „Wer bei Abschließung oder Erfüllung des Vertrages seine Pflichten vorsätzlich, oder aus groben Versehen, verletzt hat, muß dem anderen sein ganzes Interesse vergüten."

Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift findet sich eine weitere aufschlußreiche Bestimmung: „In der Regel müssen die Verträge nach ihrem ganzen Inhalt erfüllt werden." (ALRI5 § 270)

Dazu wird in der Literatur ausgeführt, daß die Erfüllung nach Treu und Glauben genau und vollständig dem Vereinbarten entsprechen müsse, zum Inhalt der Obligation gehöre dabei insbesondere die custodia, d.h. die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Mit ausdrücklichem Hinweis auf diese Vorschrift wird die Verpflichtung beschrieben, alles zu vermeiden, was dem anderen Teil Schaden bringen könnte69. Diese Vorschrift erfaßte damit alle Fälle, die heute mit der cic und der pFV gelöst werden müssen. Da nach der Regelung des ALR die Verpflichtung zum Schadensersatz nicht an eine irgendwie geartete typisierte Störungsform gebunden ist, lag ein umfassender, allgemeiner Haftungstatbestand für alle schuldhaften Pflichtverletzungen vor 70. 65 Vgl. aber die umfassende Arbeit von Wollschläger zur Entstehung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts; aufschlußreich auch Jakobs, Unmöglichkeit S. 112 ff. und Blaurock S. 51 ff., der wichtige Entwicklungslinien der culpa-Haftung und ihr Verhältnis zur Unmöglichkeit nachzeichnet. 66 Eine Befreiung des Schuldners trat nur bei Zufall, casus fortuitus ein. 67 Die Unmöglichkeit spielte als unmittelbarer Haftungs- oder Befreiungstatbestand insofern keine Rolle, vgl. insgesamt zum älteren gemeinen Recht Wollschläger S.40ff. 68 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts Bd. 2 9. Aufl. § 394. 2 mit Darstellung des damaligen Meinungsstandes. 69 Nachweise der entsprechenden Literatur jeweils bei Himmelschein in AcP 158 (1959/60) S. 273 ff., 291 (posthum). 70 O. Fischer führt in seinem Lehrbuch des preußischen Privatrechts aus: „... Soweit hiernach wegen Mängeln der Erfüllung und wegen sonstiger durch Verletzung der durch den Inhalt des Verhältnisses begründeten Pflichten herbeigeführten Nachteile den Schuldner ein vertretbares Verschulden trifft, hat derselbe wegen Nichterfüllung, bei Verträgen zur Unterlassung

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Im 19. Jahrhundert gewann die Lehre von der Unmöglichkeit durch Friedrich Mommsen71 an Bedeutung, doch auch die Lehre Mommsens baute auf den Resultaten der gemeinrechtlichen Wissenschaft auf, die die Frage der Haftung des Schuldners für Pflichtverletzungen nach den subjektiven Kriterien des dolus und der culpa löste. Mommsen wollte diesen subjektiven Haftungstatbestand, insbesondere im Hinblick auf nachträgliche Leistungshindernisse durch ein objektives Kriterium ergänzen, was er in der Unmöglichkeit der Leistungserbringung fand 72. In der Pandektenwissenschaft ist die umfassende Haftung der Vertragspartner wohl nie als besonderes Problem empfunden worden, denn sie war nie Gegenstand besonderer Erörterung 73. Brinz stellt 1879 fest, daß Pandektisten wie Puchta und Keller, Arndts und Windscheid ohne nähere Differenzierungen nur von der „Verletzung der Verbindlichkeit" sprechen; Brinz selbst umschreibt den Kreis der haftungsbegründenden Tatbestände dahingehend, daß Schädigungen des Gläubigers durch Unterlassung oder in der Ausführung des Geschäftes möglich seien, also durch „Unmöglichmachung,... Entwertung, durch Unterlassen oder unrichtige Ausführung einer Leistung."74 Kipp faßt 1906 in seiner Bearbeitung des Lehrbuches von Windscheid im Hinblick auf typische Begleitschadensfälle rückblickend zusammen, „daß man in der gemeinrechtlichen Literatur wohl nie bezweifelt (hat), daß der Schuldner im Falle seines Verschuldens auch für derartige Schäden haftet ,.."75 und Dernburg 76 reduziert 1903 in der letzten Bearbeitung des gemeinen Rechts die gesamte Darstellung des Problèmes auf die Sätze: „Regel des entwickelten Rechtes ist, daß der Kontraktschuldner für jede, also auch für leichte Verschuldung einsteht. Und zwar gilt dies nach jeder Seite hin (...) Er haftet also, wenn er schuldhafterweise nicht erfüllt, oder nicht gehörig erfüllt oder wenn er sonst bei der Ausführung des Vertrages schuldhafterweise Schäden anrichtet."77 Daß die allgemeine Haftung des Schuldners für schuldhafte Pflichtverletzungen auch der gerichtlichen Praxis der damaligen Zeit entsprach, ist andernorts schon dargelegt worden78.

und Duldung wegen Zuwiderhandlung das Interesse zu vergüten." (Nachweise bei Himmelschein in AcP 158 S.273,291). 71 Der seinerseits von C.- F. von Savigny beeinflußt war. 72 Eingehend Jakobs, Unmöglichkeit S. 117 ff. 73 Vgl. Himmelschein in AcP 158 (1959/60) S.273, 291 f. i.V.m. Fn.17. 74 Brinz S. 250, Nachweis bei Himmelschein in AcP 158 (1959/1960) S.271, 291 i.V.m. Fn.17. 75 Windscheid § 265. 8; vgl. auch MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 220. 76 Pandekten Bd.2,7. Aufl. 1903 §37.1 mit Fn.l. 77 Ebenso schon in der 4. Aufl. 1894, vgl. Leiser in FS für Carolsfeld S.299,301. 78 Himmelschein, AcP 158 S.271, 295ff. mit Beispielen aus der oberinstanzlichen Rechtsprechung.

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB

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Dieser kurze - und notwendigerweise lückenhafte - Blick zurück mag illustrieren, daß die Existenz eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes, wie Staub ihn 1902 aus der Analogie zu § 286 BGB ableitete, einer langen und offenbar verbreiteten Rechtsanschauung entsprach. Die Redaktoren und Kommissionsmitglieder, die die Vorarbeiten zur Kodifizierung eines BGB aufnahmen, betraten also insoweit keinesfalls juristisches Neuland, sondern bewegten sich auf einem in Wissenschaft und Praxis durch viele Jahrzehnte hin aufgearbeiteten und fruchtbaren Boden. Daß die an den Gesetzgebungsarbeiten Beteiligten mit dieser Rechtsanschauung und ihren tiefgehenden Wurzeln vetraut waren, bedarf wohl keines weiteren Nachweises als den, daß es für sie geltendes, lebendiges Recht war 79.

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB Es verwundert deshalb auch nicht, daß sich eben dieser allgemeine Haftungstatbestand gleich zu Beginn der Gesetzgebungsarbeiten80 als Teil der Vorschriften über die Wirkungen der Schuldverhältnisse im Allgemeinen wiederfindet.

1. Der Teilentwurf des Philip von Kübel § 2761 BGB ist zunächst zurückzuführen auf den 1882 von Philipp von Kübel verfaßten Teilentwurf für das Recht der Schuldverhältnisse. Normiert ist dort (Abschn. I Titel 31 §197): 79 Es läßt sich jedoch auch einfach anhand der zahlreichen Materialien zu den Gesetzgebungsarbeiten zeigen, für den hier interessierenden Bereich etwa in den Motiven II S. 228 f. und 232 (= S. 128, 129 bei Mugdan): Dort ist die Diskussion des zeitgenössischen gemeinrechtlichen Rechtszustandes mit weiterführenden Nachweisen wiedergegeben, die oben zitierten Literaturansichten und Vorschriften sind Gegenstand dieser Diskussion. 80 Zu Recht bemerkt Jakobs (Unmöglichkeit S. 17 i. V. m. Fn.16), es sei eine nicht leicht zu erklärende Tatsache, daß in dem Streit um die pFV die Entstehungsgeschichte des §276 BGB bis zu der Abhandlung von Himmelschein 1932 (in AcP 135 S.253 ff.) nie herangezogen worden ist und auch später (durch Heck in AcP 137 S. 259 ff. = 1933) nur noch ein Mal (in Erwiederung zu den Ausführungen Himmelscheins) im Rahmen der Auseinandersetzung um einen allgemeinen Haftungstatbestand untersucht wurde. Himmelschein ebenda S. 315,316 versucht dies mit der geschichtsfeindlichen Wirkung einer jeden Kodifikation und der Ablösung der historischen Schule durch die Begriffsjurisprudenz zu erklären. Im Anschluß an Jakobs, der 1969 diesen unentbehrlichen Begründungsansatz wieder aufgriff (Unmöglichkeit S. 17 ff.) ist die Gesetzgebungsgeschichte jedoch erneut in den Blickpunkt gerückt; vgl. ζ. B. Westhelle S. 16ff.; Evans-von Krbek in AcP 179 (1979) S. 89, 105; Huber in FS für von Caemmerer S. 837, 840ff. und Gutachten S.759f., 780f.; Jakobs, Unmöglichkeit S. 17ff. und Gesetzgebung S. 16ff.; Wollschläger S. 180; Picker in AcP 183 S. 369,467ff.; Soergel-Wiedemann, vor § 275 Rn 350; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 3f.; Weber/Will-Kern in JZ 1981 S. 257,260f.; Neumann S.45 ff.; Brüggemeier auf dem DJT 1994 Bd.n/1, Referat Κ 56ff.

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

§ 197: „Die in einem Schuldverhältnisse Stehenden haften sich gegenseitig nicht nur für absichtliche Verschuldung, sondern selbst für geringe Fahrlässigkeit. Letztere verschuldet, wer nicht diejenige Sorgfalt anwendet, welche ein sorgsamer Hausvater anzuwenden pflegt."

