Kritische Gesamtausgabe: Band 8 Vorlesungen über die Lehre vom Staat 9783110801125, 9783110156447

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Kritische Gesamtausgabe: Band 8 Vorlesungen über die Lehre vom Staat
 9783110801125, 9783110156447

Table of contents :
Einleitung der Herausgeber
I. Die Kritische Schleiermacher-Gesamtausgabe
II. Die II. Abteilung (Vorlesungen)
III. Editorische Grundsätze für die II. Abteilung (Vorlesungen)
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
1. Zur Vorgeschichte der Staatslehre (1788–1808)
2. Die Anfänge der Staatslehre (1808/09)
3. Die Entfaltung der Staatslehre (1813–1818)
4. Die neue Ausarbeitung (1829)
5. Die letzte Vorlesung (1833)
II. Editorischer Bericht
Erster Teil. Manuskripte Schleiermachers
1. Frühe Aphorismen
2. Fragment eines frühen Heftes
3. Frühe Notizen
4. Notizen zum Kolleg 1817/18
5. Die Lehre vom Staat 1829
6. Notizen zum Kolleg 1833
7. Fragment zum Kolleg 1833
Zweiter Teil. Vorlesungsnachschriften
1. Kolleg 1817 • Nachschrift Varnhagen
2. Kolleg 1817/18 • Nachschrift Goetsch
3. Kolleg 1829 • Nachschriften Heß und Willich
4. Kolleg 1833 • Nachschrift Waitz
Die Lehre vom Staat
Erster Teil. Manuskripte Schleiermachers
Frühe Aphorismen
Fragment eines frühen Heftes
Frühe Notizen
Notizen zum Kolleg 1817/18
Die Lehre vom Staat 1829–1833
Notizen zum Kolleg 1833
Fragment zum Kolleg 1833
Zweiter Teil. Vorlesungsnachschriften
Kolleg 1817 • Nachschrift Varnhagen
Kolleg 1817/18 • Nachschrift Goetsch
Kolleg 1829 • Nachschriften Heß und Willich
Kolleg 1833 • Nachschrift Waitz
Verzeichnisse
Abkürzungen und editorische Zeichen
Literatur
Personen

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Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe II. Abt. Band 8

W DE G

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Hermann Fischer und Gerhard Ebeling, Heinz Kimmerle, Günter Meckenstock, Kurt-Victor Selge

Zweite Abteilung Vorlesungen Band 8

Walter de Gruyter · Berlin · New York

1998

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Vorlesungen über die Lehre vom Staat

Herausgegeben von Walter Jaeschke

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1998

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. Die Deutsche

Bibliothek



ClP-Einheitsaufnahme

Schleiermacher, Friedrich: Kritische Gesamtausgabe / Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Im Auftr. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hrsg. von Hermann Fischer ... — Berlin ; New York : de Gruyter Teilw. hrsg. von Hans-Joachim Birkner. — Schleiermacher, Friedrich: Vorlesungen über die Lehre vom Staat / Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Hrsg. von Walter Jaeschke. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1998 (Kritische Gesamtausgabe : Abt. 2. Vorlesungen ; Bd. 8) ISBN 3 - 1 1 - 0 1 5 6 4 4 - X Abt. 2. Vorlesungen Bd. 8. Schleiermacher, Friedrich: Vorlesungen über die Lehre vom Staat. - 1998

© Copyright 1998 by Walter de Gruyter G m b H & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz: Rheingold-Satz, Flörsheim-Dalsheim Druck: Arthur Collignon G m b H , Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz δί Bauer-GmbH, Berlin

Inhaltsverzeichnis

Einleitung der Herausgeber

VII

1. Die Kritische Schleiermacher-Gesamtausgabe IL Die IL Abteilung (Vorlesungen) III. Editorische Grundsätze für die II. Abteilung lesungen)

VII VII

Einleitung des Bandherausgebers I. Historische Einführung 1. Zur Vorgeschichte der Staatslehre (1788-1808) 2. Die Anfänge der Staatslehre (1808/09) 3. Die Entfaltung der Staatslehre (1813-1818) 4. Die neue Ausarbeitung (1829) 5. Die letzte Vorlesung (1833) II. Editorischer

Bericht

Erster Teil Manuskripte Schleiermachers 1. Frühe Aphorismen 2. Fragment eines frühen Heftes 3. Frühe Notizen 4. Notizen zum Kolleg 1817/18 5. Die Lehre vom Staat 1829 6. Notizen zum Kolleg 1833 7. Fragment zum Kolleg 1833 Zweiter Teil Vorlesungsnachschriften 1. Kolleg 1817 · Nachschrift Varnhagen 2. Kolleg 1817/18 • Nachschrift Goetsch 3. Kolleg 1829 · Nachschriften Heß und Willich 4. Kolleg 1833 · Nachschrift Waitz

(VorIX XVII XVIII XIX XX XXV XXXIV XXXVII XL XL XL XLIV XLVI XLVI XLIX LH LUI LIV LIV LVI LVI LXII

VI

Inhaltsverzeichnis

Die Lehre vom Staat Erster Teil Manuskripte

Schleiermachers

1

Frühe Aphorismen Fragment eines frühen Heftes Frühe Notizen Notizen zum Kolleg 1817/18 Die Lehre vom Staat 1829-1833 Notizen zum Kolleg 1833 Fragment zum Kolleg 1833

3 33 45 53 65 171 199

Zweiter Teil Vorlesungsnachschriften

203

Kolleg Kolleg Kolleg Kolleg

205 377 493 751

1817 • Nachschrift Varnhagen 1817/18 · Nachschrift Goetsch 1829 · Nachschriften Heß und Willich 1833 · Nachschrift Waitz

Verzeichnisse Abkürzungen und editorische Literatur Personen

Zeichen

955 957 959 965

Einleitung der

I. Die Kritische

Herausgeber

Schleiermacher-Gesamtausgabe

Die Kritische Gesamtausgabe (KGA) der Schriften, des Nachlasses und des Briefwechsels Schleiermachers, die seit 1980 erscheint, ist auf die folgenden fünf Abteilungen angelegt: I. II. III. IV. V.

Schriften und Entwürfe Vorlesungen Fredigten Übersetzungen Briefwechsel und biographische

Dokumente

Die Gliederung richtet sich nach den literarischen Gattungen in Schleiermachers Werk, wobei den einzelnen Abteilungen jeweils auch der handschriftliche Nachlaß zugewiesen wird. Der Aufbau der Abteilungen orientiert sich am chronologischen Prinzip. Die Editionsarbeit an der I. Abteilung „Schriften und Entwürfe" wird seit September 1975 an der Kieler Schleiermacher-Forschungsstelle, diejenige an der V. Abteilung „Briefwechsel und biographische Dokumente" seit September 1979 an der Berliner Schleiermacherforschungssteile wahrgenommen. Zusätzlich ist in Berlin zum 1. April 1989 mit der Arbeit an der II. Abteilung „Vorlesungen" begonnen worden. Diese Abteilung wird mit dem jetzt vorliegenden Band 8 „Vorlesungen über die Lehre vom Staat" eröffnet. Bei der Arbeit an ihm sind die editorischen Grundsätze entwickelt worden, die für die Bände der II. Abteilung gelten sollen.

II. Die II. Abteilung

(Vorlesungen)

Die IL Abteilung dokumentiert Schleiermachers Vorlesungstätigkeit nach seinen handschriftlichen Materialien und nach Vorlesungsnachschriften. Schleiermacher hat in seiner beinahe drei Jahrzehnte währenden Lehrtätigkeit in der Theologischen Fakultät, abgesehen vom Alten Testament, über nahezu alle theologischen Disziplinen Vorlesungen gehalten. Als Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin hatte er überdies das Recht, auch in der Philoso-

Vili

Einleitung der Herausgeber

phischen Fakultät Vorlesungen zu halten. Davon hat er extensiven Gebrauch gemacht. In jedem Semester hat Schleiermacher mindestens zwei Vorlesungen gehalten, oft sogar drei (eine neutestamentlich-exegetische, eine weitere theologische und eine philosophische). Ein Verzeichnis seiner Vorlesungen findet sich in dem von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond bearbeiteten Band „Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen" (SchleiermacherArchiv Bd. 11, Berlin/New York 1992, S. 293-330). Angesichts der umfänglichen Materialien ist eine restriktive Berücksichtigung der Vorlesungsnachschriften unumgänglich. Für die Edition der Vorlesungen gelten folgende Richtlinien: 1. Jede von Schleiermacher in seinen Vorlesungen behandelte Disziplin wird in einem Band - eventuell mit Teilbänden - vorrangig durch seine eigenen Manuskripte dokumentiert. 2. Die Manuskripte Schleiermachers werden in einem ersten Teil in chronologischer Ordnung kritisch ediert. 3. Die Vorlesungsnachschriften werden, wenn ihre Qualität es erlaubt, dort in die Edition einbezogen und unter vereinfachten Editionsregeln in einem zweiten Teil ediert, wo eigene Manuskripte Schleiermachers entweder fehlen oder wo seine Manuskripte als nicht ausreichend zu beurteilen sind. Nachschriften eines mehrfach gehaltenen Kollegs aus verschiedenen Jahren werden nur dann eigens berücksichtigt, wenn es darum geht, eine bedeutsame Entwicklung zu dokumentieren. Auch die Nachschriften werden chronologisch angeordnet. Für die chronologische Anordnung der Vorlesungsdisziplinen ist dasjenige Semester maßgebend, in dem Schleiermacher die jeweilige Vorlesung zum ersten Mal gehalten hat. In den beiden Fällen, in denen er im selben Semester mit zwei bzw. drei Vorlesungen begonnen hat (Wintersemester 1804/05 und Sommersemester 1806), werden zuerst die allgemeiner und dann die spezieller ausgerichteten Vorlesungen geboten. Dementsprechend ergibt sich für die Abteilung „Vorlesungen" folgende Gliederung: 1. Vorlesungen über 2. Vorlesungen über (1804/05) 3. Vorlesungen über 4.Vorlesungen über 5. Vorlesungen über 6. Vorlesungen über

die Philosophische Sittenlehre (1804/05) die Theologische Enzyklopädie die Christliche Glaubenslehre (1804/05) die Hermeneutik (1805) die Christliche Sittenlehre (1806) die Kirchengeschichte (1806)

Editorische Grundsätze für die II. Abteilung 7. Vorlesungen (1807) 8. Vorlesungen 9. Vorlesungen (1810) 10. Vorlesungen 11. Vorlesungen 12. Vorlesungen 13. Vorlesungen 14. Vorlesungen 15. Vorlesungen 16. Vorlesungen (1827) 17. Vorlesungen (1829)

über die Geschichte

IX

der griechischen

über die Lehre vom Staat (1808/09) über die Geschichte der christlichen über über über über über über über

die die die die die das die

Philosophie Philosophie

Dialektik (1811) Praktische Theologie (1812) Pädagogik (1813) Psychologie (1818) Ästhetik (1819) Leben Jesu (1819/20) Kirchliche Geographie und Statistik

über die Einleitung in das Neue

Testament

Die exegetischen Vorlesungen Schleiermachers werden aus pragmatischen Gründen an den Schluß der Abteilung gestellt. Von den Vorlesungsmanuskripten seines Nachlasses, die im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufbewahrt werden, haben diejenigen zu den exegetischen Vorlesungen bei weitem den größten Umfang. Die Quantität und Qualität dieser Materialien stellen eine editorische Erschließung vor spezifische Probleme, die zu einem späteren Zeitpunkt gelöst werden müssen.

III. Editorische

Grundsätze für die II. (Vorlesungen)

Abteilung

Die folgenden Grundsätze schließen sich an die für die I. Abteilung in der Fassung von KG A 1/1 und für die V. Abteilung in der Fassung von KGA V/1 niedergelegten an, tragen aber den Besonderheiten der Vorlesungsedition Rechnung. 1. Historische

Einführung und Editorischer

Bericht

Den Bänden der IL Abteilung wird jeweils eine Einleitung Bandherausgebers vorangestellt, die eine Historische Einführung einen Editorischen Bericht umfaßt. Die Historische Einführung Auskunft über die Entstehungs- und Uberlieferungsgeschichte jeweiligen Vorlesung. Gegebenenfalls wird über die Rezeption durch

des und gibt der die

χ

Einleitung der Herausgeber

Zeitgenossen berichtet. Der Editorische Bericht beschreibt die Materiallage und erläutert das editorischeVerfahren.

2. Textgestaltung und textkritischer Apparat Die Bände der 11. Abteilung umfassen neben sämtlichen Vorlesungsmanuskripten Schleiermachers, wo es zu deren Verständnis nötig ist oder wo andere Gründe es nahelegen, auch ausgewählte Vorlesungsnachschriften, ferner — falls keine solchen Primärquellen mehr vorliegen — auch Texte, die nur noch sekundär im Druck der „Sämtlichen Werke" vorliegen. Für die Edition aller drei Sorten von Textzeugen gelten folgende Prinzipien. a) Schreibweise und Zeichensetzung des zu edierenden Textzeugen werden grundsätzlich beibehalten. Dies gilt auch für Schwankungen in der Schreibweise, wo es häufig eine Ermessensfrage darstellt, ob eine irrtümliche Schreibweise vorliegt. Hingegen werden Verschiedenheiten in der Verwendung von Zeichen (ζ. B. für Abkürzungen und Auslassungen), soweit sie willkürlich und sachlich ohne Bedeutung sind, stillschweigend vereinheitlicht. Die von Schleiermacher für Randnotizen gebrauchten Verweiszeichen (Ziffern, Sterne, Kreuze etc.) werden einheitlich durch Ziffern wiedergegeben, sofern diese Randnotizen hier als Fußnoten wiedergegeben werden. b) Offenkundige Schreibfehler oder Versehen werden im Text korrigiert. Im Apparat wird - ohne weitere Angabe - die Schreibweise des Originals angeführt. c) Wo der Zustand des Textes eine Konjektur nahelegt, wird diese mit der Angabe „Kj ..." im Apparat vorgeschlagen. Wo bereits Konjekturen eines früheren Herausgebers vorliegen, werden diese unter Nennung des jeweiligen Urhebers und der Seitenzahl seiner Ausgabe oder Schrift mitgeteilt. Wird eine solche Konjektur übernommen, so wird das durch die Angabe „Kj (auch NN 00) ..." kenntlich gemacht. Über diese gemeinsamen Prinzipien hinaus wird für die drei unterschiedlichen Textsorten - Manuskripte Schleiermachers, Vorlesungsnachschriften und sekundäre Uberlieferung — das im folgenden beschriebene abgestufte Editionsverfahren angewandt.

Editorische Grundsätze für die II. Abteilung

Manuskripte

Schleiermachers

XI

:

d) Es wird die letztgültige Textgestalt des Manuskripts wiedergegeben. Alle Belege für den Entstehungsprozeß (wie Streichungen, Korrekturen, Umstellungen) werden im textkritischen Apparat - nach Möglichkeit gebündelt - mitgeteilt. e) Zusätze zum ursprünglichen Text, die Schleiermacher eindeutig einverwiesen hat, werden in den laufenden Text eingefügt. Sie werden mit der Formel „mit Einfügungszeichen" und mit Angabe des ursprünglichen Ortes im Manuskript im textkritischen Apparat nachgewiesen. Ist ein Zusatz von Schleiermacher nicht eingewiesen, aber seine eindeutige Einordnung in den Grundtext durch Sinn oder Position möglich, so wird im textkritischen Apparat nur der Ort angegeben. Zusätze, die sich nicht eindeutig in den Grundtext einfügen lassen, werden auf den jeweiligen Seiten - vom übrigen Text deutlich abgesetzt - unter Angabe des Ortes im Manuskript wiedergegeben. f) Bei Abbreviaturen (Abkürzungen, Kontraktionen, Kürzeln), deren Sinn eindeutig ist, werden unter Weglassung eines evtl. vorhandenen Abkürzungszeichens (Punkt, Abkürzungsschleife usw.) die fehlenden Buchstaben im Text kursiv ergänzt. Chiffren für Wörter (ζ. Β. Θ für Gott) werden ebenfalls im Text kursiv aufgelöst und im Abkürzungsverzeichnis zusammengestellt. Abbreviaturen und Chiffren, deren Auflösung unsicher ist, werden im Text belassen; für sie wird ggf. im textkritischen Apparat ein Vorschlag mit der Formel „Abk. wohl für ..." gemacht. Zur Zeit Schleiermachers geläufige Abkürzungen werden nicht aufgelöst. Soweit sie heute nicht mehr geläufig sind, werden sie im Abkürzungsverzeichnis mit ihren Auflösungen zusammengestellt. Oie durch Überstreichung bezeichnete Verdoppelung von m und η wird stillschweigend ausgeschrieben. In allen Fällen, wo (ζ. B. bei nicht ausgeformten Buchstaben, auch bei der verkürzten Endsilbe -en) aufgrund der Flüchtigkeit der Schrift nicht eindeutig ein Schreibversehen oder eine gewollte Abkürzung zu erkennen ist, wird das betreffende Wort ohne weitere Kennzeichnung in der üblichen Schreibweise vollständig wiedergegeben.

XII

Einleitung der Herausgeber

g) Fehlende Wörter und Zeichen, die für das Textverständnis unentbehrlich sind, werden in eindeutigen Fällen kursiv in eckigen Klammern ergänzt. In Zweifelsfällen wird im Apparat mit der Formel „zu ergänzen wohl" ein Vorschlag gemacht. Im Text gelassene Lücken werden im textkritischen Apparat durch den Hinweis (lacuna) gekennzeichnet. Sofern das Zeilenende bzw. das Ende eines Absatzes eindeutig den Punkt am Satzende vertritt, wird dieser stillschweigend ergänzt. Ferner werden fehlende Umlautzeichen in eindeutigen Fällen stillschweigend ergänzt; fehlende diakritische Zeichen (wie Akzente, Spiritus-Zeichen) in fremdsprachigen Texten werden hingegen nicht ergänzt. h) Sind im Manuskript Umstellungen von benachbarten Wörtern oder Satzteilen vorgenommen worden, so wird im Apparat mit der Formel „umgestellt aus" die Vorstufe angegeben. Bei Umstellungen von Sätzen oder Satzteilen über einen größeren Zwischenraum wird der ursprüngliche Ort unter Verwendung der Formel „mit Umstellungszeichen" angegeben. i) Streichungen. Sind im Manuskript Wörter, Buchstaben oder Zeichen gestrichen worden, so wird das Gestrichene im Apparat in Winkelklammern unter Angabe des Ortes im Manuskript mitgeteilt. Wurden Streichungen vorgenommen, aber nicht vollständig durchgeführt, so werden die versehentlich nicht gestrichenen Partien in doppelte Winkelklammern eingeschlossen. j) Korrekturen Schleiermachers an Wörtern, Wortteilen oder Zeichen werden durch die Formel „korr. aus" angezeigt (Beispiel: klein] korr. aus mein). k) Unsichere Lesarten werden in unvollständige eckige Klammern (Beispiel: [noch]) eingeschlossen. Gegebenenfalls wird eine mögliche andere Lesart mit der Formel „oder" (Beispiel: [auch]] oder [noch]) vorgeschlagen. Bei unsicheren Lesarten, zu denen frühere Texteditionen eine abweichende, ebenfalls erwägenswerte Lesart bieten, wird diese unter Nennung des jeweiligen Herausgebers und der Seitenzahl seiner Ausgabe oder Schrift mitgeteilt. Nicht entzifferte Wörter werden durch ein in unvollständige eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet; bei zwei oder mehr unleserlichen Wörtern wird dieses Zeichen doppelt gesetzt und eine genauere Beschreibung im textkritischen Apparat gegeben. I) Liegen bei einer Handschriftenstelle

mehrere deutlich

unterscheid-

Editorische

Grundsätze für die II.

bare Entstehungsstufen wiesen: Ms.: ^

fmL

XIII

Abteilung

vor, so werden sie wie folgt ftL^

'Λ-Λ. .

7

nachge^

^y

Drucktext: Im Ich bildet sich alles organisch und alles hat seine Stelle. App.: Im ... hat] (1) Im Gemüth hat alles (2) Im (über der Zeile: Ich) hat alles (3) Im Ich (am Rand mit Einfügungszeichen: bildet sich alles organisch und) alles (über der Zeile mit Einfügungszeichen: hat) Keine eigene Mitteilung erfolgt, wenn beim Ubergang aus der früheren in die spätere Stufe ein Wort gestrichen oder korrigiert worden ist; dieses ergibt sich aus dem Vergleich der Stufen. Bei einem besonders verwickelten und unübersichtlichen Textbestand können die verschiedenen Entstehungsstufen auch jeweils vollständig aufgeführt werden. m) Oberlieferungslücken. Ist ein Manuskript nur bruchstückhaft überliefert, so wird der Üb erlieferungsverlust innerhalb eines Absatzes durch ein in kursive eckige Klammern eingeschlossenes Spatium gekennzeichnet. Ein umfangreicherer Uberlieferungsverlust wird durch ein in kursive eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet, das auf einer gesonderten Zeile wie ein Absatz eingerückt wird. Eine Beschreibung erfolgt im textkritischen Apparat.

Vorlesungsnachschriften

:

Die Edition der Vorlesungsnachschriften erfolgt nach einem vereinfachten Verfahren. Diese Vereinfachungen betreffen die im vorstehenden unter den Buchstaben d), e), h), i), j) und l) genannten Prinzipien. Die unter den Buchstaben f), g), k) und m) genannten Editionsprinzipien gelten unverändert. n) Bei der Edition von Vorlesungsnachschriften wird lediglich die letztgültige Textgestalt wiedergegeben, jedoch ohne Nachweis des Manuskriptbefundes - d. i. von Streichungen, Zusätzen, Verbesserungen, Umstellungen und Entstehungsstufen — im Apparat. Abweichend hiervon werden längere Randbemerkun-

XIV

Einleitung der Herausgeber gen zu Vorlesungsnachschriften, die den Charakter von eigenständigen Textpartien haben, als Fußnoten mitgeteilt, da es sich bei ihnen um spätere Ergänzungen des Nachschreibers handeln kann.

o) Existieren zu einer Vorlesung mehrere Nachschriften, so wird die beste als Leittext ediert. Die als Leittext gewählte Nachschrift wird vollständig geboten. Damit soll aber nicht ausgeschlossen sein, daß dort, wo Schleiermachers Manuskripte es erlauben, Vorlesungsnachschriften nur ausschnittweise zum Abdruck kommen. Bietet die als Leittext gewählte Nachschrift einen offenkundig fehlerhaften Text, wird der falsche Text nicht eigens geboten, sondern der richtige Text aus einer besseren Nachschrift, die Abweichung aber im Apparat dokumentiert. Ist die als Leittext gewählte Nachschrift unvollständig, wird sie mit entsprechendem Nachweis im Apparat durch eine vollständige ergänzt. Weist auch sie offenkundige Fehler auf, wird, sofern weitere Vorlesungsnachschriften vorhanden sind, verfahren wie im vorigen Absatz beschrieben.

Sekundäre

Überlieferung:

p) So fem Uberlieferungsverluste gegenüber früheren Editionen eingetreten sind, können diese als sekundäre Uberlieferung in ihrer ursprünglichen Gestalt unter Hinzufügung eines Sachapparats dargeboten werden.

3. Sachapparat Der Sachapparat gibt die für das Textverständnis Erläuterungen.

notwendigen

a) Zitate und Verweise werden im Apparat nachgewiesen. Dabei wird, soweit möglich und sinnvoll, sowohl die von Schleiermacher benutzte Ausgabe als auch eine heute maßgebliche Ausgabe angeführt. Bei Verweisungen Schleiermachers auf eigene Werke wird entsprechend verfahren. Bei Zitaten werden sinnverändernde Abweichungen von den Quellen vermerkt.

Editorische Grundsätze für die II.

Abteilung

XV

b) Zu Anspielungen Schleiermachers werden Nachweise oder Erläuterungen nur dann gegeben, wenn die Anspielung als solche deutlich, der fragliche Sachverhalt eng umgrenzt und eine Erläuterung zum Verständnis des Textes nötig ist.

4. Verzeichnisse und Register a) Jeder Band erhält ein Abkürzungsverzeichnis, das sämtliche Zeichen und Abkürzungen auflöst, die von den Autoren oder vom Bandherausgeber benutzt worden sind, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten oder im Literaturverzeichnis erfolgt. b) Jeder Band erhält ein Literaturverzeichnis, in dem die Schriften aufgeführt werden, die in den Texten sowie in den Apparaten und in der Einleitung des Bandherausgebers genannt sind. Bei denjenigen Werken, die im Auktionskatalog der Bibliothek Schleiermachers (s. Schleiermachers Bibliothek. Bearbeitung des faksimilierten Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer. Besorgt von Günter Meckenstock, Schleiermacher-Archiv 10, Berlin/New York 1993) verzeichnet sind, wird nach dem Titel in eckigen Klammern die Sigle SB mit der jeweiligen Katalognummer hinzugefügt. c) Jeder Band erhält ein Namenregister, das alle im Band genannten historischen Personen erfaßt. Nicht aufgeführt werden die Namen biblischer Personen. d) Ein Register der Bibelstellen erhalten diejenigen Bände, bei denen es von den Texten her sinnvoll ist.

5. Druckgestaltung a) Satzspiegel. Es werden untereinander angeordnet: Text des Originals ggf. mit Fußnoten, textkritischer Apparat, Sachapparat. b) Schriftarten. Der Text des Originals wird einheitlich in recte stehender Antiqua wiedergegeben. Hochgestellte Endungen (z. B. bei Ordnungszahlen) werden nivelliert, graphische Varianten von Zeichen (wie doppelte Bindestriche, verschiedene Formen von Abkürzungszeichen oder Klammern) werden stillschweigend vereinheitlicht. Ergänzungen nicht ausgeschriebener Wörter im Text sowie Herausgeberrede werden kursiv gesetzt.

XVI

Einleitung der Herausgeber

c) Hervorhebungen in Schleiermachers Manuskripten (vorwiegend durch Unterstreichung) werden einheitlich durch Sperrung kenntlich gemacht. Hervorhebung in den Vorlesungsnachschriften bleibt unberücksichtigt. d) Die Seitenzählung des Originals wird auf dem Außenrand angegeben. Stammt die Zählung nicht vom Autor, so wird sie kursiv gesetzt. Der Seitenwechsel des zugrundeliegenden Textzeugen wird im Text durch einen senkrechten Strich (\) wiedergegeben. Wo die Angabe des Zeilenbruchs sinnvoll erscheint, erfolgt sie durch einen Schrägstrich (!) im Text. e) Sofern ein Text bereits in den Sämmtlichen Werken erschienen ist, wird die Paginierung kursiv am Außenrand mitgeteilt, jedoch ohne Seitentrennungsstrich. f) Beziehung der Apparate auf den Text. Sie erfolgt beim Apparat durch Zeilenangabe mit Lemmata. Kommt in einer Zeile das gleiche Bezugswort mehrfach vor, wird ein zusätzliches Bezugswort angeführt. Die Bezugswörter werden durch das Lemmazeichen von der folgenden Mitteilung abgegrenzt. Der Sachapparat wird durch Zeilenangabe auf die Bezugsstelle bezogen. g) Sofern in einem Band sowohl Manuskripte Schleiermachers als auch Nachschriften aus demselben Kolleg veröffentlicht werden, wird der Zusammenhang zwischen ihnen durch ein Verweisungssystem hergestellt, etwa durch die Angabe der Daten oder durch die Bezeichnung der Vorlesungsstunden am Seitenrand. Sofern solche Angaben in den edierten Quellen enthalten sind, werden sie recte wiedergegeben; sofern sie aus anderen Quellen ergänzt sind, werden sie kursiv gesetzt. Im Namen der Herausgeber Hermann Fischer

Einleitung des

Bandherausgebers

Der vorliegende Band vereint die Quellen zu den Vorlesungen, die Schleiermacher in den Jahren 1808/09, 1813, 1817, 1817/18, 1829 und 1833 über „Die Lehre vom Staat" gehalten hat. Den ersten Teil bilden seine handschriftlichen Aufzeichnungen. Sie sind jedoch sämtlich fragmentarisch: Die Manuskripte aus dem Umkreis der Kollegien von 1808/09, 1813, 1817/18 und 1833 sind nur in fragmentarischer Gestalt überliefert, während das Manuskript zum Kolleg 1829 zwar vollständig erhalten, doch von Schleiermacher selber nicht ganz vollendet worden ist. Zum Kolleg von 1817 schließlich haben sich gar keine eigenen handschriftlichen Materialien erhalten. Aufgrund dieser Ungunst der Überlieferung werden im zweiten Teil des vorliegenden Bandes Nachschriften der von Schleiermacher in den Jahren 1817, 1817/18, 1829 und 1833 gelesenen Kollegien mitgeteilt. Seine Vorlesungen über die Lehre vom Staat werden damit — abweichend von den „Editorischen Grundsätzen für die IL Abteilung" - lückenlos dokumentiert, da sich aus historisch-politischem Interesse eine vollständige Dokumentation nahelegt. Diese Vorlesungen sind erstmals von Christian August Brandis in Schleiermachers „Sämmtlichen Werken" veröffentlicht worden;1 anders als für die meisten Vorlesungsdiziplinen ist diese Edition bisher auch die einzige geblieben. Den ersten Teil und zugleich den Kern von Brandis' Ausgabe bildet Schleiermachers Manuskript von 1829;2 die in diesem fehlenden Schlußpartien hat Brandis aus einer Nachschrift desselben Kollegs ergänzt.3 Als eine weitere Ergänzung hat er dem Manuskript Schleiermachers in Fußnoten „Erläuterungen aus nachgeschriebenen Heften von den J. 1817 und 1829" angefügt. Ferner hat Brandis — in einem zweiten Teil — dem Manuskript von 1829 noch Schleier1

2 3

Friedrich Schleiermacher's sämmtliche Werke. Dritte Abtheilung. Zur Philosophie. Achter Band. Die Lehre vom Staat. Aus Schleiermacher's handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen herausgegeben von Chr. A. Brandis, Berlin 1845. — Nebentitel: Friedrich Schleiermacher's literarischer Nachlaß. Zur Philosophie. Sechster Band. - Künftig: SW 111/8 Vgl. SW 111/8,1-150 mit vorliegendem Band, 65-169 SW 111/8,150-157. - Zu diesem Teil leitet Brandis über mit der Notiz: „Hier brechen die Schleiermacherschen Aufzeichnungen ab. Den Schluß dieser Vorträge entlehnen wir daher aus einem der im J. 1829 nachgeschriebenen Hefte." - Dieses Heft ist als die von Julius Schubring verfaßte Nachschrift zu identifizieren.

