Kritische Gesamtausgabe: Band 2 Joseph Fawcett, Predigten Mungo Park, Reisen im Innern von Afrika 9783110681420, 9783110618525

In 1798, Schleiermacher translated two volumes of Joseph Fawcett’s 1795 sermons from the English. The text is presented

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Kritische Gesamtausgabe: Band 2 Joseph Fawcett, Predigten Mungo Park, Reisen im Innern von Afrika
 9783110681420, 9783110618525

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Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe IV. Abt. Band 2

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Herausgegeben von Günter Meckenstock und Andreas Arndt, Jörg Dierken, Lutz Käppel, Notger Slenczka

Vierte Abteilung Übersetzungen Band 2

De Gruyter

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Joseph Fawcett Predigten Aus dem Englischen übersetzt (1798)

Mungo Park Reisen im Innern von Afrika Aus dem Englischen (Berlin 1799) Mit Synopse der Übersetzungsvorlagen

Herausgegeben von Günter Meckenstock in Verbindung mit Anette Hagan

De Gruyter

ISBN 978-3-11-061852-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068142-0 Library of Congress Control Number: 2019957953 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss GmbH, Mörlenbach www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Einleitung der Bandherausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII 1. Joseph Fawcett und seine zweibändige Predigtsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX 2. Schleiermachers Fawcett-Übersetzung . . . . . . . XVI 3. Mungo Park und seine Niger-Erkundung . . . . . XXVII 4. Schleiermachers Mitwirkung an der Park-Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXVIII II. Editorischer Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LVIII Joseph Fawcett’s Predigten. Aus dem Englischen übersetzt von F. Schleiermacher (1798) Erster Teilband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Predigten Nr. 1–12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang: Vorrede von Friedrich Samuel Gottfried Sack Zweiter Teilband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Predigten Nr. 13–24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mungo Park, Reisen im Innern von Aus dem Englischen (Berlin 1799) . Vorrede des Verfassers . . . . . . Nachschrift der Verleger . . . . . Reisen im Innern von Afrika . .

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Afrika 1795–1797. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .

Verzeichnisse Editionszeichen und Abkürzungen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung der Bandherausgeber Der vorliegende Band enthält zwei von Schleiermacher am Ende des 18. Jahrhunderts veröffentlichte Übersetzungswerke aus dem Englischen.1 Diese beiden Werke sind nach Inhalt und Interessenausrichtung sehr unterschiedlich. Zunächst publizierte Schleiermacher 1798 mit Namensnennung auf dem Titelblatt zwei Teilbände „Predigten“ mit insgesamt 24 Predigten von Joseph Fawcett, die ursprünglich unter dem Titel „Sermons“ in London 1795 erschienen waren. Die Fawcett-Übersetzung wurde nicht in die nach Schleiermachers Tod veranstaltete Ausgabe „Sämmtliche Werke“ aufgenommen; sie wird hier nach ihrer Publikation vor über 200 Jahren erstmals erneut gedruckt und editorisch erschlossen. Dabei wird der englische Text synoptisch dargeboten.2 Die beiden Teilbände unterscheiden sich in der englischen und deutschen Druckfassung nach Anzahl und Reihung der Predigten; maßgeblich für die Edition ist der deutsche Text; nach dessen Anordnung ist der englische Text, der wie eine Sachanmerkung die Übersetzungsvorlage dokumentiert, eingerichtet. Fawcett hat in seinen Predigten weit über 400 Textstellen durch Anführungszeichen markiert, aber niemals eine Quelle seiner Zitate angegeben. Schleiermacher versah seine Übersetzung in Fußnoten mit 112 Nachweisen zu Bibelstellen. In der Edition sind alle Fawcett-Zitatstellen erfasst und behandelt. Sodann beteiligte sich Schleiermacher an der Übersetzung des 1799 in London publizierten Berichts „Travels in the interior districts of Africa performed under the direction and patronage of the African Association, in the years 1795, 1796, and 1797. By Mungo Park, surgeon. With an appendix, containing geographical illustrations of Africa. By Major Rennell“; diese gemeinsam mit Henriette Herz kurzfristig vorgenommene Verdeutschung erschien 1799 in Berlin unter dem Titel „Reisen im Innern von Afrika auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797 unternommen“, ohne dass die Namen der Übersetzer auf dem Titelblatt oder im Buch 1 2

Zitatnachweise und Belegverweise ohne Angabe des Autors beziehen sich auf Friedrich Schleiermacher. Vgl. unten S. 4–423 und S. 438–853

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Einleitung der Bandherausgeber

genannt sind und ohne dass der originale Anhang von James Rennell und andere Zugaben zum Bericht berücksichtigt sind. Die anonym erfolgte Übersetzung des Park-Reiseberichts über die Erkundung des westafrikanischen Flusses Niger ist in ihrem Zustandekommen und bezüglich der Leistungen der beteiligten Personen nicht restlos aufzuklären. Die Quellenlage zum Übersetzungsprojekt ist lückenhaft und mehrdeutig. Die synoptische Präsentation von deutschem und englischem Text ist konzentriert auf die Darbietung des Textteils, den Schleiermacher nach eigenem Briefzeugnis selbst vollständig übersetzt hat, nämlich die Druckbogen Z–Hh (etwa die Abschnitte 13–18)3; die anderen Textteile (die Abschnitte 1–12 und die Abschnitte 19–26) werden allein in deutscher Textfassung mitgeteilt. Der Reisebericht von Isaac Weld „Travels through the states of North America, and the provinces of Upper and Lower Canada during the years 1795, 1796, and 1797“ (London 1799), an dessen von Henriette Herz gefertigter und 1800 in Berlin anonym erschienener Übersetzung „Reise durch die nordamerikanischen Freistaaten und durch Ober- und Unter-Canada in den Jahren 1795, 1796 und 1797. Aus dem Englischen mit 6 Kupfern“ (Berlin 1800) Schleiermacher organisierend und beratend beteiligt war, wird hier nicht aufgenommen.

I. Historische Einführung Die beiden Übersetzungsprojekte gehören in die frühe Phase der literarischen Wirksamkeit Schleiermachers. Seit September 1796 war Schleiermacher reformierter Prediger an der Berliner Charité. Nach seiner von der Herrnhuter Brüdergemeine und der Halleschen Aufklärung geprägten Jugend und seinem Berufsbeginn als Hauslehrer, Lehramtskandidat und Hilfsprediger empfing er in dieser ersten selbständigen amtlichen Stellung wichtige neue Anregungen und entwickelte neue literarische Tätigkeitsfelder.4 Während die Übersetzung der Fawcett-Predigten 1798 zeitlich und sachlich an die vom Berliner Oberhofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack organisierte und gemeinsam durchgeführte Übersetzung des vierten Bandes Blair-Predigten 3 4

Vgl. unten S. 972–1077 Vgl. KGA I/2 und I/3

I. Historische Einführung

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anschließt5, wurzelt die Mitwirkung an der Übersetzung des ParkReiseberichts über die Erkundung des westafrikanischen Flusses Niger vornehmlich im Bekanntwerden mit dem Berliner Verleger Johann Karl (Carl) Philipp Spener und in der persönlichen Verbundenheit mit Henriette Herz.

1. Joseph Fawcett und seine zweibändige Predigtsammlung Joseph Fawcett wurde wohl 1758 geboren. Zu seiner Herkunft und seiner Kindheit gibt es nur wenige Informationen. Er besuchte in Ware (Hertfordshire) die Schule des Pastors John French und lernte dort dessen Sohn Barron, seinen späteren Studiengefährten, und Tochter Charlotte, seine künftige Ehefrau, kennen. Mit 16 Jahren immatrikulierte er sich 1774 gemeinsam mit Barron French an einer dissenting academy, mithin einer der englischen Bildungseinrichtungen, die von Dissenters gegründet und betrieben wurden. Der Sammelbegriff Dissenters steht für Protestanten, die nicht der anglikanischen Church of England angehörten und die mit Anglikanern keine Abendmahlsgemeinschaft hielten. Im engeren Sinne wird die Bezeichnung auf die englischen Presbyterianer angewandt, im weiteren Sinne auch auf Methodisten, Baptisten, Quäker und ähnliche Gruppierungen. Von der Mitte des 17. bis zum 19. Jahrhundert spielten die dissenting academies (Schulen, Hochschulen und Predigerseminare, oft mit Anteilen aller drei Bereiche, ähnlich den Herrnhuter Einrichtungen) eine wichtige Rolle im englischen Bildungssystem. In England wurden nur Schulabgänger, die der Church of England angehörten, zum Universitätsstudium – gleich welcher Fachrichtung – zugelassen. Oxford und Cambridge waren bis 1832 die einzigen Universitäten in England. Protestanten, die nicht Mitglied der Church of England waren, gingen deshalb zum Studium zumeist nach Schottland, dessen eigenständiges Bildungssystem vor allem den englischen Presbyterianern gewogen war, oder in die Niederlande; die an den dissenting academies erworbenen Abschlüsse berechtigten dort zum Studium. Joseph Fawcetts theologische Ausbildung fand an der Theologischen Akademie Daventry statt. Diese dissenting academy, die 1715 5

Vgl. Hugo (Hugh) Blairs Predigten, Band 4, Leipzig 1795, KGA IV/1, S. 1–401

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Einleitung der Bandherausgeber

in Kilworth in Leicestershire gegründet und 1729 unter der Leitung des Dissenters und Pfarrers Philip Doddridge (1702–1751) nach Northampton verlegt worden war, wo sie vor allem durch Spenden und später durch den Nachlass des Londoner Händlers und Philanthropen William Coward (1648–1738) unterstützt wurde, war seit 1752 in Daventry ansässig, etwa 35 km südöstlich von Coventry.6 Schon unter Doddridge fand der Unterricht auf Englisch statt, nicht auf Latein. An der Daventry Academy, die nicht nur Theologiestudenten offen stand, wurde Fawcett besonders durch seinen Hauptlehrer Thomas Robins geprägt, der 1775, ein Jahr nach Fawcetts Eintritt, das Amt des Direktors der Akademie von seinem Vorgänger Caleb Ashworth übernahm. Fawcett übte das öffentliche Vortragen, indem er, wohl angeregt von Demosthenes, die Predigten, die er an der Akademie schrieb, den Dornensträuchern und Farnen auf Burrow Hill in der Nähe von Daventry vortrug; er erwarb sich so eine Wortgewalt, die ihn schließlich zu einem der beliebtesten Dissenters-Prediger seiner Zeit werden ließ mit der größten und vornehmsten Zuhörerschaft, die sich je in einem Dissenters-Kirchenraum versammelt haben soll.7 Nach dem erfolgreichen Studienabschluss übernahm Fawcett 1780 das Amt des Morgenpredigers an der presbyterianischen Marsh Street Congregational Church in Walthamstow östlich von London.8 6

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Daventry Academy wurde nach weiteren Umzügen, zunächst zurück nach Northampton und 1799 nach Wymondley in Hertfordshire, seit 1833 unter dem Namen ihres einstigen Gönners als Coward College in London heimisch (vgl. Herbert McLachlan: English education under the Test Acts. Being the history of the nonconforming academies 1662–1820, Manchester 1931, S. 172). Sie vereinigte sich schließlich 1850 mit Highbury College und Homerton College zum New College London. Vgl. Observations on preachers, preaching and academical institutions: „He may have had a natural aptitude of speech and gracefulness of manner: but it is well known that he improved these by great care. When he was a student at Daventry, he was so impressed with the importance of | manner to a public speaker, that he formed the resolution, after the example of Demosthenes, to acquire a correct one at any cost. Upon Burrow Hill he expended his powers of youthful elocution; and often have the cowherds and the company that were walking on its delightful sod, stopped to listen with surprise indeed, but also with pleasure, to his eloquent addresses to the thorn bushes and the fern that grew thick around him. “Surely that man is out of his head,” was no uncommon exclamation, on hearing his vociferation and seeing the wildness of his gestures. But thus he acquired the power of charming the largest and most genteel London audience that ever assembled in a Dissenting place of worship.“ (Monthly repository of theology and general literature, Bd. 12, Hackney 1817, S. 87–93, hier S. 90–91) Die Geschichte dieser Gemeinde reicht zurück ins 17. Jahrhundert. Seit 1672 fanden in einem ehemaligen Privathaus gelegentlich Gottesdienste statt. 1690–1692 wurden Prediger aus London von William Coward, dem späteren Gönner der Da-

I. Historische Einführung

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Fawcett predigte während seiner siebenjährigen Amtszeit auch anderweitig, denn er veröffentlichte 1782 eine Einzelpredigt, die er am Neujahrstag 1782 an der St. Thomas Kirche in Southwark, London, gehalten hatte9. Am 19. September 1782 heiratete Joseph Fawcett Charlotte French, die Tochter seines ehemaligen Schullehrers.10 In den sieben Predigerjahren an der Marsh Street Congregational Church entwickelte Fawcett starke sozinianisch-unitarische Tendenzen. Die Ursprünge der englischen Unitarier, die die christliche Trinitätslehre ablehnten, liegen bei den Presbyterianern nach dem Act of Toleration von 1689, worin den Pfarrern, die die Church of England verlassen hatten, gesetzliche Sicherheit zugestanden wurde. Dazu gehörte, dass sie in non-conforming Gemeinden predigen durften. Allerdings galt die Ablehnung der Trinitätslehre noch bis 1813 als Straftat. Als Fawcetts unitarische Überzeugungen in seinen Predigten stärker zutage traten, wandten sich seine Zuhörer zunehmend enttäuscht von ihm ab. 1786 kam es zum Bruch: die antiunitarischen Mitglieder spalteten sich ab und bildeten eine neue Gemeinde, ein sogenanntes „new meeting”. 1787 gab Fawcett sein Predigeramt in der Marsh Street Congregational Church in Walthamstow auf.11 Fawcett wechselte nach London. Bereits zwei Jahre zuvor, 1785, hatte er im dortigen presbyterianischen Gemeindehaus Old Jewry12

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ventry Academy, bezahlt. 1695 errichtete er auf seinem eigenen Land an der Nordseite der Marsh Street ein ‘meeting house’, also ein Gemeindehaus für Gottesdienste der Dissenters. 1716 öffnete er es für presbyterianische Gottesdienste und 1718 für andere Freikirchen. Ein neu errichtetes Gemeindehaus ersetzte 1739 das alte. Während der Amtszeit von Fawcetts Vorgänger Hugh Farmer, der 1737–1780 Hauptpfarrer war, wurden die Gemeinden zunehmend größer. Vgl. Harry Douglas Budden: The story of Marsh Street Congregational Church, Walthamstow. Margate, 1923, S. 16–17. 79. Joseph Fawcett: A sermon preached at St. Thomas’s, January 1782, for the benefit of the charity-school in Gravel Lane, Southwark, London 1782 Vgl. Hertfordshire 1731–1800 as recorded in The gentleman’s magazine, ed. Arthur Jones, Hertford 1993, S. 158 Im selben Jahr 1787 erschien in Manchester anonym eine Predigtzusammenfassung mit dem Titel „A humble attempt to form a system of conjugal morality, being the substance of six discourses addressed to young persons of both sexes with a design to lead them through the becoming duties of celibacy and matrimony“, die gemeinhin Joseph Fawcett zugeschrieben wurde; allerdings ist der Autor wohl Thomas Fawcett, der Verfasser von zwei 1783 erschienenen Predigten über die Zersplitterung des britischen Reiches. Der Name des Gebäudes erinnert daran, dass in früheren Zeiten Juden diesen Teil Londons bewohnt hatten. Das um 1701 errichtete Gebäude, ein Ziegelbau mit Kirchenbänken und drei Galerien, diente zu verschiedenen Zeiten bis 1808 zu gottesdienstlichen Zwecken; vgl. Walter Wilson: The history and antiquities of dissen-

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Einleitung der Bandherausgeber

die Sonntagabendpredigten während der Wintersaison, deren erste im Jahre 1702 gehalten worden war, wieder eingeführt. Diese öffentlichen lectures13 wurden nicht nur von Dissenters verschiedener Richtungen geschätzt und bewundert, sondern auch von hochkirchlichen Anglikanern und Vertretern des Kulturlebens.14 Der Dichter William Wordsworth (1770–1850), den sein Londoner Freund Samuel Nicholson zu einer Predigt Fawcetts eingeladen hatte, war so beeindruckt, dass er in seinem langen Gedicht „The excursion“ Fawcett zum Vorbild für die Gestalt des Solitary nahm.15 Von diesen Sonntagabendpredigten in Old Jewry veröffentlichte Fawcett zunächst 1790 als Einzeldruck die am 28. März 1790 gehaltene Schlusspredigt der Wintersaison16, sodann 1795 die zweibändige Predigtsammlung „Sermons delivered at the Sunday-evening lecture, for the winter season, at the Old Jewry“ bei dem Verleger und Buchhändler Joseph Johnson in London, der von 1761 bis 1809 aktiv war; Johnsons Buchhandlung war ein Zentrum für den Vertrieb von Dissenterliteratur. Für die Predigtsammlung lässt die Quellenlage eine Datierung der einzelnen Predigten nicht zu. Nur bei drei Predigten werden vage Hinweise gegeben: Sermon No. 10 wurde zu Beginn einer neuen Wintersaison gehalten, No. 25 und No. 26 jeweils an einem Neujahrstag. Es ist auch unklar, ob Fawcett die Texte in ihrer vorliegenden Fassung als mündliche Kanzelreden hielt oder die mündlichen Predigten später für die Publikation umformulierte. Zudem lässt sich nicht ermitteln, ob die publizierten Predigten repräsentativ für Faw-

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ting churches and meeting houses in London, Westminster and Southwark, in 4 volumes, London 1808, Bd. 2, S. 302−304. Predigten wurden unter verschiedenen Bezeichnungen angekündigt und gehalten, beispielsweise als ‘discourses’ (Ahhandlungen), ‘addresses’ (Ansprachen), ‘charges’ (Anzeigen) und eben ‘lectures’ (Vorträge); vgl. William Gibson: The Brisish sermon 1691–1901. Quantities, performance and culture, in: The Oxford handbook of the British sermon 1689–1901, edd. Keith Francis / William Gibson, Oxford 2012, S. 3−26, hier S. 6. Vgl. die Einschätzung: „His eloquence was of a rare and striking kind. Not only Dissenters of all classes, but Churchmen of the highest rank, and some of the leading dramatic characters of the day, were his hearers.“ (Monthly repository 1817, S. 90). Gleichwohl ist Fawcett im heutigen historischen Bewusstsein der Homiletik kaum präsent; sein Name erscheint nicht einmal im Register des Oxford handbook of the British sermon 1689–1901. Vgl. Alan Ruston: Fawcett, Joseph, in: Oxford dictionary of national biography, Bd. 19, Oxford 2004, S. 175–176, hier S. 175 Joseph Fawcett: A sermon on the propriety and importance of public worship, delivered at the close of the Sunday-evening lecture for the winter season at the Old Jewry, on Sunday March 28, 1790, London 1790

I. Historische Einführung

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cetts Sonntagabendvorträge im Old Jewry Gemeindehaus sind, da zu den tatsächlich gehaltenen Predigten keine weiteren Informationen vorliegen. Handschriftliche Predigten wurden oft nach dem Tod des Predigers vernichtet; angeblich war es sogar Usus, dass Pfarrer ihre Predigten alle sieben Jahre verbrannten.17 Im England des 18. Jahrhunderts gehörten Predigtveröffentlichungen zu den beliebtesten Literaturgattungen. Sie bildeten den Grundstock der Gemeinde- und Ausleihbibliotheken, wurden im Familienkreis vorgelesen oder privat studiert. Insbesondere für die Dissenters waren Predigtveröffentlichungen bedeutend zur Identitätsvergewisserung gegenüber der dominanten Church of England. Fawcetts Kanzelreden zeichnen sich besonders durch ihre Eloquenz, ihre zahlreichen anschaulichen Beispiele und ihren klaren Gedankengang mit nummerierten Abschnitten aus. Alliterationen und Zitaten werden ausgiebig gebraucht. Die vielen Zitate stammen größtenteils aus der King-James-Bible und aus der englischen Dichtung des 17. und 18. Jahrhunderts, vor allem aus Werken von John Milton und Alexander Pope. Inhaltlich sind seine Predigten vorwiegend didaktisch-erbaulicher Art, ausgerichtet auf seine Zuhörerschaft, die zu einem großen Teil aus jungen Männern bestand. Fawcetts vernunftgeleitete Belehrungen werden aus allen Lebensbereichen veranschaulicht und haben zum Teil eine ausnehmend egalitäre Ausrichtung; so ermahnt er in No. 14 seine Hörer, standesmäßig niedriger stehende Mitbürger nicht als intellektuell unterlegen anzusehen, sondern sich deren ungünstigere Ausgangsbedingungen vor Augen zu halten. Bei den zwölf Predigten des ersten Bandes stammen neun biblische Leittexte aus dem Alten Testament und drei aus dem Neuen Testament, bei den 14 Predigten des zweiten Bandes vier Leittexte aus dem Alten Testament und zehn aus dem Neuen Testament. In der Summe sind beide Testamente in gleicher Anzahl vertreten. Eine klare thematische Anordnung der Predigtbände ist nicht erkennbar. Die ersten drei Predigten nehmen als Ausgangspunkt göttliche Eigenschaften, alle anderen behandeln ausschließlich menschliche Haltungen und Eigenschaften. Das durchweg dominante Predigtthema ist die Tugend und die verschiedenen Motivationen, Ausprägungen und Belohnungen für tugendhaftes, pflichterfülltes Verhalten, sowie die 17

Vgl. William Gibson: The British sermon 1691–1901. Quantities, performance and culture, in: The Oxford handbook of the British sermon 1689–1901, edd. Keith Francis / William Gibson, Oxford 2012, S. 3−26, hier S. 7

XIV

Einleitung der Bandherausgeber

Gefahren und Konsequenzen eines lasterhaften Lebens. Fawcetts Grundaussagen lassen sich so zusammenfassen: die früh eingeübte unbeirrbare Tugendpraxis im privaten und öffentlichen Leben ist angesichts der Vergänglichkeit des Lebens, den überall und jederzeit lauernden Versuchungen und des unausweichlichen Endgerichts die beste Garantie für ein gottgefälliges, erfülltes Leben. Tugend ist explizit in fünf Predigttiteln thematisiert, kommt implizit jedoch in allen Kanzelreden zur Sprache. In Band 1 werden biblische Leittexte ausgelegt, die die Allgegenwart Gottes, die Schöpfung und Gottes Handeln am Menschen zum Thema haben; aber auch in diesen Predigten ist das moralische Verhalten gegenüber den Mitmenschen und Frömmigkeit als Tugend das eigentliche Thema. Dogmatische Predigtthemen kommen nicht vor. Fawcett wählt insgesamt nur zweimal biblische Leittexte aus Paulinischen Briefen; in beiden Fällen dienen sie als Anleitung zu moralischer Instruktion, nicht zur dogmatischen Exegese.18 Fawcetts Unitarismus lässt sich an der Beobachtung festmachen, dass in seinen beiden Predigtbänden der Heilige Geist kein einziges Mal Erwähnung findet; der Name Jesus kommt insgesamt nur sechs Mal vor, davon einmal als Teil eines Zitates. Fawcett gab 1795 seine Sonntagabendpredigten im Old Jewry Gemeindehaus auf; seine zweibändige Predigtsammlung war wohl eine Schlussbilanz dieser Wirksamkeit. Die Predigtsammlung wurde 1796 in zwei englischen Rezensionen lobend besprochen. In der halbjährlich erscheinenden Zeitschrift „Analytical review, or History of literature, domestic and foreign, on an enlarged plan“ wurde für das erste Halbjahr 1796 eine Rezension publiziert19, von der Sack den allgemein gehaltenen Anfangsteil übersetzte20, die umfängliche Zitation zweier Predigtpassagen aber ausließ21. Eine ähnliche Beurteilung 18

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In No. 22 wird 1Kor 10,12 herangezogen, um Gründe für die Unbeständigkeit der Tugend zu erörtern, während Röm 13,11 in No. 25 dazu dient, die Vergänglichkeit der Zeit als Ansporn für tugendhaftes Verhalten zu erklären. Vgl. Analytical review, or History of literature, domestic and foreign, on an enlarged plan, Bd. 23, London 1796, S. 59–64 Vgl. unten S. 427,30–429,2 Vorbereitet sind diese Zitate durch die Bemerkung: „For the full illustration of this general praise, we must refer to the volumes themselves, which, we have no doubt, will be admitted to a distinguished place in the class of english sermons: but we shall give our readers some idea of the merit of this valuable publication by laying before them two extracts.“ (S. 60). Der erste lange Predigtauszug bietet zunächst die einleitende Bemerkung: „In a sermon, the object of which is to prove, that virtue proceeds from rectitude, and vice from errour of judgment, the preacher supports his position by showing, that the virtuous and vicious classes of mankind

I. Historische Einführung

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wurde in der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift „Monthly review, or Literary journal“ im letzten Quartal 1796 veröffentlicht22; diese Rezension übersetzte Sack in seiner Vorrede zur deutschen Ausgabe in größeren Auszügen23. Fawcett pachtete nach seiner Predigertätigkeit einen Hof, Edge Grove, in der Nähe von Aldenham bei Watford in Hertfordshire, um sich der Landwirtschaft und der Dichtung zu widmen. Es lässt sich nur vermuten, dass die zeitpolitische Lage in England auf seine Entscheidung, sich vom Predigtdienst zurückzuziehen, Einfluss hatte. Möglicherweise suchte er eine neue Form des Ausdrucks. Zwischen 1795 und 1801, wohl vor dem Hintergrund des Koalitionskriegs gegen Frankreich, publizierte er mehrere Antikriegsgedichte. Das Gedicht „The art of war“ erschien erstmals 179524, gefolgt von einer zweiten Ausgabe 1796, die zusätzlich das Gedicht „A war elegy“ beinhaltet25. Beide wurden von Joseph Johnson, der schon Fawcetts beide Predigtbände publiziert hatte, verlegt. 1797 veröffentlichte Fawcett unter dem Pseudonym Sir Simon Swan ein Einzelgedicht mit dem Titel „The art of poetry“, wobei er sich selbst als Herausgeber anführte.26 1798 verlegte Johnson einen weiteren Gedichtband Faw-

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differ in their opinion concerning the reality of those consequences of human conduct, which religion teaches us to expect in another world; in their comparison of present temporary, with eternal happiness; and in their judgment concerning the present issue of opposite courses of life. Under the latter head are the following observations.“ (S. 60); danach wird aus Sermon 5 der Abschnitt zitiert: „He who determines to lead ... in the ribbands of honour.“ (unten S. 30,24–34,23). Der zweite lange Predigtauszug gibt nach der einleitenden Bemerkung „Our second extract shall be taken from a sermon, the design of which is to vindicate christianity in not particularly inculcating friendship and patriotism. Having enlarged upon the propensity of mankind to imprison the social principle within a certain circle, and to regard the rest of mankind, always with shyness, generally with jealousy, and sometimes with hatred, Mr. F. thus proceeds.“ (S. 61) aus Sermon 17 den Predigtabschnitt „Such is man. Such was ... for their defeat.“ (unten S. 614,1–620,3). Die Rezension schließt mit einer Reihung der 26 Predigtüberschriften (vgl. S. 64). Vgl. Monthly review, or Literary journal, Bd. 21, London 1796, S. 9–12 Vgl. unten S. 424,27–427,27; dort sind auch die ausgelassenen Passagen im Sachapparat mitgeteilt. Joseph Fawcett: The art of war. A poem, London 1795 Joseph Fawcett: The art of war, to which is added a war elegy, London 1796. Diese Ausgabe wurde wie folgt angekündigt: „This day is published, price 3s. The art of war: a poem. The second edition, to which is added A war elegy, better suited to our circumstances than the war elegies of Tyrtaeus.“ (Morning chronicle, 12. November 1796, S. 2). Joseph Fawcett: The art of poetry according to the latest improvements. A poem by Sir Simon Swan. Published by Joseph Fawcett, London 1797

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Einleitung der Bandherausgeber

cetts, der neben neuen Gedichten auch bereits publizierte aber nun verbesserte Gedichte enthielt.27 Von der zweibändigen Predigtsammlung wurde 1801 eine zweite, veränderte Auflage veranstaltet. Fawcett hatte einen bedeutenden Einfluss auf andere Reformer, wie den Philosophen und Romanschriftsteller William Godwin (der Ältere, 1756–1836) und den Essayisten William Hazlitt (1778– 1830).28 Joseph Fawcett starb am 24. Januar 1804 in Edge Grove und wurde am 29. Januar auf dem Friedhof in Aldenheim beigesetzt.29 Fawcetts Frau Charlotte starb 1824.

2. Schleiermachers Fawcett-Übersetzung Schleiermachers Übersetzung „Predigten“ von Joseph Fawcett ist wie die englische Vorlage „Sermons“ in zwei selbständig paginierte ‚Theile‘ (so Titelblätter) bzw. ‚Bände‘ (so Inhaltsverzeichnisse) mit jeweils zwölf Predigten gegliedert und im Oktavformat gedruckt. Der Satzspiegel ohne Kolumnentitel und Seitenkustos beträgt 8,5 cm Breite und 15,2 cm Höhe mit durchschnittlich 30 Zeilen; die Vorrede hat 24 Zeilen bei 14,5 cm Satzhöhe. Der erste Band umfasst 30 römisch gezählte Seiten Vorspann (Titelblatt, Vorrede von Friedrich Samuel Gottfried Sack, Inhaltsverzeichnis) sowie 365 arabisch gezählte Seiten Predigten, danach auf der unpaginierten Seite 367 eine Liste von „Verbesserungen“ zu neun Druckfehlern. Der zweite Band hat vier nicht gezählte Seiten Vorspann (Titelblatt und Inhaltsverzeichnis) sowie 360 arabisch gezählte Seiten Predigten, danach auf der unpaginierten Seite 361 eine Liste von fünf Berichtigungen. Die jeweils zwölf Predigten sind durch beide Teilbände fortlaufend nummeriert. Im Kolumnentitel ist auf der linken Seite (mit geraden Seitenzahlen) die Predigtnummer mit ausgeschriebener Ordinalzahl (Erste Predigt bis Vier und zwanzigste Predigt) verzeichnet, auf der rechten Seite eine zumeist gekürzte Wiedergabe der Predigtüberschrift. 27

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Poems by Joseph Fawcett. To which are added Civilised war, before published under the title The art of war, with considerable alterations; and The art of poetry, according to the latest improvements, with additions, London 1798 Vgl. Alan Ruston: Fawcett, Joseph, in: Oxford dictionary of national biography, Bd. 19, Oxford 2004, S. 175 In Jackson’s Oxford journal erschien am 11. Februar 1804 bei den Todesanzeigen die Mitteilung: „At Edge Grove, near Watford, the Rev. J. Fawcett, late Lecturer at the Old Jewry” (S. 4).

I. Historische Einführung

XVII

Die Predigtzählung der Übersetzung weicht von der des Originals ab. Schleiermacher hat erstens 24 Predigten aus 26 Sermons ausgewählt; nicht aufgenommen in seine Übersetzung hat er Sermon No. 9 und Sermon No. 25. Zweitens hat er die Reihenfolge im ersten Teilband stark verändert: Sermon No. 5 ist nun Predigt Nr. 1; dadurch werden die Sermons No. 1–4 zu Predigten Nr. 2–5. Durch den Ausfall von Sermon No. 9 werden Sermons No. 10–12 zu Predigten Nr. 9– 11. Die den ersten Teilband abschließende Predigt Nr. 12 hat Sermon No. 26 zur Vorlage. Im zweiten Teilband ist die Reihenfolge der Predigten erhalten geblieben; die Predigten Nr. 13–24 sind die Übersetzung der Sermons No. 13–24. Zum Auslassen von Sermon No. 9 und Sermon No. 25 schweigt Schleiermacher. In beiden Fällen lassen sich nur Vermutungen äußern. Bei Sermon No. 9 könnte ein inhaltliches Motiv vorliegen. Den biblischen Leittext Jer 17,9 behandelt Fawcett unter dem Aspekt des Selbstbetrugs. Dabei zieht er an einer Stelle zur Veranschaulichung den Republikanismus heran. Diese Passage war riskant, denn sie konnte vom Zensor als skandalös eingestuft werden und somit die Publikation der Übersetzung gefährden. Fawcett stellt nämlich den Republikanismus kritiklos und unkommentiert als reale Staatsform dar; und der Mord an Staatsoberhäuptern aus Patriotismus wird nicht verurteilt, sondern nur die scheinheiligen Motive, die zum angeblichen Tyrannenmord führen: „A member of a republic is in power. His countrymen think he has too much. The conspirators assemble. Yes, they will rid their country of a tyrant. Yes, they will send their daggers to his heart. It is gallant, and splendid language. Each that utters it, conceives himself a patriot. Every one in | the council imputes to the purity of public spirit the part he is going to act. Yet not to every one does the praise of uncorrupted patriotism belong. While this member of the assembly, who not, ‘in a general honest thought, and common good to all, makes one of them,’ though he compliments himself upon the high heroic act he is going to perform, is assisted, in his undertaking, if not singly swayed, by private resentment against the victim of the conspiracy; perhaps another is principally prompted by envy of the height of him he is going to tread down; and a third, it may be, by a selfish impatience of his own personal, more than a generous intolerance of public, subjection to the will of a tyrant.“30 30

Joseph Fawcett: Sermons delivered at the Sunday-evening lecture, Bd. 1, S. 302– 303 (mit Berücksichtigung des Errata-Verzeichnisses)

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Bei Sermon No. 25 dürfte eher ein gestalterisches Motiv vorliegen. Durch den Verzicht auf Sermon No. 9 geriet nämlich die Statik der beiden Bände ins Ungleichgewicht; der erste Band war nun deutlich dünner als der zweite; es musste also mindestens eine Predigt aus dem zweiten Band in den ersten verschoben werden. Würde außerdem eine Predigt im zweiten Band ausgelassen, so enthielten beide Bände jeweils zwölf Predigten. Für diese doppelte Operation boten sich die beiden letzten Predigten des zweiten Bandes an. Beides sind Neujahrspredigten, die wegen des gemeinsamen Anlasses große inhaltliche Überschneidungen aufweisen. Beide behandeln den unentrinnbaren Ablauf der Zeit. Sermon No. 25 stellt heraus, die verbleibende Zeit zu Tugendhaftigkeit und Pflichterfüllung zu nutzen, und betont die göttliche Einteilung der Jahreszeiten. Sermon No. 26 hat die Einteilung in Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre, sowie das Wiederaufkeimen der Natur als zweite Schöpfung zum Thema. Schleiermacher dürfte sich für Sermon No. 26, umzustellen in den ersten Band, entschieden haben, weil hier thematisch etwas Neues angesprochen wird. Die auffällige Umstellung von Sermon No. 5 zur deutschen Predigt Nr. 1 liegt in der Vorgeschichte erklärbar, dass Fawcetts Predigt in Schleiermachers Übersetzung als separater Einzeldruck vorab mit einem Vorwort von Sack publiziert wurde. Dieser Einzeldruck führte dann zu einer neuen Anordnung der Predigten des ersten Teilbands. Warum Sermon No. 5. gewählt wurde, um als vorgezogener Einzeldruck auf die übersetzte Predigtsammlung vorzubereiten, dazu gibt es keine Quellen und ist nichts zu ermitteln. Schleiermacher war bei seiner Übersetzung mit einer Besonderheit seiner Textvorlage konfrontiert: Fawcett hat in den von Schleiermacher übersetzten 24 Sermons 475 Stellen in Anführungszeichen gesetzt und damit als Zitate ausgewiesen, aber keine dieser Stellen mit einem Quellennachweis versehen. Die vorliegende Edition erschließt die von Fawcett durch Anführungszeichen markierten Textstellen umfassend und richtet den englischen Text so ein, dass die im Sachapparat gegebenen Hinweise auf Fawcetts Zitatmarkierungen synoptisch wahrgenommen werden können. Schleiermacher ist mit Fawcetts markierten Zitaten durchaus selbständig umgegangen; er hat Markierungen häufig übernommen, sie gelegentlich zusammengefasst, aber auch häufig sie nicht gesetzt. Schleiermacher weist in Fußnoten ausschließlich Bibelstellen nach, während er keinerlei Nachweise zu anderen Quellen

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gibt. Nachweise hat er sowohl zu von ihm markierten als auch zu von ihm unmarkierten Stellen gegeben. Zudem hat er einige Textstellen getilgt, sowohl von Fawcett markierte als auch unmarkierte.31 Schleiermacher griff auch strukturierend in Fawcetts Predigten ein, indem er an manchen Stellen zusätzliche Gliederungspunkte durch numerische Markierungen auswies. Schleiermacher erläutert in drei Fußnoten am Anfang der fünften, siebenten und elften Predigt die Textfassung der Predigtbibelstelle durch die Formel „Nach der englischen Übersetzung“. In weiteren 110 Fußnoten bringt er 112 Bibelstellen bei, die bei Fawcett auf 125 Zitate verteilt sind. Schleiermacher setzt insgesamt 241 Stellen in Anführungszeichen. Er markiert dadurch 199 Bibelzitate, elf andere literarische Zitate und 31 rhetorisch-fiktive Zitate. Über Fawcett hinausgehend hat Schleiermacher an vier Stellen Zitatmarkierungen gesetzt, die bei Fawcett nicht vorhanden sind. Zum Werdeprozess der Übersetzung liegen einige Zeugnisse vor, auch wenn der Anfangsimpuls im Dunkeln liegt. Wer oder was Schleiermacher bewogen hat, Fawcetts 1795 erschienene zweibändige Predigtsammlung zu übersetzen, ist unbekannt. Es lässt sich vermuten, dass der Berliner Oberhofprediger Friedrich Samuel Gottfried Sack motivierend und beratend am Zustandekommen des Übersetzungsprojekts beteiligt war. Der Beginn dürfte auf den Anfang des Jahres 1797 zu datieren sein, als Schleiermacher sich in seine neue Predigerstelle an der Berliner Charité eingelebt hatte. Sein Onkel Samuel Ernst Timotheus Stubenrauch war im März 1797 darüber informiert, dass Schleiermacher Fawcett übersetzte und die Übersetzung zu Ostern 1798 erscheinen sollte. „Zu den Predigten, mit deren Uebersetzung Sie gegenwärtig beschäftigt sind, will ich mich im Voraus als Subscribent melden, – wenn ich nemlich Ostern 1798 noch lebe“32. Zum weiteren Werdegang des Übersetzens gibt es keine direkten Briefzeugnisse, wohl aber zur Drucklegung einen Hinweis aus dem Sachverhalt, dass der Vorabdruck für die Einzelpredigt vorliegt. Der von August Mylius verlegte Predigteinzeldruck „Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Eine Rede aus dem Englischen übersetzt, Berlin 1798.“ enthält die von Sack bevorwortete und von Schleiermacher übersetzte Fawcett-Predigt „Right and wrong judg31 32

Zur hochkomplexen Zuordnung von Fawcetts Zitatmarkierungen zu deren Behandlung durch Schleiermacher vgl. unten im Editorischen Bericht S. LX–LXII KGA V/2, Nr. 376, Z. 163–165

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Einleitung der Bandherausgeber

ment the origin of virtue and vice“, im Originaldruck der „Sermons“ die fünfte Predigt. Der Einzeldruck umfasst acht römisch gezählte Seiten Vorspann (Titelblatt, Vorbericht von Friedrich Samuel Gottfried Sack) sowie 39 arabisch gezählte Seiten Predigt jeweils ohne Kolumnentitel. In dem auf den 28. Oktober 1797 datierten „Vorbericht“ gibt Sack sich als Herausgeber dieses Einzeldrucks an und schweigt zum Namen des Übersetzers. Der Name des englischen Predigers steht nicht auf dem Titelblatt, sondern kann nur der Fußnote, in der das Erscheinen der gesamten Übersetzung für Ostern 1798 angekündigt wird, entnommen werden. Der Text des Predigteinzeldrucks ist außer der Überschrift buchstabenidentisch mit der ersten Predigt der Sammlung. Auch der Kustos „Zwei-“ auf Seite 39, der den Anschluss zur zweiten Predigt des Übersetzungsbandes sichert, ist vorhanden. Nur die Kolumnentitel fehlen. Obwohl der Einzeldruck auf dem Titelblatt ins Jahr 1798 datiert ist, dürfte er schon im Dezember 1797 erschienen sein. Am 5. Januar 1798 bedankte sich Stubenrauch für Schleiermachers wohl als Weihnachtsgeschenk übermittelten Einzeldruck. „Mit der von Ihnen übersetzten Predigt haben Sie mir ein sehr angenehmes Geschenk — aber auch um desto begieriger nach der ganzen Samlung gemacht“.33 Sacks „Vorbericht“ lautet: „Wenn ich diese von einem meiner Freunde übersetzte Rede, welche zu einer bald herauskommenden Sammlung von Predigten [hierzu die Fußnote: Sermons by Joseph Fawcett 2 Vol. London 1795. Eine deutsche Uebersetzung derselben wird zu Ostern des folgenden Jahres im Myliusischen Verlag herauskommen.] gleichen Werthes gehört, als eine besondere kleine Schrift herausgebe, so habe ich dabey eine doppelte Absicht. Einmal scheint es mir, daß | dadurch Gedanken von Wichtigkeit in mehreren Umlauf gebracht, und sehr nützliche Ueberlegungen veranlaßt werden können. Dann kann das Publikum aber auch schon zum voraus mit einem englischen Redner bekannt werden, der seiner Aufmerksamkeit sehr würdig ist, so wie er den Beifall seiner Nazion in einem hohen Grade erlangt hat. Was der Verfasser in dieser Rede klar zu machen sucht, ist: daß die Quelle von einem schlechten Verhalten jederzeit in unrichtigen Einsichten zu suchen sey, und Unsittlichkeit also auch überall, wo sie angetroffen wird, einen Mangel an Verstand anzeige. Er nimmt keinen Streit der Erkenntniß und des Willens | an, sondern behauptet, 33

KGA V/2, Nr. 436, Z. 45–47

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daß in allen Fällen, in welchen das Herz falsch wählet, der Verstand vorher falsch geurtheilet habe. Die Erscheinung, daß Menschen von Verstand zuweilen unmoralisch handeln, und daß solche, die die Forderungen der Religion anerkennen, sie gleichwohl oft nicht befolgen, erklärt er durch eine Nichtanwendung des Verstandes, oder durch Täuschungen welche das Urtheil der Vernunft mißleiten. Es ist hiemit freilich nicht etwas neues gesagt. Eben so wenig ist das Bekannte aus tief eindringenden metaphysischen Spekulazionen hergeleitet. Weder das eine noch das andere verlangt man aber auch in Belehrungen dieser Art. Was | man aber mit Recht verlangt, wenn zu gebildeten Menschen über Materien dieser Gattung gesprochen wird, ist, daß die Bemerkungen über die Triebfedern menschlicher Handlungsweise nicht alltäglich seyn, und gleichwohl bey mehrerem Nachdenken für richtig erkannt werden. Kömmt hierzu Präzision, Schönheit und Eleganz des Ausdrucks, und wird, indem der Verstand Nahrung bekömmt, die Imaginazion zugleich mit edlen und schicklichen Bildern beschäftiget: so hat der Redner seine Pflicht erfüllt, und was er gesagt hat, ist des Aufbewahrens und des Bedenkens werth. Daß auch hier Rechtthun und Streben | nach Wohlseyn in Verbindung gedacht werden, wird freilich einigen unserer neueren Denker zum Anstoß gereichen. Welchen Abscheu man indessen auch gegen die sogenannte Glückseligkeitslehre haben mag: so wird die Behauptung, daß derjenige, der schon ohne Tugend es gut zu haben meint, unrichtig urtheile, doch nicht geradezu für einen an der Moralität begangenen Hochverrath erklärt werden können. Denn so unterschieden in ihrem Wesen auch Pflichtliebe und Klugheit sind, welches eine längst bekannte Wahrheit ist: so sind sie doch gewiß so innigst miteinander vereiniget, daß die Rechtgesinntheit sich immer als die beste Klugheit legitimiren, und es mit | dem Wohl dessen der lasterhaft lebt, jederzeit sehr mißlich aussehen wird. Von der besondern Gattung von Predigten, zu welcher diese Rede gehört, werde ich vielleicht zu einer andern Zeit meine Meinung zu sagen Gelegenheit haben.“34 Der Einzeldruck war wohl von Sack als Unterstützung der Fawcett-Übersetzung gegen die Zensur gedacht. Der preußische König Friedrich Wilhelm II. starb am 16. November 1797 in Potsdam. Mit 34

Friedrich Samuel Gottfried Sack: Vorbericht, in: [Joseph Fawcett:] Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Eine Rede aus dem Englischen übersetzt, Berlin 1798, S. III–VIII

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Einleitung der Bandherausgeber

dem Thronwechsel zu Friedrich Wilhelm III. erstarkten die Hoffnungen auf die Abschaffung des Wöllnerschen Zensuredikts und auf wesentliche personelle Änderungen in der Zensurbehörde. Stubenrauch drückte am 30. November 1797 brieflich diese Hoffnungen aus: „Mir war es besonders rührend, daß unser jetziger König dem von unserm Herrn Sack erhaltenen Unterricht jetzt durch seine vernünftige Religiosität soviel Ehre macht – und auch in der DienstagsZeitung, die ich jetzt eben gelesen, finden sich auch dergleichen Aeußerungen beydes von dem Könige und seiner Gemahlin, woraus auch das was Sie von ihrem herrlichen Ausdruck schrieben, vortreflich bestätiget wird. Da können wir ja wohl mit Grunde – auch für die Moralität – sehr glüklichen Zeiten entgegen sehen. Und wie es scheint, wird auch wohl der Einfluß der Herren Hermes Hillmer auf die Censur nicht mehr fürchterlich seyn. Freilich glaube ich hatten wir Reformirten wohl immer noch am wenigsten von ihnen zu besorgen und ich bin sicher, daß Sie – wenn auch Herr Sack nicht dazwischen getreten wäre – sich wohl würden zu verantworten gewußt haben. Sehr lieb ist es mir, zu sehen, daß nun Ihre Uebersetzung doch bereits im Druck ist – wenn darauf Subscription oder Praenumeration angenomen werden sollte – so bitte meiner nicht zu vergessen“.35 Die Drucklegung der FawcettÜbersetzung dürfte also spätestens im November 1797 begonnen worden sein. Der die Publikation der Fawcett-Predigten erleichternde Wechsel in der Zensurbehörde fand am 11. März 1798 statt, als die Oberkonsistorialräte Hermann Daniel Hermes und Gottlob Friedrich Hillmer zusammen mit dem Minister Johann Christoph von Wöllner aus ihrem Amt verabschiedet wurden. Dieser Wechsel verzögerte wohl aber auch die Fertigstellung von Sacks Vorrede im ersten Band der Predigtsammlung, die Sack am Ende seines Vorberichts im Einzeldruck angekündigt hatte. Stubenrauch, der von den Zensurveränderungen noch nichts erfahren hatte, fragte am 14. März 1798 brieflich an: „Können Sie mir nicht etwas umständlicher wissen laßen, was das für eine Untersuchung in welcher die beyden Hermes Hillmer begriffen? Daß Sie wegen der Vo r r e d e sich jetzt in einer so unangenehmen Verlegenheit befinden, bedaure ich sehr.“36 Die Drucklegung der Fawcett-Übersetzung war offenbar gut vorangekommen; es fehlte im März aber noch Sacks angekündigte „Vorrede“; diese ist auf den 14. April 1798 da35 36

KGA V/2, Nr. 426, Z. 8–23 KGA V/2, Nr. 461, Z. 88–91

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tiert. Die Drucklegung dürfte im April 1798 abgeschlossen worden sein. Die zweibändige Fawcett-Übersetzung wurde als zur Ostermesse 1798 erschienen angezeigt.37 Schleiermacher beklagte am 23. Mai 1798 gegenüber seiner Schwester Charlotte im Rückblick auf die letzten Monate „die höchst unangenehme mechanische Beschäftigung des Corrigirens bei dem Druk der Predigten die ich aus dem englischen übersezt habe“38 und gab ihr im selben Brief am 16. Juni 1798 folgende Einschätzung der Fawcett-Predigten: „Wäre der Weg nicht so weit und die Post nicht so theuer, und meine Verlegerin zu Hause so hätte ich Dir mit dem Briefe ein Exemplar von den englischen Predigten geschikt, die ich ins Deutsche übersezt habe und die nun endlich erschienen sind. Sie würden Dir zwar schwerlich sehr gefallen als Predigten wol gar nicht, als schöne Reden vielleicht, als ein Werk meines Fleißes und als eine Probe wieviel Mühe ich mir mit so etwas geben kann würden sie Dir aber doch wol interessant seyn. Mir haben sie – sonst würde ich sie gewiß nicht übersezt haben – sehr behagt, nicht nur als Produkte eines originellen Kopfs und als Meisterstüke einer gewißen Art von Beredtsamkeit, sondern mehr noch als Beweise wieviel man leisten, und um wie viel eindringlicher und gewichtiger man reden kann wenn man vor einer gleichartigen nicht allzu gemischten Versamlung redet, und gewiß weiß, daß jeder der da ist gewiß nur deswegen da ist weil er an der Sache Geschmak findet, und von den persönlichen Vorzügen des vortragenden überzeugt ist.“39 Für die persönliche Wertschätzung steht Stubenrauch, der sich am 7. Juli 1798 brieflich für die Fawcett-Bände bedankte: „... Ihnen jetzt nur sagen, daß Sie mir durch die übersandten Fawcettschen Predigten manche durch lehrreiche Unterhaltung sehr angenehme Stunde verschafft haben, wofür ich Ihnen recht sehr verbunden bin“40. Die öffentliche Wertschätzung wurde durch die werbende Anzeige in der Zeitung „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ (Haude- und Spenersche Zeitung) am Samstag 14. Juli 1798 sicherlich befördert: 37

38 39 40

Vgl. Wichmann von Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, SchleiermacherArchiv, Bd. 9, Berlin/New York 1992, S. 22, Nr. 1798/2 und 1798/3 KGA V/2, Nr. 473, Z. 71–72 KGA V/2, Nr. 473, Z. 405–420 KGA V/2, Nr. 479, Z. 35–37

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Einleitung der Bandherausgeber

„J o s e p h F aw c e t t s P r e d i gt e n . Aus dem Englischen übersetzt von Fr. S c h l e i e r mac h e r ; mit einer Vorrede von F. S. S a ck. 2 Bände, gr. 8. Berlin, bei Mylius. 1798. Diese Predigten, welche in ihrem Vaterlande als ein Meisterwerk der Beredsamkeit aufgenommen worden, verdienen gewiß auch unter uns gekannt und bewundert zu sein. Sie sind dort vor einer Versammlung aus den gebildeteren Mittelständen gehalten worden, und werden auch vorzüglich in Deutschland denen willkommen sein, welche reine Sittlichkeit und eine von allen Vorurtheilen freie Religiosität zu schätzen wissen, und bei welchen auch der Schmuck einer kühnen und blühenden Beredsamkeit nicht verlohren ist. Der geschmackvolle, durch ähnliche Arbeiten schon rühmlich bekannte Uebersetzer hat auch diese äußeren Vorzüge in unserer Muttersprache auf eine Art wiedergegeben, die selbst die Kenner des Originals befriedigen wird. Die größere Ausführlichkeit dieser Vorträge, welche ein deutscher Kanzelredner freilich nicht nachahmen darf, wird denselben für den Gebrauch des L e s e r s , dessen Herz immer gleichmäßig bewegt und beschäftigt bleibt, nur einen neuen Werth geben. Belehrende Winke über diesen Gegenstand gibt der verehrungswürdige Vorredner. | (Kostet in der Haude- und Spenerschen Buchhandlung 1 Thlr. 20 Gr.)“41 Für Schleiermachers Eintritt in die literarische Welt hatte seine namentlich ausgewiesene Übersetzung der Fawcett-Predigten eine große Bedeutung. Schleiermachers erste eigene im April 1799 publizierte Predigt „Die Gerechtigkeit ist die unentbehrliche Grundlage des allgemeinen Wohlergehens“42 bedurfte, da sie in dem anspruchsvollen Sammelband „Auswahl noch ungedruckter Predigten von Ammon, Bartels, Diterich, Löffler, Marezoll, Sack, Schleiermacher, Spalding, Teller, Zöllner, Zollikofer“ im Verlag der Berliner Myliusschen Buchhandlung erschien, einer besonderen Empfehlung. Dem diente die lobende Erwähnung der Fawcett-Übersetzung Schleiermachers. Seine Aufnahme in den Kreis berühmter protestantischer Kanzelredner wird in dem wohl von Philipp Karl Buttmann verfassten Vorbericht dadurch gerechtfertigt, Schleiermacher sei durch seine „von dem Herrn Hofprediger Sack empfohlene Uebersetzung der Predigten von J. Fawcett rühmlichst bekannt, und in Berlin wegen seiner Talente und Einsichten so geschätzt, daß er auch in einer solchen Gesellschaft, von 41 42

Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1798, Nr. 84, [S. 5–6] Vgl. KGA III/3, S. 591–606

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ihr selbst wie vom Publikum, nicht ungern wird gesehen werden.“43 Buttmann hat wohl auch die Anzeige verfasst, die am 17. April 1799 in der „Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“ erschien; auch hier wird Schleiermacher als einziger namentlich besprochen und durch die Fawcett-Übersetzung belobigt.44 Eine sehr lobende Rezension der Fawcett-Übersetzung Schleiermachers erschien 1804 in den Ergänzungsblättern zur Allgemeinen Literatur-Zeitung: „Berlin, b. Mylius: J o s e p h F aw c e t t’s Predig t en. Aus dem Englischen übersetzt von F. Sc h l e i e r m ac h er, mit einer Vorrede von F. S . G . S a c k , Königl. Hofprediger, Oberconsistorial- und Kirchenrath. E r s t e r Theil. XXVIII u 365 S. Z w e y ter Theil. 360 S. 1798. 8. (1 Rthlr. 26 Gr.) Diese schätzbaren Predigten erschienen im Jahr 1795 zu London, wo sie von dem Vf. nicht vor einer besondern Gemeinde, sondern wie es dort zu geschehen pflegt, vor einer Versammlung denkender Freunde der Religion, in dazu bestimmten Stunden, gehalten wurden. Sie haben das verdiente Glück gehabt, in die Hände eines geschmackvollen und sachverständigen Uebersetzers, des Hn. Predigers S chleier m a | c h e r (jetzt in Stolpe) zu fallen, der sie so gut bearbeitet hat, daß man durch gar nichts an eine Uebersetzung erinnert wird. Die Vorrede des Hn. Hofpred. Sack erleichtert oder erschwert – wie man es nehmen will – dem Rec. sein Geschäft sehr. Er hat nämlich die Recensionen, welche die besten Englischen kritischen Blätter, der M o n t h l y - und A n al yt i c al R e vi e w über das Original lieferten, im Auszuge abdrucken lassen, und diesen sehr detaillirten und gegründeten Urtheilen auch das seinige noch hinzugefügt, so daß uns fast nichts übrig bleibt, als unsern Lesern zu referiren und das Gesagte zu bestätigen. 43

44

[Philipp Karl Buttmann:] Vorbericht, in: Auswahl noch ungedruckter Predigten von Ammon, Bartels, Diterich, Löffler, Marezoll, Sack, Schleiermacher, Spalding, Teller, Zöllner, Zollikofer, [ed. Philipp Karl Buttmann], [Zweittitel:] Predigten von protestantischen Gottesgelehrten, 7. Sammlung, Berlin 1799, S. II; vgl. KGA III/3, S. XX Vgl. [Philipp Karl Buttmann:] „Die auf dem Titel genannten Namen, welche größtentheils in ganz Deutschland bekannt, und wo sie bekannt, auch so geschätzt sind, machen alle Anpreisung überflüßig. Herr Schleiermacher, von welchem hier auch eine geistvolle Rede erscheint, ist derselbe, der durch seine treffliche Uebersetzung von Fawcett’s Predigten dem Publicum schon vortheilhaft bekannt, und der in Berlin als denkender Kopf und einnehmender Kanzelredner geschätzt ist.“ (Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1799, Nr. 62, [Sp. 9]; KGA III/3, S. XX–XXI)

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Einleitung der Bandherausgeber

Geistreichere geistliche Reden, als diese sind, haben wir wenige; eben darum setzen sie aber auch sehr denkende und aufmerksame Leser voraus. Zuweilen schien es uns jedoch, als wäre die Speculation recht absichtlich zu Hülfe genommen, um dem Verstande mehr, als dem Herzen, zu thun zu geben. Selbst sehr gewöhnliche Materien, wie z. B. die vo n d e r A l l ge ge n w ar t G ot tes, v on der m enschlic h e n G l ü c k s e l i gk e i t u. a. verrathen den einsichtsvollen und ansichtsreichen Mann, und grade an der Art, diese zu behandeln, erkennt man den geübten Redner und den denkenden und geschickten Prediger. – Sehr oft überschreitet er sogar die, dem Prediger, als solchem, a u c h vo r e i n e m ge b i l d e t e n A uditorio bestimmten Grenzen des Untersuchens und des Eindringens in seine Materie. Sein Vortrag verliert den Charakter einer Predigt, er wird Speculation und hört eben damit auf, allgemein verständlich, und auch dem, ihm na chdenkenden, aber von andern Principien ausgehenden Zuhörer, erba ul i c h zu seyn. So ist es dem Rec. wenigstens gleich beym Lesen der e r s t e n Predigt: v o n d e r U n s i t t l i c h keit , a ls Folg e des U nv ers t a n d e s , ergangen. So viel Wahres und Scharfsinniges sie auch enthält, so dachte er doch nicht, daß dieser Satz als Regel, wonach Unsittlichkeit ü b e r h au p t zu beurtheilen wäre, hier aufgestellt werden sollte. Er glaubte vielmehr, (das Thema leitet selbst darauf) es würde hier nur von der Unsittlichkeit, i n s o fern sie eine Folge des Unverstandes ist, die Rede seyn. Aber der Vf. behauptet grade zu, daß überall, wo wir Tugend finden, der Verstand die Quelle derselben sey, und daß überall, wo pflichtwidrig gehandelt wird, wiederum der Verstand die Schuld trage. Die englischen und die deutschen Beurtheiler haben diesen Predigten außer dem eine gewisse Amplification im Stil Schuld gegeben und ihrem Vf. damit kein Unrecht gethan. Es ist wahr, man folgt ihm auch dann ge r n , wenn er den Leser durch Umwege zum Ziele führt; aber die daraus entstehende allzu große Weitschweifigkeit ermüdet, und das zu Ueppige und Blumenreiche zerstreut und verwirrt. Dann und wann ist es ihm auch begegnet, daß er da, wo sich die Bilder in der Rede zu sehr häufen, nicht immer das edlere dem Edelsten anpaßt, z. B. S. 53. Th. I. ,d e r al l ge ge n w ä rtig e Zeug e durchscha ut j e d e n i n d i e s e m K r e i s e , u n d e r behorcht jede S ilbe der s c h w a r z e n B e r at h s c h l agu n ge n ; ‘ oder er verfehlt es | ganz, wie bey der Frage S. 114. ,i s t e i n K r au t w ohl heilsa m und zug leich a u c h g i f t i g? G i b t e s w o h l e i n Tier, w elches unschä dlich

I. Historische Einführung

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u n d z u g l e i c h au c h ge f äh r l i c h i s t . ‘ Allerdings! würde man ihm antworten können, und zugleich an das omne nimium nocet denken. Dergleichen kleine Verstöße gegen die Regeln der Rhetorik sind uns indeß nicht sehr häufig vorgekommen; mehrentheils sind die Bilder passend, die Sprache fließend, der Stil rein, und überall zeigt sich die lebhafte, kraftvolle Imagination des Vf. auf eine edle Art wirksam. Dem Excurse des Vorredners über P o pula rit ä t und H erzlichk e i t (welche beide Eigenschaften er ungern in einigen dieser Predigten vermißt) wünschen wir, besonders unter den Candidaten und angehenden Predigern, recht viele aufmerksame und beherzigende Leser. Das darin gesagte ist eben so richtig und klar gedacht, als gut und kräftig gesagt. – Sein Urtheil über die vorliegenden Predigten unterschreiben wir gern, und da es zur Empfehlung derselben dienen wird, so lassen wir die Hauptpunkte daraus folgen.“45 Die Rezension schließt damit, dass der letzte Absatz von Sacks Vorrede zitiert wird.46 Das Übersetzen englischer Predigten, insbesondere die Übersetzung der Fawcett-Predigten beförderte bei Schleiermacher die eigenen Überlegungen zur angemessenen sprachlichen und gedanklichen Gestaltung öffentlicher kirchlicher Rede unter den Anforderungen von Rhetorik, Poesie und Logik.47 Nur selten ist dieser Einfluss untersucht und dargestellt worden. Bei seiner Darstellung der theologischen Position Fawcetts geht Meier-Dörken von den Charakterisierungen aus, die Sack in seiner Vorrede zur Übersetzung gegeben hat.48 In einer Reihe ausführlicher Zitate aus den Fawcett-Predigten skizziert er dann die für die aufgeklärten Zeitgenossen so plausible Verbindung von Religion und praktischer Vernunft.

3. Mungo Park und seine Niger-Erkundung Mungo Park wurde am 11. September 1771 in Foulshiels, einer Schafsfarm in den Scottish Borders etwa fünf Kilometer westlich von 45

46 47 48

Rezension von Fawcett, Predigten. Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Schleiermacher, mit einer Vorrede von Friedrich Samuel Gottfried Sack, Bd. 1– 2, Berlin 1798, in: Allgemeine Literatur-Zeitung. Ergänzungsblätter. Revision der Literatur für die Jahre 1785–1800, Halle / Leipzig 1804, Bd. 1, Nr. 19, Sp. 149–151 Vgl. unten S. 433,20–39 Vgl. KGA I/2, S. 11, Gedanke Nr. 20 vom 29. September 1797 Vgl. Christoph Meier-Dörken: Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, Berlin 1988, S. 45–62, hier S. 47; Meier-Dörken unterscheidet nicht zwischen Sacks Darstellung und den von Sack mitgeteilten Rezensionszitaten.

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Einleitung der Bandherausgeber

Selkirk49, geboren. Er war das siebente von 13 Kindern. Sein Vater Mungo Park (wohl 1714–1793), war ein erfolgreicher und relativ wohlhabender Pachtbauer50 und Schafzüchter, seine Mutter Elspeth, geb. Hislop (1742–1817), ihrerseits die Tochter eines Pachtbauern. Mungo Park Senior war Presbyterianer in der Sezessionskirche der Burghers; diese war 1733 entstanden durch Trennung von der etablierten Church of Scotland aus Protest gegen das Patronatsprivileg bei der Pfarramtsbesetzung und gegen die Aufweichung der streng presbyterianischen Lehre. Die Secession Church spaltete sich 1747 in sogenannte Burgher und Anti-Burgher: die Burgher akzeptierten, dass bestimmte freie Bürger einen Eid auf die wahre Religion schworen, die Anti-Burgher waren strikt dagegen.51 Mungo Park Senior gehörte der gemäßigteren Richtung der Burghers an. Zur schulischen Bildung seiner Kinder stellte der Vater eine Zeit lang einen Privatlehrer an, der ihnen Lesen, Schreiben, Rechnen und etwas Latein beibrachte und sie in der Bibel unterwies. Der junge Mungo entdeckte damals auch die Gedichte und Balladen der Scottish Borders – eine Vorliebe, die sicher seine spätere Freundschaft mit dem gleichaltrigen Walter Scott (1771–1832) begünstigte. Nach einigen Jahren Privatunterricht besuchte Mungo das Gymnasium in Selkirk, wo er in den Fächern Englisch, Latein, Religion, Mathematik und auch etwas in Geographie unterrichtet wurde. Als Klassenbester stand er schon damals in dem Ruf, schüchtern, ernst, reserviert und lesewütig zu sein. Sein Vater wünschte ihn in einer klerikalen Laufbahn, doch der Sohn wollte Wundarzt werden und setzte sich durch. Mit 14 Jahren zog Mungo Park 1785 bei Dr. Thomas Anderson in dessen Haus in Selkirk ein, um als Lehrling vornehmlich die Behandlungsmaßnahmen Andersons zu beobachten und Kenntnisse in der Medikamentenkunde zu erwerben. Hier begegnete er auch der kleinen Tochter Allison, seiner späteren Ehefrau. Mit 17 Jahren immatrikulierte sich Mungo Park im Herbst 1788 an der Universität Edinburgh in der Medizinischen Fakultät, die damals dank ihres Lehrkörpers einen hervorragenden Ruf genoss. Besonders Joseph Black, Professor der Che49 50 51

Die Kleinstadt Selkirk hatte im Jahre 1800 knapp 2100 Einwohner, die größtenteils als Weber, Spinner, Gerber und Schuhmacher ihren Lebensunterhalt verdienten. Das Land gehörte Henry Scott, 3rd Duke of Buccleuch, einem der größten privaten Landbesitzer Schottlands. Vgl. John Henderson Seaforth Burleigh: A church history of Scotland, 4. Auflage, Edinburgh 1983, S. 323

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mie und Mitbegründer der Thermodynamik, und Alexander Monro secundus, Professor der Anatomie in der zweiten von drei Generationen zogen Mungo Park an. Sein eigentliches Interesse, die Botanik, war damals Teil des Medizinstudiums. 1792 verließ er die Universität ohne formellen Abschluss, was in Schottland nicht unüblich war. Vielleicht hatten ihn nach dem Tod des Vaters die Prüfungsgebühren abgeschreckt. Der Weg in die Berufstätigkeit eines Wundarztes wurde ihm von seinem Schwager James Dickson, einem Botaniker und Protegé von Sir Joseph Banks geebnet. Der Botaniker Banks, Mitreisender bei James Cooks erster Erdumsegelung (1768–1771) zur Beobachtung des Venustransits auf Tahiti, seit 1778 Präsident der Royal Society und seit 1788 Gründungsmitglied der African Association, wurde auch Mungo Parks Gönner. Durch dessen Empfehlung wurde Park Assistent des Schiffsarztes auf dem Ostindienschiff „Worcester“, das am 13. Februar 1793 von Gravesend zunächst nach Portsmouth segelte und dort wegen der französischen Kriegserklärung vom 1. Februar 1793 auf das Bilden eines Schiffskonvois warten musste. Am 5. April 1793 stach die „Worcester“ in See und erreichte am 22. August ihr Ziel, Bencoolen in Südwesten Sumatras. Ein halbes Jahr später, am 18. Februar 1794, legte sie wieder in Portsmouth an. Park übergab nach seiner Rückkehr zahlreiche Pflanzenproben und etwa 80 Aquarelle mit anatomischen Beschreibungen unbekannter Fische, die er auf der Reise erstellt hatte, an Banks. Dieser war davon so beeindruckt, dass er ihn gerne weiter fördern wollte. Die europäischen Länder hatten in oft konkurrierenden Unternehmungen durch planmäßige Entdeckungsreisen seit dem 15. Jahrhundert auf dem Atlantischen Ozean die afrikanische Westküste (beginnend mit der vom portugiesischen Infanten Heinrich dem Seefahrer gegründeten ersten Seefahrtsschule) erforscht und eine Kette von Handelsstützpunkten errichtet. Über die inneren Gebiete Afrikas gab es im 18. Jahrhundert trotz der gewachsenen Handelsbeziehungen nur sehr unklare Kenntnisse. Dem wollten wissenschaftliche Gesellschaften abhelfen. Die Afrikanische Gesellschaft (The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa), die am 9. Juni 1788 in London gegründet wurde zu dem ausdrücklichen Zweck, das Innere des afrikanischen Kontinents geographisch zu erforschen, wollte insbesondere auch den Verlauf des Niger möglichst samt Quelle und Mündung ermitteln, dazu Tombouctou (16° 46# N,

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3° 0# W; Timbuktu) und Hussa (der Name konnte damals für ein Reich, eine Region oder eine Stadt am Niger stehen) erkunden lassen.52 Die African Association verfolgte den neu gearteten Plan, nur jeweils einen Forscher mit leichtem Gepäck zu entsenden und ihn für die Dauer der Expedition zu bezahlen. Für die beiden ersten Afrikaforscher streckten die fünf Vorstandsmitglieder die nötigen Gelder aus eigener Tasche vor. Den ersten Forschungsauftrag übernahm noch im Juni 1788 Simon Lucas, Übersetzer für orientalische Sprachen bei der britischen Regierung, der jedoch von der tripolitanischen Mittelmeerküste aus nicht ins Landesinnere vordringen konnte und 1789 erfolglos nach England zurückkehrte. Der Amerikaner John Ledyard, ebenfalls 1788 von der Afrikanischen Gesellschaft engagiert, wollte von Ägypten aus nach Süden bis Nubien und von dort nach Westafrika reisen, da das Handelsinteresse hauptsächlich in den östlich von Tombouctou gelegenen Gebieten lag53 und der Niger manchmal als Nebenfluss des Nil vermutet wurde; Ledyard starb jedoch im Januar 1789 in Kairo. Dem Bericht „Proceedings of The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa“, in welchem Henry Beaufoy 1790 die Aktivitäten der Gesellschaft seit ihrer Gründung darstellte, war eine Afrika-Karte von James Rennell beigefügt. Bei ihrer Zeichnung stützte Rennell sich stark auf die Angaben, die er Herodotos und anderen Autoren der klassischen Antike entnommen hatte; deren einzige Angabe zu den Regionen südlich der Sahara war die Beschreibung eines großen Stroms, der von West nach Ost in den Nil floss. Die Gebiete westlich von Tombouctou waren auf der Karte weiß: weder Länder noch eine einzige Stadt waren markiert.54 Die Afrikanische Gesellschaft schickte sodann 1790 einen pensionierten britischen Offizier, den irischen Major Daniel Houghton, ins Innere Afrikas; dieser sollte, indem er am Fluss Gambia entlang nach Tombouctou gelangte, das Reich Hussa finden. Houghton kam, vermutlich im Jahr 1791, in der Sahelzone durch maurische Anfeindungen ums Leben. Anschließend beauftragte die Afrikanische Gesellschaft 1794 den aus Sumatra zurückgekehrten jungen schottischen 52 53

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Vgl. unten S. 863,34–864,4 Vgl. Kenneth Lupton: Mungo Park the African traveler, Oxford 1979, S. 27–28; Luptons umfängliche Biographie wurde verdeutscht von Wolfdietrich Müller unter dem Titel: Mungo Park 1771–1806. Ein Leben für Afrika, Wiesbaden 1980. Die Karte, die Rennell für den Bericht über Parks Reise 1798 erstellte, ist wesentlich von dieser ersten verschieden.

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Wundarzt Mungo Park mit der Erkundungsreise zum Niger. In seinem Vorstellungsgespräch hatte Park durch seinen Umgang mit einem Quadranten und mit seinen naturwissenschaftlichen und geographischen Kenntnissen überzeugt. Letztere würden ihm zugute kommen, wenn er vom Gambia-Strom ostwärts nach Tombouctou reisen sollte; die Strecke betrug etwa 1600 Kilometer. Die Tatsache, dass er keinerlei Afrikaerfahrung hatte und auch sprachlich völlig unvorbereitet war, fiel nicht ins Gewicht. Die zweieinhalbjährige Reise führte Park von England auf dem Seeweg zum Gambia-Strom, weiter auf dem Landweg zum NigerStrom, diesem von Segou zunächst ostwärts folgend bis Silla, von dort am Niger westwärts bis Bamako, von dort zurück zum GambiaStrom und schließlich auf dem Seeweg über die Karibik nach England. Parks Ausrüstung umfasste lediglich Kleider zum Wechseln, Mantel, Decke, Taschensextant, zwei Kompasse, Thermometer, Regenschirm und zwei Gewehre. Seine Reisenotizen bewahrte Park in einer Biberpelzmütze auf, die das einzige originale Kleidungsstück war, mit dem er von seiner Erkundungsreise zurückkehrte. Parks Reise auf dem Schiff „Endeavour“ begann am 22. Mai 1795 in Portsmouth; durch den Mündungstrichter des Gambia (13° 28# N, 16° 34# W) erreichte er am 21. Juni 1795 am nördlichen Gambia-Ufer im Königreich Barra den Hafen Dschillifrih (heute Juffureh, 13° 20# 19$ N, 16°22# 57$ W) gegenüber James Island; er reiste auf dem Fluss weiter aufwärts bis nach Jonkakonda. Von dort gelangte Park auf dem Landweg am 5. Juli 1795 zum britischen Handelsstützpunkt Pisania55 am Gambia, wo der Händler und Arzt Dr. John Laidley als Verbindungsmann der African Association ihn aufnahm. In dessen Haus traf Park alle weiteren Vorbereitungen für die Forschungsreise, vor allem das Erlernen der Mandingo-Sprache. Nach der Regenzeit brach Park am 2. Dezember 1795 von Pisania mit einem Dolmetscher und einem jungen Diener Richtung Osten auf. Die Landreise verlief wegen kriegerischer Ereignisse, denen er auszuweichen strebte, die ihn aber mehrfach in freiheitsbedrohende und lebensgefährliche Situationen brachten und ihn aller seiner Ausrüstungsstücke sowie seiner Hilfs- und Tauschmittel beraubten, nicht 55

Der Stützpunkt, nur von Dr. Laidley, Robert Ainsley und dessen Bruder bewohnt und dem Sklavenhandel dienend, war schon 1818 eine Ruine (vgl. Kenneth Lupton: Mungo Park the African traveler, S. 42). Seit 1930 ist Pisania durch einen Obelisken bei Karantaba Tenda markiert.

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planmäßig zum intendierten Ziel. Park durchquerte nördlich des Gambia von Westen nach Osten mehrere Königreiche, überquerte am 21. Dezember den Falémé (Nebenfluss des Senegal), dann am 28. Dezember 1795 den Senegal in Kayi (heute Kayes, 14° 27# N, 11° 26# W) zum rechten (östlichen) Ufer, das zum Königreich Khasso gehörte, reiste gegen den Rat des Königs von Kaarta, um kriegerischen Wirrnissen auszuweichen, weiter ins maurische Königreich Ludamar, wurde dort am 6. März 1796 gewaltsam an der Weiterreise gehindert und zur herrscherlichen Residenz, einer Zeltstadt, an den Rand der Sahara gebracht. Wurde die Residenz verlegt, so musste er jeweils mitziehen. Am 2. Juli 1796 floh Park aus der Gefangenschaft der Mauren, die ihn auch weiterhin verschiedentlich bedrohten, und nahm seinen Weg Richtung Ost-Südost. Er sah den Niger (Joliba, das große Wasser) erstmals am 20. Juli 1796 in Segou (13° 25# 51$ N, 6° 12# 54$ W), der Hauptstadt des Königreichs Bambara, und fand damit die Bestätigung, dass der Niger von Westen nach Osten fließt. Park wurde hier von König Mansong nicht empfangen, sondern unter Spionageverdacht beargwöhnt. Er setzte seine Reise eigenwillig flussabwärts bis zum Ort Silla fort, östlich von Sansanding (13° 43# 36$ N, 6° 0# 21$ W) und westlich von Djenné (13° 54# 19$ N, 4° 33# 20$ W), kehrte dann aber wegen der großen drohenden Gefahren am 30. Juli 1796 seine Reiserichtung um und folgte dem Niger flussaufwärts, Segou umgehend, bis Bamako (12° 40# 00$ N, 7° 59# 00$ W), wo er am 23. August 1796 eintraf. Hier entschied er sich, den Niger zu verlassen und sich auf der südlichen Route der Sklavenkarawanen direkt zurück zum Gambia zu wenden. In Kamalia, wo er am 16. September 1796 ankam, legte Park wegen Krankheit und Regenzeit eine siebenmonatige Reisepause ein. Am 19. April 1797 brach Park wieder auf und zog als Begleiter einer Sklavenkarawane weiter westwärts. Zunächst wurde die JalonkaWildnis (Fouta Djallon) durchwandert, am 28. April 1797 der Bafing (der schwarze Fluss, längster Quellfluss des Senegal) und am 12. Mai der Falémé (großer Nebenfluss des Senegal) überquert. Ende Mai kam Park in das Gebiet des Gambia, war am 4. Juni in Medina, dem Hauptort von Wuli, den Park auf seiner Hinreise im Dezember 1795 besucht hatte, und erreichte am 10. Juni 1797 seinen Ausgangspunkt Pisania. Am 17. Juni 1797 begann seine Rückreise auf dem Seeweg in Kaye auf einem amerikanischen Sklaventransportschiff, zunächst

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den Gambia abwärts zur kleinen Insel Gorée vor der senegalesischen Küste (14° 40# 1$ N, 17° 23# 55$ W) nahe Dakar, weiter Anfang Oktober mit 130 Sklaven auf diesem während der Überfahrt leck schlagenden Schiff über den Atlantik zur Karibikinsel Antigua, deren Hafen St. John am 14. November 1797 gerade noch erreicht wurde, und von dort am 24. November mit dem Paketschiff „Chesterfield“ nach England, wo Park am 22. Dezember 1797 in Falmouth anlandete und nach London weiterfuhr. Park wollte seinen Reisebericht pünktlich für die Jahresversammlung der African Association am 26. Mai 1798 verfassen. Da seine Zeit jedoch durch gesellschaftliche Ehrungen in Anspruch genommen wurde und er keine Erfahrung als Autor hatte, sprang Bryan Edwards, der Sekretär der Gesellschaft, ein, der aufgrund von Parks Aufzeichnungen eine Kurzversion des Reiseberichts aufschrieb; James Rennell besorgte den geographischen Teil. Am 31. März 1798 stimmte der Ausschuss der Afrikanischen Gesellschaft der Drucklegung des Reiseberichts zu. Er erschien unter dem Titel „Proceedings of The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa; containing an abstract of Mr. Park’s account of his travels and discoveries, abridged from his own minutes by Bryan Edwards; also, geographical illustrations of Mr. Park’s journey, and of North Africa at large, by Major Rennell“. In seinen geographischen Erläuterungen, die dem Kurzbericht angefügt sind, nimmt James Rennell die genauere Identifizierung und Plausibilisierung der Angaben Parks zu seiner Reiseroute vor. Die von ihm aktualisierte Landkarte zeigt zum ersten Mal das korrekte Verhältnis der Flüsse Gambia und Senegal, sowie den Verlauf des Niger bis Tombouctou; laut Rennell endete der Niger weiter östlich in einem großen Sumpfgebiet. Zu diesem Kurzbericht erschien verzögert im August 1799 in der Zeitschrift „The gentleman’s magazine“ eine Rezension, die ausgewogen urteilen will. Die Rezension beginnt: „The tract of land in which Mr. P. pursued his laborious journey is not very extensive; it is bounded by the parallels of latitude 12° 20# N. and 15° 10# N. and the meridians 16° 30# and 1° 30# West longitude; the most distant point that he arrived at from the Western sea is nearly 1100 English miles from Cape Verd. If we compare the magnitude of this tract of land with that of the whole continent, our expectations may be disappointed; but, as here are the bounds of Moorish ferocity and Mahometan superstition, as well as of the knowledge which the antients possessed

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of Africa, the travels, considered with a view either to the state of manners in half-uncultivated minds, or to a better idea of the knowledge of the antients than some are inclined to entertain of it, are highly interesting.“56 Die Rezension gibt einen Überblick zu Verlauf und Ergebnissen der Forschungsreise und schließt mit einem alternativen Erkundungsvorschlag. Eine 1798 von Sir Joseph Banks vorgeschlagene neue Forschungsreise, mit Matthew Flinders den australischen Kontinent zu erforschen, lehnte Park wohl wegen unausgesprochener Herzensgründe ab. Anfang Juni 1798, vier Jahre nach seiner Abreise, kehrte Mungo Park nach Schottland zurück. Vier Monate später verlobte er sich mit Allison Anderson, der Tochter seines ehemaligen Lehrmeisters als Wundarzt. Die Hochzeit fand am 2. August 1799 statt.57 Anfang April 1799 erschien der von Park nun selbst verfasste Reisebericht bei George Nicol in London mit einer Auflage von 1500 Exemplaren unter dem Titel „Travels in the interior districts of Africa performed under the direction and patronage of the African Association, in the years 1795, 1796, and 1797. With an appendix, containing geographical illustrations of Africa by Major Rennell“. Die Urheberrechte wurden Park übertragen. Für diese erste Ausgabe hatten sich 400 Subskribenten gefunden, und die 1500 gedruckten Exemplare waren bereits vor Ende April 1799 ausverkauft. Noch im selben Jahr 1799 folgten zwei weitere Ausgaben und eine gekürzte Version, außerdem eine französische und zwei deutsche Übersetzungen. 1800 erschien die vierte englische und die erste amerikanische Ausgabe, sowie Übersetzungen ins Dänische und Schwedische, 1801–1802 gefolgt von einer zweibändigen niederländischen. Die fünfte englische Ausgabe erschien 1807, die sechste 1810. Mungo Parks Reisebericht wurde ein Bestseller: er bot „the first realistic, detailed, and objective description for other parts of the world, of everyday life in the interior of West Africa.“58 Zu Parks Reisebericht brachte die Zeitschrift „St. James chronicle“ bereits am 18. April 1799 einen knappen Hinweis, der besonders auf die von Park geschilderten arabischen Sprachkenntnisse in Afrika 56 57 58

The gentleman’s magazine and historical chronicle, Bd. 69, Teil 2, London August 1799, S. 680–681, hier S. 680 Vgl. Erklärung und Heiratseintrag vom 20. July 1799 im Gemeindebuch von Selkirk, National Records of Scotland, OPR778/4, S. 38 Lupton: Mungo Park the African traveler, S. 113

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Bezug nimmt: „Mr. Park, the Traveller, has made many interesting discoveries in the interior of Africa; among other things he found, that the Negroes, so far from being universally ignorant, as we supposed them to be, were many of them ardent students of the Arabick language, and had among them copies of the Five Books of Moses and of the Psalms of David, in the Arabick tongue. Mr. Park, to his great astonishment and concern, recognised in a slave ship a Negro, who was respected by his countrymen as a man of learning, and at whose house he had been entertained when in the interior of Africa. In consequence of a discovery so interesting to humanity, the learned and amiable Bishop of Durham proposed, at the last meeting of the Society f o r p r o mo t i n g C h r i s t i an k n ow ledg e in Foreig n P a r t s , to have a number of copies of an Arabick translation of the New Testament printed, for the purpose of being distributed in Africa for the benefit of the Negroes. We conclude that this proposal was adopted.“59 Eine ausführliche Rezension erschien Ende 1799 in dem Jahrbuch „The annual register“.60 Gleich zu Beginn stellt der Rezensent im ersten Absatz Parks Bericht in das warme Licht großen Lobs: „An authentic account of Travels in countries, hitherto little explored, is seized with avidity by almost every one who reads at all. There are always rocks for the geologist, plants for the botanist, and new facts for the geographer; a mixture of the unknown and the marvellous which finds an echo in every bosom, and too commonly, a large portion of actual personal suffering and danger, which is of all subjects that which is productive of at once the most painful and fascinating interest. Difficult, indeed, would it be to produce a work more deeply imbued with the latter species of attraction, than the one at present under review. No one can follow Mr. Park over the pathless deserts which he traversed, or behold him during his melancholy captivity, suffering under every variety of insult and deprivation, without sentiments of the highest admiration and the deepest sympathy: here are no artfully wrought descriptions, not a sentence that can be suspected of exaggeration, nor an attempt to over-rate either his undertaking or its success; the tale is simple, the sufferings are real, and the effect 59 60

St. James chronicle, or The British evening post, Ausgabe 6448, London 16.– 18. April 1799, S. 4. Der Vorschlag wurde nicht in die Tat umgesetzt. Vgl. The annual register, or A view of the history, politics, and literature, for the year 1799, London 1799, S. 594–604 (jede Seite doppelspaltig gedruckt)

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produced far exceeds any thing that the most distinguished Romance writer has ever achieved.“61 Die Rezension berichtet nacherzählend über die Reise, indem immer wieder lange Zitate gegeben werden. Der letzte Absatz der Rezension fasst zusammen: „We take our leave of Mr. Park with sentiments of the highest admiration for his unwearied patience, his extraordinary fortitude, and his unaffected piety. Although, strictly speaking, he has explored but a small part of the vast Continent of Africa, yet when we consider the obstacles which opposed, and the perils which encompassed him, in his progress through a barbarous land from which no enlightened traveller has ever yet returned, far from wondering that he has not done more, our surprise is every moment excited that he should have achieved so much – his mission, though not wholly successful, has been productive of highly interesting results, and will always furnish experience of the greatest utility to the future traveller, and we believe we may venture to assert, that the geography of these dark and unknown regions has received more important additions from the researches of Mr. Park, than have accrued to it since the days of the Father of History.“62 Park wäre gerne schon 1800 zu einer zweiten Niger-Erkundungsreise aufgebrochen. Doch die Realisierung dieses Plans verzögerte sich. Die Eheleute Mungo und Allison Park zogen zunächst bei Parks Mutter und zwei seiner Geschwister in Foulshiels ein. Park wurde zahlendes Mitglied der Church of Scotland. Er bestand die medizinische Prüfung, die ihn zur Mitgliedschaft des Royal College of Surgeons in London qualifizierte; damit erwarb er sich die Lizenz zur eigenen Niederlassung als Wundarzt. Im September 1801 gründete er eine eigene Praxis in Peebles in den Scottish Borders, wohin er im Oktober mit seiner Familie umzog. Die Arbeit als Landarzt war anstrengend und nicht eben lukrativ, und Park war zu einem beruflichen Wechsel immer bereit. Im Oktober 1803 erhielt er einen Brief von Sir Joseph Banks, der ihn aufforderte, nach London zu kommen: der Kriegsminister Lord Hobart (1760–1816) wollte Park zurück nach Afrika senden, um die Mündung des Niger zu finden. Doch wegen eines Regierungswechsels im Mai 1804 zogen sich die Verhandlungen hin. In der Zwischenzeit lernte Park von einem marokkanischen 61 62

The annual register 1799, S. 594 The annual register 1799, S. 604. Mit „Father of History” ist der griechische Geschichtsschreiber Herodotos (etwa 484–425 v. Chr.) gemeint.

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Übersetzer Arabisch. Beim neuen Kriegsminister Lord Camden (1759–1840) bewarb Park sich Anfang Oktober 1804 mit einer Denkschrift, in welcher er auch politische Motive benannte. Park erhielt am 2. Januar 1805 den förmlichen Regierungsauftrag zur Erkundungsreise unter seiner Leitung als frisch ernannter Hauptmann: er solle nach Gorée segeln, dort Soldaten der Garnison rekrutieren, den Niger erreichen und diesem so weit folgen, wie der Flusslauf es zuließe.63 Die Dokumente zu dieser Reise sind 1815 publiziert worden; der anonyme Herausgeber John Whishaw hat dem Ministerialbericht Parks „The journal of a mission to the interior of Africa in the year 1805“ vorangestellt die einleitende biographische Skizze „Account of the life of Park“ mit angehängten amtlichen und privaten Dokumenten zur Vorgeschichte der Reise; ergänzend sind auch die Berichte der beiden einheimischen Begleiter Isaaco und Amadi Fatouma mitgeteilt.64 Von Beginn an verlief die Reise schleppender als geplant. Diese Verzögerungen hatten verderbliche Wirkungen. Am 31. Januar 1805 stach Park mit seiner Begleitung in Portsmouth in See, kam am 28. März 1805 in Gorée an und ging am 15. April in Kaiai am Gambia an Land. Begleitet von einer kleinen Gruppe um den einheimischen Händler Isaaco machten sich 45 Europäer auf den Weg. Wegen der Anfang Juni einsetzenden Regenzeit erreichte die Karawane erst Mitte August 1805 den Niger nahe Bamako und hatte da bereits etwa zwei Drittel der Expeditionsmitglieder (31 Personen) durch tödliche Krankheiten, durch wilde Tiere und durch Ertrinken verloren. In Sansanding machte die Expedition ab 26. September für fast zwei Monate Station. Park ließ hier ein für Stromschnellen tüchtiges flaches Boot bauen; sein Schwager und Freund Alexander Anderson starb an der Ruhr; Briefe und Ministerialbericht übergab Park dem zum Gambia zurückreisenden Begleiter Isaaco; dies sind Parks letzte erhaltene Mitteilungen. In seinem Boot fuhr Park ab 20. November, begleitet von Amadi Fatouma und zwei oder drei Soldaten, auf dem Niger weiter abwärts. Park vermied möglichst jeden Kontakt zu den Einheimischen und besuchte vermutlich die nicht direkt am Fluss gelegene Stadt 63 64

Vgl. Christopher Fyfe: Park, Mungo, in: Oxford dictionary of national biography, Bd. 42, Oxford 2004, S. 639 Vgl. Mungo Park: The journal of a mission to the interior of Africa in the year 1805; together with other documents, official and private, relating to the same mission. To which is prefixed an account of the life of Mr. Park, [ed. John Whishaw], London 1815

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Tombouctou nicht, wohl aus Furcht vor den Mauren. Nachdem Amadi Fatouma im Emirat Yauri (im heutigen Nigeria) von Bord gegangen war, nahm Park keinen neuen einheimischen Begleiter auf. Die ab 1810 angestellten Nachforschungen machen es wahrscheinlich, dass Park zusammen mit den verbliebenen zwei oder drei Männern bei Bussa (im Nordwesten Nigerias) im Januar/Februar 1806 den Tod fand, entweder in einem Feuergefecht oder durch Ertrinken. Mungo Park hinterließ seine Frau Allison mit vier Kindern, von denen er das jüngste nie gesehen hatte. Seine Witwe starb 1840, sein zweiter Sohn Thomas 1827 an Guineas Küste, als er seinen Vater finden wollte. Dass der Niger in einem Delta in den Golf von Guinea mündet, wurde erst 1830 durch Richard und John Lander geklärt. Die Stadt Bussa am Niger (10° 11# N, 4° 32# O) samt Stromschnellen ist seit 1968 im neu erbauten Kainji-Stausee versunken.

4. Schleiermachers Mitwirkung an der Park-Übersetzung Die Übersetzung des Reiseberichts „Reisen im Innern von Afrika“ von Mungo Park ist im Oktavformat gedruckt und umfasst ein Frontispiz mit dem Bildnis des Verfassers, acht römisch gezählte Seiten Vorspann (Titelblatt, Vorrede von Mungo Park, Nachschrift der Verleger) sowie 325 arabisch gezählte Seiten Reisebericht, danach auf der unpaginierten Seite 326 eine Liste „Druckfehler“ mit 16 Berichtigungen und auf der unpaginierten Seite 327 eine Liste zur Positionierung der insgesamt sechs Kupferstiche (Nr. 1 gegenüber der Titelseite, Nr. 2 gegenüber Seite 85, Nr. 3 gegenüber Seite 106, Nr. 4 gegenüber Seite 226, Nr. 5 gegenüber Seite 302, Nr. 6 gegenüber Seite 315). Der Satzspiegel ohne Seitenzählung und Seitenkustos beträgt 8,3 cm Breite und 15,4 cm Höhe mit durchschnittlich 36 Zeilen; die Vorrede hat 24 Zeilen bei 15,2 cm Satzhöhe. Die Übersetzung bietet zwei Fußnoten zur Vorrede und 28 Fußnoten zum Reisebericht, die englische Vorlage eine Fußnote zur Vorrede und 24 Fußnoten zum Reisebericht. Ein inhaltlicher Vergleich der deutschen und englischen Textversion ergibt, dass elf deutsche Fußnoten neu hinzugefügt sind und keinen Anhalt am englischen Originaldruck haben; drei dieser elf Fußnoten sind mit einem Quellenkürzel versehen. Umgekehrt sind in der deutschen Übersetzung sechs englische Fußnoten ausgelassen und weitere zwei deutlich gekürzt. Insbesondere bei Querverweisen im

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Reisebericht gibt es markante Bestandsabweichungen; darin dürfte sich der organisatorisch schwierige Entstehungsprozess der deutschen Übersetzung bemerkbar machen. Die Frage, in welchem Umfang und in welcher Art Schleiermacher an der Übersetzung von Mungo Parks Reisebericht mitgewirkt hat, lässt sich nicht trennscharf und eindeutig beantworten. Zwar sind einige Briefzeugnisse aus der Zeit erhalten, in der das Übersetzungsprojekt seinen Anfang nahm. Schleiermacher war nämlich vom 14. Februar bis 14. Mai 1799 in Potsdam, um als interimistischer Stellvertreter die Dienstgeschäfte für Sacks Schwager, den Hof- und Garnisonprediger Johann Peter Bamberger (1722–1804) zu führen, der wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand treten wollte und dessen Nachfolge nicht so schnell geregelt werden konnte.65 In dieser Zeit musste Schleiermacher die Verbindung zu seinem persönlichen Berliner Bekannten- und Freundeskreis überwiegend brieflich aufrecht erhalten. Doch sind diese Briefzeugnisse fragmentarisch und nicht ohne Tücken. Insbesondere fehlen aber Zeugnisse für die Zeitspanne nach dem 14. Mai 1799 fast völlig. Da kein Kalendarium vorliegt, lassen sich die erfolgten persönlichen Begegnungen in Berlin nicht ermitteln und profilieren. Schleiermacher hatte den Berliner Verleger Johann Carl Philipp Spener (1749–1827) wohl kurz vor Beginn der Potsdamer Vertretungszeit kennen gelernt.66 Vermutlich hatte Spener bei Schleiermacher, auf den er durch dessen Fawcett-Übersetzung aufmerksam geworden war, angefragt, ob er die Übersetzung der englischen Publikation „An account of the English colony in New South Wales“ von David Collins für eine Publikation in der von Spener verlegten Reihe „Historisch-genealogischer Calender oder Jahrbuch der merkwürdigsten neuen Welt-Begebenheiten“ übernehmen wolle.67 Nach dem Abschluss seiner Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ am 15. April 1799 trat für Schleiermacher das Kalenderprojekt in den Vordergrund.68 Schleiermacher beschäftigte sich intensiv mit diesem Publikationsprojekt, das er in den Jahren 1799–1802 zu einer großen Darstellung der Siedlungsgeschichte Neuhollands (Australiens) auszuarbeiten unternahm.69 65 66 67 68 69

Vgl. Aktenstücke zu Schleiermachers zeitweiliger Versetzung nach Potsdam 1799, KGA V/3, S. XLII–LXV Vgl. KGA V/3, Nr. 565, Z. 9 Vgl. KGA V/3, Nr. 561 Vgl. KGA V/3, Nr. 634, Z. 15–17 Vgl. KGA I/3, S. LXXXII–XCIII

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Am 1. März in Zehlendorf übergab Spener an Schleiermacher Materialien zu Collins und Neuholland.70 Nach diesem Treffen äußerte Schleiermacher gegenüber Henriette Herz die Hoffnung, seine „Bekanntschaft mit Spener soll übrigens wol zu Übersetzungen helfen“71. Während Schleiermacher selbst ja schon durch das CollinsProjekt im Bereich der Reiseberichte aktiv war, sah er in Spener auch für Henriette Herz die Brücke zu Übersetzungsprojekten. Diese Hoffnung ging sechs Wochen später in Erfüllung, allerdings etwas holprig. Da Henriette Herz ihre eigenen Briefe an Schleiermachers sämtlich vernichtet und in den von ihr selbst hergestellten Auszügen aus Schleiermachers Briefen an sie72 die Übersetzungsprojekte nicht vorkommen, muss der Ablauf der Ereignisse allein aus Schleiermachers Briefen an Spener ermittelt werden, denn Speners Briefe an Schleiermacher sind nicht mehr vorhanden73. Spener fragte etwa am 16. April bei Sack an, ob er jemanden für eine Übersetzung aus dem Englischen wisse. Sack leitete diese Anfrage an Schleiermacher weiter. Am Freitag 19. April informierte Schleiermacher Spener darüber, dass er ihm einen Ungenannten (Henriette Herz) für die anstehende Aufgabe vermitteln könne. „Ich habe schon seit einiger Zeit von einem Freunde den Auftrag wenn mir so etwas käme ihn in Vorschlag zu bringen. Seinen Namen zu geben habe ich keinen Auftrag, sondern vielmehr den bestimmtesten es nicht zu thun; genügt Ihnen aber die Versicherung, daß er mehr englisch weiß als ich, daß er es sogar sehr fertig und richtig schreibt, daß er das Deutsche in seiner Gewalt hat, und daß ich seine Arbeit unbedingt überall wie die meinige vertreten will: so laßen Sie mich den Gegenstand und Ihre Bedingungen wißen“.74 Zu diesem Zeitpunkt hatte Spener aber bereits, wohl parallel zu Sack, auch Ludwig Tieck angesprochen und dann ihn mit der Übersetzung beauftragt. Diese Sachlage dürfte Spener bei ihrem persönlichen Gespräch in Berlin etwa am Mittwoch 24. April Schleiermacher mitgeteilt haben. Vermutlich sprach Spener den Gegenstand der Übersetzungsaufgabe, nämlich Mungo Parks Reisebericht, und die getroffene Verabredung mit Tieck an. Damit schien Schleiermachers Initiative, Henriette Herz einen Übersetzungsauftrag zu verschaffen, erst einmal erledigt. 70 71 72 73 74

Vgl. KGA V/3, Nr. 572, Z. 38–55 KGA V/3, Nr. 572, Z. 55–56 Vgl. KGA V/2, S. XXXII und V/3, S. LXXXIV Vgl. KGA V/3, S. CVII KGA V/3, Nr. 634, Z. 6–14

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Doch die Sachlage änderte sich schnell. Bald nach dem Treffen (wohl am 26. oder 27. April) schrieb Spener an Schleiermacher in einem zu erschließenden Brief, Tieck habe in zehn Tagen bisher nichts geliefert75, deshalb könne er die Unterstützung des Ungenannten (Henriette Herz), weil die Publikation ja sehr bald erfolgen müsse, wohl gut gebrauchen. Diese neue Konstellation veranlasste Schleiermacher, am Samstag 27. April Spener auf die bisher unerwähnte Schwierigkeit hinzuweisen, dass der Ungenannte (Henriette Herz) Ende Mai für sechs Wochen verreisen werde. „Diese Reise wird er nicht aufgeben wollen, auch nicht können; können Sie ihn aber vorher und nachher zu Tieks Sublevation brauchen, und dies mit Τiek arrangiren so senden Sie nur die Bogen zum Herrn Prof. Heindorf der in der Klosterstraße dem grauen Kloster gegenüber wohnt.“76 Die Verabredung dieser postalischen Verbindung war nötig, weil Henriette Herz sich ab Anfang Mai in ihrem im Tiergarten (außerhalb der Stadt) gelegenen Sommerhaus aufhalten wollte. Der von Spener vorgeschlagene Übersetzungsstil wurde von Schleiermacher akzeptiert. Und Henriette Herz machte sich an die Arbeit. Doch schon bald gab es eine überraschende Wende. Ende April oder Anfang Mai schrieb Spener in einem zu erschließenden Brief an Schleiermacher, dass Tieck nicht mehr an der Übersetzung teilnehmen wolle, möglicherweise auch eine schlechte Probe geliefert habe. Ob und was Tieck übersetzt hat, ist unbekannt. Klar ist, dass die bisher nur unterstützende ungenannte Übersetzungsperson nun selbst Unterstützung brauchte, bzw. Schleiermacher für Tieck als Verantwortlicher einspringen sollte.77 Schleiermacher antwortete, er sei zur Unterstützung bei der ParkÜbersetzung bereit, bat Spener aber zugleich: „theilen Sie mir nicht 75

76 77

Vgl. Schleiermachers Brief vom 27. April 1799: „Zehn Tage wird mein Uebersezer Sie gewiß nicht ohne Arbeit laßen“ (KGA V/3, Nr. 638, Z. 10–11). In dem erschlossenen Brief Nr. 637 ging es also um die erstmalige Aufforderung zur Mitwirkung des/der Ungenannten. KGA V/3, Nr. 638, Z. 6–10 Vgl. Schleiermachers Brief von Ende April / Anfang Mai 1799: „Das ist mir etwas unerwartet gekommen. Herr Tiek, der gewiß Englisch und Deutsch genug weiß, und das Uebersezen auch genug und sehr gut getrieben hat muß es nicht tanti gehalten haben sich einige Mühe zu geben. Ich hoffe mein Unbekannter wird Ihnen beßer genügen obgleich Reisen ihm auch etwas fremdes sind.“ (KGA V/3, Nr. 646, Z. 1–5). Der in erkennbarer Eile geschriebene Brief (Nr. 646) ist am Briefende datiert „d 4t. Apr.“, doch erfordert sein Inhalt die zeitliche Einreihung zwischen dem 27. April und 6. Mai.

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Einleitung der Bandherausgeber

mehr zu als nöthig ist“78, denn ihm sei das Collins-Kalenderprojekt vorrangig wichtig. Wegen des bestehenden Termindrucks wolle er aber als Substitut für die durch die Reise entstehende Lücke des Ungenannten (Henriette Herz) einspringen. Schleiermacher kündigte ein baldiges Wiedersehen mit Spener an. Unklar ist, ob dieses persönliche Treffen zustande kam. Falls es – wohl am Sonntag 5. Mai (möglicherweise in Zeehlendorf) – stattfand, übergab Spener dabei die englischen Druckbogen Z—Hh (im deutschen Drucktext die Seiten 149–216) an Schleiermacher. Falls dieses Treffen nicht zustande kam, erhielt Schleiermacher die Bogen Z—Hh postalisch, möglicherweise simultan mit einem zu erschließenden Brief. Am Montag 6. Mai hatte Schleiermacher die Bogen Z—Hh in Händen, mit deren Übersetzung aber noch nicht begonnen; er wolle bald damit beginnen, benötige für eine bündige Fertigstellung seiner Textpartie aber das ganze Vorhergehende.79 Der anstehenden ParkÜbersetzung sah Schleiermacher geradezu freudig entgegen. „Sehr leicht ist allerdings die ganze Sache und ich wollte ich hätte immer etwas, was zugleich so interessant wäre, für solche Stunden wo man zu nichts schwererem aufgelegt ist, deren ich leider mehrere habe als mir lieb ist.“80 Schleiermacher übersetzte in wenigen Tagen vorläufig die englischen Bogen Z—Hh ohne Kenntnis der Übersetzung der vorangehenden Bogen A–Y. Spener schickte ihm diesen vollständigen Anfangsteil etwa am 9. Mai zu, monierte dabei den darin praktizierten Übersetzungsstil und erteilte ihm vermutlich ganz knapp den Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Park-Übersetzung bis Ende Juli druckfertig sei. Am Samstag 11. Mai antwortete Schleiermacher. „Lakonischer hätten Sie mir Ihren Auftrag nicht geben können, so sehr daß ich in der 78 79

80

KGA V/3, Nr. 646, Z. 12 Vgl. Schleiermachers Brief vom 6. Mai 1799: „Ich habe meinem Vordermann bedeutet daß ich das Ganze nothwendig lesen muß; es fehlen sonst mancherlei Notizen welche Irrthümer veranlaßen. Er hat gut reden, denn er fängt von vorne an; ich denke aber er wird nun auf irgend eine Art Anstalt dazu machen. Wahrscheinlich haben Sie schon etwas von seiner Arbeit in Händen, und ich bin auf Ihr Urtheil darüber begierig. Ehe ich das Ganze vorhergehende gelesen habe kann ich zwar arbeiten, was ich auch thun will; aber doch nicht füglich etwas für ganz fertig erklären.“ (KGA V/3, Nr. 647, Z. 1–9). Henriette Herz übersetzte vermutlich die englischen Bogen A–Y (im deutschen Drucktext die Seiten 1–149) oder alles das, was von diesen Bogen Tieck nicht übersetzt hatte. KGA V/3, Nr. 647, Z. 9–12

I. Historische Einführung

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That nicht recht genau weiß worin er besteht. Ich habe indeß die Uebersezung durchgelesen und was ihr zu fehlen scheint liegt doch nur in einem zu großen Respect vor dem Original, der aus einer Unbekanntschaft mit der Art wie diese Dinge gemacht werden müßen entsteht. Wenn Sie darüber dem Uebersezer Ihre Idee etwas klar machen oder auch mir es überlaßen wollen so denke ich wird die Sache recht gut werden. Ich bringe Ihnen den Mittwoch Alles mit; ich kann wol sagen Alles; denn ich habe Z—Hh übersezt, und würde es Ihnen schon geschikt haben wenn es mir nicht in diesen Tagen an Zeit zur lezten Durchsicht gefehlt hätte, die ich wol erst Uebermorgen gewinnen werde.“81 Demnach dürfte Schleiermacher redigierend seine vorläufige Übersetzung am Montag 13. Mai in Potsdam überarbeitet haben und am Mittwoch 15. Mai in Berlin Spener getroffen und ihm dabei die vorhandenen Übersetzungspartien, mithin die Bogen A–Y (Henriette Herz) plus Bogen Z–Hh (Schleiermacher) übergeben haben. Mit dem Ende der Potsdamer Vertretungszeit und der Rückkehr nach Berlin am 14. Mai gibt es nur noch vereinzelte Briefquellen und Anhaltspunkte zum Entstehungsprozess der Park-Übersetzung. Von Mitte Mai bis zu ihrer Abreise Ende Mai redigierte Henriette Herz vermutlich ihre Übersetzung der Bogen A–Y nach den Maximen Schleiermachers. Ob und wie Schleiermacher inhaltlich beteiligt war, lässt sich nicht eindeutig ermitteln. Seinen eigenen Teil, die Bogen Z— Hh, hat Schleiermacher vermutlich nicht noch einmal stärker redigiert. Dafür gibt es im Text einen Hinweis; er lässt nämlich gegen Ende des Abschnitts 15 in der Fußnote den ersten Satz aus, in dem Park auf die Verbreitung der als Zahlungsmittel genutzten Kauri-Porzellanschnecken eingeht und dabei auf die englische Originalseite 27 zurückverweist; diese Seite lag Schleiermacher bei seiner Übersetzung nicht vor; eine Ergänzung des ausgelassenen Querverweises nahm er später nicht vor.82 Wohl am 10. Juli 1799 ist Henriette Herz von ihrer sechswöchigen Reise „nach Dresden und dem Harz“83 zurückgelehrt. Am 11. Juli 1799 sollten Druckkorrekturen, die offensichtlich Henriette 81 82

83

KGA V/3, Nr. 651, Z. 2–13 Vgl. unten die englische Fußnote auf S. 1014, die deutsche Fußnote auf S. 1015 sowie Parks Ankündigung „as will be shewn hereafter“ (Travels S. 27), die in der Übersetzung auf S. 879,2 ausgelassen ist. KGA V/3, Nr. 657, Z. 44

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Einleitung der Bandherausgeber

Herz nach ihrer Reise vorliegen hatte, über Schleiermacher an Spener weitergeleitet werden.84 Welchen Seitenumfang und welche Intensität diese Druckkorrekturen hatten und wann sie wo vorgenommen worden waren, bleibt unklar. Ab 12. Juli übersetzte vermutlich Henriette Herz die englischen Bogen Ii bis Aaa2 (die fehlenden 110 Seiten deutschen Drucktexts). Ob und wie Schleiermacher inhaltlich und redigierend beteiligt war, lässt sich nicht ermitteln, ebenso wenig, ob Spener an Korrektur und Redaktion beteiligt war. Dafür dass Schleiermacher zumindest nicht sehr stark beteiligt war, sprechen seine gleichzeitigen anderweitigen Belastungen und Verpflichtungen.85 Die Mungo-Park-Übersetzung ist vermutlich Ende Juli abgeschlossen gewesen, denn die „Nachschrift der Verleger“, die hinter der „Vorrede des Verfassers“ eingeschoben ist, weist Donnerstag den 1. August 1799 als Datum aus. In dieser Nachschrift wird der vom englischen Original abweichende Zuschnitt der Übersetzung erläutert. Der Verzicht auf den umfänglichen Anhang und mehrere Zugaben dürfte in der straffen Planung des Publikationstermins begründet sein. Die Drucklegung muss spätestens am Dienstag 20. August 1799 abgeschlossen gewesen sein, denn an diesem Tag ist die Berliner ParkÜbersetzung in der von Haude und Spener verlegten Zeitung „Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“ als soeben erschienen angezeigt. Der Anzeigentext lautet: „Eine Reise in die innern Gegenden von Afrika gehört zu den seltensten Erscheinungen, und ist daher mehr als jede andere dazu berechtigt, allgemeine Aufmerksamkeit | zu erregen. Afrika weicht, der äußern Beschaffenheit des Landes nach, von allen übrigen Welttheilen am mehresten ab: wenig Ströme, die nach Maaßgabe der Jahreszeiten bald zu durchwaten, bald nicht zu passiren sind, und im Ganzen genommen Mangel an Trinkwasser, ungeheure Wüsteneien, durch welche man hindurch muß, um zu den angebauten Strecken Landes zu gelangen, die in den Sandwüsten, einzeln, wie Inseln im Meere, zerstreut liegen; das Land goldhaltig, und überdies Sklaven, (die für uns in Westindien Kaffe, Zucker, Indigo und Baumwolle 84 85

Vgl. KGA V/3, Nr. 675, Z. 4–5 Beispielsweise vermutlich ab Mitte Mai 1799 verfasste Schleiermacher seine anonyme Schrift „Briefe bei Gelegenheit der politisch theologischen Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter“; deren „Vorerinnerung des Herausgebers“ ist auf den 2. Juli datiert; die „Briefe bei Gelegenheit“ erschienen Ende Juli / Anfang August 1799 (vgl. KGA I/2, S. LXXVIII–LXXXV).

I. Historische Einführung

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bauen müssen) Gummi, Weihrauch und kostbare Färbewaaren liefernd; bewohnt von Arabern, Mauren und Negern, davon die ersten nicht ohne Kultur und Kenntnisse, die zweiten eine gemischte Rasse von umherstreifenden Räubern und rohen Barbaren im ganzen Umfange dieses Wortes, die Neger aber ein gutmüthiges, Ackerbau und Viehzucht treibendes, genügsames, gastfreies Volk sind – das ist in wenig Worten ein Umriß von Afrika und von seinen Bewohnern, das sind die Anreizungen, um deren willen der Europäer Afrika näher kennen zu lernen Interesse hat, und die Schwierigkeiten, welche die Erforschung dieses seltsamen Welttheils erschweren. Egypten abgerechnet, kennen wir von demselben nicht viel mehr als die Küsten, aber auch diese nur sehr unvollkommen, und die bisherigen Versuche, z. B. vom Cap der guten Hoffnung aus, tiefer in das Land einzudringen, sind nicht weit über die äußersten noch von holländischen Colonisten bewohnten Gegenden hinausgegangen, das heißt, die Neugier ist dadurch mehr gereizt als befriedigt worden. Der unternehmendsten unter den jetzigen europäischen Nationen, der englischen, war es vorbehalten, zur näheren Kenntniß jenes merkwürdigen Welttheils die Bahn zu brechen. Dies hat sie auf eine zwiefache Weise gethan; sie legte nehmlich zu diesem Zweck auf der westlichen Küste, zu Sierra Leona, eine Colonie nach einem von allen bisherigen Niederlassungen abweichenden, sehr liberalen Plane an. Diese Colonie besteht aus lauter freiwilligen europäischen Ansiedlern, und aus einer großen Anzahl von Negern, die brodlos wurden, als sie bei der Revolution von NordAmerika mit ihren Herren, welches Royalisten waren, auswandern mußten, und diese sie nun am Ende nicht mehr unterhalten konnten. Diese Neger, an den brennenden Himmelsstrich gewöhnt, und durch ihren Aufenthalt in Amerika auch der Feldarbeit kundig, wurden nun nicht als Sklaven, sondern als freie Leute nach der neuen Colonie transportirt, der zu ihrer Ansiedelung ausersehene Strich Landes ward von dem Negerfürsten, in dessen Gebiet er belegen war, förmlich erkauft, und mit ihm so wie mit den benachbarten Landesfürsten wurden Verträge und Freundschaftsbündnisse geschlossen, den Negern aber das Land, welches sie bauen sollten, gegen einen Grundzins als Eigenthum verliehen. Aller Sklavenhandel war verboten, und es wurden Schulen angelegt, in welchen, außer den Kindern aus der Colonie, auch alte und junge Neger aus den benachbarten Königreichen unentgeldlich Unterricht und Anleitung zum Landbau und in Handwerken erhalten sollten. Auf diesem Wege wollte man die Landeseingebohr-

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Einleitung der Bandherausgeber

nen selbst nach und nach gesittet machen, ihnen an zweckmäßigem Landbau Geschmack beibringen, und durch Tauschhandel ein friedliches und regelmäßiges Verkehr bis nach den innern Gegenden von Afrika einleiten, welche auf solche Weise, durch Begünstigung der Eingebohrnen selbst, mit Sicherheit und zuverläßig hätten untersucht werden können. Dieser menschenfreundliche, einer aufgeklärten Nation so würdige Plan, ist durch eine Privat-Handelsgesellschaft ausgeführt, aber weil er, der Kriegsunruhen wegen, von der englischen Regierung nicht nachdrücklich genug unterstützt und beschützt ward, durch ein französisches Geschwader von Caperschiffen fast in der Geburt erstickt, nehmlich die neue Colonie ist überfallen, geplündert und zerstört, folglich das Vorhaben auf d i esem Wege zu einer nähern Kenntniß von Afrika zu gelangen, wo nicht ganz vereitelt, wenigstens auf spätere Zeiten zurückgesetzt worden. Außer der Sierra-LeonaHandelscompagnie hat sich in London auch eine Gesellschaft vornehmer, reicher und gelehrter Männer zusammengethan, um, ohne unmittelbare Rücksicht auf Handelsgewinn, das Innere von Afrika erforschen zu lassen. Hiezu wählt die Gesellschaft das einfache, aber freilich für diejenigen, welche es ausführen, gefahrvolle Mittel, auf ihre Kosten einzelne Personen nach Afrika zu schicken, die, gegen ein beträchtliches Jahrgehalt, und mit der Aussicht auf eine nachherige lebenslängliche Pension, es unternehmen, sich so gut und so weit sie können, in das Land hineinzuschleichen. Von den beiden ersten welche dies Wagestück versuchten, starb der erste nicht weit von der Küste, und der zweite (der Major Houghton) ward, nachdem er nicht unbeträchtliche Fortschritte gemachte hatte, von den Mauren geplündert und dann ermordet, oder wenigstens hülflos in der Wüste gelassen, wo er verschmachtet ist. Von den Nachrichten, die er eingezogen hat, ist nichts gerettet. Durch diesen widerwärtigen Anfang ließ sich indeß die Londner afrikanische Gesellschaft nicht abhalten, auf die angefangene Weise neue Versuche zu veranstalten, und es fanden sich, der ersten abschreckenden Beispiele ohnerachtet, auch von neuem Personen, welche das Abentheuer wagen wollten. Der Wundarzt Park, ein Schottländer, war der Dritte der es unternahm, und es glückte ihm besser, als seinen beiden Vorgängern. Wie es ihm auf seiner Reise ergangen ist, und was er im Innern von Afrika angetroffen hat, das wissen wir itzt durch die vor einigen Monaten in England erschienene Beschreibung seiner Reise, von welcher hier in Berlin so eben eine deutsche Uebersetzung herausgekommen ist, die folgenden Titel führt:

I. Historische Einführung

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Reisen im Innern von Afrika, auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797, unternommen von Mungo Park, Wundarzt, aus dem Englischen mit sechs Kupfern, gr. 8. Berlin, bei H au d e und Sp e n e r 1799. Nachdem der Verfasser sich in einer englischen Faktorei an der Küste eine Zeitlang auf die Reise vorbereitet hatte, gelang es ihm m ehr a ls 1 0 0 d e u t s c h e M e i l e n weit von Westen nach Osten in das Innere von Afrika einzudringen. Auf dieser Wanderung brachte er achtzehn Monate zu, und wie viel Mühseligkeiten und Gefahren er auf derselben ausgestanden, wie er mehr denn einmal geplündert, verrathen, verlassen, zum Gefangenen gemacht, seiner Begleiter und Dollmetscher beraubt, endlich doch entrann, wie er in der Wüste zu verschmachten, von wilden Thieren zerrissen zu werden, Gefahr lief, wie er, der Sprache und des Weges gleich unkundig, den letzten hülfreichen Gefährten seines Unternehmens, sein Pferd, verlohr, und nun krank und erschöpft, in der Regenzeit, (dem dortigen Winter) mit unbegreiflichem Muthe seine Reise fortgesetzt, wie er in jenem unwirthbaren Lande | neben allen Gewalttätigkeiten und Mißhandlungen, die er erfahren und mit unglaublicher Fassung ertragen, doch zur Zeit der größten Noth immer wieder, und zwar vornehmlich bei dem sanfteren Geschlecht, Mitleid und Beistand gefunden, wie er unter den dortigen Fürsten und unter dem gemeinen Volk einzelne edle und aufgeklärte Menschen angetroffen hat, ohne deren Beihülfe er nie hätte zurückkehren können – wie er von den neuesten europäischen Welthändeln im Herzen von Afrika selbst etwas erfuhr, wie er auch dort Landbau und Handelsverkehr, wie er selbst in Dörfern Schulen und Schulmeister angetroffen hat, das werden diejenigen, welche für eine Lektüre dieser Art Sinn haben, aus gegenwärtiger Reisebeschreibung selbst mit mehrerem erfahren. Außer der Unterhaltung welche die Begebenheiten der Reise gewähren, sind auch die Nachrichten sehr interessant, welche der Verfasser über die Beschaffenheit der Sklaverei in Afrika und über den Sklavenhandel, über die Produkte, die Verfassung, die Lebensweise und Gemüthsart der verschiedenen Bewohner dieses Welttheils, welche er selbst kennen gelernt hat, beibringt. Auf die Uebersetzung ist mehr als gewöhnlicher Fleiß gewendet, sie liest sich wie ein Original, und das Aeußere ist zierlich. Auf Schreibpapier gedruckt, in einen blauen Umschlag geheftet und mit ausgesuchten Abdrücken der Kupfer versehen, kostet dies interessante Werk in der

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Einleitung der Bandherausgeber

H a u d e - und Sp e n e r s c h e n Buchhandlung allhier Einen Thaler und Achtzehn Groschen.“86 Der Anzeigentext könnte von Schleiermacher verfasst und von Spener redigiert worden sein. Am 24. August 1799 erschien in Nummer 107 vom „Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung“ unter der Überschrift „Reisen im Innern von Afrika, auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797, unternommen von M u n g o P a r k , Wundarzt, aus dem Englischen mit sechs Kupfern. gr. 8. Berlin bey H au d e und Sp e n e r 1799.“ die stark gekürzte und nur leicht veränderte Fassung dieser Anzeige.87 Die Messekata86 87

Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Jahrgang 1799, Nr. 100, [S. 6–8 doppelspaltig] Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung, Intelligenzblatt, Nr. 107, vom 24. August 1799: „Eine Re i se i n d i e i n n e rn G e g e n d e n v o n A f r i k a gehört zu den seltensten Erscheinungen, und ist daher mehr als jede andre dazu berechtigt, allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. Der unternehmendsten unter den jetzigen europäischen Nationen, d e r e n g l i sc h e n , war es vorbehalten, zur näheren Kenntniß jenes merkwürdigen Welttheils die Bahn zu brechen. Es hat sich nämlich in London auch eine Gesellschaft vornehmer, reicher und gelehrter Männer zusammengethan, um, ohne unmittelbare Rücksicht auf Handelsgewinn, das Innere von Afrika erforschen zu lassen. Hiezu wählt die Gesellschaft das einfache, aber freylich für diejenigen, welche es ausführen, gefahrvolle Mittel, auf ihre Kosten einzelne Personen nach Afrika zu schicken, die gegen ein beträchtliches Jahrgehalt, und mit der Aussicht auf eine nachherige lebenslängliche Pension, es unternehmen, sich so gut und so weit sie können, in das Land hinein zu schleichen. Von den beiden ersten, welche dies Wagestück versuchten, starb der erste nicht weit von der Küste, und der zweite (der Major H o u g h t o n ) ward, nachdem er nicht unbeträchtliche Fortschritte gemachte hatte, von den Mauren geplündert und dann ermordet, oder wenigstens hülflos in der Wüste gelassen, wo er verschmachtet ist. Von den Nachrichten, die er eingezogen hat, ist nichts gerettet. Durch diesen widerwärtigen Anfang ließ sich indeß die Londner afrikanische Gesellschaft nicht abhalten, auf die angefangne Weise neue Versuche zu veranstalten, und es fanden sich, der ersten abschreckenden Beispiele ohnerachtet, auch von neuem Personen, welche das Abentheuer wagen wollten. Der Wundarzt P a rk , ein Schottländer, war der Dritte der es unternahm, und es glückte ihm, wie die gegenwärtige Beschreibung seiner Reise beweiset, besser als seinen beiden Vor|gängern. Nachdem der Verfasser sich in einer englischen Faktorey an der Küste eine Zeitlang auf die Reise vorbereitet hatte, gelang es ihm, mehr als 100 deutsche Meilen weit von Westen nach Osten in das Innere von Afrika einzudringen. Auf dieser Wanderung brachte er achtzehn Monate zu, und wie viel Mühseligkeiten und Gefahren er auf derselben ausgestanden, wie er mehr denn einmal geplündert, verrathen, verlassen, zum Gefangenen gemacht, seiner Begleiter und Dollmetscher beraubt, endlich doch entrann, wie er in der Wüste zu verschmachten, von wilden Thieren zerrissen zu werden, Gefahr lief, wie er, der Sprache und des Weges gleich unkundig, den letzten hülfreichen Gefährten seines Unternehmens, sein Pferd, verlor, und nun krank und erschöpft, in der Regenzeit, (dem dortigen Winter) mit unbegreiflichem Muthe seine Reise fortgesetzt, wie er in jenem unwirthbaren Lande neben allen Gewaltthätigkeiten und Mißhandlungen, die er erfahren und mit unglaublicher Fassung ertragen, doch zur Zeit der größten Noth

I. Historische Einführung

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loge zeigen die Berliner Übersetzung zur Michaelismesse 1799 als erschienen an.88 Am 8. September 1799 berichtete Schleiermacher über Leserreaktionen und erkundigte sich bei Spener nach der Hamburger Konkurrenzübersetzung. „Von unserm Parke habe ich hie und da viel reden hören; aber wie stehts mit der nebenbuhlenden Uebersezung? Ist sie noch nicht erschienen?“89 Die Hamburger Übersetzung erschien bei Benjamin Gottlob Hoffmann unter dem Titel „Mungo Park’s Reise in das Innere von Afrika in den Jahren 1795, 1796 und 1797 auf Veranstaltung der Afrikanischen Gesellschaft unternommen. Nebst einem Wörterbuche der Mandingo-Sprache, und einem Anhange geographischer Erläuterungen von James Rennell. Aus dem Englischen. Mit einer Karte und Kupfern“ im Herbst 1799 mit einem Umfang von 543 Seiten im Oktavformat.90 Der Übersetzer der Hamburger Ausgabe ist Adam Heinrich Dietrich von Bülow (1757–1807), der zwar nicht auf dem Titelblatt genannt ist, sich aber durch eine beigefügte Anmerkung zu einer von Park geschilderten Regelung des Eigentumserwerbs zu erkennen gibt. „Ich habe dies in meinem Freista a t v o n N o r d - Am e r i k a entwickelt“91.

88 89 90

91

immer wieder, und zwar vornehmlich bey dem sanfteren Geschlecht, Mitleid und Beystand gefunden, wie er unter den dortigen Fürsten und unter dem gemeinen Volk einzelne edle und aufgeklärte Menschen angetroffen hat, ohne deren Beyhülfe er nie hätte zurückkehren können – wie er von den neuesten europäischen Welthändeln im Herzen von Afrika selbst etwas erfuhr, wie er auch dort Landbau und Handelsverkehr, wie er selbst in Dörfern Schulen und Schulmeister angetroffen hat, das werden diejenigen, welche für eine Lectüre dieser Art Sinn haben, aus gegenwärtiger Reisebeschreibung selbst mit mehrerem erfahren. Außer der Unterhaltung, welche die Begebenheiten der Reise gewähren, sind auch die Nachrichten sehr interessant, welche der Verfasser über die Beschaffenheit der Sklaverey in Afrika und über den Sklavenhandel, über die Producte, die Verfassung, die Lebensweise und Gemüthsart der verschiedenen Bewohner dieses Welttheils, welche er selbst kennen gelernt hat, beybringt. Auf die Uebersetzung ist mehr als gewöhnlicher Fleiß gewendet, sie liest sich wie ein Original, und das Aeußere ist zierlich. Auf Schreibpapier gedruckt, in einen blauen Umschlag geheftet und mit ausgesuchten Abdrücken der Kupfer versehet | kostet dies interessante Werk 1 Thaler 18 Groschen, oder drey Gulden Reichsgeld.“ (Sp. 857–859) Vgl. Wichmann von Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, S. 23, Nr. 1799/3 KGA V/3, Nr. 689, Z. 19–21 Die Hamburger Übersetzung bietet die Wortsammlung aus der Mandingo-Sprache auf S. 425–438, den Anhang mit Rennells geographischen Erläuterungen auf S. 439–543. Mungo Park: Reise in das Innere von Afrika, Hamburg 1799, S. 303 Fußnote; vgl. Adam Heinrich Dietrich von Bülow: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustand, Bd. 1–2, Berlin 1797

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Einleitung der Bandherausgeber

Für die Einschätzung der Mitwirkung Schleiermachers ist das postume Zeugnis von Henriette Herz wichtig geworden. Ihr Biograph Julius Fürst schrieb über deren literarische Aktivitäten: „Aus ihrer Kenntniß des Englischen gingen auch die beiden einzigen literarischen Leistungen hervor, welche sie hinterlassen hat, wenn nämlich die Uebersetzung zweier englischen Reisewerke ins Deutsche diesen Namen verdient. – Sie fühlte sich gedrungen, einen Beitrag zu der Aussteuer einer nahen Verwandtin zu leisten, und ihre stets zur That bereite Liebe scheute die mühsame und wenig dankbare Arbeit des Uebersetzens nicht, um die Mittel dazu zu beschaffen. Diese Werke sind: Mungo Park’s Reise in das Innere von Afrika in den Jahren 1795– 97; und: Weld’s des Jüngeren Reise in die vereinigten Staaten von Nordamerika. – Bibliographen dürfte die Kunde interessant sein, daß Schleiermacher, welcher auch in Gemeinschaft mit Heindorf die Vermittelung bei den Verlegern übernahm, denen es unbekannt blieb, von wem die Uebersetzungen herrührten, beide durchgesehen, und an der des letztgenannten Werkes sogar bedeutenden Antheil hat, und Freunden Schleiermachers die, daß der ihnen wohlbekannte Schreibschrank, an welchem sie ihn so oft arbeitend fanden, und an welchem er den größten Theil seiner Werke schrieb, der Dank der Freundin für diesen Antheil ist.“92 Schleiermachers Briefe an Spener ab Ende September 1799 bis Ende Februar 1800, in denen die Isaac-WeldÜbersetzung angesprochen wird 93, lassen keine übersetzerische Beteiligung Schleiermachers erkennen. Deshalb kann vermutet werden, dass in Fürsts Darstellung eine Verschreibung vorliegt und dass es statt „letztgenannten Werkes“ wohl „erstgenannten Werkes“ heißen muss. Für diese Einschätzung lässt sich auch ein Zeugnis Wilhelm Diltheys anführen. Die von Fürst behauptete Gewichtung, Schleiermacher habe beide Übersetzungen (Park und Weld) organisiert und durchgesehen, zudem habe er bei der konkreten Übersetzungsarbeit des Isaac-Weld-Berichts ‚bedeutenden Anteil‘, ist von Dilthey in seinem 1870 erschienenen „Leben Schleiermachers“ berichtigt worden. Dilthey führt in einer Fußnote gegen Fürst eine Briefstelle Schleiermachers an, der am 25. Juli 1800 seiner Schwester Lotte zu Mungo Park 92 93

Julius Fürst, in: Henriette Herz. Ihr Leben und ihre Erinnerungen, ed. Julius Fürst, Berlin 1850, S. 39; 2. Auflage 1858, S. 40. Vgl. KGA V/3, Nr. 700, Z. 5–7; Nr. 717, Z. 15–16; Nr. 733, Z. 5–8. 21–22; Nr. 742, Z. 1–7; Nr. 786, Z. 1–6; Nr. 801

I. Historische Einführung

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geschrieben habe: „den ich auch größtentheils übersetzt habe“.94 Diese Schleiermacher-Aussage ist nicht leicht zu interpretieren, schon wegen der ungesicherten und fragmentarischen Quellenlage. Diese Aussage könnte im Zusammenhang stehen mit der Aufforderung der Schwester vom 10. Juli 1800, ihr von seinen literarischen Werken etwas zukommen zu lassen.95 Aus dem Sachverhalt, dass die Schwester am 29. Juli 1800 berichtete, dass sie Mungo Park gelesen habe96, kann vermutet werden, dass Schleiermacher ihr schon früher das Buch ohne genauere Erläuterungen geschickt hatte und es hier explizit seinen Publikationen zuordnete. Doch sind diese wenigen erhaltenen Briefmitteilungen des Jahres 1800 sehr punktuell. Die erhaltenen Briefe von 1799 und 1800 bieten insgesamt keine Information, um über eine größere oder geringere Mitwirkung Schleiermachers ein sicheres Urteil fällen zu können. Undeutlich ist auch der letzte Brief Schleiermachers an Spener. Mit diesem Abschiedsbrief vom 30. Mai 1802, als Schleiermacher Berlin verließ, um seine neue Predigerstelle in Stolpe (Pommern) anzutreten, gab er die geliehenen Materialien zur Siedlungsgeschichte Neuhollands an Spener zurück; diesen Brief schloss er mit einem Angebot zu weiteren Übersetzungsprojekten: „Wenn Sie nicht – wiewohl ohne meine Schuld – soviel Unglük mit meinen Arbeiten gehabt hätten – ich meine die Concurrenz beim Weld und Barrow so würde ich Sie bitten in ähnlichen Fällen wieder bei mir anzufragen.“97 Dass Schleiermacher mit Barrow98 beschäftigt war, ist nur hier belegt. Dass Schleiermacher die Weld-Übersetzung zu seinen „Arbeiten“ rechnete, zeigt doch wohl, dass er seine Tätigkeit als Makler hoch bewertete. Für die zeitgenössische Rezeption der Berliner Park-Übersetzung ist auf eine Sammelrezension hinzuweisen. Die „Allgemeine LiteraturZeitung vom Jahre 1801“ veröffentlichte im ersten Band am 17. und 18. Februar 1801 in Nummer 54 und 55 unter dem Ordnungsbegriff 94

95 96 97 98

Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers, Berlin 1870, S. 522; 2. Auflage, ed. Hermann Mulert, Leipzig 1922, S. 565; 3. Auflage, ed. Martin Redeker, Bd. 1–2 in 4, Berlin 1966–1970, hier Bd. 1,1, S. 528. Dieser Schleiermacher-Brief ist nicht mehr vorhanden; deshalb bietet KGA V/4, Nr. 917, Z.1 das Dilthey-Zitat. Vgl. KGA V/4, Nr. 886, Z. 128–132 Vgl. KGA V/4, Nr. 914, Z. 125 KGA V/5, Nr. 1245, Z. 21–24 Vgl. John Barrow: An account of travels into the interior of Southern Africa in the years 1797 and 1798, London 1801; [dt.] Reisen durch die inneren Gegenden des südlichen Africa in den Jahren 1797 und 1798, [Bd. 1], aus dem Engl. übers. v. M. C. Sprengel, Weimar 1801; Bd. 2, ed. Theophil Friedrich Ehrmann, Weimar 1805

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Einleitung der Bandherausgeber

„Erdbeschreibung“ anonym eine Rezension, die den englischen Reisebericht und die beiden deutschen Übersetzungen gemeinsam bespricht. „1) London, b. Nicol: Tr ave l s in t he int erior D istricts o f Af r i c a performed under the direction and patronage of the African Association in the years 1795, 1796 and 1797 by Mung o Pa rk Surgeon. With an appendix containing geographical illustrations of Africa by Major R e n n e l l – Se c o n d edit ion. 1799. XXVIII. 372. u. XCII. S. 4. 2) Hamburg, b. Hoffmann: N e uere G eschichte der S eeu n d L a n d - R e i s e n . Z w ö l f t e r B an d. Mung o Pa rk’s Reise in d a s I n n e r e vo n A f r i k a in den Jahren 1795, 1796 und 1797 auf Veranstaltung der Afrikanischen Gesellschaft unternommen. Nebst einem Wörterbuche der Mandingo-Sprache, und einem Anhange geographischer Erläuterungen von R e n n e ll. Aus dem Englischen. Mit einer Karte und Kupfern. 1799. 543 S. 8. Auch unter dem besondern Titel: M u n go P ar k ’s R e i s e u. s. f. 3) Berlin, b. Haude und Spener: R eisen im Innern v on Afr i k a , auf Veranstaltung der Afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797 unternommen von M u n g o Pa rk, Wundarzt. Aus dem Engl. 1799. 325 S. 8.“99 Die Rezension beginnt mit einer kritischen Würdigung des Forschungsunternehmens. „Wenn die Britten Entdeckungsreisen zur See unternehmen wollen: so werden gemeiniglich zwey Schiffe ausgerüstet. Um desto mehr ist es zu verwundern, daß die in London gestiftete Afrikanische Gesellschaft nur einzelne Personen zur Untersuchung des innern Afrika absendet. Denn zu geschweigen, daß man vollkommenere Nachrichten einziehen würde, wenn die Untersuchungen unter mehrere vertheilt wären, und daß mit dem Tode eines Einzigen, der in den unwirthbaren Gegenden Afrika’s so leicht zu befürchten ist, nicht alle Entdeckungen auf einmal verloren giengen: so würde die Glaubwürdigkeit der Nachrichten viel gewinnen, wenn sie durch das Zeugniß mehrerer Reisenden bestätiget wären. Von allen bisher nach Afrika auf Unkosten der gedachten Societät geschickten Reisenden hat keiner einen so großen Strich von Afrika durchwandert, und über die Geographie von Mittel-Afrika mehr Licht verbreitet als M u n g o P a r k . Sein Auftrag war, den Lauf des Niger Flusses zu erforschen, und er scheuete keine Gefahr, bis er sich durch Ansicht 99

Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1801, Jena / Leipzig 1801, Bd. 1, Sp. 425– 430. 433–440, hier Sp. 425

I. Historische Einführung

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überzeugt hatte, daß er ge ge n O s t e n gerichtet sey. An Muth, Unverdrossenheit und Eifer kommen | ihm wenige gleich. Seine wissenschaftlichen Kenntnisse scheinen aber nicht über die eines Wundarztes von gewöhnlichem Schlage hinausgegangen zu seyn. Und wenn er sie auch in einem höhern Grade besessen hätte; was würde er, der den größten Theil des Weges allein, und als ein Bettler zurücklegte, und ungefähr auf der Hälfte des Weges nach dem Niger, nebst andern Habseligkeiten seines Taschen-Sextanten und Thermometers, und auf der Rückreise seines Compasses beraubt wurde, (von andern Instrumenten findet sich keine Spur bey ihm) für die Wissenschaften haben leisten können! Seine Sprachkenntnisse waren nicht weniger beschränkt. Er lernte zwar die Mandingo- und Bambarra-Sprache, vielleicht noch andere, um sich den Eingebornen verständlich zu machen. Allein außer einzelnen Wörtern und kurzen Redensarten hat er nichts davon angeführt. Der arabischen Sprache war er so unkundig, daß, ob er gleich Richardsons Grammatik bey sich führte, er doch erst unter den Mauren die Buchstaben kennen lernte. Seine Karte ist unstreitig das schätzbarste Stück der Reise. Allein es gehörte der Kopf eines Re n n e l l dazu, sie aus den unvollkommenen Datis, die er mitgebracht hatte, zusammenzusetzen. Die vielen Abentheuer, die er bestanden hat, werden sein Buch einer gewissen Classe von Lesern unterhaltend machen; diejenigen aber, die gern prüfen, ehe sie etwas für wahr halten, werden doch bey einigen stutzen, und den Tod des D. La i d l e y bedauern, der, wenn er nicht auf seiner Rückkehr aus Afrika nach England gestorben wäre, als Zeuge für die Wahrhaftigkeit der Nachrichten von Hn. P ar k hätte auftreten können. Wenn man aber auch das Schlimmste annehmen will, daß er nicht alle die Länder und Oerter, von denen er es versichert, bereiset, noch die widrigen Schicksale, die ihm begegnet seyn sollen, erlebt hat: so wird doch der stärkste Zweifler zugeben, daß er weit und breit in den Ländern zwischen dem 12° und 15° N. B. herumgeirrt, sehr angebaute, reichlich bewässerte und bevölkerte Gegenden gesehen, viele Mißhandlungen unter den Mauren, und viele Gutthätigkeit unter den Negern erfahren habe. Durch sein Beyspiel aufgemuntert werden andere ins künftige in seine Fußstapfen treten, und die durch ihn erhaltene Länderkunde berichtigen und erweitern. Von seiner Privatgeschichte wird alsdann nicht mehr die Rede seyn.“100 100

Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1801, Bd. 1, Sp. 425–426

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Einleitung der Bandherausgeber

Die Rezension schildert ausführlich Parks Reise in ihrem Ablauf und ihren gewonnenen Ergebnissen; dabei wird mehrfach auf die bisherige wissenschaftliche Kenntnislage Bezug genommen. Eine gewisse Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit des Reiseberichts blitzt schon im Zuge der Einzeldarstellung auf 101 und wird dann abschließend in dem Vorbehalt thematisiert, wie denn Parks Aufzeichnungen über seine Reise erstellt und überliefert worden seien102. Der Rezensent schränkt seinen grundsätzlichen Vorbehalt allerdings insofern ein, als er den beigefügten geographischen Erläuterungen Rennells und seinen beiden Karten höchstes Lob zollt und deshalb seine Zuverlässigkeitszweifel auf Parks Schilderungen der Reiseabläufe begrenzt.103 101

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Vgl. z. B.: „Ueber die Bewegursachen dieses Verfahrens werden keine befriedigende Aufschlüsse gegeben.“ (S. 430); „Hr. P. ist auch bey dem sehr unwahrscheinlichen Theil seiner Geschichte unserer Meynung nach zu kurz.“ (S. 430) Vgl.: „Eine wichtige Frage, die Rec. aus den vorliegenden Datis in der Reisebeschreibung nicht hinlänglich beantworten kann, ist, wie Hr. P. , der mehrmalen ausgeplündert ward, sein Reise-Journal hat erhalten können. Ehe er nach Ludamar reiste, gab er zu Jarra seine Papiere an seinen Dollmetscher Johnson ab, behielt aber davon eine Abschrift. Dieser, ehe er nach Ludamar geschleppt wurde, hatte sie bey einer der Frauen des Slatee, an den sein Herr empfohlen war, in Sicherheit gebracht. Als sich Hr. P. von Johnson trennte, bat er ihn, die Papiere, die er ihm anvertraut hatte, wohl in Acht zu nehmen, und seinen Freunden am Gambia einzuhändigen. Waren dieß | die nämlichen, welche er vor seiner Abreise von Jarra an ihn abgeliefert hatte? Waren seit seinem langen Aufenthalt in Ludamar keine neue hinzugekommen? Und wenn dieses geschehen war, warum wird es nicht ausdrücklich gesagt? Das Journal war unter dem Deckel seines Huts befestiget, und die Fulas raubten diesen nicht, aus Furcht vor jenem. Unstreitig waren nur die vornehmsten Begebenheiten, wie sie sich an jedem Tage zutrugen, in der gedrängtesten Kürze auf den Papieren aufgezeichnet. Er mußte aber doch die Schreibmaterialien dazu bey sich führen. War dieses aber der Fall: so sieht man nicht ein, warum er, als er nach dem 16ten Abschnitt ein Safi zubereitete, erst die Feder und Dinte zurecht machte. Während seines sieben monatlichen Aufenthalts in Kamalia hatte er Muße, sein Journal abzuschreiben und in Ordnung zu bringen. Die Anzeige hätte man vermuthen sollen. Hr. P. sagt aber nur, daß er sich hier seinen Betrachtungen überlassen, und die schon vorher gemachten Beobachtungen vermehret und erweitert habe. In Pisania konnte er das nicht nachholen, was er in Kamalia versäumt zu haben scheint. Denn daselbst hielt er sich, nach zurückgelegter Reise in dem Innern von Afrika, nur fünf Tage auf. Jedoch was andere Reisende niederschreiben müssen, das hat vielleicht Hr. P. in seinem Gedächtniß aufbewahren können. Eine beynahe unglaubliche Probe von der Stärke desselben findet sich in R e n n e l l ’s Erläuterungen (S. 474. Ueb.)“ (ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 435–436) Vgl.: „Hr. R e n n e l l hat Hn. P ’s Tagebuch, das zum Theil, vielleicht größtentheils von Hn. Edwards in die jetzige Form gebracht worden, vortreffliche geographische Erläuterungen angehängt. Die Ehre, die er Hn. P. Tagebuch und andern handschriftlichen Bemerkungen erwies, sie bey der Anfertigung zweyer Karten, auf deren einer ein Theil von Nordafrika zwischen dem 19° und 10° N. B. mit der von Hn. P. hin- und rückwärts genommenen Reiseroute, auf der andern ganz Nordafrika bis an den 5° S. B. abgebildet ist, zum Grunde zu legen, giebt ihnen das rühmlichste

I. Historische Einführung

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Nach dem englischen Reisebericht werden die beiden deutschen Übersetzungen vorgestellt, zunächst die Hamburger Ausgabe, deren anonymer Übersetzer identifiziert wird. „Die in Hamburg herausgekommene Uebersetzung ist, wie wir aus der Note S. 303. sehen, von dem Verfasser des Freystaats von Nordamerika d. i. dem Hn. von B ü l o w. Selten haben wir Unrichtigkeiten bemerkt. Dem, der nicht das Original besitzt, sondern sich mit der Uebersetzung behelfen muß, wird es lieb seyn, wenn hier einige Verbesserungen angezeigt werden“104. Die Rezension korrigiert 16 Stellen. Im letzten Hinweis wird als Fehlergrund die drängende Eile genannt, mit der der Übersetzer „arbeiten mußte, um nicht zu spät nach einer andern Uebersetzung zu erscheinen“105. Die Rezension bemängelt das Beibehalten der englischen Namensfassungen und vermisst einen Bestandteil der Originalausgabe. „Da der Uebersetzer uns das Original ganz geben wollte, welches allerdings zu loben ist: so hätte er das vorangeschickte Verzeichniß der fremden Wörter mit Erklärungen, nicht übergehen sol-

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Zeugniß der Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit, beschränkt die Zweifel des Rec. nur auf den historischen Theil, und läßt den geographischen unangefochten. Hr. R . hat aber nicht bloß die von Hn. P. observirten Breiten, die schon bey Jarra auf seiner Hinreise aufhörten, sondern auch seine und anderer Reisenden Bestimmung der Entfernungen, die von Hn. P. bemerkte Richtung der Magnetnadel, nebst einer Menge anderer Nachrichten dabei zu Hülfe genommen. Von allen giebt er genaue Nachricht, die für den Kenner interessant, für den aber, der bloß Unterhaltung sucht, nicht geschrieben ist. Silla oder das Ziel der Reisen Hn. P. liegt 16° östlich von Cap Verde, und in derselben Parallele. Die Distanz beträgt ungefähr 941 geographische Meilen (d. i. deren 60 auf einen Aequator-Grad gehen) oder 1090 britische oder 218 deutsche Meilen. Obgleich Hr. P. noch 200 britische Meilen von Tombuctu entfernt blieb: so sind doch in seinem Journale Angaben, nach welchen | in Verbindung mit andern ihr die Breite von 16° 30# und östliche Länge von Greenwich 1° 33# gegeben wird. Vorher hatte Hr. R . ihre Breite zwischen 19 und 20° gesetzt. Aus den Karten und Nachrichten, die er bey der Zeichnung der größern Karte gebrauchte, ergab sich, daß die Küste von Guinea sich einige Grade mehr von Osten nach Westen ausdehnt, und daß die Breite von Südafrika gegen den Aequator geringer ist, als d’Anville angenommen hat. Ueber den fernern Lauf und das Ende des Nigers werden Muthmaßungen gewagt, deren Bestätigung zukünftigen Entdeckungen überlassen bleibt. Wenn in den sechs ersten Kapiteln die von Hn. R . angestellten geographischen Untersuchungen wegen der unvermeidlichen Trockenheit der Materie manchen Leser zurück scheuchen sollten: so werden sie doch das letzte mit dem innigsten Vergnügen lesen, worin Nordafrika nach seinen drey Theilen, der Küste am Mittelmeere, der großen Wüste, und dem Striche von Cap Verde in Westen und dem rothen Meere in Osten bis Südafrika sowohl in physischer als politischer Rücksicht beschrieben, und der Charakter ihrer Bewohner geschildert wird. Möchte doch dieser Gelehrte uns mit einer vollständigen Geographie von Afrika beschenken!“ (ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 436–437) ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 437 ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 438

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Einleitung der Bandherausgeber

len. Wir haben ein solches schon lange zum bessern Verständniß der afrikanischen Reisen gewünscht. Es müßte aber von einem Manne abgefaßt werden, welcher der portugiesischen und arabischen Sprache so mächtig wäre, daß er auch die im Schreiben verstellten Namen in diesen Sprachen wieder auffinden könnte.“106 Auch das Kartenwerk sei unvollständig. Besonders kritisiert der Rezensent die mangelnde Sachorientiertheit der beigefügten Anmerkungen. „Der Uebersetzer hat auch seine Uebersetzung mit Anmerkungen vermehrt; doch dienen diese nicht zur Erläuterung der im Text vorkommenden Materien, sondern sind Ergießungen seines Unwillens bald über die Deutschen bald über die Engländer. Sie sind, was sie am wenigsten seyn sollten, politisch.“107 Die Sammelrezension schließt mit einigen Bemerkungen und Hinweisen zur Berliner Park-Übersetzung, ohne dass der reduzierte Umfang erwähnt und die Identität des anonymen Übersetzers gelüftet wird. „Die andere in Berlin herausgekommene Uebersetzung hat noch weniger Fehler, als die erste, und ist geschmeidiger und fließender. Sie ist das Werk eines im Uebersetzen schon geübten Mannes. Hier sind Proben, daß wir die Uebersetzung mit dem Original verglichen haben.“ Es folgen fünf Korrekturhinweise.108 Bei den deutschen Na106 107

108

ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 438 ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 438. Die Rezension bietet folgende Belege: „Park freuete sich höchlich (d e l i g h t e d ), mitten in Afrika bey den Negern ein Exemplar von der Kirchenagende der bischöflichen Kirche zu finden. Der Uebersetzer läßt ihn in E n tz ü ck e n gerathen, und macht ihm in der Anmerkung den Vorwurf, daß er der herrschenden Kirche habe hofiren wollen. Denn, setzt er hinzu, was hat der Schotte Park, wahrscheinlich ein Presbyterianer, mit dem b o o k o f c o m m o n p r a y e r zu thun? — S. 303. Bey der englischen Colonie in Sier|ra Leone soll nichts philosophisches seyn, als die Bücher, die darüber geschrieben sind. — Von der absprechenden und unhöflichen Manier des Uebersetzers mag dieß zur Probe dienen, daß er denen, die den Satz läugnen, daß die Laster nicht sollten die Regierung veranlaßt haben, gerade zu allen Verstand abspricht. — Vom kategorischen Imperativ hätten wir hier nichts erwartet, so wenig als von Kotzebues Menschenhaß und Reue und dem transcendentalen Ich. Man sehe aber S. 286. 296. — Das Urtheil über Parks Reise, daß die Schnelligkeit, womit er reisete, Ursache war, daß die Länder- und Völkerkunde nicht viel dadurch gewonnen hat, scheint sehr richtig zu seyn. Doch ist sie nicht als die einzige Ursache anzusehen. Schwerlich würde der Mann bey einem längern Aufenthalt viel geleistet haben. In P i s a n i a und K a m a l i a verweilte er sehr lange, und hatte Muße und Gelegenheit, Beobachtungen zu machen. Wie sind sie aber beschaffen? — S. 396. wird bey dem Namen Jallonkos bemerkt, daß es fast wie Hallunken klinge, eine Benennung, die die Nation sehr wohl verdient. Gewiß sehr gelehrt.“ (Sp. 438–439) Vgl.: „S. 9. Z. 18. Kaffeekorn ist nicht Zea mays, sondern Sorgsamen holcus. Im Original werden noch mehr Gewächse angeführt, die der Uebersetzer ausgelassen hat. — S. 21. Z. 26. v o n d e n k ö n i g l i c he n a f r i k a n i s c h e n G e s e l l s c h a f t s -

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mensfassungen wird die mangelnde Konsequenz kritisiert.109 Die Rezension schließt mit dem Hinweis, der Anmerkungen seien „äußerst wenige“ und der Feststellung: „Die Ansichten und Pflanzen sind nachgestochen.“110

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110

Etablissements l. v o n d e n E t a b l i sse m e n t s d e r k ö n i g l i c h e n a f r i k a n i s c h e n G es e l l s c h a ft. — S. 22. Z. 18. i n d i a n i sc h e r Wa a r e n , a l s G l a s k o r a l l e n , B er n s t ei n u. f. Sind denn Glaskorallen, Bernstein indianische Waaren? Für a l s l. n eb s t. S. 37. fiel uns der S e e in der Wüste auf. Es ist aber nur von einer Tränke, p o o l die Rede. Die sprüchwörtliche Redensart m a k e m e s u p u p o n t h e c a m e l i o n ’s d i s h . S. 250. Das Original scheint der Uebersetzer nicht recht verstanden zu haben, w i e s m i c h a u f d e s C a m e l i o n s G e r i c h t a n . Aerger macht es Hr. v. Bülow: f a n d fü r g u t , m i c h v o n e i n e m G e ri c h t K a m e l i o n s p e i s e n z u l a s s e n . Des Chamäleon’s Nahrung war nach der alten Meynung die Luft, und jemand diese Nahrung zum Abendessen vorsetzen, heißt, ihm nichts zu essen geben. — Der Berliner Uebersetzer hat das afrikanische Wort b a l o o n B a l u h n beybehalten, Hr. v. | B. hat es bisweilen H ü t t e gegeben. Im Original ist es in dem Verzeichniß der afrikanischen Wörter, das aber auch in der Berliner Uebersetzung weggelassen ist, ei n Z i mm er, w o ri n d i e F re m d e n g e m e i n i g l i c h b e h e r b e r g e t w e r d e n , erklärt.“ (Sp. 439–440) Vgl.: „Die geographischen Namen werden nicht nach der englischen Rechtschreibung, sondern nach der deutschen Aussprache geschrieben, z. B. nicht B e n o w m sondern B e n a u m , nicht F o o l a d o o sondern F u l a d u u. f. Für J wird fast allenthalben D s c h gesetzt, als D sc h a rra , für Ja r r a , D s c h e n n e h für J e n n e , Ds c h o h g für J o a g ; allein in Jo l i b a , Ja l l o n k a d u u. f. wird J nicht geändert. Wo aber ein G vorkommt, wird dieses beybehalten, als in G e o s o r r a , G e d i n g u m a u. f. Die mit den orientalischen Sprachen bekannt sind, werden diese Rechtschreibung schwerlich billigen. Sie werden auch M a a n a , Ti sh e e t , G a l l a m , Ya n y, Vi n t a i n , die ihnen aus englischen und französischen Büchern, und den Deutschen, die ihnen folgten, bekannt sind, in M a h n a , Ti sc h i h t , G a l l e m , J a n y, Wi n t a i n , nicht gleich wieder erkennen. Noch weniger wird ihnen das unarabische m a h o m e d a n i s ch gefallen.“ (Sp. 440) ALZ 1801, Bd. 1, Sp. 440

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Einleitung der Bandherausgeber

II. Editorischer Bericht Der vorliegende Band teilt ausschließlich Drucktexte mit. Deren Edition erfolgt nach den für alle Bände der IV. Abteilung geltenden Grundsätzen der Textgestaltung und der Druckgestaltung.111 Der editorische Bericht informiert über die spezifischen Verfahrensweisen angesichts der Beschaffenheit der Quellentexte und gibt dazu die Gliederungskennung der allgemeinen Grundsätze an. Der Reisebericht von Mungo Park ist ein editorischer Sonderfall. Die Autorschaft und Redaktion der Übersetzung lässt sich wegen der Quellenlage nicht eindeutig klären.112 Die Edition verfährt deshalb restriktiv: Synoptisch mit der englischen Vorlage wird nur der von Schleiermacher nachweislich selbst übersetzte Teil wiedergegeben113, alle anderen Partien nur in deutscher Textfassung.

1. Textgestaltung A.a. Bei dem in mehreren Auflagen vorliegenden Reisebericht von Mungo Park basiert die Edition auf der Erstausgabe. A.b. Wortlaut, Schreibweise und Zeichensetzung des zu edierenden Textzeugen werden grundsätzlich beibehalten. Weicht eine im Drucktext vorliegende historische Wortschreibung markant von der modernen Schreibweise ab, so wird im deutschen Text beim ersten Vorkommen auf das Wörterbuch von Johann Christoph Adelung „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart“ (Leipzig 1774–1786) verwiesen; ein solcher Hinweis unterbleibt, wenn historisch übliche Schreibungen häufiger vorkommen. Im synoptisch gebotenen englischen Text, der den Stellenwert einer Sachanmerkung hat, wird die historische Wortschreibung im „The Oxford English dictionary“ (2. Auflage, Bd. 1–20, Oxford 1989) kontrolliert, aber nicht nachgewiesen. Schwankungen in der Schreibweise (beispielsweise ‚Christian‘ und ‚christian‘ in den Predigtbänden) und historisch abweichende Schreibungen bzw. Wortformen sind sprachlich nicht normiert worden. Winzige Abweichungen zwischen vorliegenden Textexemplaren derselben Druckauflage, die 111 112 113

Vgl. Einleitung der Herausgeber, KGA IV/1, S. VIII–XIV Vgl. oben S. XXXIX–XLIV Vgl. unten S. 972–1077

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durch Korrektureingriffe während des Bleisatzdrucks entstanden sind, werden nicht dokumentiert. Im deutschen und englischen Fawcett-Text und im englischen Park-Text sind bei mehrzeiligen Zitaten die Anführungszeichen an jedem Zeilenanfang wiederholt; diese sind hier ohne Nachweis getilgt. Schleiermacher schreibt Wörter häufig wechselnd mit und ohne Konsonantenverdoppelung: „Stufe“ und „Stuffe“, „Hoffnung“ und „Hofnung“; auch andere Schreibweisen wie „fodern“ und „fordern“, „mannigfaltig“ und „mannichfaltig“ variieren. Wenn solche Unregelmäßigkeiten mehr als einmal vorkommen, wird diese wechselnde Schreibpraxis nicht normiert, sondern belassen. Auch der wechselnde Gebrauch von ss und ß (Beispiel: Füsse und Füße) bleibt unverändert erhalten. In den Fußnoten der beiden deutschen Fawcett-Bände wird bei den Bibelstellennachweisen aus dem Hiob-Buch die Quellenangabe „Hiob“ sowohl ohne als auch mit Punkt geschrieben; hier wird ohne Einzelnachweis immer der Punkt stillschweigend getilgt. Relativ- und Infinitivsätze werden häufig am Anfang gegen den vorangehenden Satzteil nicht durch Satzzeichen abgegrenzt, wohl aber fast immer am Ende durch Satzzeichen geschlossen; in diese Praxis wird nicht eingegriffen. Steht aber ein Komma am Nebensatzanfang, so wird ein am Nebensatzende fehlendes Komma mit Nachweis ergänzt. Die im englischen Park-Text gehäuft vorkommenden Kommata und Semikola werden nur da korrigiert, wo der Satzsinn einer Klärung bedarf. Im deutschen Park-Text ist an wenigen Stellen hinter einer Jahreszahl im laufenden Text ein Punkt gesetzt; dessen Tilgung wird am Ort nachgewiesen. Im Text befindliche Druckstege werden ohne Einzelnachweis stillschweigend getilgt. Ebenfalls werden Seitenkustode generell nicht berücksichtigt, außer sie werden für eine textkritische Operation bei einem am Seitenwechsel vorliegenden Druckfehler herangezogen. In den beiden deutschen Fawcett-Bände stehen die Fußnotenzeichen im Text hinter dem letzten Wort vor dem Zitatzeichen, in der vorliegenden Edition hinter dem Zitatzeichen. A.c. Die den englischen und deutschen Originaldrucken beigegebenen Druckfehlerlisten sind im edierten Text berücksichtigt und diese Berichtigungen des Originaldrucks am jeweiligen Ort im textkriti-

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Einleitung der Bandherausgeber

schen Apparat notiert. Das Verzeichnis „Errata“ in Fawcetts Sermons 1 auf der unpaginierten Seite 426 umfasst elf Korrekturen, in Sermons 2 auf Seite 442 sieben Korrekturen; ein Verzeichnis „Verbesserungen“ findet sich nur in Predigten 2 auf der unpaginierten Seite 361 mit fünf Berichtigungen. Die englische Erstausgabe des ParkBerichts hat ein Errata-Verzeichnis auf S. XX mit neun Korrekturen; hier wird auch um Nachsicht der Leser dafür gebeten, dass manche Namen für denselben Ort nebeneinander in zwei Varianten vorkommen. Der Berliner Übersetzung von Mungo Parks Reiseberichts ist auf der unpaginierten Seite 326 ein Verzeichnis „Druckfehler“ mit 17 Korrekturen (davon eine ausweitend formuliert „und öfters“) angehängt. Die sechs Kupferstiche, die in Parks Reisebericht jeweils einer bestimmten Seite zugewiesen sind, hat die Edition möglichst genau am vorgesehenen Ort im fortlaufenden Text abgebildet.114 C. Der Sachapparat zu Schleiermachers Fawcett-Übersetzung ist stark geprägt durch den Sachverhalt, dass Fawcett in den übersetzten 24 Sermons 228 Textstellen im ersten Band und 247 im zweiten Band durch Anführungszeichen markiert, aber keine dieser Stellen mit einem Nachweis versehen hat. Diese Sachlage hat Schleiermacher durch das Zufügen von Fußnoten und andere Maßnahmen aufzunehmen gesucht. Um Schleiermachers Umgang mit diesen Textstellen möglichst genau und umfassend zu erschließen, gelten für die Edition folgende Regeln, wobei komplexe Sachlagen im Sachapparat genauer geschildert werden. 1.

2.

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Schleiermacher bietet Fawcetts Textmarkierung und gibt in einer Fußnote den Quellennachweis (es sind immer Bibelstellen); hier erfolgt keine Anmerkung im Sachapparat, denn die Bibelstellennachweise werden nur auf Fehler geprüft, nicht aber kommentiert und auch nicht in wortgetreue oder wortveränderte Zitate klassifiziert. Wohl aber verzeichnet der textkritische Apparat bei Bedarf eine Korrektur der Quellenangabe. Schleiermacher bietet in einer Fußnote einen Quellennachweis, ohne dass der deutsche Text durch Anführungszeichen markiert ist; hier wird im Sachapparat die Formel „Der von

Vgl. oben S. XXXVIII und unten S. 858. 925. 942. 1083. 1138. 1147

II. Editorischer Bericht

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Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.“ verwendet. 3. Schleiermacher bietet Fawcetts Textmarkierung und gibt keinen Nachweis; hier erfolgt bei biblischen und anderen literarischen Zitaten im Sachapparat eine Mitteilung zur Quelle. 3.1 Bei wortgetreuen Bibelzitaten wird die Bibelstelle mitgeteilt und die Formel „... (nach der englischen Textfassung)“ hinzugefügt; maßgeblich ist Fawcetts Text, mithin der Text der King-James-Bible115. 3.2 Bei wortveränderten Zitaten aus der Bibel wird im Sachapparat der Nachweis mit der Formel „Vgl. ...“ mitgeteilt. 3.3 Bei wortgetreuen Zitaten aus anderen literarischen Quellen wird im Sachapparat der Nachweis mit der Formel „Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus ...“ mitgeteilt. 3.4 Bei wortveränderten Zitaten aus anderen literarischen Quellen wird im Sachapparat der Nachweis mit der Formel „Vgl. ...“ mitgeteilt. 4. Schleiermacher bietet Fawcetts Textmarkierung und gibt keinen Nachweis; hier erfolgt bei rhetorisch-fiktiven Zitaten keine Mitteilung im Sachapparat. 5. Schleiermacher unterlässt die Textmarkierung und bietet auch keinen Nachweis; hier erfolgt im Sachapparat der Querverweis auf Fawcett und die Aufklärung der Sachlage. 5.1 Bei wortgetreuen Zitaten aus der Bibel und anderen literarischen Quellen wird der Nachweis mit der Formel „Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus ...“ mitgeteilt. 5.2 Bei wortveränderten Zitaten aus der Bibel und anderen literarischen Quellen wird der Nachweis mit der Formel „Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. ...“ mitgeteilt. 5.3 Bei rhetorischen Zitaten wird die Sachlage mit der Formel „Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorischfiktiv.“ mitgeteilt. 115

Vgl. Biblia, engl.] The Holy Bible, containing the Old and New Testaments: newly translated out of the original tongues; and with the former translations diligently compared and revised, London 1611

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Einleitung der Bandherausgeber

Schleiermacher lässt einen Teil des Fawcett-Textes aus; hier wird mit der Formel „Schleiermacher lässt hinter ... aus.“ die Sachlage genauer geschildert. Schleiermacher fügt eine Textmarkierung hinzu; die Sachlage wird mit der Formel „Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.“ geschildert. Die markierten und unmarkierten wortgetreuen oder leicht variierten Wiederholungen des leitenden Bibelstellentextes in der jeweiligen Predigt werden nicht nachgewiesen. Nur wenn der Bibelstellentext in ein größeres Bibelzitat eingefügt ist, wird letzteres eigens erfasst.

Die Edition gibt über Schleiermacher hinausgehend zusätzlich Nachweise zu 195 Bibelzitaten Fawcetts und zu 54 Zitaten Fawcetts aus der Literatur sowie Hinweise auf 58 rhetorisch-fiktive Einlassungen Fawcetts. Dessen Predigten enthalten sowohl wörtliche als auch wortähnliche Zitate aus der King-James-Bible, die oft nur Satzteile wiedergeben. Mit Texten aus der Literatur und englischen Übersetzungen aus der klassischen Antike verfährt Fawcett ähnlich, indem er sowohl komplette Gedichtstrophen, einzelne Textzeilen oder Satzteile entweder wörtlich oder wortähnlich zitiert. Fawcetts Zitate bieten die Breite der englischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts in Lyrik, Drama und Prosa. Seine rhetorisch-fiktiven Aussagen reichen von ganzen Absätzen, in die wiederum biblische Zitate eingestreut sein können, bis zu einzelnen Wörtern. Insgesamt hat Schleiermacher sieben biblische, sieben literarische und 13 rhetorisch-fiktive Texte getilgt. Wovon seine jeweilige Entscheidung zur Auslassung geleitet worden ist, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Schleiermacher ist bei seiner Übersetzung von Fawcetts Bibelzitaten zumeist dem Text der King-James-Bible, manchmal auch dem Text der Luther-Bibel116 gefolgt. Weichen in der Zählung der Bibelstellen diese beiden Textausgaben voneinander ab, so wird zunächst die Luther-Zählung und dann zusätzlich die abweichende KingJames-Bible-Zählung geboten. 116

Vgl. Biblia, Das ist: Die gantze Heilige Schrifft Alten und Neuen Testaments, Nach der Ubersetzung und mit den Vorreden und Randglossen D. Martin Luthers, mit Neuen Vorreden, Summarien, weitläuffigen Parallelen, Anmerckungen und geistlichen Anwendungen, auch Gebeten auf jedes Capitel: Wobey zugleich Nöthige Register und eine Harmonie des Neuen Testaments beygefüget sind, edd. Christoph Matthäus Pfaff / Johann Christian Klemm, Tübingen 1729 [SB 206]

II. Editorischer Bericht

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Die von Fawcett benutzten Druckausgaben für die nichtbiblischen Literaturzitate lassen sich zumeist nicht genau ermitteln. Für die englischsprachigen Werke wird jeweils die Erstausgabe herangezogen; für die Literaturtitel aus anderen Sprachen wird, sofern keine für Fawcett verfügbare englische Übersetzung benannt werden kann, die Ausgabe aus Schleiermachers Bibliothek angegeben, die Fawcett benutzt haben könnte. Auf die Angabe moderner Ausgaben wird in der Regel verzichtet. Angaben zu geographischen Namen folgen der heutigen Amtssprache des jeweiligen Staats und ziehen die Angaben des Virtual International Authority File (VIAF) bzw. der Gemeinsamen Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) heran. Die Lage geographischer Orte stützt sich auf den Getty Thesaurus of Geographic Names (TGN).

2. Druckgestaltung A.a. Der deutsche Übersetzungstext samt seiner vorhandenen Fußnoten wird mit textkritischem Apparat und erläuterndem Sachapparat editorisch erschlossen. Der englische Text der Übersetzungsvorlage wird synoptisch in der Anordnung des deutschen Textes geboten. In der synoptischen Darbietung werden für die englische und für die deutsche Seite im Kolumnentitel jeweils nach der Abkürzung „Pred.“ bzw. „Serm.“ die Predigtnummer und dann die (gelegentlich gekürzte oder veränderte) Themaformulierung mitgeteilt. Die im deutschen und englischen Drucktext vorhandenen satztechnisch bedingten Leerzeilen sind in der Edition vereinheitlichend getilgt worden. Auf den synoptisch gebotenen englischen Seiten ist die Größe der Leerräume dadurch bestimmt, dass für das lesende Auge parallele Anfänge der jeweiligen Absätze geschaffen werden. Die im englischen Drucktext vorhandenen Spatien vor Satzzeichen und Sonderzeichen werden nicht wiedergegeben. Wörter in Kapitälchen und solche in Großbuchstaben mit Spatien werden belassen. Englische Namen werden in englischer Sprachform wiedergegeben; gehört dem Namen eine römische Ordinalzahl zu, so ist diese ohne finalen Punkt geschrieben. A.b. In den beiden englischen Fawcett-Bänden befinden sich bei den Predigtanfängen die Seitenzahlen in runden Klammern mittig über

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Einleitung der Bandherausgeber

den Predigtüberschriften; die Klammern werden hier getilgt, diese Seitenzahlen der Predigtanfänge wie die anderen Seitenzahlen behandelt. B.a. Bei Mungo Park, Reisen, ist der laufende Text in Frakturschrift gedruckt. Hervorhebungen erfolgen überwiegend durch Sperrungen, vereinzelt durch Kursivschrift; sie sind einheitlich durch Sperrungen markiert. Insbesondere botanische wissenschaftliche Ausdrücke sind in Antiqua-Schrift gedruckt. Fraktur und Antiqua werden einheitlich wiedergegeben. B.d. Hervorhebungen werden im englischen Fawcett-Text durch Kursivierung, in der deutschen Übersetzung durch Großschrift vorgenommen. In der synoptischen Editionsdarbietung wird in den englischen und deutschen Texten die Hervorhebung einheitlich durch Sperrung markiert.

3. Einleitung und Verzeichnisse A. Die in der Einleitung mitgeteilten Zitate werden als Lesetext geboten. Ohne Nachweis am Ort sind stillschweigend die offensichtlichen Druckfehler korrigiert und die Errata-Verzeichnisse berücksichtigt. Bei längeren Zitaten wird wohl der Seitenwechsel durch senkrechten Strich angezeigt, nicht aber die jeweils neue Seitenzahl angegeben.

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Die digitale Erfassung und Bearbeitung der hier edierten deutschen und englischen Drucktexte von Fawcett begann in der Kieler Schleiermacher-Forschungsstelle im Jahr 2011 und dauerte mit größeren Pausen bis ins Jahr 2019. Rolf Langfeldt, der Leiter der Fachbibliothek der Theologischen Fakultät Kiel bis zum Beginn seines Ruhestandes Ende Juni 2019, gelang wie immer die Beschaffung der erforderlichen Druckausgaben. Martina Rutz und Christian Müller führten die technischen Arbeiten zur digitalen Texterfassung durch; dafür sei ihnen herzlich gedankt. Die Texterkennungsdateien (OCR-Erfassung) des

II. Editorischer Bericht

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gedruckten deutschen und englischen Reiseberichts Mungo Parks ließ dankenswerterweise der Verlag De Gruyter erstellen. Besondere Literaturwünsche erfüllten uns die Universitätsbibliothek Basel, die Bibliothèque nationale de France in Paris und die Universitätsbibliothek Potsdam; dafür möchten wir danken. Wie schon der Blair-Übersetzungsband KGA IV/1 ist auch der vorliegende Band das Ergebnis einer intensiven Kooperation. In brieflichem und persönlichem Dialog nahmen die beiden Unterzeichnenden die erforderlichen Forschungen zu Bandeinleitung und Sacherläuterungen sowie die Entscheidungen zu Textkonstitution und Texterschließung vor. Naumburg (Saale) und Edinburgh im Januar 2020

Günter Albert Meckenstock in Verbindung mit Anette Ingeborg Hagan

Joseph Fawcett’s Predigten.

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Aus dem Englischen übersetzt von F. Schleiermacher

mit einer Vorrede von F. S. G. Sack Königlichem Hofprediger Oberconsistorial- und Kirchenrath

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Erster Theil.

Berlin 1798, bey August Mylius.

9 Oberconsistorial-] Oberconsistorial

III

C O N T E N T S.

SERMON I. PAGE. On the Omnipresence of God. D o n o t I f i l l h e ave n an d e ar t h , s a it h t he Lord? Jer. xxiii. 24.

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1

SERMON II. Reflections drawn from the Consideration that God is our Creator. I t i s h e t h at h at h m ad e u s , an d n ot w e ourselv es. Psalm c. 3.

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23

SERMON III. On the comparative Sum of Happiness and Misery in human Life. H e d o t h n o t af f l i c t w i l l i n gl y, n o r g riev e t he child r e n o f m e n , Lamen. iii. 33.

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63

SERMON IV. The Consolations attendant on the Conclusion of a virtuous Life. M a r k t h e p e r f e c t m an , an d b e h o l d the uprig ht: for t h e e n d o f t h at m an i s p e ac e . Psalm xxxvii. 37.

20

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Inhalt des ersten Bandes.

5

XXIX

I.

Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes . . . . . .

II.

Ueber die Allgegenwart Gottes

. . . . . . . . . . . . .

40.

III.

Einige Bemerkungen die aus dem Gedanken folgen, daß Gott unser Schöpfer ist . . . . . . . . . . . . .

60.

Ueber das Verhältniß der Glückseligkeit und des Elendes im menschlichen Leben . . . . . . . . . .

98.

IV.

Seite 1.

1–2 Zur geänderten Predigtabfolge vgl. oben die Bandeinleitung Punkt I.2. 3 Predigt 1 ist die Übersetzung von Sermon 5. 4–7,2 Predigt 2–5 ist die Übersetzung von Sermon 1–4.

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Contents

SERMON V. Right and wrong Judgment the Origin of Virtue and Vice. An d u n t o m an h e s ai d , B e h o l d t h e f ea r of the Lord, t h a t i s w i s d o m , an d t o d e p ar t from ev il is und e r s t an d i n g. Job xxviii. 28.

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5

SERMON VI. The divine Demand of moral Services from Man proportioned to his natural Capacities. S h e h a t h d o n e w h at s h e c o u l d . Mark xiv. 8.

IV

181 |

SERMON VII. Humanity and Virtue recommended from the Consideration of the evanescent Nature of Man upon Earth. F o r n o w s h al l I s l e e p i n t h e d u s t, a nd t hou sha lt s e e k m e i n t h e m o r n i n g, b u t I s ha ll not be. Job vii. 21.

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SERMON VIII. Poverty with Virtue more eligible than Wealth without. A l i t t l e t h at a r i gh t e o u s m an h at h is better t ha n t he r i c h e s o f m an y w i c k e d . Psalm xxxvii. 16.

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SERMON IX. On Self-deception. T h e h e a r t i s d e c e i t f u l ab o ve al l t h ing s. Jer. xvii. 9.

277

SERMON X. On pure and spiritual Worship. An introductory Discourse delivered on a first Night of the Season. B u t t h e h o u r c o m e t h , an d n o w i s, w hen the true w o r s h i p p e r s s h al l w o r s h i p t h e F a t her in spirit a n d i n t r u t h : f o r t h e F at h e r seeketh such to w o r s h i p h i m . John iv. 23.

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333

Inhalt

V.

Die Tröstungen, welche das Ende eines tugendhaften Lebens begleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134.

Daß Gottes Forderungen an die Menschen ihren natürlichen Fähigkeiten angemessen sind . . . . . .

168.

VII. Die Betrachtung des vergänglichen Wesens der Menschen auf Erden empfiehlt uns Menschlichkeit und Tugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195.

VIII. Die Armuth von der Tugend begleitet ist wünschenswerther als der Reichthum ohne sie . . . . . . . .

235. |

VI.

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7

IX.

Ueber den reinen und geistigen Gottesdienst . . .

X.

Wie schicklich der Ausdruck ist, dessen sich die Schrift gewöhnlich bedient, um einen tugendhaften Charakter zu bezeichnen . . . . . . . . . . . .

6 Erden] Erden, 10–9,1 Predigt 9–11 ist die Übersetzung von Sermon 10–12.

Seite 257.

292.

XXX

8

Contents

SERMON XI. On the Propriety of the Term, usually employed in Scripture, to express the virtuous Character. T h e s p i r i t s o f J U ST m e n m ad e p e rf ect. Heb. xii. 23.

371

SERMON XII. On Spiritual Pride. W h i c h s a y, St an d b y t h ys e l f , c o m e not nea r to me, f o r I am h o l i e r t h an t h o u . Isaiah lxv. 5.

5

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Inhalt

XI.

9

Ueber den geistlichen Stolz . . . . . . . . . . . . . . . .

318.

XII. Ueber die Erinnerungen an den Fortschritt der Zeit, welche Gott in die Natur gelegt hat . . . . . . . .

344.

2–3 Predigt 12 ist die Übersetzung von Sermon 26 im zweiten Teilband.

Right and wrong Judgment the Origin of Virtue and Vice.

SERMON

V.

An d u n t o m an h e s ai d , B e h o l d t h e f ea r of the Lord, t ha t is w i s d o m , an d t o d e p ar t f r o m e vil is understa nding . Job xxviii. 28. It cannot have escaped the most careless reader of the Scriptures, that it is usual with them to express moral excellence by terms, which, in their stricter sense, signify intellectual merit; and to rest the pretensions of mankind to good sense and sound intellect upon the practice of piety and virtue.

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Are not, then, intelligence and goodness, are not sapience and probity, frequently found separate from each other? Are we not accustomed in conversation to distinguish, and | do we not perceive a distinction, between a good man, and a wise man? Do we not meet with men, whose pretensions to understanding no one will dispute, yet whose claims to virtue no one will allow? Do we not sometimes see, and sigh to see, proficiency in science, and progress in vice; penetration of understanding, and depravity of disposition; exhibited in the same person?—And, on the other hand, are there not those, whose good intentions are by all acknowledged, and by all applauded; yet who, in consequence of intellectual confusion, are continually perplexing and embarrassing the virtuous business in which they engage? who look to a good end, but are bewildered in the way? whose views recommend them to the respect, while their mistakes expose them to the smiles, of mankind?

The truth of this does not destroy the propriety of the terms, so frequently employed in the sacred pages, to express moral worth. For, although understanding and virtue are distinct, and separable things;

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Erste Predigt.

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Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Hiob 28, 28. 5

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U n d z u m M e n s c h e n s p r ac h e r : s i e h e die F urcht des Herrn d a s i s t We i s h e i t , u n d m e i d e n da s Böse, da s ist Verstand. Auch dem nachläßigsten Leser der Schrift kann die Bemerkung nicht entgangen seyn, daß sie gewöhnlich die sittliche Vortreflichkeit durch solche Worte ausdrückt, welche eigentlich einen Vorzug des Verstandes bezeichnen, und daß sie dagegen die Ansprüche der Menschen auf natürlichen Verstand und gesunde Vernunft darnach beurtheilt, ob sie Frömmigkeit und Tugend ausüben. Finden wir denn nicht Verstand und Güte, finden wir nicht Weisheit und Gottseligkeit sehr oft von einander getrennt? Unterscheiden wir nicht schon im gemeinen Leben den guten und den klugen Mann, und ist das nicht ein wahrer Unterschied, der uns sehr deutlich in die Augen fällt? Sehen wir denn nicht Menschen, denen Niemand ihre Ansprüche auf Verstand streitig machen kann, aber denen eben so gewiß Niemand ein Recht auf das Lob der Tugend ein|räumt? Sehen wir es nicht oft, und beseufzen wir es nicht genug, daß Fortschritte in allerley Kenntnissen mit Fortschritten in jedem Laster, durchdringende Schärfe des Verstandes mit Verkehrtheit der Gesinnungen sich so häufig in einer Person vereinigt finden? Und auf der andern Seite giebt es nicht der Menschen so viele, deren guten Willen Jedermann anerkennt, und gehörig zu schätzen weiß, die aber das Gute, was sie beabsichtigen, immer selbst wieder verderben und hintertreiben, bloß weil ihr Verstand nicht klar genug ist? die das wahre Ziel immer richtig vor Augen haben, aber sich jedesmahl auf dem Wege verirren? die sich durch ihr Gutmeinen die Achtung der Menschen erwerben, aber sich zugleich durch ihre irrigen Maßregeln ihrem Lächeln aussetzen? So wahr dies alles ist, so folgt doch daraus nicht, daß die Ausdrücke unschicklich sind, deren sich die Schrift so oft bedient, um das sittlich Gute zu bezeichnen. Denn obgleich Verstand und Tugend zwey

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Serm. 5: Right and wrong judgment the origin of virtue and vice

though pre-eminence in either by no means implies superiority in the other; though moral eminence may, and sometimes does, accompany intel|lectual mediocrity; and though, on the other hand, the beam of Genius may shine with a beautiful brilliancy, where the flame of Virtue cannot be seen: yet, as the understanding is the fountain of virtue, wherever it does exist; as a virtuous choice is the act of a good one, and that act of it, for which the inspiration of the Almighty hath given it to man; and as vice, on the contrary, proceeds from a wrong judgment, from an understanding that is unsound and disordered upon one subject, and that subject, of all others, the most interesting to man; it is, for this reason, the custom of Scripture, to represent the understanding as consisting in this its principal office, and most important effect. Virtue owes her birth to the understanding, and the child, without impropriety, takes the name of the parent.

That virtue proceeds from rectitude, and vice from error of judgment, we do not all, perhaps, perceive with sufficient clearness. By the terms of distinction we are in habits of using in familiar discourse, when we are speaking of the intellectual and moral characters of mankind, we are some of us, possibly, in some measure, diverted from discerning the | derivation of right, and wrong conduct, from just, and false opinion. We speak, in common conversation, of a good head, and a good heart; and we are carelessly led by this local account of intellectual, and moral excellence, to conceive of good sense, and good living, as proceeding from different departments and provinces of our nature; and fancifully to consider them as having their source, where we thus figuratively assign them their seat.

Perhaps too we are, in some degree, led to conceive of moral character, as having an extraction totally foreign from the intellectual part of the human composition, by the frequent, but superficial, mention of the opposition of passion to reason, as being the cause of the irrational conduct of rational creatures, with which, in accounting for such courses in such beings, divines and moralists are accustomed to content themselves, in compositions intended for the popular ear, or for the popular eye. This frequent direction of the attention to the

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ganz verschiedene Dinge sind, und ein hoher Grad des einen gar nicht eine ausgezeichnete Stärke der andern nothwendig voraussetzt, obgleich sittliche Vortreflichkeit gar wohl mit sehr mäßigen Talenten verbunden seyn kann, und auch öfters wirklich ist, und auf der andern Seite die Strahlen des Genies öfters da ganz vorzüglich schön glänzen, wo von der Flamme der Tugend gar nichts zu sehen ist, so bleibt es doch immer wahr, daß überall, wo wir Tugend finden, Verstand die Quelle derselben ist, und eben weil jeder tugendhafte Entschluß eine Handlung des | gesunden Verstandes ist, und zwar grade die, um derentwillen ihn uns der Höchste ganz eigentlich mitgetheilt hat, eben weil das Laster im Gegentheil immer aus einer unrichtigen Ansicht der Dinge entspringt, und seinen Grund darin hat, daß der Verstand wenigstens in Absicht auf diesen Gegenstand, der den Menschen vor allen andern wichtig seyn muß, verschoben und in Verwirrung ist, eben deswegen pflegt die Schrift sich so auszudrücken, als ob es der Verstand überhaupt mit nichts anderm zu thun hätte, als mit diesem Gegenstande, auf den sich seine vornehmsten Geschäfte und seine wichtigsten Verrichtungen beziehn. Die Tugend verdankt ihr Entstehen dem Verstande, und es ist also gar nichts Unschickliches das Kind bey dem Namen seines Vaters zu nennen. Daß die Tugend wirklich von einer richtigen und das Laster von einer unrichtigen Beurtheilungskraft herrühre, sehen wir vielleicht nicht alle recht deutlich ein. Durch die Art, wie wir uns im vertrauten Umgange auszudrücken pflegen, wenn von Vorzügen des Verstandes und Willens die Rede ist, können wir sehr leicht verleitet werden, diesen Zusammenhang zwischen gutem oder schlechtem Betragen, und richtigen oder unrichtigen Einsichten aus der Acht zu lassen. Wir reden im gemeinen Leben von einem guten Kopf und einem guten Herzen, und wenn wir so den Vorzügen des Verstandes und des Willens jedem einen eigenen Sitz anweisen, kann sich sehr leicht die Vorstellung festsetzen, als ob beyde wirklich da entsprängen, wo wir ihnen bildlich ihren Platz anwei|sen, und mit ihr kann der Begriff einschleichen, als ob ein gesundes Urtheil und ein richtiger Wandel aus ganz unterschiedenen Gegenden und Abtheilungen unsrer Natur herkämen. Was vielleicht auch beyträgt uns zu der Meinung zu verleiten, als ob der Ursprung des sittlichen Charakters von dem Gebiet des Verstandes sehr weit entfernt läge, ist die gewöhnliche, aber nicht durchdachte Vorstellung, daß der Widerstand der Leidenschaften gegen die Vernunft die Ursach sey, warum vernünftige Geschöpfe sich unvernünftig betragen; eine Vorstellung, deren Religions- und Sittenlehrer, wo sie für das Ohr und das Auge des gemeinen Volkes arbeiten, sich immer bedienen um diese Erscheinung zu erklären. Wenn uns auf

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Serm. 5: Right and wrong judgment the origin of virtue and vice

appetites implanted in our constitution as being the enemies of virtue, but not to the nature of their inimical operations upon it; this repeated pointing of the eye to the cause of vice, but not to the manner | in which the effect is produced, leads it to turn altogether away from the understanding as having any concern in the production of it, and to look solely to passion as its origin. Hence it is, that many persons are induced to imagine, in all cases of human misconduct, a disagreement between the passions and the understanding; to conceive of the former as overcoming, by the counteraction of a mechanical and physical force, the contrary leanings and pulls of the intellectual power. They do not perceive, that the opposition of appetite to reason does not consist, in contradicting and overbearing the right determinations of the understanding, but, in indisposing and disabling the understanding for forming a right determination; that the hostility of sensual desire to moral rectitude operates, not by overpowering, but by preventing, right reason; and makes man criminal, by first rendering him irrational.

It is common to say, a wicked man acts contrary to the convictions of his understanding. This is partly true so far as, but no farther than, the office of the intellectual faculty consists, in dictating to man what is his duty, considered separately from what is his | interest; or in pointing out to him the propriety of virtue, as that which is due from him to o t h e r s , as what he owes to God, and to society. In this view of rectitude, the confession may, with propriety, be put into the mouth of a criminal character, “I see the right, and I approve it too, Perceive the wrong, and yet the wrong pursue.” Even in this view, however, of the erroneous conduct of rational creatures, the source of it must be sought in intellectual deficiency: for in this contest between animal desire and moral discernment, the former can only prevail in consequence of the imperfection of the latter. If our duty and interest did not go together, as they do, that degree of perception of the rectitude of virtue, of which an intelligent being is capable, would determine him to give it the preference. He who pursues the wrong, furnishes a proof, that though he perceives it, he does not perceive it with sufficient clearness; that though he sees the right, he sees it not by so strong a light as might be thrown upon it; that though he approves it, his approbation is imperfect. If it

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diese Art die Triebe, die unserm Gemüth eingepflanzt sind, immer als die Feinde unserer Tugend gezeigt werden, ohne daß man uns auf die eigentliche Beschaffenheit ihres feindseligen Einflusses aufmerksam macht; wenn man so unser Auge auf die Ursach des Lasters richtet, aber nicht die Art aufdeckt, wie diese Ursach ihre Wirkung hervorbringt, so kann es uns gar nicht einfallen, daß bey der Hervorbringung des Lasters auch der Verstand seinen Antheil habe, und wir müssen vielmehr alle Schuld auf die Leidenschaften werfen. Daher setzen die meisten Menschen in jedem Fall, wo sie ein fehlerhaftes Betragen wahrnehmen, einen Streit zwischen den Leidenschaften und der Vernunft voraus, und meinen, daß die ersteren durch eine entgegenwirkende mechanische und physische Gewalt das Bestreben und die Thä|tigkeit der vernünftigen Kraft, welche nach der andern Seite gerichtet war, überwunden hätten. Sie bemerken nicht, daß das feindselige Verfahren der Begierden gegen die Vernunft eigentlich nicht darin besteht, daß sie sich den richtigen Entscheidungen des Verstandes entgegen stemmen, und sie über den Haufen werfen, sondern darin, daß sie den Verstand unfähig machen, eine richtige Entscheidung zu fällen. Sie glauben die Sinnlichkeit führe ihren Krieg gegen das Tugendgefühl so, daß sie die gesunde Vernunft überwältige; aber ihre Kunst besteht nur darin, dieser zuvorzukommen, und sie macht den Menschen dadurch strafbar, daß sie ihn zuerst unvernünftig macht. Es ist so gewöhnlich zu sagen, daß ein unsittlicher Mensch den Ueberzeugungen seines Verstandes zuwider handle. Dies ist auch zum Theil wahr, in so fern nemlich, aber auch nur in so fern, als es das Geschäft des Erkenntnißvermögens ist uns zu sagen, was Pflicht ist ohne Rücksicht auf eignen Vortheil, und uns zu zeigen, wie wohl uns die Tugend ansteht, in so fern sie etwas ist, was wir A ndern, Gott und der Gesellschaft schuldig sind. Sieht man die Rechtschaffenheit aus diesem Gesichtspunkt an, so kann man gewiß mit allem Recht jedem, der strafbare Gesinnungen nährt, das Bekenntniß in den Mund legen, „daß er das Gute erkennt und billigt, aber doch das Böse thut, ob er es gleich als böse ansieht.“ Aber selbst wenn wir das fehlerhafte Betragen vernünftiger Geschöpfe aus diesem Gesichtspunkt betrachten, müssen wir doch die Quelle davon in einem Mangel des Ver|standes suchen; denn in diesem Streit zwischen der thierischen Begierde und dem sittlichen Gefühl kann die erstere nur deswegen siegen, weil 20 überwältige] übrewältige 32–33 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus Publius Ovidius Naso: Metamorphosen, Buch 7, Zeile 20–21; in der Übersetzung von Nahum Tate und William Stonestreet in: Ovid’s Metamorphoses in fifteen books, translated by the most eminent hands, ed. Samuel Garth, London 1717, Seite 214.

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Serm. 5: Right and wrong judgment the origin of virtue and vice

amounted to that animated view of its | beauty, which reflection is able to produce in a rational nature, it would necessarily lead him to elect it, however destitute and unendowed it might be. If his conviction of the deformity of vice were of that vigorous kind, of which an intellectual nature is susceptible, it would repel him from it, in whatever attractions it were arrayed. If “what duty dictates to be done, or warns him not to do,” stood before his understanding, in all the strength of their intrinsic colours, such a picture of these opposite practices would irresistibly impel him to “shun this more than hell, to pursue that more than heaven.”

But considering the understanding of man as his director in the path of private welfare, to which view of the subject I mean at this time to confine myself, regarding it as the judge of what he owes to h i m s e l f , it is with the full consent and approbation of his understanding, that he enters, if he do enter, into the path of the wicked. He believes—it is his o p i n i o n — that such a course of action, upon the whole, contains more good to him than the opposite line of conduct. He wants conviction of this eternal truth, the most necessary to be known by man, and which, one of our poets tells us, | it is enough for him to know, that his social duties, and his true and ultimate selfinterest, are indissolubly bound together, under the righteous government of God.

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das letztere unvollkommen ist. Auch wenn unsre Pflicht und unser eignes Wohlergehen gar nicht so mit einander zusammenträfen, wie es wirklich der Fall ist, müßte doch die Erkenntniß von der Vernunftmäßigkeit der Tugend, wenn sie nur den höchsten Grad der Deutlichkeit hätte, dessen ein verständiges Wesen empfänglich ist, es immer bestimmen ihr den Vorzug zu geben. Wer dem Bösen nachtrachtet, beweiset immer, daß wenn er es auch kennt, seine Kenntniß davon doch nicht vollständig und klar genug ist, daß wenn er auch das Gute einsieht, er es wenigstens nicht in dem hellen Licht erblickt, worin es gestellt werden kann, und daß seine Billigung desselben, wenn er es auch billigt, sehr unvollkommen ist. Hätte er sich bis zu jener lebendigen anschaulichen Vorstellung von der innern Schönheit des Guten erhoben, welche das Nachdenken bey einem verständigen Wesen hervorbringen kann, so würde ihn diese gewiß bestimmen, das Gute zu wählen, wie sehr es auch von allem äußern Schmuck und von reizenden Vortheilen entblößt wäre. Wäre seine Ueberzeugung von der Häßlichkeit des Lasters so stark, als sie bey einem verständigen Wesen seyn kann, so würde sie ihn von demselben zurück halten, von was für Reizen es auch umgeben wäre. Wenn beydes, das was die Pflicht zu thun gebietet, und das, was sie untersagt, in seinen eigenthümlichen Farben recht lebhaft vor ihm | stände, so müßte ihn dies Gemählde der beyden entgegengesetzten Handlungsarten unwiderstehlich antreiben, die eine mehr als die Hölle zu fliehn, und die andere gleich dem Himmel zu lieben. Betrachten wir aber den Verstand des Menschen als seinen Wegweiser auf dem Pfade der eignen Wohlfahrt – und auf diese Ansicht des Gegenstandes will ich mich diesmahl einschränken – betrachten wir ihn als den Richter, der entscheiden soll, was der Mensch sich s e l b s t schuldig ist, so muß ein jeder, der sich von diesem Punkt aus auf den Pfad der Gottlosen begiebt, ihn mit voller Zustimmung und Einwilligung seines Verstandes erwählt haben. Er glaubt, es ist seine M e i n u n g so, daß auf einer solchen Laufbahn im Ganzen genommen, mehr Gutes anzutreffen ist, als auf dem entgegengesetzten Wege. Es fehlt ihm an der Ueberzeugung von jener ewigen Wahrheit, deren Erkenntniß dem Menschen am nöthigsten ist, und an der er eigentlich genug hat, daß nemlich die Erfüllung seiner geselligen Pflichten und sein eigner wahrer und endlicher Vortheil unter der gerechten Regierung Gottes aufs genaueste mit einander verbunden sind. 23 andere] andern 19–20 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. cett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

23–24 Das von Faw-

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A virtuous man, it is not denied, may possess a smaller portion of understanding than another of an opposite character; but in t his o n e i n s t a n c e , the former acts from rectitude, and the latter from error of opinion. Upon this particular point, the good man discovers a clear discernment, and the bad man a clouded judgment. A little enlargement upon this truth will not terminate in empty and unprofitable speculation, but will lead to practical improvement and useful impressions. There are three points upon which the virtuous and vitious classes of mankind differ in opinion, respecting the pursuit of private happiness; upon which, the latter are led into erroneous and mistaken views; and upon which, the enquiries of the former are conducted to judicious conclusions and a rational decision of the question.

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The first of these respects the reality of those consequences of human conduct, which Religion teaches us to expect in another world. Upon this head of the enquiry into | the wisdom of acting well, it is only a part of those whose practice is wrong, that are to be charged with wrong opinion. As unbelief in a life to come cannot be said to be peculiar, neither can it be said to be common to all of them that neglect to prepare for it. As judgment to come is doubted by some, in whose conduct nothing can be discovered that might be supposed to make them tremble before the reasonings which defend the doctrine, so it is believed by the majority of them, who lead a life upon which it frowns. Many, however, there are, in whom, as some sinister sensation, either the pride of opposition to popular tenets, or a wish that there were no future state, produces an opinion that there is none; so that opinion encourages the indulgence of irregular desires, and promotes confirmation in licentious courses: and who, whatever respect may be due to the understanding of the philosophical infidel, being solely influenced by ill passion in the discussion of the subject, and consequently satisfied with the slenderest foundation for the sentiment to which their hearts incline; as they take up the side of unbelief with much less to say in support of it; as they conceive | that scale to preponderate with much less weight within it, while it contains only arguments of the lightest kind, which Reason, in a moment, finds to be wanting; while there is in it indeed nothing more than the small dust of sophistry, or perhaps than the empty breath of words, and the airy levity of wit; may be accused of discovering a contemptible irrationality in their decision, without any incivility to the more thoughtful and more reasonable unbeliever.

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Es ist nicht zu läugnen, daß ein tugendhafter Mann ein geringeres Maaß des Verstandes besitzen kann, als ein anderer von der entgegengesetzten Denkungsart, aber demohnerachtet handelt in diesem einen Stück jener nach einer gegründeten, dieser nach einer irrigen Meinung. In diesem besondern Punkt zeigt der rechtschaffene Mann einen richtigen und klaren | Blick, und der Verstand des Bösen ist verdunkelt. Eine nähere Erläuterung dieser Wahrheit wird gewiß kein müßiges und unnützes Gedankenspiel seyn, sondern uns zu praktischen Folgerungen führen, und heilsame Eindrücke hervorbringen. Es sind vornemlich drey Stücke in Beziehung auf die Einrichtung unsers Strebens nach Glückseligkeit, über welche der tugendhafte und lasterhafte Theil der Menschen nicht einerley Meinung sind, indem die letzteren ganz falsche und trügerische Vorstellungen davon haben, und nur die ersteren durch ihre Untersuchung auf richtige Schlüsse und eine vernunftmäßige Entscheidung der Frage geführt worden sind. Das e r s t e ist die Frage: ob die Folgen unsers Betragens, die uns die Religion in einer andern Welt erwarten läßt, wirklich eintreten werden? Ueber diesen Hauptpunkt in der Untersuchung: ob es weise sey tugendhaft zu leben, kann man nur einen Theil derer, die das Böse gewählt haben, eines Irrthums beschuldigen. So wenig der Unglaube an ein künftiges Leben denen ausschließend eigen ist, welche die Vorbereitung darauf vernachläßigen, eben so wenig kann man sagen, daß er ihnen allen gemein sey. Das jüngste Gericht wird von manchen bezweifelt, in deren Betragen man gar nichts entdeckt, weßwegen sie vor den Gründen zittern müßten, welche für diese Meinung sprechen, und auf der andern Seite glaubt der größte Theil derer daran, denen es bey ihrer Art zu leben nicht wenig furchtbar seyn muß. Dennoch giebt es gewiß so manche, bey denen erst irgend ein ver|werflicher Antrieb, es sey nun der Stolz von gemeinen Meinungen abweichen zu wollen, oder der Wunsch es möge keinen künftigen Zustand geben, den Wahn erzeugt hat, daß kein solcher Zustand zu erwarten wäre, und die sich denn durch diese Meinung zur Nachgiebigkeit gegen jede unregelmäßige Begierde aufmuntern, und in dem zügellosesten Wandel je länger je mehr bestärken lassen. Solche Personen, welche bey der Entscheidung über einen solchen Gegenstand von dem Einfluß der elendesten Leidenschaften geleitet werden, und sich also mit dem schlechtesten Grunde für die Meinung begnügen, an der ihr Herz hängt, können an der Achtung, die man einem verständigen Zweifler schuldig ist, keinen Antheil haben. Da sie die Parthey des Unglaubens ergreifen, ohne eben so viel für ihn sagen zu können, als jener; da 24 manchen] manchem

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And, as some of those who reject virtue are to be accused of thus irrationally relinquishing faith, so, perhaps, in every mind that lets the former go, there is some little relaxation of its hold of the latter. When faith is not renounced, yet, perhaps, it is not retained so fast by those who do not retain integrity too, as it is by them that add to it the virtues it inspires. Of the immoral class of mankind, while some suffer themselves to be led into a belief, that there is no after state, others are seduced into such loose and irregular sentiments of the divine mercy, as, upon the supposition of a succeeding scene, promise impunity to impenitent vice.|

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That, upon this subject, the licentious thinker is in the wrong, and that he is in the right, by whom it is believed, that the Governor of the world “hath appointed a day, in the which he will judge it in righteousness,” it is not my present object to prove. My design, in enumerating the opinions which are entertained by the good and the bad, upon the comparative policy of virtue and vice, is, not to evince the rectitude of the one, and the falsehood of the other, but, assuming that, which I suppose the persons, whose character is before us, to be only prevented from perceiving by disaffection to the truth, or the want of sufficient attention to it, I am only to state, that such opposite opinions are actually entertained by these opposite parties, and that these different sentiments are the sources of their respective courses of conduct.

That this opposition of opinion exists between them, upon this branch of the examination into the practical wisdom of man, I need employ no words to convince you. But it may not, perhaps, be so obvious, at first sight, though, upon a little consideration, it will appear equally certain, that there is a real difference of opinion between

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sie dieser Wagschale das Uebergewicht zugestehn, ohne eben so viel hineingelegt zu haben, indem sie in der That nichts darin haben als die seichtesten Beweise, deren Unstatthaftigkeit die Vernunft in einem Augenblick entdeckt, nichts als ein wenig sophistischen Staub, ein leeres Wortgepränge und etwas leichten flüchtigen Witz; so kann man, ohne sich dadurch gegen den nachdenkenden vernünftigen Ungläubigen zu vergehen, von ihnen wohl sagen, daß sie bey ihren Behauptungen eine verächtliche Unvernunft zu Tage legen. Und so wie es gewiß ist, daß manche von denen, welche die Tugend verwerfen, vorher den Glauben auf diese unvernünftige Weise verlassen haben, so | können wir auch annehmen, daß jedes Gemüth, welches die erstere fahren läßt, auch im letzteren nach und nach etwas wankend werden muß. Obgleich der Glaube nicht von allen denen gänzlich verworfen wird, welche der Rechtschaffenheit nicht auch anhängen, so können sie ihn doch nicht so fest halten, als diejenigen, welche mit ihm die Tugenden verbinden, die er einflößt. Indem also der eine Theil der unsittlichen Menschen sich zu dem Glauben verleiten läßt, daß es überall keinen künftigen Zustand gebe, hegt der andere wenigstens von der göttlichen Barmherzigkeit so leichtsinnige und unhaltbare Begriffe, daß ihnen zufolge unter der Voraussetzung einer andern Welt auch das unbußfertige Laster auf Straflosigkeit rechnen kann. Daß derjenige sich irrt, der diese Sache von der leichten Seite nimmt, und daß derjenige Recht hat, welcher glaubt, der Beherrscher der Welt habe „einen Tag gesetzt, an welchem er sie richten wird mit Gerechtigkeit“1, dies zu beweisen ist jetzt nicht meine Sache. Meine Absicht bey Aufzählung derjenigen verschiedenen Meinungen über den Vorzug der Tugend und des Lasters, durch welche gute und böse Menschen sich unterscheiden, ist jetzt nicht die Richtigkeit der einen und die Falschheit der andern zu zeigen, sondern dies nehme ich als bekannt an, ich setze auch voraus, daß die Personen, deren Charakter wir jetzt betrachten, nur durch Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit und durch Mangel an Aufmerksamkeit | gehindert werden, die Sache eben so wie wir einzusehen, und ich habe also nur zeigen dürfen, daß diese entgegengesetzten Partheyen wirklich so verschiedene Meinungen unterhalten, und daß diese verschiedene Denkungsart der Grund ist, warum sie eine ganz entgegengesetzte Handlungsweise befolgen. Daß über diesen Theil der Untersuchung, worin denn die praktische Weisheit des Menschen bestehe, die erwähnte Verschiedenheit der Meinungen zwischen beyden Theilen wirklich statt finde, davon 1

Ap. Gesch. 17, 31.

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the vir|tuous and vicious part of mankind, upon the point I am going to mention next; which is, upon the supposition of their both believing in righteous retribution beyond the grave.