Diesem allgemeinen Haftungstatbestand, der nahtlos an die soeben wiedergegebenen zeitgenössischen Ansichten anschließt, geht eine Vorschrift voraus, die den Inhalt des Schuldverhältnisses umreißt, also die Verpflichtungen, für deren Verletzung nach § 197 gehaftet wird. § 196 lautet: § 196: „Die in einem Schuldverhältnis Stehenden sind sich gegenseitig verpflichtet, die daraus für sie entspringenden Verbindlichkeiten redlich und treu und unter Aufwendung derjenigen Sorgfalt zu erfüllen, welche sie versprochen haben oder zu welcher sie gesetzlich verpflichtet sind."81

Zusammen ergeben diese Vorschriften also die umfassende Haftung der Vertragspartner für jegliche Pflichtverletzung.

2. Der Kommissionsentwurf Die Teilentwürfe (auch Redaktorenvorlage genannt) dienten der Ersten Kommission im Gesetzgebungsverfahren als Beratungsgrundlage82 für ihren Kommissionsentwurf von 1885 (Erste Berathung). Die Vorschriften der §§ 196, 197 des Teilentwurfes von Kübelfinden sich hier, inhaltlich unverändert, aber aufgegliedert in verschiedene Paragraphen und an verschiedenen Stellen wieder. Die Haftungsnorm des § 197findet ihre Entsprechung in § 222. Diese Vorschrift steht zu Beginn des zweiten Titels (= Inhalt der Schuldverhältnisse) des I. Abschnittes (= Verpflichtung zur Leistung) und lautet: § 222: „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnis ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht blos wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit."

Die sprachliche Umformulierung des § 197 des Teilentwurfes in § 222 des Kommissionsentwurfes geht auf einen Antrag von Windscheid zurück und enthält keine inhaltliche Änderung83. Die Kennzeichnung der Fahrlässigkeit als geringe erschien überflüssig 84, die Umschreibung der Fahrlässigkeit war nicht mehr im Allgemeinen Teil des Schuldrechts enthalten, weil auch andere Vorschriften von Fahrlässigkeit 81

Abdruck der Vorschriften im Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich; Recht der Schuldverhältnisse, Bd. I Allg. Theil 1882. In den anschließenden §§ 198-200 a werden die verschiedenen Verschuldensgrade (der gemeinrechtlichen Lehre der culpa lata, culpa levis etc. entsprechend) dargelegt. 82 Vgl. im einzelnen bei Schubert, Einl. zu den Vorentwürfen der Redaktoren zum BGB; Schuldrecht Bd.I, S.IXff. 83 Jakobs/Schubert, Bd.I §§241 bis 432, S.237. 84 Ebenda S.239f.

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB

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handelten. Deshalb wurde mit §§144, 145 die Definition der Fahrlässigkeit in den Allgemeinen Teil des Gesetzes aufgenommen85. In § 356 des zweiten Abschnittes (= Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften unter Lebenden; Erster Titel: Allgemeine Vorschriften; ΙΠ: Inhalt der Schuldverhältnisse aus Verträgen) findet sich § 196 des Teilentwurfes wieder, der den Vertragsinhalt festlegt: § 356: „Der Vertrag verpflichtet den Vertragsschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treu und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergibt."

Die Definition der Fahrlässigkeit (im Teilentwurf § 197 S. 2) hat ihren Platz jetzt in § 145 und lautet: § 145: „Fahrlässigkeit liegt vor, wenn nicht die Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters angewendet worden ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters in besonders schwerer Weise vernachlässigt wurde."86

Die Vorentwürfe des Redaktors von Kübel sind also in den Kommissionsentwurf inhaltlich unverändert übergegangen, ihre neue Aufteilung beruht lediglich auf systematischer Notwendigkeit, die sich aus dem Gesamtentwurf ergab. Der allgemeine Haftungstatbestand ist § 222 des Kommissionsentwurfes, konkretisiert wurde sprachlich nur die Wiedergabe der alten culpa-Haftung in § 197 des Teilentwurfes („...haften für Verschulden und Fahrlässigkeit") zur Haftung wegen vorsätzlicher und fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit.

3. § 224 des Ersten Entwurfes Dem Kommissionsentwurf von 1885 folgte 1887 der sog. Erste Entwurf 87. Alle oben zitierten Vorschriften werden dort wörtlich übernommen88, wieder kommt es jedoch zu kleinen systematischen Verschiebungen: § 145 wird versetzt und ist jetzt § 144 EI 8 9 ; § 356 wird zu § 359 E I 9 0 und § 222 behält seinen Platz am Anfang des zweiten Titels, trägt aber jetzt die Paragraphennummer § 224.

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Ebenda S. 238. Vorschriften zitiert nach W. Schubert (Hrsg.): Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines Büigerlichen Gesetzbuches; Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches. 87 „Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, ausgearbeitet von der in Folge des Beschlusses des Bundesrathes vom 22. Juni 1874 eingesetzten Kommission. Erste Lesung." (in Schubert S.645 ff.). Im folgenden abgekürzt als EI. 88 § 222 erhält einen auf die §§ 708,709 (= § § 827,828 BGB) verweisenden Zusatz, der hier außer acht gelassen werden kann. 89 Diese Vorschrift entspricht dem heutigen §27612 BGB. 90 Diese Vorschrift entspricht im wesentlichen den heutigen §§157 und 242 BGB. 86

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung a) § 224 E I als allgemeiner Haftungstatbestand

§ 224 EI: „Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnisse ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht blos wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit." Daß der Schuldner haftet, kann nach Stellung und Zusammenhang der Vorschriften nichts anderes bedeuten, als daß er Schadensersatz leisten muß91. Denn wenn der Schuldner nach Satz 1 dieser Vorschrift zu „vollständiger" Leistung verpflichtet sein soll, dann versteht sich die Haftung des Schuldners bei unvollständiger Leistung gemäß Satz 2 der Vorschrift von selbst, da sie eine teilweise Nichterfüllung der Verbindlichkeit ist. In den Motiven wird erläutert, daß die Leistung „unvollständig" bewirkt ist, wenn nicht der „Verpflichtung ihrem ganzen Umfang nach, insbesondere auch in Ansehung aller Nebenpunkte" nachgekommen wird 92. Dabei sei es „weder dem Gesetz, noch für die Regel dem Geschäftsverkehr möglich, den Umfang und Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu umschreiben, vollständig (lasse) sich der Inhalt einer Leistungsverbindlichkeit nur im konkreten Fall erkennen, mittels Auslegung des Gesetzes bzw. Rechtsgeschäftes, auf dem die Verbindlichkeit beruht (vgl. §§ 73, 359)."93 Haftungsgrund nach § 224 E I ist also die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht. Diese ergibt sich aus dem Begriff des vollständigen Bewirkens, wie die Kommission ihn ausweislich der Materialien verstand. Die Kommission sah im vollständigen Bewirken nämlich nicht nur die Erfüllung der Leistungspflicht, sondern auch die umfassende Sorgfalt (custodia) des Schuldners zum Schutz der Güter des Gläubigers. Eine ausdrückliche, im Zusammenhang mit §224 E I als Grundtatbestand für Pflichtverletzungen stehende Normierung allgemeiner Nebenpflichten, die dem Schutz des Gläubigers und des Schuldners dienen, erschien den Verfassern jedoch als überflüssig, sie sollten in jedem einzelnen Fall durch Auslegung des Parteiwillens gefunden werden bzw. wurden stellenweise bei den einzelnen Schuldver91

Vgl. MüKo-Emmerich, vor §275 Rn 3 f.; grundsätzlich abweichend Heck in AcP 137 (1933) S. 259,262ff. Nach ihm enthielt § 224 E I S. 2 - wie auch in seiner endgültigen Fassung als § 2761 BGB - eine bloße Regelung des Haftungsmaßstabes, aber keine Rechtsfolgenanordnung. Dem zustimmend wohl nur Westhelle, S. 87 ff. Noch anders jüngst aber Neumann (S.47 ff., 51 f. zu den §§275,276 BGB), nach der § 22412 EI (wie auch heute § 27612 BGB) die Regelung enthält, daß keine Schuld und demzufolge auch keine Forderung auf Naturalerfüllung besteht, wenn der Schuldner den Leistungserfolg bei Beobachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht herbeiführen könne. Das Freiwerden des Schuldners setze entgegen der herrschenden Ansicht keine Unmöglichkeit voraus, folglich sei § 2751 BGB auch keine Norm des Unmöglichkeitsrechts, sondern eine solche des Vertretenmüssens, da sie Auskunft darüber gebe, wann eine Haftung des Schuldners nicht bestehe. 92 Motive II S. 27 = Mugdan II, Motive S. 14. 93 §§73, 359 E I = §§ 133,157,242 BGB.

