Der subjektive Parteiwille: Ein Vergleich des deutschen und englischen Vertragsrechts. Dissertationsschrift 9783161559983, 9783161559990, 3161559983

Verträge geben den Rechtssubjekten die Möglichkeit, ihre Verhältnisse untereinander verbindlich zu regeln. Dabei stellt

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Der subjektive Parteiwille: Ein Vergleich des deutschen und englischen Vertragsrechts. Dissertationsschrift
 9783161559983, 9783161559990, 3161559983

Table of contents :
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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Kapitel: Die Auslegung
§ 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung
I. Erläuternde und ergänzende Auslegung
II. Die Bedeutung der Auslegung für das Vertragsrecht
§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht
I. Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre im deutschen Recht
1.Der Begriff des Rechtsgeschäfts
2. Die Willenserklärung
a) Der Begriff der Willenserklärung und Unterschiede zu dem des Rechtsgeschäfts
b) Wille und Erklärung als Tatbestandsmerkmale einer Willenserklärung
aa) Die verschiedenen Willensmomente als subjektive Merkmale
(1) Der Handlungswille
(2) Das Erklärungsbewusstsein
(3) Der Geschäftswille
(4) Der Rechtsbindungswille
bb) Die Erklärung als objektives Merkmal
(1) Ausdrückliche Erklärung
(2) Konkludente Erklärung
II. Das Verhältnis von Wille und Erklärung als grundlegendes Auslegungsproblem
1. Die Willenstheorie
a) Ursprung der Willenstheorie
b) Der Schutz der Privatautonomie als Kernthese der Willenstheorie
c) Kritik an der Willenstheorie
2. Die Erklärungstheorie
a) Schutz des Rechtsverkehrs als Kernthese der Erklärungstheorie
b) Kritik an der Erklärungstheorie
3. Die Geltungstheorie Larenz’
4. Die unterschiedlichen Auslegungsziele der Willens-, Erklärungsund Geltungstheorie
a) Die Ermittlung des subjektiven Willens als Auslegungsziel der Willenstheorie
b) Die Ermittlung des objektiven Sinns nach der Erklärungstheorie
c) Das Auslegungsziel der Geltungstheorie
d) Zwischenergebnis
III. Die Auslegung im deutschen Recht – eine theoretische Betrachtung der bestehenden Auslegungsprinzipien
1. Die formale Trennung der §§ 133 und 157 BGB und deren materielles Zusammenwirken
2. Die Auslegung von Willenserklärungen gem. § 133 BGB
a) Historischer Hintergrund des § 133 BGB
b) Die Willenserklärung als Auslegungsgegenstand
c) Die subjektive Auslegung nach § 133 BGB
aa) Die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens als vorrangiges Auslegungsziel?
bb) Das Verbot der Buchstabeninterpretation
cc) Die Regel der falsa demonstratio non nocet
(1) Bewusste beiderseitige Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut
(2) Einseitige (erkannte) irrige Falschbezeichnung
(3) Beidseitige irrige Falschbezeichnung
(4) Der Charakter der falsa demonstratio als Auslegungsregel und daraus resultierende Konsequenzen
d) Zwischenergebnis
3. Die normative Auslegung nach § 157 BGB
a) Die historische Entwicklung des § 157 BGB
b) Der Anwendungsbereich und die Bedeutung des § 157 BGB für die Auslegung
aa) Der Begriff der normativen Auslegung
bb) Die Auslegung aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts
4. Zur Frage des Zusammenwirkens der §§ 133 und 157 BGB
IV.Die Auslegung in der praktischen Anwendung
1. Der Vertrag als Auslegungsgegenstand
2. Die zweistufige Auslegung in der praktischen Anwendung
a) Die subjektive Auslegung
b) Die normative Auslegung
3. Der Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung
a) Die Eindeutigkeitsformel
b) Probleme der Wortlautauslegung
c) Der allgemeine und spezielle Sprachgebrauch
d) Auslegung eines widersprüchlichen Wortlauts
e) Die systematische Auslegung als Ergänzung der Wortlautauslegung
4. Die weiteren Auslegungsmittel
a) Die vertraglichen Begleitumstände, die protestatio facto contraria non valet und vertragliche Vorverhandlungen
aa) Die protestatio facto contraria non valet als Konfliktfall zwischen subjektiver und normativer Auslegung
bb) Die Bedeutung der Vorverhandlungen für die Auslegung
cc) Exkurs: Schweigen als Willenserklärung
dd) Interessenlage der Parteien und gewollter Vertragszweck
ee) Zwischenergebnis zur Berücksichtigung der Begleitumstände bei der Auslegung
b) Nachvertragliches Verhalten der Parteien und maßgeblicher Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Begleitumständen bei der Auslegung
5. Die normativen Auslegungsmaßstäbe des § 157 BGB
a) Der Maßstab von Treu und Glauben
aa) Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben
bb) Auslegungssorgfalt des Empfängers
cc) Die Zurechnung der Erklärungsbedeutung zum Erklärenden und die Frage nach der Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen
(1) Probleme des Larenz’schen Zurechnungsmaßstabs
(2) Die Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen
(3) Zur Notwendigkeit der Zurechnung zum Erklärungsempfänger
b) Die Berücksichtigung der Verkehrssitte
aa) Die Einbeziehung der Verkehrssitte als Auslegungsmaßstab
bb) Die Verkehrssitte als normativer Auslegungsmaßstab eines Verkehrskreises
cc) Einschränkungen der Berücksichtigung der Verkehrssitte
c) Die Bedeutung der normativen Maßstäbe des § 157 BGB in der Zusammenfassung
6. Die Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte und die Andeutungstheorie
7. Materiale Auslegungsregeln des deutschen Rechts
a) In dubio contra proferentem
aa) Praktische Anwendung der Unklarheitenregel
bb) Zur Frage des Anwendungsbereichs der Unklarheitenregel
b) Die favor negotii und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
c) Das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung
V. Zusammenfassung
§ 3 Die Auslegung im englischen Recht
I. Grundlagen des englischen Vertragsrechts
1. Die unterschiedlichen Vertragskonzepte des englischen Rechts
2. Der objective test des englischen Vertragsrechts
3. Die contractual intention
4. Offer und acceptance
a) Die offer und ihre subjektiven Voraussetzungen
b) Acceptance
II. Die Auslegung im englischen Recht – die Entwicklung vom formalistischen Ansatz zur heutigen Auslegungspraxis
1. Der objective approach und die Zielsetzung der Vertragsauslegung im englischen Recht
a) Die Wortlautauslegung als Ausgangspunkt und ursprüngliche Zielsetzung des objective approach
b) Die parol evidence rule
aa) Ausnahmen der parol evidence rule
bb) Kritik an der parol evidence rule
c) Die plain meaning rule
2. Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building Society als Wendepunkt der englischen Vertragsauslegung
a) Der Sachverhalt
b) Die Five Principles als Grundlage der modernen Vertragsauslegung
aa) Die objektive Auslegung aus Sicht einer „reasonable person“
bb) Die Matrix of Fact und die Abkehr vom Literal Approach
(1) Der Begriff der matrix of fact
(2) Das Verhältnis der matrix of fact zur parol evidence rule
cc) Die pre-contractual-negotiation-bar
dd) Die kontextuale Auslegung und die gewöhnliche Bedeutung des Wortlauts
ee) Die Möglichkeit der Wortlautkorrektur
3. Weitere Auslegungsgrundsätze
a) Contra Proferentem
b) Die purposive construction
4. Die Bedeutung der rectification im Hinblick auf die Vertragsauslegung und der Vergleich zur falsa demonstratio im deutschen Recht
a) Die Bedeutung der rectification und ihr Verhältnis zur Auslegung
b) Die Voraussetzungen und dogmatischen Grundsätze der rectification
aa) Rectification for common mistake
bb) Rectification for unilateral mistake
(1) Die vorausgesetzte positive Kenntnis des Irrtums und die Frage des relevanten Willens
(2) Die Voraussetzung der Ungleichheit zwischen den Vertragsparteien
c) Einschränkungen der rectification durch Drittinteressen
III. Zusammenfassung
§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich
I. Dogmatische Unterschiede der Vertragsauslegung im deutschen und englischen Recht
1. Der Geltungsgrund des Vertrags – subjektiver und objektiver Vertragsbegriff im Vergleich
2. Der Auslegungsvorgang der normativen Auslegung im deutschen Recht im Vergleich mit der individuell-objektiven Auslegung im englischen Recht
II. Praktische Unterschiede der Vertragsauslegung – Eine Fallgruppenanalyse
1. Fälle der falsa demonstratio und des erkannten einseitigen Irrtums
a) Der Fall der falsa demonstratio non nocet
aa) BGH, Urteil vom 7.12.2001 – V ZR 65/01
bb) Beale v. Harvey
cc) Vergleich
b) Die falsa demonstratio und die praktische Anwendung der rectification
aa) Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd
bb) BGH, Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 122/91
cc) Vergleich
c) Zwischenergebnis
2. Fälle der objektiven Auslegung und der Einfluss objektiver Auslegungsmaßstäbe
a) BGH, Urteil vom 19.1.2000 – VIII ZR 275/98
aa) Sachverhalt
bb) Bewertung
b) British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL
aa) Sachverhalt
bb) Bewertung
c) Vergleich und Bewertung beider Auslegungsvorgänge und -ergebnisse
aa) Vergleich
bb) Bewertung
§ 5 Zusammenfassung
I. Grundkonzeption des Vertragsrechts im deutschen und englischen Recht
II. Die Bedeutung des subjektiven Willens im Rahmen der Vertragsauslegung
1. Auslegungsziel
2. Praktische Anwendung
2. Kapitel: Dissens und Irrtum
§ 6 Der Dissens im deutschen Recht
I. Der Begriff des Dissenses und der Fall des inkongruenten Doppelirrtums
II. Der offene Dissens nach § 154 BGB
1. Begriff und Anwendungsbereich
2. § 154 BGB als Auslegungsregel
III. Der versteckte Dissens nach § 155 BGB
1. Der Fall mehrdeutiger Parteierklärungen (sog. „Scheinkonsens“)
2. Der Fall versehentlicher Unvollständigkeit
3. Der Fall des Erklärungsdissenses
4. Rechtsfolgen des versteckten Dissenses und § 155 BGB als Auslegungsregel
IV.Zusammenfassung
§ 7 Der Irrtum im deutschen Recht
I. Das Grundproblem der Anfechtung und ihre Notwendigkeit
II. Das Verhältnis der Anfechtung zur Auslegung und zum Dissens
1. Der Auslegungsvorrang
2. Die Abgrenzung der Anfechtung zum versteckten Dissens
III. Die Kategorien der Irrtümer des § 119 BGB
1. Inhalts- und Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB
a) Der Erklärungsirrtum
b) Der Inhaltsirrtum und seine Unterfälle
aa) Der Verlautbarungsirrtum
bb) Weitere Formen des Inhaltsirrtums
2. Der Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB
a) Der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft
b) Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person
c) Verkehrswesentliche Eigenschaften von Sachen
IV.Der Fall des beiderseitigen Motivirrtums über Eigenschaften
1. Die Einordnung des beiderseitigen Motivirrtums
2. Der beiderseitige Motivirrtum nach § 313 Abs. 2 BGB
V. Ausschlussgründe der Irrtumsanfechtung
1. Fehlende subjektive Erheblichkeit als Ausschlussgrund
2. Der Ausschluss der Anfechtung aufgrund Rechtsmissbräuchlichkeit
3. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners als Hinderungsgrund
VI.Rechtsfolgen der Anfechtung
VII.Zusammenfassung
§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht
I. Das englische Irrtumsrecht im Überblick und die Abgrenzung von mistake zur misrepresentation und non-disclosure
1. Mistake
2. Misrepresentation
3. Non-Disclosure
II. Mistakes negativing consent: unilateral mistake, mutual mistake und unvollständige Verträge
1. Grundverständnis des unilateral und mutual mistake und die Bedeutung der Auslegung
2. Die Voraussetzung der Erheblichkeit und die Arten des unilateral und mutual mistake
a) Der unilateral mistake hinsichtlich des Vertragsgegenstands
b) Der unilateral mistake über den Vertragspartner
c) Der mutual mistake und der Fall des unvollständigen Vertrags
aa) Der mutual mistake
bb) Der Fall des unvollständigen Vertrags
(1) May & Butcher v. The King
(2) WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd
(3) Analyse und die Suche nach einheitlichen Prinzipien
3. Die Rechtswirkung des unilateral und mutual mistake
III. Mistakes nullifying consent: der Fall des common mistake
1. Grundverständnis des common mistake
2. Die Beurteilung der Erheblichkeit im Falle eines common mistake durch Auslegung
a) Grundsätzliche Voraussetzungen der Erheblichkeit
b) The Great Peace Entscheidung und die Rolle der Auslegung für die Feststellung des common mistake
3. Rechtsfolgen eines common mistake
a) Rechtsfolgen im common law
b) Rechtsfolgen in der equity-Rechtsprechung
IV.Zusammenfassung
§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich
I. Der Dissens im deutschen und englischen Recht im Vergleich
1. Deutsches Recht
2. Englisches Recht
3. Vergleich
a) Berücksichtigung der Intention zum Vertragsschluss der Parteien
b) Fehlende Einigung über wesentliche Vertragsbestandteile
c) Fehlende Einigung über vertragliche Nebenpunkte
4. Zusammenfassung
II. Das Irrtumsrecht des deutschen und englischen Rechts im Vergleich
1. Dogmatische Unterschiede des Irrtumsrechts im deutschen und englischen Recht
2. Die unterschiedlichen Irrtumsarten im Vergleich
a) Der einseitige unerkannte Irrtum
b) Der Fall des einseitigen erkannten Irrtums
c) Der Fall des mutual mistake und des Dissenses
d) Der Fall des common mistake und der beiderseitige Motivirrtum
3. Zusammenfassung
III. Zusammenfassung
3. Kapitel: Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Sachregister

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Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung herausgegeben von der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e.V.

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Philipp Ziegler

Der subjektive Parteiwille Ein Vergleich des deutschen und englischen Vertragsrechts

Mohr Siebeck

Philipp Ziegler, geboren 1990; Bachelor- und Masterstudium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Augsburg; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Rechtsgeschichte der Universität Augsburg; seit 2017 Wirtschaftsjurist in Augsburg. orcid.org/0000-0002-6663-6701

ISBN 978-3-16-155998-3 / eISBN 978-3-16-155999-0 DOI 10.1628/978-3-16-155999-0 ISSN 1861-5449 / eISSN 2569-426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Zugleich Dissertation, Universität Augsburg, 2017. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Ver­lags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzun­g sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Für meine Familie

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg im Sommersemester 2017 als Dissertationsschrift vor. Sie wurde im August 2017 eingereicht. Spätere Literatur konnte für die Drucklegung nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gebührt zunächst meinem Doktorvater Professor Dr. Phillip Hellwege, M.Jur (Oxford), der mich bereits seit Beginn meines Studiums und meiner Zeit als studentische Hilfskraft an seinem Lehrstuhl förderte und stets mit gutem Rat zur Seite stand. Seine Betreuung und Beratung während der Erstellung meiner Bachelor- und Masterarbeit, ließen überhaupt erst den Gedanken und den Wunsch, sich intensiv mit dem Thema der Rechtsvergleichung und der Rechtsdogmatik auseinanderzusetzen, entstehen. Mit viel Verständnis für die „typischen Probleme“ eines Doktoranden, der Gewährung der nötigen Freiräume, kritischen Diskussionen und hilfreichen Anmerkungen zu dieser Arbeit, ermöglichte er mir den erfolgreichen Abschluss dieses Dissertationsvorhabens. Weiterhin danke ich Frau Professorin Dr. Martina Benecke herzlich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens, wodurch mir ein zügiger Abschluss des Promotionsverfahrens ermöglicht wurde. Diese Arbeit entstand während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Rechtsgeschichte an der Universität Augsburg. Eine schönere Promotionszeit hätte ich mir dabei nicht wünschen können. Dies lag zum einen an den hervorragenden Arbeitsbedingungen, zum anderen aber vor allem an meinen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls und des Mittelbaus sowie des gesamten Fakultätspersonals. Besonderer Dank gilt dabei meinen beiden Zimmerkollegen Peter Kollmann und Thomas Zott, die mir vor allem in der Endphase dieses Projekts immer mit wertvollen Anregungen, aufmunternden Worten und guter Laune zur Seite standen. Derselbe Dank gebührt meinen guten Freunden Simon Koch, Franziska Mayr und Thomas Heuermann, die mich bereits seit meiner Studienzeit auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben. Auch Frau Ursula Eberle, die mir während dieses Projekts stets mit einem offenen Ohr zur Seite stand, möchte ich dankend erwähnen. Ebenfalls nicht unerwähnt lassen möchte ich, bei einem etwas weiteren Blick in die Vergangenheit, meinen ehemaligen Kollegstufenlehrer Herrn StD Gert Elsner. Seine Begeisterung für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die er auch seinen Schülern vermitteln konnte, gab mir überhaupt erst den Anstoß ein entsprechendes Studium zu beginnen. Somit legte er während

VIII

Vorwort

der Schulzeit maßgeblich den Grundstein für meinen Werdegang und damit auch für dieses Dissertationsvorhaben. Letztendlich wäre mir die Anfertigung dieser Arbeit jedoch nicht möglich gewesen, hätte ich nicht in jeglichem Lebensabschnitt auf die unbedingte Unterstützung meiner gesamten Familie zählen können. Meine Eltern, Gabi und Ludwig Ziegler, ermöglichten mir nicht nur ein sorgenfreies Studium, sondern unterstützten mich in jeder nur denkbaren Hinsicht auf meinem Weg. Vor allem für die sorgsame Durchsicht meines Manuskripts und damit verbundene Verbesserungsvorschläge sei meinem Vater an dieser Stelle gedankt. Doch nicht nur meine Eltern und mein Bruder, Dominik Ziegler, unterstützten mich zu jeder Zeit. Auch meine Großeltern, Julia und Josef Troidl, ließen mir in jedem Lebensabschnitt Ihre bedingungslose Unterstützung zukommen. Dasselbe gilt für Familie Troidl-Heyder und Familie Brühler. Ihnen allen ist dieses Buch gewidmet. Augsburg, im Mai 2018

Philipp Ziegler

Inhaltsverzeichnis Vorwort......................................................................................................VII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................... XVII

Einleitung................................................................................................... 1 1. Kapitel: Die Auslegung ..................................................................... 6 § 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung...................................................... 7 I. Erläuternde und ergänzende Auslegung ................................................... 7 II. Die Bedeutung der Auslegung für das Vertragsrecht ................................ 8 § 2 Die Auslegung im deutschen Recht .........................................................10 I. Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre im deutschen Recht ......................10 1.Der Begriff des Rechtsgeschäfts...........................................................10 2. Die Willenserklärung ..........................................................................12 a) Der Begriff der Willenserklärung und Unterschiede zu dem des Rechtsgeschäfts...............................................................................12 b) Wille und Erklärung als Tatbestandsmerkmale einer Willenserklärung.............................................................................13 aa) Die verschiedenen Willensmomente als subjektive Merkmale...14 (1) Der Handlungswille ............................................................ 14 (2) Das Erklärungsbewusstsein ................................................. 16 (3) Der Geschäftswille .............................................................. 19 (4) Der Rechtsbindungswille .................................................... 20 bb) Die Erklärung als objektives Merkmal ......................................22 (1) Ausdrückliche Erklärung..................................................... 22 (2) Konkludente Erklärung ....................................................... 23 II. Das Verhältnis von Wille und Erklärung als grundlegendes Auslegungsproblem ................................................................................24 1. Die Willenstheorie ..............................................................................25 a) Ursprung der Willenstheorie ...........................................................25 b) Der Schutz der Privatautonomie als Kernthese der Willenstheorie ..26

X

Inhaltsverzeichnis

c) Kritik an der Willenstheorie ............................................................26 2. Die Erklärungstheorie .........................................................................27 a) Schutz des Rechtsverkehrs als Kernthese der Erklärungstheorie......28 b) Kritik an der Erklärungstheorie .......................................................28 3. Die Geltungstheorie Larenz’ ...............................................................29 4. Die unterschiedlichen Auslegungsziele der Willens-, Erklärungsund Geltungstheorie ............................................................................30 a) Die Ermittlung des subjektiven Willens als Auslegungsziel der Willenstheorie.................................................................................30 b) Die Ermittlung des objektiven Sinns nach der Erklärungstheorie ....32 c) Das Auslegungsziel der Geltungstheorie .........................................34 d) Zwischenergebnis ...........................................................................35 III. Die Auslegung im deutschen Recht – eine theoretische Betrachtung der bestehenden Auslegungsprinzipien .........................................................36 1. Die formale Trennung der §§ 133 und 157 BGB und deren materielles Zusammenwirken ..............................................................37 2. Die Auslegung von Willenserklärungen gem. § 133 BGB ...................39 a) Historischer Hintergrund des § 133 BGB ........................................39 b) Die Willenserklärung als Auslegungsgegenstand ............................41 c) Die subjektive Auslegung nach § 133 BGB.....................................42 aa) Die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens als vorrangiges Auslegungsziel? ....................................................43 bb) Das Verbot der Buchstabeninterpretation..................................44 cc) Die Regel der falsa demonstratio non nocet...............................45 (1) Bewusste beiderseitige Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut ....................................................... 46 (2) Einseitige (erkannte) irrige Falschbezeichnung ................... 47 (3) Beidseitige irrige Falschbezeichnung .................................. 49 (4) Der Charakter der falsa demonstratio als Auslegungsregel und daraus resultierende Konsequenzen .............................. 49 d) Zwischenergebnis ...........................................................................52 3. Die normative Auslegung nach § 157 BGB.........................................52 a) Die historische Entwicklung des § 157 BGB ...................................53 b) Der Anwendungsbereich und die Bedeutung des § 157 BGB für die Auslegung............................................................................53 aa) Der Begriff der normativen Auslegung......................................54 bb) Die Auslegung aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts ...55 4. Zur Frage des Zusammenwirkens der §§ 133 und 157 BGB................56 IV.Die Auslegung in der praktischen Anwendung........................................57 1. Der Vertrag als Auslegungsgegenstand ...............................................57 2. Die zweistufige Auslegung in der praktischen Anwendung .................58 a) Die subjektive Auslegung................................................................58 b) Die normative Auslegung................................................................59

Inhaltsverzeichnis

XI

3. Der Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung .................................60 a) Die Eindeutigkeitsformel.................................................................60 b) Probleme der Wortlautauslegung ....................................................61 c) Der allgemeine und spezielle Sprachgebrauch.................................61 d) Auslegung eines widersprüchlichen Wortlauts ................................63 e) Die systematische Auslegung als Ergänzung der Wortlautauslegung ..........................................................................64 4. Die weiteren Auslegungsmittel ...........................................................65 a) Die vertraglichen Begleitumstände, die protestatio facto contraria non valet und vertragliche Vorverhandlungen .................................66 aa) Die protestatio facto contraria non valet als Konfliktfall zwischen subjektiver und normativer Auslegung ......................66 bb) Die Bedeutung der Vorverhandlungen für die Auslegung .........71 cc) Exkurs: Schweigen als Willenserklärung...................................73 dd) Interessenlage der Parteien und gewollter Vertragszweck .........76 ee) Zwischenergebnis zur Berücksichtigung der Begleitumstände bei der Auslegung.....................................................................81 b) Nachvertragliches Verhalten der Parteien und maßgeblicher Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Begleitumständen bei der Auslegung.......................................................................................81 5. Die normativen Auslegungsmaßstäbe des § 157 BGB .........................82 a) Der Maßstab von Treu und Glauben................................................82 aa) Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben .............83 bb) Auslegungssorgfalt des Empfängers .........................................84 cc) Die Zurechnung der Erklärungsbedeutung zum Erklärenden und die Frage nach der Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen .............................................................86 (1) Probleme des Larenz’schen Zurechnungsmaßstabs ............. 87 (2) Die Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen ........ 88 (3) Zur Notwendigkeit der Zurechnung zum Erklärungsempfänger .......................................................... 90 b) Die Berücksichtigung der Verkehrssitte ..........................................92 aa) Die Einbeziehung der Verkehrssitte als Auslegungsmaßstab .....93 bb) Die Verkehrssitte als normativer Auslegungsmaßstab eines Verkehrskreises ...............................................................95 cc) Einschränkungen der Berücksichtigung der Verkehrssitte .........97 c) Die Bedeutung der normativen Maßstäbe des § 157 BGB in der Zusammenfassung.........................................................................100 6. Die Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte und die Andeutungstheorie......................................................................101 7. Materiale Auslegungsregeln des deutschen Rechts............................105 a) In dubio contra proferentem ..........................................................106 aa) Praktische Anwendung der Unklarheitenregel .........................107

XII

Inhaltsverzeichnis

bb) Zur Frage des Anwendungsbereichs der Unklarheitenregel.....108 b) Die favor negotii und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion .....................................................................................110 c) Das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung ...............................111 V. Zusammenfassung.................................................................................112 § 3 Die Auslegung im englischen Recht ......................................................114 I. Grundlagen des englischen Vertragsrechts ............................................114 1. Die unterschiedlichen Vertragskonzepte des englischen Rechts ........115 2. Der objective test des englischen Vertragsrechts ...............................115 3. Die contractual intention ...................................................................116 4. Offer und acceptance.........................................................................118 a) Die offer und ihre subjektiven Voraussetzungen ...........................118 b) Acceptance....................................................................................119 II. Die Auslegung im englischen Recht – die Entwicklung vom formalistischen Ansatz zur heutigen Auslegungspraxis .........................120 1. Der objective approach und die Zielsetzung der Vertragsauslegung im englischen Recht ...........................................120 a) Die Wortlautauslegung als Ausgangspunkt und ursprüngliche Zielsetzung des objective approach ...............................................121 b) Die parol evidence rule .................................................................123 aa) Ausnahmen der parol evidence rule.........................................124 bb) Kritik an der parol evidence rule.............................................125 c) Die plain meaning rule ..................................................................127 2. Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building Society als Wendepunkt der englischen Vertragsauslegung..............131 a) Der Sachverhalt.............................................................................132 b) Die Five Principles als Grundlage der modernen Vertragsauslegung.........................................................................133 aa) Die objektive Auslegung aus Sicht einer „reasonable person“ .133 bb) Die Matrix of Fact und die Abkehr vom Literal Approach ......136 (1) Der Begriff der matrix of fact............................................ 136 (2) Das Verhältnis der matrix of fact zur parol evidence rule.. 138 cc) Die pre-contractual-negotiation-bar.........................................139 dd) Die kontextuale Auslegung und die gewöhnliche Bedeutung des Wortlauts ........................................................142 ee) Die Möglichkeit der Wortlautkorrektur ...................................145 3. Weitere Auslegungsgrundsätze .........................................................147 a) Contra Proferentem .......................................................................147 b) Die purposive construction............................................................150

Inhaltsverzeichnis

XIII

4. Die Bedeutung der rectification im Hinblick auf die Vertragsauslegung und der Vergleich zur falsa demonstratio im deutschen Recht ...............................................................................151 a) Die Bedeutung der rectification und ihr Verhältnis zur Auslegung ...............................................................................151 b) Die Voraussetzungen und dogmatischen Grundsätze der rectification...................................................................................153 aa) Rectification for common mistake...........................................156 bb) Rectification for unilateral mistake .........................................158 (1) Die vorausgesetzte positive Kenntnis des Irrtums und die Frage des relevanten Willens ................................ 159 (2) Die Voraussetzung der Ungleichheit zwischen den Vertragsparteien ......................................................... 161 c) Einschränkungen der rectification durch Drittinteressen................161 III. Zusammenfassung.................................................................................162 § 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich ..........163 I. Dogmatische Unterschiede der Vertragsauslegung im deutschen und englischen Recht ...................................................................................163 1. Der Geltungsgrund des Vertrags – subjektiver und objektiver Vertragsbegriff im Vergleich ............................................164 2. Der Auslegungsvorgang der normativen Auslegung im deutschen Recht im Vergleich mit der individuell-objektiven Auslegung im englischen Recht .........................................................................165 II. Praktische Unterschiede der Vertragsauslegung – Eine Fallgruppenanalyse .......................................................................167 1. Fälle der falsa demonstratio und des erkannten einseitigen Irrtums ...167 a) Der Fall der falsa demonstratio non nocet .....................................167 aa) BGH, Urteil vom 7.12.2001 – V ZR 65/01 ..............................167 bb) Beale v. Harvey ......................................................................169 cc) Vergleich.................................................................................170 b) Die falsa demonstratio und die praktische Anwendung der rectification...................................................................................172 aa) Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd .................172 bb) BGH, Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 122/91..........................174 cc) Vergleich.................................................................................175 c) Zwischenergebnis..........................................................................176 2. Fälle der objektiven Auslegung und der Einfluss objektiver Auslegungsmaßstäbe ........................................................177 a) BGH, Urteil vom 19.1.2000 – VIII ZR 275/98 ..............................178 aa) Sachverhalt..............................................................................178 bb) Bewertung ..............................................................................181

XIV

Inhaltsverzeichnis

b) British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL .............181 aa) Sachverhalt..............................................................................181 bb) Bewertung ..............................................................................186 c) Vergleich und Bewertung beider Auslegungsvorgänge und -ergebnisse ....................................................................................187 aa) Vergleich.................................................................................187 bb) Bewertung ..............................................................................190 § 5 Zusammenfassung.................................................................................191 I. Grundkonzeption des Vertragsrechts im deutschen und englischen Recht.....................................................................................................192 II. Die Bedeutung des subjektiven Willens im Rahmen der Vertragsauslegung.................................................................................193 1. Auslegungsziel ..................................................................................193 2. Praktische Anwendung......................................................................194

2. Kapitel: Dissens und Irrtum .......................................................... 196 § 6 Der Dissens im deutschen Recht ...........................................................197 I. Der Begriff des Dissenses und der Fall des inkongruenten Doppelirrtums .......................................................................................198 II. Der offene Dissens nach § 154 BGB .....................................................200 1. Begriff und Anwendungsbereich .......................................................200 2. § 154 BGB als Auslegungsregel........................................................202 III. Der versteckte Dissens nach § 155 BGB ...............................................204 1. Der Fall mehrdeutiger Parteierklärungen (sog. „Scheinkonsens“) .....204 2. Der Fall versehentlicher Unvollständigkeit .......................................206 3. Der Fall des Erklärungsdissenses ......................................................206 4. Rechtsfolgen des versteckten Dissenses und § 155 BGB als Auslegungsregel..........................................................................207 IV.Zusammenfassung.................................................................................208 § 7 Der Irrtum im deutschen Recht .............................................................209 I. Das Grundproblem der Anfechtung und ihre Notwendigkeit .................210 II. Das Verhältnis der Anfechtung zur Auslegung und zum Dissens ..........211 1. Der Auslegungsvorrang.....................................................................211 2. Die Abgrenzung der Anfechtung zum versteckten Dissens................212 III. Die Kategorien der Irrtümer des § 119 BGB .........................................213 1. Inhalts- und Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB .....................213 a) Der Erklärungsirrtum ....................................................................213

Inhaltsverzeichnis

XV

b) Der Inhaltsirrtum und seine Unterfälle ..........................................214 aa) Der Verlautbarungsirrtum .......................................................215 bb) Weitere Formen des Inhaltsirrtums .........................................215 2. Der Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB ...............................216 a) Der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft ........................218 b) Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person ..........................219 c) Verkehrswesentliche Eigenschaften von Sachen ...........................220 IV.Der Fall des beiderseitigen Motivirrtums über Eigenschaften ...............221 1. Die Einordnung des beiderseitigen Motivirrtums ..............................221 2. Der beiderseitige Motivirrtum nach § 313 Abs. 2 BGB .....................222 V. Ausschlussgründe der Irrtumsanfechtung ..............................................224 1. Fehlende subjektive Erheblichkeit als Ausschlussgrund ....................224 2. Der Ausschluss der Anfechtung aufgrund Rechtsmissbräuchlichkeit............................................................................226 3. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners als Hinderungsgrund .............227 VI.Rechtsfolgen der Anfechtung ................................................................227 VII.Zusammenfassung................................................................................227 § 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht ...............................................228 I. Das englische Irrtumsrecht im Überblick und die Abgrenzung von mistake zur misrepresentation und non-disclosure ................................230 1. Mistake .............................................................................................230 2. Misrepresentation..............................................................................231 3. Non-Disclosure .................................................................................232 II. Mistakes negativing consent: unilateral mistake, mutual mistake und unvollständige Verträge ........................................................................233 1. Grundverständnis des unilateral und mutual mistake und die Bedeutung der Auslegung...........................................................233 2. Die Voraussetzung der Erheblichkeit und die Arten des unilateral und mutual mistake.....................................................235 a) Der unilateral mistake hinsichtlich des Vertragsgegenstands .........236 b) Der unilateral mistake über den Vertragspartner ...........................238 c) Der mutual mistake und der Fall des unvollständigen Vertrags .....240 aa) Der mutual mistake .................................................................240 bb) Der Fall des unvollständigen Vertrags ....................................242 (1) May & Butcher v. The King.............................................. 242 (2) WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd..................................... 244 (3) Analyse und die Suche nach einheitlichen Prinzipien........ 245 3. Die Rechtswirkung des unilateral und mutual mistake ......................247 III. Mistakes nullifying consent: der Fall des common mistake ...................248 1. Grundverständnis des common mistake.............................................248

XVI

Inhaltsverzeichnis

2. Die Beurteilung der Erheblichkeit im Falle eines common mistake durch Auslegung ..................................................................249 a) Grundsätzliche Voraussetzungen der Erheblichkeit .......................249 b) The Great Peace Entscheidung und die Rolle der Auslegung für die Feststellung des common mistake ......................................251 3. Rechtsfolgen eines common mistake .................................................254 a) Rechtsfolgen im common law .......................................................254 b) Rechtsfolgen in der equity-Rechtsprechung ..................................255 IV.Zusammenfassung.................................................................................256 § 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich...258 I. Der Dissens im deutschen und englischen Recht im Vergleich..............258 1. Deutsches Recht................................................................................259 2. Englisches Recht ...............................................................................260 3. Vergleich ..........................................................................................260 a) Berücksichtigung der Intention zum Vertragsschluss der Parteien.........................................................................................260 b) Fehlende Einigung über wesentliche Vertragsbestandteile ............261 c) Fehlende Einigung über vertragliche Nebenpunkte .......................261 4. Zusammenfassung.............................................................................262 II. Das Irrtumsrecht des deutschen und englischen Rechts im Vergleich....263 1. Dogmatische Unterschiede des Irrtumsrechts im deutschen und englischen Recht........................................................................263 2. Die unterschiedlichen Irrtumsarten im Vergleich ..............................264 a) Der einseitige unerkannte Irrtum ...................................................264 b) Der Fall des einseitigen erkannten Irrtums ....................................266 c) Der Fall des mutual mistake und des Dissenses .............................268 d) Der Fall des common mistake und der beiderseitige Motivirrtum .268 3. Zusammenfassung.............................................................................271 III. Zusammenfassung.................................................................................272

3. Kapitel: Zusammenfassung ............................................................... 275 Literaturverzeichnis................................................................................... 281 Sachregister............................................................................................... 291

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABGB abl. Abs. AC AcP AG AGB AllER Anm. Anwk App Cas Art. Aufl. B.C.L.C. B.L.R. B&C BAGE BB Bd. BerGer. BGB BT-Drs. Bur Ch.D. CISG Co. ConLR D. DB DCFR dems. dens. ders. dies. DJZ

anderer Ansicht Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch ablehnend Absatz Law Reports, Appeal Cases Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen All England Law Reports Anmerkung Anwaltskommentar Law Reports Appeal Cases Artikel Auflage Butterworths Company Law Cases Business Law Review Barnewall & Cresswell’s Kings Bench Reports Sammlung der Entscheidungen des BAG Der Betriebs-Berater Band Berufungsgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundestags-Drucksache Burrow’s King’s Bench Reports Chancery Division Law Reports Convention on Contracts for the International Sale of Goods Company Construction Law Reports Digesten Der Betrieb Draft Common Frame of Reference demselben denselben derselbe dieselbe. dieselben Deutsche Juristen-Zeitung

XVIII DNotZ DR East El&Bl ELR endg. ERCL ERPL EuGH EuZW EWCA EWHC f./ff. FG Fn. FS GG H.&C. h.M. HarvardLR HG HGB Hk HKK i.S.d. ICLQ IHR Inc J JA JBl Jh. JhJb JR Jura JurA JuS JW JZ KB Law Com. LG LJ LJQB

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsches Recht East King’s Bench Reports Ellis and Blackburn’s Queen’s Bench Reports European Law Review endgültig European Review of Contract Law European Review of Private Law Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht England and Wales Court of Appeal High Court of England and Wales folgende Festgabe Fußnote Festschrift Grundgesetz Hurlston and Coltman’s Exchequer Reports herrschende Meinung Harvard Law Review Handelsgericht Handelsgesetzbuch Handkommentar Historisch-kritischer Kommentar im Sinne des, im Sinne der International and Comparative Law Quarterly Internationales Handelsrecht Incorporated Justice Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Jahrhundert Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Law Reports, King’s Bench Law Commission Landgericht Lord Justice Law Journal, Queen’s Bench

Abkürzungsverzeichnis Lloyd’s Rep LT Ltd m.E. m.w.N. NJOZ NJW NJW-RR Nr. NZM OLG PECL Prot. Q.B. QBD RG Rl. Rn. S. v. VersR vgl. WLR WM z.B. ZEuP ZRG

Lloyd’s Law Reports Law Times Reports Limited meines Erachtens mit weiteren Nachweisen Neue juristische Online-Zeitschrift Neue juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Oberlandesgericht Principles of European Contract Law Protokolle Law Reports, Queen’s Bench Law Reports, Queen’s Bench Division Reichsgericht Richtlinie Randnummer Seite versus, vom, von Versicherungsrecht vergleiche Weekly Law Reports Wertpapiermitteilungen zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte

XIX

Einleitung „Verträgen halte Treu’! Was du bist, bist du nur durch Verträge.“ – Richard Wagner, Das Rheingold

Der Vertrag als eine Form des Rechtsgeschäfts gibt den Rechtssubjekten die Möglichkeit, ihre Verhältnisse untereinander verbindlich zu regeln. Dies wird innerhalb der europäischen Rechtsordnungen durch die Vertragsfreiheit ermöglicht, welche wiederum eine Ausprägung der Privatautonomie darstellt1. Die Privatautonomie als „Grundsatz der Selbstbestimmung des einzelnen Rechtssubjekts“ 2 ermöglicht den natürlichen und juristischen Personen also die Verwirklichung ihres Willens. Dies kann jedoch nicht nur durch eine bloße subjektive Willensentscheidung geschehen, sondern bedarf zusätzlich eines objektiven Tatbestands. Erst in Verbindung mit einer objektiv erkennbaren Erklärungshandlung kann der subjektive Wille einer Partei in Form einer Willenserklärung verwirklicht werden. Stimmen zwei Willenserklärungen im Hinblick auf das subjektiv Gewollte und objektiv Erklärte überein, besteht der Regelfall eines wirksamen Vertragsschlusses. Die Gegenstücke zum Grundsatz der Privatautonomie stellen der Vertrauensschutz und die Rechtssicherheit dar. Eine Partei muss sich im Falle einer empfangsbedürftigen Willenserklärung auf das objektiv Erklärte ihres Gegenübers verlassen können. Schließlich besteht keine Möglichkeit, den tatsächlichen, rein subjektiven Gedanken des Erklärenden zu erkennen. Um den Inhalt und Sinn einer Willenserklärung zu ermitteln, bedienen sich die verschiedenen Rechtsordnungen des Mittels der Auslegung3. Im eben genannten Regelfall eines wirksamen Vertragsschlusses bestehen hinsichtlich der Auslegung der betreffenden Willenserklärungen wohl kaum Probleme. Wesentlich komplizierter gestalten sich hingegen Fälle, in denen die eine Partei eine Erklärung anders verstanden hat, als sie vom Erklärenden gemeint war. Dabei stellt sich beinahe zwangsläufig die Frage, worauf mehr Rücksicht genommen werden muss: Auf den subjektiven Willen des Erklärenden oder auf den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers bzw. des Rechtsverkehrs, der auf ein objektives Auslegungsergebnis fußt. Es stehen sich somit in 1

Soergel/Wolf, Vor § 145 BGB, Rn. 3, 19; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 4, 9; Fricke, S. 15. 2 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 4. 3 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 1.

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Einleitung

abstrakter Betrachtung die Begriffe der Subjektivität und Objektivität gegenüber 4 . Die Rechtssysteme gewichten die beiden Pole dabei teilweise sehr unterschiedlich und kommen dementsprechend häufig auch zu stark divergierenden Auslegungsergebnissen. Diese entstehen jedoch nicht nur durch die unterschiedliche Gewichtung von Privatautonomie und Rechtssicherheit, sondern vor allem auch durch die sich daraus ergebenden Unterschiede in der praktischen Handhabung der Auslegung. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur die unterschiedliche Berücksichtigung von Begleitumständen, wie vorvertragliche Verhandlungen oder zwischen den Vertragsparteien entstandene Gebräuche genannt. Die Frage, inwieweit der subjektive Wille einer Partei berücksichtigt werden darf und muss und wo die Grenze der Privatautonomie zur Rechtssicherheit verläuft, wird aber nicht nur im Hinblick auf die Auslegung aufgeworfen. Vielmehr gibt es im Vertragsrecht zahlreiche Sachverhalte, in deren Rahmen eine erneute Abwägung und Bewertung der Problematik geboten scheint. Ausnahmen vom Regelfall des Vertragsschlusses, bei dem sich zwei Willenserklärungen subjektiv wie objektiv decken, bilden z.B. Fälle, in denen eine Partei einem Irrtum unterliegt oder bei denen die Willenserklärungen der Vertragsparteien subjektiv wie objektiv keinerlei Übereinstimmung zeigen. Die Grundlage für die Bewertung dieser Fälle bildet stets die Auslegung, muss doch erst Sinn und Inhalt einer Erklärung festgestellt werden. Allerdings erfordern die eben genannten Sachverhalte eine differenziertere Betrachtung, da sich je nach konkreten Umständen die Bedürfnisse des Vertrauensschutzes der einzelnen Parteien gestalten. Beispielhaft sei hierbei nur die Erkennbarkeit eines Irrtums für den Erklärungsempfänger genannt. Hierbei ist letztlich eine Neubewertung im Hinblick auf die Auslegung nach subjektiven Willen und objektiver Erklärung erforderlich, da das Vertrauen des Erklärungempfängers auf die Richtigkeit der Erklärung weniger schutzwürdig erscheint, als im Falle des nicht erkennbaren Irrtums. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Bedeutung des subjektiven Willens im Rahmen des Vertragsrechts, insbesondere der Vertragsauslegung, im deutschen und englischen Recht zu untersuchen und zu vergleichen. Die zentrale Fragestellung lautet dabei: Inwieweit unterscheiden sich die verschiedenen Rechtsordnungen in ihrem Umgang mit dem Konflikt zwischen Privatautonomie und Rechtsschutz, und damit letztlich dem Konflikt zwischen Subjektivität und Objektivität? Diese Frage gilt es aus verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten, indem die Grundsätze der Vertragsauslegung beschrieben, bewertet und ihr Verhältnis zu anderen Bereichen des Vertragsrechts, den Dissensregeln und dem Irrtumsrecht, untersucht werden. Weiterhin sollen die verschiedenen „Korrekturmechanismen“, wie z.B. der falsa demonstratio Grundsatz und das Rechtsmittel der rectification untersucht werden. Mit der 4

Vgl. hierzu auch Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 455.

Einleitung

3

Beantwortung der Frage, welche Rolle der subjektive Parteiwille in beiden Rechtsordnungen spielt, soll zugleich untersucht und begründet werden, wo das Cliché, das deutsche Recht verfolge einen im Vergleich stark subjektiv geprägten Ansatz, herrührt. Zunächst sollen die Grundsätze der Vertragsauslegung in beiden Rechtsordnungen beschrieben und miteinander verglichen werden. Dabei wurden deutsches und englisches Recht vor dem Hintergrund ausgewählt, dass sie heute auf den ersten Blick zwar ähnlich in der Handhabung der Vertragsauslegung scheinen, in ihrer Vergangenheit jedoch deutliche Unterschiede gezeigt haben. Der Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität steht dabei im Zentrum der Betrachtung. Inwieweit sich beide Rechtsordnungen in dieser Hinsicht heute noch unterscheiden und wie groß sich dieser Unterschied darstellt, soll dabei herausgearbeitet werden. Dies soll nicht auf einer rein abstrakten Ebene geschehen, was weder sinnvoll noch ergebnisbringend wäre. Vielmehr soll die Auslegung in ihrer praktischen Anwendung und anhand von Fallbeispielen dargestellt werden. Dazu sollen u.a. die Berücksichtigung außervertraglicher Begleitumstände, die Rolle des Wortlauts eines Vertragstextes sowie normative Auslegungsmaßstäbe untersucht werden. Die Vertragsauslegung erschöpft sich jedoch nicht in der generellen Frage, wie ein Vertrag zu verstehen ist oder zu verstehen sein sollte. Vielmehr eröffnen sich neue Problemfelder, wie die Fälle, in denen sich das subjektive Verständnis der beteiligten Parteien vom objektiven Vertragsinhalt unterscheidet. Wollten die Vertragsparteien subjektiv einen gemeinsamen Vertragsinhalt, erklärten aber aus objektiver Sicht etwas Anderes, wendet das deutsche Recht den aus dem römischen Recht entstammenden falsa demonstratio non nocet Grundsatz an5. Demnach schadet eine irrtümliche oder absichtliche Falschbezeichnung nicht, wenn der Parteiwille übereinstimmt, bzw. die Gegenseite die Falschbezeichnung bemerkt hat oder bemerken hätte müssen 6 . Das englische Recht eröffnet in der equity-Rechtsprechung den Vertragsparteien in den Fällen, in denen der Vertragstext nicht das von den ihnen gemeinsam Gewollte reflektiert, das Rechtsmittel der rectification. Die rectification ermöglicht die Wortlautkorrektur eines fehlerhaft niedergeschriebenen Vertrags. Dies gilt wortwörtlich allerdings nur in den Fällen, in denen der Wortlaut des geschriebenen Vertrags fehlerhaft den gemeinsamen Willen der Parteien darstellt und unterscheidet sich somit bereits in diesem Punkt deutlich vom deutschen Recht7. Die Voraussetzungen dieser einzelnen Rechtsmittel und Grundsätze sowie deren Auswirkungen auf einen bestehenden Vertrag gilt es zu beschreiben und zu vergleichen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, den unterschiedlichen Umgang der Rechtsordnungen mit dem Wider5 6 7

Foer, S. 1. Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 8. Burrows/McKendrick, 8.153.

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Einleitung

streit von Privatautonomie und Rechtsschutz zu bewerten. Dabei steht im Rahmen dieser Arbeit die Untersuchung schriftlicher Verträge im Vordergrund, da hierbei der Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen aufgrund ihrer kontext- und textorientierten Ausrichtung am deutlichsten zu Tage tritt8. Die Auslegung ist jedoch nicht nur hinsichtlich der Frage, wie ein Vertrag zu verstehen ist, relevant. Vielmehr spielt sie bereits in einem vorhergehenden Schritt eine entscheidende Rolle, nämlich bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Vertrag zwischen zwei Parteien zustande gekommen ist oder ob ein Einigungsmangel vorliegt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn weder die Erklärungen der Parteien, noch deren subjektiver Wille übereinstimmen9. Zudem stellt sich die Frage, wie mit unvollständigen Verträgen umzugehen ist. Das englische Recht geht im Vergleich zum deutschen Recht hier jedoch einen völlig anderen Weg. Während das deutsche Recht den Umgang mit Einigungsmängeln in den §§ 154, 155 BGB explizit geregelt hat und zudem den Begriff des Dissenses kennt, verortet das englische Recht die Problematik der Einigungsmängel überwiegend in den Bereich des Irrtumsrechts. Auch in den Fällen, in denen eine Partei einem unbewussten Willensmangel bzw. Irrtum unterliegt, kommt die Auslegung zum Einsatz10. Es muss aus Vertrauensschutzgründen z.B. bewertet werden, ob ein Irrtum für einen Erklärungsempfänger erkennbar war und ob die Erklärung dementsprechend anders hätte verstanden werden müssen. So stellt sich daraus folgend die Frage, wie deutsches und englisches Recht mit Irrtümern im Rahmen der Willensbildung oder -äußerung umgehen und welche Rolle die Auslegung von Willenserklärungen bzw. Verträgen dabei spielt. Beide Rechtsordnungen gewähren unter bestimmten Voraussetzungen einer sich irrenden Partei ein Anfechtungsrecht. Diese Voraussetzungen unterscheiden sich jedoch grundlegend. Das deutsche Recht weist hier auf den ersten Blick einen scheinbar deutlichen Widerspruch auf: Während die Auslegung normativ aus Sicht des Erklärungsempfängers erfolgt und somit der subjektive Wille des Erklärenden zunächst scheinbar keine Rolle mehr spielt11, wird dem Erklärenden im Falle eines Irrtums ein Anfechtungsrecht nach den §§ 119 ff. BGB gewährt. Obwohl also scheinbar die Rechtssicherheit zunächst in den Vordergrund getreten ist, bleibt sie in den Fällen des Irrtums doch hinter dem subjektiven Willen des Irrenden zunächst zurück. Der Irrende erhält somit die Möglichkeit auf Basis eines Irrtums, der zu einer Abweichung zwischen subjektiv 8

Vgl. Czarnecki, S. 5. Vgl. Soergel/Wolf, § 154 BGB, Rn. 2. 10 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 48. 11 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 29; dies gilt freilich nur in den Fällen, in denen der Erklärungsempfänger nicht erkannte oder nicht hätte erkennen müssen, was der Erklärende tatsächlich wollte, denn dann gilt der Grundsatz der falsa demonstratio; Soergel/ Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 6. 9

Einleitung

5

Gewolltem und objektiv Erklärtem führt, einen Vertrag anzufechten 12. Dies gilt freilich nicht für jede Art von Irrtum, sind die Fälle der §§ 119 ff. BGB doch klar benannt und durch die Rechtsprechung konkretisiert worden. Nichtsdestotrotz scheint das deutsche Recht ein hohes Schutzniveau zu Gunsten des Irrenden zu schaffen. Das englische Recht hingegen geht, gemäß seinem Grundprinzip eine hohe Rechtssicherheit zu gewährleisten, einen wesentlich strengeren Weg. So muss ein Erklärender, der bei Abgabe seiner Erklärung einem Irrtum unterliegt, den nach objektiver Auslegung ermittelten Inhalt der Erklärung zunächst gegen sich gelten lassen13. Eine Anfechtung ist nur dann in Ausnahmefällen möglich, wenn ein Festhalten an dem Auslegungsergebnis auf eine an Unrecht grenzende Härte für den Erklärenden darstellen würde14. Weiterhin wird in Fällen der misrepresentation, also einer vorsätzlichen Täuschung, in aller Regel eine Anfechtung gewährt. Der unterschiedliche Umgang der Rechtsordnungen mit Fällen, in denen eine Partei einem Irrtum unterliegt, die unterschiedlichen Irrtumsarten sowie das Verhältnis zu den Vorschriften der Vertragsauslegung, insbesondere den Fällen der falsa demonstratio und des erkannten Irrtums, sollen ebenfalls im zweiten Kapitel miteinander verglichen werden. Dabei soll zunächst das Dissens- und Irrtumsrecht im deutschen Recht erläutert werden, um im Anschluss daran die Fallgruppen der unilateral und mutual sowie des common mistake im englischen Recht zu beschreiben. Diese Struktur wurde gewählt, da das englische Recht, wie erwähnt, nicht zwischen Dissens- und Irrtumsrecht unterscheidet und auf diese Weise eine Vergleichbarkeit gewährleistet werden kann. Drittes und abschließendes Kapitel bildet eine Zusammenfassung, in der in Kürze die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten des deutschen und englischen Rechts hinsichtlich der Berücksichtigung des subjektiven Parteiwillens im Rahmen der Auslegung sowie des Dissens- und Irrtumsrechts erneut dargestellt werden. Betrachtet man die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommenen Untersuchungen ergibt sich die Gesamtthese, dass der scheinbare Gegensatz zwischen Subjektivität und Objektivität im deutschen und englischen Recht bzw. die unterschiedliche Berücksichtigung des subjektiven Parteiwillens nicht aus einer unterschiedlichen Handhabung der Auslegung oder des Dissenses herrührt, sondern vielmehr einen Ausfluss des gänzlich unterschiedlichen Irrtumsrechts darstellt. Diese These wird sich schlussendlich auch bestätigen.

12 13 14

Freilich unter Ersatz des entstandenen Vertrauensschadens, § 122 BGB. Burrows/McKendrick, 8.145. Burrows/McKendrick, 8.147; Malins v. Freeman (1836) 2 Keen 25.

1. Kapitel

Die Auslegung Jede Art von menschlicher Äußerung oder Verhaltensweise bedarf einer Auslegung1. Die Auslegung als Sinnermittlung einer rechtsgeschäftlichen Erklärung beschränkt sich nicht auf die Feststellung deren Inhalts2. Vielmehr muss in einem vorgelagertem Schritt die Frage beantwortet werden, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt 3 . Erst wenn dies bejaht wurde, kann eine Sinnermittlung erfolgen. Diese Sinnermittlung spielt vor allem in den Fällen eine entscheidende Rolle, in denen sich das Verständnis von Erklärendem und Erklärungsempfänger voneinander unterscheiden bzw. in denen eine Erklärung oder ein Vertrag nicht eindeutig ist4. Doch schon die bloße Feststellung, dass eine Erklärung oder ein Vertrag eindeutig ist und demnach keiner weiterer Auslegung bedarf, ist letztlich das Ergebnis einer Auslegung5. Die Hauptaufgabe besteht jedoch in der Sinnermittlung einer mehrdeutigen Willenserklärung oder eines mehrdeutigen Vertrags. Dies gilt dann, wenn das von den Parteien schriftlich, mündlich oder auf sonstige Weise Erklärte feststeht, aber gleichzeitig unklar ist, was diese damit meinen6. Die Art und Weise der Sinnermittlung kann dabei denkbar unterschiedlich erfolgen. Deutsches und englisches Recht scheinen sich hierbei besonders zu unterscheiden, geht Ersteres doch einen tendenziell subjektiveren Weg als das englische Recht. Dieser Eindruck entsteht zumindest bei einem ersten, oberflächlichen Blick auf die relevanten Auslegungsvorschriften im deutschen sowie auf die entsprechende Rechtsprechung im englischen Recht. Zugleich lässt sich jedoch hinterfragen, ob eine unterschiedliche theoretische Ausrichtung auch zwangsweise entsprechend unterschiedliche praktische Ergebnisse mit sich bringt. Diese Frage darf vor allem vor dem Hintergrund gestellt werden, dass 1

Schiemann, in: Staudinger/Eckpfeiler, C. Rn. 41. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 1; Larenz, S. 1; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97; Flume, AT II, S. 292; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 2; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 6. 3 Oder ein im englischen Recht vergleichbares Äquivalent; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 17; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97; Schiemann, in: Staudinger/Eckpfeiler, C. Rn. 41; Lüderitz, S. 25; Larenz, S. 82. 4 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 1; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 1; Canaris/Grigoleit, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Mak/du Perron, S. 587. 5 Canaris/Grigoleit, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Mak/du Perron, S. 587. 6 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97. 2

§ 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung

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das im deutschen Recht vergleichsweise offen verfolgte Ziel der Ermittlung des subjektiven Willens, in der Praxis kaum erreichbar erscheint. Daraus ergibt sich die Arbeitshypothese dieses Kapitels, nach der beide Rechtsordnungen zwar grundlegend verschiedene Ansätze der Auslegung verfolgen, die in der Rechtspraxis jedoch kaum unterschiedliche Ergebnisse mit sich bringen und daher auch nicht wesentlich zu dem Vorurteil beitragen, das deutsche Recht verfolge einen grundsätzlich subjektiveren Ansatz als das englische Recht. Diese Hypothese wird sich nach Auswertung und Vergleich der Rechtsprechung des deutschen und englischen Rechts auch bestätigen. Bevor jedoch die Auslegung in beiden Rechtsordnungen untersucht und miteinander verglichen wird, soll zunächst deren grundsätzliche Bedeutung und ihre Aufgabe für das Vertragsrecht erläutert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem grundlegenden Konflikt zwischen Privatautonomie und Rechts- bzw. Vertrauensschutz der Vertragsparteien sowie der Frage nach der Bedeutung des subjektiven Willens der Parteien. Anders formuliert: Wie subjektiv ist die Auslegung in den verschiedenen Rechtsordnungen?

§ 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung § 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung

I. Erläuternde und ergänzende Auslegung „Das kunstmäßige Verstehen von dauernd fixierten Lebensäußerungen“ nennen wir Auslegung oder Interpretation 7 . Der Begriff der Auslegung entstammt der Hermeneutik, der geisteswissenschaftlichen Disziplin die sich mit der Interpretation von Texten befasst8. Auch wenn sich nicht nur Juristen mit der Auslegung von Aussagen oder (Vertrags-)Texten befassen, spielt sie gerade in diesem Bereich der besonderen Hermeneutik eine entscheidende Rolle. Savigny beschreibt das Ziel der Auslegung damit, „den in dem toten Buchstaben niedergelegten lebendigen Gedanken vor unsrer Betrachtung wieder entstehen zu lassen“9. Eine solche „Wiederbelebung“ ist vor allem deshalb notwendig, da ein scheinbar eindeutiges geschriebenes oder gesprochenes Wort mehrere Bedeutungen haben kann10. Diese Mehrdeutigkeit ist u.a. von der konkreten Situation, bestimmten Sprachgewohnheiten des Erklärenden oder zeitlichen Umständen abhängig11. Durch die Mehrzahl möglicher Bedeutungen von Wörtern oder Ausdrücken entstehen Unklarheiten, die vor allem im Rahmen von Rechtsbeziehungen Probleme aufwerfen können. Dies gilt 7

Dilthey, S. 309. Vgl. Coing, Auslegungsmethoden, S. 13. 9 Savigny, System III, S. 244. Siehe auch Flume, AT II, S. 293. 10 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 1; vgl. Flume, AT II, S. 292. 11 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 1; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 2. 8

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1. Kapitel: Die Auslegung

vor allem für den Fall, dass die von der Erklärung betroffenen Beteiligten diese anders verstanden haben, als der Erklärende12. Die Ermittlung des Sinns einer Erklärung oder eines Vertrags ist die Zielsetzung der Auslegung13. Dies ist jedoch nicht erst Aufgabe eines Richters im Streitfall. Vielmehr müssen bereits die Vertragsparteien eine Erklärung oder einen geschlossenen Vertrag selbst auslegen. Nur so kann eine Partei z.B. entscheiden, welchen Inhalt ein erhaltener Antrag hat, ob sie diesen annehmen will und welchen Inhalt letztlich der geschlossene Vertrag hat. Die Auslegung beschränkt sich jedoch nicht auf die reine Sinnermittlung bzw. auf die Frage, welchen Inhalt ein Vertrag hat. Vielmehr wird die Auslegung auch dann nötig, wenn sich Probleme im Rahmen und Ablauf eines Vertragsverhältnisses ergeben, die von den Parteien im Vertrag selbst nicht geregelt oder bedacht wurden 14. Die Entstehung von Lücken kann dabei mehrere Ursachen haben. Zum einen mögen die Partien bestimmte Fälle, die im Rahmen des Vertragsverhältnisses auftreten können, für schlichtweg unwahrscheinlich und damit nicht für regelungsbedürftig halten. Zum anderen entstehen durch Vertragsverhandlungen Transaktionskosten, die eine Regelung jeglicher möglicher Fälle unwirtschaftlich machen15. Es erfolgt sodann die sog. ergänzende Auslegung, durch die eine bestehende Vertragslücke geschlossen werden soll 16 . Im Rahmen dieser Arbeit bezieht sich der Begriff „Auslegung“ – unabhängig von der Rechtsordnung – stets auf die auf Sinnermittlung gerichtete Auslegung, wohingegen der Begriff der „ergänzenden Auslegung“ stets im Rahmen einer Lückenfüllung eines Vertrags verwendet wird17. II. Die Bedeutung der Auslegung für das Vertragsrecht Soll der Sinn einer unklaren oder strittigen mündlichen oder schriftlichen Erklärung oder eines Vertrags ermittelt werden, zeigt sich schnell ein fundamentales Problem. Es stellt sich die Frage, was mehr Berücksichtigung finden soll: Der subjektive Wille der individuellen Vertragsparteien oder deren Erklärungen, also die subjektiven oder objektiven Merkmale einer Erklärung

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Flume, AT II, S. 304. Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 1; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 2; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 1; Flume, AT II, S. 291. 14 Kötz, in: FS Zeuner, S. 220. 15 Kötz, in: FS Zeuner, S. 220; Schäfer/Ott, S. 72 ff. 16 Die ergänzende Auslegung soll aufgrund des besonderen Blickwinkels dieser Arbeit jedoch nicht explizit behandelt werden. 17 Der Einfachheit halber wird auf eine Bezeichnung wie „einfache Auslegung“ oder „erläuternde Auslegung“ im Bezug auf die sinnermittelnde Auslegung, wie sie aus der deutschen Kommentarliteratur bekannt sind, verzichtet; so z.B. MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 3; Bamberger/Roth/Wendtland, § 157 BGB, Rn. 7. 13

§ 1 Begriff und Bedeutung der Auslegung

9

bzw. eines Vertrags 18 . Begründen lassen sich beide Sichtweisen zunächst relativ simpel. Die besondere Berücksichtigung des Willens ergibt sich durch die Berücksichtigung der Privatautonomie und der Selbstbestimmung der Parteien, die ihren Willen durch eine Erklärung bzw. einen Vertrag verwirklichen 19. Dementsprechend sollte, um die Selbstbestimmung maximal zu gewährleisten, bei der Auslegung der subjektive Wille der Vertragsparteien allein maßgeblich bzw. Ziel der Auslegung sein, „festzustellen, welcher Gedanke gedacht worden ist“20. Savigny begründet diese Auffassung damit, dass „der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden [muss], und nur, weil er ein inneres und unsichtbares Ereignis ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er erkannt werden könne“ 21. Allerdings kann die Absicht, den Willen nur einer Partei zu erforschen und daran den Inhalt eines Rechtsgeschäfts bzw. Vertrags festzumachen, nicht das letzte und alleinige Ziel der Auslegung darstellen. Schließlich ist im Rahmen eines Vertragsverhältnisses zwangsweise immer mehr als eine Partei beteiligt, weshalb in der Schlussfolge auch mehrere Willenserklärungen ausgelegt werden müssen. Zugleich können auch Dritte vom erklärten Vertragsinhalt betroffen sein, so z.B. im Falle einer Schuldübernahme i.S.d. §§ 414 ff. BGB. Dies offenbart das Kernproblem der Auslegung. Es besteht im Hinblick auf die Auslegung von Willenserklärungen, aber – und gerade – auch von Verträgen, zwangsweise ein Konflikt zwischen individueller Gestaltungsfreiheit und dem Vertrauensschutz der anderen Partei und des Rechtsverkehrs22. Ein Richter, der im Streitfall eine Vertragsklausel oder einen gesamten Vertrag auslegen muss, befindet sich somit „in dem Spannungsfeld zwischen individueller Gestaltungsfreiheit und den Maximen sozialer Ordnung“ 23. Durch die Festlegung eines Auslegungsergebnisses und somit des Sinns einer Erklärung, scheint ein Richter die privatautonome Freiheit mindestens eines Erklärenden zu Gunsten des Anderen bzw. des Rechtsverkehrs zu einem gewissen Grad zu untergraben oder aufzuheben24.

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Vgl. Kötz, in: FS Zeuner, S. 221; Larenz, S. 1; Biehl, JuS 2010, 195, 196; Sosnitza, JA 2000, 708, 714. 19 Kötz, in: FS Zeuner, S. 220; Flume, in: Caemmerer/Friesenhahn/Lange, S. 136. 20 Savigny, System III, S. 244; Flume, S. 291; Kötz, in: FS Zeuner, S. 220. 21 Savigny, System III, S. 258; vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97. 22 Jurisch, S. 1; Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 97; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 1; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 13; vgl. HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 1; vgl. Flume, AT II, S. 292; vgl. Canaris, S. 423. 23 Jurisch, S. 1; vgl. Grabau, S. 109. 24 Jurisch, S. 1.

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1. Kapitel: Die Auslegung

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht § 2 Die Auslegung im deutschen Recht

Die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen im deutschen Recht bot schon seit den ersten Entwürfen des BGB Anlass für Streit zwischen Vertretern subjektiver und objektiver Ausrichtung. Auf der einen Seite standen die Verfechter der Willenstheorie, die die Ermittlung des subjektiven Willens einer Partei als grundlegendes Auslegungsziel erachteten. Demgegenüber stand die Erklärungstheorie, nach der lediglich der objektive Sinn einer abgegebenen Erklärung als für die Auslegung relevant galt. Dieser Widerspruch scheint sich auch heute noch in den §§ 133 und 157 BGB zu finden25. Während § 133 BGB verlangt, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist26, spricht § 157 BGB davon, dass Verträge so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern27. I. Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre im deutschen Recht Bevor jedoch die Auslegungsvorschriften und die Auslegungspraxis im deutschen Recht selbst untersucht werden können, müssen zunächst die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre kurz erläutert werden. Denn nur so wird das „Grundgerüst“, in das sich die Auslegung einfügt, klar. Zudem sollen hierbei bereits eventuelle Anzeichen für die Bedeutung des subjektiven Willlens gesucht und verdeutlicht werden. Das deutsche Recht, welches den wohl höheren Abstraktionsgrad beider zu betrachtenden Rechtsordnungen aufweist, baut im Hinblick auf das Privatrecht sein „dogmatische[s] Gerüst“28 im Wesentlichen auf dem Begriff des Rechtsgeschäfts und dem der Willenserklärung auf. 1. Der Begriff des Rechtsgeschäfts Das Rechtsgeschäft ist nach den Motiven des BGB eine „Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“29. Es stellt in 25

HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 34. „Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“, § 133 BGB. 27 „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“, § 157 BGB. 28 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 1. 29 Motive I, S. 126; siehe zur Abgrenzung zu geschäftsähnlichen Handlungen, Realakten, Gefälligkeitshandlungen und Einwilligungen statt aller Wolf/Neuner, § 28, Rn. 8 ff.; laut Schapp stellt die zitierte Definition die Grundlage der Willenstheorie dar, Schapp, S. 8; siehe grundsätzlich zur Problematik der Ingeltungsetzung der Verpflichtungswillen 26

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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der Systematik des BGB neben den Realakten und unerlaubten Handlungen eine Unterart des allgemeinen Begriffs der Rechtshandlungen dar 30. In den Motiven wird weiterhin der Begriff der Rechtshandlungen sowie die dreiteilige Systematik allgemein beschrieben: „Die dem Begriffe des Rechtsgeschäfts gegebene Begrenzung führt zu einer besonderen Kategorie der Rechtshandlungen. Den Rechtsgeschäften als Handlungen mit Rechtsfolgen, die, weil sie gewollt sind, eintreten, stehen Handlungen gegenüber, an welche Rechtswirkungen sich anschließen, für deren Eintritt nach der Rechtsordnung gleichgültig ist, ob sie von den Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind. Die hervorragendste Stelle unter den letzteren nehmen die unerlaubten Handlungen (§§ 704 BGB ff.) ein. Es gibt aber auch eine Reihe von Handlungen solcher Art, welche keine Delikte sind, und welche nicht ungeeignet mit Rechtshandlungen bezeichnet werden. [...] Allgemeine Vorschriften über Rechtshandlungen sind nicht aufgestellt; insbesondere ist von einer Übertragung der für Rechtsgeschäfte gegebenen Vorschriften abgesehen, in so weitem Umfange sie auch passen mögen.“31

Der sehr allgemeine und abstrakte Begriff der Rechtshandlungen soll an dieser Stelle jedoch nicht im Fokus stehen. Vielmehr sollen das Rechtsgeschäft und dessen notwendiger Bestandteil, die Willenserklärung, ausführlich beschrieben und dargestellt werden32. Die eben zitierte Definition findet sich lediglich in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB wieder. Darüber hinaus ist vor allem der Begriff des Rechtsgeschäfts im BGB selbst nicht näher bestimmt 33. Eine allgemeine Definition scheint allerdings auch nicht zielführend, da es „das“ Rechtsgeschäft nicht gibt. Vielmehr erkennt das BGB nur konkrete Formen des Rechtsgeschäfts, wie z.B. den Kaufvertrag, Mietvertrag und das Testament an34. Dabei existieren zwei unterschiedliche Arten des Rechtsgeschäfts. Zum einen einseitige Rechtsgeschäfte, wie das Testament, oder zweiseitige Rechtsgeschäfte, wie der Kauf-, Miet- oder Pachtvertrag. Freilich gilt der allgemeine Begriff des Vertrags als Konstrukt, das aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen besteht, die auf eine identische Rechtsfolge gerichtet sind, ebenfalls als zweiseitiges Rechtsgeschäft 35. Das Rechtsgeschäft stellt somit im Wesentlichen einen abstrakten Oberbegriff dar, der die verschiedenen Arten von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in sich zusammenfasst 36. In seiner Funktion als „gestalterische[s] Mitdurch Vertragsparteien, des Parteivertrauens, der Mehrdeutigkeit des Vertragsbegriffs und des herbeizuführenden rechtlichen Erfolges Oechsler, S. 266 ff. 30 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 2; Flume, AT II, S. 104. 31 Motive I, S. 127; vgl. Flume, AT II, S. 105. 32 Siehe hierzu unten § 2 I. 2. 33 Flume, AT II, S. 23 34 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 3; Flume, AT II, S. 23. 35 Schiemann, in: Staudinger/Eckpfeiler, C. Rn. 2. 36 Flume bezeichnet diese als „Aktstypen“, Flume, AT II, S. 24; vgl. Soergel/ Hefermehl, Vor 116 BGB, Rn. 3.

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1. Kapitel: Die Auslegung

tel“ 37 darf das Rechtsgeschäft deshalb nicht dahingehend falsch verstanden werden, als dass es tatsächlich das Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie wäre. Denn es stellt eben gerade einen Oberbegriff dar, der verschiedene Tatbestandsmerkmale, wie z.B. eine oder mehrere Willenserklärungen, in sich zusammenfasst. Das Rechtsgeschäft verhilft der Privatautonomie vielmehr dahingehend zum Ausdruck, dass es an privatautonomes Handeln bestimmte Rechtsfolgen knüpft38. Schließlich verwirklicht sich der privatautonome Wille in der das Rechtsgeschäft bildenden Handlung, also u.a. einer Willenserklärung oder Willensbestätigung 39 , und nicht im Rechtsgeschäft selbst 40 . Das Rechtsgeschäft bildet also einen „Mittler“ zwischen der vom Willen bestimmten Handlung und der Rechtsfolge. Eine Betrachtung des Begriffs des Rechtsgeschäfts selbst scheint jedoch wenig zielführend, ist er eben doch ein abstrakter Oberbegriff, der unter anderem auf der Willenserklärung als „kleinstem Baustein“ aufbaut. Diese soll daher im Folgenden genauer untersucht werden, da ihre einzelne Bestandteile in Form der subjektiven Willensmomente eine bedeutende Rolle hinsichtlich der hier zu erläuternden Fragestellung spielen. 2. Die Willenserklärung Der Begriff der Willenserklärung stellt, wie der des Rechtsgeschäfts, einen abstrakten Begriff dar, der der weiteren Ausführung bedarf. Zunächst soll die scheinbare Begriffsidentität, bzw. das Verhältnis zwischen Willenserklärung und Rechtsgeschäft erläutert werden. Anschließend werden die einzelnen Bestandteile sowie die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Willenserklärung untersucht. a) Der Begriff der Willenserklärung und Unterschiede zu dem des Rechtsgeschäfts Im Hinblick auf die Willenserklärung findet sich in den Motiven zum ersten Entwurf des BGB ebenfalls eine Definition. Demnach wird unter der Willenserklärung „die rechtsgeschäftliche Willenserklärung verstanden“ 41. Weiter heißt es, der Begriff der Willenserklärung sei namentlich „da gewählt, wo die Willensäußerung als solche im Vordergrunde steht oder wo zugleich der Fall getroffen werden soll, daß eine Willenserklärung nur als ein Bestandtheil eines rechtsgeschäftlichen Thatbestandes in Frage kommt“ 42. 37

Wolf/Neuner, § 28, Rn. 1; vgl. Habersack, S. 41 ff. HKK/Schermaier, vor § 104 BGB, Rn. 7; Hattenhauer, S. 60. 39 Siehe hierzu Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff., Rn. 4; BGHZ 111, 97, 101; BGH WM 1986, 322, 324. 40 HKK/Schermaier, vor § 104 BGB, Rn. 8. Hattenhauer, S. 60. 41 Motive I, S. 126; die Definition ist freilich wenig aussagekräftig. 42 Motive I, S. 126. 38

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Die Verfasser des ersten Entwurfs des BGB sahen die Begriffe des Rechtsgeschäfts und der Willenserklärung im Wesentlichen als gleichbedeutend an. Selbst in der heutigen Fassung des BGB erfolgt keine klare Trennung, werden beide Begriffe doch häufig als Synonyme verwendet 43. Dies scheint jedoch ungenau. Eine Sinngleichheit beider Begriffe kann nur dann bestehen, wenn von einem einseitigen Rechtsgeschäft wie z.B. der Kündigung gesprochen wird, welches eben aus nur einer Willenserklärung besteht44. Bedarf es mehr als einer Willenserklärung, um ein Rechtsverhältnis zu gestalten, also bspw. bei Schließung eines Vertrags, so ist das Rechtsgeschäft in Form eben dieses Vertrags und gerade nicht in Form der einzelnen, unabhängig voneinander betrachteten Willenserklärungen zu verstehen 45 . Stimmen beide auf Abschluss eines Vertrags gerichteten Willenserklärungen weder subjektiv noch objektiv überein, liegt also ein Dissens vor46, entsteht kein Vertrag – es besteht daher auch kein Rechtsgeschäft 47. In jedem Fall ist für das Vorliegen eines Rechtsgeschäfts stets mindestens eine Willenserklärung erforderlich48. Zusätzlich können weitere Voraussetzungen an das Entund Bestehen eines Rechtsgeschäfts geknüpft sein, wie z.B. die Übergabe der Sache im Rahmen des § 929 BGB. Als Rechtsgeschäft gilt in diesem Fall der gesamte Tatbestand, die Willenserklärung bildet nur einen Teil des selbigen49. b) Wille und Erklärung als Tatbestandsmerkmale einer Willenserklärung In seiner neueren Rechtsprechung sieht der BGH die Willenserklärung als eine „Äußerung eines Willens, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist“50. Diese Definition macht bereits deutlich, dass eine Willenserklärung aus zwei wesentlichen Tatbestandsmerkmalen, dem Willen des Erklärenden als subjektivem sowie der Äußerung bzw. Erklärung als objektivem Tatbestand51 besteht. Die beiden Tatbestandsmerkmale Wille und Erklärung sowie die Frage, in welchem Verhältnis beide zueinander stehen, bedürfen der genaueren Untersuchung. Vor allem im Hinblick auf eine mögliche Divergenz zwischen Wille und Erklärung muss deren Verhält43

Wolf/Neuner, § 28, Rn. 4. Siehe zum Folgenden auch Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 5. Wie beim Begriff des Rechtsgeschäfts, findet sich im BGB keine Definition des Begriffs der Willenserklärung. 44 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 2; Wolf/Neuner, § 28, Rn. 4; Flume, AT II, S. 26. 45 Flume, AT II, S. 26. 46 Siehe hierzu unten § 6. 47 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 2. 48 So auch Medicus AT, Rn. 244. 49 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 2. 50 BGH NJW 2001, 289, 290; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 BGB ff., Rn. 1. 51 Wolf/Neuner, § 30, Rn. 1; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 BGB ff., Rn. 1; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 3.

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1. Kapitel: Die Auslegung

nis zueinander betrachtet werden. Schließlich spielt dies u.a. im Hinblick auf die Frage, wie eine Willenserklärung ausgelegt werden darf und wie Irrtümer zu handhaben sind, eine grundlegende Rolle. aa) Die verschiedenen Willensmomente als subjektive Merkmale Der Begriff des Willens scheint auf den ersten Blick als konstitutionelles Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung immanent. Allerdings wird der Begriff des Willens im juristischen Sprachgebrauch nicht derart verstanden, wie es wohl in der Umgangssprache der Fall wäre. Vielmehr wird der Wille des Erklärenden nicht als ein einheitlicher Gedanke verstanden, sondern nach der – vor allem für das Irrtumsrecht des § 119 BGB relevanten – klassischen Doktrin in verschiedene, sog. Willensmomente, untergliedert. Diese Willensmomente, die zugleich subjektive Elemente einer Willenserklärung darstellen, werden als Handlungswille, Erklärungsbewusstsein, Geschäfs- und Rechtsbindungswille bezeichnet und dogmatisch differenziert52. Auch wenn die dogmatische Vierteilung in ihrer Begrifflichkeit oftmals anders dargestellt wird 53, ändert sich doch nichts an deren Bedeutung 54. Die Erläuterung der verschiedenen Willensmomente spielt vor allem im Hinblick auf das Irrtumsrecht eine entscheidende Rolle, kommt es doch gerade dort darauf an, welche verschiedenen Arten von Willensmängeln die einzelnen Willensmomente betreffen. (1) Der Handlungswille Der Handlungswille beschreibt das Willensmoment, durch das der Erklärende ein bewusstes und vom Willen beherrschtes menschliches Verhalten zeigt, welches letztlich den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung bildet55. Es liegt also gerade kein unbewusstes oder reflexartiges Verhalten des Erklärenden vor56. Da die Willenserklärung einen Ausdruck menschlichen Verhaltens darstellt, muss sie auch ein willentlich beherrschtes – d.h. „ein der Bewußt-

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Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff., Rn. 26 ff.; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 20 ff.; HKK/Schermaier, §§ 116–124 BGB, Rn. 10; Flume, AT II, S. 46; Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 53; siehe ausführlichst zu den Willensmomenten Werba, S. 28 ff.; kritisch zur klassischen Drei- bzw. Vierteilung Wolf/Neuner, § 32, Rn. 1, aber auch Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 57 ff.; Leenen, JuS 2008, 577, 579. 53 So wird der Geschäftswille oftmals als Rechtsbindungs- oder Rechtsfolgewille bezeichnet, siehe nur Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 29; MüKo/ Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 23. 54 Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 53. 55 Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27. 56 Flume, AT II, S. 46; Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 54; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 22; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27; Wolf/Neuner, § 32, Rn. 2 ff.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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seinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes, beherrschbares“ 57 – Verhalten voraussetzen 58. Der Inhalt des Willens ist davon unabhängig zu betrachten59. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es für das Vorliegen einer Willenserklärung tatsächlich auf das bewusste und willentliche Handeln an sich oder auf die Fähigkeit, bewusst zu Handeln, ankommt. Flume stellt auf das bewusste Handeln im Sinne eines „Wollens“, durch das der Erklärende ein Erklärungszeichen setzt, ab60. Danach fehlt der Handlungswille z.B. im Zustand der Hypnose oder bei physischer Gewalteinwirkung durch einen Dritten, der den Erklärenden zu einer Unterschrift zwingt (vis absoluta61)62. Das Abstellen auf das bloße Wollen einer Handlung bringt jedoch Abgrenzungsprobleme mit sich. Aus objektiver Sicht ist zunächst nicht zu erkennen, ob eine Handlung bewusst oder unbewusst vorgenommen wurde. Hebt ein Auktionsteilnehmer z.B. reflexartig seinen Arm in die Luft (aus welchem Grund auch immer), handelt dieser zwar nach gängigem Verständnis ohne Handlungswillen63, nimmt aber dennoch eine Handlung vor. Zugleich scheint diese Handlung gerade – zumindest im Rahmen einer Auktion gewöhnlich und für einen objektiven Dritten scheinbar – eine Erklärungshandlung darzustellen. Zu fragen, ob der Handelnde die als Erklärung zu wertende Handlung vornehmen wollte, würde den Handelnden im Vergleich zum Rechtsverkehr jedoch bevorzugen, obwohl der Rechtsverkehr doch aus Vertrauensgesichtspunkten schützenswerter erscheint. Allein aus diesem Grund kann das Wollen als subjektives Willenselement des Erklärenden nicht zur Voraussetzung für das Bestehen einer Willenserklärung gemacht werden. Weiterhin spricht § 104 Abs. 2 Nr. 2 BGB im Hinblick auf die Geschäftsunfähigkeit von einem „die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit“. Liegt ein solcher Zustand eines Erklärenden bei Abgabe einer Willenserklärung vor, ist diese nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig. Der durch § 104 Abs. 2 Nr. 2 BGB angesprochene Zustand krankhafter Störung, der die freie Willensbestimmung ausschließt, kann nicht nur auf den bloßen Handlungswillen, der auf die Vornahme einer bestimmten Handlung gerichtet ist, abzielen 64 . Vielmehr geht es um die 57

BGH BGHZ 39, 103, 106. Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27; BGH BGHZ 39, 103, 106; 98, 135, 137. 59 Flume, AT II, S. 46; mit „Inhalt“ ist z.B. der Gedanke „Ich möchte diese Gitarre kaufen“ gemeint, also gerade nicht die bloße Fähigkeit, überhaupt zu handeln. 60 Flume, AT II, S. 46; so auch Lorenz, S. 215 ff. 61 Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff., Rn. 27; MüKo/Armbrüster, Vor§ 116 BGB, Rn. 22. 62 Flume, AT II, S. 46. 63 Da er nicht bewusst den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung verwirklichen wollte, vgl. Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27. 64 Staudinger/Klumpp, § 104 BGB, Rn. 13; MüKo/Schmitt, § 104 BGB, Rn. 14. 58

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1. Kapitel: Die Auslegung

grundsätzliche Fähigkeit, seinen Willen zu bilden. Von einer Fähigkeit der freien Willensbildung kann dann nicht mehr gesprochen werden, wenn „der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ähnlich einer mechanischen Verknüpfung von Ursache und Wirkung ausgelöst wird“ 65 . Wenn bei der Geschäftsunfähigkeit im Falle des § 104 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf Fremdeinwirkung oder eine durch unkontrollierbare Triebe und Vorstellungen verhinderte freie Willensbildung abgestellt wird, ist nur schwer ersichtlich, wieso gerade im Hinblick auf das Bestehen einer Willenserklärung auf das zweckgerichtete Handeln bzw. Wollen des Erklärenden abgestellt werden sollte66. Um eine nach außen hin sichtbare Handlung einem Handelnden als Erklärung zuzurechnen, muss also schon das Können, im Sinne der Möglichkeit eines bewussten Handelns bzw. die Beherrschbarkeit des selbigen ausreichen 67 . Die Beherrschbarkeit besteht freilich nicht in den bereits oben genannten Fällen der Bewusstlosigkeit, des reflexartigen Handelns und der vis absoluta. In diesen Fällen ist das Vorliegen einer Willenserklärung zu verneinen 68 . Die Lehre vom Handlungswillen, im Sinne eines bewussten und gewollten Handels, das den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung darstellt, ist also äußerst kritisch zu betrachten. Im Folgenden wird daher lediglich auf die Handlungsfähigkeit eines Erklärenden als subjektive Voraussetzung einer wirksamen Willenserklärung abgestellt. (2) Das Erklärungsbewusstsein Ein weiteres Willensmoment einer Willenserklärung stellt nach der klassischen Doktrin das sog. Erklärungsbewusstsein dar. Es stellt sich die Frage, ob sich ein Handelnder für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung bewusst sein muss, dass er durch sein Verhalten eine rechtsfolgenbehaftete Erklärung abgibt 69 . Verdeutlichen lässt sich diese Problematik anhand des klassischen Lehrfalls der „Trierer Weinversteigerung“70. In diesem hebt ein Auktionsteilnehmer seine Hand um einen Freund zu begrüßen, was der Auktionator jedoch als Abgabe eines Gebots versteht. Der Handelnde war sich im Zeitpunkt seiner Handlung nicht bewusst, dass er damit eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt. Problematisch gestaltet sich die eben genannte Konstellation im Hinblick auf die Privatautonomie des Handelnden. Verzichtet man auf ein Erklärungsbewusstsein als subjektives und konstituierendes Merkmal 65

BGH NJW 1970, 1680; vgl. MüKo/Schmitt, § 104 BGB, Rn. 14. Vgl. Wolf/Neuner, § 32, Rn. 12. 67 Wolf/Neuner, § 32, Rn. 10; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27. 68 Vgl. Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 15. 69 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 12; So Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 28; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 27. 70 Siehe Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 12; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 28; Flume, AT II, S. 47; ursprünglich von Isay eingeführt, Isay, S. 25. 66

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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einer Willenserklärung, wird schließlich die Selbstbestimmung des Handelnden untergraben71. Dem Handelnden kann so letztlich – vor allem aus Vertrauens- und Verkehrsschutzgründen – eine Willenserklärung zugerechnet werden, obwohl er sich deren Abgabe nicht einmal bewusst war, bzw. er nicht bewusst am Rechtsverkehr teilnehmen wollte72. Neuner, der das Erklärungsbewusstsein für eine wirksame Willenserklärung als notwendig ansieht, kritisiert die Qualifikation des Erklärungsbewusstseins als nicht-konstitutives Merkmal durch Teile der Literatur unter anderem aus diesem Grund 73. Zudem sei eine Gleichstellung von fehlendem Erklärungsbewusstsein und fehlendem Geschäftswillen im Hinblick auf die Anfechtbarkeit der Erklärung analog § 119 Abs. 1 BGB verfehlt. Weiterhin mache derjenige, dem eine Willenserklärung trotz fehlendem Erklärungsbewusstsein zugerechnet wird, im Gegensatz zu einem Erklärenden ohne Geschäftswillen, keinen aktiven Gebrauch von seiner Privatautonomie. Zudem sei die Rechtslage ähnlich wie bei einer „abhanden gekommenen“ Willenserklärung74. Während die Argumente durchaus nachvollziehbar sind, überzeugen sie nicht vollends. Zwar stellt die Zurechnung einer Willenserklärung bei fehlendem Erklärungsbewusstsein ein erhebliches Problem dar, da der Erklärende in dem Moment der Erklärung nicht bewusst von seiner Privatautonomie Gebrauch macht. Die Formulierung, dass derjenige der ohne Erklärungsbewusstsein handelt, „dem rechtsgeschäftlichen bzw. marktwirtschaftlichen Terrain von vornherein fern“ 75 bleibe, ist jedoch zu pauschal. Schließlich kann auch ein Auktionsteilnehmer eine Willenserklärung ohne Erklärungsbewusstsein abgeben, wenn er die Hand lediglich zum Gruß eines den Raum betretenden Freundes heben will. In diesem Fall bleibt er dem Rechtsverkehr gerade nicht fern, befindet er sich doch inmitten einer Auktion 76. In diesem Falle scheint gerade nicht der Erklärende, sondern der Rechtsverkehr schützenswert.

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Vgl. Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 13. Freilich kann diese Zurechnung nur dann erfolgen, wenn der Handelnde auch Handlungsfähig war, siehe oben § 2 I. 2. b) aa) (1). 73 Siehe hierzu und zum Folgenden Wolf/Neuner, § 32, Rn. 21 ff.; die Terminologie unterscheidet sich jedoch insofern, als dass statt dem Begriff des Erklärungsbewusstseins derjenige des Partizipationswillens verwendet wird, siehe hierzu Wolf/Neuner, § 32, Rn. 20; weiterhin verlangen Teile der Literatur das Vorliegen des Erklärungsbewusstseins für eine wirksame Willenserklärung, siehe für eine umfangreiche Aufzählung Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 12. 74 Siehe hierzu auch Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 49. 75 Wolf/Neuner, § 32, Rn. 22. 76 Vgl. zur Trierer Weinversteigerung Staudinger/Singer, Vorbem. Zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 27; siehe auch oben Fn. 53; siehe weiterhin zur Zurechnung der Erklärungsbedeutung unten § 2 IV. 5. a) cc). 72

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1. Kapitel: Die Auslegung

Auch die Kritik an der analogen Anwendung des § 119 Abs. 1 BGB kann nicht gänzlich überzeugen. Zwar stellt eine reine Wortlautinterpretation des § 119 Abs. 1 BGB keine ausreichende Argumentationsgrundlage dar, muss doch gerade geklärt werden, ob überhaupt eine (Willens-)Erklärung vorliegt77. Allerdings macht es aus Sicht des Erklärenden keinen Unterschied, ob er sich in Bezug auf den Inhalt einer abgegebenen Willenserklärung geirrt hat oder ob er überhaupt keine Willenserklärung abgeben wollte 78 . In beiden Fällen ist die Interessenlage zumindest vergleichbar, da die resultierende Rechtsfolge jeweils nicht gewollt war 79 . Argumentiert man für ein Erklärungsbewusstsein als subjektiv konstitutives Merkmal einer Willenserklärung aufgrund ansonsten untergrabener Selbstbestimmung, muss auch das aus selbiger Begründung gebildete Gegenargument akzeptiert werden. Die Rechtsprechung bejaht ebenfalls ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 1 analog BGB. Dem Erklärenden steht auf diese Weise eine „privatautonome Gestaltung in Selbstbestimmung“ in Form eines selbstbestimmten Wahlrechts offen. Er kann sich entscheiden, ob er die Willenserklärung anficht und einen evtl. entstandenen Vertrauensschaden ersetzt oder „ob er bei seiner Erklärung stehen bleiben will und dann eine etwaige Gegenleistung erhält, die ihn günstiger stellen könnte als seine einseitige Verpflichtung zum Ersatz des Vertrauensschadens“ 80. Der BGH verdeutlicht zudem, wieso das oftmals angeführte argumentum a fortiori81 aus § 118 BGB nicht überzeugt82. Will ein Erklärender bewusst keine Bindung an eine Willenserklärung, die er in der Erwartung, sein Gegenüber würde dies erkennen, abgegeben hat, ist diese Willenserklärung gem. § 118 BGB nichtig. Dies entspricht auch seinem Willen, weshalb für ein Anfechtungsrecht i.S.d. § 119 BGB schlichtweg kein Bedarf besteht. Schließlich geschieht der Vorgang im vollen Bewusstsein des Erklärenden. Im Gegensatz dazu steht jedoch eine ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung die gerade unbewusst abgegeben wird. Hier ist ein Anfechtungsrecht nach § 119 BGB nötig, um in letzter Konsequenz die Selbstbestimmung des unbewusst Erklärenden zu wahren 83. Besteht nun die Möglichkeit der Anfechtung, erscheint auch die Zurechnung einer ohne Erklärungsbewusstsein abgegebenen Willenserklärung nicht mehr völlig ungebührlich dem Erklärenden gegenüber.

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Kramer, S. 171. BGH BGHZ 91, 324, 330; so auch schon Brox, S. 49 ff.; Lorenz, S. 224. 79 Kramer, S. 171; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 13; Bydlinski, S. 163 80 BGH BGHZ 91, 324, 330; vgl. Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 34. 81 Siehe nur Wolf/Neuner, § 32, Rn. 22; Canaris, NJW 1984, 2281. 82 Siehe hierzu und zum Folgenden BGH BGHZ 91, 324, 330; siehe auch Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 14. 83 Grundlegend Mankowski, S. 379 ff. 78

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Die ohne Erklärungsbewusstsein abgegebene Willenserklärung kann nach heute wohl h.M. nur dann bestehen, „wenn sie als solche dem Erklärenden zugerechnet werden kann“, was wiederum voraussetzt, „daß dieser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten vom Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte“84. Dieses Erfordernis verhindert – neben der Anfechtungsmöglichkeit des Erklärenden – eine rechtlich gänzlich unstimmige Rechtsfolge. Der Blick auf den oben beschriebenen Fall der Versteigerung verdeutlicht dies: Hier hätte der unbewusst Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen und vermeiden können, dass sein Verhalten – das Handheben zum Gruß – als Willenserklärung aufgefasst werden durfte. Der Verkehrsschutz ist durch dieses Erfordernis gewährleistet, ohne dass eine unverhältnismäßige Benachteiligung des unbewusst Erklärenden erfolgt. Die Rechtsprechung hat somit einen Mittelweg zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung im Hinblick auf das Erfordernis eines Erklärungsbewusstseins geschaffen 85 . Das Erklärungsbewusstsein kann als Willensmoment bzw. subjektive Voraussetzung einer Willenserklärung also nur unter den vom BGH aufgeführten Umständen vorausgesetzt werden. (3) Der Geschäftswille Der sog. Geschäftswille bezieht sich auf die herbeizuführende bestimmte Rechtsfolge86. Der Geschäftswille spielt vor allem im Irrtumsrecht und in den Fällen der §§ 116–118 BGB eine erhebliche Rolle87. Irrt sich ein Erklärender z.B. über den Inhalt seiner Erklärung, liegt ein Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB vor88. In diesem Fall fehlt der Geschäftswille, da das durch die Willenserklärung konstituierte Rechtsgeschäft 89 eine andere Rechtsfolge bewirkt, als vom Erklärenden gewollt90. 84 BGHZ 91, 324, 330; 109, 171, 177; BGH NJW 1995, 953; 2002, 3629; Brox, S. 50; Palandt/Ellenberger, Einf v § 116 BGB, Rn. 17. siehe hierzu ausführlich unten § 2 IV. 5. a) cc). 85 Vgl. Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 14. 86 Jauernig/Mansel, Vor § 116 BGB, Rn. 6; Staudinger/Singer, Vorbem zu § 116 ff. BGB, Rn. 29; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 28; Lorenz, S. 226; die Ausrichtung auf eine bestimmte Rechtsfolge führt dazu, dass statt Geschäftswillen der Begriff des Rechtsfolgewillens häufig als Synonym verwendet wird, Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 29; Flume, AT II, S. 47; Bartholomeyczik, in: FS Ficker, S. 57. 87 Siehe hierzu ausführlich unten § 7. 88 Vgl. nur Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 29. 89 Im Fall eines einseitigen Rechtsgeschäfts ist dies freilich unproblematisch; in den Fällen der zweiseitigen Rechtsgeschäfte wird hier angenommen, dass das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts nur von der hier erwähnten Willenserklärung abhängt bzw. dass sich die korrespondiere Willenserklärung subjektiv als unproblematisch und objektiv als

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1. Kapitel: Die Auslegung

Der Geschäftswille kann kein konstitutives subjektives Merkmal einer wirksamen Willenserklärung darstellen 91 . Dies ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut: § 119 Abs. 1 BGB eröffnet dem sich irrenden Erklärenden ein Recht zur Anfechtung, wenn dieser über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhaltes überhaupt nicht abgeben wollte. In beiden Fällen ist die konkrete Rechtsfolge nicht gewollt, was auf einen fehlenden Geschäftswillen seitens des Erklärenden schließen lässt. Allerdings lässt sich nur eine zunächst wirksame Willenserklärung anfechten, was im Umkehrschluss den Geschäftswillen als subjektiv konstitutives Merkmal ausschließt92. Die Rechtsprechung behandelt den fehlenden Geschäftswillen ähnlich wie das fehlende Erklärungsbewusstsein: Erweckt ein Erklärender durch schlüssiges Verhalten den Eindruck, er habe einen Geschäftswillen gehabt, obwohl er ihn tatsächlich nicht hatte, muss er sich behandeln lassen, als hätte er mit Geschäftswillen gehandelt 93 . Es stellt sich also auch hier dieselbe Auslegungsproblematik wie schon beim Erklärungsbewusstsein, geht es doch um die Frage, ob und in wie weit das objektive Verhalten des Erklärenden Rückschlüsse auf seinen subjektiven Willen schließen lässt. (4) Der Rechtsbindungswille Letztes Willensmoment einer Willenserklärung stellt der sog. Rechtsbindungswille dar 94 . Während es beim Geschäftswillen um die Herbeiführung einer bestimmten Rechtsfolge geht, dient der Rechtsbindungswille jedoch generell der Abgrenzung zwischen außerrechtlichen Gefälligkeiten und rechtlich bindenden Rechtsgeschäften95. Es soll bei fehlendem Rechtsbindungswillen also gerade keinerlei rechtliche Bindung eingegangen werden. Hefermehl bezieht den Rechtsbindungswillen hingegen ebenfalls auf die bestimmte Rechtsfolge und stellt somit zwischen Geschäfts- und Rechtsbindungswillen eine Begriffsidentität her96. Dies kann jedoch nicht überzeugen, deckungsgleich darstellt, wodurch in letzter Konsequenz das Rechtsgeschäft zustande kommt. 90 Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 29; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 28; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 11. 91 So schon Wolf/Neuner, § 32, Rn. 25, 26; Jauernig/Mansel, Vor § 116 BGB, Rn. 6; 92 Jauernig/Mansel, Vor § 116 BGB, Rn. 6; Lorenz, S. 226; Wolf/Neuner, § 32, Rn. 26; anders sieht dies Singer, siehe Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 21 ff.; ders., S. 45 ff.; ders., JZ 1989, 1030 ff.; ebenfalls für eine konstitutive Wirkung des Geschäftswillens Lobinger, S. 45 ff. 93 BGHZ 91, 324, 300; BGH NJW 1963, 1248. 94 Siehe nur Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 29; Lorenz, S. 226; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 28. 95 BGH MDR 2009, 495; BGHZ 56, 204, 208; BGHZ 21, 102, 106; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 19. 96 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 19.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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erscheint diese Ansicht doch zu undifferenziert. Deutlich zeigt sich dies vor allem im Hinblick auf die Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB. Im Falle eines Erklärungsirrtums will der Erklärende sich zwar generell rechtlich binden, gibt also eine Willenserklärung mit Rechtsbindungswillen ab, verspricht sich aber und führt dadurch eine andere Rechtsfolge herbei als ursprünglich gewollt, handelte also ohne Geschäftswille. Die Frage, ob ein Rechtsbindungswille vorliegt, wird laut BGH aus objektiver Sicht beurteilt97, was im Hinblick auf den Irrtum des Erklärenden jedoch gerade nicht möglich ist. Schließlich ist der Irrtum in der Willensbildung ein rein subjektives Merkmal. Schon aus diesem Grund scheint eine getrennte Betrachtung von Rechtsbindungs- und Geschäftswillen angebracht. Die Abgrenzung zwischen reinen Gefälligkeitsdiensten und einer gewollten rechtlichen Verpflichtung ist jedoch nicht immer problemlos möglich. Wie eben erwähnt, stellt die Rechtsprechung dabei nicht auf den Rechtsbindungswillen als subjektives Merkmal der Willenserklärung eines Erklärenden ab, da „ein ausdrücklich oder stillschweigend erklärter Wille der Beteiligten in der Regel nicht feststellbar ist“98. Vielmehr wird bewertet „ob die andere Partei unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste“ 99. Dabei sei „anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche sowie die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, insbesondere für den Begünstigten, und die Interessenlage der Parteien heranzuziehen sind“ 100 . Es erfolgt letztlich also eine Auslegung der Willenserklärung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB. Liegt nach objektiver Auslegung kein Rechtsbindungswille vor, ist die Willenserklärung nichtig und in letzter Konsequenz ein Vertrag nicht zustande gekommen. Den klassischen Fall einer Erklärung ohne Rechtsbindungswillen stellt die invitatio ad offerendum dar, die bloße Aufforderung, einen Antrag abzugeben. Das Ausstellen eines ausgepreisten Artikels in einem Schaufenster oder das Bereitstellen einer Preisliste stellt jeweils keinen Antrag i.S.d. § 145 BGB dar, da sich der Erklärende aus objektiver Sicht nicht rechtlich binden möchte101. Der Rechtsbindungswille stellt – wie die anderen Willensmomente auch – zunächst ein rein subjektives Merkmal einer Willenserklärung dar, welches jedoch aus Sicht eines objektiven Dritten für das Vorliegen einer wirksamen Willenserklärung bestimmt werden muss. Allerdings ist der Rechtsbindungs97

BGHZ 21, 102; BGH NJW 1974, 1705; siehe Medicus AT, Rn. 192. BGH NJW 1974, 1705, 1706; Medicus AT, Rn. 192. 99 BGH NJW 2009, 1142. 100 BGH NJW 2009, 1142; BGHZ 21, 102, 106; BGHZ 92, 164, 168; BGH NJW 1990, 204; siehe auch Medicus, AT, Rn. 192 ff. 101 Siehe hierzu ausführlicher Medicus, AT, Rn. 358; Flume, AT II, S. 636; Wolf/ Neuner, § 37, Rn. 6 ff. 98

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1. Kapitel: Die Auslegung

wille als subjektives Merkmal nicht konstitutiv. Fehlt er aus subjektiver Sicht des Erklärenden und hätte der objektive Dritte aufgrund der Umstände und unter dem Maßstab von Treu und Glauben darauf schließen müssen, ist die Willenserklärung des Erklärenden zwar nichtig. Ergibt die Auslegung aus objektiver Sicht hingegen ein scheinbares Vorliegen des Rechtsbindungswillens seitens des Erklärenden, so wird die Willenserklärung als wirksam angesehen und der Erklärende muss ihre Wirkung zunächst für und gegen sich gelten lassen. Es kommt also – wie bei den anderen Merkmalen auch – vielmehr auf einen Rechtsbindungswillen als objektives Merkmal einer Willenserklärung an, als auf das rein subjektive Vorliegen eines solchen. bb) Die Erklärung als objektives Merkmal Der lediglich gedachte Wille als rein subjektives Element kann keine Rechtsverhältnisse begründen oder beeinflussen. Vielmehr bedarf es eines objektiv wahrnehmbaren Elements in Form einer Erklärung. Nach Savigny gilt dies, „weil er [der Wille] ein inneres, unsichtbares Ereigniß ist“ und wir deshalb „eines Zeichens [bedürfen], woran er von Anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung“ 102. Die Erklärung kann dabei in unterschiedlicher Form erfolgen. Es kommen „alle Zeichen in Frage, die Träger des Sinnes sein können, daß eine bestimmte Rechtsfolge gelten soll, vor allem das gesprochene oder geschriebene Wort, aber auch Gesten wie zustimmende oder ablehnende Kopfbewegung“ 103 in Frage. Dabei geht es im Kern um den objektiv erkennbaren Rechtsbindungs- und Geschäftswillen, wodurch für den Erklärungsempfänger, bzw. allgemeiner den Rechtsverkehr, deutlich wird, dass sich der Erklärende tatsächlich rechtlich binden möchte104. (1) Ausdrückliche Erklärung Bei einer ausdrücklichen Willenserklärung kommt der Geschäftswille des Erklärenden unmittelbar durch die Erklärung selbst zur Geltung 105 . Laut Savigny dient die ausdrückliche Erklärung als Kennzeichen des Willens, um ihm so Ausdruck zu verleihen106. Als ausdrückliche Erklärung zählt z.B. das gesprochene und geschriebene Wort, aber auch die Stimmabgabe durch Handheben im Rahmen einer Wahl oder das Kopfnicken als Zustimmung107. 102

Savigny, System III, S. 258. Flume, AT II, S. 62. 104 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 16. 105 Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 51; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 6; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 31. 106 Savigny, System III, S. 242. 107 Wolf/Neuner, § 31, Rn. 4; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff., Rn. 51; Savigny, System III, S. 243; BayObLG BayObLGZ 2000, 66, 69. 103

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Statt sich lediglich auf die Unmittelbarkeit des Ausdrucks des Willens zu berufen, nimmt Neuner eine Abgrenzung mittels formeller und materieller Kriterien vor108. Als formales Kriterium wird die „Inanspruchnahme standardisierter Kommunikationsmedien“ vorausgesetzt, also der Ausdruck des Willens in Wort oder Schrift, oder eben die Stimmabgabe mittels Handzeichen109. Das materielle Kriterium stellt die inhaltliche Bestimmtheit einer Erklärung dar, welche sich allerdings erst durch eine Auslegung ergibt110. In beiderlei Hinsicht – formell wie materiell – ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich jedoch durch die grundsätzliche Möglichkeit einer konkludenten Erklärung relativieren 111 . Nichtsdestotrotz scheint die von Neuner vorgenommene Abgrenzung dogmatisch angebracht und schlüssig. Die Frage der praktischen Relevanz stellt sich freilich vor allem im Hinblick auf die Frage ob eine Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt diese hat, was durch Auslegung ermittelt werden muss112. (2) Konkludente Erklärung Eine konkludente Erklärung bezeichnet ein Verhalten, welches einen Geschäftswillen nicht explizit zum Ausdruck bringt, aber einen Rückschluss auf diesen ermöglicht113. So wird z.B. das wortlose Übergeben einer Kaufsache durch den Verkäufer in aller Regel seinen Willen zum Ausdruck bringen, die Sache dem Käufer zu übereignen114. Ob eine Erklärung ausdrücklich oder konkludent erfolgt, spielt heute im Wesentlichen keine Rolle mehr115. Vielmehr differenziert das BGB schon gar nicht zwischen einer ausdrücklichen und einer konkludenten Erklärung. Das Österreichische ABGB geht einen Schritt weiter und stellt in § 863 Abs. 1 ABGB ausdrückliche und konkludente Erklärung sogar explizit gleich:

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Wolf/Neuner, § 31, Rn. 3. Wolf/Neuner, § 31, Rn. 4. 110 Wolf/Neuner, § 31, Rn. 5; als Beispiel wird die Erteilung einer Prokura gem. § 48 Abs. 1 BGB genannt, im Rahmen derer der Ausdruck „Prokura“ nicht gebraucht werden muss, vgl. Canaris, Handelsrecht, § 12, Rn. 4. 111 Wolf/Neuner, § 31, Rn. 7. 112 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 4; MüKo/Armbrüster, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 7. 113 Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 53; Wolf/Neuner, § 31, Rn. 7; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 6; Medicus, AT, Rn. 334. 114 Wolf/Neuner, § 31, Rn. 8. 115 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 31; Wolf/Neuner, § 31, Rn. 3 ff.; Palandt/Ellenberger, Einf v § 116 BGB, Rn. 1; MüKo/Armbrüster, Vor § 116 BGB, Rn. 7; BGH NJW 1953, 58; Medicus, AT, Rn. 333 ff.; zu beachten ist jedoch, dass eine konkludente Erklärung im Rahmen von Formerfordernissen in aller Regel der geforderten Form entbehrt und deshalb nach § 125 nichtig ist, vgl. Medicus, AT, Rn. 337. 109

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1. Kapitel: Die Auslegung

„Man kann seinen Willen nicht nur ausdrücklich durch Worte und allgemein angenommene Zeichen, sondern auch stillschweigend durch solche Handlungen erklären, welche mit Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund, daran zu zweifeln, übrig lassen.“116

Letztlich scheint § 863 Abs. 1 ABGB im Kern eine Auslegungsvorschrift ähnlich der §§ 133, 157 BGB darzustellen. Dies überrascht nicht, muss in jedem Falle – ausdrücklich wie konkludent – durch Auslegung überhaupt erst ermittelt werden, ob eine Willenserklärung vorliegt117. II. Das Verhältnis von Wille und Erklärung als grundlegendes Auslegungsproblem Savigny spricht von einem „naturgemäßen Verhältnis“ von subjektivem Willen und objektiv wahrnehmbarer Erklärung eines Erklärenden 118 : „Daraus folgt aber, daß die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist“ 119 . Es scheint freilich angebracht, ein solch naturgemäßes Verhältnis anzunehmen. Fälle, in denen subjektiver Wille und objektive Erklärung divergieren, können nur als Ausnahmen angenommen werden 120 . Nur so kann eine funktionierende Rechtsordnung überhaupt bestehen 121 . Grundsätzlich ist also anzunehmen, dass eine Erklärung tatsächlich den Willen des Erklärenden widerspiegelt. Jedoch stellt sich die Frage, wie sich das Verhältnis beider zueinander konkret darstellt und was letztendlich den Geltungsgrund der Willenserklärung darstellt: Subjektiver Wille oder objektive Erklärungsbedeutung 122 . Denn dieser „Dualismus von Wille und Erklärung“ begründet letztlich den „Dualismus von subjektiver und objektiver Auslegungsmethode“ 123 und bedarf daher besonderer Erläuterung.