Secondly, The comparison of present temporary, with future and eternal happiness. Is it possible, you will ask, that there should be any real difference of opinion upon this subject? —Must not a happiness, not only unbounded in duration, but inconceivably superior in degree to any thing that earth can offer to the acceptance of man, must not such happiness, upon the first sight of the subject, appear to every creature that has received from the Father of lights but one single ray of reason, more worthy of pursuit than the temporary, and comparatively trivial pleasures of sin?— No doubt, the plainest understanding is competent to decide aright, upon a case so clear, in one moment— provided that moment be a cool one. But, while the objects of Avarice, or Ambition, or Voluptuousness, are pressing upon the senses of those whose desires they have strongly excited, they wear to the eye such large and luminous appearances, as to deceive the understanding of the dazzled admirer into an opinion, into a decided persua|sion, at the moment, that they are superior in size and in splendour to the eternal, but the remote rewards, which Religion promises to the virtuous after death.

The understanding is subject to the same illusions as the sight, respecting the dimensions of its objects. Distance of time produces an error in the mind, respecting the sizes of the good and evil before it, answering to the ocular deception concerning the dimensions of visible objects, that is occasioned by distance of space. The eternal and unutterable felicity of the life to come, vast as in reality it is, looks less, from the distance at which it stands, than the much smaller, but the immediate enjoyment, which this world promises to them that confine their wishes to it. Present pleasure, though but a petty torch, yet as it is held in the hand, and is close to the eye, shoots forth bright and ruddy fires; while Heaven, although a solar orb of immense magnitude, with all the paleness of a distant star, faintly twinkles to the sight, and appears but a point of light. On the other hand, pains that 3 grave.] grave,

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werdet ihr euch, ohne daß ich viele Worte darüber machen darf, überzeugen. Nicht so deutlich ist es vielleicht auf den ersten Anblick, obgleich es bey einigem Nachdenken eben so klar werden wird, daß die Tugendhaften und Lasterhaften, vorausgesetzt, daß beyde an eine gerechte Vergeltung jenseit des Grabes glauben, auch über den Punkt, dessen ich jetzt erwähnen will, verschiedener Meinung sind, nemlich Zw e y t e n s über die Vergleichung zwischen der gegenwärtigen zeitlichen und der künftigen ewigen Glückseligkeit. Ist es möglich, werdet ihr fragen, daß man über diesen Gegenstand im geringsten verschieden denken kann? – Muß nicht eine Glückseligkeit, die nicht nur von grenzenloser Dauer, sondern auch an sich selbst unendlich herrlicher ist, als irgend etwas, das die Erde dem Menschen angenehmes darbieten kann, muß nicht eine solche Glückseligkeit schon auf den ersten Anblick jedem Geschöpf, welches von dem Vater des Lichts auch nur einen einzigen Strahl von Vernunft erhalten hat, seines ganzen Bestrebens un|endlich würdiger scheinen, als die vergänglichen, und in Vergleich mit jenen nur armseligen Vergnügungen der Sünde? Ohne Zweifel kann der schlichteste Verstand über einen so klaren Fall in einem einzigen Augenblick ein richtiges Urtheil fällen – vorausgesetzt nur, daß dies ein kalter und besonnener Augenblick sey. Da aber die Gegenstände der Habsucht, des Ehrgeizes und der Wollust den Sinnen derjenigen, deren Begierden sie heftig aufgeregt haben, so gar nahe liegen, so verbreiten sie vor dem Auge einen so großen glänzenden Schein, daß der Verstand des verblendeten Bewunderers getäuscht wird, und sich für einen Augenblick die Meinung, ja die entschiedene Ueberzeugung aufbürden läßt, diese Gegenstände überträfen an Größe und Glanz jene ewigen, aber entfernten Belohnungen, welche die Religion den Tugendhaften nach dem Tode verheißt. Der Verstand ist in Absicht auf die Größe seiner Gegenstände denselben Täuschungen ausgesetzt, wie das Gesicht. Entfernung der Zeit verursacht eine falsche Vorstellung von der Größe des Guten und Bösen, welches uns bevorsteht, so wie Entfernung des Orts das Auge in seinem Urtheil über die Größe sichtbarer Gegenstände täuscht. Die ewige und unwandelbare Glückseligkeit des künftigen Lebens, so unermeßlich sie in der That ist, erscheint wegen der Entfernung, in der sie steht, kleiner als der weit geringere, aber unmittelbare Genuß, welchen die Welt denen verheißt, deren Wünsche sich nicht weiter erstrecken. Das gegenwärtige Vergnügen ist nur eine kleine | Kerze, die 5 jenseit] vgl. Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatischkritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1–5,1, Leipzig 1774– 1786 [SB 8: Bd. 1–4 (A–V), 1774–1780], hier Bd. 2, Sp. 1435 14 den ersten] dem ersten 30 Gesicht] so DV; OD: Gefühl

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are present, whether the mental disquietude occasioned by the keen desire of some terrestrial object, or the | corporeal sufferings from which man is tempted, either, by stopping in the path in which Duty bids him proceed, to shrink back, or, when they occur to him in the irresistible course of things, to make his escape by trespassing upon prohibited ground, seem, to the mental sight of him who yields to these temptations, to be bigger evils than the threatened consequences, in the world to come, of compliance with intemperate appetites of present pleasure, or of duties omitted to avoid, or crimes committed to remove, the misery of the present moment.

Nothing is more frequent than to hear men say, perhaps we have said it ourselves, the pain of this hour is worse than all I ever endured before; when perhaps it is inferior, much inferior, to what has been formerly suffered by us. The obvious reason of this error is, that the past pain is removed to a distance from the mind; that distance has lessened its apparent magnitude. To the same mistake, for the same reason, we are subject, in our comparisons of present pain and pleasure with future good and evil. The threatenings of Scripture are terrible words; the punishment of sin which Reason pictures to | the imagination of man, is a formidable image; but the present evils which may impend over the prosecution of virtuous and generous enterprises, or which may be shaken off the shoulders by vitious and dishonest practices, press so powerfully upon the feelings, or upon the fears; and the present pain, produced by the desire of an object of which it is become enamoured, is so tormenting to the mind, and stings the bosom with so sharp a point, that deliverance from these present tortures appears to him, who is either terrified or allured from his duties, to be a more eligible lot than the avoidance of any other evil, or the security of any other good, that is remote and in reversion. As the immediate participation of the plainest bread is preferable, in his eye who suffers the extremity of hunger, to the most sumptuous food for which he must stay, so immediate release from any great uneasiness is apt to look, to the human mind, a larger good than any that lies beyond the grave.

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aber, weil man sie in der Hand, und ganz nahe vors Auge hält, eine glänzende und helle Flamme giebt; der Himmel ist zwar eine Sonne von unermeßlicher Größe, aber bleich wie der entfernteste Stern schimmert er nur ganz schwach, und scheint nichts als ein einzelner Lichtpunkt zu seyn. Auf der andern Seite zeigt sich auch jeder Schmerz größer, der in diesem Augenblick gefühlt wird. Die Unruhen des Gemüths, welche das heftige Verlangen nach irgend einem irdischen Gegenstande veranlaßt, die körperlichen Leiden, denen wir entgehen könnten, wenn wir auf dem Wege unserer Pflicht einen Stillstand machen wollten, die Unannehmlichkeiten, welche der unwiderstehliche Lauf der Dinge uns zuführt, und denen wir entweichen könnten, wenn wir uns auf verbotenen Grund und Boden flüchten wollten; dies alles scheint den Geistesaugen dessen, der diesen Versuchungen Gehör giebt, ein größeres Uebel zu seyn, als alle die unangenehmen Folgen, womit uns die künftige Welt zu bestrafen droht für diese Nachgiebigkeit gegen unmäßige Begierden, für diese Unterlassungssünden, welche begangen wurden, um das Unglück des gegenwärtigen Augenblicks zu vermeiden, und für die Verbrechen die verübt wurden, um ein solches zu entfernen. Nichts ist gewöhnlicher, als daß man ausrufen hört – vielleicht haben wir es selbst schon gesagt: „was ich in diesem Augenblick leide, ist ärger als alles, was mir je begegnet ist,“ da doch vielleicht dieser gegenwärtige Schmerz gelinder, weit gelinder | ist, als was wir sonst schon erduldet haben. Die Ursach dieses Irrthums liegt uns sehr nahe: er kommt daher, weil der frühere Schmerz schon in einer gewissen Entfernung von der Seele steht, und diese Entfernung seine scheinbare Größe vermindert. Demselben Irrthum sind wir aus derselben Ursach ausgesetzt bey der Vergleichung eines gegenwärtigen Vergnügens oder Schmerzes mit einem Gut oder Uebel, welches uns noch bevorsteht. Die Drohungen der Schrift sind schreckliche Worte; das Gemählde von den Strafen der Sünde, wie es die Vernunft der menschlichen Einbildungskraft vorhält, ist ein fürchterliches Gemählde; aber die gegenwärtigen Unfälle, die der Beharrlichkeit bey tugendhaften und edeln Entschliessungen drohn, oder die wir durch ein lasterhaftes und unredliches Betragen von uns abwenden können, diese wirken so mächtig auf unsre Empfindung und erregen so heftige Besorgnisse, das unangenehme Gefühl welches aus der Begierde nach einem Gegenstand, an welchem das Gemüth hängt, zu entstehen pflegt, ist so quälend, und verwundet mit einem so scharfen Stachel, daß Befreyung von dieser gegenwärtigen Pein dem, der so von dem Wege seiner Pflicht hinweggeschreckt oder hinweggelockt wird, viel wünschenswerther scheint, als 21–22 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.

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This opinion of the superior size of present, to that of future objects in reality much larger, has a considerable share in producing the sacrifice of immortal to momentary plea|sure. Nor is this the less an opinion in the strictest sense of the word, because the error of it is capable of being corrected by the exerted reflection of the most moderate understanding. While it remains uncorrected, it is as truly the opinion of the mind by which that reflection is not exerted, it is as much a mistake, as the delusion that should lead a child, as yet untaught by experience, to imagine the cottage, by the side of which he stands, to be a greater building than the church, the spire of which its remoteness has reduced to the size of a spire of grass. Error is not the less error, because it proceeds, not from defect of understanding, or from deficiency of evidence, but from want of due consideration. Voluntary ignorance is as real as that which is inevitable. The insanity, which the mind has brought upon itself by intemperate passions, is as much madness, as that which is inherited from Nature, or occasioned by tragedy. Whatever the cause, the effect is the same; Reason is dethroned; Imagination reigns.

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The third question in the enquiry into the true interest and happiness of man, in the determination of which, the wicked dis|cover an erroneous, and the virtuous a right judgment, is, which of the two opposite courses of good and evil conduct contains, upon the whole, the greatest sum of p r e s e n t happiness. Those who make choice of the paths of sin, not only believe, but are sure, that they shall derive more immediate happiness from it than a virtuous life is capable of yielding them. With respect to their preference of present, to eternal happiness, they are not so decided and undoubting, they are not so established and grounded in error, as they are upon this point. Upon that question, they have their intervals of hesitation; they have their periods of perfect escape from the fallacy under the influence of which they act; in which injured Truth, banished by Passion, returns from exile, and complains of the injustice done her. In moments of retire-

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die Vermeidung irgend eines Uebels, oder die Erwartung eines Gutes, welches ihm in der Ferne gezeigt wird. So wie der unmittelbare Besitz der einfachsten Speise, dem, der den äußersten Hunger leidet, weit mehr werth ist, als das köstlichste Mahl, worauf er noch warten soll; so kann | auch das menschliche Gemüth sehr leicht die unmittelbare Erlösung von irgend einer großen Unannehmlichkeit für ein weit größeres Gut halten, als irgend etwas, das erst jenseit des Grabes liegt. Dieser Wahn, der den näheren Gegenstand größer vorstellt als den entfernteren, welcher ihn weit übertrift, ist vorzüglich Ursach, daß das ewige Glück dem Vergnügen des Augenblicks aufgeopfert wird. Auch ist dies deswegen nicht weniger eine Meinung im strengsten Verstande des Wortes, weil schon eine solche Ueberlegung, wie auch der mäßigste Verstand sie anstellen kann, hinreicht den Irrthum aufzudecken. So lange er noch nicht verbessert ist, bleibt er doch eben so gewiß die Ueberzeugung desjenigen, der diese Ueberlegung noch nicht angestellt hat, und ist eben so gewiß ein Mißverständniß, als jene Täuschung, durch welche das unerfahrne Kind sich verleiten läßt, die Hütte, an der es steht, für größer zu halten, als die Kirche, deren Thurmspitze in der Entfernung nicht größer aussieht als ein Grashalm. Der Irrthum hört deswegen nicht auf Irrthum zu seyn, weil er weder aus Mangel an Verstand, noch aus Mangel an Deutlichkeit der Sache, sondern bloß aus Mangel an gehörigem Nachdenken entstanden ist. Die selbst verschuldete Unwissenheit ist eben so sehr Unwissenheit als die, welche man nicht vermeiden konnte. Der Wahnsinn, welchen der Mensch durch unmäßige Leidenschaften sich selbst zuzieht, ist eben so sehr Wahnsinn, als der welcher angeboren oder aus gelegentlichen Ursachen entstanden ist. Die | Ursache sey welche sie wolle, so bleibt die Wirkung dieselbige: die Vernunft ist abgesetzt, und die Phantasie regiert. Die d r i t t e zu dieser Untersuchung über das wahre Interesse und die Glückseligkeit der Menschen gehörige Frage, bey deren Entscheidung die Bösen eine verkehrte, und nur die Tugendhaften eine richtige Art zu urtheilen entdecken, ist diese: welcher von den beyden entgegengesetzten Wegen zu der größten Summe von Glückseligkeit hier auf Erden führe? Diejenigen, welche den Weg der Sünder wählen, glauben nicht nur, sondern überzeugen sich fest davon, daß sie dort mehr unmittelbare Glückseligkeit finden werden, als ein tugendhaftes Leben ihnen zusichern könnte. Was den Vorzug betrift, den sie der gegenwärtigen Glückseligkeit vor der künftigen geben, so sind sie darin doch noch nicht so völlig entschieden, und über alle Bedenklichkeiten hinweg, nicht so fest und wohlgegründet in ihrem Irrthum, als 3 Hunger leidet] Hungerleidet

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ment from human life, and of removal from those objects, which have excited the desires that bias their judgment of good and evil, they sometimes may, and, no doubt, they often do, perceive the superiority of the possessions which Religion proposes to their pursuit. Their delusion, upon that point, is confined to the presence, and operation upon | their passions, of those terrestrial objects, by which it is occasioned, along with which it retires, and along with which it recurs. But, that the present pleasures of sin are superior to those of virtue, is a sentiment which they firmly entertain, at least in the outset of their career, which they coolly and soberly adopt, which they owe, not to the mist of Passion by which are misrepresented, but to the shade of ignorance in which are concealed, the objects of the judgment.

I pass by, under this head, those mistakes, of the pursuers of happiness in crooked paths, whether proceeding from inexperience of the courses of things, from want of close observation of human life, or whether from the blinding operation of appetite upon the understanding, which respect those temporal effects of vice and virtue upon human welfare that are of a more visible and striking nature. I pass by those erroneous judgments which, in relation to terrestrial retribution, are of the nature of those we have considered under the foregoing heads, relatively to retribution beyond the grave. I pass by the infidelity of the sensualist, of the hypocrite, and the knave, in the await for them, with whatever fre|quency they may have fallen upon others, of those punishments in health, in reputation, in property, or in person, with which such characters are denounced by the common sequels of such histories, but, in his personal security from which, the sanguine individual derives a confidence that opposes and repels all the conclusions to which the usual courses of human life conduct a judicious eye, from his supposed superiority to others, in strength, either of constitution, or of resolution to relinquish in time the irregularities that destroy it; or in the management of that mask which has fallen off from so many blushing faces; or in the address of that dishonesty 10 coolly] cooly

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in diesem letzten Punkt. Ueber jene Frage schwankt ihr Urtheil noch bisweilen, und es giebt Zeiten, wo sie ganz frey sind von der Täuschung, welche gewöhnlich auf sie wirkt, wo die beleidigte Wahrheit, welche die Leidenschaften vertrieben hatten, aus ihrer Verbannung zurückkehrt, und sich über das erlittene Unrecht beklagt. In solchen Augenblicken, wo sie von der Welt entfernt sind, und jene Gegenstände nicht sehen, wodurch die Begierden, die ihr Urtheil über Gutes und Böses so sehr verfälschen, erregt worden sind, in solchen Augenblicken können sie doch bisweilen einsehn, und wer|den es auch gewiß öfters, um wie viel vorzüglicher das Gute sey, was die Religion ihnen anbietet. Ihre Täuschung über diesen Punkt hängt von der Gegenwart und der unmittelbaren Einwirkung jener irdischen Gegenstände ab; durch diese wird sie veranlaßt, mit diesen entfernt sie sich, und kehrt auch mit ihnen wieder zurück. Daß aber hier auf Erden die Vergnügungen der Sünde größer sind, als die der Tugend, dies ist eine Meinung, welche sie, zum wenigsten wenn sie ihre Laufbahn antreten, fest bey sich unterhalten, welche sie bey kaltem Blut und nüchterner Ueberlegung annehmen, und welche ihren Grund nicht in der Verwirrung der Leidenschaften hat, die den Gegenstand der Beurtheilung nur in ein falsches Licht stellen, sondern in den Schatten der Unwissenheit, die ihn gänzlich verbergen. Ich übergehe die Mißverständnisse, wobey es auf einen solchen Einfluß der Tugend und des Lasters auf menschliches Wohlergehn ankömmt, der ganz augenscheinlich und klar ist; die Mißverständnisse, welche bey denen, die auf krummen Wegen ihre Glückseligkeit suchen, so gewöhnlich angetroffen werden, es verführe sie nun Unbekanntschaft mit dem Lauf der Welt, oder Mangel an genauer Beobachtung des menschlichen Lebens, oder eine Begierde welche den Verstand verblendet. Ich übergehe ihre falschen Vorstellungen von der Vergeltung, welche hier auf Erden statt findet, indem sie ganz denen gleich sind, die sie sich über die Vergeltung jenseits des Grabes zu machen gewohnt sind. Ich übergehe die verstockte Sicherheit | der Schwelger, der Heuchler, der Betrüger, die immer nicht glauben wollen, daß auch sie an ihrer Gesundheit, ihrem Ruf, ihrem Eigenthum, ihrer Person die Strafen werden erdulden müssen, welche schon so viele Andere betroffen haben, und durch welche gewöhnlich im Verlauf der Begebenheiten das Verderben des Gemüths offenbar wird. Ich übergehe, wie thöricht immer jeder einzelne in seinem frohen Muth sich außer Gefahr glaubt, weil er auf seinen stärkern Körperbau, auf seine größere Entschlossenheit in einem unregelmäßigen Leben noch zu rechter Zeit inne zu halten, auf seine Geschicklichkeit im Anlegen 23–24 ankömmt] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 289

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by which so many have been brought into desolation. I pass by also the imprudent preference discovered by the rioter, the prodigal of opulence, or the indolent dependant upon industry, when incapable of excluding from their foresight the consequences of their conduct, in comparing the gay, the shining, but the short delights of sensual excess, with the “long health, long youth, long pleasure,” which temperance tends to procure; in weighing the fleeting satisfaction of sloth that is soon to be roused by the arrival of ruin, with | the lasting ease of the competence with which the hand of the diligent is rewarded; or in balancing the light and momentary pains of abstinence, or of exertion, with those of sickness, of want, or of imprisonment.

I confine myself to those false views of the comparative happiness of virtue and vice in the present world, discovered by the electors of the latter, which proceed from unacquaintance with the influences of these opposite characters upon the menta l, and their more secret and o c c u l t effects upon the animal enjoyment of man; that erroneous judgment which springs, not from deficiency of attention to evidence that is before the mind, but from the want of proofs themselves; proofs, which, though they are to be procured, have been never collected and presented to their understanding, either by themselves or by others: in short, that wrong judgment which arises from ignorance; ignorance of the nature of man, of the nature of happiness, and the absolute necessity of virtue to the happiness of such a creature.

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He who determines to lead a life of indolence, or of licentious pleasure, or to devote his days to the pursuits of avarice, or of am|bition, does not k n o w, at the time that he forms this determination, that the certain attendants upon intemperance, if it should not be attended by untimely mortality, are satiety, languor, and dull enjoyment; the death of vivacity, if not of life; the expiration of the spirit, if not of the breath of existence: that the infallible and invariable effect of inactivity is melancholy: that the immoderate desire of super-

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der Maske, die doch schon so manchem entfallen ist, und ein schamvolles Angesicht gezeigt hat, auf seine besondere Schlauigkeit bey dem nemlichen unredlichen Wesen, welches schon manchen ins Verderben gestürzt hat, kurz auf die Vorzüge, welche er sich vor andern seines gleichen zuschreibt, allen richtigeren Folgerungen, die ein verständiges Auge aus dem gewöhnlichen Gang des menschlichen Lebens ziehen würde, zum Trotz, ein ganz blindes Vertrauen setzt. Ich übergehe es, wie unklug in der geschäftlosen Klasse die Zerstreuten, in der wohlhabenden die Verschwender, in der arbeitsamen die Trägen ihre Rechnung zu machen pflegen, wenn sie sich die zu erwartenden Folgen ihres Betragens nicht länger verbergen können, und also die lustigen blendenden aber kurzen Vergnügungen ausschweifender Sinnlichkeit mit dem ununterbrochenen Wohlbefinden, der immer jugendlichen Munterkeit, der immerwährenden Freude, welche die Mäßigkeit | verschaft; die schläfrige Ruhe des Trägen, die doch aufgeschüttelt wird durch den herannahenden Untergang, mit dem sichern Wohlstande, der die Hand des Fleißigen belohnt, und die unbedeutenden, vorübergehenden Unannehmlichkeiten der Enthaltsamkeit und der Anstrengung mit den Leiden der Krankheit, des Mangels oder des Kerkers vergleichen müssen. Ich verweile nur bey einer andern falschen Ansicht von welcher die Anhänger des Lasters, wenn sie die Glückseligkeit desselben mit der der Tugend vergleichen, auszugehn pflegen, und die daraus entsteht, daß sie mit dem unmittelbaren Einfluß beyder Handlungsweisen auf den geistigen, und sogar mit ihrem geheimern Einfluß auf den sinnlichen Genuß des Menschen unbekannt sind: bey den irrigen Vorstellungen nemlich, woran nicht gedankenlose Vergessenheit der Ueberzeugung, die im Gemüth wirklich vorhanden ist, Schuld hat, sondern Mangel an Gründen um überzeugt zu seyn, Mangel an Beweisen, die sie sich freylich hätten verschaffen können, die aber doch nie, weder durch eigne noch fremde Bemühungen, dem Auge ihres Verstandes in ihrer ganzen Verbindung dargestellt worden sind; kurz bey dem unrichtigen Urtheil, welches aus der Unwissenheit entsteht, die die Natur des Menschen, die Natur der Glückseligkeit, und die Nothwendigkeit der Tugend zur Glückseligkeit eines solchen Geschöpfs nicht kennt. Wer sich entschließt ein träges oder ein zerstreutes und ausgelassenes Leben zu führen, wer seine Tage den Bestrebungen der Habsucht oder des Ehr|geizes widmet, der weiß es gewiß zu der Zeit, da er diesen Entschluß faßt, nicht, daß Ueberdruß, Schwäche, Stumpfsin13–14 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Alexander Pope: Epistle to Mrs M. B., on her birth-day, Zeile 2. Pope (1688–1744) widmete das Gedicht Martha Blount (1690–1762) zu ihrem Geburtstag am 15. Juni 1723; es wurde erstmals im British Journal am 14. November 1724 veröffentlicht.

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fluous possessions, even when crowned with prosperity, must be accompanied with anxiety, with dissatisfaction, and, while a single superior can be seen in the fortune, the fame, or the power, upon which the supreme affections are placed, with the fretfulness of envy: that evil passions cannot, even in the smoothest situations in which human life can lap them, find a secure asylum from the roughnesses that irritate and torment them: that Conscience, even when most successfully muffled, must, at moments, recover her voice, remonstrate with all her authority, and reprove with all her thunder, so as to disturb the repose of the most tranquil, and embitter the reward of the most successful guilt. Such a one does not know, when he thus dedicates his life to Folly, in | consequence of having received no convincing instruction from others, and having made no close observations himself concerning human nature, that temperate pleasures, innocent employment, moderate desires, generous affections, and an approving conscience, compose the greatest present happiness of which man is capable.

Upon entering the world, he is deceived by the dresses, he is dazzled by the glare of things. He “looketh upon their outward appearance,” and is imposed upon by their plausible surfaces. He mistakes height of station, for superiority to care; affluence of possessions, for fulness of joy; the arm of power, for capacity to execute whatever inclination can prompt. He has no idea of the indigence which it is possible for the rich, or of the impotence which it is possible for the great, to experience. He has heard of the toils of Virtue to obtain her serious and sublime ends, but not of the toils of Voluptuousness to invent some new pleasure, when the world of it has been exhausted by excess. He has heard of the sigh of Sorrow, of the sigh of Sympathy, of the sigh of Penitence, but never of the sigh of Sloth. He has been | told of the weight of calamity, but not of the weight of time. He has often been informed of the wants of mankind, but has never been led to number among them the want of something to do; a want as legibly inscribed in many a melancholy countenance, and as painful to Na-

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nigkeit, wenn nicht ein früher Tod den Auftritt unterbricht, das gewöhnliche Gefolge der Unmäßigkeit ausmachen; daß sie die Lebhaftigkeit des Gemüths tödtet, wenn auch nicht das Leben selbst; daß sie den Muth zum Leben, und die Lust daran vernichtet, wenn auch nicht die Kraft und den Othem dazu; er weiß es nicht, daß Schwermuth die beständige, unausbleibliche Folge der Unthätigkeit ist; er weiß nicht, daß ein unmäßiges Verlangen nach überflüßigen Besitzungen, wenn auch der glücklichste Erfolg es krönt, doch immer von Angst und Mißvergnügen begleitet ist, ja daß, so lange er nur noch einen vor sich sieht auf der Bahn des Glücks, der Ehre oder der Macht, wo er seine höchste Glückseligkeit sucht, auch der verzehrende Unmuth des Neides nicht von ihm läßt; er weiß nicht, daß schlechte Leidenschaften selbst in den angenehmsten Verhältnissen, in welche das menschliche Leben sie einhüllen kann, keinen Zufluchtsort finden gegen die wilden Schmerzen, von denen sie immer gereizt und gequält werden; er weiß nicht, daß das Gewissen, wenn es auch noch so fest geknebelt ist, doch in gewissen Augenblicken seine Sprache wieder erhält, mit seinem ganzen Ansehn einredet, und mit seiner donnernden Stimme so laut verurtheilt, daß es die Ruhe auch des sichersten Verbrechers stört, und dem glücklichsten Sünder seinen Lohn verbittert. Indem ein solcher Mensch, der selbst keine genauen Beobachtungen über | die menschliche Natur angestellt, und von andern keinen belehrenden Unterricht darüber erhalten hat, sein Leben auf diese Art der Thorheit widmet, weiß er gewiß nicht, daß mäßige Vergnügungen, schuldlose Beschäftigungen, eingeschränkte Wünsche, edle Neigungen und ein beyfallgebendes Gewissen die größte Glückseligkeit hervorbringen, deren der Mensch für jetzt fähig ist. Indem er in die Welt hineintritt, wird er durch das feine Ansehn der Dinge getäuscht, und durch ihren Glanz geblendet. Er sieht auf den äußern Schein, und die schöne Aussenseite macht ihn sicher. Hohen Rang nimmt er für Freyheit von Sorgen, reichliche Besitzungen für Fülle des Wohlergehens, und einen mächtigen Arm für die Fähigkeit alles auszuführen, wozu ihn seine Lust reizt. Er hat keinen Begriff von der Dürftigkeit, die auch bey dem Reichen einkehren kann, von der Ohnmacht die auch der Vornehmere fühlen muß. Er hat gehört von der Mühe, die es der Tugend kostet, ihre ernsten und erhabenen Absichten zu erreichen; aber nicht von der Mühe, welche die gierige Sinnlichkeit anwenden muß, um irgend ein neues Vergnügen zu erfinden, wenn übermäßiger Genuß den ganzen Kreis der bisherigen erschöpft hat. Er hat gehört von den Seufzern des Kummers, von den Seufzern des Mitgefühls, von den Seufzern der Reue; aber nie von den 29–30 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Sam 16,7

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ture, as any other necessity. He has seen the sensualist at the banquetting board, but never in the flat intervals that separate the seasons of animated entertainment. The song of his mirth, the roar of his riot, have reached his ear; but not the groan of his solitude, but not the lamentation of his listless hour. He has beheld the fire of his kindled look, in his excited moment; but he has not witnessed the dim eye, and the dead dejection of his aching head. He has seen the rich man’s house, the rich man’s table, the rich man’s fields, the rich man’s friends, but he has not looked into the rich man’s heart. He has imagined the pleasure of flattered, but not the pain of mortified, pride. In contemplating the master of the palace, he has thought only of Hezekiah indulging domestic vanity in the disguise of courteous hospitality, and shewing to the admiring guest “all the things that are in his | house;” but Ahab returning home “heavy and sore displeased,” is an appearance which has never presented itself in his picture of grandeur. In painting to himself the image of Ambition that has climbed with successful feet, or of Lust of fame, when crowned with its laurel, he delineates, in his mind, a serene and satisfied figure, looking down with delight from the heights of station, or listening with transport to the tabrets of praise: he has not noticed, in such situations, the wrathful and ruffled form of Jealousy, darting from her dark eye malignant looks, and casting from her hand the furious javelin, at a larger sharer in the breath of celebration, or in the ribbands of honour.

But, if the selfish courses of human conduct, whatever the particular direction which they take, and with whatever success they be attended, contain so much disquietude and dissatisfaction, must not those who make choice of them, after a time, discover the error of their choice? and will not a rectification of the mistake be followed by a reformation of the manners? If this be a just representation of the path of vice, must not disappointment, after a time, reclaim them | that have entered into it? Will not that instinct, which points to happiness, convert to virtue the unsuccessful searcher after it in vice? There is in all error, and especially in that which leads mankind

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Seufzern der Trägheit. Von der Last des Unglücks hat man ihm erzählt, aber nicht von der Last der Langenweile. Er hat sich oft über die Mängel unterrichtet, welche | die Menschen drücken, aber nie ist es ihm eingefallen, daß auch der Mangel an Beschäftigung dahin gerechnet werden müßte; ein Mangel der auf manchem trübseligen Angesicht eben so leserlich geschrieben steht, und der menschlichen Natur eben so peinlich ist, als irgend eine andere Noth. Er hat den Diener der Sinnlichkeit an der Tafel des Gastmahls gesehen, aber nicht in den schalen Zwischenstunden, die mit seinen lebhaften Freuden abwechseln; seinen fröhlichen Gesang, sein ausgelassenes Getümmel hat er vernommen, aber nicht seine einsamen Seufzer, nicht die Unzufriedenheit seiner unbesetzten Stunden. Er sah das Feuer seines brennenden Blickes in den Augenblicken der Lust, aber nicht das trübe Auge, nicht die todtengleiche Mattigkeit, welche die Schmerzen seines wüsten Kopfs begleitet. Er hat des reichen Mannes Haus, des reichen Mannes Tafel, des reichen Mannes Felder, des reichen Mannes Freunde gesehen, aber in des reichen Mannes Herz hat er nicht hineingeschaut. Von dem Vergnügen des geschmeichelten Stolzes hat er eine Vorstellung, aber nicht von der Pein des gekränkten. Wenn er den Herrn des Pallastes sah, dachte er immer an Hiskia, der unter dem Vorwande der bereitwilligen Gastfreundschaft seiner Eitelkeit schmeichelte, und den bewundernden Gästen zeigte „alles, was in seinem Hause war“2, aber Ahab, der „heimzog zornig und voll Unmuths in sein Haus“3, das ist ein Gegenstand, der in seinem Gemählde menschlicher Größe | keinen Platz gefunden hat. Wenn er sich das Bild des Ehrgeizes ausmahlt, der mit glücklichen Schritten den Gipfel erstiegen hat, oder der Ruhmbegierde die nun mit ihren Lorbeeren gekrönt ist, so zeichnet er sich eine heitere, glückliche Gestalt, die wonniglich von ihrer Höhe herabsieht, oder entzückt auf die laute Verkündigung ihres Ruhmes lauscht; aber er weiß nichts von der grimmigen zerstörten Gestalt der Eifersucht, welche boshafte Blicke aus ihren finstern Augen sprüht, und ihren giftigen Wurfspieß gegen jeden abschießt, der noch einstimmiger gepriesen wird, und noch reicher ist an Bändern der Ehre. Wenn aber jede Lebensart, wobey man nur der eignen Sinnlichkeit fröhnt, ohne Unterschied der besondern Richtung, welche wir nehmen, und des guten Glückes, welches uns begleitet, jederzeit so viel Unruhe und Mißvergnügen mit sich bringt, müssen nicht die, welche sie gewählt haben, nach einiger Zeit das Irrige ihrer Wahl einsehen? 2

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2 Kön. 20, 15. 1 Kön. 20, 43.

20 Hiskia] Hiskias

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astray from duty, a strange tenaciousness of its hold, in proportion to the time in which it has had possession of the mind. It obstinately adheres to the head that it enters. The sons of Folly even experience fails to teach wisdom. Infatuation, like a sad fatality, attends them, and fixes their feet in the paths they have chosen. Those deceitful paths, as fast as they disappoint, are adapted to renew, the expectations they possessed the power to raise. The fond and easy faith, which, the plausible appearances in them that promise happiness, have won, when it faints in that moment of arrival to them which discovers them to be phantoms, is in an instant refreshed and revived by a succession of other forms that promise as fair. Although the worshippers of the world experience that care, that envy, that discontent, which must ever accompany the confinement of the affections to it, their eyes are perpetually upon objects, successively pre|senting themselves as their predecessors fail to keep their promise, that are to cure them of their care, that are to ease them of their envy, to put an end at last to their discontentment, and satisfy the desires that have been so often disappointed. Though the lovers of pleasure never fail to find, that the heavy hour, the blank spaces and gloomy voids of life are continually recurring, yet they look forward, in those languid moments of it, to its sprightly and spirited periods; they have never experienced the superiority of that sensual happiness which the sober enjoy; they have never tasted that uniform and temperate vivacity which is “a perpetual feast;” and, in the long intervals of listless sensation, through which they droop under the load of life, the understanding partakes of the body’s languor, and is too feeble to reflect upon the folly of such courses. The lap of voluptuousness dissolves the intellect of man, and takes away from him the very power of reflection. And, although the idle invariably find it more difficult to support unoccupied time, than the industrious to bear the burden of business, yet they are not aware that indolence is the cause | of their depression. They are not happy, but they know not why; they wonder that they are not.

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Wird nicht auf die Aufklärung des Mißverständnisses auch die Aenderung ihrer Sitten folgen? Wenn diese Zeichnung von dem Pfade des Lasters wirklich die richtige ist, wird nicht getäuschte Hoffnung nach einiger Zeit diejenigen, die ihn betreten hatten, zur Rückkehr bewegen? Wird nicht der Trieb nach Glückseligkeit den, der sie beym Laster vergeblich gesucht hat, zur Tugend bekehren? Leider hat jeder Irrthum, und besonders ein solcher, der die Menschen von ihrer Pflicht entfernt, eine eigene Hartnäckigkeit, die desto größer wird, je länger er schon im Besitz seines Platzes gewesen ist. Er | hängt sich in jedem Gemüth, welches ihn einmahl aufgenommen hat, unbeschreiblich fest an. Selbst der Erfahrung gelingt es nicht, die Söhne der Thorheit Weisheit zu lehren. Wie ein unvermeidliches Schicksal folgt ihnen ihre Bethörung überall, und hält ihre Füße auf dem Wege fest, den sie einmahl ergriffen haben. So oft auch diese betrügerischen Pfade die Hoffnung täuschen, so wissen sie doch die Erwartungen, die sie Anfangs erregt hatten, immer wieder eben so schnell zu erneuern. Wenn das süße und behagliche Zutrauen, welches die glänzenden, glückverheißenden Erscheinungen, die wir auf diesem Wege sehen, sich erwarben, in demselben Augenblick verschwindet, da wir uns ihnen nähern, und entdecken, daß sie nur Fantome waren; so wird es durch eine Reihe neuer, eben so vielversprechender Gestalten auch in einem Augenblick wieder belebt und aufgefrischt. Wenn gleich die Verehrer dieser Welt alle die Sorge, den Neid, das Mißvergnügen empfinden müssen, welches immer diejenigen trift, die ihr allein ihre Zuneigung widmen, so wird doch ihr Auge, sobald einige von diesen Dingen ihr Versprechen gebrochen haben, schon wieder auf andere Gegenstände gerichtet, die sich ihnen an die Stelle der vorigen anbieten, um sie endlich von ihrer Sorge zu befreyen, von ihrem Neide zu erlösen, ihrem Mißmuth ein Ende zu machen, und die Begierden zu befriedigen, die so oft getäuscht worden sind. Obgleich die, welche sich dem Vergnügen ergeben haben, bekennen müssen, daß die unmuthigen Stunden, die leeren Stellen, die trübe | Langeweile in ihrem Leben immer wiederkehren, so sehn sie doch in diesen geistlosen Augenblicken immer noch vorwärts auf glänzendere und fröhlichere Zeiten; sie haben nie erfahren, wie viel vorzüglicher die sinnliche Glückseligkeit ist, die der Enthaltsame genießt; sie haben nie die gleichförmige und gemäßigte Heiterkeit gekostet, welche ein tägliches Wohlleben4 ist, und in den langen unlustigen Zwischenräumen, in 4

Sp. Sal. 15, 15.

37–38 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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And, should a ray of moral conviction break through the mental darkness of the dissipated, or the indolent man, they do but exchange the error, which led them to look for happiness in sensuality or sloth, for that species of delusion in the search after it, which we have considered in the preceding parts of this discourse. The present pain to the one, proceeding from that forbearance of superfluous pleasure which, to him who has been accustomed to it, is accompanied with the agony of famine; and to the other, from that effort to rise which, to those who have reclined till their natures are become inert as inanimate matter, is the severe strain of intense toil, to which nothing but necessity can prick the sides of sloth; the immediate pain to such persons, from such a rent of their inclinations from their course, appears so formidable an evil to their eye, as not to be counterbalanced by the prospect of that uniform cheerfulness and regular flow of pleasant sensations, which, though to be expected with certainty from a change of conduct, yet cannot be hoped till | that change is become habitual; and which is, therefore, removed to some, though to but a small, distance from the present moment.

Upon the whole, then, it must appear evident to every one who will think for a moment upon this subject, that the immoral conduct of intelligent beings is the effect of wrong judgment; that those who choose the path of vice, however acute and penetrating, however clear in their conceptions, and right in their conclusions, upon other subjects, they may discover themselves to be, upon the question of their own welfare, act under the influence of intellectual cloud. Every living thing is a friend to itself. Every sensitive creature, so far as it perceives 10 strain] so Errata-Verzeichnis; OD: train

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welchen sie von der Last des Lebens niedergedrückt hinschleichen, ist auch ihr Verstand von der Mattigkeit des Körpers angesteckt, und zu schwach um das Thörichte ihrer Lebensweise einzusehen. Die Netze der Sinnenlust umstricken den Verstand des Menschen, und benehmen ihm selbst das Vermögen nachzudenken. Und wenn auch dem Müßigen die geschäftlose Zeit allemal schwerer zu ertragen wird, als dem Thätigen die Last seiner Arbeiten, so fällt es ihm doch nicht ein, daß die Trägheit die Ursach seines Unmuthes seyn könne. Er ist nicht glücklich, aber er weiß nicht warum, und er wundert sich, daß er es nicht ist. Und sollte ja ein Strahl von Ueberzeugung durch den Nebel hindurchdringen, von dem das Gemüth der zerstreuten und müßigen Menschen immer umgeben ist, so würden sie nur anstatt des Irrthums, der sie verleitete ihr Glück in der Sinnlichkeit und im Müßiggang zu suchen, bey ihrem Streben nach Glückseligkeit in jene andere Täuschung hineingerathen, von der ich im ersten Theil dieses Vortrages geredet habe. | Demjenigen, der an ein Uebermaaß von Ergötzlichkeiten gewöhnt ist, verursacht die Entbehrung derselben, die von allen Empfindungen eines nagenden Hungers begleitet ist, einen unmittelbaren Schmerz; dem der sich der Ruhe überlassen hat, bis Körper und Geist so träge geworden sind, als die leblose Materie, ist sein Bestreben sich zu erheben so peinlich, daß es die härteste, angreifendste Arbeit ist, wozu nur die äußerste Noth den Trägen anspannen kann; und dieser unmittelbare Schmerz, welchen sie empfinden, wenn ihre Neigungen in ihrem gewöhnlichen Lauf aufgehalten werden, erscheint ihnen als ein so furchtbares Uebel, daß die Aussicht auf jene gleichförmige Heiterkeit, auf jene ununterbrochene Folge angenehmer Empfindungen, so gewiß sie auch bey einer Aenderung ihres Lebens zu erwarten seyn mag, ihm doch um so weniger das Gleichgewicht hält, da dieses Glück nicht eher eintreten wird, bis die neue Lebensweise ihnen schon zur Gewohnheit geworden ist, und sie es also immer in einiger, wenn gleich geringen Entfernung vom gegenwärtigen Augenblick sehen. Im Ganzen also muß es einem jeden, der einigermaßen über die Sache nachdenken will, klar seyn, daß das unsittliche Betragen vernünftiger Wesen nur die Folge eines unrichtigen Urtheils seyn kann, und daß diejenigen, welche den Pfad des Lasters wählen, wenn sie sich auch bey andern Gelegenheiten noch so fein und scharfsinnig, noch so klar in ihren Begriffen und folgerecht in ihren Schlüssen zeigen, doch da, | wo es auf ihre eigne Wohlfahrt ankömmt, einen umwölkten Verstand verrathen. Jedes lebendige Geschöpf liebt sich selbst. Jedes empfindende Wesen muß, sobald es den Unterschied bemerkt, einen höheren Grad von Glückseligkeit dem geringern vor-

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the difference, must prefer a greater degree of happiness to a lesser. Of two sorts of food that are set before a brute animal, it will select that which is most agreeable to its nature. If, of two creatures that it fears, it must meet one, it will face that which is the least formidable to it. It is the instinct of every animated being, it is the maxim of every creature that is capable of a maxim, of two things that are good, to choose the greatest; of two that are evil, to | take the least; and nothing but a mistake, a real deception respecting their sizes, can possibly account for any rational creature’s election of the larger evil, or preference of the smaller good.

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I proceed to the practical improvement of this subject. It places before us a powerful motive to virtue, and the proper method of attaining it.

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It forcibly urges us to the moral cultivation of our nature. What can more powerfully spur the pride of man to the practice of virtue, than the consideration of the origin of vice? It is the offspring of parents of which it has reason to be ashamed. It is of base extraction. Ignorance and error are the authors of its being. These are things, of which even they are ashamed, who are said to “glory in their shame.” They who plume themselves upon their vice, blush to be convicted, or to be accused, of that, of which their vice is a proof, and from which it proceeds. Immoral character may be accompanied with knowledge upon some subjects, upon several subjects; but it springs from the want of it upon one, and that one the most important of all. It may be joined with phi|losophical, with political, with literary information; but it springs from ignorance of the science of happiness, from ignorance of the secret of content. It may be connected with a relish for polite letters, and for elegant arts; but it proceeds from the want of taste for truer and far finer entertainments than music, or painting, or eloquence, can supply. It may be attended by that knowledge of the manners of men, which pilots the passenger through the world clear of its deceit; that penetration into human characters, which puts it into the power of the politic, to take hold of the hearts of those whom they wish to make the instruments of their designs; that discovery of others’ weaknesses, which constitutes the wisdom of the crafty: but it is produced by the absence of that more deep and dignified knowledge of man, which relates to his general nature, and 1 lesser] less 18 These] so Errata-Verzeichnis; OD: There Errata-Verzeichnis; OD: characters 35 others’] other’s

22 character] so

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ziehn. Von zwey Nahrungsmitteln, die man dem unvernünftigsten Thier vorsetzt, wird es immer dasjenige wählen, welches ihm von Natur das angenehmste ist. Wenn es von zwey andern Geschöpfen, die es beyde fürchtet, einem nicht ausweichen kann, wird es sich allezeit lieber dem nähern, welches ihm weniger fürchterlich ist. Es ist der Naturtrieb jedes beseelten Wesens, es ist der Grundsatz jedes Geschöpfs, welches fähig ist sich Grundsätze zu machen, von zwey Dingen, die beyde gut sind, das größte, und von zwey Uebeln das kleinere zu wählen, und wenn irgend ein vernünftiges Geschöpf das größere Uebel wählt, oder das kleinere Gut vorzieht, so können wir uns dies nicht anders erklären, als indem wir einen Mißgriff, einen Irrthum in der Schätzung ihrer Größe voraussetzen. Ich komme jetzt zu der praktischen Anwendung dieser Betrachtung: sie giebt uns nemlich einen mächtigen Bewegungsgrund zur Tugend, und lehrt uns zugleich die rechte Art, wie wir sie uns zu eigen machen müssen. Diese Betrachtung, sage ich, ist ein starker Antrieb unsre Natur sittlich auszubilden. Wodurch kann wohl das Selbstgefühl des Menschen zur Uebung der Tugend kräftiger angereitzt werden, als durch das Nach|denken über den Ursprung des Lasters? Es ist ja der Zweig eines Stammes, dessen die Vernunft sich schämen muß. Es ist ja von der niedrigsten Abkunft. Unwissenheit und Irrthum sind die Urheber seines Daseyns; Eigenschaften, deren sich selbst diejenigen schämen, von denen man sonst sagt, daß sie sich „ihrer Schande rühmen.“ Die, welche sich in ihren Lastern blähen, erröthen doch, wenn sie desjenigen überführt, oder auch nur beschuldigt werden, wovon ihr Laster beydes, ein Beweis und eine Folge ist. Mit einem unsittlichen Charakter können Einsichten in mancherley, in sehr viele Gegenstände verbunden seyn, aber er entspringt doch aus Mangel an Kenntniß eines Gegenstandes, und zwar des wichtigsten unter allen. Man kann dabey in philosophischen, politischen und gelehrten Dingen sehr wohl unterrichtet seyn, aber man ist unwissend in der Kunst glücklich zu seyn, unwissend in dem Geheimniß der Zufriedenheit. Man kann dabey einen richtigen Geschmack haben in Sachen der schönen Wissenschaften und Künste, aber es fehlt an Sinn für die Gegenstände, welche ein wesentlicheres und feineres Vergnügen gewähren, als Musik, Mahlerey und Beredsamkeit darbieten. Die Kenntniß der menschlichen Sitten, die uns durch die Welt geleitet, ohne daß wir von ihr hintergangen werden, das Durchschauen menschlicher Gemüther, welches den klugen Weltmann in den Stand setzt, sich der Herzen derer zu bemächtigen, die er als Werkzeuge zu seinen Absichten gebrauchen will; die 24 Vgl. Phil 3,19

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which lies in such a view of the secret structure of his mind, as leads to a conviction, that it is made to be the mansion of virtue, and that, until thus tenanted, it must possess the dreariness and vacuity of an uninhabited house.

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Intellectual weakness, in all its forms, mankind are accustomed to despise. Consistency | with this disposition should surely direct their contempt to vice. You smile at them, who are continually overreached in their secular covenants, and who make contracts in which they are losers. Many indulge their mirth upon this want of acuteness, in cases, in which they inconsiderately and unjustly impute it to the object of their laughter. They allow themselves to deride, though there the derision is certainly without foundation, the savage that gives gold and shining stones, for beads of glass and childish trinkets; for he parts with that which is no rarity to him, for that which is. But he, surely, is an object of just and rational derision, who gives away what, in the eye of Reason, is “more precious than rubies,” what “cannot be valued with the gold of Ophir,” for a few idle baubles; things of little worth in the estimation of the wise and the manly. You ridicule him, whom ignorance of mankind, and credulity of every fair and plausible profession, are perpetually exposing to imposition in his commerce with the world; why should he escape your ridicule, who credits the promises of happiness that are made him by courses of conduct, which will not keep their word, and which | wiser men well know cannot keep it? You look down with intellectual compassion upon the believer in religious fictions; why not, with an equal degree of it, upon the superstitious searcher after happiness? upon him who, in all the spirit of fable, supposes an unseen Genius of particular spots and places in human life, a Protector of certain situations in society from care and disquietude? upon him who, with all the credulity that leads the idolater to imagine a Divinity resident in figures of wood or stone, conceives Happiness, that divine and sacred spirit which dwells only in the bosom of Wisdom and Virtue, to be encased in particular condition, to be enclosed in silver and gold, or enshrined in walls and lands and trees and other inanimate things? You regard with pity the rustic astronomer who imagines the moon to be larger than the stars, or the boy that supposes his bonfire to be bigger than either; upon the same ground let him be regarded with pity, in whose estimation

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richtige Beobachtung fremder | Schwachheiten, worauf die ganze Weisheit des Listigen beruht, dies alles kann bey einer unsittlichen Denkungsart sehr wohl bestehen; aber sie rührt doch her von einem Mangel an der höheren und achtungswertheren Menschenkenntniß, deren Gegenstand die allgemeine Menschennatur ist, und die uns in die verborgene Einrichtung des menschlichen Gemüths eine solche Einsicht eröffnet, daß wir uns überzeugen müssen, es sey gemacht, um der Wohnsitz der Tugend zu seyn, und es müsse, so lange diese es noch nicht inne hat, so leer und öde seyn, als ein unbewohntes Haus. Geistesschwäche verachten die Menschen unter allen Gestalten, in denen sie erscheint, und gewiß, wenn sie dieser Empfindungsart getreu blieben, so müßte ihre Verachtung am meisten das Laster treffen. Ihr lacht über diejenigen, die sich in ihren weltlichen Geschäften immer überlisten lassen, und Verbindungen eingehn, bey denen sie verlieren. Viele belustigen sich sogar über diesen Mangel an Scharfsinn in solchen Fällen, wo sie den Gegenstand ihres Gelächters dieses Fehlers ungerechter und unbedachtsamer Weise beschuldigen. Man erlaubt sich wohl gar über den Wilden zu lachen, der Gold und Edelsteine für Glas und kindisches Spielzeug hingiebt, obgleich hier der Spott ohne allen Grund ist, indem er nur etwas gemeines gegen das vertauscht, was ihm ungewöhnlich, und eine Seltenheit ist. Aber der ist gewiß der Gegenstand eines gerechten und wohlgegründeten Spottes, der dasjenige, was in den Au|gen der Vernunft „köstlicher ist als Edelsteine“ und „nicht gewogen werden kann gegen Gold von Ophyr“5, für einige leere Seifenblasen hingiebt, für Dinge von geringem Werth nach dem Urtheil einer weisen, männlich denkenden Seele. Ihr belacht denjenigen, der weil er die Menschen nicht kennt, und jedem schönen glatten Versprechen leichtgläubig vertraut, immer dem Betrug ausgesetzt ist in seinem Umgang mit der Welt; wie sollte denn der eurem Gelächter entgehen, der den Verheißungen von Glückseligkeit glaubt, welche ihm von Lastern und Neigungen vorgespiegelt werden, die ihr Wort eben so wenig halten, ja wie die meisten Menschen gar wohl wissen, es nie halten können? Euer Verstand sieht mitleidig auf den herab, der in der Religion menschlichen Erdichtungen glaubt; warum nicht eben so mitleidig auf den, der sich in seinem Bestreben nach Glückseligkeit so abergläubig beweiset? der ganz im Geist der alten Fabel an einen unsichtbaren Genius gewisser Stellen 5

Spr. Sal. 3, 15. Hiob 28, 16.

38 3, 15.] 10, 11.

38 28, 16.] 28. 18, 19.

38 Spr 3,15 (nach der englischen Textfassung)

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the objects of this world are things of greater magnitude than those of the next, only because they are nearer to his eye.

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A wicked man discovers a puerile and in|fantine ignorance in the art of self-preservation. As the child plucks poison from the bush, and knows not, what is known to every ma n, that the beautiful berry is death, that the fruit is fatal as it is fair; as the fearless infant would insert its hand in the lion’s mouth, without knowing it to be the jaw of destruction; so the wicked man takes hold of moral evil, nor knows it for his bane, and his destroyer. Every beast, and every bird, is endued with a knowledge, and with a dread, of the animal that preys upon it; and consults its safety upon the first sight of the foe to its life. The fowls of the air hide themselves, when the hawk appears in the firmament of heaven; and the lion’s roar is a signal for flight to every beast of the forest, of which not one of all the number requires a repetition. But an immoral man is an infatuated animal that knows not his natural enemy; that runs in the way of his devourer, and courts the destruction from which all other creatures flee.

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Let, then, the pride of our nature lead us to the virtuous improvement of it. If intellectual dulness and confusion be a subject of human shame, let us avoid the most glaring | instance of it that can be given by man, the greatest blunder that can be made in the business of life, the preference of vice to virtue. It is but a poor compliment that is paid to them, of whom it is said, that they have all sense but common sense; yet this is the utmost encomium that can be pronounced upon any, however right, upon other points, their opinions may be, whose life is in the wrong.

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und Plätze des menschlichen Lebens glaubt? an einen Schutzgott, der von gewissen Verhältnissen in der Gesellschaft jede Sorge und jede Unruhe entfernt hält? Warum nicht eben so mitleidig auf den, der ganz so leichtgläubig als der Götzendiener, welcher seine Gottheit in Bildern von Holz und Steinen wohnen läßt, wähnen kann, die Glückseligkeit, dieser heilige, göttliche Geist, der nur in der Brust der Weisen und Tugendhaften wohnt, sey in irgend einen gewissen Stand festgezaubert, könne in Silber und Gold eingeschlossen, oder | in Mauern, in Felder, in Bäume, und andere leblose Dinge gebannt werden? Mitleidig seht ihr auf den himmelskundigen Landmann, der den Mond für größer hält, als die Sterne, oder auf den Knaben, dem sein Freudenfeuer größer scheint, als beyde; betrachtet doch aus demselben Grunde auch den mit Mitleiden, der die Dinge dieser Welt, bloß deswegen, weil sie uns näher sind, für größer hält, als die der zukünftigen! Ein unsittlicher Mensch verräth eine kindische und ungelehrige Unwissenheit in der Kunst der Selbsterhaltung. So wie ein Kind das tödtliche Gift von dem Strauch pflückt, und nicht weiß, was jedem Erwachsenen bekannt ist, daß die schöne Beere den Tod bringt, daß die Frucht eben so verderblich ist, als sie lieblich aussieht; so wie ein argloser Knabe seine Hand wohl dem Rachen eines Löwen anvertrauen könnte, weil er nicht daran denkt, daß es ein Schlund des Verderbens ist; eben so befaßt sich der Lasterhafte mit dem sittlichen Uebel, und erkennt darin nicht seinen Todfeind und seinen Verderber. Jedes Thier auf der Erde und jeder Vogel in der Luft hat eine gewisse Kenntniß und natürliche Furcht vor den Thieren, die ihm nachstellen, und sorgt für seine Sicherheit, sobald er den Feind seines Lebens erblickt. Das Geflügel verbirgt sich, wenn der Habicht in den Lüften erscheint, und das Gebrüll des Löwen ist für jedes Thier im Walde ein Zeichen zur Flucht, dessen Wiederholung nicht erst abgewartet wird. Aber ein unsittlicher Mensch ist ein ganz be|thörtes Geschöpf, welches seinen natürlichen Feind nicht kennt, welches seinem Mörder in den Weg rennt, und sich freundlich zu dem Würger gesellt, dem jedes andere Geschöpf zu entfliehen sucht. Der Werth, den wir auf unsere Natur legen, müßte uns also ein Bewegungsgrund seyn, sie in uns zur Tugend auszubilden. Glauben wir, daß Stumpfheit und Verwirrung des Verstandes dem Menschen Schande macht, so laßt uns nicht dadurch, daß wir dem Laster den Vorzug vor der Tugend einräumen, den auffallendsten Beweis davon ablegen, den ein Mensch nur zu geben vermag, und zugleich uns selbst den übelsten Streich spielen, der uns in den Angelegenheiten unsers 27 Sicherheit,] Sicherheit

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As this subject powerfully prompts us to the cultivation of virtue, it points out to us the proper method of doing it. If vice be owing to ignorance and error, virtue must take its rise from information. In cultivating the temper, we must begin by cultivating the understanding. If the heart have gone astray, we must recall it, by first reclaiming the wandering judgment.

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The fundamental mistake which occasions the misconduct of mankind, is the supposition, that vicious practices contain more present happiness than the opposite courses of conduct. To prevent, or to correct, this error, recourse must be had to serious reflection, upon the nature of man, and the nature of happiness; a knowledge of which will lead to a convic|tion of the absolute necessity of virtue and piety to the present, as well as future, happiness of such a creature. Nor is it possible for any words I am able to employ to express, of what importance it is, that this examination be entered into, in the morning of life. Happy is the youth that engages in this enquiry, generous is the parent that assists him in it, ere yet dissipation shall have sunk the understanding into that state of debility and dulness, ere yet sloth shall have “cast it into that deep sleep,” in which there is an equal want of capacity for the discovery of truth, and of the resolution that is necessary to the accomplishment of moral recovery.

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When a determination in favour of virtue is acquired in this first step of the enquiry into the wisdom of doing our duty, the discussion is at an end; the resolution is formed; the choice is made.

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But, upon the supposition that we cannot satisfy ourselves with respect to the superiority of the present happiness which Virtue promises to her votaries; if an imagination have taken possession of the mind, that the objects of human life are capable of contenting it in the absence of all attention to the cultivation | of the temper; in this case, virtue must owe its birth to a vigorous conviction of the conse-

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Lebens begegnen kann. Es ist ein armseliger Lobspruch, wenn man von Jemand sagt, er habe die herrlichsten Geistesgaben, nur daß es ihm an dem gemeinen Menschenverstand fehle, und doch ist dies noch das Rühmlichste, was sich von denen sagen läßt, die bey den richtigsten Einsichten in andere Dinge ihren Lebenswandel verkehrt einrichten. So wie nun diese Betrachtung uns kräftig antreibt, uns der Tugend zu befleißigen, so führt sie uns auch auf die rechte Art, wie wir dabey zu Werke gehen müssen. Entspringt das Laster aus Unwissenheit und Irrthum, so muß die Tugend bey der Belehrung anfangen. Wollen wir unsere Sinnesart bessern, so müssen wir erst unsern Verstand ausbilden. Wollen wir das Herz von seinen Verirrungen zurückführen, so müssen wir erst die Vernunft, die auch in der Irre ging, auf den rechten Weg bringen.| Der eigentliche Grundirrthum, der alle praktische Verirrungen der Menschen veranlaßt, ist die Voraussetzung, daß ein lasterhafter Wandel mehr Glückseligkeit in diesem Leben bewirke, als die entgegengesetzte Handlungsweise. Um diesem Irrthum zuvorzukommen, oder uns von demselben zu heilen, müssen wir ernsthafte Ueberlegungen über die Natur des Menschen und über die Natur seiner Glückseligkeit anstellen; denn eine richtige Einsicht hievon wird gewiß sehr bald die Ueberzeugung hervorbringen, wie unumgänglich nothwendig Tugend und Frömmigkeit zur gegenwärtigen nicht weniger als zur künftigen Glückseligkeit eines solchen Geschöpfs erfordert werde. Auch sind alle Worte, deren ich mich bedienen könnte, nicht stark genug, um begreiflich zu machen, wie wichtig es sey, sich dieser Untersuchung schon am Morgen des Lebens zu unterziehen. Glücklich ist der Jüngling der diese Ueberlegung anstellt! Preiswürdig der Vater, der ihm darin beysteht, ehe noch die Zerstreuung seinen Verstand in den Zustand der Schwäche und Stumpfheit versetzt, ehe noch die Trägheit ihn in jenen tiefen Schlummer gewiegt hat, worin wir gleich ungeschickt sind die Wahrheiten zu entdecken, und die Entschließungen zu fassen, wovon unsere sittliche Genesung abhängt. Haben wir uns bey diesem ersten Schritt der Untersuchung, ob es weise sey unserer Pflicht zu folgen, einmahl zu Gunsten der Tugend bestimmt, so ist die Ueberlegung zu Ende, die Wahl ist getroffen, der Entschluß ist gefaßt.| Gesetzt aber wir könnten uns auch nicht befriedigend davon überzeugen, daß auch für jetzt die Glückseligkeit, welche die Tugend ihren Bekennern zusichert, die größere sey; gesetzt es hätte sich unseres Gemüthes eine Einbildung bemeistert, als ob die Dinge dieser Welt 31 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 19,15

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quences of human conduct in the world to come, and to a judicious comparison of temporal with eternal things.

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In this moment of retirement from the world, while temptation is away, and while passion is silent, I call upon him whose deviation from faith is accompanied by departure from duty, I call upon him in the sacred name of Truth, and in the name of that Pride which renders him ashamed of error, to suspect that his religious infidelity is the fruit of wrong affection; that his understanding is the dupe of his inclinations; that passion was in the chair, when he sat in judgment upon Religion. I adjure him, in this cool and unbiassed moment of absence from the world, to admit the possibility of this imposition of his appetites upon his reason, and to determine to call the doctrine he has condemned to another trial, and give it a second hearing. Upon him also let me call, whose faith, though not renounced, is dead and unproductive of good works, to open wide that eye, which is probably but half unclosed, upon the evidence of the scene that is to succeed upon the disap|pearance of the world, so as clearly to see it and to take the whole of it in. And him, likewise, whom the illusive forms of human life have imposed upon by their proximity, and persuaded that they are larger than the vast but far off objects of Faith, let me earnestly exhort, in this retired and dispassionate moment of abstraction from earth, to employ the proper methods of rectifying what, now while he is out of the world, he will acknowledge to be a mistake, and of securing himself from the recurrence of it when he is in the world again.

To prevent the deception to which we are exposed concerning the respective dimensions of momentary and immortal objects, in consequence of the difference in their distances, the method is obvious. The errors of the mind respecting the size of its objects are to be corrected in the same manner as those of the eye. I behold an humble hut at the distance of a few yards. I see a superb palace at the distance of as many miles. The former looks larger to my eye than the latter: yet I am not a moment deceived. I immediately and mechanically associate

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es glücklich machen könnten, auch ohne daß auf die Verbesserung der Gesinnungen einige Mühe gewendet wird: so würde doch auch in diesem Fall durch eine feste Ueberzeugung von den Folgen unseres Betragens in jener Welt, und durch eine verständige Vergleichung der irdischen Dinge mit den ewigen, Liebe zur Tugend in uns erweckt werden müssen. Jetzt, in einem Augenblick, da wir von der Welt entfernt sind, da keine Versuchung uns reizt, und die Leidenschaften in uns schweigen, jetzt fordere ich denjenigen auf, der vom Glauben abgewichen, und zugleich von seiner Pflicht verirrt ist, – im heiligen Namen der Wahrheit, im Namen des edlen Stolzes, der ihn lehrt, jeden Irrthum zu scheuen, fordere ich ihn auf, dem Gedanken Raum zu geben: ob nicht sein religiöser Unglaube nur eine Frucht seiner verderbten Neigungen ist, ob nicht etwa sein Verstand ein Spielwerk seines Herzens war, ob nicht Leidenschaft auf dem Stuhl saß, als er über die Religion Gericht hielt! In diesem kaltblütigen unbefangenen Augenblick, wo die Welt ihn nicht stört, beschwöre ich ihn, einmahl die Möglichkeit anzunehmen, daß seine Begierden doch wohl auf den Gang seiner Vernunft einen Einfluß gehabt haben könnten; | ich beschwöre ihn den Beschluß zu fassen, daß er die Lehre, die er verdammt hat, noch einmahl prüfen, ihr noch einmahl Gehör geben wolle. Auch denjenigen, der dem Glauben zwar nicht entsagt hat, bey dem er aber todt ist und keine Frucht guter Werke trägt, auch den fordere ich auf, das wahrscheinlich halb verschlossene Auge weiter zu öffnen, und es auf den Schauplatz hinzurichten, der sich eröffnen wird, wenn diese Welt verschwindet, damit er ihn ganz deutlich erblicke, und alles darin gehörig unterscheide. Und den, welchen die betrügerischen Gestalten des menschlichen Lebens durch ihre Nähe getäuscht, und überredet haben, daß sie größer wären, als die unermeßlichen, aber weit entfernten Gegenstände des Glaubens, auch den laßt mich in diesen stillen leidenschaftlosen Augenblicken, da unsere Gedanken von der Erde abgezogen sind, ernstlich ermahnen, daß er alle Mittel anwende, um sich des Irrthums, den er jetzt, da er von der Welt getrennt ist, als Irrthum erkennt, zu entschlagen, und sich gegen jeden Rückfall, auch wenn er in die Welt zurückkehrt, sicher zu stellen. Was wir zu thun haben, um nicht durch die so sehr verschiedene Entfernung der vergänglichen und der ewigen Gegenstände zu einem falschen Urtheil über ihre Größe verleitet zu werden, das ist von selbst klar. Die Täuschungen des Gemüthes über die Größe der Gegenstände, die es betrachtet, müssen eben so berichtiget werden, wie die Täuschungen des Auges. Ich sehe eine niedrige Hütte, die nur we|nige Ruthen von mir steht. Ich sehe einen prächtigen Pallast, der vielleicht meilenweit entfernt ist. Die erstere erscheint meinen Augen größer,

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with the remote edifice, minute as the distance has made it, | ideas of grandeur. What is the reason of this?—I have stood close to it, or to buildings of the same order. I have been struck with the sublimity of their height! the swell of the walls! the multitude and majesty of the pillars! I have gone round about them and told the turrets thereof. These impressions, which have been often repeated upon my senses by the present object, remain upon my mind, when it is most remote from my eye. I remember its appearance, when I stood by its side; I retain my veneration, when it seems but a speck in the landscape. It is thus we acquire the art of vision, the science of sight. By a similar method we must attain the faculty of judging aright concerning the magnitude of things eternal. We must often, by intense contemplation, go up close to them. We must endeavour to reflect, so as to enter into the idea, upon the infinitude of the welfare that is implied in the immortal patronage of an almighty Power! upon that amazing magazine of happiness which is contained in everlasting discoveries of eternal, inexhaustible, entertaining truth!

Although we cannot approach, with our presence, celestial, as we do terrestrial, ob|jects, so as to perceive their dimensions, and take their measure by the eye of experience; we may, by reflection, infer their magnitude with sufficient certainty. As the astronomer, by means of his calculations, discovers, in that star which seems but a shining stud in the robe of darkness, an immense ball, a vast globe of glory, superior in dimensions to that upon which he dwells; so the distant spectator of that sphere of honour and happiness which awaits the virtuous hereafter, and which, as it stands unconsidered in his creed, seems but a speck of light, assures himself, by the assistance of that computation and inference with which reason assists him to measure it, that it is an orb of amazing extent.

And while it is our wisdom, if we wish to guard against the delusive impressions of present objects upon our minds, in this manner to exercise our understanding, in our moments of retirement, in order to enlarge our views of the rewards that are promised to the righteous after death; so, if we would secure the efficacy of immortal objects upon our conduct, we must exercise our imagination to render

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als der letztere, und doch werde ich keinen Augenblick hintergangen. Unmittelbar und unwillkührlich verbinde ich mit dem entfernten Gebäude, so sehr es auch diese Entfernung verkleinert hat, Vorstellungen von Größe. Was ist hievon der Grund? Ich habe einst nahe dabey gestanden, oder wenigstens bey Gebäuden von ähnlicher Art. Ich bin erstaunt vor dieser schwindelnden Höhe, vor diesen großen Massen, vor dieser Menge majestätischer Säulen. Diese Eindrücke, die meinen Sinnen oft wiederholt wurden, als der Gegenstand mir gegenwärtig war, sind noch in meinem Gemüth, ohnerachtet er jetzt so weit von meinem Auge entfernt ist. Ich erinnere mich, was er mir zu seyn dünkte als ich dabey stand, und ich behalte dieselbe Empfindung noch jetzt, da er nur ein Punkt in der Landschaft zu seyn scheint. So erlangen wir die Kunst zu sehen, und das Gesehene zu schätzen, und auf ähnliche Art müssen wir uns auch die Fertigkeit erwerben, über die Größe der Gegenstände in der Ewigkeit richtig zu urtheilen. Wir müssen sie öfters genau betrachten, und nahe vor unser Auge bringen. Wie unbegrenzt das Wohlergehen sey, wozu die Verheißung der ewigen Obhut eines allmächtigen Wesens uns Hoffnung macht, welch ein unermeßlicher Vorrath von Glückseligkeit in der immer fortgehenden Entdeckung stets neuer unerschöpflicher, belehrender Wahrheiten liege, dar|über müssen wir so nachzudenken bemüht seyn, daß wir die große Idee recht vollkommen fassen. Ob wir uns gleich den himmlischen Gegenständen nicht wie den irdischen so nähern können, daß wir ihren Umfang anschaulich wahrnehmen, und mit einem durch lange Erfahrung geübten Auge abmessen können, so setzt uns doch das Nachdenken in den Stand, ihre Größe mit ziemlicher Sicherheit zu beurtheilen. So wie der Astronom in dem Stern, der nur ein glänzender Knopf in dem Gewande der Nacht zu seyn scheint, durch Hülfe seiner Rechnungen einen unermeßlichen Himmelskörper, eine herrliche Welt entdeckt, weit größer als die, welche er selbst bewohnt: eben so kann der entfernte Beobachter sich durch die Berechnungen und Schlüße, die seine Vernunft ihm an die Hand giebt, sehr leicht überzeugen, daß die herrliche und glückselige Welt, welche die Tugendhaften erwartet – und welche ebenfalls dem, der sie ohne weiter nachzudenken nur in seinem Glaubensbekenntniß sieht, nichts als ein lichter Punkt zu seyn scheint – in der That eine Welt von unendlicher, unermeßlicher Größe seyn müsse. So wie derjenige, welcher sein Gemüth vor den täuschenden Eindrücken der gegenwärtigen Gegenstände zu verwahren wünscht, weise handelt, wenn er in den Augenblicken des Nachdenkens seinen Verstand auf diese Art übt, damit seine Ansicht der Belohnungen, die dem Rechtschaffenen nach dem Tode verheißen sind, sich erweitere: so ist es auf der andern Seite, um diesen ewigen Gegenständen ihren |

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present, what reason shall have thus | rendered great. We must suppose to be come, what we believe is to come; figure to ourselves the effect which the final consummation of things will produce upon us; try to anticipate the sense we shall certainly have of the importance of the divine favour, when we shall hear the trumpet that convenes mankind; when we shall behold the assembly of nations, the convocation of ages, and the convulsions of Nature! We must call up this scene before us; leap the distance at which it stands, and bring it close to the door.

These representations of the grandeur, and realizations of the presence, of the final happiness of the just, will give it to make upon us the impression of a present object; cause it to swell to its true size, so as to excite in our breasts that pitch of desire, which is necessary to prompt the pursuit of it. By the frequent repetition of these impressions upon our hearts, in the hour of retirement and reflection, we shall fix them there at length, and retain them in the midst of the world. We shall then behold the things of it with that regard which is alone their due. We shall survey them with undazzled and undeluded eyes. They | will suffer, as they ought, in the comparison with eternal objects, and sink to their proper rank in our estimation. I sincerely wish we may all employ these methods of promoting our moral security; and may the Almighty crown with his blessing all our endeavours to promote our improvement in piety and virtue, and enable us to exhibit to all around us an example of that fear of God, which is the wisdom of man, and that departure from evil, which is the most valuable of all the acts of the understanding. Amen.

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Einfluß auf unser Betragen zu sichern nothwendig, daß wir unsere Einbildungskraft gewöhnen, sich dasjenige zu vergegenwärtigen, von dessen Größe die Vernunft uns überzeugt hat. Wir müssen annehmen, daß jetzt schon alles hereinbreche, was, wie wir glauben, einmal kommen wird; wir müssen uns die Wirkung vorstellen, welche das Ende aller Dinge auf uns machen wird; wir müssen jetzt schon empfinden, wie viel an der göttlichen Gnade gelegen sey; eben so, wie wir es alsdenn gewiß fühlen werden, wenn wir den gebietenden Ton hören, der das Menschengeschlecht zusammenruft, wenn wir die Versammlung aller Völker, das Gewühl aller Zeitalter und die großen Zerrüttungen der Natur erblicken. Diesen Auftritt müssen wir uns vormalen, wir müssen die Entfernung überspringen, und ihn dicht vor unsere Thüre bringen. Diese genaue Vorstellung, diese anschauliche Vergegenwärtigung der künftigen Glückseligkeit der Gerechten wird machen, daß sie vollkommen wie ein sichtbarer Gegenstand auf uns wirkt, und sie wird sich uns in ihrer wahren Größe so herrlich darstellen, daß sie in unserer Brust jenes höchste Begehren erweckt, welches nothwendig ist, um sie zu erlangen. Erneuern wir unserm Herzen diese Eindrücke öffters in der Stunde der Einsamkeit und des Nachdenkens, so wird es uns endlich gelingen, sie so zu befestigen, daß sie uns auch mitten in der Welt nicht verlassen. Dann werden wir die Dinge dieser Welt so ansehen, wie sie es verdienen. Mit ungeblendetem und un|getäuschtem Auge werden wir sie würdigen. Sie werden, wie billig, in Vergleichung mit den Gegenständen der Ewigkeit zurückstehn, und in unserm Urtheil zu ihrem eigenthümlichen Werth herabsinken. Möchten wir alle, ich wünsche es aufrichtig, diese Mittel anwenden, um unsere Beharrlichkeit im Guten immer mehr zu sichern, und möge der Allmächtige alle unsere Bemühungen in der Frömmigkeit und Tugend fortzuschreiten, mit seinem Segen krönen, und uns in den Stand setzen, allen um uns her ein Beyspiel zu geben, von der Furcht Gottes, welche die Weisheit des Menschen ausmacht, und von dem Vermeiden des Bösen, welches das wichtigste Geschäft unseres Verstandes ist. Amen.

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On the Omnipresence of God.

SERMON

I.

D o n o t I f i l l h e ave n an d e ar t h , s a ith t he Lord? Jerem. xxiii. 24.

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The sacred Scriptures have set up an object of adoration, before which the philosopher may bow down along with the multitude. The gods of the gentiles are striking proofs of the latitude in error, into which it is possible for the human understanding to be led, when, without paying any attention to its path, it passively resigns itself to the conduct of false guides. We cannot, for a moment, compare them with ours, without being touched with compassion for their worshippers, and warmed with gratitude to that goodness, which has directed our devotion to that one living and true God, who alone is worthy to receive it.| The heathen world, as you know, was weak enough to entertain the little idea of local deities. They shut up their gods in limited spheres of action; imprisoned divinity in particular places; divided omnipotence into parts; and assigned each petty deity his province. This country put itself under the wing of one Providence, and that sought shelter under another. Some gods were supposed to preside upon the hills, and some were believed to reign over the vallies.—But we have been taught, and blessed be God we have, to bow down before one God alone; to whom we are instructed to ascribe nothing but what is wonderful and infinite! of whom we are directed to say, and we say it at once with astonishment and triumph, the armies of heaven cannot resist him; “the heaven of heavens cannot contain him.”

1 On the] darüber mittig S E R M O N S, &c. OD: were

15 was] so Errata-Verzeichnis;

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Zweite Predigt.

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Ueber die Allgegenwart Gottes. Jerem. 23, 24. 5

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Bi n i c h e s n i c h t , d e r H i m m e l u n d Erden erf üllet , spricht der Herr? Die heilige Schrift hat uns einen Gegenstand der Anbetung aufgestellt, vor welchem der Weise sich eben so gern beugt, als der große Haufen. Die Götter der Heiden geben uns einen auffallenden Beweis davon, wie weit der menschliche Verstand sich verirren kann, wenn er sich, ohne auf seinen Weg zu achten, unbesorgt der Leitung betrügerischer Führer überläßt. Wir können sie nicht einen Augenblick mit unserm Gott vergleichen, ohne von Mitleiden durchdrungen zu werden gegen ihre Verehrer, und von Dankbarkeit gegen die ewige Güte, die uns unterweisen ließ, unsere Anbetung dem einigen, lebendigen und wahren Gott darzubringen, der allein würdig ist, sie zu empfangen. Die heidnische Welt war, wie wir wissen, schwach genug, den kleinlichen Glauben an besondere Gottheiten eines jeden Ortes anzunehmen. In einem eingeschränkten Wirkungskreise stellte sie ihre Götter | auf, schloß ein göttliches Wesen in einen besondern Raum ein, zerstückelte die Allmacht in eine Menge von Theilen, und wieß jeder kleinen Gottheit ihr eignes Reich an. Dieses Land begab sich unter die Flügel der einen Vorsehung, und jenes suchte Schutz bey einer andern. Einige Götter beschirmten die Hügel, und andere herrschten über die Thäler. – Wir aber sind angewiesen, und Gott sey gelobt, daß wir es sind, uns nur vor einem Gott zu beugen, an dem wir keine andere Eigenschaften kennen, als wunderbare und unendliche, von dem wir zu sagen gelehrt sind – und wir sagen es in tiefer Demuth und mit frohem Triumph – daß die Heere des Himmels ihm nicht widerstehen, und die Himmel der Himmel ihn nicht fassen können. 19 besondern] besonderu

28 Triumph] Triumpf

28–29 Vgl. wohl Gen 2,1

29 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Kön 8,27

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Serm. 1: On the omnipresence of God

Omnipresence is an attribute, which it is not possible for us to contemplate without the utmost amazement. We know not how to stretch out our minds to take in the big idea of a being, who spreads himself over immensity; who is present at every instant, in every place. 3

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The presence of man is confined to a little | room; nor are his faculties able to fill even that at once, but are under a necessity of pervading it by successive steps of attention. He is obliged to move, and is long in moving, from one place to another; and the utmost extent of the space which it is possible for him to traverse at all, is but a speck in the vast universe around him. Although his invention has invoked the winds to waft him over the seas; although he has employed mechanical powers, and appropriated the speed of swifter feet than his own, to lend him wings on the land; yet is he a long time in passing over a little tract of this little ball: and the year revolves, and repeats its revolution, before his voyage round it is completed.— How little do we look, how low should we lie, before that amazing Being, whose presence, through every moment of time, occupies every point of space! who is present, at all times, in all places, in the fullest exercise of all his perfections! who perceives, with one simple attention, every side of every object; every atom of every body; every thought of every breast! who performs, with one single energy, all the countless operations that take place in the whole compass of nature; | all the unnumbered motions that thicken throughout the unbounded and complicated machine of universal government!

I can think of no better way of improving this subject, so as to render it useful and affecting to us all, than by considering the divine omnipresence, separately and successively, in connexion with those operations and characters of Deity which relate to us, and all rational creatures, and which are in the highest degree interesting to us all. First, God is every where present as the object of worship. His presence is not confined to the temple. His attention is not limited to the great congregation. He dwells in every house; in every closet; in every heart. He hears every domestic address; every secret prayer; every silent meditation of him. It is, then, the office of devotion, instead of confining the contemplation of the Divinity within the buildings which do not enclose his

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Die Allgegenwart ist eine Eigenschaft, über welche wir nicht ohne das äußerste Erstaunen nachdenken können. Wir wissen nicht, wie wir unser Gemüth genugsam erweitern sollen, um die große Vorstellung von einem Wesen zu fassen, welches sich über die Unendlichkeit verbreitet, und in jedem Augenblick an jedem Ort zugegen ist. Die Gegenwart des Menschen ist auf einen kleinen Raum eingeschränkt, und auch diesen können seine Kräfte nicht auf einmal umspannen, sondern nur nach und nach kann er ihn mit seiner Aufmerksamkeit durchwandern. Von diesem Ort zu einem andern muß er sich erst bewegen, langsam bewegen, und der größte Raum, den er zurücklegen kann, ist doch nur ein Punkt in der weiten Welt um ihn her. | Ob er gleich erfinderisch genug, die Winde zu Hülfe ruft, um ihn über das Meer zu wehen; ob er gleich künstlich mancherlei Naturkräfte benutzt, und schnellere Füsse als die seinigen in Bewegung setzt, um auf dem Lande dahinzufliegen: so braucht er doch lange Zeit, um nur über einen kleinen Strich dieses kleinen Erdballs zu wandern, und das Jahr kehrt wieder, und vollbringt noch einmal seinen Lauf, ehe er seine Reise um denselben vollendet hat. – Wie klein müssen wir aussehen, wie tief müssen wir im Staube liegen vor dem unbegreiflichen Wesen, dessen Gegenwart in jedem Augenblick jeglichen Punkt des Raumes erfüllt; das zu allen Zeiten, an allen Orten in der wirksamsten Geschäftigkeit mit allen seinen Vollkommenheiten gegenwärtig ist; das mit einem einzigen Blick jede Seite eines jeden Gegenstandes, jedes Stäubchen an jedem Körper, jeden Gedanken in einer jeden Brust übersieht, und mit einer einzigen Aeusserung seiner Kraft alle die zahllosen Veränderungen bewirkt, die in dem ganzen Umfang der Natur erfordert werden, alle die unzähligen Bewegungen hervorbringt, die einander drängen in dieser grenzenlosen, verwickelten Maschine der Weltregierung. Ich weiß keinen besseren Weg diesen Gegenstand so zu behandeln, daß er uns allen nützlich und erbaulich werde, als wenn ich die göttliche Allgegenwart in ihren besondern Verbindungen mit denjenigen Geschäften und Eigenschaften Gottes betrachte, die sich auf alle vernünftigen Geschöpfe vorzüglich be|ziehen, und also für uns alle von der größten Wichtigkeit sind. E r s t l i c h . Gott ist überall gegenwärtig als der Gegenstand unserer Verehrung. Seine Gegenwart ist nicht in dem Tempel eingeschlossen. Seine Aufmerksamkeit erstreckt sich nicht etwa nur auf die große Versammlung. Er wohnt in jedem Hause, in jedem Gemach, in jedem Herzen. Er hört jedes häusliche Gebet, jeden geheimen Seufzer, jedes stille Nachdenken über ihn. Also muß auch unsere Andacht ihre Gedanken an den Höchsten nicht ausschließend in Gebäude verweisen, welche seiner Gegenwart

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presence, to extend to all places the attention to him, whose presence is to all places extended, and whose productions, in all places, proclaim his presence; in every place, to admire the perfections, and to muse the praise, of an all-surrounding Deity; in all situations to | set him before us, by establishing such a connexion, in our minds, between those two social and companionable ideas, the creation and the Creator, the effect and the cause, as that every recurrence of the works of God to our eye may mechanically recall his idea to our minds, and renew our admiration of his character; instead of contenting ourselves with that irregular remembrance, that intermittent commemoration of the Almighty, that confinement of his image to points of time and of space, to the hour of worship, and to the house of prayer, with which the majority of the professors of religion allow themselves to be satisfied, This is not the true worship of the Father. That is neither confined to a mountain in Samaria, nor to a hill in Judea, nor to a house in Christendom. The true worshipper of the omnipresent God considers every spot upon which he stands, as holy as the ground where Moses trembled; as consecrated as the enclosure where the church assembles. His worship is not shut round by the sides of a sacred edifice. The biggest buildings of man cannot contain it. Wherever God has thrown a work before him, there he worships God. Wherever he has | left a print of his hand, there he presents the tribute of his praise. He considers the universe as the grand house of God; the only one that is worthy of the name; that immense and most majestic temple; not made with hands; not with hands to be measured; constructed by his own mysterious and amazing energy! decorated and consecrated by the displays, with which it is crowded, of the builder’s wisdom, power, and goodness! He wants no ecclesiastical architecture, no cathedral pomp of pillars, and arches, and fretted vault, to strike into him a religious awe. The broad, all brilliant arch of heaven is the glorious roof that best raises his religious contemplation! That is the superb and solemn vault, that most powerfully inspires him with devout veneration, and most effectually enables him to lift up his heart unto God. Neither vocal, nor instrumental notes are needed by him, to enliven his praise

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keine Grenzen setzen, sondern überall muß sie auf den aufmerksam seyn, dessen Gegenwart alle Orte erfüllt, und dessen Werke an allen Orten auch seine Gegenwart verkündigen; überall die Vollkommenheiten der alles umfassenden Gottheit bewundern und ihrem Lobe nachsinnen. Es ist unsre Pflicht uns ihn unter allen Umständen vor Augen zu stellen, indem wir die so nahe verwandten, so sehr auf einander zurückweisenden Begriffe von Schöpfung und Schöpfer, von Wirkung und Ursach in unserm Gemüth so genau verbinden, daß jedes Werk Gottes, welches sich unsern Blicken darbietet, den Gedanken an ihn ganz von selbst in unserer Seele erregt, und unsere Bewunderung seiner Größe erneuert. Nur zufällig sich des Allmächtigen erinnern, nur dann und wann an ihn denken, nur zu gewissen Zeiten und Orten, in der Stunde des Gottesdienstes, im Hause des Gebets sein Bild vor Augen haben, | das genügt der wahren Andacht nicht, wenn gleich die meisten unter den Bekennern der Religion es für hinlänglich halten. Denn dies ist nicht der wahre Dienst des Vaters. Dieser ist weder auf einen Berg in Samaria, noch auf einen Hügel in Judäa, noch auf irgend ein Haus in der Christenheit eingeschränkt. Dem wahren Verehrer des allgegenwärtigen Gottes ist jeder Ort, wo er steht, eben so heilig, als der, auf welchem Moses zitterte, eben so gottgeweiht als der Raum, in welchem die Gemeine sich versammelt. Sein Gottesdienst ist nicht in die Wände eines heiligen Gebäudes gebannt. Die erhabensten menschlichen Tempel hätten dazu nicht Raum genug. Wo nur Gott eines seiner Werke vor ihn hingestellt hat, da verehrt er ihn; wo er eine Spur seiner Hand zurückgelassen hat, da bringt er ihm das Opfer seines Lobes dar. Die Welt betrachtet er als das große Haus Gottes, als das einzige das dieses Namens werth ist – diesen unermeßlichen majestätischen Tempel, den Menschenhände nicht gemacht haben, und Menschenhände nicht ermessen mögen; der durch Gottes eigne, geheimnißvolle, unergründliche Kraft gebaut ist, und geheiligt durch die unzähligen Beweise von des Baumeisters Weisheit Macht und Güte, die ihn auf allen Seiten schmücken. Er bedarf keines prächtigen Doms, der ein Wunder der Kunst ist mit seinen erhabenen Bogen und Pfeilern und seinen kühnen Gewölben, um sich in eine heilige Ehrfurcht zu versetzen. Der große, | alles überglänzende Bogen des Himmels, das ist der entzückende Anblick, der seine frommen Betrachtungen am höchsten erhebt, das ist das herrliche feyerliche Gewölbe, welches ihm andächtige Verehrung unwiderstehlich einflößt, und ihn ganz vorzüglich geschickt macht, sein Herz auf Gott zu richten. Er braucht weder die Musik der Saiten noch des Gesanges, 17 Samaria] so DV; OD: Samara

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to God; by the shouting and singing of “the pastures clothed with flocks, and the vallies covered over with corn;” by the song of feathered happiness that, on every side, salutes his ear; by the low of contentment which he hears from “a thousand hills;’’ by the genial and animating appear|ances of surrounding Nature, who claps her hands, and calls upon him to be happy; by these stimulations his devotion is most powerfully excited. Having fixed in his mind the association of nature’s beautiful and blissful scene with the source of all its beauty and of all its bliss, he as readily thinks of God, whenever he looks on nature, as he, who, in the fields, inhales a fragrance familiar to his sense, immediately thinks of the flower from which it flows, and of which, though he cannot see it, the picture instantaneously presents itself to his mind; or as naturally as he, who hears a literary production mentioned, or looks upon it as it lies before him, with the author of which he is personally acquainted, mechanically and irresistibly admits into his mind, at the same moment, a lively image of the man. Such is the true worship of him who is every where present, and the author of all that appears. The temple of God is not here, or there; it has no threshold; it has no walls; we are always in it; we cannot go out of it; whether we go forward, or backward, to the right hand, or to the left, we are still in the presence, we are stilt at the altar of God. Let, then, our thoughts and affections form | one unbroken flow of praise; one continued act of worship. What I have said to inculcate habitual and contemplative piety, in opposition to that which is merely periodical and local, most powerfully recommends it to the cultivation of every man, by placing, in the most striking point of view, the pleasures which arise from it, when it has taken its proper hold of the heart. He, who has learned to love God, as every rational creature ought, and may, and must, if he would ever be happy; who rejoices in his presence as in the presence of a friend; who delights to contemplate his amiable character; of whose thoughts the contemplation of his beautiful perfections is the most pleasing employment; whose principal pleasures are supplied by the entertainment of his idea, as every where regarding him with a complacential eye, and overshadowing him with a protecting wing; derives from this source, not only a continual sense of security, but likewise a perpetual sense of society, which peculiarly recommends the spirit and sentiment of piety to man, who is not only a weak, but a social creature; who wants not only a protector, but a companion. This | social enjoyment, which devotion supplies, and which is always

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um sein Lob Gottes zu beleben. Das Frohlocken und Singen der Wiesen, die von Heerden bedeckt, der Thäler, die mit Korn bekleidet sind, die Freudenlieder der Vögel, welche sein Ohr auf allen Seiten begrüßen, das Wehen der Zufriedenheit, welches er von tausend Hügeln vernimmt, der heitere belebende Anblick der Natur um ihn her, welche jubelnd ihr Glück verkündigt, und auch ihm zuruft, glücklich zu seyn: das sind die reizenden Gegenstände, welche seine Andacht am lebhaftesten erwecken. Wer auf dem Felde einen Duft einathmet, der seinen Sinnen bekannt und angenehm ist, erinnert sich unmittelbar an die Blume, von welcher er ausfließt, und ihr Bild stellt sich augenblicklich seinem Gemüth dar, wenn er sie auch nicht sehen kann. Wer ein Werk des Geistes vor sich liegen hat, dessen Urheber er persönlich kennt, der kann nicht verhindern, daß ein lebhaftes Bild dieses Mannes in dem nemlichen Augenblick vor seiner Seele steht. Und eben so leicht wird derjenige bey jedem Blick auf die Natur an Gott denken, der jede Vorstellung von dem, was in der Welt schön und beglückend ist, recht fest verbunden hat mit dem Ge|danken an die Quelle dieser Schönheit und dieses Glückes. Dies ist der wahre Dienst desjenigen, der überall zugegen, und der Urheber von allem ist, was wir sehen. Der Tempel Gottes ist nicht hie oder da; er hat keine Vorhöfe und keine Mauern; wir sind immer darin; wir können gar nicht hinaus; wir mögen vorwärts oder rückwärts, rechts oder links gehen, so sind wir immer unter den Augen und immer an dem Altar des Höchsten. So laßt denn alle unsere Gedanken und Empfindungen einen ununterbrochenen Lobgesang seyn, eine einzige fortwährende Handlung der Gottesverehrung. Nur durch das, was ich jetzt gesagt habe, um eine immer geschäftige und nachdenkende Frömmigkeit im Gegensatz von der, die nur an gewisse Zeiten und Orte gebunden ist, einzuschärfen, kann sich die Frömmigkeit allen Menschen zur Beobachtung empfehlen; denn nur auf diese Art erblicken wir die Vergnügungen im hellsten Licht, welche sie hervorbringt, sobald sie ihre volle Gewalt über das Herz erlangt hat. Wer Gott so zu lieben gelernt hat, wie jedes vernünftige Wesen ihn lieben könnte und sollte – und auch lieben muß, wenn es auf immer glücklich seyn will; – wer sich seiner Gegenwart freut, als der Gegenwart eines Freundes; wer sich an der Betrachtung dieses liebenswürdigen Wesens ergötzet; wer in dem Nachdenken über seine herrlichen Vollkommenheiten die angenehmste Beschäftigung seines 1 Singen] Singeu 1–2 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 65,14 (KJB Ps 65,13) Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Ps 50,10.

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at hand, produces a comparative independence of human society; and prevents that painful feeling of loneliness, to which they are subject, in some situations, whose communions are confined to man, and who are strangers to this strong and joyful apprehension of the divine presence.

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The pleasures, which spring from human society and friendship, are sometimes required by the heart when they are out of its reach; and are liable to be broken by intervals, the length of which creates a painful craving after them. There are moments, when at least interesting society is not at hand; when affectionate friendship is afar off; yet when nature, drooping perhaps under a weight of animal depression, without any real cause for dejection, or depressed by an absence too protracted, pants for the company of a friend. Such moments frequently occur; when solitude becomes oppressive; when cheerfulness takes its flight; when the sun seems to go down upon the heart; and the shadows of melancholy gather round it. In such hours as these, a pious man has much the advantage over another who has cultivated no habits of intercourse | with heaven. He is never alone. That divine companion, with whom he walks, is always at his side. To other friends he has often to say, Farewell! other connections frequently call for the parting tear; but of his most near and valuable relative, of his most amiable and faithful friend, he has never, for a moment, to lament the absence. Although it may be said, that mental intercourse with a Being, awful from his infinite superiority, cannot excite, in a human creature, that fond and affectionate sensation which is inspired by an amiable equal; and though it must be acknowledged, that the presence of an invisible Being, which is rather to be reflected upon, and inferred, than perceived, cannot operate upon a corporeal nature, and raise the animal spirits, like the company of one whose face we see, and whose voice we hear; yet any one, by habitual attention to it, may so learn,

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Verstandes findet; wem es das liebste | Vergnügen gewährt, sich den Höchsten zu denken, wie er ihn überall mit einem wohlgefälligen Auge betrachtet, und überall mit seinem schützenden Fittig überschattet, der fühlt sich nicht nur immer in Sicherheit, sondern es entspringt ihm auch aus dieser Gemüthsstimmung das Bewußtseyn, daß er überall in Gesellschaft ist; und dies ist es eigentlich, was die Frömmigkeit dem Geist und dem Gefühl des Menschen so sehr empfiehlt, der ja nicht nur ein schwaches, sondern auch ein geselliges Wesen ist, nicht nur einen Beschützer, sondern auch einen Freund braucht. Dieser gesellige Genuß, welchen die Andacht gewährt, und der immer bey der Hand ist, macht uns gewissermaßen unabhängig von der Gesellschaft der Menschen, und läßt das peinliche Gefühl von Verlassenheit niemals aufkommen, dem diejenigen in so manchen Fällen ausgesetzt sind, deren Umgang sich allein auf die Menschen einschränkt, und denen die große und erfreuliche Empfindung der göttlichen Gegenwart fremd ist. Die Freuden menschlicher Geselligkeit und Freundschaft fodert das Herz öfters, wenn sie nicht zu haben sind. Sie werden bisweilen durch lange Zwischenräume unterbrochen, die einen peinlichen Durst nach ihnen erregen. Es giebt Augenblicke, wo wenigstens angenehme Gesellschaft nicht zur Hand, wo die zärtliche Freundschaft weit entfernt ist, wo das Gemüth vielleicht ohne gegründete Ursach zur Niedergeschlagenheit unter der Last eines körperlichen Misbehagens erliegend, oder vielleicht von einer zu | langen Abwesenheit gequält, herzlich seufzt nach der Gesellschaft eines Freundes. Es kommen oft Zeiten, wo die Einsamkeit uns lästig ist, wo die Heiterkeit uns flieht, wo die Sonne unserm Herzen unterzugehen scheint, und alle Schatten der Schwermuth an demselben heraufziehn. In solchen Stunden hat der fromme Mann gar sehr den Vortheil über den, der keinen Umgang mir dem Himmel zu pflegen gewohnt ist. Er ist nie allein: der himmlische Gefährte, mit dem er wandelt, ist ihm immer zur Seite. Andern Freunden muß er oft Lebewohl sagen; andere Verbindungen preßen ihm oft die Thräne des Abschiedes aus; aber sein nächster und theuerster Angehörige, sein liebenswürdigster und treuster Freund läßt ihn nie auf einen Augenblick seine Abwesenheit beweinen. Man kann wohl sagen, daß der geistige Umgang mit einem Wesen, welches uns durch seine unendliche Erhabenheit heilige Ehrfurcht abdringt, in einem menschlichen Herzen unmöglich die zärtliche, innige Empfindung hervorbringen kann, welche uns ein liebenswürdiges Geschöpf von unsers gleichen einflößt; man muß wohl zugeben, daß 3 Auge] Ange 17 fodert] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 233. 239–240 19 peinlichen] peinliches

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at length, to realize to his apprehension, and, as it were, to feel the presence of the Deity, and to contemplate his character with so lively a complacency, that, when the sigh of solitude is ready to rise, his languid attention shall be agreeably roused and interested, and his drooping spirits revived by | the thought, that the most excellent of all beings is as really with him, as himself is present upon the spot which he occupies.

In this respect, a devout man has an advantage over all who have cultivated no intercourse, who maintain no friendship, but with their fellow-creatures. He can carry cheerfulness with him into all his solitudes. He has a remedy for melancholy, whenever it is ready to steal over him. The departure of company is the return of religion; and he takes leave of man but to meet with God.

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Let cruelty confine him in some subterranean cell, or immure him in some solitary tower; let no kinsman, no friend, no human creature, be allowed to visit him; let the implements of epistolary correspondence be denied him; let not the distant murmur of society be able to reach his gloomy recess; let him be forbidden to hear the voice of his keeper; let the hand that brings him his bread be invisible to him; even in such a sepulchral imprisonment, even in this interment of his heart, he would find solace in the society of that invisible visitant, from whom no confinement is any seclusion; and with whom | no contrivance of man can intercept the intercourse of piety. Let the tempest dash his vessel on a rock; let him escape, accompanied by no other survivor, to some undiscovered country; where no human footstep has ever printed the ground; where no creature that hath life is seen to move; where the voice of neither beast, nor bird, is to be heard; where all the echoes have slept from the beginning of time; even upon such a shore, if such a shore there were, the solitary wanderer might look up to heaven and say, I have yet one associate left; if there be none other, there is one Inhabitant of this place; in this dead solitude the Author of all life is present; I am still in the company of the most amiable of all beings.

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die Gegenwart eines Wesens, welches man nicht unmittelbar wahrnimmt, sondern nur durch Nachdenken und Folgerungen erkennt, auf eine sinnliche Natur nicht so wirken, nicht so alle Lebensgeister ermuntern kann, wie die Gegenwart eines Menschen, dessen Angesicht wir sehen, und dessen Stimme wir hören; aber doch kann gewiß jeder, der sich zur Aufmerksamkeit | auf dieses Wesen gewöhnen will, mit der Zeit lernen sich die Gegenwart Gottes so anschaulich vorzustellen, sie ihrem ganzen Wesen nach so zu fühlen, und seine Eigenschaften mit einem so lebhaften Wohlgefallen zu betrachten, daß wenn die Einsamkeit ihm Seufzer entlocken will, er seine abgespannten Kräfte aufs angenehmste erwecken und beschäftigen, und seine trägen Lebensgeister in die freudigste Bewegung setzen kann durch den Gedanken, daß das erhabenste aller Wesen eben so gewiß bey ihm ist, als er selbst an dem Ort ist, wo er sich eben befindet. In dieser Rücksicht hat der Gottselige einen großen Vorzug vor allen, die keinen andern Umgang kennen, und keine andere Freundschaft haben, als mit ihren Nächsten. Er bringt Heiterkeit mit in die tiefste Einsamkeit. Er hat ein Mittel gegen die Schwermuth, wo sie ihn auch immer befallen mag. Wenn die Gesellschaft ihn verläßt, stellt sich die Religion bey ihm ein, und er nimmt nur Abschied von den Menschen, um in die Gesellschaft Gottes zurückzukehren. Die Grausamkeit mag ihn in ein unterirdisches Gewölbe einkerkern, wo kein Verwandter, kein Freund, kein menschliches Geschöpf ihn besuchen darf, und auch der karge Ersatz, das Schreiben, ihm versagt ist; wo auch nicht einmal von fern das Getöse der Gesellschaft bis zu seinem finstern Aufenthalt hindurchdringt, wo er nicht die Stimme seines Wärters hören darf, und die Hand unsichtbar bleibt, die ihm sein Brod reicht: selbst in einer solchen schauerlichen | Gefangenschaft, wo das Herz wie in die Einsamkeit des Grabes hinabgesenkt ist, wird er einen Trost finden in der Gegenwart des unsichtbaren Gesellschafters, von welchem keine Einkerkerung ihn trennen, mit dem er, was auch die Menschen gegen ihn beginnen mögen, seinen frommen Umgang ungestört fortsetzen kann. Der Sturm werfe sein Schiff an einen Felsen, daß er allein dem Tode entrissen an irgend eine unentdeckte Küste geworfen werde, wo nie ein menschlicher Fuß dem Boden seine Spur eindrückte, wo kein lebendiges Geschöpf sich bewegt, und noch seit dem Anbeginn der Zeit jeder Wiederhall schläft; selbst an einem solchen Ufer, wenn es ein solches giebt, könnte der einsame Verlassene zum Himmel aufsehn, und sagen: Einen giebt es doch noch, mit dem ich hier in Verbindung stehe; einer, wenn auch sonst niemand, bewohnt diesen Ort; der Urheber alles Lebens ist auch in dieser todten Einöde gegenwärtig; ich bin immer noch in der Gesellschaft des liebenswürdigsten Wesens.

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Secondly, God is present every where, as the conductor of all things. The omnipresence of the almighty Ruler qualifies him for the most perfect and equitable dispensations towards all the innumerable multitude of his subjects; and leads us to see, in the strongest light, how exactly executed, as well as wisely contrived, every part of the great plan of Providence must necessarily be.| 13

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An earthly governor, however patriotic in principle, and wise in council, in how great a degree soever a father to his country, and a discerner of what it is that makes a country happy, must depend upon the diligence and fidelity of his servants for the proper execution of his commands. He cannot keep his eye upon every province of the state. He cannot be present in every court of judicature. He cannot be a witness of the manner in which the several subordinate officers of his kingdom discharge their duty, through all the descending departments of power. Much injustice may be practised, which he knows nothing of; and innocence may send forth many complaints that never reach his ear. But He who sways the sceptre of heaven and earth, fills heaven and earth with his presence. He issues the command and sees it executed. He overlooks all the complicated operations of his government. He directs what is to be done, and oversees it while it is doing. Whatever instrumentality or ministration he employs, he also inspects. Every thing is transacted under his eye. No confusion can ever occur. The subject of a human government, however equitably administered in all its subordi|nate parts, is yet exposed to violence and injury. Although the arm of perfectly righteous law were ready to defend him as soon as he should call for it, the enemy of it might attack him, where his cry could not be heard. The sword of human justice cannot be always at his side. No civil community can supply every member of it with a perpetual guard. But the divine Protector of good men is “a very present help in every time of trouble.” He is able not only to redress, but to ward off, wrongs; not only to punish, but to prevent, injustice, whenever it is proper to prevent it. He not only hears the cry of the oppressed, but sees the approach of the oppressor. He beheld the danger, before the distress arrived. When the wicked triumph over the good, it is not because their Guardian is away; but because, in the wrong that is done them, there is nothing really and essentially injurious to them; nothing but what, at some future period of their existence, they themselves shall probably perceive the propriety of, and be sincerely thankful for.

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Zw e y t e n s . Gott ist überall gegenwärtig, als der, welcher alle Dinge regiert. Die Allgegenwart des allmächtigen Beherrschers setzt ihn erst in den Stand, der unendlichen Menge seiner Unterthanen ihr Schicksal nach der vollkommensten Billigkeit zuzumessen, und läßt uns in dem hellsten Licht erblicken, wie jeder Theil in dem Plan der Vorsehung nicht nur weise entworfen ist, sondern auch nothwendig eben so genau ausgeführt werden muß.| Ein irdischer Regent, wie patriotisch auch seine Grundsätze, wie weise auch seine Rathschläge seyn mögen, wie genau er auch zu unterscheiden wisse, was ein Land glücklich macht, und wie sehr er auch der Vater desselben sey, muß sich doch was die richtige Ausführung seiner Befehle betrift, auf die Genauigkeit und Treue seiner Diener verlassen. Er kann sein Auge nicht auf jede Provinz seines Reichs heften; er kann nicht in jedem Gerichtshof zugegen seyn; er kann nicht Augenzeuge davon seyn, wie die untergeordneten Diener des Staats in den verschiedenen Zweigen der öffentlichen Gewalt jeder auf seiner Stuffe ihre Pflicht erfüllen. Viel Ungerechtigkeit kann ausgeübt werden, wovon er nichts erfährt, und die Unschuld kann manche Klage ausstossen, welche sein Ohr niemals erreicht. Aber er, der den Scepter über Himmel und Erde schwingt, füllt auch Himmel und Erde mit seiner Gegenwart. Er giebt den Befehl, und sieht auch wie er ausgeführt wird. Er überschaut die verwickeltsten Geschäfte seiner Regierung. Er ordnet alles was gethan werden soll, und sieht zu, wenn es gethan wird. Was für Werkzeuge und Zwischenhände er auch anstellt, seine Aufsicht erstreckt sich über alle. Alles wird unter seinen Augen vollbracht, und nie kann irgend eine Verwirrung entstehen. Der Unterthan einer menschlichen Regierung, wie billig sie auch in allen ihren untergeordneten Theilen geführt werde, bleibt dennoch immer der Gewaltthätigkeit und dem Unrecht bloß gestellt. Wenn | gleich ein vollkommen gerechtes Gesetz sich, sobald er es anruft, bewaffnet um ihn zu vertheidigen, so kann doch der Feind des Gesetzes ihn an einem Ort anfallen, wo sein Geschrei nicht gehört wird. Das Schwerdt der menschlichen Gerechtigkeit kann nicht jedem überall zur Seite stehn. Keine bürgerliche Gesellschaft kann jedes ihrer Mitglieder mit einer beständigen Wache versehen. Aber der göttliche Beschützer ist eine Hülfe, die nahe ist zur Zeit der Noth. Er kann Unfälle nicht nur wieder gut machen, sondern sie auch abwehren; er kann die Ungerechtigkeit nicht nur bestrafen, sondern ihr auch zuvorkommen, wo er es für gut findet. Er hört nicht nur das Rufen des Unterdrück30–31 bewaffnet] bewafnet 35–36 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 46,2 (KJB Ps 46,1)

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A good man, therefore, has the most abundant reason to rejoice in the care of Providence, in every place. He cannot go where | the shield of Heaven shall not follow him. When mankind have lost him, God has him still in his eye. Should the earth open and swallow him up, God is present in its deepest and darkest caverns. Let him sink into the midst of the seas; let “the floods compass him about;” let “all their billows and waves pass over him;” let “the depths close round about him,” and “the weeds be wrapped round his head;” God shall go with him down into the dread abyss. Hast thou a valued friend, or relative, in some distant part of the globe? and dost thou sigh sometimes to think, how many mountains rise, and how many billows roll, between that friend and thee?—Let thy solicitude be relieved by the thought, that, in every region, the same almighty Providence reigns; and that no real harm can any where happen to any honest man.

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Thirdly, God is present in all places as the witness of moral conduct. “The eyes of the Lord are in every place beholding the evil and the good.” “There is no darkness nor shadow of death where the workers of iniquity can hide themselves from God.” Were the designers of evil to dig a passage to the | centre, and, buried from the eye of man, and the penetration of day, to sit in midnight council there; even in that deep recess, every individual in the circle would be seen, every syllable in the dark consultation would be overheard, by the omnipresent Witness. Nor can any virtuous and generous transaction, of however private a nature, escape the observation, or lose the plaudit, of the divine Spectator. When modesty conceals from the public eye the bounty benevolence bestows; when delicacy hides from the object it relieves, the hand that administers the relief; the generous secret is known to Heaven, and by Heaven it shall be, one day, proclaimed and applauded.

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ten, sondern er sieht auch den Unterdrücker schon, wenn er herankommt. Er sieht die Gefahr, ehe noch das Unglück sich ereignet. Wenn die Bösen über die Guten triumphiren, so geschieht das nicht etwa, weil ihr Beschützer fern ist, sondern weil ihnen das Unrecht, was man ihnen anthut, keinen wahren und wesentlichen Schaden bringt, weil nichts mit ihnen geschieht, als wofür sie aufrichtig dankbar seyn werden, wenn ihnen, wie es wahrscheinlich ist, irgend ein zukünftiger Zeitpunkt ihres Daseyns die Absichten davon deutlich macht. Ein rechtschaffner Mann hat also die vollkommenste Ursach, sich überall der Aufsicht einer Vorsehung zu getrösten. Er kann nirgends hingehn, wohin ihm der Schutz des Himmels nicht folgte. Wenn das Menschengeschlecht ihn schon aufgegeben hat, behält ihn Gott immer noch im Auge. Sollte die | Erde sich öffnen um ihn zu verschlingen; Gott ist auch in ihren tiefsten und dunkelsten Hölen gegenwärtig. Laßt ihn mitten ins Meer sinken, laßt die Fluthen ihn umgeben, laßt alle ihre Wogen über ihn zusammenschlagen, und die Tiefe sich über ihn verschließen: so wird doch Gott mit ihm herunterfahren in den schrecklichen Abgrund. Hast du einen theuren Freund oder Verwandten in einem entfernten Theil der Erde? Seufzest du bisweilen bey der Vorstellung, wieviel Berge sich aufthürmen, und wieviel Wellen sich erheben zwischen diesem Freund und dir? Erleichtere deine Besorgnisse durch den Gedanken, daß dieselbe allmächtige Vorsehung in allen Gegenden der Welt regiert, und daß kein wahres Uebel sich irgendwo einem rechtschaffnen Manne nahen darf. D r i t t e n s . Gott ist überall gegenwärtig als der Zeuge unseres Wandels. „Die Augen des Herrn sind überall, und sehen den Bösen wie den Guten.“ „Es giebt kein Dunkel, noch Schatten des Todes, worin die Uebelthäter sich verbergen mögen vor Gott.“1 Wenn die, welche Böses vorhaben, sich einen Weg graben wollten in den Mittelpunkt der Erde, um dort dem Auge der Menschen und den Strahlen des Tages unzugänglich, ihren mitternächtlichen Rath zu halten: so würde auch in dieser tiefen Verborgenheit der allgegenwärtige Zeuge jeden in diesem Kreise durchschauen, und jede Silbe der schwarzen Berathschlagungen behorchen. Eben so wenig | kann aber auch eine tugendhafte und edle Handlung, wie geheim sie immer sey, der Bemerkung dieses göttlichen Beobachters entgehen, oder seines Beyfalls verfehlen. Wenn Bescheidenheit die guten Werke eines wohlwollenden 1

Hiob 34, 22.

15–17 Zu den ersten drei von Fawcett markierten Zitaten vgl. Jona 2,4.6 (KJB Jona 2,3.5) 17 Schleiermacher lässt hinter „verschließen“ das vierte von Fawcett markierte Zitat aus Jona 2,6 (KJB Jona 2,5) aus. 27–28 Spr 15,3 (nach der englischen Textfassung)

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The consideration of divine omnipresence, in this connexion, may serve to assure us of the clearness, accuracy, and conviction, with which the last judgment shall be accompanied. The Dispenser of that day’s justice, in illustrating the characters assembled before him, will want the testimony of no witnesses; will be held in no suspense by opposing evidences. Himself was present, when every action, that comes before him, was perpetrated. He will acquit, or condemn, not according to what he presumes, or to what he infers, concerning | the merit or demerit of men; but according to what he has seen, and known of them. The virtuous, therefore, have no false witness to fear; nor the wicked any eloquent advocate to trust to, when they stand before the tribunal of God. But the principal use I wish to make of the divine omnipresence, so far as it relates to moral inspection, is to consider it as a forcible and continual appeal to that sense of honour and shame, which is implanted in our nature. Were any one habitually to hold in his mind the consideration, not only that infinite power will hereafter punish or reward him, accordingly as he acts well or ill in this world, but that even now, at this very moment, the eye of infinite penetration, and of infinite purity, is stedfastly fixed upon him, he would find it the strongest imaginable check upon every impropriety of conduct, and irregularity of thought; and the most spurring of all incentives to the performance of honourable actions, and the entertainment of generous sentiments. Praise and blame form no small part of human pleasure and pain. There are many who have performed handsome actions, for the sake of exciting the applause of man|kind, which, but for that inducement, they would have left undone: and multitudes have been guilty of dishonourable conduct, to which they would not have consented, if they had not depended upon its being kept a secret from the world. When the mask drops, does not the countenance it covered fall?—Can detected villany lift up its eye?—Dares he, who has lost its esteem, look the world in the face?—Does not folly blush before the grave rebuke of wisdom?—Is not the presence of a man,

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Gemüths vor den Augen der Welt verbirgt, wenn feines Gefühl dem Gegenstand seines Mitleids den Anblick der Hand, welche ihm Hülfe reicht, entzieht: so weiß doch der Himmel das tugendhafte Geheimniß, und der Himmel wird es einst bekannt machen und rühmen. Betrachten wir die Allgegenwart Gottes in dieser Verbindung, so müssen wir uns überzeugen, welche Klarheit, Genauigkeit und unumstößliche Gewißheit wir am jüngsten Gericht antreffen werden. Der Richter dieses Tages bedarf keiner Zeugenaussagen, um die Gesinnungen derer, die vor ihm versammelt sind, aufzuhellen; er wird auch nicht durch widersprechende Umstände irre geführt. Er selbst war gegenwärtig, als jede Handlung, die nun vor ihn kommt, begangen wurde. Er wird lossprechen und verurtheilen, nicht nach Vermuthung und Schlüssen über das Verdienst und die Schuld der Menschen, sondern nach dem, was er selbst von ihnen gesehn und erfahren hat. Die Tugendhaften haben sich also vor keinem falschen Zeugniß zu fürchten, wenn sie vor dem Richterstuhl Gottes stehen, und die Lasterhaften dürfen auf keinen beredten Vertheidiger trotzen. Aber die vorzüglichste Anwendung, die ich von dem Gedanken an die göttliche Allgegenwart, sofern | damit die Aufsicht auf unser Inneres verbunden ist, zu machen wünschte, besteht darin, daß ich gern seinen mächtigen und immerwährenden Einfluß auf das unserer Natur eingepflanzte Gefühl von Ehre und Schaam darstellen möchte. Wenn Jemand den Gedanken in seinem Gemüth immer festhalten könnte, daß die unendliche Allmacht ihn nicht nur dereinst belohnen oder bestrafen wird, je nachdem er wohl oder übel gehandelt hat in dieser Welt, sondern daß auch schon in diesem Augenblick ein alles erforschendes, unendlich heiliges Auge auf ihn gerichtet ist; so würde ihn dies von jedem unziemlichen Betragen, von jedem unordentlichen Gedanken am stärksten zurückhalten, und ihn am lebhaftesten und feurigsten anspornen, nur tugendhafte Handlungen zu verrichten, und lobenswerthe Gesinnungen bey sich zu unterhalten. Aus Lob und Tadel entspringt den Menschen ein nicht geringer Theil ihrer Leiden und Freuden. Viele haben, um den Beyfall des menschlichen Geschlechts zu gewinnen, schöne Handlungen verrichtet, die sie ohne diesen Antrieb nicht würden gethan haben, und viele haben sich eines entehrenden Betragens schuldig gemacht, in welches sie sich ohne den Glauben, daß es der Welt ein Geheimniß bleiben würde, nie eingelassen hätten. Sinkt dem Laster nicht jedesmal der Muth, wenn die Maske abfällt, hinter welcher es sich verborgen hielt? Kann die aufgedeckte Niederträchtigkeit wohl ihr Auge aufheben? Darf der wohl der Welt ins Angesicht sehn, der ihre Achtung verloren hat? Erröthet nicht die Thorheit | vor dem ernsten tadelnden Blick des Weisen? Hält nicht die Gegenwart eines ausgezeichnet würdigen und frommen Mannes

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eminent for piety, and for worth, a restraint upon licentious conversation?—Do not “the young men see him, and hide themselves?” “But men are visible observers, and audible reprovers. We read indignation in their eyes; we hear it in their voices; we see it in their manner. The divine spectator is unseen. He keeps perpetual silence. Whether we act well or ill, no expression of divine approbation, or displeasure, is presented to our senses. When cruelty tramples upon innocence, no thunders murmur; no lightnings flash; no earthquakes rock the angry ground. Or when an act of generosity is performed, which kindles all the rapture of gratitude, | and all the enthusiasm of applause, no celestial glories encircle the head of him that did it; there comes no voice from heaven to say, it is well done.” We should, however, reflect, that, although we can neither see, nor hear the divine disapprobation, when we do wrong, that it does as actually exist, at the moment in which we do it, as the indignation that frowns upon the brow, that flashes from the eye, of man; that a pure and holy witness of all we do is as truly present upon the spot where we act, overlooking every motion both of our bodies and our minds, as if we beheld a miraculous manifestation of his presence.

The regular and vivid recollection of this truth, is the best shield that can be held before the heart of man, to repel the attacks of temptation. Were a dissipated youth, in an hour of riot and folly, by some circumstance led, during a pause of the uproar, to call up before him the image of his absent father, venerable in age; strict in manners; severely virtuous; whose doctrine had “distilled as the dew” upon him, in the days of his innocence and purity; were he strongly to imagine the holy man an indignant and disappointed spectator of his pupil’s degeneracy; I | cannot but figure him to myself, holding down his head, for a moment at least, in the presence of the angry apparition; and blushing before the offended and afflicted shade. Let him, then, who would preserve himself pure and spotless, as he passes through this dangerous world, never forget, that he who is holier than all, never, for one instant, takes off his eye from his inmost thought.

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alle schamlosen Reden zurück? Verstecken sich nicht die Jünglinge, wenn sie ihn sehen?2 „Aber, sagt man, Menschen sind sichtbare Beobachter und ihr Tadel wird gehört. Wir lesen den Unwillen in ihren Augen, hören ihn an ihrer Stimme, und sehn ihn in ihrem ganzen Betragen; der göttliche Beobachter aber ist unsichtbar und bewahrt ein beständiges Stillschweigen. Wir mögen wohl oder übel thun, so kommt kein Ausdruck des göttlichen Beyfalls oder Mißfallens ans Licht. Wenn Grausamkeit die Unschuld mit Füßen tritt, so schilt kein Donner, kein Blitz winkt, kein Erdbeben schüttelt den geängsteten Erdboden. Wenn die edelmüthigste Handlung vollbracht wird, die den entzücktesten Beyfall, und die feurigste Dankbarkeit fordert, so umgiebt doch kein himmlischer Glanz das Haupt des Thäters, und keine Stimme kommt vom Himmel um uns zu sagen; das war wohl gethan.“ – Demohngeachtet sollten wir fleißig bedenken, daß ob wir gleich den göttlichen Unwillen, wenn wir übles gethan haben, weder sehen noch hören, er doch schon in demselben Augenblick, da wir die That vollbringen, eben so gewiß da ist, als der Unwille, der uns von der Stirne eines Menschen droht, und aus seinen Augen funkelt; daß der reine und heilige Zeuge aller unserer Handlungen an jedem Ort, wo wir thätig sind, eben so gewiß zugegen ist, | und jede Bewegung unsers Geistes und Körpers wahrnimmt, als ob er uns seine Gegenwart auf irgend eine wunderbare Weise sinnlich offenbarte. Die wiederholte und lebhafte Erinnerung an diese Wahrheit ist der beste Schild, welcher dem menschlichen Herzen vorgehalten werden kann, um die Angriffe der Versuchung abzuwehren. Würde ein zügelloser Jüngling in der Stunde der Thorheit und Ausgelassenheit, wenn eben der Aufruhr seines Gemüthes sich ein wenig stillt, durch irgend einen Umstand veranlaßt, sich das Bild seines abwesenden Vaters vorzustellen, des ehrwürdigen Alten von reinen Sitten und strenger Tugend, dessen Lehren in jenen früheren Tagen der Reinigkeit und Unschuld wie der Thau auf ihn herabträufelten; könnte er sich diesen heiligen Mann lebhaft genug vorstellen, als einen unwilligen und wehmüthigen Beobachter seines ausgearteten Zöglings: so müßte er, ich kann es nicht anders glauben, auf einen Augenblick wenigstens die 2

Hiob 29, 8.

2 ihn sehen?] ihnsehen? 1–2 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert. 3–14 Der markierte rhetorisch-fiktive Text endet mit einer deutlichen Anspielung auf Mt 3,17. 32 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Dtn 32,2

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Serm. 1: On the omnipresence of God

In a peculiar degree will the consideration of the divine omnipresence operate, to counteract the fear of that contempt, with which the licentious look upon religious principles and sober manners. Is any one tempted to profess opinions which he does not entertain, or to comply with practices which he does not approve, and to which his inclinations do not lead him, by an idle dread of human derision? Let him bring down God to his side, by remembering that he is by; and oppose his approbation to the laughter of fools. Fortified by the felt presence of the Deity, he will soon learn to scorn the scorners, and to pant for no applause but that of conscience and of heaven.

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To these reflections I will only add, that the constant thought of an omnipresent God, | is not more an inducement to become virtuous, than a support to them that are so, under the loss of their good name. When defamation breathes upon their reputation, and sullies its lustre; when ignorance and prejudice load them with unmerited reproaches; rejoicing in the presence and approbation of that great Being, in whose esteem no malevolent misrepresentations of men are able to injure them; they can support with patience the departure of that fair fame which is justly dear to every social nature, and meet the eye of misjudging mankind, with an unabashed and steady countenance. To conclude: It is not possible for us to discuss any religious subject, without feeling ourselves called upon to bless God for that religion, which teaches us to ascribe the attribute we have been contemplating, as well as every other great and glorious property, to the object of our worship; which assures us also, that he who sees all we do, and think, and feel, regards with an indulgent and merciful eye, and makes every proper allowance for our imperfections, without which encouragement, the inspection of infinite purity were an insupportable thought, to beings so imper|fect as we are; and which opens upon us the prospect of a world, where the Almighty will make more magnificent displays of his presence; enable us to perceive it, perhaps, in a more clear and lively manner than we can now form any concep-

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Pred. 2: Über die Allgegenwart Gottes

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Augen niederschlagen vor der bangen Erscheinung, und erröthen vor dem beleidigten und gekränkten Schatten. So möge also, wer sich auf seiner Reise durch diese gefahrvolle Welt rein und ohne Tadel bewahren will, niemals vergessen, daß einer, der heiliger ist als Alle, nie, auch nicht einen Augenblick das Auge abwendet von seinem innersten Gedanken. Vorzüglich muß diese Betrachtung der Allgegenwart Gottes jeder Furcht vor der Verachtung kräftig entgegen wirken, womit zügellose Menschen auf alle religiöse Grundsätze und wohlgeordnete Sitten herab|zusehn pflegen. Wird Jemand versucht aus eitler Furcht vor menschlichem Spotte Meinungen zu bekennen, die er nicht hegt, ein Betragen anzunehmen, welches er nicht billigt, und wozu seine eignen Neigungen ihn nicht antreiben, so stelle er im Geist Gott neben sich, indem er sich erinnert, daß er zugegen ist, und setze dann seinen Beyfall dem Gelächter der Thoren entgegen. Durch das Gefühl der Gegenwart des Höchsten gestärkt, wird er bald lernen der Spötter zu spotten, und keinen Beyfall zu begehren, als den seines Gewissens und seines Gottes. Zu diesen Bemerkungen will ich nur noch hinzufügen, daß der beständige Gedanke an einen allgegenwärtigen Gott, so wie er ein kräftiger Antrieb ist tugendhaft zu werden, auch für die, welche es schon sind, selbst bey dem Verlust ihres guten Namens ein herrlicher Trost seyn muß. Wenn schmähender Argwohn über ihrem Ruf brütet, und seinen Glanz befleckt; wenn Unwissenheit und Vorurtheil sie mit unverdienten Vorwürfen beladen: so trösten sie sich mit der Gegenwart und Zufriedenheit des großen Wesens, auf dessen Achtung die hämischen Deutungen der Menschen keinen nachtheiligen Einfluß haben; und so können sie den Abschied der Ehre, die jedem geselligen Wesen mit Recht so theuer ist, geduldig ertragen, und dem Auge der Welt, deren unrichtiges Urtheil sie verdammt, mit kühnen und festen Blicken begegnen. Kurz, es ist nicht möglich uns über irgend einen religiösen Gegenstand zu unterhalten, ohne daß wir | uns aufgeregt fühlten Gott zu danken für den Unterricht, welcher uns lehrt, dem Wesen welches wir verehren, neben allen andern großen und herrlichen Eigenschaften auch die zuzuschreiben, die wir so eben betrachtet haben, und welcher uns zugleich versichert, daß derjenige, der alles sieht, was wir thun, denken und empfinden, mit einem nachsichtigen und liebevollen Auge auf uns herabsieht, und unsern Schwachheiten jede billige Schonung angedeihen läßt. Dies ist eine Tröstung, ohne welche der Gedanke an die Aufsicht eines unendlich reinen Wesens für so unvollkommene 12 wozu] wo u

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Serm. 1: On the omnipresence of God

tion of; and where, it is probable, that he will bestow upon them, who have improved their present limited faculties to the purposes of piety and charity, such an addition of activity and power, as shall enable them to extend their presence to a larger compass, and to fill with their influence a wider sphere. God grant that this may be the experience of us all, for his infinite mercy’s sake! Amen.

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Pred. 2: Über die Allgegenwart Gottes

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Geschöpfe, als wir sind, unerträglich seyn müßte, und welche uns die Aussicht auf eine Welt eröffnet, wo der Allmächtige seine Gegenwart noch weit herrlicher offenbaren, und uns vielleicht in Stand setzen wird, sie mit einer Lebhaftigkeit und Deutlichkeit zu erkennen, wovon wir bis jetzt keinen Begriff haben; auf eine Welt, wo er – so hoffen wir – denen, die hier ihre beschränkten Fähigkeiten dem Gesetz der Frömmigkeit und der Bruderliebe gemäß angewendet haben, so viel Kräfte verleihen wird, daß auch sie ihren Einfluß über einen weiteren Raum verbreiten, und einen größeren Kreis mit ihrer Gegenwart erfüllen können. Daß dies unser aller Erfahrung seyn möge, gebe Gott um seiner unendlichen Güte willen. Amen.

8 weiteren] weiterem

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Reflections drawn from the Consideration that God is our Creator.

SERMON

II.

I t i s h e t h at h at h m ad e u s , an d n o t w e ourselv es. Psalm c. 3.

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That we did not make ourselves, is most certain. That some one must have made us, is no less evident. That he who gave us being is capable of making all things, is as obvious as that he has made us. With the Maker of man nothing can be impossible.

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To this great and august Being the Scriptures have faithfully conducted our inquiring thoughts. They reveal to us the ends at which he aims; the wisdom with which he designs; the omnipotence with which he executes; the name by which he will be | called. They first introduce him to us as the creator, and then, as the governor of the world. In figurative and poetical language they represent to us the first production of this variegated globe and these overarching heavens. In accommodation to our humble conception, creation is divided into steps and stages; and the slow eye of human imagination is made to accompany the motions of omnipotence. With wonder and with awe we find ourselves present at the nativity of Nature! We behold the departure of ancient darkness, and welcome the first dawn of the beautiful day! We see disorder and confusion assuming the amiable forms of proportion and symmetry. Earth, and sky, and water, in magnificent succession, come forth before our eyes. Plants spring up; animals are born; and last of all their terrestrial lord appears; the flower of the creation, and the image of the Creator.

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Dritte Predigt.

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Einige Bemerkungen, die aus dem Gedanken folgen, daß Gott unser Schöpfer ist. Ps. 100, 3. 5

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Er h a t u n s g e m ac h t , u n d n i c h t w i r s e lbst. Daß wir uns nicht selbst gemacht haben, ist sehr gewiß, und eben so deutlich ist es, daß irgend einer uns erschaffen haben muß. Daß aber derjenige, der uns das Daseyn gab, im Stande seyn mußte, alles übrige ebenfalls hervorzubringen, dies folgt unmittelbar daraus, daß er uns gebildet hat. Dem Schöpfer des Menschen kann nichts unmöglich seyn. Zu diesem großen und erhabenen Wesen leitet die heilige Schrift unsere forschenden Gedanken. Sie offenbart uns die Endzwecke, die es sich vorsetzt, die Weisheit, womit es seine Entwürfe zeichnet, die Allmacht, womit es sie ausführt, die Namen bey denen es genannt seyn will. Sie zeigt uns dasselbe zuerst als den Schöpfer, und dann als den Regenten der Welt. In einer bildlichen, dichterischen Sprache | mahlt sie uns den ersten Ursprung dieser bunten Erde, und dieses hoch über ihr gewölbten Himmels. Um sich unserer schwachen Fassungskraft zu fügen, wird die Schöpfung uns hier abgetheilt in besondere Zeitpunkte und Geschäfte; und das kurzsichtige Auge der menschlichen Einbildungskraft wird in den Stand gesetzt, der Allmacht in ihren Bewegungen zu folgen. Verwundert und ehrfurchtsvoll finden wir uns bey der Geburt der Natur gegenwärtig. Wir sehen die alte Finsternis verschwinden, und bewillkommen den ersten Schimmer des jungen Tages. Wir sehen Unordnung und Verwirrung sich zu schönen Verhältnissen und lieblichem Ebenmaaß umgestalten. Erde, Gewölk und Gewässer entstehen in unübersehlichen Massen vor unsern Augen. Pflanzen gehen auf, Thiere werden geboren, und zuletzt erscheint der irdische Herr über dies alles, die Blüthe der Schöpfung, das Ebenbild des Schöpfers. 18–30 Vgl. Gen 1,1–2,3

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

To this great and glorious maker of all things the eye of Scripture is continually directed. His attributes and his actions occupy every page. He is the great agent in all its history: He is the illustrious theme of all its | poetry: and the whole of the various and animated volume is dedicated to Deity. To the praise of this almighty Author of nature the harp of David is perpetually tuned. The sacred composition, out of which I have taken the passage, I this moment read to you, is full of devotional sentiment, and has all the appearance of flowing from a heart sincerely rejoicing in the existence and government of God. It begins with the abrupt vehemence of a mind, big with religious sensibility, and impatient to pour out its feelings. It breaks out at once into passionate exclamation, and invites the gratitude of all nations to the God of all the earth. “Make a joyful noise unto the Lord, all ye lands. Serve the Lord with gladness; and come into his presence with singing. Know ye that the Lord he is God; it is he that hath made us, and not we ourselves; we are his people, and the sheep of his pasture. Enter into his gates with thanksgiving, and into his courts with praise; be thankful unto him, and bless his name.”

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Give me leave to fill the time, which lies before us this evening, with a few plain and | obvious reflections, arising out of the consideration that God is our creator. First, The contemplation of God in the light of a creator cannot fail to excite in us the most profound veneration. This idea of Deity is adapted to plunge us into the depths of that astonishment, into which it is pleasing to the mind of man to be thrown by a sublime object. He who has pleasure in looking at what is grand, in the highest degree, will hither repair to receive it. He that delights to have his mind distended to the utmost stretch of admiration, must come to this idea for his delight. It is impossible to think of the maker of all things, without being fixed in all the stillness and stupor of astonishment; whether we consider the amazing multiplicity and magnificence of his productions, or the complete sense in which he is the author of them, compared with the imperfect sense, in which man is the maker of what are called the works of man. If some of the greater works of man excite our amazement, how much more is his idea adapted to awaken it, who made the materials out of which those works were | framed; who formed the fingers by means of which they were fashioned; and who

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Auf diesen großen und herrlichen Urheber aller Dinge ist das Auge der Schrift überall gerichtet. Seine Eigenschaften und seine Thaten füllen jedes Blatt. Er ist der große Held aller ihrer Geschichten; er ist der gefeierte Gegenstand aller ihrer Gesänge: kurz die ganze geistvolle Sammlung in allen ihren verschiedenen Theilen ist der Gottheit gewidmet. Auch von Davids Harfe ertönte immer das Lob dieses allmächtigen Schöpfers der Natur. Das heilige Gedicht, woraus die eben verlesenen Worte genommen sind, ist voll andächtiger Empfindungen, | und läßt uns durchaus fühlen, daß es aus einem Herzen geflossen ist, welches seine innige Freude hatte an dem Daseyn und der Regierung Gottes. Es fängt an mit der abgebrochnen Heftigkeit eines Gemüths, dessen fromme Stimmung aufs höchste gespannt, und welches ungeduldig ist, seinen Gefühlen Luft zu machen. Es bricht dann auf einmal aus in eine leidenschaftliche Ergießung, und fodert alle Nationen zur Dankbarkeit auf gegen den Herrn der ganzen Erde. „Jauchze dem Herrn alle Welt! Dient dem Herrn mit Freuden und kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken! Erkennt daß der Herr Gott ist; Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst; wir sind sein Volk, und Schafe seiner Weide. Gehet zu seinen Thoren ein mit Danken, und zu seinen Vorhöfen mit Loben! Danket ihm, lobet seinen Namen!“ Vergönnt mir die Stunde unserer heutigen Zusammenkunft mit einigen sehr einfachen Bemerkungen auszufüllen, die sich bey der Betrachtung, daß Gott unser Schöpfer ist, von selbst darbieten. E r s t l i c h . Das Nachdenken über Gott als unsern Schöpfer muß nothwendig das Gefühl der tiefsten Verehrung in uns erregen. Diese Vorstellung der Gottheit ist ganz eigentlich dazu geschickt, uns in den Abgrund von Bewunderung und Erstaunen zu versenken, in welchen sich das menschliche Gemüth durch einen erhabenen Gegenstand so gern hineinführen läßt. Wen der Anblick dessen, was im höchsten Grade groß und erhaben ist, ergötzt, | der trete hieher, um sich ihn zu verschaffen. Wem es Vergnügen macht, seine Seele bis zum äußersten Gefühl der Bewunderung anzuspannen, der suche seinen Genuß bey dieser Idee. Unmöglich können wir an den Schöpfer aller Dinge denken, ohne sprachlos an der Grenze unsrer Fassungskraft stehen zu bleiben; wir mögen nun die erstaunliche Mannigfaltigkeit und Herrlichkeit seiner Werke betrachten, oder uns daran erinnern, daß er in einem ganz andern und vollkommnern Sinn ihr Urheber ist, als in welchem man 25 Gott] Gott,

39 vollkommnern] vollkommern

16–21 Ps 100,1–4 (nach der englischen Textfassung)

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

inspired the understandings by the light of which they were designed. If we admire the inventors of inanimate machines that move, with what admiration must we think of him, who made “the moving creature that hath life.” All the works of all the human race combined, all the fabrics they have constructed, all the systems off matter or motion they have composed, how complicated soever their parts, or extensive their dimensions, or beautiful their appearance, or powerful their effect, or excellent their uses, are proofs of a faint and feeble power, compared with the production of a fly. All the engines which human ingenuity has framed, whatever the variety, or the vigour, or the value, of their movements, display a hand that shrinks into nothing before the energy, that rolls the blood through the veins of a reptile; that communicates to a worm its faculty of creeping upon the earth; that indues the meanest creature which moves and feels with its wondrous power of willing and perceiving. Where is the artist, beneath the sun, who can breathe into insensate clay the breath of life? who can kindle a soul of | the dullest degree? who can animate, for one moment, one particle of dust?

Secondly, The consideration that God is our maker makes it evident, that he must be our preserver. This inference cannot be made with respect to any human artist; because no human artist is the framer of any thing, in that radical and strict sense, in which the Almighty is the former of all things. That which man has made may continue to be what he made it, when its maker is distant; when its maker is dead. The work of man may subsist in the absence, may survive the dissolution of its author: it may exist for successive ages, and for successive ages remain “a work to wonder at,” when the hand, that gave it its beauty and excellence, has lost its cunning for ever. The statue may continue to m i mic life, when centuries have rolled over the sculptor’s grave. But though the breathing stone may continue to breathe, when he, whose touches taught it to imitate animation, is breathless himself, the breathing animal cannot breathe a moment, without the vivifying influence of him who first breathed 5 of] so Errata-Verzeichnis; OD: off

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von dem Menschen sagt, daß er dasjenige gemacht habe, was wir sein Werk nennen. Wenn schon einige der größern Werke des Menschen unsre Bewunderung erregen, wieviel mehr muß sie nicht erweckt werden durch den Gedanken an den, welcher den Stoff gemacht hat, woraus diese Werke zusammengesetzt wurden, die Hand von der sie ihre Gestalt erhielten, den Verstand, dessen richtiger Blick sie entworfen hat. Bewundern wir den Erfinder lebloser Maschinen die sich bewegen, mit welcher Bewunderung müssen wir nicht an den denken, welcher alles gemacht hat, was sich bewegt und lebt. Alle Arbeiten aller Menschen zusammen genommen, alle Werke die sie ausgeführt, alles was sie aus dem Stoff und den Kräften, die in der Natur liegen, noch so künstlich zusammengesetzt haben, wie mannigfaltig auch die Theile, wie groß die Massen, wie schön das Ansehn, wie mächtig die Wirkung, wie treflich der Nutzen dieser Kunstwerke sey; sie bleiben doch alle | nur schwache und armselige Versuche in Vergleichung mit dem Bau einer Fliege. Wie mannigfaltig und wirksam auch die Bewegungen seyn mögen in den Maschinen, die der menschliche Scharfsinn ausgedacht hat, das Talent, welches sich darin entdeckt, verschwindet doch zu nichts, vor der Kraft, welche das Blut durch die Adern eines Insekts treibt, dem Wurm das Vermögen giebt auf der Erde zu kriechen, und das geringste bewegliche und empfindende Geschöpf mit der wunderbaren Gabe, etwas wahrnehmen und wollen zu können, ausrüstet. Wo ist der Künstler unter der Sonne, der dem todten Erdkloß den lebendigen Othem einblasen kann? Der eine Seele auch nur von der niedrigsten Gattung hervorbringt? Der nur auf einen Augenblick das geringste Stäubchen beleben kann? Zw e i t e n s . Die Betrachtung daß Gott unser Schöpfer ist, macht es deutlich, daß er auch unser Erhalter seyn muß. Dieser Schluß gilt von keinem menschlichen Künstler; denn kein menschlicher Künstler ist in dem eigentlichen Sinn der Bildner seines Werks, in welchem der Allmächtige der Schöpfer aller Dinge ist. Was ein Mensch gemacht hat, fährt fort das zu bleiben, wozu er es gemacht hat, wenn er auch selbst abwesend oder todt ist. Ein menschliches Werk kann ohne Nachtheil die Entfernung seines Urhebers ertragen, und dessen Zerstörung überleben; es kann mehrere Menschenalter hindurch sich erhalten, und immer dasselbe bewunderungswürdige Werk bleiben, wenn schon 3 wieviel mehr] wie vielmehr den Gedanken,

3–4 werden durch den Gedanken] werden, durch

9 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Gen 1,20. 23–24 Vgl. Gen 2,7 36 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Alexander Pope: An epistle to the Right Honourable Richard Boyle, Earl of Burlington, London 1731, Zeile 70. Die dritte Ausgabe, ebenfalls noch 1731 veröffentlicht, trägt

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

into him the breath of life. The moving machine, which man sets a going, may continue to go, when its maker | is motionless for ever. But the moving creature that hath life, cannot move a moment, without the presence and operation of him, who put it into motion at first. The movements of a clock proceed without the presence, or the knowledge of its maker. Its wheels revolve; its finger circulates; its bell sounds; while he, who instructed the curious machine to be the index and the tongue of time, is a great way from it, and incapable of operating upon it. He is not by when it proclaims the hour; it strikes without his assistance; it stops without his bidding. When he has put it together, it passes from his hand, and from his eye. The powers he has imparted to it are now its own. Its operations are independent of his support. The creature of his craft is forsaken by its creator. Its preservation devolves to other hands; and by other artists, as well as by the author of its existence, its occasional obstructions may be removed, and its accidental injuries repaired. But, in the animal machine, not a single operation can proceed, for an instant, without the agency of him who constructed it, and set it at first.

For want of deeply reflecting upon this | difference between the forming hand of the creature, and that of the Creator of all, we are some of us apt, perhaps, carelessly and inconsiderately, to conceive of our continuance in life as depending upon certain powers and properties in our animal composition, which were originally communicated to it by its author, but which are n o w entirely its own; inherent in itself, without hanging on the divine support. We do not, with sufficient closeness to the idea, consider, that he who put together, and put into motion, the great machinery of nature, is its author in a sense, which requires the incessant action of his hand, in order to hold it together, and to support its operations.

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längst die | Hand, der es seine Schönheit und Treflichkeit verdankt, ihre Geschicklichkeit auf immer verloren hat. Die Bildsäule scheint noch immer zu leben, wenn schon Jahrhunderte über dem Grabe ihres Bildners hingerollt sind. Aber obgleich der Stein, der zu athmen scheint, diese Täuschung noch fortsetzt, wenn der schon längst nicht mehr lebt, der ihm dieses scheinbare Leben mitgetheilt hat, so kann doch das wirklich lebendige Geschöpf nicht einen Augenblick athmen ohne den belebenden Einfluß desjenigen, der ihm zuerst den lebendigen Athem einflößte. Die bewegliche Maschine, welche der Mensch in den Gang gesetzt hat, fährt fort zu gehen, wenn ihr Baumeister schon auf immer erstarrt ist; aber das bewegliche Geschöpf, welches lebt, kann sich nicht einen Augenblick regen, ohne die Gegenwart und Einwirkung desjenigen, der ihm zuerst Bewegung mittheilte. Eine Uhr geht ihren Gang, ohne daß der Verfertiger zugegen ist, oder sich um sie bekümmert: die Räder machen ihren Umlauf, der Zeiger beschreibt seinen Kreis, die Glocke schlägt, wenn auch der welcher diese sonderbare Maschine unterrichtete die Zeit auszurechnen und zu verkündigen, weit entfernt, und außer Stande ist auf sie zu wirken. Er ist nicht zugegen, wenn sie die Stunde ausruft; sie fängt an zu schlagen ohne seinen Beistand; sie hält inne ohne sein Gebot. Wenn er sie zusammengesetzt hat, entläßt er sie aus seinen Händen, und aus seinen Augen. Die Kräfte, die er in sie gelegt hat, sind nun ihr eigen, sie bedarf zu ihren Verrichtungen seines | Beistandes nicht. Der Künstler verläßt das Werk seiner Geschicklichkeit; andere Hände können für die Erhaltung desselben sorgen; andere Künstler können zufälligen Beschädigungen eben so gut abhelfen, als der erste Urheber; aber in der belebten Maschine kann keine einzige Verrichtung einen Augenblick von Statten gehn, ohne die Mitwirkung desjenigen, der sie zuerst erbaut und eingerichtet hat. Eben weil wir uns diesen Unterschied zwischen der bildenden Hand des Geschöpfs und der hervorbringenden Kraft des unmittelbaren Schöpfers aller Dinge nicht tief genug einprägen, gewöhnt sich so mancher – vielleicht nur aus Nachläßigkeit, ohne einige bestimmte Absicht – an den Gedanken, als ob die Fortdauer unsres Lebens gänzlich auf gewissen Kräften und Eigenschaften in dem Gebäude unsers den Titel: Of false taste. An epistle to ... Burlington. Posthum war die Schrift als Epistle IV Bestandteil der Sammlung ursprünglich separater Publikationen unter dem Titel: Moral essays, in four epistles to several persons, erstmals Edinburgh 1751. Im selben Jahr wurde sie auch in William Warburtons Londoner Edition der Werke Popes: The works of Alexander Pope Esq. in nine volumes complete. With his last corrections, additions, and improvements. Published by Mr. Warburton, in Band 3 unter dem Titel: Moral Essays, Epistle IV veröffentlicht, wobei im Inhaltsverzeichnis des Bandes die Überschrift dieses vierten von fünf Briefen falsch aufgeführt ist.

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

The productions of man are his only by courtesy. We compliment and flatter his skill, when we call it creative. The power, with which he operates in the earth, is but a knowledge of the power of nature. In the compositions that come from his hand, he is no more than a compiler. God is the original author of what he puts together. He is the maker of us, and of all things, in the most comprehensive and radical sense. He is the maker of the materials, out of which he made | us. He is the maker of those properties and principles in things, which man finds ready to his purpose, and of which he avails himself in his mechanical contrivances and combinations. He is the maker of those laws of matter and motion, upon which our continued animation immediately depends. Of those laws, the maker must be the executioner also. The first cause must act in that which is called the second, in the production of each particular effect, throughout the whole compass of nature, and through all the long annals of time. The second cause can be no other than another name for the first. That kind of power, which we ascribe to a creature, may be delegated by one creature to another; but the Fountain of all power can send no portion of it away from himself; he can communicate no power to any thing, that can act by itself, alone, and apart from him. He must be, every moment, present, to empower the power of all other things, or what is said, and what seems, to be their power, to produce the effect, whatever it be, which is produced. The great cause of all things can depute no other cause, either animate, or inanimate, either human, or angelic, to supply his place, in | any single point, throughout his vast dominions. The master, who is the maker of his servants, must, every instant, support every one of them; and be, every moment, necessary to enable every one of them to perform the service which they yield him.

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Körpers beruhte, die freylich ursprünglich von dem Schöpfer hineingelegt wären, aber nun einmal unserm Körper eigenthümlich gehörten, mit ihm unzertrennlich verbunden wären, und von dem unmittelbaren göttlichen Verstand nicht weiter abhingen. Wir halten die Betrachtung nicht fest genug, daß derjenige, welcher die großen Triebwerke der Natur zusammengesetzt und in den Gang gebracht hat, auf eine solche Weise ihr Urheber ist, daß seine Hand unaufhörlich geschäftig seyn muß, um das Werk zusammen zu halten, und seine Bewegungen zu befördern. Es ist nur eine gefällige Redensart, wenn man sagt, daß der Mensch etwas hervorgebracht hat. Wir | schmeicheln seiner Geschicklichkeit und erweisen ihr zu viel Ehre, wenn wir sie schöpferisch nennen. Die Kraft, womit der Mensch auf Erden etwas ausrichtet, ist eigentlich nur seine Kenntniß von den Kräften der Natur. An allen Werken, welche von seiner Hand kommen, hat er eigentlich nichts gethan, als gesammelt und verbunden. Der wahre Urheber dessen, was er zusammensetzt, ist immer Gott. Dieser hat in dem eigentlichsten, alles umfassenden Verstande des Wortes uns und alle Dinge gemacht. Er hat den Stoff gemacht, aus welchem wir bestehen. Er hat die Eigenschaften und Kräfte in allen Dingen hervorgebracht, welche der Mensch zu seinen Absichten bereit findet, und auf die er sich hernach, als ob es die seinigen wären, etwas einbildet in seinen nützlichen Erfindungen. Er hat auch die Gesetze der Materie und der Bewegung eingerichtet, von denen unser Leben in jedem Augenblick unserer Fortdauer unmittelbar abhängt. Und der diese Gesetze gegeben hat, der muß sie auch in Ausführung bringen. Was wir auch Ursach nennen mögen, immer muß doch die erste Ursach aller Dinge bey der Hervorbringung jeder besondern Wirkung geschäftig seyn, sie ereigne sich nun wo sie wolle, in dem ganzen Umfang der Natur, und in der unendlichen Reihe der Zeit. Jede untergeordnete Ursach, die wir anführen, ist eigentlich nur ein anderer Name für jene erste und ursprüngliche. Die Art von Kraft, die wir einem Geschöpf zuschreiben, kann von einem auf das andere übergetragen werden; aber der, welcher die gemein|schaftliche Quelle aller Kraft ist, kann keinen Theil derselben von sich absondern, und irgend eine Kraft einem Dinge so mittheilen, daß es nun für sich allein und ohne Verbindung mit ihm thätig seyn könnte. Er muß jeden Augenblick gegenwärtig seyn um die Kräfte aller Dinge – weil wir es doch einmal so nennen, und es uns ihre Kraft zu seyn scheint – fortwährend zu beleben, und die Wirkung hervorzubringen, welche erfolgt. Die große Ursach kann keine andere, belebt oder unbelebt, menschlich oder übermenschlich, absenden, um in irgend einem einzelnen Geschäft ihres weiten Reiches ihre Stelle zu vertreten. Der Herr, welcher alle seine Diener gemacht

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

The almighty monarch must execute his own commands. The Lord God omnipotent must be his own minister. “The great, is the Only potentate.”

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It is not so proper to say, that the Creator has communicated a principle of life to the animated world, as that he is himself the great principle of universal vitality. It is not so accurate to say, that he has laid down laws for nature to observe, as that he himself perpetually operates with that benignant regularity, which is necessary to the welfare of his living works. He is the great spring and impulse that actuates all things. He is himself the attracting power that holds the particles of all bodies together, and combines all bodies into the beautiful systems we see them compose. He is himself the living soul that inhabits, and animates every living thing; that propels every drop through every vein; that produces every pulsation of every artery, every | motion of every limb, every action of every organ, throughout the whole animal kingdom. Every operating principle, through the ample compass of things, is God, that moment willing, God, that moment acting. He is the life of the world: at once the maker, the inspector, and the mover, of all things. Water we call the element of one animal; air, we say, is the element of another: the vital presence of God himself is the universal element, in which all living creatures “live and move and have their being.” This is the voice of reason, and philosophy, as well as of Scripture. He that made all things must be every moment necessary to the support of every thing. As, according to that particular constitution of nature, under which we live, when you lift with your hand a body high in the air, if you wish to prolong its elevation, you must not only lift it thither, but hold it there; as, if you take away your hand from under it, that instant it falls; so, according to the eternal nature of things, the Being that called us into existence, must every moment hold our soul in the life to which he has raised us. If he withdraw his hand, we drop. “In his hand is the soul of every living | thing, and the breath of all mankind.” Whatever we subsist upon, subsists, itself, upon him. All that sustains us, it is God that sustains. Our dependence upon him is of the most comprehensive, complicated, and profound nature. Whatever name we give to its prop, God is the staff of every life. That, whatever it be, on which it leans, leans upon him. When your seasons are fruitful, it is not only he who covers your vallies

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hat, muß sie auch alle jeden Augenblick erhalten, und ist zu allen Zeiten unentbehrlich um sie zu dem Dienst, welchen sie leisten sollen, geschickt zu machen. Der unumschränkte Herr der Welt muß seine Befehle auch selbst ausführen. Der Herr der allmächtige Gott muß alles in allem seyn. „Der Große und Erhabene ist der Einzige, der Gewalt hat.“ Es ist der Sache nicht so angemessen zu sagen, daß der Schöpfer der belebten Welt ihr Lebenskraft mitgetheilt hat, als vielmehr, daß Er selbst die Kraft und Ursach alles Lebens ist. Es ist nicht der richtigere Ausdruck, daß er der Natur die Gesetze vorgeschrieben hat, welche sie beobachtet, sondern man sollte sagen, daß Er selbst immer der wohlthätigen Ordnung gemäß wirksam ist, auf welcher das Wohlergehen seiner lebendigen Geschöpfe beruht. Er | ist die große Triebfeder, die alle Dinge in Bewegung setzt. Er selbst ist die anziehende Kraft, welche die Theilchen der Körper zusammenhält, und diese Körper in den herrlichen Weltgebäuden vereinigt, worin wir sie erblicken. Er selbst ist die belebende Kraft, die in jedem lebendigen Wesen wohnt, und es beseelt, die jeden Tropfen in seinen Gefässen bewegt, jeden Pulsschlag einer jeden Ader hervorbringt, und jede Bewegung eines Gliedes, jede Verrichtung eines Organs in dem ganzen belebten Reich der Natur bewerkstelligt. Jede wirksame Kraft in der Welt zeigt uns in diesem Augenblick Gott, der etwas will und etwas thut. Er ist das Leben der Welt; er ist zugleich der Schöpfer, der Aufseher, der Regierer aller Dinge. Wasser sagen wir ist das Element des einen Thieres, und Luft das Element eines andern, aber die belebende Gegenwart des Höchsten ist das allgemeine Element, worin alle lebendigen Geschöpfe „leben, weben und sind.“ Dies ist die Stimme der Vernunft und der Philosophie sowohl als der Schrift. Der alle Dinge gemacht hat muß auch nothwendig jeden Augenblick da seyn, um sie alle zu erhalten. So wie wir vermöge der Einrichtung der Welt, in welcher wir leben, einen Körper, den unsere Hand in die Luft erhoben hat, auch dort unterstützen müssen, wenn er in der Höhe bleiben soll, und so wie er in demselben Augenblick wieder fällt, da wir unsere Hand von ihm wegnehmen: eben so muß vermöge der ewigen Natur aller Dinge das Wesen, welches uns zum Da|seyn rief, jeden Augenblick unsere Seele in dem Leben erhalten, zu welchem es uns erhoben hat, und eben so würden wir fallen, sobald Gott seine Hand von uns abzöge. „In seiner Hand ist jede lebendige Seele und der Athem aller Menschenkinder.“ Alles das, wodurch wir 17 Wesen] Weseu 5–6 Vgl. 1Tim 6,15

27 Vgl. Apg 17,28

38–39 Vgl. Hiob 12,10

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with corn, who causes to rise the suns that ripen it, who prevents your bread from failing;—but who gives to that bread its nutritive power. When your seasons are healthful, it is not only he who preserves your air from pollution, but who empowers the purest air to supply you with life. When your slumbers are sound, it is not only he who protects your pillow from pain, but who imparts to sleep its restorative property. The civil polity that defends your person from violence, is the result of wisdom which he has illuminated, and of passions which he has implanted. The medical art that raises you from the bed of sickness, proceeds from understandings, which his inspiration hath given, and is supplied with materials, which his hand hath furnished. The | arm that saves you from violent death, is an instrument made, and moved, by him.

So completely is our breath in the hand of God. He is the soul within us; he is the shield without us: the word by which we live; the word by which we die. So the Scripture tells us it is; so reason tells us it must be. Man, the partial maker of a single thing, possesses but a partial power over it; God, the perfect maker of all things, must be every moment necessary to the support of every thing.

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The habitual recollection of this close and intimate connexion between the giver and the receiver of life, between the living God and the living creature, is what I would earnestly recommend to all before me, as being adapted, in the highest degree, at once to entertain the understanding of contemplative, and gratify the heart of affectionate, piety. The perfectly uninterrupted, and the infinitely extended activity of divine power, in the preservation of universal nature, presents to reason a contemplation, of all others the most sublime; while religious sensibility is soothed by the idea of being completely in the hand of a Power, to | whom it feels the most animated love, and in whom it reposes the most tranquil trust. Thirdly, The consideration, that God is our creator, is calculated, if it be properly entered into, to remove from the mind every shadow of mistrust of his loving-kindness, and tender mercy to us. It is he

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bestehen, besteht wiederum nur durch ihn; alles, was uns erhält, muß selbst von Gott erhalten werden. Unsere Abhängigkeit von ihm ist die engste und genaueste, und erstreckt sich über jeden Theil unsres Wesens. Wenn eure Jahre fruchtbar sind, so ist er es nicht nur, der die Felder mit Korn bedeckt, der die Sonne aufgehen läßt, die es zur Reife bringt, der euer Brod beschützt, daß eure Hoffnung nicht fehlschlage; sondern er ist es auch, der diesem Brod seine nährende Kraft giebt. Wenn die Witterung euch heilsam ist, so ist er es nicht nur, der eure Luft vor Verunreinigungen bewahrt; sondern er ist es auch, der die reinste Luft erst geschickt macht euer Leben zu unterhalten. Wenn euer Schlummer süß ist, so ist er es nicht nur, der Schmerzen von eurem Lager abwehrt, sondern er giebt auch dem Schlaf seine stärkende Eigenschaft. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, welche eure Person vor Gewaltthätigkeit schützen, sind eine Frucht der Weisheit, die Er in uns angezündet, und der Neigungen, die Er uns eingepflanzt hat. Die Kunst des Arztes, die euch von Krankenlager wieder aufrichtet, ist ein Werk des Verstandes, den Er eingehaucht hat, und bedient sich der Hülfsmittel, die Er herbeygeschaft hat. Der Arm der euch vor dem ge|waltsamen Tode schützt, ist ein Werkzeug, welches Er bereitet und in Bewegung gesetzt hat. So gänzlich steht unser Athem in Gottes Hand. Er ist unsre Kraft in uns; er ist unser Schutz außer uns; das Wort durch welches wir leben, und das Wort durch welches wir sterben. So sagt uns die Schrift, daß es sey; so sagt uns die Vernunft, daß es seyn müsse. Der Mensch, der nur gewissermaßen etwas hervorbringen kann, besitzt auch darüber nur eine eingeschränkte Gewalt; Gott der in der That alle Dinge gemacht hat, hat auch allein die Macht sie alle zu erhalten. Eine öftere Erinnerung an diese genaue und innige Verbindung zwischen dem Geber und Empfänger des Lebens, zwischen dem lebendigen Gott und seinen lebendigen Geschöpfen, möchte ich uns Allen recht ernstlich empfehlen, weil sie vorzügliche Veranlassungen enthält zu frommen Betrachtungen für unsern Verstand, und zu frommen Empfindungen für unser Herz. Diese ununterbrochene, unendlich ausgebreitete Thätigkeit der göttlichen Macht bey der Erhaltung der ganzen Natur giebt unserer Vernunft den Stoff zu den erhabensten Ideen, und zugleich wird unser frommes Gefühl durch die Vorstellung aufs angenehmste befriedigt, daß wir uns so gänzlich in den Händen eines mächtigen Wesens befinden, gegen welches wir die lebhafteste Zuneigung fühlen, und auf welches wir uns mit der ruhigsten Zuversicht verlassen dürfen.| D r i t t e n s . Die Betrachtung daß Gott unser Schöpfer ist muß, wenn wir sie gehörig verfolgen, natürlich dahin führen, daß auch der geringste Schatten eines Mißtrauens gegen seine liebreiche Barmher-

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that hath made us, is a complete answer to the inquiry, whether or not he wills our welfare. No one can doubt the divine benevolence to man, and interest in his happiness, without first forgetting that man is the work of God. He cannot forsake the work of his hand. We proceed from him; we must be dear to him. The production of his perfections must be the object of his love. The former of our bodies, and the father of our spirits, cannot but be the friend of our welfare. He that made us, must have made us to be happy.

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Fourthly, The reflection that God is our creator, while it inspires, when separately indulged, the most perfect confidence in his love, calls, when connected with the contemplation of our construction, for our warmest gratitude. If, to the recollection that God is our creator, we add an attention to the being he has | bestowed upon us, our conviction of his benevolent design in our creation will be completed, and our trust accompanied with praise. The inference, that he must be our friend, which, with justice, we draw from his having made us, the manner in which he has made us will abundantly confirm. The more we consider the being which God has given us, the more we perceive in it the seeds of happiness, the signature of divine benevolence; the more we are convinced, the curious and wonderful structure of human nature was built to be the mansion of felicity and peace. So great a blessing is the being he has conferred upon us, so many are the sources of enjoyment which it contains within it, that the external circumstances are very rare, which render happiness, upon the whole, impossible to us. Many are the circumstances which we allow to make us miserable, but there are few that force us to be so.

The most striking indications of the goodness, which guided the hand that fashioned us, crowd upon our eye, the moment we direct it to the fabric of our nature. Is not the benevolence that constructed us conspicuous in those senses, which are not only instruments | of utility, but likewise inlets of entertainment? in that fitness and relation 2 not he] no he

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zigkeit und seine zärtliche Güte aus unserm Gemüth vertrieben wird. „Er ist es, der uns gemacht hat,“ das ist eine vollgültige Antwort auf die Frage ob er wohl unser Wohlergehen beabsichtigt. Niemand kann daran zweifeln, daß Gott dem Menschen wohl will, und daß ihre Glückseligkeit ihm am Herzen liegt, als wer zuvor vergessen hat, daß der Mensch ein Werk Gottes ist. Er kann das Werk seiner Hände nicht verlassen; von ihm kommen wir her, und ihm müssen wir werth seyn. Das Geschöpf, welches ein so deutlicher Beweis seiner Vollkommenheit ist, muß auch ein Gegenstand seiner Liebe seyn. Der unsern Leib bereitet hat, und der Vater unsers Geistes ist, muß auch seine Freude haben an unserm Wohlergehn. Der uns gemacht hat, muß uns gemacht haben um glücklich zu seyn. Vi e r t e n s . So wie die Betrachtung, daß Gott unser Schöpfer ist, für sich allein uns das vollkommenste Vertrauen in seine Liebe einflößt, so muß sie uns, wenn wir zugleich die Einrichtung unserer Natur und unsres Wesens vor Augen haben, zur wärmsten Dankbarkeit ermuntern. Wenn wir bey der Erinnerung, daß Gott unser Schöpfer ist, zugleich aufmerksam darauf sind, wie er uns gebildet und ausgestattet hat, so muß unser Glaube an die wohlwollenden Absichten, die er bey unserer | Schöpfung vor Augen hatte, die höchste Gewißheit erlangen und unser Vertrauen zu ihm muß von Danksagungen begleitet seyn. Den Schluß, daß er unser Freund seyn müsse, den wir mit vollem Recht schon daraus folgern, daß er uns gemacht hat, bestätiget die Art, wie er uns gemacht hat, aufs vollkommenste. Je genauer wir die Fähigkeiten betrachten, womit uns Gott begabt hat, desto deutlicher müssen wir daran den Keim der Glückseligkeit, dieses Kennzeichen des göttlichen Wohlwollens wahrnehmen; desto mehr müssen wir uns überzeugen, daß das künstliche und wundervolle Gebäude der menschlichen Natur in der Absicht aufgeführt ist, um eine Wohnung der Glückseligkeit und des Friedens zu seyn. Das Daseyn, welches er uns mitgetheilt hat, ist ein so reicher Segen, die Quellen des Genusses, welche es in sich hält, sind so zahlreich, daß nur sehr selten äußere Umstände eintreten können, welche uns die Glückseligkeit ganz unerreichbar machten. Es giebt vielerley Verhältnisse, durch welche wir uns unglücklich machen lassen; aber nur wenige, welche uns nöthigten, es zu seyn. Die allerdeutlichsten Beweise, daß Güte die Hand, welche uns bildete, geleitet hat, drängen sich uns auf, sobald wir nur unser Auge auf die Beschaffenheit unserer Natur richten. Zeigt sich uns nicht das Wohlwollen, welches uns bereitet hat, ganz deutlich, wenn wir unsere Sinne betrachten, welche nicht nur so nützliche Werkzeuge sind, son10 der Vater] Kj der der Vater

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of our frame to the system of things by which we are surrounded, which renders those objects and operations, in the world of nature, that are useful, at the same time grateful, to us; which makes all nature round us “music to our ear and beauty to our eye?”—Is it not still more eminently displayed in that understanding, which enables man to call forth so large a variety of accommodation from the materials which are thrown around him; to smooth and embellish the walk along which he is destined to pass to his grave; to explore the secrets of those works of nature, beyond the surface of which the inferior creatures cannot penetrate; to discern wisdom and skill, where only figure and colour are presented to their eyes; to perceive harmony and order, where they see nothing more than motion and change; to behold beauty and grace, not only in compositions of matter, but in features of mind, and in systems of conduct; to penetrate into the wonderful chambers of the human breast, and explore the mine of intellectual and moral wealth, the amazing magazine of happiness, which lies hid in hu|man nature; and to ply the most glorious and animating of all toil, that of digging for this inexhaustible and immortal treasure? that understanding, which converts the earth, but a table, and a bed, to other animals, into the school, and the observatory of man! where all beneath him, and around him, and above him, is fair instruction! where he may study the productions of the ground, or peruse the book of human life, and ponder the nature of man; or raise his eyes to the firmament that is spread over his head, and hear the heavens declare the glory of God!—If we seek for yet farther manifestation of the goodness that made us, shall we not discover it in those social powers and propensities, by which creatures, feeble and insufficient to the supply of either their animal, or their intellectual, necessities, when standing singly and alone, are attracted to cohere together in society, and to form at once that union of heads, and that junction of hands, by which alone the improvement of human happiness is to be promoted?—Is it not farther manifested in that faculty of habits, which enables us to derive promptitude, in the performance of actions, at first difficult, from the | repetition of them; and reconciliation to circumstances, at first unpleasant, from familiarity with them; without which, the improvement of human life, either by fine, or by useful arts, would be impossible; without which, virtue would remain a beautiful theory, but an impracticable task; and existence prove an insupportable burden, in circumstances, under which it is now consistent with comfort?—Is not the divine attention to our happiness, in the structure of our nature, to be also discerned, in that ignorance of 17 39] 36

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dern uns auch soviel Annehmlichkeiten zuführen? Zeigt es | sich uns nicht darin, daß die ganze Einrichtung unsers Wesens mit den Dingen, die uns umgeben, so übereinstimmt, und ihnen so sehr angemessen ist, daß jeder nützliche Gegenstand, und jede heilsame Veränderung in der sinnlichen Welt uns etwas Angenehmes darbietet? Ist nicht ein noch herrlicherer Beweis davon der Verstand, welcher den Menschen fähig macht, aus dem Stoff, der um ihn her zerstreut liegt, so manche Bequemlichkeit und so viel Nützliches hervorgehn zu heißen, und sich den Weg, den er zu seinem Grabe zu wandeln hat, so sehr zu verschönern, und so sanft und eben zu machen? Der Verstand, der die Geheimnisse aller Naturwerke erforscht, über deren Oberfläche die unvollkommneren Geschöpfe nicht hinaus kommen; der uns Weisheit und Kunst unterscheiden lehrt, wo jene nur Gestalt und Farben erblikken; der uns Uebereinstimmung und Ordnung zeigt, wo sie nichts als Bewegung und Veränderung sehen; der uns das Schöne und Reizende erblicken lehrt, nicht nur in körperlichen Gestalten, sondern auch in der Bildung des Gemüths, und der Anordnung des Betragens; der in die geheimsten Kammern des menschlichen Herzens eindringt, dort alles, woraus geistige und sittliche Schätze genommen werden können, den ganzen unermeßlichen Vorrath von Glückseligkeit, der in der menschlichen Natur niedergelegt ist, erforscht, und sich der ruhmwürdigen und seligen Arbeit widmet, in diesen ewigen und unerschöpflichen Schätzen zu graben; – dieser Verstand, welcher die Erde die anderen | Wesen nur Tisch und Lager gewährt, für den Menschen in eine Schule und eine Kunstkammer verwandelt, wo ihn alles unter ihm, neben ihm, über ihm auf eine angenehme Weise belehrt; welcher hier die Erzeugnisse der Erde beobachten, das Buch des menschlichen Lebens durchblättern, den Werth der menschlichen Natur abwägen, oder auch seine Augen zu dem Firmament, welches über ihn gebreitet ist, erheben und von den Himmeln die Ehre Gottes kann verkündigen hören? – Soll die Güte, die uns gemacht hat, sich uns noch anders kund thun, so finden wir sie auch in den geselligen Eigenschaften und Neigungen wieder, wodurch Geschöpfe, die zu schwach und unvermögend sind, um allein ihre sinnlichen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen bewogen werden, zusammenzutreten in eine Gesellschaft zu jener Vereinigung ihres Willens, jener Verbindung ihrer Kräfte, durch welche allein menschliche Glückseligkeit gesichert und gefördert werden kann? – Offenbart sie sich nicht noch ferner in dieser Kraft der Uebung und der Gewöhnung, welche uns durch Wiederholung eine Fertigkeit ertheilt in Handlungen, die uns anfänglich schwer 5 Schleiermacher lässt hinter „darbietet?“ sechs Wörter und das von Fawcett markierte rhetorisch-fiktive Zitat aus.

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futurity, in which we are left, and in that propensity to paint it fair, with which we are formed; in consequence of which, if infinite wisdom appoint us to pass through painful experience, infinite mercy, prior to our passage through it, allows us the happiness of pleasing expectation, and the curtain, which conceals the scene before us, becomes the canvass upon which fancy may sketch futurity in such forms, and paint it in such colours, as are most alluring to the eye of nature?—And may we not find a yet farther proof, to seek for no more, of the benignity that formed us, in that power of memory, which is not only an instrument of knowledge and virtue, but also a | source of exquisite pleasure? in that wonderful mirror within us, which reflects the figure of the past? that mighty magician in the mind, that conjures back departed events! pulls them into his presence, from whatever distance they have flown to, by the potency of his mysterious spells! commands the suns that have long gone down, to rise over again; and the pleasures that have taken their flight, to spread a returning wing! that powerful faculty, which enables man to hold fast the fleeting years; to fix the volatile moments; to bid time stand still, and the past become the present! which enables the old man to renew his youth; to rekindle his ardour; and to repeat his life! Thus, while, in the morning of life, the pictures of hope adorn the darkness of futurity, and make that darkness their tablet; in the evening of our day, the pencil of memory is employed to lay its enlivening colours upon the dead and gloomy wall, that bounds the pursuit and the expectation of man upon earth.

To the bestower of such a being our most lively gratitude must belong. Were he not the cause of all that happens to us, as well as the author of our existence, for all the hap|piness we have received ever since our nativity, our principal gratitude would still be due to him,

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wurden, welche uns bey längerer Bekanntschaft aussöhnt mit Verhältnissen, die uns zuerst sehr unangenehm waren, welche allein die Verschönerung des menschlichen Lebens durch nützliche und angenehme Künste möglich macht, ohne welche die Tugend zwar immer eine erhabene Idee bleiben, aber in der Ausübung unmöglich seyn würde, ohne welche endlich das Da|seyn unter solchen Umständen, bey denen jetzt noch eine gewisse Zufriedenheit bestehn kann, uns eine unerträgliche Last seyn müßte? – Wie sehr Gott bey der Einrichtung der menschlichen Natur unsre Glückseligkeit vor Augen gehabt habe, zeugt davon nicht auch unsre Unbekanntschaft mit der Zukunft, und die Neigung sie uns schöner zu malen, die uns Allen so natürlich ist? So oft die unendliche Weisheit für gut findet, uns durch schmerzliche Erfahrungen hindurch gehn zu lassen, weiß uns die göttliche Liebe zuvor noch durch diese Neigung die Glückseligkeit einer angenehmen Erwartung zu verschaffen, und weiset eben den Vorhang, der uns die Scene verbirgt, unserer Phantasie als das Feld an, worauf sie die schönsten Bilder der Zukunft entwirft, und sie mit den lieblichsten Farben ausführt. – Entdecken wir nicht noch einen andern Beweis von dem Wohlwollen, welches uns bereitet hat, nemlich die Gabe des Gedächtnisses, welches nicht nur ein Hülfsmittel für Erkenntniß und Tugend, sondern zugleich eine Quelle der feinsten Vergnügungen ist? Diesen wunderbaren Spiegel, der die Gestalten der vergangenen Zeit zurückwirft; diesen mächtigen Zauberer, der uns die Begebenheiten von ehedem beschwört durch seine geheimnißvollen Sprüche, daß sie hervor müssen vor unsere Augen, wie weit sie auch schon geflohen seyn mochten; der den Sonnen, die schon lange untergegangen waren, noch einmal aufzugehn befiehlt, und die Freuden auf ihrem flüchtigen Zuge wieder umkehren heißt, dieses gewaltige | Vermögen, welches den Menschen in Stand setzt, die fliehenden Jahre aufzuhalten, den flüchtigen Augenblick fest zu ergreifen, der Zeit Stillstand zu gebieten, und das Vergangene zu vergegenwärtigen – welches dem Greise hilft seine Jugend zu erneuern, sein ehemaliges Feuer noch einmal zu entzünden und sein ganzes Leben zu wiederholen. So wie am Morgen des Lebens das Gemälde der Hoffnung die Dunkelheit der Zukunft verziert, und eben auf diesem dunkeln Grunde eine desto schönere Wirkung thut, so ist am Abend des Lebens der Pinsel des Gedächtnisses geschäftig, seine lebhaften Farben auf die todte, finstre Wand aufzutragen, die allen Bestrebungen, allen Erwartungen des Menschen auf der Erde ihre Grenzen setzt. Demjenigen, der uns ein solches Daseyn bereitet hat, gebührt die lebhafteste Dankbarkeit. Wäre er auch nicht von allem, was uns be24 geheimnißvollen] geheimnißvolle

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from whom we received our capacity of happiness. “Oh, come then, let us enter into his gates with thanksgiving, let us come into his courts with praise.” Of the fountain from whence we flow set us not be forgetful. To the human p r e s e r ve r of your life, when exposed to imminent danger, you are all sufficiently thankful. If, by his skill in medicine, he save you from sickness, which every other professor of the healing art had pronounced to be incurable; if he snatch you from the jaws of the destruction that was yawning to swallow you up from without; if he descend after your sinking body into the abyss of water, when it had well nigh gone over your soul for ever; if he bear you through the flame and smoke of midnight conflagration, at a moment when the consuming element was surrounding your unconscious and curtained senses; if he stand between you and the impending sword of battle; if he fly to your aid, when the arm of lawless violence was lifted up against you; if, in any of these ways, he deliver you from death; you survey your deliverer with no cold regard: you | regard him with all the rapture of gratitude! you pay him enthusiastic thanks! you remember him with immortal love! you record his name in the annals of your house; you write it on the table of your memory, in letters that are not to be worn away by time; you think no return can be too great which it is in your power to make him. “He saved my life,” is a declaration, which has been made by multitudes, at the distance of many years from the deliverance, with emotions of gratitude. The salvation of his life is a service, which the man of wealth has rewarded with boundless munificence; with domestic generosity; with all the gush and flood of uncontrolled return! These strong expressions of gratitude, which are made by mankind in general, to the humanity which p r e s e r ve s their life, and which forcibly shew the value which they set upon it, loudly call for their gratitude to the goodness that gave it.

Fifthly, If it is God that hath made us and not we ourselves, to him it becomes us to give the glory of whatever gifts of nature we may possess. There is no one weakness to which man is so prone as he is to pride. To feed this passion, he diligently explores every point | in his situation, and in himself, in search of nutriment. Sometimes

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gegnet eben so gut die Ursach, als er der Urheber unsers Daseyns selbst ist, so gebührte doch für alle Glückseligkeit, die wir von unserer Kindheit an genossen haben, unsre vorzüglichste Dankbarkeit immer demjenigen der uns die Fähigkeit, so glücklich zu seyn, verliehen hat. So kommt denn: laßt uns zu seinen Thoren eingehn mit Dank, und zu seinen Vorhöfen mit Lob! Laßt uns die Quelle von welcher wir entsprungen sind, nicht vergessen. Einem Menschen der euch das Leben erhielt, welches in einer dringenden Gefahr schwebte, seyd ihr gewiß in hohem Grade dankbar. Wer durch seine Kenntniß des menschlichen | Körpers euch von einer Krankheit rettete, die jeder Arzt schon für unheilbar erklärt hatte; wer euch hinwegriß von dem Abgrund des Verderbens, der sich schon neben euch aufgethan hatte; wer sich eurem sinkenden Körper nachstürzte in die Tiefe des Wassers, als es eben auf immer über euch zusammenschlagen wollte; wer euch hindurch trug durch die Flamme und den Rauch der mitternächtlichen Feuersbrunst, als ihr sinnlos und ohne Bewußtseyn schon von dem verzehrenden Element umgeben waret; wer sich in der Schlacht zwischen euch und das Schwerd stellte, das gegen euch gerichtet war; wer euch zu Hülfe flog, als gesetzwidrige Gewaltthätigkeit den Arm gegen euch aufgehoben hatte – gewiß den Retter der euch in einem von diesen Fällen vom Tode befreite, überseht ihr nicht mit kaltem Blick: ihr betrachtet ihn mit aller Entzückung eines erkenntlichen Herzens: ihr weihet ihm den leidenschaftlichsten Dank; ihr gedenkt seiner mit ewiger Liebe, erwähnt seines Namens in den Jahrbüchern eures Hauses, und schreibt ihn auf die Tafel eures Gedächtnisses mit Zügen, welche die Zeit nicht hinwegwischen wird: ihr glaubt keine Vergeltung, die irgend in eurer Macht steht, könne zu groß seyn. „Er hat mir das Leben gerettet“ das erzählt man, nachdem schon viele Jahre seit der Begebenheit verflossen sind, noch immer mit dankbarer Rührung. Lebensrettung ist ein Dienst, den Reiche schon öfters mit grenzenloser Freigebigkeit belohnt, alle ihre Vorzüge und Würden großmüthig mit dem Retter getheilt, und | alles dafür gethan haben, wozu Dankbarkeit, die sich reichlich ergießt, und nie kärglich nachzählt, nur immer antreiben kann. Solche starke Ergießungen der Erkenntlichkeit, denen sich doch jeder gern überläßt gegen den, der ihm das Leben erhalten hat, machen uns fühlbar, welchen großen Werth wir auf dies Leben setzen, und rufen uns also laut auf zur Dankbarkeit gegen den, welcher uns dies Leben gegeben hat. F ü n f t e n s . Wenn Gott es ist, der uns gemacht hat, und nicht wir selbst, so geziemt uns auch ihm die Ehre zu geben, für alle Naturga18 Schwerd] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 362 5–6 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 100,4

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external and accidental distinctions excite within him extravagant ideas of his own dignity. Sometimes he plumes himself upon personal endowments, either of a corporeal, or a mental nature. He glories in the comeliness of his features; in the symmetry of his frame; in the activity of his limbs; in the vigour of his muscles; or in the superiority of his understanding; in the clearness of his comprehension, in the brilliancy of his imagination, and the vivacity of his wit.

The single reflection, that God is our creator; that whatever we are, it is he, and not we ourselves, that hath made us so; is sufficient to throw down the pride that stands upon either of these foundations.

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God is the proprietor, as he is the author, of all our endowments, whether of body or of mind. Whatever excellence we inherit from nature, is not ours, but his. With as much propriety might we ascribe eloquence to the quill, rather than to the writer; or ingenuity to the machine, rather than to the inventor; as take to ourselves the praise of any personal superiority, with which our | Maker may have distinguished us. We have as. much right to erect our pride upon one part of the Almighty’s works as upon another. We have as much reason to be proud of the splendour of the sun, of the enamel of the meadow, of the grandeur of the ocean, or the magnificence of the firmament, as of any display of divine power and skill, which we perceive in ourselves. All around us, and all within us, is equally inscribed with the name of God. He is the author of all that is excellent. To him belongs universal praise. He who gives to himself the glory of any native distinctions he finds in himself, robs his maker of the tribute that belongs to him. The antient ignorance which worshipped the works of God, and bowed down before the sun, moon, and stars, is deserving of our pity: but he is guilty of unpardonable idolatry, who, being instructed in the knowledge of the one living and true God, that “made the heavens and the earth and all things that are therein,” pays homage to himself; and forgets that, if he be a more glorious creature than many around him, he is still no more than a creature.

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ben, die wir etwa besitzen. Zu keiner Schwachheit ist der Mensch so sehr geneigt als zum Stolz. Um diese Leidenschaft nur zu befriedigen, sucht er mühsam an sich selbst und seinem Zustande auch das geringste auf, wovon sie sich nähren kann. Bisweilen erzeugen äußerliche Auszeichnungen in ihm einen ausschweifenden Begriff von seiner eignen Würde; bisweilen bläht er sich wegen persönlicher Vorzüge seiner körperlichen oder geistigen Natur. Er rühmt sich der Annehmlichkeit seiner Gesichtszüge, des Ebenmaßes seiner Gestalt, der Gelenksamkeit seiner Glieder, der Stärke seiner Muskeln; oder seines hellen Verstandes, seines treffenden Scharfsinns, seiner glänzenden Einbildungskraft, seines lebhaften Witzes. Die einzige Betrachtung, daß Gott unser Schöpfer ist, daß, welche Vorzüge wir auch haben mögen, er es ist, der uns so gemacht hat, und nicht | wir selbst, diese reicht hin den Stolz, der aus einer solchen Veranlassung entsprungen ist, zu demüthigen. Gott ist eben so gewiß der Eigenthümer aller unserer körperlichen und geistigen Eigenschaften, als er ihr Urheber ist. Was wir vorzügliches von der Natur erhalten haben, gehört ihm und nicht uns. Dem Federkiel die Beredsamkeit zuschreiben, und nicht dem Schriftsteller; der Maschine den Scharfsinn, und nicht dem Erfinder: das wäre eben so richtig, als uns selbst den Ruhm wegen irgend eines persönlichen Vorzuges zuzueignen, durch welchen unser Schöpfer uns ausgezeichnet hat. Mit gleichem Recht können wir auf den einen Theil der Werke des Allmächtigen unsern Stolz bauen, als auf den andern. Wir hätten eben soviel Ursach auf den Glanz der Sonne, auf den Schmelz der Wiesen, auf die Größe des Oceans oder auf die Pracht des Firmamentes stolz zu seyn, als auf irgend einen Beweis göttlicher Macht und Kunst, den wir an uns selbst wahrnehmen. Was wir um uns, und was wir in uns finden, ist beydes auf gleiche Weise mit dem Namen Gottes bezeichnet. Er ist der Urheber alles Vortreflichen. Ihm gebührt alles Lob. Wer sich selbst die Ehre geben will wegen irgend eines natürlichen Vorzugs, den er bey sich gewahr wird, der entzieht seinem Schöpfer das Opfer, welches ihm gebührt. Die Unwissenheit des Alterthums, welches die Werke Gottes verehrte, und sich vor Sonne, Mond | und Sternen beugte, verdient unser Mitleid, aber der macht sich einer unverzeihlichen Abgötterei schuldig, der unterrichtet ist in der Erkenntniß des einigen, wahren und lebendigen Gottes, welcher Himmel und Erden, und alles, was darinnen ist, gemacht hat, und dennoch sich selbst huldigt, und es vergißt, daß ob er gleich ein viel herrlicheres Geschöpf ist, als viele um ihn her, er doch immer nur ein Geschöpf bleibt. 38–39 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 146,6

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It is common for moralists to expose the | folly of those, who are disposed to indulge the elation of pride, upon account of any thing of an adventitious and e x t r i n s i c nature, by insisting upon the precariousness and uncertainty of such possessions. They are painted with wings by him that would humble the proprietor of them. The teacher of humility to the possessor of riches, talks to him of the possibility of their flight, and rings in his ear the sounding of their departing pinions. To damp the pride of which of our possessions, may not the same consideration be employed? Our constitutional distinctions, are they without their wings? Though inherent in ourselves, independent of the world, safe from the fickle climate of mercantile and political life, are even these immoveably fixed in our lot? are there no changes to which they are exposed? are there no winds, capable of piercing to the place they occupy, and sweeping them away? He that gave, can at any time resume, his gifts, whether they go by the name of gifts of fortune, or gifts of nature. He has often resumed the latter, as well as the former. How frequently is the man reduced to sudden imbecility, whose flesh appeared to have been of brass, and whose | strength to have been the strength of stones! How often has the active limb that leaped as an hart, lost its bounding agility for ever, and beauty for ever been blotted out of the comely countenance by sickness or by violence! Nor are these the only properties of our nature that partake of instability. Alas, where is it, at what line, in the possessions of man, that vicissitude stops? Where is the point, in all the little region of his happiness, or his honour, to which, but no farther, changes come; where the giddy whirls of accident are stayed; and beyond which all is serene security, and sanctuary from uncertainty? There is no such point. His pride has no such place to set its foot upon, and say, “This ground is immutably mine.” Not only his riches take their flight; not only his pomp and power depart; not only his liberty is taken from him; not only his friends forsake him; and his health bids him adieu;— his understanding is liable to go from him too.

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Wenn Sittenlehrer die Thorheit derer anschaulich machen wollen, welche ihrem Stolz erlauben sich eines äußerlichen und zufälligen Vorzuges zu überheben, so setzen sie die Vergänglichkeit und Unsicherheit dieser Güter ins Licht. Wer die Reichen Demuth lehren will, malt den Reichthum geflügelt, um ihnen zu zeigen, wie bald er sie verlassen könne, und läßt schon das Geräusch seines enteilenden Fittiges in ihr Ohr tönen. Aber auf welches von allen menschlichen Gütern ließe sich wohl diese Vorstellungsart nicht anwenden, um den Stolz niederzuschlagen, der sich darauf bezieht? Sind etwa unsere persönlichen Vorzüge weniger beflügelt? Ob sie gleich in uns selbst wohnen, von der Welt unabhängig sind, und von den schnellen Veränderungen in der Witterung des betriebsamen Lebens und der bürgerlichen Verhältnisse nichts leiden, sind sie deswegen unbeweglich fest an unsern Zustand geheftet? Giebt es keine Unfälle, denen sie ausgesetzt sind? Giebt es keine Stürme, welche bis zu ihrem Sitz hindringen können, um sie mit fortzureißen? Der, welcher | alles gab, kann auch alle seine Gaben zu jeder Zeit wieder zurücknehmen, wir mögen sie nun Geschenke des Glücks oder Gaben der Natur nennen. Und er hat schon oft die letzten eben so gut zurückgenommen als die ersten. Wie oft ist schon derjenige plötzlich kraftlos und elend geworden, dessen Körper fest wie Stein war, und der eine eherne Stärke besaß! Wie oft hat Krankheit oder Gewaltthätigkeit das geschickteste Organ seiner regen Geschäftigkeit beraubt, und auf dem reizendsten Angesicht die Züge der Schönheit auf immer verlöscht! Auch sind dies nicht die einzigen Eigenschaften unserer Natur, denen diese Unbeständigkeit zu Theil geworden ist. Ach wo ist denn der Ort, wo ist die Grenzlinie in den Besitzungen des Menschen, an welchen das wechselreiche Schicksal stehen bleiben müßte? Wo ist der Punkt in dem ganzen Gebiet unsres Glücks und unsrer Ehre, so klein es auch ist, bis zu welchem, und weiter nicht, das Unglück herankommen dürfte? an welchem die raschen Wirbel des Zufalls sich legen müßten? hinter welchem alles ruhige Sicherheit wäre, und ein Heiligthum, dem keine Veränderung naht? Ach, es giebt keinen solchen Punkt! Der Stolz des Menschen hat keinen solchen Raum, worauf er seinen Fuß setzen, und sagen könnte: dieser Boden ist unabänderlich mein. Nicht seine Reichthümer allein nehmen die Flucht, nicht nur Macht und Herrlichkeit weichen von ihm, nicht nur seine Freyheit kann ihm geraubt werdet, nicht nur seine Freunde verlassen ihn, nicht nur seine Gesundheit verschwindet, – | auch sein Verstand kann von ihm genommen werden. 6 Fittiges] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 171–172 Ströme 29 welchem] welchen 35 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

15 Stürme] so DV; OD:

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This most melancholy and most humiliating of all the desertions which man experiences, befalls him with a sufficient frequency, to frown upon intellectual pride. | The number of mansions, erected for the reception of ruined reason, is large enough, loudly and eloquently to lecture the pride of reason, in every human breast. From this dark shadow of intellectual adversity, not even the brilliant and the learned head is secure. We have seen the Father of lights recall the ray, he had let fall upon it, from the luminous and splendid understanding. He has left the sparkling wit, to wander into madness, or to wither into idiotism. The eminently civilised, the highly cultivated man, the lamp of his friends, the light of society, has sunk below the savage! has been degraded from the rank of rational creatures; changed from a scholar, from a philosopher, and a bard, into an animal to be kept in awe by brute violence! converted from a subject of fame, into a spectacle to vulgar curiosity, or to pensive compassion!

Where shall our pride find a resting place? We hold our most intrinsic property by a precarious tenure. Not only wealth and power, but wisdom and wit, may make themselves wings, and fly away. Even these experience the turning of the wheel, and partake of the revolution that reigns around us. We are | not only liable to lose our possessions, we are liable to lose ourselves. Instead then of stopping the praise that should rise to heaven, for any of those gifts of nature, which the God of nature, as he gave, can, whenever he pleases, take away; instead of stopping the glory that should ascend to God, and distracting it from its proper course to ourselves; let us give it the way it ought to go, and cheerfully ascribe to the Author of all excellence, whatever excellence of nature we may any of us have received from him. Sixthly, As the consideration that God is our creator, renders it impossible for us to be proud of any personal excellence which we have inherited from nature, so the reflection that God is the maker of o t h e r s , should lead us to pay a proper respect to all mankind, and prevent us from despising any because they are poor. The respect arising from this reflection is intimately connected with the practice of

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Dieser Verlust, unter allen welche der Mensch erleiden kann derjenige, dessen Vorstellung uns am meisten schwermüthig macht, und am tiefsten demüthigt, ereignet sich häufig genug, um den geistlichen Stolz zittern zu machen. Zahlreich genug sind die Wohnungen, die man der zerrütteten Vernunft errichtet hat, um den Stolz dieser Vernunft in jeder menschlichen Brust laut und beredt zu bestrafen. Vor diesem schwärzesten aller das Gemüth unmittelbar ergreifenden Unglücksfälle ist auch der aufgeklärteste, reichste Verstand nicht sicher. Wir haben der Beyspiele gesehen, daß der Vater des Lichtes von dem hellsten, glänzendsten Geist den Strahl zurückgerufen hat, den er auf ihn hatte fallen lassen. Er ließ den schimmernden Witz in Thorheit umhergehn, oder in stumpfer Blödsinnigkeit verwittern. Der gebildetste Mann, der seinen Freunden ihren Weg erhellte, und der ganzen Gesellschaft ein Licht war, ist schon tief unter den Wilden herabgesunken, ist schon erniedrigt worden unter den Rang vernünftiger Geschöpfe, ist aus einem Gelehrten, einem Weisen, einem Dichter, ein Thier geworden, das nur durch rohe Gewalt gebändigt werden konnte; schon oft ist der Liebling des Ruhms verwandelt worden in einen Gegenstand für niedrige Neugierde, oder für das nachdenkendste Mitleid. Wo also soll der menschliche Stolz seinen Ruheplatz finden? Unser innerstes, eigenstes Eigenthum | ist ja nur durch einen sehr unsichern Besitz das unsrige. Nicht nur Macht und Reichthum, sondern auch Weisheit und Verstand können sich Flügel machen und davon fliehen. Auch diese erfahren die Umwälzungen des großen Rades, und sind den Erschütterungen ausgesetzt, die alles um uns her bewegen. Wir können nicht nur unsere Besitzungen verlieren, sondern auch uns selbst. Anstatt also die Danksagungen zurückzuhalten, die zum Himmel empor steigen sollten, für jede dieser Naturgaben, welche der Herr der Natur, der sie gegeben hat, auch sobald als es ihm beliebt, wieder zurücknehmen kann; anstatt die Ehre, welche Gott dafür dargebracht werden sollte, aufzuhalten, und von ihrem natürlichen Wege ab, zu uns selbst zu leiten; laßt uns ihr lieber freyen Lauf geben, und gern bekennen, daß dem Urheber alles Guten und Vortreflichen auch alles das Gute und Vortrefliche zugeschrieben werden muß, welches jeder unter uns von ihm empfangen hat. S e c h s t e n s . So wie die Betrachtung daß Gott unser Schöpfer ist, es uns unmöglich macht, wegen irgend eines persönlichen Vorzuges, den uns die Natur verliehen hat, stolz zu seyn, so sollte die Überlegung, daß Gott auch der Schöpfer aller Andern ist, uns antreiben 3 geistlichen] Kj geistigen

7–8 aller ... Unglücksfälle] aller, ... Unglücksfälle,

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justice, in our intercourse with those, who are our inferiors in situation. Contempt is the parent of injury and of oppression, both in public and in private life. The tyrants that have trampled upon a people, before they | set their foot upon them, were led to look down upon them, as an herd of insignificant and contemptible creatures. The lordly oppressor of the rustic neighbourhood, the little tyrant of the poor man’s fields, has been ever in habits of looking upon them that have no riches, as having no rights; as beings beneath his notice; without claims to justice; as no more than dust, whom he may walk over without doing them wrong; whose most quiet complaint is to be considered as provocation; and whose mildest remonstrance to be regarded as insolence.

The cure of this conduct is the consideration, that “the Lord is the maker of us all.” “If I did despise the cause of my man servant, or my maid servant, when they contended with me, what then shall I do when God riseth up? Did not he, that made me in the womb, make him, and did not one fashion us in the womb?” This short and simple reasoning leads to a decent respect for all mankind, whether high or low, whether rich or poor. The moment I consider any thing before me, whether it be a man, or whether it be an infect, as the work of God, | that moment I regard it with respect. If a piece of painting or of sculpture, of however inferior merit, be ascribed to some eminent name, and have sufficient marks of authenticity upon it, though but the essay of his youth, of the play of his hand, it is held in veneration; and considered, by every lover of the art, as a valuable thing. If a piece of poetry, of however light and trivial a nature, could be proved to be the production of Milton’s or of Shakespeare’s pen, though only the inferior and feeble offspring of their infant muse, it would be read with reverence. And when I open my mind to the consideration, that any creature, of however inferior and humble a class, is the composition of Almighty God, it commands my respect. It is the curious organization, it is the wonderful workmanship, of the great Master and Father of all art! It is his beautiful design! It is his nice execution! It is in the style and manner of Omnipotence! All the artists of the earth combined cannot produce anything to be compared unto it. 27 Shakespeare’s] Shakespear’s

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allen Menschen die gehörige Achtung zu erweisen, und keinen unter ihnen deswegen zu verachten, weil er geringer ist. Die Achtung, welche aus dieser Ueberlegung entspringt, ist innig verbunden mit der Uebung der Gerechtig|keit in unserm ganzen Verhalten gegen diejenigen, die uns äußerlich untergeordnet sind. Verachtung ist allemal die Mutter von Unrecht und Unterdrückung, im bürgerlichen sowohl als im häuslichen Leben. Ehe die Tyrannen, welche ein Volk zu Boden getreten haben, ihm den Fuß auf den Nacken setzten, haben sie vorher auf dasselbe herabgesehn, als auf eine Heerde nichtswürdiger und verächtlicher Geschöpfe. Der vornehme Unterdrücker einer ländlichen Gegend, der kleine Tyrann über das Feld des Armen, hat sich von jeher gewöhnt, diejenigen, welche keine Reichthümer haben, als solche anzusehn, denen auch keine Rechte zukommen, als ganz unter seiner Bemerkung, als Staub, über den man hinweggehn kann, ohne daß ihm Unrecht geschähe, als Geschöpfe, die gar keinen Anspruch auf Gerechtigkeit zu machen haben, deren geduldigste Klage schon strafbar, deren leiseste Vorstellung schon eine Unverschämtheit ist. Die beste Arzney für ein solches Betragen ist die Betrachtung: daß „der Herr uns alle gemacht hat.“ „Wenn ich verachtete das Recht meines Knechts oder meiner Magd, wenn sie eine Sache wider mich hätten, was wollte ich thun, wenn Gott sich aufmachte? Hat ihn nicht auch der gemacht, der mich im Mutterleibe machte, und hat ihn im Leibe eben so wohl bereitet?“1 Diese kurze und einfache Vorstellung bewegt uns zur geziemenden Achtung gegen die Menschen, sie seyen nun hoch oder niedrig, | reich oder arm. In dem Augenblick, da ich irgend einen Gegenstand vor mir, es sey ein Mensch oder ein Insekt, als ein Werk Gottes betrachte, in diesem Augenblick betrachte ich ihn mit Ehrfurcht. Wenn ein Werk der bildenden Künste, wie gering auch sein eigentliches Verdienst sey, einem berühmten Meister zugeschrieben wird, und hinreichende Kennzeichen der Aechtheit an sich hat, so wird es sehr in Ehren gehalten, wenn es auch nur ein Jugendversuch oder ein Spiel von ihm seyn sollte, und alle wahren Liebhaber der Kunst legen einen Werth darauf. Wenn von einem kleinen Gedicht, sey es auch ganz leichter und gewöhnlicher Art, bewiesen werden könnte, daß es aus Miltons oder Shakespeares Feder geflossen sey, wäre es auch nur die schwache und unvollkommene Frucht ihrer jugendliche Muse, so würden wir es immer mit einer gewissen Achtung lesen. Und wenn ich mein Gemüth dem Gedanken öffne, daß irgend ein Geschöpf, sey es auch von der niedrigsten und geringsten Ord1

Hiob 31, 13–15.

19 Vgl. Spr 22,2

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But, in regarding mankind in the humblest classes of life, we have to reflect, not only that they are the creatures of God, but | that they have received from him the same nature as ourselves. As the poor are made by the same hand, they are made in the same image, as the rich; cast in the same mould; exhibiting to the curious eye of reverent inspection, exactly the same complication of parts and powers; the same figure and faculties of body; the same passions and capacities of mind. Who shall dare to despise the admirable and highly finished fabric, which the Lord God Almighty, all whose works are great and marvellous, has put together in so exquisite a manner, because the threads that cover it from the weather are coarser, or more decayed than his? At what does the critic look, when he would estimate the merit of the writer, upon whose work he sits in judgment? at the elegance of the letter in which it is printed? at the fineness of the paper upon which it is presented to his eye? or at the beauty of the plates with which it is embellished? No certainly: he looks, and looks only, at the literary work itself. And, in the same manner, the man of true taste and just discernment, in estimating man, respects him not as rich, not as powerful, but as man.

The trappings of man are the work of | man; the work of a weak worm. The apparel which he wears, it is man that wove; the house in which he lives, it is man that built; the vehicle in which he rides, it is man that constructed: but man himself is the work to be wondered at; man himself is the work of God; the astonishing work, which man can neither make, nor mend. The great man may call his workmen around him, and make what alterations he will, in his outward possessions. He can command them to pull down his barns, and build greater: to pull up his trees, and plant others; to scoop him pools of water, in whatever parts of his grounds he pleases; to design his gardens and his orchards, according to his fancy; and to make him great works of various kinds, so as to give him to outshine his surrounding

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nung, ein Werk des allmächtigen Gottes ist, so nöthigt mir das Ehrerbietung ab. Es ist das sehenswerthe Kunstwerk, es ist die wundervolle Arbeit des großen Meisters und Vaters aller Kunst! Es ist sein schöner Entwurf! es ist seine genaue Ausführung! es ist in dem Styl und der Manier des Allmächtigen. Alle Künstler der Erde zusammengenommen können nichts hervorbringen, was damit verglichen werden könnte. Wenn wir aber Menschen sehen, auch aus den untersten Abtheilungen der Gesellschaft, so müssen | wir bedenken, daß sie nicht nur Geschöpfe Gottes sind, sondern daß sie auch von ihm dieselbe Natur empfangen haben, als wir. So wie die Armen von derselben Hand geschaffen sind als die Reichen, so sind sie auch nach demselben Entwurf gebildet, in der nemlichen Form abgedruckt, und zeigen dem wißbegierigen Auge des ehrfurchtsvollen Beobachters genau dieselbe Verbindung verschiedener Theile und Kräfte, dieselbe Gestalt und Eigenschaften des Körpers, dieselben Fähigkeiten und Neigungen des Gemüthes. Wer dürfte wohl dieses bewunderungswürdige und höchstvollendete Kunstwerk, welches der allmächtige Gott, dessen Werke alle groß und wunderbar sind, so ganz vortreflich gebildet hat, um deswillen verachten, weil die Bedeckungen, welche es gegen das Wetter beschützen gröber oder abgetragener sind als die seinigen. Worauf sieht der Kunstrichter, wenn er den Werth eines Schriftstellers beurtheilen will, über dessen Werke er zu Gericht sitzt? Auf die Zierlichkeit der Lettern, womit es gedruckt ist? Auf die Feinheit des Papiers, welches dazu verwendet wurde? Auf die Schönheit der Kupferstiche, die es schmücken? Nein, gewiß nicht; sondern er sieht, und zwar ganz allein auf das innere des Werkes selbst. Und eben so betrachtet jeder, der ein richtiges Gefühl und gesunde Beurtheilung hat den Menschen, dessen Werth er abwägen will, nicht als einen Reichen, nicht als einen Mächtigen, sondern als Mensch.| Die äußerlichen Verzierungen des Menschen sind Menschenwerk, das Werk eines schwachen Wurms. Das Kleid, welches er trägt, hat der Mensch gewebt; das Haus, worin er wohnt, hat der Mensch gebaut; das Fuhrwerk, worin er sich forttragen läßt, hat der Mensch zusammengesetzt: aber der Mensch selbst ist das Werk, welches man bewundern muß; er ist das Werk Gottes, das unbegreifliche Werk, welches Menschen weder nachahmen noch verbessern können. Ein vornehmer Mann kann seine Arbeiter um sich her versammeln, und in seinen Besitzungen jede Veränderung vornehmen lassen, die ihm beliebt. Er kann ihnen befehlen, seine Scheuern niederzureißen, und größere zu bauen; seine Bäume auszuheben und andere zu pflanzen; 18–19 Vgl. Ps 139,14

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neighbours, in this various and extended dress of his little being: but if he be dissatisfied with any inferiority in the formation of himself, he may assemble all the artificers in the universe together; the collected skill of all their hands cannot add one cubit to his stature, or make one hair of his head either black or white.