XVIII

Einleitung des Bandherausgebers

machers zusätzliche Vorlesungsnotizen aus dem Kolleg 1833 als „Anmerkungen" zugeordnet;4 hierfür hat er jedoch teils mehrere der kleinen Notizzettel zu einer einzigen „Anmerkung" zusammengezogen, teils aus inhaltlichen Gründen Umstellungen vorgenommen, so daß der Charakter dieser Notizzettel in seiner Ausgabe stark verändert ist. Der dritte Teil von Brandis' Edition enthält „Auszüge aus Schleiermacher's Vorlesungen über Politik, nach einem im Sommer 1833 nachgeschriebenen Hefte",5 die er wiederum den soeben erwähnten „Anmerkungen", d. h. Schleiermachers Notizen aus dem Jahre 1833, in einigen Fällen auch noch zusätzlich dem Manuskript von 1829 zugeordnet hat. — Den vierten Teil von Brandis' Edition bilden Schleiermachers frühe „Aphorismen über den Staat".6 Diese von Brandis herausgegebenen Texte sind auch im vorliegenden Band enthalten. Zusätzlich bietet er in großem Umfang bisher unbekannte Texte: im ersten Teil die aus anderen Kollegien überlieferten Fragmente und vor allem im zweiten Teil die Nachschriften der Kollegien 1817, 1817/18, 1829 und - statt des dritten Teils von Brandis' Ausgabe — eine vollständige Version des Kollegs 1833. Diese durch das Gattungsprinzip bestimmte Zweigliederung des vorliegenden Bandes in Manuskripte Schleiermachers und Nachschriften mußte in der folgenden Historischen Einführung durchbrochen werden. Denn in entwicklungsgeschichtlicher Perspektive bilden Vorlesungsmanuskripte und Nachschriften eine unauflösliche Einheit. Im Editorischen Bericht werden die Quellen hingegen in der Reihenfolge behandelt, in der sie im vorliegenden Band angeordnet sind. 1. Historische

Einführung

Die Vorlesungen über die Lehre vom Staat durchziehen fast Schleiermachers gesamte Lehrtätigkeit. Sie finden sich zwar noch nicht unter den ersten Vorlesungen, die er in den Jahren 1804—1806 in Halle gehalten hat. Doch schon bald nach seinem Wechsel nach Berlin, in den entscheidenden Jahren der Reformpolitik in Preußen, hat Schleiermacher mit Vorlesungen über die Staatslehre begonnen; jeweils im zeitlichen Umkreis der weiteren Kollegien hat er neue Manuskripte oder zumindest ergänzende Materialien ausgearbeitet, und die Notizen zu 4 5

6

Vgl. SW 111/8,158-178 mit vorliegendem Band, 171-198 So der Titel nach dem Inhaltsverzeichnis ; im Text lautet die Überschrift nur: „Aus Schleiermacher's Vorlesungen über Politik. Sommersemester 1833". — Siehe SW 1II/8,179-217 Vgl. SW 1II/8,118-237 mit vorliegendem Band 3-32

Historische Einführung

XIX

seinem, letzten Kolleg über dieses Gebiet datieren aus seinem letzten Lebensjahr. Die Ausarbeitung der Lehre vom Staat — oder der „Politik", wie Schleiermacher sie auch einmal nennt — hat nahezu ausschließlich im Kähmen dieser Vorlesungen stattgefunden, abgesehen von einigen frühen Exzerpten und Notizen sowie den drei noch zu erwähnenden Akademieabhandlungen. Diese bilden aber wohl eher eine Frucht seiner Vorlesungstätigkeit, als daß sie deren Konzeption befördert hätten. Jede dieser Abhandlungen thematisiert ohnehin nur einen kleinen Ausschnitt aus einem der drei Teilgebiete der Staatslehre - Verfassung, Verwaltung und Verteidigung.7

1. Zur Vorgeschichte der Staatslehre

(1788-1808)

Die erste Vorlesung über die Lehre vom Staat hat Schleiermacher 1808/09 als „Privatkolleg", d. h. als eine besonders honorierte Vorlesung, gehalten. Mit einigen der Materialien, auf die er sich hierbei gestützt hat, hat er sich jedoch bereits in den zwei Jahrzehnten zuvor vertraut gemacht. Bereits in seiner Studienzeit in Halle hat Schleiermacher - wie Dilthey ausgeführt hat8 - für die Rechts- und Staatslehre insbesondere zwei Anregungen empfangen. Die eine ist die Beschäftigung mit dem Naturrecht der späten Aufklärung. Mit ihm hat Schleiermacher sich in seinen 1796/97 geschriebenen „Notizen und Exzerpten zur Vertragslehre (1796/97)" bzw. in seinem „Entwurfzur Abhandlung über die Vertragslehre (1796/97)" auseinandergesetzt - insbesondere mit Hufeland und Schmalz, aber auch mit Eichte.9 Die hierzu bisher edierten Materialien sind noch um einige Texte zu ergänzen, die jedoch erst an anderer Stelle veröffentlicht werden,10 da sie nicht in die

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9 10

Die Edition erfolgt in KG A Uli Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers. Zweiter Band: Schleiermachers System als Philosophie und Theologie. Aus dem Nachlaß von Wilhelm Dilthey mit einer Einleitung herausgegeben von Martin Redeker. Erster Halbband. Schleiermachers System als Philosophie. In: Wilhelm Dilthey: Gesammelte Schriften, Bd 14, Göttingen 1966, S. 361 KGA 1/2,51-69 bzw. 71-74 Es handelt sich um mehrere Blätter des Schleiermacher-Nachlasses im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: einen programmatischen Entwurf, der mehrere abzuhandelnde Themen aufzählt und dabei einerseits auf Kant, Achenvall und Spalding, andererseits auf „die beiden französischen Constitutionen" Bezug nimmt, also wohl vor der dritten Constitution vom 23. September 1795 geschrieben ist (SN 128, Bl. 4T, 4"), femer um eine Auseinandersetzung um das Recht zu testieren (SN 128, Bl. 5r, 5", 6') sowie um Notizen zur Fortsetzung des Fragments

XX

Einleitung des

Bandherausgebers

unmittelbare Vorgeschichte der Vorlesungen über die Lehre vom Staat gehören. Bereits im frühesten Text zur Staatslehre, in den „Frühen Aphorismen", findet sich kein Nachhall mehr von diesen Auseinandersetzungen mit dem zeitgenössischen Naturrecht. Eine längere Nachwirkung hat hingegen der zweite Anstoß gehabt, den Schleiermacher während seines Studiums empfangen hat: der Hinweis auf das Werk des Aristoteles. Schleiermacher hat sich nicht nur sehr früh - bereits 1788-1789 - mit Aristoteles' Ethik und Metaphysik beschäftigt, wie seine „Anmerkungen zu Aristoteles: Nikomachische Ethik 8-9", seine „Übersetzung von Aristoteles : Nikomachische Ethik 8—9" und seine „Exzerpte aus Aristoteles: Metaphysik (mit Ubersetzung und Anmerkungen)" belegen.n Später, als Schulamtskandidat an dem von Friedrich Gedike geleiteten Seminarium für gelehrte Schulen in Berlin, hat Schleiermacher die politische Philosophie Piatons und Aristoteles' in einer lateinisch geschriebenen Abhandlung verglichen: „Philosophia politica Piatonis et Aristotelis".12 Wohl zur Vorbereitung dieser Abhandlung hat er sich ausführlich mit Aristoteles' „Politik" befaßt - allerdings nicht, wie bei den vorhin genannten Texten, in der Form einer Übersetzung und Kommentierung oder extensiven Exzerpierung; vielmehr hat er sich eine thematisch geordnete Stoffsammlung zu zentralen Aspekten dieses Aristotelischen Werkes angelegt. In deren Kähmen hat er auch auf entsprechende Ausführungen bei Plato verwiesen und Beobachtungen über das Verhältnis beider angestellt. Diese Sammlung bildet zwar gleichsam eine Quelle für Schleiermachers Bezugnahmen auf Aristoteles' „Politik" in seinen Vorlesungen über die Lehre vom Staat; da sie aber ursprünglich dem genannten Kontext zugehört, wird sie erst an anderer Stelle veröffentlicht.13

2. Die Anfänge der Staatslehre

(1808/09)

Es kann als ein Indiz für die Bedeutung angesehen werden, die Schleiermacher der Staatslehre beigemessen hat, daß er sie in Berlin sehr früh — noch vor Gründung der Universität - zum Gegenstand von

„Über die Freiheit" (SN 128, Bl. 7T, 8r), vermutlich aus dem Jahre 1790 (so die Datierung durch den Bandherausgeber, KGA I/1,LVI11; sie wird dadurch bestätigt, daß die Rückseite dieses Blattes Eintragungen zur Geschichte der Familie Dohna aufweist). — Die Edition erfolgt in KGA 1/14 11 KGA 1/1,1-43, 45-80 bzw. 165-175 " KGA I/1,LXXU-LXXV, 499-509 13 Die Edition erfolgt in KGA 1/14

Historische

Einführung

XXI

privaten Vorlesungen gemacht hat. In Halle hat Schleiermacher die Staatslehre noch nicht vorgetragen, und wohl nicht allein wegen der geringen Zahl seiner dort gehaltenen Vorlesungen, sondern auch deshalb nicht, weil ihre Grundlegung nach seinem Systemkonzept in die Ethik fällt. Ein systematischer Aufbau der Lehrtätigkeit erfordert deshalb, zunächst die Ethik und erst danach die Staatslehre vorzutragen — also eben diejenige Anordnung, der Schleiermacher gefolgt ist. Nachdem er seine wissenschaftliche Laufbahn mit den „Grundlinien der Kritik der bisherigen Sittenlehre"14 begründet hatte, hat er zunächst in Halle, im Winter 1804/0515 und wieder im Winter 1805/06,16 über die philosophische Sittenlehre gelesen. Gleichzeitig hat er dort das „Brouillon zur Ethik" (1805/06)17 ausgearbeitet und damit den Grund für seine späteren Vorlesungen über die Staatslehre gelegt. Denn er entwikkelt darin die Unterscheidung zweier Handlungsweisen der Vernunft: einerseits der organisierenden als Bilden der Natur zum Organ der Vernunft und andererseits der symbolisierenden als Gebrauch des. Organs zum Handeln der Vernunft. Indem Schleiermacher diese beiden Tätigkeiten - die organisierende und die erkennende - unter die Gesichtspunkte überwiegender Individualität bzw. überwiegender Gemeinschaft stellt, erhält er eine „Quadruplizität" — ein Schema, das für ihn alle Formen sittlichen Handelns umgreift: die organisierende Tätigkeit unter dem Charakter der Gemeinschaft als das gesellschaftliche Naturverhältnis (Arbeit, Arbeitsteilung, Tausch), unter dem Charakter der Individualität das Privateigentum und die Privatsphäre ; die symbolisierende Tätigkeit unter dem Charakter der Gemeinschaft die Sphäre des Wissens und schließlich das individuelle Symbolisieren den Bereich des Gefühls mit Kunst und Religion.19 Ihre institutionalisierte Form finden diese vier Bereiche im Staat, in der freien Geselligkeit, in der Akademie

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Berlin 1803 Schleiermacher hatte zunächst eine Vorlesung über christliche Sittenlehre angekündigt (siehe Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen. Bearbeitet von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond, Berlin-New York 1992, 300, künftig: Arndt/Virmond) und diesen Plan kurzfristig geändert; siehe seinen Brief an E. und Η. v. Willich vom 17. Oktober 1804: „Anstatt der christlichen Moral bin ich durch allerlei Umstände in die philosophische hineingeworfen worden, und es ist wohl auch eben so gut, daß ich diese zum Grunde lege; nur daß ich mit der Anordnung des Ganzen nicht zu Stande bin, und mich fürchte, gar sehr vieles bei diesem erstenmale zu vergessen." (Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen, Berlin 21860 (künftig: Br), Bd. 2,8) Arndt/Virmond, 301 Schleiermacher: Brouillon zur Ethik (1805/06), auf der Grundlage der Ausgabe von Otto Braun hrsg. von Hans-Joachim Birkner, Hamburg 1981 Siehe auch Schleiermachers Akademie-Abhandlung „Heber den Begriff des höchsten Gutes. Zweite Abhandlung. Gelesen am 24. Juni 1830", SW Π1/2,469-495; vgl. u. a.

XXII

Einleitung des

Bandherausgebers

und in der Kirche. Durch dieses in der Ethik explizierte Schema erhält somit der Staat seine Stellung neben der freien Geselligkeit, der Wissenschaft und der Kirche zugewiesen; die Lehre vom Staat ist deshalb für Schleiermacher eine technische Disziplin., die die Ethik zu ihrer Grundlage hat. Nachdem die Universität Halle durch Napoleon geschlossen worden und Halle dem neugeschaffenen Königreich Westfalen zugeschlagen worden war, hat Schleiermacher in Berlin im Winter 1807/08 — genauer erst ab Januar 1808 - seine zunächst private Vorlesungstätigkeit mit Kollegien über Ethik und theologische Enzyklopädie begonnen und bereits im Winter 1808/09 die Glaubenslehre und die Staatslehre vorgetragen. Über die Gegenstände und den Beginn der Kollegien unterrichten zwei Anzeigen in den Berlinischen Nachrichten (Spenersche Zeitung). In Nr. 131 vom 1. November 1808, S. 6, heißt es: „Unterzeichneter gedenkt in bevorstehendem Winter 2) die Theorie des Staates, seiner wesentlichen Bestandtheile, und Verrichtungen nach den in der Ethik mitgetheilten Principien genauer zu entwickeln, in zwei wöchentlichen Stunden. Das Nähere in der Realschulbuchhandlung. Berlin den 28. Oktober 1808. Dr. F. Schleiermacher." Am 15. November 1808 hat Schleiermacher in Nr. 137 der gleichen Zeitung das Anfangsdatum des Kollegs präzisiert: „Meine Vorlesungen werden erst den 21sten dieses Monats ihren Anfang nehmen. Berlin den 14 Novbr. 1808. D. Schleiermacher." Bestätigt wird dies durch Tagebucheintragungen, daß er die „Politik" am 21. November begonnen habe. Gelesen hat er insgesamt 37 Stunden, und zwar jeweils Montag und Dienstag nachmittags bis zum 20. Dezember 1808 und wieder vom 9. Januar bis zum 15. April 1809, ausnahmsweise einem Sonnabend19 - vielleicht, weil das Tagebuch für Montag, den 10. April notiert: „Collegium versäumt". Daß Schleiermacher die Politik so bald nach seiner Übersiedelung nach Berlin, noch vor Gründung der Universität zum Thema gemacht hat, dürfte sich neben den genannten wissenschaftssystematischen Erwägungen auch außerwissenschaftlichen Motiven verdanken - politischen und privaten. Zwei Wochen nach Beginn seiner Kollegien, am 4. Dezember 1808, faßt Schleiermacher seine Eindrücke über die zurückliegenden Stunden in einem Brief an seine Braut Henriette v. Willich so zusammen: „Was mir aber auch jezt schon recht große Freude macht, das sind meine Vorlesungen; mit den ersten Stunden bin ich selten zufrieden, war es auch diesmal nicht, wie ich auch mit dem Ein-

19

Emanuel Hirsch: Geschichte der neuem evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens. Bd. 4, Gütersloh Ί951, 41968, S. 545-559 Vgl. Arndt/Virmond, 303 f

Historische

Einführung

XXIII

gang in meine Predigten am wenigsten zufrieden bin. Aber nun komme ich hinein und die Zuhörer auch. Alles ordnet sich bestimmter, es geht immer klarer hervor, daß wir die Wahrheit ergriffen haben, der Vortrag wird immer leichter, und oft überrascht mich selbst mitten im Vortrage etwas Einzelnes, was von selbst hervorgeht, ohne daß ich daran gedacht hatte, so daß ich selbst aus jeder einzelnen Stunde fast belehrt herauskomme. Ich kann Dir gar nicht sagen, was für ein Genuß das ist. Und dabei sind die Gegenstände so herrlich! den jungen Männern jezt das Christenthum klar machen und den Staat, das heißt eigentlich ihnen alles geben, was sie brauchen, um die Zukunft besser zu machen als die Vergangenheit war.20 Es ist somit zumindest auch ein praktisch-politisches Motiv, das Schleiermacher dazu bestimmt hat, seine Staatslehre gerade zu dieser Zeit vorzutragen. Und noch ein weiterer, in einem anderen Sinne praktischer Aspekt klingt in einer Bemerkung in einem Schreiben vom 15. Dezember 1808 an Henriette von Willich an: Hier äußert Schleiermacher die Hoffnung, es werde sich aus seinem Wirken auf Kanzel und Katheder „eine sichere Ansicht und vielleicht eine feste und bestimmte Thätigkeit entwickeln."21 Leider sind uns keine Quellen überliefert, die wir mit Sicherheit als Manuskripte zu diesen Vorlesungen identifizieren können; es sind auch keine Nachschriften dieser - nicht im strengen Sinne akademischen - Vorlesungen überliefert. Über den Inhalt oder gar über den Gedankengang dieser Vorlesung läßt sich somit nichts aussagen. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß das im vorliegenden Band erstmals veröffentlichte „Fragment eines frühen Heftes"22 bereits aus dieser ersten Vorlesung stammen könnte. Es sind lediglich drei Zeugnisse überliefert, die belegen, daß Schleiermacher ein klares Bewußtsein darüber gehabt hat, daß er damals zwar erst am Beginn seiner Beschäftigung mit Problemen der Staatslehre gestanden, jedoch sogleich guten Zugang zu diesem ihm zuvor weniger vertrauten Gebiet gefunden hat. In einem Schreiben an Henriette v. Willich vom 22. Oktober 1808 kommt Schleiermacher auf dieses ihn - neben seiner Platon-Übersetzung - beschäftigende Thema zu sprechen: „Nebenher habe ich nun jezt besondere Aufforderung, mir meine Gedanken und Einsichten über den Staat und das gemeinsame Leben der Menschen überhaupt recht klar und vollständig zu machen. Das arbeitet nun immer zwischen jenem durch und ist ein herrlicher

m Br 2,176 21 22

Br 2,181 Siehe unten 33—43

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Einleitung des

Bandherausgebers

Zustand innern Lebens und Gebärens. Nun drängt es mich Vorlesungen zu halten über diesen Gegenstand; das ist immer der erste Ausweg; denn dadurch tritt mir Alles am besten vor Augen und arbeitet sich aus, und so will ich denn anfangen Anstalten hierzu zu machen, damit ich sie in 3 bis 4 Wochen beginnen kann,"23 Als ein weiteres Zeugnis läßt sich ein Brief anführen, den Schleiermacher am 27. Dezember 1808 an einen Ungenannten, und zwar, wie Wolfgang Virmond nachgewiesen hat, an Theodor Anton Heinrich Schmalz gerichtet hat.24 Ihm ist zu entnehmen, daß Schleiermacher in diesem Semester bei Schmalz eine Privatvorlesung gehört hat, sehr wahrscheinlich die Vorlesung über Staatswirtschaft.25 Gegenüber Schmalz, der ihn „als einen schon der Sache kundigen" betrachtet habe, betont Schleiermacher in diesem Schreiben, er sei noch „ein wahrhafter Anfänger, und da ich nun dem gemäß ein fleißiger Schüler bis jezt gewesen bin und ferner sein werde so bitte ich daß Sie mich nun auch als einen ordentlichen Zuhörer und nicht nur als einen Gast betrachten wollen." Das dritte Zeugnis bildet ein Brief, den Schleiermacher gut zwei Monate nach dem Beginn seiner Vorlesungen, am 11. Februar 1809, an seinen alten Freund, den schwedischen Diplomaten Carl Gustav von Brinckmann26 gerichtet hat. Er halte zwei Vorlesungen, „eine Darstellung der christlichen Glaubenslehre nicht bloß für Theologen berechnet, die zugleich eine speculative Kritik derselben ist, und dann eine Theorie des Staates. Leztere als etwas ganz Neues interessirt mich natürlich besonders. Sie ist ein natürlicher Ausfluß meiner Ethik, und ich finde daß sich alles in großer Einfachheit und Klarheit gestaltet. Ich verlasse mich darauf daß nach unserer Theorie der Unpartheilichkeit ich mich auch schon einmal selbst loben darf. Bleibt mir die Hoffnung öfter wahrhaft akademische Vorlesungen über diesen Gegenstand zu halten, so werde ich ihn natürlich immer weiter ausarbeiten und mit

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Br 2,151 Schleiermacher-Nachlaß im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur 769/1 Nach Rudolf Köpke: Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Nebst Anhängen über die Geschichte der Institute und den Personalbestand. Berlin 1860, 141, hat in diesem Semester — noch vor der Gründung der Universität — außer Schleiermacher nur Schmalz Vorlesungen gehalten, und zwar über Pandekten, über Deutsches Recht, über Handels- und Französisches Recht, über Europäisches Völkerrecht und über Staatswirthschaft. Da — wie in den Anmerkungen zum vorliegenden Band nachgewiesen wird - Schleiermacher sich zu dieser Zeit intensiv mit Schmalz' „Handbuch der Staatswirthschaft" auseinandergesetzt hat, ist es sehr wahrscheinlich, daß er die Vorlesung über Staatswirtschaft besucht hat. Zu ihm siehe die biographischen Hinweise in KGA V/1,XXXVI1-XL

Historische Einführung

XXV

dem Druck nicht eilen. Sollte mir diese Hoffnung verschwinden, so werde ich, weil man dann für die Zukunft nur um so weniger stehen kann, was ich eben habe in einer aphoristischen Form zum Besten geben."17 Man kann diese letzte Formulierung als eine Charakterisierung des Ausarbeitungsstandes ansehen, den Schleiermachers Staatslehre in den Vorlesungen des Winters 1808/09 erreicht hat. Es ist aber auch möglich - und dem kommt sogar die größere Wahrscheinlichkeit zu - , daß Schleiermacher hier vorausdeutet auf eine erst später, wenn auch nur wenig später geschriebene Fassung der Staatslehre, die uns in seiner Skizze „Frühe Aphorismen" erhalten ist.28 Hier setzt Schleiermacher sich in unsystematischer Form mit unterschiedlichen Aspekten der Staatslehre auseinander - insbesondere mit damaligen Entwürfen der „Staatswirtschaft", aber auch mit einigen Themen der Staatsformenlehre.

3. Die Entfaltung der Staatslehre

(1813-1818)

Schleiermachers Hoffnung, wieder „wahrhaft akademische Vorlesungen" halten zu können, hat sich wenig später mit der Gründung der Berliner Universität und seiner Berufung erfüllt. Deshalb wird er auch den Plan zur Veröffentlichung seiner „Aphorismen" nicht weiter verfolgt und die weitere Entwicklung seiner Staatslehre seinen akademischen Vorlesungen überlassen haben. In der Universität hat Schleiermacher die Lehre vom Staat noch fünfmal vorgetragen, und zwar zunächst in rascher Folge in den Jahren 1813, 1817, 1817/18, dann nach einer längeren Pause wieder 1829 und schließlich 1833. Die Vorlesungen fanden jeweils im Kähmen der Philosophischen Fakultät statt, in der Schleiermacher - als Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften — vorzutragen berechtigt war. Das halbe Jahrzehnt von 1813 bis 1818 dürfte die wichtigste Phase für die Entwicklung von Schleiermachers Staatslehre gewesen sein. In diesen wenigen Jahren hat Schleiermacher drei Kollegien über Politik gelesen, und die erhaltenen Nachschriften belegen einen weit fortgeschrittenen Stand der Entwicklung, der 1829 zwar noch einmal ausführlicher entfaltet, aber in der Grundlegung nicht mehr überboten worden ist. Zusätzlich hat er von den drei Akademieabhandlungen zur

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Br 4,167 Siehe unten 3-32. Titel „Aphorismen

- Brandis hat dieses Manuskript über den Staat" veröffentlicht.

in SW ¡11/8,218-237 unter dem

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Einleitung

des

Bandherausgebers

Staatslehre zwei im Jahre 1814 vorgetragen: „Ueber die Begriffe der verschiedenen Staatsformen" und „Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung".29 Man wird diese Häufung in der Auseinandersetzung mit der Staatslehre der politischen Umbruch situation dieser Jahre zuschreiben dürfen - auch wenn sich keine gerade Linie von Schleiermachers politischer und publizistischer Tätigkeit zur Gedankenführung seiner Vorlesungen über Staatslehre ziehen läßt.30 In den Jahren um 1808 hat Schleiermacher in engen persönlichen Verbindungen zu führenden Köpfen der Reformpartei gestanden und auch konspirative Missionen übernommen. In seinen wirkungsmächtigen politischen Predigten dieser Jahre, die er als ein Gegenstück zu Fichtes „Reden an die deutsche Nation" gesehen haben mag, hat er gegen den — als mechanistisch apostrophierten — Staatsgedanken der Aufklärung den Nationalgedanken propagiert.31 Wenig später hat er maßgeblichen Einfluß auf die Konzeption der neu begründeten Berliner Universität genommen und in der Unterrichtssektion des Innenministeriums an der Reform des preußischen Schulwesens mitgewirkt. Und noch während der Napoleonischen Besatzung hat er sich in seiner Tätigkeit als Redakteur beim „Preußischen Correspondenten" politisch so weit hervorgewagt, daß er verwarnt worden ist, „sich dergleichen sowie überhaupt jeder unbefugten politischen Einmischung, die ihm als Geistlichem und Lehrer am wenigsten zustehe, künftig zu enthalten, oder sofortige Entsetzung vom Dienst und außerdem noch anderweitige gesetzliche Ahndung zu gewärtigen".32

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SW ¡11/2,246-286 bzw. SW III/3,227-251. - Die dritte Abhandlung, „Ueber die verschiedene Gestaltung der Staatsvertheidigung" (SW III/3,252—270), hat Schleiermacher zwar erst am 10. August 1820 gelesen, aber doch noch in engem Anschluß an die hier thematische fruchtbare Epoche in der Ausbildung seiner Staatslehre. Dilthey: Schleiermachers politische Gesinnung und Wirksamkeit, in Dilthey: Gesammelte Schriften 12, Leipzig und Berlin 1936, S. 1-36 (inhaltlich zum Teil übereinstimmend mit Diltheys „Leben Schleiermachers") Siehe etwa die Predigten vom 23. 11. 1806: „Ueber die Benuzung öffentlicher Unglücksfälle"; vom 28. 12. 1806: „Daß die lezten Zeiten nicht schlechter sind als die vorigen"; vom 1.1. 1807: „Was wir fürchten sollen und was nicht"; SW 11/1,246—261 bzw. 262—276 bzw. 277—292; insbesondere die Predigt vom 24. 8. 1806: „Wie sehr es die Würde des Menschen erhöht, wenn er mit ganzer Seele an der bürgerlichen Vereinigung hängt, der er angehört"; SW 11/1,218—233. — Siehe hierzu auch Johannes Bauer: Schleiermacher als patriotischer Prediger, Gießen 1908, und Hans-Joachim Birkner: Der politische Schleiermacher, in: Birkner: Schleiermacher-Studien. Eingeleitet und herausgegeben von Hermann Fischer. Mit einer Bibliographie der Schriften Hans-Joachim Birkners von Arnulf von Scheliha. Berlin/New York 1996, S. 137-156 (Sehl A 16) Zu diesem Konflikt im Jahre 1813 siehe Max Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Bd. 1, Halle a. d. S. 1910, 518

Historische Einführung

XXVII

Aber anders als den Predigten sind den aus seinen Kollegien über die Lehre vom Staat überlieferten Quellen kaum prägnante Hinweise auf die politische Lage wie auf die zeitgenössische Verfassungs- und Rechtsgeschichte zu entnehmen — anders auch als den Briefen, in denen Schleiermacher sich mehrfach ausführlich mit den politischen Entwicklungen auseinandersetzt, wie etwa in den Briefen an Georg Andreas Reimer vom November 1806 oder vom 6. Dezember 180633 und insbesondere in seinem letzten überlieferten Brief an Friedrich Schlegel vom 12. Juni 1813, in dem er sein von Schlegel angemahntes „politisches Glaubensbekenntniß" über die Neugestaltung Deutschlands formu34 liert, Die Vorlesungen über die Lehre vom Staat tragen hingegen einen von den politischen Tagesereignissen und sogar von regionalen Bezügen abgelösten Charakter. Obgleich es nicht fraglich sein kann, daß ein starkes Motiv für Schleiermachers Vorlesungen in der damals angespannten, von Erwartungen ebenso wie von Enttäuschungen und Zweifeln geprägten politischen Lage zu sehen ist, bilden seine akademischen Vorlesungen nicht deren unmittelbaren Reflex. Sie blenden die Tagespolitik offensichtlich bewußt aus und entwerfen statt dessen Grundlinien eines allgemeinen, nahezu zeit- und ortlosen Verständnisses des Staates — sowohl der inneren Struktur des Staates wie auch seines Zusammenhangs mit den anderen Bereichen sittlichen Lebens: der freien Geselligkeit, der Wissenschaft und der Kirche. Gerade wegen dieses offenkundig großen Gewichts, das die Staatslehre in den genannten Jahren im Rahmen von Schleiermachers Vorlesungstätigkeit gehabt hat, ist es zu bedauern, daß sich aus ihnen fast keine Texte von seiner Hand erhalten haben - abgesehen von den beiden Akademie-Abhandlungen, die thematisch aus ihrem Umkreis hervorgegangen sind. Uber die Vorlesung von 1813 sind wir allein durch die Ankündigungen des deutschen und des lateinischen Vorlesungsverzeichnisses unterrichtet: „Die philosophische Staatslehre Hr. Schleiermacher, Mitglied der Academie der Wissenschaften, 4mal wöchentlich von 2-3 Uhr." - „Doctrinam de re publica philosophice tractabit hör. II-III dieb. Lun. Mart. Merc, et lovis. " Die Akten nennen nicht die Termine des Beginns oder des Endes, sondern vermerken lediglich, daß die Vorlesung vor 7 Hörern stattgefunden hat.35 Offensichtlich haben die damaligen Kriegsereignisse eine größere Beteiligung verhindert.

33 34 35

Siehe Heinrich Meisner (Hrsg.): Schleiermacher als Mensch. Sein Wirken. Familienund Freundesbriefe 1804-1834, Gotha 1923, Bd. 2,72 bzw. 81 Br 3,428-431 Arndt/Virmond, 308

XXVIII

Einleitung des

Bandherausgebers

Wegen des Mangels an datierten Zeugnissen ist diese Vorlesung von der bisherigen Forschung nicht einmal als Faktum zur Kenntnis genommen worden. Brandis erwähnt zwar die Vorlesung von 1817,i6 jedoch nicht die von 1813, und auch Dilthey übergeht diese mit Stillschweigen. Die Akademieabhandlung „Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung" beruht Dilthey zufolge „einerseits auf dem ersten Entwurf der Staatslehre von 1808/9", andererseits sei sie „dadurch bedingt, daß Schleiermacher im Wintersemester 1813/14 Vorlesungen über die Pädagogik gehalten hat."37 Doch gerade wenn man mit Dilthey - wenn auch nicht mit seinen allzu dezidierten Angaben — die „Frühen Aphorismen" in die Nähe des Kollegs 1808/09 rückt und sie lediglich als die Frucht des Anfangsstadiums von Schleiermachers Nachdenken über die Staatslehre versteht, ist man zu der Annahme genötigt, daß Schleiermacher für sein Kolleg 1813 ein neues Konzept ausgearbeitet haben wird, das dann die Grundlagen für die weitere Ausarbeitung der Staatslehre — auch in den Akademieabhandlungen — gebildet haben wird. Und trotz des Mangels an datierten Zeugnissen ist es nicht unwahrscheinlich, daß wenigstens ein Fragment dieses Konzepts erhalten geblieben ist: die bisher nicht veröffentlichte Ausarbeitung, die im vorliegenden Band unter den Titel „Fragment eines frühen Heftes" gestellt worden ist. Inhaltlich gesehen macht das kurze Fragment einen bereits sehr durchgebildeten Eindruck. Man könnte von ihm schon auf einen bereits weit fortgeschrittenen Stand in der Ausbildung der Staatslehre zu Beginn des Zeitraums 1813-1818 schließen. Daß ein solcher Schluß berechtigt ist, zeigen die beiden Akademie-Abhandlungen des Jahres 1814.38 Auch wenn diese nur den beiden Themen der Staatsformenlehre und der Einflußnahme des Staates auf die Erziehung gewidmet sind, wird man doch nicht fehlgehen in der Annahme, daß diese Abhandlungen bereits auf der Basis einer fortgeschrittenen Ausbildung der Staatslehre als ganzer konzipiert worden sind. Zudem wird diese Annahme bestätigt durch das wenig später vorgetragene Kolleg 1817, das im vorliegenden Band durch die Nachschrift Varnhagen dokumentiert wird. Dieses Kolleg hat Schleiermacher — wie die Vorlesungsankündigungen ausweisen - viermal wöchentlich gelesen, und zwar vom 21. April bis zum 13. August, jeweils morgens

« SW III/8,XXVI Dilthey: Leben Schleiermachers, 387 38 „Ueber die Begriffe der verschiedenen Staatsformen", gelesen am 24. März 1814, erstmals veröffentlicht in den Akademie-Abhandlungen 1814/15,17—49, sowie in SW 111/2,246—286; „Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung", gelesen am 22. Dezember 1814, SW III/3,227-251. - Die historisch-kritische Edition erfolgt in KG A Uli. 3

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Historische Einführung

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von 6—7 Uhr; die Universitätsakten verzeichnen die Teilnahme von 74 Hörern.39 Manuskripte Schleiermachers zu diesem Kolleg haben sich nicht erhalten. Es ist nicht zu entscheiden, ob er dieses Kolleg im wesentlichen auf der Grundlage des frühen Heftes vorgetragen hat, von dem das „Fragment eines frühen Heftes" auf uns gekommen ist, oder ob er sich hierfür ein neues Heft angelegt hat, auf das er sich dann später, 1829, als auf das „alte Heft" zurückbezieht. Inhaltlich sind wir jedoch über dieses Kolleg von 1817 gut unterrichtet, denn es ist das erste, aus dem sich Vorlesungsnachschriften erhalten haben. Auch wenn zu vermuten ist, daß die Dreiteilung des Kollegs bereits den beiden früheren Kollegien zu Grunde lag, so ist ihre Ausführung doch erstmals hier greifbar. Aber auch abgesehen von dieser Gliederung macht die Staatslehre 1817 einen gereiften Eindruck, der von den späteren Fassungen nicht prinzipiell überboten wird. Differenzen zeigen sich jedoch in Einzelheiten - etwa darin, daß die Dreigliederung hier noch unter den Titeln „Staatsbildung", „Staatsverwaltung" und „Staatserhaltung" steht, und nicht, wie später, unter den Titeln „Staatsverfassung", „Staatsverwaltung" und „Staatsverteidigung". Auffällig ist auch das spätere Zurücktreten des merkantilistischen und physiokratischen Begriffs der „Staatswirthschaft", der Schleiermacher im Umkreis seines ersten Kollegs u. a. aus den Veröffentlichungen von Pölitz und Schmalz vertraut war und dessen Abhandlung noch 1817 den ersten Teil der „Staatsverwaltung" einnimmt; im Kolleg von 1829 findet er sich gar nicht, und nur einmal im letzten Kolleg. Es ist nicht bekannt, was Schleiermacher bewogen hat, bereits im folgenden Semester, also im Winter 1817/18, erneut die Staatslehre vorzutragen - ja es ist kaum bekannt, daß er dies getan hat. Denn wie die Kollegien 1813 und 1817, so ist auch die Ausführung von Schleiermachers Staatslehre im Kolleg 1817/18 von der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen worden. Brandis und Dilthey erwähnen nicht einmal, daß Schleiermacher in diesem Semester die Lehre vom Staat vorgetragen hat. Doch anders als beim Kolleg 1813 ist dies hier nicht allein auf den Mangel an Quellen zurückzuführen, sondern auf die verbreitete Uberzeugung, daß Schleiermacher nach dem Sommer 1817 wegen eines gegen ihn ausgesprochenen Verbots nicht mehr über Politik gelesen habe. Diese irrtümliche Ansicht ist durch die Darstellung veranlaßt worden, die Max Lenz von den hochschulpolitischen Auseinandersetzun-

Arndt/Virmond,

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Einleitung des

Bandherausgebers

gen des Jahres 1817, insbesondere im Gefolge des Wartburgfestes, gegeben hat. Im Kontext von Überlegungen hinsichtlich einer Einschränkung der Aktivitäten des „Turnvaters" Jahn zitiert Lenz ein Schreiben des Staatskanzlers Hardenberg vom 8. Dezember 1817 an Altenstein, den für Unterrichtsangelegenheiten zuständigen Minister: „'Bei dieser Gelegenheit', so fährt er fort, 'mache ich Ew. Excellenz auf die Vorlesungen des Professors Schleiermacher aufmerksam. Sie hatten hauptsächlich eine politische Tendenz, dienten, ohne einen reellen Nutzen zu gewähren, dazu, die Gemüther zu bewegen und zu entzweien. Se. Majestät der König haben sich mehrmals mißfällig darüber geäußert, und sie dürfen unter diesen Umständen nicht ferner gestattet werden.' Er habe dem Fürsten von Wittgenstein den Inhalt dieses Schreibens mitgeteilt, um gemeinschaftlich mit Altenstein dahin zu wirken, daß sowohl diese als die Jahnschen Vorlesungen in Zukunft unterblieben. Und so ist es gekommen: über die Politik hat Schleiermacher nie wieder gelesen."40 Lenz' Resümee geht in doppelter Hinsicht am Problem vorbei. Zunächst ist hervorzuheben, daß in dem von ihm zitierten Schreiben Hardenbergs41 nur allgemein von Schleiermachers Vorlesungen" die Rede ist und nicht speziell von seinen Vorlesungen über Politik. Einige Absätze zuvor — allerdings noch nicht im Kontext des genannten Hardenbergschen Schreibens, sondern der Vorbereitung von Maßnahmen gegen studentische Verbindungen und das Turnwesen - spricht Lenz ohnehin von Schleiermachers Vorlesungen im allgemeinen: den theologischen Vorlesungen, der Politik-Vorlesung des Sommers 1817 wie auch von der Psychologie-Vorlesung des Sommers 1818. Der Wortlaut des Schreibens des Staatskanzlers gibt jedoch - für sich genommen - keinerlei Anlaß zu der von Lenz nahegelegten Annahme, daß die geplanten administrativen Maßnahmen sich auf ein Verbot der Vorlesungen lediglich über Politik beschränkt hätten. Eine explizite „politische Tendenz" im Sinne einer Kommentierung politischer Tagesereignisse oder einer Aufforderung zu bestimmtem politischen Handeln haben Schleiermachers Vorlesungen über Politik ohnehin nicht, wie man aus dem hier edierten Text nun erstmals ersehen kann. Die erwähnte „politische Tendenz" dürfte sich eher auf Schleiermachers universitätspolitisches Wirken überhaupt beziehen, insbesondere auf seine Präsenz im Umkreis der damaligen burschenschaftlichen Aktivitäten. Hierüber berichtet

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Lenz: Geschichte der Universität zu Berlin. Zweiter Band, Erste Hälfte: Ministerium Altenstein, 39. - Das zitierte Schreiben ist erhalten im Geheimen Staatsarchiv Berlin, Repertorium 92, Hardenberg, Ziffer Κ 62. Uber den Verbleib des Originals ist nichts bekannt; im Geheimen Staatsarchiv Berlin hat es sich nicht auffinden lassen.