116

Vgl. Kramer, S. 36 ff. Siehe hierzu unten § 2 III. 2. b) Savigny, System III, S. 258; vgl. Kramer, S. 119. 119 Savigny, System III, S. 258; vgl. Kramer, S. 119; Flume, AT II, S. 49. 120 Wie z.B. in den Fällen des Irrtums, des geheimen Vorbehalts, o.ä. 121 Flume, AT II, S. 50; eine grundsätzliche Divergenz zwischen Wille und Erklärung anzunehmen macht keinen Sinn und würde jeglichem Verständnis eines funktionierenden Rechtsverkehrs zuwiderlaufen. 122 Schmidt-Salzer, JR 1969, 281; siehe grundlegend zum Konflikt zwischen Willensund Erklärungstheorie auch Henle, S. 1 ff.; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, S. 164; Manigk, Irrtum und Anfechtung, S. 34; Werba, S. 17 ff. 123 Larenz, S. 32. 117 118

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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1. Die Willenstheorie Die Vertreter der bis zur Schaffung des BGB vorherrschenden Willenstheorie – oder subjektiven Auslegungsmethode124 – erkannten den Willen eines Erklärenden als das konstitutive Merkmal einer Willenserklärung an125. Ist eine Erklärung nicht durch einen entsprechenden Willen begründet, bzw. weicht die Erklärung von dem tatsächlichen Willen des Erklärenden ab, so ist sie nichtig126. a) Ursprung der Willenstheorie Savigny begründete 1840 die Willenstheorie im Wesentlichen wie folgt: „Denn eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden, und nur weil er ein inneres, unsichtbares Ereigniß ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er von Anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung.“127

Die Erklärung als nach außen hin erkennbares objektives Element hat demnach nur eine Beweis- bzw. Übermittlungsfunktion128, wohingegen der Wille als subjektives Element die eigentlich konstitutive Wirkung einer Willenserklärung innehat129. v. Tuhr formulierte allgemeiner die Funktion der Willenserklärung als „eine Handlung, welche zu dem Zweck vorgenommen wird, einen Vorgang des Seelenlebens zur Kenntnis der Mitwelt zu bringen“ 130 . Beide stellen somit den subjektiven Willen eines Erklärenden vor die objektive Erklärung und messen Letzterer lediglich eine untergeordnete, „zweckmäßige“ Bedeutung bei. Für den Fall, dass sich subjektiver Wille und objektive Erklärung decken, sie also in ihrem „naturgemäßen Verhältnis“ 131 zueinander stehen, ergeben sich zunächst keine Probleme. Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, wie der subjektive, „wahre“ oder „innere“ Wille132 überhaupt ermittelt werden soll. Da der Wille laut Savigny eines Zeichens bedarf, woran er erkannt werden könne, bildet die Erklärung den Ausgangspunkt für die Ermittlung des Willens. Durch ihre Auslegung soll ein Rückschluss auf den Willen des Erklärenden gezogen werden 133. Es soll also versucht werden, „den in dem toten 124

Kötz, in: FS Zeuner, S. 221. Wolf/Neuner, § 30, Rn. 2; siehe ausführlich zur Willenstheorie auch Ellinghaus, S. 1 ff. 126 Flume, AT II, S. 54; Kramer, S. 119. 127 Savigny, System III, S. 258; Kramer, S. 119. 128 Wolf/Neuner, § 30, Rn. 2. 129 Vgl. auch Archavlis, S. 67 ff. 130 v. Tuhr, AT II/1, S. 400; Wolf/Neuner, § 30, Rn. 2. 131 Savigny, System III, S. 258; vgl. Kramer, S. 119. 132 Vgl. Bickel, S. 160; 133 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 35. 125

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1. Kapitel: Die Auslegung

Buchstaben niedergelegten lebendigen Gedanken vor unsrer Betrachtung wieder entstehen zu lassen“ 134. Der Erklärung kommt dabei – wie erwähnt – lediglich die Funktion eines Kennzeichens zu135. b) Der Schutz der Privatautonomie als Kernthese der Willenstheorie Wird der subjektive Wille als konstitutives Element einer Willenserklärung angesehen, gilt im Falle einer Divergenz zwischen Wille und Erklärung letztendlich „Ohne Willen keine wirksame Erklärung“ 136. Es wird also die Privatautonomie des Erklärenden als oberste Wertungsmaxime angesehen 137. Kraft dieser hat er die Möglichkeit, seine Rechtsverhältnisse selbstbestimmt zu gestalten. Dies geschieht letztlich durch die Willenserklärung, mittels derer er seinen subjektiven Willen gegenüber dem Rechtsverkehr zum Ausdruck bringt138. Wird eine solche Willenserklärung nicht von einem entsprechenden subjektiven Willen gestützt, scheint es aus Sicht der Willenstheorie unbillig, dem Erklärenden einen entsprechenden Willen zuzurechnen, der sich lediglich durch Betrachtung des objektiven Merkmals der Erklärung zu ergeben scheint. Schließlich würde dadurch die Selbstbestimmung des Erklärenden unterlaufen werden. Aus diesem Grund sei eine Willenserklärung, die ohne einen vorhandenen subjektiven Willen abgegeben wurde, nichtig139. c) Kritik an der Willenstheorie Die Privatautonomie der einzelnen Rechtssubjekte zu schützen und diese als oberste Maxime anzuerkennen, scheint zunächst lobenswertes Ziel der „Willenstheoretiker“. Allerdings war dieses Ziel vor dem Hintergrund, ein funktionierendes Rechtssystem zu schaffen und zu gewährleisten, zu wenig durchdacht. Zum einen werden die „Gegenpole“ der Privatautonomie, Rechtssicherheit und Verkehrsschutz, völlig außer Acht gelassen. Eine gemachte Erklärung verliert beinahe jeden Wert, könnte sie schon durch die bloße Behauptung, der erklärte Inhalt wäre nicht gewollt gewesen, als nichtig erklärt werden. Selbst wenn eine entsprechende Beweislast auf dem Erklärenden ruhen würde und dieser ihr nachkommen könnte, wäre die Schwelle der Nichtigkeit zu niedrig angesetzt140. Im Gegensatz zum Irrtumsrecht würde in der Theorie ein bloßes „Ich wollte etwas anderes erklären“ ausreichen, um die Willenserklärung und somit auch einen Vertrag für nichtig zu erklären. Eine Begründung wäre, im Gegensatz zu den Fällen des Irrtums, nicht nötig und 134

Savigny, System III, S. 244; Flume, AT II, S. 291. Savigny, System III, S. 242. 136 Kramer, S. 120; vgl. Flume, AT II, S. 54. 137 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB. 138 Siehe hierzu oben § 2 I. 2. a) ff. 139 Motive I, S. 189. 140 Vgl. Mittelstädt, S. 122. 135

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das Gegenteil könnte nicht bewiesen werden. Dies gilt jedoch ausschließlich aus praktischer Sicht. Dogmatisch gesehen bleibt der Vertrag zunächst wirksam, die bloße nachträgliche Leugnung des bei Vertragsschluss bestehenden Willens führt freilich nicht zur Unwirksamkeit. Nichtsdestotrotz zeigen sich die praktischen Probleme der Willenstheorie deutlich. Zum anderen wird der Erklärungsempfänger ungebührlich benachteiligt. Dessen Vertrauensschutz wird praktisch völlig außer Acht gelassen, steht die Frage einer möglichen Nichtigkeit der Erklärung des Erklärenden doch ständig im Raum. Die Privatautonomie wird also nur einseitig im Hinblick auf die irrende Partei geschützt. Danz formulierte weiterhin ein ganz praktisches Problem der Willenstheorie: „Besonders ist vor der Einbildung zu warnen, als könnte man aus einer Urkunde oder aus einem Vertrag, der nur im Korrespondenzwege zustande gekommen ist – ohne daß weitere Umstände vorliegen – überhaupt die inneren Gedanken, die die Kontrahenten bei Abgabe ihrer Erklärungen gehabt haben, eruieren, ‚feststellen‘.“141

2. Die Erklärungstheorie Der Willenstheorie gegenüber stand die Erklärungstheorie, die sich auf das dogmatisch entgegengesetzte Standbein stellte. Der Geltungsgrund einer Willenserklärung lag nach den „Erklärungstheoretikern“ ausschließlich in ihrem objektiven Tatbestand, der Erklärung 142 . Laut Danz müsse „man selbstverständlich auch annehmen, daß bei der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung die ‚innere Absicht’ für den rechtlichen Erfolg, den die Erklärung, also z.B. das Aussprechen der Worte, nach sich zieht, in der Regel ganz gleichgültig ist“143. Bähr formulierte prägnant die Kernthese der Erklärungstheorie: „wer beim Contrahiren in einer ihm zuzurechnenden Weise die äußere Erscheinung seines Willens hervorruft, so daß der ihm Gegenüberstehende bona fide Rechte daraus erlangt zu haben glaubt und glauben darf, wird mit seiner Behauptung, daß ihm in Wirklichkeit der entsprechende Wille gefehlt habe, gar nicht gehört. Er haftet aus der äußeren Erscheinung seines Willens gerade so, als ob er wirklich gewollt habe.“144

Der subjektive Wille eines Erklärenden ist demnach unerheblich, wenn dieser mit seiner Erklärung den Rechtsschein gesetzt hat, er hätte das Erklärte tatsächlich gewollt. Jedoch müsse dem Erklärenden die gemachte Erklärung zugerechnet werden können145.

141

Danz, S. 52. Wolf/Neuner, § 30, Rn. 4; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 34 ff. 143 Danz, S. 99. 144 Bähr, JheringsJ 14 (1875), 393, 401; Kramer, S. 120. 145 Siehe hierzu ausführlich unten § 2 IV. 5. a) cc); Hellwege, in: Burrows/Johnston/ Zimmermann, S. 459. 142

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1. Kapitel: Die Auslegung

a) Schutz des Rechtsverkehrs als Kernthese der Erklärungstheorie Bei der Erklärungstheorie wird der Erklärung nicht nur eine bloße Trägerfunktion zugesprochen. Vielmehr stellt sie den alleinigen Haftungsgrund des Erklärenden und den Ausgangspunkt für eine Auslegung dar, da der innere Wille gerade nicht wahrnehmbar ist 146 . Die „Erklärungstheoretiker“ sahen also das Vertrauen des Erklärungsempfängers bzw. des Rechtsverkehrs als deutlich schützenswerter an als die Privatautonomie des Einzelnen147. Selbst in den Fällen, in denen die Erklärung vom subjektiven Willen des Erklärenden abweicht, ist dieser an dem objektiv erkennbaren Sinn der Erklärung festzuhalten, da die Ermittlung des subjektiven Willens gerade nicht Ziel der Erklärungstheorie war. Auch das tatsächliche Verständnis des Erklärungsempfängers spielte später keine Rolle mehr. Vielmehr kam es darauf an, wie ein „vernünftiger Mensch in der Lage des Erklärungsempfängers“ die Erklärung nach den Umständen verstanden haben musste 148. Es sollte also rein auf das objektive Verständnis des Rechtsverkehrs bzw. der Allgemeinheit abgestellt und das subjektive Verständnis des Empfängers ausgeschlossen werden, was letztlich die Zielsetzung der Erklärungstheorie verdeutlicht 149. b) Kritik an der Erklärungstheorie Die Probleme der Erklärungstheorie werden ähnlich schnell deutlich wie diejenigen der Willenstheorie. Die einseitige Betonung des Vertrauensschutzes und der Rückschluss auf einen evtl. nicht vorhandenen Willen auf Basis rein objektiver Umstände, vernachlässigte völlig die Privatautonomie erklärender Parteien und deren Recht auf Selbstbestimmung 150. Zudem lässt sie sich nicht mit der Anfechtung vereinbaren, die das einseitige Anfechten einer irrtumsbehafteten Erklärung ermöglicht, obwohl der Irrtum nicht erkennbar war151. Gleiches gilt für die Fälle der falsa demonstratio, die ebenfalls nicht mit der Erklärungstheorie in Einklang zu bringen sind. Vielmehr werden durch die Bindung an den objektiven Wortlaut die Vertragsparteien einer „primitiven Rechtsauffassung“ unterworfen152.

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Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 457. Vgl. HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 36. 148 Jhering, S. 72; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 36. 149 Danz, S. 78, 48, 55; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 36. 150 Wolf/Neuner, § 30, Rn. 5. 151 Wolf/Neuner, § 30, Rn. 5. 152 Oftinger, S. 82. 147

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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3. Die Geltungstheorie Larenz’ Als vermittelnder Ansatz zwischen Willens- und Erklärungstheorie stand die von Larenz entwickelte Geltungstheorie153. Laut dieser besteht das konstitutive Merkmal weder rein im Willen, noch in der Erklärung. Vielmehr nimmt Larenz eine andere Einteilung vor, indem er die Willenserklärung zum einen als Handlung und zum anderen als objektiv-logisches Sinngebilde bezeichnet154. Relevant ist dann vor allem die Frage, was unter dem Sinn der Willenserklärung verstanden werden soll. Larenz stellt dabei grundsätzlich die Konzeption der Willenserklärung als „Kundgebung eines Wollens“, ein Merkmal, das sowohl der Willens- als auch der Erklärungstheorie innewohnt, in Frage155. Vielmehr sei die Willenserklärung eine Geltungserklärung. Dies begründet sich dadurch, dass „eine verbindliche Bestimmung über einen rechtlichen Sachverhalt“ getroffen werden und diese „unabhängig von den subjektiven Belieben der Parteien gelten“ soll156. Es wird kein „Wollen“ oder eine Absicht erklärt, sondern vielmehr, dass eine bestimmte Rechtsfolge gelten solle (Ita ius esto) 157 . Dadurch wird die Willenserklärung zu einem konstitutiven Akt, statt lediglich eine Willenskundgabe darzustellen158. Durch diese Konstruktion der Willenserklärung als objektives Sinngebilde, die letztlich eine „Umwandlung“ des Willens als selbständigen seelischen Vorgang darstellt, soll der Dualismus von Wille und Erklärung überwunden werden159. Der rein psychologische, subjektive Wille ist oder war zwar existent, liegt oder lag aber außerhalb der Willenserklärung 160 . Nichtsdestotrotz spielt er weiterhin eine Rolle, denn die Nichtübereinstimmung von subjektiven Willen und Willenserklärung i.S.e. Geltungserklärung hat Einfluss auf deren Wirkung, nicht jedoch auf deren Bestehen161. Larenz erwähnt zudem ausdrücklich den Fall der vis absoluta, bei der ein unmittelbarer körperlicher Zwang auf eine Person ausgeübt und somit eine Handlung ausgeführt wird. In diesem Fall liegt auch nach der Geltungstheorie keine Willenserklärung vor, da die zugrundeliegende Handlung nicht ein vom Willen beherrschtes Tun darstellt162. Die Erklärung, also das „in-Geltung-setzen“, stellt somit nicht die Verwirklichung des subjektiven Willens, sondern den unmittelbaren „Grund für

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Siehe hierzu Larenz, S. 34 ff.; vgl. auch Stathopoulos, in: FS Larenz, S. 357 ff. Larenz, S. 36. 155 Larenz, S. 39. 156 Larenz, S. 44. 157 Larenz, S. 45; Wolf/Neuner, § 30, Rn. 6. 158 Stathopoulos, in: FS Larenz, S. 359; Larenz, S. 42 ff. 159 Stathopoulos, in: FS Larenz, S. 359. 160 Stathopoulos, in: FS Larenz, S. 360; Larenz, AT, S. 335. 161 Stathopoulos, in: FS Larenz, S. 359, Fn. 11. 162 Larenz, AT, S. 333. 154

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1. Kapitel: Die Auslegung

den Eintritt der Rechtsfolge“ dar163. Dies scheint zunächst eine starke Parallele zur Erklärungstheorie darzustellen. Diese sieht die Willenserklärung jedoch rein in der objektiven Erklärung an sich begründet, wohingegen die Geltungstheorie die Erklärung als einen bestimmenden Akt, der auf Herbeiführung der im wirklichen Willen bezeichneten Rechtsfolge gerichtet ist, ansieht164. 4. Die unterschiedlichen Auslegungsziele der Willens-, Erklärungsund Geltungstheorie Betrachtet man die verschiedenen Theorien zum Geltungsgrund der Willenserklärung stellt sich die Frage, inwieweit diese sich im Hinblick auf ihr jeweiliges Auslegungsziel unterscheiden und inwieweit sich dies wiederum auf die tatsächliche Rechtspraxis auswirkt. a) Die Ermittlung des subjektiven Willens als Auslegungsziel der Willenstheorie So wie die Willenstheorie den subjektiven Willen des Erklärenden bzw. der Vertragsparteien als Geltungsgrund für die jeweilige Willenserklärung ansah, so bestand nach ihr das Auslegungsziel in seiner Ermittlung165. Dies galt auch im Hinblick auf die Auslegung von Verträgen, bei der der gemeinsame Wille der Parteien ermittelt werden sollte166. Es wurde also rein auf das subjektive Element der Willenserklärung(en) abgestellt. Ausgangspunkt waren dabei jedoch stets objektive Elemente, z.B. der Wortlaut der Willenserklärung bzw. des Vertrags167. Der Richter durfte im Prozess davon ausgehen, dass das objektiv Erklärte tatsächlich dem Gewollten entsprach168. Den Parteien stand es dann offen, dies zu widerlegen bzw. den Richter mittels übereinstimmender Erklärung darüber aufzuklären, dass ihr Wille nicht dem objektiv Erklärten entsprach, also ein Fall der falsa demonstratio vorlag169. Auch eine einzelne Partei hatte die Möglichkeit einen abweichenden Willen beider Parteien zu beweisen, indem sie auf weitere objektive Umstände, z.B. Äußerungen während der Vertragsverhandlungen, verwies. Dem Richter oblag es nun, aufgrund der objektiven Erklärungen den gemeinsamen Willen der Parteien 163

Larenz, AT, S. 335. Larenz, AT, S. 334; siehe auch Staudinger/Singer, Vorbem. zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 17. 165 Dernburg, Pandekten I, S. 287, 290; v. Wächter, Pandekten I, S. 403; Hellwege, S. 126, Fn. 2. 166 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 456; Canaris/Grigoleit, in: Hartkamp/Hesselink/Hondius/Mak/Perron, S. 590; Thibaut, S. 40. 167 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 456. 168 Siehe hierzu und zum folgenden Hellwege, S. 127; Dernburg, Pandekten I, S. 287 ff. 169 Dieser Vorgang wurde als authentische Auslegung bezeichnet, Dernburg, Pandekten I, S. 287; Hellwege, S. 127. 164

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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festzustellen. Dies geschah durch Auslegung der Erklärungen. Dabei bestand zunächst die Annahme, dass bei klarer und eindeutiger Wortwahl diese eben auch den klaren, von den Vertragsparteien gewollten Bedeutungsinhalt widerspiegelte 170 . Allerdings stand es den Parteien auch in diesem Falle zu, Gegenteiliges zu beweisen. Weiterhin hatte der Richter – oder Interpret, wie Savigny genereller bezeichnete – den Zeitpunkt, den Ort und die Umstände des Geschäftsschlusses und die erkennbaren Ziele des Rechtsgeschäfts zu beachten171. Durch Heranziehung dieser objektiven Merkmale wird erneut das Grundproblem der Willenstheorie deutlich, denn die Ermittlung des subjektiven Willens aufgrund objektiver Merkmale kann stets nur eine Annäherung an selbigen darstellen. Auch die zu Hilfe genommenen Unklarheitenregeln 172 konnten lediglich bei einer Annäherung helfen. Problematisch waren vor allem die Fälle, in denen sich die Vertragsparteien um den Inhalt des Vertragstextes stritten; waren sie sich einig, bedarf es schließlich einer richterlichen Auslegung in aller Regel nicht173. Die Fälle der falsa demonstratio lassen sich mit Hilfe der Willenstheorie problemlos erklären: Decken sich die subjektiven Willen zweier Parteien obwohl sie objektiv etwas anderes erklärt haben, zählt nur der übereinstimmende Wille, nicht das objektiv Erklärte174. Jedes andere Ergebnis widerspräche dem Recht auf Selbstbestimmung der Parteien, würden sie an rein objektive Erklärungen gebunden sein, die nicht ihrem Willen entsprächen. Behauptete eine Vertragspartei, sie habe mit dem Vertrag einen anderen Sinn verbunden als den sich durch ordnungsgemäße Auslegung ergebenden, konnte sie dies nur im Falle eines erheblichen, wesentlichen entschuldbaren Irrtums geltend machen175. Laut Dernburg trete man in diesem Fall jedoch „in ein anderes Gebiet, als dasjenige der Auslegung“ 176, das Irrtumsrecht. In den Fällen, in denen der Wortlaut der Erklärung oder des Vertrags unzweideutig und klar sei, zählte zudem nur das tatsächlich in den Vertrag Aufgenommene. Ein nicht geäußerter Wille einer Partei, zu dem die Gegenseite folglich auch nicht zustimmen konnte, wurde nicht Teil des Vertrags177. Die Willenstheorie fand demnach auch stellenweise Einschränkungen. Zudem war selbst ihren Vertretern bewusst, dass die Auslegungsergebnisse meist nicht mehr als eine Vermutung darstellten, was sie jedoch nicht davon ab170

Hellwege, S. 127. Dernburg, Pandekten I, S. 287, v. Wächter, Pandekten I, S. 401, 402; Hellwege, S. 127; dies erinnert entfernt an die heutige Auslegungspraxis. 172 Siehe hierzu ausführlich Hellwege, S. 129 ff.; v. Wächter, Pandekten I, S. 404. 173 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 456. 174 Leenen, in: Armbrüster/Canaris/Häublein/Klimke, S. 161 m.w.N. 175 Dernburg, Pandekten I, S. 287, Fn. 3. 176 Dernburg, Pandekten I, S. 287, Fn. 3. 177 v. Wächter, Pandekten I, S. 404; Dernburg, Pandekten I, S. 288; dies erinnert an die heute noch teilweise vertretene Andeutungstheorie, siehe hierzu unten § 2 IV. 6. 171

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1. Kapitel: Die Auslegung

hielt, an der Willenstheorie festzuhalten 178 . Ergab sich jedoch kein klares Auslegungsergebnis, also eines, das nicht einmal eine Vermutung des subjektiven Willens zuließ, galt der Vertrag als ungültig 179. b) Die Ermittlung des objektiven Sinns nach der Erklärungstheorie Die Ermittlung des subjektiven Parteiwillens rein auf Basis objektiver Merkmale vorzunehmen, scheint einen Widerspruch in sich darzustellen, was den Vertretern der Willenstheorie z.T. auch durchaus bewusst war180. Die „Erklärungstheoretiker“ nutzten dieses Argument freilich aus. Danz formulierte prägnant: „Besonders ist vor der Einbildung zu warnen, als könnte man aus einer Urkunde oder aus einem Vertrag, der nur im Korrespondenzwege zustande gekommen ist – ohne daß weitere Umstände vorliegen – überhaupt die inneren Gedanken, die die Kontrahenten bei Abgabe ihrer Erklärungen gehabt haben, eruieren, ‚feststellen‘.“181

Die Erklärungstheoretiker, die schon den Geltungsgrund der Willenserklärung in der objektiven Erklärung anstatt im subjektiven Parteiwillen sahen, verfolgten alleine schon aus diesem Grund ein anderes Auslegungsziel. Dies bestand in der Ermittlung des objektiven Sinnes einer Erklärung oder eines Vertrags. Der subjektive Parteiwille spielte demnach bei der Auslegung keine Rolle: „Zunächst ist auch hier vorauszuschicken, daß die Auslegung mit einem inneren Willen es nicht zu thun hat. Es ist also für die Auslegung auch gleichgültig, welchen Sinn der eine der Kontrahenten bei dem Gebrauch des streitigen Wortes wirklich damit verbunden hat, in welchem Sinn der andere Teil das streitige Wort aufgefaßt hat oder auffassen mußte.“182

Darauf folgend verdeutlichte Danz den elementaren Unterschied zwischen Willens- und Erklärungstheorie im Hinblick auf die Auslegung bzw. deren Verhältnis zur Anfechtung: „Alles dies sind Fragen, die mit der Auslegung nichts zu thun haben; die bloß dann Nichtigkeit erlangen, wenn es sich um Aufhebung des Vertrags wegen Willensmängel (Irrtum, Betrug, Simulation etc.) handelt. Nur dann, wenn eine Partei, z.B. auf Grund Irrtums, die Ungültigkeitserklärung des vorliegenden Vertrags verlangt, hat der Richter sich mit solchen Fragen zu befassen und er hat in solchen Fällen Beweis über die inneren Gedanken 178

Hellwege, S. 132; Regelsberger, Pandekten I, S. 641. Hellwege, S. 132; Thibaut, Pandekten I, S. 40; Mackeldey, S. 253. 180 Regelsberger, Pandekten I, S. 642; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 457. 181 Danz, S. 52. 182 Danz, S. 216; vgl. auch die Aussage Schlossmanns: „Die obligierende Wirkung des Versprechens und der sog. obligatorischen Verträge hat nicht in dem Willen des Versprechenden ihren Grund. Freilich obligirt meistens nur das Versprechen desjenigen, welcher das Versprechen hat geben wollen; ob er aber auch den Willen hatte, das Versprochene zu thun, oder verpflichtet zu sein, ist völlig gleichgültig.“, Schlossmann, S. 99. 179

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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der Partei, welche sie bei Abgabe der Willenserklärung oder beim Anhören oder Lesen der Erklärung der Gegenpartei wirklich gehegt hat, zu erheben. Von Auslegung ist hierbei nicht die Rede, denn hier handelt es sich darum, die Ungültigkeit eines Vertrags festzustellen, jede Auslegung setzt aber einen gültigen Vertrag voraus.“ 183

Interessant ist vor allem die Aussage, eine Auslegung setze einen gültigen Vertrag voraus, weshalb im Falle eines Irrtums eine Auslegung schon gar nicht in Frage kommt. Diese Argumentation wirkt jedoch etwas „schief“. Die Aussage „die Ungültigkeit eines Vertrags festzustellen“ scheint mehr eine rein terminologische Unterscheidung zu dem Begriff der Auslegung darzustellen als einen sachlichen Unterschied. Zudem erinnert die Aussage an die auch heute noch stellenweise vertretene Eindeutigkeitsformel184, die mit denselben Argumenten widerlegt werden kann. Schließlich muss bereits jede auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung ausgelegt werden, bevor überhaupt ein Vertragsschluss oder ein Irrtum festgestellt werden kann: Auslegung geht der Anfechtung vor185. Gleiches gilt auch für alle anderen Fälle der von Danz aufgeführten Willensmängel. Nach der von Danz ausgeführten Erklärungstheorie müsse ein Richter im Hinblick auf die Auslegung von Erklärungen, egal welcher Art, diese „in der nach der Verkehrssitte gewöhnlichen Bedeutung“ nehmen, „dabei aber zugleich den Zweck des konkreten Geschäfts sowie die einzelnen Umstände, unter denen es abgeschlossen ist, […] beachten“186. Es erfolgt also eine streng objektive Auslegung, ohne Rücksicht auf den Parteiwillen. Schlossmann führte als Argument gegen den subjektiven Willen als Geltungsgrund für die Willenserklärung und dessen Ermittlung als Auslegungsziel den Widerspruch zwischen einem sich ändernden Willen und dem „Festhalten“ an dem ursprünglichen Willen ins Feld187. Ginge es der Willenstheorie tatsächlich um „die Rücksicht auf den Willen an sich“ und um „den Erklärenden als den Träger eines seine Rechtsverhältnisse aus freier Wahl bestimmenden Subjects“ 188 , so müsse demnach auch dessen sich nach Vertragsschluss geänderter Wille berücksichtigt werden. Schließt jemand einen Kaufvertrag, verpflichtet sich dadurch zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache und entscheidet sich jedoch nach Vertragsschluss, dass er die Kaufsache nicht Übergeben und Übereignen möchte, müsse auch dieser geänderte Wille genauso gelten, wie der ursprünglich auf die Verpflichtung gerichtete Wille. Ansonsten würde der Verpflichtete an einem Willen festgehalten werden, der

183

Danz, S. 216. Siehe hierzu unten § 2 IV. 3. a). 185 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 7; Larenz, AT, S. 371; Medicus, Rn. 317; Brox, S. 168; Medicus, JuS 2014, 491, 492. 186 Danz, S. 264. 187 Schlossmann, S. 89. 188 Schlossmann, S. 89. 184

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1. Kapitel: Die Auslegung

jedoch nicht mehr seinem Willen entspricht 189 , was letztlich einen Widerspruch innerhalb der Willenstheorie darstellt. Diese Argumentation vermag jedoch nur schwer zu überzeugen. Letztlich wird die Willenstheorie stark überspitzt dargestellt, um sie so ad absurdum führen zu können. Der subjektive Wille soll als Geltungs- oder Verpflichtungsgrund zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses relevant sein. Dass ein geänderter Wille, die ursprüngliche Verpflichtung nicht erfüllen zu wollen, ebenso berücksichtigt werden muss wie der verpflichtungsbegründende Wille, wird von den Willenstheoretikern nicht einmal angesprochen. Und dies zu Recht. Würde ein bloßer – im Nachhinein – vom ursprünglichen Vertragsinhalt abweichender Wille genügen, eine daraus entstandene Verpflichtung für ungültig zu erklären, wäre ein funktionierendes Rechtssystem so gut wie ausgeschlossen. Die bloße Aussage „Ich möchte nicht mehr an den Vertrag gebunden sein“, würde nach dem Verständnis Schlossmanns genügen, um aufgrund der gewährten Parteiautonomie eine Verpflichtung aufzuheben 190. Dies würde die Anfechtung als Rechtsmittel jedoch völlig entbehrlich machen. Der Unterschied zur vorhergehenden Kritik der Willenstheorie besteht hierbei darin, dass nach Schlossmann der sich ändernde Wille berücksichtigt wird und daher bereits die eben erwähnte Aussage, man wolle nicht mehr an den Vertrag gebunden sein, genügt, um „dogmatisch sauber“ die Auflösung des Vertrags herbeizuführen. Die hier bisher aufgeführte Kritik der Willenstheorie richtete sich – im Vergleich zu Schlossmans Kritik – vielmehr auf die Frage der Beweisbarkeit einer solchen, zur Vertragsauflösung führenden Aussage einer Vertragspartei, die freilich nicht möglich erscheint. c) Das Auslegungsziel der Geltungstheorie So wie Larenz mit seiner Geltungstheorie das Verständnis und das Wesen der Willenserklärung neu formulierte, tat er das gleiche mit der Auslegung. So sei die Auslegung „die Feststellung der rechtlich maßgeblichen Erklärungsbedeutung“. Diese richte sich aber „nicht nach einem von der Erklärung verschiedenen Willen, sondern nach den objektiven Verständnismöglichkeiten der Parteien und einer der Billigkeit entsprechenden Abwägung derselben“ 191. Den Bezugspunkt für die Frage, wie eine Erklärung oder ein Ausdruck objektiv verstanden werden darf, bildet dabei der Personen- oder Lebenskreis, in dessen Rahmen die Erklärung abgegeben wurde192. Dies scheint im Hinblick auf den Charakter der Willenserklärung als Geltungserklärung, die eine bestimmte Rechtsfolge in Geltung setzen soll, schlüssig. Gleichzeitig zeigt sich durch diesen Bezugspunkt ein deutlicher Unterschied zur Willenstheorie. 189

Schlossmann, S. 89, 90. Vgl. Schlossmann, S. 99. 191 Larenz, S. 69. 192 Larenz, S. 71. 190

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Eine entscheidende Rolle in der Auslegung nach der Geltungstheorie spielt die Frage der Zurechenbarkeit der Erklärungsbedeutung 193 . Die Bedeutung einer Erklärung aus Sicht des Empfängers, die dieser beigemessen werden kann und muss, muss sich der Erklärende zurechnen lassen. Dies gilt allerdings nur soweit, wie der Erklärende mit dieser Bedeutung rechnen kann. Aufgabe der Auslegung sei also zu fragen, welche Bedeutung sich aus Sicht des konkreten Empfängers ergibt und ob der Erklärende diese Bedeutung vorhersehen musste. Dadurch ergibt sich zwar zum einen eine normative Betrachtungsweise, die zum anderen jedoch gleichzeitig auf die konkrete Situation und die Umstände, unter denen die Vertragsparteien kontrahierten, zugeschnitten ist. Dies stellt wiederum einen Unterschied zur Auslegung nach der Erklärungstheorie dar, die auf den rein objektiven Sinn einer Erklärung abstellte. Dadurch bestand stets die Gefahr, dass dem Erklärenden eine Bedeutung seiner Erklärung zugerechnet wurde, die er überhaupt nicht voraussehen konnte 194 . Dadurch wäre der Erklärungsempfänger wiederum unverhältnismäßig stark gegenüber dem Erklärenden geschützt. Unter Berücksichtigung der Geltungstheorie schien dieser Konflikt jedoch leichter lösbar. In der Gesamtschau lassen sich deutliche Parallelen zwischen den Ausführungen Larenz’ und der modernen Rechtsprechung erkennen. d) Zwischenergebnis Betrachtet man die früher vorherrschenden unterschiedlichen Auslegungstheorien und deren Auslegungsziele, werden die jeweils dahinterstehenden Wertungen deutlich. Subjektive und objektive Auslegungsziele in Form der Willens- und Erklärungstheorie sowie die „Frühform“ einer normativen Auslegung in Form der Geltungstheorie standen sich gegenüber. Dass sich weder Willens- und Erklärungstheorie in ihrer Reinform verwirklichen lassen, wurde schnell deutlich, legten sie doch zu einseitig die Gewichtung jeweils auf den Schutz der Privatautonomie bzw. den Verkehrs- und Vertrauensschutz 195. Die Geltungstheorie zeigte hingegen bereits Parallelen zur modernen Form der Auslegung. Zum einen forderte sie eine objektive Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der Umstände, zum anderen eine Zurechnung des Auslegungsergebnisses zum Erklärungsempfänger. Der subjektive Wille blieb jedoch völlig unberücksichtigt, was letztlich wiederum Probleme hinsichtlich der Fälle der falsa demonstratio mit sich brachte.

193

Siehe hierzu und zum Folgenden Larenz, S. 72 ff.; dies gilt jedoch nicht nur für die Geltungstheorie, sondern wird auch für die heutige Form der Auslegung teilweise als relevant angesehen, Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 19; Flume, AT II, S. 311. 194 Larenz, S. 73. 195 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 37.

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1. Kapitel: Die Auslegung

III. Die Auslegung im deutschen Recht – eine theoretische Betrachtung der bestehenden Auslegungsprinzipien Betrachtet man die unterschiedlichen Auslegungsziele der Willens-, Erklärungs- und Geltungstheorie, zeigen sich nicht nur Unterschiede in den Wertungen im Hinblick auf Privatautonomie und Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs. Vielmehr wird deutlich, dass keine der drei Theorien einen wirklich gelungenen Ausgleich zwischen den beiden subjektiven und objektiven Gegenpolen zu schaffen vermag. Das deutsche Recht wiederum verfolgt heute ein anderes Auslegungsziel als die erläuterten Theorien: Demnach soll ermittelt werden, wie der Empfänger einer Erklärung, diese unter Berücksichtigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und des Maßstabs von Treu und Glauben verstanden haben musste196. Es wird also ein normativer Maßstab in Form von Treu und Glauben und der Berücksichtigung der Verkehrssitte hinzugezogen, wodurch sich nun eine normative Auslegung ergibt. Den Empfänger trifft somit die Pflicht, unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände sich mit der gebotenen Sorgfalt zu bemühen, den Sinn der Erklärung zu erforschen197. Der wirkliche Wille des Erklärenden spielt im Hinblick auf die normative Auslegung daher keine übergeordnete Rolle mehr; vielmehr wird dann von der Ermittlung eines normativen Willens gesprochen198. Dies stellt jedoch nur einen Teil der heutigen Form der Auslegung im deutschen Recht dar und repräsentiert im Wesentlichen den Wortlaut des § 157 BGB, der die Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte im Rahmen der Auslegung von Verträgen fordert. Das scheinbare Gegenstück dazu bildet § 133 BGB, der bei der Auslegung einer Willenserklärung die Erforschung des wirklichen Willens fordert, ohne dabei an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. In diesem Fall wird von der empirischen oder subjektiven Auslegung gesprochen199. Es ergibt sich also auf den ersten Blick kein einheitliches Bild, das auf die normative oder subjektive Auslegung als „vorrangige“ Auslegungsmethode schließen lässt. Vielmehr scheinen sich mit den §§ 133 und 157 BGB eine stark subjektiv sowie eine stark objektiv geprägte Auslegungsvorschrift gegenüberzustehen. Dabei scheinen diese zudem den erläuterten Konflikt zwischen Willens- und Erklärungstheorie in die heutige Fassung des BGB hineingetragen zu haben. Der scheinbare Widerspruch zwischen den Ausle196 Wiesner, JZ 1985, 407; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459; Flume, AT II, S. 292; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 1; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 6; Medicus, Rn. 323; BGHZ 36, 30, 33; BGH NJW 1988, 2878, 2879. 197 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; BGH NJW 1981, 2295, 2296; NJW 2008, 2702, 2704; Soergel/Hefermehl, Rn. 14; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 28. 198 Medicus, AT, Rn. 323; Flume, AT II, S. 310. 199 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 1; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 12; Wieser, JZ 1985, 407; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 22.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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gungsvorschriften verstärkt sich auf den ersten Blick noch dadurch, dass § 133 BGB der Überschrift nach ausschließlich die Auslegung von Willenserklärungen und § 157 BGB ausschließlich die Auslegung von Verträgen zu regeln scheint. Im Folgenden sollen die beiden Vorschriften zunächst getrennt voneinander betrachtet werden, um im Anschluss deren Zusammenwirken zu untersuchen und die Frage zu beantworten, ob die Schaffung einer „Rangfolge“ beider Normen angebracht scheint. 1. Die formale Trennung der §§ 133 und 157 BGB und deren materielles Zusammenwirken Die formale Trennung der §§ 133 und 157 BGB wirft die Frage auf, ob Willenserklärungen anders als Verträge auszulegen sind. Konkret scheint es so, als ob der subjektive Wille ausschließlich bei Willenserklärungen eine Rolle spielt, wohingegen Verträge ausschließlich nach objektiven Maßstäben ausgelegt werden. Diese Trennung hat für die Praxis jedoch eine rein formale Bedeutung, gilt seit langem § 133 BGB doch auch für die Auslegung von Verträgen genauso wie § 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen200. Dies ist freilich sinnvoll, besteht ein Vertrag doch aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen, Antrag und Annahme201. Die Willenserklärung die den Antrag i.S.d. § 145 BGB darstellt, muss demnach den vollständigen Inhalt des auszulegenden Vertrags enthalten, da sich die Annahme i.S.d. § 147 BGB – ihrer Bezeichnung nach bereits – lediglich auf die Annahme des Antrags beschränkt; eine dem Antrag abweichende Annahme stellt eine Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag dar202. Demnach ist die Vertragsauslegung gleichbedeutend mit der Auslegung der den Vertrag bildenden Willenserklärungen203. Weshalb der subjektive Wille der Parteien nur im Hinblick auf die Auslegung von Willenserklärungen und das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs nur bei Verträgen eine Rolle spielen soll, scheint also nicht ersichtlich204. Vielmehr erfolgt die Differenzierung der §§ 133 und 157 BGB anhand der Empfangsbedürftigkeit von Willenserklärungen 205 . So werden nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, wie z.B. Testamente, in aller Regel 200 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 17; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 1; § 157 BGB, Rn. 1; Medicus, AT, Rn. 319; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 3; Larenz, S. 7; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 28; Flume, AT II, S. 308; BGHZ 21, 319, 328; BGHZ 36, 30, 33; BGHZ 47, 75, 78; BGHZ 103, 275, 280. 201 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 31; „übereinstimmend“ ist hierbei abstrakt zu verstehen, kommt es doch immer auf die exakte Fallkonstellation an. 202 § 150 Abs. 2 BGB; Bickel, S. 163. 203 Bickel, S. 163. 204 Medicus, AT, Rn. 319; siehe hierzu weiterhin unten § 2 III. 4. 205 Medicus, AT, Rn. 322; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 458, 459; Petersen, Jura 2004, 536.

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1. Kapitel: Die Auslegung

überwiegend nach § 133 BGB ausgelegt 206. Dies begründet sich dadurch, dass nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen bereits durch die bloße Abgabe des Erklärenden wirksam werden, ohne dass sie einem Dritten zugehen müssen207. Daraus ergibt sich wiederum, dass es auf das Verständnis eines hypothetischen Empfängers nicht ankommt, sondern dass vielmehr der subjektive Wille des Erklärenden als maßgeblich erachtet werden muss208. Im Gegensatz dazu stehen die empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Durch das Zugangserfordernis209 werden die Interessen des Erklärungsempfängers insofern berücksichtigt, als dass die Widerrufsmöglichkeit des Erklärenden im Moment des Zugangs ausgeschlossen wird und der Empfänger in der Regel darauf vertrauen darf, dass die Erklärung so gilt, wie er sie verstehen durfte. Eine Auslegung erfolgt also aus Sicht des Empfängerhorizonts 210 . Dies scheint freilich angebracht, werden durch empfangsbedürftige Willenserklärungen doch die Interessen des Erklärungsempfängers berührt 211. Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen der Erklärungsempfänger z.B. den tatsächlichen Willen des Erklärenden erkannt hat, obwohl dieser von der Erklärung abweicht. Zudem lassen sich die Fälle der falsa demonstratio nicht ausschließlich über die Auslegung aus Sicht des Empfängerhorizonts nach § 157 BGB erklären, weshalb die Frage, wie sich das Verhältnis der §§ 133 und 157 BGB konkret gestaltet, beantwortet werden muss. Der Fokus liegt im Folgenden auf der Untersuchung der empfangsbedürftigen Willenserklärungen und daraus potentiell entstandener oder entstehender Verträge, da dort der Widerstreit zwischen subjektiver und objektiver Auslegung eine deutlich größere Rolle spielt als bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Schließlich stellt sich gerade bei Ersteren die Frage, wie der Interessenausgleich zwischen Erklärendem und Empfänger gerecht erfolgen kann und erfolgen muss. Um die Frage nach einer „Rangfolge“ der Auslegungsnormen und deren Zusammenwirken beantworten zu können, müssen diese jedoch zunächst einzeln untersucht werden.

206 Medicus; AT, Rn. 322; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 15; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 11; Horn/Kroiß, NJW 2012, 666. 207 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 31; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 15. 208 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 31; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 15; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 27; Medicus, AT, Rn. 322; kritisch dazu jedoch die Eindeutigkeitsformel, siehe hierzu unten § 2 IV. 3. a). 209 Siehe hierzu nur Wolf/Neuner, § 33, Rn. 10 ff.; Medicus, AT, Rn. 268 ff.; Soergel/ Hefermehl, § 130 BGB, Rn. 8 ff. 210 Medicus, AT, Rn. 323; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; ein evtl. Anfechtungsrecht des Erklärenden sei hier zunächst außer Acht gelassen. 211 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459.

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2. Die Auslegung von Willenserklärungen gem. § 133 BGB Der § 133 BGB erscheint aufgrund seines Wortlautes aus mehreren Gesichtspunkten untersuchungswürdig. Einerseits scheint sich die Auslegungsregel ausschließlich auf Willenserklärungen und nicht auch auf Verträge zu beziehen, andererseits wirkt aufgrund der klaren Forderung, den wirklichen Willen eines Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, eine subjektive Auslegung verpflichtend. Zunächst gilt es jedoch, die Entstehungsgeschichte des § 133 BGB zu betrachten, um so dessen Konzeption, vor allem im Hinblick auf das Zusammenwirken mit § 157 BGB, vollständig nachvollziehen zu können. a) Historischer Hintergrund des § 133 BGB Die Frage, ob das BGB überhaupt Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte enthalten sollte, war bereits bei Schaffung der ersten Entwürfe umstritten212. Schon in den Motiven finden sich kritische Stimmen. Demnach seien „Vorschriften dieser Art [sind] im Wesentlichen Denkregeln ohne positiv rechtlichen Gehalt; der Richter erhält Belehrungen über praktische Logik. Dabei liegt die Gefahr nahe, daß die Vorschriften für wirkliche Rechtssätze genommen werden und daß der Sinn des gesprochenen Wortes als die Hauptrichtschnur behandelt wird, von welcher nur insoweit abgewichen werden dürfe, als das Gesetz dies besonders erlaubt habe, während doch die Aufzählung aller möglicherweise maßgebenden Umstände im Gesetze geradezu ausgeschlossen ist.“213

Nichtsdestotrotz enthielt der erste Entwurf des BGB mit § 73 e.E. 214 eine Auslegungsvorschrift, die ihrem Wortlaut und den Motiven nach auf die Ermittlung eines „inneren Willens“ gerichtet war 215 . Das objektiv Erklärte hätte demnach als Auslegungsmittel dienen sollen, mit dessen Hilfe letztlich der subjektive Wille des Erklärenden ermittelt werden sollte. Die Verfasser des BGB schlugen sich in diesem ersten Entwurf zunächst also klar auf die Seite der „Willenstheoretiker“: „Man legt das Gewicht entweder auf das, was wirklich gewollt ist, oder auf das, was als gewollt erklärt ist. Im ersteren Falle ist die Willenserklärung nichtig, weil das Erklärte nicht gewollt und das Gewollte nicht erklärt ist; in letzterem Falle ist die Willenserklärung gültig.“216

212

Vgl. HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 17. Motive I, S. 155. 214 „Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu haften“, § 73, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. 215 Motive I, S. 126, vgl. Bickel, S. 161. 216 Motive I, S. 189. 213

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1. Kapitel: Die Auslegung

Vor allem § 98 e.E. verdeutlicht dies erneut: „Beruht der Mangel der Uebereinstimmung des wirklichen Willens mit dem erklärten Willen auf einem Irrthume des Urhebers, so ist die Willenserklärung nichtig, wenn anzunehmen ist, daß der Urheber bei Kenntniß der Sachlage die Willenserklärung nicht abgegeben hätte; im entgegengesetzten Falle ist die Willenserklärung gültig. Im Zweifel ist anzunehmen, die Willenserklärung würde nicht abgegeben sein, wenn ein Rechtsgeschäft anderer Art, die Beziehung des Rechtsgeschäftes auf einen anderen Gegenstand oder die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes unter anderen Personen beabsichtigt wurde.“217

Lediglich Fahrlässigkeit des Erklärenden würde nach § 99 e.E.218 dazu führen, dass die als nichtig zu erachtende Willenserklärung gültig wäre. Im Falle einer ungewollten – jedoch nicht fahrlässigen – Divergenz von Wille und Erklärung wäre die Willenserklärung also nichtig, was im Wesentlichen der Kernaussage der Willenstheorie entspricht. Dieser scheinbaren Bekenntnislinie zur Willenstheorie durch die Verfasser des BGB wurde jedoch nicht mit letzter Konsequenz gefolgt. Auch wenn die Formulierung des § 73 e.E. für den heutigen § 133 BGB übernommen wurde, kann nicht daraus geschlossen werden, dass auch der willenstheoretische Ansatz in seiner Gesamtheit Einzug in die Entwürfe und das heutige BGB gefunden hat. So stellte § 95 e.E., der die Mentalreservation regelte, bereits eine Modifikation der Willenstheorie dar219. Zudem findet sich mit der Irrtumsregelung der §§ 119 und 122 BGB ein weiterer Widerspruch zur Willenstheorie. Im Falle eines Irrtums des Erklärenden ist die Willenserklärung entgegen der Willenstheorie nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar220. In der Gesamtschau bekannten sich die Verfasser in ihrem zweiten Entwurf weder zur Willens- noch zur Erklärungstheorie, nachdem der erste Entwurf deutlicher Kritik ausgesetzt war221.

217 § 98 erster Entwurf des BGB, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. 218 „Die nach den Bestimmungen des § 98 für nichtig zu erachtende Willenserklärung ist gültig, wenn dem Urheber derselben grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt“, § 99 e.E., Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. 219 „Ist der Urheber einer Willenserklärung, bei welcher der wirkliche Wille mit dem erklärten Willen nicht übereinstimmt, des Mangels der Uebereinstimmung sich bewußt, so ist die Willenserklärung gültig, sofern der Urheber den Mangel verhehlt hat. Die Willenserklärung ist jedoch nichtig, wenn der Empfänger derselben den Mangel gekannt hat“, § 95 erster Entwurf des BGB, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs; HKK/Schermaier, §§ 116–124 BGB, Rn. 30; siehe Motive I, S. 189. 220 Kramer, S. 123; anders freilich noch Windscheid/Kipp, S. 376. Dies war jedoch nicht immer so, entwickelte sich die Anfechtung doch aus der relativen Nichtigkeit. Siehe zur Entwicklung der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen Harder, AcP 173 (1973), 209 ff. 221 Kramer, S. 121; Protokolle I, S. 102 ff.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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b) Die Willenserklärung als Auslegungsgegenstand Bevor die Frage, wie die Auslegung nach § 133 BGB erfolgt, beantwortet werden kann, muss zunächst ermittelt werden, was überhaupt ausgelegt werden soll. Darauf bezieht sich der Begriff des Auslegungsgegenstands. Grundsätzlich ist eine Willenserklärung der Gegenstand der Auslegung. Allerdings muss in einem vorgelagerten Schritt zunächst bestimmt werden, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt. Dies geschieht, wie die Bestimmung des Inhalts der Erklärung, ebenfalls durch Auslegung und umfasst die Feststellung des Erklärungstatbestands222. Auch wenn die §§ 133, 157 BGB ihrem Wortlaut nach bereits vom Vorliegen einer Willenserklärung bzw. eines Vertrags ausgehen, sind es gerade beide Normen, mit deren Hilfe die Frage des Bestehens einer Willenserklärung und deren Inhalts mittels Auslegung festgelegt und ermittelt werden soll. Für die Feststellung des Bestehens einer Willenserklärung ist das als Willenserklärung in Frage kommende objektive Verhalten des Erklärenden – der Auslegungsgegenstand – sowie außerhalb der Erklärung liegende Umstände – die Auslegungsmittel223 – relevant. Der nicht geäußerte innere Wille kann nicht Auslegungsgegenstand sein, weder für eine subjektive noch eine normative Auslegung. Bereits bei Ermittlung des Erklärungstatbestands zeigt sich, dass ein Zusammenwirken beider Vorschriften, §§ 133 und 157 BGB notwendig ist, bzw. eine Auslegung alleine unter Berufung auf § 133 BGB nur unbefriedigende Ergebnisse hervorbringen würde. Nur durch objektive Umstände kann überhaupt auf den Erklärungsgegenstand geschlossen werden. Im Beispiel einer Versteigerung ergibt sich aufgrund der dort üblichen Gebräuche, dass ein Armheben gemeinhin als Abgabe eines Gebots und somit die Abgabe einer auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung darstellt224. Freilich kommt es auf die konkreten Umstände an, in deren Rahmen eine Erklärung abgegeben wurde. Die gesprochene oder schriftliche Äußerung „Ich möchte zwei Kästen Bier der Marke XY zum Preis von je 12,99 € kaufen“ ergibt ohne Kontext bereits einen relativ klaren Erklärungstatbestand. Die bloße Äußerung „Ja“ oder „Nein“ lässt jedoch nur mit entsprechendem Kontext den Rückschluss auf das Bestehen einer wirksamen Willenserklärung zu 225 . Diese Begleitumstände, die Auslegungsmittel, dienen also der Konkretisierung oder Bewertung des Erklärungstatbestands, wodurch die Frage beantwortet werden kann, ob eine

222

Larenz, S. 82; Larenz, AT, S. 342; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 18; § 133 BGB, Rn. 9; „Auslegung ermittelt also nicht nur den Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung, sondern auch ihren Umfang – und damit den Gegenstand der Auslegung selbst“, Lüderitz, S. 25; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 4. 223 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 8; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 18; BGH NJW 1984, 721, 722. 224 Siehe zur Trierer Weinversteigerung oben § 2 I. 2. b) aa) (2). 225 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 18.

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1. Kapitel: Die Auslegung

Willenserklärung vorliegt oder eben nicht226. Dabei spielen die bereits erläuterten Willensmomente eine entscheidende Rolle 227 . Erst nach Feststellung des Bestehens kann der eigentliche Inhalt oder Sinn der Willenserklärung mittels Auslegung ermittelt werden. Eine Trennung dieses Vorgangs scheint jedoch kaum möglich und auch schlicht nicht nötig. c) Die subjektive Auslegung nach § 133 BGB Während der Wortlaut des § 133 BGB klar davon spricht, dass bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille der erklärenden Partei zu ermitteln ist, stellt sich doch die Frage, inwieweit sich tatsächlich an diesem Wortlaut orientiert werden darf. Zudem muss geklärt werden, was heute unter dem Begriff des „wirklichen Willens“ verstanden wird und welches Auslegungsziel damit letztlich verfolgt werden soll. Der Wortlaut des § 133 BGB legt zunächst eindeutig die äußere Erklärungshandlung als erkennbaren Erklärungstatbestand bzw. die Willenserklärung als Auslegungsgegenstand fest228. Daraufhin ist durch Auslegung festzustellen, ob diese Handlung eine Willenserklärung darstellt oder nicht229. Dabei kommt es weder auf deren Form noch darauf an, ob diese empfangsbedürftig oder nicht empfangsbedürftig ist. Wie bereits festgestellt, beschränkt sich der tatsächliche Anwendungsbereich nicht ausschließlich auf Willenserklärungen, sondern ist auch bei der Auslegung von Verträgen von erheblicher Bedeutung 230 . Im Rahmen der Auslegung von Willenserklärungen i.S.d. § 133 BGB wird im Allgemeinen von der subjektiven oder häufig auch empirischen oder natürlichen Auslegung gesprochen231. Bei der Bezeichnung der Auslegung nach § 133 BGB zeigt sich bereits, wie unterschiedlich die Vorschrift zum Teil verstanden wird. Während ein Teil der Lehre in der Vorschrift das Ziel der Ermittlung des wirklichen, subjektiven Parteiwillens verwirklicht sieht232, versteht ein anderer Teil die Vorschrift dahingehend, dass lediglich der objektive Sinn der Erklärung ermittelt werden soll233. Letztere Ansicht kann jedoch nur gelten, wenn der empirische Wille beider Parteien nicht übereinstimmt. Andernfalls würden die Fälle der falsa demonstratio 226 227 228

Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 8; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 18. Siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa). Wolf/Neuner, § 35, Rn. 4; Schiemann, in: Staudinger/Eckpfeiler, C. Rn. 41; Fricke,

S. 63. 229

Wolf/Neuner, § 35, Rn. 4. Siehe zur normativen Auslegung und dem Zusammenwirken von § 133 und § 157 BGB unten § 2 III. 4. 231 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 12 ff.; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 22 ff.; Palandt/ Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 7; Wieser, JZ 1985, 407. 232 So vor allem Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 5. 233 Medicus, AT, Rn. 323; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 1; Flume, AT II, S. 310; Wieacker, JZ 1967, 385. 230

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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wiederum nur schwer zu erklären sein und ein unnötig kompliziertes dogmatisches Konstrukt geschaffen werden234. aa) Die Ermittlung des tatsächlichen Parteiwillens als vorrangiges Auslegungsziel? Folgt man strikt dem Wortlaut des § 133 BGB, gilt die Ermittlung des wirklichen, subjektiven Willens der erklärenden Partei als das vorrangige Auslegungsziel. Fraglich ist dann jedoch, was unter dem wirklichen, subjektiven Willen verstanden werden muss und ob bzw. wann seine Ermittlung angebracht ist. Spricht man vom „wirklichen“ Willen des Erklärenden, zeigen sich in der Literatur zunächst zwei mögliche Betrachtungsweisen. Zum einen wird auf das tatsächlich Gewollte, also den empirischen bzw. rein subjektiven und nicht zum Ausdruck gebrachten Willen235 abgestellt. Zum anderen kann auf den durch die Erklärung zum Ausdruck gebrachten Willen abgestellt werden, also denjenigen Sinn, den der Erklärende seiner Erklärung beimaß 236. In letzterem Falle ist der Sinn maßgebend, den der Erklärende seiner Erklärung beimaß. Bei einem Abstellen auf den subjektiven Willen ergeben sich im Wesentlichen wiederum sechs mögliche Fallkonstellationen 237 : (1) der subjektive Wille deckt sich mit dem objektiv Erklärten, es liegt somit unproblematisch eine wirksame Willenserklärung vor; (2) der Erklärende unterliegt einem Irrtum, der subjektive Wille weicht also – vom Erklärungsempfänger unerkannt – vom objektiv Erklärten ab; (3) beide Parteien haben einen übereinstimmenden subjektiven Willen, unterliegen jedoch beide dem selben Irrtum (ein Fall der falsa demonstratio non nocet); (4) der Erklärende unterliegt einem Irrtum, den der Erklärungsempfänger jedoch erkennt und dem wirklichen Willen des Erklärenden entsprechend kontrahiert (ebenfalls ein Fall der falsa demonstratio non nocet); (5) der Erklärende unterliegt einem Irrtum, den der Erklärungsempfänger zwar erkennt, jedoch entsprechend der objektiven Erklärungsbedeutung des Irrenden entsprechend kontrahiert; (6) der Erklärende gibt eine Willenserklärung unter geheimen Vorbehalt oder im Rahmen eines Scheingeschäfts ab. Betrachtet man diese verschiedenen Fallgruppen, zeigt sich, dass es bei der Auslegung im Hinblick auf die Sinnermittlung einer Willenserklärung nach § 133 BGB nicht in allen Fällen ausschließlich auf den subjektiven Willen des Erklärenden ankommen kann. Die erste Fallgruppe bietet keinen Anlass zur Diskussion. Wille und Erklärung bilden hier-

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Siehe ausführlich zur falsa demonstratio unten § 2 III. 2. c) cc). Wieser, JZ 1985, 407; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 5. 236 Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 1; 237 Vgl. Wieser, JZ 1985, 407. 235

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1. Kapitel: Die Auslegung

bei ihr naturgemäßes Verhältnis238. Die übrigen Fallgruppen werden in den jeweiligen Abschnitten zum Irrtumsrecht bzw. dem folgenden Abschnitt zur falsa demonstratio ausführlich erläutert239. Die Fälle, in denen der Erklärende einen vom Empfänger unerkannten Irrtum unterliegt und Ersterer daraufhin seine Erklärung anficht, wären jedoch obsolet, würde der Erklärung schlicht der Sinn zugesprochen werden, den der Erklärende ihr beimessen wollte. Dem Irrtumsrecht der §§ 119 ff. BGB wäre damit die Grundlage entzogen240. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der subjektive Wille im Rahmen der Auslegung eine Rolle spielt. bb) Das Verbot der Buchstabeninterpretation Eine wesentliche Aussage des § 133 BGB besteht im Verbot der Buchstabeninterpretation 241 , was sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift selbst ergibt. Nach dem zweiten Halbsatz ist „nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“. Larenz erachtet diese Formulierung im Hinblick auf den ersten Halbsatz des § 133 BGB als problematisch, da sich dadurch letztlich eine Tautologie ergebe. Würde man die Vorschrift in dem Sinne „Es ist der wahre und nicht der buchstäbliche Sinn zu ermitteln“ auffassen, ergäbe sich keinerlei Aussage dazu, welcher der rechtlich maßgebliche Sinn der Erklärung sei242. Dies macht die Aussage des § 133 BGB jedoch nicht tautologisch 243 . Vielmehr verdeutlicht und ergänzt der zweite Halbsatz die Gesamtaussage des § 133 BGB. Denn nur wenn gerade nicht am buchstäblichen Sinn einer Erklärung oder eines Ausdrucks gehaftet wird, ist es möglich, den wirklichen Willen des Erklärenden oder der Vertragsparteien mittels Auslegung zu ermitteln. Wäre dies nicht möglich, erübrigt sich freilich die Regelung der falsa demonstratio. Diese betrifft gerade Fälle, in denen der Wortlaut nicht mit dem wirklichen Willen der Vertragsparteien übereinstimmt. Weiterhin verdeutlicht der zweite Halbsatz des § 133 BGB, dass nicht am Wortlaut eines einzelnen Ausdrucks gehaftet werden darf. Vielmehr muss der Kontext der gesamten Erklärung bzw. des Vertrags mit einbezogen werden244. Individueller Sprachgebrauch sowie entstandene Gepflogenheiten und Gebräuche könnten bei einem starren Haften am Wortlaut eines Ausdrucks zudem nicht berücksichtigt werden.

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Savigny, System III, S. 258. Siehe hierzu unten § 2 III. 2. c) cc). 240 Reinicke, JA 1980, 455. 241 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 58. 242 Larenz, S. 4. 243 So auch MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 58. 244 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 58; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 47; siehe zu der Bedeutung des Sprachgebrauchs zudem ausführlich unten § 2 IV. 3. c). 239

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Letztendlich geht das Verbot der Buchstabeninterpretation also Hand in Hand mit der Kernaussage des § 133 BGB, dass der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen ist. Das Verbot der Buchstabeninterpretation beschränkt sich jedoch nicht auf die Ermittlung des wirklichen Willens. Vielmehr findet es ebenfalls im Falle der normativen Auslegung Anwendung245. cc) Die Regel der falsa demonstratio non nocet Dass der rein subjektive, nicht geäußerte Wille nicht Auslegungsgegenstand sein kann, wurde bereits verdeutlicht. Zudem ist klar, dass im Falle einer einzelnen empfangsbedürftigen Willenserklärung nicht durch das bloße Abstellen auf den subjektiven Willen des Erklärenden, der objektive Sinn dieser Erklärung mittels Auslegung einfach geändert werden kann. Dies ist im Hinblick auf empfangsbedürftige Willenserklärungen und Verträge jedoch dann möglich, wenn die Parteien zwar subjektiv dasselbe erklären wollten, objektiv aber beide davon abwichen, also die Fälle der falsa demonstratio vorliegen. Je nach Betrachtungsweise stellt die falsa demonstratio eine Ausnahme von der normativen Auslegungsweise oder deren Grundlage dar. Die Frage der Betrachtungsweise geht einher mit derjenigen nach dem Verhältnis zwischen §§ 133 und 157 BGB. Den wohl bekanntesten Fall der falsa demonstratio stellt die Håkjerringkjøtt Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1920 dar 246 . Die Vertragsparteien schlossen einen Kaufvertrag über Håkjerringkjøtt (Haifischfleisch), wobei beide annahmen, einen Vertrag über Walfischfleisch abzuschließen. Beide Parteien unterlagen also demselben Irrtum. Das Gericht entschied daraufhin, dass der Vertrag über Walfischfleisch geschlossen gilt, da dies dem wirklichen Willen der Parteien entspreche. Der subjektive Wille beider Parteien geht also der objektiven Falschbezeichnung vor, selbst wenn Ersterer keinen oder nur einen undeutlichen Ausdruck in der Erklärung findet247. Dies entspricht dem Prinzip der Selbstbestimmung und der Privatautonomie. Eines besonderen Schutzes des Erklärungsempfängers bzw. der einzelnen Vertragsparteien bedarf es zudem nicht, da das Ergebnis letztlich ja gerade dem Willen der Parteien entspricht. Die dogmatische Einordnung der falsa demonstratio bzw. deren Aussagekraft ist jedoch nicht unumstritten. Wieling spricht der falsa demonstratio jegliche Aussagekraft ab248. Dies liege u.a. darin begründet, dass schon kein beiderseitiger Irrtum bei den Vertrags245

Siehe hierzu unten § 2 IV. 3. b). RGZ 99, 147, vgl. zum Folgenden Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 460. 247 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 13; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 27; Larenz, S. 78; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17; Medicus, AT, Rn. 327; BGH BGHZ 20, 109, 110; BGH NJW 1984, 721; NJW 1995, 1212, 1213. 248 Wieling, AcP 172 (1972), 297, 307, 316; vgl. Foer, S. 38. 246

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1. Kapitel: Die Auslegung

parteien vorliege 249 . Der Håkjerringkjøtt Fall stelle zudem keinen Fall der falsa demonstratio dar, da sich bereits aus den vorvertraglichen Verhandlungen ergeben hätte, dass der Kaufgegenstand Walfischfleisch sei. Ein rechtlich relevanter Irrtum läge demnach nicht vor. Vielmehr würden die Erklärungen mittels Auslegung dem wirklichen Willen der Parteien angepasst werden, weshalb die Anwendung der falsa demonstratio auch hier entbehrlich sei250. Diese Ansicht scheint jedoch zu undifferenziert. Die Fälle, in denen die falsa demonstratio Geltung erlangt, lassen sich im Wesentlichen in drei Gruppen einteilen: (1) Die Vertragsparteien verwenden bewusst einen Ausdruck, der in seiner gewöhnlichen Bedeutung etwas anderes bedeutet als für die Vertragsparteien (z.B. bezeichnen die Parteien eine zu verkaufende Gitarre als „Baby“251); (2) eine Vertragspartei gibt irrtümlich eine objektiv falsche Erklärung ab252, wobei die Gegenpartei den tatsächlichen Sinn der Erklärung erkennt (z.B. verhandeln die Parteien ausschließlich über den Verkauf einer blauen Fender Stratocaster, im Abschlussgespräch benennt eine Partei jedoch eine rote Fender Stratocaster als Kaufgegenstand)253; (3) beide Vertragsparteien unterliegen dem selben Inhaltsirrtum, meinen aber dasselbe (der Håkjerringkjøtt Fall). (1) Bewusste beiderseitige Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut Der Fall der beiderseitigen Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut wirft die Frage auf, ob der Begriff der „Falschbezeichnung“ überhaupt angebracht ist. Schließlich gewährt die Privatautonomie den Vertragsparteien nicht nur die Freiheit überhaupt einen Vertrag abzuschließen, sondern auch die Freiheit, sich einer beliebigen Ausdrucksweise zu bedienen 254 . Die „Falschbezeichnung“ ist in einem solchen Fall also eher als „Andersbezeichnung“ oder Falschbezeichnung im Sinne einer vom gewöhnlichen Wortsinn abweichenden Bezeichnung zu verstehen255. Subjektiver Wille und objektive Erklärung der einzelnen Parteien stimmen überein, da diese gerade bewusst eine vom Normalfall abweichende Bezeichnung wählen. Die Antwort auf die Frage, ob die falsa demonstratio in einem solchen Falle tatsächlich eine Rolle spielt, ist zugegebenermaßen gut versteckt. Schließlich garantiert schon die Privatautonomie und der bloße Wortlaut des § 133 BGB, dass der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien unabhängig von der im Vertrag gewählten Formu249

Wieling, AcP 172 (1972), 297, 307, 316. Wieling, AcP 172 (1972), 297, 298. 251 Vgl. das Beispiel von Foer, S. 15. 252 Die Partei unterliegt also einem Erklärungsirrtum. 253 Dies stellt den Fall des erkannten Irrtums dar, der aber trotzdem von der falsa demonstratio Regel aus Wertungsgesichtspunkten umfasst wird; Flume, AT II, S. 304; Wieling, AcP 172 (1972), 297; siehe hierzu unten § 2 III. c) cc) (2). 254 Vgl. Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17; Flume, AT II, S. 299. 255 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 27; Czarnecki, S. 65; Flume, AT II, S. 299. 250

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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lierung gilt. Zudem bedarf es keines Vertrauensschutzes der einzelnen Vertragsparteien im Hinblick auf die objektive Aussagekraft der Erklärungen 256. Dies kann allerdings nicht ausreichen, um der falsa demonstratio jeglichen Aussagegehalt abzusprechen. Im Gegenteil: Der Ausnahmefall bestätigt die Regel. Die falsa demonstratio verdeutlicht gerade, dass das gemeinsam wirklich Gewollte über allen objektiven Merkmalen steht 257, was letztlich wiederum die Privatautonomie in ihrer Bedeutung bestärkt. Selbst in den eben genannten Fallgruppen behält die falsa demonstratio also ihre Aussagekraft, auch wenn ein Rückgriff zumindest nicht explizit notwendig erscheint258. (2) Einseitige (erkannte) irrige Falschbezeichnung Die zweite Fallgruppe, die die Fälle der einseitigen, vom Erklärungsempfänger erkannten Falschbezeichnung umfasst, wird allgemein als solche des erkannten und ausgenutzten Irrtums bezeichnet 259 . Diese lässt sich jedoch auch als Fall der falsa demonstratio verstehen, da das dahinterstehende Prinzip und die damit verbundenen Wertungen identisch sind260. Dabei erfolgt an dieser Stelle jedoch eine feine Differenzierung zwischen den Fällen des bloßen erkannten Irrtums einerseits und zwischen den Fällen des erkannten und ausgenutzten Irrtums andererseits261. So beruft sich der Erklärungsempfänger im Falle des bloßen erkannten Irrtums nicht auf die objektive Bedeutung der Erklärung des Irrenden, nutzt sie also gerade nicht aus262. Die dahinterstehende Wertung ähnelt jedoch in beiden Fällen derjenigen der ersten Fallgruppe: Auch hier bedarf es keines Vertrauensschutzes des Erklärungsempfängers, da dieser den Irrtum des Erklärenden erkennt 263 . Dennoch gestalten sich die Fälle des erkannten Irrtums problematischer als die des bewussten beiderseitigen Abweichens vom gewöhnlichen Wortlaut. Diese Problematik zeigt sich jedoch hauptsächlich im Hinblick auf eine mögliche Anfechtung durch den

256

Reinicke, JA 1980, 455. Vor allem im eben erwähnten Fall (3); MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 56; BGH NJW 1956, 665; BGH NJW 1978, 1483; BGH NJW 1978, 1050. 258 So auch Foer, S. 39; anders freilich Wieling, AcP 172 (1972), 297, 307; dies gilt entgegen der Meinung Reinickes, der § 117 Abs. 1 BGB als Begründung für die Geltung des gemeinsam Gewollten im Falle der beiderseitigen bewussten Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut anführt, siehe Reinicke, JA 1980, 455, 456. 259 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 62; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 39; BGH WM 1972, 1422, 1424; NJW-RR 1995, 859. 260 Vgl. MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 60. 261 Der Fall des erkannten und ausgenutzten Irrtums wird im Rahmen des Irrtumsrechts erneut beleuchtet, siehe hierzu unten § 7 V. 3. 262 Vgl. MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 60. 263 Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 8; Erman/Arnold, § 133 BGB, Rn. 18; BGH BGHZ 71, 243, 247; BGH NJW 1984, 721; NJW-RR 1987, 1284; Larenz, AT, S. 339; Dehler, S. 297. 257

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1. Kapitel: Die Auslegung

Erklärenden264 und weniger in Bezug auf die Auslegung. Fraglich ist jedoch auch ob für die Anwendung der falsa demonstratio der Erklärungsempfänger den Irrtum des Erklärenden durch Zufall erkannt haben muss oder es ausreicht, dass er den Irrtum erkannt haben müsste. Diese Frage beinhaltet gleichzeitig die Frage nach dem tatsächlichen Wesen der falsa demonstratio. Laut Wieling ist die Regel nur dann anwendbar, wenn der Empfänger den Irrtum zufällig erkennt, andernfalls läge ein Dissens vor265. Zudem gelte eine Willenserklärung grundsätzlich so, wie sie gewollt ist, auch dann, wenn Wille und Erklärung voneinander abweichen und der Empfänger dies erkannt hat. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Fall, in dem der Empfänger den Irrtum des Erklärenden erkannt hat, ist klar: Die Willenserklärung gilt mit dem erkannten und vom Erklärenden gewollten Sinn 266. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der Empfänger den wirklichen Willen des Erklärenden zu Eigen macht. Es reicht vielmehr aus, dass er in Kenntnis des wirklichen Willens das Geschäft abschließt, da er gerade dann keines Vertrauensschutzes bedarf 267 . Dies führt auch nicht zu einem Dissens, da der Empfänger ja gerade weiß, welchen Inhalt die Erklärung der Gegenseite hat und trotzdem einen Vertrag schließt. Zudem dürfen sich bei einem Dissens schon die normativ ausgelegten Willenserklärungen nicht decken. Die falsa demonstratio behält hier ebenfalls ihre Kernaussage, auch wenn sie sich nur auf die Willenserklärung des irrtümlich Erklärenden bezieht. Das Abstellen auf das „Erkennenmüssen“ des Empfängers lässt sich zugegebenermaßen auf den ersten Blick schwerer mit der falsa demonstratio vereinbaren. In jedem Fall muss der Empfänger sich das „Erkennenmüssen“ über die normative Auslegung des § 157 BGB und der damit gebotenen Auslegungssorgfalt zurechnen lassen268, was letztlich zum selben rechtlichen Ergebnis führt269. Dies wiederum bedeutet jedoch nicht, dass die falsa demonstratio deshalb keine Rolle spielt. Vielmehr kommt ihr auch in diesem Fall gerade eine bestärkende Wirkung zu. Zwar würde ein Verweis auf die normative Auslegung ausreichen, um den Fall des erkannten Irrtums dogmatisch zu begründen, denn wenn die objektiven Umstände auf den tatsächlichen Willen des Erklärenden hindeuten, ist dieser von rechtlicher Relevanz. Dies geht einher mit der Pflicht der Auslegungssorgfalt, der der Erklärungsempfänger unterliegt. Die falsa demonstratio stellt hier ebenfalls also nicht die Ausnah264

Siehe hierzu unten § 7 V. 3.; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 62. Wieling, AcP 172 (1972), 297, 298. 266 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 13; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 14; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 27; BGH NJW 1984, 721; BGH NJW 2002, 1038, 1039; BGH NJW 2008, 1658 ff. 267 BGH NJW 2002, 1038, 1039; BGH NJW 1984, 721; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 8. 268 Siehe hierzu unten § 2 IV. 5. bb). 269 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 13. 265

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me von der Regel dar, sondern verstärkt vielmehr das durch die normative Auslegung gewonnene Auslegungsergebnis: Lässt sich durch die Auslegung auf den wirklichen Willen schließen, so gilt dieser unabhängig vom Wortlaut. Denn letztlich führt beim Abstellen auf das „Erkennenmüssen“ die normative Auslegung gerade zum wirklichen Willen. (3) Beidseitige irrige Falschbezeichnung Der Fall der beidseitigen irrigen Falschbezeichnung, wie der HåkjerringkjøttFall, stellt wohl das klassische Beispiel der falsa demonstratio dar. Auch hier benötigen die Vertragsparteien keinen Vertrauensschutz 270 , da übereinstimmend dasselbe gewollt war und lediglich der Wortlaut irrtümlich falsch erklärt wurde. Eine mögliche Aufklärung des Irrtums durch die Heranziehung der vertraglichen Vorverhandlungen verringert, wie im Falle des erkennbaren einseitigen Irrtums, nicht die Aussagekraft der falsa demonstratio271. In einem solchen Fall kann zwar erneut auf die normative Auslegung verwiesen werden, die jedoch wiederum den übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien als Auslegungsergebnis zur Folge hat. Und gerade in diesem Fall gilt der Grundsatz der falsa demonstratio. Der übereinstimmende subjektive Wille der Parteien bestimmt somit den Vertragsinhalt. (4) Der Charakter der falsa demonstratio als Auslegungsregel und daraus resultierende Konsequenzen Die Fallgruppe des erkannten oder erkennbaren Irrtums wirft, wie erwähnt, die Frage nach dem Wesen der falsa demonstratio bzw. deren Aussagegehalt auf. Diese Frage kann nun beantwortet werden. Nach der hier vertretenen Ansicht hat die falsa demonstratio weniger den Charakter einer Ausnahmeregelung, sondern verdeutlicht vielmehr die Grundaussage der Auslegung nach § 133 BGB, nach der der wirkliche Wille zu erforschen ist272. Es lässt sich freilich streiten ob der Aussagegehalt der falsa demonstratio demnach nun hoch oder sehr gering erscheint. Betrachtet man jedoch nicht nur die empirische Auslegung nach § 133 BGB, sondern die Auslegung in ihrer Gesamtschau und bezieht damit auch die normative Auslegung nach § 157 BGB mit ein, lässt sich die Frage nach der Bedeutung der falsa demonstratio präzisieren und gleichzeitig auf eine grundlegendere Ebene ausweiten: Kommt es auf den übereinstimmenden bzw. erkannten subjektiven (inneren) Willen der Vertragsparteien an, oder werden unter Anwendung der normativen Auslegung die Erklärungen der Vertragsparteien so verstanden, wie die Parteien sie

270 271 272

Wieling, Jura 1979, 526; Scherer, S. 80. Anders Wieling, AcP (172) 1972, 297, 298. So auch Scherer, S. 81.

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verstanden haben273? Oder: Auf welcher Basis entsteht der natürliche Konsens, wie Kramer ihn nennt274? Das Argument, nicht der subjektive Wille der Vertragsparteien habe Vorrang vor dem Wortlaut, sondern die Erklärungen werden im Sinne der Parteien verstanden, erinnert an die Geltungstheorie Larenz‘ und wird von diesem auch so vertreten275. Es wird auf den in Geltung gesetzten Willen abgestellt, der in der Erklärung seinen Ausdruck finden soll. Der Vertragsschluss entsteht nach dieser Argumentation somit auf Basis des objektiven Tatbestands der Erklärung, die jedoch so verstanden wird, wie die Parteien es taten. Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Zum einen widerspricht diese Auffassung dem Wortlaut des § 133 BGB, nach dem der wirkliche Wille zu erforschen ist. Zum anderen scheint diese Lösung schlichtweg unnötig kompliziert. Während die Geltungstheorie im Hinblick auf die „bloße Willenserklärung“ noch überzeugen kann, zeigt sie hier ihre Schwächen. Das Abstellen auf die objektive Bedeutung der Erklärungen für den aus den Vertragsparteien bestehenden Personenkreis, um dadurch die „normale“ Bedeutung eines Wortes oder einer Klausel zu verdrängen 276 , mag im Falle der bewussten Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut noch überzeugen, da hier gerade ein bewusstes Abweichen durch die Parteien vorliegt. Im „klassischen“ Fall der falsa demonstratio, also dem irrtümlichen Abweichen vom gewöhnlichen Wortlaut, lässt sich die Argumentation nur schwer anbringen. In diesem Fall liegt ja gerade kein bewusstes, sondern ein unbewusstes Abweichen der objektiven Erklärungen der Parteien vom gewöhnlichen Wortlaut vor. Larenz scheint sich zudem in seiner Argumentation zu widersprechen: Auf der einen Seite geht die von den Beteiligten gemeinte Bedeutung der objektiven vor, auf der anderen Seite gilt nur die Erklärung und nicht der Wille der Beteiligten277. Zudem sei die Auslegung die „Feststellung der rechtlich maßgeblichen Erklärungsbedeutung“, die sich aber „nicht nach einem von der Erklärung verschiedenen Willen, sondern nach den objektiven Verständnismöglichkeiten der Parteien und einer der Billigkeit entsprechenden Abwägung derselben“ richtet278. Betrachtet man nun die objektiven Verständnismöglichkeiten im Falle einer beiderseitigen irrtümlichen Falschbezeichnung, kann man nicht in jedem Fall davon ausgehen, dass durch die Umstände tatsächlich das „richtige“ Auslegungsergebnis im Sinne des tatsächlich Gewollten der Vertragsparteien erreicht wird.

273

Vgl. Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17. Kramer, S. 53, 141 ff. 275 Larenz, S. 79, 80; siehe auch Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17; siehe zur weiteren Voraussetzung der Zurechenbarkeit unten § 2 IV. 5. a) cc). 276 Larenz, S. 71. 277 Larenz, S. 79, 80. 278 Larenz, S. 69. 274

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Das Abstellen auf den wirklichen Willen der Vertragsparteien scheint in jedem der drei erläuterten Fälle der falsa demonstratio dogmatisch sauberer und schlicht einfacher. Zum einen lässt sich diese Lösung völlig problemlos mit dem Wortlaut des § 133 BGB vereinbaren, was eine unnötige Diskussion über dessen tatsächlichen Aussagegehalt zum größten Teil entbehrlich macht. Zum anderen wird dem versuchten Überspielen des Dualismus zwischen Wille und Erklärung durch die Geltungstheorie die Grundlage entzogen. Am Beispiel der falsa demonstratio, aber noch viel deutlicher im Falle des Irrtums 279, wird deutlich, dass es Larenz gerade nicht gelingt, den erwähnten Dualismus zu überwinden 280 : Schließlich entspricht im Falle der falsa demonstratio der nicht in Geltung gesetzte, also rein subjektive Wille, nicht der objektiven (Geltungs-)Erklärung. Wo sich hier durch geschicktes „zurechtbiegen“ der Bedeutung des erklärten Wortes ein stimmiges Ergebnis erreichen lässt, indem man auf den lediglich aus den Vertragsparteien bestehenden Personenkreis abstellt, funktioniert dies im Falle eines einseitigen unerkannten Irrtums nicht mehr: Auch hier besteht eine Diskrepanz zwischen rein subjektivem Willen und (Geltungs-)Erklärung. Im Falle eines Irrtums muss diese Diskrepanz zwischen diesen beiden Bestandteilen bestehen, eine andere Konstellation scheint nicht denkbar. Und gerade in diesem Fall zeigt sich, dass sich der Dualismus zwischen rein subjektivem Willen und der objektiven Erklärung, auch wenn diese als Geltungserklärung verstanden werden soll, nicht überwinden lässt281. Es scheint also angebracht, den grundsätzlichen Dualismus zwischen Wille und Erklärung zu akzeptieren und vielmehr einen in sich schlüssigen Umgang damit zu finden. Dies hat freilich auch Auswirkungen für die gesamte Auslegung und konkret vor allem für das Verhältnis von subjektiver und normativer Auslegung282. Grundsätzlich lässt sich jedoch aus der Untersuchung der falsa demonstratio folgende Erkenntnis gewinnen: Stimmt das wirklich Gewollte, also die subjektiven Willen der Vertragsparteien überein, unabhängig davon ob die Abweichung vom gewöhnlichen Wortlaut bewusst oder unbewusst entstanden ist oder eine Partei einem erkannten Erklärungsirrtum unterlag, wird lediglich davon der Vertragsinhalt bestimmt. Es liegt der Fall des „natürlichen Konsens“ vor 283. Der Privatautonomie der Parteien wird dadurch vollends Rechnung getragen, da sie nicht unnötigerweise an einem anderweitigen objektiven Auslegungsergebnis festgehalten werden.

279

Siehe hierzu unten § 7 II. 2. ff. So auch Kramer, S. 133. 281 So auch Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 7; Flume, AT II, S. 59. 282 Siehe hierzu ausführlich unten § 2 IV. 2. 283 Kramer, S. 175. 280

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d) Zwischenergebnis Die von § 133 BGB geforderte Erforschung des wirklichen Willens erzeugt im Hinblick auf die in § 157 BGB normierte Auslegung nach Treu und Glauben und der Berücksichtigung der Verkehrssitte zunächst ein gegensätzliches Bild. Vor allem in Verbindung mit der falsa demonstratio scheint sich zunächst keine einheitliche Auslegungsmethode zu ergeben, die nicht von Ausnahmen und Widersprüchen durchzogen zu sein scheint. Dieses Dilemma löst sich jedoch auf, sobald man nicht mehr die normative Auslegungsmethode nach § 157 BGB als „grundlegend“ erachtet, sondern direkt die Erforschung des wirklichen Willens der Parteien zunächst als primäres Auslegungsziel festlegt. Die falsa demonstratio stellt sich nicht mehr als Ausnahme dar, sondern verstärkt vielmehr die Grundaussage der empirischen Auslegung nach § 133 BGB. Dadurch ergibt sich zudem ein einheitlicheres Bild der empirischen Auslegung. Der subjektive Wille spielt im Rahmen der Vertragsauslegung also zunächst in den Fällen, in denen beide Parteien übereinstimmend dasselbe wollten, unabhängig vom Wortlaut und einem einseitigen284 oder beiderseitigen Irrtum, die zentrale Rolle. Durch ihn wird der Vertragsinhalt bestimmt, wodurch letztlich der Privatautonomie der Vertragsparteien vollständig Rechnung getragen wird. Die Selbstbestimmung wird gewahrt und die Parteien nicht an einem evtl. ihren Interessen entgegenstehenden Auslegungsergebnis festgehalten. Der willentliche Konsens bestimmt den Kerninhalt des Vertrags285. Das Gegenargument, nicht der innere Wille habe Vorrang vor dem Erklärten, sondern die Erklärungen werden so verstanden wie die Parteien sie verstanden haben 286 , kann nicht vollends überzeugen. Diese Lösung scheint umständlich und zudem unnötig, wenn durch ein Abstellen auf den subjektiven Willen dasselbe Auslegungsergebnis in einer dogmatisch saubereren Lösung erreicht werden kann. 3. Die normative Auslegung nach § 157 BGB Das Auslegungsziel des § 157 BGB scheint dem Wortlaut nach zunächst im Widerspruch zur subjektiven Auslegung nach § 133 BGB zu stehen. Während § 133 BGB den subjektiven Willen der Vertragsparteien vollständig in den Mittelpunkt zu stellen scheint, spielt dieser im Rahmen des § 157 BGB keine erkennbare Rolle mehr. Nach dieser Vorschrift sind Verträge so auszulegen wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Es erfolgt also zunächst eine Orientierung an rein objektiven Maßstäben, die zudem zunächst schwer greifbar erscheinen. Deren Bedeutung und ihre An-

284 285 286

Damit ist freilich der einseitig erkannte Irrtum gemeint. Vgl. Lüderitz, S. 79. Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17.

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wendung sollen im Folgenden erläutert werden. Zunächst soll jedoch kurz die historische Entwicklung des § 157 BGB dargelegt werden. a) Die historische Entwicklung des § 157 BGB Im Gegensatz zu § 133 entstammt § 157 BGB in seiner heutigen Fassung weder wortgleich den ersten Entwürfen des BGB, noch fand sich darin eine entsprechende Auslegungsvorschrift287. Lediglich § 359 e.E.288 erwähnt Treu und Glauben und die Verkehrssitte im Hinblick auf den Vertragsinhalt und kann somit im weitesten Sinne als Vorgängernorm zu § 157 BGB aufgefasst werden 289 . Dasselbe gilt für den heutigen § 242 BGB, der ebenfalls auf § 359 e.E. zurückgeht290. In den Protokollen für die zweite Lesung wird zum einen die Streichung des § 359 e.E., zum anderen aber auch die Ergänzung des § 73 e.E., des Vorgängers des heutigen § 133 BGB, durch einen zweiten Satz gefordert: „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern“ 291. Alternativ sollte ein gleichlautender § 90a geschaffen werden. Den Verfassern war bewusst, dass dadurch der Bestimmung die Form einer Auslegungsregel gegeben werde, die zudem oft der „Ergänzung des fehlenden Willens durch das Gesetz“ diene 292. Letzteres begründet sich vor allem aus der Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte. Letztendlich wurde die Formulierung als § 127 in den zweiten Entwurf übernommen um schließlich als § 157 BGB in heutiger Form in Kraft zu treten293. b) Der Anwendungsbereich und die Bedeutung des § 157 BGB für die Auslegung Wie bereits Eingangs aufgezeigt, erscheint eine unterschiedliche Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen nicht sinnvoll und damit verbunden eine strikte Trennung des Anwendungsbereichs der §§ 133 und § 157 BGB nicht möglich 294 . Nichtsdestotrotz lassen sich Fallgruppen bilden, die die 287 Für eine ausführliche Betrachtung der vollständigen Entstehungsgeschichte siehe HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 22 ff.; zur Entstehung des Begriffs von Treu und Glauben siehe u.a. MüKo/Schubert, § 242 BGB, Rn. 17 ff. 288 „Der Vertrag verpflichtet den Vertragschließenden zu demjenigen, was sich aus den Bestimmungen und der Natur des Vertrages nach Gesetz und Verkehrssitte sowie mit Rücksicht auf Treue und Glauben als Inhalt seiner Verbindlichkeit ergiebt“, § 359 erster Entwurf des BGB, Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anlagen: Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. 289 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 24. 290 Protokolle I, S. 625; MüKo/Schubert, § 242 BGB, Rn. 18. 291 Protokolle I, S. 623. 292 Protokolle I, S. 625. 293 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 25. 294 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 1.

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Bedeutung und Grundaussagen beider Vorschriften deutlich werden lassen. Dadurch lässt sich wiederum die Grundaussage und die Bedeutung des § 157 BGB, gerade im Zusammenhang und im Hinblick auf das Verhältnis zu § 133 BGB, verdeutlichen. § 157 BGB normiert im Gegensatz zu § 133 BGB eine vergleichsweise objektive Auslegungsmethode, nach der eine Auslegung anhand der Maßstäbe von Treu und Glauben und der Berücksichtigung der Verkehrssitte gefordert wird. Der Anwendungsbereich erstreckt sich dabei nicht nur auf Verträge, sondern auch auf einseitige Rechtsgeschäfte, wie empfangsbedürftige Willenserklärungen295. Schließlich bedarf es gerade in diesen Fällen in aller Regel des Vertrauensschutzes des Empfängers. Die Privatautonomie des Erklärenden bedarf nur in Ausnahmefällen eines Schutzes in dem Sinne, dass der Empfänger die Erklärung im Sinne des subjektiven Willens des Erklärenden verstehen musste 296. Für die Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist daher nach §§ 133, 157 BGB maßgebend, wie diese vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstanden werden musste 297. Es wird daher von einer normativen Auslegung gesprochen298. Diese ergänzt die empirische Auslegung nach § 133 BGB299. Der Anwendungsbereich des § 157 BGB umfasst neben der sinnermittelnden Auslegung zusätzlich noch die ergänzende Auslegung. Diese ist dann erforderlich, wenn durch die sinnermittelnde Auslegung eine offene Auslegungsfrage nicht zu lösen ist300. aa) Der Begriff der normativen Auslegung Die rein objektive Auslegung i.S.d. Erklärungstheorie und die normative Auslegung i.S.d. § 157 BGB scheinen sich zunächst vom Grundsatz her ähnlich, beziehen sich doch beide auf objektive Merkmale. Während § 157 BGB jedoch Treu und Glauben und die Verkehrssitte als Maßstäbe festlegt, anhand derer die Auslegung einer Erklärung erfolgen soll, bezieht sich die rein objektive Auslegung ausschließlich auf die Erklärung ohne weitere Auslegungsmaßstäbe hinzuzuziehen. Es wird also nicht der Anspruch einer Wertung erhoben, wie sie im Hinblick auf die Auslegung nach Treu und Glauben 295

Staudinger/Roth, § 157 BGB, Rn. 1; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 3. Ausnahmefälle wurden bereits genannt, so z.B. der erkannte Irrtum. BGH NJW 1988, 2878, 2879; NJW 90, 3206; NJW 1992, 1446; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 12. 298 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 1; Wiesner, JZ 1985, 407; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459; Flume, AT II, S. 292; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 3 ff.; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 1; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 6; Medicus, Rn. 323. 299 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 3. 300 Staudinger/Roth, § 157 BGB, Rn. 4; Henckel, AcP 159 (1960), 106, 107; siehe zur Lückenfüllung durch ergänzende Auslegung und dem Verhältnis zum dispositiven Recht Larenz, NJW 1963, 737. 296 297

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und der Verkehrssitte erfolgt. Gemeinsam haben beide Arten der Auslegung jedoch, dass der subjektive Wille der Vertragsparteien nicht maßgeblich für das Auslegungsergebnis ist301. Der Begriff der normativen Auslegung rührt im Wesentlichen jedoch daher, dass eine Willenserklärung so ausgelegt wird, wie sie ein Erklärungsempfänger unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte verstanden hätte 302. Häufig wird eine alternative Formulierung gewählt, die die normative Auslegung so beschreibt, dass der Sinn einer Erklärung so zu verstehen ist, wie ein Erklärungsempfänger sie verstehen durfte oder musste 303 . Letztlich besteht jedoch kein Unterschied zwischen beiden Formulierungen, impliziert die Beurteilung eines Gerichts aus Sicht des Erklärungsempfängers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben doch gerade die hinter letzterer Formulierung stehende Wertung. bb) Die Auslegung aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts Die eben erläuterte normative Sichtweise, die eine Erklärung so auslegt, wie sie der Empfänger hätte verstehen müssen, beinhaltet zugleich, dass das subjektive Verständnis des Empfängers für die Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung keine Rolle spielt304. Es erfolgt also eine Auslegung aus objektiver Sicht und ein Abstellen „auf den objektiven Erklärungswert“305. Dies überzeugt. Würde auf ein subjektives Verständnis des Erklärungsempfängers abgestellt, würde der Vertrauensschutz und die Privatautonomie des Erklärenden untergraben werden. Formuliert dieser bspw. eine Erklärung aus objektiver Sicht derart klar, dass ein Missverständnis beinahe unmöglich scheint, würde ein Abstellen auf das subjektive Verständnis des Empfängers, die Bemühungen des Erklärenden ad absurdum führen. Dies kann nicht sein. Es soll mittels normativer Auslegung gerade ein Ausgleich der Interessen des Erklärenden und des Empfängers ermöglicht werden. Würde nun auf das subjektive Verständnis des Empfängers abgestellt werden, würden dessen Interessen einseitig berücksichtigt werden. Letztlich stellen sich die gleichen Probleme wie bei der Willenstheorie, nur auf den Erklärungsempfänger bezogen.

301

Vgl. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 9. BGH NJW 1990, 3206; 1997, 2233, 2234; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 6; Czarnecki, S. 67. 303 So z.B. MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 6, 12; BGH NJW 1988, 2878, 2879; 1990, 3206; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9. 304 „Maßgebend ist nicht, welche Schlüsse der Kl. daraus gezogen hat; für die Auslegung des Schreibens kommt es vielmehr auf den objektiven Empfängerhorizont an.“, BGH NJW 2007, 64, 65; Kling, S. 323. 305 BGH NJW 1961, 2251, 2253; Kling, S. 322. 302

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1. Kapitel: Die Auslegung

4. Zur Frage des Zusammenwirkens der §§ 133 und 157 BGB Während die §§ 133 und 157 BGB bisher getrennt voneinander betrachtet wurden, soll nun deren Zusammenwirken in der Auslegungspraxis beschrieben werden. Dabei soll der Frage, welche der beiden Auslegungsvorschriften die Grundlage für die Auslegung bildet, nachgegangen werden. Eine völlige materielle Trennung beider Vorschriften scheint weder sinnvoll noch möglich, finden beide doch für Willenserklärungen wie für Verträge gleichermaßen Anwendung306. Auch in der Rechtsprechung werden beide Normen nebeneinander angewandt 307 . Teile der Literatur sehen jedoch § 157 BGB als grundlegende Auslegungsnorm und somit die normative Auslegung als grundsätzliche Auslegungsmethode an308. Wie bereits im Zusammenhang mit der empirischen Auslegung und der falsa demonstratio erläutert, geht der wirkliche Wille der Vertragsparteien der objektiven Bedeutung einer Willenserklärung jedoch vor 309 . Dieses Ergebnis würde sich wahrscheinlich in den meisten Fällen auch durch eine normative Auslegung ergeben, indem die Willenserklärung so ausgelegt wird, „wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsanschauung verstehen mußte“310. Verhandeln zwei Vertragsparteien z.B. offen über den Kauf einer Gitarre vom Typ Stratocaster, die vor ihnen auf dem Tisch liegt, bezeichnen diese jedoch fälschlicherweise als Gitarre vom Typ Telecaster, deuten die Begleitumstände darauf hin, dass sich die Parteien über den Verkauf der Stratocaster einigen wollen. In solchen Fällen entsteht kein Widerspruch zwischen empirischer und normativer Auslegung. Beide führen dann letztendlich zum selben rechtlichen Ergebnis. Fälle, in denen die Begleitumstände jedoch nicht unzweideutig auf bspw. den Vertragsgegenstand hindeuten, beide Parteien einer objektiven Falschbezeichnung unterlagen oder eine Partei die Falschbezeichnung der anderen Partei erkannt hat, und beide Parteien dennoch subjektiv übereinstimmend dasselbe wollten, lassen sich über die normative Auslegung jedoch nicht erklären. Hier liegt jeweils ein klassischer Fall der falsa demonstratio vor. Wenn sich beide Fallgruppen jeweils durch die subjektive Auslegung nach § 133 BGB erklären lassen, nicht jedoch durch die normative Auslegung nach § 157 BGB, muss die subjektive Auslegung die grundlegendere Auslegungsmethode darstellen 311 . Erst wenn der subjektive Wille von der objektiven Erklärung abweicht, der Erklärungsempfänger dies nicht erkannt hat und 306

Siehe oben § 2 III. 1. Siehe Fn. 200. 308 Wolf spricht von einem praktischen Übergewicht des § 157 BGB, Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 14; vgl. Mittelstädt, S. 28. 309 Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c) cc). 310 BGH NJW 1967, 673. 311 So auch Wolf/Neuner, § 35, Rn. 27; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 6; Wieser, JZ 1985, 407; BGH NJW 1984, 721. 307

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auch kein sonstiger Fall der falsa demonstratio vorliegt, kann eine normative Auslegung erfolgen. Erst dann wird eine Erklärung so ausgelegt, wie der Empfänger sie nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte312. De facto erfolgt also aus dogmatischer Sicht eine zweistufige Auslegung: Zunächst erfolgt die subjektive, sofern diese kein Ergebnis liefert, in einem nächsten Schritt die normative Auslegung313. Diese zweistufige Auslegung bietet den entscheidenden Vorteil, dass sowohl die Privatautonomie der Vertragsparteien in ausreichendem Maße berücksichtigt, als auch der nötige Vertrauensschutz eines gutgläubigen Erklärungsempfängers gewährleistet wird. Zudem besteht keinerlei Konflikt zwischen den §§ 133, 157 BGB. Vielmehr wird das Komplementärverhältnis beider Normen zueinander erklärt und verdeutlicht. Dadurch ergibt sich eine elegante Lösung der immer wieder gestellten dogmatischen Frage, wie sich beide Normen zueinander verhalten. Der Anwendungsbereich beider Normen geht jedoch fließend ineinander über314. Im Folgenden werden daher die allgemeinen Auslegungsgrundsätze als für beide Normen geltend erläutert. IV. Die Auslegung in der praktischen Anwendung Nachdem die grundlegenden dogmatischen Prinzipien der Vertragsauslegung erläutert wurden, soll nun die praktische Anwendung untersucht werden. Dabei stehen vor allem der Auslegungsgegenstand, die Auslegungsmittel und die normativen Maßstäbe des § 157 BGB im Fokus. 1. Der Vertrag als Auslegungsgegenstand Wie bereits erläutert bildet bei Willenserklärungen ganz allgemein die Erklärungshandlung in Form eines Verhaltens oder der Worte eines Erklärenden, die möglicherweise eine Willenserklärung darstellen, den Auslegungsgegenstand315. Dies spielt vor allem im Hinblick auf durch konkludentes Verhalten zustande gekommene Verträge eine Rolle. Der Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags über fünf Brötchen durch den Kunden eines Bäckers in Form der Aussage „Ich möchte fünf Brötchen kaufen“ kann durch diesen durch das bloße Übergeben der Ware angenommen werden. Im Falle eines formlosen Vertrags bilden immer die den Vertrag schließenden Willenserklärungen den Auslegungsgegenstand316. Dabei greift dieselbe Begründung wie bei der Frage, ob §§ 133 und 157 BGB gleichzeitig auf Willenserklärungen und Verträge anzuwenden sind 317 : Willenserklärungen „bilden“ letztendlich die ge312

Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9; Larenz, AT, S. 342. Vgl. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 29; BGH NJW 1984, 721. 314 Siehe oben § 2 III. 1. 315 Siehe oben § 2 III. 2. b); Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 8. 316 Siehe zur Willenserklärung als Auslegungsgegenstand oben § 2 III. 2. b). 317 Siehe oben § 2 III. 1. 313

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1. Kapitel: Die Auslegung

schlossenen Verträge. Zudem kann ein Vertrag lediglich den Inhalt des Antrags widerspiegeln, da die Annahme gerade die Bestätigung des Antrags darstellt. Der Vertragsinhalt steht und bestimmt sich demnach bereits mit und nach dem Inhalt des „letzten“, auf Vertragsschluss gerichteten Antrags 318. Die Grenze zwischen den Willenserklärungen und dem Vertrag als Auslegungsgegenstand ist dabei fließend. Erklärungs- und Auslegungsgegenstand bilden im eben erwähnten Beispiel der Antrag in Form der ausdrücklichen Erklärung des Kunden sowie die konkludente Annahme in Form des wortlosen Überreichens der Ware. Ausdrückliche wie konkludente Willenserklärungen werden somit nach den gleichen Grundsätzen ausgelegt 319. Im Falle eines schriftlichen Vertrags lässt sich der Auslegungsgegenstand deutlicher definieren: Hier bildet schlichtweg das Vertragsdokument den Auslegungsgegenstand 320 . Im Folgenden wird, sofern nicht explizit anders erwähnt, ausschließlich von Verträgen als Auslegungsgegenstand gesprochen. Die Ausführungen gelten analog den Willenserklärungen, da – wie eben erläutert – die Grenze zwischen einzelnen korrespondierenden Willenserklärungen und Verträgen fließend ist. Die Problematik des Vertragsschlusses bzw. des Dissenses wird in einem eigenen Kapitel behandelt321. 2. Die zweistufige Auslegung in der praktischen Anwendung Das Zusammenwirken der §§ 133 und 157 BGB in der Theorie wurde bereits erläutert. Im Folgenden soll nun die praktische Handhabung dieser zweistufigen Auslegung dargestellt werden322. a) Die subjektive Auslegung Die Feststellung eines evtl. vorhandenen gemeinsamen, übereinstimmenden Verständnisses bildet den ersten Schritt der Auslegung 323. Dabei gelten die Ausführungen zur falsa demonstratio: Der Wortlaut eines Vertrags tritt hinter den gemeinsamen Willen der Vertragsparteien zurück, auch wenn der Wortlaut diesen Willen nicht ohne weiteres oder überhaupt nicht widerspiegelt 324. Problematisch ist freilich die Feststellung dieses übereinstimmenden Willens. Es stellt sich die Frage, ob dieser mittels Auslegung überhaupt festgestellt werden kann, oder ob diese letztlich schon die zweite Stufe der Auslegung 318

Im Fall des § 150 Abs. 2 BGB würde der Inhalt der abändernden Annahme, die als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag gilt, als Vertragsinhalt gelten. Dies gilt freilich nur, wenn dieser Antrag wiederum angenommen wurde. 319 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 26. 320 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 460. 321 Siehe hierzu unten § 6. 322 Siehe zur folgenden Gliederung Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 17 ff. 323 Larenz, AT, S. 342. 324 BGH NJW 1956, 665; 2002, 1038, 1039; NJW-RR 2003, 1578, 1580; 2006, 281, 282.

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darstellt 325 . Bestätigen die beteiligten Parteien, dass sie einen übereinstimmenden Willen unabhängig des Vertragswortlauts hatten, stellt sich das Problem nicht. Sobald jedoch eine Partei einen übereinstimmenden Willen bestreitet, kann eine empirische Auslegung nicht mehr funktionieren. Die subjektive Auslegung stellt in der praktischen Anwendung streng genommen mehr Tatsachenfeststellung als tatsächlich eine Auslegung im Sinne einer Sinnermittlung dar 326 . Selbst wenn die Auslegungsmittel auf den übereinstimmenden Willen der Parteien hindeuten, kann dadurch nur die Behauptung der Parteien gestützt werden. Die Umdeutung des widersprüchlichen oder „falschen“ Wortlauts kann jedoch weiterhin als Auslegung verstanden werden, weshalb der Begriff der empirischen Auslegung weiterhin Geltung beansprucht. Die Sinnermittlung auf Basis von Auslegungsmitteln, ohne die Behauptung der Parteien, der Vertrag würde ihren gemeinsamen Willen unabhängig vom Wortlaut reflektieren, kann nur durch normative Auslegung erfolgen. b) Die normative Auslegung Besteht Uneinigkeit über den Sinn eines Vertrags, wird die normative Auslegung als zweite Stufe der Auslegung angewendet. Es erfolgt eine Beurteilung aus Sicht der Vertragsparteien oder, bezogen auf empfangsbedürftige Willenserklärungen, aus Sicht des Erklärungsempfängers. Dabei kommt es nach §§ 133, 157 BGB darauf an, wie die Willenserklärung vom Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung sowie unter der Berücksichtigung der Begleitumstände verstanden werden musste 327 . Der subjektive Wille der einzelnen Parteien spielt dann keine vordergründige Rolle mehr. Vielmehr kommt es auf die objektive Bedeutung der einzelnen Willenserklärungen oder des Vertrags unter Berücksichtigung der eben erwähnten Maßstäbe an328. Die normative Auslegung soll dem Erklärungsempfänger nicht nur den Vorteil gewähren, dass dieser sich auf die objektive Bedeutung einer Erklärung blind verlassen kann. Vielmehr trifft ihn ebenfalls eine Auslegungssorgfalt, gemäß derer er „unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen [muss], was der

325

Zum Teil werden die Begriffe „erste Stufe“ und „zweite Stufe“ anders verwendet als an dieser Stelle. Dabei stellt die „erste Stufe“ die Feststellung der Tatsachen dar, im zweiten Schritt deren entsprechende Auslegung, siehe nur Heinrich, S. 144. 326 Larenz, AT, S. 342. 327 Medicus, Rn. 323; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459; BGH BGHZ 36, 30, 33; 47, 75, 78; 103, 280, BGH NJW 1967, 673; 1988, 2878; 1990, 3206; 1992, 1446; 1997, 2233, 2234; 2007, 2110; BGH NJW-RR 2002, 20, 22; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 14; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; Erman/Armbrüster, § 133 BGB, Rn. 2; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 12. 328 Medicus, Rn. 323.

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1. Kapitel: Die Auslegung

Erklärende gemeint hat “329 . Der durch die Auslegung ermittelte Sinn einer Willenserklärung muss dem Erklärenden allerdings auch zurechenbar sein330. 3. Der Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung Ausgangspunkt für die Auslegung von Verträgen stellt stets deren Wortlaut dar331. Dieser wird teilweise den Auslegungsmitteln zugeordnet332. Zwar dient der Wortlaut als grundsätzlicher Ausgangspunkt der Auslegung, kann aber gleichzeitig einen solchen für einen dogmatischen Streitpunkt darstellen. So stellt sich die Frage, ob im Falle eines scheinbar eindeutigen Vertrags dieser überhaupt der Auslegung bedarf oder überhaupt ausgelegt werden darf. a) Die Eindeutigkeitsformel Teile der Rechtsprechung vertreten die Ansicht, die Auslegungsbedürftigkeit einer Erklärung oder eines Vertrags stelle eine zwingende Voraussetzung für die Auslegung dar 333 . Diese sei nicht gegeben, wenn eine Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt habe334. Demnach sei eine Auslegung nicht erlaubt, vor allem nicht entgegen des eindeutigen Wortlauts. Diese Argumentation kann jedoch aufgrund mehrerer Gründe nicht überzeugen. Zum einen kann eine Eindeutigkeit des Wortlauts ausschließlich durch Auslegung festgestellt werden 335 . Dazu zählt explizit die Berücksichtigung der Begleitumstände, die wiederum für oder gegen eine Eindeutigkeit sprechen können. Zum anderen widerspricht diese Eindeutigkeitsformel 336 dem Verbot der Buchstabeninterpretation nach § 133 BGB und führt den falsa demonstratio Grundsatz ad absurdum 337 . Als Begründung für die Auslegungsbedürftigkeit als Voraussetzung kann wohl lediglich die Rechtssicherheit und Schutz des Rechtsverkehrs angeführt werden. Beispielhaft anzuführen ist hier etwa das Urteil des BGH vom 13.12.2006, in dem verhindert werden sollte, dass eine Klagerücknahme in eine einseitige Erledigungserklärung umgedeutet wird338. Eine entsprechende Auslegung wurde aufgrund der Tat329 BGH NJW 2008, 2702, 2704: 1981, 2295; 1992, 170; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 28; Medicus, Rn. 323. 330 Siehe hierzu unten § 2 IV. 5. a) cc). 331 BGH NJW 1993, 721; 1994, 188, 189; 1998, 2966; NJW 2003, 2382, 2383; Erman/ Armbrüster, § 157 BGB, Rn. 5; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 45; Kummer, S. 109. 332 So z.B. Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 24; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 5. 333 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 9. 334 BGH NJW 2007, 1460; 1996, 2648, 2649. 335 Kramer, S. 138; BGH NJW 1983, 672; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 27; Staudinger/Sisnger, § 133 BGB, Rn. 9. 336 So Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 9; siehe zur Frage der Eindeutigkeit von Anfechtungserklärungen Probst, JZ 1989, 878 ff. 337 Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c) bb); weiterhin BGH NJW 1956, 665; Hager, S. 133. 338 BGH NJW 2007, 1460.

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sache, dass „der Wortlaut der Erklärung‚ […] wird die Klage hiermit zurückgenommen […]‘“ eindeutig sei. Interessanterweise beruft sich der BGH in seiner Begründung weiterhin darauf, dass der Wille zur Klagerücknahme durch den gleichzeitig gestellten Antrag, dem Bekl. die Kosten gem. § 269 III ZPO aufzuerlegen, bekräftigt werde. Es werden also weitere Auslegungsmittel neben dem Wortlaut selbst herangezogen, was letztlich für eine Auslegung selbst im Falle eines scheinbar eindeutigen Wortlauts spricht. Der BGH widerspricht sich in seiner Begründung demnach selbst. Die Eindeutigkeitsformel verdient trotz ihrer Ablehnung deshalb eine besondere Erwähnung, da vor allem das englische Recht auf ähnliche Grundsätze zurückgreift 339. b) Probleme der Wortlautauslegung Dass eine rein objektive Wortlautauslegung zu unzulänglichen Auslegungsergebnissen im Hinblick auf die Ermittlung des wirklichen Willens führt, wurde bereits festgestellt340. Doch auch im Falle der normativen Auslegung kann ein starres Haften am Wortlaut eines Vertrags oder einer Erklärung zu unbilligen Ergebnissen führen. Dies ist nicht zwangsweise auf einen Irrtum der Vertragsparteien zurückzuführen, sondern u.a. häufig auf deren unterschiedliches Verständnis ein und desselben Wortes oder Textes. Schon Goethe formulierte – wohl nicht auf juristische Sachverhalte bezogen – pragmatisch: „Keiner versteht den anderen ganz, weil keiner bei demselben Wort genau dasselbe denkt wie der andere“. Dies mag unterschiedliche Gründe wie z.B. regionale Unterschiede im Sprachgebrauch oder Angehörigkeit der Vertragsparteien zu speziellen Verkehrskreisen o.ä. haben. Auch schlichtweg unklare Formulierungen oder fehlende Überlegungen, wie ein Begriff oder Klausel zu verstehen sei, können letztere auslegungsbedürftig machen 341 . Klassisches Beispiel für die Probleme der Wortlautauslegung bildet der „Hotelbetten-Fall“ 342 . Ein Gast bestellt bei einem Hotelier telegraphisch „zwei Zimmer mit drei Betten“ und meint dabei zwei Zimmer mit insgesamt drei Betten. Der Hotelier versteht jedoch zwei Zimmer mit jeweils drei Betten, insgesamt also sechs Betten. Der Wortlaut des Telegramms genügt nicht, um mittels Auslegung einen eindeutigen Erklärungsinhalt zu ermitteln. c) Der allgemeine und spezielle Sprachgebrauch Wenn der Wortlaut den Ausgangspunkt für die normative Auslegung darstellt, bedarf es freilich eines Anhaltspunktes, anhand dessen man sich bei der Auslegung dieses Wortlauts und der Ermittlung seiner Bedeutung orientieren 339

Siehe hierzu unten § 3 II. 1. c). Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c) bb). 341 Vgl. BGH NJW-RR 1987, 1458, 1459. 342 Siehe hierzu Larenz, AT, S. 337. 340

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1. Kapitel: Die Auslegung

kann. Diesen Orientierungspunkt bildet der allgemeine Sprachgebrauch 343 . Konkreter kommt diesem die Bedeutung eines Erfahrungssatzes in Form der „beim Gebrauch der deutschen Sprache allgemein bestehenden Übung“ 344 zu. Dadurch ergibt sich in der Auslegungspraxis ein relativ weiter Spielraum, innerhalb dessen sich das Auslegungsergebnis bewegen kann. Ein klassisches Beispiel stellt der Begriff der „Wohnfläche“ dar, der nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht eindeutig ist und stets im konkreten Fall ausgelegt werden muss345. Dabei dienen vor allem Verkehrssitten der Konkretisierung auslegungsbedürftiger Begriffe, für die sich kein allgemeiner Sprachgebrauch herausgebildet hat. Der Begriff des allgemeinen Sprachgebrauchs darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass damit ein für alle im Rechtsverkehr tätigen Personen gleichsam geltender Erfahrungssatz gelten würde. Vielmehr kommt es vor allem darauf an, ob die Vertragsparteien einem bestimmten Verkehrskreis angehören346. Hat innerhalb dieses Verkehrskreises ein Ausdruck oder eine Klausel eine bestimmte, allgemein anerkannte Bedeutung, so gilt diese und nicht die im „normalen“ Sprachgebrauch übliche 347. Es kommt schon in einem vorgelagerten Schritt darauf an, wie sich der maßgebliche Empfängerkreis einer Willenserklärung zusammensetzt. Zur Verdeutlichung sei das Urteil des BGH vom 23.6.1994 gewählt348: Die Klägerin erhielt auf Basis einer öffentlichen Ausschreibung den Auftrag für den Neubau einer Autobahnbrücke. Die Klage richtete sich auf eine Abschlagsforderung für zusätzliche Leistungen im sechsstelligen DMBereich. Diese zusätzlichen Leistungen bestanden in Form des Einbaus mehrerer Spanngarnituren, welche aus statischen Gründen aufwendiger eingebaut werden mussten, als aus den Ausschreibungsunterlagen ersichtlich gewesen ist. Die Bekl. vertrat die Auffassung, die fraglichen Spanngarnituren seien Nebenleistungen, die nicht eigens in der Leistungsbeschreibung hätten aufgeführt werden müssen. Sie seien deshalb nicht gesondert zu vergüten. Auch habe es Möglichkeiten einer billigeren Ausführung gegeben. Laut BGH kam es im Wesentlich darauf an, ob die Ausschreibung bereits die zusätzlich berechneten Leistungen erfasste. Es galt die Vereinbarungen der Vertragsparteien gem. §§ 133, 157 BGB auszulegen, die auf der ursprünglichen Ausschreibung basierten. Als deren maßgeblicher Empfängerkreis galten die potentiellen Projektbieter, deren Sicht den objektiven Empfängerhorizont 343

Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 45; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 57; BGH NJW-RR 1986, 1106; 1996, 239; 1991, 1102; LArbG München, BB 1998, 269, 271; OLG München, NJW-RR 1996, 239. 344 BGH, NJW 1991, 912. 345 BGH NJW-RR 1991, 1120; NJW 1997, 2874; 2004, 2230; BGH GuT 2012, 156. 346 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 57. 347 BGH NJW 2001, 1344; NJW-RR 1994, 1108. 348 Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW-RR 1994, 1108 ff.