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In the sight of him who thus considers all | mankind, a crime of how enormous a nature, of what frightful magnitude, must the oppression and the destruction of any of them appear! With what an eye of amazement and horror, must such a man look upon their, not merely inhumanity, but bold impiety, who have presumed to trample upon the noblest terrestrial productions of him, unto whose works there are none that are like! whose treading has been, not upon that dust they were made to tread, and which nature has subjected to their feet, but upon the prostrate images of their maker! who have thrown down the tallest inhabitants of the earth, trampled upon creatures whom the Creator crowned with glory and honour, and made the immortal likenesses of Almighty God their ground! who have either crushed beneath the foot of protracted cruelty, and gradually ground to dust, by subjecting it to a series of corroding cares and miseries, or employed the sword of unrighteous battle, with one rude stroke, and with dreadful repetition, to break into pieces that curious construction, upon which the divine Artist had expended such consummate wisdom and skill! Seventhly, If it is God that hath made us, we | may be very certain that he has made us to answer some wise and valuable end. Every artist has some end or other in view in what he produces. The mechanic has some useful design to answer by the machine upon which he bestows his invention, and as soon as he has constructed it, he applies it to the purposes for which he made it. It is God that hath made us; God only wise; that has made nothing in vain; that has crowded happiness into his creation; that has not contented himself with producing any creature merely to contain felicity within himself, but to be contributory, in some way or other, to the good of the creation. He has made no inanimate thing to exhibit detached, unconnected excellence. He has made no living thing solely for the sake of its own single felicity. He has made the sun, not to dazzle the sight with surpassing splendour, not to decorate the sky with useless beams,

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ihm Teiche zu graben, wo er will auf seinem Grund und Boden; seine Gärten und Gewächshäuser nach seiner Phantasie anzulegen, und ihm große Werke jeder Art zu verfertigen, so daß er sich auszeichnet vor allen, die um ihn her wohnen, durch die Mannichfaltigkeit und Weitläufigkeit aller dieser Einfassungen seines kleinen Ichs; ist er aber unzufrieden mit irgend einer Unvollkommenheit seiner eignen Gestalt, so mag er alle Künstler der Welt zusammenberufen, sie werden mit aller ihrer Geschicklichkeit seiner Länge nicht einen Fuß zusetzen, noch eins seiner Haare weiß oder schwarz machen können. In den Augen dessen, der alle Menschen aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß es ein ungeheures, kaum zu ermessendes Verbrechen seyn, Men|schen zu unterdrücken oder zu vernichten. Mit welchem Unwillen, mit welchem Abscheu muß er die Unmenschlichkeit, die freche Gottvergessenheit derer ansehen, die sich erkühnen, das edelste, irdische Geschöpf desjenigen, unter dessen Werken kein einziges eine solche Behandlung verdient, unter sich zu treten – die mit ihren Füssen nicht etwa den Staub zermalmen, der dazu gemacht ist, und den die Natur ihnen Preis gegeben hat, sondern das Bild ihres Schöpfers, welches sie zu Boden geworfen haben! – Die den herrlichsten Bewohner der Erde von seiner Höhe herunterreißen, gegen Geschöpfe wüthen, welche der Schöpfer selbst mit Ruhm und Ehre gekrönt hat, und das unsterbliche Ebenbild des Allmächtigen Gottes zum Schemmel ihrer Füße machen! – Die das meisterhafte Kunstwerk, worauf der göttliche Künstler soviel vollendete Weisheit und Geschicklichkeit verwendet hat, entweder mit langsam quälender Grausamkeit vernichten, durch eine lange Reihe nagender Sorgen und Leiden, oder das Schwerdt des ungerechten Krieges ergreifen, um es durch einen einzigen Schlag, der sich fürchterlich gegen tausende wiederholt, zu zerbrechen. S i e b e n t e n s . Wenn es Gott ist, der uns gemacht hat, so können wir sehr gewiß seyn, daß er uns gemacht hat, um irgend einem weisen und würdigen Endzweck zu entsprechen. Jeder Künstler der etwas verfertigt, hat irgend eine Absicht dabey im Auge. Die Maschine, auf welche der Mechaniker seine Erfindungskraft verwendet, soll einen | nützlichen Endzweck erreichen, und so bald sie fertig ist, setzt er sie zu dieser Absicht in Thätigkeit. Uns aber hat Gott gemacht; Gott, der allein weise, der nichts vergeblich macht; dem es nicht genug war seine Geschöpfe so einzurichten, daß jedes für sich glücklich seyn 4–5 Weitläufigkeit] Weitläuftigkeit 13–14 Unmenschlichkeit,] Unmenschlichkeit 23 Schemmel] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1672 23 Vgl. Ps 110,1

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but to nourish vegetable and animal life. He has made the waters, not to flow with idle majesty along, but to give drink to every beast of the field, and nutriment to every fruit of the earth. He has made plants, not to bloom with unprofitable beauty, but to furnish food to the animal creation. He has made animals, not only to | sport and play, but to afford subsistence to one another. He has formed the inferior animals to serve, or to feed, or to clothe mankind. —And for what end has he made man? To receive the tribute of nature in recumbent state? To sit at his ease upon the summit of this sublunary scene, and accept the ascending incense of all things? To be useless in the midst of surrounding utility, and to slumber, while all things else are full of labour? Surely not. He was not made, any more than others, to live only to himself. He also was made, as well as the other members of it, to minister to the good of the creation; to act the part of a providence and a protector to the creatures that are in his possession; to concur with his fellow-men in improving the state of human life, and promoting the public good of mankind; to be ready to distribute whatever benefits he possesses a power to communicate; to be attentive to the cries, and obedient to the calls, of surrounding necessity, whether the audible ones of animal, or the silent ones of moral, indigence; to consider himself as sent into the world, not to be ministered unto, but to minister; and thus, by a course of generous activity, to qualify himself for | other spheres of usefulness, in a future state, and to take an immortal part in the execution and development of that all perfect plan, which the great father and friend of all has formed, for the accomplishment of the greatest possible happiness.

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konnte, sondern der es so geordnet hat, daß jedes auf eine oder die andere Art auch zum Besten dieser ganzen Schöpfung etwas beytragen muß. Kein lebloses Wesen ist bloß dazu gemacht, um für sich allein ohne Verbindung mit den Uebrigen in irgend einer Rücksicht vortreflich zu seyn. Kein lebendiges Wesen ist bloß um seiner eignen Glückseligkeit willen da. Die Sonne ist nicht dazu gemacht, daß sie unser Auge durch ihren Schimmer blende, oder mit ihren Strahlen einen eitlen Farbenschmuck über die Wolken verbreite, sondern daß sie das Leben erhalte, allem was lebt. Das Wasser ist nicht gemacht, nur um majestätisch hinzufließen, sondern um allen Thieren des Feldes ihren Durst zu löschen, und allen Gewächsen der Erde Nahrung zu geben. Er hat die Pflanzen erschaffen, nicht nur damit sie in ihrer Blüthe eine Zeitlang mit einer Schönheit prangen, welche zu nichts dient, sondern damit Speise da sey für die thierische Schöpfung. Er hat die Thiere erschaffen nicht nur um zu spielen, und sich zu ergötzen, sondern daß eins von dem andern lebe. Er hat die geringeren lebendigen Wesen erschaffen, um dem Menschen zu dienen, oder ihn zu nähren oder zu kleiden. Und zu welchem Ende erschuf er den Menschen? Daß er in müßiger Träg|heit den Tribut der Natur annehme? Daß er sich nach Bequemlichkeit niederlasse auf den Gipfel dieser irdischen Welt, und den Weihrauch einschlürfe, den alle übrigen Wesen ihm opfern? Daß er allein unnütz sey, da alles um ihn her auf eine nützliche Art geschäftig ist, und daß er schlummere, da außer ihm alles sich anstrengt und arbeitet? Gewiß nicht. Er ist eben so wenig als etwas anderes nur dazu gemacht, daß er sich selbst lebe. Er soll zum Besten der Schöpfung eben so gut seine Dienste darbringen, als jedes andere Mitglied derselben; er soll für die Geschöpfe, die in seine Gewalt gegeben sind, eine schützende Gottheit seyn; er soll sich mit seinen Brüdern vereinigen, um die Angelegenheiten der Menschen auf Erden in einen besseren Zustand zu bringen; er soll bereit seyn, überall soviel Wohlthaten zu verbreiten, als seine Kräfte erlauben; er soll aufmerksam seyn auf das Geschrey der Noth und ihrem Ruf gehorchen, sowohl wo die lauten Wünsche des äußern Mangels an ihn gelangen, als wo er die stillschweigenden Ansprüche einer innern, geistigen Dürftigkeit wahrnimmt. Er soll bedenken, daß er in die Welt gesandt ist „nicht daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene,“ und so soll er durch eine Laufbahn, die voll edler Geschäftigkeit ist, sich geschickt machen, in einem künftigen Zustande in einen höheren Wirkungskreis zu treten, und auch seinen unvergänglichen Antheil zu haben bey der Ausführung und Entwickelung des über alles vollkommnen Entwurfs, wel35–36 Mt 20,28 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.

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We are none of us complete in ourselves. We are parts of a whole; we are members of a body. God has given strength to the strong, not merely to preserve them from sickness, or to crown them with longevity, but to render them capable of protection and social service. He has given wisdom to the wise, not to glimmer in their own breast, like the lamps that illuminate the chambers of the grave, with a sullen, unsocial, sepulchral splendour; but to throw out illumination upon society, and give light to all that are in the world.

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Let none of us dare to defeat the generous ends of our Creator, by suffering our faculties to slumber; rejecting the part he has put into our hand; retiring from the post in which he has placed us; sinking into insignificance, and permitting ourselves to become cyphers and shadows in the creation of God. Let us disdain the idea of lying motionless, the withered | members of the social frame, the shrunk and lifeless limbs of society. Let him, if such an one be sitting here tonight, who has thus allowed himself hitherto to stand idle, immediately awake from the palsy of his powers, put himself in motion, and enter upon the performance of his proper office. To conclude. If it is God that hath made us, and not we ourselves, we may be certain, that he will make an equitable allowance for those infirmities, which are inseparable from our nature, when he shall convene mankind before his bar, and pronounce the sentence of justice upon the assembled nations of the earth. We may rest assured, that he who hath made us all, and who knoweth the nature he has given us, does not expect from any of us such a perfectly faultless character, such an entire freedom from all flaw and imperfection, such a sleepless vigilance of mind and superiority to all moral surprises, such an unflagging flight and effort of virtuous fortitude, as is utterly out of the reach of the faculties he has bestowed upon us, in the present state of human cultivation. “It is he that hath made us, and not we ourselves.” “He knoweth, therefore, our frame; he remembereth | that we are dust.” He requires no more tribute from us than he has put it into our hand to pay. He will not imprison poverty for a debt it cannot discharge. He will not lay upon the shoulders of impotence a heavier burden than they can bear. He does not demand angelic virtue at the hand of dust and ashes. He, who has given no wings to the worm, expects it not to soar.

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chen der große Vater und | Freund aller Wesen gemacht hat, um allen die größte Glückseligkeit zu verschaffen. Keiner von uns hat seine Bestimmung allein in sich selbst. Wir sind alle Theile eines Ganzen, Glieder eines Körpers. Gott hat dem Starken Stärke verliehen, nicht nur um ihn selbst vor Krankheiten zu bewahren und mit langem Leben zu krönen, sondern auch daß er fähig sey Andere zu beschützen, und ihnen allerley Dienste zu leisten. Er hat dem Weisen Weisheit gegeben, nicht daß sie, gleich der Lampe, die in einer Todtengruft glimmt, mit einem trüben, ungeselligen, verschloßnen Schimmer nur in seiner eignen Brust brenne, sondern daß sie Aufklärung über die Gesellschaft verbreite, und erleuchten helfe, alles was auf Erden ist. Laßt uns nicht wagen den gnädigen Absichten Gottes dadurch Abbruch zu thun, daß wir unsre Kräfte schlummern lassen, das Geschäft welches unsern Händen übergeben ist, vernachläßigen, und von dem Posten weichen, auf welchen er uns gestellt hat. Laßt uns nicht zu einer gänzlichen Bedeutungslosigkeit herabsinken, und uns selbst erniedrigen zu wesenlosen Schatten und todten Figuren in der Schöpfung des Herrn. Laßt uns den Gedanken verachten, bewegungslos da zu liegen, als verweste Theile des großen Körpers, als erstorbene, abgefallene Glieder der Gesellschaft. Wäre aber hier unter uns einer, der sich bis jetzt erlaubt hat so müßig zu stehen, der erwache doch sogleich aus diesem Zustande der Erstarrung, setze sich in Bewegung und | gehe daran sein beschiedenes Theil zu verwalten. E n d l i c h . Wenn Gott es ist, der uns gemacht hat, und nicht wir selbst, so können wir sicher seyn, daß er denen Schwachheiten, die von unserer Natur unzertrennlich sind, eine billige Schonung angedeihen lassen wird, wenn er das menschliche Geschlecht vor seinen Richterstuhl beruft, und sein gerechtes Urtheil spricht über die versammelten Völker der Erde. Wir können versichert seyn, daß der, welcher uns alle gemacht hat, und die Natur kennt, die er uns anerschuf, nichts von uns verlangen werde, was die Kräfte gänzlich übersteigt, die den Menschen bey dem jetzigen Maaß ihrer Ausbildung verliehen sind. Er fordert nicht einen völlig fehlerfreyen Charakter, an dem kein Tadel und keine Unvollkommenheit bemerkt werden kann; nicht eine unermüdliche Wachsamkeit des Gemüths, die stets siegreich auf jeden Ueberfall gefaßt ist; nicht eine ununterbrochene und immer gleiche Anstrengung unserer Tapferkeit in den Kriegen der Tugend. „Er ist es, der uns gemacht hat, und nicht wir selbst.“ Darum „kennet er auch, was für ein Gemächt wir sind, und weiß, daß wir Staub sind.“2 2

Ps. 103, 14.

22 erlaubt] erlanbt

24 gehe] und gehe

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

So far, upon this point, we may safely push our inferences from the consideration, that God is our creator. But there are those who would carry them to the most extravagant lengths. There are those who throw out of their hand the reins of self-government; who allow their inclinations an unbridled course; who suffer their passions to rush into all excess of riot; and who say to the monitor of their conduct, that would stop them in their mad career,—“Stand off, thou slave of prejudice, thou fool of superstition, it is God that hath made me thus. These passions are natural to me, and therefore the indulgence of them is innocent. To whatever is pleasant to my nature, the author of my nature invites me. The inclinations, with which I comply, it is not in my power to oppose. | They carry me along with an irresistible force. He that implanted them within me impels me, by means of them, along the path in which they are bearing me. I have no power to stay their course. I have no bridle they will obey.” So might the charioteer, drawn by spirited coursers, toss the reins from his hand, suffer them to carry him whithersoever they would, and then excuse himself for rushing irregularly along, and overturning and trampling upon all that stand in his wild and lawless way, as the excesses of the sensualist strike, in their frantic course, against the laws of social justice (who, notwithstanding the vacant apology with which vulgar judgment would cover his conduct, is the enemy of society, as well as his own), by crying out to him that should call him madman as he passed, “It is no fault of mine: I cannot help the mischief of my wheels: I am run away with: there are no reins in my hand.” It is true there are not; but there might be; there are none there, because he has thrown them out of it.

How pitiable a spectacle is a rational creature, thus lost to reason! thus benighted at | noon-day! thus bewildered in a plain path! Let no

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Er fordert nicht Rechnung über mehr, als er in unsere Hand gegeben hat. Er wird auch die Armuth nicht einkerkern wegen einer Schuld, welche sie nicht abtragen kann. Er wird der Schwachheit nicht eine schwerere Bürde aufladen, als sie zu tragen vermag. | Er wird von Wesen, die Staub und Asche sind, nicht die Tugend der Engel fodern. Der dem Wurm keine Schwingen gegeben hat, erwartet auch nicht, daß er fliegen soll. So viel können wir in dieser Rücksicht daraus, daß Gott unser Schöpfer ist, mit Sicherheit folgern. Aber es giebt Menschen, die diese Folgerungen auf das ungebührlichste erweitern. Es giebt Menschen, welche die Zügel der Selbstbeherrschung ganz aus den Händen werfen, welche ihren ungebändigten Neigungen freyen Lauf lassen, ihren Leidenschaften jede Unordnung bis zur wildesten Ausgelassenheit erlauben und dann demjenigen, der ihr Betragen tadeln, und sie in ihrem thörichten Lauf aufhalten will, mit der Antwort entgegenkommen: „Laß ab, du Sklave des Vorurtheils, du abergläubiger Thor; es ist Gott, der mich so gemacht hat. Diese Leidenschaften sind mir natürlich, und es ist also kein Verbrechen ihnen nachzugeben. Was für mich reizend ist, dazu ladet der Urheber meiner Natur mich selbst ein. Die Neigungen, welchen ich mich überlasse, zu bekämpfen, das steht nicht in meiner Macht. Sie reißen mich mit unwiderstehlicher Heftigkeit fort, und der, welcher sie mir eingepflanzt hat, ist es eigentlich, der mich durch sie auf dem Pfade forttreibt, welchen, sie mich führen. Ich habe keine Kraft ihrem Lauf Einhalt zu thun; ich habe keinen Zügel, dem sie gehorchen müßten.“ Eben so könnte auch der, welcher die muthigen Rosse eines Wagens zu lenken hat, die Zügel aus | der Hand legen, sich von ihnen fortreißen lassen, wohin sie selbst wollten, und wenn er dann in der wildesten Unordnung umherjagt, und alles, was ihm bey seinem unbändigen Rennen in den Weg kommt, umreißt und untertritt, sich eben so entschuldigen wollen, wie jener Sklave der Sinnlichkeit, dessen Ausschweifungen auch in ihrem frechen Lauf immerfort gegen die Gesetze der Gerechtigkeit anstoßen, und der gewiß, mit was für leeren Vertheidigungen auch die gemeine Meinung sein Betragen in dieser Rücksicht beschönigen will, der Gesellschaft ein eben so gefährlicher Feind ist, als sich selbst. Mit dem nemlichen Recht als er, könnte also jener Wagenführer denen, die ihm, wenn er vorbeiraset, seine Thorheit vorwerfen, entgegenrufen: „Das ist nicht meine Schuld; ich kann nichts für das Unheil, welches mein Wagen anrichtet; ich werde mit fortgerissen; ich habe keine Zügel in meiner Hand.“ Freylich hat er sie nicht; aber er könnte sie haben; er hat sie nur darum nicht, weil er sie selbst weggeworfen hat. Welch einen traurigen Anblick gewährt nicht ein vernünftiges Geschöpf, welches so ganz für die Vernunft verloren ist! So mitten am

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Serm. 2: Reflections ... that God is our creator

man deceive himself. In looking at one part of our nature, let us not overlook the other. Let us survey ourselves on all our sides. Let us not forget, that he who gave us appetite and passion, gave us also reason and conscience. He who remembers we are dust, remembers also, that his inspiration hath given us understanding.

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The God within us stands up, and says to every man, in every age, what, in the beginning of time, he said to the first; “Of all the trees in the garden, thou mayest freely eat; but thou shalt not eat of that. The fruit that hangs upon it is forbidden thee. It is blooming to thy sight; it is delicious to thy taste; but its juices are poisonous; it is impregnated with death. It will unnerve thy vigour; it will extinguish thy vivacity; it will impair thine understanding; it will shorten thy life; and thus, at once destroy thine own happiness, and rob society of thy services, by weakening the powers, and deducting from the period, that were put into thine hand, to be employed in the assistance of thy fellow-creatures. That such are its fatal effects, is familiar to thine observation. | But too many experiments have been made upon it by thine infatuated race. If thou thyself have tasted it, thine own experience tells thee, it were madness to taste it again: it is placed within thy reach, it is painted to thine eye, that by triumphing over the temptation to pluck it, thy virtue might be at once illustrated, and invigorated. Forbear to put forth thine hand. Dare not to touch the smiling death. Turn away thine eye from the pleasing perdition. Resist, and rise to heaven. Overcome, and live for ever.” Amen.

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hellsten Tage von Nacht umgeben! So mitten auf dem ebensten Pfade verirrt! – Niemand betrüge sich selbst. Indem wir den einen Theil unserer Natur bemerken, laßt uns auch den andern nicht übersehn. Wir müssen uns von allen Seiten betrachten. Wir dürfen nicht vergessen, daß der, welcher uns Begierden und Lei|denschaften gab, uns auch eine Vernunft und ein Gewissen gegeben hat. Der welcher gedenkt, daß wir Staub sind, erinnert sich auch sehr wohl, daß sein belebender Othem uns Verstand eingehaucht hat. Die Stimme Gottes in uns erhebt sich noch immer, und sagt jedem Menschen in jedem Zeitalter, was sie am Anbeginn der Zeit dem ersten Menschen sagte: „Von allen Bäumen im Garten kannst du essen, aber von diesem sollst du nicht essen. Die Frucht, die er trägt, ist dir verboten. Sie ist lieblich anzusehen, sie ist köstlich von Geschmack, aber ihre Säfte sind vergiftet und sie hat den Tod in sich. Sie wird deine Kräfte entnerven, das Feuer deiner Lebhaftigkeit auslöschen, und deinen Verstand abstumpfen; sie wird dein Leben verkürzen, und so nicht nur deine eigne Glückseligkeit zerstören, sondern auch die Gesellschaft deiner Dienste berauben, indem sie den Zeitraum abkürzt, welcher dazu bestimmt war, daß du ihn zum Dienst der Welt anwenden solltest. Daß dies alles ihre verderblichen Wirkungen sind, kann deiner Bemerkung nicht entgehen. Nur allzuviel Versuche hat dein thörichtes Geschlecht damit angestellt. Hast du selbst bereits davon gekostet, so muß schon deine eigne Erfahrung dir sagen, daß es Wahnsinn wäre, es noch einmal zu wagen. Nur darum ist sie dir so nahe gestellt, und so lieblich vor Augen gemahlt, daß durch den Triumph über die Versuchung sie abzupflücken, | deine Tugend in ihr hellstes Licht gesetzt, und zugleich aufs neue gestärkt werde. Verbiete also deiner Hand sich auszustrecken. Wage nicht das Gift, welches dich anlacht, zu berühren. Wende dein Auge hinweg von dem lieblichen Verderben. Widerstehe, und erhebe dich zum Himmel. Siege und genieße deines Sieges auf ewig.“ Amen.

11–12 Schleiermacher übersetzt Fawcetts Paraphrase von Gen 2,16–17.

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On the comparative Sum of Happiness and Misery in human Life.

SERMON

III.

H e d o t h n o t af f l i c t w i l l i n gl y, n o r g riev e the children of men. Lamen. iii. 33.

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In the existence of a being, whose benevolence is without blemish, and without bound, it is, in the highest degree, desirable to be able to believe with confidence. Separate from all selfish considerations of personal security and welfare, under the wing of omnipotent benignity; considered as an object of disinterested contemplation, it is the most entertaining and animating image that can meet the eye of reason. It is delightful to reflect, that there lives a being, in whom all that excellence, which exists in our conception, | really resides: that we need not apply to poetry for the personification of theoretic and perfect goodness: that we have an opportunity of tasting, as often soever as we will, in the highest possible degree, the pleasure which accompanies the exercise of esteem. It is recreating, when the eye is weary of looking upon the unseemly and offensive forms of cruelty and injustice, which human conduct is continually presenting to it, to take it off from the painful spectacle, and fix it upon an object infinitely adapted to regale and to refresh it.

And, admitting to be true, what the unbeliever in such a being maintains, that a vigorous mind requires not to be prompted to the practice of rectitude by the promise of reward; that the intrinsic beauty of virtue stands in need of no auxiliary allurement to attract a strong understanding to it; that a wise man will not pause a moment to enquire what is its dower, in making his choice of that, unto which

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Ueber das Verhältniß der Glückseligkeit und des Elendes im menschlichen Leben. Klagel. Jerem. 3, 33. 5

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D e n n e r p l a g e t n i c h t vo n H e r z e n d i e Menschenkinder noch betrübet er sie.

An das Daseyn eines Wesens von tadellosem und unbegrenztem Wohlwollen mit Zuversicht glauben zu können, ist gewiß im höchsten Grade wünschenswerth. Abgesehn von allen selbstsüchtigen Erwägungen, wie sicher unser persönliches Wohlergehen unter dem Schutz einer allmächtigen Güte sey, ist dieses Wesen schon allein wegen der uneigennützigen Betrachtungen, wozu es den Stoff giebt, der merkwürdigste und reichhaltigste Gegenstand, der sich den Blicken unserer Vernunft darstellen kann. Es ist erfreulich zu wissen, daß es ein Wesen giebt, in welchem alle Vollkommenheiten, die wir uns denken können, auch wirklich anzutreffen sind; daß wir nicht nöthig haben zur Dichtung unsere Zuflucht zu nehmen, um unsere Vorstellungen von höchster Vortreflichkeit und Güte einen Gegenstand anzuweisen; daß wir Gelegenheit | haben, das Vergnügen, welches jede Aeußerung reiner Hochachtung begleitet, so oft wir wollen im höchsten Grade zu genießen. Es ist so beruhigend, daß wir mit unserm Auge nicht immer auf dem unangenehmen und widrigen Anblick der Grausamkeit und Ungerechtigkeit ruhen müßen, den uns die Betrachtung des menschlichen Betragens so häufig darbietet, sondern daß wir es hinwegwenden können von dem traurigen Schauplatz, um es auf einen Gegenstand zu heften, der es unendlich ergötzen und erquicken muß. Zugegeben, es sey wahr, was diejenigen behaupten, die an das Daseyn eines solchen Wesens nicht glauben, daß nemlich eine große Seele nicht nöthig habe durch Verheißungen von Belohnung zur Uebung der Rechtschaffenheit bewegt zu werden, daß die Schönheit der Tugend ohne hinzugefügte Lockungen hinreiche einen starken Geist an sich zu ziehen, daß ein weiser Mann nicht einen Augenblick zögere,

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“all the things that may be desired are not to be compared:” allowing the truth of this, yet who will deny, that there is something infinitely more calculated to inspire and to spur the generous ardor of a | lover of virtue for its own sake, in the l i vi ng figure of moral Perfection, smiling visible in the benignant and amiable aspect of creation; moving majestical in the harmonious courses of nature; displaying the divinity of her form in the awful gracefulness of her steps; and drawn out into a full exhibition by the immensity of her sphere; who will deny, that there is infinitely more of moral inspiration in this animating spectacle, than can be found by him, who is unable to perceive, in the appearances and operations of things around him, this perfect Rectitude realized and breathing before him, in the fairest dea d idea which his understanding can delineate; in the most beautiful ina nim a t e model which his speculation can carve?

The afflictions of human life have formed a cloud, which has intervened between the goodness of God, and the eye of man; and thrown a shade over the contemplations of Piety. They make, no doubt, a part of the experience of almost every individual, of the observation of every eye, and of the intelligence of every day. Some of them, it must also be acknowledged, are of a peculiarly mournful and tragical nature; such as wring the soul of | pity; such as cause the tongue that tells them to faulter, and the ears of all that hear them to tingle. Reason, however, informs the thoughtful, and revelation assures the believing, that the Dispenser of adversity is the author only of good. The volumes both of Nature and Scripture contain the most animating testimonies to the infinite benevolence of him, of whose appointment, and not of the dust, out of whose wisdom, and not of the ground, the afflictions come forth, and the troubles spring, unto which man is born. Our text informs us, that “he doth not afflict willingly.” He takes no pleasure in the sufferings of man. He doth not inflict sorrow for its own sake. He appoints the afflictions of life as the means of producing, not only an overbalance of good in the end, but such a sum of it, as could not have been obtained by any other means. They are essential parts of a system, the object of which is the greatest possible 22 falter] faulter

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um erst zu fragen, was ihm dafür werden soll, wenn er dasjenige erwählt, „dem alles, was man wünschen mag, nicht gleichen kann.“1 – Dies alles zugegeben, so wird doch Niemand läugnen können, daß der Glaube an die Gottheit eine ganz eigenthümliche Kraft habe, den edlen Eifer derjenigen, welche die Tugend um ihrer selbst willen lieben, zu entzünden und anzufachen. Wer an ein lebendes Urbild sittlicher Vollkommenheit glaubt, dessen Lächeln er sieht in dem wohlthätigen, lieblichen Anblick | der Schöpfung, dessen majestätische Bewegungen er wahrnimmt in dem harmonischen Lauf der Natur, dessen göttliche Gestalt er aus den anmuthigen Zügen jeder Spur, die sie zurückläßt, ahndet, und in dem unendlichen Umfang seiner Thätigkeit vollkommen entdeckt, den wird gewiß dieser beseelende Anblick mit einer ganz andern Kraft zur Tugend begeistern, als demjenigen, der in den Erscheinungen und Wirkungen der Dinge um uns her diese höchste Vollkommenheit nicht leben und athmen sieht, alle die schönen, aber doch t o d t e n Ideale, die ihm sein Verstand zeichnet, und alle die herrlichen aber unbeseelten Formeln, die ein Werk seines Nachdenkens sind, mittheilen können. Die Widerwärtigkeiten des Lebens sind es, die sich als eine Wolke zwischen die Güte Gottes und das Auge der Menschen gelagert haben, und über alle fromme Betrachtungen einen Schatten ziehen. Sie gehören ohnstreitig zu den Erfahrungen eines jeden Menschen, jedes Auge muß sie bemerken, und jeder Tag entdeckt sie uns. Einige von ihnen, man kann es nicht läugnen, erregen so viel Wemuth und Rührung, daß jedes Gemüth zergehen möchte in Mitgefühl, daß keine Zunge sie erzählen kann ohne zu stocken, daß das Ohr, welches sie hört, sich lange des traurigen Nachklanges nicht erwehren kann. Dennoch lehrt die Vernunft jeden denkenden Menschen, was auch die Offenbarung den Gläubigen versichert, daß derjenige die Trübsale verhängt, von | dem nichts als Gutes herkommen kann. Das Buch der Natur und das Buch der Schrift enthält die erfreulichsten Zeugnisse von dem unendlichen Wohlwollen desjenigen, dessen ewig weiser Rathschluß auch die Unruhen und Leiden herbeyführt, zu denen der Mensch geboren ist, und deren Ursach wir nicht hier im Staube, nicht hier auf der Erde zu suchen haben. Der Text belehrt uns, daß Gott nicht von Herzen die Menschen quält. Er findet kein Vergnügen an ihren Leiden. Er sendet ihnen nicht Kummer, nur damit sie ihn haben sollen. Er läßt die Uebel des Lebens nicht etwa nur zu, weil doch am Ende noch ein Ueberschuß des Guten zurückbleibt, sondern er bedient sich ihrer als Mittel, um eine solche Summe von Glückseligkeit hervorzubringen, als auf keinem andern 1

Sp. Sal. 8, 11.

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quantity of happiness. They are inseparable from a plan, which is not only good upon the whole, but the best that could be. There is, therefore, a necessity for them, in the nature of things, in order to arrive at | this end. To this necessity the most Mighty and most Merciful submits. “He doth not afflict willingly.” He doth not, in any one instance, wantonly impose pain; or, in any one case, inflict a greater portion of it than the occasion calls for. Not a single needless sigh ascends from the human bosom. Not one unnecessary tear flows down the face of man.

Some account, though probably not the whole, and all our observations concur with their account, the sacred writings have given us, of the uses of adversity: and what they have said upon the subject is at least sufficient to set the heart at ease from all disquieting doubts of the infinite purity of the divine intentions, in the darkest dispensations of providence. They have revealed to us that state of recompense, with the glory of which the sufferings of this present time are not worthy to be compared; and for which they represent these light afflictions, which are but for a moment, as designed to educate us.

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To educate us for it, how well they are adapted, will be denied by no one, who has contemplated the characters of mankind in connexion with their histories. This bene|ficial effect of affliction, almost every man has, either felt in himself, or witnessed in others. Upon this point, the language of all moral writers has echoed the sacred pages; and the school of adversity is a popular and proverbial picture; a metaphor in every mouth, and much older than any of us. Still, however, righteous retribution is a remote object, and moral discipline is an abstruse idea. A future state stands before the mind, whose faith descries it, a faint and obscure figure; like the blue hills that bound the landscape, that fade into sky, and melt into air. It requires reflection to recognise, in that which distance has so much diminished, and so much dimmed, an object which really possesses large dimensions, and vivid dyes. The afflictions of mankind, on the contrary, are close to the eye, and forcibly strike it with all the strength of their colours, and all the extent of their size. And, that Adversity is the nurse of Virtue, though an article of moral science, 4–5 the most Mighty and most Merciful submits.] so Errata-Verzeichnis; OD: the most mighty, and the most merciful, submit. 17 which they] which, they

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Wege zu erreichen gewesen wäre. Sie sind wesentliche Theile eines Systems, welches darauf angelegt ist, die größte mögliche Glückseligkeit herbeyzuführen. Sie sind unzertrennlich von einem Entwurf, der nicht nur im Ganzen gut ist, sondern der beste, der gemacht werden konnte. Sie sind also der Natur der Dinge gemäß nothwendig, um diesen Endzweck zu erreichen, den der Allmächtige und Allgütige nicht konnte fahren lassen. „Er quält die Menschen nicht von Herzen.“ Er verursacht in keinem Fall unnütze Schmerzen, und nie läßt er sie drückender werden, als die Umstände erfordern. Keinen einzigen Seufzer preßt er aus einer menschlichen Brust hervor, der nicht seinen | Nutzen hätte; nicht eine Thräne läßt er unnöthiger Weise an dem Angesicht eines Menschen hinabrinnen. Einige Aufschlüsse giebt uns die heilige Schrift über diesen Nutzen des Unglücks, und wenn sie gleich nicht alles entdeckt, so stimmt doch das, was sie sagt, mit allen unsern Erfahrungen überein, und reicht hin, selbst bey den dunkelsten Fügungen der Vorsehung, alle beunruhigende Zweifel über die Reinigkeit der göttlichen Absichten aus unsrem Gemüth zu entfernen. Sie entdeckt uns jenen Zustand der Vergeltung, mit dessen Herrlichkeit alle Leiden der gegenwärtigen Zeit nicht verglichen werden können, und zu welchem wir, ihrem Unterricht gemäß, durch diese unbedeutenden Trübsale, die nur einen Augenblick währen, eigentlich erzogen werden sollen. Wie sehr geschickt sie zu diesem Endzweck der Erziehung sind, wird Niemand läugnen, der je die Gesinnungen der Menschen in Verbindung mit ihren Schicksalen beobachtet hat. Diese wohlthätige Wirkung der Trübsale hat gewiß jeder entweder an sich selbst erfahren, oder an Andern bemerkt. Die Sprache aller moralischen Schriftsteller ist über diesen Punkt nur der Nachhall der heiligen Schrift. Die Schule des Unglücks, das ist ein gewöhnlicher bildlicher Ausdruck, der in jedem Munde gehört wird, und weit älter ist, als einer von uns. Aber doch ist die gerechte Wiedervergeltung ein sehr entfernter Gegenstand, und die sittliche Zucht eine Vorstellung, der alle Anschaulichkeit fehlt. Der | künftige Zustand steht auch vor einem solchen Gemüth, dessen Glaube ihn entdeckt, nur als ein dunkles unkenntliches Bild, gleich den blauen Hügeln am Rande des Gesichtskreises, die sich in die Wolken verlieren, und deren Umkreise ungewiß in der Luft zerrinnen. Es wird Nachsinnen erfodert, um dasjenige, was die Entfernung so sehr verkleinert und verdunkelt hat, als einen Gegenstand von lebhaften Farben und einem großen Umfange zu erkennen. Die Mühseligkeiten der Menschen hingegen stehen ganz dicht vor dem Auge; ihre grellen Farben, ihre großen Massen thun die volle unmittelbare Wirkung. Daß das Unglück die Wärterin der Tugend sey, ist freylich ein Stück unserer moralischen Einsichten, und eine

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and though a truth to which popular assent is given, may not be always sufficiently present to the mind of those, by whom, in the moment of meditation, it is clearly seen; or seen, with sufficient clearness, by all who | assent to it. That affliction is friendly to the human character, is often, from custom, confessed mechanically, and with vacancy of conviction; is frequently rather said, than seen; is more a saying, than a sentiment. To perceive the pernicious operations of uninterrupted ease, and unruffled repose, upon the human mind, and the several ways in which adversity remedies the vice, and promotes the virtue of man, calls for some exercise of consideration: and to collect them before the mind, upon every appearance of affliction before the eye, so as to have a vivid and clear view of its moral benignity, requires some effort of memory.

On the other hand, the distresses which demand our attention are distinctly seen, the moment they are presented to us. Swift and instantaneous is the conviction, that our fellow-creatures suffer:— with slow and tardy step, arrives the reason why. We are quick to feel; we are quick to see; but slow to understand. In such circumstances, it may sometimes happen, more especially when any degree of animal melancholy depresses the intellectual faculty, that, when scenes of distress occur to our view, the feelings of sympathy | may preoccupy the seat of judgment, and pronounce upon the ways of providence, before the understanding is ready; so as to occasion intermissions of faith, and fits of infidelity, in the believing breast, and cause the feet of the upright reason to slide. We shall, then, take an important step towards preserving ourselves from religious inquietude, from this quarter, if we take care, that we do not represent to ourselves the quantity of unhappiness, which there is in the world, to be greater than it really is. It will be so much the easier for us to acquire, and to maintain, in our minds, a firm belief in the immaculate administration of the almighty Governor of the world, if we do not suffer those shades of adversity, which seem, to the superficial and the first glance at the piece, to be blots upon it, to look bigger, or blacker to our eye, than they actually are. I shall not, therefore, think my time thrown away, if I can suggest to you a few considerations, that may serve to clear the picture of human 10 virtue of] virtue, of

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Wahrheit, die allgemein anerkannt wird; aber sie ist doch vielleicht denen nicht immer gegenwärtig genug, die sie in den Augenblicken des Nachdenkens ganz deutlich einsehn, und sie wird auch wohl überhaupt nicht von allen denen deutlich genug eingesehn, die ihr Beyfall geben. Daß das Leiden einen milden Einfluß auf die Gemüthsart habe, gestehen wir oft, mehr weil wir gewohnt sind so zu denken, als daß wir eine lebhafte Ueberzeugung davon hätten; es ist leichter gesagt, als eingesehen; es ist mehr eine geläufige Redensart, als eine innere Empfindung. Die schädlichen Wirkungen des ununterbrochenen Wohlergehns und der ungestörten Ruhe auf das menschliche Gemüth wahrzunehmen, und die mancherley Arten, wie das Unglück die Fehler der Menschen heilt, und ihrer Tu|gend zu Hülfe kommt, dazu gehören fortgesetzte Beobachtungen, und diese so oft das Unglück sich unsern Augen darstellt, so lebhaft zurückzurufen, daß daraus eine klare Einsicht von seinem wohlthätigen Einfluß entsteht, dazu gehört einige Anstrengung des Gedächtnisses. Dagegen werden die Widerwärtigkeiten selbst, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehn, in demselben Augenblick, wo sie uns erscheinen, ganz deutlich wahrgenommen. Sehr schnell und augenblicklich entsteht die Ueberzeugung, daß unsere Mitgeschöpfe leiden; die Vorstellung von dem Warum folgt nur mit langsamen zögernden Schritten. Wir sehen schnell, wir empfinden rasch; aber wir verstehen nur langsam. Unter diesen Umständen kann es gar wohl geschehen, vorzüglich wenn körperliche Schwäche unsere höheren Kräfte niederdrückt, daß das Mitgefühl, wenn sich unglückliche Auftritte vor unsern Augen ereignen, schneller den Richterstuhl besteigt, und über die Wege der Vorsehung urtheilt, ehe der Verstand sich gehörig dazu gerüstet hat, wodurch denn auch in einem gläubigen Gemüth Anfälle von Kleinmüthigkeit entstehen, und auch eine gesunde Vernunft in ihrem sichern Gang irre gemacht wird. Es wird also, um uns von dieser Seite gegen alle Beunruhigungen unsers Glaubens sicher zu stellen, ein wichtiger Schritt seyn, wenn wir dahin sehen, daß wir uns die Summe des Unglücks in der Welt nicht größer vorstellen, als sie wirklich ist. Einen festen Glauben an die tadellose Regierung des | höchsten Weltbeherrschers anzunehmen und in unserm Gemüth zu erhalten, das wird uns weit leichter werden, wenn wir nicht leiden, daß diese Schatten des Unglücks, die bey dem ersten flüchtigen Blick auf das Stück seine fehlerhaften Theile zu seyn scheinen, sich unserm Auge größer und schwärzer darstellen, als sie wirklich sind. Wir werden also, wie ich glaube, unsere Zeit nicht unnütz anwenden, wenn ich euch einige Betrachtungen vorlege, die dazu dienen können, das Gemälde des Lebens von demjenigen Theil dieser Schatten zu reinigen, der ihm eigentlich nicht angehört; denn dadurch

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life of any part of that shade, which does not belong to it: not only because, by such a dispersion, I shall throw additional sunshine over the bosom of Piety, but likewise over that of | Benevolence; and diminish the tears of Compassion, as well as the doubts of Faith. To those who are disposed to penetrate as far as reason is able to carry them, in the inquiry concerning the divine views in the afflictions of men, and in the vindication of the ways of God towards them, this can be no improper preface. I would walk over this threshold, before I went a step farther into the subject. In estimating the measure of misery which the world contains, we may admit mistake both concerning the sum of that Circumstance which inspires it, and the degree in which the circumstance is accompanied by the Sense of it. We are liable to imagine, that there are more painful Situations in human life than there are, from a variety of causes. We are so formed (and in this part, as in every other of the human fabric, the wisdom of the hand that constructed us is conspicuous), as to be much more deeply impressed by scenes of distress, than by scenes of contentment and happiness. Those that rejoice want nothing of us but to rejoice along with them; those that weep, beside our tears, want often a hand to wipe away theirs. Nor is congratu|lation so necessary to the happy, as condolence to the distress, whose cause we cannot remove. For this reason our Creator has ordained, that sympathy with sorrow should be a more powerful feeling than sympathy with joy. In consequence of this, in contemplating human life, the afflictions which are scattered over it are the appearances that strike us most. These are the strong parts of the picture; the figures that project from the piece; that catch, and occupy the eye: and, without attending to the forms of felicity, which are far more numerous, but which make more faint impressions upon us, we take the character of the scene from those parts of it that are most prominent to the eye.

Writers of plaintive romance have co-operated with this tendency of the misery of human life to press forward to the attention, and leave the happiness of it in the back ground, by perpetually bringing the former before the eye of their readers, and preferring it as a subject of representation. Aware that distress is a more striking and inter22 distress] so Errata-Verzeichnis; OD: distressed

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wird nicht nur unserer Frömmigkeit, sondern auch unserm Wohlwollen ein schönerer Sonnenschein aufgehn; es werden nicht nur die Zweifel des Glaubens gelöst, sondern auch die Thränen des Mitleidens getrocknet werden. Diejenigen, welche gern in die Untersuchung der göttlichen Absichten, um derentwillen Menschen betrübt werden, und in die Rechtfertigung der göttlichen Wege so tief eindringen möchten, als ihre Vernunft sie führen kann, werden diese Einleitung nicht unschicklich finden. Ich mußte in der That diesen Vorhof durchgehen, ehe ich zu dem Gegenstand selbst fortschreiten konnte. Bey dem Unternehmen, das Unglück, welches die Welt in sich faßt, abzumessen, ist ein doppelter Irrthum möglich: theils berechnen wir für die Umstände, welche Leiden hervorbringen, eine zu große Summe, theils einen zu hohen Grad der Stärke für | die unangenehmen Empfindungen, welche diese Umstände begleiten. E r s t e n s . Aus verschiedenen Ursachen sind wir geneigt der schmerzlichen Ve r h äl t n i s s e im menschlichen Leben viel mehrere anzunehmen, als wirklich vorhanden sind. Wir sind von Natur so beschaffen, daß der Anblick des Kummers einen weit stärkeren Eindruck auf uns macht, als der Anblick der Zufriedenheit und der Freude, und hierin zeigt sich gewiß die Weisheit der Hand, die uns bildete, eben so deutlich, als in jeder andern menschlichen Anlage. Denn die Fröhlichen bedürfen nichts weiter, als daß wir uns mit ihnen freuen; dagegen die Weinenden außer unsern Thränen auch noch einer Hand bedürfen, um die ihrigen hinwegzuwischen. Auch ist unsere Mitfreude den Glücklichen bey weitem so nothwendig nicht, als unser Mitleiden dem Unglücklichen ist, dem wir die Ursach seines Leidens nicht hinwegräumen können. Der Schöpfer hatte also Ursach genug, es so anzuordnen, daß das Gefühl für den Kummer Anderer eine weit mächtigere Empfindung ist, als das Gefühl für ihre Freude. Und dieser Einrichtung zufolge, sind nun die Trübsale, die über das menschliche Leben ausgestreut sind, dasjenige, was uns bey der Betrachtung desselben am meisten auffällt; sie sind die großen Parthien des Gemäldes, die hervorspringenden Figuren, die das Auge an sich ziehn und beschäftigen, und ohne auf die zahlreicheren Stellen zu sehn, die einen lieblicheren Anblick darbieten, nehmen wir unser Urtheil über den Sinn | des Ganzen aus den Theilen, die auf unser Auge die größte Wirkung gethan haben. Diesem Bestreben des Elendes im menschlichen Leben sich unserer Aufmerksamkeit aufzudringen, und die Glückseligkeit im Hintergrunde zu lassen, kommen noch alle die Schriftsteller zu Hülfe, die uns durch die Erzählung erdichteter Begebenheiten ergötzen wollen, indem auch sie dem Auge des Lesers immer das Traurige vorführen, dem sie als Gegenstand der Darstellung den Vorzug geben. Ueberzeugt, daß das Unglück lebhafter und mit einem stärkeren Reiz auf

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esting object to the human mind than felicity, they have presented a multitude of sad and tragical scenes to the imagination; the collective im|pression of which, assisted by a supposition, perhaps, that the fiction has its foundation in fact, and took its hint from truth, melts and blends itself, in a mind possessed of a lively fancy, with the image of actual life: what has been strongly imagined mixes itself, in the memory, with what has been really seen or heard: and thus the world of shadows and phantoms stands before the eyes of those, who are in habits of perusing the pages which paint fictitious affliction, as connected with the region of reality, and constituting a part of the prospect of nature. Poets also, and sentimental writers, influenced, in the same manner, by the persuasion, that gloom is more allied to eloquence than gaiety; and, that to complain is more moving than to rejoice; in the reflections upon human life which have fallen from their pens, have endeavoured to excite that sigh of melancholy which soothes the sensibility of pensive spirits. Many religious persons have likewise contributed to impress those minds, that have been subject to the influence of their sentiments, with dismal ideas of human life; misled by an imagination, that frequent expressions of dissatisfaction with sublunary scenes are the mark of a pious spirit; | and that continual complaint of the imperfection of happiness below, is the best proof we can furnish that the affections are fixed upon things above. All these causes have operated to magnify the figure of human afflictions; to lead the imagination to dwell and rest upon the pains of life, and to take off the attention from its pleasures. These causes of misconception upon this subject call aloud for counteraction. While, therefore, these are conspiring to confine your eye to the dark parts of human life, to thrust its afflictions before you, and to keep back its brighter scenes; its brighter scenes let me be permitted to put forward; to push into your view that human happiness, which is so apt to retire from your attention; and to entreat you to take notice of, what perhaps you may not have sufficiently reflected upon, or be enough in the habit of recollecting; what is yet manifest, at the door of the inquiry into the comparative good and evil of human life; that, whatever be the sum of misery in the world, there is a much larger sum of happiness. The weather is sometimes foul; but it is oftener fair. Storms and hurricanes are fre|quent; but calms are more common. There is some sickness; but there is more health. There is some pain; but there is more ease. There is some mourning; but there is more joy. There is

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das Gemüth wirke, als das Glück, beschäftigen sie die Einbildungskraft mit einer Menge von kläglichen und rührenden Begebenheiten. Den Eindruck, welchen diese vereinigt hervorbringen, pflegen aber alle Gemüther von wirksamer Phantasie, vielleicht in der Voraussetzung, daß die Dichtung in Begebenheiten ihren Grund habe, und nur von der Wahrheit ihre Stärke hernehmen könne, mit unter die Bilder des wirklichen Lebens zu verwischen, und so geschieht es, daß alle, die sich gern mit den Darstellungen erdichteter Leiden beschäftigen, das Reich der Schatten und Dichtungen für eins halten mit der wirklichen Welt, und die Gegenstände aus jenem mit zu den Ansichten zählen, die uns diese darbietet. Auch belehrende Dichter, und alle empfindungsreiche Schriftsteller verführt die Meinung, daß Schwermuth der Beredsamkeit mehr Stoff gebe, als Fröhlichkeit, und daß Klagen rührender seyen als Frohlocken. Alle Bemerkungen über das menschliche Le|ben, die aus ihrer Feder fließen, haben immer den Zweck, jene wehmüthigen Seufzer zu erregen, die ein empfindsames Gemüth so angenehm in Bewegung setzen. Auch religiöse Personen giebt es, die Allen, auf deren Gesinnung sie einen Einfluß haben, nachtheilige Vorstellungen vom menschlichen Leben beyzubringen suchen, weil sie sich fälschlich einbilden, daß Aeußerungen der Unzufriedenheit mit den Dingen dieser Welt das Zeichen einer frommen Denkungsart wären, und daß beständige Klagen über die Unvollkommenheit des irdischen Glücks am besten bewiesen, daß unsere Neigungen auf das Unvergängliche dort oben gerichtet sind. Dies alles trägt bey das Bild des menschlichen Elends zu vergrößern, und verführt die Einbildungskraft, daß sie nur bey den Mühseligkeiten des Lebens verweilt, und seinen Freuden ihre Aufmerksamkeit entzieht. So viele Veranlassungen zu falschen Begriffen erfordern gewiß eine entgegenwirkende Kraft. Wenn also dies alles sich vereinigt, eure Blicke auf die dunkleren Theile des Lebens hinzurichten, und die helleren zu verbergen, so sey es mir erlaubt, eben auf diese lichteren Stellen hinzuweisen, euch das Angenehme vor Augen zu stellen, das größtentheils unserer Bemerkung entgeht, euch darauf aufmerksam zu machen, was vielleicht nicht hinlänglich erwogen, nicht oft genug bedacht wird – und was doch schon beym ersten Anfang einer prüfenden Vergleichung des Guten und Bösen im menschlichen Leben so deutlich ist – darauf nemlich, | daß, wie viel Elend auch in der Welt gefunden werde, die Summe des Glückes doch noch ungleich größer sey. Das Element, worin wir leben, ist uns bisweilen ungünstig, noch öfter aber angenehm. Stürme und Ungewitter sind nicht selten, aber weit gewöhnlicher ist eine ruhige Luft. Es giebt Krankheit und 8 Leiden] so DV; OD: Freuden

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complexional depression that asks, “wherefore is light given to him that is in misery?” but it bears no proportion to the native cheerfulness, which is open to the agreeable impressions of surrounding nature. Multitudes have been crushed under the foot of Cruelty; but greater multitudes have remained unmolested by the oppressor. Many have perished with hunger and nakedness; but more have been supplied with food and raiment. Some have counted the days of captivity; but the majority were never in prison. Numbers have lost their reason; but larger numbers have retained it. The list is long of the forsaken, and the forlorn; but still longer is the catalogue of those, that have never failed, in some one or other, to find a friend. Sometimes, we are told of towns, agitated to pieces by the terrible quaking of the ground; but more frequently, of cities that know no enemy but Time. Sometimes, we hear of ships that are destroyed by the storm; but more commonly of vessels that | arrive safely in port. We have read, and read with horror, of failing harvests; our hair has stood up, our pulses have stopped, over the horrible picture of famine! the craving of factitious Delicacy for food, offensive to plain-fed Nature! the frightful conflict between the force of affection, and the phrensy of want! between the agonies of hunger, and of the heart!—but, fruitful seasons, and shouting reapers, and “hearts filled with food and gladness,” are the cheerful forms, with which mankind have been familiar. We have trembled to contemplate the terrible figure of Pestilence, “walking in darkness;” travelling through the air in awful invisibility; striking with an unseen hand, and strewing the street with dead: but the accounts, that have most occupied our attention, have been of benignant constitutions in nature; of qualities in things that are calculated to recall departed health, and heal the diseases of man; of restorative temperatures of air; of kindly and genial climes; of medicinal herbs, and of physical fountains. A melancholy proportion of mankind have perished by the sword; or taken from its edge the worse than mortal wound; or pined in the sickness attendant on its way; | or deplored the plunder and desolation it has spread over their plains; or, at a distance from the theatre of its ravages, been pierced through, by its stroke, with sorrows far sharper than its point:—but the greater part of mankind have passed their days in the seat of peace; sat under their roofs in serenity and security; reaped their fields without any fear of the soldier’s sickle or his flame; exercised their affections in social unions, that have felt no cut but from Nature’s hand; and resigned their breath at last in the quiet and domestic bed.

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Schmerz, aber noch weit mehr Gesundheit und Wohlbefinden. Es giebt Trauer; aber noch weit mehr Freude. Es giebt eine Kleinmüthigkeit des Temperaments, die immer fragen möchte, „warum mußte der das Licht sehen, der im Elende liegt?“ Aber sie steht in gar keinem Verhältniß gegen die natürliche Heiterkeit, die alle angenehmen Eindrücke aufzunehmen bereit ist. So manchen hat die Grausamkeit unter ihre Füße getreten; aber weit größer ist die Anzahl derer, denen kein Unterdrücker das Leben schwer gemacht hat. Manche sind in Hunger und Blöße umgekommen; aber weit mehrere wurden immer mit Nahrung und Kleidung versorgt. Es giebt Einige, die ihre Vernunft verloren haben; aber der weit größere Theil hat sie immer behalten. Die Liste der Unglücklichen und Verlassenen ist groß; aber weit größer ist die Anzahl derer, denen es nie gefehlt hat, hie und dort einen Freund zu finden. Bisweilen hören wir von Städten, die ein schreckliches Erdbeben zerstörte; aber die meisten kannten keinen andern Feind als die Zeit. Wir haben gelesen, mit Schrecken gelesen, von den verheerenden Folgen mißrathener Erndten; unsere Haut schauderte, unser | Blut stockte vor dem grausamen Gemälde der Hungersnoth, wenn die verwöhnteste Ueppigkeit nach Brod schreit zum Hohn für die alles ernährende Natur, wenn der schreckliche Streit beginnt zwischen den geselligen Trieben und dem Wahnsinn des Mangels, die fürchterliche Wahl zwischen dem Hungertod und der Ertödtung aller bessern Gefühle! – aber fruchtbare Jahre, emsige Schnitter, und „gesättigte und erfreute Herzen,“ das sind die lieblichen Bilder mit denen das menschliche Geschlecht weit vertrauter ist. Wir zitterten auch nur von ferne anzusehn die schreckliche Gestalt der Pest, die in schauerlicher Unsichtbarkeit über uns hinzieht, mit ungesehener Hand ihre Opfer schlägt, und die Strasse mit Leichen besäet. Aber weit öfter hätten wir merken können auf Erzählungen von wohlthätigen Einrichtungen in der Natur, von mancherley Dingen, die mit herrlichen Kräften begabt sind, um die entflohene Gesundheit zurückzurufen, oder die Schmerzen der Menschen zu stillen, von den stärkenden Eigenschaften der Luft, von heilsamen Pflanzen und gesundmachenden Quellen. Schwermüthig kann der Gedanke machen an die große Menge derer, welche das Schwerd des Krieges gefällt hat, oder denen er noch etwas Aergeres zufügte, als die tödtliche Wunde, welche vielleicht das Elend und die Verwüstung beweinen mußten, die er über ihre Fluren verbreitet hat, oder welchen er auch in der Entfernung von dem Schauplatz seiner Verwüstungen, Streiche versetzte, die schärfer 3–4 Hiob 3,20 (nach der englischen Textfassung) 23–24 Vgl. Apg 14,17 26 Schleiermacher lässt hinter „Pest,“ das von Fawcett markierte Zitat Jes 9,1 (KJB Jes 9,2) aus.

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If we thus survey the checkered face of human life at la rg e, we shall find its bright spaces more numerous than its shadows. Congratulation is more exercised than pity. The countenances that have sorrow upon them, are fewer than the faces which do not want to be wiped. And if the w h o l e histories of indiv idua ls whom we see in circumstances of distress were to be laid before us, perhaps, we should find few of them, in which there was not a greater number of pleasant than painful passages: in which there was not, upon the whole, more cheerfulness than depression; more tranquillity than trouble; more corporal ease than sufferance. Whatever pain, what|ever care may lie in wait for the man,—childhood is careless and sportive; “a stranger yet to pain.” Whatever clouds remain for the brow of manhood, the forehead of youth is usually clear and smooth. The first years of almost every life, how dark and stormy soever it afterwards becomes, are all sunshine and serenity. Then, at least, how many soever the sicknesses, the sorrows, and the solicitudes, the “months of vanity,” and the “wearisome nights,” that await maturer years,—then, at least, every pulse is health; every pillow is peace; every feeling, rapture; every object, novelty; every prospect, hope! Now, although my present business is not to vindicate the goodness of providence, but merely to prevent from looking to our eye larger and darker than it really is, to reduce to its true size, and dilute to its true shade, that apparent blot upon it, which remains afterwards to be proved to be n o m o r e than the appearance of a stain; yet, thus much, this is the place to say; That that happiness, which manifestly prevails in the present system, is such an indication of the character of the author of it, as will not allow us to ascribe the mixture of misery, we observe in it, to any | mixture of malevolence in him. He, who so o f t e n blesses, cannot o n c e “willingly afflict.” For his severity, whose tender mercies are so numerous as we see them to be, there must be some satisfactory reason, whether we see it or not. A charac25 That that] That, that

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verwunden, als die Spitze des Schwerdtes; – aber | der größere Theil des menschlichen Geschlechts verbringt doch seine Tage im Schooße des Friedens, wohnt ruhig und sicher unter seinem Dach, ärndtet sein Feld ohne Furcht vor der Sichel oder dem Feuerbrand des Kriegers, befriediget seine geselligen Gefühle in Verbindungen, die kein Schlag trift, als der von der Hand der Natur, und haucht zuletzt seinen Othem aus auf dem ruhigen häuslichen Lager. Wenn wir so das bunte Gemälde des menschlichen Lebens im Allgemeinen übersehen, so finden wir, daß die lichten Stellen darauf weit zahlreicher sind, als die Schatten. Die Mitfreude wird öfter in Bewegung gesetzt, als das Mitleiden. Die Angesichter, auf denen der Kummer seinen Sitz hat, sind seltener, als die Augen, welche nie getrocknet werden dürfen. Und wenn die zusammenhängende Geschichte derjenigen, die wir in drückenden Umständen erblicken, uns vorgelegt werden könnte, so würden wahrscheinlich nur wenige reicher an traurigen als angenehmen Begebenheiten seyn; wir würden wenige finden, in deren Leben nicht im Ganzen mehr Heiterkeit als Kummer, mehr Ruhe als Angst, mehr Wohlbefinden als körperliches Leiden anzutreffen wäre. Was für Kummer und Sorge auch des Erwachsenen warte, die Kindheit ist doch sorglos und scherzend, ein Fremdling noch dem Schmerz. Was für Wolken auch der Stirn des Mannes aufgehoben ist, die Stirne der Jugend ist doch gewöhnlich unbewölkt und glatt. Die ersten | Jahre eines jeden Lebens, wie finster und stürmisch es hernach werden mag, sind lauter Sonnenschein und Heitre. Bis dahin wenigstens, bis zu jenen spätern Jahren, wo Siechthum, Trübsal und Sorge warten, wo die trüben Monde, und die schlaflosen Nächte eintreten, bis dahin wenigstens ist in jedem Pulsschlag Gesundheit, auf jedem Lager Ruhe, in jedem Gefühl Entzücken, an jedem Gegenstand Reiz, in jeder Aussicht Hoffnung. Es ist jetzt meine Absicht nicht, die Güte der Vorsehung völlig zu rechtfertigen, sondern nur zu verhüten, daß wir den Fleck der uns daran in die Augen fällt, und von dem hernach erst gezeigt werden muß, daß es nur dem Anschein nach ein Fehler ist, fürs erste wenigstens nicht größer und schwärzer uns vorstellen, als er ist, und ihn nicht anders als in seinem wahren Umfang und seiner natürlichen Größe erblicken. Dieses aber darf ich doch hier sagen, daß die Glückseligkeit, welche in der gegenwärtigen Einrichtung der Dinge die Oberhand hat, für die Denkungsart des Urhebers dieser Welt soviel be24 Heiterkeit] Heitre

31 daran] so DV; OD: davon

20 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Thomas Gray: Ode on a distant prospect of Eton College, London 1747, Zeile 14. Gray (1716–1771) veröffentlichte die Erstausgabe anonym. 25–26 Die beiden benachbarten von Fawcett markierten wortgetreuen Zitate stammen aus Hiob 7,3.

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ter composed of striking kindness, and wanton cruelty, is too inconsistent to be credible.

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If we only adopt the same mode of reasoning, in judging of the divine character, which we are all of us accustomed to make use of, in deciding upon those of men, it will be impossible for us to suspect him of a n y m a l i c e , who has discovered so much mercy. When we hear a fellow-creature accused of having committed an action, of a complexion directly opposite to the strongest colours of his character; when it is reported to us, that any one, in whom we have seen the marks of a singular prudence, has acted, upon any occasion, with egregious indiscretion; or, that any one, in whom we have remarked repeated instances of an excessive caution and timidity, has taken an extremely rash and head-strong step; or, that a person, who has discovered, upon a variety of occasions, an uncommon bravery, has acted a peculiarly cowardly and | dastardly part; or, that a man, of whose mildness and gentleness of manners, or of whose generosity and munificence, in circumstances that shut out every doubt of its sincerity, we have witnessed numerous and striking displays, has conducted himself, in any case, with an iron severity, or shewn a sordid illiberality;—we immediately, either disbelieve the fact, or conclude that there are some circumstances in the case, concealed from us, which make that conduct to be of a piece with the rest of the character in question, which appears to be so directly contrary to it. We are loth to admit, that any one can have departed so widely from himself, as to have contradicted the most striking and prominent qualities of his nature. We say, “it is not like the man; let him tell his own story; judge no man before he be heard.” Now, let the same rule of judging be applied to the conduct of providence; let the same prevalence of good obtain the same credit and trust, under appearances of evil, which we are in habits of granting to human characters; and we shall be in little danger of suspecting the supreme benignity of any deviations from the path of goodness.| Every thing in nature has a settled character; has its fixed properties, and is consistent with itself. “Doth a fountain send forth at the same place both sweet water and bitter?” Is there an herb to be found, that is, at once, healing, and poisonous? Is there an animal, that is,

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weisen muß, daß wir die Mischung von Uebeln, welche wir darin wahrnehmen, nicht einer Beymischung von Uebelwollen in ihm selbst zuschreiben dürfen. Der, welcher s o o f t segnet, kann auch nicht einma l von Herzen betrüben. Wenn der sich strenge zeigt, der uns so zahlreiche Beweise der zärtlichsten Liebe giebt, so müssen hinreichende Gründe dazu da seyn, wir mögen sie nun einsehen oder nicht. Eine Denkungsart aus der herzlichsten | Güte und der kältesten Grausamkeit zusammengesetzt, ist zu widersinnig, als daß man sie voraussetzen dürfte. Beobachteten wir nur bey der Beurtheilung der Wege des Höchsten die nemliche Art zu schließen, deren wir uns bedienen, so oft wir über die Gesinnungen eines Menschen urtheilen wollen, so würde es uns unmöglich seyn, demjenigen einige Bösartigkeit zuzutrauen, der so viel Güte gezeigt hat. Wenn einer von unsern Brüdern einer Handlung beschuldigt wird, die mit den kenntlichsten Zügen seines Charakters im gradesten Widerspruch steht: wenn man uns erzählt, jemand der viele Beweise einer außerordentlichen Klugheit abgelegt hat, habe irgendwo höchst unbedachtsam gehandelt, oder ein Mann, dessen sanfte, milde Gemüthsart, dessen Edelmuth und Uneigennützigkeit sich unter Umständen, die keinen Argwohn gegen seine Aufrichtigkeit zulassen, oft und deutlich genug offenbart haben, habe irgendwo eine eiserne Strenge oder einen schmutzigen Geiz verrathen, so verwerfen wir entweder die ganze Erzählung als unwahr, oder wir schließen, es müsse bey der Sache einige verborgene Umstände geben, woraus begreiflich wird, wie dies Betragen mir den übrigen bekannten Theilen des Charakters, denen es so ganz entgegengesetzt zu seyn scheint, dennoch ein Ganzes ausmachen könne. Wir geben nicht zu, daß sich Jemand bis zum Widerspruch mit den herrschendsten und hervorstechendsten Eigenschaften seines Gemüthes verirren könne. Wir sagen: „das gleicht | dem Manne nicht, laßt ihn selbst seine Sache vortragen, verurtheilt ihn nicht, ehe er gehört ist.“ Dieselbe Regel der Beurtheilung laßt uns auch auf das Betragen der Vorsehung anwenden; laßt uns demselben Uebergewicht des Guten auch eben so viel Vertrauen und gute Meinung bey einem nachtheiligen Anschein zugestehen, als wir dem Charakter eines Menschen nicht versagen; so werden wir nie in Gefahr seyn, die höchste Güte irgend einer Abweichung von dem Pfade der Liebe fähig zu halten. Jedes Ding in der Welt hat seinen bestimmten Charakter, seine bleibenden Eigenschaften, und stimmt jederzeit mit sich selbst überein. Ist ein Kraut wohl heilsam und zugleich auch giftig? Giebt es 17 Schleiermacher lässt hinter „gehandelt,“ einen Teilsatz Fawcetts aus. 38– 39 Schleiermacher lässt hinter „überein.“ das von Fawcett markierte Zitat Jak 3,12 aus.

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at the same time, innocent, and noxious? Even man, capricious, whom you call inconstant, inconsistent man, never discovers that inconsistency, which he, who accuses him of any cruelty, ascribes to God. All the contradictions that appear in the conduct of man are reconcileable to unity of character; are to be accounted for, in perfect harmony with it, by variations of situation and circumstance, which occasion a change in his conduct, while his character remains the same. There may be discord between his words and his actions; but there is no such thing as duplicity of character; that is one. His actions may disagree with one another, but they all accord with some single principle that predominates in him; they all consist with one settled temperament of mind. The mutability of his animal system, or of his external situation, may produce occasional starts and sallies from opposite sides of his prevailing | temper. Soothed by the sensation of peculiar health, or pleased with the posture of his affairs, his family may find him more than usually kind, and his petitioner more than commonly complying: irritated by corporeal pain, or crossed by vexatious accidents, he may wound the ear of domestic Affection, and send the hand of Supplication empty away. Excited by services received, be may serve one with unwearied zeal; exasperated by injuries, he may pursue another with unrelenting rage. The partialities arising out of intimacy, or blood, or party, may make him kind to this man; the antipathies produced by opposite opinion, by envy, or by fear, may render him cruel to that. He may act the part of an affectionate father to some, and of a parental oppressor to other, of his children, accordingly as they are possessed, or destitute, of engaging gifts of nature. In one situation, he may perform an office of charity, in compliance with the call of decency, and in respect to the eyes that are upon him; in one more secret, he may insult the supplicant, and oppress the poor. He may obey the dictate of honest humanity, when the service it enjoins is easy, when the sacrifice it exacts is | small; and consent to act in the most direct and barbarous opposition to its impulse, when the temptation to violate it is powerful. These contrarieties of conduct may meet in one constitution of mind. These are branches that may shoot from one root. But, before we can charge even man with that self-contradiction, which he, who arraigns his benevolence, imputes to the Being, who himself possesses infinite happiness, and who has produced the sum of it we see; who has done so much good, to which his inducement must have been the most disinterested and ardent goodness; and who is immutably secure from all motive to do any evil; before we can find, even in unsteady and 1–2 capricious, whom you call] capricious whom you call,

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wohl ein Thier, welches unschädlich, und zugleich auch gefährlich ist? Selbst der Mensch, den ihr doch ein eigensinniges, veränderliches, unbeständiges Wesen nennt, zeigt nie einen solchen Widerspruch, als man bey Gott voraussetzen muß, wenn man ihn der Grausamkeit beschuldigen will. Alle Widersprüche, die wir im Betragen der Menschen bemerken, lassen sich dennoch auf eine gewisse Einheit der Gesinnung zurückführen; man kann sie immer vollkommen aus veränderten Verhältnissen und Umständen erklären, welche eine Veränderung im Betragen hervorbringen, ohnerachtet die Gemüthsart dieselbe bleibt. Worte und Handlungen können einander widersprechen; was man aber zweyerley Charakter nennen könnte, das wird bey keinem Menschen angetroffen. Seine Handlungen mögen eine von der andern sehr | unterschieden seyn, aber sie stimmen alle mit irgend einem einzelnen Grundsatz überein, der in ihm herrschend ist, sie gehen alle aus seiner eigenthümlichen Gemüthsverfassung hervor. Veränderungen in seinem körperlichen Zustande oder seiner äußern Lage können ihn bisweilen plötzlich von der einen Grenze seiner Sinnesart zur entgegengesetzten führen. Fühlt er sich heiter und gesund, freut er sich des guten Zustandes seiner Angelegenheiten, so wird ihn seine Familie mehr als gewöhnlich gütig, und wer etwas von ihm begehrt, gefälliger finden als sonst; quält ihn dagegen der Schmerz, treten ihm beunruhigende Ereignisse in den Weg, so wird er das zärtliche Ohr der Seinigen nicht schonen, und der Bittende wird leer von ihm zurückkehren. Durch Gefälligkeiten verpflichtet wird er dem einen mit unermüdetem Eifer dienen, aber durch Beleidigungen gereizt einen andern ohne Nachsicht verfolgen. Er wird gegen eines seiner Kinder als ein zärtlicher Vater, gegen das andere als ein strenger Gebieter handeln, je nachdem ihnen einnehmende Naturgaben verliehen oder versagt sind. Er kann ein Werk der Barmherzigkeit verrichten, wo der Wohlstand es erfordert, oder vieler Augen auf ihn gerichtet sind, und dagegen, wo er weniger bemerkt ist, des Flehenden spotten, und den Armen unterdrücken. Alle diese entgegengesetzten Handlungen können bey einerley Denkungsart zusammen bestehen. Sie sind Zweige desselben Stammes. Man zeige uns aber doch einen, der gegen denselben Menschen, ohne seine Meinung | von ihm geändert zu haben, jetzt die aufrichtigste Freundschaft, und jetzt den heftigsten Widerwillen äußert; man zeige uns einen Vater, der seinem Kinde die zärtlichsten Liebkosungen erweiset, und dasselbe Kind unter gleichen Umständen auch wüthend mißhandelt; oder einen Regenten, der ein edles Vergnü26 Schleiermacher lässt hinter „verfolgen.“ einen Satz Fawcetts aus. 32 Schleiermacher lässt hinter „unterdrücken.“ einen Satz Fawcetts aus. 34–141,15 Schleiermacher hat die Abfolge von Fawcetts Sätzen geändert.

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changeful man, any example of such incongruity, we must see him, in the same moment of private satisfaction and felicity, blending, in his speech, blandishment and asperity of expression: We must see him, discovering to the same man, while retaining the same sentiment of his character, now, all the enthusiasm of friendship, and, now, all the heat of malevolence: We must see a parent uniting, in his behaviour to the same child, at the same moment, fond caresses, and furious blows: We must see a potentate taking a generous and patriot delight, | in the smiles and the plenty of half his subjects, and tasting a malignant pleasure, in the burthens, and groans of the other half. Such a volatility and flightiness of temper, as this mixture of properties would imply, has never been known in the annals of human caprice. He, then, who has sent from him that happiness, which is evidently predominant in the present system, and which can possibly be ascribed to no other source than the purest generosity, cannot be capable of willingly afflicting the children of men. Whenever he does afflict, it must be with an ultimate view to bless.

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From this truth, which meets the first glance at the checkered picture of human life, that its lights are more numerous than its shades, let us pass to a few considerations, which will cause its shades themselves to lose much, perhaps, of the gloom, which at first sight they may seem to wear. We are liable to imagine the misery of human life to be more than it is, from not being aware of the degree of Insensibility to circumstances, painful in themselves, which there often exists in persons, whom we perceive in such situations; and whom we contemplate with a de|gree of pity for which their actual sensations do not call. Of comparative insensibility to circumstances that excite our unmoderated pity, one cause is t i m e . It is a law of our nature, that familiarity with what at first was most afflicting, wears away the sense of it. Hence, we have often to look upon the unfortunate situation, when the sensibility of it is in a considerable degree departed. The figure of adversity still stands before us, but it is a dark apparition only; the substance is not there. In consequence of a total inattention to the tendency of intimacy with situations from which a stranger to them recoils, to render them,

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gen findet an der Freude und dem Ueberfluß der einen Hälfte seiner Unterthanen, und sich boshafter Weise zugleich an den Lasten und Seufzern der andern ergötzt. Gewiß eine so veränderliche und unstäte Gesinnung, als diese Mischung der entgegengesetztesten Eigenschaften voraussetzt, würden wir nirgends finden, und wenn wir alle Jahrbücher des menschlichen Eigensinnes vor uns hätten. Wenn wir aber, so lange wir dies nicht sehn, nicht einmal den Menschen eines so argen Widerspruchs mit sich selbst beschuldigen können; wie können wir denn an dem göttlichen Wohlwollen zweifeln, und also diesen Widerspruch einem Wesen vorwerfen, welches nicht nur selbst unendlich glückselig ist, sondern von dem auch alle Glückseligkeit, die wir wahrnehmen, entspringt, welches so viel Gutes gethan hat, wozu es keinem andern Antrieb haben konnte, als die uneigennützigste thätigste Güte, und welches vor jeder Versuchung etwas Uebles zu thun auf ewig gesichert ist? Derjenige also, von dem alle die Glückseligkeit ausgeht, die so offenbar über das Uebel in unserm gegenwärtigen Zustande hervorragt, und die sich von keiner andern Quelle als dem reinsten Wohlwollen ableiten läßt, kann unmöglich fähig seyn, die Men|schenkinder von Herzen zu betrüben, und wenn er sie betrübt, muß seine letzte Absicht dabey die seyn, sie zu beglücken. Zw e y t e n s . Laßt uns nun von dieser Wahrheit, die dem ersten Blick auf das bunte Gemälde des menschlichen Lebens entgegen kommt, daß nemlich der Lichter darauf weit mehr sind als der dunkeln Stellen, zu einigen Betrachtungen übergehn, wodurch vielleicht diese dunkeln Stellen selbst, von dem schwarzen Schatten, der beym ersten Anblick darauf zu ruhen scheint, nicht wenig verlieren werden. Wir stellen uns das Elend des menschlichen Lebens gar leicht größer vor, als es wirklich ist, weil wir die U n e m p findlichkeit gegen drükkende Umstände nicht kennen, die sich oft derer bemächtiget, welche sich in solchen Umständen befinden, und welche wir daher mit einem Grade des Mitleidens betrachten, worauf die Art wie sie selbst empfinden, gar keinen Anspruch machen kann. Von dieser verhältnißmäßigen Unempfindlichkeit bey Schicksalen, die unser innigstes Mitleid erregen, ist eine Ursach die Zeit. Es ist ein Gesetz unserer Natur, daß wir auch das, was Anfangs sehr niederschlagend war, nicht mehr so tief fühlen, wenn wir erst damit bekannt sind. Daher halten wir oft einen Zustand noch für sehr unglücklich, wenn das Unangenehme desselben schon weit schwächer empfunden wird. Die Gestalt der Trübsal steht noch immer vor uns, es ist aber nur eine schwarze Erscheinung ohne Kraft und Gehalt.| Diese Kraft der Gewohnheit, daß sie solche Umstände, die freylich jeden, dem sie fremd sind, erschrecken, nicht nur erträglich zu

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not only supportable, but even consistent with happiness, pity has been sometimes given even to happy men, considered merely as animal creatures; and some, that were real objects of compassion, have been regarded with more than their case has required. He whose life is made up of repose and recumbence, and who, in consequence of the excessive delicacy he has derived from the perfect softness of a situation, that is all over velvet, looks out from his seat of ease, with an eye of compassion, upon them who have been | condemned from their birth to laborious employment, confined to the rough accommodations of life, and exposed to the keen severities of nature; bestows his pity upon happiness superior to his own; upon him who finds no weight in his burthen, perceives no coarseness in his food, complains of no hardness in his couch, and feels no bleakness in the blast. If he, who experiences a sudden reduction from opulence to comparative poverty, is, for a moment, to be numbered with the miserable, it is only for a moment, that he belongs to the class. Although, upon first finding himself in the rank to which he has not been habituated, he may refuse to be comforted, indulge the ravings of despair, and snatch the instrument of death; if he have patience to survive the first shock of the change, the exotic spirit becomes, in a little time, naturalized to the new situation; and is as happy in it as the natives of the condition to which it is sunk. He, who does not consider this lenient efficacy of time, will regard the fallen trafficker, with a pity that continues to bleed over him, long after the fracture, which his peace sustained from the fall, has been healed.|

But time not only possesses a power of reconciling the mind, to situations, that are uneasy only to those, who have long lien in the lap of luxury; it is also capable of wearing away the asperities, and gradually blunting the edges, of seats that are painful to all, and that extort pity even from the stern philosopher, who has no tear for the loser of superfluous possessions; for the exile from a mansion, for whom a roof is ready, which, though not so lofty as that he has left, is as capable of excluding the inclemency of nature; and for whom a table remains, which, though no delicacies load it, is covered with all that health requires. Habitude has a power, not only of softening the hardest pillow; lifting the lowliest cot; refining the coarsest bread; converting inconvenience to ease; and making the weather’s inclemencies mild; it is able to dull the point of circumstances that pierce to the soul of happiness.

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machen, sondern auch einen gewissen Grad von Glückseligkeit damit zu verbinden weiß, ziehen wir nicht genug in Betrachtung, und bedauern daher öfters Personen, die, wenn wir nur auf ihren Empfindungszustand sehen, sogar glücklich sind, oder bemitleiden Andere, die es verdienen, in einem weit höheren Grade als ihre Umstände erfoderten. Wenn derjenige, dessen Leben ruhig und bequem dahinfließt, und der verzogen worden ist durch die ununterbrochene Annehmlichkeit seines Zustandes, aus seinem hohen Wohlleben mit mitleidigen Augen auf alle diejenigen herabsieht, die von Kindheit an zu harter Arbeit bestimmt, auf einen roheren Lebensgenuß eingeschränkt und allen Unannehmlichkeiten einer rauhen Natur ausgesetzt sind; so bemitleidet er einen Zustand, der vielleicht mehr Glückseligkeit enthält als sein eigner, er bemitleidet den, der wenigstens das Gewicht seiner Bürden nicht fühlt, die Kärglichkeit seiner Nahrung nicht bemerkt, über die Härte seines Lagers nicht klagt, und keinen Schauer fühlt wenn ihn die Kälte trift. Wer plötzlich mitten aus dem Wohlleben herausgerissen, und in einen Zustand versetzt wird, der in Vergleichung mit dem vorigen dürftig ist, der mag eher eine Zeitlang zu den Unglücklichen gezählt werden, aber gewiß auch nur auf einige Zeit. So lange es ihm noch neu ist, auf der niedrigen Stufe zu stehen, zu der er nicht erzogen war, wird er viel|leicht jeden Trost von sich weisen, jedem Anfall der Verzweiflung Raum geben, und wohl gar nach dem Werkzeug des Todes greifen; laßt ihn aber nur so lange Geduld haben, bis der erste betäubende Eindruck eines solchen Sturzes verschmerzt ist, so wird das Gemüth des Fremdlings sich sehr bald in die neue Lage gewöhnen, und sich in dem Zustand, zu dem er herabgesunken ist, eben so glücklich befinden, als die, welche darin geboren waren. Die Zeit aber söhnt unsere Empfindung nicht etwa nur mit solchen Verhältnissen aus, die höchstens dem peinlich seyn können, der lange der Schwelgerey gepflegt hat; sondern sie weiß auch einem solchen Zustand, der schlechterdings einem Jeden schmerzlich seyn müßte, die rauhen Seiten zu glätten, und die scharfen Spitzen allmählig abzuschleifen. Strenge Weltweise haben keine Thräne für den, der nur überflüßige Besitzungen verliert, dem statt des Pallastes noch eine Hütte übrig bleibt, die ihn gegen die unfreundliche Natur schützt, und statt der Lekereyen auf seiner Tafel noch alles, was die Gesundheit erfordert; aber auch solches Unglück, was selbst diesen Mitleid abnöthigen würde, erleichtert die Gewohnheit. Sie lehrt uns nicht nur das härteste Lager weich, die gröbste Kost schmackhaft, die rauheste Witterung leidlich, und die eingeschränktesten Umstände bequem zu finden, sondern sie benimmt auch solchen Unfällen den Stachel, die bis in die innersten Bestandtheile unserer Glückseligkeit eindringen.|

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We hear of one, who is condemned to count, not only the days and months, but years, of personal confinement, either by the infirmity of his own frame, or by the cruelty of his fellow-creature. He who walks whithersoever he would, looks upon him, who | has lost this invaluable liberty, as upon a wretch, by whom it is wonderful that life can be borne; to whom it is strange that light should have been given. In the bosom of such a one, he imagines, there must reign a gloom, into which not so much as a glimmer of comfort can ever come. Nature holds out a variety of entertainment to the senses of man—but he is forbidden to range her scenes; to admire her beauties; to hear her songs; or inhale her fragrance. Mankind meet together, in private circles; in public assemblies;-—but he cannot join their select companies, or make one in the concourse that is called by harmless pleasure, or interesting business, or eager curiosity. Yet, even upon darkness like this Time lets in ray after ray, and gradually consoles the captive. When Nature has lost the lively remembrance of her gayer enjoyments, and sprightlier pleasures, more flat and insipid amusements acquire a power of cheering the heart. As the brilliant forms of happiness, which once it knew, fade to a fainter, and fainter hue, in the eye of Memory; as they retire to a greater and a greater distance in the picture of the past; objects of duller colours, that enliven the darkness of the present hour, | and that derive a double light from the contrast of the surrounding shade, become capable of communicating a calm and mild delight. To the prisoner of protracted weakness, or of unrelenting injustice, the visit of a friend is a festival! the acquisition of an entertaining page is a prosperous event! And he, whom despotic Power had forbidden, for many a lonely year, to see the face, or hear the sound, of Friendship, has learned, at length, to find fellowship in the society, and amusement in the motions, of the minutest and meanest animal.

We are told of an unhappy creature who, during long periods of time, is not only deprived of the pleasures of corporeal activity, but 9 a variety] variety

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Wir hören von Jemandem, der nicht seit Tagen und Monden, sondern seit Jahren schon den engen Raum seines Zimmers nicht verlassen konnte, es sey nun, daß die Schwäche seiner Gesundheit, oder die Härte der Menschen ihn zurückhalte. Wir, die wir gehen dürfen, wohin uns gelüstet, sehn gewiß auf ihn, als auf einen Elenden, von dem es uns wundert, wie er das Leben noch ertrage, von dem wir nicht begreifen können, warum er wohl in die Welt gesetzt sey. In dem Gemüth eines solchen Menschen, meinen wir, müsse ein Mißmuth herrschen, in dem auch kein Funke von Zufriedenheit fortglimmen kann. Die Natur bietet den Sinnen des Menschen soviel Gegenstände des Genusses dar – aber er darf ihren reichen Schauplatz nicht betreten, ihre Schönheiten nicht bewundern, ihre Gesänge nicht hören, ihre Balsamdüfte nicht einathmen. Die Menschen sehen sich in freundschaftlichen Zusammenkünften oder bey öffentlichen Gelegenheiten – aber er kann nie theilnehmen an den ausgesuchteren Gesellschaften, und wird auch nie unter der großen Menge gefunden, die hie und dort harmlose Fröhlichkeit, rege Geschäftigkeit, oder eifrige Neugierde zusammen führt. Aber auch in eine Finsterniß, wie diese, leitet die Zeit einen Lichtstrahl nach dem andern, und tröstet nach und nach den Gefangenen. Wenn die deutliche Erinnerung an lebhaftere Ergötzlichkeiten und genußreichere Freuden sich verliert, so erlangen auch kleinliche und dürftige Vergnügungen eine gewisse Kraft das Herz zu er|freuen. Wenn die glänzenderen Bilder der einst so wohl bekannten Glückseligkeit auf der Tafel des Gedächtnisses mehr und mehr erbleichen, und sich in dem Gemälde der Vergangenheit immer tiefer in den Hintergrund zurückziehn; so können denn auch Gegenstände von matteren Farben, die sich aber doch in der allgemeinen Finsterniß der gegenwärtigen Stunde auszeichnen, und eben durch den Gegensatz der schwarzen Schatten, von denen sie überall umgeben sind, doppeltes Licht gewinnen, ein ruhiges und sanftes Wohlgefallen erregen. Wen langwierige Krankheit oder beharrliche Ungerechtigkeit gefangen hält, für den ist der Besuch eines Freundes ein hohes Fest, und wenn er sich ein unterhaltendes Blatt zu verschaffen weiß, so ist das eine große glückliche Begebenheit. Wem harte Tirannei schon seit manchem einsamen Jahr untersagt hat, das Angesicht der Freundschaft zu sehen, und ihre Töne zu hören, der lernt endlich an den Bewegungen des kleinsten, verachteten Thieres sich zu ergötzen, und sich seiner Gesellschaft zu erfreuen, als ob eine gegenseitige genaue Verbindung unter ihnen Statt fände. Wir hören von einem unglücklichen Geschöpf, das seit langer Zeit nicht nur die Freuden des thätigen Lebens, sondern auch Ruhe und 1 Jemandem] Jemanden

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who is also a stranger to ease; who is condemned to pain, as well as to solitude. He, whose sensations are all gay and pleasurable; whose heart, in the fulness of health, laughs and sings along with surrounding nature; and whose leaping pulses have never known what it is to languish; regards such a situation with an eye, that cannot endure to rest, so much as a moment, upon it; and that represents it as utterly insupportable. Yet he, who has long been in it, is not without his solace. Time has lulled his sense of his | pain, though it has not been able to lessen its degree, so as to have made patience under it a much easier task, than at first it was to him, than it would be now to you. While the rigour of its severity to his body remains unsoftened and the same, it has so far relented, as to have relaxed its hold upon his mind; as to admit of occasional releases of his attention from it, and of compliances with the call of objects that yield him pleasure.

We observe pass along the street, a poor, hoary, bending, dependent upon casual charity for the bread of the day: whose want of sight, and whose want of friends, is imperfectly supplied by the patient fidelity of a domestic animal, which serves, at once, for his companion, and his guide. “Poor wretch!”—is the immediate and involuntary exclamation of all the humane, that meet him in his melancholy walk. As he passes by us, all the pity we possess awakes within us. We think of his darkness with horror!— “Seasons return; but not to him returns Day, or the sweet approach of ev’n or morn, Or sight of vernal bloom, or summer’s rose, Or flocks, or herds, or human face divine: But cloud instead, and ever during dark Surrounds him!”| The reflection is a natural one for us to make. He once made it himself: but he makes it now no more. Midnight is become familiar to him. He has forgotten, that “the light is sweet, and that it is a pleasant thing for the eyes to behold the sun.” As he pursues his way through the midst of his fellow men, we take notice of the reception he meets with from them. He asks an alms;—the refusals are frequent;—that is little: Perhaps, from scoffs, and from spurns, his wretchedness cannot sometimes save him: Perhaps, from violence and severity, his grey hairs cannot always protect him. Your pride feels for the honour of an insulted man: your compassion cannot contain 15 bending] Kj bending person

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Wohlbefinden nicht mehr kennt, und zum Schmerz eben so sehr als zur Einsamkeit verdammt ist. Der, welcher nur heitere und angenehme Empfindungen hat, dessen Herz in der Fülle der Gesundheit mit der fröhlichen | Natur lacht und singt, dessen hüpfender Puls von jener schleichenden Mattigkeit nichts weiß, wird so schnell als möglich sein Auge wegwenden von der Betrachtung eines Zustandes, den er sich als ganz unerträglich vorstellt. Und doch fehlt es dem, welcher sich schon lange darin befindet, nicht an gewissen Erleichterungen. Hat gleich die Zeit seinen Schmerz nicht verringern können, so hat sie doch die Empfindung des Schmerzens eingewiegt, so daß es ihm weit leichter ist, ihn geduldig zu ertragen, als es ihm ehedem war, oder als es euch jetzt seyn würde. Wenn auch der Schmerz gegen seinen Körper noch eben so grausam und unbesänftigt wüthet, so hat er doch gewiß so weit nachgelassen, daß das Gemüth etwas freyer bleibt, daß der Leidende die Aufmerksamkeit bisweilen ablenken kann von seinem Zustande, und sich den Gegenständen willig überlassen, die ihm einige Annehmlichkeit versprechen. Wir sehen einen armen silberhaarigen Greis flehend über bis Strasse gehn. Er muß von der ungewissen Barmherzigkeit sein tägliches Brodt erwarten; er ist freundlos, und der Augen beraubt, und für diesen Verlust hat er keinen andern Ersatz, als die geduldige Treue eines Hausthieres, welches sein Gesellschafter und sein Führer ist. „Armer Unglücklicher!“ das ist der unwillkührliche Ausruf aller liebreichen Seelen, die ihm auf seinem traurigen Wege begegnen. Alles Mitleid in unserer Brust erwacht, indem er vor uns vorübergeht. Mit Schrecken denken wir an die Finsterniß die ihn umgiebt! | Die Jahreszeiten kehren wieder, aber ihm kehrt nie der Tag zurück, ihm wirds nie Abend oder Morgen; er erblickt nie die Blüthen des Frühlings, die Rosen des Sommers, und nie sieht er das Angesicht eines Menschen; nur die ewige Wolke und die dicke Finsterniß ist immer um ihn her. – Diese Bemerkung ist uns natürlich. Auch er machte sie einst; aber jetzt macht er sie nicht mehr. Er ist der ewigen Nacht schon gewohnt; er hat vergessen, daß „das Licht süß ist, und den Augen lieblich die Sonne zu schauen.“2 Wir verfolgen ihn, indem er fortwandelt unter dem Gewühl der Menschen, und bemerken, welche Aufnahme er findet. Er fleht um eine Gabe – die Weigerungen sind häufig; aber das 2

Pred. Sal. 11, 7.

7 vorstellt] vorstellte

32–33 Er ist ...daß „das] „Er ist ... daß das

37 11, 7.] 11. 7.

26–30 Zu dem von Fawcett als sechszeiliges poetisches Zitat markierten Text vgl. John Milton: Paradise lost. A poem written in ten books, London 1667, Buch 3, Zeile 41–46.

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the tear which his helplessness extorts: but he has long since let fall his last over human unkindness: the fire which indignity once kindled there has long ago ceased to redden his face: and the humane spectator of the treatment he receives, feels it more than he.

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Various are the situations in human life which, to you who are surrounded with brighter circumstances, and which, to them who enter into them for the first time, wear even a midnight gloom; but which, to those | who have continued in them for some time, have assumed a more lightsome aspect; and are become the seats of sober, though not of animated happiness, To him, who, from a sunny situation, sends his eye through the openings into a thick wood, the sylvan cavities seem of a raven dye, and appear totally to exclude the day; amidst the meridian blaze, they resemble so many caves of darkness: and he that, suddenly, from the glare of noon, passes into a deep umbrage, feels a perfect night fall upon his path: but, in a few moments, the scene clears up; his eye recovers from the shock of the change; he finds he has not entirely lost the day; that he has only exchanged its gayer, and gaudier appearances, for a more solemn light, and a graver verdure. In the same manner, the heart, that is suddenly removed from the luminous, to the gloomy situations in human life, is at first oppressed by the gloom, and perceives nothing but darkness; but after a time, the gloom grows less; the place looks lighter; and the night has brightened by degrees into moderated and dusky day.

Another comforter of a large proportion of mankind, under the pressure of painful acci|dents, not always perhaps sufficiently noticed by us, is that perpetual e m p l o ym e nt which is necessary to their subsistence; and of the consolatory efficacy of which the inactive have no conception. He who has leisure to lament his misfortunes, who has nothing to do but to recollect what he has lost, is much mistaken if he imagine, that the busy sufferer of the same losses, is a sufferer in the same degree. Occupation dries the eye with a hasty hand, by turning it away from the object that would draw its tears; by denying it time to drop them. The soldier, that sees his dearest friend fall in

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ist nicht alles. Vielleicht sichert ihn sein Unglück nicht immer gegen Spott und Verachtung; vielleicht schützt ihn sein graues Haar nicht immer vor harten gewaltthätigen Begegnungen. Euer Gefühl empört sich bey dieser unwürdigen Kränkung; euer Mitleiden kann die Thränen nicht zurückhalten, die seine Hülflosigkeit hervorlockt: aber er selbst hat schon längst die letzte vergossen über die Hartherzigkeit der Menschen; das Feuer, welches der Unwille ehedem wohl entzündete, hat schon längst sein Angesicht nicht mehr geröthet, und der gefühlvolle Zuschauer der Behandlung, die ihm widerfährt, fühlt sie weit tiefer als er. Dieser Verhältnisse giebt es mancherley im menschlichen Leben, die im höchsten Grade traurig | und finster zu seyn scheinen, wenn man eben erst hineintritt, oder aus bessern Umständen auf sie herabsieht, die aber denen, welche eine Zeitlang darin gelebt haben, gar nicht mehr schrecklich sind, und ihnen eine mäßige, wenn gleich nicht ausgezeichnete Glückseligkeit gewähren. Wer sich im hellsten Sonnenschein befindet, und mit seinem Auge in die Oeffnungen eines dichten Waldes dringt, wird glauben, daß diese grünen Gewölbe im tiefsten Dunkel liegen, und alles Lichtes gänzlich beraubt sind. Gegen das hellste Mittagslicht gehalten scheinen sie freylich dunkle Hölen zu seyn, und wer plötzlich aus dem höchsten Glanz der Sonne in diese tiefen Schatten hineinträte, würde sich ganz von nächtlichem Dunkel umgeben finden. Aber in wenig Augenblicken klärt sich die Scene auf, sein Auge erholt sich von dem ersten Eindruck des schnellen Wechsels, er wird gewahr, daß er den Tag nicht gänzlich verloren, sondern nur eine fröhliche Erleuchtung und freundliche Gegenstände mit einem matteren Licht, und einem dunkleren Grün vertauscht hat. Eben so ist das Gemüth, welches auf einmal aus den helleren Gegenden des menschlichen Lebens in die dunkleren versetzt wird, anfangs übernommen von der plötzlichen Veränderung, und kann in der Finsterniß nichts unterscheiden. Nach einiger Zeit aber vermindert sich die Dunkelheit, es fällt Licht auf die Aussicht, und die Nacht verwandelt sich nach und nach wenigstens in ein halbes, dämmerndes Tageslicht.| Ein anderes Erleichterungsmittel unter der Last schmerzlicher Ereignisse, welches wir ebenfalls nicht genug bemerken, und welches einem großen Theil der Menschen die treflichsten Dienste leistet, ist die b e s t ä n d i g e B e s c h äf t i gu n g, zu der sie, um ihren Unterhalt zu gewinnen, genöthigt sind, und deren große lindernde Kraft der Unthätige gar nicht kennt. Derjenige, der volle Muße hat sein Unglück zu beweinen, und der nichts zu thun hat, als an seinen Verlust zu denken, würde sich sehr irren, wenn er glaubte, daß ein geschäftiger Mensch 23 wenig] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 168

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the battle, finds, in the business of the field, an irresistible diversion from the sorrow, into which, in an inactive moment, he would have melted. He must reserve his tear for the hour of repose. His eye cannot fill, until his arm shall rest. Till then, as the soldier’s dust must wait for a grave, his shade must want its tributary grief. And those lives which consist of a continual current of occupations, forcibly carry, along with their stream, the attention that would stop to mourn over any of those misfortunes which, in more still and stagnant situations, excite the most lively, and lasting sorrow. Afflictions | even of a tragical form, which would plunge those, who perpetually repose upon the couch of ease, into a distress that might terminate in madness, or settle into a melancholy that would unfit them for the discharge of their duties; and which, whenever they hear of their occurring to the occupied classes of society, they commiserate with all the agony of pity, make, nevertheless, but very fugitive and fleeting impressions upon such persons. They are shocked by the circumstance; for a moment they are miserable; but business calls; they must obey; they have no time to droop; and have recovered their peace, before their more indolent neighbours have ceased to recollect the circumstance with a sigh, and repeat the tale in expectation of a tear.

The support and solace that are frequently derived, under the sufferings of life, from So c i al C o n n e xions, do not always stand forward to our view, when those sufferings are presented to our eyes. How sweet to the afflicted is the silent tear, are the soothing tones of Sympathy, none but they that have suffered, and been thus consoled, can say. And thus consoled, by some one or other, the majority of mourners have been. Where is the | man that has wept, and found no one to weep with him? These social consolations are of a secret, and silent nature: they make no noise, like the misfortunes which they remedy: they appear not, along with them, in the front and surface of the situation to which we look: they lie concealed in its recesses, and retire from our view. We hear of sickness, but we see not into the room that is the seat of it; we perceive not the affection that is attend-

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bey demselben Unfall eben so viel leide als er. Beschäftigung trocknet mit eilfertiger Hand das Auge, indem sie es hinwegwendet von den Gegenständen, die seine Thräne hervorlocken, und ihm die Zeit versagt, sie zu weinen. Der Krieger, der seinen liebsten Freund in der Schlacht fallen sieht, findet in den Arbeiten des mörderischen Tages eine Zerstreuung, die ihn unwiderstehlich von dem Kummer abzieht, in welchen ein einziger unthätiger Augenblick ihn versenken würde. Er muß seine Thränen sparen bis auf die Stunde der Erholung. Sein Auge kann sich nicht eher füllen, bis sein Arm ruht. So lange muß der Leichnam des Gefallnen auf sein Grab warten, so lange auch sein Schatten auf die Klage, die ihm gebührt. Wo das Leben aus einer ununterbrochenen Folge von Geschäften besteht, wird die Aufmerksamkeit in dem raschen Strom unaufhaltsam mit fortgerissen, so gern sie auch trauernd bey einem Unfall verweilen möchte, der freylich bey einer ruhi|gern Lage, wo das Leben gleichsam still steht, den anhaltendsten und tiefsten Kummer erregt hätte. Selbst die erschütterndsten Begebenheiten, die das Gemüth in einen leidenschaftlichen Zustand versetzen, und bey denen, die der Muße pflegen können, in einer Zerrüttung der Sinne, und in einer Schwermuth endigen würden, welche sie zur Erfüllung aller Pflichten untüchtig machte, die den Unthätigen, wenn er auch nur hört, daß sie einem andern begegnet sind, mit allen Qualen des Mitleids ängstigen, selbst diese machen auf Personen von der arbeitsamen Klasse nur einen vorübergehenden flüchtigen Eindruck. Sie werden freylich heftig ergriffen von ihrem Schicksal, sie sind auf einen Augenblick höchst unglücklich; aber die Geschäfte rufen, sie müssen gehorchen; sie haben keine Zeit zu weinen, und haben ihre Ruhe schon lange wiedergefunden, wenn ihre geschäftslosen Nachbarn noch immer mit Seufzen an das Unglück denken, und die Geschichte unter einander wiederholen, um eine Thräne fließen zu machen. Auch diejenigen Stärkungen und Linderungen unter den Leiden des Lebens, die aus den ge s e l l i ge n Ve r bindung en hervorgehn, stehn nicht immer vor unserm Auge, wenn die Leiden selbst sich uns darstellen. Wie erquickend den Betrübten die stillen Thränen, die beruhigenden Töne des Mitgefühls sind, das kann nur derjenige sagen, der gelitten hat, und so getröstet wurde. Und der größte Theil der Leidenden hat doch irgend einen solchen Tröster. Wer ist der Mann, der weinen mußte, und keinen finden | konnte, der mit ihm weinte? Aber diese freundschaftlichen Tröstungen sind still und geheim, sie machen kein solches Geräusch, wie die Unfälle, deren Wunden sie heilen; sie erscheinen nicht auf der Außenseite des ganzen Zustandes, 18–19 einer Zerrüttung ... einer Schwermuth] eine Zerrüttung ... eine Schwermuth

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ing there; whose tender office it is to enliven its languor, and smooth its bed; to “explore the thought, and explain the asking eye.” We are informed of shipwrecked fortunes; the crash resounds, and reaches every ear: but we follow not the ruined man in his retirements from the world; we trace not his silent retreat to the hearts that stand open to receive him; our eyes go not after him in his secret entrance into that temple of Friendship, which is his sanctuary from the pursuit of Sorrow. We behold the virtuous victim of Calumny, robbed of his good name, injured, perhaps, if his life be public, in the public estimation; we regard him, if our judgment have escaped the general delusion, and go not with the voice of the multitude, with all the | depression of pity, as an outcast from human love; without thinking of the circle of those, whose good opinion of him is protected by intimate knowledge of his merit; that circle of an affectionate few, to which he is able to retire from the frown of the many; within which he sits in peace, and, cheered by its genial warmth, listens to the tempest of evil tongues without it, with all the serenity of one, around whose house the wind howls, and the rain drives, without being able to penetrate to his pillow, or to his hearth.

A frequent cause of comparative insensibility to painful circumstances, for want of being acquainted with which, in the cases in which it exists, we bestow upon them a degree of pity for which they do not call, is n at u r al c o n s t i t u t ion. Misfortunes, of the same solidity, do not fall with equal weight upon all heads. They do not produce the impressions upon some of those, whom we contemplate and pity under them, which they would make upon us. Some persons are possessed of a complexional philosophy, an animal, and native fortitude, proceeding from the strength of their nerves, and the sprightliness of their spirits, which enables them to endure, | with scarcely a sigh, what would reduce others to despair. By unfortunate turns in traffick, the merchant who was a prince, shall be hurled, in a moment, from the heights of opulence, and precipitated from the very pinnacle of prosperity to the depths of poverty. Another would

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die wir doch allein beobachten können, sondern verbergen sich in der Einsamkeit und entziehn sich unsern Blicken. Wir hören von Krankheit, aber wir gehen nicht in das Zimmer, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hat, wir sehen nicht die herzliche Liebe, die dort des Kranken pflegt, und zärtlich besorgt ist, ihn in der Schwachheit zu laben, ihm sein Lager sanft zu machen, seine Gedanken zu erforschen, und sein bittendes Auge zu verstehen. Wir hören wohl von zerrütteten Glücksumständen, der Schlag ertönt laut und erreicht jedes Ohr; aber wir folgen dem Unglücklichen nicht bis in seinen einsamen Aufenthalt, wir bemerken nicht wie er eine Zuflucht findet bey liebenden Herzen, die sich ihm öffnen; unser Auge geht ihm nicht nach, wenn er in stiller Verborgenheit den Tempel der Freundschaft betritt, in dessen Heiligthum er sich rettet vor den Verfolgungen des Kummers. Wir sehen einen Andern als das tugendhafte Schlachtopfer der Verläumdung seines guten Namens beraubt, und wenn er einen Antheil hatte an den öffentlichen Angelegenheiten, vielleicht geschändet vor aller Welt; und wenn wir dem allgemeinen Irrthum entgangen sind, und unser Urtheil nicht auch der Stimme des großen Haufens gefolgt ist, so betrachten wir ihn mit dem erbarmungsvollsten Mitleid, als einen der ganz hin|ausgestossen ist aus dem Kreise der menschlichen Theilnahme und Liebe. Wir denken nicht daran, daß es eine kleine Anzahl von Menschen giebt, deren gute Meinung von ihm durch eine genaue Kenntniß seiner Verdienste zu wohl befestigt ist, daß er sich in diesen engen Kreis weniger Vertrauten flüchtet vor der Verachtung der Welt, und in ungestörter Ruhe, von ihrer zärtlichen Freundschaft umgeben, dem Ungewitter, welches boshafte Zungen erregen, mit aller Heiterkeit eines Menschen zusieht, um dessen Haus der Wind heult, und der Regen gießt, ohne ihn an seinem Heerd oder auf seinem Ruhebette zu treffen. Die Ve r s c h i e d e n h e i t d e r G e m ü t h sa rt ist eine andere sehr gewöhnliche Ursach von Unempfindlichkeit bey schmerzlichen Verhängnissen, aber auch sie bemerken wir grade indem sie sich wirksam bezeigt nicht immer, und stellen uns deswegen manches Uebel weit größer vor. Unglücksfälle von gleicher Art fallen nicht auf alle mit gleicher Schwere. Sie machen auf manche von denen, die wir ihretwegen bemitleiden, gar nicht den Eindruck, den sie auf uns machen würden. Manche Personen besitzen eine gewisse Philosophie des Temperaments, eine angeborne, nicht eben auf Grundsätzen beruhende Standhaftigkeit, die in starken Nerven und muntern Lebensgeistern 11 sich ihm] sich ihn 6–7 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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feel his soul shattered and shivered to pieces by so violent a fall. Your imagination paints him all bruised, and broken in spirit, unable to lift his head, or support the load of life: but his heart springs up again unhurt from the ground, and returns to its pursuits with an undaunted industry, and an undiminished ardour of enterprise. By some merciless creditor, one, who is not able to pay him a farthing, is thrown into prison, until he pay the uttermost. Many would enter it with the despondency that rejects all consolation: but he beholds the door of it shut upon him with little diminution of his vivacity. Valuable friends expire; beloved kindred close their eyes for ever; promising children are put into the grave: you would go to it in agonies; for many days, and many nights, tears would be your melancholy meat: but there are those, who, though kind relatives, and faithful | friends, deficient in none of the relative duties; yet, from that spring within them, which cannot lie long under the pressure of any thing, but elastically lifts itself up, and tosses the load away, will endure such losses as these, as well as all others, with little dejection.

This constitutional capacity of bearing themselves above the waves of misfortune, Nature has communicated to different men, in different degrees. Upon being plunged into that sea of trouble, into which when some are precipitated, they continue a considerable time under it, others emerge in a moment. One buoyant passion, however, which powerfully operates, to prevent the waters from overwhelming him, and the stream from going over his soul, belongs to every human creature. While s o m e , in the very moment of deprivation, are peculiarly susceptible of agreeable and consolatory impressions from p r e s e n t objects that still remain, a l l are able to find comfort in the prospect of f u t u r i t y. “Hope springs eternal in the human breast.” Man, when most bereaved by adversity, is seldom deprived of hope. Whatever possessions fly from his hand, whatever | friends desert his side, hope still stays behind; still sticks to his heart; his ever cleaving good; not to be divided from him but by the violence that splits his reason, and separates him from himself; his ever faithful friend, that

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ihren Grund hat, und sie geschickt macht Dinge, die Andere zur Verzweiflung bringen würden, fast ohne einen Seufzer zu ertragen. Durch eine unglückliche Wendung seiner Geschäfte kann der | Kaufmann, der sich ein Fürst zu seyn dünkte, in einem Augenblick von dem höchsten Gipfel des Glücks in den Abgrund der Dürftigkeit gestürzt werden. Mancher würde von einem so gewaltigen Fall sich bis in sein Innerstes erschüttert und zertrümmert fühlen, und so denkt sich ihn auch die Einbildungskraft ganz zerschlagen und gesunkenen Muths, unfähig sein Haupt zu erheben, und die Last des Lebens zu ertragen; aber im Gegentheil sein Herz richtet sich unbeschädigt wieder empor, und er kehrt mit unbezwungener Emsigkeit, und unverringertem Unternehmungsgeist zu seinen gewohnten Bestrebungen zurück. Wenn bewährte Freunde sterben, geliebte Angehörige die Augen schließen, hoffnungsvolle Kinder auf der Bahre liegen, so würden euch solche Ereignisse mit Todesqualen ängstigen, und manche Tage und Nächte würden euch unter wehmüthigen Thränen hingehen. Aber es giebt Personen, in denen eine Kraft zum Widerstehen ist, die unter keinem Druck erliegt, sondern sich immer wieder mit ihrer eigenthümlichen Stärke elastisch erhebt, und die Last von sich hinwegschnellt, und diese sind im Stande, – ob sie gleich auch zärtliche Verwandte und treue Freunde sind, und ihre geselligen Pflichten in keinem Stücke vernachläßigen, – einen solchen Verlust, wie jeden andern zu ertragen, ohne daß er sie sonderlich niederbeugt. Diese natürliche Fähigkeit sich immer über den Wellen des Unglücks empor zu halten, hat die Natur den Menschen in sehr verschiedenen Graden mit|getheilt. Einige arbeiten sich augenblicklich empor aus dem stürmischen Meer, in dessen Tiefen Andere eine lange Zeit versenkt bleiben. Aber eine erhebende Leidenschaft, welche mächtig verhindert, daß die Wellen nicht über uns zusammenschlagen, und der Strom die Seele nicht ergreife, ist jedem menschlichen Wesen eigen. Wenn nur Wenige fähig sind, sich in dem Augenblick einer schmerzlichen Beraubung durch den Gedanken an das Uebriggebliebene Gute, was sie jetzt noch besitzen, zu erheitern und aufzurichten, so sind Alle geneigt in der Aussicht auf die Z u k u n f t Trost zu finden. Die Quelle der Hoffnung versiegt nie in der Brust des Menschen. Selbst wenn das Unglück ihm am übelsten mitspielt, wird er der Hoffnung nur selten beraubt. Was für Güter ihm auch entfliehn, was für Freunde auch von seiner Seite gerissen werden, die Hoffnung folgt ihm doch noch, sie 28 bleiben] blieben 35 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Alexander Pope: An essay on man, in epistles to a friend. Epistle I, London 1733, Gesang 3, Zeile 19; die Erstausgabe erschien anonym.

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“never leaves him, nor forsakes him;” the brother of all his adversity; the star of all his nights; the cordial of all his sickness; the casket of all his poverty; the angel of his prison, before whose luminous form he feels in fancy his fetters falling off!—In vain adversity throws her weights upon the springy passion. They cannot oppress it for more than a moment; in a moment it is up again. In spite of protracted delay, in spite of repeated disappointment, it continues to smile; it promises on; and persists to paint futurity fair. He whose days have long been dark, looks forward still to brighter. The prisoner who has numbered many days, and many nights, of captivity, sometimes suspends his sighing, and says to himself, “I may one day yet be free.” The sick man, who for many a year has sought for health in vain, sets out for some new spring, at which as yet he has not drunk; or some new air, the healing breath of which he has not yet inhaled; in the fond hope, | that there the fugitive may at length be found.

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To these causes, which lessen the pressure of adversity upon the heart of man, may be added eminently v irt uous cha ra ct er, accompanied with c o n f i r m e d f ai t h in the wisdom which governs the world. The afflictions which befall the amiable and excellent, are the seeming stains upon the conduct of providence, which appear the darkest to our eyes, prior to our examination into the good ends that may be answered by them. Before, however, we enter upon that inquiry, it will be our wisdom to stop one moment to reflect, that those, who least deserve to suffer, do actually suffer less than others, from the same arrows of adversity, upon a supposition of the same natural sensibility in the point at which their aim is taken. He who believes all that the Gospel declares, and who feels all that it inspires; who, in every incident that occurs, beholds a step in the harmonious and majestic march of all things to the greatest possible good; and who possesses the public spirit which can greatly console itself, under private sufferings, by the contemplation of general welfare; is not to be overcome by the stroke | of calamity, like one who is a stranger to this

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hängt immer noch an seinem Herzen, so fest, daß sie nur durch eine Gewalt losgerissen werden könnte, die seine Vernunft mit zertrümmern, und ihn von sich selbst trennen müßte; sie ist die treueste Freundin, die ihn nie versäumt noch verläßt, seine Begleiterin in allem Unglück, sein Gestirn in der schwärzesten Nacht, sein Engel im Gefängnis, bey dessen blendender Erscheinung die Phantasie sogleich aufhört ihre Fesseln zu fühlen. – Vergebens wälzt das Unglück alle seine Lasten auf diese mächtige Empfindung; für einen Augenblick kann sie höchstens unterdrückt werden, im nächsten erhebt sie sich schon wieder. Wie lange | auch die Hülfe verzieht, wie oft auch die Täuschungen wiederholt werden, sie lächelt immer noch, verspricht immer noch, malt immer noch fort an ihrem schönen Bilde der Zukunft. Der dessen Tage schon lange dunkel waren, glaubt immer noch bessere Zeiten vor sich zu sehn. Der Gefangene, der schon viele, viele Tage und Nächte in seinem Kerker gezählt hat, thut doch noch bisweilen seinen Seufzern Einhalt, und sagt zu sich selbst: ich werde einst wieder frey seyn. Der Kranke, der schon manches Jahr vergeblich seine Gesundheit gesucht hat, versucht es noch einmal bey einer Quelle, aus welcher er noch nicht getrunken, unter einem Himmelsstrich, dessen heilsame Luft er noch nicht eingeschlürft hat, und nährt immer wieder die süße Hoffnung, dort endlich seinen Flüchtling zu finden. Zu diesen Ursachen, welche die Wirkung des Unglücks auf das menschliche Herz verringern, gehört auch noch vorzüglich eine tug e n d h a f t e G e s i n n u n g, und ein f e s t e r G la ube an die Weisheit, welche die Welt regiert. Die Trübsale, welche vortreflichen und liebenswürdigen Menschen aufgelegt werden, sind unter allen scheinbaren Flecken in dem Betragen der Vorsehung für uns grade die dunkelsten, so lange wir über die guten Absichten noch nicht nachgedacht haben, welche dadurch erreicht werden können. Aber auch ehe wir uns in diese Untersuchung vertiefen, wird es weise gethan seyn, einen Augenblick still zu halten, um der Ueberlegung Raum zu geben, daß diejenigen, die am wenigsten verdie|nen zu leiden, in der That auch weniger leiden, als Andere, wenn wir gleich bey ihnen dieselben Schläge des Schicksals, und dieselbe Empfindlichkeit für diese Art des Unglücks voraussetzen. Wer alles glaubt, was das Evangelium uns offenbart, und von allen Gesinnungen durchdrungen ist, die es uns einflößt; wer jede Begebenheit, die sich ereignet, als einen Theil der übereinstimmenden und erhabenen Fortschritte des Ganzen zur höchsten Vollkommenheit ansieht; wer Wohlwollen genug besitzt, um sich über 4 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Dtn 31,6 markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

16–17 Das von Fawcett

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expectation, and to this spirit. He that is most disposed to “rejoice with them that do rejoice,” and “to weep with them that weep,” is best able to say, with honest generosity, to the mourners of his own misfortunes, what he that wept over Jerusalem addressed to her daughters, as they wept over him,—“weep not for me.”

It is time I had done. I have been longer than I intended; but I shall not think I have lost my time, if, by these considerations, I shall have brightened a little the appearance of human life to your eye; and thinned, in any degree, that cloud of human miseries, which is apt to look thicker than it is, and which is apt to obscure and overcast our view of the divine benevolence. Let us carry these considerations in our minds. While we explore with reverence the ends of providence in the afflictions of men, let us, as much as possible, facilitate the task, and lessen the effort, of faith in its infinite goodness, by habitually reflecting, that the sum of their affliction is less than at first sight it seems, and that it is less than the sum of their happiness. Amen.|

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die Leiden, die ihn selbst treffen, durch den Anblick des allgemeinen Wohlergehns reichlich zu trösten, der wird gewiß vom Unglück nicht darnieder geworfen werden gleich dem, welchem diese Erwartungen und diese Gesinnungen fremde sind. Wer am meisten aufgelegt ist, „sich mit den Fröhlichen zu freuen, und mit den Weinenden zu weinen,“3 der wird mit edler Heiterkeit denen, die über sein eignes Unglück trauern, antworten können, was Christus als er über Jerusalem weinte, den Töchtern dieser Stadt zurief, welche über ihn Thränen vergossen – „weinet nicht über mich!“4 Es ist Zeit meinen Vortrag zu endigen. Er hat länger gewährt, als ich wollte; aber doch hoffe ich, diese Zeit soll nicht verloren seyn, wenn es mir durch diese Betrachtungen gelungen ist, unsere Ansicht des menschlichen Lebens nur etwas über das gewöhnliche zu erheitern, und nur einigermaßen die Wolke des Elends zu zerstreuen, die uns so gern | schwärzer erscheint, als sie ist, und uns den Anblick der göttlichen Güte verdunkelt oder ganz entzieht. Laßt uns diese Betrachtungen unserm Gemüth einprägen. Laßt uns bey der ehrfurchtsvollen Untersuchung der Absichten, warum die Vorsehung Menschen betrübt, unserm Glauben an ihre unendliche Güte sein Geschäft und seine Anstrengung dadurch so viel möglich erleichtern, daß wir oft zu der Betrachtung zurückkehren, wie doch die Summe des menschlichen Elendes weit geringer ist, als wir Anfangs meinten, und gewiß auch weit geringer als die Summe der menschlichen Glückseligkeit. Amen. 3

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Röm. 12, 15. Luc. 23, 28.

25 23, 28.] 20, 28.

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The Consolations attendant on the Conclusion of a virtuous Life.

SERMON

IV.

M a r k t h e p e r f e c t m an , an d b e h o ld the uprig ht : f or the end o f t h a t m an i s p e ac e . Psalm xxxvii. 37. Peace, oh Virtue! “peace is all thine own”—So sings one of your poets, whose boast it is, that his pen was not long without a serious object, but was soon directed to moral truth; so say the philosophers of all nations, and ages; so says the book of God; and so his servants, in all situations, have found it.

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Wicked men are not without their pleasures. The worst of men are not without their transports. But that still, and steady enjoyment, to which we give the name of | peace; that pleasure which is a stranger to tumult and to interruption; which is varied only by placid raptures, and by gentle sorrows; that reign of joy, that establishment of bliss, that rest and repose of it in the bosom, which nothing disturbs; that uniform flow of cheerfulness and satisfaction, which the author of the proverbs calls “a perpetual feast;” in a word, that never stopping stream of calm and quiet joys, which consists of a smooth succession of sweet reflections to sweet sensations, and soothing prospects to soothing recollections, “Which runs, and as it runs, for ever shall run on,” is the portion only of minds, whose passions are well governed, whose powers are usefully employed, and whose trust in infinite wisdom and goodness is steadfastly fixed. The season of sensuality, the moment of triumph, the mood of mirth, return to the slave of sense, and to the votary of the world: they that drink at other springs than those from which uprightness draws felicity, receive from them shoots and sallies of supply: but piety and virtue are the only fountain that sends forth incessant waters; the only well which is per|petually

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M e r k e a u f d e n f r o m m e n M an n , u n d betra cht e den Rechts c h a f n e n , d e n n d as E n d e e i n e s s o lchen ist F riede. 1 Bey dir, o Tugend, nur bey dir ist Friede. – So singt einer von euren Dichtern, der seinen Ruhm darin setzt, daß seine Feder nicht lange ohne einen ernsten Gegenstand herumschweifte, sondern sich bald der sittlichen Wahrheit widmete; so sagen die Weisen aller Völker und Zeitalter; so sagen die Offenbarungen Gottes, und so haben es seine Diener unter allen Umständen immer gefunden. Die Ruchlosen haben auch ihre Vergnügungen, und selbst den verworfensten Menschen fehlt es nicht an Augenblicken, wo sie sich innig glücklich fühlen; aber dieser stille, immerwährende Genuß, den wir den innern Frieden nennen, dieses Vergnügen, dem heftige Bewegungen und lange Unterbrechungen gleich | fremd sind, und das nur mit sanften Entzückungen und edlen Sorgen wechselt, diese Herrschaft der Freude, diese einwohnende Glückseligkeit, die ungestört ihren Sitz in unserm Herzen behauptet, diese gleichförmige Heiterkeit und Zufriedenheit, welche der Verfasser der Sprichwörter ein „tägliches Wohlleben“2 nennt; kurz dieser nie versiegende Strom stiller und ruhiger Freuden, der in einer süßen Abwechselung angenehmer Gedanken und angenehmer Empfindungen, lieblicher Aussichten und lieblicher Erinnerungen fortgeht, – dieser ist nur das Antheil solcher 1 2

Nach der englischen Uebersetzung. Spr. Sal. 15, 15.

7 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Alexander Pope: An essay on man, in epistles to a friend. Epistle IV, London 1734, Zeile 82. Die Erstausgabe erschien anonym. 25 Schleiermacher lässt hinter „fortgeht,“ die von Fawcett als Zitat markierte Textstelle aus den Briefen des Horaz aus, die das sprichwörtliche „Sapere aude, incipe“ erläutert (vgl. Quintus Horatius Flaccus: Epistulae, liber I,2, Zeile 40–43) und die

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springing up; and which he that carries within him can never thirst. The intrusions of care, the insurrections of passion, the reproaches of conscience, the fears of futurity, the deprivation of objects and absence of occasions, interrupt the current of all enjoyment but that which flows from this source.

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“Mark the perfect man, and behold the upright.” Behold him in each situation that deprives others of all the happiness they have, and take notice of his peace. Enter his door in the day of his adversity; in the day of his deep affliction; when the hand of God has been put forth, and touched him in the part, where he least could endure to be wounded. You expected to hear the groan of despair: you came prepared with arguments to combat a grief, that should wildly laugh at your consolation: you came to watch over a desperation dangerous to his reason, and to prevent him from putting a violent termination to his days. With such expectations you enter his house; but, before you leave it, your pity changes to respect, and admiration. You behold a weeping, but you see a patient and placid figure, silently looking up to heaven, | and smiling through the tears of nature, upon the hand which, he believes, will one day wipe them for ever away from the face of innocence and virtue. “Unto the upright there ariseth light in the darkness;” while the wicked, when their light is put out, are left in total shade. A night, in which the moon is overcast, differs not more from a lowering day, than the adversity of a vitious, from that of a virtuous man. Black, and dismal are the intervals, in which the

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Gemüther, deren Leidenschaften gehörig beherrscht, deren Kräfte nützlich angewendet werden, und deren Vertrauen auf die unendliche Güte und Weisheit unerschütterlich fest steht. Dem Sklaven der Sinnlichkeit, dem Anhänger der Welt kehrt auch seine glückliche Stunde, sein lautes Frohlocken, sein lustiges Getümmel öfters wieder; die Quellen, welche von denen besucht werden, die nicht an demselben Ort mit den Rechtschaffenen ihr Glück schöpfen, strömen ihr Wasser von Zeit zu Zeit reichlich aus; aber Frömmigkeit und Tugend sind doch die einzigen und nie versiegenden Quellen, deren Wasser ununterbrochen emporsteigt, und dem, der den Zugang dazu kennt, jederzeit seinen Durst löscht. Die Zudringlichkeiten der Sorgen, die Empörungen der Leidenschaften, die Vorwürfe des Gewissens, die Entfernung der Gegenstände, der Mangel an Gelegenheit unterbrechen und verkürzen jeden Ge|nuß, nur den nicht, der aus dieser Quelle fließt. „Merket auf den Frommen und betrachtet den Rechtschaffenen.“ Betrachtet ihn in jedem Zustande, der Andere aller Glückseligkeit, welche sie besaßen, berauben würde, und bemerket, wie ruhig er ist. Gehet ein zu seiner Thür am Tage des Unglücks, am Tage der tiefsten Bekümmerniß, wenn die Hand Gottes sich gegen ihn ausgestreckt, und ihn da getroffen hat, wo die geringste Verletzung ihm am schmerzhaftesten ist. Ihr erwartet das Winseln der Verzweiflung zu hören, und kommt mit mancherley Vorstellungen ausgerüstet, um einen Gram zu bestreiten, der euren Tröstungen doch nur wild entgegen gelacht haben würde; ihr kommt um eine Hoffnungslosigkeit zu bewachen, die der Vernunft gefährlich ist, um zu verhindern, daß er nicht gewaltsam seinen Tagen ein Ende mache. Mit solchen Erwartungen betretet ihr sein Haus, aber ehe ihr es verlaßt, hat sich euer Mitleid in Ehrfurcht und Bewunderung verwandelt. Ihr seht eine weinende, aber eine geduldige, ruhige Gestalt, die schweigend zum Himmel hinaufsieht, und unter den Thränen, welche die Natur fodert, heiter hervorlächelnd, der Hand wartet, welche diese Thränen hinwegwischen wird aus dem Angesicht der Unschuld und Tugend. „Dem Frommen geht ein Licht auf in der Finsterniß;“3 wenn dagegen der Gottlose, dessen Licht einmal erlöscht ist, im dunkelsten Schatten 3

Ps. 112, 4.

18 besaßen,] besaßen in englischer Übersetzung erstmalig bei Abraham Cowley (1618–1667) in dessen posthumer einbändiger Werkausgabe begegnet: The works of Abraham Cowley, London 1668, Several discourses by way of essays in verse and prose, Essay X. The danger of procrastination. A letter to Mr. S. L., Seite 141.

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beam of prosperity is intercepted from them, who are strangers “to the sunshine of the breast;” while the clouds that gather in their sky, upon whom the light of religion and virtue has arisen, though they may dull the day, yet cannot make it night.

“Mark the perfect man, and behold the upright: for the end of that man is peace.” Let us, first, contemplate his peace, under the weight of those years which bend the inclinations of man, along with his body, towards his grave: and next, in the hour of death, rendered repulsive to nature, by its arrival before life has lost any of its charms.

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Behold him, first, when the days are come, in which nature has no pleasure. At this | comfortless season, when the freezing blood almost forgets to flow, and the frigid fancy has no more colours left, to lay on surrounding things; when all the glow and spirit of existence is gone; when the summer is ended; when the sun shines faintly upon the scene; when the leaves fall off from the bowers of delight, and all the bloom and splendour of human life are for ever over: in this cold and naked winter of his days, the upright man is warmed by genial thoughts, that repel the damps, that cheer and cherish his heart, and supply the absence of animal ardour. Though dead to the pleasures of sense, unable to “taste any more what he eats, or what he drinks,” or to “hear any more the voice of singing men, or singing women;” the remembrance of a life devoted to duty is “meat to eat,” with which he may yet regale himself: the voice of an approving conscience is music, to which man may listen with delight, at his latest hour. Though his understanding is too feeble for investigation or invention, it is vigorous enough to convince him of the rectitude and excellence of that virtue which he has practised. Impaired as his memory is, he is able to recollect, with sufficient clearness, | that his conduct has been ordered aright. It may have lost much of its retentive power, it may drop the names of persons and things, it may suffer recent circumstances to slip from it; but it lets not go the good actions, which have given the leading colours to his life; these cannot escape it; it holds them fast; and his mind hangs over the hoard with more than a miser’s joy.

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bleiben | muß. Eine Nacht, in welcher der Mond tief verhüllt ist, ist von einem trüben Tage kaum so sehr unterschieden, als das Unglück des Lasterhaften von dem des Tugendhaften. Schwarz und öde sind dem, welchem keine Sonne in seiner eignen Brust scheint, die Zeiten, wo der Strahl des Glückes nicht zu ihm hindurch dringt; wem aber das Licht der Religion und der Tugend aufgegangen ist, dem können die Wolken, die an seinem Himmel heraufziehn, den Tag zwar verdunkeln, aber ihn niemals in Nacht verwandeln. „Merket auf den Frommen, und betrachtet den Gerechten, denn das Ende eines solchen ist Friede.“ Laßt uns zuerst seinen Frieden betrachten unter der Last jener Jahre, welche die Gemüthskräfte des Menschen gleich seinem Körper herunter beugen zum Grabe; und dann seinen Frieden in der Stunde des Todes, so wie sie der Natur am meisten zuwider seyn muß, wenn sie nemlich herankommt, ehe noch das Leben einige von seinen Reizen verloren hat. E r s t e n s . Betrachtet ihn zuerst, wenn die Tage kommen, welche uns nicht gefallen wollen. In dieser freudeleeren Zeit, wenn das gerinnende Blut seinen Lauf fast vergißt, und die kalte Phantasie keine Farben mehr übrig hat um das, was sie umgiebt, zu verschönern, wenn alles Feuer und alle Lust des Daseyns vergangen, wenn der Sommer vorüber ist, und die Sonne nur noch kraftlos den Schauplatz beleuchtet, wenn alle Lauben des Vergnügens entblättert sind, und jede Blüthe, jeder Glanz des mensch|lichen Lebens auf immer verschwunden; in diesem kalten unbedeckten Winter seiner Tage wird der rechtschaffene Mann durch heitere Vorstellungen erwärmt, welche die Nebel vertreiben, seinem Herzen neuen Reiz und neues Leben mittheilen, und ersetzen was die Maschine an Feuer und Thätigkeit verloren hat. Ist er gleich den Vergnügungen der Sinne abgestorben, und schmeckt nicht mehr, was er ißt und trinkt, und hört nicht mehr auf die Stimme des Gesanges von Männern und Frauen; so ist doch die Erinnerung an ein der Pflicht gewidmetes Leben ein „bereitetes Mahl,“ an welchem er auch noch dann sich ergötzen kann, so ist doch die Stimme eines beruhigten Gewissens ein Ton, welchem der Mensch noch in der letzten Stunde mit Entzücken sein Ohr leiht. Obgleich sein Verstand zu tiefen Untersuchungen und neuen Entdeckungen zu schwach ist, so ist er doch noch stark genug, ihn von dem Werth und der Reinigkeit der Tugend, die er geübt hat, zu überzeugen. So schwach sein Gedächtniß auch ist, so erinnert es ihn doch daran lebhaft genug, daß sein Wandel rechtschaffen gewesen ist. Es kann viel von seiner Stärke 4 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Thomas Gray: Ode on a distant prospect of Eton College, Zeile 44 28–30 Zu den beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. 2Sam 19,36 (KJB 2Sam 19,35) 31 Vgl. Num 11,4

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The old, we observe, are ever narrative. Their discourse is continually recurring to persons and to things, to pursuits and pleasures, that composed their earlier history. To long accounts of departed days, their companions must lend a patient ear. The imagination, having nothing more to do with the future, goes back into life, and fondly dwells upon the past. The young can cheer themselves, in circumstances of sorrow, or of pain, by looking forward to fairer days; but all the comfort of the aged, so far as sublunary scenes are to supply it, must be derived from the recollection of those that are gone by. It is their sole consolation, in solitude, to ruminate, and in society, to relate, what they saw, and what they felt, and what they acted, in former days. Thus, by the help of memory, | they endeavour to rekindle fires that have long gone out; to recall pleasures that have long been flown; and to live life over again. But, in the picture of the past, which the mind of man thus delights to place before it, in that moving scene, with which it is in the power of his memory to animate the still moments of inactive age, what object can entertain his eye so well, as a regular career of active, and generous virtue? Will he not look back with a livelier delight, in those days of review, upon duties done, upon just and generous offices discharged, upon weeping faces wiped, and broken hearts bound up, and human happiness increased by his contributions to it, than upon private pleasures however sprightly, adventures however romantic, enterprises however sparkling, successes however brilliant, or friends and companions however captivating and however dear?

Unsupported by the remembrance of some sort of excellence or other, nature, one would suppose, must sink, at this season, under the mortifying sense of that reduction of human dignity, that falling off of all the honours of humanity from her, that attenuation both of intellectual and corporeal being, that gradual | melting away of body and mind, which old age exhibits. Weak and impotent; unable to do

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verloren haben, die bekanntesten Namen vergessen, sich die neuesten Begebenheiten entschlüpfen lassen, aber die guten Handlungen, welche seinem Leben die hervorstechende Farbe gaben, diese läßt es nicht fahren, die können ihm nicht entgehn, es hält sie fest, und das Gemüth hängt über diesem Schatz mit mehr als der Freude eines Geizigen.| Alte Leute, das wissen wir alle, mögen gern erzählen. Ihr Gespräch lenkt sich immer auf Personen und Begebenheiten, auf Unternehmungen und angenehme Auftritte aus ihrem frühern Leben; und ihre Gesellschafter müssen langen Geschichten von vergangenen Tagen ein geduldiges Ohr leihen. Die Einbildungskraft, die mit der Zukunft nichts mehr zu thun hat, kehrt um und hängt sich zärtlich an die Vergangenheit. Die jüngere Welt kann sich bey schmerzlichen und kummervollen Umständen aufheitern durch einen Blick auf die besseren Tage, die noch bevorstehn; wenn aber den Bejahrten diese Welt mit ihren mancherley Auftritten noch einigen Trost geben soll, so muß er nur von denen hergenommen werden, die schon vorüber sind. Das ist ihre einzige Freude, daß sie in der Einsamkeit überdenken, was sie in früheren Tagen gesehn, gefühlt und gethan haben, und daß sie in der Gesellschaft davon erzählen. So bemühen sie sich mit Hülfe ihres Gedächtnisses ein Feuer wieder anzufachen, das längst erloschen ist, Vergnügungen zurückzurufen, die lange entflohen sind, und das ganze Leben noch einmal zu wiederholen. Aber was kann wohl auf diesem Gemälde des Vergangenen, welches das Gemüth sich so gern gegenüber stellt, was kann wohl auf dieser lebhaften Schaubühne, vor welcher das Gedächtniß noch die stillen Augenblicke des unthätigen Alters zu erfreuen weiß, das Auge so angenehm unterhalten, als wenn sie uns einen regelmäßigen Wandel in ächter und thätiger Tugend darstellt? Wird | nicht in diesen Tagen der prüfenden Erinnerung ein Greis auf gesetzmäßige Handlungen, auf genau und standhaft erfüllte Pflichten, auf weinende Angesichter, die er getrocknet, auf brechende Herzen, die er unterstützt, auf jeden Beytrag, den er zur Vermehrung menschlicher Glückseligkeit geleistet hat, mit einem weit lebhafteren Vergnügen zurücksehn können, als auf die glänzendsten Ergötzlichkeiten, auf die überraschendsten Begebenheiten, auf die verwickeltsten Unternehmungen, und die glücklichste Ausführung derselben, ja sogar lieber, als auf seine Verbindung mit den theuersten Freunden, und den unterhaltendsten Gesellschaftern. Wird die Natur nicht unterstützt durch die Erinnerung an irgend eine Art von Vortreflichkeit, so sollte man denken, sie müßte zu dieser Zeit erliegen unter allen den kränkenden Wahrnehmungen, welche das hohe Alter begleiten: wie immer mehr die menschliche Würde verdunkelt wird, wie alle Ehrenzeichen der Menschheit nach und nach abfallen, wie das geistige und sinnliche Leben immer armseliger wird, und

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either good or harm; neither useful to his friends, nor formidable to his enemies; a dependent upon them, of whom he was once the protector; the survivor of all his vigour; the shade of what he was; the relic of himself, and the ruin of a man; what a nothing is he, who, in his old age, is no more than this! who, in this state of partial annihilation, is unennobled by his former self. Such a one must surely feel his utter insignificance, his shadowyness and nullity, to an infinitely painful degree. Filial offices may support his infirmity; his bending body may find a staff; but what shall prop the dejected pride of man, bowed down by the sense of his decaying capacities, but the power of finding some form or other of past merit, upon that tablet of memory, where the colours of former excellence, whatever it was, continue to stand; where the bloom of departed endowments, whatever they were, refuses to fade.

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In whatever way any one has been able to signalize himself, the remembrance of the excellence to which he attained, continues to sustain his sense of honour, when his infirmi|ties forbid him any longer to excel. The drooping pride of declining nature is continually returning to past superiority for support, when it can find no more stay in present eminence. The aged rustic, when the annual sports of his village come round, is contented to be but a spectator of those feats of strength, or sleights of art, for which, he has to recollect, that he was once renowned, though he is now disabled; and in which he can recount, though he can no more renew, his triumphs. The hoary soldier, when no longer able to go out to battle, fights on by his fire side; and, as long as any one will listen to him, repeats his exploits, and “slays the slain,” and wins over again the victories which he and his comrades have won. The decayed artist consoles himself, under the idea that his hand has forgotten its cunning, when he remembers the monuments of it which he has produced. The retiring statesman illumines the shades of privacy, and the glooms of age, with the recollected beams of his past political glory. And the writer, when able to instruct, or entertain the public no more, soothes the sense of his incapacity, by throwing back his | thought upon the pages, for which the literary world is indebted to his pen.

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Geist und Körper selbst allmählig verfliegen. Wer nichts besseres ist in seinem hohen Alter, als schwach und ohnmächtig, unfähig Gutes und Böses zu thun, den Freunden nicht mehr nützlich, den Feinden nicht mehr furchtbar, abhängig von denen, die er ehemals beschützte, verlassen von seinen Kräften, der Schatten seines vorigen Wesens, der traurige Ueberrest von sich selbst, die zerfallenen Trümmer eines Menschen, wer nichts mehr ist in seinem | Alter als dies, wer sich nicht veredelt fühlt in diesem Zustand allmähliger Vernichtung, durch das, was er ehedem war, welch ein nichtiges Wesen muß der seyn! Ein solcher muß auf die schmerzhafteste Weise empfinden, wie unbedeutend sein Daseyn ist, und wie er vergeht als ein Schatten. Kindliche Liebe unterstützt vielleicht seine Schwachheit, sein gebeugter Körper findet vielleicht einen Stab, aber wie kann das gesunkene Selbstgefühl des Menschen, welcher durch das Gefühl seiner schwindenden Kräfte niedergebeugt wird, wie kann das aufgerichtet werden, wenn er nicht auf der Tafel seines Gedächtnisses irgend ein Bild seiner erworbenen Verdienste auffindet, an welchem die Farben seiner ehemaligen Vortreflichkeit, von welcher Art sie auch war, noch kenntlich sind, und die Blüthen seiner verschwundenen Talente noch nicht verwelken wollen? Auf welche Weise sich auch Jemand ausgezeichnet habe, die Erinnerung an die Vortreflichkeit, die er ehedem erreicht hat, wird auch dann noch seinem Ehrgefühl Nahrung geben, wenn seine Schwachheit ihm nicht mehr gestattet diese Vorzüge zu zeigen. Das Selbstgefühl, welches verschmachten müßte, wenn die Kräfte der Natur hinsinken, sucht sich immer noch an den ehemaligen Vorzügen fest zu halten, wenn es an dem Bewußtseyn der übriggebliebenen keine Stütze mehr findet. Der bejahrte Landmann begnügt sich gern, wenn die jährlichen Spiele seines Dorfes wiederkehren, nur ein ruhiger Zuschauer zu seyn bey diesen Heldenthaten der Stärke, | bey diesen Kunstgriffen der Geschicklichkeit; denn wenn er auch jetzt nicht mehr tüchtig dazu ist, so erinnert er sich doch ehedem berühmt darin gewesen zu seyn; er hat doch Triumphe zu zählen, wenn er sie auch nicht mehr erneuern kann. Der graue Krieger, der nicht mehr zur Schlacht ziehen kann, ficht noch an seinem Kamin; so lange ihm noch Jemand zuhören will, wiederholt er seine Thaten, schlägt die Geschlagenen aufs neue, und erringt noch einmal die Siege, die er mit seinen Kameraden erfochten hat. Der verblühte Künstler tröstet sich darüber, daß auch seine Hand ihre Geschicklichkeit verlernen mußte, wenn er sich erinnert, wie viel 6 zerfallenen] zerfallene

22 dann] denn

11 Vgl. Ps 102,12; 109,23; 144,4 risch-fiktiv.

35 Das von Fawcett markierte Zitat ist rheto-

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At this season of human life, when the memory of former honour is the food, upon which human sensibility to it is reduced to subsist, poor is the sustenance which he is able to procure for it, who has merely to remember, that he was eloquent in the senate, or valiant in the field; that he has written what all have read with rapture, or painted what every eye has praised; compared with the richer food, which it is in his power to bring it, who can say, upon sitting down after the action of life, “I delivered the poor that cried, and the fatherless, and him that had none to help him. The blessing of him that was ready to perish came upon me, and I caused the widow’s heart to sing for joy:” or who, if his situation in the world have not permitted him to raise such monuments of his virtue, is capable of saying to himself, under the humiliating consciousness of decay, “I have fought a good fight;” I have resisted temptation, and triumphed over it; I have communicated to my fellow-creatures all the benefit I have been impowered to impart; I have | given to misery all I had to give it; and my conscience testifies, that “in simplicity and godly sincerity I have had my conversation in the world.” None of the narratives of veteran Valour, or of hoary Experience, or of travelled Observation, can furnish such pleasing occupation to the tongue of Memory, or such entertainment to the ear of Curiosity, as this silent relation of Conscience affords to the secret soul of aged Goodness! He whose excellence is confined to the energies of genius, when those energies are no more, is nothing; but he that shines with a moral splendour, retains that splendour to the last. His exertion in the cause of society may be past, but the principle that prompted it is present with him still. He is not the active man he has been, but he remains the worthy man which he was. The scholar’s head may lose its clearness, and the artist’s hand its skill; but the good man’s heart retains its integrity for ever. Time has no tooth that can penetrate into Virtue.

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Denkmäler er seinem Talent errichtet hat. Der Staatsmann, der den Schauplatz verlassen hat, erleuchtet die Schatten seines eingezogenen Lebens und die Dunkelheit des Alters durch die Strahlen, welche sein ehemaliger politischer Ruhm noch zurückwirft, und der Schriftsteller, der die Welt nicht mehr unterrichten oder unterhalten kann, versüßt sich das Gefühl seiner Unfähigkeit, indem er seine Gedanken auf die Blätter zurückweiset, welche die Liebhaber der Wissenschaften seiner Feder verdanken. Aber in diesem Zeitpunkt, wo dem Ehrgefühl des Menschen keine andere Nahrung übrig bleibt, als das Andenken an das, was ihm ehedem Ehre gebracht hat, ist dennoch derjenige, der keine andere Erinnerung aufzuweisen hat, als daß er beredt im Senat, oder tapfer im Felde gewesen, daß seine Schriften jeder mit Entzücken gelesen, und seine | Kunstwerke jedes Auge bewundert hat, nur übel daran in Vergleichung mit dem weit reicheren Genuß desjenigen, der, wenn er sich vom thätigen Leben zur Ruhe begiebt, sagen kann: „Ich habe den Armen errettet, welcher schrie, und den Waisen, und den der keine Hülfe hatte; der Segen dessen, der verderben wollte, ist über mich gekommen, und ich erfreuete das Herz der Wittwen“4; oder der wenigstens, wenn seine äußere Lage ihm nicht verstattete seiner Tugend solche Denkmäler zu setzen, zu sich sagen kann: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe der Versuchung widerstanden und über sie gesiegt, ich habe meinen Nebenmenschen alle Wohlthaten erwiesen, die ich nur Macht hatte, über sie zu verbreiten; ich habe der Dürftigkeit alles gegeben, was ich zu geben hatte, und mein Gewissen bezeugt mir, daß ich in der Welt gewandelt bin einfältig und aufrichtig vor Gott.“ Was auch die ehrwürdige Tapferkeit, die geprüfte Erfahrung, die weltkundige Klugheit erzählen kann, und wie angenehm dies das redselige Gedächtniß beschäftigen, und das neugierige Ohr unterhalten mag, es gleicht doch nicht dem stillen Genuß, welchen dies leise Gespräch des Gewissens dem in sich gekehrten Gemüth des bejahrten Rechtschaffenen gewährt. Derjenige, dessen Vortreflichkeit sich nur in Werken des Genies zeigte, ist nichts, wenn dieses Genie nicht mehr wirksam ist; aber der, dessen Glanz in sittlicher Größe besteht, behält ihn bis zur letzten | Stunde. Seine Thätigkeit in den Angelegenheiten der Gesellschaft kann 4

Hiob 29, 12. 13.

18 wollte,] wollte 28 weltkundige] so DV; OD: weltkündige welchem 37 29, 12. 13.] 29. 12, 13.

30 welchen]

21–22 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus 2Tim 4,7. 27 Zu dem von Fawcett separat markierten Zitat vgl. 2Kor 1,12

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But, uprightness not only presents to declining man a pleasing past, it opens also upon him an animating future. While Memory collects the laurels, which his honourable la|bours have won, and with them embellishes the repose and imbecility of his age; Hope renews his youth, by telling him he is but in the infancy of his being. This, this is the best prop of bending age; the cordial that causes its cold bosom again to glow, and bids, it bound again. Without the prospect of a happiness beyond the bounds of this world, how cheerless must be the heart of him, whose terrestrial hopes have reached their wall, and closed their wing for ever! The pleasures of the present state are almost over; the few that remain to him are embittered by weaknesses and pains; his former associates and friends have forsaken him and fled to their graves; the eyes, that once bent upon him the beams of affection, are for ever closed; of the faces that used to meet him with a smile, he can only trace the features, as he sees them forming in the faces of their children; he is left a solitary in the midst of society; another race rises up to explode his opinions, to deride his maxims, and ridicule his manners; his society is shunned by the sprightly and gay; his presence is considered as a damp upon juvenile conviviality; and upstart, saucy youth is ready to hoot him off the | stage. In this situation—just ready to receive the dismission of Nature from the present world, and almost pushed out of it by its insolent and impatient inhabitants, what a wretch is he, who has no other ground, on which his hope can set its foot! who knows of no other beings that will bid him welcome to their sphere; of no other society, whose smiling forms, he can figure to himself, beckoning him with benevolent invitation to their abodes; who, he can imagine, kindly call him to them; and whose soothing whispers say in his fancy’s ear,

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vielleicht aufgehört haben; aber die Quelle von der sie getrieben wurde, ist noch immer in ihm vorhanden. Er ist nicht mehr der geschäftige, aber noch immer der würdige Mann, der er gewesen ist. Der Gelehrte kann die Klarheit seiner Vorstellungen, der Künstler die Geschicklichkeit seiner Hand verlieren, aber der rechtschaffene Mann verliert nie die Redlichkeit seines Herzens; die Zeit hat keinen Zahn, womit sie die Tugend angreifen könnte. Die Rechtschaffenheit gewährt aber demjenigen, der von der Höhe des Lebens hinunter gestiegen ist, nicht nur einen angenehmen Rückblick auf das Vergangene, sondern sie öffnet ihm auch die Aussicht auf eine angenehme Zukunft. Unterdessen das Gedächtniß die Lorbeern, die er durch seine ehrenvollen Bemühungen errungen hat, einsammelt, und die Ruhe und die Schwachheit des Alters damit verschönert, so erneuert die Hoffnung seine Jugend, indem sie ihm erzählt, daß er sich erst in der Kindheit seines Daseyns befindet. Dies, dies ist die beste Stütze des gebeugten Alters; dies ist die Stärkung, die den erkalteten Busen wieder erglühen macht, und ihm wieder zu schlagen gebietet. Wie freudenlos müßte ohne die Aussicht auf eine Glückseligkeit jenseits der Grenzen dieser Welt, das Herz desjenigen seyn, dessen irdische Hoffnungen am Ziel sind, und ihre Flügel auf immer gefaltet haben. Die Freuden des gegenwärtigen Zustandes sind größtentheils | dahin, und die wenigen, die noch übrig sind, werden durch Schmerz und Schwächlichkeit verbittert; seine Freunde und Lebensgenossen haben ihn verlassen, und sind in ihre Gruft gestiegen; die Augen, die alles Feuer der Freundschaft auf ihn hinstrahlten, sind auf immer geschlossen, und die Züge derer, deren Blicke ihm immer mit Lächeln begegneten, kann er sich nur noch zurückrufen, wenn er sie in der Bildung ihrer Kinder wieder aufleben sieht. Er ist einsam mitten in der Gesellschaft; ein anderes Geschlecht ist aufgestanden, welches seine Meinungen verschreit, seine Grundsätze verspottet, seine Sitten lächerlich macht. Seine Gesellschaft wird vermieden von den Fröhlichen und Lustigen, seine Gegenwart erdrückt wie ein schwerer Nebel die jugendliche Munterkeit, und eine trotzige übermüthige Jugend ist bereit ihn von der Bühne hinunter zu spotten. Wer so jeden Augenblick gewärtig seyn muß, daß die Natur ihn aus dieser Welt entlassen werde, und fast schon hinausgeworfen wird von ihren zudringlichen ungeduldigen Bewohnern, wie unglücklich muß der nicht seyn, wenn er keinen andern Grund hat, auf welchem seine Hoffnung festen Fuß fassen kann, wenn er keine anderen Wesen kennt, die ihn bewillkommnen werden in ihrem Kreise, keine andern Gesellschafter, von denen er sich vorstellt, daß sie ihn mit lächelnden Blicken bittend und freundlich in ihre Wohnungen einladen, daß sie jetzt schon nach ihm verlangen, und dem Ohr seiner Phantasie zärt-

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“Sister spirit come away!” It is an image of misery, that might drain the eye of Pity of every drop, and dry up the fountain of her tears!

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On the other hand, while the prospect of other worlds, in which he hopes to be happy, concurs with the recollection, that he has done all in his power to make his fellow-creatures so in this, and with the habit of benevolent attention to the comfort of those around him, which results from this course of kindness, to prolong the period of a good man’s cheerfulness, and to counteract the souring influences of age upon his temper; and thus contributes to render him, when he | is old, as little as possible, either a burthen to domestic duty, or a cloud to social gaiety: and while their remembrance of the peculiarly generous support, which he formerly, perhaps, lent to them, upon whom he is now reduced to lean, tends to make them peculiarly patient of his pressure upon them: so, however heavily he may feel that he hangs upon them, and whatever impatience of his weight, and wish for its removal, may be betrayed by those that hold him up, his spirit is amply supported, under the depression of this idea, by the prospect of a removal to a region, where the kindest reception awaits him, from the generous spirits of the just, “an innumerable company of angels, Jesus the mediator of the new covenant, and God the judge of all.” Animated by this hope, a good man has no more reason to be dejected, that he is no longer a young one, than the young man, that he is no longer a child. The young man rejoices in that world which is before him, and so also may the virtuous old man.

Such, and so bright, is the evening star, that gilds the close of a well-spent life. Let us, next, “mark the perfect man, and behold the upright,” in the hour of death. If it | succeed to the infirmities of age,

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lich zuflüstern. „Schwesterseele komm hinweg.“ – O diese Hoffnungslosigkeit | ist ein Bild des Elendes, welches die letzten Tropfen aus dem Auge des Mitleides hervorlocken, und jede Quelle der Thränen erschöpfen könnte. Wie viel erleichterndes vereinigt sich nicht auf der andern Seite für einen rechtschaffenen Mann. Die Aussicht auf eine andere Welt, wo er glücklich zu seyn hofft, die Erinnerung, daß er alles das seinige gethan, um seine Mitmenschen hier glücklich zu machen, und die Gewohnheit, die aus einem Leben voll thätiger Güte so natürlich entsteht, wohlwollenden Antheil zu nehmen an der Zufriedenheit des Nächsten; dies alles trägt bey, ihm einen immer neuen Zufluß von Heiterkeit zu verschaffen, und dem verbitternden Einfluß des Alters auf seine Gemüthsstimmung entgegenzuarbeiten; dies alles bewirkt, daß er auch im höchsten Alter denen, die häusliche Pflichten gegen ihn zu erfüllen haben, so wenig als möglich zur Last wird, und daß er nicht als eine schwarze Wolke über der geselligen Fröhlichkeit hängt. Die Erinnerung, mit welcher edeln Bereitwilligkeit er wohl ehemals diejenigen unterstützt hat, auf welche er sich jetzt lehnen muß, macht sie vorzüglich geduldig bey den Beschwerden, die er verursachen kann; aber wie schwer er es auch fühlen müßte, daß er von andern abhängt, wie ungeduldig auch die, welche sich seiner anzunehmen haben über ihn klagen, wie merklich sie seine Entfernung wünschen mögen, so wird doch sein Geist auch bey dieser niederdrückenden Vorstellung kräftig aufrecht erhalten durch die Aussicht auf seinen baldigen Uebergang in eine Ge|gend, wo ihm schon die liebreichste Aufnahme bereitet ist von „den seligen Geistern der Gerechten, von der unzählbaren Menge der Engel, von Christo dem Mittler des neuen Bundes und Gott dem Richter über alle.“5 Von dieser Hoffnung beseelt hat der rechtschaffene Mann eben so wenig Ursach darüber niedergeschlagen zu seyn, daß er nicht mehr jung ist, als der Jüngling sich grämt, daß die Jahre der Kindheit vorbey sind. Der Jüngling freut sich über eine Welt, die noch vor ihm liegt, und eben das ist dem tugendhaften Greise vergönnt. Zw e y t e n s . So hell und glänzend ist der Abendstern, der das Ende eines wohlverwandten Lebens vergoldet. Laßt uns nun auch „auf den Frommen merken, und den Rechtschaffenen betrachten“ in 5

Hebr. 12, 22. 23. 24.

36 „auf den ... betrachten“] auf den ... betrachten 1 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus Alexander Pope: The dying Christian to his soul, Zeile 8; Erstveröffentlichung in: The works of Alexander Pope, Esq., Volume 1 with explanatory notes and additions never before printed, London 1736

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considered merely as the termination of human life, its “bitterness is past.” I place it, then, before. I will suppose him to expire, ere yet those “years draw nigh,” in which the clouds collect, and the light of life is darkened, and desire fails, and lightest things begin to be burthensome. I will suppose his summons from life to arrive, while it has still all its attractions; while nature within, is able to meet the smile, and to join the shouting, of nature without; while the senses are susceptible of vivid impressions from surrounding things. Death, in such circumstances, must be confessed to be a formidable event. To quit this ground, upon which we have stood so long; upon which we have seen so often, and with such delight, the flowers appear, the hills rejoice, and the vallies laugh and sing; to take an eternal leave of the light, so dear and so delicious to our eyes; to bid a last adieu to that beautiful sun, which has been so long beheld with rapture; and to drop our share in “all that is done under it;” to have knowledge of this system, by which we are surrounded, shut out, at once, at e v e r y entrance; to suffer, what, when confined to | one, is sufficiently afflicting, the deprivation of a l l our senses; to say to all the world, to all mankind, and all terrestrial things, what, it affects us with melancholy, to say to almost any single person, to almost any single thing, “Farewell for ever!”—there is in this, what it sinks the spirit of a man to think of. Our attachment to life is very strong; and, except when pain, at once insupportable, and incurable, preys upon his body, or some tragical stroke of adversity has broken his heart, “all that a man hath will he give for his life.”

When an exile takes his leave for ever of the country, where first he drew the breath of life; to which his habits have wedded him; where all his friends and relatives reside; and which is endeared to him by innumerable sources of present pleasure, and soothing recollections of past delight; as the vessel, that conveys him, bears him farther and farther from its lessening shores; as its distant scenery sinks lower and lower in his prospect, and fades to a fainter, and yet a fainter hue; as he takes his last look at the land, so well, and so long beloved, and strains his eager, aching eye to retain, what it is so loth to let go, | the little, glimmering, almost annihilated speck, which contains all his connexions, and round which his heart continues to

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der Stunde des Todes. Folgt diese auf alle Gebrechen des Alters, so daß man sie nur als das natürliche letzte Ende des menschlichen Lebens betrachten kann, so ist ihre Bitterkeit schon vorüber. Wir wollen sie also voranstellen, wir wollen annehmen der Rechtschaffene hauche sein Leben aus, ehe noch die Jahre herangekommen sind, wo die Wolken sich versammeln, wo das Licht des Lebens dunkler brennt, wo seine Begierden abgestumpft sind, und die leichtesten Dinge ihm lästig zu werden beginnen. Wir wollen annehmen, die Glocke, die ihn aus dem Leben abruft, schlüge, wenn es noch mit allen seinen Reizen begabt ist, wenn der innere Sinn noch das Lächeln der äußeren Welt erwiedert, und in ihr | Freudengeschrey einstimmt, wenn alle seine Organe noch lebhafter Eindrücke von äußeren Gegenständen empfänglich sind. Unter diesen Umständen, man muß es gestehen, ist der Tod eine fürchterliche Begebenheit. Diesen Erdboden verlassen zu müssen, auf dem wir so lange gestanden haben, auf dem wir so oft und mit solchem Entzücken die Blumen erscheinen, die Hügel sich freuen, und die Thäler jauchzen sahen; von dem Licht, das unsern Augen so lieb und wohlthätig war, auf ewig Abschied zu nehmen; der schönen Sonne, die wir so oft mit inniger Freude wiederkehren sahen, den letzten Blick zuzuwerfen; unsern Antheil an allem was unter ihr geschieht, aufzugeben; von aller Gemeinschaft mit der Welt, die uns umgiebt, auf einmal ausgestossen zu seyn, und jeden Zugang dazu versperrt zu sehn; auf einmal aller Sinne beraubt zu werden, da schon der Verlust eines einzigen unter ihnen unersetzlich ist; der ganzen Welt, dem ganzen Menschengeschlecht, allen irdischen Dingen sagen zu müssen, was wir nicht einer einzelnen Person, nicht einem einzigen Wesen ohne Schwermuth sagen können: „Lebe wohl auf immer,“ – das ist etwas, woran der Mensch ohne Zagen nicht einmal denken kann. Unsere Anhänglichkeit an das Leben ist groß, und wenn nicht plötzlich ein unerträglicher, unheilbarer Schmerz im Körper wüthet, oder ein gewaltiger Streich des Schicksals das Herz zerschlägt, „so giebt der Mensch alles was er hat für sein Leben.“6| Wenn ein Verbannter das Vaterland verlassen muß, in welchem er seinen ersten Othem einsog, an welches seine ganze Lebensweise ihn fesselt, worin seine Familie und alle seine Freunde wohnen, welches ihm so werth ist, weil dort tausend Quellen des Vergnügens für ihn flossen, weil unzählige süße Erinnerungen vergangener Freuden darauf ruhen; wenn das Schiff, welches ihn führt, ihn weit und immer 6

Hiob 2, 4.

3 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. 5 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus PredSal 12,1. 20–21 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. PredSal 9,3

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hover with patriot fondness; where are the words that can paint the sadness of his sensations! Yet, in this case, a man only takes leave of a small part of the earth. The world is all before him. Blue skies, and golden sunshine, and verdant hills and vallies, await him whereever he goes. The smiles of creation accompany him; human creatures meet him on other shores; other hands are ready to help him; and other hearts offer him a place within them. But the case of a dying man is unspeakably more mournful. He is going to be banished, not from a particular climate, or circle of friends, but from the light of heaven, and from the face of man.

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In this moment of complete, and comprehensive exile, of expulsion from earth, and from day, “mark the perfect man, and behold the upright;” for to him it is a moment of peace. “Come see in what peace a Christian can die,” is an invitation, which every good one may send to his friends. At this hour, which tears him away from every friend, which cuts him entirely off from this constitu|tion of things, I need not say, by what the upright Christian is consoled. I have only to ask, what is there else that, in this situation, can console? Who, but such a man, can meet such a moment, without dismay? Who can endure to think, that his breath is going for ever from him, but the man, who is promised a revival to yet more animated existence than he has hitherto known? Who can bear to see himself upon the point of being turned out of this garden of God, to behold the angel of death coming to drive him out, to feel him laying his hand upon him, and hastening his lingering, struggling nature away; who can bear this banishment but he, who is able to fix the eye of his faith upon the gate of another, and yet a fairer paradise, standing open to receive him?

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weiter entfernt von der schwindenden Küste, wenn die fernen wohlbekannten Gegenden immer unkenntlicher werden am Rande des Gesichtskreises, und in ein bleiches immer bleicheres Wölkchen sich verwandeln; wenn er dem Lande, das er so lange und so herzlich geliebt hat, den letzten Blick zuwirft, und das matte brennende Auge vergeblich anstrengt um fest zu halten, was er so ungern fahren läßt, das kleine, schimmernde, unmerkliche Pünktchen, welches alle seine Verbindungen mit der Welt in sich faßt, und um welches sein Herz noch immer mit kindlicher Zärtlichkeit schwebt; welche Worte sind im Stande seine jammervollen Empfindungen zu schildern! Und doch scheidet der Mensch in diesem Fall nur von einem kleinen Theile der Erde. Die ganze Welt liegt noch vor ihm. Blauer Himmel, goldner Sonnenschein, grünende Hügel und Thäler erwarten ihn, wohin er auch gehe. Das Lächeln der Schöpfung begleitet ihn überall; menschliche Geschöpfe werden ihm auch an andern Küsten begegnen; andere Hände werden dort bereit seyn ihm zu helfen, und andere Herzen werden ihm einen Platz einräumen. Was | dem Sterbenden begegnet, ist doch unaussprechlich viel trauriger. Nicht aus einer einzelnen Gegend, nicht nur aus einem gewissen Kreise von Freunden wird er vertrieben, sondern er geht, und keinen Lichtstrahl des Himmels, kein menschliches Angesicht soll er je wieder sehen. In diesem Augenblick, wo er gänzlich verbannt, wo er gewaltsam herausgestossen wird von der Erde und dem Licht des Tages, „merke auf den Frommen und betrachte den Gerechten,“ denn ihm ist auch dies ein friedlicher Augenblick. Kommt und seht, wie ruhig ein Christ stirbt: das ist eine Einladung, welche jeder Rechtschaffene seinen Freunden zusenden kann. Wodurch der wahre Christ so getröstet wird in dieser Stunde, die ihn von allen seinen Freunden trennt, und aus der gegenwärtigen Ordnung der Dinge gänzlich herausreißt, das habe ich nicht nöthig zu sagen; ich frage nur, was für ein anderer Trost in dieser Lage noch möglich ist, als der seinige? Wer anders als er kann diesem Augenblick ohne Bangigkeit entgegen sehen? Wer kann es ertragen zu denken, daß der belebende Othem ihn jetzt gleich auf immer verlassen soll, als der, dem eine Wiedererweckung verheißen ist, zu einem weit herrlicheren Daseyn, als er bis jetzt gekannt hat? Wer kann es ertragen zu sehn, wie er selbst eben jetzt vertrieben wird aus diesem Garten Gottes, wie der Todesengel kommt ihn hinauszustossen, wie er seine Hand an ihn legt, und seine zögernde sträubende Seele schnell

25–26 Zum Anfang des von Fawcett markierten Zitats vgl. Joh 1,39 Gen 3,23–24

36–37 Vgl.

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But, to a bad man, the stroke of mortality is not only dreadful, considered as a dismission from life, but as a summons to judgment. Unqualified for happiness, he expects the dart of death, to be followed by the rod of punishment. What his punishment is to be, he knows not; and his very ignorance makes him tremble. The hair is most erect upon the head of Fear, when her object is hidden | from her eye; when an evil stands before her, but she “cannot discern the form thereof.” An image, however terrible, which the eye can compass, which appears before it, distinct, and defined, we are not so much afraid of. We measure its stature; we examine its dimensions; we see the size of it; we know what we have to combat, and collect ourselves to encounter it. But an object that terrifies us in the dark, and which we vainly strain our sight to see, gives full play to the imagination, and affrighted fancy assembles all her colours to paint it dreadful! Of many a man, who has had before him this prospect of an evil, awful and terrible from its obscurity; whose education has rendered him inconsolable by superstition, under the sense of his ill desert; whose conscience had been cultivated, only to put forth a sharper sting; of many such a man, the distress—the distraction, in the hour of death, has turned even pale with pity every attendant upon that hour! has stiffened the spectators into statues of compassion! has deprived of the power of speech, the tongue that would have tried to whisper comfort! The load of agony, proceeding from self-reproaching, and fearfully | expecting guilt, which the bed of death has sometimes borne, has been sufficient to afflict an enemy, and to kill a friend.

To these stings of the last hour, the perfect man is a stranger. As his pulses advance to their last throb, his silent soliloquy is such, as might set them going for ever again, were it in the power of any thing to prolong their beats. “I have finished my course,” a course of candid, and honest conversation with mankind; a course of just and gen-

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mit sich hinwegreißt? Wer kann diese Ver|bannung ertragen, als der, welcher sein Auge auf das Thor eines andern schönern Paradieses heften kann, welches sich schon öffnet um ihn einzunehmen. Aber nicht nur deswegen ist der Streich des Todes dem Bösen so schrecklich, weil er ihn aus dem Leben abruft, sondern noch mehr deswegen, weil er ihn vor das Gericht fordert. Unreif zur Seligkeit erwartet er, daß auf den Pfeil des Todes noch die Ruthe der Strafe folgen wird. Worin diese Strafe bestehen werde, weiß er nicht, und eben diese Unwissenheit macht ihn zittern. Das Haar sträubt sich am meisten auf dem Haupte des Geängsteten, wenn der Gegenstand dieser Angst dem Auge verborgen ist, wenn ein Schicksal vor ihn tritt, dessen Züge er nicht unterscheiden kann. Eine Gestalt, welche das Auge übersieht, welche sich deutlich und bestimmt darstellt, erregt nicht so viel Furcht, wie schrecklich sie auch sey. Wir messen ihre Größe, wir schätzen ihre Stärke, wir machen uns mit ihrer ganzen Bildung bekannt, und sobald wir wissen was wir zu bekämpfen haben, rüsten wir uns ihr entgegen zu treten. Aber ein Gegenstand, der uns im Dunkeln erschreckt, den das Auge trotz aller Anstrengung nicht erkennen kann, ein solcher giebt den Einbildungen der Angst vollen Spielraum, und die erschütterte Phantasie trägt alle ihre Farben zusammen, um ihn schrecklich zu mahlen. Vor Manchen schon stand die Aussicht auf dieses Schicksal eben wegen ihrer Dunkelheit grausend und schrecklich da; seine | Erziehung versagte ihm bey dem Gefühl seiner Schuld den Trost des Aberglaubens, sein Gewissen war ausgebildet genug, um ihn mit desto schärferem Stachel zu peinigen, und seine Angst, seine Zerknirschung in der Stunde des Todes zerriß Allen, die um ihn waren, das Herz vor Mitleid, fesselte jedem Zuschauer die Glieder vor Entsetzen, und lähmte jede Zunge, die ihm Trost zuflüstern wollte. Die Last des Jammers, welche ein vorrückendes Gewissen, ein bang erwartendes Bewußtseyn der Schuld auf ein Sterbelager hinwälzt, kann auch einen Feind rühren, und einen Freund gar dem Tode selbst nahe bringen. Diese schmerzlichen Empfindungen in der letzten Stunde sind dem Gerechten unbekannt. Seine stillen Selbstgespräche sind, auch wenn der letzte Pulsschlag herannaht, so heiter, daß sie gewiß seinen Adern ein neues Leben mittheilen würden, wenn es auf irgend eine Art möglich wäre, ihre Bewegungen noch zu verlängern. „Ich habe meinen Lauf geendigt, die Laufbahn eines aufrichtigen und recht7 erwartet] erwarttt OD: nicht

18 Auge] Auge,

26 Todes] Stundes

12 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 4,16

37 noch] so DV;

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erous conduct; “henceforth there is laid up for me a crown of glory that fadeth not away.” His memory, it is true, as he reviews his life, his conscience, as it inspects his heart, discovers imperfections; but he relies upon that divine mercy, in which the Gospel instructs him to trust: and, thus fortified by christian hope, he expects, without terror, the stroke, that is to cut in sunder the thread of life, and the cords of friendship. Thus supported, multitudes have walked through “the dark valley of the shadow of death, without fearing any evil.” Thus armed, they have triumphed over the king of terrors, in his most frowning and tragical forms. The testimony of conscience, and the hope of immortal hap|piness, have proved sufficient to subdue the fear of axes, and of flames, and left the persecutor discontented with his cruelty, and baulked of his vengeance.

If, however,—for, though that book, which God has put into his hand, informs the good man, that forsaken sin shall be forgiven, and that “all in Christ shall be made alive,” yet, when the instant is come, in which the awful step is to be taken from expectation to experience, the idea of the bare possibility of being in a mistake, either respecting the sincerity of the heart, which divine penetration is going to try, or concerning the protraction of human existence beyond the tomb, may be sufficient, at some moments, to fill an honest man with tremors and alarms, which his days of health, and of distance from death, knew nothing of;—If—for it is a fearful thing to pass the point, which divides the region of certainty from that, of which we have no knowledge; the point that parts the world of experience from that, which, though we believe it to be, we have never even descried from a distance, seen through a glass, or beheld in description; on which no mariner has ever so much as touched, and of which we | have heard no traveller tell;—to go, we know not w here, and we know not h o w ;— to close the eyes, without the slightest guess, at what time, or on what scenes, they next shall open;—to take a spring from ground, we feel to be firm, we perceive to be fair, that has long been beautiful to our eyes, and faithful to our feet, without being able to see the ground that is to receive us;—to behold the door of this world just going to be shut upon the living soul within us, to be bolted and barred for ever against it, without discerning so much as the glimmering of any other gate that is to give it entrance;—to have nothing before us but thickest darkness—to be benighted to an infinite degree—unable to see an inch of our way—without one single spark to

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schaffenen Betragens unter den Menschen, eines gerechten und uneigennützigen Wandels; hinfort ist mir beygelegt eine Krone der Ehre, die niemahls verwelkt.“7 Es ist wahr, wenn sein Gedächtniß noch einmal das Leben durchläuft, wenn sein Gewissen noch einmal in die Tiefen des Herzens hineinblickt, so entdeckt auch er Unvollkommenheiten; aber er verläßt sich auf die göttliche Gnade, zu wel|cher das Evangelium ihm Zutrauen eingeflößt hat, und so erwartet er durch christliche Hoffnung gestärkt, ohne Schrecken den Streich, der den Faden des Lebens und die stärkern Sehnen der Freundschaft zerschneiden soll. So getröstet sind schon Viele durch das dunkle Thal der Schatten des Todes gewandert, ohne irgend ein Uebel zu fürchten; so bewaffnet haben sie gesiegt über den König der Schrecken in seiner finstersten und erschütterndsten Gestalt. Das Zeugniß des Gewissens und die Hofnung der ewigen Glückseligkeit waren immer hinlänglich, die Furcht vor Beil und Flammen zu überwinden, machten immer alle Grausamkeit des Verfolgers fruchtlos, und betrogen ihn um seine süßeste Rache. So deutlich aber auch die göttlichen Bücher den Rechtschaffenen belehren, daß die Sünde, die er verlassen hat, ihm vergeben ist, und daß „in Christo alle lebendig gemacht werden sollen,“8 so kann dennoch, wenn der große Schritt von der Erwartung zur Wirklichkeit nun gethan werden soll, der Gedanke an die bloße Möglichkeit, daß eine Täuschung seyn könne in diesem Gefühl der Reinigkeit des Herzens, welches die göttliche Allmacht jetzt erforschen wird, eine Täuschung in diesem Glauben an die Fortdauer des menschlichen Daseyns jenseit des Grabes, auch den tugendhaften Mann auf einige Augenblicke mit Schreckbildern und Besorgnissen erfüllen, von denen er nichts wußte in den Tagen der | Gesundheit, da er noch fern vom Tode war. Es bleibt dennoch ängstlich, die Grenze zu betreten, die das Land der Gewißheit von dem absondert, welches wir nicht kennen, die Scheidewand zwischen der Welt der Erfahrung und der, an die wir zwar glauben, die wir aber nie, auch nur von fern erblicken, auch nur durch ein Glas anschauen konnten, von der wir nie eine Beschreibung gesehen, oder eines Wanderers Erzählung gehört haben; es bleibt immer fürchterlich, zu gehen ohne zu wissen wie oder wohin, die Augen zu schließen ohne die geringste Muthmassung, wann und unter welchen 7 8

2 Tim. 4, 7. 1 Petr. 5, 4. 1 Kor. 15, 22.

36 wann] wenn

38 1 Kor.] Kor.

10–11 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 23,4

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light us;—good angels! guard us in that midnight moment!—Almighty God! support us in that valley of shadow !—if, in that hour, notwithstanding what his reason and his Bible tell him, he who has practised what they both prescribe, should feel his heart misgive him; all the comfort and support which attendant friendship and affection are able, in such a situation, to afford, such a man is peculiarly likely to receive; as to those, | with whom he has been conversant, his amiable manners cannot but have peculiarly endeared him.

Among the comforts of piety and virtue, at the close of life, this s o c i a l solace is that, upon which I particularly wish to dwell. The supports afforded by faith and conscience, under the weight of years, and under the hand of death, are, no doubt, the most important props of declining, and of dying, man. But these, as they are the common topics of the pulpit, are the familiar objects of your reflection. In meditating upon the passage of the good man through the dark valley of the shadow of death, you are accustomed to contemplate the comfort he derives from the presence of God; let me direct your attention, for a moment, to that which he receives from the presence of man. The rod of religion, you are in habits of beholding in his hand; allow me to point your eye to the staff of friendship.

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In drawing, then, the picture of that room, in which the upright man breathes his last, let your imagination fill it with the most affectionate comforters; assiduous to infuse fresh fortitude into his failing heart; to reinforce | his fainting faith, if it should be oppressed by pain and weakness, or overpowered by the tremour of approach to the moment of decision; to sustain his sinking confidence towards God, and help him to take the victory over the grave, which the resurrection of Christ has given him; to add their testimony to the witness

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Gegenständen sie sich wieder öffnen werden, einen Anflug zu nehmen von dem Grund, der sich so fest anfühlt und so lieblich anzuschauen ist, der so lange unsern Augen reizend und unsern Füßen zuverläßig gewesen, ohne den andern auch nur zu kennen, auf dem wir uns wieder niederlassen sollen; es bleibt ängstlich zu sehen, wie die Thore dieser Welt dem lebendigen Geist in uns gesperrt, auf ewig hinter ihm verschlossen und verriegelt werden, ohne daß wir nur den geringsten Schimmer von dem andern Thor wahrnähmen, welches uns einlassen wird; ängstlich nichts vor sich zu haben, als die dickste Finsterniß; nicht einen Zollbreit des Weges sehen zu können; nicht ein Fünkchen zu haben, was uns leuchtet – o ihr guten Engel geleitet uns in diesem mitternächtlichen Augenblick! O du allmächtiger Gott unterstütze uns in diesem Thal der Schatten! Wenn also in dieser Stunde selbst der, welcher die Vorschriften der Ver|nunft und der Schrift befolgte, ohnerachtet dessen was beyde ihm sagen, bange Ahndungen fühlen sollte, so wird doch gewiß jeder Trost, und jede Aufmunterung, welche zärtliche Freundschaft und Liebe in einem solchen Zustande gewähren können, ihm ganz vorzüglich dargereicht werden, da sein liebevolles Wesen ihn Allen, die mit ihm leben konnten, vorzüglich werth gemacht haben muß. Und dieser Trost der Geselligkeit, dessen sich Tugend und Frömmigkeit am Ende des Lebens zu erfreuen haben, ist es eben, bey dem ich jetzt vorzüglich verweilen möchte. Die Stärkungen des Glaubens und guten Gewissens bey dem Druck der Jahre und unter der Hand des Todes sind gewiß die mächtigsten Stützen dessen, der dahinwelkt und stirbt; aber sie sind auch so oft der Gegenstand der Kanzelvorträge, daß wir alle damit vertraut seyn müssen. Wenn wir über die Wallfahrt des Gerechten durch das finstre Thal der Schatten des Todes nachdenken, so sind wir gewohnt auf die Tröstungen hinzublicken, die er in dem Gedanken an die Gegenwart Gottes findet; laßt mich einmal eure Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf diejenigen richten, welche die Gegenwart der Menschen ihm verschaffen kann. Die Stütze der Religion seht ihr von selbst in seiner Hand; laßt mich einmal darauf hinweisen, wie viel ihm auch der Stab der Freundschaft werth ist. Denkt euch also das Zimmer, worin der rechtschaffene Mann seinen letzten Athemzug erwartet, | voll zärtlicher und tröstender Freunde. Sie sind geschäftig seinem zagenden Herzen neuen Muth einzuflössen, seinen sinkenden Glauben zu erheben, wenn er von Schmerz und Schwachheit unterdrückt, oder von der Furcht vor der Annäherung des entscheidenden Augenblicks überwältiget wird; sie 1 Anflug] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 260–261

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within him, if, in a moment of modest doubt, its voice should be faint and inaudible, that his life has been such as lays a foundation for peace in death; and to confirm, by their concurring assurances, his trembling belief that he shall rise again; in a word, to tell him, with a firm tone, the truths that, with such a tone, he told himself, in a firmer hour; to give him the comfort, the Gospel has given, when his mind may be too weak of itself to take hold of it; to administer Christianity to the fluttered Christian, and personate the unruffled reason of a rational creature, at a time when his understanding is discomposed.

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And, as the good man takes comfort from the w ords of comfort, which such attendants upon his dying hour address to him, he takes it also from their s o c i e t y, in itself considered, and separate from the assistance their sounder | reason may lend him. The mere sight of such surrounding friends, as those by which such a man is likely to be encircled, is a silent persuasive to be of good cheer. The company of persons peculiarly attached to him is a cordial to the courage of man, upon the approach of his last enemy, as of every other. Surrounded by beings, by whom he is held to earth in an embrace, which strongly strains to retain, and reluctantly lets him go, he feels as he were fenced from harm by the circle of their arms. In every moment of timidity, the presence of a friend seems to us a sort of protection from all ill; it is often an actual protection from terror. And when we lie upon the bed from which we are to rise no more, Friendship is the genius of the chamber; the protector of the place; the angel that guards the room; that chases from it the foul spirits, Fear and Doubt, and forbids the fiend Despair from coming near our pillow. Upon these accounts, there is no circumstance which nature more fondly looks for, in the final hour, than the company of an honest friend. Our imagination cannot look upon a more melancholy object, than a hu|man creature expiring in a land of strangers, or in a solitary place, on some desert shore, cut off, in that fearful hour, from all his connexions;—far from every familiar, domestic, and friendly face;— and looking round him, in vain, for some one, whom he knows and loves, not only to close his eyes, to compose his limbs, and commit him to a grave; but to cheer the last moments of life; and sustain the spirit of a dying man. It is a destitution most pitiable! and compas-

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unterstützen sein wankendes Vertrauen zu Gott, und helfen ihm den Sieg über das Grab gewinnen, den die Auferstehung Christi ihm bereitet hat; sie stärken durch ihre muthigen Zusicherungen den zitternden Glauben, daß auch er wieder leben werde; und wenn in einem Augenblick des bescheidenen Zweifels die Stimme seines innern Zeugnisses, daß sein Wandel wirklich ein solcher gewesen ist, bey dem man ruhig seyn kann im Tode, leiser und unverständlicher wird, so fügen sie das ihrige hinzu; kurz sie sind geschäftig ihn mit festem Ton an die Wahrheiten zu erinnern, die er sich in festeren Stunden mit eben dem Ton zurief, ihm den Trost des Evangelii darzureichen, wenn sein Gemüth zu schwach ist ihn selbst zu ergreifen, dem verwirrten Christen sein Christenthum nützlich zu machen, und die ruhige Vernunft eines vernünftigen Geschöpfs zu vertreten, wenn sein eigner Verstand in Unordnung ist. Und so wie der rechtschaffene Mann Trost schöpft aus den Worten des Trostes, welche seine Freunde ihm in der Stunde des Todes zurufen, so hat auch außer dem Beystand, den ihre gesundere Vernunft der seinigen leistet, ihre Gesellschaft an sich selbst schon etwas beruhigendes. Der bloße An|blick solcher Freunde, welche einen Mann von dieser Art umgeben, ist schon ein Mittel ihn getrost zu machen. Die Gegenwart derer, die uns besonders zugethan sind, ist bey der Annäherung des letzten Feindes eben so gut eine Stärkung des Muthes, als bey dem Streit mit jedem andern. Er ist von Freunden umgeben, die ihn gleichsam zurückhalten auf der Erde durch ihre Umarmungen, ihn fest an sich drücken und nur widerstrebend gehen lassen, und in solchen Händen fühlt er sich so wohl, als ob er sicher wäre vor jedem Unfall. In jedem zaghaften Augenblick scheint uns die Gegenwart eines Freundes eine Art von Schutz gegen jedes Uebel, und ist deswegen oft ein wahrer Schutz gegen die Furcht. Wenn wir auf dem Lager liegen, von dem wir nicht wieder aufstehen werden, so ist Freundschaft der Schutzgott dieses Ortes, der Engel der unsere Kammer bewacht, der die bösen Geister, Furcht und Zweifel verjagt, und die Feindin Verzweiflung sich unserm Kissen nicht nahen läßt. Daher wünscht die Natur in der letzten Stunde nichts so sehnlich, als die Gesellschaft eines redlichen Freundes. Unsre Einbildungskraft kann uns keinen traurigern Gegenstand vorstellen, als einen Menschen, welcher in einem fremden Lande, an einem einsamen Ort, an irgend einer wüsten Küste seinen Geist aufgeben muß, und in dieser furchtbaren Stunde abgeschnitten ist von allen seinen Verbindungen, fern von jedem trauten, brüderlichen Freundes Angesicht, und sich vergeblich umsieht nach ir|gend einem Bekannten und Geliebten, der 11 verwirrten] verwirten

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sion, though in the company of wisdom and philosophy, allows her tears to flow freely over it.

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In a situation, altogether as cheerless and depressing, many a man has died, who has resigned his breath under his own roof, and surrounded by his nearest relatives. Figure to yourselves the death-bed of a domestic tyrant, and say, if in all the round of nature, there is another scene so full of sadness! Behold him forlorn, and friendless, in the very centre of his connexions! an exile from home, in the bosom of his family! His chamber, whatever the number of attendants upon his body that may be in it, is all a dreary solitude to his heart! Menial service executes his will;—medical science sells him | assistance;— Avarice of his property observes the forms of affection;—Duty discharges, perhaps, each decent office;—Pity regards a wretch, with a relenting eye;—Mercy forgets the offence of him, who can no longer offend, and requites inhuman cruelty with human kindness:—but Love is not in the room;—Gratitude, fondly officious, and affectionately busy, is not among the ministers to his last necessities;—Solicitude is not to be seen, sitting tenderly by his side, exploring his latent wish, supplying his rising want, supporting his sinking fortitude, providing a pillow for his uneasy mind, laying an arm underneath his anxious heart, or pouring a passionate prayer for the prolongation of his life, or for peace in his death. His heart is stabbed, while his weakness is sustained, while his pains are mitigated, by attentions which he knows to proceed, not from affection, but from forgiveness. Those, of whose blood he is the fountain, behold his vital current stop for ever, without sorrow; and they who follow him to his grave, are mourners only in their garb. If any thing can give additional gloom to the last moments of a guilty man, surely it is this circumstance.|

It is some consolation to that love of duration in this world, which is so natural to a being, believing, but not certainly knowing, that there is another, in the moment when he is upon the point of disappearing from mankind; it is some consolation to an evanescent creature, when just going to vanish; it sooths, in some degree, the

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ihm nicht nur die Augen schließe, den Leichnam begleite, und ihn dem Grabe übergebe, sondern weit mehr noch der dem Sterbenden die letzten Augenblicke des Lebens erheitre und seinen Geist aufrecht erhalte. Das heißt verlassen seyn auf die bedauernswürdigste Art, und das Mitleid, wenn es auch von Weisheit und einer geläuterten Denkungsart begleitet ist, läßt seinen Thränen über einen solchen Zustand freyen Lauf. Und doch ist schon mancher, der unter seinem eignen Dach und von seinen nächsten Verwandten umgeben, den Geist aufgab, in einem eben so trostlosen und niederschlagenden Zustande gestorben. Denkt euch das Sterbebett eines häuslichen Tyrannen, und sagt, ob es irgendwo in der Welt noch einen ebenso traurigen und düstern Auftritt giebt. Seht ihn mitten unter allen seinen irdischen Verbindungen verlassen und freundlos! im Schooß seiner Familie gleicht er einem Flüchtling in der Fremde. Wie Viele auch da sind, um seines Leibes zu pflegen, seinem Herzen ist doch dies Zimmer eine schreckliche Einöde. Gemiethete Dienste vollziehen seine Befehle; die Kunst des Arztes verkauft ihm nur ihren Beystand; die Begierde nach seiner Habe beobachtet nur den äußeren Schein der Zärtlichkeit; aus Pflicht geschieht vielleicht alles, was der Wohlstand gebietet; das Mitleid betrachtet einen Elenden mit nassem Auge; die Barmherzigkeit vergißt wohl die Beleidigungen dessen, der nun nicht mehr beleidigen | kann, und vergilt harte Grausamkeit mit schonender Güte – aber Liebe ist nicht an diesem Orte, die Dankbarkeit mit ihren willigen Dienstleistungen, mit ihrer liebevollen Geschäftigkeit ist nicht unter denen, die ihm in seiner letzten Noth beystehn; die Besorgniß sieht man nicht zärtlich an seiner Seite sitzen, seine verborgensten Wünsche erforschen, seinen aufsteigenden Bedürfnissen abhelfen, seinen sinkenden Muth beleben, seinem unruhigen Gemüth ein Ruhebett bereiten, seinem geängsteten Herzen einen Arm unterlegen und für die Verlängerung seines Lebens, für seine Ruhe im Tode ein inbrünstiges Gebet zum Himmel schicken. Sein Herz bleibt verwundet, wenn auch seine Schwachheit unterstützt, wenn auch sein Schmerz gelindert wird durch Dienstleistungen, von denen er wohl weiß, daß sie nicht aus Liebe, sondern nur aus Versöhnlichkeit entspringen. Diejenigen, in deren Adern sein Blut fließt, sehen ohne Kummer den Strom seines Lebens versiegen, und die, welche seinem Leichenzuge folgen, trauern nur mit ihrem Gewand. Kann irgend etwas die letzten Augenblicke eines strafbaren Menschen noch trüber machen, als sie an sich selbst schon seyn müßten, so ist es dies. Es ist in dem Augenblick, da wir von dem menschlichen Geschlecht scheiden sollen, einiger Trost für unsre Anhänglichkeit an dieses Leben, die einem Wesen, welches an ein andres Leben zwar 17 Habe] Habe,

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conscious shadow as he flees, the humbled vision as he flies away, to look at the tear that tells him, he has made an impression in his passage, and that his memory shall not prove so fleet. “His remembrance,” says one of Job’s comforters, in recounting the calamities of the wicked, “shall perish from the earth, and he shall have no name in the street.” There is something in this idea of oblivion, this total obliteration from the earth, this mortality of remembrance, as well as cessation of breath, which sinks the spirit of a man even lower than his grave. To be forgotten as soon as gone—is it not enough to disturb the ashes of the dead?—To be remembered, when he is no more; to be sometimes recalled to the memory of the living, when he is removed from their sight; to be wished alive again, by some of his survivors, when he is numbered with the | dead; is among the fondest desires of mortal man. For who, to dumb forgetfulness a prey, This pleasing anxious being e’er resign’d, Left the warm precincts of the cheerful day, Nor cast one longing ling’ring look behind? On some fond breast the parting soul relies, Some pious drops the closing eye requires; Ev’n from the tomb the voice of Nature cries, Ev’n in our ashes live their wonted fires. He who dies in the company of those who wish him dead, must be considered as meeting death with its deepest shadows about it: and of his last moments, the pain and depression are mitigated but in an imperfect degree, who is attended, in them, by those who think of his departure with little more than indifference: who behold it with a mournful eye; who would prevent it if they could; but who will forget it to-morrow. By such, the majority are attended in their concluding hours. The expiring man of pleasure sends, perhaps, for the companion of his pleasures. He comes obedient to his call. He is sorry to see him in that situation; he hopes he is not in so much danger as he apprehends; he testifies, and he feels, some degree of grief at the idea | of losing him; nature cannot part with an old associate without a sigh; as soon, however, as he sees him no more, he no more remembers him: he returns to his laughter with the living; nor is his mirth, amid the roar of the table, chastised, for a moment, by the image of him, who yesterday shared it with him. He who has past through life with decent manners, with sober order, and common good nature; whose native temper, free from infelicity, has procured him no enemies; but whose negative and indolent goodness has given birth to no

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glaubt, aber keine anschauliche Erkenntniß davon hat, so natürlich seyn muß; es ist einiger Trost für ein ver|gängliches Wesen, welches eben dahingehn soll, es beruhigt einigermaßen den nichtigen Schatten, der eben dahin flieht, die zitternde Erscheinung die eben verschwindet, wenn wir eine Thräne sehen, die uns sagt: wir haben einen Eindruck zurückgelassen auf unserm Wege, und unser Andenken werde nicht eben so flüchtig seyn als wir selbst. Einer von Hiobs Tröstern, welcher das Unglück des Gottlosen aufzählen will, sagt: „Sein Gedächtniß wird vergehen im Lande, und wird keinen Namen haben auf der Gasse.“9 In dieser Vergessenheit, diesem gänzlichen Vergehen von der Erde, diesem Dahinsterben unsers Andenkens zugleich mit unserm Athem liegt etwas, was den Geist des Menschen tiefer darniederbeugt als das Grab selbst. Vergessen zu seyn sobald man dahingegangen ist, reicht das nicht hin, um noch die Asche des Todten zu beunruhigen? – Noch ein Gedächtniß zu hinterlassen, wenn man nicht mehr ist, noch von einigen Hinterbliebenen ins Leben zurückgewünscht zu werden, wenn man schon zu den Todten gezählt wird, das gehört gewiß zu den liebsten Wünschen des sterblichen Menschen.

Wer unter denen sterben muß, die seinen Tod wünschen, dem erscheint also der Tod gewiß von seinem schwärzesten Schatten umgeben; aber auch dem wird der Schmerz und die Angst der letzten Augenblicke nur wenig gelindert, der von Personen umgeben ist, die an seinen Hingang fast nur mit Gleichgültigkeit denken, deren Auge sich freylich dabey | trübt, die ihn gern, wenn sie könnten, zurückhielten; aber die ihn auch Morgen schon vergessen haben. Und dies ist der Fall der meisten Menschen in ihrer Sterbestunde. Der Sohn der Freude sendet vielleicht bey seinem Ende nach dem Gefährten seiner Vergnügungen. Dieser gehorcht seinem Ruf und kommt. Er ist betrübt ihn in dieses Lage zu sehn; er hofft die Gefahr sey nicht so groß als man 9

Hiob 18, 17.

29 hofft] hoft

30 18, 17.] 17, 18.

18 Schleiermacher lässt hinter „Menschen.“ ein achtzeiliges, von Fawcett nicht markiertes wortgetreues Zitat aus dem Gedicht „Elegy written in a country churchyard“ (Zeile 85–92) von Thomas Gray aus; das Gedicht erschien erstmals anonym unter dem Titel „Elegy wrote in a country churchyard“ (London 1751).

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glow of esteem, and no ardour of friendship; assembles round him, when he is going to quit the world, his kinsmen and companions. They surround him with a look of sorrow; Consanguinity sheds some tears; Intimacy looks back upon the past with a tenderness till then unknown; Humanity herself heaves some sighs to see a fellow-creature passing away; Religion, perhaps, throws a solemnity over the scene, and the pensive face of Repentance appears in the group: but no countenance is seen in the circle, that tells the dying man, he shall not soon be forgotten: no cheek is wetted with the silent vouchers to a grief which, when | the place that sees him shall see him no more, promises him a lasting one in the heart from which they flow. The impression of his death is fugitive as the hour of it, and his memory descends with him to his grave.

Social consolation more substantial than this, falls to the lot of him, in that moment when comfort is wanted most by all, whose eminent worth and singularly engaging qualities have procured for him the peculiarly lively affection, and animated esteem of all with whom he is connected. More soothing solace is prepared for him, in that hour when he resigns his spirit into the hands of him who gave it. By the kindest accents Consolation can pour into it, his ear is saluted, in that moment of solemnity. He revives at the soft whispering of comfort, as the fainting traveller is refreshed by the gentle gales of Nature. And, although, when he looks around him upon the expressions of heart-felt anguish that appear in every face; although, when he puts forth his hand to give, and to receive, the parting pressure of friendship, and feels a tear fall on it from every eye; though, when he listens to the suffocating sob that bursts from the breast of broken5–6 fellow-creature] fellow creature

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fürchtet, er bezeugt, er fühlt auch wirklich einigen Kummer bey dem Gedanken, ihn zu verlieren; denn ganz ohne einen Seufzer kann sich der Mensch von einem alten Gefährten nicht trennen; aber sobald er ihn nicht mehr sieht, denkt er auch seiner nicht mehr; er kehrt zurück zu seiner Freude mit den Lebenden, und seine Fröhlichkeit an der geräuschvollen Tafel wird auch nicht auf einen Augenblick in Zucht gehalten, durch das Bild dessen, der sie noch gestern mit ihm theilte. Derjenige, der auf anständige Sitten, auf Zucht und Ordnung hielt, und wie man zu sagen pflegt, ein guter Mensch war, dem seine Gemüthsart weder Unglück zuzog, noch Feinde machte, aber dem es an jener thätigen tugendhaften Güte fehlte, durch die allein wir uns innige Achtung und warme Freundschaft erwerben können, versammelt vielleicht, wenn er die Welt verlassen will, seine Verwandten und Gesellschafter um sich her. Sie umgeben ihn mit bekümmerten Blicken, die Familienanhänglichkeit lockt einige Thränen hervor; die Vertraulichkeit sieht mit einem verstärkten Gefühl, welches ihr bis jetzt fremd war, auf das Vergangene | zurück; schon der Menschlichkeit preßt es einige Seufzer aus, einen Bruder so hingehen zu sehn, die Religion verbreitet vielleicht eine gewisse Feyerlichkeit über den ganzen Auftritt, und die schwermüthige Gestalt der Reue erscheint auch in der Gruppe; aber doch ist in dem ganzen Kreise kein Angesicht, welches dem Sterbenden sagte, daß er nicht sogleich vergessen seyn wird; keine Wange sieht er von den stillen Beweisen eines Kummers benetzt, der ihm, wenn er seine jetzige Stätte verlassen muß, noch eine bleibende Wohnung verheißt in dem Herzen, aus welchem sie flossen. Der Eindruck, den sein Tod macht, ist so schnell vorüber als dieser Augenblick selbst, und sein Gedächtnis geht mit ihm ins Grab. Einen wirksameren Trost als diesen gewährt die Geselligkeit in dem Augenblick, wo wir alle des Trostes so bedürfen, demjenigen, dessen ausgezeichneter Werth, dessen einnehmende Eigenschaften Allen, die mit ihm in Verbindung standen, eine lebhafte Zuneigung, und eine innige Achtung einflößten. Ihm sind erfreulichere Empfindungen bereitet in der Stunde, da er seinen Geist demjenigen empfiehlt, der ihn gegeben hat. Die süßesten, beruhigendsten Töne vernimmt sein Ohr noch in dem feyerlichen Augenblick. Er lebt auf unter diesen lieblichen leisen Tröstungen, wie ein matter Reisender durch ein sanftes Wehen der Luft erquickt wird. Obgleich er auf jedem Angesicht den Ausdruck des tiefgefühlten Schmerzens sieht, ob er gleich seine Hand von einer | Thräne benetzt fühlt, so oft er sie einem hinreicht zum wechselseitigen, letzten Druck der Freundschaft; ob er gleich das erstickende Schluchzen aus der Brust der geängsteten Liebe sich her28 Geselligkeit] Geseligkeit

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hearted Affection, | to the eager supplication that ascends for his life, or the frantic grief that protests against his death; though these agonies of those he esteems and loves, give him a generous pain; that pain is mitigated by the thought, that the sorrow, which is now so violent, will soon mellow into no unpleasing melancholy; and along with that pain there is mingled an honest pleasure, while he reflects, that he shall not all die; that his warm idea shall live in the hearts of his friends, when his ashes are cold; that his memory shall be preserved, when the worm is feeding on his dust; and that, how humble soever the stone that tells where he lies, the worthy and the good, to whom his goodness and his worth were known, shall strike their pensive bosoms as they pass it, and call their breast his burial place.

These social supports are experienced, in a peculiar degree, in the hour of death, by him, into whose power almighty Providence has put it, to perform numerous and splendid offices of benevolence, to spread his wing over a wide space, and gather under the shadow of his protection a multitude of objects. As such a one lies upon the pillow of mortal languishing, he has to look not only upon | the promises of remembrance that are painted in the faces that encircle his bed, he sends his eye beyond his chamber’s walls; he looks round upon a larger circle of mourners without them; he beholds a neighbourhood in tears; he hears the general groan that receives the report of his departure; he represents the hearts that he has caused to sing, suspending their song, as his funeral procession passes by; he figures the orphan paying a grateful visit to his grave, and dropping a tear of filial sorrow over the spot where his father sleeps. By the expectation of these honours that await his name, when he is no more, his heart is warmed, in the cold moment of mortality. And surely of all the honours the living can pay to the dead, these are they which most sooth the hope of a dying man.

The pomp of plumed procession to the tomb, the pride of sculptured memorial erected over it, may excite the admiration of the spectator; but one honest tear in the eye of a single survivor, is infinitely

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vordrängen hört, und das heftigere Gebet, welches hinaufsteigt für sein Leben, und den verwirrten Gram, welcher betheuert, er dürfe nicht sterben; obgleich diese innigen Qualen derer die ihn schätzen und lieben, auch ihn mit einem edlen Schmerz erfüllen: so wird doch dieser Schmerz gemäßigt durch den Gedanken, daß der heftige Kummer sich bald in eine sanftere Wehmuth, der man sich gern überläßt, verwandeln wird, und es mischt sich unter diesen Schmerz eine edle Freude, wenn er bedenkt, daß er nicht ganz stirbt, daß dies warme Gefühl für ihn in dem Herzen seiner Freunde noch leben wird, wenn seine Asche schon erkaltet ist, daß sein Gedächtnis noch währet, wenn an seinem Staube die Würmer nagen, daß die Edeln und Guten die seinen Werth kannten, so oft sie vor dem demüthigen Stein, der den Ort seiner Ruhe bezeichnet, vorübergehn, den Beklemmungen ihres Herzens Luft machen, und sagen werden: „Hier, hier ist sein Denkmal in dieser Brust.“ Diesen Trost, der aus dem Mitgefühl der Menschen entspringt, erfährt derjenige in der Todesstunde ganz vorzüglich, dem es die Gnade der Vorsehung möglich gemacht hat, viele und glänzende Handlungen der Wohlthätigkeit zu verrichten, seine Flügel über einen weiten Raum auszubreiten, und eine Menge von Gegenständen unter seinen beschirmen|den Schatten zu versammeln. Wenn dieser auf seinem letzten Lager des Todes harrt, so hat er nicht nur diese Verheißungen eines langen Andenkens vor sich, die so deutlich auf den Angesichtern der Umstehenden geschrieben sind, sondern jenseits der Mauern seines Zimmers kann er auf einen weit größeren Kreis von Trauernden blicken: er sieht die Nachbarschaft in Thränen, er hört die Seufzer, die überall die Nachricht von seinem Verscheiden beantworten; er sieht, wie die, deren Herzen er erfreut hat, ihrer Fröhlichkeit Einhalt thun, wenn sein Leichenzug vorbeygeht; er sieht den Waisen noch dankbar sein Grab besuchen, und eine Zähre des kindlichen Schmerzens an der Stätte vergießen, wo sein Vater schläft. Die Aussicht auf diese Verehrung seines Namens, wenn er nicht mehr ist, erwärmt sein Herz in den kalten Augenblicken des Abscheidens. Und gewiß unter allen Ehrenbezeugungen der Lebenden gegen die Todten können diese am meisten den Sterbenden mit angenehmer Hoffnung erfüllen. Der Pomp des schwarz behangenen Leichenzuges, das stolze Denkmal, welches die Kunst des Meißels über dem Grabe aufrichtet, kann die Bewunderung des Zuschauers erregen; aber eine aufrichtige 26 Trauernden] Traurenden 14–15 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.

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more ornamental to the memory of the dead. The oration of the priest may be flattering, and the epitaph of the poet contain an elegant com|pliment, but the silent sigh of the widow and the fatherless, is the most eloquent panegyric upon departed man. Such, then, is the peace of the perfect man and the upright, when he takes his leave of the world. Memory places before him the pleasing picture of the past. Faith stands beside him like an angel of light, and turns the shadow of death into morning. Friendship hangs over him with all the benignity of a ministering spirit; while Gratitude, at distance, points to her heart, and tells him he shall be there interred.