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB

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hältnissen normiert 94, worauf im Verlauf der Arbeit schon ausführlich eingegangen wurde95. Wie im Kommissionsentwurf beinhaltet also auch der erste Entwurf zum BGB einen allgemeinen Haftungstatbestand, der zusammen mit den Vorschriften über den Umfang der Verpflichtung im Schuldverhältnis eine umfassende Haftung der Vertragspartner für Pflichtverletzungen normiert 96. b) § 240 E I und die Bedeutung der Unmöglichkeit In diesem Zusammenhang gewinnt eine zweite Vorschrift an Bedeutung, die deshalb an dieser Stelle in das Blickfeld zu rücken ist. Es handelt sich dabei um § 240 EI, den Vorläufer des heutigen § 280 BGB: § 240 EI: „Kann der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht erfüllen, weil die ihm obliegende Leistung in Folge eines von ihm zu vertretenden Umstandes ganz oder teilweise unmöglich geworden ist, so ist der Schuldner verpflichtet, dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung der Verbindlichkeit verursachten Schaden zu ersetzen."97

Diese Vorschrift diente der strikten Trennung und Unterscheidung der Haftung auf Ersatz des Ausgleichsinteresses neben der Primärleistung von der Haftung auf Schadensersatz anstelle des Primärleistungsanspruches (Schadensersatz wegen Nichterfüllung). Durch diese Trennung soll die Durchführung einer der Grundentscheidungen des BGB gewährleistet werden: Der strenge Zwang zur Primär- oder Naturalerfüllung in forma specifica. Der Schuldner hat grundsätzlich in natura, d.h. genau so, wie er es versprochen hat, zu leisten; Schadensersatz ist demgegenüber als Ersatz des primär Geschuldeten erst sekundärer Gegenstand der Obligation, die Wahl zwischen Primärleistung und Schadensersatz steht dem Schuldner nicht zu98. Dieses Prinzip des Erfüllungszwanges oder der Naturalerfüllung ist im BGB zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, liegt dem Schuldrecht aber insofern zugrunde, als in seinen Regelungen durchgehend ein Anspruch auf eine andere als die im Schuldverhältnis geschuldete Leistung nur unter besonderen Voraussetzungen entsteht. Nur sekundär treten an die Stelle der primären Erfüllungsansprüche unter diesen Voraussetzungen Ansprüche auf Schadensersatz und werden durch eben diese Voraussetzungen als sekundär gekennzeichnet. Weder hat der Gläubiger ohne weitere Voraussetzungen 94

Bei diesen haben die Verfasser des ersten Entwurfes eine Vielzahl einzelner Obhuts-, Fürsorge·, Anzeige- und sonstiger Soigfaltspflichten normiert; vgl. die Aufzählung der Vorschriften bei Kress S. 7f. und S.580 sowie die weiteren Nachweise in Fn.6. 95 Unten §312 und 3. 96 Dadurch werden sämtliche, von Staub später als pVV bezeichneten Fälle erfaßt. 97 Zur Entstehungsgeschichte der Unmöglichkeitsvorschriften vor Beginn der Gesetzgebungsarbeiten vgl. die umfassende Monographie von Wollschläger und die Dissertation von Hoffmann-Burchardi. 98 Eine umfassende Darstellung zur Entstehung des Erfüllungszwanges im Schuldverhältnis gibt beispielsweise Rütten in der FS für Gemhuber S. 939ff.

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

als die, die das Schuldverhältnis begründen, einen solchen sekundären Anspruch, noch hat der Schuldner ohne weiteres die Möglichkeit, seine Verbindlichkeit durch eine andere als die geschuldete Leistung zu erfüllen. Die Verfasser haben sich ganz bewußt im Hinblick auf andere Rechtsordnungen und die dort auftretenden Streitigkeiten für diesen Vorrang der Primärleistung entschieden": „Durch den § 240 in Verbindung mit §§ 242,243 100 ist weiter der Grundsatz des französischen und schweizerischen Rechtes abgelehnt, wonach sich die Verbindlichkeit, etwas zu thun, im Falle des Verzuges sofort in die Verbindlichkeit zum Schadensersatz auflöst 101. Nur wenn die gänzliche oder theilweise Unmöglichkeit der Leistung feststeht bzw. auf dem Weg des § 243 102 kann der Gläubiger das Interesse wegen Nichterfüllung fordern. (...) Aus den §§240, 243, wie aus § 224 103 folgt auch, daß der Schuldner nicht nach seinem Belieben etwa dem Gläubiger statt der Naturalerfüllung die Leistung des Interesses aufdrängen kann." Hinzuzufügen ist, daß dementsprechend auch der Gläubiger nicht Schadensersatz statt Naturalerfüllung verlangen darf; beide Teile sind an die Primärleistung gebunden. Diese verwandelt sich also nur unter ganz besonderen Voraussetzungen in eine Schadensersatzpflicht, bloße Nichterfüllung bewirkt diese Umwandlung noch nicht, da sie ja die geschuldete Primärleistung noch nicht ausschließt. Dies ist jedoch bei Eintritt der Unmöglichkeit der Fall, die Erfüllung der Primärleistungspflicht ist endgültig ausgeschlossen104; und ist der Eintritt der Unmöglichkeit zu vertreten, weil sie auf einer Pflichtverletzung des Schuldners beruht, so ver99

Mot II, S. 49 = Mugdan II, S. 27. §§ 242, 243 E I = §§ 280II, 283 BGB. 101 Vgl. Code Civil Art. 1142: „Toute obligations de faire ou de ne pas faire se résout en dommages et intérêts en cas d'inexécution de la part du débiteur." Nach dieser Vorschrift verwandelt sich eine auf eine Handlung gerichtete Verbindlichkeit im Falle der Nichterfüllung also in den Anspruch auf Schadensersatz, der Schuldner hat es damit in der Hand, dem Gläubiger den Schadensersatz statt der Primärleistung aufzudrängen. (Vgl. auch § 111 des Schweizerischen Obligationenrechtes.) In dieser Regelung findet sich das alte Prinzip des „nemo cogi potest ad factum"; vgl. zu Art 1142 Code Civil auch eingehend Jakobs, Unmöglichkeit S. 193ff. und Rütten in FS für Gernhuber, S. 939, 945 f. Auch im angelsächsischen Rechtskreis ist der Vorrang des Anspruchs auf Naturalerfüllung (specific performance) die Ausnahme; aus dem Bruch des Erfüllungsversprechens (breach of contract) entsteht regelmäßig ein Anspruch, der grundsätzlich nur auf Schadensersatz in Geld geht; vgl. zum Beispiel die rechtsvergleichende und historische Darstellung bei Stathopoulos in AcP 194 (1994) S. 543 ff. 102 §243 E I = §283 BGB. 103 Die Verfasser des ersten Entwurfes verweisen damit auf den Haftungsgnmdsatz des § 224 EI, setzen diesen also ausdrücklich in Beziehung zum Problem des Vorrangs des Primärleistungsanspruches. 104 Eben diese Funktion hat auch schon Mommsen im Auge, wenn er die Unmöglichkeit als objektives Element im Rahmen der subjektiven culpa-Haftung benutzt. Ihm ging es in erster Linie darum, mit der Unmöglichkeit einen scharf abgrenzbaren Begriff für die Befreiung von der Primärleistungspflicht herauszuarbeiten (eingehend dazu Jakobs, Unmöglichkeit S. 112ff., 117 ff.). 100

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum BGB

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wandelt sich die Primärleistungspflicht in eine Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung 105. Der Schuldner bleibt also zur Erbringung der Primärleistung verpflichtet; der Gläubiger auf diese beschränkt, solange sie noch möglich ist106.

4. Zweite Kommission Die zweite Kommission billigte 1891 den vorgeschlagenen §2241 S.2 E I „im Prinzip", sie beauftragte aber die Redaktionskommission zu prüfen, ob sich bei der Formulierung der Bestimmung nicht klarstellen lasse, daß der Schadensersatz wegen Nichterfüllung, also anstelle der Primärleistung nur in den gesetzlich besonders geregelten Fällen verlangt werden könne. Wörtlich heißt es107: „Der Satz 2 des Absatzes I wurde gebilligt; der Prüfung durch die Redaktionskommission blieb anheimgegeben, ob sich nicht durch eine andere Fassung verdeutlichen lasse, daß die Frage, unter welchen Voraussetzungen als feststehend gelte, daß die Verbindlichkeit nicht erfüllt werde, und das Schadensersatz wegen Nichterfüllung gefordert werden könne, nicht hier, sondern erst in den §§ 237 ff. 108 zur Entscheidung gelange." Offenbar befürchtete man also bei den Beratungen der zweiten Kommission, daß § 2241 S. 2 des ersten Entwurfes dahingehend mißverstanden werden könnte, daß der Gläubiger die Nichterfüllung ohne weiteres zum Anlaß nehmen dürfe, sofort Schadensersatz wegen Nichterfüllung anstelle der Primärleistung zu verlangen, der 105

In diesen Rahmen passen sich dann auch mühelos die §§283, 326 BGB ein; bei diesen Vorschriften liegt zwar keine Unmöglichkeit i.S.d. §§ 280,323,324f BGB vor; jedoch muß es reichen, wenn die endgültige Nichterfüllung der Primärleistung ebenso wie bei der Unmöglichkeit als feststehend gilt (vgl. die oben zitierten Passagen der Motive und Jakobs, Unmöglichkeit S. 48 ff., 261 ff.), was beim Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 283, 326 BGB der Fall ist. 106 Dasselbe Ergebnis des Gläubigerschutzes wurde in der Vergangenheit auf anderem Wege erreicht, nämlich durch die sog. „perpetuatio obligationis" (vgl. Jakobs, Unmöglichkeit S. 178ff. m.w.N.; Wieacker in FS für Nipperdey S.783, 795f., 802ff.). Nach dieser wurde - vereinfachend gesagt - im Falle eines dem Schuldner zurechenbaren Sachunterganges der Fortbestand der Sachefingiert, um die eigentlich aus den strengrechtlichen Formeln folgende Konsequenz des Freiwerdens des Schuldners zu vermeiden, da diese voraussetzten, daß die zu gebende Sache noch existiert. (Etwas anders insoweit Jakobs, S.48ff., 261 ff., der - wohl zutreffend - die Fiktion des Fortbestandes auf die Obligation i. S. des Verpflichtung und Haftung umfassenden Rechtsverhältnisses bezieht.) Bei dieser Konstruktion ist die Gefahr, daß der Schuldner dem Gläubiger das Interesse statt der ursprünglich geschuldeten Leistung aufdrängt, gebannt, denn die Primärleistungspflicht wird als fortbestehend betrachtet. Den Verfassern des ersten Entwurfes war diese Möglichkeit gegenwärtig, gleichwohl lehnten sie dieses Konstrukt ab, es sei „doktrinär und nicht ganz unbedenklich, vom Fortbestand der Obligation zu reden, da, so wichtig die Annahme der Fortdauer der Obligation ist, die Verbindlichkeit zum Schadensersatz e jedenfalls einen anderen Gegenstand hat." (Mot. II S. 50 = Mugdan II Mot. S. 27). Zu Kodifikationen, die im 19. Jahrhundert die Figur der perpetuatio obligationis verwendeten (z.B. §721 des Sächsischen BGB) siehe Hoffmann-Burchardi S. l l l f . und Wollschläger S. 176. 107 Protokolle I, S. 607ff., 609 = Mugdan II, Protokolle S.521 ff. 108 Die §§ 237ff. entsprechen den 275,280 BGB.