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darstellte. Das „allgemeinsprachliche Verständnis“ der Ausschreibung sei ohne Bedeutung, wenn die verwendete Formulierung von den als Fachleuten geltenden Bietern in einem „spezifischen technischen Sinn“ verstanden wird oder „wenn für bestimmte Aussagen Bezeichnungen verwendet werden, die in den maßgeblichen Fachkreisen verkehrsüblich sind, oder für deren Verständnis und Verwendung es gebräuchliche technische Regeln (z.B. DINNormen) gibt“. Das BerGer. verkannte laut BGH dabei die Tatsache, dass es sich beim Empfängerkreis um einen bestimmten Fachkreis handelte und legte den Begriff „Schalung“ im allgemeinsprachlichen Sinn aus, statt der Frage nachzugehen, ob der Begriff einen speziellen technischen Sinn hatte. Der BGH rügte diese fehlerhafte Auslegung und verwies die Sache zurück an das BerGer. Dem Urteil des BGH ist uneingeschränkt zuzustimmen. Ein Abstellen auf das allgemeinsprachliche Verständnis eines Ausdrucks in Fällen, in denen die Vertragsparteien einem speziellen Verkehrskreis angehören, innerhalb dessen wiederum der Ausdruck eine spezielle Bedeutung hat, scheint vermessen. Der spezielle geht daher stets dem allgemeinen Sprachgebrauch vor349. Der spezielle Sprachgebrauch kann zudem bspw. durch örtliche Verkehrssitten geprägt werden350. d) Auslegung eines widersprüchlichen Wortlauts Besondere Auslegungsprobleme ergeben sich im Falle eines in sich widersprüchlichen Vertrags oder einer Willenserklärung. Eine zum Teil in der Rechtsprechung vertretene Ansicht besagt, dass ein dem Wortlaut nach unklarer oder widersprüchlicher Vertrag, wenn auch in Ausnahmefällen, nicht auslegungsfähig sei 351 . Dies ist jedoch abzulehnen. Die Argumentation gleicht dabei derjenigen die zur Ablehnung der Eindeutigkeitsformel dient352. Zunächst stellt schon die Feststellung einer Widersprüchlichkeit eines Vertrags bereits das Ergebnis einer Auslegung dar 353 . Weiterhin verstößt die Verneinung einer Auslegungsfähigkeit gegen das Verbot der Buchstabeninterpretation nach § 133 BGB, da schon gar nicht der Versuch unternommen wird, den Widerspruch aufzulösen354. Ebenso wird gegen die ständige Rechtsprechung verstoßen, nach der der gemeinsame Wille der Parteien selbst dann maßgeblich ist, wenn er im Vertragstext keinen oder nur einen unvollkom-

349

BGH NJW-RR 1994, 1108; 1995, 364; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 45. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 45; siehe zum Ort des Vertragsschlusses und dessen Auswirkungen auf die Auslegung unten § 2 IV. 6. b) bb). 351 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 10; Jauernig/Mansel, § 133 BGB, Rn. 2; BGH NJW 2006, 281, 282, NJW 1956, 665. 352 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 10. 353 BGH NJW 2002, 1261. 354 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 10. 350

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1. Kapitel: Die Auslegung

menen Ausdruck gefunden hat355. Vielmehr ist es Aufgabe des Richters, unter Heranziehung weiterer Auslegungsmittel, den im Wortlaut enthaltenen Widerspruch aufzuklären356. Erst wenn daraufhin die Ermittlung eines eindeutigen Auslegungsergebnisses nicht möglich ist, kann ein Vertrag aufgrund Perplexität für nichtig erklärt werden357. Letztlich bedeutet dies nur, dass eine Auslegung schlicht zu keinem Ergebnis führt – nötig und geboten ist der vorherige Auslegungsprozess dennoch358. e) Die systematische Auslegung als Ergänzung der Wortlautauslegung Der Wortlaut einzelner Ausdrücke oder Klauseln vermag freilich nur in absoluten Ausnahmefällen genügen, um zu einem vernünftigen Auslegungsergebnis zu gelangen359. Aus diesem Grund ist eine Gesamtbetrachtung des Vertragstextes geboten, die die systematische Stellung und den Gesamtzusammen der auslegungsbedürftigen Klausel berücksichtigt (systematische Auslegung)360. Dies ergibt sich im Grunde bereits aus der Definition des Auslegungsgegenstands, der aus den Erklärungshandlungen der Parteien bzw. dem geschlossenen Vertrag besteht. Eine Reduzierung des Auslegungsgegenstands auf einzelne Klauseln oder Worte in dem Sinne, dass der Rest des Vertrags vom Auslegungsprozess ausgeschlossen wird, würde schlicht wenig sinnhaft erscheinen. Ein Urteil des BGH zur Auslegung eines Werbeagenturvertrages soll hierfür als praktisches Beispiel dienen361. Strittig war die Vergütung der Klägerin, der Werbeagentur, für die Erstellung eines PR-Konzepts. Die Beklagte wies die Vergütungsforderung der Klägerin zurück, da die Erstellung eines solchen PR-Konzepts bereits vom zuvor geschlossenen Beratervertrag umfasst und somit durch die Zahlung einer monatlichen Pauschale abgegolten sei. Als Begründung diente die Berufung auf eine Vertragsklausel, nach der „auf Basis der Bestandsaufnahme und anschließender Analyse die Kommunikationsstrategie und Werbekonzeption“ erarbeitet werden sollte. Dazu zähle auch die Erstellung eines PR-Konzepts. Nachdem Erst- und Berufungsinstanz die Klage abwiesen oder ihr nur zum Teil stattgaben, hob der BGH das Urteil auf und wies die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurück. Das Berufungsgericht hatte nach dem BGH die Voraussetzung der §§ 133, 157 BGB, dass der maßgebliche Erklärungstatbestand zutreffend erfasst wer355

BGH NJW-RR 2006, 281, 282 m.w.N. „Das BerGer. hätte versuchen müssen, diesen Widerspruch aufzulösen“, BGH NJW 1986, 1035. 357 BGH NJW 1956, 665; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 10; Jauernig/Mansel, § 133 BGB, Rn. 2; siehe hierzu unten § 2 IV. 8. e). 358 Jauernig/Mansel, § 133 BGB, Rn. 2. 359 Vgl. Fricke, S. 113. 360 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 47; Fricke, S. 113; Lüderitz, S. 224, 230; BGH NJW 1957, 873; NJW-RR 1986, 1106, 1107. 361 BGH NJW-RR 1986, 1106. 356

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de, verletzt. Er bezog sich bei seinem Urteil auf einen nur unvollständig wiedergegebenen Eingangssatz, ohne die übrigen Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen. Darunter fiel u.a. eine Klausel die die Vergütung weiterer Leistungen, die zum Arbeitskreis der Klägerin zählten, regelte. Das vereinbarte Beratungshonorar sollte demnach nur einen Teil der Agenturleistungen vergüten. Aus diesem Grund sei es nicht möglich den gesamten vertraglich vereinbarten Aufgabenbereich, inkl. gesondert zu vergütenden Agenturleistungen, aus einem einzigen Eingangssatz des Vertrags zu bestimmen. Weiterhin bemängelte der BGH die Tatsache, dass der Berufungsrichter das erwähnte PR-Konzept i.S. einer „Kommunikationsstrategie“, deren Erstellung von den Agenturleistungen erfasst war, auslegte. Dabei wurde der Begriff der Kommunikationsstrategie jedoch als einzelner Begriff aus einer Vertragsklausel herausgegriffen, „ohne seine Bedeutung aus dem Zusammenhang des Vertrages und sonstigen für die Auslegung bedeutsamen Umständen zu erschließen“362. In seiner weiteren, umfangreichen Begründung stellt der BGH immer wieder die Bedeutung des Gesamtzusammenhangs des Vertrages heraus. Dieser Entscheidung ist zu folgen. Wird nur eine strittige Klausel oder ein Begriff aus dem Vertrag herausgegriffen und ohne den nötigen Zusammenhang ausgelegt, fehlt zum einen der gerade nötige Auslegungskontext. Zum anderen wird der Erklärungstatbestand ungenügend erfasst, was eine ordnungsgemäße Auslegung schon von vornherein ausschließt. Dabei wird zugleich die Gestaltungsfreiheit der Parteien missachtet. Schließt man den übrigen Vertragstext im Hinblick auf die Auslegung einer einzelnen Klausel von der Berücksichtigung aus, werden zugleich die von den Parteien gewählten übrigen Formulierungen ausgeschlossen und bei der Auslegung missachtet. 4. Die weiteren Auslegungsmittel Umstände, die außerhalb der Erklärung oder des Vertragstexts liegen, die sog. Auslegungsmittel, dienen im Wesentlichen der Unterstützung der Beantwortung der Frage, ob ein Verhalten eine Willenserklärung darstellt, welchen Inhalt und welchen Sinn diese hat363. Zu ihnen zählen alle „vorgetragenen Umstände außerhalb der Erklärung, die zur Aufdeckung oder zur Aufhellung des Parteiwillens dienlich sein können“364, also auch das Gesamtverhalten des Erklärenden bzw. der Vertragsparteien 365 . Diese werden in einem zweiten Schritt, sofern der Wortlaut bzw. der Vertragstext kein eindeutiges 362

BGH NJW-RR 1986, 1106, 1107. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 8; Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 18; BGH NJW 1984, 721, 722. 364 BGH NJW 1984, 721. 365 BGH NJW 2003, 1317; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 48; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 48. 363

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1. Kapitel: Die Auslegung

Auslegungsergebnis hervorbringt, zur Auslegung herangezogen366. Der Heranziehung von Auslegungsmitteln ist dabei nahezu keine Grenze gesetzt367. Allerdings dürfen z.B. nur solche Parteiinteressen und -vorstellungen berücksichtigt werden, die zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärungen bestanden368. Zudem dürfen Umstände, die einem Erklärenden zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung, bzw. die den Parteien beim Abschluss des Vertrags unbekannt waren, bei der Auslegung nicht gegen sie verwendet werden369. Im Folgenden sollen exemplarisch einige weitere Auslegungsmittel erläutert werden. a) Die vertraglichen Begleitumstände, die protestatio facto contraria non valet und vertragliche Vorverhandlungen Eine bedeutende Rolle bei der Auslegung von Verträgen spielen die vorvertraglichen Verhandlungen bzw. zunächst allgemeiner, die Entstehungsgeschichte des Rechtsgeschäfts 370. Diese können auch im Falle formbedürftiger Rechtsgeschäfte zur Ermittlung eines übereinstimmenden Parteiwillens herangezogen werden371. In diesem Fall muss jedoch „die vom objektiven Erklärungsinhalt abweichende Willensübereinstimmung noch bei Abschluß des Vertrages“ bestehen372. Es ist also nicht möglich, sich auf einen während der Vorverhandlungen noch scheinbar übereinstimmenden Willen zu berufen, der dann beim eigentlichen Vertragsschluss jedoch nicht mehr vorhanden war. Besteht er allerdings beim Vertragsschluss noch fort, ist eine Auslegung entgegen dem Wortlaut des Vertrags auf Basis der Vorverhandlungen möglich373. Doch nicht nur die eigentlichen Verhandlungen, sondern auch weitere Begleitumstände, wie der Ort des Vertragsabschlusses, das Verhalten der Parteien oder die gewählte Sprache des Vertrages, können Einfluss auf das Auslegungsergebnis haben. aa) Die protestatio facto contraria non valet als Konfliktfall zwischen subjektiver und normativer Auslegung Dem Verhalten einer Partei vor Vertragsschluss kann in bestimmten Fällen sogar ein höherer Stellenwert als seiner ausdrücklichen Erklärung beigemessen werden: Setzt sich ein Erklärender durch sein Verhalten in Widerspruch 366

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. BGH WM 1964, 906, 907; NJW 2003, 1317; Flume, AT II, S. 310. 368 BGH NJW 1998, 3268, 3270. 369 Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 25. 370 BGH NJW 1992, 1446, 1447; 1999, 3191; NJW-RR 1986, 984, 985; 1986, 1019; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 49; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 25. 371 BGH NJW 1975, 536; 1983, 672; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 52; siehe hierzu unten § 2 IV. 5. b). 372 BGH NJW-RR 1986, 1019. 373 BGH NJW 1965, 387, 388; 1992, 1446. 367

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zu seiner ausdrücklichen Erklärung, so hat er gemeinhin durch sein eigenes Verhalten die Geltendmachung einer anderweitigen Auslegung der Erklärung verwirkt. Man spricht von der protestatio facto contraria 374 . So kann ein entgeltlicher Vertrag bspw. auch dann wirksam zu Stande kommen, wenn die die Leistung in Anspruch nehmende Partei ausdrücklich erklärt, sie werde keine Vergütung zahlen375. Ein gegenteiliges Verhalten des Erklärenden dahingehend, dass die Leistung, die allgemeinhin lediglich gegen Entgelt erbracht wird, dennoch in Anspruch genommen wird, muss sich der Erklärende dann im Sinne des objektiven Erklärungswerts seines Handelns zurechnen lassen 376 . In der Frage, ob die Kosten einer stationären Behandlung einer pflegebedürftigen Patientin von deren Betreuer übernommen werden mussten, obwohl dieser ausdrücklich erklärte, er würde keine Vergütung zahlen, entschied der BGH aufgrund des protestatio facto contrario Grundsatzes, dass ein entsprechender Vertrag inkl. Vergütung zu Stande gekommen war 377. Es sei darauf abzustellen, wie das Verhalten des Erklärenden verstanden werden durfte378. Ein Vertrag könne also alleine durch „sozialtypisches Verhalten“ zu Stande kommen 379. Der protestatio facto contrario Grundsatz birgt jedoch einige Anlässe zur Diskussion. Zum einen stellt sich die Frage, ob die Vertragsfreiheit der Parteien überhaupt gewahrt bleibt, wenn sich eine Partei explizit gegen einen Vertragsschluss oder einen bestimmten Vertragsinhalt ausspricht und dennoch daran gebunden wird. Gerade die Maxime der negativen Vertragsfreiheit gewährt den Parteien die Freiheit, einen Vertrag oder einen Vertrag mit einem bestimmten Inhalt nicht abzuschließen380. Es stellt sich also die Frage, ob gerade diese Freiheit durch die protestatio facto contrario untergraben wird. Auf der einen Seite lässt sich freilich der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers als Argument für eine solche Bindung anführen. Der Empfänger muss auf den objektiven Erklärungswert der konkludenten Handlung des Erklärenden vertrauen können, gerade wenn dieser entgegen einer vorherigen wörtlichen oder schriftlichen Erklärung handelt. Fraglich ist hierbei jedoch, ob auf das subjektive oder das normative Verständnis der Erklärungshandlung abgestellt werden muss, oder ob sich beide Betrachtungsweisen letztendlich nicht unterscheiden381. 374

BGH NJW 1965, 387, 388; 2000, 3429, 3431; 2012, 1886, 1888; vgl. Fricke, S. 159. BGH NJW 2000, 3429, 3431. 376 BGH NJW 2000, 3429, 3431. 377 BGH NJW 2000, 3429. 378 Wieacker, in: FS OLG Celle, S. 269; Köhler, JZ 1981, 464, 465. 379 Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 39; die Lehre vom sozialtypischen Verhalten gilt heute im Übrigen als überholt und findet keine Anwendung mehr, siehe Soergel/Hefermehl, Vor § 116 BGB, Rn. 40; MüKo/Busche, § 147 BGB, Rn. 5. 380 Vgl. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 60; Köhler, JZ 1981, 464, 467. 381 Vgl. Köhler, JZ 1981, 464, 467. 375

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1. Kapitel: Die Auslegung

Bisher wurde gezeigt, dass bei der Auslegung zunächst immer auf das subjektive Verständnis der Vertragsparteien abgestellt werden muss. Das gebietet der Schutz der Privatautonomie und, in Bezug auf den Erklärenden, dessen Schutzwürdigkeit im Hinblick auf das tatsächliche Verständnis seiner Erklärung durch den Empfänger. Erst an zweiter Stufe steht die normative Betrachtung. Im Falle der protestatio facto contrario lässt sich dies jedoch schwerlich derart deutlich darstellen. Als Beispiel dient der sog. HamburgerParkplatz-Fall 382 . Eine von der Stadt Hamburg zum gebührenpflichtigen Parkplatz erklärte Fläche wurde von einem privaten Unternehmer bewacht, der die Fläche durch ein Schild mit der Aufschrift „Parkgeldpflichtig und bewacht“ kennzeichnete. Die Beklagte parkte ihr Auto mehrfach auf dem gekennzeichneten Parkplatz, wobei sie den Parkwächtern jedoch bereits im Vorfeld erklärte, dass sie die Bewachung ihres Fahrzeuges und die Bezahlung eines Entgeltes ablehne. Daraufhin erhob das Privatunternehmen Klage und beantragte u.a. die Beklagte zur Zahlung der angefallenen Parkgebühren zu verurteilen. Der BGH bejahte ein Vertragsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagten, lehnte gleichzeitig aber einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder unerlaubter Handlung ab. Begründet wurde dies, in Anlehnung an Haupt383 und Larenz384, durch das Bestehen eines faktischen Vertragsverhältnisses. Demnach gebe es faktische Vertragsverhältnisse, „die nicht auf einem Vertragsschluß, sondern nur auf einer sozialen Leistungsverpflichtung beruhten“ 385 . Dazu zähle gerade die Benutzung eines solchen kostenpflichtigen Parkplatzes, ebenso wie bspw. die Benutzung einer Straßenbahn. Dabei reiche die bloße Benutzung der Parkfläche zum Parken, um ein vertragliches Rechtsverhältnis herbeizuführen, welches wiederum zur Bezahlung des ausgewiesenen Parktarifs verpflichtet. Dies gilt selbst dann, wenn der Benutzer vorher ausdrücklich seinen davon abweichenden inneren Willen kundtat, da das Vertragsverhältnis nicht als rechtliche Folge des tatsächlichen Handels gewollt oder erklärt war, sondern nach „allgemeiner Verkehrsanschauung unzweifelhaft damit verbunden sei"386. Der subjektive Wille des Benutzers tritt demnach in den Hintergrund und spielt für den Vertragsschluss keine Rolle mehr 387. Der BGH geht letztlich zwar nicht auf die Bedeutung des Verhaltens im Sinne einer konkludenten Willenserklärung ein, schreibt diesem aber genau diese Rolle zu.

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Siehe hierzu und zum folgenden BGH VerwRspr 1957, 24 ff.; siehe auch Medicus, Rn. 246 ff. 383 Siehe Haupt, in: FS Siber, Bd. II, S. 1 ff. 384 Larenz/Canaris/Grigoleit, Schuldrecht I, § 4. 385 BGH VerwRspr 1957, 24, 28. 386 BGH VerwRspr 1957, 24, 27. 387 Dies gilt freilich nur in Hinsicht auf das „Wollen“, die Fälle der §§ 104 ff., §§ 119 ff. etc. BGB sind dabei nicht mit eingeschlossen.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Es stellt sich nun die Frage, ob sich subjektives und normatives Verständnis des möglicherweise als konkludente Willenserklärung zu wertendes Verhalten des Erklärenden, bzw. Benutzers, unterscheiden. Betrachtet man das Verhalten des Erklärenden aus subjektiver Sicht, ergibt sich ein Dilemma: Das tatsächliche Verhalten, das Parken, widerspricht freilich dem erklärten Willen, keine Parkgebühr bezahlen zu wollen. Denn der Betreiber des Parkplatzes macht durch entsprechenden Aushang deutlich, dass die Benutzung ausschließlich unter Abschluss eines entsprechenden Vertrages, der die Verpflichtung zur Bezahlung der Parkgebühr begründet, erfolgen darf. Erklärt der Parkende nun, er wolle keine Parkgebühr entrichten, parkt aber dennoch, widerspricht sein erklärter subjektiver Wille seinem erkennbaren Verhalten. Man könnte sich eines Kunstgriffs bedienen und argumentieren, dass sich der Wille des Erklärenden im Zeitpunkt des Parkens schlicht geändert haben könnte und er letztlich doch der Bezahlung der Parkgebühren konkludent zustimmt. Dies scheint jedoch zu einfach gedacht und umgeht letztlich die Problematik. Geht man davon aus, dass der Parkende nach wie vor kein Entgelt entrichten wollte, bleibt der Konflikt bestehen. Besteht nun jedoch ein übereinstimmender Wille im Sinne der subjektiven Auslegung oder nicht? Diese Frage lässt sich schlicht nicht eindeutig beantworten, da sich der Widerspruch zwischen Erklärung und Verhalten nicht beseitigen lässt. Auch aus normativer Sicht ergibt sich keine absolut klare Antwort. Das Handeln des Parkenden lässt zwar wohl deutlich auf eine auf den Vertragsschluss gerichtete, konkludente Willenserklärung schließen. Die Begleitumstände, zu denen die vorherige Erklärung des Parkenden zählt, sprechen jedoch dagegen. Allerdings lässt sich hierbei aus Vertrauensschutzgesichtspunkten einwenden, dass die Begleitumstände in einem solchen Falle zu vernachlässigen seien und das Handeln des Parkenden im Sinne einer konkludenten Annahmeerklärung verstanden werden darf, wodurch letztlich ein Vertrag zu Stande kommt, der ihn zur Zahlung des Parktarifs verpflichtet. Das Abstellen des Wagens wiegt demnach stärker als die Erklärung 388. Aus Verkehrsschutzgesichtspunkten ist die Anwendung der protestatio facto contraria also freilich zunächst nachvollziehbar389. Nichtsdestotrotz gibt es berechtigte Einwände gegen die Anwendung dieses Grundsatzes. Zum einen lässt sich vortragen, dass die Privatautonomie des Erklärenden untergraben werde, da diesem die negative Vertragsfreiheit negiert werde390. Zum anderen steht den Vertragsparteien frei, die Berücksichtigung der Verkehrssitten nach § 157 BGB bei der Auslegung explizit auszuschließen391. Als im Verkehr üblich wird die Verbindung zwischen dem 388

Köhler, JZ 1981, 464, 466; Küchenhoff, RdA 1958, 121, 125. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 51. 390 Köhler, JZ 1981, 464, 465; Küchenhoff, RdA 1958, 121, 127. 391 Fikentscher, § 18 III 4d; Köhler, JZ 1981, 464, 466; siehe statt aller auch Palandt/ Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21. 389

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1. Kapitel: Die Auslegung

Parkvorgang und der dadurch verbundenen, konkludenten Annahme durch den Parkenden gewertet. Wenn der Parkende die Anwendung dieser Verkehrssitte explizit ausschließt und nun trotzdem an diese gebunden wird, entsteht wiederum ein Widerspruch. Auch ein Dissens scheint annehmbar, wenn man auf die vorhergehende Erklärung des Parkenden abstellt. Allerdings lassen sich beide Argumente u.a. mit dem Schutzbedürfnis des Rechtsverkehrs und des Erklärungsempfängers entkräften. Der Erklärende ist schon dann an sein Verhalten gebunden, wenn er mit dem Wissen handelt, dass sein Verhalten als Willenserklärung verstanden werden durfte392. Teilweise wird dies durch einen Verweis auf § 116 S. 1 BGB begründet393. Dies überzeugt jedoch aus zwei Gründen nicht: Zum einen entsteht auch hier wieder ein Widerspruch in der Form, dass § 116 S. 2 BGB gerade gegen die Argumentation spricht394, zum anderen weil sich schon § 116 S. 1 BGB nicht mit dem Argument vereinbaren lässt. Der Erklärende behält sich gerade nicht insgeheim vor das Erklärte nicht zu wollen, sondern macht von vornherein klar, dass seine Erklärung nicht in einem bestimmten Sinn verstanden werden solle. Es liegt also kein Fall des „bösen Scherzes“ vor 395. Und selbst wenn der Erklärungsempfänger diesen erklärten Vorbehalt im Sinne des § 116 S. 2 BGB kannte, kann die Erklärung deshalb nicht nichtig sein: Wäre sie nichtig und käme aus diesem Grund kein Vertragsschluss zu Stande, müssten Fälle wie dieser über die bereicherungsrechtlichen Mechanismen abgewickelt werden. Dies würde zum einen jedoch erhebliche praktische Schwierigkeiten mit sich bringen396, zum anderen scheint es vermessen eine Parallele zum „erkannten bösen Scherz“ zu ziehen, wenn schon der Grundfall des „bösen Scherzes“ i.S.d. § 116 S. 1 BGB keine argumentative Parallele zur protestatio facto contraria aufweist. Die Begründung für eine Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert der Handlung des Erklärenden muss daher unabhängig von § 116 BGB erfolgen397. Zum einen ist der Erklärende nicht schutzwürdig: Er verursacht selbst und völlig bewusst einen Widerspruch zwischen seiner Aussage, er wolle keinen Vertrag schließen, und seinem Handeln, welches zumindest objektiv als eine auf Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung verstanden werden dürfte. Zum anderen kann der Gegenpartei nicht die Bürde auferlegt werden herauszufinden, wie das widersprüchliche Verhalten des Erklärenden zu verstehen sei398. Dementsprechend ist eine normative Auslegung vorrangig. 392

Wieacker, JZ 1957, 61. Flume, AT II, S. 402. 394 Köhler, JZ 1981, 464, 466. 395 Flume, AT II, S. 403; Palandt/Ellenberger, § 116 BGB, Rn. 4. 396 Vgl. BGH VerwRspr 1957, 24, 30. 397 Staudinger/Singer, § 116 BGB, Rn. 6. 398 Zumindest nicht als über die für die Auslegung gewöhnliche Sorgfaltspflicht hinausgehend. 393

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Nichtsdestotrotz ist der protestatio facto contraria Grundsatz umstritten und wird selbst von der Rechtsprechung nicht konsequent angewandt399. Zudem bringt der Grundsatz zum Teil erhebliche Differenzierungsschwierigkeiten mit sich. Problematisch sind z.B. Fälle sog. Erlassfallen, bei denen ein Schuldner seinem Gläubiger den Abschluss eines Abfindungsvertrags mittels beigefügten Verrechnungsschecks anbietet 400 . Die Einlösung des Schecks dürfe dann nur bei Annahme des Angebots auf Schließung eines Abfindungsvertrages erfolgen. Das Einlösen des Schecks ist jedoch nur dann als Annahme zu verstehen, wenn die anbietende Partei gleichzeitig auf eine Annahmeerklärung der Gegenseite verzichtet hat401. Ergibt sich jedoch „aus der maßgeblichen Sicht eines unbeteiligten objektiven Dritten“ unter Berücksichtigung aller äußeren Indizien, also auch des nach außen erkennbaren Gesamtverhaltens des Angebotsempfängers, soweit dieses Rückschlüsse auf seinen wirklichen Willen erlaubt, dass der Empfänger das Angebot nicht annehmen wollte, gilt es regelmäßig auch als nicht angenommen402. Das bloße Scheckeinreichen genügt als einzelner Vorgang nicht, um auf einen Annahmewillen zu schließen 403. In solchen Fällen, in denen der Gläubiger spätestens beim Einlösen des Schecks deutlich macht, dass er dem Forderungsverzicht nicht zustimme, ist eine protestatio facto contraria unbeachtlich 404 . Letztendlich kommt es bei einer protestatio facto contraria überwiegend auf eine normative Auslegung an. Lässt das objektive Verhalten unter Berücksichtigung von Treu und Glauben auf einen bestimmten Willen rückschließen, ist ein anderslautend geäußerter Wille unbeachtlich 405 . Dadurch wird dem Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers sowie des Rechtsverkehrs Rechnung getragen. Zudem erfolgt in aller Regel keine ungebührliche Benachteiligung des Erklärenden, da dieser das widersprüchliche Verhalten gerade verursacht. bb) Die Bedeutung der Vorverhandlungen für die Auslegung Freilich spielt nicht nur das vorvertragliche Verhalten einer Partei im Hinblick auf die protestatio facto contraria eine Rolle bei der Vertragsauslegung. Auch die Vorverhandlungen selbst können im Hinblick auf den eigentlichen Vertragsinhalt erheblichen Einfluss auf das Auslegungsergebnis haben. Der BGH erklärt so z.B. ausdrücklich die Pflicht einer Partei zur Ablehnung eines Vertragsangebotes für den Fall, dass sich die Parteien im Rahmen von Vorverhandlungen völlig einig geworden sind. Das bloße Schweigen der Emp399

Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 60. Siehe hierzu Schönfelder, NJW 2001, 492 ff. 401 BGH NJW 1990, 1655, 1656; NJW-RR 1986, 415. 402 BGH NJW 1990, 1655, 1656. 403 BGH NJW 1990, 1655, 1656. 404 BVerfG NJW 2001, 1200; BGH NJW-RR 1987, 937; NJW 1990, 1655. 405 Soergel/Wolf, § 133 BGB, Rn. 51; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 60; BGH NJW-RR 1986, 415; 1991, 564; NJW 1990, 1655. 400

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1. Kapitel: Die Auslegung

fängerpartei genügt dann nicht mehr, um das Vertragsangebot abzulehnen406. In einem weiteren Fall oblag dem BGH die Aufgabe, eine Abgrenzung zwischen einer Vermietungs- und einer Mieteingangsgarantie vorzunehmen und diese entsprechend auszulegen 407. Während in den Vorverhandlungen keinerlei Beschränkung des Vertretungsermächtigten im Hinblick auf die abzugebenden Garantien verdeutlicht wurde, berief sich dieser nach Vertragsschluss darauf, die Erteilung einer Mieteingangsgarantie wäre nicht von seiner Befugnis gedeckt gewesen. Dies ließ der BGH jedoch nicht als Argument gelten, sondern berief sich auf die während der Vertragsverhandlungen vom Vertreter gemachten Ausführungen, in deren Rahmen keine derartige Beschränkung ersichtlich geworden ist. Die gleiche Argumentation findet sich in einem weiteren Urteil des BGH408. Im Fall einer strittigen Provisionszahlung wurde erneut die Bedeutung der Vorverhandlungen für den späteren Vertragsschluss verdeutlicht: Zwar war der Zeuge, der die vertraglichen Vorverhandlungen geführt hat, selbst nicht ermächtigt die Bekl. alleine zu vertreten, was allerdings nicht dazu führte, dass die von ihm geführten Vorverhandlungen für die Auslegung des Vertrages unberücksichtigt geblieben wären. Im Gegenteil: Der BGH revidierte das Urteil des OLG, da nicht alle relevanten Umstände berücksichtigt worden sind, zu denen explizit die Vorverhandlungen gezählt wurden. Betrachtet man die praktischen Fälle der Rechtsprechung, wird schnell die Bedeutung der Vorverhandlungen für die Vertragsauslegung deutlich. Allerdings öffnet sich zugleich wieder Raum für die kritische Hinterfragung dieser Vorgehensweise. Führen die Parteien ausführliche Verhandlungen, bieten sich diese als Auslegungsmittel unmittelbar an. Im Idealfall wurden der jeweilige Wille der Parteien und ihre Vorstellungen bereits während der Verhandlungen deutlich und dann im Vertrag letztlich festgeschrieben. Insofern kann eine entsprechende Würdigung der Verhandlungen im Rahmen der Auslegung Klarheit im Hinblick auf strittige Vertragsklauseln schaffen, wenn z.B. Begriffe, die im eigentlichen Vertragsdokuments nicht genauer definiert sind, im Rahmen der Verhandlungen ausführlich erläutert wurden. Die Ermittlung des gemeinsamen Willens der Vertragsparteien scheint somit erleichtert, was letztlich für die Berücksichtigung der Verhandlungen spricht. Nichtsdestotrotz zeigen sich auch hier Probleme, vor allem praktischer Natur: Zunächst müssen die Verhandlungen überhaupt dokumentiert sein oder unter Zeugen stattgefunden haben, um bei der Auslegung berücksichtigt werden zu können409. In selber Hinsicht zeigt sich jedoch ein weiteres Problem: Die Dokumentation muss möglichst lückenlos geschehen sein, um tatsächlich ein repräsentatives Bild der Verhandlungen zu gewährleisten. An406

BGH NJW 1996, 919, 921; siehe hierzu ausführlich unter § 2 IV. 4. a) cc). Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW 2003, 2235. 408 Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW 1999, 3191. 409 Vgl. Fricke, S. 159. 407

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sonsten eröffnet sich ein Beweisproblem, welches zwar streng genommen kein Auslegungsproblem darstellt, das Auslegungsergebnis aber u.U. verzerrt. Problematisch ist jedoch vor allem die Frage der Rechtssicherheit 410. Bezieht man die Verhandlungen in die Auslegung mit ein, werden evtl. Vorstellungen und Interessen der Parteien berücksichtigt, die sich bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wieder geändert haben. Dies kann einen erheblichen Widerspruch zwischen den in den Verhandlungen gemachten Aussagen oder verhandelten Klauseln, und dem finalen Vertragstext hervorrufen. Das Auslegungsergebnis könnte daher u.U. stark vom eigentlichen Vertragstext und dem gemeinsamen Willen der Parteien abweichen. Dies ist vor allem für Dritte, die ebenfalls vom Vertrag betroffen sein können, aber an den Verhandlungen nicht beteiligt waren, von Relevanz411. Auch wenn es durchaus Argumente gibt die gegen eine Berücksichtigung der Vertragsverhandlungen im Rahmen der Auslegung sprechen, scheint es – zumindest im deutschen Recht 412 – dennoch angebracht, sie zu würdigen. Zum einen scheint der Nutzen, vor allem im Hinblick auf die Ermittlung eines gemeinsamen Willens der Vertragsparteien, deutlich größer als die Gefahr einer Verzerrung des Auslegungsergebnisses. In der Regel werden die in den Vorverhandlungen deutlich gewordenen Vorstellungen und zu Tage getretenden Willen der Parteien einen Rückschluss auf den jeweiligen subjektiven Willen bzw. eine normative Auslegung ermöglichen, um festzustellen, welchen gemeinsamen Willen die Parteien hatten. Auch aus normativer Sicht scheint die Berücksichtigung der Vertragsverhandlungen sinnvoll, verdeutlichen diese doch auch in diesem Fall die Bedeutung bestimmter Begriffe oder Klauseln im Rahmen des Vertragstextes. Ein „blindes Raten“, welches im Hinblick auf die Auslegung umstrittener Begriffe möglicherweise erfolgen könnte, kann durch die Berücksichtigung der Vorverhandlungen verhindert werden. cc) Exkurs: Schweigen als Willenserklärung Wie eben erwähnt trifft eine Partei in dem Fall, dass sich die Parteien im Rahmen von Vorverhandlungen einig geworden sind und sie dennoch keinen Vertrag schließen will, die Pflicht zur ausdrücklichen Ablehnung eines Vertragsangebotes. Das bloße Schweigen der Empfängerpartei genügt dann nicht, um das Vertragsangebot abzulehnen 413. Dies stellt die Grundlage für eine Ausnahme von der Regel, dass Schweigen die Ablehnung eines Angebo410

Vgl. Fricke, S. 150. Fricke, S. 151. 412 Im englischen Recht gestaltete und gestaltet sich auch heute die Berücksichtigung von Vorverhandlungen bzw. Begleitumständen generell deutlich schwieriger, siehe hierzu unten § 3 II. 2. cc). 413 BGH NJW 1996, 919, 921. 411

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1. Kapitel: Die Auslegung

tes bedeutet, dar 414 . Haben die Vorverhandlungen dagegen keine Einigung hervorgebracht, muss der Erklärende des Angebots davon ausgehen, dass der Vertrag nicht ohne weiteres zustande kommt und daher mit weiteren Verhandlungen rechnen. Ein Schweigen kann dann nicht als Annahme gedeutet werden. Das bloße Schweigen einer Partei stellt regelmäßig keine Willenserklärung dar415. Lediglich in Ausnahmefällen, wie dem eben erwähnten, kommt dem Schweigen eine rechtsgeschäftliche Bedeutung zu. Dabei soll hier explizit nicht auf die Fälle des § 151 BGB eingegangen werden, da dieser lediglich den Zugang gegenüber dem Erklärungsempfänger entbehrlich macht, aber nicht das Schweigen als Willenserklärung per se betrifft416. Vielmehr geht es um die Fälle, in denen durch die Auslegung dem Schweigen ein bestimmter Erklärungswert zukommt417. Zum Teil wird schon die Möglichkeit des Vorliegens einer Willenserklärung durch Schweigen grundsätzlich bestritten 418. Dies geschieht jedoch zu Unrecht. Vor allem das Argument, dass im Falle eines Schweigens gewisse „Unsicherheitsfaktoren“ bestehen, die es bei ausdrücklichen Erklärungen nicht gäbe 419 , kann nicht überzeugen 420 . Freilich bedarf es konkretisierender Umstände im Rahmen derer ein Schweigen tatsächlich als Annahmeerklärung gewertet werden kann 421. Ein genereller Ausschluss der Möglichkeit des Bestehens einer Willenserklärung durch Schweigen kann mit dieser Begründung jedoch nicht erfolgen. Zunächst können die Vertragsparteien vereinbaren, dass das Schweigen auf ein Vertragsangebot als Annahme gewertet wird. Es liegt ein Fall des sog. „beredten Schweigens“ vor 422. Dies birgt zunächst keine erheblichen Probleme, da es den Parteien freisteht, eine derartige privatautonome Vereinbarung zu treffen423. Des Weiteren gibt es einige gesetzliche Ausnahmen, die dem Schweigen eine rechtsgeschäftliche Bedeutung beimessen: So normiert z.B. § 516 Abs. 2 BGB424 im Falle einer Schenkung das Schweigen des Beschenk414

BGH NJW 1996, 919, 921. BGH NJW 1951, 711; 1955, 1794; 1981, 43, 44; 2002, 3629, 3630. 416 Statt aller Palandt/Ellenberger, § 151 BGB, Rn. 1; siehe auch Herresthal, in: Schulze/Viscasillas, S. 110. 417 BGH NJW 2002, 3629, 3630; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 16; Staudinger/ Singer, Vorbem. zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 60. 418 Vehement Bickel, NJW 1972, 607, der sogar die Möglichkeit des Bestehens einer Annahmeerklärung in Form des Schweigens im Falle eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens ablehnt; weniger drastisch Hanau, AcP 165 (1965), 220, 240 ff. 419 Hanau, AcP 165 (1965), 220, 241. 420 So auch Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 60; Larenz, AT, S. 357. 421 Kolbe, BB 2010, 2322, 2324. 422 Vgl. BGH NJW 1996, 919, 921; MüKo/Busche, § 147 BGB, Rn. 7; Kramer, Jura 1984, 235, 238; Ebert, JuS 1999, 754, 756. 423 Vgl. Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 61. 424 „Ist die Zuwendung ohne den Willen des anderen erfolgt, so kann ihn der Zuwendende unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme auf415

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ten als Annahme der Schenkung425. Auch § 362 HGB426 misst dem Schweigen auf ein Angebot unter Kaufleuten die Bedeutung einer Annahmeerklärung zu. Dies gilt allerdings nur insoweit, als der Gewerbebetrieb des Kaufmanns die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt und er auch tatsächlich in einer Geschäftsbeziehung mit dem Antragenden steht. § 362 HGB stellt somit auch eine Ausnahme vom Grundsatz, dass Schweigen keine rechtlichen Wirkungen mit sich bringt, dar427. Problematisch ist jedoch eine weitere, vom BGH formulierte Ausnahme428: Demnach gilt zwar weiterhin die Regel, dass auch im Handelsverkehr Stillschweigen auf ein Angebot nicht als Zustimmung zu werten ist. Allerdings muss das Schweigen „dann als Zustimmung angesehen werden, wenn nach Treu und Glauben ein Widerspruch des Angebotsempfängers erforderlich gewesen wäre“. Der Widerspruch sei insbesondere dann zu verlangen, „wenn die Parteien schon vorher in Geschäftsverbindung standen, wenn zwischen ihnen ein bis dahin noch nicht aufgelöster Vertrag vorlag, und erst recht dann, wenn der Briefschreiber […] für den Gegner erkennbar ein Interesse an einer baldigen Antwort hatte“429. Dies geht jedoch zu weit430. Die Rechtsprechung setzt dadurch einen deutlichen Gegenpunkt zur grundsätzlichen Aussage, dass Schweigen keine rechtliche Bedeutung beikommt 431. Die Bezugnahme auf Treu und Glauben im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Widerspruchs eröffnet zudem einen viel zu großen Spielraum, der im Zweifel wohl zu Lasten des Angebotsempfängers gehen würde. Vielmehr muss die Ausnahme eng und nur auf wenige Fallgruppen beschränkt bleiben. So muss die Geschäftsverbindung zwischen den Kaufleuten z.B. auf gewisse Dauer ausgelegt sein432. Das Schweigen auf ein einmalig zugesandtes Angebot kann daher nicht im Sinne einer Annahme fordern. Nach dem Ablauf der Frist gilt die Schenkung als angenommen, wenn nicht der andere sie vorher abgelehnt hat. Im Falle der Ablehnung kann die Herausgabe des Zugewendeten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gefordert werden.“, § 516 Abs. 2 BGB. 425 Kolbe, BB 2010, 2322, 2324. 426 „Geht einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemand zu, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, so ist er verpflichtet, unverzüglich zu antworten; sein Schweigen gilt als Annahme des Antrags. Das gleiche gilt, wenn einem Kaufmann ein Antrag über die Besorgung von Geschäften von jemand zugeht, dem gegenüber er sich zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat. (2) Auch wenn der Kaufmann den Antrag ablehnt, hat er die mitgesendeten Waren auf Kosten des Antragstellers, soweit er für diese Kosten gedeckt ist und soweit es ohne Nachteil für ihn geschehen kann, einstweilen vor Schaden zu bewahren.“, § 362 HGB. 427 MüKo HGB/Welter, § 362 HGB, Rn. 13. 428 BGH NJW 1951, 711. 429 BGH NJW 1951, 711. 430 So auch MüKo HGB/Welter, § 362 HGB, Rn. 4; Flume, AT II, S. 658. 431 MüKo HGB/Welter, § 362 HGB, Rn. 4. 432 Baumbach/Hopt, § 362 HGB, Rn. 3.

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1. Kapitel: Die Auslegung

ausgelegt werden. Auch ein allgemeingültiger Handelsbrauch, der dem Schweigen die Bedeutung einer Annahmeerklärung beimisst, existiert gerade nicht 433 . Wäre dem so, wäre § 362 HGB entbehrlich. Ein weiterer Fall, in dem das Schweigen ausnahmsweise als Willenserklärung zu verstehen ist, ist der, dass auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben geschwiegen wird. Auch hier ist das Schweigen in aller Regel als Annahmeerklärung zu werten434. Fraglich ist, wie diese Ausnahmen aus Sicht derjenigen Partei, deren Schweigen in den erwähnten Ausnahmefällen als Willenserklärung gewertet wird, zu beurteilen sind. Problematisch sind dabei die Fälle, in denen der Partei nicht einmal bewusst ist, dass ihr Schweigen als Willenserklärung ausgelegt werden könnte. Ihr würde demnach das Erklärungsbewusstsein fehlen. Dass dieses jedoch keine subjektive Voraussetzung für das Vorliegen einer Willenserklärung ist, wurde bereits gezeigt 435. Besteht ein berechtigtes Interesse der Gegenpartei, oder genereller des Rechtsverkehrs, an Rechtssicherheit und liegen entsprechende Vorverhandlungen vor, kann das Schweigen daher als Annahmeerklärung gewertet werden, auch wenn dabei zunächst scheinbar die Privatautonomie der jeweiligen Partei untergraben zu werden scheint. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall: Zum einen steht es ihr frei, dem Angebot zu widersprechen. Zum anderen hat sie sich bewusst in die Lage gebracht, indem sie entsprechende Vertragsverhandlungen geführt und damit den Eindruck erweckt hat, einen Vertrag mit dem jeweiligen Inhalt schließen zu wollen. Entsprechende Vorverhandlungen, bestimmte zwischen den Parteien entstandenen Gebräuche oder das „beredte Schweigen“ können nach alledem im deutschen Vertragsrecht eine Auslegung des Schweigens einer Partei im Sinne einer Annahmeerklärung möglich machen436. dd) Interessenlage der Parteien und gewollter Vertragszweck Neben den Vorverhandlungen sind des Weiteren auch die Interessenlage der Parteien sowie der verfolgte Vertragszweck, zwei teleologische Kriterien, bei der Auslegung im deutschen Vertragsrecht zu berücksichtigen437. Man spricht

433

MüKo HGB/Welter, § 362 HGB, Rn. 13. MüKo HGB/Schmidt, § 346 HGB, Rn. 165; Kramer, Jura 1984, 235, 247; v. Münch, NJW 2002, 1995, 2001. 435 Siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa) (2). 436 BGH MDR 1995, 682. 437 Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 18; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 25; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 52; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 63; Kiethe, NZG 2004, 993, 994; BGHZ 21, 328; 84, 268; 131, 136, 138; BGH NJW 1981, 1549, 2295; 2000, 2099; 2007, 2320; 2010, 1592, 1594; BGH NJW-RR 1988, 1100; 1998, 801, 802; 2010, 773, 774. 434

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insoweit auch von einer interessengerechten Auslegung 438. Dabei gilt es, die Interessen beider Vertragsparteien gleichermaßen zu berücksichtigen und diese im Rahmen der Auslegung zu einem Ausgleich zu bringen. Die Rechtsprechung wird daher im Falle eines unklaren Wortlauts derjenigen Auslegung den Vorzug geben, „die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt“439. Die zu berücksichtigenden Interessen sind allerdings nicht abstrakt zu bewerten. Vielmehr ist der Einfluss, den die Interessen der Vertragsparteien „auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe“ hatten, zu berücksichtigen440. Die Berücksichtigung der Interessen der Parteien stellt letztlich ein subjektives, oder präziser, ein objektiv-subjektives Element, dar. Dies scheint zunächst in sich widersprüchlich, spiegelt aber den dahinterliegenden Gedanken wider: Die subjektiven Interessen der Parteien werden objektiv bewertet und berücksichtigt. Letztlich ähnelt die Argumentation derjenigen im Falle der Berücksichtigung der Vorverhandlungen. Die Berücksichtigung der Interessenlage ermöglicht das Erreichen eines stimmigen, möglichst fallbezogenen Auslegungsergebnisses. Inwiefern eine Berücksichtigung der Interessenlage Einfluss auf das Auslegungsergebnis haben kann, zeigt ein aktueller Fall des BGH 441 : Eine in Hamburg ansässige Klägerin, die Schiffsersatzteile vertreibt, begehrte die Bezahlung von Ersatzteilen, die sie der in Zypern ansässigen Beklagten 2011 in Rechnung gestellt hat. Die Beklagte bereederte in Riga einen Hochseeschlepper, für dessen Reparatur die von der Klägerin bestellten Ersatzteile benötigt wurden. Auf am 15.6.2010 von der Klägerin an die Beklagte übersandten „specifications“ fand sich eine Klausel mit dem Wortlaut „PLACE OF JURISDICTION HAMBURG“. Die Klägerin behauptete, dass die Beklagte die „specifications“ ganz oder teilweise, entweder durch E-Mail oder per Telefon, bestätigt hatte, jedenfalls ohne der strittigen Klausel zu widersprechen. Gang, Dauer und Ergebnis von im August 2010 geführten Verhandlungen, in denen es auch um den Gerichtsstand ging, waren zwischen den Parteien streitig. Eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung fand sich in der finalen Vereinbarung vom 24.11.2010 jedoch nicht. Nachdem ein Hochseeschlepper der Beklagten, der unter Verwendung von der Klägerin gelieferten Ersatzteilen repariert worden war, einen Motorschaden erlitt, forderte die Beklagte von der Klägerin Schadensersatz aufgrund angeblich nicht normgerechter Ersatzteile. Die entsprechende Klage wurde in Riga, dem Ort der Bereederung des Schiffs durch die Beklagte, erhoben. Mit den dort erhobenen Ansprüchen rechnet die Beklagte hilfsweise die von der Klägerin in Hamburg 438

Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 18; BGH NJW 1994, 2228, 2229. BGH NJW-RR 2006, 337, 338; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 18. 440 BGH NJW-RR 2010, 773, 774; NJW 2000, 805; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 18. 441 Siehe hierzu und zum Folgenden: BGH NJW 2015, 2584 ff. 439

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eingereichte Klage auf Bezahlung der Ersatzteile auf. Die Beklagte bestritt die Klageforderung mit der Berufung auf die fehlende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte. Das LG Hamburg bejahte zunächst seine Zuständigkeit für die Entscheidung des Rechtsstreits. Dieses Urteil wurde jedoch vom OLG Hamburg abgeändert und die Klage abgewiesen. Laut BGH, der sich wiederum auf eine bereits 2009 ergangene Entscheidung des EuGH stütze, ist Voraussetzung für das wirksame Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung das „tatsächliche Vorliegen einer Willenseinigung zwischen den Parteien über eine die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts begründende Abrede oder Klausel, welche klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist“ 442 . Das OLG sah jedoch zunächst keine solche Willenseinigung bzw. verneinte diese unter Heranziehung von Umständen, die im Wortlaut der Vereinbarungen selbst keinen Niederschlag gefunden haben und sich – laut BGH – auch nicht aus den weiteren Auslegungsmaßstäben ergeben. Der BGH hob das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zurück. Der BGH griff auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zurück, wonach zunächst auf den gewählten Wortlaut und den daraus zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen abzustellen ist. Allerdings enthielt keines der aufgeführten Dokumente einen Wortlaut, der auf einen Ausschluss der Gerichtsstandsvereinbarung schließen lassen würde. Vielmehr wäre die Beklagte laut BGH verpflichtet gewesen, die Gerichtsstandsvereinbarung aktiv abzulehnen, wäre sie mit deren Inhalt nicht einverstanden gewesen. Weiterhin wurde bereits während der Vertragsverhandlungen deutlich, dass die Geschäftsbeziehungen beider Parteien nicht mehr störungsfrei verliefen. Dies lasse freilich den Schluss zu, dass es klar im Interesse der Klägerin war, Hamburg im Rahmen der Vereinbarung als Gerichtsstand durchzusetzen. Diese Interessenlage verstärkte die bei Vertragsschluss bestandene Pflicht der Beklagten, eine solche Vereinbarung aktiv abzulehnen. Weiterhin verkannte das BerGer. laut BGH die Tatsache, dass es Sache der Parteien war, ihre jeweiligen Interessen wahrzunehmen und durchzusetzen. Die Tatsache, dass in vorherigen, zwischen den Parteien geschlossenen Verträgen ein anderer Gerichtsstand vereinbart war, spräche nicht gegen das sich in der Zwischenzeit geänderte Interesse der Parteien. Vielmehr müsse das zum Vertragsschluss bestehende Interesse der Klägerin, einen für sie günstigen Gerichtsstand zu vereinbaren, hingenommen werden, um so einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung gerecht zu werden. Freilich gab bereits der Wortlaut der Vereinbarungen keinen Anlass ein anderes als das hier erzielte Auslegungsergebnis zu erreichen. Nichtsdestotrotz entsteht der Eindruck, dass die Interessenlage der Parteien – vor allem 442 BGH NJW 2015, 2584, 2586, Rn. 31aa); BGH NJW 2006, 1672, Rn. 14; EuGH NJW 2009, 1865.

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die der Klägerin – das berühmte „Zünglein an der Waage“ darstellte. Die Interessen der Beklagten, einen Gerichtsstand in Riga und damit an dem Ort zu vereinbaren, wo sie das reparaturbedürftige Schiff bereederte, scheinen zunächst wenig Beachtung zu finden. Dies ist jedoch wenig überraschend, darf doch nicht vergessen werden, dass im Berufungsprozess gerade die Interessen der Beklagten bevorzugt wurden, ohne dass eine überzeugende Begründung erfolgt wäre. Nichtsdestotrotz wird es vor allem angloamerikanische Rechtsanwender überraschen, dass die Interessen der einzelnen Parteien im Rahmen der Auslegung derart stark berücksichtigt werden und letztendlich den Ausschlag für das Urteil geben können. Freilich entstehen so auch fragwürdige Spielräume der Rechtsprechung, wie ein weiteres Urteil des BGH zeigt. Der Kläger, ein Fahrzeughändler, verlangte vom Beklagten, Käufer eines Neuwagens der zugleich seinen Gebrauchtwagen in Zahlung gab, Wandelung des in Zahlung gegebenen Wagens und Zahlung von 3400 DM, da der Wagen mangelbehaftet war 443. Bei Übergabe des Gebrauchtwagens waren, neben weiteren Mängeln, die Bremsbacken bereits vollständig verschlissen sowie beide Bremszylinder undicht, was dem Kläger zum Zeitpunkt der Übergabe jedoch nicht auffiel. Der BGH sah die Gewährleistung des Beklagten hinsichtlich des Gebrauchtwagens jedoch als durch stillschweigende Vereinbarung ausgeschlossen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass ein Neuwagenkäufer seinen Gebrauchtwagen in aller Regel „in dem Zustand abgeben will, in dem er sich gerade befindet, ohne später zu nachträglichen Leistungen, etwa zur Nachzahlung oder Nachbesserung, oder gar zur Rücknahme des Wagens verpflichtet zu sein“. Dem Händler sei dieses Interesse bewusst. Sofern nicht eine andere Regelung getroffen wird, müsse daher die Erklärung des Händlers über den Vertragsabschluss als Einverständnis mit einem Haftungsausschluss auf Seiten des Käufers verstanden werden. Diese Auslegung ist jedoch höchst problematisch 444. Zum einen ist bereits das Auslegungsobjekt umstritten, soll der Händler doch eine entsprechende Erklärung stillschweigend abgegeben haben. Eine solche Erklärung überhaupt anzunehmen, ohne dass – bis auf die typische (sic!) Interessenlage der Beteiligten – entsprechende Anhaltspunkte existieren, scheint bereits äußerst fragwürdig445. Durch eine solche Annahme scheint das Tor zur völligen Auslegungsfreiheit geöffnet, was wiederum die Privatautonomie der Vertragsparteien einschränkt, ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit mit sich bringt und dem BGH in gewisser Weise letztlich eine gesetzgeberähnliche Stellung einräumt446. Weiterhin beruft sich der BGH im Hinblick auf die Auslegung 443

Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW 1982, 1700. Siehe hierzu Schack, NJW 1983, 2806 ff. 445 Schack, NJW 1983, 2806, 2807; freilich stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Bedeutung der Andeutungstheorie, siehe hierzu ausführlich unten § 2 IV. 6. 446 Vgl. Schack, NJW 1983, 2806. 2807; Oehler, JZ 1979, 787, 788. 444

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der angeblich bestehenden stillschweigenden Willenserklärung lediglich auf die typische Interessenlage, was das Auslegungsergebnis ebenfalls in Frage stellt. Schließlich werden die konkreten Umstände des Falls nicht beachtet, sondern gerade nur ein allgemeines Kriterium mit einbezogen 447 . Zwar scheint der Standpunkt, ein typischer Handelsbrauch wäre mit einbezogen worden, u.U. argumentativ vertretbar. Allerdings wird ein solcher in der Entscheidung nicht erwähnt und auch kein Bezug darauf genommen. Der BGH beruft sich zudem lediglich auf das Interesse des Neuwagenkäufers, seinen Gebrauchtwagen im Ist-Zustand zu veräußern, ohne anschließend zu einer eventuellen Nachbesserung oder Nachzahlung verpflichtet zu sein. Die darauf folgende Aussage, dem Händler sei dieses Interesse bewusst, scheint jedoch gewagt. Denn auch für dieses Argument gibt es keinerlei Anzeichen im Sachverhalt, sondern kann nur aus allgemeinen Annahmen heraus abgeleitet werden. Zwar kann die Argumentation des BGH nicht vollends überzeugen, jedoch scheint das Ergebnis richtig. Schlüssiger wäre aber wohl eine auf § 460 BGB a.F.448 aufbauende Lösung gewesen, da ein Gebrauchtwagenhändler wohl größtenteils unbestritten die notwendigen Fähigkeiten besitzt, um die Betriebstüchtigkeit, insbesondere den Zustand der Bremsbacken und der Bremszylinder, beurteilen zu können. Ein Abstellen auf den möglichen Haftungsausschluss und damit auf rein allgemeine Annahmen wäre somit letztlich nicht nötig gewesen449. Wie ist nun die Berücksichtigung der Interessenlage aus Sicht der Vertragsparteien zu bewerten? Einerseits wird somit eine genauere, fallbezogene Auslegung möglich, in deren Rahmen der Wille und die – wenig überraschend – Interessen der Parteien deutlich stärker berücksichtigt werden können, als bei einer rein objektiven Auslegung, die die Interessen nicht berücksichtigt. Dies spricht erneut für eine subjektiv geprägte Auslegungsweise des deutschen Rechts. Andererseits eröffnen sich so nicht unerhebliche Spielräume für den Richter, wie der zuletzt erläuterte Fall zeigt. Wenn allgemeine Interessenlagen im Rahmen der Auslegung – Handelsbräuche dabei explizit ausgenommen – eines Vertrags derartige Berücksichtigung finden und dabei den wesentlichen Anknüpfungspunkt für das Urteil bilden, ergeben sich freilich erhebliche Rechtsunsicherheiten. Es besteht die Gefahr der Fiktion „passender“ Willenserklärungen, nur um ein scheinbar faires Ergebnis zu errei-

447

Schack, NJW 1983, 2806. 2807. „Der Verkäufer hat einen Mangel der verkauften Sache nicht zu vertreten, wenn der Käufer den Mangel bei dem Abschlusse des Kaufes kennt. Ist dem Käufer ein Mangel der im § 459 Abs. 1 bezeichneten Art infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so haftet der Verkäufer, sofern er nicht die Abwesenheit des Fehlers zugesichert hat, nur, wenn er den Fehler arglistig verschwiegen hat“. 449 Der Bekl. führte dies bereits im Rahmen der Berufung als Argument an, was vom BerGer jedoch abgelehnt wurde, BGH NJW 1982, 1700. 448

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chen450. Das kann nicht Sinn der Berücksichtigung der Interessenlagen sein. Eine Berücksichtigung der Interessen erscheint angebracht, allerdings dürfen diese wohl eher einen Anhaltspunkt statt das tatsächlich ausschlaggebende Merkmal darstellen. Existieren mehrere „interessengerechte Regelungen“ 451, ist jedoch letztlich wiederum der Wortlaut der strittigen Klausel bzw. des Vertrags entscheidend452. ee) Zwischenergebnis zur Berücksichtigung der Begleitumstände bei der Auslegung Einen Vertragsschluss begleitende Umstände finden bei der Auslegung im deutschen Recht umfassende Berücksichtigung. Vor allem vertragliche Vorverhandlungen und die Entstehungsgeschichte des Vertrags werden explizit berücksichtigt und dienen sogar zur Ermittlung einer vom objektiven Erklärungsinhalt abweichenden Willensübereinstimmung zwischen den Vertragsparteien. Selbst individuelle Interessen der Parteien sind zu berücksichtigen und können für das Auslegungsergebnis ausschlaggebend sein. Diese werden zwar objektiv bewertet, stellen jedoch ein vergleichsweise stark subjektiv geprägtes Auslegungsmittel dar. Dennoch kann eine vor Vertragsschluss gemachte Erklärung nicht das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu Tage getretene Verhalten widerlegen, es gilt dabei der Grundsatz der protestatio facto contraria non valet. Die Berücksichtigung subjektiver Interessen erfolgt also nur insoweit, wie sie einer normativen Erklärungsbedeutung nicht widersprechen. b) Nachvertragliches Verhalten der Parteien und maßgeblicher Zeitpunkt für die Berücksichtigung von Begleitumständen bei der Auslegung Allgemein gilt, dass für die Auslegung nur diejenigen Begleitumstände maßgeblich sind, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bzw. zum Zeitpunkt des Empfangs einer empfangsbedürftigen Willenserklärung für den Empfänger erkennbar waren453. Späteres, nach Vertragsschluss aufgetretenes, Verhalten kann demnach im Grundsatz nach nicht berücksichtigt werden. Lediglich eine Indizienwirkung kann angenommen werden 454 . Diese darf jedoch nur dazu dienen, den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden tatsächli-

450

Schack, NJW 1983, 2806. 2807. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 54. 452 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 54; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 18. 453 Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 26; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 5; BGH NJW-RR 2007, 529; NJW 1988, 2878, 2879; vgl. Fricke, S. 160, 161; Probst, JZ 1989, 878, 882. 454 Vgl. BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. 451

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chen Willen und das tatsächliche Verständnis der Parteien zu ermitteln 455 . Auf den objektiven Erklärungssinn hat das nachvertragliche Verhalten keinen Einfluss mehr 456. Würde über das nachvertragliche Verhalten der objektive Erklärungssinn verändert werden können, würde dies jegliche Rechtssicherheit untergraben. Ein funktionierender Rechtsverkehr scheint dann beinahe unmöglich. Eine Indizienwirkung ähnlich der übrigen Begleitumstände ist daher zu bejahen, eine darüber hinausgehende Berücksichtigung würde jedoch zu weit gehen. 5. Die normativen Auslegungsmaßstäbe des § 157 BGB Neben den erläuterten objektiven Auslegungsmitteln spielen die in § 157 BGB normierten Maßstäbe in Form von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs eine erhebliche Rolle für die normative Auslegung, bilden sie doch letztlich deren Grundlage: Willenserklärungen und Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern457. Es erfolgt gerade keine rein objektive Auslegung unter reiner Beurteilung objektiver Merkmale, sondern das Auslegungsergebnis muss sich am Maßstab von Treu und Glauben und der Verkehrssitte messen lassen. Im Folgenden sollen diese Maßstäbe, ihr Zusammenwirken und ihr Einfluss auf die Auslegung untersucht werden. a) Der Maßstab von Treu und Glauben Treu und Glauben stellen im Rahmen von § 157 BGB den grundlegenden Auslegungsmaßstab dar 458 , der im Wesentlichen auf den Begriff der bona fides zurückgeht 459 und zunächst im Handelsverkehr des 19. Jahrhunderts Geltung erlangte 460 . Der Begriff von Treu und Glauben als unbestimmter Rechtsbegriff wurde seither vielfach umschrieben 461, ohne dass sich daraus jedoch eine genauere Definition herausarbeiten ließe. Vielmehr bleibt der Begriff an sich inhaltsleer und bedarf einer individuellen Bewertung im konkreten Einzelfall462. Bereits im Rahmen des ersten Entwurfs des BGB war die Bedeutung von Treu und Glauben umstritten. Konkret ging es dabei um das Verhältnis zwischen Treu und Glauben und der Verkehrssitte im Rahmen von § 157 BGB. Die Aussage, dass nur das als Vertragsinhalt gelten dürfe, „was 455

BGH NJW 1988, 2878, 2879; 2002, 3248; NJW-RR 2005, 1323, 1324; MüKo/ Busche, § 133 BGB, Rn. 5; Fricke, S. 161. 456 BGH NJW-RR 2005, 1323, 1324. 457 Vgl. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 9. 458 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 55. 459 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 69 ff.; Zimmermann/Whittaker, S. 18. 460 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 69; siehe für eine ausführliche Beschreibung der Entwicklungsgeschichte bis ins 17. Jahrhundert Strätz, Treu und Glauben I. 461 Siehe hierzu nur die ausführliche Aufzählung von Bickel, S. 164. 462 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 73; Bickel, S. 165.

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den Anforderungen von Treu und Glauben entspreche, sei eine absolute Vorschrift, während die Verkehrssitte nur als Auslegungsmittel in Betracht komme“463. Treu und Glauben als normativer Wertungsmaßstab darf jedoch nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass im Rahmen der Auslegung gleichzeitig eine Inhaltskontrolle des entsprechenden Vertrags vorgenommen werden darf464. Vielmehr hat die Rechtsprechung u.a. Kriterien entwickelt, anhand derer eine Willenserklärung bzw. ein Vertrag ausgelegt werden, um so ein Auslegungsergebnis im Sinne von Treu und Glauben erzielen zu können. Zudem darf Treu und Glauben nur auf den Erklärungstatbestand, nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Erklärenden bezogen werden465. Aufgrund dessen wird dieser Maßstab auch als „Richtschnur der Vertragsauslegung“ bezeichnet 466 . Diese „Richtschnur“ stellt sicher, dass die normative Auslegung „das schutzwürdige Vertrauen des Erklärungsempfängers […], die berechtigten Interessen aller Beteiligten […] und die Anforderungen eines redlichen Geschäftsverkehrs“ 467 berücksichtigt. Zu einer Auslegung nach Treu und Glauben gehört freilich auch die Berücksichtigung der oben erläuterten Begleitumstände468. Weiterhin ergeben sich auch Pflichten für den Erklärungsempfänger, so z.B. das Gebot der Auslegungssorgfalt 469. Zudem umfasst die Auslegung nach Treu und Glauben auch die Problematik der Zurechnung des Erklärungsinhalts zum Erklärenden. aa) Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben Die relevantesten Ausprägungen des Maßstabs von Treu und Glauben stellen die bereits erläuterten Auslegungsmittel dar, da sie letztlich eine ausgeglichene Auslegung ermöglichen 470 . Dazu zählen insbesondere die Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien, der gewollte Sinn und Zweck eines Vertrags sowie der generelle Vertrauensschutz eines Erklärungsempfängers. Weiterhin lassen sich im weitesten Sinne wohl auch die sog. materialen Auslegungsregeln471 unter den Grundsatz von Treu und Glauben einordnen. Die Erläuterung der unterschiedlichen Auslegungsmittel hat bereits gezeigt, wie vielfältig sich die zu berücksichtigenden außervertraglichen Umstände gestalten und wie breit der Begriff von Treu und Glauben tatsächlich zu verstehen ist. Der Versuch einer genaueren Definition erübrigt sich, da selbst die Rechtsprechung nicht detailliert auf den Begriff selbst eingeht, sondern lediglich 463

Protokolle I, S. 625. Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 55. 465 Kellmann, JuS 1971, 609, 611. 466 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 4. 467 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 64. 468 Vgl. Bickel, S. 166. 469 Siehe hierzu unten § 2 IV. 5. a) bb). 470 Siehe hierzu oben § 2 IV. 4. a). 471 Siehe hierzu unten § 2 IV. 7. 464

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einzelne Ausprägungen in Form der Auslegungsmittel zu Rate zieht. Generell ist dem Maßstab von Treu und Glauben der Grundgedanke der Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Teils – des Erklärungsempfängers, respektive beider Parteien – inhärent472, was wiederum die Auslegung aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers begründet. Oder wie Bickel formuliert: „Die ‚Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte‘ nach § 157 BGB erfolgt bei der Auslegung von Verträgen dann dadurch, daß alle dem anderen Vertragspartner beim Abschluß des Vertrages bekannten oder erkennbaren Tatsachen (Umstände) berücksichtigt werden, von denen die Bedeutungen der mit der Antrags- und Annahmeerklärung jeweils gesetzten Zeichen für Begriffe von Rechtswirkungen dieser Erklärungen abhängen.“473

Letztlich wurde der Rechtsprechung durch den Maßstab von Treu und Glauben vom Gesetzgeber ein Spielraum eingeräumt, der die Schaffung interessengerechter Auslegungsergebnisse ermöglicht. Eine „elastische Norm“ 474 , wie Treu und Glauben den § 157 BGB zu einer solchen macht, ist schlichtweg nötig, da dadurch die individuellen Gegebenheiten und somit letztlich auch die individuellen Interessen der Vertragsparteien im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden können. bb) Auslegungssorgfalt des Empfängers Eine deutlichere, wenn auch wohl nicht unbedingt greifbarere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben ergibt sich im Blick auf den Erklärungsempfänger. Dieser darf sich nicht naiv auf die Auslegung durch den Richter im Streitfall verlassen. Vielmehr obliegt ihm eine Auslegungssorgfalt, nach der er sich mit der gebotenen Sorgfalt darum bemühen muss, „anhand aller erkennbaren Umstände den Sinn der Erklärung zu erforschen“475. Diese Sorgfalt ergibt sich jedoch nicht lediglich aus Treu und Glauben im Rahmen von § 157 BGB. Vielmehr verdeutlicht das Irrtumsrecht gem. §§ 119 ff., insbesondere § 122 Abs. 2 BGB, eine solche Pflicht476: Eine Schadensersatzpflicht des Anfechtenden ist ausgeschlossen, wenn der Erklärungsempfänger den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtung kannte oder ken472

Siebert, Rn. 1. Bickel, S. 166. 474 Enneccerus/Nipperdey, S. 73. 475 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 14; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 28; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 17, 18; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9; BGH NJW 1981, 2295, 2296; 2008, 2702, 2704; „Der Empfänger darf der Erklärung dabei nicht einfach den für ihn günstigsten Sinn beilegen, sondern muss unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände mit gehöriger Aufmerksamkeit prüfen, was der Erklärende gemeint hat“, BGH NJW 2008, 2702, 2704; 1981, 2295, 2296; NJW-RR 2011, 309. 476 Siehe hierzu und zum Folgenden Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 18. 473

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nen musste. Der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers wird also bereits durch dessen fahrlässige Unkenntnis des Nichtigkeits- oder Anfechtungsgrundes eingeschränkt 477. Gerade im Rahmen des Irrtumsrechts ist dieser Ausgleich zwischen dem Schutz der Privatautonomie des Einzelnen sowie dem Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers bzw. des Rechtsverkehrs nötig. Die Interessenlage des Anfechtungsrechts und der Auslegung gestaltet sich freilich ähnlich, ist Letzterer der notwendige Ausgleich zwischen Privatautonomie und Vertrauensschutz doch ebenfalls immanent. Zudem geht die Auslegung der Anfechtung stets vor 478 . Aus diesen Gründen lässt sich die Pflicht des Erklärungsempfängers, eine Willenserklärung mit aller gebotenen Sorgfalt auszulegen, herleiten. Dass eine Auslegungssorgfalt seitens des Erklärungsempfängers besteht, ist unstrittig. Fraglich ist jedoch, wie weit diese tatsächlich reicht und reichen darf, ohne den Erklärungsempfänger unangemessen zu belasten. Zunächst gilt es die Interessenlage zu präzisieren479: Das bei beiden Parteien bestehende Erfolgsinteresse, ihre jeweiligen subjektiven Interessen zu verwirklichen, begründet die beiderseitige Pflicht, die gegenseitigen Erklärungen mit der gebotenen Sorgfalt auszulegen. Gleichzeitig haben beide Parteien ein Interesse daran, ihre jeweilige Auslegungspflicht möglichst gering zu halten. Dies wiederum begründet das Entlastungsinteresse der Parteien, welches die jeweilige Gegenseite zu einer möglichst präzisen Formulierung ihrer Erklärung anhält. Die Abwägung beider Interessen ergibt das Vertrauensinteresse, respektive den Vertrauensschutz der einzelnen Parteien480. Die notwendige Auslegungssorgfalt des Erklärungsempfängers ergibt sich, neben dem Auslegungsgegenstand, aus der Gesamtschau aller zur Auslegung zu Rate zu ziehenden Auslegungsmittel. Dabei bildet – wie erläutert – der Wortlaut den Ausgangspunkt. Es gilt dabei: Je klarer und deutlicher der Wortlaut einer Erklärung, desto niedriger die Schwelle der notwendigen Auslegungssorgfalt 481 . Dies darf jedoch nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass die Eindeutigkeitsformel plötzlich doch Anwendung findet 482. Denn nach wie vor muss jede Erklärung durch den Empfänger ausgelegt werden, egal wie klar und deutlich sie formuliert zu sein scheint. Lediglich der Sorgfaltsmaßstab, oder wie Lüderitz es bezeichnet, die „Risikogrenze“, wird anders festgelegt 483. Risikogrenze deshalb, da jede Partei grundsätzlich dem Risiko unterliegt, falsch verstanden zu werden. Allerdings erhöht sich 477

Canaris, Vertrauenshaftung, S. 504 ff. MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 21; Brox, S. 168; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 7; Larenz, AT, S. 371; Medicus, Rn. 317. 479 Siehe hierzu und zum Folgenden Lüderitz, S. 287. 480 Lüderitz, S. 287. 481 Lüderitz, S. 287. 482 Vgl. oben § 2 IV. 3. a). 483 Lüderitz, S. 299. 478

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dieses Risiko, je stärker eine Partei vom gewöhnlichen Sprachgebrauch abweicht und je ungenauer sie sich ausdrückt 484 . Dieser festgelegte Maßstab ändert sich nach Lüderitz aufgrund unterschiedlicher Kriterien jeweils zugunsten des Erklärenden oder des Empfängers 485. Dazu zählen, neben dem Wortlaut als Ausgangspunkt, die Art des Geschäftstypus, persönliche Eigenschaften und das Machtverhältnis der Parteien zueinander. Eine präzise Festlegung dieses Maßstabs ist abstrakt jedoch nicht möglich, sondern Einzelfallbezogen zu betrachten. Die Auslegungssorgfalt des Erklärungsempfängers hat jedoch noch eine weitere Bedeutung, vor allem für die Auslegung im Streitfall durch ein Gericht. Da der Erklärungsempfänger eine Erklärung so zu verstehen hat, wie er sie unter Berücksichtigung aller ihm bekannten Umstände verstehen müsste, werden dadurch die vom Richter zu berücksichtigenden Umstände faktisch beschränkt. Es dürfen schließlich nur solche Umstände berücksichtigt werden, die dem Erklärungsempfänger zum Zeitpunkt des Empfangs der Willenserklärung selbst bereits bekannt waren oder bekannt hätten sein müssen486. Alle weiteren Begleitumstände, die u.U. erst im Prozess zu Tage treten, können freilich dem Erklärungsempfänger nicht zugerechnet werden. cc) Die Zurechnung der Erklärungsbedeutung zum Erklärenden und die Frage nach der Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen Einhergehend mit der Aussage, dass der Erklärungsempfänger lediglich solche Umstände bei der Auslegung zu berücksichtigen hat, die ihm zum Zeitpunkt des Empfangs der Willenserklärung bekannt waren oder bekannt hätten sein müssen, kann – nach teilweiser Literaturmeinung – dem Erklärenden auch nur ein solcher Erklärungssinn zugerechnet werden, der für ihn bei gehöriger Sorgfalt vorhersehbar hätte sein können487. Kurzum: „Die Bedeutung seines Verhaltens als einer Willenserklärung muß […] dem Erklärenden selbst, ebenso wie ihre inhaltliche Bedeutung aus der Sicht des Empfängers zurechenbar sein“488. Zurechenbar sei sie ihm dann, „wenn er hätte erkennen können, daß sein Verhalten von anderen so verstanden werden mußte“ 489 . Erklärungsempfänger und Erklärender werden demnach gleichgestellt und 484

Lüderitz, S. 289. Siehe Lüderitz, S. 287–299; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 28. 486 Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 14; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 460; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 19; Larenz, AT, S. 340; BGH NJW 1981, 2296; 2006, 3777, 3778; 2008, 2702. 487 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 19; Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 459; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 20; Flume, AT II, S. 311; Bydlinsky, S. 160; Medicus, AT, Rn. 326. 488 Larenz, AT, S. 356. 489 Larenz, AT, S. 356; vgl. auch Kellmann, JuS 1971, 609, 614; Gudian, AcP 169 (1969), 232, 234 ff. 485

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somit ein scheinbares Gleichgewicht im Hinblick auf den Vertrauensschutz der einzelnen Parteien geschaffen490. Allerdings gestaltet sich die Zurechnung von Erklärungsbedeutungen nicht derart einfach wie zunächst möglicherweise annehmbar. Oft wurde zur Verdeutlichung der bereits bekannte Fall der Trierer Weinversteigerung zu Rate gezogen491. Einem ortsunkundigen Teilnehmer einer Versteigerung kann laut Larenz nicht der Erklärungssinn eines abgegebenen Gebots zugerechnet werden, wenn ihm nicht bewusst war, wie sein unachtsames Handheben verstanden werden könnte und er aufgrund der Unkenntnis der Gebräuche auch nicht damit hätte rechnen können 492. Es genüge vielmehr bereits die Tatsache, dass dem Erklärenden nicht einmal die Situation, im Rahmen derer sich der Erklärungssinn ergibt, bewusst war. In beiden Fällen wäre die Willenserklärung mangels Zurechenbarkeit des Erklärungssinns nichtig 493 . Im Falle eines unachtsamen Unterschreibens eines Schriftstücks sei die Zurechnungsproblematik jedoch einfach zu lösen, da dort die Bedeutung des Schriftstücks mit einem einfachen Blick erkennbar sei. Dies gelte insbesondere, wenn der Erklärende „weiß oder Grund hat, anzunehmen, daß sich unter den ihm vorgelegten Schriftstücken auch solche finden könnten, die eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung enthalten“ 494. Der objektive Erklärungssinn ist dem Erklärenden demnach zuzurechnen. (1) Probleme des Larenz’schen Zurechnungsmaßstabs Die Argumentation Larenz’ zum Fall der Trierer Weinversteigerung kann aus mehreren Gründen nicht überzeugen. Zum einen widerspricht die hier angeführte Nichtigkeit der Willenserklärung dem Konzept der einzelnen Willensmomente und der dort vorherrschenden Lehre im Hinblick auf deren konstitutive Eigenschaft einer Willenserklärung 495 . Nach dieser führt lediglich ein fehlender Handlungswille zur Nichtigkeit der Willenserklärung, jede andere Art des Willensmangels berechtigt den Erklärenden lediglich zur Anfechtung. Zum anderen ist die Handhabung eventueller „subjektiver Fehlvorstellungen“ im Gesetz explizit geregelt, u.a. in den §§ 116 ff. und 119 ff. BGB496. Diese Fehlvorstellungen oder schlichtweg Irrtümer, ändern zunächst nichts an der Wirksamkeit der Willenserklärung. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob diese Fehlvorstellungen bzw. der strittige Erklärungstatbestand fahrlässig oder unverschuldet entstanden ist 497. Nun aber die Nichtigkeit aufgrund der feh490 491

Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 20. Larenz, AT, S. 356; Kellman, JuS 1971, 609, 615; siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa)

(2).

492

Larenz, AT, S. 356. Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 494 Larenz, AT, 356. 495 Siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa) (2). 496 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 21. 497 Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 493

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lenden Zurechenbarkeit zu bejahen, würde das Anfechtungsrecht und dessen Grundaussage umgehen 498 . Die Zurechnung der Erklärungsbedeutung mit einem derartig laxen Maßstab zur Voraussetzung des Bestehens einer Willenserklärung zu machen499, würde ein zu stark subjektives Element in den Auslegungsprozess einführen und damit das Gleichgewicht zwischen Privatautonomie und Vertrauensschutz beider Parteien stören. Zwar entspricht die hier vertretene Ansicht der Auslegung einer wohl eher subjektiv zuzuordnenden Sichtweise, allerdings eben nur so weit, wie die beteiligten Parteien in ihrem Willen übereinstimmen. Darüber hinausgehend ist die normative Auslegung anzuwenden, die jedoch von einer wie von Larenz vertretenen Sichtweise im Hinblick auf die Zurechenbarkeit der Erklärungsbedeutung untergraben werden würde. Der zweite Beispielfall des unachtsam unterschriebenen Schriftstücks bereitet hingegen weniger Probleme. Freilich kann ein Erklärender durch einen Blick auf das zu unterschreibende Schriftstück erkennen, welchen Inhalt dieses hat. Die Zurechenbarkeit ist in einem solchen Fall unstrittig. Der Erklärende ist schlicht nicht schutzwürdig, da er in jedem Fall hätte wissen müssen, welchen objektiven Sinn sein Verhalten haben würde. Demnach ist er an den objektiven Erklärungssinn gebunden, auch wenn dieser nicht mit seinem subjektiven Willen übereinstimmt 500. (2) Die Erklärungsverantwortung für Willenserklärungen Bei einer Gesamtbetrachtung der Zurechnungsproblematik zeigt sich eine Art „Gefährdungshaftung“ für Willenserklärungen 501 . Freilich darf der Begriff nicht wortwörtlich verstanden werden, da weder eine Gefährdung, noch eine direkte Haftung seitens des Erklärenden besteht. Vielmehr scheint der Begriff der „Erklärungsverantwortung“ stimmiger. Jeder Teilnehmer des Rechtsverkehrs ist demnach für sein u.U. als Willenserklärung verstandenes, objektives Verhalten verantwortlich. Grundsätzlich ist eine solche Erklärungsverantwortung zu bejahen, da die Teilnahme am Rechtsverkehr freilich nicht nur Rechte, sondern gerade auch Pflichten mit sich bringt. Vor allem würde eine derart niedrige502 Zurechnungsschwelle, wie Larenz sie anwenden will, einen funktionierenden Rechtsverkehr untergraben 503 . Es müsste vielmehr derselbe 498

So auch Kellmann, JuS 1971, 609, 615. Geht es ja bei der Auslegung nicht nur um die Ermittlung des Inhalts, sondern bereits vorher um die Frage, ob eine Willenserklärung überhaupt besteht. Wobei diese strikte Trennung freilich auch nicht möglich ist, ergibt sich das Bestehen selbst ja gerade erst aus dem eigentlichen Inhalt; vgl. auch Kellmann, JuS 1971, 609, 610 ff. 500 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 19. 501 Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 502 Oder hohe Schwelle, je nach Betrachtungsweise. Da die Schwelle für den Schutz des Erklärenden denkbar niedrig ist, ergo er sehr leicht vom Schutz der Nicht-Zurechnung erfasst ist, wird die „Schwelle“ hier als niedrig angesehen. 503 Ähnlich wie die strikt angewandte Willenstheorie, die den subjektiven Willen als konstitutive Voraussetzung einer Willenserklärung gelten lassen will. 499

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Maßstab angelegt werden, der auch bei der Auslegungssorgfalt eines Erklärungsempfängers gilt 504 . Denn wenn diesem das verschuldensunabhängige Risiko des Falschverstehens einer Erklärung auferlegt wird, müsste erst recht dem Erklärenden selbst das Risiko des fehlerhaften Erklärens, und damit derselbe Risikomaßstab auferlegt werden 505. Dieser Maßstab dürfte freilich weder zu streng noch zu nachlässig angewandt werden und bedürfte der Konkretisierung im Einzelfall. Im Hinblick auf die Trierer Weinversteigerung müsste die Erklärung dem unbewusst Erklärenden jedoch zugerechnet werden. Die bloße Unkenntnis solch allgemeiner Gepflogenheiten, die dem Heben der Hand im Rahmen einer Versteigerung die Abgabe eines Gebots gleichsetzen, oder schon die Unkenntnis der Situation können den Erklärenden nicht vor der Zurechnung schützen. Die auf Manigk zurückgehende Ansicht, nach der die „Vertrauenshaftung“ aufgrund eines subjektiven Begriffs der Willenserklärung und damit aufgrund einer durch schuldhafter oder sonstiger zurechenbarer Weise entstandener, scheinbaren Willenserklärung besteht, ist jedoch abzulehnen und nicht mit der hier vertretenen Ansicht zu verwechseln 506. Nach der Manigkschen Ansicht greift die Verhaltenshaftung in Fällen ein, in denen „ein auch nur irgendwie gearteter Wille nicht vorhanden ist und daher als Basis für eine Interpretation nicht taugen kann“507. Als Beispiele dienen u.a. das kaufmännische Bestätigungsschreiben, die Unterwerfung unter AGB und die Grundsätze der Anscheinsvollmacht 508. Allerdings kann diese willenstheoretisch geprägte Ansicht nicht überzeugen. Es würde erneut unnötigerweise auf den subjektiven Willen des Erklärenden abgestellt werden. Vielmehr geht die Vertrauenshaftung auf den normativen Sinn der Erklärung zurück, ohne dabei den subjektiven Willen des Erklärenden zu berücksichtigen509. So entschied der BGH bspw. im Falle des kaufmännischen Bestätigungsschreibens mehrfach, dass „die Rechtswirkungen, die dadurch ausgelöst werden, daß der Empfänger eines Bestätigungsschreibens dieses unbeantwortet läßt, nicht auf seiner – zu unterstellenden – zustimmenden Willenserklärung, sondern darauf beruhen, daß er nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Anschauungen des Verkehrs für verpflichtet gehalten wird, dem Inhalt des Bestätigungs504

Kellmann, JuS 1971, 609, 615. Oder nach Kellmann: „Das Risiko des Mißverstehens der eigenen oder fremden We. trägt somit immer derjenige, der sich über die objektive Bedeutung des jeweiligen Erklärungstatbestandes irrt, und es ist durchaus sachgerecht, wenn somit auf beiden Seiten mit dem gleichen objektiv-normativen Maß gemessen wird.“, Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 506 Manigk, Rechtswirksames Verhalten, S. 224; Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 507 Hübner, in: FS Nipperdey, S. 377; Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 508 Hübner, in: FS Nipperdey, S. 377 ff.; Flume, AT II, S. 664; Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 509 Wenn auch offensichtlich, sei an dieser Stelle erwähnt, dass dies freilich nur gilt, wenn beide Vertragsparteien keinen übereinstimmenden subjektiven Willen haben; Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 505

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schreibens zu widersprechen, wenn es nicht als genehmigt angesehen werden soll“510. Dabei komme es auf einen Willen des Empfängers des Bestätigungsschreibens und eine etwaige Äußerung dieses Willens nicht an, sodass ihm nicht das Recht zugebilligt werden könne, sich auf einen Irrtum über die Bedeutung seines Schweigens zu berufen 511 . Es wird also deutlich klargestellt, dass der subjektive Wille des Erklärenden in einem solchen Fall gerade keine Rolle spielt, sondern es erneut lediglich auf die normative Bedeutung des Verhaltens des Erklärenden ankommt. Es gilt somit das Prinzip der Erklärungsverantwortung oder der Vertrauenshaftung, wie Canaris es bezeichnet 512 . Dem BGH nach bleibt das Erfordernis der Zurechenbarkeit jedoch bestehen513. (3) Zur Notwendigkeit der Zurechnung zum Erklärungsempfänger Die von der h.M. der Literatur vertretene Ansicht der Zurechnung einer Erklärungsbedeutung zum Erklärenden ist zunächst nachvollziehbar und scheint einen notwendigen Ausgleich zwischen Erklärenden und Empfänger zu schaffen 514 . Trotzdem muss die tatsächliche Bedeutung dieses Konzeptes zumindest hinterfragt werden. Problematisch scheint schon die grundlegende Tatsache, einen weiteren Schritt in den Auslegungsprozess einzubeziehen. Dies reicht jedoch nicht als Begründung aus, die Notwendigkeit der Zurechnung abzulehnen. Allerdings scheint die Zurechnung bereits berücksichtigt, sobald man die Maßstäbe des objektiven Empfängerhorizonts mit einbezieht. Wenn eine Willenserklärung so verstanden werden muss, wie ein objektiver Dritter an Stelle des Erklärungsempfängers sie unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstanden hätte, wird die Zurechnungsproblematik inhärent mitberücksichtigt. Es kommt darauf an, wie eine Handlung oder eine Erklärung verstanden werden musste. Die Voraussetzung des „müssens“ beinhaltet dabei eine Beurteilung, ob ein entsprechendes Verständnis berechtigt und damit auch dem Erklärenden zurechenbar ist. Eine Erklärung auf eine bestimmte Art und Weise verstehen zu müssen, ohne dass die ermittelte Bedeutung dem Erklärenden zurechenbar ist, scheint eine wohl eher selten auftretende Konstellation darzustellen. Die Argumentation im Schulfall der gestohlenen Speisekarte, den die Literatur zum Teil zur Veranschaulichung der Zurechnungsproblematik be-

510

BGH NJW 1956, 869; Flume, AT II, S. 664. BGH NJW 1956, 869. 512 Siehe hierzu ausführlich Canaris, Vertrauenshaftung, S. 490 ff. 513 BGH BGHZ 91, 324; NJW 1956, 869; 2005, 2620. 514 Medicus, AT, Rn. 324; Larenz, AT, S. 342; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 21; siehe ausführlich Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 20; allgemein zur Zurechnung auch ausführlichst Lüdeking, S. 60 ff. 511

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müht515, kann jedoch überzeugen. Die Annahme eines möglichen Dissenses und die daraus folgende Abwicklung des Verhältnisses über das Bereicherungsrecht (§§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 2, 3 BGB) entspricht dabei der h.M. der Literatur516. Problematisch scheint die Argumentation jedoch im Hinblick auf § 119 Abs. 1 BGB. Es scheint widersprüchlich, ein Irrtumsrecht zu schaffen, das eine Anfechtung für Erklärungsirrtümer erlaubt, nur um dann unter Schaffung der künstlichen Voraussetzung der Zurechnung einer Erklärungsbedeutung dieses wieder obsolet zu machen 517. Die Verantwortung für eine missverstandene Willenserklärung obliegt grundsätzlich dem Erklärenden, der sich dieser durch Anfechtung wieder entziehen kann. Der dabei möglicherweise entstehende Vertrauensschaden ist durch den Anfechtenden gem. § 122 BGB zu ersetzen518. Diese vom Gesetzgeber geschaffene Risikohaftung für eine fehlerhafte Willenserklärung ist in der Begründung auch nachvollziehbar. Demnach sei „der Erklärungsempfänger, welcher weniger im Stande sei, die Lage zu übersehen, […] immerhin noch unschuldiger als der Promittent“519. Allerdings würde der Erklärende dann für ein nicht zurechenbares Risiko haften, was wiederum eine ungebührliche Benachteiligung für diesen darstellen würde. Canaris führt weiterhin hierzu an, dass ein schwerer Wertungswiderspruch zur Regelung des § 118 BGB entstehen würde, wenn der Erklärende eine fälschlich zugerechnete Erklärung anfechten müsse 520 . Jedoch ist auch im Falle des § 118 BGB der Vertrauensschaden nach § 122 BGB zu ersetzen. Anders als von Canaris könnte jedoch die Möglichkeit des Erklärenden, den ohne Erklärungsbewusstsein abgeschlossenen Vertrag in seiner Gültigkeit bestehen zu lassen, weniger kritisch gesehen werden521. Wenn ein Erklärender ungewollt im Rahmen eines Vertrags verpflichtet wird, sollte ihm in der Regel zumindest die Möglichkeit – neben der Anfechtung – eröffnet bleiben, auch eventuelle Vorteile aus dieser Verpflichtung zu ziehen 522. Dies würde freilich wiederum für eine Anfechtung durch die Erklärende Partei sprechen. 515 Ein Gast stiehlt die Speisekarte eines Restaurants und bringt sie zehn Jahre später wieder zurück. Ein weiterer Gast hält diese Karte für die aktuell Gültige und bestellt ein mehrgängiges Menü. Erst als er die Rechnung erhält, bemerkt er, dass die Speisen mittlerweile das Doppelte kosten; siehe hierzu ausführlich Medicus, AT, Rn. 324 ff.; Larenz, AT, S. 341 ff.; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 20. 516 Medicus, AT, Rn. 324; Larenz, AT, S. 342; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 21; siehe ausführlich Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 20. 517 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 21; Kellmann, JuS 1971, 609, 615. 518 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 21. 519 Protokolle I, S. 452; die dort aufgeführte Argumentation bezieht sich zwar auf § 345 e.E. BGB der den Schadensersatz im Falle der Unmöglichkeit der Leistung regelt, allerdings ist diese auch auf den hier erläuterten Fall anwendbar. 520 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 550. 521 Siehe Canaris, Vertrauenshaftung, S. 551. 522 Siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa) (2); BGHZ 91, 324, 330; vgl. Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 34.

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In den Fällen, in denen ein Dritter zwischen zwei Parteien interveniert und unter fremden Namen handelt, fehlt die Zurechenbarkeit zum Erklärenden allerdings523. Diese Argumentation kann jedoch nicht dazu führen, die Zurechenbarkeit grundsätzlich als Bestandteil des Auslegungsprozesses anzusehen. Der Erklärungsempfänger muss die Willenserklärung nach den normativen Auslegungsgrundsätzen auslegen. Allerdings muss diese Willenserklärung tatsächlich auch aus der Sphäre des angeblich Erklärenden stammen. Während in den vorhergehenden Fällen der Zurechnungsproblematik bisher immer auf eine vom Erklärenden selbst stammende Aussage oder Erklärung Bezug genommen wurde, wird nun auf einmal die Aussage eines Dritten in die Bewertung mit einbezogen. Dabei scheint jedoch eher der Begriff der Zurechnung ausgedehnt, als dass tatsächlich auf das ursprüngliche Problem der Auslegung einer aus der Sphäre des Erklärenden stammender Willenserklärung hin argumentiert wird. Die Haftung für eine aus der Sphäre eines Dritten stammenden Willenserklärung ist als getrenntes Problem zu betrachten. Derartiges Handeln muss im Rahmen des Vertreters ohne Vertretungsmacht diskutiert, und nicht in die ursprüngliche Problemstellung einbezogen werden524. Die Zurechnung einer Erklärungsbedeutung zum Erklärenden scheint insgesamt problematisch und viel diskutiert. Allerdings überzeugt die Notwendigkeit einer Zurechnung dennoch, da ein Erklärender ansonsten für ein nicht kontrollierbares Risiko haften würde. Letztendlich dürften in der Rechtspraxis derartige Fälle, in denen die Zurechnung der Erklärungsbedeutung problematisch ist, freilich eher selten auftreten525. b) Die Berücksichtigung der Verkehrssitte Neben der Auslegung nach Treu und Glauben wird im Rahmen von § 157 BGB zudem die Berücksichtigung der Verkehrssitte gefordert. Dabei stellt die Verkehrssitte jedoch nicht, wie u.a. die meisten zu berücksichtigenden Auslegungsmittel, ein individualisierendes Kriterium, sondern einen allgemeingültigen Maßstab dar, der bei der Auslegung zu berücksichtigen ist526. Eine individuelle Anpassung an den jeweiligen Fall erfolgt höchstens im Rahmen der Frage, ob und welchem Verkehrskreis die Vertragsparteien angehören. Als Verkehrssitte gilt gemeinhin die „den Verkehr tatsächlich beherrschende Übung“ 527 . Dazu zählt ebenfalls der Begriff des Handels523

Siehe Wolf/Neuner, § 35, Rn. 20. Wolf/Neuner, § 35, Rn. 20; § 49, Rn. 54. 525 So auch Medicus, AT, Rn. 326. 526 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15. 527 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 16; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 66; Wolf/Neuner, § 4, Rn. 18; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21; Flume, AT II, S. 312; BGH NJW 1990, 1724; siehe ausführlich zur Entstehung Sonnenberger, S. 61 ff. 524

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brauchs, der als Verkehrssitte des Handels verstanden wird 528. Entscheidend ist, dass die „Übung“ im Wesentlichen erst als solche verstanden wird, wenn sie über einen längeren Zeitraum praktiziert wurde529. An dieser Stelle spielen vor allem der Charakter der Verkehrssitte als Auslegungsmaßstab sowie die Frage, wann und wie dieser bei der Auslegung tatsächlich berücksichtigt werden darf, die zentrale Rolle. aa) Die Einbeziehung der Verkehrssitte als Auslegungsmaßstab Zum Teil diskutiert, aber für die Auslegung in der praktischen Anwendung wohl relativ unbedeutend ist die Frage, ob Verkehrssitten als Rechts- oder Sozialnormen einzuordnen sind 530 . Gemeinhin anerkannt ist jedoch, dass Verkehrssitten keine Rechtsnormen sind, da die im Gewohnheitsrecht erforderliche Überzeugung, sie seien geltendes Recht, wohl fehlt531. Letztendlich spielt die Zuordnung jedoch vor allem deshalb eine eher untergeordnete Rolle, weil sich – laut einem Teil der Literatur – eine normative Geltung aus den § 157 BGB und § 346 HGB selbst ergebe und es daher keiner weiteren Einordnung bedürfe 532 . Gleichzeitig ergebe sich aus der Formulierung des § 157 BGB zudem, dass es auf die positive Kenntnis einer Verkehrssitte durch die Vertragsparteien zunächst nicht ankomme533. Hellwege bezeichnet diese Ansicht daher konsequent als „normativierende Theorie“ 534. Laut der als „Vertragstheorie“ bezeichneten Ansicht wird die Geltung der Verkehrssitte hingegen nicht durch § 157 BGB, sondern vielmehr durch deren Einbeziehung in den Vertrag vermittelt 535 . Die dritte, als „Auslegungstheorie“ bezeichnete Ansicht, sieht die Verkehrssitte hingegen als Auslegungsmittel

528

BGH NJW 1966, 502; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 65; Rummel, S. 14; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21; vgl. § 346 HGB. 529 Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 22; Erman/Armbrüster, § 157 BGB, Rn. 10; BGH NJW 1952, 257; 1990, 1723, 1724; freilich gibt es auch hier Ausnahmen, so z.B. beim Verkauf von Schiffen, da derartige Geschäfte relativ selten vorkommen und daher weniger Fälle genügen, um eine tatsächliche Übung zu begründen; siehe hierzu Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 66; BGH NJW 1966, 502, 503. 530 Sonnenberger, S. 62; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 16 ff.; Rummel, S. 28 ff.; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; Flume, AT II, S. 312; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 70. 531 Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 70; BGH DB 1954, 83; eindeutig gegen die Einordnung als Rechtsnormen spricht sich der BGH, GRUR 1957, 84, 85, aus; Oertmann bezeichnet die Verkehrssitte als „objektivrechlicher Hilfsbegriff“, Oertmann, S. 314. 532 So auch Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 67; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 71. 533 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 18; BGH DB 1954, 83; BGH NJW-RR 1986, 911, 912; 1988, 1306; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 68; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 72. 534 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 860. 535 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 860; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21.

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an536. Die Verkehrssitte könne schließlich einen Rückschluss auf den Parteiwillen erlauben, da nach allgemeiner Lebenserfahrung damit gerechnet werden könne, „einen Ausdruck oder ein Verhalten gemäß der im Verkehr üblichen Bedeutung [zu] gebrauchen und [zu] verstehen“ 537 . Hinsichtlich der Frage nach der Entstehung der Verkehrssitte unterscheiden sich alle drei Ansichten jedoch kaum538. Umstritten ist jedoch die Frage, ob bereits das Kennenmüssen für eine Berücksichtigung der Verkehrssitte genügt bzw. ob die Verkehrssitte nicht berücksichtigt wird, wenn die Parteien sie nicht gekannt haben müssten. Letzterer Ansicht folgen die Vertreter der Vertrags- und Auslegungstheorie539. Die Vertreter der normativen Theorie hingegen bestehen auf einer Geltung der Verkehrssitte „per-se“, also unabhängig davon, ob die Parteien sie kannten oder kennen mussten540. Praktische Konsequenzen dürften durch die Unterscheidung zwischen kenntnisunabhängiger Geltung und Geltung nur bei Kennenmüssen eher selten auftreten 541 . Eine Partei, die einem Verkehrskreis angehört, für den sich eine Verkehrssitte herausgebildet hat, wird sich schließlich fast immer vorhalten lassen müssen, dass sie die entsprechende Verkehrssitte hätte kennen müssen542. Problematisch gestaltet sich jedoch der Fall, in dem keine der Parteien die Verkehrssitte kannte. Im Rahmen der Vertrags- und Auslegungstheorie kommt die Verkehrssitte dann nicht zur Geltung, die normativierende Theorie hingegen bewirkt nach der Meinung einiger ihrer Vertreter die kenntnisunabhängige Geltung543. Diese vollständig kenntnisunabhängige Geltung der normativierenden Theorie scheint freilich problematisch, wird in diesem Fall doch gegen den falsa demonstratio Grundsatz verstoßen544. So z.b. dann, wenn zwei Parteien einem bestimmten Begriff den Sinn „x“ beimessen, selber Begriff unter Berücksichtigung einer Verkehrssitte jedoch „y“ bedeuten soll. Allerdings dürfte diese Fallkonstellation mit hoher Wahrscheinlichkeit rein theoretischer Natur sein, da im Zweifel eine Partei immer die Kenntnis einer für sie günstigen Verkehrssitte be536

Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 860; Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; Staudinger/Singer, § 157 BGB, Rn. 70. 537 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 860. 538 Siehe hierzu ausführlich Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 861. 539 So Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 68; Lüderitz, S. 302; a.A. Flume, AT II, S. 312; Danz, Auslegung (3. Aufl.), S. 54; Oertmann, S. 386; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 861. 540 Flume, AT II, S. 313; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 18; Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 861; anders Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 68, laut dem es ausreiche, wenn der Erklärungsempfänger die Verkehrssitte kennen musste. 541 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 862. 542 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 862. 543 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 862. 544 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 14; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 862.

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haupten wird und ein entsprechender Gegenbeweis nur schwer zu erbringen sein dürfte545. In jedem Fall ist die Berücksichtigung der Verkehrssitte in bestimmter Hinsicht eingeschränkt. So ist eine Erklärung zwar im verkehrsüblichen Sinn zu verstehen, wenn beide Vertragsparteien demselben Verkehrskreis angehören. Allerdings kommt es ausschließlich auf die Verständnismöglichkeit des Empfängers an, wenn einer der beiden Parteien einem anderen Verkehrskreis angehört als die andere Partei546. Unterscheiden sich örtliche Verkehrssitten, ist bei Anwesenden der Ort der Erklärungsabgabe maßgeblich, bei Abwesenden der Ort des Zugangs547. Der Erklärende muss sich seine nach der Verkehrssitte verstandene Erklärung dann in jedem Fall zurechnen lassen, behält aber die Möglichkeit der Anfechtung wegen Erklärungsirrtums 548 . Zudem steht es den Parteien frei, die Geltung einer Verkehrssitte explizit auszuschließen. Sie gilt demnach nicht entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen549.

bb) Die Verkehrssitte als normativer Auslegungsmaßstab eines Verkehrskreises Unter Berücksichtigung der vorstehenden Voraussetzungen, wird eine Erklärung im Sinne der Verkehrssitte eines bestimmten Verkehrskreises verstanden. Die Verkehrssitte als normativer Maßstab hat somit direkten Einfluss auf die Erklärungsbedeutung und scheint daher, verglichen mit Treu und Glauben, zunächst sogar eine bedeutendere Rolle zu spielen. Dies ist jedoch nur scheinbar so, gilt eine Verkehrssitte doch nur, wenn sie nicht gegen geltendes zwingendes Recht und das Gebot von Treu und Glauben verstößt550. Somit steht Treu und Glauben als normativer Maßstab immer noch über der Verkehrssitte, an dem sich Letztere messen lassen muss. Ein Beispiel für die Berücksichtigung der Verkehrssitte bildet folgender Fall 551 . Die Klägerin, Grundversorgerin für Gas, begehrte von der Beklagten Zahlung für Gaslieferungen über einen Zeitraum von 3 Jahren. Die Beklagte und ein Zeuge hatten ein Einfamilienhaus gemietet, wobei die Beklagte aus „Bonitätsgründen“ den Mietvertrag als zweite Mieterin unterschrieb. Die Beklagte besuchte das 545

Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 862. Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; BGHZ 6, 127, 134; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 24; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 68. 547 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 15; BGHZ 6, 127, 134; Flume, AT II, S. 312; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 68; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 24; Sonnenberger S. 199. 548 Larenz, AT, S. 345; BGH DB 1954, 83. 549 BGH GRUR 1957, 84, 85; RGZ 114, 9, 12; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 73. 550 HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 63; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 69; RGZ 114, 9, 13; BGH NJW 1955, 460, 463; Oertmann, S. 27, 314. 551 Siehe hierzu und zum Folgenden BGH BeckRS 2014, 15568. 546

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1. Kapitel: Die Auslegung

Mietobjekt lediglich gelegentlich, während der Zeuge B es dauerhaft bewohnte. Dabei bezog er Gas von der Klägerin, ohne mit dieser einen schriftlichen Vertrag geschlossen zu haben. Durch die Klägerin gestellte Rechnungen wurden nicht beglichen, woraufhin diese die Gasversorgung sperrte und die Beklagte als Mitmieterin auf Zahlung der Rechnungen in Anspruch nahm. Die Klage wurde zunächst mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei nicht Vertragspartei geworden552. Eine konkludente Annahme der Realofferte des Gasversorgers würde typischerweise durch denjenigen angenommen werden, der die Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübe, wodurch letztlich der Gasversorgungsvertrag geschlossen werden würde. Dies sei typischerweise der Grundstückseigentümer. Eine gegenwärtige Verfügungsgewalt begründe sich dabei jedoch nicht alleine aus dem Anspruch auf Einräumung des Besitzes an den Räumlichkeiten, in denen die Versorgungseinrichtungen befindlich sind. Weiterhin begründe sie sich auch nicht durch regelmäßige Besuche bei dem Mitmieter B im Rahmen einer Liebesbeziehung. Zudem habe die Beklagte weder einen Schlüssel für die Räumlichkeiten erhalten, noch sei sie in das Haus eingezogen. Demnach bestünde Seitens der Beklagten keine Verfügungsgewalt, weshalb sie letztendlich auch nicht Vertragspartei geworden sei. Der BGH revidierte die Entscheidung und verwies sie erneut an das Berufungsgericht. Begründet wurde dies damit, dass es gerade nicht auf die typischerweise durch die Eigentümerstellung des Grundstückeigentümers vermittelte Verfügungsgewalt, „sondern auf die hierdurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt“ 553 ankomme. Diese Verfügungsgewalt könne dem Mieter oder Pächter – entgegen der Meinung des Berufungsgerichts – gerade auch aufgrund des Mietvertrags eingeräumt werden. Für den Energieversorger spiele die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt keine Rolle, denn „bei einer am objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der Verkehrsauffassung und des Gebots von Treu und Glauben ausgerichteten Auslegung der Realofferte eines Energieversorgers geht dessen Wille […] im Zweifel dahin, den – möglicherweise erst noch zu identifizierenden – Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss zu berechtigen und zu verpflichten“ 554 . In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens sei daher grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Dieser Rechtsgrundsatz berücksichtige die normative Wirkung der Verkehrssitte, „die dem sozialtypischen Verhalten der Annahme der Versorgungsleistungen den Gehalt einer echten Willenserklärung zumisst“555. Aus Sicht eines objektiven Empfängers stelle sich 552

BGH BeckRS 2014, 15568, Rn. 6. BGH BeckRS 2014, 15568, Rn. 15. 554 BGH BeckRS 2014, 15568, Rn. 16. 555 BGH BeckRS 2014, 15568, Rn. 12. 553

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typischerweise die Bereitstellung der Energie und die Möglichkeit der Entnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar 556 . Die Beklagte sei unter Anwendung dieser Grundsätze – neben dem Zeugen B – als Empfänger der im Leistungsangebot der Klägerin liegenden Realofferte zum Abschluss eines Gaslieferungsvertrags anzusehen. Als Mieterin habe sie typischerweise die tatsächliche Sachherrschaft über die gemieteten Räume und die darin vorhandenen Versorgungsanschlüsse. Das an beide Mieter gerichtete Vertragsangebot der Klägerin sei nach dem objektiven Empfängerhorizont von beiden Mietern konkludent angenommen worden, indem der Zeuge B in dem gemieteten Einfamilienhaus Gas verbrauchte. Dieser handelte dabei sowohl im eigenen Namen als auch als Stellvertreter für die Beklagte. Selbst wenn eine ausdrückliche Erklärung entgegenstehe, beinhalte die Inanspruchnahme der angebotenen Leistung die konkludente Annahme des Angebots, da der Abnehmer wisse, dass die Lieferung für gewöhnlich nur gegen eine Gegenleistung erbracht würde. Es entspräche dabei dem Verkehrsverständnis, dass zur Vermeidung eines vertragslosen Zustands mit demjenigen ein Vertrag zustande zu bringen sei, der das gelieferte Gas entnehme. Auch wenn in diesen Ausführungen kein konkreter Verkehrskreis im Sinne einer bestimmten, abgrenzbaren Gruppe von Personen benannt wird, wird im Rahmen der Argumentation des BGH die Verkehrssitte bzw. Verkehrsauffassung und deren normative Wirkung angeführt. Vom Verkehrskreis dürfen dabei sowohl Energieversorger sowie die jeweiligen Endverbraucher umfasst sein. Dabei wird deutlich, wie umfassend ein derartiger Verkehrskreis und damit der Begriff der Verkehrssitte verstanden werden kann, da von dem hier definierten Verkehrskreis letztlich wohl jeder deutsche Haushalt umfasst wird. Im Rahmen der normativen Auslegung wird dabei die Bedeutung der Verkehrssitte ebenfalls verdeutlicht: Die generelle Auffassung der Bedeutung einer Erklärung durch einen Verkehrskreis, also der normative Maßstab der Verkehrssitte, bestimmt im Einzelfall – nach Feststellung der Zugehörigkeit der Vertragsparteien zu dem jeweiligen Verkehrskreis – den Erklärungsinhalt bzw. den Vertragsinhalt. cc) Einschränkungen der Berücksichtigung der Verkehrssitte Die Berücksichtigung der Verkehrssitte, wie im eben geschilderten Fall, stellt sich nicht ganz problemlos dar. So zeigt sich zunächst die bereits erläuterte Problematik der relevanten Verkehrssitte im Hinblick auf den Verkehrskreis der Vertragsparteien. Eine weitere Rolle spielt die Frage, inwieweit unter

556

BGH BeckRS 2014, 15568, Rn. 12.