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Who is there here so insensible as not to exclaim, “let me die the death of the righteous, and let my last end be like his.” I wish it were in my power, to prevail upon all before me, to pursue that conduct which will secure to them, the comfort I have attempted to describe, in that moment, which will want all the comfort it is in their power to provide for it. I will not say to you, death is a solemn, and a tremendous moment. You know it to be so. You feel that it is. Your imaginations paint it terrible. Your hearts tremble, and your pulses flutter, to hear the word pronounced. By these sensations that | follow the sound of the word, these silent and solemn calls of Almighty God within you, while I stand here in his presence, I conjure you to prepare for your last hour, and to prepare for it in a proper manner, by devoting all the energies of your nature, by dedicating your days of ardour, to the service of God and society. A reformation, however real and radical, accomplished late in life; or a few faint and languid acts of goodness, scattered over the course of it; will not be sufficient to inspire that peace at its close, to which I have been calling your attention. However contented the heart of man may be with the recollection of cold and scanty contributions to the happiness of the creation, as a foundation, either for self-approbation, or for the expectation of divine, in the midst of a fulness of animal joy; when the total reduction of all other delight renders the mind entirely dependant upon that which is derived from the remembrance of past virtue, and the prospect of the rewards that await it after death; then, in those moments of sensual famine and drought, when all other food is withered, and all other fountains are dried, Nature, to be satisfied, must find a plentiful | provision of religious and moral enjoyment: Conscience will want a series of such actions as she can approve, in order to content her eye: and Hope, whether she look to a place, in the mansions of God, or in the memory of man, will require a copious concurrence and conjunction of generous actions, to form a ground suffi-

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Thräne in dem Auge eines einzigen Ueberlebenden, ist dem Andenken des Todten eine weit herrlichere Zierde. Die Rede des Geistlichen kann sehr schmeichelhaft seyn, die Grabschrift des Dichters ein sehr feines Lob enthalten; aber die rührendste | Lobrede auf den Verstorbenen ist der stille Seufzer der Wittwen und Waisen. Dies ist also der Friede des Frommen und Rechtschaffenen, wenn er seinen Abschied von der Welt nimmt. Das Gedächtniß hält ihm das angenehme Bild des Vergangenen vor. Der Glaube steht ihm als ein Engel des Lichts zur Seite, und verwandelt die Schatten des Todes in Morgendämmerung. Die Freundschaft umschwebt ihn wohlwollend und geschäftig, wie ein guter Geist, und die Dankbarkeit steht in der Entfernung, und zeigt ihm ihr Herz als sein künftiges Grabmal. Wer unter uns könnte wohl so unempfindlich seyn, nicht auszurufen: „Laß mich sterben den Tod dieses Gerechten, und mein Ende seyn, wie das seinige!“ Ich wünschte, ich könnte alle, die hier vor mir sind, bewegen, einen solchen Wandel zu führen, durch den sie sich allein für einen Augenblick, der aller Beruhigungen, die wir ihm zu bereiten vermögen, so sehr bedarf, des Trostes versichern können, den ich zu beschreiben versucht habe. Ich sage euch nicht: der Tod ist ein feyerlicher, ein schrecklicher Augenblick. Ihr wißt, daß er es ist; ihr fühlt daß er es ist; eure Einbildungskraft mahlt ihn fürchterlich; euer Herz zittert, euer Puls fliegt, wenn ihr nur das Wort vernehmt. Aber bey allen Empfindungen, die der Ton dieses Wortes erregt, bey diesem stillen feierlichen Ruf des Allmächtigen in Euch beschwöre ich euch hier vor seinem Angesicht: bereitet euch zu eurer letzten Stunde, bereitet euch | dazu auf die rechte Art, indem ihr alle Kräfte eurer Natur, und alle Tage, wo sie euch zu Gebote stehn, dem Dienst Gottes und der Gesellschaft widmet. Eine Besserung, wie wahr und gründlich sie auch sey, die erst im letzteren Theil des Lebens vollbracht wird, oder eine geringe Anzahl gebrechlicher und unsichrer guter Handlungen, die spärlich über den ganzen Lauf des Lebens hingestreut sind, werden nicht hinreichen euch am Ende desselben den Frieden zu verschaffen, mit welchem ich eure Aufmerksamkeit beschäftigt habe. Es kann seyn, daß der Mensch mitten in der Fülle des Lebens und der Freude einen nothdürftigen und gleichgültig geleisteten Beytrag zur allgemeinen Glückseligkeit für hinreichend hält, um mit sich selbst zufrieden, oder auch des göttlichen Beyfalls sicher zu seyn; aber wenn erst das Entweichen aller übrigen Vergnügungen dem Gemüth keinen Genuß übrig gelassen hat, als das Andenken an die Tugenden des früheren Lebens und die Aussicht auf die Belohnung, die ihrer nach dem Tode wartet; wenn erst die Sinnlichkeit uns darben läßt, und es an aller andern 14–15 Num 23,10 (nach der englischen Textfassung)

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ciently firm for her feet. I sincerely wish you all what, and what alone, will supply a mild and lunar light to the evening of your life, when all the gaudier beams of day shall be gone; what, and only what, will irradiate the shadows of your dying hour; the remembrance of such an uniform and connected career of virtuous conduct, as shall lay a foundation for the steady and unhesitating hope of coming forth from your graves, at the call of Christ, to everlasting life, and of finding a monument, in this world, in that noblest of all mausoleums, the bosom of the grateful and the good. Amen.

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Nahrung fehlt, alle andern Quellen vertrocknet sind: in diesen Augenblicken verlangt die Natur zu ihrer Befriedigung einen reichlicheren Vorrath für den sittlichen und religiösen Genuß; da frägt das Gewissen um sein Auge zu weiden, nach einer langen Reihe solcher Handlungen, die es billigen kann, da fodert die Hoffnung – sie suche nun einen Platz in den himmlischen Wohnungen, oder einen im Andenken der Menschen – große, | zusammenhängende Massen edler Handlungen, um einen festen Grund zu haben, worauf sie treten kann. Ich wünsche Euch allen von Herzen dasjenige, was allein wenn die fröhlicheren Strahlen des Tages verschwunden sind, noch ein mildes sanftes Licht über den Abend des Lebens verbreiten, was allein die Dunkelheit eurer Todesstunde bestrahlen kann; das Bewußtseyn nemlich eines solchen gleichförmigen und ununterbrochen rechtschaffnen Wandels, der allein die Hoffnung gründen und unwandelbar befestigen kann, einst auf den Ruf Christi aus dem Grabe hervorzugehn zu einem ewigen Leben, und auch in dieser Welt ein Denkmal zu finden in dem erhabensten aller Mausoleen, dem Herzen dankbarer und guter Menschen. Amen.

3 frägt] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 259

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SERMON

VI.

S h e h a t h d o n e w h at s h e c o u l d . Mark xiv. 8.

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Our Saviour was now sitting in a house, in one of the villages in the vicinity of Jerusalem. A woman enters, with a box of ointment in her hand of a peculiarly costly kind. She breaks the box, and pours it upon his head, which was the method, as most of you well know, by which the Jews were accustomed to express their respect for their guests. This woman, whose name was Mary, was a person of a very amiable character. She and her family lived in habits of intimacy with our Lord. She had listened at|tentively to his discourses; she had derived from them a sincere conviction of his divine commission, and a serious solicitude concerning the salvation of her soul. She was an object of our Saviour’s peculiar esteem and friendship; and was under particular obligations to him, upon account of his having restored her brother to life, after his interment. Full of reverence and gratitude, she embraces this opportunity, and this mode, of expressing the sentiments that possessed her heart. Among the spectators of this action, there were some who discovered indignation at the idea of wasting, what, if it had been sold, might have supplied the wants of many poor. Our Lord penetrating the recesses of her soul, and seeing there the most sincere affection for him, and the most ingenuous desire to

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Daß Gottes Forderungen an die Menschen ihren natürlichen Fähigkeiten angemessen sind. Marc. 14, 8. 5

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Si e h at ge t h an , w as s i e konnte. Unser Erlöser befand sich eben in einem Hause in einem von den Flecken nahe bey Jerusalem. Da trat ein Weib herein, ein Gefäß voll einer besonders köstlichen Salbe in ihrer Hand. Sie zerbrach das Gefäß über seinem Haupt, und goß die Salbe über ihn aus, welches die Art war, wie die Juden ihre Ehrfurcht gegen ihre Gäste auszudrücken pflegten. Dieses Frauenzimmer, welches Maria hieß, war eine Person von sehr liebenswürdigem Charakter. Sie und ihre Familie lebten in einem vertrauten Umgang mit unserm Herrn. Sie hatte seinen Reden aufmerksam zugehört, und war dadurch zu einer aufrichtigen Ueberzeugung von seiner göttlichen Sendung, und zu einer ernstlichen Sorge um ihrer Seelen Seligkeit gebracht worden. Sie genoß von unserm Erlöser ganz besondere Liebe und Freund|schaft, und war ihm auch besondere Verbindlichkeiten schuldig, weil er ihren Bruder, nachdem er schon begraben war, ins Leben zurückgerufen hatte. Voll Ehrfurcht und Dankbarkeit ergriff sie diese Gelegenheit und dieses Mittel, um die Gesinnungen auszudrücken, welche ihr Herz erfüllten. Manche von denen, welche dieser Handlung beywohnten, machte der Gedanke unwillig, daß etwas so kostbares vergossen werde, durch dessen Verkauf man der Noth so manches Armen hätte abhelfen können. Unser Herr aber, welcher die Seele dieses Frauenzimmers bis in ihre geheimsten Falten durchschaute, und darin die aufrichtigste Zuneigung zu ihm, und den redlichsten Wunsch wahrnahm, ihm soviel Ehre zu erzeigen, als in ihren Kräften stand, übernahm ihre Vertheidigung. 18 Bruder, nachdem] Bruder nach dem 6–203,33 Vgl. Mk 14,3–9; Mt 26,6–13; Joh 12,1–8; aber auch Lk 7,36–50

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do him all the honour in her power, undertakes her defence. “Let her alone; trouble her not; she has well done; ye have the poor always with you, but me ye have not always; I shall not be long with you, grudge me not this little refreshment and respect, while I am. There is provision enough left for the poor; and ye may attend to their necessities, when I shall be out of the | reach of your attention. This woman looks upon me as her best benefactor. She believes me to be the son of God; the friend of mankind; the saviour of sinners. She is willing to shew me all the respect in her power, during my residence in the world. This ointment, it is true, is of no real importance to me. The profits of it are more wanted by the poor, than the honour of it is needed by me: but she, that hath poured it over me, acts from the most pure and amiable principle. She feels for the poor as much compassion as any of you can pretend to; but the poor have not bidden her be of good cheer, for that her sins are forgiven her; the poor have not taught her to believe that she shall rise again; the poor have not restored her departed relative to her arms; the poor are not the authors of that faith and hope, that religious peace, and that domestic joy, which now reign in her breast. To the friend of her family, and the physician of her soul, she is willing to make some return. This is the only return she can make. She cannot render me any essential services. She is poor in power; she feels, she is poor even in thanks; she cannot utter half of what is in | her heart; but she has done what she could; and I am pleased with this expression of her gratitude and love. Although I derive no solid advantage from it, and though some appearance of extravagance and waste may accompany it, yet I see in it a beautiful mind, a generous meaning, that wins my approbation; and for this honest act of hers, her memory shall share the immortality of my religion.”

“She hath done what she could.” The sentiment of this passage is briefly this; sincerity is every thing; compensates for every defect; consecrates every action; is the essence of all virtue, and the foundation of all good desert. I propose, in the farther prosecution of this discourse, to consider this as the principle, upon which the divine estimation and acceptance of all human services proceeds. From these words of our Saviour I

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Laßt sie, sagte er, macht ihr keine Unruhe! sie hat Recht gethan; die Armen habt ihr allezeit bey Euch, aber mich habt ihr nicht allezeit; ich werde nicht mehr lange unter euch seyn, und so lange ich es also noch bin, verkümmert mir nicht diese geringe Ehrenbezeugung. Für die Armen ist noch genug übrig, und ihr könnt für ihre Bedürfnisse sorgen, wenn ihr mir keine Aufmerksamkeit mehr beweisen könnt. Diese Frau sieht mich als ihren größten Wohlthäter an. Sie glaubt, daß ich der Sohn Gottes, der Freund der Menschen, der Heiland der Sünder bin. Sie möchte mir gern, so lange ich noch auf Erden wandle, so viel Ehrerbietung beweisen, als sie nur immer kann. Es ist wahr, daß diese Salbe für mich von keinem weite|ren Nutzen ist, und der Geldeswerth davon wäre den Armen wichtiger gewesen, als die Ehrenbezeugung, die darin liegt, mir seyn kann; aber die, welche sie über mich ausgoß, hat aus den reinsten und liebenswürdigsten Triebfedern gehandelt. Sie fühlt für die Armen so sehr, als einer unter Euch von sich rühmen kann; aber die Armen haben ihr nicht gesagt, sey gutes Muthes, deine Sünden sind dir vergeben; die Armen haben sie nicht den Glauben an die Auferstehung gelehrt; die Armen haben ihr nicht ihren abgeschiedenen Bruder wieder zugeführt; die Armen sind nicht die Urheber von dem Glauben und der Hoffnung, dem frommen Frieden und der ruhigen Freude, die jetzt in ihrer Brust wohnen. Dem Freund ihrer Familie, dem Arzt ihrer Seelen möchte sie gern auch etwas angenehmes erweisen, und dies ist das einzige, was sie thun kann. Einen wesentlichen Dienst mir zu leisten, vermag sie nicht. Sie ist arm an Kräften, und sie fühlt daß sie auch an Danksagungen arm ist; denn sie kann nicht die Hälfte von dem äußern, was sie in ihrem Herzen empfindet. Aber sie hat gethan, was sie konnte, und ich bin zufrieden mit diesem Ausdruck ihrer Dankbarkeit und Liebe. Obgleich ich keinen wesentlichen Vortheil davon habe, obgleich vielleicht ein gewisser Schein von Schwärmerey und Verschwendung dabei ist, so erkenne ich doch darin eine schöne Seele, und eine edle Gesinnung, die sich meinen Beyfall erwirbt, und wegen dieser guten That soll ihr An|denken so unsterblich seyn, als die Religion die ich gestiftet habe. „Sie hat gethan, was sie konnte“. Der Sinn dieser Stelle ist kürzlich dieser: ein redliches Herz ist überall die Hauptsache, es ergänzt jeden Mangel, es heiliget jede Handlung, es ist das wesentliche bey jeder Tugend, und der eigentliche Grund eines jeden Verdienstes. Ich will in dem Verfolg meines Vortrages zeigen, daß dies der Maaßstab ist, nach welchem Gott alle Dienste der Menschen mehr 16–17 gutes Muthes] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 634 1 Hier beginnt der von Fawcett als Zitat markierte Text, der bis zum Absatzende reicht. 17 Vgl. Lk 7,48 19 Vgl. Joh 11,1–45

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deduce, and shall endeavour to illustrate, this general proposition, that the Judge of the whole earth approves and rewards all the sincere and well-meant offerings of mankind to God and society, however accompanied with the imperfections which arise out of limited power, | unavoidable ignorance, or the moral frailties which, in its present state, are inseparable from human nature.

First, That deficiency in the services which we render to God and society, which springs from want of power and opportunity, if we diligently improve what we have, will occasion no diminution of the divine satisfaction in us.

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There are those who possess distinguished opportunities of rendering moral service to mankind. Among these, some stand in that elevated station, which gives to good example a peculiar efficacy, and exhibits it to a wider circle. Opulence puts it into their power to procure instruction for indigent ignorance. The respect with which they are looked up to, in the rural neighbourhood where they reside, causes the moral advice, that drops from them upon their dependents, to sink into them with more than common weight. Their power of reward enables them to encourage good living and decent manners around them; to lead the villager to virtue, and put the rustic into the path to heaven. While others possess those eloquent lips, or that eloquent pen, with which the cause of rectitude is | powerfully pleaded. Those, who improve these opportunities, shall have their reward; but not a greater than theirs, who, animated by an equal regard for the moral welfare of mankind, are prevented, by incapacity, from shedding such beneficial influence upon it. “They have done what they could.” They have panted in secret for the progress of truth and virtue in the world; they have lent them all the assistance it was in their power to lend them; and the Almighty Friend of truth and virtue shall finally approve them as much as if they had done more.

Many can do much for mankind in the sphere of secula r charity. They can endow hospitals; they can give bread to multitudes; they can patronize genius; they can spread the shadow of a broad protection; they can scatter blessings over an extensive space. Some are ca-

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oder weniger werth achtet und gnädig ansieht. Ich will aus diesen Worten unsres Erlösers den allgemeinen Satz herleiten, und ins Licht zu setzen suchen: daß der Richter der Welt alle aufrichtige und wohlgemeinte Opfer, welche die Menschen Gott und der Gesellschaft darbringen, billiget und belohnt, obgleich sie von den Unvollkommenheiten begleitet sind, welche aus eingeschränkten Kräften, aus unvermeidlichem Irrthum, und aus den Gebrechen des Geistes entstehn, die von der menschlichen Natur in ihrem jetzigen Zustande unzertrennlich sind. E r s t e n s . Wenn die Dienste, die wir Gott und der Gesellschaft leisten, deswegen unvollkommner und geringer ausfallen, weil uns nicht mehr Kraft und Gelegenheit gegeben war, so wird dies, wofern wir nur das, was uns gegeben ist, gewissenhaft anwenden, die Zufriedenheit Gottes mit uns nicht verringern.| Es giebt Menschen, welche ausgezeichnete Gelegenheit haben für die ewige Wohlfahrt ihrer Brüder geschäftig zu seyn. Einige von ihnen sind an einen höhern Platz gestellt, der das gute Beyspiel um so viel wirksamer, und einem größeren Kreise sichtbar macht. Der Reichthum setzt sie in den Stand die dürftige Unwissenheit unterrichten zu lassen. Die Ehrfurcht womit sie von den ländlichen Bewohnern der Gegend, die unter ihrem Einfluß steht, betrachtet werden, giebt dem guten Rath, den sie ihren Untergebenen ertheilen, einen ganz besonders wichtigen Nachdruck. Die Begünstigungen, welche sie zu ertheilen haben, machen es ihnen möglich überall um sich her guten Ton und anständige Sitten aufzumuntern; den Dorfbewohner zur Rechtschaffenheit zu leiten, und den Landmann auf den Weg zum Himmel zu führen. Andere besitzen die Beredsamkeit des Vortrages und der Feder, wodurch die gute Sache der Tugend, auf welchem Platz man auch stehe, so kräftig verfochten werden kann. Diejenigen nun, welche so vortheilhafte Umstände benutzen, werden ihren Lohn erhalten; aber nicht einen größeren als der, welcher von einem eben so lebhaften Eifer für das wahre Wohlergehen der Menschen beseelt, nur durch die Unzulänglichkeit seiner Kräfte verhindert wurde, sich einen eben so wohlthätigen Einfluß zu verschaffen. „Sie haben gethan was sie konnten.“ Sie haben ins geheim gebetet für die Fortschritte der Wahrheit und Tugend in der Welt, sie haben dazu allen Vorschub geleistet, der | in ihren Kräften war, und der allmächtige Freund der Wahrheit und Tugend wird ihnen am Ende eben soviel Zufriedenheit bezeigen, als ob sie mehr gethan hätten. Viele können ihre wohlthätige Menschenliebe in zeitlichen Dingen auf eine sehr ausgezeichnete Art beweisen. Sie können milde Stif35 ins geheim] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 487. 1387

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pable of guiding the wheels of government with wisdom; of improving useful arts; of making important discoveries; of writing valuable books. If such persons exert such faculties, embrace such opportunities, from a pure principle of public spirit, they shall inherit the immortal favour of Almighty God: but an equal portion of it shall fall to | their lot, who, filled with equal philanthropy, but not favoured with equal powers of expressing it, have been able to bestow upon the necessities of society, nothing but their wishes, and their prayers; and who have given to Misery only that tear, which was all they had to give it. The applause of historians, the gratitude of ages, the admiration of posterity, is denied them; but their names are as legible in the book of God, as those that have been more in the mouth of mankind. “They have done what they could.” They would have done more, had Heaven enabled them to do it. It was in their hearts to do all that others have done; but their hands were bound. The poor, and the private man, whose benevolence has no splendid donatives to drop around it; whose name is not known, where the spire of his village is not seen; yet whom every inhabitant of it honestly loves, for his kind behaviour to all about him; who delights to see all around him happy; who endeavours to make them so as much as he can, by all the little attentions that lie in his power; who performs every office of humble humanity and courtesy, to which his bounded abilities extend; who takes pains to | hush the animosities of his neighbours; who sits by the side of Affliction and whispers peace; to a portion of whose scanty pittance Want is welcome; who, under his own roof, discharges every relative duty; supports the head of sickness with a patient hand; rocks the cradle of declining age; and watches over the morals of careless Childhood; he, who makes this amiable, though humble, figure, in the vale of life, affords a sufficient proof, that, were opulence and power his lot, he would be the father of his country; the protector of innocence; the patron of merit; the encourager of arts.

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tungen errichten, einer Menge von Menschen Unterhalt geben, das Genie unterstützen, den sichern Schatten ihres Schutzes weit verbreiten, und über einen großen Raum Segnungen ausstreuen. Andere können das Ruder des Staats mit Weisheit führen, nützliche Künste vervollkommnen, wichtige Entdeckungen ans Licht bringen, oder die Welt mit schätzbaren Schriften beschenken. Wenn alle diese von einem reinen Gemeingeist getrieben ihre Kräfte in Bewegung setzen, und ihre Gelegenheit wahrnehmen, so werden sie sich die ewige Gunst des Allmächtigen erwerben; aber ein gleicher Antheil davon wird auch denen zufallen, die eben so von Menschenliebe erfüllt waren, und nur weil ihnen die Kräfte fehlten, dies eben so zu beweisen, den Bedürfnissen der Gesellschaft nichts darbringen konnten, als ihre guten Wünsche, und dem Elenden nichts geben, als die Thräne, welche das einzige war, was sie zu geben hatten. Das Lob der Geschichtschreiber, die Dankbarkeit des Zeitalters, die Bewunderung der Nachwelt wird ihnen freylich nicht zu Theil; aber in dem Buche des Herrn sind ihre Namen eben so deutlich verzeichnet als die, welche weit öfter in dem Munde der Menschenkinder | gehört werden: „Sie haben gethan, was sie konnten.“ Sie würden mehr gethan haben, hätte der Himmel sie dazu in den Stand gesetzt. In ihrem Herzen war Lust zu allem Guten, was Andere thaten; aber ihre Hände waren gebunden. Der arme und der unbekannt lebende Mann, dessen Wohlwollen keine glänzende Gaben ausstreuen kann, dessen Name nicht weiter genannt wird, als man die Thurmspitze seines Dorfes sieht, den aber jeder Bewohner desselben wegen seines gütigen Betragens gegen Alle aufrichtig liebt; dem es Vergnügen macht, jedermann um sich her glücklich zu sehn, und der gern dazu beyträgt durch alle kleinen Dienste, die er leisten kann; der soweit seine eingeschränkten Umstände reichen jede Pflicht der Menschenfreundlichkeit und der Gefälligkeit ausübt; der sich Mühe giebt die Zwietracht unter seinen Nachbarn zu stillen; der an der Seite des Betrübten sitzt und ihm Ruhe zuflüstert; der dem Nothleidenden auch von seinem dürftigen Mahle noch gern mittheilt; der unter seinem eignen Dach jeder häuslichen Pflicht Genüge leistet, mit geduldiger Hand das Haupt des Kranken unterstützt, das hinfällige Alter in Schlummer wiegt, und über die Sitten der sorglosen Kinder wacht; der arme Mann, der in den niedrigen Gegenden des Lebens diese liebenswürdige, wenn gleich untergeordnete Rolle durchführt, giebt einen hinlänglichen Beweis, daß er, wäre Macht und Reichthum sein Loos, der Vater seiner ganzen Gegend und der Be-

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“This widow,” said our Saviour, “hath thrown in more than all the rest;” it is but little, but it is her little all.—Elisha, the prophet of God, was entertained by a woman of considerable property and rank. She treated him with uncommon hospitality; she afforded him every accommodation in her house which he wanted; she built an apartment solely for his use; in the furniture, and in the situation of which, she, at once, consulted the simplicity of his taste, and the secrecy of his devotion. Her house was his home. He came when he pleased, and when he pleased | he went away. All that he wished for, he had; and all was bestowed with the utmost respect, and the nicest delicacy. The son of this woman sickens and dies: The prophet prays to God for his restoration: His prayer is heard: Her son lives.—The predecessor of this man of God once solicited a poor woman for only a cup of cold water. Even of that she had but little, but a part of that little she freely gave him. Her child also dies. For his restoration the prophet prays. That prayer is also heard. Upon equal goodness, though its gift was less, an equal recompence is bestowed by Heaven.—Mary, full of affection for her Saviour, pours over him a quantity of expensive ointment. She could not perform any important office of friendship for him. She could not turn away from him and his religion the tide of vulgar prejudice. It was not in her power to protect him from popular clamour and cruelty. She was not able to pull one thorn out of the crown, that was soon to be put upon his temples; or to extract a single nail from those hands and feet, that were shortly to be extended upon a cross. But what she could, she did. She expressed her respect for her | Lord, in the only way which was in her power; and her Master received this humble tribute of her love, in as gracious a manner, as if she had rendered him the most substantial and splendid service.

Secondly, The Judge of all, we are led to believe by the spirit of these words of our Saviour which we are considering, will accept the e r r o n e o u s and m i s t ak e n services of his honest and well-disposed servants. Multitudes, in different parts of the world, unacquainted with that religion which enables us to entertain just conceptions of God and of duty, have fallen into religious and moral mistakes. But, although that Being, who has been declared unto us, they have ignorantly worshipped; although their contracted conceptions may have confined to images, and to temples, that Presence which fills all space,

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schützer der Unschuld seyn, daß er | jedes Verdienst hervorziehn, und jede nützliche Kunst aufmuntern würde. „Diese Wittwe, sagte unser Erlöser einst, hat mehr in den Kasten geworfen, als Alle übrigen;“ es war nur wenig, aber dies wenige war ihr alles. – Elisa, der Mann Gottes, wurde von einer Frau von ansehnlichem Rang und Vermögen, unterhalten. Sie erwies ihm ungewöhnliche Gastfreundschaft; sie verschafte ihm in ihrem Hause jede Bequemlichkeit, an der es ihm fehlte; sie baute ein eignes Zimmer zu seinem Gebrauch, und nahm bey der Lage und Einrichtung desselben auf seinen einfachen Geschmack und seine Liebe zur einsamen Andacht besonders Rücksicht. Ihr Haus war seine Heimath. Er kam, wenn er wollte, und ging wenn er wollte. Alles, was er wünschte, erhielt er, und alle diese Gaben wurden mit eben so viel Feinheit des Gefühls dargereicht, als dabey die innigste Ehrfurcht zum Grunde lag. Der Sohn dieser Frau wird krank und stirbt; der Prophet betet zu Gott um seine Genesung, sein Gebet wird erhört, und der Knabe lebt. – Der Vorgänger dieses Propheten bat einst eine arme Frau nur um einen Becher kalten Wassers. Auch davon hatte sie nur wenig; aber einen Theil von diesem wenigen gab sie ihm gern. Ihr Kind starb auch; der Prophet bat um dessen Genesung, und dies Gebet ward auch erhört. Dieselbe Güte, obgleich ihre Gabe weit geringer war, belohnte der Himmel auf gleiche Art. – Maria voll herzlicher Liebe zu ihrem Erlöser, gießt ein Gefäß köstlicher Salbe über ihn | aus. Einen wichtigen Freundschaftsdienst konnte sie ihm nicht leisten. Sie konnte den Strom der gemeinen Vorurtheile von ihm und seiner Lehre nicht abwenden. Es stand nicht in ihrer Gewalt, ihn gegen die Wuth und Grausamkeit des aufgebrachten Volkes zu beschützen. Sie konnte nicht einen Dorn aus der Krone brechen, welche bald auf seine Schläfen gedrückt werden sollte, nicht einen von den Nägeln ausziehn, womit seine Hände und Füsse bald sollten ans Kreuz geheftet werden. Aber was sie konnte, that sie. Sie äußerte ihre Verehrung gegen ihren Herrn auf die einzige Art, die ihr offen stand, und ihr Meister nahm dies schwache Opfer ihrer Liebe so gnädig an, als ob sie ihm den wesentlichsten und ausgezeichnetsten Dienst geleistet hätte. Zw e i t e n s veranlaßt uns der Sinn dieser Worte unsers Erlösers zu glauben, daß der Richter über uns alle auch diejenigen Dienste seiner redlichen und wohlmeinenden Verehrer gnädig ansehn werde, wobey sie von Irrthum und Mißverstand nicht frey gewesen sind. Eine große Anzahl von Menschen sind unbekannt geblieben mit der Religion, welcher wir unsere richtigen Begriffe von Gott und unsern 3–4 Vgl. Mk 12,43; Lk 21,3 24 22–23 Vgl. Joh 12,3

5–16 Vgl. 2Kön 4,8–37

16–20 Vgl. 1Kön 17,10–

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and is not far from any one of us; and though their systems of moral practice may have been in some respects erroneous; yet, if they have been careful to obey those clear and simple elements of morality, which the finger of Conscience has inscribed upon every human heart; if they have endeavoured to know all they could concerning their duties, and been diligent to do, so | far as they have been able to discern, them; the righteous Receiver of our services will not refuse them his approbation, because they have not brought to the footstool of his throne the correct conceptions of rational piety, or to the shrine of society, the faultless offerings of enlightened benevolence.

There are certain general principles of religion, equity, veracity, and humanity, which are plain and obvious to all mankind; but different nations have differed in their application of these general sentiments to particular cases; and have entertained more or less enlarged ideas of their extent. But so far as the conduct of any has been consistent with their honest perceptions of moral propriety, they have found acceptance in the sight of God. Many customs, which to us appear in the highest degree barbarous and inhuman, have prevailed in the politest heathen nations. If the legislators, who gave them their sanction, were convinced of their utility, they were justified in giving it them: nor will any among the multitude, who complied with them, from that blind obedience to the custom of their country, and the authority of their superiors, above which it is only in the | power of liberal education to lift the human mind, be, upon that account, rejected by the Judge of all men, if, in the plainer points of duty, they have obeyed the dictates of that Conscience, whose words are heard to the end of the world.

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Pflichten verdanken, und sind daher in religiöse und moralische Irrthümer gerathen. Aber, ob sie gleich das Wesen, welches sich uns so deutlich geoffenbart hat, nur ohne es zu kennen verehrt haben; obgleich ihre eingeschränkten Begriffe denjenigen, dessen Gegenwart alle Welten erfüllt, und nicht fern ist von einem jeglichen unter uns, nur in gewissen Bildern | und Tempeln suchten; obgleich die Regeln des Betragens, welche sie sich vorzeichneten, vielleicht in mancher Rücksicht fehlerhaft waren; so können wir doch glauben, daß wenn sie nur bemüht gewesen sind, die einfachen und klaren Gebote der Sittlichkeit, die das Gewissen jedem menschlichen Herzen einschärft, zu befolgen; wenn sie nur gesucht haben ihre Erkenntniß von ihren Pflichten, so viel sie konnten, vollständig zu machen, und sich angelegen seyn ließen, was sie davon unterscheiden konnten, auch auszuüben, so werde der, welcher unsere Dienste nach Billigkeit beurtheilt, ihnen seinen Beyfall dafür deswegen nicht versagen, weil sie nicht mit den gereinigteren Begriffen einer vernunftmäßigen Frömmigkeit zu den Füssen seines Thrones erschienen sind, oder der Gesellschaft nicht die tadellosen Opfer eines ganz erleuchteten Wohlwollens dargebracht haben. Es giebt gewisse allgemeine Grundsätze der Religion, Billigkeit, Wahrheitsliebe und Menschlichkeit, welche ganz klar, und dem ganzen menschlichen Geschlecht bekannt sind; aber über die Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze auf gewisse besondere Fälle sind die Völker immer verschiedner Meinung gewesen, und haben über die Grenzen ihres Gebrauchs bald mehr bald weniger groß und richtig gedacht. So fern aber nur das Betragen eines jeden mit seinen besten Ueberzeugungen von dem, was der Sittlichkeit angemessen ist, übereinstimmte, haben sie gewiß alle vor den Augen Gottes Gnade | gefunden. Unter den gebildetsten heidnischen Nationen haben mancherley Gewohnheiten Statt gehabt, die uns im höchsten Grade barbarisch und unmenschlich scheinen. Wenn die Gesetzgeber, welche diese Gebräuche geboten, sich überzeugt hatten, daß sie erlaubt und nützlich wären, so sind sie über deren Einführung gerechtfertiget, und von dem großen Haufen, der sich ihnen fügte, wird gewiß bloß wegen dieser blinden Anhänglichkeit an vaterländische Gebräuche und an das Ansehn der Obern, worüber sich das menschliche Gemüth nur durch eine freyere Erziehung zu erheben lernt, keiner von dem Richter der Menschen verworfen werden, sofern sie nur in dem, was unmittelbar und deutlicher zu ihren Pflichten gehörte, den Aussprüchen des Gewissens folgten, dessen Worte bis ans Ende der Welt vernommen werden. 3–6 Vgl. Apg 17,23–24.29

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Christ has commanded you to love your enemies; it is a beautiful command; it proclaims, as loud as any of his miracles, that he came from God.—Aristotle, uneducated in our school, told his followers, that forgiveness of injuries was the mark of a mean spirit: it was the lesson of frailty; it was the precept of pride; yet shall no honest Greek, who was just and generous in his general intercourse with society; who was kind to his relatives; courteous to his neighbours; hospitable to strangers; faithful to his friends; grateful to his benefactors; be condemned when he appears before the bar of Christ, because he happened not to be among his hearers upon the mount, or among the readers of that sermon, in which benevolence is extended to enemies.—Whatever calamity overtake yourselves, your friends, your family, or your country, you think resignation to Providence, and the possession of your soul in | patience, to be your duty; and so undoubtedly it is; and blessed be God for that book which tells us so:— Cato, unenlightened by that religion which throws its light upon your path; the inhabitant of a country in which patriotism was all in all; when he could serve his country no longer, when he saw its “term of freedom out,” thought it unworthy of a citizen of Rome to survive her; and saw no farther occasion for him, in a world that seemed to have been “made for Cæsar:” yet, though he fell upon the point of his sword, no one, I am persuaded, who is acquainted with his character, and with the spirit of the Gospel, will doubt of seeing that great and good man in heaven. When your friend sickens unto death, when your parent declines to the dregs of life, you think it right, and with reason you think so, to attend him to his last gasp. The Tartar carries out the victim of decay, or of incurable disease, to an hut erected for him in some solitary situation, and leaves him to perish there, from an idea, that domestic attendance, and medical assistance, only serve to prolong the period of pain, and to lengthen a life that is no longer a blessing. Yet if he do this from | such a motive, neither this, nor any other mistake, if in all points he act according to the best of his knowledge, shall cut him off from the favour of God; shall shut him out from the city, which He has erected, for the final reception, and immortal residence of the just.— The Indian enters his pagoda, and adores an insensate image; he has never heard of that God whom we assemble to worship; but, if this be his only fault, the God we worship shall accept his homage as well as ours.

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Christus hat uns befohlen unsere Feinde zu lieben, und dies ist ein herrliches Gebot, wodurch seine göttliche Sendung lauter verkündiget wird, als durch alle seine Wunder. Aristoteles, der in unserer Schule nicht gebildet seyn konnte, lehrte seine Jünger, daß Beleidigungen zu vergeben das Kennzeichen eines schwachen Gemüths wäre. Dies war allerdings eine sehr unvollkommne Lehre, die der Stolz eingegeben hatte; aber doch wird kein rechtschaffener Grieche, dessen Betragen im geselligen Leben im Allgemeinen gerecht und edelmüthig war, der gütig gegen seine Verwandte, gefällig gegen seine Nachbarn, gastfrey gegen Fremde, seinen Freunden | treu, und seinen Wohlthätern dankbar gewesen ist, vor dem Richterstuhl Christi, wenn er dort erscheint, um deswillen verdammt werden, weil er sich nicht unter seinen Zuhörern am Berge befunden hat, oder weil er die Rede nicht lesen konnte, worin die Verbindlichkeit des Wohlwollens bis auf unsere Feinde ausgedehnt wird. – Welches Unglück auch uns selbst, unsere Freunde, unsere Familie oder unser Vaterland treffen möge, wir halten es für unsere Schuldigkeit, uns in den Willen der Vorsehung zu ergeben, und unsere Seele in Geduld zu fassen; und so ist es auch ohne Zweifel recht, und Gott sey gepriesen für das Buch, welches uns diesen Unterricht giebt. Kato aber, den die Religion, die ihr Licht auf unsern Pfad wirft, nicht erleuchtete, der ein Land bewohnte, wo Vaterlandsliebe für alles galt, hielt es, als er diesem Vaterlande nicht länger dienen konnte, als er sah, daß die Zeit der Freyheit vorüber wäre, eines römischen Bürgers unwürdig Rom zu überleben, und fand für sich keinen Raum weiter in einer Welt, welche ganz für den Cäsar gemacht zu seyn schien; aber ob er sich gleich in die Spitze seines Schwerdtes stürzte, so bin ich doch überzeugt, daß Niemand, der mit seinem Charakter und mit dem Geist des Evangelii bekannt ist, daran zweifeln wird, diesen großen und guten Mann einst im Himmel zu finden. – Wenn Euch ein Freund auf dem Sterbebette liegt, oder ein Vater das Zeitliche gesegnen will, so haltet ihr es für Pflicht, und habt gewiß ganz recht daran, ihm beyzustehen bis zu sei|nem letzten 21 wirft, nicht] wirft,nicht 21–22 Vaterlandsliebe] Vaterlandsiiebe vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 615–616

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1 Vgl. Mt 5,44 4–5 Fawcett bezieht sich hier wohl auf eine Aristoteles-Rezeption, die vermutlich an dessen Nikomachische Ethik, Buch IV, Kapitel 11 anknüpfte; vgl. die Stelle in Opera, ed. Bekker, S. 1126a,4–8. 12–13 Vgl. Mt 5,1 18 Vgl. Lk 21,19 20 Gemeint ist Marcus Porcius Cato (Uticensis), der nach der Schlacht bei Thapsos die Begnadigung durch Caesar ausschlug und sich in Utica im April 46 v. Chr. durch eigene Hand tötete. 23–24 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Joseph Addison: Cato. A tragedy. As it is acted at the Theatre-Royal in Drury-Lane, by her Majesty’s servants, London 1713, Akt II, Szene 1. 25–26 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Joseph Addison: Cato V,1.

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In our own country there are those, as in all there have been, who publish speculative opinions, upon religious, or moral, or political topics, which we may think to be wide of truth, and to be pregnant with mischief; but whatever errors any may endeavour to propagate, if truth be the object of their pursuit, though that they may fail to find, they will not have sought in vain for the favour of God. Many of our fellow-christians may appear to us to have fallen into practical mistakes, which we may conceive to be either directly injurious, or not so friendly to the interests of religion and virtue, as the modes of piety and of morality which we may have adopted. There are those among us who | worship God in silence; we worship him with words: there are these who compass his altar with multiplicity of rites, with magnificence of ceremony, with pomp of tapers, and with clouds of incense; we think that simpler forms and a more sober-suited devotion are to be preferred: multitudes imagine it to be their duty to attend upon public worship, if possible, every day in the week; it is our opinion, perhaps, that it is with more propriety confined to one: many suppose it a part of their duty to abstain from certain amusements and pleasures, which we may consider not only as innocent, but as tending to recommend religion to youth, and remove the prejudice of infidelity against it. Perhaps we are right; perhaps they are wrong; but if they be as honest, they are as acceptable, as we, in the sight of Heaven. No man shall ever lose the smile of celestial approbation, merely for want of success in his honest search after truth.

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Othemzug. Der Tartar hingegen führt den, der dem Alter oder einer unheilbaren Krankheit erliegt, in eine Hütte, die ihm in einer ganz einsamen Gegend erbaut ist, und da läßt er ihn umkommen, weil er meint, daß häusliche Pflege und ärztliche Fürsorge nur die Zeit der Schmerzen verlängere, und ein Leben peinlich aufhalte, welches doch keine Freude mehr seyn könne. Dennoch, wenn er dies aus einem solchen Bewegungsgrunde thut, so wird weder dieser, noch irgend ein anderer Irrthum, so lange er nur in allen Stücken seiner besten Ueberzeugung gemäß handelt, ihn von der göttlichen Gnade ausschließen, oder ihn aus dem Ort entfernen, welchen er zur gemeinschaftlichen Aufnahme und zur ewigen Wohnung für alle Gerechte bestimmt hat. – Der Indianer geht in seine Pagode, und betet dort ein lebloses Bild an; er hat nie von dem Gott gehört, zu dessen Verehrung wir uns versammeln; aber wenn dies sein einziger Fehler ist, so wird gewiß der Gott, dem wir dienen, seine Huldigung so gnädig annehmen, als die unsrige. Es giebt bey uns, wie überall, Personen, welche über religiöse, moralische oder politische Gegenstände besondere Meinungen äußern, die unsres Erachtens von der Wahrheit sehr weit entfernt sind, und eine Menge von unrichtigen Folgerungen in sich schließen; aber was für Irrthümer sie auch auf diese Weise verbreiten mögen, wenn nur Wahrheit wirklich der Gegenstand ihres Forschens und Strebens gewesen ist, so können sie diese vielleicht verfehlt ha|ben, aber die Gnade Gottes haben sie demohnerachtet gefunden. Viele von unsern Mitchristen scheinen uns praktische Irrthümer zu hegen, von denen wir glauben, daß sie der Sache der Religion und Tugend, wo nicht offenbar nachtheilig, doch gewiß nicht so günstig sind, als der Weg, den wir eingeschlagen haben, um Frömmigkeit und Sittlichkeit zu üben. Einige verehren Gott nur in der Stille, wir ehren ihn mit Worten. Einige umgehen seinen Altar mit vielerley Gebräuchen, mit prächtigen Zeremonien, mit einem Pomp von Kerzen, und Wolken von Weihrauch; wir glauben daß einfachere Formen, und eine bescheidnere Andacht den Vorzug verdienen. Viele bilden sich ein, es sey ihre Schuldigkeit dem öffentlichen Gottesdienst wo möglich jeden Tag in der Woche beyzuwohnen; wir denken vielleicht, daß man besser sich mit einem begnügt. Viele glauben, daß es zu ihren Pflichten gehört, sich gewisser Ergötzlichkeiten und Vergnügungen zu enthalten, die wir nicht nur als unschuldig ansehn, sondern auch glauben, daß dadurch die Religion der Jugend in einem angenehmern Licht gezeigt, und so manches Vorurtheil, welches der Unglaube dagegen zu erregen sucht, hinweggeräumt wird. Vielleicht haben wir Recht; vielleicht haben sie Unrecht; aber wenn sie es eben so redlich meinen als wir, so werden 12 Indianer] Kj Inder

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Nor, let me add, shall any of those, who, in consequence of defective capacity for the conduct of business, frequently impede the benevolent undertakings, in which disinterested benevolence leads them to embark, be the less applauded by the righteous Reader | of every heart, because their judgment was not equal to their generosity. They have done what they could. Though not eminently useful members of society, they are acceptable servants of God; if not distinguished blessings, they are honest friends to mankind, and the Father of mankind is theirs. This exculpation of ignorance, however, is to be confined to that which is involuntary and unavoidable. He, who without being either honest, sober, industrious, or humane, hopes to be saved by an idle faith, is not ignorant, but deceitful. He does not seriously think as he says; he shuts his eye, and will, not see the truth which stands before him. And, although some spiritual guides have held out their hands to lead him into this path of self-deception, yet it is not in the power of all the pulpits in Christendom, to drown that voice of God within us, which preaches justice and mercy to mankind.

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Thirdly, Those imperfections in our conduct which arise out of the moral frailties inseparable from human nature, in the present stage of its progress, will not shut out any from the divine acceptance, who diligently improve the powers they possess. There is a | certain degree of moral excellence, beyond which human nature, in its present state, is not able to pass. Perfection is a word of which we often make use; it is a word which the Scriptures also frequently employ; but, whenever it occurs, it is to be understood only in a comparative sense. Absolute perfection is entirely out of our reach. We may walk; we may run; but we cannot fly. Do what we will, pray as often as we please, meditate as frequently, struggle as hard, be as watchful over ourselves as we can, we shall, every now and then, either think something, or feel something, or say something, or do something, that will remind us we are dust, and fill us with sorrow and shame. But

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sie auch vor den Augen Gottes eben so angenehm seyn. Niemand wird je den gnädigen Blick des göttlichen Beyfalls bloß deswegen entbehren müssen, weil sein | redliches Bestreben nach Wahrheit nicht den glücklichsten Erfolg gehabt hat. Laßt mich noch hinzufügen, daß auch diejenigen, denen die gutgemeinten Unternehmungen, wozu ein reines Wohlwollen sie antrieb, aus Unfähigkeit sich geschickt zu benehmen, immer mißglückten, von dem untrüglichen Erforscher des menschlichen Herzens um deswillen, weil ihre Beurtheilungskraft der guten Absicht nicht gleich kam, nicht minder werden gelobt werden. Sie haben gethan, was sie konnten. Sind sie gleich nicht ausgezeichnet nützliche Mitglieder der Gesellschaft gewesen, so waren sie doch aufrichtige Diener Gottes; haben sie gleich dem menschlichen Geschlecht nicht auf eine vorzügliche Art zum Segen gelebt, so waren sie doch redliche Freunde desselben, und der Vater der Menschen wird wiederum ihr Freund seyn. Doch kann diese Entschuldigung nur einer solchen Unwissenheit zu Gute kommen, welche unverschuldet und unvermeidlich ist. Wer ohne redlich, mäßig, arbeitsam und menschenfreundlich zu seyn, durch einen leeren Glauben selig zu werden hofft, ist nicht unwissend, sondern ein Betrüger. Er kann nicht ernstlich glauben, was er sagt; er verschließt seine Augen, und will die Wahrheit nicht sehen, die vor ihm steht. Es kann wohl seyn, daß einige geistliche Führer ihm die Hand gereicht haben, um ihn auf diesen Pfad der Selbsttäuschung zu leiten; aber keine menschliche Stimme, und wenn sie von allen Kanzeln der Christenheit ertönt, ist im Stande, | die Stimme des Gottes in uns zu übertäuben, welche allen Menschen Gerechtigkeit und Liebe predigt. D r i t t e n s . Diejenige Unvollkommenheit in unserm Betragen, welche aus der geistigen Gebrechlichkeit herrührt, die von unserer Natur auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Bildung unzertrennlich ist, wird keinen unter uns, wenn er nur die Kräfte, die er besitzt, fleißig benutzt und anbaut, von der göttlichen Gnade ausschließen. Es giebt einen gewissen Grad moralischer Vortreflichkeit, über welchen die menschliche Natur in ihrem gegenwärtigen Zustande nicht hinaus kann. Vollkommenheit ist ein Wort, dessen wir uns häufig bedienen, welches auch die Schrift oft gebraucht; aber wo es auch vorkomme, wir können es nicht anders als vergleichungsweise verstehen. Eigentliche Vollkommenheit liegt ganz außer unserm Kreise. Wir können fortschreiten, wir können unsern Lauf beschleunigen, aber fliegen können wir nicht. Thut was ihr wollt, laßt es weder an Gebet, noch an Ueberlegungen fehlen; strebt so tapfer gegen den Strom, und seyd so wachsam auf euch selbst, als es immer möglich ist, so werdet ihr doch dann und wann etwas denken und empfinden, oder reden und thun, was

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though this be the character of our nature, religious melancholy has no business in our bosom. God Almighty is merciful and just; he knoweth our frame, and does not expect more from us than we are able to pay him.

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Yet let us not carry our ideas of divine mercy and human frailty to that dangerous extremity, to which some have stretched them. Let us not separate grace from justice; suppose that weakness will justify indolence; or suffer our knowledge that we | cannot do much, to degenerate into an imagination that we can do nothing. That man is a creature, surrounded by temptations which he possesses not the power to resist, that he has passions within him which are not to be governed by him, and that, however clearly, in his closet, he may perceive both the intrinsic propriety of virtue, and the prudence of them that practise it, yet that, when he quits the cool shade of retirement, and comes into the world, it is not in the power of either conscience or faith to break the spells, and dissolve the enchantment of the riches and honours and pleasures of the world; this is the language of those, who, along with morality, renounce religion. While many of the professors of religion indulge a romantic notion, that supernatural assistance is necessary to produce their reformation. They cannot, they contend, enter upon virtuous courses, until they are called by God. Calls of what other kind than those they are continually receiving, do they expect to receive? Are not the calls of God perpetually in their ear? He “speaketh once, yea twice, but they regard him not.” What is every conviction excited in their minds, by what|ever circumstance, of the folly, or of the deformity of vice, of the comeliness, or of the discretion of virtue; what is every inspiring example of rectitude that passes before their eyes; what is every fit of sickness that causes their earthly tabernacle to totter, and warns them to provide themselves an eternal tenement; what is every mournful memento of mortality that moves along the street, while they are walking in it; what is every instance of rewarded virtue and corrected vice, which human life exhibits to their view; what is every painful consequence of their own misconduct, which they themselves have experienced, in their property, or in their reputation, or in their health, or in their mental sensations; what is every proof presented to them by past, or by present times, of the necessity of mutual justice and humanity to the happiness of human society; what are all these, but divine calls to duty? but the various voices of God, inviting man to virtue? It is 34 they themselves] themselves

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euch erinnert, daß ihr Staub seyd, und was euch mit Kummer und Schaam erfüllt. Aber obgleich dies der Charakter unserer Natur ist, brauchen wir doch einer religiösen Schwermuth in unsern Herzen nicht Raum zu geben. Der allmächtige Gott ist gnädig, und gerecht, er weiß | was für ein Gemächte wir sind, und erwartet nicht mehr von uns, als wir leisten können. Nur laßt uns unsere Begriffe von der göttlichen Gnade, und der menschlichen Schwachheit nicht, wie einige gethan haben, auf eine gefährliche Art ausdehnen. Wir müssen Gnade nicht von Gerechtigkeit trennen, nicht voraussetzen, daß durch Schwachheit auch die Trägheit gerechtfertigt werde; wir müssen die Einsicht, daß wir nicht viel vermögen, nicht in eine Einbildung ausarten lassen, als ob wir nichts vermöchten. Daß der Mensch von Versuchungen umgeben sey, denen zu widerstehen er die Kraft nicht habe; daß Leidenschaften in ihm seyen, die er nicht regieren könne; daß er zwar in seinem Zimmer sehr deutlich einsehn könne, wie schön die Tugend an sich sey, und wie klug zugleich diejenigen handeln, welche sie üben: daß aber, sobald er die kühlen Schatten der Einsamkeit verlasse, und in die Welt zurückkehre, weder Gewissen noch Glauben mächtig genug sey, die Beschwörungen aufzuheben, und die Zauberbande zu lösen, womit Reichthum, Glanz und Vergnügen der Welt ihn bestricken: das ist nur die Sprache solcher Menschen, die beydem, der Religion und der Sittlichkeit entsagt haben. Allein es giebt manche Bekenner der Religion, die der sonderbaren Vorstellung nachhängen, daß ein übernatürlicher Beystand nothwendig sey, um ihre Besserung zu bewirken. Sie behaupten, sie könnten keine tugendhafte Laufbahn anfangen, wenn Gott sie nicht dazu beriefe. Was | für einen andern Beruf erwarten sie denn aber, als den, der ununterbrochen an sie ergeht? Ist nicht der Ruf Gottes immerfort in ihren Ohren? „Er redet einmal auch zweymal, aber sie merken nicht darauf.“ Was ist jede, durch irgend einen Umstand in ihrem Gemüth erweckte Ueberzeugung von der Thorheit und Mißgestalt des Lasters, von der Schönheit und Sicherheit der Tugend? Was ist jede zur Nacheiferung begeisternde rechtschaffene That, die vor ihren Augen geübt wird? Was ist jeder Anfall von Krankheit, der ihre irdische Hütte wankend macht, und ihnen winkt, sich nach einer ewigen Wohnung umzusehn? Was ist jedes traurige Todtengeleite, welches durch die Strassen zieht, in denen sie noch wandeln? Was ist jedes Beyspiel von belohnter Tugend und gebessertem Laster, welches das menschliche Leben ihrem Auge darbietet? Was ist jede schmerzliche Folge ihres eignen üblen Betragens, die sie an ihrem Eigenthum, oder an ihrer Ehre, an ihrer Gesundheit oder an ihrer Ge1. 5 Vgl. Ps 103,14

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needless to say much upon this subject. There is in every man’s breast a consciousness, which it is not in the power of his sophistry to stifle, that he can do well, if he will, without any other sort of assistance from the Author of | good, than what has been granted to him ever since he was born, and what he receives every day of his life.

To the man of pleasure and of the world, who, without entering into any theological theories, carelessly and thoughtlessly asserts, it is not in the power of man to act a virtuous part, I would beg leave to say, if such an one were within these walls, that, scarce as good men are said to be, there is a sufficient number of surrounding instances, to convince him, that it is possible for him, if he chose to make the trial, to acquire such a degree of virtuous settlement and security, as to be superior to all the ordinary temptations of human life; to establish in his breast such a prevailing influence of virtuous principles, as that the majority of his thoughts and words and actions, though not all, shall be such as himself and his celestial Judge can approve. So much man can do; and he who has done this, may have confidence towards the God and Father of Jesus Christ. His imperfections he may have; imperfections he must have; but these are forgiven him. He hath done what he could.|

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To what has been said I will only add two or three practical inferences. I. We learn from this subject the manner, in which it becomes us to regard the endeavours of our fellow-creatures to serve us. Do any discover a benevolent or a grateful temper towards us? Although they may not be able to render us important services, or to make any valuable returns to us for the favours they have received from us, let us consider them as doing all they can, and love and esteem them as much as if they had done more.

21 only] so Errata-Verzeichnis; OD: willingly

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müthsruhe erfahren müssen? Was ist jeder Beweis davon, wie nothwendig zur Glückseligkeit der Gesellschaft gegenseitige Gerechtigkeit und Menschenliebe sey, man finde ihn nun in der gegenwärtigen oder in der vergangenen Zeit? Was sind alle diese Dinge anders, als ein göttlicher Ruf, der sie zu ihrer Pflicht anweiset? als mannigfaltige Stimmen Gottes, welche zur Tugend auffodern? Es ist unnöthig hierüber viel zu sagen. Jeder Mensch ist sich mit einer Gewißheit, welche sich durch keine Spitzfindigkeit irre machen läßt, in sei|nem Innern bewußt, daß er, wenn er will, recht handeln kann, ohne von dem Urheber alles Guten eines andern Beystandes zu bedürfen, als dessen, den er ihm immer verliehen hat, seit er geboren ist, und den er an jedem Tage seines Lebens aufs neue empfängt. Sollte in dieser Versammlung einer von jenen Anhängern der Welt und der Freude seyn, die ohne sich in Streitigkeiten über Lehrmeinungen einzulassen, sorglos und gedankenlos behaupten, daß es dem Menschen nicht möglich sey, einen tugendhaften Wandel zu führen, der lasse sich sagen, daß obgleich gute Menschen wirklich selten seyn mögen, es doch Beyspiele genug um ihn her giebt, um ihn zu überzeugen, es werde, wenn er nur den Versuch machen wollte, auch ihm möglich seyn, einen solchen Grad von tugendhafter Fertigkeit und Stärke zu erwerben, der ihn über die gewöhnlichen Versuchungen des Lebens erheben kann, und tugendhaften Grundsätzen einen so herrschenden Einfluß in seinem Gemüth zu verschaffen, daß wenigstens der größte Theil seiner Gedanken, Worte und Handlungen, wenn gleich nicht alle, von der Art seyn werden, ihn und seinen himmlischen Richter zufrieden zu stellen. So viel kann der Mensch leisten, und wer dies geleistet hat, der mag Vertrauen fassen zu Gott und dem Vater unsres Herrn Jesu Christi. Unvollkommenheiten kann er dabey immer haben, und er hat sie auch gewiß; aber sie sind ihm vergeben, denn er hat gethan, was er konnte.| Demjenigen, was ich bis jetzt gesagt habe, möchte ich noch einige praktische Folgerungen hinzufügen. 1) Lernen wir hieraus, wie wir die Bemühungen unserer Nebenmenschen, uns zu dienen, ansehn müssen. Zeigen einige unter ihnen eine wohlwollende oder dankbare Gesinnung gegen uns? Wenn sie auch nicht im Stande seyn sollten, uns wichtige Dienste zu leisten, oder das Gute, welches sie von uns empfangen haben, auf eine angemessene Weise zu erwiedern, so laßt uns doch bedenken, daß sie alles thun, was sie können, und laßt uns sie eben so sehr schätzen und lieben, als ob sie mehr gethan hätten. 8 Innern] innern

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Do any with more zeal than prudence do us harm, where they meant to do us good? It is no uncommon case: let us look upon such with the same eye, with which the God of heaven looks upon them that injure h i s cause, the cause of truth, of virtue, and of society, by sincere, but injudicious endeavours to serve it. Let the reflection upon what they meant to do, suppress the resentment excited by what they have done. Let not their mistakes conceal their intentions. Let not our vexation extinguish our gratitude.

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II. This subject holds out ample encouragement to all to enter upon a course of | virtuous conduct. The rewards of virtue are not confined to men of genius, or learning, or power, or opulence; to them that think accurately right, or to them that actually do a great deal of good in the world. This is the lot of only a few. But all men can mean well, into whatever mistakes they may fall. All men can learn to wish the good of others, though they may be able to do but little to promote it. All men can give what they have to give; and, blessed be God, all men have something to give; if not property, if not patronage, if not protection, if not knowledge, yet comfort and condolence to the afflicted, and congratulation to the happy, and a thousand little nameless attentions and diminutive kindnesses, which serve to exercise and to express a benevolent temper as much, and which collectively considered produce a larger sum of human happiness, than single services that make a more splendid figure by themselves.

The omniscient Judge searches the heart; and when all mankind shall stand before him in the last day, it will not be enquired, what they have actually done, but what they did from right motives, and what they would have done had it been in their power. We | have all, therefore, whether high or low, whether rich or poor, powerful or weak, illumined or ignorant, equal encouragement, so far as relates to divine acceptance, to cultivate a virtuous temper, though not equal opportunities of expressing it at present.

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Zeigen Andere mehr Eifer als Klugheit, und thun uns dadurch, was kein ungewöhnlicher Fall ist, eben da Schaden, wo sie es recht gut meinten, so laßt uns auf sie mit dem nemlichen Auge sehen, womit Gott vom Himmel auf diejenigen herabsieht, die seiner Sache, der Sache der Wahrheit, der Tugend und der Gesellschaft durch die aufrichtigsten aber nicht überdachten Bemühungen schädlich geworden sind. Der Gedanke an das, was sie im Sinn hatten, müsse die Empfindlichkeit unterdrücken, die durch das gereizt wird, was sie wirklich gethan haben. Ihr Irrthum müsse uns ihre Absicht nicht aus den Augen rücken, unser Verdruß müsse nicht unsre Dankbarkeit ersticken. 2) Finden wir hier für uns alle eine kräftige Ermunterung, uns eines tugendhaften Wandels mit | Ernst zu befleißigen. Die Belohnungen der Tugend werden, wie wir sehen, nicht nur den Geistvollen, den Gelehrten, den Mächtigen oder den Reichen zu Theil, nicht nur denen, die in allen Stücken richtig denken, oder die wirklich vielerley Gutes in der Welt bewirken. Dies Loos treffen nur Wenige. Aber alle Menschen können es gut meinen, auf was für Abwege sie sich auch dabey verirren. Alle Menschen können lernen Andern Gutes zu wünschen, wenn sie auch nicht im Stande sind, viel dazu beyzutragen. Alle Menschen können geben, was sie zu geben haben, und Gott sey gelobt, alle haben etwas zu geben, ist es nicht Vermögen, ist es nicht Schutz, ist es nicht Vertheidigung, ist es nicht Erkenntniß: so haben sie doch Trost und Mitleiden für die Betrübten, Mitfreude für die Glücklichen, und tausend kleine Dienstleistungen und Gefälligkeiten, wodurch eben so gut wohlwollende Gesinnungen geübt und ausgedrückt, und vielleicht im Ganzen genommen mehr Beyträge zur menschlichen Glückseligkeit geliefert werden, als durch einzelne Handlungen der Menschenliebe, die von einem weit größeren Glanz umgeben sind. Der allwissende Richter erforscht das Herz, und wenn an einem Tage das ganze Menschengeschlecht vor ihm steht, so wird er nicht danach fragen, was ein Jeder wirklich gethan hat, sondern welche von seinen Handlungen aus richtigen Bewegungsgründen hergeflossen sind, und was er wohl in jeder Rücksicht gethan haben würde, wenn es in seiner Macht ge|standen hätte. Wir haben also alle, Hohe und Niedrige, Reiche und Arme, Mächtige und Ohnmächtige, Unterrichtete und Unwissende, gleiche Aufmunterungen – was nemlich das göttliche Wohlgefallen daran betrift – tugendhafte Gesinnungen in uns auszubilden, wenn wir auch nicht gleiche Gelegenheit haben, sie für jetzt zu äußern. 16 treffen] Kj trifft

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And, with respect to the pleasure of expressing virtue, which those, who possess it, consider as a large part of its reward, we have reason to hope, that, if in this world we be diligent to cherish the spirit of benevolence, and to exercise it in every way which Providence points out to us, we shall be introduced, in a succeeding state of existence, to a more extensive sphere of social service. Upon him, whose present heaven it is to promote happiness, however small a portion of the power to do it may be now allotted him, as much as his heart can hold of that generous beatitude, shall probably be bestowed above.

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III. This subject suggests consolation to those who have failed in their endeavours to do good. The father’s heart will bleed, when, after all the anxieties and labours of virtuous tuition, he finds the child of his prayers, the prey of evil companions, and the victim of temptation to vice. The benefactor will | grieve, when, through the folly of those whom he wishes to befriend, it is not in his power to serve them; when he finds all his pecuniary assistance, and all his sober counsels, thrown away upon an indolence, which nothing can excite to industry, and an indiscretion, which nothing can reclaim to prudence. He, who engages in the service of his country, will sigh when his generous efforts are in vain; when he finds himself crossed by the malevolence of the wicked, or the mistaken sentiments and incorrigible prejudices of the weak; when he sits down after the fervent, but ineffectual struggle, he will feel the heart-fall of a noble depression. Such, however, after that temporary indulgence to this generous dejection, into which, for a while, they must of necessity sink, have to console themselves with the soul-cheering thought, that they have done what they could; that Heaven sees their sincerity, though, in this instance, it does not want their service. Their repulsion in the pursuit of good, is no proof that the author of it rejects their allegiance to its cause; or that he does not honour and approve them quite as much as others, whom he employs as his instru|ments in bringing good to pass. Divine justice shall reward their worth, though divine wisdom can accomplish its ends without it.

Let every good and generous, however weak and indigent, man rejoice to think, that though his breast can only heave with benevolent wishes; though, shut up in a narrow sphere of utility, he can only see,

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Und was das Vergnügen bey der Ausübung der Tugend betrift, welches freylich diejenigen, die es genießen können, als einen großen Theil ihrer Belohnung ansehen; so haben wir alle Ursach zu hoffen, daß wenn wir nur in dieser Welt den Geist des Wohlwollens gern in uns wohnen lassen, und ihn auf jede Art, welche uns die Vorsehung anweiset, zu üben suchen, wir alsdann in unserm künftigen Zustande in einen ausgebreiteteren Kreis geselliger Wirksamkeit werden eingeführt werden. Wer es schon hier, wo ihm nur ein geringes Vermögen dazu zu Theil worden ist, für seinen Himmel hält, Glückseligkeit zu befördern, über den wird gewiß dort oben von dieser erhabenen Seligkeit so viel ausgegossen werden, als sein Herz zu fassen vermag. 3) Diejenigen finden hier ihren Trost, deren Bemühungen Gutes zu thun vergeblich gewesen sind. Das Herz eines Vaters muß bluten, wenn er nach aller Angst und Sorgen einer rechtschaffenen Erziehung das Kind, welches er so oft dem Himmel empfohlen hat, dennoch von bösen Gesellschaften hingerissen, der Versuchung des Lasters zum Opfer wer|den sieht. Der Wohlthäter muß sich härmen, wenn die eigne Thorheit derer, denen er gern helfen möchte, ihn hindert ihnen nützlich zu seyn, wenn alle wirksame Unterstützung, und aller weise Rath zu Schanden wird an einer Trägheit, die nichts zur Thätigkeit bewegen, an einer Unbesonnenheit, die nichts vorsichtiger machen kann. Wer sich dem Dienst seines Vaterlandes gewidmet hat, muß seufzen, wenn alle seine uneigennützigen Bemühungen vergeblich sind, wenn ihm überall die Bosheit schlechter Menschen, oder die mißverstandene Weichherzigkeit und die unüberwindlichen Vorurtheile schwacher Gemüther im Wege stehn; wenn er sich hinsetzt um Ruhe zu schöpfen nach den gewaltsamsten, und dennoch fruchtlosen Anstrengungen, so schlägt sein redliches Herz unterdrückt und beklommen. Haben aber solche tugendhafte Personen eine Zeitlang dem edlen Mißmuth Raum gegeben, welchem sie nicht entgehen können, so dürfen sie sich mit dem beruhigenden Gedanken trösten: daß sie gethan haben, was sie konnten, und daß der Himmel ihre Redlichkeit sieht, wenn er gleich in dem gegenwärtigen Fall ihren Dienst nicht nöthig zu haben scheint. Daß ihr Bestreben Gutes zu bewirken sein Ziel verfehlt, beweist nicht, daß der Urheber des Guten ihre treue Anhänglichkeit an seine Sache verwirft, auch nicht, daß er sie im geringsten weniger ehrt und lobt, als die, welche er als Werkzeuge braucht, um das Gute wirklich zu Stande zu bringen. Die göttliche Gerechtigkeit wird ihren Werth wohl anerkennen und | belohnen, obgleich die göttliche Weisheit ihre Absichten ohne sie erreichen kann. Jeder der gut und redlich denkt, wie ohnmächtig und nicht geachtet er auch in der Welt seyn mag, sey wohlgemuth, ob er gleich weiß, daß nur wohlwollende Wünsche sich aus seiner Brust hervordrängen

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without removing, the evils of human life; though his arm cannot protect the opprest, or his example reform the age, or his eloquence sway the senate, or his pen put prejudice and error to flight; yet let him rejoice to reflect, that, as he has done all he could, He that sees his heart, who is witness to its secret wishes, and counts its benevolent throbs, will consider as done all that he desired to do; that, in a future state, he will probably enable him to do more; and that, in the mean time, Providence will accomplish the wisest ends by means of all that happens in the world, and deduce final good out of present evil.

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IV. Let us look round with love and respect upon all honest and good men, however confined in their sphere of utility. There is nothing contemptible in natural imperfection. They who do all they can are approved by | God: let us approve them too. God does not despise the poor, the ignorant, the weak; let not us despise them. V. Let us rejoice to believe, that there is more benevolence than appears in the world. We must not imagine, that all the charity of the human race is comprised in the munificence that excites our admiration. We must not estimate the number of the benevolent, by counting the benefactors that pass before us. There is much philanthropy among mankind, of which no mention is made by fame. There is Goodness that sits in the shade, without being heard or seen; that hopes and fears, that weeps and wishes, that rejoices and mourns, in silence and in secrecy. There is Kindness whose glow is rich, but whose gifts are scanty. The poor have many fathers that cannot feed them, that must content themselves with a father’s feelings, without being able to put bread into their mouth; the opprest have many more friends than helpers; and the sighing of the prisoner is pitied by thousands that cannot throw open his prison doors. Opulent and powerful benevolence is a conspicuous object; it stands upon an hill; it sparkles to the public eye; but you see not | the generous tear that falls in secret; you hear not the generous sigh that ascends from him, who can only wish to wipe the faces that are wet around him; you behold not the liberal heart, to whom fortune has been niggard of her gifts; indigent generosity is hidden from your eyes, and only known to the heart that holds it. Let us give mankind credit for the virtue which we cannot see; and console ourselves, amidst the scantiness of visible

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können. Ob er gleich in seinem engen Wirkungskreise die Uebel des menschlichen Lebens nur sehen, nicht hinwegräumen kann, obgleich sein Arm den Unterdrückten nicht Schutz geben, sein Beyspiel das Zeitalter nicht zum Bessern bewegen, seine Beredtsamkeit die Regierung nicht leiten, seine Feder Vorurtheile und Irrthum nicht in die Flucht schlagen kann: so freue er sich dennoch der Ueberzeugung, daß da er alles gethan hat, was er konnte, derjenige, welcher das Herz sieht, welcher ein Zeuge seiner geheimen Wünsche ist, und seine wohlwollenden Pulsschläge zählt, ihn eben so ansieht, als ob er alles gethan hätte, was er zu thun wünschte; daß er ihn in einem künftigen Zustande wahrscheinlich in Stand setzen wird mehr zu thun; und daß bis dahin die Vorsehung durch alles, was in der Welt geschieht, ihre weisen Absichten wird zu erreichen, und zuletzt auch aus dem, was jetzt ein Uebel ist, Gutes wird zu entwickeln wissen. 4) Laßt uns mit Liebe und Achtung auf alle gute und rechtschaffene Menschen sehen, wie eingeschränkt auch ihr Wirkungskreis sey. In einer Unvollkommenheit, welche die Natur so mit sich bringt, ist nichts verächtliches. Gott ist mit denen zufrie|den, welche so viel thun als sie können; laßt uns auch mit ihnen zufrieden seyn. Gott verachtet den Armen, den Unwissenden, den Schwachen nicht; wir wollen ihn auch nicht verachten. 5) Laßt uns gern glauben, daß mehr Wohlwollen in der Welt ist, als sich darin zu Tage legt. Wir müssen nicht meinen, daß etwa die Freygebigkeit, welche unsere Bewunderung auf sich zieht, alles sey, was von Bruderliebe unter dem menschlichen Geschlecht angetroffen wird. Die Wohlthätigen, die wir um uns her wahrnehmen, aufzuzählen, das ist nicht die rechte Art, die Anzahl wohlwollender Gemüther zu schätzen. Viel Menschenliebe ist in der Welt, deren Ruhm das Gerücht nicht ausbreitet. Viel Herzensgüte wohnt im Dunkeln ohne gehört oder gesehen zu werden; sie hofft und fürchtet, weint und wünscht, frohlockt und trauert, alles still und verborgen. Viel Gütigkeit giebt es, die einen herrlichen Glanz hat, aber nur dürftige Gaben. Die Armen haben viele Väter, welche nicht im Stande sind sie zu nähren, welche sich mit väterlichen Empfindungen begnügen müssen, ohne Brodt reichen zu können; die Unterdrückten haben mehr Freunde als Helfer, und die Seufzer der Gefangenen werden von tausenden bejammert, welche die Thüren ihres Kerkers nicht öffnen können. Die reiche und mächtige Wohlthätigkeit ist ein glänzender Gegenstand, der hoch steht, und rings umher in Aller Augen schimmert; aber die edle Thräne seht ihr nicht, die im Stillen geweint wird, die tugendhaften Seufzer | dessen hört ihr nicht, der nur wünschen kann, 29 Viel] Viele

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virtue, with the belief, that there is more worth in the world than we are witnesses of.

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VI. Let us consider, that though God requires no more of any, than to do all they can, that thus much he requires of all; and, therefore, that more is expected from us, as Christians, than from others. Where little is given, little is required; where much is given, much is required. More than others we c a n do; more than others we must . Our religion calls upon us to cultivate no confined, and local, but the most enlarged and unbounded benevolence; not the geographical philanthropy of Greece and Rome, but the grand and celestial goodness which compasses the universe. It is our part, not only to dare to die, when duty calls us, but to dare to live till then, | how much soever we may loathe the light, and long for death. More exalted ideas of duty are communicated to our understandings; more exalted degrees of it should warm our hearts. Superior examples of goodness are set before us; superior admiration of it should prompt us to practise it. More glorious rewards are held up to our view; a more magnanimous superiority to temptation, a more heroic contempt for temporary pleasures, becomes our duty. Let us roll these thoughts in our breast: and may the Almighty in his mercy grant, that we may all do as much as we can, assured that he does not expect any of us to do more; and that we may be continually “abounding in the work of the Lord, forasmuch as we know that our labour shall not be in vain in the Lord.” Amen.

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die Augen zu trocknen, die um ihn her naß sind; das große Herz dessen könnt ihr nicht bemerken, gegen den das Glück geizig gewesen ist mit seinen Gaben; der Edelmuth, welcher selbst darbt, ist euren Augen verborgen, und nur dem Herzen bekannt, in welchem er wohnt. Laßt uns dem menschlichen Geschlecht auch die Tugend zu Gute schreiben, die wir nicht sehen können, und wenn die sichtbare so gar dürftig zu seyn scheint, uns mit dem Glauben trösten, daß mehr Menschenwerth in der Welt sey, als der von welchem wir Zeugen sind. 6) Laßt uns bedenken, daß Gott zwar von Niemanden mehr fodert, als daß er alles thue, was er kann, daß er aber dies von einem Jeden verlangt, und daß von uns als Christen mehr erwartet wird, als von Andern. Wo wenig gegeben ist, da wird auch wenig gefodert; wo viel gegeben ist, da wird viel gefodert. Unsere Religion ermahnt uns, nicht etwa nur ein engherziges, auf einen gewissen Ort eingeschränktes, sondern das ausgebreitetste und unbegrenzteste Wohlwollen in uns zu unterhalten, nicht die bloß vaterländische Menschenliebe der Griechen und Römer, sondern eine große und himmlische Güte, welche die ganze Welt umfaßt. Wir sind angewiesen nicht nur den Tod nicht zu scheuen, wenn die Pflicht uns ruft, sondern auch bis dahin das Leben zu erdulden, wie verhaßt uns auch dieses, und wie erwünscht uns auch jener sey. Erhabnere Begriffe von Pflicht sind unserm Verstande mitgetheilt, | eine erhabne Liebe dazu sollte auch unser Herz erwärmen. Größere Beyspiele menschlicher Güte sind uns vor Augen gestellt; eine größere Bewunderung sollte uns auch antreiben ihnen nachzuahmen. Auf herrlichere Belohnungen ist uns die Aussicht eröffnet; ein standhafteres Ausharren gegen alle Versuchung, eine heldenmüthigere Verachtung irdischer Vergnügungen wird nun auch unsere Pflicht. Diese Gedanken wollen wir in unsern Herzen bewegen, und möge der Allmächtige nach seiner Gnade geben, daß wir Alle in der Zuversicht, er erwarte mehr nicht, so viel thun, als wir nur immer können, und „ununterbrochen zunehmen mögen in dem Werk des Herrn, sintemal wir wissen, daß unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“1 Amen. 1

1 Kor. 15, 58.

31 ununterbrochen] „ununterbrochen

34 1 Kor.] Kor.

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Humanity and Virtue recommended from the Consideration of the evanescent Nature of Man upon Earth.

SERMON

VII.

F o r n o w s h al l I s l e e p i n t h e d u s t , a nd t hou sha lt s e e k m e i n t h e m o r n i n g, b u t I sha ll not be. Job vii. 21.

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A more melancholy reverse of fortunes cannot possibly be imagined, than that which is represented in this ancient poem. The piece opens, and discovers to us a man, surrounded, on every side, by the brightest beams of prosperity. But scarcely has the reader time to hail the happy man, before he is called upon to exchange his congratulation for compassion. The sun, that shone upon him in so full and direct a manner, and of which the | seemingly settled rays appeared to sleep upon his head, on a sudden retires; and the blackest shades ot ruin and tragedy collect around him. The messenger of evil tidings approaches the possessor of all this world can give, to inform him of the destruction of a part of his property. Misfortunes are said seldom to come alone: in a closer train they never trod upon each other, than in that series of sorrows which is here painted. To the report of this loss, another, and yet another, succeed: until, at length, the envy of the east is reduced to a beggar.—His children, however, his chief treasures, are numerous. In their affectionate arms, in their filial offices, the miserable bankrupt may find consolation. No: before he has time to recover from the stupor, into which the intelligence of his ruined effects had plunged him, his heart is assailed with the tidings of their death. “What all my children? did you say all?” And to make it yet a darker day to the auditor of this dreadful news, all destroyed in the cheerful hour of family-convocation. The day of domestic festivity is the day, when this rod of domestic affliction falls upon him. | Still, with the help of health, the mourner might have learned so far to have forgotten the shipwreck of his fortunes,

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Siebente Predigt.

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Die Betrachtung des vergänglichen Wesens der Menschen auf Erden empfiehlt uns Menschlichkeit und Tugend. Hiob 7, 21. 5

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D e n n n u n w e r d e i c h m i c h i n d i e E r d e leg en, und du w irst m i c h M o r ge n s u c h e n , ab e r i c h w e rde nicht da sey n. 1

Einen traurigeren Glückswechsel kann man sich nicht leicht denken, als den, welchen uns dies alte Gedicht darstellt. Das Stück eröffnet sich, und zeigt uns einen Mann, der auf allen Seiten von den hellsten Strahlen des Glücks umgeben ist. Kaum hat aber der Leser Zeit den glückseligen Mann zu begrüßen, so wird er schon aufgefordert, seinen Glückwunsch in Mitleiden zu verwandeln. Die Sonne, die ihn so grade und voll beschien, deren versammelte Strahlen sich um sein Haupt zu lagern schienen, zieht sich auf einmal zurück, und die schwärzesten Schatten des Verderbens hüllen ihn ein. Ein Unglücksbote nähert sich dem Besitzer alles des|sen, was die Welt nur geben kann, um ihm zu verkündigen, daß ein Theil seines Eigenthums zerstört ist; und wie man sagt, daß ein Unglück nie allein kommt, so folgte gewiß nie eines dem andern so dicht auf dem Fuß, als in der Kette von Leiden, die uns hier beschrieben wird. Dem Bericht von diesem Unfall folgte ein anderer, und wieder ein anderer, bis endlich der, welchen das ganze Morgenland beneidete, zum Bettler geworden war. Doch sein liebster Schatz, seine zahlreiche Familie ist ihm noch übrig. In ihren zärtlichen Armen, in ihrer kindlichen Ergebenheit wird der arme Geschlagene noch Trost finden. Nein, ehe er noch Zeit hat, sich von dem Schrecken zu erholen, der ihn bey der Nachricht von dem Verlust aller seiner Güter traf, wird sein Herz auch noch durch die Zeitung von ihrem Tode bestürmt. Und um ihm den Tag, an dem er alle diese fürchterli1

Nach der englischen Uebersetzung.

28 Schleiermacher lässt hinter „bestürmt.“ eine Zeile Fawcetts aus, die als Zitat markiert ist und poetisch auf Hiob 1,19 Bezug nimmt.

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and the funeral of his family, as, after a time, to have recovered happiness. Alas! even this last comfort that was left him, takes its flight, and follows the rest. “From the sole of his foot to the crown of his head,” he is spotted with disease, and racked with pain. To give the mournful finish to his affliction, the spirit of him that “sat as chief” is doomed to be derided by that insolence, which stands perpetually ready to set its foot upon the fallen. That deference for his judgment, which received his words as oracular wisdom; which chained every tongue in his presence; listened in silence to all that he said, and to all that he said in silence assented; that respect, which rose up at his approach; that fear of his frown, which made folly shrink from his eye; and that incapacity of supporting his contempt, which inspired an incredulity of its existence, no expression or report of it could overcome; are exchanged for the wanton and unfeeling scorn of base and servile minds: and instead of the respect of venerable age, he is degraded to endure the saucy levity of boys, | whose fathers he had been accustomed to regard as the refuse of mankind.

He has now nothing more to lose. In this situation, his friends assemble round him, to try the effect of their condolence and consolation upon him. On the first sight of their altered friend, they are unable to restrain their tears! For a while, they withhold the impertinence and impotence of words, from a grief, which appears to be so profound. For a while, they forbear to disturb his dumb despair, and reverence his sorrows in silence. At length, the mourner opens his mouth, to curse the hour in which a wretch was born; and to upbraid the tardiness of death. Many words are employed by his companions to silence his murmurs; but not one of them finds the way to his heart. He remains inconsolable; and pours forth a variety of lamentations, intermingled with many pathetic appeals to the pity of Almighty God. The chapter, from which I have taken the words I just now read to you, is one continued flow of plaintive and querulous passages; in which the man of sorrow freely indulges his grief, and addresses his complaints to heaven. He confesses that he has sinned; but implores his | almighty Punisher to take compassion upon a fragile, and perishing creature; and, in consideration of his few, and fleeting days, to remove his hand from him.

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che Bothschaften hören muß, noch schrecklicher zu machen, wird ihm erzählt, daß sie alle in der traulichen Stunde eines Familienfestes dahingerafft sind. Ein Freudentag des Hauses war der Tag, an welchem alle diese Schläge des häuslichen Unglücks über ihn herfielen. – Doch mit Hülfe eines gesunden und starken Körpers hätte der Dulder endlich lernen können, den Schiffbruch seines Glücks, und die Zerstörung seiner Familie in so weit vergessen, daß er mit der Zeit wiederum einiges Glück hätte genießen können. Ach! auch dieser letzte Trost, der ihm noch übrig war, entflieht, und folgt allem übrigen. „Von der Scheitel | bis zur Fußsohle“2 wird er von der Krankheit gezeichnet und vom Schmerz gefoltert. Und um sein Trübsal auf den höchsten Gipfel zu heben, muß der hohe Sinn dessen, der oben an sitzen mußte3, sich von der Unverschämtheit verspotten lassen, die immer bereit ist, den Gefallenen mit Füßen zu treten. Jene Achtung gegen sein Urtheil, die jedes Wort von ihm als einen Götterspruch aufnahm, und jede Zunge in seiner Gegenwart gebunden hielt; die schweigend hörte, was er sagen würde, und schweigend alles annahm, was er gesagt hatte; jene Ehrerbietung, welche sich demüthigte, wo er sich näherte; jene Furcht vor seinem Unwillen, welche machte, daß die Thorheit nicht wagte, sich zu zeigen vor seinen Augen: dies alles verschwindet, und macht der kalten und fühllosen Verachtung niedriger und sklavischer Gemüther Platz, und anstatt die Ehrfurcht zu genießen, welche dem Alter gebührt, ist er soweit erniedriget, daß er den trotzigen Uebermuth der Knaben erdulden muß, deren Väter er als den Auswurf des menschlichen Geschlechtes anzusehen gewohnt war. Jetzt hat er nichts mehr zu verlieren. In dieser Lage versammeln sich seine Freunde um ihn her, um zu versuchen, was ihr Mitleiden und ihr Trost auf ihn wirken kann. Bey dem ersten Anblick ihres Freundes in diesem veränderten Zustande, können sie ihre Thränen nicht zurückhalten. Eine Zeitlang enthalten sie sich, einen Kummer, der so tief zu | seyn scheint, mit Worten anzugreifen, welche unter diesen Umständen eben so unwirksam als unschicklich seyn müssen. Eine Zeitlang hüten sie sich, seine stumme Verzweiflung aufzuregen, und ehren lieber schweigend seinen Gram. Endlich aber öffnet der 2 3

Hiob 2, 7. Hiob 29, 25.

2–3 dahingerafft] dahingeraft 4 herfielen] so DV; OD: herfallen 9–10 Von der Scheitel] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 17 11 sein Trübsal] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1086 12–13 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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The words, of which my text consists, have something in them, to this effect, of which every man of feeling must have often felt the force; and which no man can read, without some emotion of tenderness. They are inexpressibly pathetic. “Wherefore dost thou not, oh protector of men! wherefore dost thou not pity, and forgive me? Make haste, almighty Helper! make haste to my aid, before I be gone for ever. My days are flying fast away. Make no delay to comfort a feeble creature, that is posting with a pace so rapid to his grave. For now s h a l l I s t e e p i n t h e d u s t , an d t hou sha lt seek me in the m o r n i n g ; thou shalt seek me to comfort, and to bless me, but, then thou shalt not find me, then, I s h al l not be.”

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This is not the voice of reason, considered as an address to the Almighty: it is the language of a broken heart; of a mind unhinged, and deranged by misery; a mind that feels, more than it thinks; it is the extravagance of | grief; it is the enthusiasm of sorrow. There is an air of pensive wildness in the words, which renders them infinitely mournful, and affecting to a susceptible spirit. The unhappy creature fondly addresses himself to the great God of heaven, in the forgetfulness of his grief, like a dying man, who calls upon his distant friend, to make all imaginable haste to come to him, and to comfort him. “Fly to me immediately; indulge not an hour’s delay; come directly, or thou wilt come too late: thou wilt seek thy friend in vain: he will have closed his eyes, without having seen thee: and thy presence shall be able to produce no expression of pleasure in his for ever fixed, in his mournfully inflexible, features.”—Thus this afflicted man, full of the sad idea, that his days were fleeter than the wind; following the plaintive flow of his feelings; resigning his mind to the government of his grief, and indulging to a kind of melancholy fancifulness; in the

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Leidende seinen Mund, um der Stunde, da ein Unglücklicher geboren wurde, zu fluchen, und dem Tode seine Langsamkeit vorzuwerfen. Viel Worte werden von seinen Gesellschaftern aufgewendet, um sein Murren zu stillen, aber keines davon findet den Weg zu seinem Herzen. Er bleibt untröstlich, und stößt eine Menge von Klagen aus, die mit manchen rührenden Anrufungen an das Mitleiden des allmächtigen Gottes untermischt sind. Das Kapitel, woraus ich die eben verlesenen Worte genommen habe, ist eine ununterbrochene Folge von Ausrufungen des Jammers, worin der geplagte Mann seinem Schmerz freyen Lauf läßt, und den Himmel mit seinen Klagen bestürmt. Er bekennt, daß er gesündiget hat; aber er fleht den allmächtigen Vergelter an, Mitleiden zu haben mit einem gebrechlichen, sterbenden Geschöpf; und da seiner Tage doch so wenige, und diese wenigen so flüchtig wären, seine Hand von ihm zu nehmen. Die Worte des Textes sagen hierüber etwas, dessen Kraft jede gefühlvolle Seele oft muß empfunden haben, und was Niemand ohne eine weichmüthige Bewegung lesen kann. Sie sind unaussprechlich rührend: „Warum denn, du Menschenhüter, warum erbarmst du dich nicht mein, und vergiebst | mir? Eile doch allmächtiger Helfer, eile zu meiner Hülfe, ehe ich ganz dahin bin. Meine Tage fliehen ja so schnell. Schiebe es nicht länger auf, ein schwaches Geschöpf zu trösten, das mit so schnellen Schritten seinem Grabe zueilt. D enn nun w erde i c h m i c h i n d i e E r d e l e ge n , u n d M o r g en w irst du mich such e n . – Du wirst mich suchen, auf daß du mich wieder tröstest oder segnest – aber dann wirst du mich nicht finden, dann w erde ich n i c h t d a s e y n .“ Diese Worte als eine Anrede an den Allmächtigen betrachtet, sind nicht die Stimme der Vernunft, sondern nur die Sprache eines zerschlagenen Herzens, eines vom Unglück zerrütteten und aus der Fassung gebrachten Gemüthes, einer Seele die mehr fühlt als denkt; es ist der überfließende Gram, die leidenschaftliche Aeusserung des Kummers. Es herrscht in diesen Worten ein Ton von milder Schwermuth, der sie jedem empfindsamen Gemüth unendlich rührend und beweglich machen muß. Das unglückliche Geschöpf wendet sich in der Verwirrung des Grams so zärtlich an den großen Gott des Himmels, wie etwa ein sterbender Mensch seinem entfernten Freunde zurufen würde, zu eilen, was er könne, um zu kommen und ihn zu trösten. Fliege doch unmittelbar her, laß dich nicht eine Stunde länger halten! 12 Mitleiden] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 534 18–26 Vgl. Hiob 7,20–21 risch-fiktiv.

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38–237,4 Das von Fawcett markierte Zitat ist rheto-

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distress and disorder of his soul, implores the Almighty to afford him some expeditious proofs of his pity, or, in a little while, when he should come to visit him with mercy, he would find him out | of the reach of it. “For now shall I sleep in the dust, and thou shalt seek me in the morning, but I shall not be.”

The use, which I wish at present to make of this passage, is to consider it, as containing a striking and faithful picture of man in general; and as what, however disordered it seem, considered as an address to the Deity, may be put into the mouth of every man, as an address from him to his brother, with a propriety, at once, perfectly strict, and infinitely affecting! I need not take up any of your time to prove, what no one can want any additional conviction of, that the days of man upon earth, when multiplied to their largest number, are very few; and that, in most cases, they are rendered fewer still, either by afflictions and cares, of one kind or other, that gradually prey upon our nature; or by sudden and violent accidents, that cut us off in a moment, in the midst of life and health. We may look at man, in all his flower and prime, and describe him in these words of Job. Now shall he sleep in the dust. Now, almost immediately, shall he sink into his last slumber: his eyes have only a short moment to remain open: and then he | lies down upon his bed of dust, and sleeps too soundly, to be ever waked again, by all the noise that mortals can make over him; and ignorant of all that is done under the sun. In the morning thou shalt seek him, thou, whoever thou art, that seest him now, and art destined to survive him; but he shall not be. To-morrow, thou that beholdest him to day, shalt look around thee for him in vain! To-morrow thou shalt come, thou that seest him in his glory, shalt come, and find all his glory gone!

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Komm, komm, oder du wirst zu spät kommen; du wirst deinen Freund vergeblich suchen; er wird sein Auge geschlossen haben ohne dich zu sehen, und deine Gegenwart wird keinen freudigen Eindruck | mehr hervorbringen auf seinen starren unbeweglichen Zügen. – So voll von dem traurigen Gedanken daß seine Tage flüchtiger wären als der Wind, überläßt sich der unglückliche Mann dem klagenden Gang seiner Gefühle, giebt es auf, seinen Schmerz zu beherrschen, hängt seiner schwermüthigen Phantasie nach, und fleht in der Zerstreuung und Unordnung seiner Seele den Allmächtigen an, ihm eilig einen Beweis seines Erbarmens zu geben, oder bald würde seine Hand, wenn er kommen wollte, ihn mit Gnade heimzusuchen, ihn nicht mehr erreichen können, „denn nun werde ich mich in die Erde legen, und Morgen wirst du mich suchen, aber ich werde nicht da seyn.“ Von diesen Worten will ich jetzt die Anwendung machen, daß ich zeige: sie enthalten ein sehr treffendes und treues Gemälde des Menschen überhaupt, und man könne sie, so unschicklich sie auch als eine Anrede an die Gottheit seyn mögen, jedem Menschen in den Mund legen, als einen Zuruf an seine Brüder, der nicht nur völlig wahr, sondern auch unendlich eindrücklich und rührend ist. Ich darf mich nicht dabey aufhalten zu beweisen, wovon jeder schon eine hinlängliche Ueberzeugung hat, daß der Tage des Menschen auf Erden, wenn man sie auch zu ihrer größten Höhe anhäuft, doch nur sehr wenige sind, und daß von ihrer Anzahl meistentheils noch etwas abgebrochen wird durch Trübsale und Sorgen, welche nach und nach die Natur aufreiben, oder durch plötzliche und gewaltsame Zufälle, die | uns in einem Augenblick mitten im Leben und in der Gesundheit hinwegraffen. Wir können den Menschen in der vollen Blüthe seines Frühlinges betrachten, und ihn doch mit diesen Worten Hiobs beschreiben. Jetzt wird er sich in die Erde legen. Jetzt unmittelbar wird er in seinen letzten Schlummer sinken; seine Augen dürfen nur noch einen kurzen Augenblick geöffnet bleiben, und dann liegt er auf sein Bett von Erde hingestreckt, und schläft unbekannt mit allem, was unter der Sonne geschieht, und zu fest, um durch alles Geräusch, welches die Menschen über ihm machen, erweckt zu werden. Morgen wirst du ihn suchen, du, wer du auch seyst, der du ihn jetzt siehst, und bestimmt bist, ihn zu überleben, aber er wird nicht da seyn. Morgen wirst du, der du ihn heute noch siehst, dich vergeblich nach ihm umsehn; morgen wirst du kommen, du, der seinen vollen Glanz kannte, und aller dieser Glanz wird verschwunden seyn. 27 Frühlinges] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 326 5–6 Vermutlich Anspielung auf Hiob 7,7

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“In the morning,” may every man say to his destined survivor, “thou shalt seek me, but I shall not be.” No words are too strong to express the rapidity of the pace with which man passes to his grave. Now we see him, and now we seek him, but we cannot find him: the appearance is gone: the apparition has vanished. We saw such a form before us; we took off our eye; we looked again; and it was gone! The figure, we but now beheld, has disappeared! We seem to ourselves to have dreamed of having seen such an one. As a dream the image has fled away, and cannot be found; he has been chased away as a vision of the night.| 217

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Thou shalt seek me, but I shall not be. How complete, when he is gone, with the exception only of distinguished individuals, is the disappearance of man! Even the searching eye sees him no more. The inquirer after him cannot find him. The fugitive from human sight is entirely evanescent. His very remembrance passes away. He not only ceases to be, no memento remains of his having been. He not only is no more, it is forgotten that he ever was. The arrow has winged its flight; and the air, through which it passed, retains no traces of it. The shadow is gone; and has left no mark of its image: it has not printed the ground it occupied: the place, from which it has departed, presents no impression of its figure; preserves no record of its projection over it. Society misses not its absent member; the ocean has lost a drop. “The place that knew him, knows him no more.” His very idea has departed from it; he is not only gone, but forgotten. Like the hills and the valleys that received his frequent feet, and discover no signs of sorrow upon the discontinuance of his visits, cease not, in consequence of his absence, to “shout for joy, and sing;” like | these inanimate companions of his solitudes, that continue to “clap their hands” and to rejoice, after his eternal separation from them, just as they did before; the inhabitants of the town where he lived, go on to push their pursuits, with an ardour, and to meet in sprightly circles, with a vivacity and a gaiety, over which his everlasting removal from the busy, and the festive sphere, has thrown no damp. “Man giveth up the ghost, and where is he?”—Where indeed!— Look around ye, on the day when his death is announced, in the place where his life was passed:—Where is he?—Seek him in the countenances of the neighbours;—they are without a cloud;—he is not there.— The faces, upon which he has closed his eyes for ever, continue as cheerful as they were before. His decease is reported in the social circle; the audience receives it with indifference, and forgets it in haste. The seriousness, with which it is told, or the sigh, with which it is heard, springs rather from human pity, or from moral reflection,

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„Morgen,“ so kann ein Jeder zu dem sagen, der bestimmt ist, ihn zu überleben, „morgen wirst du mich suchen, aber ich werde nicht da seyn.“ Kein Ausdruck ist stark genug um die Schnelligkeit zu bezeichnen, mit welcher der Mensch seinem Grabe zueilt. Jetzt eben sahen wir ihn noch, und nun, da wir ihn suchen, ist er nicht mehr zu finden: verschwunden ist die Erscheinung. Wir sahen eine solche Gestalt vor uns, aber als wir unser Auge einen Augenblick hinwegwendeten, und wieder hinsahen, war sie schon nicht mehr. Es scheint uns nur ein | Traum gewesen zu seyn, daß wir sie sahen. Wie ein Traum ist das Bild verschwunden, und kann nicht wieder gefunden werden; wie ein Nachtgesicht ist es verweht. Du wirst mich suchen, aber ich werde nicht da seyn. Wenn der Mensch – wenige ausgezeichnete Individuen etwa ausgenommen – dahin ist, wie ist er doch gleich so ganz und gar verschwunden! Das forschendste Auge sieht ihn nicht mehr. Er ist nirgends mehr, so bald er den Augen der Menschen entrückt ist! Jedes Andenken von ihm geht verloren. Er hört nicht nur auf da zu seyn, sondern es ist auch vergessen, daß er je da war. Der Pfeil ist durch die Luft geflogen, und die Luft, die er durchschnitt, behält keine Spur von ihm. Der Schatten ist fort, und hat an dem Ort, von dem er verschwand, keinen Eindruck seiner Gestalt zurückgelassen, kein Denkmal, daß er darüber hinzog. Die Gesellschaft vermißt ihre ausgetretenen Glieder nicht; der Ozean hat nur einen Tropfen verloren. „Der Ort, der ihn kannte, kennt ihn nicht mehr;“4 jede Vorstellung von ihm ist dort erloschen. Die Thäler und Hügel, zu denen er fleißig wanderte, bezeugen keinen Kummer über das Aufhören seiner Besuche, und so wie diese leblosen Gefährten seiner einsamen Stunden nach seiner ewigen Trennung von ihnen noch eben so fröhlich sind, als zuvor, so hat auch in dem Eifer, womit die Bewohner seiner Stadt ihren Geschäften nachgehn, in der heitern | Laune, die sie in ihren geselligen Zirkel mitbringen, seine gänzliche Entfernung aus dem geschäftigen und fröhlichen Kreise keine Störung hervorgebracht. „Der Mensch giebt seinen Geist auf, und wo ist er?“5 Wo, in der That? Sehet euch an dem Tage, da sein Tod verkündiget wird, in dem Ort um, wo er sein Leben zugebracht hat: wo ist er? – Sucht ihn in 4 5

Hiob 7, 10. Hiob 14, 10.

24 Schleiermacher lässt hinter „erloschen.“ einen Halbsatz Fawcetts aus. 26– 28 Schleiermacher lässt in seiner verknappenden Übersetzung zwei von Fawcett markierte Zitate aus, nämlich ein wortähnliches aus Ps 98,4 und ein wortgetreues aus Jes 55,12.

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than from social distress; and, in a moment, the current of convivial mirth recovers the fluency of its flow. The busi|ness, and the pleasures of the place, proceed with their usual spirit; and, perhaps, in the house which stands next to that, in which he lies an unconscious lump of clay, in the cheerless chamber of silence and insensibility, the voice of music and of dancing is heard, and the roof resounds with jubilee and joy.—Wait but a few days after his interment: Seek him, now, in the faces of his kinsmen;—they have resumed their cheerfulness;—now, he is not there.—When a few years have circled over his sepulchre;— go search for the fugitive, in his dark retreat from human notice; his very relics are vanished: he is now not even there.—Stay a little longer, and thou shalt seek in vain for a stone to tell thee, in what part of the land of oblivion he was laid: even that frail memorial of him, of whatever materials it was made, has mouldered away.—“Man dieth,—and where is he?”

Such is man: whatever his appearance to day, to day how conspicuous soever to every surrounding eye, “in the morning thou shalt seek him, but he shall not be.” From this passage, thus considered as holding out to us a faithful description of man in | general, let us try to extract a few reflections, in attending to which, I hope, we shall find our hearts improved. First, The consideration of the few days which man has to spend upon earth, pathetically appeals to the pity of every feeling heart, in such a manner, as will not allow it to embitter any of them by injurious treatment. When we consider one another in the light of creatures, destined one after another to descend into darkness, and dust; when we reflect, that we shall all, after having run our little careers, and panted in our temporary pursuits upon earth, be swept off from the scene; and our eager enterprises, impassioned hopes, and humble pleasures, and humble triumphs, be swallowed up in the deep gulph of insensibility and forgetfulness; when we view one another in that shade, which this thought of our common mortality throws over us all; one would think it should melt us into mutual compassion, and tenderness of treatment toward each other: that it should soften us

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den Gesichtszügen seiner Nachbarn; da ist kein Wölkchen – er ist nicht da! – Die Augen, für welche er die seinigen auf immer geschlossen hat, sind so heiter als zuvor. Die Nachricht von seinem Tode wird in dem geselligen Kreise verbreitet; – die Versammlung hört sie mit Gleichgültigkeit an, und vergißt sie sehr bald. Der Ernst, womit man sie erzählte, der Seufzer, womit man sie anhörte, hat seinen Grund eher in allgemeinem Mitleiden oder in einer frommen Empfindung, als in freundschaftlichem Bedauern, und in wenig Augenblicken ist die Fröhlichkeit der Gesellschaft wieder in ihrem gewöhnlichen Zuge. Alle Geschäfte und Vergnügungen des Ortes werden mit der gewohnten Lebhaftigkeit betrieben, und in dem nächsten Hause vielleicht neben dem, wo er entseelt in der stillen Kammer liegt, hat man Musik und Tanz, und der Boden ertönt von Jubel und Freude. – Wartet nur bis wenige Tage nach seiner Beerdigung, und nun sucht ihn auch in den Minen seiner Anverwandten; – sie haben ihre vorige Heiterkeit angenommen; auch hier ist er nicht mehr. – Wenn | wenige Jahre über sein Grab hingegangen sind, so sucht nun den Flüchtling an dem dunkeln Orte selbst, wo er sich vor den Augen der Menschen verborgen hat; - sein letzter Ueberrest sogar ist verschwunden, selbst hier ist er jetzt nicht mehr. – Noch ein wenig länger, und du suchst auch den Stein vergebens, der dir sage, an welchen Ort im Lande der Vergessenheit man ihn gelegt hat; auch dies armselige Andenken, aus welchem Stoff es verfertigt seyn mag, ist zusammengesunken. – „Der Mensch stirbt, und wo ist er?“ So ist es mit dem Menschen: Wie herrlich er sich auch heute zeige, wie deutlich auch heute sein Wohlseyn allen um ihn her kund werde: „morgen wirst du ihn suchen, aber er wird nicht da seyn.“ Aus dieser Stelle laßt uns, in sofern sie ein treues Gemälde des Menschen überhaupt darstellt, einige Bemerkungen herleiten, die, wie ich hoffe, wohlthätig auf unser Herz wirken werden. E r s t e n s . Die Betrachtung, wie wenige Tage dem Menschen auf Erden vergönnt sind, fordert jedes gefühlvolle Herz so dringend zum Mitleiden auf, daß es sich nicht erlauben kann, irgend Jemanden nur einige von diesen wenigen Tagen durch eine kränkende Behandlung zu verbittern. Wenn wir uns einander als Geschöpfe ansehn, welche bestimmt sind, eines nach dem andern hinunter zu steigen in den Staub und in die Finsterniß; wenn wir überlegen, daß wir alle, nachdem wir unsre kleine Laufbahn zurückgelegt, und uns eine Zeitlang mit unsren irdi|schen Bestrebungen herum gequält haben, von der 35 verbittern] so DV; OD: erbittern 23–24 Vgl. Hiob 14,10

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into pensive and gentle sensations; disarm us of all ferocity and hatred; and dispose us, instead of hurting one another, to sooth and comfort each other, by all the kind | offices in our power. When a city is beset by an irresistible, and an exasperated enemy; and the wide-wasting sword is every moment expected within the walls; is that a time for the inhabitants to trouble the few moments of liberty, or of life, that are left them, by mutual animosities, and intestine hostilities? Surely then, if ever, it is a time for them “to dwell together in amity.” The enemy without is enough; nothing but friendship should reign within. Come then, my fellow-mortals, and let us determine to dwell in fraternal union among ourselves. Look round, and see how sickness, and pain, and death, surround us on every side, and lay close siege to our nature. Let us forget all private quarrels, and unite against the common foe. Let us resolve to repel from each other as many as we can of the natural evils that assail us all; to keep off from one another, as long as we can, the last enemy of us all; and to pity, and comfort one another, under the prospect of his certain approach, either sooner or later.

Milton has described the first moment of human enmity. He has painted the parents of mankind at variance with each other, after the loss of their innocence; when the sen|tence of death, which had been passed upon them, was, every hour, expected by them to be put into execution. Upon this occasion, this first instance of animosity between mortal creatures, which he who has sung “of man’s first disobedi-

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Bühne herunter gewiesen werden, und daß unsre eifrigen Unternehmungen, unsre leidenschaftlichen Hoffnungen, unsre armseligen Freuden und armseligen Triumphe alle mit verschlungen werden in den tiefen Abgrund der Bewußtlosigkeit und Vergessenheit; wenn wir einander in diesem Schatten betrachten, mit welchem der Gedanke an die Sterblichkeit uns alle überzieht, so sollte man denken, dies müßte uns zu gegenseitigem Mitgefühl, und zu einem milden Betragen gegen einander erweichen, es müßte uns sanfte und zarte Empfindungen einflössen, jeden Haß und jede Wildheit entwaffnen, und uns geneigt machen, anstatt einander zu stossen und zu drängen, vielmehr einer dem anderen durch jede Gefälligkeit, die wir erzeigen können, das Leben angenehm und heiter zu machen. Wenn eine Stadt von einem unwiderstehlichen und aufgebrachten Feinde berennt ist, und man jeden Augenblick das verwüstende Schwerdt innerhalb der Mauern erwartet, ist dies für die Einwohner die Zeit, sich die wenigen Augenblicke des Lebens oder der Freyheit, die ihnen noch übrig sind, durch Zwietracht und innerliche Feindschaften zu trüben? Gewiß, dann oder niemals ist es Zeit einträchtig bey einander zu wohnen6. Es ist genug an dem äußern Feinde, innerlich muß nichts als Freundschaft herrschen! So kommt denn, meine Brüder in der Sterblichkeit! Laßt uns den Entschluß fassen, in brüderlicher Liebe neben einander | zu wohnen. Blickt um euch, und seht, wie Krankheit, Schmerz und Tod uns von allen Seiten umgeben, und unsere Natur hart belagern. Laßt uns alle kleinen Zwistigkeiten vergessen, und uns gegen den gemeinschaftlichen Feind vereinigen. Laßt uns zusammenhalten um einer dem andern von den natürlichen Uebeln, die uns allen drohen, so viele zurückzutreiben als möglich; uns gegenseitig den letzten Feind so lange wir können, entfernt zu halten, und einander zu bedauern und zu trösten, bey der Aussicht, daß er, früher oder später, gewiß kommen wird. Milton hat den ersten Augenblick der Feindschaft unter den Menschen beschrieben. Er läßt unsere ersten Eltern nach dem Verlust ihrer Unschuld in einem Streit begriffen seyn, eben da sie jede Stunde erwarten mußten, daß das Todesurtheil, welches über sie ausgesprochen war, vollzogen werden würde. Bey dieser Gelegenheit, bey dem ersten Beyspiel von Feindseligkeit zwischen sterblichen Geschöpfen, welches 6

Ps. 133, 1.

37 133, 1.] 133, 2. 18 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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ence,” supposes to occur between them, by whose crime mortality was first incurred, the poet has put these words into the mouth of the mother of mankind: “While yet we live, scarce one short hour perhaps, Between us two let there be peace!” The proposal cannot but be considered, as highly becoming the sad situation, into which they were fallen. Let me adopt this pacific proposition, which one of our first parents is thus pathetically represented as addressing to the other, with so beautiful a propriety, upon such an occasion, and let me address it this day to their descendants. “While yet we live, scarce one short hour perhaps,” long, at most, we have not any of us to live, “between us all let there be peace!” Let every man consider his brother as a creature, whose days are hastening to an end, and pity will not let him use him ill: he will feel himself kindly affectioned towards him: | he will wish him well, with the warmest benevolence; and feel a tender solicitude to shed as much sunshine upon his little day, and to disperse as many of its clouds, as he can. Who is there, that could meet a victim on its way to the altar, and see the knife of sacrifice in readiness, and indulge a desire to give the devoted animal a moment’s pain, as it pursues its path to slaughter? and can any one consider man in the light of a passenger to the grave, and endure the idea of throwing so much as a single thorn in his way? No: he will rather fetch as many flowers as he can find to scatter along it; and smooth away from it every asperity, which it is in his power to remove. He will not trample upon a creature, over whom he sees the uplifted foot of death. He will not bruise to-day, the worm that is to be crushed to-morrow. He will permit the fleeting shadow to flee away in peace.

However far we may be from entertaining such feelings and sentiments as these, before our brother sleeps in the dust; if, in their absence, we are tempted, while he lives, to do him wrong; as soon as we see him laid in his lowly bed, they are sure, with more or less | force, to arise within us. Then, they rush upon us in a swarm of stings; and revenge the injuries we rendered him. When it is too late to undo what has been done against him, by an adequate amends, then, that pity, which should have prevented us from doing it, takes possession of our hearts, and severely punishes us for having done it. That compassion, which we should have drawn from the consideration of our fellow-creature’s rapidly approaching dissolution, when we see him actually no more, forces itself upon our hearts, without waiting for

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nach der Darstellung des Dichters eben diejenigen gaben, durch deren Schuld der Tod in die Welt gekommen ist, legt er unserer ersten Mutter die Worte in den Mund: Was wir noch leben, eine Stunde nur Vielleicht, das laß uns beyd’ in Friede leben. Dieser Vorschlag war der traurigen Lage, in welcher sie sich befanden, gewiß sehr angemessen. Diesen feyerlichen Vorschlag, den wir in dem Munde | unserer ersten Eltern bey dieser Gelegenheit so rührend, so innig wahr, so sehr angemessen finden, laßt mich ergreifen, und ihn heute ihren Nachkommen zurufen: Was wir noch leben, eine Stunde nur vielleicht – lange wenigstens hat gewiß keiner von uns zu leben – das laßt uns All’ in Friede leben. Jeder betrachte seinen Bruder als ein Geschöpf, dessen Tage zu Ende eilen, so wird das Mitleiden keiner üblen Behandlung Raum lassen; er wird eine zärtliche Zuneigung gegen ihn empfinden; mit dem wärmsten Wohlwollen wird er ihm Gutes wünschen, er wird ein zärtliches Bestreben fühlen, über seine wenigen Tage soviel Sonnenschein zu verbreiten, und so viele von ihren Wolken zu verscheuchen, als er immer kann. Wer kann wohl einem Schlachtopfer auf seinem Wege zum Altar begegnen, das Messer des Opferers schon aufgehoben sehen, und einen Wunsch hegen, dem armen Thier das dem Tode geweiht ist, und seinen letzten Gang zur Schlachtbank geht, noch einen Augenblick Schmerz zu machen? Kann wohl Jemand den Menschen als einen Pilger zum Grabe ansehn, und dabey den Gedanken ertragen, ihm auch nur einen Dorn in seinen Weg zu werfen? Nein, lieber wird Jeder soviel Blumen pflücken als er kann, um sie darüber hinzustreuen, lieber alles Rauhe und Unangenehme zu entfernen suchen. Niemand wird das Geschöpf zertreten, über welchem ohnedies der Fuß des Todes schon aufgehoben ist; Niemand wird den Wurm | heute zerdrücken wollen, der doch Morgen zerquetscht wird. Den fliehenden Schatten wird man vorüberziehen lassen in Frieden. Wie wenig wir auch von solchen Gefühlen und Gesinnungen gegen unseren Bruder durchdrungen waren, ehe er sich in die Erde legte; wie sehr wir in Ermangelung derselben, so lange er lebte, versucht gewesen seyn mögen, ihm Unrecht zu thun, so erheben sie sich doch in uns, stärker oder schwächer, sobald wir ihn auf sein enges Bett hingestreckt sehn. Dann umschwärmen sie uns und überhäufen uns 1 Schleiermacher lässt hinter „Dichters“ einen Relativsatz aus, in welchem Fawcett ein markiertes wortgetreues Zitat mitteilt aus John Milton: Paradise lost, Buch 1, Zeile 1. 4–5 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus John Milton: Paradise lost, Buch 10, Zeile 923–924. 10–12 Diese nur in einem Wort veränderte Wiederholung des vorangegangenen Zitats ist von Fawcett ebenfalls als (durch einen Einschub zweigeteiltes) Zitat markiert.

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the call of consideration, and loudly upbraids the cruelty of our conduct. He, who could injure a living man, without remorse, has not been able, without remorse, to look upon his grave. Then, he has relented, and repented: he has sighed, and said so himself, “Poor, departed mortal! why did I embitter thy moment of existence? short has been thy dance of joy; it was cruel in me to damp, for an instant, the harmony of it! quickly hast thou passed away; I must have been a monster to disturb thy passage! a few short hours the God of nature gave thee, thou infect of a day, to sport and glitter in the sun; ah! wherefore, | during any part of it, did I prove an interposing cloud?”

And, perhaps, the most painful sensation, of which our nature is susceptible, is that, which is experienced by a sincere penitent, possest of some share of native sensibility, when, in the melting moment of contrition for his past conduct in general, and in the generous moment of virtuous resolution to devote his future days to the discharge of his duties, he looks around him for some one, whom, during the slumber of his reason, and the dream of his folly, he had wronged, with an intention to make him all the recompense in his power;—but finds him vanished away from the world, and laid down in that house of silence, whence no cries of his can ever recall him; where none of his good offices can ever reach him; where he is equally unable, to revive his resentment by a repetition, or procure his pardon by a reparation, of the wrong he did him; and where the object of his past injustice, and his present repentance, sleeps too soundly to hear the sigh of his remorse, should he go, in the agony of it, and groan over his grave. Among the tears that, in the moment of conversion from vice to virtue, roll down his | face, this, which retrospective and impotent compassion calls into his eye, is a big, and a bitter drop; which he will often renew, and which, it will be long, before he is able to 10 cloud?”] cloud?

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mit ihren Stichen, um das Unrecht zu rächen, welches wir ihm angethan haben. Wenn es zu spät ist, um durch angemessene Entschädigungen das wieder gut zu machen, was wir gegen ihn verbrochen, dann ergreift uns die zärtliche Empfindung, welche vorher unser Herz hätte bewahren sollen, und bestraft nun unsere That mit der größten Strenge. Das Mitleiden, welches uns jetzt schon der Gedanke, wie schnell unser Bruder seiner Zerstörung entgegeneilt, einflössen sollte, dieses drängt sich, sobald wir ihn nicht mehr sehen, von selbst, ohne den Ruf der Ueberlegung abzuwarten, in unser Herz, und wirft uns laut die Grausamkeit unsres Betragens vor. Wer auch einen Menschen bey seinem Leben, ohne sich Vorwürfe darüber zu machen, beleidigen konnte, der konnte doch nicht ohne Vorwürfe auf sein Grab hinsehen. Dann schämt er sich, und grämt sich, seufzet und sagt: „Du armer, abgeschiedener Sterblicher! warum habe ich | dir doch den Augenblick deines Daseyns verbittert! Dein Freudentanz in dieser Welt war kurz, und es war grausam von mir, die muntern Bewegungen desselben nur einen Augenblick zu stören! So schnell bist du vorübergegangen, und ich muß ein Ungeheuer gewesen seyn, daß ich dich auf deinem Wege beunruhigen konnte! Wenige kurze Stunden gab dir der Herr der Welt, du kleines Wesen eines einzigen Tages, um in der Sonne zu spielen, und dich zu freuen; ach! warum schob ich dir noch in dieser kurzen Zeit eine Wolke dazwischen!“ Die peinlichste Empfindung, deren unsere Natur empfänglich ist, ist vielleicht die, wenn ein aufrichtig büßender, dem es an natürlichem Gefühl nicht ganz fehlt, in dem weichen Augenblick der Zerknirschung über sein ganzes bisheriges Verhalten, in dem edlen Augenblick des tugendhaften Entschlusses, seine künftigen Tage der Erfüllung jeder Pflicht zu widmen, in der Absicht, alles, so viel er kann, wieder gut zu machen, sich nach diesem und jenem umsieht, den er beleidigte, als seine Vernunft noch schlief und seine Thorheit ungestört fortrasete – und er sucht nun vergebens! Der Beleidigte ist schon verschwunden von der Welt, liegt schon in dem stillen Hause, aus welchem kein Rufen ihn zurückholt, wo ihn kein guter Wille erreicht, wo sein Unwillen eben so wenig durch wiederholte Beleidigungen gereizt, als durch irgend einen Ersatz seine Vergebung erlangt werden kann, wo er schon zu fest schläft, um den Seufzer zu hören, den das Gewissen dem reuigen | Urheber seines Unglücks auspreßt, wenn auch dieser in der Angst seines Herzens hingehn wollte, auf seinem Grabe zu jammern. Unter den Thränen die er in dem Augenblick der Bekehrung vom Laster zur Tugend weint, ist gewiß diese, welche der 15 verbittert!] verbittert!“ zwischen!

16 Bewegungen] Bewegungen,

22 dazwischen!“] da-

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wipe away. The amendment of his manners shall procure him the peace, arising from the hope of heaven, and the pardon of his sins; hut will not soon quiet the pain he feels, from the recollection, whenever he renews it, of having thrown one bitter ingredient into a creature's draught of joy, whose life, now it is past, appears to him so small a cup, and capable of containing so little! The regret of that action, as often as it recurs to his remembrance, shall ache at his heart, and put it out as the power of the penitent, to yield a perfect compliance with the encouragement of Christianity to “be of good cheer.” Pity for the departed object of his cruelty shall rise up in his bosom, and oppose the pardon of it: social sorrow shall deny him self-forgiveness: the injured shade of a short-lived creature shall present itself to his imagination; and, in proportion to his improvement in the generous affections shall be the pain, which its silent reproaches excite in bis breast.

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Let him who has injured another, if he | would save himself from the sorrow of a repentance, in this respect, too late and fruitless, repair in time the wrong he has done; and do all he can to wipe from his brother’s breast the impression of his past unkindness, by offices of good will and friendship. Let him make him what amends he may immediately. Let not a moment’s delay be indulged. There is not a moment to be lost. Hasten,—fly,—or the fleeting creature will be gone. For soon shall he steep in the dust, and thou shalt seek him in the morning, but he shall not be. Secondly, The consideration of the fugitive and perishable nature of mortal man presses upon us, in the most powerful manner, the practice of piety and virtue, if we wish to render ourselves lastingly happy, or procure ourselves permanent honour. Human life is but a short term of happiness: if a sincere principle of love to God, and to man, be able to lengthen it, it must surely be our wisdom to cultivate it.—The career of human glory is cramped and confined; it lies in a little compass: if rectitude of life can give it an ampler scope, and swell it out to a more majestic sweep, our | ambition should determine us to act a virtuous part.

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reuige aber ohnmächtige Rückblick auf das Leiden, das er Andern verursachte, hervorlockt, die schwerste und bitterste, und sie wird oft wieder hervorquillen, und es wird lange währen, bis er sie stillt. Die Aenderung seines Betragens wird ihm freylich jene Ruhe geben, die aus der gegründeten Hoffnung zur Seligkeit und zur Vergebung der Sünden entsteht, aber nicht so bald wird sie auch die Qual lindern, welche ihm der Gedanke, so oft er wieder aufwacht, verursachen muß, daß er bittre Tropfen unter den Labetrunk eines Geschöpfs mischte, dessen Leben ihm jetzt, da es vorüber ist, ein so kärglicher Freudenbecher gewesen zu seyn scheint, und der so wenig faßte. So oft die Erinnerung dieser That zurückkehrt, wird auch die Reue sein Herz verwunden, und es ihm unmöglich machen, dem Zuruf des Christenthums, welches ihn ermuntert, gutes Muthes zu seyn, vollkommen Gehör zu geben. Ein inniges Mitleiden mit dem Gegenstand seiner Grausamkeit wird sich in seiner Brust erheben, und sich jeder Versicherung von Verzeihung widersetzen. Der Kummer um ihn, wird ihn verhindern sich selbst zu vergeben. Der beleidigte Schatten eines Geschöpfs, dessen Leben so kurz ist, wird sich ihm darstellen, und je mehr schon edlere Gesinnungen in ihm Raum ge|wonnen haben, desto größer wird die Pein seyn, welche diese stillen Vorwürfe in seiner Brust erregen. Wer einen Andern beleidigt hat, und sich vor den Qualen einer zu späten und fruchtlosen Reue sichern will, der mache bey Zeiten das Böse, welches er gethan hat, wieder gut, und thue was er kann, um durch Beweise eines guten Willens, und durch freundschaftliche Dienstleistungen den Eindruck seiner vorigen Lieblosigkeit aus dem Herzen seines Bruders auszulöschen. Was er thun kann zum Ersatz und zur Sühne, das thue er sogleich. Nicht einen Augenblick schiebe er es auf, denn es ist nicht ein Augenblick zu verlieren. Eilt, flieget, oder das vergängliche Geschöpf ist nicht mehr. Denn bald wird er sich in die Erde legen, und ihr werdet ihn Morgen suchen, aber er wird nicht da seyn. Zw e y t e n s . Der Gedanke an die flüchtige und vergängliche Natur des sterblichen Menschen treibt uns gewaltsam hin zur Ausübung der Frömmigkeit und Tugend, wenn wir uns nemlich dauerhaft glücklich machen, und uns eine bleibende Ehre erwerben wollen. Das menschliche Leben hat nur einen kurzen Zeitraum für die Glückseligkeit, und wenn aufrichtige Liebe gegen Gott und die Menschen ein Mittel ist, diesen Zeitraum zu verlängern, so ist es gewiß weise, eine 6 so bald] sobald 13 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Joh 16,33.

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The suitableness of virtue to remedy the brevity of human life may be placed in several points of view, which very strongly recommend the practice of it to the pride, and to the prudence of man.

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I. It may be considered as increasing the life of man upon earth. Under this head, I do not mean to insist upon that more commonly discussed topic, which these words perhaps lead you to expect, the tendency of virtue to multiply the days of human life, by means of that temperance in the gratification of the sensual appetites, and in the prosecution of the secular pursuits, which it prescribes. No doubt, virtue thus operates to prolong the life of man: but if this were all it did, its advantage would be trivial. This, however, is not all it does: for it teaches us to enjoy life. The enjoyment of life is that, which can alone render the length of it a blessing: and to enjoy life in the most perfect manner, is in reality to extend it. Life has its degree, as well as its duration: and an addition to the former is as truly an increase of it, as | an addition to the latter. To add to the spirit of life, is as really to enlarge it, as to add to the space of it. To live more, amounts to the same thing, as to live longer, than others. Upon a short life vivacity confers longevity. Among them who were born upon the same day, of some, who were committed to an early grave, the sum of allotted life has been larger, than that of others, who survived them the longest. It is a common argument, in favour of redeeming as much time as possible from sleep, that he, who rises every morning at an early hour, is to be considered as making a proportionable addition to the term of his life. Sleep may be said to be so much deduction from the sum of human life. It is called the image of death: it may be called more: for the time, during which it detains us in its bands, it is death itself: it is a break and a blank in the life of man. He, that is asleep, answers to the description of the dead: he “knows not any thing:” his “love and his hatred are ceased:” during the season of his slumber, he has no consciousness of any portion, that he has in any thing under 14 extend] so Errata-Verzeichnis; OD: lengthen

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solche Gesinnung in uns zu befestigen. Die Laufbahn des menschlichen Ruhmes ist sehr eng und begrenzt, und wenn Rechtschaffenheit des Lebens ihm ein weiteres Ziel setzen, und | ihn zu einer herrlichern Gestalt verschönern kann, so muß schon unsere Ehrliebe uns bestimmen, ein tugendhaftes Leben zu führen. In wie fern die Tugend geschickt sey, uns die Kürze des menschlichen Lebens zu ersetzen, dies läßt sich aus verschiedenen Gesichtspunkten zeigen, welche alle die Uebung der Rechtschaffenheit dem Selbstgefühl sowohl als der Klugheit des Menschen aufs dringendste empfehlen. 1) Kann man sagen daß sie das Leben des Menschen auf Erden vergrößert. Ich will hier nicht bey dem bekannten und oft ausgeführten Gedanken stehen bleiben, den ihr vielleicht nach diesen Worten erwartet: daß nemlich die Tugend die Zahl der Tage des menschlichen Lebens vermehre, indem sie uns Mäßigkeit in der Befriedigung sinnlicher Begierden und in der Verfolgung irdischer Endzwecke vorschreibt. Ohne Zweifel wirkt die Tugend auf diese Art zur Verlängerung des Lebens; wäre dies aber alles, was sie thut, so wäre der Vortheil in der That unbedeutend. Es ist aber nicht alles, denn sie lehrt uns auch das Leben zu genießen. Lebensgenuß allein macht ein langes Leben wünschenswerth, und das Leben auf die vollkommendste Art genießen, dies heißt in der That es verlängern. Das Leben hat seinen Grad sowohl als seine Dauer, und wenn man jenen erhöht, erhält es eben so gewiß einen Zuwachs, als wenn man zu dieser etwas hinzu thut. Wer das lebhafte Gefühl des Daseyns erhöht, fügt zu seinem Leben eben so gut etwas hin|zu, als wer die Dauer desselben verlängert. Mehr leben als Andere ist am Ende dasselbe, als länger gelebt haben. Lebhafte Thätigkeit macht auch ein kurzes Leben lang. Manchem, dem ein frühes Grab zu Theil wurde, ist in der That mehr Leben beschieden gewesen, als Andern, die mit ihm zugleich geboren waren, und deren der Tod noch lange verschonte. Man bedient sich gewöhnlich um zu zeigen, wie wohl es gethan sey, sich so viel möglich vom Schlaf abzubrechen, der Vorstellung, daß man die wahre Dauer des Lebens um eben so viel vermehrt, als man des Morgens früher aufsteht. Der Schlaf ist ein Abzug, eine Verkürzung des menschlichen Lebens. Man nennt ihn das Bild des Todes; man könnte aber noch mehr sagen; denn die Zeit über, da er uns im seinen Armen fest hält, sind wir wirklich todt, sie ist eine Lücke, ein leerer Raum im menschlichen Leben. Ein Schlafender entspricht vollkommen der Beschreibung, die man von einem Todten macht: daß „er von keiner Sache weiß, daß seine Liebe und sein Haß ein Ende 33 so viel möglich] Kj so viel wie möglich

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the sun: his pulse beats; his blood circulates; but his happiness | has stopped: he may be surrounded by sources of sensual pleasure; but now his senses are sealed: he may be possessed of wealth, and power; but he has forgotten, that he is: he may be blest in friends, and in children; but, at this moment, he has lost them all: he possesses what he holds, as an inanimate substance the properties that belong to it: he has connexions, or riches, or honours, as his hearse will have plumes, as his stone will have ornaments, as his grave may have flowers upon it. As the redemption of any portion of our time from this state of our nature is, therefore, with propriety, considered as so much addition to the sum of our life, so the excitation of our waking powers to that pitch of vigilance, which generous virtue implies, is, with equal propriety, to be considered in the same light. As sleep is a t empor a r y, so a slothful, sensual, selfish life is a pa rtia l, death; it is a state of imperfect and paralytic sensibility. Such a life is destitute of many pleasurable sensations, that are as natural to man, and as necessary to the complete and perfect state of his nature, as those of sight, and sound: and may be said to be as inferior, in point of mental animation, to a life of vital | piety and ardent virtue, as the sleeping state of the animal body is, with respect to sensual activity, to its waking state. Moral sloth is the sleep of the soul; the slumber of those affections, the lethargy of those faculties, which give to life its principal spirit.

That state of mind, which is conformable to the laws of living laid down by the Gospel, the Scriptures are accustomed to express by the term life. Christians are described as “the children of the light, and the day,” that “sleep not as others,” that are watchful, and wide awake to the objects, which demand their chief attention; that are all alive and active; with all their powers in motion; all the faculties of their nature roused to their proper functions, and busy at their respec-

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haben.“7 So lange er schläft, weiß er nichts davon, daß er einen Antheil hat an dem, was unter der Sonne geschieht. Sein Puls schlägt zwar, sein Blut fließt, aber seine Glückseligkeit steht still. Er kann von tausend Quellen des sinnlichen Vergnügens umgeben seyn, aber jetzt sind seine Sinne verriegelt. Er kann Reichthum und Macht besitzen, aber jetzt hat er sogar sein Daseyn | vergessen; er kann gesegnet seyn mit Freunden und Kindern, aber diesen Augenblick hat er sie alle verloren. Was er hat, das besitzt er, wie ein lebloses Wesen die Eigenschaften besitzt, die ihm angehören; er hat Verbindungen, Vermögen, Ehre, wie sein Leichenwagen einen Flor haben wird, wie sein Denkstein Verzierungen hat, wie sein Grab Blumen trägt. Können wir es also wirklich als eine Zugabe zu unserm Leben ansehn, wenn wir einen Theil unserer Zeit diesem Zustande entreißen, so muß die Anspannung unserer Kräfte zu einer höhern Thätigkeit im wachenden Zustande eben so viel werth seyn, und dies ist es, was wahre Tugend bewirkt. So wie wir beym Schlaf auf eine g ew isse Z e i t todt sind, so ist bey einem trägen, blos sinnlichen, eigennützigen Leben ein g e wi s s e r T h e i l unsers Wesens erstorben; es ist ein Zustand von Lähmung, wo einige Theile aller Reizbarkeit beraubt sind. Ein solches Leben entbehrt eine Menge angenehmer Empfindungen, die dem Menschen eben so natürlich, und zum Wohlseyn und zur Vollkommenheit seines Wesens eben so nothwendig sind, als die Empfindungen des Gesichtes und des Gehörs. Wie die Thätigkeit unsers Körpers im schlafenden Zustande weit geringer ist, als im wachenden, so ist die Thätigkeit unserer vernünftigen Seele bey einem solchen Leben weit geringer, als bey demjenigen, welches sich überall durch thätige Frömmigkeit und eifrige Tugend auszeichnet. Die sittliche Trägheit ist der | Schlaf der Seele, der Schlummer derjenigen Empfindungen, die Erstarrung derjenigen Kräfte, die dem Leben seinen vorzüglichsten Werth geben. Den Gemüthszustand, welcher den im Evangelio verzeichneten Lebensregeln gemäß ist, pflegt die Schrift durch den Ausdruck Leben zu bezeichnen. Die Christen werden beschrieben, als die „Kinder des Lichts und des Tages“, die „nicht schlafen gleich den andern“8, sondern weit umher sehn auf alle Gegenstände, die ihre vorzügliche Aufmerksamkeit auf sich ziehn; als solche die lauter Leben und Thätigkeit 7 8

Pred. Sal. 9, 5. 6. 1 Thessal. 5, 5. 6.

38 1 Thessal. 5, 5. 6.] 1 Thessel. 5, 8. 6. 1–2 Vgl. PredSal 9,6

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tive offices. The converted sinner is represented as being “born again;” becoming “a new creature;” fresh life is infused into him; other pulses of pleasure beat within him; he glows with new desires, new hopes, and new joys. A pious and good man, by entering upon a wider field of contemplation, and of pursuit, than that, in which the powers of the selfish, and the sensual expatiate; by opening his mind to more vivid, and more various sensa|tions; by filling up his solitudes, those blank spaces in the existence of the indolent and the dissipated, with interesting reflections upon the perfections of God, and the prospects of virtue; and by proposing to himself, in active life, a greater number of generous objects, that agreeably occupy his mind; may be said to spread his being over a larger space; to fill an ampler sphere with his existence; and to render himself a more animated creature; than persons who live only to themselves, and who lie dormant during a great part of their lives.

Upon this ground, I, at present, would press upon you the practice of virtue, with a view to remedy the brevity of life; considering it, not as that which enlarges the space of it, but as that which crouds more life into the same compass; not as adding to the number of our days, but to the number of our ideas; not as multiplying our years, but the objects of our attention, and the sources of our entertainment. I recommend sensual temperance, not merely as prolonging the term of animal life; but as promoting the activity of the senses, and consequently multiplying the pleasures of sense. I wish you to exercise moderation in secular pursuits; not merely as that which | excludes the passions, that prey upon our nature, and eat away our life; but as introducing the generous dispositions which cheer, and cherish the soul, and which “make glad the heart of man,” more than any other cause in nature. In short, I would inculcate virtue, not as operating to promote a dead and inanimate length of days; to prolong the power of respiring air; to keep up the circulation of a purple liquid, through the veins of a curiously constructed fabric; to preserve the body of man from the necessity of being put into the ground; or, as operating to produce this effect, by an insipid series of abstinences and selfdenials: but as supplying a perpetual succession of delightful and spirited sensations, which diversify and enlarge existence as it passes along; and as principally operating to prolong the period of it, by

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sind, alle ihre Kräfte in Bewegung setzen, alle natürlichen Fähigkeiten ihrem Endzweck gemäß anwenden, und sie emsig ihren Dienst verrichten lassen. Der bekehrte Sünder wird vorgestellt als „ein Wiedergebohrner“, der „eine neue Kreatur.“9 wird; neues Leben wird ihm eingeflößt, ganz andere Empfindungen setzen sein Blut in Bewegung, er wird von neuen Wünschen, neuen Hoffnungen, neuen Freuden erwärmt. Ein rechtschaffener Mann hat für sein Nachdenken und für seine Bestrebungen ein viel weiteres Feld als das, worin die Kräfte des Selbstsüchtigen und Sinnlichen sich bewegen; sein Gemüth ist mannigfaltigeren und lebhafteren Empfindungen offen, seine einsamen Stunden – die in einem trägen und zerstreuten Leben immer nur leere Zwischenräume sind – füllt er durch die reichhaltigsten Betrachtungen über die göttlichen Vollkommenheiten, und über die Aussichten der Tugend, und weil er | sich in seinem Leben mit einer weit größeren Anzahl wichtiger Gegenstände beschäftigt, die sein Gemüth aufs angenehmste unterhalten, so kann man mit Recht von ihm sagen, daß er auf einen weiteren Raum mit seinen Kräften wirkt, daß er einen grösseren Kreis durch sein Daseyn einnimmt, und daß er zu einer höhern Ordnung beseelter Geschöpfe gehört als die, welche nur sich selbst leben, und einen großen Theil ihrer Zeit schlafend zubringen. Aus diesem Grunde wollte ich jetzt die Ausübung der Tugend empfehlen, um der Kürze des menschlichen Lebens einigermaßen abzuhelfen, nemlich nicht in so fern sie die Zeit des Lebens verlängert, sondern in so fern sie mehr Leben in denselben Raum zusammendrängt; nicht weil sie die Zahl unserer Ta g e, sondern weil sie die Zahl unserer I d e e n vergrößert, nicht weil sie unsere Jahre, sondern weil sie die Gegenstände unsres Nachdenkens und die Quellen unserer Beschäftigung vervielfältigt. Ich empfehle Mäßigkeit, nicht weil sie unser thierisches Leben etwas länger erhält, sondern weil sie der Thätigkeit unserer Sinne zuträglicher ist, und also auch ihre Vergnügungen vermehrt. Ich wünsche daß ihr Mäßigung in der Betreibung eurer irdischen Angelegenheiten beweisen mögt, nicht weil das die Leidenschaften ausschließt, die unserer Natur nachstellen, und unser Leben auszehren, sondern weil dadurch Raum für die edleren Gesinnungen gewonnen wird, die das Gemüth aufmuntern und laben, und mehr als irgend etwas anderes das Herz des | Menschen erfreun. Kurz, ich 9

2 Kor. 5, 17.

36 anderes] anders 3–4 Joh 3,3; 1Petr 1,23 (nach der englischen Textfassung) markierten Zitat vgl. Ps 104,15

36 Zu dem von Fawcett

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multiplying its pleasures. Virtue lengthens, chiefly because it sweetens, life.

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If, then, you would live, I do not merely say as long , but as m u c h , as possible, cultivate the sensibilities, enter upon the exercises, of generous, and energetic virtue. Virtue adds to man a new sense: it is necessary to com|plete the proper number of inlets of pleasure, of organs of enjoyment, that belong to his nature. To be destitute of it, is to possess a maimed and defective life. You pity the blind;—they cannot enjoy the beauties of nature: you pity the deaf;—they cannot admit entertainment from the sound of society, from, the voice of music: pity, for the same reason, the selfish;—they cannot “rejoice with them that rejoice:” most sad, and mournful defect!—happiness, “at one entrance,” and that the widest of all, “quite shut out!” You commiserate the sick, and the lame, whose days are passed in the chamber, or in the chair;—they cannot walk whither they would; they do but breathe, you say, they do not live; they are buried in confinement; they differ from the dead, but in beholding the grave in which they are detained. Compassionate also them, whose affections are shut up in their own little affairs, and are incapable of roving, with delightful enlargement, over the many scenes of happiness, which the creation, in the present stage of its progress, exhibits; and of expatiating in the grand, the unspeakably spacious contemplation of that | general welfare, which religion teaches us to expect, that the providence of God will ultimately produce.

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wollte die Tugend einschärfen, nicht weil sie das Leben um einige armselige und seelenlose Tage verlängert, weil sie macht, daß wir etwas länger Othem holen, daß die Bewegung eines rothen Saftes in den Kanälen einer künstlichen Maschine etwas länger fortdauert, und daß der menschliche Körper nicht so früh seine unterirdische Wohnung beziehen muß; auch nicht weil sie zu Gunsten unsers Lebens durch eine langweilige Reihe von Aufopferungen und Verläugnungen etwas zu bewirken weiß: sondern weil sie uns eine ununterbrochene Reihe angenehmer und lebhafter Empfindungen erweckt, wodurch unser Leben an Gehalt und Mannigfaltigkeit gewinnt, und weil sie es vornemlich dadurch vermehrt, daß sie mehr Vergnügen hineinbringt. Die Tugend verlängert das Leben vorzüglich deswegen, weil sie es versüßt. Wollt ihr also, ich sage nicht bloß s o la ng e, sondern so v iel leben, als möglich, so übt euch in allem was zur wahren thätigen Tugend gehört, und bildet das Gefühl für dieselbe in euch aus. Die Tugend giebt dem Menschen einen neuen Sinn, sie ist ihm unentbehrlich, wenn seine Seele dem Vergnügen auf allen Seiten offen stehn, wenn er alle die Organe des Genusses wirklich besitzen soll, die seiner Natur eigenthümlich sind. Ohne sie ist unser Leben verstümmelt, und es fehlt unserer Glückseligkeit überall etwas. Ihr bemitleidet den Blinden, weil er die Schönheiten der Natur nicht sehen kann, und den Tauben, weil die Stimme des Freun|des, und der Ton der Musik ihn nicht ergötzt; bemitleidet doch aus demselben Grunde auch den Selbstsüchtigen, der sich nicht „freuen kann mit den Fröhlichen.“10 O des freudeleeren trübseligen Zustandes! Der Glückseligkeit ist ein und zwar der geräumigste Eingang gänzlich verschlossen! Ihr bedauert den Kranken, den Gelähmten, der seine Tage auf dem Zimmer im Stuhl der Sorge verbringt: er kann nicht gehen, wohin er will, er athmet nur, sagt ihr, aber er lebt nicht; er ist begraben in seinem Kerker, und unterscheidet sich von einem Todten nur dadurch, daß er das Grab sieht, welches ihn einschließt. Bedauert denn auch die, deren Empfindungen sich ganz auf ihre eignen kleinen Angelegenheiten beschränken, die unfähig sind, mit beglückender, vielumfassender Theilnahme zwischen diesen mannigfaltigen Scenen der Glückseligkeit umher zu streifen, welche uns die Schöpfung auf der gegenwärtigen Stufe ihrer Vollkommenheit darstellt; unfähig zu verweilen bey der unaussprechlich großen, alles umfassenden Betrachtung des allgemeinen Wohlergehens, welches die Vorsehung, wie die Religion uns erwarten lehrt, zuletzt hervorbringen wird. 10

Röm. 12, 15.

26 Das zweigeteilte von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus John Milton: Paradise lost, Buch 3, Zeile 50.

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“Let us eat, and drink,” says the libertine, “for to-morrow we die.” I urge the same consideration in favour of a virtuous life. Let us make the most of our little life, by leading it as it ought to be led. Let us press down into so small a measure as much happiness as it can contain, by compressing into it as much goodness as it will hold. Let us give to the joys, that have so short a time to flow, as brisk and sprightly a current as we can, by cultivating that virtue, which constitutes the vigour of nature, and the vivacity of life.

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II. Of those who lead an eminently virtuous life, when their breath departs, the idea long remains behind them, in the remembrance of the good. “The memory of the just is blessed, but the name of the wicked shall rot.” Putrefaction preys at once upon their bodies, and upon their names. As their relics dissolve into dust, in the chamber of the grave, their remembrance is reduced to ashes, in the bosom of mankind. Those, who were not loved while living, are neither lamented, | nor missed, when dead. The amiable and excellent, on the contrary, when they cease to be, continue to exist in the memory of those, among whom their little life was passed. I have represented the fleeting nature of mortal man; his speedy departure out of the world, and his complete expunction from it, when he has left it. The Scriptures describe him as fleeing away as a s h a d o w ; an unsubstantial image, a nothing, that soon leaves its place, and leaves no proof behind it of its having been there. This is a strictly faithful, a literally honest, and unpoetical picture of the majority of mankind. While they are, their being is insignificant to society; and when they are no more, it is not remembered that they ever were. They leave no impression of their figure upon the station which they quit. There is no stamp of their ever having stood there. No mark, no monument, of their departed image remains. While they occupy their place, they are merely appearances. The sphere to which they belong is unfilled; the post where they stand is vacancy and emptiness. There is nothing there: there is the apparition of a member of | society; but the substance is not there. It is only a shadow that stands before mankind; a phantom that appears to the eye, without imparting any influence; a ghost that glides unfelt through the earth, and then vanishes away. Of the majority of mankind such is the description. Their biographer has only to say of them, that on a day they were born, and on a day they died. All that remains to be recorded, in the interim, is, that they received, and returned the air of heaven; they closed, and they opened their eyes, upon the light of day; they

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,,Laßt uns essen und trinken, sagt der Wüstling, denn Morgen sind wir todt.“ Dasselbe gebe ich zu bedenken, um zu einem tugendhaften Leben zu ermuntern. Laßt uns unser kurzes Leben aufs beste benutzen, indem wir es so führen, wie es geführt werdet muß! Laßt uns in ein so enges Ge|fäß so viel Glückseligkeit zusammen drücken, als es nur fassen kann, indem wir so viel Güte darin einfüllen, als nur möglich ist. Laßt uns den Freuden, deren Flug ohnedies nur so kurze Zeit währet, einen so muntern und anmuthigen Lauf bereiten, als wir können, indem wir nach der Tugend streben, welche unserer Natur ihre wahre Stärke, und unserm Leben seinen höchsten Reiz giebt. 2) Wenn diejenigen, welche ein ausgezeichnet tugendhaftes Leben geführt haben, die Welt verlassen, so bleibt ihr Andenken in dem Gedächtniß aller Rechtschaffenen noch lange zurück. „Das Andenken des Gerechten ist im Segen, aber der Name des Gottlosen wird vergehn.“ Die Verwesung vertilgt mit seinem Körper zugleich auch seinen Namen. Wie sein Leichnam in Staub zerfällt in der Kammer des Grabes, so zerstäubt auch sein Gedächtniß in dem Herzen der Menschen. Wer im Leben nicht geliebt war, der wird auch im Tode weder beklagt noch vermißt. Aber der Liebenswürdige und Vortrefliche lebt, wenn er auch nicht mehr da ist, doch noch in dem Gedächtniß derer fort, unter denen sein Leben verstrich. Ich habe an die vergängliche Natur des Menschen erinnert, an seine eilige Abreise aus dieser Welt, und an sein gänzliches Verschwinden aus derselben, wenn er sie einmal verlassen hat. Die Schrift beschreibt ihn so, dass er vorüber flieht, wie ein Schatten, ein wesenloses Bild, ein Nichts, welches schnell seinen Platz verläßt, ohne ein Merkmal zu|rückzulassen, daß es da gewesen ist. Dies ist nicht etwa nur ein dichterisches Bild, sondern eine treue, buchstäblich wahre Beschreibung von dem größten Theil der Menschen. Ihr Daseyn ist so lange es währt, unbedeutend für die Gesellschaft, und wenn sie nicht mehr sind, wird also auch nicht daran gedacht, daß sie je da waren. Sie hinterlassen auf der Stelle, welche sie räumen, keinen Eindruck von ihrer Gestalt. Es ist dort keine Spur davon, daß sie da gestanden haben. Kein Denkmal, kein Erinnerungszeichen ihres verschwundenen Bildes bleibt zurück. So lange sie ihren Platz einnehmen, sind sie blosse Erscheinungen. Den Raum dem sie angehören, erfüllen sie nicht; der Posten auf dem sie stehen, bleibt eigentlich immer unbesetzt und leer. Es ist nichts da; nur eine Erscheinung, als ob ein Mitglied der Gesellschaft da wäre. Es ist nur ein Schatten, der vor dem Menschen 15–16 seinen Namen] seinem Namen 1–2 Vgl. 1Kor 15,32; auch Jes 22,13

13–15 Vgl. Spr 10,7

25 Vgl. Hiob 14,2

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felt, and they satisfied the wants of nature, or of art; so many suns arose, and went down upon them; so many summers bloomed, and faded before their eyes; so many winters scattered the hoar frost upon their path; and then their senses were sealed for ever. No wonder, when such men depart, that along with them their idea dies, and that their extinction is entire. From this total mortality, which the majority undergo, the instant their bodies are deposited out of the sight of survivors, those, who diligently discharge the duties of life, are favoured with a longer respite. Their generous activity, when their power of acting is over, whether | the period of it be long, or short, gives a longevity to their image, in the mind of them, before whom, or towards whom, their virtue was displayed, proportioned to the degree of that virtue, and to the durability of the benefits it has communicated.

Such are not the shadows, that others are; there is substance and body in their being; they are felt, as well as seen, by their fellowcreatures; they make an impression upon the place in society which they occupy; they are not airy images, and unreal mockeries of the eye that looks for men; there is solidity, as well as outline, in them; they not only look like men, but are what they seem; they not only “go for men in the catalogue” of the naturalist, they are men upon the list of Reason, of Heaven. When such men quit the world, their memory makes a little longer stay in it; their names do not tread upon the heel of their breath; they are long before they follow it. When such men fall, contiguous society shakes around them; the hearts of others sink along with the final failure of theirs; and when the grave covers them from the gaze of gratitude, it cannot close over their loved idea. To this, long | life, and length of days are added, in affectionate Memory’s mental land of fair and cherished shades.

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steht, ein Fantom, welches gar nichts vermag, ein Geist der über die Erde gleitet und dann verschwindet. So läßt sich der größte Theil der Menschen beschreiben. Man kann nichts von ihnen sagen, als daß sie an diesem Tage geboren wurden, und an jenem Tage starben. Alles dessen man sich von ihnen erinnern kann, ist, daß sie die Luft des Himmels einathmeten und wieder aushauchten, daß sie dem Licht des Tages ihre Augen eröffneten, und sie wieder verschlossen, daß sie natürliche und erkünstelte Bedürfnisse fühlten und befriedigten, daß so viel Sonnen über ihnen auf- und untergingen, so viel Sommer vor ihnen blüh|ten und welkten, daß so viele Winter ihren Pfad bereiften, und dann ihre Sinne auf immer geschlossen wurden. Kein Wunder, daß mit solchen Menschen zugleich auch ihr Andenken stirbt, und daß sie völlig untergehn von der Erde, sobald ihr Körper den Augen der Welt entzogen ist. Diejenigen hingegen, welche ihre Pflichten treulich erfüllt haben, genießen einer längeren Frist. Ihre rechtschaffene Thätigkeit, sie habe nun lang oder kurz gewährt, sichert ihnen auch dann, wenn ihre Zeit um ist, ein bleibendes Andenken im Gemüth derer, vor welchen oder für welche ihre Tugend sich äußerte, und dies Andenken währt desto länger, je erhabener diese Tugenden, und je wichtiger und dauerhafter die Wohlthaten waren, welche sie verbreiteten. Solche Menschen sind nicht blosse Schatten gleich jenen; es ist Kraft und Leben in ihnen; man kann sie nicht nur sehen, sondern auch fühlen; sie lassen Spuren von sich zurück auf dem Platz, welchen sie in der Gesellschaft einnehmen; sie sind nicht luftige Bilder und leere Täuschungen für das Auge, welches sich nach Menschen umsieht; sie sehen nicht nur aus wie Menschen, sondern sie sind auch was sie scheinen; sie gelten nicht nur in den Zählungen des Staatskundigen für Menschen, sondern auch auf der Liste der Vernunft, und in den Büchern des Himmels. Wenn solche Menschen die Welt verlassen, so verweilt ihr Gedächtnis etwas länger; ihr Name folgt nicht ihrem Athem auf dem Fusse nach, sondern erst in einer langen Entfernung. Wenn sol|che Männer fallen, wird die ganze Gesellschaft um sie her erschüttert, und viele Herzen macht das Stillstehn des ihrigen beklommen, und wenn das Grab sie auch den Blicken der Dankbarkeit entzieht, so kann es doch ihr geliebtes Andenken nicht verschließen. Ihnen wird ein langes Leben und viele Tage verliehen in der Versammlung theurer und geliebter Schatten, mit denen zärtliche Gemüther ihr Gedächtniß bevölkern.

28–29 Das von Fawcett markierte Zitat dürfte vermutlich auf naturkundlich-anthropologische Klassifikationen bezogen sein.

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Thus, if there we would earn a place, we must exert the powers of our nature, while we occupy one in the world of reality. We must lead another life than that of a plant; than that which consists in mechanical animation; in the growth of a body; in a power of incorporating other dust into our own; in the current of a fluid through a complication of vessels; in the harmonious motions of a material system. Of this cold and vegetative, this still and contracted life, when it ceases to be, the remembrance will be no more retained by him, who beheld it in its bloom, than that of a tree, to the root of which the axe has been laid, by those who saw it flourish. The life, that is remembered by others, is that, by the generous glow of which others were warmed; that, of which the vigorous beats extend beyond the body where it dwells; that, which consists in the union of the soul, not with a single, but with the social frame, in the flow of the affections towards mankind, in the motion of the faculties in the courses of human-kindness: the life, of which the sublime | operation lies in circulating happiness in society around us, as extensively as we can send it from us; in propelling it from our own hearts, with the powerful pulsation, the strong strokes of energetic generosity, to the extremities of the sphere, which we are thus enabled to animate. Of this noble animation, this divine, and enlarged vitality, which inhabits, as its complicated body, a circle of surrounding beings, the memory shall remain, when the principle is extinct: its memory shall remain, because the impression, which it makes upon the moral sensibility of all who behold it, is lively; and because the current of happiness, which it has caused, may continue to run on, long after the impulse that put it in motion is no more.

Those who have improved the opportunities, which Providence presented to them, of being substantially, and lastingly beneficial to any of their fellow-creatures, may be said to survive themselves in the benignant effects, which remain behind them, when they are removed from the world; while those consequences of their conduct, during their residence in it, are to be considered as so many memorials of them, that cannot fail, from | time to time, to revive the respectful and grateful remembrance of them. Into the hand of a distinguished few, Almighty God has put the power of expressing their generous propensities, in such a manner, as to procure immortality for their

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Wollen wir uns dort einen Platz verdienen, so müssen wir alle Kräfte unserer Natur in Bewegung setzen, so lange wir noch einen Platz in der wirklichen Welt einnehmen. Wir müssen ein anderes Leben führen, als ein Pflanzenleben, ein anderes als jenes, welches in nichts besteht als in Regungen natürlicher Triebe, in dem Wachsthum eines Körpers, in dem Vermögen andern Staub dem unsrigen einzuverleiben, in dem Umlauf einer Flüßigkeit durch eine Menge von Kanälen, in den harmonischen Bewegungen einer kunstreichen Maschine. Wenn ein so unbedeutendes und seelenloses, ein so unthätiges und beschränktes Leben aufhört, werden diejenigen, die es in seiner Blüthe sahen, nicht länger daran denken, als man an einen Baum denkt, den man blühen sah, und dem nun die Axt an die Wurzel gelegt ist. Nur ein solches Leben läßt ein Andenken bey Andern zurück, an dessen wohlthätigem Feuer sich auch Andere wärmten, dessen kräftige Pulsschläge sich weiter verbreiteten, als auf den Körper, den es bewohnte; ein Leben, welches in der Ver|einigung einer Seele, nicht nur mit einem einzelnen Körper, sondern mit der ganzen Gesellschaft besteht, in den Regungen unsrer Zuneigung gegen das menschliche Geschlecht, in den Bewegungen aller Kräfte in der Laufbahn der Menschenliebe; ein Leben, dessen erhabene Verrichtungen darin bestehn, daß wir Glückseligkeit in Umlauf bringen durch alle Kanäle der Gesellschaft, so weit wir immer können, und daß wir mit aller Kraft, mit aller Anstrengung eines edelmüthigen Eifers, den Strom derselben aus dem innersten unsers Herzens forttreiben, bis an die äußersten Enden des Kreises, den wir beleben können. Von einem solchen höhern Leben, von einer so göttlichen, weit um sich wirkenden Kraft, die den ganzen Kreis von Wesen, der sie umgiebt, als wäre es ihr eigner Körper, beseelt, von einem solchen bleibt das Andenken noch zurück, wenn schon die Kraft selbst verlöscht ist; die Erinnerung davon bleibt zurück, weil es einen lebhaften Eindruck machte auf alle, die es wahrnehmen konnten; weil der Strom von Glückseligkeit, den es hervorbrachte, noch lange fließen kann, nachdem der Stoß vorüber ist, der ihn zuerst in Bewegung setzte. Von allen, welche so die Gelegenheit die ihnen die Vorsehung darbot, ihren Brüdern auf eine wesentliche und bleibende Art nützlich zu werden, benutzt haben, kann man sagen, daß sie sich selbst überleben in den wohlthätigen Werken, welche sie zurücklassen, weil diese Folgen ihres Betragens während ihrer Lebenszeit, eben so viel Denkmäler sind, | welche nothwendig eine ehrerbietige und dankbare Erinnerung 16 223] 123 12 Vgl. Mt 3,10

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names. Some have been possessed of learned, and eloquent pens; and in the volumes, in which they have transmitted important truth, they have handed themselves to posterity. Others have had it in their power, to render to their country such services of an active nature, as are never to be forgotten by the communities which receive them; the effects of which are felt through following ages; and in which they are, consequently, continually recognized and commemorated by their countrymen for ever. Others have been able, without injury to their relatives, to bequeath such magnificent legacies to useful institutions, as have held up their names to the respect and love of successive generations. Such men may be said to continue, in the consequences of their conduct, as long as those consequences last. These are so many monuments to their memory, monuments more durable than brass, more beautiful than sculpture can embellish; monuments that stand in | the public way, where mankind are continually passing, and reading their names. Such men, while such emanations of their minds remain, cannot be said to be departed; they are still in the world; their spirit walks among mankind; their statues stand in the earth, their noblest statues, the handsome images of their minds! the majestic effigies of their souls!

But posthumous existence is not confined entirely to such as these. Good men of humbler names, and obscurer merit, do not totally die, when their breath departs. Although their memory is not accompanied by the applause of the public, or graced by the gratitude of ages, of the private services they have rendered, in the narrower sphere in which Providence fixed them, the consequences may continue, and contain their names, long after they have left their place upon earth. The influence of their virtuous example, whenever it has taken effect, communicates from character to character, descends from father to son, and is to be considered as a perennial stream of benefits to society, stealing down, in various and silent courses, to the end of time. The source is soon concealed for ever from | the sight of man; but the river runs for ever on; and though it may not be called after their name from whom it issued, or be connected with their idea in the mind of the spectator; although no one may be able to trace it to its true spring; yet it may afford some solace to the fleeting fountain, to reflect, that he has sent forth waters immortal, as they are sweet. If such persons as these have been blessed with children, who have taken the impression of a virtuous education, they may not only

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an sie von Zeit zu Zeit wieder erneuern müssen. Nur wenig ausgezeichneten Menschen vergönnt es der Allmächtige Gott, daß sie ihre edlen Neigungen auf eine solche Art äußern können, die ihren Namen zur Unsterblichkeit erhebt. Einigen gab er Wissenschaft und Beredtsamkeit, und mit den Schriften, worin sie wichtige Wahrheiten überlieferten, haben sie zugleich sich selbst der Nachwelt übergeben. Andere konnten ihrem Vaterlande wichtige und thätige Dienste leisten, welche von der Gesellschaft, die sie empfing, nie vergessen werden, deren Wirkungen noch die folgenden Geschlechter wahrnehmen, und durch welche also auch die Urheber selbst das Andenken und die Achtung ihrer Landsleute auf immer genießen. Andere konnten ohne ihren Verwandten Unrecht zu thun, reichliche Vermächtnisse zu heilsamen Stiftungen widmen, wodurch ihr Name der Achtung und der Liebe später Nachkommen empfohlen wird. Von solchen Personen kann man sagen, daß sie in den Folgen ihrer Handlungen so lange fortleben, als diese Folgen selbst vorhanden sind. Diese sind Denkmäler ihrem Andenken errichtet, die dauerhafter sind als Erz, und schöner als die Kunst sie hervorbringen kann, Denkmäler die an der großen Strasse stehn, an der immer Menschen vorübergehn und ihren Namen lesen. Solche Personen sind nicht abgeschieden, so lange noch diese Beweise der Thätigkeit ihres Gemüths übrig sind; sie sind noch in der Welt, ihr | Geist wandelt noch unter den Menschen; ihre Statue steht aufgerichtet, und zwar die edelste Statue, das schöne Ebenbild ihres Gemüths, der erhabene Abdruck ihrer Seele! Aber das Fortleben nach dem Tode auch in dieser Welt schränkt sich nicht allein auf solche Personen ein, a ls diese. Gute Menschen, wenn auch ihr Verdienst dunkler, und ihr Name unbekannter ist, sterben doch nicht ganz, wenn der Othem sie verläßt. Wird gleich das Andenken an sie nicht von dem Beyfall eines ganzen Volkes begleitet, oder von künftigen Geschlechtern dankbar gesegnet, so können doch auch von den weniger wichtigen Diensten, die sie in dem kleineren Kreise, worin die Vorsehung sie fest hielt, geleistet haben, wohlthätige Folgen zurück bleiben, und durch diese ihr Name noch erhalten werden, wenn sie selbst ihren Platz auf der Erde schon lange verlassen haben. Der Einfluß ihres guten Beyspiels theilt sich da, wo es wirksam gewesen ist, von einem Gemüth zum andern mit, erbt sich fort vom Vater auf den Sohn, und ist für die Gesellschaft ein ununterbrochener Strom von Wohlthaten, der in seinem stillen Bett hinfließt bis ans Ende der Zeit. Die Quelle selbst verbirgt sich bald auf immer vor den Augen der Menschen; aber wenn auch der Strom nicht nach ihrem Namen genannt wird, wenn er auch nicht in dem Gemüth des Zu33 Name] Namen

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be said, with a peculiar propriety, to live in the virtue, to which they have thus particularly laboured to give birth, and of which they are the parents, as they are the authors ot the being, in which they have travailed to form it; but, as this is an effect, of which the eyes, of all that know them, readily assign them to be the cause, and upon which their names are left in sufficiently legible letters, they will frequently present themselves, in these surviving productions of their character, to the view of their surviving friends; and often remind them of what were their minds, as they remind them of what their bodies were, by appearing before them in the moral, as well as in the animal, features of | their offspring. There is something soothing to a social nature, in the prospect even of this shadowy life, when the breath of real existence is resigned. Although “the dead know not any thing,” though “their sons come to honour and they perceive it not of them,” and though they may come to honour themselves, without any more sensibility to it, than their insensate stones experience; although, were popular acclamations to commemorate their names with a thunder of applause, they would prove insufficient to excite so much as the sense of a whisper in their ear; yet the living love to think, they shall be remembered when they are no more; and that the dart of Death shall not extend its stroke to the whole of them.

III. The diligent discharge of the duties of life, while it lasts, is the way to enjoy an animated, and an immortal existence, in another world, when this shall be no more. “I am the resurrection, and the life; he that believeth in me, though he were dead, yet shall he live; and whosoever liveth, and believeth in me, shall never die.” These are the words that speak most loudly to the love of life, in behalf of virtuous practice; which | propose the most adequate remedy for that brevity of human existence, of which we complain; which most pleasingly salute our ears, and most effectually sooth our hearts, when we attend to commit our dead to the dust; which most completely deliver us from the dejection of spirit, with which we look round upon the assembled sepulchres of our species; and point out to us the way to emerge, in the most perfect manner, from those shadows of humiliation, which mortality throws around our nature.

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schauers den Gedanken an sie erregt, wenn auch Niemand im Stande ist, seinen Lauf bis zu ihr hinauf zu verfolgen, so kann doch die Ueberzeugung tröstlich seyn für die verbor|gene Quelle, daß süßes und unsterbliches Wasser von ihr ausgegangen ist. Sind solche Personen mit Kindern gesegnet gewesen, die alle Eindrücke einer rechtschaffenen Erziehung treulich aufbewahrt haben, dann kann man gewiß ganz vorzüglich von ihnen sagen, daß sie in dieser Tugend noch fortleben, auf deren Entstehung sie beständig hingearbeitet haben, und die ihnen eben so gut ihren Ursprung verdankt, als das Wesen selbst, in welchem sie sie auszubilden suchten. Aber noch mehr, da dies Gute eine Wirkung ist, von der alle, welche sie kannten, sie als die Ursach angaben, und die mit sehr leserlichen Zügen ihren Namen trägt, so wird auch gewiß diese bleibende Frucht ihres Geistes sie selbst sehr oft den Augen ihrer überlebenden Freunde darstellen, und diese werden durch die ähnlichen Charakterzüge der Nachkommen eben so oft daran erinnert, was der Geist der Eltern vortrefliches hatte, als die Aehnlichkeit der körperlichen Bildung ihnen ihre Gestalt zurückruft. Bey dem Gedanken, daß das wirkliche Leben verschwinden wird, findet ein geselliges Wesen selbst in der Aussicht auf ein solches Schattenleben etwas beruhigendes. Obgleich die Todten „von nichts wissen,“11 obgleich „ihre Kinder zu Ehren kommen, und sie werden es nicht gewahr,“12 und ob sie gleich, auch wenn sie selbst zu Ehren kommen, eben so wenig davon empfinden, als ihr fühlloser Grabstein; ob sie gleich, wenn der laute Zuruf der Menge mit dem schallendsten Beyfall ihres Namens gedächte, nicht | so viel als ein leises Flüstern in ihrem Ohr davon bemerken würden, so ergötzt doch den Lebenden die Hoffnung, daß man sein noch gedenken wird, wenn er nicht mehr ist, und daß der Pfeil des Todes ihn nicht ganz darnieder streckt. 3) Die treue Erfüllung aller Pflichten dieses Lebens, so lange es währt, ist das Mittel zu dem Genuß eines besseren und unsterblichen Daseyns in einer andern Welt zu gelangen, wenn diese nicht mehr seyn wird. „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stirbt, und wer da lebt und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben.“13 Diese Worte sind es, die bey unserer Liebe zum Leben am lautesten für die Ausübung der Tugend sprechen; sie weisen uns das angemessenste Hülfsmittel an gegen die Kürze des menschlichen Lebens, über die wir uns beklagen; sie begrüßen unser Ohr freundschaftlich und beruhigen unser Herz aufs kräf11

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Pred. Sal. 9, 5. Hiob 14, 21. Joh. 11, 25. 26.

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Who, that has within him one spark of soul, can refuse to put on the beams of immortality? Who can endure to think of coming forth as a flower, and fading away, of fleeing as a shadow, and making no stay in the creation of God? Yet man, without virtue, is no more than this. All his other distinctions cannot rescue him from the humbling names, by which the Scriptures call him. Whatever golden, or crimson colours may array the vapour, it is a vapour still; “it appears but a little while, and then vanishes away.” “I have seen the wicked in great power,” and spreading out his honours to an ample extent; “but he passed away, and lo | he was not; yea I sought him, but he could not be found.”—Is the luminous body that darts through the sky, that excites, for a moment, the vulgar amazement, that sheds, for a moment, a glaring light, to be compared with that glorious orb, which pours the golden day, which gladdens unnumbered nations, and shines with a serene and an unceasing splendour?—No more is the flux and transitory glory, this world can give, to be compared with that, which “the king eternal” confers upon them, whom he “delighteth to honour.” “The righteous shall shine forth as the sun, in the kingdom of their father for ever.”

Take up the annals of nations; in which, the great ones of their different ages, who put on the plumes of grandeur, and kept the world awake with the noise they made in it, whose excellency essayed to mount to heaven, and whose ambitious heads endeavoured to reach to the clouds, are marshalled by the pen of History, and made to pass in review before you. Behold the successive shades of the mighty; see how swiftly they seem to shoot through the scene, as you pursue the story of the countries where they acted their part; | their entrances and their exits have but a moment between them; the suns of glory, one after another, rise and set; the reigns of princes course one another with a rapid flight; the stirring spirits of different periods present themselves to the reader, and vanish; occupy a page, and disappear; the time in which each individual in the long procession is going by, is but as an instant; each fleeting passenger, in his turn, is departed, while the word of admiration is in your mouth:—Is this a glory to content a great mind? Shall we suffer our dignity, or our felicity, to

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tigste, wenn wir einen geliebten Leichnam dem Staube übergeben; sie erlösen uns von der Muthlosigkeit, womit wir die aufgehäuften Gräber unserer Brüder betrachten müssen, und zeigen uns den Weg, wie wir uns aufs glücklichste aus den Schatten der Demüthigung heraus finden sollen, womit die Sterblichkeit unsere Natur überzieht. Wer, der nur noch einen Funken von Geist in sich hat, könnte sich wohl dessen begeben, sich mit den Strahlen der Unsterblichkeit zu schmücken? Wer | vermöchte wohl den Gedanken auszuhalten, daß er vorübergeht und verwelkt wie eine Blume? Daß er dahinfährt wie ein Schatten, und nicht verweilt in der Schöpfung Gottes? Und doch ist der Mensch ohne Tugend nichts mehr als dies. Alle seine übrigen Vorzüge können ihn von der demüthigenden Benennung nicht retten, welche die Schrift ihm beylegt. Welcher Glanz von Purpur und Gold auch den Dunst umstrahlen mag, es ist doch nur Dunst, der „eine kleine Weile erscheint und dann verschwindet.“ Ich habe den Gottlosen gesehen in großer Macht, und seine Ehre breitete er weit aus, aber da man vorüber ging, da war er dahin, ja ich fragte nach ihm, aber er war nicht zu finden14. – Kann man wohl die leuchtende Kugel, welche durch die Luft fliegt, und einen Augenblick ihr glänzendes Licht ausströmt, einen Augenblick die Bewunderung der Menge auf sich zieht, kann man diese wohl mit dem herrlichen Himmelskörper vergleichen, der uns den goldenen Tag bringt, der unzähliche Völker erfreut, und ein sich immer gleiches Licht von sich giebt? Eben so wenig mag man den flüchtigen, vorübergehenden Ruhm, den diese Welt gewähren kann, mit dem vergleichen, welchen der ewige König denen giebt, die er ehren will. Die Gerechten werden scheinen wie die Sonne in ihres Vaters Reich ewiglich. Schlagt die Jahrbücher der Völker nach, wo alle großen Männer der verschiedensten Zeiten, alle | die sich mit den Ehrenzeichen der Größe schmückten, und die Welt wach hielten, durch das Geräusch welche sie machten, wo alle die mit ihrer Vortreflichkeit den Himmel erstürmen, und ihr ehrsüchtiges Haupt bis über die Wolken erheben wollten, nach ihrer Ordnung aufgeführt werden durch die Feder der Geschichte, und sich eure Musterung müssen gefallen lassen. Sehet 14

Ps. 37, 35. 36.

22 unzähliche] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1335 9 Vgl. Ps 103,15–16 9–10 Vgl. Ps 109,23 15 Vgl. Jak 4,14 15–18 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert. 25 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus 1Tim 1,17. 26 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Esther 6,9. 26–27 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Mt 13,43

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be confined within such limits as these? Shall we permit so small a room as this to enclose our happiness? Shall we imprison our expectations in a point, when the door of immensity is thrown open to them? Let us be ambitious of abiding in honour, and in happiness. Let no believer in the Gospel content himself with meteor and mortal glories, the fires of which, however splendid, are speedily spent. Let no one satisfy himself with being a shooting, however shining, star, in the firmament of glory, who is invited to become an everlasting luminary there; to whom a splendour is offered that shall survive the sun; whose ambi|tion is bidden to a glory, and an honour, with which immortality is joined. Let no one discover so little avarice of welfare, and engage in so abstemious a pursuit of happiness, as to restrain his desires to the few hasty joys, he is able to snatch in his passage through this world, when before his wishes christianity has spread “pleasures, that are for evermore.”

If, then, in the most perfect manner, we would redress the dissatisfaction of human nature with the short duration of human life, we must diligently cultivate those generous dispositions, which operate, at once, to multiply the days, and the pleasures of our present life; to make us memorable to our survivors; and to procure us the approbation of that Being, who gave us existence, and who can continue it as long as he pleases. To what this subject has already suggested to us, I have only to add, Thirdly, That the consideration of the brevity of human life calls upon them, who either have entered, or who are disposed to enter, upon the service of God and society, for all possible ardour in running, and expedition in starting, in the honourable race of virtue. The useless and the pernicious part of mankind compose a | numerous

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da, wie die Schatten der Mächtigen sich einander drängen, wie sie so schnell über den Schauplatz dahin fahren, wenn ihr die Geschichte der Länder verfolgt, wo sie ihre Rolle spielten! Zwischen ihrem Auftreten und Abgehn ist nur ein Augenblick. Eine Sonne des Ruhms nach der andern geht auf und wieder unter. Die Regierungen der Fürsten jagen einander in schnellem Lauf; die leitenden Genien der verschiedenen Perioden zeigen sich dem Leser, und eilen davon; sie füllen ein Blatt und verschwinden; die Zeit, in welcher jeder einzelne aus der langen Reihe seinen Weg vollendet, ist nur ein Augenblick; jeder eilige Wanderer ist immer schon fort, wenn noch der Laut der Bewunderung auf unsern Lippen schwebt. – Und dies wäre ein Ruhm der einem großen Geist genügen könnte? Wir sollten unsere Würde, unsere Glückseligkeit in so enge Grenzen einschränken lassen? Wir sollten unsere Erwartungen in einen so kleinen Punkt bannen, da ihnen doch die Thore der Unendlichkeit offen stehn? Unser Ehrgeiz sey vielmehr darauf gerichtet, daß unser Ruhm und unsere Glückseligkeit nie vergehe! Keiner, der an das Evangelium glaubt, begnüge sich mit | einem vergänglichen Flitterruhm, dessen Strahlen, so glänzend sie auch seyn mögen, doch so bald verlöschen! Keiner begnüge sich damit am Firmament der Ehre ein glänzendes Meteor zu seyn, da er doch eingeladen wurde, dort den Platz eines ewig leuchtenden Gestirns einzunehmen, da ihm ein Glanz angeboten wird, welcher die Sonne überlebt; da seiner Ehrliebe ein Ruhm und eine Herrlichkeit verheißen wird, mit welcher Unsterblichkeit verbunden ist. Niemand beweise so viel Gleichgültigkeit gegen sein Wohlergehn, niemand sey in seinem Streben nach Glückseligkeit so nachläßig, daß er seine Wünsche auf die wenigen flüchtigen Freuden beschränke, die er während seines Durchganges durch diese Welt haschen kann, da doch das Christenthum vor seinen Wünschen eine Lust ausbreitet, die ewig währt. Wollen wir also der Unzufriedenheit unseres Gemüths mit der Kürze des menschlichen Lebens aufs vollkommenste begegnen, so laßt uns mit allem Fleiß die besseren Gesinnungen in uns nähren, welche sowohl unsere Tage, als auch die Freude unsres gegenwärtigen Lebens vermehren, uns sowohl das Andenken der Hinterbliebenen, als den Beyfall desjenigen Wesens sichern, welches uns das Daseyn gab, und es uns erhalten kann, so lange es ihm wohl gefällt. Zu den Betrachtungen, welche wir über diesen Gegenstand schon angestellt haben, füge ich nur noch diese hinzu.| D r i t t e n s . Daß der Gedanke an die Kürze des menschlichen Lebens alle diejenigen, welche Gott und der Gesellschaft dienen wollen, oder ihr schon jetzt dienen, auffordern muß, in die ehrenvolle Lauf29 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 16,11

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body. On the other hand, the friends of society, whose exertions are to supply the place of those faculties, which others suffer to slumber, and to counteract the malignant influences of opposite practices upon human happiness, are but a small party, and their stay in the earth is fleeting, like that of their opponents. Let them not then lose any part of that little life, which is allotted them. While yet they live, let them not live so much as a day in vain. They have not long to serve their fellow-creatures and their friends; while they have the opportunity, let them with virtuous avidity seize it. Whatsoever their hands find to do, let them do it with all their might. Whatever useful undertaking they may have meditated, let them make haste to execute: let their benevolence use all possible dispatch: for soon shall they steep in the dust; and the eye of Necessity shall seek them in the morning, but they shall not be. Let the benefactor, who is so shortly to be no more, exercise the most diligent beneficence, while he is.

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Let me address myself to the generous ardour of the young, and urge them to engage, without delay, in the service of society. So | short a term of devotion to it cannot afford any deduction. That offering, which nature and necessity have made so poor, let not indolence and procrastination impoverish. Give to your fellow-creatures the whole of that, which is so little. Insult not the claims of mankind upon you, by dedicating to them but a part of a moment.

And let it be remembered, that all the moral improvement we are able to make, within a space so narrow as human life allows us, will not be more than is wanted to support our nature, amidst the pains and terrors of its close. That is a moment of timidity, when fancy is sometimes too powerful for reason; and when fears are apt to mingle with the triumphs of faith. He will be able to pass that moment with the most perfect peace, whose memory has to place before him a life, as useful in all its parts, as it was in his power to make it; and whose sinking heart is supported in that hour of final depression, and sustained in its hopes of heaven, by the suffrages and testimonies of his grateful fellow-creatures. This was the retrospect that most effectually soothed unhappy Job, under all the agonies which wrung from him

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bahn der Tugend so bald als möglich einzutreten, und so eifrig als möglich darin fortzugehn. Der unnütze und gefährliche Theil des menschlichen Geschlechts macht eine sehr zahlreiche Gesellschaft aus. Auf der andern Seite sind die Freunde der Menschheit, deren Thätigkeit alle Kräfte, welche die Andern schlummern lassen, ersetzen, und alle schädlichen Einflüsse ableiten soll, welche die entgegengesetzten Bestrebungen auf die menschliche Glückseligkeit haben können – diese sind nur ein kleines Häufchen, und ihr Aufenthalt auf der Erde ist eben so kurz, als der ihrer Gegner. Um so weniger dürfen sie also auch den kleinsten Theil des kleinen Lebens verlieren, welches ihnen beschieden ist. So lange sie da sind, verstreiche ihnen auch nicht ein Tag vergebens. Nur kurze Zeit haben sie ihren Brüdern und Freunden zu dienen; so lange also die Gelegenheit noch da ist, müssen sie sie mit tugendhafter Begierde ergreifen. Mit aller Macht müssen sie thun, was ihnen vorhanden kommt zu thun. Jedes nützliche Unternehmen, was sie entworfen haben, werde schnell ausgeführt; ihr Wohlwollen beschleunige sein Geschäft so sehr als möglich; denn bald werden sie sich in den Staub legen. Morgen wird das Auge der Dürftigkeit sie suchen, aber sie werden nicht da seyn. Der Wohlthäter, der so bald nicht mehr vor|handen seyn wird, übe fleißig Barmherzigkeit, so lange es ihm noch vergönnt ist. Es sey mir erlaubt mich vorzüglich an den edlen Eifer der Jugend zu wenden, und sie zu bitten, daß sie so zeitig als möglich anfangen mögen, der Gesellschaft nützlich zu werden. Der kurze Zeitraum, der ihr gewidmet werden kann, verträgt keinen weiteren Abzug. Laßt nicht die Gabe, welche die Natur schon karg genug gemessen hat, noch durch Trägheit und Aufschub verringert werden. Gebt doch euren Brüdern das ganz, was ohnedies nur so wenig ist. Achtet die Ansprüche, welche das menschliche Geschlecht auf euch macht, nicht so gering, daß ihr ihm nur einen Theil eures kleinen Augenblicks zugestehen wollt. Und laßt euch daran erinnern, daß alle Fortschritte im Guten, die wir während eines so kleinen Zeitraums als das menschliche Leben uns vergönnt, zu machen im Stande sind, nie mehr seyn können, als was wir nöthig haben werden, um uns unter den Schmerzen und Besorgnissen aufrecht zu halten, von denen das Ende dieses Lebens immer begleitet ist. Denn das ist eine bange Stunde, wo die Einbildungskraft oft der Vernunft zu mächtig ist, wo sich Furcht mitten unter den Triumph des Glaubens zu mischen pflegt. Diesen Augenblick wird nur der in vollkommener Ruhe überstehen können, dessen Gedächtniß auf ein Leben zurücksehn kann, welches er in allen seinen Theilen so nütz24 mögen] Kj möge

35–36 Besorgnissen] Besorgnisse

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the words | of the text: and it is upon this pillow, that our nature, must ever enjoy the most profound repose, when “heart and flesh for ever fail it.”

I conclude, my fellow-christians, with inviting your warmest gratitude for that Gospel, which teaches us to look forward to the last hour with sensations, at once serene and cheerful. To others Death has turned a pleasing face: but it is to us, my brethren, that he presents his most amiable aspect. The man of insupportable and irremediable misery has sometimes smiled upon him with a gloomy joy, and has called him a friend, when he has contemplated in him only “the deliverer, who rescues man,” without being able to call him “the rewarder, who the rescued crowns.” Considered merely as a sanctuary from incurable pain of body, or inconsolable sorrow of heart, he has “rejoiced exceedingly and been glad to find a grave.” In the midst of “wearisome nights, and days spent without hope,” he has soothed his plaintive fancy with the prospect of that peaceful and silent retreat from all the ills of life, “where the wicked cease from troubling, and where the weary are at rest;” where exhausted nature lies | down as upon a bed, sinks into a sweet oblivion of all her woes, and “remembers her misery no more.” There is comfort in the prospect of this negative ease to a creature in agonies, but it is mournful comfort.

The enslaved savage also, in looking to the close of life, has his consolation of a p o s i t i ve , but it is of an humble nature, in the prospect of that world, which his fancy has formed beyond the grave; where golden fruitage is to grow; where flowers unfading flourish; where healing breezes blow upon every wound; where nor hungry tigers roam, nor noxious reptiles lurk, nor Christian monsters lift their whips.

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lich als möglich angewendet hat; dessen brechendes Herz in dieser letzten | Stunde der Angst gestärkt, dessen Hoffnung zum Himmel belebt wird durch das gute Zeugniß, welches seine dankbaren Brüder ihm beylegen. Diese Rückerinnerung war es auch, die unter allen den Leiden, wodurch die Worte unsres Textes hervorgepreßt wurden, den unglücklichen Hiob am kräftigsten beruhigte, und auf diesem Kissen muß auch unsere Seele die erquickendste Ruhe finden, wenn sie von unsern Gebeinen auf immer flieht. Ich schließe damit, meine Mitchristen, daß ich Euch auffodere, herzlich dankbar zu seyn, für das Evangelium, welches uns mit so frohen und ruhigen Empfindungen auf unsere letzte Stunde zu sehen lehrt. Der Tod kann vielleicht auch andern lieblich erschienen seyn, aber uns, meine Brüder, uns zeigt er seine liebenswürdigste Gestalt. Derjenige, dem sein Elend unerträglich und unheilbar ist, lächelt ihn wohl mit einer düstern Freude an, aber nur weil er in ihm „den Retter findet, der die Menschen befreyt, nicht, weil er ihn auch den Vergelter nennen kann, der den Befreyten krönt.“ Er sieht ihn an als die heilige Freistätte, der weder der unheilbare Schmerz des Körpers noch der unüberwindliche Kummer des Herzens nahen darf, und darum freut er sich fest, und ist fröhlich, daß er das Grab bekommt15. In seinen schlaflosen Nächten16 und in den Tagen die ohne Hoffnung verstrichen, hat er seine klagende Phantasie beruhigt durch die Aussicht auf jene friedliche und stille Abgeschiedenheit von | allen Uebeln des Lebens, „wo die Gottlosen aufhören müssen mit Toben und die viel Mühe gehabt haben, zur Ruhe zu kommen,“17 wo die erschöpfte Natur sich still hinlegt, in eine süsse Vergessenheit ihres Elendes versinkt, und ihrer Leiden nicht mehr gedenkt. In dieser Aussicht auf das Ende des Uebelbefindens liegt freylich ein Trost für ein kämpfendes und geängstetes Geschöpf; aber es ist ein trauriger Trost. Der Wilde, der hier zur Sklaverey eingefangen ist, findet, wenn er auf das Ende des Lebens sieht, auch einen Trost in der Aussicht auf 15 16

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Hiob 3, 22. Hiob 7, 3. Hiob 3, 17.

7–8 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 73,26 15–17 Fawcetts beide wortgetreuen Zitate stammen aus Edward Young: The complaint, or, Night-thoughts on life, death, and immortality. Night the third, London 1742, Zeile 514–515. 19– 20 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert. 21–22 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert; Fawcetts markiertes Zitat ist umfänglicher; es ist zusammengestellt aus Hiob 7,3 und 7,6. 27 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 31,7

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But it is to us, my brethren, that the sublimest comforts belong, when we look to the end of this little life. Amidst the troubles of it, we are composed to peace, by more than the dead and inanimate prospect of the tranquillity of the grave. Amidst the sighs that accompany our reflection upon its brevity, we are consoled by the exalted hope of more than a s e n s u al heaven; by the hope of a region, where more than sunshine, and verdure, and fragrance, and ease, invite us; where the refined satisfactions of devotion, and | virtue, and friendship, and knowledge, await us; where more of the works of God shall engage our admiration; more of his virtuous creatures fill our embrace; more of his awful nature employ our contemplation; and where Death, our dreaded enemy here, shall be swallowed up in everlasting victory. Upon. that peaceful and blissful shore, I wish you all a safe arrival, and a happy re-union with every departed friend. Amen.

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den Anfang eines gewissen Wohlbefindens; aber es ist ein armseliger Trost. Seine Phantasie mahlt ihm jenseit des Grabes eine Welt, wo goldne Früchte emporwachsen, wo unverwelkliche Blumen blühen, wo balsamische Düfte jede Wunde heilen, wo kein hungriger Tyger brüllt, kein giftiges Insekt lauert, und kein christliches Ungeheuer seine Geißel schwingt. Aber wir, meine Brüder, wir genießen des erhabensten Trostes, wenn wir auf das Ende dieses kurzen Lebens hinsehn. Was uns unter allen Unruhen desselben gelassen und still macht, ist etwas größeres als die todte, unbeseelte Aussicht auf die Ruhe des Grabes. Was uns tröstet, wenn wir die Kürze desselben seufzend beklagen, ist eine herrlichere Hoffnung, als die Erwartung eines sinnlichen Freudenhimmels; es ist die Aussicht auf eine Gegend, die | uns ganz andere Annehmlichkeiten anbietet als Sonnenschein und Grün, als Wohlgeruch und Behaglichkeit; wo die ausgesuchtesten Freuden der Andacht und der Tugend, der Freundschaft und der Erkenntniß uns bereitet sind; wo unsere Bewunderung mehr Werke Gottes anstaunen, unsere Liebe mehr tugendhafte Wesen umfassen, unser Auge mehr von seiner unbegreiflichen Natur erblicken, und wo der Tod, der hier unser furchtbarster Feind war, in einen ewigen Sieg verschlungen seyn wird. Ich wünsche Euch allen eine glückliche Ankunft in diesem Lande des Friedens und der Seligkeit, und eine erwünschte Wiedervereinigung mit jedem vorangegangenen Freunde. Amen.

19–20 Vgl. 1Kor 15,26.55

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Poverty with Virtue more eligible than Wealth without.

SERMON

VIII.

A l i t t l e t h at a r i gh t e o u s m an h at h is better t ha n t he riches of many wicked. Psalm xxxvii. 16. The Almighty has made us all to be happy, and to become so is the business of our lives. In endeavouring to attain this end, however, we discover more diligence than sagacity, and are less deficient in the exertion, than the direction, of our faculties.

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We set out in this important pursuit with supposing, that happiness is the produce of situation solely; that it will only flourish in particular spots, and that there it will spring up spontaneously. We do not seem to know, or sufficiently to consider, that it must be planted and cultivated every where, and that, if | cultivated, it will flourish any where. We are not enough aware that what we call sources of enjoyment, are not so, in themselves, absolutely, and necessarily, but only relatively and conditionally; that they require certain corresponding qualifications in those who draw from them, to enable them to drink at them; that happiness is the result of an agreement and harmony between the person and the situation, between the inhabitant and the habitation, between the sensibility of the subject and the nature of the objects that act upon him. Light is sweet, but not to the blind; music is delightful, but not to the deaf; poetry is entertaining, but not to the tasteless in literature; polished society is pleasant, but not to the rustic; retirement is soothing, but only to the placid and untroubled breast; heaven is a place of felicity, but to the pious, and benevolent alone; and wealth is a blessing, but solely to the wise and good. To bestow it upon the foolish, the sensual, the vain, the proud, and the selfish, is to put into the hand of a savage a gem, which he

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Achte Predigt.

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Die Armuth von der Tugend begleitet ist wünschenswerther als der Reichthum ohne sie. Ps. 37, 16. 5

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D a s We n i g e , d as e i n G e r e c h t e r h at, ist besser denn da s g r o ß e G u t vi e l e r G o t t l o s e n . Der Allmächtige hat uns alle erschaffen, um glücklich zu seyn; und es wirklich zu werden, ist das Geschäft unsers Lebens. Bey unsern Bemühungen diesen Endzweck zu erreichen, zeigen wir aber mehr Emsigkeit als Scharfsinn; wir lassen es nicht an dem Gebrauch unserer Kräfte fehlen, aber wir geben ihnen nicht die gehörige Richtung. Wir gehen bey allem, was wir in dieser wichtigen Angelegenheit thun, immer von der Voraussetzung aus, daß Glückseligkeit nur die Frucht gewisser Umstände sey, daß sie nur an gewissen Orten blühe, dort aber auch ganz von selbst gedeihe. Wir scheinen nicht zu wissen, wenigstens nicht gehörig zu bedenken, daß sie überall gepflanzt und gepflegt zu | werden verlangt, daß sie aber auch, wenn sie nur gepflegt wird, überall ohne Unterschied ihre Blüthen treibt. Wir überlegen nicht, daß alle die Dinge, welche wir als Quellen des Genusses ansehn, es nicht für sich allein, oder überall und nothwendig sind, sondern immer nur unter gewissen Bedingungen und Verhältnissen; daß diejenigen, welche daraus schöpfen wollen, immer gewisse Eigenschaften mitbringen müssen, wodurch sie erst geschickt werden, davon zu trinken, und daß Glückseligkeit immer von einer gewissen Uebereinstimmung abhängt, von einem Wohlgefallen der Person an ihrem Zustande, des Bewohners an seiner Wohnung, der Empfänglichkeit des Gemüthes an der Beschaffenheit der Gegenstände, die darauf wirken. Das Licht ist angenehm, aber nicht für den Blinden; die Musik ist bezaubernd, aber nicht für den Tauben; die Dichtkunst ist reizend, aber nicht für den Geschmacklosen und Unwissenden; gebildete Gesellschaft ist erfreulich, aber nicht für den Rohen und Ungesitteten; Einsamkeit ist erquickend, aber nur für ein stilles, ruhiges Herz; der

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can apply to no valuable purpose, a book he cannot read, an instrument of which he knows not the use.|

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We do not appear to consider, that there is such a thing as a capacity and an incapacity of enjoyment, a disposition to be happy, and a disposition to be miserable: that the former will find felicity in almost any situation, that the latter will find it in none. Where the soil is good, and where seed is sown, the clemency of the skies will call forth fertility; but no showers, however kindly, no suns, however generous, are able to fructify the rock. For want of these reflections, of the adventurers for happiness that human life exhibits to our view, disappointment is the portion of those who “prosper in the world and increase in riches,” while the unsuccessful in the pursuit of them become the prey of envy. The Scriptures abound in passages, that tend to set us right upon this subject. Of these, that, which I have this moment read to you, contains a very strong correction of the fatal mistake concerning happiness, into which mankind are so continually falling. “A little that a righteous man hath is better than the riches of many wicked,” or than many riches, accompanied with wickedness.

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This is a pleasing truth to them that have | little, and an important truth to them that have much. It shows us happiness in our own power; instructs us in the secret of it; guides us in the search after it; and teaches us to make ourselves independent of situation and accident. The superiority, asserted in the text, may be comprehensively illustrated by a successive reference to, and comparison of, the several component qualities, in the character of a righteous man, which are to be considered as contributing to the enjoyment of property, and the several follies and vices, which stand opposed to them in the various modifications of the opposite character, and which interfere with the felicity we inconsiderately regard as the inseparable companion of opulence.

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Himmel ist ein Sitz der Glückseligkeit, aber nur für den Frommen und Wohlwollenden; der Reichthum ist ein Segen, aber nur für den Weisen und Guten. Ihn dem Thörichten, dem Sinnlichen und Eitlen, dem Stolzen und Selbstsüchtigen geben, hieße dem Wilden einen Edelstein reichen, mit dem er nichts schickliches anzufangen weiß, ein Buch, das er nicht zu lesen versteht, ein Instrument, wovon er den Gebrauch nicht kennt.| Es scheint, als ob wir gar nicht bedächten, daß es eine Empfänglichkeit und eine Unempfänglichkeit für den Genuß, eine Anlage glücklich und eine Anlage unglücklich zu seyn giebt, und daß die erstere fast in jedem Zustande, die letztere in keinem Glückseligkeit finden wird. Wo in einen guten Boden gesäet worden ist, da kann der günstige Einfluß des Himmels Fruchtbarkeit wirken; aber der sanfteste Regen, der lieblichste Sonnenschein werden doch auf dem Felsen keine Früchte erziehen. Weil diejenigen, die in diesem Leben der Glückseligkeit nachjagen, diese Ueberlegungen nicht anstellen, so ereignet es sich gewöhnlich, daß getäuschte Erwartungen das Loos derjenigen unter ihnen sind, denen es in der Welt gelingt, und deren Reichthum zunimmt, und daß die Uebrigen, deren Bestrebungen nach diesen Dingen ohne Erfolg geblieben sind, vom Neide verzehrt werden. Die Schrift ist reich an Stellen, welche zur Absicht haben uns hierüber aufzuklären, und vorzüglich enthält die, welche ich so eben verlesen habe, eine sehr starke Erklärung gegen den verderblichen Irrthum, in welchen die Menschen bey ihrem Streben nach Glückseligkeit so häufig verfallen. „Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als das große Gut vieler Gottlosen,“ das heißt, besser als großer Reichthum, welchen Ruchlosigkeit begleitet. Dies ist eine angenehme Wahrheit für die, welche wenig haben, und eine wichtige Wahrheit für die, welche viel haben. Sie zeigt uns, daß die | Glückseligkeit in unserer eigenen Macht steht, sie weiht uns in das Geheimnis derselben ein, leitet uns bey unserm Bestreben auf den rechten Weg, und lehrt uns, uns unabhängig zu machen vom Zufall und äußern Umständen. Das Besserseyn, wovon unser Text so zuversichtlich spricht, werden wir am besten in allen seinen Theilen erläutern, wenn wir nach einander die verschiedenen Eigenschaften in dem Charakter eines rechtschaffenen Mannes betrachten, welche dazu beytragen ihn in der 9 Unempfänglichkeit] Unempfänglichkeit, als großer] besser, als großer

27 Gottlosen,“] Gottlosen,

19 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 73,12

27 besser

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Serm. 8: Poverty with virtue more eligible than wealth without

First, The little that is accompanied with contentment, is better than the riches of those, who, whatever the sum of them they may possess, are dissatisfied with that sum. What is gain? It is not gold; it is not power: the Scriptures have answered the question, and they have answered it well. “Contentment with godliness is great gain.” 259

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“But if I had more, I should be contented. It is the possession of much that produces | content.” Into an error more remote from truth than this, the human understanding never strayed. He that is not contented with competence, it is certain, would not be satisfied with superfluity. Contentment, with that which is enough for nature, is an inseparable attribute of a virtuous temper. It is a ray, in the luminous orb of the virtues, that streams from the same centre, which supplies the rest of the radiant circle. It is a natural and necessary emanation from Faith, Piety, and Charity. There is no truth, of which we require to be so frequently reminded, no truth is so necessary to our happiness, and none is so apt to escape our memory, as this, That contentment does not grow out of the condition, but out of the character.

So far is what is considered by the world as felicity of situation, from giving birth, of itself, to felicity of heart, that, where the parent principles of happiness are wanting, the tendency of great possessions is rather to diminish, than to increase, content. There is a closer connection, a more intimate affinity, in the nature of things, between satisfaction and little, than between satisfaction and much. Those that aspire to wealth, resemble, in this | respect, them that are ambitious of excellence in arts, or in science; the nearer they approach to that perfection, after which they pant, the greater is at once their perception, and their impatience, of imperfection. In this respect, then, the little that a righteous man hath is better than the riches of the wicked. He is contented with that little: and

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Armuth glücklich zu machen, und wenn wir sie zugleich mit den Thorheiten und Lastern vergleichen, die wir in den verschiedenen Arten des entgegengesetzten Charakters wahrnehmen, und welche die Glückseligkeit verhindern, die wir allzu voreilig als eine unzertrennliche Gefährtin des Reichthums ansehen. E r s t e n s . Das Wenige, was von Genügsamkeit begleitet wird, ist besser als der große Reichthum derjenigen, die mit ihrem Antheil, so groß er auch ist, unzufrieden sind. Was ist Gewinn? Nicht Gold, nicht Macht; die Schrift beantwortet die Frage ganz anders, und sehr richtig: „Das ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist, und läßt ihm genügen.“1 „Aber wenn ich mehr hätte, würde ich zufriedener seyn; viel haben, das macht erst vergnügt.“ In einen Irrthum, der sich weiter von der Wahrheit entfernte, als dieser, hat der menschliche Verstand | nie verfallen können. Wer sich mit dem Nothdürftigen nicht begnügt, der wird auch gewiß mit dem Ueberfluß nicht zufrieden seyn. Zufriedenheit, so lange wir noch das haben, was die Natur verlangt, muß nothwendig da seyn, wo eine rechtschaffne Gesinnung seyn soll. Sie ist in dem hellen Kreise der Tugenden ein Strahl, der aus demselben Mittelpunkt hervorgeht, welcher der Ursprung aller übrigen ist. Sie ist eine unmittelbare und nothwendige Frucht des Glaubens, der Frömmigkeit und der Liebe. Es giebt keine Wahrheit, an welche wir so oft erinnert werden müssen, keine die zu unserer Glückseligkeit so unentbehrlich ist, keine, die unserm Gedächtnis so leicht entwischt, als diese, daß Zufriedenheit nicht aus dem äußeren Zustande, sondern aus der innern Verfassung des Gemüths hervorgeht. Was die Welt eine glückliche Lage nennt, ist für sich selbst so wenig im Stande das Glück des Herzens zu begründen, daß vielmehr große Reichthümer da, wo es an den innern Quellen der Glückseligkeit fehlt, die Zufriedenheit eher vermindern als vermehren. Zufriedenheit und Wenig sind weit näher verbunden, haben von Natur eine weit innigere Verwandtschaft als Zufriedenheit und viel. Wer nach Reichthum strebt, gleicht in dieser Rücksicht denen, welche sich Vollkommenheit in Künsten und Wissenschaften zum Ziel gesetzt haben; je mehr sie sich dieser erwünschten Vollkommenheit nähern, desto stärker wird sowohl das Gefühl ihrer Unvoll|kommenheit, als die Unzufriedenheit, die sie darüber empfinden. In dieser Rücksicht also ist das Wenige, welches ein Gerechter hat, besser als der Reichthum der Gottlosen. Er ist zufrieden mit diesem 1

1 Tim. 6, 6.

39 besser] besser,

40 1 Tim.] Tim.

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Serm. 8: Poverty with virtue more eligible than wealth without

contentment is “wealth, and power, and every earthly thing.” He that is satisfied with what he eats, fares sumptuously; he that is satisfied with what he wears, is clothed in purple; he that is contented with his dwelling, is the tenant of a palace. Secondly, The little, that is accompanied with economy and temperance, is better than the riches of those, who have a taste for profusion. In such hands, riches are not riches. Intemperance converts wealth into want. It does this, in three ways.

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I. If wealth were inexhaustible, intemperance would impoverish the possessor of it, by sinking the sum of sensual pleasure, in its power to bestow, to a much smaller amount, than what even poverty, with sobriety, is able to command. In order to secure the largest sum of it, it is necessary that the ha|bits should be so arranged, as to admit of occasional risings above the tenour of our pleasures to more animated and extraordinary entertainment. Novelty and variety are the soul of enjoyment. But that system of life, which is marked by excess, utterly excludes this vital principle of pleasure. He that is already upon the summit, can rise no higher: and he that is always aloft, is no more alive to the sense of elevation, than those who are on the ground. It is the flight thither, and not residence there, which excites the pleasurable perception of height. If he, who is habitually as high as he can ascend, would experience that variation which enlivens life, he must come down. And, indeed, it has repeatedly happened, that when the gay, and the dissipated have, by any accidental and local necessity, been compelled to descend to the plainness and simplicity of humble accommodation, they have confessed that the change has exhilarated them more than the luxuries of life had for a long time done.

Opulence, then, were it unbounded, in the hand of Profusion, is the lowest poverty. I say the lowest; for common Poverty, poverty that is merely comparative, can communicate | to her sober and temperate sons and daughters, not only food and raiment, but occasional entertainment and delight. But eternal vacation can have no holidays; and perpetual festivity is a perpetual fast.

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Wenigen, und diese Zufriedenheit ersetzt ihm Reichthum, Macht, und jedes irdische Gut. Wem das wohl behagt, was er genießt, der hat köstlich gespeist; wem das gefällt, was er trägt, der ist in Purpur gekleidet; wer sich in seine Wohnung zu fügen weiß, der hat einen Pallast. Zw e y t e n s . Das Wenige, dem Sparsamkeit und Mäßigkeit zur Seite sind, ist besser als der Reichthum derer, die einen Hang zur Schwelgerey haben. In solchen Händen ist der Reichthum nicht mehr Reichthum, denn die Unmäßigkeit verwandelt den Ueberfluß selbst in Mangel. Sie thut dies auf dreyerley Art. 1) Wäre der Reichthum auch unerschöpflich, so würde die Unmäßigkeit doch seinen Besitzer arm machen, weil dadurch die Summe sinnlicher Vergnügungen, die er ihm verschaffen kann, weit geringer wird, als die, welche die Armuth selbst dem Mäßigen noch übrig läßt. Wollen wir uns nemlich die größte Summe dieser Freuden sichern, so muß unsere Lebensordnung so eingerichtet seyn, daß wir uns gelegentlich von dem gewöhnlichen Empfindungzustande zu einem lebhafteren, außerordentlichen Vergnügen erheben können. Neuheit und Abwechselung sind die Seele des Genusses, aber eine ausschwei|fende Lebensart schneidet diese lebendige Quelle des Vergnügens ganz ab. Wer schon auf dem Gipfel ist, kann nicht mehr steigen, und wer immer in der Höhe schwebt, kann eben so wenig ein Gefühl von Erhebung haben, als der, der unten auf der Erde steht. Das Hinaufschwingen, nicht das in der Höhe seyn, erregt das angenehme Gefühl der Erhebung. Wenn der, welcher für gewöhnlich so hoch steht, als er steigen kann, die Abwechselungen genießen will, die das Leben unterhaltend machen, so muß er zuvor herabkommen. Und in der That hat es sich öfters ereignet, daß die Zerstreuten, die in ewigen Lustbarkeiten leben, wenn sie durch irgend einen Umstand genöthigt wurden, einmal in die Ebene eines einfachen, eingeschränkten Lebens herabzusteigen, gestehen mußten, daß diese Abwechselung ihnen mehr Heiterkeit gegeben hätte, als die Schwelgereyen ihrer gewohnten Lebensart schon seit langer Zeit nicht im Stande waren. Der Reichthum also, wäre er auch unbegrenzt, wird in den Händen der Schwelgerey zur bittersten Armuth. Zur bittersten Armuth, sage ich, denn gewöhnliche Armuth, die diesen Namen nur vergleichungsweise führt, kann ihren nüchternen und mäßigen Söhnen und Töchtern nicht nur Nahrung und Kleidung geben, sondern ihnen auch dann und wann eine Ergötzlichkeit und einen Freudentag machen. 1–2 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. vermutlich William Cooper: Discourses on several subjects, Bd. 1–2, London 1786 (Nachdruck als 2. Auflage 1795 unter dem Titel: Discourses on the following subjects); dort heiβt es „power, wealth, earthly pleasures“ (Band 1, Nr. 9, S. 197).

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II. But, by reducing the superfluities to the necessaries of life, and thus multiplying more and more the wants of nature, profusion renders wealth itself inadequate to the system of expence; and thus produces a feeling of poverty, in the midst of opulence. In consequence of the disproportion between his property and his factitious necessity, large as in reality his possessions may be, the prodigal feels himself straitened; he experiences a narrowness in his circumstances, a contraction in his property, ample as it is; and, in the midst of pecuniary enlargement, his appetites complain of imprisonment. What is this, however vast the sum of worldly substance with which it may be accompanied, what is this but beggary? Is it of any consequence, whether indigence be seated in the purse, or in the fancy? What difference there is, is in favour of the former situation of it. I need not say, that this painful feeling of confinement is usually too impatient of it, to | be kept within the bounds of prudence; which leads me to add, III. That profusion, in the end, is the cause, not only of imaginary, but real indigence. The very first step, in this downward path to ruin, is the beginning of shame and misery. To be obliged to defer the payment of debts; to be under the necessity of dismissing the industry, that asks its due, with promises and excuses; to have inferiors, in whose face we are ashamed to look;—how much must every feeling of honest pride and decent spirit be subdued, before this can be borne. Is opulence, with these appendages, an object of envy? How much happier, and more enviable is he, however inferior his station may be, who is able to hold up his head, whomsoever he may meet. But, if the passage to want be painful, the arrival at it is yet more so. When the scene shuts in; when the respite from decided, exposed, and notorious poverty, expires; when the feigned respect, that was forced by dependance, gives way to open contempt; when the patience of longsuffering creditors, which hope had kept alive, is converted, by despair, into execration; and the wretched “lord of useless thou|sands” stands deserted, dispirited, and ashamed; without one friend, or flatterer left; then he, who was envious of him, surveys him with a sigh, and understands how poor a thing is wealth, without wisdom!