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

Primärleistungsanspruch sich also ohne weiteres in einen Geldanspruch umwandle. Undeutlich war nach Auffassung der zweiten Kommission mit anderen Worten geblieben, daß die Sekundärleistungspflicht wegen Nichterfüllung so lange ausgeschlossen sein soll, wie das endgültige Ausbleiben der Primärleistung noch nicht feststeht. Nur diese Undeutlichkeit zu beseitigen war damit Auftrag der Redaktionskommission. Die Zerstückelung des § 224 E I durch die Redaktionskommission Die Redaktionskommission hingegen beseitigte § 2241 E I an seinem ursprünglichen Platz und ersetzte ihn durch die §§ 157,242 BGB und die heutige Bestimmung des § 2761 S. 1 BGB 109 : „Der Schuldner hat, sofern nichts anderes bestimmt ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten." Im Vergleich zu § 2241 S. 2 des ersten Entwurfes fehlen in § 2761 S. 1 BGB die Worte „wegen Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit"; ferner heißt es hier nicht mehr, der Schuldner „hafte", sondern er habe „zu vertreten" 110 und vor allem befindet sich diese Vorschrift nicht mehr an der Spitze eines Abschnitts „Inhalt der Schuldverhältnisse", sondern sie steht im Anschluß an § 275 BGB, an die Regelung also, daß der Schuldner bei von ihm nicht zu vertretender Unmöglichkeit von seiner Leistungspflicht frei sein soll. Die als grundlegender Haftungstatbestand gedachte Vorschrift erscheint nun als das „Anhängsel" zur Unmöglichkeit, während das Verhältnis eigentlich das umgekehrte sein sollte: Die Unmöglichkeitsvorschriften sollten ein Zusatz sein, der in Ergänzung des allgemeinen Haftungstatbestandes das Verhältnis der Primärleistung zur Sekundärleistung regeln soll.

a) Verzicht auf die Normierung von Grundsätzlichem

im BGB

Auch die Redaktionskommission konnte kaum übersehen, daß es in § 2241 des ersten Entwurfes nicht nur um den Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit ging, sondern auch um den nur teilweisen Ersatz des Erfüllungsoder Integritätsinteresses infolge einer Schutzpflichtverletzung bei fortbestehender Primärleistungspflicht. Durch die Neufassung bzw. Aufspaltung des § 2241 des ersten Entwurfes war deshalb wohl auch keinesfalls ein eigenmächtiger Bruch mit der anerkannten culpa-Haftung beabsichtigt. Naheliegender ist es, daß dieser Haftungsgrundsatz der Redaktionskommission so selbstverständlich erschien, daß sie seine Normierung als überflüssig empfand und sich darauf beschränken wollte, mit den 109

= §238 EI. § 276 Abs.II BGB spricht noch, wie zuvor § 224II E I davon, daß die „Haftung" wegen Vorsatz im Voraus nicht erlassen werden könne. Ein möglicher Grund für die unterschiedlichen Fassungen von § 276 Absatz I und Absatz II könnte sein (vgl. Himmelschein in AcP 135 -1932S. 253,278), daß der Ausdruck „zu vertreten haben" wegen der Gefahr der Verwechslung mit der Stellvertretung nicht substantivisch gebraucht werden sollte. 110

VI. Der allgemeine Haftungstatbestand in den Vorarbeiten zum B G B 3 9 7 Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug lediglich besondere Ausformungen dieser Grundregel aufzuzeigen. Bei der Unmöglichkeit besteht die Abweichung zur Grundregel, die zur eigenständigen Normierung drängt darin, daß die sekundäre Haftung auf das positive Interesse an die Stelle der primären Leistungspflicht tritt; beim Verzug hingegen ergibt sich diese Abweichung daraus, daß für die Haftung zu der schuldhaften Pflichtverletzung noch die erfolglose Mahnung als weitere Voraussetzung hinzutreten muß. Ein solches Vorgehen ist für die ähnlich zentrale Frage des Rücktrittsrechtes anschaulich in den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren des BGB dokumentiert. Zu § 360 EI, der grundsätzlich den Rücktritt vom gegenseitigen Vetrag verbietet, findet sich in den Motiven zunächst die Betonung der Grundregel: „Die Aufnahme des § 360... war besonders im Hinblicke auf die Natur des gegenseitigen Vertrages unerläßlich. (...) Die gesetzlich gestatteten Fälle des Rücktritts bilden hiernach vom Standpunkt des Entwurfes aus die Ausnahme von der Regel; um so mehr war die Letztere im Interesse des Klarheit des Gesetzes auszusprechen."111 Die zweite Kommission hingegen beschloß die Streichung der Grundregel und führte zu § 360 E I aus112: „Man hielt seinen Inhalt an sich für selbstverständlich und sah in dem Umstände, daß in einem Theile des Reiches zur Zeit eine abweichende Regel gelte umsoweniger einen hinreichenden Grund für die Beibehaltung der Vorschrift, als die nachfolgenden Bestimmungen über die Zulässigkeit des Rücktritts in bestimmt bezeichneten Fällen die Regel des § 360 unschwer erkennen ließen." Die Auffassung, daß der Gesetzgeber es gerade wegen der Selbstverständlichkeit eines allgemeinen Haftungstatbestandes als überflüssig erachtete, einen solchen zu normieren, findet sich schon früh in der Literatur. So schreibt Lehmann 1911113, daß man diesen Grundsatz dem Gesetzgeber als einen selbstverständlichen, in seiner Allgemeinheit nicht ausgesprochenen zuschreiben müsse, eine Ausgestaltung der Ersatzpflicht im allgemeinen Teil des Rechts der Schuldverhältnisse erscheine eben nicht nötig. Allein deshalb seien diese Fälle im Gesetz nicht besonders geregelt, nicht aber, weil die Rechtsfolge der Ersatzpflicht abgelehnt werden solle. In diesem Sinne äußert sich auch Jakobs114. Jakobs sieht die Gründe für das Vorgehen der Redaktionskommission keineswegs in einem Versehen, sondern in einer bewußten Entscheidung. Die Verfasser hätten hinsichtlich des Maßstabes der Verständlichkeit des Gesetzes einen Juristen im Auge gehabt, der in der Gegenwart jedenfalls nicht in genügendem Maße zufinden sei. Aufgabe der Kodifikation sei es gewesen, den sich von selbst verstehenden Grundsatz durchzuführen und im Gesetz sei deshalb nur zu denjenigen Fragen etwas zu sagen, deren Entscheidung durch die Prinzipien nicht mit Selbstverständlichkeit gegeben ist. Das Fehlen eines solchen 1,1 112 113 114

Motive S. 198f. (in Mugdan II S. 109). Protokolle S. 1253 (= Mugdan II Protokolle S.630). Unterlassungspflichten, S.276f. Gesetzgebung, Seite 16 ff.

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ausdrücklichen Grundtatbestandes reduziere sich damit fast auf eine Geschmacksfrage 115. b) Verzicht auf die Normierung von Grundsätzlichem im Kommissionsentwurf der Schuldrechtskommission Auch die Schuldrechtskommission stand bei der Umsetzung ihrer Vorschläge vor eben dieser gesetzestechnischen Entscheidung zwischen der ausdrücklichen Normierung von Selbstverständlichkeiten um der Deutlichkeit willen und dem Verzicht auf Normierung gerade wegen der Selbstverständlichkeit. Im Abschlußbericht116 läßt sich das prägnant beispielsweise an der Entstehungsgeschichte des §279 KE 1 1 7 verfolgen. Dort wird zunächst Bezug auf den Vorgutacher Huber genommen und dargelegt, daß Huber § 279 BGB als „überflüssig und irreführend" hatte streichen wollen. Trotz dieser „Überflüssigkeit" hat sich die Kommission bei ihren Beratungen jedoch letzlich - und im Gegensatz zur damaligen Redaktionskommission des BGB bei den § 224 E I und § 360 E I - nicht für den Verzicht, sondern für die ausdrückliche Normierung entschieden. Der Abschlußbericht erläutert: „Auch die Kommission ist lange Zeit für eine Streichung des § 279 BGB eingetreten. Doch sind später Zweifel aufgetreten, ob eine ersatzlose Streichung nicht zu einem Mangel an Deutlichkeit gegenüber dem geltenden Recht führen würde. (...) Ein ersatzloser Wegfall könntes... zu Irritationen führen. Daher hat sich in der Kommission schließlich die Meinung durchgesetzt, § 279 BGB in wesentlich veränderter Fassung beizubehalten."118 c) Das heutige Verständnis

des §276 BGB

Angesichts der ergiebigen Materialien zu §2241 E I besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß bis zur Arbeit der Redaktionskommission keinesfalls nur eine Definition des zivilrechtlichen Haftungsmaßstabes gewollt war 119; die Auseinanderset115

Ebenda, S. 18. Bericht, S. 127. in § 279 KE entspricht dem §279 BGB in seinem heutigen Verständnis als die Haftung für Beschaffungsschulden betreffend. 116

118 Die Entscheidung für dieses Vorgehen entspricht dem Anliegen der Schuldrechtskommission, das Gesetz klarer, einfacher und gradliniger zu gestalten, kurz: „besser lesbar" zu machen (vgl. das Kommissionsmitglied Heinrichs, Vortrag S. 8 f. und 34). Die gleiche Entscheidung liegt dem Eingangssatz des § 275 KE zugrunde, der Geldschulden von der Regelung der Grenze der Leistungspflicht ausnimmt. Der Grundsatz, daß Geldmangel den Schuldner nicht entlastet, ist auch dem geltenden Recht selbstverständlich und wird mangels ausdrücklicher Normierung gelegentlich in § 279 BGB angesiedelt. 119 Himmelschein ist also uneingeschränkt zuzustimmen, wenn er (in AcP 158 -1959/60S.273, 293) ausführt: „ E i n e Theorie, die die angebliche Lückenhaftigkeit des Gesetzes aus... mangelnder Erkenntnis der Verfasser erklären will, baut daher auf ganz sandigem Grund."