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1. Kapitel: Die Auslegung

Berücksichtigung der Verkehrssitte das Auslegungsergebnis vom tatsächlichen Willen der Vertragsparteien abweichen darf. Die Frage nach der möglichen Abweichung des Auslegungsergebnisses vom tatsächlichen Willen der Parteien lässt sich relativ kurz beantworten. Der tatsächliche, übereinstimmende Wille der Vertragsparteien muss einer evtl. bestehenden und zu berücksichtigenden Verkehrssitte immer vorgehen557. Es würde dem Gebot von Treu und Glauben widersprechen, den Erklärungen der Vertragsparteien aufgrund der Verkehrssitte einen anderen Inhalt zuzuschreiben, als dem tatsächlich Gewollten558. Diese Aussage unterscheidet sich nicht von der, nach der aufgrund des falsa demonstratio Grundsatzes kein normatives Auslegungsergebnis dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien widersprechen darf. Davon umfasst ist freilich auch die Anwendung der Verkehrssitte559. Gleichzeitig lässt diese Aussage auch die allgemein anerkannte Schlussfolgerung zu, dass es den Vertragsparteien von vornherein möglich sein muss, eine für sie normalerweise relevante Verkehrssitte explizit auszuschließen560. Hierzu soll es auch genügen, wenn nur eine Vertragspartei die Berücksichtigung der Verkehrssitte ablehnt 561. Diese Auffassung bedarf jedoch der Erläuterung. Schließlich wird hier einer Vertragspartei eine Einflussmöglichkeit eingeräumt, der Auswirkungen auf den gegenseitigen Vertrag hat und somit auch die andere Partei betrifft. Es stellt sich die Frage nach dem Charakter dieses Widerspruchs, bzw. der Bedeutung der Verkehrssitte: Muss im Falle eines Angebots der Empfänger diesem Widerspruch zustimmen, bzw. stellt im Falle einer Annahme durch den Widersprechenden diese Annahme ein abänderndes Angebot i.S.d. § 150 BGB dar oder liegt am Ende gar ein Fall des Dissenses vor? Inwieweit kann die Berücksichtigung der Verkehrssitte also Bestandteil des Vertrags werden? Der Charakter der Verkehrssitte als normativer Maßstab ist, wie oben erläutert, umstritten562. Vor allem zeigen sich im Rahmen der normativierenden Theorie dogmatische Unstimmigkeiten. Wird diese konsequent zu Ende gedacht, muss die Verkehrssitte kenntnisunabhängig Geltung erlangen 563. Dies führt jedoch dazu, dass vom ursprünglichen Ziel der Auslegung, den Willen 557

MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 14. Flume, AT II, S. 308; Rummel, S. 77; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 69; BGHZ 23, 131, 136; BGH DB 1954, 83. 559 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 14. 560 Sonnenberger, S. 184; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 73; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 69; BGH NJW-RR 1993, 1250, 1251; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 24. 561 BGH JurionRS 1956, 13727– das Gericht verweist in der Begründung auf Oertmann, S. 192. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass sich dessen Argumentation an der betreffenden Stelle auf die Willensergänzung bezieht, die Verkehrssitte jedoch auch bei der Ermittlung des bestehenden Willens eine Rolle spielt; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 73. 562 So z.B. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 65. 563 Bamberger/Roth/Wendtland, § 157 BGB, Rn. 23; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 867. 558

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der Vertragsparteien zu ermitteln, weit abgewichen wird564. Auch die Vertreter der Vertragstheorie argumentieren nicht widerspruchsfrei. So soll die Einbeziehung der Verkehrssitte in den Vertrag durch Parteivereinbarung ausgeschlossen werden können, allerdings wird zugleich von einer kenntnisunabhängigen Geltung ausgegangen 565 . Eine dogmatisch sauberere Lösung zeigt sich, wenn die Verkehrssitte als Auslegungsmittel verstanden wird 566. Die Verkehrssitte beansprucht, ähnlich wie ein Handelsbrauch unter Kaufleuten, dann Geltung, wenn beide Vertragsparteien demselben Verkehrskreis angehören. Innerhalb dieses Verkehrskreises wird die Verkehrssitte sodann als Auslegungsmittel im Rahmen der normativen Auslegung herangezogen, da die Geltung für die Teilnehmer des Verkehrskreises erkennbar ist. Ist eine Vertragspartei nicht Teil eines Verkehrskreises, können entsprechend gültige Verkehrssitten nur dann bei der Auslegung berücksichtigt werden, wenn die Partei auf diese hingewiesen wurde567. Die Verkehrssitte hat demnach zwar normative Wirkung, die in ihrem Geltungsbereich jedoch auf den jeweiligen Verkehrskreis beschränkt ist. Diese Lösung scheint sauberer, als von einer generellen, kenntnisunabhängigen normativen Geltung auszugehen. Letztlich kann die Verkehrssitte im konkreten Fall den eigentlichen Vertrags- oder Erklärungsinhalt im Zweifel direkt bestimmen. So z.B. im kaufmännischen Geschäftsverkehr, wo das Schweigen häufig als Annahme zu werten ist568. In einem solchen Fall muss es der betroffenen Partei zustehen, die relevante Verkehrssitte auszuschließen, um zu verhindern, dass ihrem Schweigen eine ungewollte Erklärungsbedeutung zugesprochen wird. Betrifft eine Verkehrssitte jedoch beide Parteien, gestaltet sich die Interessenlage anders. Dies verdeutlicht folgender, vom BGH entschiedener Fall. Die Klägerin, Eigentümerin und Vermieterin eines Geschäftshauses, forderte die Beklagte, Mieterin des dritten Obergeschosses, auf, eine von dieser an der Außenwand des Mietobjekts angebrachte Werbereklame zu entfernen569. Die Außenmauer eines Gebäudes sei in der Stadt D. ortsüblicherweise bei der Vermietung von Geschäftsräumen nicht mitumfasst, weshalb der Mieter diese nicht ohne Einverständnis des Vermieters nutzen dürfe. Nach der Entscheidung des BGH bestimmt es sich nach der örtlichen Verkehrssitte, ob eine solche gewerbliche Nutzung einer Außenwandfläche von der Vermietung mit umfasst ist. Widerspricht der in den Parteieerklärungen zum Ausdruck gelangte Wille der Verkehrssitte jedoch unzweideutig, „ist nicht diese, sondern

564

Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 867. Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 21; Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 867. 566 Siehe hierzu und zum Folgenden Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 885 ff. 567 Hellwege, AcP 214 (2014), 853, 885. 568 Siehe oben § 2 IV. 5. b) aa). 569 BGH DB 1954, 83. 565

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1. Kapitel: Die Auslegung

der Inhalt der abgegebenen Erklärung maßgebend“ 570 . Ein entsprechender Widerspruch konnte allerdings nicht festgestellt werden. Generell muss der Widerspruch dem Empfänger klar und erkennbar geäußert worden sein 571 . Demnach muss davon ausgegangen werden, dass die gegenüberliegende Partei mit einem Ausschluss der Verkehrssitte tatsächlich auch einverstanden sein muss, da ansonsten eine abändernde Annahme der jeweilig anderen Seite vorliegen würde. Es müssen daher beide Parteien mit dem Ausschluss der Verkehrssitte einverstanden sein bzw. die gegenüberliegende Partei darf dem Ausschluss der Verkehrssitte nicht widersprechen. Schließt der Vermieter die nach der Verkehrssitte übliche Nutzung der Außenwand als Reklamefläche aus, besteht der Mieter jedoch darauf, besteht dahingehend freilich kein übereinstimmender Wille. Es bleibt letztlich zu prüfen, ob ein Dissens i.S.d. § 154 BGB vorliegt. c) Die Bedeutung der normativen Maßstäbe des § 157 BGB in der Zusammenfassung Die normativen Maßstäbe von Treu und Glauben und der Verkehrssitte zeigen vielfältige Ausprägungen im Rahmen der Vertragsauslegung. Eine rein abstrakte Anwendung erfolgt dabei nicht. Vielmehr werden im Hinblick auf den unbestimmten Begriff von Treu und Glauben einzelne durch die Rechtsprechung herausgearbeitete Auslegungsgrundsätze und Auslegungsmittel zur Auslegung herangezogen und berücksichtigt 572. Das Spektrum ist dabei denkbar breit und Treu und Glauben mehr ein Überbegriff als tatsächlicher Maßstab, an dem ein Auslegungsergebnis gemessen werden kann. Dabei gilt, dass ein Richter gerade keine Inhaltskontrolle auf Basis von Treu und Glauben durchführen darf, um so den Vertrag nach eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen anzupassen. Wenn auch ein normativer Begriff, öffnet Treu und Glauben durch verschiedene Auslegungsmittel doch das Tor für eine vergleichsweise individuelle Auslegung, indem u.a. die Interessenlage der Parteien und der beabsichtigte Zweck des Vertrags berücksichtigt wird. Der Begriff der normativen Auslegung nach § 157 BGB darf demnach nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass lediglich eine rein objektive Betrachtung des Sachverhalts stattfindet, ohne dass die individuellen Umstände und subjektive Vorstellungen berücksichtigt werden573. Die Berücksichtigung der Verkehrssitte scheint im Vergleich zu Treu und Glauben einen noch unmittelbareren Einfluss auf das Auslegungsergebnis zu haben. So wird eine Klausel im Zweifel auch im Sinne einer relevanten Verkehrssitte ausgelegt, selbst wenn die Parteien sie nicht kannten. Die jeweili570

BGH DB 1954, 83; RGZ 95, 122, Rn. 14. BGH DB 1954, 83; BGH JurionRS 1956, 13727, Rn. 18. 572 Siehe hierzu oben § 2 IV. 5. a) aa). 573 So wie es das englische Recht bis vor wenigen Jahren tat, siehe hierzu unten § 3 II. 571

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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gen Verkehrssitten gestalten sich dabei zudem deutlich konkreter. So ist im Hinblick auf einzelne wiederkehrende Klauseln deren Bedeutung klar durch einzelne Verkehrssitten bestimmt, so z.B. „wie besehen“ 574 und „für Sie vorgemerkt“575. Dabei werden die Erklärungen bzw. Vertragsklauseln im typischen Sinne verstanden und gerade nicht in ihrem individuellen Licht betrachtet. Insofern unterscheidet sich die Anwendung der Verkehrssitte von den auf Treu und Glauben basierenden Auslegungsregeln, die neben dem normativen Maßstab gerade auch individuelle Umstände berücksichtigen. Auch im Hinblick auf die Geltung unterscheidet sich die Verkehrssitte von Treu und Glauben. Während die Verkehrssitte z.T. als eine „vom Willen der Vertragschließenden gelöste[n] zwingenden Auslegungsgrundlage“ 576 angesehen wird, hängt ihre Berücksichtigung immer noch davon ab, ob die Vertragsparteien demselben Verkehrskreis angehören. Das Auslegungsergebnis muss jedoch immer dem Maßstab von Treu und Glauben gerecht werden bzw. die Erklärung muss immer unter seiner Berücksichtigung ausgelegt werden. An diesem Maßstab muss sich die Verkehrssitte freilich auch messen lassen. In der Gesamtbetrachtung der normativen Maßstäbe des § 157 BGB ergibt sich also ein differenziertes Bild. Einerseits existiert der breit gefächerte und teils normativ wirkende, teils individualisierende Maßstab von Treu und Glauben. Andererseits muss die stark normativ und typisierende Verkehrssitte berücksichtigt werden, welche sich jedoch wiederum an Treu und Glauben messen lassen muss. Zieht man einen Querschnitt durch die Rechtsprechung und damit durch die tatsächliche Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze, zeigt sich folgendes Bild: Treu und Glauben sowie die Berücksichtigung der Verkehrssitte ermöglichen im Wesentlichen die Schaffung eines interessengerechten und „fairen“ Auslegungsergebnisses, welches zugleich den normativen Maßstäben, als auch den individuellen Umständen des Vertragsschlusses gerecht wird. Es findet weder ein überzogener Formalismus im Sinne einer starren Wortlautauslegung statt, noch werden völlig fallfremde Maßstäbe und Regeln bei der Auslegung angewendet.  6. Die Auslegung formbedürftiger Rechtsgeschäfte und die Andeutungstheorie Besondere Betrachtung verdient die Auslegung formbedürftiger Verträge, da hier die Wertungsgesichtspunkte, unter denen die Auslegung erfolgen muss, im Vergleich zu den Fällen der formlosen Verträge eingeengt werden. Form-

574 Ausschluss der Haftung für Mängel, die bei ordnungsgemäßer Besichtigung erkennbar waren; BGH BB 1957, 238; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 80 575 Mögliche Auffassung als Lieferzusage; RG WarnR 1921, Nr. 86; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 87. 576 BAGE 11, 278, Rn. 10; Soergel/Wolf, § 157 BGB, Rn. 68.

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1. Kapitel: Die Auslegung

bedürftige Rechtsgeschäfte wie der Verbraucherdarlehensvertrag 577 und die Bürgschaftserklärung 578 als einseitige Verpflichtungsgeschäfte sowie der Grundstückskaufvertrag und langfristige Mietverträge als Beispiele für synallagmatische Verpflichtungsverträge 579 , weichen mit gutem Grund von dem durch die Privatautonomie gewährten Grundsatz der Formfreiheit ab580. Denn derartige Verträge ziehen, zumindest potenziell, erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich. Warn-, Beweis- und Belehrungsfunktion begründen daher die jeweils erforderliche Form, wodurch gleichzeitig die Rechtssicherheit für die beteiligten Parteien erhöht wird581. Freilich steht es den Parteien auch frei, für ihre – an sich formlosen – Verträge die Einhaltung bestimmter Formerfordernisse festzulegen582. In den Motiven heißt es, „die Notwendigkeit der Beobachtung einer Form ruft bei den Beteiligten eine geschäftsmäßige Stimmung hervor, weckt das juristische Bewusstsein, fordert zur besonnenen Überlegung heraus und gewährleistet die Ernstlichkeit der gefassten Entschließung. Die beobachtete Form ferner stellt den rechtlichen Charakter der Handlung klar, dient, gleich dem Gepräge einer Münze, als Stempel des fertigen juristischen Willens und setzt die Vollendung des Rechtsaktes außer Zweifel. Die beobachtete Form sichert endlich den Beweis des Rechtsgeschäftes seinem Bestande und Inhalte nach für alle Zeit; sie führt auch zur Verminderung oder doch zur Abkürzung und Vereinfachung der Prozesse.“583

Es eröffnet sich im Hinblick auf die Auslegung nun insofern ein Problem, als dass sich die Frage stellt, ob ein nicht im Rahmen des Dokuments zu Tage getretener Wille und außerhalb des Dokuments liegende Umstände überhaupt bei der Auslegung berücksichtigt werden dürfen. Schließlich besteht ein Konflikt zwischen den Zielen und Gründen eines Formbedürfnisses sowie einer interessengerechten Auslegung584. Einerseits soll die jeweilige Urkunde ihrer Beweisfunktion nachkommen, andererseits bedarf es gerade außerhalb der Urkunde liegender Umstände, um eine faire und interessengerechte Auslegung vornehmen zu können585. Die Rechtsprechung vertrat dazu lange Zeit die sog. Andeutungstheorie, nach der das Auslegungsergebnis bzw. der festgestellte Inhalt zumindest einen ansatzweisen, wenn auch unvollkommenen Ausdruck in der Urkunde selbst gefunden haben musste586. Wurde dahinge577

§ 492 BGB. § 766 BGB. 579 § 311b Abs. 1 BGB. 580 Wolf/Neuner, § 44, Rn. 3. 581 Siehe zur Begründung der Formbedürftigkeit ausführlich Scherer, S. 63 ff.; weiterhin ausführlich Plewe, S. 5 ff.; Bernard, S. 31 ff. 582 Wolf/Neuner, § 44, Rn. 3. 583 Motive I, S. 179; vgl. Medicus, AT, Rn. 612. 584 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 37. 585 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 37; siehe auch oben § 2 IV. 5. a). 586 BGH NJW 1996, 2792; 1987, 2437; BGHZ 80, 246, 248 m.w.N.; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 31; Medicus, AT, Rn. 328; Bamberger/Roth/Wendtland, § 133 BGB, Rn. 26. 578

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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hend früher noch teilweise die besonders strenge Ansicht vertreten, die Formbedürftigkeit schließe eine Berücksichtigung von außerhalb der Urkunde liegenden Umständen vollständig aus 587 , wurde die Andeutungstheorie jedoch später auf eine Formregel reduziert588. Demnach stellt sich die Frage der Einhaltung der Form erst nach Auslegung der Urkunde und der damit einhergehenden Ermittlung ihres Inhalts 589 . Damit ist die Problematik, ob außerhalb der Urkunde liegende Umstände bei der Auslegung überhaupt berücksichtigt werden dürfen, weitestgehend aus dem Weg geräumt, denn zur Ermittlung des tatsächlichen Willens müssen zunächst alle relevanten Umstände zu Rate gezogen werden. Erst im Anschluss daran kann die Frage gestellt werden, ob sich das Auslegungsergebnis in der Urkunde selbst andeutungsweise wiederfindet. Die Reduzierung der Andeutungstheorie zu einer Formregel tut ihrer Bedeutung für die Auslegung in der Praxis im Übrigen keinen Abbruch, bzw. macht sie nicht weniger diskussionswürdig. Die Anwendung der Andeutungstheorie, egal in welcher Form, ist seit jeher umstritten590. Dies begründet sich vor allem, wie bei der Eindeutigkeitsformel auch, durch den Widerspruch zum falsa demonstratio Grundsatz591. Stellt man ganz grundsätzlich auf den Sinn und Zweck der Formvorschriften ab (im Wesentlichen Beweis-, Hilfestellungs- und Warnfunktion 592) widerspricht die Auslegung nach einem nicht in der Urkunde in Erscheinung getretenen Inhalt gerade diesen Zwecken. Findet der falsa demonstratio Grundsatz z.B. im Rahmen eines Grundstückkaufvertrags Anwendung, in dem die Parteien das verkaufte Anwesen versehentlich mit einer Grundstücksbezeichnung, die nur einen Teil des eigentlichen Grundstücks umfasst 593, beschreiben, ist die Beweis- und Dokumentationsfunktion der notariellen Beurkundung des Kaufvertrags hinfällig. Der BGH schließt im Falle der falsa demonstratio die Notwendigkeit eines andeutungsweise in der Urkunde in Erscheinung getretenen Willens der Parteien sogar explizit aus. Es reiche aus, wenn das von den Parteien in anderem Sinne verstandene objektiv Erklärte – die versehentliche Falschbezeichnung des Kaufgegenstands – dem Formerfordernis genüge594. Grundsätzlich stehen sich in dem Fall, in dem der subjektive Wille eines Erklärenden nicht mit der objektiven Erklärungsbedeutung übereinstimmt, 587

BGH BGHZ 26, 204; WM 1957, 1222; Soergel/Hefermehl, § 125 BGB, Rn. 19. BGH NJW 1983, 672, 673. 589 BGH NJW 1983, 672, 673; 1995, 959; 1995, 1886, 1889; MüKo/Einsele, § 125 BGB, Rn. 37. 590 Siehe nur Brox, JA 1984, 549, 553; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 31 ff.; Flume, AT II, S. 334. 591 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 33; Scherer, S. 79; siehe hierzu auch im Hinblick auf das Erbrecht und konkret den Fall des Testaments Flume, NJW 1983, 2007, 2008. 592 Scherer, S. 69. 593 Siehe nur BGH NJW 2008, 1658. 594 Vgl. auch BGH BGHZ 87, 150 ff.; Brox, JA 1984, 549, 551. 588

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1. Kapitel: Die Auslegung

die Prinzipien der Privatautonomie und des Vertrauensschutzes und damit letztlich die Wertungen der Willens- und Erklärungstheorie gegenüber, auch wenn beide in der er Rechtsprechung freilich nicht explizit erwähnt werden595. Im Falle der falsa demonstratio ist ein Vertrauensschutz seitens des Erklärungsempfängers jedoch nicht nötig. Im beispielhaften Falle eines notariell beurkundeten Kaufvertrags596 steht bei einer falsa demonstratio der gemeinsame Willen der Parteien im Vordergrund, da der übrige Rechtsverkehr meist keines weiteren Schutzes bedarf. Die Parteien bedürfen ebenfalls keines Schutzes, da beide gerade übereinstimmend dasselbe wollten597. Der mit der Form für gewöhnlich verfolgte Beweiszweck ist daher ohne wesentliche Bedeutung für die Vertragsparteien598. Solange, wie erwähnt, die objektive Falschbezeichnung dem Formbedürfnis entspricht, sei die Anwendung des falsa demonstratio Grundsatzes möglich599. Der Urkunde selbst kommt dann lediglich eine Indizienwirkung zu600. Der Widerspruch zwischen Privatautonomie und Zweck der Formbedürftigkeit lässt sich dadurch zwar nicht vollständig auflösen. Dem übereinstimmenden Willen und damit der Privatautonomie Vorrang zu gewähren scheint jedoch grundsätzlich angebracht, da die Bindung an die Falscherklärung die Interessen der Vertragsparteien nur zum Teil be- oder gar völlig missachtet601. Ist der Vertragsinhalt zwischen den Parteien jedoch strittig, kommt dem Formerfordernis, insbesondere der Beweisfunktion, eine größere Bedeutung zu. Es stellt sich die Frage, ob ein durch notarielle Beurkundung geschlossener Vertrag als „in Stein gemeißelt“ zu betrachten ist, oder ob auch dort eine Auslegung entgegen dem Wortsinn unter Berücksichtigung außervertragli595

Scherer, S. 80; Wieling, Jura 1979, 524. Vorausgesetzt die Vertragsparteien haben ein entsprechendes Formerfordernis verabredet. 597 Scherer prüft ausgiebig, inwieweit die Argumentation Lüderitz’ im Bezug auf die Warn- und Schutzfunktion formbedürftiger Rechtsgeschäfte im Falle der versehentlichen Falschbezeichnung auch auf die Fälle der falsa demonstratio anwendbar ist, Scherer, S. 84 ff. Die Erläuterung scheint an dieser Stelle jedoch nicht nötig, da hier gerade der Fall übereinstimmenden gemeinsamen Falschbezeichnung betrachtet wird. Nichtsdestotrotz sei auf die ausführliche Diskussion verwiesen, die unter anderem auch auf die unterschiedlichen Funktionen eines Formerfordernisses im Hinblick auf die falsa demonstratio eingeht, siehe Scherer, S. 83 ff. 598 Wieling, Jura 1979, 524, 528; Scherer, S. 86; eine generelle Bedeutungslosigkeit des Beweiszwecks ist freilich nicht anzusehen, kann eine Beweispflicht u.U. dennoch gegenüber Dritten bestehen. 599 BGH BGHZ 87, 150. 600 Brox, JA 1984, 549, 551. 601 Freilich lässt sich das Argument anbringen, die Vertragsparteien hätten das Formerfordernis in einer solchen Konstellation auf Basis ihrer Privatautonomie freiwillig vereinbart, weshalb auch hier ein Konflikt entstehe. Allerdings steht es den Parteien gerade frei, vorherige Entscheidungen frei zu widerrufen oder abzuändern, weshalb das freiwillig vereinbarte Formerfordernis in dieser Konstellation der falsa demonstratio nicht entgegensteht. 596

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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cher Begleitumstände möglich erscheint. Die neuere Rechtsprechung verwirft auch hier die Andeutungstheorie und verneint eine engere Grenzziehung der Auslegung bei formbedürftigen Rechtsgeschäften 602. Ein Anhaltspunkt für zu berücksichtigende außervertragliche Begleitumstände innerhalb des beurkundeten Vertragstextes wird explizit nicht gefordert603. Dies ist berechtigt, auch wenn sich die Interessenlage anders darstellt als im Falle des übereinstimmenden subjektiven Willens. Eine „faire“ Auslegung würde ansonsten aufgrund des wenig überzeugenden Ansatzes der Andeutungstheorie ausgeschlossen und somit u.U. eine Partei unangemessen benachteiligt werden. Selbst im Falle zu berücksichtigender Drittinteressen, wie z.B. bei Bürgschaftsverträgen, darf nicht am buchstäblichen Sinn der Vertragsurkunde gehaftet werden604. Allerdings kann ein sich durch außervertragliche Begleitumstände ergebender Wille dann nicht berücksichtigt werden, wenn der Formzweck des Rechtsgeschäfts untergraben werden würde605. Dieses Argument überzeugt. Dritte Parteien, die keinerlei Kenntnisse der Umstände des ursprünglichen Vertragsschlusses hatten, verdienen zunächst ein gewisses Maß an Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz gilt jedoch nicht unbegrenzt. Relevante Dritte sind für gewöhnlich durch einen separaten Vertrag mit einer Vertragspartei verbunden606. Dabei obliegt es diesen beiden Parteien, das Maß der Koppelung an den relevanten Hauptvertrag eigenverantwortlich zu gestalten und somit zugleich die Risikoverteilung zu beeinflussen607. Die dritte Partei hat demnach zumindest ein gewisses Maß an Möglichkeit, eventuell bestehende Risiken hinsichtlich des Hauptvertrags auszuschließen. Aus diesem Grund ist ein vollständiger und vollumfänglicher Vertrauensschutz dritter Parteien nicht notwendig, was wiederum die Möglichkeit einer Auslegung des Ursprungsvertrags entgegen seines eigentlichen Wortlauts, trotz Formerfordernis, verständlich macht. 7. Materiale Auslegungsregeln des deutschen Rechts Auch wenn sich die Verfasser des BGB deutlich gegen die Kodifizierung allgemeiner Auslegungsregeln aussprachen, existieren neben Treu und Glauben und der Verkehrssitte in der Praxis weitere Auslegungsregeln, die Einfluss auf das Auslegungsergebnis haben können. Bevor hierauf weiter eingegangen wird, ist zunächst eine begriffliche Trennung notwendig. Die Ausle602 BGH NJW 1975, 536, 537; 1969, 131; 1983, 672; 1995, 1886, 1887; 1995, 959; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 30; Lüderitz, S. 179; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 30; so auch Bernard, S. 29. 603 Grundewald, ZGR 1995, 68, 76; Flume AT II, S. 303; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 30; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 28. 604 MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 30. 605 Lüderitz, S. 194; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 30. 606 Czarnecki, S. 159. 607 Czarnecki, S. 160.

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1. Kapitel: Die Auslegung

gungsregeln der §§ 133, 157 BGB werden gemeinhin als formale Auslegungsregeln bezeichnet, da sie das methodische Vorgehen der Auslegung beschreiben. Dem gegenüber stehen die materialen Auslegungsregeln, die u.U. Einfluss auf das Auslegungsergebnis haben können608. Dazu zählen u.a. die interpretatio contra proferentem609, die favor negotii610 und das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung611. Die meisten dieser Auslegungsregeln sind im BGB selbst nicht kodifiziert, da ihnen die Gesetzgebungskommission im Rahmen des ersten Entwurfs die Praxisrelevanz absprach612. Die Bedeutung der einzelnen Auslegungsregeln, vor allem unter dem Gesichtspunkt des möglichen Konflikts mit dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien, soll im Folgenden erläutert werden. a) In dubio contra proferentem Der Grundsatz in dubio contra proferentem findet als spezielle Auslegungsregel für AGB im Rahmen des § 305c Abs. 2 BGB Anwendung. Demnach gehen Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders613. Die Anwendung dieses Grundsatzes als generelle Auslegungsregel, auch außerhalb der AGB-Auslegung, ist jedoch umstritten614. Der Ursprung der sog. Unklarheitenregel geht auf das römische Recht zurück: ambiguitas contra stipulatorem est 615 . Als Begründung für die im Zweifel zu erfolgende Auslegung zu Lasten des stipulators wurde dessen Möglichkeit, die strittige Klausel vor vornherein deutlicher zu formulieren, aufgeführt 616. Abgesehen von dieser formellen Argumentation, wurde auch eine materielle Begründung aufgeführt. Es sei davon auszugehen, dass der stipulator mit Verwendung der strittigen Klausel im Zweifel seine Interessen und damit seinen subjektiven Willen durchsetzen wollte und eine entspre608 Wolf/Neuner, § 35, Rn. 52; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 62; Erman/Arnold, § 133 BGB, Rn. 32; Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 30; inwieweit die hier bezeichneten Auslegungsregeln tatsächlich Regeln darstellen, muss im Folgenden freilich noch untersucht werden. 609 Auch in dubio contra proferentem, in ambiguis contra stipulatorem oder einfach Unklarheitenregel, Krampe, S. 11; Wacke, JA 1981, 666; HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 116. 610 Oder ut magis valeat quam pereat, die besagt, dass eine Auslegung bevorzugt wird, bei der das Geschäft nicht unwirksam wird, HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 116. 611 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 55; BGH NJW 1993, 1976; 1978. 612 Siehe oben § 2 III. 2. a); vgl. Kosche, S. 29. 613 „Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders“, § 305c Abs. 2 BGB. 614 Siehe ausführlich hierzu Kosche, S. 154 ff.; Horler, S. 94 ff.; anders vor allem im englischen Recht, welches die Unklarheitenregel weitgehender anwendet, siehe hierzu unten § 3 II. 3. a). 615 HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 14, Fn. 76, m.w.N. 616 HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 15.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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chend formulierte Klausel im Regelfall zu Lasten der Gegenseite geht 617. Im 19. Jahrhundert fand die Unklarheitenregel weiterhin allgemeine Anwendung, wurde jedoch – wie die meisten materialen Auslegungsregeln – nicht, oder zumindest nicht ausdrücklich als allgemeine Auslegungsregel, in das BGB übernommen618. Erst im Rahmen der Schuldrechtsreform fand die Unklarheitenregel im Rahmen des § 305c Abs. 2 Einzug in das BGB619. Der Charakter der Unklarheitenregel wurde dennoch vereinzelt hinterfragt, vor allem in der Hinsicht dass sie „mithin gar keine (echte) Auslegungsregel“ 620 sei621. Vielmehr sei sie lediglich eine „Entscheidungsanweisung für den Fall, daß die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt und sich ein non liquet ergibt, weil sich der Richter über die Bedeutung einer Klausel keine abschließende Überzeugung bilden kann“ 622. Die Unklarheitenregel würde letztlich also nur das bekannte Zünglein an der Waage darstellen, das den Ausschlag hinsichtlich des einen oder des anderen Auslegungsergebnisses gibt. Auf die Findung beider möglichen Auslegungsergebnisse hätte die Unklarheitenregel daher keine Auswirkung. Die Bedeutung dieser Diskussion darf dahingestellt sein, denn tatsächliche, praktische Auswirkungen auf das letztendliche Auslegungsergebnis, ergeben sich wohl keine 623. aa) Praktische Anwendung der Unklarheitenregel Die eigentliche Anwendung der Unklarheitenregel in der Praxis gestaltet sich auf den ersten Blick kontraintuitiv. So wird bei einer unklaren Vertragsklausel von mehreren möglichen Auslegungen die kundenunfreundlichste gewählt, wenn diese im Ergebnis dann dazu führt, dass die Klausel im Rahmen 617 HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 15; Krampe, ZRG 100 (1983), 185, 209; Laut Behrends‘ Analyse ist die Unklarheitenregel allerdings nach Sabinus genau anders herum zu verstehen: „Eum, qui ’kalendis Ianuariis’ stipulatur […] si autem non addat quibus Ianuariis […] dicendum est quod Sabinus, primas kalendas Ianuaris spectandas. (Für denjenigen, der sich auf die `Kalenden [den ersten Tag] des Januars´ versprechen läßt, […] nicht aber hinzufügt, welchen Januar…muß mit Sabinus gesagt werden, daß auf die ersten Kalenden abzustellen sei.)“, Ulpian 50 ad Sabinum D 45,1,41, Behrends, in: FS Otte, S. 468. 618 Für die ausführliche Ausarbeitung der weiteren Entstehungsgeschichte der Unklarheitenregel, siehe HKK/Vogenauer, §§ 305–310 (III), Rn. 13 ff. 619 Eine kurze „Zwischenstation“ bestand in Form des § 24a Nr. 2 AGBG, welcher im Rahmen der Umsetzung der Klauselrichtlinie von 1993 eingefügt wurde, siehe HKK/ Vogenauer, §§ 30–10 BGB (III), Rn. 35. 620 Wacke, JA 1981, 666, 668. 621 Vgl. HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 36. 622 Wacke, JA 1981, 666, 668; Horler, S. 95. 623 So auch HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 36; vgl. zum Charakter der Unklarheitenregel auch HKK/Vogenauer, §§ 133, 157 BGB, Rn. 115; diese Aussage dürfte der geneigte Leser wohl über einige im Rahmen dieser Arbeit geführte Diskussionen treffen. Eine erfrischende Abwechslung bringt stets der Blick in die Rechtsprechung mit sich, die die Auslegung freilich wesentlich pragmatischer angeht.

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1. Kapitel: Die Auslegung

der Inhaltskontrolle gem. den §§ 307 ff. BGB unwirksam wird 624 . Durch diese Vorgehensweise wird in letzter Konsequenz die kundenunfreundlichste Auslegung in aller Regel zur kundenfreundlichsten625. Diese Art der Auslegung war zunächst nur im Verbandsprozess anerkannt626. Im Individualprozess herrschte lange Zeit das Prinzip der kundenfreundlichen Auslegung vor, was jedoch dazu führte, dass strittige – und für die Gegenseite ungünstige – Klauseln letztlich doch Bestand hatten. Mittlerweile hat sich die Rspr. jedoch der Forderung der Literatur627 angeschlossen und wendet auch im Individualprozess das Prinzip der kundenunfreundlichen Auslegung an, um somit im Gesamtergebnis zu einem kundenfreundlichen Ergebnis zu gelangen628. bb) Zur Frage des Anwendungsbereichs der Unklarheitenregel Durch die Normierung im Rahmen des § 305c Abs. 2 BGB ist die Anwendung der Unklarheitenregel im Falle der AGB-Auslegung unbestritten. Ob eine generelle Anwendung im Rahmen der Vertragsauslegung stattfinden darf, wird jedoch seit jeher diskutiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Unklarheitenregel stellenweise zunächst grundlegend abgelehnt oder für entbehrlich gehalten629. Das Reichsgericht stellte 1902 fest, dass die Unklarheitenregel „nur insofern maßgebend sein könnte, als sie im einzelnen Falle dem Grundsatze von Treu und Glauben nach der Auffassung des Rechtslebens gemäß § 157 [BGB] entspricht“ und somit eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben darstelle630. Im Jahre 1931 wurde die Unklarheitenregel durch das Reichsgericht als nur für AGB geltend erklärt, was von der Rechtsprechung jedoch nicht konsequent eingehalten und von der Literatur abgelehnt wurde631. Erst 1971 machte der BGH deutlich, dass die Unklarheitenregel nur im Falle der AGB-Kontrolle anzuwenden ist632. Die Literatur zeigt sich dennoch nicht in jeder Hinsicht vollends überzeugt. Einigkeit besteht zwar dahingehend, dass im deutschen Recht keine allgemeine Unklarheitenregel angewandt wird633. Dennoch wird angenommen, dass auch Indi624

BGH NJW 2009, 2051; 1998, 3119. BGH NJW 2004, 1588; 2008, 2172; Palandt/Grüneberg, § 305c BGB, Rn. 18. 626 BGH NJW 1994, 1798; 1999, 276, 277; MüKo/Basedow, § 305c BGB, Rn. 34. 627 MüKo/Basedow, § 305c BGB, Rn. 35; Erman/Roloff, § 305c BGB, Rn. 28; Palandt/Grüneberg, § 305c BGB, Rn. 18. 628 BGH NJW 2008, 987; 2008, 2172; 2009, 3716; MüKo/Basedow, § 305c BGB, Rn. 35. 629 Leonhard, AcP 120 (1922), 14, 111; Crome, System I, 409, Fn. 9; HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 30; siehe zur Entwicklung der Unklarheitenregel auch Horler, S. 94 und Krampe, S. 11 ff. 630 RGZ 53, 59, 61; HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 30. 631 RGZ 131, 343, 340; HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 31; Kosche, S. 157; siehe weiterhin zur Entstehung der Unklarheitenregel Hellwege, S. 130 ff. 632 BGH VersR 1971, 172, 173; Kosche, S. 158. 633 MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 8; Flume, AT II, S. 315. 625

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

109

vidualverträge vom Anwendungsbereich erfasst sein können. Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung, dass eine Partei „die auslegungsbedürftige Klausel formuliert oder bei ihrer Formulierung die führende Rolle gespielt hat“634. Dabei ist zudem ein gewisses Maß an struktureller Überlegenheit der stellenden Partei notwendig, da daraus die Bevorzugung der für die stellende Partei ungünstigeren Auslegungsmöglichkeit heraus begründet wird, welche die Interessen der gegenüberliegenden Partei nicht ausreichend berücksichtigt habe635. Eine grundsätzliche Anwendung der Unklarheitenregel im Rahmen von Individualvereinbarungen ist freilich nicht unproblematisch. Die größte Gefahr besteht wohl in einer möglichen Öffnung der richterlichen Befugnisse hinsichtlich einer Inhaltskontrolle von Individualverträgen, die dann de facto ermöglicht werden würde 636 . Den Gerichten stände es frei, genau wie bei AGB, unfaire Klauseln zu Gunsten der „nicht-stellenden“ Partei auszulegen637. Dies macht im AGB-Kontext zwar Sinn, da sich dort regelmäßig ungleich verhandlungsstarke Vertragsparteien gegenüberstehen638. Im Hinblick auf Individualverträge zwischen ähnlich verhandlungsstarken Parteien, also Unternehmen oder Verbrauchern untereinander, würde dies jedoch zu weit gehen. Man darf in der Regel davon ausgehen, dass es den Parteien jeweils offen steht, gegenseitig in den Vertragstext eingebrachte Klauseln zu verhandeln und gegebenenfalls abzuändern. Zudem bestünde die Gefahr, dass der Unklarheitenregel eine größere Bedeutung zugemessen wird, als sie de facto hat. Es darf nicht vergessen werden, dass mit ihr lediglich die Entscheidung zwischen zwei oder mehreren möglichen Auslegungsergebnissen erleichtert werden soll, sie also subsidiär anzuwenden ist639. Auf die Sinnermittlung im vorgelagerten Schritt darf die Unklarheitenregel ihrem Wesen nach keinen Einfluss haben. Wäre dies jedoch der Fall, bestünde die Gefahr, dass der Auslegungsprozess im Sinne der Sinnermittlung von vornherein manipuliert werden würde, indem direkt der für die die Klausel einbringende Partei ungünstigere Sinn gesucht wird640.

634

Kötz, in: FS Zeuner, S. 230. Kötz, in: FS Zeuner, S. 230; Kosche, S. 159; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 8; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 63; Köhler, AcP 182 (1982), 126, 141, 142; Paefgen, JuS 1988, 592, 595; OLGZ 1973, 229. 636 HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 32; Crome, System I, S. 409, Fn. 9. 637 HKK/Vogenauer, §§ 305–310 BGB (III), Rn. 32. 638 So z.B. im Falle von Verbraucherverträgen, § 310 Abs. 3 BGB. 639 Horler, S. 99; a.A. Hellwege, S. 515, der ein Rangverhältnis der Unklarheitenregel zu anderen Auslegungsregeln ablehnt. Dieser Meinung kann jedoch an dieser Stelle nicht gefolgt werden. Wenn die Unklarheitenregel in Fällen, in denen z.B. die Umstände ergeben, wie die strittige Klausel verstanden werden soll, nicht angewendet werden kann, ergibt sich gerade ein derartiges Rangverhältnis. 640 So auch Horler, S. 99; siehe zu den unterschiedlichen Verständnismöglichkeiten der Unklarheitenregel auch ausführlich Hellwege, S. 508 ff. 635

110

1. Kapitel: Die Auslegung

All dies verdeutlicht, wieso eine generelle Unklarheitenregel lediglich im Falle eines „Machtungleichgewichts“ zwischen den Vertragsparteien angewendet werden kann, ohne die die Klausel einbringende Partei unangemessen zu benachteiligen641. Zudem verstößt eine generelle Anwendung der Unklarheitenregel für Individualverträge gegen die im Rahmen der normativen Auslegung gebotene Auslegungssorgfalt seitens des Erklärungsempfängers 642 . Dieses Gebot der Auslegungssorgfalt wäre redundant, da sich die Gegenpartei im Zweifel einfach auf die vom Richter anzuwendende Unklarheitenregel verlassen könnte. b) Die favor negotii und das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion Nach der favor negotii Regel ist anzunehmen, „dass der Wille der vertragschließenden Parteien im Zweifel auf eine den Vertragszweck nicht gefährdende Gestaltung gerichtet ist“ 643. Zudem wird angenommen, dass die Vertragsparteien im Zweifel eine nach den Maßstäben des Rechts vernünftige Regelung treffen wollten, die sog. „Rationalitätsvermutung“ 644 . Dieser Grundgedanke, der in den §§ 2084, 2279 BGB normiert ist, findet auch für Verträge Anwendung. So wurde im Falle einer Anwalts-Hotline im Zweifel diejenige Auslegung bevorzugt, die das Zustandekommen eines Beratungsvertrags mit dem den Anruf entgegennehmenden Rechtsanwalt bejaht. Eine Auslegung dahingehend, dass der Vertragsschluss mit dem den Beratungsdienst organisierenden Unternehmen zustande kommt, wurde dagegen abgelehnt, da dies aufgrund § 134 BGB i.V.m. Art. 1 § 1 I RBerG zur Unwirksamkeit des betreffenden Vertrags geführt hätte 645. Die favor negotii Regel geht einher mit der Berücksichtigung der Interessen der Parteien646 und dem Gebot der interessengerechten Auslegung. Dies scheint angebracht: Wenn die Vertragsparteien eine vom Gesetz abweichende Regelung treffen, ist wohl davon auszugehen, dass eine strittige Regelung im Zweifel auch tatsächlich Geltung beanspruchen und gerade nicht als unwirksam erklärt werden soll. 641

Es wird bewusst auf den Begriff der „stellenden Partei“ verzichtet, da dieser Ausdruck – vor allem im Hinblick auf das CESL – im Bezug auf AGB „vorbelastet“ erscheint. Dort gelten solche Vertragsbestimmungen als „gestellt“, die nicht individuell ausgehandelt wurden. In den hier erwähnten Fällen ist der Begriff des „einbringens“ jedoch in dem Sinne zu verstehen, dass eine Partei die strittige Klausel zwar in den Vertrag eingebracht hat, aber dennoch die Möglichkeit bestand, die Klausel individuell auszuhandeln. 642 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 63; Kosche, S. 159; MüKo/Busche, § 157 BGB, Rn. 8; siehe auch oben § 2 IV. 5. a) bb). 643 BGH NJW 2003, 819, 820; siehe ausführlich zur favor negotii Regel Marsch, S. 15 ff. 644 Schmidt, S. 138; BGH NJW-RR 1989, 254, 255; BGH NJW 2004, 1240; vgl. auch NJW 1992, 243; 1994, 1537, 1538; 2009, 2443, 2444; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 55; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 63. 645 BGH NJW 2003, 819, 820; vgl. Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 55. 646 Siehe hierzu oben § 2 IV. 4. a) dd).

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

111

Zudem sollen mit der favor negotii zugleich absurde Auslegungsergebnisse vermieden werden 647 . Dabei zeigt sich erneut, dass sich die verschiedenen Auslegungsregeln und -maximen zum Teil überschneiden, bzw. den selben Zweck verfolgen648. Auch in diesem Fall soll der übereinstimmende Parteiwille geschützt werden, da gerade das Interesse, die strittige Klausel möglichst nahe an ihm auszulegen und gleichzeitig aufrechtzuerhalten, berücksichtigt wird649. Zu unterscheiden ist die favor negotii jedoch vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, nach dem eine an sich nichtige Vertragsklausel nicht auf ihren gerade noch zulässigen Inhalt reduziert werden darf, um so ihre Gültigkeit zu wahren650. So hält bspw. eine Mietvertragsklausel, die den Mieter einer renovierungsbedürftigen oder unrenovierten Wohnung zur Vornahme von Schönheitsreparaturen verpflichtet, ohne dass der Vermieter entsprechenden Ausgleich gewährt, der Inhaltskontrolle des § 307 I, S.1, II Nr. 1 BGB nicht stand. Zugleich ist eine Aufrechterhaltung oder Umgestaltung der Klauseln in der Form, dass sie sich lediglich auf die unrenovierten oder renovierungsbedürftigen Teile der Wohnung bezögen, aufgrund des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion ausgeschlossen651. Die Berufung auf die favor negotii kann hier freilich nicht helfen, da sie gerade vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion beschränkt wird652. Während bei der geltungserhaltenden Reduktion also das Verkehrsschutzinteresse im Vordergrund steht, geht bei der favor negotii jedoch der übereinstimmende Parteiwille vor. c) Das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung Weiterhin gilt das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung. Nach diesem ist davon auszugehen, dass Vertragsparteien eine widerspruchsfreie Regelung treffen wollten653. Während an anderer Stelle die Notwendigkeit der Auslegung eines widersprüchlichen Wortlautes erörtert wurde654, soll hier der praktische Umgang damit verdeutlicht werden. Die Auslegungsmaxime der wi647

Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel, CISG Art. 8, Rn. 49. Vgl. gerade das Gebot der interessengerechten Auslegung und im Folgenden die Vermeidung widersprüchlicher Auslegungsergebnisse. 649 Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schmidt-Kessel, CISG Art. 8, Rn. 49; McMeel/ Grigoleit, in: Dannemann/Vogenauer, S. 362. 650 Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 62; McMeel/Grigoleit, in: Dannemann/Vogenauer, S. 36; BGH NJW 1983; 2309; 1983, 2817; 2000, 1110, 1114. 651 BGH NJW 2015, 1594, 1598. 652 McMeel/Grigoleit, in: Dannemann/Vogenauer, S. 362; im Gegensatz dazu kennt Art. 8 CISG sogar das Gebot der geltungserhaltenden Reduktion. Dieses wird jedoch durch die jeweiligen nationalen Regelungen wieder beschränkt, Schlechtriem/Schwenzer/ Schmidt-Kessel, CISG Art. 8, Rn. 49. 653 BGH NJW 1993, 1976, 1978; 2003, 743; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 63; Staudinger/Singer, § 133 BGB, Rn. 55; Lüderitz, S. 345, wenn auch mit einem heute freilich unpassenden Beispielfall versehen. 654 Siehe oben § 2 IV. 3. d). 648

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1. Kapitel: Die Auslegung

derspruchsfreien Auslegung geht Hand in Hand mit der favor negotii und wird von den Gerichten in den meisten Fällen auch kaum von dieser abgegrenzt. Inwieweit eine derartige Abgrenzung auch sinnhaft erscheinen würde, ist fraglich. Schließlich bezieht sich die favor negotii auf die Sinnhaftigkeit einer vertraglichen Regelung bzw. des gesamten Vertragstextes und das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung auf die Vermeidung von Widersprüchen innerhalb des Vertrages, wodurch letztlich dieselben Ziele verfolgt werden. Nichtsdestotrotz können sich Fälle ergeben, in deren Rahmen sich eine Differenzierung automatisch ergibt, wie u.a. bei der Frage, ob überhaupt ein Vertrag zu Stande gekommen ist oder ob ein Dissens vorliegt. So hatte der BGH z.B. zu entscheiden, ob eine Treppenanlage als Kellerabgang vertraglich geschuldet war, wenn diese zwar in der notariell beurkundeten Baubeschreibung erwähnt, nicht jedoch in den dieser beigefügten „Grundriss-, Ansichts- und Schnittplänen“ ausgewiesen ist 655. Während das BerGer. der Ansicht war, dass gem. § 155 BGB ein Dissens aufgrund einer mehrdeutigen Offerte vorlag und somit ein Vertrag nicht zu Stande gekommen sei, verneinte der BGH den Dissens. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Anbieter eine Leistung widerspruchsfrei anbieten wolle. Es standen sich hierbei die Baubeschreibung sowie die erwähnten Pläne gegenüber. Laut BGH habe sich die Auslegung „bei Unklarheiten über nicht von vornherein in Übereinstimmung zu bringende Vertragserklärungen“ zunächst an demjenigen Teil zu orientieren, der die Leistung konkret beschreibe. Dabei käme der präzisen Leistungsbeschreibung ein höherer Stellenwert zu als den Plänen, da diese sich nicht im Detail an dem angebotenen Bauvorhaben orientieren 656 . Die Treppenanlage als Teil der Baubeschreibung ist demnach auch Vertragsbestandteil geworden. V. Zusammenfassung Betrachtet man die Vertragsauslegung im deutschen Recht in der Gesamtschau, wird deutlich, wie sich die historische Entwicklung und der Konflikt zwischen Willens- und Erklärungstheorie und damit auch zwischen Subjektivität und Objektivität auch auf das moderne Recht ausgewirkt haben. Der bestehende Dualismus zwischen empirischer und normativer Auslegung lässt sich nicht leugnen, vielmehr muss ein geeigneter Umgang damit gefunden werden. Wie gezeigt, ist vorrangig der gemeinsame Wille der Vertragsparteien zu ermitteln. Ist ein solcher nicht erkennbar, werden die Erklärungen oder ein Vertrag unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte normativ ausgelegt657. Die falsa demonstratio dient u.a. als Argument für diese explizite Berücksichtigung des subjektiven Willens der erklärenden 655 656 657

BGH NJW 2003, 743. BGH NJW 2003, 743. Czarnecki zieht den selben Schluss, siehe Czarnecki, S. 87.

§ 2 Die Auslegung im deutschen Recht

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Parteien und zugleich für das damit verbundene Konzept des Willens als vordergründigen Geltungsgrund eines Vertrags. Auch die Rechtsprechung erkennt die Ermittlung des „wirklichen Willens“ als Auslegungsziel an 658 . Die subjektive Auslegung bildet daher im deutschen Recht den Ausgangspunkt. Jedoch wird nur z.T. zwischen subjektiver und normativer Auslegung unterschieden. Vielmehr werden die §§ 133, 157 BGB gemeinsam angewendet. Die Trennung beschränkt sich im Wesentlichen auf die dogmatische Diskussion. Dem subjektiven Willen eines Erklärenden bzw. der Vertragsparteien eine solch gehobene Bedeutung beizumessen kann freilich nur soweit vertreten werden, wie dem keine berechtigten Vertrauensschutzgesichtspunkte betroffener Parteien gegenüberstehen659. In der Praxis dürfte sich aus genau diesem Grund eine – im Vergleich zur Theorie – verhältnismäßig objektive Auslegungsweise zeigen. In aller Regel steht der subjektiven Auslegung gerade der Vertrauensschutz gegenüber, während Fälle der falsa demonstratio und des erkannten Irrtums eher selten praktische Relevanz haben dürften. Zudem stellt sich die Ermittlung des subjektiven Willens einer Partei in der Praxis so gut wie unmöglich dar, weshalb lediglich eine Annäherung über objektive Umstände möglich erscheint. Auch aus diesem Grund dürfte die praktische Handhabung der Auslegung verhältnismäßig objektiv erscheinen, selbst wenn die subjektive Auslegung den Ausgangspunkt darstellt660. Beurteilt man die Vertragsauslegung im deutschen Recht anhand der hier gewonnenen Erkenntnisse, zeigt sich eine praktikable, individuell angepasste und größtenteils interessengerechte Lösungsmöglichkeit typischer Auslegungsprobleme. Der klassische Widerstreit zwischen Privatautonomie und Vertrauensschutz scheint befriedigend und dogmatisch sauber gelöst, ohne dabei die praktische Handhabung unnötig zu verkomplizieren. Die dogmatische Argumentationskette scheint zwar komplizierter, aber letztlich nachvollziehbar. Inwieweit sich das hier gezeigte Verständnis der Auslegung in das Gesamtbild neben Dissens- und Irrtumsrecht einfügt, wird an späterer Stelle erläutert 661 . Insgesamt zeigt die Vertragsauslegung im deutschen Recht jedoch verhältnismäßig stark subjektive Tendenzen.

658

Siehe hierzu nur BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003; weiterhin ausführlich unten § 5 II. 2. 659 Czarnecki, S. 87. 660 Dieses Zwischenfazit soll im Rahmen des Vergleichs mit dem englischen Recht erneut aufgegriffen und bestätigt werden, siehe hierzu unten § 4 II. 2. c); § 5. 661 Siehe hierzu unten § 6; § 7, II. 1.

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1. Kapitel: Die Auslegung

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht § 3 Die Auslegung im englischen Recht

Nachdem die Grundlagen der Auslegung im deutschen Recht erläutert wurden, soll in diesem Abschnitt das englische Recht betrachtet werden. Beide Rechtssysteme unterscheiden sich bereits in ihrer grundsätzlichen Herangehensweise, ist das englische Recht doch bekannt für seinen vergleichsweise strengen Formalismus. Ob dieser auch heute noch vorherrscht und wie einzelne, aus dem deutschen Recht bekannte Auslegungsprobleme gehandhabt werden, soll im Folgenden untersucht werden. Die folgenden Ausführungen zur Auslegung beziehen sich dabei auf schriftliche Verträge, da sich die englische Literatur kaum mit der Auslegung mündlicher Verträge befasst. Zunächst gilt es jedoch, wie im deutschen Recht auch, die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre und des Vertragsrechts zu betrachten, um bereits hier mögliche Unterschiede auf die Bedeutung des subjektiven Willens und deren Auswirkungen die Auslegung aufzuzeigen. I. Grundlagen des englischen Vertragsrechts Im Gegensatz zum deutschen Recht, das einen hohen Abstraktionsgrad aufweist, handhabt das englische Recht sein Vertragsrecht deutlich pragmatischer und verzichtet auf abstrakte Überbegriffe. So existiert z.B. kein Äquivalent zum generell abstrakten Begriff des Rechtsgeschäfts oder des einseitigen Rechtsgeschäfts, auch wenn der Begriff des juridical act bekannt ist. Dennoch existieren Rechtsinstrumente, die dem Konzept eines einseitigen Rechtsgeschäfts entsprechen, wie z.B. ein Versprechen, das in Urkundenform abgegeben wurde. Der Begriff der Willenserklärung ist dem englischen Recht ebenfalls weitestgehend unbekannt, ebenso das Konzept der verschiedenen Willensmomente662. Dennoch kommt ein Vertrag auch im englischen Recht durch Antrag und Annahme, offer und acceptance, zustande. Zunächst soll jedoch der Begriff und das Konzept des contracts genauer betrachtet werden, um eventuelle Unterschiede zwischen dem Vertragsverständnis von deutschen und englischen Recht aufzeigen zu können. Darauf folgend wird der objective test sowie die contractual intention erläutert, um das grundlegende Zustandekommen eines Vertrags auf Basis von offer und acceptance nachvollziehen zu können.

662

Art. II.-1:101 DCFR, Notes II., Rn. 9.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

115

1. Die unterschiedlichen Vertragskonzepte des englischen Rechts Schon am grundlegenden Begriff des contracts scheiden sich die Geister, existieren doch zwei wesentlich unterschiedliche Auffassungen über dessen Konzeption. Während eine Ansicht einen contract als „promise or set of promises which the law will enforce“ definiert 663 , sieht die Gegenansicht einen conctract als ein „agreement giving rise to obligations which are enforced or recognised by law“ 664 an. Die – mittlerweile wohl eher veraltete – Konzeption eines Vertrags aus einem oder mehreren promises (Versprechen) scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Selbst die Rechtsprechung sprach lange Zeit eher von agreements statt einzelner promises der Parteien665. Die Bindungswirkung eines daraus entstehenden Vertrags entstand nach diesem Verständnis nicht aus den promises selbst, sondern aus dem Element der consideration, welches auf Seite der Gegenpartei stand und das promise „unterstützte“666. Das Konzept eines contracts im Sinne eines agreements wirkt deutlich natürlicher und verständlicher. Während das Konzept der promises vor allem im Hinblick auf die Vertragsauslegung problematisch scheint, weil der Eindruck entsteht, dass sich zwei Versprechen gegenüberstehen und kein einheitlicher Vertrag entsteht, besteht dieses Problem beim Konzept des agreements nicht. Auch im Hinblick auf die Begriffe der offer und acceptance scheint ein Vertragskonzept im Sinne eines agreements deutlich schlüssiger. Im Folgenden soll der objective test, mit dem das englische Recht das Zustandekommen eines agreements und damit einhergehend eines Vertrags überprüft, beschrieben werden. 2. Der objective test des englischen Vertragsrechts Das englische Vertragsrecht ist gemeinhin für seinen objektiv geprägten Ansatz der Vertragsauslegung bekannt. Dieser soll Rechtssicherheit garantieren und hohe Transaktionskosten vermeiden 667 , frei nach dem Motto: Wie geschrieben, so vereinbart. Zudem sollen die Parteien rechtlich frei agieren können, ohne sich dabei um subjektive Absichten der gegenüberstehenden Partei sorgen zu müssen668. Sobald eine Partei durch ihr Verhalten vernünftigerweise den Eindruck erweckt hat, sie würde ein von der gegenüberstehenden Partei gemachtes Angebot annehmen – oder selbst ein bei Annahme bin-

663 Chitty/Whittaker, 1–001; Pollock (1876), S. 5; Whittaker/Riesenhuber, in: Dannemann/Vogenauer, S. 126. 664 Peel, 1–001; Chitty/Whittaker, 1–001. 665 Chitty/Whittaker, 1–002. 666 Simpson, S. 182; Whittaker/Riesenhuber, in: Dannemann/Vogenauer, S. 126. 667 Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 668; Furmston, S. 41. 668 McMeel, 2.44.

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1. Kapitel: Die Auslegung

dendes Angebot abgeben – gilt der Vertrag als zustande gekommen669. Nach der englischen Literatur ist ein „agreement […] not a mental state but an act, and, as an act, is a matter of inference from conduct. The parties are to be judged, not by what is in their minds, but by what they have said or written or done.”670

Es kommt also zunächst nicht auf die Übereinstimmung der subjektiven Willen der Parteien an, sondern auf die übereinstimmende objektive Wertung ihres Verhaltens671. Dies erinnert zwar an das normative Auslegungsprinzip des deutschen Rechts, nach dem eine Willenserklärung so auszulegen ist, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste672. Jedoch fehlt beim objective test die Berücksichtigung des subjektiven Willens im Sinne des Versuchs, zunächst den wirklichen Willen der Vertragsparteien zu erforschen. Es existiert jedoch eine Ausnahme vom Objektivitätsprinzip. Dieses gilt gerade dann nicht, wenn einer Partei bewusst war, dass das objektive Verhalten der anderen Partei nicht mit deren subjektiven Willen übereinstimmt. Das englische Recht baut vor allem auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit auf, welche beide im eben erwähnten Ausnahmefall jedoch hinfällig sind 673. Der objektive Ansatz wird im Rahmen der näheren Untersuchung der Vertragsauslegung detaillierter beschrieben674. 3. Die contractual intention Scheinbar gegensätzlich zum erläuterten objective test wirkt die vertragliche Tatbestandsvoraussetzung der contractual intention, also dem scheinbaren Äquivalent eines Rechtsbindungswillens beider Parteien. Demnach entfaltet ein Vertrag dann keine Bindungswirkung, wenn er ohne die Absicht ein Rechtsverhältnis zu begründen, geschlossen wurde 675 . Dies überrascht zunächst, kommt es doch laut objective test nur auf die objektive Bedeutung des Verhaltens der Parteien an. Allerdings ist dies nur ein scheinbarer Widerspruch. Man geht von zwei unterschiedlichen Fallgruppen aus, den implied (konkludenten) und express (ausdrücklichen) agreements. Im Falle konludenter Verträge obliegt es dem Anspruchsteller, das Vorliegen eines übereinstimmenden Rechtsbindungswillen beider Parteien zu beweisen. Liegt jedoch ein ausdrücklicher Vertrag, mündlich oder schriftlich, in einem geschäftli669

Smith v. Hughes (1871), LR 6 Q.B. 597, 607; Burrows/McKendrick, 8.05. Furmston (7. Aufl.), S. 38; Chitty/Whittaker, 1–004. 671 Britoil Plc v. Hunt Overseas Oil Inc [1994] C.L.C. 561, 578. 672 Vgl. nur Palandt/Ellenberger, § 133 BGB, Rn. 9. 673 McMeel, 3.14. 674 Siehe hierzu unten § 3 II. 1. 675 Regina v. Civil Service Appeal Board [1988] I.C.R. 649, 659, 665; Burrows/ McKendrick, 8.66. 670

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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chen Kontext vor, wird eine solche Übereinstimmung fingiert und es obliegt dem Anspruchgegner, das Gegenteil zu beweisen 676. Der Kontext spielt dabei eine entscheidende Rolle, da sog. domestic agreements, also häusliche Vereinbarungen innerhalb der Familie, von der Vermutung ausgenommen sind677. Der Rechtsprechung ist dabei bewusst, dass die Beweislast auf Seiten des Anspruchsgegners extrem schwer wiegt: „Where an agreement is reached in the course of business relations and there was an intention to agree, there is a heavy onus on the party who asserts that no legal effect was intended.”678

Die Voraussetzung einer contractual intention ist jedoch nicht völlig unstrittig. So wird z.T. eingewandt, das Konzept der contractual intention sei dem common law fremd und von kontinentaljuristischen Systemen importiert worden679. In diesen sei das Konzept eines Rechtsbindungswillens nötig, da wiederum das Konzept der consideration fehle. Das Erfordernis der consideration impliziere eine gewollte rechtliche Bindung680, weshalb eine zusätzliche, subjektive Voraussetzung nicht nötig sei. Zudem wird die contractual intention z.T. als legal fiction – Rechtsfiktion – bezeichnet681. Die Argumente dürften dabei bekannt vorkommen. Gerichte könnten sich nicht mit den subjektiven Willen der Parteien befassen, da der Vertrauensschutz der gegenüberliegenden Partei im Hinblick auf die objektive Erklärung überwiege682. Letztlich darf die Bedeutung der Diskussion um die contractual intention jedoch hinterfragt werden: Es bleibt am Ende bei einer objektiven Bewertung der Erklärungen bzw. des Verhaltens der Parteien. Oder, wie Lord Wilberforce formuliert: „When one speaks of the intention of the parties to the contract, one is speaking objectively – the parties cannot themselves give direct evidence of what their intention was – and what must be ascertained is what is to be taken as the intention which reasonable people would have had if placed in the situation of the parties.”683

Der Vertrauensschutz bleibt letztlich also gewahrt, da in keinem Fall unerkannte subjektive Wille einer Partei höhere Bedeutung erlangt, als objektive Erklärungsbedeutung. Vielmehr scheint mit der Voraussetzung common intention ein ausgleichendes Element geschaffen, welches eine

der die der an-

676 Baird Textile Holdings Ltd v. Marks & Spencer Plc [2001] EWCA Civ 274, Modahl v. British Athletics Federation [2001] EWCA Civ 1477; Burrows/McKendrick, 8.67; Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 58; Furmston, S. 147, 148. 677 Burrows/McKendrick, 8.68. 678 Edwards v. Skyways Ltd [1964] 1 WLR 349; Burrows/McKendrick, 8.67. 679 Williston, 3.5; Furmston, S. 148. 680 Furmston, S. 148. 681 McMeel, 3.11. 682 McMeel, 3.11. 683 Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 996 Hl; Whittaker/Riesenhuber, in: Dannemann/Vogenauer, S. 129.

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1. Kapitel: Die Auslegung

gemessene Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien ermöglicht. 4. Offer und acceptance Bisher unerläutert blieben die das agreement bildenden Elemente der offer und der acceptance684. Diese sollen an dieser Stelle betrachtet werden, um so bereits vereinzelte Unterschiede im Hinblick auf die Bedeutung des subjektiven Willens beim Vertragsschluss in deutschen und englischen Recht aufzeigen zu können. a) Die offer und ihre subjektiven Voraussetzungen Das englische Pendant zum deutschen Antrag oder Angebot bildet die offer. Da der Begriff der Willenserklärung im Hinblick auf einen Vertragsschluss im englischen Recht keinen ähnlich abstrakten Gegenbegriff kennt, sollen eventuelle subjektive Voraussetzungen einer wirksamen offer untersucht werden. Die offer ist, wie bereits beim objective test erwähnt, ein Ausdruck der willentlichen Bereitschaft zum Vertragsschluss zum Zeitpunkt der Annahme durch den Empfänger und zu den Konditionen, die in der offer selbst enthalten sind 685 . Die Frage, ob tatsächlich eine solche willentliche Bereitschaft vorliegt, wird rein objektiv bewertet. Wenn eine Erklärung bei deren Empfänger vernünftigerweise den Eindruck hervorruft, der Erklärende wolle sich bei Annahme des Antrags rechtlich binden, liegt eine wirksame offer vor. Dies gilt unabhängig davon, ob dies tatsächlich dem subjektiven Willen des Erklärenden entsprach686. Die Ausnahme von der vertraglichen Bindung im Falle der erkannten Abweichung des subjektiven Willens von der objektiven Erklärung durch den Empfänger gilt genauso wie im deutschen Recht 687 . Abgesehen von dieser Ausnahme kennt das englische Recht hinsichtlich der offer keine Willensmomente oder konstitutive Merkmale analog dem deutschen Recht. Einzelne Problematiken wie z.B. mistake (Irrtum) und misrepresentation (bewusste Falschdarstellung von Tatsachen) werden stets direkt in Bezug auf den bereits geschlossenen Vertrag untersucht und nicht auf offer und acceptance generell bezogen. Auch im Hinblick auf Minderjährige, Per684

Die consideration wird im Rahmen dieser Arbeit nicht einzeln betrachtet, da ihre Bedeutung im Hinblick auf den subjektiven Willen eher marginaler Natur ist. 685 „An offer is an expression of willingness to contract on the terms stated in it as soon as those terms are accepted by the party to whom the statement is made“, Burrows/McKendrick, 8.05. 686 Burrows/McKendrick, 8.05; „The defender’s words and the state of his mind are less important than the intention to be gathered from what he does [Hervorhebung durch den Verfasser], as evidenced by his attitude”, Andre et Compagnie S.A. v. Marine Transocean Ltd. (The Splendid Sun) [1981] 1 Q.B. 694, 706; Chitty/Beale, 5–068. 687 Siehe oben § 3 I. 2.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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sonen im Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit sowie Betrunkene oder unter Drogeneinfluss stehende Personen existieren Sonderregelungen, die sich jedoch ebenfalls auf einen bereits geschlossenen Vertrag beziehen und diesen u.U. nichtig werden lassen können 688. In älteren Fällen des 19.Jahrhunderts wird vereinzelt eine Übereinstimmung der subjektiven Willen der Vertragsparteien als Voraussetzung für den Vertragsschluss genannt. Diese Ansicht ist jedoch gänzlich überholt und behält heute, nach dem Prinzip des objective test, keine praktische Relevanz mehr 689. Auch das englische Recht kennt die invitatio ad offerendum in Bezug auf eine offer, bezeichnet diese jedoch als invitation to treat690. Auch die diesbezüglichen Grundsätze ähneln dem deutschen Recht, kommt es hierbei doch auf die intention zur rechtlichen Bindung des Erklärenden an691. Diese wird jedoch rein objektiv bewertet, der rein subjektive Wille des Erklärenden spielt keine Rolle. Um eine leichtere Abgrenzung zu ermöglichen, hat die englische Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, die eine invitation to treat darstellen. Dazu zählen unter anderem Auktionen 692, das Ausstellen ausgepreister Waren in einem Laden 693 sowie Zeitungsannoncen 694, im Wesentlichen also auch die aus dem deutschen Recht bekannten Fälle, in denen kein Rechtsbindungswille angenommen wird. b) Acceptance Gegenstück zur offer bildet die acceptance. Wie im deutschen Recht kann diese sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen. Zudem muss die acceptance mit der offer übereinstimmen 695 . Eine abweichende acceptance stellt wiederum eine Ablehnung des Angebots und zugleich eine neue offer dar. Die Annahme bedarf stets der – konkludenten oder ausdrücklichen – Erklärung gegenüber dem Antragenden. Die reine Übereinstimmung der subjektiven Willen bzw. die stille Annahme genügt nicht für die Begründung eines wirksamen Vertragsschlusses. Der erklärte Verzicht durch den Antragenden auf eine solche explizite Annahme ist jedoch möglich:

688

Siehe hierzu Chitty/Whittaker, 8–001 ff.; Burrows/McKendrick, 8.267 ff. Chitty/Beale, 5–070. 690 Burrows/McKendrick, 8.06; Beatson/Burrows/Cartwright, S. 33; Chitty/Treitel, 2– 007. 691 Beatson/Burrows/Cartwright, S. 33; Burrows/McKendrick, 8.06. 692 British Car Auctions Ltd v. Wright [1972] 1 WLR 1519; Sale of Goods Act 1979, S. 57 (2). 693 Pharmaceutical Society of GB v. Boots Cash Chemists Ltd [1952] 2 Q.B. 795. 694 Partridge v. Crittenden [1968] 1 WLR 1204; vgl. auch Burrows/McKendrick, 8.06. 695 Burrows/McKendrick, 8.07. 689

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1. Kapitel: Die Auslegung

„[…] and if the person making the offer, expressly or impliedly intimates in his offer that it will be sufficient to act on the proposal without communicating acceptance of it to himself, performance of the condition is a sufficient acceptance without notification.“696

Dies bedeutet jedoch nur, dass die Erfüllung der vertraglichen Schuld die ausdrückliche Annahme des Angebots ersetzt. Die Problematik des Schweigens als Annahmeerklärung ist damit noch nicht aus dem Weg geräumt. Dabei fällt jedoch auf, dass die englische Rechtsprechung diese beinahe identisch zum deutschen Recht löst. Grundsätzlich gilt auch im englischen Recht, dass Schweigen den Erklärungsempfänger nicht bindet697. Dennoch ist es in Ausnahmefällen möglich, dass auch Schweigen eine rechtsgeschäftliche Wirkung in Form einer Annahme entfaltet: „[W]here the offeree himself indicates that an offer is to be taken as accepted if he does not indicate to the contrary by an ascertainable time, he is undertaking to speak if he does not want an agreement to be concluded. I see no reason why that should not be an exceptional circumstance such that the offer can be accepted by silence.”698

Diese Ausnahmefälle bestehen z.B. wenn die Parteien eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben oder sich aus den bisherigen Geschäftsbeziehungen eine solche rechtsgeschäftliche Bedeutung des Schweigens ergibt. Besteht eine sich daraus ergebende „obligation to speak“, frei übersetzt, eine Verpflichtung zum Widerspruch gegen eine vertragliche Bindung, obliegt es dem Erklärungsempfänger, einem Vertragsschluss zu widersprechen699. Tut er dies nicht, entsteht ein wirksamer Vertrag, trotz eines evtl. widersprechenden subjektiven Willens des Erklärungsempfängers700. II. Die Auslegung im englischen Recht – die Entwicklung vom formalistischen Ansatz zur heutigen Auslegungspraxis 1. Der objective approach und die Zielsetzung der Vertragsauslegung im englischen Recht Die grundsätzlich objektive Betrachtungsweise vertraglicher Vereinbarungen und ihre Grundlage bildenden rechtsgeschäftliche Erklärungen wird auch als sog. objective approach 701 bezeichnet. Betrachtet man die Aussage Lord Hoffmanns in einem der wichtigsten Grundsatzentscheidungen betreffend die Auslegung, Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building 696 Carlill v. Carbolic Smoke Ball Co [1893] 1 Q.B. 256, 269; Beatson/ Burrows/Cartwright, S. 45. 697 Felthouse v. Bindley (1862) 11 CBNS 869; Burrows/McKendrick, 8.14. 698 Re Selectmove Ltd [1995] 1 WLR 474, 478; Beatson/Burrows/Cartwright, S. 50. 699 The Agrabele [1985] 2 Lloyd’s Rep 496, 509; Re Selectmove [1995] 1 WLR 474, 478; Burrows/McKendrick, 8.14. 700 Die dafürsprechenden Gründe sind dabei dieselben wie im deutschen Recht, siehe hierzu oben § 2 IV. 4. a) cc). 701 Peel, 6–009.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Society, scheint sich diese objektive Betrachtungsweise zunächst nicht übermäßig von der deutschen normativen Sichtweise zu unterscheiden: „Interpretation is the ascertainment of the meaning which the document would convey to a reasonable person having all the background knowledge which would reasonably have been available to the parties in the situation in which they were at the time of the contract.”702

Diese Aussage darf jedoch nicht dahingehend verstanden werden, dass das englische dem deutschen Recht im Hinblick auf die Auslegung derart ähnlich ist. Vielmehr steckt der Teufel bekanntlich in den Details703. a) Die Wortlautauslegung als Ausgangspunkt und ursprüngliche Zielsetzung des objective approach Im Folgenden soll zunächst die historische Entwicklung der englischen Vertragsauslegung erläutert werden, um gleichzeitig die Unterschiede zur heutigen Handhabung nachvollziehen zu können. Die Aussage Cozen-Hardys in Lovell and Christmas Ltd v. Wall704 verdeutlicht die lange vertretene Auffassung englischer Juristen, dass die Frage, was die Bedeutung der verwendeten Worte der Vertragsparteien, der sog. express terms, sei, das einzige Problem der Auslegung darstelle: „If there is one principle more clearly established than another in English law it is surely this: It is for the court to construe a written document. It is irrelevant and improper to ask what the parties, prior to the execution of the instrument, intended or understood. What is the meaning of the language that they have used therein? That is the problem, and the only problem. […] But unless the case can be brought within some or one of these exceptions, it is the duty of the court, which is presumed to understand the English language, to construe the document according to the ordinary grammatical meaning of the words used therein, and without reference to anything which has previously passed between the parties to it.”705

Demnach spiele der subjektive Wille der Vertragsparteien, weder im Rahmen der Vorverhandlungen noch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, irgendeine Rolle. Die Gerichte haben sich bei der Auslegung vielmehr rein mit dem Wortlaut nach dem gewöhnlichen grammatikalischen Sinn zu beschäftigen, 702 „Auslegung ist die Ermittlung der Bedeutung, die das Dokument einer vernünftigen Person mit dem gesamten Hintergrundwissen, das den Parteien vernünftigerweise zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zur Verfügung stand, vermitteln würde.“, Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building Society [1998] 1 WLR 896; früher bereits ähnlich Lord Diplock in Ashington Piggeries Ltd v. Christopher Hill Ltd [1972] AC 441, 502: „[…] the question of law for the court should be: What, if any, responsibility as tot he characteristics of the goods to be supplied under the contract would the seller reasonably understand that the buyer believed that he, the seller was accepting?”. 703 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 462. 704 [1911] 104 LT 85. 705 Lovell and Christmas Ltd v. Wall [1911] 104 LT 85, 88; McKendrick, S. 371.

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1. Kapitel: Die Auslegung

ohne insbesondere vorvertragliche Umstände oder Aussagen zwischen den Vertragsparteien zu berücksichtigen. Ergänzend dazu die Aussage in Cheshire/Fifoot/Furmston: „Agreement, however, is not a mental state but an act and, as an act, is a matter of inference from conduct. The parties are to be judged, not by what is in their minds, but by what they have said or written or done. While such must be, in some degree, the standpoint of every legal system, the common law […] lays peculiar emphasis upon external appearance […] The function of an English judge is not to seek and satisfy some elusive mental element but to ensure, as far as practical experience permits, that the reasonable expectations of honest men are not disappointed.”706

Gerade der letzte Satz verdeutlicht hierbei das besondere Augenmerk und die Zielsetzung, die das englische Recht lange Zeit verfolgte und auch heute noch grundlegend verfolgt. Es sollten die reasonable expectations of honest men nicht enttäuscht und somit der Schutz des Rechtsverkehrs sowie der Vertrauensschutz der einzelnen Parteien, ohne besondere Rücksicht auf subjektive Vorstellungen, gewahrt werden. Zwar existierten vereinzelt Aussagen, nach denen das Ziel der Auslegung sei, den übereinstimmenden Willen (die common intention) der Vertragsparteien zu bestimmen707. Diese fanden sich jedoch äußerst selten und entsprachen nicht der generell vorherrschenden Ansicht der Rechtsprechung. Vielmehr beschränkten sich die Gerichte auf die sog. four corners eines Vertrags708, im Sinne der „vier Ecken“ des Papiers, auf das der Vertrag niedergeschrieben wurde. Nur der Wortlaut des Vertrags, ohne Berücksichtigung von weiteren Begleitumständen, des Sinn und Zwecks des Vertrags oder außervertraglichen Beweismitteln, unterlag der Auslegung709. Man wird sich nun an den bereits aus dem deutschen Recht bekannten Konflikt zwischen Willens- und Erklärungstheorie erinnert fühlen. Dieser wurde im englischen Recht jedoch kaum ausgetragen 710. Vielmehr bestand seit jeher bereits die feste Meinung, nur die objektiv erkennbaren Erklärungen seien für die Auslegung maßgeblich711. Es wurde einfach angenommen, die Vertragsparteien hätten etwas so gewollt, wie sie es letztlich auch erklärt haben. Deshalb müssten ihre Worte auch so ausgelegt werden, wie sie bestehen712. Eine Diskussion über die Frage, ob die Erklärungen von einem ent706 Cheshire/Fifoot/Furmston, Eleventh Edition, S. 28; Zweigert/Kötz, Comparative Law, S. 406. 707 Marquis of Cholmondeley v. Clinton (1820) 2 Jac. & W. 1, 91; Chitty/Guest, 12– 042. 708 McKendrick, S. 376. 709 McKendrick, S. 376. 710 Zweigert/Kötz, Comparative Law, S. 406. 711 So z.B. auch Sir Jessel in Smith v. Lucas [1881] 18 Ch.D. 531, 542: „[o]ne must consider the meaning of the words used, not what one may guess to be the intention of the parties”; Chitty/Guest, 12–043. 712 Chitty/Guest, 12–043; IRC v. Raphael [1935] AC 96, 142; British Movietonews v. London and District Cinemas [1952] AC 166.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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sprechenden subjektiven Willen gedeckt seien, gab es nicht. Letztendlich stellt diese Art der Auslegung also eine Verwirklichung erklärungstheoretischer Vorstellungen in Reinform dar, auch wenn diese Diskussion – wie erwähnt – im Common Law Raum kaum geführt wurde. Aus dieser Auffassung heraus entwickelten sich auch weitestgehend heute noch gültige Auslegungsregeln, wie z.B. die parol evidence und die plain meaning rule, sowie das Verbot der Berücksichtigung der vertraglichen Vorverhandlungen. Die Bedeutung des geschriebenen Wortes wird also im vollen Umfang deutlich. Mit gutem Gewissen darf der lange Zeit verfolgte Ansatz der Vertragsauslegung im englischen Recht daher auch als formalistisch oder als literal approach bezeichnet werden713. Der Verweis von Peel, der literal approach sei seiner Bezeichnung nie völlig gerecht geworden, kann nicht überzeugen714. Schließlich verweist dieser dabei lediglich auf Fälle, die in der „ICS-Ära“715 oder später entschieden wurden und damit gerade nicht mehr in die dem englischen Recht innewohnende, „klassische“ Auslegungslehre des Formalismus fallen. b) Die parol evidence rule Um die Vollständigkeit schriftlicher Verträge zu gewährleisten, hat die englische Rechtsprechung einige bedeutsame Auslegungsregeln geschaffen, von denen die parol evidence rule für kontinentaleuropäische Juristen wohl die am überraschendste sein dürfte 716 . Laut dieser Regel, die kein Pendant im deutschen Recht kennt, dürfen bei der Auslegung eines vollständig schriftlich festgehaltenen Vertrages keine Begleitumstände berücksichtigt werden, die Vertragsklauseln ergänzen, ihre Bedeutung schmälern, sie abändern oder ihnen widersprechen 717 . Die Bezeichnung parol evidence darf dabei nicht wortwörtlich verstanden werden, da nicht nur mündliche, sondern jede Art von Begleitumständen von der Berücksichtigung zunächst ausgeschlossen sind 718 . Getrennt davon zu betrachten ist jedoch die sog. pre-contractualnegotiation bar, nach der vorvertragliche Verhandlungen bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen sind 719. Die parol evidence rule verbietet auf den ersten Blick also jegliche außervertraglichen Hinweise auf einen evtl. vom 713 So z.b. McMeel/Grigoleit, in: Dannemann/Vogenauer, S. 346; Peel, 6–011; verdeutlicht in Lovell and Christmas Ltd v. Wall (1911) 104 L.T. 85; McKendrick, S. 375. 714 Peel, 6–011. 715 Der Zeit, im Rahmen derer der Investors Compensation Scheme Ltd v. West Bromwich Building Society Fall entschieden wurde. 716 Farnsworth, in: Reimann/Zimmermann, S. 920. 717 Jacobs v. Batavia & General Plantations Trust Ltd [1924] 1 Ch. 287, 295; Rabin v. Gerson Berger Association Ltd [1986] 1 WLR 526, 531; Andrews, 12.02; Lewison, 3.11 (S. 117); Peel, 6–013; McMeel, 5.01; Farnsworth, in: Reimann/Zimmermann, S. 920. 718 Peel, 6–013; Andrews, 12.02. 719 Andrews, 12.02; siehe hierzu unten § 3 2. b) cc).

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1. Kapitel: Die Auslegung

Wortlaut abweichenden subjektiven Willen der Parteien und bestärkt zunächst die eben beschriebene Bedeutung der strengen objektiven Wortlautauslegung. Englische Juristen bekräftigen den Vorteil der Rechtssicherheit, die durch die parol evidence rule geschaffen wird, denn vom Wortlaut eines geschriebenen Vertrags darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden720. aa) Ausnahmen der parol evidence rule Freilich bedarf es vereinzelt der Möglichkeit, außervertragliche Begleitumstände im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen und dadurch von der strengen parol evidence rule abzuweichen. So sind z.B. Fälle, in denen es um die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit des Vertragsschlusses geht, von der parol evidence rule ausgenommen. Dabei geht es konkret um Fälle von Irrtum, fehlender consideration oder contractual intention, misrepresentation oder non est factum721. Jedoch sind nicht nur bei der Frage der Wirksamkeit des Vertrags, sondern auch bei der Bestimmung des Inhalts und der Vertragsparteien Ausnahmen zulässig. Enthält ein schriftlicher Vertrag keine „entire agreement clause“ oder auch „merger clause“, also eine Klausel, die versichert, dass der gesamte Vertragsinhalt im schriftlichen Dokument festgehalten ist, können außervertragliche Umstände angeführt werden, um zu beweisen, dass der Vertrag nicht die vollständige Vereinbarung zwischen den Parteien widerspiegeln soll722. Ebenfalls zulässig ist die Anführung außervertraglicher Umstände für die Bestimmung des Vertragsgegenstands bei einer Auflassung 723 . Gleiches gilt für die Bestimmung der Vertragsart, also für die Frage, ob z.B. ein Kauf- oder Mietvertrag vorliegt724. Als letzte Ausnahme gilt der bedeutende Fall der rectification, also die Berichtigung eines fehlerhaften Vertragstextes, der nicht die wahre Intention der Parteien widerspiegelt725. Bemerkenswert ist die Berücksichtigung außervertraglicher Umstände 720 Lord Hobhouse bezeichnete die parol evidence rule als „one of the main reasons for the international success of English law“, Shogun Finance Ltd v. Hudson [2003] UKHL 62; Andrews, 12.05; Peel, 6–013. 721 Andrews, 12.03; Peel, 6–015; Burrows/McKendrick, 8.86; Lewison, 3.11 (S. 120); Clever v. Kirkman (1876) 33 L.T. 672; Kleinwort Benson Ltd v. Malaysian Mining Corp [1989] 1 WLR 379, 392; Meyer v. Barnett (1863) 3 F. & F. 696 Ove Arup & Partners International Ltd v. Mirant Asia-Pacific (Hong Kong) Construction Ltd [2003] EWCA Civ 1729. 722 „[T]he parol evidence rule does not prevent evidence that the parties‘ agreement was not contained in the written document“, Walker J, HSBC Bank Plc v. 5th Avenue Partners Ltd [2008] 2 C.L.C. 770; Lewison, 3.11 (S. 120); Chitty/Guest, 12–097. 723 So ging es bspw. in Taylor v. Hamer um die Frage, ob ein Haustierfriedhof Bestandteil des Kaufs war, [2003] 1 E.G.L.R. 103; Lewison, 11.03 (S. 545). 724 Lewison, 3.11 (S. 123); Haigh v. Kaye (1872) L.R. 7 Ch. 469; Maas v. Pepper [1905] AC 102; Ali v. Khan (2002) 5 I.T.E.L.R. 232. 725 Fowler v. Fowler (1859) 4 De Gex & Jones 250.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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in letzterem Fall deshalb, weil hierbei die gemeinsame Intention der Vertragsparteien, also der übereinstimmende subjektive Wille, letztlich auch berücksichtigt wird. Denn gerade durch die außervertraglichen Umstände wird der übereinstimmende subjektive Wille bewiesen726. bb) Kritik an der parol evidence rule Die parol evidence rule muss sich, trotz aller behaupteter Vorteile im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Wahrung der Bedeutung des geschriebenen Wortes, jedoch Kritik gefallen lassen. Das Hauptproblem bei der Anwendung der Regel ist ein sich scheinbar ergebender Zirkelschluss 727 . So stellt die Law Commission 1986 fest, dass die parol evidence rule gerade einen solchen darstellt: „Rather it is a proposition of law which is no more than a circular statement: when (sic!) it is proved or admitted that the parties to a contract intended that all the express terms of their agreement should be as recorded in a particular document or documents, evidence will be inadmissible (because irrelevant) if it is tendered only for the purpose of adding to, varying, subtracting from or contradicting the express terms of that contract. We have considerable doubts whether such a proposition should properly be characterized as a ‘rule’ at all, but several leading textbook writers and judges have referred to it as a ‘rule’ […].”728

Der Ausschluss von außervertraglichen Beweismitteln sei nämlich gerade nur dann zulässig, wenn bewiesen ist (oder zugegeben wurde), dass die Vertragsparteien alle ihre ausdrücklichen Vereinbarungen im Rahmen des strittigen Dokumentes festhalten wollten. Der Zirkelschluss ist evident: Gerade um die Vollständigkeit des geschriebenen Vertrags beweisen zu können, bedarf es in aller Regel die Beachtung der außervertraglichen Umstände. Es wurde jedoch vielfach angenommen, dass, je mehr die Parteien sich anstrengten einen schriftlichen und scheinbar vollständigen Vertrag zu schaffen, dieser Vertrag tatsächlich auch eine vollständige Darstellung der Vereinbarung darstellt729. Die parol evidence rule hätte demnach dem modernen englischen Recht letztendlich lediglich eine Vermutung hinterlassen: Ein Dokument, welches wie ein Vertrag aussieht, ist wie der vollständige Vertrag zu behandeln 730. Dies stellt jedoch keinen feststehenden Rechtsgrundsatz dar, der festlegt, ob eine bestimmte Art von Beweismittel zugelassen werden soll oder nicht731. Während sich die Argumente die für die parol evidence rule sprechen zwar hören lassen, können sie die Probleme bei der praktischen Anwendung nicht 726

Siehe zur Rectification ausführlich unten § 3 II. 4. Diesen stellt auch Czarnecki fest, Czarnecki, S. 20. 728 Law Com. 154, 2.7. 729 Law Com. 154, 2.13. 730 Wedderburn, [1959] C.L.J. 58, 62. 731 Law Com. 154, 2.13. 727

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1. Kapitel: Die Auslegung

vollständig ausräumen. So wird bspw. angeführt, dass außervertragliche Beweise oder mündliche Aussagen den Auslegungsprozess und die damit verbundene Sinnermittlung verkomplizieren würden 732 . Zudem würden sich während Verhandlungen die Meinungen und Standpunkte der Vertragsparteien stark verändern, wodurch sich keine konsistente und zuverlässige Information für die Auslegung des schriftlichen Vertrags gewinnen lässt 733. Auch für dritte Parteien sei die Beachtung außervertraglicher Umstände bei der Auslegung und einer damit möglicherweise verbundenen Änderung des Vertragsinhalts problematisch. Dritte hätten sich u.U. auf den schriftlich festgehaltenen Vertragsinhalt verlassen und zugleich jedoch keine Kenntnis vom Inhalt der Vorverhandlungen gehabt, weshalb sie nicht mit einem anderen, sich evtl. daraus ergebenden Inhalt gerechnet haben können 734. Das Argument, die Beachtung außervertraglicher Umstände verkompliziere den Auslegungsprozess, kann nicht überzeugen. Wenn der Anspruch, ein möglichst simples Verfahren zu finden, über denjenigen geht, ein möglichst gerechtes und dem wirklich Gewollten nahekommendes Auslegungsergebnis zu schaffen, wird die Rechtsordnung sich selbst nicht mehr gerecht. Auch die während der Vorverhandlungen geänderten Standpunkte der Vertragsparteien sind kein Argument gegen ihre Berücksichtigung. Schließlich lässt sich so zumindest der Entstehungsprozess nachvollziehen und u.U. Rückschlüsse auf das tatsächlich Gewollte ziehen. Lediglich die Berücksichtigung von Drittinteressen scheint ein gewichtiges Argument darzustellen. Problematisch scheint neben den eben erläuterten Argumenten jedoch vor allem die Tatsache, dass bei einer fehlenden Berücksichtigung der außervertraglichen Begleitumstände zugleich der Kontext des Vertrags unberücksichtigt bleibt. Der grundsätzliche Ansatz, die Vertragsparteien dazu zu ermutigen, ihren subjektiven Willen möglichst präzise formuliert zu Papier zu bringen, um so Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden, ist freilich lobenswert. Dies durch einen grundsätzlichen Ausschluss von Begleitumständen zu erreichen, scheint jedoch über das Ziel hinausgeschossen und, wie die Law Commission feststellt, aufgrund des Zirkelschlusses auch nicht sinnvoll. Es ergibt sich letztlich dasselbe Problem wie bei der Eindeutigkeitsformel im deutschen Recht: Es muss der Umstand bewiesen werden, der wiederum weitere Beweise von der Beweisführung ausschließt735. Demnach findet eine ungebührliche und unnötige Beschränkung der Auslegungsmittel statt736. Das Gericht kann nach einer Berücksichtigung der Begleitumstände immer noch zum Ergebnis kommen, dass ein schriftlicher Vertrag vollständig ist, um sodann die Begleitumstände bei der Auslegung des Inhalts wiederum zu ver732

Andrews, 12.04. Andrews, 12.04; Prenn v. Simonds [1971] 1 WLR 1381, 1384. 734 Law Com. 154, 2.43; Andrews, 12.04. 735 Siehe hierzu oben § 2 IV. 3. a). 736 Peel 6–014. 733

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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nachlässigen. Ein unbefriedigendes Ergebnis ergibt sich dagegen, wenn das Gericht die Unvollständigkeit nicht feststellt, weil wichtige Begleitumstände nicht berücksichtigt wurden. So geht letztendlich die Rechtssicherheit zum Teil auf Kosten der Gerechtigkeit, was den englischen Richtern z.T. auch deutlich bewusst ist 737. So z.B. Lord Hobhouse: „This rule is one of the main reasons for the international success of English law in preference to laxer systems which do not provide the same certainity.”738

Inwieweit die parol evidence rule auch heute in der praktischen Anwendung noch eine Rolle spielt, wird an späterer Stelle genauer untersucht. Bereits hier wird jedoch die Grundausrichtung und die Zielsetzung der Auslegung deutlich: Die Rechtssicherheit steht über beinahe jedem anderen Grundsatz. Der subjektive Wille der Vertragsparteien steht deutlich dahinter, bzw. wird von den Gerichten in den meisten Fällen einfach nicht erforscht. Lediglich der sich in den objektiven Erklärungen bzw. dem Vertragstext manifestierende Wille spielt eine Rolle739. c) Die plain meaning rule Eine Ergänzung zu der parol evidence rule stellt die sog. plain meaning rule dar, die jedoch nicht durchgängig von der Rechtsprechung und Literatur explizit so bezeichnet wird 740 . Nach dieser ist ein Vertrag rein nach seinem abstrakten Wortlaut und, damit verbunden, nach der gewöhnlichen, objektiven Bedeutung der Worte auszulegen 741 . Im Gegensatz zur parol evidence rule schließt die plain meaning rule damit zunächst nicht die Berücksichtigung von Begleitumständen aus, sondern rückt den Fokus auf die Wortlautauslegung „an sich“. Einem Gericht steht es jedoch frei, die Berücksichtigung von Begleitumständen dennoch auszuschließen, nämlich dann, wenn es der Meinung ist, dass der vollständig schriftlich festgehaltene Vertrag dem Wortlaut nach unstrittig ist und es somit einer Berücksichtigung außervertraglicher Umstände nicht bedarf742. Dabei entsteht, wie bei der parol evidence rule auch, nahezu unweigerlich eine gewisse Assoziation zu der Ein737

„On occasions this rule may lead to the actual intention of the parties being defeated but the rule is applied to ensure certainty in legal affair”, AIB Group Plc v. Martin [2002] 1 WLR 94, 96; Peel, 6–015. 738 Shogun Finance Ltd v. Hudson [2004] 1 AC 919, 944; Lewison, 3.11 (S. 118). 739 Furmston, S. 163. 740 Was im Hinblick auf zahlreiche Auslegungsregeln im englischen Recht zutrifft. Einheitliche Meinungen z.B. zur parol evidence rule, geschweige denn eine einheitliche Linie zu ihrer Anwendung zu finden, scheint kaum möglich. Dies ist freilich dem Common Law System geschuldet, da sich selbst die Rechtsprechung z.T. deutlich widerspricht. Häufig ist auch die Grundaussage verschiedener Regeln kaum voneinander zu unterscheiden, wie sich an dieser Stelle noch zeigen wird. 741 Lewison, 5.02 (S. 211). 742 Farnsworth, in: Reimann/Zimmermann, S. 921.

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1. Kapitel: Die Auslegung

deutigkeitsformel. Die unterschiedlichen Aussagen der Regeln dürfen jedoch nicht verwechselt werden. Sowohl plain meaning rule als auch parol evidence rule reduzieren im Wesentlichen die Auslegungsmittel auf den Wortlaut des Vertrags, wohingegen die Eindeutigkeitsformel, im Falle eines eindeutigen Wortlauts, bereits die Auslegung an sich ausschließen möchte. Lord Hoffmann begründete in ICS v. West Bromwich Building Society das Festhalten an der strengen Wortlautauslegung damit, dass die Rechtsprechung nicht leichtfertig davon ausgeht, dass den Vertragsparteien in formalen Dokumenten sprachliche Fehler unterlaufen 743 . Es wird dabei zunächst davon ausgegangen, dass Wörter grundsätzlich eine oder mehrere „gewöhnliche“ Bedeutungen haben744. Entsprechend dieser Bedeutungen werden die strittigen Wörter oder Klauseln zunächst ausgelegt. In Ausnahmefällen ist es laut Rechtsprechung jedoch möglich, vom gewöhnlichen Wortlaut abzuweichen. Nämlich u.a. dann, wenn ein den Wörtern eine andere Bedeutung zuschreibender Handelsbrauch o.ä. existiert. Oder aber auch dann, wenn der Kontext offensichtlich darauf hindeutet, dass die Wörter von den Vertragsparteien anders verstanden wurden und dieses Verständnis notwendig ist, um den gemeinsamen Willen der Parteien verwirklichen zu können oder die Parteien einem bestimmten Verkehrskreis angehören 745 . Dies scheint nun widersprüchlich zu dem vorher Gesagten, allerdings nur auf den ersten Blick. Vielmehr zeigte die Rechtsprechung bereits früh immer wieder vereinzelt eine Tendenz dazu, die gemeinsamen Intentionen der Parteien im Hinblick auf den Wortlaut zu berücksichtigen746, selbst wenn ein Großteil der Rechtsprechung dies ablehnte. Eine wirklich eindeutige Linie in der Rechtsprechung zu finden gestaltet sich schwierig, jedoch überwiegt die Zahl der Fälle, in denen auf den gewöhnlichen Wortlaut abgestellt wird, ohne die Intention der Parteien zu be743 „The “rule” that words should be given their “natural and ordinary meaning” reflects the commonsense proposition that we do not easily accept that people have made linguistic mistakes, particularly in formal documents”, ICS v. West Bromwich Building Society [1998] 1 WLR 896; Lewison 5.02 (S. 211). 744 „Words in a language have one or more ordinary meaning, which will be known to anyone who speaks that language“, Shogun Finance Ltd v. Hudson [2004] 1 AC 919; Lewison, 5.02 (S. 215). 745 „[…] unless they [the terms] have generally in respect to the subject matter, as by the known usage of a trade, or the like, acquired a peculiar sense of the same words; or unless the context evidently points out that they must in the particular instance, and in order to effectuate the intention of the parties to that contract, be understood in some other special and peculiar sense.”, Robertson v. French (1803) 4 East. 130, 135; Lewison, 5.02 (S. 212); Mallan v. May [1844] 12 M&W 511, 517; Royal Greek Govt. v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525, 528. 746 So z.b. gerade in Robertson v. French (1803) 4 East; im Falle eines schlecht geschrieben Vetrags ist ein Abweichen vom Wortlaut und eine Berücksichtigung der objektiven (!) Interessen der Vertragsparteien ebenfalls möglich, siehe auch Scotish Widows Fund and Life Assurance Society v. BGC International [2012] EWCA Civ 607.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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achten, wohl deutlich747. Fälle, in denen der Wortlaut die Intention der Parteien nicht richtig wiedergibt und daher korrigiert werden muss, fallen zudem in aller Regel unter die rectification und nicht unter die „klassische“ Auslegung 748 . Die plain meaning rule verdeutlicht im Wesentlichen erneut die enorme Bedeutung des geschriebenen Wortes. Es findet keine Erforschung des subjektiven Willens der Parteien statt. Vielmehr wird dies in aller Regel nicht einmal als in irgendeiner Form zu verfolgendes Ziel, parallel zu § 133 BGB, angesehen. Selbst bei der Testamentsauslegung geht der Wortlaut einem möglicherweise abweichenden subjektiven Willen vor, was den deutschen Leser überraschen wird749. Als Beispiel für die strenge Wortlautauslegung dient ein Fall aus dem Jahr 1949750. Der englische Transportminister schloss einen Chartervertrag mit der griechischen Regierung, die als Reeder auftrat. In Klausel 11A des Chartervertrags wurde festgelegt, dass u.a. im Falle einer „deficiency of men“ 751 , sollte dies zu einer Behinderung oder einer Störung der Funktionalität des Schiffs führen und diese Störung länger als 24 zusammenhängende Stunden bestehen, keine Miete für die Zeit, während der das Schiff den gewünschten Dienst nicht unmittelbar verrichten kann, bezahlt werden muss752. Klausel 34, die als Ergänzung zu Klausel 11A eingefügt wurde, hielt zudem u.a. fest, dass im Falle eines Zeitverlustes, der alleine auf dem Unvermögen beruht eine Crew zu finden oder zu vervollständigen, eine vollständige Miete für die ersten 72 Stunden eines solchen Zeitverlustes bezahlt werden soll 753 . Am 16.12.1943, während das Schiff vermietet war, weigerte sich die Besatzung ohne Eskorte loszusegeln, bis sie schließlich am 23.12.1943 dennoch in See stach. Die Besatzung war zu jedem Zeitpunkt vollzählig, weigerte sich jedoch 747

So auch Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung II, S. 105. Andrews, 14.25; Peel, 8–059 ff.; der moderne Ansatz der Vertragsauslegung erlaubt jedoch auch die sog. „reconstitutive interpretation“, also Auslegung, die einen gewissen Spielraum für die Abänderung des Wortlautes erlaubt, um so Fehler im Rahmen des schriftlichen Vertrags – ohne das Rechtsmittel der rectification – korrigieren zu können, siehe dazu ausführlich unten § 3 II. 2. b) ee) und Andrews, 14.21. 749 National Society v. Scottish National Society [1915] AC 207; Re Gale [1914] 1 Ch. 209; Zweigert/Kötz, S. 104. 750 Siehe hierzu und zum Folgenden Royal Greek Government v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525. 751 Frei übersetzt, einem Ausfall oder Minderbesetzung der Crew. 752 „In the event of dry docking or other necessary measures to maintain the efficiency of the vessel, deficiency of men or owners' stores breakdown of machinery, damage to hull or other accident, either hindering or preventing the working of the vessel and continuing for more than twenty-four consecutive hours, no hire to be paid in respect of any time lost thereby during the period in which the vessel is unable to perform the service immediately required”, Royal Greek Government v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525. 753 „Notwithstanding the provisions of cl. 11A, it is agreed that in the event of loss of time due solely to inability to get or to complete a crew – (a) full hire will be paid for the first seventy-two hours of such loss of time […]”, Royal Greek Government v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525, 526. 748

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1. Kapitel: Die Auslegung

zu arbeiten, weshalb das gemietete Schiff nicht im Stande war, die geforderte Leistung zu erbringen. Die Verzögerung betrug insgesamt sechs Tage, sieben Stunden und 38 Minuten. Die Reeder forderten die volle Bezahlung, was die Schiffsmieter jedoch verweigerten. Die Sache wurde zunächst vor einem Schiedsgericht verhandelt, wobei der Schiedsrichter im Sinne der Reeder entschied. Es habe zu keinem maßgeblichen Zeitpunkt eine „deficiency of men“ oder ein „other accident“ im Sinne der Klausel 11A bestanden. Zudem war der Mieter weder durch Klausel 11A oder Klausel 34 des Vertrags von der Bezahlung der Miete freigestellt. Der High Court bestätigte den Schiedsspruch, wogegen der Mieter Berufung einlegte. Der Court of Appeal schloss sich der Meinung des High Court jedoch an. Bucknill LJ verwies dabei zunächst auf das Wörterbuch, wonach dem Wort „deficiency“ eine Vielzahl von Bedeutungen zukäme. Es stelle sich jedoch die Frage, welche Bedeutung dem Wort in diesem Chartervertrag zugesprochen werden sollte. Er zitierte dabei eine Lehrbuchmeinung, wonach eine Auslegung von Charterverträgen nicht unnötig streng, aber in Bezug auf den Kontext und den Vertragsgegenstand möglichst so zu erfolgen habe, dass der offensichtlichen und ausdrücklichen Absicht der Vertragsparteien Rechnung getragen werde. Sie seien nach ihrem Sinn und ihrer Bedeutung aus dem Wortlaut heraus auszulegen und im eindeutigen, gewöhnlichen und gängigem Sinn zu verstehen754. Zudem müssen sie in einem geschäftlichen und pragmatischen Sinn verstanden werden. Laut Bucknill LJ bedeute „deficiency of men“ einfach „deficiency of men“, also schlicht eine Minderbesetzung der Crew und nicht „deficiency of willingness in men to work“, also fehlender Arbeitswille der Besatzung. Die Besatzung wäre vollzählig gewesen, was die Reeder auch vertraglich geschuldet und somit auch geleistet hätten. Sie hätten also jederzeit arbeiten können, weshalb laut Bucknill LJ der Sachverhalt nicht unter die Klausel „deficiency of men“ falle. Das Urteil dürfte den deutschen Rechtsanwender leicht verwirren, vor allem nachdem Bucknill LJ am Ende seines Urteils erneut betonte, dass sich die volle Besatzung an Bord befand und sich die Verzögerung – und der daraus resultierende Verlust – lediglich aus deren Widerwillen zu arbeiten heraus entstand. Die Intention des Mieters bestand – offensichtlich – gerade darin, ein jederzeit voll seetüchtiges Schiff zu mieten, wozu eine vollständige und arbeitswillige Besatzung zählt. Ist letzteres Merkmal nicht erfüllt, ist die Seetüchtigkeit auch nicht gegeben. Sich im Hinblick auf die strittige Klausel rein auf die nummerische Vollständigkeit der Crew zu berufen 755, scheint ein Schlag ins Gesicht des Mieters. Die geforderte Berücksichtigung der offensichtlichen Intention der Parteien ist damit wohl gerade nicht gegeben. Auch 754

Royal Greek Government v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525, 528. So auch Cohen L.J.: „I agree with the learned judge that in the context in which it appears in this charter-party "deficiency" means numerical insufficiency”, Royal Greek Government v. Minister of Transport [1949] 1 K.B. 525, 530. 755

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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das geforderte geschäftliche und pragmatische Verständnis scheint nicht gegeben. Vielmehr erfolgt eine strenge Wortlautauslegung nach Wörterbuchsinn, was im Endeffekt zu einem unbefriedigenden Auslegungsergebnis führt. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die übrigen Bestandteile der strittigen Klausel. Ein Berufen auf die Tatsache, dass der Reeder nicht die Arbeitswilligkeit garantieren konnte oder wollte, scheint vor dem Hintergrund, dass auch verschiedene Arten von Unfällen zu einem Erlöschen der Zahlungsverpflichtung geführt hätten, nicht überzeugend. Das englische Recht verfolgt von seiner Grundauffassung her also deutlich objektivere Auffassung der Auslegung und hält sich zunächst strikt an den Wortlaut schriftlicher Erklärungen bzw. Verträge. Der subjektive Parteiwille spielt zunächst scheinbar keine bedeutende Rolle bei der Auslegung. 2. Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building Society als Wendepunkt der englischen Vertragsauslegung Der 1997 entschiedene Fall der Investors Compensation Scheme v. West Bromwich Building Society756 gilt als einer der bedeutendsten Fälle des modernen englischen Vertragsrechts und zugleich als „Wendepunkt“ im Hinblick auf die Vertragsauslegung. Lord Hoffmann beschrieb in seinem Urteil die sog. five principles, die die wesentlichsten und heute wichtigsten Auslegungsregeln darstellen. Jedoch stellt ICS v. WBBS keinen Wendepunkt im Sinne einer radikalen Abkehr von der bisherigen Auslegungslehre und zugleich einer völligen Neuorientierung dar. Vielmehr werden die five principles als „Schwerpunktverlagerung“ der Auslegung verstanden 757. Lord Hoffmann verdeutlichte dies einige Jahre später im Fall Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd 758 , in dem er ausführte, dass in seiner Aussage wenig grundsätzliches stecke, was nicht auch schon in früheren Urteilen gefunden werden könne759. Aus diesem Grund werden die five principles auch als Lord Hoffmann’s restatement, also Neuformulierung, bezeichnet 760 . Diese Bezeichnung scheint auch angemessen, betrachtet man die vorhergehende Rechtsprechung. In ICS v. WBBS verweist Lord Hoffmann selbst mehrmals auf Lord Wilberforces Urteil in Prenn v. Simmonds 761 und Reardon Smith Line v. Yngvar Hansen-Tangen 762 , welcher dort z.B. bereits die in ICS v. 756

[1998] 1 WLR 896; Der Fall wird im Folgenden als ICS v. WBBS abgekürzt. McMeel, in: Burrows/Peel, S. 29; Bingham, (2008) 12 Edin L.R. 374, 376. 758 [2009] AC 1101; Lewison, 1.02 (S. 4). 759 […] there was little in that staement of principle which could not be found in earlier authorities“, Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267; die Aussage Frickes, dass Lord Hoffmann die five principles „entwickelt“ habe, ist demnach nicht vollends korrekt, Fricke, S. 148. 760 Peel, 6–007; Lewison, 1.02 (S. 3); McKendrick, S. 377. 761 [1971] 1 WLR 1381. 762 [1976] 1 WLR 989. 757

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1. Kapitel: Die Auslegung

WBBS erwähnte matrix of fact bei der Auslegung heranzog. Nichtsdestotrotz gilt ICS v. WBBS als wegweisendes Urteil, da die dort beschriebenen Auslegungsprinzipien in derartiger Form bisher nicht zusammengefasst und erläutert wurden. Im Folgenden soll der Fall dargestellt und die einzelnen Auslegungsprinzipien beschrieben werden, um so letztlich die Grundlagen der Auslegung im heutigen englischen Recht erläutern zu können. a) Der Sachverhalt Der ICS wurde mit dem Ziel gegründet, einen Kompensationsfonds für Investoren zu schaffen 763 . Die Investoren übertrugen ihre Ansprüche gegenüber Dritte an den ICS, welcher im Gegenzug eine Kompensationszahlung leistete und die an ihn übertragenen Ansprüche geltend machte. Im Zuge eines erheblichen monetären Verlustes mehrerer Hauseigentümer, welche ihre Ansprüche gegen einen Finanzberater sowie die WBBS abtreten wollten, entwarf der ICS eine Forderungsabtretung. Diese enthielt u.a. folgende Ausnahmeklausel 3(b): „I.C.S. agrees that the following claims shall not be treated as a „third party claim“ (as defined in section 4 of this form) for the purposes of this agreement and that the benefits of such claim shall enure to you absolutely: Any claim (whether sounding in rescission for undue influence or otherwise) that you have or may have against the [W.B.B.S.] in which you claim an abatement of sums which you would otherwise have to pay to that society in respect of sums borrowed by you from that society in connection with the transaction and dealings giving rise to the claim (including interest on any such sums).”764

Der ICS machte daraufhin die an ihn abgetretenen Ansprüche geltend. Die WBBS vertrat jedoch den Standpunkt, dass Klausel 3(b) den ICS dazu nicht ermächtigen würde. Es stellte sich die Frage, ob die Investoren oder der ICS gegen die WBBS Ansprüche geltend machen konnten, was letztlich auf die Auslegung der Klausel 3(b) hinauslief. Lord Hoffmann entschied, dass die Hauseigentümer die Schadens- und Kompensationsansprüche wirksam an den ICS übertragen hatten, weshalb auch nur dieser entsprechende Ansprüche geltend machen konnte. Die Klausel „Any claim (whether sounding in rescission for undue influence or otherwise“ wurde dabei uminterpretiert und lautete nach Evans-Lombe J., der in der vorhergehenden Instanz für den Court of Appeal sprach, „Any claim sounding in rescission (whether for undue influence or otherwise)“765. Als Begründung für diese Uminterpretation nannte Evans-Lombe J. die Tatsache, dass die Klausel 3(b) in ihrer ursprünglichen Form zu einem „lächerlichen wirtschaftlichen Ergebnis führen würde, wel-

763 764 765

Siehe hierzu und zum Folgenden ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896 ff. ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 916. ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 918; McKendrick, S. 375.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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ches die Parteien höchstwahrscheinlich nicht gewollt hätten“ 766. Lord Hoffmann bestätigte diese Interpretation und stellte fest, dass die Wortlautauslegung der strittigen Klausel dazu geführt hätte, dass alle Ansprüche gegenüber der WBBS von der Ausnahme umfasst gewesen, damit nicht an ICS abgetreten und somit bei den Investoren verblieben wären767. Es wurde letztlich also eine Auslegung vorgenommen, die nicht der natürlichen Bedeutung des Wortlautes der Klausel entspricht768. b) Die Five Principles als Grundlage der modernen Vertragsauslegung Vor der ausführlichen Begründung seiner Entscheidung eröffnete Lord Hoffmann seine Darlegungen mit einigen, wie er es bezeichnete, „allgemeinen Ausführungen über die Grundsätze, nach denen Vertragsdokumente heutzutage ausgelegt werden“ 769. Die darauf folgend erörterten Grundsätze bilden die bereits erwähnten five principles, die an dieser Stelle, analog der Betrachtung der theoretischen Auslegungsprinzipien und -regeln im deutschen Recht, erläutert werden sollen. aa) Die objektive Auslegung aus Sicht einer „reasonable person“ Das erste Prinzip verdeutlicht die grundsätzliche Sichtweise, aus der die Auslegung erfolgen soll: „(1) Interpretation is the ascertainment of the meaning which the document would convey to a reasonable person having all the background knowledge which would reasonably have been available to the parties in the situation in which they were at the time of the contract.”770

Die Auslegung als Bestimmung des Sinns eines Vertragsdokuments erfolgt demnach aus Sicht einer vernünftigen Person, die das gesamte Hintergrundwissen, welches den Parteien in der Situation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vernünftigerweise zur Verfügung stand, verfügt. Damit beschreibt Lord Hoffmann die grundlegende Auslegungsphilosophie des englischen Rechts wie sie seit jeher angewendet wird: Es kommt zunächst alleine auf die objektive Bedeutung der Worte an, ohne dass der subjektive Wille der Ver-

766

„[…] the wider construction of “any claim“ and “abatement“ led to a „ridiculous commercial result which the parties to the claim forms were quite unlikely to have intended“, ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. 767 Vgl. Czarnecki, S. 24. 768 Czarnecki, S. 27; Siehe für eine ausführlichere Beschreibung des Falles auch Czarnecki, S. 22 ff. 769 „But I think I should preface my explanation of my reasons with some general remarks about the principles by which contractual documents are nowadays construed”, ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. 770 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912.