Historische Einführung

XXXI

Lenz ebenfalls in diesem Zusammenhang aus dem Jahre 1817: Schleiermacher „schloß sich nur um so enger der vaterländischen Jugend an; er fehlte bei keinem ihrer Feste, und kein Professor wurde bei diesen lieber gesehen, als der kleine, bebende Mann, der mit den Frohen so fröhlich sein konnte und für des Vaterlands Größe und Freiheit schwärmte wie sie selbst." Dergleichen Aktivitäten haben damals den König so erzürnt, daß er, wie Max Lenz berichtet, am 7. Dezember 1817, also nur einen Tag vor dem Schreiben Hardenbergs an Altenstein, dem verantwortlichen Minister v. Altenstein den Befehl erteilt hat, „sofort, bei Strafe der Relegation, alle Verbindungen unter der Studentenschaft zu verbieten, auch das Turnwesen scharf zu beaufsichtigen. 'Ich werde', schrieb ihm der König, 'nicht den mindesten Anstoß nehmen, diejenige Universität, auf welcher der Geist der Zügellosigkeit nicht zu vertilgen ist, aufzuheben'."*2 Vor dem Hintergrund derart weitreichender Drohungen erscheint es keineswegs als ausgeschlossen, daß der Vorstoß Hardenbergs ein generelles und nicht bloß ein partielles Lehrverbot für Schleiermacher angezielt hat. Zudem gibt es zwei ausdrückliche Belege für diese Deutung. Im Anschluß an das oben mitgeteilte Zitat aus dem Brief Hardenbergs an Altenstein fährt Lenz fort: „Der Fürst von Wittgenstein scheint aber die Verfügung des Staatskanzlers sogar dahin aufgefaßt zu haben, daß auch die gegenwärtigen Vorlesungen des staatsgefährdenden Professors inhibiert werden sollten." Dies müßte Lenz auf die theologischen Vorlesungen Schleiermachers aus dem Wintersemester 1817/18 bezogen haben, da er von der Politikvorlesung dieses Semesters anscheinend nichts weiß und sie zumindest in diesem Kontext nicht erwähnt.43 Ferner zitiert Lenz im Anschluß hieran ein Schreiben des Geheimrats Rother an Hardenberg vom 15. Dezember 1817, in dem es heißt: „Der Fürst von Wittgenstein wird Ew. Durchlaucht wahrscheinlich geschrieben haben, daß die Vorlesungen des Herrn Schleiermacher schon seit sechs Wochen angefangen haben, und daß solche nach einer mit dem König genommenen Verabredung jetzt nicht gestört werden könnten, weil die Sache zu viel Aufsehen machen würde."44 Dies bezieht sich offensichtlich auf die Vorlesungen über die Paulinischen Briefe und die praktische Theologie, die Schleiermacher beide am 20. Oktober 1817 begonnen hat45 - also exakt sechs Wochen zuvor -, und

42 43

44 45

Lenz: Geschichte der Universität zu Berlin, a. a. O. Bd 2, 1. Hälfte, 38 Lediglich in einer Fußnote und in anderem Zusammenhang erwähnt Lenz, Schleiermacher im "Winter 1817/18 vor 105 Hörem über Politik gelesen hat; siehe 208 Fußnote 2. Ebd. 39 Arndt/Virmond, 313

daß ebd.

XXXII

Einleitung des Bandherausgebers

nicht auf die Politikvorlesung, denn diese im Vorlesungsverzeichnis gar nicht angekündigte Vorlesung hat Schleiermacher ja erst am 1. Dezember 1817 begonnen — was Lenz jedoch nicht erwähnt. Die gegenwärtige Quellenlage erlaubt deshalb nur die Lesart, daß ein generelles Lehrverbot für Schleiermacher beabsichtigt war. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß Max Lenz weitere, ungenannte Schriftstücke vorgelegen haben, die ihn zu seiner Interpretation bewogen haben. Man kann freilich erwägen, ob die zitierte Nachricht Rothers an Hardenberg vom 15. Dezember, daß Schleiermachers Kollegien bereits vor „sechs Wochen" begonnen hätten, eine bewußte oder unbewußte Unwahrheit enthält - in Übereinstimmung mit der auch sonst bekannten Taktik Altensteins, die Durchführung scharfer Maßregeln zu verschleppen. Hiergegen spricht jedoch, daß Rother sich ja auf ein Schreiben Wittgensteins an Hardenberg bezieht - und Wittgenstein, dessen Tätigkeit als Polizeiminister bei den Demagogenverfolgungen hinreichend bekannt ist, hätte sich schwerlich in den Dienst der Verschleppungstaktik Altensteins stellen lassen. Gleichwohl kann es als kaum glaubhaft erscheinen, daß es die Absicht des Königs oder der führenden Staatsmänner gewesen sein könnte, Schleiermacher — nur kurz nach den Feierlichkeiten zur dreihundertsten Wiederkehr des Reformationstages — mit einem vollständigen Lehrverbot zu belegen. Gegen einen derartigen Vorbehalt ist allerdings zu berücksichtigen, daß der König, wie zitiert, sogar sehr viel weiterreichende Maßnahmen angedroht hatte, nämlich die Schließung der Universität. Zudem werfen auch wenig spätere Ereignisse nochmals Licht auf die Vorgänge des Herbstes 1817. Im Zuge der Repressionen nach der Ermordung August von Kotzebues durch Karl Ludwig Sand im März 1819 sind auch Schleiermachers Predigten zeitweise polizeilich überwacht worden. Eine Königliche Ministerial-Untersuchungskommission hat in einem Bericht vom 16. März 1820 die politischen Bedenken gegen Schleiermacher so zusammengefaßt : „Schon seit einer Reihe von Jahren befaßte der Professor Schleiermacher, höchst unberufen dazu, sich mit politischen Zwecken und Verbindungen. Er mißbrauchte bekanntermaßen nicht selten die Kanzel zu politischen Vorträgen und verfaßte durch den Abdruck bekannt gewordene politische Aufsätze. [...] Mit vielen der jetzt wegen revolutionärer Tendenz bekannt gewordenen und in Anspruch genommenen Individuen stehet er in Bekanntschaft, und die mehrsten von diesen betrachten ihn als einen vorzüglichen Stützpunkt." Der Bericht zählt in der Folge einzelne Äußerungen und Handlungen auf, die der Kommission als staatsgefährdend erschienen sind, und endet mit der Empfehlung: „Wer so redet, so schreibt und so handelt wie der Professor Schleiermacher nach diesem allen geschrieben, geredet und sich betragen hat, sollte nicht län-

Historische

XXXIII

Einführung

ger als Seelsorger, Prediger und akademischer Lehrer der Religion und Moral geduldet werden."46 Auch daraus ist ersichtlich, daß es nicht eigentlich Schleiermachers Vorlesungen über die Lehre vom Staat gewesen sind, gegen die sich die politischen Bedenken richten, sondern seine Predigten, einige Publikationen und insbesondere sein Wirken im Kreise der als Demagogen Verdächtigen. Die Kommission zieht hieraus, insofern folgerichtig, den Schluß, daß Schleiermacher allgemein „nicht länger als Seelsorger, Prediger und akademischer Lehrer der Religion und Moral geduldet werden" könne - die Politik-Vorlesungen hingegen werden wiederum nicht eigens erwähnt. - Die hieran anschließende Empfehlung, Schleiermacher an eine andere Universität - etwa nach Königsberg - zu versetzen und ihn erst bei einer etwaigen Weigerung zu entlassen, ist jedoch teils durch neue Entdeckungen, Verdächtigungen und Untersuchungen, teils wiederum durch die Verschleppungstaktik Altensteins nicht verwirklicht geworden.47 Schließlich trifft Lenz' Behauptung nicht zu, daß Schleiermacher nie wieder über Politik gelesen habe. Diese im Text nicht ohne Pathos aufgestellte Behauptung hat Lenz bereits in einer Fußnote zur angeführten Stelle selber wieder abgeschwächt; er schreibt dort: „Wenigstens nicht unter diesem Titel" (sc. 'Politik'), sondern nur als 'Lehre vom Staat', aber auch nur einmal und erst 1829, als er wieder in Gnaden war." Doch zum einen hat Schleiermacher nicht nur noch einmal, sondern 1829 und 1833 über die Staatslehre gelesen, und zum anderen gibt es keinerlei inhaltliche Differenz zwischen den Lehrgegenständen „Politik" und „Lehre vom Staat". „Lehre vom Staat" ist nicht - wie Lenz suggeriert - ein später absichtlich gewählter, gegenüber „Politik" abgemilderter, politisch entschärfter Vorlesungstitel. Abgesehen von dem Ausnahmefall des Sommersemesters 1817 hat Schleiermacher seine Vorlesungen stets als „Theorie des Staates" (1808/09), „philosophische Staatslehre" (1813), „Lehre vom Staat" (1829) und „philosophische Lehre vom Staat" (1833) (bzw. im lateinischen Verzeichnis als „Doctrina de re publica" o. ä.) angekündigt, so daß die Wahl dieses Vorlesungstitels in den Jahren 1829 und 1833 nicht als Spätfolge des beabsichtigten administrativen Eingriffs des Jahres 1817 ausgegeben werden kann. Was Schleiermacher bewogen hat, nach dem Sommersemester 1817 bereits im Wintersemester über die Lehre vom Staat zu lesen, ist nicht bekannt - es sei denn, man wollte annehmen, daß er eine Kraft-

46 47

Lenz, Geschichte der Universität zu Berlin, a. a. O. Bd. Ebd. Bd. 4,413 f

4,410-413

XXXIV

Einleitung des Bandherausgebers

probe mit seinen Gegnern beabsichtigt hätte. Doch ist es nicht einmal wahrscheinlich, daß er überhaupt Kenntnis gehabt hat von den Plänen, seine Vorlesungstätigkeit zu unterbinden. Dafür spricht sein Brief vom 31. Dezember 1818 an Carl Gustav v. Brinckmann: „Meine Stellung sowol in der Synode als in der Akademie bringt mich in mancherlei Berührungen mit der Regierung, und ich stehe in dem vollständigen Ruf, auf das gelindeste gesagt, eines Oppositionsmannes. Daß aber Viele es so weit treiben mich für einen Jakobiner auszuschreien gehört zu den lächerlichsten Mißverständnissen, da ich selbst in der wildesten Revolutionszeit immer ein Monarchist gewesen bin. Da es mich in meiner Wirksamkeit nicht stört, und mir nicht so leicht jemand etwas anhaben kann, übersehe ich dieses Geträtsch in der größten Ruhe. Du wirst auch aus meinen Abhandlungen sehen, daß ich mich in meinen politischen Grundzügen eben so wenig geändert habe, als in meinen religiösen. "48 Zum Kolleg 1817/18 sind der bisherigen Forschung weder Manuskripte von Schleiermachers Hand noch Vorlesungsnachschriften zugänglich gewesen; zudem ist dieses Kolleg nicht in den Vorlesungsverzeichnissen angekündigt. Doch nach den Universitätsakten hat Schleiermacher das Kolleg zwar verspätet begonnen, dann aber vom 1. 12.1817 bis zum 8. 4. 1818 vor 105 Hörern gelesen,49 Über den Inhalt dieses Kollegs unterrichtet umfassend die bislang unveröffentlichte Nachschrift Goetsch; neben dieser Nachschrift haben sich noch Schleiermachers bisher ebenfalls nicht veröffentlichte „Notizen zum Kolleg 1817/18" erhalten.50 4. Die neue Ausarbeitung

(1829)

Nach den Jahren der mehrfachen Abhandlung der Staatslehre in den Vorlesungen tritt nach dem Winter 1817/18 eine mehr als zehnjährige Pause ein. Uber die Gründe hierfür lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Daß es sich - wie man nach Max Lenz' Bericht annehmen mußte — um eine durch das Verbot seiner Vorlesungen erzwungene Pause gehandelt habe, wird durch das Faktum der Vorlesung 1817/18 widerlegt. Auch der Umstand, daß Schleiermacher in diesen Jahren, am 10. August 1820, seinen dritten Akademie-Vortrag zur Staatslehre — „Ueber die verschiedene Gestaltung der Staatsvertheidigung"51 « Br 4,242 « Arndt/Virmond, 313 50 Siehe unten, 35-43 " SW 111/3,252-270

Historische

Einführung

XXXV

hält, deutet nicht daraufhin, daß er das Thema „Staatslehre" in diesen Jahren absichtlich gemieden hätte. Daß er sich gerade das Thema „Staatsverteidigung" stellt, kann seinen Grund darin haben, daß der Staat sich in diesen Jahren gegen die „Demagogen" verteidigen zu müssen glaubte und Schleiermacher sich genötigt sah, die Grundlinien, aber auch die Grenzen der Staatsverteidigung sowohl gegen innere wie auch gegen äußere Feinde herauszuarbeiten ; er kann aber auch — ganz unabhängig von solchen aktuellen Bezügen — darin liegen, daß Schleiermacher in den beiden vorangegangenen Akademie-Abhandlungen bereits den ersten und den zweiten Teil seiner Staatslehre thematisiert hat und deshalb nun das Thema des dritten Teils anschneidet. Plausibler läßt sich die Pause in seinen Vorlesungen über Staatslehre dadurch erklären, daß Schleiermacher sich, nach dem häufigen Vortrag und der fortgeschrittenen Ausbildung der Politik, in diesen Jahren auf die Ausarbeitung weiterer philosophischer wie auch theologischer Disziplinen wirft - so einerseits der Psychologie (1818, 1821, 1830 und 1833/34) und der Ästhetik (1819, 1825 und 1832/33), andererseits des „Leben Jesu" (1819, 1821, 1823, 1829/30, 1832). Auch in diesen Daten — wie in denen anderer Kollegien — zeigen sich gelegentliche Häufungen, dann wieder längere Pausen, deren Gründe wahrscheinlich vielfältiger Natur, wenn auch nicht immer bestimmbar sind; mit Sicherheit jedoch lassen sie sich nicht durch politische Vorgänge und taktische Erwägungen erklären. Erst 1829 hat Schleiermacher die Staatslehre wieder zum Thema einer Vorlesung gemacht. Ein Grund für die erneute Zuwendung zur „Politik" könnte darin liegen, daß sich sein zu Beginn der 1820er Jahre sehr gespanntes Verhältnis zur Regierung in diesen späten Jahren wieder entspannt hat - was schließlich im Januar 1831 in der Verleihung des Roten Adler-Ordens III. Klasse an Schleiermacher (gemeinsam mit Hegel und anderen) seinen Ausdruck findet.51 Andererseits kann man darauf verweisen, daß zu dieser Zeit - im Vorfeld der Juli-Revolution und der wachsenden Polarisierung zwischen restaurativen und reformerischen Kräften - die allgemeine Politisierung wieder deutlich zugenommen hat. Schlüssige Belege für die eine oder die andere Erklärung gibt es jedoch nicht. In diesem Semester hat Schleiermacher sein Kolleg fünfstündig, und zwar vormittags von 8—9 Uhr, vor 81 eingeschriebenen Hörern gelesen. Begonnen hat es am 4. Mai, geendet am 29. August. Diese

52

Siehe hierzu Wichmann von Meding: Schleiermacher und die Schlesische Unbekannte Dokumente in ihrem Zusammenhang. In: Zeitschrift für Forschung und kirchliche Lehre 39 (1993), 166-201

Separation. theologische

XXXVI

Einleitung des

Bandherausgebers

Daten geben übereinstimmend aus den Akten und aus dem Titelblatt seines Vorlesungsmanuskripts hervor; zudem vermerkt Schleiermachers Tagebuch für den 18. Mai: „Einleitung in d. Politik beschlossen" und für den 29. August den Abschluß des Kollegs mit der 82. Stunde.53 Dieses Kolleg ist weitaus am besten durch Quellen belegt. Zu ihm sind mehr Zeugnisse überliefert als zu den anderen Kollegien insgesamt, und zwar sowohl Vorlesungsnachschriften als insbesondere das ausführliche Manuskript „Die Lehre vom Staat", das Schleiermacher für das Kolleg 1829 neu angelegt hat. Dilthey hat zwar - mit Bezug auf die Vorrede von Christian August Brandis zu dessen Edition der Staatslehre — diese Datierung problematisiert: „Daß der nächste Entwurf[54 der uns nun erhalten ist, und der allein das ganze System der Staatslehre zusammenhängend darstellt, nicht bei Gelegenheit der Vorlesungen von 1817, sondern bei denen von 1829 ausgearbeitet worden ist, bezeichnet Brandis Vorrede XXVI als 'augenscheinlich' und in dem Inhaltsverzeichnis S. XXXI als 'wahrscheinlich'. Er scheint dies nach S. XXVI aus dem Verhältnis zu der Vorlesungsnachschrift erschlossen zu haben. Da eine solche nicht mehr vorliegt, kann sein Schluß nicht mehr kontrolliert werden, da die von ihm gegebenen Auszüge nicht 5S ausreich en. " Doch sind diese Erwägungen Diltheys gegenstandslos; veranlaßt sind sie durch ein Mißverstehen der Formulierung von Brandis, der „einzige ausgeführte Entwurf der Lehre vom Staat" habe „augenscheinlich den Vorlesungen von 1829 zu Grunde gelegen".56 Dilthey führt zwar in der Folge noch äußere Gründe an, durch die er Brandis' Datierung — trotz der vermeintlich fehlenden Kontrolle durch die Nachschriften des Kollegs - bekräftigen zu können glaubt: „Doch wird sein Ergebnis bestätigt durch die Beziehungen des Heftes auf die Zeitereignisse. Unter diesen ist am deutlichsten die Anspielung auf Kotzebues Ermordung durch Sand und die Demagogenverfolgung."57 Doch diese Anspielung Schleiermachers bleibt recht vage ;5S es wäre sehr mißlich, eine Datierung seines Manuskripts hierauf stützen zu

Amdt/Virmond, 326 Gemeint ist: nach den „Frühen Aphorismen" von 1808/09 55 Dilthey: Leben Schleiermachers, 361 « SW 111/8,XXVI 57 Dilthey: Leben Schleiermachers, 361. — Dieser Mord fand am 23. März 1819 statt. 58 Siehe unten, 169. - Zudem ist es zwar nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht gesichert, daß es sich bei den von Brandis und Dilthey herangezogenen Sätzen Schleiermachers um eine Anspielung auf die Ermordung Kotzebues handelt. Denn Schleiermacher zieht in diesem Zusammenhang eine Parallele zwischen politischen Verbrechern, die zum Besten des Staates zu handeln meinen und sich im Falle ihrer Bestrafung mit der „Glorie eines Märtyrers" (so das Manuskript, unten 169) bzw. dem „Licht eines Märtyrers" (so die Nachschrift, unten 739) umgeben, und Kriegsgefange53 54

Historische Einführung

XXXVII

müssen. Dies ist aber auch nicht erforderlich, denn Dilthey ignoriert bei seinen ausführlichen Überlegungen gänzlich das Faktum, daß Schleiermacher sein Heft sogar auf der Titelseite ausdrücklich auf die Zeit vom 4. Mai bis zum 29. August 1829 datiert. Schleiermachers Manuskript ist ohne Zweifel als ein hervorragendes Dokument für die Vorlesung vom Sommer 1829 anzusehen. Gleichwohl gewinnt das Studium seiner Staatslehre noch durch die Nachschriften, die im vorliegenden Band aus dem Kolleg 1829 herangezogen worden sind. Es handelt sich hierbei nicht nur, wie in der Edition von Brandis, um die Ergänzung des im Manuskript fehlenden Schlusses - d. h. der 81. und der 82. Stunde - oder um die Ergänzung durch punktuelle „Erläuterungen", wie Brandis sie dem Manuskript aus der Nachschrift Schubring in Fußnoten beigegeben hat. Vortragsmanuskripte sind im allgemeinen auf die Ergänzung durch das gesprochene Wort angelegt; sie bedürfen zu ihrem Verständnis der mündlichen Ausführungen. Dieses Verhältnis ist nur dort nicht gegeben, wo ein rhetorisch weniger begabter Vortragender sein Manuskript weitgehend ausformuliert hat - doch dies ist bei Schleiermacher allenfalls in seinen frühen Berliner Vorlesungen der Fall, wie etwa das vollständig ausformulierte „Fragment eines frühen Heftes" zeigt. Man kann seinem Manuskript zur Staatslehre zwar stets die Thematik der einzelnen Stunde und auch etliche Details entnehmen, jedoch nicht den Gedankengang und die Ausführung des Details. Der Text der Nachschriften ist deshalb insgesamt als ein Kommentar zu Schleiermachers Manuskript zu lesen, der erst das volle Verständnis des dort Notierten erlaubt.

5. Die letzte Vorlesung (1833) Seine sechste Vorlesung über die Lehre vom Staat hat Schleiermacher nur vier Jahre nach der fünften gehalten, im letzten Jahr seines Lebens, im Sommersemester 1833, wiederum fünfstündig, morgens von 7-8 Uhr. Begonnen hat er sie am 29. April, geschlossen mit der 67. Stunde am 6. August. Zu diesem Kolleg findet sich in den Universitätsakten keine Angabe zur Hörerzahl.59

59

tien; wie diese in den neueren Staaten nicht mehr getötet werden, so solle man auch die politischen Verbrecher nur aus dem Staate entfernen. 'Wenn man den Text als eine Anspielung auf die Mordtat Karl Ludwig Sands liest, müßte man folgerichtig annehmen, daß Schleiermacher ihn als einen lediglich aus dem Staat zu entfernenden Kriegsgefangenen angesehen hätte. Arndt!Virmond, 330

XXXVIII

Einleitung des

Bandherausgebers

Wie sein Nachtrag auf dem Titelblatt des zum Kolleg 1829 angelegten Heftes belegt, hat Schleiermacher sich beim Kolleg 1833 ebenfalls auf das Heft von 1829 gestützt. Ergänzend hat er einige „Notizen zum Kolleg 1833" niedergeschrieben, die bereits Brandis - dem Wortlaut, wenn auch nicht dem Zusammenhang nach - veröffentlicht hat60 und die im vorliegenden Band in ihrer ursprünglichen Gestalt wiedergegeben werden. Außer diesen „Notizen" ist noch ein weiteres, mit den Worten „Die Erwählung" beginnendes Fragment aus den frühen 1830er Jahren erhalten. Die Datierung dieses Fragments ist durch Schleiermachers Bezug auf die Juli-Revolution von 1830 auf seine vier letzten Lebensjahre festgelegt. Es könnte sich somit ebenfalls um eine Notiz für das Kolleg 1833 handeln, doch finden sich die Gedanken des Fragments in den erhaltenen Nachschriften nicht wieder. Brandis hat die von ihm aus diesem Kolleg veröffentlichten Quellen — die „Notizen zum Kolleg 1833" wie auch eine von ihm nicht näher bezeichnete und seitdem verschollene Vorlesungsnachschrift als Beleg dafür in Anspruch genommen, daß „Schleiermacher fortwährend auf Fort- und Ausbildung seiner Theorie vom Staate Bedacht nahm".61 Die Themen aber, die er als Beispiel anführt, sind doch recht traditionell. Mit der Einsicht etwa, daß der Staat nicht eine Gemeinschaft von einzelnen, sondern von Hauswesen sei, eröffnet bereits Aristoteles seine „Politik",62 und daß „die Construction des Staates auf ethischen Principien beruhen müsse", hat Schleiermacher auch in seinen vorhergehenden Vorlesungen mehrfach betont.63 Wohl auf Grund dieser thematischen Überlappung mit der Vorlesung von 1829 hat Brandis es - trotz seiner Uberzeugung von der kontinuierlichen Weiterbildung der Lehre vom Staat — nicht für nötig erachtet, die von ihm herangezogene Nachschrift des Kollegs 1833 vollständig zu veröffentlichen. Statt dessen hat er sich darauf beschränkt, wenige, den Gang, die Akzentsetzungen und auch die Stundeneinteilungen dieses Kollegs nicht mehr erkennen lassende Auszüge daraus wiederzugeben, und zwar in Form von Erläuterungen64 zu den unten65 beschriebenen „Notizen zum Kolleg 1833". Trotz der fraglos vorhandenen inhaltlichen Übereinstimmungen mit dem vorhergehenden Kolleg bietet das Kolleg 1833 Schleiermachers

60 61 62 63

64 65

SW III/8,158-178 SW III/8,XXVII Aristoteles: Politik, 1253 b 2 Vgl. S. 174 und S. 196 mit unten S. 208 (Kolleg 1817) bzw. mit S. 74 und S. 523 (Manuskript und Kollegnachschrift 1829) SW 111/8,179-217 S. LUf.

Historische

Einführung

XXXIX

Lehre vom Staat aber doch in einer Gestalt, die sich von der vorhergehenden abhebt. Dies zeigt sich in einzelnen schärferen Akzentuierungen, wie in der kritischen Beurteilung der Rolle der Aristokratie im modernen Staat oder in der Beobachtung der konfessionellen Unruhen in Sachsen, aber auch im Gesamteindruck und in der breiteren Ausführung des historischen Details. Da das Kolleg 1829 durch mehrere Nachschriften belegt ist, ist es nicht wahrscheinlich, daß dieses Detail auch zuvor schon Gegenstand des Kollegs gewesen und für das letzte Kolleg nur besonders ausführlich überliefert sei — dank der besonderen Interessenrichtung des Nachschreibers Georg Waitz. Georg Waitz, am 9. Oktober 1813 in Flensburg geboren, hatte sein Studium Ostern 1832 in Kiel begonnen und war Ostern 1833 nach Berlin gekommen und im Sommersemester als Student der Rechtswissen66 schaften eingeschrieben. Seine Biographie vermerkt hierzu: „Die Studienjahre in Berlin sind für seine Entwickelung sehr bedeutsam geworden." Juristische Vorlesungen habe er bei Savigny und Homeyer gehört; „Stärker aber war seine Vorliebe für die Geschichtswissenschaft; und er hörte auch viele Vorlesungen, die ihm als Vorbereitung dazu dienlich waren, so Erdkunde bei K. Ritter, auch philosophische Kollegien bei Trendelenburg und Schleiermachers letzte Vorlesung über Politik. Das hierbei mühsam nachgeschriebene Heft hat er auch später neben dem durch den Druck veröffentlichten gern wieder eingesehen."67 Auch die zweite erhaltene Nachschrift dieses Kollegs stammt von einem später bedeutenden Hörer: von Sigismund Stern. Geboren ist er am 2. Juli 1812 in Karge(-Unruhstadt) im Großherzogtum Posen als jüdischer Kaufmannssohn. Vom Sommersemester 1831 bis 1834 war er an der Berliner Universität immatrikuliert ; hier hörte er neben Schleiermacher u. a. Boeckh und Hegel. 1834 promovierte er in Halle mit einer „Vorläufigen Grundlegung zu einer Sprachphilosophie", die im folgenden Jahr in Berlin erschien. Seit 1845 trat Stern in Berlin mit Vorlesungen über die Aufgaben eines reformierten Judentums hervor; er war auch Mitbegründer der „Genossenschaft für Reform im Judentum" und der „Jüdischen Reformgemeinde" in Berlin, die 1854 auch einen eigenen Tempel weihte. Seit 1855 wirkte er zunächst als Oberlehrer, von 1863 bis zu seinem Tode am 9. Mai 1867 als Direktor der —

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67

Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. FriedrichWilhelms Universität zu Berlin. Auf das Sommerhalbjahr von Ostern bis Michaelis 1833, Berlin 1833, 37 Eberhard Waitz: Georg Waitz. Ein Lebens- und Charakterbild zu seinem hundertjährigen Geburtstag. 9. Oktober 1913. Berlin 1913, 5f

XL

Einleitung

des

Bandherausgebers

1804 als „Philanthropin" gegründeten - Frankfurter Bürger- und Realschule der israelitischen Gemeinde.6*

II. Editorischer

Bericht

Erster Teil Manuskripte Schleiermachers Frühe

Aphorismen

Manuskript : Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 125. Das Manuskript besteht aus drei losen Lagen in Quart: einem blau-grün getönten Doppelblatt mit Innenlage (Bll 1-4), einem Doppelblatt ohne Innenlage in gleicher Papierqualität (Bll 5-6) sowie einem weiteren, chamois getönten Doppelblatt mit Innenlage (Bll 7—10). Die Blätter tragen in der Mitte des unteren Randes eine mit Bleistift ausgeführte Zählung, die hier im Kolumnentitel mitgeteilt wird. Seite 7V ist — abweichend von der sonstigen Reihenfolge - als Seite 14 gezählt. Das Manuskript bricht aufS. 8r ab; das letzte Viertel dieser Seite sowie die folgenden, nicht paginierten Blätter 8V-10V sind nicht beschrieben. Die Blätter sind einheitlich senkrecht gefalzt, und zwar zweifach und asymmetrisch, so daß drei Spalten entstehen: am Innenrand ein etwa einen Zentimeter breiter, nicht beschriebener Streifen, sodann die eigentliche Textspalte sowie - etwa halb so breit wie die Textspalte ein breiter Rand, der — bis auf eine Randbemerkung zu Seite 7V - nicht beschrieben ist. Die Blätter sind einheitlich mit dunkler Tinte und in gleichförmigem Schriftductus beschrieben — mit der einen im folgenden genannten Ausnahme. Der Text der „Frühen Aphorismen" ist nach Seite 5" unterbrochen und wird erst auf7r fortgesetzt; Blatt 6, also das zweite Blatt des mittleren Doppelblattes, hat Schleiermacher in Reinschrift mit sprachphilosophischen Überlegungen beschrieben. Sie beginnen: „Die beiden Hauptgattungen der Sprache verhalten sich freilich wie Einheit und Vielheit, nur so, daß in jeder beides ist, nur mit relativ entgegengeseztem Uebergewicht, und daß wiederholte Processe statt finden." Sie

68

Siehe A. Galliner: Sigismund Stem. Frankfurt am Main 1930, sowie ders.: „The Philanthropin in Frankfurt. Its educational and cultural significance for German Jewry." In Yearbook of the Leo Baeck Institut, 3 (1958), S. 177-181