VII. Das Reichsgericht und § 276 BGB als Haftungstatbestand

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zung entzündet sich jedoch dann an der Frage, ob die Redaktionskommission auftragsgemäß verfahren ist oder nicht120 und welche Konsequenzen für das heutige Verständnis des § 2761 BGB aus dem letzten Schritt der Gesetzgebungsarbeiten folgen. Es finden sich nur wenige Stimmen, die meinen, die endgültige Fassung der Vorschrift aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte ignorieren zu können121; zu Recht überwiegt die Zahl derer, die anerkennen, daß die heutige Fassung die Deutung als allgemeinen Haftungstatbestand nicht mehr zu tragen vermag122. Für das heutige BGB ist dabei zu bleiben, daß § 27611 BGB eine Definition der zivilrechtlichen Schuld ist; die ursprüngliche Bedeutung der Vorschrift hat die Redaktionskommission „mit einem Federstrich"123 zunichte gemacht und so dem Schuldrecht den allgemeinen Haftungstatbestand für schuldhafte Pflichtverletzungen - zumindest in normierter Form - entzogen.

V I I . Das Reichsgericht und §276 BGB als Haftungstatbestand Vor diesem Hintergrund wird schnell klar, warum nicht nur das Reichsgericht nach Inkrafttreten des BGB mit großer Selbstverständlichkeit auf § 2761 BGB als Haftungsgrundlage zurückgriff. Die redaktionellen Änderungen hatten das tief verwurzelte Bewußtsein eines allgemeinen Haftungstatbestandes nicht überdecken können. Das Reichsgericht124 formulierte bereits vor Staub, aufgrund des Vertragsverhältnisses bestehe dann ein Schadensersatzanspruch, „wenn die eine Vertragspartei schuldhafterweise ihre Vertragspflicht verletzt und hierdurch dem anderen Kontrahenten Schaden verursacht hat", die in § 2761 BGB vorgesehene „Vertretungspflicht" 125 könne „mangels anderweiter gesetzlicher Vorschriften... nur in der Weise verwirklicht werden, daß der Schuldner den Schaden ersetzt, der durch sein 120 Im Gegensaiz zu der hier vertretenen Meinung z. B. Huber in FS für von Caemmerer S. 837, 843: „Wenn es überhaupt so etwas gibt wie ein Redaktionsversehen, dann ist es die Ersetzung des § 2241 S. 2 des ersten Entwurfes durch den heutigen § 2761 S. 1 BGB." 121 Vgl. zum Beispiel Himmelschein in AcP 135 (1932) S.253, 271 und in AcP 158 (1959/60) S. 273,282, der leichtfüßig über die Änderungen hinweggeht: „... Änderungen sind sachlich bedeutunglos..."; vgl. auch dem zustimmend Stoll in AcP 136 (1932) S.279ff., 281: § 276 BGB enthalte zwar einen Haftungsgrund (an sit actio), gebe aber die Haftungsform (quae sit actio) nicht an. Es sei den Verfassern des BGB ebenso wie den gemeinrechtlichen Schriftsteilem aber nicht im geringsten zweifelhaft gewesen, daß die Form der Haftung nur die Verpflichtung zum Schadensersatz sein könne (S. 283). 122 Jakobs (Unmöglichkeit S. 19f.): „Es darf deswegen, weil die heutige Fassung und Stellung nur redaktionelle Gründe hatte, nicht alles, was in § 2241 S. 2 gestrichen worden ist, wieder in §2761 S. 1 BGB hineingelesen werden." 123 Huber, FS für von Caemmerer, S. 837, 843. 124 Urteil vom 13.6.1902 = RGZ 52 S. 18f. 125 Vgl. oben Fn.110 zum substantivischen Gebrauch der Formulierung „zu vertreten haben".

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln der anderen Partei erwachsen ist."126 Endgültig aufgegeben wurde dieser Rückgriff auf § 276 BGB erst durch den Bundesgerichtshof, der in einer Entscheidung zu einem Fall der Erfüllungsverweigerung jedoch ebenfalls noch meint, ausführlichst begründen zu müssen, warum § 2761 BGB nicht als allgemeiner Haftungstatbestand dienen kann127. Daß das Reichsgericht sich nach und nach auch der Grundsätze der pVV bediente, liegt allein daran, daß es für manche Fallkonstellationen ein kaum abweisbares Bedürfnis für eine endgültige Abwicklung des gestörten Vertrages gab128. Dieses Bedürfnis nach einer tragfähigen Grundlage für den Rechtsbehelf der Vertragsauflösung führte beinahe zwangsläufig 129 dazu, daß das Reichsgericht zur Begründung eines Rücktrittsrechtes in Anlehnung an Staub auf die analoge Anwendung von § 326 BGB zurückgriff 130, freilich nicht ohne weiterhin in § 2761 BGB den allgemeinen Grundsatz der Haftung zu sehen131. Es spricht von der pVV also zunächst auch allein hinsichtlich derjenigen Fälle, an die Staub selber nur in zweiter Linie gedacht hatte132, nämlich hinsichtlich der Fälle der Gefährdung des Vertragszwecks durch Erfüllungsverweigerung, Schlechtlieferung in Sukzessivlieferungsverträgen und bei Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung. Das Bewußtsein eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Haftung für schuldhafte Pflichtverletzungen war also noch viele Jahrzehnte nach Inkrafttreten des BGB lebendig und verblaßte erst mit dem Ende der Tätigkeit des Reichsgerichtes; einer Zeit, zu der sich die pVV in der Literatur schon zunehmend durchgesetzt hatte.

126 Daß dem Gläubiger außer dem Schadensersatzanspruch ein Anspruch auf Erfüllung zusteht, gilt dabei als selbstverständlich und wird auf §241 BGB gestützt. 127 Diese Auffassung wurde ζ. B. von Werner in der 9. Aufl. des Staudinger noch vertreten, vgl. die ausführliche Begründung zur Ablehnung dieser Ansicht in den folgenden zwei Auflagen durch Kaduk, § 276 Rn 3 f. Auch heutefinden sich noch Anklänge ζ. B. bei Soergel-Wolf, § 276 Rn 4; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rn 225. 128 So ζ. B. in den Fällen der vorzeitigen und emsthaften Erfüllungsverweigerung, die mit der Kategorie des Verzuges, insbes. § 326 BGB wegen der Voraussetzung der Fälligkeit nur unbefriedigend zu lösen sind. 129 Leser in der FS für Rheinstein, S. 643, 649; ähnlich auch Himmelschein in AcP 158 (1959/60) S.273, 276. 130 Markant tritt diese Erwägung zutage in der Formulierung Hedemanns (Schuldrecht 1931 S. 168): „Unzweifelhaft ist ein praktisches Bedürfnis gegeben... dem Gläubiger wahlweise auch ein Rücktrittsrecht einzuräumen. (...) Darum ist es am beliebtesten, die Lehre von den positiven Vertragsverletzungen auf eine Analogie zu... den §§ 325 und 326 BGB aufzubauen." 131 Vgl. zum Beispiel RGZ 106 S.22,25 f. (1922). 132 Staub greift diese Erweiterung bzw. Verlagerung der von ihm aufgestellten Grundsätze jedoch bereitwillig auf (vgl. S. 125 = Fassung von 1904) und eigänzt diese Ausführungen des Reichsgerichtes bzw. integriert sie wiederum in sein Konzept.

VIII. Versuche zur Wiederaufnahme eines allgemeinen Haftungstatbestandes

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V I I I . Versuche zur Wiederaufnahme eines allgemeinen Haftungstatbestandes Jedochfinden sich bis zum Ende des Reichsgerichtes auch in der Literatur gewichtige Stimmen und Anregungen, die das Haftungssystem wieder zurück zum allgemeinen Haftungstatbestand führen wollen133. Exemplarisch sind die Ausführungen von Stoll134 und insbesondere sein daran anschließender Gesetzesvorschlag für eine Neugestaltung des Schuldrechts. § 276 seines Entwurfes lautet: §276 (Haftung wegen Verschuldens): „Jede vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung einer Verbindlichkeit verpflichtet zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens."135

Beachtlich ist die Begründung zu dieser Vorschrift, rechtsvergleichend wird dort auf § 285 des Preußischen Allgemeinen Landrechts verwiesen, also die allgemeine culpa-Haftung des Gemeinen Rechts136. Wenige Jahre später schlägt Larenz dem Ausschuß für Schadensersatzrecht der Akademie für Deutsches Recht als Teilentwurf eines Volksgesetzbuches vor, zur Ersetzung der pVV auszusprechen, daß jedwede schuldhafte Verletzung der in dem Schuldverhältnis begründeten Pflichten zum Schadensersatz verpflichtet. § 3 seines Entwurfes vom Oktober 1940 lautet unter der Überschrift „Haftung für Verschulden" : § 3: „Wer seine Verpflichtungen aus dem Schuldverhältnis oder eine vorvertragliche Sorgfaltspflicht schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung bleibt unberührt." 137