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Aber ewige Geschäftlosigkeit hat keine Feyertage, und beständige Feste sind ein beständiges Fasten.| 2) Indem die Verschwendung das Ueberflüßige zu den Nothwendigkeiten des Lebens zählt, und also die Bedürfnisse immer mehr vervielfältigt, so macht sie den Reichthum selbst unzulänglich für ihre Entwürfe zu neuen Ausgaben, und erregt also ein Gefühl von Armuth mitten im Ueberfluß. Der Verschwender fühlt sich eingeschränkt, so groß auch seine Besitzungen seyn mögen, weil sie seinen erkünstelten Bedürfnissen nicht angemessen sind. Er findet seine Umstände dürftig, und seine Habe gering: ja mitten im Gewühl des Goldes klagt seine Begierde, daß man sie gefangen hält. Was ist dies, und wenn dabey auch der größte Reichthum der Welt wäre, als Betteley? Ist es nicht ganz einerley, ob die Dürftigkeit im Beutel wohnt, oder in der Phantasie? Und wenn ja ein Unterschied statt findet, so ist er gewiß zum Vortheil des ersten Falles. Ich darf nicht erst bemerklich machen, daß dies schmerzliche Gefühl von Beschränktheit gewöhnlich zu unerträglich ist, als daß man sich dabey in den Grenzen der Klugheit halten könnte, und dies führt mich darauf 3) Daß Verschwendung am Ende nicht nur eine eingebildete, sondern auch eine wirkliche Dürftigkeit verursacht. Bey dem ersten Schritt auf diesem jähen Wege zum Verderben, beginnt schon Schande und Elend. Die Bezahlung von Schulden aufschieben zu müssen, die Arbeitsamkeit, die ihren Lohn fodert, mit leeren Versprechungen und Entschuldigungen von sich zu lassen, Untergebene zu | haben, denen man sich schämt ins Angesicht zu sehen – wie sehr muß, ehe man dies ertragen kann, schon alles Gefühl von edlem Stolz und zarter Selbstachtung erstickt seyn! Ist Reichthum mit diesem Gefolge wohl des Neides werth? Wie viel glücklicher und beneidenswerther ist der, sey auch sein Stand noch so geringe, welcher sein Haupt emporhalten kann, er begegne wem er wolle. Doch wenn schon auf dem Wege zum Mangel so viel Angst ist, so giebt es gewiß bey der Ankunft an diesem Ziele deren noch mehr. Wenn die Bühne einstürzt, wenn auch der letzte Aufschub verfallen ist, und die entschiedene, augenscheinliche, völlig erwiesene Dürftigkeit nun da steht; wenn die verstellte Ehrfurcht, die nur durch Abhängigkeit erzwungen war, der offenbaren Verachtung Platz macht; wenn die Geduld der lange vertrösteten Gläubiger, nun keine Hoffnung sie mehr unterstützt, sich in verzweifelnde Härte verwandelt, und der elende Besitzer unnützer Tausende 39 Das von Fawcett markierte Zitat stammt aus Alexander Pope: Of the use of riches. An epistle to the Right Honourable Allen Lord Barthurst, London 1732, Zeile 314; seit 1751 auch unter dem Titel: Moral essays, epistle III

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In this respect, then, the little that a righteous man hath is better than the riches of folly. It is more productive of pleasure; more adequate to his wants; and more durable. Riches, in the hands of prodigality, lose their nature; they are not themselves; they are a large sum only of cyphers. The little that a wise man has, however little, is really what it stands for. He extracts from it all the good it contains; he turns it to the best account.

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Thirdly, The little that is liberally enjoyed, as far as prudence allows, under the influence of a cheerful trust in providence, is better than the abundance that is embittered by the anxieties of avarice, and the mortifications of a sordid parsimony. In the hands of those who thus use it, as in theirs we have just considered, opulence is penury. There is such a want, to employ the words of one who has wittily exposed the absurdity of it, as “the want of what we have.” As far as en|joyment is concerned, it is equal, whether gold be in the bowels of the earth, or in the box of parsimony; whether you have it not in your hand, or whether you have not a heart to use it. In either case, and equally in either, you are a poor man. Who would not rather be an honest labourer for hire, whose daily industry is sufficient to supply him with clothes, and food, and fuel, and who, supported by a pious confidence in heaven, can enjoy today, without anxiety for the morrow; who, when the shades of evening dismiss him from his task, is able to return to his family, with a cheerful face, and a thankful heart; than the owner of the largest possessions, from whose use they are all locked and guarded by a troop of fears and fancies, which he cannot overcome? Where is the difference, in point of real and actual destitution, between his being debarred from them by foreign force, and his own? between his being forbidden to enjoy them by another, and by himself?

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verlassen, muthlos, beschämt da steht, ohne einen Freund, ohne nur einen Schmeichler übrig zu haben: dann blickt der, welcher ihn sonst beneidete, mit einem Seufzer auf ihn herab, und lernt verstehen, welch ein armseliges Ding Reichthum ist ohne Weisheit. Auch in dieser Rücksicht also ist das Wenige, welches der Gerechte hat, besser als der Reichthum der Thoren. Es gewährt ihm mehr Vergnügen, es ist seinen Bedürfnissen angemessener, es ist dauerhafter. Der Reichthum ändert seine Natur unter | den Händen der Verschwendung, er ist nichts, als eine Menge von Nullen ohne Werth. Das Wenige, was der Gerechte hat, so wenig es auch sey, ist doch das wirklich, wofür es angesehen wird. Er zieht alles Gute heraus, was nur darin liegt, und benutzt es zu dem höchsten Preise. D r i t t e n s . Das Wenige, was – so weit dies die Klugheit unter dem Einfluß eines freudigen Vertrauens auf die Vorsehung erlaubt – sorgenlos genossen wird, ist besser als der Ueberfluß, der durch das ängstliche Treiben des Geizes, und durch alle Selbstpeinigungen einer schmutzigen Kargheit verbittert wird. In den Händen derer, die so mit dem Reichthum umgehn, ist er eben so gut Armuth, als bey denen, über die wir eben gesprochen haben. Es ist ein solcher Mangel, wobey es, wie man sehr angemessen gesagt hat, um die Abgeschmaktheit des Geizes zu zeigen, „an dem fehlt was man hat.“ Was den Genuß betrift, ist es doch ganz dasselbe, ob das Gold noch im Schoos der Erde liegt, oder in dem Kasten des Geizigen; einerley, ob ihr den Muth nicht habt, es zu brauchen, oder ob ihr es gar nicht besitzt. In beyden Fällen seyd ihr arm, und gewiß in einem so sehr, als in dem andern. Wer wollte nicht lieber ein armer Tagelöhner seyn, dessen Fleiß hinreicht, ihn mit Nahrung, Kleidung und Feuerung zu versehen, der von einem frommen Vertrauen auf den Himmel unterstützt, des heutigen Tages genießt, ohne sich wegen des morgenden zu ängstigen, und der, wenn der Schatten | des Abends ihn von seiner Arbeit entläßt, mit frohem Angesicht und dankbarem Herzen zu seiner Familie heimkehrt – wer wollte nicht lieber der seyn, als der Eigner eines großen Vermögens, welches von einem unüberwindlichen Heer von Sorgen und Einbildungen so umlagert und bewacht wird, daß es nicht genossen werden kann. Macht es wohl einen Unterschied, ob die Kraft, die ihn hindert hinzuzunahen, eine fremde ist, oder in ihm selbst liegt? Ist er nicht eben so von allem entblößt, wenn er selbst sich den Genuß verbietet, als wenn es ein Anderer thut? 21 Fawcetts Zitat aus Thukydides: De bello Peloponnesiaco libri VIII, Grabrede des Perikles, liber 2,35–46, hier 2,44 (ed. Societas Bipontina, [gr./lat.], Bd. 1–6, Zweibrükken 1788–1789 [SB 1993], Bd. 2, S. 53–70, hier S. 67–68), könnte von Fawcett selbst übersetzt worden sein, denn die genaue englische Formulierung begegnet gedruckt erst lange nach Fawcetts Tod.

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I proceed, fourthly, to the most important point of the comparison we are pursuing, and that to which the text more particularly alludes. The little that is accompanied with the consciousness of its having been fairly ac|quired, is better than the riches that are attended with the remorse of having been ill gotten. It is better than the unjust gains, of which the consequent loss to others is divided among many, and lies light upon individuals. Can he, who has furnished his house, however splendid its trappings, who has adorned his grounds, however delightful their shades, who has clothed his limbs, however superb their attire, with what he has embezzled of public money, or with what he has extorted in the administration of delegated government, or with the wages of political servitude, or with the winnings of dishonourable play, or with the spoils of variously adventurous fraud, or with the gains of an unlawful, or unlawfully conducted, traffic, or with the earnings of a liberal, but prostituted profession; can the reaper of such an harvest pass through his apartments with the proud step, entertain his friends with the unclouded gaiety, or sink into his couch with the undisturbed repose, of him, who, as he sits under a lowly roof, surveys a frugal board, looks round on a circle of plain-clad children, or welcomes to his hearth an humble neighbour, has it to say, | and can say it with his hand laid upon his heart, “Little as is my portion, I have honestly earned it; in the acquisition of this little lot, I have employed no deceitful weight; I have poised no unjust balance; I have practised no artifice; betrayed no trust; overreached no inexperience; injured no innocence; trampled upon no right: I have adhered, not only to the laws of my country, but to the nicer rules of honour and generosity; I have licked the dust of no foot; I have worshipped no pride; I have flattered no vanity; I have not bent my body to one unmanly stoop; I have not forced into my face one adulatory smile.”—Is there not, I ask, a proud swell of soul in such reflections, which opulence, however ample, cannot communicate to the mean spirit, that has stooped to pick it out of the dirt, and soiled itself in the act of taking it up?

3 alludes. The] alludes, The

30 smile.”] smile?”

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Ich komme nun Vi e r t e n s zu dem wichtigsten Punkt unserer Vergleichung, zu dem, auf welchen unser Text ganz vorzüglich hinweiset. Das wenige nemlich, welches von dem Bewußtseyn, daß es ehrlich erworben wurde, begleitet ist, ist besser als der Reichthum, dem Vorwürfe darüber nachfolgen, daß er ein schändlicher Gewinn ist. Es ist besser als ungerechter Gewinn, wenn er auch nur durch eine solche Beeinträchtigung Anderer entstanden wäre, die sich unter Viele vertheilt und also keinen Einzelnen besonders drückt. Das Haus eines Reichen sey ausgeziert mit den prächtigsten Kunstwerken, das Land wovon es umgeben ist, sey in den reizendsten Park verwandelt, und er selbst in den köstlichsten Schmuck gekleidet; dies alles aber sey durch Beraubung öffentlicher Gelder, durch Erpressungen in einem anvertrauten Regierungsposten erworben, oder es sey das Handgeld der Bestechung, | der Gewinn eines unredlichen Spiels, die Ausbeute so manches gelegentlichen Betruges, der Ertrag eines unerlaubten oder gesetzwidrig geführten Geschäfts, eines an sich anständigen, aber schändlich entehrten Gewerbes: so kann der, welcher auf einem solchen Felde geärndtet hat, gewiß nie mit so stolzen Schritten durch seine Zimmer wandeln, nie mit der unumwölkten Heiterkeit seine Freunde unterhalten, nie mit der ungestörten Ruhe auf sein Lager sinken, als der, welcher zwar nur unter einem niedrigen Dach wohnt, vor einem mäßigen Mahl sitzt, seine Kinder nur einfach gekleidet um sich her sieht, und nur einen armen rechtlichen Nachbarn an seinem Heerde bewillkommt, dafür aber, die Hand aufs Herz gelegt, sagen kann: „Das Wenige, was ich habe, ist ehrlich erworben, kein schlechtes Gewicht, keine falsche Wage hat mir dazu verholfen; ich habe nie einen niedrigen Kunstgriff geübt, Treu und Glauben verletzt, die Unerfahrenheit überlistet oder der Unschuld weh gethan; ich habe nie Jemandes Recht mit Füßen getreten, und immer, nicht nur die Gesetze des Landes, sondern auch die strengeren Regeln der Ehre und Rechtschaffenheit beobachtet; ich habe mich zu Niemandes Füßen geschmiegt, nie dem Stolz gefröhnt, oder der Eitelkeit geschmeichelt; ich habe nie meinen Rücken zu einer unmännlichen Verehrung gebeugt, oder ein schmeichelndes Lächeln auf meinem Angesicht erzwungen.“ Liegt nicht, ich frage einen Jeden darum, in diesem Bewußtseyn eine Erhebung des Gemüths, die aller Reichthum der Welt dem | Kleindenkenden nicht gewähren kann, der sich so tief bückte, um ihn aus dem Staube aufzuheben, und der sich selbst so sehr verunreinigte, indem er danach griff?

4 besser] besser, 6 besser] besser, Sp. 16 27 Kunstgriff] Kunstgrif

26 Wage] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, 39 griff?] grif?

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How much more superior still is the little portion of industrious innocence and integrity, to the largest gains, that are the consequence of an injury, which either from being more concentrated, or accompanied with circumstances of peculiar cruelty, has been more severely felt! With what pity, may the ho|nest possessor of a little, look upon them, who, by mean and guilty artifices, have diverted from its proper course the domestic descent of propriety! who, by sedulous endeavours to foment family dissensions, to nurse the resentment excited by juvenile and venial indiscretion, or rational refusal to comply with unreasonable requests, or manly opposition to tyrannical commands; by taking care to keep alive, and blow into a lasting flame, that spark of animosity, which, if left to itself, would have soon gone out; by malignantly magnifying the actual faults of those against whom they have thus plotted, or falsely accusing them of others; and by the patient exercise of insinuating arts and flattering attentions to them whose hearts they have thus attempted to turn; have succeeded in supplanting the natural claimant to the inheritance of wealth, in the breast of its proprietor: or who have secured succession to it, by the forgery of a will, to which such circumstances of domestic disagreement have lent a colour, and have promised success!—Has opulence any pleasures within its reach, that can prevent the reflection from frequently recurring to such possessors of it, that its rightful owner | is pining, perhaps, in poverty and obscurity; and, still more than by the pressure of poverty, depressed by the mournful idea of a beloved relative’s inexorable alienation, and implacable resentment? Can the ravishers of his plenty enjoy the repast? Can the usurpers of his pillow sleep?

With what a yet deeper sigh of compassion, with what a groan of pity, may an honest man, however poor, think upon those, who, in haste to inherit the wealth that awaited them, have allowed themselves to indulge an impatience of the natural pace of that mortality, to which they must owe it; who have been unable to attend the slow step of nature to the tomb; who were prompted to expedite succession by secret violence; and whose imagination, now that they have ob-

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Noch weit auffallender aber ist dieser Vorzug des kleinen Antheils der arbeitsamen und rechtschaffenen Unschuld vor dem größten Reichthum, wenn der letzte eine Folge von solchen Verbrechen ist, die darum noch weit tiefer und drückender empfunden werden als jene, weil sie entweder ganz einen einzelnen trafen, oder sich durch besondere Züge der Unmenschlichkeit auszeichneten. Wie mitleidig kann der ehrliche Besitzer einer geringen Habe auf denjenigen herabsehn, welcher reich geworden ist, weil er durch niedrige und strafbare Kunstgriffe fremdes Eigenthum abgeleitet hat von dem Wege, den es gewöhnlich in einer Familie von einem zum andern zu gehen pflegt. Er mußte die verschmitztesten Bemühungen anwenden, um häuslichen Zwist zu unterhalten, und eine Abneigung zu nähren, die nur durch eine verzeihliche Unachtsamkeit der Jugend, vielleicht gar durch vernünftige Weigerungen gegen eine unvernünftige Zumuthung, und durch männlichen Widerstand gegen tyrannische Befehle entstanden war. Er mußte den Funken der Zwietracht sorgfältig glimmend erhalten, und zur hellen Flamme anblasen, da er sich selbst überlassen gar bald verlöscht seyn würde. Er mußte boshaft die Fehler derjenigen vergrößern, gegen welche er sich verschworen hatte, oder fälschlich neue Beschuldigungen häufen. Er | mußte unermüdet mit einnehmenden Künsten und schmeichelnder Aufmerksamkeit denjenigen belagern, dessen Herz er so von den Seinigen abzuwenden suchte. Er mußte auf jede Art alle, die einen gültigen Anspruch hatten auf den Besitz des Reichthums, nach dem ihn gelüstete, von dem Herzen des Eigenthümers ausschließen, oder wohl gar sich selbst diesen Besitz sichern durch erdichtete Urkunden, denen nur solche häusliche Unannehmlichkeiten einen Schein der Wahrheit geben, und ihren Erfolg sichern konnten. Kann aber wohl irgend ein Vergnügen, welches der Reichthum verschaffen kann, dem der ihn so gewann, den oft wiederkehrenden Gedanken verscheuchen, daß der rechtmäßige Eigenthümer seiner Schätze sich vielleicht quält in Verborgenheit und Armuth, daß vielleicht die traurige Erinnerung an die unerbittliche Abneigung, an die unversöhnliche Rache eines verehrten Blutsfreundes ihn noch tiefer niederbeugt, als das drückendste Gefühl der Dürftigkeit? Kann der Räuber seines Eigenthums wohl der Beute genießen? Kann er wohl schlafen auf seinem geraubten Ruhebett? Und mit welchem noch viel innigeren Mitleiden, mit welchem tiefen bedaurenden Seufzer muß nicht ein ehrlicher, aber armer Mann an denjenigen denken, der ungeduldig die Reichthümer, die ihn erwarteten, sein zu nennen, denjenigen nicht sterblich genug fand, dessen Tod sie ihm verschaffen mußte; der dem langsamen Gang der Natur zum Grabe nicht ruhig zusehn konnte, sondern geheime | Gewalt anwendete, um eher zum Genuß seines Erbes zu gelangen, und dessen

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tained their wish, is perpetually haunted by the thought of that grave, in which they have laid the relics, but not buried the remembrance, of those, who should now have been sitting at the table where they feast, and reclining in the bowers they occupy! With what self-gratulation, and gratitude to heaven, may the innocent proprietor of the most scanty sufficiency think of them, who, at the board | of festivity, often start at the sudden appearance of that form before imagination’s eye, which the earth cannot hide from it: who frequently, in the midst of gay companions, make a fruitless attempt to be gay, and essay in vain to shake off, what, in vain they tell themselves, is no more than superstition: who, at the hour of general repose, are kept from their rest, by the remembrance of the past, and the prospect of the future: who experience depressions of spirit, no mirth, no music can raise; complain of head-aches, no medical aid can relieve; and often exclaim, in the agony of their soul, “Oh that I could recall what I have done, and restore what I have taken!” whose involuntary expressions of secret anguish have been sufficient to awaken powerful suspicions, though not to furnish legal proofs, of their guilt; whose frequent sighs, sudden startings, muttered soliloquies, absent reveries, restless nights, declining health, and fading faces, have excited the surmises of neighbours, the wonder of guests, the pity of domestics; have occasioned their servants to look at them with a speaking silence; caused “curses not loud, but deep,” to murmur round the neighbourhood; and con|verted the respect of the poor and dependant into forced and empty breath!—Who that has led an harmless life, in however humble a walk, upon surveying such a situation as this, will not say, with a shudder of pity, with a glow of gratitude to God, and a smile of contentment with his lot, “Better is a little with righteousness, than great revenues without right!”

23 deep,” to murmur round the neighbourhood;] deep, to murmur round the neighbourhood;” 29 right!”] right?”

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Einbildungskraft nun, da seine Wünsche erfüllt sind, unaufhörlich erschreckt wird durch den Gedanken an jenes Grab, welches zwar die Asche, aber nicht das Andenken desjenigen verschließt, der eigentlich an dem Tisch sitzen sollte, wo er jetzt schwelgt, und unter den Lauben ruhen, die ihn jetzt aufnehmen! Mit welcher Freude über sein besseres Brod, mit welcher Dankbarkeit gegen den Himmel kann nicht der schuldlose Mann, wenn er auch nur den dürftigsten Unterhalt genießt, an jenen denken, der oft mitten im festlichen Mahl zurückschaudert, wenn plötzlich vor seiner Einbildungskraft die Gestalt da steht, welche die Erde nicht vor ihm verbergen will; der oft mitten unter seinen lustigen Gesellschaftern vergeblich Heiterkeit von sich zu erzwingen, vergeblich das Gefühl von sich abzuschütteln sucht, wovon er sich vergeblich zu überreden sucht, es sey nur Aberglauben. Wenn alles ruht, verscheucht ihm doch den Schlaf die Erinnerung an das Vergangene und die Aussicht auf die Zukunft; eine Niedergeschlagenheit drückt ihn, die keiner Musik und keinem lustigen Getümmel weicht; über Schmerzen klagt er, die kein Arzt heilen kann, und oft ruft er in der folternden Angst seiner Seele aus: „O daß ich zurücknehmen könnte, was ich gethan, und ersetzen was ich genommen habe.“ Kann er auch nicht durch hinreichende Beweise vor den Gesetzen seines Verbrechens überführt werden, so ist doch Verdacht erregt durch die unwillkührlichen Aeuße|rungen einer geheimen Angst. Sein öfteres Seufzen, sein plötzliches Aufschrecken, seine halblauten Selbstgespräche, seine wachenden Träume, seine schlaflosen Nächte, das Dahinschwinden seiner Kräfte, das Verbleichen seines Angesichts hat schon lange den Argwohn unter seinen Nachbarn, staunende Verwunderung unter seinen Gesellschaftern, und Mitleiden bey seinen Hausgenossen erregt. Seine Diener sehen ihn an mit einem bedeutenden Schweigen, leise aber schauervolle Verwünschungen fangen an sich in der Nachbarschaft zu verbreiten, und verwandeln die Ehrfurcht der Armen und Untergebenen in einen erzwungenen und leeren Schein! – Wer je – in welchem Stande es auch sey – ein harmloses Leben geführt hat, wird der nicht, wenn er einen solchen Zustand ansieht, von innigem Mitleid durchschauert, dankbar aufblicken zu Gott, und zufrieden lächelnd über sein eignes Loos ausrufen müssen: „Besser ist ein Wenig mit Gerechtigkeit, als groß Einkommen mit Unrecht.“2 2

Sprüchw. 16, 8.

37 Sprüchw.] Sprüchw 29 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus William Shakespeare: The tragedy of Macbeth, in: Mr. William Shakespeares comedies, histories, & tragedies. Published according to the true originall copies, Folio-Erstausgabe London 1623, Akt V, Szene 3.

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Suffer me to add, who is there, as yet unstained by deeds like these, that, to gain all this world can give, would consent, whatever be the contraction of his property, to stand in their situation, who, in addition to the deep remorse of having thus injured others to obtain the riches they possess, are so circumstanced, as to be in continual dread, and in continual danger, of detection? Some depositary of the secret lives; some hired instrument, some mean utensil of villainy, whose lips must be kept sealed, from time to time, by oft-repeated bribes. Think what they must feel, in being thus in the power of an inferior! in being drained of their reward by a base fidelity insatiable of pay! whom they are afraid to offend, by an appearance of that contempt they feel! whom they must treat | with respect, as well as reward with munificence! who is thus the tyrant of his superiors, and the eternal scourge of them who thought only to have taken up and laid down a tool! and who, in spite of all their preventive liberality, they perpetually fear, will one day, betray them! Trembling they reflect, that conscience, in some moment of compunction for having concealed what ought to be published, or having been accessory to an injury that ought to be redressed, may force open the mouth of mercenary concealment, and compel a discovery of the dark transaction: or, if the guilty secret should be kept locked in the breast where it is lodged, until the last hour of life, they know not how soon that hour may come; and that they know is an honest hour, when the accomplice has nothing to fear from man, and when it is natural for Penitence to seek for the forgiveness of God, by the performance of an act of justice. Thus situated, they realize, with a fidelity dreadfully literal, the picture of agitated guilt, which is drawn with such strong strokes, and heightened with such striking colours, in the book of Job! “Terrors make them afraid on every side; a dreadful sound is |

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Wenn wir nun auch das noch bedenken, daß ein solcher ausser den Vorwürfen die ihm sein Gewissen macht, über das Unrecht, welches er andern zugefügt hat, um ihr Vermögen zu besitzen, auch noch in beständiger Furcht und in der Gefahr der Entdeckung leben muß, so ist gewiß unter uns allen, die wir von solchen Thaten unbefleckt blieben, keiner, seine Umstände mögen auch noch so beschränkt seyn, der, wenn auch die ganze Welt dabey zu ge|winnen wäre, in der Lage eines solchen Menschen seyn wollte. Es lebt ein Theilhaber des Geheimnisses, ein erkauftes Werkzeug, ein niedriger Gehülfe der Büberey, dessen Lippen man durch wiederholtes Handgeld von Zeit zu Zeit aufs neue versiegeln muß. Was müssen diejenigen fühlen, die sich so in die Gewalt eines weit geringeren Menschen gegeben haben, denen der Lohn ihres Verbrechens noch verkürzt wird durch die Unersättlichkeit eines Verworfenen, dessen Treue sie bezahlen müssen, den sie zu beleidigen fürchten durch die geringste Aeußerung der Verachtung, welche sie gegen ihn fühlen, den sie sogar mit Achtung behandeln, und mit reichlicher Freygebigkeit belohnen müssen. Die Höheren haben einen Tyrannen an dem Niedrigeren, eine ewige Geißel an dem, dessen sie sich nur als eines Werkzeuges zu bedienen glaubten, welches man wieder wegwirft, und von dem sie jetzt ohnerachtet der zuvorkommendsten Freygebigkeit doch immer fürchten müssen, daß er sie einmal verrathen wird. Zitternd müssen sie besorgen, es könne doch einmal Reue darüber bey ihm entstehn, daß er etwas verheimlicht, was Bekanntmachung fodert, daß er Theil an einem Unrecht genommen habe, was noch gut zu machen wäre, und das Gewissen könne in einem solchen Augenblick gewaltsam den Mund öffnen, den der Sündenlohn bisher verschlossen gehalten, und die Entdeckung der schwarzen That herausstossen. Oder, wenn auch das strafbare Geheimniß in der Brust, die es verwahrt, bis zur letzten Stunde des Lebens | ruhig liegt, so wissen sie doch nicht, wie bald diese letzte Stunde kommen kann, und diese ist, wie sie wohl wissen, eine Stunde der Wahrheit, wo der Mitschuldige von Menschen nichts mehr zu besorgen hat, und wo es der Reue so natürlich ist, dadurch Vergebung bey Gott zu suchen, daß sie noch eine Handlung der Gerechtigkeit vollbringt. In diesem Zustande machen sie mit einer fürchterlich buchstäblichen Treue das Gemählde des geängsteten Verbrechers wahr, welches im Buch Hiob mit so starken Zügen entworfen, und mit so lebhaften Farben ausgeführt ist: „Um und um wird ihn schrecken plötzliche Furcht, daß er nicht weiß, wo er hinaus soll.“3 Heißt das 3

Hiob 18, 11.

24 an einem] an einen

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in their ears.” If this be not, I know not what is, “treasure and trouble therewith.” How happy, in comparison of perturbation like this, surrounded by whatever splendour, is he, however low, in the scale of human life, he lies, who has none but honest secrets! who can say with truth, “No one is acquainted with any action of mine, of which the discovery to all mankind need call a blush into my face: I have done nothing of which I have reason to be ashamed: the bread which I eat, I have honourably earned: these hands have ministered to my necessities, without contracting any spots!” How much superior is the smallest portion, attended with the peace of this reflection, to the largest possessions, encumbered with such a conscience as we have just considered! At the close of these considerations, I cannot call upon you, in vain, for contentment with an inferior condition, which yet contains a sufficient supply for the few and simple necessities of nature; or for reconciliation to the wisdom and justice of those ways of Providence, according to which, wealth is often the portion of the unworthy. Be it so: to such is it any blessing? In the hands of Folly, | is it not more commonly a curse? Can it rescue the wicked from any part of their appointed punishment, either in this world, or in the next? Can it give happiness to the unreasonable? Can it satisfy the insatiable? Can it supply the wants of either the profuse, or the parsimonious? Can it make the former prudent, or the latter unanxious? Can it heal the distempers of Intemperance? Can it silence the reproaches of Conscience? procure the physician that can “minister to a mind diseas’d, Pluck from the memory a rooted sorrow, Raze out the written troubles of the brain, And, with some sweet oblivious antidote, Cleanse the stuff’d bosom of that perilous stuff, Which weighs upon the heart?” Can it enable a moral nature to forget, or not to feel, the deformity of the guilt it has contracted? Can it wipe from remembrance, or wash the darkness of vice into whiteness? Can it ward off the stroke of Mortality, or corrupt the justice of Heaven?—In the hands

32 heart?”] heart?

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nicht großer Schatz und Unruhe darin4, so weiß ich nicht, was man so nennen soll. Wie ist doch, in Vergleich mit einer solchen Unruhe, von wie vielem Glanz sie auch umgeben sey, derjenige auf seinem niedrigen Standpunkt so glücklich, der keine andere, als tugendhafte Geheimnisse hat, und mit Wahrheit sagen kann: „Niemand weiß eine Handlung von mir, für die ich, auch wenn die ganze Welt sie erführe, erröthen müßte; ich habe nichts gethan, worüber ich mich zu schämen hätte; das Brodt was ich esse, ist ehrlich verdient, und diese Hände haben für meine Bedürfnisse gearbeitet, ohne irgend eine Befleckung auf sich zu laden.“ Wie viel besser ist doch das geringste Loos, wenn nur die Ruhe, die dieser Gedanke einflößt, es begleitet, als der größte Reichthum, auf dem | ein solches Bewußtseyn lastet, als wir eben beschrieben haben. Beym Schluß dieser Betrachtungen kann es nicht ohne Erfolg bleiben, wenn ich euch zurufe: seyd mit einem geringen Schicksal zufrieden, so lange es noch Mittel genug darbietet, die wenigen einfachen Bedürfnisse der Natur zu befriedigen, und söhnt euch mit der Vorsehung aus, in der Ueberzeugung, daß auch das weise und gerechte Wege sind, wenn sie öfters Unwürdigen den Reichthum zu ihrem Antheil läßt. Laßt es so seyn, bringt er ihnen wohl irgend einen Segen? Ist nicht Reichthum in den Händen der Thorheit gewöhnlich ein Fluch? Kann er den Lasterhaften von irgend einem Theil der ihm gebührenden Strafen in dieser oder in jener Welt erlösen? Kann er den Unvernünftigen der Glückseligkeit fähig machen? Kann er den Unersättlichen zufrieden stellen? Kann er dem Verschwender oder dem Kargen auch nur den Mangel abwehren? Kann er den ersten behutsam, und den letzten unbesorgt machen? Kann er das Uebelbefinden der Unmäßigkeit heilen? Kann er die Vorwürfe des Gewissens zum Schweigen bringen? Kann er den Arzt herbeyschaffen, der eine kranke Seele pflegt, den eingewurzelten Gram ausrottet, die tiefen Züge der Angst vertilgt, und durch das süße Gegengift der Vergessenheit die erstickende Brust von dem gefährlichen Stoff befreit, der das Herz so schwer bedrückt? Kann er die sittliche Natur des Menschen fähig machen, das Schändliche der Verschuldung, | die er auf sich geladen hat, zu vergessen oder nicht zu fühlen? Kann er die Schwärze des Lasters weiß waschen, oder sie dem Gedächtniß entrücken? Kann er den Schlag des Todes abwehren, oder die Gerechtigkeit des Himmels 4

Sprüchw. 15, 16.

1 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert. 30–34 Das von Fawcett markierte sechszeilige wortgetreue Zitat stammt aus William Shakespeare: Macbeth V,3.

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of the wicked, it is, then, a worthless thing. Let them take it: “verily they have their reward.” He that allows himself to be “envious at the wicked, when he sees the prosperity of | the foolish,” suffers himself to be dazzled by the surfaces of things. In contemplating their condition, who roll in ill-acquired riches, he does not properly estimate the bargain they have made. Their gains project to his view; their loss retires from his eye. He beholds their purchase; it is a sparkling purchase; but he sees not the price they have paid. He observes the house, the grounds, the equipage, the troops of friends;—but he cannot penetrate into the breast; he cannot perceive what passes on the pillow. May we all have the wisdom to look upon a good conscience as “more precious than rubies,” as a treasure “unto which all the things that can be desired are not to be compared,” and for the loss of which there are no gains that can make us amends. May none of us be ever persuaded to give away innocence for gold: for however at first we may be pleased with the exchange, in a little while we shall feel ourselves to be losers, and admit the conviction, that all the wealth the world contains, when accompanied with the sting of remorse, is not to be put in competition with the smallest portion of it, when attended with the consciousness of integrity. Amen.

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bestechen? – Nun, so ist er in den Händen der Gottlosen ein unnützes Ding. Mögen sie ihn nehmen; „gewiß sie haben ihren Lohn dahin.“ Derjenige der, wenn er das Glück der Thoren sieht, sich erlaubt die Gottlosen zu beneiden, läßt sich durch eine glänzende Aussenseite verblenden. Wenn er den Zustand derer, die sich bey übelerworbenem Reichthum blähn, betrachtet, so weiß er den Handel, den sie geschlossen haben, nicht gehörig zu würdigen. Ihr Gewinn zeigt sich seinen Blicken, aber der Verlust verbirgt sich. Er sieht was sie erkauft haben, und es ist wirklich glänzende Waare; aber er sieht nicht den Preis, den sie bezahlt haben. Er sieht den Pallast, den Park, die Anstalten der Pracht, das Gefolge von Freunden, – aber sein Blick dringt nicht in das Herz, er weiß nicht, was auf dem einsamen Lager vorgeht. Möchten wir alle die Weisheit haben, ein gutes Gewissen für „köstlicher zu achten als Edelsteine,“ für einen Schatz dem alles, was man wünschen mag, nicht gleichen kann5, und für dessen Verlust kein Gewinn uns schadlos zu halten im Stande ist. Möge keiner von uns sich je überreden lassen, Unschuld für Gold hinzugeben; denn so angenehm | uns auch Anfangs der Tausch scheinen mag, bald, bald werden wir empfinden, wie viel wir dabey verloren haben, und werden der Ueberzeugung Raum geben müssen, daß aller Reichthum der Welt, wenn der Besitzer den Stachel des Gewissens fühlen muß, nicht so viel werth ist, als der kleinste Antheil irdischen Glücks, dem das Bewußtseyn der Rechtschaffenheit zur Seite ist. Amen. 5

Spr. Sal. 8, 11.

2 Mt 6,2.5.16 (nach der englischen Textfassung) 3–4 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 73,3 14–15 Schleiermacher gibt einen gemeinsamen Nachweis zu seinem markierten und dem folgenden unmarkierten Text, während Fawcett beide Texte als Zitate markiert hat. 24 Spr 3,15 und Spr 8,11 sind ähnlich formuliert; Fawcett hat in seinem geteilten Zitat zunächst aus Spr 3,15, dann aus Spr 8,11 zitiert. Schleiermacher übersetzt nach der englischen Textfassung und orientiert seinen Nachweis am längeren zweiten Zitatteil.

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On pure and spiritual Worship. An introductory Discourse delivered on a first Night of the Season.

SERMON

X.

B u t t h e h o u r c o m e t h , an d n o w i s , w hen t he true w orshipp e r s s h al l w o r s h i p t h e F at h e r in spirit a nd in truth: f or t h e F at h e r s e e k e t h s u c h t o w orship him. John iv. 23.

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Although man’s capacity of religion is to be considered as the crown of his nature, and as what constitutes his chief pre-eminence over the brute creation, yet in no character has he appeared so much an object of compassion and of contempt, as in his religious character. As nothing raises him so high in the scale of the creation as rational religion, so nothing sinks him so low as gross superstition. If it be asked,— what is that | subject, the power of contemplating which is the proudest distinction of the human understanding?—I answer God.—If it be asked,—what is that subject, upon which the mistakes of man have been most disgraceful to his understanding, have thrown the darkest blot upon his intellectual honour?—I answer God.—If it be inquired, what is that principle, which is most eminently calculated to animate the social virtue of man; to produce in him the faithful friend, the kind relative, the good neighbour, the patriot citizen, the useful member of that society with which he is connected, and the fervent lover of all mankind? what is it that is most excellently adapted to make him all that men admire, and all that society wants?—I reply, with readiness, and with pleasure, Religion.—If it be inquired, what is it, that has most powerfully operated to rob society of his services; that has frozen his social affections to the most torpid insensibility; that has buried his talents in the profoundest inactivity; that has turned his humanity to the hardest stone; that has sullied his sword with its foulest

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Neunte Predigt.

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Ueber den reinen und geistigen Gottesdienst. Eine Rede in der ersten Versammlung eines neuen halben Jahres.

Joh. 4, 23.

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A b e r e s k o m m t d i e Z e i t u n d i s t s c h on jetzt, da die w a hrh a f t e n An b e t e r w e r d e n d e n Vat e r a nbeten im G eist und i n d e r Wah r h e i t , d e n n d e r Vat e r w ill a uch ha ben, die i h n a l s o an b e t e n . 10

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Daß der Mensch der Religion fähig ist, dies ist zwar die Krone seiner Natur, und dasjenige, worin sein höchster Vorzug vor der thierischen Schöpfung besteht; aber doch hat er sich durch nichts so sehr als einen Gegenstand des Mitleids und der Verachtung dargestellt, als durch die Richtung, die er dieser Fähigkeit giebt. So wie ihn auf der Stuffenleiter der Schöpfung nichts so hoch erhebt, als vernünftige Religion, so erniedrigt ihn nichts so tief, als grober Aberglauben. Frägt man: welches ist der Gegenstand, dessen Erkenntniß der stolzeste Vorzug des menschlichen Verstandes ist? – ich antworte Gott. – Frägt man: welches ist der Gegen|stand, in Absicht auf den der menschliche Verstand sich der unrühmlichsten Mißverständnisse schuldig gemacht hat, die seiner Ehre den schwärzesten Flecken anhängen? – ich antworte Gott. – Frägt man: welches ist die Triebfeder, die ganz vorzüglich dazu angebracht ist, die geselligen Tugenden des Menschen zu beleben, und aus ihm einen treuen Freund, einen gütigen Verwandten, einen guten Nachbar, einen patriotischen Bürger, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, der er angehört, und einen eifrigen Freund der ganzen Menschheit zu bilden? die ganz vorzüglich geschickt ist, alles aus ihm zu machen, was die Menschen bewundern, und was die Gesellschaft bedarf? – Bereitwillig und mit Freuden antworte ich: es ist die Religion. – Frägt man: was hat wohl am gewaltigsten gewirkt, die Gesell5 4, 23.] 4, 34.

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stains?—I reply, with sorrow, and with shame,—Religion.—If it be said, as | with truth it may be said, that there is no joy so sublime, no superiority to anxiety so serene, no sense of security so tranquil, as that which religion inspires;—With equal truth it may be said, that of all the melancholy, in which man has been ever plunged, the deepest has been religious melancholy: of all the excessive solicitude, by which he has been harassed, that which has respected the divine acceptance of his services has disquieted his bosom the most: and of all the fears, that have chilled his heart, the most icy he has felt have been his fears of God.

In reviewing the annals of human religion a man of sense is little disposed to triumph over those inferior tribes of creatures, whose highest order are able to raise their eyes to no higher a master than man. He is much more inclined to hang his head and blush. In the history of our nature, it is the most unseemly page. It is one long record of ignorance, and continued chronicle of error: in which the only variety to be traced is in the shade of the ignorance, and in the shape of the error.

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The pagan world presents to our eye superstition in her wildest sport; trampling upon reason with all the wantonness of | triumph, and exercising all the licentious fancifulness, and maddest freaks of religious folly. There we have to contemplate divinity divided among a multitude; disfigured by malevolence; stained with impurity; contracted in goodness; confined to place; the prisoner of a province, and the tenant of a statue. Our attention is next called to a particular nation, educated in the knowledge and worship of one God. Shall we not here behold religion making a more rational and respectable appearance? Alas! the reader of the history of religion, who wishes to relieve his offended eye from the absurdities of pagan piety, will be able to procure it little refreshment, by fixing it upon the scholars of Moses. In the history of hebrew devotion, we contemplate incorrigible superstition, either relapsing into the idolatry from which it had been recovered, or, when compelled to renounce that error, obstinately tenacious of other error, altogether as wide from truth, and as hurtful to virtue. When no

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schaft der Dienste des Menschen zu berauben, seine geselligen Neigungen bis zur starrsten Unempfindlichkeit zu erkälten, seine Talente in die tiefste Unthätigkeit zu vergraben, sein Menschengefühl in eherne Härte zu verwandeln, und sein Schwerdt mit den schmutzigsten Flecken zu besudeln? – Kummervoll und beschämt antworte ich: die Religion. Wenn man sagt – wie man es denn mit Wahrheit sagen kann – daß keine Freude so erhaben, keine Gemüthsruhe so heiter, kein Sicherheitsgefühl so ungestört ist, als das, welches die Religion einflößt: so kann man mit eben der Gewißheit auch sagen, daß die tiefste Schwermuth, in welche der Mensch je versinken kann, die religiöse Schwermuth ist; daß von allem ausschweifenden | Kummer, den er an sich nagen läßt, immer der seine Brust am meisten beunruhigte, ob Gott seine Dienste wohl angenehm wären; daß von aller Furcht, die sein Herz durchschauert, seine Furcht vor Gott immer die bängste war. Wenn ein gefühlvoller Mann die Jahrbücher der Religion durchläuft, fühlt er sich wenig aufgelegt über die niedrigen Ordnungen der Geschöpfe zu triumphiren, unter denen auch die vorzüglichsten doch das Auge zu keinem höhern Herrn als zu dem Menschen erheben können: er ist vielmehr geneigt sein Haupt sinken zu lassen, und zu erröthen; denn dies ist das unrühmlichste Blatt in der Geschichte unserer Natur. Es ist ein langes Verzeichnis von Unwissenheit, ein fortlaufendes Register von Irrthümern, ohne irgend eine andere Abwechselung, als welches durch die verschiedenen Schattirungen der Unwissenheit, und durch die verschiedenen Gestalten des Irrthums hervorgebracht wird. Die heidnische Welt zeigt uns den Aberglauben in seinem wildesten Spiel, wie er die Vernunft im ausgelassensten Uebermuth mit Füßen tritt, und sich den ausschweifendsten Phantasien, den thörichtsten Grillen des religiösen Wahnsinns überläßt. Hier können wir sehen, wie man die Idee der Gottheit zerstückelt, sie durch Uebelwollen entstellt, durch unreine Zusätze befleckt, wie man ihrer Vortreflichkeit Grenzen setzt, sie in einen Raum einschränkt, in einer Provinz gefangen hält, in eine Bildsäule verbannt.| Hiernächst zieht eine einzelne Nation unsere Aufmerksamkeit auf sich, die in der Erkenntniß und Verehrung eines einigen Gottes erzogen ist. Werden wir hier nicht die Religion in einem vernünftigern und ehrwürdigern Aufzuge erblicken? – Ach der Leser der Religionsgeschichte, der sein Auge losreißen will von allen Abgeschmacktheiten der heidnischen Frömmigkeit, wird ihm wenig Erholung verschaffen, wenn er es auf die Anhänger des Moses heftet. In der Geschichte der jüdischen Religion finden wir einen fest eingewurzelten Aberglauben, der entweder in die Abgötterei zurückfiel, aus welcher er herausgerissen war, oder, wenn er diesen Irrthum fahren lassen mußte, einen An-

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longer capable of mistaking the o b j e c t, the jew, as if sworn to reject rectitude of sentiment upon this subject, refuses to be set right with | respect to the n at u r e of religious worship; and persists, in the midst of all the moral instruction of successive preceptors in duty, to worship the true God, in a false way; stemming the stream of virtuous eloquence from hallowed lips, with a sturdy, and stubborn opposition, that refused to be carried along with it.

In the fulness of time, another dispensation of religion takes its turn to rectify the religious errors of man: directing his attention, with a clearness which must carry truth to every mind that is open to receive it, from the shadow to the substance, from the form to the spirit, of religion: and to remove all foundation for a vain confidence in the competence of corporeal and local piety to procure the favour of God, cutting away from his worship all that extensive ramification of religious rites, which, by furnishing such occupation to the attention, tended to divert it from mental piety; and which, by making so large a figure to the eye, encouraged in the breast of him, who saw them all assembled in his practice, a claim to divine approbation, in the absence of all spiritual religion. Yet, alas! even this last, and most | luminous religion, which God has given to man, has but lessened the excuse, without having expelled the shade, of superstition, in the lands that have received its light. It is not more melancholy, than amazing, to think, how large a multitude, who ignorantly worship the God of heaven, even at this day, Christendom contains!

Upon resuming the religious exercises, and moral reflections, in which I am happy again to accompany you in this place, I do not know in what manner we can better improve this first hour, than by directing our attention to the nature of that pure and spiritual worship, which Christianity calls for from us. Permit me, therefore, to employ the few moments, that are this evening entrusted to me, for the purpose of conducting your meditations, in recommending it to you, to purify your religion from every particle of superstition; to refine it from the minutest remnant of it, by which it may be, possibly, corrupted; and to render it perfectly clear and undefiled by it.—The grosser degrees of superstition, perhaps, you all perceive; and, per-

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dern, der von der Wahrheit eben so fern, und der Tugend eben so nachtheilig war, aufs hartnäckigste fest hielt. Konnte das jüdische Volk über den Gegenstand seiner Verehrung nicht länger irren, so wollte es sich wenigstens, als hätte es verschworen in diesen Dingen richtig zu denken, über die Art dieser Verehrung nicht belehren lassen; und mitten unter den Unterweisungen moralischer Lehrer, die es zu verschiedenen Zeiten über seine Pflichten unterrichteten, verharrte es dabey, den wahren Gott auf eine ganz falsche Weise zu ehren, und widersetzte sich dem Strom der tugendhaften Beredtsamkeit von heiligen Lippen mit einem unbiegsamen störrigen Eigensinn, der sich nicht von der Stelle bewegen ließ. Als die Zeit erfüllet war, wurde eine neue Darstellung der Religion kund gemacht, um die bisheri|gen Irrthümer der Menschen zu berichtigen. Diese richtete die Gedanken, mit einer Klarheit, wodurch die richtige Einsicht jedem Gemüth, welches Empfänglichkeit dafür hat, zugeführt werden mußte, vom Schatten zum Wesen, von der Form zum Geist der Religion; sie benahm dem eitlen Vertrauen, als ob eine körperliche Zucht und eine örtliche Frömmigkeit den Beyfall Gottes könnte erwerben helfen, jede Veranlassung; sie sonderte jenes künstliche Gewebe religiöser Gebräuche von der Gottesverehrung gänzlich ab, welches die Aufmerksamkeit nur zerstreute und sie von der geistigen Andacht abhielt, und, da es so schön ins Auge fiel, denen, die dies alles in ihren Uebungen vereinigten, eine falsche Einbildung vom Besitz des göttlichen Beyfalls einflößte, ob es ihnen gleich an aller geistigen Religion gebrach. Aber selbst diese letzte so sehr lichtvolle Religion, die Gott den Menschen gegeben, hat in den Ländern, denen ihr Licht aufgegangen ist, nur die Entschuldigungen des Aberglaubens verringert, nicht seine Schatten vertrieben. Es erregt eben so viel Erstaunen als Wehmuth, wenn man bedenkt, welche große Menge von unverständigen Gottesverehrern die Christenheit auch in unsern Tagen noch aufzuweisen hat. Indem wir jetzt die Religionsübungen, und die moralischen Betrachtungen, zu denen ich euch so gern an diesen Ort begleite, wieder aufs neue beginnen, wie könnten wir wohl diese erste Stunde besser | anwenden, als wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenschaften der reinen und geistigen Gottesverehrung richten, welche das Christenthum von uns fordert. Erlaubt mir also, daß ich die wenigen Augenblicke, die mir diesen Abend vergönnt sind, um euer Nachdenken zu leiten, dazu benutze, daß ich euch empfehle, eure Religion von allem, was nach Aberglauben aussieht, zu befreyen, sie auch von dem 12 Lk 9,51; vgl. Mk 1,15

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haps, you all despise: but, in a more refined form, it is apt to gain admission into the minds of many, | who want neither good sense, nor good dispositions. All they want is a little attention to the subject. Let them be persuaded to give that attention to it; and let them be persuaded to give it now. It is an advanced period of the human history: it is an advanced period of the christian history: it is high time to put away every relic of puerility; and to be men in religion.

In distinguishing true religion from superstition, I shall not tire your attention by branching the subject out into a variety of parts. It is not necessary. The truth lies in a narrow compass. It calls but for one steady look, in order to comprehend it completely. I shall confine myself to one single mark, by which all superstition may be known, which characterises all the kinds of it, which constitutes its essence, and in which its noxious quality consists.

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If we compare the pagan, the jewish, and the several sorts of christian superstition, we shall find, that, whatever variety of form they may wear, they have all one common feature. They all agree in ascribing to the object of worship an a rbit ra ry character; a disposition to derive pleasure from some|what separate from the happiness and welfare of the worshipper. All superstition, through all its diversified modes, proceeds upon ignorance of, or inattention to, the Generosity of the divine character. The heathen believed in many gods; the hebrew and the christian have been directed to believe but in one; but the superstitious professors of all these religions have agreed together, in entertaining the notion of a supreme Power, who is pleased with services that do not terminate in the excellence and happiness of the servant. It signifies little, what these services are, so far as respects the principle of superstition: whether they consist in placing upon an altar the fruits of the earth, or the beasts of the field; or whether in resorting to a temple, or a closet, and presenting to heaven corporeal postures, or oral praises: nor is it of any consequence, whether these services be rendered to a multitude of deities, or only to one. If with these services, in themselves considered for their own sa ke, and looking to no u s e f u l e n d , the performer of them supposes the object of his adoration to be pleased, the great characteristic mark of superstition remains the same. The superstition of the gentile consisted, not

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letzten Überrest desselben, der ihr vielleicht noch nachtheilig ist, zu läutern, und sie ganz rein und unbefleckt davon zu erhalten. – Die groben Aeußerungen des Aberglaubens kennt und verachtet ihr vielleicht alle, aber in einer verfeinerten Gestalt weiß er sich Zugang zu manchen Gemüthern zu verschaffen, denen es weder an gesundem Verstand, noch an guten Anlagen fehlt. Alles, was ihnen fehlt, ist ein wenig Aufmerksamkeit auf die Sache. Möchten sie sich bewegen lassen, diese Aufmerksamkeit darauf zu wenden, und sie jetzt darauf zu wenden. Wir leben schon in einer späten Periode der Menschengeschichte, auch in einer späten Periode des Christenthums; es ist hohe Zeit, alles kindische Wesen abzulegen, und männlich zu werden in der Religion. Ich will den Unterschied zwischen der wahren Religion und dem Aberglauben festsetzen, aber ich werde eure Aufmerksamkeit nicht dadurch anspannen, daß ich die Betrachtung in eine Menge von Theilen zerspalte. Das ist nicht nöthig. Die Wahrheit liegt in einem engen Bezirk. Sie erfodert nur einen einzigen festen Blick, um vollkommen gefaßt zu wer|den. Ich werde mich auf ein einziges Merkmal einschränken, woran jeder Aberglaube erkannt werden kann, welches alle Arten desselben auszeichnet, welches sein eigentliches Wesen ausmacht, und seine schädlichen Eigenschaften schon in sich faßt. Wenn wir den heidnischen, den jüdischen und die verschiedenen Arten des christlichen Aberglaubens vergleichen, so werden wir finden, daß sie bey allen äußern Verschiedenheiten dennoch einen gewissen Zug mit einander gemein haben. Sie kommen alle darin überein, daß sie dem Gegenstand unserer Verehrung einen eigensinnigen Charakter zuschreiben, eine Laune, die an irgend etwas Wohlgefallen finden kann, was mit der Glückseligkeit und dem Wohlergehen dessen, der es darbringt, gar nichts zu schaffen hat. Aller Aberglaube, in allen seinen verschiedenen Abartungen, kommt daher, daß man das Uneigennützige in dem Charakter der Gottheit nicht kennt, oder nicht Rücksicht darauf nimmt. Die Heiden glaubten an viele Götter, die Hebräer und die Christen sind angewiesen worden, nur an einen zu glauben; aber alle abergläubige Bekenner dieser verschiedenen Religionen kommen darin überein, daß sie sich das höchste Wesen so denken, als ob es an einem Dienst Vergnügen fände, der nicht zur Vervollkommnung und zur Glückseligkeit des Dienenden abzweckt. Es kommt, was den letzten Grundsatz des Aberglaubens betrift, sehr wenig darauf an, worin dieser Dienst besteht, ob man die Früchte der Erde oder die Thiere des Feldes auf den Altar legt; ob man in einen | Tempel, oder in eine Zelle eilt, und dort dem Himmel Stellungen des 11–12 Vgl. 1Kor 13,11

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in | his offering sacrifices, but in his supposing the sacrifice he brought to the altar to be in itself an acceptable present , a grateful c o m p l i m e n t to the Powers he worshipped: and the worship of christians, if they consider it in this light, as many of them are apt to do, is equally false. The christian, who carries his more simple and portable tribute to the courts of devotion, with the same idea of its power, in itself considered, to gratify the supreme Being, with which the more cumbrous offerings of the ancients were brought into their temples; who regards the praise he presents as a kind of gift to Almighty God; is guilty of as gross superstition, as that which prompted the presentation of sheep and oxen at the shrine of religion. The professor of christianity, who thus worships God, has but relinquished an incommodious, for a more convenient mode of immolation. Words and sentiments are more easily taken to the altar of religion, than the bulky oblations of bulls and goats. In this respect, the superstition of the christian has a semblance of purity, and spirituality, when compared with the glaring visibility, and showy equipage of pagan, superstition, which imposes upon an eye that superficially examines it; and which assists the | self-deception of those who practise it, to consider it as uncorrupted worship: but whoever compares these two kinds of sacrifice to God, with the attention of a moment, will see in them precisely the same thing.

Nor is the pupil of Christ, who thus considers the worship he pays to God, more pure from superstition than the heathen, with respect to the o b j e c t , any more than to the na t ure of his worship. Christian superstition is but another form of idolatry; a more refined mode; a less gross, and visible idolatry; it merely escapes the letter, while it retains all the spirit, and all the poison, of idolatry. The superstitious Christian does not fall down before a material object: but he adores, nevertheless, a God of his own making; the formation of his mind, if not of his hands; the creature of his fancy; the manufacture of his imagination; a chimerical deity; a spiritual idol.

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Körpers oder wörtliche Gebete darbringt; und auch das kommt nicht in Betrachtung, ob man diesen Dienst einer Menge von Gottheiten, oder nur einer einzigen leistet. So bald man glaubt, daß diese Dienste für sich allein um ihrer selbst willen, und ohne Rücksicht auf einen anderweitigen heilsamen Endzweck dem Gegenstand der Anbetung angenehm sind, so ist das große charakteristische Kennzeichen des Aberglaubens in jedem Falle vorhanden. Der Aberglaube des Heiden bestand nicht darin, daß er opferte, sondern darin, daß er glaubte, die Opfer, die er auf den Altar brächte, wären an sich selbst den Mächten, die er verehrte, ein angenehmes Geschenk, und eine willkommne Ehrenbezeugung; und wenn Christen, wie es sehr oft der Fall ist, ihre Gottesverehrung aus eben diesem Gesichtspunkt ansehn, so ist sie eben so irrig. Wenn der Christ mit den einfachen und bequemern Gaben, die er in die heiligen Mauern trägt, eben denselben Wahn verbindet, um deswillen die Alten ihre lästigen und beschwerlichen Opfer in den Tempeln darbrachten, als ob sie nämlich für sich selbst im Stande wären, ihm das höchste Wesen günstig zu machen; wenn er die Lobgesänge, die er darbringt, als eine Art von Geschenk für den allmächtigen Gott ansieht, so macht er sich desselben groben Aberglaubens schuldig, welchen die Darbringung von Schaafen und Ochsen in dem Heiligthum der Religion zuzuschreiben ist. Der Bekenner des | Christenthums, der seinen Gott so verehrt, hat nur eine beschwerlichere Art zu opfern gegen eine bequemere vertauscht. Worte und Empfindungen sind leichter vor den Altar der Religion zu bringen, als die beschwerlichen Opfer von Stieren und Böcken. Vergleicht man also den Aberglauben des Christen mit dem glänzenden Gepränge und den vielen Veranstaltungen des heidnischen Aberglaubens, so scheint er etwas weit reineres und geistigeres zu seyn, und dieser Schein betrügt das Auge, welches die Sache nur oberflächlich untersucht, und kommt dem Selbstbetrug derjenigen zu Hülfe, die auf diese Art eine unverdorbene Gottesverehrung zu üben meinen. Wer aber beyde Arten der Gottheit zu opfern nur einen Augenblick mit Aufmerksamkeit vergleicht, der wird finden daß beyde ganz dasselbige sind. Ja, was noch mehr ist, der Christ, der über die Verehrung, welche er Gott darbringt, so denkt, ist in Absicht auf den G eg ensta nd seiner Verehrung eben so wenig, als in Absicht auf die Bescha ffenheit derselben von Aberglauben freyer als der Heide. Der christliche Aberglaube ist nur eine andere Art von Abgötterey, eine etwas verfeinerte Form derselben, die nicht so grob und offenbar ins Auge fällt; er weiß nur den Namen von sich abzulehnen, aber er hat ganz den Geist, und 10 verehrte,] verehrte

14 trägt,] trägt

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

In introducing a religion peculiarly calculated to correct the religious mistakes of mankind; in announcing it to the Samaritan woman, in the words of the text; and in all his accounts of the supreme Being; the author of our religion employs one word, one all|powerful word, which tends to remove, in the most radical manner, this fundamental error, which is the common basis of all wrong religion, and to make a complete rasure of it from the mind of man; a word, which strikes directly at the root of all superstition, and brings the whole tree, with all its innumerable branches, in which so many various nations have had their habitation, at one stroke, to the ground;—and that is the name by which he describes the object of worship: not the king,—the governor,—the master,—but—the Father. “The true worshippers shall worship the Father in spirit and in truth.” Before that all potent word, that all amiable name, all false worship falls to the ground at once. The retention and impression of this single idea, that almighty God is the father of all mankind, will not suffer so much as the smallest shade, the faintest tinge of superstition, to remain one moment in the mind. What does the title of father contain? what does the appellation of parent express? what but benevolence streaming in beautiful and generous beams to every part of the circle which the relation embraces? Every good father is his family’s | warmest friend; desirous of nothing, with respect to them, but their welfare; and aiming only at their happiness in all his commands, and in all his prohibitions.

To this test, then, if we would distinguish between false and true worship, let us bring the service we render to the Almighty; and we shall be in no danger of a mistake. Does it, either immediately, or ultimately, produce human happiness and good? If it do, the worship is true: if it do not, it is false.

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auch alles Gift des Götzendienstes. Der abergläubische Christ fällt zwar nicht vor einem körperlichen Gegenstand nieder, nichts desto weniger betet er aber doch einen Gott an, den er sich selbst gemacht hat; ein Gebilde seines | Gemüths, wenn auch nicht seiner Hände, ein Machwerk seiner Phantasie, ein Geschöpf seiner verirrten Gedanken, eine chimärische Gottheit, einen geistigen Götzen. Als unser Erlöser eine Religion einführte, welche die bisherigen Mißverständnisse der Menschen in dieser Angelegenheit berichtigen sollte, auch als er der Samaritanischen Frau diese Religion in den Worten unsres Textes ankündigte, ja überhaupt, so oft er über das höchste Wesen redete, bediente er sich eines mächtigen Wortes, welches diesen Grundirrthum, der das gemeinschaftliche Fundament aller falschen Religion ist, in seiner innersten Feste angreift, und darauf abzweckt, ihn aus dem menschlichen Gemüth völlig zu vertilgen, eines Wortes, welches allen Aberglauben gerade bey der Wurzel ergreift, und den ganzen Stamm mit allen seinen unzähligen Zweigen, in denen so viele Nationen gewohnt haben, auf einen Stoß zu Boden wirft, und dieses Wort ist der Name, womit er den Gegenstand unserer Anbetung benennt: nicht König, nicht Beherrscher, nicht Herr – sondern „Vat e r. “ „Die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit.“ Vor diesem allmächtigen Wort, vor diesem über alles liebenswürdigem Namen sinkt alle falsche Gottesverehrung auf einmal in ihr Nichts. Halten wir nur diese einzige Idee fest, und prägen sie uns recht ein, daß der allmächtige Gott der Vater des Menschengeschlechts ist, so wird sich auch nicht der leichteste Schatten, auch | nicht der geringste Anstrich von Aberglauben einen Augenblick in unserm Gemüth erhalten können. Was enthält der Titel eines Vaters? Was drückt diese Benennung aus? Was anders als ein Wohlwollen, welches sich über jeden Theil des Kreises, den dieses Verhältniß umfaßt, in schönen und herrlichen Strahlen verbreitet? Jeder gute Vater ist der wärmste Freund seiner Familie, er hat in Rücksicht auf sie kein andres Verlangen als ihr Wohlergehn, und bey allen seinen Befehlen, wie bey allen seinen Verboten, nichts im Auge als ihre Glückseligkeit. Auf diese Probe also müssen wir, wenn wir wahre und falsche Gottesverehrung unterscheiden wollen, den Dienst bringen, den wir dem Allmächtigen zu leisten pflegen, dann werden wir in keiner Gefahr seyn zu irren. Verbreitet er unmittelbar, oder doch am Ende Glückseligkeit und Gutes unter den Menschen? Thut er das, so ist es ein wahrer Gottesdienst; thut er es nicht, so ist es ein falscher. 1 abergläubische] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 28 19–20 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

The question that remains then is only this. How is that human happiness, which is the object of the divine will, to be promoted? The answer is obvious; by the practice of virtue. Virtue is the source of happiness to the individual, and to society. The most p e r f e c t l y pure and spiritual worship of God is, then, the practice of virtue: and no other sort of worship whatever is of any worth whatever, but as it promotes this. Mankind, in all nations, and in all ages, have practised ritual devotion, in some way or other. When this worship, whatever it be, is productive of true virtue, it is well: when it fails to produce this, whatever it be, it is worthless.| 345

In order, therefore, perfectly to purify ceremonious worship from superstition, we must perform it with a sing le ey e to its efficacy upon the m o r al character; without mixing with our look to that end the smallest notion, of its possessing any int rinsic and independent value. The production of virtue in the human breast is a process. Ritual worship is one instrument of promoting it; of putting the mind into the motion, that carries it, in the end, to virtuous character. If, in any part of this progress it stop, without reaching this goal, the utility of external devotion is totally destroyed, and of consequence all its acceptableness in the sight of God.

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Outward worship may be considered as possessing an immedia t e , and an u l t i m at e utility.

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Its immediate utility consists in its excitement of the sentiments of religion. The formal adoration of divine benevolence and rectitude, is an instrument of renewing our recollection, and enlivening our admiration, of that divine character, which is our great example in goodness, and the contemplation of which is peculiarly adapted to spur us to the practice of generous virtue. The breath of praise | has a tendency to fan the flame of gratitude to that Being, who requires no other return for his goodness than obedience to the dictates of reason. Confession of sin, and supplication for forgiveness, is calculated to create, and increase our conviction, of the need we have of moral amendment, and of the obligation we are under to forgive those that offend us.

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Die Frage, welche noch übrig bleibt, ist also nur diese: wie kann die menschliche Glückseligkeit, welche der Gegenstand des göttlichen Willens ist, befördert werden? Die Antwort ist leicht: durch die Ausübung der Tugend. Tugend ist die Quelle der Glückseligkeit für den Einzelnen, und für die Gesellschaft. Die v o l l k o m m e n s t e reine und geistige Gottesverehrung ist also die Ausübung der Tugend, und keine Art des Gottesdienstes ist von irgend einem | Werth, als in so fern sie diese befördert. Alle Völker des Menschengeschlechts zu allen Zeiten haben irgend eine Art von Gebräuchen der äußern Andacht gehabt. Wenn dieser Gottesdienst, wie er auch übrigens beschaffen sey, wahre Tugend befördert, so ist er gut; ist er dazu nicht geschickt, so ist er auch nichts werth. Um also den äußerlichen Gottesdienst von allem Aberglauben vollkommen zu reinigen, müssen wir bey seiner Ausübung nichts im Auge haben, als seine Wirksamkeit auf unsern sittlichen Charakter, und von einem innern, unabhängigen Werth desselben muß sich auch nicht die geringste Vorstellung unserer Richtung auf jenen Endzweck beymischen. Tugend in der menschlichen Brust hervorzubringen, ist ein fortgesetztes Geschäft. Der äußere Gottesdienst ist eins von den Werkzeugen, womit dieses Geschäft betrieben wird, indem dadurch das Gemüth in diejenige Bewegung gesetzt wird, durch welche es am Ende zu einem festen Besitz der Tugend gelangen muß. Bleibt man aber bey irgend einem einzelnen Punkt dieser fortschreitenden Bewegung stehn, ohne dies Ziel zu erreichen, so ist der Nutzen der äußeren Andacht ganz zerstört, und sie hört also auch auf vor den Augen Gottes angenehm zu seyn. Man kann dem äußeren Gottesdienst einen unmittelbaren Nutzen zuschreiben, und einen solchen, der erst mit der Zeit und am Ende sichtbar wird.| Sein unmittelbarer Nutzen besteht darin, daß er religiöse Gefühle hervorbringt. Die förmliche Anbetung des Wohlwollens und der Rechtgesinntheit in Gott, ist ein Mittel unsere Bewunderung zu beleben, und in uns das Andenken an jene göttlichen Vollkommenheiten zu erneuern, welche für uns das große Vorbild eines guten Wandels sind, und deren Betrachtung so vorzüglich geschickt ist, uns zur Ausübung einer uneigennützigen Tugend anzutreiben. Der Schall der lauten Lobgesänge hat natürlich die Wirkung, die Flamme der Dankbarkeit gegen das Wesen anzufachen, welches keine andere Erwiederung für seine Wohlthaten begehrt, als Gehorsam gegen die Gesetze der Vernunft. Das Bekenntniß unserer Sünden, und das Flehen um Vergebung soll die Ueberzeugung hervorbringen und bestärken, wie nöthig uns eine fortgesetzte Besserung sey, und wie sehr wir verbunden sind, denen zu verzeihen, die uns beleidigen. 41 fortgesetzte] fortgesetzee

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

The ultimate utility of external worship consists, in the tendency of the sentiments, which are thus periodically brought back to the breast, at last to settle in it; to take up their habitation in the heart; so as to be ever present to the mind, and uniformly operative upon the conduct. Such, in a few words, is the moral process, which outward worship is an instrument of promoting. The use of the offices of devotion is, to excite the feelings of devotion: the use of the feelings of devotion is, to produce the duties of life. If the rites of religion fail to carry the mind through the w h o l e of this course, they lose all their value.

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There are those who will readily acknowledge, that if they fail to produce the f o r m e r of these effects, they are of no estimation in | the sight of heaven. They willingly confess, that the mere exercise of the lips, the hands, or the eyes, cannot possibly possess any kind of claim to the approbation of a spiritual object of worship: but they are seduced into an idea that religious exercises, accompanied with devotional sentiments and affections, possess an intrinsic worth, and recommendation to the Almighty. They do not allow themselves to suppose, that they are of themselves s uf ficient to procure the divine satisfaction, without the addition of a virtuous life: but they suffer themselves to think that they are s o m et hing , in themselves, and detached from moral duties: and that it is better to perform the duties of religion, thus separately considered, than no duties at all. This is a very common, and a very pernicious, error, which cannot be too strenuously combated. It peculiarly requires to be opposed, upon account of its peculiar plausibility. An attention to the simple rule I have laid down, for judging of the acceptableness, in his sight, of any services which we render to the Almighty, will lead us to see, in the most satisfactory manner, that religious exercises, with whatever momentary emotion | they may be accompanied, must be regarded with indifference by a benevolent Deity, if they fail to produce virtuous temper and practice. This, then, is the question;—by which is happiness produced? by which is the individual rendered truly happy? by which is society served?—by a periodical sensation of gratitude to God, or by an habitual obedience to his commands? by a speculative admiration of infinite goodness, or by a practical imitation of it, and perpetual co-operation with it? by a conviction of moral imperfection, or the pursuit of moral improvement?

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Der allmähliche Nutzen des äußern Gottesdienstes besteht darin, daß die Empfindungen, die so von Zeit zu Zeit in unserer Brust erneuert werden, sich endlich darin befestigen, und ihre Wohnung in dem Herzen nehmen sollen, so daß sie dem Gemüth immer von selbst gegenwärtig sind, und immer gleichförmig auf unsern Wandel wirken. Dies ist in wenig Worten der Gang des moralischen Geschäftes, zu dessen Betreibung der äußere Gottesdienst ein geschicktes Werkzeug ist. Die Absicht aller andächtigen Beschäftigungen geht dahin, daß | sie fromme Gefühle erregen, und die Absicht aller frommen Gefühle dahin, daß sie die Erfüllung unserer Pflichten bewirken sollen. Wenn die äußeren Religionshandlungen das Gemüth nicht durch diesen ganzen Weg hindurch führen, so verlieren sie allen ihren Werth. Die meisten werden gern eingestehn, daß diese Handlungen in den Augen des Himmels nichts gelten können, wenn sie die erste dieser Wirkungen verfehlen. Sie geben gern zu, daß der bloße Gottesdienst der Hände, der Lippen oder der Augen auf den Beyfall des geistigen Gegenstandes unserer Anbetung keinen Anspruch machen kann, aber sie lassen sich zu dem Gedanken verführen, daß religiöse Uebungen schon dann einen innern Werth haben, und sich dem Allmächtigen empfehlen, wenn sie von andächtigen Empfindungen und Gemüthsbewegungen begleitet sind. Sie erlauben sich zwar nicht, sie an sich selbst für hinlänglich zu halten, um uns den göttlichen Beyfall zu verschaffen, wenn nicht ein tugendhaftes Leben hinzukommt; aber sie gestatten sich doch die Einbildung, daß sie wenigstens etwas wären an sich selbst und ohne Verbindung mit einem pflichtmäßigen Wandel, und daß es besser sey die Verbindlichkeiten der Religion so für sich allein zu erfüllen, als gar keine Verbindlichkeiten überhaupt. Dies ist ein sehr gemeiner und sehr verderblicher Irrthum, den man nicht eifrig genug bestreiten kann. Man muß sich ihm ganz vorzüglich entgegen|setzen, weil er so vorzüglich viel scheinbares hat. Ein wenig Aufmerksamkeit auf die einfache Regel, die ich aufgestellt habe, um darnach zu beurtheilen, in wie fern die Dienste, die wir dem Allmächtigen leisten, ihm angenehm seyn können, wird uns auf die überzeugendste Art deutlich machen, daß äußere Religionsübungen, von was für augenblicklichen Rührungen sie auch begleitet seyn mögen, doch einer wohlwollenden Gottheit ganz gleichgültig bleiben müssen, wenn sie nicht tugendhafte Gesinnungen und einen tugendhaften Wandel hervorbringen. Denn das ist immer die Frage: wodurch wird Glückseligkeit befördert? wodurch wird jeder Einzelne wahrhaft glücklich gemacht? und wodurch leistet man der Gesellschaft nützliche Dienste? – Durch ein von Zeit zu Zeit erneuertes Gefühl der 1 Gottesdienstes] Gottesdienst

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

The correspondent sentiments which accompany the periodical offices of devotion, but which are not themselves accompanied by a correspondent conduct, cannot be considered as acceptable to the object of devotion, because they cannot be considered as sincere. That sorrow for sin, which does not prompt the relinquishment of what it professes to lament, can have no other seat than the lip. That love of God, which does not inspire the practice of virtue, must be either a s e l f i s h feeling, inseparable from all sensitive beings when contemplating an object from which they have derived personal benefit; or an o b s c u r e | enthusiasm, a mysterious, monastic emotion, that sees its object by a dim religious light, and bows and burns before it knows not what; or, if a clear, a rational, and a moral, it must be a f a int and i m p e r f e c t affection, common, in this degree of it, to all intellectual natures. That love of God, which alone deserves the name of piety, is a g e n e r o u s principle. It implies more than merely the pleasure that is felt, in looking to a Being from whom we have received individual good. It is not merely the love of a Being who is faithful, who is just, who is merciful, to o n e ; but who is faithful, who is just, who is merciful, to al l . It is the love of Veracity; the love of Justice; the love of Mercy: for God is abstract perfection personified. The selfish man loves the benefactor to him, though an oppressor to others: you may call this sensation by what name you please: you may give it the name of gratitude: but it certainly is not vi r t ue. No more is that affection to be called p i e t y, which springs solely from the sense of that happiness which Omnipotence has excited in our single breast. The love of God, that love of him which constitutes the pure principle, and genuine spirit, of religion, | is not the mechanical love of an inst inct towards the i n s t r u m e n t that has gratified it; of a sense to the object that has produced an agreeable impression upon it: it is not like the love of the eye to light; like the love of the ear to music: it is not the love of animated b o d y to pleasingly operating pow er; but of Mind, to infinitely amiable, and beautiful Mind. It is not the love of happiness to the h an d , but the love of reason to the rect it ude, that dispensed it: it is the affection of the understanding for infinite benevolence, employed in producing the greatest possible sum of welfare in the universe at large.

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Dankbarkeit gegen Gott, oder durch einen zur Gewohnheit gewordenen Gehorsam gegen seine Gebote? Durch eine müßige Bewunderung der unendlichen Güte, oder durch eine thätige Nachahmung derselben, und eine beständige Mitwirkung zu ihren Absichten? Durch Ueberzeugung von unserer sittlichen Unvollkommenheit, oder durch Streben nach Besserung? Wenn die Empfindungen, die zu den äußeren Andachtsübungen gehören, jene zwar begleiten, aber selbst nicht von dem zu ihnen gehörigen Wandel begleitet werden, so darf man schon um deswillen nicht glauben, daß sie dem Gegenstand unserer Andacht angenehm sind, weil man sie nicht für aufrichtig gelten lassen kann. Ein solcher Kummer über die | Sünde, der uns nicht antreibt, das zu verlassen, worüber wir so sehr zu klagen vorgeben, kann nirgends anders, als auf den Lippen wohnen. Eine solche Liebe zu Gott, die uns nicht zur Ausübung der Tugend begeistert, ist entweder ein selbstsüchtiges Gefühl, wie es alle empfindende Wesen haben, wenn sie einen Gegenstand sehen, der ihnen persönliche Wohlthaten erwiesen hat, oder sie ist eine dunkle Schwärmerey, eine mystische mönchische Gemüthsstimmung, welche ihren Gegenstand in einem ungewissen Lichte sieht, und sich beugt, ohne zu wissen wofür; oder wenn sie eine klare, vernünftige und sittliche Empfindung ist, so muß sie eine sehr schwache und unvollkommne seyn, die in diesem Grade allen vernünftigen Wesen gemein ist. Diejenige Liebe zu Gott, welche allein diesen Namen verdient, ist eine uneigennützige und wirksame Gesinnung. Es liegt etwas mehr darin, als nur das Vergnügen, welches man bey dem Gedanken an ein Wesen empfindet, von dem man Gutes empfangen hat. Sie ist nicht nur die Liebe zu einem Wesen, welches treu, gerecht und gütig gegen einen ist, sondern treu, gerecht und gütig gegen alle. Sie ist die Liebe zur Wahrheit, die Liebe zur Gerechtigkeit, die Liebe zur Güte überhaupt, denn Gott ist das lebende Urbild dieser Vollkommenheiten überhaupt. Der eigennützige Mensch liebt den, der ihm wohl that, wenn er auch Andere unterdrückte; ihr mögt dieser Empfindung geben welchen Namen ihr wollt; ihr mögt sie auch Dankbarkeit nennen, aber Tu g e n d ist sie ge|wiß nicht. Eben so wenig kann man aber die Empfindung F r ö m m i gk e i t nennen, die aus dem Gefühl der Glückseligkeit entspringt, welche die Allmacht nur in einem Einzelnen, in unserer eigenen Brust hervorgebracht hat. Die Liebe zu Gott, welche die wahre Quelle und der wahre Geist der Religion ist, ist nicht die mechanische Liebe eines Triebes zu dem Werkzeug, welches ihn befriediget hat, oder eines Sinnes zu dem Gegenstand, der einen angenehmen Eindruck auf ihn machte; nicht wie die Liebe des Auges zum 34 ge|wiß] ge-|gewiß

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

The love of God is, then, the love of virtue. But the love of any thing, if it be sincere, implies the p u r s uit of it, if the object be attainable. By a lover of pleasure we mean, not a hermit who says he loves it, as he sits in his cell, in total retirement from it; whose lips are eloquent on the charms of gay society, but whose life is spent in perpetual solitude; whose mouth is full of the praises of luxury, but whose board is never covered but with roots, and whose thirst is only supplied from the rill: but by a lover of pleasure we mean, a voluptuary. By a lover of | money we do not intend, either a prodigal of it, who declaims on the advantages of wealth, while he is throwing it away; or an indolent trafficker who neglects the opportunities of obtaining it: but by a lover of gold we intend a hoarder of what he has, or a drudge to accumulate more. By a lover of power we do not design to express a recluse, who refuses to put forth his hand to take hold of the advancement that is within his reach; and who amidst the shades of voluntary retirement, talks of the pleasures of promotion: but by a lover of power we design to express an industrious candidate for power; one whose faculties are occupied in climbing to it. By a lover of knowledge we do not understand a man who professes a taste for science, who paints in conversation the charms of philosophy, but who improves not the opportunities for cultivating it which present themselves to him; who, while his shelves have volumes upon them, and while his life has leisure in it, employs little or none of his time, either in reading, or reflecting: but by a lover of knowledge we understand a diligent student. For the same reason, by a lover of God is to be understood, and so every rational worship| per of him understands the phrase, not a man who, upon a particular day, in a particular place, with a particular ceremony, and with particular words, professes to love him; whatever of warmth there may be in his words, or whatever of fanciful affection there may be in his breast, while he neglects to copy the imitable attributes that make him amiable, that constitute him an object of love: but by a lover of God is to be understood a just man;—a merciful man;—a generous man:— for what is God,—but Justice;—but Mercy;—but Generosity? The truly religious

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Licht, des Ohrs zur Musik, und des belebten Körpers zu allem, was angenehm auf ihn wirkt: sondern es ist die Liebe des G eist es zu einem unendlich liebenswürdigen und erhabenen Geist. Es ist nicht die Liebe der Sinnlichkeit zu der Hand welche Glückseligkeit austheilt, sondern die Liebe der Vernunft zu der G esinnung , welche es thut; es ist die Zuneigung, die der Verstand empfindet gegen ein unendliches Wohlwollen, welches sich damit beschäftiget, den größtmöglichen Grad des Wohlergehens überall in der ganzen Welt zu verbreiten. Liebe zu Gott ist also Liebe zur Tugend. Aber Liebe zu irgend einem Ding faßt allemal ein Bestreben nach dem Gegenstand in sich, wenn er irgend erreichbar ist. Der Einsiedler, der auf seiner Zelle in der Entfernung von allen Freuden sagt, daß er die Freuden liebt, dessen Lippen beredt sind über die Reize einer heitern Gesellschaft, aber dessen Leben in düsterer Einsamkeit vergeht, der sich weit ausbreitet in dem Lobe des Wohllebens, aber | dessen Tisch nur mit Wurzeln besetzt ist, dessen Durst nur aus dem Born gelöscht wird, der ist es nicht, von dem wir sagen, daß er das Vergnügen liebe, sondern wir sagen es von dem Wollüstling. Der Verschwender, der über die Vortheile des Reichthums deklamirt, indem er ihn verschleudert, oder der Träge, der die Gelegenheit vorbeyläßt ihn zu erwerben, diese sind es nicht, von denen wir sagen, daß sie das Geld lieben: sondern wir sagen es von dem, der da brütet über dem, was er hat, und der sich plagt, um immer mehr aufzustapeln. Der Klosterbruder, der seine Hand nicht ausstrecken will nach den Ehrenstufen, die er erreichen könnte, und der in der Dunkelheit einer selbstgewählten Erniedrigung von den Vergnügungen des Ehrgeizes redet, der ist es nicht, von dem wir sagen, daß er Macht und Ehre liebe: sondern wir sagen es von dem, der emsig um diese Vorzüge wirbt, und alle Kräfte anstrengt, um sie zu erlangen. Den, der Geschmack an den Wissenschaften vorgiebt, und im Gespräch die Reize der Philosophie herausstreicht, aber doch die Gelegenheit, seinen Verstand zu bereichern, nicht benutzt, wenn sie sich ihm darbietet, sondern mit Schränken voll Bücher und einem Leben voll Muße, nur wenig oder gar nichts von seiner Zeit dem Lesen und Nachdenken widmet, den nennen wir nicht einen Liebhaber der Wissenschaften, sondern den, welcher fleißig studirt. Aus eben demselben Grunde nun kann kein wahrer Verehrer Gottes demjenigen das Zeugnis geben, daß er Gott liebe, der | zwar an einem gewissen Tage, an einem gewissen Ort mit gewissen Gebräuchen und besondern Worten bekennt, daß er Gott liebe, aber bey aller Wärme, die in seinen Worten liegt, bey aller gefühlvollen Rührung seines Gemüths, doch nicht daran denkt, von den Eigenschaften, welche Gott liebenswürdig und zu einem Gegenstand der Liebe machen, so viel nachzuahmen,

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Serm. 10: On pure and spiritual worship

man is he, and only he, who endeavours to a cquire the moral attributes which he ascribes to the object of his devotion; who imit a t es the character he loves; who e x e r c i s e s the equity he worships; who s p e a k s the truth he adores; who pra ct ises the benevolence he praises.

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The great sentiment, then, which, upon this subject, I wish to impress upon your mind, and which I seize every opportunity to inculcate, is this,—that, in whatever point of light you place religion, whether you consider it as an act, or an essence; whether as an office, or an affection; morality, from a pure and proper principle, comprises the | whole of it. The s p i r i t of religion is the lov e of rectitude, rectitude living and realized in the divine nature: the exercise of religion is the p r ac t i c e of that rectitude. Justice and mercy are not the adjuncts of religion, but religion itself. In giving this account of it, I repeat the definition of it, which one of the apostles has left us. “Pure religion and undefiled before God and the Father”—(the Father—beloved appellation! blessed clue! to lead bewildered man out of that deep maze of superstition, to the centre of which false guides have brought him; which conducts him not only to its outermost round, but accomplishes his complete extrication from it,) —“pure religion”—not only calls for, as its appendage, but “is this,” this is its constituent substance, “to visit the widows and fatherless in their affliction, and to keep himself unspotted from the world.” This,— the exercise of humanity to the whole circle of its objects, from among whom the particular situations of distress, which are set before us in this passage, are selected by the Scriptures, as being prominent figures in the group of human miseries, to express, in one word, the various objects of mercy, and to | represent the sons and daughters of affliction; -—this discharge of the duties of humanity, to the complete fulfilment of which the preservation of sensual purity is necessary, in a variety of views;—this active service of God, this worship of the life, is a l l that, i n i t s e l f considered, communicates any pleasure to the Almighty. In no other light than that of being instrumental to the production of this, could the offerings of the jewish religion, or can our mode of worship, procure any acceptance in his sight. Neither were their sacrifices, nor is our verbal tribute, of any worth whatever, in his eye, considered in any other light. As he wanted not the fruits 29–30 fulfilment] fufilment

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als er kann: sondern wir können nur von dem gerechten, von dem gütigen, von dem edeldenkenden Manne sagen, daß er Gott liebe; denn was ist Gott als Gerechtigkeit, als Güte, als Edelsinn? Der wahrhaft religiöse Mann ist der, und nur der, welcher sich bemüht, die sittlichen Eigenschaften, die er dem Gegenstand seiner Andacht zuschreibt, selbst zu erwerben, der dem Charakter nachahmt, den er liebt, der die Billigkeit handhabt, welche er verehrt, der die Wahrheit im Munde führt, die er anbetet, der das Wohlwollen übt, welches er lobpreiset. Der große Grundsatz also, den ich euch über diesen Punkt einzuprägen wünsche, und den ich bey jeder Gelegenheit immer mehr einschärfen werde, ist dieser: ihr mögt die Religion betrachten, von welcher Seite ihr wollt, als Handlung, oder als Denkungsart, als äußeren Dienst oder als Empfindung, so begreift Sittlichkeit aus reinen und richtigen Bewegungsgründen, alles, was dazu gehört. Der Geist der Religion ist Liebe zur sittlichen Gesinnung, so wie sie in der göttlichen Natur lebt und wirklich ist, und die Ausübung der Religion besteht | darin, daß diese Gesinnung sich thätig beweise. Gerechtigkeit und Güte sind nicht etwa zugeordnete Gehülfen der Religion, sondern die Religion selbst. Indem ich davon diese Erklärung gebe, wiederhole ich nur diejenige Beschreibung der Religion, welche einer von den Aposteln uns hinterlassen hat. „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater“ – dem Vater! du liebenswürdige Benennung! du gesegneter Leitfaden, der den verwilderten Menschen aus dem weiten Labyrinth des Aberglaubens, in dessen innersten Mittelpunkt falsche Führer ihn gebracht hatten, herausgeleitet, der ihn nicht etwa nur bis an den äußern letzten Gang desselben hinführt, sondern ihn völlig herauswickelt und befreyt! – „Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst i s t d e r “ – er erfordert es nicht etwa nur als einen Anhang, sondern d a s i s t e r, darin besteht sein eigentliches Wesen – „die Wittwen und Waisen in ihrem Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt erhalten.“1 Dies, die Ausübung der Menschenliebe in jedem Kreise, wo nur Gegenstände derselben anzutreffen sind – denn die besondern Arten des Leidens, welche in dieser Stelle genannt werden, sind nur aus hervorstechenden Figuren in der Gruppe des menschlichen Elends herausgewählt, um mit einem Wort auf alle die 1

Jakob. 1, 27.

6 den Charakter] dem Charakter 22–32 Jak 1,27 wird hier in drei (bei Fawcett in vier) benachbarten markierten Zitaten geboten.

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of their fields, or the blood of their animals; neither has he any need of the posture of our bodies, or the breath of our mouths, or the sedentary devotion, and inactive admiration of our minds. He wants not to be told by us, that he is either infinitely great, or infinitely good. He wants no compliment from our tongues, though accompanied by the consent of our hearts, any more than a bullock from our house, or a he-goat from our folds. But the promotion of happiness among his works communicates | real satisfaction to the Father and Friend of all. He that eateth not “the flesh of bulls” feasts on the felicity of his creatures; he that drinks not the blood of goats is gratified by the effects of goodness. The heathens thought their gods were susceptible of pleasure from the steam of their sacrifices: Heaven d o e s inhale the happiness of earth! Sweet to the source of good is the odour of this incense!

The great sacrifice, which is alone immediately, and directly, acceptable to the Almighty, is neither any thing that cometh out of the ground, or that goeth forth from the mouth of man; it is the sacrifice of our faculties upon the broad, immortal altar of society. The substance of divine service is social service. Benevolence to man is the “beauty of holiness.” The ground, wherever it be, upon which honest goodness relieves the indigent; consoles the dejected; protects the opprest; defends the defamed; communicates truth; or inculcates virtue; the ground, wherever it be, upon which good is done, from a good principle; or upon which impotent Pity drops an honest tear, and but wishes to do it; is better consecrated, in the eye of heaven, by such transactions, or by such | tears, than by all the religious ceremonies, that could have been performed upon it. The house of mourning, the hovel of poverty, the prison of despair, when they receive the visit of charity, are temples, upon which the object of worship looks down

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verschiedenen Gegenstände der Menschenliebe hinzuweisen, und alle Söhne und Töchter des Elendes dadurch zu bezeichnen – diese volle Erfüllung aller Pflichten der Menschenliebe, zu | deren vollkommnen Ausübung es um mancher Ursach willen nothwendig ist, seine Sinne rein zu halten, dieser thätige Gottesdienst, diese Verherrlichung Gottes durch unser Leben, ist d a s e i n z i ge , was a n sich selbst betrachtet, das Wohlgefallen des Höchsten auf sich ziehen kann. Nur in der Rücksicht daß sie hiezu beförderlich seyn sollten, konnten die Opfer des jüdischen Volkes, und können unsere Gottesdienste vor seinen Augen angenehm seyn. Weder ihre Opfer, noch unsere Gottesdienste durch Worte haben in irgend einer andern Hinsicht den geringsten Werth vor ihm. So wie er weder die Früchte ihres Feldes, noch das Blut ihrer Thiere nöthig hatte, so ist ihm auch weder an einer Stellung unsers Körpers und an einem Hauch unsers Mundes, noch an unserer stillen Andacht und an der unthätigen Bewunderung unsers Gemüths etwas gelegen. Er bedarf nicht, daß wir von seiner unendlichen Größe, oder von seiner unendlichen Güte etwas erzählen. Er bedarf der Lobeserhebungen unserer Zunge, und wenn auch die Zustimmung unsers Herzens dabey ist, eben so wenig, als eines Ochsen aus unserm Stall, oder eines Bockes von unserer Heerde. Aber wenn Glückseligkeit unter seinen Geschöpfen befördert wird, das kann dem Vater und Freund aller Wesen wahre Zufriedenheit gewähren. Der „das Fleisch der Rinder nicht ißt, und das Blut der Böcke nicht trinkt,“2 ergötzt sich an der Glückseligkeit seiner Geschöpfe, und wird erfreut durch | jede Aeußerung wahrer Herzensgüte. Die Heiden glaubten, daß ihre Götter an dem Dampf ihrer Opfer Vergnügen finden könnten, aber die Glückseligkeit der Erde athmet der Höchste wirklich ein! Süß ist dem Urquell alles Guten der Geruch dieses Weihrauchs. Das große Opfer, welches allein unmittelbar und um sein selbst willen dem Allmächtigen angenehm ist, ist nicht etwas, was die Erde erzeugt, oder was aus dem Munde des Menschen hervorgeht; es ist das Opfer unserer Kräfte auf dem großen ewigen Altar der Gesellschaft. Das Wesentliche des Gottesdienstes ist, daß wir den Menschen dienen. Wohlwollen gegen die Menschen ist die „Schönheit der Heiligen.“ Die Stelle, sie sey wo sie wolle, wo rechtschaffene Tugend den Dürftigen unterstützt, den Traurigen tröstet, den Unterdrückten beschützt, den Beschimpften vertheidigt, die Wahrheit ausbreitet, die Redlichkeit einschärft; die Stelle, wo Gutes gethan wird aus guter Ab2

Ps. 50, 13.

23 Bei Fawcett ist der zweite Teil des Bibelzitats nicht markiert. 34–35 Schleiermacher übersetzt ändernd Fawcetts wortgetreues Zitat Ps 96,9 „beauty of holiness“; die Luther-Bibel bietet „in heiligem Schmuck“.

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with more complacency, than upon any other temples. The sphere of usefulness is the chief church of man: this is the most “holy place:” the “holy of holies:” the most sacred court in the temple of God: those that minister here are the highest priests, whose office has most sanctity in his sight. Devotedness to society is the truest dedication to God. Generous offices are the noblest sort of religious exercises. He that teaches the sighing “heart to sing for joy,” awakes the harp which best befits the fingers of devotion. He that tunes this animated instrument, he that raises this holy hymn, he that sends up this sacred music, he is the psalmist that, in the ear of heaven, excels all others in sweetness. Whoever wipes another’s tear, lifts another’s head, binds another’s heart; performs religion’s most beautiful rite, most decent and most handsome ceremony. To go on an | errand of mercy, is to set out on the only holy pilgrimage.

All other worship, with whatever height of solemnity, with whatever sublimity of circumstance, with whatever comeliness of form, it be accompanied, considered independently of this, and as terminating in itself, contains no degree of recommendation to the divine Being. All the voices of assembled mankind, joining together in a chorus of praise to God; all the musical instruments in the world, united in a sacred concert; all the knees of all the nations, bent together before the throne of high heaven; this sort of praise, ascending from all the earth at once, in itself considered, would yield no satisfaction to the object of worship; any more than all the frankincense of the earth, ascending in one cloud to heaven, or all the fruits of the earth, presented upon one spacious altar:—but peace prevailing among all the nations; equity reigning all round the globe; all mankind concurring to promote the general good, and dwelling in fraternal amity together; this social order, this moral harmony, this concord of faculties, this

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sicht, oder wo das ohnmächtige Mitleiden eine aufrichtige Thräne weint, und nur wünscht Gutes thun zu können, ist durch solche Handlungen, oder durch solche Zähren in den Augen des Allmächtigen besser geheiliget, als durch alle religiöse Gebräuche, die dort hätten vollzogen werden können. Wenn die Bruderliebe das Haus des Betrübten, die Hütte des Armen, den Kerker des Verzweifelten besucht, so sind diese Oerter Tempel, auf welche der, den wir verehren, mit innigerem Wohlgefallen herabsieht, als auf alle übrigen. Der Wir|kungskreis des Menschen ist seine Hauptkirche, dies ist das Heiligthum, das Allerheiligste, der innerste Raum des Tempels Gottes; diejenigen, welche hier dienen, sind die Oberpriester, deren Dienst in seinen Augen die größte Heiligkeit hat. Sich der Gesellschaft widmen, das heißt eigentlich, sich dem Höchsten geweiht haben. Gute Handlungen sind die edelste Art von religiösen Uebungen. Wer das seufzende Herz hüpfen macht vor Freude, der rührt die Harfe, welche sich für die Hand der Andacht am besten schickt. Wer dies lebende Instrument ertönen läßt, wer diesen heiligen Lobgesang anstimmt, wer diese gottgeweihte Musik gen Himmel sendet, der ist der Psalmist, welcher es nach dem Urtheil des Höchsten allen andern zuvorthut durch die Annehmlichkeit seiner Töne. Wer eines Andern Thräne abtrocknet, eines Andern Haupt aufrichtet, eines Andern Herz verbindet, der vollbringt die rührendsten, erhabensten und heiligsten Religionsgebräuche. Auf Werke der Barmherzigkeit auszugehn, das ist die einzige heilige Wallfahrt, die man anstellen kann. Aller andere Gottesdienst, von welcher hohen Feyerlichkeit, von was für rührenden Auftritten er auch begleitet, und wie schön und angemessen auch seine ganze Einrichtung seyn mag, wenn er unabhängig von jenem Endzweck bloß in sich selbst endigen soll, hat gar nichts, was uns dem göttlichen Wesen empfehlen könnte. Wenn alle Stimmen des ganzen Menschengeschlechtes sich in ein Chor vereinigten um Gott zu preisen, wenn alle musikalischen | Instrumente der Erde zu einem heiligen Konzert zusammenstimmten; wenn alle Knie aller Nationen sich auf einmal beugten vor dem Erhabenen im Himmel, so würde diese Art der Verehrung, und wenn sie von der ganzen Erde auf einmal aufstiege, an sich selbst betrachtet dem großen Gegenstand unserer Anbetung nicht angenehmer seyn, als wenn aller Weihrauch der Erde in e i n e r Wolke gen Himmel stiege, oder alle Früchte der Erde auf e i n e m großen Altar dargebracht würden; – aber 30 in ein Chor] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1199–1200 9–10 Zu den beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitaten gibt es zahlreiche biblische Belegstellen. 15 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Hiob 29,13.

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music of minds, were an anthem that would | enter the ear of him who “is a Spirit:” of him who hearkens to the silver chime of the spheres, and who set the silent harmonies of nature.

Supposing the supreme Being to be susceptible of pleasure from the praise of his creatures, even separately considered from the profit ultimately resulting to them from the commemoration and contemplation of his character; that man must be considered as proclaiming his perfections in the loudest voice, as praising his name in the most eloquent language, who acts in such a manner as to answer the ends of his creation. How is it that the “sun and moon praise him, and all the stars of light?” How is it that “fire, and hail, and snow, and vapour, praise him?” How is it that “mountains and all hills, fruitful trees, and all cedars praise him?” How is it that “beasts and all cattle, creeping thing, and flying fowl,” set forth his praise? What is the way in which these irrational, and these inanimate, works of God, which, in the ardour of oriental fancy, and devotional enthusiasm, the psalmist invokes to praise him, actually obey the poet’s animated call?—It is by the voice that can|not be heard by any but by reason’s ear: it is by silent obedience to the laws of nature: by observing the order they were made to observe: by performing the offices they were created to perform: by producing the benignant effects they were formed to produce: and thus displaying in their silent song, audible only to the understanding, but to that sufficiently striking, the wisdom and goodness of the hand that made them. And in the same manner are mankind, the flower and the pride of the terrestrial creation, in the same way are “kings of the earth, and all people, princes, and all judges of the earth,” to praise the name of God, not by postures of body, or compositions of words, or periodical recollections of divine excellence, but by fulfilling his moral word; by falling into the regular courses of righteousness; by uniformly pursuing that path of benevolence, which is the orbit of all intellectual beings, and in which if all

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wenn Liebe unter allen Völkern thronte, wenn Gerechtigkeit über den Erdkreis herrschte, wenn das Menschengeschlecht sich verbände das allgemeine Wohl zu befördern, und in brüderlicher Eintracht neben einander wohnte, diese gesellige Ordnung, diese moralische Harmonie, dieser Einklang der Kräfte, diese Musik der Gemüther wäre ein Hochgesang, der zu den Ohren desjenigen eindringen würde, welcher „ein Geist ist“, desjenigen, welcher auf den Silberklang der Sfären hört, und die stille Harmonie der Natur regiert. Wenn man auch annehmen wollte, das höchste Wesen könne an den Lobpreisungen seiner Geschöpfe einiges Vergnügen finden, auch ohne Rücksicht aus den Nutzen, der ihnen zuletzt aus der Betrachtung der höchsten Vollkommenheit erwachsen müßte, so müßte man doch auch in diesem Fall zugeben, daß derjenige die Vollkommenheiten des Herrn mit der lautesten Stimme verkündiget, daß derjenige seinen Namen in der beredtesten Sprache preiset, welcher so handelt, daß er überall den Absichten der Schö|pfung entspricht. Wie geschieht es, daß „Sonne, Mond und alle leuchtenden Sterne ihn loben?“ Wie geschieht es, „daß Feuer, Hagel, Schnee und Dampf ihn loben?“ Wie geschieht es, daß die „Berge und alle Hügel, die Fruchtbäume und alle Zedern ihn loben?“ Wie geschieht es, „daß Thiere und alles Vieh, Gewürme und Vögel“3 sein Lob verkünden? Wie geschieht es, daß diese unvernünftigen und unbeseelten Werke Gottes, die der Psalmist in der Begeisterung seiner Phantasie und seiner leidenschaftlichen Andacht den Herrn zu preisen auffodert, seinem Ruf wirklich gehorchen? – Sie thun es mit einer Stimme, welche nur von dem Ohr der Vernunft gehört werden kann, durch ihren stillen Gehorsam gegen die Gesetze der Natur, dadurch, daß sie der Ordnung folgen, die ihnen vorgeschrieben ist, die Dienste leisten, zu denen sie geschaffen sind, die wohlthätigen Wirkungen hervorbringen, um derentwillen sie da sind, und so in ihrem stillen Gesang, der nur dem Verstande hörbar, aber diesem desto rührender ist, die Weisheit und Güte der Hand, welche sie gebildet hat, verkündigen. Und auf dieselbe Art soll auch der Mensch, diese Blüthe, dieser Stolz der irdischen Schöpfung, auf dieselbe Art sollen auch die Könige auf Erden, und alle Leute, Fürsten und alle Richter auf Erden4 den Namen Gottes preisen, nicht durch Stellungen ihres Körpers oder durch Verbindungen von Worten, nicht 3 4

Ps. 148, 3. 8. 9. 10. Ps. 148, 11.

7 Sfären] Kj Sphären 7 Joh 4,24 (nach der englischen Textfassung) 34–35 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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mankind were to move, human life would “declare the glory of God,” and “shew forth his handy work,” with the same voice as that, with which the heavens declare it, and the firmament sheweth it forth.|

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Virtuous conduct, then, is, in every view we can possibly take of devotion, the only p e r f e c t l y spiritual worship of God: and in order completely to purify ritual worship from ritual corruption, we must completely purge from our performance of it the idea, that it contains a n y, even the s m al l e s t value, in i t s e lf , and separate from its moral efficacy upon the character of the worshipper; that it divides, even in the least degree, the divine favour with virtue. For, although we may assign to it the smallest share in the division, and although we may resolve not to satisfy ourselves with that share, whatever it may be, which we attribute to it, but may determine to add to the ceremonies of religion, the offices of morality; yet if we allow ourselves to believe that the former possess a n y portion, separately considered, of the divine approbation, we contract superstition; and expose ourselves, in a greater or a smaller degree, to its pernicious operations upon the human character.

This notion, in however moderate a degree it be admitted into the mind, is sufficient of itself to lead the understanding along, by a gentle gradation, to all those excesses of super|stition, which have stained the annals of religion. Corruption in religion is an encroaching thing. It is the tendency of superstition, if the smallest part of it be received into the breast, to wreath and insinuate itself, till the whole length of the long enormous serpent be taken in. If I once admit, that there is any, the smallest recommendation to the Deity, in any kind of worship whatever, detached from moral duty, I open my mind to the idea of an arbitrary object of worship; who is pleased with something, it does not signify what, distinct from utility; with something besides the happiness and welfare of his works. This sentiment may be stopped by circumstances in the road of absurdity; but of itself it knows not where to stand. Its own impulse carries it on, if not arrested by some foreign force, to religious cruelty; to religious melancholy; to profligate immorality.

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durch eine auf gewisse Zeiten festgesetzte Erinnerung | an die göttlichen Vollkommenheiten, sondern dadurch, daß sie seine sittlichen Gebote erfüllen, daß sie sich zum Dienst der Gerechtigkeit begeben, daß sie einstimmig den Pfad des Wohlwollens verfolgen, welcher die vorgezeichnete Laufbahn aller vernünftigen Wesen ist, diesen Pfad, der das ganze Menschengeschlecht, wenn es ihn wandeln wollte, dahin bringen würde, die Ehre des Herrn mit eben der Stimme zu verkündigen, wie die Himmel sie verkündigen, und wie das Firmament seiner Hände Werk lobet. Ein tugendhafter Wandel ist also, wir mögen die Frömmigkeit betrachten, aus welchem Gesichtspunkt wir wollen, die einzige vollkommne geistige Gottesverehrung, und um unsern äußern Gottesdienst rein zu halten, von allem was aus den Gebräuchen desselben Schädliches entstehen könnte, müssen wir uns dabey von dem Gedanken ganz los machen, als ob er an sich selbst, und abgesehen von seinen Wirkungen auf den Charakter des Gottesverehrers, auch nur den geringsten Werth hätte, als ob er auch nur im geringsten Grade die göttliche Gunst mit der Tugend theilen dürfte. Denn wenn wir ihm auch bey dieser Theilung die kleinere Hälfte anwiesen, wenn wir es auch bey uns festsetzten, uns mit dieser Hälfte nicht zu begnügen, sondern fest beschlössen, mit der äußern Religionsübung auch die Ausübung der Sittlichkeit zu verbinden, so bleibt es doch wahr, daß wir uns, so bald wir glauben, daß die erstere für sich betrachtet, nur einigen Antheil an dem göttlichen Beyfall habe, des Aberglau|bens schuldig machen, und uns in einem höheren oder geringeren Grade allen schädlichen Wirkungen desselben auf das menschliche Gemüth aussetzen. Dieser einzige Begriff, in welchem eingeschränkten Sinne wir ihn auch in unser Gemüth aufnehmen, reicht schon hin den Verstand nach und nach zu allen den Ausschweifungen des Aberglaubens zu verführen, durch welche die Geschichte der Religion verunstaltet ist. Verderbniß in der Religion ist ein um sich greifendes Uebel, und der Aberglaube ist so geartet, daß wenn nur erst der kleinste Theil in dem Herzen Platz gewonnen hat, er sich so lange windet und drängt, bis die gräuliche Schlange in ihrer ganzen Länge hineingeschlüpft ist. Wenn ich erst annehme, daß man sich einigermaßen, sey es auch noch so wenig, der Gottheit empfehlen kann durch irgend eine Art des Gottesdienstes, auch in so fern sie keinen Zusammenhang mit der Sittlichkeit hat, so habe ich mein Gemüth schon dem Gedanken geöffnet, daß der Gegenstand meiner Anbetung etwas launenhaftes an sich hat, 7–9 Zu den beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. Ps 19,2 (KJB Ps 19,1)

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If I suppose, that there is any thing in religious exercises, in themselves considered, that renders them acceptable to the Almighty, I naturally pass on to the supposition, that some one particular mode of religious exercise, considered separately from its moral tendency, | will recommend the worshipper to him more than any other. Thence I proceed to imagine, that this particular kind of worship is the only one that he will accept. From that imagination I go to the idea, that it is justifiable to force others into the use of it, with whatever rod I find it in my power to drive them to the adoption of it; and to compel them, if to such lengths my power extend, even with tragical violence. This is the path of the principle we are considering. If it stop short of this latitude, it is owing to the accidental limit of encouragement, not to the intrinsic confinement of the principle. Again—if I allow myself to imagine that the Almighty is pleased with one useless thing, why may I not as well suppose him to be pleased with another? I have taken into my mind the notion of an arbitrary judge of men, who approves without reason. If he be pleased with the attitude of my body, or the words of my mouth, or the meditations of my heart upon the excellence of his character, which, however just, are fugitive as the office of outward worship, and ineffectual to bring forth that moral fruit, which is ne|cessary to render my being a blessing to society, and, in the highest degree, to myself; if he accept as service this sort of insignificancy, why may he not be pleased with my abstinence from innocent pleasure? with my total seclusion from society? with the sadness of my countenance? and the heaviness of my heart?

Again—if I allow, that there is any worth whatever, in any worship whatever, without good works, whatever my present resolution may be to add to that worship those good works, which, at my outset in this error, I may deem necessary to the completion of my accept-

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daß er an irgend einer Sache – und es ist nicht bestimmt an welcher – ohne Rücksicht auf ihren Nutzen, kurz, daß er an irgend etwas andrem, als der Glückseligkeit und dem Wohlergehn seiner Geschöpfe ein Vergnügen findet. Diese Denkungsart kann vielleicht durch mancherley Umstände so weit in Schranken gehalten werden, daß sie bey dem Widersinnigen stehen bleibt, von selbst aber kennt sie keine Grenze. Ihre eigne Natur, wenn sie nicht durch fremde Kräfte aufge|halten wird, treibt sie weiter bis zur religiösen Grausamkeit, zur religiösen Schwermuth, und zur schamlosesten Unsittlichkeit. Wenn ich annehme, daß es in den religiösen Uebungen, an sich selbst betrachtet, irgend etwas giebt, was sie dem Allmächtigen angenehm macht, so gehe ich natürlich zu der Behauptung über, daß eine gewisse Art der äußeren Religion, auch ohne Rücksicht ihrer vorzüglichen Wirkung aufs Herz, ihre Bekenner Gott angenehmer mache, als die übrigen. Daraus entsteht die Einbildung, daß diese Art des Gottesdienstes die einzige ist, die er annehmen will. Diese Einbildung führt zu der Idee, daß es erlaubt seyn muß, Andere durch jedes Mittel, welches dazu in meiner Gewalt ist, zur Annahme derselben anzutreiben, und sie, wenn meine Macht so weit reicht, durch die härtesten Gewaltthätigkeiten dazu zu zwingen. Das ist der natürliche Gang der Denkungsart, mit der wir es zu thun haben. Führt sie so weit nicht, so ist das äußern Abhaltungen zuzuschreiben, und nicht der Beschränktheit des Grundsatzes selbst. Wiederum: – wenn ich mir erlaube zu denken, daß der Allmächtige an einer unnützen Sache Vergnügen findet, warum sollte ich nicht annehmen, daß ihm noch so manche andere gefalle? Einmal habe ich den Gedanken zugelassen, daß der Richter der Menschen nach Willkühr urtheilt, und etwas ohne Ursach billiget. Gefällt ihm eine Stellung meines Körpers, gefallen ihm Worte meines Mun|des und Betrachtungen meines Herzens über seine Vortreflichkeit – die doch, so richtig sie auch seyn mögen, als Handlungen des äußeren Gottesdienstes immer nur flüchtig sind, und die Frucht des Geistes nicht tragen, welche nothwendig ist, um mein Daseyn der Gesellschaft wichtig und mir selbst in einem höhern Grade gesegnet zu machen – nimmt er etwas so Unbedeutendes als einen Dienst an: wohlan, warum sollte er nicht auch daran einen Wohlgefallen finden, wenn ich mich unschuldiger Vergnügungen enthalte? wenn ich mich von der Gesellschaft absondere? wenn ich im Trübsinn einhergehe? wenn mein Herz schwer und beklommen ist? Wiederum: – wenn ich annehme, daß im Gottesdienst ohne gute Werke ein Werth liegt, so bin ich, wenn ich auch jetzt den Entschluß habe zu diesem Gottesdienst auch die guten Werke hinzuzufügen, die ich beym ersten Anfang eines solchen Irrthums noch für nothwendig

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ance in the sight of heaven, I am in danger of insensibly sliding into an idea, that, if I be very p u n c t u al and strict, in my performance of Religious, I may r e l ax a l i t t l e in my attention to Moral offices. Thence I steal on to the idea, that by a dding to my religious assiduity, I may relax a little m o r e in my moral attentions. And thus, step by step, I may reach at last that extremity of religious madness, which has led so many to imagine, that a multiplicity of devotional exercises is sufficient ground of itself for confidence towards God to stand upon, without any virtuous practice at all.|

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I say then of superstition, what I say of vice, if you would avoid its more licentious lengths, beware of its first beginnings. Let us not admit into our religion the smallest mixture of that leaven of corruption, which possesses the power of making a complete change in the whole mass of it. Let us keep close to this sentiment, from which if we stir one step, we know not whither we may wander, that the divine Being approves of nothing, for its own sake, in itself alone considered, but that virtue which produces the happiness of the possessor, and of society. Let this idea dwell in our minds, that our duties to God, and our duties to man, are not distinct, and independent duties, but involved in each other: that devotion and virtue are not dif ferent things, but the s a m e thing, either in different stages, or in different stations; in different points of progress, or circumstances of situation. What we call devotion, for the sake of distinction, during its initiatory and instrumental exercises, is devotion in its infancy: the virtue, which after a time it produces, is devotion in its maturity. The contemplation of Deity is devotion at | rest: the execution of his commands is devotion in action. Praise is religion in the temple, or in the closet; industry from a sense of duty is religion in the shop, or in the field; commercial integrity is religion in the mart; the communication of consolation is religion in the house of mourning; tender attention is religion in the chamber of sickness; paternal instruction is religion at the hearth; judicial justice is religion on the bench; senatorial patriotism is religion in the public council.

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halte, um mich in den Augen des Himmels vollkommen wohlgefällig zu machen, so bin ich doch, sage ich, immer in Gefahr unmerklich dem Gedanken Raum zu geben, daß wenn ich in der Ausübung meiner religiösen Pflichten nur recht pünktlich und genau bin, ich immer in der Aufmerksamkeit auf die sittlichen ein klein wenig nachlassen könne. Von da gleite ich zu der Meinung fort, daß wenn ich zu meiner religiösen Emsigkeit noch etwas hinzufüge, ich in meiner moralischen Thätigkeit noch etwas mehr nachlassen kann. Und so kann ich Schritt vor Schritt endlich zu dem letzten | Ziel religiöser Thorheit kommen, mir mit so vielen Anderen, die eben so verleitet worden sind, einzubilden, daß eine große Menge äußerer Religionsübungen, ohne allen tugendhaften Wandel, ein hinlänglich fester Grund sey, um darauf vor Gott hinzutreten. Ich sage also vom Aberglauben eben das, was man vom Laster sagt: wollt ihr die weiteren Abweichungen desselben vermeiden, so vermeidet den ersten Anfang. Laßt uns in unsere Religion auch nicht das geringste von diesem Sauerteig des Verderbens einmischen, der im Stande ist die ganze Masse von Grund aus zu verändern. Laßt uns an der Gesinnung recht fest halten, von der wir nicht einen Schritt weichen können, ohne unsere Richtung ganz zu verlieren, daß nemlich die Gottheit nichts anderes um sein selbst willen, und an sich selbst billiget, als nur die Tugend, die den, der sie besitzt, und die Gesellschaft, der er angehört, glücklich macht. Laßt den Gedanken in unserer Seele feststehen, daß unsere Pflichten gegen Gott, und unsere Pflichten gegen die Menschen nicht getrennte und von einander unabhängige Pflichten sind, sondern daß eine die andere in sich schließt: daß Andacht und Tugend nicht etwas verschiedenes, sondern das nemliche sind, nur auf verschiedenen Stuffen oder an andern Stellen, in ungleichen Fortschritten, oder unter andern Umständen. Was wir des Unterschiedes wegen Andacht nennen, wenn wir unser Gemüth zum | Guten erst eifrig und geschickt machen wollen, das ist Andacht in der Kindheit, und die Tugend, welche dadurch nach einiger Zeit hervorgebracht wird, ist Andacht in ihrer Reife. Das Nachdenken über die Gottheit ist Andacht in Ruhe; die Ausführung ihrer Befehle ist Andacht in Thätigkeit. Lob Gottes ist Religion im Tempel oder im Zimmer; Arbeitsamkeit aus einem Gefühl von Pflicht ist Religion in der Werkstätte, oder im Felde; Redlichkeit im Handel, ist Religion auf dem Markt; tröstlicher Zuspruch ist Religion im Hause des Betrübten; zärtliche Aufmerksamkeit ist Religion im Krankenzimmer, väterlicher Rath ist Religion im Hausstande; unpartheiische Gerechtigkeit ist Religion im Gerichtshofe, 21 anderes] anders

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While, then, we perform the rites of religion, if we would perfectly refine our performance of them from superstition, we must retain the idea in our remembrance, so as never to lose sight of it, that their s o l e m e r i t consists in their i n s trument a lit y in the production of pure and generous morality. This is the end; they are the means. This is the plant; they are the water. If this do not thrive, they are spilt upon the ground. Suffer me then to repeat, let me beseech you to remember, carry the idea along with you, as often as you repair to the courts of religion, if you would carry along with you a | devotion perfectly clear from corruption, that man, then only, in the most perfect sense, “worships the Father in spirit and in truth,” while he is meditating, or doing, good to his works; or while he is contemplating with a sincerely generous pleasure the benevolent operations of almighty Goodness, and ardently wishing for opportunities of co-operation with it:—that the province of justice and mercy is the most holy ground on which he can stand:—that the post of his duty is his divinest place of worship; the eminently sacred situation, of which it may be said, in the most sublime sense of the words, “This is none other than the house of God, and this is the gate of heaven!”—that this, wherever it be, in whatever walk of society, in whatever part of the globe, or in whatever pale of religion, is the “high and holy hill” of every human being; the everlasting Sion of every moral agent, through every world, where God for ever dwells with him, nor ever removes his approbation from this its eternal rest.

I entreat you to keep continually in your eye this infinitely important truth: it is the pole star, that alone will guide you through | the rites of religion, and prevent you from losing your way, and wandering, no one knows whither, in the wide sea of superstition, where so many worshippers of the Father have been lost.—I call upon you all, under whatever roofs, with whatever rites, in whatever words, in the preceding part of this day, you are accustomed to adore the omnipresent, and, to honest devotion, the universally propitious Deity, as you value the purity of your religion, and wish to be preserved from sliding into ultimately fatal errors, whenever you direct your steps to your respective churches or chapels, by whatever name the buildings go, I beseech you to take along with you the conviction I have laboured this evening to excite, that the wide theatre of virtuous activity, the ample field of generous labour, which Providence has opened

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rathgebende Vaterlandsliebe ist Religion in der öffentlichen Versammlung. Wollen wir also, indem wir äußere Religionsgebräuche beobachten, unsern Gottesdienst von allem Aberglauben reinigen, so müssen wir den Gedanken nie aus den Augen verlieren, daß ihr einziges Verdienst darin besteht, daß sie ein Mittel seyn sollen, wahre und reine Sittlichkeit in uns zu befördern. Diese ist der Zweck, sie sind die Mittel; diese ist die Pflanze, sie sind das Wasser, welches, wenn jene nicht gedeiht, nur unnützer Weise vergossen ist. Laßt mich es also wiederholen, laßt mich euch nochmals daran erinnern, daß ihr, so oft ihr in den Häusern der Gottesverehrung erscheint, wenn ihr anders eine reine unverdorbene Andacht mit dorthin bringen wollt, den Gedanken mitnehmen müßt, daß der Mensch | nur dann im vollkommensten Sinn den Vater im Geist und in der Wahrheit anbetet, wenn er Gutes gegen die Werke desselben im Sinn hat und ausübt, oder wenn er mit uneigennütziger aufrichtiger Freude die Wirkungen der allmächtigen Güte betrachtet und sich eifrig nach Gelegenheit sehnt mit ihr übereinstimmend thätig zu seyn: – daß das Gebiet der Gerechtigkeit und der Güte der heiligste Boden ist, worauf der Mensch stehen kann – daß der Posten seines Berufs der gottgeweihteste Platz der Andacht ist, die vorzüglich geheiligte Stelle, von der man in dem erhabensten Sinne der Worte sagen kann: „Hier ist nichts anders denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels“5 – daß dieses für jedes menschliche Geschöpf, in welchem Range in der Gesellschaft, in welchem Theile des Erdkreises, in welcher Kirche Schooß es sich auch aufhalte, „der hohe und heilige Berg“ ist, das ewige Zion für jedes moralische Wesen in jeder Welt, auf welchem Gott immer bey ihm wohnt, und nie seine Gnade zurückzieht von diesem ihrem ewigen Ruheplatz. Ich bitte euch diese unendlich wichtige Wahrheit fortgesetzt im Auge zu behalten. Sie ist der Polarstern, der euch allein durch die Gebräuche der Religion hindurchgeleiten, und euch bewahren wird euren Weg nicht zu verlieren, daß ihr nicht etwa, ohne zu wissen wie, in die offene See des Aberglaubens hineingerathet, worin so viele Anbeter des Va|ters ihren Untergang haben. – Ich ermahne euch alle – an was für Versammlungsorten, mit was für Gebräuchen und Wörtern ihr in den früheren Stunden dieses Tages den Allmächtigen anzubeten 5

1 Mos. 28, 17.

23 Gottes Haus] Gotteshaus 26 Ps 15,1 (nach der englischen Textfassung KJB metrische Version der Psalmen)

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to man, is the grand cathedral of piety: that the place, whatever it be, in which prayers are said, in which praises are sung, in which any sort of religious ceremony is performed, is but the porch to this: that he, who, at whichever of its numerous doors, enters into this temple, is a true worshipper of the Father: that he, who stops in the | porch, whichever of them it be, is no servant of God’s, with whatever solemnity he may sit there.

Them, who, after the manner I have recommended, resolve to worship the God of their fathers, I shall be happy to join, in this place, in the social offices of devotion. Welcome to the courts of religion, all honest worshippers of the Father! Far from our thoughts be all confidence in the form of religion; in the shadow of a piety, that possesses no substance, that renders no service to society. Let us engage in the offices of devotion, not as performances that are to supply the place, but to secure the discharge, of moral duties; not as exercises that are to consecrate, but to eradicate, vice. The antients, we are told, had temples, in which the malefactor, that fled to them for protection, was safe from the pursuit of punishment: violence was not allowed to profane the place: the pursuer stopped short at the threshold; and the object of his pursuit panted in security from him. The superstition of christian countries has sought in the temple of the living and true God an asylum from the obligations of morality; and a sanctuary | from the pursuit of celestial justice. I invite no attendance here that proceeds from such a principle. I have no comfort to offer, no shelter to hold out, to the fugitive from offended conscience. The altars of God are not the guardians of guilt. No: hither let us come, as to a sanctuary, not from the remorse attendant on immorality, but from immorality itself: as to the fortress of our virtue amidst the temptations of life: as to a tower of moral security in this state of moral danger: and in this house, as often as we enter it, and in every

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und die Allen gnädige Gottheit durch eure Andacht zu ehren gewohnt seyd – setzt ihr einen Werth auf die Reinigkeit eurer Religion, wollt ihr euch hüten nicht zuletzt von verderblichen Irrthümern beschlichen zu werden: so nehmt, so oft ihr eure Kirchen oder Kapellen besucht, die Überzeugung mit, die ich diesen Abend hervorzubringen bemüht gewesen bin, daß die große Bühne für unsre tugendhafte Thätigkeit, das weite Feld nützlicher und edler Bemühungen, welches die Vorsehung dem Menschen eröffnet hat, eigentlich die große Hauptkirche der Frömmigkeit ist, jeder Ort aber, wo Gebete gesprochen, Lobgesänge gesungen und irgend eine Art von Religionsgebräuchen vollbracht wird, nur eine Vorhalle derselben; daß der, welcher durch irgend eines der unzählichen Thore in diesen Tempel eintritt, ein wahrer Anbeter des Vaters, der aber, der in einem von den Vorhöfen stehen bleibt, kein Diener Gottes ist, wie andächtig er sich auch dort bezeige. Es soll mich freuen, mich an diesem Ort zu den gemeinschaftlichen Beschäftigungen der Andacht mit denen zu vereinigen, welche entschlossen sind, den Gott ihrer Väter auf die Art, die ich empfohlen habe, zu verehren. Willkommen in dem Versammlungshause der Religion alle ihr redlichen Anbeter des Vaters! Fern sey von unserm Gemüth | jedes Vertrauen auf die äußere Form der Religion, auf einen Schatten der Frömmigkeit, der kein Wesen hat, und der der Gesellschaft zu nichts nützlich ist. Laßt uns die Beschäftigungen der Andacht beginnen nicht als solche Verrichtungen, welche die Erfüllung unserer sittlichen Pflichten ersetzen, sondern als solche, welche sie sichern und erleichtern sollen; nicht als Uebungen, wodurch das Laster geheiliget, sondern wodurch es ausgerottet werden soll. Die Alten hatten, wie uns erzählt wird, Tempel, worin jeder Uebelthäter, der dort Schutz suchte, vor den Verfolgungen der Strafe sicher war: Gewalt durfte den Ort nicht entheiligen, der Verfolger hielt inne an seinem Vorhof, und der Gegenstand seiner Verfolgung konnte wieder in Sicherheit athmen. Der Aberglaube christlicher Länder hat in den Tempeln des lebendigen und wahren Gottes eine Freystätte gesucht gegen die Verbindlichkeiten, welche das Gewissen uns auflegt, und einen Schutzort gegen alle Verfolgungen der göttlichen Gerechtigkeit. Ich lade Niemanden ein, der aus solchen Bewegungsgründen hieher kommen möchte. Ich kann denen, die vor einem verletzten Gewissen fliehen, keinen Trost anbieten, und keinen Schutz gewähren. Die Altäre Gottes sind nicht Freystätten gegen das Bewußtseyn der Schuld. Nein! laßt uns hieher kommen, als in ein Heiligthum, welches uns nicht gegen die Vorwürfe schützen soll, die der Unsittlichkeit folgen, sondern gegen die Unsittlichkeit selbst! als in eine Feste für unsere Tugend unter den Versuchungen | des Lebens! als in einen sichern Thurm in diesem Zustande der Gefahr für den Geist. Und möge un-

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other to which we may repair for the same purpose, may our virtue find the protection which it seeks, and may we learn to worship God by promoting the harmony and happiness of his works. Amen.

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sere Tugend in diesem Hause, so oft wir es betreten, und in jedem andern, welches wir in dieser Absicht besuchen, den Schutz finden, den sie begehrt, und möchten wir lernen Gott dadurch zu verehren, daß wir Eintracht und Glückseligkeit unter seinen Geschöpfen befördern! Amen.

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On the Propriety of the Term, usually employed in Scripture, to express the virtuous Character.

SERMON

XI.

T h e s p i r i t s o f J u s t m e n m ad e p e r fect.

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Hebrews xii. 23.

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To express the whole by some one prominent part, is a mode of speech, very frequent in the best writers. It is impossible for any one to have perused the sacred Scriptures with any attention, without having remarked, that they commonly describe the whole of the virtuous character by some epithet, which, in its strict and limited sense, expresses only some one single part of it. Nor is it less obvious to a reader of those writings, that justice, or righteousness, which signifies the same thing, is the virtue, which | they more frequently select than any other, to stand as the representative and definition of virtue in general. Good, is a term of which they sometimes make use, but not so frequently as that in the text. They forbid us however to infer from their frequent use of this expression, that the whole duty of man is confined to justice, in the limited sense of that word, by the distinct enumerations, which they often place before us, of the several component parts of the virtuous character. But whenever that character is described in one word, just, or righteous, is the expression which recurs with the greatest frequency in the sacred pages, and is most familiar to the eye that is conversant with them. What then, you will say, is justice the virtue, which, upon a first survey of the bright constellation of all the virtues, first catches the eye with its splendour? Would not some one of the more liberal and generous branches of rectitude be a more amiable and beautiful title for the whole? Would it not be more agreeable to moral taste and sensibility, when describing a virtuous man, to call him a kind man,

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Wie schicklich der Ausdruck ist, dessen sich die Schrift gewöhnlich bedient, um einen tugendhaften Charakter zu bezeichnen. Hebr. 12, 23.

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Z u d e n G e i s t e r n d e r vo l l k o m m n e n G erecht en.

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Das Ganze durch einen seiner vornehmsten Theile zu bezeichnen, ist eine Art des Ausdrucks, die den besten Schriftstellern gewöhnlich ist. Man kann die heilige Schrift unmöglich mit einiger Aufmerksamkeit durchgelesen haben, ohne die Bemerkung zu machen, daß sie gewöhnlich das Ganze eines tugendhaften Charakters durch irgend ein Beywort beschreibt, welches seinem eigentlichen Sinne nach nur einen einzelnen Theil desselben bedeutet. Eben so bekannt muß es dem Leser der Schrift seyn, daß Gerechtigkeit die Tugend ist, welche öfter als irgend eine andere gewählt wird, um die Tugend im Allgemeinen vorzustellen und anzudeuten. Das Wort g ut wird zwar auch bisweilen gebraucht, aber nicht so häufig als das, welches im Text vorkommt. Doch | indem die Schrift uns die verschiedenen Theile, welche den tugendhaften Charakter ausmachen, oft einzeln vor Augen stellt, gestattet sie uns doch nicht, aus dem häufigen Gebrauch dieses Ausdrucks den Schluß zu machen, als ob die ganze Pflicht des Menschen sich auf die Gerechtigkeit im engen Sinne des Wortes einschränke. Nur wo es darauf ankommt diesen Charakter mit einem Worte zu schildern, da ist gerecht oder rechtschaffen der Ausdruck, der am häufigsten auf den heiligen Blättern vorkommt, und dem Auge, welches sich fleißig darin umsieht, der bekannteste ist. Wie, werdet ihr sagen, ist es denn die Gerechtigkeit, die bey der ersten Uebersicht des hellen Kreises aller Tugenden durch einen so vorzüglichen Glanz das Auge zuerst auf sich zieht? Hätte nicht einer von den höhern, edleren Zweigen der Vollkommenheit einen liebens5 12, 23.] 23, 12.

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a generous man, a mer|ciful man, than a just man? Is not Friend, Patriot, Philanthropist, a more brilliant name than just person? one who renders to all what is their due? that to which they have a perfect right, and which to withhold from any one, would argue a shameful depravity and baseness of spirit?

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The only use I propose at this time to make of the portion of Scripture, I have chosen for our present meditation, is to submit a few considerations to your attention, to illustrate the propriety of the preference, which the sacred writings have given to the expression employed in this passage, to represent the virtuous character.

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First, There is no one virtue of so absolute importance and essential necessity to the welfare of society as justice. Let all the debts of justice be by all men discharged; let every man be just to himself, and to all others; endeavour, by the exercise of industry and œconomy, to provide for his own wants, and prevent himself from becoming a burthen upon society, and abstain, in the pursuit of his own subsistence, from every thing injurious to the interests of others; let every one “render unto all their | due:” that property, which he is obliged by the laws of the land, or by those of honourable equity, to pay them; that candour and open dealing, to which they have a right, in all his commercial intercourse with them; that portion of good report, to which their merit entitles them; that decent respect and quiet submission, which their rightful civil authority demands; that intellectual and moral cultivation, which he owes to them whom nature has particularly entrusted to his tuition, or whom he has professionally undertaken to educate; or that just advice, which it is his occupation to dispense, a capacity of which it is his duty to seek in a suitable education, and to the free and unreserved communication of which, unwithheld by sinister considerations, all that apply to him for it, have an undoubted claim: let every thing insidious and insincere be thus banished from the transactions of traffic; every thing injurious to reputation, from the circles of conversation; every thing base and dishonourable, from the professions that watch over the health, the property, the morals, or the learning and knowledge, of mankind: let no part of human dexterity, invention, and wit, | be wasted in a subtle war with the laws of the land; let no violence invade the property, or the liberty, or the life, of man: let civil communities conduct themselves towards each other, by the rules of equity

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würdigern und schöneren Namen für das Ganze abgegeben? Wäre es nicht unserm sittlichen Gefühl und der gemeinen moralischen Beurtheilung angemessener gewesen, wenn man einen tugendhaften Mann beschreiben will, ihn einen guten, einen edelmüthigen, einen liebevollen Mann zu nennen, als einen gerechten? Sind nicht Freund, Patriot, Menschenfreund glänzendere Namen, als der eines Gerechten, der doch nur allen giebt, was ihnen zukommt, worauf sie ein vollkommnes Recht haben, und was man ihnen nicht entziehen könnte, ohne eine schändliche Verkehrtheit und Niederträchtigkeit der Gesinnung zu verrathen?| Die einzige Anwendung, welche ich für diesmal von den für unsere heutige Betrachtung ausgewählten Schriftworten machen will, soll darin bestehen, daß ich eurer Aufmerksamkeit einige Betrachtungen vorlege, um zu erläutern, wie angemessen der Vorzug ist, welchen die Schrift dem in unserer Stelle vorkommenden Ausdruck giebt, wenn das Ganze des tugendhaften Charakters bezeichnet werden soll. E r s t e n s . Keine Tugend ist so unersetzlich wichtig und so wesentlich nothwendig zum Wohlergehen der Gesellschaft, als die Gerechtigkeit. Laßt die Pflichten derselben von Jedermann erfüllt werden; jeder sey gerecht gegen sich selbst und gegen jeden andern; jeder bemühe sich durch Fleiß und Sparsamkeit seinen Bedürfnissen abzuhelfen, und zu verhüten, daß er nicht der Gesellschaft zur Last falle; jeder enthalte sich bey der Bemühung, sich seinen Unterhalt zu verschaffen alles desjenigen, was die Ansprüche Anderer verletzen könnte; Jeder gebe allen, „was ihnen zukommt“, das Eigenthum, welches er ihnen nach den Gesetzen des Landes oder der natürlichen Billigkeit abzutreten verbunden ist; jeder beweise allen die Redlichkeit und Wahrhaftigkeit, worauf sie in allen Geschäften ihres Verkehrs mit ihm ein Recht haben, die verhältnißmäßige gute Meinung, worauf sie ihrer Verdienste wegen Anspruch machen können, das anständige Betragen, und die ruhige Unterwerfung, welche ihr rechtmäßig erworbenes bürgerliches Ansehn fordert; jeder sorge für die Ausbildung des Verstandes und Herzens, | welche er denen zu geben schuldig ist, die die Natur seiner Aufsicht anvertraut, oder deren Erziehung er als ein Geschäft übernommen hat, für den guten Rath, dessen Ertheilung sein Beruf ist, wozu er sich durch eine angemessene Erziehung die nöthige Kenntniß erwerben muß, und auf dessen offene und freye Mittheilung ohne eigennützige Zurückhaltung hernach alle, die sich an ihn wenden, ein unbezweifeltes Recht haben; auf diese Art sey alles hinterlistige und unredliche aus den Geschäften des Handels verbannt, alles, was dem 16 E r s te n s .] E r s t e n s 24 Vgl. Röm 13,7

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and justice; put away from them all intemperate desire of dominion, all unjust claims, and pursue pacific councils; let none be allured from the arms of their families, to fight the battles, and to fall in the fields, of unrighteous and unhallowed war; let arms be no longer the description of a profession, or destruction the subject of councils, or offence the office of steel; let the mortality of mankind be no longer expedited, and widows and orphans multiplied, and hospitals peopled, by the mighty men of mischief that divide the spoil of the earth: let every man thus hold the scales of Justice in his hand, and stand in no need of her sword; let innocence and peace thus reign in every part of private and of public life; and mankind will present a picture of felicity, that will leave little scope for the exercise of Compassion and Charity. Let justice be thus universally done, and the spirit of Mercy will have little to do, but to | look upon mankind with the smile of congratulation!

Few are the miseries of man that proceed from the hand of Nature. All the acts of relief and succour, which she has made it necessary for Humanity to perform, are, now and then, to console the lamentation that weeps over the mortality of Friendship; to support the head of occasional Sickness; to watch over the weakness of helpless Infancy; to rock the cradle of declining Age; and sometimes, but not often, with tender and patient arts, to solicit home again the Reason that has strayed from her seat. The great mass of misery, that presses upon mankind, is imposed by human hands: and much reason did he discover, in his election of an enemy, who exclaimed, “let me fall into the hands of God, for very

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guten Ruf nachtheilig seyn kann, aus den Zirkeln der Gesellschaft, alles erniedrigende und entehrende aus allen den Beschäftigungen, die über die Gesundheit, über das Eigenthum, über die Sitten oder über die Kenntnisse und Wissenschaften der Menschen wachen sollen; nie werde Geschicklichkeit, Erfindsamkeit und Witz verschwendet zu einem versteckten Kriege gegen die Gesetze des Landes; keine Gewaltthätigkeit greife Eigenthum, Freyheit oder Leben der Menschen an; laßt auch die verschiedenen bürgerlichen Gesellschaften sich gegen einander nach den Regeln der Billigkeit und Gerechtigkeit betragen, aller unmäßigen Herrschsucht, allen ungerechten Ansprüchen entsagen, und überall nach friedlichen Grundsätzen handeln; Niemand werde aus den Armen seiner Familie gerissen, um die Schlachten eines ungerechten und unheiligen Krieges zu fechten, und in seinen Feldzügen zu fallen; laßt die Waffen nicht länger das Geschäft eines eigenen Standes, Zerstörung nicht länger den Gegenstand | eigner Berathschlagungen, Menschenverletzung nicht länger den Endzweck des Eisens seyn; laßt die mächtigen Unglücksstifter, welche die Beute der Erde theilen, nicht länger die Sterblichkeit der Menschen vermehren, die Anzahl der Wittwen und Waisen vervielfältigen, und die Zufluchtsörter des Elendes bevölkern; laßt so einen jeden die Wage der Gerechtigkeit halten, daß man ihres Schwerdtes nicht bedürfe; laßt so Unschuld und Friede überall im häuslichen Leben und in der bürgerlichen Gesellschaft herrschen: so wird uns das menschliche Geschlecht das Bild einer Glückseligkeit darstellen, welche der Ausübung des Mitleidens und der Barmherzigkeit wenig Raum übrig lassen wird. Laßt nur die Gerechtigkeit überall beobachtet werden, so wird die Liebe wenig zu thun haben, als mit dem Lächeln einer herzlichen Freude auf das Menschengeschlecht hinzusehn. Des menschlichen Elendes, welches aus der Hand der Natur kommt, ist nur wenig. Alle Unterstützungen und Hülfleistungen, welche sie nothgedrungen der Menschenliebe überlassen hat, bestehen nur darin, dann und wann den Jammernden zu trösten, der über den Tod eines Freundes weint, das Haupt des Kranken zu unterstützen, über der Schwachheit der hülflosen Kindheit zu wachen, das Alter auf seinem Ruhebette zu pflegen, und bisweilen, aber nicht oft mit geduldiger und liebevoller Geschicklichkeit die Vernunft, welche sich von ihrem Sitz entfernt hat, zurückzulocken.| Die große Masse des Elendes, welche das menschliche Geschlecht niederdrückt, ist ihm von Menschenhänden aufgelegt, und derjenige verrieth in der Wahl seines Gegners viel Klugheit, welcher ausrief: „Laß uns in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist 38 297] 497

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great are his mercies, but let me not fall into the hands of man!” It is not Pestilence, it is not Famine, it is not Earthquake, it is man, that is the most terrible scourge of man! The great demand for mercy, which there is in the world, is occasioned by the scarcity of justice. The labours of Love would be little wanted, if the debts of Justice were | every where paid. It is the dishonesty of the many, that creates the great importance of the kindness, that is exhibited by the few. During the darkness of the night, we are glad of that silver sister to the day, whose light, when the sun is in the heavens, we do not want. Of what do the acts of charity, for the most part, consist, but counterworks to the operations of Injustice? but attempts to repair those breaches in human happiness, which that enemy to it has made? to expel the poison that scorpion has infused? The offices of brotherly kindness include little more, than interpositions to shield mankind from the blows of man; to protect opprest Innocence; to defend injured Fame; to wipe the tears which Cruelty has caused to flow; to redress the various wrongs, which the unrighteous have heaped upon the heads of mankind. Whence is the renown of patriots derived, but from the attempts of Faction and Tyranny to trample upon the liberty of those countries, in the annals of which their names are interspersed, as the stars and beauties of history? To what does the celebrated visitant of prisons owe the fame of his humanity, but to the injuries of the prisoner? | And to what are the opportunities of munificence, so perpetually presented to the opulent, to be traced, but to injury, existing somewhere or other in society, either more closely connected with, or more remote from the sufferer; with the exception only of those cases, in which indolence is the cause of the indigence that asks their relief? As God has “given the earth to the children of men,” and caused it to bring forth enough to satisfy the natural and necessary wants of them all, to a competent portion of its provision, every inhabitant, who contributes the portion of labour which he owes to society, must be considered as having an indisputable right. Every industrious man demands this, not from Charity, but from Justice. When Decrepitude pleads incapacity of labour, how frequently does the history of it carry back the imagination of the inquirer to one of those fields of blood, in which no limb had ever been lost, had there been no such things as unjust ambition and sanguinary revenge among mankind! How many of the necessitous families, for whose relief benevolent subscriptions are taken in, would never have been reduced to the necessity of application to | public humanity, had their departed heads exercised that providence and œconomy, which they

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groß, ich will nicht in der Menschen Hand fallen.“1 Nicht die Pestilenz, nicht die Hungersnoth, nicht das Erdbeben, sondern der Mensch ist die schrecklichste Geißel des Menschen. Die große Nachfrage nach Barmherzigkeit in der Welt kommt daher, weil die Gerechtigkeit so selten ist. Die Dienste der Liebe würden weniger gesucht werden, wenn die Pflichten der Gerechtigkeit überall abgetragen würden. Es ist die Unredlichkeit des größeren Theils, die der Güte, welche der kleinere Theil ausübt, eine so große Wichtigkeit giebt. Während des Dunkels der Nacht erfreuen wir uns an dem silbernen Bruder des Tages, dessen Licht wir nicht mehr bedürften, wenn die Sonne am Himmel stände. Worin bestehen denn die Handlungen der Liebe größtentheils, als darin, daß man den Folgen der Ungerechtigkeit entgegenarbeitet? worin, als in den Bemühungen, die Lücke in der menschlichen Glückseligkeit wieder auszufüllen, welche dieser Feind derselben gerissen hat? das Gift wieder hinauszuschaffen, welches dieser Scorpion eingeflößt hat? Die Erweisungen der brüderlichen Liebe zwecken selten | auf etwas anderes ab, als daß man sich ins Mittel stellt, um das Menschengeschlecht gegen die Stöße des Menschen zu beschirmen, um die Thräne abzuwischen, welche die Grausamkeit hervorgepreßt hat, und das mancherley Unrecht gut zu machen, welches die Ungerechten über das menschliche Geschlecht zusammen gehäuft haben. Woher rührt der Ruhm der Patrioten, als von den Bemühungen der Unruhigen und Herrschsüchtigen, die Freyheit der Völker zu zertreten, in deren Jahrbüchern wir die Namen jener Patrioten als die Sterne und Zierden der Geschichte eingestreut finden? Wem verdankt der berühmte Besucher der Gefängnisse den Ruhm seiner Menschenliebe, als dem Unrecht, welches man den Gefangenen anthut? Und woher entstehen alle die Veranlassungen zur Freygebigkeit, welche sich den wohlhabenden so reichlich darbieten, als aus dem Unrecht, welches irgendwo in der Gesellschaft näher oder entfernter von dem Leidenden vorhanden ist? – Mit Ausnahme derjenigen Fälle nur, wo die Dürftigkeit, welche um Unterstützung fleht, die Trägheit zur Ursache hat. Da Gott die Erde den Menschenkindern gegeben, und sie so eingerichtet hat, daß sie zur Befriedigung der natürlichen und nothwendigen Bedürfnisse für sie alle genug hervorbringt, so müssen wir auch jedem Bewohner, 1

1 Chr. 21, 13.

18 anderes] anders

37 1 Chr. 21, 13.] 1 Kön. 22, 13.

33–34 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 115,16 holt 2Sam 24,14.

37 1Chr 21,13 wieder-

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owed, in strictest justice, to them, whom they were bringing up in habits of elegance, and to prospects of plenty! How often is the pecuniary embarrassment, or total ruin of the trafficker, to be charged either upon that profusion, or neglect of business, or rash experiment and speculation, which imply not only personal imprudence, but social injustice, in one, who has domestic, or commercial connections, that must be involved in his fall! Or when his distress is to be traced to no injustice of his own, how often is it to be ascribed to that of others! How frequently has the fallen trader, whose shipwrecked fortunes seek for the assistance of the prosperous, to complain of dishonourable debtors, of the snares of fraud, or, if in humble life, of the pillage that has taken from him his little all! How often has he a story to tell, of the whispers of calumny, that robbed him of the good name upon which he depended for his bread! of the arts of envy and dishonourable rivalship, before which no man is able to stand! When misfortunes of this nature are not produced by any immediate and obvious | injustice, they are, perhaps, to be imputed to some more remote obstruction, in the circulation of human equity, that impeaches either the integrity of individuals, or the vigilant justice of the state.

There is scarcely a single one, of all the various evils in human life which ask the redress of the benevolent, but what is inflicted, not by nature, not by God, but by man, upon man. Even health, that department of human happiness, which appears to be, in a manner, the sole province of nature, where every vicissitude seems as it were reserved for the immediate, sole, and unmixed administration of Providence, even this sphere is invaded by the bold step of human Injus-

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der den Theil Arbeit beyträgt, den er der Gesellschaft schuldig ist, ein unläugbares Recht auf seinen nothdürftigen Antheil an ihren Vorräten zugestehen. Diesen fordert jeder arbeitsame Mann nicht von der Menschenliebe, son|dern von der Gerechtigkeit. Wenn ein Greis seine Unfähigkeit zur Arbeit geltend macht, wie oft führt dann nicht seine Geschichte die Einbildungskraft des Forschenden zu einem von jenen Blutfeldern zurück, wo gewiß nie ein Glied verloren gegangen wäre, wenn es nicht ungerechten Ehrgeiz und blutige Rache unter den Menschen gäbe! Wie viele von den dürftigen Familien, zu deren Unterstützung jetzt wohlthätige Vorschläge umhergehen, würden nie in die Nothwendigkeit gekommen seyn, sich an die allgemeine Menschenliebe zu wenden, wenn ihre verstorbenen Versorger die Sparsamkeit und Vorsicht beobachtet hätten, welche sie nach der strengsten Gerechtigkeit denen schuldig waren, die sie in der Gewohnheit des Wohllebens und in der Aussicht auf Ueberfluß erzogen hatten! Wie oft ist die Geldverlegenheit oder der gänzliche Ruin eines Handelsmannes eine Folge von Verschwendung, von Vernachläßigung der Geschäfte, von übereilten Versuchen und kühnen Spekulationen, die man nicht nur als Unklugheit betrachten muß, sondern die bey einem Mann, der eine Familie und Handelsfreunde hat, welche in seinen Fall mit verwickelt werden, wahre Ungerechtigkeit enthalten! Oder wenn sein Unglück nicht eigner Ungerechtigkeit zugeschrieben werden kann, wie oft rührt es von fremder her! Wie oft hat sich der gefallene Handelsmann, der jetzt in seinen zerrütteten Umständen den Beystand der Glücklicheren sucht, über ehrlose Schuldner, über die Schlingen der Betrüger, oder in einem geringeren Geschäfts|kreise über die Räuber zu beklagen, die ihm sein kleines Eigenthum ganz genommen haben! Wie oft hat er eine Geschichte zu erzählen von dem heimlichen Flüstern der Verläumdung, welches ihm den guten Namen raubte, von dem sein Glück abhing; von den Künsten des Neides, und einer unredlichen Nacheiferung, vor denen Niemand bestehen kann. Und wenn Unglück dieser Art nicht von einer unmittelbaren in die Augen fallenden Ungerechtigkeit herrührt, so muß es doch wohl irgend einer entfernteren Stockung in dem Lauf der natürlichen Billigkeit zugeschrieben werden, welche entweder der Rechtschaffenheit des Einzelnen, oder der wachsamen Gerechtigkeit des Staats im Wege steht. Unter allen Uebeln im menschlichen Leben, welchen die Wohlwollenden abhelfen sollen, ist kaum eines, von dem man nicht gestehen müßte, daß es nicht Gott, nicht die Natur, sondern der Mensch dem Menschen aufgelegt hat. Selbst die Gesundheit, ein Theil der menschlichen Glückseligkeit, der gewissermaßen ganz allein unter der 3–4 Menschenliebe] Menschenlibe

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tice! Much of the sickness that calls for the attendance of Friendship, or the balm of Charity, has been occasioned by the sale of medicines, which Avarice has adulterated; by the food it has partially poisoned; or the improper medical treatment of uneducated pretenders to an art, which, in him who knows that he does not understand it as he ought, it is murder to practise.

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And as injustice is the cause of most of that evil in the outward conditions, and in the | bodies of men, which calls for the assistance of goodness, to the same source is to be traced much of that disorder in their understandings, and in their hearts, which so often requires the compassion and correction of Friendship and Benevolence. The errors and prejudices which are treated with tenderness, and eradicated with calm and patient pity, by the wise and good, may be traced to the neglect of those, to whom the care of education was committed: and many of the follies and vices, to which moral benevolence administers admonition, would never have called for admonition, if parents and preceptors had not been guilty of infidelity to the trust reposed in them; or if evil companions had not taken pains to corrupt the morals of innocence and youth; and thus committed the greatest injury that one human creature can possibly render to another, an injury, which, of all others, puts in the strongest claim to a release from the obligation of forgiveness.

This view of the compass and extent of human injustice is, I hope, sufficient to convince us, that if justice were universally done, there would be little left for Mercy to do. The universal discharge of this one duty | would produce, in human life, a picture of happiness, that would content the eye of Charity. Generosity would have only to spread a heightening colour over, and breathe a richer spirit into the piece. The acts of justice are the pillars of society; if they stand firm, undefaced, and fair, Charity will have only to beautify the capitals of the eternal columns, and lend a little ornament to the well-supported fabric. Let mankind be left to themselves, without molestation; to the unimpeded operations of their own powers; to the goodness of Nature and of God; and Pity will have few tears to shed; Friendship few words of comfort to utter; and Beneficence but few offices of relief to perform.

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Aufsicht der Natur zu stehen, worin jedes Ereigniß der unmittelbaren ungestörten Regierung der Vorsehung allein vorbehalten zu seyn scheint, wird durch menschliche Ungerechtigkeit mit kühnen Schritten angegriffen. Wie viel Krankheit, welche die Pflege der Freundschaft und den Balsam der Christenliebe fordert, ist verursacht worden durch den Verkauf von Arzneien, die der Geiz verfälscht hatte, durch Nahrungsmittel, die er halb vergiftete, oder durch die ungeschickte Be|handlung unwissender Menschen, die sich für Kenner einer Kunst ausgaben, welche der, der es weiß, daß er sie nicht gründlich genug versteht, nicht ausüben kann ohne ein Mörder zu seyn. Und so wie die Ungerechtigkeit an dem größten Theil der Uebel des Körpers und des äußerlichen Zustandes Schuld hat, welche auf die hülfreiche Hand der Güte sehen, so muß man gewiß von derselben Quelle auch viele von den Unordnungen des Verstandes und Herzens ableiten, welche so oft theils unser Mitleid, theils die bessernde Aufsicht der Freundschaft und des Wohlwollens fordern. Die Irrthümer und Vorurtheile, welche die weisen und guten Menschen mit Nachsicht behandeln, und mit ruhiger geduldiger Sorgfalt ausrotten müssen, schreiben sich von der Nachläßigkeit derjenigen her, denen die Sorge der Erziehung aufgetragen war, und viele von den Thorheiten und Lastern, welchen das moralische Wohlwollen ernstliche Warnungen giebt, würden dieser Warnung nie bedurft haben, wenn nicht Eltern und Lehrer sich einer Treulosigkeit gegen das bey ihnen niedergelegte Pfand schuldig gemacht hätten, oder wenn böse Gesellschafter sich nicht die Mühe nähmen, die Sitten der Unschuld und der Jugend zu verderben, und so das größte Unrecht zu begehen, welches ein menschliches Geschöpf gegen andere begehen kann, und welches uns mehr als jedes andere berechtiget uns von der Pflicht der Versöhnlichkeit loszusagen.| Diese Uebersicht von dem Umfang und Einfluß der menschlichen Ungerechtigkeit ist, wie ich hoffe, hinreichend, um uns zu überzeugen, daß wenn man die Gerechtigkeit allgemein beobachtete, für die Güte wenig zu thun übrig bleiben würde. Die allgemeine Erfüllung dieser einen Pflicht würde in dem menschlichen Leben ein solches Bild der Glückseligkeit hervorbringen, daß das Auge der Liebe selbst dadurch befriediget werden müßte. Die Großmuth könnte nur eine höhere Farbe über das Stück verbreiten, und etwas mehr Fülle hineinbringen. Die Handlungen der Gerechtigkeit sind die Pfeiler der Gesellschaft; wenn diese fest, unversehrt, und in schönen Verhältnissen da stehn, so kann die Liebe nur noch die Kapitäle der ewigen Säulen verschönern, und dem wohlunterstützten Gebäude kleine Verzierungen leihen. Man überlasse nur das Menschengeschlecht ungestört sich selbst, den ungehinderten Wirkungen seiner eignen Kräfte, und der Güte

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Secondly, As that branch of morality, which the Scriptures have selected to express the whole, is that which is of most importance and necessity to society; so it is the only one, of which the expressions are, with certainty, to be ascribed to a principle of rectitude. The appearances of all the other virtues may possibly proceed from the temperature of the body. Temperance in the pleasures and pursuits of human life is often to be traced to no higher origin, than to ap|petites that are averse to sensual excess; to passions the quietude of which requires no rein; and to a peculiar degree of phlegm and coolness in the constitution, which is not easily exasperated into irregular resentment, or into wild ambition. The patience, that produces diligence in business, that is necessary to perseverance in the offices of industry, may be derived, not from the exertions of reason, but from the inactivity of the spirits. The expressions of humility sometimes solely proceed from timorousness of natural temper, that shrinks from the frown of resentment, or from the smile of contempt, and that, in shutting itself up from what it fears, assumes the appearance of modest retirement from notice. The courage, of which we admire the exploit, may possibly spring from corporeal animation, and mechanical insensibility to danger. The fortitude, which sustains the shock of adversity, without shaking, is frequently to be imputed solely to firmness of nerves; and acts of pecuniary generosity, which call forth all the enthusiasm of gratitude, and all the glow of panegyric, are often the effects of a flow of warm spirits, and an ardour of constitution, incompatible with | avarice, and invariably accompanied with pecuniary carelessness and indifference. But he who uniformly does justice, not merely that which the laws of the land prescribe, but all that conscience and reason teach him is just and honest; he whose justice is not the prisoner of a letter, but goes the whole round of broad, immortal equity; must act, can act, from nothing short of pure and virtuous principle. The acts of justice have no connection, can have none, with the texture of the nerves, the pace of the blood, or the motion of the spirits. In taking Justice for the title of virtue, we take a clear, unsullied name; the purity of which bids defiance to slander, and to suspicion; upon the polish of which no dimness will rest, and of which the whiteness will not take a taint.

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Gottes und der Natur, so wird das Mitleiden wenig Thränen zu trocknen, die Freundschaft wenig Trostworte zuzusprechen, und die Wohlthätigkeit wenig Hülfleistungen zu ertheilen haben. Zw e y t e n s . So wie dieser Zweig der Sittlichkeit, den die Schrift erwählt hat, um das Ganze zu bezeichnen, für die Gesellschaft von der größten Wichtigkeit und Nothwendigkeit ist, so ist er auch der einzige, dessen Aeußerungen mit Gewißheit einer innern Gesinnung der Rechtschaffenheit zugeschrieben werden können. Von allen andern Tugenden giebt | es einen gewissen Schein, der sogar aus der eigenthümlichen Beschaffenheit des Körpers hervorgehen kann. Mäßigkeit in den Vergnügungen und in dem gewöhnlichen Tichten und Trachten des menschlichen Lebens hat oft keinen höheren Ursprung als darin, daß die Begierden sich zu sinnlichen Ausschweifungen nicht hinneigen, daß die Leidenschaften ruhig genug sind, um keines Zügels zu bedürfen, oder in einem besondern Grad von Phlegma und Kälte des Blutes, welches nicht leicht zu heftiger Rache und wildem Ehrgeiz erhitzt wird. Die Geduld, welche Fleiß in den Geschäften möglich macht, welche zur beharrlichen Arbeitsamkeit so nothwendig gehört, entsteht oft nicht aus einer Thätigkeit der Vernunft, sondern aus einer Unthätigkeit der Lebensgeister. Die Aeußerungen der Demuth kommen oft nur von einer natürlichen Furchtsamkeit her, welche vor dem Blick des Beleidigten, oder vor dem Hohnlächeln der Verachtung bebt, und indem sie sich vor dem, was sie fürchtet, verschließt, das Ansehn gewinnt, als ob sie sich bescheiden zurückzöge, um überall nicht bemerkt zu werden. Der Muth, dessen Thaten wir bewundern, entspringt vielleicht aus körperlicher Lebhaftigkeit und mechanischer Unempfindlichkeit gegen die Gefahr. Die Tapferkeit, welche den Angriff des Unglücks aushält ohne zu zittern, kann oft nur festen Nerven zugeschrieben werden, und freygebige Handlungen, die den ganzen Enthusiasmus der Dankbarkeit rege machen, und glühende Lobeserhebungen veranlassen, sind oft nur die Wirkung rascher Le|bensgeister und eines muntern Temperaments, welches sich mit dem Geiz nicht verträgt, und dagegen immer mit Sorglosigkeit und Gleichgültigkeit gegen das Geld verbunden ist. Derjenige aber, der gleichförmig die Gerechtigkeit übt, und zwar nicht nur soviel als die Gesetze des Landes vorschreiben, sondern alles das in seinem ganzen Umfange, wovon Vernunft und Gewissen ihm sagen, daß es gerecht und redlich ist, der, dessen Gerechtigkeit nicht sklavisch dem Buchstaben folgt, sondern der die Billigkeit in ihrem weitesten und ewigen Sinn umfaßt, der kann aus keinem geringeren Antriebe, als aus reinen, tugendhaften Grundsätzen handeln. Die Handlungen der Gerechtigkeit haben keine 11–12 Gen 6,5

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Thirdly, Another foundation for the preference, which the sacred writers have given to this virtue, in making it the name of all, is what may be inferred from the foregoing consideration, that the uniform practice of true justice, if not merely legal honesty, but liberal equity, implies the possession of every virtue. All the several parts of virtue constitute one simple whole; all proceeding from | one principle, all partaking of one spirit. This principle as naturally and necessarily produces all the branches of known and acknowledged virtue, as the same root, that supplies one branch of a tree, is the source of all the rest. This principle is the supreme love of God, and of society. All the various heads of virtue are equally commanded by the first, and equally conducive to the happiness of the last. The love of mercy is the law of the same Being, who directs us to do justice; and both are equally the ministers of public good. He who practises one, from a proper principle, must possess the spirit of both. If he, who uniformly practises the whole of justice, must act from such a principle, the love of God and man must dwell within him. To call any one a just person, therefore, is to style him a servant of God; a friend to mankind; a good man.

Fourthly, Another ground of the superiority of the term we are considering, to express the virtuous character by, is, that true justice not only implies goodness, but is necessary to give to goodness its value to society. If Justice be not the guide of Goodness, Goodness will wander from the line of utility. | That Mercy, along with which Justice does not go, changes its nature, and becomes Cruelty. In endeavouring to communicate happiness, he who observes not the rules of justice, will often, while he acts from good nature, produce evil effects. There is Benevolence that acts the malefactor’s part; there is Friendship that performs the office of Enmity; there is Love that ac-

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Verbindung, können auch keine haben mit dem Gewebe der Nerven, dem Laufe des Blutes und der Bewegung der Lebensgeister. Wählen wir also die Gerechtigkeit zur Bezeichnung der Tugend, so wählen wir einen reinen unbefleckten Namen, dessen Tadellosigkeit jeder Verunglimpfung und jedem Argwohn Trotz bietet, dessen Glanz nie trübe wird, und dessen Weiß kein Flecken verunstaltet. D r i t t e n s . Ein anderer Grund des Vorzuges, den die heilige Schrift dieser Tugend giebt, indem sie von ihr den gemeinschaftlichen Namen für alle übrige entlehnt, liegt in dem, was man aus dem vorigen schon schließen kann, darin nemlich, daß eine gleichförmige Ausübung der wahren Gerechtigkeit, wenn sie nicht nur Folgsamkeit gegen die Gesetze, sondern auch ungezwungene selbstgebotene Billigkeit | ist, den Besitz jeder andern Tugend in sich schließt. Alle verschiedenen Theile der Tugend machen ein einiges Ganzes aus; alle haben dieselbe Triebfeder und denselben Geist mit einander gemein. Diese Triebfeder bringt eben so natürlich und nothwendig alle Zweige wahrer, mit Recht dafür anerkannter Tugend hervor, als die Wurzel, die den einen Zweig eines Baumes nährt, auch allen übrigen den Saft mittheilt. Diese Triebfeder ist wahre Liebe zu Gott und der Gesellschaft. Durch den ersteren werden uns alle verschiedenen Arten der Tugend auf gleiche Weise geboten, und alle führen auf gleiche Weise zur Glückseligkeit der letzteren. Liebe zur Barmherzigkeit ist das Gesetz desselben Wesens, welches uns zur Gerechtigkeit anweiset, und beyde dienen gleichermaßen dem allgemeinen Besten. Wer die eine aus den gehörigen Absichten ausübt, muß auch den Geist der andern besitzen. Wenn also der, der sich die ganze Gerechtigkeit gleichförmig angelegen seyn läßt, nothwendig aus einem solchen Bewegungsgrunde handelt, so folgt, daß auch Liebe zu Gott und den Menschen in ihm wohnen muß. Nennen wir also Jemand einen gerechten Mann, so nennen wir ihn eben dadurch auch einen Diener Gottes, einen Freund der Menschheit, einen guten Mann. Vi e r t e n s . Eine andere Ursache, warum der Ausdruck, über den wir sprechen, für die Bezeichnung des tugendhaften Charakters den Vorzug verdient, liegt darin, daß wahre Gerechtigkeit die Güte nicht nur in sich schließt, sondern auch nothwendig | ist, um ihr überhaupt einen Werth für die Gesellschaft zu geben. Wenn Gerechtigkeit nicht die Führerin der Güte ist, so weicht diese von der Linie des Nützlichen ab. Die Barmherzigkeit, neben welcher die Gerechtigkeit nicht einhergeht, ändert ihre Natur und wird Grausamkeit. Wer bey seinen Bemühungen, Glückseligkeit zu verbreiten, die Regeln der Gerechtigkeit nicht beobachtet, der wird oft, indem er aus guter Meinung handelt, etwas übles bewirken. Es giebt ein Wohlwollen, welches die Rolle des Uebelthäters spielt, eine Freundschaft, die alles thut, was nur die

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complishes the ends of Hatred. That lenity in the magistrate, which should prevent him from being a “terror to evil doers,” would also prevent him from being “a protection to such as do well.” That heat of social attachment, which hurries along in the pursuit of their particular welfare, by whom it is kindled, without heeding, upon what interests of others, upon what welfare of society, it tramples in its way, converts the friend of an individual into the enemy of mankind. That tenderness of friendship, which spares the errors of its object the temporary pain of the faithful reproof it owes them, deserves the name of malignity. That kindness in the parent, or in the preceptor, which prompts him to gratify by indulgence, instead of checking by opposition, those evil passions in | his children, or his pupils, which must prove the disturbers of their future repose; which, in imparting pleasure to childhood and youth, but throws food to the vultures, of the breast; such a kindness as this, disunites what should eternally go together, what, it is, of all violence to nature, the most impious and profane to dissever, the Father and the Friend!

Justice, then, in these instances, is only Goodness, in a more awful form. It is Kindness, rendered venerable by Wisdom; it is the gravity of Benevolence; it is Philanthropy, losing the sweetness of her smile in the seriousness of forethought and reflection. It is this association, which renders the charity of man imitative of the providence of God, who ever acts from the most enlarged views, and the most lengthened insight into futurity. Upon all these accounts, we shall all, I trust, without hesitation, agree with Cicero’s character of justice, who calls it the queen and mistress of all the virtues; and shall not wonder that the Scriptures have so far honoured it, as to call them all by its name.|

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Feindschaft hätte thun können, eine Liebe, welche die Einwürfe des Hasses zu Stande bringt. Eine solche Gelindigkeit, wodurch Obrigkeiten verhindert werden „den Uebelthätern ein Schrecken zu werden“, wird sie auch verhindern, ein Schutz zu seyn denen, die Gutes thun. Eine solche warme Zuneigung, welche in ihren Bemühungen für das besondere Wohlergehn derer, für welche sie brennt, immer forteilt, ohne zu bemerken, wie sie die Ansprüche Anderer, wie sie das Beste der Gesellschaft auf ihrem Wege niedertritt, macht den Freund eines Einzelnen zu einem Feind der Menschheit. Eine solche zärtliche Freundschaft, welche ihrem Gegenstande den vorübergehenden Schmerz ersparen will, ihm – was sie doch schuldig wäre – seine Irrthümer vertraulich aufzudecken, verdient den Namen der Bosheit. Eine solche Güte, wodurch Eltern und Lehrer bewogen werden, üble Leidenschaften ihrer Kinder mit zärtlicher Nachsicht zu befriedigen, an|statt sie durch Widerstand zu schwächen, Leidenschaften welche nothwendig ihre künftige Ruhe untergraben müssen, welche ihnen vielleicht in der Kindheit und in der Jugend Freude machen, aber dem Geier seine Nahrung bereiten, der einst an ihrer Brust nagen wird – eine solche Güte trennt, was ewig verbunden seyn sollte, was man nicht ohne die ruchloseste verworfenste Gewaltthätigkeit gegen die Natur trennen kann, den Vater und den Freund. In allen diesen Fällen ist die Gerechtigkeit nur Güte in einer erhabneren Gestalt. Sie ist die Güte, welche durch die Weisheit ehrwürdiger gemacht worden ist, sie ist das Wohlwollen in seiner Würde, sie ist die Menschenliebe, welche nur ihr angenehmes Lächeln gegen die ernste Mine der Bedachtsamkeit und des Nachdenkens vertauscht hat. Nur in dieser Verbindung kann der Mensch mit seiner liebreichen Gesinnung die göttliche Vorsehung nachahmen, welche immer aus den weit umfassendsten Absichten, und nach der ausgebreitetsten Einsicht in die Zukunft handelt. Aus allen diesen Gründen werden wir hoffentlich ohne Bedenken in die Beschreibung der Gerechtigkeit einstimmen, welche ein Weiser des Alterthums giebt, indem er sie die Königin und Beherrscherin aller 4 seyn denen,] seyn, denen 3 Fawcetts wortgetreues Zitat, das an Ps 101,8 anschließt, wurde vermutlich durch Jonathan Edwards (1703–1758) zum geflügelten Wort. 4 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. 32–361,1 Vgl. Marcus Tullius Cicero: De officiis 3,28; dass Schleiermacher den Namen Cicero, den Fawcett nennt, durch die Umschreibung „ein Weiser des Alterthums“ ersetzt, ist auffällig, weil einschlägige Textausgaben Ciceros wohl schon 1798 in seinem Besitz waren, nämlich SB 431: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen übersetzt von C. Garve, 4. Aufl., Breslau 1792, sowie SB 433: De officiis, Cato maior, Laelius, Paradoxa, Somnium Scipionis, ed. Johannes Georgius Graevius, [vermutlich] Bd. 1–2, Leiden 1710.

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Fifthly, One thing more may be said, to complete the vindication of the choice, which the sacred writings have made of this epithet, to express the whole of the virtuous character; which is, that the word was frequently used, in this enlarged sense, by many ancient writers of the best authority. Sometimes they considered justice as expressing the whole of human duty, including all that we owe to God, and all that we owe to man: and sometimes, as signifying social duty only, but social duty in its utmost extent; comprising, along with those of justice, the offices of humanity and mercy. In this use of the word, in these extensive senses, they proceeded upon this generous sentiment, that God has a right to all the homage we are able to pay him, and that mankind have a right to all the services we are capable of rendering them; that piety is but justice to God, and that mercy is no more than justice to man. It has been common, as many of you know, for writers upon equity to speak of the debts of charity, as well as of the debts of justice; and to consider the demand of that which legally belongs to a man, and the petition of that distress which deserves to | be succoured by him who has it in his power to impart assistance, as being both entitled to the appellation of claims and rights; which they have no farther distinguished from each other, than by calling the former perfect, and the latter imperfect, rights.

In the eye of philosophical, and of the sacred writers, in the sight of reason, and of God, not only he that lends has a right to what he has lent; not only he that labours for another has a right to his wages; and he that sells, to the price of the goods that are bought of him: but he that has need, which he has not by indolence deserved, has a right to what he really wants, from him that hath this world’s goods; he that is bewildered in the walks of business, from his ignorance of the world, or in his way to heaven, from his ignorance of duty, has a right to the directing hand, which it is in the power of any one who perceives his secular perplexity, or his moral error, to hold out to him; he that is sick, has a right to all the attention and support which his situation requires, from the health and strength that surround him; he that is dejected and unhappy, has a right to all the consolation, which | those about him are able to afford him; he that wants any thing, whatever it be, whether intellectual, or moral, or animal, which he cannot procure for himself, has a right to expect it from them that

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Tugenden nennt, und werden uns nicht länger wundern, wenn auch die Schrift sie so sehr ehrt, daß sie ihren Namen ihnen allen beylegt.| F ü n f t e n s läßt sich noch etwas sagen, um die Wahl der heiligen Schrift, welche mit diesem Namen das Ganze des tugendhaften Charakters bezeichnet, vollkommen zu rechtfertigen, daß nemlich so manche bewährte Schriftsteller des Alterthums das Wort in eben diesem erweiterten Sinne öfters gebraucht haben. Bisweilen drückte bey ihnen das Wort Gerechtigkeit alle menschlichen Pflichten aus, und begriff alles, was wir Gott, und alles, was wir den Menschen schuldig sind; bisweilen verstanden sie darunter nur die geselligen Pflichten, aber diese in ihrem ganzen Umfange, nicht nur die strenge Gerechtigkeit, sondern auch Barmherzigkeit und Menschenliebe. Bey diesem Gebrauch des Wortes in einer so ausgedehnten Bedeutung gingen sie von dem schönen Grundsatz aus, daß Gott ein Recht hat an alle Beweise von Ehrfurcht, die wir ihm geben können, daß die Menschheit ein Recht hat an alle Dienste, die wir ihr leisten können, daß die Frömmigkeit nur Gerechtigkeit gegen Gott, und die Barmherzigkeit nur Gerechtigkeit gegen die Menschen ist. Es ist, wie viele von Euch wissen werden, unter den Schriftstellern, die von Recht und Billigkeit handeln, gewöhnlich, daß sie von Pflichten der Liebe eben so gut reden, als von Pflichten der Gerechtigkeit, daß sie der Bitte des Kummers, der die Hülfe derer, welche ihn lindern können, verdient, eben so gut den Namen eines Rechts, eines Anspruchs gestatten, als jeder Forderung dessen, was einem Menschen nach den Gesetzen zukommt, und daß sie bey|de nicht schärfer unterscheiden, als dadurch, daß sie das eine ein vollkommnes, und das andere ein unvollkommnes Recht nennen. In den Augen der philosophischen und der heiligen Schriftsteller, nach dem Urtheil der Vernunft, und nach dem Urtheil Gottes hat also nicht nur der, welcher etwas geliehen hat, ein Recht auf das, was er lieh, nicht nur der, welcher für einen andern arbeitete, ein Recht auf seinen Lohn, nicht nur der Verkäufer ein Recht auf den Preis der Waaren, die von ihm gekauft wurden: sondern auch wer in einer Noth ist, die er sich nicht durch eigene Trägheit zugezogen, hat ein Recht das, was er wirklich bedarf, von denen zu erwarten, die dieser Welt Güter haben; wer verirrt ist in dem Gang seiner Geschäfte aus Unkenntniß der Welt, oder auf seinem Wege zum Himmel aus Unkenntniß seiner Pflicht, hat ein Recht auf die leitende Hand, welche derjenige gegen ihn ausstrecken kann, der seine Verlegenheit in irdischen, oder seine Irrthümer in geistlichen Dingen wahrnimmt; wer krank ist hat ein Recht von den Gesunden und Starken, die ihn umgeben, alle Auf16 hat] hat,

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can. According to this honourable and generous view of things, it is not only unjust to oppress another, but to withhold the protection we are able to lend him, when we see him oppressed: it is not only unjust to steal the bread, or the raiment of a brother, but not to give bread to them that are hungered, not to bestow raiment upon them that are naked, when they are incapable of feeding and clothing themselves, and when we are able to do it for them.

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The want of definition of the duties of charity, in the system of practice which christianity has put into the hand of man, together with their total absence from the prescriptions of political society, have been the causes of their having been regarded by the multitude, as less strictly obligatory than those of justice. The indefinite and general inculcation of the generous duties, in the christian, as in all other moral directories that have been communicated to mankind, is to | be considered as owing to the utter impossibility of their specification. Return that, which you received on the express condition of its being repaid; give that, which you engaged to give in exchange for what has been given you; employ the property, that was entrusted to your hand, to the purposes for which it was put into it: to define these debts of justice, is easy; a few words are sufficient to point them out; but the debts of charity are innumerable as the necessities of surrounding society, which I possess a power to supply. But, though the distinct specification of the former, in the laws of God, and of the land, may give them a peculiar appearance of sacredness to our eye; although, embodied in solemn forms of words, they may seem to our apprehension to be of a bulkier, and more palpable nature, than those which make no verbal figure before us; yet the debts of charity are altogether of as solid a substance, and as binding a nature, in the sight of reason, as those of justice; and are all of them easily discernible, and distinctly visible, to an impartial understanding, as they rise in detail, in the course of life.|

5 hungered] an hungered

28 a substance] substance

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merksamkeit und Unterstützung zu fordern, welche seine Lage nöthig macht; wer niedergeschlagen und unglücklich ist, hat ein Recht auf allen Trost, welchen die, so ihm nahe sind, ihm geben können; wer irgend ein Bedürfnis fühlt – es sey ein geistiges und sittliches oder ein körperliches – welches er sich nicht selbst verschaffen kann, hat ein Recht, es von denen zu erwarten, welche es kön|nen. Nach dieser großherzigen und billigen Ansicht der Dinge ist es nicht nur ungerecht einen Andern zu unterdrücken, sondern auch ungerecht ihm, wenn er unterdrückt wird, den Schutz zu entziehn, den wir ihm geben können; nicht nur ungerecht, einen Andern seiner Nahrung und Kleidung zu berauben, sondern auch ungerecht, ihm nicht Brodt zu geben, wenn er hungrig, nicht Kleidung, wenn er entblößt ist – vorausgesetzt, daß er selbst nicht im Stande ist, sich zu speisen, und zu bekleiden, und daß wir es sind. Daß die Pflichten der Liebe in den Anweisungen, welche das Christenthum den Menschen in die Hände gegeben hat, nicht alle einzeln erklärt sind, und daß sie in den Vorschriften der bürgerlichen Gesellschaft gänzlich fehlen, dies ist die Ursache, warum der große Haufen sie für weniger verbindlich hält, als die Pflichten der Gerechtigkeit. Aber daß in den christlichen sowohl, als in allen andern moralischen Anweisungen für die Menschen, diese Pflichten des Wohlwollens nur unbestimmt und im allgemeinen eingeschärft werden konnten, kommt daher, weil es unmöglich ist, sie alle einzeln abzuhandeln. Erstatte wieder, was dir unter der ausdrücklichen Bedingung es wieder zu erstatten gegeben war; gieb das, was du zum Ersatz für etwas empfangenes zu geben dich verpflichtet hast; wende das fremde Eigenthum, was man dir anvertraut hat, zu dem bestimmten Endzweck an: – diese Pflichten der Gerechtigkeit sind leicht zu erklären, wenige Worte sind | hinreichend sie deutlich zu machen; aber die Pflichten der Liebe sind so unzählbar als in der Gesellschaft, welche mich umgiebt, die Bedürfnisse sind, denen ich abhelfen kann. Ob aber gleich den ersteren ihre namentliche Aufzählung in den göttlichen und weltlichen Gesetzen in unsern Augen einen Anschein von vorzüglicher Heiligkeit geben kann; ob sie uns gleich, weil sie in ausdrücklichen Wortformeln gefaßt sind, größer und begreiflicher vorkommen können, als die letzteren, welche uns nicht mit Buchstaben zugezählt werden: so beruhen doch gewiß die Pflichten der Liebe auf einem eben so festen Grunde, sie sind in den Augen der Vernunft eben so bindend als die der Gerechtigkeit, und jeder unbefangene Verstand kann sie auch alle, wie sie einzeln im Lauf des Lebens entstehen, eben so leicht erkennen und eben so deutlich wahrnehmen. 35–36 letzteren] letztere

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That addition, whatever it be, which I find myself able to make to the sum of general happiness, is a debt which I strictly owe it; the payment of which I have no right to refuse. That, whatever it be, by the communication of which I am capable of making that addition, is no more my own, in the eye of that everlasting law which shall outlive the everlasting hills, than the money committed to my hand, by one man, to be by me administered to another. That reason, which points put to me the possibility of making this addition, is the law of God within me, commanding me to make it. That vacuity, in the scene of happiness and welfare around me, which I perceive, and the filling up of which I perceive, at the same time, to be in my power, possesses a claim to such a supply from me, which, the moment I reflect, I cannot avoid recognising. That vacuity is a voice, commanding me to fill it, authoritative and audible as the thunder of Sinai. The simple appearance, to the mind of a rational creature, of the possibility of his adding, in any case, to the quantity of happiness, upon the whole, in the creation of God, by parting with any possession, or em|ploying any power, is, to an intellectual eye, the spiritual and imperishable parchment of the moral world; is an eternal table of stone to the whole intelligent world. Such are the grounds, which support the propriety of the appellation, the Scriptures are accustomed to give to that character, which they recommend to the cultivation of mankind. In illustrating this propriety, my intention has not been to trifle with your time, by requesting your attention to a piece of idle and useless criticism, upon a scriptural expression. The consideration of the epithet, we have been examining, has occasioned, if I be not mistaken, a few useful and important truths to pass before us, which are calculated to direct us in the pursuit of virtue.

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More especially is what has presented itself to our minds, in the prosecution of this subject, adapted to undeceive two kinds of selfdeceivers. The first is he, who imagines, that an obedience to the laws of the land is sufficient, to make out his claim to the character of an honest and just man, and to recom|mend him to the divine acceptance. The letter of legal justice is so far from including the whole duty of man, as not to comprise the whole even of justice, considered in the confined sense of the word. A pure and clear principle of honesty obliges a man to do much more than the letter of the law; and

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Dasjenige, was ich mich fähig fühle, zu der Summe der allgemeinen Glückseligkeit hinzuzufügen, es sey nun viel oder wenig, ist eine Schuld, die ich aufs genaueste bezahlen muß, und deren Abtragung zu verweigern ich gar kein Recht habe. Dasjenige, durch dessen Mittheilung ich diesen Beytrag leisten kann, ist vor dem ewigen Gesetz, welches die ewigen Berge überleben wird, eben so wenig mein, als das Geld, welches mir Jemand anvertraut hat, um es einem andern zu übergeben. Die Vernunft, welche mir die Möglichkeit zeigt, diesen Beytrag zu leisten, ist das Gesetz Gottes in mir, welches ihn zu leisten befiehlt. Die Lücke, die ich in dem Zusammenhange | der Glückseligkeit und des Wohlergehens um mich her wahrnehme, und von der ich zugleich bemerke, daß es in meiner Gewalt steht sie auszufüllen, ist eine Forderung an mich, welche ich für gültig anerkennen muß, sobald ich darüber nachdenke. Diese Lücke ist eine Stimme, welche mir befiehlt sie zu füllen, und diese Stimme ist eben so hörbar, und mit eben dem Ansehn begabt, wie der Donner auf Sinai. Der bloße Gedanke in dem Gemüth eines vernünftigen Wesens, daß es zu der Summe der Glückseligkeit in der Schöpfung Gottes etwas hinzufügen kann, wenn es einen Besitz aufgiebt oder eine seiner Kräfte auf gewisse Art anwendet; schon dieser Gedanke erscheint dem Auge des Geistes als sein unauslöschliches Diplom für die sittliche Welt, als eine ewige Gesetztafel für das ganze Geisterreich. Das sind die Gründe, welche die Schicklichkeit der Benennung zeigen, wodurch die Schrift den Charakter kenntlich macht, nach welchem sie den Menschen zu streben befiehlt. Indem ich die Angemessenheit dieses Ausdrucks erläuterte, ist meine Absicht gewiß nicht gewesen, mit eurer Zeit zu spielen, und eure Aufmerksamkeit mit einer müßigen unnützen Kritik über einen Schriftausdruck zu beschäftigen. Die nähere Erörterung des Sprachgebrauchs, den wir untersucht haben, hat vielmehr, wo ich nicht ganz irre, Veranlassung gegeben, uns an einige sehr nützliche und wichtige Wahrheiten zu erinnern, die ganz dazu geeignet sind, uns bey unserm Bestreben nach Tugend auf den rechten Weg zu leiten.| Besonders ist das, was sich bey Untersuchung dieses Gegenstandes ergeben hat, sehr geschickt, zwey verschiedenen Menschenklassen, welche sich selbst hintergehn, die Augen zu öffnen. Zu der ersten gehören die, welche sich einbilden, daß Gehorsam gegen die Gesetze hinreichend ist, ihnen den Anspruch auf den Charakter rechtlicher und gerechter Leute zu sichern, und sie dem göttlichen Wohlgefallen zu empfehlen. Der Buchstabe der Gerechtigkeit nach dem Gesetz ist so weit davon entfernt, die ganze Pflicht der Menschen zu umfassen, daß er nicht einmal die ganze Gerechtigkeit im engen Sinne des Wortes umfaßt. Der reine und ächte Grundsatz

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the obedience, that is limited to that letter, cannot possess any of the spirit of equity. He who does what is just, only from a fear of the laws, is not an honest man. We are told by Solomon, and we are truly told, that the just are actuated by other motives. “It is joy to the just to do judgment;” and judgment they would do, and take a pleasure in doing, if there were not such an officer as a magistrate in the world. Justice, if what I have said in this discourse be true, is a generous principle. True justice is charity; it is public spirit; it is sense of rectitude; it is a principle of piety; it is the love of order and harmony in the creation of God.

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Of the other class of self-deceivers, whose eyes this discussion is adapted to open, is he, who infers his claim to divine commendation, from the experience of occasional feelings of compassion and goodnature, and the practice | of a desultory and unregulated charity, in the absence of temperance, œconomy, religion, and justice. Be just before you are generous, is a piece of popular and proverbial advice; it is daily in the vulgar mouth; but from the lips of the moral philosopher there never dropped a lesson of conduct, more deeply founded in moral wisdom. It is common for them who set the fashion in the manners, as in the ornaments of human life, to consider, what they call, generosity, as the virtue of gentlemen; and justice, as the virtue of mechanics. They pronounce an act of showy munificence to be noble and princely; an office of friendship to be heroic and glorious: but the payment of a debt to honest industry, or the exercise of that frugality, which is necessary to the future comfort and subsistence of a family, as well as to the enlargement of the capacity to bestow relief upon poverty, they regard as beneath the dignity of polite and liberal attention.

Such persons might not only be told, what it would give them no pain to be told, that they are not just; they might also be told, what might excite within them some surprize, and some resentment, that they are | not generous. It might not only be said to them, what they

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der Rechtschaffenheit verbindet den Menschen zu weit mehrerem als der Buchstabe des Gesetzes, und ein Gehorsam, der sich von diesem Buchstaben beschränken läßt, hat von dem Geist der Billigkeit nichts an sich. Wer nur aus Furcht vor dem Gesetz thut was Recht ist, der ist kein ehrlicher Mann. Wir werden von Salomo belehrt, und er hat ganz Recht daran, daß die Gerechten von andern Bewegungsgründen getrieben werden. „Es ist den Gerechten eine Freude zu thun was Recht ist,“2 und sie würden Recht thun, und Freude daran finden, auch wenn keine Obrigkeit in der Welt wäre. Die Gerechtigkeit ist, wenn das wahr ist, was ich in diesem Vortrage gesagt habe, eine ganz uneigennützige Gesinnung. Wahre Gerechtigkeit ist Liebe, ist Gemeingeist, ist Billigkeitsgefühl, | ist Frömmigkeit, ist Lust an Ordnung und an Eintracht in der Schöpfung Gottes. Zu der zweyten Klasse derer, denen diese Betrachtung die Augen über ihren Selbstbetrug öffnen kann, gehören diejenigen, welche ohne mäßig, haushälterisch, religiös und gerecht zu seyn, ihre Ansprüche auf den göttlichen Beyfall darauf gründen, daß sie bisweilen Regungen von Mitleid und Gutherzigkeit haben, und nach Laune und Gelegenheit eine gewisse Wohlthätigkeit ausüben. Seyd gerecht ehe ihr wohlthätig seyd, das ist ein gemeiner guter Rath, den man als Denkspruch in Jedermanns Munde hört; aber gewiß nie ist von den Lippen des größten Moralisten eine Lebensregel geflossen, welche mehr wahre Weisheit enthielt, als diese. Diejenigen, welche das Vornehme und Feine hauptsächlich in den Sitten, als der wahren Zierde des menschlichen Lebens suchen, pflegen gewöhnlich Freygebigkeit als die Tugend der feinen Welt, und Gerechtigkeit als die Tugend der niedern Klassen anzusehen. Eine Handlung, worin sich prahlerische Großmuth äußert, nennen sie edel und fürstlich, einen Freundschaftsdienst nennen sie heldenmüthig und ruhmwürdig; aber die Bezahlung einer Schuld an den ehrlichen Arbeiter, die strenge Beobachtung der Sparsamkeit, welche für das künftige Bestehen und die Ruhe einer Familie nothwendig ist, und ohne welche zugleich unser Vermögen die Armuth zu unterstützen sich nie erweitern kann, darauf eine gewisse Sorgfalt zu | verwenden, halten sie unter der Würde eines feingebildeten und edeldenkenden Mannes. Solchen Personen kann man nicht nur sagen – was sie freylich ohne großen Kummer anhören würden – daß sie nicht gerecht sind; man kann ihnen auch sagen – und das würde bey ihnen doch wohl einige Verwunderung und Empfindlichkeit erregen – daß sie nicht edelmüthig sind. Man kann ihnen nicht nur sagen, was sie mit Lä2

Sprüchw. 21, 15.

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would hear with a smile, “You possess no piety;” it might also be said to them, “You possess no public spirit: you may boast of the ardour of your private friendships, of the nicety of your artificial, your fanciful, and partial honour;—but you are not the friends of society; there is no honour in your conduct to mankind at large; your sensual excesses impoverish both your personal, and your pecuniary powers of social service; your insolvent profusion discourages that hand of the diligent, to which accommodated life is indebted for its conveniences; and your inglorious and guilty indolence, your base and ungenerous inactivity, entombs the talents, that were entrusted to you, to be rendered by you as productive of utility to all around you as possible.” Charity is a complete and consistent thing. It is not a flash, but a flame; it is not a fragment, but a whole; it is not a segment, but a circle: Its affections stream from God as their centre; all mankind compose their circumference; they go forth, not only in one, but in all directions, towards the production of others’ goods.| 397

That benevolence, which solely consists in the uncultivated feelings of nature, which is not rooted and grounded in the eternal, principles of religion and rectitude, is not only, while it lasts, a thing of fits and starts, but likewise short-lived. It is a thing as perishing, as it is imperfect; it declines with declining, it departs with departing, nature. It is fugitive as youth; it is fleeting as health; it is brief and mortal as human life. This broken goodness, which has no root in vital religion and love of rectitude, like the branch of a tree cut off from its parent stem, that yet looks green for a day, that serves to decorate the bower of festivity and holiday, and that, in situations in which the fracture appears not to the sight, may seem, for a short season, to be growing still; this broken goodness, like such a broken bough, may look fair and fresh, for a while, to the eye of man; and flourish in reputation, during the little day of human life: but as the evening of life draws on, it begins to fade; it withers and droops, when the shadows of old age are lengthened; at night, it is totally dead; and sees corruption in the grave.|

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cheln anhören würden, ihr habt keine Frömmigkeit: sondern auch, ihr habt keinen Gemeingeist; ihr könnt euch rühmen mit eurem Eifer in der Freundschaft für einzelne Menschen, mit eurer Genauigkeit in Allem, was zu eurem erkünstelten, eingebildeten, partheysüchtigen System von Ehre gehört, aber Freunde der Gesellschaft seyd ihr nicht, und in eurem Betragen gegen die Menschen im allgemeinen ist keine Ehre. Die Ausschweifungen eurer Sinnlichkeit entziehn eure persönlichen Kräfte und euer äußeres Vermögen dem Dienst der Gesellschaft; eure verderbliche Verschwendung macht die Hand des Fleißes, dem doch das bequemere Leben alle seine Annehmlichkeiten verdankt, muthlos, und eure unrühmliche und strafbare Trägheit, eure niedrige und unedle Geschäftlosigkeit vergräbt die Talente, die euch dazu anvertraut waren, daß ihr sie für alle, die um euch hergestellt sind, so nützlich als möglich machen solltet. Wahre Menschenliebe ist etwas vollendetes und selbstständiges, nicht ein Blitz, sondern eine ruhige Flamme; nicht ein Bruchstück, sondern ein Ganzes; | nicht ein Ausschnitt, sondern ein voller Zirkel. Ihre Thätigkeit strömt aus von Gott als dem Mittelpunkt, das ganze Menschengeschlecht bestimmt den Umfang derselben, und sie verbreitet sich nicht in einer einzelnen, sondern in jeder möglichen Richtung überall hin um Anderer Wohl zu befördern. Das Wohlwollen, welches nur in dem ungebildeten, natürlichen Gefühl besteht, und nicht auf die ewigen Grundsätze der Religion und der Rechtschaffenheit gegründet und gebaut ist, ist nicht nur, so lange es währt, immer nur Laune und Anwandlung; sondern es währt auch überhaupt nicht lange. Es ist eben so vergänglich als unvollkommen; es ermattet, wenn unsere Kräfte ermatten, es vergeht, wenn unsere Kräfte vergehn. Es ist so flüchtig als die Jugend, so viel Unfällen ausgesetzt, als die Gesundheit, und so kurz und sterblich als das Leben selbst. Diese gebrechliche Güte, die nicht in lebendiger Religion und wahrer Liebe zur Rechtschaffenheit eingewurzelt ist, gleicht einem Aste, der von seinem Stamme abschnitten ist, der noch einen Tag lang grünt, noch die festliche Laube schmückt, und aus einem Gesichtspunkt, wo man den Bruch nicht wahrnehmen kann, eine Zeitlang so aussieht, als wüchse er noch fort. Eben wie dieser zerbrochene Ast, kann auch jene gebrechliche Güte sich dem Auge der Menschen eine Zeitlang frisch und schön darstellen, und während des kurzen Mittags des menschlichen Lebens ehrenvoll bemerkt werden in ihrer Blüthe; so wie aber der Abend des Lebens herankommt, | verwelkt sie, sie sinkt und verbleicht so wie die Schatten des Alters sich verlängern, und in der Nacht ist sie ganz erstorben, sie verweset mit im Grabe. 1–14 Die beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitate sind rhetorisch-fiktiv.

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Serm. 11: On the propriety ... to express the virtuous character

God grant, that we may grow to that eternal vine, which supplies the character with immortal nurture! Then shall we “flourish in the courts of our God,” and “our leaf shall not wither for ever.” Amen.

Pred. 10: Wie schicklich ... Charakter zu bezeichnen

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Gott gebe, daß wir alle an dem ewigen Weinstock fortwachsen mögen, welcher der Seele unsterbliche Nahrung mittheilt! Dann werden wir „blühen in den Vorhöfen unsers Gottes“, und „unser Laub wird nicht welken in Ewigkeit!“ Amen.

3 Ps 92,14 (nach der englischen Textfassung KJB Ps 92,13)

3–4 Vgl. Ps 1,3

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On Spiritual Pride.

SERMON

XII.

W h i c h s a y, St an d b y t h ys e l f , c o m e not nea r t o me, for I a m h o l i e r t h an t h o u . Isaiah lxv. 5.

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Of all the vices to which we are liable, that which is at once the most repugnant to reason, the most injurious to happiness, and the most common to man, is pride. He, from whom the hand of Heaven appears to have taken the most especial care to hide it, by surrounding him on every side with circumstances of humiliation, the most completely calculated to shut it out, discovers some opening or other, in some part of the circumscription, through which he finds a way to it. There is somewhere, either in what he is, or in what he has, some humble eminence, some little hillock of rising ground, | upon which he contrives to lift up his heart, and to taste the delight of looking down upon some, however few, of his fellow-creatures.

All the several branches of pride, irrational and vicious as they all indisputably are, in the eye of every just understanding, are so far from being regarded in this light, as to be vindicated, and considered as becoming, by their respective possessors. He who regards his inferiors in station with a disdainful eye, who preserves, with an inflexible and unrelenting pomp, the solemnities of rank, without ever stooping, in the slightest degree, from the stately stiffness of haughty reserve, calls this contemptible spirit by the name of decent pride; and considers it as an important office of parental tuition, to rebuke an opposite spirit in his young, and as yet inartifi16 fellow-creatures] fellow creatures

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Ueber den geistlichen Stolz. Jes. 65, 5. 5

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We l c h e s p r e c h e n : B l e i b e d ah e i m , u n d rühre mich nicht, denn ich bin heiliger, als du.1

Unter allen Lastern, denen wir unterworfen sind, ist der Stolz dasjenige, wovor der Vernunft am meisten ekelt, welches der Glückseligkeit den größten Schaden bringt, und welches doch unter den Menschen das gewöhnlichste ist. Selbst der, für welchen die Hand des Himmels in dieser Rücksicht ganz vorzüglich Sorge getragen zu haben scheint, indem sie ihn auf allen Seiten mit demüthigenden Umständen umgab, mit denen es so vorzüglich darauf angelegt ist, dieses Laster entfernt zu halten, selbst der entdeckt in irgend einem Theil seiner Umstände eine oder die andere Oeffnung, durch welche er einen Weg zu demselben findet. Es bedarf nur etwas geringes in dem, was er ist, oder was er hat, eine unbedeutende Erhöhung, einen armseligen Hügel auf | seinem Grund und Boden, so macht er schon den Entwurf sein Herz zu heben und sich das Vergnügen zu verschaffen, auf einige von seinen Mitgeschöpfen, wie wenige es auch seyn können, herabzusehn. So unvernünftig und lasterhaft auch unstreitig alle verschiedenen Arten des Stolzes dem Auge des gesunden Verstandes erscheinen, so sind doch diejenigen, die davon angesteckt sind, so weit entfernt, sie in diesem Licht zu betrachten, daß vielmehr Jeder den seinigen als sehr schicklich und wohlgegründet ansieht und rechtfertiget. Wer diejenigen, die von geringerem Stande sind, mit hochmüthigem Auge ansieht, und mit steifem pünktlichem Gepränge alles, was zu 1

Nach der englischen Uebersetzung.

1 Eilfte] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1540

4 nicht,] Kj nicht an,

27 Schleiermacher bietet eine sehr freie Übersetzung der englischen Textversion mit deutlichen Anklängen an den Text der Luther-Bibel.

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Serm. 12: On spiritual pride

cial descendants, when, solely swayed by the dictates of nature, and careless, because unconscious, of domestic dignity, they discover in their intercourse, with those who are beneath them in condition, an ignorance of the distance which society has thrown between them.

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Upon persons who have a proper contempt for pecuniary, and for family-pride, | there are yet some sorts of this weakness the appearance of which imposes. They speak of an honest pride; of a noble pride; of a generous pride: the words are splendid and sonorous; but I know of nothing in nature which answers to the description. Of this kind, in their estimation, is that impatience of obligations, in consequence of having been accustomed to confer them, which discovers itself in them, who are ashamed to receive what they are reduced to want; and whose sore sensibility must be touched with a gentleness, possible only to the hand of nice and delicate humanity, in order that they may not be hurt and wounded, when they are taken hold of to be lifted out of the dust. The blush, with which those who are of this spirit, when sunk into this situation, receive the succour they have often communicated, but never needed till now, communicates (as these moral critics conceive) a grace to their reception of it, and is an ornament to their countenance. Their struggle between gratitude and even anger, when he whom once they relieved from poverty, but who now is richer than they, tenders them the return he owes them; their sullen ac|knowledgment of the kindness they cannot accept; has in it (they think) somewhat of noble and of generous, by which their fall is adorned, and which lends a glory to the shades of their adversity.

This pride is, however, unquestionably weakness. As there is certainly nothing to be ashamed of, in the eye of reason, in present reduction to the necessity of receiving assistance, when the fall from affluence is the consequence neither of guilt nor of folly; so was there nothing to nourish that spirit of pride, of which the present shame is an indisputable proof, either in the capacity to communicate relief

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seinem Range gehört, beobachtet, ohne je auch nur im geringsten von dem standesmäßigen Zwang einer vornehmen Zurückhaltung etwas nachzulassen, der nennt diese verächtliche Denkungsart einenanständigen Stolz, und sieht es als eine wichtige Pflicht seiner väterlichen Vorsorge an, der entgegengesetzten Neigung seiner jungen noch unverkünstelten Nachkommen kräftig entgegen zu arbeiten, wenn sie etwa der Natur allein folgen, und unbekümmert um eine Standeswürde, von der sie noch nichts wissen, in ihrem Umgange mit denen, die unter ihnen stehen, ihre Unwissenheit in Absicht auf den Abstand verrathen, den die Gesellschaft zwischen ihnen festgestellt hat.| Auch die, welche den Geld- und Ahnenstolz, wie sichs gebührt, verachten, lassen sich von dem guten Schein gewisser anderer Arten dieser Schwäche blenden. Sie reden von einem tugendhaften Stolz, von einem edlen Stolz, von einem großmüthigen Stolz. Die Worte sind in der That prächtig und volltönend, aber ich kenne nichts in der Natur, was einer solchen Beschreibung entspräche. Dahin gehört, nach ihrem Urtheil, eine gewisse ungeduldige Abneigung Andern Verbindlichkeiten zu haben, da man mehr gewohnt ist, ihnen dergleichen aufzulegen, eine Abneigung welche sich immer bey denen zeigt, die sich schämen, etwas anzunehmen, was sie doch in der That bedürfen, und deren schmerzhafte Empfindlichkeit – wenn sie anders nicht gestossen und verwundet werden soll, indem man ihnen die Hand reicht, um sich aus dem Staube zu heben – mit einer Behutsamkeit behandelt werden muß, worauf sich nur die feinste und zarteste Menschenliebe versteht. Die Schaamröthe, womit Personen von dieser Denkungsart, wenn sie in eine solche Lage gerathen sind, eine Hülfe annehmen, die sie oft selbst geleistet haben, aber bis jetzt noch nie von andern empfangen durften, giebt ihnen, nach dem Urtheil dieser Sittenrichter, beim Empfang derselben eine gewisse Anmuth, und ist eine Zierde ihres Benehmens. Ihr Sträuben zwischen Dankbarkeit und Verdruß, wenn der, dem sie selbst ehedem in der Dürftigkeit halfen, und der nun reicher ist, als sie, ihnen erwiedern will, was er schuldig ist; ihr bereitwilliges Anerken|nen einer Güte, die sie nicht annehmen dürfen, hat, meinen sie, etwas Edles und Großes in sich, was ihnen bey ihrem Fall zum Ruhme gereicht, und sogar die Schatten ihres Unglücks verherrlicht. Dennoch ist dieser Stolz ganz gewiß nichts als Schwachheit. So wie die Vernunft – sobald nur unser Fall keine Folge unserer Verschuldungen oder unserer Thorheiten ist – darin, daß wir jetzt in die Nothwendigkeit gesetzt sind, fremde Hülfe anzunehmen, gar keine gegründete Ursach zur Schaam findet: so lag auch weder in unserer 11 Geld-] Geld

12 von dem guten] den guten

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Serm. 12: On spiritual pride

which is now past, or in the inclination to lend it which went along with the power.

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The pride of piety and of virtue approves itself to the understanding of many persons, who see nothing but what is despicable in the pride of riches or of rank. “For are not these (they ask) the true glory of man? Wealth is dirt: title is air: but virtue is solid greatness. What is without me, is not myself: that which adds neither a cubit to my stature, nor a hair to my head, can give me no claim to respect: but rectitude is in|trinsic excellence; rectitude is the dignity of angelic, rectitude is the dignity of the Divine, Nature.” It is so: but of that dignity, pride constitutes no part: in the breast of perfect excellence pride has no place. What is called the pride of virtue, if it be any thing more, and more it must be in order to deserve that name, and more it is in the mind of many, than that sober and moderate self-approbation to which every honest man has a right, and which is no other than the voice of God within him; that selfapprobation which is but the approbation of what is right in itself, and which is inseparable from a rational nature when contemplating that rectitude within itself, the excellence of which it cannot help perceiving in whatever place it finds it; that self-approbation which is accompanied with a perfectly equal approbation of the equal excellence which is exhibited by any other character, and an equal pleasure in perceiving another’s virtue to that with which we are conscious to our own: if it over-step this modesty, or stray from this generosity; if it rise into an excessive elation of mind, into self-applause and panegyric, | upon the discharge of any of the duties of man; if it inspire an intemperate thirst of the respect and admiration of mankind; if it lead to look down upon them who seem to be less deserving than we, with an exulting sense of superiority and insolent triumph over them, and to compliment ourselves, on the comparison, upon the extraordinary splendour and distinguished dignity of the figure we exhibit among the works of God; if it go to this extreme, our self-complacency becomes vice of the most contemptible kind.