Editorischer Bericht

XLI

schließen: „Es ist doch nicht übel im Deutschen, daß die tempora welche einen Zusammenhang darstellen zur Flexionsformation gehören die aber welche allgemein hinstellen und berichten zur Auxiliarformation gehören." — Es ist zu vermuten, daß auch zu diesem mittleren Doppelblatt ursprünglich eine Innenlage gehörte; ob sie mit weiteren Aphorismen oder mit dem Beginn des sprachphilosophischen Textes beschrieben war, muß eben wegen des aphoristischen Charakters von Schleiermachers Aufzeichnungen offen bleiben. Aus dem gleichen Grund läßt sich nicht entscheiden, ob zwischen dieser zu vermutenden Innenlage und dem heute als Bl. 7 gezählten letzten Doppelblatt ursprünglich weitere Blätter vorhanden waren. Es ist bemerkenswert, daß die genannte Unterbrechung des Textes der „Aphorismen" nach Bl. 5V mit dem oben erwähnten Wechsel in der Papierqualität zusammenfällt. Doch läßt der einheitliche Sprach- und Schriftductus wenig Raum für die von Dilthey gehegte Vermutung, daß ein Teil der Aphorismen den Vorträgen vorausgegangen, der andere ihnen gefolgt sei.69 Das Manuskript ist nicht datiert. Es gibt auch keine äußeren Hinweise auf den Zeitpunkt seiner Abfassung. Doch erlauben zwei seiner Aussagen, den zeitlichen Rahmen wenigstens in grobem Umriß abzustecken. Bereits Christian August Brandis hat in der Vorrede zu seiner Edition darauf hingewiesen, daß Schleiermacher in einem Aphorismus auf die „neue Städteordnung" anspielt, die im Jahr 1808 erlassen worden ist.70 Brandis hat deshalb angenommen, die Aphorismen seien „zwischen d. J. 1808 und 1814 geschrieben; denn sie berükksichtigen einerseits als noch bestehend das im leztern Jahre untergegangene Schattenbild der französischen Constitution unter Napoleon".71 Das Jahr 1814 markiert dieser Überlegung zufolge jedoch nur einen terminus ante quem, denn die Verfassung, auf die Schleiermacher anspielt, ist bereits im Jahre 1799 erlassen worden; auch Brandis sieht hierin keinen positiven Anhaltspunkt, um Schleiermachers Aphorismen erst in diese vergleichsweise späten Jahre zu datieren. Hingegen läßt sich die Ansetzung des Jahres 1808 als eines terminus post quem noch unterstreichen durch den Hinweis auf das Erscheinungsdatum der von Schleiermacher erwähnten Staatslehre von Karl Heinrich LudwigPölitz72

69 70 71

72

Dilthey: Leben Schleiermachers, 361 und 373 f Siehe unten 24; vgl. SW III/8,XXV Brandis, SW 111/8,XXV, bezieht sich hierfür auf den von ihm als Nummer 45 gezählten Aphorismus ; siehe unten 16. Karl Heinrich Ludwig Pölitz: Die Staatslehre für denkende Geschäftsmänner, Kammer alisten und gebildete Leser, 2 Bde, Leipzig 1808

XLII

Einleitung des

Bandherausgebers

wie auch der „Staatswirthsckaft" von Theodor Schmalz.73 Derartige Bezugnahmen auf zeitgenössische Theorien - nicht nur auf Pölitz, sondern auch auf Schmalz — finden sich nur in Schleiermachers frühen Texten zum Naturrecht der späten Aufklärung - etwa in der Auseinandersetzung mit Hufeland, auch mit Moses Mendelssohn -, aber nicht mehr in den Vorlesungen ab 1817 - mit der einen Ausnahme der stetigen Kritik an Fichtes „Geschlossenem Handelsstaat",74 Leider bietet das Manuskript keine weiteren Anhaltspunkte, um die Entstehungszeit der „Aphorismen" präzise einzugrenzen. Wilhelm Dilthey hat zwar eine scharfe Kritik an Brandis' Datierungsvorschlag vorgetragen: „Die historische Stellung der älteren unter den von ihm abgedruckten Handschriften, der Aphorismen über den Staat' ist von ihm ungenügend erkannt worden. Er setzt sie in die Zeit zwischen 1808-1814 und nimmt an, daß sie sich auf den ausgeführten Entwurf beziehen, den Schleiermacher in der ersten vorhandenen Handschrift seiner Vorlesung selber erwähnt. In Wirklichkeit sind diese Aphorismen im Zusammenhang mit der Vorbereitung zu seiner Vorlesung entstanden. Sie eröffnen den Einblick in sein erstes Nachdenken über die systematische Behandlung der Staatslehre. Sie beginnen sonach, noch bevor er die andere Handschrift angefangen hatte, die das System selber als erstes Vorlesungsheft darstellte. Es ist anzunehmen, daß sie dann die Ausarbeitung dieses Heftes75 begleiten. Denn unter den letzten Nummern beziehen sich 98 und 99 wahrscheinlich, wie Brandis angenommen hat, auf dieses Heft."76 Demnach wäre für die „Frühen Aphorismen" eine lange Entstehungszeit anzunehmen — von der Vorbereitung zur Vorlesung 1808 bis zur — nicht näher datierten — Abfas-

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76

Theodor Schmalz: Handbuch der Staatswirth schaff, Berlin 1808. — Dilthey, Leben Schleiermachers, 374, nimmt irrtümlich an, Schleiermacher beziehe sich bei seiner viermaligen Erwähnung von Schmalz (s. unten 19—22) auf dessen „Handbuch des deutschen Staatsrechts" von 1805. Siehe Johann Gottlieb Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, Tübingen 1800; vgl. unten, 75. 122. 222. 340. 434. 651 Gemeint ist das verschollene „alte Heft", auf das sich Schleiermacher im Manuskript von 1829 in der 11. und 12. Vorlesungsstunde zurückbezieht; siehe unten 76 f. Es ist jedoch durchaus fraglich, ob Schleiermacher sich in den „Frühen Aphorismen" bereits auf dieses Heft bezieht. Es kann sich dabei ebensogut um ein nicht weiter ausgeführtes Konzeptblatt zum Kolleg 1808/09 oder um ein Manuskript zu der von Dilthey ebensowenig wie von Brandis berücksichtigten Vorlesung von 1813 handeln, deren im vorliegenden Band mitgeteilte Fragmente keineswegs mit den Vorlesungen von 1817 und 1817/18 übereinstimmen. Dilthey: Leben Schleiermachers, 361. - Dilthey bezieht sich hier auf die von Brandis vorgenommene, in die vorliegende Ausgabe nicht übernommene Numerierung der Aphorismen; gemeint sind der drittletzte und der vorletzte Aphorismus; siehe unten 31.

Editorischer Bericht

XLIII

sung des noch im Manuskript von 1829 erwähnten und zum Teil zu Grunde gelegten „alten Heftes". Dies bleibt jedoch eine bloße Vermutung, für die sich keinerlei Belege beibringen lassen; Schleiermachers Hinweise im drittletzten und vorletzten „Aphorismus" können sich auf einen beliebigen Entwurf beziehen — auch auf ein Konzept zur Vorlesung von 1808/09. Auch an anderer Stelle macht Dilthey sehr dezidierte Aussagen über die Abfassungszeit der „Aphorismen". Unter Hinweis auf die erstmalige Erwähnung von „Gedanken zur Politik" in einer Tagebuchnotiz vom 22. Oktober 1808 schreibt er im Blick auf die Zeit zwischen dem oben zitierten Brief Schleiermachers an Henriette v. Willich (ebenfalls vom 22. Oktober 1808) und dem Beginn des Kollegs 1808/09: „Die nächsten Wochen zeigen ihn (sc. Schleiermacher) mit der Vorbereitung zu der neuen Vorlesung beschäftigt. Vorhandene Aufzeichnungen gestatten, in die Entstehung des ersten Entwurfes seiner Staatslehre hineinzublicken. Er sucht in ihnen sich selber klar zu werden über die leitenden Gedanken und den Plan derselben. Sie gehen dem Beginn der Vorlesung zunächst voraus, denn er wechselt im Plan der Anordnung. Er stellt dann den Gegenstand der Einleitung bei sich fest."77 Mit den „vorhandenen Aufzeichnungen" können nur die „Aphorismen" gemeint sein. Demnach wäre die Niederschrift zumindest des Beginns der „Aphorismen" auf Oktober/November 1808 zu datieren. Dies ist zwar nicht auszuschließen, doch gibt es für Diltheys Ansicht keine triftigen Belege. Denn die „Aphorismen" sind sicherlich kein Konzept für eine Vorlesung, eher eine erste Stoffsammlung für eine Publikation; sie können sowohl vor als auch nach der Niederschrift eines nicht überlieferten, aber zu unterstellenden Vortragskonzepts verfaßt worden sein. Sie sind ja insbesondere in ihrer ersten Hälfte — wie in den Anmerkungen im einzelnen nachgewiesen wird - eine Zusammenstellung von Schleiermachers damaligen Lesefrüchten, insbesondere aus dem „Handbuch der Staatswirthschaft" von Theodor Schmalz,79 dessen Vorlesungen er damals auch besuchte,79 und selbst die Reihenfolge der „Aphorismen" folgt dieser Vorlage; die zweite Hälfte enthält vorwiegend weitere, nicht unmittelbar auf seine damalige Lektüre zurückzuführende Reflexionen und Stichworte zum Inhalt sowie zur formalen Ausgestaltung einer Staatslehre. In ihrer vorliegenden Fassung belegen die „Aphorismen" eher die noch fehlende Ausbildung einer Konzeption der Lehre vom Staat als deren frühe Form.

77 78 79

Dilthey: Leben Schleiermachers, Berlin 1808 Siehe oben, XXIV

373f

XLIV

Einleitung

des

Bandherausgebers

Für die Annahme einer Niederschrift erst nach dem Kolleg 1808/09 spricht die bereits oben zitierte Ankündigung Schleiermachers in seinem Brief an v. Brinckmann vom 11. Februar 1809, er werde, sollte die Hoffnung auf wahrhaft akademische Vorlesungen schwinden, was er „eben habe in einer aphoristischen Form zum Besten geben."so Damit ist nicht gesagt, daß zu diesem Zeitpunkt die „Aphorismen" bereits vorlagen. Eher liegt darin, daß Schleiermacher das, was er im Winter 1808/09 „hatte", erst in den folgenden, politisch unruhigen Monaten in eine aphoristische Form zu übertragen versucht hat. Doch gibt es andererseits wenig Grund, die „Aphorismen" allzu nahe an das erste Kolleg heranzurücken, das Schleiermacher 1813 an der Berliner Universität über die Lehre vom Staat vorgetragen hat. Dies verbietet die erhebliche Distanz des Ausarbeitungsgrades der „Aphorismen" nicht allein gegenüber der Vorlesung von 1817, sondern auch schon zu den beiden Akademieabhandlungen von 1814: „Ueber die Begriffe der verschiedenen Staatsformen" und „Ueber den Beruf des Staates zur Erziehung", die ja bereits wichtige Partien der Staatslehre in ausgeführter Form enthalten.81

Fragment eines frühen

Heftes

Manuskript: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 131. Es handelt sich um zwei Doppelblätter in Oktav - nicht wie bei den späteren Manuskripten in Quart —, die am unteren Rande von unbekannter Hand mit Bleistift als lr-4v gezählt sind. Sie sind in sehr zierlicher, von den „Aphorismen" abweichender Schrift beschrieben; ein Rand ist nicht gelassen, doch hat Schleiermacher am unteren, geringfügig breiteren Rand von S. lr einen Strich über die gesamte Breite des Zeilenspiegels gezogen und darunter eine Fußnote notiert. Das Manuskript ist sehr sauber geschrieben, mit wenigen Abkürzungen und fast ohne nachträgliche Korrekturen. Wie aus den Vermerken auf den S. 1", 2V, 3r und 4r hervorgeht, handelt es sich um Ausarbeitungen von Vorlesungsstunden. Schleiermacher hat sie wahrscheinlich vor dem Kolleg niedergeschrieben und seinem Vortrag zu Grunde gelegt, denn beide Doppelblätter lassen die Spuren einer zusätzlichen vertikalen und mehrfachen horizontalen Faltung zu einem kleinen, leicht einzusteckenden Zettel erkennen.

80 81

Br 4,167 SW 111/2,246-286 bzw. SW 111/3,227-251

Editorischer

Bericht

XLV

Doch während es sicher ist, daß es sich bei diesen Blättern um ein im Kolleg benutztes Vorlesungsmanuskript handelt, enthalten die Blätter keine Anhaltspunkte, zu welchem seiner sechs Kollegien Schleiermacher sie angelegt hat. Diese Ungewißheit kann jedoch durch einen Vergleich mit den datierten bzw. datierbaren Quellen der anderen Vorlesungen vermindert, wenn auch nicht gänzlich behoben werden. Denn die Stundeneinteilung der Kollegien 1817, 1829 und 1833 ist bekannt; in diesen Jahren hat Schleiermacher von der 12. bis zur 16. Stunde jeweils andere Themen abgehandelt — auch wenn die im Fragment behandelten Materien sich in ähnlicher Form auch in den genannten Kollegien angesprochen finden. Und die Nachschrift des Kollegs 1817/18 enthält zwar keine Stundeneinteilungen, doch gibt ein Vergleich mit ihr keinen Anlaß anzunehmen, daß das „Fragment eines frühen Heftes" dieser vierten Vorlesung zugrundegelegen habe. Dies macht es wahrscheinlich, daß es sich bei dem Manuskript um ein Fragment eines wahrscheinlich ausführlichen Vorlesungsheftes aus den Kollegien 1808/08 oder 1813 handelt. Da von diesen beiden Kollegien jedoch weder die Stundeneinteilung noch der Inhalt bekannt sind, ist aufgrund dieser beiden Gesichtspunkte eine eindeutige Zuordnung nicht möglich. Auch Schleiermachers Erwähnung der erweiterten Gesetzkommission und der technischen Deputationen82 kann sowohl dem Spätherbst 1808 als auch dem Sommer 1813 angehören. Vielleicht handelt es sich bei diesem Manuskript sogar um ein Fragment des „alten Heftes", auf das Schleiermacher später, im Manuskript von 1829, zweimal zurückverweist.83 Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß er - auch wenn die bisherigen Überlegungen zur Datierung des Fragments das Richtige getroffen haben sollten - für die Kollegien 1817 oder 1817/18 nochmals ein neues Heft angelegt haben könnte und erst dieses mit dem „alten Heft" gemeint sei. Ebenso ist nicht völlig auszuschließen, daß Schleiermacher das Kolleg 1813 insgesamt nach einem Manuskript von 1808/09 gelesen, für die 12.—16. Stunde jedoch ein ergänzendes Manuskript angefertigt haben könnte. Doch kommt dem ersten Einwand nur wenig Wahrscheinlichkeit zu, da Schleiermacher seine Vorlesungsmanuskripte im allgemeinen mehreren Kollegien zugrundegelegt hat. Und gegen den zweiten Einwand spricht der sehr saubere, vollständig ausgeschriebene und bis in die umständliche Notierung einer Fußnote stilisierte Charakter des Fragments, der auf ein sehr sorgfältig formuliertes, umfassendes Manuskript deutet, während partielle Ergänzungen ihren Platz gemeinhin eher auf Notizzetteln finden. 82 83

Siehe unten 43; vgl. Sachapparat zur Stelle Siehe unten 76 f

XLVI

Frühe

Einleitung des

Bandherausgebers

Notizen

Manuskripte: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 129, Bll 1-4 Unter der Signatur SN 129 sind im Nachlaß zwei Manuskriptgruppen zusammengefaßt, die nicht einen fortlaufenden Text bilden, sondern unterschiedliche, wenn auch stets aus Schleiermachers anderen Vorlesungen vertraute Themen behandeln. Die erste Gruppe umfaßt zwei leicht grünlich wirkende Doppelblätter in Oktav, gezählt als Bll lr—4v. Die Zählung ist jeweils von fremder Hand mit Bleistift in der Mitte des unteren Randes ausgeführt. Diese Blätter enthalten Reflexionen zum Begriff der Aristokratie bzw. der Demokratie, aber weniger in der Form von Aphorismen als einer Stoffsammlung. Die einzelnen Reflexionen sind jeweils durch die bei Schleiermacher zwischen den einzelnen Reflexionen üblichen Zwischenstriche getrennt. Von Bl. 2" sind nur die beiden ersten Zeilen beschrieben; aufBl. 3" geht Schleiermacher zum Thema „Staatsverwaltung" über, und im letzten Viertel der Seite bricht der Text mit der dritten Reflexion ab; Bl. 4 ist nicht beschrieben. Diese Blätter tragen keine Datierungen, und da Schleiermacher in allen seinen Kollegien über Staatslehre auf die Charakteristika von Monarchie und Aristokratie zu sprechen kommt, ist auch vom Inhalt dieser ersten Fragmentgruppe her keine exakte Datierung möglich. Sie könnten bereits der Vorbereitung des Kollegs 1808/09 gedient haben, also zeitlich noch vor dem „Fragment eines frühen Heftes" anzusetzen sein. Notizen zum Kolleg 1817/18 Manuskripte: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 129, Bll 5-8 Die zweite Gruppe der unter dieser Signatur zusammengefaßten Manuskripte bilden vier einzelne Blätter in Quart, gezählt als Bll 5r8V, sowie ein zu Quartformat gefaltetes Folioblatt, dessen erste Seite als Bl. 9r gezählt wird. Die Zählung ist jeweils von fremder Hand mit Bleistift in der Mitte des unteren Randes ausgeführt. Die Blätter 5-8 sind durch das Aufschneiden eines doppelt gefalteten Foliobogens entstanden, wie man aus der Papierqualität und vor allem aus der übereinstimmenden Schnittkante ersehen kann. Diese Blätter — auch das noch gefaltete Bl. 9 — sind jeweils asymmetrisch senkrecht gefalzt; in den schmaleren Randspalten der Bll 5-

Editoriseber Bericht

XLVII

7 stehen einige zum Text gehörige sowie einige andere Bemerkungen84. V AufBl. 5 hat Schleiermacher ferner unter dem Wort „Medicinalwesen" zunächst einen Strich über die gesamte Breite der Textspalte gezogen, dann aber doch den Text der Lehre vom Staat fortgesetzt, unter Hinzufügung des Hinweises „Politik" auf dem Rande. Auf den Blättern 6r und 8" ist ebenfalls ein solcher Strich gezogen; darunter hat Schleiermacher jedoch Bemerkungen zu anderen Gebieten notiert und jeweils mit einem Erledigungsvermerk versehen. AufBl. 6r heißt es: „Ammon S. 42.43. Kalvin sagt daß Gottes Wille die höchste Regel seiner Gerechtigkeit sei. Das wisse ich sehr gut. Aber ist Wille und Willkühr einerlei; und ist hier die Rede davon wo das Gute wurzele? — Gh Ammons Worte lauten so: daß das Gute nicht in der höchsten Vollkommenheit Gottes, sondern in seiner unbedingten Willkühr wurzele." (Absatz mit Mittelstrich) „Zuerst die [Verwechselung] mit Hinweisung daß er über diese beiden besonders triumphirt. Dann das Nichtwissen besonders a auf den Ton" (am Rande mit Verweiszeichen: „Ob [Reue] oder nicht") „b auf die Sakramentslehre (Zwingli)" (am Rande mit Verweiszeichen: „Seine neue Zustimmung") „c auf sein [ ] mit dem [Umkehren]" AufBl. 8V folgt nach dem Vermerk „Ende der Politik" wiederum ein Strich über die gesamte Breite der Textspalte ; darunter hat Schleiermacher Notizen zur Glaubenslehre niedergeschrieben: „Dogmatik 85. Eine natürliche Religion kann nur entstehn durch Abstraction von den specifischen Modificationen. Die wäre also unter dem Schein des positiven immer nur ein negatives. Deswegen kommt sie auch nicht zu Stande. Beweis aus den mislungenen Versuchen." (Absatz) „Ob man deshalb die Tendenz abläugnen muß daß alles sich in Eine Religion vereinigen werde?" (Absatz mit Mittelstrich) „Wohin soll der Unterschied zwischen Dogma u[nd] Mythus gebracht werden? Offenbar da, wo von den beiden Richtungen des Dogma die Rede ist. Da der Anthropomorphism in den Göttlichen" (als Kürzel) „Eigenschaften u[nd] das Paradiesische in den menschlichen Zuständen. — Mit dem Begriff des Dogma muß eine Einleitung beginnen und damit auch schließen." (Absatz mit Mittelstrich) „Es muß auch in der Einleitung wo von dem doppelten Ausgang des Gefühls die Rede ist der Ort sein die Trennung [...]" \ Wie die vorangegangenen „Frühen Notizen", so enthalten auch die „Notizen zum Kolleg 1817/18" Aufzeichnungen zum Thema „Staats-

84

AufBl. 5„D ULI. Lüdemann I A IV. 4 Wolf / C 111.8 [Burghalter] (alt) / Laubenbeimer 1802. Leipziger Straße N° 31 / à 21 gsch; [Glaube] 1802 Hertmann / à 22 gsch." - AufBl. 5": „Deibel. Spazier - Voss."

XLVIII

Einleitung des

Bandherausgebers

Verwaltung". Dies mag den Anstoß für die Zusammenstellung der zweiten Fragmentgruppe mit den vorangehenden Blättern gegeben haben. Die Quartblätter schließen aber nur thematisch an die vorangehenden Oktavblätter an, und nicht der literarischen Form nach, denn sie enthalten keine thematisch geordneten Stoffsammlungen, sondern einen eher diskursiv zu nennenden Text, der auch inhaltlich als Vorlesungsmanuskript oder doch als Vorbereitung zu einem solchen geeignet ist. Anders als die „Frühen Notizen" lassen sich die „Notizen zum Kolleg 1817/18" aus drei Gründen mit Sicherheit dem genannten Kolleg über die Staatslehre zuordnen. Zum einen erlauben bereits die soeben mitgeteilten Notizen, die aufBl. 6r unter dem Strich stehen, eine hinreichend präzise Datierung. Es handelt sich bei ihnen um eine Vorstufe zu Schleiermachers „Zugabe zu meinem Schreiben an Ammon", einer Duplik aufAmmons Schrift „Antwort auf die Zuschrift des Herrn D. Fr. Schleiermacher, o. o. Lehrers der Theologie a. d. Universität zu Berlin, über die Prüfung der Harmsischen Sätze"9,6 - eine Schrift, mit der Ammon auf Schleiermachers vorangegangenen Angriff87 repliziert hatte. Hans-Friedrich Trauisen, der Herausgeber des Bandes KG A 1/10, führt dort im Editorischen Bericht aus, daß Schleiermacher seine erste gegen Ammon gerichtete Schrift am 16. Februar zugesandt erhalten und diesem wohl umgehend übersandt habe, da Ammons Replik bereits vom 23. Februar datiert.88 Auf diese Replik hat Schleiermacher wiederum geantwortet, und zwar hat er seine Duplik am 14. März 1818 an die Setzerei abgeschickt,89 Zwischen dem Erhalt von Ammons Replik und dem Absenden seiner Duplik, also in den beiden Wochen zwischen den letzten Tagen des Februar und dem 14. März, wahrscheinlich Anfang März, hat Schleiermacher somit die Bemerkungen aufBl. 6r niedergeschrieben. Diese Datierung wird noch bestätigt durch die Notizen zur Glaubenslehre, die sich aufBl. 8V unten finden. Für sich genommen wären diese zwar für eine Datierung nicht hinreichend präzise, da Schleiermacher über die Glaubenslehre ja mehrfach gelesen hat. Für die fragliche Zeit aber, den März 1818, ist bekannt, daß Schleiermacher sein Kolleg über „Die Einleitung in die dogmatische Theologie" vom Sommer

Berlin 1818; ediert in KGA 1/10,93-116 Hannover/Leipzig 1818 87 Schleiermacher: An Herrn Oberhofprediger D. Ammon über seine Prüfung der Harmsischen Sätze. Berlin 1818, KGA 1/10,17-92 88 KGA VIO,XV-XXI 8» KGA 1/10,XXXI 85 86

Editorischer Bericht

XLIX

181890 vorbereitet bat. Am 13. Oktober 1817 hat Schleiermacher sein Vorlesungsmanuskript zur Dogmatik an Ludwig Gottfried Blanc gesandt,91 doch am 21. Februar 1818 - also exakt zu der bereits erkannten Abfassungszeit der Fragmente - hat er sich brieflich wiederum an Blanc gewandt: „Nun aber, lieber Freund, ergeht eine dringende Bitte an Sie um baldige Zurücksendung meiner Dogmatik. Ich will im Sommer anfangen zu lesen — anfangen nämlich weil ich dießmal ein Jahr lesen will — und wiewol das erst im April angeht: so muß man sich doch jezt schon die Sache durch den Kopf gehen lassen, und auch dazu brauche ich wol mein Heft. "91 — Wann er sein Heft zurückerhalten hat, ist nicht bekannt, doch belegt diese Anfrage an Blanc hinlänglich, daß Schleiermacher bereits seit Ende Februar mit der Vorbereitung des Dogmatik-Kollegs beschäftigt gewesen ist; daraus erklärt sich der Einschub dieser Thematik in die „Notizen zum Kolleg 1817/18". Mit dieser Datierung der Notizen zu Ammon und den Notizen zur Vorlesung über Glaubenslehre ist die Datierung dieser Blätter zwar bereits hinreichend wahrscheinlich gemacht, aber nicht schon zwingend erwiesen, sofern man geltend machen könnte, daß die jeweils unter dem Strich geschriebenen Partien zu Ammon und zur Glaubenslehre späteren Datums sein könnten. Doch zeigen sich bei einem Vergleich der „Notizen zum Kolleg 1817/18" enge Übereinstimmungen mit der Nachschrift dieses Kollegs durch Goetsch, nicht jedoch mit den Nachschriften anderer Kollegien; verwiesen sei nur auf die Abfolge der Stichworte „Spionenwesen", „Einkasernierung" und „Medicinalwesen".93 Aufgrund der übereinstimmenden Resultate aller drei Datierungsansätze kann die hier vorgeschlagene Datierung dieser Blätter auf Anfang März 1818 als gesichert gelten. Blatt 9 weist keine inhaltlichen Anhaltspunkte für die Datierung auf. Da das Blatt jedoch in Format und Papierqualität mit den Blättern 5-8 übereinstimmt, ist für es dieselbe Abfassungszeit anzunehmen.

Die Lehre vom Staat 1829 Manuskript: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Wissenschaften, Signatur SN 124.

90 91 92 93

Arndt/Virmond, 313 Br 4,224 Br 4,231 Vgl. die „Fragmente zum Kolleg 1817/18" mit Go, im vorliegenden mit 449. 451 und 480

Akademie

der

Band 56 und 62

L

Einleitung

des

Bandherausgebers

Das Manuskript besteht aus 42 Blättern in Quart in losen Lagen von einheitlicher Papierqualität. Schleiermacher hat zunächst damit begonnen, jeweils die rechten Seiten der Blätter - beginnend mit der ersten Textseite — in der oberen Ecke rechts mit ungeraden arabischen Zahlen zu zählen, doch hat er diese Zählung nur für die erste Lage durchgeführt ; sie ist von unbekannter Hand mit Bleistift bis zum letzten Blatt (Bl. 79) fortgesetzt worden. Diese Zählung wird hier im Kolumnentitel mitgeteilt; die geraden Zahlen für die linken Seiten werden dabei stillschweigend ergänzt. Die vier ersten, jeweils vierfachen Lagen umfassen nach dieser Zählung die Blätter 0 (unpaginiertes Titelblatt mit freier Rückseite) sowie 1—14, 15-30, 31—46 bzw. 47—62; es folgen zwei Doppellagen mit den Blättern 63—70 und 71—78 sowie ein doppelt gefalteter, aber noch nicht aufgeschnittener Bogen, von dem lediglich die Vorderseite, d. h. Blatt 79, zu zwei Dritteln beschrieben ist. Zusätzlich sind die Blätter von unbekannter Hand in der Mitte des unteren Randes mit Bleistift gezählt, und zwar beginnend mit dem Titelblatt (lr) und endend mit 41r; diese Zählung ist hier nicht mitgeteilt worden. Schleiermacher hat das Manuskript im Sommer 1829 neu angelegt. In seinem Vortrag aber hat er sich zumindest teilweise auf sein oben94 erwähntes verschollenes Heft gestützt, wie aus seinen beiden Hinweisen im Pensum der 11. bzw. der 12. Kollegstunde hervorgeht: „nach Stunde 5 des alten Heftes aber weiter ausgeführt" bzw. „über die richterliche (sc. Gewalt) nach Stunde 5. des alten Heftes."95 Daß zu dieser Zeit noch das gesamte alte Heft erhalten war, ist nicht zwingend, aber wahrscheinlich ; seitdem ist es verschollen. Bereits Brandis hat es in der Vorrede zu seiner Ausgabe nicht mehr erwähnt. Auf dem Titelblatt des neuen Heftes hat Schleiermacher den Beginn und das Ende des Kollegs — 4. Mai bzw. 29. August 1829 — festgehalten. Darunter hat er später in zwei Zeilen das Anfangsdatum der Vorlesung 1833 - 29. April 1833 - nachgetragen. Der Schluß des Manuskripts fehlt; dies ist nicht allein aus der Differenz zu erschließen, daß das Manuskript mit der 80. Stunde abbricht, obgleich auf dem Titelblatt unter der Jahreszahl 1829 und dem Datum vermerkt ist: „vorgetragen in 82 Stunden". Auch ein Vergleich des Manuskripts mit den drei erhaltenen, im folgenden zu charakterisierenden Nachschriften Ho, Sc und Wi zeigt, daß Schleiermacher den Inhalt der beiden letzten Kollegstunden nicht mehr in seinem Manuskript notiert hat. Bei den beiden letzten Stundeneintragungen sind jeweils zwei Stundenziffern genannt:

94 95

Siehe XLII und XLV Siehe unten 76 f

Editorischer

Bericht

LI

„77.78" bzw. „79.80". Es dürfte sich hier jeweils um Doppelstunden gehandelt haben. Diese Vermutung kann sich auch auf Tagebuchnotizen sowie auf die Datierungen der Nachschrift Horter stützen. Diese sind zwar nicht bis zur letzten Stunde, sondern nur bis zum 22. August fortgeführt - einem Sonnabend, an dem Schleiermacher die 74. Stunde vorgetragen hat. Schleiermacher hat in dieser Schlußphase seines Kollegs zu den üblichen fünf Wochenstunden zusätzliche Stunden am Sonnabend eingeschoben und an den drei letzten Tagen jeweils eine Doppelstunde vorgetragen; näheres hierzu siehe unten zum Kolleg 1829. Die Blätter sind jeweils vollständig, fast ohne oberen Rand, in sehr kleiner Schrift beschrieben; die breiteren Außenränder enthalten nur wenige Notizen, und zwar etwa in der ersten Hälfte teils nachträgliche Erweiterungen des Textes (zu Stunde 25, S. 14 und zu den Stunden 36 und 44), teils Hinweise für die Weiterführung (ebenfalls zu Stunde 25, jedoch S. 15) und einzelne Gliederungshinweise und Randbemerkungen, die im vorliegenden Band als Fußnoten wiedergegeben sind. Diese Stichworte treten am Schluß des Manuskripts, von Stunde 77 an, gehäuft auf; sie könnten hier den Charakter von Orientierungspunkten für den Vortrag haben. Insofern ist zu erwägen, ob diese Schlußpartien bereits vor den letzten Kollegstunden niedergeschrieben seien, während es für die früheren Partien wahrscheinlich ist, daß Schleiermacher sein Manuskript erst nach seinen Vorlesungen niedergeschrieben hat. Einen Beleg für diese bekannte Eigentümlichkeit Schleiermachers, ein Vorlesungsmanuskript erst nachträglich anzulegen,96 bietet die Wendung in der Anmerkung am Ende des Textes der 26. Stunde: „Eingeschaltet war worden eine Auseinandersetzung ..." ; diese „Auseinandersetzung" ist auch aus den Nachschriften zu dieser Stunde ersichtlich. Das Manuskript ist in insgesamt einheitlichem Schriftductus abgefaßt. Zwischen den den einzelnen Vorlesungsstunden zugeordneten Texten finden sich häufig, aber nicht stets, geringfügige Schwankungen sowohl der Schrift als auch der Farbe der Tinte. Derartige Schwankungen treten aber auch innerhalb des für eine Stunde niedergeschriebenen Textes auf. So wechseln etwa die Schrift und die Tinte bei Stunde 25

96

Siehe seinen Brief an Joachim Christian Gaß vom 11. Mai 1818, in: Fr. Schleiermacher's Briefwechsel mit ]. Chr. Gaß. Mit einer biographischen Vorrede herausgegeben von W. Gaß. Berlin 1852, 149; hier berichtet Schleiermacher über seine Vorlesungen im Sommersemester 1818, zunächst über die Dogmatik-Vorlesung: „Diese habe ich mir jezt in zwei Halbjahre getheilt, um die Einleitung, die doch einen großen Theil meiner philosophischen Theologie enthält, ausführlicher als sonst zu behandeln, und bis jezt schreibe ich noch immer nach dem Collegio recht ordentlich auf. Dasselbe thue ich auch mit der Psychologie, einem ganz funkelnagelneuen Collegio, ..."