Der Grundsatz einer Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung ist also trotz des Inkrafttretens des BGB in Wirklichkeit nie aus dem allgemeinen Rechtsbewußtsein verdrängt worden138, es mußte jedoch infolge des Vorgehens der Redaktions133

Die Ausführungen von Himmelschein sind schon oben erörtert worden, hinzuweisen ist hier nochmals auf den Aufsatz von Stoll in AcP 136 (1932) S. 257 ff. 134 Referat vor dem Ausschuß für Personen-, Vereins-, und Schuldrecht der Akademie für Deutsches Recht (1934) Bd.III, 3 S. 189, 202 und S.206; vgl. auch die schriftliche Ausarbeitung des Referates „Die Lehre von den Leistungsstörungen" (1936), die Stoll als Denkschrift der Akademie für Deutsches Recht vorlegte (Bd. III, 3 S. 232ff.). 135 Ebenda, S.206. 136 Ebenda, S.217f.; ebenso wird Bezug genommen auf art. 1142 des französischen Code Civil. 137 Vgl. die Begründung der Vorschrift Bd. III, 5 S. 69 ff., 75 f. In § 1 und § 2 dieses Teilentwurfes werden die vertraglichen und vorvertraglichen Pflichten näher umrissen, ideologisch eingefärbt unter dem Maßstab der Eignung nach der „sittlichen Anschauung des deutschen Volkes". Vgl. auch die inhaltlich nicht geänderten Folgeentwürfe vom November desselben Jahres und die endgültige Fassung für den Entwurf eines Volksgesetzbuches von November 1941, S. 185 und S.273. 138 Picker in AcP 183 (1983) S.369, 459 meint deshalb zutreffend, daß sich also nicht im Hinblick auf die Rechtsfigur, sondern auf das Rechtsresultat mit der heute herrschenden Meinung von einem „gesicherten Bestand" oder „Gewohnheitsrecht" sprechen lasse. 26 Kuhlmann

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kommission (vgl. oben) ein neuer Platz für diesen Grundsatz gefunden werden. Für die einen war dies - in verständlicher Nichtbeachtung des Wortlautes - § 276 I BGB, andere fanden ihn - genauso mühelos - hinter den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung. Zu Recht läßt sich deshalb resümieren, daß man in der positiven Forderungsverletzung in ihrer heutigen Form die gemeinrechtliche culpa-Haftung, die man im 19. Jahrhundert anscheinend vielfach zu Grabe tragen wollte, bei bester Gesundheit wiederfindet 139.

IX. Die allgemeine Haftung für Pflichtverletzungen im Spiegel der Vorschriften des BGB Daß die Haftungsregel für Schutzpflichtverletzungen, wie § 22412 des ersten Entwurfes sie enthielt, auch heute noch im BGB als selbstverständlich vorausgesetzt wird, durch den letzten Schritt im Gesetzgebungsverfahren also zumindest nicht vollständig beseitigt wurde, zeigen viele Stellen des heutigen Gesetzestextes140, die nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen Haftungsregel für Schutzpflichtverletzungen Bestand haben können141. So setzt z. B. § 558 BGB voraus, daß der Mieter auf Schadensersatz haftet, wenn er die Mietsache nicht in unversehrtem Zustand zurückgibt und nach § 678 BGB haftet der Geschäftführer ohne Auftrag, wenn er das Geschäft nicht so führt, wie das Interesse des Geschäftsherren mit Rücksicht auf dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willen es erfordert. Auch in § 606 S. 1 BGB ist von den „Ersatzansprüchen" des Verleihers wegen Veränderung oder Verschlechterung die Rede; in § 618 ΠΙ BGB von der Verpflichtung des Dienstberechtigten zum „Schadensersatz" und in § 645 III BGB findet sich sogar noch der Ausdruck „Haftung wegen Verschuldens". Ebenso spricht §7671 S.2 BGB von der Veränderung der Hauptverbindlichkeit „durch Verschulden". Diese Ersatzansprüche hat das Gesetz jedoch bei der Miete nur vereinzelt, bei der Leihe ζ. B. gar nicht ausdrücklich angeordnet; die aufgeführten Bestimmungen machen also nur im Zusammenhang mit einem korrespondierenden allgemeinen Haftungstatbestand Sinn. Auch Bestimmungen wie die §§ 664,665 BGB, die dem Beauftragten bestimmte Pflichten auferlegen, sind ohne eine entsprechende Haftungsgrundlage für den Fall der Verletzung eben dieser Pflichten sinnlos; ebenso verhält es sich beim Dienstverpflichteten. Für eben diese Fälle der besonderen Vertragstypen „ohne eigenes Gewährleistungsrecht" wird regelmäßig die pFV als Haftungsgrundlage herangezogen. Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber übersah, daß auch bei diesen Ver139

So Blaurock S.51,59. Dazu schon oben § 312), 3). 141 Darauf weist zutreffend schon Lehmann (Unterlassungspflicht S. 274 ff.) hin; vgl. auch Kress, S. 7 f. und S. 580 und Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen S. 283. 140

X. Kritische Würdigung

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tragstypen eine Beeinträchtigung des Schuldnerinteresses durch Pflichtverletzungen eintreten kann, eine Regelung zum Ausgleich dieser Beeinträchtigungen also notwendig ist. Ebenso darf die Tatsache, daß der Gesetzgeber bei Kauf- und Werkvertragsrecht eine eigenständige Haftungsregelung schuf, nicht zum Gegenschluß verleiten, daß alle anderen Vertragstypen eine „haftungsfreie Zone" bleiben sollten. Vielmehr ergab sich die Notwendigkeit einer gesonderten Regelung ζ. B. beim Kauf aus den Besonderheiten des Vertragstypes, die insbesondere auf die römisch-rechtlichen Vorbilder der ädilizischen Rechtsbehelfe zurückzuführen sind. Für die anderen Vertragstypen gab es solche Besonderheiten nicht, hier hätte §2241 E I als allgemeine Haftungsnorm in Verbindung mit den spezifischen Pflichtenanforderungen der jeweiligen Vertragstypen gereicht, in der endgültigen Fassung des BGB sind allerdings nur die letzteren übrig geblieben, so daß heute als korrespondierende Haftungsgrundlage die Grundsätze der pVV dienen müssen. Deutlich spiegeln das ursprüngliche Haftungskonzept der ersten und zweiten Kommission auch die §§ 340,341 BGB wieder, die ausdrücklich unterscheiden zwischen dem Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 340 BGB) sowie dem Schadensersatz wegen einer Erfüllung, die nicht „in der gehörigen Weise" bewirkt wurde (§ 341 BGB) und der neben der Erfüllung verlangt werden kann. Alle diese im BGB normierten Schutzpflichten 142 und auch die, die sich erst im Wege der Auslegung des Parteiwillens nach den Gesichtspunkten aus Treu und Glauben, § 242 BGB ergeben, bedürfen einer korrespondierenden Haftungsgrundlage. Daß diese den Schutzpflichten durch das Vorgehen der Redaktionskommission entzogen wurde, kann am Bestehen der grundsätzlichen gesetzlichen Konzeption der Haftung für jede schuldhafte Pflichtverletzung nichts ändern143.

X. Kritische Würdigung der Durchsetzung der positiven Vertragsverletzung und des Verdienstes von Staub Die positive Vertragsverletzung ist also eine Fehlentwicklung oder zumindest ein Rückschritt144 gegenüber einer gesicherten Rechtserkenntnis insofern, als sie ein all142

Vgl. dazu schon Kress S. 7f. und S. 580 mit weiteren Beispielen. Es verwundert daher, wenn Larenz (SchuR AT § 241 a = S. 334f.) seine Darstellung der pFV mit den Worten beginnt: „Die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches haben geglaubt, mit der vom Schuldner zu vertretenden Unmöglichkeit der Leistung und dem Verzug des Schuldners alle möglichen Arten einer Verletzung seiner Pflichten aus dem Schuldverhältnis und deren Folgen geregelt zu haben." Exemplarisch für die ältere Literatur mag Hedemann mit seinem Lehrbuch des Schuldrechts (1931) sein, der seine Ausführungen zur pVV (§25 = S. 167 ff.) ganz ähnlich beginnt: „Dem gemeinen Recht waren die positiven Vertragsverletzungen unbekannt. Man glaubte damals, alle Fälle mit den Kategorien der Unmöglichkeit und des Verzuges meistern zu können ... Auch das BGB kennt die positiven Vertragsverletzungen nicht." 144 So auch Himmelschein in AcP 158 (1959/60) S.273,278. 143

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gemein anerkanntes und auch positivrechtlich nachweisbares Prinzip auf unnötigen und zweifelhaften 145 Umwegen begründen muß. Nur so läßt sich aber auch die rasche und nachhaltige Durchsetzung dieser Rechtsfigur erklären: Die Wertung, auf der die positive Vertragsverletzung beruht und dort mit Hilfe der Analogie zu §§286, 326 BGB begründet wird, ist keine andere als die, die der Gesetzgeber im Anschluß an eine lange - und so gut wie diskussionslos geteilte - Rechtstradition dem BGB schon zugrunde legte146. Staub rennt mit seinen Grundsätzen der pVV also „offene Türen" ein 147 , indem er eine vertretbare Begründung für ein lange schon feststehendes Ergebnis gleichsam nachliefert. Für die im Bewußtsein tief eingewurzelte haftungsrechtliche Wertung einer allgemeinen Verschuldenshaftung für alle Pflichtverletzungen war die Zäsur, die das Inkrafttreten des BGB für die Rechtsentwicklung darstellte, ohne Einfluß. Diese Rechtsfigur anzunehmen fiel deshalb wohl nicht schwer, brachte sie doch das allgemein anerkannte und richtige Ergebnis in den notwendigen Bezug zu dem neuen Gesetz. Staub konnte zu seiner Zeit somit gar nicht mehr leisten, als den alten Rechtsgrundsatz in eine griffige, auf das neue Gesetz zugeschnittene Formel zu kleiden148. Er scheint das auch selber zu wissen, wenn er 1902 in der ersten Fassung seiner Abhandlung149 ausführt, die einfachste Theorie sei die, daß, wer seine Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletze, dem anderen Schadensersatz zu leisten habe. Das sei „diejenige Theorie, die dem Juristen im Gefühle liege, jene Theorie, die es bewirkt, daß man... die Schadensersatzpflicht ausspricht, ohne sich Gedanken über ihren Rechtsgrund zu machen."