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ehemaligen Fähigkeit Andern Beystand zu leisten, noch in unserer Neigung dazu, der wir mit dem Vermögen zugleich entsagen müssen, etwas, was den Stolz hätte nähren sollen, von dem die gegenwärtige Schaam über das Gegentheil der unzweydeutigste Beweis ist. Der Stolz auf Frömmigkeit und Tugend stellt sich manchen Personen, die in dem Stolz aus Reichthum und Rang nur etwas verächtliches sehen, als etwas lobenswerthes dar. Denn, fragen sie, ist das nicht der wahre Ruhm des Menschen? Reichthum ist Staub, Titel sind Dunst, aber Tugend ist wahre Größe. Was außer mir ist, gehört nicht zu mir selbst; das, wodurch ich weder meiner Länge einen Zoll zusetzen, noch mein Haupt um ein Haar reicher machen kann, kann mir auch keinen Anspruch auf Achtung geben: aber Rechtschaffenheit ist immer Vortreflichkeit; Rechtgesinntheit macht den Werth der Engel Natur, macht den Werth der göttlichen Natur aus.| So ist es auch: aber der Stolz ist kein Theil dieses Werthes; bey der vollendeten Vortreflichkeit hat der Stolz keinen Raum. Wenn das, was wir den Stolz der Tugend nennen, etwas mehr ist – und um den Namen zu verdienen, muß er mehr seyn, ist auch gewiß mehr in dem Gemüth vieler Menschen – wenn er mehr ist, als die bescheidene, gemäßigte Selbstbilligung, an welche jeder tugendhafte Mann ein Recht hat, und welche nichts anderes ist, als die Stimme Gottes in ihm; mehr als die Selbstbilligung, welche nur in einem Wohlgefallen an dem, was an sich selbst recht ist, besteht, und deren ein vernünftiges Geschöpf sich unmöglich enthalten kann, so bald es die Gesinnung bey sich selbst wahrnimmt, für deren Vortreflichkeit es, wo sie auch angetroffen werde, Gefühl hat; wenn er verhindert, daß wir dieselbe Vortreflichkeit, sobald wir sie bey andern finden, eben so sehr billigen, und eben so viel Vergnügen daran finden könnten, die Tugenden Anderer zu bemerken, als die deren wir uns selbst bewußt sind; wenn er so weit geht, daß er diese Grenzen der Bescheidenheit überschreitet, und von dieser Unpartheylichkeit abweicht; wenn er in eine ausschweifende Erhebung des Gemüths, in Eigendünkel und Selbstlob wegen der Erfüllung irgend einer Menschenpflicht ausartet; wenn er uns ein unmäßiges Verlangen nach der Achtung und Bewunderung der Menschen einflößt; wenn er uns verführt mit einem stolzen Gefühl von Ueberlegenheit und einem übermüthigen Triumph auf diejenigen | zu sehen, die weniger Verdienste zu haben scheinen als wir, und uns bey der Vergleichung viel schönes zu sagen über den ausgezeichneten Glanz und die außerordentliche Würde der Rolle, welche wir 21 anderes] anders 7–14 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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Of moral or spiritual pride, as there are several causes, there are several kinds; accompanied with different degrees of virtue; some of them, in consequence of their cause, founded in an empty pretence to it; but all of them inconsistent with the perfect purity of it, and all originating in weakness and ignorance.

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Ignorance is the mother of a l l pride. As the pride of station proceeds from ignorance, or which is the same thing forgetfulness, of its foreignness to ourselves; and the pride of talents from ignorance of their derivation; so the pride which says, “Stand by thyself, for I am holier than thou,” arises from igno|ranee of one or other of the following things: ignorance of the nature of virtue; of the degree in which we are virtuous; of the strictness of the obligation by which we are bound to be as perfectly so as possible; or of the way in which, if we are, we became so. First, Spiritual pride frequently exists in the total absence of all virtue, in consequence of an utter ignorance (which must have for its cause more or less of wilful inattention) of what it is. When the whole of obedience is made to consist in what is to be done with perfect ease, and when every thing arduous and difficult is excluded from the part to be acted by man, the performance may arrive at absolute perfection: and a notion of faultless excellence naturally gives birth to pride.

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This is the case, when the whole duty of man is reduced to the entertainment of particular religious tenets; to a scrupulous regularity, or superfluous repetitions, of ritual attentions; the preservation of a formal gravity of deportment; and a minute observance of the miniature proprieties, the little decencies, and petty decorums of life: and | when moral excellence and radical worth, with all the inward struggles that are necessary to the production, and maintenance, of it in the mind, are entirely lost sight of. It is obvious, that for him, whose notions of duty are of this narrow nature, it is easy, in his own esteem, to become a perfect man. If he regularly attend to all the punctilios which, he imagines, com-

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unter den Werken Gottes spielen – wenn dieser Stolz der Tugend so weit geht: so wird aus dem Wohlgefallen an uns selbst ein Laster von der verächtlichsten Art. So wie es verschiedene Ursachen des moralischen oder geistlichen Stolzes giebt, so giebt es auch verschiedene Arten desselben, die bey verschiedenen Stuffen der Tugend angetroffen werden. Er kann bisweilen, in Beziehung auf seine Ursach, nur in ganz leeren Ansprüchen auf Tugend gegründet seyn; allemal aber ist er mit der vollkommnen Reinigkeit derselben unverträglich, und allemal entspringt er aus Schwäche und Unwissenheit. Unwissenheit ist die Mutter von allem Stolz. So wie der Rangstolz daher rührt, daß man nicht weiß, oder nicht bedenkt – was immer das nemliche ist – daß der Stand uns fremd ist, und der Stolz auf Talente daher, daß man den Ursprung derselben nicht kennt: so hat der Stolz derjenigen, welche sagen: „Bleibe daheim, denn ich bin heiliger als du,“ seinen Grund in einer Unbekanntschaft mit irgend einem von folgenden Dingen: mit der Natur der Tugend, mit dem Grade, in dem wir tugendhaft sind, mit der strengen Verpflichtung die uns verbindet, so vollkommen tugendhaft zu werden als | möglich, oder mit der Art, wie wir bis zu unserm Grade der Tugend gelangt sind. E r s t l i c h . Oft finden wir da, wo es an aller Tugend gänzlich fehlt, dennoch geistlichen Stolz, natürlich deswegen, weil man gar nicht weiß – und das ist immer durch Mangel an Aufmerksamkeit mehr ober weniger selbst verschuldet – worin denn die Tugend bestehe. Wenn man den Gehorsam des Menschen bloß auf das einschränkt, was er mit aller Bequemlichkeit verrichten kann, und alles, was irgend beschwerlich und mühsam ist, aus dem Kreise seiner Pflichten ausschließt, so bildet man sich leicht ein, daß man das seinige in der höchsten Vollkommenheit gethan habe, und diese Vorstellung von einer tadellosen Vortreflichkeit, erzeugt natürlich den Stolz. Dies ist der Fall, wenn man die ganze Pflicht des Menschen nur in das Festhalten gewisser religiöser Meinungen setzt, oder in eine gewissenhafte Beobachtung und überflüßige Wiederholung äußerer Gebräuche der Religion, oder in ein ununterbrochenes äußerlich ehrbares Betragen, in eine genaue Pünktlichkeit bey allem was zu den kleinlichen Wohlstandsgesetzen, und zu dem äußerlich Schicklichen im Leben gehört; und wenn man dabey die moralische Vortreflichkeit, den innern Werth, und alle die innern Kämpfe, welche erfordert werden, um ihn im Gemüth hervorzubringen und festzuhalten, ganz aus den Augen verliert.| Es ist klar, daß es demjenigen, dessen Begriffe von Pflicht so eingeschränkt sind, sehr leicht seyn muß, nach seinem Urtheil ein vollkommner Mann zu werden. Wenn er auf alle die kleinen Pünktchen,

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prise the circle of his duties, he will have nothing with which to reproach himself; he will have no imperfections over which to blush; he will have no confessions to make “before the face of Almighty God:” the consequence of this will naturally be, a high opinion of himself, and a haughty contempt of others, who are not, in these respects, so observant as himself. The pride of the Pharisees was notoriously owing to their mistaking the shadow, for the substance, of piety. They were proverbial for confining their attention to rites and ceremonies, and neglecting justice, mercy, and truth. This was the ground of that arrogant gratitude to God for a supposed superiority to a far superior character, and that impudence of private praise, which the well-known | parable of Christ, upon this subject, has, in so beautiful and pointed a manner, reproved. But when duty is placed in its true light; when it is considered as consisting in a right government of all our thoughts, and words, and actions; in the exercise of sincere and cheerful submission to the supreme will, in every situation of life; in the practice of strict justice in every social transaction; in a temperate gratification of every sensual appetite; and in a warm benevolence towards all the world, which is ready to part with whatever the real necessities of nature can spare to any that want it: when we chalk out for ourselves these ample lines of duty, we shall find it no easy thing to fill them up. This is setting ourselves a talk, which will make it necessary for us to wrestle with powerful op-position, from a variety of little passions, that are at war with large and liberal views. To do this, with such a nature as ours, in such a world as this, will require unremitting resolution and vigilance. He, who enters upon such a course of well-doing, will be frequently forced to confess himself a frail and imperfect creature: he will have often to enter into himself with shame, and to review | his conduct with self-reproach and dissatisfaction. He will frequently feel himself to fall so far short of what, he knows, he ought, and of what he aims, to be, as to “smite upon his breast,” and acknowledge himself a sinner.

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die nach seiner Einbildung den Kreis seiner Pflichten bestimmen, regelmäßig hält, so wird er sich selbst nichts vorzuwerfen haben, er hat über keine Unvollkommenheiten zu erröthen, keine Bekenntnisse abzulegen vor dem Angesicht des allmächtigen Gottes, und die Folge davon ist natürlich eine hohe Meinung von sich selbst, und eine stolze Verachtung Anderer, die in diesen Dingen nicht so genau sind, als er. Der Stolz der Pharisäer kam offenbar daher, daß sie den Schatten der Frömmigkeit für das Wesen derselben nahmen. Sie waren zum Sprüchwort darüber geworden, daß sie ihre Aufmerksamkeit nur auf Gebräuche und Ceremonien einschränkten, und Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit vernachläßigten. Dies war der Grund jener prahlerischen Dankbarkeit gegen Gott, wegen einer eingebildeten Erhabenheit über einen weit vortreflichern Charakter, und jenes unverschämten Selbstlobes, welches Christus in seiner bekannten Parabel über diesen Gegenstand so schön und treffend gerügt hat. Aber wenn die Sittlichkeit in ihr wahres Licht gestellt wird, wenn wir es wohl überlegen, daß sie in einer richtigen Regierung aller unserer Gedanken, Worte und Handlungen besteht, in den Erweisungen einer aufrichtigen und heitern Unterwerfung unter | den Willen des Höchsten bey allen Ereignissen des Lebens, in der Ausübung der strengsten Gerechtigkeit in allen geselligen Verhältnissen, in der Mäßigkeit bey der Befriedigung jeder sinnlichen Begierde, und in dem warmen Wohlwollen gegen die ganze Welt, welches immer bereit ist, alles, was zu den wesentlichen Bedürfnissen der Natur nicht nothwendig gehört, demjenigen aufzuopfern, dem es an diesen fehlt; wenn wir uns diese großen Umrisse der Pflicht vorzeichnen, so werden wir es nicht für etwas leichtes halten, sie auszufüllen. So geben wir uns selbst ein Geschäft auf, wobey wir genöthiget sind, uns immerfort eine Menge kleiner Leidenschaften abzuwehren, die sich großen und edeln Absichten entgegensetzen, und dies mit einer solchen Natur, als die unsrige ist, in einer solchen Welt, als diese hier, zu thun, wird unermüdete Entschlossenheit und Wachsamkeit erfordern. Wer sich in eine solche Laufbahn des Guten hineinbegiebt, wird oft genöthiget seyn zu bekennen, daß er ein schwaches und unvollkommnes Geschöpf ist, er wird oft beschämt in sich kehren, und auf sein Betragen mit Vorwürfen und Unzufriedenheit zurück sehen müssen. Er wird oft fühlen, daß er hinter dem, was er seyn sollte, und was er zu werden strebt, so weit zurück bleibt, daß er an seine Brust schlagen, und sich für einen Sünder erkennen muß. 4 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus dem Book of Common Prayer and administration of the sacraments according to the use of the Church of England, The order for evening prayer, London 1662. 14–15 Vgl. Lk 18,9–14 38 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Lk 18,13

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Secondly, Another cause of moral pride is ignorance of ourselves, or of the degree in which we are virtuous. When we know what we ought to be, it is not so easy to ascertain exactly what we actually are. Character is best expressed by action: but occasions are necessary to call the character into action; and occasions, adapted to draw it out into those strong and decisive actions, which make it impossible either for the spectator, or the possessor, of it, to entertain a doubt of what it is, do not always occur. There are some who stand in such circumstances, during the whole course of their lives, as secure them from all temptation to actions flagrantly criminal. In such a situation as this, a strict self-examination is necessary to arrive at self-knowledge. A decidedly good man, who is thus circumstanced, may know, and indeed must know, that he is, upon the whole, a good man; though he cannot so accurately | ascertain the extent and degree of his goodness. But, on the other hand, a bad man, whose actions are thus circumscribed, though equally able, by looking into his secret thoughts and feelings, to determine what he is, is generally led to presume, that as no deep stains appear upon the surface, all is pure and white within.

The characters of many of them who are strangers to piety and virtue, are manifested to themselves, and to the world. Opportunities present themselves, to exhibit what is within them. They are tempted to do wrong, and they do it. They are condemned by the world, and they condemn themselves. They know themselves to be vitious, and make no pretensions to the praise of virtue.

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But there are others who, though in reality little better, if at all, than these, neither appear so to others, nor to themselves. Their situations are such as shut up their true character in total shade, and prevent it from coming into the light. Though destitute, therefore, of the spirit which animates the friends of Virtue, they consider themselves as standing in that class. Their manners are decent; their reputation is fair; | their neighbours respect them; and they can find no fault in themselves. It is among persons of this description, that moral pride abounds. Free from all outward immorality, and never looking within them to 24 vitious] so Errata-Verzeichnis; OD: virtuous

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Zw e y t e n s . Eine andere Ursach des moralischen Stolzes ist Unbekanntschaft mit uns selbst und dem Grade, in welchem wir tugendhaft sind. Wenn | wir auch wissen, was wir seyn sollten, so ist es doch nicht so ganz leicht genau zu bestimmen, was wir wirklich sind. Die Beschaffenheit des Gemüths zeigt sich freylich am besten in den Handlungen, aber es werden Gelegenheiten erfordert um das Gemüth in Thätigkeit zu setzen, Gelegenheiten, die es zu so entscheidenden und auffallenden Handlungen hinführen, daß weder dem Zuschauer, noch dem Handelnden selbst, über seinen Charakter irgend ein Zweifel übrig bleiben kann, und solche sind nicht immer bey der Hand. Es giebt Menschen, die sich ihr ganzes Leben hindurch in solchen Umständen befinden, daß sie vor jeder Versuchung zu offenbar strafbaren Handlungen ganz sicher sind. In einer solchen Lage ist die schärfste Selbstprüfung nöthig, um zur Selbstkenntniß zu gelangen. Ein entschieden guter Mensch, der sich in dieser Lage befindet, kann freilich, ja er muß es in der That wissen, daß er im Ganzen genommen gut ist, ob er gleich den Umfang und den Grad seiner Güte nicht so genau bestimmen kann. Aber ein böser Mensch, der in seinen Handlungen so eingeschränkt ist, obgleich auch er, bey einiger Aufmerksamkeit auf seine geheimen Gedanken und Empfindungen, leicht bestimmen könnte, was er werth ist, wird doch im allgemeinen geneigt seyn zu schließen, daß da keine bösartigen Flecke auf der Oberfläche erscheinen, auch in ihm alles rein und weiß sey. Es giebt freylich unter denen, welchen Frömmigkeit und Tugend fremd sind, viele, deren Cha|rakter ihnen selbst und der Welt sehr wohl bekannt ist. Es haben sich Veranlassungen dargeboten zu zeigen, was in ihnen ist. Sie sind versucht worden Böses zu thun, und sie haben es gethan. Die Welt verdammt sie, und sie verdammen sich selbst. Sie wissen, daß sie lasterhaft sind, und sie machen auch keinen Anspruch weiter auf das Lob der Tugend. Aber es giebt auch Andere, die im Grunde wenig oder nichts besser sind, als jene, und doch weder sich selbst so beurtheilen, noch von Andern dafür gehalten werden. Ihre Umstände sind von der Art, daß sie ihren wahren Charakter ganz in den Schatten stellen, und verhindern, daß er nie ans Licht kommen kann. Sie glauben also zu den Freunden der Tugend zu gehören, ob es ihnen gleich gänzlich an dem Geiste fehlt, der diese beseelt. Ihre Sitten sind anständig, ihr Ruf ist gut, ihre Nachbarn achten sie, und sie selbst finden keinen Tadel an sich. Und unter Personen von dieser Art treffen wir eben den moralischen Stolz am häufigsten. Von aller äußern Unsittlichkeit frey, und 35 nie] Kj je

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attend to what passes there, they conceive themselves to be faultless. It is from such as these, that the notoriously wicked receive the loftiest looks, and the loudest reproaches. Attend to the censures, which every day so freely circulate through every part of society: Observe if the majority, and if the severest, of them do not fall from their lips, whose situations secure them from the faults they condemn. Who are they, that with most asperity censure the fraudulent and dishonest?—the rich and independent. Who are the persons, that are the most severe upon avarice, and the omissions of munificence?—the poor and destitute. By whom is the vanity and the pride of the great the most freely censured?—by those whom obscurity preserves from the infection of flattery. Take notice who are among the first to lift up their hands and their eyes to heaven, and to wonder that the pecuniary profusion of the age is not punished with | pestilence, or famine, or earthquake:—Observe if they be not the sordidly parsimonious, and the naturally dispassionate; who, in consequence of this complexion, are under no temptation to luxury and prodigality. We all of us think of the self-destroyer with horror! He has done a deed which shocks all the feelings of nature! which shakes us all to the very centre of our soul! It is foul! it is impious!—But who are they that fling at his memory the heaviest curse? that regard his grave with the most angry eye? with a detestation that would prevent, if it were possible, a flower from flourishing near it, or a sun from shining upon it? with an abhorrence which says, “Let there be no dew, neither let there be rain upon it?”—Mark if they be not the gay, the prosperous, and the happy: whose imagination no animal melancholy has ever oppressed; whose hearts no agonies have ever wrung; whose reason no disappointments have shaken. How eloquently they talk of the impiety and cowardice of deserting the post in which Providence places us! All that they say, is true: they cannot paint the crime they condemn, in darker colours | than it deserves: but he whom they thus upbraid, he also could have talked as they do: and once perhaps he did. To declaim, is an easy thing; to declaim eloquently, is an easy thing; but to act well, is quite another. And many an one, I doubt not, has censured another’s fatal despair; has approached the unconsecrated ground, where staked through he lay, with horror, and called the place accursed, as he passed it, who was not himself possessed of a single particle more of piety to God, or regard to society, to arrest the hand of self-destruction, had similar distresses tempted him to lift it up. Many have harangued upon the pusillanimity of sinking under distress, without possessing any more fortitude than those that have 7 fraudulent] fradulent

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nie in sich gekehrt, um zu bemerken, was da vorgeht, glauben sie, daß sie ohne Fehler sind. Von solchen bekommen die offenbar Lasterhaften die stolzesten Blicke, und die lautesten Vorwürfe. Hört nur auf den Tadel, der täglich so frey in jedem gesellschaftlichen Zirkel umhergeht, und bemerkt ob er nicht größtentheils, und immer am strengsten von denen ausge|sprochen wird, welche ihre Lage gegen die Fehler schützt, die sie verdammen. Wer sind die, welche am strengsten den Betrügerischen und Unredlichen tadeln? – Die Reichen und Unabhängigen. Welches sind die, die sich am härtesten gegen den Geiz und den Mangel an Freygebigkeit äußern? – Die Armen und Verlassenen. Von wem wird die Eitelkeit und der Stolz der Großen am freymüthigsten angegriffen? – Von denen, welche durch die Dunkelheit ihres Lebens vor jeder Ansteckung der Schmeicheley gesichert sind. Bemerkt einmal, welches immer die ersten sind, die ihre Hände zum Himmel aufheben, und sich verwundern, daß die Geldverschwendung unsres Zeitalters nicht mit Pest, oder Hungersnoth, oder Erdbeben bestraft wird – gebt Acht ob es nicht Leute von schmutzigem Geiz sind, die von Natur keine Leidenschaften haben, und diesem Temperament gemäß auch zum Aufwand und zur Verschwendung nicht aufgelegt sind. Wir alle denken an den Selbstmörder mit Abscheu! Er hat eine That gethan, die allen natürlichen Gefühlen zuwider ist! die uns alle bis in das innerste unserer Seele erschüttert! Es ist gräulich! es ist gottlos! – Aber wer sind die, welche den schwersten Fluch auf sein Andenken schleudern? die sein Grab mit dem zornigsten Auge ansehn? mit einem Widerwillen, der, wenn es möglich wäre, keine Blume in der Nähe würde blühen, und die Sonne nicht darauf scheinen lassen? mit einem Abscheu, welcher sagt, „laß dort keinen Thau fallen, und laß es nicht reg|nen darauf?“ – Gebt Acht, ob es nicht die Fröhlichen, die Wohllebenden, die Glücklichen sind, deren Phantasie nie unter einer körperlichen Schwermuth litt, deren Herz keine Todesangst je gequält, deren Vernunft kein Unfall je erschüttert hat. Wie beredt sprechen sie über die Ruchlosigkeit und Feigheit dessen, der den Posten verläßt, auf welchen die Vorsehung ihn stellte! Alles, was sie sagen, ist wahr, sie können das Verbrechen, welches sie verdammen, nicht mit schwärzeren Farben mahlen, als es verdient: aber der, den sie so verwerfen, hätte auch so sprechen können, wie sie, und vielleicht that er es einst. Sprechen ist etwas leichtes; schön sprechen ist auch noch etwas leichtes; aber recht handeln ist eine ganz andere Sache. Mancher, es ist wohl zu glauben, hat die traurige Verzweiflung eines Andern getadelt, 28 darauf?“] darauf? 27–28 Vgl. 2Sam 1,21

35 mahlen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 318–319

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fainted in the day of adversity. Any man may stand upon the shore, and deride the shrieks of the terrified wretches whom the tempest is tossing.

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It is one thing to condemn what is ill done, and another thing to do better. We can all of us be very virtuous in our closets; we can all of us be very heroic, in the safe and easy field of speculation; and rise into the heights of moral sublimity, as we recline | in the chair of moral criticism. We can all explain with the nicest propriety, how the situations, we do not fill, ought to be filled; how the burdens, we do not bear, ought to be borne. We can be very patient under the pressure of another’s sorrows: we can be very brave in the face of another’s dangers; we can be very generous in the disposal of another’s property. We can sit by the side of a broken hearted sufferer, and tell him, that it is unbecoming a christian to “sorrow as others that are without hope,” with a firm and intrepid tone: we can go to the opulent, and point out to them, very clearly, the many benevolent plans which it is in their power, and which it is therefore their duty, to prosecute: but actually to perform, what we can thus accurately explain, and sagely advise, requires more exertion than that of the breath.

I would not be understood to insinuate, that all of those, who are not tempted to do wrong, would do it if they were. I am the last to say so. No doubt there are many who, though their virtue has been but little tried, and though trials strengthen virtue more than any thing else, have yet vigour of | mind enough to acquit themselves honourably, in the day of temptation. Neither would I wish any truly honest and good man to mistrust his character, because Providence puts his virtue to no outward proof. He has a sufficient evidence of it within him, to preserve him from all painful diffidence, and religious melancholy. He who is conscious to himself of an inward ardor in the cause of truth and virtue; who has taken pains in the cultivation of his character; who has to look back upon a course of serious and

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hat sich dem ungeweihten Grund, wo er lag, mit Abscheu genähert, und dem Platz geflucht indem er vorüber ging, da er doch selbst nicht im geringsten mehr Frömmigkeit gegen Gott oder mehr Achtung gegen die Gesellschaft empfand, um die selbstmörderische Hand zurück zu halten, wenn ähnliches Unglück ihn verleitet hätte sie aufzuheben. Viele haben ein vieles gesprochen über die Kleinmüthigkeit, unter dem Unglück zu versinken, da sie doch nicht mehr Seelenstärke besaßen, als jene, die am Tage des Leidens verzagten. Es kann leicht einer an der Küste stehn, und dort das Angstgeschrey der erschrockenen Unglücklichen, welche der Sturm umher schleudert, verspotten.| Eine andere Sache ist verdammen, was Unrecht war, und eine andere Sache ist besser machen. Wir können alle sehr tugendhaft seyn auf unserm Zimmer, sehr heldenmüthig, wenn wir auf dem sichern und bequemen Felde des Nachdenkens umherspatzieren, wir können uns zur erhabensten moralischen Höhe emporschwingen, wenn wir uns auf den Sittenrichterstuhl setzen. Wir können alle mit der größten Genauigkeit bestimmen, wie die Verhältnisse, in denen wir nicht sind, ausgefüllt werden müssen, wie die Lasten getragen werden müssen, die wir nicht tragen. Wir können sehr geduldig seyn bey dem Druck des Leidens, welches auf einem Andern liegt, sehr brav, wenn wir der Gefahr eines Andern ins Angesicht sehn, und sehr großmüthig, wenn wir in Gedanken über das Eigenthum eines Anden schalten. Wir können bey einem niedergebeugten Leidenden sitzen, und ihm mit festem, unerschrocknen Ton sagen, daß es einem Christen nicht zieme, „traurig zu seyn, gleich den Andern die keine Hoffnung haben;“2 wir können zu den Reichen gehn, und ihnen sehr deutlich die mancherley wohlwollenden Entwürfe auseinander setzen, deren Ausführung in ihrer Macht steht, und also auch ihre Schuldigkeit ist: aber das wirklich zu leisten, was wir so genau darthun, und so weislich anrathen können, dazu gehört etwas mehr Tätigkeit, als nur den Mund zu bewegen.| Ich möchte nicht so verstanden seyn, als meinte ich, daß alle, die jetzt nicht versucht werden Böses zu thun, es thun würden, wenn die Versuchung käme. Ich bin der letzte dies zu behaupten. Ohne Zweifel giebt es viele, welche, ob ihre Tugend gleich nur wenig geprüft wird, und obgleich Prüfung mehr als irgend etwas anderes die Tugend stärkt, dennoch Geisteskraft genug haben würden, sich an dem Tage der Versuchung ehrenvoll zu betragen. Auch wünsche ich nicht, daß irgend ein wahrhaft tugendhafter und guter Mann seinem Charakter 2

1 Thessal. 4, 13.

5 zu halten] zuhalten

24–25 „traurig] traurig

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close meditation upon religious and moral subjects; and who, in consequence of this cultivation, feels within him a lively love to God and man; who does all the good he can, and is desirous of doing more; such a man may certainly look up with confidence towards God: such a man has a right to say, “I am incapable, in any situation, of a deliberately base and dishonourable action.” The amount of what I have said, under this head, is merely this: that there are many persons of very decent manners, and of unspotted reputation, in the world, who are less chargeable with the crimes which others have committed, only because they have not had equal | temptation to the commission of them: and that the self-ignorance, arising out of this situation, is a frequent and a fruitful source of moral pride.

A Third cause of moral pride is, a loose and careless attention to, and a, therefore, obscure and contracted perception of, the strictness of the obligation, by which we are bound to do all that conscience dictates to be done. In conceiving of moral obligation, many persons are apt to draw, in their own mind, a line, at which, they imagine, strict and bounden duty stops; beyond which all is discretionary ground; a field of honour, where glory is to be acquired, where laurels may be won, but to which man is not called by Heaven, with a commanding voice. Justice, they consider, as a strict duty; the discharge of which is pointedly prescribed, and indispensably required: but the path of charity, they consider, as a freer walk; where man is left at large to his own direction. This they regard as a virtue, of which, as the acts are less defined in the written law of God, the obligations are less binding; of which the offices, those more especially of an eminent, and signal nature, | are to be considered as beautiful redundances, and generous exuberances of goodness; honourable, ornamental, and noble, but not strictly obligatory; as a pitch of supererogatory excellence, to which man may aspire, or not, as he pleases; to which they who attain are entitled to high admiration, but to which none are absolutely commanded to climb. As an artist may content himself with that particular degree of skilfulness in his art, or a scholar with that particular degree of proficiency in literature, which is sufficient to satisfy his particular thirst of same; so, such persons conceive, that

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deswegen mißtraue, weil die Vorsehung seine Tugend noch keiner äußern Prüfung unterworfen hat. Seine innere Ueberzeugung davon muß hinreichen, ihn vor jedem peinlichen Mißtrauen, vor jeder religiösen Schwermuth zu sichern. Wer sich eines innern Eifers für die Sache der Wahrheit und Tugend bewußt ist; wer sich Mühe gegeben hat seinen Charakter auszubilden; wer sich eines fortgesetzten ernsten Nachdenkens über Gegenstände der Religion und Sittlichkeit erinnern kann, und wer als eine Folge dieser Ausbildung und dieses Nachdenkens eine lebhafte Liebe zu Gott und den Menschen bey sich fühlt; wer alles Gute thut was er kann, und immer noch mehr zu thun wünscht: der kann gewiß mit Vertrauen zu Gott aufsehn, der hat ein Recht zu sagen: „ich bin in jeder Lage des Lebens einer überlegten schlechten und entehrenden Handlung unfähig.“ Was aus dem, was ich hierüber gesagt habe, folgen soll, ist also nur dieses, daß es viele Personen von sehr | anständigen Sitten und unbeflecktem Ruf in der Welt giebt, denen man nur deswegen für die Verbrechen, welche Andere begangen haben, nicht auch Schuld geben kann, weil sie nicht eben so viel Versuchung gehabt haben, sie zu begehen, und daß die Unbekanntschaft mit sich selbst, die aus einer solchen Lage entspringt, eine gemeine und sehr ergiebige Quelle des moralischen Stolzes ist. E i n e d r i t te Ursach desselben ist die: daß wir auf die strenge Verpflichtung, die uns zu allem verbindet, was das Gewissen zu thun befiehlt, nur leichtsinnig und sorglos acht haben, und sie also auch nur dunkel und unvollkommen einsehen. Viele Menschen pflegen, wenn sie sich ihre moralischen Verbindlichkeiten darstellen, in Gedanken eine Linie zu ziehen, an welcher, wie sie sich einbilden, die strengen und bindenden Pflichten aufhören, und jenseits welcher alles ihrem Gutdünken anheimgestellt seyn soll, als ob es ein Feld der Ehre wäre, wo Ruhm erworben und Lorbeern gewonnen werden können, aber auf welches der Himmel den Menschen nicht mit gebietender Stimme hinruft. Die Gerechtigkeit sehen sie als eine strenge Pflicht an, deren Erfüllung genau vorgeschrieben ist, und unnachläßlich gefordert wird: aber den Pfad der Liebe halten sie für einen freyeren Weg, wo der Mensch seiner eignen Leitung überlassen ist. Sie sehen sie als eine Tugend an, zu der sie nicht so streng verbunden sind – wie denn auch die Aeußerungen derselben in dem geschriebenen Gesetz Gottes nicht so genau bestimmt sind – als eine | Tugend, deren Erweisungen, besonders die höheren und ausgezeichnetern, man als einen schönen üppigen Schuß, als einen edeln Auswuchs der Güte ansehen muß, als etwas ehrenvolles, preiswürdiges, edles, aber nicht streng verbindliches; sie sehen sie an als einen Ueberschuß von Vortreflichkeit über 16 für die] die

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in morals, what is more than justice, or than common humanity, is mere matter of moral ambition. It is glorious, they say, to lay down life at the call of public necessity: it is heroic to leave the lap of ease and of pleasure, to engage in the toils and hardships by which society may be served: these are splendid acts; but men are not absolutely bound in duty to go these lengths in goodness.

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This conception of morality is not derived either from Scripture, or from Reason. They concur to teach us, that all which man is able to do, in the service of his fel|low-creatures, he is bound to do: that all we are, and all we have, without any reserve, is the property of God; of which man is merely the trustee, and not the owner: that all our possessions, both intrinsic, and extrinsic, are to be considered as put into our hand, to be rendered as productive as possible of good to the creation of which we are a part. Hence it follows, that he, who keeps back any part of the benefit, whatever it may be, which it is in his power to communicate, who disposes of any part of that, which is not his own, contrary to the will of Him who committed it to him, is to be called not merely unmerciful, and unfeeling; but unfaithful, and unjust: that, in refusing to exercise any part of that charity which it is in our power to practise, we are to be considered not merely as declining an honor, but as contracting delinquency; not merely as exhibiting imperfect munificence, but as being guilty of detention, and dishonesty; of unfaithfulness to God, and unrighteousness to man.

This is the language of Reason, and of Scripture. All things belong to God, and to society. Man, the individual, has a property | in nothing, the communication of which is necessary to increase the sum of general happiness. When the necessity of society requires it, his time is not his own; his wealth is not his own; his liberty is not his own;

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das, was man fordern kann, nach welchem der Mensch streben darf, oder nicht, wie es ihm beliebt, welcher denjenigen, die ihn erreichen, einen Anspruch auf allgemeine Bewunderung erwirbt, aber wonach sich zu bemühen Niemandem schlechthin geboten werden kann. So wie sich mancher Künstler bey einem gewissen Grade von Geschicklichkeit in seiner Kunst, mancher Gelehrter mit beschränkten Fortschritten in der Literatur begnügt, die seinen mäßigen Durst nach Ruhm schon befriedigen, so glauben diese Personen, daß auch in der Sittlichkeit alles, was über die Gerechtigkeit, und über die gemeinste Menschenliebe hinausgeht, nur eine Sache des sittlichen Ehrgeizes sey. Es ist rühmlich, sagen sie, das Leben nicht zu achten, wenn eine allgemeine Gefahr unsere Hülfe fordert, es ist heldenmüthig den Schooß des Wohllebens und des Vergnügens zu verlassen, um sich allen Arbeiten und Beschwerlichkeiten zu unterziehn, wodurch man der Gesellschaft nützlich seyn kann, dies sind glänzende Handlungen; aber der Mensch ist in seinem Gewissen nicht schlechterdings verbunden, es mit der Güte so weit zu treiben. Solche Begriffe von Sittlichkeit sind weder aus der Schrift, noch aus der Vernunft abgeleitet. | Beyde stimmen darin überein, uns zu lehren, daß der Mensch zu allem, was er im Dienst seiner Mitgeschöpfe thun kann, auch wirklich verbunden ist: daß alles was wir sind, und alles was wir haben, ohne einige Ausnahme ein Eigenthum Gottes ist, wovon die Menschen nur Verwalter, nicht Eigenthümer sind: daß alle unsere Besitzungen, die innern und äußern, dafür angesehen werden müssen, daß sie in unsere Hand gegeben sind, um daraus für die Schöpfung, von der auch wir ein Theil sind, so viel Gutes hervorzubringen, als nur möglich ist. Daraus folgt denn, daß derjenige, welcher einen Theil der Wohlthaten, die er ausspenden könnte, zurück hält, welcher über einen Theil desjenigen, was doch nicht sein eigen ist, auf eine Art schaltet, die dem Willen des Gebers ganz zuwider läuft, nicht nur lieblos und fühllos, sondern auch treulos und ungerecht ist; daß wenn wir uns weigern einen Theil der Liebespflichten auszuüben, die wir Andern erzeigen könnten, wir nicht etwa nur eine Ehre ablehnen, sondern wirklich eine Missethat begehen; nicht etwa nur eine unvollkommnere Freygebigkeit beweisen, sondern uns der Zurückhaltung fremden Eigenthums, und der Unredlichkeit schuldig machen, also der Untreue gegen Gott, und der Unbilligkeit gegen die Menschen. Dies ist die Sprache der Vernunft und der Schrift. Alles gehört eigentlich Gott und der Gesellschaft. Der Mensch kann an nichts ein Eigenthumsrecht haben, was nothwendig ist um die Sum|me der all4 Niemandem] Niemanden

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his life is not his own. The good of the whole demands, with an imperious voice, from every component part of it, every sacrifice of which it has need.

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What we call generosity, we are apt to consider as a quality, in morals, similar to what we mean by grace, in language, or in arts; an excellence beyond the strict requisition of rules; a striking, but an unnecessary ornament; by which the piece is improved, but without which it would have had no fault. This is not the view of virtue to which reflection leads. Properly speaking, the absence of any of those beneficences, which we are capable of performing, is not merely the absence of so many beauties and graces in the character, but is to be considered as so much breach of duty; so much fracture in the frame of the character; so much deformity in the figure of the mind; so much blot and stain upon the purity of honor. The want of such acts as these, in the life of man, is not | to be compared to the want of that exquisite finishing, which a piece of art receives from the last touches of the master’s hand, by which it is made more perfect, but without which it would discover no defect; but is to be considered as positive, and pointed blemish. In the eye of strict and sober Reason, what we call exalted goodness, eminent generosity, is but the perfection of decency, and the summit of decorum.

We have made a distinction between crimes of omission and crimes of commission. In the eye of imagination, the former appear to be of a more airy, and less real nature, than the latter. Crimes of omission, however, are as substantially crimes in the sight of Reason and of God, as those of commission. In the eye of Reason and of God, he that refuses to a fellow-creature what he wants, and what he has to communicate, is a robber. In those eyes, the misery which a man might remove, and neglects to remove, he inflicts: in the oppression which he could redress, and refuses to redress, he is an accomplice.

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This consideration of the strictly obligatory nature of virtue, in its utmost practicable extent, is a necessary, and it is an effectual | preservative of our moral humility; and will, if perpetually present to

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gemeinen Glückseligkeit zu vermehren. Wenn die Bedürfnisse der Gesellschaft ihn in Anspruch nehmen, so ist seine Zeit nicht sein eigen, sein Reichthum nicht sein eigen, seine Freyheit nicht sein eigen, sein Leben nicht sein eigen. Das Beste des Ganzen fordert mit gebieterischer Stimme von jedem Theil, der ihm angehört, jedes Opfer, dessen es bedarf. Was wir Großmuth nennen, sehn wir gewöhnlich als eine Eigenschaft an, die in der Moral ungefähr dasselbe ist, was man in der Sprache oder in den Künsten Anmuth nennt; als eine Vortreflichkeit, welche über die strengen Forderungen der Regeln hinausgeht, als eine herrliche aber nicht nothwendige Zierde, durch welche das Stück freylich gewinnt, ohne welche es aber doch auch keinen Fehler gehabt hätte. Dies ist nicht die Ansicht der Tugend, zu welcher uns ein richtiges Nachdenken leitet. Eigentlich zu reden ist die Unterlassung so mancher Aeußerungen des Wohlwollens, die wir zu Tage legen konnten, nicht nur die Abwesenheit eben so vieler Schönheiten und Reize in unserm Lebenslauf, sondern es sind eben so viel Uebertretungen unserer Pflicht, eben so viel Risse in dem Gebäude unsers Charakters, eben so viel Verunstaltungen in der Bildung unsers Gemüths, eben so viel Flecke und Makel an der Reinigkeit unserer Ehre. Der Mangel solcher Handlungen in dem Leben eines Menschen läßt sich nicht vergleichen mit dem Mangel der ausgesuchten Vollendung, die ein Kunstwerk | durch die letzten Züge der Meisterhand erlangt, wodurch es freylich vollkommen wird, ohne welche aber auch kein Tadel daran gewesen wäre, sondern man muß ihn als einen wahren und sehr in die Augen fallenden Fehler ansehn. Was wir erhabene Güte und ausgezeichnete Großmuth nennen, ist in den Augen der strengen und nüchternen Vernunft nichts, als das Rechtliche und Schickliche in seiner gehörigen Vollkommenheit. Wir haben einen Unterschied festgesetzt zwischen Unterlassungsund Begehungssünden. In den Augen der Einbildungskraft scheinen die ersteren von leichterer Natur, und nicht so wesentlich zu seyn, als die letzteren. Und doch sind Unterlassungssünden, nach der Art wie Gott und die Vernunft urtheilen, eben so wesentliche Fehler, als wirkliche Vergehungen. In den Augen Gottes und der Vernunft ist der ein Räuber, der sich weigert seinem Bruder zu geben, was dieser bedarf, und was er ihm mittheilen könnte. In ihren Augen fügt der Mensch Andern das Uebel zu, wovon er sie befreyen könnte, und sie zu befreyen versäumt; er ist ein Mitschuldiger der Unterdrückung, der er ein Ende machen könnte, und ihr kein Ende macht. Diese Erkenntnis unserer strengen Verpflichtung zur Tugend in ihrer größtmöglichen Ausdehnung, so weit sie nur ausführbar ist, ist ein nothwendiges und sehr wirksames Mittel unsre moralische De-

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our minds, prevent whatever virtuous actions we perform from raising in us the faintest emotion of pride. When we have done all we can to increase the sum of happiness in the creation of God, “we have done no more than it was our duty to do:” we are only not dishonest. Conceiving of beneficence, as being the communication of what we might have held back, without incurring criminality; of that which we had a right to dispose of according to our caprice; forgetting that whatever we give to the creatures of God, “it is of his own that we give him;” imposed upon by the sound of property and possession, words which civil society has coined, in order to prevent violence, and preserve good order, in the walks of industry and traffic; imagining, that that worldly substance, and that personal talent, which are mine, in the eye of Law, and mine, in the language of man, are mine, in the most strict and comprehensive sense of the word; that we are the proprietors of the produce of our industry, or of the powers of our nature, in that sense, in which alone Almighty God is the owner of all things; we | are naturally led to applaud the disposal of what we possess, according to the will of Him to whom alone it belongs, as an act of splendid virtue, and a wonderful exploit of goodness!

Surrounded, at the same time, by so many who neglect the trust in which they are placed by the providence of God; who embezzle the bounty of Heaven; who stop, and keep in their hand, what was committed to it, not to rest in it, but to pass through it; we call the just steward a prodigy of goodness! and look upon the honest man, who refuses to rob his fellow-creatures, by retaining that, to which their wants contain their title, with amazement and admiration, as a miracle of generosity! Accustomed to contemplate such multitudes, in all ages of the world, disobeying the law of God; introducing disorder, and spreading mischief among his works; we regard the few we see, that decently discharge their duties; that do, what the sun and the moon, and every thing in nature does, but man; that move in the orbit marked out by the finger of Rectitude for them; that merely avoid the mad eccentricity and lawless motions of vice; as something unspeakably il|lustrious, and celestially sublime! In the midst of so many who act so very far beneath their obligations, who fall so very short of their duties, to those who rise above beings who are sunk so low, we

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muth zu bewahren, und wird, wenn sie unserm Gemüth immer gegenwärtig ist, was für tugendhafte | Handlungen wir auch vollbringen mögen, doch nicht die schwächste Regung des Stolzes in uns aufkommen lassen. Wenn wir alles gethan haben, was wir können, um die Summe der Glückseligkeit in der Schöpfung Gottes zu vermehren, so „haben wir nichts gethan als was wir zu thun schuldig sind,“3 wir sind nur nicht gewissenlos. Wenn wir uns die Wohlthätigkeit als die Mittheilung desjenigen vorstellen, was wir auch hätten zurückhalten können, ohne etwas strafbares zu begehen, desjenigen, worüber wir ein Recht hatten, nach unserer Willkühr zu schalten; wenn wir vergessen, daß, was wir auch den Geschöpfen Gottes geben mögen, wir immer ihm selbst von seinem Eigenthum geben; wenn wir uns täuschen lassen durch die Worte Eigenthum und Besitz, welche die bürgerliche Gesellschaft nur geprägt hat, um Gewaltthätigkeit zu verhindern, und in allem, was zu den Geschäften und dem Verkehr der Menschen gehört, gute Ordnung zu erhalten; wenn wir uns einbilden, daß die irdischen Güter, und die persönlichen Talente, die mein sind in den Augen des Gesetzes, mein in der Sprache der Menschen, auch mein sind in einem genauern mehr besagenden Sinne des Wortes, daß wir von dem was unser Fleiß oder die Kräfte unserer Natur hervorgebracht haben in dem Sinn die Eigenthümer sind, in welchem der allmächtige Gott der Besitzer aller Dinge ist; wenn wir dies glauben, so folgt natürlich, daß so oft wir das, was wir besitzen, | nach dem Willen desjenigen anwenden, dem es allein gehört, wir Ursach haben, uns selbst Beyfall darüber zu geben, als über eine glänzende Tugendhandlung, als über einen bewunderungswürdigen Beweis von Güte. Da wir nun auf der andern Seite zugleich von so Vielen umgeben sind, welche das Amt, das ihnen die göttliche Vorsicht anvertraut hat, ganz vernachläßigen, welche die Güte des Himmels Andern vorenthalten, welche das in ihren eignen Händen fest halten, was nicht darin bleiben, sondern nur von ihnen weiter gegeben werden sollte: so sind wir um desto geneigter, den gerechten Haushalter ein Wunder von Güte zu nennen, und auf den ehrlichen Mann, der seine Mitgeschöpfe nicht dadurch beraubt, daß er das, worauf ihre Bedürfnisse ihnen ein Recht geben, zurückhält, mit Erstaunen und Bewunderung hinzusehn, als ob dies eine seltsame Großmuth wäre! Gewohnt in allen Zeitaltern der Welt so Viele zu sehen, die dem Gesetz Gottes gar nicht gehorchen, unter seinen Werken Unordnung verursachen und Schaden anrichten, müssen wir die Wenigen, die ihre Pflichten gebührend erfül3

Luk. 17, 10.

11–12 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Chr 29,14

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lift up our eyes as to lofty spirits, as to soaring minds: we call them exalted characters, and lavish eulogiums upon the elevation, that is but escape from the dust!

If we wish to preserve ourselves pure from the infection of pride, let us continually keep it in mind, that all we have done, or ever can do, to serve our fellow-creatures, is no more than what we ought to do: and that the most eminent beneficence of man is entirely indebted for its dazzling appearance in the eye of the spectator, or of the performer, not to its really overwhelming splendour, but to its extreme scarcity, and the contrast of surrounding shade.

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Fourthly, Spiritual Pride is owing to ignorance of that divine assistance and influence, to which the virtuous are indebted for their virtue. Without, at this time, endeavouring to vindicate the divine government, in those inequalities in the moral situations of mankind, which Providence dispenses to | them, it is sufficient to my present purpose, to state, what no one can deny, that these inequalities do actually exist: and without entering into any subtle disquisitions concerning the freedom of the human will, and the nature of human subjection to the influence of circumstances, unfavourable to human virtue, which have actually occasioned its decay, I content myself with pointing to the fact which appears upon the face of human life: that the same general circumstances do commonly give birth to the same general characters; so as certainly to furnish some foundation, whether sufficient to afford it a perfect support or not, for the inference which many have drawn from this appearance, that both the smaller shades of difference, in individual characters of the same general colour, and the exceptions to this general resemblance of characters that appear to have passed under similar impressions, are owing to unseen varieties in situations that, to a superficial eye, seem to be the same; some of which may have a less, and some a larger share in 19 unfavourable] unfavourble

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len, die dasselbe thun, was Sonne, Mond und alle Wesen in der Natur, den Menschen ausgenommen, thun, sich nemlich in dem Kreise bewegen, welchen die Hand der Gerechtigkeit ihnen vorgezeichnet hat, die nur die thörichten Verirrungen des Lasters, und seine gesetzlosen Bewegungen vermeiden, als etwas unaussprechlich herrliches und himmlisch erhabenes be|trachten! Mitten unter so Vielen, die mit ihren Handlungen weit unter ihrer Verbindlichkeit bleiben, und immer mit ihren Pflichten im Rückstande sind, heben wir unsere Augen zu denen, welche sich über so tief gesunkene Wesen erheben, als zu höheren Geistern, zu hochgesinnten Gemüthern empor: wir nennen sie große Seelen und verschwenden Lobpreisungen an eine Hoheit, die doch in nichts mehr besteht, als daß man sich aus dem Staube gerafft hat. Wollen wir uns von dieser Ansteckung des Stolzes rein halten, so laßt uns das unserm Gemüth recht einprägen, daß alles, was wir je gethan haben, und je thun können um unsern Nebenmenschen zu dienen, nichts ist, als was wir zu thun schuldig sind, und daß die ausgezeichnetste Wohlthätigkeit eines Menschen den blendenden Schein, in welchem sie vor dem Auge des Zuschauers oder des Handelnden selbst da steht, nicht ihrem eignen überwältigenden Glanz, sondern nur ihrer großen Seltenheit, und dem abstechenden Schatten verdankt, der sie überall umgiebt. Vi e r t e n s . Der geistliche Stolz kommt auch daher, daß wir von dem göttlichen Beystand und Einfluß nichts wissen, welchem die Tugendhaften ihre Tugend verdanken. Ohne für diesmal die göttliche Regierung wegen der ungleichen moralischen Verhältnisse zu rechtfertigen, in welche die Vorsehung die Menschen setzt, ist es zu meiner jetzigen | Absicht hinreichend, darauf hinzuweisen, was Niemand läugnen wird, daß diese Ungleichheiten wirklich da sind: und ohne mich in schwierige Streitfragen über die Freyheit des menschlichen Willens einzulassen, und über die Art wie sich der Mensch den seiner Tugend ungünstigen Umständen, welche die Veranlassung zu seinen Fehlern gewesen sind, unterwerfen mußte, ist es mir genug den Thatsatz festzustellen, den das menschliche Leben uns überall vorhält, daß nemlich dieselben Umstände im Allgemeinen auch denselben Charakter hervorbringen. Dieses ist so gewiß, daß es wenn auch nicht feste Ueberzeugung, doch Grund genug zu der Folgerung giebt, welche Viele daraus gezogen haben, daß nemlich sowohl die geringeren Unterschiede und Schattirungen in Charakteren, die im ganzen von derselben Farbe sind, als auch die Ausnahmen von dieser allgemeinen Aehnlichkeit zwischen Gemüthern, welche dieselben Eindrücke erhalten haben, nur aus unbemerkten Verschiedenheiten herrühren, die auch in solchen Lagen, welche ein oberflächlicher Blick für einerley hält, immer noch statt finden, und deren einige mehr andere weniger

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moulding the mind: and so as to make it decent and becoming in the man, who, amidst the moral shipwrecks by which | he is surrounded, finds himself in possession of innocence and virtue, rather to look up with humble gratitude to God, for his preservation from vice, and to look round with compassion upon them, from, whom he is thus distinguished, than to regard this most pitiable class of his inferiors, with the pride of conscious superiority.

Whatever speculative opinions you may have adopted, concerning the nature of divine influences upon the human character, you cannot but agree with me, upon the smallest reflection, that this is a feeling which best becomes such a creature as man; conscious of much imperfection; ignorant, how, in other situations, he might have acted; possessed but of little virtue; and (at least, in a great degree, as all must admit, who pay the most careless attention to the connection there is between the characters, and the education and histories of men) indebted to Heaven for the little that he has. I am confident, that this is a feeling most congenial with every generous mind; that the more virtuous any one becomes, the more he will be disposed to cherish it; the more he reflects upon the influence of circumstance and situation upon the | human mind, the more clearly he will perceive the propriety and justice of it; and the more he reads the Christian Scriptures, the firmer will be his conviction, that this is the spirit of Christianity. “By the grace of God I am what I am,” was the language of a primitive and eminent preacher of it. “By the Grace of God I am what I am,” let the best of us unite in acknowledging.

25 acknowledging.] folgt nach fünf Leerzeilen mittig END OF THE FIRST VOLUME.

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an der Bildung des Gemüths Antheil haben. Wenigstens sollte uns diese allgemeine Erfahrung davon überzeugen, um wie viel es dem Menschen, der mitten unter den Trümmern der Rechtschaffenheit, von denen er umgeben ist, sich selbst noch im Besitz der Unschuld und Tugend sieht, besser ansteht, mit demüthiger Dankbarkeit für seine Bewahrung vor dem Laster zu Gott hinaufzublicken, | und mit Mitleid auf diejenigen zu sehn, von denen er so sehr unterschieden ist, als diese höchst bedauernswürdigen herabgesunkenen Menschen mit dem ganzen Stolz eines, der sich seiner Vorzüge bewußt ist, zu betrachten. Was für Meinungen ihr auch über die Beschaffenheit des göttlichen Einflusses auf das menschliche Gemüth angenommen haben mögt, so müßt ihr doch bey einiger Ueberlegung darin mit mir übereinkommen, daß dies die Empfindungsart ist, die sich für ein solches Geschöpf, als der Mensch ist, am besten schickt, für ein Geschöpf welches sich so vieler Unvollkommenheiten bewußt ist, welches gar nicht weiß, wie es unter andern Umständen gehandelt haben würde, welches ohnedies nur so wenig Tugend besitzt, und dies wenige – größtentheils wenigstens, wie alle eingestehen müssen, die auf den Zusammenhang zwischen der Gemüthsbeschaffenheit und der Erziehung und dem Schicksal der Menschen nur die geringste Aufmerksamkeit wenden wollen – dies wenige noch dem Himmel zu verdanken hat. Ich bin überzeugt, daß diese Empfindung jedem wohlgesinnten Gemüth natürlich ist, daß Jeder ihr um desto lieber Raum geben wird, je tugendhafter er schon geworden ist; daß Jeder die Richtigkeit und Schicklichkeit derselben desto deutlicher einsehen wird, je mehr er über den Einfluß äußerer Umstände und Verhältnisse auf das menschliche Gemüth nachdenkt, und daß ein Jeder, je mehr er die heili|gen Schriften liest, um desto fester überzeugt seyn wird, daß dies der Geist des Christenthums sey. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“4 Das bezeugte einer der ersten und vornehmsten Lehrer desselben. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, das möge auch der beste unter uns gern mit allen übrigen anerkennen. 4

1 Kor. 15, 10.

32 1Kor 15,10 (nach der englischen Textfassung)

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On the Notifications afforded us by the God of Nature of the Progress of Time. Delivered on New Year’s Day.

SERMON

XXVI.

An d G o d s ai d , L e t t h e r e b e l i ght s in t he f irma ment of h e a v e n , t o d i vi d e t h e d ay f r o m the nig ht: a nd let t hem b e f o r s i gn s , an d f o r s e as o n s , a nd f or da y s, a nd y ea rs. Gen. i. 14.

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This chapter, in a figurative and poetical manner, acquaints us with the Cause of that wonderful and magnificent frame of things, in the midst of which we find ourselves. It informs us, that the parts of it were not produced, and put together, in this harmonious and beautiful form in which we behold them, by blind accident. It relates, in lofty and | sublime language, the birth of Nature; bids us behold the breaking of the first morning; and sets before us light and air, earth and water, plants and animals, leaping into being, and forming into order, at the command of Almighty God! The passage, you have just heard, records the production of those two luminaries, which are the alternate regents of the day and the night: one of which is, during the wakeful and busy hours of man, at once to direct his steps, and entertain his eyes; and, when his exhausted nature requires to be repaired by sleep, to remove his beams, and to draw the curtain of darkness around him; by its various situations in relation to the earth, at one time to rouse vegetation, and at another to allow it rest; and to increase our sum of animal pleasure, by producing a variety of impressions upon our senses. The other of these luminaries, we are informed, was made to rule the night; when the star of day is set, to take its turn to reign in the firmament of heaven; and to shed that softer light, which, while it is not glaring enough to disturb the slumber of the creation, is sufficient to supply to the nocturnal traveller the place of the | absent sun. While both

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Zwölfte Predigt.

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Ueber die Erinnerungen an den Fortschritt der Zeit, welche Gott in die Natur gelegt hat. (Am Neujahrstage.)

1 Mos. 1, 14.

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U n d G o t t s p r ac h : e s w e r d e n L i c h t e r a n der F este des Himm e l s , d i e d a s c h e i n e n Tag u n d Na cht , und g eben Zeic h e n , Ze i t e n , Tage u n d J ah r e .

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Dieses Kapitel macht uns in einer bildlichen und dichterischen Schreibart mit dem Ursprung des wunderbaren und prächtigen Weltgebäudes bekannt. Es belehrt uns, daß die Theile desselben nicht durch blinden Zufall hervorgebracht und zu dem schönen und harmonischen Ganzen, worin wir sie sehen, geordnet worden sind. Es erzählt uns in einer hohen erhabenen Sprache die Geburt der Natur, ladet uns ein das Anbrechen des ersten Morgens zu betrachten; es zeigt uns wie Licht und Luft, Erde und Wasser, Thiere und Pflanzen auf den Befehl des allmächtigen Gottes sich zum Daseyn hinzudrängen und sich in die festgesetzte Ordnung fügen.| Die Stelle, die ihr eben angehört hat, erinnert uns an das Entstehen der zwey großen Lichter, die abwechselnd den Tag und die Nacht regieren. Das eine ist gemacht um während der wachsamen und geschäftigen Stunden der Menschen ihre Schritte zu regieren und zugleich ihre Augen zu ergötzen, und dagegen wenn ihre erschöpfte Natur der Erquickung des Schlafs bedarf, seine Strahlen zurückzuziehn, und den Vorhang der Finsterniß über sie zu verbreiten; – gemacht um durch seine verschiedenen Stellungen gegen die Erde, jetzt die Pflanzenwelt zu beleben, und dann sie wieder zur Ruhe zu bringen, immer aber die Summe unserer sinnlichen Vergnügen zu vermehren, indem es eine unendliche Menge mannichfaltiger Eindrücke auf unsre Organe hervorbringt. Das andere dieser Lichter ist, wie uns gesagt wird, ge5 1 Mos.] Mos.

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these luminous bodies were intended, by the regularity of the changes they occasion in the system around us, to divide the time of man into portions, of a greater or a smaller length.

It is not to be doubted but that the Almighty, if He had pleased, might have preserved our existence upon earth, without that vicissitude of appearance, and variety of operation, that perpetual exhibition of motion and process in the provision of nature for our subsistence, and that complication of contrivance, which we have to observe in the constitution of things with which we are connected. The Wisdom and goodness of the Creator, in that succession of seasons, that diversity of face and of influence, which he has thought proper to introduce into the system that surrounds us, will prove, I hope, no unprofitable employment of our thoughts, during the few minutes that are now afforded us for moral contemplation.

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That moving and variable constitution of things, under which we live, is peculiarly calculated to extort from us, not only a full assent, but also a continual attention, to the | existence of an Almighty Author. The face of nature is the book of man; the standing Bible of all nations and ages; containing the grand majestic text of religious truth, in the sublime hand writing of Heaven; written in letters into which time cannot eat; in a language intelligible to all people; and preserved, from age to age, from all corrupt interpolations.

If man had been placed in a theatre, of a more uniform appearance than that in which he is now stationed, the being of a God would have been still demonstrable by him. By the exercise of his reason, in such a system, however stagnant and stationary it might have been, it would have been in the power of his understanding, to have discovered a Creator. His own existence alone would have been a sufficient evidence of a Divine Author.

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macht, um die Nacht zu beherrschen, und in seiner Ordnung, wenn der Stern des Tages verschwunden ist, am Firmament des Himmels zu regieren, und jenes sanftere Licht zu verbreiten, welches nicht Glanz genug hat, um den Schlummer der Schöpfung zu unterbrechen, und doch hinreicht, dem nächtlichen Wanderer die Stelle der abwesenden Sonne zu ersetzen. Beyde leuchtende Körper aber sollen dazu dienen, durch die Regelmäßigkeit der Veränderungen, die sie in dem Weltsystem um uns her hervorbringen, die Zeit des Menschen in Abschnitte von größerem oder geringerem Umfang zu theilen. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß der Allmächtige, wenn es ihm so gefallen hätte, unser | Leben auf der Erde hätte erhalten können, ohne diese Abwechselung in den Erscheinungen, ohne diese mannichfaltigen Veränderungen, ohne daß in dem, was die Natur zu unsrer Erhaltung thun muß, diese rastlose Bewegung, diese wechselnden Geschäfte überall statt fänden, und ohne daß in der Einrichtung der Dinge, mit denen wir in Verbindung stehn, so viel ineinandergreifende verwikkelte Kunst und Erfindung seyn durfte, als wir darin wahrnehmen. Die Weisheit und Güte des Schöpfers in dieser Abwechselung von Jahreszeiten, die er in unserm Weltsystem einzuführen für gut gefunden hat, und in den mannichfaltigen Gestalten, die es uns darbietet, und Einwirkungen die es auf uns äußert, wird, hoffe ich, keine unnütze Beschäftigung unserer Gedanken für die wenigen Minuten seyn, die jetzt zu unsern moralischen Betrachtungen bestimmt sind. Die an Bewegungen und Abwechselungen so reiche Einrichtung der Dinge, in der wir leben, ist besonders darauf berechnet, uns nicht nur eine volle Ueberzeugung von dem Daseyn eines allmächtigen Urhebers derselben, sondern auch ein immerwährendes Andenken an ihn aufzudringen. Das Antlitz der Natur ist das Buch für alle Menschen, die allgemeine Bibel für alle Nationen und Zeitalter; sie enthält den großen majestätischen Text aller religiösen Wahrheit in der erhabenen Handschrift des Himmels, mit Buchstaben, welche die Zeit nicht verwischen kann, in einer Sprache die allem Volk | verständlich ist, geschrieben, und von allen Unrichtigkeiten und Verfälschungen von einem Zeitalter zum andern rein erhalten. Wäre der Mensch auf eine Schaubühne gestellt, wo sich alles viel einförmiger darstellte, als auf der wo er jetzt seinen Platz hat, so würde er demohnerachtet noch das Daseyn eines Gottes beweisen können. Durch den Gebrauch seiner Vernunft wäre es auch in einer solchen Welt, wie still und bewegungslos sie auch seyn mochte, seinen Verstandeskräften möglich gewesen einen Schöpfer zu entdecken. Sein eignes Daseyn allein hätte ihn einleuchtend genug auf einen göttlichen Urheber hingeführt.

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But, as that complicated apparatus of instruments, which the Almighty has been pleased to employ, in maintaining a moral candidate for eternity, in a state of animal existence, instead of the more direct and simple mode of subsistence, which He might have provided, affords us a more full and copious evidence of a divine Designer, by placing be|fore us a more extensive display of skill and contrivance; so the continual activity of the scene around us is peculiarly adapted to rouse, from time to time, the attention of man, to the Maker of all things, and to prevent his understanding from slumbering over the works of God. We, now, not only see things before us, which, we know, m u s t have been m ad e by an Almighty Being, but we behold them m a k i n g. We look not only upon monuments of His pa st skill, we observe its p r e s e n t operations. We see the divine Artist at work! We behold the Almighty in motion! We perceive the productions of His hand gradually forming, and finishing under it. In the annual succession of vegetable bloom and abundance, to the sterility of winter, we behold a repetition of the creation which Moses records. We not only read, that “in the beginning God said,” but, every year, we hear Him say, “Let the earth bring forth grass, the herb yielding seed, and the fruit tree yielding fruit, after his kind”—and, every year, we see “it is so.” Every morning we hear Him say, as he said when the shadows of darkness first obeyed His bidding to disperse, “Let | there be light;” and there is light, as then there was. Every revival of vegetation is a second creation; a kind of magnificent miracle, a splendid sign and wonder in attestation of Omnipotence.

The vicissitudes of the sphere in which we are placed, by producing a variety of impressions upon the senses, increase the sum of our sensual pleasure. The perpetually shifting scenes of this surrounding theatre are peculiarly calculated to promote the entertainment of the spectator. A succession of appearances keeps up the pleasure of the sight. The contrast of opposite aspects, and the finer shades of endless difference, which distinguish the more similar faces which nature assumes, are productive of greater delight to the sense, than a more uniform and fixed posture of creation could have yielded. Morning never breaks so beautifully, as upon an eye, that has long been rolling in the dark, and found no dawn. It is the inclemency and desolation of winter, which renders the mildness of spring and the splendor of summer so delicious to us: while the alternate illuminations of the greater and the smaller lamp of day and night, separately from their

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Aber so wie der zusammengesetzte Apparat von Werkzeugen, dessen sich der Allmächtige hat bedienen wollen, um künftige Bewohner der Ewigkeit hier in dem Zustande eines thierischen Lebens zu erhalten, uns einen göttlichen Anordner vollkommner und deutlicher zeigt, als irgend eine unmittelbarere und einfachere Erhaltungsart, weil wir so mehr Kunstweisheit und Erfindungsgeist überall verbreitet sehn, so ist auch die beständige Thätigkeit des Schauplatzes der uns umgiebt, vorzüglich geschickt die Aufmerksamkeit des Menschen von Zeit zu Zeit auf den Schöpfer aller Dinge hinzustossen, und zu verhindern daß der Verstand nicht neben allen diesen Werken Gottes einschlummere. Jetzt sehen wir nicht nur Dinge vor uns, von denen wir wissen, daß ein allmächtiges Wesen sie gemacht haben muß, sondern | wir sehn, wie sie gemacht werden. Wir stoßen nicht nur auf Denkmäler seiner ehemaligen Geschicklichkeit, sondern wir beobachten seine gegenwärtigen Verrichtungen. Wir sehen den göttlichen Künstler in der Arbeit, den Allmächtigen in Thätigkeit. Wir sehen wie seine Werke sich unter seinen Händen allmählich bilden und ihre Vollendung erhalten. In der jährlichen Folge der Blüthe- und Erndtezeit auf die Unfruchtbarkeit des Winters sehen wir eine Wiederholung der Schöpfung, die uns Moses beschreibt. Wir lesen nicht nur daß Gott am Anfang sprach: „Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage,“ sondern wir hören ihn jährlich so sprechen, und sehen jährlich, daß es also geschieht. Was er sagte als die Schatten der Finsterniß zum ersten Mal seinem Gebot sich zu zerstreuen gehorchten, „es werde Licht!“ das hören wir ihn jeden Morgen sagen, und es wird Licht, wie es damals ward. Jedes Wiederaufleben der Natur ist eine zweyte Schöpfung, das prachtvolle Werk eines mächtigen Wortes, ein glänzendes Zeichen und Wunder zum Beweis der Allmacht. Die Abwechselungen auf dem Erdball auf dem wir uns befinden, vermehren, indem sie eine große Mannigfaltigkeit von Eindrücken auf unsre Sinne veranlassen, die Summe unserer sinnlichen Vergnügungen. Die immer wechselnden Auftritte auf dieser unermeßlichen Schaubühne sind vorzüglich darauf | angelegt, die Unterhaltung des Zuschauers zu befördern. Eine reiche Folge verschiedener Erscheinungen liefert uns die Vergnügungen des Gesichts. Der Kontrast der entgegengesetztesten Formen und die feinern Abschattungen, wodurch auch die ähnlicheren Gestalten, welche die Natur hervorbringt, dennoch bis ins Unendliche unterschieden werden, erzeugen ein höheres Vergnügen für diesen Sinn, als eine einförmigere und feststehendere An20–21 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Gen 1,1.3 21–23 Gen 1,11 24 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Gen 1,7.9.11.15.24.30 26 Gen 1,3

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re|spective utility, introduce a pleasing diversity of light; and the various changes through which the vegetable creation passes, from its annual resurrection to its maturity, and from its ripened bloom to its autumnal decay, communicate an infinite variety to beauty, which prevents delight from languishing.

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But that division of our time, to which we are directed by the regularity of these grateful vicissitudes in the system of nature, is the benefit they afford us, upon which I now more particularly wish to fix your attention.

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It is obviously of the highest importance, in relation to the business of t h i s world, that we should be able to ascertain the progress of time; but it is more especially desirable, that we should be advertised of the advances we make towards the tribunal, to which the journey of life is conducting us all, and of the consequently continually increasing necessity of immediate preparation for that eternity, which gives to time its principal value. In itself, the flight of time is imperceptible. It is not an object of sense. We cannot see it. We cannot hear it. We perceive it not. The motion of time, like that of the bodies, which | measure it, is only perceptible by its arrival at particular perceptible points. The chariot of the sun makes no noise; it appears not to move. It passes from east to west, on wheels that are neither seen nor heard to roll. It ascends the steep of heaven, without seeming to ascend; when it reaches its meridian height, we know that it has run half its race; as it sinks into the sea, we cannot see it sink; when it has reached its bed, then we know that it has finished its course, and measured a day. The finger on your dial, appears to stand still; it seems not so much as to stir; nor, but for the graduated circle round which it revolves, should we know that it did. In the same insensible manner, should we steal to the goal of our existence upon earth, if our path were not divided into parts, and marked with degrees.

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ordnung der Schöpfung gewährt haben würde. Für Niemanden bricht der Morgen so herrlich an, als für ein Auge, welches lange im Dunkeln umhergerollt ist und keinen Schein von Dämmerung gefunden hat. Es ist die Unfreundlichkeit und Oede des Winters, welche unser Entzükken über den milden Frühling und den glänzenden Sommer so erhöht, die abwechselnde Erleuchtung des Tages und der Nacht durch die große und kleinere Lampe erzeugt außer dem Nutzen der daraus entsteht, eine angenehme Abwechselung des Lichts; und die verschiedenen Veränderungen, welche die Pflanzenwelt von ihrer jährlichen Auferstehung bis zu ihrer Reife, von ihrer höchsten Blüthe bis zu ihrem herbstlichen Verwelken erfährt, bringen die unendlichste Mannigfaltigkeit schöner Formen hervor, die unserm Vergnügen nicht Zeit lassen, sich abzustumpfen. Aber die Eintheilung unserer Zeit, zu der wir durch die Regelmäßigkeit dieser angenehmen Veränderungen im System der Natur veranlaßt werden, ist unter den Wohlthaten dieser Einrichtung | diejenige, bey der ich eure Aufmerksamkeit noch besonders festzuhalten wünsche. Offenbar ist es schon in Beziehung auf die Geschäfte dieser Welt von der größten Wichtigkeit, daß wir in Stand gesetzt werden, die Fortschritte der Zeit genau zu bestimmen; aber ganz vorzüglich müssen wir wünschen d avo n benachrichtigt zu werden, wie wir uns immer mehr dem Richterstuhl nähern, vor welchen die Reise des Lebens uns Alle hinführt, und wie ununterbrochen also die Nothwendigkeit wächst, uns ohne Zeitverlust zum Eintritt in die Ewigkeit geschickt zu machen, die der Zeit erst ihren wahren Werth giebt. An sich selbst kann die Flüchtigkeit der Zeit nicht wahrgenommen werden; sie ist kein Gegenstand für die Sinne. Wir können sie nicht sehen, wir können sie nicht hören, wir können sie nicht betasten. Die Bewegung der Zeit, so wie der Körper, an denen sie gemessen wird, kann nur durch ihre Ankunft an gewissen bestimmten Punkten wahrgenommen werden. Der Wagen der Sonne macht kein Geräusch; er scheint sich nicht zu bewegen. Er geht von Osten bis Westen, ohne daß man seine Räder sieht, oder ihr Rollen hört. Er steigt den steilen Weg am Himmel hinauf, ohne daß er zu steigen scheint. Wenn er auf seiner mittäglichen Höhe angelangt ist, so wissen wir freylich, daß er nun die Hälfte seines Weges vollbracht hat. Indem er sich gegen das Meer hinunterneigt, sehn wir diese Bewegung nicht; nur erst wenn er sich in dasselbe eintaucht wissen wir, daß er seinen Lauf vollendet, | und uns einen Tag zugemessen hat. Der Schatten an eurer Sonnenuhr scheint still zu stehn; er scheint sich nicht einmal zu rühren und ohne den abgetheil7 außer dem] außer den

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In order to remedy the secular and moral inconveniences, that would arise from our utter ignorance of the pace of our days, the God of nature has enabled us, by observation of those regular stages and revolutions of nature, the terminations of which are pointed by visible signs, to make such measurements of our time, as serve to indicate to us the departure | of the continually coming, and continually going periods, which compose our present term of life. By dividing the day into hours, the week into days, the month into weeks, and the year into months, we are enabled to ascertain how far either of these portions of time is spent. By dividing the life of man into years, we can tell, whenever we wish to know, whether it be early, or whether it be late in life. And, as the business of a day derives dispatch from the intelligence of the clock concerning the course of the hours, so, in the great business of human life, expedition is prompted by the information of the magnificent machine of nature, which tells the months and the years; which was set, in the beginning, by the hand that constructed it, and which has never gone wrong.

By means of this proclamation of the perpetually expiring periods of human life, the probationer for eternity is enabled to perceive the pace, with which his virtuous opportunities are passing away, and receives a succession of periodical spurs to the exercise of moral dispatch. 428

Our gratitude to God is demanded with an irresistible voice, when we consider, that the | notices which He has given us of the departure of those l ar ge r periods, into which our life is divided, and the loss of which is calculated to ring a more than commonly loud alarm in the indolent breast, are not only so clear as to satisfy inquiry, but so striking as to extort attention. The departure of these longer portions of our time is signified to us, not by obscure notices, not by faint signs, that require astronomical vigilance, that call for an eye upon the watch, in order to catch them; but by such surprising alterations in the whole system about us, as not only impress our sight, but penetrate our whole frame. Revolutions in earth, and air,

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ten Zirkel, um den er sich allmählich herumdreht, wüßten wir auch nicht, daß er es thut. Eben so unmerklich würden wir uns an das Ziel unsers Lebens hinschleichen, wenn unser Pfad nicht in näherer Abschnitte getheilt und diese durch eigne Merkmale angedeutet wären. Um nun den Unbequemlichkeiten abzuhelfen, die für unsere weltlichen und moralischen Angelegenheiten daraus entstehen würden, wenn wir nur die Fortschritte mehrerer Tage gar nicht wüßten, hat uns der Gott der Natur in Stand gesetzt, durch Beobachtung der regelmäßigen Kreiswege und Revolutionen der Natur, deren Beendigung uns durch sichtbare Zeichen bemerklich gemacht wird, einen solchen Maaßstab für unsere Zeit zu finden, der uns den Gang der immer wiederkehrenden und verschwindenden Perioden anzeigt, aus denen unser jetziges Leben zusammengesetzt ist. Indem wir den Tag in Stunden, die Woche in Tage, den Monat in Wochen und das Jahr in Monate eintheilen, können wir bestimmen, wie weit jede dieser Abtheilungen der Zeit wiederum verstrichen ist. Indem wir das Leben des Menschen in Jahre eintheilen, können wir nun, so oft es uns darum zu thun ist, sagen ob es noch früh oder ob es schon spät am Leben ist. Und so wie wir die Geschäfte des Tages mehr beschleunigen, wenn wir die Glocke wissen, die den Lauf der | Stunden verkündiget, so werden wir auch zur Eilfertigkeit in dem großen Geschäft des menschlichen Lebens angetrieben durch die Belehrungen der herrlichen Maschine der Natur, welche die Monate und Jahre zählt, welche im Anbeginn von der Hand die die ganze Natur erbaute in Gang gesetzt wurde, und noch nie falsch gegangen ist. Vermittelst dieser Verkündigung der immer verfließenden Perioden des menschlichen Lebens, wird der Zögling der Ewigkeit in Stand gesetzt, den schnellen Schritt, mit welchem seine Gelegenheiten zur Tugendübung vorüberziehn, wahrzunehmen, und er wird von Zeit zu Zeit aufs neue angetrieben bey ihrer Benutzung die größte Betriebsamkeit zu beweisen. Zur Dankbarkeit gegen Gott werden wir ferner unwiderstehlich aufgefordert, wenn wir überlegen, daß er uns das Verstreichen der größeren Lebensperioden, deren Verlust eine mehr als gewöhnlich laute Unruhe in der Brust des Trägen erwecken soll, durch solche Merkmale kund thut, die nicht nur so deutlich sind, daß sie jede Nachforschung befriedigen, sondern auch so auffallend, daß sie sich Aufmerksamkeit erzwingen. Das Vorübergehen dieser größeren Abschnitte unserer Zeit wird uns nicht durch dunkle Merkmale, nicht durch schwache Zeichen angedeutet, welche die Wachsamkeit des 26 wurde] werde

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and water, proclaim our progress to the grave. It is told not only to one, but to a l l our senses, that our years are on the wing. The sun shifts his situation; the air alters its temperature; the earth changes its dress; to bid us dispatch our duties. These remarkable changes in the aspects and operations of nature are benevolently contrived by the Author of them, to force us to perceive the motion of Time. By means of these surrounding signs without us, and corresponding sensations within us, we not only see | how fast the fugitive flies; we hear the rushing sound of his pinions; we feel the awful wind of his wings.

The goodness of the God of nature, upon this subject, still farther appears in his repeating successively, in the space of the same year, the mementos of the speed with which these periods are passing away. There are, as you know, four annual alterations in the aspects of nature, which we call the four seasons. The return of ea ch of these severally informs us, that a year has elapsed, since the last arrival of that particular season. Each of them makes a vivid, and a distinct impression upon us; and, in consequence of the depth of its impression upon us, no one in the series of the successive seasons revisits us, without irresistibly exciting a recollection of its last operation upon us, and a consequent reflection upon the period of time which has since passed. It is the face of an acquaintance that we behold. We remember to have seen it before. We naturally look back to the last time we saw it, and the well known length of the interval cannot be excluded from the retrospect. We can none of us avoid a reflection of this nature, upon the | return of any one of the seasons of the year. Every time the earth buds, the corn ripens, the leaf falls, the frost is scattered, we look back to the time when la st the earth budded, the corn ripened, the leaf faded, the frost was scattered. Not that at each of these periods of the year, we are reminded of the departure of another distinct year, in addition to that of the loss of which the last reminded us; though we know that we have only passed the fourth part of another, since we looked back upon that, and that it is nearly the same year of which we are but taking a

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Astronomen und ein immer auflauerndes Auge erfordern, um beobachtet zu werden, sondern durch die überraschendsten Veränderungen in dem Weltsystem um uns her, die sich | nicht nur unsern Blicken einprägen, sondern unsern ganzen Körper durchdringen. Umwälzungen auf der Erde, in der Luft und im Wasser verkündigen uns unsern Fortschritt zum Grabe. Nicht nur einem, sondern allen unsern Sinnen wird es gesagt, daß unsere Jahre auf der Flucht sind. Die Sonne verändert ihre Lage, die Luft verliert ihre Temperatur, die Erde vertauscht ihre Bekleidung um uns zu erinnern, daß wir eilen müssen mit unsern guten Werken. Diese merklichen Veränderungen in der Gestalt und den Verrichtungen der Natur hat der Urheber derselben mit dem gütigsten Wohlwollen ausgedacht, damit er uns nöthige, die Bewegung der Zeit wahrzunehmen. Vermittelst dieser unverkennbaren Zeichen außer uns, und eben so fühlbaren Veränderungen in uns sehen wir nicht nur wie schnell der Flüchtling geflohen ist: wir hören sogar den rauschenden Ton seiner Fittige, wir fühlen das schauerliche Wehen seiner Schwingen. Die Güte des göttlichen Urhebers der Natur zeigt sich in dieser Rücksicht ferner darin, daß er in dem Verlauf desselben Jahres die Erinnerungen an die Eilfertigkeit, womit diese Perioden vorüber gehen, mehrmals nach einander wiederholt. Es giebt, wie ihr wißt, jährlich vier Veränderungen in der Gestalt der Natur, die wir die vier Jahreszeiten nennen. Die Rückkehr einer jeden unter ihnen erinnert uns, daß wiederum ein Jahr verflossen ist, seitdem eben diese Jahreszeit zum letztenmal ankam. Jede von ihnen macht einen lebhaften und bestimm|ten Eindruck auf uns, und der Tiefe dieses Eindrucks gemäß besucht uns gewiß aus dieser Folgereihe der Jahreszeiten keine einzige ohne unwiderstehlich eine Erinnerung an ihre letzte Wirkung auf uns, und also ein Nachdenken über die Periode, die seitdem vergangen ist, hervorzubringen. Es ist das Angesicht eines Bekannten, welches wir wieder sehen. Wir sehen natürlich zurück auf das letzte Mal, da wir ihn sahen, und die wohlbekannte Länge des Zwischenraums läßt sich von dieser Rückerinnerung nicht trennen. Keiner unter uns kann eine Betrachtung von dieser Art vermeiden, wenn eine von den Zeiten des Jahres wiederkehrt. So oft die Pflanzen keimen, das Korn reift, das Laub abfällt und der Frost sich verbreitet, sehen wir auf die Zeit zurück, wenn zuletzt die Erde ergrünte, das Korn reifte, das Laub welkte und der Frost eindrang. Nicht als ob wir bey jeder solchen Periode des Jahres erinnert würden, daß wir ein ganz neues eignes Jahr zurückgelegt hätten, welches ganz von dem unterschieden wäre, an dessen Verlust uns die nächstvorhergehende Periode erinnert hatte; ob wir gleich wissen, daß wir seitdem nur den vierten Theil eines neuen Jahres zurückgelegt

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repeated retrospect, yet there is wisdom and there is goodness discovered, by the great Conductor of the courses of nature, in that succession of memorials, by which, in the space of the same year, our thoughts are repeatedly thrown upon the rapidity of the pace with which a year passes over us. Again, and again, and again, we look back, and find it to be but a moment!

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In addition to these remembrances of time, which nature occasions, the custom of society, upon a particular day, once a year, directs the public attention to this subject; and the attention of each individual is again | naturally led to it, upon the return of every anniversary of the day on which he was born. Such is the liberal care, which the great Keeper of our souls has taken, to remind us from time to time of our rapid passage through this province of preparation for a future state, and to prevent our moral procrastination, so far as it might be promoted, and encouraged, by insensibility to the progress of time. I meet you, at this season, when the proclamation of the flight of time, proceeding from the mouth of surrounding society, is sounding in your ears, to call upon you, as the friend of your character, and your welfare, to lend a moral ear to these periodical memorials of your fleeting opportunities, which Nature and mankind concur to afford you. He that has ceased to be roused by them into an attention to the posting pace of his days, and into an expeditious improvement of them, is sunk into an insensibility, upon this subject, which, I know of no other notices of his rapid passage to the grave, that are likely to excite. He that has brought himself to say, at the expiration of his years, “Another year is gone, but a single year is a | very insignificant part of the life of man,” will be likely to continue to say so, till he has not another to throw away. It is true, the termination of l o n ger stages in the life of man is signified to him, by changes which take place in his animal system. There is a series of seasons within him, similar to those which succeed one another without him. But the succession of the former is not calculated to excite his attention to them, in the same forcible manner, in which it is roused by the latter. In that respect in which the resemblance is n o t to our moral advantage, the seasons of human life may be compared to those of nature around us. These, although when they have arrived at certain heights, they are sufficiently characterised, and distinguishable from each other, yet, with respect to their precise

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haben, und daß wir nur einen wiederholten Blick auf fast das nemliche Jahr zurückwerfen, so ist es doch weise und gütig von dem großen Regierer des Laufs der Natur, daß er diese Denkzeichen so aufeinander folgen läßt, daß wir in dem Lauf eines einzigen Jahres zu wiederholten Malen veranlaßt werden daran zu den|ken, wie schnell ein Jahr über uns hingeht. Einmal, und wieder einmal, und noch einmal sehen wir zurück, und sehen daß es nur ein Augenblick war. Außer diesen von der Natur veranlaßten Erinnerungen an das Verschwinden der Zeit, lenkt auch eine Gewohnheit der Gesellschaft jährlich einmal an einem besondern Tage die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand, und jeder einzelne wird eben so natürlich dazu veranlaßt, wenn der Tag seiner Geburt wiederkehrt. So sorgfältig ist der große Erhalter unserer Seelen darauf bedacht gewesen, uns von Zeit zu Zeit die Schnelligkeit unsers Durchfluges durch diesen Ort der Zubereitung für einen künftigen Zustand zu Gemüthe zu führen, und unserer moralischen Langsamkeit, so fern sie durch Unwissenheit über die Fortschritte der Zeit befördert und aufgemuntert werden könnte, entgegenzuarbeiten. Zu dieser Zeit da aus dem Munde der Gesellschaft um euch her die Verkündigung von der Flucht des Jahres in euer Ohr tönt, stehe ich hier, um euch als der Freund eurer Seelen und eures Wohlergehens aufzufodern, daß ihr diesen periodischen Erinnerungen an die fliehende Gelegenheit, zu denen Natur und Menschen sich vereinigen, euer geistiges Ohr leihen möget. Wer aufgehört hat durch sie zur Aufmerksamkeit auf den eilenden Schritt seiner Tage und zu einer raschen Anwendung derselben erweckt zu werden, der ist über diesen Gegenstand in eine | Gefühllosigkeit versunken, welche wahrscheinlich durch gar kein anderes Denkzeichen an die Schnelligkeit seines Ganges zum Tode gehoben werden kann. Wer es so weit gebracht hat, daß er beym Ablauf eines Jahres sagt: „ein Jahr ist freylich hin, aber ein einzelnes Jahr ist auch nur ein sehr unbedeutender Theil des menschlichen Lebens,“ der wird wahrscheinlich fortfahren so zu sagen, bis er kein einziges mehr zu verschwenden hat. Es ist wahr, das Ende der größeren Stufen im Leben des Menschen wird ihm durch Veränderungen, die in dem System seines Körpers statt finden, angezeigt. In ihm ist eine Reihe verschiedener Zeiten, die denen, welche in der äußeren Welt auf einander folgen, ganz ähnlich sind. Aber die ersteren erregen durch ihr Vorübergehen seine Aufmerksamkeit nicht so gewaltsam als die letzteren. In Rücksicht dessen, was nicht zu unserm Vortheil gereicht, kann man die Jahreszeiten des menschlichen Lebens mit denen der Natur genau vergleichen. Obgleich diese, wenn sie eine gewisse Höhe erreicht haben, einen bestimmten Charakter annehmen, und sich deutlich von einander unter-

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boundaries, are interwoven together in such a manner, that we see not where they join; and they arrive at these summits by so gradual a rise, as to baffle all observation of their progress. They succeed to each other so as to conceal their succession; and they rise to their height with that slowness, which renders us insensible to their ascension. They melt into one | another. There is no pointed partition between them. The lines that separate them are unseen; and the shades, by which they gradually strengthen into the colours that glaringly distinguish them, steal into strength, in the same imperceptible manner. It is by the most slow and insensible degrees, that the bleakness of winter softens into the warmth of spring. It is by the most nice and unnoticed gradation, that the bud grows bigger and bigger. The flower unfurls itself fold after fold. The fruit is long in swelling, before it blushes; and is a long time red, before it is ripe. The growth of the corn creeps to maturity, with a process that sleeps to the sight; “First the blade, then the ear, after that the full corn in the ear.” The leaf takes up a considerable time in fading, and is long faded, before it falls. One by one they decay; one after another they drop; and nature is naked again, without our perceiving her clothing stripped off. It is thus with the seasons of human life. The fire of youth abates, without the man’s perceiving any diminution of juvenile ardour. The first symptom of decay is too slight, to excite any perception of the approach of age. The second | makes no perceptible alteration in the sensations of nature; and the warnings of death are frequently given, before infirmity attends to the signal.

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In these respects, the stages of human life resemble those of the year. In those, in which the latter rouze irresistibly our attention to them, the resemblance fails. When any one of the seasons of the year has reached a certain h e i g h t , it hangs out d e f i n i t e and s t riking signs, in which we particularly recognize it, which are its characteristic features, its peculiar attributes, in the representations of the poet and the painter. These signs are prominent and remarkable. They make pointed impressions upon us. When the earth first puts on its green attire, although it was weeks in clothing itself, yet as soon as the infant leaves are large enough to present to the sight a connected tinge of tender verdure, having been accustomed for m o n t h s to behold it in a barren and

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scheiden, sind sie doch an der Grenze so mit ihren Nachbarn verwebt, daß wir nicht sehen, wo sie eigentlich in einander greifen, und sie ersteigen ihren Gipfel durch eine so allmähliche Bewegung, daß alle Beobachtung ihres Fortrückens vergeblich ist. Sie folgen auf einander so, daß uns der Wechsel verborgen bleibt, und sie er|klimmen ihre Höhe so leise, daß wir ihr Aufsteigen nicht bemerken. Sie verschmelzen in einander. Es giebt keine genaue Grenzscheidung zwischen ihnen. Die Linien, welche sie trennen, sind unsichtbar, und die Schattirungen durch welche sie in die bestimmten Farben übergehen, durch die sich eine jede auffallend unterscheidet, werden eben so unmerklich nach einander immer stärker aufgetragen. Durch die feinsten und unfühlbarsten Uebergänge erweicht der Frost des Winters zur Wärme des Frühlings. Durch die feinsten und unfühlbarsten Uebergänge erweicht der Frost des Winters zur Wärme des Frühlings. Durch die kleinsten und unsichtbarsten Entwickelungen wird der Keim immer größer und größer. Die Blume entfaltet sich Blatt für Blatt. Die Frucht schwillt lange an ehe sie erröthet, und erhöht lange ihre Farbe, ehe sie reif ist. Der Stufengang wie das Korn in seinem Wachsthum bis zur Reife fortgeht, entgeht unsern Augen. Erst der Halm, dann die Aehre, und dann das volle Korn in der Aehre. Lange Zeit braucht das Laub um allmählich zu verwelken, und es ist lange welk, ehe es wirklich abfällt. Ein Blatt fällt nach dem andern herunter, und die Natur ist wieder nackt, ehe wir wahrnehmen, daß sie ihr Kleid abgestreift hat. So ist es auch mit den Zeiten des menschlichen Lebens. Das Feuer der Jugend verglüht, ehe der Mann noch eine Verminderung dieser regen Kraft wahrgenommen hat. Das erste Symptom des Hinuntersteigens ist zu schwach, als daß es eine Vorstellung von der Annäherung des Alters erregen sollte. Das zweyte macht auch keine merkliche Veränderung in unsern Empfindun|gen, und manches Vorzeichen des Todes wird gegeben, ehe das Alter darauf merkt. In dieser Rücksicht gleichen die Stufen des menschlichen Lebens denen des Jahres, aber von der unwiderstehlichen Gewalt, womit die letzteren unsere Aufmerksamkeit rege machen, haben sie nichts an sich. Wenn eine von den Zeiten des Jahres eine gewisse Höhe erreicht hat, so hängt sie nun bestimmte und deutliche Zeichen aus, an denen wir sie genau erkennen, die ihre charakteristischen Züge, und die in den Beschreibungen der Dichter und Mahler ihre eigenthümlich beygelegten Merkmale sind. Diese Zeichen sind in die Augen fallend und 23 nackt] nakt

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19–20 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Mk 4,28.

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naked state, we seem to see a sudden alteration in its appearance; we survey the bloomy scenery with surprise, and we say, It is spring! Although the young fruit, upon the tree that yields it, steals, in the most insensible man|ner; from size to size, and from glow to glow; although the fields produce their bread, with a pace that cannot be perceived; although the corn ascends to its full grown height, and yellows into its ripened gold, with a gradation that will not allow us to see it increase its bulk, or change its colour; yet, when, at length, the plenty of the earth is ready to be gathered, the period is pointed, and marked with circumstance; the fields are filled with reapers; the sheaves appear in rows; and the shouts of rustic holiday and triumph are heard. In the same manner, though we are unable to trace the decay of the year, through every shade of declining colour in the face of the earth, and to follow the alteration in the state of the air, through all the degrees from sultry heat to piercing cold, yet at last, as it were on a sudden, snow falls! water freezes! and a picture presents itself, which in a moment gives us the image of winter. In the seasons of human life, there are none of these striking turns; none of these arrivals of imperceptible gradation at ultimate edges and points. In the seasons of the year, there is contrast, and strong distinction, to mark the series. It is | a succession of rise and fall, of hill and valley, in which, however gradual the ascents and descents, the summits are sharp. The degrees, exhibited in the progress of the seasons around us, resemble those of the spire, which, however insensibly it tapers, tapers at last to a point; terminates in a pinnacle, that pierces the air, and impresses the eye. In the seasons of nature within us, on the contrary, there is but one turn; and that is so round, so unangular, and long, as to look like a level to him that passes it; all the rest of the path is imperceptibly up, and imperceptibly down.

The whole course of human nature is but one curvature, which is so gradually bent, as to seem all along to be a straight line to the traveller over it. There is a s p e e d in the procession of the seasons of the year, which lends its assistance to render the difference between them so much the more striking. When any one of them is present we compare it with that which went before, and which is yet vivid in our memory.

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merkwürdig. Sie machen sehr scharfe und bestimmte Eindrücke auf uns. Wenn die Erde ihren grünen Schmuck wieder anzieht, bringt sie vielleicht mehrere Wochen zu bey ihrer Bekleidung; aber sobald das junge Laub groß genug ist, um den Augen eine zusammenhängende Fläche von zartem Grün darzustellen, nachdem es Monate lang gewohnt war, alles kahl und bloß zu sehen, so glauben wir eine plötzliche Veränderung in der Gestalt der Erde wahrzunehmen, und wir überschauen das blühende Gemählde mit Verwunderung, und sagen: es ist Frühling. Obgleich die junge Frucht auf dem Baume der sie trägt, nur sehr unmerklich immer größer wird und sich höher und höher färbt; obgleich das Korn auf dem Felde zu seiner vollkommenen Höhe so allmählich heranwächst, und die goldgelbe Farbe | seiner Reife so unmerklich annimmt, daß wir nicht sehen, wie es an Masse wächst und seine Farbe verändert, so kennen wir doch zuletzt, wenn der Ueberfluß der Erde zum Einsammeln bereit steht, die Zeit an ihren besondern Zügen sehr genau: die Felder sind voll Schnitter, die Garben stehn aufgethürmt und der fröhliche Lärm des ländlichen Festes und Triumphs läßt sich hören. Eben so geht es uns späterhin. Ob wir gleich dem Verfall des Jahres nicht so genau folgen können, daß wir jede mattere und bleichere Farbe auf der Oberfläche der Erde bemerkten, und jeder Veränderung im Zustande der Luft durch alle Uebergänge von der schwülen Hitze bis zur stechenden Kälte folgen könnten, so sehen wir doch zuletzt, als ob es auf einmal geschähe, daß der Schnee fällt und das Wasser friert, und es steht eine Landschaft vor uns, die uns in einem Augenblick das ganze Bild des Winters zeigt. Die Zeiten des menschlichen Lebens haben von diesen auffallenden Zügen nichts an sich, und ihre unmerklichen Fortschritte führen sie zuletzt nicht zu so scharfen Ecken und Spitzen. In den Jahreszeiten giebt es einen Kontrast und einen schneidenden Unterschied, der dies Fortrücken der Reihe bezeichnet. Es findet eine Abwechselung von Steigen und Fallen, von Berg und Thal statt, wo ohnerachtet das Hinauf- und Hinabsteigen sehr sanft geht, doch die Gipfel scharf sind. In den Zeiten unseres Lebens hingegen giebt es nur eine solche Höhe und auch die zieht sich so rund und winkellos und lang hin, daß sie dem, der | darauf geht, doch nur eine Ebene scheint; der ganze übrige Weg geht völlig unmerklich hinauf und hinab. Der ganze Lauf des menschlichen Lebens ist nur eine Krümmung, und diese ist so allmählich gebogen, daß sie dem, der darauf wandelt, nur eine grade Linie zu seyn scheint. In dem Gang der Jahreszeiten ist ferner eine Schnelligkeit, die dazu beyträgt, uns den Unterschied zwischen ihnen noch um so auffallender 27 unmerklichen] unmerkliche

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Childhood and youth, manhood and age, follow one another with a slow step; when we have reached the zenith of any one of these stages, we have forgotten | its predecessor, and are insensible to any succession. When any, one of the seasons of the year returns to us, its being a r e t u r n , and not a first occurrence, necessarily leads us to notice it. We meet what before we have met. Memory acknowledges the appearance, and our imagination meets it again, with the attention which recollection inspires. In the seasons of human nature, there is none of this recurrence and revolution, and, therefore, none of the acknowledgment which remembrance produces. Man knows but one youth, but one prime, but one age. When he passes through these periods, he passes through them for the first time; and, therefore, takes none of that notice of them which is connected with recognition.

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Upon a particular d a y, your calendar tells you, a year is expired. If your calendar be not consulted, the first friend, that meets you, reminds you that it is, by the complimentary congratulations which custom has instituted. But there is no particular day, upon which the report is made to you, either by a voice without you, or within you, Upon this day youth terminates, and manhood commences; | or, Today the prime of life is over, and old age begins. If, therefore, we do not take the alarm from the a nnua l notices we receive, from the courses of nature, and from the customs of society, of the lapse of human life, there are none others that will be likely to prevent our approach to the termination of our opportunity of attaining to eternal happiness, from being perfectly imperceptible. He who says, I will reform my manners next year, though there is not much probability of the performance of his promise, is yet much more likely to fulfil it, than he who says, I will amend my life when I find myself arrived at the meridian of my days, when I feel myself beginning to go down to the dust. For the former will know when the next year is come, at whatever point of it he adjourns his reformation till then; but the latter will not know when the noon of his life is come, when the declension of his nature commences. He, who thus vaguely fixes the date of purposed penitence, fixes it certain that he will never rectify his conduct. He will pass the period, which he has 5 any one] any, one

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zu machen. Wenn eine von ihnen da ist, vergleichen wir sie mit der, die ihr voranging, und die wir noch lebhaft in unserm Gedächtniß haben. Kindheit und Jugend, Männlichkeit und hohes Alter folgen dagegen mit langsamen Schritten auf einander. Wenn wir den Gipfel von einer dieser Stuffen erreicht haben, haben wir die vorhergehenden schon vergessen, und bemerken nicht, daß sich etwas verändert hat. Wenn eine von den Jahreszeiten wiederkehrt, so macht uns das schon nothwendig aufmerksam darauf, daß sie etwas wiederkehrendes ist, und nicht etwas, was wir zum erstenmal finden. Wir treffen etwas an, dem wir schon ehedem begegnet sind. Unser Gedächtniß erkennt die Erscheinung wieder, und unsre Einbildungskraft begegnet ihr mit der Aufmerksamkeit, welche jede Erinnerung von ehedem einflößt. In den menschlichen Lebenszeiten ist keine solche Wiederkehr und also auch keine Erkennung, die davon abhängt. Der Mensch kennt nur eine Jugend, nur eine Zeit der vollen Kraft, nur ein Alter. Wenn | er diese Perioden durchläuft, so durchläuft er sie zum ersten Male, und wird also zu keiner solchen Betrachtung veranlaßt, die aus der Erinnerung, daß sie schon einmal da gewesen ist, entsteht. An einem bestimmten Tage sagt euch euer Taschenbuch, daß ein Jahr vorüber ist. Wenn ihr dies auch nicht zu Rathe zöget, würde der erste Freund, dem ihr begegnet, durch die Glückwünsche, welche die Gewohnheit eingeführt hat, euch daran erinnern. Aber es giebt keinen bestimmten Tag, an dem irgend eine äußere oder innere Stimme euch sagte: heute endiget deine Jugend und dein männliches Alter fängt an, oder: heute ist der Sommer des Lebens zu Ende und das hohe Alter beginnt. Wenn wir uns also durch die zärtlichen Erinnerungen an die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens, welche der Lauf der Natur und die in der Gesellschaft eingeführte Gewohnheit uns giebt, nicht warnen lassen, so giebt es wohl nicht leicht andere, welche verhindern könnten, daß wir uns dem Ende der Zeit, in welcher wir unsere ewige Glückseligkeit beschaffen sollen, nähern, ohne das geringste davon wahrzunehmen. Wenn Jemand sagt: künftiges Jahr will ich meine Sitten ändern, so ist freylich keine große Wahrscheinlichkeit, daß er sein Versprechen erfüllen werde, aber es ist doch noch eher möglich, als wenn er sagte: ich will mich bessern, wenn ich am Mittag meiner Tage angekommen bin, wenn | ich fühle, daß ich nun anfange dem Grabe entgegen hinabzusteigen. Denn von welchem Punkt aus er auch im ersteren Fall seine Besserung angesetzt habe, er wird doch wissen wenn sein künftiges Jahr nun da ist; aber wenn der Mittag des Lebens herangekommen ist, und wenn seine Natur anfängt sich hinabwärts zu neigen, das wird er nicht wissen. Wer den Zeitpunkt der beschlossenen Buße so unbestimmt ansetzt, der bestimmt sehr gewiß, daß er

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in his eye for the performance of this promise to himself, without perceiving it as | he passes by. Man, looking only to his present sensations, without comparing them with his past feelings at some distance from the present moment, always imagines himself precisely in the same point of his path to the tomb. This week, this month, this year, he feels to himself no older, than he was a week, a month, a year, ago.

Our only moral safety is in the immediate improvement of the time that yet remains to us. This moment, let us stand still and consider. This instant, let me arrest your attention to the rapid wings, which your virtuous opportunities wear; and urge you to seize them as they fly to you. Since Almighty God has afforded us so many signals of the departure of our days and years, let not the want of attention to those signals restore to the pace of time that imperceptibility, which naturally belongs to it, and which is so soothing to the slumber of moral procrastination. Since the God of nature has been so considerate of our virtuous safety as to render audible those steps of time which in themselves are silent and unheard, let us not seal our ear to the solemn sound.

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This day let me call upon every one before | me, and may it be with a prevailing voice, to attend to the notices he is now receiving from the lip of society, in addition to those which nature utters, of the haste with which his years are winging their flight for ever from him. Art and human custom concur with nature and with God, to remind us of departing time. At the expiration of every hour, there is a bell that tells us, it is gone; the daily task, that was behind the day, is hurried on by the sound. At the expiration of a year, customary commemorations, and social gratulations, proclaim its expiration in every ear. “We take no note of time but from its loss, To give it then a tongue is wise in man.” To give the year a tongue, is wisest of all. As the clock the hour, society strikes the year. Oh! for a sound to notify its flight, awful as

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seinen Wandel nie bessern wird. Er wird bey dem Zeitpunkt, den er ins Auge gefaßt hat, um sein Versprechen gegen sich selbst zu erfüllen, vorübergehn, ohne zu bemerken, daß er schon da ist. Wenn der Mensch nur auf seinen jetzigen Empfindungszustand sieht, ohne ihn mit einem vorigen, der in einiger Entfernung von dem gegenwärtigen Augenblick liegt, zu vergleichen, so bildet er sich ein, daß er auf seinem Wege zum Grabe immer auf demselben Fleck stehn bleibt. Diese Woche, diesen Monat, dieses Jahr findet er sich nicht älter, als er vorige Woche, vorigen Monat und voriges Jahr war. Unsere einzige moralische Sicherheit liegt also darin, daß wir unmittelbar anfangen die Zeit zu benutzen, die uns noch übrig ist. Diesen Augenblick laßt uns stillstehn und nachdenken. Diesen Augenblick laßt mich eure Aufmerksamkeit hinrichten auf die schnellen Schwingen, womit die zu eurer Vervollkommnung bestimmte Zeit begabt ist, und laßt euch bewegen sie zu ergreifen, so wie sie herangeflogen kommt. Da der | allmächtige Gott uns von dem Verstreichen unserer Tage und Jahre so viele Zeichen gegeben hat, so laßt es nicht geschehen, daß eure Unachtsamkeit auf diese Zeichen der Zeit den unmerklichen Gang wieder gebe, der ihr von Natur eigen ist, und der uns so süß einwiegt in den Schlummer der moralischen Trägheit. Da der Herr der Natur auf die Sicherstellung unserer Sittlichkeit so sorgfältig bedacht gewesen ist, daß er uns die Schritte der Zeit hörbar gemacht hat, die an sich selbst so still und leise sind, so laßt uns nun dem feyerlichen Ton unser Ohr nicht verschließen. Heute also laßt mich einem Jeden – und möchte jeder dieser Stimme Gehör geben – heute laßt mich einem Jeden zurufen, daß er Acht darauf gebe, wie jetzt außer den Zeichen der Natur, auch die Gesellschaft ihm andeutet, mit wie schnellen Schwingen seine Jahre auf immer von ihm fliehen. Kunst und Gewohnheit vereinigen sich mit Gott und der Natur, um uns an die verschwindende Zeit zu mahnen. So oft eine Stunde vorübergeht, sagt uns die Glocke, daß sie dahin ist; so oft die Zeit, die zur Arbeit des Tages bestimmt war, verflossen ist, läutet sie ihr nach. So oft ein Jahr vorübergeht, verkündigen die geselligen Glückwünsche und mancherley Gewohnheiten, die daran erinnern, seinen Ablauf einem jeden Ohr. Wir bemerken die Zeit nicht eher als bey ihrem Verlust: sie also reden zu lehren ist weise. Das Jahr reden zu lehren ist vorzüglich | weise. Wie die Uhr uns die Stunden zeigt, so zeigt die Gesellschaft uns die Jahre. O! der Ton der ihre Flucht anzeigt, sey uns furchtbar wie der Donner des Himmels! 35–36 Das von Fawcett markierte wortgetreue zweizeilig eingerückte Zitat stammt aus Edward Young: The complaint, or, Night-thoughts on life, death, and immortality. Night the first, London 1742, Zeile 55–57.

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Serm. 26: On the notifications ... of the progress of time

the thunder of heaven! solemn and sublime as the voice of an angel! ear-penetrating, earth-shaking, as the tremendous trumpet that shall awake the dead! Let the social signal, now sounding in your ears, of the departure of so large a portion of your time, rouse every one of you to the most resolute and generous improvement | of every year, that may yet remain in your hand. Let each one of us seriously consider, how few more there c a n be, how few more there may be, between us and the bar, before which we shall be called, to give an account of the manner in which we have spent them. When a few more years, at the most, have rolled over us, when a few more summers have shone, a few more winters have lowered, a few more springs have smiled upon us, the probation of every one of us will be over; we shall all be laid down in that unconscious bed, where we shall have no share in all that is done under the sun, or in all that is produced by its benignant operations. May we all have the wisdom to improve, while it is yet ours, that time, the worth of which no words are warm enough to express; the value of which we shall all of us one day deeply feel; and which, when once lost, not all the tears that can rain from the eye of Remorse, or all the prayers that can rise from the lip of Penitence, or all the efforts the hand of Diligence can put forth, will be able to recover. Amen.

22 Amen.] folgt nach drei Leerzeilen mittig T H E E N D.

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feyerlich und erhaben wie die Stimme eines Engels! durchdringend und erschütternd wie die schreckliche Trompete, welche die Todten erwecken wird. Dieses jetzt in eure Ohren tönende Signal der Gesellschaft von dem Ablauf eines so ansehnlichen Theils eurer Zeit müsse euch alle zur entschlossensten und edelsten Anwendung jedes Jahres, das euch noch übrig seyn kann, kräftig ermuntern. Laßt uns alle bedenken, wie wenig deren nur noch seyn können, wie wenige vielleicht nur seyn werden zwischen uns und dem Richterstuhl, vor den wir werden gefordert werden, um von der Art wie wir sie angewendet haben, Rechenschaft zu geben. Wenn höchstens noch einige Jahre über uns hingerollt sind, noch einige Sommer uns beschienen, noch einige Winter uns durchschauert, noch einige Frühlinge uns angelächelt haben, wird unser aller Prüfungszeit beendiget seyn; werden wir alle ohne Bewußtseyn in das Bett hingestreckt werden, wo wir keinen Antheil mehr haben an allem, was unter der Sonne geschieht, und was ihre wohlthätigen Einwirkungen hervorbringen. Möchten wir alle weise genug seyn, die Zeit, so lange sie noch unser ist, zu benutzen, deren Werth zu bezeichnen kein Wort ausdrucksvoll genug ist, deren Köstlichkeit wir eines Tages alle sehr tief füh|len werden; und die, wenn sie einmal verloren ist, nicht alle Thränen die dem Auge der Reue entströmen, nicht alle Gebete die von den Lippen der Buße emporsteigen, ja alle Anstrengungen der fleißigsten Thätigkeit nicht im Stande sind, uns zurück zu schaffen. Amen.

24 zu schaffen] zuschaffen 1–3 Vgl. 1Thess 4,16

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Anhang Vorrede.

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Welche Aufnahme diese vor drey Jahren in London herausgekommenen Reden auch unter uns finden möchten: so wird doch ohne Zweifel allgemein anerkannt werden, daß die Uebersetzung derselben keine der gewöhnlichen sey, sondern sich durch Fleiß und Geschmack sehr vortheilhaft unterscheide. Sie ist das Werk des Herrn Predigers S c h l e i e r m ac h e r, der es bereits durch die Uebersetzung eines Theils des vierten Bandes der Blairschen Predigten bewiesen hat, wie sehr er beide Sprachen in seiner Gewalt hat, und mit welchem feinen Gefühl er die | Eigenthümlichkeiten eines geistvollen Schriftstellers aufzufassen und zu übertragen versteht. Es darf daher zur Empfehlung der Uebersetzung selbst nichts weiter gesagt werden, wohl aber scheint das Unternehmen überhaupt, die unzählige Menge von Predigten, mit welchen der deutsche Buchhandel bereits überschwemmt ist, noch durch neue zu vermehren, eine Rechtfertigung zu erfordern. Diese werden indessen Kenner in dem innern Gehalte dieser Reden leicht wahrnehmen. Die etwanigen Fehler derselben werden von so vielen Vorzügen überwogen, daß man die sehr geringe Anzahl g ut er PredigtSammlungen durch sie vermehrt zu sehen für einen sehr schätzbaren Gewinn ansehen muß. Deutschen Lesern kann es nicht unangenehm seyn, die Urtheile, welche die englischen Kritiker über dieses Werk gefällt haben, hier angeführt zu finden. Da sie eine genaue Charakteristik der Fawcettschen Predigten enthalten: so mag folgender Auszug aus den im Monthly und im Analytical Review von 1796 befindlichen Rezensionen derselben hier seinen Platz finden.| „Obgleich die Kunst zu predigen nun beinahe zweitausend Jahr geübt worden ist: so ist dieselbe in Vergleichung mit der Vollkommenheit, zu welcher die auf andere Objekte angewandte Beredsamkeit zu den Zeiten der Griechen und Römer gestiegen war, doch ungemein zurückgeblieben. Dies rührt offenbar größtentheils daher, weil wenige Prediger sich die gehörige Mühe gegeben haben, gesunden Verstand 18 etwanigen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1827–1828 Analytical] monthly ... analytical 8–9 Vgl. KGA IV/1, S. 1–271 Bd. 21, London 1796, S. 9–12

25 Monthly ...

27–427,27 Monthly review, or Literary journal,

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und gründliche Beweise mit den mächtigen Reizen der Wohlredenheit in Verbindung zu setzen. War auf der einen Seite ihnen darum zu thun, in ihren Predigten nichts zu sagen, was der Vernunft nicht gemäß ist, so haben sie sich mit der einfachen Darstellung der nackten Wahrheit begnügt, es sey in deutlichen Auseinandersetzungen dieses oder jenes theologischen Satzes, oder in richtigen Erklärungen der Schrift, oder in kalten Einschärfungen dessen, was die Pflicht gebietet. Strebten sie auf der andern Seite nach dem Ruhm der Beredsamkeit, oder geizten sie nach dem Beifall des großen Haufens: so haben sie | nur zu oft entweder die Einbildungskraft ihrer Zuhörer mit erhabenen Unbegreiflichkeiten verwirrt; ihre Leidenschaften durch übertriebene bilderreiche Beschreibungen und fanatisches Geschwätz in Bewegung gesetzt, oder sie mit fadem langweiligem Gerede über allgemeine Materien hingehalten. Die Vereinigung dessen, was die Vernunft befriedigt, die Einbildungskraft beschäftiget, und das Herz angreift, ist eine Vollkommenheit, von welcher die Kanzelberedsamkeit in gedruckten Predigten nur sehr wenige Beispiele aufzuweisen hat. Wir freuen uns, die vorliegenden Reden als solche empfehlen zu können, in welchen diese Eigenschaften in einem ungewöhnlichen Grade v ereinig t angetroffen werden. – Des Herrn Fawcetts Hauptberuf zu einem vorzüglichen Kanzelredner ist eine sehr lebendige kraftvolle Imaginazion; aber er äußert zugleich eine große Stärke des Beurtheilungsvermögens, und einen zum Nachdenken und Wahrnehmen geübten Geist. Die Grundsätze und Meinungen, die bei seinen Reden zum Grunde liegen, halten die streng|ste Prüfung der Vernunft aus, und werden mit einem solchen Reichthum und einer solchen Mannichfaltigkeit des Ausdrucks vorgetragen, als man nicht leicht bei irgend einem andern Redner finden wird. Zuweilen ist sein Stil plan und eben, ohne einige erhebliche Abwechselung, oder ohne mehr Verzierung, als sich für einen didaktischen Vortrag schickt; zuweilen, und insbesondere wenn er dem, was ihm als verbreiteter Irrthum erscheint, entgegen geht, nimmt er eine beweisende und kunstgemäße widerlegende Form an; am öftesten aber strömt er fort in üppigen Amplifikazionen und wird äußerst lebhaft durch glänzende gehäufte Bilder, durch kühne Personifikazionen, und durch alle Aeußerungen einer kraftvollen und feurigen Beredsam13 langweiligem] langweiligen

32 öftesten] öftersten

35–426,1 Sack lässt hinter „Beredsamkeit.“ zwei zitierte Predigtabschnitte samt deren Rahmung aus; das erste Zitat aus Sermon 4 (Teil 1 OD 128–129, oben S. 188,5–28) wird eingeleitet: „A lively picture of this kind is exhibited in the following passage from a sermon on death:“ (S. 9). Dem zweiten Zitat aus Sermon 24 (Teil 2 OD 346– 348, unten S. 810,9–37) geht der Satz voran: „An allegorical representation of vicious pleasure is well supported, in a sermon ‚on the wisdom of devoting the whole life to duty‘.“ (S. 10) und folgt der summierende Satz: „It would be easy to extract many other specimens, equally striking, of the preacher’s oratorical powers.“ (S. 11)

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Anhang

keit. Gemeine Wahrheiten und bekannte Lehren werden in mehreren dieser Predigten auf eine so mannichfaltige Weise erläutert, und mit so viel Leben und Kraft vorgetragen, daß sie eben dadurch in dem anziehenden Lichte der Neuheit erscheinen. – In einer der Reden von der vornemlich durch | Vernunftgründe überzeugenden Gattung behauptet der Verfasser eine Meinung, die in der Lehre von der Nothwendigkeit menschlicher Handlungen gegründet ist, nemlich: daß ein richtiges oder unrichtiges Urtheil des Verstandes die Quelle der Tugend und des Lasters sey, und die Menschen nie anders verkehrt handeln, als in Gefolge irriger Vorstellungen1. Auf demselben Grundsatze scheint auch die Behauptung des Verfassers in einer andern Predigt gebaut zu seyn2, in welcher er die Meinung vorträgt, daß Mit leiden, nicht aber Unwille oder Abscheu die eigentliche Empfindung sey, die wir gegen die Bösen in uns zu unterhalten haben – eine Meinung, die von vielen, welche das System der moralischen Nothwendigkeit sich nicht ganz zu eigen gemacht haben, als eine gefährliche Uebertreibung angesehen werden wird. – Das liberale Urtheil, daß in Ansehung moralischer Diensterweisungen von Niemandem | mehr zu fordern sey, als er nach Verhältniß seiner natürlichen Fähigkeiten und seiner äu1 2

Es ist die 1ste des ersten Bandes, und dieselbe, welche bereits besonders gedruckt worden ist. Im 2ten Bande die neunzehnte Predigt.

18 Niemandem] Niemanden 4 Sack lässt hinter „erscheinen.“ eine beschreibende Darstellung samt längerem Predigtzitat aus. „Of this kind, besides the discourses already mentioned, are the sermons on the following subjects: the omnipresence of God; God our creator; virtue recommended from the evanescent nature of man; poverty with virtue preferable to wealth without; the pursuit of happiness; the insecurity of virtue; the prolific nature of vice; the lapse of time an argument for moral dispatch. In other discourses, Mr. F. displays a considerable degree of originality of thought and argument. Treating on the comparative sum of happiness and misery in human life, he very successfully brightens the picture by contrasting its felicities with its miseries, and by shewing that human sufferings are alleviated by increasing insensibility, employment, social connections, natural constitution, and hope. We must detain our readers on this sermon, while we quote a beautiful passage:“ (S. 11). Das folgende Zitat stammt aus Sermon 3 (Teil 1 OD 91– 92, oben S. 148,5–24). 17 Sack lässt hinter „werden wird.“ den Satz aus: „In some other discourses, particularly that in which j u s t i c e is considered as an adequate expression of a virtuous character, and that in which Christianity is vindicated in not directly inculcating friendship and patriotism, Mr. F. approaches nearly to the theory of Mr. Godwin, but does not embrace it in its full extent.“ (S. 12) 20 Vgl. oben S. 11–53 20–21 Gemeint ist der Predigteinzeldruck „Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Eine Rede aus dem Englischen übersetzt. Berlin, 1798.“ (vgl. oben die Bandeinleitung S. XIX–XXI). 22 Vgl. unten S. 663–695

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ßern Lage leisten k an n 3, wird auf eine Art erläutert und angewandt, die nicht wenig dazu beizutragen vermag, Gelindigkeit in Beurtheilung anderer über ihre gewöhnlichen Grenzen auszudehnen. – In der Rede über r e i n e u n d ge i s t i ge G o t t e s ve rehrung 4 wird der Aberglaube mit eben so viel Stärke der Vernunft als Kraft der Beredsamkeit bekämpft; es wird fest behauptet, daß Moralität alles sey in der Religion, und daß aller Gottesdienst, als eine Sache für sich, und ohne Wirkung auf die Sittlichkeit des Menschen betrachtet, der Gottheit durchaus nicht gefällig sey. Viel neues wird man auch in der Rede über die allen Menschen gebührende Achtung antreffen, in welcher der Hochmuth des Ranges, des Vermögens, und des Vielwissens auf eine sehr trefliche Weise gezüchtiget wird; auch in der über uneig enn ü t z i g e G ü t i gk e i t , darin selbst eine Rück|sicht auf Billigung, und die Erwartung von Dankbarkeit als etwas, das der Aufmerksamkeit einer edlen Seele nicht werth ist, vorgestellt wird. Die vornehmsten Fehler, die wir in diesen Reden wahrgenommen haben, sind eine zu große Geneigtheit zur Amplifikazion, durch welche manche Predigt zu einer ganz unnöthigen und ungebührlichen Länge ausgedehnt worden; eine Neigung, seine Talente glänzen zu lassen, und hin und wieder ein Haschen nach Beifall durch Flittergold und blendendes Spielwerk. Dies sind Mängel, die ein durchaus gereinigter Geschmack vermieden haben würde, die aber mitten unter so mannichfaltigen und ungemeinen Vorzügen, zwar eine Bemerkung nöthig machen, aber keine Rüge verdienen. Gewiß wird es wenig Werke dieser Art geben, die sich einer so glücklichen Vereinigung von richtigen Grundsätzen und nützlichen Belehrungen mit allem, was die Redekunst gefallendes und wirksames hat, rühmen können, als eben dieses.“| So urtheilt der Verfasser der Rezension in dem Monthly Review. – In dem Analytical Review (Jan. 1796) wird diesen Predigten ein fast ganz gleiches Lob beigelegt. „Man hat“, sagt der Rezensent, „der 3 4

Die sechste Predigt des ersten Bandes. Die neunte Predigt des ersten Bandes.

16 vornehmsten] vornemsten 28 Monthly] monthly „der] hat, sagt der Rezensent, der

30 hat“, sagt der Rezensent,

15 Sack lässt hinter „vorgestellt wird.“ folgende beschreibende Darstellung aus: „Besides the sermons already particularized, the volumes contain discourses on self-deception; spritual pride; opportunities of beneficence not confined to the rich; fortitude; the power of evil habit; reflections on the natural notifications of time. The whole number is twenty-six.“ (S. 12) 21 Sack lässt hinter „Spielwerk.“ sechs Zeilen der Rezension mit fünf gereihten Predigtformulierungen aus. 30–429,2 Analytical review, or History of literature, domestic and foreign, on an enlarged plan, Bd. 23, London 1796, S. 59–64, hier S. 59–60; der von Sack ausgelassene ins Einzelne gehende Rezensionsteil ist in der Bandeinleitung mitgeteilt (vgl. oben S. XIV–XV). 31 Vgl. oben S. 201– 229 32 Vgl. oben S. 303–341

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Kanzelberedsamkeit in England oft den Vorwurf gemacht, daß sie sich noch in einem sehr unvollkommnen Zustande befinde; und vielleicht ist dazu, ungeachtet der Menge von verständigen und geistvollen Predigten, die unsre Pressen geliefert haben, doch Grund genug. Denn es ist unleugbar, daß unsre englischen Prediger gewöhnlich mehr Mühe darauf verwandt haben, ihre Predigten belehrend einzurichten, als sie eindringlich zu machen. Sey nun dieser Tadel mehr oder weniger gegründet, so hat Herr Fawcett doch das Verdienst, ihn auf eine äußerst glückliche Weise aus dem Wege geräumt zu haben. Seine äußern Talente als Prediger sind in der Hauptstadt hinlänglich bekannt5, | und so wenig es uns auch zukömmt, darüber zu urtheilen, so dürfen wir doch hinzufügen, daß sie mit Recht gepriesen werden. Es ist erfreulich, daß, ungeachtet er sein Geschäft als Prediger aufzugeben für gut gefunden hat, er doch dem Publikum Gelegenheit verschaft hat, die Früchte desselben zu genießen. Denn es ist kein Zweifel, daß diese seine Reden, auch ohne die Begünstigung einer richtigen und eindringenden äußeren Beredsamkeit allgemein als ganz vorzügliche Meisterwerke werden angesehen werden. Sie haben einen Ueberfluß an allem, was eine lebhafte Einbildungskraft, und ein fruchtbares Genie zur Verschönerung einer Rede beizutragen vermögen; und sie bringen Wahrheiten, welche von den mehresten anerkannt werden, und allgemein interessant sind, mit einer solchen Lebendigkeit zum Anschauen, daß ein tiefer und dauernder Eindruck die Frucht davon seyn muß. Diese große Wirkung weiß aber Herr Fawcett hervorzubringen ohne einige Hülfe von mystischen und schwärmerischen Vorstellungsarten. Seine | Deklamazionen mögen freilich oft weitschweifiger seyn, als es ein kalter Beurtheiler nöthig finden möchte; auch mag es wahr seyn, daß er hin und wieder das Ohr des großen Haufens durch Beschreibungen, Anspielungen und Erläuterungen zu füllen sucht, welche eine strenge philosophische Prüfung nicht aushalten, – aber er ist keinesweges einer von den dürftigen Rednern, die nur ein paar abgedroschene auf der Oberfläche schwimmende Gemeinplätze zum Vorschein bringen; gesunder richtiger Verstand und wichtige praktische Wahrheit wird man bei seinen Reden überall zum Grunde gelegt finden. In mehreren derselben wird ein verständiger Leser eine genaue Bekanntschaft mit der Theorie der philosophischen Moral und eine scharfe Beobachtung menschlicher Natur und Sitten wahrnehmen. Bei der Klarheit, der Kraft, dem Reichthum und der Fülle des in hohem 5

Herr Fawcett soll diese Talente in einem ungewöhnlich hohen Grade besitzen, und durch sie eine außerordentliche Sensazion in London verursacht haben.

7–8 gegründet] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 826–827

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Grade beredten Ausdrucks ist der Sinn immer männlich und reif, nicht selten tief und philosophisch.“| Dies kann die Leser hinlänglich belehren, was sie an dieser Sammlung von Predigten haben, und welcher Werth ihnen beizulegen ist. Sie stehen, meinem Bedünken nach, den korrekteren Blairschen Predigten nach, die bei gleichen Vorzügen von ähnlichen Fehlern freier sind; sie sind vielleicht nur einem eingeschränkten Kreise von Lesern erbaulich; ihre ermüdende Länge, und die hin und wieder zu reichlich verschwendeten oratorischen Zierrathen; mehr als dies: die kühnen Ausflüge in die dunkleren Regionen des menschlichen Wissens, die der Verfasser zuweilen seiner Einbildungskraft verstattet; dies alles macht sie nicht durchgängig zu tadellosen Mustern, die man a llg emein zur Nachahmung empfehlen könnte. Ich würde einigen derselben, nach meiner Empfindung, selbst den Charakter von Predig t en, in dem eingeschränkteren Sinn des Wortes, nicht zugestehen können; denen nemlich, welchen die zwei Eigenschaften fehlen, die meinen Begriffen zufolge, P r e d igt e n durchaus haben müssen: Popula ritä t und H e r z l i c h k e i t . Was | die Popularität anbetrift: so ist dies freilich ein relativer Begriff. Versteht man darunter eine solche Art zu argumentiren und sich auszudrücken, die allen Zuhörern ohne Unterschied verständlich ist, so kömmt es allerdings auf die Beschaffenheit des Auditoriums an, welches der Prediger vor sich hat. Besteht dasselbe bloß aus solchen, die wegen ihrer Kenntnisse, Erziehung und Lebensart zu der gebildeteren Klasse gehören: so wird der Prediger, ohne von dem großen Zweck seines Geschäfts, z u e r b au en, abzukommen, sich sowohl Vorstellungs- und Beweisarten erlauben, als auch sich eines Ausdrucks bedienen können, deren er sich in einer vermischteren Versammlung, wenn er nicht zu mehreren in einer ihnen fremden Sprache sprechen will, enthalten muß. In diesem Falle hat sich der englische Redner befunden6, und es ist ihm demnach aus | dem, was hin und wieder in seinen Predigten dem gemeinen Volke nur leerer Schall seyn dürfte, kein Vorwurf zu machen. Wie die Sache aber allgemein steht, muß der Prediger, wenn er öffentlich, insbesondere an einem großen Orte, auftritt, auf die mannichfaltigste Beschaffenheit von Zuhörern rechnen. Diese alle erwarten von ihm Belehrungen, Erweckungen, Tröstungen. Sie sind da, nicht bloß um ihn zu hören, sondern auch, 6

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Der Verfassser ist nicht Prediger einer besondern Gemeine, sondern er hat diese Reden vor einer Versammlung von Freunden vernünftiger Andacht gehalten, die | nur auf eine Zeitlang Religionsvorträge in bestimmten Stunden von ihm verlangt haben, wie es auch der Titel dieser Predigten im englischen anzeigt: Sermons delivered at the Sunday Evening, Lecture for the Winter Season at the Old Jewry.

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um zu verstehen, was er sagt. Die große Kunst, die er zu studieren hat, wird also die seyn: so zu reden, daß er auch wirklich von allen verstanden werden könne. Er muß daher vieles nicht sagen, was er in einem ungemischteren Kreise mit dem sichersten Erfolge vortragen könnte; er muß vieles anders sagen, als es etwa ein Professor auf dem Katheder, ein Gelehrter | in einer Akademie der Wissenschaften, oder auch ein Religionslehrer in einer Privatversammlung sagen darf und muß. Er muß auf der Kanzel keine Unt ersuchung en anstellen, keine Materie eigentlich abhandeln wollen; er muß die ihm vielleicht geläufige Kunstsprache vergessen, und sich einer jeden Form des Denkens und des Ausdrucks, die der Schule eigen ist, enthalten. Nicht weniger muß er alle Hinweisungen auf Ideen, Meinungen und Ereignisse, die dem einem Theile seiner Zuhörer unbekannt sind, bei Seite lassen, mit so vielem Nutzen er sich ihrer auch in Rücksicht auf einen andern Theil derselben bedienen könnte. Kann und will er sich zu dieser Verleugnung nicht verstehen, so muß er auf eine der Haupteigenschaften eines guten Predigers, die Popula ritä t Verzicht thun. Der Religionslehrer auf dem Lande hat hierin einen großen Vortheil vor dem in der Stadt. Er hat einen Kreis von Menschen vor sich, die alle ohngefähr auf derselben Stufe von Geistesbildung stehen, und was ihm unge|mein günstig ist: er kennt genau den Grad von Kenntnissen und Empfänglichkeit, den er voraussetzen kann. Nicht so der Prediger in einer großen Stadt. Um seine Kanzel her sitzen oder stehen Menschen von der vollendetesten und von der dürftigsten moralischen Kultur. Soll seine Rede populär seyn, so muß er sich so ausdrücken, daß er den Gebildeten nicht anstößig oder langweilig, dem Ungebildeten nicht dunkel sey. Er kann sich daher nur auf die Begriffe des gesunden Menschenverstandes, auf die allgemeinen Empfindungen der menschlichen Natur, und auf solche Kenntnisse und Erfahrungen einschränken, die weder Gelehrsamkeit noch Scharfsinn, sondern nur einen gewöhnlichen Grad des Nachdenkens und des Wissens voraussetzen. Aus dieser Ursache wird er sich gleich weit entfernt halten müssen von der Höhe der eigentlichen Beredsamkeit, die immer nur einem mit Kenntnissen bereicherten Verstande und einem feinern Ohre angemessen ist, und von der niedrigen Sprachweise des großen Haufens, | die allenfalls nur dem Pöbel nicht anstößig und eckelhaft seyn kann. Eine in der That sehr schwere Aufgabe! Es gehört nicht wenig Menschenkenntniß, und ein langes Studium dazu, um die edle bescheidne Simplizität zu treffen, die sich weder zu hoch erhebt, noch zu tief herabsenkt; und nach welcher der Prediger, der für die eigentliche Nutzbarkeit seines Geschäftes Sinn hat, als nach seinem höchsten 34 bereicherten] bereichertem

36 eckelhaft] vgl. Adelung: Wörterbuch 1, Sp. 1642

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Ruhm streben sollte. Diese weise Einfalt, diese anmaßungslose Lehrart war es, die dem göttlichen Lehrer religiöser Moralität das schöne Zeugniß erwarb: e r l e h r e ge w al t i gl i c h , und nicht w ie die Schriftgelehrten. Wenn ich in einigen dieser Fawcettschen Predigten nun auch den Charakter der Herzlichkeit nicht überall finde: so liegt der Grund davon eben in dem Fehler, den die englischen Kritiker mit Recht an ihm bemerkt haben, nemlich: daß sich hin und wieder, aber freilich nur selten, eine zu geflißentliche Neigung hervorthut, durch malerische Beschreibungen und | durch Spiele des Witzes Ohr und Einbildungskraft zu ergötzen. Dergleichen Ueppigkeiten sind unter der Würde des christlichen Predigers. Sie verrathen immer einen noch nicht genugsam gereinigten Geschmack, oder ein eitles Gemüth. Auch die Kanzel verträgt allerdings den Schmuck der Wohlredenheit; nur muß er nie der Putz einer Kokette, sondern der einer anständigen tugendhaften Frau seyn. Es muß nie der Verdacht entstehen, daß der Redende bloß gefallen, bloß seine Talente, seine Kunst, seinen Verstand, seinen Witz bewundert wissen wolle; es ihm darum zu thun sey, sich ungewöhnlich oder schön auszudrücken, und einen augenblicklichen Eindruck zu machen. Dabei verliert immer die Herzlichkeit des Vortrags, die einer Predigt mehr, wenigstens dauerndere, Kraft giebt, als alle noch so hinreißende Gewalt der Rhetorik. Man vergesse nie, daß eine Predigt nicht Darstellung eines Kunstwerkes, sondern eine Anweisung und Hülfe zum Gutseyn und Getrostseyn durch Religion seyn solle. Was | diesen Zweck nicht befördert, was die Gedanken und Empfindungen der Zuhörer von dieser großen Hauptsache ablenkt, das kann in andern Rücksichten einen nicht geringen Werth haben; es kann als Sache der Kunst und als reife Frucht des Talents vortreflich seyn; aber es ist nicht das, was es seyn soll. Es kann daher eine Rede durchaus nichts als Wahrheit, selbst das Herz veredelnde Wahrheit enthalten; sie kann in das Gebiet des Wissens ein neues sehr helles Licht werfen; sie kann der heiligen Sache der Moralität beförderlich seyn, und dabei zugleich als ein Meisterwerk des Geschmacks und der Beredsamkeit hohe Bewunderung verdienen – durchweht sie nicht, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Geist christlicher Religiosität; und wird es nicht wahrgenommen, daß der Lehrer selbst von diesem Geiste belebt sey; wird es vielmehr merklich, daß er mehr sich zeigen, als erbauen, mehr glänzen als nutzen wolle: so kann er vortreflich und sehr schön geredet haben, aber er hat schlecht gepredigt. Si|cherlich wird er auch, was er etwa auf der einen Seite an Bewunderung und Lob gewinnt, auf der andern an Achtung und ächter Nutzbarkeit verlieren. 3–4 Vgl. Mt 7,29; Mk 1,22

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XXIII

XXIV

XXV

Anhang

Denn selbst seine Kenner und wahre Verehrer jedes Talents wollen in der Kirche nicht etwa eine angenehme Unterhaltung genießen, und über moralische Gegenstände kunstgerechte Deklamazionen hören; sondern sie wünschen zu den religiösen Empfindungen erweckt zu werden, die ihre Tugendliebe stützen, und ihr christliches Vertrauen auf Gott beleben. Ein würdiger Offizier sagte einst hierüber sehr wahr und sehr gut: ich höre zwar gern die sogenannten Redner; wenn ich aber erbaut seyn will, so gehe ich dahin, wo mir in der herzlichen Sprache des Wohlmeinens gesagt wird, was vor Gott recht ist, und was ich zu hoffen habe. Jene reißen mich hin, und ich muß unwillkührlich einstimmen in das Lob der herausströmenden Menge; wie herrlich, wie unnachahmlich hat der Mann geredet! aber ein Ein|druck auf mein Gemüth bleibt mir weiter nicht übrig – von diesem gehe ich still, wie alle andern, aber mit nachdenkendem Gemüth und sanft erwärmtem Herzen hinweg. Die Wahrheit, die aus seinem Munde kam, hat mich nicht in eine außerordentliche Bewegung gesetzt, aber sie bleibt mir in den Gedanken und in dem Gewissen; sie hat irgend etwas in mir in beßre Ordnung oder in mehr Ruhe gebracht, und lange nachher, bei diesem oder jenem Anlasse, spreche ich in mir selbst, nicht: wie schön, sondern: wie w ah r hat der Mann geredet! – Nach diesem Ruhm strebe, wer ein nützlicher Prediger seyn will; er bedenke, daß es beim Predigen nicht, wie auf der Rednerbühne auf überraschende Ueberredungskraft oder auf Erregung eines Affekts ankömmt, in welchem grade jetzt etwas für wahr gehalten, etwas beschlossen oder gethan werden soll; sondern auf Hervorbringung einer herrschenden Denkungsart, auf Annehmung von Grundsätzen, die das ganze Leben regie|ren sollen; auf Gewöhnung zu einem Sinn, der auch ohne Hülfe einer in Feuer gesetzten Einbildungskraft, oder leidenschaftlicher Gefühle, fortdauert und sich wirksam beweist. Ich will hiermit gar nicht der eigentlichen Beredsamkeit, selbst der von der höheren Gattung allen Gebrauch und Werth auf der Kanzel absprechen; noch weniger aber von dem sorgfältigsten Fleiße in Ausarbeitung einer Predigt abrathen. Es giebt Gelegenheiten, bei welchen es auch von dem Prediger mit Recht verlangt wird, daß er sich als eigentlicher Redner zeige. Ueberdem ist es bei uns nicht der Fall, daß durch zu viel Beredsamkeit gesündigt wird; und im ganzen möchte man die meisten wohl eher zur Bewerbung um oratorische Geschicklichkeit zu ermahnen, als sie vor einer Uebertreibung oder unrichtigen Anwendung derselben zu warnen Ursache haben. Denn im allge|meinen herrscht freilich noch ein zu kalter geschmackloser und einschläfernder Lehrton in unsern Predigten; immer ist noch viel zu wenig 14 andern] andre

26 regieren] regiegen

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Vorrede von Friedrich Samuel Gottfried Sack

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Interessantes sowohl in der Materie über welche geprediget wird, als in der Art, die Wahrheit dazustellen. Es ist in der Welt nichts langweiligeres, als eine Stunde lang über einen Gemeinplatz gemein sprechen, oft nur schwatzen, zu hören. Und wenn zu allen diesen Gemeinheiten noch ein affektirtes Pathos in Stimme und Geberden, und eine unnatürliche mit der Alltäglichkeit oder Verworrenheit der Gedanken kontrastirende Feierlichkeit der Deklamazion hinzu kömmt: so ist die Selbstverleugnung, die der Zuhörer, um einer guten Sachen willen, zu üben Gelegenheit hat, vielleicht der einzige Nutzen der angehörten Predigt. Es studire daher derjenige, der des Vorzuges würdig seyn will öffentlich über die heiligste und wichtigste Angelegenheit der gebildeteren Menschheit reden zu dürfen; er studire mit großem Fleiße | die Kunst, die ihn tüchtig machen kann, es mit Anstand, und mit Erfolg zu thun. Zu dem Ende lese er die Werke vollendeter Redner älterer und neuerer Zeit, und suche, ohne sklavische Nachahmung, aus den verschiedenen Manieren großer Meister Vortheil zu ziehen. Ueberall aber lasse er sich leiten durch klare Einsicht in die Natur seines Geschäfts, und durch die reine Absicht, als Prediger in seinem ihm angewiesenen besondern Wirkungskreise nützlich zu seyn. Diese hier übersetzten Reden sind ein Werk des Genies und der Kunst zugleich. Sie können also, wie alle Werke dieser Art, den Funken des Genies, überall, wo er vorhanden ist, hervorlocken, oder anfachen. Sie sind zugleich ein reichhaltiges Magazin treflicher Ideen, neuer Ansichten moralischer Gegenstände, edler und lebhafter | Bilder und feiner Bemerkungen über die menschliche Natur. Es kann sie gewiß Niemand, der an vorzüglich lebhaften und ächt oratorischen Darstellungen richtiger Gedanken ein Wohlgefallen findet, ohne Vergnügen, und ohne großen Gewinn für seinen Geist und seinen Geschmack lesen. Da sie aber zugleich durchgehends die reinste Moral mit ächter Religion ohne alle Beimischung dessen, was nur Meinung oder Partheisprache ist, in Verbindung bringen, und den beiden Grundpfeilern menschlicher Veredlung und 16 der Achtung für die Tugend und dem Glauben an Gott, eine neue Befestigung geben: so werden sie auch der entwürdigenden Frivolität, die alle besseren Grundsätze gleich einer verheerenden Fluth wegschwemmt, einen neuen Damm entgegensetzen; und auch demjenigen einen Nutzen gewähren, dem es um Hülfe zur Festhaltung religiöser Rechtschaffenheit, und um | Belebung frommer wohlwollender und beruhigender Gesinnungen zu thun ist. Berlin, den 14ten April 1798. F. S. G. Sack. 1 sowohl] so wohl

32 Wohlfahrt] Wohlfarth

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Joseph Fawcett’s Predigten.

5

Aus dem Englischen übersetzt von F. Schleiermacher

mit einer Vorrede von F. S. G. Sack Königlichem Hofprediger Oberconsistorial- und Kirchenrath

10

Zweiter Theil.

Berlin 1798, bey August Mylius.

C O N T E N T S.

SERMON XIII. On Happiness. An d Ah a b c am e i n t o h i s h o u s e hea v y a nd disp l e a s e d , b e c au s e o f t h e w o r d w hich N a both h a d s p o k e n t o h i m : f o r h e h a d sa id, I w ill not g i v e t h e e t h e i n h e r i t an c e o f my f a t hers: a nd he l a i d h i m d o w n u p o n h i s b e d , a nd turned a w a y h i s f a c e , an d w o u l d e at n o b r e a d. 1 Kings xxi. 4.

PAGE. 5

1

SERMON XIV. The Opportunities of Beneficence not confined to the Rich. S i l v e r a n d go l d h ave I n o n e ; b ut such a s I ha v e g i v e I u n t o t h e e . Acts iii. 6.

10

57

SERMON XV. On the Respect that is due to all Men. H o n o u r a l l M e n . 1 Peter ii. 17.

15

85

SERMON XVI. On disinterested Goodness. D o g o o d an d l e n d , h o p i n g f o r n o thing a g a in. Luke vi. 35.

119

SERMON XVII. Christianity vindicated in not particularly inculcating Friendship and Patriotism. An d w h o i s m y n e i gh b o u r ? Luke x. 29.

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20

Inhalt des zweyten Theils. XIII.

Ueber die Glückseligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 1.

XIV.

Daß die Gelegenheiten zur Wohlthätigkeit nicht allein den Reichen verliehen sind . . . . . . . . . .

53.

Ueber die Achtung, die wir allen Menschen schuldig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81.

Ueber die uneigennützige Güte . . . . . . . . . . . . .

112.

XVII. Rechtfertigung des Christenthums, daß es Freundschaft und Vaterlandsliebe nicht besonders einschärft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

141.

5

XV.

XVI.

10

III

440

Contents

SERMON XVIII. The Love of Enemies shown to be a Temper attainable by Christians, and recommended to their Acquisition. B u t I s a y u n t o yo u , L o ve yo u r e n e mies, bless t hem t h a t c u r s e yo u , d o go o d t o t h e m tha t ha te y ou, a n d p r ay f o r t h e m w h i c h d e s p itefully use y ou a n d p e r s e c u t e yo u . Matt. v. 44.

5

175

SERMON XIX. IV

On the Spirit proper to be exercised towards the Wicked. An d w h e n t h e P h ar i s e e s s aw i t , t hey sa id unto his d i s | c i p l e s , W h y e at e t h yo u r m a st er w ith publ i c a n s an d s i n n e r s ? Matt. ix. 11. 209

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SERMON XX. On Fortitude. Ad d t o y o u r f ai t h , vi r t u e — 2 Peter i. 5.

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263

20

The Causes of the Insecurity of human Virtue pointed out, and the Caution necessary to its Preservation recommended. L e t h i m t h at t h i n k e t h h e s t an d e th, t a ke heed lest h e f a l l . 1 Cor. x. 12. 289

25

SERMON XXI. On the Power of evil Habit. Ca n t h e E t h i o p i an c h an ge h i s s k i n, or the leopa rd h i s s p o t s ? t h e n m ay ye al s o do g ood, w ho a re a c c u s t o m e d t o d o e vi l . Jer. xiii. 23.

SERMON XXII.

SERMON XXIII. The prolific Nature of Vice. E n t e r n o t i n t o t h e p at h o f t h e w icked, a nd g o not i n t h e w ay o f e vi l m e n . Avo i d it , pa ss not by i t , t u r n f r o m i t , an d p as s aw a y. Prov. iv. 14,15.

313

30

Inhalt

XVIII. Daß Liebe gegen die Feinde eine Gesinnung ist, welche Christen erreichen können, und welche ihnen mit Recht empfohlen wird . . . . . . . . . .

XIX.

165.

Ueber die Gesinnungen, welche wir gegen die Gottlosen hegen sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195.

XX.

Ueber die Tapferkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224. |

XXI.

Ueber die Gewalt schlechter Gewohnheiten . . . . .

245.

XXII. Die Ursachen von der Unsicherheit der menschlichen Tugend werden angegeben und die Vorsicht, welche zu ihrer Erhaltung nothwendig ist wird empfohlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269.

XXIII. Die fruchtbare Natur des Lasters . . . . . . . . . . .

291.

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IV

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Contents

SERMON XXIV. The Wisdom of devoting the whole of Life to Duty. J u s t p e r s o n s w h i c h n e e d n o r e p e nta nce. Luke xv. 7.

343

SERMON XXV. The Lapse of Time considered as an Argument for Moral Dispatch. Delivered on New Year’s Day. I t i s h i g h t i m e t o aw ak e o u t o f s leep. Rom. xiii. 11.

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SERMON XXVI. On the Notifications afforded us by the God of Nature of the Progress of Time. Delivered on New Year’s Day. An d G o d s ai d , L e t t h e r e b e l i ght s in the f irma m e n t o f h e ave n , t o d i vi d e t h e da y f rom the n i g h t : an d l e t t h e m b e f o r s i gns, a nd f or sea s o n s , a n d f o r d ays , an d ye ar s . Gen. i. 14.

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Inhalt

XXIV. Wie weise es ist das ganze Leben der Tugend zu weihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 318.] 319.

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318.

1

S E R M O N S, &c.

On Happiness.

SERMON

XIII.

An d Ah a b c am e i n t o h i s h o u s e h ea v y a nd displea sed, bec a u s e o f t h e w o r d w h i c h Na bot h ha d spoken t o him: f o r h e h ad s ai d , I w i l l n o t gi ve t hee t he inherita nce of m y f a th e r s : an d h e l ai d h i m dow n upon his bed, a nd t u r n e d aw ay h i s f ac e , an d w ould ea t no brea d. 1 Kings xxi. 4.

2

When we are told, that any one is possessed of riches and honours, how far are we from being informed, that happiness belongs to him! How many questions remain to be answered, before that fact can be ascertained! The spectator of a splendid mansion immediately proceeds to envy the master of it, hurries without hesitation to the conclusion, that he is a happy man, with|out taking a single step into that passage of inquiry, which must be trodden, before it is possible to penetrate to the secret, whether or no he be so: without even crossing the threshold of the inquiry: without so much as waiting for that appearance of the man, which, perhaps, would, in a moment, make it sufficiently apparent, that at least he was far from being completely happy. Perhaps, upon being introduced to the master of the house, he would behold a stranger to health; the victim of chronical distemper; condemned to long and frequent confinements; and in the superb abode, of which, before, he so much envied the owner, he would see only a magnificent prison. Or, perhaps, the proprietor of it has health and strength, so as to be able to leave it whenever he will, and is using this liberty at the moment when the observer of his dwelling is painting to himself his felicity; but, upon waiting to see him at his

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Dreyzehnte Predigt.

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Ueber die Glückseligkeit.

1 Kön. 21, 4. 5

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U n d Ah a b k a m h e i m u n m u t h s u n d z ornig um des Wortes w i l l e n , d a s N ab o t h d e r J e s r e e l i t e r zu ihm ha tte g esa g t u n d g e s p r o c h e n : I c h w i l l d i r m e iner V ä t er Erbe nicht g e b e n . Un d e r l e gt e s i c h au f s e i n B ette, und w a ndt e sein An t l i t z , u n d aß k e i n B r o d t .

Wenn uns erzählt wird, daß Jemand Reichthum und Ehre besitzt, wie weit sind wir noch davon entfernt zu wissen, ob er auch glücklich sey! Wie viel Fragen sind noch zu beantworten, ehe dieser Punkt ausgemacht werden kann! Wenn wir einen prächtigen Pallast betrachten, fangen wir wohl unmittelbar damit an, den Eigenthümer desselben zu beneiden, und eilen ohne Bedenken zu dem Schluß, daß er ein glücklicher Mann sey, ohne auch nur einen Schritt in der Untersuchung zu thun, die erst abgeschlossen werden muß, ehe wir in das Geheimniß eindringen können, ob es wirklich so ist; ja ohne auch nur auf | die Erscheinung des Mannes zu warten, die es vielleicht in einem Augenblick deutlich gemacht haben würde, daß er wenigstens davon weit entfernt war, vollkommen glücklich zu seyn. Vielleicht, wenn man uns vor den Herrn des Hauses geführt hätte, würden wir an ihm einen Mann gefunden haben, der die Gesundheit nicht kennt, der ein Schlachtopfer oft wiederkehrender Krankheit, zu langem und häufigem Innebleiben verurtheilt ist, und nun würden wir in der prächtigen Wohnung, deren Eigner wir vorher so sehr beneideten, nur ein vornehmes Gefängniß sehen. Oder vielleicht hat der Besitzer Gesundheit und Kräfte, so daß er sein Haus verlassen kann wenn er will, vielleicht

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Serm. 13: On Happiness

return to it, perhaps, he will behold a cloud upon his face, which shall render it but too visible that there is disquietude in his heart.

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With a countenance thus overcast, Ahab king of Israel is recorded to have returned to | his palace. Elevated to the summit of society, surrounded by opulence and splendour, it was not in the power of all the sunshine of greatness, to shut out the gloom of discontentment from his breast. A vineyard, the convenient situation of which had attracted his desires, he wished to purchase of the owner, but was refused. All his other possessions are unable to console him, under the want of this particular piece of ground, and under the mortification of receiving a denial to his request. The cause of this uneasiness of mind, in the midst of so much cause for contentment, is to be sought in that law of our nature, according to which the vivacity of all impressions upon us, both of a painful, and a pleasing kind, is proportioned to their novelty. The impressions both of agreeable, and unpleasant circumstances, when first made, are deep and lively; but, being often repeated, grow fainter and fainter, and gradually fade away. The good, which we have long held, we little enjoy; and the evil, which we have seldom endured, we deeply suffer. Ahab, in the midst of affluent wealth, and in the possession of sovereign power, loses his cheerfulness and rejects his food. Not all his wealth, | not all his power, are able to still the uneasiness of desire, excited by a small spot of earth: for all that power, and all that wealth, great as they were, had been long in his hand. He but faintly felt the felicity of a situation, which he had always filled; while, on the other hand, he felt with uncommon acuteness, that mortification of being denied what he had desired, to which his rank had rendered him, no doubt, an almost total stranger. Accustomed to consider himself as conferring an honour in receiving a favour, unknowing what it was to ask, and be refused, the word, which Naboth spake unto him, went to his heart like the point of a dagger, like the sting of an indignity. In the ear of such a man, the language of respectful refusal sounded like the voice of insolence; and the denial of a benefit struck upon his heart like the blow of an injury. Thus, while a new possession was necessary to refresh and recruit the satisfaction, to which ample, but old, possessions had exhausted their supply of food, and which they alone were no longer capable of keeping alive; be smarted, at the same time, with peculiar sensibility, under those wounds of pride, | which must have been so novel to him, who governed the kingdom of Israel.

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bedient er sich dieser Freyheit grade in dem Augenblick, da der Beobachter sich seine Glückseligkeit schildert; aber wenn dieser wartete, um ihn auch bey seiner Zurückkunft zu sehen, so würde er vielleicht auf dem Angesicht desselben eine Wolke bemerken, welche es nur zu sichtbar macht, daß Unruhe in seinem Herzen ist. Mit einem so bezogenen Angesicht kehrte der Erzählung zufolge Ahab, der König von Israel in seinen Pallast zurück. Auf den höchsten Gipfel in der Gesellschaft gestellt, von Herrlichkeit und Pracht umgeben, konnte doch aller Sonnenschein der Größe das düstere Mißvergnügen nicht aus seiner Brust vertreiben. Einen Weinberg, dessen bequeme Lage seine Wünsche gereizt hatte, wollte er von dem Besitzer erkaufen, aber er wurde zurückgewiesen. Und nun waren alle seine andere Besitzungen nicht im | Stande, ihn über den Mangel dieses einzelnen Grundstückes zu trösten, und über die Kränkung, eine abschlägige Antwort auf seine Forderung erhalten zu haben. Den Grund dieses unbehaglichen Gemütszustandes mitten unter so vielen Ursachen zur Zufriedenheit müssen wir in dem Gesetz unserer Natur suchen, vermöge dessen die Lebhaftigkeit aller Eindrücke, die in uns hervorgebracht werden, der schmerzlichen sowohl als der angenehmen, im Verhältniß mit ihrer Neuheit steht. Alle Eindrücke sowohl von erfreulichen als unangenehmen Gegenständen, sind, wenn sie zuerst entstehen, tief und lebhaft; werden sie aber öfter wiederholt, so werden sie schwächer und schwächer, und verlöschen allmählich ganz. Das Gute, was wir schon lange besessen haben, genießen wir wenig mehr, und das Uebel, das uns nur selten traf, fühlen wir um desto tiefer. Ahab verliert mitten unter dem gehäuftesten Reichthum, und in dem Besitz der unumschränkten Gewalt seine Heiterkeit, und will nicht essen. All sein Reichthum, all seine Macht ist nicht im Stande die Unruhe der Begierde zu stillen, welche ein kleines Stück Land erregt hat. Denn alle diese Macht und aller dieser Reichthum, so groß sie auch waren, sind schon lange in seiner Hand gewesen. Die Glückseligkeit einer Lage, deren Gutes er schon lange genossen hatte, fühlte er nur noch schwach; da er auf der andern Seite die Kränkung, sich einen Wunsch versagt zu sehn, mit ungemeiner Schärfe empfand, eine Kränkung welche | ihm in seinem Rang ohne Zweifel ganz neu war. Gewohnt zu glauben, daß er Andern eine Ehre erweise, wenn er eine Gefälligkeit von ihnen annehme, unwissend, was das heiße, zu bitten, und abgewiesen zu werden, drang das Wort welches Naboth zu ihm sprach, in sein Herz, wie die Spitze eines Dolches, wie der Stachel einer Beschimpfung. In dem Ohr eines solchen Mannes tönte die Sprache der ehrerbietigsten Weigerung wie die Stimme der Unver41 Weigerung wie] Weigerung, wie

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Serm. 13: On Happiness

This property of our passive habits, this character of the impressions that are made upon us by pleasurable and by displeasing circumstances, this proportion of their strength to the freshness of their stamp, and power of time to wear them both away, is a powerful argument for contentment with competence, and for the recall of the supreme desires from the superfluous possessions of human life. In recommending that satisfaction with food and raiment, which our holy religion inculcates upon us, and which is the subject to which I this evening intreat your attention, I confine myself to the consideration of this law of our nature, as that which is alone competent to the complete expulsion of the spirit of discontentment from the human bosom.

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Many of the considerations, by which moralists and divines have endeavoured to heal the discontentment of mankind, have been calculated merely to palliate, without eradicating the distemper: they have been adapted rather to sooth and quiet the pain for a moment, than to penetrate to the seat, and expel the cause of it. Its root, indeed, they | have rather tended to confirm, and to cherish, than to extract. He who exhorts the man that is dissatisfied with a sufficiency for the wants of nature, to call off the eye that wanders to situations in society superior to his own, and the sight of which excites his dissatisfaction with it, and to fix his attention upon the inferior conditions by which he is encircled; who exhorts him to look out of the habitation, the roof of which, though humble, is capable of excluding the inclemency of the weather, and direct his contemplation to the hovels that cannot keep out the wind and the rain of heaven; who advises him, when he sends his imagination from the board, which has upon it all that is necessary to his subsistence, and to his health, but to which he sits discontented down, because it is not covered with the luxuries with which other tables are loaded, instead of sending it to such tables, to guide it into the wretched abodes, where the extremities of want are endured, and bid it look upon the hollow eyes, that

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schämtheit, und die Versagung einer Wohlthat traf sein Herz wie der Schlag einer Beleidigung. Nicht genug also, daß wieder eine neue Besitzung nöthig war, um die Zufriedenheit aufzufrischen und zu ergänzen, welche zu nähren seine ausgebreiteten aber alten Besitzungen sich schon erschöpft hatten, und die sie nun nicht mehr allein lebhaft erhalten konnten, es mußte ihn auch noch zu derselben Zeit die Verwundung seines Stolzes ganz vorzüglich empfindlich schmerzen, die dem so neu seyn mußte, der das Königreich Israels beherrschte. Diese Eigenschaft derjenigen innern Veränderungen bey denen wir uns leidend verhalten, dieser Charakter der Eindrücke die durch angenehme oder widerwärtige Umstände erzeugt werden, dieses Verhältniß ihrer Stärke zu der Neuheit ihres Gepräges, und diese Gewalt der Zeit beyde abzuschleifen, ist ein starker Bewegungsgrund uns an dem Nothwendigen genügen zu lassen, und den überflüßigen Besitzungen des menschlichen Lebens unsere höchsten Wünsche nicht zu widmen. Indem ich diese von | unserer heiligen Religion so sehr eingeschärfte Genügsamkeit bey Nahrung und Kleidung, welche der Gegenstand ist, auf den ich eure Aufmerksamkeit für diesen Abend richte, zu empfehlen suche, werde ich mich bloß auf die Betrachtung dieses Gesetzes unserer Natur einschränken, weil sie allein schon hinreichen muß, den Geist der Unzufriedenheit aus der menschlichen Brust gänzlich zu vertreiben. Viele von den Betrachtungen, wodurch Sitten- und Religionslehrer die Unzufriedenheit der Menschen zu heilen gesucht haben, sind lediglich darauf berechnet, die Krankheit zu lindern, nicht sie auszurotten, sie sind geschickter den Schmerz auf einen Augenblick zu stillen, und zu beruhigen, als in den Sitz des Uebels einzudringen, und die Ursach desselben hinwegzunehmen. Seine Wurzel haben sie in der That mehr gepflegt und befestigt, als ausgerissen. Wer einen Menschen, der mit dem, was für die Bedürfnisse der Natur hinreicht, nicht zufrieden ist, ermahnt, sein Auge von den glänzenden gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen es immer herumirrt, und deren Anblick seine Unzufriedenheit mit seinen eigenen nährt, zurückzurufen, und seine Aufmerksamkeit auf die niedern Stände zu richten, die er überall neben sich beobachten kann; wer ihn ermahnt aus seiner Wohnung, deren niedriges Dach wenigstens die Beleidigungen der Witterung abhält, herauszusehn und seine Bemerkungen auf die Hütten zu richten, welche gegen Wind und Regen | nicht schützen können; wer ihm, wenn er unzufrieden an seinem Tische sitzt, der doch mit allem, was Nothdurft und Gesundheit erfordern, besetzt, und nur mit den Schwelgereyen nicht beladen ist, womit Andere ihre Tafeln bedecken, den Rath giebt, daß er seine Einbildungskraft, anstatt sie nach diesen Tafeln hinblicken zu lassen, lieber

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Serm. 13: On Happiness

would glisten with eagerness at sight of the food with which he is unsatisfied; who directs him, when he is disposed to regard his raiment with discontentment, | because it is not purple, to think of them who have none at all, whose lot is nakedness, and by whom his decayed clothing would be received with gratitude; he who addresses such consolation to the discontented with competence, admits, for the moment, that they have cause for discontent, but that others have more. Such comfort as this, while it confirms, rather than cures, the principle of discontent, must surely be considered as encouraging a selfish and ungenerous spirit. For certainly he, to whom it is any consolation, under the absence of the superfluities of life, that others are without its necessaries, is as much to be detested for receiving such consolation, as he is to be despised, under such circumstances, for wanting any consolation at all. The radical complaint thus encouraged and confirmed, and the pain only pacified by temporary opiate, it will rage with redoubled violence, when the eye of the discontented man is removed from those stations below him, to which he had been taught to direct it in quest of ease, but to which he cannot by any contrivance chain it; and when it reverts, as soon it, therefore, must, to the situations above him, that remind him of | what, he thinks, he wants, and that revive the envy, which had only for a moment yielded its place to compassion.

They, likewise, who direct the discontented with a condition, which contains all that is necessary to nature, because they find themselves surrounded by others, whom they do not think so deserving as they, with fuller hands than theirs, to throw forward their eyes upon that future state, in which another constitution of things is to take place, another scale of ranks and conditions to be established, in which the several steps of promotion are to be exactly proportioned to the different degrees of human proficiency in virtue, they who thus console those who thus complain, tacitly confess, that they have cause for complaint, but that they shall not have it long. Under solid pains, and serious sorrows, the prospect of a life to come is a proper topic of consolation, a suitable application to the case; but to comfort him, in this manner, whose only cause of lamentation it is, that others have more than he, of that which is not necessary to the happiness of man, is silently to concede, that t h i s is solid pain, that t his is serious sorrow. And I must take the | liberty to say, that he, who attempts to

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in die armseligen Wohnungen führen möge, wo alle Bitterkeiten des Mangels erduldet werden, lieber auf die holen Augen sehen lasse, die beym Anblick der Nahrung, über die er mißvergnügt ist, vor heftiger Begierde glänzen würden; wer ihm, wenn er seine Kleidung mit Unzufriedenheit ansieht, weil sie kein Purpur ist, die Anweisung giebt, an die zu denken, denen es ganz daran fehlt, deren Loos Blöße ist, und die noch seine abgetragenen Kleidungsstücke mit Dankbarkeit annehmen würden; wer die, denen das Nothdürftige nicht genügt, auf solche Art tröstet, giebt ihnen für den Augenblick zu, daß sie Ursach haben sich zu beklagen, nur daß Andere noch größere haben. Indem ein solcher Trost den Grund des Mißvergnügens eher stärkt, als heilt, nährt er noch überdies eine selbstsüchtige und unedle Gesinnung. Denn gewiß der, welcher wegen der Entbehrung der Ueberflüßig k e i t e n des Lebens, darin einigen Trost findet, daß Andere ohne die N o t h w e n d i g k e i t e n desselben sind, verdient dafür, daß dieser Trost bey ihm anschlägt, eben so viel Abscheu, als Verachtung dafür, daß er unter solchen Umständen noch irgend eines Trostes bedarf. Wenn so die | Klage selbst gerechtfertigt, und in ihrem Grunde bestärkt, und nur der Schmerz durch stillende Mittel auf eine Zeitlang besänftigt wird, so wird er gewiß mit verdoppelter Stärke wüthen, sobald der Mißvergnügte sein Auge einmal von den niedrigen Gegenständen hinwegwendet, auf die er es zu seiner Erleichterung richten sollte, an die er es aber, trotz aller Künsteleyen, nicht auf immer anfesseln kann, und sobald es, was doch alsdenn geschehen muß, zu den Gegenständen über ihm zurückkehrt, die ihn an das erinnern, was ihm, wie er sich einbildet, fehlt, und die den Neid wieder aufregen, der nur auf einen Augenblick dem Mitleiden seinen Platz überlassen hatte. Nicht anders handeln die, welche dem Unzufriedenen, dem sein Zustand alles Nothwendige gewährt, und der nur darüber mißvergnügt seyn kann, daß er sich von Menschen umgeben sieht, welche bey einer geringeren Würdigkeit, wie er glaubt, dennoch reichlicher begabt sind, die Anweisung geben, nur auf den künftigen Zustand zu sehen, wo eine ganz andere Einrichtung der Dinge Statt haben soll, wo eine ganz andere Rangordnung eingeführt, und jede Stufe der Beförderung ganz genau den verschiedenen Fortschritten der Menschen in der Tugend angemessen seyn wird. Sie geben stillschweigend zu, wenn sie den, der sich so beklagt, so trösten, daß er Ursach zu klagen habe, nur daß er sie nicht lange haben werde. Unter wirklichen Schmerzen, unter ernstlichen Leiden, ist die Aussicht auf ein künftiges Le|ben ein schicklicher Trostgrund, der seine gehörige Anwendung auf den vorliegenden Fall findet; aber den so zu trösten, der keine 2 holen] Kj hohlen

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sooth the mind, which is dissatisfied with sufficiency, merely because it is inferiority to surrounding lots, by pointing to a world where all shall be dealt with according to their doings in this, is, all the while, encouraging a temper, which entirely unqualifies for the felicity of that future scene, from which he fetches his consolation,

In addressing, then, those, who are discontented with a competent provision for the wants of nature, he is the most faithful physician to their complaint, who, instead of dispensing to them such considerations as are calculated merely to mitigate, without removing it, administers to them what, if they will take it, will effect a radical cure; who strikes at once at the root of the distemper, by endeavouring to convince them, that the satisfaction which they have not found, it is not in the power of external situation to supply; that the absence of it is owing to wants that are within them, and not without them; and that it must be sought in the proper exercise of their faculties, and disposition of their affections.| 10

Some indeed there are, alas, the heart of Charity aches to think how many! to whom, although they have food and raiment, yet happiness is denied. Although their limbs are always clothed, although their daily bread is constant, and their heads have every night a pillow, yet their toil to obtain a bare subsistence is so intense, and so unintermitting, that all the strength of their nature is exhausted in the undue strain of their corporeal exertion; and without any residue either of energy or of time for the cultivation of happiness, or any leisure for the exhilaration of their senses, their whole life may be said to be one long struggle to live; one protracted wrestle with death. By such persons, whose sole pursuit is bread, and whose sole recreation is sleep, contentment can only be known in the negative sense of the word; that contentment which arises from want of leisure to sigh, and from want of strength to feed the worm of discontent; while of the most melancholy necessity in their situation, the absence of opportunity for the improvement of their intellectual and moral nature, they have no conception, and can therefore make no complaint. 12 satisfaction] satifaction

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andere Ursach hat, sich zu beklagen, als die, daß andere von dem, was doch zur Glückseligkeit des Menschen gar nicht nothwendig gehört, mehr haben als er selbst, das heißt zugeben, dies sey ein wirklicher Schmerz, dies sey ein e r n s t l i c h e s L e iden. Und ich muß unverholen sagen, wer ein Gemüth, welches sich an dem Hinreichenden bloß deswegen nicht genügen läßt, weil es nicht so viel enthält als das reichere Loos mancher Andern, dadurch beruhigen will, daß er auf eine künftige Welt hinweiset, wo alles dem Betragen in der gegenwärtigen gemäß vertheilt werden wird, der unterstützt dadurch immer eine Gesinnung, welche den Menschen zu dem Genuß der Glückseligkeit jenes Lebens, aus welchem er seinen Trost hernimmt, gänzlich ungeschickt macht. Man muß denen, die bey einem Zustand, welcher für die Forderungen der Natur hinreicht, unzufrieden sind, nicht solche Betrachtungen an die Hand geben, die ihre Klage zwar mildern, aber nicht gänzlich beseitigen. Ihr redlichster Arzt ist der, der ihnen ein Mittel reicht, welches, wenn sie es nur nehmen wollen, eine vollständige Kur bewirkt, der das Uebel gleich an der Wurzel angreift, indem er sich bemüht, sie zu überzeugen, daß äußere Umstände nicht im Stande sind, ihnen die Zufriedenheit zu geben, welche sie in den ihrigen nicht gefunden haben, daß der Mangel derselben einen innern | und nicht einen äußern Grund hat, und daß sie diese Zufriedenheit in einer besseren Uebung ihrer Kräfte, und einer besseren Anordnung ihrer Neigungen suchen müßten. Es giebt zwar Menschen, ach! und das Herz der Liebe kann nicht ohne Schmerzen daran denken, wie viele ihrer sind, denen, ob sie gleich Nahrung und Kleidung haben, die Glückseligkeit dennoch versagt ist. Ihre Glieder sind immer bekleidet, ihr tägliches Brodt bleibt nie aus, ihr Haupt findet jede Nacht sein Kissen, aber die Arbeit, welche sie verrichten müssen, um den dürftigsten Unterhalt zu gewinnen, ist so hart und ununterbrochen, daß alle Stärke ihrer Natur in übermäßigen Anstrengungen körperlicher Thätigkeit erschöpft wird, und da ihnen auch nicht das geringste von ihrer Kraft oder ihrer Zeit übrig bleibt, um für ihre Glückseligkeit zu sorgen, auch nicht einige Muße, um ihre Sinne zu erquicken, so kann man wohl sagen, daß ihr ganzes Leben in einem langen Kampf um das Leben besteht, in einem fortgesetzten Sträuben gegen den Tod. Für solche Personen, deren einziges Streben nach Brodt geht, und deren einzige Erholung der Schlaf ist, kann freylich Zufriedenheit nur in einem negativen Sinne des Wortes statt finden, nur die Zufriedenheit nemlich, die daher entsteht, daß sie keine Muße haben zu seufzen, und keine Kraft um den Wurm der 4–5 unverholen] Kj unverhohlen

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This is indeed the sole, sad com|fort of their situation, that they are too occupied to reflect upon their wretchedness; too exhausted in body to feel the gnawings of mental uneasiness; and too ignorant of its value, to lament the want of moral cultivation. Deplorable, however, in the greatest degree, their case must, surely, be pronounced, from whose bosom the pang of discontentment is precluded by the remoteness of their removal from the means of welfare; who are prevented from complaint by the extremity of their cause for it; and whose ease of mind arises out of the ruin of their natures.

With the situation of such it is only for the generous observer to be dissatisfied; themselves are dully content; and the unfeeling affluent pronounce them happy. They are continually occupied, say they; occupation keeps them contented; and contentment is happiness. Charity, however, unconsoled, either by the insensibility of her object to the evil of the situation which excites her pity, or by the sophistry of the selfish which calls that insensibility bliss, persists to sigh over them, whose mental serenity has no other source than want of thought, and ignorance | of welfare: who, if strangers to disquietude, are equally unacquainted with happiness: whose contentment she can, therefore, consider but as the contentment of the dead with the place, wherever it be, in which they are deposited; and in whose peace she contemplates only the inanimate peace of the grave. That so many human beings should thus have led the life of machines, and put forth all their strength in acquiring the means of keeping them in motion, while the understanding, which “the inspiration of the Almighty gave them,” has lain entirely dormant, and been lest to perish within them; that this famine of minds, for the sole sake of providing food for which, all other food was ultimately intended by him, who has commanded the earth to bring it forth; that this penury of the knowledge, which is necessary to nourish the spirit of manly and generous virtue, should have been the lot of so many rational creatures, in all ages of the world; is a consideration, which wrings the heart of Humanity more than all the pictures, which history has placed before it, of failing harvests, and famished cities!| 34 cities!] folgt der Kustos Those,

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Unzufriedenheit zu nähren, indem sie von der beklagenswürdigsten Dürftigkeit ihrer Lage, nemlich von dem gänzlichen Mangel aller Gelegen|heit zur Vervollkommnung ihrer geistigen und sittlichen Natur gar keinen Begriff haben, und also auch keine Klage darüber erheben können. Das ist in der That der einzige traurige Trost unter ihren Umständen, daß sie zu beschäftigt sind, um über ihr Elend nachzudenken, zu sehr körperlich erschöpft, um das Nagen der geistigen Dürftigkeit zu empfinden, und zu unbekannt mit dem Werth der sittlichen Ausbildung, um ihren Mangel zu beklagen. Im höchsten Grade bedauernswerth muß man gewiß den Zustand derjenigen nennen, deren Busen nur deswegen von dem Stachel der Unzufriedenheit frey ist, weil ihre Entfernung von allen Mitteln zum Wohlergehn zu gelangen gar zu groß ist, die nur deswegen nicht zum Klagen kommen können, weil sie zu viel Ursach dazu haben, und deren Gemüthsruhe nur aus der gänzlichen Zerrüttung ihrer Natur entspringt. Aber nur der theilnehmende Beobachter ist mißmüthig über den Zustand dieser Menschen; sie selbst sind aus Stumpfsinn zufrieden, und von den gefühllosen Reichen werden sie auch glücklich genannt. Sie sind ja immer beschäftigt, sagen diese, ihre Arbeit erhält sie zufrieden, und Zufriedenheit ist Glückseligkeit. Aber die Liebe, die nicht getröstet wird durch die Unempfindlichkeit ihres Gegenstandes gegen die Unvollkommenheit seiner Mitleid erweckenden Lage, nicht durch die Sophisterey der Selbstsüchtigen, die diese Unempfindlichkeit ein Glück nennen – die Liebe kann sich nicht erwehren, über die zu seufzen, deren Heiterkeit keine andere Quelle hat, als ihre | Gedankenlosigkeit und ihre Unwissenheit in dem was zum Wohlergehen gehört; über die, welche, wenn sie die Unruhe nicht kennen, mit der Glückseligkeit doch eben so unbekannt sind, deren Zufriedenheit sie also nur ansehen kann, als die Zufriedenheit des Todten mit jedem Platz, wo man ihn hinlegt, und in deren Ruhe sie nur die unbeseelte Ruhe des Grabes erblickt. Daß so viele menschliche Wesen auf diese Art ein maschinenmäßiges Leben führen, und alle ihre Kräfte verwenden müssen, um nur die Mittel zu erwerben, sie länger in Bewegung zu erhalten, unterdessen der Verstand, den der Athem des Allmächtigen ihnen eingeflößt hat, ganz im Schlummer liegt und umgekommen ist in ihnen, daß dies Verhungern des Gemüths um nur die leidige Nahrung herbeyzuschaffen, da doch um seinetwillen alle Nahrung erschaffen ist von dem, der der Erde befahl sie hervorzubringen, daß dieser Mangel an allen Erkenntnissen, welche nöthig sind um eine männliche und edle Tugend zu nähren, das Loos so vieler vernünftigen Geschöpfe in allen Zeitaltern der Welt gewesen ist, dies ist eine Be34–35 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 32,8

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They, who are thus situated, are not in the number of them, whom I would now persuade to satisfaction with their situation; nor are they, I hope, in the number of them, whom these walls enclose. Those, whom I call upon, to be contented with their condition, are they, who have reason to be contented; who are unhappy, in the midst of the means of happiness; who are infected with that dissatisfaction, which is without foundation, and the degree of which is often the greatest, where its ground is most strikingly imaginary. There are those, and it is to them I call, who have bread enough, and, perhaps, to spare; who have raiment enough, and, perhaps, more than enough; who have rest sufficient, and more than sufficient, from the labours of life, for the necessary recreation of their nature, and the temperate entertainment of their senses; and who have, therefore, time for attention to intellectual and moral pursuit: but who, instead of employing that time, be it little, or be it much, in repairing to this rich and inexhaustible resource of happiness, which their own bosoms enclose, consume it in permitting the wandering of their wishes to higher situations in | society, equally unessential to their happiness, and inaccessible to their steps. To such I say, whether possessed but of sufficiency, or of affluence, that their dissatisfaction is equally unfounded. Although their situation may not afford them all that vacation from mechanical or mercantile occupation, which is necessary to the perfect well-being of an intelligent creature; though they may have reason to envy some around them, superior opportunities for the pursuit of knowledge and virtue; yet, with respect to sensual, or to any kind of selfish, enjoyment, of which the supposed inferiority of their share, and not this moral deficiency, is the subject of their uneasiness, they have no reason to regard, with any envy, even those that stand the highest above them.

All sensual pleasure is a relative thing. That which is luxury to him, to whom it is new, is none to them, to whom it is familiar. The continual recurrence of them reduces the highest ranks of sensual gratification to a level with the lowest. He who is in possession of an easy sufficiency, and capable of commanding a series of plain and humble pleasures, indulges a groundless envy, when he suffers it to be excited by the higher, but | the habitual, indulgences of persons in

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trachtung, welche dem Herzen der Menschenliebe mehr Qual verursacht, als alle Gemälde der Geschichte von mißrathenen Erndten und ausgehungerten Städten. Die, welche sich in einer solchen Lage befinden, sind nicht unter der Zahl derer, welche ich jetzt überreden möchte, sich bey der ihrigen zu beruhigen, auch hoffe ich, daß es solche nicht giebt unter denen, die in diesen Mauern sind; sondern ich rufe die|jenigen auf mit ihrem Zustande zufrieden zu seyn, welche Ursach haben es zu seyn, aber mitten unter den Mitteln zur Glückseligkeit unglücklich sind; welche von jener grundlosen Unzufriedenheit angesteckt sind, die oft da am stärksten ist, wo jede Veranlassung dazu ganz offenbar nur eingebildet seyn kann. Es giebt Menschen, und zu denen rede ich, die Brodt genug haben, ja vielleicht übriges, die Kleidung genug haben, und vielleicht mehr als genug, die von den Arbeiten des Lebens Ruhe genug haben, ja vielleicht mehr als nöthig ist, um die Natur wieder zu erquicken, und ihren Sinnen mäßige Befriedigung zu gewähren, und die also Zeit genug haben, auf geistige und moralische Angelegenheiten Bedacht zu nehmen, die aber diese Zeit, sey es nun viel oder wenig, anstatt sie zu einem Aufenthalt bey der reichen und unerschöpflichen Quelle der Glückseligkeit, welche sich in ihrer eignen Brust befindet, zu benutzen, lieber damit verschwenden, daß sie ihren Wünschen in den höhern Regionen der Gesellschaft herumzuschweifen vergönnen, wo sie doch, wenn sie ihnen auch weniger unzugänglich wären, nichts finden würden, was wesentlich zu ihrer Glückseligkeit gehört. Allen diesen, sowohl denen, die nur das Hinreichende, als denen, die auch das Ueberflüßige besitzen, sage ich, daß ihre Unzufriedenheit ohne Unterschied ungegründet ist. Gewährt ihnen auch ihre Lage nicht alle die Muße von mechanischen oder merkantilischen Beschäftigungen, welche zum vollkommnen Wohlseyn eines geistigen Ge|schöpfs nöthig wäre, hätten sie auch Ursach einigen unter ihnen die reichlichere Gelegenheit sich Kenntniß und Tugend zu erwerben, zu beneiden: so haben sie doch, was den sinnlichen Genuß, alle seine höheren Arten mit eingeschlossen, betrift – und dass hierin ihr Loos dürftiger wäre, nicht aber jene moralische Unvollkommenheit, war der Vorwand ihrer Unzufriedenheit – gar nicht Ursach selbst die, welche am höchsten über ihnen stehen, mit neidischen Augen zu betrachten. Alles sinnliche Vergnügen kann nur in Beziehung auf den, der es genießt, geschätzt werden. Was für den einen, dem es neu wäre, eine Ueppigkeit hieße, ist es nicht mehr für den Andern, der daran gewohnt ist. Oeftere Wiederholung setzt die höchsten Arten des sinnlichen Genusses mit dem niedrigsten ganz gleich. Wer im Besitz eines mäßigen Wohlstandes ist, und sich eine Reihe einfacher und geräuschloser Vergnügungen verschaffen kann, überläßt sich einem ganz unge-

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superior station. The enjoyments, to which he looks up, are not superior to his own.

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There are those, whose appetites are courted by more costly provision than his; whose senses are excited by more stimulating entertainments, and soothed by smoother accommodations; whose days are spent in more expensive amusements, and whose nights are passed upon softer pillows. But he, who “fares sumptuously ev ery day,” sits down to no sweeter feast than he: he, whose delight is daily stirred by more pungent excitements, is no more animated by them, than he is by his cheaper and soberer pastime: and he whose love of ease is lulled in a downier lap, whose situation is covered, in every part of it, with cushion, and lined all over with pillow, enjoys not a more delicious recumbence, even upon the supposition of his mixing along with it the labour, of some kind or other, which is necessary to render rest delightful, than belongs to his hour of repose, in his less silken seat. Continual repetition wears away the exquisiteness of all sensual pleasures, and gradually dulls the most lively delights into flat and insipid sensation. That landscape, | which fills the traveller with rapture, is regarded with indifference by him, who sees it every day from his window. The sweetest sounds that art can combine, lose much of their effect upon an ear, that is perpetually listening to melody. The most costly luxuries, that can load the board of opulence, are but bread to him, who makes his daily meal upon them. The cordial, that exhilarates the sober, is but “a cup of cold water” to one, who is accustomed to the draught of intemperance. The brilliant lustres, that illuminate the house of public amusement, are no more than sober day light, to him who passes all his evenings there. And the softest couch, into which languor ever sunk, is only a seat to them, who never recline upon one less soft. When custom has made them necessary, the highest order of sensual pleasures communicate no higher satisfaction, than the supply of her necessary wants affords to simple nature. And let me be allowed to stop one moment to remark, how much are they exposed to pain, in this world of change, to whom the deprivation of luxury were the horror of famine; exclusion from gay assemblies, the dreariness of solitude; the soberness of domestic society, | the gloom of imprisonment; the loss of soft clothing, the misery of nakedness; and the reduction of elegant life’s redundant conveniences, the bare condition of savage and unaccommodated man! 38 unaccommodated] unaccomodated

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gründeten Neide, wenn er diese Gemüthsbewegung bey sich erregt werden läßt durch die höhern aber auch zur Gewohnheit gewordenen Vergnügungen der Personen von höherem Stande. Der Genuß, zu welchem er herauf sieht, ist gar nicht größer als sein eigner. Es giebt freylich Personen, die ihrem Gaumen durch köstlichere Speisen schmeicheln, ihre Sinnlichkeit durch reizendere Gegenstände befriedigen, und durch weichlichere Bequemlichkeiten verwöhnen können, deren Tage in theureren Ergötzlichkeiten, deren | Nächte auf weicheren Kissen vergehn. Aber wer alle Tage herrlich lebt, hat kein wohlschmeckenders Mahl als ein anderer; wessen Lust täglich durch schärfere Reize erregt wird, der hat nicht mehr Genuß davon, als ein Anderer von seinem wohlfeileren und mäßigeren Vergnügen; und der, der für seine Bequemlichkeit noch eine weichere Pflege hat, der sich überall auf Polster setzen und auf Kissen ruhen kann, genießt doch gewiß – selbst wenn er es nicht versäumt, irgend eine Art von Arbeit zwischen einzuschalten, was so nothwendig ist um die Ruhe lieblich zu machen – keiner erquickendern Erholung, als ein Anderer auf einem weniger weichen Sitz in seiner Ruhestunde findet. Beständige Wiederholung nimmt allen sinnlichen Vergnügungen ihr auszeichnendes, und stumpft nach und nach den lebhaftesten Genuß bis zu einem schwachen und unbedeutenden Eindruck ab. Die Landschaft, die den Reisenden mit Entzücken füllt, wird von dem, der sie täglich aus seinem Fenster sieht, gleichgültig betrachtet. Die süßesten Töne, welche die Kunst zusammenbringen kann, verlieren viel von ihrer Wirkung für das Ohr, welches täglich auf ihre Melodie hört. Die kostbarsten Lekereyen, welche die Tafel des Reichen belasten, sind nur Brodt für den, der täglich seine Mahlzeit damit macht. Die Herzstärkung, die den Nüchternen erquickt, ist nur ein Becher kalten Wassers für den, der an die Zeche der Unmäßigkeit gewöhnt ist; die blendenden Kronleuchter, die das Haus der öffentlichen Ergötzlichkeiten erhellen, sind nur mäßiges | Tageslicht für die, welche alle ihre Abende dort verbringen. Und das weichste Lager, auf welches je ein Ermüdeter hinsank, ist dem nur eine Bank, der sich nie anders niederlegt. Die höchste Stuffe sinnlicher Vergnügungen gewährt, wenn die Gewohnheit sie einmal unentbehrlich gemacht hat, keine höhere Befriedigung, als die einfache Natur in der Stillung ihrer nothwendigsten Bedürfnisse findet. Und laßt mich noch einen Augenblick verweilen, um zu bemerken, wie sehr in dieser wechselreichen Welt diejenigen dem Schmerz 4 nicht] nichts 9 Vgl. Lk 16,19 28 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Mt 10,42 (vgl. Mk 9,41).

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This law of our nature, according to which the vivacity of all our sensations is in proportion to their variation from the tenor of our experience, as it brings the pleasures, brings also the pa ins, of the rich, and the only comparatively poor, very much to the same level. As the envied pleasures, which the opulent are capable of procuring, are no more to them who have been always accustomed to them, than humbler gratifications to those who have never experienced any higher; so the trivial pains, the diminutive troubles, which, when compared with what are endured by others, seem light and little, and which are indeed invisible to the eye of a stranger to them, lie as heavy upon them, upon whom no more substantial ones have ever pressed, as more weighty cares and troubles upon those, whose ordinary life is composed of the slight interruptions, and little inequalities in the course of ease, which are common to almost all mankind, and to which | having been accustomed from their birth, they have contracted as entire an insensibility as that of the sense of touch to the roughness of a surface, with which it is continually in contact. The poor, when contemplating the situation of the rich, have indeed no idea that they have any cares, or troubles at all. They see the world smiling upon them, on every side; they see one continued sunshine of prosperity settled on their house; they behold not a single cloud passing over their head; their situation is all serenity; and so, they suppose, must be their sensations. “They are not,” say they, “in trouble, like other men, neither are they plagued like other men.” This, however, is a mistake. In trouble they ar e , like other men; and in equa l trouble; though the trouble is of another nature. Plagued they are, as other men are plagued; though in a different way. They are troubled by little things; things which you cannot see; but things which they feel; and are as much troubled by these little things, as others are with greater. In concerting the schemes of pleasure; in forming the designs that relate to the ornaments of life; in framing the various projects of vanity | and pride; they experience anxieties as corroding to t hem, as the solicitudes, which accompany the plans of traffic, are to them who are in pursuit of competence: and the cross accidents they encounter, the disappointments they experience, in these idle pursuits of

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ausgesetzt sind, die schon die Schrecken des Hungers empfinden, wenn sie einmal ihre köstlichen Gerichte entbehren müssen, schon die Pein der Einsamkeit, wenn sie aus ihren lustigen Gesellschaften ausgeschlossen sind, denen der eingeschränktere häusliche Kreis schon eine ängstliche Einkerkerung, der Verlust ihrer weichen Kleider schon das Elend der Blöße zu seyn scheint, und die, wenn ihnen etwas von den überflüßigen Bequemlichkeiten des zierlichen Lebens fehlt, schon im Zustande der rohen Wildheit zu seyn glauben. Dieses Gesetz unserer Natur, vermöge dessen die Lebhaftigkeit aller unserer Empfindungen nur von ihrer Abweichung von dem Gehalt unseres gewöhnlichen Zustandes abhängt, bringt so wie die Vergnügungen, so auch die Schmerzen der Reichen, und derer, die nur vergleichsweise arm sind, gar sehr aufs gleiche. So wie die beneideten Freuden, welche die Wohlhabenden sich verschaffen können, für sie, die sich längst daran gewöhnt haben, | nichts mehr sind, als geringere Ergötzlichkeiten für die, welche keine höheren zu genießen pflegen; so liegen die geringfügigsten Unannehmlichkeiten, die unbedeutendsten Schmerzen, die wenn man sie mit dem, was Andere erdulden müssen, vergleicht, etwas geringes und leichtes scheinen, und die sogar jedem, der sie nicht genauer kennt, ganz unsichtbar sind, auf denen, welche nie ein wesentlicheres Leiden gedrückt hat, eben so schwer, als weit wichtigere Sorgen und Bekümmernisse auf Andern, deren gewöhnliches Leben schon aus jenen leichten Unterbrechungen und kleinen Unebenheiten in dem Lauf des Wohlbefindens besteht, die fast alle Menschen erfahren müssen, und gegen die sie, da sie ihrer von Kindheit an gewohnt sind, eben so unempfindlich werden, als der Sinn des Gefühls gegen die Unebenheiten einer Fläche mit der er in beständiger Berührung ist. Wenn die Armen den Zustand der Reichen betrachten, haben sie in der That kaum einen Begriff davon, daß jene auch einige Sorgen und Unruhe haben könnten. Sie sehen, daß die Welt sie auf allen Seiten anlächelt; sie sehen um ihr Haus einen beständigen Sonnenschein gelagert; sie sehen nicht eine einzige Wolke über ihr Haupt ziehen; ihre ganze Lage ist heiter, und so glauben sie müßten auch alle ihre Empfindungen beschaffen seyn. „Sie haben, sagen sie, nicht Unruhe wie andere Menschen, auch werden sie nicht geplagt wie andere Menschen.“ Das ist aber ein Mißverstand. Unruhe haben sie, wie andere Menschen, und zwar | gleiche Unruhe, nur daß ihre Unruhe von anderer Art ist. Geplagt werden sie, wie auch andere Menschen geplagt werden, nur auf eine andere Weise. Sie werden durch kleine 16 höheren] höhere 34–36 Vgl. Ps 73,5

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provision for the wants of art, of food for the necessities of fancy, are as irritating rubs, as serious afflictions, as rough accidents, to their feelings, whose real necessities are permanently supplied; whose substantial interests are safe from vicissitude; and whose life, so far as relates to these, is one long slumber of deep and undisturbed serenity; as disappointments and impediments in the path of serious industry are to other men. Ill success in the pursuit of a superfluous possession, upon which his imagination had fixed a value, but which was not necessary to his subsistence even in luxury and splendour, was as painful an adversity to the king of Israel, as the denial of a profitable place under his government, could have been to the most indigent dependent upon his bounty.

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There is a series of small cares, of petty disappointments, and of minute troubles, at which you, who experience others of a more | visible and palpable nature, would smile, but which, being the only wrinkles that appear upon the smooth surface of that life, which, in other respects, is a dead calm, appear so many mountainous billows to them who experience a repose so profound, in relation to the serious concerns of secular life. As the foot that is used to a fence from the asperities of the ground, is annoyed by the smallest particles of sand which its covering accidentally admits, as much as the foot which is accustomed to walk without a covering, by the roughest places of the earth; as the body which is never exposed to the weather, contracts from domestic confinement a tenderness which occasions it to shrink from the gentlest wind that can blow upon it; in the same manner the mind, that is always fenced round, and shut in by a perpetual and complete prosperity which excludes all the inclemency of the world; that has never been exposed to any of the rough blasts of adversity; that has been pelted by none of the storms of life; to the

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Dinge beunruhigt, durch Dinge, welche ihr nicht sehen könnt, welche sie aber sehr fühlen; und sie werden von diesen kleinen Dingen eben so sehr beunruhigt, als Andere von größeren. Wenn sie die Anlagen zu ihren Vergnügungen verabreden, wenn sie die Grundrisse zu den Verschönerungen des Lebens zeichnen, wenn sie die mancherley Entwürfe der Eitelkeit und des Stolzes in Ordnung bringen, so empfinden sie Beängstigungen, die für sie eben so nagend sind, als die Besorgnisse, welche den Planen des Handels zur Seite gehen, für den sind, der erst nach dem Wohlstande strebt; und für das Gefühl dieser Menschen, deren wahre Bedürfnisse ununterbrochen befriedigt werden, deren wichtigere Angelegenheiten vor allem Wechsel sicher sind, und deren Leben in dieser Rücksicht ein tiefer ungestört sanfter Schlummer ist, sind die kleinen Unfälle, die ihnen bey ihren unnützen Bemühungen erkünstelten Mängeln vorzubeugen, und für fantastische Bedürfnisse Nahrung zu suchen, in den Weg treten, und das Mißgeschick, welches sie dabey erfahren müssen, eben so peinigende Hindernisse, eben so ernstliche Sorgen, eben so harte Widerwärtigkeiten, als für andere Menschen die Schwierigkeiten und das Mißgeschick, welches ihnen in dem Gang ihrer wichtigsten Geschäfte begegnet. Der üble Ausgang eines Versuchs sich eine ganz über|flüßige Besitzung zu erwerben, auf die seine Einbildungskraft einen Werth gesetzt hatte, die ihm aber gar nicht nothwendig war, nicht einmal zur Erhaltung seines Glanzes und seines Wohllebens, war doch dem König von Israel eine so peinliche Widerwärtigkeit, als dem Dürftigsten unter allen, die von seiner Güte abhingen, die Vereitelung seiner Hofnung auf eine einträgliche Stelle unter seiner Regierung hätte seyn können. Es giebt eine Menge von kleinen Besorgnissen, leeren Unruhen, nichtsbedeutenden Unfällen über die ihr, denen größere und von anderm Gehalt aufstoßen, ohne Zweifel lächeln würdet, die aber – eben weil sie die einzigen Falten sind, die sich auf der glatten Oberfläche eines Lebens zeigen, über welchem die unbeweglichste Windstille herrscht – denen die in Rücksicht der ernstlicheren Angelegenheiten des irdischen Lebens der tiefsten Ruhe genießen, als aufgethürmte bergeshohe Wellen erscheinen müssen. So wie dem Fuß, der an eine Umgebung gewöhnt ist, die ihn gegen alle Unebenheiten seines Weges schützt, schon das kleinste Sandkörnchen welches sich in seine Bedeckung verliert, eben so viel Unbequemlichkeiten verursacht, als die rauhesten Stellen des Erdbodens dem, der immer ohne Bedeckung zu gehen gewohnt ist; so wie ein Körper, welcher der Witterung nie ausgesetzt ist, durch den beständigen Aufenthalt in den Zimmern eine Reizbarkeit annimmt, der schon der leiseste Wind, welcher ihn anwe8 Planen] Vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1088–1089

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experience of which nothing sharp and cutting has ever been able to penetrate; derives a delicacy from this warm and genial situation it has | never quitted, which causes it to shiver before the softest breeze of trouble; and to feel, in the faintest breath that stirs amid the stillness of its usual serenity, the keen and furious blast of calamity.

Say not, then, that they have no troubles, whom trifles are able to trouble; that they encounter no collisions and jostlings, in their way through the world, who are shocked and jarred by the faintest and feeblest pushes against their peace: Say not, they have no hills to climb, to whom the smallest ascent possesses the steepness of a mountain: Say not, that he has no burthens to bear, to whom “the grasshopper is a burthen;” upon whom the lightest thing cannot fall, upon whom the smallest particle and grain of evil cannot light, without oppressing him. Has the man who carries burthens, in the literal sense of the word, for hire, any reason to envy him, when he meets him in his way, upon whose shoulders there lies no load, but whose weak and trembling nerves are oppressed by every cloud that passes over his head; whose sinking spirits are weighed down by an atmosphere a little heavier than usual? No more reason have they, who carry within | them the solid cares of life, to envy them who are free from such cares, but to whom the most airy and unsubstantial things are burthensome. Upon the supposition, then, of their confining themselves to selfish pleasures and pursuits, even supposing them, at the same time, to exercise that sobriety which is essential to health, and that employment which is necessary to the preservation of vivacity, those whose abundance is unbounded, and whose time is all their own, stand upon the same ground, in point of happiness, with the temperate possessors of easy competence, and the dependents upon moderate occupation for it. But, on the supposition that they indulge themselves in the excesses of sensuality, and dissolve themselves in the extremities of sloth, they may then be said to sink themselves to a level with the most depressed in the scale of human society. A wise man would be indifferent in his choice, if it were to be proposed to him, which he would rather be, the poor man, whose hands are condemned to the

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hen kann, Schauer verursacht: so wird auch das Gemüth, wel|ches überall eingehägt, in ununterbrochenes vollständiges Glück eingehüllt, und vor allen ungünstigen Ereignissen in der Welt sicher ist, welches nie den rauhen Lüften des Unglücks ausgesetzt war, und nie von den Stürmen des Schicksals angeweht wurde, welches nie irgend eine scharfe, schneidende Empfindung kennen gelernt hat, eben durch diese warme und günstige Lage, die es nie verlassen hat, so verzärtelt, daß es schon vor dem leisesten Hauch einer Widerwärtigkeit zittert, und daß es schon bey dem schwächsten Lüftchen, welches sich regt, und seine gewöhnliche stille Heiterkeit unterbricht, die heftigsten und wüthendsten Stürme des Unglücks zu fühlen glaubt. Sagt also nicht, daß die keine Unruhe haben, welche selbst Kleinigkeiten beunruhigen können, daß die auf ihrem Wege durch die Welt nicht gestoßen und gerüttelt würden, die schon durch die kleinste unbedeutendste Drohung gegen ihre Ruhe erschreckt und verwirrt werden. Saget nicht, daß die keine Höhen zu erklimmen haben, für die schon die kleinste Erhöhung ein steiler Berg ist; sagt nicht, daß der keine Lasten zu tragen hat, dem schon der Grashüpfer eine Bürde ist, den auch das leichteste nicht befallen, auf den sich auch das kleinste Körnchen und Stäubchen einer Unannehmlichkeit nicht niederlassen kann, ohne ihn zu erdrücken. Hat der Lastträger in dem buchstäblichen Sinne des Wortes wohl Ursach denjenigen, wenn er ihm auf seinem Wege begegnet, zu beneiden, auf dessen Schultern | keine Last liegt, aber dessen schwache zitternde Nerven durch jede Wolke gelähmt werden, die über seinem Haupte hinzieht? dessen kraftlose Lebensgeister schon durch eine Luftsäule, die etwas schwerer ist als gewöhnlich, ganz herunter gedrückt werden? Nicht mehr Ursach haben die, welche sich mit den schwereren Sorgen des Lebens herumtragen, diejenigen zu beneiden, die von diesen zwar frey sind, denen aber die luftigsten nichtsbedeutendsten Dinge lästig werden. Sofern also die Vergleichung sich nur auf sinnliche Freuden und Bestrebungen bezieht, stehen diejenigen, deren Ueberfluß uneingeschränkt ist, und die ganz Herren ihrer Zeit sind – wenn sie sich nemlich der Mäßigung befleißigen, die für die Gesundheit unentbehrlich ist, und der Thätigkeit, ohne welche alle Lebhaftigkeit des Genusses sich bald verliert – in Absicht auf ihre Glückseligkeit ganz auf einem Punkt mit denen, die einen mäßigen Wohlstand verständig genießen, und sich leidlichen Beschäftigungen unterziehen müssen, um ihn zu 2 eingehägt] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1566 Berg ist;] nicht daß die ... Berg ist:

16–17 nicht, daß die ...

18–19 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus PredSal 12,5.

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severity of toil, whose brows bear upon them the daily drops of a labour too violent for nature, merely to hold his soul in life; or the | rich man, whose invention is reduced to toil equally hard, in order to discover something new in the exhausted world of pleasure, and preserve from total expiration the languishing spirit of enjoyment: whether he would be the man, who strains, harder than his health allows, a harassed body, to procure the coarsest provision; or the man that must stimulate his jaded desire, to obtain an appetite to the delicacies of the table: whether he would be the wretch, whom famine stares in the face; or the wretch, whom repletion threatens with death: whether he would stand in the situation of him, who bends beneath the burthen of business, too heavy to be borne; or of him, who is oppressed by the weight of those hours, which he has not the wisdom to devote to virtue, and for which he can invent no idle pastime: whether, in a word, he would prefer a perpetual struggle with death, or with utter weariness of life. Perhaps, upon the whole, in comparing these opposite objects of compassion, he would decide in favour of them, whose misery most meets the eye, and is the first to strike the superficial spectator. For, although the wretchedness of penury is that which presses | most forward to the attention, considered as the subject of necessary inference from obvious circumstances, yet the expression of impatience under it is not so loud and audible, as it has been under the contrary burthen; which will, therefore, be perhaps pronounced by the judicious observer, notwithstanding the gay and golden cloth in which the load is wrapped, to be the more insupportable of the two. From the superb pavilions of pleasure, from the splendid villas of grandeur, from elysian shades, and stately palaces, the loudest sighs have been heard, and the most frequent explosions of the instrument of death.

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erhalten. Ueberlassen sie sich aber den Ausschweifungen der Sinnlichkeit, lassen sie die schmählichste Trägheit ihre Kräfte ganz auflösen, so kann man sagen, daß sie sich selbst bis zu denen herabsetzen, die auf der Stuffenleiter der menschlichen Gesellschaft am allertiefsten und gedrücktesten stehen. Ein weiser Mann würde in seiner Wahl sehr unentschlossen seyn, wenn ihm freygestellt würde, was er lieber seyn wollte: der Arme, dessen Hände, um nur seine Seele beym Leben zu | erhalten, zur härtesten Arbeit verdammt sind, und auf dessen Stirne täglich die Tropfen stehen, die durch eine Anstrengung, welche der Natur zu gewaltsam ist, hervorgepreßt werden, oder der Reiche, dessen Erfindsamkeit eben so schwer arbeiten muß, um irgend etwas Neues in der erschöpften Welt des Vergnügens zu entdecken, und die abgestumpfte Genußfähigkeit nicht ganz ersterben zu lassen: ob er lieber der seyn wollte, der einen geplagten Körper härter als die Gesundheit es erlaubt, anstrengen muß, um sich den kärglichsten Unterhalt zu verschaffen, oder der, der seine abgespannten Begierden erst kitzeln muß, um einige Lust an den Herrlichkeiten der Tafel bey sich zu erregen: ob er der Elende seyn wollte, den der Hunger ins Auge faßt, oder der Elende, den der Ueberdruß zu tödten droht: ob er in der Lage dessen seyn wollte, der unter der Last gehäufter Arbeit, die er nicht ertragen kann, gebükt einher geht, oder dessen, den das Gewicht der Stunden drückt, die er aus Mangel an Weisheit der Tugend nicht widmen kann, und für die er keinen unnützen Zeitvertreib mehr zu erfinden weiß; kurz was er vorziehen wollte: einen beständigen Kampf gegen den Tod, oder gegen den gänzlichen Ueberdruß des Lebens. Vielleicht würde er sich doch bey Vergleichung dieser entgegengesetzten bemitleidenswerthen Verfassungen zu Gunsten der ersteren entscheiden, obgleich das Elend darin am stärksten in die Augen springt, und den oberflächlichen Beobachter am heftigsten rührt. Denn das Elend, welches der Man|gel bey sich führt, dringt sich freylich der Bemerkung augenblicklich auf, weil es aus Umständen, die in die Augen fallen, nothwendig erkannt wird; aber es bringt nicht so laute und hörbare Ausdrücke der verzweifelnden Ungeduld hervor, als die entgegengesetzte Bürde, und diese wird daher der verständige Beobachter, ohnerachtet der reizenden, goldenen Bekleidung, in welche die Last eingehüllt ist, wahrscheinlich für die unerträglichere von beyden erklären. Aus den herrlichen Prunkgebäuden, aus den üppigen Landsitzen der Großen, und aus ihren elysischen Gärten, hat man die lautesten Seufzer und den Knall des tödtlichen Rohrs am öftesten gehört. 30 dringt sich] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1418

39 öftesten] oftesten

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Since, then, it seems, that there is a certain sum of sensual happiness, of which alone man is susceptible, and which all his endeavours to add to it do but diminish; and since this sum will appear to be nearly equally accessible to all sorts and conditions of men, that come within the description to which this discourse is confined, if we reflect upon the reductive nature of that habit which brings all gratifications to the s a m e ground, and upon the relative nature of that novelty which is necessary to raise enjoyment a bov e that ground; which, by persons in high | life, is only to be found in high things, and which, by those in lower life, is equally to be met in humbler things; we shall perhaps see reason to conclude, that they who are only comparatively poor have no reason to envy the rich, upon any sensual account.