LII

Einleitung des

Bandherausgebers

beginnend mit dem Satz „Zulezt wird dann irgendwo ..." bzw. bei Stunde 27 im vierten Satz mitten im Wort „Forderung". Es ist deshalb nicht zu belegen, daß Schleiermacher die jeweiligen Texte stets unmittelbar nach der Kollegstunde aus der frischen Erinnerung an das Vorgetragene niedergeschrieben hat. Sein Manuskript vermittelt eher den Eindruck der Abschrift eines älteren Manuskripts, vielleicht unter Einbeziehung kürzerer Notizzettel, wie sie für die Vorlesung 1833 erhalten sind, sowie der Erinnerung an_ das im Kolleg Ausgeführte. Doch wird diese Abschrift wahrscheinlich in großer zeitlicher Nähe zu den jeweiligen Kollegstunden erfolgt sein. Hierauf deutet auch, daß Schleiermacher gelegentlich am Ende des Textes einer Stunde — dann jeweils abgetrennt durch den bei ihm üblichen horizontalen Strich - noch kurze Hinweise für eine Erweiterung oder Fortführung des Textes notiert hat, die zwar manchmal, aber nicht stets im Fensum der folgenden Stunde ausgeführt werden. So hat Schleiermacher etwa das am Ende von Stunde 43 notierte Stichwort, daß es ein Mangel des Staates sei, alles wissen zu wollen, nach dem Zeugnis der Kollegnachschriften in Stunde 45 aufgenommen. Notizen zum Kolleg 1833 Manuskript: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 130. Es handelt sich um 35 - von unbekannter Hand am unteren Rand mit Bleistift gezählte - Zettel unterschiedlicher Größe, von Paßbildformat bis hin zu vertikal zerschnittenen Hälften von Quartseiten. Diese Zettel sind wohl ausnahmslos durch Zerschneiden von Briefen entstanden; auf deren nicht beschriebene Rückseiten hat Schleiermacher seine Vorlesungsnotizen notiert. Auf den Rückseiten mehrerer dieser Zettel - also auf den vormaligen Vorderseiten - sind noch kürzere oder ausführlichere Brieftexte und Unterschriften zu erkennen. Die Zettel sind mit sehr kleiner Schrift beschrieben, die meisten nur einseitig. Abgesehen von Zettel 35 tragen sie alle von Schleiermachers Hand die aus der Edition ersichtliche Titelzeile mit der Zuordnung zur „Politik" und der jeweiligen Stundenangabe; sofern Schleiermacher auf einem Zettel mehrere Stundenpensa notiert hat, hat er bei den folgenden nur noch die jeweilige Stundenzahl angegeben. Nicht angegeben ist das Jahr der Politikvorlesung, auf das sich diese Notizen beziehen. Sie lassen sich jedoch durch Vergleich mit den überlieferten Nachschriften des Kollegs 1833 leicht als Aufzeichnungen für dieses Kolleg erkennen. Bestätigt wird diese Datierung zudem durch drei Daten der erwähnten Brieffragmente: Auf der Rückseite von Zet-

Editorischer

Bericht

LUI

tel 5 ist der Beginn eines wohl amtlichen Schreibens an Schleiermacher ersichtlich, dessen vorgedruckte Datumszeile zu „Ilten May 1833" vervollständigt ist; auch auf der Rückseite von Zettel 9 ist an der Schnittkante der Rest eines Datums „833." zu erkennen; Zettel 32 bildet die Rückseite eines Schreibens vom 11. März 1833, in dem Schleiermacher gebeten wird, er möge bei der Trauerfeier einer verstorbenen Gattin die Traueransprache halten. Die Unterschrift ist durch einen dicken Strich unkenntlich gemacht; wie aus der Schrift ersichtlich ist und auch durch das Datum bestätigt wird, ist es Varnhagen von Ense, dessen Frau Rahel am 7. März 1833 verstorben ist, der diese Bitte an Schleiermacher richtet. Christian August Brandis hat in seiner Ausgabe der Lehre vom Staat diese Notizen dem Manuskript von 1829 als „Anmerkungen" beigegeben und wiederum Auszüge aus einer Nachschrift des Kollegs 1833 als Erläuterungen darauf bezogen.97 Dabei hat er jedoch nicht nur von der durch die Zettel gebildeten äußeren Einheit abgesehen, sondern auch von der von Schleiermacher notierten Stundenzäh lung. Demgegenüber folgt die vorliegende Edition der ursprünglichen Einheit der Zettel und damit zugleich auch der Zuordnung dieser Notizen zu den einzelnen Kollegstunden. Fragment zum Kolleg 1833 Manuskript: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Signatur SN 126, Blatt 3r. Unter Ziffer 126 des Schleiermacher-Nachlasses sind vier Blätter in einem Umschlagblatt zusammengefaßt mit der Aufschrift: „Fragmente u. Excerpte zu Schleiermachers Staatslehre [?] 1828 [?]" - wie aus Notizen des Akademie-Archiv s hervorgeht, durch Heinrich Meisner. Diese Aufschrift ist sowohl inhaltlich als chronologisch irreführend. Es handelt sich um Manuskripte unterschiedlichen Inhalts und aus unterschiedlichen Zeiten. Zu der Datierung „1828" sah sich Meisner wohl dadurch veranlaßt, daß die als Seiten 4-7 gezählten Blätter auf die untere Hälfte der Rückseite einer an Schleiermacher gerichteten Nachricht amtlichen Charakters geschrieben sind, die das Datum „Berlin den 8. Jenner 1828" trägt; die Seiten 8—11 stehen auf der Rückseite der oberen Hälfte. Damit ist zwar ein Terminus post quem gegeben, doch haben diese Notizen Schleiermachers nicht die Lehre vom Staat, sondern die Philosophie Piatos zum Inhalt. Meisners Irrtum geht ver-

SW 111/8,158-178 sowie 179-217

LIV

Einleitung

des

Bandherausgebers

mutlich darauf zurück, daß Schleiermacher in diesem schwer entzifferbaren Manuskript mehrfach auf den „Staat" zu sprechen kommt; gemeint ist jedoch Piatos Dialog. Für die anderen zu dieser Nachlaßziffer gehörenden Manuskripte hat dieses Datum ohnehin keinerlei Beweiswert. Blatt 1-2, ein Doppelblatt in Oktav, dürfte teils Ausführungen, teils eher meditative Eintragungen aus unterschiedlichen, zum Teil frühen Jahren tragen. Blatt 3r bildet die Rückseite eines Ausschnitts aus einem Kirchenbuch, auf dem die Daten 1808, 1810 und 1813 genannt werden. Es beginnt mit den 4 Zeilen: „Das Wissen als gebrochenes Licht. Analogie zwischen den einzelnen [ ] und [ ] Forderung einer allgemeinen Grammatik. Auch das Gebiet der eigentlichen Gestaltung"; daneben rechts stehen die Initialen „F. S." Lediglich die — durch einen waagerechten Strich von dem Vorgehenden abgetrennte — Fortsetzung dieses Blattes gehört inhaltlich zu Schleiermachers Lehre vom Staat. Zweiter Teil Vorlesungsnachschriften Kolleg 1817 · Nachschrift

Varnhagen

In der gegenwärtigen Oberlieferungslage bildet die Nachschrift Va die erste ausführliche Darstellung der „Lehre vom Staat". Drei Nachschriften des Kollegs 1817 sind bekannt geworden: Aus der ersten anonymen (Sigle: An) hat Brandis fünf „Erläuterungen" zum Text des Manuskripts von 1829 in die Fußnoten aufgenommen;98 seitdem ist sie verschollen. Über den Verfasser der Nachschrift wie auch über ihren Charakter hat Brandis nichts mitgeteilt. Daß er die fünf von ihm herausgezogenen „Erläuterungen" sämtlich zum Beginn des Manuskripts von 1829 formuliert hat, läßt vermuten, daß entweder das von ihm benutzte Heft nur den Anfang des Kollegs von 1817 umfaßt oder Brandis es nicht vollständig entziffert und für den restlichen Teil vernachlässigt hat. Die zweite, die im vorliegenden Band veröffentlichte Nachschrift liegt in der Feder Karl August Varnhagens von Ense vor (Sigle: Va). Sie stammt aus der Sammlung Varnhagen der ehemaligen Staatsbibliothek Berlin und wird zur Zeit in der Biblioteka Jagiellonska, Krakow, aufbewahrt. Links vom Titelblatt ist die Signatur „Varnhagen 256." vermerkt. Die Nachschrift ist vom Verfasser von S. 1 bis S. 298 paginiert.

98

SW III/8,1, Fußnoten 1 und 2; S. 3, Fußnoten 1 und 2; S. 10, Fußnote 2

Editorischer

Bericht

LV

Es handelt sich um ein ausführliches, in Einzelstunden abgeteiltes und sehr sorgfältig niedergeschriebenes Manuskript. Dem Vorlesungstext hat Varnhagen aufS. 3 eine „Eintheilung" vorangestellt, d. h. ein Inhaltsverzeichnis, in dem die einzelnen Themen den 75 notierten Kollegstunden zugeordnet werden. Die Randspalten sind - bis auf die Stundeneinteilungen und einige Fragezeichen — nicht beschrieben. Varnhagen ist jedoch mit Sicherheit nicht der eigentliche Verfasser der Nachschrift, da er im Jahre 1817 als Vertreter Preußens am Badischen Hof in Karlsruhe weilte; er hat in der damals üblichen Weise und sicherlich erst nach seiner Rückkehr nach Berlin im Jahre 1819 eine andere, heute verschollene Nachschrift abgeschrieben. Daß es sich somit bei diesem Manuskript nur um die Abschrift einer Nachschrift handelt, tut ihrem Üb erlieferungswert jedoch keinen Abbruch. Eine dritte, anonyme Nachschrift (Sigle: Jo) hat 1993 Dankfried Reetz in der Hauptbibliothek des Johanneums in Hamburg entdeckt und als Privatveröffentlichung „Für Benutzer der Hauptbibliothek des Johanneums mit einer Einführung und Erläuterungen herausgegeben". Für die freundliche Überlassung sowohl einer Kopie der Nachschrift als auch seiner sorgfältigen Edition sei Herrn Reetz auch an dieser Stelle sehr herzlich gedankt. Jo trägt den Titel: „Vorlesungen über Politik. von Schleiermacher. Sommer 1817." Es handelt sich bei Jo ebenfalls um eine sehr sorgfältige Reinschrift von 155 Seiten in Oktav; sie bricht allerdings bei der 20. Vorlesungsstunde - von insgesamt 75 Stunden - ab. Für diese ersten Stunden aber kommt ihr sogar in mancher Hinsicht vor Va der Vorzug der klareren Aussage zu. Andererseits geht diese größere Prägnanz wohl nicht auf die ursprünglich im Kolleg mitgeschriebenen Notizen, sondern auf eine intensivere Stilisierung durch den Verfasser der Reinschrift zurück. Für die Edition im vorliegenden Band wurde Va herangezogen, und zwar zum einen, weil diese Nachschrift erheblich materialreicher ist, und zum anderen, weil Jo unvollständig ist und bereits in der Edition von Dankfried Reetz vorliegt, somit der Forschung zugänglich ist. Der Sprachductus beider Nachschriften ist trotz enger Berührungen im Wortlaut sehr verschieden, doch bietet Jo für die Anfangspartien des Kollegs eine willkommene Bestätigung der Ausführungen von Va. — Die durchgängige Abkürzung von „und" durch „u." wurde stillschweigend aufgelöst.

LVI

Einleitung des

Kolleg 1817/18 • Nachschrift

Bandherausgebers

Goetsch

Manuskript: Vormalige Stadtbibliothek zu Danzig, Signatur „Ms. 2308". Verfasser der Nachschrift (Sigle: Go) - wiederum einer Reinschrift — ist, wie das Titelblatt ausweist, ein Leutnant Goetsch, der sonst nicht bekannt ist. Go umfaßt 133 gebundene Blätter in Quart. Bl. 133r ist nur noch zur Hälfte beschrieben. Die Nachschrift ist sehr sorgfältig geschrieben; in den Randspalten sind — insbesondere in den späteren Teilen - Stichpunkte und Notizen mit Gliederungscharakter notiert; diese werden in der vorliegenden Edition nicht berücksichtigt. An mehreren Stellen hat Go bei der Niederschrift zunächst einige Zeilen frei gelassen — vermutlich wegen der Schwierigkeit bei der Entzifferung der im Kolleg mitgeschriebenen Notizen - und diese Lücken später, zumeist in kleinerer Schrift, gefüllt, wahrscheinlich aufgrund eines Vergleichs mit anderen, heute verschollenen Heften. - Unbestreitbar weist Go erhebliche Schwächen in der Wiedergabe des Gehörten auf; abgesehen davon aber scheint dieses Heft - soweit man ohne Vergleich mit einem Manuskript Schleiermachers oder mit anderen Nachschriften feststellen kann — eine inhaltlich insgesamt zuverlässige Wiedergabe dieses Kollegs zu bilden.

Kolleg 1829 · Nachschriften

Heß und Willich

Der Text des Kollegs 1829 ist hergestellt auf der Grundlage der Nachschriften Hess und Willich, unter Berücksichtigung der Nachschriften Horter und Schubring. Alle Nachschriften gehören zum Schleiermacher-Nachlaß des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie seien zunächst kurz charakterisiert: Nachschrift Heß (Sigle: He): „Vorlesungen über Politik gehalten von Schleiermacher im Sommer 1829." Signatur SN 589. 50 Seiten Quart in losen Lagen. Die Nachschrift hat kein Titelblatt, und es ist auch sonst kein Verfasser genannt. Im Findbuch des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie auf dem Umschlag wird sie aus nicht bekannten Gründen einem — sonst nicht bekannten — Verfasser namens Heß zugeschrieben; dieser maschinenschriftlich notierte Name ist jedoch aus ebenfalls nicht bekanntem Grund wieder mit Bleistift durchstrichen. Zur besseren Identifikation wird die Nachschrift hier jedoch weiter unter der Sigle He geführt.

Editorischer

Bericht

LVII

Die Seiten 3-50 sind vom Verfasser paginiert. Die einzelnen Lagen bestehen aus einem Doppelblatt (1—4), einem einzelnen Blatt (5-6), einem weiteren Doppelblatt (7-10) sowie fünf Doppelblättern mit Innenlage (11—50). Die Blätter 1—34 besteben einheitlich aus bläulichgrünlichem Papier; das Papier der beiden letzten Doppelblätter - von der 10. Vorlesungsstunde ab - ist chamois, die letzte Seite ist stark vergilbt. He ist eine sehr ausführliche und saubere, nur wenige Abkürzungen verwendende Reinschrift, fast ohne Streichungen und Verbesserungen. Sowohl hinsichtlich der Gedankenführung als auch des Ausdrucks hebt sie sich von den weiteren Nachschriften deutlich ab. He verzeichnet auch als einzige Nachschrift die Pensa der ersten 14 Stunden, allerdings ohne Datierungen. Leider bricht He bereits bei der Wiedergabe dieser 14. Stunde mitten im Satz ab. Über eine Fortsetzung ist nichts bekannt; sofern es - was sehr wahrscheinlich ist - eine derartige Fortsetzung gegeben hat, so ist sie doch schon vor der Deponierung im früheren „Literaturarchiv Berlin" verlorengegangen, da an der Stelle des Abbrechens von He ein Stempel des Literaturarchivs das Ende des Manuskripts anzeigt. Von Christian August Brandis wird He nicht als Quelle verwendet oder erwähnt. Horter (Sigle: Ho): „Die Lehre vom Staat gehört beim Herrn Professor Dr. Schleiermacher im Sommersemester 1829. von Johannes Hör ter.99 Berlin. 5täg. v. 8-9. Uhr." Auf der Seite links neben dem Titelblatt hat Ho die Lebensdaten Schleiermachers notiert. — Signatur SN 587. Vom Verfasser von S. 1 (Beginn des Textes) - 185 paginiert, gebunden. Es handelt sich um eine Reinschrift, die das gesamte Kolleg umfaßt, wenn auch mit größeren Lücken wegen versäumter Stunden, die zum Teil kenntlich gemacht sind; so findet sich aufS. 10 in Höhe des Textendes am Rande die Notiz: „2 Stunden fehlen"; der Rest der Seite sowie S. 11 sind nicht beschrieben. Ebenso ist nach dem oberen Viertel von S. 42, nach dem Datum „12. Juni", der Rest der Seite sowie die folgende Seite frei gelassen; der Text setzt ohne Datum auf S. 44 oben wieder ein, wahrscheinlich mit dem Pensum des 15. Juni. Nicht bei jedem Datum ist auch ein Wechsel in den Schriftzügen zu bemerken; Ho hat wahrscheinlich gelegentlich mehrere Vorlesungspensa auf einmal niedergeschrieben. Auf manchen Seiten ist die Schrift sehr gedrängt, so daß anzunehmen ist, daß Ho hier freigelassene Seiten

99

Das „Verzeichnis der Studirenden auf der König. Fr.-Wilhelms Universität zu Berlin", Berlin 1830, erwähnt S. 17 einen zuerst 1829 eingeschriebenen Theologiestudenten namens ]. L. Horter.

LVIII

Einleitung

des

Bandherausgebers

nachträglich gefüllt hat. — Auf dem Außenrand sind neben den Daten noch — wenige — Randbemerkungen notiert. Trotz des Reinschriftcharakters verwendet Ho sehr viele Kürzel, die auf dem Deckblatt in einer 50 Zeichen auflistenden „Erklärung der hauptsächlichsten Abbreviaturen." aufgelöst sind. Dennoch ist der Text stark verkürzt; die Nachschrift umfaßt nur gut die Hälfte des Umfangs von Wi. — Hervorzuheben sind die allein von Ho verzeichneten Daten der Kollegstunden. — Die Nachschrift schließt mit der Notiz: „Geschlossen am 29. Aug. 1829." Darunter hat der Verfasser mit den auch zuvor verwandten Kürzeln, jedoch mit anderer Tinte ein - ein Wort Machiavellis betreffendes - Zitat aus „Quarterly Review No: 81." notiert. Schubring (Sigle: Sc): „Die Lehre vom Staate nach Schleiermacher. Berlin 1829. Julius Schubring."100 Am unteren Rande des Titelblattes findet sich die Notiz: „NB. Ein oder zweimal durch Krankheit gestört. - Signatur SN 588. 85 Blatt in Quart, gebunden, vom Verfasser von S. 4-170 paginiert. Es handelt sich um eine saubere, im allgemeinen gut ausformulierte Reinschrift, die aber - gegenüber He oder Wi - den Text doch stark verkürzt: Sc ist nicht einmal halb so umfangreich wie Wi. Zudem weist Sc eine Lücke auf, die erheblicher ist als die erwähnte Notiz auf dem Titelblatt vermuten läßt: und zwar fehlen nicht weniger als elf Kollegstunden, nämlich die Stunden 55-66. Der Schluß der Vorlesung ist jedoch wieder mitgeschrieben; Christian August Brandis hat in seiner Ausgabe von Schleiermachers Lehre vom Staat die in Schleiermachers Manuskript nicht enthaltenen Schlußpassagen aus Sc eingefügt.™ Nach dem Ende der Nachschrift beginnt gleichsam aufS. 171 eine 16 Seiten umfassende - von unbekannter Hand mit Bleistift als Bl. 1 — 8 (Blatt 1 vacat) paginierte - „Ubersicht", in der Sc eine Kurzfassung des Inhalts von Schleiermachers Staatslehre gibt, jeweils unter Rückverweis auf die Paginierung der Nachschrift. Diese „Ubersicht" hat somit einen sekundären Status gegenüber der Nachschrift; für die vorliegende Edition ist sie nicht berücksichtigt worden. Nachschrift Willich (Sigle: Wi): „E vWillich"; darunter: „Dies Heft ist aus dem Jahr 1830 oder 31." Signatur SN 590. 244 Blatt in Folio, gebunden.

100

101

Siehe ebenda 34. - Julius Schubring ist auch als Adressat eines - für die Politikvorlesungen jedoch inhaltlich belanglosen - Gelegenheitsbriefes Schleiermachers vom 25. 05. 1829 bekannt; vgl. Arndt/Virmond, 234. SW 111/8,150-157

Editorischer

LIX

Bericht

Der Verfasser der Nachschrift ist Ehrenfried von Willich (geb. 1807), ein Sohn aus der ersten Ehe von Schleiermachers Gattin Henriette. Die Jahresangabe auf dem Titelblatt beruht auf einem Irrtum; in den genannten Jahren hat Schleiermacher seine Lehre vom Staat nicht vorgetragen. Sie erklärt sich vermutlich daraus, daß Ehrenfried von Willich noch nicht 1829, sondern erst vom Sommer 1830 bis zum Winter 1832/33 an der Berliner Universität immatrikuliert war,:102 Durch einen Vergleich mit Heften aus dem Kolleg 1829 kann Wi eindeutig als Nachschrift dieses Kollegs identifiziert werden. Die breiten Außenränder sind - in unterschiedlicher Häufung - mit zahlreichen Randbemerkungen gefüllt, die jedoch nicht Schleiermachers Vortrag wiedergeben. Am oberen Rand von S. 1, über dem Beginn des Textes, hat v. Willich dies eigens vermerkt: „Anmerkung Die Randbemerkungen gehören nicht zum Vortrage, sondern sind fragmentarische Auszüge desselben zu meiner eigen[en] Orientirung gemacht". Die Nachschrift enthält sowohl Sofortkorrekturen als auch zahlreiche Veränderungen, die bei einer nachträglichen Durchsicht durch den Verfasser vorgenommen worden sind. Die Blätter sind - von unbekannter Hand - am unteren Rande mit Bleistift von S. 1 bis S. 244 paginiert; diese Paginierung wird im vorliegenden Band im Kolumnentitel mitgeteilt. Der Verfasser hat die einzelnen Lagen gezählt; die erste als „Politik 1 ", die letzte als „Politik 29 und Ende". Diese Lagen sind jedoch nicht immer gleich stark; sie umfassen 8, 10 oder 12 Blätter, zumeist sind es 10 Blätter. Dieses Schwanken deutet jedoch nicht auf einen Manuskriptverlust hin; wie ebenfalls durch Vergleich mit den beiden anderen aus diesem Kolleg überlieferten Nachschriften Ho und Sc, am Anfang auch mit He festgestellt werden kann, hat der Verfasser keine Stunden versäumt. Für den hohen Oberlieferungswert von Wi spricht, daß es sich um eine unmittelbare Mitschrift des Kollegs handelt. Dementsprechend flüchtig und schwer leserlich ist die Schrift; zahlreiche Wörter sind abgekürzt. Der Ausdruck ist nicht - wie bei He, Ho und Sc — durch nachträgliche Überarbeitung geformt; dadurch ist der Text zwar weniger flüssig formuliert, doch kommt ihm gegenüber Ho und Sc der Vorzug der größeren Authentizität zu. Insbesondere in den späteren Partien ist die Ubereinstimmung von Wi mit Ho deutlich größer als mit Sc. Diese Nachschriften weisen einerseits eine große inhaltliche Übereinstimmung unter einander auf. In der Formulierung sind sie aber -

102

Amtliches Verzeichnis des Personals und der Studirenden Universität zu Berlin, Berlin 1830

auf der König.

Fr.-Wilheltns

LX

Einleitung des

Bandherausgebers

abgesehen von etlichen wörtlichen Übereinstimmungen - recht unabhängig von einander, was vor allem im Reinschriftcharakter von He, Ho und Sc begründet sein mag. Wegen dieser Divergenz in den Formulierungen, auch in der Satzstruktur ist es hier nicht möglich gewesen, eine Nachschrift als Leittext zugrundezulegen und sie durch Formulierungen der anderen Nachschriften fortlaufend zu kontrollieren und zu ergänzen. Aufgrund der beschriebenen Quellenlage stützt sich die Wiedergabe des nachgeschriebenen Textes nicht auf einen einzigen Leittext, sondern auf die beiden besten Nachschriften: Der Beginn des Kollegs folgt He als einer ebenso materialreichen wie auch gedanklich und stilistisch gut ausgeformten Reinschrift. Da He jedoch schon mit der 14. Stunde abbricht, wird der edierte Text nach Wi fortgesetzt - als einer ebenfalls materialreichen Nachschrift, die jedoch — als unmittelbare Mitschrift - hinter der Prägnanz der Gedankenführung und der Formulierungen von He zurücksteht. Die oben erwähnten nachträglichen Ausarbeitungen in den Randbemerkungen zu Wi sind nicht zur Herstellung des Textes herangezogen worden. Von ihnen sind jedoch einige kürzere Randbemerkungen zu unterscheiden, die den Charakter von Textergänzungen haben und vom Verfasser mit Verweiszeichen in den Text eingewiesen sind; sie sind auch hier in den Text aufgenommen worden. Die beiden anderen Nachschriften - Ho und Sc - sind für die Herstellung des Textes durchgehend verglichen, aber nur punktuell herangezogen worden. Ein vom ersten, auf He gestützten, zum zweiten, auf Wi gestützten Teil überleitender Satz ist aus Ho übernommen worden. An wenigen Stellen ist an Stelle eines unleserlichen Wortes aus Wi ein Wort einer anderen Nachschrift in den Text gesetzt worden. Alle Eingriffe in He bzw. Wi sind im textkritischen Apparat - unter Verwendung der Formel „so Ho" usf. nachgewiesen. Transkriptionen von Ho und Sc liegen in der Schleiermacherforschungsstelle Berlin vor. Durch den Vergleich der Nachschriften He, Wi und Ho läßt sich der Verlauf des Kollegs 1829 nahezu lückenlos rekonstruieren. Wi enthält zwar weder Stundeneinteilungen noch Datierungen, doch ist der Beginn einer neuen Kollegstunde am Schriftductus deutlich erkennbar. Während der Kollegstunden tendiert die Schrift zu immer größeren und weniger artikulierten Formen ; mit dem Beginn jeder neuen Stunde setzt Wi wieder in kleiner, geradezu zierlicher Schrift an. Auch bei den Reinschriften He, Ho und Sc ist gelegentlich eine Differenz im Schriftductus zu erkennen. Dies bietet zwar — eben wegen des Reinschriftcharakters - keine Gewähr über den Verlauf des Kollegs, doch markiert He die ersten vierzehn Stunden, übereinstimmend mit Schleiermachers Manuskript, und Ho enthält zwar keine Stundenzählung, jedoch die

Editorischer Bericht

LXI

Daten der Kollegstunden. Diese Daten stimmen jeweils im Ductus mit dem vorangegangenen Text überein, so daß anzunehmen ist, daß er das Datum jeweils ans Ende seiner Notizen gesetzt hat. AufS. 42 hat Ho das Datum „12. Juni" an den Rand gesetzt, aber den Rest der Seite sowie die folgende Seite nicht beschrieben; wie durch Vergleich mit den anderen Nachschriften zu ersehen ist, hat er diese Stunde (vom Montag, den 15. Juni) - wie auch schon zwei frühere - versäumt. S. 44 beginnt der Text einer neuen Stunde ohne Datum; erst am Ende dieser Stunde findet sich das Datum „16. Juni". Die Datierungen beginnen in Ho mit dem 4. Mai, und sie enden mit dem 22. August. Daß das Kolleg nicht mit diesem Tage, sondern erst eine Woche später, am 29. August endete, belegen das Titelblatt zu Schleiermachers Manuskript und die Schlußnotiz von Ho: „Geschlossen am 29. Aug. 1829." Leider hat Ho die Datierungen nur lückenhaft durchgeführt ; statt 82 Daten gibt er nur 50 an. Durch Vergleich mit der Stundenzählung von He sowie von Schleiermachers Manuskript und Tagebuch ist es gleichwohl möglich, die einzelnen Stunden insgesamt zuverlässig zu datieren. Ausgefallen sind offensichtlich eine Stunde zwischen Montag, 11. Mai (nach dem Tagebuch der 6. Stunde) und Freitag, 15. Mai (nach dem Tagebuch der 9. Stunde) sowie zwischen Montag, 25. Mai (15. Stunde) und Freitag, 29. Mai (18. Stunde) und die Stunden von Montag bis Mittwoch, 8.—10. Juni, vom Donnerstag, 9. Juli und vom Montag, 3. August, dem Geburtstag des Königs Friedrich Wilhelm III., ferner am 13. August. Die 73. Kollegstunde hat am 22. August stattgefunden, einem Sonnabend, wohl wegen des nahenden Semesterendes. In der letzten Semesterwoche hat Schleiermacher zusätzliche Stunden eingelegt: Aus seinen Tagebuch notizen geht hervor, daß er von Donnerstag bis Sonnabend, 27.-29. August, jeweils die Stunden „doubliert" hat; d. h. er hat an diesen drei Tagen die 77. und 78., die 79. und 80. und die 81. und 82. Stunde gelesen. Im Interesse eines Vergleichs zwischen Schleiermachers Manuskript und dem Text der Nachschriften werden beim Kolleg 1829 die Stundenzählungen und die Daten am Außenrand wiedergegeben. Die Gliederung der ersten 14 Stunden ist aus der Nachschrift He ersichtlich; diese Zählung wird recte wiedergegeben. Die folgenden Stundeneinteilungen sind durch Vergleich mit Schleiermachers Manuskript bzw. mit den Datierungen in Ho sowie dem Wechsel im Schriftductus erschlossen und werden kursiv wiedergegeben. Die zur Orientierung ebenfalls am Außenrande mitgeteilten Datierungen sind sämtlich nicht in den edierten Quellen enthalten. Soweit sie recte gesetzt sind, finden sie sich in Ho; kursive Daten sind aus Ho und aus Schleiermachers Tagebuch übernommen.

LXII

Einleitung des Bandherausgebers

Kolleg 1833 • Nachschrift

Waitz

Zu diesem Kolleg sind drei Nachschriften belegt: Der ersten hat Brandis die Erläuterungen zu den „Notizen zum Kolleg 1833" entnommen; seitdem ist sie verschollen, so daß sich über ihren Charakter nichts sagen läßt. Es ist nicht einmal gewiß, ob Brandis sich für diese Erläuterungen nur auf eine oder auf mehrere Quellen gestützt hat. Ein Vergleich mit den anderen Quellen zeigt, daß Brandis' Text zwar insgesamt zuverlässig ist, aber nur einen geringen Ausschnitt aus diesem Kolleg wiedergibt - etwa ein Siebentel des Umfangs der folgenden Nachschrift. Die zweite, die im vorliegenden Band veröffentlichte Nachschrift hat Georg Waitz verfaßt (Sigle: Wa). Sie befindet sich - zusammengebunden mit einer ebenfalls von Waitz stammenden Nachschrift eines Kollegs von Berger über Naturrecht - unter der Signatur Ms. germ. qu. 1076,4,2 in der Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz. Sie umfaßt 133 vom Verfasser gezählte Seiten. Es handelt sich um ein ausführliches und in sorgfältiger, jedoch sehr kleiner und deshalb schwer lesbarer Schrift geschriebenes Manuskript. Es enthält fast keine Streichungen und nur wenige über die Zeile geschriebene, wohl bei der Reinschrift eingefügte Ergänzungen. Etwa auf der Hälfte der Seiten sind Randzusätze notiert, die jedoch offensichtlich nicht den Wortlaut des Vorgetragenen wiedergeben, sondern als Stichworte zur leichteren Orientierung gedacht sind. In drei Fällen sind neben diesen Randbemerkungen Markierungen in den Text gesetzt, die vermutlich als Einfügungzeichen gedacht sind; deshalb werden diese Randbemerkungen hier als Fußnoten wiedergegeben. Die Nachschrift enthält weder Zwischenüberschriften noch Datierungen noch die Zählung der Kollegstunden. Auch die dritte Nachschrift, durch Sigismund Stern (Sigle: St), befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz, jedoch erst seit 1997. Der Nachlaß Sterns gehörte früher dem Enkel des Verfassers, William Stern, in Hamburg; ein Testatbogen aus diesem Nachlaß ist 1930 von Galliner in der oben erwähnten Monographie103 veröffentlicht worden. Bei der Emigration von William Stern ist der Nachlaß in die USA gelangt und jüngst aus einem dortigen Antiquariat von der Berliner Staatsbibliothek erworben worden. St umfaßt 56 gezählte Blätter; hinzu kommt ein nicht gezähltes Blatt nach Bl 33v. Sie ist in einer insgesamt ausgeprägten, wenn auch etwas ungelenken Handschrift geschrieben, die trotz der häufigen Aus-

103

Siehe Fußnote

68

LXIII

Editorischer Bericht

lassung von Buchstaben und Zusammenschreibung von Wörtern fast stets mit Sicherheit entziffert werden kann. AufS. 1 ist auf dem Rand notiert: „Schleiermacher Uber d[en] Staat". In den Randspalten stehen nur sehr vereinzelt Einträge, darunter einmal der sorgfältig auspungierte Name „Pauline" auf S. 14" sowie häufige Ausrufezeichen, vor allem aber die Datierung der Kollegstunden. Durch Vergleich dieser Daten mit der Stundenzäh lung in Schleiermachers „Notizen zum Kolleg 1833" und mit den Eintragungen in Schleiermachers Tagebuch sowie mit Wa lassen sich die Kollegstunden nahezu lückenlos datieren. Gegen Ende des Semesters hat Stern jedoch mehrere Kollegstunden versäumt, und zwar am 20., 21. und 24. Juni, am 2., 9. und 26. Juli sowie am 2. August, also die Stunden 33-35, 41, 46, 59 und 64. In den anderen Partien bestätigt St, obgleich nur gut ein Drittel des Umfangs von Wa umfassend, insgesamt die Überlieferung durch Wa. Da St von der 32. Kollegstunde am 19. Juni jedoch nur den Beginn überliefert und auch die „Notizen zum Kolleg 1833" die 32. und die 33. Stunde zusammenfassen, läßt sich die Zäsur zwischen diesen beiden Stunden nicht mehr erkennen. Die in den „Notizen" überlieferten Stundenzählungen sowie die von St und im Tagebuch überlieferten Daten werden im vorliegenden Band am Rande in Kursive mitgeteilt. Am 1. Mai und am 16. Mai, dem Himmelfahrtstag, sowie am 28. und 29. Mai, dem Dienstag und Mittwoch nach Pfingsten, hat Schleiermacher nicht gelesen, am Sonnabend, den 3. August, hat er eine zusätzliche Stunde eingeschaltet, obgleich dies der Geburtstag des Königs war — vermutlich weil er noch am gleichen Tag zu einer Reise nach Skandinavien aufgebrochen ist. a·* it Die Transkriptionen aller Quellen sowie die Textvorlage des vorliegenden Bandes hat Isabelle Lüke geschrieben; sie und Sigrid Grossman haben mich bei den Korrektur arbeiten unterstützt; Sigrid Grossman hat sich daneben große Verdienste um die Anmerkungen erworben. Für diese unverzichtbare Hilfe möchte ich beiden herzlich danken. Danken möchte ich ferner den Archiven und Bibliotheken, die die Erlaubnis zur Publikation der Quellen dieses Bandes erteilt haben. Berlin, im September

1998

Walter

Jaeschke

Erster Teil Manuskripte

Schleiermachers

Frühe

Aphorismen

Weil kein Wort einen absoluten Werth hat darum ist es unendlich l r 218 schwer und eigentlich die größte Pretension, Aphorismen zu schreiben. Daher möchten wol schwerlich andere Aphorismen möglich sein 5 als die zugleich antithetisch oder in einer andern Form streng wizig sind und gewissermaßen den Umfang der Worte selbst ausmessen. So sind die meisten Schlegelschen.