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1. Kapitel: Die Auslegung

tragsparteien zu erforschen ist oder berücksichtigt wird771. Betrachtet man die weitere Rechtsprechung, wird die Berücksichtigung des subjektiven Willens sogar explizit abgelehnt 772 . Lewison beschreibt die Rückbesinnung auf die Bedeutung des Wortlautes, anstatt auf die vom Erklärenden gewollte Bedeutung, als Abkehr von der traditionellen Formulierung des Auslegungsziels, nämlich die Ermittlung des mutmaßlichen Willens der Vertragsparteien 773 . Tatsächlich liegt jedoch keine Abkehr von einem solchen Auslegungsziel vor. Die englischen Gerichte verfolgten zwar stellenweise ein entsprechendes Auslegungsziel. Allerdings entsprach dies nicht der überwiegenden Ansicht der Rechtsprechung. Lord Steyn beschrieb das Ziel der Auslegung in Deutsche Genossenschaftsbank v. Burnhope zwei Jahre vor ICS v. WBBS und verdeutlichte damit die wohl überwiegende Auffassung der modernen Rechtsprechung: „It is true the objective of the construction of a contract is to give effect to the intention of the parties. But our law of construction is based on an objective theory. The methodology is not to probe the real intentions of the parties but to ascertain the contextual meaning of the relevant contractual language. Intention is determined by reference to expressed rather than actual intention.”774

Die Aussage Lord Steyns steht freilich nicht im Widerspruch zur Aussage Lord Hoffmanns. Letzterer hat in seinen five principles zwar nicht explizit die Ermittlung des mutmaßlichen Willens gefordert, macht aber dennoch dessen Bedeutung deutlich. So betont er im fünften principle explizit, „the law does not require judges to attribute to the parties an intention which they plainly could not have had”775. Somit muss letztlich also auf den mutmaßlichen Willen abgestellt werden, da ansonsten schon die Frage, ob die Parteien diesen Willen gehabt hätten, nicht beantwortet werden kann. Zudem lässt sich einwenden, dass sich der mutmaßliche Wille schlüssig aus der objektiven Beurteilung des Vertragstextes ergeben kann, ohne dass man einen solchen explizit ermittelt und dies als Auslegungsziel festschreibt. Wird der Sinn eines Vertragstextes aus Sicht einer vernünftigen Person ermittelt, stellt dies gerade zugleich den mutmaßlichen Willen dar. Eine abweichende Konstellation scheint schwer vorstellbar. Zunächst bleibt Lord Hoffmann mit seinem ersten principle demnach im Wesentlichen der klassischen Auslegungslehre des englischen Rechts treu. Die deutlichere Abkehr von ihr zeigt sich jedoch im 771

Vgl. Lewison, 1.03 (S. 7). Czarnecki, S. 9; So z.B. Lord Bingham of Cornhill: “To ascertain the parties’ intentions the court does not of course inquire into the parties' subjective states of mind but makes an objective judgment based on the materials already identified.”, Bank of Credit and Commerce International SA v. Ali and Others [2002] 1 AC 251, 259; Chartbrook Ltd. v. Persimmon Homes Ltd. [2009] 3 WLR 267, 277. 773 Lewison, 1.03 (S. 7). 774 Deutsche Genossenschaftsbank v. Burnhope [1995] 1 WLR 1580, 1587. 775 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. 772

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Zusatz „having all the background knowledge which would reasonably have been available to the parties in the situation in which they were at the time of the contract“ 776 . Die Berücksichtigung des „background knowledge”, bzw. eine derart klare Formulierung einer solchen, stellt insofern ein Novum dar, als dieses, wie oben beschrieben, bei der Auslegung lange Zeit keine Berücksichtigung fand. Freilich stellt sich die Frage, was unter der Sichtweise einer reasonable person zu verstehen ist. Zugleich werden durch den Begriff der reasonableness bzw. der Vernunft und der Auslegung aus Sicht einer vernünftigen Person Assoziationen zum deutschen Maßstab von Treu und Glauben geweckt. Tatsächlich kennt das englische Recht letzteren Maßstab in der konkreten 777 Form nicht, sondern verweist in aller Regel auf das Kriterium der reasonableness778. Ähnlich wie im deutschen Recht ist der Begriff per se jedoch relativ inhaltsleer. Vielmehr zeigen sich auch hier im Hinblick auf die Auslegung unterschiedliche Ausprägungen des Maßstabs. So formulierte z.B. Lewison eine auch von der Rechtsprechung anerkannte Aussage zur reasonableness of the result: „The reasonableness of the result of any particular construction is a relevant consideration in choosing between rival constructions“ 779. Betrachtet man die Rechtsprechung, werden die Parallelen beider Begriffe deutlicher. So z.B. bereits früh in Tillmanns & Co v. S.S. Knutsford Ltd: „In a mercantile document or a statute there is a presumption that business men do not intend to do anything absurd, which is some slight guide.”780 Eine solche Formulierung erinnert an die Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien sowie das Gebot der widerspruchsfreien Auslegung im deutschen Recht. Noch deutlicher wird die Bedeutung der reasonableness durch die Aussage Gibson LJs: „It is always permissible to test whether words have a given meaning by considering whether they produce an unreasonable result if they have that meaning. The more unreasonable the result, the less likely it is that the parties intended the words to have that meaning.”781

Demnach muss bei einer zweideutigen Klausel diejenige Auslegung gewählt werden, die mehr reasonable, also vernünftiger ist. An der Objektivität des Maßstabs ändert diese Aussage nichts. Vor allem darf „the less likely it is 776

ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. Im deutschen Recht ist der Maßstab von Treu und Glauben relativ weit davon entfernt, konkret zu sein. Gemeint ist hierbei vielmehr die Tatsache, dass der Maßstab ausdrücklich formuliert und in den §§ 242, 157 BGB normiert ist. 778 Grobecker, S. 52; siehe dort auch die umfassende Auflistung der Stellen im englischen Vertragsrecht, an denen sich auf die reasonableness berufen wird. 779 Lewison, 7.17 (S. 400); Yamashita Tetsuo v. See Hup Seng Ltd [2008] SGCA 49. 780 Tillmanns & Co v. S.S. Knutsford Ltd [1908] 2 K.B. 385, 402; Farwell LJ legt die strittige Klausel ebenfalls im Hinblick auf die reasonableness aus: „[…] and the reasonable meaning of the clause is that […]”, [1908] 2 K.B. 385, 390. 781 Hayward v. Norwich Union Insurance Ltd [2001] 1 All E.R. (Comm) 545, Rn. 28. 777

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1. Kapitel: Die Auslegung

that the parties intended“ nicht dahingehend täuschen, dass hierbei auf den subjektiven Willen der Parteien abgestellt würde. Mit der sich darauf bezogenen intention ist weiterhin die objektive Intention gemeint, wie Gibson LJ klarstellt782. Wo also das deutsche Recht zumindest die Möglichkeit schafft, den subjektiven Willen durch den Maßstab von Treu und Glauben und dessen Ausprägungen zu berücksichtigen, stellt die englische Rechtsprechung klar, dass ein solcher Maßstab zwar zur Vermeidung unvernünftiger und widersprüchlicher Ergebnisse herangezogen wird, die Beurteilung jedoch nach wie vor anhand objektiver Gesichtspunkte erfolgt. bb) Die Matrix of Fact und die Abkehr vom Literal Approach Das Hintergrundwissen, den background, den Lord Hoffmann in seinem ersten principle ansprach, wird im zweiten verdeutlicht: „(2) The background was famously referred to by Lord Wilberforce as ‘the matrix of fact,’ (sic) but this phrase is, if anything, an understated description of what the background may include. Subject to the requirement that it should have been reasonably available to the parties and to the exception to be mentioned next, it includes absolutely anything which would have affected the way in which the language of the document would have been understood by a reasonable man.”783

Dabei bezieht er sich auf den von Lord Wilberforce geprägten Begriff der matrix of fact, welcher bereits in Prenn v. Simmonds einige Jahre zuvor erstmals Erwähnung fand784. (1) Der Begriff der matrix of fact Lord Wilberforce verlangte den „Blick hinter die Worte“, die Berücksichtigung der Umstände in Bezug auf die verwendeten Worte und den sich aus den Umständen ergebenden Sinn, den der Erklärende ausdrücken wollte 785. 782

In dem Fall ging es um eine von der Versicherung verweigerte Zahlung für einen gestohlenen Porsche, da der Fahrzeughalter während des Bezahlens einer Tankrechnung den Schlüssel stecken ließ; „Even if it could be taken that he was in a position to express Norwich Union's purpose in including the Exception, that is a subjective view. Viewed objectively, the obvious purpose of the Exception is to encourage policy-holders to take elementary precautions […] The ordinary connotation of the words […] is, in my opinion, entirely consistent with that purpose.”, Hayward v. Norwich Union Insurance Ltd [2001] 1 All E.R. (Comm) 545, Rn. 26. 783 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. 784 „In order for the agreement of July 6, 1960, to be understood, it must be placed in its context. The time has long passed when agreements, even those under seal, were isolated from the matrix of facts in which they were set and interpreted purely on internal linguistic considerations“, Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1383; Czarnecki, S. 15. 785 „We must, as he said, inquire beyond the language and see what the circum-stances were with reference to which the words were used, and the object, appearing from those circumstances, which the person using them had in view“, Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1383; vgl. hierzu und und zum Folgenden auch Czarnecki, S. 13, 14.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Weiter verdeutlichte er, dass Beweismittel, die den Vertragsparteien beiderseits bekannt waren, zugelassen werden können, um die Bedeutung eines Ausdrucks zu bestimmen786. Dazu zählte er vorvertragliche Dokumente, die dazu dienen sollten, die Absichten der Parteien zu deuten. Der Geschäftszweck könne ebenfalls einen Begleitumstand darstellen787. In Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen 788 betonte Lord Wilberforce erneut die Bedeutung der matrix of fact789 und stellte zugleich klar, dass sie zudem Begleitumstände umfasse, die den Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses u.U. nicht einmal bewusst waren 790. Während dies aus deutscher Sicht erneut überraschend scheint, fügt sich diese Auffassung zunächst nahtlos in das englische Verständnis der Auslegung ein. Die Beurteilung der Absichten oder Intentionen der Vertragsparteien erfolgt nach wie vor aus objektiver Sicht. Dadurch, dass der subjektive Wille nicht erforscht wird und auch keine vordergründige Rolle spielt, können auch Begleitumstände in die Auslegung mit einbezogen werden, die den Parteien nicht bewusst waren 791. Der in der deutschen Rechtslehre herrschenden Ansicht, dass nur solche Begleitumstände berücksichtigt werden dürfen, die den Parteien im konkreten Fall bekannt waren oder bekannt hätten sein können, stellte Lord Wilberforce eine objektive Sichtweise gegenüber 792 . Interessanterweise widerspricht er sich 786

„Moreover […] it has been clear enough that evidence of mutually known facts may be admitted to identify the meaning of a descriptive term.”, Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1384. 787 „It may be said that previous documents may be looked at to explain the aims of the parties. In a limited sense this is true: the commercial, or business object, of the transaction, objectively ascertained, may be a surrounding fact.”, Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1385. 788 [1976] 1 WLR 989. 789 „[…] what the court must do must be to place itself in thought in the same factual matrix as that in which the parties were.”, Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar HansenTangen [1976] 1 WLR 989, 997. 790 „[…]in the search for the relevant background, there may be facts which form part of the circumstances in which the parties contract in which one, or both, may take no particular interest, their minds being addressed to or concentrated on other facts so that if asked they would assert that they did not have these facts in the forefront of their mind, but that will not prevent those facts from forming part of an objective setting in which the contract is to be construed.”, Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 997. 791 „It is often said that, in order to be admissible in aid of construction, these extrinsic facts must be within the knowledge of both parties to the contract, but this requirement should not be stated in too narrow a sense. When one speaks of the intention of the parties to the contract, one is speaking objectively - the parties cannot themselves give direct evidence of what their intention was - and what must be ascertained is what is to be taken as the intention which reasonable people would have had if placed in the situation of the parties.”, Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 996; so auch Czarnecki, S. 14. 792 „Similarly when one is speaking of aim, or object, or commercial purpose, one is speaking objectively of what reasonable persons would have in mind in the situation of the

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1. Kapitel: Die Auslegung

damit jedoch selbst in gewisser Hinsicht: Wenn die Beurteilung aus Sicht einer vernünftigen Person in der selben Situation wie der Vertragsparteien erfolgen solle, schließt das die Berücksichtigung von Umständen, die den Parteien nicht bekannt waren und die sie nicht kennen mussten, zumindest bis zu einem gewissen Grad aus – und zwar genau so weit, wie sie auch einer vernünftigen Person nicht bekannt gewesen wären. Die vorbehaltslose Berücksichtigung außervertraglicher Begleitumstände, zumindest in Hinsicht auf die Kenntnis der Parteien, dürfte wohl zu weit zu gehen. Aus deutscher Sicht scheint die mögliche Abweichung vom subjektiven Willen der Parteien unter diesen Voraussetzungen sogar noch größer, als sie schon bei der reinen Berücksichtigung des Wortlautes u.U. ist. Eine derartige Öffnung des bisher geltenden Dogmas der parol evidence rule überrascht freilich. Lord Hoffmann schränkte die Aussage Lord Wilberforces in ICS v. WBBS insofern ein, als dass nur solche Begleitumstände Teil der zu berücksichtigenden matrix of fact seien, die „reasonably available to the parties“ 793, also den Parteien vernünftigerweise bekannt waren. Diese Formulierung entspricht derjenigen des deutschen Rechts deutlich mehr als diejenige Lord Wilberforces. Weiterhin verdeutlichte er einige Jahre nach ICCS v. WBBS zusätzlich, dass nur solche Begleitumstände zu berücksichtigen seien, die eine vernünftige Person als relevant erachtet hätte794. (2) Das Verhältnis der matrix of fact zur parol evidence rule Nach den eben gemachten Ausführungen stellt sich die Frage, inwieweit die Berücksichtigung der matrix of fact mit der parol evidence rule in Einklang zu bringen ist. Hier zeigt sich wohl eines der wesentlichen Probleme des englischen Rechts: die zum Teil große Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung, aber auch der Literatur. Zum Teil wird der Konflikt nicht einmal erwähnt795.

parties. It is in this sense and not in the sense of constructive notice or of estopping fact that judges are found using words like ‘knew or must be taken to have known’”, Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 996. 793 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912. 794 „I said that the admissible background included "absolutely anything which would have affected the way in which the language of the document would have been understood by a reasonable man", I did not think it necessary to emphasise that I meant anything which a reasonable man would have regarded as relevant.”, Bank of Credit and Commerce International SA v. Ali and Others, [2002] 1 AC 251, 269. 795 So bespricht Lewison in seinem über 800 Seiten langen Werk zur „Interpretation of Contracts“ zwar ausführlich die Bedeutung der parol evidence rule, erwähnt sie im Kapitel zur Berücksichtigung des „Backgrounds“ jedoch kein einziges Mal. Die dabei zitierte Rechtsprechung widerspricht sich zum Teil ebenfalls völlig, was zumindest eine kurze Diskussion des Verhältnisses von parol evidence rule zur matrix of fact nötig macht; siehe Lewison, 3.11 (S. 117 ff.) und 3.17 (S. 143 ff.).

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Auch die neuere Rechtsprechung scheint sich uneins 796 . Nichtsdestotrotz scheint, wie die Law Commission umfassend festgestellt hat, die parol evidence rule per se, u.a. aufgrund ihres Zirkelschlusses an Bedeutung verloren zu haben 797 . Zudem, und das scheint das damit einhergehende, wichtigere Argument zu sein, hat allem Anschein nach eine „Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses stattgefunden“ 798 zu haben. Nach ICS v. WBBS ist die umfassende Berücksichtigung von Begleitumständen zulässig und von der Rechtsprechung überwiegend anerkannt, wohingegen deren Ausschluss nur in Ausnahmefällen erlaubt sein soll799. Auch die lange Zeit vertretene Auffassung und der Eindeutigkeitsformel entsprechende Ansicht, wonach Begleitumstände nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der Wortlaut nicht eindeutig ist, gilt mittlerweile als überholt800. cc) Die pre-contractual-negotiation-bar Ein Auslegungsgrundsatz, der den Unterschied zwischen deutschen und englischen Recht deutlich betont, formulierte Lord Hoffmann mit seinem dritten principle: „(3) The law excludes from the admissible background the previous negotiations of the parties and their declarations of subjective intent. They are admissible only in an action for rectification.”801

Demnach sind die vertraglichen Vorverhandlungen von der Berücksichtigung bei der Auslegung ausgeschlossen. Dieser Ausschluss prägte den Begriff der sog. „pre-contractual-negotiation-bar“ bzw. der „exclusionary rule“802. Damit einhergehend sind Erklärungen über den subjektiven Willen der Parteien im 796 Siehe nur Lord Hoffmann in BCCI v. Ali: „[…] there is no conceptual limit to what can be regarded as background.”, [2002] 1 AC 251, 269. Dagegen jedoch Lord Hobbhouse of Woodborough in Shogun Finance Ltd v. Hudson: „The rule that other evidence may not be adduced to contradict the provisions of a contract contained in a written document is fundamental to the mercantile law of this country; the bargain is the document; the certainity of the contract depends on it.”, [2004] 1 AC 919, 944. 797 Siehe Law Com. 154, 2.7; siehe auch oben § 3 II. 1. b) bb); siehe auch Czarnecki, S. 20. 798 Czarnecki, S. 20; Peel, 6–022. 799 Peel, 6–022; Chitty/Guest, 12–118; Czarnecki, S. 20. 800 Siehe nur Coulson J in Persimmon Homes (South Coast) Ltd v. Hall Aggregates (South Coast) Ltd: „Accordingly, it is always necessary for the court to consider the factual background to a commercial contract even if the wording of that contract might be regarded as unambiguous or sensible.”, [2008] EWHC 2379 (TCC); Bright Asset Ltd v. Lewis [2011] EWCA Civ 122; St Edmundsbury & Ipswich Diocesan Board of Finance v. Clark (No. 2) [1975] 1 WLR 468; Lewison, 3.17 (S. 147). 801 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913. 802 McMeel, 5.60; Andrews, 14.15; Lewison, 1.05; diese enstammte jedoch, wie auch die Grundgedanken der anderen principles, nicht vollends der Feder Lord Hoffmanns, siehe nur Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1384; vgl. Czarnecki, S. 135.

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1. Kapitel: Die Auslegung

Rahmen der Vorverhandlungen ebenfalls von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Lediglich bei der rectification sind Vorverhandlungen und Aussagen über den subjektiven Willen der Parteien als Beweismittel zulässig, wodurch die exclusionary rule in diesem Bereich keine Geltung erlangt 803. Ein Ausschluss eines derart bedeutsamen Auslegungsmittels erscheint für den deutschen Juristen befremdlich. Lord Wilberforce begründete den Ausschluss u.a. damit, dass solche Art von Beweisen schlicht nutzlos sei. Dies läge daran, dass erst der finale Vertrag tatsächlich einen Konsens repräsentiere, wohingegen sich die Positionen der Parteien während der Verhandlungen konstant ändern würden. Ein derart unsicherer Prozess könne, gerade wenn in den Verhandlungen mehrere verschiedene Begriffe verwendet wurden, im Hinblick auf die Auslegung nicht hilfreich sein804. Diese Argumente überzeugen allerdings nicht vollends. Ob die Berücksichtigung vertraglicher Vorverhandlungen nützlich ist oder nicht, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden, und auch nur dann, wenn ihre Bedeutung ausführlich gewürdigt wurde. Sie aus dem Grund eventueller Nutzlosigkeit grundsätzlich auszuschließen, scheint zu kurz gedacht. Auch das Argument der sich ändernden Verhandlungspositionen und -intentionen kann nicht überzeugen. Nur wenn die Vorverhandlungen und damit alle Begleitumstände berücksichtigt werden, kann ein Gericht – wie vom ersten principle gefordert – die Auslegung aus Sicht einer reasonable person in der Situation der Vertragsparteien tatsächlich auch vornehmen, da andernfalls die Beurteilung gerade nicht vollständig aus Sicht der Parteien erfolgt805. Selbst unter dem Gesichtspunkt, dass die subjektiven Willen nicht berücksichtigt werden sollen, können die Argumente nicht überzeugen. So sind gerade für eine objektive Bewertung des letztendlichen Vertragstextes die unterschiedlichen Verhandlungspositionen relevant. Auch scheint die Vermischung von vertraglichen Vorverhandlungen und Aussagen zu den subjektiven Willen nicht zweckmäßig. Während der Ausschluss Letzterer, vor allem aus Sicht des englischen objektiven Auslegungsansatzes nachvollziehbar erscheint, lassen sich die Vorverhandlungen dennoch auch objektiv betrachten und somit berücksichtigen. Lord Hoffmann rechtfertigt die exclusionary rule dennoch auch in der neueren Rechtsprechung806. Zwar äußert er umfassend Verständnis für die Berücksichtigung der vertraglichen Vorverhandlungen, stellt jedoch klar, dass er keinen Grund für eine Abkehr von der exclusionary rule sehe. Parteien mögen zwar gelegentlich an einen Vertrag gebunden sein, deren Inhalt eine vernünftige Person unter Berücksichtigung der Vorverhandlungen so nicht als von den Parteien gewollt erachtet hätte. Ein System, das dies gelegentlich zulasse, sei jedoch unter dem generellen Aspekt der Wirtschaftlichkeit und 803

Siehe zur rectification ausführlich unten § 3 II. 4.; Czarnecki, S. 135. Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1384; Lewison, 3.09 (S. 92). 805 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 464. 806 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267. 804

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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der Vorhersehbarkeit der Rechtsberatung gerechtfertigt 807 . Gerade die Rechtssicherheit wird hierbei als Argument für den Ausschluss der Berücksichtigung der Vorverhandlungen angebracht808. Dies gilt jedoch nicht nur im Hinblick auf die Vertragsparteien, sondern auch auf Dritte, die sich auf den Vertragsinhalt verlassen haben. Dass das Argument jedoch nicht vollends überzeugt, stellt Lord Hoffman selbst direkt klar, schließlich besteht die Problematik bei jeder Art von zu berücksichtigenden Begleitumständen809. Allerdings gibt es auch Ausnahmen von der exclusionary rule: So ist die Berücksichtigung von Vorverhandlungen zwar ausgeschlossen, um Schlussfolgerungen über die Bedeutung des Vertrags herzuleiten (!), allerdings können sie berücksichtigt werden, um festzustellen, dass ein relevanter Begleitumstand den Parteien tatsächlich bekannt war 810. Freilich treten hierbei Abgrenzungsprobleme auf. Anhand eines solchen Kriteriums zu entscheiden, ob die Vorverhandlungen berücksichtigt werden sollen, verkompliziert den Auslegungsprozess unnötig und verursacht gerade das Problem, das die englischen Gerichte durch die exclusionary rule vermeiden wollen. Auch die Berufung auf die rectification überzeugt nicht. Hierbei wird lediglich ein „Umweg“ geschaffen, da dort die Vorverhandlungen wieder als Beweismittel zulässig sind. Ein im Urteil abschließend aufgeführtes Argument sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt. Häufig wird davon ausgegangen, dass vertragliche Vorverhandlungen als Auslegungsmittel den Weg für eine subjektive Auslegung öffnen würden, da die Vorverhandlungen selbst bereits als subjektiv behaftet angesehen werden: „unlike surrounding circumstances, which were by definition objective and uncontroversial facts, statements in the course of pre-contractual negotiations were subjective […].”811

Den englischen Rechtsanwender dürfte schon die Androhung, einen Weg für eine subjektivere Auslegung zu schaffen, in helle Aufregung versetzen. Diese Aufregung ist jedoch unbegründet. Schließlich ändert sich an der grundsätzlichen Sichtweise nichts: Die Auslegung erfolgt immer noch aus Sicht einer vernünftigen Person an Stelle der Vertragsparteien, ohne dass dabei auf deren subjektiven Willen abgestellt werden würde812. Schließlich können die Vorverhandlungen ebenso objektiv bewertet werden, wie andere Begleitumstände. Die Berücksichtigung der Vorverhandlungen würde also nicht die grundsätzlich objektive Auslegung in eine subjektive oder subjektiv-objektive 807

Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 282. Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 280. 809 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 282. 810 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 282; Oceanbulk Shipping & Trading SA v. TMT Asia Ltd. and others [2011] 1 AC 662, 680; Vgl. Czarnecki, S. 135. 811 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 268. 812 Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 467. 808

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1. Kapitel: Die Auslegung

Auslegung umkehren, sondern vielmehr eine individuell-objektive Auslegung ermöglichen813. Bleibt die exclusionary rule jedoch bestehen, ist eine individuell-objektive Auslegung nur äußerst begrenzt möglich. Der subjektive Wille der Vertragsparteien bleibt somit außen vor. Ihm kann sich dann nicht einmal durch die individuell-objektive Auslegung angenähert werden. dd) Die kontextuale Auslegung und die gewöhnliche Bedeutung des Wortlauts Das vierte principle stellt, zusammen mit dem fünften, dem Inhalt nach die wohl deutlichste Abkehr vom literal approach dar: „(4) The meaning which a document (or any other utterance) would convey to a reasonable man is not the same thing as the meaning of its words. The meaning of words is a matter of dictionaries and grammars; the meaning of the document is what the parties using those words against the relevant background would reasonably have been understood to mean. The background may not merely enable the reasonable man to choose between the possible meanings of words which are ambiguous but even (as occasionally happens in ordinary life) to conclude that the parties must, for whatever reason, have used the wrong words or syntax […].”814

Mit diesem principle öffnete Lord Hoffmann den Weg für eine kontextuale Auslegung. Er differenziert zwischen der meaning of words und der meaning of the document: Erstere sei eine Sache der Wörterbücher, wohingegen letztere Bedeutung sich aus den Wörtern in Verbindung mit den relevanten Begleitumständen ergibt. Es erfolgt also gerade keine rein abstrakte Wortlautauslegung, sondern vielmehr eine kontextabhängige Auslegung, wobei die strittigen Begriffe oder Klauseln im Zusammenhang mit dem übrigen Vertragstext und den Begleitumständen betrachtet und ausgelegt werden 815. Dadurch wurde de facto die Bedeutung einzelner Worte unter die Bedeutung des gesamten Vertrags, bzw. des Gesamtkontexts, gestellt 816. Vergleicht man eine solche Auslegung mit der lange Zeit formalistisch geprägten Auslegung, wird der drastische Wechsel schnell deutlich. Das bisherige steife Haften am abstrakten Wortlaut wird nun gerade nicht mehr gefordert, sondern vielmehr – wie bei der exclusionary rule diskutiert und durch deren Aufrechterhaltung gerade nicht eingeführt – eine individuell-objektive Auslegungsmethode ermöglicht. Eine solche Änderung bietet englischen Juristen Anlass zur Kritik, da die Verlässlichkeit der streng objektiven Wortlautauslegung scheinbar zu untergraben werden scheint. Zudem könnte, genau wie bei der Berücksich813

Hellwege, in: Burrows/Johnston/Zimmermann, S. 467; Lord Hoffmann bestätigt dies selbst: „I do however accept that it would not be inconsistent with the English objective theory of contractual interpretation to admit evidence of previous communications between the parties as part of the background which may throw light upon what they meant by the language they used.”, Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 279. 814 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913. 815 Vgl. Czarnecki, S. 27, 28. 816 Czarnecki, S. 28.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

143

tigung von Begleitumständen, die „Gefahr“ bestehen, die Pforten für eine subjektivere Auslegung zu öffnen. Dies ist jedoch im Hinblick auf die Kontextualisierung der Worte genauso wenig der Fall wie bei den Begleitumständen. Die Sichtweise der Auslegung bleibt stets objektiv, wie Lord Hoffmann selbst in Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd verdeutlichte: „It is of course true that the law is not concerned with the speaker’s subjective intentions. […] The meaning of words, as they would appear in a dictionary, and the effect of their syntactical arrangement, as it would appear in a grammar, is part of the material which we use to understand a speaker’s utterance. But it’s only a part; another part is our knowledge of the background against which the utterance was made. It is that background which enables us, not only to choose the intended meaning when a word has more than one dictionary meaning but also, […] to understand a speaker’s meaning, often without ambiguity, when he has used the wrong words. When, therefore, lawyers say that they are concerned, not with subjective meaning but with the meaning of the language which the speaker has used, what they mean is that they are concerned with what he would objectively have been understood to mean.”817

Weiterhin führte er aus: „The question is not how the landlord understood the notices. The construction of the notices must be approached objectively. The issue is how a reasonable recipient would have understood the notices. and in considering this question the notices must be construed taking into account the relevant objective contextual scene.”818

Es soll weiterhin nicht versucht werden, einen subjektiven Willen der Vertragsparteien zu ermitteln. In eben zitiertem Urteil ging es um die Kündigung zweier Pachtverträge, die am 12.1.1992 geschlossen wurden. Die Kündigung sollte spätestens sechs Monate zum „third anniversary of the term commencement date“ erfolgen, andernfalls würde der Vertrag verlängert werden. Der Pächter kündigte beide Pachtverträge schriftlich am 24.6.1994 zum 12.1.1995. Der Eigentümer klagte gegen die Kündigung, woraufhin das Gericht dem Pächter zunächst Recht gab. Der Court of Appeal widerrief die Entscheidung jedoch mit der Begründung, die zum 12.1.1995 ausgesprochene Kündigung könne den Pachtvertrag zum 13.1.1995 nicht beenden, da das „third anniversary of the term commencement date“ dem 13.1.1995 entspreche und nicht dem 12.1.1995 819 . Lord Hoffmann, der hier gewissermaßen 817

Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd [1997] AC 749, 775. Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd [1997] AC 749, 767. 819 Das erstinstanzliche Gericht entschied zunächst zugunsten des Pächters mit der Begründung, der 12. und 13.1. seien aufeinanderfolgende Daten, weshalb sich in einem kurzen Moment beide Daten überschneiden würden. Aus diesem Grund würde eine zum 12.1. ausgesprochene Kündigung auch am 13.1. Wirkung entfalten. Wohlgemerkt: Dieser Fall wurde 1997 entschieden, nicht etwa im 19. Jahrhundert. Der im deutschen Recht ausgebildete Leser wird in Anbetracht der Entscheidung des Court of Appeal wohl – zu Recht – leicht ungläubig mit dem Kopf schütteln. 818

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1. Kapitel: Die Auslegung

erneut als Stimme der Vernunft auftrat, hob wiederum die Entscheidung des Court of Appeal auf und bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung. Dies geschah auf Grundlage der in ICS v. WBBS formulierten Auslegungsgrundsätze. Die Kündigung selbst wurde dabei im Zusammenhang mit der relevanten Kündigungsklausel820 betrachtet, laut derer grundsätzlich die Möglichkeit einer Kündigung bestand. Wie Lord Hoffmann beschrieb, müsse der vernünftige Erklärungsempfänger bemerken, dass dem Pächter bei der Bezeichnung des 12.1.1995 als Kündigungsdatum ein Fehler unterlaufen ist. Die Möglichkeit, dass der Pächter ausschließlich zum 12.1.1995 kündigen und, falls dies nicht möglich sei, lieber gar nicht kündigen wollen würde, müsste ein solcher vernünftiger Empfänger ausschließen. In Anbetracht der Begleitumstände und der Kündigungsklausel, müsse der vernünftige Empfänger die Kündigung so verstehen, dass sie zu dem laut der Kündigungsklausel möglichen Datum, dem 13.1.1995, Wirkung entfalten solle821. Hierbei wird die kontextuale Wortlautauslegung deutlich: Wo früher strikt am Wortlaut gehaftet wurde, werden Erklärungen und Verträge822 nun am Gesamtkontext gemessen. Von einer wirklich subjektiven Auslegung kann dabei jedoch, wie erwähnt, nicht gesprochen werden. Zwar nähert sich die Auslegung den individuellen Umständen des Falles bzw. den möglichen Intentionen der Parteien an. Nichtsdestotrotz erfolgt die Beurteilung weiterhin aus Sicht eines vernünftigen Empfängers und in Anbetracht der Frage, wie dieser die Erklärung verstehen musste – nicht, wie der Erklärende die Erklärung gemeint haben könnte.

820

„The tenant may by serving not less than six months' notice in writing on the landlord or its solicitors such notice to expire on the third anniversary of the term commencement date determine this lease and upon expiry of such notice this lease shall cease and determine and have no further effect.”, Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd [1997] AC 749. 821 „The reasonable recipient will see that in purporting to terminate pursuant to clause 7(13) but naming 12 January 1995 as the day upon which he will do so, the tenant has made a mistake. He will reject as too improbable the possibility that the tenant meant that unless he could terminate on 12 January, he did not want to terminate at all. He will therefore understand the notice to mean that the tenant wants to terminate on the date on which, in accordance with clause 7(13), he may do so, i.e. 13 January”, Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd [1997] AC 749, 774. 822 Dass die Auslegungsvorschriften zu Verträgen genauso für Kündigungen Geltung beanspruchen, machte Lord Hoffmann selbst deutlich: „All that can be said is that the rules for the construction of notices, like those for the construction of wills, have not yet caught up with the move to common sense interpretation of contracts. […] The question is therefore whether there is any reason not to bring the rules for notices up to date by overruling the old cases.”, Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd [1997] AC 749, 780.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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ee) Die Möglichkeit der Wortlautkorrektur Einen weiteren starken Bruch mit der bisherigen Auslegungspraxis stellt das fünfte und letzte principle dar: „(5) The ‘rule’ that words should be given their ‘natural and ordinary meaning’ reflects the common sense proposition that we do not easily accept that people have made linguistic mistakes, particularly in formal documents. On the other hand, if one would nevertheless conclude from the background that something must have gone wrong with the language, the law does not require judges to attribute to the parties an intention which they plainly could not have had. Lord Diplock made this point more vigorously when he said […]: ‘if detailed semantic and syntactical analysis of words in a commercial contract is going to lead to a conclusion that flouts business commonsense, it must be made to yield to business commonsense.’”823

Das fünfte wie das vierte principle sind dem Inhalt nach im Zusammenhang zu betrachten. Nur so kann die Tragweite der Änderungen und die dadurch entstandenen Bedenken der englischen Juristen vollumfänglich nachvollzogen werden. Das fünfte principle beschreibt im Wesentlichen die Möglichkeit einer Auslegung entgegen dem Wortlaut des Vertrags, und somit de facto eine mögliche Wortlautkorrektur durch das auslegende Gericht. Dabei bildet das vierte principle die dogmatische Grundlage für eine solche Wortlautkorrektur. Nur wenn die Bedeutung einzelner Worte der Bedeutung des gesamten Vertrags nachsteht, kann eine Korrektur des Wortlautes einzelner Worte oder Klauseln erfolgen 824 . Die kontextuale Auslegung ermöglicht demnach erst die Wortlautkorrektur, bzw. geht mit dieser Hand in Hand. Die Formulierung „we do not easily accept that people have made linguistic mistakes, particularly in formal documents” wirft in der Literatur und der Rechtsprechung vereinzelt die Frage auf, ob die Feststellung eines sprachlichen Fehlers im Rahmen eines Vertrags, eine Voraussetzung für die Wortlautkorrektur durch den Richter darstellt825. Damit einhergehend ist fraglich, worin der „Fehler“ bestehen muss. In Form einer beiderseitigen Abweichung von subjektivem Willen und objektiver Erklärung oder in Form einer bloßen Sinnlosigkeit einer Vertragsklausel? Dabei steht wieder eine Grundsatzfrage im Raum. Bezieht man sich auf erstere Variante, findet freilich eine deutlich subjektive Auslegung statt. Im zweiten Fall findet eine objektive Auslegung statt, die zwar nach einer möglichen gewollten Intention fragt und diese mit dem scheinbar sinnlosen Wortlaut vergleicht. Die Intention wird dabei jedoch rein objektiv aus den Begleitumständen und dem übrigen Vertragstext heraus ermittelt, ohne sich dabei auf ein subjektives Element zu beziehen. Wenig überraschend stellt die englische Rechtsprechung darauf ab, was eine ver823

ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913. Czarnecki, S. 28; ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913. 825 Czarnecki, S. 28; McKendrick, S. 384; Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267. 824

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1. Kapitel: Die Auslegung

nünftige Person unter den von den Vertragsparteien verwendeten Worten verstanden hätte826. Der subjektive Wille der Parteien bleibt, selbst im Hinblick auf die Möglichkeit des Feststellens eines Fehlers, außer Acht. Es bleibt dennoch die Frage, ob die Feststellung eines Fehlers tatsächlich als Voraussetzung für die Wortlautkorrektur gesehen werden muss. Dadurch soll diese weiterhin eher als Ausnahmefall gesehen und zugleich verhindert werden, dass diese Art der Auslegung leichtfertig durch die Rechtsprechung gebraucht wird827. Hierbei besteht jedoch das selbe Problem wie bei der Eindeutigkeitsformel des deutschen sowie der plain meaning rule des englischen Rechts: In allen drei Fällen besteht letztlich ein Zirkelschluss. Um überhaupt einen Fehler, der die Wortlautkorrektur legitimieren würde, festzustellen, muss der Vertrag zunächst ausgelegt werden. Damit dabei jedoch ein Fehler festgestellt werden kann, muss eine mögliche Auslegung entgegen den Wortlaut vorgenommen werden828. Dies gilt freilich nur für Fälle, in denen entsprechende Anhaltspunkte gegeben sind, die eine solche Wortlautkorrektur u.U. überhaupt notwendig machen. Die Feststellung eines Fehlers als Voraussetzung einer Wortlautkorrektur wird demnach, vor allem auch durch die neuere Rechtsprechung, überwiegend abgelehnt829. Die „Typisierung“ der Wortlautkorrektur erfolgte durch Lord Hoffmann in Chartbrook v. Persimmon Homes. Dabei stellte er klar, dass die Auslegung entgegen dem Wortlaut kein zur rectification konkurrierendes Rechtsinstrument darstellt, sondern vielmehr mit der einfachen Auslegung einhergeht 830. Zudem sei der Umfang, in dem ein Richter „den Rotstift ansetzen“ und entgegen dem Wortlaut auslegen dürfe, zunächst nicht begrenzt: „What is clear from these cases is that there is not, so to speak, a limit to the amount of red ink or verbal rearrangement or correction which the court is allowed. All that is required is that it should be clear that something has gone wrong with the language and that it should be clear what a reasonable person would have understood the parties to have meant.“831

Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die Gerichte Verträge nach Gutdünken beliebig umändern können. Die Wortlautkorrektur bleibt stets durch den Maßstab der reasonable person und der bei der Auslegung relevanten Begleitumstände beschränkt832. Genauso wie im deutschen Recht ist dabei eine 826

Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 275. Czarnecki, S. 28. Czarnecki, S. 29. 829 Peel, 6–022; Czarnecki, S. 29; Regina (Westminster City Council) v. National Asylum Support Service [2002] 1 WLR 2956, 2958; Wayne Martin v. David Wilson Homes Ltd [2004] EWCA Civ. 1027, Rn. 25; Burrows, in: Burrows/Peel, S. 81. 830 „The first qualification is that “correction of mistakes by construction” is not a separate branch of the law, a summary version of an action for rectification”, Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 276; Czarnecki, S. 29. 831 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 276. 832 ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 904; Kookmin Bank v. Rainy Sky SA and others [2010] 1 C.L.C. 829, 843; ING Bank NV v. Ros Roca SA [2012] 1 WLR 472, 502; HHR 827 828

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Auslegung zur bloßen Erreichung eines gerechteren Ergebnisses ausgeschlossen833. Als verdeutlichendes Beispiel sei auf den bei den Erläuterungen zur kontextualen Auslegung beschriebenen Fall, Mannai Investment Co Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co Ltd834, verwiesen. Dabei korrigierte das Gericht das Kündigungsdatum um einen Tag vom 12.1.1995 auf den 13.1.1995, um so das im Vertrag beschriebene, „richtige“ Kündigungsdatum zu erreichen. In der Theorie unterscheidet sich die Herangehensweise der englischen Rechtsprechung an die Wortlautkorrektur von der im deutschen Recht im Wesentlichen dadurch, dass keine gewollte Annäherung an einen möglichen subjektiven Willen der Parteien erfolgt. Wo das deutsche Recht im Rahmen des § 133 BGB auf diesen abstellt, beharrt das englische Recht auf die strikt objektive Beurteilung des Sachverhalts aus Sicht einer vernünftigen Person. Wenn aus dieser Sicht den Vertragsparteien ein Fehler unterlaufen zu sein scheint, erfolgt eine Korrektur des Wortlauts durch Auslegung. Inwieweit dieser Unterschied in der praktischen Handhabung tatsächlich eine Rolle spielt, wird an späterer Stelle beschrieben835. 3. Weitere Auslegungsgrundsätze Neben den eben erläuterten, im Rahmen der ICS v. WBBS Entscheidung festgehaltenen, Auslegungsgrundsätzen existieren, wie im deutschen Recht auch, weitere Grundsätze oder Auslegungsregeln, die Einfluss auf den Auslegungsprozess oder das -ergebnis haben können. Dazu zählen unter anderem die contra proferentem-Regel, die im englischen Recht jedoch in deutlich größerem Umfang Anwendung findet, sowie das Gebot der purposive construction. Derartige Auslegungsregeln finden im Allgemeinen dann im englischen Recht Anwendung, wenn aufgrund der grundlegenden Auslegungsgrundsätze kein zweifelsfreier objektiver Parteiwille ermittelt werden kann, wenn also Unklarheit hinsichtlich des Auslegungsergebnisses besteht 836. a) Contra Proferentem Der Grundgedanke des contra proferentem-Grundsatzes ist bereits aus dem deutschen Recht bekannt, wo dieser auch als Unklarheitenregel bezeichnet wird837. Während das deutsche Recht die Anwendung dieser Regel im WePascal B.V. v. W2005 Puppet II B.V. [2009] EWHC 2771 (Comm), Rn. 35; Czarnecki, S. 30. 833 „A commercially sensible construction does not mean that the Court disregards express and clear terms in order to give effect to a conception of what might be fair or reasonable”, HHR Pascal B.V. v. W2005 Puppet II B.V. [2009] EWHC 2771 (Comm); Czarnecki, S. 30. 834 [1997] AC 749; siehe hierzu oben § 3 II. 2. b) dd). 835 Siehe hierzu unten § 4. 836 Kosche, S. 12. 837 Siehe hierzu oben § 2 IV. 7. a).

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1. Kapitel: Die Auslegung

sentlichen jedoch auf AGB beschränkt, kennt das englische Recht eine solche Beschränkung nicht838. Vielmehr gilt der contra proferentem-Grundsatz, oder auch contra proferentem-Regel, bei jeder Art von Verträgen, unabhängig vom Vorliegen von AGB. Hauptanwendungsbereiche stellen jedoch vor allem Versicherungsverträge dar, und dabei als konkrete Beispiele Verjährungs-, Garantie- und Freistellungsklauseln839. Auch wenn Lord Hoffmann in ICS v. WBBS mit seiner Aussage, dass „almost all the old intellectual baggage of ‘legal’ interpretation“ ausgemustert wurde u.a. die contra proferentemRegel gemeint haben dürfte, wird sie auch heute noch von der Rechtsprechung angewandt840. Dabei kann sie als zweiteilige Regel verstanden werden: Zum einen werden Klauseln, durch die eine Partei eine ihrer aus einem Vertrag entstandenen Verpflichtungen beschränken oder ausschließen will, im Zweifel gegen diese Partei ausgelegt. Zum anderen wird eine Klausel gegen diejenige Partei ausgelegt, die die betreffende Klausel in den Vertrag eingebracht hat 841. Die Frage, welche Partei eine Klausel in den Vertrag eingebracht hat, also den sog. proferens darstellt, kann inhaltsbezogen wie auch formulierungsbezogen bestimmt werden, was letztlich zu gerade erwähnter Zweiteilung der Regel führt842. Beide Arten der Bestimmung des proferens resultieren aus einer uneinheitlichen Rechtsprechung 843. In beiden Fällen ist jedoch zunächst überhaupt das Vorliegen einer Unklarheit notwendig 844. Um dann den proferens zu bestimmen, ist ausnahmsweise auch die Betrachtung vertraglicher Vorverhandlungen zulässig845. Stellt ein Gericht eine Unklarheit hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Klausel fest, geht es zunächst nicht darum, in jedem Fall eine Entscheidung entgegen der Interessen des proferens vorzunehmen. Es geht um die 838

Kosche, S. 127. Lewison, 7.08 (S. 360); Chitty/Guest, 12–085; Kosche, S. 116; Czarnecki, S. 35; ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 912; Peel, 7–016; siehe zur neueren Rechtsprechung nur The Starsin [2004] 1 AC 715; Dairy Containers Ltd v. Tasman Orient Line CV [2004] UKPC 22. 841 „There are two well established rules of construction, although one is perhaps more often relied on with success than the other. The first is that, in case of doubt, wording in a contract is to be construed against a party who seeks to rely on it in order to diminish or exclude his basic obligation, or any common law duty which arises apart from contract. The second is that, again in case of doubt, wording is to be construed against the party who proposed it for inclusion in the contract: it was up to him to make it clear.”, Youell v. Bland Welch & Co Ltd [1992] 2 Lloyd’s Rep. 127, 134; Peel, 7–015; McMeel, 8.05 ff. 842 McMeel, 8.07; Kosche, S. 122, 123; BHP Petroleum Ltd v. British Steel plc [2000] 2 Lloyd’s Rep 277, 281. 843 McMeel, 8.07. 844 Chitty/Guest, 12–083; Lewison, 7.08 (S. 367); Joint London Holdings Ltd and another v. Mount Cook Land Ltd [2005] 3 E.G.L.R. 119; Quest 4 Finance Ltd v. Maxfield [2007] 2 C.L.C. 706; Tektrol Ltd v. International Insurance Co of Hanover Ltd [2005] EWCA Civ 845; Aqua Design & Play International Ltd v. Kier Regional Ltd [2003] B.L.R. 111. 845 McMeel, 8.10. 839 840

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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Auslegung hinsichtlich der strittigen Klausel und lediglich in diesem Fall um eine Auslegung zu Ungunsten des proferens846. Jedoch darf auch eine solche Auslegung dann nicht erfolgen, wenn das entsprechende Auslegungsergebnis unrealistisch oder unwahrscheinlich erscheint847. Bei dieser Herangehensweise unterscheidet sich das englische vom deutschen Recht. Deutsche Gerichte arbeiten hierbei scheinbar „ergebnisorientierter“, da zunächst zwar die kundenunfreundlichste Auslegung gewählt wird, um – freilich im Falle von AGB – eine strittige Klausel gem. der §§ 307 bis 309 BGB für unwirksam erklären zu können. Sollte dies jedoch nicht möglich sein, wird letztlich die kundenfreundlichste Auslegung gewählt848. Die contra proferentem-Regel spielt also als objektiver Maßstab auch im englischen Recht eine Rolle. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass die Regel auch hier nur zur Entscheidungsfindung im Falle mehrerer möglicher Auslegungsergebnisse dient. Problematisch ist die contra proferentem-Regel zumindest im Hinblick auf den subjektiven Willen der stellenden Partei. Eine Partei bringt eine Klausel gerade darum in einen Vertrag ein, um so ihren Willen Ausdruck zu verleihen. Wird eine solche Klausel aufgrund einer Unklarheit stets zu ihren Ungunsten ausgelegt, hat dies möglicherweise abschreckende Wirkung. Problematisch ist vor allem die Tatsache, dass alleine das „Stellen“ im Sinne eines „Vorschlagens“ bereits genügt, um im Zweifel eine für die stellende Partei ungünstige Auslegung zu rechtfertigen 849. Es besteht theoretisch die Möglichkeit, dass die Gegenseite im Hinblick auf die Klausel einfach zustimmt, um sich dann vor Gericht auf die Anwendung der contra proferentem-Regel zu verlassen. Die Frage, ob der Gegenseite eine tatsächliche Einflussmöglichkeit gegeben war, spielt, anders als im deutschen Recht, scheinbar keine wesentliche Rolle. So genügt z.B. schon das bloße Vertrauen auf eine Freistellungsklausel, um eine Partei als proferens zu qualifizieren850. Dadurch spielt es nicht einmal mehr eine übergeordnete Rolle, welche Partei die strittige Klausel in die Verhandlungen eingebracht hat 851. Betrachtet man 846

Crawford v. Morrow (2004) 244 D.L.R. (4th) 144; Lewison, 7.08 (S. 371). „It is not a legitimate use of the maxim to say that two meanings of a particular contractual provision are possible, and that the meaning unfavourable to the proferens should be chosen, if one of those alternative meanings is an unrealistic or unlikely construction of the contract.”, North v. Marina (2003) 11 B.P.R. 21, 359; Lewison, 7.08 (S. 371). 848 NJW 1994, 1798; siehe hierzu auch oben § 2 IV. 7. a) aa). 849 „[…] the basis of the contra proferentem principle is that a person who puts forward the wording of a proposed agreement may be assumed to have looked after his own interests, so that if words leave room for doubt about whether he is intended to have a particular benefit there is reason to suppose that he is not.”, Tam Wing Chuen v. Bank of Credit and Commerce Hong Kong Ltd, [1996] 2 B.C.L.C. 69, 77; Lewison, 7.08 (S. 363). 850 Canada Steamship Lines Ltd v. The King [1952] AC 192, 208; McMeel, 8.08. 851 „First, they rely upon the clause to exclude or to limit the liability alleged against them, and secondly, they were responsible for introducing during the negotiating process the particular parts of the clause on which they now rely.” BHP Petroleum Ltd v. British Steel plc [2000] Lloyd’s Rep 277, Rn. 18. 847

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1. Kapitel: Die Auslegung

diese Regelung im Gesamtkontext des englischen Rechts, kann darunter ein Anreiz zur besonders präzisen Formulierung von Vertragsklauseln gesehen werden. Nichtsdestotrotz scheint eine generelle Anwendung der contra proferentem-Regel, genau wie im deutschen Recht, problematisch. Im englischen Recht scheint dies, bedingt durch die eben erläuterte Problematik der Bestimmung des proferens, jedoch noch mehr zu gelten. Der objektive Maßstab der contra proferentem-Regel nimmt hierbei einen deutlich stärkeren Einfluss und verdrängt eine mögliche Berücksichtigung des subjektiven Willens nahezu völlig. b) Die purposive construction Der von Lord Hoffmann beschriebene Ansatz der Auslegung wurde häufig als purposive, also zweckdienlich bzw. zweckorientiert, bezeichnet852. Dies begründet sich im Wesentlichen aus der grundsätzlichen Ausrichtung der Auslegung, welche sich stärker am objektiven Willen der Parteien orientiert als beim literal approach. Der Grundsatz einer zweckdienlichen Auslegung scheint demnach beinahe inhärent: Soll der gemeinsame objektiv ermittelte Wille der Parteien im Rahmen des Auslegungsergebnisses verwirklicht werden, wird der Vertragszweck scheinbar selbstverständlich ebenfalls mit verwirklicht – und umgekehrt. Dies stimmt jedoch nur insoweit, als dass die Regel der purposive construction, ähnlich wie die vorhergehend erläuterte Auslegungsregel, mehr als Entscheidungshilfe zwischen mehreren Auslegungsergebnissen dient. Es wird also dasjenige Auslegungsergebnis bevorzugt, welches den Vertragszweck am besten zu verwirklichen scheint 853. Dies hat jedoch auch Einfluss auf den Auslegungsprozess selbst, muss doch der Vertragszweck selbst zunächst ermittelt werden854. Um dies zu ermöglichen, eröffnet die Zweckermittlung eine Ausnahme von der pre-contractualnegotiation-bar 855 , wodurch auch die vertraglichen Vorverhandlungen berücksichtigt werden dürfen. Ist der Vertragszweck ermittelt, kann, entsprechend der Erläuterungen zur Wortlautkorrektur, auch eine Auslegung entgegen dem natürlichen Wortlaut des Vertrags erfolgen 856 . Diese Auslegung 852

„[…] there has been a shift from strict construction of commercial instruments to what is sometimes called purposive construction of such documents”, Mannai Investment Co. Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co. Ltd [1997] AC 749, 769; Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 995; Peel, 6–011; Deutsche Genossenscahftsbank v. Burnhope and Others [1995] 1 WLR 1580, 1589; Czarnecki, S. 32. 853 Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1385; Deutsche Genossenschaftsbank v. Burnhope and Others [1995] 1 WLR 1580, 1585; Czarnecki, S. 33. 854 Czarnecki, S. 32. 855 „It may be said that previous documents may be looked at to explain the aims of the parties. In a limited sense this is true: the commercial, or business object, of the transaction, objectively ascertained, may be a surrounding fact.”, Prenn v. Simmonds [1971] 1 WLR 1381, 1385; siehe hierzu oben § 3 II. 2. b) cc). 856 Siehe oben § 3 II. 2. b) ee); Czarnecki, S. 33.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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erfolgt jedoch ebenfalls auf Basis rein objektiver Merkmale, also dem objektiven Willen sowie dem objektiven Vertragszweck. Nichtsdestotrotz scheint dadurch gerade eine Annäherung an einen möglichen subjektiven Willen der Parteien möglich: „The reason for this approach is that a commercial construction is more likely to give effect to the intention of the parties.”857

Dies darf jedoch nicht dahingehend falsch verstanden werden, dass die Richter bewusst den subjektiven Willen erforschen würden. Vielmehr bleibt auch hier die Sicht der reasonable person gewahrt, wodurch erneut eine individuell-objektive Auslegung erfolgt858. 4. Die Bedeutung der rectification im Hinblick auf die Vertragsauslegung und der Vergleich zur falsa demonstratio im deutschen Recht Eines der interessantesten, weil wohl dem englischen Auslegungsprinzip scheinbar deutlich widersprechendes Rechtsmittel, bildet die rectification. Diese bildet zudem einen bedeutenden Vergleichspunkt zum deutschen Recht, da die Frage, inwieweit grundsätzlich zwischen rectification und falsa demonstratio Ähnlichkeiten bestehen und wie sich ihre Anwendung in der Praxis gleicht bzw. unterscheidet, nicht umfassend geklärt ist. a) Die Bedeutung der rectification und ihr Verhältnis zur Auslegung Die rectification ist nicht, wie die falsa demonstratio, unmittelbarer Teil der Vertragsauslegung, sondern fällt unter die equitable remedies, frei übersetzt, die billigkeitsrechtlichen Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe nach Billigkeit, wodurch ihre Ausübung dem Ermessen des Richters zufällt859. Dementsprechend stellt sich bereits die Frage nach einer „Rangordnung“ zwischen Auslegung und rectification bzw. nach deren Verhältnis zueinander. Ein erster feiner, jedoch elementarer Unterschied zeigt sich im Hinblick auf die Anwendbarkeit. Die Auslegung findet sowohl bei schriftlichen als auch bei mündlichen Verträgen Anwendung, wohingegen die rectification nur objektive Fehler, die u.a. beim Niederschreiben des Vertrags in Form des Doku-

857

Mannai Investment Co. Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co. Ltd [1997] AC 749,

771.

858

„Words are therefore interpreted in the way in which a reasonable commercial person would construe them.”, Mannai Investment Co. Ltd v. Eagle Star Life Assurance Co. Ltd [1997] AC 749, 771. 859 McMeel, 17.27; Performance Industries Ltd v. Sylvan Lake Golf & Tennis Club Ltd (2992) 209 DLR (4th) 318; Agip SpA v. Navigazione Alta Italia SpA (The Nai Genova and the Nai Superba) [1984] 1 Lloyd’s Rep. 353, 359; Chitty/Beale, 5–107. Czarnecki, S. 49.

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1. Kapitel: Die Auslegung

ments entstanden sind, beheben soll 860 . Streng genommen wird daher der eigentliche Vertragsinhalt nicht berührt. Vielmehr wird im Rahmen der rectification das Dokument an den Vertragsinhalt angepasst 861. Die Anwendung ist dabei jedoch nicht auf reine Vertragsdokumente beschränkt, sondern erstreckt sich zudem auf Treuhanderklärungen und Auflassungen862. Jedoch ist die Anwendbarkeit durch qualitative Merkmale dieser Dokumentarten beschränkt, nämlich durch das Vorliegen einer bestimmten Irrtumsart 863 . Ein dritter, entscheidender Unterschied besteht in der Zulässigkeit von Beweismaterial bzw. außervertraglichen Begleitumständen. Während bei der Auslegung die pre-contractual-negotiation-bar greift 864 und dadurch die vorvertraglichen Verhandlungen von der Berücksichtigung ausgeschlossen sind, existieren im Rahmen der rectification keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Berücksichtigung von Begleitumständen 865 . Sogar Äußerungen im Bezug auf den subjektiven Willen und Beweise für ihn, sind bei der rectification zulässig, was den wohl deutlichsten Gegensatz zur objektiven Auslegung und gleichzeitig eine Besonderheit im Blick auf die gesamte Vertragsrechtskonzeption des englischen Rechts darstellt. Relevant ist die Berücksichtigung von vorvertraglichen Verhandlungen freilich vor allem dann, wenn sich die für den Vertragsinhalt wesentlichen Umstände überwiegend aus den Vorverhandlungen ergeben866. Dieser grundlegende Unterschied beider Ansätze hat sich im Vergleich zur formalistischen Auslegung durch den Wandel zur heutigen Form der objektiven Auslegung aber deutlich abgeschwächt. So lässt bereits der Grundsatz der möglichen Wortlautkorrektur der Wirkung nach entfernt an die rectification denken. Diese inhaltliche Ähnlichkeit sowie teilweise Überschneidungen bereiten jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten, die in der Literatur selbst zu teils gegensätzlichen Meinungen führen867. Diese Meinungen existieren jedoch nicht nur im Hinblick auf das Verhältnis von rectification und Auslegung, sondern stehen sich vorgelagert schon bei der Frage der Wirkungsweise der rectification gegenüber, was letztlich wieder Auswirkungen auf die Ausgangsfrage hat. So beschreibt McMeel, wie eben erläutert, den Effekt der rectification als rein formale Anpassung des Vertragsdokuments an den eigentlichen Vertragsinhalt, ohne dass dieser berührt wird. Lewison hingegen betont, dass die Auslegung keine Fehler im Hinblick auf die Rechtswirkung eines Vertrags 860

„Courts of Equity do not rectify contracts: they may and do rectify instruments purporting to have been made in pursuance of the terms of the contract“, Mackenzie v. Coulson (1869) LR 8 Eq 368, 375; McMeel, 17.27, 17.29. 861 Chitty/Beale, 5–107. 862 McMeel, 17.29. 863 McMeel, 17.30. 864 Vorbehaltlich der erläuterten Ausnahmen. 865 McMeel, 17.31. 866 Czarnecki, S. 53. 867 Czarnecki, S. 52, 54.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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korrigiert, sondern dass dies gerade im Bereich der rectification liege. Der Fehler müsse dabei in der Form eines falschen Wortverständnisses liegen868. Schon hier liegt demnach eine völlig gegensätzliche Auffassung der rectification vor. Peel schließt sich ebenfalls der Meinung an, die rectification betreffe ausschließlich die äußere Form der Dokumente, nicht jedoch den Inhalt der Verträge an sich. Es gehe demnach lediglich um eine formale Änderung869. Betrachtet man die Rechtsprechung, wird schnell deutlich, dass eine derartige Pauschalisierung nicht möglich ist. Vielmehr existieren sowohl Fälle, in denen es lediglich um eine formale Änderung des Vertrags ging, als auch Fälle, in denen die rectification eine tatsächlich inhaltliche Änderung des Vertrags herbeiführen sollte870. Das Verhältnis von rectification und Auslegung ist also nicht nur an sich unklar, sondern ein genaues, einheitliches Verständnis der rectification selbst scheint weder in Rechtsprechung noch Literatur zu existieren. Aus diesem Grund ist es zunächst nötig, die Voraussetzungen der rectification zu erläutern, um daraus ein vollständiges Bild zeichnen zu können, welches dem Vergleich mit der Auslegung sowie der falsa demonstratio dient. b) Die Voraussetzungen und dogmatischen Grundsätze der rectification Gibson LJ stellte in Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd 871 vier Voraussetzungen für die Anwendung der rectification fest, welche u.a. von Lord Hoffmann in Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd872 bestätigt wurden: „The party seeking rectification must show that: (1) the parties had a common continuing intention, whether or not amounting to an agreement, in respect of a particular matter in the instrument to be rectified; (2) there was an outward expression of accord; (3) the intention continued at the time of the execution of the instrument sought to be rectified; (4) by mistake, the instrument did not reflect that common intention.”873

Die erste Voraussetzung, der Beweis einer common intention beider Parteien, wirft die entscheidende Frage auf, auf welche Art des gemeinsamen Willens abgestellt bzw. aus welcher Sicht diese beurteilt wird: Geht es hierbei um eine gemeinsame subjektive Intention, wie u.a. im Falle der falsa demonstratio, oder um eine rein objektiv bewertete Intention? Aus deutscher Perspekti868

Lewison, 9.03 (S. 476). Peel, 8–059; So auch Richards, S. 350. 870 Doch auch die Rechtsprechung ist nicht einheitlich, wie die nachfolgenden Fallanalysen zeigen. 871 [2002] EWCA Civ 560. 872 [2009] 3 WLR 267, 284; Richards, S. 350. 873 Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd [2002] EWCA Civ 560, Rn. 33. 869

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1. Kapitel: Die Auslegung

ve ist man geneigt, auf die gemeinsame subjektive Intention abzustellen. Schließlich würde andernfalls die Abgrenzung zur Auslegung, die objektiven Standards folgt, nur schwer nachvollziehbar sein. Würde der gemeinsame Wille als objektives Kriterium bewertet werden, würde schließlich, betrachtet man die englische Rechtsprechung, dasselbe Ziel sowohl bei Auslegung als auch bei der rectification verfolgt werden: Die Ermittlung des objektiven Sinns eines Vertrags vor dem individuellen Hintergrund des Vertragsschlusses. Zwar ist das primäre Ziel der rectification die Änderung des Wortlauts des Dokuments. Dies lässt sich jedoch grundsätzlich auch über die Auslegung erreichen, da die Wortlautkorrektur dieses ebenfalls ermöglicht. Allerdings besteht in letzterem Fall neben der Korrektur des Wortlautes zudem die Möglichkeit der Korrektur des eigentlichen Vertragsinhalts. Nichtsdestotrotz stellt die Rechtsprechung nicht auf den gemeinsamen Willen als subjektives Element ab, wie Lord Hoffmann in Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd mit einem Zitat Denning LJs verdeutlicht: „Rectification is concerned with contracts and documents, not with intentions. In order to get rectification it is necessary to show that the parties were in complete agreement on the terms of their contract, but by an error wrote them down wrongly; and in this regard, in order to ascertain the terms of their contract, you do not look into the inner minds of the parties - into their intentions - any more than you do in the formation of any other contract. You look at their outward acts, that is, at what they said or wrote to one another in coming to their agreement, and then compare it with the document which they have signed. If you can predicate with certainty what their contract was, and that it is, by a common mistake, wrongly expressed in the document, then you rectify the document; but nothing less will suffice.”874

Es müsse demnach bewiesen werden, dass die Parteien im Hinblick auf ihren Vertragsinhalt übereinstimmten und diesen lediglich falsch aufgeschrieben hätten. Diese Beweisführung habe allerdings nur anhand der objektiven Aussagen oder schriftlichen Erklärungen im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu erfolgen, welche dann mit dem unterschriebenen Dokument verglichen werden. Die intentions, also die subjektiven Willen oder Absichten der Parteien, werden dabei nicht mehr beachtet als im Rahmen eines generellen Vertragsschlusses. In der Praxis ist die Ermittlung eines subjektiven Willens grundsätzlich schon hochgradig problematisch, wie bei der falsa demonstratio bereits erläutert 875 . Eine Bewertung aus Sicht eines objective observer, wie Lord Hoffmann es bezeichnet, scheint daher natürlich nachvollziehbar und praxisnah:

874

Frederick E Rose (London) Ltd v. William H Pim Jnr & Co Ltd [1953] 2 Q.B. 450, 461; Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 288; siehe auch McMeel, 17.46. 875 Siehe hierzu oben § 2 IV. 2. a).

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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„[…] the question is what an objective observer would have thought the intentions of the parties to be.“876

Dabei bleibt es allerdings bei der grundlegenden Wertung, nach der der gemeinsame objektiv ermittelte Wille dem subjektiven vorgeht, bzw. nach der ein gemeinsamer subjektiver Wille keine Rolle spielt877. Die Betrachtungsweise ist dabei indentisch mit der der Auslegung, auch wenn sich hierbei z.T. auf einen objective observer, statt einer reasonable person bezogen wird. Verwirrend scheint vor diesem Hintergrund aber die Tatsache, dass, im Gegensatz zur Auslegung, auch Beweismittel hinsichtlich des subjektiven Willens oder einer subjektiven Intention berücksichtigt werden können 878. Betrachtet man die vier genannten Voraussetzungen der rectification jedoch im Gesamtzusammenhang, ergibt sich auch im Hinblick auf die Berücksichtigung subjektiver Interessen ein stimmiges Bild. Noch deutlicher wird das Bild unter Zuhilfenahme des Falles Daventry District Council v. Daventry and District Housing Ltd879, in dem Etherton LJ die von Gibson LJ aufgestellten Voraussetzungen umformulierte: „(1) the parties had a common continuing intention, whether or not amounting to an agreement, in respect of a particular matter in the instrument to be rectified; (2) which existed at the time of execution of the instrument sought to be rectified; (3) such common continuing intention to be established objectively, that is to say by reference to what an objective observer would have thought the intentions of the parties to be; and (4) by mistake the instrument did not reflect that common intention.”880

Die erste Voraussetzung verlangt, wie ursprünglich auch formuliert, das Bestehen einer gemeinsamen Intention. Diese Intention kann unter Berücksichtigung subjektiver Elemente bestimmt werden, welche aber auch objektiv erkennbar gemacht worden sein müssen881. Behauptet eine Partei, dass während der Vertragsverhandlungen oder während des Vertragsschlusses ein bestimmter, gemeinsamer subjektiver Wille bestanden hatte, muss dieser auch aus Sicht eines objective observer erkennbar gewesen sein, wie die dritte Voraussetzung verlangt882. Andernfalls kann dieser Wille nicht berück876

Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 288. Frederick E. Rose (London) Ltd. v. William H. Pim Jnr. & Co. Ltd. [1953] 2 Q.B. 450, 461; Etablissements Georges et Paul Levy v. Adderley Navigation Co. Panama S.A. [1980] 2 Lloyd’s Rep. 67, 72; Dunlop Haywars (DHL) Ltd and others v. Barbon Insurance Group Limited and others [2009] EWHC 2900 (Comm); Czarnecki, S. 51. 878 „There is no conceptual limit as to the sort of material which may be relevant, and it can include evidence of subjective state of mind or intention”, Dunlop Haywards (DHL) Ltd and others v. Barbon Insurance Group Limited and others [2009] EWHC 2900 (Comm), Rn. 195. 879 [2012] 1 WLR 1333. 880 Daventry District Council v. Daventry and District Housing Ltd [2012] 1 WLR 1333, 1354. 881 Peel, 8–065. 882 Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 288; Richards, S. 353. 877

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1. Kapitel: Die Auslegung

sichtigt werden. Wird anhand der Vorverhandlungen und der den Vertragsschluss begleitenden Umstände ein gemeinsamer Wille festgestellt, dient dieser als Vergleich mit dem Wortlaut des umstrittenen Dokuments. Dieser Wille muss, laut zweiter Voraussetzung, zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung auch objektiv bestanden haben883. Vertragsschluss und Vertragsunterzeichnung können grundsätzlich zeitlich auseinanderfallen, so z.B. im Falle eines mündlichen Vertragsschlusses und einer erst nachträglichen Unterzeichnung. Bei der rectification kann es jedoch nur um den Zeitpunkt der Unterzeichnung des Vertragsdokuments gehen, da nur dieses Schriftstück durch die rectification geändert werden kann. Die vierte Voraussetzung verlangt letztendlich, dass der Vertragstext aufgrund eines Irrtums nicht die objektiv festgestellte gemeinsame Intention widerspiegelt. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen common und unilateral mistake. aa) Rectification for common mistake Im Falle eines common mistakes, eines gemeinsamen Irrtums, unterliegen die Vertragsparteien, analog der falsa demonstratio im deutschen Recht, einem gemeinsamen Irrtum. Stellenweise wurde die Art und Weise eines solchen gemeinsamen Irrtums auch ähnlich gehandhabt wie die falsa demonstratio, nämlich in der Form, dass der subjektive Wille der Parteien der objektiven Falschbezeichnung voranging und das Dokument dementsprechend korrigiert wurde 884 . Die Übereinstimmung der subjektiven Willen ging dementsprechend auch der objektiven Übereinstimmung der Erklärungen voran und diente somit als wesentlicher „Vergleichsmaßstab“ zwischen Konsens und wörtlicher Erklärung in Form des Vertragsdokuments. Dies änderte sich jedoch, da die Rechtsprechung mittlerweile überwiegend alleine den objektiv erkennbaren Konsens zum Vergleich mit dem Wortlaut des Dokuments heranzieht885. Die Literatur kritisiert dies stellenweise, da es keine überzeugenden Argumente gäbe, die Parteien an ihrer objektiv festgestellten common intention zu messen und dieses objektive Merkmal über das des Vertragsdokuments zu stellen886. Zudem sei es ungerecht, die Parteien an ihren objektiven Willen zu binden, wenn dieser nicht ihren gemeinsamen subjektiven Willen widerspiegelt887. Dagegen wird eingewandt, dass das englische Recht in jedem Fall eine objektiv erkennbare Form des Vertragsschlusses verlangt und demnach auch nicht im Fall der rectification auf einen evtl. bestehenden 883

Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 288; Richards, S. 352. Britoil Plc v. Hunt Overseas Oil Inc [1994] C.L.C. 567, 573; Peel, 8–065; Czarnecki, S. 51. 885 Frederick E Rose (London) Ltd v. William H Pim Jnr & Co Ltd [1953] 2 Q.B. 450, 461; Chartbrook Ltd v. Persimmon Homes Ltd [2009] 3 WLR 267, 288; Czarnecki, S. 51. 886 Peel, 8–065. 887 Peel, 8–065. 884

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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gemeinsamen subjektiven Willen abgestellt werden kann888. Während diese Argumentation nachvollziehbar erscheint, ist sie dennoch aus deutscher Sicht nicht völlig überzeugend. Der Bedarf an Vertrauensschutz ist im Falle eines gemeinsamen subjektiven Willens einfach nicht gegeben. Die Bindung an einen objektiv festgestellten Konsens scheint in diesem Zusammenhang völlig unbegründet889. Nichtsdestotrotz zieht ihn die Rechtsprechung konsequent als relevanten Vergleichsmaßstab zu dem Vertragsdokument zu Rate. Auch im umgekehrten Fall, kann der von Lord Hoffmann im ChartbrookFall angewandte objektive Maßstab nicht vollends überzeugen, wie Toulson LJ in Daventry District Council v. Daventry & District Housing Association Ltd anhand eines einfachen Beispiels verdeutlichte890: Parteien A und B erreichen mittels Briefverkehr eine Abmachung. A dachte dabei an Kaufsache „x“, B hingegen an „y“. Das unterschiedliche Verständnis ist beiden Parteien nicht bewusst, sie versuchen zudem nicht sich gegenseitig zu täuschen. Sie schließen einen schriftlichen Vertrag unter der fälschlichen Annahme, dieser würde die ursprüngliche Abmachung aus der jeweiligen Sicht der Parteien zur Geltung bringen. Aus objektiver Sicht benennt die nicht bindende Abmachung „x“ als Kaufsache, der schriftliche Vertrag jedoch „y“. Unter Anwendung der in Chartbrook beschriebenen objektiven Prinzipien könnte A den schriftlichen Vertrag mittels rectification derart abändern, dass dieser „x“, entsprechend der Abmachung, als Kaufsache benennt. Dies scheint aus jeder Blickrichtung problematisch. Die Abänderung des schriftlichen Vertrags wirkt aus klassisch englischer Sicht befremdlich, untergräbt sie doch scheinbar gerade die so hochgelobte Rechtssicherheit. Zum anderen wird B an einen Vertragsinhalt gebunden, den er so nicht wollte. Stünde A jedoch die Möglichkeit der rectification nicht offen, wäre dieser an einen ungewollten Inhalt gebunden. Auch das scheint unbillig. Da kein übereinstimmender subjektiver Wille existiert, liegt auch kein Fall der falsa demonstratio vor. Es lässt sich also auch nicht damit argumentieren, dass der subjektive Wille den objektiven Erklärungen vorgehen müsse. Aus subjektiver Sicht müsste daher von einem Dissens ausgegangen werden891. Der Fall scheint also kaum befriedigend lösbar. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung ein ganz anderes Problem, welches die Problematik der rectification in diesem Fall entschärft. Toulson LJ spricht in seinem erläuterten Beispiel von einem non-binding 888

Chitty/Beale, 5–114. Vgl. Crane v. Hegemann-Harris Co. Inc. [1939] 1 All E.R. 662, 664; Joscelyne v. Nissen [1970] 2 Q.B. 86, 95. 890 Siehe hierzu und zum Folgenden Daventry District Council v. Daventry & District Housing Association Ltd [2012] 1 WLR 1333, 1375; das Beispiel wurde der Verständlichkeit halber geringfügig in der Form abgewandelt, dass sich „x” und „y” auf die Kaufsache beziehen. 891 Wie das englische Recht mit dem Problem des Dissenses umgeht, wird unter § 8 II. ausführlich beschrieben. 889

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1. Kapitel: Die Auslegung

agreement, welches letztlich ausschlaggebend für die Korrektur des schriftlichen Vertragstexts sein soll. Berücksichtigt man jedoch nun den von der übrigen Rechtsprechung bekräftigten Zweck der rectification, die bloße Wortlautkorrektur des Texts, erscheint das Ergebnis, dass im schriftlichen Vertrag nun, wie im agreement ursprünglich bezeichnet, „x“ als Kaufsache festgelegt wird, zumindest mit den übrigen Prinzipien des englischen Rechts kongruent. Denn von einem non-binding agreement zu sprechen scheint falsch, sollten die Parteien tatsächlich ein agreement erreicht haben. Das englische Recht geht gerade davon aus, dass ein solches agreement rechtlich bindend wird und einen Vertragsschluss darstellt, wenn die Vertragsparteien aus objektiver Sicht einen Konsens erreicht haben892. Dann scheint die rectification des schriftlichen Dokuments unter Berücksichtigung der Chartbrook Prinzipien gerechtfertigt, spiegelt der Vertragstext doch nicht den Inhalt des tatsächlichen agreements wider 893. Es scheint nicht unbillig, B an einen entsprechenden Vertragsinhalt zu binden, sollte die objektive Beurteilung des agreements „x“ als Kaufsache feststellen. Dem grundlegenden objektiven Auslegungsgrundsatz ist damit Rechnung getragen, genauso wie ein ausreichender Vertrauensschutz für beide Parteien gewährleistet scheint. Hätten beide Parteien jedoch im Rahmen des agreements vereinbart, dass nicht dieses, sondern erst das Unterschreiben des schriftlichen Vertrags zu einem bindenden Vertragsschluss führen sollt, entsteht wohl unweigerlich das im Beispiel aufgezeigte ungebührliche Ergebnis der rectification. Die objektiv festgestellte, scheinbar gemeinsame Intention der Parteien wird letztlich objektiv „falsch“ im Vertragstext festgeschrieben und dementsprechend korrigiert, wodurch B am subjektiv ungewollten Vertragsinhalt festgehalten wird. bb) Rectification for unilateral mistake Lange Zeit galt die rectification aufgrund eines einseitigen Irrtums als ausgeschlossen, wohl weil dies zu einseitig die Interessen einer Vertragspartei berücksichtigen würde und zugleich die Rechtssicherheit untergraben könnte. Als Ausnahmen galten lediglich Fälle, in denen fraud und misrepresentation, 892

Siehe hierzu oben § 3 I. 2. Dies ist auch mit der in Dunlop and others v. Barbon Insurance Group Ltd and others zu findenden Aussage Hamblen Js kongruent: „This means that it is necessary to show that the parties in fact remained agreed on the (objectively determined) prior terms, or that their earlier (objectively determined) common intention was continuing at the date of the final contract, but by some mistake that prior agreement, or common intention, was not accurately expressed in the final contract. As Chartbrook makes clear, rectification requires a mistake about whether the final contract correctly reflects the parties' prior agreement or common intention (whatever that may objectively be), not whether it accorded with what the party in question believed that consensus to have been.”, Dunlop and others v. Barbon Insurance Group Ltd and others [2009] EWHC (Comm), Rn. 94. 893

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

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also Betrug und Falschdarstellung von Tatsachen, von einer Partei bewiesen werden konnten894. Dies änderte sich jedoch 1981, als in Thomas Bates Son v. Wyndhams Ltd durch Buckley LJ die ursprünglichen Beschränkungen der rectification im Falle eines einseitigen Irrtums aufgehoben, und zugleich Voraussetzungen für sie aufgestellt wurden: „For this doctrine - that is to say the doctrine of A. Roberts & Co. Ltd. v. Leicestershire County Council - to apply I think it must be shown: first, that one party A erroneously believed that the document sought to be rectified contained a particular term or provision, or possibly did not contain a particular term or provision which, mistakenly, it did contain; secondly, that the other party B was aware of the omission or the inclusion and that it was due to a mistake on the part of A; thirdly, that B has omitted to draw the mistake to the notice of A. And I think there must be a fourth element involved, namely, that the mistake must be one calculated to benefit B. If these requirements are satisfied, the court may regard it as inequitable to allow B to resist rectification to give effect to A's intention on the ground that the mistake was not, at the time of execution of the document, a mutual mistake.”895

Demnach muss (1) eine Partei A fälschlicherweise geglaubt haben, dass das Vertragsdokument eine bestimmte Klausel oder Regelung enthält bzw. nicht enthält, (2) die andere Partei B sich dem Fehlen bzw. der Einbeziehung der Klausel aufgrund des Irrtums der Partei A bewusst gewesen sein und (3) Partei B es unterlassen haben, Partei A auf den Irrtum aufmerksam zu machen. Zudem geht Buckley LJ davon aus, dass (4) der Irrtum zum Vorteil der Partei B gereichen muss. Sind alle vier Voraussetzungen erfüllt, kann das Gericht es als unbillig erachten, Partei A die rectification zu versagen, und dementsprechend den Vertragstext korrigieren. Besondere Beachtung bedürfen dabei die zweite und vierte Voraussetzung896. (1) Die vorausgesetzte positive Kenntnis des Irrtums und die Frage des relevanten Willens Die Voraussetzung der positiven Kenntnis des Irrtums der nicht-irrenden Partei erinnert an die Diskussion im Rahmen des erkannten Irrtums im deutschen Recht, bei dem bereits das „Kennenmüssen“ ausreicht, um den Willen des Irrenden letztlich zur Geltung zu bringen897. Gleiches gilt auch im englischen Recht. Erkennt Partei B den Irrtum der Partei A, erfüllt sie das erste 894 Wood v. Scarth (1855) 2 K. & J. 33, 41; May v. Platt [1900] 1 Ch. 616; Chitty/Beale, 5–115; Czarnecki, S. 52; Fälle in denen die rectification möglich war, wurden in A Roberts & Co v. Leicestershire CC genannt: „(1) a common mistake, (2) a unilateral mistake coupled with fraud on the part of the defendant, and (3) a mistake on the part of the plaintiff coupled with misconduct by the defendant not amounting to fraud, which justifies a finding of common mistake based on estoppel”, [1961] Ch. 555, 568. 895 Thomas Bates Son v. Wyndhams Ltd [1981] 1 WLR 505, 516. 896 Vgl. Chitty/Beale, 5–115. 897 Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c) cc) (2).

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1. Kapitel: Die Auslegung

Kriterium. Die Rechtsprechung geht mittlerweile auch davon aus, dass das bewusste „Verschließen der Augen vor dem Offensichtlichen“ sowie das „bewusste und leichtsinnige Scheitern, entsprechende Nachforschungen anzustellen, wie sie ein ehrlicher und vernünftiger Mann anstellen würde“ 898, ausreicht, um eine mögliche rectification zu bejahen899. Dies scheint interessengerecht, da die nicht-irrende Partei hierbei keines Vertrauensschutzes bedarf. Auch der Fall, in dem Partei A nur ahnt, dass sich Partei B irrt, durch Falsch- und irreführende Aussagen aber zu deren Irrtum beiträgt, erlaubt eine rectification900. An dieser Stelle ergibt sich zwischenzeitlich die Frage, worauf die rectification abzielt, bzw. auf Basis welcher Vorstellung der Vertragstext letztlich abgeändert werden soll: Auf Basis eines objektiv festgestellten gemeinsamen Willens, wie im Falle des common mistake, oder auf Basis des subjektiven Willens der irrenden Partei? Wenn auch für das englische Recht untypisch, kann der Vertragstext nur entsprechend dem subjektiven Willen der irrenden Partei geändert werden. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus der Voraussetzung des „Kennenmüssens“ der nicht-irrenden Partei. Erkannte diese die wahre Intention der irrenden Partei und wird letzterer dadurch die Möglichkeit der rectification eröffnet, muss der Vertragstext letztlich auch an deren – erkannten – subjektiven Willen angepasst werden. Eine Anpassung an einen davon möglicherweise abweichenden objektiven Sinn scheint abwegig. Auch ein Schutz dritter Parteien, für die der Vertrag möglicherweise Relevanz hätte, kann dabei nur in Ausnahmefällen als Gegenargument dienen. Schließlich wäre dabei die irrende und zugleich u.U. getäuschte Partei stärker benachteiligt, als die nicht-irrende Partei.

898 „Knowledge may be provided affirmatively or inferred from circumstances. The various mental states which may be involved were […] as comprising: (i) actual knowledge; (ii) wilfully shutting one's eyes to the obvious; (iii) wilfully and recklessly failing to make such inquiries as an honest and reasonable man would make”, Commission for the New Towns v. Cooper (Great Britain) Ltd [1995] Ch. 259, 280. 899 Baden v. Societe Generale pour Favoriser le Developpement du Commerce et de l'Industrie en France SA [1993] 1 WLR 509, 575; Agip S.p.A. v. Navigazione Alta Italia S.p.A. (The Nai Genova and The Nai Superba) [1984] 1 Lloyd’s Rep. 353, 356; Chitty/Beale, 5–116; Czarnecki, S. 52; Peel, 8–069; Beatson/Burrows/Cartwright, S. 265. 900 „[…] where A intends B to be mistaken as to the construction of the agreement, so conducts himself that he diverts B's attention from discovering the mistake by making false and misleading statements, and B in fact makes the very mistake that A intends, then notwithstanding that A does not actually know, but merely suspects, that B is mistaken, and it cannot be shown that the mistake was induced by any misrepresentation, rectification may be granted.”, Commission for New Towns v. Cooper [1995] Ch. 259, 280; Peel, 8–069.

§ 3 Die Auslegung im englischen Recht

161

(2) Die Voraussetzung der Ungleichheit zwischen den Vertragsparteien Buckley LJ nannte einen Vorteil der nicht-irrenden Vertragspartei als vierte Voraussetzung einer rectification auf Basis eines unilateral mistake. Dies kann auch als Element der inequity, also Ungerechtig- oder Unbilligkeit, formuliert werden901. Diese Ungerechtigkeit bezieht sich gerade auf den Vorteil der nicht-irrenden Partei, der dieser aus dem Irrtum heraus und nicht aufgrund einer ehrlichen Verhandlung entsteht. Die Voraussetzung eines Vorteils für die nicht-irrende Partei ist nicht völlig unstrittig. Wurde zunächst zum Teil fraud, oder zumindest sharp practice, also unlautere Geschäftspraxis, als Voraussetzung für die rectification genannt, gilt dies als überholt und wurde stattdessen von dem Element der inequity abgelöst 902 . Dies scheint überraschend, da dadurch der Anwendungsbereich der rectification bei einseitig irrtümlichen Fällen erweitert wird. Zudem wurde z.T. ein bloßer Nachteil der irrenden Partei als Voraussetzung genannt, der nicht zusätzlich zu einem Vorteil der nicht-irrenden Partei gereichen musste 903 . Die Trennung dieser Merkmale gestaltet sich schwierig und scheint nur in sehr speziellen Fällen überhaupt möglich (und nötig). Abstrakt betrachtet scheint jedoch bereits die bloße Benachteiligung der irrenden Partei für eine rectification ausreichend zu sein. Ist der nicht-irrenden Partei der Irrtum bekannt oder hat sie ihn sogar herbeigeführt, bedarf sie keines Vertrauensschutzes. Gereicht der Irrtum daraufhin allein zum Nachteil der irrenden Partei, spricht in letzter Konsequenz nichts gegen eine rectification. Die Forderung eines Vorteils der nicht-irrenden Partei scheint dabei wie ein objektives Element, das einen durch die Änderung des Vertragstexts auftretenden Nachteil zu Lasten der nicht-irrenden Partei, kompensieren soll. Soll durch die rectification jedoch der subjektive Wille der irrenden Partei zur Geltung gebracht werden, so ist dieses Element – unter den eben genannten Voraussetzungen der Kenntnis der nicht-irrenden Partei – jedoch entbehrlich. c) Einschränkungen der rectification durch Drittinteressen Die rectification wird einem Kläger nicht in jeder Fallkonstellation gewährt, vor allem dann nicht, wenn die Interessen dritter Parteien durch den strittigen Vertragstext berührt sind. So wird sie in aller Regel versagt, wenn die dritte

901

Chitty/Beale, 5–118. May v. Platt [1900] 1 Ch. 616, 623; Riverlate Properties Ltd v. Paul [1955] Ch. 133, 140; Thomas Bates and Son Ltd v. Wyndham’s Ltd [1981] 1 WLR 505, 516; Beatson/Burrows/Cartwright, S. 265; Chitty/Beale, 5–118. 903 Thomas Bates and Son Ltd v. Wyndham’s Ltd [1981] 1 WLR 505, 521; Chitty/Beale, 5–118. 902

162

1. Kapitel: Die Auslegung

Partei gutgläubig war und dementsprechend schützenswert ist 904 . Im Fall Smith v. Jones klagte der Pächter einer Farm auf rectification seines Pachtvertrags, der zwischen dem ursprünglichen Eigentümer und ihm selbst geschlossen worden war905. Der Vertrag enthielt eine Klausel, die den Vermieter zu Bauinstandsetzungsmaßnahmen verpflichtete. Die Farm wurde durch den Beklagten gekauft und dieser zum neuen Eigentümer. Der Beklagte war sich des Pachtverhältnisses bewusst, interpretierte den Pachtvertrag jedoch dahingehend, dass der Pächter und nicht der Eigentümer zu Bauinstandsetzungsmaßnahmen verpflichtet ist. Der Kläger machte die rectification dahingehend geltend, dass der Vertrag den Eigentümer zu entsprechenden Maßnahmen verpflichten sollte. Der Beklagte hielt dem entgegen, dass, sollte ein Anspruch auf rectification gegen den ursprünglichen Eigentümer bestehen, er als gutgläubiger Dritter nicht an das Recht des Klägers auf rectification gebunden sei. Dies ist weder überraschend, noch unbillig. Der subjektive Wille des Klägers muss aus Rechtsschutzgesichtspunkten hinter den objektiven Erklärungswert des Pachtvertrags zurücktreten. Ein anderes Ergebnis wäre nicht vertretbar, da dies einen funktionierenden Rechtsverkehr untergraben würde. Es mag sich nun das Argument, dass auch die Anfechtung im deutschen Recht einen Unsicherheitsfaktor darstellt, aufdrängen. Allerdings gewährt die Anfechtung dem Anfechtungsgegner, bzw. einem Dritten, der auf die Gültigkeit der Erklärung vertrauen durfte, Schadensersatz gem. § 122 BGB. Dies ist bei der rectification gerade nicht der Fall, weshalb die Rechte und Interessen Dritter freilich noch schützenswerter erscheinen. Kannte die dritte Partei einen entsprechenden Irrtum jedoch, entfällt deren Schutzbedürftigkeit. Dementsprechend ist eine rectification in derartigen Dreieckskonstellationen möglich und auch gerechtfertigt 906. III. Zusammenfassung Betrachtet man die Grundprinzipien der englischen Vertragsauslegung in ihrer Gesamtheit, zeigt sich eine weit überwiegend objektive Herangehensweise. Dies ist dem lange Zeit vorherrschenden literal approach geschuldet, nach dem lediglich der Wortlaut eines Vertrags als für die Auslegung maßgeblich angesehen wurde. Gerichte bestimmten die gewöhnliche Bedeutung des Wortlautes für einen objektiven Betrachter. Subjektive Intentionen der Vertragsparteien sowie Begleitumstände fanden nicht nur keine Berücksichtigung, sondern wurden vollständig von der Auslegung ausgeschlossen. Im 904 Bell v. Cundall (1750) Amb. 101; Garrard v. Frankel (1862) 30 Beav. 445; Smith v. Jones [1954] 1 WLR 1089; Lyme Valley Squash Club Ltd v. Newcastle-under-Lyme BC [1985] 2 All E.R. 405, Peel, 8–075; Burrows/McKendrick, 8.156; Chitty/Beale, 5–130. 905 Siehe hierzu und zum Folgenden Smith v. Jones [1954] 1 WLR 1089. 906 Leuty v. Hillas (1858) 2 De & G. J. 110; Craddock Bros v. Hunt [1923] 2 Ch. 136; Blacklocks v. J B Developments (Godalming) Ltd [1982] Ch. 183; Peel, 8–075; Chitty/Beale, 5–130.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

163

Laufe der Zeit und spätestens nach ICCS v. WBBS hielt jedoch ein liberalerer Ansatz der Vertragsauslegung Einzug 907 . Wo die vertraglichen Begleitumstände vorher ausgeschlossen waren, werden diese nun explizit mitberücksichtigt und sogar zur Ermittlung der möglichen Intentionen der Vertragsparteien herangezogen. Selbst eine Wortlautkorrektur eines offensichtlich „falschen“ Vertragstextes ist nun möglich, wenn dieser der ermittelten Intention der Parteien widerspricht. Diese Intentionen dürfen jedoch nicht als subjektive Elemente gewertet werden. Vielmehr bleibt es bei einer objektiven Ermittlung und Bewertung aus Sicht einer reasonable person. Lediglich im Rahmen der rectification, die ein fehlerhaft niedergeschriebenes Vertragsdokument korrigieren soll, werden die subjektiven Willen der Parteien berücksichtigt und zu deren Ermittlung geeignete Begleitumstände und Beweismittel zugelassen. Dadurch soll das Vertragsdokument, entsprechend dem gemeinsamen Willen der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, angepasst werden.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich § 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

Nachdem deutsches sowie englisches Recht getrennt voneinander betrachtet und erläutert wurden, sollen im Folgenden beide Rechtssysteme miteinander verglichen werden. Es stellt sich zunächst die Frage, wie groß der theoretische Unterschied zwischen der Bedeutung des subjektiven Willens in beiden Rechtsordnungen ist und, noch bedeutender, ob und inwieweit sich ein derartiger Unterschied auf die Rechtspraxis auswirkt. Für letztere Betrachtung sollen Fallgruppen gebildet und bewertet werden, um so eventuelle Unterschiede deutlich aufzeigen zu können. I. Dogmatische Unterschiede der Vertragsauslegung im deutschen und englischen Recht Folgender Abschnitt soll die theoretischen Unterschiede beider Rechtssysteme in einer kurzen Zusammenfassung gegenüberstellen. Dabei geht es zum einen um die grundsätzliche Ausrichtung des Vertragsrechts bzw. um den Geltungsgrund eines Vertrags. Zum anderen wird der Vorgang der Vertragsauslegung selbst verglichen, um so beurteilen zu können, wie subjektiv bzw. objektiv beide Rechtsordnungen hierbei vorgehen. Dabei soll die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit dem deutschen oder englischen Recht eine „bessere“ Lösung der klassischen Auslegungsprobleme im Sinne eines gerechten Interessenausgleichs gelingt.

907

Vgl. Czarnecki, S. 55.

164

1. Kapitel: Die Auslegung

1. Der Geltungsgrund des Vertrags – subjektiver und objektiver Vertragsbegriff im Vergleich Bereits beim Zustandekommen eines Vertrags und bei Betrachtung seiner Bestandteile, den Willenserklärungen bzw. offer und acceptance, zeigen sich elementare Unterschiede im Grundverständnis zwischen deutschem und englischem Recht im Hinblick auf einen wirksamen Vertrag. Das deutsche Recht differenziert und berücksichtigt einzelne Willensmomente, wohingegen das englische Recht eine derartige Unterscheidung nicht kennt. So kann in Ersterem schon das Fehlen einzelner subjektiver Willensmomente zur Unwirksamkeit einer Willenserklärung führen und damit letztlich das Zustandekommen eines Vertragsschlusses verhindern 908 . Dies beruht somit letztlich auf einem fehlerhaften subjektiven Willen einer Vertragspartei. Berücksichtigt man diese Tatsache in Verbindung mit dem aufgezeigten Verständnis der zweistufigen Auslegung, wo unter Zuhilfenahme der falsa demonstratio ein subjektiver Ausgangspunkt der Auslegung nach § 133 BGB aufgezeigt wurde, verdeutlicht sich die zunächst tendenziell subjektive Ausrichtung des deutschen Rechts. Der übereinstimmende subjektive Wille der Vertragsparteien geht einem objektiven Konsens vor, weshalb sich der Vertragsinhalt primär aus Ersterem herleitet. Decken sich die subjektiven Willen nicht vollständig bzw. weichen von den jeweiligen objektiven Erklärungen ab, wird diese Prämisse freilich durch den Vertrauensschutz der jeweiligen anderen Vertragspartei eingeschränkt. Erklärt eine Partei A „x“, obwohl sie „y“ erklären wollte, versteht der Erklärungsempfänger B auch „x“ und erklärt dahingehend seine Annahme, ohne dass er nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte erkennen hätte müssen, dass A ursprünglich „y“ erklären wollte, kommt der Vertrag auf Basis der objektiven Erklärungsbedeutungen mit dem Inhalt „x“ zustande. Dies ändert jedoch nichts an dem zunächst subjektiven Vertragsverständnis des deutschen Rechts909. Erkennt eine Vertragspartei, dass ihr Gegenüber einen anderen Willen hatte als sie erklärte, und unterlässt erstere, die irrende Partei darauf hinzuweisen, gilt die Erklärung mit dem Inhalt, den die erklärende Partei subjektiv erklären wollte. Auch dies verdeutlicht den vergleichsweise subjektiven Ausgangspunkt des deutschen Rechts. Demgegenüber steht das englische Recht mit seinem streng objektiven Vertragsbegriff. Schon beim Zustandekommen des Vertrags liegt der Fokus rein auf dem Wortlaut einer Erklärung. Decken sich offer und acceptance aus objektiver Sicht, gilt ein Vertrag als geschlossen910. Die contractual intention als scheinbar subjektives Merkmal gilt jedoch als grundsätzlich bestehend 908

So z.B. beim Fehlen eines Handlungswillens. Vgl. auch Czarnecki, S. 128. 910 Freilich vorausgesetzt, dass die anderen Voraussetzungen des Vertragsschlusses wie die consideration vorliegen. 909

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

165

und wird zudem rein objektiv bewertet. Selbst wenn eine Partei diese bestreitet, erfolgt eine Beurteilung der vorgebrachten Beweise aus rein objektiver Sicht. Gleiches gilt für die Fälle der invitatio ad offerendum, deren Handhabung im deutschen Recht ebenfalls von einem verhältnismäßig subjektiven Ausgangspunkt aus erfolgt. Einen ebenfalls elementaren Unterschied zum deutschen Recht stellt die Tatsache dar, dass sich der Vertragsinhalt nicht aus dem eigentlichen Konsens der Parteien ergibt, sondern lediglich aus dem Vertragsdokument, den four corners des Vertrags911. Von diesem darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden 912 . Diese dogmatische Trennung des eigentlichen Konsens vom Vertragsdokument verdeutlicht sich erneut im Rechtsbehelf der rectification, die eine Berichtigung des Vertragsdokuments ermöglicht913. Zugleich wird die Bedeutung der objektiven Erklärungen bzw. des Vertragstextes deutlich. Subjektive Merkmale spielen beim Vertragsschluss selbst de facto kaum eine Rolle. Dies begründet sich durch das vielbeschworene Ziel der Schaffung eines hohen Maßes an Rechtssicherheit, die den „Unsicherheitsfaktor“ der Berücksichtigung subjektiver Merkmale auszuschließen versucht. 2. Der Auslegungsvorgang der normativen Auslegung im deutschen Recht im Vergleich mit der individuell-objektiven Auslegung im englischen Recht Während sich die Ausrichtung der Rechtssysteme – subjektiv und objektiv – im Hinblick auf das Vertragsverständnis und damit einhergehend der Auslegung grundlegend unterscheidet, scheinen sich Auslegungsvorgang und -standards des deutschen und englischen Rechts deutlich ähnlicher. Das deutsche Recht kennt jedoch einen der normativen bzw. objektiven Auslegung vorgelagerten Schritt, die subjektive oder empirische Auslegung. So hat der Auslegende zunächst das tatsächliche Verständnis der Vertragsparteien, respektive der erklärenden Partei, zu ermitteln914. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt die Auslegung der Willenserklärungen in der Art, wie sie die Vertragsparteien nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsanschauung verstehen mussten915. Das englische Recht kennt lediglich diese zweite Stufe der Auslegung, die dort jedoch aus Sicht einer vernünftigen Person, die das gesamte Hintergrundwissen, welches den Parteien in der Situation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vernünftigerweise zur Verfügung stand, erfolgt916. Die normative Auslegung im deutschen Recht und die individuell911

McKendrick, S. 376. Siehe hierzu oben § 3 II. 2. b) dd) ff. 913 Vgl. Czarnecki, S. 127. 914 Czarnecki, S. 132. 915 Vgl. Czarnecki, S. 132. 916 Czarnecki formuliert hier „[…] ist der Maßstab das vernünftigerweise anzunehmende Verständnis einer außenstehenden Person in der Position der konkreten Vertragsparteien […]“, Czarnecki, S. 132. Dies gilt jedoch nur insoweit, wenn in das „vernünftigerweise 912

166

1. Kapitel: Die Auslegung

objektive Auslegung im englischen Recht unterscheiden sich demnach – scheinbar – zunächst durch die ausdrückliche Berücksichtigung der normativen Maßstäbe von Treu und Glauben und der Verkehrssitte im deutschen Recht. Der Maßstab von Treu und Glauben findet sich jedoch indirekt durch die Auslegung aus Sicht der reasonable person verwirklicht, ebenso wie die Verkehrssitte z.B. bei der möglichen Wortlautkorrektur Berücksichtigung findet. Die Wortlautkorrektur, wie sie im englischen Recht spätestens seit ICS v. WBBS praktiziert wird und anerkannt ist, wird auch im deutschen Recht ermöglicht. Dies begründet sich aus § 133 BGB und damit der subjektiven Auslegung, da an der objektiven Erklärungsbedeutung nicht zwangsweise festgehalten wird917. So unterschiedlich beide Auslegungsvorgänge in der dogmatischen Betrachtung scheinen mögen, so gering sind die Differenzen jedoch in der praktischen Anwendung. Die subjektive Auslegung kann in der Praxis nur annäherungsweise angewendet werden und erfolgt letztendlich objektiviert. Den tatsächlichen subjektiven Willen beider Parteien zu ermitteln, ist ein unmögliches Unterfangen. Lediglich eine Annäherung an ihn kann anhand objektiver Merkmale erfolgen918. Lediglich die „Sichtweise“ des Auslegenden kann beeinflusst werden. Individuelle Umstände, die die Erklärung einer Vertragspartei in einen bestimmten Kontext einordnen bzw. Einfluss auf die Bedeutung der Erklärung gehabt haben könnten, werden zum Teil bei der Auslegung berücksichtigt, um dem subjektiven Willen der Parteien Rechnung zu tragen. Eingeschränkt wird dies durch Vertrauensschutzgesichtspunkte des Rechtsverkehrs sowie der gegenüberstehenden Vertragspartei. Es erfolgt letztlich eine Abwägung zwischen (erkennbaren) subjektiven Willen der einen sowie notwendigen und berechtigten Vertrauensschutz der anderen Vertragspartei. In diesem stets fallabhängig zu bewertenden Gleichgewicht bewegt sich die deutsche Auslegung in der praktischen Anwendung. Die englische Auslegung spart sich den scheinbaren Umweg einer subjektiven Bewertung. Die objektive Beurteilung berücksichtigt nach den five principles ebenfalls die individuellen Umstände des Vertragsschlusses, ohne jedoch eine subjektive Sichtweise einzunehmen. Da beide Rechtssysteme am Ende in der praktischen Anwendung jedoch grundlegend eine objektive Auslegung verfolgen, ergibt sich die Vermutung, dass die dogmatisch scheinbar tiefen Gräben, die zwischen deutschen und englischen Recht verlaufen, in der praktischen Anwendung letztendlich doch nur kleine Einschnitte darstellen. Dies soll nun anhand von Fallgruppen belegt werden.

anzunehmende Verständnis“ der außenstehenden Person auch dasjenige Hintergrundwissen einfließt, welches den Parteien bekannt hätte sein müssen. 917 Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c). 918 So auch Czarnecki, S. 132.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

167

II. Praktische Unterschiede der Vertragsauslegung – Eine Fallgruppenanalyse Die folgenden Fallgruppen wurden so ausgewählt, dass möglichst unterschiedliche Problemfelder der Auslegung aufgezeigt und miteinander verglichen werden können. Die erste Fallgruppe bilden die Fälle der falsa demonstratio und des einseitig erkannten Irrtums, da diese mögliche Unterschiede zwischen deutschen und englischen Recht am ehesten aufzuzeigen vermögen. 1. Fälle der falsa demonstratio und des erkannten einseitigen Irrtums a) Der Fall der falsa demonstratio non nocet aa) BGH, Urteil vom 7.12.2001 – V ZR 65/01 Ausgangspunkt des Vergleichs bildet ein Fall der falsa demonstratio im Rahmen einer Grundstücksauflassung 919 . Der Kläger war Eigentümer der Flurstücke 64/2 und 66/2, die Stadt W. Eigentümerin des Flurstücks 64/1. Diese stellte dem Kläger eine etwa 20m² große Teilfläche dieses Grundstücks zur Verfügung und erhielt – so vom Kläger behauptet – im Gegenzug eine etwa 8m² große Teilfläche des Flurstücks 64/2, ohne dass dies im Grundbuch eingetragen worden wäre. Die Stadt W. schloss mit dem Beklagten einen notariell beurkundeten Kaufvertrag, der das Flurstück 64/1 als Kaufgegenstand auswies. Noch vor Vertragsschluss wurde das betreffende Grundstück vom Beklagten und dem Bürgermeister der Stadt W. besichtigt. Die vom Kläger genutzte Fläche des ihm von der Stadt W. überlassenen Teilgrundstücks war zu diesem Zeitpunkt bereits einheitlich gepflastert und zudem an dessen Rand durch zwei massive Steinpoller abgegrenzt, also deutlich sichtbar vom restlichen Grundstück zu unterscheiden. Der zwischenzeitlich als Eigentümer des betroffenen Grundstücks eingetragene Beklagte, nahm die vom Kläger benutzte und abgegrenzte Fläche in Besitz. Der Kläger wandte ein, der Beklagte sei nicht Eigentümer der strittigen Fläche geworden und verlangte die Auflassung an die Stadt W., hilfsweise die Auflassung an sich und weiter hilfsweise, die Feststellung eines ihm zustehenden Nutzungsrecht an der Teilfläche. Der Klage wurde vom Landgericht zunächst stattgegeben, dann durch das OLG abgewiesen und zur Revision zugelassen. Mittels weiterer Hilfsanträge forderte der Kläger vom Beklagten die Genehmigung des Veränderungsnachweises hinsichtlich der umstrittenen Teilfläche, weiter hilfsweise dessen Zustimmung zur Abmessung und Abschreibung einer Fläche von ca. 20 m² entsprechend dem Veränderungsnachweis, sowie jeweils die Bewilligung zu seiner Eintragung als Eigentümer des Teilgrundstücks. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. 919

Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW 2002, 1038 ff.

168

1. Kapitel: Die Auslegung

Der BGH stellte fest, dass die im Grundbuch dargestellte Rechtslage, der Beklagte hätte wirksam Eigentum an der umstrittenen Teilfläche erworben, nicht mit der tatsächlichen Rechtslage übereinstimmte. Vielmehr war die entsprechende Teilfläche nicht Teil der Auflassung, da auch bei dieser die allgemeinen Grundsätze der falsa demonstratio Geltung finden. Die Auflassung sei „dann hinsichtlich des Objekts erklärt worden, auf das sich der übereinstimmende Wille erstreckte, während für den durch die Erklärungen äußerlich umschriebenen Gegenstand nur scheinbar eine Einigung vorliegt, es insoweit aber in Wirklichkeit an einer Auflassung“ fehle 920. Das Berufungsgericht habe es verkannt, „entscheidungserheblichen Tatsachenstoff“ 921 aufgrund eines zu engen Verständnisses des maßgeblichen Willens, richtig zu bewerten. Der wirkliche, dabei möglicherweise ungenau oder unzutreffend geäußerte Wille eines Erklärenden sei als „innere Tatsache“, zu ermitteln 922. Werde dieser subjektive Wille durch die Gegenpartei festgestellt, die die Erklärung im selben Sinn verstanden hat, sei allein dieser subjektive Wille für den Vertragsinhalt maßgeblich, unabhängig davon, ob die Gegenpartei sich diesen Willen zu Eigen gemacht habe. Der subjektive Wille des Erklärenden gehe demnach dem Wortlaut vor 923 , wodurch eine anders lautende Auslegung ausgeschlossen werde. Es sei Aufgabe des Gerichts, alle Umstände heranzuziehen, „die zur Aufdeckung oder Aufhellung des Parteiwillens dienlich sein können“ 924. Betrachtet man die relevanten Umstände, lässt sich auf einen entsprechend anders lautenden subjektiven Willen schließen, als in der Auflassung scheinbar erklärt. Bei Begehung des Grundstücks stand für den die Stadt (die Verkäuferin) vertretenden Bürgermeister „außer Frage, dass ungeachtet der Rechtslage an dem Flächentausch mit dem Kläger festgehalten werden sollte, die fragliche Teilfläche also nicht mehr zur Disposition der Verkäuferin stand“ 925. Sein Wille war demnach nicht auf Übereignung dieser Teilfläche an den Beklagten gerichtet. Dieser Wille sei – so die Feststellungen des BerGer. – vom Beklagten erkannt worden, der sich daraufhin unter Kenntnis des selbigen mit der Stadt W. über den Eigentumsübergang einigte. Der Begehung beiwohnende Zeugen betonten zudem die offensichtliche Abtrennung des strittigen Teilgrundstücks, welches allem Anschein nach zum Grundstück des Klägers „gehörte“ 926. Alle weiteren Umstände deuteten nicht auf einen abweichenden subjektiven Willen der Verkäuferin hin. Insbesondere habe sich dieser Wille bis zur Auflassungserklärung nicht geändert. 920

BGH NJW 2002, 1038, 1039. BGH NJW 2002, 1038, 1039. 922 BGH NJW 2002, 1038, 1039; NJW 1984, 721. 923 BGH NJW 2002, 1038, 1039; NJW-RR 1988, 265; 1993, 373; NJW 1984, 721; siehe hierzu auch oben § 2 III. c) cc) (2). 924 BGH NJW 2002, 1038, 1039. 925 BGH NJW 2002, 1038, 1040. 926 BGH NJW 2002, 1038, 1040. 921

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

169

Die durch das BerGer. vorgenommene Auslegung des objektiven Erklärungswerts aus Sicht des Erklärungsempfängers habe keine weitere Bedeutung gehabt, da der übereinstimmende Wille eine anderweitige Auslegung ausschließe. Schuldrechtliche Ansprüche aus dem Kaufvertrag seien ebenfalls ausgeschlossen, da die „Identität von Auflassungs- und Kaufgegenstand“ 927 die eben gemachten Ausführungen auch für diesen gelten ließen. Die subjektive Ausrichtung der Auslegung im deutschen Recht sowie die Bedeutung des subjektiven Willens wird hier auf eindrucksvolle Weise betont. Selbst im Falle einer notariellen Beurkundung, die gerade eine Beweisfunktion einnehmen soll, ist eine Abweichung zu Gunsten eines (erkannten) subjektiven Willens einer Vertragspartei möglich. Diese geht der normativen Auslegung vor. Dies gilt freilich nur, wenn dieser Wille auch nach außen hin erkennbar zum Ausdruck gebracht wurde928. bb) Beale v. Harvey Ein ähnlicher Fall wurde in England ebenfalls verhandelt. Die Kläger, Ehepaar Beale, verlangten von der Beklagten, Mrs. Harvey, per gerichtlicher Verfügung die Neuausrichtung eines auf – ihrer Meinung nach – ihrem Grundstück befindlichen Zaunes929. Die Beklagte erwarb im Dezember 1998 vom Bauträger Countrywide Properties Ltd einen Teil eines größeren, dreigeteilten Grundstücks, bezeichnet als Grundstück 1. Noch vor Auflassung des Grundstücks, wurde auf ihre Anweisung ein am Rande des Grundstücks 1 befindlicher und ursprünglich von Countrywide Properties Ltd errichteter Zaun ausgebaut. Am Rande dieses Zaunes pflanzte die Beklagte zusätzlich Blumen und Büsche. Im Mai 1999 erfolgte die Auflassung des von der Beklagten erworbenen Grundstücks. Der dabei beurkundete Flächenplan zeigte, dass der errichtete Zaun und die dadurch gezogene Grenze nicht mit der auf dem Plan eingezeichneten Grenze übereinstimmte. Am Juni 1999 erwarben die Kläger das direkt angrenzende Nachbargrundstück, Grundstück 2. Bei der Besichtigung sahen die Kläger zwar den betreffenden Zaun, überprüften die Grenzen jedoch nicht genauer, da diese auf dem Flächenplan klar bezeichnet waren. Der dem Transfer des Grundstücks 2 beigefügte Flächenplan war identisch zu dem bei Transfer des Grundstücks 1 beigefügtem und zeigte ebenfalls die ursprünglich eingezeichneten Grenzen. Die Kläger erklärten, ihnen wäre der falsch verortete Zaun noch vor dem Transfer aufgefallen, woraufhin sie den Bauträger kontaktierten und eine Zusage erhielten, dass der Zaun in die richtige Stelle versetzt werden würde. Im Zuge dessen wurde durch Countrywide festgestellt, dass die durch den Zaun gezogene, nicht der

927 928 929

BGH NJW 2002, 1038, 1040. Jedoch nicht notwendigerweise auch durch explizite Erklärung. Siehe hierzu und zum Folgenden Beale v. Harvey [2003] EWCA Civ. 1883.

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1. Kapitel: Die Auslegung

eingezeichneten und gewollten Grenze entsprach. Daraufhin sollte die Zustimmung der Beklagten eingeholt werden, um den Zaun neu zu verorten. Die Beklagte argumentierte, dass der Zaun noch vor Auflassung als vermeintlicher Grenzzaun errichtet und von ihr bepflanzt wurde. Dies geschah mit Wissen und Zustimmung des Vertreters von Countrywide, der die Fehlerhaftigkeit des Standortes hinsichtlich der tatsächlichen Grenze nicht erwähnt habe. Der Streitpunkt war letztlich die Diskrepanz zwischen zwei möglichen Interpretationen: (1) Der Flächenplan stelle die tatsächlichen Grenzen dar und der Zaun wäre einfach nur an der falschen Stelle errichtet worden, und (2) der Zaun stelle die richtige Grenze dar, wohingegen der Plan die falsche Grenze darstellen würde. Die Beklagte argumentierte für letztere Interpretation und berief sich dabei auf die falsa demontratio. Es sei für einen vernünftigen Käufer offensichtlich, dass der Zaun die beabsichtigte Grenze markieren würde. Gibson LJ erteilte dieser Argumentation jedoch eine klare Absage und stellte gleich zu Beginn seines Urteils klar, dass es lediglich Ziel sei aus objektiver Sicht herauszufinden, was die Vertragsparteien gewollt hätten 930 . Eine falsa demonstratio sei demnach nicht vorliegend. Die Tatsache, dass auf dem Flächenplan die richtige Grenze eingezeichnet sei, wiege schwerer als der scheinbare Eindruck, der durch den Zaun entstehen würde. Countrywide sei schlicht ein Fehler bei der Errichtung des Zaunes unterlaufen, der jedoch keinen Einfluss auf die tatsächlich gewollte Grenze gehabt hätte. cc) Vergleich Beide Fälle zeigen einen deutlich ähnlich gelagerten Sachverhalt, der jedoch völlig anders bewertet wurde. Wo der BGH zunächst den möglichen subjektiven Willen der Parteien ermittelte, stellte der Court of Appeal rein auf den objektiven Erklärungswert des Flächenplans ab. Die Tatsache, dass die Beklagte in dem vor dem Court of Appeal verhandelten Fall einen davon abweichenden subjektiven Willen gehabt haben könnte, zog das Gericht nicht in Betracht bzw. sah diesen schlicht nicht als maßgeblich an. In beiden Fällen lag ein Flächenplan bzw. eine genaue Bezeichnung des Grundstücks vor, wobei das englische Gericht diesem die allein maßgebliche Bedeutung beimaß. Auffällig ist freilich, dass die Herangehensweise in beiden Fällen die gleiche war. Die Gerichte berücksichtigten in beiden Fällen die vertraglichen Begleitumstände, respektive die Ortsbegehung und die dabei feststellbaren (scheinbaren) Grenzen bzw. Abgrenzungen der betroffenen Grundstücke. Zudem wurden sowohl die Flächenpläne, als auch die Aussagen der Zeugen hinsichtlich der Ortsbegehung bewertet. Die Gerichte stellten dabei jedoch auf unterschiedliche Weise auf die Frage ab, ob und inwieweit ein entsprechender Wille der Verkäuferpartei erkennbar war, bzw. bewerteten diesen 930

Beale v. Harvey [2003] EWCA Civ. 1883, Rn. 24.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

171

Willen unterschiedlich. Wo das deutsche Gericht einen Fall der falsa demonstratio annahm, da es den übereinstimmenden Willen oder zumindest den durch den Beklagten erkannten Willen des Verkäufers und dessen daraufhin folgende Einverständnis als gegeben ansah 931, stellte das englische Gericht rein auf die objektive Bedeutung des Flächenplans ab und sah darin das von den Parteien Gewollte. Die unterschiedliche Ausrichtung des deutschen und englischen Rechts zeigt sich demnach auch in der Rechtspraxis bei der Anwendung des falsa demonstratio Grundsatzes zum Teil deutlich. Dies gilt jedoch nicht in allen Fällen. So finden sich ebenfalls Beispiele, die der deutschen Rechtsprechung deutlich ähneln. Im Fall Finbow v. Air Ministry erteilte der Landwirtschaftsund Fischereiminister eine schriftliche Genehmigung zur Vermietung bestimmter Grundstücksteile eines Luftwaffenstützpunktes 932. Aufgrund dieser Genehmigung schloss der Secretary of State of Air mit dem Kläger ein agreement, welches dem Kläger ein landwirtschaftliches Nutzungsrecht an bestimmten Grundstücksteilen zusicherte und explizit die Genehmigung seitens der zuständigen airfield authority und des Landwirtschaftsministers bestätigte. Die Genehmigung des Ministers wurde unter Berufung auf den Agriculture Act 1947 erteilt, obwohl diese Verordnung zwischenzeitlich durch den Agricultural Holdings Act 1948 ersetzt worden war. McNair J hielt die Genehmigung dennoch für gültig, da ein Urteil, welches aufgrund der falschen Beschreibung der Ministerialkompetenzen die Genehmigung als nichtig feststellen, letztlich damit der eindeutigen Intention des Ministers widersprechen würde. Er nahm daher einen klaren Fall der falsa demonstratio an, da eine völlige Inkonsistenz und Unstimmigkeit zwischen der offensichtlichen Intention des Ministers und dem wörtlichen Effekt des Dokuments – seiner ursprünglichen, schriftlichen Genehmigung – bestehe933. Hierbei wurde zwar ebenfalls die objektive Erklärung des Ministers in Form der Genehmigung ausgelegt, dabei allerdings die Begleitumstände stärker berücksichtigt. Daraus entstand letztlich der Eindruck der eindeutigen Intention und damit des subjektiven Willens des Ministers, der durch das Gericht angenommen wurde. Ein weiteres, als Lehrbuchfall beschriebenes Urteil zeigt, dass auch die Auslegung im englischen Recht deutlich subjektiver ausgerichtet angewendet wird, als die theoretische Betrachtung überwiegend vermuten lässt. In Adamastos Shipping Co Ltd v. Anglo-Saxon Petroleum Co Ltd wurde eine Klausel so ausgelegt, dass sie statt für einen Ladeschein für den tatsäch-

931

„[…] ist ferner zu schließen, dass der Bekl. diesen Willen der Verkäuferin erkannte und sich in dessen Kenntnis mit ihr über den Eigentumsübergang einigte.“, BGH NJW 2002, 1038, 1040. 932 Siehe hierzu und zum Folgenden Finbow v. Air Ministry [1963] 1 WLR 697; Lewison, 9.05 (S. 482). 933 Finbow v. Air Ministry [1963] 1 WLR 697, 709.