1. Positive Vertragsverletzung und die Zäsur durch das neue BGB Gegenüber der Rechtsfigur der positiven Vertragsverletzung und ihrer heutigen Bedeutung ist also insofern Skepsis angebracht, als sie durchaus nichts Neues zu 145 Auch Staub selber eignet sich in der zweiten Fassung seiner Abhandlung (S. 118) ausdrücklich die Worte Hachenburgs an, der zu Staubs Lehre bemerkt: „Mit zwingenden logischen Gründen läßt sich allerdings die Zulässigkeit der Analogie nicht erweisen... Ausschlaggebend ist das Lebensbedürfnis. „Und Staub fügt hinzu: „Freilich, wenn eine andere Konstruktion zu dem gleichen Ziele führte, die unmittelbar aus dem Gesetze folgte, so wäre sie vorzuziehen." Vgl. zu der Fragwürdigkeit der von Staub gezogenen Analogie schon die oben in Fn.19 angesprochene zutreffende Kritik von E. Schmidt und Evans-von Krbek; Jakobs, Unmöglichkeit S. 62 f. 146 Anders Heinrichs (Vortrag S. 8): Die positive Vertragsverletzung komme im geschriebenen Recht nirgendwo vor. 147 Ähnlich formuliert K. Schmidt (Zivilrechtsdogmatik S. 24), die Figur der positiven Vertragsverletzung habe bei Inkrafttreten des BGB buchstäblich in der Luft gelegen. 148 Nicht zugestimmt werden kann daher Huber (in FS für von Caemmerer, S. 837, 872), wenn er zusammenfaßt, daß Staubs dogmatisches Problem nicht die Darstellung, sondern die Rechtsgewinnung gewesen sei. 149 Nachdrucks. 95.

X. Kritische Würdigung

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bieten hat, sondern lediglich eine nahezu zeitlose rechtliche Wertung aufnimmt und unter einem neuen Namen weiterführt. Die von der pVV erfaßten Fälle waren überhaupt solange kein selbständiges Problem, als die schuldhafte Pflichtverletzung innerhalb eines Rechtsverhältnisses die Vertragspartner ganz allgemein ersatzpflichtig machten. Probleme entstanden erst dadurch, daß die Redaktionskommission das Band zwischen dem Verschulden150 und der Schadensersatzpflicht 151 zerriß und dadurch ein vom beabsichtigten umfassenden Haftungssystem abweichendes Verständnis auslöste. Die Schadensersatzpflicht mußte nun an zusätzliche Tatbestandsmerkmale geknüpft werden, nämlich an Unmöglichkeit und Verzug als typisierte Formen der durch schuldhafte Pflichtverletzung ausgelösten Störung. Erst jetzt mußte man sich auch darüber Gedanken machen, wie die fehlerhafte Leistung in das so verstandene Haftungssystem hineinpaßte. Nur vor dem Hintergrund des neuen Gesetzes ist es wohl auch zu verstehen, daß Staub überhaupt für seine Erwägungen Raum fand. Das Inkrafttreten des BGB stellte eine bedeutende Zäsur dar, die bis zu einem gewissen Grad die rechtsgeschichtlichen Wurzeln verdecken konnte und die „Illusion eines neuen Rechtes"152 entstehen ließ. Dadurch, daß Staub eben diese - naheliegenden - Wurzeln nicht mehr beachtet und sich in wohlmeinender, wenn auch zu weitgehender Texttreue an die Vorschriften des neuen Gesetzes hielt, konnte er zu der Annahme gelangen, das Gesetz habe sämtliche Fälle der pVV übersehen und weise deshalb eine Lücke auf, die analog §§ 286, 326 BGB geschlossen werden müsse. Konnte Staub also nur Raum für seine Theorie schaffen, indem er eine allgemeine und gesicherte Rechtserkenntnis in seiner Argumentation ausblendet, so fällt es schwer, von einer „Entdeckung" der pVV zu sprechen153.

150

In §2241 EI. Vgl. ζ. B. die Vorschriften oben IX. 152 Himmelschein in AcP 135 (1932) S.253, 315: „Wenn die alten Bücher nicht verbrannt werden, so werden sie doch zur Seite geschoben." Vgl. in diesem Zusammenhang auch Braun in JZ 1993 S. 1, 5, der anläßlich des Kommissionentwurfes die Befürchtung äußert, daß jeder tiefere Eingriff in ein überkommenes System einen Kontinuitätsbruch nach sich ziehe und durch ein neues Gesetz die Rechtserkenntnis in gewissem Umfang auf einen „Punkt Null" zurückgeworfen werde. Anders insoweit Diederichsen in AcP 182 (1982) S. 101, 125, der zwischen der grundlegenden Entscheidung für eine Kodifikation und deren nachfolgender Änderung unterscheidet. 153 So aber die gebräuchliche Formulierung. Huber (in FS für von Caemmerer S. 837, 872) spricht sogar vom überragenden Rang Staubs berühmter Abhandlung und der unübertrefflichen Weise, in der er die selbstgestellte Aufgabe gemeistert hat; noch weitergehend hat Dölle in seinem Festvortrag vor dem 42. Deutschen Juristentag (1957) das Aufdecken dieser Lücke in die Reihe der »juristischen Entdeckungen" gestellt, d. h. in die der „juristisch geistigen Hochleistungen mit nachhaltiger Erkenntniswirkung"; siehe den Abdruck in Bd. II des 42. DJT Β 1, Β 15. Ähnlich Hedemann, S. 168: „Man kann hier wirklich von einer wissenschaftlichen Entdeckung reden. Hermann Staub, ein Berliner Rechtsanwalt, hat sie gemacht." 151

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

2. Positive Vertragsverletzung und Pflichtendogmatik Aber nicht nur hinsichtlich des Gesamthintergrundes, sondern auch bezüglich ihres spezifischen Inhaltes bedarf die Lehre Staubs von der pVV der Korrektur. Die von Staub zur Begründung seiner Lehre herangezogenen Fällefinden sich zu einem guten Teil schon in den alten Quellen154, sind also längst bekannt und es ist deshalb unwahrscheinlich, daß der Gesetzgeber eine solche bekannte Rechtserscheinung übersehen hat. Jedoch auch die Prämisse, auf der Staub seine Lehre aufbaut, nämlich daß die Gemeinsamkeit der Fälle in der (positiven) Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungspflicht bestehe, muß sich in ihrer Pauschalität Kritik gefallen lassen. Staub erreichte diese Gemeinsamkeit nur dadurch, daß er nicht auf den tatsächlichen Inhalt der verletzten Pflicht abstellte, sondern ohne jede Differenzierung stillschweigend auf eine übergreifende Unterlassungspflicht zurückgriff, den Vertragspartner nicht zu schädigen. Staub erkannte nicht, daß die verschwommen von ihm als „Unterlassungspflichten" bezeichneten vertraglichen Pflichten keineswegs nur auf ein Unterlassen gerichtet sind, sondern auch zu einer bestimmten Tätigkeit verpflichten, also durch ein „negatives" Verhalten, durch ein Unterlassen verletzt werden können. Besonders prägnant zeigt sich das an seinem Beispiel des verkauften explosiven Leuchtstoffes. Trotz seiner eigenen Formulierung („..., ohne den Käufer darauf aufmerksam zu machen ...") 155 bleibt ihm verborgen, daß es hier nicht um die positive Verletzung einer Unterlassungspflicht geht, sondern um die Verletzung einer Aufklärungspflicht, also einer Schutzpflicht positiven Inhaltes, die gerade durch ein Unterlassen verletzt wird. Soweit es sich überhaupt um Unterlassungspflichten handelt, unterscheidet Staub darüberhinaus nicht zwischen Schutzpflichten, bei denen ein Unterlassen die Hauptpflicht des Schuldners darstellt156 und Schutzpflichten, die zwar ein Unterlassen zum Gegenstand haben, aber akzessorisch zu einer Leistungs(haupt)pflicht, also Nebenpflichten sind157. Die überkommene Orientierung an der Leistungspflicht als Gegenstand des Schuldverhältnisses gab auch Staub den Blick nicht frei für die Erkennt154

Hierauf weist schon Himmelschein in AcP 135 S.253,269 hin (ebenso Stoll in AcP 136 -1932- S. 257, 258 i. V. m. Fn.39): Die Lieferung der wurmstichigen Äpfel, die die Ware des Käufers verderben findet ihre Parallele in D 19. 1. 13 pr (Verkauf eines faulen Balkens oder kranken Tieres - sog. pecus-morbosum Fall - ) oder in der Vermietung schadhafter Weingefäße (D 19.2,19.1); w. N. bei Himmelschein ebenda. Himmelschein kann daher wohl mit Recht anmerken, daß man nicht etwa erst nach dem 1. Januar 1900 begann, schlecht zu leisten oder Verträge positiv zu verletzen. 155 S.93. 156 Wie in seinem Beispiel S. 103, bei dem zwei Firmen sich verpflichten, die Artikel der jeweils anderen Firma nicht ins Ausland zu verkaufen (ebenso das Beispiel S.93). 157 Wie in dem Beispiel S. 94, bei dem ein Handelsagent für ein Konkurrenzgeschäft arbeitet.