With respect to those pains which are inflicted upon us by the injustice or insolence of our fellow-creatures, to balance the account between them that often, and them that seldom, suffer from this source, from which superior station must be confessed to include peculiar security, it is to be remembered, that they, who are the least accustomed to them, feel them, upon that account, the more acutely. He, whom there are few that dare offend, is peculiarly offended by the few that dare. He, who but very seldom receives the sting of an insult, is stung to madness when he does. The man whose will, in his weakest years, has been never opposed; who has reigned, from his birth, with a despotic sway over all with whom he has been connected; to whose infantine tyranny domestics have been subjected; whose very parents have stooped to become his slaves, have inverted their venerable character by the basest of all | prostration, put a sceptre into the tiny hand of a babe, and bent their necks to the yoke of a child; if, when he enters the world, his situation continue to command the most obsequious compliances with his desires from most of those with whom he has intercourse, yet when any opposition is made to his will, is destined to endure an impatience of that opposition, in the torment of which you, whose wills have been often thwarted from the womb, have never known what it is to toss! He that returns from the region where riches are amassed, and where the despotic character is learned, loaded with the spoils, and inflated with the pride, of the place, although his riches may procure him a general respect, and his commands receive a prompt obedience, upon a freer shore, yet when any insolent domestic does address him, is thrown

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Da es also, wie es scheint, eine gewisse Summe sinnlicher Glückseligkeit giebt, deren und keiner größeren der Mensch empfänglich ist, und die durch alle seine Bemühungen etwas hinzuzufügen vielmehr nur verringert werden muß; da diese Summe in allen den Lagen und Verhältnissen, die innerhalb der Grenzen liegen, auf welche sich mein Vortrag einschränkt, fast auf gleiche Weise erreicht werden kann – eine Wahrheit von der wir überzeugt werden müssen, sobald wir nur an die begränzende Macht der Gewohnheit, welche die verschiedensten Annehmlichkeiten alle auf denselben Ton zurückführt, und daran denken, daß die Neuheit, welche nothwendig ist, um irgend einen Genuß über diesen Ton zu erheben, etwas sehr relatives ist, und für Personen von hohem Range nur in sehr hohen Dingen, für die aber, die auf den niedrigen Stuffen des Le|bens stehen, auch eben so gut bey niedrigen Gegenständen anzutreffen ist – so werden wir hieraus mit Recht schließen können, daß diejenigen, welche nur vergleichungsweise arm sind, nicht Ursach haben, die Reicheren um irgend etwas zu beneiden, was in das Gebiet der Sinnlichkeit gehört. Wollen wir nun auch in Absicht der Leiden, die uns durch die Ungerechtigkeit oder das unfreundliche Betragen unserer Nebenmenschen zugefügt werden, die Rechnung zwischen denen abschließen, die öfter, und denen die seltner aus dieser Quelle leiden, und freylich gewährt dagegen ein höherer Stand ganz vorzügliche Sicherheit, so muß man bedenken, daß die, welche am wenigsten an diese Dinge gewöhnt sind, sie eben deswegen auch um desto schärfer empfinden. Der, den nur Wenige beleidigen dürfen, fühlt sich desto empfindlicher beleidigt durch die Wenigen die es dürfen. Wer nur selten den Stachel der Kränkung empfindet, der wird davon auch bis zum Wahnsinn verwundet, wenn er ihn einmal trift. Der, dessen Wille schon in seiner schwachen Kindheit nie einen Widerstand fand, der von Jugend an mit einem despotischen Uebergewicht über alle geherrscht hat, mit denen er in Verbindung stand, dessen kindischer Tyranney das Gesinde unterworfen war, dessen Eltern selbst sich zu seinen Sklaven erniedrigten, sich ihres ehrwürdigen Ansehns durch die elendeste Herabwürdigung begaben, einen Scepter in das schwache Händchen des Kindes legten, und ihren Nacken an das Joch des Kna|ben befestigten; wenn der in die Welt tritt, und seine Lage auch so bleibt, daß sie den meisten von denen, mit welchen er umgeht, die geschmeidigste Nachgiebigkeit gegen seine Wünsche gebietet; so kann es doch nicht fehlen, daß er, wenn sein Wille nun einmal Widerstand findet, eben dieses Widerstands halber von einer quälenden Ungeduld gefoltert 8 begränzende] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 773–774 beleidigt, durch 35 Nacken] Naken

26 beleidigt durch]

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upon the rack, and converted into a wretch! Accustomed to a trembling obedience, and a servile awe, the first spirited reply, his imperious tongue provokes, shall torture and distract him to a degree, that shall render him an object of commiseration to his meanest dependent! The king of Israel, habituated to command whatever he wanted; to hint his | wish and to have it fulfilled; whose principal difficulty had been to feel a wish, and to find out a want; at whose feet a nation lay, and to promote whose pleasure was the business of ambition; could not sit down to his table, experienced the grief that banishes hunger, and that will not be courted to eat by the delicacy of the food before it, after that repulsion of his request which was so new to his experience.

These social adversities must sometimes occur in the life of those, whom their situations secure from them the most. No situation can completely exclude them. He whose will is a law to most around him, will meet some rebels among them. He who passes through the world with the most singular exemption from the injuries of mankind, will find, before he quits it, some daring foot that shall presume to trespass upon his rights. And to the ear that is most entrenched on every side, and most completely protected from offences to pride, that is most thickly fenced round by flatterers, and most copiously supplied with compliments, some disrespectful words will sometimes find a way: it must, at some moments, be exposed: some | openings will be left by the guards of vanity from pain, through which expressions, irritating and intolerable to a pride, which has thus been nursed into a delicacy exquisitely vulnerable, will now and then obtain a passage to it.

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wird, deren unruhiges Hin- und Hertreiben ihr, deren Wille von der Wiege an so oft gebrochen worden ist, gar nicht kennen müßt. Wer von dem Lande, wo man Reichthümer sammelt, und eine despotische Gemüthsart nur zu leicht annimmt, mit der Beute dieser Gegenden beladen, aber auch von ihrem ganzen Stolz aufgebläht, in unser freyeres Land zurückkehrt, dem werden seine Reichthümer auch hier allgemeine Achtung und schnellen Gehorsam gegen seine Befehle verschaffen; aber wenn einmal ein ungesitteter Diener ihm nach seiner Art begegnet, so kann ihn das auf die Folter spannen und ganz unglücklich machen. An einen zitternden Gehorsam und an knechtische Ehrfurcht gewöhnt, wird die erste lebhafte Antwort, die sein gebieterischer Ton hervorlockt, ihn in einem solchen Grade peinigen, und aus der Fassung bringen, daß er für seine niedrigsten Untergebenen ein Gegenstand des Mitleidens wird. Der König von Israel, der gewohnt war nur zu befehlen, wenn er etwas brauchte, nur zu winken, wenn er einen Wunsch hatte, und ihn dann gleich erfüllt zu sehn, dem nur dies das schwierige zu seyn schien, wie er einen Wunsch bey sich | erregen und ein neues Bedürfniß aufspüren könnte, zu dessen Füßen eine Nation lag, und dessen Vergnügen befördern zu können ein Gegenstand des Ehrgeizes war, konnte sich nicht an seine Tafel setzen, und fühlte einen Gram, der den Hunger verbannte, und der durch die einladensten Gerichte nicht bewegt werden konnte, Speise zu sich zu nehmen, nur weil er auf seine Forderung eine abschlägige Antwort erhalten hatte, die ihm in seiner Lage etwas so ganz neues war. Solche gesellschaftliche Unfälle müssen sich aber bisweilen selbst in dem Leben derer ereignen, die durch ihre Lage am besten dagegen geschützt werden. Denn kein Verhältniß kann sie gänzlich entfernen. Der, dessen Wille den mehresten um ihn her ein Gesetz ist, wird doch einige Empörer unter ihnen antreffen. Wer mit dem ausgedehntesten Schutzbrief gegen die Beleidigungen der Menschen durch die Welt geht, wird doch wohl, ehe er sie verläßt, einem kühnen Fuß begegnen, der es wagt über seine Rechte hinwegzuschreiten. Zu dem Ohr, welches aufs sorgfältigste verschanzt, und gegen alles, was den Stolz beleidigen könnte, aufs vollkommenste geschützt ist, welches gedrängt von Schmeichlern umgeben ist, und mit Artigkeiten aufs reichlichste angefüllt wird, wird doch bisweilen irgend ein unehrerbietiges Wort den Weg finden. Es muß doch Augenblicke geben, wo es getroffen werden kann, und die, welche es vor allen unangenehmen Eindrücken bewahren, werden doch einige Oeffnungen lassen, | durch welche dann und wann Ausdrücke hindurchdringen, die dem Stolz, der so zu 1–2 der Wiege] derWiege

34 geschützt] geschätzt

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And as the mortifications of pride are peculiarly felt by them who but seldom feel them, its gratifications, like all others, are faintly enjoyed in proportion to the frequency of their return. The fulsome compliments that are daily addressed, the surcharged flatteries that are perpetually poured forth, lose at length their enlivening effect upon the pride to which they are presented. The vanity which for a while was regaled with the honied words, finds after a time but little sweetness in them. It continues to be fed by them; to require them as its necessary food; but they are no longer the feast they were. He who has been used to hear them from day to day without variety, receives no greater gratification from them, than the voice of honest and sober friendship supplies to their love of praise, who have been never flattered. The base adulation of eastern loyalty may be envied by him, whose pride is exposed to frequent attacks upon it, and has its share of | the mortification this passion meets with, in all but a few breasts, in the course of commerce with mankind; he does not reflect that this high strain of homage loses, after a time, much of the power it once possessed, of lifting up the heart to which it is addressed. He who is worshipped, every day, and every hour, with perpetual prostration, and unvaried idolatry, is surfeited at length with the excessive and incessant tribute that is brought to his pride. He who hears it for the first time, hears it “with ravished ears,” but he who is told every day, that he is a god, assumes the imputed divinity with little delight. The high sounding salutations, “glory of the east, and glory of the earth,” enter his ear, without exhilarating his heart. He attends to the splendid titles by which he is continually accosted with little more elation of soul, than you to the plainer name by which you are called. Repletion robs the pride of man, as well as his other appetites, of its pleasures.

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dem leicht verletzlichsten Zartgefühl ausgebildet ist, im höchsten Grade schmerzlich und unerträglich seyn müssen. Und so wie die Kränkungen des Stolzes von denen ganz vorzüglich empfunden werden, welche sie nur selten fühlen, so werden die Befriedigungen desselben gleich allen andern, desto schwächer genossen, je öfter sie wiederkehren. Die ekelhaften Komplimente die täglich angebracht, die überladenen Schmeicheleyen die immer wieder hingeworfen werden, verlieren am Ende ganz ihre Wirkung auf den Stolz, dem man sie darbringt. Die Eitelkeit, die sich eine Weile an den honigsüßen Worten labte, findet nach einiger Zeit wenig liebliches mehr daran. Sie will freylich noch ferner damit gespeiset werden, sie fordert sie als ihre tägliche Nahrung, aber sie sind nicht mehr das Fest, was sie ehedem waren. Wer einmal gewohnt ist, sie täglich ohne Abwechselung zu hören, der findet nicht mehr Befriedigung daran, als die aufrichtige, mäßige Stimme der Freundschaft denen gewährt, die gern gelobt werden, aber denen man nie schmeichelt. Wessen Stolz häufigen Angriffen ausgesetzt ist, und sein Theil hat an den Kränkungen, welche diese Leidenschaft bey Allen – wenige ausgenommen – in dem Lauf des gewöhnlichen geselligen Umgangs zu erdulden hat, der mag die niedrige Schmeicheley morgenländischer Unterwürfigkeit beneiden; er bedenkt aber nicht, daß mit der Zeit diese gehäuften Huldigungen von der | Macht, die sie einst besaßen, das Herz dessen, dem sie dargebracht werden, zu erheben, gar viel verlieren. Wer täglich und stündlich in tiefer Anbetung und einförmiger Abgötterey verehrt wird, wird am Ende überfüllt mit dem übertriebenen unaufhörlichen Tribut, der seinem Stolz gebracht wird. Wer zum erstenmal hört, daß er ein Gott ist, hört es mit entzücktem Ohr; aber wem es täglich gesagt wird, der findet wenig Vergnügen mehr an der Gottheit, die man ihm beylegt. Die hochtönenden Begrüßungen, Ruhm des Morgenlandes, Krone der Erde schallen in sein Ohr ohne sein Herz zu erfreuen. Er hört die glänzenden Titel, bey denen er immer angeredet wird, ohne daß es ihm viel mehr Vergnügen machte, als euch die einfachen Na5 desselben] Kj desselben,

25 unaufhörlichen] nnaufhörlichen

27 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus John Dryden: Alexander’s Feast, or the power of music, London 1697, Zeile 37. 29–30 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat kombiniert zwei Quellen. Das erste Zitat stammt aus John Harris: Navigantium atque itineratum bibliotheca, or, a compleat collection of voyages and travels, London 1705, Seite 427. Das zweite Zitat stammt aus Thomas à Kempis: Imitation of Christ, Buch 1, Kapitel 3,6; die erste englische Übersetzung erschien in London 1567 unter dem Titel „The imitation or following of Christ, and the contemning of worldly vanities: at the first written by Thomas Kempise a Dutchman, amended and polished by Sebastianus Castalio, an Italian, Englished by Edward Hake“.

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Since, then, it is so, that the highest pleasures, which are habitual, are no higher, in reality, and relatively to them who taste them, than the humblest, to which the habits | have been equally confined; since pains and cares climb to the summits of human society, as well as haunt its lowest valleys; since there may be clouds upon royal brows, as well as upon inferior foreheads; since mankind have completely proved, by a repetition of experiment and of testimony, the incompetence of condition to yield contentment to a sensual and selfish character; having exhibited, in all conditions, the signs of discontentment; having sent to the attentive ear the sigh of complaint from every situation alike; and shewn to the watchful observer, in a succession of instances, sufficient not only to satisfy, but even to surfeit, the eye of his reason with evidence of the truth, the gloomy spirit of dissatisfaction, instead of stopping at any particular station in the scale of human life, stepping over them all, and ascending the ranks of society as high up as he can look; from this, I ask, what is the inference to be drawn, but that it is our wisdom to suppress all envy of those who stand above us in the world, and that we seek for contentment where, and only where, we shall be sure to find it, in the proper exercise of our affections and faculties.|

If, then, there be any one within these walls, who, possessed of competence, or who, in possession of opulence, feels within him a painful void, which he fancies is only to be filled by an abundance of this world’s goods, or by a yet greater abundance than he already has in his hand; let me persuade him to believe, what, if he will open his mind to the considerations I have submitted to him, he will see sufficient evidence for believing, that the vacuity, of which he complains, is not occasioned by the absence of any external possession, but can only be removed by the supply of some inw a rd necessity.

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men, bey denen ihr genannt werdet. Ueberfüllung beraubt den Stolz, wie die übrigen Begierden, seiner Freuden. Da es sich also so verhält, daß die höchsten Vergnügungen, wenn sie zur Gewohnheit geworden sind, in der That und in Beziehung auf die, welche sie genießen, nichts höheres sind, als die niedrigsten, auf welche die Gewohnheit Anderer eingeschränkt ist; da Unannehmlichkeiten und Sorgen eben so gut den Gipfel der Gesellschaft ersteigen, als sie in den niedrigsten Thälern derselben herumwanken; da es auf königlichen Stirnen eben so gut Wolken giebt, als auf gemeineren Angesichtern; da das Menschengeschlecht durch wiederholte Beobachtungen und Zeugnisse vollkommen erwiesen hat, wie wenig | der äußere Zustand hinreicht, einem sinnlichen und selbstsüchtigen Charakter Zufriedenheit zu gewähren; da es in allen Ständen Zeichen der Unzufriedenheit von sich giebt; da es dem lauschenden Ohr von allen Seiten auf gleiche Art die Seufzer der Klage zu vernehmen giebt, und es dem aufmerksamen Beobachter in einer Reihe von Beyspielen – wodurch seine Vernunft von der Richtigkeit der Sache nicht nur überzeugt, sondern mit Beweisen dafür beladen wird – gezeigt hat, daß der finstre Geist der Unzufriedenheit, weit entfernt an irgend einer besondern Stelle in den verschiedenen Abteilungen des menschlichen Lebens stehen zu bleiben, vielmehr über sie alle hinweg schreitet, und zu allen höheren Ordnungen der Gesellschaft, so weit man nur sehen kann, hinaufsteigt: so frage ich, ob wir eine andere Folgerung aus dem allen ziehen können, als die, daß es für uns zur Weisheit gehört, allen Neid über die, welche in der Welt höher als wir stehn, zu unterdrükken, und die Zufriedenheit nur da zu suchen, wo wir sicher sind sie zu finden, und wo wir sie allein finden können, nemlich in der angemessenen Thätigkeit unserer Fähigkeiten und Triebe. Sollte also Jemand in diesen Mauern seyn, der mit dem Nothdürftigen versehen, oder gar im Besitz des Wohllebens eine gewisse Leere in sich fühlte, von der er sich einbildete, sie könne nur durch Ueberfluß an dieser Welt Gütern oder durch einen noch größern Ueberfluß, als schon in seinen Händen ist, ausgefüllt werden, der lasse sich doch bewegen | einzusehen – was ihm, wenn er sein Gemüth den Betrachtungen öffnen will, die ich ihm hier vorlege, anschaulich genug werden muß um es zu glauben – daß nemlich die Leere, über welche er sich beklagt, nicht dadurch verursacht wird, daß ihm irgend eine ä u ß e r l i c h e Besitzung fehlt, sondern daß ihr nur durch die Befriedigung irgend eines i n n e r l i c h e n Bedürfnisses abgeholfen werden kann. 22 Gesellschaft,] Gesellschaft

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Sensual pleasure is not the food with which man was formed to fill himself. A certain portion of it conduces to his welfare. By more than that, he is opprest, not satisfied. As one article of sensual pleasure is not sufficient to satisfy the sensualist; as the pleasures of the ear must be added to those of the table, the pleasures of the eye, to those of mirth and of music, and the pleasures of active, to those of sedentary entertainment; as a part of these is not sufficient to satisfy the sensualist, so all of these are not sufficient to satisfy the man. In order to fill the animal, | but at the same time the intellectual, creature man, to the pleasures of palate, and sight, and found, and motion, must be added those of thought and contemplation. If we leave this department of our nature, without its necessary food, and, mistaking the craving occasioned by it for the want of more sensual satisfaction, endeavour to remove it by such a supply, we shall but add oppression to emptiness: we shall have acquired a load, without having lost the void.

The heart, then, that, while the hand has competence in it, complains, “it is not enough,” must take off the eye of its desire, and transfer its cry of “more, more,” from external, to internal possessions: it must survey itself, and supply the deficiencies which it finds there. Man is surrounded by pleasurable objects, of which his understanding is the sense; of perceiving which his reason is the organ. These objects are innumerable. Let him who complains he has not pleasures enough, while his necessary animal wants are supplied, open this door, of their admission, which he has hitherto permitted to continue closed.| 33

Of these objects the most glorious, that stands before us, is the great Author of all things; the contemplation of whom is that occupation of our intellectual powers, which is capable of yielding us the liveliest and most sublime delight. Our natures are fitted, and were principally formed, to perceive this most amiable and wonderful object. We were chiefly created to contemplate his beautiful and venera-

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Sinnliches Vergnügen ist nicht die Nahrung, mit welcher der Mensch sich zu sättigen bestimmt ist. Ein gewisser Antheil daran gehört zu seinem Wohlergehen. Durch ein mehreres wird er belästiget, und nicht zufrieden gestellt. So wie eine Art des sinnlichen Vergnügens demjenigen nicht genug ist, der ganz für die Sinnlichkeit lebt, so wie dieser zu den Freuden der Tafel auch die Vergnügungen des Ohrs, zu den Freuden der Musik und der Fröhlichkeit auch noch Ergötzungen für das Auge, und zu dem Genuß der Unterhaltungen, wobey er nur empfängt, auch den Genuß der selbstthätigen verlangt; so wie nur ein Theil von dem allen nicht hinreicht den sinnlich gesinnten glücklich zu machen: so reichen sie alle zusammen nicht hin, den Menschen Zufriedenheit zu gewähren. Um dem thierischen zugleich aber auch geistigen Geschöpf, dem Menschen, Genüge zu leisten, müssen zu den Vergnügungen des Gaumens, des Gesichts, der Töne und der Bewegung auch noch die Vergnügungen des Denkens und der Betrachtung hinzukommen. Lassen wir diese Abtheilung unserer Natur ohne ihre | nothwendige Nahrung; mißverstehen wir die Sehnsucht, die daraus entsteht, als ob sie ein Verlangen nach noch mehr sinnlicher Befriedigung wäre, und bemühen uns daher, sie auf diesem Wege zu stillen, so werden wir zu der Leere nur noch Ueberdruß hinzufügen, und eine Last auf uns geladen haben, ohne die Lücke zu füllen. Das Herz also, welches wenn gleich die Hände alles nothwendige haben, dennoch klagt, daß es nicht genug sey, muß das Auge seiner Begierde von den äußerlichen Besitzungen hinweg auf die innerlichen richten, und sein Geschrey nach mehr, mehr auf diese übertragen: es muß sich selbst untersuchen, und den Mängeln, die es da findet, abhelfen. Der Mensch ist von angenehmen Gegenständen umgeben, für welche sein Verstand der Sinn, und seine Vernunft das Organ ist, um sie wahrzunehmen. Diese Gegenstände sind unzählbar. Wer sich also beklagt, daß er nicht Freuden genug hat, wenngleich für alle seine nothwendigen thierischen Bedürfnisse gesorgt ist, der öffne die Thüre, wodurch diese Freuden eingehn, und welche er bis jetzt immer verschlossen gelassen hat. Der herrlichste unter diesen Gegenständen vor uns ist der große Urheber aller Dinge, dessen Betrachtung diejenige Beschäftigung unsrer geistigen Kräfte ist, die uns das lebhafteste und erhabenste Vergnügen gewähren kann. Unser Gemüth ist dazu geschickt, und ist ganz vorzüglich dazu gebildet, | diesen liebenswürdigsten und wundervollsten Gegenstand zu erkennen. Wir sind ganz eigentlich dazu geschaf23 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. 25 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv (wohl mit Anspielung auf Spr 30,15).

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Serm. 13: On Happiness

ble attributes, as they are to be “clearly seen” in his visible works; to entertain our eyes with the proofs of his wisdom and goodness which are presented to them, in the productions of his hand, and the operations of his providence; and to rejoice in the consciousness of his presence, approbation, and protection.

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We were farther formed, instead of surveying superior stations around us only to feel with pain the inferiority of our own, to make the happiness of others ours; to “rejoice with all that rejoice;” to appropriate all the pleasures we are able to perceive around us; to enter into the sensations of those, whom we see to be happy; to infuse ourselves, by the force of sympathy, into their breasts; to beat in their bosoms; to throb with their | joys; and, in short, to take into our hearts all the happiness we can take into our view. Thus we supply the supposed deficiencies of our own condition; wander from our own wants; roam into happy regions; put ourselves in pleasant situations; receive all the good that is given, and enjoy all that is enjoyed. This is the wealth, that never “makes itself wings,” and that renders us most completely independent. Surrounded by revolution, these riches remain with us for ever. They are safe from vicissitude. Their name is not written upon Fortune’s wheel, and they feel none of its whirls. No thief can steal these treasures from us: no violence can break through into the breast where they are locked. As long as God continues to be good, and to be almighty, a good man, in possession of food and raiment, continues able to declare, “I have all things, I abound, and am full.” It is true, in surveying the scene around him, his sympathy is sometimes excited by painful, as well as pleasing, circumstances. But his congratulation is more frequently called for than his condolence; and of his pity, as the pain is sheathed by nature in soothing sensations, that muffle its edge, | and prevent it from corroding, like the sorrows and solicitudes of selfishness, so the tear is speedily wiped by confidence in the wisdom, which appoints the cause that calls it into his eye, and which will one day wipe it for ever from his face.

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fen, seine schönen und anbetungswürdigen Eigenschaften zu betrachten, so wie sie deutlich ersehen werden an seinen sichtbaren Werken, unsere Augen mit den Beweisen seiner Weisheit und Güte, die ihnen in den Werken seiner Hände, und in den Führungen seiner Vorsehung dargeboten werden, zu unterhalten, und uns in dem Bewußtseyn seiner Gegenwart, seiner Zufriedenheit und seines Schutzes zu freuen. Wir sind ferner dazu gebildet, daß wir anstatt auf höhere Verhältnisse um uns her zu sehn, welches uns nur die Niedrigkeit der unsrigen schmerzlich zu fühlen giebt, vielmehr die Glückseligkeit Anderer zu unsrer eignen machen, uns „freuen sollen mit allen Fröhlichen,“1 uns alles Vergnügen zueignen, was wir nur um uns her wahrnehmen können, uns in die Empfindungen derer hineinversetzen, die wir glücklich sehen, uns durch die Kraft des Mitgefühls in ihre Brust versenken, in ihrem Busen schlagen, mit ihrer Freude hüpfen, kurz alle Glückseligkeit in unser Herz aufnehmen, die sich unsern Blicken darstellt. So ergänzen wir die vermeinten Lücken unsres eignen Zustandes, entfernen uns von unsern eignen Bedürfnissen, schwärmen in glücklichen Gegenden, versetzen uns in angenehme Lagen, empfangen alles Gute was gegeben, und genießen alles was genossen wird. Dies ist der | Reichthum, „der sich nie Flügel macht“ und uns die vollkommenste Unabhängigkeit zusichert. Mögen wir von Umwälzungen aller Art umgeben seyn, diese Reichthümer bleiben uns auf immer. Sie sind vor jedem Wechsel sicher. Ihr Name ist nicht auf dem Rade des Glücks geschrieben, und sie fühlen nichts von dem Umschwunge desselben. Kein Dieb kann uns diese Schätze stehlen, keine Gewalt kann in die Brust einbrechen, wo sie verschlossen sind. So lange Gott fortfährt gut und allmächtig zu seyn, bleibt auch ein gutgesinnter Mensch, der Nahrung und Kleider besitzt, immer im Stande zu erklären: „ich habe alles, ich habe Ueberfluß, ich bin gesättigt.“ Es ist wahr, wenn er die ganze Scene die vor ihm eröffnet ist, übersieht, so wird sein Mitgefühl bisweilen eben so sehr durch schmerzliche als durch angenehme Umstände erregt. Aber seine Mitfreude wird doch öfter aufgerufen als sein Mitleiden, und so wie der Schmerz des Mitleidens von Natur in sanften Empfindungen eingehüllt ist, die seine Schärfe gleichsam umwickeln, daß er nicht so verzehrend seyn kann, als die Besorgnisse und Leiden des Eigennutzes, so wird auch die Thräne des Mitleidens bald hinweggewischt durch das Vertrauen auf die Weisheit, welche zwar den Umstand, der sie hervorlockt, verhängt hat, aber sie auch einst auf immer wegnehmen wird aus seinem Angesicht. 1

Röm. 12, 15.

2 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Röm 1,20. Spr 23,5 28–29 Vgl. Phil 4,18 38–39 Vgl. Jes 25,8

20 Vgl.

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Serm. 13: On Happiness

This power of generous appropriation is deposited in the breast of every human being. All that is necessary, in order to excite this glorious faculty into action, is to establish in our minds a conviction that those superfluous possessions, to which our excursive affections are continually going forth, would not, were they added to our hand, make any addition to our happiness: and then to direct our thoughts, thus released from these objects, and which must have some, to the happiness of others. In order to render the contemplation of this a pleasing occupation of them, the most so of any in which they can be exercised, we have only to reflect, with a sufficient force to take hold of the idea, and with a sufficient frequency to fix it in our minds, upon the infinite excellence of happiness, whether it reside in our breast or in that of another. In estimating happiness Man is deceived by its situation. As he is apt to under-rate his own, that is remote in futurity, he is equally dis|posed to estimate beneath its worth the happiness of this moment, that is at a distance from his own breast. But it is equally in the power of man, by reflecting, that the remoteness of happiness from the present moment, or from his private experience, neither diminishes its reality, nor reduces its value, to reach out his heart to it, and to take fast hold of it, at whatever distance, either in time, or in space, it may stand; to render his own future felicity present, and to make the happiness of others his own. It is possible, by the power of reflection, so to feel the bea uty of happiness, considered in itself, and separately from the particular person in whom it dwells, as to find in it, whenever, and wherever, it occurs, an entertaining object of contemplation. As partial affection to an individual rejoices in the happiness, that is situated in his particular breast, there is an enlarged love of happiness itself, in the power of man, which shall lead him to smile upon it, and to hail it, wherever he meets it, and to regard it as an amiable and animating image.

15 dis|posed] dis|disposed

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Dieses Vermögen, auf eine so edle Art sich alles zuzueignen, ist in der Brust eines jeden mensch|lichen Wesens niedergelegt. Alles was erfordert wird, um diese vortrefliche Fähigkeit in Handlung zu setzen, ist, daß wir in unserm Gemüth die Ueberzeugung feststellen, alle überflüßige Besitzungen, auf welche unsere ausschweifenden Neigungen immerfort gerichtet sind, könnten, wenn sie auch wirklich in unsere Hand gegeben würden, doch keinen Zuwachs zu unserer Glückseligkeit hervorbringen, und dann, daß wir unsere Gedanken, wenn sie so von diesen Gegenständen losgemacht sind, da sie sich doch mit etwas beschäftigen müssen, auf die Glückseligkeit Anderer richten. Um die Betrachtung derselben zu einer angenehmen Unterhaltung für uns zu machen, zu der angenehmsten an der unser Gemüth sich üben könne, dürfen wir nur stark genug, um die Idee recht zu fassen, und oft genug, um sie in unserm Gemüth festzustellen, an die Vortreflichkeit der Glückseligkeit an sich denken, welche immer dieselbe bleibt, sie wohne nun in unserer eignen Brust oder in der eines Andern. Der Mensch wird gewöhnlich durch seine Verhältnisse hinters Licht geführt, wenn er Glückseligkeit schätzen will. So wie er seine eigne, die noch weit in der Zukunft liegt, zu niedrig anzusetzen pflegt, so ist er auch geneigt die Glückseligkeit, die zwar in diesem Augenblick vorhanden ist, die er aber in einiger Entfernung von seiner eignen Brust erblickt, unter ihrem Werth zu schätzen. Aber es steht ebenfalls in der Gewalt des Menschen, durch die Bemerkung, daß die Entfernung der Glückseligkeit von dem gegenwärtigen Augenblick, | oder von dem Kreise seines eigenen Genusses weder ihrem Daseyn Abbruch thue, noch ihren Werth vermindere, ihr sein Herz näher zu bringen, und sie festzuhalten, in welcher Entfernung der Zeit oder des Ortes sie sich auch befindet, so daß er seine eigne künftige Glückseligkeit sich gegenwärtig, und die Glückseligkeit Anderer zu seiner eignen macht. Es ist durch die Stärke unsres Vorstellungsvermögens möglich, die Schönheit der Glückseligkeit an sich selbst betrachtet, und ohne Rücksicht auf die einzelne Person, der sie angehört, so lebhaft zu fühlen, daß wir an ihr, wenn und wo wir sie auch wahrnehmen, immer einen unterhaltenden Gegenstand der Betrachtung finden können. So wie die besondere Liebe zu irgend einer Person Freude findet an der Glückseligkeit, die in der Brust derselben besonders wohnt, so kann sich der Mensch zu einer vielumfassenden Liebe zur Glückseligkeit überhaupt erheben, wodurch er bewogen wird, sie überall, wo sie ihm begegnet, lächelnd und froh zu begrüßen, und sie als ein liebliches herzerquickendes Bild zu betrachten. 3 setzen,] setzen

26 ihren Werth] ihrem Werth

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But the reason why man is indifferent to the happiness that is at a distance from his own experience is, not only because he is | blind to this intrinsic comeliness of it, but partly also, because his eye is not properly open upon the reality of it. He does not “rejoice with them that rejoice,” because his conceptions do not sufficiently ent er int o their joy. He sees the circumstance in which he naturally supposes it to exist; he beholds, perhaps, the expression which proves it to exist; but he neither associates with the situation, nor with the sign, of joy, a sufficiently lively idea of the sensation. He does not either recollect what his own feelings have been, or imagine what they would be, or inspect what they are, in similar circumstances, with a sufficient vivacity of attention, and then, with sufficient vigour of conviction, pass from this picture of his own feelings, to the consideration, that his fellow-creatures are sensitive beings precisely in the same degree as himself. Every man knows this, you will say, every man must know it; but, without reflection, this truth is not strongly apprehended by him; is not properly present to his mind, when the felicity of his fellow-creatures is before him. In consequence of his forgetting, or but faintly remembering, and not forcibly recollecting, that the human | figures, in the midst of which he stands, are as alive as he is, altogether as open to painful and to pleasing impressions, he carelessly and vacantly rolls his eye over the surface of the scenes of prosperity or adversity that surround him, without penetrating to the sensations which they imply; and perceives in them little more than lifeless forms of happiness, and inanimate images of misery. He, on the contrary, who habitually carries along with him the consideration, that the hearts of his fellow-creatures are “fashioned like” his own; bleeding exactly as his bleeds, when pierced by calamity; glowing just as his own glows, when shone upon by the sunshine of prosperity; and reposing with precisely the same sweet and soothing feeling of serenity, in circumstances of settled tranquillity and ease; and who, in consequence of his continual recollection of this truth, is able forcibly to f i g u r e the felicity of others, is also able to feel it along with them; and to take into his heart all the happiness that passes before his eyes.

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Aber daß der Mensch gleichgültig ist gegen die Glückseligkeit, die sich in einiger Entfernung von seinem eignen Kreise befindet, davon ist das nicht die einzige Ursach, daß er gegen ihre innere Annehmlichkeit blind ist, sondern es kommt zum Theil auch daher, daß sein Auge nicht offen genug ist, um ihr Daseyn überall wahrzunehmen. Er kann sich deswegen nicht mit den Fröhlichen freuen, weil seine Vorstellungen ihn nicht genugsam in ihre Freude | hineinversetzen. Er sieht wohl die Umstände, unter denen er natürlich voraussetzt, daß sie da sey, er sieht vielleicht auch den Ausdruck, welcher beweiset, daß sie da ist; aber weder mit der Veranlassung, noch mit dem Zeichen der Freude verbindet er eine recht lebhafte Vorstellung von der Empfindung selbst. Er wendet nicht Aufmerksamkeit genug auf die Erinnerung, was unter ähnlichen Umständen seine eigenen Gefühle gewesen sind, oder auf die Vorstellung, was sie seyn würden, oder auf die Betrachtung, wie sie in den nemlichen Verhältnissen jetzt eben beschaffen sind, und dann geht er auch nicht von diesem Gemälde seiner eignen Gefühle mit der gehörigen Stärke der Ueberzeugung zu der Betrachtung über, daß seine Nebenmenschen ganz in demselben Grade empfindende Wesen sind, als er selbst. Das weiß ja Jedermann, werdet ihr sagen, das muß ja Jedermann wissen; ja, aber ohne eine ausdrückliche Ueberlegung ist der Gedanke an diese Wahrheit nicht stark und dem Gemüth gegenwärtig genug zu der Zeit, wenn es die Glückseligkeit seiner Nebenmenschen vor sich hat. Er vergißt es, oder denkt nur ganz nachläßig, und ohne sich den Gedanken aus einander zu setzen, daran, daß die menschlichen Gestalten, in deren Mitte er steht, eben so lebendig und allen angenehmen und schmerzlichen Eindrücken eben so offen sind als er, und deswegen rollt sein Auge sorglos und ohne Gefühl über die mancherley Scenen des Glücks und des Leidens, welche ihn umgeben, oberflächlich hinweg, | ohne in die Empfindungen einzudringen, welche sie in sich fassen, und er sieht deren wenig mehr als leblose Gestalten der Glückseligkeit und unbeseelte Bilder des Elendes. Derjenige hingegen, der den Gedanken immer in der Hand hat, daß die Herzen seiner Nebenmenschen gebildet sind, wie sein eignes, daß sie eben so bluten, wie das seinige, wenn sie vom Kummer durchbohrt sind, eben so glühen wie das seinige, wenn der Sonnenschein des Glücks sie beleuchtet, und sich wenn ihre Lage bequem und hinlänglich gesichert ist, in demselben süßen und sanften Gefühl heiterer Ruhe wiegen, und der zufolge des beständigen Gedankens an diese Wahrheit sich die Glückseligkeit Anderer stark genug vorstellen kann, der ist auch im Stande sie mit ihnen zu fühlen, und 6 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Röm 12,15 markierte wortgetreue Zitat stammt aus Phil 3,21.

33 Das von Fawcett

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It is quite as easy, with the assistance of reflection, and quite as natural, for the spectator of human life to feel himself the pos|sessor of all the happiness he is able to see, as he stretches his eye over the face of it, as it is for the spectator of the landscape which his garden commands, to consider that as a part of the felicity of his situation. The ocular entertainment of one, who has a taste for the beauties of rural scenery, is not confined to the few acres, of which the law calls him the proprietor; to the flowers and the trees, for which he has paid a particular sum of money: all the fields and the woods which his eye can reach from his residence; all the flocks that clothe the pastures, and all the corn that covers the valleys, which compose his prospect, he considers as the property of his eye; as parts of the picture which embellishes his abode, and which is to all the purposes of pleasure, as much his own, as any one in his gallery. Upon this principle of enlarged enjoyment, the man of moral taste proceeds. As he looks round upon society, all the happiness which his prospect of it takes in, all the felicity which falls within that compass and horizon of human life by which his view of it is bounded, he considers as so much addition to the pleasantness of his situation. Images of human welfare are the | beautiful objects that entertain his eye! the ornaments and graces that enrich his view! In the opinion of such a man, as, compared with a piece of pleasure-ground in which there are striking vistas, and which calls the surrounding country in, an immured garden is no more than a flowery prison; so, in comparison of that extensive happiness which a generous mind takes in, that of a selfish heart, which shuts out all happiness but its own, is a narrow enjoyment, in which it is surprising that a single rational creature can be contented to be confined.

No wonder that those who are strangers to this power of deriving gratification from all surrounding God, and all surrounding good, complain of defective happiness. They may well complain; they are not themselves whole; they are defective in a capital part of them; they are without the faculty which principally distinguishes the human from the brute creation. A capacity of taking in the happiness of others, is the chief sense, the pre-eminent organ of man. This is the grand entrance, at which he was made to admit enjoyment. This is

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alle Glückseligkeit, die vor seinen Augen steht, in sein Herz aufzunehmen. Sich als den Besitzer aller Glückseligkeit, die sein Auge entdecken kann, so weit er herumreicht, anzusehn, und auch so zu empfinden, das ist mit Hülfe des Nachdenkens dem Zuschauer des menschlichen Lebens eben so leicht und eben so natürlich, als es dem Besitzer eines Gartens ist, die Landschaft, welche er aus demselben übersehen kann, mit unter die Vorzüge seiner Lage zu rechnen. Wer an den Schönheiten ländlicher Auftritte Geschmack findet, dessen Augenweide schränkt sich nicht auf die wenige Morgen Landes ein, für deren Eigenthümer das Gesetz ihn anerkennt, nicht auf die Blumen und Bäume, für die er eine Summe Geldes be|zahlt hat: alle Felder und Haine, welche sein Auge von seiner Wohnung aus erreichen kann, alle Heerden, welche die Wiesen bedecken, alles Korn, welches die Thäler schmückt, die seine Aussicht bilden, sieht er als das Eigenthum seines Auges an, als Theile des Gemäldes, welches seinen Wohnsitz verschönert und welches in Bezug auf alles was zum Vergnügen gehört, eben so sehr sein eigen ist, als irgend eines in seiner Gallerie. Nach diesem Grundsatz der Erweiterung des Genusses handelt auch der Mann von moralischem Geschmack. Wenn er sich in der Gesellschaft umsieht, hält er alle Glückseligkeit die seine Blicke umfassen können, alles Angenehme was innerhalb der Grenzen und des Horizonts liegt, durch den seine Aussicht auf das menschliche Leben beschränkt wird, für einen Beytrag zu der Annehmlichkeit seiner Lage. Bilder menschlichen Wohlergehens sind die schönen Gegenstände die sein Auge unterhalten! die Zierden und Annehmlichkeiten die seine Aussicht verschönern. So wie ein ummauerter Garten nur ein blumiges Gefängniß ist, in Vergleich mit einem angenehmen offnen Plätzchen, welches weite Aussichten gewährt, und die ganze umgebende Gegend in sich hineinzaubert; so ist auch nach den Grundsätzen eines solchen Mannes die Glückseligkeit eines selbstsüchtigen Herzens, welche alles ausschließt, was nicht sein eigen ist, in Vergleich mit der weit ausgedehnteren eines edlen Gemüths ein so kleinlicher Genuß, daß kaum zu begreifen ist, wie auch nur ein einziges | vernünftiges Geschöpf sich freywillig darauf beschränken könne. Kein Wunder, daß diejenigen, welchen diese Fertigkeit in allem Göttlichen und allem Guten, was uns umgiebt, Befriedigung für uns selbst zu finden fremd ist, sich über eine mangelhafte Glückseligkeit beklagen. Sie mögen wohl klagen, denn sie sind selbst nicht ganz; es fehlt ihnen an ihrem vorzüglichsten Theil; sie sind ohne die Fähigkeit, wodurch die menschliche Schöpfung sich wesentlich von der thieri1 seinen Augen] seinem Angen

4 er] Kj es

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the most valuable inlet of pleasure that belongs to his nature. The | stoppage of this is the most melancholy obstruction that can befall his being. They who cannot see, they who cannot hear, are not to be pitied like them, who are blind to the beauties of Providence; who are insensible to the harmonies of nature, and the happiness of the creation. He who cannot say of sacred truth, “truly its light is sweet,” and of public good, “a pleasant thing it is for the eyes to behold it;” he whose orb of generous vision the mist of selfish passion hath with its “dim suffusion veiled,” to whom this wide world of benevolent entertainment, over which it was made to roll, is “expunged and rased,” and who instead of it is “presented with an universal blank;” such an one may be considered, of all maimed and imperfect creatures in the whole compass of nature, as exhibiting the most melancholy spectacle to the eye of thoughtful Compassion!—He that would be happy, before all things, must clear this path to his heart; unstop this sense which he has suffered to become sealed; and cultivate an openness of mind to the happiness of others. They who are born without, or who are deprived, by accident, of any one of their senses, are willing to | submit to any operation, of however painful a nature, which promises to restore it. What wise man would refuse any endeavours, that are necessary to acquire a power of perceiving and tasting the objects, that are most adapted to entertain his nature!

This state of mind is the only proper manhood of man: the only one in which he was made to be happy, and in which he ever found himself so. So long as he protracts the period of his infancy, so long as he retains its mental feebleness, after having outgrown its corporeal weakness, by continuing incapable of enjoying any thing but what he can t a s t e , but what he can t o u c h , but what he can hold in his

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schen unterscheidet. Ein Vermögen die Glückseligkeit Anderer vorzustellen: dies ist der unterscheidende Sinn, das herrschende Organ des Menschen. Dies ist das große Thor, durch welches der vorzüglichste Genuß ihm kommen soll. Dies ist das unschätzbarste Kunstwerk, welches in seiner Natur angebracht ist, um ihm Vergnügen zuzuführen. Eine Stockung in diesem ist die traurigste Verstümmelung, welche seinem Wesen widerfahren kann. Die welche nicht sehen, die welche nicht hören können, verdienen nicht so viel Mitleiden als die, welche blind sind gegen das Schöne in den Werken der Vorsehung, unempfindlich gegen die Harmonie in der Natur, und gegen die Glückseligkeit in der Schöpfung. Wer von der heiligen Wahrheit nicht sagen kann: „wahrlich ihr Licht ist süß,“ und von dem allgemeinen Besten: „es ist dem Auge lieblich hineinzuschauen,“2 wem der Nebel selbstsüchtiger Leidenschaften mit einem dunkeln Ueberzug das geistige | Auge verschleiert hat, für wen die weite Welt des wohlwollenden Genusses, über die es hinrollen sollte, ausgelöscht und abgetragen ist, daß er statt ihrer nichts sieht als einen leeren Raum, von dem kann man sagen, daß unter allen verstümmelten und unvollkommnen Geschöpfen im ganzen Umfang der Natur, er dem Auge des gedankenvollen Mitleidens den traurigsten Anblick darbietet. Wer also glücklich seyn will, muß vor allen Dingen diesen Weg zu seinem Herzen reinigen, diesen Sinn wieder öffnen, der ihm so lange versiegelt gewesen ist, und seinem Gemüth Empfänglichkeit für das Glück Anderer zu erhalten suchen. Die welche ohne einen von ihren Sinnen geboren, oder dessen durch einen Zufall beraubt sind, unterwerfen sich gern jeder Operation, wie schmerzlich sie auch sey, wenn sie ihnen Hoffnung giebt, ihn wieder herzustellen. Welcher vernünftige Mensch würde also die nöthigen Bemühungen nicht anwenden wollen, um sich der Wahrnehmung und des Genusses der Gegenstände fähig zu machen, welche ganz eigentlich bestimmt sind seiner Natur den Stoff zu ihrer Thätigkeit zu geben! Dieser Gemüthszustand ist eigentlich die wahre Mannbarkeit des Menschen; er ist der einzige, in welchem er glücklich seyn soll, und der einzige, in welchem er es je wirklich gewesen ist. So lange Jemand die Periode seiner Kindheit verlängert, und seine Geistesschwäche noch beybehält, nachdem er der körperlichen schon entwachsen ist; 2

Pred. Sal. 11, 7.

12 „wahrlich ihr] wahrlich „ihr Sp. 352

32 Mannbarkeit] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3,

12 Vgl. PredSal 11,7 14–17 Zu den drei benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. John Milton: Paradise lost, Buch 3, Zeile 26.49.48

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hand, and utter over the charming words, “lo, this is mine;” so long will he perpetuate the discontentments and fretfulnesses to which childhood is subject: so long will he spin out that April season of human sensations, that series of shortlived exultations, and continually returning dissatisfactions with pleasures and possessions, the power of which in gratifying the passions, and amusing the mental vacancy of the proprietor, is speedily spent. A small difference in the expression of his little joys and sorrows will, | in this case, alone distinguish between the child and the man. His necessities will be silent; they will utter no audible cry; and for the tear upon the cheek, the cloud will appear upon the countenance, and the furrow upon the forehead. Let him, then, that would become a man, and taste the happiness of a man, “put away from him childish things;” acquire a power of enjoying what is at a distance from him; of taking into his mind that which will not come into his hand; and, instead of continuing the cry of the cradle to handle all surrounding things, let him learn, by the power of sympathy, that glorious instrument of conveyance, to make over to himself the welfare of others; to have and to hold all the happiness which he can perceive to be in the possession of his fellow-creatures: let him leave off to reach out his ha nd to take, or send out his wishes to receive, this, and the other superfluous possession, and render his b r e as t the roomy receptacle of all the good which others receive around him: and to complete his accumulation of treasures, in this only manly way of amassing, let him extend his understanding to take hold of all the evidence of the divine | wisdom and goodness, in which nature is so rich. He that thus has learned to grasp, has acquired the only noble art of gaining, and is the only truly rich man.

The pleasure, of which a principle of charity renders the human mind susceptible, from c o n t e m p l at i n g the happiness of others, is carried to its perfection by that improvement of every opportunity of p r o m o t i n g it, which such a principle will of necessity prompt. Activity in the production of human welfare, while it excites to a higher pitch that social virtue, in proportion to the height of which is the height of our happiness, prevents, at the same time, that impatience 3 April] april

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so lange er | nemlich noch unfähig ist, etwas anderes zu genießen, als nur was er betasten und berühren, was er mit Händen greifen und worüber er das reizende Wort aussprechen kann: „ha das ist mein!“ so lange wird er auch noch die Unzufriedenheit und die Verdrießlichkeiten empfinden müssen, denen die Kindheit unterworfen ist; so lange wird auch noch jenes April-Wetter der menschlichen Empfindungen bey ihm dauern, jene Abwechslung von kurzen flüchtigen Entzückungen und immer wiederkehrender Unzufriedenheit über Vergnügungen und Besitzungen, deren Kraft die Leidenschaften des Besitzers zu befriedigen, und ihm seine Gemüthsleere hinwegzutändeln, sich sehr bald erschöpft. Nur eine geringe Verschiedenheit in den Aeußerungen über seine kleinen Freuden und Leiden wird in diesem Fall den Unterschied zwischen dem Kinde und dem Manne ausmachen. Seine Bedürfnisse werden stiller seyn, sie werden nicht so laut schreien und statt der Thränen auf den Wangen wird nur die Wolke auf dem Angesicht, und die Furche auf der Stirne erscheinen. Wer also ein Mann werden und männliche Glückseligkeit genießen will, der „thue ab was kindisch ist,“3 der erwerbe sich das Vermögen, auch das zu genießen, was entfernt von ihm ist, auch das in sein Gemüth aufzunehmen, was nie in seine Hand kommen wird, und anstatt das Geschrey der Kinder, die alles in den Händen haben wollen, fortzusetzen, lerne er vermittelst des Mitgefühls, dieses | rühmlichen Besitztitels, die Wohlfahrt Anderer in seine eigne zu verwandeln, und alle Glückseligkeit, die er im Besitz seiner Nebenmenschen entdecken kann, für sich zu haben und zu behalten; er entwöhne sich davon, immer seine Ha n d auszustrecken, oder seine Wünsche fliegen zu lassen nach dieser oder jener überflüßigen Besitzung, und mache lieber seine Brust zu dem geräumigen Sammelplatz alles Guten, welches Andern um ihn her zu Theil wird; und wenn er seinen Schatz auf diesem einzigen anständigen Wege einen zu sammeln, vollständig machen will, so erweitere er seinen Verstand um die anschaulichen Beweise der göttlichen Weisheit und Güte, an denen die Natur so reich ist, immer fest zu halten. Wer so zuzugreifen gelernt hat, versteht sich auf die einzige edle Art zu gewinnen, und ist der einzige wahrhaft reiche Mann. Dieses Vergnügen aus der B e t r ac h t u ng der Glückseligkeit Anderer, für welches die Gesinnung der Menschenliebe dem Gemüth Empfänglichkeit mittheilt, wird durch die Benutzung jeder Gelegenheit sie auch zu b e f ö r d e r n , wozu diese Gesinnung uns ebenfalls nothwendig antreibt, erst zur Vollkommenheit gebracht. So wie die 3

1 Kor. 13, 11.

1 anderes] anders

8 wiederkehrender] wiederkehrenden

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to which charity, reduced by circumstances to the necessity of being merely contemplative and s e d e n t ar y, would be subject, of the pace of those accessions to the picture of human happiness, the continual arrival of which is the necessary refreshment, from time to time, of her generous joy, and the expectation of which supplies the present deficiency of her generous possessions. This state of excited vivacity, and of exerted vigour, contains the whole happiness of man. To be happy, is not to lie relaxed, outstretched at length | upon the ground; to be recumbent among roses and lilies; to be lulled by soothing circumstances into partial sleep, and drowsy pleasure; to be all supine, and sunk into passive subjection to the soft impressions of surrounding things;—to be happy, is to be “up and doing;” it is to be intensely and virtuously busy; it is to have the heart as full of object, and the hand of occupation, as each can hold; it is to be kindled; to be elevated; to be quickened into lively life; to be wound up to high sensation! The principal pleasure of repose consists in its succession to this strain of nature, which cannot be incessantly supported, but which, while it is, is the sublime of pleasure. After such excitement, sweet is ease and rest: but without the previous experience of excitement, of some sort or other, repose soon degenerates into pain. None are so restless as those that always rest. Him, whom “Sloth casts into her deepest sleep,” Depression plunges into her darkest pit. Perpetual pillow,—incessant sopha,—it is more insupportable to nature than the thorniest seat upon which she was ever condemned to sit. Melancholy is as inseparable from motionless | man, as feculence from water that is stagnant, or rust from steel that is unused.

In this habit of virtuous pursuit, and generous contemplation, contentment can alone be found: because this is the only source of enjoyment, that yields an inexhaustible supply to those supreme desires, which, at whatever fountain they drink, discover an insatiable thirst. More, is the motto of the human mind. Among the “things which say not it is enough,” is to be numbered the master passion of

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Thätigkeit bey der Beförderung des menschlichen Wohlergehns die gesellige Tugend, in Verhältniß mit welcher auch unsere Glückseligkeit wächst, immer höher treibt, so hilft sie auch der Ungeduld ab, welcher die Menschenliebe, falls sie durch Umstände genöthigt wäre, sich bloß betrachtend und unthätig zu verhalten, | ausgesetzt seyn mußte, wenn die neuen Parthieen in dem Gemälde des menschlichen Wohlergehens, deren beständiger Zuwachs ihre edle Freude von Zeit zu Zeit erfrischen, und deren Erwartung sie für das eingeschränkte ihrer gegenwärtigen edlen Besitzungen schadlos halten muß, zu langsame Fortschritte machten. Dieser Zustand der gereizten Kraft und der regen Thätigkeit enthält die ganze Glückseligkeit des Menschen. Glücklich seyn heißt nicht erschlafft mit gestreckten Gliedern auf dem Boden liegen, sich unter Rosen und Lilien lagern, durch angenehme Umstände in halben Schlummer, in ein träumerisches Vergnügen gewiegt werden, ganz läßig seyn, und sich leidend den lieblichen Eindrücken der Dinge um uns her überlassen – sondern glücklich seyn heißt „wacker seyn und handeln,“ es heißt angestrengt und tugendhaft geschäftig seyn; es heißt das Herz so voller Gegenstände, die Hände so voller Arbeit haben, als Jeder nur fassen kann; es heißt feurig seyn, erhaben seyn, von dem regsten Leben beseelt, zu dem höchsten Grad der Empfindung hinaufgespannt seyn. Das Vergnügen der Ruhe besteht eigentlich nur darin, daß es auf diese Anspannung der Natur folgt, die nicht ununterbrochen ertragen werden kann, die aber, so lange sie währt, der höchste Genuß ist. Süß ist nach einem solchen Reiz Erholung und Ruhe; wenn ihr aber nicht Reiz von irgend einer Art vorhergegangen ist, artet die Ruhe bald in Pein aus. Niemand ist so unruhig als die, welche immer ruhen. Wen die | Trägheit in ihren tiefsten Schlummer wiegt, den stürzt auch der Mißmuth in seine finsterste Grube. Immer in Kissen, immer auf dem Sofa – das ist der Natur unerträglicher, als der dornigste Sitz, auf dem je einer zu sitzen verdammt war. Schwermuth ist von dem Menschen, der sich nicht bewegt, eben so unzertrennlich, als Schlamm von dem Wasser, welches keinen Abfluß hat, und Rost von dem Eisen, welches nicht gebraucht wird. In dieser Gewohnheit tugendhafter Bestrebungen und edler Betrachtungen kann allein die Zufriedenheit gefunden werden, weil dies die einzige Quelle des Genusses ist, welche für jene höchste Sehnsucht, die, wo sie auch trinkt, doch einen unauslöschlichen Durst behält, unerschöpflichen Vorrath hat. M e h r ist der Wahlspruch des menschlichen Gemüths. Unter die Dinge, die „nie sprechen es ist genug“4 4

Spr. Sal. 30, 15.

27–28 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 19,15

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man, whatever it be. “He that loveth abundance” of any thing, whether pleasure, or gold, or power, or fame, or intellectual and moral good, is never “satisfied with increase.” The ruling desire, whatever it receives, continues to cry, “give, give.” When the predominant passion is placed upon selfish pleasures, of whatever class, as during every absence of that fresh supply, which is continually necessary to repair its continually wasting satisfaction with present attainments, and which, according to the courses of human life, is, usually, for long intervals withheld, it endures that painful void, the craving of which is the cry of famine for food; so, upon the supposition that its calls for more | are answered with the rapidity of their return, it is then that the most miserable indigence of all, in the end, awaits it. In this case, the present constitution of things will, after a time, have exhausted its provision for it: and it will then be reduced to the most deplorable necessity it has yet known. When he, who places his supreme affections upon any private pleasures which this world gives, has taken from it all it has to give; when Earth has emptied its hand into his heart, and has nothing left to bestow upon him; it is then, in the midst of this complete repletion of passion, and utmost plenitude of possession, that he knows, in the full sense of the word, what is meant by want. Then, when man, to whose supreme desires, whatever the direction they take, nature has set no bounds, arrives at the limits which, in all but one path of pursuit, necessity has appointed to possession; when he has reached the summit of every wish, and from the pinnacle of his prosperity looks around him, and sees nothing that he has not, yet is sick of all that he has; and when another world must be made, in order to gratify the appetite that governs him, and | he breathes the sigh that says, “there is no new thing under the sun;” it is then that discontentment, no longer to be soothed by hope, or consoled by pursuit, gathers its blackest cloud around the heart, and the last ray of happiness retires. Rational creatures, thus strangely rendered infinitely wretched, are at once to be wondered at and to be wept over!

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gehört jede herrschende Leidenschaft eines Menschen, welche es auch sey. Der welcher Ueberfluß liebt, es sey nun an Vergnügen, oder an Gold, oder an Macht, oder an Ruhm, oder an geistigen und sittlichen Gütern, wird durch keinen Zuwachs gesättiget. Die gebietende Begierde, sie empfange was sie wolle, fährt immer fort zu rufen „bringe her, bringe her.“5 Wenn nun die herrschende Leidenschaft auf eigennützige Vergnügungen von irgend einer Klasse gerichtet ist, so muß sie, so lange die frische Nahrung außen bleibt, die unaufhörlich gefordert wird, weil die Zufrieden|heit mit dem vorhandenen unaufhörlich verschwindet, und die doch dem gewöhnlichen Lauf des menschlichen Lebens gemäß, oft lange zurückgehalten wird, jene schmerzliche Leere empfinden, die sich mit der schreienden Heftigkeit des Ausgehungerten nach ihrer Speise sehnt. Könnte man aber voraussetzen, daß ihr Ruf nach mehr immer eben so schnell befriedigt würde, als er sich aufs neue hören läßt, so würde dann am Ende die allerelendste Dürftigkeit ihrer warten. Denn in diesem Fall wird nach einiger Zeit aller Vorrath, welcher in der gegenwärtigen Einrichtung der Dinge für sie vorhanden ist, erschöpft seyn, und sie geräth dann in die kläglichste Noth, welche man je gekannt hat. Wenn der, dessen höchste Neigung auf irgend eine von den Freuden gerichtet ist, wozu ein Besitz gehört, den diese Welt giebt, nun alles von ihr genommen hat, was sie geben kann; wenn die Erde ihre Hände in seinen Schooß ausgeleert, und nichts mehr übrig hat, womit sie ihn beschenken könnte, dann erfährt er mitten in der vollsten Gewährung seiner Leidenschaften und in der größten Fülle des Besitzes was Mangel, Mangel in dem stärksten Sinne des Wortes, zu bedeuten hat. Denn, wenn der Mensch, dessen höchsten Begierden, welche Richtung sie auch nehmen mögen, die Natur keine Schranken gesetzt hat, an die Grenzen kommt, welche die Nothwendigkeit auf allen Wegen seines Bestrebens – einen nur ausgenommen – seinem Besitz bestimmte; wenn er den Gipfel jedes Wunsches erreicht hat, und von | der höchsten Spitze seines Glücks um sich schaut, und nichts sieht, was er nicht hätte, aber alles ihn ekelt, was er hat; wenn nun eine neue Welt geschaffen werden müßte, um die Begierde, die ihn beherrscht, zu befriedigen, und er den Seufzer ausstößt, welcher sagt: „es giebt nichts Neues unter der Sonne;“6 dann sammelt die Unzufriedenheit, die nun durch keine Hoffnung mehr 5 6

Ebendas. Pred. Sal. 1, 9.

30 seinem] seinen

32–33 hätte, aber ... hat;] hätte; aber ... hat,

38 Pred.] Prd.

2–4 Zu den beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. PredSal 5,10

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Such has been the frequent fate of the selfish and the sensual. When all that heart could wish has been heaped upon them, the mountainous mass of the means of happiness has only proved an oppressive weight, that has overwhelmed and suffocated the spirit of it within them. Their felicity has but been crushed beneath the broad crown of complete success. They have tasted a perfect prosperity, only to know that it is compatible with perfect misery. It has been equally out of their power to be envious at any other’s situation, or to be satisfied with their own.

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On the eminences of life they have found the pit of despair, and in the midst of redundant possessions been reduced to the extremities of need. They have wanted no particular possession; they have wanted, | without being able to specify their want; they have wanted they knew not what;—but, in one all voluminous word, they have wanted—happiness. It is not Poverty in rags that calls most loudly for our compassion: it is Poverty with purple upon her shoulders that is the most to be pitied. From the former, Industry may extricate; or Charity may relieve; or if neither of these will bring relief, Death, the wretch’s last friend, m u s t afford it. But the necessity which grows out of excess is without hope of remedy. Humanity holds out her helping hand in vain; she cannot reach it: it is a doom which Prosperity has no ray in all its orb that can disperse: it is a sadness which the world can call no smile into its face that is able to cheer: it is a famine which can find no food in all the round of nature, yet that is cursed with life, and capable of longevity!

The only fountains of human gratification, which send forth an immortal supply, are the contemplation of those perfections of Deity of which, if we seek them, we shall find proof after proof, for ever and for ever; the congratulation of that happiness of his creation, which, we may be assured, shall keep | continually increasing to all eternity, under the scepter of such a Being, as, the more we enquire concerning him, the more we shall discover him to be; and that active pursuit of the welfare of his works, in which whoever engages, with

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beruhigt, durch keinen Versuch mehr hingehalten wird, ihre schwärzesten Wolken um sein Herz, und auch der letzte Strahl der Glückseligkeit zieht sich zurück. Daß vernünftige Geschöpfe auf eine so sonderbare Art so unendlich elend gemacht werden können, ist zu verwundern, ach! und zugleich zu beweinen! Dies ist sehr häufig das Schicksal selbstsüchtiger und sinnlicher Menschen gewesen. Wenn sich alles bey ihnen angehäuft hatte, was ihr Herz wünschen konnte, so war die aufgethürmte Masse der Mittel zur Glückseligkeit für sie nur ein lastendes Gewicht, unter welchem der Geist derselben in ihnen verschüttet und erstickt wurde. Ihre Seligkeit wurde ihnen zerquetscht unter der breiten Krone des vollkommensten äußeren Glücks. Sie haben die höchste Begünstigung der Umstände genossen, nur um einzusehen, daß sich das mit dem vollkommensten Elend verträgt. Es war ihnen eben so wenig möglich irgend Jemandes Lage zu beneiden, als mit ihrer eigenen zufrieden zu seyn.| Auf den glänzenden Höhen des Lebens haben sie den Abgrund der Verzweiflung gefunden, und mitten unter den unermeßlichsten Besitzungen waren sie der äußersten Noth Preis gegeben. Es fehlte ihnen nicht an irgend einem einzelnen Besitz; es fehlte ihnen etwas, ohne daß sie ihr Bedürfniß benennen konnten, es fehlte ihnen, sie wußten nicht was – aber in einem alles umfassenden Wort, es fehlte ihnen – die G l ü c k s e l i gk e i t . Nicht die Armuth in Lumpen fordert uns zur Theilnahme am lautesten auf; sondern die Armuth in Purpur gekleidet verdient am meisten bemitleidet zu werden. Von der ersten kann der Fleiß erretten, oder die Mildthätigkeit befreyen, oder wenn keines von beyden Trost geben will, so ist noch der Tod übrig, der letzte Freund aller Leidenden, der ihn geben muß. Aber die Dürftigkeit, welche aus Uebersättigung entsteht, ist ohne Hoffnung zur Heilung. Da streckt die Menschenliebe vergebens ihre hülfreiche Hand aus; sie kann nicht so weit reichen: da ist eine Düsterheit, welche das Glück mit seinem ganzen Strahlenkreise nicht zerstreuen kann; da ist ein Trübsinn, welchen die Welt durch kein Lächeln, welches sie ins Angesicht rufen könnte, zu erheitern im Stande ist; es ist eine Hungersnoth, die im ganzen Umfang der Natur keine Nahrung finden kann, und auf welcher der Fluch liegt zu – leben, ja vielleicht ein hohes Alter zu erreichen. Die einzige Quelle aus welcher ein ewiger Stoff zur Befriedigung des Menschen ausströmt, | ist die Betrachtung derjenigen Vollkommenheiten des göttlichen Wesens, von denen wir, wenn wir nur danach suchen, immer und ewig einen Beweis nach dem andern finden: die Freude an der Glückseligkeit seiner Geschöpfe, welche unter der Regierung eines solchen Wesens, wie Gott sich uns um desto mehr 18 Preis gegeben] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1142–1143

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an eye upon the watch to catch, and a hand properly open to seize them as they arrive to it, shall find an everlasting flow of opportunities to promote it, in some way or other, in this world; and probably a more copious accession of them in that which is to come.—Here, and here alone, at these springs of generous and pious pleasure, we may say, “give, give,” with an immortally prevailing voice; without finding any stop in the stream that shall pour into our breast.

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Alas, with so much wealth within us, wrapt up in the powers of our own natures, why do our wishes rove so widely in quest of happiness? Take off your desiring eyes, ye who have health, and competence, and complain of deficient happiness, from those possessions which perhaps ye cannot procure, and which certainly would not content you if ye could. Dig for the riches that are deposited in your own breasts, oh, ye opulent possessors of reason, and nature, and God! those | riches which he that seeks shall certainly find, and by which, he that finds them, shall certainly be satisfied.

The poor cottager, in whose garden a treasure were buried, of which, could he find it, he would be the rightful owner, but who were to receive no intimation of it, to set him upon seeking for it, would be only to be pitied; but he is surely to be censured for his folly, whom God and man have concurred to tell repeatedly, that his nature contains within itself what is “more precious than rubies,” and who refuses to explore this hidden treasure.

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The eruption of the northern nations, which, when in want of provision, instead of bestowing that agriculture upon their own lands that would have rendered them productive of a plentiful supply, broke out upon fields which others had tilled, “gathering where they had not strawn, and reaping where they had not sown,” discovers indolence and irregularity o n l y. Their wild excursion at least accomplished the point at which it aimed: the pasturage and the harvests, which in foreign fields they sought, in foreign fields they found: but the emigration of the | human mind from that intellectual region it incloses within itself, which, when cultivated, is capable of yielding so rich a happiness, into the world without it, whether of avarice or

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zeigt, je mehr wir ihn zu ergründen suchen, nothwendig in alle Ewigkeit wachsend fortgehn muß; und die thätige Theilnahme an dem Wohlergehn seiner Werke, zu dessen Beförderung in dieser Welt, bis die künftige uns noch reichlichere Veranlassungen liefern wird, derjenige, welcher sich diesem Geschäft unterzieht, gewiß auf irgend eine Art unaufhörlich neue Gelegenheiten findet, wenn sein Auge nur stets auf der Wache ist um sie aufzufassen, und seine Hand stets offen um sich ihrer zu bemächtigen, sobald sie herangekommen sind. Hier und hier allein, bey diesen Quellen eines edlen und frommen Vergnügens, können wir ewig mit muthiger Stimme ausrufen: „bringe her, bringe her,“ ohne eine Stockung in dem Strom zu finden, welcher sich in unsere Brust ergießt. Wohlan also mit all diesem Reichthum in uns, der in den Kräften unserer eigenen Natur zusammengedrängt ist, warum schweifen unsere Wünsche so weit umher um Glückseligkeit zu suchen? Zieht eure gierigen Augen zurück, ihr, die ihr Gesundheit und das nothwendige habt, und doch über die Dürftigkeit eurer Glücksumstände klagt, zieht sie zurück von diesen Besitzungen, die ihr euch vielleicht | nicht verschaffen könntet, und die euch ohnedies gewiß nicht genügen würden, wenn ihr es auch könntet. Grabet nach den Reichthümern, die in eurer eignen Brust niedergelegt sind, o ihr Hochbegabten, die ihr ja Vernunft besitzt und Natur und Gott! nach diesen Reichthümern, welche derjenige gewiß findet, der sie sucht, und welche den gewiß zufrieden stellen werden, der sie gefunden hat. Der arme Hüttenbewohner, in dessen Gärtchen ein Schatz vergraben liegt, dessen rechtmäßiger Eigenthümer er wäre, wenn er ihn finden könnte, aber der keinen Wink bekommt, wodurch er aufgemuntert wird, danach zu suchen, würde nur unser Mitleiden verdienen; aber derjenige verdient gewiß unsern Tadel für seine Thorheit, dem Gott und Menschen einmüthig oft wiederholt haben, daß seine Natur selbst dasjenige in sich hat, was köstlicher ist als Edelsteine, und der sich doch weigert, diesen verborgenen Schatz aufzusuchen. Die Einbrüche der nordischen Völker, welche da es ihnen an Nahrung fehlte, nicht ihrem eignen Boden die Pflege widmeten, bey der er ihnen einen reichlichen Unterhalt geliefert hätte, sondern Felder aufsuchten, welche Andere bestellt hatten, um „zu sammeln wo sie nicht gestreut, und zu ärndten wo sie nicht gesäet hatten,“7 beweisen 7

Matth. 25, 24.

33 Völker] Völkern 10–11 Vgl. Spr 30,15 aus Spr 3,15.

38 Matth.] Math. 31 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt

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ambition, or sensuality, is a proof of f o lly as well as of sloth. It is a m a d sally from good ground to a barren soil: a frantic eruption out of paradise into a sandy desert; into “stony places;” where happiness will not grow. If we would be happy, we must cultivate our own productive and fertile natures; secure by temperance and employment the greatest sum of sensual enjoyment; and supply the deficiency of this, by superadding the superior pleasures of contemplative piety and generous virtue.

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Let him then that is looking about with the anxious inquiry, “Who will shew me any good?” allow me to point that eye, which he is rolling all around him in vain, to those faculties which lie folded up in his own bosom; in the proper expansion of which he will find what he is in search of. Happiness, like God, “is not far from any one of us.” In looking for it, we must draw in our eye; we stretch it to too great a distance; we look too far. From considering human nature, in | connection with human conduct, one would suppose that happiness were to be numbered among the things, which stand too near to be seen. That sacred talisman, which possesses the virtue to expel uneasiness and discontent from the breast of man, is not hidden by Heaven from his eyes, and removed from his reach: that invaluable treasure is not the mysterious deposit of some unknown place, the secret of the situation of which is kept from the sons of men; surrounded, somewhere, but where we are to find, by tremendous mountains which must be climbed, and guarded by furious monsters which must be overcome, by him that would make the treasure his own. It is not necessary, in order to find it, to set out in a perplexing search; to make laborious journeys; and engage in perilous adventures. This most precious of all things, is of all things the most obvious, and the most accessible. It stands full before every eye, and within the reach of every hand. It is a secret, only because we shut our eye; it is absent from our possession, only because we will not open our hand to it. Our eyes are wandering no one knows whither, above the clouds, beyond the seas, while what we | are in search of is close at our side.

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nur Nachläßigkeit und Unordnung. Ihr wildes Herumschwärmen erreichte doch zuletzt den Punkt, nach dem es strebte: die Weiden und die Erndten, die sie auf frem|den Feldern suchten, fanden sie auch auf fremden Feldern, aber die Auswanderung des menschlichen Gemüths von dem geistigen Boden, den es in sich selbst eigenthümlich besitzt, und der gehörig angebaut, so reichliche Glückseligkeit trägt, in die äußere Welt des Geizes oder der Ehrsucht oder der Ueppigkeit ist ein Beweis der T h o r h e i t eben so sehr als der Trägheit. Es ist eine thörichte Veränderung von gutem Boden auf ein dürres Land zu ziehen; ein wahnsinniger Ausfall aus einem Paradies in eine Sandwüste, in steinichte Gegenden, wo die Glückseligkeit nie wachsen kann! Wenn wir glücklich seyn wollen, müssen wir unsere eigene ergiebige und fruchtbare Natur anbauen, uns durch Mäßigkeit und Beschäftigung die größte Summe des sinnlichen Genusses sichern, und was uns hier noch abgeht, dadurch ergänzen, daß wir die höhern Freuden der denkenden Frömmigkeit und der uneigennützigen Tugend hinzufügen. Wer also um sich her sieht mit der ängstlichen Frage: Wer kann mir etwas Gutes zeigen? Der erlaube mir, daß ich sein Auge, welches vergeblich überall umherrollt, auf die Fähigkeiten hinweise, die in seinem Innern zusammen gefaltet liegen, und bey deren gehörigen Entwickelung er das finden wird, was er sucht. Die Glückseligkeit ist, wie Gott „nicht ferne von einem jeglichen unter uns.“8 Wenn wir uns darnach umsehn, müssen wir unsere Blicke | näher rücken; wir richten sie in eine zu große Ferne, wir sehen zu weit. Wenn man die menschliche Natur in Verbindung mit dem Betragen der Menschen betrachtet, sollte man beynahe glauben, die Glückseligkeit gehöre unter die Dinge, welche zu nahe liegen, um gesehen zu werden. Der Himmel hat den heiligen Talisman, der die Kraft besitzt Unmuth und Mißvergnügen aus der Brust des Menschen zu vertreiben, nicht vor seinen Augen verborgen, nicht seinen Bestrebungen entrückt: dieses unschätzbare Kleinod ist nicht geheimnisvoll an irgend einem unbekannten Ort niedergelegt, dessen Lage vor den Menschenkindern verborgen gehalten würde; es ist auch nicht an einem Ort, den wir zwar finden könnten, aber von furchtbaren Bergen umgeben, die derjenige erst ersteigen, oder von wüthenden Ungeheuern bewacht, die derjenige erst überwältigen müßte, der sich diesen Schatz zu eigen machen will. Es ist nicht nöthig, um ihn zu finden, erst eine mühsame und verwickelte Nachforschung anzustellen, beschwerliche Reisen zu un8

Ap. Gesch. 17, 27.

11 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Mt 13,5.20. 18 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 4,7 (KJB Ps 4,6)

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Serm. 13: On Happiness

“It is not in heaven, that thou shouldest say, who will go up into heaven for us, and bring it unto us? neither is it beyond the sea, that thou shouldest say, who will go over the sea for us, and bring it unto us? it is very nigh unto us:” it is in our own nature. We search for happiness up and down the world, looking for it in this place, and in that, wondering all the while where it can be, and why we do not find it, like one who torments himself with a long, anxious, fretful, and at length hopeless, search for something, which, all the while, he has in his hand.

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I have detained you a long time: but let it be remembered, that the subject is that which is our “being’s end and aim;” and the discussion of which involves the whole of that piety and virtue, the various views and branches of which are the topics of this place. If there be one around this pulpit, to whom I have said, with success, what I have said from it to-night; if there be one, bewildered till this hour, in his search after happiness, whom I have been able to set right; he at least will forgive the | length of this discourse, nor shall I have reason to repent its prolongation. With much sincerity, I hope, I can say, that to know I had guided a single inquirer after it to the source of happiness, would make no small addition to my own. Amen.

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ternehmen, und gefahrvolle Abentheuer zu bestehen. Dieses köstlichste aller Dinge ist uns zugleich unter allen Dingen das nächste, und das erreichbarste. Es steht deutlich einem Jeden vor Augen, und eines Jeden Hand kann es erlangen. Es ist nur deswegen ein Geheimniß, weil wir unser Auge davor verschließen; es gehört nur deswegen nicht zu unsern Besitzungen, weil wir unsre Hand nicht aufthun, um es zu ergreifen. Unsere Augen wandern, Niemand weiß wohin, über den | Wolken und über der See, unterdessen das, was wir suchen, ganz dicht an unserer Seite steht. „Es ist nicht im Himmel, daß du sagen möchtest: wer will in den Himmel fahren und es uns holen? Es ist auch nicht jenseit des Meeres, daß du möchtest sagen: wer will uns über das Meer fahren und es uns holen? sondern es ist nahe bey dir;“9 es ist in unserer eignen Natur. Wir suchen nach der Glückseligkeit in der Welt auf und ab; wir sehen uns nach ihr um an diesem und an jenem Ort, und wundern uns immerfort, wo sie wohl seyn mag, und warum wir sie nicht finden, wie einer der sich mit einer langweiligen, ängstlichen, verdrießlichen und am Ende hoffnungslosen Nachsuchung nach einer Sache quält, welche er die ganze Zeit über in seiner Hand hält. Ich habe lange verweilt; aber bedenket auch daß dasjenige mein Gegenstand war, was „unsers Daseyns Zweck und Ziel“ ausmacht, und dessen Erörterung das Ganze der Frömmigkeit und Tugend in sich begreift, deren verschiedene einzelne Ansichten und Zweige sonst das Ziel unserer Betrachtungen an diesem Ort zu seyn pflegen. Giebt es unter denen, die um diese Kanzel versammelt sind, nur einen, dem das, was ich diesen Abend von derselben gesprochen habe, mit Nutzen gesagt ist; giebt es nur einen, der bis zu dieser Stunde in seinem Streben nach Glückseligkeit verirrt war, und den ich jetzt auf den rechten Weg habe führen können; so wird der | wenigstens die Länge dieses Vortrages verzeihen, und auch ich werde nicht Ursach haben die darauf gewandte Zeit zu bereuen. Mit großer Aufrichtigkeit, wie ich hoffe, kann ich sagen, daß das Bewußtseyn auch nur einen, welcher die Glückseligkeit suchte, zu der Quelle derselben geführt zu haben, kein geringer Zuwachs zu meiner eigenen seyn würde. Amen. 9

5 Mos. 30, 12–14.

1–2 köstlichste] köstliche

34 30, 12–14.] 30. 12–14.

20 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus Alexander Pope: An essay on man, in epistles to a friend. Epistle IV, London 1734, Zeile 1.

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The Opportunities of Beneficence not confined to the Rich.

SERMON

XIV.

Silver and gold have I none; but such as I have give I unto thee. Acts iii. 6. An infirm mendicant, who had been lame from his birth, is represented, in this chapter, as being brought every day to the gate of the temple, to ask of passing Devotion a proof of its sincerity; to solicit pity from them that professed piety; and prefer his petition to those who were going to offer up theirs to heaven.

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With what success he usually sued for relief, the story does not say. In the present instance, he was more than successful. He received not the gift he sought, but one of infinitely greater value than all that Charity | had ever bestowed upon him before: a gift of which he had not dreamed; which he had despaired of ever receiving; and for which he had long left off to hope. Peter and John, among the rest of the passengers into the temple, being observed and applied to by this poor man, are described as regarding him with some attention; and calling upon him, in a solemn manner, to look at them. The poor man looks up, in expectation of pecuniary relief. Blessed disappointment! his benefactors are as poor as he: Silver and gold they had none; but they had that which it could not buy: and that they gave him. They gave him joy even to rapture;

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Vierzehnte Predigt.

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Daß die Gelegenheiten zur Wohlthätigkeit nicht allein den Reichen verliehen sind. Apostelgesch. 3, 6. 5

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S i l b e r u n d G o l d h ab e i c h n i c h t ; w as ich a ber ha be, da s g e b e i c h d i r. Dies Kapitel erzählt uns von einem gebrechlichen Bettler, der von Mutterleibe lahm war, daß er täglich an die Thüre des Tempels gesetzt wurde, um von den Andächtigen, welche vorübergingen, eine Probe von der Aufrichtigkeit ihrer Gesinnungen zu fordern; um Mitleid von denen zu erflehen, die sich der Frömmigkeit befleißigten, und ihnen seine Bitte vorzutragen, eben da sie hingingen, um die ihrigen dem Himmel darzubringen. Mit welchem Glück er gewöhnlich um Unterstützung bat, das sagt die Erzählung nicht. In dem gegenwärtigen Fall war er mehr als glücklich. Die Gabe, die er suchte, empfing er nicht, aber eine von unendlich größerem Werth, als alles, womit ihn die Menschenliebe bis jetzt beschenkt hatte: eine | Gabe von der er sich nicht träumen ließ, und auf die er schon längst aufgehört hatte zu hoffen. Als Petrus und Johannes gleich den Uebrigen, welche in den Tempel gingen, von diesem armen Manne auch bemerkt und angesprochen wurden, betrachteten sie ihn, der Erzählung zu Folge, mit einiger Aufmerksamkeit, und riefen ihm auf eine feyerliche Art zu sie anzusehen. Der arme Mann sah auf in der Erwartung ein Almosen an Geld zu erhalten. Glückliche Täuschung! Seine Wohlthäter waren so arm, als er: Silber und Gold hatten sie nicht; aber sie hatten etwas, was dafür nicht feil war; und dies gaben sie ihm. Sie gaben ihm Freude bis zum Entzücken, und Bewunderung häufte sich zu seiner Dankbarkeit! 19 auf die er] die er 7–13 Vgl. Apg 3,2

22 ihn,] ihn

24 Almosen] Allmosen

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504 Serm. 14: The opportunities of beneficence not confined to the rich

and added wonder to gratitude! They gave liberty to his limbs, and caused “the lame to leap as an hart.” . We have here an act of important beneficence, performed by poor men; an instance of munificence, in persons utterly destitute of money. Though without silver and gold, they were not without ability to confer benefit: and this means of making their fellow-creatures happy, with which Providence had blessed them, they cheerfully and generously employed.| 59

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The use I would make of this passage of Scripture, is to recommend this conduct of the apostles to all before me, so far as it is in their power to imitate it. Let every christian say to society, say to his family, say to his friends, say to his fellow-creatures at large, “Such as I have give I unto you.” Every human being has something to give. If silver and gold he have none, he, yet possesses a power of producing happiness, in some way or other. There is a variety in the necessities of mankind, which affords to every member of society an opportunity of communicating something or other, which some or other of his fellow-creatures want. Beneficence is not confined to Opulence. There is other indigence, besides want of bread. There are alms in every hand: there are charities in the power of Poverty. There are many who seem to think, that affluence only stands accountable to God for opportunities of doing good; and that he who has not gold to distribute has no social talk to perform: as if the coffer were the sole fountain of welfare; and food and raiment made up the total sum of human felicity. It is the exclamation of millions: “What good | might the wealthy do, if they would! What, O God! that gavest them riches for other purposes than those to which they put them, for what have they to answer! How shameful is it in them to lock up their treasures, or to squander them upon luxury, as they do! How inexcusable are they in suffering so many worthy men to be poor! Where is their taste for true enjoyment? where are their bowels of compassion? where is their gratitude to the Giver of the good things they enjoy?—Were t h e y to be thus appointed the stewards of Providence, and the treasurers of society, they would not thus embezzle the bounty of Heaven: they would execute their trust with more fidelity; they would clothe the naked; they would encourage the industrious; they would s at i s f y t h e h u n gr y s o u l w ith brea d; they would suffer no s t r an ge r t o l o d ge i n t h e s t r eet ; they would seek out modest Merit, surprize it with unsolicited kindness, snatch it from the shades of obscurity, and set it in a suitable sphere.” Thus they chalk

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Sie gaben seinen Gliedern die Freyheit, und machten daß „der Lahme sprang wie ein Hirsch.“ Wir sehen hier eine wichtige Handlung der Wohlthätigkeit von armen Leuten verrichtet; ein Beyspiel der Freygebigkeit bey Personen, die von Reichthümern ganz entblößt waren. Aber fehlte ihnen gleich Silber und Gold, so fehlte ihnen doch nicht das Vermögen Wohlthaten auszutheilen, und der Mittel, um ihre Mitgeschöpfe glücklich zu machen, womit die Vorsehung sie ausgestattet hatte, bedienten sie sich auf eine liebreiche und uneigennützige Art. Von dieser Schriftstelle will ich die Anwendung machen, daß ich dies Betragen der Apostel allen empfehle, welche hier gegenwärtig sind, so weit es | nemlich in ihren Kräften steht es nachzuahmen. Jeder Christ sage zu der Gesellschaft, zu seiner Familie, zu seinen Freunden, zu seinem Nächsten überhaupt: „Was ich habe, das gebe ich dir.“ Jedes menschliche Wesen hat Ewas zu geben. Wenn es nicht Silber und Gold hat, so besitzt es doch das Vermögen auf eine oder die andere Weise Glückseligkeit zu befördern. Die Bedürfnisse der Menschen sind so mannigfaltig, daß jedes Mitglied der Gesellschaft Gelegenheit hat, irgend etwas mitzutheilen, was einem oder dem anderen unter seinen Nebenmenschen fehlt. Die Wohlthätigkeit ist nicht auf das Wohlhaben eingeschränkt. Es giebt noch andere Bedürfnisse als nur den Brodtmangel. Jede Hand hat Gaben, und auch die Armuth kann Werke der Liebe verrichten. Viele scheinen zu denken, daß nur die Reichen Gott verantwortlich sind für die Gelegenheiten Gutes zu thun, und daß der, welcher kein Gold austheilen kann, gar nichts zum Besten der Gesellschaft zu thun habe: als ob der Geldkasten die einzige Quelle alles Wohlergehens wäre, und als ob Nahrung und Kleidung die ganze Summe der menschlichen Glückseligkeit ausmachten. Viele tausende sind gewohnt auszurufen: „Wie viel Gutes könnten die Reichen nicht thun, wenn sie wollten! O Gott! was haben die zu verantworten, denen du den Reichthum zu ganz andern Endzwecken gabst, als wozu sie ihn anwenden! Wie schändlich ist es, daß sie ihre Schätze so verschließen oder sie in unnützem | Aufwande verschleudern. Wie ist es so gar nicht zu entschuldigen, daß sie so viel würdige Menschen in der Armuth lassen! Wo ist ihr Geschmack für wahren Genuß? Wo ist ihr warmes Mitgefühl? Wo ist ihre Dankbarkeit gegen den Geber des Guten, was sie genießen? – Wären sie nur so zu Haushaltern der Vorsehung und zu Schatzmeistern der Gesellschaft bestellt, sie würden die Güte des Himmels nicht so umkommen lassen: sie würden ihr Amt mit ganz anderer Treue zu führen wissen: sie würden den Nackenden 1–2 Vgl. Jes 35,6

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out the path of charity for Affluence to tread, with a flourishing hand, with free and bold strokes; without considering how many social duties they | neglect themselves. They appear to think they have none to perform: that they have nothing to do but to fling themselves into the chair of indolent judgment, and observe how others discharge theirs.

And as mankind in general are disposed to consider social obligation as confined to the rich, there are many of these who are but too willing to admit that definition of charity, which includes the whole of it in Almsgiving; though they are by no means disposed to practise it to that extent, which those, who thus think for them, have marked out.

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But, my christian friends, there are many methods of expressing good-will, and producing human happiness, besides pecuniary bounty; of which they, who cannot practise this, may, and must, make use; and which they, who can, are bound to add to it, if they would fulfil the law of Christ. It becomes us to explore the sphere in which Providence has placed us; to examine the faculties of our nature, and the situations of our fellow-creatures; to see what it is that they want, and what it is that we have to give; and having found it, such as we have, whatever | it is, to give it unto them. Such an honest examination of o u r capacities, and their necessities, would open to every one of us a sufficiently extensive circle of social duties. Such a search after the means of communicating happiness is what I would now earnestly recommend to every individual in this place. And, in the mean time, I will beg leave to mention a few of the more obvious offices of “brotherly kindness and charity,” in which both rich and poor, high and low, may meet together, that would perhaps immediately occur to every one of you, if I were now to sit down, and leave the subject to be pursued by your own thoughts.

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kleiden, den Arbeitsamen aufmuntern, sie würden die hungrige Seele mit Brodt sättigen; sie würden nicht leiden, dass der Fremdling auf der Straße läge; sie würden das bescheidene Verdienst aufsuchen, es durch zuvorkommende Güte überraschen, es aus den Schatten der Dunkelheit herausreißen, und in einen angemessenen Wirkungskreis versetzen.“ – So entwerfen sie mit geschäftiger Hand in freyen und kühnen Zügen den Pfad der Mildthätigkeit, den die Reichen betreten sollten, ohne zu bedenken, wie viel gesellige Pflichten sie selbst vernachläßigen. Sie scheinen zu glauben, daß sie selbst dergleichen gar nicht zu verrichten haben, daß sie nichts zu thun haben als sich unthätig in den Richtstuhl zu werfen, um zu beobachten wie Andere ihre Pflichten erfüllen. Und so wie die Menschen überhaupt geneigt sind, diese geselligen Verpflichtungen nur für die Reichen gelten zu lassen, so giebt es wiederum unter | diesen viele, welche der Menschenliebe gern die Bedeutung geben möchten, als ob die Hauptsache derselben im Almosengeben bestände, ob sie gleich auch dies keinesweges in der Ausdehnung zu üben gesonnen sind, wie die, welche für sie denken, es ihnen vorgezeichnet haben. Aber meine christlichen Freunde, es giebt außer dem Guten, was durch Geld gestiftet werden kann, noch viele Arten einen guten Willen zu äußern, und menschliche Glückseligkeit zu befördern. Wem jenes nicht gegeben ist, der kann und soll sich an diese halten; und selbst der dem jenes gegeben ist, bleibt doch verbunden, auch diese hinzuzufügen, wenn er das Gesetz Christi erfüllen will. Es ziemt uns den Wirkungskreis kennen zu lernen, in welchen die Vorsehung uns gesetzt hat, die Kräfte unserer Natur und die Umstände unserer Nebenmenschen zu untersuchen, zu sehen was sie bedürfen und was wir zu geben haben, und wenn dies ausgemittelt ist, ihnen zu geben, was wir haben, es sey nun was es sey. Eine solche ehrliche Prüfung unserer Fähigkeiten und ihrer Bedürfnisse würde jedem von uns gewiß einen geräumigen Kreis geselliger Pflichten eröffnen. Dieses Nachdenken über die Mittel Glückseligkeit zu verbreiten ist es eben, was ich jetzt Allen, die sich hier zugegen befinden, ernstlich empfehlen möchte; und zu dem Ende will ich einige von den am meisten in die Augen fallenden Erweisungen brüderlicher Liebe und Güte erwähnen, zu denen beyde, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige sich | vereinigen können, und die vielleicht Euch Allen sogleich von selbst einfallen wür16–17 Almosengeben] Allmosengeben haben es 25 Vgl. Gal 6,2

26 welchen] welchem

30 haben, es]

36 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 2Petr 1,7

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There is one method, of a very general nature, and diffused over the whole life, of contributing to human happiness, in which both they that can, and they that cannot, increase it by pecuniary communications, may alike concur; which is the habitual exercise of an honest desire to give pleasure in the general tenour of our conversation and deportment, of a sincere and unaffected courtesy in all our words and actions. There are innumerable, nameless attentions, and miniature offices of kindness, which have been found so neces|sary to smooth the intercourses of mankind with one another, that the members of civilized societies have, in all nations and ages, agreed among themselves, to rank those manners, that are composed of such expressions of goodwill, among the decencies and elegancies of life; to assume, in each other’s society, at least a semblance of that kindness which they have felt to be so essential to the pleasure and comfort of social life; to conceal the asperities of their temper under the silken mantle of ceremony; to throw a veil over whatever mutual envy, jealousy, or dislike, they might feel; and to dress out their minds, as well as their bodies, whenever they meet together.

This artificial civility, however, when it is merely such, has several imperfections. Much of its attention is frivolous and officious: it is accompanied, in spite of every art to conceal it, with the coldness of insincerity: and it is confined to a limited number of objects. Amidst the domestic and familiar circle, the restraint of Art is thrown aside; and relatives and friends are laid open to the irruptions of uncorrected acrimony of temper.| 64

But when love is without dissimulation; when complaisance appears to spring from a sincere desire to please; when the kind affections are the fountains from which it flows; however destitute of artificial grace, however defective in delicacy of language, and in elegance of carriage, it is infinitely more pleasing than that which is studied and assumed.

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den, wenn ich jetzt inne hielte, und die weitere Ausführung der Sache euren eignen Gedanken überließe. Es giebt eine gewisse Art zum menschlichen Wohlergehen beyzutragen, welche von sehr allgemeinem Einfluß ist und sich über das ganze Leben verbreitet, deren sich auch ohne Unterschied sowohl die, welche durch ihr Geld zum Besten Anderer geschäftig sind, als die welche dies nicht können befleißigen müssen; nemlich die beständige Aeußerung eines wohlmeinenden Bestrebens, uns durch die ganze Art unseres Gesprächs und unseres Betragens bey Andern beliebt zu machen, die Aeußerung einer aufrichtigen und ungezierten Höflichkeit in allen unsern Worten und Handlungen. Es giebt unzählige, nicht zu nennende Gefälligkeiten und an sich geringe Erweisungen der Güte, die man doch allgemein so nothwendig findet, um dem gegenseitigen Verkehr der Menschen eine angenehmere Gestalt zu geben, daß unter den Völkern und zu allen Zeiten die Mitglieder der gebildeten Gesellschaft einig darüber gewesen sind, solche Sitten, welche aus diesen Bestrebungen der Gutwilligkeit entstehen, unter die vornehmsten Zierden und Verschönerungen des Lebens zu rechnen. Alle nehmen, wenn sie sich in Gesellschaft mit einander befinden, wenigstens den Schein dieser Güte an, deren Unentbehrlichkeit für die Ruhe und Freude des geselligen Lebens sie so dringend fühlen; sie suchen das Rauhe ihrer Gemüthsart un|ter dem seidenen Mantel des eingeführten Anstandes zu verbergen, einen Schleier zu ziehen über alle Regungen des Neides, der Eifersucht oder des Mißfallens, welche sie etwa gegen einander empfinden, und ihr Gemüth so gut als ihren Körper zu schmücken, wenn sie der Gesellschaft genießen wollen. Ist aber diese Höflichkeit nur erkünstelt, so hat sie merkliche Unvollkommenheiten. Die Gefälligkeiten, die sie erweiset, sind dann größtentheils unbedeutend und steif; trotz aller Mühe es zu verbergen leuchtet überall die Kälte hervor die allem erzwungenen Wesen anhängt, und immer ist sie nur auf einen gewissen Kreis von Gegenständen eingeschränkt. In dem häuslichen und vertrauten Kreise wird dann der künstliche Zwang bey Seite gelegt, und Verwandte und Freunde sind allen Ausbrüchen einer rauhen Gemüthsart, welche eigentlich nicht abgeschliffen ist, immer ausgesetzt. Aber wenn die Liebe ohne Verstellung ist, wenn es klar ist, daß die Gefälligkeit aus einem aufrichtigen Bestreben zu gefallen entspringt; wenn wohlwollende Neigungen die Quellen sind aus welchen sie herfließt, so mag ihr immer die künstliche Anmuth abgehn, es mag ihr die Zartheit der Sprache, und die Zierlichkeit des Benehmens fehlen, sie wird doch unendlich mehr gefallen, als die welche nur angenommen und studirt ist.

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He, therefore, whose heart is penetrated, and whose manners are pervaded by a sincere principle of love to mankind; who, with a comparative indifference for superfluous forms, extends his endeavours to promote the real comfort of his companions to points beyond the prescriptions of ceremony; and who carries these attentions to his private connections, and most familiar hours; is to be regarded as no inconsiderable contributor to the sum of human happiness; however humble his fortunes may be, however limited his capacity to lighten the burthens of Poverty.

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The mere expression of kindness, where it confers no important benefits, is infinitely soothing to all human creatures. The affability of the rich is often more gratifying to Poverty than their bounty: and patronage, without gentleness, renders death more eli|gible than dependence. There are those, who will render occasional services of a solid and substantial nature; but who allow themselves to give pain to all around them, by the unrestrained irruption of ill humour, and the uncontrolled use of unkind language. While their actions sometimes bind up the body’s wounds, their words inflict others in the heart, and deep and sore ones too, in the breast of affectionate kinsmen and friends, and frequently in the breast of them, whose outward bruises from Fortune’s blows, their beneficent hand is healing. Benefactors there are, ungenerous benefactors! who, while, from whatever motive, they adopt the helpless and the fatherless, are able, by the harshness of their habitual manner towards them, to put the dependent perpetually in mind of his dependence; who occasion a cruel contest, in the ingenuous breast, between resentment and gratitude; and put bitter bread into the mouth they profess to feed. Beneficence in itself, however shining, thus over-shaded, forfeits the character of benevolence; fails to effect happiness; and cancels the obligations of gratitude.|

Let not him, who would not wish to discredit his understanding, or expose the sincerity of his virtue to suspicion, call the recommendation of courtesy beneath what is styled the dignity of the pulpit. This virtue is of the first importance, whether considered as an attribute of a character, or as an offering to society. It is a necessary, and an absolutely necessary proof of sincere charity. Where that heavenly principle is planted, it will infallibly produce this fruit. It is the natural

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Derjenige also, dessen Herz von einem aufrichtigen Gefühl allgemeiner Liebe durchdrungen ist, und | dessen Sitten davon innig durchzogen sind, der ohne auf überflüßige Formen mehr als billig ist, zu halten, seine Bemühungen die wahre Zufriedenheit seiner Gesellschafter zu befördern, auch auf solche Gegenstände richtet, die unter den Regeln des Anstandes nicht begriffen sind, der dieselbe Aufmerksamkeit auch in seinen vertrauteren Verbindungen und in den zwanglosesten Stunden beweist, der leistet gewiß einen nicht geringen Beytrag zur Summe der menschlichen Glückseligkeit, wenn auch sein Glückszustand sehr dürftig, und sein Vermögen die Last der Armuth zu erleichtern sehr eingeschränkt ist. Schon der bloße Ausdruck der Güte, wenn sie auch keine wichtige Wohlthaten erweisen kann, hat für alle menschlichen Geschöpfe einen unendlichen Reiz. Die Leutseligkeit der Reichen ist den Armen oft erfreulicher als ihre Gütigkeit, und wenn der Schutz, den man genießt, nicht von einem liebreichen Wesen begleitet ist, so wünscht man lieber den Tod, als eine solche Abhängigkeit. Es giebt Viele, die wohl geneigt sind, Andern gelegentlich sehr wichtige und wesentliche Dienste zu leisten, die sich aber erlauben Alle, die ihnen nahe sind, durch ungezügelte Ausbrüche ihrer üblen Laune, und durch harte Reden, deren sie sich ohne Unterschied und ohne Maaß bedienen, zu kränken. Indem sie bisweilen die Wunden des Körpers verbinden, schlagen ihre Worte dem Herzen neue Wunden; recht tief und schmerzlich zerreißen sie die Brust geliebter Verwandter und Freunde, ja oft die Brust eben derer, denen ihre wohl|thätige Hand die äußeren Quetschungen heilt, welche die Schläge des Glücks ihnen verursacht haben. Wohlthäter giebt es, ach! unedle Wohlthäter, die sich – aus welchem Grunde es auch sey – des Hülflosen und Verlassenen zwar annehmen, aber ihm dann in der Regel durch ihr Betragen so hart fallen, daß er seine Abhängigkeit immerfort fühlen muß, daß ein grausamer Streit in seinem unschuldigen Herzen entsteht zwischen Unwillen und Dankbarkeit, und daß das Brodt ihm bitter wird, welches sie ihm darreichen. Wenn die Wohlthätigkeit, wie glänzend sie auch an sich selbst sey, so überschattet wird, so verwirkt sie den Charakter des Wohlwollens, sie verfehlt die Glückseligkeit, welche sie hervorbringen wollte, und sie hebt selbst alle Verpflichtung zur Dankbarkeit auf. Wer nicht eine nachtheilige Meinung von seinem Verstande, oder einen Argwohn gegen die Aufrichtigkeit seiner Tugend veranlassen will, der sage nur nicht, daß eine Empfehlung des artigen und höfli8 beweist] beweißt 13 menschlichen] menschliche 19 sind,] sind 24 Verwandter] Verwandten 25 äußeren] äußere 28 ihm] ihn 38 veranlassen] so DV; OD: verlassen

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emanation of an amiable heart. It may be called the effluvia of philanthropy: it flies off as naturally from it, as fragrance from the flower; or as light from the sun. In what I have said, under this head, I have but, in other words, recommended the cultivation of radical and vital benevolence. Where that is sincere, this efflux of it will be found in the manners. I deliver an important precept, I preach the gospel of Jesus, I repeat the very language of the gospel, when I say, “Be courteous.”

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Nor will this virtue appear in a less important point of view, if considered as a tribute to human happiness. If its effects are little in themselves, there is so continual a | repetition of them, there is so perpetual a recurrence of the occasions which call for them, that it will be confessed, by those who attentively consider it, to produce, upon the whole, more happiness in human life, than much of that beneficence which makes a greater figure in it. Although those miniature kindnesses, humble services, and obliging attentions, in a course of which courtesy consists, when separately considered, are insignificant; yet their uniform succession, and collective influences, will be found to amount to a larger sum of contribution to happiness, in the narrow sphere which they affect, than any single, occasional act of pecuniary munificence. An accumulation of particles and grains composes the mountain, that lifts its head to heaven. A confluence of drops makes up the “multitudinous ocean.” That humble current of little kindnesses, which, though but a creeping streamlet, yet incessantly flows; although it glides in silent secrecy within the domestic walls, and along the walks of private life; and makes neither appearance, nor noise in the world; pours, in the end, a more copious tribute into the store of human comfort and felicity, than any sud|den and transient flood of detached bounty, however ample, that may rush into it with a mighty sound.

15 Although] Athough

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chen Betragens unter dem sey, was man die Würde der Kanzel nennt. Diese Tugend ist von der äußersten Wichtigkeit, man mag nun auf ihre Stelle im Charakter ober auf ihren Werth für die Gesellschaft sehn. Sie ist ein nothwendiges, unumgänglich nothwendiges Zeugniß für die Aufrichtigkeit der Menschenliebe. Wo diese himmlische Gesinnung gepflanzt ist, da wird sie auch unfehlbar jene Frucht hervorbringen. Es ist die Art, wie sich jedes liebenswürdige Gemüth von Natur äußert. Man kann | sie den Ausfluß der Menschenliebe nennen; denn sie fließt so von selbst daraus her, wie der Duft aus der Blume, oder das Licht aus der Sonne. Durch alles was ich hierüber gesagt, habe ich also, nur mit andern Worten, empfohlen, daß wir ein inniges und lebendiges Wohlwollen bey uns nähren sollen. Wo dieses aufrichtig ist wird auch der Abdruck desselben in dem äußern Betragen gefunden werden. Ich schärfe also ein wichtiges Gebot ein, ich predige die wahre Lehre Jesu, ich rede die eigenste Sprache seines Evangelii, wenn ich sage: betragt euch freundlich und höflich. Auch erscheint uns diese Tugend in einem eben so interessanten Gesichtspunkt, wenn wir sie als einen Beytrag zur menschlichen Glückseligkeit betrachten. Wenn ihre Wirkungen an sich selbst nur klein sind, so wiederholen sie sich dafür so unaufhörlich, so kehren die Gelegenheiten die uns dazu auffordern, so vielfach wieder, daß jeder – der der Sache aufmerksam zusieht – gestehen muß, es werde dadurch im Ganzen genommen mehr Glückseligkeit im menschlichen Leben gewirkt, als durch einen großen Theil der Wohlthätigkeit, die sich ein weit größeres Ansehen zu geben weiß. Wenn gleich diese kleinen Gefälligkeiten, diese geringen Handreichungen, diese verbindlichen Aufmerksamkeiten, in deren fortgesetzter Ausübung die Höflichkeit besteht, abgesondert für sich betrachtet unbedeutend sind, so findet man doch, wenn man den Betrag der ganzen Reihe zusammen rechnet, daß in der kleinen Sphäre, wel|che sie umfassen, ihre Beysteuer zur allgemeinen Glückseligkeit eine so große Summa ausmacht, als kaum irgend eine einzelne gelegentliche Handlung der reichlichsten Freygebigkeit beträgt. Einzelne Körner und kleine Theilchen aufeinander gethürmt bilden den Berg, der sein Haupt zu den Wolken erhebt. Aus einem Zusammenfluß von Tropfen besteht der unermeßliche Ozean. Dieser anspruchslose Fluß kleiner Gefälligkeiten, der zwar nur ein geringes Bächlein ist, der dafür sich unaufhörlich ergießt, der nur still und unbemerkt innerhalb der häuslichen Mauern, und längst 36 anspruchslose] anspruchlose

38 längst] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 52

16 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. 35–36 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus William Shakespeare: Macbeth II,2.

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Having pointed out this daily succession of diminutive attentions to human happiness, as a mode of charity in which all conditions of men may indulge their benevolence, permit me to specify a few particular offices of kindness, in the performance of which riches are not needed; and some of which are of a more substantial and important nature, than any acts of pecuniary communication.

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The administration of comfort to the discontented or the afflicted is an office of humanity, which it is not necessary to be opulent, in order to be able to perform. Much of the misery of man is situated in his imagination. He compares his condition with that of others around him; and its apparent inferiority to some of them renders him dissatisfied with it. He spies out the specks of imperfection and shade that appear in his situation, and magnifies them into broad blots, that eclipse and obliterate, to his eye, all that is luminous in his lot.—He surely does him no inconsiderable kindness, who disperses, when he can, these clouds, which his fancy | collects around it; turns to him the bright sides of his situation; points out his reasons for thankfulness; and diffuses cheerfulness and satisfaction over his breast. Man has miseries also that are more than imaginary. These likewise are capable of being alleviated by words of comfort: and he who sits by the side of Affliction, and whispers peace; who, though he cannot recal departed property, or reanimate the lamented dead, is able to sooth, by degrees, dejected Nature into calm reconciliation to the losses of life; performs an office, produces an effect, which, though the trumpet of Fame may disdain to proclaim it, the eye of Heaven beholds with silent complacency, and private Gratitude will not quickly forget. I do not recommend that officious and feeble consolation, which hurries to oppose the first gush of grief, with the cold cant of either philosophy, or religion; and that idly aims at stopping a torrent with a word. There is a season, during which sorrow must be indulged; and when the tear of condolence has more of consolation 27–28 consolation] consolalation

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der Gänge des Privatlebens hinschleicht, ohne Aufsehn oder Geräusch in der Welt zu machen, führt doch am Ende einen größern Zufluß in die Zisternen der menschlichen Wohlfahrt und Zufriedenheit, als irgend eine plötzliche, aber auch nur augenblickliche Fluth, welche die Güte, die nur stoßweise sich ergießt, sey es auch noch so reichlich und mit mächtigem Getöse, hineinströmen läßt. Nachdem ich diese tägliche, ununterbrochene Darbringung der kleinsten Beyträge zur menschlichen Glückseligkeit als eine solche Art der thätigen Liebe bemerklich gemacht habe, durch welche Menschen von allen Ständen ihr Wohlwollen beweisen können, so erlaubt mir nun einige besondere Geschäfte der Gütigkeit anzuführen, zu deren Ausführung ebenfalls keine Reichthümer erfordert werden, und von denen einige viel wichtiger und wesentlicher sind, als alles was man durch Anwendung des Geldes leisten kann.| Den Mißvergnügten oder Betrübten Trost zuzusprechen ist ein Geschäft der Menschenliebe, dessen man sich annehmen kann, ohne irgend wohlhabend zu seyn. Von dem Elende des Menschen liegt viel in seiner Einbildung. Er vergleicht seine Umstände mit den Umständen Anderer um ihn her, und daß die seinigen ihm nicht so viel zu gewähren scheinen, macht ihn unzufrieden damit. Er sucht alle dunklen unreinen Fleckchen, die er in seiner Lage ausgespäht hat, hervor, und verarbeitet sie dann zu großen Massen, die alles was es in seinem Loose glänzendes giebt, vor seinem Auge überziehn und verfinstern. – Ihm leistet gewiß derjenige keinen unbeträchtlichen Dienst, der diese Wolken, welche seine Phantasie zusammengehäuft hat, wieder zerstreut, ihm die helle Seite seines Zustandes vor Augen bringt, ihm darlegt wie viel Ursachen er hat dankbar zu seyn, und so Heiterkeit und Zufriedenheit wieder über sein Herz verbreitet. Es giebt aber auch menschliches Unglück, was mehr als eingebildet ist. Dies kann eben so durch Worte des Trostes erleichtert werden, und wer sich an die Seite des Betrübten hinsetzt und ihm Ruhe zuflüstert, wer, ob er gleich nicht im Stande ist das verlorne Eigenthum zu ersetzen, oder den beweinten Todten ins Leben zurückzurufen, sich doch darauf versteht, das niedergeschlagene Gemüth nach und nach bis zu einer ruhigen Ergebung bey einem großen Verlust zu besänftigen, der verrichtet eine That, der bringt eine Wirkung hervor, die freylich | dem Ruf nicht groß genug scheint, um sie zu verkündigen, auf die aber das Auge des Himmels mit stillem Wohlgefallen herabsieht, und die die Dankbarkeit des Empfängers nie gänzlich vergessen wird. Ich empfehle nicht jenes zudringliche, armselige Trösten, das nicht genug eilen zu können glaubt, um den ersten Stürmen des Grams kalte Formeln der Philosophie oder der Religion entgegen zu stellen, und das sich vergebens bestrebt einen Strom durch ein Wort zu hemmen.

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in it, than the most eloquent discussion of all the topics from which patience can be drawn. There is a season, when la|mentation wants an echo, not a lecture: when assent to complaint does more, in the end, to sooth and to hush it, than any sudden endeavours to silence it. The wise will not “speak a word” to recent Affliction; for they see “that its grief is great.”

But he, who, reverencing the sacredness of sorrow, approaches it with silent sympathy; lends a patient ear to its plaints; confesses there is cause for its tears; and, along with them, lets fall his own; performs a part that eases and refreshes the afflicted spirit: and he, who, when the violence of grief begins to subside, applies the consolations which reason and religion present to the unhappy, will not be likely to speak to Misery in vain. The human mind, though speculatively acquainted with consolatory truth, has need of another to hold it up to it, when it is relaxed and debilitated by adversity. The languid and enfeebled body, though it sees the cordial, which it wants, standing before it, requires a hand to raise it to its lips: and the broken heart knows not to imbibe consolation, until it be administered by Humanity and Friendship. Here, then, is an office of kindness, to the performance of which, all that is neces|sary is the possession of reason, and of the organs of speech.

Another kind office, in the discharge of which wealth is not wanted, is the generous vindication of traduced innocence, whenever such opportunities occur; as, to our shame it must be confessed, they so frequently do. Reputation is deservedly dear to the most independent; and to numbers, the loss of it is the loss of their bread: and much is it to be lamented, that conversation, in civilized and christian countries, should be so much indebted to detraction, for its entertainment, as it is. But, as none of us are to be told, how frequently, without the shadow of a foundation for them, evil reports are propagated; how delighted the servile are with an opportunity of soothing the splenetic with them; and how, common it is for Wit, in the wanton-

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Es giebt eine Zeit, die man dem Kummer widmen muß, und wo eine Thräne des Mitgefühls mehr Trost bey sich führt, als die beredteste Auseinandersetzung aller der Betrachtungen, die uns Geduld einflößen sollten. Es giebt eine Zeit, wo die Klage mehr eines Wiederhalls bedarf, als eines Verweises, wo Einstimmung in die Aeußerung unserer Gefühle kräftiger wirkt, sie zu besänftigen und zu stillen, als rasche Bemühungen sie zum Schweigen zu bringen. Die Weisen werden „nichts reden“ mit der Betrübniß die noch neu ist, denn sie sehen „daß der Schmerz sehr groß ist.“1 Aber der, welcher den Bekümmerten als ein heiliges Wesen ehrt, sich ihm mit stillem Mitgefühl nähert, seinen Klagen ein geduldiges Ohr leiht, ihm zugiebt daß er Grund hat zu seinen Thränen, und seine eigenen mit ihnen vermischt, der unterzieht | sich einem Dienst, wodurch der gebeugte Geist erleichtert und erfrischt wird; und wenn er erst dann, wenn die Heftigkeit des Grams nachzulassen beginnt, die Trostgründe vorträgt, welche Vernunft und Religion dem Unglücklichen darbieten, so wird er nicht leicht umsonst zu dem Leidenden reden. Wenn auch das menschliche Gemüth mit allen tröstlichen Wahrheiten in der Theorie recht gut bekannt ist, so muß doch Jemand da seyn, der sie ihm vorhalte, wenn es durch Unglück geschwächt und abgespannt ist. Der kraftlose abgemattete Körper bedarf, wenn er auch den stärkenden Trank, der ihm noth thut, vor sich stehn sieht, doch eine fremde Hand um ihn an seine Lippen zu bringen, und das zerbrochene Herz ist nicht vermögend den Trost einzuschlürfen, wenn nicht Menschenliebe und Freundschaft ihn darreichen. Hier ist also ein Geschäft des Wohlwollens, welches man verrichten kann, ohne daß etwas anders dazu erfordert würde als Vernunft und Sprache. Eine andere Dienstleistung, wozu es ebenfalls des Reichthums nicht bedarf, ist edelmüthige Ve r t h e i d i gung der geschmähten Unschuld, so oft sich die Gelegenheit dazu darbietet, welches – zu unserer Schaam sey es gesagt – nur allzu oft der Fall ist. Auch dem Unabhängigsten ist sein Ruf mit Recht theuer; aber für viele ist der Verlust desselben zugleich der Verlust ihres Unterhalts, und es ist sehr zu beklagen, daß in gebildeten und christlichen Gegenden die gesellige Unterhaltung, um nur zu be|stehen, so oft bey der Verläumdung borgen muß. Aber so wie ich keinem von uns erst zu sagen brauche, wie oft üble Gerüchte sich fortpflanzen, ohne auch nur den Schatten eines 1

Hiob 2, 13.

29 bedarf,] bedarf 7–8 Vgl. Mt 8,8

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ness of vivacity, to “scatter firebrands, arrows, and death; and to say, Am I not in sport?” so none of us can hesitate to confess, that he, who, upon all occasions of this kind, is a spirited defender of calumniated Innocence; who does all in his power to discourage conversation of this nature; who even refuses, when it is founded in | truth, to transmit the tale of trivial and venial indiscretion to a single ear; and who is busy, on the contrary, to circulate the story of honour and praise; is to be considered as rendering to society a very solid and valuable service.

Another office, which contributes in a considerable degree to the happiness of human life, and which it is in the power of all sorts and conditions of men to render it, is that of making peace between man and man: of appeasing that strife, which not only disturbs the tranquillity of a family, or a neighbourhood, but by which they, who are unhappily hurried into it, are yet more troubled; and from which all are thankful to be delivered, when their rescue from it can be accomplished, without any offence to their sense of honour. He who, by his mediatorial interpositions, puts out that flame, in which he sees his fellow-creatures tormented, all the while that their irritated passions are blowing it up to a stronger, and yet a stronger blaze; he who, with assuaging words, cools the wrath, by which he beholds them thus consumed; who steps between, and produces the reconciliation, of which each is desirous, but | which each disdains to propose; who thus, by a judiciously generous management of irritable weaknesses, reconciles human pride to that peace, which human nature loves; he who does this, performs a benefaction, of as much importance to happiness, as the rich man who sends the physician to attend a poor one in a fever. Another gift, alike in the power of the rich and poor, is good advice, of a secular, or a moral nature; and faithful reproof, when it is wanted. He who has not a purse capable of supplying any other necessities than his own, may possess experience to teach the passen-

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Grundes für sich zu haben; wie knechtische Gemüther sich freuen über jede solche Gelegenheit die Mißmüthigen, die sie unter sich haben, etwas aufzuheitern, und wie es dem Witz etwas gewöhnliches ist, in seiner ausschweifenden Lebhaftigkeit mit Feuerbränden, mit Pfeilen und Tod um sich zu werfen und zu sagen: scherze ich denn nicht? so wird auch keiner unter uns säumen zu gestehen, daß der, welcher bey allen Gelegenheiten dieser Art ein lebhafter Vertheidiger der verläumdeten Unschuld ist, welcher alles thut was in seinen Kräften steht um Gespräche von dieser Art zu unterdrücken, welcher auch die wahrhaften Geschichtchen, womit die leider gewöhnliche und verzeihliche Unbesonnenheit sich herumträgt, nicht einem einzigen Ohr wieder mittheilt, und welcher im Gegentheil geschäftig ist, alle Handlungen, die Ehre und Ruhm bringen, bekannter zu machen, daß dieser der Gesellschaft einen sehr wichtigen und schätzbaren Dienst leistet. Eine andere Liebeserweisung, die in beträchtlichem Grade zur Glückseligkeit des menschlichen Lebens beyträgt, und die von Menschen jeder Art und jeden Standes geübt werden kann ist die: F riede zu s t i f t e n zwischen Mensch und Mensch, einen Zwist zu schlichten, der nicht nur die Ruhe einer | Familie oder eines geselligen Kreises stört, sondern durch den die welche unglücklicherweise darin verwikkelt sind, noch weit mehr geängstiget werden, und dessen Beendigung Alle mit dem wärmsten Dank annehmen, wenn sie ohne ihr Ehrgefühl irgend zu verletzen, davon loskommen können. Wer durch seine vermittelnde Dazwischenkunft die Flamme auslöscht, von der er seine Nebenmenschen gequält sieht, selbst indem ihre gereizten Leidenschaften sie immer noch zu heftigerer Glut anfachen; wer durch besänftigende Worte den Grimm abkühlt, von dem er sie verzehrt sieht, wer dazwischentritt und die Versöhnung bewerkstelligt, nach der beyde verlangen, wozu aber keiner den ersten Antrag machen will; wer so durch eine verständige und edelmütige Schonung reizbarer Schwächen den menschlichen Stolz wieder mit dem Frieden aussöhnt nach welchem sich die menschliche Natur so sehr sehnt: wer das thut, verübt eine wohlthätige Handlung, die für die Glückseligkeit eben so wichtig ist, als wenn der Reiche dem Armen einen Arzt sendet um ihn in seinem Fieber zu berathen. Eine andere Gabe, die gleichfalls in der Macht der Armen und der Reichen steht, ist gu t e r R at h – er beziehe sich nun auf weltliche oder moralische Angelegenheiten – und wo es nöthig ist, ein of fenh e r z i g e r Ta d e l . Der dessen Börse nicht hinreicht, noch andere Bedürfnisse als seine eigenen zu bestreiten, kann dafür Erfahrung haben, um den Wande|rer durch das menschliche Leben, der in den Labyrin4–5 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 26,18–19

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ger through human life, when he is perplexed in its labyrinths, how to find his way out of them: and he who willingly steps up to those, who want a worldly guide, and says to them, “this is the way, walk ye in it,” is a benefactor that deserves to be warmly thanked.

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But s p i r i t u al advice is an office the most important, that Friendship and Charity can possibly perform. There is indeed no complaint more common than of the frequency with which moral advice is thrown away. But is not this, I would beg leave to ask, to | be often imputed either to the improper principle which gives birth to it, or to the improper manner in which it is administered? It is absolutely necessary to its chance of success, that it should have love for its fountain, and prudence for its guide. It should spring and it should appear to spring, and to spring solely, from a sincere concern for the character it addresses. Virtuous counsel is often given from a principle of vanity and pride. To exhort any one to his duty, is during the moment of exhortation, to stand above him; to vault into the seat of judgment, and place him before it. The counsel, that is accompanied with any appearance of this spirit, it is not surprising that the person, to whom it is directed, should consider in the light of presumption and impertinence. By such admonition, men are more likely to be irritated, than amended. Admonition is, itself, a bitter potion to the taste of man. It requires to be sweetened by the utmost mildness and delicacy; and appear to be dictated only by generous zeal for the honour and welfare of those to whom it is given, The pain it inflicts upon the pride of nature wants every lenitive, that gentleness and love can lend it. | When thus tempered, it will sometimes subdue that pride, and give birth to gratitude, in breasts, where, but for this melioration of it, it had kindled only resentment.

To the efficacy of virtuous advice, prudence is also necessary. Prudence should be shewn in the choice of objects; of opportunities; and of arguments. He, who rushes with his lessons of wisdom into the presence of persons, with whom he has little or no acquaintance, will be received as an enthusiast. He who lectures Folly, in the moment of her levity, must expect to be derided. And he who hopes, by one undiscriminating declamation, to produce impressions upon different tempers, will be certainly disappointed. A wise monitor will confine his expostulations to the circle of his friends, relatives, or dependents: he will try to catch the heart he would correct, in its most serious and

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then desselben verirrt ist, zu belehren, wie er seinen Ausweg daraus finden kann; und wer willig zu denen hinzutritt, die eines Führers in ihren weltlichen Angelegenheiten bedürfen, und ihnen sagt: „dies ist der Weg, den wandelt,“ der ist ein Wohlthäter, welcher den wärmsten Dank verdient. Aber guter Rath in geistlichen Angelegenheiten ist der wichtigste Dienst, den Freundschaft und Bruderliebe je leisten können. Keine Klage ist wohl gemeiner als die, daß guter Rath in diesen Dingen so oft verworfen wird. Aber ist das nicht öfters theils den unrechten Triebfedern zuzuschreiben, aus denen er entstanden ist, theils der unrechten Art, wie er mitgetheilt wurde? Es ist unumgänglich nothwendig, wenn er von gutem Erfolg seyn soll, daß Liebe sein Ursprung sey, und Klugheit seine Führerin. Aus einer aufrichtigen Theilnahme an der Person, der er gegeben wird, muß er entspringen, ganz allein entspringen, und es muß auch deutlich seyn, daß dies seine Quelle ist. Ein tugendhafter Rath wird oft nur aus Eitelkeit und Stolz gegeben. Jemand zu seiner Pflicht zu ermahnen, das versetzt uns für den Augenblick dieser Ermahnung über ihn, wir werfen uns vornehm in den Richtstuhl und stellen Jenen vor uns hin. Der Rath, bey dem auch nur ein Schein dieser Gesinnung wahrgenommen wird, wird – man darf sich gar nicht darüber wundern – von der Person der man ihn ertheilt, als eine Anmaßung | und als eine Unschicklichkeit betrachtet. Durch solche Ermahnungen werden die Menschen mehr erbittert als gebessert. Ermahnung ist ohnedies dem Geschmack der Menschen ein bitterer Trank. Sie muß durch die äußerste Milde und Zartheit versüßt werden, und es muß in die Augen fallen, daß sie nur durch reinen Eifer für die Ehre und das Wohlergehen dessen, an den sie gerichtet war, eingegeben wurde. Der Schmerz, den sie natürlich dem Eigendünkel verursacht, erheischt in der That alles lindernde, was Freundlichkeit und Liebe ihr noch leihen können. Wird sie so gemildert, so wird sie bisweilen wenigstens über den Stolz Herr werden, und Dankbarkeit in Gemüthern erwecken, in denen sie ohne diese Verbesserung nur Unwillen entzündet hätte. Eben so nothwendig ist die Klugheit um einen tugendhaften Rath wirksam zu machen. Klugheit muß man beweisen in der Wahl der Personen, der Zeiten und des Inhalts. Wer mit seinen Weisheitslehren herausplatzt gegen Personen, mit denen er wenig oder keine Bekanntschaft hat, wird als ein Schwärmer behandelt. Wer der Thorheit mitten in ihrem ausgelassenen Wesen ernstliche Reden hält, muß sich 24 ohnedies] ohne dies 3–4 Jes 30,21 (nach der englischen Textfassung)

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promising moments; and to hit upon those topics of persuasion, that are most likely to touch its particular complexion.

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He who offers advice of this kind, at once gentle and judicious, may sometimes hope to succeed. All do not see their faults; admonition points them out to them. Many, | who see their faults, see them with an indulgent eye; reproof informs them of the opinion impartiality entertains of them. Multitudes, who see their faults in a true light, are not aware that others see them; the voice that rebukes them, tells them they are known: and they who could support the disapprobation of Conscience, are afraid of the frown of man. There is one class of objects of spiritual advice, that is peculiarly likely to be profited by it, when accompanied at once with earnestness and discretion. A parent has the heart of his child in his hand: and he who, amidst the shades of retirement, and under the roof of obscurity, leads up one human heart to Heaven, does more than they who sink the largest sums in secular liberality. I take off my eye from princes and from patrons, to look, with awful veneration, upon him, who cannot make his children wealthy, but who toils to make them virtuous; who labours to ripen innocence into virtue, by rational instruction, and virtuous persuasion. I turn away from beholding them, whose dying breath endows hospitals, or enriches relatives, to gaze with the profoundest awe, | upon that poor man, who is able to say, as he lies upon the pillow of death, to the filial attendant upon his last hour: “Silver and gold I have none to give thee, my child! but such as I have, give I unto thee. I have given thee good instruction: I have given thee a good example: and take now this dying counsel, Be n o t w e a r y o f w e l l - d o i n g: take this eternal truth from my expiring tongue, pronounced in this honest and solemn hour, by one who has had substantial proof of it, Virtue is the most valuable possession of

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gefaßt machen, verlacht zu werden. Und wer sich einbildet, auf ganz verschiedene Gemüther durch eine und dieselbe Art von Vorstellungen Eindruck zu machen, der wird sich gewiß getäuscht finden. Ein weiser Berather wird sich mit seinem Zu|spruch auf den Kreis seiner Verwandten, seiner Freunde, seiner Untergebenen einschränken: er wird das Herz, welches er bessern will, in den ernstesten und vielversprechendsten Augenblicken zu fassen suchen, und wird sich vorzüglich an die Ueberredungsgründe halten, von denen er Ursach hat zu vermuthen, daß sie für diese besondere Gemüthsverfassung die beweglichsten seyn werden. Wer guten Rath von dieser Art auf eine liebreiche und verständige Art ertheilt, kann hoffen, daß er bisweilen seinen Endzweck erreichen werde. Alle sehen ihre Fehler nicht; eine wohlangebrachte Erinnerung zeigt sie ihnen. Viele, die ihre Fehler sehen, sehen sie mit nachsichtigen Augen an. Der Tadel sagt ihnen was Unpartheyische darüber urtheilen. Viele, die ihre Fehler in dem rechten Lichte sehn, glauben nicht daß Andere sie auch bemerken; die Stimme, die ihnen Vorwürfe macht, sagt ihnen, daß man sie kennt, und oft erschrecken die, welche die Mißbilligung ihres Gewissens ertragen konnten, vor dem bevorstehenden Unwillen der Menschen. Vorzüglich giebt es unter denen, welche guten Raths in moralischen Angelegenheiten bedürfen, eine Klasse, von der man mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hoffen kann, daß sie ihn benutzen werde, wenn Ernst und Schonung darin vereinigt sind. Eltern nemlich haben das Herz der Kinder immer in ihrer Hand, und der, welcher, sey es auch in den Schatten der Verborgenheit, und unter einem | unbekannten Dach, eine menschliche Seele dem Himmel zuführt, hat mehr gethan, als wer die größten Summen zu irgend einem irdischen Behuf freygebig angelegt hat. Ich ziehe mein Auge ab von den Fürsten und Großen der Erde, um mit heiliger Ehrfurcht auf den zu sehen, der seine Kinder nicht reich machen kann, aber daran arbeitet sie tugendhaft zu machen, daran arbeitet durch vernünftige Unterweisung und durch Mittheilung sittlicher Gefühle ihre Unschuld zur Tugend zu veredlen. Ich wende mich hinweg von denen, deren sterbender Mund noch milde Stiftungen beschenkt oder Verwandte bereichert, um in der tiefsten Ehrfurcht den armen Mann anzustaunen, der auf dem Lager des Todes zu dem Kinde, welches seiner in der letzten Stunde pflegt, sagen kann: „Silber und Gold habe ich dir nicht zu geben mein Kind! aber was ich habe gebe ich dir. Ich habe dir gute Lehre gegeben; ich habe dir ein gutes Beyspiel gegeben; und jetzt nimm noch diesen letzten Rath von mir: w e rde nicht müde G ut es 19 konnten,] konnten

22 bedürfen,] bedürfen

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man; a good conscience is m o r e p r e c ious t ha n rubies; it has been thy father’s prop through all his pilgrimage; it is his staff, in the dark valley through which he is passing now; in life, and in death, let it comfort thee!”—Oh Poverty! envy not the crowns that kings can bequeath, while thou art able to leave such a legacy as this to thy progeny!

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Such, then, are some of the methods, by which persons, in all stations of life, are capable of doing good. More might be mentioned; but there is no time to take notice of them; nor was there much necessity for enumerating these. All I wish is, to induce every one before me to look round the sphere | in which he stands; to go round about himself, and count his capacities; to observe the several necessities that surround him; and to consider in what way he may become serviceable to society. Such a search into his abilities will point out to him opportunities of being useful, in some way or other, sufficient, and more than sufficient, to fill his hand.

God has bestowed upon us all a portion of that power to bless, which himself possesses in an infinite degree. The opportunities of splendid service to society are confined to a few. Few are able to give endowment to charitable institutions, encouragement to ingenuity, or patronage to genius. Small is the number of them who can supply new discoveries to science, or inventions to art, or improvements to government; who can communicate instruction to society, throw illumination over senates, and shed felicity upon nations. Both the virtues and the faults of the majority of us are circumscribed within narrow walls. We have few of us an opportunity of being greatly injurious, or eminently useful; of being execrated, or adored by mankind. But some evil, and some | good, there are none who may not do if they will. Every one has something in his hand, which some one around him wants. It is given to us all (blessed be the bountiful Distributer of bliss!) it is given to us all, to express goodwill; to produce happiness; to earn the gratitude of man; and imitate the conduct of Heaven. Gold is not the only gift of man: nor is it the best. Peter and John did more for the lame man they healed, than if they had given him bread. 33 nor] or

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zu t h u n 2. Noch jetzt höre die ewige Wahrheit, welche die sterbende Zunge dessen, der die lehrreichsten Erfahrungen davon gemacht hat, in dieser wahrhaften und feierlichen Stunde dir übergiebt, die Tugend ist das köstlichste Eigenthum des Menschen; ein gutes Gewissen ist köstlicher als Edelsteine; es ist deines Vaters Stab gewesen die ganze Zeit seiner Wallfahrt, es ist sein Stab auch in dem finstern Thale, durch welches er jetzt wandert; im Le|ben und im Tode laß auch du es deinen Trost seyn!“ – O Armuth! beneide nicht die Kronen, welche Könige vererben können, da du im Stande bist, deinen Nachkommen ein solches Vermächtniß zu hinterlassen! Dies also wären einige Beyspiele, auf welche Art Personen in jedem Verhältniß des Lebens Guthes zu thun im Stande sind. Noch mehrere hätten angeführt werden können, aber es ist nicht Zeit dabey zu verweilen; vielleicht war es auch nicht einmal sehr nothwendig diese hier aufzuzählen. Alles was ich wünsche ist: daß ich einen jeden von uns dahin bringen möge, den Kreis zu übersehen, in welchem er sich befindet, sich selbst von allen Seiten zu beschaun, und seine Fähigkeiten kennen zu lernen, die Bedürfnisse zu bemerken, die um ihn her zu befriedigen sind, und Acht zu geben, auf welche Art er der Gesellschaft nützlich werden kann. Diese Uebersicht seiner eignen Fähigkeiten wird gewiß jedem Gelegenheiten genug zeigen, auf irgend eine Art hülfreich zu seyn, ja mehr als genug, um ihn immer in voller Thätigkeit zu erhalten. Gott hat von dem Vermögen Segen zu verbreiten, welches er selbst in einem unendlichen Grade besitzt, uns allen einen Theil übertragen. Veranlassung sich glänzende Verdienste um die Gesellschaft zu erwerben, finden freylich nur Wenige. Wenige sind im Stande liebreiche Anstalten zu be|schenken, der Redlichkeit aufzuhelfen, das Genie zu unterstützen. Gering ist die Anzahl derer, welche die Wissenschaften mit neuen Entdeckungen bereichern, die Künste durch Erfindungen vervollkommnen, die Staatsverfassung durch vorzügliche Einrichtungen verbessern können, welche der Gesellschaft Belehrung ertheilen, Erleuchtung über den Senat verbreiten, und Glückseligkeit über Nationen ausgießen können. Die Tugenden sowohl als die Fehler der meisten unter uns sind in enge Grenzen eingeschlossen. Wenige von uns sind in der Lage, daß sie sehr verderblich oder ausgezeichnet nützlich werden könnten, daß das Menschengeschlecht Ursach hätte, sie zu verwünschen oder anzubeten. Aber es giebt keinen, der nicht 2

Gal. 6, 9.

5 Das von Fawcett durch Kursivierung (Sperrung) hervorgehobene wortgetreue Zitat stammt aus Spr 3,15.

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The instructions of Christ did more for mankind than feed and clothe them: and there are offices of kindness, in the power of us all, of more importance than the communication of property.

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We have ample encouragement, whatever our condition in life, and however humble our powers of imparting benefit, to do all we can for our fellow-creatures, by the consideration, that all the honest exertions of goodness are equally calculated to invigorate the principle of it, whether the effect those exertions produce be large or small. As muscular vigour is improved by muscular motion, whether the mechanical value of that motion be great or little; so every exercise of real | goodness adds to its strength, whether the happiness communicated by it be considerable or trivial. The contributions we make to the happiness of mankind render our characters also equally acceptable to the Judge of all men, however unequal in their value to society those contributions may be, if they spring from equal goodness of heart. It is not what we give, but the pleasure with which we give it, the disposition that goes along with the gift, which determines the value of the act, in the divine estimation. The poor man that gives but a word, from an honest with to remove misery, to communicate comfort and happiness, gives as much, for him, as the rich man that, of his abundance, bestows the largest sum of money. The poor man that with soothing consolation seeks to bind up one broken heart, and administer balm to a bruised spirit, does as much, for him, as he who, with the wealth he does not want, prepares a receptacle where the broken bone of thousands may rejoice.

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Let the consideration of the number of our opportunities for virtue impress upon all our minds the extent of our obligations. Let us | open our eye, and take in the whole of the field of duty, the whole of the school of moral discipline, in which we are placed. Our probation

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einiges Gute oder einiges Böse thun könnte wenn er will. Jeder hat etwas in seiner Gewalt, was irgend einem in seiner Nähe fehlt. Es ist uns allen vergönnt, und gepriesen sey dafür der gütige Ausspender aller guten Gaben, es ist uns allen vergönnt guten Willen zu beweisen, Glückseligkeit zu befördern, die Dankbarkeit der Menschen einzuärndten, und die Handlungsweise des Himmels nachzuahmen. Gold ist nicht die einzige Gabe, die der Mensch zu geben hat, auch ist es nicht die beste. Petrus und Johannes thaten für den Lahmen den sie heilten mehr, als wenn sie ihm Brodt gegeben hätten. Die Unterweisungen Christi haben mehr für die Menschen gethan, als sie zu nähren oder zu kleiden, und wir alle können unser gutes Herz durch Dienstleistungen beweisen, die wichti|ger sind, als Mittheilungen von unserm Eigenthum. Unser Stand in diesem Leben sey, welcher er wolle, und unser Vermögen Wohlthaten auszutheilen sey noch so eingeschränkt, so liegt doch eine große Aufforderung, alles für unsre Nebenmenschen zu thun, was wir können, in der Betrachtung: daß alle redlich gemeinten Bestrebungen der Güte, sie mögen nun viel oder wenig bewirken, wenigstens den Erfolg haben, die innere Kraft aus welcher sie hervorgegangen sind, zu stärken. So wie die Stärke unserer Muskeln durch die Bewegung derselben vermehrt wird, der äußere Nutzen dieser Bewegungen sey nun groß oder klein, eben so gedeiht jede thätige Aeußerung wohlwollender Gesinnungen zu einer Erhöhung derselben, die Glückseligkeit, welche dadurch in Umlauf gesetzt wird, möge nun bedeutend seyn oder nicht. Die Beyträge, welche wir zur menschlichen Glückseligkeit zu leisten suchen, machen uns auch dem Richter aller Menschen in gleichem Grade angenehm, wenn sie nur aus einem gleichen Grade von Herzensgüte entspringen, ihr Werth für die Gesellschaft sey auch noch so ungleich. Nicht was wir geben, sondern die Lust, womit wir es geben, und die Gemüthsstimmung, welche die Gabe begleitet, dies ist es was vor dem göttlichen Gericht den Werth unsrer Handlungen bestimmt.| Der arme Mann, der mit dem herzlichsten Wunsch das Elend zu lindern, und Trost und Zufriedenheit mitzutheilen, nur ein Wort giebt, hat vor Gott eben so viel gegeben, als der reiche Mann, der aus seinem Ueberfluß die größte Geldsumme hergiebt. Der arme Mann, der nur E i n zerbrochenes Herz mit lindernden Tröstungen zu verbinden, und einem zerschlagenen Gemüth Balsam zu reichen sucht, thut vor Gott eben so viel als der, welcher von dem Reichthum, dessen er nicht bedarf, eine Wohnung bereitet, wo tausende ihren verstümmelten Gliedern gütlich thun können. Möge die Übersicht der vielen Gelegenheiten, welche wir haben, Gutes zu thun, uns allen von dem Umfang unsrer Pflichten einen tiefen Eindruck geben. Laßt uns unsere Augen öffnen und das ganze Feld unserer Pflicht, und alle Theile der moralischen Erziehungsanstalt, in

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is not confined to striking points, and periods of our time, but diffused over the whole of it. Every hour of every day, we may do something that is right, or something that is wrong: conscience may contract, or be kept void of, some offence either towards God or towards man. As devotion is not a duty shut up in particular seasons and situations, but the companion of our path all along our way; as the devout man does not satisfy himself with saying: “In the morning thou shalt hear my voice;” even with professing: “Morning and evening and noon will I pray;” or even with declaring: “Seven times a day do I praise thee:” as his more moral and virtuous protestation is: “I will be in the fear of the Lord all the day long;” “I have set the Lord always before me:” so charity is not merely the occasional improvement of the opportunities of pecuniary beneficence, that occasionally and seldom occur, but the habitual seizure of that uninterrupted succession of opportunities for communicating happiness, in some way or other, | that is continually running along through the whole of every man’s life. Charity is no intermittent thing, that now and then breaks out into brilliant munificence, and then retires to slumber in the lap of sensuality and selfish repose; that, like a burning mountain, darts forth occasional shoots and flashes of splendor, and then rolls up nothing but smoke and darkness; it is a lamp that is always burning; sometimes with a brighter, and sometimes with a fainter light, but that is never out. It is a vital principle; a generous life; the pulses of which are continually proceeding, now, with stronger, and, now, with more languid beats, but never stopping. The life of a charitable man consists not merely of a few detached acts of desultory bounty, separated from each other by long intervals: his heart is a benignant fountain, that pours from it a flow of benefits, either large or little; that supplies a current of kind attentions; that sends forth a stream of services to his fellow-creatures; few of which can be signal, but all of which are sincere; and, which, though, separately considered, they may seem but small, yet, collectively received, are of large amount.|

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welche wir gesetzt sind, übersehen. Die Prüfung ist nicht auf gewisse entscheidende Zeitpunkte und Perioden eingeschränkt, sondern über das ganze Leben verbreitet. Zu jeder Stunde eines jeden Tages können wir etwas thun was recht, oder etwas was unrecht ist; kann das Gewissen eine Verschuldung gegen Gott, oder die Menschen auf sich laden, oder sich davon frey halten. So wie die Frömmigkeit nicht eine auf gewisse Zeiten und Veranlassungen eingeschränkte Pflicht, sondern eine Begleiterinn auf unserm Wege seyn soll, so lange wir ihn wandern; so wie der | fromme Mann sich nicht damit begnügt zu sagen, „des Morgens wirst du meine Stimme hören,“ auch nicht zu versprechen, „Morgens und Mittags und Abends will ich beten,“ oder zu erklären, „Siebenmal des Tages lobe ich dich,“ sondern so wie sein besseres und tugendhafteres Bekenntniß dieses ist: „Ich will den Herrn fürchten alle Tage,“ ich habe den Herrn vor Augen allezeit: – so besteht auch die Liebe nicht nur in der Benutzung der gelegentlichen Veranlassungen zu Geldwohlthaten, welche sich ohnedies nur selten und zufällig ereignen; sondern in der Gewohnheit sich aller der Gelegenheiten auf irgend eine Art Wohlergehen zu befördern, welche einen jeden Menschen sein ganzes Leben hindurch ununterbrochen begleiten, mit Eifer zu bemächtigen. Die Liebe ist nicht etwa so stoßweise wirksam, daß sie nur dann und wann in glänzende Freygebigkeit ausbräche und sich dann zurückzöge, um in Sinnlichkeit und egoistische Ruhe eingehüllt zu schlummern, daß sie gleich einem Vulkan nur bisweilen blitzende Flammen und leuchtende Ströme auswirft, und dann nichts als Dampf und Finsterniß empor wälzt; sie ist eine Lampe die immer brennt, jetzt mit glänzenderem, jetzt mit schwächerem Licht, die aber nie verlöscht. Sie ist ein bewegendes Princip, ein höheres Leben, dessen Pulse bald stärker bald leiser schlagen, aber nie inne halten. Das Leben eines liebreichen Mannes besteht nicht aus wenigen einzelnen Handlungen einer wankelmüthigen Güte, welche durch lange Zwischenräume von einander ge|trennt sind; sein Herz ist eine gütige Quelle, aus der ein Strom von Wohlthaten fließt, der bald breiter bald schmäler ist, aus der allerley Gefälligkeiten ununterbrochen ausströmen, aus der Dienstleistungen gegen die Brüder in immerwährendem Fluß sich ergießen, von denen freylich nur wenige ausgezeichnet seyn können, die aber alle aufrichtig sind, und die, wenn sie auch 8 Begleiterinn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 717 zendern 34–35 immerwährendem] immerwährenden

26 glänzenderem] glän-

10 Vgl. Ps 5,4 (KJB Ps 5,3) 11 Vgl. Ps 55,18 (KJB Ps 55,17) 12 Ps 119,164 (nach der englischen Textfassung) 13–14 Vgl. Spr 23,17 14 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Ps 16,8.

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Let us keep in view this extent and comprehension of our probation. Let us remember, that almost every hour of our lives, we may exercise, in some way or other, goodness or malignity; virtue, or vice; wisdom, or folly. Every social circle, into which we enter, presents to us an opportunity of exercising some good, or some evil passion: of vindicating innocence, or joining in the calumniation of it; of extenuating another’s indiscretion, or blackening its shade; of consoling, or creating, discontent; of encouraging, or oppressing, diffidence; of enflaming, or assuaging, contention; of adhering to veracity, or departing from it; of practising moderation in debate, and a single love of truth, or a criminal pride, by shutting our eyes to evidence, and sacrificing conviction to the desire of victory. Every transaction in traffic presents an opportunity of exercising an honourable equity, fairness, and candour, or of uttering deceit, and practising fraud.—Every time we enter into solitude, we may employ our thoughts either idly, in the loose and irregular musing of reverie; or perniciously, in the exercise of an excessive self and secular anxiety, or in the ideal gratifica|tion of malignant passions; or we may worthily and usefully employ them, in the pursuit of knowledge, with an eye to its generous communication, and in pious and benevolent contemplations. In short, the opportunities of man for virtuous improvement and practice follow one another in such a train, that it is impossible to say, to what a degree of virtuous eminence, that man might attain, even in the short space of human life, who were to omit no one in the long series of virtuous exercises, which it is in his power to perform. This degree of moral vigilance and activity has probably never yet been practised by man. Let us all be persuaded to practise as much of it as the infirmity of nature will allow: and may all our attempts to promote our own improvement in virtue, and increase the felicity of our fellow creatures, be crowned with the blessing of Almighty God. Amen.

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einzeln betrachtet gering scheinen, doch zusammen genommen etwas beträchtliches ausmachen. Laßt uns den ganzen Umfang und Inhalt der für uns beabsichtigten Uebungen im Auge behalten. Laßt uns bedenken, daß wir fast in jeder Stunde unsers Lebens Wohlwollen oder Bösartigkeit, Tugend oder Laster, Weisheit oder Thorheit auf irgend eine Art ausüben können. Jeder gesellige Kreis in welchen wir hineintreten, bietet uns Veranlassung dar irgend eine gute oder böse Neigung zu befriedigen, uns der Unschuld entweder anzunehmen, oder in ihre Verunglimpfung einzustimmen; eines Andern Unbedachtsamkeit entweder gut zu machen, oder ihre üblen Folgen zu häufen; Unzufriedene zu trösten, oder zu machen; Mißtrauen einzuflößen, oder zu unterdrücken; Streit anzufeuern oder zu stillen; der Wahrheit treu zu bleiben, oder davon abzugehen; in der Auseinandersetzung verschiedener Meinungen Mäßigung und besondere Wahrheitsliebe zu zeigen, oder einen strafbaren Stolz, der die Augen dem Lichte verschließt, und dem Ver|langen Recht zu behalten seine Ueberzeugung aufopfert. Jedes Geschäft im Handel giebt uns Gelegenheit eine lobenswerthe Billigkeit und Rechtlichkeit zu beweisen, oder Hinterlist anzuwenden und Betrug zu üben. – Jedesmal, daß wir uns in die Einsamkeit zurückziehn, können wir unsere Gedanken entweder unnütz mit zweckloser unregelmäßiger Träumerey beschäftigen, oder verderblich wenn wir ausschweifenden Sorgen um uns selbst und unsre weltlichen Angelegenheiten nachhängen, oder bösartigen Neigungen auch nur in der Einbildung freyen Lauf lassen; oder wir können sie würdig und nützlich beschäftigen, indem wir nach Kenntnissen streben, um sie einst uneigennützig mitzutheilen, oder indem wir uns frommen und wohlwollenden Betrachtungen überlassen. Kurz, die Gelegenheiten, welche dem Menschen gegeben werden, sich in der Tugend zu üben und zu vervollkommnen, folgen einander in einer so dichten Reihe, daß es unmöglich ist zu sagen, zu welchem Grade moralischer Vortreflichkeit derjenige selbst während der kurzen Zeit des menschlichen Lebens gelangen könnte, der aus dieser ganzen langen Reihe der Tugendübungen keine einzige unterließe, die er zu unternehmen in Stand gesetzt wird. In diesem Grade hat wahrscheinlich noch Niemand moralische Wachsamkeit und Thätigkeit bewiesen. Laßt uns aber Alle den Entschluß fassen, soviel darin zu leisten, als die Schwachheit unserer Natur zuläßt; und | möchten dann auch alle unsere Bemühungen, uns selbst in der Tugend zu vervollkommnen, und die Glückseligkeit unseres Nächsten zu vermehren, mit dem Segen des allmächtigen Gottes gekrönt werden. Amen.

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On the Respect that is due to all Men.

SERMON Honour all men.

XV. 1 Peter ii. 17.

The majority of mankind are disposed highly to honour some men, and, in an equal degree, to despise others. To the opulent, the powerful, the titled, they look up with profound respect. Upon the depressed in the scale of society, they look down with proportionable contempt.

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The author of this epistle breathes another spirit. He calls upon us to honour all men. Honour the poor; honour the low; honour the obscure; honour all men. For this universal and impartial distribution of respect, three reasons may be urged. I beg your attention, a few moments, to them. As men, as citizens, and as christians, it is incumbent upon us to honour all men.| First, As men, it becomes us to honour all men. I would be proud of nothing; for what have we, that we have not received?—But, if I were to permit myself to be proud of any thing, it should be of that common nature, upon account of which all of us have an equal claim to honour. All men, whether high or low, rich or poor, are alike men; all made in the image of the Maker; all able to imitate the most amiable of all beings, to perceive, to approve, and to practise, what is right; all possessed of that gifted eye which can see God, discern the fit and the fair in conduct, admire the beauty of Justice, and the loveliness of Mercy. This intellectual and moral nature is what constitutes the crown of glory and honour, which the author of the Psalms ascribes to man; and lifts him to that elevation, in the creation of God, which makes him but a little lower than the angels. These faculties contain the chief native nobility of every human being.

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Funfzehnte Predigt.

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Ueber die Achtung, die wir allen Menschen schuldig sind. 1 Petr. 2, 17.

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Der größte Theil der Menschen ist geneigt Einige sehr zu ehren, und Andere in demselben Grade zu verachten. Zu den Reichen, den Mächtigen, den Betitelten sehen sie in tiefer Ehrfurcht empor. Auf die, welche auf der Stufenleiter der Gesellschaft tief unten gedrückt stehen, sehen sie mit verhältnißmäßiger Verachtung herab. Der Verfasser dieses Briefes athmet einen ganz andern Geist. Er fordert uns auf, Jedermann Ehre zu thun. Ehret die Armen; ehret die Niedrigen; ehret die welche ist der Dunkelheit leben; ehret Jedermann. Für diese allgemeine und unpartheyische Vertheilung unserer Achtung lassen sich drey Gründe anführen. Ich erbitte mir für dieselben auf einige Augenblicke eure Aufmerksamkeit. Als Menschen, | als Bürgern, und als Christen liegt es uns ob, alle Menschen zu ehren. Erstlich: schon a l s M e n s c h e n liegt es uns ob alle Menschen zu ehren. Ich möchte auf nichts stolz seyn; denn was haben wir, das wir nicht empfangen hätten? Aber wenn ich mir erlauben wollte, auf irgend etwas stolz zu seyn, so wäre es die gemeinschaftliche Natur, auf deren Besitz wir alle dieselben Ansprüche auf Achtung gründen können. Alle Menschen, hohe und niedrige, reiche und arme sind gleicherweise Menschen; alle nach dem Bilde ihres Schöpfers gemacht; alle fähig dem liebenswürdigsten Wesen nachzuahmen, und zu verstehen, zu billigen, auszuüben was recht ist; alle mit dem bewaffneten Auge begabt, welches Gott erkennen, das Schickliche und Edle im Betragen unterscheiden, die Schönheit der Gerechtigkeit, und die Liebenswürdigkeit der Güte bewundern kann. Diese geistige und sittliche Natur 1 Funfzehnte] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 350 24 Vgl. Gen 1,26–27

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This intrinsic dignity, external condition can neither increase, nor diminish. Man may sink, or rise, in worldly situation; yet he stands, in either case, on the same step in | the scale of nature. But, in judging of all the objects around him, the superficial spectator suffers his understanding to become the dupe of his senses, and the captive of appearances. In pronouncing upon men, or upon things, he “looketh on the outward appearance.” He is imposed upon by the face and the dress of every thing he beholds. He mistakes religious formality for piety; smooth profession for friendship; a clean outside for a pure heart; large possessions for plenitude of happiness; the loudness of laughter for sincerity of joy; the splendour of eloquence for the light of truth; and in the same manner, the glitter of pomp for the glory of man, and high sounding names for sublimity of nature. In contemplating the distinctions of human life, he confounds the creation of man, with the creation of God. As a difference of feather, in the fowl of heaven, as a difference of colour, in the beasts of the field, indicates a difference of nature, he regards the dress of human beings, and the drapery of human life, in the same light. He considers the plumage of Grandeur as the sign of a superior nature; as a part of the man; as a cubit of addition to his | height. He looks up to eminence of station, as to eminence of stature. It is our wisdom to cherish, if it be our wish to cultivate social virtue, such considerations as tend to check and counteract this influence of fancy upon our regards towards those in humble life. It becomes us to consider, that all sorts and conditions of men are of one class in the order of creation; that the high and the low are upon a perfect level in the system of Nature; that they are all equally able to lift up their soul to the God of heaven, to look down upon the world, and to disdain to do wrong. He who estimates man by the splendour of his external condition, departs as widely from all just taste and true criticism, as the man that should appretiate the gem, by the metal in which it is set; or the picture, by the elegance of its frame; or the book, by the beauty of its binding.

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ist das, was jene Krone des Ruhms und der Ehre ausmacht, welche der Verfasser der Psalmen dem Menschen beylegt; sie ist es, was ihn nur um ein weniges geringer seyn läßt, als die Engel. Auf diesen Kräften beruht der vornehmste angeborne Adel eines jeden menschlichen Wesens. Diese innere Würde kann der äußere Zustand weder vermehren noch vermindern. Der Mensch mag in seinen Verhältnissen in der Welt sinken oder sich erheben; in beyden Fällen behauptet er dieselbe Stufe auf der Leiter der Natur. Aber der ober|flächliche Beobachter läßt in seinen Urtheilen über das, was ihn umgiebt, seinen Verstand durch die Sinne bethören, und vom Schein fesseln. Er spreche über Menschen, oder über Sachen, so sieht er auf den äußern Schein. Bey jedem Dinge, was er sieht, läßt er sich von der Mine und vom Kleide betrügen. Er nimmt religiöse Formalität für Frömmigkeit, schöne Worte für Freundschaft, eine geschmückte Außenseite für ein reines Herz, große Besitzungen für vollkommne Glückseligkeit, lautes Lachen für aufrichtige Freude, glänzende Beredsamkeit für das Licht der Wahrheit; und eben so hält er den Schimmer des Pomps für den Ruhm des Menschen, und hochtönende Namen für eine erhabenere Natur. Indem er die Unterscheidungen im menschlichen Leben betrachtet, verwechselt er die Schöpfung des Menschen mit der Schöpfung Gottes. So wie ein verschiedenes Gefieder bey den Vögeln, eine verschiedene Farbe bey den Thieren des Feldes auch eine verschiedene Natur anzeigt, in eben dem Licht sieht er die verschiedenen Bekleidungen menschlicher Wesen und die Verzierungen ihres Lebens an. Die Federn der Großen hält er für das Zeichen einer höhern Natur, für einen Theil des Menschen, für einen Fuß Länge den sie mehr haben. Auf den hohen Rang sieht er als auf eine höhere Gestalt. Es ist, wenn wir anders die Tugenden der Geselligkeit in uns auszubilden wünschen, weise von uns gehandelt, wenn wir solchen Betrachtungen | nachhängen, die darauf abzwecken, diesem Einfluß der Phantasie auf die Art, wie wir Geringere ansehn, zu wehren und entgegen zu arbeiten. Es ziemt uns zu bedenken, daß Menschen von allen Arten und Ständen doch zu einer Klasse in der Ordnung der Schöpfung gehören, daß in dem System der Natur die Hohen und Niedrigen ganz denselben Platz einnehmen, daß sie alle fähig sind ihre Seele zum Gott des Himmels zu erheben, auf die Welt herabzusehn, und das Unrechtthun zu verachten. Wer den Menschen nach dem Glanz seiner äußern Lage beurtheilt, entfernt sich eben so weit von dem richtigen 1–2 Inhaltlich ist Ps 8,6 gemeint; zur sprachlichen Formulierung vgl. 1Thess 2,19. 12 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus 1Sam 16,7. 22 Schleiermacher lässt hinter „Vögeln“ Fawcetts Wörter „of heaven“ aus, die parallel zum folgenden „of the field“ stehen.

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And, as all the several ranks of society have an equal claim to those native qualities, in which consists the dignity of human nature, they are equally subject to the weaknesses, that constitute its humiliation. The higher classes of human life are no more able than the lower, to defend themselves | from the attacks of sickness, or the stroke of mortality. None of the rich, any more than the poor, can redeem his brother, when Death has hold of his prisoner; and they shall both lie down at last in the same low bed together. They who pride themselves in the splendour of their family, as well as they that are said to be basely born, are compelled to “say to corruption, thou art my father, and to the worm, thou art my mother and my sister.”

The endeavours of man to disguise his littleness have been all in vain: they have only tended to make it the more conspicuous. He has sought to magnify his diminutive being by the voluminous drapery and plenitude of its dress; to swell out his narrow size by the amplification of his possessions; as if the branches of his outspread property were to be regarded as limbs of the man, and the members of his numerous household as the members of himself; as if he imagined the height of the ground upon which he stands would be mistaken for his own, and supposed the lowliness of his head could be lifted by the loftiness of his roof. Alas! his minuteness, so far from having been enlarged, has been only illustrated, by this most mistaken | method of magnifying it. A little object only looks the less by standing at the side of a large one. In the vast possession the possessor has been lost. The dress of the giant derides the dwarf that puts it on. Amid the immensity of his grounds, the dimensions of his mansion, the magnitude of his equipage, the pigmy proprietor appears like a speck. His tall turrets and his towering trees seem to look down upon him, as he walks under them, as upon a reptile. Man has sought, and with similar success, to procure the glory of excellence in strength, by borrowing the hands of others; to hide his individual impotence under the collected power of many servants. Strange method of impressing me with an idea of his dignity! to multiply, by sloth and by luxury, his necessities for the assistance of his fellow-creatures, and then presenting himself before me in the midst of a multitude of ministers to his wants, and guards of his weakness! spreading out before me, in

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Geschmack, und ist eben so wenig wahrer Kenner, als der, welcher einen Edelstein nach dem Metall schätzen wollte, worin er gefaßt ist, oder ein Gemälde nach der Zierlichkeit des Rahmens, oder ein Buch nach der Schönheit des Bandes. Und so wie alle verschiedenen Stände der Gesellschaft auf die angebornen Eigenschaften, worin die Würde der menschlichen Natur besteht, gleiche Ansprüche haben, so sind sie auch alle den Schwachheiten wodurch sie erniedrigt wird, auf gleiche Weise unterworfen. Man ist in den höhern Abtheilungen des menschlichen Lebens nicht geschickter als in den niedrigen sich gegen die Angriffe der Krankheit oder gegen den Streich des Todes zu schützen. Ein Reicher kann eben so wenig als ein Armer seinen Bruder loskaufen, wenn der Tod ihn als seinen Gefangenen eingezogen hat, und sie werden beyde zu|letzt in demselben niedrigen Bett bey einander liegen. Die welche auf den Glanz ihrer Familie stolz sind, müssen eben so wohl als die, von denen man sagt, daß sie niedrig geboren sind, zur Verwesung sprechen; du bist mein Vater, und zum Wurm: du bist meine Mutter und meine Schwester. Die Bemühungen des Menschen, seine Kleinheit zu verbergen, sind alle vergeblich gewesen; sie ist vielmehr dadurch nur noch sichtbarer geworden. Er hat gesucht seinem beschränkten Wesen durch eine weitläuftige Ausstaffirung und eine große Menge äußerer Umgebungen ein Ansehn von Größe zu geben, und seine kleine Gestalt durch die Ausdehnung seiner Besitzungen zu verherrlichen; als ob die Zweige seines ausgebreiteten Eigenthums als Theile des Menschen, und was zu seinem zahlreichen Haushalt gehört, als Glieder von ihm selbst angesehen werden würden; als ob er sich einbildete man würde die Höhe des Grundes, auf welchem er steht, mit seiner eigenen verwechseln; als ob er voraussetzte, sein Haupt würde durch die Höhe seiner Zimmer auch höher erhoben, als es ist. Aber ach, weit entfernt, daß seiner Kleinheit so hätte nachgeholfen werden sollen, ist sie durch diese ganz verunglückte Methode, ihr Größe zu leihen, nur noch anschaulicher geworden. Ein kleiner Gegenstand sieht nur noch kleiner aus, wenn er einem großen zur Seite steht. Der Besitzer verlor sich in der weiten Besitzung. Die Kleidung des Riesen macht den Zwerg lächerlich, der sie anzieht. Mitten unter seinen un|übersehlichen Ländereyen, unter seinen Pallästen im größten Styl, unter seinem langen Gefolge erscheint der pigmäische Eigenthümer nur als ein Pünktchen. 3 Rahmens] Ramens 22 weitläuftige] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 153– 154 28 steht,] steht 36–37 Ländereyen,] Ländereyen 16–18 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 17,14

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full and ample display, the wide extent of his helplessness! ranging around him the proofs, stationing on every side of him, lest it should not be sufficiently obvious, the evidences of his dependence; as if he were ambitious of exhibiting, of holding up his imbecility to | the notice of mankind; as if he were ostentatious of his insufficiency to the supply of his desires, and the security of his person!—An equal increase of exposition to the eye, instead of concealment from it, his littleness has met, in the high sounding names by which he has been accosted, and the ceremonies that have accompanied access to his presence. Many of the salutations that have been addressed to the great ones of the earth sound like insult in the ear of Reflection. “Live for ever!” to a shadow beneath a canopy! Sarcastic salutation! “High and mighty,” to worms in state! Humiliating taunt! And the instituted forms of introduction into their presence, the slow steps, and awful regularity of approach, with which the inferior in station has been accustomed to draw nigh unto them, do they not appear to the thoughtful eye a mockery of mortality, and seem as if they were practised, instead of exalting, to ridicule dust and ashes?—Death enters their room without any of this ceremony: Sickness will not wait in the antichamber: Disease demands immediate admission. To him who thinks of this, the solemnity of human access, the sublimity of | human greeting, to human grandeur, seem but the gravity of irony.

From riches and honours man may derive a variety of things. They can afford to his sloth a softer couch; to his appetites a wider range; to his person a broader shield; to his vanity a sweeter incense; to his curiosity, if he feel it, a larger field; or to his virtue, if he have it, an ampler sphere: but that virtue as they cannot add to his character, neither can they yield any accession of excellence, of any sort, to his nature. The contributions which the man of wealth and power

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Seine hohen Thürme, seine gewaltigen Bäume scheinen auf ihn, wenn er unter ihnen hingeht, als auf ein Insekt herabzusehn. – Mit gleichem Erfolge hat der Mensch gesucht, indem er die Hände Anderer borgte sich den Ruhm außerordentlicher Stärke zu verschaffen, und seine persönliche Ohnmacht hinter der vereinigten Kraft vieler Diener zu verbergen. Eine besondere Art mir einen Begriff von seiner Würde zu geben, daß er durch Trägheit und Schwelgerey das Bedürfniß fremden Beystandes immer vergrößert und vervielfacht, und sich dann vor mir hinstellt mitten unter einer Menge von Dienern seiner Bedürfnisse und Wächtern seiner Schwachheit! den ganzen Umfang seiner Hülflosigkeit recht genau und vollkommen entwickelt, und vor mir ausbreitet! die Beweise seiner Abhängigkeit um sich her ordnet, und die auffallendsten Beyspiele davon zu beyden Seiten dicht neben sich stellt, damit man ja nicht etwas übersehe; als ob er seinen Ehrgeiz darin setzte, seine Schwäche dem Menschengeschlecht kund zu thun, und recht vor Augen zu bringen; als ob er sich dessen rühmte, daß er allein nicht im Stande sey, für die Erfüllung seiner Begierden und für die Sicherheit seiner Person zu sorgen! – Eben so wird seine Kleinheit anstatt sich zu verbergen in ein noch helleres Licht gesetzt durch die hochtönenden Namen, womit er sich anreden läßt, und durch | die Ceremonien, welche jeden Zutritt zu seiner Person begleiten. Viele von den Begrüßungen, womit man sich an die Großen der Erde wendet, klingen, wenn man recht darüber nachdenkt, als Beleidigungen. „Unsterblicher“ zu einem Schatten unter einem Thronhimmel! Spöttischer Gruß. „Großmächtiger“ zu einem Wurm auf dem Fürstenstuhl! Demüthigender Hohn. Und die eingeführten Formen, unter denen man zu ihnen gelassen wird; die ehrfurchtsvolle Regelmäßigkeit jedes Zutritts, alles woran Geringere gewohnt sind, wenn sie sich ihnen nähern, scheint es nicht dem nachdenkenden Auge ein Spott über die Sterblichkeit zu seyn? scheint es nicht als ob das alles nur geschehe, um Staub und Asche lächerlich zu machen, nicht aber zu erheben? Der Tod tritt in ihre Zimmer ohne eine von diesen Ceremonien; die Krankheit wartet nicht in dem Vorgemach; der Schmerz fordert unmittelbaren Zutritt. Wer daran denkt, dem scheinen alle die Feyerlichkeiten, womit ein Mensch seinen Zutritt nimmt, und das schwülstige in seinen Anreden nur ein ernsthafter Spott zu seyn. Reichthum und Ehre können dem Menschen mancherley Dinge gewähren. Sie können seiner Trägheit einen weicheren Sitz bereiten, 22 wendet,] wendet 23–24 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. wohl 1Joh 2,17 25 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus der Anrede an King James I of England / James VI of Scotland im Vorwort zur King-James-Bible (“To the most high and mighty prince”).

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may command from his fellow-creatures are numerous. They can bring luxury to his table; purple to his limbs; ornaments to his house; grace to his grounds; knowledge to his shelves; and praise to his ear:— but here their tribute stops: they cannot bring one cubit to his stature; one sinew to his arm; one organ to his body; one power to his mind; one faculty of any kind to his nature.

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But, so far as superior station involves intellectua l superiority, does not this lay a foundation for the pride of those who occupy it, and justify them in looking down with dis|dain upon them, from whom they are thus distinguished? May not mankind behold with contempt their inferiors in knowledge? May not the enlightened, contemn the ignorant? May not the learned look with scorn upon the unlettered? May not the refined despise the rude? They would deserve to be despised themselves, if they did. This distinction of the rich and great, if they chance to possess it, is adventitious as every other. Not only their exterior, but their intrinsic points of superiority are so. Delicacy of feeling, elegance of taste, polish of manners, liberality of sentiment, enlargement of knowledge, are accidents, as well as wealth and power. The same education would have communicated the same accomplishments to the poor. The same powers of reasoning, the same seeds of taste, the same sparks of wit and fancy, are discoverable in those of low, as in them of high condition. Let it be remembered, that their roughness is not incapacity of refinement. Their ignorance is not owing to stupidity of intellect, but to the want of opportunity for intellectual improvement.

The man of mental furniture has no more reason to despise those, whose attention has | been confined to manual excellence, for not having read what he has read, than the latter, to look with contempt upon the former, for his inability to use those tools, in the employ-

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seinen Begierden einen freyeren Spielraum, seiner Person ein größeres Schild, seiner Eitelkeit einen lieblichern Weihrauch, seiner Wißbegierde, wenn er dergleichen fühlt, ein weiteres Feld, und seiner Tugend, wenn er welche hat, einen geräumigeren Wirkungskreis; | wie sie aber diese Tugend selbst in seinen Charakter nicht hineinbringen können, so sind sie auch nicht im Stande, seiner Natur auf irgend eine Art einen Zuwachs an Vortreflichkeit zu verschaffen. Die Abgaben, welche der Reiche und Mächtige von seinen Nebenmenschen einfordern kann, sind zahlreich. Sie können ihm Schwelgereyen auf seine Tafel liefern, Purpur zu seiner Kleidung, Verzierungen für sein Haus, Verschönerungen in seine Gärten, Gelehrsamkeit in seine Bücherschränke, Lobsprüche in sein Ohr – aber hier sind auch ihre Dienste am Ende: sie können seiner Länge keinen Fuß, seinem Arm keinen Nerven, seinem Körper kein Organ zusetzen, kein Talent in seine Seele, und keine Fähigkeit irgend einer Art in seine Natur hineinbringen. Aber in so fern doch der höhere Stand auch eine höhere Geistesbildung in sich schließt, legt er nicht dadurch den Grund zu einem billigen Stolz derjenigen, die sich seiner erfreuen, und rechtfertigt sie dies nicht darüber, wenn sie mit einer gewissen Verachtung auf diejenigen herabsehn, vor denen sie sich auf solche Art auszeichnen? Können die Menschen nicht die mit Geringschätzung ansehn, die ihnen an Einsichten nachstehn? Darf der Gelehrte nicht den Ungelehrten, der Gewitzigte nicht den Ungeschliffenen verachten? Sie verdienten selbst verachtet zu werden, wenn sie es thäten. Diese Unterscheidungen der Reichen und Großen, wenn sie hie und da im Besitz derselben sind, sind eben so zufällig als alles andere. Alle einzelnen Punkte aus | denen ihre Ueberlegenheit besteht, die innern eben sowohl als die äußern, tragen diesen Charakter. Zartheit der Empfindungen, Feinheit des Geschmacks, Zierlichkeit der Sitten, ein freyerer Schwung der Gesinnungen und Vielseitigkeit der Kenntnisse sind etwas eben so unwesentliches als Reichthum und Macht. Dieselbe Erziehung würde auch dem Armen dieselben Vollkommenheiten mitgetheilt haben. Denn die Stärke der Denkkraft, die Anlagen für den Geschmack, den Funken des Witzes und der Phantasie entdeckt man unter den niedern Ständen eben so gut als unter den höhern. Ihre Rohigkeit, das muß man wohl bedenken, ist nicht Unfähigkeit für die Bildung. Ihre Unwissenheit muß man nicht der Stumpfheit ihres Verstandes zuschreiben, sondern dem Mangel an Gelegenheit ihren Geist auszubilden. Der Mann dessen Gemüth gewandter ist hat nicht mehr Ursach den, der sich nur in körperlichen Geschicklichkeiten gehörig üben 3 fühlt,] fühlt

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ment of which he has learned to be expert. Nor has either of these any more cause for contemning the other, than the native of any town for despising one who never was there before, for not knowing his way in it so well as he. Indeed, the unreasonableness of looking down upon any, upon account of their ignorance on subjects, to which they have had no opportunity of paying attention, is so evident even to vulgar apprehension, that no mechanic ever dreams of despising any person, who has not been bred to his occupation, for not understanding it. The tiller of the ground never thinks of despising the workman in wood, for his want of skill in the management of the plough. The carpenter contemns not the husbandman, upon account of his incapacity to carve and to connect the materials, with which his art is conversant. Neither does any artificer allow himself to discover contempt for the ignorance, which the scholar and the gentleman | may betray, in any occasional conversation with him, relating to the names, or to the nature, of the implements of his occupation. Nor do the members of the learned and enlightened world permit themselves to shew any scorn towards any of their own class, upon account of their ignorance of those particular branches of science, that are by custom appropriated to particular professions, and to which, they are not, therefore, supposed, unless they belong to those professions, to have paid any close attention. The physician does not despise the medical ignorance of his learned patient; or the lawyer, the want of legal light in his philosophical client; or the divine, the absence of scriptural criticism in the statesman. It is immediately admitted, on all hands, that the ignorance, which arises from the direction of the understanding another way, is no blot in the intellectual reputation of them, who have cultivated the common branches of knowledge that belong to liberal education. Yet, when the general body of the cultivated part of mankind regard the mechanical classes of human life, they are apt to depart from this | rule of intellectual estimation, which they observe towards one another, and which those classes of society have the good sense to observe towards them. This is neither generous, nor just.

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konnte, deswegen weil er nicht seine Belesenheit besitzt zu verachten, als der letztere hätte den ersteren mit Geringschätzung zu betrachten, weil dieser nicht so geschickt die Werkzeuge zu handhaben versteht, in deren Gebrauch er es zur Vollkommenheit gebracht hat. Und keiner von beyden hat mehr Ursach auf den andern herabzusehn, als der Eingeborne einer Stadt Recht hätte, sich über den zu erheben, der noch nie dort war und also die Wege darin nicht so gut kennt, als er. Und in der That, die Unvernunft, welche | darin liegt, sich über irgend Jemand deswegen zu erheben, weil er mit Gegenständen, auf die er seine nähere Aufmerksamkeit zu richten gar keine Gelegenheit hatte, unbekannt ist, ist selbst dem gemeinsten Verstande so einleuchtend, daß es nie einem Handwerker einfällt Jemanden, der zu seiner Beschäftigung nicht erzogen ist, deswegen zu verachten, weil er sie nicht versteht. Der Landmann denkt nicht daran den Holzarbeiter deswegen zu verachten, weil er die Geschicklichkeit nicht besitzt, den Pflug zu führen. Der Zimmermann verachtet den Landmann nicht, weil dieser die Materialien nicht zu bearbeiten und zusammenzufügen versteht, mit denen seine Kunst sich beschäftiget. Auch kein Künstler erlaubt sich Verachtung gegen die Unwissenheit zu zeigen, welche der Gelehrte und der gebildete Mann wohl in einer gelegentlichen Unterhaltung mit ihm verrathen, wenn von den Namen und der Beschaffenheit einzelner Theile seiner Kunst die Rede ist. Auch erlauben es sich die Mitglieder der gelehrten und aufgeklärten Welt nicht, Andern von ihrer eignen Klasse Verachtung darüber fühlen zu lassen, daß sie mit den besondern Zweigen menschlicher Erkenntniß unbekannt sind, welche die Gewohnheit eigenen Ständen angewiesen hat; sondern man setzt voraus, daß sie keine genauere Aufmerksamkeit darauf gewandt haben, wenn sie zu diesen Ständen nicht gehören. Der Arzt verachtet die medicinische Unwissenheit seines gelehrten Patienten nicht, oder der Rechtsgelehrte den Mangel juristischer Kenntnisse | bey seinem philosophischen Klienten, oder der Gottesgelahrte den Mangel an Schriftkritik bey dem Staatsmann. Man giebt ohne Bedenken auf allen Seiten zu, daß die Unwissenheit, welche in der Richtung des Verstandes auf eine andere Seite ihren Grund hat, demjenigen keine Schande bringt, der nur die allgemeinen Zweige der Erkenntniß, welche zur feineren Erziehung überhaupt gehören, bearbeitet hat. Aber wenn die Gesammtheit des gebildeten Theiles auf die Abteilungen siehet, die sich mechanisch beschäftigen, so ist sie geneigt von dieser Regel der Verstandesschätzung, welche ihre Mitglieder unter einander beobachten, und welche auch jene Abteilungen gegen sie zu beobachten ver29 Unwissenheit] Unwissenheit,

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Let those, then, whose riches have purchased for them the page of knowledge, regard with respect the native powers of them, to whose eyes it has never been unrolled. The day labourer, and the professor of science, belong naturally to the same order of intelligencies. Circumstances and situation have made all the difference between them. The understanding of one has been free to walk whither it would; that of the other has been shut up, and deprived of the liberty of ranging the fields of knowledge. Society has condemned it to the dungeon of ignorance, and then despises it for being in the dark. Many of those, whom the pride of refinement has styled barbarians, have contained capacities, which, if they had been called forth by education, would have excited not only the respect, but the astonishment of mankind. Nature has made more statesmen than have governed states; more generals than have headed armies; more philosophers | than have taught; more orators than have harangued; more poets than have sung. Wonderful talents for literature, for eloquence, for science, for government, have been prevented from making their appearance, by the want of that cultivation which would have drawn them forth, and of that competence which is necessary to cherish genius. There have been multitudes that would have added to the sum, or have embellished the form, of human knowledge, if their youth had been taught the rudiments, and their life allowed them leisure to prosecute the pursuit of it. The attention, that would have been crowned with splendid successes in the enquiry after Truth, has been all expended in the search of bread. The curiosity, that would have penetrated to the secrets of Nature, explored the recesses of mind, and compassed the records of time, has been choked by the cares of want. The fancy, that would have glowed with a heat divine, and made a brilliant addition to the blazing thoughts and the burning words of the poetical world, has been chilled and frozen by the cold winds of Poverty. Many an one, who cannot read what others wrote, had the knowledge of | elegant letters been given him, would himself have written, what ages might read with delight. He that ploughs the ground, had he studied the heavens, might have understood the stars, as well as he understands the soil. Many a sage has lain hid in the savage, and many a slave was made to be an emperor.

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ständig genug sind, völlig abzuweichen, und das ist weder edelmüthig noch gerecht. Diejenigen also, denen ihre Reichthümer die Mittel sich Kenntnisse zu erwerben verschafft haben, mögen mit Achtung die natürlichen Fähigkeiten derer anerkennen, vor deren Augen die Schätze der Gelehrsamkeit nie ausgebreitet waren. Der Tagelöhner und der Lehrer der Wissenschaften gehören von Natur zu derselben Ordnung verständiger Wesen. Umstände und Verhältnisse haben den ganzen Unterschied zwischen ihnen hervorgebracht. Der Verstand des einen war frey zu wandeln, wohin er wollte, und der des andern war eingeschlossen, und der Freyheit beraubt, die Felder der Erkenntniß zu durchstreifen. Die Gesellschaft hat ihn in den Kerker der Unwissenheit verdammt und verachtet ihn | nun, daß er im Finstern sitzt. Viele von denen, welche der Stolz der Gebildeten Barbaren nennt, haben Fähigkeiten besessen, welche, wenn sie durch Erziehung entwickelt worden wären, ihnen nicht nur Achtung erworben, sondern das Erstaunen des Menschengeschlechts erregt haben würden. Die Natur hat mehr Staatsmänner gemacht, als welche wirklich Staaten beherrschen, mehr Generale, als welche Armeen angeführt, mehr Philosophen, als welche gelehrt, mehr Redner, als auf das Volk gewirkt, mehr Poeten, als welche gesungen haben. Bewunderungswerthe Talente für die Literatur, für die Beredtsamkeit, für die Wissenschaften, für die Staatskunst sind verhindert worden, sich darzustellen, weil es ihnen an der Bildung fehlte, durch welche sie hätten entwickelt werden müssen, und an der Sorgenfreyheit, welche nothwendig ist, um das Genie zu pflegen. Viele hat es gewiß gegeben, welche die Summe der menschlichen Kenntnisse vermehrt, oder ihre Form verschönert haben würden, wenn man sie in der Jugend in den Anfangsgründen unterwiesen, und ihrem Leben Muße genug verschaft hätte, um weiter darin fortstreben zu können. Aber der Scharfsinn, den in der Erforschung der Wahrheit die glücklichsten Erfolge gekrönt haben würden, hat ganz darauf verwandt werden müssen, nur Brodt herbeyzuschaffen. Die Wißbegierde, welche in die Geheimnisse der Natur eingedrungen wäre, das innerste des Gemüths erforscht, und alle Urkunden der Vergangenheit erschöpft hätte, ist durch | Noth und Sorge zurückgedrängt worden. Die Phantasie welche von einer göttlichen Gluth entbrannt wäre, und die flammenden Gedanken, die leuchtenden Ausdrücke der poetischen Welt glänzend vermehrt hätte, haben die kalten Winde der Armuth durchschauert und ausgekühlt. Mancher, der jetzt nicht lesen kann, was Andere geschrieben haben, hätte bey einigem Unterricht in den schönen Wissenschaften selbst geschrieben, was das Zeitalter mit Ver10–11 eingeschlossen] so DV; OD: verschlossen

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Secondly, If we consider ourselves in the character of Citizens, we shall be convinced, that it is incumbent upon us to honour all men. The happiness and comfort of civilized society are the complicated production of innumerable operations. In the contribution to the accomplishment of it, strength is as necessary as thought; labour, as illumination; execution, as contrivance. These are equally essential parts of the harmonious whole. Neither can say to the other, “I have no need of you.” The animal system has equal necessity for the limbs, and the head; and the frame of society has equal occasion for sinews, and for lights. The shop, and the field, are as essential spheres of service to the community, as the closet, and the cabinet. The philosopher, the physician, the moralist, the legislator, the magistrate, are not more necessary in the œconomy of provision for | public happiness, than the husbandman, the weaver, the mason, and the miner. If metals be not digged, if walls be not built, if raiment be not woven, if seed be not sown, diseases cannot be healed; morals cannot be taught; discoveries cannot he made; laws cannot be enacted; books cannot be written; or any kind of useful knowledge pursued, or any species of polished entertainment provided.

It is, indeed, to be lamented, that so much of the manual labour of man should have been expended upon the provision of luxury; and that, to so much more of it than has fallen, in the eye of Equity, to their share, and than has been compatible with any degree of intellectual welfare, so large a multitude of intelligent creatures should, in all nations, and ages, have been condemned: that so many understandings, possessed of what powers can now be never known, should have been the victims to the learned leisure of a studious, and the voluptuous sensuality of a slothful, few. Let them who have been supplied with the luxuries of life, or with the light of knowledge, at the intellec-

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gnügen gelesen haben würde. Mancher der jetzt die Erde pflügt würde, wenn er den Himmel studirt hätte, die Sterne eben so genau kennen, als er jetzt seinen Boden kennt. In manchem Wilden ist ein Weiser verborgen, und mancher Sklave war dazu gemacht ein Fürst zu seyn. Zw e i t e n s . Wenn wir uns in unserer Eigenschaft als Bürger betrachten, werden wir uns gleichfalls überzeugen, daß es uns obliegt, alle Menschen zu ehren. Die Glückseligkeit und Ruhe der gebildeten Gesellschaft ist eine höchst zusammengesetzte Wirkung aus unzähligen Verrichtungen der verschiedenensten Kräfte. Unter den einzelnen Theilen, aus denen sie hervorgeht, ist Stärke eben so nöthig als Gedanken, Arbeit eben so nöthig als Aufklärung, Ausführung eben so nöthig als Entwurf. Dies sind gleich wesentliche Bestandtheile des harmonischen Ganzen, und keiner kann zu dem andern sagen, ich bedarf dein nicht. In dem thierischen System sind die Glieder eben so nöthig, als das Haupt, und in | dem Mechanismus der Gesellschaft finden kräftige Arme eben so gut ihre Anstellung, als helle Köpfe. Der Kaufladen und der Acker sind eben so wesentliche Geschäftsplätze im Dienst der Gemeinheit, als das Studierzimmer und das Kabinet. Der Weltweise, der Arzt, der Sittenlehrer, der Gesetzgeber, der Geschäftsmann, sind in der Oekonomie der allgemeinen Glückseligkeit nicht nothwendiger, als der Landwirth, der Weber, der Maurer, der Bergmann. Wenn keine Metalle gegraben, keine Mauern gebaut, keine Kleidungen verfertigt, und kein Same ausgestreut würde, so würden auch keine Krankheiten geheilt, keine Lebensregeln gelehrt, keine Entdeckungen gemacht, keine Gesetze zur Ausführung gebracht, keine Bücher geschrieben, keine Art nützlicher Kenntnisse vervollkommnet, und für keine Art feinerer Vergnügungen gesorgt werden. Es ist in der That zu beklagen, daß so viel von den körperlichen Arbeiten der Menschen bloß zum Behuf des Schwelgers verrichtet wird, und daß eine so große Anzahl vernünftiger Geschöpfe aus allen Nationen zu allen Zeiten verurtheilt gewesen ist, mehr von dieser körperlichen Arbeit zu übernehmen, als nach der Billigkeit auf ihr Antheil gekommen wäre, und als mit einem großen Grade geistigen Wohlbefindens zusammen bestehen kann; es ist zu beklagen, daß so viele Seelen mit Kräften, die man jetzt gar nicht mehr schätzen kann, ihre Bildung haben aufopfern müssen, um einigen | wenigen Unterrichteten gelehrte Muße, und einigen Unthätigen einen üppigen Sinnengenuß zu verschaffen. Diejenigen also, die sich auf Unkosten des Geistes 35 kann;] kann, 14–15 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Kor 12,21

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tual expence of so many creatures, to | whom “the inspiration of the Almighty hath given the same understanding” themselves have received from the Father of lights, look down upon the human sacrifices, as they lie upon the altar before them, with as much pity as they please; with too much they cannot; but contempt, when such an image is before them, has no business in their bosoms. If without pity they can look upon it, selfishness has turned them to stones. If with scorn they can look down, selfishness has converted them into savages. He that plumes himself upon the polish of his manners and his mind, that regards the stranger to elegant education with disdain, and has the heart to call uncultivated man a brute, is himself no more than a refined barbarian, and an ornamented monster. If there be any members in the great body of society that are truly contemptible, they are they, who slumber away existence in the lap of sloth; the drones of the hive; the lumber of the community; the lifeless living; the unburied dead. The poor man, who provides for a family by a sober and diligent attention to some useful art, is to be regarded with respect. If Contempt want an object, | let it look to him, who wraps himself in the purple which Industry has woven; who sits under the roof which Industry has reared; for whom all the arts are at work; at whose feet every occupation throws down its offering; for the entertainment of whose idle hours, indigent Genius writes; to please whose eye, Ingenuity instructs the canvass to live, and teaches the stone to breathe; to sooth whose ear, the world of sound is explored; for the security of whose person and property, the wisdom of his fellow-citizens deliberates; and in whose defence their valour bleeds;—and who, reclining upon the couch of indolence, receives this various tribute of surrounding Toil, without stirring from his pillow; without having a pen, or a tongue, or a purse, or an arm, at the service of his fellow-creatures. A thing like this is a proper object of contempt; and the keen eye of just Disdain penetrates, in an instant, through all the titles and estates that attempt to screen it, like the irresistible lightning of heaven, and darts upon the silken cypher, upon the purple insignificance, and the painted nothing, all the fire of indignation and scorn. I add,|

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so vieler Geschöpfe, denen doch der Hauch des Allmächtigen eben den Verstand gegeben hat, welchen sie selbst von dem Vater des Lichts empfingen, ausschließend aller Bequemlichkeiten des Lebens, und sogar des Lichts der Erkenntniß erfreuen, mögen auf die menschlichen Opfer, die vor ihnen auf dem Altar liegen, mit so viel Mitleid herabsehn, als sie immer wollen; es wird nie zu viel seyn: aber Verachtung hat, wenn dieses Gemälde vor ihnen steht, in ihrer Brust nichts zu thun. Können sie es ohne Mitleid ansehn, so hat die Selbstsucht sie versteinert; können sie es gar mit Verachtung, so hat sie sie in Wilde verwandelt. Wer sich mit seinen besseren Sitten, und der Ausbildung seines Gemüths brüstet, den, der keine ähnliche Erziehung genossen hat, geringschätzig ansieht, und das Herz hat, den ungebildeten Menschen ein Thier zu nennen, der ist selbst nichts als ein verfeinerter Barbar, und ein aufgeputztes Ungeheuer. Wenn es an dem großen Körper der Gesellschaft einige Glieder giebt, die wirklich verächtlich sind, so sind es die, welche ihr Daseyn in der Wiege der Trägheit verschlummern, diese Dronen des Bienenstocks, dieser unnütze Hausrath der Gemeinheit, diese leblosen Lebendigen, diese unbegrabenen Todten. Der arme Mann, der durch fleißige | Ausübung und unermüdete Vervollkommnung irgend einer nützlichen Kunst eine Familie versorgt, muß mit Achtung angesehen werden. Verlangt die Verachtung schlechterdings einen Gegenstand, so sehe sie auf den, der sich in den Purpur hüllt welchen der Fleiß gewebt, der unter der Decke sitzt welche der Fleiß geflochten hat, für den alle Künste arbeiten, zu dessen Füßen jede Beschäftigung ihre Gaben niederlegt, für dessen Unterhaltung in müßigen Stunden das dürftige Genie schreibt, dessen Auge zu ergötzen der Künstler der Leinwand Leben einflößt und den Stein athmen lehrt, dessen Ohr zu kitzeln das Reich der Töne erschöpft wird, dessen Person und Eigenthum zu sichern die Weisheit seiner Mitbürger berathschlagt, in dessen Vertheidigung ihre Tapferkeit blutet – und der auf den Sitz der Unthätigkeit hingestreckt diese verschiedenen Opfer der Arbeitsamen die ihn umgeben annimmt ohne sich von seinem Kissen zu rühren, ohne daß er selbst eine Feder, eine Zunge, einen Beutel, oder einen Arm zum Dienst seiner Nebenmenschen rührte. Ein solches Ding, wie dieses, ist der rechte Gegenstand für die Verachtung, und das scharfe Auge des gerechten Unwillens dringt wie der unwiderstehliche Blitz des Himmels in einem Augenblick durch alle die Titel und Besitzungen, hinter denen es sich zu verbergen sucht, hindurch, und schießt 20 Vervollkommnung] Vervollkommung

39 sucht,] sucht

1–2 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 32,8

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Thirdly, As Christians we are peculiarly obliged to honour all men. That contempt we are tempted to entertain, towards those who tread the humbler walks of life, the Religion we profess is peculiarly calculated to discourage and correct. Respect to those in the lower stations of life is a frequent and emphatical precept of the Gospel. We are the pupils of a master, who discovered, in an eminent degree, in all he said, and in all he did, the spirit I am recommending; who selected his associates from among the poor; who disdained not to wash their feet; and the principal drift of whose discourses appears to have been, to discourage the spirit of pride, to check the love of precedency, and to place the preeminence and greatness of man in the superiority of his social services, and the magnitude of the benefits he administers to mankind; and who represents his own crown as composed of the rays of light and of happiness, which he came to communicate to the world. These were the glories which he considered as beaming from his brow. Amiable and beautiful splendour; by the side of which, in the sight of reason, the gems, | of which other diadems are made, shine with too dim a lustre to be seen. Such is the chief, after whose name we have called ourselves; one, who placed all his majesty in meekness, all his grandeur in doing good; whose retinue was composed of creatures he had rendered happy; and the trumpet of whose pomp was the tongue of honest gratitude. And, as the character and conversation of the author of our religion inculcate, with an uncommon eloquence, the temper I am recommending to you, all the writers of the New Testament are perpetually repeating this lesson, and pressing upon their readers the cultivation of this spirit. “Honour all men.” “Condescend to men of low estate.” “Masters, give unto your servants that which is just and

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auf die Null in Seide, auf das unbedeutende Ding in Purpur, auf das schöngemalte Nichts das ganze Feuer des Zorns und der Verachtung. Ich füge| D r i t t e n s noch hinzu, als Christen sind wir vorzüglich verbunden, alle Menschen zu ehren. Die Religion, welche wir bekennen, ist vornehmlich darauf berechnet uns von der Verachtung, die wir gegen die, welche die niedrigen Pfade des Lebens betreten, zu bezeigen geneigt sind, gänzlich abzuschrecken und zu bessern. Achtung gegen die in den niedrigern Ständen des Lebens, ist eine oft und nachdrücklich wiederholte Vorschrift des Evangelii. Wir sind die Schüler eines Meisters, der den Geist welchen ich empfehle in allem was er sagte und in allem was er that in einem vorzüglichen Grade zu erkennen gab; der seine Verbündeten unter den Armen wählte, der sich nicht schämte ihre Füße zu waschen, der bey allen seinen Vorträgen ganz vorzüglich darauf ausgegangen zu seyn scheint, den Geist des Stolzes zu demüthigen, die Rangsucht zu zähmen, und es deutlich zu machen, daß der Vorzug und die Größe eines Menschen allein auf den vorzüglichen Diensten, die er der Gesellschaft leistet, und auf der Größe der Wohlthaten, die er dem Menschengeschlecht erweiset, beruhen könne; und der von seiner eigenen Krone sagt, daß sie nur aus den Strahlen des Lichts und der Glückseligkeit bestehe, die er der Welt mitzutheilen gekommen war. Das war der Heiligenschein, der von seiner Stirn ausstrahlte. Schöner, liebenswürdiger Glanz, neben dem – für das Auge der Vernunft wenigstens – die Edelsteine, aus denen andere Kronen verfertiget werden, mit einem zu trü|ben Lichte leuchten um nur gesehen zu werden. So ist der Anführer beschaffen, nach dessen Namen wir uns genannt haben; seine Majestät besteht in Demuth, seine ganze Größe im Wohlthun; sein Gefolge war aus Geschöpfen zusammen gesetzt, die er glücklich gemacht hatte, und die Posaune seines Ruhms war die Stimme der tugendhaften Dankbarkeit. Und so wie der Charakter und die Reden des Stifters unserer Religion die Gemüthsstimmung, die ich Euch empfehle, mit ungemeiner Beredtsamkeit einschärfen, so wiederholen alle Schriftsteller des neuen Testaments unaufhörlich diese Lehre und dringen bey ihren Lesern auf die Ausbildung dieser Gesinnung.“Thut Ehre jedermann;“ „haltet euch herunter zu den Niedrigen.“1 „Ihr Herren, was recht und gleich ist, das beweiset den Knechten, und wisset, daß ihr auch einen Herrn 1

Röm. 12. 16.

5 bekennen,] bekennen

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equal, knowing that ye also have a Master in Heaven.” “Have not the faith of our Lord Jesus Christ, with respect of persons.” Such are the liberal and generous exhortations, that continually present themselves to our eyes, upon opening the pages of the apostles of Christ. We are called upon, in the worship of the christian temple, to forget all worldly distinctions; to shut the door upon them; and to look, with | an eye of equal respect upon the “vile raiment’’ and “the gay clothing.” In the academy of Plato, the rich and noble only met: in the school of Christ, the rich and poor meet together: and the spirit of the place requires us to regard them both with equal eyes; as being the equal objects of that celestial mercy, which we are assembled under this roof to celebrate; and alike invited to that immortal glory, which is the chief grandeur and majesty of man. As the Gospel is a lesson of respect for the poor, it is also an address to the lower, as well as to the higher ranks of life. “The poor have the Gospel preached unto them,” The glory, honour, and immortality, which it holds out to the hopes of man, it holds out to them, as well as to others. “God is no respecter of persons.”

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In a christian country, it is, then, the height of absurdity and inconsistency, to look down upon any, because they are indigent. An honest christian, however depressed in the scale of human society, what professor of Christianity shall dare to despise? Say not he is poor; he is “rich in faith;” he is an “heir of the kingdom.” Say not his rank in life is low; he shall sit at the right hand | of the most High. Point not to the meanness of his attire; he has “put on the armour of light.” Make no mention of the obscurity of his genealogy; he is a “Son of God.” What though no earthly king have ever honoured him with an audience? he has free access to the ear of the “Great and only Potentate.” He may go “boldly to the throne of the heavenly grace.”

9 together:] together:”

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im Himmel habt.“2 „Haltet nicht dafür, daß der Glaube an unsern Herrn Jesum Christ Ansehung der Person leide.“3 Das sind die Ermahnungen zu einer edlen und anständigen Gesinnung, die uns überall entgegen kommen, wo wir die Schriften der Apostel Christi aufschlagen. Wir werden ermahnt, bey dem Gottesdienst in einem christlichen Tempel alle weltlichen Unterscheidungen zu vergessen, die Thüre vor ihnen zu verschließen, und auf das „unsaubere Kleid“ und „das herrliche Kleid“4 mit gleicher Achtung zu sehen. In Platons Akademie kamen nur die Rei|chen und Vornehmen; in der Schule Christi sind Reiche und Arme neben einander, und der ganze Charakter des Ortes fordert uns auf, beyde mit gleichen Augen anzusehn; beyde als gleiche Gegenstände der göttlichen Barmherzigkeit, zu deren Preise wir uns unter diesem Dach versammeln; beyde als Eingeladene zu der ewigen Herrlichkeit, in welcher die wahre Majestät und Größe des Menschen besteht. So wie das Evangelium uns die Lehre giebt, Achtung gegen die Armen zu haben, so wendet es sich auch selbst an die niedrigern Stände eben so wohl, als an die höheren. „Den Armen wird das Evangelium geprediget.“5 Die Herrlichkeit, die Ehre, die Unsterblichkeit, die es der Hoffnung des Menschen vorhält, hält es ihnen so gut vor, als den Anderen. ,,Gott siehet die Person nicht an.“6 In einem christlichen Lande ist es also der höchste Grad der Abgeschmacktheit und der Unvernunft, auf irgend Jemand deswegen, weil er dürftig ist, von oben herab zu sehen. Einen rechtschaffnen Christen, er stehe auch noch so niedrig auf der Stufenleiter der Gesellschaft, welcher Bekenner des Christenthums darf es wagen, ihn zu verachten? Sage nicht, er ist arm – er ist „reich im Glauben,“ er ist „ein Erbe des Reichs.“7 Sage nicht sein Rang in diesem Leben ist niedrig; er wird zur Rech|ten des Allerhöchsten sitzen. Denke nicht auf die Armseligkeit seines Aufzuges; er „hat angelegt die Waffen des Lichtes.“8 Erwähne nicht der Dunkelheit seiner Abkunft, er ist ein Kind Gottes. 2 3 4

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Kol. 3, 26. Jak. 2, 1. Jak. 2, 2. Matth. 11, 5. Ap. Gesch. 10, 34. Jak. 2, 5. Röm. 13, 12.

24 rechtschaffnen] rechtschafnen

35 Matth.] Math.

36 10, 34.] 18, 34.

31 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat „Son of God“, für das es zahlreiche biblische Belege gibt, ist von Schleiermacher ändernd übersetzt. 32 In neuer Zählung Kol 4,1 (so auch KJB)

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What have we to do, christians, while such a book is before us, as that which stands upon our shelves, as that which is read in our churches, what have we to do with extravagant and vulgar veneration for earthly dignities and distinctions?—Do we not look to a day when the trumpet of God shall sound, and shake to pieces, along with the frame of the world, the present system of ranks and stations? when preferment shall be exactly proportioned to merit? when tyrannical princes shall appear in chains? when unjust magistrates shall be seen in the custody of Almighty justice? when licentious nobles shall be in disgrace? when public shame shall be the promotion of those, who have here worn honours of which they were not worthy? when the uncharitable opu|lent shall be impoverished, and the impious disputer, that prided himself in his parts, shall stand confounded, and be confessed a fool?—when the kingdom of God shall come; his friends and favourites enter into power; oppressed innocence be advanced to a throne; honest ignorance “see things face to face;” virtuous obscurity “shine as the brightness of the firmament;” the hungry, and thirsty, and naked, followers of that which is good, be put in possession of an incorruptible inheritance; and all the faithful servants of society, that have here been imprisoned and persecuted, reign for ever and ever?—Where then is t h e glory of the world?—What then is great but Virtue?—What then is mean but Vice?

Such, then, are the grounds, upon which “the rich and poor meet together;” upon which the high and low, wide as, in the region of artificial rank, the interval between them is, come into contact with each other. They meet together in the scale of Nature; in the field of utility; and in the scheme of redemption. In the school of education, in the circles of converse, they are far from meeting. This distance between the rich | and the poor, which the institutions of civil society have made, the pride of the higher class has endeavoured to render as extensive as possible. It has employed every method in its power, to stretch and widen this space between them. It has attempted to repel every step of approach, on the part of the poor, by the stiffness of superiority, and the brow of contumely. Between the high and the low, in the order and intercourse of human life, there may, indeed, be

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Was that es, daß nie ein irdischer König ihm die Ehre vergönnt hat, vor ihm stehen zu dürfen? Er hat freyen Zutritt zu dem Ohr des Großen und allein Mächtigen. Er kann kühn hinzutreten zu dem himmlischen Gnadenthron. Was können wir, meine Mitchristen, die wir das Buch vor uns haben, was in unsern Schränken steht, was in unsern Kirchen gelesen wird, was können wir zu schaffen haben mit der gemeinen und übertriebenen Verehrung gegen irdische Würden und Auszeichnungen? Sehen wir nicht einem Tage entgegen, da die Trompete des Herrn erschallen und mit der Gestalt dieser Welt zugleich dies ganze System verschiedener Stände und Rangordnungen zertrümmern wird? Einem Tage, an welchem jeder Vorzug genau dem Verdienst angemessen seyn wird? an welchem tyrannische Fürsten in Ketten erscheinen, ungerechte Obrigkeiten im Gewahrsam der allmächtigen Gerechtigkeit gesehen werden, und die zügellosen Edlen in Ungnade fallen werden? an dem öffentliche Schande die Belohnung derer seyn wird, welche hier Ehrenzeichen trugen, deren sie nicht werth waren? an dem die lieblosen Reichen verarmen, und die frechen Zänker die auf ihren Platz stolz waren, beschämt dastehn und für Thoren erkannt werden | sollen? – einem Tage da das Reich Gottes herankommt, da seine Freunde und Lieblinge zur Herrlichkeit eingehen, da die unterdrückte Unschuld auf den Thron erhoben werden, die rechtschaffne Unwissenheit alles „von Angesicht zu Angesicht“9 sehen, die tugendhafte Armuth leuchten wird wie der Glanz des Himmels, wo die Hungrigen, die Durstigen, die Nackenden, welche Nachfolger des Guten gewesen sind, in den Besitz eines unvergänglichen Erbes gesetzt, und alle treuen Diener der Gesellschaft, welche hier eingekerkert und verfolgt wurden, regieren werden immer und ewig? Wo ist dann der Ruhm dieser Welt? was ist dann noch groß als die Tugend? was ist dann noch niedrig als das Laster? Dies sind also die Oerter, wo die Reichen und Armen neben einander stehen, wo die Hohen und Niedrigen, so weit sie auch in dem Gebiet dieser künstlichen Ordnung von einander abgesondert sind, in Berührung kommen. Sie stehen neben einander in der Ordnung der Natur, in dem Kreise ihrer Gemeinnützigkeit, und in dem Plan der Erlösung. In der Schule der Erziehung und in den Zirkeln des geselligen Umgangs sind sie weit entfernt einander zu begegnen. Und diesen, 9

1 Kor. 13, 12.

2–3 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Tim 6,15 3–4 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hebr 4,16 24 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Dan 12,3. 31–32 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Spr 22,2.

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said to be “a great gulph fixed;” so that the latter can scarcely pass to the former, even for a few minutes of respectful conference and supplicatory address. Even the favour of a transient and momentary meeting with those who stand in exalted situations, is with much difficulty obtained by them whose station is humble. The summits of human society, like the tops of steep and lofty rocks, not only refuse a residence, but even a visit, to the inhabitants of the vale. A few syllables from the lips of the opulent and the powerful are a kind of prize, a piece of good fortune, to the poor and dependent, that is to be sued, to be waited, to be striven, to be, paid for.—“A man’s gift must make room | for him, and bring him before great men.” Their presence is considered as something sacred, which it is profanation for poverty to enter. It is rendered as inaccessible as possible to the foot that would ascend to it from the humble walks of life, and, like the golden apples of fable, guarded by the dragons of insolence and office. When entrance into it is permitted to the solicitous suitor, his approach must be awful, solemn, and slow. Between admission under the roof of grandeur, and into the room of audience, a long period of patience and expectation must intervene.