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1. Kapitel: Die Auslegung

lich abgeschlossenen Chartervertrag Geltung beanspruchte 934. Das House of Lords sah die Intention der Parteien als ausreichend bestimmbar an und begründete die fehlerhafte Verwendung der falschen Vertragsbezeichnung einfach mit schludriger Formulierung durch die Vertragsparteien. Da die Klausel in ihrer ursprünglichen Form jedoch völlig bedeutungslos gewesen wäre, schien eine entsprechende Auslegung angebracht. Betrachtet man die Argumentation der Gerichte in den eben erläuterten Fällen, fällt auf, dass ein subjektiver Wille zwar scheinbar durch Auslegung ermittelt bzw. sich diesem angenähert wird, dies jedoch nicht bewusst unter dem Gesichtspunkt seiner Verwirklichung geschieht. Folglich verfolgen die Gerichte nicht die Zielsetzung der Ermittlung eines subjektiven Willens, verwirklichen diesen jedoch durch Anwendung der objektiven Auslegung zum Teil aber doch. Dies gilt freilich jedoch nur dann, wenn sich entsprechend überzeugende Anhaltspunkte dafür finden. Die falsa demonstratio Regelung findet sich demnach sowohl im deutschen, als auch im englischen Recht in ähnlicher Art und Weise angewandt. Die theoretischen Unterschiede, die durch die jeweiligen Auslegungsziele bestehen, scheinen demnach weniger praktisch relevant als möglicherweise vermutet. b) Die falsa demonstratio und die praktische Anwendung der rectification aa) Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd Verglichen werden muss auch die praktische Anwendung der rectification mit derjenigen der falsa demonstratio, stellt jene doch das theoretische Gegenstück des englischen Rechts dar. Es stellt sich die Frage, ob sich hierbei Unterschiede deutlicher zeigen, als bei einer „reinen“ Auslegung. Als Beispiel soll der Fall Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd935 dienen, in dessen Rahmen die allgemeinen Voraussetzungen der rectification beschrieben wurden. Die Klägerin, Swainland Builders Ltd, ein Bauunternehmen, verkaufte einen Appartementkomplex an die Beklagte, Freehold Properties Ltd. Der Komplex bestand aus insgesamt 39 Appartements. Von diesen Appartements waren 37 langfristig vermietet, Appartement Nr. 11 und Nr. 18 jedoch nur jeweils kurzfristig vermietet. Beide Appartements, Nr. 11 und Nr. 18, sollten vom Verkauf ausgenommen werden und die Klägerin dementsprechend Eigentümerin bleiben. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen blieb dies jedoch zunächst unerwähnt, und die Klägerin stimmte dem von der Beklagten gemachten Angebot zu. Kurz darauf bemerkten die Anwälte der Beklagten, dass keine Mietverträge für Appartements Nr. 11 und 934 „[…] despite the use of the words ‘This bill of lading […]’ on the typed slip, which words, in accordance with the common meaning and intention of the parties, should be read as if they were ‘This charterparty […]’”, Adamastos Shipping Co Ltd v. Anglo-Saxon Petroleum Co. Ltd. [1958] 2 WLR 688. 935 [2002] EWCA Civ 560.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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Nr. 18 vorlagen. Auf Nachfrage erklärten die Anwälte der Klägerin, dass Appartements Nr. 11 und Nr. 18 weiterhin im Eigentum der Klägerin stünden und nur auf lange Sicht verkauft werden sollten. Dementsprechend sollte die Klägerin in der Zwischenzeit wie jeder andere Mieter des Komplexes behandelt werden 936 . Das darauf folgende Schweigen der Beklagten wurde vom Richter des High Court als Zustimmung gewertet. Der Vertragsabschluss erfolgte schließlich durch die Übereignung des Komplexes an die Beklagte. Die beiden Appartements 11 und 18 wurden dabei nicht explizit erwähnt bzw. von der Übereignung ausgenommen. Zugleich behielt sich die Klägerin diesbezüglich weder Rechte vor, noch wurden ihr dahingehend Rechte zugesprochen. Nichtsdestotrotz vollzog sie die Übereignung. Nach Übereignung verwaltete die Klägerin beide Appartements als Vermieterin – in der Annahme, sie sei weiterhin Eigentümerin der Appartements Nr. 11 und Nr. 18 – und erhielt Mietzahlungen aus jeweils befristeten Mietverhältnissen. Kurz daraufhin stellten die Anwälte der Klägerin fest, dass die Abwicklung fehlerhaft von statten gegangen war und teilten den Anwälten der Beklagten mit, dass beabsichtigt war, dass die Klägerin – wie bei den anderen Appartements – ein auf 99 Jahre befristetes Mietverhältnis mit der Beklagten betreffend die beiden Appartements abschließen und zudem alle Appartements an die Beklagte übereignen wollte. Die Anwälte der Klägerin forderten die Beklagte daraufhin auf, einer rectification dahingehend zuzustimmen, dass die Appartements Nr. 11 und Nr. 18 entweder von der Übereignung ausgenommen sein sollten, oder Vorkehrungen für die Bewilligung der Mietverträge, die den selben Bedingungen entsprechen wie die anderen Appartements, zu treffen. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Zustimmung und berief sich vor Gericht auf die gemeinsame Intention der Parteien, nach der die Klägerin ein Anrecht auf einen Mietvertrag über die Appartements Nr. 11 und Nr. 18 behalten sollte. Die Beklagte verteidigte sich u.a. mit dem Argument, dass die Klägerin mehrere verschiedene gemeinsame Intentionen behauptet habe und daher eine rectification auf Basis einer gemeinsamen Intention nicht möglich sei937. Dementsprechend sei schon kein Beweis für eine gemeinsame Intention möglich. Der Court of Appeal gab der Klage auf rectification dennoch Recht. Gibson LJ wies das Argument der angeblichen Inkonsistenz des behaupteten gemeinsamen Willens mit der Begründung zurück, dass die Klägerin lediglich widersprüchliche Möglichkeiten, durch die die gemeinsame Intention verwirklicht werden könne, vorgebracht habe 938 . Dies sei jedoch kein 936

Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd [2002] EWCA Civ 560, Rn. 16. Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd [2002] EWCA Civ 560, Rn. 37; als verschiedene gemeinsame Intentionen zeigen sich z.B. die Tatsache, dass die Klägerin zunächst behauptet, sie hätte Appartements Nr. 11 und Nr. 18 nicht übereignen wollen, im Anschluss dann aber behauptet, sie hätte alle (!) Appartements übereignen wollen. 938 Z.B. die Ausnahme der relevanten Appartements von der Übereignung oder die Schaffung eines Anspruchs auf einen Mietvertrag etc. 937

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1. Kapitel: Die Auslegung

Ausschlussgrund für eine rectification, die letztlich die gemeinsame Intention verwirklichen würde. Letztere wurde durch das Gericht unter Berücksichtigung der Korrespondenz beider Parteien ermittelt und als eindeutig erachtet, weshalb der Klage auf rectification auch stattgegeben wurde. Dies geschah unter Berücksichtigung der zuvor aufgestellten vier Voraussetzungen, die bereits im Abschnitt zur rectification selbst erläutert wurden939. bb) BGH, Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 122/91 Vergleicht man die Herangehensweise und die Argumentation des Gerichts mit der eines deutschen Gerichts, lassen sich Parallelen erkennen. In dem hier zum Vergleich gewählten Fall verklagte die ehemalige Eigentümerin eines Grundstücks die neue Eigentümerin auf Bezahlung von 277.725DM940. Das Grundstück war ursprünglich von der Klägerin an Firma S verpachtet worden. Firma S und die Klägerin hatten zudem staatliche Investitionsbeihilfen zur Bebauung und Inbetriebnahme des Betriebs in Anspruch genommen. Klägerin und Beklagte vereinbarten durch Klausel Nr. XV 2 des notariellen Kaufvertrags, dass evtl. für die Klägerin aufgrund des Verkaufs und der dadurch verursachten vorzeitigen Rückzahlung der genannten Beihilfen entstehende Nachteile (z.B. Zinsverluste, Mali o.ä) von der Beklagten an die Klägerin zu erstatten seien 941 . Die Beklagte hatte zuvor die vertraglichen Vorverhandlungen im Rahmen einer „Vereinbarung/Vorvertrag“ u.a. mit folgendem Absatz bestätigt: „4. Eventuelle Rückforderungen von staatlichen Investitionsbeihilfen im Zusammenhang mit Kauf von Einrichtung des Gebäudes der Firma S in L. werden durch die Firma H getragen.“ 942. Demnach wären nicht lediglich Zinsverluste u.ä., sondern auch evtl. geforderte Rückzahlungen der Investitionszulagen zu ersetzen. Klausel XV 2 umfasste demengegenüber weniger weitgehende Kompensationszahlungen. Die Bestätigung mittels Fernschreiben durch die Beklagte erfolgte gegenüber Firma S. Diese wurde durch Bescheide zur Rückzahlung der Investitionsbeihilfen nebst Zinsen i.H.v. insgesamt 277.725 DM aufgefordert. Diese Beihilfen wurden ihr durch die Klägerin ursprünglich zur Verfügung gestellt. Diese forderte die Summe wiederum, gestützt auf Klausel Nr. XV 2 des notariellen Kaufvertrags, von der Beklagten. Die Klägerin scheiterte in zwei Instanzen zunächst mit ihrer Klage. Die Gerichte nahmen jeweils einen Dissens an, da der Wortlaut der Bestimmung 939

Siehe hierzu oben § 3 II. 4. b). Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW-RR 1993, 373. 941 „[…] Soweit durch den heutigen Verkauf und die dadurch verursachte vorzeitige Auflösung bzw. Rückzahlung der genannten Beihilfen und Darlehen dem Veräußerer gegenüber den normalen Rückzahlungsbedingungen Nachteile, wie z.B. Vorfälligkeitsentschädigungen, Mali, Zinsverluste u.ä. entstehen, verpflichtet sich der Erwerber, diese Beträge dem Veräußerer nach Nachweis zu erstatten.“ BGH NJW-RR 1993, 373. 942 BGH NJW-RR 1993, 373. 940

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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nicht eindeutig sei. Was die Parteien wirklich gewollt hätten, lasse sich danach dem Text der notariellen Urkunde nicht eindeutig entnehmen. Auch die Vorverhandlungen ermöglichten keine Auslegung dahingehend, dass eine Erstattung von Investitionszulagen an die Klägerin oder an Firma S gewollt war. Zwar wurde durch das Fernschreiben die Erstattung zugesagt, allerdings habe der für die Beklagte handelnde Zeuge S seinerseits dem von der Bekl. mit der Beurkundung beauftragten Notar erklärt, dass als erstattungsfähig nur “Zinsnachteile” in die Urkunde aufgenommen werden sollten. Dadurch habe er durch die Formulierung der Bestimmung seine Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass nur Nebenkosten erstattungsfähig sein sollten. Demgegenüber nahmen die Vertreter der Klägerin an, dass weiterhin die per Fax übermittelte Vereinbarung in derselben Formulierung in den notariell beurkundeten Vertrag mit aufgenommen werden sollte. Die Vertragsparteien hätten mit dem formulierten Text somit jeweils einen anderen Sinn verbunden, was letzten Endes zu einem Dissens führe. Der BGH revidierte das Urteil und gab der Klage statt. Das BerGer. habe laut BGH zusammenfassend festgestellt, dass die Klägerin die Vorstellung gehabt habe, dass die im notariell beurkundeten Kaufvertrag zu findende Klausel derjenigen der zuvor per Fax bestätigten Vereinbarung entspreche und damit auch die Erstattung von Investitionszulagen umfasst gewesen sei943. Diese Vorstellung sei durch die Beklagte erkannt und der Vertrag dennoch ohne Hinweis auf die eigene, abweichende Vorstellung geschlossen worden. Schon deshalb sei der Vertragsinhalt aus Sicht der Klägerin zu bestimmen. Haben die Parteien eines Vertrags eine Willenserklärung übereinstimmend in einem bestimmten Sinn verstanden, sei der übereinstimmende Parteiwille für den Vertragsinhalt maßgebend, nicht dagegen der Wortlaut des Vertrags bzw. der strittigen Klausel. Dieser Parteiwille zeige sich gerade in der durch die Vereinbarung festgelegten Klausel, da die Beklagte mangels eines entsprechenden Hinweises nicht mit einer Bewilligung der abgeänderten Klausel im notariellen Kaufvertrag rechnen konnte. Selbst die Vorstellung der Beklagten, dass sie laut dem beurkundeten Vertragstext lediglich Nebenkosten erstatten müsse, spiele bei der Auslegung keine Rolle, da sie den wirklichen Willen der Klägerin erkannt habe. Dieser würde in diesem Fall auch einer dem Wortlaut nach eindeutigen Klausel im Sinne der Vorstellung der Beklagten vorgehen. cc) Vergleich Auch wenn sich dieser Fall von Swainland Builders Ltd v. Freehold Properties Ltd dadurch unterscheidet, dass der Streitpunkt nicht die Übereignung von Eigentumswohnungen darstellte, sondern die Zahlung von Kompensati943

BGH NJW-RR 1993, 373.

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1. Kapitel: Die Auslegung

onszahlungen, ähnelt sich die Argumentation der Gerichte in beiden Fällen. Beide Gerichte argumentierten mit einem gemeinsamen, übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien, der sich aus den Vorverhandlungen zweifelsfrei erkennen ließe. Dieser Wille sei letztlich für den Vertragsinhalt maßgebend, selbst wenn er vom Wortlaut des Vertrags selbst abweicht944. Demnach liegt ein Fall der falsa demonstratio vor. Ein Unterschied zwischen deutschen und englischen Recht scheint jedoch in der Beweislast zu liegen. Betrachtet man die explizit formulierten Voraussetzungen der rectification, wiegt die Beweislast seitens der darauf klagenden Partei schwerer als im deutschen Recht945. Der Hauptunterschied besteht jedoch in der Tatsache, dass ein der rectification entsprechendes Rechtsinstrument im deutschen Recht schlicht nicht existiert. Nichtsdestotrotz lassen sich beide Fallgruppen – wie gezeigt – jedoch vergleichen, da die Anhaltspunkte, die eine rectification bzw. eine Auslegung entsprechend der falsa demonstratio erst ermöglichen, ähnlich sind. c) Zwischenergebnis Betrachtet man die eben erläuterten Fälle in der Gesamtschau, lassen sich einige Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen der Herangehensweise und der Argumentation deutscher und englischer Gerichte aufzeigen. Die grundsätzlich unterschiedliche Orientierung der Auslegung in beiden Rechtssystemen zeigt sich, wenn auch subtil, in der Berücksichtigung des subjektiven Willens der Vertragsparteien. Während deutsche Gerichte explizit auf die Vorstellungen, respektive den subjektiven Willen der Parteien abstellen und diesen berücksichtigen946, geschieht dies bei englischen Gerichten nur vereinzelt. Vielmehr versuchen diese schon gar nicht einen subjektiven Willen zu ermitteln, sondern leiten aus den objektiven Fakten eine mögliche Intention der Vertragsparteien ab. Die Herangehensweise wirkt gegensätzlich zum deutschen Recht: Es soll aus den objektiven Fakten eine erkennbare gemein944

So der BGH explizit in eben erläutertem Fall: „Haben die Parteien eines Vertrages eine Willenserklärung nämlich übereinstimmend in einem bestimmten Sinne verstanden, ist für den Inhalt der Erklärung dieser übereinstimmende Parteiwille, nicht jedoch ihr Wortlaut maßgebend. Dabei ist nicht erforderlich, daß sich der Erklärungsempfänger den wirklichen Willen des Erklärenden zu eigen macht.“, BGH NJW-RR 1993, 373; vgl. auch BGH NJW 1984, 721; 2002, 1038, 1039. 945 Siehe allgemein zur Beweislast der Auslegung im deutschen Recht Gsell, AcP 203 (2003), 119, 123 ff.; Rosenberg, S. 281 ff.; ders., AcP 94 (1903), 1, 28 ff.; Musielak, Beweislast, S. 348 ff.; Mosbacher, S. 40 ff. 946 „Nach § 133 BGB ist der wirkliche – möglicherweise ungenau oder sogar unzutreffend geäußerte – Wille des Erklärenden als eine so genannte innere Tatsache zu ermitteln […]. Wird der tatsächliche Wille des Erklärenden bei Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung festgestellt, und hat der andere Teil die Erklärung ebenfalls in diesem Sinne verstanden, dann bestimmt dieser Wille den Inhalt des Rechtsgeschäfts, ohne dass es auf Weiteres ankommt [...].“, BGH NJW 2002, 1038, 1039.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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same Intention bestimmt werden, wohingegen sich im deutschen Recht die Frage zu stellen scheint, wie der subjektive Wille der Vertragsparteien gestaltet war, ob dieser übereinstimmte und – falls nicht – ob der subjektive Wille einer Partei jeweils für die andere Partei erkennbar war. Die Trennung ist rein theoretischer Natur und hat letztlich, wie gezeigt, in der heutigen Praxis auf die Anwendung der falsa demonstratio kaum tatsächliche Auswirkungen. Im Übrigen ist im Hinblick auf das deutsche Recht festzustellen, dass die z.T. kritisierte empirische Auslegung in der Rechtspraxis gerade nicht die Befürchtungen, es würde der Vertrauensschutz der anderen Vertragspartei untergraben werden, bestätigt947. Denn es besteht noch die Hürde der „Erkennbarkeit“. Die andere Vertragspartei muss den entsprechenden Willen auch erkannt – ihn sich jedoch nicht zu Eigen gemacht – haben. Nur dann geht dieser als übereinstimmend verstandene Wille dem Wortlaut tatsächlich auch vor. 2. Fälle der objektiven Auslegung und der Einfluss objektiver Auslegungsmaßstäbe Im Folgenden sollen Fälle untersucht werden, in denen die Vertragsparteien jeweils unterschiedliche Vorstellungen über einen Vertragsinhalt haben, jedoch kein Fall des Dissenses vorliegt. Die Unterscheidung zur vorhergehenden Fallgruppe mag dabei auf den ersten Blick nur schwer klarwerden, hatten die Vertragsparteien dort doch ebenfalls unterschiedliche Vertragsvorstellungen. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass im Gegensatz zu den vorhergehenden Fällen – zumindest in der Argumentation der Gerichte – der wirkliche Wille der jeweiligen Parteien in den folgenden Fällen nicht erkennbar war oder nicht als erkennbar angenommen wurde. In diesen Fällen kann dementsprechend kein Fall der falsa demonstratio oder der rectification vorgelegen haben. Schließlich kommt es in den Fällen der falsa demonstratio oder der rectification entweder auf einen übereinstimmenden subjektiven Willen oder, im Falle eines einseitigen Irrtums, auf einen erkannten oder erkennbaren subjektiven Willen an. Im Folgenden soll die grundsätzliche Auslegungsmethode beider Rechtssysteme sowie die Berücksichtigung verschiedener Auslegungsmittel auf das Auslegungsergebnis untersucht werden. Dadurch soll die unterschiedliche Gewichtung der Auslegungsmittel und daraus möglicherweise entstehende Unterschiede aufgezeigt werden. Eine Untersuchung, die die Bedeutung der Auslegungsmittel und die Anwendung der jeweiligen Auslegungsmethoden getrennt voneinander beschreibt, ist weder möglich, noch sinnvoll. Vielmehr soll der Auslegungsprozess in einer Gesamtbetrachtung bewertet und verglichen werden, da auch die Gerichte die Auslegung als ganzheitliches Konzept anwenden. 947

Vgl. nur Soergel/Hefermehl, § 133 BGB, Rn. 10.

178

1. Kapitel: Die Auslegung

Im deutschen wie englischen Recht gilt der Vertragswortlaut zunächst als Ausgangspunkt aller Auslegungsbemühungen948. Dass der Wortlaut im englischen Recht jedoch eine bedeutendere Rolle spielt, wurde bereits in der theoretischen Betrachtung der einzelnen Rechtssysteme verdeutlicht. Im Folgenden soll anhand von Fällen die praktische Handhabung der unterschiedlichen Auslegungsmethoden nun direkt miteinander verglichen und eventuelle Unterschiede aufgezeigt werden. Dabei steht freilich die Frage im Raum, inwieweit sich die Auslegungsergebnisse in beiden Rechtsordnungen tatsächlich unterscheiden oder ob sie gar Ähnlichkeiten aufweisen. Zum Vergleich dienen zwei Fälle, in denen jeweils die Auslegung einer Rechtswahlvereinbarung umstritten war und die beiderseits die Herangehensweise an den Auslegungsvorgang verdeutlichen. a) BGH, Urteil vom 19.1.2000 – VIII ZR 275/98 aa) Sachverhalt Der BGH hatte sich mit der Frage zu befassen, ob durch einen zwischen zwei Vertragsparteien geschlossenen Vergleich, eine im ursprünglich geschlossenen Vertrag verwirklichte Rechtswahlvereinbarung abbedungen worden war konnte949. Klägerin und Beklagte schlossen am 5.3.1992 einen Händlervertrag über den Vertrieb von Softwareprogrammen. Der Vertrag war in Deutsch und Französisch verfasst, unterlag gem. Art. 16 Nr. 5 des Vertrags jedoch deutschem Recht 950 . Das Vertragsverhältnis wurde durch die Klägerin zum 5.3.1995 gekündigt. Das Vertragsverhältnis wurde jedoch unter „Aufhebung“ der Kündigung fortgesetzt. Am 4.12.1995 schlossen die Vertragsparteien einen Vergleich, wodurch der Händlervertrag aufgehoben und die Beklagte zum Ausgleich mehrerer entstandener Forderungen 200.000 DM bezahlen sollte. Der Vergleich wurde in Französisch abgefasst und enthielt folgende – ins deutsche übersetzte – Klausel: „Die Parteien verzichten ausdrücklich auf jedes Verfahren und jede Forderung, die ihren Ursprung in der Unterzeichnung, der Ausführung oder der Beendigung des Händlervertrages oder seines Nachtrages […] haben. Die vorliegende Urkunde stellt einen Vergleich i.S. der Art. 2044 und folgende des Zivilgesetzbuches [im Original: code civil] dar“. Nachdem die Beklagte die entsprechenden Zahlungen nicht leistete, setzte ihr die Klägerin unter Berufung auf § 326 BGB mittels ihrer französischen Anwälte eine angemessene Frist und erklärte ihr im Falle des Fristablaufs zugleich den Rücktritt vom geschlossenen Vergleich. Die Klägerin 948

Vgl. Czarnecki, S. 130. Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW-RR 2000, 1002 ff. 950 Art. 16 Nr. 5: „Dieser Vertrag sowie alle Einzelverträge, die in Ausfüllung dieses Vertrages geschlossen werden, unterliegen dem deutschen Recht. Der Vertrag ist in deutscher und französischer Sprache abgefasst. Im Zweifelsfalle ist die deutsche Fassung zwischen den Parteien maßgeblich.“, BGH NJW-RR 2000, 1002. 949

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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klagte auf Bezahlung der ursprünglich vereinbarten Summe. Das LG nahm den Rücktritt der Klägerin vom Vergleich an und gab der Klage statt. Die Berufung blieb erfolglos, der BGH wiederum hob das Urteil jedoch auf. Die Revision wandte sich erfolgreich gegen die vom BerGer. bestätigte Annahme der Klägerin, der von den Vertragsparteien geschlossene Vergleich unterläge deutschem Recht 951. Der BGH beschrieb zunächst den allgemeinen Auslegungsgrundsatz gem. §§ 133, 157 BGB, nach dem „bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen“ und dabei „vom Wortlaut der Erklärung auszugehen“ ist952. In einem zweiten Auslegungsschritt seien „sodann die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen“ 953. Der BGH begann zur Beantwortung der Frage, welchem Recht der Vergleich unterlag, dementsprechend mit der Auslegung seines Wortlauts954. Das BerGer. habe sich dabei nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welchen Sinn die oben zitierte und aus dem Vergleich stammende Abrede nach dem Willen der Vertragsparteien haben sollte und damit gegen die geltenden Auslegungsgrundsätze verstoßen. Zudem sei eine von einer Rechtswahlvereinbarung abweichende mögliche andere, dem Willen der Parteien entsprechende, Bedeutung der Abrede nicht in Betracht gezogen worden. Dies verstoße gegen § 133 BGB, da die Ermittlung des Willens des oder der Erklärenden als Zielsetzung der Auslegung missachtet worden sei. Zudem fehle es an einer nachvollziehbaren Begründung für die durch das BerGer. vertretene Auffassung, die Parteien hätten ihren Willen, den Vergleich dem französischen Recht zu unterwerfen, nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Mangele es an alternativen Deutungsmöglichkeiten, könne der einzig in Betracht kommende Sinngehalt der entsprechenden Regelung nicht missverständlich sein. Des Weiteren reiche es nach Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB aus, wenn sich die Rechtswahl „mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergibt“ 955 . Dies läge vor, da die „ausdrückliche Bezugnahme auf Vorschriften einer bestimmten Rechtsordnung“ für eine stillschweigende Rechtswahl spreche und die Parteien im Vergleich ausdrücklich Bezug auf Art. 2044 ff. des code civil Bezug genommen hätten956. Weiterhin seien die vertraglichen Begleitumstände durch das 951

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003; NJW 1998, 2966; 1994, 188; 1993, 721. 953 BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. 954 Das BerGer suchte den Ansatzpunkt demgegenüber beim Wortlaut des ursprünglichen Händlervertrags und stellte im Hinblick auf den Vergleich lediglich darauf ab, ob die Parteien unmissverständlich von der ursprünglichen Rechtswahl abweichen wollten, BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. 955 BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. 956 BGH NJW-RR 2000, 1003. 952

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1. Kapitel: Die Auslegung

BerGer. nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Vergleichsverhandlungen hätten in Mâcon (Frankreich) in französischer Sprache stattgefunden. Die Parteien seien zudem jeweils von französischen Anwälten vertreten und der Vergleich im Original in Französisch abgefasst worden. Diese Umstände würden eine zumindest naheliegende Erklärung für die Unterwerfung des Vergleichs unter französisches Recht liefern. Die im ursprünglichen Händlervertrag zu findende Klausel, nach der auch „alle Einzelverträge, die in Ausfüllung dieses Vertrages geschlossen werden“ deutschem Recht unterlägen, widerspreche ebenfalls nicht einer Auslegung dahingehend, dass der Vergleich französischem Recht unterliegen sollte. Vielmehr sollte die der Klausel immanente Regelung dem Wortlaut und klar erkennbaren Sinn nach die Einzelverträge über Lieferungen und Leistungen umfassen, die zur Durchführung des Händlervertrags abgeschlossen werden würden, worunter der Vergleich nicht falle. Eine gegenteilige Auffassung bzgl. des Vergleichs sei weder dem Wortlaut noch dem erkennbaren Sinngehalt des Art. 16 Nr. 5 des Händlervertrags zu entnehmen. Auch die Tatsache, dass die Vertragsparteien erstinstanzlich übereinstimmend die Auffassung vertraten, der Vergleich unterläge deutschem Recht, spreche nicht zwangsweise gegen die Wahl französischen Rechts, zumal die Beklagte anschließend von ihrer ursprünglichen Auffassung abgerückt sei. Die bei Prozessbeginn bestehende übereinstimmende Auffassung der Vertragsparteien habe dementsprechend nicht zu einer nachträglichen Änderung der bei Vergleichsabschluss getroffenen Rechtswahl geführt, da es hierfür eines „dahingehenden beiderseitigen Gestaltungswillens“ bedürfe. Ein solcher Wille lasse sich zur Maßgeblichkeit deutschen Rechts jedoch in den Erklärungen der Parteien nicht erkennen. Die Klägerin habe zwar die Auffassung vertreten, auf den Vergleich sei deutsches Recht anzuwenden. Allerdings habe diese Auffassung auf der Annahme gefußt, der Vergleich wäre ein Einzelvertrag i.S.d. Art. 16 Nr. 5 des ursprünglichen Händlervertrags. Eine Abänderung hinsichtlich französischen Rechts käme nicht in Betracht. Die Beklagte habe lediglich eine unbegründete Ansicht geäußert, nach der im Verweis auf die Art. 2044 ff. code civil keine „Vergleichsschließung“ nach französischem Recht gesehen werden könne. Eine irrig geäußerte Auffassung reiche jedoch nicht für eine Änderung einer ursprünglich geäußerten Rechtswahlvereinbarung aus, da es hierbei gerade am relevanten Gestaltungswillen mangele 957. Zuletzt habe die Beklagte zudem nicht zugestanden, dass der Vergleich gemäß Vereinbarung deutschem Recht unterliegen haben sollte.

957

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1004.

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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bb) Bewertung Die Herangehensweise des BGH zeigt deutlich die im theoretischen Teil beschriebene Auslegungsmethode des deutschen Rechts in seinen einzelnen Schritten auf. Die Zielsetzung, die Ermittlung des wirklichen und damit subjektiven Willens der Vertragsparteien wird klar definiert und gibt die „Richtung“ der Auslegung vor. Die subjektive Ausrichtung wird dabei deutlich. Der Wortlaut des Vertrags bzw. Vergleichs dient als Ausgangspunkt, der jedoch durch die Berücksichtigung der Begleitumstände kontextualisiert und somit mit hinreichender Objektivität ausgelegt wird. Die Ermittlung des subjektiven Willens erfolgt damit aus objektiven Merkmalen, wie u.a. dem Wortlaut, heraus. Dieser ist hierbei als ausschlaggebend für das Auslegungsergebnis zu betrachten. Die Begleitumstände in Form der gewählten Sprache, des Ortes des Vertragsschlusses sowie die Tatsache, dass französische Anwälte den Vergleich verhandelten, sprechen ebenfalls deutlich für das Auslegungsergebnis. Die Tatsache, dass nach dem Ursprungsvertrag auch alle „Einzelverträge, die in Ausfüllung dieses Vertrags geschlossen werden“, ebenfalls dem deutschen Recht unterliegen sollten, konnte dem Wortlaut nach nicht die übrigen Auslegungsmittel überwiegen. Wie der BGH richtig feststellte, können dem Sinn – der gerade im Wege der Auslegung zu ermitteln ist – nach nur solche Verträge erfasst sein, die zur Durchführung des Händlervertrags notwendig sind. Ein Vergleich, der den ursprünglichen Händlervertrag aufkündigt, ist nicht in seiner Ausfüllung geschlossen worden958. Dem eindeutigen Wortlaut in Form der Bezugnahme auf Art. 2044 code civil im Rahmen des Vergleichs widerspricht auch nicht das nachvertragliche Verhalten der Vertragsparteien vor Gericht. Auch hier zeigt sich die subjektive Ausrichtung der Auslegung: Laut BGH ist ein beiderseitig erkennbarer Gestaltungswille notwendig, der jedoch nicht vorliegt. Zwar habe die Beklagte deutsches Recht für maßgeblich gehalten, der BGH erkannte darin jedoch lediglich eine fehlerhafte, unbegründete Auffassung über die getroffene Rechtswahl. Dies scheint bemerkenswert, dürfte der erste Anschein hierbei aus objektiver Sicht doch gerade für eine gewollte Änderung der im Vergleich beschlossenen Rechtswahl sprechen. In der Gesamtschau wird jedoch deutlich, wie subjektiv, aber dennoch kontextualisiert, die Auslegung im deutschen Recht z.T. erfolgt. b) British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL aa) Sachverhalt Zum Vergleich mit dem englischen Recht dient der Fall British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL959, in dem ebenfalls u.a. die Ausle958 959

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1004. [2013] EWHC 3278 (Comm).

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1. Kapitel: Die Auslegung

gung einer Rechtswahlvereinbarung umstritten war. Die Klägerin, die BritishAmerican Insurance (Kenya) Limited (BAIC) ist eine Versicherungsgesellschaft. Die Beklagten sind Auftragnehmer eines Bauprojekts 960. Klägerin und Beklagte schlossen einen Versicherungsvertrag ab, der in einer Versicherungspolice festgehalten wurde. Diese enthielt bemerkenswerterweise Klauseln, die (1) nur einen Rückversicherungsvertrag, nach dem BAIC der Rückversicherte war, und (2) sowohl Rückversicherungs- als auch den Versicherungsvertrag selbst betrafen. Die Klauseln bezogen sich zum einen Teil also nur auf einen, zum anderen Teil aber auf beide Verträge. Laut Rückversicherungsvertrag mit Swiss Re, Munich Re und Africa Re, war BAIC durch diese Parteien rückversichert. Die ursprüngliche Versicherungspolice wurde durch ein Contract Endorsement ergänzt, welches Klauseln enthielt, die (1) nur für den Versicherungsvertrag, (2) nur für den Rückversicherungsvertrag und (3) für beide Verträge galten. Die Parteien waren sich jedoch nicht einig, welche Klauseln welcher Kategorie angehörten. Alle folgenden Streitigkeiten drehten sich im Wesentlichen um eine Gerichtsstandsvereinbarung, die in der durch das Contract Endorsement ergänzten Versicherungspolice festgeschrieben wurde. Die Gerichtsstandsvereinbarung spiegelte – mit zwei Ausnahmen – einen E-Mail-Anhang wider, im dessen Rahmen Swiss Re BAIC anbot, diese rückzuversichern. Dieser Anhang enthielt u.a. folgende Choice of Law & Jurisdiction Klausel, die sich auch wortwörtlich in der ergänzten (!) Versicherungspolice fand: „This reinsurance shall be governed by and construed in accordance with the law of England and Wales and each party agrees to submit to the exclusive jurisdiction of the Courts of England and Wales. All disputes arising hereunder shall be submitted to a competent court in England and Wales. Seat of Arbitration: London.”

Die ursprüngliche – nicht ergänzte – Versicherungspolice enthielt ebenfalls eine als Choice of Law & Jurisdiction beschriebene Klausel, die im Gegensatz zur Klausel im E-Mail Anhang lediglich das Wort „Kenya“ enthielt. In einzelnen Unterabschnitten der Versicherungspolice fand sich jedoch die Klausel „This insurance is subject to English law and practice“, und im vorletzten Abschnitt die Klausel: „Law, Practice and Jurisdiction. This insurance is subject to English law and the exclusive jurisdiction of the Courts of England and Wales, except as may be expressly provided herein to the contrary.”

Nachdem die Geldgeber des Projekts, die davon ausgingen, dass die ursprüngliche Versicherungspolice explizit kenianischem Recht unterliege, darauf aufmerksam gemacht wurden, dass dies den einzelnen – eben zitierten

960 Siehe hierzu und zum Folgenden British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm).

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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– Klauseln widerspräche, wurde das Contract Endorsement veranlasst, welches folgende Klausel enthielt: „CHOICE OF LAW & JURISDICTION: The reinsurance shall be governed by and construed in accordance with the law of England and Wales and each party agrees to submit to the exclusive jurisdiction of the Courts of Kenya. All disputes arising hereunder shall be submitted to a competent court in Kenya. Seat of Arbitration: London”

Das zentrale Problem bestand in der Festlegung Londons als Schiedsgerichtsstand. Die versicherten Auftragsnehmer führten an, dass eine Auslegung ergäbe, dass die beschriebenen Klauseln lediglich den Rückversicherungsvertrag berühren würden. Demzufolge würden Rechtsstreitigkeiten zwischen den Versicherten und BAIC, gemäß vorhergehender Abschnitte des Contract Endorsements, der ausschließlichen Gerichtsbarkeit der kenianischen Gerichte unterliegen. BAIC hielt dem entgegen, dass die gesamte Vertragsergänzung sowohl den Rückversicherungs- als auch den Versicherungsvertrag betreffen würde und dementsprechend alle Rechtsstreitigkeiten einem Londoner Schiedsgericht unterlägen. Die Versicherten hätten laut Walker J überzeugend darlegen müssen, dass ihre Auslegung korrekt sei. Dies gelang ihnen jedoch nicht, weshalb BAIC in jeder Hinsicht Recht gegeben wurde. Walker J begann vor der eigentlichen Auslegung zunächst mit der Beschreibung der vier grundlegenden Auslegungsprinzipien, die zugleich das Argumentationsgerüst der Beklagten darstellten. Das erste Prinzip entspricht demjenigen Lord Hoffmanns aus ICS v. WBBS: Das Ziel der Auslegung eines Vertrags ist die Ermittlung des Sinns, den eine vernünftige Person unter Berücksichtigung aller Begleitumstände, die den Vertragsparteien vernünftigerweise in der Situation des Vertragsschlusses bekannt gewesen wären, als von den Vertragsparteien als gewollt angesehen hätte 961 . Dem zweiten Prinzip nach ist die Auslegung ein iterativer Prozess, der die Prüfung konkurrierender Bedeutungen gegen andere Vertragsklauseln sowie die Untersuchung ihrer kommerziellen Folgen im Kontext des gesamten Vertrags beinhaltet. Seien zwei verschiedene Auslegungsergebnisse denkbar, solle sich das Gericht für die wirtschaftlich sinnvollere Variante entscheiden962. Sieht sich ein Gericht zwei Klauseln gegenüber, die miteinander inkonsistent erscheinen, ist es nach dem dritten Prinzip Aufgabe des Gerichts, diese beiden Klauseln miteinander in Einklang zu bringen. Dies gilt jedoch nur, wenn dies conscientously and fairly erreicht werden kann. Aus deutscher Sicht also mit Treu und Glauben vereinbar ist bzw. unter Billig- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten erfolgen

961

British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm) Rn. 47. 962 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 48.

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1. Kapitel: Die Auslegung

kann963. Das vierte angeführte Prinzip besagt jedoch, dass in Fällen, in denen das (Vertrags-)Dokument nicht einheitlich entworfen wurde964, die Notwendigkeit, Vertragsteile für ungültig zu erklären, wahrscheinlicher erscheint965. Die Aufgabe Walker Js bestand darin, herauszufinden, was die Vertragsparteien hinsichtlich der Gerichtsstands- und Schiedsgerichtsvereinbarung als verstanden angesehen haben müssten. Dabei kontextualisierte er zunächst die Sicht der reasonable person dahingehend, dass sich die Vertragsparteien einig gewesen wären, dass das ursprüngliche Vertragsdokument sowohl den Versicherungs-, als auch den Rückversicherungsvertrag darstellte. Unter Berücksichtigung des ersten dargelegten Prinzips, beurteilte er zunächst die ungewöhnliche Art und Weise, in der der ursprüngliche Versicherungsvertrag mit zwei Verträgen966 umgeht. Eine reasonable person würde nur widerwillig annehmen, dass eine Vertragsergänzung, die sowohl das geltende Recht als auch den Gerichtsstand und die Schiedsgerichtsbarkeit ändert, das geltende Recht in beiden Verträgen, den Gerichtsstand und die Schiedsgerichtsbarkeit jedoch im Versicherungs- und Rückversicherungsvertrag unterschiedlich regelt und sich die Klausel somit auf beide Verträge unterschiedlich bezieht. Dies gelte vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass eine solche „zweigeteilte“ Regelung in der Vertragsergänzung nicht explizit erwähnt wurde 967 . Vielmehr müsse angenommen werden, dass ein Wunsch seitens der Parteien bestehe, beide Verträge so identisch wie möglich zu gestalten. Das Argument der Beklagten, alleine die Stellung der strittigen Klausel würde darauf hindeuten, dass sich die Schiedsgerichtsbarkeit lediglich auf den Rückversicherungsvertrag beziehe, könne daher nicht überzeugen. Auch wenn die Klauseln des E-Mail-Anhangs sich ursprünglich auf das Vertragsverhältnis zwischen BAIC und dem Rückversicherer Swiss Re bezogen hätten, spräche die Aufnahme dieser Klauseln in die Versicherungspolice nicht zwangsweise dafür, dass sich diese ausschließlich auf das Rückversicherungsverhältnis beziehen würden. Vielmehr würde ein reasonable observer davon ausgehen, dass die Klauseln in die ursprüngliche Versicherungspolice aufgenommen wurden, um den Versicherungsvertrag, soweit wie möglich, ebenfalls zu regeln968. Die Auslegung aus wirtschaftlich sinnvoller Sichtweise, entsprechend dem zweiten Prinzip, deute ebenfalls deutlich auf eine einheitliche Betrachtungs963 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL 2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 49. 964 Im Sinne eines einheitlichen Vorgangs; im vorliegenden Fall wurde der Vertrag unter anderem durch den E-Mail Anhang sowie das Contract Endorsement ergänzt. 965 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 50. 966 Dem Versicherungsvertrag selbst, sowie dem Rückversicherungsvertrag. 967 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 72. 968 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 73 (6), (8).

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

185

weise der strittigen Klauseln. Ein Schiedsgericht in London, welches für Versicherungs- und Rückversicherungsvertrag zuständig wäre, würde eine einheitliche Entscheidung durch das selbe Gericht ermöglichen. Einen vernünftigen Grund dafür, Streitigkeiten zwischen Versicherer und Rückversicherer sowie Versicherer und Versicherten von unterschiedlichen Schiedsgerichten verhandeln zu lassen, sei nicht ersichtlich969. Auch die Berücksichtigung der Begleitumstände erfolgt im Rahmen der Auslegung. Konkret wird der Einfluss des Standorts der Versicherten sowie des Bauprojekts in Betracht gezogen, die sich beide in Kenia befanden. Die versicherten Risiken waren jedoch überwiegend maritimer Natur und waren demnach nicht auf kenianischen Boden begrenzt, sondern weltweit gleich wahrscheinlich. Zudem würden im Falle eines in London ansässigen Schiedsgerichts aufgrund rechtlicher Expertise sowie eines umfangreichen Ausmaßes an Datenschutz wirtschaftliche Vorteile bestehen. Ein reasonable observer würde daher keinen triftigen Grund dafür erkennen, dass die Versicherten Rechtsstreitigkeiten lieber vor einem kenianischen Gericht, als einem Londoner Schiedsgericht austragen würden. Der Ansicht, dass sich die strittige Klausel also nur auf das Rückversicherungsverhältnis beziehen sollte, erteilte Walker J demnach eine klare Absage970. Die Anwendung des vierten Auslegungsprinzips wurde von Walker J abgelehnt. Vielmehr konzentrierte er sich auf das dritte Auslegungsprinzip, wonach es die Aufgabe des Gerichts sei, widersprüchliche Klauseln miteinander in Einklang zu bringen. Der Widerspruch sollte laut Beklagten nur in einem und nicht in beiden Verträgen (Versicherungs- und Rückversicherungsvertrag) aufgelöst werden 971 . Begründet wurde dies damit, dass die Auflösung des Widerspruchs unter Billig- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten nur schwerlich möglich sei. Walker J erteilte diesem Argument jedoch ebenfalls eine Absage, da der Vorschlag des Contract Endorsements, durch das die strittige Klausel in die Versicherungspolice aufgenommen wurde, gerade vom Vertreter der Versicherten gemacht wurde 972 . Die Auslegung der Beklagten würde zudem die Klausel in einer für die Klägerin potentiell schädigenden Art und Weise interpretieren, obwohl diese auch ohne potentiell

969 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 74. 970 Diese Ansicht wurde von den Beklagten als positive case beschrieben. Der negative case bezog sich darauf, dass, wenn keine der Auslegungen der Vertragsparteien „richtig“ sei, dennoch diejenige der Versicherten zu bevorzugen sei, British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 62, 64. 971 Eine Auflösung des Widerspruchs in lediglich einem Vertrag hätte dazu geführt, dass ein kenianisches Schiedsgericht zumindest für einen Teil der Verträge zuständig gewesen wäre. 972 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 57, 83.

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1. Kapitel: Die Auslegung

schädigende Wirkung ausgelegt werden könnte973. Schlussendlich resümierte Walker J, dass eventuell durch die strittige Klausel entstehende Probleme bewältigt werden könnten und sollten, was sowohl für den Versicherungs-, als auch den Rückversicherungsvertrag gelte974. bb) Bewertung Ausgangspunkt der Auslegung bildete der Wortlaut der strittigen Klausel, der jedoch wenig zum Auslegungsergebnis beitragen konnte. Letztlich ging es gerade – wie in dem zum deutschen Recht angeführten Fall – um einen im Wortlaut bestehenden Widerspruch. Die objektive Herangehensweise des englischen Gerichts wird dennoch deutlich und zeigt zudem den Kontrast zum beschriebenen Formalismus, der in der englischen Auslegungspraxis lange vorherrschte, auf. Im ersten Schritt erfolgte zunächst eine Kontextualisierung des Auslegungsproblems dahingehend, dass die Sicht der reasonable person korrigiert wird. Die Vertragsparteien waren einig, dass die Versicherungspolice sowohl Versicherungs-, als auch Rückversicherungsvertrag umfasste, wodurch der „Ausgangspunkt“ der Auslegung definiert wurde: Es oblag der reasonable person zu bestimmen, welche Klauseln auf welchen Vertrag Anwendung finden975. Walker J bezieht sich im gesamten – immerhin 43 Seiten umfassenden – Urteil nur zweimal explizit auf die intention und damit den subjektiven Willen der Vertragsparteien 976 . Diese spielt bei der Auslegung für ihn nur dahingehend eine Rolle, dass die Ergänzung zwar mit der Intention, das Rückversicherungsverhältnis zwischen Swiss Re und BAIC zu regeln, eingefügt wurde, dies jedoch nicht dagegen spreche, die Klausel auch im Hinblick auf den Versicherungsvertrag anzuwenden. Eine deutlich bedeutendere Rolle spielt die Rolle der reasonable person bzw. die dadurch angenommene objektive Sichtweise. Denn letztlich basiert die Argumentation Walker Js zu einem Großteil auf der Sicht der reasonable person und damit verbunden auf einer objektiven Auslegungsmethode. So z.B. die Schlussfolgerung, dass der Teil der strittigen Klausel „This reinsurance“ als „The contracts of insurance and reinsurance in this policy“ verstanden werden müsste, da eine reasonable person davon ausgehen würde, dass die Klauseln in die ursprüngliche Versicherungspolice aufgenommen wurden, um diese, soweit wie möglich, ebenfalls zu regeln.

973

British American (Comm), Rn. 83. 974 British American (Comm), Rn. 86. 975 British American (Comm), Rn. 68. 976 British American (Comm), Rn. 73 (5), (6).

Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

187

Die geforderte wirtschaftliche Sinnhaftigkeit der Auslegung gemäß dem zweiten Prinzip entspricht ebenfalls einem objektiven Maßstab, den Walker J zudem als für das Auslegungsergebnis besonders maßgeblich ansah 977. Die weiteren vertraglichen Begleitumstände in Form des Standortes der Versicherten wurden ebenfalls einbezogen und damit das zweite Auslegungsprinzip Lord Hoffmans berücksichtigt 978. Das dritte angeführte Prinzip legt die Pflicht der Gerichte, unter Billig- und Gerechtisgkeitsgesichtspunkten ihr Möglichstes zu tun, um zwei widersprüchliche Klauseln miteinander in Einklang zu bringen, fest. Das einfache „Beiseiteschieben“ einer Klausel wird dadurch verhindert und die Integrität des geschriebenen Vertrags zunächst geschützt. Erst wenn ein Auflösen des Widerspruchs unter Billig- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten nicht möglich ist, kann eine Klausel verworfen werden. Das vierte Prinzip geht damit einher: Die Integrität eines Dokuments hinsichtlich einzelner Klauseln wird in Frage gestellt, sollte das Dokument nicht einheitlich entworfen worden sein. Dabei wird davon ausgegangen, dass in einem „geteilten“ Entwurfsvorgang eines Dokuments, den Vertragsparteien wohl häufiger Fehler unterlaufen würden, als bei einem einheitlichen Entwurf. Letztlich dienen das dritte und vierte Prinzip im Wesentlichen als objektive Entscheidungsmaßstäbe der Gerichte. Ist ein Vertragsdokument „als Ganzes“ entworfen worden, ist die Wahrscheinlichkeit, mit der eine strittige Klausel verworfen werden kann, dennoch geringer, als wenn das Dokument „in Teilen“ entworfen wurde. Freilich stellen dies jedoch lediglich sehr „weiche“ Kriterien dar. In der Gesamtschau zeigt sich der starke Einfluss objektiver Faktoren und Maßstäbe auf das Auslegungsergebnis. Besonders die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit der strittigen Klauseln sowie die Beurteilung aus Sicht einer reasonable person, bilden das argumentative Grundgerüst für die Untermauerung des gefundenen Auslegungsergebnisses. c) Vergleich und Bewertung beider Auslegungsvorgänge und -ergebnisse aa) Vergleich Im direkten Vergleich beider Fälle zeigen sich sowohl Parallelen als auch Unterschiede hinsichtlich des Auslegungsprozesses. Bevor diese aufgezeigt werden können, ist es jedoch zunächst nötig, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Sachverhalten selbst aufzuzeigen, um diese bei der Bewertung berücksichtigen zu können. Im BGH-Fall bezog sich die Auslegung auf zwei unterschiedliche Verträge: zum einen auf den ursprünglichen Händlervertrag sowie zum anderen auf den anschließend geschlossenen Vergleich. Hinsicht977 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 74. 978 Siehe hierzu oben § 3 II. b) bb).

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1. Kapitel: Die Auslegung

lich des Händlervertrags stellte sich die Frage, ob der geschlossene Vergleich als Einzelvertrag, der in Erfüllung des Händlervertrags geschlossen wurde, galt. Hinsichtlich des Vergleichs stellte sich die Frage, ob die stittige Klausel eine Rechtswahl zugunsten französischen Rechts darstellt. Es standen sich im Wesenlichen zwei widersprüchliche Klauseln gegenüber. In BAIC v. Matelek SAL stellte sich als zentrale Frage, ob sich die auszulegende Rechtswahlklauselklausel zugunsten eines Londoner Schiedsgerichts nur auf das Rückversicherungs- oder auch auf das Versicherungsverhältnis beziehen sollte. Dem standen mehrere Verweise auf die ausschließliche Zuständigkeit kenianischer Gerichte im Rahmen der Versicherungspolice entgegen. Es bestand also ebenfalls ein Widerspruch zwischen einzelnen Vertragsklauseln, diesmal jedoch im selben Vertragsdokument. Ein Unterschied bestand darin, dass im BGH-Fall zwei Verträge, in BAIC v. Matelec SAL daggen eine einzige Versicherungspolice, die jedoch zwei Verträge regeln sollte, ausgelegt werden mussten. Dies macht im Hinblick auf die Auslegung jedoch keinen Unterschied, da die Verträge im BGH-Fall in direktem Sinnzusammenhang stehen. Die Auslegungsproblematik ist aber in zweierlei Hinsicht identisch. Zum einen gilt es einen Widerspruch im Vertragstext aufzulösen, zum anderen ist die Auslegung einer Rechtswahlvereinbarung hinsichtlich des gewählten Rechts vorzunehmen. Beide Gerichte beginnen mit der Beschreibung der zugrundeliegenden Auslegungsprinzipien. Dabei zeigt sich der erste, gravierende Unterschied. Wo der BGH ganz klar eine subjektive Auslegung als Zielsetzung vorgibt: „Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen“ 979,

orientiert sich das englische Gericht an einer rein objektiven Auslegung: „[…] the aim ist o ascertain what a reasonable person would have understood the parties to have meant by the words they used, with such reasonable person having all the backgound knowledge which would reasonably have been available to the parties in the situation in which they were at the time of the contract.“980

Die grundsätzliche Herangehensweise bzw. Zielsetzung unterscheidet sich in der Praxis also zunächst so deutlich wie im theoretischen Teil beschrieben. Beide Gerichte bestimmten zunächst den Vertragswortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung. Dieser Wortlaut wird beiderseits durch Einbeziehung der vertraglichen Begleitumstände kontextualisiert, wodurch weder eine rein subjektive noch rein objektive Auslegung erfolgt. Der BGH stellte zunächst die durch das BerGer. nicht nachgegangene Frage nach dem von den Vertragsparteien gewollten Sinn der strittigen Vertragsklausel. Der Senat kam 979

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 47. 980

§ 4 Die Auslegung im deutschen und englischen Recht im Vergleich

189

dabei zu dem Schluss, dass „der einzig in Betracht kommende Sinngehalt der Regelung nicht missverständlich sein“ 981 kann, wenn ein Wille der Vertragsparteien angeblich nicht unmissverständlich zum Ausdruck gekommen sei. Laut BGH „genügt es mithin, dass der Wille der Vertraschließenden, anstelle des zuvor vereinbarten nunmehr ein anderes Recht zu wählen, sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen ergibt 982 . Der subjektive Wille müsse also derart objektiv zum Ausdruck gebracht worden sein, dass er sich mit hinreichender Sicherheit bestimmen lässt. Das englische Gericht verfolgt zwar einen anderen Ansatz, geht aber letztlich einen ähnlichen Weg. Walker J stellt klar, dass „The amended governing law provision can hardly have been intended to apply only to the reinsurance contract.”983, und stellt dadurch ebenfalls indirekt auf eine Intention der Vertragsparteien ab984. Aus diesem Grund müsse die strittige Klausel für Rückversicherungs-, wie Versicherungsvertrag gleichermaßen gelten. Betrachtet man die Argumentation des BGH hinsichtlich der Rechtswahlklausel im ursprünglichen Händlervertrag, zeigen sich erneut Parallelen. Denn „nach Wortlaut und erkennbarem Sinn der Regelung“ 985 sei ein Vergleich gerade nicht von entsprechender Klausel umfasst. Hier erfolgt gerade keine explizit subjektive Auslegung, sondern es wird vielmehr auf den objektiv erkennbaren Sinn der Klausel sowie deren – freilich ebenfalls objektiv zu beurteilenden – Wortlaut abgestellt. Der Wortlaut der strittigen Klausel spielt in BAIC v. Matelec SAL ebenfalls eine Rolle, die Walker J jedoch nicht überzeugt. Denn wie eben erwähnt, wird die Klausel aufgrund der aus Sicht der reasonable person erkennbaren Intention der Parteien entgegen dem Wortlaut ausgelegt. Auch die systematische Stellung der Klausel kann nicht überzeugen, wird jedoch berücksichtigt. Bemerkenswert erscheint folgender, scheinbarer Gegensatz: Der BGH stellte – wie erwähnt – klar, dass die Bestimmung des Willens der Vertragsparteien „sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen“ 986 ergeben müsse. Walker J merkte hingegen an, dass eine reasonable person nur widerwillig annehmen würde, dass eine 981

BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003. BGH NJW-RR 2000, 1003. 983 British American Insurance (Kenya) Ltd v. Matelec SAL [2013] EWHC 3278 (Comm), Rn. 69. 984 Auf eben zitierte Aussage folgt der Satz „That would not meet the concern identified by the lenders”. Damit ist Folgendes gemeint: Die lenders, die Geldgeber der Beklagten, machten die die Beklagten vertetende Partei darauf aufmerksam, dass Inkonsistenzen hinsichtlich der Rechtswahlklauseln bestehen. Daraufhin wandte sich die Kanzlei an die Klägerin und vereinbarte mit ihr die Aufnahme der strittigen Klausel in das Contract Endorsement. Es wird also nicht die Intention der lender berücksichtigt, sondern die der Vertragsparteien. 985 BGH NJW-RR 2000, 1003. 986 BGH NJW-RR 2000, 1002, 1004. 982

190

1. Kapitel: Die Auslegung

Vertragsergänzung im Hinblick auf die Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit unterschiedliche, gleichzeitig aber identische Änderungen hinsichtlich geltenden Rechts in Rückversicherungs- und Versicherungsvertrag bewirken sollte, ohne dass dies explizit erwähnt worden wäre. Es scheinen sich auf den ersten Blick erneut eine subjektive und objektive Auslegung gegenüberzustehen. Dies stellt jedoch einen Trugschluss dar. Walker J wies in einem vorhergehenden Schritt gerade auf die Intention der Parteien, eine entsprechend „getrennte“ Regelung nicht treffen zu wollen hin. Aus diesem Grund wäre ein entsprechender, expliziter Hinweis im Rahmen der strittigen Klausel nötig gewesen. Die aus Sicht der reasonable person festgestellte Intention der Vertragsparteien korrigierte somit den Wortlaut. Lediglich ein expliziter Wortlaut, der einer solchen Intention klar widersprechen würde, könnte eine entsprechende Auslegung verhindern. Was zunächst als gegensätzliche Argumente seitens eines deutschen und englischen Gerichts erscheint, stellt letztlich die selbe Seite der Medaille dar. In beiden Fällen geht die festgestellte Intention der Vertragsparteien dem Wortlaut evtl. anderslautender Klauseln vor. Vertragliche Begleitumstände werden von beiden Gerichten berücksichtigt. Im Falle des BGH spielte vor allem der Ort des Vertragsschlusses, die Vertragssprache sowie die Tatsache, dass die Vertragsparteien von französischen Anwälten vertreten wurden, eine Rolle und boten Anhaltspunkte für das gefundene Auslegungsergebnis. Das englische Gericht berücksichtigte vor allem die vorvertraglichen Verhandlungen bzw. das Zustandekommen des Vertragsdokuments. Doch auch Umstände, wie die Tatsache, dass die Versicherten und das durchzuführende Projekt ihren Standort in Kenia hatten, wurden bei der Frage, ob eine unterschiedliche Gerichts- und Schiedsgerichtsbarkeit zwischen Rückversicherungs- und Versicherungsvertrag bestehen sollte, berücksichtigt. bb) Bewertung Stellt man beide Urteile gegenüber, zeigt sich ein überraschend einheitliches Bild. Der aufgezeigte Unterschied hinsichtlich des Auslegungsziels, der Ermittlung des wirklichen Willens der Erklärenden einerseits sowie der Beurteilung aus Sicht einer reasonable person andererseits, wirkt sich in der weiteren Auslegungspraxis kaum aus. Denn beide Gerichte berücksichtigen letztendlich den Willen der Vertragsparteien. Ob nun von Beginn an auf einen subjektiven bzw. wirklichen Willen oder eine objektiv zu ermittelnde intention abgestellt wird, spielt letztlich keine Rolle. In jedem Fall kann und wird der Wille der Vertragsparteien nur objektiv ermittelt, im englischen wie im deutschen Recht. Das deutsche Recht folgt keiner rein subjektiven Auslegung, wie die Anhänger der frühen Willenstheorie sie gefordert hätten. Vielmehr versucht das Gericht sich unter Berücksichtigung aller Begleitumstände

§ 5 Zusammenfassung

191

in die Vertragsparteien hineinzuversetzen, um so ein interessengerechtes Auslegungsergebnis zu finden. Letztlich entspricht diese Art der Auslegung weitestgehend derjenigen des englischen Gerichts, auch wenn diese aus Sicht einer reasonable person urteilt. Diese Sichtweise scheint dem deutschen Auslegungsvorgang jedoch immanent, da das Zusammenwirken der §§ 133, 157 BGB gerade einen Ausgleich zwischen subjektiver und objektiver Auslegung, und damit zwischen Privatautonomie und Vertrauensschutz beider Parteien schafft987. Die Beurteilung aus Sicht der reasonable person lässt sich letztlich mit der Auslegung aus Sicht des Erklärungsempfängers und zudem mit der Berücksichtigung von Treu und Glauben vergleichen. Auch wenn beide Maßstäbe im erläuterten BGH-Urteil keinen Ausdruck fanden, sind diese Eckpfeiler der Auslegung im deutschen Recht und verhindern eine ungebührlich subjektive Herangehensweise. Beide Gerichte berücksichtigen die Begleitumstände und kontextualisieren dadurch den Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung. Eine losgelöste, isolierte Betrachtung des Vertragsdokumentes findet demnach weder im deutschen noch englischen Recht statt. Auf die Interessen der Vertragsparteien wird ebenfalls Rücksicht genommen, genauso wie auf objektive Maßstäbe wie die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit. Zudem erscheinen beide Gerichte gleichermaßen interessengerechte und „faire“ Auslegungsergebnisse zu Tage gebracht zu haben. In der Gesamtschau bestätigt sich demnach die zu Beginn aufgestellte These, dass sich deutsche und englische Auslegung in der heutigen Zeit in der theoretischen Herangehensweise voneinander unterscheiden und im Auslegungsprozess und -ergebnis deshalb entsprechende Differenzen aufweisen werden, nicht. Vielmehr zeigten sich in der Praxis keine eklatanten Unterschiede zwischen deutschem und englischem Recht.

§ 5 Zusammenfassung § 5 Zusammenfassung

Zu Beginn wurde zunächst grundlegend der Begriff der Auslegung sowie typische Auslegungsprobleme beschrieben. Im Anschluss folgte die Untersuchung der Rechtsordnungen getrennt voneinander sowie darauf folgend ein Vergleich in theoretischer und praktischer Hinsicht. Mit der jeweils gewählten Struktur im Rahmen der Erörterungen sollte bereits den unterschiedlichen Systematiken des deutschen und englischen Rechts Rechnung getragen werden. Das deutsche Recht mit seinen kodifizierten Auslegungsvorschriften in Form der §§ 133 und 157 BGB sowie seiner reichen Literatur über dogmatische Streitpunkte, wie Willens- und Erklärungstheorie, ermöglicht eine klare Trennung zwischen theoretischen Auslegungsgrundsätzen und deren praktischen Anwendung und damit einhergehend zwischen deren Untersuchung. 987

Siehe hierzu oben § 2 III. 4.

192

1. Kapitel: Die Auslegung

Das englische Recht hingegen verlangt eine andere Herangehensweise. Eine Betrachtung theoretischer Auslegungsvorschriften ist aufgrund des Common Law Systems schon nicht angebracht, weil sich Rechts- und damit auch Auslegungsgrundsätze aus der Fallpraxis und damit aus der Anwendung selbst herausbilden. Stattdessen wurden die zwei bedeutenden „Epochen“ der englischen Auslegung untersucht – pre- und post-Ära des Falls ICS v. WBBS, der sowohl von Rechtsprechung als auch Literatur traditionell als Wendepunkt der Auslegung im englischen Recht angesehen wird. I. Grundkonzeption des Vertragsrechts im deutschen und englischen Recht Das deutsche Vertragsrecht unterscheidet sich bereits durch seinen hohen Abstraktionsgrad deutlich vom englischen. Die Oberbegriffe des Rechtsgeschäfts und der Willenserklärung existieren im englischen Recht nicht in der Form, wie deutsche Juristen sie verstehen. Dennoch existieren vielfältige Arten von Erklärungen, die im Wesentlichen dem Konzept einer Willenserklärung entsprechen, so z.B. contractual notes, wie die Kündigung oder die in einer Urkunde festgehaltenen Versprechung988. Auch der Vertragsbegriff wird anders verstanden. Während das deutsche Recht darunter ein Rechtsgeschäft aus zwei oder mehr übereinstimmenden Willenserklärungen versteht, das konkret durch die Annahme eines Antrags zustande kommt989, versteht der englische Jurist unter einem contract lediglich ein „agreement giving rise to obligations which are enforced or recognised by law“ 990. Dieses agreement kommt zwar ähnlich wie im deutschen Recht durch offer und acceptance zustande, allerdings unter leicht abgewandelten Voraussetzungen. Das deutsche Recht fordert hinsichtlich der Willensmomente zumindest z.T. subjektive Voraussetzungen (so z.B. das Vorliegen eines Handlungswillens) und versucht mittels empirischer Auslegung, den subjektiven Willen des Erklärenden zu ermitteln. Das englische Recht hingegen stellt unter Zuhilfenahme des objective test lediglich darauf ab, ob eine Partei durch ihr Verhalten den Eindruck erweckt hat, sie würde ein von der gegenüberliegenden Partei gemachtes Angebot annehmen991. Selbst das Konzept der contractual intention, die es einer Partei ermöglicht zu beweisen, dass sie keine Absicht hatte, ein Rechtsverhältnis zu begründen, verlagert die Sichtweise nicht auf den subjektiven Willen. Denn die betreffende Partei kann zwar Beweise vorbringen, die jedoch aus objektiven Gesichtspunkten heraus bewertet werden992. Lediglich 988

Art. II.-1:101 DCFR, Notes II. 9. Vgl. Wolf/Neuner, § 37, Rn. 2. 990 Peel, 1–001; Chitty/Whittaker, 1–001; siehe oben § 3 I. 1. 991 Siehe oben § 3 I. 2. 992 „When one speaks of the intention of the parties to the contract, one is speaking objectively – the parties cannot themselves give direct evidence of what their intention was – and what must be ascertained is what is to be taken as the intention which reasonable 989

§ 5 Zusammenfassung

193

im Falle des erkannten einseitigen Irrtums wird wie im deutschen Recht auf den tatsächlichen subjektiven Willen der irrenden Partei abgestellt. Unterschiede bestehen nach alledem hauptsächlich im Konzept der Willensmomente im deutschen Recht sowie dessen Verständnis der Begriffe des Rechtsgeschäfts und der Willenserklärung. Ein weiterer Unterschied besteht in der vom englischen Recht geforderten streng objektiven Beurteilung der Frage, ob ein Vertrag zustande gekommen ist. Dies ist jedoch mehr ein Problem der Auslegung. II. Die Bedeutung des subjektiven Willens im Rahmen der Vertragsauslegung Die bisherigen Untersuchungen haben zahlreiche Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung des subjektiven Willens in der Vertragsauslegung zu Tage gebracht993. 1. Auslegungsziel Das deutsche Recht verfolgt als primäres Ziel die Ermittlung des wirklichen bzw. subjektiven Willens eines Erklärenden bzw. der Vertragsparteien. Erst subsidiär erfolgt eine normative Auslegung aus Sicht des Erklärungsempfängers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte994. Auf den subjektiven Willen kommt es dann vordergründig nicht mehr an. Vielmehr spielt die objektive Bedeutung der einzelnen Willenserklärungen oder des Vertrags unter Berücksichtigung der eben erwähnten Maßstäbe sowie der relevanten Begleitumstände die entscheidende Rolle 995 . Es erfolgt eine Kontextualisierung des Auslegungsgegenstandes und somit keine abstrakte Sinnermittlung. Eine derartige zweistufige Auslegung ermöglicht eine flexible Lösung des stetigen Widerstreits zwischen Privatautonomie und Vertrauensschutz der Parteien und dem damit verbundenen Interessenskonflikt996. Die Rechtsprechung beruft sich nur teilweise explizit auf die empirische Auslegung, vielmehr werden die §§ 133, 157 BGB größtenteils zusammen angewandt und sich – je nach Sachverhalt – auf die Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien bzw. auf die Auslegung aus Sicht des Erklärungs-

people would have had if placed in the situation of the parties.“, Reardon Smith Line Ltd v. Yngvar Hansen-Tangen [1976] 1 WLR 989, 996; siehe oben § 3 I. 3. 993 Vgl. zur folgenden Struktur Czarnecki, S. 128. Die gewählte Aufteilung der Zusammenfassung ist im Wesentlichen dem Konzept der Auslegung geschuldet, da eine Aufteilung hinsichtlich Auslegungsziel, Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln am sinnvollsten erscheint. 994 Czarnecki, S. 67, 129. 995 Vgl. oben § 2 IV. 2. b). 996 Czarnecki, S. 129.

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1. Kapitel: Die Auslegung

empfängers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte berufen997. Das englische Recht verfolgte bis ins späte 20. Jahrhundert weitestgehend einen literal approach, der eine strikte Wortlautauslegung ohne Berücksichtigung von Begleitumständen als Auslegungsmethode forderte. Erst seit Lord Hoffmanns Restatement in ICS v. WBBS wendet die Rechtsprechung auf breiter Ebene einen contextual approach an, der sowohl die Begleitumstände berücksichtigt, als auch eine Wortlautkorrektur ermöglicht. Die Ermittlung des subjektiven Willens der Vertragsparteien war jedoch nie erklärtes Ziel der Auslegung im englischen Recht, weder während der Zeit des literal approach noch seit der hauptsächlichen Anwendung des contextual approach. Vielmehr wurde und wird der Versuch seiner Ermittlung explizit abgelehnt 998 . Das Auslegungsziel beschränkt sich daher auf die Ermittlung der objektiven Bedeutung eines Vertragswortlautes, auch wenn dieser durch Berücksichtigung der Begleitumstände kontextualisiert und den individuellen Umständen angepasst wird. Die Intention der Vertragsparteien wird jedoch rein objektiv bewertet999. Der subjektive Wille ist demnach für die Auslegung irrelevant. Dies wird auch im Hinblick auf das eben erläuterte Verständnis des agreements deutlich: „Agreement […] is not a mental state but an act, and, as an act, is a matter of inference from conduct. The parties are to be judged, not by what is in their minds, but by what they have said or written or done” 1000. Beide Rechtssysteme verfolgen also zunächst grundlegend andere Auslegungsziele. Erst die zweite dogmatische Stufe der Auslegung im deutschen Recht lässt sich mit dem grundlegenden Auslegungsziel des englischen Rechts vergleichen. 2. Praktische Anwendung In der praktischen Anwendung haben diese unterschiedlichen Auslegungsziele jedoch geringere Auswirkung, als zunächst scheinen mag. Die empirische Auslegung des deutschen Rechts beschränkt sich in der Praxis auf wenige Ausnahmefälle, so z.B. wenn die Vertragsparteien einen gemeinsamen sub997

Oder „wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsanschauung verstehen mußte“, BGH NJW 1967, 673; siehe hierzu oben § 2 III. 4. 998 „To ascertain the parties‘ intentions the court does not of course inquire into the parties‘ subjective states of mind but makes an objective judgment based on the materials already identified“, Bank of Credit and Commerce International SA v. Ali and Others [2002] 1 AC 251, 259. 999 „It is true the objective of the construction of a contract is to give effect to the intention of the parties. But our law of construction is based on an objective theory. The methodology is not to probe the real intentions of the parties but to ascertain the contextual meaning of the relevant contractual language. Intention is determined by reference to expressed rather than actual intention”, Deutsche Genossenschaftsbank v. Burnhope [1995] 1 WLR 1580, 1587. 1000 Furmston (7. Aufl.), S. 38; Chitty/Whittaker, 1–004.

§ 5 Zusammenfassung

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jektiven Willen bestätigen. Es lässt sich daher streiten, ob die Feststellung des subjektiven Willens anhand objektiver Auslegungsmittel in der Praxis tatsächlich der empirischen und nicht der normativen Auslegung zugeordnet werden soll. Denn letztlich erfolgt die Auslegung gerade anhand objektiver Umstände. Aus diesem Grund zeigen sich auch keine eklatanten Unterschiede beider Rechtssysteme in der Praxis, da die jeweiligen Gerichte letztlich einen sehr ähnlichen Auslegungsmaßstab anlegen. Dies bestätigt sich auch beim genaueren Blick auf die praktische Anwendung der falsa demonstratio und der rectification. In den erläuterten Fällen wurde aufgrund der Begleitumstände auf den übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien geschlossen und dadurch die Anwendung der falsa demonstratio bzw. rectification begründet, obwohl das deutsche Gericht explizit die Ermittlung des wirklichen, subjektiven Willens, das englische hingegen eine objektive Bewertung forderten1001. Die in der Theorie sehr unterschiedlich wirkende Auslegung gestaltet sich daher in ihrer praktischen Anwendung sehr ähnlich. Die Rolle des subjektiven Parteiwillens ähnelt sich somit auch in beiden Rechtssystemen, zumindest in praktischer Hinsicht, auch wenn ihm in der Theorie im deutschen Recht eine deutlich höhere Bedeutung zugeschrieben wird. Die ursprüngliche Arbeitshypothese dieses Kapitels, dass beide Rechtsordnungen grundlegend verschiedene Ansätze der Auslegung verfolgen, die in der Praxis jedoch kaum unterschiedliche Ergebnisse nach sich ziehen, lässt sich daher bestätigen.

1001

„Nach § 133 BGB ist der wirkliche – möglicherweise ungenau oder sogar unzutreffend geäußerte – Wille des Erklärenden als eine so genannte innere Tatsache zu ermitteln.“, BGH NJW 2002, 1038, 1039; „That involves the construction of the parcels clause, the purpose of the *326 exercise being to ascertain objectively what the parties must be taken to have intended and not what were the parties' subjective intentions.”, Beale v. Harvey [2003] EWCA Civ 1883, 326.

2. Kapitel

Dissens und Irrtum Im ersten Kapitel wurden die Grundlagen der Rechtsgeschäftslehre und der Vertragsauslegung beider Rechtssysteme in theoretischer und praktischer Hinsicht beschrieben, untersucht und miteinander verglichen. Die Berücksichtigung des subjektiven Willens unterschied sich in theoretischer Hinsicht zwar grundlegend voneinander, in praktischer Hinsicht zeigten sich jedoch kaum feststellbare Unterschiede. Im folgenden Kapitel sollen nun die Regelungen des Dissenses und des Irrtumsrechts in deutschem und englischem Recht untersucht werden. Im Gegensatz zu den Ausführungen zur Auslegung sollen die jeweiligen Regelungen zu Dissens und dem Umgang mit Irrtümern nicht unmittelbar miteinander verglichen werden. Vielmehr werden zuerst Dissens- und Irrtumsregelungen im deutschen Recht gesammelt und anschließend mit entsprechenden Regelungen im englischen Recht verglichen. Dies ist der Besonderheit des englischen Rechts geschuldet, das nicht zwischen Dissens und Irrtümern, sondern vielmehr zwischen den Auswirkungen, die ein Irrtum auf einen Konsens bzw. Vertragsschluss hat, differenziert. Dadurch ist eine dem deutschen Recht analoge Aufteilung kaum sinnvoll möglich. Im englischen Recht werden die Begriffe mistake negativing consent sowie der Begriff des mistake nullifying consent verwendet. Aus deutscher Sicht scheinen sich dahingehend Übersetzungen wie „konsensverhindernder“ und „konsensvernichtender Irrtum“ aufzudrängen, da diese die Wirkungen der eben erwähnten Kategorien des mistake treffend beschreiben zu scheinen. Allerdings sind derartige Begriffe zu unscharf, um alle Facetten des mistake-Begriff umfassen zu können, weshalb stattdessen auf die englischen Begriffe zurückgegriffen werden soll. Ausgangspunkt bildet die anfänglich aufgestellte Gesamtthese, die zugleich den Blickwinkel der nachfolgenden Ausführungen bestimmt. Nach dieser ist der Ursprung für das althergebrachte Vorurteil, deutsches Recht verfolge eine subjektive und englisches Recht eine objektive Ausrichtung, nicht in den unterschiedlichen Auslegungsregeln zu suchen. Da die Handhabung eines Dissenses im Wesentlichen eine Auslegungsproblematik darstellt, darf auch hier davon ausgegangen werden, dass sich beide Rechtsordnungen verhältnismäßig wenig voneinander unterscheiden. Vielmehr dürfte der wesentliche Unterschied in dem unterschiedlichen Umgang mit Irrtümern zu

§ 6 Der Dissens im deutschen Recht

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finden sein. Diese These wird sich am Ende dieses Kapitels durch den Vergleich beider Rechtsordnungen auch bestätigen.

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Den Vorschriften zur Vertragsauslegung folgend, stellt der nächste zu untersuchende Bereich der Umgang mit Einigungsmängeln, dem Dissens, dar. Die Erläuterungen zum Dissens folgen den der Vertragsauslegung aus dem Grund, dass einerseits eine Anfechtung wegen Irrtums nur dann erfolgen kann, wenn ein Vertrag überhaupt wirksam zustande gekommen ist, und andererseits, weil ein solches Zustandekommen nur mittels Auslegung entsprechender Erklärungen der Parteien beurteilt werden kann. Die Erläuterungen zur Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen vor die Dissensregelungen zu verorten, scheint daher geboten. Da der Begriff des Vertrags und des Konsenses bereits im Rahmen der Auslegung behandelt wurde, beschränken sich die folgenden Ausführungen nur auf Spezialfälle, in denen eine entsprechende Auslegung zu keinem Konsens führt. Zugleich sollen die im ersten Kapitel gesponnenen Fäden an dieser Stelle weitergeführt und durch die Dissensregelungen ergänzt werden, um so festzustellen, ob diese die Auslegungsvorschriften in subjektiver oder objektiver Richtung beeinflussen. Die §§ 154, 155 BGB, die explizit den Umgang mit offenen und versteckten Einigungsmängeln regeln, bilden den Ausgangspunkt für die Betrachtung der Dissensregelungen. Gemäß § 154 BGB kommt ein Vertrag dann nicht zustande, wenn sich die Parteien bewusst sind, dass sie sich über einen oder mehrere zu regelnde Punkte nicht geeinigt haben oder eine vereinbarte Beurkundung nicht stattgefunden hat 1. Demgegenüber kommt ein Vertrag gem. § 155 BGB zustande, wenn sich die Parteien unbewusst über einen Punkt nicht geeinigt haben, obwohl sie den Vertrag als geschlossen ansahen. Dies gilt, insoweit anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen werden würde 2 . Beide Vorschriften sollen, nachdem der Begriff des Dissenses beschrieben wurde, kurz erläutert und die Bedeutung des subjektiven Parteiwillens für die Handhabung entsprechender 1

„(1) Solange nicht die Parteien sich über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll, ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen. Die Verständigung über einzelne Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Aufzeichnung stattgefunden hat. (2) Ist eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, bis die Beurkundung erfolgt ist.“, § 154 BGB. 2 „Haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde.“, § 155 BGB.

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Fälle untersucht werden. Im Anschluss daran soll das Verhältnis der Auslegung zu den Dissensregeln beschrieben werden, um so ein Gesamtbild im Hinblick auf deren Zusammenwirken zeichnen zu können. Da Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob ein Dissens vorliegt, die Auslegung darstellt, ergibt sich die These, dass die Dissensregelungen der §§ 154, 155 BGB im deutschen Recht kaum einen nennenswerten Beitrag zum Cliché, das deutsche Recht verfolge in der Praxis einen subjektiven Ansatz, beitragen. I. Der Begriff des Dissenses und der Fall des inkongruenten Doppelirrtums Der Dissens bildet, vereinfacht ausgedrückt, den Gegenbegriff des Konsenses. Es hat gerade kein Vertragsschluss stattgefunden, da weder die subjektiven Willen noch die objektiven Erklärungen – in ihrer normativen Bedeutung – übereinstimmen3. Aus diesem Grund wird häufig einfach von einem „Mangel des Einigwerdens“ oder Einigungsmangel der Parteien gesprochen4. Allerdings gilt es den Begriff des Dissenses genauer zu differenzieren. Das deutsche Recht unterscheidet hierbei zum einen zwischen einem Totaldissens5, sowie zum anderen zwischen einem offenen und versteckten Dissens6 nach § 154 bzw. § 155 BGB. Der Totaldissens umfasst solche Fälle, in denen keine Einigung über die essentialia negotii vorliegt, der offene bzw. versteckte Dissens nach §§ 154, 155 BGB hingegen solche, in denen keine Einigung über vertragliche Nebenpunkte, accidentalia negotii, vorliegt. Liegt kein Konsens über die essentialia negotii vor, liegt auch kein Vertragsschluss und somit ein Totaldissens vor. Die Voraussetzungen eines Konsenses wurden im Rahmen der Vertragsauslegung zwar beschrieben7, allerdings ist an dieser Stelle eine Diskussion über einen – zwar sehr speziellen, aber dennoch – bedeutenden Ausnahmefall angebracht: Der Fall des normativen Konsenses, in dessen Rahmen jedoch eine Abweichung zwischen subjektivem Willen und normativer Erklärungsbedeutung bei beiden Vertragsparteien vorliegt. Mittelstädt bezeichnet eine solche Konstellation als „inkongruenten Doppelirrtum“ 8 . Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Fall in der 3

Wolf/Neuner, § 38, Rn. 1; Medicus, AT, Rn. 434. Medicus, AT, Rn. 434. 5 Lorenz, S. 236; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 2; oder auch logischer Dissens nach Diederichsen, in: FS Juristische Gesellschaft, S. 81, 82; Wolf/Neuner, § 38, Rn. 2. 6 Medicus, AT, Rn. 436. 7 Siehe hierzu oben § 2 III. 2. c) cc) (4). 8 Mittelstädt, S. 94; das Gegenstück bildet der „kongruente Doppelirrtum“, der vom Grundprinzip her den Fällen der falsa demonstratio entspricht. Beide Parteien unterliegen einem Irrtum hinsichtlich des „durch normative Auslegung ermittelten Inhalt[s] der Erklärung, nicht dagegen auf die innere Tatsache, welchen Willen der Erklärende bei Abgabe der Erklärung hatte“. Dieser Doppelirrtum ist jedoch insofern kongruent, als dass die Parteien ein übereinstimmendes Verständnis über den Erklärungsinhalt haben, Mittelstädt, S. 90, Fn. 52. 4

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Rechtspraxis tatsächlich Relevanz erlangt, ist freilich verschwindend gering 9. Nichtsdestotrotz spielt die dogmatische Betrachtung eine wichtige Rolle hinsichtlich der Bedeutung des subjektiven Willens im Falle des Dissenses, da sich gerade hier der bekannte Konflikt zwischen subjektivem Willen und normativer Erklärungsbedeutung zeigt. Der abstrakte Fall ist wie folgt zu beschreiben: A will „x“, erklärt aber versehentlich „y“. B will „z“, erklärt aber versehentlich auch „y“10. Es liegt also ein normativer Konsens vor, allerdings ohne dass – wie im „klassischen“ Fall des normativen Konsenses – sich der subjektive Wille zumindest einer Partei mit der entsprechenden normativen Erklärungsbedeutung deckt. Vielmehr decken sich die normativen Erklärungsbedeutungen zufällig und keine der Vertragsparteien kann eine Auslegung ihrer Erklärung zugunsten ihres subjektiven Willens beweisen. Es liegt im Wesentlichen ein „umgekehrter Fall“ der falsa demonstratio vor. Fraglich ist, ob nun dennoch ein Vertrag zwischen beiden Parteien auf Basis der normativen Erklärungen zustande gekommen ist oder ob ein Dissens angenommen werden muss. Der häufig im Zusammenhang mit dem normativen Konsens zitierte „Senkungsschäden-Fall“ 11 , kann jedenfalls nicht als vollständige Begründung für die Annahme eines normativen Konsenses im Falle des inkongruenten Doppelirrtums dienen. In diesem Fall stritten die Parteien über das Ausmaß einer von der Beklagten zu übernehmenden Ausbesserungsverpflichtung. Das BerGer. nahm einen Dissens gem. § 155 BGB an, da die Parteien dem Begriff „Senkungsschäden“ jeweils einen anderen Sinn beigemessen hatten und dementsprechend keine Einigung vorlag. Der BGH verneinte eine solche Auffassung jedoch. Sobald die Auslegung der Erklärungen der beiden Vertragspartner einen objektiv übereinstimmenden und eindeutigen Sinn ergebe, läge auch eine Einigung vor12. Hätten die beiden Erklärungen nach der Auslegung demnach den gleichen Inhalt, liege dementsprechend kein Dissens vor13. Dies darf jedoch nicht zwangsweise dahingehend verstanden werden, dass die Vertragsparteien an einen Vertrag gebunden sind, wenn zwar kein natürlicher Konsens vorliegt, die normativen Erklärungsbedeutungen sich jedoch zufällig decken. Vielmehr stellte der BGH fest, dass zumindest eine Partei den strittigen Begriff der „Senkungsschäden“ entsprechend der normativen Bedeutung verstanden hatte, was letztlich die eben erläuterte Auffassung, dass sich zumindest der subjektive Wille einer Partei durchsetzt, unterstützt. 9

So auch Mittelstädt, S. 94. Vgl. Mittelstädt, S. 94. 11 BGH NJW 1961, 1668. 12 „Ergibt die Auslegung, daß die Erklärungen beider Partner objektiv in einem bestimmten Sinn verstanden werden müssen, so liegt ein eindeutiger Sinn und damit eine Einigung vor. Für die Annahme eines versteckten Einigungsmangels ist dann kein Raum mehr.“, BGH NJW 1961, 1668, 1669. 13 BGH NJW 1961, 1668, 1669. 10

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Es liegt also gerade kein Fall des inkongruenten Doppelirrtums vor, sondern ein Fall des normativen Konsenses, da gerade der subjektive Wille zumindest einer Partei der normativen Erklärungsbedeutung entspricht. Dieses Urteil als Argumentationsstütze für den Vorrang der normativen Erklärungsbedeutung über den – abweichenden – subjektiven Willen zu verwenden, scheint daher nicht überzeugen zu können. Nimmt man den Vorrang der übereinstimmenden normativen Erklärungsbedeutung zwischen zwei Parteien an und akzeptiert einen Vertragsschluss auf dessen Basis, steht es den Parteien frei, den ursprünglichen Vertrag mittels Aufhebungsvertrag aufzulösen14. Aus praktischer Sicht stellt sich daher im Falle des inkongruenten Doppelirrtums kein Problem. Nichtsdestotrotz scheint aus dogmatischer Sicht die Annahme eines Dissenses jedoch überzeugender15. Zum einen ist ein Vertrauensschutz auf keiner Seite notwendig, zum anderen scheint auch eine entsprechende Anwendung der falsa demonstratio Grundsätze kongruenter mit der hier bisher vertretenen Auffassung des Vorrangs des subjektiven Willens 16 . Den Parteien darf kein Vertragsinhalt aufgezwungen werden, den beide Parteien nicht wollten 17. Auch im Falle des inkongruenten Doppelirrtums und des damit verbundenen normativen Konsenses muss aus dogmatischer Sicht der subjektive Wille der Vertragsparteien überwiegen. II. Der offene Dissens nach § 154 BGB 1. Begriff und Anwendungsbereich Ein offener Dissens liegt gem. § 154 BGB dann vor, wenn den Vertragsparteien bewusst ist, dass sie sich über einen oder mehrere zu regelnde Punkte nicht geeinigt haben oder eine vereinbarte Beurkundung nicht stattgefunden hat. Es genügt jedoch, wenn lediglich eine Partei es für erforderlich hielt, über eine lückenhafte Regelung noch eine Einigung zu erzielen18. Diese Partei muss den entsprechenden Willen jedoch entweder ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebracht haben19. Dieser Wille muss für die andere 14

Vgl. Lee, S. 30. So auch Titze, in: FS Heymann II, 76; Palandt/Ellenberger, § 155 BGB, Rn. 3; Flume, AT II, S. 623; Rothoeft, S. 162; Leenen, AT, § 8, Rn. 160; Bydlinski, S. 40; Leenen, in: FS Prölss, S. 161; vgl. Mittelstädt, S. 95 m.w.N. 16 Flume, AT II, S. 623. 17 So auch Leenen, AT, § 8, Rn. 160. 18 MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 3; Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 2; BGH WM 1990, 1241, 1244. 19 „Die Anwendung dieser Vorschrift erfordert, daß wenigstens eine Partei bei den Vertragsverhandlungen - sei es auch nur durch schlüssiges Verhalten - erkennbar gemacht hat, sie halte eine Einigung über den betreffenden, noch offenen Punkt für erforderlich.“, BGH NJW-RR 1990, 1009, 1011; NJW 1998, 3196; WM 1966, 16; MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 4. 15

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Partei auch erkennbar gewesen sein20. Hierbei zeigt sich bereits im Ansatz die Bedeutung des § 154 Abs. 1 BGB als Auslegungsregel. Liegt keine Einigung über einen Vertragsbestandteil vor, den mindestens eine Partei als Regelungsbedürftig ansah, ist im Zweifel kein Konsens und somit auch kein Vertrag zustande gekommen. Der offene Dissens nach § 154 Abs. 1 BGB kann sich nur auf accidentalia negotii beziehen, da im Falle einer fehlenden Einigung über essentialia negotii bereits ein Totaldissens vorliegt21. Zudem kann sich die auf Vertragspunkte beziehende Formulierung des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB, „über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll“, sinnvollerweise nur auf accidentalia negotii beziehen22. Dies führt letztlich dazu, dass subjektive Vorstellungen einer Partei, sofern sie ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck gebracht wurden, dazu führen, dass vertragliche Nebenpunkte als so wesentlich eingestuft werden, dass eine Einigung über sie als Voraussetzung für den Vertragsschluss gilt. Eine solche „Erheblichkeitsankündigung“ 23 erhebt accidentalia negotii in den „Status“ der subjektiven essentialia, die für den Vertragsschluss essentiell sind 24. In Ausnahmefällen kann ein Vertragsschluss trotz einer fehlenden Einigung über essentialia negotii dann bejaht werden, wenn sich die entsprechenden Lücken durch gesetzliche Vorschriften, wie z.B. §§ 612 Abs. 2 und 632 Abs. 2 BGB oder durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden können 25. Zusätzlich muss ein vertraglicher Bindungswille beider Parteien bestanden haben, der erkennen lässt, dass sich diese trotz fehlender Einigung vertraglich binden wollten26. Der offene Dissens liegt hingegen z.B. dann vor, wenn die Mietsache nicht bestimmt ist27, eine Einigung über eine verlangte Anzahlung fehlt28 oder lediglich eine Preisobergrenze für einen Kaufpreis vereinbart wurde 29.

20 BGH NJW-RR 1990, 1009, 1011; Medicus, AT, Rn. 436; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 12. 21 Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 3; vgl. Flume, AT II, S. 627. 22 Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 3. 23 Diederichsen, in: FS Hübner, S. 428; Lee, S. 59; diese ist von der „Erklärung der Regelungsbedürftigkeit“ jedoch zu unterscheiden, die die Einigung über einen Vertragspunkt nicht zur Voraussetzung für den Vertragsschluss macht, Lee, S. 59. 24 Vgl. Hübner, Rn. 1020; Lee, S. 50. 25 BGH NJW 1993, 64, 65; 1983, 1727, 1728; 1997, 2671, 2672; 2002, 817, 818; MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 3. 26 BGH NJW-RR 2000, 1658, 1659; siehe hierzu ausführlich den folgenden Abschnitt. 27 OLG Hamburg, OLGE 44, 131; Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 5. 28 BGH NJW 1998, 3196. 29 BGH NJW 1983, 1603

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2. § 154 BGB als Auslegungsregel In den vorhergehenden Erläuterungen zum Begriff des offenen Dissenses und des Anwendungsbereichs des § 154 BGB zeigte sich bereits ansatzweise dessen Bedeutung als Auslegungsregel. Ein Vertrag gilt im Zweifel als nicht geschlossen, wenn ein offener Dissens vorliegt. Dies stellt eine Auslegungsregel und zugleich die Kernaussage des § 154 BGB dar und ist gerade keine gesetzliche Vermutung gegen die Geltung der Grundabrede 30. Vielmehr steht es den Parteien offen zu vereinbaren – trotz des Offenlassens einzelner Vertragspunkte – einen wirksamen Vertrag zu schließen31. Ist nach dem mittels Auslegung zu ermittelnden gemeinsamen Willen der Parteien ein Vertrag zustande gekommen, obwohl nicht alle Punkte geregelt wurden, ist die Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB nicht anwendbar32. Dies gilt im Falle des Offenlassens der essentialia negotii freilich nur unter den oben gennanten Voraussetzungen, wie der Möglichkeit der Kaufpreisbestimmung mittels festgelegten Mechanismus oder der Lückenschließung mittels ergänzender Vertragsauslegung 33 . Ein entsprechender Bindungswille, trotz Offenlassens einzelner Regelungen einen Vertrag zu schließen, lässt sich z.B. im Falle einer begonnenen Vertragsdurchführung erkennen 34 . Letztlich ist dieser – ausdrücklich oder konkludente geäußerte – Wille durch die Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze zu ermitteln. Zur Verdeutlichung soll hierzu ein Fall des BGH dienen, in dem ein scheinbar offener Dissens gem. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB hinsichtlich einer Maklerprovision zur Entscheidung stand35. Die Klägerin erhielt von der Beklagten einen Makleralleinauftrag, in dessen Rahmen sie Kaufinteressenten und den Abschluss eines Kaufvertrags bzgl. eines Wohnblocks nachweisen sollte. Die Kl. übersandte der Bekl. wenige Monate später ein Exposé sowie einen formularmäßig vorbereiteten Kaufantrag, in denen jeweils folgender Hinweis enthalten war: „Die Provision beträgt 5,75% des Kaufpreises (inklusive der gesetzlichen Mehrwertsteuer in Höhe von 15%) und ist vom Käufer bei Vertragsabschluss zu zahlen”. Die Bekl. wiederum reichte den nun von ihr unterschriebenen Kaufantrag bei der Kl. ein. Dabei war jedoch die im Kaufantrag angeführte Provisionsklausel mit der Angabe „5,75%“ durchge30 MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 5; Soergel/Wolf, § 154 BGB, Rn. 5; Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 6; BGH NJW-RR 2014, 1423; WM 1981, 1140, 1141; NJW 1951, 397; Scherner, S. 123 ff. 31 BGH BGHZ 119, 283, 288; NJW-RR 2014, 1423; Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 6; Staudinger/Wolf, § 154 BGB, Rn. 7. 32 BGH NJW-RR 2014, 1423, 1426; NJW 1951, 397, 1960, 430; 1964, 1617; 1997, 2671; Staudinger/Bork, § 154 BGB, Rn. 6; MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 6. 33 Siehe hierzu oben § 6 II. 1. 34 BGH NJW-RR 2000, 1658, 1659; NJW 1983, 1727, 1728; 1993, 64; 2002, 817, 818; MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 3. 35 Siehe hierzu und zum Folgenden BGH NJW 2002, 817 ff.

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strichen und mit dem handschriftlichen Zusatz „nach Vereinbarung“ versehen worden. Nach notarieller Beurkundung des Kaufvertrags, machte die Kl. ihren Provisionsanspruch nebst Zinsen geltend. Das LG gab der Klage im Wesentlichen statt, das OLG wies sie im Rahmen der Berufung der Bekl. wiederum vollständig ab. Der BGH nahm die Revision jedoch zum Teil an und verwies die Sache zurück an das BerGer. Das BerGer. nahm zunächst einen offenen Dissens gem. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB an, da keine Einigung über die Höhe der Vergütung bestanden habe. Dies ergebe sich aus der handschriftlichen Änderung der Provisionsklausel durch die Bekl., die damit ein eindeutiges Provisionsverlangen der Kl. abgelehnt habe. Der BGH wies diese Argumentation jedoch zurück und begründete dies damit, dass § 154 Abs. 1 S. 1 BGB unanwendbar sei, „wenn sich die Parteien trotz der noch offenen Punkte erkennbar vertraglich binden wollen“36. Ein Anzeichen für einen dahingehenden Bindungswillen sei gerade die begonnene Vertragsdurchführung. Einen entsprechenden Bindungswillen vorausgesetzt, sei die Lückenhaftigkeit des Vertrags, wenn sie sich auf die Höhe der Vergütung beziehe, entweder durch die ergänzende Vertragsauslegung oder die Anwendung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung zu schließen37. In diesem Falle sei ersichtlich, dass nicht nur die Kl., sondern auch der Bekl. vom Bestehen maklervertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien ausgegangen sei. Dies leite sich daraus her, dass der Bekl. nach Erhalt der Provisionsrechnung der Kl. die Begleichung dieser Rechnung nicht unter Hinweis auf das Fehlen maklervertraglicher Bindungen verweigert, sondern geltend gemacht habe, dass die Höhe der Courtage noch zu vereinbaren sei. Dementsprechend liege kein offener Dissens gem. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB vor und ein Anspruch auf Zahlung der Maklerprovision bestehe. Sollte sich nicht feststellen lassen, dass im Nachhinein eine Einigung über die Provisionshöhe erfolgt sei, so sei diese nach Maßgabe des § 653 Abs. 3 BGB und unter Beachtung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung in angemessener Höhe festzulegen. Die Rolle des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB als Auslegungsregel wird zwar deutlich, allerdings zeigt sich, dass sie keinen direkten Einfluss auf die grundlegenden Auslegungsvorschriften bzw. den grundlegenden Auslegungsvorgang hat. Vielmehr dient sie als Entscheidungshilfe, sollten sich zwei mögliche Auslegungsergebnisse gegenüberstehen. Dann ist – den entsprechenden Sachverhalt vorausgesetzt – im Zweifel kein Vertrag zustande gekommen, wenn mindestens eine Partei einen Punkt für regelungsbedürftig hielt. Die Feststellung eines entgegenstehenden Bindungswillens erfolgt freilich nach den erläuterten Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 BGB. Es liegt u.U. nahe, die einseitige Annahme einer Partei, ein Vertragspunkt sei noch rege36 37

BGH NJW 2002, 817, 818. BGH NJW 2002, 817, 818; NJW 1993, 64; 1997, 2671, 2672; NJW-RR 1992, 517.

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lungsbedürftig, als subjektiven Ausschlag zu verstehen. Allerdings ist dies nicht mehr oder weniger subjektiv, als es die Auslegung in ihrer Gesamtheit schon ist, erfolgt die Ermittlung einer solchen möglichen Annahme doch gerade durch die Auslegung der Erklärungen. Die Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB gibt daher weder Anlass einen subjektiven noch einen objektiven Ausschlag des deutschen Rechts anzunehmen. III. Der versteckte Dissens nach § 155 BGB Während sich die Vertragsparteien im Falle des offenen Dissenses gem. § 154 BGB im Klaren darüber sind, dass sie sich nicht vollständig über alle Vertragspunkte geeinigt haben, gehen sie im Falle des § 155 BGB fälschlicherweise davon aus, dass eine vollständige Einigung vorliegt38. Beide Vorschriften, § 154 wie § 155 BGB, stehen jedoch gleichberechtigt nebeneinander39. Ein anderer Fall des versteckten Dissenses liegt weiterhin dann vor, wenn die Parteien einen objektiv mehrdeutigen Ausdruck verwenden und jeweils unterschiedlich verstehen40. In beiden Fällen müsste die Unvollständigkeit der Einigung grundsätzlich den Vertragsschluss verhindern. Dies soll jedoch dann gem. § 155 BGB verhindert werden, wenn anzunehmen ist, dass die Parteien den Vertrag trotz unvollständiger Einigung abschließen wollten41. Im Folgenden sollen die drei wesentlichen Fallgruppen, die unter die Kategorie des versteckten Dissenses für gewöhnlich eingeordnet werden, betrachtet werden42. In diesem Rahmen erfolgt jeweils auch eine Abgrenzung zum Irrtumsrecht sowie eine Beschreibung des Verhältnisses zur Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB. 1. Der Fall mehrdeutiger Parteierklärungen (sog. „Scheinkonsens“) Den wohl relevantesten Fall des § 155 BGB stellt die Konstellation dar, in der sich objektiv mehrdeutige Parteierklärungen gegenüberstehen bzw. ein mehrdeutiger Vertragstext vorliegt43. Zwar decken sich die Erklärungen ihrem Wortlaut nach, allerdings maßen die Vertragsparteien ihnen jeweils einen unterschiedlichen Sinngehalt zu44. Es liegt ein sog. „Scheinkonsens“ vor, da beide Parteien annahmen, durch ihre Erklärungen einen wirksamen Konsens 38

Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 1. Diederichsen, in: FS Hübner, S. 422, 423; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 1; Soergel/Wolf, § 154 BGB, Rn. 1. 40 Wolf/Neuner, § 38, Rn. 12; Titze, S. 339 ff. 41 Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 1. 42 Siehe zur Systematik MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 10 ff.; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 10 ff. 43 Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 9; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 12. 44 RGZ 66, 122; BGH BB 1958, 1297; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 9; Raiser, AcP 127 (1927), 1, 9; BGH NJW-RR 1993, 373; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 9. 39

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herbeigeführt zu haben45. Dementsprechend liegt keine Übereinstimmung der subjektiven Willen vor. Zunächst ist durch Auslegung überhaupt festzustellen, ob eine objektive Mehrdeutigkeit der Erklärungen bzw. des Vertragstextes vorliegt. Stimmen die Erklärungen jedoch in ihrem durch Auslegung ermittelten objektiven Sinn überein, liegt gerade kein Fall des versteckten Dissenses vor46. Der Vertrag gilt dann mit dem durch die Auslegung ermittelten Vertragsinhalt. Hierbei bedarf es zugleich der Abgrenzung zum Fall des Erklärungsirrtums. Während im Falle des § 119 Abs. 1 BGB ein normativer Konsens vorliegt 47 , da sich die objektiven Erklärungsbedeutungen – nach entsprechender Auslegung – decken, liegt dieser im Falle des § 155 BGB gerade nicht vor 48 . Zudem deckt sich im Falle des § 119 Abs. 1 BGB der Wille zumindest einer Vertragspartei nicht mit ihrer Erklärung, wodurch diese Partei zur Anfechtung berechtigt wird 49 . Beim versteckten Dissens decken sich die subjektiven Willen zwar mit der jeweiligen Erklärung, welchen allerdings aus objektiver Sicht kein eindeutiger Sinn beigemessen werden kann. Behauptet eine Partei das Vorliegen eines versteckten Dissenses, gilt es mittels Auslegung zu ermitteln, ob tatsächlich mehrdeutige Erklärungen vorliegen, deren objektive Erklärungsbedeutung nicht eindeutig bestimmbar ist. Den klassischen Lehrbuchfall bildet dabei ein in der Schweiz zwischen einem deutschsprachigen Franzosen und einem Schweizer geschlossener Kaufvertrag50. Beide vereinbaren einen Kaufpreis in „Franken“, worunter der Franzose jedoch französische Franc, der Schweizer hingegen Schweizer Franken versteht. Während sich die objektiven Erklärungen decken, gehen die jeweiligen subjektiven Willen auseinander. Lägen keine weiteren Begleitumstände – hier der Ort des Vertragsschlusses – vor, müsste ein Totaldissens angenommen werden, da kein eindeutiger Erklärungssinn durch Auslegung ermittelbar wäre51. Hier fällt der Vertragsschluss jedoch in den Lebensbereich einer Vertragspartei, weshalb ein eindeutiger objektiver Sinn feststellbar ist. Ein versteckter Dissens liegt freilich ebenfalls nicht vor52. Gleichfalls nicht auf einen versteckten Dissens berufen kann sich eine 45 Raiser, AcP 127 (1927), 1, 13; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 12; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 9; OLG Köln NJW-RR 2000, 1720. 46 „Ergibt die Auslegung, daß die Erklärungen beider Partner objektiv in einem bestimmten Sinn verstanden werden müssen, so liegt ein eindeutiger Sinn und damit eine Einigung vor. Für die Annahme eines versteckten Einigungsmangels ist dann kein Raum mehr.“, BGH NJW 1961, 1668, 1669; 2003, 743; BGH WM 1995, 2638; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 2. 47 Kramer, S. 176 ff. 48 MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 5. 49 Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 3. 50 Siehe hierzu und zum Folgenden statt aller MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 12; Flume, AT II, S. 624. 51 MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 12. 52 Anders jedoch MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 12.

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Partei, die die Abweichung der Willensrichtung der Gegenpartei erkannt, aber dennoch den Vertrag abgeschlossen hat 53. Der subjektive Wille der einzelnen Vertragsparteien spielt im Falle des Scheinkonsenses insofern eine Rolle, als dass damit eine Abgrenzung zum Erklärungsirrtum und zum Fall der falsa demonstratio erfolgen kann. Beim Erklärungsirrtum deckt sich der subjektive Wille mindestens einer Partei nicht mit der jeweiligen Erklärung, während sich im Falle der falsa demonstratio die subjektiven Willen beider Parteien decken. 2. Der Fall versehentlicher Unvollständigkeit Im Fall der versehentlichen Unvollständigkeit haben die Vertragsparteien schlicht vergessen, einen Vertragspunkt zu regeln. Gleichzeitig nahmen sie jedoch an, dass über diesen Punkt Einigung bestand54. Darin besteht zugleich die Abgrenzung zur vertraglichen Regelungslücke, die mittels ergänzender Auslegung geschlossen werden muss. In diesem Fall haben die Parteien schon die Regelung an sich nicht bedacht und nicht – wie im Falle der versehentlichen Unvollständigkeit – die Regelung an sich gewollt, aber dann vergessen sich darüber zu einigen55. Im Gegensatz zum Fall des Scheinkonsenses kommt dem subjektiven Parteiwillen im Fall der versehentlichen Unvollständigkeit jedoch keine explizite Rolle zu und bedarf daher keiner weitergehenden Erläuterung. Es muss lediglich ermittelt werden, ob die Parteien den Vertrag, trotz nicht vorliegender Einigung über den vergessenen Regelungspunkt, dennoch schließen wollten. 3. Der Fall des Erklärungsdissenses Der Fall des „Erklärungsdissenses“ 56 liegt dann vor, wenn sich weder die Erklärungen ihrem objektiven Sinn nach noch die dahinterstehenden subjektiven Willen der Vertragsparteien decken. Die Parteien reden „aneinander vorbei“; es liegen somit keine übereinstimmenden Erklärungen vor 57. Erklärt z.B. A, er wolle zu 10 € verkaufen, obwohl er für 100 € verkaufen wollte und versteht B diese Erklärung aus seiner Sicht als Verkaufsangebot zu 10 €, entgegnet jedoch mit „Ich kaufe für 100 €“, liegt kein objektiv übereinstimmender Erklärungssinn vor 58 . Beide Erklärungen sind für sich unmissver53

BGH NJW-RR 1993, 373, Rn. 12. MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 10; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 7; Staudinger/ Bork, § 155 BGB, Rn. 7; BGH WM 1965, 950. 55 Erman/Armbrüster, § 155 BGB, Rn. 3. 56 Raiser, AcP 127 (1927), 1, 3 ff., 10; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 11; Kramer, S. 181. 57 MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 11; Kramer, S. 181; Erman/Armbrüster, § 155 BGB, Rn. 3; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 8; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 8 ff. 58 MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 11; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 8. 54

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ständlich, decken sich aber nicht59. Der andere Fall, in dem sich zwei nicht übereinstimmende objektive Erklärungsbedeutungen gegenüberstehen können, liegt dann vor, wenn eine Partei ihren Willen richtig erklärt, der Erklärungsempfänger die Erklärung jedoch missversteht und wiederum eine Erklärung abgibt, die aus Sicht der ersten Partei aber nicht als Annahme verstanden werden kann und darf60. Erklärt z.B. A, er verkaufe zu 1000 €, B versteht jedoch 100 € und erklärt die Annahme zu 100 €, liegt ebenfalls keine übereinstimmende objektive Erklärungsbedeutung vor. In beiden eben erläuterten Fällen ist keine der Parteien unter Vertrauensschutzgesichtspunkten schützenswert 61 . Problematisch hinsichtlich der in der Literatur immer wieder aufgeführten und hier aufgezeigten Beispiele ist jedoch, dass sich der versteckte Dissens i.S.d. § 155 BGB in aller Regel nur auf accidentalia negotii beziehen kann und nur in Ausnahmefällen trotz eines Einigungsmangels über essentialia negotii ein Vertragsschluss bejaht werden kann 62. In jedem Falle liegt beim Erklärungsdissens keine Übereinstimmung der subjektiven Willen der Vertragsparteien vor, da ansonsten die falsa demonstratio Grundsätze Anwendung finden würden. Vielmehr können entweder auf einer Seite subjektiver Wille und objektive Erklärungsbedeutung auseinanderfallen oder sogar auf beiden Seiten ein entsprechender Irrtum vorliegen. Im ersteren Falle kommt jedoch deshalb kein normativer Konsens zustande, weil der Empfänger der irrtumsbehafteten Willenserklärung diese nicht als Annahme verstanden haben dürfte63. In zweiterem Fall liegt ebenfalls kein normativer Konsens vor, da sich die objektiven Erklärungsbedeutungen gerade nicht decken. 4. Rechtsfolgen des versteckten Dissenses und § 155 BGB als Auslegungsregel Während bei einem Dissens über die essentialia negotii ein Vertrag in jedem Fall als nicht zustande gekommen angesehen wird, kann beim versteckten Dissens über accidentalia negotii gem. § 155 BGB u.U. aus Verkehrsschutzgründen dennoch ein Vertragsschluss angenommen werden 64. Letztlich obliegt es einem Gericht zu entscheiden, ob ein entsprechend hypothetischer Parteiwille hinsichtlich der Aufrechterhaltung des fälschlicherweise als vollständig geschlossen geglaubten Vertrags angenommen werden soll. Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab 65. Entscheidend ist beim ver59

MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 11. Kramer, S. 181. 61 Kramer, S. 181. 62 OLG Hamm, NJW-RR 1998, 1747. 63 Siehe das Beispiel oben, in dem A 1000 € erklärt, B jedoch 100 € versteht und die Annahme zu 100 € erklärt. 64 MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 14. 65 Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 18; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 14. 60

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steckten Dissens, dass die Parteien geglaubt haben, sich geeinigt zu haben, tatsächlich eine solche Einigung über einen vertraglichen Nebenpunkt allerdings nicht existiert. Demnach widerspricht das Fehlen der Einigung dem subjektiven Willen der Parteien66. § 155 BGB soll eine Korrekturmöglichkeit eröffnen, um die übrige vertragliche Einigung – vorausgesetzt sie wird durch den hypothetischen Parteiwillen als gewollt angesehen – herbeizuführen 67 . Bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens spielt die Bedeutung des entsprechenden Vertragspunktes eine gewichtigte Rolle: Je unwichtiger der Punkt, desto eher kann ein auf Vertragsschluss gerichteter hypothetischer Parteiwille angenommen werden68. Zudem kann das Verhalten der Parteien für eine entsprechende Intention, den Vertrag trotz unvollständiger Einigung aufrecht zu erhalten, sprechen. Haben die Parteien bereits mit der Vertragsdurchführung begonnen, wird ein entsprechender Bindungswille als wahrscheinlich angenommen69. Die Schließung der durch den versteckten Dissens bestehenden Regelungslücke erfolgt mittels dispositivem Gesetzesrecht sowie mittels ergänzender Vertragsauslegung 70 . § 155 BGB stellt jedoch nur eine Ausnahmeregelung dar. Grundsätzlich gilt auch beim Teildissens über accidentalia negotii, dass ein Vertrag nicht zustandegekommen ist71. IV. Zusammenfassung Betrachtet man die Dissensregelungen der §§ 154, 155 BGB sowie den Fall des Totaldissenses und des inkongruenten Doppelirrtums, zeichnet sich kein sonderlich überraschendes Bild hinsichtlich der Bedeutung des subjektiven Parteiwillens ab. Liegt ein Fall des Totaldissenses vor, bei dem keine – subjektive oder objektive – Einigung über die essentialia negotii eines Vertrags vorliegt, kommt kein Vertrag zustande. Das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer solchen Einigung wird mittels Auslegung der jeweiligen Erklärungen bzw. des Vertragsdokuments bewertet. Macht eine Partei konkludent oder ausdrücklich deutlich, dass sie eine bestimmte Regelung als für den Vertragsschluss essentiell erachtet, wird diese Regelung als subjektive essentialia betrachtet und ist damit Voraussetzung für einen wirksamen Vertragsschluss. Dies gilt sowohl in den Fällen des § 154, wie auch des § 155 BGB. Beide Vorschriften stellen Auslegungsregeln dar, mittels derer festgestellt werden soll, ob ein Vertrag zustande oder nicht zustande gekommen ist. Die entsprechende Auslegung erfolgt gemäß den Auslegungsmaßstäben der §§ 133, 66

Flume, AT II, S. 634. Flume, AT II, S. 634. 68 BGH WM 1977, 1349, 1350; 1966, 142, 143; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 15. 69 BGH NJW 1983, 1727, 1728; 2002, 817, 818; Wolf/Neuner, § 38, Rn. 9; Medicus, AT, Rn. 434. 70 BGH WM 1966, 142, 143; Soergel/Wolf, § 155 BGB, Rn. 19; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 14; Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 16. 71 Staudinger/Bork, § 155 BGB, Rn. 14; MüKo/Busche, § 155 BGB, Rn. 14. 67

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157 BGB. So muss im Falle des § 154 BGB zunächst ermittelt werden, ob überhaupt eine Erheblichkeitsankündigung einer Partei hinsichtlich eines Vertragspunktes vorlag, um weiterhin festzustellen, ob dahingehend eine Einigung bestand. Liegt eine Vertragslücke vor, muss ebenso mittels Auslegung festgestellt werden, ob ein Bindungswille beider Parteien vorlag, der trotz Offenlassens eines Regelungspunktes zu einem Vertragsschluss führen sollte. Im Falle des Scheinkonsenses gem. § 155 BGB liegt weder eine subjektive noch eine eindeutige (!) objektive Einigung der Vertragsparteien vor. Die Wortlaute der Erklärungen decken sich zwar, allerdings sind die Erklärungsbedeutungen dennoch mehrdeutig. Ein Dissens liegt dann vor, wenn durch Auslegung kein eindeutiger Erklärungssinn ermittelt werden kann. Kann ein solcher ermittelt werden, wird sich der subjektive Wille zumindest einer Partei durchsetzen, da sich im Falle des Scheinkonsenses der subjektive Wille der Parteien mit ihren Erklärungen decken. Im Falle des Erklärungsdissenses decken sich weder subjektive Willen noch objektive Erklärungsbedeutungen der Parteien. Es kann weder ein natürlicher noch ein normativer Konsens entstehen, weshalb kein Vertrag als zustande gekommen gilt. Die Beurteilung erfolgt in der Praxis jedoch nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und damit aus objektiver bzw. normativer Sicht. Die anfängliche These, nach der die Dissensregelungen des deutschen Rechts keinen nennenswerten Beitrag zum klassischen Cliché, das deutsche Recht verfolge in der Praxis einen subjektiven Ansatz, beitragen, lässt sich daher bestätigen.