Auf der einen Seite muß im Staate allerdings alles Gegenstand des Commerzes werden, ablöslich, Geldes werth. Auf der andern alles Sitte, 10 individualism, fixirt. Beides auf die rechte Art zu verbinden und zu trennen ist die höchste Aufgabe. Jede mechanische Lösung ist nur untergeordnet und unvollkommen. So in England die zeitliche Beschränkung des entail, in Deutschland die räumliche Trennung zwischen Lehn und Allodium.

15 Das Bestreben nach der Sitte ist die Ursache von der Verbindung der Kirche mit dem Staat. Daher auch der Schein daß die Kirche müsse rein national sein. Bei den Alten war alles was auf die Sitte wirkte, die ganze Geselligkeit, religiös. Abwägung der Frage ob der Katholicismus politischer ist oder der Protestantismus.

20 Läßt sich das Ganze eintheilen nach den verschiedenen Actionen wel- 219 che in der Idee der Cultur liegen? Nämlich 1.) das herbeischaffen und

4 - 7 Schleiermacher spielt auf die Aphorismen insbesondere Friedrich Schlegels an; zu der von diesem angeregten Fragmentsammlung im „Athenäum" hat auch Schleiermacher Fragmente beigesteuert; siehe KGA 1/2, S. 143—156.

6

lv

Erster Teil • Manuskripte

Schleiermachers

erhalten des zu bearbeitenden Stoffes, und hier wieder abgetheilt nach der menschlichen und nach der äußeren Natur 2.) das Bearbeiten desselben unmittelbar nach gleicher Eintheilung. | Die wichtigsten Differenzen in der Richtung der gesammten Thätigkeit gingen wenigstens hieraus hervor. Hiebei wäre dann zu sehn auf die universelle Seite und 5 auf die individuelle in ihrem respect/Ve« demokratischen und aristokratischen Charakter. Die Idee des Nationalreichthums auch im weitesten Umfange repräsentirt nur die universe//^ Seite. Es muß noch hinzukommen die Idee der Nationalbildung ebenfalls im höchsten Umfang. Hierin liegen die wesentlichen Aufgaben des Staates im Allge- 10 meinen. Dann ist erst Zeit von seiner Form zu reden nämlich von der wesentlichen Einheit und dem relativen Gegensaz zwischen Volk und Regierung. Endlich ist dann zu bestimmen, welches unter was für Umständen 15 der Antheil beider differenten Glieder an den wesentlichen Aufgaben ist.

Die Abgaben sind gleichsam nur das wovon sich die Regierung in wie fern sie besonders heraustritt nährt[;] gehören also unter Nr 2.

Die Idee des wahren Königes. Er muß alles haben und nichts. Nichts 20 in der Form des Eigenthums, aber den idealen Besiz von allem. (Idee des alten Feudalsystems.) Darum ist der Wahlkönig nicht der rechte, sondern nur der Erbkönig.

220 Die Polizei und das Militair ist das Massewerden der Regierung (Darum wenn die Regierung sich isolirt treten zwei Massen gegen ein- 25 ander.) Die Parlamente sind das Regierungwerden des Volkes.

Drei Theile Staatsbildung Staatsverwaltung Staatserhaltung. Bei der Ankündigung derselben ein Anhang üb er die sogenannte Staatsklug-

1 erhalten] über

(bearbeitet)

Frühe

Aphorismen

7

heit. [Notorisch] kleinlich die gewöhnliche Ansicht. Ueber die wahre Idee davon. — Wie man sagen kann daß Klugheit im sittlichen Sinne das allgemeine PflichtSchema ist.

In der Einleitung über die Idee der Theorie, auf welcher Stuffe sie 5 eigentlich steht. |

[

]

Kommt die Polizei unter die Staatsverwaltung? und wie wird diese 2r überhaupt abgetheilt? Schwer zu bestimmender Begriff der Polizei. Tiefstes Hinabsteigen der Gesezgebung in das Gebiet der Familie und des Eigenthums. Suplo plement wo die bürgerliche Freiheit sich nicht selbst genug beschränkt durch das inwohnende gemeinsame Interesse. O f t ist sie eine Masse von willkührlichen Punkten um die Gesezgebung zu suppliren. So etwas kann natürlich in England nicht sein. Die Polizei ist in England schlecht weil es keine stuffenweise Gesezgebung gibt. Diese Idee ist acht 15 deutsch. Annäherung dazu in unsern Provinzialgesezbüchern. — Als Supplement sollte eigentlich die Policei gar keine Strafen auflegen können sondern nur die Handlungen des Nachlässigen mit seinen eignen Kräften ergänzen. Policei als Auge der Regierung um die Uebertretungen zu entdek20 ken. Wo Gegensaz zwischen Regierung und Volk ist wird sie geheim und höchst verderblich. Wo beide eins sind kann es nie eine geheime Policei geben. Auch da wo sie scheinbar nüzlich ist wird sie nur 221 dadurch nothwendig daß die Angeberei verhaßt ist, und dies ist nur da, wo die Gesezgebung selbst verhaßt ist.

25 Für Diebstahl ohne Gewalt hat die Regierung gar keine Verpflichtung einzustehn, wohl aber für allen Raub.

1 |Notorischl] Brandis:

Italienisch

11 das] korr. aus die

8

Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

In Fichtes politischem Handelstaat ist die Masse das Nichtich. Darum wird ihr alle politische Existenz abgesprochen.

Je roher noch die Masse ist, um desto mehr muß alles individualisirende geschüzt und geheiligt sein, damit das schon gebildete nicht wieder in rohe Hände komme. Die Tendenz des Staates muß aber immer sein den strengen Gegensaz aufzuheben.

Herrliche Construction des englische« Parlaments im Ganzen als Einheit der Regierung und des Volks, weil einige schon als Regierungsglieder darin sind, andere welche erst durch Wahl hineinkommen müssen, dadurch also das Urtheil der Regierung gleichsam anerkannt, und andere durch ihre Wahl Regierungsglieder zu werden pflegen.

Ein Mittelzustand zwischen unserem bisherigen und dem der wahren Repräsentation ist der[,] die Sprache der öffentlich en Meinung in ein förmliches aber blos consultatives Organ zu formiren. Ist aber nicht haltbar. |

[ v

]

Abgaben, und als ihr wenngleich falsches Correlatum Prämien (das richtige Gehalt.) dargestellt als die Circulation zwischen Regierung und Volk.

9 welche] über der Zeile mit

Einfügungszeichen

Ii Schleiermacher spielt an auf Fichte: Der geschloßne Handelsstaat, Tübingen 1800. Fichte verwendet dort allerdings weder den Begriff der „Masse" noch den aus seiner „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre" (Leipzig 1794/95) bekannten Begriff des Nicht-Ich. — Aus Briefen geht hervor, daß Schleiermacher noch vor Erscheinen von Fichtes Schrift beabsichtigt hat, sie für die geplanten „Kritischen Jahrbücher" zu rezensieren; siehe KG A V/4, Brief964, 52 fund Brief968, 75

Frühe Aphorismen

9

Einseitigkeit der verschiedenen Systeme vom Staatsreichthum. Worauf 222 die Relativität der verschiedenen Zweige beruht.

Was man eigentlich Politik nennt geht mehr vom empirisch einzelnen aus. Höher angesehn entspricht es mehr der Pflichtenlehre. Die Kunst 5 in der Hinsicht auf das Einzelne nicht die auf das Ganze zu verlieren. Daher nicht mit Unrecht Klugheit - Wir geben nur die Principien dazu.

Standpunkt der modernen Staatsklugheit (in der Staatserhaltung) historisch im Zustande der Staatenbildung gegründet. Vielleicht die 10 ersten Spuren unter den Alexandrinischen Reichen.

Zwei verschiedene Gefühle daß der Geist überall der Masse auf eine ewige Weise eingeboren ist, und daß er überall zeitlich nur in einzelnen Erscheinungen heraustritt sind in scheinbarem Streit und müssen mit einander vereint werden.

15 Wenn man gesezgebende Gewalt und ausführende Gewalt gegen einander stellt so hat offenbar die gesezgebende Gewalt die Regierung und die ausführende Gewalt das Volk.

„Polizei soll gehn auf Erhaltung der Sicherheit und Rechtlichkeit und auch auf Beförderung der Sittlichkeit und Glükseeligkeit." So werden

l f Als solche Systeme des Staatsreichtums wurden damals üblicherweise das Merkantilsystem (im Anschluß an ].-B. Colbert) und das physiokratische System (im Anschluß an F. Quesnay) behandelt; siehe etwa Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the 'Wealth of Nations, London 31791, Buch V, oder Karl Heinrich Ludwig Pölitz: Die Staatslehre für denkende Geschäftsmänner, Kammeralisten und gebildete Leser, 2 Bde, Leipzig 1808, Bd. 2,82-102; Theodor Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, Berlin 1808, S. 116-151 (§§ 174—217), behandelt die beiden genannten Systeme unter Hinzufügung des „Industriesystems" von Adam Smith 1 8 - 3 Der von Schleiermacher durch Anführungszeichen hervorgehobene Grundsatz konnte in dieser Form

10

Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

auf der einen Seite alle Schul- und Kirchen Anstalten Policei Anstalten, auf der andern Seite ist keine feste Grenze gegen die Gesezgebung zu ziehn. So auch Pöliz.

Pöliz trennt auch NationalOekonomie von Staatswirthschaft. Leztere ist ihm theils Leitung der NationalOekonomie theils Finanzwissen- 5

nicht nachgewiesen werden. Der Sache nach vertritt diese Position u. a. Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft. Er behandelt auch Unterrichtsanstalten und die Kirche unter dem Titel „Staatswirthschaftliche Polizey"; siehe S. 197-203 (§§ 273-278) bzw. S. 197203 (§§ 273—278). — Pölitz: Staatslehre, erklärt die beiden von Schleiermacher unterschiedenen Aufgaben zu den zwei Funktionen der Polizei und untergliedert hiernach die Polizeiwissenschaft — als den dritten Teil der angewandten Staatslehre - in die Abhandlung der „A) Sicherheits- und Ordnungs-Polizei" und der ,,B) Kultur-Polizei" ; siehe Bd. 2,213 f. Siehe auch § 192, Bd. 2,211 f: „/.../ so erscheint der Staat, der an sich ein vollendetes rechtliches Ganze bilden soll, durch die Polizei auch als ein moralisches Ganze, indem die Polizei die Bedingungen der Sittlichkeit und Wohlfahrt, welche der ein\zelne Staatsbürger an den Staatsverein zu machen berechtigt ist, ausgleicht mit dem unmittelbaren Zwecke des Rechts, und der Mensch, unter der Leitung der Polizei im Staate, nicht blos in seinen Rechten gesichert, sondern auch durch die öffentliche Ordnung und Zucht disciplinirt und durch die öffentlichen Anstalten für Kultur fortgebildet und fortgeführt wird zur Realisirung des Zweckes der Menschheit." — Die „Kultur-Polizei" umfaßt nach 5 232 (Bd. 2,369) Bevölkerungspolizei, Industriepolizei, Sittenpolizei, Religions- und Kirchenpolizei, Polizei der Aufklärung und Erziehungspolizei. Für Pölitz werden hierdurch zwar die Unterrichtsanstalten zu Polizeianstalten, jedoch nicht die Kirchen; siehe § 236, Bd. 2,382: „Die Religions- und Kirchenpolizei ist der Inbegriff aller der Anstalten der höchsten Gewalt im Staate, wodurch das zwischen dem Staate und der Kirche bestehende rechtliche Verhältniß [...] aufrecht erhalten und realisirt wird." Das Verhältnis von Staat und Kirche behandelt Pölitz in §§ 52-56 in Bd. 1,136-144. - Zur Erziehungspolizei siehe ebd. § 238, Bd. 2,387ff 41 Pölitz: Staatslehre, behandelt im ersten Teil die reine Staatslehre, im zweiten die angewandte Staatslehre. Diese gliedert er in „1) Nationalökonomie", „2) Staatswirthschaft" und „3) Polizeiwissenschaft". Siehe hierzu Bd. 2,6—8, j 115 : Die Staatslehre stellt „zuerst die Bedingungen auf, unter welchen Nationalreichthum, oder die Masse | des Vermögens aller einzelnen Staatsbürger, entsteht, erworben, erhalten, vermehrt, vertheilt und consumirt wird, und entwickelt in diesen Bedingungen die ursprünglichen Mittel der individuellen und allgemeinen Wohlfahrt im Staate. Dieser Theil der angewandten Staatslehre heißt die Nationalökonomie. [...] Aus jener Sicherheit aber, die der Staat dem Privateigenthume gewährt, folgt nicht, daß das Nationalvermögen, oder die Summe des Vermögens der einzelnen Staatsbürger, blos des Staates wegen da sey, obgleich die Regierung des Staates einen Theil des Nationalvermögens zur Realisirung der allgemeinen Zwecke des Staates von ihren Bürgern verlangen und für die Erreichung dieser Zwecke verwenden darf. Die Staatswirthschaft ist daher keinesweges einerlei mit der Nationalwirthschaft, sondern von der letztern durchgehends abhängig, in wie fern nämlich die Staatswirthschaft nur unter der Voraussetzung der Nationalökonomie möglich, und der Staatswirth [...] an richtige \ Grundsätze über Nationalökonomie gebunden ist." Zur weiteren Untergliederung der

Frühe

Aphorismen

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schaft. Andere wollen noch mehr den Staat als etwas besonderes sezen 223 und ihm auch nicht einmal die Leitung der NationalOekonomie zuschreiben. Sie sehen also das ganze unmittelbare Kulturgeschäft als

3 das] korr. aus die „Staatswirthschaft" siehe den hierzu einleitenden Paragraphen, Bd. 2,123: „167. / Begriff und Theile der Staatswirthschaft. / Die Staatswirthschaft, oder richtiger: die Staatswirthschaftswissenschaft, ist ein untergeordneter Theil der angewandten Staatslehre (§. 115), und enthält die Bedingungen, nach welchen das Staatsvermögen aus dem Nationalvermögen gebildet und angewandt werden muß. Sie ist daher ein wesentlicher Bestandtheil der Staatsregierungskunst, und zerfällt in wissenschaftlicher Hinsicht in zwei Teile: / a) in die Staatswirthschaft im engern Sinne, welche die allgemeinen Grundsätze bestimmt, nach welchen die höchste Gewalt im Staate Einfluß auf die Leitung des Nationalvermögens haben kann und darf; / b) in die Finanzwissenschaft, welche die Grundsätze für die Erhebung, Vertheilung und Anwendung der Staatseinkünfte festsetzt." 1 - 3 Schleiermacher bezieht sich hierbei wahrscheinlich auf die Kritik von Adam Smith an der Einflußnahme des Staates auf die Wirtschaft, insbesondere am Merkantilismus und an der physiokratischen Lehre; hierauf deutet auch seine Kritik der Annahme, „daß der Eigennuz alle Menschen verständig mache"; siehe die Anm. zu 30,1-3. Siehe Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth ofNations, London Ί776, Π791, Bd. 3, 307-309: „lt is thus that every system which endeavours, either, by extraordinary encouragement, to draw towards a particular species of industry a greater share of the capital of the society than what would naturally go to it; or, by extraordinary restraints, to force from a particular species of industry some \ share of the capital which would otherwise be employed in it; is in reality subversive of the great purpose which it means to promote. It retards, instead of accelerating, the progress of the society towards real wealth and greatness; and diminishes, instead of increasing, the real value of the annual produce of its land and labor. / All systems either of preference or of restraint, therefore, being thus compleatly taken away, the obvious and simple system of natural liberty establishes itself of its own accord. Every man, as long as he does not violate the laws of justice, is left perfectly free to pursue his own interest his own way, and to bring both his industry and capital into competition with those of any other man, or order of men. The sovereign is compleatly discharged from a duty, in the attempting to perform which he must always be exposed to innumerable delusions, and for the proper performance of which no human wisdom or knowledge could ever be sufficient; the duty of superintending the industry of private people, and of directing it towards the employments most suitable to the interest of the society. According to the system of natural liberty, the sovereign has only three duties to attend to; three duties of great importance, indeed, but plain and intelligible to common understandings: first, the duty of protecting the society from the violence and invasion of other independent societies; secondly, the duty of protecting, as far as possible, every member of the society from the injustice or oppression of every other member of it, or the duty of establishing \ an exact administration of justice; and, thirdly, the duty of erecting and maintaining certain public works and certain public institutions, which it can never be for the interest of any individual, or small number of individuals, to erect and maintain; because the profit could never repay the expense to any individual or small number of individuals, though it may frequently do much more than repay it to a great society. "

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

etwas an was rein von der N a t i o n als solcher ausgehen muß. Dies ist 3r aber nur auf einer gewissen Entwiklungsstuffe wahr. | Z u r Glükseligkeit zureichend^] geht auch auf die Totalität der Kultur. - Das alle andere unter sich befassen schließt auch die Idee des öffentlichen Lebens in sich. Vollkommene Gemeinschaft so daß es keiner andern 5 bedarf.

Es giebt Staaten die ihr rohes Material auf keine andere Weise als durch Eroberung herbeizuschaffen wissen. Raubstaaten. So in gewissem Sinn R o m , in gewissem Athen; lezteres deshalb, weil die Totalldee der Kunst als Nationalbildung den Athenern eigenthümlich war. Tollheit eines 10 Raubstaates von großem Länderumfang. Auch menschenraubende Staaten gehören hieher.

N u r wo der politische Instinkt in der Masse ganz negativ ist, das Gefühl daß sie für sich nicht zusammenhalten kann und doch zusammenhalten muß, nur da kann eine Regierung ganz einseitig und will- 15 kührlich sein.

Die Regierung kann nicht ausgeschlossen sein von der Nationalökonomie sonst hätte ja die eine Seite des formellen Gegensazes keinen Theil an der materiellen Seite. - Dies wollen die Oekonomisten im weitern

2-6 Schleiermacher bezieht sich hier wahrscheinlich nicht mehr auf zeitgenössische Theorien, sondern auf Aristoteles' „Politik". Seine Aussage verschmilzt mehrere von Aristoteles erörterte Aspekte des Staates. Für Aristoteles ist der Staat zwar des Uberlebens wegen entstanden, doch besteht er um des vollkommenen Lebens willen (1252 b 29—30, 1280 a 32, 1280 b 33), und dieses vollkommene Leben ist für Aristoteles ein Leben nach der Tugend (1323 b 40-1324 a 2, 1328 b 33-38); eine Folge dieses Lebens ist ein glücklicher Zustand. — Zur vollendeten Gemeinschaft, die keines anderen bedarf, siehe Aristoteles: Politik, 1252 b 27-29 sowie 1275 b 19-21. Daß der Staat „alle andere (sc. Gemeinschaften) unter sich" befasse, bezieht sich auf den Beginn von Aristoteles' Politik, 1252 a 56 8 Der Begriff „Kaubstaaten" spielt sinngemäß an auf Augustinus : De Civitate Dei. IV,4: „Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? quia et latrocinia quid sunt nisi parua regna?" „Raubstaaten" findet sich damals aber häufig, und zwar nicht — wie von Augustinus — zur allgemeinen Charakterisierung des Staates, in dem keine Gerechtigkeit herrscht, sondern speziell solcher Staaten, die auf Kosten des Reichtums anderer leben; siehe etwa Theodor Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, Berlin 1808, S. 297: „Alle Einnahme des Staats geht von dem National-Einkommen allein aus, wenn man ausnimmt, was Raub-Staaten von andern Staaten erpressen."

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Aphorismen

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Sinn und wollen also die Thätigkeit der Verfassung ganz auf sich selbst und auf die Erhaltung beschränken.

Das einzige wahre des stehenden Heeres ist wol das Bestreben daß 224 durch die erhaltende Function die verwaltende nicht soll unterbrochen 5 werden.

Daß die verwaltende Function nicht bestehen kann ohne die Verfassung, und daß sie also die Weriassung selbst hervorbringen müßte wenn sie nicht schon da wäre, d. h. sie erhalten, das wird zugleich symbolisch dargestellt durch die Abgaben. Daher müssen diese eigentlich aus 10 jedem Zweige hervorgehn und so zugleich auch das Auge der Regierung sein.

Gewöhnliche Darstellung der Organisation unter der Mannigfaltigkeit der drei Formen und der drei Gewalten. Willkührlichkeit darin. Der wesentliche Unterschied zwischen Aristokratie und Demokratie ver15 schwindet bei näherer Betrachtung. Polen sah aus wie Aristokratie, ist aber Demokratie. Einzelne Amerikanische Staaten wegen der Menge von Schwarzen. Die Triplicität der Gewalten ist gar nicht zu deduciren.

Das Absteigende von der Regierung zum Volk ist die Hierarchie der 20 ausübenden Gewalt; das Aufsteigende vom Volk zur Regierung ist die Hierarchie der gesezgebenden Gewalt. | Der relative Gegensaz ist nicht ursprünglich als ein persönlicher 3v gegeben. Er kann recht gut auch ein functioneller sein.

8 wäre,] folgt (würde zwar)

12 f Die Dreiteilung der Staatsformen geht zurück auf die antike Staatsformenlehre; Plato: Rep. Vili 544 e-545 a unterscheidet fünfStaatsformen ; Aristoteles: Politik, 1288 a 32-33, drei richtige und in der Folge drei entartete Formen; siehe hierzu auch Schleiermachers Exzerpte, KGA 1/14. — Das verfassungsrechtliche Prinzip der Gewaltenteilung verbindet sich in der Neuzeit insbesondere mit Montesquieu: De l'Esprit des Lois (siehe die Anm. zu 239,34—240,3), doch erkennt Schleiermacher in seinen Exzerpten aus Aristoteles' Politik (siehe KGA 1/14) bereits bei ihm eine „Spur" der Verteilung von drei Gewalten an bestellte Kollegien; er bezieht sich dort auf Aristoteles : Politik, 1275 b 3-7, 13-17

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Erster Teil • Manuskripte

Schleiermachers

Der König ist die Einheit und Allheit der Einwohnung der Idee des Staates. Das Volk die Totalität der Aufnahme der Idee.

Die reine Demokratie beruht auf dem Princip der Allgegenwart der Idee. Sie soll durch die Reibung der Einzelnen unter einander erregt und integrirt werden. Wenn dieser Reibungsact vorbei ist werden sie wieder bewußtlos. In den permanenten Organen wird nicht die Idee specifisch gesezt, sondern nur die Erinnerung (denn sie sind nicht gesezgebend) aber sie sind isolirt functionell wenigstens von dem was die Bewußtlosigkeit hervorbringt. - Offenbar tritt hier der relative Gegensaz am wenigsten auseinander. Aber in jenem isolirtsein liegt schon der Uebergang zu den andern Formen.

Sobald irgend eine Klasse von der Bildung des gemeinen Willens ausgeschlossen ist existirt schon eine Aristokratie.

Wenn ein Staat als Demokratie entstanden ist strebt er nach der Monarchie. Wenn er als Monarchie entstanden ist strebt er nach Demokratie bis sich beide einander saturirt haben.

Der wahre König muß ganz isolirt sein von dem was in die Bewußtlosigkeit der Idee verwikkelt. Dies kann eigentlich nur der Erbkönig, der Wahlkönig nicht.

Die regierende Familie muß allerdings die individuellste sein und also auch am meisten aristokratisch constituirt. Natürlich muß es auch eine Abstufung von ihr zum reinen Demokratismus der Gemeinen geben. Die Form des Erbadels ist aber hiemit nicht vollständig gesezt. Nur diejenige Familie sei aristokratisch die es sein will.

Die königliche Familie muß immer im höchsten politischen Leben bleiben weil der wahre König aus ihr soll geboren werden, nicht weil schon

Frühe Aphorismen

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so viele Könige aus ihr geboren sind[;] also gar nicht nach Analogie des Adels.

Der König ist seiner N a t u r nach bloß repräsentativ. Er ist die gemeinsame Spize der beiden Zweige. D a r u m durfte nur irgend eine aus den 226 5 gebildetsten und politischsten Familien genommen werden. Aber gewöhnlich ist die Familie selbst historisch. - Ueber die Wahl fremder Familien namentlich deutscher. |

[

]

Zwischen König und Volk müssen Mittelglieder sein aber der Erbadel 4r ist dazu nicht tauglich weil er gleich nicht mehr als eine lebendige Pro10 duction erscheint sondern todt ist. Er kann das Steigern des Lebens der Idee nicht darstellen weil er auf einer einmal für immer fixirten Form beruht. Sieht man das Leben der Idee als Talent an so kann dies freilich in Familien erwachsen allein man muß sich an die Erfahrung halten. England würde in dieser Hinsicht vollkommen sein wenn es einen 15 Censor hätte der Familien wieder ausstreichen könnte.

Insofern das Volk sich als Product des Königs ansehen läßt müssen auch die Mittelglieder vom Könige ausgehen^·] insofern der König als Product des Volks müssen die Mittelglieder vom Volk ausgehn. England vor und nach der Revolution. Beides muß vereinigt sein.

20 Die reine Demokratie beschränkt sich ihrer Natur nach auf die G r ö ß e Einer übersehbaren Versammlung.

In einem größern Staate muß die Municipalverfassung demokratisch sein, die Provincialverfassung gewissermaßen aristokratisch, die allgemeine Form monarchisch.

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Das Stuffenweise Erheben des Volks aus einer ursprünglich despotischen Verfassung muß materialiter vom Volk anfangen, formaliter aber hernach von der Regierung ausgehn.

227 Ueber die Trennung der Gewalten noch einmal bei Gelegenheit der Monarchie. 5

Es ist keine Beseelung der Regierung durch das Volk wenn lezteres nur von den Einzelnen aus Bitten wie sie aus dem Privatinteresse des Einzelnen hervorgehn üb er die materielle Thätigkeit an die Regierung bringt. Sondern es muß doch schon einigermaßen die Form der Gemeinsamkeit mit darin sein. - Die öffentliche Meinung ist die ungebil- 10 detste Stuffe dieser Form.

4v

Wo ein wahrhaft lebendiger Punkt ist, wenn auch nur ein untergeordneter da muß eine Einheit der beiden Zweige sein, ein Element welches das Hinaufsteigen von Volk zur Regierung repräsentirt, und eins das Hinabsteigen von der Regierung zum Volk. 15 Daß die Minister mit im Parlament sind gehört nicht hieher sondern ist nur ein Entgegenschikken der Regierung an das emporsteigende Volk und es ist recht daß sie müssen wie alle andern | gewählt werden. Wo die Initiative noch lediglich von der Regierung ausgeht ist nur 20 ein sehr schwaches Emporsteigen des Volks angedeutet[.] Unterdrükt ist es in Trankreich auch noch dadurch daß das Berathschlagen abgeschafft ist.

2 Volk] davor 21—23 Siehe

die französische Verfassung vom 12. Dezember 1799, 3. Abschnitt: Von der gesetzgebenden Gewalt, Art. 25: „Es sollen keine neuen Gesetze verkündet werden, als wenn der Vorschlag dazu von der Regierung gemacht, dem Tribunate mitgetheilt, und vom Gesetzgebungskörper decretirt seyn wird." Art. 34: „Der Gesetzgebungskörper macht das Gesetz, indem er durch geheime Stimmensammlung, und ohne die geringste eigene Verhandlung seiner Mitglieder, über die Gesetzesvorschläge entscheidet, welche von den Sprechern des Tribunats und der Regierung vor ihm erörtert werden." Siehe Pölitz: Die europäischen Verfassungen, Bd. 1, S. 59 f. — Zur Unterscheidung von Tribunat und Gesetzgebungskörper siehe die Anm. zu 95,37—96,3

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Aphorismen

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Das Wachen über das Gesez kann in der Demokratie allenfalls einem Einzelnen übertragen sein ohne Nachtheil der Form selbst und so auch wenigen ohne Aristokratie[.] Der wahre Uebergang liegt in der immer sich bildenden und schnell wachsenden Ungleichheit der politischen 5 Talente.

Ueber die Sicherheit als Zwek des Staates muß noch einmal gesprochen 228 werden wenn von den Gewerben als Privatsache die Rede ist. Es ist anfangs zu sehr übergangen.

Quelle der rasendsten Einseitigkeit ist es den Staat als Gesellschaft von 10 Akkerbauern anzusehn.

Wenn die Einzelnen bloß der Sicherheit und der Freiheit wegen zum Staat zusammen treten, warum sollen sie nicht auch darin frei sein daß 11 Einzelnen] korr. aus e 6 - 8 Schleiermacher spielt an auf Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, der den Zweck des Staats nicht in die Glückseligkeit legt, sondern in die Sicherheit; siehe ebd. S. 4: „2. Also Sicherheit ist der Zweck des Staats, Sicherheit gegen alle Gefahren, welche den einzelnen Mitbürgern oder dem ganzen Vereine von Uebeln der Natur oder von Bosheit der Menschen gedroht werden." Vgl. S. 5: „4. Wenn aber Sicherheit Zweck des Staats ist, [...]" — Siehe auch die Anm. zu 17,11—18,2. - Schmalz' Handbuch der Staatswirthschaft bildet die wichtigste Quelle für Schleiermachers Aphorismen, auch wenn Schleiermacher sich zumeist kritisch auf Schmalz bezieht. Schmalz ist Anhänger der physiokratischen Lehre. Bereits in der Vorrede (S. IV) spricht er dies aus: „Die Thoren, welche das, was Locke zuerst andeutete, Quesnay entwickelte, ungereimt finden, werden durch die gegenwärtige Schrift schwerlich gebessert. Aber dieß System deutlich darzustellen, nur für den, welcher überall denken mag, das war mein Bestreben." — Siehe femer den Beginn seiner Darstellung und Verteidigung des physiokratischen Systems, S. 142 f. - Schmalz' „Handbuch" gliedert sich in „1. Analyse des National-Reichthums" (Stichworte: Entwicklung der Grundbegriffe, Verkehr, Darstellung der unterschiedlichen Systeme des Nationalreichtums, Bevölkerung und Nationalreichtum), „II. Staatswirthschaftliche Polizey" (Stichworte: Förderung von Gewerben, Anstalten für Gewerbe) und „III. Finanz-Wissenschaft" (Stichworte: Ausgaben, Einnahmen und Bedürfnisse des Staates) 9f Siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 6. Schmalz führt aus, daß die umherschweifende Horde nicht „das heiligste aller erworbenen Rechte" schützen könne, „das Eigenthum am Grundboden", und folgert daraus: „6. Also ist der Staat die Gesellschaft eines Ackerbauenden Volks: alle Rechte seiner Mitglieder innerhalb eines Gebietes bestimmter gegen jede Gefahr zu sichern." - Siehe auch die Anm. zu 264,12 11—2 Die Zusammenstellung der Garantie von Sicherheit und Freiheit als

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

sie sich ihre S i c h e r h e i t für d e n G r u n d u n d B o d e n bei e i n e m a n g r e n z e n d e n S t a a t s u c h e n k ö n n e n w e n n ihnen d e r e r s t e nicht m e h r gefällt.