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XI. Die positive Vertragsverletzung 158

nis, daß es sich bei seinen Beispielen um ganz heterogene Fälle der verschiedenartigsten Schutzpflichtverletzungen handelt. Wo es also in seinen Fällen um die Verletzung von Nebenpflichten geht, die dem Schutz des Integritäts- oder Erfüllungsinteresses der Vertragspartner dienen, verdecken Staubs Ausführungen den Kern des Problèmes mehr als daß sie ihn freilegen; soweit jedoch Unterlassungshauptpflichten betroffen sind, ist die herrschende Ansicht schnell über die Grundsätze der pVV hinweggegangen159, da sie - zu Unrecht160 - meint, diese problemlos den Unmöglichkeitsvorschriften unterstellen zu können161. Von Staubs eigentlicher Lehre bleibt also kaum mehr als der Name, den er ihr gab162 und die - zweifelhafte 163 - Begründung der allgemeinen Haftung mit Vorschriften des BGB als positivrechtliche Absicherung.

XI. Die positive Vertragsverletzung und Sibers Erkenntnis vom Schuldverhältnis als Organismus Daß die pVV deswegen nicht zur Bedeutungslosigkeit herabgestuft werden kann, zeigt sich schon an ihrer heutigen Stellung. Doch ist der eigentliche Kern ihrer Bedeutung nur im Zusammenhang mit einer anderen juristischen „Entdeckung" zu erfassen: Der Erkenntnis Sibers vom Schuldverhältnis als Organismus164. Siber gelangte zu der Einsicht165, daß die Sicht des Schuldverhältnisses als eine reine Austauschbeziehung durch eine differenziertere Betrachtungsweise des Schuldverhältnisses als Organismus verschiedener Haupt- und Nebenpflichten zu ersetzen sei. Damit wird die einseitig auf den Leistungsaustausch bezogene und sehr statische Konzeption überwunden und durch eine vielschichtige,flexible Aufgliederung des Schuldverhältnisses ersetzt, die zutreffend zur zunehmenden Verselbständigung einzelner Nebenpflichten gegenüber der Hauptpflicht führt.

158

Das kritisiert als erster Siber in Planck, Vorb. zu §§ 275-292 Anm.13a (= S. 183ff.). Siber (S. 184) stellt schon 1914 fest, daß sich die pVV sehr weit von ihrem ursprünglichen Anwendungsgebiet entfernt hat. 160 Zu dem Problem der Unterlassungspflichten und den Unmöglichkeitsvorschriften vgl. eingehend oben § 8IV und V. 161 So schon Himmelschein in AcP 135, S.253, 264; vgl. auch Westhelle, S. 12 („Man ist sich seit langem darüber einig,...) und S. 29 („...heute... völlig anerkannte Tatsache, daß auch die in einem Unterlassen bestehende Leistung unmöglich werden könne...") und die zahlreichen Nachweise (auch der älteren Literatur) bei Soeigel-Wiedemann, vor § 275 Rn 216. Hauptargument ist dabei die Gleichstellung von Tun und Unterlassen in § 241 S. 2 BGB; Westhelle, ebenda. 162 Darauf, daß auch dieser in zweifacher Hinsicht als korrekturbedürftig empfunden wird, ist im Verlauf der Arbeit schon hingewiesen worden. 163 Eingehend dazu oben § 8 VI 3. 164 Vgl. schon oben §2111. 165 Erstmals veröffentlicht in Planck's Kommentar 1914. 159

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§ 11 Von der culpa-Haftung zur positiven Vertragsverletzung

Diese Erkenntis ermöglichte es Siber, die von Staub in Gang gesetzte Diskussion erstmals auf den entscheidenden Punkt zu bringen. Siber stimmte Staub insofern zu, als auch er die zentrale Stellung im Haftungssystem in der Pflichtverletzung fand. Doch sah er aufgrund seiner Konzeption des Schuldverhältnisses im Gegensatz zu Staub, daß diese zentrale Stellung der Pflichtverletzung nur sinnvoll sein konnte, wenn zugleich eine nähere Spezifizierung dieser Vertragspflichten vorgenommen wurde. Diese nähere Differenzierung der Pflichten im Schuldverhältnis war bis dahin kaum über den überlieferten gemeinrechtlichen Stand166 hinaus gelangt und in ihrer Bedeutung für die Dogmatik der Haftung nicht ausreichend erfaßt worden. Schon 1879 hatte Brinz 167 festgestellt, daß Pandektisten wie Puchta, Keller, Arndts und Windscheid ohne nähere Differenzierung nur von der „Verletzung der Verbindlichkeit" sprechen und daß „vielleicht niemals eigens untersucht, keinesfalls aber einig festgestellt worden (ist), worin des näheren innerhalb einer Obligation überhaupt eine Verschuldung durch dolus und culpa möglich sei." Ebenso mußte Siber viele Jahre später festhalten: „Der Fehler der älteren Lehre bestand aber nicht darin, daß sie keine dritte Art der »Vertragsverletzung4 neben der Unmöglichkeit... und dem Verzug anerkannte..., sondern darin, daß sie... die zahlreichen akzidentiellen, aber keineswegs nebensächlichen Nebenpflichten übersah, deren endgültige oder zeitweilige Nichterfüllung gleichfalls zu einer Schädigung des Gläubigers führen kann."168 Siber kommt deshalb zu dem zutreffenden Schluß, daß die von Staub herausgearbeiteten Grundsätze am Kern des Problems vorbeigehen: „...es gibt keine Schadensersatzpflichten wegen eines Verschuldens, das nicht Verletzung einer Pflicht gegenüber dem Berechtigten wäre. Man kann deshalb bei Schadensersatzpflichten wegen Verschuldens nicht mit dem subjektiven Tatbestand des Verschuldens allein operieren, ohne zuvor zu untersuchen, welches objektive rechtswidrige Verhalten verschuldet ist, d. h. welche primäre Vertragspflicht der Schuldner vorsätzlich oder fahrlässig verletzt hat. Diese grundlegende Frage wird völlig ausgeschaltet, wenn man nur von einer Haftung wegen Vertragsverletzung spricht und nicht erst prüft, welchen Inhalt die verletzte Vertragspflicht hat und in welcher Weise sie verletzt worden ist. Der Anschein, daß es sich bei der sog. positiven Vertragsverletzung um eine dritte Art der Pflichtverletzung, des Verschuldens und dergleichen handle... entsteht nur dadurch, daß man ein unentbehrliches logisches Zwischenglied, nämlich den Tatbestand der Nichterfüllung einer Pflicht bestimmten Inhaltes, einfach überspringt."169 Die Fragestellung habe darum weder zu 166 Bekannt ist ζ. B. die custodia als eine besondere Form der diligentia, d.h. die Pflicht zum Schutz einer Sache durch Obhut und Aufbewahrung; jedoch wird diese Pflicht nicht in ihrer Eigenständigkeit und Eigenart erkannt (vgl. Windscheid, Pandekten II, 7. Aufl. § 265). Zur custodia siehe oben § 3IV 2 b). 167 Lehrbuch der Pandekten, Bd. II, 1 2. Aufl. § 266 S. 250 i. V. m. Fn.7. Planck-Siber, Vorb. zu §§ 275-292 Anm. 13a (= S. 183). 169 Ebenda, S. 184.

XI. Die positive Vertragsverletzung

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lauten, ob der Schuldner den Vertrag oder die Forderung verletzt habe, sondern ob er eine vertragliche Pflicht bestimmten Inhalts verletzt habe. Auf dieser Basis diskutiert nun Siber die verschiedenen Formen der Pflichtverletzung; den Ausgangspunkt bildet für ihn der Begriff der Nebenverpflichtung 170, den er im folgenden primär in Erhaltungs- und Anzeigepflichten sowie allgemeine Sorgfaltspflichten untergliedert 171. Zwar bleibt Sibers Pflichtendifferenzierung deutlich hinter der heutigen weitläufigen Verästelung zurück und unterscheidet sich auch dadurch, daß Siber im Rahmen seiner ersten Darstellung172 gerade nachzuweisen versucht, daß die Nichtbeachtung der Nebenpflichten keine eigenständige Form der Vertragsverletzung darstellt. Dessen ungeachtet hat er mit seinen Ausführungen die zentrale Bedeutung der Pflichtendifferenzierung in besonders klarer Weise formuliert und deren zukünftigen Fortgang vorgezeichnet. Anknüpfend an die Pflichtverletzung als Mittelpunkt des Haftungssystems erkennt er die zwingende Notwendigkeit, die Pflichtverletzung zu spezifizieren und zu gliedern. Hat Staub mit seinen Überlegungen also das Feld zwischen Unmöglichkeit und Verzug abgesteckt, in dem sich die zahlreichen weiteren Schutzpflichten verbergen, so ist es erst Siber, der dieses Feld zu bearbeiten weiß und die Schutzpflichten in ihrer ganzen Bedeutung zu Tage bringt. Damit aber wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt173, deren Wert für die Dogmatik des Zivilrechts nicht überschätzt werden kann174 und deren Ende bis heute noch nicht abzusehen ist.

170

Ebenda, S. 185. Diese allgemeinen Soigfaltspflichten will er jedoch nicht als eigene Kategorie verstanden wissen, vgl. ebenda S. 189. 172 Anders dann aber in seinem Grundriß von 1931. 173 Auch Himmelschein (in AcP 135 S.253,308) als entschiedener Gegner Staubs muß anerkennen, daß Staub zumindest das Verdienst, das Juristische Denken durch seine Schrift angeregt zu haben", nicht abgesprochen werden kann. 174 So auch Medicus (Schuldverhältnis S. 16), nach dessen Urteil die Entwicklung der Schutzpflichten eine der wichtigsten neuen Erkenntnisse im Schuldrecht überhaupt darstellt. 171

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Sus