§ 7 Der Irrtum im deutschen Recht § 7 Der Irrtum im deutschen Recht

Nachdem der Umgang mit Dissensfällen erläutert wurde, sollen nun die Fälle, in denen eine Vertragspartei eine irrtumsbehaftete Erklärung abgegeben und damit einen ungewollten oder mit einem anderen Inhalt gewollten Vertragsschluss herbeigeführt hat, betrachtet werden. Das deutsche Recht ermöglicht einer Vertragspartei, die bei der Abgabe einer Willenserklärung einem Irrtum unterlag, ein Anfechtungsrecht gem. § 119 BGB72, welches – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – nach § 142 BGB zur Nichtigkeit des anfechtbaren Rechtsgeschäfts bzw. der Willenserklärung führt 73 . Dies ist gem. § 122 BGB freilich nur zum Preis des Schadensersatzanspruchs des Erklärungsempfängers in Höhe eines Vertrauensschadens, den dieser mög-

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„(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen. (2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.“, § 142 BGB. 73 „Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.“, § 142 BGB.

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lichweise erlitt, möglich74. Als Irrtum wird dabei gemeinhin das unbewusste auseinanderfallen von Wille und Erklärung verstanden 75. Konkret ermöglicht § 119 BGB die Anfechtung im Falle eines Inhalts-, Erklärungs- und Eigenschaftsirrtums76. Bei einer ersten oberflächlichen Betrachtung der relevanten Vorschriften und ohne entsprechende Vorkenntnisse der Vertragsauslegung, scheint ein bemerkenswerter Widerspruch zwischen der Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 BGB und der Auslegung nach § 157 BGB zu bestehen. Während die Auslegung nach § 157 BGB normativ und daher objektiv wertend erfolgt, scheint die Anfechtung gem. § 119 BGB aus rein subjektiven Umständen heraus möglich. Es scheinen sich daher normative und subjektive Grundsätze gegenüberzustehen. Daraus ergibt sich die These, dass vor allem die Anfechtungsmöglichkeit im Falle des Irrtums einer Vertragspartei nach § 119 BGB und die damit verbundene Rechtsfolge, die Nichtigkeit der entsprechenden Willenserklärung gem. § 142 BGB, den Hauptunterschied zwischen deutschen und englischen Recht darstellt. Einer Partei wird letztlich die Möglichkeit eröffnet, auf Basis eines Irrtums einen Vertrag anzufechten und sich so von diesem zu lösen. Das Vorurteil, deutsches Recht orientiere sich stark am subjektiven Parteiwillen, dürfte sich vor allem aus diesem Gestaltungsrecht heraus begründen. I. Das Grundproblem der Anfechtung und ihre Notwendigkeit Wie die Erläuterungen zur Vertragsauslegung mehrfach gezeigt haben, scheint eine Korrekturmöglichkeit irrtümlich abgegebener oder inhaltlich „falscher“ Willenserklärungen durch den Erklärenden nicht völlig unangebracht. Dabei stehen sich, wie bei der Auslegung auch, das berechtigte Vertrauen des Erklärungsempfängers auf die Richtigkeit der abgegebenen Erklärung sowie der notwendige Schutz des Erklärenden vor ungewollten Rechtsfolgen gegenüber 77. Wie auch im Rahmen der Auslegung, bedarf es daher eines angemessenen Interessenausgleichs, den das Anfechtungsrecht des deutschen Rechts mit den §§ 119 ff. BGB schaffen will. Bestandteil eines solchen Interessenausgleichs sind zum einen Regelungen, die festlegen, wel74 „(1) Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. (2) Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste).“, § 122 BGB. 75 Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 7; BGH MDR 71, 656; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 1. 76 Siehe hierzu unten § 7 III. 77 Medicus, AT, Rn. 737.

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che Arten von Irrtümern überhaupt zur Anfechtung berechtigen78, um so die Privatautonomie des Erklärenden zu schützen, sowie Schadensersatzregelungen, die den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers gewährleisten. Die Lösung der Problematiken durch die entsprechenden Regelungen soll im Folgenden untersucht werden. Einer rechtsgeschichtlichen Untersuchung der entsprechenden Normen bedarf es, im Vergleich zu den §§ 133, 157 BGB, nicht. Dies begründet sich daraus, dass die §§ 119 ff. BGB in ihren Voraussetzungen derart klar formuliert sind, dass eine Herleitung dahinterstehender Motive zur Beurteilung der Normen nicht notwendig ist79. II. Das Verhältnis der Anfechtung zur Auslegung und zum Dissens Bevor die einzelnen Irrtumsarten, die zu einer Anfechtung berechtigen, behandelt werden, soll zunächst das Verhältnis der Anfechtung zur Auslegung und zum Dissens beschrieben werden. 1. Der Auslegungsvorrang Als Irrtum wird ganz allgemein das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung verstanden 80 , wodurch letztlich das Verhältnis von Anfechtung und Auslegung bereits grundlegend dargestellt ist. Denn erst nachdem eine Erklärung normativ ausgelegt wurde, kann deren Inhalt und damit eine eventuelle Abweichung vom subjektiven Willen, und damit wiederum vor allem auch die Art des Irrtums, festgestellt werden81. Kurzum: Die Auslegung geht der Anfechtung vor, um feststellen zu können, ob Wille und objektiver Erklärungsgehalt auseinanderfallen82. Erkennt ein Erklärungsempfänger den wahren Willen eines Erklärenden oder ergibt sich dieser aus objektiver Sicht mittels Auslegung, scheidet eine Anfechtung aus83. Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz der falsa demonstratio und der empirischen Auslegung, da demnach das wirklich Gewollte dem objektiv Erklärten vorgeht84. Ob dabei ein Erkennenmüssen des wirklichen Willens bereits ausreicht, um diesen zur 78 In der vorliegenden Arbeit soll der Fokus hauptsächlich auf endogenen Beeinträchtigungen der Willensbildung liegen, also auf Irrtümern, die bei der Bildung des subjektiven Willens oder bei seiner Erklärung entstehen. 79 Siehe dazu ausführlich u.a. Schermaier, S. 467 ff.; 537 636 ff.; 674 ff. 80 Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 7. 81 Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 7; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 6; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 11; Flume, AT II, S. 418; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 58. 82 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 7; MüKo/Busche, § 133 BGB, Rn. 21; Brox, S. 168; Larenz, AT, S. 371; Medicus, Rn. 317; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 6. 83 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 7; Larenz, AT, S. 371; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 60; Medicus, Rn. 317. 84 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 7; BGH WM 1972, 1422, 1424; 1983, 92; NJWRR 1995, 859; MüKo/Armbrüster § 119 BGB, Rn. 62; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 6.

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Geltung zu bringen und somit eine Anfechtung entbehrlich zu machen, ist umstritten85. Reicht das Erkennenmüssen aus, ergeben sich zweierlei Konsequenzen: Zum einen gilt der subjektive Wille des Erklärenden, da ein Festhalten am objektiven Erklärungssinn aus Vertrauensschutzgründen nicht erforderlich ist86. Zum anderen ist allerdings zugleich das Anfechtungsrecht des Erklärenden ausgeschlossen, da dieser ebenfalls nicht schützenswert ist, sobald sein wirklicher Wille Geltung erlangt 87 . Erklärt eine Partei, sie wolle eine Gitarre der Marke „Gibson“ verkaufen, obwohl im Rahmen der Vorverhandlungen stets von der Marke „Fender“ gesprochen wurde und die weiteren Umstände eindeutig ergeben, dass eben diese Gitarre verkauft werden sollte, kommt trotzdem ein Kaufvertrag über die „Fender“ Gitarre zustande. Dies gilt aufgrund normativer Auslegung selbst dann, wenn der Käufer davon ausging, es solle nun doch die „Gibson“ Gitarre verkauft werden, da der wirkliche Wille des Erklärenden trotz irrtümlicher Erklärung erkennbar war88. 2. Die Abgrenzung der Anfechtung zum versteckten Dissens Während die Lehre des 19. Jahrhunderts und der erste Entwurf des BGB 89 nicht zwischen verstecktem Dissens und Irrtum unterschied, werden beide heute getrennt voneinander betrachtet90. Zwar meinen die Parteien im Falle eines versteckten Dissenses, sie hätten einen Vertrag geschlossen bzw. über alle Regelungspunkte Einigkeit erzielt, obwohl sie dies nicht taten; sie unterlagen also einem Irrtum. Dennoch ist in einem solchen Fall keine Anfechtung möglich, da diese zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraussetzt, die im Falle des versteckten Dissenses nicht bestehen 91. Dieser liegt gerade dann vor, wenn weder subjektive Willen, noch objektive Erklärungen übereinstimmen 92 . Zudem fehlen die übereinstimmenden Willenserklärungen ebenfalls im Falle des oben erläuterten „inkongruenten Doppelirrtums“ oder „beiderseitig getrennten Erklärungsirrtums“, weshalb auch hier eine Anfechtung ausgeschlossen ist 93.

85 Für eine notwendige Anfechtung Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 6; gegen eine notwendige Anfechtung dagegen Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 40. 86 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 6. 87 Brox, S. 177. 88 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 60. 89 Siehe §§ 98, 100 e.E. BGB; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 42. 90 Flume, AT II, S. 623; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 42; Leenen, AcP 188 (1988), 381, 414 ff. 91 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 42. 92 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 42. 93 Anders Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 42; Diederichsen, in: FS Hübner, 425; Titze, S. 421.

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III. Die Kategorien der Irrtümer des § 119 BGB Nachdem das Verhältnis der Anfechtung zur Auslegung und zum versteckten Dissens erläutert wurde, sollen nun die Irrtumskategorien des § 119 BGB, die einen Erklärenden zur Anfechtung berechtigen, kurz erläutert werden. 1. Inhalts- und Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 BGB § 119 BGB regelt in seinem ersten Absatz zwei Arten von Irrtümern: zum einen den Fall, bei dem ein Erklärender „bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war“, den sog. Inhaltsirrtum, sowie zum anderen den Fall, bei dem dieser „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte“, den sog. Erklärungsirrtum94. a) Der Erklärungsirrtum Der in § 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB geregelte Erklärungsirrtum, soll an erster Stelle erläutert werden, da dieser den dogmatisch „einfacheren“ Fall darstellt. Beim Erklärungsirrtum gibt der Erklärende eine Willenserklärung ab, die er in der Form nicht abgeben wollte, bzw. irrt sich hinsichtlich der Bedeutung der benutzten Worte und Zeichen95. Darunter fallen klassischerweise die Fälle des Versprechens (A bestellt versehentlich ein Pils, obwohl er ein Weißbier wollte), Vergreifens (K greift versehentlich nach einem Kasten Augustiner, obwohl er einen Kasten Maisel’s Weisse wollte) und des Verschreibens (W verschreibt sich und bestellt fälschlicherweise 100 statt 10 Liter Bier)96. Derartige Irrtümer stellen deshalb den dogmatisch „einfacheren“ Fall dar, da hierbei klar subjektiver Wille und objektive Erklärung auseinanderfallen. Ebenfalls zur Kategorie des Erklärungsirrtums zählen die Fälle des Übermittlungsirrtums i.S.d. § 120 BGB. Bedient sich ein Erklärender einer Person oder einer Einrichtung zur Übermittlung seiner Willenserklärung und übermittelt diese sie fehlerhaft, ist der Erklärende genauso anfechtungsberechtigt wie in den Fällen des § 119 BGB97. In beiden Fällen scheint der Grund für eine Anfechtungsberechtigung deutlich: Der Erklärende bewirkt mit seiner irrtümlich geäußerten Willenserklärung eine Rechtsfolge, die er nicht woll94 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 45; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 2; HKK/Schermaier, §§ 116–124 BGB, Rn. 56; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 34; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 38, 41; Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 11, 23; Medicus, AT, Rn. 745, 746; Musielak, JuS 2014, 491, 493. 95 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 46; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 38; Soergel/ Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 11; Medicus, AT, Rn. 746. 96 Vgl. Wolf/Neuner, § 41, Rn. 38; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 11; Kötz, S. 130. 97 „Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung.“, § 120 BGB; vgl. Wolf/Neuner, § 41, Rn. 40.

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te98. Er handelte ohne Geschäftswillen. Dennoch ist er aus Vertrauensschutzgründen zunächst an die Erklärung gebunden und lediglich zur Anfechtung berechtigt99. Der englische Leser dürfte sich an dieser Stelle bereits wundern, würde im englischen Recht ein Erklärender in den meisten Fällen vollumfänglich für seine Erklärung haften, selbst wenn er diese nur aus Versehen abgegeben hätte100. b) Der Inhaltsirrtum und seine Unterfälle Von einem Inhaltsirrtum wird dann gesprochen, wenn der subjektive Wille zwar „richtig“ objektiv erklärt wurde, der Erklärung jedoch aus normativer Sicht eine andere Bedeutung zukommt. Der Erklärende hat seinen Willen aus seiner Sicht in dem Sinne abgegeben, wie er ihn auch tatsächlich abgeben wollte. Dennoch entspricht die inhaltliche Bedeutung nicht derjenigen, die er der Erklärung geben wollte, wodurch letztlich die zur Anfechtung berechtigende Diskrepanz zwischen subjektiven Willen und rechtsmaßgeblicher Erklärungsbedeutung bzw. der daraus folgenden Rechtswirkung entsteht 101. So z.B. dann, wenn der Erklärende einen Kaiserschmarrn unter der fälschlichen Annahme bestellt, dabei handele es sich um einen gewöhnlichen Pfannkuchen. Die Diskrepanz entsteht hier also nicht durch das Auseinanderfallen von Wille und Erklärung, da der Erklärende seinem Willen entsprechend erklärt hat, sondern dadurch, dass seinem erklärten Willen ein anderer normativer Sinn beigemessen wird, als er ihm beimessen wollte. Ein solcher Inhaltsirrtum kann auch seitens des Erklärungsempfängers vorliegen. Legt dieser irrtümlich eine unmissverständliche Erklärung entgegen ihrem normativ feststellbaren Sinn aus, misst ihr demnach eine andere Bedeutung bei, als vom Erklärenden gewollt (und richtig erklärt) und erklärt daraufhin seine Zustimmung, unterliegt er ebenfalls einem Inhaltsirrtum102. In beiden Fällen kommt es jedoch zunächst vordergründig auf die normative Erklärungsbedeutung und deren Abweichung vom subjektiven Willen des Erklärenden an. Verschiedene Faktoren können dabei Einfluss auf den subjektiven Willen haben, weshalb auch innerhalb des Inhaltsirrtums zwischen verschiedenen Unterkategorien unterschieden wird.

98 Darunter ist jedoch nicht der Fall des Rechtsfolgenirrtums zu verstehen; siehe zur Problematik der Definition des Begriffs Neuffer, S. 6 ff. 99 Und zum Ersatz des evtl. entstandenen Vertrauensschadens verpflichtet, § 122 BGB. 100 Siehe hierzu unten § 8 II.; im deutschen Recht haftet der irrtümlich Erklärende ebenfalls, aber eben nur in Höhe des evtl. entstandenen Vertrauensschadens. 101 Larenz, S. 68; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 17; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 56; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 38; Flume, AT II, S. 457; Savigny, System III, S. 165. 102 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 57; Titze, S. 397 ff.; Flume, AT II, S. 419.

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aa) Der Verlautbarungsirrtum Als Verlautbarungsirrtum wird der eben beschriebene Fall bezeichnet, in dem der Erklärende seiner Erklärung einen anderen Sinn beimisst, als ihr aus der Empfängerperspektive objektiv zukommt 103 . Die klassischen Fälle bilden hierbei die unrichtige Verwendung von Fremdsprachen und Fachausdrücken. Schulbeispiel ist der Fall einer verklagten Konrektorin, die 25 Gros (= 3600) Rollen Toilettenpapier bestellte, da sie irrtümlich davon ausging, „Gros“ bezöge sich auf die Art der Rolle und nicht auf die Menge an Rollen 104. Das LG verneinte einen Zahlungsanspruch der klagenden Verkäuferin, da die Konrektorin den Kaufvertrag wirksam angefochten habe. Die Kl. behauptete zwar, die Bekl. hätte genau gewusst, welcher Inhalt ihrer Erklärung aus objektiver Sicht beizumessen wäre, allerdings schloss sich das LG dieser Ansicht nicht an. Begründet wurde dies damit, dass es der Lebenserfahrung völlig widersprechen würde, wenn die Vertreterin eines kleinen Instituts eine Menge an Toilettenpapier bestellen würde, welches den Bedarf der Schule für mehrere Jahre decken würde105. Weiterhin sei es aus Haushalts- und Lagergründen schon nicht denkbar, dass die Bekl. eine solche Menge bestellt hätte. Die Bekl. habe demnach nicht gewusst, welchen objektiven Erklärungsgehalt ihre Bestellung gehabt habe und konnte daher den Vertrag wirksam anfechten. bb) Weitere Formen des Inhaltsirrtums Der Inhaltsirrtum wird neben dem Verlautbarkeitsirrtum in weitere Unterkategorien unterteilt. So stellt der sog. error in negotio einen Inhaltsirrtum hinsichtlich des abgeschlossenen Vertragstypus oder der Geschäftsart dar 106 . Erklärt eine Vertragspartei z.B. irrtümlicherweise die Annahme einer Schenkung, obwohl es sich tatsächlich um einen Kaufvertrag handelt, unterliegt sie einer solchen Art des Inhaltsirrtums. Der error in persona stellt einen Inhaltsirrtum hinsichtlich des Vertragspartners dar 107 . Diesem unterliegt eine Partei bspw. dann, wenn sie einen Kaufvertrag mit einem AmazonMarketplace Anbieter abschließt, irrtümlicherweise aber annimmt, mit Amazon selbst einen Kaufvertrag abzuschließen 108 . Ein error in objecto bzw. 103 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 43; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 74; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 22. 104 Siehe hierzu und zum Folgenden LG Hanau, NJW 1979, 721; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 43; Medicus, AT, Rn. 745. 105 LG Hanau, NJW 1979, 721. 106 Wolf/Neuner, § 41, Rn. 44; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 23. 107 Wolf/Neuner, § 41, Rn. 46; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 76; v. Olshausen, JuS 1979, 725; Lopau, JuS 1980, 217; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 45. 108 Auf der Amazon-Marketplace Plattform bieten Drittanbieter eigene Waren an. Der Kaufvertrag kommt zwischen Drittanbieter und Käufer zustande; Amazon stellt lediglich die Online-Plattform zur Verfügung.

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Identitätsirrtum liegt dann vor, wenn ein Irrtum hinsichtlich des Vertragsgegenstands besteht109. Bestellt ein Gast z.B. ein „Helles“ in der Annahme, er würde ein „Pils“ erhalten, unterliegt er einem Inhaltsirrtum in Form des error in objecto. Die Fälle des error in objecto und die damit verbundene Abgrenzung zu einem Eigenschaftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB sind jedoch nicht immer derart klar, vor allem nicht dann, wenn die Beschaffenheit dazu dient, den Vertragsgegenstand zu bestimmen. So in folgendem Beispiel 110 : A macht B ein schriftliches Verkaufsangebot über eine „Gibson Lucille“ Gitarre. B geht davon aus, dass es sich um die original von B.B. King gespielte Gitarre namens „Lucille“ handelt, obwohl A lediglich den Nachbau derselben Marke „Gibson“ verkaufen wollte. Es ist hierbei nach Flume entweder ein (versteckter) Dissens anzunehmen, wenn aufgrund der Bezeichnung kein eindeutiger Vertragsgegenstand feststellbar ist, oder es liegt ein Inhaltsirrtum seitens des B vor, wenn dieser fälschlicherweise davon ausgeht, dass es sich um die „echte“ Lucille handelt111. Präsentiert dagegen A dem B die angebotene Gitarre, liegt gerade kein error in objecto bzw. Inhaltsirrtum vor, da der Verkaufsgegenstand objektiv eindeutig bestimmbar ist. Vielmehr liegt dann ein Fall des Eigenschaftsirrtums vor, da sich B hinsichtlich der Tatsache irrt, B.B. King habe die entsprechende Gitarre gespielt. Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Eigenschaftsirrtum spielt vor allem deshalb eine Rolle, weil eine Anfechtung im Falle eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB u.U. wegen Vorrang der Sachmängelgewährleistung des Kaufrechts ausgeschlossen sein könnte 112. Hinsichtlich der „reinen“ Anfechtung besteht jedoch kein praktischer Unterschied hinsichtlich der Einordnung eines Irrtums als Inhalts- oder Erklärungsirrtums. 2. Der Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB Beim Eigenschaftsirrtum stimmt der subjektive Wille mit der Erklärung der irrenden Partei zwar überein 113 . Sie irrt jedoch über solche Eigenschaften einer Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigen auch diese Irrtümer zur Anfechtung114. Die zunächst scheinbar klare Formulierung des § 119 Abs. 2 BGB birgt je109 Wolf/Neuner, § 41, Rn. 45; Medicus, AT, Rn. 763; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 45. 110 Siehe hierzu und zum Folgenden Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 46; MüKo/ Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 77; sowie den Originalfall von Titze, in: FS Heymann II, S. 81. 111 Flume, AT II, S. 459, 460; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 46; MüKo/ Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 77. 112 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 47. 113 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 79; Flume, Irrtum, S. 101. 114 „Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.“, § 119 Abs. 2 BGB.

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doch zahlreiche Probleme und gilt allgemein als missglückt 115 . Die wohl größte Schwierigkeit besteht dabei in der Beantwortung der Frage, ob eine Eigenschaft einer Person oder Sache als derart verkehrswesentlich anzusehen ist, dass sie zur Anfechtung aufgrund eines Eigenschaftsirrtums berechtigt 116. Durch dieses Tatbestandsmerkmal soll der zur Anfechtung berechtigende Eigenschaftsirrtum vom bloßen (unbeachtlichen) Motivirrtum abgegrenzt werden117. Ein solcher liegt dann vor, wenn sich der Irrtum bei der Willensbildung auf den dabei maßgeblichen Beweggrund bezieht118. Kauft eine Partei z.B. eine Gitarre als Geschenk für einen Dritten, dem diese Gitarre jedoch nicht gefällt, liegt ein nicht zur Anfechtung berechtigender Motivirrtum vor 119 . Der Käufer irrte sich hinsichtlich der „Umstände, die darüber entscheiden, inwieweit der richtig erklärte Vertragsinhalt tatsächlich die eigenen Ziele verwirklicht“120. Der Grund für die Unbeachtlichkeit solcher Arten von Irrtümern ist offensichtlich. Die unüberschaubare Anzahl möglicher Motive und Motivationen, die in die Bildung eines subjektiven Willens einfließen, würde Tür und Tor für unbegrenzte Anfechtungsmöglichkeiten öffnen, da keine Begrenzung möglich wäre121. Dies würde, ähnlich wie die Willenstheorie in ihrer Reinform, die Rechtssicherheit und den Rechtsverkehr erheblich beeinträchtigen. Dennoch ist die Anfechtung von besonderen Motivirrtümern im Rahmen des Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB erlaubt122. 115 Dies begründet sich vor allem damit, dass zum einen das Verhältnis zu § 119 Abs. 1 BGB, zum anderen das Verhältnis zum Motivirrtum ungeregelt blieb, MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 102; Canaris, AcP 200 (2000), 273, 281; Kramer, Irrtum, S. 35 ff.; Medicus, Rn. 767; siehe allgemein hierzu Brauer, S. 21 ff. 116 Eine weitere Schwierigkeit besteht in der dogmatischen Abgrenzung des Eigenschaftsirrtums zum Inhalts- und Erklärungsirrtum, welche relativ ausführlich diskutiert wurde. Siehe hierzu ausführlich vor allem Schmidt-Rimpler, in: FS Lehmann I, S. 221 ff.; Brauer, S. 21 ff.; Goltz, S. 185 ff. Eine solche Abgrenzung spielt trotz der gem. § 119 BGB gleichen Rechtsfolge deshalb eine Rolle, weil eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums u.U. am Vorrang des Sachmängelgewährleistungsrechts scheitern kann, Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 19. Zur Frage des Eigenschaftsirrtums als Motivirrtum und als geschäftlicher Eigenschaftsirrtum weiter Zitelmann, S. 433 ff.; Larenz, AT, S. 378; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 106; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 110; Flume, Irrtum, S. 13; ders., AT II, S. 476; siehe grundlegend zur Ansicht Flume’s auch zusammenfassend Harke, S. 24 ff.; Heiderhoff, BB 2005, 2533, 2537. 117 So verwendet vor allem die Rechtsprechung beide Kriterien, um eine Abgrenzung vorzunehmen, MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 103; Flume, AT II, S. 485; siehe auch Kaufmann, Anfechtung, S. 12 ff. 118 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 101a; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff., Rn. 32; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 4. 119 MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 115; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 51; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 32; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 4. 120 Rehberg, S. 971. 121 Westermann, JuS 1964, 169, 171; Staudinger/Singer, Vorbem zu §§ 116 ff. BGB, Rn. 32. 122 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 79; Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 23; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 51; Löhnig, S. 182; Bender, S. 26; Haußmann, S. 25: Hillebrandt;

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a) Der Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft Die Rechtsprechung versteht unter dem Begriff der verkehrswesentlichen Eigenschaft einer Person oder Sache „nicht nur ihre natürliche Beschaffenheit, sondern auch die vorhandenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse […], die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer auf die Brauchbarkeit und den Wert von Einfluß sind“123. Besonderes Augenmerk ist dabei auf den Begriff der „vorhandenen“ – und damit implizit auch vergangenen – Verhältnisse zu legen, da nur diese und keine zukünftigen Verhältnisse Gegenstand eines Eigenschaftsirrtums sein können124. Desweiteren können sich die verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Sache „jedoch nur aus solchen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen ergeben, die die Beziehung der Sache zur Umwelt betreffen, also durch Umstände bedingt sind, die außerhalb der Sache liegen“125. Es stellt sich, wie bei allen Wertungsmaßstäben, die Frage, wie und vor allem aus welcher Sichtweise die Verkehrswesentlichkeit bewertet werden soll: Kann eine Eigenschaft als verkehrswesentlich gelten und damit im Falle eines Irrtums als Anfechtungsgrundlage dienen, wenn nur eine Partei diese Eigenschaft als bedeutsam ansah oder muss ein objektiver Maßstab angelegt werden? Die Definition der Rechtsprechung, nach der verkehrswesentliche Eigenschaften „von dem Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden“ sein sollen, „ohne daß er sie geradezu zum Inhalt seiner Erklärung gemacht haben muß“126, erscheint einen relativ geringen Aussagegehalt mit sich zu bringen. Insbesondere die Tatsache, dass die betreffende Eigenschaft seitens des Erklärenden erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden sein soll, überrascht. Wurde sie erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt, kann sie schwerlich nicht Inhalt des Vertrags geworden sein. Dies widerspricht dem Verständnis der normativen Vertragsauslegung. Sobald eine Eigenschaft einer Erklärung erkennbar zugrunde gelegt wurde, wird sie nach den Grundsätzen der normativen Auslegung aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts Bestandteil der Erklärung und – unter der Voraussetzung, dass der Empfänger die Annahme entsprechend erklärt – Bestandteil des Vertrags. Dementsprechend scheint eine derartige Definition der Verkehrswesentlichkeit wenig gewinnbringend. Mehr Bedeutung erlangt hingegen die Tatsache, dass eine Einbeziehung in den Vertrag auch konkludent S. 15; siehe generell zum Theorienstreit des § 119 Abs. 2 BGB Müller, JZ 1988, 381, 382 ff. 123 BGH NJW 1961, 772, 775; 1981, 864; 1990, 1658, 1659; BGHZ 16, 54, 57; 34, 32, 41; RGZ 21, 308, 311; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 37; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 130; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 87. 124 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 87; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 37; BGHZ JZ 1963, 129; Faust, § 21, Rn. 12. 125 BGH NJW 1966, 1080, 1081. 126 BGH NJW 1984, 230, 231; 1955, 340.

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erfolgen kann, wenn es sich von selbst verstehe, dass „bestimmte Eigenschaften von entscheidender Bedeutung für den Vertragsschluss seien“ 127, wie z.B. das Alter eines Gebrauchtwagens 128. Ist eine für den Erklärenden relevante Eigenschaft jedoch als atypisch anzusehen, muss sie vom Erklärenden deutlich als vertraglich relevant erkennbar gemacht werden129. Tut er dies nicht, kann ein Irrtum hinsichtlich dieser Eigenschaft auch nicht zur Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB berechtigen. Rein subjektive Ansichten des Erklärenden, die dem Rechtsgeschäft nicht erkennbar zugrunde gelegt wurden, können im Rahmen der Verkehrswesentlichkeit keine Rolle spielen 130. Die möglichen verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Person oder Sache sollen im Folgenden kurz erläutert und durch Beispiele verdeutlicht werden. b) Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person Zwar betrifft der Eigenschaftsirrtum über Personen in der Regel diejenige des Vertragspartners, allerdings kann sich der Irrtum über Eigenschaften einer Person auch auf Dritte beziehen, solange sie für das konkrete Rechtsgeschäft von wesentlicher Bedeutung sind131. Darunter fällt z.B. der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit eines Bürgen132, nicht jedoch ein solcher über die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners 133 . Weiterhin zählen zu verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Person etwa die Vertrauenswürdig- und Zuverlässigkeit eines Geschäftspartners134. Dies gilt jedoch nur im Falle solcher Geschäfte, bei denen eine starke persönliche Komponente vorliegt und die insbesondere auf längere Zeit ausgerichtet sind135. Derartige Geschäfte liegen bspw. im Falle von Pacht-136, Dienst-137 und Arbeitsverträgen sowie langfristigen Werkverträgen 138 vor. Bei reinen Güteraustauschverträgen bildet die

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Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 80. BGH NJW 1979, 160, 161. 129 Das heißt freilich nicht, dass dies ausdrücklich erklärt werden muss. Vielmehr kann dies genauso konkludent erfolgen, wie im Falle typischer Eigenschaften. Es kommt stets nur darauf an, wie die Erklärung gemäß normativer Auslegung zu verstehen ist. 130 Köhler, JR 1984, 324, 325. 131 RGZ 98, 206, 208; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 89; Faust, § 21, Rn. 11; Flume, AT II, S. 487; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 126. 132 RG Recht 1915 Nr. 2216; Flume, AT II, S. 489 ff.; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 128; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 89. 133 RGZ 134, 126, 129; BGH WM 1956, 885, 889; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 89; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 128. 134 Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 39; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 90; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 127. 135 RGZ 90, 342; 100, 205; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 39; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 90; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 127. 136 RGZ 102, 225. 137 BAG AP Nr. 2 zu § 123; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 90. 138 RGZ 90, 342, 346. 128

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Vertrauenswürdigkeit des Vertragspartners hingegen keine verkehrswesentliche Eigenschaft139. c) Verkehrswesentliche Eigenschaften von Sachen Ein Eigenschaftsirrtum über Sachen kann nicht nur bei körperlichen Gegenständen i.S.d. § 90 BGB, sondern vielmehr bei jedem Geschäftsgegenstand wie Forderungen140, Unternehmen141 oder Rechten142 vorliegen. Entscheidend sind freilich nicht nur die natürlichen Merkmale, sondern gerade auch die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer auf die Brauchbarkeit und den Wert der Sache von Einfluß sind143. So zählen z.B. Alter und Baujahr eines Fahrzeugs144, die Größe einer Sache 145 oder aber auch der Umfang eines Nachlasses im Erbfall 146 als verkehrswesentliche Eigenschaften147. Im Falle des Alters eines Fahrzeuges wurde diese Einordnung damit begründet, dass die Wertschätzung eines Gebrauchtwagens wesentlich von dessen Alter abhängt und dass derjenige, der einen solchen Wagen kauft, in der Regel eine bestimme Vorstellung von dessen Alter hat 148. Insbesondere bräuchte die Partei diese verkehrswesentliche Eigenschaft nicht zum Inhalt ihrer Erklärung machen, da es sich von selbst verstehe, dass das 139

RGZ 107, 208, 212; BGH BB 1960, 152; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 90. BGH WM 1963, 252, 253; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 130; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 95; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 50. 141 BGH NJW 1959, 1584, 1585; 1969, 184; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 130; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 95; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 50. 142 RGZ 149, 235, 238; BGH BGHZ 65, 246, 255; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 95; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 50. 143 BGH NJW 1961, 772, 775; 1981, 864; 1990, 1658, 1659; BGHZ 16, 54, 57; 34, 32, 41; RGZ 21, 308, 311. 144 BGH NJW 1979, 160, 161; BGHZ 78, 216, 221. 145 BGH NJW 1959, 1584, 1585. 146 BGH LM Nr. 2 zu § 779 BGB, RGZ 101, 64, 68. 147 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 96, 99; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 135, 136. Problematisch ist im Falle des Eigenschaftsirrtums im Rahmen eines Kaufvertrags die Abgrenzung des Begriffs der verkehrswesentlichen Eigenschaft von dem Sachmangelbegriff des Kaufrechts. Liegt ein solcher Sachmangel vor, ist die Anfechtung nach h.M. ausgeschlossen, BGH NJW-RR 2008, 222; NJW 1979, 160, 161; BGHZ 16, 54, 57; 34, 32, 34; Palandt/Ellenberger, § 119 BGB, Rn. 28; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 29. Nach den Grundsätzen der Sachmängelgewährleistung haftet ein Verkäufer, wenn die Kaufsache nicht die Beschaffenheit aufweist, die sie nach den Vereinbarungen der Parteien haben soll. Die Abgrenzung zwischen Sachmängelgewährleistung und Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum ist deshalb problematisch, da sich die verkehrswesentliche Eigenschaft bei Annahme des subjektiven Fehlerbegriffs gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB in aller Regel mit der „verein-barten Beschaffenheit“ decken wird, siehe hierzu MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 29; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 85; Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 78; BGH NJW 1979, 160, 161; 1981, 224, 225; Honsell, JuS 1982, 810, 812; Flume, AT II, S. 484. 148 BGH NJW 1979, 160, 161. 140

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Alter eines Wagens von entscheidender Bedeutung für den Kaufentschluss sei 149 . Aus diesem Grund müsste der Käufer diesen genauen Inhalt seiner Vorstellung nicht zum Ausdruck bringen. IV. Der Fall des beiderseitigen Motivirrtums über Eigenschaften 1. Die Einordnung des beiderseitigen Motivirrtums Eine nicht im Rahmen des § 119 BGB geregelte Irrtumsart, der Fall des sog. beiderseitigen oder gemeinschaftlichen Motivirrtums150, bei dem beide Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses demselben Tatsachenirrtum oder Irrtum über die Rechtslage unterlagen151, soll an dieser Stelle ebenfalls kurz besprochen werden. Dieser besondere Irrtumsfall spielt vor allem deshalb eine nicht unerhebliche Rolle, da das englische Recht mit dem common mistake eine ähnliche Konstellation kennt152. Der Umgang mit dem beiderseitigen Motivirrtum ist umstritten. Während die h.M. in der Literatur und in der Rechtsprechung § 313 Abs. 2 BGB153 als Spezialvorschrift für derartige Irrtumskonstellationen anerkennt 154 , sehen andere Teile der Literatur § 119 Abs. 2 BGB als einschlägig an155. Der lange und ausführlich geführte Meinungsstreit kann an dieser Stelle nicht in seiner Gesamtheit widergegeben werden. Häufig angebrachtes Argument gegen eine Anwendung des § 119 Abs. 2 BGB ist die Tatsache, dass es wie bloßer Zufall scheint, welche Vertragspartei zuerst anficht und sich daher schadensersatzpflichtig macht 156. Dieses Argument wird meist damit entkräftet, dass wohl in der Regel nur diejenige Partei anficht, die tatsächlich einen Nachteil aus dem unter beiderseitigen Irrtum geschlossenen Vertrag ziehen würde157. Zudem würden sich entsprechend gem. § 122 BGB entstehende Schadensersatzansprüche im Falle der schuldlosen Mitveranlassung über eine analoge Anwendung des § 254 BGB vermeiden lassen 158 . Während die Gegenargumentation zwar 149

BGH NJW 1979, 160, 161. BGH NJW 2002, 292, 294; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13. 151 Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13. 152 Siehe hierzu unten § 8 III. 153 „Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.“, § 313 Abs. 2 BGB. 154 So Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 66; Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 38; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13; Staudinger/Pfeiffer, § 313 BGB, Rn. 16; Erman/Böttcher, § 313 BGB, Rn. 30; explizit gegen eine Anfechtung gem. § 119 BGB: BGH NJW 2013, 1530, 1531; NJW 1986, 1348, 1349; 1976, 565; OLG Hamm NJW-RR 2006, 65; MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 146. 155 Medicus/Petersen, Rn. 162; siehe generell MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 146. 156 Larenz/Wolf, § 38, Rn. 5; Huber, S. 13; Rösler, JuS 2005, 120, 122, 123; MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 149. 157 Medicus/Petersen, Rn. 162. 158 Palandt/Ellenberger, § 122 BGB, Rn. 5; MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 147. 150

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nachvollziehbar scheint, kann sie dennoch nicht vollends überzeugen. Die analoge Anwendung des § 254 BGB scheint schon zweifelhaft, wenn keine der Parteien den Irrtum objektiv schuldlos mitveranlasst hat159. Zudem wirkt diese Lösung unnötig konstruiert. Vielmehr liegt der Sinn des § 313 Abs. 2 BGB gerade darin, Fälle der beiderseitigen subjektiven Störungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu umfassen 160. Dies scheint die einfachste und überzeugendste Lösung darzustellen. Dementsprechend wird hier der h.M. und der Rechtsprechung gefolgt und § 313 Abs. 2 BGB für den beiderseitigen Motivirrtum herangezogen. 2. Der beiderseitige Motivirrtum nach § 313 Abs. 2 BGB Die Erläuterung des Umgangs mit einem beiderseitigen Irrtum nach § 313 Abs. 2 BGB erfordert zugleich eine – dem Rahmen angemessen kurze – Betrachtung des § 313 BGB in seiner Gesamtheit 161. Wohl im Wesentlichen auf Larenz zurückgehend, wird hinsichtlich beider Absätze des § 313 BGB zwischen objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage differenziert 162 . Unter die objektive Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB sollen vor allem Äquivalenzstörungen, Leistungserschwerungen und Zweckstörungen fallen163. Diese entsprechen veränderten „Umstände[n], deren Vorhandensein oder Fortdauer im Vertrage sinngemäß vorausgesetzt ist, damit er die von den Parteien mit seiner Durchführung verbundenen Erwartungen wenigstens annäherungsweise erfüllen kann“ 164 . Demgegenüber steht die, hier relevante, subjektive Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 2 BGB, unter der die „Vorstellungen, von denen die Geschäftsparteien bei ihren Vereinbarungen ausgegangen sind und sich beide, mindestens, wenn man redliche Denkweise unterstellt, haben leiten lassen“, fallen 165 . Während keinerlei Differenzierung hinsichtlich der Rechtsfolge zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 313 BGB vollzogen wurde, hat der Gesetzgeber dennoch explizit die subjektive Ge-

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So aber BGH NJW 1969, 1380, Palandt/Ellenberger, § 122 BGB, Rn. 5. Rösler, JuS 2005, 120, 123. 161 Die Problematik des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, insbesondere das Verhältnis zur ergänzenden Vertragsauslegung, bot schon lange Zeit eine Grundlage für zahlreiche Diskussionen. An dieser Stelle sei auf die umfangreiche Literatur verwiesen, siehe daher u.a. Oertmann, Geschäftsgrundlage; Köhler, JA 1979, 498; Medicus, in: FS Flume I, S. 629; Wieling, Jura 1985, 505; Larenz, Karlsruher Forum, 156; MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 41 ff. 162 Larenz, Geschäftsgrundlage; Larenz, AT, S. 322; vgl. Wolf/Neuner, § 42, Rn. 5 ff.; MüKo/Finkenauer, § 313 BGB, Rn. 12 ff.; Rösler, JuS 2005, 120, 122; siehe hierzu auch ausführlich Beuthien, S. 54 ff.; zur problematischen Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage auch Häsemeyer, in: FS Weitnauer, S. 71. 163 Wolf/Neuner, § 42, Rn. 6 ff. 164 Larenz, AT, S. 324. 165 Larenz, AT, S. 322. 160

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schäftsgrundlage im Rahmen des § 313 Abs. 2 BGB erwähnt, weshalb eine dogmatische Differenzierung angebracht erscheint166. Zur subjektiven Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 2 BGB zählen sowohl Fälle des Tatsachen- als auch des Rechtsirrtums 167. Dabei darf der Irrtum jedoch nicht ausschließlich in den Risikobereich einer Partei fallen, da ansonsten keine gemeinsame Geschäftsgrundlage besteht168. Vielmehr liegt in einem solchen Fall ein einseitiger unbeachtlicher Motivirrtum vor169. Allerdings genügt es für das Vorliegen einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage, dass die falschen Vorstellungen einer Partei der anderen Partei erkennbar waren und „diese nicht als für sich unmaßgeblich zurückgewiesen hat“ 170 . Diese Vorstellungen müssen jedoch nicht Vertragsinhalt geworden sein, es genügt lediglich, dass sie bei Abschluss zutage getreten sind: „Geschäftsgrundlage sind die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhoben worden sind, die beim Abschluss aber zutage getreten sind oder die dem Geschäftspartner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei von dem Vorhandensein und dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut … Ein solcher gemeinschaftlicher Irrtum ist ein typischer Fall des Fehlens der Geschäftsgrundlage.“171

Dies erinnert dem Grundsatz nach an die gebotene Auslegungssorgfalt eines Erklärungsempfängers, nach der ein Erkennenmüssen des Sinns einer Erklärung nach allgemeinen Auslegungsmaßstäben ebenfalls ausreicht, um diesen Sinn zum Inhalt eines Vertrags werden zu lassen. Beispiele für ein Fehlen der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 2 BGB sind u.a. ein gemeinsamer Irrtum über die Fläche eines verkauften Grundstücks 172 , ein Irrtum über die Widerruflichkeit eines Testaments173 oder ein Irrtum seitens Krankenhausträ166

Wolf/Neuner, § 42, Rn. 6; Rösler widerspricht zurecht Medicus, der behauptet, § 313 BGB mache keinen Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Geschäftsgrundlage, Medicus, AT, Rn. 860; in der Entwurfsbegründung wurde jedoch explizit das ursprüngliche Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage im Rahmen des § 313 Abs. 2 BGB erwähnt, BT-Drucks. 14/6040 v. 14.5.2001, S. 176, Rösler, JuS 2005, 120, 122, Fn. 31; kritisch hingegen auch Schollmeyer, nach dem die Geschäftsgrundlage ohne eine subjektive Anknüpfung nicht auskomme und eine Differenzierung daher überflüssig sei, Schollmeyer, S. 69. 167 Erman/Böttcher, § 313 BGB, Rn. 30; BGH 25, 293; BGH NJW 1976, 565, 566; 1986, 1348, 1349; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13; Bamberger/Roth/Unberath, § 313 BGB, Rn. 68; Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 38. 168 Erman/Böttcher, § 313 BGB, Rn. 30; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 31 ff.; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 14. 169 Wolf/Neuner, § 42, Rn. 14. 170 Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13; Bt-Drucks. 14/6040, S. 176; Erman/Böttcher, § 313 BGB, Rn. 30. 171 BGH JuS 2005, 942, 944. 172 BGH DNotZ 2004, 916; Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 39. 173 BGH 62, 24; Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 39.

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ger und Patient über das Bestehen eines gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes seitens des Patienten174. Natürlich stellt sich auch hier nun die Frage, inwieweit die subjektive Geschäftsgrundlage in der Praxis auch subjektiv verstanden wird. In der Regel werden derartige Fallkonstellationen von einer Gläubigerpartei vor Gericht gebracht, wobei sich der Schuldner wiederum auf § 313 Abs. 2 BGB berufen wird. Das bloße Behaupten einer gemeinsamen subjektiven Vorstellung, die sich als falsch herausstellt, kann freilich nicht genügen, um eine Vertragsanpassung oder Auflösung herbeizuführen. Ein Gericht muss demnach aus objektiver Sicht beurteilen, inwieweit eine fehlerhafte subjektive Vorstellung tatsächlich für beide Parteien – oder für eine Partei und entsprechend für die andere erkennbar – relevant und daher zur subjektiven Geschäftsgrundlage werden konnte 175. V. Ausschlussgründe der Irrtumsanfechtung Eine Anfechung auf Basis der in § 119 BGB genannten Gründe kann freilich nicht in jedem Fall gewährt werden. Vielmehr bestehen diverse Ausschlussgründe, die eine Anfechtung seitens des Irrenden ausschließen176. 1. Fehlende subjektive Erheblichkeit als Ausschlussgrund Bisher weitestgehend unerwähnt blieb die Notwendigkeit der subjektiven Erheblichkeit des Irrtums für den Anfechtenden. § 119 Abs. 1 Hs. 2 BGB fordert implizit die Kausalität des Irrtums für die Anfechtung, da der Irrende die Erklärung nur dann anfechten kann, „wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde“177. Hätte der Anfechtende über vollständige Kenntnis der Sachlage verfügt und die Erklärung dennoch abgegeben, kann er nicht zur Anfechtung berechtigt sein. Schließlich läge kein Irrtum vor, da er das

174 BGHZ 163, 42; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 15; für weitere Beispiele siehe nur Palandt/Grüneberg, § 313, Rn. 39. 175 Siehe z.B. zur Berechnung der tatsächlichen Wohnfläche im Bezug auf einen beiderseitigen Kalkulationsirrtum BGH NJW 2004, 3115. Weiterhin zur Beurteilung, ob in einer Landgaststätte in einem Dorf mit 800 Einwohnern eine Jahresmenge Bier von 200 hl umgesetzt werden kann, BGH NJW 1990, 567. Die tatsächliche Menge wich erheblich von der im Pachtvertrag angegebenen Schätzmenge ab, weshalb ein beiderseitiger Irrtum angenommen wurde. Die Zugrundelegung der 200 hl Bier als Geschäftsgrundlage ergab sich aus dem Vortrag der Klägerin und ihrer Behauptung, die Vorpächterin habe einen derartigen Umsatz erreicht, woran sie sich bei Neuverpachtungen orientiere. Der Bekl. gab in seinem Vortrag an, er habe sich aus Unerfahrung auf betreffende Umsatzmenge eingelassen, BGH NJW 1990, 567, 569; dabei spielt auch eine Rolle, inwieweit eine Partei das Risiko für die beiderseitige Falschvorstellung zu tragen hat, BGH JuS 2005, 942, 944. 176 Oder Voraussetzungen die vorliegen müssen, um eine Anfechtung zu ermöglichen, je nach Sichtweise. 177 Vgl. MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137.

§ 7 Der Irrtum im deutschen Recht

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Gewollte erklärt hätte 178 . Es muss daher eine subjektive Erheblichkeit des Irrtums auf Seiten des Anfechtenden vorliegen179. Dementsprechend können Umstände, über die sich der Erklärende irrte, die jedoch keinen Einfluss auf seine konkrete Willensbildung hatten, nicht zur Anfechtung berechtigen, da keine Kausalität und somit keine subjektive Erheblichkeit zwischen beiden besteht. Derartige Fälle dürften jedoch kaum vorkommen, da es sich um völlig unwichtige Umstände handeln müsste, damit sie keinen Einfluss auf die Willensbildung gehabt hätten180. Die notwendige subjektive Kausalität wird im Rahmen einer Wertung auf Basis der „verständigen Würdigung des Falles“ gem. § 119 Abs. 1 Hs. 2 BGB beurteilt181. Bei der verständigen Würdigung des Falles soll nach der Rechtsprechung auf die Frage abgestellt werden, ob der Irrende „als verständiger Mann gedacht, also frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen, sowie abgesehen von seinem tatsächlichen Irrtum in der gegebenen Lage von seinem persönlichen Standpunkte aus und nach seinen besonderen Verhältnissen so gehandelt haben würde“ 182. Es soll eine übermäßig subjektive Beurteilung verhindert werden, die es einem Erklärenden erlauben würde, aufgrund eines für die Erklärung – aus objektiver Sicht – völlig unerheblichen Irrtums die Erklärung anzufechten. Ähnlich wie die subjektive, spielt auch die objektive Erheblichkeit nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Kauft A eine Gitarre zum Preis von 20.000 €, geht aber irrtümlicherweise von einem Preis i.H.v. 19.999€ aus, kann eine objektive Kausalität des Irrtums verneint und die Anfechtung versagt werden183. Damit einhergehend ist die Anfechtung dann zu versagen, wenn ein irrtümlich Erklärender durch den Irrtum keine wirtschaftlichen Nachteile erleidet 184 . Als Ausnahme gilt der Fall über den Irrtum des Urhebers eines Gemäldes, welches jedoch denselben Wert hat wie ein Gemälde des „richtigen“ Malers 185 . Der Verkäufer ging davon aus, dass das Bild von Duveneck stammte obwohl es tatsächlich von Leibl geschaffen wurde. Es bestand zwar keinerlei Einfluss auf den Wert des Gemäldes, allerdings gestand der BGH dem Verkäufer dennoch ein Anfechtungsrecht zu. Im Falle von Kunstwerken kann eine vollends rationale Entscheidungsregel, nach der ein verständiger Mensch nicht anfechten würde,

178

MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 101; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 180 Faust, § 21, Rn. 6; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 181 Faust, § 21, Rn. 6; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 182 RGZ 62, 201, 206; vgl. Faust, § 21, Rn. 6; BGH NJW 1988, 2597, 2599. 183 Vgl. Faust, § 21, Rn. 6. 184 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 102; RGZ 128, 116, 121; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 185 BGH NJW 1988, 2597; vgl. Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 101; MüKo/ Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 179

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

wenn er keinen wirtschaftlichen Nachteil erleidet, nicht gelten186. Der Kauf von Kunstwerken wird zu einem Großteil von subjektiven Empfindungen und Vorlieben bestimmt, denen jedoch kein objektiver Wert zugeschrieben werden kann 187 . Trotz seiner geringen praktischen Bedeutsamkeit scheint ein „Kontrollmechanismus“ in Form einer Faustregel grundsätzlich angebracht, um „subjektiven Launen des Irrenden, deren Geltendmachung zum Schaden des anderen Teiles nicht selten geradezu unsittlich ist“ 188, zu unterbinden189. 2. Der Ausschluss der Anfechtung aufgrund Rechtsmissbräuchlichkeit Neben einer möglichen fehlenden subjektiven Erheblichkeit, spielt vor allem die mögliche Rechtsmissbräuchlichkeit eine Rolle als möglicher Ausschlussgrund der Anfechtung. Akzeptiert der Erklärungsempfänger die Erklärung so, wie sie der Erklärende tatsächlich gemeint hat, ist die Anfechtung u.a. im französischen Recht und im DCFR aufgrund Rechtsmissbrauch ausgeschlossen 190 . Auch im deutschen Recht ist dieser Grundsatz mittlerweile anerkannt191. Ein „Reuerecht“, welches einem Anfechtenden selbst dann erlaubt sich von seiner Willenserklärung zu lösen, obwohl der Erklärungsempfänger die Willenserklärung in ihrer ürsprünglich gemeinten Form akzeptiert, wird von der h.M. ausgeschlossen. Der Erklärende bleibt somit an seinen ursprünglichen Willen gebunden192. Eine anderweitige Lösung scheint unbillig, da der Anfechtende nicht schutzwürdig erscheint193.

186 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 101; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137, Fn. 499; siehe ausführlich zum Fall Köhler/Fritzsche, JuS 1990, 16 ff. 187 „Bei Verkauf von Kunstgegenständen ist hingegen der wirtschaftliche Wert nicht allein ausschlaggebend. Wenn das BerGer. in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, in München […] komme einem Bild von Leibl auch unabhängig von dem reinen Geldeswert höhere Wertschätzung als einem Gemälde Duvenecks zu, so kann dies nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden.“, BGH NJW 1988, 2597, 2598; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 101. 188 Prot. I, S. 231. 189 Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 102; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 137. 190 Siehe Art. 1432 Code Civil; Art. II.-7:203 DCFR; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 141. 191 Siehe nur MüKo/Busche, § 119 BGB, Rn. 141; Bork, Rn. 954; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 103; Gradenwitz, S. 74 ff.; Medicus, AT, Rn. 781; Flume, AT II, S. 421; dazu auch Lobinger, AcP 195 (1995), 274 ff. 192 Spieß, JZ 1985, 593; siehe auch ausführlich Waclawik, S. 31 ff.; Lobinger, AcP 195 (1995), 274 ff.; Brox, S. 176. 193 Siehe für eine umfangreiche Herleitung der Argumentation aufgrund des Vorrangs der Auslegung Brox, S. 176; Spieß, JZ 1985, 593, 594; für einen Ausschluss des Reuerechts aufgrund des Verstoßes gegen Treu und Glauben weiterhin v. Tuhr, AT II/1, S. 592; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 141; Medicus, AT, Rn. 781; Larenz, AT, S. 386; Gradenwitz, S. 88; Lobinger, AcP 195 (1995), 274, 275; Krampe/Berg, Jura 1986, 206, 209; Flume, AT II, S. 422.

§ 7 Der Irrtum im deutschen Recht

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3. Die Kenntnis des Anfechtungsgegners als Hinderungsgrund Eine Anfechtungsmöglichkeit durch den Irrenden scheidet auch im Falle des erkannten und ausgenutzten Irrtums aus194. Erkennt ein Erklärungsempfänger den subjektiven Willen des Irrenden und weist diesen nicht auf seinen Irrtum hin, gilt – wie im Falle der falsa demonstratio – der subjektive Wille des Erklärenden, auch wenn dieser in der Erklärung keinen Ausdruck gefunden hat195. Die Irrtumsproblematik tritt im Falle des erkannten Irrtums nicht auf, weshalb auch eine Anfechtung aufgrund des Grundsatzes „Auslegung vor Anfechtung“ ausgeschlossen wird 196. VI. Rechtsfolgen der Anfechtung Die einseitige – wirksame – Anfechtung einer Willenserklärung eines irrig Erklärenden zieht freilich für alle Vertragsparteien rechtliche Konsequenzen nach sich. Primär regelt § 142 BGB die Wirkung der Anfechtung. Demnach ist gem. § 142 Abs. 1 BGB ein angefochtenes Rechtsgeschäft als von Anfang an – ex tunc – als nichtig anzusehen. Zu den weiteren, neben dem Anfechtungsgrund bestehenden Anfechtungsvoraussetzungen des § 142 BGB gehört die Anfechtungserklärung nach § 143 BGB sowie deren rechtzeitige Abgabe gem. § 121 BGB. VII. Zusammenfassung Das deutsche Irrtumsrecht mit seinem grundlegend subjektiven Irrtumsverständnis geht im Wesentlichen auf die Lehre Savigny’s zurück197. Eine Partei kann gem. § 119 Abs. 1 BGB ihre Erklärung im Falle eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums anfechten und diese somit ex tunc nichtig werden lassen. Selbst ein Irrtum über die Eigenschaften kann gem. § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden, solange die betreffende Eigenschaft als verkehrswesentlich angesehen wird. Einschränkungen bestehen dahingehend, dass nur Irrtümer über tatsächliche und rechtliche Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer auf die Brauchbarkeit und den Wert einer Sache Einfluss haben, zur Anfechtung berechtigen. Hinsichtlich der Eigenschaft einer Person gilt, dass diese von dem Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden sein muss, ohne dass er sie jedoch zum Inhalt seiner

194 BGH NJW 1959, 1363; NJW-RR 1995, 859; 2004, 892, 893; Wolf/Neuner, § 41, Rn. 11; MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 62; Kramer, S. 175; Wieling, AcP 172 (1972), 297, 300; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 39. 195 Vgl. oben § 6 II. 2. 196 Kramer, S. 175; Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 39; Larenz, AT, S. 371; RGZ 85, 322, 324; Schünemann/Beckmann, JuS-L 1991, 65. 197 Vgl. Wittwer, S. 245.

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

Erklärung gemacht haben muss. Nur unter dieser Voraussetzung berechtigt ein Eigenschaftsirrtum zur Anfechtung198. Letztlich besteht im deutschen Recht eine schon beinahe unbeschränkte Anfechtungsmöglichkeit aufgrund einer Abweichung zwischen subjektivem Willen und objektiver Erklärungsbedeutung (§ 119 Abs. 1 BGB) oder sogar aufgrund eines Irrtums bei Bildung des subjektiven Willens (§ 119 Abs. 2 BGB). Diese Anfechtungsmöglichkeit wird zwar durch die Voraussetzung der Unverzüglichkeit gem. § 121 BGB sowie der Ersatzpflicht des Vertrauensschadens gem. § 122 BGB eingeschränkt, was im Verhältnis zum grundsätzlichen Umfang der Anfechtungsmöglichkeit jedoch nur eine kleine Rolle spielt 199 . Einschränkungen hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit liegen im Erfordernis in Form einer subjektiven Erheblichkeit vor. Demnach können nur solche Irrtümer zur Anfechtung berechtigen, die für die Willensbildung des Erklärenden maßgeblich sind. Weiterhin ist eine Anfechtung im Falle eines reinen Motivirrtums ausgeschlossen. Ein solcher liegt dann vor, wenn ein Eigenschaftsirrtum gerade nicht vorliegt, bzw. wenn sich der Erklärende über „Umstände, die darüber entscheiden, inwieweit der richtig erklärte Vertragsinhalt tatsächlich die eigenen Ziele verwirklicht“, irrt 200.

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht § 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

Nachdem die Problematiken des Dissenses und des Irrtums im deutschen Recht beschrieben wurden, soll deren Handhabung im englischen Recht untersucht werden. Dabei zeigen sich bereits bei einer ersten Betrachtung bereits Besonderheiten und Unterschiede. So kennt das englische Recht schon keinen vergleichbaren Begriff wie den des Dissenses für einen Einigungsmangel im Rahmen des Vertragsschlusses. Vielmehr werden die Einigungsmängel als Unterfälle des Irrtums – mistake – betrachtet und entsprechend behandelt. Dies mag aus Sicht des deutschen Lesers vielleicht überraschen, bringt auf den ersten Blick aber wohl keine übermäßigen Probleme hinsichtlich eines Vergleichs mit dem deutschen Recht mit sich. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch die Schwierigkeiten des englischen Irrtumsrechts und damit auch die Schwierigkeiten im Rahmen eines Rechtsvergleichs. So sagt die englische Literatur z.T. ganz deutlich: „The law relating to the impact of a mistake on the validity of a contract is in a mess“ 201. Diese Unordnung besteht aus mehreren Gründen. Zum einen durch das uneinheitliche Begriffsverständnis des mistake, das zwischen Gerichten und Literatur be198

Siehe hierzu oben § 7 III. 2. b). Wittwer, S. 247. 200 Rehberg, S. 971. 201 McKendrick, S. 515; siehe zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung des mistake Begriffs Macmillan, S. 1 ff., vgl auch Chen-Wishart, S. 219. 199

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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steht, zum anderen durch die Trennung zwischen common law und equity202, welche zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Ungereimtheiten führt. Zum anderen unterlag die Rechtsprechung einem regen Wandel. Während eine Anfechtung im Rahmen der equity früher noch leichter möglich erschien, ist eine solche heute nur noch in sehr eng gesteckten Grenzen möglich. Zu allem Übel sind die unterschiedlichen Kategorien des mistake nicht klar definiert und werden teilweise grundlegend anders verstanden203, was unter anderem dazu führt, dass unterschiedliche Arten des mistake zur Folge haben, dass ein Vertrag (1) gar nicht zustande kommt, (2) void, also nichtig, oder (3) voidable, anfechtbar ist204. Die englische Literatur nimmt diese Aufteilung jedoch nicht einheitlich vor, sondern beschreibt die Arten des mistake z.T. auf ihren Inhalt (z.B. mistake über den Vertragsinhalt oder den Vertragspartner205) oder auf die Person bezogen, die dem Irrtum unterliegt (Erklärender, Empfänger oder beide Parteien206). Um eine dem deutschen Recht ähnliche Struktur beizubehalten und eine Vergleichbarkeit herstellen zu können, sollen die Irrtümer im Rahmen dieser Arbeit nach ihrer Wirkung auf den Vertrag bzw. den Konsens kategorisiert werden, also, ob sie einen Vertragsschluss verhindern (die Kategorie der mistakes negativing consent, zu denen unilateral und mutual mistake zählen) oder nach Vertragsschluss zu dessen Nichtigkeit führen können (die Kategorie der mistakes nullifying consent, zu denen der common mistake zählt). Das englische Irrtumsrecht und damit einhergehend auch der Umgang mit Einigungsmängeln orientiert sich klassischerweise an der Auslegung und deren grundlegenden Prinzipien. Daraus ergibt sich die These, dass das Irrtumsrecht ebenfalls einen stark objektiv geprägten Ansatz verfolgt und damit in einer Linie mit der Auslegung steht. Im Folgenden sollen die verschiedenen Arten von Irrtümern kategorisiert und beschrieben werden. Dabei werden die mistakes negativing consent voran- und dem deutschen Dissensrecht somit gleichgestellt, um eine analoge Struktur zu wahren. Zunächst gilt es jedoch das Irrtumsrecht in seiner Gesamtheit kurz zu erläutern, um anschließend eine entsprechende Bewertung der einzelnen Unterfälle vornehmen zu können.

202

McKendrick, S. 515; Lewison, 12–06; 12–17. Great Peace Shipping Ltd v. Tsavliris Salvage (International) Ltd (The Great Peace) [2002] EWCA Civ 1407, Rn. 28 ff., McKendrick, S. 515. 204 McKendrick, S. 517; Cartwright, 12–18 ff.; Chen-Wishart, S. 220. 205 So Cartwright, 13–01 ff. 206 So etwa Peel, 8–001 ff. 203

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

I. Das englische Irrtumsrecht im Überblick und die Abgrenzung von mistake zur misrepresentation und non-disclosure So wie das deutsche Recht zwischen unterschiedlichen Anfechtungsgründen, u.a. in Form der §§ 119, 123 BGB unterscheidet, existieren im englischen Recht unterschiedliche Arten von Tatbeständen, die entweder zu einem Einigungsmangel, zur Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit eines Vertrags führen können. Diese Tatbestände können mit dem deutschen Begriff des Irrtums und allgemein mit dem Irrtums- bzw. Dissensrecht verglichen werden. Zu den Wichtigsten zählen hierbei die misrepresentation, die dem Getäuschten die Möglichkeit zur Anfechtung eröffnet207, non-disclosure, die ebenfalls in aller Regel zur Anfechtung berechtigt 208 sowie der Begriff des mistake. Hauptaugenmerk soll dabei auf Letzterem liegen, weshalb eine genauere Abgrenzung zu den übrigen Begriffen erforderlich ist. 1. Mistake Unter dem Begriff des mistake wird generell ein „misunderstanding, a misapprehension, a misconception, an erroneous belief“ 209, im weitesten Sinne also ein Missverständnis oder ein Irrglaube, verstanden. Damit ein mistake tatsächlich als solcher geltend gemacht werden kann, muss der Kläger beweisen, dass der mistake für den Vertrag rechtlich und zugleich für seine subjektive Entscheidung relevant war. Im Gegensatz zur non-disclosure wird hierbei ein „positive state of mind“ verlangt, d.h. der Kläger muss aktiv an dem Irrtum festgehalten und ihn in seine Willensbildung einbezogen haben210. Der Begriff des mistake umfasst im Wesentlichen zwei Fallgruppen, die jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Zum einen diejenige, bei der zwei Parteien demselben Irrtum unterliegen, der sog. common mistake, und diejenige, bei der eine Partei einem Irrtum unterliegt, der sog. unilateral mistake211. Letzterer erinnert im Wesentlichen an den Irrtum im deutschen Recht, da sich hierbei lediglich eine Vertragspartei irrt212. Liegt ein common mistake vor, wird in der Regel davon ausgegangen, dass ein Vertragsschluss zunächst zustande gekommen ist 213. Der common mistake nullifies den Konsens jedoch, d.h. er hebt ihn im Nachhinein auf214. Im Falle des unilateral mistake hingegen kann ein Vertragsschluss aufgrund eines Einigungsmangels 207

Peel, 9–084 ff.; Burrows/McKendrick, 8.175. Burrows/McKendrick, 8.200. 209 The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 28; Cartwright, 12–02. 210 Cartwright, 12–03. 211 Burrows/McKendrick, 8.132; Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 217; Chitty/Beale, 5–071; McKendrick, S. 515. 212 McKendrick, S. 515. 213 Peel, 8–001. 214 Peel, 8–001. 208

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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jedoch unter weiteren Voraussetzungen als ausgeschlossen gelten, d.h. ein Konsens kam nie zustande 215 . Unter die Fallgruppe des unilateral mistake fällt auch der Fall, in dem zwei Parteien unterschiedlichen Irrtümern unterliegen und derart aneinander vorbeireden, dass ein Einigungsmangel und somit ein Dissens vorliegt. Unterliegen die Parteien also jeweils einem unilateral mistake, wird diese Konstellation auch als mutual mistake bezeichnet216. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht unproblematisch, wird aus ihr selbst doch nicht deutlich, ob beide Parteien nun unterschiedlichen Irrtümern oder doch demselben Irrtum unterliegen217. Zudem gebraucht die Rechtsprechung z.T. für derartige Konstellationen auch den Begriff des common mistake, was wiederum zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen kann218. Aus diesen Gründen soll für die Fallgruppe, in der auf Seiten beider Parteien ein unilateral mistake vorliegt und daraus ein Einigungsmangel resultiert, der deutsche Begriff des Dissenses verwendet werden. Allen drei Fallgruppen ist gemein, dass nur ein mistake, der als fundamental qualifiziert wird, zu einer evtl. Aufhebung des Konsenses bzw. der Nichtigkeit des Vertrags führen kann 219. 2. Misrepresentation Die misrepresentation umfasst im Wesentlichen die Fälle, in denen eine Vertragspartei der Gegenpartei falsche Informationen zukommen ließ und diese auf deren Basis in den Vertrag eingewilligt hat 220. Da durch die bereitgestellten Falschinformationen überhaupt erst ein Irrtum auf Seiten einer Vertragspartei entstanden ist, wird diese Art auch als induced mistake oder „veranlasster Irrtum“ bezeichnet221: Der Beschuldigte hat bewirkt, dass der auf misrepresentation Klagende sich irrte, was an die arglistige Täuschung i.S.d. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB erinnert222. Im Falle der misrepresentation ist eine Arglist jedoch nicht erforderlich. Während misrepresentation und mistake rechtlich getrennt voneinander betrachtet werden, bietet eine Klage auf Basis der misrepresentation u.U. Vorteile. Will der Kläger einen Vertrag anfechten, gelingt ihm das in der Regel im Rahmen der misrepresentation deutlich leichter, da die Gerichte im Falle eines einseitigen Irrtums seitens des Klägers eine Anfechtung nur in absoluten Ausnahmefällen zulassen223. Zudem ermöglicht eine misrepresentation u.U. Schadensersatzansprüche oder eine Klage auf 215

Peel, 8–002, 8–033; McKendrick, S. 515; The Great Peace [2002] EWCA Civ 1407, Rn. 28 ff.; Burrows/McKendrick, 8.132. 216 McKendrick, S. 515. 217 McKendrick, S. 515. 218 The Great Peace [2002] EWCA Civ 1407, Rn. 32; McKendrick, S. 516. 219 Schwaab, S. 142. 220 Cartwright, 1–03, 1–04; Furmston, S. 340; Peel, 9–001 ff.; McKendrick, S. 569. 221 Cartwright, 1–03. 222 Cartwright, 1–03. 223 Cartwright, 1–03.

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

Vertragsverletzung, was im Falle eines mistake nicht möglich ist224. Der entscheidende und für die folgenden Ausführungen maßgebliche Unterschied besteht jedoch in dem Umstand, dass die misrepresentation als Irrtum durch vom Vertragspartner behauptete unwahre Tatsachen entsteht, wohingegen der mistake aus den Sphären der einzelnen Vertragsparteien selbst heraus entsteht. 3. Non-Disclosure Der Begriff der non-disclosure stellt nach dem gängigen Verständnis einen Unterfall der misrepresentation dar225 und ist dem deutschen Rechtsanwender im weiteren Sinne in der Form der Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten im Rahmen des § 123 BGB bekannt 226 . Mistake und misrepresentation setzen jeweils Mitwirken seitens des Irrenden in der Form voraus, dass er sich entweder „aktiv“ bei seiner Willensbildung irrt (im Falle des mistake) oder „passiv“ auf die bereitgestellten Informationen seines Vertragspartners vertraut und daher einem Irrtum unterliegt (im Falle der misrepresentation). Im Gegensatz dazu wurden dem Irrenden im Falle der nondisclosure vertraglich besonders relevante Informationen vom Vertragspartner nicht bereitgestellt, ohne dass also eine positive Täuschungshandlung vorliegt227. Der Vertragspartner unterließ es demnach, dem Irrenden Informationen bereitzustellen, die den Irrtum oder die Falschannahme möglicherweise korrigiert hätten und verletzt demnach seine bestehende Aufklärungspflicht228. Die non-disclosure findet sich demnach gewissermaßen zwischen mistake und misrepresentation: Der Irrende beruft sich weder alleine auf den bei der Willensbildung oder -äußerung entstandenen Irrtum noch auf einen durch den Vertragspartner verursachten Irrtum 229 . Die Parallelregelung im deutschen Recht stellt, wie bei der misrepresentation auch, die arglistige Täuschung nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB dar, die ebenfalls in Form des Verschweigens relevanter Umstände vorliegen kann230. Grundsätzlich gilt jedoch, dass ein Anspruch auf Schadensersatz oder eine Anfechtung wegen nondisclosure nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden kann. Eine allgemeingültige Regel, nach der eine Partei materielle Fakten vor Vertragsschluss

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Cartwright, 1–03. Auch wenn die non-disclosure nach gängigem Verständnis einen Unterfall der misrepresentation darstellt, scheint die von Cartwright vorgenommene und auch hier verwendete Abgrenzung doch übersichtlicher. 226 Siehe hierzu ausführlich Staudinger/Singer, § 119 BGB, Rn. 10 ff.; Soergel/ Hefermehl, § 123 BGB, Rn. 6 ff. 227 Cartwright, 16–03, Fn. 4. 228 Cartwright, 16–03. 229 Cartwright, 16–03. 230 Palandt/Ellenberger, § 123 BGB, Rn. 5. 225

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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offenlegen müsse, existiert nicht231. Dies gilt selbst für Fakten, von der eine Vertragspartei meint, sie seien für die andere Partei und deren Willensbildung u.U. relevant232. Ausnahmen von dieser grundsätzlichen Regel sind z.B. solche Fälle, in denen eine Partei durch ihr Verhalten eine bestimmte Erklärung oder Angabe macht und diese nicht entsprechend korrigiert 233 . Weiterhin gelten u.a. solche Fälle als Ausnahme, in denen eine Partei bemerkt, dass sich vor Vertragsschluss materielle Fakten, die vorher gemachte Angaben widerlegen, geändert haben 234. Die Rechtsfolgen einer non-disclosure in solchen Fällen können nicht generalisiert werden, da diese zu stark von den individuellen Umständen der Fälle abhängen235. II. Mistakes negativing consent: unilateral mistake, mutual mistake und unvollständige Verträge Die unterschiedlichen Rechtsfolgen der verschiedenen Arten des mistake, zum einen das Entstehen eines Einigungsmangels und zum anderen die Herbeiführung einer Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Vertrags, wurden bereits erwähnt und sollen nun detailliert beschrieben werden. Begonnen werden soll dabei mit unilateral und mutual mistake, die zu einem Einigungsmangel und somit zu einem Dissens führen. Im Rahmen dieses Unterabschnittes soll zudem der Umgang mit unvollständigen Verträgen und die damit verbundenen Rechtsfolgen erläutert werden, da diese Problematiken ebenfalls Auswirkungen auf das Zustandekommen von Verträgen haben können. 1. Grundverständnis des unilateral und mutual mistake und die Bedeutung der Auslegung Im Gegensatz zum deutschen, liegt der Schwerpunkt des englischen Irrtumsrechts deutlich mehr auf der Bedeutung der Auslegung der einzelnen Erklärungen der Parteien. Die englische Literatur sieht für die Fälle des unilateral mistake sogar z.T. lediglich die Grundprinzipien der Auslegung und des Zustandekommens von Verträgen als relevant an236. Ein Rückgriff auf gesonderte Regelungen des unilateral oder mutual mistake sei demnach nicht notwen231

Peel, 9–136; Cartwright, 16–02; Burrows/McKendrick, 8.200. Banque Keyser Ullmann S.A. v. Skandia (UK) Insurance Co. Ltd [1990] 1 Q.B. 665, CA, Rn. 798, 799; Smith v. Hughes (1876) L.R. 6 Q.B. 597, 607; Keates v. Cadogan (1851) 10 C.B. 591; Cartwright, 16–02; Peel, 9–136. 233 Curtis v. Chemical Cleaning & Dyeing Co Ltd [1951] 1 K.B. 805, 808; Walters v. Morgan (1861) 3 D.F. & J. 718, 723; Spice Girls Ltd v. Aprilia World Service BV [2002] EWCA Civ 15; Peel, 9–137. 234 English v. Dedham Vale Properties Ltd [1978] 1 WLR 83, 104; The Kriti Palm [2006] EWCA Civ 1601; Peel, 9–141. 235 Peel, 9–164. 236 Chitty/Beale, 5–066; Peel, 8–054. 232

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

dig. Betrachtet man die Grundlagen des englischen Irrtumsrechts wird schnell deutlich, wo diese Auffassung herrührt. Basierend auf dem durch die Rechtsprechung entwickelten objectivetest237, kommt ein Vertrag auf Basis einer Übereinstimmung der objektiven Erklärungsbedeutungen zweier Vertragsparteien, eines agreements, zustande238. Diese übereinstimmende Erklärungsbedeutung wird entsprechend den erläuterten Auslegungsgrundsätzen ermittelt. Dabei spielen in der Regel nur die objektiven Erklärungsbedeutungen der Parteien eine Rolle, die subjektiven Willen finden keine Berücksichtigung 239 . Diese Auslegungsgrundsätze werden auch im Falle eines Irrtums einer oder mehrerer Parteien, also bei einem unilateral oder mutual mistake, konsequent angewendet. Ein Vertrag gilt auch im Falle eines Irrtums einer Partei, z.B. über den Vertragspartner, grundsätzlich gem. dem objective-principle als Zustande gekommen, solange der Erklärungsempfänger auf die objektive Erklärungsbedeutung der irrenden Partei vertrauen durfte240. Während das deutsche Recht einer irrenden Partei nun unter den Voraussetzungen des § 119 BGB ein Anfechtungsrecht eröffnet, welches gem. § 142 BGB die ex-tunc-Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach sich ziehen kann, gestalten sich die Rechtsfolgen eines unilateral mistake im englischen Recht deutlich komplizierter. So kann ein unilateral mistake zwar dazu führen, dass ein subjektiver Konsens verneint wird, der aus dem objektiven Konsens heraus entstehende Vertrag aber gemäß dem objectiveprinciple dennoch als wirksam gilt241. Lediglich unter weiteren bestimmten Voraussetzungen kann ein mistake negativing consent zur Nichtigkeit des Vertrags führen242. Ein solcher Ausnahmefall liegt u.a. dann vor, wenn irrtumsbehaftete Erklärungen derart mehrdeutig sind, dass die Auslegung aus Sicht einer reasonable person zu keinem klaren Ergebnis kommt243. All dies gilt grundlegend sowohl für einseitige als auch beiderseitige Irrtümer, also 237

Siehe hierzu oben § 3 I. 2. Chitty/Treitel, 2–002; Smith v. Hughes (1871) L.R. 6 Q.B. 597, 607; Howarth (1984) 100 L.Q.R. 265; Peel, 1–002. 239 Siehe hierzu oben § 3 I. 2., weiter § 3 II. 1. 240 Peel, 8–047; Smith v. Hughes (1871), LR 6 Q.B. 597, 607; OT Africa Line Ltd v. Vickers PLC [1996] 1 Lloyd’s Rep. 700. 241 Centrovincial Estates plc v. Merchant Investors Assurance Co Ltd [1983] Commercial LR 158; Burrows/McKendrick, 8.145. 242 Burrows/McKendrick, 8.145. 243 Raffles v. Wichelhaus (1864) 2 H. & C. 906; „The parties believed that they had entered into a contract for the purchase and sale of a cargo of cotton to arrive "ex Peerless from Bombay". That term was capable of applying equally to a cargo of cotton on two different ships, each called Peerless and each having sailed from Bombay, one in September and one in December. The court accepted that parol evidence could be adduced to prove which shipment the parties had intended to be the subject of the contract. Had one party intended the October shipment and the other the December shipment, the agreement necessary for a binding contract would have been absent. Raffles v Wichelhaus was a case of latent ambiguity.”, The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 28; Peel, 8–049. 238

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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unilateral und mutual mistake. In beiden Fällen erfolgt eine objektive Auslegung anhand derer beurteilt wird, ob ein Vertrag zustande gekommen ist. Waren die Parteien derart at cross-purposes244, dass kein (objektiver) Konsens bejaht werden kann, liegt kein agreement, somit ein Einigungsmangel und daher kein wirksamer Vertrag vor. Cartwright fasste die Grundlagen des objective-test zusammen, die von der Rechtsprechung bestätigt wurden: „(1) The first question is whether the parties were in fact (subjectively) in agreement on the existence and terms of the Contract. If they were, that should be determinative. (2) If the parties were not, in fact, in agreement, then - in the case where the claimant is seeking to rely on there being a contract on terms [x], and the defendant is either denying that there is a contract at all, or is asserting that there is a contract on terms [y] - the question becomes whether the claimant can in law hold the defendant to have agreed to a contract on terms [x]. He may do so if: (a) the defendant's words, conduct or (exceptionally) silence would have led a reasonable person in the claimant's position to believe that the defendant was agreeing to [x]; and (b) the claimant in fact believed that the defendant was agreeing to [x]. (3) If the claimant succeeds in showing that he can hold the defendant to a contract on terms [x] in accordance with proposition 2, he has established a contract on terms [x] unless the defendant can rebut this by showing that the claimant's conduct, words or (exceptionally) silence would have led a reasonable person in his position to believe that the claimant was agreeing to [y]. In such a case, there is no contract.“ 245

Dies stellt im Wesentlichen eine Zusammenfassung der bekannten Auslegungsgrundsätze dar und verdeutlicht, inwiefern die Feststellung eines Einigungsmangels oder eines mistake negativing consent von der Auslegung abhängt. 2. Die Voraussetzung der Erheblichkeit und die Arten des unilateral und mutual mistake Wie eben erläutert, beeinflusst ein Einigungsmangel aufgrund eines mistake nicht zwangsweise die Gültigkeit eines Vertrags bzw. führt nicht zwangsweise zu dessen Nichtigkeit. Dies gilt dann, wenn ein objektiver Konsens auf Basis des objective-test zustande gekommen ist, so z.B. in dem aus dem deutschen Recht bekannten Fall der Trierer Weinversteigerung 246 . Ein mistake liegt zwar vor, gilt jedoch nicht als operative – rechtswirksam – solange nicht weitere Voraussetzungen erfüllt sind 247. Dazu zählt, dass ein mistake als fun244

Vgl. Peel, 8–054. Cartwright, 13–19; DNA Productions (Europe) Ltd v. Manoukian [2008] EWHC 943 (Ch), Rn. 47. 246 Siehe hierzu oben § 2 I. 2. b) aa) (2); Burrows/McKendrick, 8.145; Centrovincial Estates plc v. Merchant Investors Assurance Co Ltd [1983] Commercial LR 158; Smith v. Hughes (1871), LR 6 Q.B. 597, 607; OT Africa Line Ltd v. Vickers Plc [1996] 1 Lloyd’s Rep. 700; Peel, 8–047. 247 Raffles v. Wichelhaus (1864) 2 H&C 906; The Great Peace [2003] QB 697, Rn. 29; Burrows/McKendrick, 8.146; Peel, 8–047; Schwaab, S. 142. 245

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

damental – erheblich – gilt248. Die Erheblichkeit wird jedoch im Einzelfall gewertet und hängt vor allem davon ab, auf was sich der mistake bezieht, also z.B. auf den Vertragspartner oder den Vertragsinhalt 249. Diese Einzelfälle und damit die verschiedenen Fallgruppen, in denen ein unilateral oder mutual mistake vorliegt, sollen im Folgenden erläutert werden. a) Der unilateral mistake hinsichtlich des Vertragsgegenstands Der mistake hinsichtlich des Vertragsgegenstands bildet die erste wesentlichen Fallgruppe250. Möchte A eine Gitarre vom Typ „Stratocaster“ kaufen, B jedoch eine Gitarre vom Typ „Les Paul“ verkaufen, wird ein Konsens verneint251. Dieser Grundsatz überrascht zunächst wenig. Es liegt ein klassischer Fall des Dissenses vor, welcher in der englischen Literatur jedoch als mistake gewertet wird252. Irrt sich eine Partei lediglich über bestimmte Eigenschaften des Vertragsgegenstands oder unterliegt sie einem einfachen Erklärungsirrtum, liegt zwar kein subjektiver Konsens vor, allerdings bleibt die Partei aufgrund des objektiven Konsenses dennoch an den Vertrag gebunden 253 . Verspricht sich in obigem Beispiel eine Partei und erklärt, sie wolle eine Gitarre vom Typ „Stratocaster“ kaufen, obwohl sie eine vom Typ „Les Paul“ kaufen will und der Verkäufer erklärt sich mit dem Verkauf einer „Stratocaster“ einverstanden, liegt zwar ein fundamental mistake hinsichtlich des Vertragsgegenstands auf Seiten einer Partei vor, allerdings ohne dass dieser zur Nichtigkeit des Vertrags führt. Solange die Auslegung unter Anwendung des objective-test und damit aus Sicht einer reasonable person einen bestimmten Vertragsinhalt bzw. Vertragsgegenstand ergibt, gilt dieser entsprechend. Ein rein einseitiger Irrtum einer Partei spielt dabei zunächst keine Rolle, sondern kann vielmehr nur in Ausnahmefällen zur Nichtigkeit des Vertrags führen 254. 248

Burrows/McKendrick, 8.133. Siehe hierzu ausführlich unten § 8 II. 2. a), b) und weiter § 8 III. 2. für den Fall des common mistake. 250 Burrows/McKendrick, 8.140; Cartwright, 12–08; Peel, 8–042; Raffles v. Wichelhaus (1864) 2 H.&C. 906; Smith v. Hughes (1871) LR 6 Q.B. 597; O T Africa Line Ltd v. Vickers PLC [1996] 1 Lloyds’s Rep 700; Falck v. Williams [1900] AC 176. 251 Raffles v. Wichelhaus (1864) 2 H&C 906; Smith v. Hughes (1871), LR 6 Q.B. 597, 607; Peel, 8–042; Burrows/McKendrick, 8.141; Chitty/Beale, 5–071. 252 McKendrick, S. 518; Chitty/Beale, 5–071; Burrows/McKendrick, S. 8.141; Peel, 8– 042. 253 Smith v. Hughes (1871) LR 6 Q.B. 597, 603; Cartwright, 15–10; Burrows/ McKendrick, 8.145 254 „In most cases the application of the objective test will preclude a party who has entered a contract under a mistake from setting up his mistake as a defence to an action against him for breach of contract. If a reasonable man would have understood the contract in a certain sense, then, despite his mistake, the court will hold that the mistaken party is bound.”, Chitty/Beale, 5–071; NBTY Europe (formerly Holland & Barrett Europe Ltd) v. Nutricia International BV [2005] EWHC 734; Centrovincial Estates plc v. Merchant 249

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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Dies wurde auch explizit in Smith v. Hughes 255 , einem der bedeutendsten Fälle des englischen Irrtumsrechts, betont: „I take the rule to be, that where a specific article is offered for sale, without express warranty, or without circumstances from which the law will imply a warranty […] and the buyer has full opportunity of inspecting and forming his own judgment, if he chooses to act on his own judgment, the rule caveat emptor applies. If he gets the article he contracted to buy, and that article corresponds with what was sol as, he gets all he is entitled to, and is bound by the contract. Here the defendant agreed to buy a specific parcel of oats. The oats were what they were sold as, namely good oats according to the sample. The buyer persuaded himself they were old oats, when they were not so; but the seller neither said nor did anything to contribute to his deception. He has himself to blame.”256

Weiter führte Lord Atkin in Bell v. Lever Bros Ltd Beispiele für unerhebliche Irrtümer einer Partei über den Vertragsgegenstand auf: „A. buys B.’s horse; he thinks the horse is sound and he pays the price of a sound horse; he would certainly not have bought the horse if he had known as the fact is that the horse is unsound. If B. has made no representation as to soundness and has not contracted that the horse is sound, A. is bound and cannot recover back the price. A. buys a picture from B.; both A. and B. believe it to be the work of an old master, and a high price is paid. It turns out to be a modern copy. A. has no remedy in the absence of representation or warranty. A. agrees to take on lease or to buy from B. an unfurbished dwelling-house. The house is in fact uninhabitable. A. would never have entered into the bargain if he had known the fact. A. has no remedy, and the position is the same whether B. knew the facts or not, so long as he made no representation or gave no warranty. A. buys a roadside garage business from B. abutting on a public thoroughfare: unknown to A., but known to B., it has already been decided to construct a byepass road which will divert substantially the whole of the traffic from passing A.’s garage. Again A. has no remedy.“ 257

Ein Eigenschaftsirrtum hinsichtlich des Vertragsgegenstands hat in der Regel ebenfalls keine Auswirkung auf den Vertrag. Zum einen muss ein solcher Irrtum auf Seiten beider Parteien bestehen, zum anderen muss er eine gewisse Erheblichkeit aufweisen258:

Investors Assurance Co Ltd [1983] Commercial LR 158; Peel, 8–047; 8–048; Burrows/ McKendrick, 8.145; 8.146; siehe hierzu weiter unten § 8 II. 3. 255 Smith, der Kläger, zeigte dem Beklagen Hughes eine Probe des von ihm angebotenen frischen (grünen) Hafers. Hughes bestellte daraufhin eine gewisse Menge bei Smith. Als er jedoch eine Teillieferung erhielt, erklärte er, dass dies nicht der von ihm ursprünglich gewollte alte (und für seine Pferde verzehrbare) Hafer, sondern frischer sei und verweigerte daraufhin die Bezahlung. Das Gericht ließ den Einwand des unilateral mistake seitens Hughes nicht gelten da er den Hafer vorher begutachten konnte, bejahte einen Vertrag und verpflichtete Hughes zur Bezahlung des Kaufpreises; Smith v. Hughes (1871) L.R. 6 Q.B. 597. 256 Smith v. Hughes (1871) LR 6 Q.B. 597, 603; Cartwright, 15–10. 257 Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 224. 258 Scott v. Littledale (1858) 8 E & B 815; Harrison & Jones v. Bunten & Lancaster [1953] 1 Q.B. 646, Burrows/McKendrick, 8.134, 8.141; Cartwright, 15–10.

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

„Mistake as to quality of the thing contracted for raises more difficult questions. In such a case a mistake will not affect assent unless it is the mistake of both parties, and is as to the existence of some quality which makes the thing without the quality essentially different from the thing as it was believed to be.” 259

Ein Irrtum über den Vertragsgenstand hat letztlich nur dann Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Vertrags, wenn ein objektiver Einigungsmangel vorliegt, oder ein erheblicher Irrtum über die Eigenschaft der Kaufsache auf Seiten beider Parteien vorliegt. Ein einseitiger Irrtum einer Partei über die Kaufsache oder deren Eigenschaft kann zwar als fundamental gelten und einen subjektiven Konsens verhindern, allerdings nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen zur Nichtigkeit des Vertrags führen. b) Der unilateral mistake über den Vertragspartner Ein Konsens wird ebenfalls dann verneint, wenn eine Partei einem fundamental mistake über die andere Vertragspartei unterliegt 260. Der Grundfall umfasst Sachverhalte, in denen A ein Angebot an B richten wollte, dies jedoch irrtümlich gegenüber C tat261. Dabei muss die Tatsache, dass A sich über die Identität seines Vertragspartners irrte, jedoch ebenfalls erheblich – fundamental – sein, damit der geschlossene Vertrag nichtig ist. Die Identität des Vertragspartners muss also ursächlich für A’s Entscheidung gewesen sein, den Vertrag abzuschließen262. Eine solche Erheblichkeit der Identität verhindert den Konsens zwischen den Parteien 263 . Nicht erheblich sind Irrtümer über bloße Eigenschaften des Vertragspartners, wie z.B. dessen Kreditwürdigkeit264. Besonderes Augenmerk verdient die subjektive Erheblichkeit des Irrtums über die Identität des Vertragspartners, die in dieser Fallgruppe eine gesonderte Rolle spielt. Im Gegensatz zu anderen Irrtumsarten kommt es im Falle eines Irrtums über die Identität des Vertragspartners gerade auf eine solche subjektive Erheblichkeit an265. Dies gilt selbst nach Shogun Finance Ltd v. 259

Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 218. Burrows/McKendrick, 8.142. 261 Cartwright, 14–15. 262 Citibank NA v. Brown Shipley & Co. Ltd [1991] 2 ALL E.R. 690, 699; Cartwright, 14–14. 263 Peel, 8–035. 264 King’s Norton Metal Co Ltd v. Edridge, Merrett & Co Ltd (1897) 14 T.L.R. 98; Peel, 8–036; Dieser Ansatz wurde jedoch zuweilen kritisiert: „Again it has been suggested that a mistake as to the identity of a person is one thing: and a mistake as to his attributes is another. A mistake as to identity, it is said, avoids a contract: whereas a mistake as to attributes does not. But this is a distinction without a difference. A man's very name is one of his attributes. It is also a key to his identity. If then, he gives a false name, is it a mistake as to his identity? or a mistake as to his attributes? These fine distinctions do no good to the law.“, Lewis v. Averay [1972] 1 Q.B. 198, 206; Cartwright, 14–13, 14–14. 265 Cartwright, 14–15. 260

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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Hudson266, in dessen Rahmen der Irrtum über die Identität zu großen Teilen neu geregelt wurde267. Freilich würde es der grundlegenden Vertragsauffassung des englischen Rechts widersprechen, könnte sich eine Partei allein aufgrund ihres Irrtums vom Vertrag lösen. Aus diesem Grund wird die subjektive Erheblichkeit aus objektiver Sicht beurteilt, um deren mögliche Bedeutung gegebenenfalls hintenanzustellen. Dies geschieht wiederum über das Merkmal der Erheblichkeit des Irrtums: Betritt eine Partei einen Laden um einen Ring zu kaufen und werden entsprechende Verpflichtungen unmittelbar erfüllt, spielt die Identität der gegenüberliegenden Vertragspartei keine Rolle268. Hat die irrende Partei jedoch deutlich gemacht, dass es ihr auf die konkrete Identität der anderen Partei ankommt, kann auch nur die entsprechend „richtige“ Partei das Vertragsangebot annehmen bzw. ist die Annahme durch die irrende Partei nur gegenüber der „richtigen“ Partei wirksam. In solchen Fällen kommt schon aus objektiven Gesichtspunkten kein Vertrag zustande: „[…] he [der Anspruchsteller] has generally to show that there was no objective agreement between him and the representor. For that purpose […] it may be shown that there was no objective agreement, e.g., that the offer was, objectively speaking, made to one person and (perhaps as a result of fraud) objectively speaking, accepted by another.” 269

Besonderheiten ergeben sich bei schriftlichen Verträgen. Hierbei wiegt die Tatsache, dass eine Partei nicht diejenige ist, die im Vertrag beschrieben ist, deutlich schwerer als bei mündlichen Verträgen. Entspricht der tatsächliche Vertragspartner nicht dem schriftlich festgehaltenen, ist der Vertrag in aller Regel nichtig 270. Dabei spielt die Auslegung des Vertrags jedoch eine entscheidende Rolle, wodurch die Problematik des Irrtums verlagert wird: „[…] most importantly of all, the question in issue becomes a question of the construction of this written document, not a question of factual investigation and evaluation.” 271

Durch Auslegung muss ermittelt werden, inwieweit die Identität des Vertragspartners im Rahmen des schriftlichen Vertrags tatsächlich von entscheidender Bedeutung ist. Die Tatsache, dass der subjektive Wille der irrenden Partei hinsichtlich der Bedeutung der Identität der anderen Vertragspartei derart Berücksichtigung findet, stellt jedoch einen nicht unerheblichen Unterschied zu den Fällen des Irrtums über den Vertragsgegenstand dar.

266

[2004] 1 AC 919. Siehe hierzu ausführlich Cartwright, 14–34 ff. 268 Phillips v. Brooks Ltd [1919] 2 K.B. 243; Ingram v. Little [1961] 1 Q.B. 31, 57; Chitty/Beale, 5–089; Cartwright, 14–14. 269 Whittaker v. Campbell [1984] Q.B. 318, 327; Chitty/Beale, 5–091. 270 Shogun Finance Ltd v. Hudson [2004] 1 AC 919, Chitty/Beale, 5–095. 271 Shogun Finance Ltd v. Hudson [2004] 1 AC 919, Rn. 46. 267

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

c) Der mutual mistake und der Fall des unvollständigen Vertrags aa) Der mutual mistake Wie im Fall des unilateral mistake stellt sich auch beim mutual mistake die durch Auslegung zu ermittelnde Frage, ob überhaupt ein Konsens und damit ein Vertrag zustande gekommen ist. Allerdings soll das Nichtzustandekommen und damit der Dissens auf beiderseitigen unterschiedlichen Irrtümern beruhen272. Beide Vertragsparteien irren sich demnach über den Vertragsinhalt. Dies scheint jedoch mehr ein Auslegungsproblem darzustellen als weniger eine Frage, ob die Parteien einem Irrtum unterlagen. So lässt sich aus dem Begriff des mutual mistake schon nicht schließen, ob die Parteien dem selben oder unterschiedlichen Irrtümern unterlagen273. Das klassische Beispiel eines mutual mistake bildet der Fall Raffles v. Wichelhaus274, in dem ein Kaufvertrag über eine Ladung Baumwolle geschlossen wurde. Die Ladung sollte „ex Peerless from Bombay“ geliefert werden. Es existierten jedoch zwei namensgleiche Schiffe, von denen eines im Oktober, das andere im Dezember aus Mumbai lossegeln sollte. Der Beklagte verweigerte die Annahme der Lieferung im Dezember und verwies darauf, dass sich der Vertrag auf die Oktoberlieferung beziehen würde. Die Warenbeschreibung passte jedoch auf beide Lieferungen. Das Gericht entschied aufgrund der parol evidence rule zugunsten des Beklagten, stellte sich jedoch nicht gegen die Argumentation des Klägers, dass, wenn eine Partei sich auf die Oktober-, die andere Partei sich auf die Dezemberlieferung bezieht, kein Vertrag zustandgekommen wäre275. Hierbei von einem Irrtum zu sprechen scheint zwar nachvollziehbar, zugleich aber verwirrend. Beide Parteien erklärten ihren subjektiven Willen wie gewünscht und unterlagen auch im Rahmen seiner Bildung keinen Falschvorstellungen. Beide hatten jedoch schlicht unterschiedliche subjektive Vorstellungen, weshalb aus subjektiver Sicht schon kein Vertrag zustande kam. Es lag ein versteckter Dissens vor. Nur aufgrund der parol evidence rule wurde das Vorliegen eines Vertrags bejaht und dem Beklagten Recht gegeben. Weiterhin liegt kein Konsens wegen eines mutual mistake vor, wenn eine Partei zu Pfund Sterling kaufen, die andere Partei jedoch zu einer anderen Währung verkaufen will 276 oder eine Partei zu einem Stückpreis verkaufen, die andere Partei zu einem Kilopreis kaufen will 277. Maßgeblich sind die Fälle des mutual mistake und damit eines Einigungsmangels allerdings nur hinsichtlich des Vertragsgegenstands oder des Vertragspartners und auch nur 272

Chitty/Beale, 5–071. McKendrick, S. 515. 274 (1864) 2 H.&C. 906; siehe hierzu und zum Folgenden: Chitty/Beale, 5–071. 275 Chitty/Beale, 5–071; siehe oben § 8 II. 2. c). 276 Woodhouse AC Israel Cocoa Ltd v. Nigerian Produce Marketing Co [1972] AC 741, 768; Peel, 8–044. 277 Hartog v. Colin & Shields [1939] 3 All E.R. 566; Peel, 8–044. 273

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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dann, wenn sie erheblich sind278. Dies erinnert an den im deutschen Recht als Totaldissens bezeichneten Fall. Ein englisches Gericht wird einen solchen Fall allerdings nur dann feststellen, wenn keine Partei einen Vertragsschluss im Sinne ihres Erklärungsverständnisses nachweisen kann, d.h., wenn Angebot und Annahme soweit auseinandergehen, dass auf Basis objektiver Gesichtspunkte kein agreement oder – um den deutschen Begriff zu verwenden – normativer Konsens festgestellt werden kann: „But where parties are genuinely at cross-purposes as to the subject matter of the contract and the terms of the offer and acceptance are so ambiguous that it is not possible to point to one or the other of the interpretations as the more probable, the court must necessarily hold that no contract exists.”279

Verdeutlicht wurde dies zudem in The Great Peace: „More commonly an objective appraisal of the negotiations between the parties may disclose that they were at cross-purposes, so that no agreement was ever reached. In such a case there will be a mutual mistake in that each party will erroneously believe that the other had agreed to his terms.”280

Auch in den Fällen des mutual mistake kommt es im englischen Recht im Wesentlichen also nicht auf einen voneinander abweichenden subjektiven Willen an. Vielmehr spielt auch hier die durch Auslegung zu ermittelnde Erklärungsbedeutung bzw. die Bedeutung des Vertragstextes die entscheidende Rolle281. Einer Partei wird also in aller Regel die Berufung auf einen Irrtum durch den objective-test versagt. Sobald die Auslegung aus Sicht einer reasonable-person einen bestimmten Vertragsinhalt ergibt, sind die Parteien an diesen Inhalt gebunden. Lediglich in Fällen, in denen die Parteien derart aneinander vorbeireden und Antrag und Annahme so mehrdeutig sind, dass die Ermittlung eines eindeutigen Inhalts nicht möglich ist, wird ein Gericht entscheiden, dass kein Vertrag besteht282. Letztlich liegt ein Einigungsmangel im Sinne eines Totaldissenses im englischen Recht grunsätzlich also dann vor, wenn entweder eine Partei – auf Basis objektiver Gesichtspunkte – darlegen kann, dass sich die Erklärungen der Parteien nicht decken283 oder wenn aufgrund der Mehrdeutigkeit des Vertrags keine Interpretation zugunsten der Auffassung einer Partei möglich ist.

278

Peel, 8–044; siehe oben § 8 II. 2. c). Chitty/Beale, 5–071; NBTY Europe (formerly Holland & Barrett Europe Ltd) v. Nutricia International BV [2005] EWHC 734. 280 [2003] Q.B. 679, Rn. 29; Burrows/McKendrick, 8.146. 281 Chitty/Beale, 5–071; NBTY Europe (formerly Holland & Barrett Europe Ltd) v. Nutricia International BV [2005] EWHC 734. 282 Peel, 8–048. 283 Die Parteien also „aneinander vorbei geredet“ haben. 279

242

2. Kapitel: Dissens und Irrtum

bb) Der Fall des unvollständigen Vertrags Die Fallgruppe des unvollständigen Vertrags soll im Rahmen des mutual mistake erörtert werden, da die Frage, ob ein Konsens und damit ein wirksamer Vertrag überhaupt zustandegekommen ist, in beiden Fällen die entscheidende Rolle spielt. Die englische Rechtsprechung hinsichtlich der Handhabung unvollständiger Verträge wirkt jedoch durchweg inkonsistent und ist schwer einzuordnen. Zum einen scheint weder explizit zwischen einer fehlenden Einigung über essentialia negotii und accidentalia negotii, noch dahingehend differenziert zu werden, ob die Vertragsparteien einen offenen Vertragspunkt absichtlich oder unbewusst ungeregelt gelassen haben. Lord Carswell bezeichnete das Thema sogar als „ausgelutscht” 284. Ausgehend von der Grundsatzentscheidung in May & Butcher v. The King soll daher versucht werden, zumindest eine Grundtendenz der Rechtsprechung aufzuzeigen285. (1) May & Butcher v. The King Die Kläger, May & Butcher, wollten ein Unterlassungsurteil gegenüber dem „Disposal Board“, einer Behörde die mit der Entsorgung unbenutzten Materials aus dem Ersten Weltkrieg beauftragt war, erwirken. Sie behaupteten, der Leiter der Behörde hätte mit ihnen durch Zusendung eines Briefs einen Kaufvertrag über Zeltmaterial geschlossen. Der Brief vom 29.6.1921 enthielt folgende Klauseln: „in consideration of your agreeing to deposit with the [Disposals & Liquidation] Commission the sum of 1000l. as security for the carrying out of this extended contract, the Commission hereby confirm the sale to you of the whole of the old tentage which may become available .... up to and including December 31, 1921, upon the following terms: ‘(1.) The Commission agrees to sell and [the suppliants] agree to purchase the total stock of old tentage […] (3.) The price or prices to be paid, and the date or dates on which payment is to be made by the purchasers to the Commission for such old tentage shall be agreed upon from time to time between the Commission and the purchasers as the quantities of the said old tentage become available for disposal, and are offered to the purchasers by the Commission. (4.) Delivery […] shall be taken by the purchasers in such period or periods as may be agreed upon between the Commission and the purchasers when such quantities of old tentage are offered to the purchasers by the Commission. […] (10.) It is understood

284

„It is trite law that although parties may reach agreement on essential matters of principle, if important points are left unsettled their agreement will be incomplete […]. In some cases it can properly be said that the parties have reached an enforceable agreement on part of the matters in issue, leaving the rest to be determined by further agreement or the process of litigation[…]”, Western Broadcasting Services v. Seaga [2007] UKPC 19, Rn. 19. 285 Siehe hierzu und zum Folgenden May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17; McKendrick, S. 127; Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 320.

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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that all disputes with reference to or arising out of this agreement will be submitted to arbitration in accordance with the provisions of the Arbitration Act, 1889.’”286

In einem zweiten, darauffolgenden Brief vom 7.1.1922, bezog sich der Leiter der Behörde auf zwischenzeitlich stattgefundene mündliche Verhandlungen und bestätigte den Verkauf der am 31.3.1923 zur Verfügung stehenden Zeltausrüstung. Dieser Brief enthielt folgende Aussage: „the prices to be agreed upon between the Commission and the purchasers in accordance with the terms of clause 3 of the said earlier contract shall include delivery free on rail […] nearest to the depots at which the said tentage may be lying.”

Das Disposal Board verweigerte letztlich jedoch die Lieferung der Zeltausrüstung und machte geltend, dass nie ein wirksamer Vertrag zustande gekommen sei, woraufhin die Kläger ein Unterlassungsurteil erwirken wollten, um den Verkauf an einen Dritten durch das Disposal Board zu verhindern und den Anspruch auf die Zeltausrüstung geltend zu machen. Das House of Lords schloss sich jedoch der Ansicht des Disposal Board an und wies die Klage ab, da kein gültiger Vertrag zustande gekommen sei. Das Gericht hatte zwei wesentliche Punkte zu entscheiden: (1) ob die Vertragsklauseln bestimmt genug waren, um einen rechtlich bindenden Vertrag zwischen den Parteien zu begründen; (2) ob die Schiedsklausel hinsichtlich des Kaufpreises ausreichte, um, wie von den Klägern behauptet, einen angemessenen Kaufpreis zu bestimmen287. Beide Punkte wurden jedoch verneint, da nach Auslegung der Vertragsverhandlungen kein Kaufpreis bestimmbar war und die Kläger nicht beweisen konnten, dass es eine eindeutige Vereinbarung gab, zu einem angemessenen Preis zu kontrahieren. Nach alledem war nach Ansicht des Gerichts schon kein gültiger Vertrag zustande gekommen. Da kein Kaufpreis und damit ein entscheidender Vertragsbestandteil nicht vereinbart wurde, existiere kein Vertrag288. Lord Buckmaster betonte dabei explizit, dass es nicht auf den Vertragstyp bzw. Vertragsgegenstand ankomme, sondern dass das Fehlen eines wesentlichen Vertragsbestandteils das Zustandekommen des Vertrags verhindere289. Wäre jedoch vereinbart worden, dass einer Vertrags286

May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17. May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17, 19. 288 „In my opinion there never was a concluded contract between the parties. It has long been a well recognized principle of contract law that an agreement between two parties to enter into an agreement in which some critical part of the contract matter is left undetermined is no contract at all. It is of course perfectly possible for two people to contract that they will sign a document which contains all the relevant terms, but it is not open to them to agree that they will in the future agree upon a matter which is vital to the arrangement between them and has not yet been determined.”, May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17, 20. 289 May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17, 20; Viscount Dunedin schloss sich dem explizit an: „I am of the same opinion. This case arises upon a question of sale, but in my view the principles which we are applying are not confined to sale, but are the general 287

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

partei oder einem Dritten das Recht zustehe, den Kaufpreis zu bestimmen, wäre ein gültiger Vertrag zustande gekommen 290 . Die im Brief enthaltene Schiedsgerichtsklausel genüge jedoch nicht, da das Verhalten und die übrigen Aussagen der Parteien deutlich machten, dass der Kaufpreis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch festzulegen war291. (2) WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd Die zweite Grundsatzentscheidung hinsichtlich des Umgangs mit unvollständigen Verträgen stellt WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd292 dar. Die Beklagten schlossen mit den Klägern am 21.5.1930 einen Vertrag über den Verkauf von Weichholz. Der Kaufvertrag enthielt zusätzlich eine Optionsklausel: „Buyers shall also have the option of entering into a contract with sellers for the purchase of 100,000 standards for delivery during 1931. Such contract to stipulate that, whatever the conditions are, buyers shall obtain the goods on conditions and at prices which show to them a reduction of 5% on the f.o.b. value of the official price list at any time ruling during 1931. Such option to be declared before the 1st Jan. 1931.” 293

Die Kläger zogen die Option am 22.12.1930. Die Beklagten hatten den betreffenden Holzbestand jedoch zwischenzeitlich an einen Dritten verkauft. Die Kläger machten Schadensersatzansprüche wegen Vertragsbruch geltend. Die Beklagten hielten dem entgegen, dass kein wirksamer Vertrag existiere. Das Dokument vom 21.5.1930 enthielt laut den Beklagten keine ausreichende Beschreibung um die zu verkaufende Ware genau zu bestimmen und sollte zudem lediglich eine zukünftige Vereinbarung über wesentliche Vertragsbestandteile in Aussicht stellen. Das House of Lords akzeptierte die Argumentation jedoch nicht und sah einen gültigen Vertrag durch die Ausübung der Option als geschlossen an, ohne dass dieser von zukünftigen Vereinbarungen abhängig wäre. Lord Tomlin begründete dies zum einen damit, dass die Optionsklausel, wenn auch für sich vergleichsweise unpräzise formuliert, in Verbindung mit dem übrigen Vertragstext einen klaren Rückschluss auf den Vertragsgegenstand zulasse 294. Zudem läge keine bloße „Vereinbarung, eine

principles of the law of contract. To be a good contract there must be a concluded bargain, and a concluded contract is one which settles everything that is necessary to be settled and leaves nothing to be settled by agreement between the parties.”, May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17, 21. 290 „For instance, with regard to price it is a perfectly good contract to say that the price is to be settled by the buyer.“, May & Butcher Ltd v. The King [1934] 2 K.B. 17, 21. 291 Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 323. 292 (1932) 147 L.T. 503; siehe hierzu und zum Folgenden auch McKendrick, S. 129 ff. 293 McKendrick, S. 129. 294 „I have already expressed the view that Clause 9 must be read as “100,000 standards of fair specification for delivery during 1931” and these words I think have the same meaning, mutatis mutandis as the words relating to the 22,000 standards. Thus, there is a de-

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Vereinbarung zu schließen“ – agreement to make an agreement – vor, da die Formulierung der Klausel einen Rückschluss auf die Geltung der Preisliste und entsprechender Konditionen aus dem Jahr 1931 zulasse. Dementsprechend sei der Vertragsinhalt hinreichend bestimmbar und der Vertrag, auch wenn einzelne Bestandteile wie z.B. der Transport, ungeregelt blieben, wirksam. Lord Wright betonte zusätzlich, dass es offensichtlich sei, dass die Parteien die Intention hatten einen Vertrag zu schließen und auch annahmen, dies getan zu haben295. Es sei Aufgabe des Gerichts, Verträge fair und weitgehend auszulegen und dabei die alte Maxime des englischen Rechts, nach der Verträge aufrechtzuerhalten seien, anzuwenden. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Gerichte die Verträge für die Parteien „zuendedenken“ sollen. Vielmehr stehe es den Parteien offen, einzelne Vertragspunkte im Rahmen eines auf die Zukunft gerichteten Vertrags im Laufe der Zeit auszuhandeln. Deshalb gelte ein solcher Vertrag jedoch nicht zwangsweise als unvollständig und dementsprechend nicht als zustandegekommen. Selbst wenn die Auslegung schwer sein mag, sei dies kein Grund den Vertrag als zu mehrdeutig oder zu unbestimmt zu qualifizieren, solange die Intention der Parteien erkennbar sei296. (3) Analyse und die Suche nach einheitlichen Prinzipien Macneil beschrieb die Suche nach schlüssigen Prinzipien hinsichtlich der Fälle eines unvollständigen Vertrags bzw. in den Fällen des agreement to agree als „fool’s errand“297, als vergebliche Mühe. Betrachtet man beide eben erläuterte Fälle, und vor allem die weitere, modernere Rechtsprechung, wird deutlich wieso. In May & Butcher v. The King sowie in WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd waren einzelne essentialia negotii – Kaufpreis in ersterem, Vertragsgegenstand in zweiterem Fall – nicht vereinbart worden und dennoch wurde in May & Butcher v. The King ein Vertragsschluss verneint, bei WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd jedoch bejaht. Der bedeutendste Unterschied zwischen beiden Fällen besteht bei WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd wohl aber darin, dass das House of Lords explizit auf die Intention der Vertragsparteien, einen Vertrag zu schließen, abstellte. Die Bedeutung dieser Intention wurde wiederum von Scrutton LJ, der in May & Butcher v. The King und in WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd als Richter am Court of Appeal tätig war und dessen Entscheidung beide Male vom House of Lords kassiert worden scription of the goods which if not immediately yet ultimately is capable of being rendered certain.”, WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd (1932) 147 L.T. 503, 505. 295 „But it is clear that the parties both intended to make a contract and thought they had done so.“, WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd (1932) 147 L.T. 503, 506. 296 „Furthermore, even if the construction of the words may be difficult, that is not a reason for holding them too ambiguous or uncertain to be enforced, if the fair meaning of the parties can be extracted.“, WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd (1932) 147 L.T. 503, 506. 297 Macneil, in: Campbell, Bibliographical Statement; McKendrick, S. 134.