D e r S t a a t ist s c h o n die I d e n t i t ä t der M e n s c h e n u n d des B o d e n s u n d d a r i n liegt d a s O b e r e i g e n t h u m . D e r einzelne k a n n diese I d e n t i t ä t n u r a u f eine u n v o l l k o m m e n e u n d u n v o l l e n d e t e W e i s e d a r s t e l l e n , weil in 5 s e i n e m G e b i e t i m m e r gebildetes u n d ablösliches oscillirt, w a s sich i m S t a a t e selbst weit b e s t i m m t e r t r e n n t .

V o n d e m G e s i c h t s p u n k t e a u s d a ß Sicherheit u n d Freiheit Z w e k k sind e r s c h e i n e n alle V o r s c h r i f t e n d e s S t a a t e s als A b g a b e n , n ä m l i c h von d e m u n b e d i n g t e n zu s i c h e r n d e n R e c h t e zu s c h a l t e n u n d zu w a l t e n w i e jeder

Zielen des Staats findet sich damals etwa bei 'Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen; siehe Humboldt: Gesammelte Schriften, hg. A. Leitzmann, Bd. 1, Berlin 1903, S. 129. 134. 187. Schleiermacher bezieht sich jedoch wiederum auf Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft. Im Anschluß an die Bestimmung der Sicherheit als des Staatszwecks (siehe die Anm. zu 17,6—8) leitet Schmalz vom Begriff der Sicherheit zu dem der Freiheit über; siehe ebd. S. 4: „2. [...] so ist F rey h e it und Sicherheit der Rechte Eins und das Nemliche; also Freyheit oder Sicherheit der Zweck des Staats. " - Schleiermachers Einwand richtet sich gegen Schmalz' Verknüpfung der Bestimmung des Staatszwecks als der Sicherheit und Freiheit mit dessen Lehre vom Obereigentum; hierzu siehe die folgende Anm. 3 - 7 Siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 7: „8. Natürlich hat die zum Staate vereinigte Nation das Recht auf ihr Gebiet, daß kein einzelner Grundeigenthümer sein Grundstück vom Gebiete trennen und mit einem andern Staate vereinigen darf, und daß jeder in demselben sich nun zu ihrem Staate halten muß. Dieß Recht mag man wohl OberEigenthum der Nation an ihrem Gebiete nennen, [...]." 8—1 Schleiermacher bezieht sich hier wahrscheinlich auf Schmalz' Ausführungen über die „Civil-Justiz", in denen Schmalz ein natürliches oder ein bereits erworbenes Recht zu Grunde legt; siehe S. 10 f: „15. Civil-Justitz ist der andere Theil der Justitz-Pflege. Sie soll als gesetzgebende Gewalt die Grenzen der Rechte der Personen im Allgemeinen bestimmen, als executive Gewalt in jedem Falle dem Einzelnen zusprechen, was ihm nach jenen bestimmten \ Grenzen gebührt. Aber der Gesetzgeber darf nie dem Bürger Rechte nehmen, welche die Natur ihm gegeben, oder er wirklich bereits erworben hat. Denn diese zu schützen, ist der Zweck des Staats, also der Justitzgesetzgebung. Sie darf daher diesen Schutz nicht einmal vernachlässigen, noch weniger die Rechte selbst rauben. Aber die Gesetzgebung kann neue Pflichten dem Bürger auflegen, nicht zur Begünstigung andrer, sondern zum Schutz ihrer Rechte. Sie mag auch Erwerbungen verbieten, und neue Arten der Erwerbungen einführen, eben um die angebohmen oder natürlich erworbenen Rechte alle zu sichern."

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Frühe Aphorismen

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will. Von meinem Gesichtspunkt aus erscheinen auch die Abgaben als solche Thätigkeiten durch die der Einzelne den Staat bilden hilft.

Die Kräfte des Staates werden erhöht bloß um der Sicherheit zu dienen: Hierin liegt ein furchtbares Princip von Feigherzigkeit.

5 Die Triplicität GewerbsPolicei Bevölkerungspolicei und Volksbildungs- 229 policei löst sich auf in meine Eintheilung die aber weit reiner abgeleitet ist.

Wenn man den Luxus als Weichlichkeit oder Eitelkeit ansieht (Schmalz S. 24) kann man ihn doch unmöglich loben. Dies kommt aber heraus 10 wenn man nur vom persönlichen ausgeht.

3 ί Siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 13: „20. Die mittelbare Polizey soll streben, die innern Kräfte des Staats zu erhöhen, um die Gewährung der Sicherheit dem Staate zu erleichtem. Die zahlreichere, die cultivirtere, die wohlhabendere Nation kann desto leichter Sicherheit sich schaffen." (zur Fortsetzung siehe die folgende Anm.) 5 - 7 Diese Triplizität bildet für Schmalz eine Untergliederung der Einteilung der Polizei in unmittelbare und mittelbare; siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 13 (im Anschluß an den in der vorigen Anm. zitierten Text): „Darum soll die mittelbare Polizey sorgen für Wohlstand, Volksmenge und Bildung der Nation; und sie theilt sich also in die Gewerbs-Polizey, die Bevölkerungs-Polizey, und die Volksbildungs-Polizey." 8—10 Siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 24-26: „39. Darum ist auch der Luxus so wohlthätig für das menschliche Geschlecht. Freilich sind seine Bedürfnisse entweder Bedürfnisse der Weichlichkeit, durch welche er körperlichen Genuß, oder Bedürfnisse der Eitelkeit, durch welche er Ansehen vor andern sucht. Aber we\der Genuß des Lebens zu suchen, noch Ansehen vor andern, (wenn nur durch gerechte Mittel und redliche Thätigkeit,) verbietet die Sittlichkeit, sondern nur das verbietet sie, daß durch das Streben nach diesen Genüssen das Streben nach dem Heiligen in unsem Herzen erschlaffe. Wenn Weichlichkeit oder Eitelkeit zur Uebertretung sittlicher Gesetze hinreißen, so ist das nicht Luxus, sondern Laster; und wenn der üppige Verschwender um seiner Genüsse willen sich in Schulden verwickelt, welche er nicht bezahlen kann: so ist das nicht Luxus, sondern Betrug. Die Unmäßigkeit ist nicht Luxus. Aber des Lebens froher werden durch feinere Genüsse, und um dieß zu können, mit angestrengter Thätigkeit arbeiten, kann das die Heftigkeit verdienen, mit der man wider Luxus eifertf man misversteht nur. Wenn ein Mann feinere Genüsse des Gaumens, wenn er kostbare Pracht der Wohnung, der Geräthe, der Kleidung durch rechtmäßiges Vermögen, oder redliche Thätigkeit zu bezahlen vermag; so spornet sein Luxus, indem er ihm selbst das Leben rei-

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Den Unterschied zwischen producirenden und zubereitenden Arbeiten schwärzt Schmalz ganz plözlich ein ohne ihn genauer zu bestimmen S. 30. Hernach kommen bei den mittelbaren Arbeiten noch die dienstleistenden hinzu. So brauche ich wol in diese Unterschiede nicht hineinzugehn.| 5

[

]

5r Kann es ein wesentlicher Unterschied sein für Andere arbeiten und ihnen Sachen geben ? es ist dasselbe nur in der Zeit weiter aus einander gezogen.

zender macht, zugleich den Fleiß redlicher Thätigkeit andrer Menschen, und ist unendlich wohlthätiger, als Almosen an müßige Armuth. Der Luxus der Reichen in England wirkt wohlthätiger auf die Menschen um sie her, als die Spenden eines pohlnischen Klosters an seine halbnackte Nachbarn. Selbst für die Veredlung der Künste und die Fortschritte der Wissenschaften wirkend, schreitet der Luxus nicht nur mit der \ Kultur fort, sondern er führt sie selbst der Humanität entgegen." 1—4 Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 29 f: „49. So lange unsre Bedürfnisse noch roh und einfach die bloße Nothwendigkeit fordern, so lange noch nicht der Luxus uns gelehrt hat, mehrere Genüsse in einem zu vereinigen, so lange kann unsre Arbeit auch nur darin bestehen, unsem Bedarf unmittelbar von der Natur zu gewinnen, und dem gewonnenen die rohe Zubereitung zu geben, welche der einfache Genuß fordert. Der Luxus selbst wird sich zuerst nur zeigen, theils in einer großem Menge verschiedener Bedürfnisse, theils in einer künstlichem Zubereitung; aber noch wird jeder im Stande seyn, seinen Bedarf selbst zu gewinnen, selbst ihm diese Zubereitung zu geben. Diese Arbeiten nun, durch welche jeder für sich selbst seinen Bedarf von der Natur gewinnt oder bereitet, | wollen wir unmittelbare Arbeiten ; und da diese theils gewinnen, theils bereiten, wollen wir jene producirende, diese zubereitende Arbeiten nennen." - S. 32: „54. Die Arbeiten aber, welche Andern geleistet werden, um dafür von ihnen Bedarf zu erhalten, können mittelbare Arbeiten genannt werden, im Gegensatz der oben § 49 genannten unmittelbaren, weil wir durch sie nur mittelbar, nemlich von andern, unsem Bedarf erwerben. Diese mittelbaren Arbeiten können wieder dreierlei Art seyn, nemlich producirende ; wenn wir für Andre dadurch Produkte der Natur abgewinnen, wie des Ackerknechts und Gärtners Arbeiten für seinen Herrn; oder zubereitende, welche Produkte der Natur für den Gebrauch tüchtig machen, wie die Arbeit der Handwerker; oder endlich bloß dienstleistende, welche so wohl edle seyn können, welche nemlich achtungswürdige Kultur des Geistes in dem Leistenden voraussetzen, als gemeine, die in bloß mechanischen Verrichtungen bestehen, wie die Arbeit des Aufwärters. Den Bedarf, den wir für alle diese Arbeiten erhalten, heißet Lohn." 6-8 Schleiermacher bezieht sich auf eine Unterscheidung von Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 32 f: „55. Außer den Arbeiten können wir aber auch durch Sachen, welche wir Andern geben, unsem Bedarf von ihnen erhalten. Wir können aber ihnen unsre Sachen dagegen entweder zum Eigenthume geben, oder zum Gebrauche. In jenem Falle heißt das, was wir als Eigenthum geben Waare, was wir dafür erhalten | Preis ; in diesem Falle aber das, was wir geben, Kapital, (wie ζ. B. auch das vermiethete Haus für den Vermiether ein auf Zinsen gegebenes Kapital ist) und was wir dafür erhalten, Zins."

Frühe Aphorismen

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Vom Einkommen der Einzelnen kann ich gar nicht ausgehen, sondern nur von der Nationalthätigkeit. Aber polemisch wird doch vielleicht dargestellt werden müssen warum das erstere irre führt. Ich gehe davon aus daß die Eintheilung in die Persönlichkeiten immer zufällig bleibt.

5 Schmalz sezt in der Einleitung eine inspective Gewalt aber ohne sie hernach auch nur im mindesten zu brauchen.

1—4 Mit dieser Bemerkung grenzt Schleiermacher sich ab gegenüber dem Ansatz von Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 33 f: „56. Zu unserm Einkommen können wir nur die Sachen rechnen, welche wir, sey es nun unmittelbar von der Natur, oder sey es mittelbar von Andern, für ihnen geleistete Arbei-ten, oder ihnen gegebene Sachen, erhalten. Schon der Gebrauch der Sprache zeigt dieß, indem es lächerlich seyn würde, das Koncert, welches ein Virtuose uns spielt, zu unserm Einkommen rechnen zu wollen. Und dieser Sprachgebrauch ist offenbar in der Natur der Sache gegründet. Denn alle Arbeiten, als solche angesehen, haben den Zweck uns Einkommen zu schaffen, und bloße Gefälligkeiten, Andern erzeigt, werden nicht Arbeiten genannt, selbst dann nicht, wenn sie auch Gegengefälligkeiten zur Absicht haben, selbst dann nicht, wenn sie uns auch mühsam sind. Leisten nemlich Andere die Arbeit uns gegen Lohn, so ist das, was wir zum Lohne geben, schon in unserm Einkommen enthalten, und folglich kann die dafür eingetauschte Arbeit nicht noch einmal darin angeschlagen werden; leisten Andere sie ohne Lohn, so können wir nicht sagen, daß wir sie besitzen, noch sie als das Unsrige ansehen, welches doch zum Begriff des Einkommens gehört; leisten aber endlich Andre uns die Arbeit für eine Gegenarbeit, so können wir | sie doch nur so weit zum Einkommen uns anrechnen, als wir dagegen veranschlagen, was wir durch die, von uns geleistete Gegenarbeit, uns selbst an wirklichem Einkommen, also an Sachen, hätten erwerben können. Hieraus erhellet, wie irrig man neuerlich das Einkommen der Menschen in materielle und immaterielle Güter eingetheilt, und mit dem letztern Ausdruck, wider den Sprachgebrauch, die Arbeiten benannt hat, welche Andere uns leisten. Unstreitig wurden die, welche so theilten, durch die freilich richtige Bemerkung verführt, daß wir außer den Sachen auch oft der Arbeiten Anderer bedürfen; aber sie wichen doch so nicht nur von der Regel des Sprachgebrauches ab, sondern, wie das dann stets der Fall ist, zugleich von der Richtigkeit der Begriffe. Daß übrigens nicht unsre eignen Arbeiten, sondern nur das, was wir dafür erhalten, zu unserm Einkommen gerechnet werden kann, versteht sich von selbst." 5 f Die inspective Gewalt leitet Schmalz im Rahmen seiner Dreiteilung der höchsten Gewalt als erste ab; siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 7 f: „9. Um die Mittel zur Sicherheit zu wählen und anzuwenden, ist im Staate die Majestät oder höchste Gewalt geordnet, deren Ausübung Regierung, so wie die Person der sie anvertrauet ist, \ der Souverain genennt wird. Diese höchste Gewalt ist inspective Gewalt, in so fern sie berechtigt ist, Kundmachung alles dessen von ihren Bürgern zu fordern, was diese über die Angelegenheiten wissen, die den Staat angehen; legislative Gewalt, in so fern sie berechtigt ist, die Mittel zum Zweck des Staats im Allgemeinen zu wählen; executive Gewalt, in so fern sie berechtigt ist, diese Mittel im Einzelnen

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Giebt es denn einen wesentlichen Unterschied zwischen mittelbarem und unmittelbarem Werth? In so fern der Tausch selbst ein Bedürfniß ist hat das Geld einen unmittelbaren Werth. Aber freilich nach Schmalz Begriff ist er das nicht.

230 Smiths Gedanke daß Arbeit der allgemeine Maaßstab ist beruht eigent- 5 lieh darauf daß nur das gebildete einen Werth hat, und ist in so fern sehr tief.

5 Smiths] korr. aus Schmalz

anzuwenden; [...] 10. Aber diese Gewalten sind darum doch nur Eine und untrennbar. Nur in so fem die höchste Gewalt Gesetzgebend ist, ist sie wirklich souverain, weil ja die executive nur von ihr die Vorschrift zu ihren einzelnen Befehlen empfängt, die inspectée aber nur entweder neben der legislativen die Mittel für den Zweck des Staats aufsucht, oder neben der executiven untersucht, ob der Fall der gesetzlichen Vorschrift vorhanden sey. Auch ist es seltsam, jenen Gewalten noch die richterliche Gewalt, als eine besondere zuordnen zu wollen, da sie doch nichts ist, als die executive Gewalt in JustizSachen." - Siehe auch Theodor Schmalz: Kleine Schriften über Recht und Staat. Halle 1805, S. 44. - Ein „ius inspectionis" kennt auch Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797, § 49, Allgemeine Anmerkung B, Ak 8, 325 1—4 Siehe Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 35 f: „60. Unmittelbaren oder innern Werth nenne ich den, welchen eine Sache unmittelbar für unser Bedürfniß hat; mittelbaren oder äußern Werth den, welchen sie nur mittelbar, nemlich indem sie durch Tausch erst uns unsem Bedarf verschafft, für uns \ haben kann. Beide sind von einander ganz unabhängig, und werden von ganz verschiedenen Umständen bestimmt. [...] 61. Der unmittelbare Werth bestimmt sich nur nach dem Verhältniß der einzelnen Sache zu unserm Bedürfniß selbst. Er hängt daher von der Dringendheit des letztern ab; und darum ist es einleuchtend, daß ein allgemeiner Maßstab dafür mit bestimmter Scale unmöglich sey, so wie er auch für die Folge unsrer Untersuchung unnöthig seyn würde. " 5-7 Daß Arbeit der allgemeine Maßstab sei, sagt Smith nicht vom Wert überhaupt, sondern vom Tauschwert im Unterschied zum Gebrauchswert; siehe Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, S. 44 (Vol 1, Book I, Chap. V): „The value of any commodity, therefore, to the person who possesses it, and who means not to use or consume it himself, but to exchance it for other commodities, is equal to the quantity of labor which it enables him to purchase or command. Labor, therefore, is the real measure of the exchangeable value of all commodities." Vgl. ebd. S. 54. - Schleiermachers Formulierung „daß Arbeit der allgemeine Maaßstab ist" deutet daraufhin, daß sich seine Bemerkung nicht auf die Lektüre von Smith stützt, sondern auf den Hinweis auf Smith in Schmalz' Handbuch der Staatswirthschaft, S. 42: „68. Aber auch Arbeit, welche Adam Smith, als Urmaßstab alles Preises aufstellte, ist dafür, wenn sie als absolut allgemein geltender Maßstab angesehen werden soll, eben so ungeschickt; [...]" - Von einem „allgemeinen Maßstab" spricht Schmalz femer ebd. S. 36 (§ 61, siehe die vorige Anm.) und S. 40f(§ 66 f), S. 43 (§ 69) u. ö.

Frühe Aphorismen

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Daß das Geld aus Verpfändung entstanden sei wird wol nie können historisch nachgewiesen werden. Vielmehr scheint zum Pfände wesentlich zu gehören daß der Inhaber es nicht veräußern darf und daß es den Werth übersteigen muß. Das Geheimniß liegt wol darin daß die 5 Metalle die ursprüngliche Grundmasse sind, und die edlen die Blüthe der ganzen Formation.

Der Unterschied zwischen Oekonomie und Industrie als unmittelbarem und mittelbarem Erwerb ist doch ganz verwerflich. Der Akkerbau muß ja auch Industrie werden denn jeder muß ja mehr als seinen Bedarf 10 bauen. Und so wäre auch wieder jedes Handwerk Oekonomie, inwiefern jeder auch für sich handwerkt.

11 handwerkt] davor (baut) 1 - 6 Schleiermacher wendet sich gegen eine von Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 44—50 (§§ 71—78) vertretene Theorie. Von der Behauptung, daß auch in einer frühen Gesellschaft Kredit notwendig gewesen sei, leitet Schmalz über zum Begriff des Pfands und zur Aufzählung von „vier Unbequemlichkeiten" beim Gebrauch der damals üblichen Pfänder (Verderblichheit, Aufbewahrungsprobleme, eingeschränkter Nutzwert, eingeschränkte Teilbarkeit). Diese Probleme sieht er durch die Einführung des Metalls gelöst; siehe S. 47f: „75. [...] Nur allein bei den Metallen finden sie sich nicht, am wenigsten bei den edlem Metallen, Gold und Silber. [... | ...] Daher sind die edlem Metalle das tauglichste aller Pfänder, und darum wirklich das allgemeinste geworden." S. 48 f: „77. Es lag so in der Natur der Sache, daß Gold und Silber, als allgemeines Pfand, Geld wurden, und daß sie allein es seyn konnten. Geld ist nemlich und eben nach dem Gesagten nichts anders, als eine Sache, welche als allgemeines Pfand für ertauschte Sachen und Arbeiten gegeben werden kann, mit der Bedingung, daß der Empfänger sie gleich nach dem | Empfange wieder weiter verpfänden, oder von jedem Dritten auslösen lassen kann." - Vgl.Theodor Schmalz: Kleine Schriften über Recht und Staat. Halle 1805, S. 161-182: Geschichte des Geldes 7 - 1 1 Vgl. Schmalz: Lehrbuch der Staatswirthschaft, S. 56 f: „87. Man kann nun eine Art der Erwerbung, der sich jemand ausschließend oder doch vornehmlich widmet, ein Gewerbe nennen. Wir mögen aber, dem Gebrauch staatswirthschaftlicher Schriftsteller gemäß, alle Gewerbe unmittelbarer Erwerbung mit dem Namen: Oekonomie bezeichnen, und die Gewerbe der mittelbaren Erwerbung überall mit dem der Industrie. \ / 88. Unter dem Namen Oekonomie in jenem Sinne sind also begriffen: Ackerbau, Viehzucht, Gartenbau, Jagd, Fischerei, Forstwirthschaft, Bergbau und überall jeder Gewinn der Natur-Produkte aus der Hand der Natur selbst, sey es von der Oberfläche der Erde oder aus ihrer Tiefe, oder aus dem Wasser oder der Luft. Alle, diesen Gewerben gewidmete, in so fern sie nur für sich selbst gewinnen, und nicht als bloße Knechte oder Taglöhner für Andre arbeiten, umfassen wir also mit dem Namen der Oekonomen. / 89. Alle mittelbare Gewerbe zerfallen wieder

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Erster Teil · Manuskripte Schleiermachers

Es klingt sehr bescheiden wenn der Staatsmann sich dem Taglöhner gleich sezt; aber es kommt nur heraus wenn man den Wohlstand und die Sicherheit des Einzelnen als Zwekk des Staates ansieht.

Wo man von dem Grundsaz ausgeht daß kein Mensch Sklave sein soll, da ist eine reine Demokratie nicht möglich. Auch unsere neue Städte- 5 Ordnung ist keine. Bestimmte Stände oder Gewerbe auszuschließen ist aber falsch. Jedes veredelt sich, wenn es in einem gewissen Umfang betrieben wird[.] Daher muß der Unterschied aus dem Einkommen genommen werden.

7 in] über (nach)

in zwei Klassen, nemlich in die, welche Arbeiten für Andre übernehmen, und die, welche ein Gewerbe daraus machen, Sachen Andern zu vertauschen, also in Arbeitende und Handelnde. / 90. Unter den Arbeitenden werden wieder zwei Klassen unterschieden. Der wesentliche Grund ihrer Verschiedenheit wird zwar in der Folge erst der Gegenstand einer entscheidenden Untersuchung seyn ; aber man unterscheidet die, welche für Andre Naturprodukte zubereiten, Handwerker genannt, und die, welche Andern Dienste durch ihre Arbeiten leisten, und welche wir, nach dem Vorgange mehrerer Schriftsteller, durch den Namen Dienstleistende bezeichnen wollen." 1 - 3 Vgl. Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 58: „92. Eben so wenig kann es für unsem Zweck einen Unterschied machen, ob die, welche wir unter dem Namen der Dienstleistenden begriffen haben, mit den edelsten Kräften des Geistes, oder ob sie mit den niedrigsten Arbeiten des Körpers Andern dienen. Der Staatsmannn und der Tagelöhner, der Feldherr und der gemeine Soldat, der Gelehrte, der Künstler und der Hausdiener stehen in einer Klasse hier, wo es nicht darauf ankömmt ihren Rang in der "Welt, oder die Größe ihres Verdienstes an sich zu bestimmen, sondern lediglich die Quelle ihres Erwerbes in Hinsicht auf das National-Vermögen." 4—9 Schleiermacher bezieht sich auf die am 19. November 1808 erlassene „Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazugehöriger Instruktion, Behuf der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsgemäßen Versammlungen". Diese Städteordnung unterscheidet zwischen Bürgern und Schutzverwandten (d. i. solchen Einwohnern, die kein Bürgerrecht erlangt haben). Titel III, § 15 stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Bürgerrecht und „der Befugniß, städtische Gewerbe zu treiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk der Stadt zu besitzen". Schutzverwandte hingegen durften „nur solche bürgerlichen Gewerbe betreiben, wozu es verfassungsmäßig des Bürgerrechts nicht bedarf". (Titel IV, § 42) — Der Einkommensunterschied war nur insofern von politischer Bedeutung, als unangesessene Bürger mit einem Einkommen von weniger als 200 Reichsthalem in den großen Städten — bzw. weniger als 150 Thalern in mittleren und kleinen Städten — vom Stimmrecht zur Wahl der Stadtverordneten und Stellvertreter ausgeschlossen waren. (Titel VI, § 74, Abs. d) - Siehe: Sammlung der für die Königlichen Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und Verordnungen von 1806 bis 27. October 1810 (Anhang zur Preußischen Gesetzsammlung 1822, S. 324 f f )

Frühe

Aphorismen

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Warum soll denn das Staatseinkommen grade aus dem NationalEinkommen gerechnet werden da der Staat es ja von den Einzelnen nimmt, 231 und es also dabei weit mehr auf | den Umlauf ankommt als auf das Ein- 5v kommen? Der Landmann ist ja auch indem er für den Verkauf arbeitet 5 ein Dienstleistender der nur Zeit spart. Also wäre auch auf ihn anwendbar daß es für jeden Sparer einen Verschwender giebt und daß er nicht mehr erwirbt als er verzehrt[.] Also müßte man durchaus auf das Verzehren gehn, und für das Verzehren eines jeden gäbe es wieder keinen Maaßstab als das Einkommen eines Jeden. Es kommt dazu daß 10 weit mehr Fabrikanten reich werden also einen Ueberschuß haben als Bauern. Man kann nun auch sagen der Lohn mußte schon da sein ehe er konnte bezahlt werden.

Werden nun alle Abgaben auf die GetreideFabrik gelegt und es ist dabei freier Handel so wird der Einländer sein Getreide lieber beim Auslän15 der kaufen, wo es nicht so vertheuert ist, und die Getreidefabrik muß nothwendig abnehmen.

Das Geheimniß der Abgaben besteht eigentlich darin zu wissen wieviel jeder ohne Nachtheil seiner Fabrik noch auf seinen Arbeitslohn schlagen kann um die Abgaben mit zu bezahlen.

2 gerechnet] korr. aus b

15 kaufen] korr. aus verkaufen

19 um] davor

(ohne)

1 - 1 2 Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 13 f: „22. Was von den Einzelnen in die Hände der Regierung in einem ]ahre kömmt, nach den Bestimmungen der Finanzhoheit, das mag man das jährliche Staats-Einkommen nennen, im Gegensatz des gesammten jährlichen Einkommens aller Einwohner des Gebiets, welches das jährliche National-Einkommen ist. Alles Staats-Einkommen nun geht | von dem National-Einkommen aus. [...]" - S. 297: „368. Alle Einnahme des Staats geht von dem NationalEinkommen allein aus, wenn man ausnimmt, was Kaub-Staaten von andern Staaten erpressen." S. 298: „Es kann aber aus dem National-Einkommen das Staats-Einkommen auf eine zwiefache Art gezogen werden, entweder, daß vom National-Vermögen selbst, also vom Grundboden, dem Souverain ein Theil für immer abgegeben wird, um das Einkommen davon zu ziehen; oder, daß die einzelnen Unterthanen von ihrem Einkommen ein Theil dem Souverain zahlen." — Vgl. S. 130—132, 279 (irrtümlich als S. 379 paginiert) -280. - Schmalz kritisiert ebd. S. 323 f f die Besteuerung des Verzehrs und empfiehlt eine ausschließliche Besteuerung des Ertrags der Grundeigentümer; ebd. S. 328—337, wogegen sich Schleiermacher ausspricht.

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Geht man von dem Sicherheitssystem aus so müßten eigentlich die Abgaben nach dem M a a ß vertheilt werden wie jedem die Sicherheit die ihm der Staat gewährt mehr oder weniger werth ist. Dem Landmann wenn er erst bis zu massiven Scheuren und Gebäuden gekommen ist ist sie dann am wenigsten werth, und dem der das Geld lange verwahren 5 muß am meisten. So kommt man wieder auf das Merkantilsystem, und ganz streng genommen muß man alle Abgaben auf die Banker legen, 232 diese schlagen es auf ihre Tratten, die Kaufleute auf ihre Waaren der Consument auf sein Fabrikat und so geht es ganz herunter.

Geht man davon aus daß alle Staatsdienste müßten persönlich geleistet 10 werden und jeder nur aus Mangel an Zeit oder Einsicht den andern committirt so muß natürlich jeder in dem M a a ß bezahlen als er nicht selbst leisten kann. Im Militairsystem also der Bauer am wenigsten.

Eben so Wenn das Einkommen zulezt im Verzehren muß gesucht werden, ist es nicht natürlich daß der Staat sich an den Verzehrenden hält 15 so nahe und unmittelbar als möglich ? Der Verzehrer muß ohnedies alle früheren Auslagen und Vorschüsse tragen also auch den auf dem Staatsdienst liegenden. Dies ist der Grund für das System der indirecten Abgaben.

2 Sicherheit] davor (Abgab)

12 bezahlen] davor (selbst)

1 Mit dem „Sicherheitssystem" meint Schleiermacher wahrscheinlich die von Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft (siehe die Anm. zu 17,6-8 und 17,11-18,2) vorgetragene Ansicht, daß der Zweck des Staates in der Gewährung der Sicherheit des einzelnen liege. Schmalz zieht diesen Aspekt auch für seine Lehre von den Abgaben heran; siehe ebd. S. 312: „387. [...] Alle wollten, daß der Reiche mehr, der Aermere weniger bezahlen solle; so schien es billig. In der That ist das aber nicht billig, und wird ja nirgend dafür gehalten. Der Reiche bezahlt für Brod und Fleisch oder alle andere Bedürfnisse nicht mehr, als der Arme, wenn er es nicht besser bekömmt: warum sollte er für seinen Schutz dann mehr bezahlen, da er ja nicht mehr oder bessern Schutz erhält? Auch in jeder Gesellschaft zahlt das reiche Mitglied nicht mehr Beiträge als das arme. Warum dann gerade im Staate?" 14—19 Schleiermacher wendet sich implizit gegen die Zurückweisung der Konsumtionssteuern durch Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 323 ff.

Frühe Aphorismen

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Die vorbereitenden Versammlungen sind auf der einen Seite Bindungsglied, auf der andern auch ein Mittel die Einheit der allgemeinen Versammlungen länger zusammenzuhalten als sonst geschehen könnte.

I Da die Ecclesia das einzige wesentliche ist in der Demokratie so ist 7r 5 auch alles übrige beständigen Veränderungen unterworfen.

Das demagogische Ansehn wenn es aufhört fließend zu sein ist der Uebergang zur Tyrannis. Die Partheiwuth in der Ecclesia welche die Einheit verhindert ist der Uebergang zur Auflösung und Anarchie.

Das vollziehende Mittelglied kan monarchisch constituirt sein, ohne 10 daß die reine Form der Demokratie darunter leidet.

Nur unter sehr einfachen politischen Verhältnissen kann die Demokra- 233 tie statt finden, je verwikkelter desto mehr sticht schon das Talent hervor.

J e mehr die Monarchie bloß auf eine Seite des politischen Talents fun15 dirt ist, um desto weniger kann das Princip der Erblichkeit sich recht ruhig ausbilden.

Die alten östlichen Monarchien sind aus dem gleichen Princip wie die westlichen kleinen Tyrannien entstanden. Die Massenverhältnisse sind nur dieselben wie beim Granit.

3 f könnte. | Da] zum Seitenwechsel siehe oben XL

17 gleichen] über der Zeile

4 „Ecclesia" bezeichnet hier die Volksversammlung, siehe etwa Aristoteles: Politik, u. a. 1275 b 7, 1272 a 10, 1282 a 28, 1292 b 29

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Das Streben eines jeden Staates nach dem Meer ist eine Folge von der wachsenden universellen Gemeinschaft.

Das Privatleben der Hellenen als Hellenen d. h. als Subject der größern politischen Einheit wurde dargestellt in den Olympischen Spielen.

Die ganze Untersuchung über die Policei gehört wol erst zu der Frage 5 was in der materiellen Thätigkeit von den Einzelnen ausgehn soll und was vom Ganzen. Hier wird aber vorzüglich was die Verbindung zwischen einzelnen Fächern betrifft vom Ganzen ausgehend Policei sein. Die ausübende Policei ist dann das eigentliche Auge der Regierung.

Nur ein weniges über die Aristokratie. Sie läßt sich als ursprünglich 10 gar nicht denken. Entweder Demokratie nach dem Untergang der Sklaverei oder Monarchie die auf einer besondern Bildungsstuffe versteinert ist. Sonst nur Uebergang. Auch in Venedig ein monarchisches Element welches nicht zu übersehen ist. 234 Stimmrecht nach einer bestimmten Schäzung ist nicht Aristokrö- 15 tie. Auch Repräsentation ist sie nicht rein. Rein ist nur die erbliche aus Amalgamirung entstanden.

Das Hervortreten der Einheit in der Monarchie neben dem Gegensaz ist allerdings eine Approximation zur Demokratie und Tendenz diese Form in jene untergeordnet aufzunehmen. 20

Aus den beiden entgegengesezten Zuständen der Monarchie lassen | 7" sich auch die beiden entgegengesezten Ansichten vom Könige verstehen daß er eine höhere Natur ist, und daß er eine bloße Figur ist.

Frühe

Aphorismen

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Die Vertheilung der Arbeiten ist allgemeines Princip weil sonst nur Aggregatzustand stattfindet.

Die Totalität der Objecte kann entweder streng unmittelbar genommen werden oder mittelbar so daß sie auch durch Tausch von andern Staaten können herbeigeschafft werden. Jede dieser Ansichten einseitig genommen giebt einen unvollkommenen Staat.

Herbeischaffen des Stoffes und Bearbeiten ist auch ein fließender Gegensaz streng genommen; denn alles ist wieder Stoff was weiter bearbeitet wird; und jede Handlung ist auch schon wieder eine Bearbeitung die eine Form producirt.