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war, in Foley v. Classique Coaches Ltd betont298. In anderen Fällen fand die Intention jedoch keinerlei Berücksichtigung, wie in Harvey v. Pratt299. Der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag enthielt kein Datum für den Beginn des Mietverhältnisses, weswegen laut Court of Appeal kein Vertrag zustande gekommen war 300. Auf eine Intention kam es dem Gericht nicht an und auch das Argument, den Mietbeginn durch Auslegung im Rahmen einer angemessenen Zeit anzusetzen, konnte ebensowenig überzeugen, wie dasjenige, der Mietzeitraum sollte mit Unterzeichnung des strittigen Vertragsdokuments beginnen301. Ein Gegenbeispiel findet sich wiederum mit Barbudev v. Eurocom Cable Management Bulgaria EOOD302. Hierbei wurde explizit zum einen auf die Intention, einen Vertrag zu begründen, zum anderen aber auch auf die Bestimmtheit der Vertragsklauseln abgestellt303. Das Abstellen auf die Intention der Parteien, trotz unvollständiger Vertragsklauseln einen wirksamen Vertrag zu schließen, scheint jedoch insgesamt Überhand genommen und mittlerweile der ausschlaggebende Gesichtspunkt zu sein 304 . Dies gilt allerdings weiterhin nur dann, wenn keine elementaren Vertragsbestandteile betroffen sind. Das heißt letztlich, dass ein Vertragsschluss nur dann angenommen werden kann, wenn zwar Nebenpunkte ungeregelt, die Hauptpunkte jedoch geregelt wurden305. Ein Vertragsschluss wird insbeson298

„The Court of Appeal, which included Greer L.J. and myself, both having a very large experience in these timber cases, came to the conclusion that as the House of Lords in May & Butcher v. The King considered that where a detail had to be agreed upon there was no agreement until that detail was agreed, we were bound to follow the decision in May & Butcher v. The King and hold that there was no effective agreement in respect of the option, because the terms had not been agreed. It was, however, held by the House of Lords inHillas & Co. v. Arcos that we were wrong in so deciding and that we had misunderstood the decision in May & Butcher v. The King. […] In Hillas & Co. v. Arcos the House of Lords said that they had not laid down universal principles of construction in May & Butcher v. The King, and that each case must be decided on the construction of the particular document […]”, Foley v. Classique Coaches, Limited [1934] 2 K.B. 1, 10. 299 [1965] 1 WLR 1025. 300 Vgl. Burrows/McKendrick, 8.24. 301 „It is not sufficient to say you can supply it by an implied term as to reasonable time.”, Harvey v. Pratt [1965] 1 WLR 1025, 1027. 302 [2012] 2 All ER (Comm.) 963. 303 Beides wurde vom Court of Appeal abgelehnt, ein Vertragsschluss wurde verneint. 304 Siehe für zahlreiche Beispiele Chitty/Treitel, 2–112 ff.; Burrows/McKendrick, 8.24; Art. II.–4:103 DCFR, Notes, Rn. 14; Peel, 2–085, 2–086; Bear Stearns Bank Plc. v. Forum Global Equity Ltd. [2007] EWHC 1576 (Comm); bemerkenswert scheint bei diesem Urteil, dass, obwohl kein Datum hinsichtlich der Übernahme fauler Kredite durch die Kläger von den Beklagten, der Vertrag als zustandegekommen angesehen wurde: „The law will imply any terms necessary to give business efficacy to what was agreed.“, Rn. 169; siehe auch Chitty/Treitel, 2–113, Fn. 484. 305 Peel, 2–085; Burrows/McKendrick, 8.24; Chitty/Treitel, 2–112, 2–113; Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 323; anders hingegen McKendrick, S. 144, der nach wie vor die in May & Butcher v. The King gezeichnete, strenge Handhabe als maßgeblich ansieht.

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dere auch dann angenommen, wenn die Parteien trotz unvollständiger Einigung mit der Vertragsdurchführung begonnen haben. Ein solches Verhalten spricht nach der Rechtsprechung für eine entsprechende Intention der Parteien306. Nicht explizit differenziert wird zwischen bewusst und unbewusst offen gelassenen Vertragspunkten. Zwar können Vertragsparteien bestimmte Klauseln bewusst offen lassen, allerdings erfolgt dennoch eine Beurteilung dahingehend, ob eine Intention zum Vertragsschluss bestand oder nicht307. Trotz dieses scheinbar bestehenden Grundprinzips, wirkt die Rechtsprechung zu unvollständigen Verträgen in sich verhältnismäßig unschlüssig und undurchschaubar. Es existieren zahlreiche Widersprüche und Inkongruenzen hinsichtlich der notwendigen Vertragsbestandteile sowie der Frage, wann eine Intention zum Vertragsschluss zwischen den Parteien tatsächlich bestand. Auffällig ist jedoch, dass die Gerichte überhaupt die Intention der Parteien berücksichtigen. Die Annahme, dass ein englisches Gericht auf Basis einer objektiv ermittelten möglichen gemeinsamen Intention zweier Parteien einen Vertragsschluss annimmt, schien zumindest nicht allzu naheliegend. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass eine Berücksichtigung der subjektiven Willen der Parteien stattfindet. Im Gegenteil: Es gelten auch im Falle unvollständiger Verträge die erläuterten objektiven Auslegungsgrundsätze und die subjektiven Willen finden explizit keine Berücksichtigung308. 3. Die Rechtswirkung des unilateral und mutual mistake Während bereits erläutert wurde, wann ein fundamental mistake vorliegt und wann ein solcher einen Konsens verhindern kann, steht nun die Frage der Rechtswirkung eines solchen Irrtums im Raum. Dass ein unilateral oder mutual mistake nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit des Vertrags führt, wurde bereits aufgezeigt. Wann eine solche Nichtigkeit jedoch eintreten kann und welche weiteren Rechtsfolgen beide Irrtumsarten nach sich ziehen können, soll im Folgenden gezeigt werden. Ein als fundamental qualifizierter mistake ist im common law in drei wesentlichen Fällen rechtswirksam und führt zur Nichtigkeit des Vertrags. Zunächst dann, wenn eine vollständige Mehrdeutigkeit besteht, sodass die Auslegung aus Sicht einer reasonable person keinen eindeutigen Vertragsinhalt 306 Foley v. Clasique Coaches Ltd [1934] 2 K.B. 1; Beale/Fauvarque-Cosson/ Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 323. 307 Pagnan SpA v. Freed Products Ltd [1987] 2 Lloyd’s Rep. 239; Brown v. Gould [1972] Ch. 53; Snelling v. John G Snelling Ltd [1973] 1 Q.B. 87; Peel, 2–091. 308 „The court has to consider the objective conduct of the parties as a whole. It does not consider their subjective states of mind. […] In a commercial context, the onus of demonstrating that there was a lack of intention to create legal relations lies on the party asserting it and it is a heavy one.“, Georgi Velichkov Barbudev v. Eurocom Cable Management Bulgaria Eood & Ors [2012] EWCA Civ 548, Rn. 30.

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ergibt309. Dies liegt wohl, wenn auch in der Literatur nicht explizit betont, vor allem in den Fällen des mutual mistake vor. Ein Vertrag ist ebenfalls dann nichtig, wenn der mistake der anderen Vertragspartei bekannt war 310. Dies wird damit begründet, dass das objective-principle nicht anwendbar ist, sobald die gegnerische Partei den wirklichen Willen der irrenden Partei kennt 311 . Die Rechtsprechung ist sich dagegen nicht einig, ob bereits ein Kennenmüssen ausreicht, um die Nichtigkeit eines Vertrags wegen eines mistake herbeizuführen 312 . Schlussendlich führt ein mistake auch dann zur Nichtigkeit des Vertrags, wenn er von der gegnerischen Partei fahrlässig verursacht – negligently induced – wurde 313 . In allen drei Fällen gilt ein mistake als rechtswirksam – operative – und führt zur Nichtigkeit des Vertrags. III. Mistakes nullifying consent: der Fall des common mistake 1. Grundverständnis des common mistake Unter die Gruppe der mistakes nullifying consent fallen solche Fälle, in denen beide Vertragsparteien demselben Irrtum unterliegen, weshalb auch von einem common mistake, also einem gemeinsamen Irrtum, gesprochen wird314. Diese Art des mistake zeichnet sich dadurch aus, dass zunächst ein agreement und damit verbunden ein Konsens vorlag. Dementsprechend ist ein Vertrag zunächst wirksam zustande gekommen 315 . Der beiderseitige Irrtum führt jedoch dazu, dass der Konsens aufgehoben – nullified – wird316. Damit diese Rechtsfolge jedoch eintreten kann, muss der common mistake, ebenso wie die unilateral und mutual mistake auch, als fundamental gelten. Zudem muss die Vertragsdurchführung in der Form, wie die Vertragsparteien sie vereinbart haben, unmöglich sein317. Die Einschränkung in Form der Voraussetzung des fundamental mistake, also des erheblichen Irrtums, soll eine übermäßige 309

Raffles v. Wichelhaus (1864) 2 H. & C. 906; Burrows/McKendrick, 8.146; McKendrick, S. 518. 310 Cundy v. Lindsay (1878) 3 App Cas 459; Peel, 8–050; Burrows/McKendrick, 8.146; Andrews, S. 275. 311 Peel, 8–050; Chitty/Beale, 5–074; Hartog v. Colin & Shields [1939] 3 All E.R. 566. 312 Centrovincial Estates plc v. Merchant Investors Assurance Co Ltd [1983] Commercial LR 158; OT Africa Line Ltd v. Vickers Plc [1996] 1 Lloyd’s Rep. 700; Hartog v. Colin & Shields [1939] 3 All E.R. 566; Chwee Kin Keong v. Digilandmall.com Pte Ltd [2005] SGCA 2; Peel, 8–050; Chitty/Guest, 5–074. 313 Deutsche Bank (Suisse) SA v. Khan [2013] EHWC 482 (Comm), Rn. 268; Burrows/ McKendrick, 8.146; anders dagegen Cartwright, 15–13. 314 Burrows/McKendrick, 8.132; Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 217; Chitty/ Beale, 5–071; McKendrick, S. 515; Peel, 8–001. 315 Peel, 8–001. 316 Peel, 8–001; Burrows/McKendrick, 8.136; Associated Japanese Bank (International) Ltd v. Crédit du Nord SA [1989] 1 WLR 255, 265, 268. 317 The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 73; Cartwright, 15–23; Peel, 8–002.

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Untergrabung der Rechtssicherheit im Interesse der kommerziellen Zweckmäßigkeit verhindern 318 . Eine solche rechtliche Erheblichkeit des Irrtums liegt in aller Regel vor allem in Fällen der Unmöglichkeit der Erbringung der vereinbarten Leistung vor. Schulbeispiel bildet hierbei der von zwei Parteien geschlossene Vertrag, in dessen Rahmen ein Portrait einer Person angefertigt werden soll. Diese Person ist jedoch – beiden Vertragsparteien unbekannt – bereits verstorben. Diese Konstellation führt zur Ungültigkeit des geschlossenen Vertrags, da beide Parteien demselben erheblichen Irrtum unterlagen 319. Kann ein Kläger die Erheblichkeit des mistake nicht ausreichend belegen, gilt weiterhin, dass der Vertrag seine Gültigkeit bewahrt. 2. Die Beurteilung der Erheblichkeit im Falle eines common mistake durch Auslegung a) Grundsätzliche Voraussetzungen der Erheblichkeit Die Frage der notwendigen Erheblichkeit des common mistake wurde im Wesentlichen im Rahmen zweier entscheidender Urteile behandelt: Bell v. Lever Bros Ltd320 sowie The Great Peace321. Freilich kann nicht jede Art von beiderseitigem Irrtum zur Ungültigkeit des Vertrags führen, weshalb Lord Atkin 1932 im Fall Bell v. Lever Bros Ltd die Anwendbarkeit der Doktrin einschränkte: „In such a case a mistake will not affect assent unless it is the mistake of both parties, and is as to the existence of some quality which makes the thing without the quality essentially different from the thing as it was believed to be.” 322

Der Inhalt des geschlossenen Vertrags müsse also essentially different vom Gedachten der Parteien, und damit von deren subjektiven Willen sein, damit er die Gültigkeit des Vertrags beeinflussen könne 323. Im konkreten Fall zahlte die Lever Bros Ltd 30.000 bzw. 20.000 Pfund als Abfindung an zwei gekündigte Mitarbeiter. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass beide Mitarbeiter Pflichtverletzungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses begangen hatten, wodurch eine Abfindungszahlung durch das Unternehmen unnötig gewesen wäre. Die Lever Bros Ltd verlangte daraufhin die Rückzahlung der Abfindungszahlungen auf Basis des wegen common mistake ungültigen Vertrags. 318

Peel, 8–001. Peel, 8–001; der deutsche Rechtsanwender fühlt sich hierbei wohl an die Regelungen der Unmöglichkeit erinnert, die jedoch die Wirksamkeit des Vertrags gem. § 311a Abs. 1 BGB gerade aufrechterhalten. 320 [1932] AC 161, 218. 321 [2003] Q.B. 679. 322 Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 218. 323 Assent wäre wortgemäß als „Zustimmung“, „Einwilligung“ oder „Genehmigung“ zu übersetzen. Aus dem Kontext der Aussage Lord Atkin’s ergibt sich jedoch als sinngemäße Übersetzung die „Gültigkeit“ des Vertrags. 319

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

Das House of Lords hielt den Vertrag jedoch für gültig, da der mistake nicht schwerwiegend genug war 324 . Lord Atkin verdeutlichte im Urteil, dass der Vertrag nicht nur ungültig sei, wenn der Vertragsgegenstand nicht existiere. Es reiche auch aus, wenn er von so unterschiedlicher Beschaffenheit sei, dass er etwas völlig Anderes darstelle, als die beiden Parteien dachten: „So the agreement of A. and B. to purchase a specific article is void if in fact the article had perished before the date of sale. In this case, though the parties in fact were agreed about the subject-matter, yet a consent to transfer or take delivery of something not existent is deemed useless, the consent is nullified. As codified in the Sale of Goods Act the contract is expressed to be void if the seller was in ignorance of the destruction of the specific chattel. I apprehend that if the seller with knowledge that a chattel was destroyed purported to sell it to a purchaser, the latter might sue for damages for non-delivery though the former could not sue for non-acceptance, but I know of no case where a seller has so committed himself. This is a case where mutual mistake certainly and unilateral mistake by the seller of goods will prevent a contract from arising. Corresponding to mistake as to the existence of the subject-matter is mistake as to title in cases where, unknown to the parties, the buyer is already the owner of that which the seller purports to sell to him. The parties intended to effectuate a transfer of ownership: such a transfer is impossible: the stipulation is naturali ratione inutilis.” 325

Gefordert wird letztlich eine erhebliche Abweichung des objektiven Vertragsinhalts vom gemeinsamen subjektiven Willen der Parteien. Beide subjektiven Willen müssen sich decken und gleichzeitig vom selben Irrtum behaftet sein, um einen common mistake bejahen zu können. Dies mag überraschen, orientiert sich das englische Recht doch, wie im Rahmen der Ausführungen zur Auslegung gezeigt, überwiegend am Wortlaut und objektiven Merkmalen eines Vertrags. Das Festhalten an einem Vertrag, dessen Durchführung wegen der Nicht-Existenz des Vertragsgegenstands unmöglich ist, ist jedoch relativ sinnfrei. Dies erkennen auch englische Gerichte an, da sich die Berücksichtigung der subjektiven Intentionen auch im Hinblick auf die Auslegung – wie gezeigt – über die letzten Jahrzente gewandelt hat. Die Betonung bei Beurteilung der Frage, ob ein common mistake vorliegt, liegt jedoch klar auf dem gemeinsamen Irrtum beider Parteien. Weichen die subjektiven Willen der Parteien voneinander ab, bzw. unterliegen sie unterschiedlichen Irrtümern oder nur eine Partei einem Irrtum, muss der Fall des unilateral mistake geprüft werden.

324 325

Vgl. Cartwright, 15–21. Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 217.

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b) The Great Peace Entscheidung und die Rolle der Auslegung für die Feststellung des common mistake Die von Lord Atkin formulierten Anforderungen an den common mistake wurden durch Lord Phillips M.R. in The Great Peace neu formuliert: „[I]t suggests that the following elements must be present if common mistake is to avoid a contract: (i) there must be a common assumption as to the existence of a state of affairs; (ii) there must be no warranty by either party that that state of affairs exists; (iii) the nonexistence of the state of affairs must not be attributable to the fault of either party; (iv) the non-existence of the state of affairs must render performance of the contract impossible; (v) the state of affairs may be the existence, or a vital attribute, of the consideration to be provided or circumstances which must subsist if performance of the contractual adventure is to be possible.”326

Es müsste demnach (i) eine gemeinsame Annahme über das Bestehen eines Umstands existieren, (ii) keine Partei darf eine Garantie über das Bestehen dieses Umstands abgegeben haben, (iii) die Nichtexistenz des Umstands darf nicht durch eine Partei verschuldet sein, (iv), die Nichtexistenz muss die Vertragsdurchführung unmöglich machen und (v) der Umstand kann die Existenz oder ein wesentliches Merkmal der angebotenen consideration sowie weitere Begleitumstände betreffen, die bestehen müssen, damit die Vertragsdurchführung möglich sein soll. Lord Phillips M.R. reduzierte die ursprünglichen Erfordernisse des common mistake daher im Wesentlichen auf die Frage, ob der Vertrag durchführbar ist: „The avoidance of a contract on the ground of common mistake results from a rule of law under which, if it transpires that one or both of the parties have agreed to do something which it is impossible to perform, no obligation arises out of that agreement.” 327

Die Beklagten im Fall The Great Peace sollten ein beschädigtes Schiff im Südindischen Ozean bergen und charterten dafür von den Klägern ein Handelsschiff („The Great Peace“). Sinn und Zweck war es, das beschädigte Schiff zu eskortieren und Ersthilfe im Notfall leisten zu können. Der Chartervertrag lief für ein Minimum von fünf Tagen, wobei die Beklagten davon ausgingen, dass sich die „Great Peace“ 35 Meilen und somit in unmittelbarer Nähe des havarierten Schiffs befinden würde. Tatsächlich lag das Schiff jedoch 410 Meilen entfernt, was die Beklagten innerhalb von zwei Stunden nach Vertragsschluss feststellten. Nachdem diese innerhalb weiterer zwei Stunden ein nähergelegenes Schiff ausmachen konnten, widerriefen sie den Chartervertrag mit den Klägern und verweigerten die Zahlung mit der Begründung, der Vertrag wäre unter einem Irrtum über den Standort des Schiffs abgeschlossen worden und sei daher nichtig. Lord Phillips lehnte dies jedoch im Namen des Court of Appeal ab. 326 327

[2003] Q.B. 679, Rn. 76; Andrews, 10.06. The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 73; Cartwright, 15–23.

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Im Rahmen seines Urteils bewertete er mehrfach die Bedeutung der Auslegung hinsichtlich der Feststellung eines möglichen common mistake: „Thus, while we do not consider that the doctrine of common mistake can be satisfactorily explained by an implied term, an allegation that a contract is void for common mistake will often raise important issues of construction. Where it is possible to perform the letter of the contract, but it is alleged that there was a common mistake in relation to a fundamental assumption which renders performance of the essence of the obligation impossible, it will be necessary, by construing the contract in the light of all the material circumstances, to decide whether this is indeed the case.” 328

Ist der Vertrag im Sinne seines Wortlautes durchführbar aber steht dennoch die Behauptung im Raum, dass ein Fall des common mistake hinsichtlich eines elementaren Umstands vorliege, der die Vertragsdurchführung unmöglich mache, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob dieser common mistake tatsächlich bestehe. Um die mögliche Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung zu beurteilen, bezieht sich Lord Phillips auf den von Dipplock LJ beschriebenen Test: „Every synallagmatic contract contains in it the seeds of the problem: in what event will a party be relieved of his undertaking to do that which he has agreed to do but has not yet done? […] The test whether an event has this effect or not has been stated in a number of metaphors all of which I think amount to the same thing: does the occurrence of the event deprive the party who has further undertakings still to perform of substantially the whole benefit which it was the intention of the parties as expressed in the contract that he should obtain as the consideration for performing those undertakings?”329

Nachdem die Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung festgestellt wurde, obliegt es dem Gericht eine mögliche Garantieübernahme durch eine Partei durch Auslegung zu ermitteln: „Once the court determines that unforeseen circumstances have, indeed, resulted in the contract being impossible of performance, it is next necessary to determine whether, on true construction of the contract, one or other party has undertaken responsibility for the subsistence of the assumed state of affairs.”330

Während im Rahmen von The Great Peace schon keine Unmöglichkeit festgestellt wurde331, zeigt sich dennoch deutlich die Bedeutung der Auslegung

328

The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 82. Hongkong Fir Shipping Co Ltd v. Kawasaki Kisen Kaisha Ltd [1962] 2 Q.B. 26, 65; The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 82. 330 The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 84. 331 Das u.a. vorgebrachte Argument der Verteidigung, dass die Distanz zu groß sei und daher der objektiv angewandte Test des common mistake zu dem Ergebnis führen müsse, dass der ursprüngliche Vertragszweck nicht erfüllbar, daher abgewandelt wurde und nicht mehr dem entspreche, was die Parteien ursprünglich verhandelt hätten, fand beim Court of Appeal kein Gehör; zwar befand sich die Great Peace tatsächlich deutlich weiter entfernt als beide Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses annahmen, allerdings sah der 329

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im Hinblick auf den common mistake. Wie im deutschen Recht auch geht die Auslegung der möglichen Feststellung eines common mistake vor, da nur auf Basis des durch Auslegung ermittelten Vertragsinhalts überhaupt die Voraussetzungen für das Vorliegen des common mistakes überprüft werden können. In Kyle Bay (trading as Astonts Nightclub) v. Underwriters Subscribing Under Policy 019057/08/01 stellte Neuberger LJ jedoch fest, dass beide Arten von Test des common mistake letztlich nur zwei Seiten einer Medaille darstellen332. Dies macht zunächst stutzig, scheinen die in The Great Peace ausgeführten Voraussetzungen doch zunächst deutlich komplexer und schwerer zu erfüllen als eine bloße erhebliche Abweichung von Vertragsinhalt und gemeinsamen subjektiven Willen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass lediglich die Frage, ob eine Partei eine Garantie bzw. das Risiko für das Nichtbestehen eines Umstands übernommen oder ob eine Partei die Unmöglichkeit verschuldet hat, einen Unterschied darstellt. Während das Verschulden der Unmöglichkeit freilich vom Vertrag unabhängig beurteilt werden muss, kommt es bei der Beurteilung, ob eine Garantie oder Risikoübernahme durch eine Partei abgegeben wude, lediglich auf die Auslegung des Vertrags selbst an. Gemäß der Tatsache, dass die Gerichte einen Vertrag lieber aufrechterhalten statt nichtig erklären wollen333, sind die Voraussetzungen in keinem Fall leicht zu erfüllen. Eindeutig sind jedoch solche Fälle, in denen die Erfüllung physisch unmöglich ist und der Vertragsgegenstand zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht mehr existierte. Wurde die von A an B zu verkaufende Gitarre den Parteien unbekannterweise und von diesen unverschuldet vor Vertragsschluss zerstört, liegt ein common mistake vor und der Vertrag ist nichtig. Doch auch in Fällen, in denen die Übertragung eines Grundstücks

Court of Appeal darin kein Indiz für eine tatsächliche Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung, The Great Peace [2003] Q.B. 679, 683, Rn. 165. 332 „Indeed, I suspect that ultimately, the two approaches may essentially amount to the same thing.”, Kyle Bay (trading as Astonts Nightclub) v. Underwriters Subscribing Under Policy 019057/08/01 [2007] 1 C.L.C. 164, Rn. 24; Neuberger LJ bezog sich hierbei zwar nicht konkret auf den von Lord Atkin in Bell v. Lever Bros Ltd beschriebenen Test, sondern auf den zwischenzeitlich von Steyn J in Associated Japanese Bank (International Ltd v. Crédit du Nord S.A. [1989] 1 WLR 255 wiederum neu formulierten Test: “the mistake must render the subject matter of the contract essentially and radically different from the subject matter which the parties believed to exist”, [1989] 1 WLR 255, 268. Dabei wurde die ursprüngliche Aussage Lord Atkin’s jedoch im Wesentlichen beibehalten, die sich ebenfalls auf die elementare Abweichung von Vertragsinhalt und übereinstimmenden subjektiven Willen bezog: „the mistake […] which makes the thing without the quality essentially different from the thing as it was believed to be.“, Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 218, siehe hierzu oben § 3 II. 1. b); siehe auch Cartwright, 15–23. 333 „The first imperative must be that the law ought to uphold rather than destroy apparent contracts.”, Associated Japanese Bank (International Ltd v. Crédit du Nord S.A. [1989] 1 WLR 255, 268.

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aufgrund einer fehlenden Berechtigung des Veräußerers334 nicht möglich ist, kann der Vertrag auf Basis eines common mistake nichtig sein. Selbst ein Rechtsirrtum kann zur Nichtigkeit führen335. Handfeste Kriterien lassen sich jedoch kaum finden, hängt die Frage, ob tatsächlich eine Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung oder eine erhebliche Abweichung von Vertragsinhalt und gemeinsamen subjektiven Willen vorliegt, doch stets von der Auslegung des Vertrags im Einzelfall ab336. Betrachtet man das Verständnis des common mistake in der Gesamtschau, überrascht die Auffassung des englischen Rechts zunächst. Wo das strikte Aufrechterhalten des Vertrags als stete Maxime angeführt wurde, wird die Nichtigkeit im Falle des erheblichen Abweichens des Vertragsinhalts vom gemeinsamen subjektiven Willen bzw. des Gewollten der Parteien bejaht. Gleichzeitig reiht sich diese Auffassung jedoch in die bekannten Auslegungsgrundsätze und das damit einhergehende Vertragsverständnis ein. Zum einen wurde die Neuorientierung des englischen Rechts nach ICS v. WBBS im Hinblick auf die Bedeutung der intention der Parteien aufgezeigt, zum anderen die Möglichkeit der rectification im Falle eines common mistake betrachtet. Trotz starkem Bedürfnis, einen Vertrag grundlegend aufrechtzuerhalten, ist freilich kein Interesse gegeben, die Parteien an einem Inhalt festzuhalten, der elementar vom übereinstimmend (!) ursprünglich Gewollten abweicht 337. 3. Rechtsfolgen eines common mistake Auch bei Vorliegen eines mistake nullifying consent in Form eines common mistake, gilt es zwischen den Rechtsfolgen in common law und equity zu unterscheiden. a) Rechtsfolgen im common law Im common law gilt bei Vorliegen eines common mistake der Grundsatz, dass ein darauf basierender Vertrag nichtig ist, solange die Auslegung nicht ergibt, dass eine oder beide Parteien trotz common mistake an den Vertrag gebunden

334

Bell v. Lever Bros Ltd [1932] AC 161, 218; Cooper v. Phibs (1867) L.R. 2 H.L. 149; Cartwright, 15–26. 335 „The common mistake of the parties in believing that the chalet was capable of being sold separately from the land was a mistake so fundamental that it led necessarily to the conclusion that the agreement to sell the chalet was void;”, Nutt v. Read (2000) 32 H.L.R. 761, Rn. 2. 336 Vgl. Peel, 8–004. 337 Vgl. im Hinblick auf die Wortlautkorrektur im Rahmen der Auslegung: „[…] the law does not require judges to attribute to the parties an intention which they plainly could not have had.”, ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913.

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sein wollen 338. Kommt eine Auslegung nicht zu einem entsprechenden Ergebnis, gilt der Vertrag ab initio als nichtig339. b) Rechtsfolgen in der equity-Rechtsprechung Verträge, die unter einem common mistake geschlossen wurden, der unter common law jedoch nicht erheblich genug war, um den Vertrag selbst für nichtig erklären zu lassen, konnten unter Umständen von equity Gerichten sogar vollständig aufgehoben werden340. Den lange Zeit richtungsweisenden Fall stellte dabei Solle v. Butcher341 dar, in dem die Parteien einen Mietvertrag über eine Wohnung abschlossen342. Beide Vertragsparteien gingen dabei davon aus, dass das Mietobjekt nicht an das Mietschutzgesetz gebunden sei und legten daher eine Jahresmiete i.H.v. 250 Pfund fest. Entgegen der beiderseitigen Annahme fiel die Wohnung jedoch unter den Rent and Mortgage Interest (Restrictions) Act, der eine Standardjahresmiete von 140 Pfund vorsah. Unter Berücksichtigung der an der Wohnung vorgenommenen Baumaßnahmen, hätte der Vermieter die Miete jedoch auf knapp 250 Pfund erhöhen können343. Der Kläger verlangte die Rückzahlung der zuviel gezahlten Miete u.a. auf Basis eines common mistake, der Beklagte die Auflösung des Vertrags. Der Court of Appeal stellte in seinem Urteil fest, dass beide Parteien demselben Irrtum unterlagen, nachdem die Wohnung nach ihrer Renovierung unter den Rent and Mortgage Interest (Restrictions) Act fiel und dementsprechend die Jahresmiete 140 Pfund betragen müsste 344. Obwohl der Mietvertrag gemäß common law wirksam war, konnte er in der equity unter bestimmten Voraussetzungen aufgelöst werden: „A contract is also liable in equity to be set aside if the parties were under a common misapprehension either as to facts or as to their relative and respective rights, provided that the misapprehension was fundamental and that the party seeking to set it aside was not himself at fault.”345

Der Kläger sollte sich entscheiden, ob er die Auflösung akzeptieren oder einen neuen Mietvertrag mit einer Miete von 250 Pfund beanspruchen wolle 346 . Die Problematik einer unterschiedlichen Auffassung und der damit verbundenen unterschiedlichen Rechtsfolgen eines common mistake zwischen 338 Associated Japanese Bank (International) Ltd v. Crédit du Nord SA [1989] 1 WLR 255, 265; Burrows/McKendrick, 8.136; 339 Chitty/Beale, 5–009; Zweigert/Kötz, Comparative Law, S. 421. 340 Peel, 8–027. 341 [1950] 1 K.B. 671. 342 Siehe hierzu und zum Folgenden auch Peel, 8–027. 343 Die vereinbarte Miete und die mögliche Miete deckten sich daher nahezu, es handelt sich tatsächlich in beiden Fällen um 250 Pfund. 344 Solle v. Butcher [1950] 1 K.B. 671, 672. 345 Solle v. Butcher [1950] 1 K.B. 671, 693; Chitty/Beale, 5–058. 346 Solle v. Butcher [1950] 1 K.B. 671, 697; vgl. Chitty/Beale, 5–058.

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

common law und equity bestand im Wesentlichen bis zur The Great Peace Entscheidung. Im Rahmen dieser wurde – neben einer Neuformulierung des Bell v. Lever Bros Ltd entsammenden common mistake Tests – die Möglichkeit der Auflösung eines Vertrags in der equity, der unter common law gültig wäre, aufgehoben 347 . Dadurch wurde die Rechtsunsicherheit, die durch die unterschiedliche Handhabung des common mistake über die Jahre hinweg entstanden war, weitestgehend beseitigt und eine einheitliche Handhabung geschaffen348. Die Literatur vermutet jedoch, dass, wie im Falle der unilateral mistakes, die Klage auf Vertragserfüllung in Zukunft evtl. auch in den Fällen des common mistake häufiger abgewiesen werden könnte 349. Diese Einrede könne dann erhoben werden, wenn ein common mistake zwar vorliegen würde, dieser aber nicht ausreicht, um einen Vertrag für nichtig zu erklären. Grundsätzlich besteht diese Möglichkeit in der Theorie, allerdings sind die beispielhaft von der Literatur aufgeführten Fälle weit von einem Anspruch auf Aktualität entfernt und können daher kaum dienen, dieses Argument zu untermauern350. Ist ein common mistake daher nicht erheblich genug um den Vertrag für nichtig zu erklären, bleiben die Parteien letztlich an den ursprünglichen Vertragsinhalt gebunden. Die Möglichkeit der rectification im Falle eines schriftlichen Vertrags steht ihnen jedoch offen 351. IV. Zusammenfassung Der Umgang mit Irrtümern im englischen Recht, egal ob unilateral, mutual oder common mistake, scheint auf den ersten Blick kompliziert und kaum durchdringbar. Die Aussage „The law relating to the impact of a mistake on the validity of a contract is in a mess“ 352, scheint durchaus nachvollziehbar. Allerdings zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass sich das Irrtumsrecht und der dabei inhärente Umgang mit Einigungsmängeln auf einige wenige Grundsätze reduzieren lässt. In beiden großen Untergruppen des mistake, den mistake negativing consent und mistake nullifying consent, hängt die Rechtswirkung davon ab, dass ein mistake als fundamental, also erheblich gilt. Die Erheblichkeit wird jedoch im jeweiligen Einzelfall beurteilt. Wie bei der Auslegung auch, wird dabei die stark objektive Ausrichtung bzw. das objektive Vertragsverständnis deutlich. Dazu zählt das Bedürfnis, Verträge grund347

The Great Peace [2003] Q.B. 689, Rn. 161; Peel, 8–029; Chitty/Beale, 5–057. Peel, 8–030. 349 So Peel, 8–031; Chitty/Beale, 5–063. 350 So z.B. Tamplin v. James (1879) 15 Ch D 215 in Chitty/Beale, 5–063; der von Peel aufgeführte Fall Heath v. Heath [2009] EWHC 1908 (Ch) bezieht sich nicht auf einen common mistake, da das Gericht vielmehr eine misrepresentation anerkannt hat, Peel, 8– 031. 351 Siehe hierzu oben § 3 II. 4. 352 McKendrick, S. 515; siehe zur rechtsgeschichtlichen Entwicklung des mistake Begriffs Macmillan, S. 1 ff. 348

§ 8 Dissens und Irrtum im englischen Recht

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sätzlich aufrecht zu erhalten und nur in Ausnahmefällen für nichtig zu erklären353. Dies spiegelt sich in allen erläuterten Fällen und Argumentationen der Gerichte wider. Zudem spielt die Auslegung der einzelnen Erklärungen der Parteien in beiden Untergruppen eine erhebliche Rolle. Mistake negativing consent führen im common law nur dann zur Nichtigkeit des Vertrags, wenn ein vollständiger Einigungsmangel hinsichtlich eines elementaren Vertragsbestandteils vorliegt, eine Partei den Irrtum der anderen Partei kennt oder wenn eine Partei den Irrtum fahrlässig verursacht hat. Der Fall des vollständigen Einigungsmangels, der mutual mistake, lässt sich aus deutscher Sicht entweder als Totaldissens oder als versteckter Dissens verstehen. Dabei wird die Verzahnung zwischen dem Umgang mit Irrtümern und dem Umgang mit Einigungsmängeln deutlich. In beiden Fallgruppen spielt letztlich die Auslegung und die Anwendung des objective-principle die entscheidende Rolle. Selbst wenn ein fundamental mistake einer Partei vorliegt, sie sich z.B. beim Abschluss eines Kaufvertrags verspricht, wird ein Konsens zwar verhindert, der Vertrag gem. dem objective-principle aber dennoch als gültig angesehen. Solange die Auslegung aus Sicht einer reasonable person ergibt, dass der Erklärende [x] erklären wollte und der Erklärungsempfänger dies geglaubt hat, gilt die Erklärung mit dem Sinn [x] und der Irrende ist an einen mit entsprechendem Inhalt entstandenen Vertrag gebunden354. In Fällen in denen die Vertragsdurchführung eine ungebührliche Härte für den Irrenden mit sich bringen würde, kann die equity eine solche zwar ablehnen. Allerdings kann ein derartiger Vertrag nicht für nichtig erklärt werden. Nur wenn ein mistake als fundamental gilt und das objective-principle keine Anwendung findet, so z.B. dann, wenn die andere Partei den Irrtum kannte, gilt ein Vertrag als nichtig. Im Falle der mistake nullifying consent, bei denen Parteien dem selben Irrtum unterliegen und somit ein common mistake vorliegt, ist zunächst der Vertragsgegenstand bzw. der Vertragszweck durch Auslegung zu ermitteln 355. Wurde die Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung anschließend festgestellt, ist in einem erneuten Auslegungsschritt zu bewerten, ob eine Partei eine Garantie für das Bestehen des Vertragsgegenstands bzw. für die Durchführung des Vertragszwecks abgegeben hat. Liegt eine solche Garantie nicht vor, gilt der Vertrag aufgrund eines common mistake als nichtig356. 353

Vgl. nur die Aussage Steyn J’s: „The first imperative must be that the law ought to uphold rather than destroy apparent contracts.”, Associated Japanese Bank (International Ltd v. Crédit du Nord S.A. [1989] 1 WLR 255, 268. 354 Cartwright, 13–29. 355 Vgl. Peel, 8–003. 356 Siehe als erneutes Beispiel Griffith v. Brymer (1903) 19 T.L.R. 434: Die Vertragsparteien schlossen einen Mietvertrag über ein Zimmer, von dessen Balkon aus die Krönungsparade für König Edward VII zu beobachten gewesen wäre. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Parade den Vertragsparteien unbekannterweise jedoch verschoben worden. Dadurch, dass das Zimmer jedoch gemietet wurde, um die Parade beobachten

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich § 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

Die unterschiedlichen Ausrichtungen beider Rechtssysteme hinsichtlich des Umgangs mit Einigungsmängeln und Irrtümern einer oder beider Vertragsparteien wurden bereits im Rahmen der jeweiligen Ausführungen deutlich. Während das deutsche Recht für die Fälle des Einigungsmangels explizit die Begriffe des Dissenses und seiner Unterfälle kennt, verortet das englische Recht die Problematik in dem Bereich des Irrtumsrechts. Allerdings stellt dies möglicherweise schon den größten Unterschied beider Rechtsordnungen dar, hängt die Feststellung eines Einigungsmangels doch im Wesentlichen von der Auslegung ab. Diese unterscheidet sich, wie im ersten Kapitel gezeigt, in der Praxis jedoch weniger deutlich, als man vermuten möchte. Im Umgang mit Irrtümern dürften sich deutlichere Unterschiede aufzeigen. Das deutsche Recht mit seiner verhältnismäßig stark subjektiven Ausrichtung, welches einer Vertragspartei ein Anfechtungsrecht auf Basis eines Irrtums gewährt 357 , steht dem englischen mit seiner strikt objektiven Ausrichtung gegenüber, die nur in äußersten Ausnahmefällen zur Nichtigkeit eines Vertrags führt. Beide Problematiken, der Umgang mit Einigungsmäneln sowie der Umgang mit Irrtümern, soll im Folgenden miteinander verglichen werden. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass sich die entscheidenden Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen vor allem im Irrtumsrecht zeigen und zugleich daher das Vorurteil, das deutsche Recht verfolge einen im Vergleich zum englischen Recht stark subjektiven Ansatz, herrührt. I. Der Dissens im deutschen und englischen Recht im Vergleich Wie bereits im Rahmen des Vergleichs zur Auslegung gezeigt, unterscheidet sich das Konsensverständnis des deutschen und englischen Rechts grundlegend hinsichtlich der Bedeutung des subjektiven Willens der Vertragsparteien358. An dieser Stelle gilt es nun Unterschiede hinsichtlich des Vorliegens und der Auswirkungen von Einigungsmängeln festzustellen und zu bewerten.

zu können, hielt Wright J den Vertrag auf Basis eines common mistake für nichtig, da der Vertragszweck unerfüllbar geworden ist: „The agreement was made on the supposition by both parties that nothing had happened which made performance impossible. This was a missupposition of the state of facts which went to the whole root of the matter. The contract was therefore void, and the plaintiff was entitled to recover his £100.”, Griffith v. Brymer (1903) 19 T.L.R. 434; vgl. auch Peel, 8–003. 357 Freilich mit entsprechenden Ausnahmen und unter entsprechenden Voraussetzungen. 358 Siehe oben § 4 I., II.

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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1. Deutsches Recht Das deutsche Recht unterscheidet zwischen dem nicht explizit geregelten Fall des Totaldissenses sowie den Fällen des offenen und versteckten Dissenses gem. §§ 154, 155 BGB. Letztere Fälle betreffen ausschließlich Nebenpunkte, accidentalia negotii, der Fall des Totaldissens hingegen Hauptpunkte, essentialia negotii eines Vertrags 359 . Liegt ein Dissens hinsichtlich essentialia negotii vor, kann unter keinen Umständen ein Vertragsschluss angenommen werden. Ein Dissens über essentialia negotii liegt jedoch nicht vor, wenn sich z.B. der Kaufpreis über einen im Kaufvertrag festgelegten Mechanismus bestimmen lässt 360 . In den Fällen des Dissenses über accidentalia negotii hingegen, kann unter den jeweiligen Voraussetzungen der §§ 154, 155 BGB dennoch ein Vertragsschluss bejaht werden. Ein Totaldissens liegt dann vor, wenn sich weder subjektive Willen noch objektive Erklärungen decken, also weder ein innerer noch ein äußerer, normativer Konsens bzgl. der essentialia negotii vorliegt361. Der offene Dissens gem. § 154 BGB verhindert dann einen Vertragsschluss, wenn ein Vertragspunkt offen gelassen wurde, der durch zumindest eine Partei zu sog. subjektiven essentialia erklärt wurde362. Dabei muss diese „Erheblichkeitsankündigung“ jedoch nicht explizit erfolgen. Vielmehr erfolgt eine Auslegung der Erklärung unter Berücksichtigung der Begleitumstände, insbesondere der Vorverhandlungen, sodass bereits ein schlüssiges Verhalten der betreffenden Partei ausreichen kann, um eine entsprechende Erheblichkeit eines Vertragspunktes zu bejahen 363. Der subjektive Wille einer Partei findet demnach im Rahmen des offenen Dissenses insofern Berücksichtigung, als dass durch die allgemeinen Auslegungsprinzipien ermittelt wird, ob ein offengelassener Vertragspunkt für eine Partei derart erheblich war, dass aufgrund dessen ein Vertragsschluss gem. § 154 BGB verneint werden muss. Ein versteckter Dissens im Sinne des § 155 BGB liegt dann vor, wenn die Parteien geglaubt haben, dass über einen bestimmten Vertragspunkt Einigung bestand, sie sich tatsächlich jedoch nicht geeinigt haben364. Der Vertrag war also unbewusst unvollständig oder es wurde ein mehrdeutiger Ausdruck verwendet, dem jede Partei eine andere Bedeutung zumaß. Um einen Vertragsschluss zu bejahen kommt es darauf an, ob die Parteien den Vertrag auch dann geschlossen hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass tatsächlich keine Einigung bestand. Auch hier finden die allgemeinen Auslegungsregeln Anwendung, um diese mögliche gemeinsame Intention der Vertragsparteien zu ermitteln. 359

Siehe hierzu oben § 6 I. Siehe oben § 6 II. 2. 361 Wolf/Neuner, § 38, Rn. 1. 362 Siehe hierzu oben § 6 II. 363 Siehe hierzu oben § 6 II. 364 Siehe hierzu oben § 6 III. 360

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

2. Englisches Recht Das englische Recht unterscheidet hingegen nicht explizit zwischen essentialia und accidentalia negotii und kategorisiert die Einigungsmängel daher auch nicht in einer mit dem deutschen Recht vergleichbaren Weise. Einerseits besteht die Möglichkeit, selbst elementare Vertragsbestandteile, wie z.B. den Kaufpreis, im Rahmen des Vertragsschlusses zunächst offen zu lassen und durch spätere Vereinbarungen festzulegen, wenn das der Intention der Parteien entspricht365. Andererseits gilt ein Vertrag in manchen Fällen selbst dann als nicht geschlossen, wenn vertragliche Nebenpunkte ungeregelt blieben. Letzteres gilt jedoch nur dann, wenn der Wortlaut des Vertragstextes bzw. der Erklärungen und andere Begleitumstände einen Rückschluss darauf zulassen, dass sich die Parteien solange nicht vertraglich binden wollten, bis keine Einigung über einen entsprechenden Vertragspunkt erzielt wurde 366. Im Falle des mutual mistake wird ein Vertragsschluss dann verneint, wenn keine Partei hinsichtlich des Vertragsgegenstands eine Übereinstimmung der objektiven Erklärungsbedeutungen zu ihren Gunsten nachweisen kann oder der Wortlaut eines Vertrags oder der Erklärungen derart mehrdeutig ist, dass aus Sicht einer reasonable person keine eindeutige Auslegung erfolgen kann367. Im Falle des mutual mistake reden die Parteien „aneinander vorbei“. 3. Vergleich Auch wenn sich beide Rechtsordnungen aufgrund unterschiedlicher – oder nicht vorhandener, wie im englischen Recht – Kategorien hinsichtlich des Umgangs mit Einigungsmängeln schwer vergleichen lassen, zeigen sich in der Gesamtschau sowohl einige Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. a) Berücksichtigung der Intention zum Vertragsschluss der Parteien Beide Rechtsordnungen berücksichtigen die Intentionen der Parteien „in beide Richtungen“: Erklären die Vertragsparteien ausdrücklich oder durch ihr Verhalten, dass sie einen Vertragsschluss beabsichtigten, werden deutsche wie englische Gerichte einen Vertragsschluss auch bejahen. Deutliches Indiz für eine entsprechende Intention ist in beiden Rechtsordnungen eine begonnene Vertragsdurchführung durch die Parteien trotz unvollständiger Einigung. Erklärt eine Partei jedoch ausdrücklich oder verdeutlicht durch ihr Verhalten, dass sie einen Vertragspunkt für derart wichtig erachtet, dass sie

365

WN Hillas & Co Ltd v. Arcos Ltd (1932) 147 L.T. 503; siehe hierzu oben § 8 II. 2. c) bb) (2). 366 The Gladys [1994] 2 Lloyd’s Rep. 402; Peel, 2–092. 367 Siehe hierzu oben § 8 II. 2. c).

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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ohne seine Regelung keinen Vertrag schließen will, kommt bei einer fehlenden Einigung über diesen Punkt auch kein Vertrag zustande368. b) Fehlende Einigung über wesentliche Vertragsbestandteile Problematisch scheint der Vergleich hinsichtlich der Frage, ob auch wesentliche Vertragsteile offengelassen werden können. Grundsätzlich gilt im deutschen Recht, dass ein Vertrag bei einer fehlenden Einigung über essentialia negotii in aller Regel nicht zustandegekommen ist 369 . Lässt sich z.B. eine nicht vereinbarte Vergütung jedoch mittels gesetzlicher Regelungen bestimmen (z.B. durch §§ 612 II, 632 II BGB) oder wurde einer Partei ein Leistungsbestimmungsrecht zugeschrieben und konnte zudem ein entsprechender Bindungswille beider Parteien durch Auslegung ermittelt werden, kann in Einzelfällen ein Vertragsschluss angenommen werden 370. Die Annahme eines wirksamen Vertragsschlusses hängt somit davon ab, ob ein Bindungswille vorlag und ob sich die bestehende Regelungslücke durch Anwendung dispositiven Rechts oder ergänzende Vertragsauslegung schließen lässt 371 . Das englische Recht scheint einen ähnlichen Weg zu gehen, soweit sich überhaupt eine einheitliche Linie der Rechtsprechung erkennen lässt. Haben die Vertragsparteien einen wesentlichen Vertragspunkt offengelassen, egal ob bewusst oder unbewusst, gilt ein Vertrag grundsätzlich als nicht zustandegekommen. Lässt sich durch Auslegung jedoch ein dennoch vorliegender Bindungswille ermitteln und die Regelungslücke durch ein Gericht oder ergänzende Vertragsauslegung schließen, wird auch im Falle einer fehlenden Einigung über einen wesentlichen Vertragspunkt bejaht372. c) Fehlende Einigung über vertragliche Nebenpunkte In beiden Rechtsordnungen steht es den Parteien frei, einen vertraglichen Nebenpunkt für derart wesentlich – und somit zu subjektiven essentialia negotii – zu erklären, dass der Vertragsschluss von einer wirksamen Einigung über ebendiesen abhängt. Das deutsche Recht regelt diesen Fall explizit im Rahmen des § 154 Abs. 1 BGB. Die „Erheblichkeitsankündigung“ einer Partei hinsichtlich eines vertraglichen Nebenpunktes muss für die andere Partei jedoch erkennbar sein. Eine explizite Erklärung ist in beiden Rechtsordnungen nicht notwendig, vielmehr reicht auch schlüssiges Verhalten aus. Liegt keine Einigung über den für erheblich erklärten Vertragspunkt vor, gilt der Vertrag als nicht zustande gekommen. Die Beweispflicht für die Behauptung, 368

Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 327. BGH NJW-RR 1998, 1747. 370 Schulze/Dörner, § 154 BGB, Rn. 2. 371 BGH NJW 1964, 1617, 1618; NZM 2002, 171, 172; NJW-RR 1992, 517 ff.; NJW 1997, 2671, 2672. 372 Peel, 2–093. 369

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

eine Einigung über einen für erheblich erklärten Vertragspunkt liege nicht vor, liegt im deutschen wie im englischen Recht auf Seiten der behauptenden Partei. Ein Gegenindiz für eine solche Behauptung bildet in beiden Rechtsordnungen u.a. die begonnene Vertragsdurchführung 373 . Auch im Umgang mit versteckten Einigungsmängeln, unterscheiden sich deutsches und englisches Recht kaum. Lag keine Erheblichkeitsankündigung vor und nahmen die fälschlicherweise Parteien an, sich über einen vertraglichen Nebenpunkt geeinigt zu haben, gilt es durch Auslegung zu ermitteln, ob die Parteien den Vertrag trotz fehlender Einigung dennoch schließen wollten. Wie im Falle einer behaupteten fehlenden Einigung im Rahmen einer möglichen Erheblichkeitsankündigung, spricht die begonnene Vertragsdurchführung in beiden Rechtsordnungen für einen hypothetischen Willen, den Vertrag trotz fehlender Einigung schließen zu wollen. 4. Zusammenfassung Auch wenn deutsches und englisches Recht eine gänzlich unterschiedliche Auffassung bezüglich der Bedeutung des subjektiven Willens für das Zustandekommen eines Vertrags haben374, besteht erhebliche Ähnlichkeit hinsichtlich der Handhabung der Fälle von Einigungsmängeln. Ein Vertrag gilt in beiden Rechtsordnungen im Zweifel als nicht geschlossen, solange nicht über alle Vertragspunkte, über die laut mindestens einer Partei eine Einigung erzielt werden sollte, geregelt wurden. Dazu ist eine „Erheblichkeitsankündigung“ notwendig, die jedoch nicht ausdrücklich erfolgen muss. Vielmehr genügt ein entsprechend schlüssiges Verhalten einer Partei. Beide Rechtsordnungen ermöglichen in Ausnahmefällen selbst dann einen Vertragsschluss, wenn wesentliche Vertragsbestandteile ungeregelt geblieben sind. Diese müssen sich aber durch Gesetzesrecht bzw. ergänzende Vertragsauslegung oder nach von den Parteien festgelegten Mechanismen bestimmen lassen. Diese Ausnahme wird in beiden Rechtsordnungen jedoch tendentiell restriktiv angewandt. Hauptaufgabe ist es in allen Fällen, durch Auslegung eine Intention der Parteien hinsichtlich eines Vertragsschlusses, respektive einen Bindungswillen, trotz unvollständiger Einigung festzustellen. Vom Inhalt dieses Bindungswillens hängt der Vertragsschluss ab. Lässt sich kein Bindungswille bei einem unvollständigen Vertrag feststellen, gilt der Vertrag als nicht geschlossen. Dabei gilt jedoch im deutschen wie englischen Recht, dass die Beweislast für die Behauptung, es läge keine Einigung vor, auf Seiten der behauptenden Partei liegt. Eine begonnene Vertragsdurchführung bildet in beiden Rechtsordnungen ein gewichtiges Gegenindiz. Auch wenn die ähnli373

Wolf/Neuner, § 38, Rn. 9; Soergel/Wolf, § 154 BGB, Rn. 7; MüKo/Busche, § 154 BGB, Rn. 6; BGH NJW 1993, 64; 2002, 817; Foley v. Clasique Coaches Ltd [1934] 2 K.B. 1; Beale/Fauvarque-Cosson/Rutgers/Tallon/Vogenauer, S. 323. 374 Siehe oben § 5 I., II.

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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che Handhabung zunächst überrascht, lässt sich eine Begründung für das geringe Ausmaß der praktischen Unterschiede zwischen deutschem und englischem Recht hinsichtlich des Umgangs mit Einigungsmängeln rasch finden. Letztlich spielt die Auslegung der Erklärungen der Parteien die entscheidende Rolle um festzustellen, ob eine vertragliche Einigung vorlag oder nicht. Dass die unterschiedlichen Auslegungsgrund- und Ansätze sich in der Theorie zwar deutlich, in der Praxis jedoch kaum unterscheiden, wirkt sich daher auch im Bereich der Einigungsmängel aus. II. Das Irrtumsrecht des deutschen und englischen Rechts im Vergleich Dass sich die Herangehensweise beider Rechtsordnungen an den Umgang mit Irrtümern grundlegend unterscheidet, wurde bereits erwähnt. Im Folgenden sollen die nahezu völlig gegensätzlichen Tendenzen des deutschen und englischen auf die praktische Relevanz untersucht werden. Zunächst sollen jedoch kurz die dogmatischen Unterschiede aufgezeigt werden, bevor im Anschluss der Umgang mit den unterschiedlichen Irrtumsarten verglichen wird. 1. Dogmatische Unterschiede des Irrtumsrechts im deutschen und englischen Recht Die Unterschiede beider Rechtssysteme zeigen sich bereits in Form des völlig verschiedenen Begriffsverständnisses des Irrtumsrechts und der Kategorisierung von Irrtümern. Die Konzeptionen unterscheiden sich grundlegend. Erklärt A statt [x] irrtümlich [y] gegenüber B, kommt es in beiden Rechtsordnungen gemäß den jeweiligen Auslegungsgrundsätzen darauf an, ob B den richtigen Willen des A erkannt hat. Hat B den richtigen Willen erkannt, kommt im deutschen Recht ein Vertrag mit Inhalt [x] zustande. Im englischen Recht wird ein Vertragsschluss jedoch verneint. Erkennt B den richtigen Willen jedoch nicht und hätte er dies aus Sicht eines objektiven Dritten bzw. einer reasonable person nicht tun müssen, kommt ein Vertrag mit Inhalt [y] zustande. Das deutsche Recht bejaht zunächst einen wirksamen Vertrag mit Inhalt [y], ermöglicht dem Irrenden jedoch die Anfechtung seiner Willenserklärung aufgrund des Irrtums, der entweder bei der Willensbildung selbst (Eigenschaftsirrtum) oder bei der Objektivierung des Willens (Erklärungsund Inhaltsirrtum) entstanden sein kann. Der Vertrag wird ex tunc für nichtig erklärt und der Anfechtende macht sich gemäß § 122 BGB entsprechend eines möglicherweise entstandenen Vertrauensschadens ersatzpflichtig. Das englische Recht eröffnet einem Irrenden eine vergleichbare Möglichkeit nur in Ausnahmefällen und auch nur dann, wenn der Irrtum objektiv erheblich war. Ein rein subjektiver Irrtum spielt für das Zustandekommen eines Vertrags keine Rolle und eröffnet auch keine Möglichkeit, einen solchen entspre-

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

chend dem tatsächlichen Willen anzupassen375. Lediglich der objektiven Bedeutung der Erklärung kommt eine tragende Rolle zu. Diese Bedeutung wird der Erklärung mittels Auslegung beigemessen. Ergibt die Auslegung Sinn [y], obwohl der Erklärende [x] erklären wollte, bleibt er an [y] gebunden. Das eben erläuterte Beispiel stellt jedoch nur einen Fall eines einseitigen bzw. unilateral mistake dar. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Irrtumskategorien bzw. ihre entsprechenden Pendants zugeordnet und miteinander verglichen werden. 2. Die unterschiedlichen Irrtumsarten im Vergleich a) Der einseitige unerkannte Irrtum Die Fälle des § 119 BGB, die eine Vertragspartei auf Basis eines einseitigen unerkannten Irrtums zur Anfechtung ihrer Willenserklärung berechtigen sowie die Fälle des unilateral mistake, sollen im Folgenden miteinander verglichen werden. Der Vergleich fällt dabei zwangsweise verhältnismäßig kurz aus. Das deutsche Recht gewährt einer Partei im Falle des § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB ein Anfechtungsrecht, wenn sie über den Inhalt ihrer Erklärung im Irrtum war. Dieser Irrtum entsteht dann, wenn die Partei ihren subjektiven Willen so erklärt hat, wie sie es ihrer Vorstellung nach tun wollte, ihrer Erklärung durch die normative Auslegung allerdings ein anderer Sinn beigemessen wurde; es besteht eine Diskrepanz zwischen erklärten subjektiven Willen und normativer Erklärungsbedeutung. Ebenfalls besteht ein Anfechtungsrecht im Falle des Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB, wenn eine Partei ihren subjektiven Willen durch Versprechen, Verschreiben, Vergreifen oder Vertippen 376 falsch zum Ausdruck bringt. Die Diskrepanz besteht hier schon zwischen subjektivem Willen und objektiver Erklärung377. Schließlich besteht ein Anfechtungsrecht im Falle des Eigenschaftsirrtums gem. § 119 Abs. 2 BGB, bei dem sich eine Partei über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertragsgegenstands oder des Vertragspartners irrt. Unter der weiteren Voraussetzung der subjektiven Erheblichkeit der jeweiligen Irrtümer 378 steht der irrenden Vertragspartei ein Anfechtungsrecht zu, welches gem. § 142 BGB zur ex tunc-Nichtigkeit des Vertrags führt. Die Basis für die Feststellung, ob überhaupt ein Irrtum vorliegt bzw. ob dieser tatsächlich erheblich ist, stellt in allen Fällen die Auslegung der relevanten Erklärung bzw. des 375 Die Ausnahme stellt hierbei freilich die rectification dar, bei der jedoch beide Vertragsparteien einen übereinstimmenden subjektiven Willen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses hatten. 376 Soergel/Hefermehl, § 119 BGB, Rn. 11. 377 Damit aber freilich auch zwischen subjektiven Willen und normativer Erklärungsbedeutung. 378 Siehe hierzu oben § 7 V. 1.

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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Vertrags dar. Kommt durch die Auslegung der irrtumsbehafteten Willenserklärung der wirkliche Wille der irrenden Partei zu Tage, gilt dieser und dem Irrtum kommt keine Bedeutung zu. Derartige Konstellationen spielen jedoch in der Fallgruppe des einseitig erkannten Irrtums eine entscheidende Rolle und sollen daher an entsprechender Stelle behandelt werden 379 . Bleibt der Irrtum jedoch unerkannt und kommt ein Vertrag mit dem von der irrenden Partei ungewollten Inhalt zustande, steht ihr ein Anfechtungsrecht und damit die Möglichkeit, vertragliche Pflichten zu vermeiden, zu. Dieses Anfechtungsrecht steht der irrenden Partei jedoch nur in den Fällen eines Inhalts-, Erklärungs- und Eigenschaftsirrtums zu. Das englische Recht bewertet die Fälle des einseitig unerkannten Irrtums grundlegend anders. Es kommt lediglich auf die objektive Erklärungsbedeutung an: Ergibt die Auslegung einer Erklärung oder eines Vertrags gemäß des objective-test einen bestimmten Erklärungssinn, muss sich eine irrtümlich erklärende Vertragspartei daran festhalten lassen. Dies gilt freilich ebenfalls unter dem Vorbehalt, dass die andere Vertragspartei den wirklich gewollten – subjektiven – Erklärungssinn nicht erkannt hat oder erkennen hätte müssen. Eine Abweichung zwischen subjektiven Willen und durch Auslegung ermittelten Erklärungssinn eröffnet einer Vertragspartei im Falle eines einseitigen Irrtums jedoch grundsätzlich keine Anfechtungsmöglichkeit. Zwar kann ein mistake einen Konsens verhindern, was jedoch nicht zwangsweise die Nichtigkeit nach sich zieht. Nur wenn der objective-test nicht greift bzw. die objektive Auslegung versagt, kann ein unilateral mistake die Nichtigkeit nach sich ziehen. Dies gilt im bereits erwähnten Fall, in dem eine Gegenpartei den Irrtum erkennt, in dem Fall oder in dem der Irrtum durch die andere Partei hervorgerufen wurde. Zudem liegt eine Nichtigkeit dann vor, wenn die Auslegung der relevanten Erklärungen keinen objektiven Konsens hervorbringt und damit der Fall eines Dissenses vorliegt380. Die equity ermöglicht zudem im Rahmen enger Voraussetzungen, wie der Unzumutbarkeit der Vertragsdurchführung für die irrende Partei, die Abweisung einer Erfüllungsklage. Der Unterschied beider Rechtsordnungen hinsichtlich des Umgangs mit einseitigen unerkannten Irrtümern zeigt sich also eindeutig: Einem subjektiven Anfechtungsrecht steht ein objektives Auslegungsprinzip gegenüber, das – freilich mit Ausnahmen in Form entsprechend subjektiv orientierter Auslegungsgrundsätze – den subjektiven Willen einer irrenden Vertragspartei nicht berücksichtigt.

379 380

Siehe hierzu unten § 9 II. 2. a). Burrows/McKendrick, 8.146.

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

b) Der Fall des einseitigen erkannten Irrtums Geringere theoretische Differenzen zwischen beiden Rechtsordnungen zeigen sich im Falle des einseitigen erkannten Irrtums. In den Fällen des Erklärungsund Inhaltsirrtums des deutschen Recht gilt generell, dass im Falle eines durch die andere Vertragspartei erkannten Irrtums, der tatsächliche Wille der irrenden Partei gilt. Es gelten dem Wesen nach dieselben Wertungsgrundsätze wie beim Fall der falsa demonstratio381. Gleichzeitig ist im Falle des erkannten Irrtums jedoch das Anfechtungsrecht der irrenden Partei ausgeschlossen. Im englischen Recht gilt, ebenfalls nach bekannten Auslegungsgrundsätzen sowie des objective-test, dass ein erkannter Irrtum die irrende Partei nicht binden kann382. Dies gilt jedoch nicht für Fälle, in denen ein Irrtum hinsichtlich einer Eigenschaft oder des Wesens des Vertragsgegenstands vorliegt. Diese, am ehesten wohl als Motivirrtümer zu beschreibenden Fälle, verhindern einen Konsens in keinem Fall und führen auch nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, da sie nicht als erheblich gelten 383. Die praktische Konsequenz eines erkannten Irrtums ist jedoch eine andere: Wo das deutsche Recht die irrende Partei an ihren tatsächlichen subjektiven Willen bindet und das Anfechtungsrecht ausschließt, gilt ein Vertrag im Falle eines erkannten unilateral mistake im englischen Recht als nichtig384. Die Rechtsfolgen sind demnach völlig gegensätzlich. Interessant ist dabei vor allem jedoch die Handhabung des englischen Rechts. Der objektive Ansatz wird konsequent weiterverfolgt, indem der dadurch garantierte Vertrauensschutz der nicht-irrenden Partei durch Verhinderung des Vertragsschlusses versagt wird. Erkennt die nicht-irrende Partei den Irrtum, bedarf es schließlich eines solchen Schutzes nicht. Dass der erkannte subjektive Wille jedoch keinerlei Berücksichtigung erfährt, überrascht selbst mit Kenntnis des englischen Vertragsverständnisses und den entsprechenden Auslegungsgrundsätzen. Hierbei bedarf schließlich auch die irrende Partei keines Vertrauensschutzes, so dass ein Vertragsschluss eigentlich bejaht werden müsste. Die Literatur erwägt jedoch, auf Basis der equity Rechtsprechung zur rectification, im Falle des unilateral mistake eine Anwendung entsprechender Grundsätze 385 . Diese würden zu einer Bindung der irrenden Partei an ihren tatsächlichen subjektiven Willen in Form eines neuen Vertrags und damit zum selben praktischen Ergebnis wie das deutsche Recht kommen. Fälle im common law, die demgemäß entschie381

MüKo/Armbrüster, § 119 BGB, Rn. 62. Cartwright, 13–21. 383 Chitty/Beale, 5–076; Peel, 8–051; Balfour v. Sea Fire and Life Assurance Co (1857) 3 C.B.(N.S.) 300; Gill v. M’Dowell [1903] 2 Ir.Rep. 463; G & S Fashions v. B&Q Plc [1995] 1 WLR 1088; Donegal International Ltd v. Zambia [2007] EWHC 197; Chitty/Beale, 5–076. 384 Chitty/Beale, 5–074; Cundy v. Lindsay (1878) 3 App. Cas. 459; Peel, 8–050; Smith v. Hughes (1871) L.R. 6 Q.B. 597; Boulton v. Jones (1857) 2 H.& N. 564. 385 So z.B. Beatson/Burrows/Cartwright, S. 258; Chitty/Beale, 5–081. 382

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den wurden, existieren jedoch nicht bzw. bieten nicht genügend Anhaltspunkte, um eine entsprechende Argumentation zu untermauern. Im Falle eines einseitigen erkannten Irrtums tritt in beiden Rechtsordnungen also die normative bzw. objektive Erklärungsbedeutung hinter den erkannten subjektiven Willen zurück. Freilich bedarf es keines Vertrauensschutzes der irrenden Partei, wenn ihr wirklicher subjektiver Wille erkannt wird 386. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das der irrenden Partei daher konsequent ein Anfechtungsrecht versagt, wird nach englischem Recht der Vertrag für nichtig erklärt und daher keine Bindung an den wirklichen und erkannten subjektiven Willen der irrenden Partei gefordert. Dies scheint nicht konsequent. Der Ausschluss des Anfechtungsrechts im deutschen Recht ist im Hinblick auf dessen Auslegungsgrundsätze, insbesondere der empirischen Auslegung und des falsa demonstratio Grundsatzes, stringent. Erkennt der Erklärungsempfänger den wirklichen subjektiven Willen des Erklärenden, ist dieser Wille zugleich Resultat der Auslegung. Dementsprechend muss gemäß der empirischen Auslegung ein Vertrag mit dem Inhalt des übereinstimmenden Willens der Parteien zustandekommen. In diesem Fall mit Inhalt des tatsächlichen, erkannten Willens der irrenden Partei. Die Regelung des englischen Rechts scheint jedoch, zumindest zum Teil, mit den eigenen Auslegungsgrundsätzen zu brechen. Während die Tatsache, dass ein Irrender im Falle des erkannten Irrtums nicht an seine irrtumsbehaftete Erklärung gebunden wird, mit den objektiven Auslegungsgrundsätzen und dem objective-test in Einklang steht, scheint die nicht-Bindung an seinen tatsächlichen Willen nicht vollends überzeugend. Die in ICS v. WBBS festgeschriebenen Auslegungsgrundsätze stellen zwar nicht auf die Ermittlung des subjektiven Willens der Vertragsparteien ab387, allerdings sprechen sie, jedenfalls im Kontext der möglichen Wortlautkorrektur, für eine Annäherung an einen möglichen subjektiven Willen der Vertragsparteien 388 . Sprechen die vertraglichen Begleitumstände gegen einen bestimmten objektiven Wortsinn und deuten stattdessen auf eine gemeinsame Intention der Vertragsparteien hin, kommt der Vertrag entsprechend der durch Auslegung ermittelten gemeinsamen Intention zustande. Vor diesem Hintergrund scheint die Nichtigkeit eines auf einem 386 Dass kein Vertrag mit dem irrtümlich erklärten Inhalt zustande kommt ist klar, widerspräche dies wiederum jedweden Auslegungs- und Vertrauensschutzgrundsätzen. 387 „It is true the objective of the construction of a contract is to give effect to the intention of the parties. But our law of construction is based on an objective theory. The methodology is not to probe the real intentions of the parties but to ascertain the contextual meaning of the relevant contractual language. Intention is determined by reference to expressed rather than actual intention.”, Deutsche Genossenschaftsbank v. Burnhope [1995] 1 WLR 1580, 1587; siehe oben § 3 II. 2. b) ee). 388 „On the other hand, if one would nevertheless conclude from the background that something must have gone wrong with the language, the law does not require judges to attribute to the parties an intention which they plainly could not have had.”, ICS v. WBBS [1998] 1 WLR 896, 913; siehe oben § 3 II. 2. b) ee).

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

einseitigen erkannten Irrtums basierenden Vertrags nicht nachvollziehbar. Wenn schon die objektive Auslegung unter Berücksichtigung aller Begleitumstände genügt, um einen Vertrag entgegen seines Wortlautes und entsprechend einer gemeinsamen Intention zustande kommen zu lassen, müsste dies im Falle einer tatsächlich erkannten Intention freilich auch gelten. Dies gilt vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass die irrende Partei im Falle der Bindung an ihren wirklichen Willen keines Vertrauensschutzes bedarf. Die Handhabung des erkannten einseitigen Irrtums durch das englische Recht kann daher nicht vollends überzeugen. c) Der Fall des mutual mistake und des Dissenses Ein Vergleich des mutual mistake mit einem Pendant im deutschen Recht fällt zunächst schwer, da hier ein entsprechender Irrtumsbegriff nicht existiert. Ein Vergleich bietet sich lediglich, wie oben bereits vorgenommen 389 , mit den Regelungen des Dissenses im deutschen Recht an, da der mutual mistake letztlich nur einen anderen Begriff desselben Problems darstellt: Ein Vertrag kommt weder auf subjektiver, noch auf objektiver Basis zustande, da in keinem Fall ein Konsens zwischen den Vertragsparteien besteht. Ist es einem Gericht möglich, einen eindeutigen Vertragsinhalt festzustellen bzw. sind Angebot und Annahme derart mehrdeutig, sodass kein objektiver Konsens festgestellt werden kann, gilt ein Vertrag als nicht zustandegekommen. Dabei kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Parteien jeweils einem Irrtum unterlagen. Vielmehr genügt es, wenn sie ihren Erklärungen bzw. dem Vertragstext einen jeweils unterschiedlichen Inhalt beigemessen hatten, der letztendlich mehrdeutig und durch Auslegung nicht eindeutig bestimmbar war. Ist durch ein Gericht mittels Auslegung kein eindeutiger Vertragsinhalt ermittelbar, müsste nach deutschem Recht differenziert werden: Betrifft die strittige Vertragsklausel essentialia negotii, liegt ein Totaldissens vor 390 . Sind accidentialia negotii betroffen, liegt ein Fall des versteckten Dissens gem. § 155 BGB vor. Das englische Recht differenziert dahingehend jedoch nicht. Ein Irrtum im klassischen Verständnis, also in Form einer Fehlvorstellung bei Bildung oder Äußerung des subjektiven Willens, kann hinsichtlich des mutual mistake jedoch nicht als Vergleich herangezogen werden. d) Der Fall des common mistake und der beiderseitige Motivirrtum Die Konstellation des common mistake, der im englischen Recht eine Unterkategorie des mistake und somit des Irrtumsrechts darstellt, findet im Rahmen des § 119 BGB keine explizite Berücksichtigung. Vielmehr werden entsprechende Fälle des beiderseitigen Motivirrtums über § 313 Abs. 2 BGB abge389 390

Siehe oben § 9 I. 3. Siehe hierzu oben § 6 I.

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wickelt 391 . Der common mistake, dessen Voraussetzungen im Rahmen der The Great Peace Entscheidung neu formuliert wurden392, verlangt u.a. eine gemeinsame Fehlvorstellung der Vertragsparteien über das Bestehen eines bestimmten Umstands zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Die gemeinsame Vorstellung über das Bestehen wird durch Auslegung des Vertragsdokuments ermittelt und auf deren Basis beurteilt, ob die Vertragsdurchführung umöglich ist 393 . Eine rein subjektive Vorstellung spielt dabei, entsprechend den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, keine Rolle. Gab es keine – ebenfalls durch Auslegung des Vertrags zu ermittelnde – Garantie einer Partei für das Bestehen des Umstands, trug keine Partei Schuld an dem nicht-Bestehen des Umstands und führt das nicht-Bestehen zur Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung, gilt der Vertrag als nichtig394. Die Hauptfälle umfassen dabei nahezu immer die physische Unmöglichkeit der Vertragsdurchführung, z.B. bei unbekannter Zerstörung der Kaufsache vor Vertragsschluss 395. Doch auch rechtliche Unmöglichkeit gilt als ein möglicher Nichtigkeitsgrund im Falle des common mistake396. Demgegenüber steht § 313 Abs. 2 BGB, der in Verbindung mit Abs. 1 und Abs. 3 eine vergleichbare Regelung beinhaltet. Stellen sich wesentliche – subjektive – Vorstellungen, die Grundlage eines Vertrags wurden, als falsch heraus und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Fehlvorstellungen gekannt hätten, kann die Anpassung des Vertrags verlangt werden. Dies gilt, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Sollte eine Vertragsanpassung nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar sein, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. Nicht in aller Ausführlichkeit diskutiert werden sollen an dieser Stelle die verschiedenen und vielfältigen Probleme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Vielmehr soll – analog zum englischen Recht – der Fall des gemeinsamen Irrtums zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrachtet werden. Hierbei ist ebenfalls eine gemeinsame, allerdings subjektive, 391

Siehe oben § 7 IV. Siehe hierzu oben § 8 III. 393 „Thus, while we do not consider that the doctrine of common mistake can be satisfactorily explained by an implied term, an allegation that a contract is void for common mistake will often raise important issues of construction. Where it is possible to perform the letter of the contract, but it is alleged that there was a common mistake in relation to a fundamental assumption which renders performance of the essence of the obligation impossible, it will be necessary, by construing the contract in the light of all the material circumstances, to decide whether this is indeed the case.”, The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 82. 394 Siehe oben § 8 III. 1.; The Great Peace [2003] Q.B. 679, Rn. 76. 395 Cartwright, 15–26. 396 Nutt v. Read (2000) 32 H.L.R. 761, Ca; Cartwright, 15–26. 392

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

Fehlvorstellung beider Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nötig. Diese Vorstellung umfasst im weitesten Sinne Motivirrtümer, die wiederum Tatsachen- und Rechtsirrtümer umfassen. Wird der gemeinsame Irrtum erkannt, kommt es für eine eventuelle Anpassung des Vertragsinhalts auf die vertragliche oder gesetzliche Risikoverteilung an. Erst wenn eine solche Vertragsanpassung einer Partei unzumutbar ist, kommt eine Vertragsauflösung durch Rücktritt in Frage 397. Ein entscheidender theoretischer Unterschied zwischen deutschen und englischen Recht besteht hinsichtlich des Begriffs der Geschäftsgrundlage. Im deutschen Recht spielt – im Gegensatz zum englischen – die subjektive Geschäftsgrundlage der Vertragsparteien die relevante Rolle, nicht die objektive398. In der Praxis lässt sich zunächst kaum ein Unterschied feststellen, da in beiden Fällen letztlich eine objektive bzw. normative Auslegung des Vertrags und der relevanten Begleitumstände stattfindet399. Denn eine lediglich einseitig behauptete, gemeinsame subjektive Fehlvorstellung kann den Gerichten nicht als Beurteilungsgrundlage dienen. Allerdings zeigt sich bei einem genaueren Blick dennoch ein Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen. Das englische Recht beschränkt sich rein auf die Auslegung des Vertragsinhalts bzw. des Vertragszwecks, um davon ausgehend zu bestimmen, ob die Vertragsdurchführung unmöglich geworden ist400. Das deutsche Recht hingegen, basierend auf dem Begriff der subjektiven Geschäftsgrundlage, erfordert die Erforschung der Motive und Vorstellungen der Parteien, auf deren Basis der Vertrag geschlossen wurde401. Diese müssen gerade nicht Vertragsinhalt geworden sein. Vielmehr reicht es aus, wenn sie Basis für die Willensbildung der Parteien wurden. Ein abschließendes Urteil darüber, inwieweit diese dogmatische Differenzierung praktische Auswirkungen hat, ist schwer zu bilden.

397

Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 42. Palandt/Grüneberg, § 313 BGB, Rn. 38; Wolf/Neuner, § 42, Rn. 13; siehe oben § 6 III. 4. b). 399 Siehe zum englischen Recht oben § 8 III. 2., zum deutschen Recht § 7 IV. 400 „This suggested test for determining whether a mistake is fundamental presupposes that both parties would give the same answer tot he question ‘what are you contracting about?’”, Peel, 8–019. 401 „Geschäftsgrundlage sind die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhoben worden sind, die beim Abschluss aber zutage getreten sind oder die dem Geschäftspartner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei von dem Vorhandensein und dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen sich der Geschäftswille der Parteien aufbaut“, BGH JuS 2005, 942, 944. 398

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3. Zusammenfassung Deutsches und englisches Recht unterscheiden sich im Umgang mit subjektiven Irrtümern der Vertragsparteien grundlegend. Das deutsche Recht eröffnet einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit – unter Ersatz des Vertrauensschadens gem. § 122 BGB – eine irrtumsbehaftete Willenserklärung durch Anfechtung gem. § 142 BGB ex tunc zu beseitigen. Dazu muss der Partei gem. § 119 BGB entweder ein Fehler im Rahmen der Willensbildung oder -äußerung unterlaufen sein. Es gilt der Grundsatz „Auslegung geht der Anfechtung vor“, da erst nach Auslegung überhaupt festgestellt werden kann, ob sich ein Irrtum überhaupt auf den Vertragsschluss bzw. -inhalt auswirkt. Ausschlussgründe für eine Anfechtung existieren nur vehältnismäßig wenige. Lediglich im Falle des Fehlens der subjektiven Erheblichkeit des Irrtums, im Falle des bloßen Motivirrtums, bei einem Irrtum über nicht verkehrswesentliche Eigenschaften eines Vertragsgegenstands oder -partners und im Falle des erkannten Irrtums ist eine Anfechtung ausgeschlossen. Abgesehen von diesen Ausnahmen, erlaubt das deutsche Recht eine beinahe unbeschränkte Anfechtungsmöglichkeit allein auf Basis eines fehlerhaft gebileten oder geäußerten subjektiven Willens. Aufgrund der umfangreichen Anfechtungsmöglichkeiten im Falle eines Irrtums einer Partei bestätigt sich die in § 8 aufgestellte These, nach der das Irrtumsrecht im Vergleich zur Auslegung und den Dissensregelungen einen stark subjektiven Einschlag mit sich bringt und den subjektiven Willen einzelner Parteien entsprechend stark berücksichtigt. Das Vorurteil, das deutsche Recht verfolge einen stark subjektiv geprägten Ansatz, scheint daher gerade darin begründet zu liegen. Das englische Recht hingegen verfolgt einen völlig gegensätzlichen Ansatz. Zwar steht auch hier die Auslegung an erster Stelle, allerdings wird den Vertragsparteien keinerlei Anfechtungsrecht aus Basis eines fehlerhaft gebildeten oder geäußerten subjektiven Willens eröffnet. Ergibt der objective-test, dass ein Vertrag aus Sicht einer reasonable person mit einem bestimmten Inhalt geschlossen wurde, muss sich eine irrende Partei an dem entsprechenden Inhalt festhalten lassen. Liegt ein common mistake vor, haben sich also beide Parteien über das Bestehen eines für den Vertrag relevanten Sachverhalts geirrt, kann hingegen der Vertrag für nichtig erklärt werden. Hierbei ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Partei eine Garantie für das Vorliegen des betreffenden Sachverhalts abgegeben hat. Eine Besonderheit des englischen Irrtumsrechts stellt der mutual mistake dar, bei dem das fehlende Übereinstimmen oder die Mehrdeutigkeit eines Vertragstextes einen Konsens verhindert. In der Gesamtschau lässt sich feststellen, dass das englische Recht, ebenso wie bei der Auslegung, einen stark objektiv geprägten Ansatz hinsichtlich des Umgangs mit Irrtümern und Einigungsmängeln verfolgt. Die in § 9 aufgestellte These lässt sich daher bestätigen. Dies liegt im Wesentlichen an der Bedeutung der Auslegung für das Irrtums- und Dissensrecht. Ein

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2. Kapitel: Dissens und Irrtum

Anfechtungsrecht, welches zur Nichtigkeit eines Vertrags im Falle eines einseitigen Irrtums einer Partei führt, existiert im common law nur unter verhältnismäßig sehr strengen Voraussetzungen. Equity-Gerichte lehnen eine Klage auf Vertragserfüllung aufgrund eines unilateral mistake ebenfalls nur unter strengen Voraussetzungen ab. Ein praktischer Vergleich anhand von Fallbeispielen erübrigt sich, da die Regelungen derart unterschiedlich und dennoch klar abgefasst sind. Unterliegt eine Partei einem Irrtum bei der Willensbildung oder –äußerung in Form eines Inhalts-, Erklärungs- oder Eigenschaftsirrtums, steht ihr nach deutschem Recht grundsätzlich eine Anfechtungsmöglichkeit offen. Das englische Recht versagt einer irrenden Partei eine solche Möglichkeit. Nur wenn beide Parteien einem beiderseitigen Irrtum unterliegen oder ein Dissens vorliegt, kann ein Vertrag für nichtig erklärt werden bzw. gilt als nicht zustandegekommen. Das deutsche Recht ermöglicht also viel häufiger eine Anfechtung im Falle eines Irrtums als das englische Recht. In der Gesamtschau berücksichtigt das deutsche Recht den subjektiven Willen einer Vertragspartei hinsichtlich eines Irrtums gegenüber dem englischen Recht demnach in einem verhältnismäßig großen Ausmaß. III. Zusammenfassung Im zweiten Kapitel wurden die unterschiedlichen Dissens- und Irrtumsregelungen beschrieben und miteinander verglichen. Dabei erfolgte die Aufteilung freilich grundlegend anders als im ersten Kapitel. Zuerst wurde die Dissens- und Irrtumsregelungen im deutschen, anschließend im englischen Recht beschrieben und schließlich miteinander verglichen. Dies liegt an der grundsätzlich anderen Handhabung von Einigungsmängeln des englischen Rechts, welches diese Problematik größtenteils in das Irrtumsrecht und unter den Begriff des common mistake verortet. Der Vergleich der jeweiligen Dissensregelungen hat keinen wesentlichen Unterschied hinsichtlich der Bedeutung und Berücksichtigung des subjektiven Parteiwillens, bzw. der subjektiven oder objektiven Ausrichtung beider Rechtsordnungen hervorgebracht. Dies überrascht nicht, hängt die Feststellung von Einigungsmängeln im Wesentlichen von der Auslegung der Parteierklärungen ab. Wie im ersten Kapitel festgestellt, unterscheiden sich deutsches und englisches Recht hier in der Praxis kaum voneinander, weshalb auch im Umgang mit Einigungsmängeln kaum eklatante Unterschiede bestehen. Deutliche Unterschiede zeigten sich hingegen im Rahmen des Irrtumsrechts. Das deutsche Recht verfolgt, wie aufgezeigt, einen im Vergleich zum englischen Recht deutlich subjektiveren Weg. Die zu Beginn dieses Kapitels aufgestellte These, dass sich weniger im Dissens-, als vielmehr im Irrtumsrecht eklatante Unterschiede zwischen deutschem und englischem Recht zeigen und daher das Vorurteil herrührt, das

§ 9 Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht im Vergleich

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deutsche Recht berücksichtige den subjektiven Parteiwillen deutlich stärker als das englische Recht, lässt sich daher bestätigen.

3. Kapitel

Zusammenfassung Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Bedeutung des subjektiven Parteiwillens im deutschen und englischen Vertragsrecht zu untersuchen und zu vergleichen. Dabei stand vor allem die Frage im Raum, ob sich dogmatische Unterschiede auch in der Rechtspraxis auswirken und wenn ja, wie groß diese tatsächlich sind. Dazu sollte die Vertragsauslegung und damit verbunden das Vertragsverständnis, aber auch die Dissensregelungen und das Irrtumsrecht untersucht werden. Die Ausführungen zur Vertragsauslegung und zum Vertragsverständnis bildeten hierbei die Grundlage, auf der die weiteren Untersuchungen aufbauen sollten. Dabei spielte vor allem das Verhältnis der Dissensregelungen und des Irrtumsrechts zu den Grundsätzen der Vertragsauslegung in den jeweiligen Rechtsordnungen eine gewichtige Rolle. Zudem stand die These, dass sich die grundsätzlich unterschiedliche Bedeutung des subjektiven Willens bzw. der Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Ausrichtung des deutschen und englischen Rechts nicht aus den Auslegungsregeln und dem Dissensrecht ergibt, sondern vielmehr aus dem unterschiedlichen Umgang und den damit verbundenen Rechtsfolgen von Irrtümern herrührt. Deutsches und englisches Recht unterscheiden sich aus dogmatischer Sicht in allen drei Bereichen – der Auslegung, dem Umgang mit den Fällen des Dissenses und dem Irrtumsrecht – zum Teil erheblich. Das erste Kapitel befasste sich ausschließlich mit den Regelungen der Vertragsauslegung. Das deutsche Recht, mit seinem „dualistischen Auslegungsmodell“ 1 nach den §§ 133, 157 BGB, verfolgt einerseits in einem ersten Schritt die Ermittlung des wirklichen – subjektiven – Willens eines Erklärenden bzw. der Vertragsparteien. Dies gilt jedoch nur soweit, wie dieser subjektive Wille auch durch objektive Anhaltspunkte erkennbar wird. In einem zweiten Schritt stellt sich deshalb die Frage, wie eine Erklärung aus Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu verstehen ist. Decken sich subjektives und normatives Erklärungsverständnis, kommt – eine entsprechende Annahme vorausgesetzt – ein Vertag mit dem Inhalt des subjektiven Willens des Erkärenden zustande. Auch in den Fällen, in denen ein Erklärungsempfänger den wirklichen Willen eines irrig Erklärenden erkennt, ist dessen subjektiver Wille für den Vertragsinhalt maßgebend. Auch 1

Czarnecki, S. 23.

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3. Kapitel: Zusammenfassung

wenn beide Parteien einer irrtümlichen Falschbezeichnung, also eines Falles der falsa demonstratio unterliegen, geht ihr übereinstimmender subjektive Wille der normativen Erklärungsbedeutung vor. Wie sich aus der Gesamtbetrachtung der Auslegungsgrundsätze ergeben hat, liegt dem deutschen Recht insgesamt ein verhältnismäßig subjektives Vertragsverständnis zugrunde. Dem gegenüber steht das englische Recht mit seinem – zumindest ursprünglich – völlig gegensätzlichen Vertrags- und Auslegungsverständnis. Lange Zeit war ausschließlich die objektive Erklärungsbedeutung bzw. der Wortlaut einer Erklärung für den Vertragsschluss und den Vertragsinhalt maßgeblich. Subjektive Intentionen spielten keine Rolle; allenfalls erfolgte in Ausnahmefällen eine Berücksichtigung möglicher objektiver Intentionen der Parteien. Aus diesem Grund wurde der Ansatz der englischen Vertragsauslegung häufig auch als literal approach bezeichnet. Spätestens ab den 1970er Jahren zeigte sich jedoch eine Abkehr von der bisherigen Auslegungsmethodik. Mit seinem wegweisenden Urteil im Fall ICS v. WBBS ebnete Lord Hoffmann endültig den Weg zu einer kontextualen Auslegung, die die Berücksichtigung von Begleitumständen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sowie mögliche Intentionen der Vertragsparteien ermöglicht. Zudem eröffnete Lord Hoffmann damit die Möglichkeit einer Auslegung entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut eines Vertrags, sofern sich offensichtliche Indizien dafür finden lassen, dass die Parteien augenscheinlich etwas Anderes erklären wollten, als sie tatsächlich taten. Wie der Vergleich der Rechtsprechung gezeigt hat, bewirken die dogmatischen Unterschiede beider Rechtsordnungen in der Praxis jedoch weniger Unterschiede, als man zunächst annehmen möchte. Die angeblich stark subjektive Ausrichtung des deutschen Rechts im Vergleich zum englischen Recht kann daher nicht durch die Auslegung begründet werden. Dies liegt vor allem an dem in der Praxis schwierig zu verfolgenden Ansatz des deutschen Rechts, den wirklichen Willen der Vertragsparteien zu erforschen. Vielmehr kann – abgesehen von dem Fall, dass beide Parteien einen übereinstimmenden subjektiven Willen bestätigen – lediglich eine Annäherung an einen solchen subjektiven Willen, bzw. eine Bewertung der subjektiven Intentionen aus objektiver Sicht erfolgen. Die Rechtsprechung verfolgt zwar explizit das Ziel, den wirklichen Willen eines Erklärenden zu ermitteln, muss dies aber zwangsläufig aus einem normativen Blickwinkel heraus tun, um nicht den Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers zu untergraben. Das englische Recht geht gewissermaßen den „direkten“ Weg, indem subjektive Intentionen schon gar nicht explizit berücksichtigt werden. Auch wenn die Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen hinsichtlich der Berücksichtigung des subjektiven Willens der Parteien im Rahmen der Auslegung weniger erheblich sind, als die theoretischen Ausführungen vermuten lassen würden, sind sie dennoch zumindest vereinzelt vorhanden. So ähnelt sich zwar grundsätzlich die Berücksichtigung außervertraglicher Umstände, allerdings zeigt sich

3. Kapitel: Zusammenfassung

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die deutsche Rechtsprechung deutlich liberaler. Wo englische Gerichte z.B. vorvertragliche Verhandlungen explizit von einer Berücksichtigung ausschließen, ziehen deutsche Gerichte diese im Rahmen der Auslegung heran, um so die subjektiven Intentionen der Parteien ermitteln und nachvollziehen zu können. In der Gesamtschau hat sich die im ersten Kapitel aufgestellte These, dass die erheblichen dogmatischen Unterschiede hinsichtlich der Vertragsauslegung, in der Rechtspraxis keine wesentlichen Unterschiede mit sich bringen, jedoch bestätigt. Das zweite Kapitel umfasste die Regelungen zum Dissens und Irrtum im deutschen und englischen Recht. Dabei wurde die Struktur im Vergleich zum ersten Kapitel jedoch geändert. Zunächst erfolgte eine getrennte Untersuchung der Dissens- und Irrtumsregelungen des deutschen Rechts, im Anschluss eine der entsprechenden Regelungen des englischen Rechts. Dabei war jedoch eine andere Unterteilung nötig, da das deutsche Recht die Fälle der Einigungsmängel zwar unter den Begriff des Dissenses und die §§ 154, 155 BGB, das englische Recht die Problematik jedoch größtenteils in den Bereich des Irrtumsrechts und dort unter den Begriff des common mistake verortet. Dementsprechend erfolgte eine Unterteilung in „konsensverhindernde“ – mistake negativing consent – und „konsensvernichtende“ – mistake nullifying consent – Irrtümer, um so eine Vergleichbarkeit gewährleisten zu können. Aufgrund der ausführlichen Erläuterungen zur Vertragsauslegung, konnten die Abschnitte zum Umgang mit Einigungsmängeln entsprechend kurz gefasst werden. Letztlich spiegeln sich hier größtenteils grundlegende Auslegungsprinzipien wider. In beiden Rechtsordnungen steht es einer oder beiden Parteien frei, einen Vertragspunkt für so erheblich zu erklären, dass eine fehlende Einigung darüber einen Vertragsschluss verhindert. Der betreffende Vertragspunkt wird somit zu subjektiven essentialia negotii erklärt. Eine fehlende Einigung über „gewöhnliche“ essentialia negotii verhindert in beiden Rechtsordnungen einen Vertragsschluss. Ausnahmen gelten jedoch dann, wenn sich z.B. der Kaufpreis durch von den Parteien festgelegte Mechanismen bestimmen lässt. Entscheidende Rolle spielt jedoch die Ermittlung des vertraglichen Bindungswillens aller beteiligten Parteien. Ein solcher muss – vor allem im Falle einer behaupteten fehlenden Einigung – vorliegen und nachgewiesen werden können, um einen Vertragsschluss bejahen zu können. Dies geschieht gemäß den im ersten Kapitel erläuterten Auslegungsgrundsätzen. Auch im Umgang mit einem versteckten Einigungsmangel hinsichtlich vertraglicher Nebenpunkte ähneln sich beide Rechtsordnungen. Letztlich gilt es auch in derartigen Konstellationen, einen Bindungswillen der Parteien mittels Auslegung zu ermitteln. In der Gesamtschau hängt der Umgang mit Einigungsmängeln, egal ob offen oder versteckt, nach alledem im Wesentlichen von den erläuterten Auslegungsgrundsätzen und den damit verbundenen praktischen Unterschieden – oder Gemeinsamkeiten – ab. Einen Ausschlag in

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3. Kapitel: Zusammenfassung

eine subjektive oder objektive Richtung im deutschen oder englischen Recht führen die jeweiligen Dissensregelungen daher nicht herbei. Demgegenüber steht der völlig unterschiedliche Umgang beider Rechtsordnungen mit Irrtümern. Im Gegensatz zum englischen Recht, welches einen restriktiven Ansatz verfolgt und einen Vertrag nur in äußersten Ausnahmefällen – z.B. bei einem mutual mistake – für nichtig erklärt, gewährt das deutsche Recht gem. § 119 BGB ein umfassendes Anfechtungsrecht auf Basis eines subjektiven Irrtums. Der Anfechtende wird jedoch unter den Voraussetzungen des § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensschadens des Erklärungsempfängers verpflichtet. Lediglich unbeachtliche Motivirrtümer und subjektiv nicht erhebliche Irrtümer verhindern eine mögliche Anfechtung seitens des Irrenden. Ein interessanter Unterschied zeigt sich im Fall des einseitigen erkannten Irrtums: Wo im deutschen Recht ein Vertrag mit dem Inhalt des wirklichen Willens des irrig Erklärenden zustande kommt, verneint das englische Recht einen Vertragsschluss. In beiden Rechtsordnungen kommt ein Vertrag, aufgrund normativer bzw. objektiver Auslegungsgrundsätze, jedoch grundlegend auch im Falle eines einseitigen unerkannten Irrtums zunächst zustande. Das deutsche Recht ermöglicht jedoch eine Anfechtung nach den §§ 119 ff. BGB. Das englische Recht hingegen sieht von so einer Möglichkeit ab. Lediglich in äußersten Ausnahmefällen kann ein Vertrag auf Basis eines einseitigen Irrtums für nichtig erklärt werden. Ähnlichkeiten im Bereich des Irrtumsrechts zeigen sich im Falle des beiderseitigen Motivirrtums, bzw. des common mistake, bei dem sich die Vertragsparteien über das Vorliegen der Geschäftsgrundlage irren. In solchen Fallkonstellationen sind sogar englische Gerichte bereit, einen Vertrag für nichtig zu erklären. Allerdings unterscheidet sich das Verständnis von der Geschäftsgrundlage, da das deutsche Recht darunter einen subjektiven, das englische Recht hingegen einen objektiven Begriff versteht. Englische Gerichte beschränken sich rein auf die Auslegung des Vertragsinhalts bzw. des Vertragszwecks, um zu bewerten, ob die Vertragsdurchführung unmöglich geworden ist. Das deutsche Recht hingegen fordert die Erforschung der Motive und Vorstellungen der Parteien, auf deren Basis der Vertrag geschlossen wurde. Die tendentiell subjektive Ausrichtung des deutschen Rechts zeigt sich daher vor allem im Bereich des Irrtumsrechts deutlich, ermöglicht es doch eine einseitige Anfechtungsmöglichkeit auf Basis eines subjektiven Irrtums, für die nur wenige Einschränkungen gelten. Die im zweiten Kapitel aufgestellte These, dass bei einem Vergleich der Dissens- und Irrtumsregelungen vor allem Zweitere dazu führen, dass das deutsche im Vergleich zum englischen Recht einen stark subjektiven Einschlag mit sich bringt und den subjektiven Parteiwillen entsprechend berücksichtigt, hat sich nach alledem bestätigt. Einzelne feine Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und englischen Recht lassen sich an dieser Stelle nicht erneut aufzeigen. In einer Gesamtschau lässt sich die ursprünglich aufgestellte These, dass die

3. Kapitel: Zusammenfassung

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unterschiedliche Bedeutung des subjektiven Parteiwillens im deutschen und englischen Recht, und damit verbunden eine entsprechend subjektive und objektive Ausrichtung, nicht auf den unterschiedlichen Auslegungsregeln oder dem Umgang mit Einigungsmängeln, sondern vielmehr auf den starken Unterschieden des Irrtumsrechts beruht, allerdings bestätigen. In der Rechtspraxis fallen die Unterschiede – zumindest im Rahmen der Auslegung und des Umgangs mit Einigungsmängeln – zum Teil jedoch weit weniger gravierend aus, als die theoretischen Untersuchungen zu vermuten gaben. Vielmehr scheinen sich deutsches und englisches Recht hier in mancherlei Hinsicht sogar ähnlicher, als man zunächt glauben möchte.

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Sachregister acceptance XII, 114 f., 164, 192, 241, 250 accidentalia negotii 198 f., 242, 259 f. allgemeiner Sprachgebrauch 62 ambiguitas contra stipulatorem est 106 Andeutungstheorie XI, 31, 79, 101f., 282 Anfechtung, XIV, XV, 5, 18 f., 84 f., 162, 197, 205 f., 263, 264 f. Annahme 31 f., 58, 70 f., 91,f., 157, 164, 173 f., 200 f., 239 f., 261 f., 285 Antrag 8, 21, 37, 57, 58, 61, 75, 114, 118, 241 Auslegungsergebnis 2, 61, 109, 150 Auslegungsgegenstand X, 41 f., 58, 85, 193 Auslegungsmethode 24, 36, 52 f., 142, 177, 181 f. Auslegungspraxis XII, 10, 31, 56, 62, 120, 145, 186, 190 Auslegungsprozess 64, 88 f., 109, 126, 141 f., 177, 191 Auslegungssorgfalt XI, 48, 59, 83 f., 110, 223 Auslegungstheorien 35 Auslegungsvorschrift 6 f., 24 f., 37, 56, 144, 191, 203 Auslegungsziel X, XIV, 10, 30 f., 113, 134, 172, 193, Äußerung siehe Erklärung background knowledge 121, 133, 135 Begleitumstände XI, 3, 41, 56 f., 81 f., 105, 123 f., 162, 170 f., 251, 259 f., beiderseitiger Motivirrtum XV, 221, 268, 278 Beweislast 26, 104, 117, 176, 261 f., 283, 287 Beweispflicht siehe Beweislast

Bindungswille 201 f., 261 f. bona fides siehe Treu und Glauben common intention 117, 122, 153 f., common mistake XIII f. , 5, 154 f., 221, 229 f., 250 f., 271 f. consideration 115 f., 135, 164, 242, 251, 252 contra proferentem XI, 106, 147, 149 contractual intention XII, 114 f., 124, 164, 192 Dokumentationsfunktion 103 Eigenschaftsirrtum XV, 216 f., 237, 263, 281 f. Eindeutigkeitsformel XI, 33, 38, 60, 63, 85, 103, 126 f., 139, 146 Einigungsmängel 4, 197, 229, 256 f., 271, 272, 277 f. einseitige Rechtsgeschäfte siehe Rechtsgeschäft Empfängerhorizont X, 55, 90, 218, 275 ergänzende Auslegung IX, 7, 8, 54 Erheblichkeitsankündigung 201, 209, 259, 261, 262 Erklärung IX, 1 f., 70 f., 117 f., 144 f., 201 f., 257 f., 275 f., 290 Erklärungsbewusstsein IX, 14 f., 76, 91, 282 Erklärungsdissens XIV, 206, 209 Erklärungsempfänger XI, 1 f., 22, 27 f., 54 f., 70, 83 f., 116, 120, 144, 164, 176, 194, 207, 211, 226 f., 234, 257, 267, 275 Erklärungshandlung 1, 15, 42, 57, 67 Erklärungssinn 82, 86, 88, 205, 206, 209, 212, 265 Erklärungstatbestand 41, 42, 64, 83, 87

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Sachregister

Erklärungstheorie X, 24 f., 40, 54, 104, 112, 122, 191 Erklärungsverantwortung XI, 86, 88, 90 Erlassfalle 71 error in negotio siehe Inhaltsirrtum error in objecto siehe Inhaltsirrtum error in persona siehe Inhaltsirrtum essentialia negotii 198, 201 f., 242, 245, 259, 261, 268, 277 exclusionary rule 139, 140, 142 falsa demonstratio X, XIII, 2 f., 28 f., 42 f., 60, 94, 98, 103, 104, 112, 151 f., 164, 167 f., 195, 198, 199, 200, 206, 207, 211, 227, 266 f., 276, 283, 287 f. favor negotii XII, 106, 110, 112 five principles 131, 133, 134, 166 formale Auslegungsregeln 106 four corners 122, 165 fraud 158 f., 239 fundamental mistake 236, 238, 247, 248, 257 Gebot der widerspruchsfreien Auslegung XII, 106, 111, 135 Gefährdungshaftung 88 Geltungserklärung 29, 34, 51 Geltungsgrund XIII, 24, 27 f., 113, 163 f., 289 Gerichtsstandsvereinbarung 77, 78, 182 Geschäftsgrundlage 222 f., 269 f., 278, 283 f. Geschäftsunfähigkeit 15 Geschäftswille IX, 14, 19 f., 223, 270 Gestaltungsfreiheit 9, 65 Haftungsgrund 28 Håkjerringkjøtt Entscheidung 45 Hamburger-Parkplatz-Fall 68 Handlungsfähigkeit siehe Handlungswille Handlungswille IX, 14, 15, 87 Hotelbetten-Fall 61 in dubio contra proferentem 106 induced mistake siehe misrepresentation inequity 161

Inhaltsirrtum XV, 19, 46, 213 f., 263 inkongruenter Doppelirrtum 198 intentions 134, 143, 154, 155, 194 f., 267 interessengerechte Auslegung 78, 102, 110 f. Interessenlage XI, 18, 21, 76 f., 99 f., 105, 135, 288 interpretatio contra proferentem 106 invitatio ad offerendum 21, 119, 165 Irrtum XIV, XV, XVI, 2, 4, 20 f., 43 f., 61, 90, 118, 124, 156, 159 f., 196 f., 207 f., 263 f., 283 f., – erkannter Irrtum XVI, 5, 46 f., 113, 159, 167, 227, 265 f., , 278 – Erklärungsirrtum XIV, 46, 51, 95, 205 f., 213, 217, 227, 236, 285, 288 – Rechtsirrtum 254 – Verlautbarungsirrtum XV, 215 juridical act 114 Kaufvertrag 11, 33, 45, 167, 169, 175, 205, 212, 215, 240, 242, 244, 259 Komplementärverhältnis 57 konsensvernichtender Irrtum 196 kontextabhängige Auslegung 142 kontextuale Auslegung XII, 142, 145 Kündigung siehe Rechtsgeschäft Law Commission XVIII, 125 f., 139, 285 legal fiction 117 literal approach 123, 142, 150, 162, 194, 276 materiale Auslegungsregeln 83, 107 matrix of fact XII, 132, 136 f. meaning of words 142, 143 Mehrdeutigkeit 7, 11, 205, 241, 247, 271 misrepresentation XV, 5, 118, 124, 158, 160, 230, 231 f. mistake negativing consent 196, 229, 234 f., 256 f., 277 mistake nullifying consent 196, 229, 254 f., 277

Sachregister Motivirrtum XV, XVI, 217, 221 f., 268, 283 mutual mistake XV, XVI, 159, 229 f., 240 f., 250, 257, 260, 268, 271, 278 non-binding agreement 158 non-disclosure XV, 230, 232 normative Auslegung X, 36, 41, 48 f., 61, 70 f., 82 f., 88, 165, 193, 198, 264, 270, 290 normativer Konsens 199, 205 f., 241, 259, 286 objective observer 154, 155 objective test XII, 114 f., 192, 234 f., 265 f., 271 objective-principle 234, 248, 257 Objektivität 2, 3, 5, 112, 135, 181 offener Dissens 200, 202, 203 offer XII, 114 f., 164, 192, 239, 241 parol evidence rule XII, 123 f., 138, 240 Parteiautonomie 34 Parteiinteressen 66 plain meaning rule XII, 123, 127, 129, 146 pre-contractual-negotiation-bar XII, 139, 150, 152 Privatautonomie IX, 1 f., 26 f., 45 f., 51 f., 68 f., 76, 79, 85, 88, 102 f., 191, 211, 282, 283 promises 115 protestatio facto contraria XI, 66 f., 81, 285 purposive construction XII, 147, 150 Rationalitätsvermutung 110 reasonable person XII, 121, 133 f., 140, 146, 151, 155, 163, 166, 184 f., 234, 235, 236, 247, 257, 260, 263, 271 Rechtsbeziehungen 7 Rechtsbindungswille IX, 14, 20, 21, 119 Rechtsordnung 1 f., 10, 26, 60, 73 f., 102, 115 f., 124 f., 141, 157, 163, 178, 191, 195, 196, 258 f. Rechtsprechung XVI, 3, 5, 6, 13, 18, 19, 20, 21, 35, 56, 63, 71, 72, 75, 77, 79,

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83, 84, 100, 101, 102, 104, 105, 107, 108, 113, 115, 117, 119, 120, 122, 123, 127, 128, 131, 134, 135, 136, 138, 140, 145, 146, 147, 148, 153, 154, 156, 158, 160, 171, 192, 193, 194, 217, 218, 221, 225, 229, 231, 234, 242, 245, 247, 248, 255, 261, 266, 276, 284, 288 Rechtssicherheit 1, 2, 4, 26, 60, 73, 76, 82, 102, 115, 116, 124, 125, 127, 141, 157, 158, 165, 217, 249 Rechtssysteme siehe Rechtsordnung Rechtsverkehr 15, 17, 22, 26, 62, 82, 88, 104, 162, 217 rectification XIII, 2, 3, 124, 129, 139, 140 f., 151 f., 172, 174, 176, 177, 195, 254, 256, 264, 266, 287 Risikohaftung 91 Risikoverteilung 105, 269 Scheinkonsens XIV, 204 Selbstbestimmung 1, 9, 17, 18, 19, 26, 28, 31, 45, 52, 289 Senkungsschäden-Fall 199 Sinnermittlung 6, 8, 43, 59, 109, 126, 193 Sprachgewohnheiten 7 subjektive essentialia 201 subjektive Geschäftsgrundlage 223, 224, 270 subjektive Kausalität siehe Anfechtung subjektive essentialia 259, 261, 277 Subjektivität 2, 3, 5, 112 systematische Auslegung XI, 64 Tatbestand 13 f., 27, 283, 284 Täuschung 5, 231, 232 Totaldissens 198, 201, 205, 241, 257, 259, 268 Transaktionskosten 8, 115 Treu und Glauben XI, 10, 19, 21, 22, 36 f., 52 f., 71, 75, 82 f., 90 f., 98, 100 f., 105, 108, 112, 116, 135 f., 164 f., 183, 191, 193, 194, 226, 275, 283, 288, 289 Trierer Weinversteigerung 16, 17, 41, 87, 89, 235

294

Sachregister

unilateral mistake XIII, XV, 5, 156, 158, 159, 161, 229 f., 247, 248, 250, 256, 264 f., 272 Unklarheitenregel XI, XII, 31, 106 f., 147, 281 Verbot der Buchstabeninterpretation X, 44 f., 60, 63 Verkehrskreis 62 f., 92 f., 101, 128 Verkehrsschutzgründe 17, 207 Verkehrssitte XI, 10, 19, 21, 33, 36, 52 f., 70, 82 f., 92 f., 105, 112, 116, 164, 166, 193, 284, 287 verkehrswesentliche Eigenschaft 218, 219 versehentliche Unvollständigkeit 206 versteckter Dissens XIV, 204 f., 212, 240, 257 f. Vertragsinhalt 3, 9, 34, 49 f., 67, 71, 82, 97, 104, 124 f., 141, 152 f., 164 f., 175 f., , 200, 205, 217, 223, 228, 229, 236, 240, 245, 247, 253 f., 268 f., 275 f., 289 Vertragslücke 8, 209 Vertragsparteien XIII, 2 f., 28, 30, 35, 44 f., 50 f., 61 f., 72 f., 89, 92 f., 101 f., 200 f., 221, 227, 232 f., 255 f., 267 f., 278 Vertragsrecht IX, 2, 7, 24, 76, 114, 115, 135, 192, 275, 284, 285, 287, 290 Vertrauensinteresse siehe Vertrauensschutz Vertrauensschaden 18, 91 Vertrauensschutz 1, 7, 9, 27, 35, 49, 55, 57, 67, 71, 83 f., 104, 105, 113, 117,

122, 157, 158, 164, 166, 177, 191, 193, 200, 211, 266, 276 vis absoluta 15, 16, 29 void 229, 250, 252, 254, 258, 269 voidable 229 Vorverhandlungen XI, 49, 66, 71, 72, 73, 76, 81, 121, 123, 126, 139, 140, 141, 148, 150, 152, 156, 174, 175, 176, 212, 259 vorvertragliches Verhalten siehe Begleitumstände Widersprüchlichkeit 63 Willensbildung 4, 16, 21, 211, 217, 225, 228, 230, 232, 263, 270, 271, 272 Willenserklärung IX, X, XI, 1, 6, 10 f., 100 f., 114 f., 164, 175 f., 192, 207 f., 226 f., 263 f., 271, 281 f., 290 – konstitutives Merkmal 17, 18, 20 – Zurechnung XI, 17, 18, 35, 83 f., 282, 286, 288 Willensmängel 14, 32, 33 Willensmomente IX, 12, 14, 21, 42, 87, 114, 118, 164, 192 Willenstheorie IX, X, 25 f., 40, 55, 88, 190, 217, 282, 284 Wortlaut X, XI, 3, 28 f., 39 f., 81, 85, 121 f., 144 f., 156, 162 f., 168, 174 f., 186, 188 f., 204, 250, 260, 276 Wortlautauslegung XI, XII, 61, 64, 101, 121, 124, 127 f., 142, 144, 194 Wortlautkorrektur XII, 3, 145 f., 150, 152 f., 163, 166, 194, 254, 267 Zurechnungsproblematik 87 f.