Möglichste Unabhängigkeit des Geschäftes vom Einzelnen bei der gänzlichen Abhängigkeit vom Ganzen. Begünstigung des Ueberganges der Handwerker in Fabrikanten. Wer persönlich abhängig ist muß mit zur Familie gehören.

Bestimmte Organisation eines jeden Geschäftes als Garantie der Güte. Kastenwesen, Zunftwesen, absolute Freiheit. Der Staat kann die Güte der Arbeit im Einzelnen nicht garantiren. - Die Unabhängigkeit der Consumenten darf nicht leiden. Ohne ein gewisses Princip der Ehre ist nichts auszurichten.

Ueber die Verwendung der Menschen als animalischer Kräfte außer der Familie. Tagelöhner, angrenzend an Lastthier[.] Tagelöhner müssen Handwerker werden, Virtuosen eines bestirnten Geschäftes.

20 animalischer] über (todter)

21 an] korr. aus als

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Diejenigen welche dem Staat keinen positiven Antheil an den Gewerben zuschreiben wollen gehen davon aus daß der Eigennuz alle Menschen verständig mache.

Zuerst ist die Frage davon was muß vom Staat ausgehn und was vom Einzelnen? Zweifache Ansicht der Gewerbe als Erwerbsmittel und als 5 Staatsgeschäft. — Die Frage was von der Regierung und was vom Volke folgt hernach erst. Volk wird nämlich angesehn als die Nationalneigung, Talente und Beschränkungen repräsentirend.

Der Gegensaz zwischen universeller und individualisirender Thätigkeit ist auch nur ein relativer, ein fließender Uebergang. Der wahre Unter- 10 schied von Werth und Preis beruht hierauf. Preis sollte man für das universelle brauchen. Das individualisirteste ist NationalMonument. Domainen im wahren Sinne auch hieher. Magazin und Haus. Schimpf der darauf liegt mancherlei zu verkaufen. Ueber den Güterhandel. Eben so Häuser in den alten Städten. | 15

[

]

8r 236 Alles muß ablöslich sein, aber keine Ablösung muß können erzwungen werden. Jeder darf nur für seine Person etwas aus dem Verkehr sezen. Die Opulenz ist eigentlich danach zu berechnen wieviel einer aus dem

l l f Preis ... brauchen.] am Rande

15 alten] über (großen)

1 - 3 Schleiermacher bezieht sich auf die vor allem im "Werk von Adam Smith ausgesprochene Tendenz, Eingriffe des Staates in die Wirtschaft zwar nicht gänzlich auszuschließen, sie aber zu Gunsten der eigenen Dynamik der wirtschaftlichen Entfaltung auf die Verbessserung der Rahmenbedingungen privatwirtschaftlicher Interessen zu beschränken; siehe die Anm. zu 11,1—3 5—8 Diese Unterscheidung betrifft wahrscheinlich primär Schleiermachers Konzeption der Staatslehre. Sie entspricht aber auch der Reihenfolge der Überlegungen in Schmalz: Handbuch der Staatswirthschaft, S. 159ff: „II. Staatswirthschaftliche Polizey". Schmalz handelt hier zunächst im ersten Buch „Von der Beförderung der Gewerbe insgesammt durch den Staat", und dafür formuliert er zunächst „Allgemeine Grundsätze" (S. 161-168, SS 231-242); erst im Anschluß daran stellt er Überlegungen an, welche Gewerbe besser durch den Staat und welche durch den einzelnen oder welche vermischt betrieben werden (S. 168-173, §§ 243-249 bzw. S. 173183, SS 250-262 bzw. S. 183-203, §S 263-279).

Frühe Aphorismen

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Verkehr sezt. Dies muß aber nur Resultat des höchsten und freisten Verkehrs sein. Zuerst was aus dem Wesen des Staates folgt. 1.) Totalität der Richtungen, nicht geschlossener Staaten in Absicht auf Producte 2.) Gemeinschaft. Daraus Eigenthum und Vertheilung der Arbeit. Dann die Mannigfaltigkeit der Richtungen nach dem Gegensaz. Endlich Was muß von dem Einzelnen ausgehn und was von dem Ganzen[.] Und unter lezterem Was vom Volk und was von der Regierung. Zulezt vom Zusammensein beider Factoren in wie fern auch die Administration ihrer materiellen Seite nach vom Gewerbe abhängt oder von den Abgaben.

Die Totalität zuerst allgemein gesezt. Dann als werdendes. Dann als Relativität. - Nicht alles auf Einen Leisten. Einheit in der Totalität. Kein beschränkender Streit zwischen den einzelnen Gewerben. Das natürliche Maaß eines jeden nur durch Oscillation gefunden.

Ueber die Lage eines Staates der nur Fabricant für einen andern ist. Koloniensystem. Eigenthum. Verschiedenheit des vorstaatliche« vom staatlichen, verschiedene Begründung desselben.

Bei der Totalität ist die Relativität noch nachzutragen so auch bei der Einheit des Eigenthums und Obereigenthums.

Die im zweiten Theile I, 1 - 3 gestellten Aufgaben werden in III so gelöst daß eben die Vielheit und Differenz vom Einzelnen ausgeht, die Einheit aber vom Staate.

21—23 Schleiermacher skizziert wahrscheinlich ein nicht mehr erhaltenes Konzept zur

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Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

Die Aufgabe ist die möglichste Vertheilung der Arbeit zu identisiren mit der möglichst größten Combination. Der große Styl des Fabrikwesens. Lebendige Oscillation bleibt doch immer. Ineinandergreifende Tendenz nach Maschinenwesen im Fabrikwesen und nach Handarbeit in der Agricultur. 5

Staatslehre. Der hier genannte zweite Teil dürfte — wie schon oben 6,27 und auch in den späteren Entwürfen - die Staatsverwaltung umfaßt haben.

Fragment eines frühen

Heftes

[Zwölfte Stunde. ... Diese Erscheinungen stehen sich nicht so nahe wie öffentliches Leben und Privatleben in der Demokratie sondern die materielle zieht sich noch mehr als häusliches und Privatinteresse zusammen und die formelle nähert sich nicht so der engen Form der freien Geselligkeit sondern nimmt eine bestimmtere zusammengeseztere Organisation an. Das erstere weil der Einzelne indem er wie überall den Charakter der Gemeinschaftlichkeit in seinem Handeln von der Regierung erwartet sich von dieser bestimmter geschieden fühlt und sich ihr also stärker entgegensezt, alles was über sein Privatinteresse hinausgeht der Regierung zuschiebend. Das leztere weil das stärkere Heraustreten des Gegensazes indem er doch relativ bleibt auf dem Princip der Ungleichheit beruht und wo dieses statt findet schon bestimmtere Formen sein müssen und mannigfaltigere um die gleichen Elemente unter sich und mit den ungleichen zu binden.1 Wie nun für die Demokratie mit diesen Merkmalen zugleich geschichtlicher Ort und Grenze des Umfangs gesezt war, ist es für diese Form eben so ? Es läßt sich zeigen daß erstlich diese Form allemal eine spätere Periode bezeichnet als die Demokratie, daß zweitens durch ihre Natur selbst ihr zwar ein minimum gesezt ist, aber durchaus kein maximum. Also auch hier reiner Gegensaz. Zwar hatten wir gesagt auch die erste Entwiklung des Staates wenn sie unruhig ist könne Monarchie sein. Aber eben jede unruhige Entwiklung ist auch in Naturprozessen eine gestörte in wie fern sie von den herrschenden Gesezen abweicht, zugleich aber auch eine beschleunigte. Unruhig ist die Staatsentwiklung wenn ein geselliges Aggregat durch eine äußere Gefahr aufgefordert wird sich bestimmter zu consolidiren ? Wenn sich dann aber ein momentanes Talent entwikkelt so eignet sich dieses auch eine größere Masse an, und die Geschichte lehrt daß auch die ursprünglichen alten Monarchien einen Vereinigungsact mehrerer Stämme bildeten. Im Allgemeinen folgt schon daraus daß der stark hervortretende Gegensaz auf dem Princip der Ungleichheit beruht

1

Verglichen mit dem was oben von der Demokratie als unvollkommen organischer Form gesagt worden ist also diese die gebildetere.

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v

Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

nothwendig daß das Bewußtsein mehrere Entwiklungsstufen muß durchlaufen haben und es müssen wenigstens zwei vorhanden sein die sich dann auf die größere und kleinere politische Einheit des Stammes und der Nation reduciren. Also ist die Vereinigung kleinerer Einheiten unter eine größere offenbar eine spätere Operation, der wesentliche Charakter dieser ausgebildeten Form. In so fern also ist ihr durch ihre Natur ein minimum gesezt, es müssen mehrere sich durch | dringende und einigende Stämme da sein. Ein Maximum ist aber nicht gesezt, weil sobald eine herrenlose Form gesezt ist, eine bedeutende Masse hinzukommen kann die durch eine geringe Verstärkung (und eine solche bringt sie immer mit) auf Seiten des leitenden Princips mit regiert wird. Beides bedarf noch einiger Erläuterung. 1.) Es scheint ganz einfache Monarchien zu geben, arabische afrikanische hellenische. Allein diese haben nur den äußern Schein und gehören gar nicht unter die Idee unserer Form sondern sind nur der verlängerte Demagog oder der vergrößerte Hausvater und Erstgeborene. 2.) Ein Maximum ist also nicht gesezt, weil sich zu der NationalEinheit immer noch eine größere denken läßt entweder aus religiösem Princip oder aus allgemein geselligem oder aus physiologischem als Race, und unter den [ ] welche von diesen Einheiten im politischen BeWußtsein dominiren soll auch eine nach der Seite der größeren vorkommen kann Muselmännisch, päbstlich. Auch wenn in irgend einem Staat die Differenz zwischen der Individualität und der Persönlichkeit sich auf die Seite der lezteren entschieden hinneigt und die herrenlose Form schon kräftig gefaßt ist, ist die Bedingung gegeben unter welcher der Selbsterhaltungstrieb als Vermehrungstrieb ins Unbestimmte auftreten kann. Dies ist die eigentliche Tendenz zur Universalmonarchie. Aberrationen sind eins aber Princip alles. D r e i z e h n t e S t u n d e Unter den bisher aufgeführten Merkmalen dieser Staatsform war die Einheit der Person des Höchsten Regenten noch nicht begriffen. Sie ist allerdings auch nur ein untergeordnetes weil die Art wie die Thätigkeiten in Personen vertheilt sind nicht kann ursprünglich mit in Betracht gezogen werden. Das natürliche und allgemeine äußere Kennzeichen dieser Form aber ist das Königthum. Als strenger Gegensaz gegen den persönlichen Antheil aller in der Demokratie drängt es sich gleich von selbst auf. Die Entwiklung des Bewußtseins aus der Masse in mehreren untergeordneten Stuffen führt schon auf das Bild eines Zulaufens in eine Spize. Diese bezeichnet freilich

1 nothwendig] daß nothwendig vielleicht zu lesen: das nothwendig

Fragment eines frühen Heftes

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unmittelbar nur die Eine höchste Autorität, diese könnte in einer Mehrheit von Personen sein. Allein offenbar darf diese strenge Form eben so wenig eine Spur von Parteien haben als diese der [ ] in der Demokratie natürlich sind, und eben so offenbar muß auch schon weil die materiale Thätigkeit in dieser Form mehr Privatsache wird also nach der Seite | der Anarchie hin neigt, die Einheit des Ganzen durch die formale Seite aufs strengste dargestellt und gehalten werden. Die höchste Autorität in einer Mehrheit der Personen würde das nicht leisten, sie würde entweder eine schwankende Gesezgebung hervorbringen der demokratischen ähnlich die für diese Form schon ihrer Größe wegen nicht paßt weil das Gesez größtentheils vernichtet sein würde ehe es ganz durchgedrungen wäre, oder es würde sich unter der Mehrheit eine demagogische Autorität bilden, für die es aber keinen Wechsel mehr geben könnte wegen der festen Organisation aller Theile der gesezgebenden Gewalt; wer diese einmal in Händen hat wird sie sich nicht mehr entreißen lassen und so entstände auch aus der Mehrheit von selbst das Königthum. Alle großen unter diese Form gehörigen Staaten sind auch immer monarchisch gewesen, jeder andere Zustand war nur Uebergang. Daß die großen Staaten immer durch einzelne historische Personen entstanden sind zeigt nichts andres als daß diese Form ihnen von Anfang an wesentlich war[;] es ist das Zusammentreffen der Empirie mit der Idee (Daher ist auch so gänzlich unrecht einen solchen Anfang Usurpation zu nennen : dies ist eine ganz antipolitische Ansicht.) Wenn nun aber das Königthum so entsteht, wie wird es fortgepflanzt und erneuert da nicht immer auf eine solche geschichtliche Person unmittelbar eine andre folgt? Die Geschichte zeigt uns dreierlei Art. Der erste Gründer gehört doch allemal zu einem bestimmten Stamme. Wo sich nun mehr das Gefühl fest sezt daß dieser Stamm es gewesen an dem sich das BeWußtsein zuerst entwikkelt, da nimmt das Volk wenn es nur diesen Stamm oben sieht an den Personen keinen Theil. Daher Streit der Einzelnen, unruhige anarchische Succession wie in den meisten orientalischen Monarchien und eine Zeitlang auch in der westlichen. Wo sich das Gefühl festsezt daß der Staat an einem ausgezeichneten Einzelnen hängt da will die Nation diesen jedesmal suchen und es bildet sich eine Wahlmonarchie. Wo sie das Herrschen als Talent ansieht und gewohnt ist Talente als erblich zu betrachten da, sollte man meinen würde eine erbliche Succession | entstehn. So empirisch angesehn scheint also diese auf dem Kastenwesen zu beruhen und

1 diese] davor (über) chen

16 lassen] folgt Einfügungszeichen

ohne korrespondierendes

Zei-

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r

Erster Teil · Manuskripte

Schleiermachers

geringer zu sein als die Wahlmonarchie. Dem widerspricht aber die Geschichte. Die solidesten Monarchen haben sich erblich constituirt und d/ese Einrichtung überdauert weit das Kastenwesen. Es muß also noch andere Vergleichungspunkte geben, und die Untersuchung vorgehen^] was ist eigentlich der König für das Ganze. V i e r z e h n t e S t u n d e . Der König macht das Gesez fertig alles vorige ist nur Vorbereitung; es erscheint immer zugleich als ein Resultat seiner Persönlichkeit. D/ese muß also den Nationalcharakter so rein als möglich darstellen. Es muß keine Besonderheit darin auffallen die als Ursache seiner Entschließungen anzusehen wäre noch weniger ein Mangel an NationalSinn und Interesse. Nicht daß er nicht individuell sein sollte aber möglichst frei von Aberrationen. (Nächstdem aber ist er auch der Anfang der vollziehenden Gewalt nur der erste Anfang, das gebietende Wort) So wohnt ihm ein Charakter absoluter Heiligkeit bei gleich dem priesterlichen ohne persönliche Neigungen. Je mehr er sich diesem nähert, um desto mehr entspricht er der Idee. Bei allen anderen Staatsbeamten läßt sich ihr öffentliches Leben scheiden von ihrem Privatleben, weil sie in jenem noch einem höheren Gesez und Wollen unterworfen sind wodurch der Privatcharakter beschränkt und ergänzt wird; bei dem Könige aber ist eine solche Trennung nicht denkbar. Bei dem Könige aber ist der Impuls der die Andren welche nach Maaßgabe ihrer Entfernung von ihm eine materiellere Thätigkeit bekommen in Bewegung sezt. Weil aber der Gegensaz recht stark hervortreten soll, muß er selbst von allem Antheil am materiellen ganz frei sein, in keinen Zweig verflochten sein auch keine Einseitigkeit für irgend eine bestimmte Richtung haben. Auch dies hängt mit jener Heiligkeit zusammen. Der Gesinnung nach können also Alle König sein, welche die Idee des Staats rein aufgefaßt haben. Zu dem rein repräsentativen Charakter gehört keine höhere Natur als die des Herrschenden und des Wissenden[.] Die Vollständigkeit des empirischen politischen Bewußtseins würde jedem gegeben durch die Hierarchie. Sieht man aber auf die äußern Bedingungen so stimmen diese allgemein dafür daß der Erbkönig der Idee näher kommen kann als der Wahlkönig. Lezterer hat immer vorher vor den Augen der Nation eine Persönlichkeit entwikkelt in Verhältnissen der Gleichheit mit Andren wo sich daher als solche weit bestimmter zeigen und ein Urtheil über den | persönlichen Werth gefällt wird; er kann auch [während] seines vorigen Geschäftes schwerlich ohne Einseitigkeit und Vorliebe gedacht werden. Dagegen eine regierende Familie führt von Anfang an ein ausgesondertes Leben; es kann weit mehr vorbereitend durch Erziehung auf die

21 Bei ... ist] ( " " " " " ) in der Zeile unter bei dem Könige aber ist

Fragment eines frühen Heftes

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Bildung eines wahren Königes gewirkt werden, und er bleibt über alle persönlichen Vermischungen von Anfang an erhaben. Ganz untergeordnete Fähigkeiten sollten eigentlich, wenn die Nation in der BildungsKunst einigermaßen fortgeschritten ist, nicht zu erwarten sein[;] ist es aber doch so spiegelt sich ja in dem Könige nur ihre eigne Schwäche und Ungeschiktheit. Weit leichter kann er wenigstens nach allen Seiten hin gebildet sein als ein Wahlkönig der im besten Fall seine Ansprüche auf ein bestimmtes Talent gründet[.] Vielleicht ist es noch eine künftige Form daß beides vereinigt wird eine regierende Familie als Basis bleibt, und aus dieser von dem Könige und den Ersten der Nation gemeinschaftlich der Thronfolger gewählt. Die Furcht vor Unruhen während einer Wahl paßt auf einen ordentlichen Staat bei gehöriger Einrichtung gar nicht. Im deutschen Kaiserthum fand eigentlich während seiner schönsten Blüthe eine solche Vereinigung beider Formen statt, wenigstens indirect. - Man sieht wie der richtigste politische Instinkt auf die Erbmonarchie führen mußte, und wie sie gar nicht von dem Kastenwesen abhängt. F ü n f z e h n t e S t u n d e Wir haben nun die Monarchie durch ihre verschiedenen Stufen zu begleiten. Nicht als ob jener Staat alle diese durchginge. Mancher ist schon auf der ersten umgekommen; mancher hat gleich besser angefangen. Aber in der Form selbst giebt es zuvörderst solche Differenzen die sich als vollkommene und unvollkommene Entwiklungen verhalten und so stellen sie uns die natürliche Geschichte der Form im Ganzen dar. Betrachten wir noch einmal die Gründung so ergiebt sich. Anfänglich entwikelt sich das höhere politische BeWußtsein in dem Regenten allein, die Masse hat ihres Wissens kein andres Interesse als das der kleinen politischen Einheiten. Nun erfolgt jene Entwiklung gewöhnlich unter solchen Umständen wo diese doch nicht mehr für sich bestehn können; also sind beide Interessen in der That dieselbigen. Allein diese Einerleiheit wird von der Masse gewiß nicht, vielleicht oft auch nicht vom Regenten gewußt. Daher allerdings der Anschein von Despotie. Eben weil nun das Volk eine größere Einheit noch nicht aufnehmen kann muß es rein passiv sein. Die Gesezgebung geht ganz | allein vom Regenten aus, weil er allein die Idee des Staats hat. Er kann auch nicht einmal auf die materielle Thätigkeit sehn, weil sich in dieser nur der Instinkt für die kleinere Einheit offenbart sondern er muß nur von dem ausgehn was ihm gut scheint. Auch seine Organe sind auf Seiten der Gesezgebung nur gleichsam Sinnwerkzeuge. Er braucht sie zum Wahrnehmen aber vom Entschluß ist nichts in ihnen. Eben so auf der vollziehenden Seite sind sie die Werkzeuge

12 paßt] passen

23 verhalten] kort, aus enthalten

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der willkührlichen Bewegung, aber vom Entschluß ist nichts in ihnen. Die nächste Vorbereitung dieser Idee erfolgt freilich in eben diesen Organen, und je mehr der Regent glaubt die Idee in ihnen zu finden um desto mehr fängt er an sie auch consultativ und unabhängig administrativ zu brauchen. Denkt man sich aber auch die Organisation in diesem Sinne so zusammengesezt und. vollständig als möglich so bleibt doch auch in den untersten Gliedern derselben nur der Gegensaz gegen das Volk ausgedriikt die Einheit aber in der Erscheinung ganz zurükgedrängt. Der Regent kann Einzelne aus dem Volk zum Antheil an der consultativen Gesezgebung erheben so haben sie doch diese politische Dignität nur durch eine Acte des Regenten, werden ganz auf seine Seite hinübergezogen und ohnerachtet aller übrigen Gleichheit ein gänzlicher Abstand zwischen ihnen und den übrigen gegründet. Eben so die denen auf der Seite der vollziehenden Gewalt noch ein wenn auch sehr abgeleitetes und untergeordnetes Befehlen anvertraut ist treten ganz auf die Seite des Regenten über, assimiliren sich ihm durch Ausschließung von der materiale« Thätigkeit und sezen sich dadurch auch in Abstand. Dieses Hervortreten des Gegensazes und Zurückdrängen der Einheit ist Hauptcharakter des ersten Zustandes. Wir betrachten nun gleich diesem gegenüber den vollendetsten Zustand, wo neben dem Gegensaz auch die Einheit heraustritt. Der wesentliche Charakter muß nun natürlich sein, daß die Gesezbildung vom Volk als solchem anhebt ohne daß die welche Theil daran haben ganz auf die Seite der Regierung hinübergezogen werden, und daß die vollziehende Gewalt sich wirklich in das Volk als solches verliert so daß vom Regenten an in dieser Seite der Hierarchie der Antheil der Einzelnen an der materialen Thätigkeit immer zunimmt als wesentlich den bestimmten Aufträgen des Befehlens erforderlich. Das wesentlichste Merkmal (da wir den nothwendigen Zusammenhang beider hier noch nicht einsehn können) ist unstreitig das auf der Seite der gesezgebenden Function liegende weil eben das rectificirende Mittel für den der Despotie nahe liegenden Zustand in der Mittheilung des Bewußtseins liegt.

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Unmittelbarer Uebergang von jenem Zustand zu diesem ist nicht denkbar denn der einzelne kann nicht eintreten bis das Bewußtsein der höheren politischen Einheit dem Volke wesentlich einwohnt, dies ist | nun der ruhige Entwiklungsproceß welcher langsam auf den ersten ungleichförmigen folgt. Ob der Staat ein wahrer Staat ist giebt sich sehr bald dadurch zu erkennen, ob der Regent diesen Entwiklungsproceß befördert oder hindert. (Zuerst muß der Instinkt genommen werden und sich eine größere Einheit zum Object machen, alsdann muß

27 wesentlich] folgt ( g u t )

38 ob] davor

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der Uebergang vom Instinkt zum BeWußtsein befördert werden. Das erste geschieht durch die Approximation der einzelnen Theile unter sich; das zweite durch allerlei Bildungs und Entwiklungsanstalten.) Aber wie jede Erziehung nur kann als beendigt angesehen werden wenn die Freiheit sich selbst äußert. Sie muß sich hier als Urtheil, als Meinung äußern und zwar als gemeinschaftliche. Der erste Uebergangspunkt ist also wenn in dem Volk eine öffentliche Meinung über Staatssachen sich bildet. Freilich ist sie an sich etwas formloses und scheint also kein entsprechender Punkt in der Verfassung zu sein; ihre Bedeutung ist aber bei genauerer Ansicht nicht zu verfehlen. Sechszehnte Stunde. Nemlich von Seiten der Form ist sie noch nichts; aber in der Existenz des Staats selbst bildet sie eine bedeutende Veränderung die auch eine in der Form vorbereitet und nothwendig macht. Sobald das BgWußtsein sich im Volk ausspricht kann der wahre König nicht mehr auf die vorige Weise rein aus sich selbst die ganze Gesezbildung produciren und überall der voranschreitende sein. Sondern er hat dann etwas worauf er reflectiren muß; er muß es sich zur Aufgabe machen dies ReWußtsein mit dem regulativen in ihm gegebenen zu einigen. (Von diesem Punkt an findet es sich daher von selbst daß der König für seine Verordnungen Gründe angiebt, daß er sich auch auf andere indirecte Weise in ein Gespräch mit dem Volk einläßt.) Norm kann freilich die öffentliche Meinung nicht für ihn sein, nicht einmal in ihrer Vollendung, noch weniger in ihrer ersten Entwiklung. Aber sie ist ihm Object einer freien Wirkung auf sie die selbst ganz frei ist. Die öffentliche Meinung bildet zumal in ihrer ersten Periode zwiefache Oscillationen. Die eine hat ihre Wurzel in der Vergangenheit. Das Interesse an den kleinen Einheiten giebt wieder den Ton an und so zeigen sich einzeln organische Theile des Staates, provincielle oder ständische in stark hervortretenden Differenzen unter einander. Die andre hat ihre Wurzel in der Zukunft. Indem die öffentliche Meinung den Einfluß sieht den sie zu erlangen anfängt will sie den künft/gen Zustand ihrer constantwerdenden Organisation formlos anticipiren und sich zur Richterin über alles machen. Unmöglich kann der König diese beiden Oscillationen gewähren lassen. Die eine ist retardirend also erschlaffend, die andere | accelerirend und eben dadurch auch auflösend. Der König muß also auf beide abstumpfend wirken auf die Indifferenz aber die ihnen zum Grunde liegt belebend. So ist die öffentliche Meinung die erste Reaction von Seiten und Reaction auf den vorhin einseitig und zu scharf ausgedrückten Gegensaz. So wie vorher bei Gründung des

17 sich] folgt über (beginnen)

2 4 Object] folgt

2 8 oder] über

31 erlangen]

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Schleiermachers

Staates das Volk rein durch die intellectuelle Gewalt des Regenten fortgerissen wurde: so wirkt jezt eben so rein die im Volk sich bildende intellectuelle Gewalt bestimmend auf den Regenten[.] Denn es ist ja keine physische Gewalt in den Händen des Volkes. Anarchisch ist die Reaction durchaus nicht außer wo der Regent despotisch ist; aber kri- 5 tisch bleibt der Zeitpunkt immer weil die Reaction doch von dem Regenten kann mißverstanden werden und eben daraus eine Zwietracht entstehen kann. Ein zweiter Uebergangspunkt ist nun der wenn die Regierung anstatt daß sie sich sonst ihre Organe durchaus selbst bildete nun die Repräsentanten der öffentlichen Meinung als solche mit 10 in ihre Organisation zieht aber nur consultativ. Hiedurch ist die gänzliche Verbindung vorbereitet aber noch nicht bewirkt; es kann indeß nicht ausbleiben, daß von diesem Punkte aus eine wahre Repräsentation entsteht. Früher oder später je nachdem beide Theile sich ihrer inneren Einheit deutlicher bewußt sind wird der Schein eines Zwiespal- 15 tes vermieden. Denn so lange dieser noch stattfindet muß natürlich der Regent erhebend auf die Volksseite wirken. Von diesen drei Stufen ist der preußische Staat ein trefliches Exemplar. Erste Periode bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Oft Schein des Despotismus auch persönlich, aber dem Wesen nach war er 20 nie vorhanden. Durch Bildungsanstalten hat die Regierung immer gesucht die zweite Periode herbeizuführen weniger durch Erweiterung des provinciellen Instinkts zum nationellen. Aber diese Unterlassung rührte weniger aus Despotismus her als aus mißverstandener Liberalität. Zweite Periode bis jezt. In der ersten Hälfte oscilline die öffentli- 25 che Meinung stark retardirend wogegen Friedrich II sehr gut wirkte, in der zweiten wohl accelerirend aber ohne Tendenz zur Anarchie, immer herrschte die Ueberzeugung daß nichts wesentliches geschehen könnte gegen die öffentliche Meinung. Dritte Periode hebt nun an mit den

29 gegen] korr. 29—4 Die

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Erwähnung von „technischen Deputationen" und einer „erweiterten Gesetzkommission" deutet daraufhin, daß Schleiermacher sich auf die Neuordnung der Staatsbehörden bezieht, wie sie zuerst verkündet worden ist in dem „Publikandum, betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie, in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung" vom 16. Dezember 1808. Unter den Sektionen des Departements des inneren wird hier als zweite die Gewerbepolizei genannt; ihr unterstehen u. a. „die zu errichtende technische Gewerbs- und Handelsdeputation" sowie „die technische Baudeputation". Das Plenum der technischen und wissenschaftlichen Deputationen unterstand unmittelbar dem Staatsrat. - Als vierte wird die Sektion „für die allgemeine Gesetzgebung" genannt; ihr untersteht u.a. die „Gesetzkommission". Weiter wird festgelegt: „Sie wird gleichfalls neu organisirt und mit einem

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technischen Deputationen und der erweiterten Gesezkommission[.] Von den wahren Fortschritten der Nationalbildung die m a n nun erst wird messen können und von dem Gefühl der Einheit wird es abhängen wie bald auf diese die vierte folgen kann.

besondern Geschäftsreglement versehen. Sie erhält die Prüfung aller neuen Gesetzvorschläge, in welches Departement sie auch einschlagen mögen, und sobald sie organisirt ist, soll kein Gesetz emanirt werden, worüber sie ihr Gutachten nicht abgegeben hat ... Die Mitglieder werden von Uns unmittelbar ernannt ... Wir behalten Uns vor, auch ständische Repräsentanten zu Mitgliedern der Gesetzkommission zu ernennen; imgleichen auswärtige Männer von hervorstehendem Talent zu außerordentlichen Mitgliedern." - Diese Verordnung wurde am 27. Oktober 1810 nochmals in gleicher Form bekräftigt. - Siehe: Sammlung der für die Königlich Preußischen Staaten erschienenen Gesetze und "Verordnungen von 1806 bis zum 27sten Oktober 1810. Berlin 1822, 3—23, 361-373

Frühe Notizen

Z u r Politik A r i s t o k r a t i e [ . ] Fixirt wird der schwebende Gegensaz zwischen ihr und der Demokratie und Monarchie so daß bildende Thätigkeit und regierende zwischen zwei Massen ungleich vertheilt sind. In der einen ist das maximum der Regierung aber ein Theil des Naturbildenden Prozesses, wodurch sich der aristokratische Regent vom Monarchischen wesentlich unterscheidet, in der andern ist ein minimum der Regierung an den größten Theil des NaturBildungsVrozesses gebunden. Die Massen müssen gesondert sein, nicht erst gebildet werden denn sonst würden sie aus dem Ganzen gebildet und die regierte Masse hätte an der Bildung selbst Theil gegen das aristokratische Princip. Also giebt es keine andere Aristokratie als erbliche.

Die regierende Kaste bildet unter sich eine Demokratie. Also ist die Größe des Staats auf eben die Art bestimmt wie in der Demokratie, nur daß das Maaß hier die regierende Kaste ist, also der Umfang bei weitem größer. In jedem Staat übt Geld und Intelligenz einen Einfluß aus. Die regierende Kaste muß also wenn die Verfassung bestehen soll entweder das Volk vom Erwerben des Geldes und der Intelligenz in gewissem Maaß ausschließen, oder dafür sorgen daß bei ihm keine Lust entstehe den indirecten Einfluß in einen directen zu verwandeln.

2 1 ihm] ihr

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Durch die Constitution der Aristokratie tritt frey heraus ein Unterschied zwischen edlen Geschäften, solchen | welche die regierende Kaste treibt und gemeinen. Da dieser aber in der Natur nie rein fest zu halten ist (da alles auch einen maschinellen Theil hat) so muß er auch an Formen gebunden sein.

Da die Repräsentation die Gleichheit zwischen Repräsentirendem und Repräsentirten nicht aufhebt so kann auch in der Aristokratie statt einer Εκκλησία der regierenden Kaste ein repräsentativ Ausschuß die höchste Regierung haben.

Die vorbereitende Versammlung kann hier nicht wegfallen da sie schon bei der Demokratie nöthig ist. Allein da sie wesentlich aus der Kaste besteht, diese aber in ihrem Privatlebe« nicht den ganzen NaturBildungsProzeß sehen kann so muß sie wenn das Gesez seinem begriffentsprechen soll auch auf die Privatthätigkeit des Volkes sehn. Dies muß aber eine Form haben und es entsteht ein zweites Mittelglied nemlich Sachverständige aus dem Volk an welche sich die Regierung wenn sie sehen will wendet. Da das Volk aber keinen wahren Antheil an der Gesezgebung haben soll so müssen diese nie wissen können was sie dazu thun. D. h. ihre Aeußerungen haben nur gutachtliche Kraft. Zwei Formen, entweder dürfen sie nur reden wenn sie gefragt werden oder sie haben das ius petitionis.

Die Vollziehung in ihren äußersten Enden ist wahrscheinlich also demokratisch und muß also in den Händen des Volkes sein. Entweder verlangt deshalb die Kaste eine eigne Organisation der Vollziehung für sich damit nicht Leute vom Volk Gewalt über sie haben welches aber die Trennung absolut macht und | also die Aristokratie despotisch. Oder diese mechanischen Organe müssen aus dem Volk durch die vielen Εκκλησιεη der Kaste gewählt sein.

7 Repräsentirten] folgt