Divided, however, as thus they are, thus wide asunder as, in human society, they are placed, let them that meet together in every solid claim to it, meet together in our esteem. There, however widely they may, in the world, be thrown off from each other, let them be joined together, and bound to one another in the embrace of our respectful benevolence. Let us regard the poor as, in the eye of Nature and of God, the real equals of their reputed superiors. Their extraction is

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aus den Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft entstandenen Unterschied zwischen Reichen und Armen hat der Stolz der höheren Klassen so weit als möglich auszudehnen gesucht. Jedes Mittel, das in seiner Macht stand, | hat er angewendet, um den Zwischenraum zwischen beyden zu vergrößern und zu erweitern. Jeden Schritt zur Annäherung von Seiten der Armen suchte er vergeblich zu machen, durch vornehme Steifigkeit und hohnsprechende Mienen. Man kann in der That sagen, daß in der Ordnung und den Einrichtungen des menschlichen Lebens zwischen den Hohen und Niedrigen „eine große Kluft befestiget“ ist, so daß die letzteren schwerlich zu den ersteren hinüber kommen können, auch nur um auf wenige Minuten eine ehrfurchtsvolle Zusammenkunft zu erlangen, und sich mit ihren Bitten an sie wenden zu können. Selbst die Gunst auf einen Augenblick und im Vorübergehn mit den Hohen zusammen zu treffen, können die, deren Stand niedrig ist, nur mit vielen Schwierigkeiten erlangen. Die höchsten Spitzen der menschlichen Gesellschaft gleichen den Gipfeln steiler und hoher Felsen, auf denen die Einwohner der Thäler nicht nur nicht ihre Hütten erbauen, sondern die sie auch nicht einmal besuchen können. Wenige Sylben von den Lippen der Reichen und Mächtigen sind eine Art von Beute, eine Gabe des guten Glücks um die man fleht, sich müde wartet, sich drängt, und dafür bezahlt. – „Das Geschenk des Menschen muß ihm Raum machen, und bringt ihn vor die großen Herren.“10 Ihre Gegenwart wird als ein Heiligthum angesehen, dem sich die Armuth nicht ohne Frevel nahen darf. Es wird auch so sehr als möglich unzugänglich gemacht für jeden, | der es aus den niedrigen Gegenden des Lebens ersteigen wollte, und gleich den goldenen Aepfeln der Fabel wird sie von den Drachen der Unverschämtheit in den Vorzimmern bewacht. Wird dem demüthig Flehenden der Zutritt verstattet, so muß er sich ehrerbietig, feyerlich und langsam nähern. Zwischen seiner Ankunft unter dem Dach des Pallastes und seinem Eintritt in das Gehörzimmer muß noch eine lange Periode der Geduld und des Wartens vergehen. In der menschlichen Gesellschaft mögen beyde so weit von einander entfernt seyn, als es wirklich am Tage liegt, in unserer Achtung laßt sie wenigstens neben einander stehn, da sie in allen gegründeten Ansprüchen auf dieselbe so sehr übereinkommen. Wie weit sie auch in der Welt getrennt sind, hier laßt sie miteinander verbündet, und in einer gemeinschaftlichen Umarmung unsers achtungsvollen Wohlwollens vereinigt seyn. Laßt uns immer bedenken, daß die Armen vor 10

Spr. Sal. 18, 16.

9–10 Lk 16,26 (nach der englischen Textfassung)

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equally divine. “The Lord is the maker of them all.” They are born to the same expectations from the fountain of all | happiness and honour. The peasant shall be tried hereafter by the same high court as the peer; has the same access now to the most august Presence in the universe; and is invited to accept the same celestial dignity and preferment in the immortal kingdom of Him, from whom all promotion cometh. Let us learn to look upon integrity as that which renders the poor man the superior of the impious and profligate great, in the sight of Reason, and as what, in the world to come, shall set him over the head of the unworthy that are above him in this. Let it not be in the power of his garb to hide the greatness of a good man. The dignity of his mien has often discovered the man of rank, but ill concealed in the habit of beggary, from an eye acquainted with the port of the great; and Suspicion has surveyed the vile raiment with a look of veneration. In the same manner, the man of moral discernment reveres the majesty of Virtue, though wrapped in the raiment of Poverty. In contemplating a man of eminent worth, in low condition, he looks not down, but up. He perceives what now he is, within; he predicts what shortly he shall be, without; and he beholds | before him Grandeur in disguise; a prince in the dress of a peasant; a great man in a state of temporary concealment and obscurity; who is soon to emerge from his shade, and to “shine forth,” in a court of superior blaze to any that earth has seen, “as a Son in the kingdom of his Father for ever.” That confinement of dignity to moral excellence, which I am recommending, is but an improvement, and continuation to its proper extent, of a principle which prevails among the worshippers of worldly honour. They point the eye of Respect to intrinsic, rather than to external possession. Blood, says the pride of life, is more honourable than money. Indigent nobility looks down upon untitled opulence. This sentiment, pushed a little farther, leads to the point I am pursuing. Mind is the noblest part of the man; and of mind, virtue is the noblest distinction.

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Gott und der Natur denen, die für Höhere gehalten werden, völlig gleich sind. Ihre Abkunft ist eben so göttlich. „Der Herr hat sie beyde gemacht.“ Sie sind zu denselben Erwartungen von dem Urheber aller Glückseligkeit und aller Ehre erschaffen. Der Bauer wird einst vor demselben Gerichtshof geprüft werden, wie der Fürst; er hat schon jetzt denselben Zutritt zu dem erhabensten Wesen der Welt, und er ist eingeladen, dieselben himmlischen Würden und Vorzüge in dem ewigen Reiche dessen zu empfangen, von dem alle | Vorzüge herkommen. Laßt uns lernen die Rechtschaffenheit als dasjenige ansehn, was in den Augen der Vernunft dem armen Mann einen größeren Werth giebt, als der Große, der gottlos und lasterhaft ist, besitzt, und was ihn in der künftigen Welt weit über die Unwürdigen erheben wird, die in der jetzigen über ihn gesetzt sind. Ein Gewand müsse nicht die Kraft besitzen, uns die Größe eines tugendhaften Mannes zu verbergen. Einen Mann von Stande, der sich hinter dem Kleide der Armuth nur schlecht verbergen kann, hat oft die Hoheit seiner Mine dem Auge entdeckt, welches mit dem Anstande der Großen bekannt ist, und schon die Vermuthung machte daß auf das schlechte Gewand mit einem Blick der Verehrung hingesehn wurde. Auf dieselbe Art verehrt derjenige, dem ein richtiger moralischer Blick eigen ist, die Majestät der Tugend, wenn sie gleich in das Gewand der Dürftigkeit gehüllt ist. Wenn er einen Mann von ausgezeichnetem Werth in einem niedrigen Stande betrachtet, so sieht er nicht herab, sondern hinauf. Er bemerkt, was er jetzt schon innerlich ist: er sagt voraus, was er in kurzem auch äußerlich seyn werde; er sieht also vor sich die Größe in einer Verkleidung; einen Fürsten in dem Anzuge eines Bauern; einen großen Mann in einem vorübergehenden Zustande der Verborgenheit und Dunkelheit, der bald aus seinem Schatten hervortreten, und an einem Hofe, der unendlich glänzender ist als die Erde je einen sah, „scheinen wird wie der Sohn in dem Reich seines Vaters ewiglich.“ | Dieser eingeschränktere Gebrauch des Begriffs von Würde, den ich hier empfehle, da er nemlich nur auf moralische Vortreflichkeit bezogen wird, ist in der That nur eine Anwendung, eine bis auf den rechten Punkt fortgesetzte Befolgung des Grundsatzes, der auch unter den Anhängern der weltlichen Ehre allgemein angenommen ist. Sie richten ihre ehrerbietigen Blicke mehr auf einen innern, als auf einen äußern Besitz. Das Geblüt, sagt der gewöhnliche Stolz, ist ehrenvoller als das Geld. Der dürftige Adel sieht auf den unbetitelten Reichthum doch nur herab. Wenn man diese Gesinnung etwas weiter verfolgt, so führt sie auf den Punkt, auf welchen ich hinweise. Die Seele ist der edelste 2–3 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat aus Spr 22,2 ist von Schleiermacher ändernd übersetzt. 30 Vgl. Mt 13,43

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Honest man, in the ear of Wisdom, is a grander name, is a more high-sounding title, than peer of the realm, or than prince of the blood. According to the eternal rules of celestial ceremony and precedency, in the sublime and immortal heraldry of Nature and of Heaven, Virtue takes place of all things. It | is the nobility of angels! It is the majesty of God! As men, and citizens, but more especially as christians, I call upon you, therefore, to honour all men; and to regard the worthy and the good with distinguished respect, whatever the obscurity of their birth, or the scantiness of their property. I inculcate this duty from a deep conviction of its importance. It is intimately connected with the whole circle of our duties. It enters into the essence and the soul of the virtuous temper. It is inseparable from the spirit of Piety. He that oppresseth the poor, says Solomon, reproacheth his maker. He tramples upon the sacred work of his hand. He breaks in pieces the wonderful machine he has made. The same charge may, with equal justice, be brought against him that despiseth the poor. Those whom he dares despise are the workmanship of Him, all whose works are “great and marvellous;” as much his work as the rich; as well created as they; as “fearfully and wonderfully made;” as much in the likeness of the maker; containing precisely the same proofs of his contrivance; exhibiting to | the eye of awful examination the same curious animal œconomy, without the omission of a single vessel, or organ, in the complicated system; altogether as nicely moulded, quite as neatly finished in every part, by the fingers of infinite Skill; endued with the same glorious powers of speech, and distinguishing powers of mind; prompted by the same useful passions to self-preservation, and to social service; in faculties of every kind as admirable; in apprehension, as much like a God, as the highest of those whom their flatterers have called such. Of him, I would ask, who looks with contempt upon these compositions of the Author of all things, where is the piety, and where is the taste? Let him, that has a turn for contempt, vent it upon the most admired architecture, or wonderful machinery, or celebrated pictures, and statues, and books, that man has been able to produce; but let him not despise the perfect and all finished work of him, unto whose there are no works that are like.

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Theil des Menschen, und die edelste Auszeichnung der Seele ist die Tugend. Rechtschaffener Mann, das ist für das Ohr der Weisheit ein größerer Name, ein hochtönenderer Titel als Pair des Reichs, oder Prinz vom Geblüt. Den ewigen Gesetzen des geistigen Ranges und Vortrittes gemäß nimmt die Tugend in der erhabenen und unsterblichen Genealogie der Natur und des Himmels ihren Platz vor allen andern Dingen. Sie ist der Adel der Engel, sie ist die Majestät Gottes. Als Menschen, als Staatsbürger, ganz vorzüglich aber als Christen fordere ich Euch also auf, alle Menschen zu ehren, und den Würdigen und Guten mit ausgezeichneter Achtung zu begegnen, wie dunkel auch ihre Geburt, und wie dürftig ihr Eigenthum seyn mag.| Aus einer innigen Ueberzeugung von ihrer Wichtigkeit schärfe ich diese Pflicht ein. Sie hängt mit dem ganzen Kreise unserer übrigen Pflichten aufs genaueste zusammen. Sie gehört zu dem eigentlichsten Wesen, sie ist gleichsam die Seele jeder tugendhaften Gesinnung. Sie ist von der Gesinnung der Frömmigkeit unzertrennlich. „Wer dem Geringen Gewalt thut, sagt Salomo, der lästert desselbigen Schöpfer.“11 Er tritt auf das geheiligte Werk seiner Hände. Er zertrümmert die wunderbare Maschine, die der Herr gemacht hat. Dieselben Vorwürfe kann man mit gleichem Rechte dem machen, der den Armen verachtet. Die, welche er zu verachten wagt, sind von demjenigen gebildet, dessen Werke alle „groß und wunderbar“ sind; sie sind eben so gut sein Werk als die Reichen, eben so wohl erschaffen als sie; sie sind dem Schöpfer eben so ähnlich, man sieht an ihnen genau dieselben Beweise seiner Kunstweisheit, und das Auge des ehrfurchtsvollen Forschers findet an ihnen dieselbe wunderbare Oekonomie des Lebens, ohne daß in der verwickelten Zusammensetzung auch nur ein Gefäß, nur ein Organ ausgelassen wäre; alles ist von der Hand des unendlichen Künstlers eben so fein gebildet, eben so genau in allen Theilen vollendet; sie sind eben so mit dem herrlichen Vorzug der Sprache, mit den erkennenden Vermögen des Gemüths begabt, werden durch dieselben heilsamen Leidenschaften zur Selbsterhaltung und zu geselligen | Diensten angetrieben; sie sind durch Kräfte jeder Art eben so bewunderungswerth, und durch ihre Vorstellungen eben so einem Gott gleich, als die Höchsten unter denen, von welchen 11

Spr. Sal. 14, 31.

20 Dieselben] Dieselbe 17–19 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung. 19 Vgl. Ps 138,8 23 Vgl. Ps 104,24; 139,14 24 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Ps 139,14.

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To honour all men is also closely connected with the whole of social duty. Respect is the parent of kindness. From contempt to injury the passage is short. He that | despises, is soon induced to oppress, the poor. The pride of man leads him to treat all the sensitive nature upon which he looks down, as so much inanimate nature. He makes no account of it in his reckonings respecting what he owes to the beings about him. Whatever is beneath the rank he occupies, he considers as beneath the notice of justice. It does not stand before him among the objects of Equity. It may be susceptible of hurt, he thinks, and cares not concerning that; but it is not, he conceives, a subject of injury. It has no place or existence in his contemplations. That which lies low he overlooks, that which is little he annihilates in his mind. The beings that he thus looks down upon, he therefore treads upon, and he treads upon them with tranquillity. Who accuses himself of injustice for crushing a reptile? or, though he see it in his path, thinks it worth his while to disturb the order of his steps, in the slightest degree, so as to pass over it, or set his foot on one side of it? It is in consequence of this contempt, that man, with so much coolness, has, in all ages, crushed the poor. Would so many rich men have oppressed them; would so many mighty men | have “ground their faces,” and “despised their cause;” would so many haughty lords have rendered the life of the peasant one long sigh and protracted groan; would so many rulers have “wrested judgment,” and judged the poor unfaithfully; would so many masters have made death a blessing to their bleeding slaves; would so many princes have spilt, in all the spirit of sport, the blood of thousands, have made the murder of mankind a game, and treated the vast extensive tragedy as a farce! would so many tyrants have trampled upon the neck of a great people, and considered the multitude as made for one! if they had not been in habits of considering the bulk of mankind as an herd of insignificant creatures? as belonging to the class of cattle? as worms that were made to be walked over? Would they have been able to have acted in this manner, if they had properly considered, that every human creature, whatever the meanness of his birth, or the straitness of his possessions, or the contraction of his education, or the colour of his skin, is an image of God, and an heir of immortality; a creature containing within him capacities of eternal improvement! a being |

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Schmeichler dies gesagt haben. Wer einen Hang zur Verachtung hat, der lasse ihn an den allgemein bewundertsten Gebäuden, an den künstlichsten Maschinen, an den berühmtesten Gemälden, Statuen und Büchern aus, welche die Menschen hervorzubringen im Stande gewesen sind; aber er verachte nicht das vollkommene und höchst vollendete Werk dessen, dessen Werken keine andern gleich kommen. Alle Menschen zu ehren, dies hängt ferner eben so genau mit dem Ganzen unserer geselligen Pflichten zusammen. Achtung ist die Mutter der Güte. Von der Verachtung zur Gewaltthätigkeit ist nur ein kurzer Uebergang. Wer den Armen verachtet, läßt sich leicht überreden ihn zu unterdrücken. Der Stolz verleitet den Menschen die ganze empfindende Natur so weit er darauf herabsieht, nur als unbeseelte Natur zu behandeln. Er führt sie nicht mit auf, wenn er berechnet, was er den Wesen außer sich schuldig ist. Von denen die unter dem Rang stehen, den er selbst einnimmt, meint er sie stünden auch unterhalb des Gebietes der Gerechtigkeit. Sie stellen sich ihm nicht mit dar unter den Gegenständen der Billigkeit. Sie können zwar beschädigt werden, denkt er, und das kümmert ihn sehr wenig; aber von Beleidigung, glaubt er, könne dabey nicht die Rede seyn. Es giebt also für sie überall keine Stelle in | seinen Ueberlegungen. Was niedrig liegt übersieht er, was klein ist vernichtet er ganz in seinem Gemüth. Er tritt also auf die Wesen, auf welche er so herabsieht, und er thut es mit aller Ruhe. Wer klagt sich wohl der Ungerechtigkeit an, wenn er ein Insekt zerquetscht? Oder wenn er es auch noch lebend auf seinem Wege sieht, wer hält es wohl der Mühe werth seine Schritte auch nur im geringsten abzuändern, um darüber hinwegzuschreiten, oder den Fuß daneben zu setzen? Ohne diese Art von Verachtung hätten die Menschen nicht, wie doch zu allen Zeiten geschehen ist, mit so viel kaltem Blut die Armen verderben können. Würden so viele Reiche sie unterdrückt, würden so viele Mächtige sie zu Boden geworfen und ihre Sache verachtet, würden so viele stolze Edle das Leben des Bauern zu einem langen Seufzer, zu einem ununterbrochenen Klageton gemacht, würden so viele Staatsmänner das Recht verdreht und den Armen treulos gerichtet haben? hätten so viele Herren ihre blutenden Sklaven so behandelt, daß der Tod ihnen ein Segen werden mußte; hätten so viele Fürsten im lachendsten Muth das Blut von tausenden verspritzt, aus dem Morde des Menschengeschlechts ein Spiel gemacht und das unabsehlichste furchtbarste Trauerspiel als einen Scherz be37 verspritzt,] verspritzt 30 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Jes 3,15 31 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 31,13 33 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hab 1,4

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born to ascend for ever in the scale of excellence! within whose bosom are folded, in wonderful implication, the wings that are capable of an everlasting flight upward! wings that were made to mount, for ever and for ever, from eminence to eminence, from pinnacle to pinnacle, of knowledge and of virtue? Surely this view of man, of every man, would have cried out to Cruelty, when her scourge was lifted up to strike a human form, “hold thy hand,” with so commanding a call, as if it could not have caused, in all cases, the whip to drop from it, must at least have stayed it for an instant or two; must have thrown at least some hesitation into the stroke; must a little have corrected the levity, a little have dashed the impudence, disturbed the serenity, interrupted the fluency, and lessened the lavishness of the hand, with which the demon has let fall her lashes, in all ages of the world, upon the sacred likeness of God.—Surely this sentiment, if it could not have forced them whose treading has been upon the poor, and upon the public, to have taken off their foot from creatures, “of noble shape, erect and tall, godlike erect”—must, at least, have led them to look down with | some respect upon their human footstool; to have walked over prostrate Humanity, with somewhat of reverence in their eye, and of tremour in their tread, instead of dancing and leaping along their living floor, with so much insolence of step, and wantonness of gambol, as these tramplers upon man have discovered.

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handelt? Hätten so viele Tyrannen auf den Nacken großer Nationen getreten, als ob die ganze Masse nur für einen da wäre; wenn sie nicht gewohnt gewesen wären, den größeren Theil des Menschengeschlechts als eine Heerde unbedeutender Geschöpfe | anzusehn, sie unter die Klasse des Viehs zu setzen, und als Würmer zu betrachten, deren Bestimmung es ist zertreten zu werden? Wären sie fähig gewesen auf diese Art zu handeln, wenn sie gehörig überlegt hätten, daß jedes menschliche Geschöpf, ohnerachtet seiner niedrigen Geburt, seines beschränkten Eigenthums, seiner unvollendeten Bildung, oder der Farbe seiner Haut, ein Ebenbild Gottes und ein Erbe der Unsterblichkeit ist; daß jedes Fähigkeiten besitzt, die ins unendliche vervollkommt werden können; daß jedes geboren ist zu immer höherer Vortreflichkeit hinaufzusteigen; daß in dem Innern eines jeden schon jetzt wunderbar verborgen die Flügel zusammengefaltet liegen, die eines ewigen Fluges aufwärts fähig sind, Flügel die gemacht sind, um in alle Ewigkeit hin sich zu erheben von einer Stufe zur andern, von einer Höhe zur andern auf der Bahn der Erkenntniß und Tugend? Gewiß hätten sie sich diese Ansicht von der Würde des Menschen, und eines jeden einzelnen Menschen, eigen gemacht, so würde die Grausamkeit, so oft ihre Geißel aufgehoben war, um eine menschliche Gestalt zu treffen, den Ruf, „halt ein,“ in einem so gebieterischen Ton von innen her gehört haben, daß er ihre Geißel, wenn sie auch nicht jedesmal entsunken wäre, doch auf einige Augenblicke zurückgehalten, und ihrem Streich eine zögernde Ungewißheit eingeflößt hätte; daß doch der Leichtsinn etwas gezüchtiget, die Unverschämtheit etwas verschüchtert, die Ruhe etwas gestört, die Schnelligkeit etwas unterbrochen, die Ungebunden|heit etwas gezähmt worden wäre, womit sonst in allen Zeitaltern die Hand dieses Dämons ihre Streiche auf das geheiligte Ebenbild Gottes fallen ließ. – Gewiß wenn diese Gesinnung auch die, welche auf den Armen, welche auf den Völkern herumzutreten gewohnt sind, nicht hätte bewegen können, ihre Füße hinwegzunehmen von Geschöpfen so edler Gestalt, so würde sie wenigstens so viel bewirkt haben, daß sie mit einiger Achtung auf die Menschen, welche sie zu ihrem Fußschemel machten, herabgesehen hätten, daß sie mit einiger Schaam im Auge, und mit wankendem Tritt über die herabgeworfene Menschheit hingegangen wären, anstatt mit so schaamlosen Schritten, mit so muthwilligen Sprüngen, wie sie doch immer gethan haben, über sie wegzuhüpfen und zu tanzen. 1 Nacken] Naken

2 Masse] Maße

32 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. John Milton: Paradise lost, Buch 4, Zeile 288; Schleiermacher lässt hinter „Gestalt,“ die nächsten fünf Wörter des Zitats aus.

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“Honour all men,” is then a most comprehensive lesson of virtue. It includes the duties we owe both to God and to man. It contains the spirit of religion and charity. I am not recommending to you a secondary accomplishment; an amiable, but unnecessary ornament in manners; a single detached beauty of conduct; or the high polish and exquisite finish of general perfection. When I say, “honour all men,” I but say, in other words, be christians; be pious; be generous; be just; discharge your duties to society. The author of these words exhibits in them, to his readers, one face of the christian character. Indeed, whenever the Scriptures inculcate any particular virtue, they are to be considered as inculcating the whole of the virtuous temper. In holding up to us the character they would have us to | copy, they turn it round; they shew us all its sides in succession; each of its sides is inseparable from the rest; they all cohere and hang together; they are all fitly joined, and compose a compact and connected piece.

Respect to men of all conditions is an in-separable part of the christian temper. Where this is not, Charity cannot be; wherever charity dwells, this companion will be found with it. I hope we shall all furnish, in our intercourse with society, this proof, as well as every other, that we have drunk into the spirit of the Gospel. Amen.

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„Thut Ehre jedermann“ ist also eine sehr vielumfassende Tugendlehre. Sie schließt unsre Pflichten gegen Gott und gegen die Menschen in sich. Sie enthält den Geist der Religion und der Menschenliebe. Ich empfehle Euch also nicht etwa eine untergeordnete Vollkommenheit, eine liebenswürdige, aber keineswegs nothwendige Zierde der Sitten, nicht eine einzelne abgesonderte Schönheit des Betragens, nicht etwas, was nur zur feinsten Politur, zur höchsten Vollendung des Charakters gehört. Wenn ich sage ehret alle Menschen, so sage ich nur mit andern Worten: seyd Christen, seyd fromm, seyd edel, seyd gerecht, erfüllet eure Pflichten gegen die Gesellschaft. Der Verfasser dieser Worte stellt darin | seinen Lesern die ganze eine Seite des christlichen Charakters vor Augen. In der That, so oft uns die Schrift eine einzelne Tugend empfiehlt, hat sie die Absicht uns das Ganze der tugendhaften Gemüthsbeschaffenheit einzuschärfen. Indem sie uns den Charakter vorhält, nach welchem wir uns bilden sollen, wendet sie ihn herum und zeigt uns nach einander alle Seiten desselben, aber jede dieser verschiedenen Seiten ist von dem Ganzen unzertrennlich; sie hängen alle zusammen, sie sind alle aufs genaueste verbunden und bilden ein geschloßnes, in sich vollendetes Ganzes. Achtung gegen Menschen in allen Ständen ist ein nothwendiger Bestandtheil der christlichen Gesinnung. Wo sie nicht ist, kann auch die Liebe nicht seyn, und wo diese wohnt, wird man auch jene, ihre Gefährtin immer finden. Ich hoffe wir Alle werden in unsern geselligen Verhältnissen durch diese Tugend sowohl als durch jede andere beweisen, dass wir von dem Geist des Evangelii getrunken haben. Amen.

7 Politur,] Politur 8 Das von Fawcett markierte Zitat der die Predigt leitenden Bibelstelle ist von Schleiermacher ändernd übersetzt.

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On disinterested Goodness.

SERMON

XVI.

D o g o o d a n d l e n d , h o p i n g f o r n o thing a g a in. Luke vi. 35.

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The author of our religion is here inculcating the most pure and expanded benevolence. He exhorts his hearers to exceed the goodness of them, who limited their love to those by whom they were beloved; and of them who gave, in the expectation of receiving the same thing again, or somewhat else of equal, or of superior value. He recommends it to them to cultivate a capacity of communicating, in the purest sense of the word, without the prospect of any repayment whatever. “And your reward, he adds, shall be great.” It seems strange, at first sight, that he should urge, as an argument for the exercise of disinterested benevolence, its conduciveness to | the interest of those who possess it; and thus address his encouragement of the practice he recommends to the very principle he is endeavouring to discourage. But how am I, if under the present dominion of self-love, to be excited to the cultivation of social, but by some appeal to my private love? Christ explains to me what pure and generous virtue is. I understand the account of it which he has given me. My reason consents to it that it is good. But what inducement have I to exert myself in order to acquire it? I perceive it to be beautiful, but my admiration of it is not, by itself, sufficient, to move me to make it mine. I want some more powerful motive to impel me to the acquisition of it. With that motive my divinely inspired preceptor supplies me. “Your reward shall be great.” This temper, when once you have acquired it, you will find to be its own reward. When you have learned to do good, hoping for nothing but the happiness of those to whom you render it, it will be then that your own will be most complete. And, as an additional inducement to the cultivation of this generous enjoyment, when once 19 cultivation] cultivavation

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Sechszehnte Predigt.

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Ueber die uneigennützige Güte.

Luc. 6, 35.

T h u t w o h l u n d l e i h e t , d aß i h r n i c h t s da für hoffet.

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Der Stifter unserer Religion schärft hier das reinste und ausgebreitetste Wohlwollen ein. Er ermahnt seine Zuhörer diejenigen an Güte zu übertreffen, welche ihre Liebe auf die einschränkten, von denen sie wieder geliebt werden, welche nur da gaben, wo sie erwarteten dasselbe, oder etwas von gleichem oder größerem Werth wieder zu empfangen. Er empfiehlt ihnen, daß sie sich die Fertigkeit mitzutheilen in dem reinsten Sinn des Wortes zu eigen machen sollten, nemlich ganz ohne Aussicht auf irgend eine Wiedererstattung. „Und euer Lohn wird groß seyn,“ fügt er hinzu. Es scheint auf den ersten Anblick sonderbar, daß er um zur Ausübung des uneigennützigen Wohlwollens zu bewegen, die Nützlichkeit desselben für den, der es ausübt, als einen Grund anführt, und | also seine Aufmunterung zu dem Betragen, welches er empfiehlt, grade auf die Denkungsart gründet, von welcher er uns zurückbringen will. Aber wie soll denn ich, der ich gegenwärtig unter der Herrschaft der Selbstliebe stehe, zur Ausbildung geselliger Neigungen angereizt werden, wenn es nicht durch eine Berufung auf eben diese Selbstliebe geschieht? Christus setzt mir auseinander, was reine und uneigennützige Tugend eigentlich ist. Ich verstehe vollkommen alles, was er mir darüber gesagt hat. Meine Vernunft gesteht es zu, daß sie etwas Gutes ist. Aber was für einen Reiz habe ich dann, der mich in Thätigkeit setzte, um sie zu erwerben? Ich nehme ihre Schönheit wahr, aber meine Bewunderung reicht an sich selbst noch nicht hin, um mich zu bewegen, daß ich sie mir zu eigen mache. Ich bedarf noch eines kräftigern Antriebes, der mich reize darnach zu streben. Und diesen giebt mein von Gott unterrichteter Lehrer mir an die Hand. „Euer Lohn 1 Sechszehnte] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 381 13. 30–571,1 Luk 6,35 (nach der englischen Textfassung)

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Serm. 16: On disinterested goodness

you have made it yours, | it shall be yours for ever. When you have rendered yourselves benevolent as you ought to be, the God of benevolence will make you happy as you can be, and happy for ever. He will supply the social appetite, to which you shall attain, with an immortal succession of gratifications.

Such is the outset of the human mind in the path of social virtue. It is put into motion by self-love. By the prospect of private interest, it is induced to perform those social services, by which the objects of them are inevitably endeared; to make those sacrifices, by which the private passions are as necessarily subdued; and to indulge those reflections upon the excellence of happiness, and the rectitude of extending the spread of it as widely as possible, which, if with sufficient intenseness exercised, and with sufficient frequency renewed, render at length the happiness of others, where it does not exist, an object of our earnest desire, and where it does, of our liveliest congratulation. From this motion of the mind, the glow of charity, after a time, as naturally and necessarily results, as animal heat from animal motion. 122

But, in order at length to arrive at this | end, it is obviously necessary that we keep it continually in sight; that we retain perpetually in our remembrance, that the good we do is not charity, until we do it with some degree of delight in it. If we do not continually look to this end, we shall be likely to stop short of it. We shall be in danger of standing still with respect to the spirit, while we go on to perform the acts of charity, both for want of a proper repetition of the act, and renewal of the reflections that lead to the love of it.

During, then, the initiatory offices of an infant charity, we must carry it continually in our memory, that as yet we are not good, while as yet we have not positive pleasure in the performance of good actions; that, until this be the case, we are actuated by self-love, whatever social services we may render. Self-love, thus directed to the true

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wird groß seyn.“ Wenn ihr zu dieser Gemüthsstimmung einmal gelangt seyd, so werdet ihr finden, daß sie ihr eigener Lohn ist. Wenn ihr gelernt habt, Gutes zu thun, ohne etwas davon zu hoffen, als nur die Glückseligkeit derer, denen ihr es erweiset; so wird eben dadurch die eurige recht vollkommen werden. Und – was euch noch mehr reizen muß, euch dieses edlen Genusses zu befleißigen – wenn ihr ihn euch einmal zu eigen gemacht habt, so ist er euer auf immer. Habt ihr selbst Euch so wohlwollend gemacht, als ihr seyn | sollt, so wird der Gott des Wohlwollens Euch so glücklich machen, als ihr seyn könnt, und zwar glücklich auf immer. Er wird dem geselligen Verlangen, welches in euch rege seyn wird, eine unaufhörliche Reihe von Befriedigungen anweisen. Dies ist die Art, wie das menschliche Gemüth den Pfad der geselligen Tugend betritt. Es wird durch die Selbstliebe in Bewegung gesetzt. Durch die Aussicht auf eignen Vortheil wird es gereizt die geselligen Dienste zu verrichten, deren Gegenstände ihm eben dadurch unvermeidlich immer theurer werden; die Opfer zu bringen, wodurch selbstsüchtige Leidenschaften nothwendig gezähmt werden; und über den Werth der Glückseligkeit, über den Werth einer Handlungsweise, welche das Reich derselben so weit als möglich verbreitet, solche Betrachtungen anzustellen, welche uns, wenn sie weit genug verfolgt und oft genug erneuert werden, dahin bringen, daß die Glückseligkeit Anderer der Gegenstand unseres ernstlichsten Wunsches wird wo sie nicht ist, und wo sie ist, der Gegenstand unserer lebhaftesten Freude. Aus dieser Bewegung des Gemüths entsteht nach einiger Zeit die Glut der wahren Menschenliebe eben so natürlich und nothwendig, als die thierische Wärme aus der körperlichen Bewegung. Um aber am Ende wirklich zu diesem Ziel zu gelangen, müssen wir es immer im Auge behalten, müssen wir nie aufhören daran zu denken, daß das Gute, was wir thun, noch nicht Liebe ist, wenn | nicht die Handlung von einem gewissen Vergnügen an der Sache selbst begleitet wird. Blicken wir nicht immer auf dieses Ziel hin, so werden wir wahrscheinlich diesseits desselben liegen bleiben. Wir werden in Gefahr seyn in Absicht auf den Geist der Menschenliebe still zu stehen, wenn wir gleich fortfahren die Handlungen derselben zu verrichten, theils weil wir diese Handlungen nicht auf die gehörige Art wiederholen, theils weil wir die Betrachtungen nicht anstellen, durch welche wir die Handlungsweise selbst lieb gewinnen müssen. So lange also diese Lehrlingsbeschäftigungen unserer Menschenliebe, und ihre Kinderjahre währen, müssen wir immer im Gedächtniß behalten, daß wir noch nicht wahrhaft gut sind so lange wir an der 21 uns,] uns

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happiness of our nature, thus aiming at the ultimate attainment of social, is prudence; it is wisdom; but it is not goodness. A good action, the most munificent one that can be prompted by it, during this its noblest direction, is proper; is rational; but it is not generous. It is any thing else of right and fair you choose to call | it, but it is not that. It is faith; it is hope; but it is not charity. These three are different things. The Scriptures distinctly enumerate them; and they tell us too, which is the greatest.

There are more kinds than one of return for imparted benefit, the expectation of which the spirit of these words of the Author of our religion leads us to consider, as not admissible into the motive of pure and uncorrupted charity. Whatever is given with an eye to some future remuneration, of whatever kind, whether it be to come from the receiver or not, may be regarded as lent. That return, whatever it be, or whencever it proceed, is the repayment. In this view, there are several sorts of repayment, and of repayment with interest. Allow me to employ the moments that remain to us, in enumerating the rewards of social duty, the expectation of which is to be considered as a foreign mixture, by which the generosity of the motive to the performance of it is contaminated. 124

The First I shall mention are what may be called returns in kind. This is the particular species of reimbursement for the re|lief we lend, the prospect of which, our Saviour, in the passage we are considering, declares, excludes from the communication of that relief all claim to true charity. He who lends a sum of money, for which he has no present occasion, and which he thinks he runs no risk of losing, makes no pretences to charity; he modestly calls it accommodating a friend, without considering himself as having performed an act of charity. But there are ways of imparting, in the expectation of receiving as much again, in some of which the merit of charity is claimed, although without any more foundation than in the case of a literal loan.

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Verrichtung guter Handlungen noch nicht ein unabhängiges Vergnügen finden, und daß wir, bis dies der Fall ist, bey allen Diensten, die wir andern leisten, doch nur von der Selbstliebe getrieben werden. Ist die Selbstliebe so auf die wahre, unserer Natur angemessene Glückseligkeit gerichtet, so daß sie strebt endlich Menschenliebe zu erzeugen, so ist sie Klugheit, sie ist Weisheit, aber nicht Güte. Die mittheilendste gute Handlung die durch sie in dieser ihr edelsten Richtung hervorgebracht werden kann, ist lobenswerth, ist vernünftig, aber nicht uneigennützig. Sie ist alles, was ihr Gutes und Schönes darin finden wollt, nur dies nicht. Sie ist Glauben, sie ist Hoffnung, aber sie ist nicht Liebe. Diese sind drey verschiedene Dinge. Die Schrift zählt sie | uns ausdrücklich als verschiedene auf, und sie sagt uns auch, welches unter ihnen das größte ist. Es giebt mehr als eine Art von Erwiederung für erwiesene Wohlthaten, deren Erwartung aber sämmtlich, denn darauf führt uns der Sinn dieser Worte unsers Erlösers, unter den Bewegungsgründen einer reinen und unverdorbenen Liebe keinen Platz findet. Was mit einem Blick auf irgend eine Wiedererstattung gegeben wird, sie sey von welcher Art sie wolle, sie komme von dem Empfänger selbst her, oder nicht, das ist nur als geliehen zu betrachten. Diese Erwiederung, worin sie auch bestehe, und woher sie komme, ist die Wiederbezahlung. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet giebt es verschiedene Arten von Wiederbezahlung, und zwar mit Zinsen. Vergönnt mir die Augenblicke, die uns noch übrig sind, dazu anzuwenden, daß ich die verschiedenen Belohnungen der geselligen Pflicht nahmhaft mache, deren Erwartung immer als ein fremdartiger Zusatz zu betrachten ist, durch welche die Uneigennützigkeit des Bewegungsgrundes, der uns dazu antrieb, verunreiniget wird. Die erste, deren ich erwähnen will, ist die Wiedererstattung von derselben Art. Dies ist eigentlich die Bezahlung für eine geliehene Hülfe, eine Erwiederung durch deren Erwartung, wie der Erlöser in den Worten unsers Textes erklärt, die Hülfleistung selbst aller Ansprüche auf den Ruhm wahrer Menschenliebe verlustig geht. Wer eine Summe Geldes | verleiht, die er jetzt grade nicht zu brauchen weiß, und für die er keine Gefahr zu laufen fürchtet, der macht von selbst keine Ansprüche auf diese Tugend; er sagt bescheiden, er habe einem Freunde ausgeholfen, und sieht sich selbst gar nicht dafür an, eine Handlung der Menschenliebe verrichtet zu haben. Aber es giebt mehrere Arten unter der Erwartung einer gleichen Erwiederung etwas mitzutheilen, wobey man öfters auf das Verdienst einer reinen Menschen10–13 Vgl. 1Kor 13,13

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It frequently happens, that one man performs a piece of service for another, without requiring any return from him, or perhaps entertaining, at the moment, any clear and distinct idea of what it is that he expects from him; yet under the influence of a secret, uncertain, and confused feeling, that, in serving him, he secures a friend; that the assistance, which he now lends, may, in some way or other, at some future period, be repayed; without considering this sensation as in any degree deducting from the generosity of his | conduct. He who contributes towards a fund for a particular description of necessity, under which himself may possibly, or perhaps probably, hereafter fall, and who is influenced in his contribution principally, if not solely, by this consideration, will sometimes compliment himself upon an act of sincere benevolence. And he who in the days of his prosperity bestows what he is able to spare, without subjecting himself to the slightest inconvenience, and who is wholly, or chiefly, induced to do it by the idea, that such a conduct renders it more likely, that himself shall be assisted in similar situations of need to that he now relieves, in which the whirls of life may some time or other throw him, shall not unfrequently take to himself the praise of pure humanity, and honest mercy.

As such commutations as these, though accompanied with such secret expectations, do not wear the form of a loan; as they are unattended by stipulation; as the prospects, by which they are prompted, are founded upon uncertain calculation, and not built upon stable promise; a door is left open for the admission of an idea into a mind desirous of being deceived upon this subject, that they are | acts of disinterested goodness; although it is manifest, that, so far as such expectations, upon whatever ground erected, have an actual share in producing them, they no more partake of the spirit of charity, than the act of giving on the express condition of a return.

The last motive I mentioned to the performance of friendly offices, the desire to engage the gratitude and esteem of mankind to return to us the mercy we shew, when we may be in want of it, it has been common for moral writers to urge as an argument for the discharge of the social duties. Considered as a small dust, Wisdom may

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liebe Anspruch macht, ohne dazu mehr Grund zu haben, als in dem Fall eines buchstäblichen Darlehns. Sehr oft geschieht es, daß Jemand einem Andern einen Dienst leistet, ohne eine Erstattung dafür von ihm zu verlangen, ja ohne in demselben Augenblick eine klare und bestimmte Idee davon zu haben, was er eigentlich von ihm dafür erwarte; aber er handelt dennoch unter dem Einfluß eines geheimen, unbestimmten und dunkeln Gefühls, daß er sich, indem er ihm dient, einen Freund sichert, daß die Hülfe, die er jetzt leistet, ihm auf irgend eine Art einmal wieder geleistet werden kann, und er glaubt nicht daß dieses Gefühl der Uneigennützigkeit seines Betragens den geringsten Abbruch thue. Wer zum Behuf einer Stiftung für den Fall irgend eines besondern Unglücks, welches ihn möglicher, vielleicht gar wahrscheinlicher Weise auch einmal treffen kann, etwas beyträgt, der wird sich, obgleich diese Betrachtung vorzüglich wo nicht ganz allein seinen Beytritt bewirkt hat, dennoch nicht selten rühmen, aus auf|richtigem Wohlwollen gehandelt zu haben. Wer in den Tagen seines Glücks so viel verschenkt, als er nur immer erübrigen kann, ohne nemlich sich selbst der geringsten Unbequemlichkeit auszusetzen, und dazu lediglich oder doch vornemlich durch den Gedanken bewogen wird, ein solches Betragen mache es wahrscheinlicher, daß man auch ihm beystehen werde, wenn die Wirbel des Lebens ihn einmal in die dürftigen Umstände schleudern, denen er jetzt bey Andern abhilft, der wird sich demohnerachtet gewöhnlich den Ruhm einer reinen Menschenliebe und einer tugendhaften Mildthätigkeit zueignen. Da solche Dienstleistungen nicht das Ansehn eines Darlehns haben, ob sie gleich von diesen geheimen Erwartungen begleitet sind; da kein Vertrag darüber abgeschlossen wird, und überhaupt die Aussichten um derentwillen man gehandelt hat, auf ungewisse Berechnungen und nicht auf ein festes Versprechen gebaut sind: so bleibt in einem Gemüth, welches sich über dergleichen Dinge zu hintergehen wünscht, dem Gedanken, daß dies Handlungen der uneigennützigen Güte waren, immer eine Thür offen, ob es gleich offenbar ist, daß wenn solche Erwartungen, gleichviel auf welchen Gründen sie beruhen, an ihrer Entstehung einen thätigen Antheil haben, von dem Geist der wahren Menschenliebe nicht mehr in ihnen enthalten seyn kann, als in jeder Handlung, wo unter der ausdrücklichen Bedingung einer gewissen Wiedererstattung etwas gegeben wird.| Diese letzterwähnte Absicht bey der Uebernehmung freundschaftlicher Dienste – der Wunsch nemlich, die Dankbarkeit und Achtung der Menschen zu gewinnen, damit sie uns die Güte, die wir gegen Andere bewiesen haben, erwiedern mögen, wenn wir in den Fall kommen, ihrer zu bedürfen – diese ist von moralischen Schriftstellern sehr

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admit it into her balances, when weighing the arguments for cultivating the virtuous character; but that character is not to be considered as cultivated, while virtuous actions continue to be prompted by the expectation of this reward. Any mixture of this motive is so much corruption of the purity of goodness.

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The same may be said of the hope of the happiness of heaven, any farther than the happiness of it is considered as consisting in that kind of enjoyment, in the prospect of | which none but generous natures are able to rejoice. The joyful expectation of any other happiness beyond the grave, than that which is to result from congeniality with generous company, the operation of kind affections, the contemplation of divine Goodness, and immortal co-operation with it in the production of eternally accumulating happiness in the creation, the prospect of any other felicity than this in a future state, neither proves virtue, nor has any tendency to produce it. He who prepares for heaven, considered merely as a seat of local, mechanical, or sensual enjoyment, and whose charity, in consequence of this conception, continues, through the whole of his life, to be nothing more than manual motion, is as far out of his road to the country he seeks, as the man who lends, to receive as much again in this world.

Reputation is another return of good actions, the prospect of which, when admitted to a share in the inducement to do good, is to be regarded as an extraneous admixture, and as diminishing the purity of the motive, in proportion to its dependence upon this contribution to it. The world’s good word is certainly to be numbered among | its blessings. It is justly dear to every man. He that made us meant that it should be so. It is introduced by all moral writers and religious teachers into their enumerations of the temporal rewards of virtue. The love of it, when moderately indulged, is an innocent passion. When it is employed to animate us in the pursuit of a higher principle of action, it is an useful passion: but it possesses no claim to the appellation of a virtuous principle. So far from this, that to act solely, or even principally, from a regard to reputation, is not only not to proceed in our path to pure benevolence, but to go out of our way. It

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oft als ein Bewegungsgrund zur Erfüllung der geselligen Pflichten angeführt worden. Die Weisheit kann diese Rücksicht vielleicht als ein kleines Stäubchen mit in ihre Wage legen, wenn sie die Gründe abwägt, die uns bewegen sollen, einen tugendhaften Charakter in uns zu bilden, aber man kann nie sagen, daß dieser Charakter wirklich gebildet ist, so lange tugendhafte Handlungen nur durch die Erwartung eines solchen Lohns hervorgebracht werden. Jede Beymischung eines solchen Bewegungsgrundes verdirbt um eben so viel die reine Güte der Handlung. Dasselbe kann man von der Hoffnung auf die Glückseligkeit des Himmels sagen, sobald man glaubt, daß diese Glückseligkeit noch in etwas anderm bestehe, als in einer solchen Art des Genusses, worauf nur edlen Gemüthern die Aussicht recht erfreulich seyn kann. Die freudige Erwartung irgend einer andern Glückseligkeit jenseit des Grabes, als der, welche aus unserer Verwandtschaft mit den vortreflichsten Geistern, aus der Wirksamkeit unserer edelsten Neigungen, aus der Betrachtung der göttlichen Güte, und aus der immerwährenden Thä|tigkeit hervorgehn wird, mit welcher auch wir zu der Hervorbringung jener ewig wachsenden Glückseligkeit der Schöpfung wirksam seyn werden – die Aussicht, sage ich, auf irgend eine andere Glückseligkeit, als diese, in einem künftigen Zustande, kann weder ein Beweis für das Daseyn der Tugend seyn, noch irgend etwas beytragen, um sie zu befördern. Wer sich für den Himmel zubereitet in dem Gedanken, daß er der Sitz eines mechanischen, sinnlichen auf Ortsverhältnissen gegründeten Genusses seyn werde, und dessen Menschenliebe also diesem Begriff zufolge sein ganzes Leben hindurch nichts anderes ist als Handarbeit, der ist von dem Wege zu dem Lande, welches er sucht, eben so weit entfernt, als der, welcher leiht um schon in dieser Welt eben soviel zurückzuempfangen. Der gute Ruf ist eine andere Belohnung für gute Handlungen, und wenn die Rücksicht darauf auch das ihrige gethan hat, uns zum Gutes thun zu bewegen, so ist auch das als ein fremder Zusatz zu betrachten, und verringert die Reinigkeit des Bewegungsgrundes in eben dem Verhältniß, als seine Wirksamkeit von diesem Zusatz abhing. Guter Name unter den Menschen gehört gewiß zu den Segnungen dieses Lebens. Er ist mit Recht einem Jeden werth. Unser Schöpfer wollte, daß es so seyn sollte. Alle moralischen Schriftsteller und alle Religionslehrer führen ihn mit auf, wenn sie die zeitlichen Belohnungen der Tugend aufzählen. Wenn wir dem Bestreben danach die gehörigen Schranken | setzen, so ist es eine unschuldige Leidenschaft. Bedienen wir uns ihrer um unsern Eifer in der Befolgung höherer Grundsätze 27 anderes] anders

34–35 Guter Name] Kj Ein guter Name

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is to wander wide of the point to which we ought to set our face. It is to cherish pride; and the east is not farther from the west, the centre is not more distant from the sun, than pride from honest and generous goodness.

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The love of reputation, as it is pure from the grossness of sensuality, as it is a spiritual and refined appetite, as it discovers a true taste in the choice of ornament, and pays a compliment to the loveliness of virtue, imposes upon the imagination, and leads it to look upon it as itself possessing that beauty of virtue, of which it thus implies the discern|ment. But certain it is, that the love of fame, of whatever kind, whether literary, or political, or military, or moral, is equally unentitled to the name of a virtuous or generous passion. Restrained within proper bounds, its utmost merit is no more than that of innocence. Although, while he holds fast in his contemplation, and continually keeps his aim directed to disinterested goodness, a beginner in the school of charity may be allowed to spur himself on by the prospect of human esteem and love; yet, if he allow the love of praise to mingle itself with his motive beyond a temperate proportion, it will, to that degree in which he admits the excess of it, not only adulterate his present virtue, but render him so much the longer in attaining to true social, purity and refinement. It will feed that pride, which, of all the modifications of selfishness, is the most unfriendly to generosity; and make him languid in that discharge of his duty, upon which the world is not looking the while. There is another reason, which renders it unwise in us to suffer our virtue, even in its most infant and feeble stage, to hang and | depend too much upon the praise of men. It is an unfaithful prop: it will sometimes give way: we shall come to the ground with a violence proportioned to the stress we laid upon it: the fall will damp our resolution; put us out of humour with a virtuous life; and tempt us to have nothing more to do with a character, which cannot secure the approbation it deserves. In proportion to the necessity we allow ourselves to feel of this kind of encouragement in the path of virtue, will be, of consequence, our discouragement when it fails. And fail it often will, in such a world as this. He that hopes to keep his heart,

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zu beleben, so ist sie eine nützliche Leidenschaft, aber auf den Namen einer sittlichen Triebfeder kann sie keinen Anspruch machen. Sie ist so weit davon entfernt, daß vielmehr derjenige, der allein oder auch nur vornemlich um der Ehre willen handelt, nicht nur keine Fortschritte macht auf dem Wege zum reinen Wohlwollen, sondern denselben vielmehr ganz verläßt. Das heißt weit von dem Punkt abweichen, auf welchen wir unser Augenmerk richten sollten. Das heißt Stolz bey sich hegen, und der Abend ist nicht weiter von dem Morgen, die Erde ist nicht ferner von der Sonne, als der Stolz von tugendhafter und uneigennütziger Güte. Da die Ehrliebe von grober Sinnlichkeit frey und eine geistigere und feinere Begierde ist, da sie einen richtigen Geschmack in der Wahl ihres Schmuckes zeigt, und der Liebenswürdigkeit der Tugend huldiget, so gewinnt sie die Einbildungskraft und verleitet sie, an ihr selbst jene Schönheit der Tugend zu finden, für welche sie so viel Sinn verräth. Aber es ist gewiß, daß die Ruhmbegierde, sie sey nun wissenschaftlich oder politisch oder militairisch oder moralisch, den Namen einer tugendhaften Neigung eben so wenig verdient, als den einer uneigennützigen. Es kann zwar dem Anfänger in der Schule der Menschenliebe, wenn er nur die uneigennützige | Güte fest im Auge behält, und nach diesem Ziel immerfort hinstrebt, erlaubt seyn, sich durch die Aussicht auf die Achtung und Liebe der Menschen noch mehr anzuspornen; läßt er aber zu, daß die Liebe zum Ruhm sich in einem zu starken Verhältniß unter seine Bewegungsgründe mischt, so wird nicht nur für jetzt seine Gesinnung um so viel verfälscht, als von jener zu viel darin ist, sondern es währt auch um so länger, ehe er zu einer völlig geläuterten und reingeselligen Tugend gelangt. Er wird den Stolz nähren, der edlen Gesinnungen nachtheiliger ist, als jede andere Aeußerung der Eigenliebe, und er wird immer nachläßig seyn in der Erfüllung derjenigen Pflichten, auf welche die Welt jetzt eben nicht hinsieht. Es giebt aber noch einen andern Grund, warum es unweise ist, zu leiden, daß unsre Tugend selbst auf der untersten Stufe der schwachen Kindheit zu sehr von dem Lobe der Menschen abhänge. Dies ist nemlich ein treuloser Stab; er giebt bisweilen nach, und dann fallen wir mit desto größerer Gewalt zu Boden, je fester wir uns darauf gestützt hatten. Der Fall erschüttert unsern Entschluß, verleidet uns das tugendhafte Leben, und benimmt uns die Lust, uns um einen Charakter zu bemühen, welcher sich doch den Beyfall nicht sichern kann, den er verdient. Je mehr wir uns also diese Art von Aufmunterung auf 13 Schmuckes] Schmu/kes

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must not expect to keep his name unspotted from it. He must not dream, whatever inward purity he may possess, that his fame will be able to preserve its whiteness perfectly unpolluted, and completely escape the dirt, which Calumny is continually scattering round her. Some particles of it, at some time or other, every man must expect to fall upon him. The cruel and the cunning will often enter into a confederacy against the excellent of the earth, to answer some base and sinister purpose or other. They will represent the most innocent and vir|tuous men in false colours, and find but too ready credit to their tales from a but too credulous world. Those actions, in which we have done ourselves the most honour, and upon which conscience looks with most complacency, may sometimes be the means of drawing down upon our heads the censures of ignorant, and misjudging man. From an unfortunate and singular arrangement of circumstances, our most amiable conduct will sometimes, perhaps, present to the spectator a suspicious face. Ignorance of our motives, opposite sentiments of propriety, religious prejudices, and illiberal views of virtue, must sometimes be expected to expose to blame our most blameless deeds. We must prepare to hear our harmless gaiety called, by the superstitious, guilt; and to have our little indiscretions magnified into crimes, by microscopic critics of moral merit, who attend only to “commas and points” in conduct, and have no eye for the great and generous strokes of character. We must make up our minds to see many around us, whom we know to be knaves, cloaking themselves in plausible manners, and cheating the world of its good opinion.— All this is no doubt discouragement; discouragement which a social nature | cannot fail to feel; but we must endeavour to rise above it; to render ourselves as independent upon human praise as possible; to be able to do well without it. It is a cordial, and it is a pleasant cordial; but healthy and hardy minds have ardour enough within them, to stimulate them to generous duty, even when denied a single drop of it. When the bleakest winds of abuse are blowing upon them; when the keenest tempest of reproach is pelting them; they can push on in the teeth of the storm, and derive a noble heat from their own exertion.

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dem Pfade der Tugend zum Bedürfniß werden lassen, desto größer wird unsre Muthlosigkeit seyn, wenn sie außen bleibt. Und sie wird | in einer Welt wie diese oft außen bleiben. Wer auch hofft sein Herz von der Welt unbefleckt zu erhalten, darf doch nicht erwarten, daß sein N a m e es auch bleiben wird. Niemand, wie vollkommen er auch innerlich rein sey, darf sich einbilden, daß auch seine Ehre ihr glänzendes Weiß unbefleckt hindurch bringen, und dem Staube ganz und gar entgehen werde, den die Verleumdung immerfort um sich her wirft. Jedermann muß erwarten, daß ihn bisweilen etwas davon treffen wird. Die Grausamen und die Listigen treten oft in ein Bündniß gegen die Vortreflichsten auf der Erde, um irgend einen niedrigen oder verderblichen Endzweck zu erreichen. Sie stellen die unschuldigsten und tugendhaftesten Menschen in einem falschen Lichte dar, und finden mit ihren Erzählungen nur zu viel Eingang bey einer allzuleichtgläubigen Welt. Eben die Handlungen, um derentwillen wir selbst uns am meisten ehrten, auf welche unser Gewissen mit dem meisten Wohlgefallen sah, sind bisweilen die Veranlassung uns den Tadel unwissender und schiefsehender Menschen zuzuziehen. Durch ein unglückliches und sonderbares Zusammentreffen der Umstände kann bisweilen das liebenswürdigste Betragen für den Zuschauer ein verdächtiges Ansehn haben. Unbekanntschaft mit unsern Bewegungsgründen, entgegengesetzte Empfindungen über das Schickliche, religiöse Vorurtheile, eingeschränkte moralische Ansichten werden bisweilen, dies ist zu erwarten, an unsern tadellosesten Handlungen etwas auszusetzen wissen. | Wir müssen uns darauf gefaßt halten, unsere harmloseste Fröhlichkeit von den Abergläubigen als ein Laster verschreien zu hören, und unsre geringfügigsten Unbedachtsamkeiten zu Verbrechen vergrößert zu sehn von jenen kleinlichen Sittenrichtern, welche nur auf die Punkte und Komma des Betragens sehen, und für die großen edlen Züge des Charakters keine Augen haben. Wir müssen uns darauf vorbereiten zu sehen, daß manche um uns her, die wir als schlechte Menschen kennen, sich in löbliche Sitten verhüllen, und die Welt um ihre gute Meinung betrügen. Dies alles sind ohne Zweifel Bitterkeiten, Bitterkeiten die eine gesellige Natur nicht umhin kann zu fühlen; wir müssen aber suchen uns darüber zu erheben, uns so sehr als möglich von Menschenlob unabhängig zu machen, und fähig zu werden, auch ohne dasselbe Gutes zu thun. Es ist eine Stärkung und eine sehr liebliche Stärkung, aber feste und gesunde Gemüther müssen Kraft genug in sich haben, um alle höhere Pflichten auszuüben, wenn ihnen auch selbst ein einziger Tropfen davon versagt wird. Wenn die schauerlichsten Winde der Schmähung sie umwehen, wenn die rauhesten Stürme 28–29 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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Let him, then, who, in order to preserve his social uprightness, while yet in its tottering and unestablished state, allows it to lean upon the love of praise, take care that it lean as lightly as possible upon it. While his virtue stays itself upon this staff, let the pressure of its dependance be as slight as may be. Nor, while he permits it to seek this support, let him for a moment lose sight of the idea, that, in proportion to the assistance which social virtue requires from this passion, is the degree of its feebleness and infancy; and that it is then only mature, and free from infirmity, when it is able to walk alone, and to stay itself upon its own strength. To him, | whose spirit, is most public, reputation is doubtless dear. He is not robbed of it without bitterly regretting its loss. The fabrications of calumny fail not to diffuse the redness of resentment over his kindled face. He refutes the infamous slander with all the force of indignant truth. He is solicitous to banish from every bosom round him the slightest suspicion that is injurious to his honour. But while he thus discovers his attachment to his good name, when his attention is thus called to it, that is not the object to which he looks, in his performance of generous actions. His single impulse to the performance of them is his perception of their eternal rectitude, is his zeal for the welfare of society. And, in those moments in which reputation presents itself to his mind, it is chiefly dear to him, not for its own sake, not considered as incense to the sense of honour, but upon account of its necessity to the continuation of his intercourse with those virtuous characters, along with whom his love of virtue leads him to delight to associate; and more especially, upon account of its connexion with that success of his endeavours to serve society, in his solicitude concerning which his virtue consists. His love of good name is not so much | the love of his own credit, as of other’s company; it is not the love of admiration, but of man; not an appetite for praise, but an aspiration after utility; it is, in such a breast as his, rather a public, than a private passion.

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der Vorwürfe um sie toben; so können sie dem Ungewitter ins Angesicht immer fortgehen, und sich in eine edle Gluth versetzen durch ihre eigene Bewegung. Wer also seiner geselligen Tugend, so lange sie noch wankend und unbefestigt ist, um sie zu bewahren, erlaubt sich an die Liebe zum Lobe anzulehnen, | der sorge wenigstens dafür, daß sie sich so leise als möglich daran lehne. Er lasse sie nicht mit ihrem ganzen Gewicht auf diesen Stab drücken, so lange sie ihn braucht, sondern mit so wenig Kraft als möglich. Und so lange er ihr noch erlaubt, diese Stütze zu suchen, verliere er das nie aus den Gedanken, daß die gesellige Tugend immer um desto schwächer und kindischer ist, je mehr sie noch des Beystandes dieser Leidenschaft bedarf, und daß sie erst dann reif, und von aller Kränklichkeit genesen ist, wenn sie fähig ist allein zu gehn, und sich durch ihre eignen Kräfte aufrecht zu erhalten. Wer von Gemeingeist durchaus beseelt ist, dem ist sein guter Ruf ohne Zweifel theuer. Man kann ihm nichts davon rauben, ohne daß er den Verlust bitter beklagte. Wenn die Verläumdung etwas gegen ihn geschmiedet hat, verbreitet sich die Röthe des Unwillens über sein glühendes Angesicht. Er widerlegt das schändliche Mährchen mit aller Kraft der gereizten Wahrheit. Er ist eifrig beflissen aus jeder Brust auch den leichtesten Verdacht, der für seine Ehre kränkend seyn könnte, zu entfernen. Aber so viel Eifer für seine Ehre er auch zeigt, wenn seine Aufmerksamkeit so darauf hingerichtet wird, so ist sie doch nicht der Gegenstand, auf welchen er hinblickt, indem er edle Handlungen verrichtet. Um diese auszuüben bedarf er keines andern Antriebes, als seiner Einsicht in ihre innere Vortreflichkeit, und seines Eifers für die Wohlfahrt der Gesellschaft. Und selbst in diesen Augenblicken, wo er für seinen Ruf | sorgen muß, ist er ihm nicht um sein selbst willen vorzüglich theuer, nicht als ein Weihrauch für sein Ehrgefühl, sondern wegen seiner Notwendigkeit um mit den tugendhaften Seelen verbunden bleiben zu können, an deren Umgang seine eigene Liebe zur Tugend so viel Vergnügen findet, und noch mehr deswegen, weil der gute Erfolg seiner Bemühungen für das Beste der Gesellschaft – und in dem Werth den er darauf legt, besteht ja seine Tugend – so sehr davon abhängt. Er liebt seinen guten Namen, nicht weil ihm sein eignes Ansehn, sondern weil ihm die Gesellschaft Anderer werth ist; nicht weil er das Bewundertwerden, sondern weil er die Menschen liebt; nicht weil ihn das Lob kitzelt, sondern weil er nach Nützlichkeit strebt: kurz die Ehrliebe ist in einem solchen Gemüth mehr eine gesellige, als eine eigennützige Leidenschaft. 9 wenig] weniger

19 Mährchen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 325–326

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Considering reputation and virtue as intimately connected, we are apt to confound the love of the former, for its own sake, along with the love of the latter. But as the things themselves are not inseparable, like the substance and the shadow, but are frequently disjoined, so these two attachments are not only perfectly distinct from each other, but not unfrequently come into competition together, so as to make it necessary for us to sacrifice either the one or the other. The virtuous man is often called voluntarily to encounter calumny, and to look odium in the face. In public life, the patriot is frequently under a temporary necessity of resigning his popularity, if he would retain his patriotism; of denying himself the applause, if he would promote the welfare, of his country. In private life, it has been sometimes necessary for him, who would accomplish a generous purpose, to submit, for a season, to be suspected even of baseness, by those whose good opinion was the dearest to him. In such instances as | these, the regard to good name becomes a temptation to criminal omissions of duty. There are others, in which it prompts to positive crimes; in which it impels him, who is governed by it, to comply with the opportunity, which sometimes presents itself, of preserving his own character at the expence of another’s. The love of reputation, then, is so far from being itself virtue, as often to lead to vice.

Another reward of good actions, to enumerate no more, the prospect of which has no place in the impulse of a pure and perfect Charity to works of goodness and mercy, is the gratitude of those in whose service they are performed. By gratitude, in this place, I mean the least that can be meant by the term. I limit the word to the s e n s e of benefits conferred, without taking in the idea of any ret urn to them. By gratitude, in this place, I intend merely a sentiment, not a service. I consider that expectation of it, which I wish you to look upon as excluded from all participation of the virtue of charity, as confining itself to the inward feeling of gratitude, without looking for any other outward acknowledgment of it, than that of the lips or | the looks, and forbearance from injurious requital.

Those who are prompted by the prospect of so slender a return to the practice of beneficence, are, no doubt, to be regarded as the most reasonable and moderate of all who seek for the rewards of

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Wenn wir so guten Ruf und Tugend in ihrer genauen Verbindung betrachten, kann es leicht geschehen, daß wir die Liebe zu dem ersten um sein selbst willen, mit der Liebe zur letztern verwechseln. Aber so wie die Gegenstände selbst nicht so unzertrennlich sind, wie der Körper und sein Schatten, so sind auch diese beyden Neigungen nicht nur gänzlich von einander unterschieden, sondern sie kommen auch nicht selten in Streit mit einander, so daß wir nothwendig eine oder die andere aufopfern müssen. Der Tugendhafte wird oft aufgefordert sich freywillig der Verläumdung bloß zu stellen, und dem Haß ins Angesicht zu sehen. Im Dienst des Staats | ist der Patriot oft in der Nothwendigkeit seine Popularität auf eine Zeitlang freywillig aufzugeben, um seiner Vaterlandsliebe treu zu bleiben; und sich den Beyfall seines Volkes zu versagen, um das Beste desselben befördern zu können. Im Privatleben muß der, welcher einen uneigennützigen Endzweck erreichen will, es oft ertragen, daß gerade diejenigen ihn eine Zeitlang im Verdacht der Niederträchtigkeit haben, an deren guter Meinung ihm am meisten gelegen ist. Wer unter solchen Umständen auf seinen guten Namen Rücksicht nehmen will, kommt in Versuchung seine Pflicht auf eine strafbare Weise zu vernachläßigen. Es giebt andere Umstände, unter denen die Ehrliebe zu wirklichen Verbrechen Veranlassung giebt, indem sie den, welcher sich von ihr beherrschen läßt, antreibt, seinen eignen guten Ruf, der oft nicht anders gerettet werden kann, wenn die Gelegenheit sich darbietet auf Unkosten der Ehre eines Andern zu erhalten. Die Ehrliebe ist also so weit davon entfernt, selbst Tugend zu seyn, daß sie vielmehr oft zum Laster verleitet. Endlich noch eine andere solche Belohnung guter Handlungen – denn mehrere will ich nicht anführen, – deren Erwartung keine Triebfeder zu Werken der Güte und Mildthätigkeit seyn darf, wenn die Liebe rein und vollkommen seyn soll, ist die Dankbarkeit derer für deren Bestes wir etwas gethan haben. Ich verstehe hier unter Dankbarkeit das wenigste was man darunter verstehen kann. Ich schränke das Wort ein auf die bloße Anerkennung | der erwiesenen Wohlthaten, ohne dabey an irgend eine Erwiederung zu denken. Ich verstehe also unter Dankbarkeit hier nur eine Gesinnung, und keinen wirklichen Gegendienst. Ich wünsche die Ansicht mitzutheilen, daß selbst die Erwartung dieses innern Dankgefühls, welches gar keine äußern Erweisungen hat als Worte, Blicke, und eine sorgfältige Vermeidung alles kränkenden und unangenehmen, daß selbst diese Erwartung keinen Anspruch darauf machen darf, zur wahren Menschenliebe zu gehören. Diejenigen, welche schon durch die Aussicht auf eine so unbedeutende Erwiederung zur Ausübung der Wohlthätigkeit bewogen werden, muß man allerdings als die Vernünftigsten und Gemäßigsten un-

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goodness without itself. The language of them who, in doing good, look to this recompense, has certainly much of temperance and of modesty in it. “The good word of every one is not to be expected, in such a world as this; but let them at least speak well of me, to whom I have acted well. Service in return, I do not require of them. I ask for nothing more, than the entertainment of a proper sense of the kindness I have shown them. At least, let them abstain from doing me harm. Whoever injures me, I have a right to expect, that they should not lay the lightest of their fingers upon so much as a single hair of my head. To whosever injustice I stand exposed, I must have surely averted theirs.”—Such expectations are certainly moderate, whether they be well or ill grounded. And when such persons receive injurious treatment in return for their friendly offices, it is not sur|prizing, that their complaint is heavy. Ingratitude is a manypointed sting. I do not wonder, that the accusation of it is made with much bitterness of expression. “Let Death seize upon them, and let them go down quick into hell.” But, in the absence of all expectations, and previous reflections of this nature, it is the part of a perfect goodness, to do good to all to whom it has opportunity, without thinking of any thing but the rectitude of so doing, and the welfare of them to whom it is done. And, when from them to whom it has thus acted, it meets with opposite conduct, it is principally hurt, upon their account; it sighs to see, in the object of its generosity, so much insensibility to examples of goodness, as the return of evil for it discovers, and so wide an estrangement from happiness, as such insensibility implies.

The case of those persons does not come under my present consideration, who while they act unjustly in their general commerce with society, expect the love and the praise of the few upon whom they confer benefits. The expectations of such are glaringly and extravagantly unreasonable. None but a good man deserves to be loved or praised by | any man. He who says of a bad man, whom he knows, and whom all that know him know, to be a bad one, “I have reason to speak well of him, for he has been kind to me,” utters detestable falsehood, and discovers a base disposition.

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ter denen ansehn, welche den Lohn der Güte suchen, und nicht sie selbst. Die Sprache derer, welche beym Gutesthun nur auf diese Belohnung sehen, hat gewiß etwas sehr bescheidenes und gemäßigtes an sich. „Man kann nicht verlangen in einer Welt wie diese von allen Menschen gut beurtheilt zu werden; mögen also wenigstens die günstig von mir reden, denen ich Gutes gethan habe. Gegendienst verlange ich von ihnen nicht. Ich fordere nichts, als daß sie das gehörige Gefühl von der Güte, die ich ihnen erzeigt habe, bey sich unterhalten. Mögen sie sich wenigstens enthalten mir Leides zu thun. Wer mich auch sonst beleidige, so glaube ich wenigstens mit Recht erwarten zu können, daß sie auch nicht ein Haar meines Hauptes mit einem ihrer Fin|ger schmerzlich berühren werden. Wessen Ungerechtigkeit ich auch sonst ausgesetzt bin, vor der ihrigen muß ich doch sicher seyn.“ – Diese Erwartungen sind gewiß mäßig, sie mögen nun gut oder übel gegründet seyn. Und wenn solche Personen zur Vergeltung für ihre freundschaftlichen Dienste eine kränkende Behandlung erfahren müssen, so ist es nichts überraschendes, wenn sie in heftige Beschwerden ausbrechen. Die Undankbarkeit ist ein vielschneidiges Schwerdt, und ich wundere mich nicht, wenn die Klage darüber mit den bittersten Ausdrücken angefüllt ist. „Der Tod müsse sie ergreifen, und sie müssen schnell hinunterfahren in die Grube.“ Aber der vollkommnen Güte geziemt es gar keine Erwartungen zu hegen, gar keine Ueberlegungen dieser Art vorher anzustellen, und jedem Gutes zu thun, den die Gelegenheit herbeyführt, ohne an etwas anders dabey zu denken, als an die Pflichtmäßigkeit so zu handeln, und an die Wohlfahrt derer, denen man Gutes thut. Erfährt sie dann von denen, gegen welche sie so zu Werke gegangen ist, ein entgegengesetztes Betragen, so kränkt sie das vorzüglich um jener willen; sie beseufzt es, daß sie bey denen welche die Gegenstände ihres Edelmuths gewesen sind, so viel Unempfindlichkeit gegen Beyspiele der Güte wahrnehmen muß, als dazu gehört, um Gutes mit Bösem zu vergelten, und noch überdies so wenig Empfänglichkeit für wahres Glück, als diese Gefühllosigkeit andeutet.| In welchem Fall sich diejenigen befinden, die im allgemeinen in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen ungerecht handeln, und doch Liebe und Lob von den Wenigen erwarten, denen sie Wohlthaten erwiesen haben, das gehört nicht für die gegenwärtige Betrachtung. So etwas zu erwarten ist übermäßig und in die Augen springend unvernünftig. Niemand als ein rechtschaffner Mann verdient von irgend 9 Leides] leides

27 ist,] ist

20–21 Ps 55,16 (nach der englischen Textfassung KJB Ps 55,15)

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I am supposing the situation of those, the whole of whose outward conduct is fair; who profess to be cultivating a virtuous character; who possess a portion of virtuous spirit; but who suffer, without suspecting the deduction which it makes from the sincerity of their social virtue, the pleasure they have in being looked upon with grateful eyes, and saluted by thankful lips, to constitute a large part of their motive to the performance of good actions. A grateful sense of the favours it confers is an encouragement to confer them, that is wanted by imperfect goodness. But it is in the power of man, and it is the perfection of virtue, to do good without it. A disinterested, glowing, christian generosity, is able to proceed like Heaven, in its honourable career, without the cheerings of human gratitude.| 139

To do good m e r e l y to enjoy the pleasure of being thanked for doing it, is certainly to act from a principle purely selfish. And, though it may appear to be a species of selfishness peculiarly refined, and singularly temperate, that looks only for the airy reward of words and sentiments; that, without expecting substantial service in return, is satisfied with unprofitable sensibility; and which asks of Gratitude no more than her blessing; yet, if we trace to its source the pleasure which he has in the grateful effusion of bis beneficiaries, who does good solely for the sake of that pleasure, we shall find that it has its rise in pride. A truly generous man is principally pleased to contemplate the gratitude of those upon whom he bestows benefits, in proportion as he has reason to consider it, not as the tribute of a selfish mind to himself, but of a sensible mind to the beauty of Goodness. He has a truly generous delight in finding his fellow-creatures grateful for his kindness to them. It makes them more amiable in his eyes; and he

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jemand geliebt oder gelobt zu werden, und wer von einem schlechten Menschen, den er und alle, denen er bekannt ist, dafür anerkennen, sagen kann: ich habe Ursach gut von ihm zu sprechen, denn er hat sich gütig gegen mich gezeigt, der zeigt selbst eine verabscheuungswürdige Falschheit und ein sehr niedriges Gemüth. Ich sehe vielmehr nur solche Personen voraus, deren äußeres Betragen durchaus rechtlich ist, die es beweisen, daß sie nach einem tugendhaften Charakter streben, die sich schon einen Theil dieser Gesinnung zu eigen gemacht haben, die aber ohne zu argwöhnen, daß das der Aufrichtigkeit ihrer geselligen Tugend Eintrag thue, dem Vergnügen, welches sie dabey empfinden, wenn sie mit dankbaren Augen angesehn, und von dankbarn Lippen begrüßt werden, unter ihren Bewegungsgründen bey der Vollbringung guter Handlungen eine sehr wirksame Stelle einräumen. Die dankbare Anerkennung erwiesener Gunstbezeugungen ist eine Aufmunterung, deren die unvollkommene Güte sehr bedarf, wenn sie dergleichen | erweisen soll. Aber es steht in der Gewalt des Menschen, auch ohne sie Gutes zu thun, und dies ist erst die Vollendung der Tugend. Ein uneigennütziges, glühendes ächt christliches Wohlwollen ist im Stande, wie der Himmel selbst, in seiner ehrenvollen Laufbahn immer fortzugehn, ohne von der menschlichen Dankbarkeit angefeuert zu werden. Gutes thun, nur um das Vergnügen des Dankes, der dafür dargebracht wird, zu genießen, das heißt gewiß aus ganz eigennützigen Bewegungsgründen handeln. Eine Eigenliebe, die nur auf eine so luftige Belohnung als Worte und Empfindungen sind, hinsieht, die sich ohne wesentliche Gegendienste zu erwarten mit einem fruchtlosen Gefühl begnügt, und von der Dankbarkeit nichts fordert als ihren Segen, eine solche Eigenliebe kann zwar höchst verfeinert, und ganz vorzüglich mäßig zu seyn scheinen; aber wenn man das Vergnügen, welches derjenige, der nur um dieses Vergnügens willen Gutes thut, bey diesen Dankergießungen seiner Begünstigten empfindet, auf seine Quelle zurückführt, wird man doch immer finden, daß es seinen Grund im Stolze hat. Einem wahrhaft edeldenkenden Mann macht das Anschaun der Dankbarkeit derjenigen, denen er Wohltaten erwiesen hat, nur in so fern Vergnügen, als er Ursach hat, sie nicht sowohl als den Tribut anzusehn, den ein selbstsüchtiges Gemüth ihm selbst darbringt, sondern vielmehr als den durch welchen eine empfindsame Seele die Schönheit der | Güte überhaupt anerkennt. Er hat ein wahrhaft edles Wohlgefallen daran, seine Mitgeschöpfe dankbar für die ihnen erwie3–4 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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rejoices, upon their own account, that they are able thus to feel “how lovely virtue is.”| 140

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And as a good action performed merely for the pleasure of being regarded with gratitude possesses none of the spirit of charity, neither has it any tendency to give birth to it. In order to the production of this effect, in the performance of good offices, our principal motive, at the moment, must be, a desire to improve our natures; to render ourselves finally capable of deriving enjoyment from the contemplation and promotion of happiness itself; of making others’ pleasures ours; or, in the language of Scripture, of “rejoicing with them that do rejoice.” This is the spirit of happiness, and this is the essence of heaven. In order to attain to this temper, our acts of charity must be accompanied with an intense attention, at the time, to the intrinsic excellence and importance of the happiness we communicate. We must endeavour to enter as much as possible, into the sensations of those to whom we impart it; and thus while we are the givers, to become at the same time the receivers. By essaying this for some time, we shall certainly succeed in acquiring the spirit of which we wish to be.

And as doing good merely with a view to be thanked for it is neither generous, nor | the way to become so, neither is it the way to happiness. The more we render ourselves independent of this encouragement to benevolent conduct, the more we shall escape disappointment. Those who open their mind too much to the expectation of it, must be often disappointed. Goodness must expect frequently to meet ingratitude. We must prepare for it. There always were, there always will be, as long as our connexion with human society lasts, natures capable of playing the snake towards the bosom that cherished them with its generous warmth. It never was a rare thing, or is it now, to hear the parent complain of a thankless child; or the patriot of an ungrateful country; or the friend, of a faithless brother; or the patron,

9 others’] other’s

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sene Güte zu finden. Es macht sie liebenswürdiger in seinen Augen, und es freut ihn um ihrer selbst willen, daß sie so viel Sinn haben zu fühlen „wie liebenswürdig die Tugend ist.“ So wie nun eine gute Handlung, die nur in Hinsicht auf das Vergnügen dankbar dafür angesehn zu werden, verrichtet wird, von dem Geist der Menschenliebe gar nichts an sich hat, so kann sie auch nie dahin führen, ihn in uns hervorzubringen. Soll aus den guten Diensten, die wir andern leisten, diese Wirkung erfolgen, so muß in dem Augenblick selbst unser vorzügliches Augenmerk dahin gehn, daß wir wünschen unsre Natur zu vervollkommnen, daß wir uns endlich fähig machen wollen in der Betrachtung und der Beförderung der Glückseligkeit überhaupt einen eignen Genuß zu finden, Anderer Vergnügen zu unserm eignen zu machen, oder in der Sprache der Schrift „uns mit den Fröhlichen zu freuen.“1 Dies ist Sinn für Glückseligkeit, und dies ist auch das Wesen der Tugend. Um zu dieser Gesinnung zu gelangen, müssen wir mit jeder Handlung der Liebe auch eine angestrengte Aufmerksamkeit auf den Werth und die Wichtigkeit des Glücks, welches wir Andern mittheilen, zu verbinden suchen. Wir müssen uns bemühen, so viel möglich in die Empfindungen derer, für welche wir etwas | thun, einzudringen, und so, indem wir die Geber sind, zugleich die Empfänger zu werden. Versuchen wir dies eine Zeitlang, so wird es uns gewiß gelingen, uns die Gesinnung, welche wir wünschen, zu eigen zu machen. Und so wie ein solches Wohlthun, wobey es bloß auf den Dank abgesehen ist, weder selbst tugendhaft noch auch das Mittel ist es zu werden, so ist es auch nicht der Weg zur Glückseligkeit. Je unabhängiger wir uns von dem Einfluß solcher Aussichten auf unser wohlwollendes Betragen zu machen suchen, um desto weniger werden wir unsere Hoffnungen vereitelt sehen. Wer sein Gemüth diesen Erwartungen zu sehr überläßt, der muß oft getäuscht werden. Die Güte muß erwarten öfters der Undankbarkeit zu begegnen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Es gab immer Menschen, welche fähig waren, sich gegen den, der sie durch die tugendhafte Wärme seines Herzens erquickt hatte, wie die Schlange in der Fabel zu betragen, und es wird dergleichen geben, so lange unsere Verbindung mit der menschlichen Gesellschaft währt. Es war nie etwas seltnes, und ist es auch jetzt 1

Röm. 12, 15.

19 viel möglich] Kj viel wie möglich 3 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus James Buchanan: The first six books of Milton’s Paradise lost, rendered into grammatical construction, Edinburgh 1773, Seite 299; vgl. John Milton: Paradise lost, Buch 4, Zeile 848.

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of an unthankful dependant. “He that ate of my bread hath lift up the heel against me,” is an exclamation too familiar to our ears, to leave any foundation for our confidence, that we shall never have occasion to utter it. It is a painful one: the execration, that burst from David’s lips, is a proof how painful it was to him! It is our wisdom to take away the sting of such an experience, as far as it is possible to extract it, if such experience should await | us, by endeavouring to do good upon purer principles than the expectation of gratitude.

There are some offices of charity, to which only higher motives are capable of prompting us; which, if they be not done from such motives, cannot be done at all. Though the good they communicate is peculiarly substantial, they have little tendency to excite gratitude. They are c a l l e d thankless offices; that is their proverbial appellation. You may expect the hungry to thank you for your bread; you may expect the defamed to be thankful for your vindication; you may expect the opprest to bless you for protection; you may expect the uncertain and perplexed, in their secular affairs, to feel obliged to you for the advice, which guides them out of the labyrinth in which they were lost: but you have little reason to hope, that the indiscreet will return you thanks for faithful admonition, and for virtuous counsel; that the subjects of your authority will thank you, for the salutary restraint which may be necessary to their moral security; or that the vain and the proud will look upon you as their benefactor, for that faithful and honest representa|tion of their capacities, which, while it aims at their reputation and credit, discovers to them their imperfection and disqualification. He that renders services like these, which point to real welfare, but which give temporary pain, must not look for the glistening eye of gratitude, for the gush of speechless tears, for the burst of passionate acknowledgment. He must perform those of them which are rendered to his equals in years, and in station, with the utmost mildness of manner, and meet with a singularly happy and patient temper in his object, in order to escape the frown of displeasure. He must often content himself with being thought an enemy, while he is acting the part of a friend; and deemed impertinent or cruel, where he is, in the highest degree, generous and wise.

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nicht, einen Vater über ein undankbares Kind, einen Patrioten über ein undankbares Vaterland, einen Freund über die Treulosigkeit des andern, einen Patron über die Undankbarkeit seines Beschützten klagen zu hören. „Der mein Brodt aß, tritt mich mit Füßen,“2 das ist eine Klage, die zu häufig in unsere Ohren | schallt,| um uns auch nur die geringste Hoffnung übrig zu lassen, daß grade wir nie Gelegenheit bekommen würden sie ebenfalls auszustoßen. Es ist eine schmerzliche Klage; die Verwünschungen die wir von Davids Lippen vernehmen beweisen wie schmerzlich sie ihm gewesen seyn muß. Dieser Erfahrung ihren Stachel zu benehmen, uns von demselben, wenn sie unserer je wartet, zu befreyen, das ist also weislich gehandelt; und dies wird erreicht werden, wenn wir uns bemühen immer aus reineren Absichten Gutes zu thun, als um des Dankes willen, der sich erwarten läßt. Es giebt gewisse Werke der Liebe, zu denen wir nur durch höhere Bewegungsgründe angetrieben werden können, und die, wenn dergleichen nicht vorhanden sind, gewiß ungethan bleiben. Obgleich das Gute, was durch sie bewirkt wird, sehr wesentlich ist, so sind sie doch nicht sonderlich dazu geeignet Dankbarkeit zu erregen. Man nennt sie undankbare Dienste, und unter diesem Namen sind sie überall bekannt. Ihr dürft erwarten, daß der Hungrige euch für euer Brodt danken, daß der Verläumdete für eure Vertheidigung erkenntlich seyn, daß der Unterdrückte euch für euern Schutz segnen, und daß der, welcher in seinen weltlichen Angelegenheiten verlegen und unentschlossen ist, sich euch verpflichtet fühlen wird, für den guten Rath, der ihn aus dem Labyrinth, in welches er sich verloren hat, herausführt, aber ihr habt wenig Ursach zu hoffen, daß euch der Unbedachtsame auch Dank sagen wird | für eure wohlgemeinte Zurechtweisung, und euren tugendhaften Rath, daß die welche eurem Ansehn unterworfen sind euch danken werden für die heilsamen Einschränkungen, die vielleicht nothwendig sind um ihre Sittlichkeit zu sichern, daß euch die Eitlen und Stolzen als ihren Wohlthäter ansehn werden, wenn ihr ihnen eine offenherzige und treue Darstellung von ihren Fähigkeiten entwerft, wobey ihr freylich ihre Ehre und ihren guten Ruf beabsichtigt, aber ihnen zugleich ihre Unvollkommenheit und Untüchtigkeit aufdeckt. Wer solche Dienste leistet, die auf das wahre Wohlergehn abzwecken, aber einen vorübergehenden Schmerz verursachen, der muß sich nach dem glänzenden Auge der Dankbarkeit, 2

Ps. 41, 10.

8 Klage; die Verwünschungen] Klage die Verwünschungen; 38 KJB Ps 41,9

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There are other offices of kindness, in which, at least, a nice and delicate humanity suggests a concealment of the hand that performs them, by which all expressions of gratitude are necessarily precluded. When Indigence, from the recent remembrance of better days, is ashamed to beg, and even blushes to receive, Generosity, fearful of offending this infirmity, so natural to the fallen from inde|pendence, is ready to impart relief, without letting the receiver know from whom it comes. To exercise this amiable charity, this elegant and graceful goodness, which blesses its object, without appearing before it, like the flower that sends its fragrance to the sense, without being seen by your eye; like the shower which falls in the night, not a drop of which your eyes beheld, but the gladening influence of which your grateful grounds confess in the morning; to practise this fair and finished charity, which resembles the image of that Providence who dispenses his blessings with a silent and unseen hand; is not in the power of them, whose single, or whose chief reward, in doing good, is the grateful acknowledgment of them to whom they do it.

And as there are certain offices, so there are certain objects, of kindness, that forbid the expectation of gratitude. These are the evil and the unthankful; whose temper we have already tried; yet whom we are bound to assist, in situations which seriously call for the interposition of humanity. 145

We see, then, the necessity of another principle of action than the expectation of | gratitude, in order to perform all the acts which charity includes. I conclude, with exhorting all before me, to be diligent in their endeavours to cultivate that generous spirit, which Christianity inculcates. Let us not satisfy ourselves with that goodness which is founded in pride; that sickly goodness which is unable to stand fast, without support from those that surround it. It is a weak and invalid benevo-

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nach dem Strom sprachloser Thränen, nach den Ausbrüchen leidenschaftlicher Erkenntlichkeit nicht umsehn. Wer diese Dienste Personen von gleichem Stand und Alter erweist, muß sie, um den Aeußerungen ihres Mißvergnügens zu entgehen, in einer sehr glücklichen und geduldigen Stimmung antreffen, und sich selbst der äußersten Sanftmuth in seinem Betragen dabey befleißigen. Er muß es sich oft gefallen lassen, für einen Feind gehalten zu werden, indem er das Geschäft eines Freundes verrichtet, und für ungestüm und grausam zu gelten, indem er im höchsten Grade wohlwollend und weise handelt. Es giebt andere Liebesdienste, bey denen wenigstens die feinere, zarterfühlende Menschenliebe befiehlt, die Hand, welche sie verrichtet, zu verbergen, | und also natürlich alle Aeußerungen der Dankbarkeit unmöglich zu machen. Wenn die Dürftigkeit, weil die Erinnerung an ihre besseren Tage noch so neu ist, sich schämt zu bitten, und selbst erröthet etwas anzunehmen, so ist die Großmuth, die sich scheut eine Schwäche, welche Jedem der ehedem eines unabhängigen Wohlstandes genoß so natürlich ist, zu beleidigen, gern bereit, Unterstützungen zu ertheilen, ohne den Empfänger wissen zu lassen, von wem sie sich herschreiben. Dieses liebenswürdige Wohlwollen, diese zarte und anmuthsvolle Güte zu üben, die ihren Gegenstand beglückt, ohne sich ihm zu zeigen, wie die Blume die euren Sinn durch ihren Duft erquickt, ohne von euren Augen gesehen zu werden, wie der Regen, der in der Noth fällt, von dem ihr keinen Tropfen erblicket, aber dessen erfreuliche Wirkungen euer dankbarer Garten am Morgen bezeugt – diese schöne und vollendete Menschenliebe, welche der Vorsehung gleicht, die auch ihre Segnungen mit stillen und ungesehenen Händen vertheilt, sind diejenigen nicht fähig auszuüben, die ihren einzigen und vornehmsten Lohn für das Gute, welches sie thun, darin suchen, daß es von denen, welche es erhielten, dankbar anerkannt werde. Und so wie es gewisse Geschäfte der Güte giebt, für welche, so giebt es auch Menschen, von welchen keine Dankbarkeit zu erwarten ist. Das sind die Bösen und Undankbaren, deren Denkungsart wir zwar schon kennen, denen wir aber doch verbunden sind beyzustehen, so oft sich in ihren Um|ständen etwas wichtiges ereignet, was die Dazwischenkunft unserer Menschenliebe nothwendig macht. Wir sehen also, wie nothwendig es ist, daß wir, wenn wirklich alles geschehen soll, was die Menschenliebe gebietet, aus andern Absichten Gutes thun, als um Dank dafür einzuärndten. Ich schließe indem ich Alle, welche hier zugegen sind, ermahne, allen Fleiß anzuwenden, damit sie in der edlen Gesinnung vollkommen werden, welche das Christenthum uns einschärft. Laßt uns nicht mit der Güte zufrieden seyn, welche auf dem Stolz beruht, mit der kränklichen Güte die nicht feststehen kann ohne von den Umstehen-

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lence, that leans its whole weight upon the approbation, or upon the gratitude of man; that cannot walk without the prop of praise; that must be perpetually kept up by applauses. The only vigorous and invincible benevolence is that which can stand by itself; which rests upon the rectitude of duty, and constitutes its own immortal pillar.

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A stranger to generous and disinterested goodness may think it, perhaps, impossible for him to acquire it. Let me prevail upon him to believe, that it is not impossible. By performing good actions, and accompanying them with those corresponding reflections I have been recommending, he will certainly find, after a time, that this temper is not deaf to his call, at whatever distance it may be now from his heart. | It will not rush into his breast; but it will gradually steal into it; it will at length obey his repeated invocations. A suitable exercise of his mind will, in the end, give birth to a benignant spirit, although perhaps as slowly and imperceptibly, yet as certainly, as the continual and patient operation of vernal suns, and vernal showers, at length causes the naked tree to put forth its shoots, and gradually to multiply and enlarge its leaves, in a manner that baffles all perception of the progress. You saw not its green apparel grow; but you see it grown. A few weeks ago, it was a barren, an useless thing. It is now in full foliage; full of beauty, and full of uses; inviting the hand to pluck its fruit; affording a hospitable shelter to the birds of the air; and flinging a friendly shadow over the beasts of the field. No moral change can be thought wonderful, when this has been seen. So shall the now selfish and useless become valuable and generous members of society, if they have recourse to the proper methods of making themselves so.

In the acquisition of this temper, the Gospel will lend us all the assistance we want. Would we imbibe that honest love to man|kind, which is able to do them good without looking to their returns of service, or to their praise, or to their gratitude? It places before us the most splendid example of this divine spirit, in the conduct of him whom we call our master. What were the thanks which he received, for services which call for the gratitude of ages? What was his fame, for the fairest deeds that were ever done? What were the worldly

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den unterstützt zu werden. Das ist ein kraftloses und schwaches Wohlwollen, welches sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Billigung und Dankbarkeit der Menschen lehnen muß, welches nicht ohne die Krücke des Lobes gehen kann, welches immer von Beyfallsbezeugungen aufrecht erhalten werden muß. Nur dasjenige Wohlwollen ist stark und unüberwindlich, welches für sich selbst steht, auf der Heiligkeit der Pflicht beruht, und um ewig fest zu stehn, keines andern Pfeilers bedarf, als sein selbst. Wem edle und uneigennützige Güte noch fremd ist, der mag vielleicht denken, es sey ihm unmöglich es dahin zu bringen. Möchte ich nur so viel bey ihm gelten, daß er mir glaubte, es sey nicht unmöglich. Wenn er sich in guten Handlungen übt, und damit die dazu gehörigen Ueberlegungen verbindet, die ich empfohlen habe, so wird er nach einiger | Zeit gewiß finden, daß diese Gesinnung gegen seinen Ruf nicht taub ist, so weit sie auch jetzt noch von seinem Herzen entfernt seyn mag. Sie wird freylich nicht in seine Brust hineinstürmen, aber sie wird sich allmählich hineinschleichen, und endlich seinen wiederholten Lockungen gehorchen. Eine unermüdete Uebung des Gemüths wird am Ende eine wohlwollende Gesinnung erzeugen, vielleicht eben so langsam und unmerklich, aber doch auch eben so gewiß, als die ununterbrochenen und geduldigen Einwirkungen der Frühlingssonne und des Frühlingsregens es endlich jedesmal dahin bringen, daß der nackte Baum seine Sprößlinge hervortreibt, und sein Laub ausbreitet und vervielfältigt, ohne uns zu gestatten, daß wir diese Fortschritte belauschen. Ihr seht nicht, wie sein grünes Gewand wuchs, aber ihr seht, daß es gewachsen ist. Vor wenigen Wochen war er noch ein dürres unnützes Ding. Jetzt steht er in vollem Laube, in voller Schönheit, in vollem Ueberfluß da, ladet die Hand ein seine Früchte zu pflücken, verleiht den Vögeln des Himmels sein gastfreyes Obdach, und breitet freundlichen Schatten aus über die Thiere des Feldes. Keine moralische Veränderung kann dem wunderbar scheinen, der dies beobachtet hat. So werden auch die, welche jetzt eigennützige und unnütze Mitglieder der Gesellschaft sind, edle und schätzbare Mitglieder derselben werden, wenn sie nur zu den rechten Mitteln um sich dazu zu bilden ihre Zuflucht nehmen.| Bey dem Streben nach dieser Gesinnung wird uns das Evangelium allen Beystand leisten, dessen wir bedürfen. Wünschen wir mit der edlen Liebe zur Menschheit erfüllt zu werden, welche fähig ist, den Menschen Gutes zu thun, ohne auf ihre Gegendienste, oder ihr Lob, oder ihre Dankbarkeit zu sehen? – Es stellt uns in dem Betragen desjenigen, den wir unsern Herrn und Meister nennen, das glänzendste 4 Krücke] Krüke

23 nackte] nakte

33 edle] edel

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Serm. 16: On disinterested goodness

advantages, which he reaped for actions, to which kingdoms had been a return as disproportioned to his deserts, as they were beneath his desires?—Would we imbibe that love to God, by which the most generous charity is most effectually cherished? Let us meditate upon that mercy to mankind, which He has manifested in the mission of so eminent a benefactor to society; in the pardon which he has proclaimed to our forsaken sins; the assistance he has promised to our sincere endeavours to do well; and that immortality which he has revealed to our hopes. If by these various beams beating upon us, we be not warmed into generous goodness, our coldness must be the iciness of death. Let us open our hearts, christians, to the genial influences of our reli|gion: let it shed all its sunshine into our breasts, and kindle us into that temper, which shall render us “the children of the Highest,” and make us “merciful as our Father which is in heaven is merciful.” Amen.

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Beyspiel dieser göttlichen Gesinnung vor Augen. Was war der Dank, den er empfing für Dienste die der Dankbarkeit aller Zeitalter werth sind? Was war sein Ruhm für die schönsten Thaten die je gethan wurden? Was waren die weltlichen Vortheile, die er einerndtete für Handlungen, zu deren Lohn Königreiche nicht hingereicht hätten, die immer eben so tief unter seinem Verdienst geblieben wären, als sie unter seinen Wünschen waren? – Wünschen wir mit der Liebe gegen Gott erfüllt zu werden, unter deren Schutz die edelste Menschenliebe am glücklichsten gedeiht? – Laßt uns merken auf die Barmherzigkeit, die Er dem Menschengeschlecht erwiesen hat durch die Sendung eines so ausgezeichneten Wohlthäters der Gesellschaft; durch die Vergebung die er unsern Sünden, wenn wir davon abstehen, angedeihen läßt; durch den Beystand, den er unsern aufrichtigen Bestrebungen nach dem Guten verheißt, und durch die Unsterblichkeit, die er unsern Hoffnungen enthüllt. Wenn wir durch alle diese Strahlen die uns bescheinen nicht zu einer edeln Güte erwärmt werden, | so muß unsere Kälte die starre Kälte des Todes seyn. Christen, laßt uns unsre Herzen dem milden Einfluß unserer Religion eröffnen. Laßt sie ihren Sonnenschein in unserer Brust verbreiten, und uns zu der Gesinnung entzünden, welche uns zu „Kindern des Höchsten“ erheben, und uns „barmherzig machen wird, wie unser Vater im Himmel barmherzig ist.“3 Amen. 3

Luk. 6, 35. 36.

23 6, 35. 36.] 6, 35, 36.

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Christianity vindicated in not particularly inculcating Friendship and Patriotism.

SERMON An d w h o i s m y n e i gh b o u r ?

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XVII. Luke x. 29.

It has been objected to the Christian religion, that it has omitted to recommend Friendship and Patriotism; qualities, which mankind have been accustomed to hear celebrated by poets and historians, in the most eloquent and animated manner. It is certain, that none of the limited and partial operations of the social principle are particularly inculcated in the discourses of Christ. The strain of his instructions is altogether of another nature. In the number of his rela tiv es, he counts not only them who were connected with him by the ties of blood, but all the family of the honest and good. “Whoso|ever shall do the will of God, the same is my brother, and my sister, and mother.” He describes his f r i e n d s , not by the intimacy of their intercourse with him; not by the tenderness of their attachment to his person; not by their sorrow upon account of his approaching sufferings and separation from them, considered as a private man, as their familiar companion and associate; but by their obedience to him, as the Teacher of morality, as the Mouth of Heaven, as the public Minister of truth and virtue. “Ye are my friends, if ye do whatsoever I have commanded you.”

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Siebenzehnte Predigt.

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Rechtfertigung des Christenthums, daß es Freundschaft und Vaterlandsliebe nicht besonders einschärft. Luk. 10, 29.

We r i s t d e n n m e i n N ä chst er?

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Es ist der christlichen Religion vorgeworfen worden, daß sie unterlassen hat Freundschaft und Vaterlandsliebe zu empfehlen; Eigenschaften, die man gewohnt ist von Dichtern und Geschichtschreibern auf das beredteste und lebhafteste anpreisen zu hören. Es ist gewiß, daß keine von diesen beschränkten und einseitigen Aeußerungen des geselligen Triebes in den Reden Christi besonders eingeschärft ist. Seine Unterweisungen nehmen einen ganz andern Gang. Unter seine Verwandten zählt er nicht nur die, welche durch die Bande des Blutes mit ihm verbunden waren, sondern die ganze Familie der Rechtschaffenen und Guten. Wer den Willen thut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mir Bruder, Schwester und Mutter.1 Seine Freunde erklärt | er nicht deswegen dafür, weil sie vertrauten Umgang mit ihm pflogen, eine zärtliche Anhänglichkeit für seine Person empfanden, und bekümmert waren über die ihm als einem Privatmann bevorstehenden Leiden und über seine Trennung von ihnen, so fern er ihr vertrauter und liebster Gesellschafter war; sondern wegen ihres Gehorsams gegen ihn, in so fern er der Lehrer der Sittlichkeit, der Dollmetscher des Himmels, und der öffentliche Diener der Wahrheit und Tugend war. „Ihr seyd meine Freunde, so ihr thut was ich euch gebiete.“2 1 2

Matth. 12, 50. Joh. 15, 14.

1 Siebenzehnte] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 463 8 Geschichtschreibern] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 601 19 bevorstehenden] bevorstehende 22 Dollmetscher] Kj Dolmetscher 25 Matth.] Math. 15–16 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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602 Serm. 17: Christianity ... not ... inculcating friendship and patriotism

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In the same spirit he replies to the question, “Who is my neighbour?”—Not only he who lives at the next door, in the same street, in the same town, or in the same country; not only he who is a member of that church with which you are connected, or of that government which you obey: Thy neighbour is ma n. The Samaritan’s neighbour is not only the Samaritan, but the Jew. The neighbour of the Jew is not only the Jew, but the Samaritan: that Samaritan, with whom his countrymen have no dealings; in an hatred to whom his | bigoted fathers have bred him: of that Samaritan, it is his duty to bind up the wounds, whenever he finds him bleeding in his way: that Samaritan he is bound to love, even as he loves himself. Thy neighbour, (says the spirit of that beautiful picture of benevolence which contains the answer to the interrogation in the text) whoever thou art, in whatever age, or country, that makest the inquiry, thy neighbour is he, whom God hath “made in his own likeness,” of “one blood” with thyself. Whoever answers to this description has a claim to thy fraternal affection; and, whenever in a situation to need them of thee, to thy neighbourly offices; although thou have never touched with thy foot, or descried from a distance, or seen in description, the country whence he came; although thou have heard no traveller tell of the land that gave him birth; although thou understand not one word of his language; although thou believe not one article of his creed.

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Thus the unbounded generosity of the Christian religion has proved the occasion of its having been accused of deficiency in its social lessons. Because the Author of it has | recommended more benevolence to mankind, than any moralist had recommended to them before, he has been charged with having recommended less. Because he has inculcated an attachment to the whole human race; called upon us to acknowledge the consanguinity of all mankind; declared the vicinity of the whole universe to the heart of Benevolence; and taught us that sublime and celestial patriotism, whose country is the world, and whose king is God; upon this account, it has been said, that we look in vain in his lectures, for a lesson of friendship, and the love of country.

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In demselben Geist beantwortete er auch die Frage: „wer ist mein Nächster?“ Nicht nur der, welcher im nächsten Hause, in derselben Straße, in der nemlichen Stadt oder in dem nemlichen Lande wohnt; nicht nur der, welcher ein Mitglied der Kirche ist, mit der auch du in Verbindung stehst, oder der unter derselben Regierung steht, welcher du gehorchst: dein Nächster ist der M e n s c h. Des Samariters Nächster ist nicht nur der Samariter, sondern auch der Jude. Des Juden Nächster ist nicht nur der Jude, sondern auch der Samariter, mit dem seine Landeleute nichts zu schaffen haben wollen, gegen den seine abergläubischen Voreltern ihm Haß eingeflößt haben, dieses Samariters Wunden zu verbinden ist seine Schuldigkeit, wenn er ihn blutend auf seinem Wege antrift; diesen Samariter ist er verbunden zu lieben, und zwar als sich selbst zu lieben.| Dein Nächster – dies ist der Sinn von dem schönen Gemälde des Wohlwollens, welches zur Antwort auf die Frage unsres Textes dient – dein Nächster – wer, wie alt und woher du auch bist, der du die Frage aufwirfst – dein Nächster ist der, den Gott „nach seinem Bilde geschaffen“ hat, und von einem Geblüt mit dir selbst. Wer dieser Beschreibung entspricht, der hat Ansprüche auf deine brüderliche Zuneigung, und so oft er in der Lage ist ihrer zu bedürfen, auch auf deine brüderlichen Dienste, ob du gleich die Gegend, aus welcher er herkommt, nie mit deinem Fuß betreten, nie aus der Entfernung erblickt, nie in einer Beschreibung gesehen hast, ob dir gleich nie ein Reisender von dem Lande erzählt hat, welches ihm das Leben gab, ob du gleich nicht ein Wort von seiner Sprache verstehst, und nicht einen Artikel seines Glaubensbekenntnisses annimmst. So hat die unbeschränkte Uneigennützigkeit der christlichen Religion Gelegenheit gegeben, sie einer Unvollständigkeit in ihren geselligen Unterweisungen zu beschuldigen. Weil der Stifter derselben den Menschenkindern mehr Wohlwollen empfiehlt, als irgend ein Sittenlehrer vor ihm empfohlen hat, klagt man ihn an, daß er weniger empfohlen habe. Weil er eine Anhänglichkeit an das ganze menschliche Geschlecht einschärft; weil er uns auffordert unsre Verwandtschaft mit der ganzen Gattung anzuerkennen; weil er erklärt, daß der ganze Erdkreis dem Herzen des Wohlwollenden nahe sey; weil uns die er|habene und himmlische Vaterlandsliebe lehrt, die sich auf die Welt als das Vaterland, und auf Gott als den König bezieht; darum hat man gesagt, daß wir in seinen Belehrungen vergeblich eine Anweisung zur Freundschaft und zum Patriotismus suchen. 3 in dem] im dem

21–22 herkommt,] herkommt

12–13 Vgl. Lk 10,27 mit Zitat von Lev 19,18 17–18 Vgl. Gen 1,26 von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Apg 17,26.

18 Das

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A little consideration will be sufficient to convince us of the propriety of our Saviour’s silence, upon these two branches of social affection. Friendship and Patriotism, so far as they stand distinguished from general humanity and philanthropy; so far as we consider only what is p e c u l i ar to them; although the more passionate operations of them may have captivated the popular imagination; yet, if examined with a cool and sober eye, will appear not to possess, strictly speaking, any m o r al beauty: and, therefore, not to have merited a place among the precepts of him, who came | to inculcate simply pure religion and morality upon mankind. In what is it that religion consists?—Not in the love of a particular religious party, or system of speculative sentiments, or circle of ceremonious observances; but in the love of God. In the same manner, social virtue consists not in the love of this, or the other individual, or body of individuals; but in the love of man: man, the sensitive and intelligent creature; man, the offspring, and the image, of God. The capricious preference of this, or that particular man; a preference not founded in any perception of moral preeminence in him over the rest of mankind; but merely arising from habits of accidental intimacy, the memory of mutual personal services and kindnesses, or the discovery of qualities in him, not of a virtuous, and primary, but of a morally indifferent, and merely secondary nature, that happen to be peculiarly pleasing to our particular taste; such a partiality as this, though perfectly natural, and though, within proper limits, perfectly innocent, is not to be considered as a branch of social v irt ue; as constituting any part of moral rectitude; or as entitled, in any degree, | to the appellation of Goodness or Charity. Such a friendship as this is the dictate of nature; but it is not the dictate of conscience. An affection of this kind, to whatever transport and enthusiasm it may rise; however uniform and inflexible the fidelity that may attend it; however zealous the services it may inspire; however costly the sacrifices it may prompt; has no pretension to the praise of social heroism, or moral magnanimity. An ardor, such as this, may excite the remark, and the admiration of mankind; it may be quoted as a singular example; added to the proverbs of the world; numbered among the beauties of history; make a figure in the page of romance; and furnish a fruitful theme for eloquence to expatiate upon: but it has no claim to the calm applauses of moral Wisdom; it has no title to the high compliments that many have lavished upon it. Such a flame, with whatever 2–3 affection] affecton

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Ein wenig Nachdenken wird hinreichen, uns zu überzeugen, wie sehr das Stillschweigen unsers Erlösers über diese beyden Zweige der geselligen Neigung der Sache angemessen ist. Wenn man Freundschaft und Patriotismus abgesondert von der allgemeinen Menschenliebe und Geselligkeit hinstellt; wenn man nur das, was beyden eigenthümlich ist, betrachtet, und dies mit kaltblütigen und unpartheyischen Augen prüft; so muß man gestehen, daß die leidenschaftlicheren Wirkungen, welche beyde hervorbringen, die Einbildungskraft des großen Haufens zwar sehr einnehmen, daß aber beyde, genau genommen keine sittliche Schönheit enthalten, und also auch keinen Platz unter den Vorschriften desjenigen verdienen, welcher gekommen ist, um den Menschen reine Religion und Sittlichkeit einzuschärfen. Worin besteht die Religion? – Nicht in der Liebe zu einer besondern Religionsparthey, zu einem eignen System spekulativer Meinungen, zu einem gewissen Kreise äußerlicher Gebräuche, sondern in der Liebe zu Gott. Eben so besteht die gesellige Tugend nicht in der Liebe zu diesem oder jenem Einzelnen, oder zu einer geschlossenen Gemeinheit meh|rerer Einzelnen, sondern in der Liebe zu dem Menschen, zu dem Menschen als dem empfindenden und vernünftigen Geschöpf, als dem Abkömmling und dem Ebenbild Gottes. Die willkührliche Vorliebe, für diesen und jenen besondern Menschen, eine Vorliebe die sich nicht auf die Wahrnehmung eines sittlichen Vorzuges gründet, wodurch sich einer über den übrigen Theil des menschlichen Geschlechts erhebt, sondern die nur aus der Gewöhnung an eine zufällig veranlaßte Vertraulichkeit, aus der Erinnerung an gegenseitige persönliche Dienste und Gefälligkeiten entsteht, oder aus der Entdeckung gewisser, nicht eben tugendhafter und wesentlicher, sondern untergeordneter, moralisch gleichgültiger, und nur unserm besondern Geschmack vorzüglich angemessener Eigenschaften – eine solche Vorliebe liegt zwar allerdings in der Natur, und kann auch, wenn sie sich in den gehörigen Schranken hält, vollkommen unschuldig seyn, aber man kann sie doch nicht als einen Zweig der geselligen Tugend, oder als einen Theil der sittlichen Vollkommenheit ansehn, und sie ist auf keine Weise berechtigt, sich den Namen der Güte oder der Christenliebe anzumaßen. Eine Freundschaft wie diese ist eine Forderung der Natur, aber nicht des Gewissens. Eine Zuneigung von dieser Art hat, zu welcher Innigkeit und welchem Enthusiasmus sie sich auch erhebe, in welcher gleichförmigen und unerschütterlichen Treue sie sich auch erhalte, welche eifrige Dienstfertigkeit sie auch einflöße, welche kostbare Opfer sie auch veranlasse, | hat dennoch auf den Ruhm einer geselligen Heldengröße, einer moralischen Großherzigkeit gar keinen 6 ist,] ist

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brightness it may burn, cannot be said to possess any virtuous splendor. It is lighted up only by Fancy, not by Reason, or Religion. It burns upon the floor of mortality; it is not elevated to the altar of Virtue: it is mechanism, and not morality.|

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He who cultivates a friendship with a wise and virtuous man, with a view to fortify his own good principles and propensities, practises moral wisdom. He who prefers one man to all others with whom he is acquainted, because he perceives in him a superior degree of moral worth to what he is able to discover in any other, displays a virtuous preference. He who serves one man more than another, because he thinks he discovers in him more good desert than in another, exercises moral justice. He who offers to lay down his life, to save the life of his friend, from a sober and rational conviction, that he is more wanted than himself, by a family, or a country, acts the part of a hero. This is more than friendship; this is philanthropy, and publicspirit: this is conduct, which panegyric cannot flatter, or poetry embellish. But that zeal of friendship, which, heightened into an enthusiastic heat, by long habits of accidental intimacy; by a protracted reciprocation of personal favours, operating upon peculiar sensibility of nature; should consent to sacrifice life, solely for the sake of its object, and without any eye to the good of society; although it wear a brilliant | and sparkling appearance in the eye of Fancy, is certainly not an object of m o r al admiration.

Wherever there is true virtue, there is consistency of conduct; there is integrity and unity of character. But this is certain, that a capacity of very warm friendship, of this mechanical nature, will endure the society, and has frequently been found in the company, of very malevolent passions. There are those who declare, and who re-

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Anspruch. Sie kann die Aufmerksamkeit und die Bewunderung der Menschen auf sich ziehn, sie kann als ein seltnes Beyspiel angeführt, sprüchwörtlich in der Welt bekannt und unter die schönen Züge in der Geschichte gerechnet werden, sie kann in romantischen Büchern prangen, und der Beredtsamkeit ein reichliches Thema liefern, worüber sie sich ergießen kann; aber den stillen Beyfall der moralischen Weisheit kann sie nicht fordern, und auf die hohen Lobsprüche, welche Viele an sie verschwendet haben, hat sie kein Recht. Von einer solchen Flamme, wie hell sie auch brenne, kann man doch nicht sagen, daß sie einen tugendhaften Glanz habe; sie wird nur von der Phantasie entzündet, nicht von der Vernunft oder der Religion. Sie brennt auf sterblichem Boden, und ist nicht auf dem Altar der Tugend und Religion erhöht, sie ist ein mechanisch wirkender Naturtrieb und nicht Sittlichkeit. Wer eine Freundschaft mit einem weisen und tugendhaften Mann unterhält in der Absicht seine eignen guten Grundsätze und Neigungen zu stärken, der handelt der moralischen Weisheit gemäß. Wer einen Menschen allen andern, mit denen er bekannt ist, vorzieht, weil er einen höheren moralischen Werth bey ihm wahrnimmt, als er bey den übrigen entdecken kann, der zeigt eine Vorliebe, welche die Tugend gebietet. Wer einem Menschen lieber dient als andern, weil er bey ihm ein größeres Ver|dienst zu bemerken glaubt, der übt moralische Gerechtigkeit aus. Wer sich erbietet sein Leben daran zu wagen, um das Leben seines Freundes zu retten, weil er eine vernünftige und leidenschaftlose Ueberzeugung davon hat, daß jener seiner Familie, oder seinem Vaterlande nöthiger sey, der handelt als ein Held. Dies ist mehr als Freundschaft; es ist die höchste Menschenliebe, es ist Gemeingeist, es ist ein Betragen, dem keine Lobrede schmeicheln, das keine Dichtkunst verschönern kann. Aber ein Freundschaftseifer, der durch die Gewohnheit einer langen Vertraulichkeit, durch die öftere Erwiederung solcher persönlicher Gunstbezeugungen, die auf eine reizbare Natur so mächtig wirken, bis zu einer enthusiastischen Gluth erhöht ist, und sich nun dazu verstehn wollte, das Leben aufzuopfern, nur um seines Gegenstandes willen, ohne einige Rücksicht auf das Beste der Gesellschaft, erscheint zwar den Blicken der Phantasie in einem sehr glänzenden und blendenden Licht, aber er ist gewiß kein Gegenstand für die moralische Bewunderung. Wo wahre Tugend ist, da ist auch eine gewisse Uebereinstimmung des Betragens, da ist durchgängige Gleichförmigkeit und Einheit des Charakters. Aber es ist gewiß, daß ein hoher Grad von Empfänglichkeit für diese warme Freundschaft, die nur ein Werk des mechanischen Naturtriebes ist, sich mit sehr übelwollenden Leidenschaften verträgt, und oft in ihrer Gesellschaft gefunden wird. Viele erklären es gerade-

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duce their maxim to practice, “I will never forsake my friend, and never forgive my enemy.” If their friendship be inextinguishable, equally implacable is their resentment. If there be nothing they will not do to serve a friend, there is nothing they will not do to punish an enemy. Men of this character are, upon the whole, admired by a large proportion of mankind. They are seen, however, with other eyes by the Judge of all men. It was not to countenance this checkered goodness, that Christ came into the world. He came to inculcate that divine principle of comprehensive kindness, of consistent benevolence, which admits not this mixture into the mind.

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And as private goodness does not consist in a fanciful, and arbitrary, however affec|tionate, and faithful, preference of one individual to others that are equally deserving; neither does public virtue consist in the partiality of the affections to any particular community, merely because we have been born and bred in its bosom. Such a partiality is natural, no doubt, in such creatures as we; but there is nothing meritorious in it. It is extremely natural for every man to feel, no man can help feeling, nor, while it be kept within the bounds of temperance, and restrained from offending against the laws of universal benevolence, do I know why a wise man should wish to help it, a peculiarly tender and affectionate attachment to the country, that has been the scene of all his observation and experience; the theatre of all his enterprises, and of all his prosperity; the seat of his family, and his friends; where first he drew the breath of that life, which he finds to be so great a blessing to him; where first he felt it to be “a pleasant thing for the eyes to behold the sun.” Thus to feel, is very natural: such a sensation is soothing and pleasing to the heart of man: such a sensation, while under the restriction of reason, is also innocent: but it certainly contains no vi r t u e , | or public spirit, any more than that fond affection, which every one feels to his native town; to the ground upon which his childhood played; to the fields that first received his feet; to the landscapes that first entertained his eye.

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hin für ihren Grundsatz: ich wer|de meinen Freund nie verlassen, aber meinem Feinde nie verzeihen, und handeln auch wirklich danach. Ist ihre Freundschaft unauslöschlich, so ist dafür auch ihre Rache unversöhnlich. Giebt es nichts, was sie nicht thun können um einem Freunde zu dienen, so giebt es auch nichts, was sie nicht thun könnten, um einen Feind zu strafen. Personen von dieser Denkungsart werden im ganzen von dem größten Theile der Menschen bewundert. Mit ganz andern Augen aber werden sie von dem obersten Richter betrachtet. Nicht um eine so wetterwendische Güte noch fester zu begründen kam Christus in die Welt, sondern um die göttliche Gesinnung einer allumfassenden Güte und eines durchgängigen Wohlwollens einzuschärfen, welche keine Mischung von dieser Art in dem Gemüth zuläßt. Und so wie die Güte des Menschen in seinem Privatleben betrachtet nicht in einer phantastischen und launenhaften, wenn auch noch so zärtlichen und treuen Vorliebe für ein Individuum besteht, welches nicht größere Verdienste hat als andre; so besteht auch die Tugend, welche sich auf seine öffentlichen Verhältnisse bezieht, nicht in der Partheylichkeit seiner Neigungen für irgend eine besondere Gemeinheit, bloß deswegen, weil er in ihrem Schooß geboren und erzogen ist. Eine solche Partheylichkeit ist ohne Zweifel für solche Geschöpfe als wir sind natürlich; aber es ist nichts verdienstliches darin; es ist ein sehr natürliches Gefühl für Jedermann, ein Gefühl dessen sich Niemand erwehren | kann, und dessen auch kein vernünftiger Mann sich erwehren zu können wünschen wird, so lange es nur in den Schranken der Mäßigung bleibt, und sich hütet gegen die Gesetze des allgemeinen Wohlwollens zu verstossen. Eine besondere Zärtlichkeit, eine lebhafte Anhänglichkeit für die Gegend zu fühlen, welche die Scene aller unsrer Beobachtungen und Erfahrungen, die Schaubühne aller unserer Unternehmungen, unserer ganzen Glückseligkeit, welche der Sitz unserer Familie und unsrer Freunde war, wo wir zuerst den Athem dieses Lebens einsogen welches uns ein so großer Segen ist, wo wir zuerst empfanden, „daß es den Augen lieblich ist die Sonne zu sehen“3 – das ist sehr natürlich, diese Empfindung ist dem menschlichen Herzen angenehm und wohlthuend, sie ist auch unter der einschränkenden Aufsicht der Vernunft unschuldig; aber Tugend und Gemeingeist enthält sie doch eben so wenig, als die zärtliche Zuneigung, die ein Jeder 3

Pred. Sal. 11, 7.

38 Pred. Sal.] Prd. Sal. 1–2 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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It is best, upon the whole, the happiness of the world at large is promoted in a more harmonious, regular, and less embarrassed manner, by this means, that men should connect themselves with particular communities, and particularly seek the welfare of those, with which they are thus connected. It is well that Nature has determined and directed the social services of mankind to individual objects, and attached each person to some particular post and province of his benevolence, instead of leaving him to wander about the world, in the exercise of an irresolute and unsettled, a dissipated and erratic attention to human happiness. But as this particular arrangement and direction of the social exertions and anxieties of human beings, so far as it proceeds from instinct, is no part of pure virtue, so instinct is sufficient to appoint it. Those courses of human benevolence which Nature has decreed, with which the heart of | man mechanically complies, required not to be commanded by Christ. He has taught us to love all mankind: our constitution will teach us, if we have learned that lesson, to serve those particularly, whom Providence more pointedly recommends to our service, by placing them at our side.

But, in farther vindication of our Saviour’s silence upon these points, it is deserving of our notice, that, as what is peculiar to Friendship and to Patriotism, as what distinguishes them from general humanity, is of a mechanical, and therefore, at best, when kept within proper bounds, of a merely innocent nature; it is the natural propensity of these partial affections, when not held in by Reason, to oppose the good of society at large: and thus while that lesson of universal benevolence, which Christ has given us, includes in it all that is virtuous and rational in the private charities, it contains, at the same time, the only corrective of their intemperance and lawless excess. No observer of human life can want to be told, how frequently Friendship, in its blind zeal to serve its object, has lost sight of the public principle. To serve a friend, bow many are there, who will make no scruple of | swearing deceitfully before the tribunal of their country; of espousing his cause, when his quarrel is not just; of supporting him 22 mechanical] mechacal

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für seine Geburtsstadt empfindet, für jeden Raum, in welchem seine Kindheit spielte, für die Felder, welche seinen Fuß zuerst aufnahmen, für die Landschaften, welche sein Auge zuerst ergötzten. Es ist im Ganzen das Beste, und die Glückseligkeit der Welt überhaupt wird auf eine harmonischere, regelmäßigere und weniger verwickelte Art befördert, wenn die Menschen sich in besondere Gemeinheiten vereinigen, und dann vorzüglich das Wohlergehn derer zu befördern suchen, mit denen | sie so verbunden sind. Es ist gut, daß die Natur die geselligen Dienste der Menschen mit Bestimmtheit auf gewisse Gegenstände gerichtet, und Jedem einen besondern Posten und eine eigne Provinz für sein Wohlwollen angewiesen hat, anstatt ihn in der Welt herumwandern zu lassen, um nur eine unentschlossene und unstäte, eine zerstreute und planlose Aufmerksamkeit auf die menschliche Glückseligkeit zu verwenden. Aber so wie es gewiß ist, daß diese besondere Anordnung und Richtung der geselligen Thätigkeiten und Besorgnisse menschlicher Wesen, so fern sie nur vom Instinkt herrührt, kein Theil der reinen Tugend seyn kann; eben so gewiß ist es, daß der Instinkt in der That hinreicht sie so zu bestimmen. Diese Bahnen des menschlichen Wohlwollens, welche die Natur schon beschrieben hat, und in welche das Herz des Menschen sich schon von selbst, und gleichsam mechanisch hineinfügt, brauchten uns nicht erst von Christo empfohlen zu werden. Er hat uns gelehrt, das ganze Menschengeschlecht zu lieben, und haben wir diese Lehre nur gefaßt, so wird die Einrichtung unserer Natur uns schon lehren, denen vorzüglich zu dienen, welche die Vorsehung unserm Beystande vorzüglich deutlich empfohlen hat, indem sie sie uns an die Seite setzte. Um aber das Stillschweigen unsers Erlösers über diese Punkte noch weiter zu rechtfertigen, ist es eine wichtige Bemerkung, daß nicht nur das Eigenthümliche der Freundschaft und des Patriotis|mus, das wodurch sich beyde von der allgemeinen Menschenliebe unterscheiden, die Wirkung eines mechanischen Triebes, und also höchstens, wenn die gehörigen Grenzen nicht überschritten werden, etwas unschuldiges ist; sondern daß auch diese eingeschränkten Zuneigungen, wenn die Vernunft sie nicht im Zaum hält, ihrer Natur nach dahin streben, dem Besten der Gesellschaft im Ganzen entgegenzuwirken, und daß also die Lehre Christi vom allgemeinen Wohlwollen, indem sie alles, was in den Wirkungen dieser Privatfreundschaften wirklich tugendhaft und vernünftig ist, in sich begreift, zugleich das einzige Mittel enthält, ihrer umsichgreifenden Heftigkeit und ihren gesetzwidrigen Ausschweifungen vorzubeugen. Keinem Beobachter des menschlichen Lebens darf man es erst sagen, wie oft die Freundschaft in dem blinden Eifer ihrem Gegenstande zu dienen, die Gesinnungen aus dem Auge verliert, welche man dem Ganzen schuldig ist. Wie viele giebt

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with their suffrage, when a candidate for a post of political, or of medical, or of religious and moral importance to society, for which they know his fellow candidate to be better qualified than he. These things are common in the world: they ever have been common: they have ever received, and they continue to receive, the popular pardon, and even approbation. In a system of practice, that was framed for creatures so prone to err on the side of friendship, it was wise in the Author of our religion, to lay all the emphasis upon love to all men; instead of particularly recommending the preference of a few.

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The patriotic attachment has also been guilty of similar excesses. It had been guilty of many, when Christ made his appearance in the world. He knew that it had. He knew that famine and pestilence had not proved more terrible scourges to mankind, than nations which had been proverbial for patriotism. He knew that this proud and boasted principle, so liberally praised and complimented by pagan philosophy, and legislation, | had carried destruction and death over half the world; disturbed the tranquillity of harmless provinces; and defaced and depopulated the garden of God. The majority before me are too well acquainted with the human history, to require to be any more than reminded by me, that mankind have not been more characterized by a propensity to society, than by a disposition to imprison the social principle within a certain circle of society. They have invariably attracted one another into societies, of a sufficient size to satisfy their appetite for association; and as invariably regarded the rest of mankind, always with shyness, generally with jealousy, and sometimes with hatred. Every savage has had his tribe, to which he has been warmly attached; and has looked with a malignant eye upon every other tribe. Every civil society, however celebrated for the patriotic zeal of its members, has waged war with other civil societies. And it has been remarked, and with much justice, that in proportion to the enthusiasm, to which the love of country has been carried, has been the virulence of that enmity against mankind, by which it has been accompanied.| 14 proud] so Errata-Verzeichnis; OD: proved

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es nicht, die um einem Freunde zu helfen, sich kein Gewissen machen würden vor den Gerichtshöfen ihres Vaterlandes einen betrüglichen Eid zu schwören, seine Sache zu vertheidigen wenn auch sein Streit nicht gerecht ist, und ihn, wenn er sich um irgend einen Posten bewirbt der in politischer, medicinischer, religiöser oder moralischer Rücksicht für die Gesellschaft von Wichtigkeit ist, mit ihren Stimmen zu unterstützen, ob sie gleich wissen, daß kein Mitbewerber zu diesem Posten besser geeigenschaftet ist, als er. Diese Dinge sind sehr gewöhnlich in | der Welt, sie sind immer gewöhnlich gewesen, und haben von je her, und auch jetzt noch, von den Meisten Verzeihung und sogar Lobsprüche erhalten. Indem also der Stifter unserer Religion ein System von Lebensregeln für Geschöpfe entwarf, die so sehr geneigt sind nach der Seite der Freundschaft hin aus ihrer Bahn abzuweichen, wie weise war es nicht, daß er allen Nachdruck nur auf die allgemeine Liebe zu allen Menschen legte, und die Vorzüge, die man einigen Wenigen giebt, gar nicht besonders empfahl. Die Anhänglichkeit an das Vaterland hat ähnliche Ausschweifungen veranlaßt. Sie hatte schon so manche veranlaßt als Christus in der Welt auftrat. Er wußte, daß dies der Fall war. Er wußte, daß Hunger und Pestilenz nicht so schreckliche Geißeln für das Menschengeschlecht gewesen waren, als Nationen, deren Vaterlandsliebe zum Sprüchwort geworden war. Er wußte, daß dieses stolze und gepriesene Gefühl, welches heidnische Weise und Gesetzgeber so freygebig lobten und rühmten, Zerstörung und Tod über die halbe Welt gebracht, die Ruhe harmloser Länder zerrüttet, und den Garten Gottes entstellt und entvölkert hatte. Der größere Theil meiner Zuhörer ist mit der menschlichen Geschichte zu wohl bekannt, um mehr als einer Erinnerung daran zu bedürfen, daß bey den Menschen der Hang zur Gesellschaft kaum so herrschend ist, als die Neigung ihren geselligen Trieb innerhalb eines gewissen Kreises festzuhalten. Ueber|all haben sie sich einander angezogen bis eine Verbindung vorhanden war, welche hinreichte, ihre Lust an der Geselligkeit zu befriedigen, und eben so haben sie durchgängig den übrigen Theil ihres Geschlechts immer arglistig, oft neidisch und bisweilen mit Haß betrachtet. Jeder Wilde hatte seinen Stamm, dem er mit Wärme zugethan war, und jeden andern Stamm sah er mit boshaften Augen an. Jede bürgerliche Gesellschaft wie berühmt sie auch wegen des patriotischen Eifers ihrer Mitglieder war, hat mit andern bürgerlichen Gesellschaften Krieg geführt. Und man hat mit Recht bemerkt, daß je größer der Enthusiasmus war, zu welchem die Vaterlandsliebe sich erhob, desto giftiger war auch die Feindschaft gegen das übrige Menschengeschlecht, welche ihn begleitete.

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Such is man. Such was the creature Christ came to educate. Within a particular circle, he has been a friend, a brother, a patriot; without that circle, an enemy, a destroyer, a fury, and a fiend: and then, when most applauded and adored, within the sphere of his citizenship, most detested, and execrated, without it: then, when his statues have been rising fastest round him, and the cast brass receiving the history of his honours with busiest industry; then has been the moment, when the curses of mankind have been poured in the most copious shower upon his head. This contracted and exclusive, this illiberal and ungenerous, love of country, which had so long dazzled the eyes of those, whose prejudices it fed, and whose pride it gratified; which consisted in wishing well to one community, at the expence of the welfare of all the rest; in rejoicing to behold the honour of the native society, erected upon the ruins of every other; this narrow benevolence, this private and provincial public spirit, this fierce and malevolent love, had no charms in the eye of him, who regarded all mankind as one family; and whose beautiful errand it | was, at once to reconcile them all to God, and to one another. That wise and benevolent reformer of mankind saw little difference, and little difference is to be seen, by any one who reflects a moment, between a nation bent upon conquering and enslaving other nations; perpetually engaged in a savage succession of offensive and wanton wars; solely occupied with the idea of enriching and aggrandizing itself, at the cost of every other people; within their own walls, talking eloquently of one another’s magnanimity and patriotism, of the glory of fighting for their country, of dying for their country; and lavishing praises and honours upon the returning and victorious soldier, for having rendered such signal services to the selfish state: but little difference was he able to discern, between such a body of men, and a troop of bandits and out-laws, retiring to their subterranean abode, in the bosom of the forest which their robberies infest, and as they sit around the table of riotous festivity, extolling the intrepidity of this or the other member of the lawless community, in the successful assault upon property and life, from which they have just returned; | pronouncing him an ornament to their society; and decreeing him the customary honours upon such occasions, to provoke an emulation, among the rest, of, what it is so convenient to them to call, his virtue.

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So ist der Mensch beschaffen. So war das Geschöpf, welches Christus erziehen sollte. In seinem eingeschränkten Kreise war er Freund, Bruder, Patriot; außer diesem Kreise ein Feind, ein Zerstörer, eine Furie, ein Verderber; je mehr er innerhalb seines bürgerlichen Wirkungskreises gelobt und angebetet wurde, desto heftiger wurde er außerhalb desselben verabscheuet und verwünscht, und der Augenblick wenn seine Statuen sich am zahlreichsten erhoben, wenn das Erz mit dem eilfertigsten Fleiß die Geschichte seines Ruhmes verewigte, war immer der Augenblick, wo auch die Flüche des Menschengeschlechts am schnellsten und dichtesten über sein Haupt regneten.| Diese beschränkte und ausschließende Vaterlandsliebe, welche zwar lange die Augen derer geblendet hat, deren Vorurtheile sie nährte, und deren Stolz sie befriedigte, der es aber doch an edlem und großem Sinn so sehr fehlt, die nur einer Gemeinheit Gutes wünscht auf Unkosten des Wohlergehens aller übrigen, die sich freut den Ruhm einer Gesellschaft auf den Ruinen jeder andern erhöht zu sehn; dieses kleinliche Wohlwollen, dieser den eignen Angelegenheiten so nahe bleibende, und in dem Umkreise eines Landes eingeschlossene Gemeingeist, diese wilde und übelwollende Zuneigung hatte keinen Reiz in den Augen desjenigen, der das ganze Menschengeschlecht als eine Familie ansah, und dessen schönes Geschäft es war, sie zugleich Alle mit Gott, und alle untereinander zu versöhnen. Dieser weise und wohlwollende Lehrer des Menschengeschlechts fand nur einen geringen Unterschied – und jeder der einen Augenblick nachdenkt, wird gewiß nur einen geringen Unterschied finden – zwischen einer Nation, die immer darauf ausgeht andere Nationen zu überwinden und zu unterjochen, bey der immer ein angreifender und muthwilliger Krieg auf den andern in wilder Reihe folgt, die allein mit dem Gedanken beschäftigt ist, sich selbst sey es auf Kosten jedes andern Volkes zu bereichern und zu vergrößern, wo in den Grenzen der Heimath von der Seelengröße und dem Patriotismus des Einzelnen, von dem Ruhm für das Vaterland zu fechten und für das Vaterland zu sterben mit der | feurigsten Beredtsamkeit gesprochen wird, und Lob und Ehrenbezeugungen verschwenderisch ausgespendet werden an den siegreich zurückkehrenden Krieger der dem selbstsüchtigen Staat so ausgezeichnete Dienste geleistet hat – er konnte sage ich nur einen geringen Unterschied finden zwischen einer solchen Gesellschaft und einer Bande von Landstreichern und Räubern, welche zurückkehren in ihren unterirdischen Aufenthalt im innersten des Waldes, den ihre Räubereyen beunruhigen, und wenn sie in wilder Ausgelassenheit um das festliche Mahl gelagert sind, bald dies bald jenes Mitglied des ruchlosen Bundes hoch erheben wegen seiner Unerschrockenheit bey den glücklich beendigten Angriffen auf fremdes Ei-

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Well that wise and generous Preceptor knew, that this highly lauded attachment to country, which so much excited the admiration of the heathen world, did not possess the spirit of ra tiona l goodness, even within the limited sphere in which its affections were enclosed. It did not so much consist of a generous wish to contemplate the solid happiness and true welfare of the country, which was the object of it, as of a proud desire to see it distinguished by a barren aggrandizement, and an unprofitable pre-eminence. The Patriot it produced was not a true friend even to his native land. He was not a wise and benevolent father to his country. He wanted to dress her up with parental vanity, not with parental love: he desired to see her arrayed in gaudy, and cumbrous, rather than in convenient, and comfortable attire: he wished to behold a splendid, rather than a happy, and a smiling, land.| 165

These considerations are, I hope, sufficient to justify Jesus Christ, in not having particularly encouraged, in his discourses, the love of country. It was not to inculcate this confined and imperfect regard to a public interest, that he was sent into the world. It was not necessary to encourage it: it had been enough encouraged, even if its character had been innocent of stain. Love your country, had been often said: Love all mankind, was a new lesson, which was much more wanted by the world. “A new commandment” it was the commission of Christ to give it. He came to inspire that zeal for universal happiness, which had been so often inculcated for national prosperity; to teach nations, who call themselves polished, to exercise urbanity and benevolence, in their behaviour to nations; to civilize the intercourse of civil societies with civil societies; to bind all mankind into one brotherhood, united by affection, and the sense of affinity, though divided into separate societies.

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genthum und Leben, dann den treflichsten für die Krone ihrer Gesellschaft erklären und ihm die Ehrenbezeugungen dekretiren, die bey solchen Gelegenheiten gewöhnlich sind um auch unter den Uebrigen ein wetteiferndes Bestreben nach demjenigen zu erregen, was sie ihrem Interesse zu Folge Tugend nennen. Wohl wußte dieser weise und edel denkende Lehrer ferner, daß diese hochgepriesene Anhänglichkeit an das Vaterland, welche in der heidnischen Welt so viel Bewunderung erregte, nicht einmal in dem eingeschränkten Kreise, in dem ihre Dienstleistungen sich herumdrehen, den Charakter einer vernünftigen Güte behauptet. Sie bestand nicht sowohl in dem edlen Wunsch innere Glückseligkeit und wahres Wohlergehen in dem Lande zu schauen, welches ihr Gegenstand war, sondern in dem stolzen Verlangen, | es ausgezeichnet zu sehen durch unfruchtbare Vergrößerungen und einen unnützen Rang. Der Patriot, den diese Anhänglichkeit beseelte, war nicht einmal seinem Geburtslande ein wahrer Freund. Er war kein weiser und wohlwollender Vater seines Vaterlandes. Aus väterlicher Eitelkeit wünschte er es zu schmücken, und nicht aus väterlicher Liebe; er sah es lieber in schimmernden und lästigen Putz, als in einen bequemen und angenehmen Anzug gekleidet; er wünschte mehr ein glänzendes als ein glückliches und lächelndes Land zu sehn. Diese Betrachtungen sind hoffentlich hinreichend Jesum Christum zu rechtfertigen, daß er uns in seinen Reden zur Vaterlandsliebe nicht besonders ermuntert hat. Er war nicht in die Welt gesandt um eine so eingeschränkte und unvollkommne Ansicht des öffentlichen Wohls noch allgemeiner zu machen. Es war auch nicht nöthig diese zu begünstigen, selbst wenn sie eine ganz fehlerfreye Gesinnung gewesen wäre, denn sie war begünstigt genug. Liebet euer Vaterland, das war sehr oft gesagt: liebet das ganze Menschengeschlecht, das war eine neue Lehre, deren die Welt weit mehr bedurfte. Dieses „neue Gebot zu geben“ war der Auftrag Christi. Er kam uns für das allgemeine Wohl denselben Eifer einzuflößen der für die National-Glückseligkeit schon so oft anempfohlen war, Nationen, welche sich gebildete nennen, zu lehren, daß sie liebreiche Schonung und Wohlwollen auch gegen andere Nationen üben mußten, den Umgang bürgerlicher Gesellschaf|ten mit bürgerlichen Gesellschaften gesitteter zu machen, und das ganze Menschengeschlecht in eine Brüderschaft zu vereinigen, die wenn gleich in abgesonderte Gesellschaften vertheilt doch durch Liebe und Familiensinn verbunden wäre. 33–34 nennen,] nennen 30–31 Vgl. Joh 13,34

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In drawing up his system of practice, therefore, the word patriotism he rejected; as inadequate to his idea; as inexpressive of the spirit he was desirous to disseminate; as a | word, which had led mankind but a part of the way he wished them to go, and had often led them wrong. He substituted, therefore, Charity in its place: a principle of love; a general propensity to kindness; a disposition to wish well to whatever is capable of welfare; a desire to congratulate, not merely the happiness of this, or the other individual, or body of individuals, but to congratulate happiness; a delight in contemplating happiness, wherever it can be seen, in hearing of happiness, in whatever region it is said to reside: in a word, a generous and unbounded diffusion of benevolence, flowing, not like water, in some one single direction, but, like light, in all directions; towards kindred, towards friends, towards country, towards mankind; towards earth, and towards heaven.

The patriot of the Christian school is one, who loves his country as a community of Men; as a society of beings, not that were born beneath the same sky; that speak in the same tongue; that wear the same habit; that observe the same customs; that are governed by the same laws;—but that were made by the same God; made after the same likeness; that possess the same susceptibility | of happiness and misery; and carry within them the same capacities of intellectual and moral excellence. As he is particularly connected with them, as he has grown up in the midst of them, he permits himself to be particularly attached to them. In the successive postures of those public affairs, which pass more immediately under his eye, he naturally feels a peculiar interest. While he resides within it, he considers his native land as the particular theatre of his duties. To the service of his country he devotes the talents, whatever they be, which are committed to his trust. If he be opulent, he relieves the poor of his own, instead of reaching out his alms into another country: he sends his subscriptions to benevolent institutions at home, not to similar charities abroad. If he be a man of science, and of literature, he writes in his native, rather than in a foreign language; for the information, or entertainment, of his countrymen, rather than of readers in remote regions. If he walk in public life, and possess political capacity, he throws the light of his wisdom upon the councils of his own nation.—But, if his fellowcountrymen oppose the rights, set their face against the welfare, | of his fellow-m e n ; if they engage in unrighteous war, if they go out to unjust battle; he has no God-speed to say to their undertaking; his

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Er verwarf also in der Darstellung seiner praktischen Grundsätze das Wort Patriotismus, weil es für seine Idee zu eingeschränkt war, weil es die Gesinnung nicht ausdrückte, die er zu verbreiten wünschte, weil es die Menschen nur einen Theil des Weges führte, den sie nach seiner Absicht gehen sollten, und sie noch dazu oft falsch geführt hatte. An die Stelle desselben setzte er also Menschenliebe: ein uneingeschränktes Gefühl der Liebe, eine allgemeine Anlage zur Güte, eine Neigung jedem Wesen Gutes zu wünschen, welches des Wohlergehens fähig ist, ein Verlangen sich nicht nur an der Glückseligkeit dieses und jenes Einzelwesens, dieser und jener Gemeinheit, sondern an der Glückseligkeit selbst zu erfreuen, ein Wohlgefallen daran Glückseligkeit zu sehen, wo sie immer zu sehen ist, von Glückseligkeit zu hören, der Ort der als ihre Wohnung gerühmt wird liege nun wo er wolle; mit einem Wort einen ganz uneigennützigen und unbeschränkten Erguß des Wohlwollens, der nicht wie das Wasser nur nach einer Richtung fließt, sondern sich wie das Licht nach allen Richtungen hin verbreitet, gegen Verwandte, gegen Freunde, gegen das Vaterland, gegen das Menschengeschlecht, gegen die Erde, gegen den Himmel.| Der Patriot aus der christlichen Schule ist einer, der sein Vaterland liebt als eine Gemeinheit von Menschen, als eine Gesellschaft von Wesen – nicht etwa die unter einem Himmel geboren sind, eine Sprache sprechen, einerley Kleidung tragen, dieselben Gebräuche beobachten und nach denselben Gesetzen beherrscht werden – sondern die von einem Gott, nach demselben Ebenbilde geschaffen sind, dieselbe Empfänglichkeit für Glückseligkeit und Elend, und dieselben Anlagen zur geistigen und sittlichen Vollkommenheit besitzen. Da er mit ihnen in näherer Verbindung steht, und unter ihnen aufgewachsen ist, erlaubt er sich auch, ihnen besonders zugethan zu seyn. Natürlich fühlt er ein näheres Interesse für den Gang der öffentlichen Angelegenheiten welche er unmittelbarer vor seinen Augen hat. Er betrachtet sein Geburtsland, so lange er in demselben wohnt, als den besondern Schauplatz seiner Pflichten. Er widmet die Talente, die ihm verliehen sind, dem Dienst seines Vaterlandes. Ist er reich so unterstützt er die Armen seiner Gegend, anstatt seine Almosen in ein entferntes Land zu senden; er unterzeichnet für die wohlthätigen Anstalten seiner Heimath, und nicht für ähnliche Liebeswerke in der Fremde. Ist er ein Mann von Wissenschaft und Literatur, so schreibt er lieber in seiner Muttersprache als in einer fremden, um lieber seinen Mitbürger zu unterhalten und zu belehren, als Leser in entfernten Gegenden. Hat er politi31 wohnt,] wohnt

34 Almosen] Allmosen

23–24 Vgl. Gen 1,26–27

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heart protests against their proceeding; his prayers oppose the cry of their temples; his sighs accompany the shout of their success; and his song of thanksgiving ascends for their defeat.

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Such is the benevolence, as wide as it is warm, of the scholar of Christ. He loves his country fervently, peculiarly, but not only. It is not in the power of seas, or of mountains, to make a prisoner of his love. Sensibility to pleasure and to pain, he knows, is not confined to any particular set of men; neither, therefore, to any particular set of men is his sympathy confined. Considering all mankind as creatures susceptible, in the same degree as himself, or as his countrymen, of happiness and misery; to whom ease, and plenty, and liberty, are altogether as dear; who are, precisely in the same degree, chilled by want, and racked by pain, and depressed by imprisonment, and crushed by oppression; he invokes happiness upon their head, he deprecates misery from their experience, with the same warmth of devotion, with which he | wishes well to himself, or to his countrymen. He “weeps with all that weep, and rejoices with all that rejoice.” He has learned to look upon all mankind but as different members of himself; as ramifications of the same sensibility which beats in his own bosom. He may be said to be the seat of others’ sense; to whom, as to the sensory of all surrounding society, the sensations, so far as they are known to him, of all its members are transmitted; to whose heart all their perceptions of joy and of sorrow are conveyed. He may be considered as a soul, that inhabits the whole social body; that lives in all its limbs; that feels in every part; that fills the whole frame with its presence; and suffers along with the extremities, that are most remote from its seat. He droops with all that are depressed; trembles with all that are in danger; despairs with all that are destroyed; exults with all that are delivered from evil; and smiles with all that are settled in circumstances of good. Susceptibility of welfare, he knows, is no local thing, the rare and singular property of a single people, but common to all the nations; neither are his wishes for welfare circumscribed within any particular place, | or limited to any single land. Wherever sense exists, there, he is desirous, that pleasure may dwell: in whatever region reason resides, there, it is his prayer, that knowl20 others’] other’s

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sche Fähigkeiten und will er für das gemeine Wesen leben, so wird | er das Licht seiner Weisheit in den Staatsverhandlungen seiner eignen Nation scheinen lassen. Aber wenn seine M it bürg er in die Rechte seiner M i t m e n s c h e n eingreifen, und ihrem Wohlergehen entgegenarbeiten; wenn sie sich in unrechtmäßige Kriege einlassen, und zu einem ungerechten Streit ausziehn, so wünscht er ihnen keinen Segen zu ihrem Unternehmen, sein Herz protestirt gegen ihr Verfahren, seine Gebete sind das Gegentheil von denen, die in ihren Tempeln erschallen. So ist das Wohlwollen eines Schülers Christi beschaffen, in so fern es eine Sache des Gefühls ist. Er liebt sein Vaterland innig, vorzüglich, aber nicht ausschließend. Gebirge und Meer sind nicht im Stande seine Liebe gefangen zu halten. Empfindlichkeit für Freude und Schmerz, das weiß er, ist nicht das Eigenthum irgend einer besondern Parthey; also ist auch sein Mitgefühl nicht auf irgend eine besondere Parthey eingeschränkt. Da er alle Menschen für Geschöpfe ansieht, die der Glückseligkeit und des Leidens in demselben Grad empfänglich sind, wie er und seine Landsleute, denen Ruhe, Wohlstand und Freyheit eben so lieb ist, die grade eben so, wie sie, vom Mangel gequält, vom Schmerz gefoltert, von der Gefangenschaft darniedergedrückt, von der Unterdrückung gelähmt werden, so erfleht er mit derselben Andacht Glückseligkeit über sie, und wünscht eben so feurig, daß ihnen kein Unglück nahe, als er sich und seinen Landsleuten Gutes wünscht. Er „weint mit allen Weinenden und freut | sich mit allen Fröhlichen.“4 Er hat gelernt alle Theile des Menschengeschlechts nur als verschiedene Glieder, die ihm selbst angehören, zu betrachten, als verschiedene Zeige desselben Bewußtseyns, welches in seinem eignen Busen schlägt. Man kann sagen, er sey der Sitz des Gefühls, in welchem, als in dem gemeinschaftlichen Empfindungspunkt der ganzen Gesellschaft, alle Eindrücke eines jeden Gliedes derselben zusammentreffen, in dessen Herzen sich Alles vereiniget, was sie von Freude oder Kummer empfinden. Man kann ihn ansehen, als eine Seele, welche den ganzen Körper der Gesellschaft bewohnt, in allen ihren Gliedern lebt, in jedem Theile fühlt, das Ganze mit ihrer Gegenwart erfüllt, und auch mit den äußersten Theilen leidet, die von ihrem eigentlichsten Sitz am weitesten entfernt sind. Er seufzt mit Allen, die niedergeschlagen sind, zittert mit Allen, die in Gefahr sind, verzweifelt mit Allen die das Verderben übermannt, frohlockt mit Allen, die vom Unglück erlöset werden, und lächelt mit Allen die sich angenehmer Verhältnisse erfreuen, welche fest und wohlgegründet sind. Er weiß, daß Empfänglichkeit für das Wohlergehen nicht etwas ist, was nur an 4

Röm. 12, 15.

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edge and virtue may prevail; that the cherishing rays of liberty may play upon every mind; and that each understanding, loosened from every chain, and lightened of every load, may be free to explore the field of truth and happiness.

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This extension and sketch of the social principle, as it is our duty, it is also our glory to cultivate. I am not recommending a suppression of private affections, and total absorption of affectionate partialities, in one cool, dispassionate, and equal benevolence to all. This is neither possible, nor is it desirable. Those, with whom we are particularly connected, we innocently may, and necessarily must, prefer to strangers: but we should not suffer them either so to dist ort our hearts, as to make us wish them well, at the expence of a greater sum of welfare to others; or so to e x h au st our affections, as to leave us no interest in the condition, no solicitude for the happiness, of surrounding society.—Our hand, our help, we can reach but to a small | circle; but there are no tracts of sea, or of land, over which we may not send our good wishes, our congratulations, and condolances. The good and ill, that are too distant for us to behold, are not too remote for the reach of imagination. We may sympathize with the happiness or the misery, which we cannot see. Thus to diffuse our affections, and spread out our being, is to enter into the spirit of Christianity, and to imitate the universal benevolence of the omnipresent God.

The attainment of this temper is much easier to us, than it was to the antient world, upon several accounts. We have an eminent example of it in the Founder of our religion. Many before him had died for their country; it was common-place magnanimity; he was the first that died for all mankind. The pagan could not be supposed to go beyond his model. If he went as far as his philosophers and legislators told him it was glory to go, he went as far as he could be expected to proceed. But our leader, Christians,

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bestimmten Orten anzutreffen wäre, nicht die seltene und sonderbare Eigenschaft eines einzelnen Volkes, sondern daß sie allen Nationen gemein ist, und so wird auch sein Verlangen nach Wohlergehen nicht von einem besondern Raum begrenzt, oder von einem einzelnen Lande eingeschlossen. | Wo immer Empfindung ist, da wünscht er auch möge die Freude wohnen, wo es Vernunft giebt, da, betet er, möge auch Einsicht und Tugend herrschen, da mögen auf jedem Gemüth die milden Strahlen der Freyheit spielen, da möge jeder Verstand alle Ketten abschütteln, alle Lasten von sich werfen, und frey seyn um das Gebiet der Wahrheit und Glückseligkeit zu durchsuchen. So wie es unsere Pflicht ist, den Trieb der Geselligkeit in dieser Ausdehnung, und nach diesem Entwurf in uns auszubilden, so ist es auch unser Ruhm. Ich empfehle nicht eine gänzliche Unterdrückung jeder besondern Zuneigung, ein gänzliches Verwischen jeder zärtlichen Vorliebe, so daß nur ein kaltes, leidenschaftloses und gleichvertheiltes Wohlwollen gegen Alle übrig bliebe. Dies ist weder möglich, noch wäre es zu wünschen. Die mit denen wir in einer besondern Verbindung stehen, mögen wir immerhin Fremden vorziehn, ja wir müssen es nothwendig; nur müssen wir unser Herz dadurch nicht so verleiten lassen, daß wir ihnen auch das Gute wünschen, wodurch Anderen eine weit größere Summe von Wohlergehen entzogen würde; nur müssen unsere Empfindungen dadurch nicht so erschöpft werden, daß uns gar kein Interesse an dem Zustande, gar keine Besorgnisse um die Glückseligkeit der Gesellschaft, die uns umgiebt, mehr übrig gelassen würde. – Mit unsern Händen und unserer Hülfe können wir nur in einem kleinen Kreise herumreichen, aber es giebt keine Entfernung | zur See und zu Lande über welche wir nicht unsere guten Wünsche, unsre Mitfreude und unser Mitleid hinsenden könnten. Das Gute und Böse, welches zu entfernt ist, als daß wir es betrachten könnten, ist doch nicht zu weit es mit unserer Einbildungskraft zu erreichen. Mitempfinden können wir auch die Glückseligkeit und das Elend, welches wir nicht sehen können. So unsrer Neigungen ergießen, so unser Wesen erweitern, das heißt in den Geist des Christenthums eindringen, das heißt das allgemeine Wohlwollen des allgegenwärtigen Gottes nachahmen. Diese Gemüthsstimmung zu erreichen muß uns nun aus mehreren Gründen weit leichter werden, als der alten Welt. Wir haben ein ausgezeichnetes Beyspiel davon an dem Stifter unserer Religion. Viele vor ihm waren für ihr Vaterland gestorben; das war eine gemeine Großmuth; er aber war der erste, der für die 20 verleiten] so DV; OD: verdrehen Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 813

40 eine gemeine Großmuth] vgl. Adelung:

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has gone farther: and it is our duty to follow him to the same latitude of social love, though it is not probable | that Providence will summon us to the same extent of social sacrifice.

The heathen nations considered the inhabitants of foreign lands as under the protection of a foreign providence. The g ods, as well as the n a t i v e s , of another country, they regarded as aliens and strangers. But we believe in the unity of God: and t ha t should unite our hearts with all mankind, and lead us to look upon them all as one family; differing a little in feature, and in character, as the members of smaller families do, but all sprung from one stock, and all made of one blood.

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There is yet another circumstance, which distinguishes the modern from the antient world, and which facilitates the acquisition of universal philanthropy. In the earlier ages of the world, the nations of the earth saw, or heard, but little comparatively of each other, until they met in the field with hostile eyes. Now, on the contrary, the increase of commerce, improvement in navigation, the invention of printing, and regular establishments for conveying information from one end of the earth to another, have promoted the mutual intercourse of mankind, | and brought them better acquainted with one another. Intelligence of what is transacting in other nations is rapidly conveyed to us: we command, as it were at one view, this whole terrestrial universe: the theatre of the world is exhibited to our eyes: we are spectators of what is doing in the most distant parts of it: the names and the affairs of nations, that are afar off, are perpetually filling our ears. By this familiarity with them, foreign lands are brought near; they are rendered less alien and remote; we become conversant with all mankind, and are, in a manner, at home in all parts of the world. Now it cannot, I think, be denied, that this great intimacy with mankind, renders universal benevolence peculiarly obligatory upon us, as it must be confessed to make the acquisition of it peculiarly easy to us. I flatter myself, therefore, that I shall not be altogether unsuccessful, in recommending the love of all mankind, to the disciples of a

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Menschheit starb. Von den Heiden konnte man es nicht voraussetzen, daß sie seinem Muster nachgehen würden. Wenn sie so weit gingen, als ihre Philosophen und Gesetzgeber ihnen sagten, daß es rühmlich sey, so kamen sie so weit als immer zu erwarten war. Aber unser Anführer, Christen, ist weiter gegangen, und es ist unsre Schuldigkeit ihm bis zu dieser Erweiterung der geselligen Empfindungen zu folgen, wenn es gleich nicht wahrscheinlich ist, daß die Vorsehung uns zu einem gleichen Opfer für die Gesellschaft auffordern werde.| Die heidnischen Völker betrachteten die Bewohner fremder Länder als unter dem Schutz einer fremden Vorsehung stehend. Die Götter sowohl als die Eingebornen eines andern Landes waren ihnen fremd und gleichgültig. Wir aber glauben an die Einheit G ot tes, und dies sollte auch unser Herz mit der ganzen Menschheit vereinigen und uns bewegen, sie ganz als eine Familie anzusehn, deren Glieder zwar, wie das auch bey kleineren Familien der Fall ist, an Gestalt und Charakter ein wenig von einander abweichen, aber doch alle aus einem Stamme entsproßen, und aus einem Geblüt gebildet sind. Es giebt noch einen andern Umstand, der die neue Welt von der alten unterscheidet, und die Erlernung der allgemeinen Menschenliebe erleichtert. In den früheren Zeitaltern der Welt sahen oder hörten die Völker der Erde vergleichungsweise nur wenig von einander, bis sie sich auf dem Schlachtfelde mit feindseligen Augen begegneten. Jetzt aber ist durch die Erweiterung des Handels, durch die Verbesserung der Schiffahrt, durch die Erfindung der Buchdruckerkunst und durch die regelmäßigen Veranstaltungen um Nachricht von einem Ende der Erde an das andre zu bringen, der i n n e r e Verkehr zw ischen dem M e n s c h e n g e s c h l e c h t befördert, und die verschiedenen Theile desselben näher miteinander bekannt gemacht worden. Kunde von allem, was unter andern Völkern vorgeht, kommt schnell zu uns; wir übersehen gleichsam mit einem Blick den | ganzen Erdkreis; die Schaubühne der Welt ist aufgerollt vor unsern Augen; wir sind Beobachter dessen, was sich in den entferntesten Theilen derselben ereignet, und die Namen und Angelegenheiten der Völker, die fern von uns sind, füllen fleißig unsere Ohren. Durch diese vertraute Bekanntschaft mit fernen Ländern werden sie uns näher gebracht, sie sind weniger fremd und entlegen; wir treten in gesellschaftliche Verbindung mit der ganzen Menschheit, und auch gleichsam in allen Theilen der Welt zu Hause. Nun aber kann man, denke ich, nicht läugnen, daß diese genauere Bekanntschaft mit der Menschheit uns das allgemeine Wohlwollen um so mehr zur Pflicht macht, da man gestehn muß, daß es uns die Gewöhnung daran gar sehr erleichtert. Ich schmeichle mir also, daß ich den Schülern eines Meisters, der für die ganze Menschheit starb, den Gläubigen an einen Gott der der

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626 Serm. 17: Christianity ... not ... inculcating friendship and patriotism

Master who died for all mankind; to the believers in one God and Father of all mankind; and to persons who live in an age, which introduces them to the acquaintance of all mankind. Amen.

Pred. 17: Rechtfertigung des Christentums … einschärft

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Vater der ganzen Menschheit ist, und den Mitgenossen eines Zeitalters, welches uns in die Bekanntschaft mit der ganzen Menschheit hineinführt, auch Liebe zur ganzen Menschheit nicht ohne allen Erfolg werde empfohlen haben. Amen.

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The Love of Enemies shown to be a Temper attainable by Christians, and recommended to their Acquisition.

SERMON

XVIII.

B u t I s a y u n t o yo u , L o ve yo u r enemies, bless t hem tha t c u r s e yo u , d o go o d t o t h e m t h a t ha te y ou, a nd pra y f or t h e m w h i c h d e s p i t e f u l l y u s e y ou, a nd persecut e y ou. Matt. v. 44.

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Love your enemies!—hard lesson for such a creature as man to learn! A few situations indeed there are, but they are only a very few, in which it is an easy thing to do this. The fond and affectionate father, who finds himself assailed by the hand of filial hostility, knows not how to hate the author of his wrong; he is disappointed; he is miserable; but his heart is less disposed to swell | with resentment, than to burst with grief. When he is most exasperated, he retains parental tenderness: in the midst of extorted malediction he loves; and as fast as his lips pronounce the curse, his heart revokes it. David expressed himself with much bitterness concerning his enemies in general; but there was one in the number, for whom he could not help entertaining the fondest affection: there was one, for whose life, even while his own was sought by him, he felt a trembling solicitude. When he that “came forth from his bowels” conspired against his crown, he needed no moral prohibition to prevent him from hating his enemy. The monarch yearned over the rebel, and the conqueror deplored his victory.

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Achtzehnte Predigt.

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Daß Liebe gegen die Feinde eine Gesinnung ist, welche Christen erreichen können, und welche ihnen mit Recht empfohlen wird. Matth. 5, 44.

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Ic h a b e r s a g e E u c h , l i e b e t e u r e F e i n d e, seg net die euch fluc h e n , t h u t w o h l d e n e n , d i e e u c h ha ssen, bittet für die, s o e u c h b e l e i d i ge n u n d ve r f o l ge n .

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„Liebet eure Feinde!“ – Das zu lernen, ist eine harte Aufgabe für ein solches Geschöpf als der Mensch! Es giebt allerdings gewisse Umstände, aber es sind doch nur sehr wenige, unter denen es etwas leichtes ist dies auszuüben. Der zärtliche und liebreiche Vater, der von der feindlichen Hand eines Kindes hart geängstiget wird, weiß doch nicht wie er den Urheber seines Unglücks hassen könnte. Alle seine Hoffnungen sind freylich vernichtet, er ist elend; aber sein Herz möchte lieber vor Gram zerspringen, als von Zorn anschwellen. Auch wenn er am ärgsten erbittert ist, bleibt ihm noch väterliches Gefühl; er liebt noch mitten unter den abgedrungenen | Verwünschungen, und sein Herz widerruft den Fluch, sobald seine Lippen ihn ausgesprochen haben. David pflegte sich über seine Feinde im Allgemeinen mit vieler Bitterkeit auszudrücken, aber es gab einen unter ihnen, gegen den er sich der zärtlichsten Zuneigung nicht erwehren konnte; es gab einen, für dessen Leben er zitternd besorgt war, auch als dieser dem seinigen nachstellte. Als der „welcher von seinem Leibe kam“1 nach seiner Krone strebte, da bedurfte es nicht erst einer moralischen Vorschrift, die ihn abhielt seinen Feind zu hassen. Der Monarch bejammerte den Empörer, und der Eroberer beweinte seinen Sieg. 1

2 Sam. 16, 11.

5 Matth.] Math.

28 2 Sam.] 2 Sal.

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630 Serm. 18: The love of enemies ... recommended to their acquisition

It is easy also to love an enemy when he is in distress. We consider Adversity as our avenger: he is punished, and we are appeased. Resentment, when it has arisen to its highest pitch, never fails to sink along with the falling fortunes of him that raised it. The tears of an enemy extinguish all our anger, and retiring wrath resigns the breast to compassion. 177

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It is neither any difficult task to exercise | forgiveness, when he who has incensed us sues to be forgiven. When the crest of Insolence is lowered, when the knee is bowed before us, the pride of nature is pacified, and we hold out the sceptre of pardon. But, when there are none of these circumstances to soften, and to sooth him, how shall man, that irritable creature, so tremblingly alive to every touch of injustice; so easily ruffled and discomposed by an injury of the lightest weight, by an insult of the weakest sting; who is so sore in every part of his nature, as not only to be impatient of attacks upon his person, his property, or his character, but apt to be exasperated at even an impeachment of his talents; whose passions are blown into a blaze of resentment, not only by the furious breath of direct abuse and calumny, but by the softest whisper of blame, and faintest insinuation against his honour; who is apt even to be angry, without any cause at all; to take an affront, when none was meant him; and who is sometimes so wild and licentious in his resentment, as to be provoked by a refusal to comply with his unreasonable request;—how shall such an inflammable creature as this, bring himself to | love those enemies, who render him real and substantial injuries? Who act towards him in a manner, which renders them odious, not only in the eye of irritated passion, but in that of cool, contemplative Reason? Who are, at the same time, endeared by no circumstances to his heart? Who, instead of asking for his forgiveness, despise his power, and triumph in what they have done; and whose situation is calculated to excite rather his envy than his pity?

This is what the Gospel requires of man: and it is what the Gospel enables man to perform. It cannot indeed enable us, neither does it enjoin us, to love our enemies with lively affection, as we love our friends and benefactors; or to regard them with pleasure and complacency, as we regard the good and worthy in general. But what Christianity calls upon us to do, we can do: which is, to love them, to such

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So ist es auch leicht einen Feind zu lieben, wenn er im Unglück ist. Wir betrachten dann dies Unglück als unsern Rächer; er ist gestraft, und wir sind besänftiget. Wenn auch die Rachsucht den höchsten Gipfel erstiegen hat, so fällt sie doch immer sobald das Glück desjenigen sinkt, der sie erregt hatte. Die Thränen eines Feindes löschen allen unsern Zorn aus, der Grimm weicht und überläßt das Herz dem Mitleiden. Auch dann ist es nicht schwer Versöhnlichkeit zu beweisen, wenn der, welcher uns erzürnt hat, unsre Vergebung sucht. Wenn der Beleidiger sich demüthiget, wenn sein Knie sich vor uns beugt, so ist unser natürlicher Stolz befriedigt und wir winken ihm Vergebung zu.| Aber wenn keiner von diesen Umständen eintritt um uns zu zähmen und zu besänftigen, wie soll dann der Mensch, dieses reizbare Geschöpf, welches so heftig zittert bey jeder Berührung der Ungerechtigkeit, welches durch die unbedeutendste Beleidigung, durch den leisesten Stich der Kränkung so leicht verwirrt und außer Fassung gebracht wird, welches so wund ist an allen Theilen seiner Natur, daß es nicht nur keinen Angriff auf seine Person, sein Eigenthum und seinen Ruf vertragen kann, sondern schon durch jeden Verdacht gegen seine Talente erbittert wird, dessen Leidenschaften nicht nur durch den stürmischen Hauch der Verläumdung und des unverholnen Schimpfes zu einer auflodernden Flamme der Rache angeblasen werden, sondern schon durch das leiseste Flüstern des Argwohns, durch die entfernteste nachtheilige Aeußerung, welcher sogar ohne alle Ursach in Zorn gerathen kann, etwas übel aufnehmen kann, was gar nicht auf ihn gemeint war, und welches bisweilen so wild und ausgelassen in seiner Rache ist, daß sie schon gereizt wird, wenn man sich weigert seine unvernünftigsten Forderungen zu gestatten – wie soll ein so entzündliches Geschöpf als dieses es über sich vermögen, Feinde zu lieben die ihm wahre und wesentliche Beleidigungen zufügen? deren Betragen von der Art ist, daß es sie nicht nur in den Augen der gereizten Leidenschaft, sondern auch vor den kalten nur allgemeinen Grundsätzen folgenden Vernunft gehäßig macht? die dabey seinem Herzen aus gar keiner andern Rücksicht werth | sind? die statt seine Vergebung zu suchen nur seiner Macht spotten, und über ihre That triumphiren, und deren Lage so beschaffen ist, daß sie eher seinen Neid als sein Mitleiden rege machen kann? Dies ist es, was das Evangelium von dem Menschen fordert, und er wird auch durch das Evangelium fähig gemacht dies zu leisten. Es macht uns freylich nicht fähig unsre Feinde mit der lebhaften Zuneigung zu lieben, wie wir unsre Freunde und Wohlthäter lieben, oder 8 zu beweisen] beweisen

21 unverholnen] Kj unverhohlnen

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a degree, as to wish them well; to be sincerely desirous of their real welfare and happiness; to lift up no hand against them but that of selfdefence, or public principle; to forbid so much as a finger to move, so much as a wish to stir, against them, at the instigation of malice; to have no | pleasure in any of their sufferings; to feel no joy “when they stumble;” to be as ready as any other to relieve them, in those situations which recommend them to the compassion of rational Benevolence; and, in short, to include them in those good wishes, and good offices, which Charity directs us to extend to mankind in general, who have neither done us good, nor harm.

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This temper Christianity inculcates: and of this temper man is capable, with the assistance which Christianity lends him. To be convinced that even this height of goodness is not beyond the reach of human faculties, let us trace the several steps of that mental progress, which naturally and necessarily carries us up to this pitch of charity. In taking these steps, the Gospel of Christ affords us all the help we want. He that will give his hand to this celestial guide, shall be faithfully conducted to this divine temper.

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Our First step towards this generous temper, is the suppression of that pride, which construes into treason to our dignity, whatever is said, or done against us. Our first business must be to remove this, and suffer it to be hidden from us, by looking at ourselves | in that mirror, which the Scriptures hold up to man; by attending to the representations, which they make, of the Divine grandeur and perfection, and of human inferiority and infirmity; and by entirely subjecting ourselves to the influence of that Religion, which entered the world, discovering, in every step, a sovereign contempt for all that it calls great and glorious; and which places at our head a Lord and Master, sitting upon the fole of an ass, stooping to the feet of his disciples, and who, from the manger to the cross, was never, for one moment, elevated above the lowest estate in human life.—When we have drunk into this spirit, which, with such assistance, we can none of us deny that it is possible for us to do, we shall have advanced no small way,

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mit so viel Vergnügen und Wohlgefallen auf sie zu sehn, als wir an guten und würdigen Menschen überhaupt finden, aber dies befiehlt es uns auch nicht. Was uns aber das Christenthum in dieser Rücksicht zumuthet, das können wir auch thun, nemlich sie in dem Grade zu lieben, dass wir ihnen Gutes wünschen, dass uns ihre wahre Wohlfahrt und Glückseligkeit aufrichtig am Herzen liegt, dass wir keine Hand gegen sie aufheben, es sey denn zur Selbstvertheidigung oder im Dienst der Gesetze; daß wir uns nicht erlauben auch nur einen Finger gegen sie zu rühren, auch nur einen Wunsch gegen sie auszustoßen auf Antrieb der Bosheit; dass wir an keinem Leiden, welches sie betrift, Vergnügen finden; dass wir keine Freude fühlen wenn sie straucheln; dass wir keinem nachstehn an Bereitwilligkeit ihnen unter solchen Umständen wo ein vernünftiges Wohlwollen sich zur Theilnahme verbunden fühlt zu Hülfe zu kommen; und kurz dass wir sie in alle die guten Wünsche und die guten Dienste mit einschließen, welche die christliche Liebe | auf alle Menschen überhaupt, die uns weder Gutes noch Böses gethan haben, auszudehnen befiehlt. Diese Gesinnung schärft das Christenthum ein, und dieser Gesinnung ist der Mensch mit dem Beystande, den ihm das Christenthum giebt, auch fähig. Um uns zu überzeugen, daß auch diese Höhe der Tugend die Kräfte des Menschen nicht übersteigt, laßt uns die verschiedenen Stufen der Vervollkommnung des Gemüths bemerken, welche uns natürlich und nothwendig zu diesem Gipfel der Menschenliebe hinführen. Um diese Stufen ersteigen zu können giebt uns die Lehre Christi allen Beystand dessen wir bedürfen. Wer seine Hand diesem himmlischen Führer überläßt, wird sicher zu dieser göttlichen Gesinnung hingeleitet werden. Der e r s t e Schritt um uns diesem edlen Charakter zu nähern, ist die Unterdrückung des Stolzes, der alles, was gegen uns gesagt oder gethan wird, als einen Hochverrath gegen unsere Würde auslegt. Unser erstes Geschäft muß seyn diesen hinwegzuschaffen, und ihn uns ganz aus den Augen rücken zu lassen, indem wir uns selbst in dem Spiegel beschauen, welchen die Schrift dem Menschen vorhält, indem wir auf ihre Vorstellungen von der göttlichen Größe und Vollkommenheit und der menschlichen Niedrigkeit und Schwäche merken, und indem wir uns gänzlich dem Einfluß der Religion überlassen, die als sie in der Welt erschien bey jedem Schritt | eine gänzliche Verachtung gegen alles was man groß und rühmlich nennt, äußerte, und 11 betrift,] betrift

29 e rst e ] erste

31 wird,] wird

11–12 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 24,17

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in our path to the generous and exalted temper which we are considering.

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Secondly, Another step in the progress of the mind to the love of enemies is a close and intense attention to that shining example of this disposition, which the Gospel proposes to our imitation. I might here point your notice to that example of Providence itself, to which our Saviour, in the verse which | immediately succeeds the text, directs us to look. I might bid you behold the manner, in which Almighty God conducts himself towards them that are at enmity with him. I might call upon you to attend to those benignant courses of Nature, which are one continued and uninterrupted return of good for evil. I might exhort you to lift up your eyes to that sun, which, amidst all the depravity of mankind, shines on with a patient and long-suffering splendor, upon the faces, and the fields, of the impious, as of the devout; and to contemplate those clouds, which drop down the bread, by which the scoffer is supported, and the blasphemer is fed. But if you say that this example is too lofty for you to look up to; that God is a being without passion, and incapable of harm, whose tranquillity no disrespect can ruffle, or violence invade; if you be disposed to withdraw your eye from an example, which, you say, is too high for you; I will direct it to one, which stands upon the ground of humanity: exhibited by a being, subject to like passions as yourselves, and “in all points tempted like as you are.” He who uttered the words of the text in his sermon, expressed | all their spirit in his life. He loved his enemies with an ardor, which all their cruelty could not extinguish. He blessed, with the warmest devotion, those that, with the severest bitterness, cursed him. He did the greatest good that human benevolence can do, to them that hated him, with all the virulence that human malignity can feel. Who, without veneration, can behold a man, in whom, all the indignities and cruelties which it was in the power of his enemies to heap upon him, were able to excite no other feeling, relative to them, than pity! Who, without amazement, can contemplate a being, as susceptible of pain as any of us, under all the agonies of crucifixion, and in the midst of popular reproaches, more pointed and piercing than the nails that transfixed his limbs, or the spear that penetrated his side, employing the last gasp which his

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einen Herrn und Meister an unsere Spitze stellte, der auf dem Füllen einer Eselin ritt, sich zu den Füßen seiner Schüler beugte, und sich von der Krippe bis zum Kreuz nie auch nur auf einen Augenblick über den niedrigsten Rang im menschlichen Leben erhob. Haben wir uns diesen Geist zu eigen gemacht – und daß uns dies unter einem solchen Beystande möglich ist wird doch Niemand läugnen können – so haben wir gewiß auf unserm Wege zu der edlen und erhabenen Gesinnung, um welche es uns jetzt zu thun ist, keinen geringen Fortschritt gemacht. Zw e y t e n s . Ein anderer Schritt um unser Gemüth zu dieser Liebe gegen die Feinde hinzuführen ist eine genaue und anhaltende Aufmerksamkeit auf das glänzende Beispiel dieser Gesinnung, welches das Evangelium uns zur Nachahmung aufstellt. Ich möchte Euch hier auf das Beyspiel der Vorsehung selbst hinweisen, auf welches der Erlöser in dem unmittelbar auf unsern Text folgenden Vers unsre Blicke hinrichtet. Ich möchte Euch bitten die Art zu bemerken, wie sich der allmächtige Gott gegen diejenigen beträgt, die in Feindschaft mit ihm leben. Ich möchte Euch auffordern diesen wohlthätigen Lauf der Natur zu betrachten, der eine beständige ununterbrochene Vergeltung des Bösen zum Gutem in sich schließt. Ich möchte Euch ermahnen eure Augen zu der Sonne zu erheben, die mitten unter allen Verkehrtheiten des Menschengeschlechts | mit geduldigem und langmüthigem Glanz die Angesichter und die Felder der Ruchlosen so gut als der Frommen bescheint, und die Wolken zu betrachten, die auch das Korn begießen, welches den Spötter nährt, und den Lästerer sättigt. Wenn ihr aber saget, dies Beyspiel sey zu hoch, als daß ihr daran hinauf sehen könntet, Gott sey ein Wesen ohne Leidenschaft, und dem auch nichts Uebles widerfahren könne, dessen Ruhe keine Geringschätzung stören, keine Gewaltthätigkeit erschüttern kann; wenn ihr so eure Augen hinwegziehn wollt von einem Beyspiel, welches, wie ihr sagt, zu hoch für euch ist: wohlan so will ich euch eins anweisen, welches neben euch auf dem Boden der Menschheit steht, welches an einem Wesen erscheint, das denselben Leidenschaften wie ihr unterworfen war, und „versucht ist allenthalben gleich wie ihr.“2 Derjenige, welcher die Worte unsers Textes in seine Rede aufnahm, stellte auch den ganzen Geist derselben in seinem Leben dar. Er liebte seine Feinde mit einem 2

Ebr. 4, 15.

28 Uebles widerfahren] Uebels wiederfahren 1–2 Vgl. Sach 9,9 (zitiert in Mt 21,5; Joh 12,15) und den Bericht Mk 11,1–7; Lk 19,29–35

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636 Serm. 18: The love of enemies ... recommended to their acquisition

enemies have left him, in uttering a prayer for their forgiveness, and an apology for their crime! As no man can look upon this example, with however transient an eye, without reverence and love, so no man can look upon it long, and attentively, without catching the spirit of it; without being “transformed into the same image.”|

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To return good for evil, is, I acknowledge, the most difficult task we have to perform; and one from which we might have been tempted to have excused ourselves, by a plea of natural incapacity, did not the Religion, which requires it of us, place before us an example of it, in a situation more adapted to excite resentment, than any, in which, it is probable, that we shall ever be placed. No doubt, there have been men, such men we have met in the heathen story, who could conquer every passion but resentment; who ruled their spirit in every respect but this; who subdued the love of ease, the love of pleasure, the love of gold, but not the love of revenge; who were frugal livers, brave sufferers, steady patriots, fervent and faithful friends, but at the same time, bitter and implacable enemies; who, upon many occasions, discovered a spark of divinity, but, in the hour of injury and of anger, exhibited the weak and human creature. This is sufficient to shew the d i f f i c u l t y of loving our enemies, but not the impossibility.

To this summit of charity and generosity, to which our great preceptor in morals calls upon us to climb, he has himself ascended. He does not stand at the bottom of the hill, | the station from which 12 the heathen] heathen

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Feuer, welches alle ihre Grausamkeit nicht auslöschen konnte. Er segnete mit der wärmsten Andacht diejenigen, die ihm mit der härtesten Bitterkeit geflucht hatten. Die größte Wohlthat, welche menschliches Wohlwollen nur erzeigen kann, erwies er denen, die ihn mit dem giftigsten Haß, dessen menschliche Bosheit nur fähig ist, verfolgten. Wer kann ohne die innigste Verehrung auf einen Mann sehen, in dem alle Unwürdigkeiten und Grausamkeiten, wel|che seine Feinde über ihm zu häufen im Stande waren, doch kein anderes Gefühl gegen sie erregen konnten als Mitleid? Wer kann ohne Erstaunen ein Wesen betrachten, welches eben so empfindlich gegen den Schmerz als irgend einer von uns, dennoch mitten unter den Qualen der Kreuzigung und mitten unter Vorwürfen, die noch schärfer stachen, als die Nägel an die seine Glieder geheftet waren, oder der Speer, der seine Seite durchbohrte, den letzten Athemzug, den seine Feinde ihm übrig ließen, dazu anwendete ihnen betend Verzeihung zu bewirken und ihr Verbrechen zu entschuldigen. So wie Niemand auch nur mit flüchtigem Auge auf dies Beyspiel sehen kann ohne Ehrfurcht und Liebe zu empfinden, so kann es gewiß Niemand lange und aufmerksam betrachten, ohne den Geist desselben zu fassen, ohne „in dasselbige Bild verklärt zu werden.“3 Böses mit Gutem zu vergelten ist, ich gestehe es gern, das schwerste Geschäft welches uns obliegt, und von dem wir uns gern unter dem Vorwand eines natürlichen Unvermögens losgesagt haben würden, wenn uns nicht die Religion, die es von uns fordert, ein Beyspiel davon vor Augen stellte, welches in einer Lage gegeben wurde, die mehr dazu geeignet war Rachsucht zu erwecken als irgend eine, in welche wir wahrscheinlicher Weise jemals kommen können. Ohne Zweifel hat es Menschen gegeben, in der heidnischen Geschichte finden wir deren genug, | die jede Leidenschaft besiegen konnten, nur die Rache nicht, die ihren Geist in jeder Rücksicht beherrschten, nur nicht in diesem Punkt, die ihre Liebe zur Bequemlichkeit, ihre Liebe zum Vergnügen, ihre Liebe zum Gelde unterdrücken konnten, nur ihre Rachbegierde nicht; die mäßig lebten, muthig litten, standhafte Patrioten, eifrige und treue Freunde waren, aber zu gleicher Zeit auch bittere und unversöhnliche Feinde; die bey manchen Gelegenheiten bewiesen, daß ein Funke der Gottheit in ihnen war, aber in der Stunde der Beleidigung und des Zorns nur das schwache menschliche Geschöpf zeigten. Dies alles beweiset freylich, daß es schwer ist unsere Feinde zu lieben, aber nicht daß es unmöglich ist. Diesen Gipfel der Liebe und des Edelmuths hatte unser großer Sittenlehrer, der uns gebietet ihn hinanzuklimmen, selbst bestiegen. Er 3

2 Kor. 3, 18.

13–15 Vgl. Lk 23,34

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many other teachers have sent forth the voice of instruction, and content himself with pointing to the top, and saying to his fellow-inhabitants of the valley, “Go up yo n d e r :” it is from the heights of goodness, that he exhorts mankind to mount up into elevated benevolence: the animating language of his excitation to rise is, “Hit her rise:” his call to us, to move upwards, comes down to us from the pinnacle, to which it directs our flight: and he is as much our great Forerunner in moral ascension, as in resurrection from the grave, and in passage to heaven.

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Thirdly, Another motion of the mind towards the love of enemies, by means of which the Gospel leads it along to this pitch of goodness, is the transference of its attention, from the human hand that strikes the blow, by which its resentment is rouzed, to that Divine hand, by which all things are directed. By habitually reflecting upon what the Scriptures tell us, that men are only the instruments of God; that it is his providence which conducts them to all those particular expressions of their character, which take place in human life; and that, consequently, what|ever we receive at their hands is to be considered as his appointment and good pleasure; our attention is diverted from man, to God: and by means of this direction of our thoughts, upon every reception of an injury, the tumult of passion subsides into the awful stillness of submission to a superior Power. “It was not you, but God,” said Joseph to his brothers, when he exercised that spirit of forgiveness towards them, for which his praise has been so much celebrated:—“It was not you, but God,” let every man say to his enemy, and he will feel his heart the cooler for it. “Let him curse, it may be that the Lord hath bidden him,” were the all-potent words, which quieted the commotion of anger, in the bosom of David, when pursued and pelted by the stones, and by the reproaches, of an insolent enemy. He, whose anger was better governed than any man’s that ever lived, discovered himself a debtor to the same sentiment, for the subjection of this passion, when he said to a powerful enemy: “Thou couldest have no power at all against me, except it were given thee from above.” This enlarged and comprehensive view of things, which takes in their great Director, and first | Mover, cannot fail, when, in consequence of a frequent recurrence of it to the mind, it is become habitually resident in it, to produce a most composing effect upon the passion of anger and hatred.

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steht nicht unten an dem Hügel, wo so manche andere Lehrer stehen und die Stimme ihrer Unterweisungen erheben, indem sie sich begnügen auf die Spitze hinzuzeigen und denen, die sich gleich ihnen im Thal befinden, zu sagen, „gehet dorthin:“ sondern oben von der Höhe der Tugend herab ermahnt er die Menschen zu diesem erhabenen Wohlwollen hinaufzusteigen. „Kommt hieher“ das ist der Zuruf, durch den er uns Muth einflößt; die Stimme, die uns hinanzusteigen gebietet, kommt von eben der Höhe auf welche wir unsern Lauf richten sollen zu uns herab, und er ist in unserer moralischen Erhöhung von der Erde eben so gut unser großer Vorgänger | als in der Auferstehung aus dem Grabe und dem Eingang in den Himmel. D r i t t e n s . Eine andere Bewegung des Gemüths nach diesem Ziele hin vermittelst deren uns das Evangelium auch diesem höchsten Gipfel der Güte entgegenführt besteht darin, daß wir wenn irgend ein Streich uns traf der unsere Rachbegier rege macht, von der Menschenhand die ihn führte hinwegsehen, und unsre Aufmerksamkeit auf die göttliche Hand richten, welche alles regiert. Wenn wir das fleißig bedenken, was die Schrift uns sagt, daß Menschen nur Werkzeuge Gottes sind, daß seine Vorsehung es ist, welche sie zu allen den verschiedenen Aeußerungen ihres Charakters, wie sie im menschlichen Leben vorkommen, veranlaßt, und daß folglich alles, was wir aus ihren Händen empfangen, als seine Fügung und sein Rathschluß anzusehen ist, so wird unsre Aufmerksamkeit von den Menschen hinweg zu Gott gerichtet, und durch diese Richtung unserer Gedanken wird der Tumult der Leidenschaften, wenn uns irgend ein Unrecht geschieht, besänftigt und in ehrerbietige stille Unterwerfung unter eine höhere Macht verwandelt. „Ihr habt mich nicht hergesandt, sondern Gott,“4 sagte Joseph als er gegen seine Brüder die Versöhnlichkeit bewies um derentwillen er so sehr gerühmt worden ist. – Möchte doch jeder zu seinen Feinden sagen: ihr habt es nicht gethan sondern Gott, so würde sein Herz sich gewiß abkühlen. „Lasset ihn | fluchen, denn der Herr hat es ihm geheißen“5 das waren die gewaltigen Worte, welche die Regung des Zorns in der Brust Davids unterdrückten, als er von den Steinwürfen und den Lästerungen eines frechen Feindes verfolgt und getroffen wurde. Und der, welcher seinen Zorn besser zu beherrschen wußte, als irgend ein Mensch, der je gelebt hat, bezeugte daß auch er diesem Gedanken den Sieg über seine Leidenschaft verdankte, indem er zu einem mächtigen Feinde sagte: „Du hättest keine Macht über 4

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1 Mos. 45, 8. 2 Sam. 16, 10.

1 andere] Andere

20–21 vorkommen,] vorkommen

22 empfangen,] empfangen

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The immortal author of the Roman poem, in which the description of the destruction of Troy is introduced, as many of you may remember, represents his hero roving through the streets of the burning town, and accidentally meeting, in his nocturnal and frantic walk, with her, whose indiscreet conduct had been the occasion of the disastrous war, which terminated in the fall of that ancient city: at the sight of whom, he is suddenly seized with a fit of excessive resentment, and thirst of vengeance: when he is instantaneously appeased by the appearance of a celestial Power, who is painted as purging his eyes from the films of mortality; revealing to his view a number of invisible divinities, at that moment presiding over the work of destruction; and calling upon him to transfer his attention from the unhappy object of his wrath, to that hand of Heaven, by which the town was overturning. Composed and quieted by this awful vision, he is described as losing the fury | of his anger, in the humble silence of pious acquiescence. In this poetical and pagan representation, we behold, depicted, the office, which Christianity performs for blind, agitated man, amidst the resentments, by which, in this world of wrongs, his peace is so frequently ruffled. It is thus that that divine Director interposes, like a descending angel, between offended, and offending, man; purifies the eye of Anger from the mist of mortality; and enables it to discern that unseen, and all-directing hand, by which all that bleed, are wounded; by which all that fall, are put down; and all that rise, are lifted up. He, who permits Christianity to perform this office for him, who employs the eye, which is thus purified and cleared, to look at with attention, and habitually to perceive, the celestial object that is thus

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mich, wenn sie dir nicht wäre von oben herab gegeben.“6 Wenn wir es dahin gebracht haben, daß durch oft wiederholte Betrachtung diese größere mehr umfassende Ansicht der Dinge, die überall den großen Regierer, den ersten Beweger von allem wahrnimmt, uns immer gegenwärtig ist, so kann es nicht fehlen, sie muß zur Beruhigung der Leidenschaften des Zorns und des Hasses sehr kräftig wirken. Der unsterbliche Verfasser des römischen Gedichts, in welches die Beschreibung der Zerstörung Trojas eingeflochten ist, stellt, wie viele unter euch sich erinnern werden, an einem Ort vor, wie sein Held die Straßen der brennenden Stadt durchstreift und bey diesem nächtlichen Gange von ohngefähr derjenigen begegnet, deren unbehutsames Betragen die Veranlassung zu dem unglücklichen Kriege gegeben hatte, der sich mit dem Untergang dieser alten Stadt endigte. So wie er sie erblickte, wur|de er von einem unhaltbaren Zorn und Durst nach Rache ergriffen, aber eben so plötzlich wurde er auch wieder besänftiget durch die Erscheinung eines himmlischen Wesens, welches nach der Schilderung des Dichters die Decke der Sterblichkeit von seinen Augen hob, seinen Blicken ein Heer unsichtbarer Gottheiten enthüllte, die in diesem Augenblick über dem Werk der Zerstörung geschäftig waren, und so seine Aufmerksamkeit von dem unglücklichen Gegenstand seines Zorns ab auf die Hand des Himmels lenkte, durch welche die Stadt überwältiget worden war. Durch diese erhabene Erscheinung beruhigt und besänftiget verlor sich die Wuth seines Zornes in dem demüthigen Schweigen einer frommen Ergebung. In dieser dichterischen heidnischen Vorstellung sehen wir den Dienst abgebildet, welchen das Christenthum dem verblendeten leidenschaftlichen Menschen mitten unter den Kränkungen leistet durch welche seine Ruhe in dieser Welt der Ungerechtigkeit so oft getrübt wird. So steigt der göttliche Anordner aller Dinge wie ein guter Engel herab, und stellt sich zwischen den Beleidigten und den Beleidiger; befreyt das Auge des Erzürnten von dem Schleier der Sterblichkeit und setzt ihn in Stand die unsichtbare, alles lenkende Hand wahrzunehmen, die alle welche bluten verwundet, alle welche fallen stürzt, und alle welche steigen emporhebt.| Wer sich diesen Dienst von der Religion wirklich erweisen läßt, wer sich des so gereinigten und aufgeklärten Auges wirklich bedient, 6

Joh. 19, 11.

2 oft wiederholte] oftwiederholte

8 ist,] ist

29 Dinge] Dinge,

7–24 Vgl. Publius Vergilius Maro: Aeneis, Buch 2, Zeile 567–633, in: Opera, ed. Christian Gottlob Heyne, Bd. 1–4, Leipzig 1767–1775, hier Bd. 2, 1771, S. 198–205 [SB 2067]

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revealed to it; who “lives as seeing Him that is invisible;” exchanges, upon every reception of injurious treatment, resentment against man, for resignation to God. In looking up to the one, he looks off from the other; and, along with his eye, his anger departs from him. 188

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Fourthly, Another step towards the at|tainment of that charity, which leads us to love our enemies, is the assurance of the Divine protection, by the practice of general virtue, and the fixture of the supreme affections upon things, which are out of the reach of accident and injury. All our wickedness may be traced to the weakness of our nature, and the number of our unnecessary wants. In proportion to the dependence of our happiness upon things which we are without, and which we cannot obtain, but by taking them from others, and to our incapacity of securing the possession of them, when we have obtained them, is the temptation we are under, unjustly to deprive our fellow creatures of their property, and to inflict severe pain upon them, in order to punish, or to prevent, the pain, to which, by such deprivations, they are capable of putting us. The degree of our weakness, and of our imaginary want, is thus the cause of all our injustice, cruelty, and revenge. In the same degree, in which we feel, or in which we fear, the power of man, is our disposition to hate, both those that h a v e hurt us, and those that m ay; and our propensity to do all the harm we can, both to the one and the other. It is become an ax|iom in morals, that the greatest cowards make the most cruel tyrants, and the greatest sufferers under an injury, the most violent avengers of it. As the weakness and indigence of man are the causes of all his wickedness, so the perfect power and beatitude of the Deity are the foundations of his infinite rectitude and goodness. Possessing all things, he is incapable of robbery. He wants nothing but what he has, and what cannot be taken away from him. In saying, He is the greatest, we say, He is the best, of beings: in calling Him the King, we call him the Friend of the universe.

If man, then, would partake of the goodness of God, let him strengthen the weakness of his nature, by seeking the alliance of his power. Let him, by confining his supreme desires to that favour of the 7 fixture] fixure

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um den himmlischen Gegenstand der ihm nun offenbart ist wiederholt und mit Aufmerksamkeit zu betrachten, und nun lebt als „sähe er den, welchen er nicht sieht,“ bey dem verwandelt sich, so oft er eine kränkende Behandlung erfährt, Rachsucht gegen die Menschen in Ergebung gegen Gott. Indem er zu diesem hinaufblickt sieht er von jenen hinweg, und mit seinem Auge verläßt sie auch sein Zorn. Vi e r t e n s . Ein anderer Schritt um zu der Vollkommenheit zu gelangen, welche uns auch die Feinde lieben lehrt, wird gethan, wenn wir uns durch ein tugendhaftes Leben überhaupt des göttlichen Schutzes versichern, und unser höchstes Gut in solchen Dingen sehen, die weder vom Zufall noch von der Ungerechtigkeit verletzt werden können. Alles Schlechte an uns hat am Ende seinen Grund in der Schwachheit unserer Natur, und in der Menge unserer unnöthigen Bedürfnisse. Je mehr wir unsere Glückseligkeit von solchen Dingen abhängig machen, die wir nicht haben, und die wir nicht erlangen können ohne sie Andern zu nehmen, und je weniger wir im Stande sind uns ihren Besitz zu sichern, wenn wir sie erlangt haben, desto mehr sind wir in Versuchung unsern Nächsten des seinigen ungerechterweise zu berauben, oder ihm hart zu begegnen um die unangenehmen Empfindungen zu erwiedern oder zu verhindern, die er uns durch ähnliche Beraubun|gen verursacht hat, oder verursachen könnte. So ist also das Maaß unserer Schwäche und unserer eingebildeten Bedürfnisse die Ursach unserer Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Rachbegierde. In demselben Grade als wir die Gewalt der Menschen empfinden oder fürchten müssen, sind wir auch geneigt sowohl die, welche uns geschadet haben, als die, welche uns schaden können, zu hassen, und beyden so viel Uebles zuzufügen, als wir können. Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß die feigherzigsten Menschen immer die grausamsten Tyrannen sind, und daß die, welche durch eine Beleidigung am meisten leiden, sie auch am heftigsten zu rächen suchen. So wie also die Schwachheit und Dürftigkeit des Menschen der Grund seiner Bosheit ist, so ist die vollkommne Macht und Glückseligkeit Gottes der Grund seiner ewigen Gerechtigkeit und Güte. Da er alles besitzt, ist er unfähig etwas zu rauben. Er bedarf nichts als was er hat, und was nicht von ihm genommen werden kann. Wenn wir sagen er ist das größte Wesen, so sagen wir zugleich, daß er das beste ist: wenn wir ihn den König der Welt nennen, nennen wir ihn zugleich ihren Freund. Will also der Mensch der Güte Gottes gleichen, so muß er durch ein Bündniß mit der Macht desselben der Schwäche seiner eignen Na3 verwandelt sich,] verwandelt, sich

10 sehen] setzen

2–3 Hebr 11,27 (nach der englischen Textfassung)

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Almighty, of which nothing can deprive him, and to the safety of his real interests, under the shadow of his wing, assimilate himself to that great, independent Being, who has need of nothing, and from whom nothing can be taken. He that is shielded by infinite power, may be said to share it; and he that participates the om|nipotence, will not fail to participate the benevolence, of Heaven. In proportion to the settlement of his heart in this situation of serenity, and conscious security, will be his disposition to love those beings around him, from whom he has so little to fear, and to forgive those, from whose ill offices, it is, comparatively, so little that he suffers. As “perfect Love casteth out fear,” perfect Courage casteth out hatred. A truly brave man was never yet either a cruel, or a revengeful one. So close is the connection between conscious strength, and generous disposition, that they accompany one another throughout the animal kingdom. The most courageous creatures are generally the most generous; and the most timorous, the most malevolent.

The way, then, to perfect ourselves in philanthropy and charity, is to acquire that fortitude and courage, to which the Gospel makes it easy for us to attain, by delivering our minds from every doubt of the immortal protection, and blessing of Almighty God, while we are diligent in the discharge of our duties. Thus, by walking in the path of general virtue, in company with the Christian Religion, we, in the most natural, and neces|sary manner, arrive at last, in proportion to our progress in faith and piety, at that love of enemies, which is the summit of all virtue. Fifthly and finally, As a comprehensive view of the whole of our o w n condition, and the scope of o u r own history under the divine government, while we continue in the practice of virtue, contributes, in a very considerable degree, to our capacity of loving our enemies; so the extension of our views to the whole of their situation, and to the sequel of t h e i r story, will yet farther facilitate the attainment of this temper, and complete the benignity, with which it is in our power to contemplate this class of our fellow-creatures. Pity is the parent of love. He who is conscious to compassion, when contemplating his enemy, not only forgives, but feels a kind of affection for him. The distress of him, who kindled our resentment, always puts it out. When we behold an enemy brought low by adversity, immediately we for11 truly brave] so Errata-Verzeichnis; OD: brave

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tur zu Hülfe kommen. Er schränke seinen höchsten Wunsch ein auf den Besitz der Gunst des Allmächtigen die ihm Niemand rauben kann, und auf die Sicherheit sei|nes wahren Wohlergehns die er unter dem Schutze seiner Flügel genießt, und so werde er diesem großen und unabhängigen Wesen ähnlich, welches nichts bedarf, und von dem nichts genommen werden kann. Wer von einer unendlichen Macht beschützt wird, der kann sagen, daß er Theil daran hat, und wem die Allmacht des Himmels eigen ist, dem wird ohne Zweifel auch das Wohlwollen desselben eigen seyn. Je mehr sein Herz in diesem frohen Bewußtseyn und in dieser heitern Lage fest ist, desto mehr wird er sich geneigt fühlen, alle Wesen umher zu lieben, von denen er ja so wenig zu fürchten hat, und allen zu vergeben durch deren schlechtes Betragen er ja verhältnißmäßig so wenig leidet. So wie völlige Liebe die Furcht austreibt7, so vertreibt vollkommner Muth den Haß. Ein braver Mann war nie grausam oder rachsüchtig. Zwischen dem Bewußtseyn der Stärke und einer großmüthigen Gesinnung findet eine so genaue Verbindung statt, daß beyde selbst im Thierreich einander immer zur Seite stehn. Die muthigsten Geschöpfe sind überall auch die edelsten, und die furchtsamsten sind am meisten boshaft. Um uns demnach in der Menschenliebe bis zu diesem Grade zu vervollkommnen müssen wir uns die Standhaftigkeit und den Muth zu eigen machen, dessen Erwerbung uns das Evangelium dadurch so sehr erleichtert, daß es uns jeden Zweifel an dem ewigen Schutz und Segen des allmächtigen Gottes | benimmt, wofern wir nur in der Erfüllung unserer Pflichten treu sind. Gehen wir also in Begleitung der christlichen Religion auf dem Pfade der wahren Tugend fort, so kommen wir, je nachdem unsre Fortschritte im Glauben und in der Frömmigkeit schnell sind, am Ende ganz von selbst und unausbleiblich zu der Feindesliebe, welche der höchste Gipfel der Tugend ist. F ü n f t e n s und letztens. So wie eine allgemeine Uebersicht über das Ganze unsres eignen Zustandes, und den Gang den unsre eignen Begebenheiten unter der Regierung Gottes nehmen, so lange wir der Tugend treu bleiben, gewiß viel beyträgt uns dieser Liebe zu unsern Feinden fähig zu machen, so wird uns gewiss ein richtiger Blick auf ihre ganze Lage und den Zusammenhang ihrer Schicksale diese Gesinnung noch mehr erleichtern und uns soviel Wohlwollen einflößen als wir nur immer fähig sind, gegen diese Klasse unserer Mitgeschöpfe zu fühlen. Das Mitleiden ist die Mutter der Liebe. Wer Mitleiden fühlt 7

1 Joh. 4, 18.

13–14 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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give, in a moment we forget, all that he has done against us. We do not wish to punish, whom Heaven has already scourged. We should spurn the man, who were to whisper a word of revenge in our ear. With whatever ani|mosity we may have been accustomed to regard him before, his misfortune is the mediator of peace. His miseries plead his cause, and extenuate his trespass against us, with an eloquence which there is no resisting, and which can scarcely fail to effect our reconciliation to him. The fiery flashes of anger, at the sight of his sorrows, forsake our eye, and leave only the mildness, and the moisture of pity there.

It is thus that we are ever affected, by the unfortunate situation of him, from whom we have received injurious usage. But, though from all external, and visible distress such an one may be free; though he be surrounded by prosperity and triumph; though he “take the timbrel, and the harp, and rejoice at the sound of the organ;” though success and victory cast their glaring lights upon him; and he exult in that fabric of prosperity, which he has reared with unrighteous hands: though these be the gay colours of his condition, we may still throw over this sunshine of his situation that shade, which excites the sigh of compassion. We have only to open the penetrating eye of reason, and he is an object of commiseration still. We should re|flect, that by that conduct, in the course of which he has invaded our happiness, he has destroyed the best part of h i s ow n; that he has lost that testimony of a good conscience, without which, prosperity is not worth a wish; that he has forfeited the consciousness of that “loving kindness which is better than life;” that he is the slave of passions, by which he must be frequently tormented, in the midst of all the delights of that lap of ease in which he lies. By indulging such reflections as these, a wise man, when the wicked have troubled him, soon softens himself into generous, relenting, and placid sensations. His imagination pursues the malevolent disturber of his repose, into his solitudes; and pictures him there, at moments, melancholy, and unhappy. He enters, in idea, into his secret soul; and is a witness of the reflections, which, he cannot but suppose, must sometimes trouble its tranquillity. Though unable really to pierce into the recesses of his breast, yet knowing what human nature is, undazzled and undeceived by the surface of felicity that surrounds him, he reflects, what must sometimes pass in that mind, into which he cannot look; what must be

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wenn er seinen Feind betrachtet, der verzeiht ihm nicht nur sondern empfindet auch eine gewisse Zuneigung zu ihm. Sein unglücklicher Zustand löscht den Zorn wieder aus, den sein Betragen angezündet hatte. Wenn wir einen Feind sehen der durch Leiden gedemüthigt ist, so vergeben wir ihm unmittelbar und vergessen in einem Augenblick alles was er gegen uns gethan hat. Wir begehren nicht mehr den zu strafen, den der Himmel schon gezüchtiget hat. Verächtlich wür|den wir den stehen lassen, der uns nun noch ein Wort von Rache sagen wollte. Mit welchem verhaltenen Grimm wir ihn auch sonst angesehen haben mögen, sein Leiden ist der Friedensstifter. Seine Unglücksfälle vertheidigen seine Sache, und beschönigen seine Vergehungen gegen uns mit einer Beredtsamkeit, der nichts widersteht, und der es kaum fehlen wird unsere Versöhnung mit ihm zu bewirken. Das wilde Feuer des Zorns verläßt unser Auge bey dem Anblick seines Kummers und läßt nur die milden Thränen des Mitleidens zurück. So werden wir immer bewegt durch die unglückliche Lage eines Menschen von dem wir Unrecht erlitten haben. Aber wenn ein solcher auch von allen äußerlichen und sichtbaren Leiden befreyt ist, wenn er auch von Glück und Sieg umgeben ist, wenn er auch „Harfen, Psalter und Pauken hat,“8 und sich an ihren Tönen ergötzt, wenn auch der glücklichste Erfolg aller seiner Unternehmungen ein glänzendes Licht auf ihn wirft, wenn er auch frohlockt in dem Gebäude der Glückseligkeit, welches er mit ungerechten Händen aufgerichtet hat, wenn auch dies die heitern Farben seines Zustandes sind; so können wir doch über diesen Sonnenschein seiner äußern Lage einen Schatten ziehn, der sehr bald die Seufzer unsers Mitleidens hervorlocken wird. Wir dürfen nur das durchdringende Auge der Vernunft öffnen, so ist er doch ein Gegenstand des Bedauerns. Wir dürfen nur das durchdringende Auge der Vernunft öffnen, so ist er doch ein Gegenstand des Bedauerns. Wir dürfen nur überlegen, dass er durch | das Betragen welches seine Eingriffe in unsre Glückseligkelt verursachte, auch den besten Theil seiner eigenen zerstört hat, daß er das Zeugniß eines guten Gewissens verloren hat, ohne welches äußeres Glück nicht eines Wunsches werth ist, daß er das Bewußtseyn des guten Herzens wel8

Hiob 21, 12.

12 widersteht, und] widersteht und,

35 Hiob 21, 12.] Jes. 5, 12.

34–649,1 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 63,4 (KJB Ps 63,3) 35 Das von Fawcett ausgedehnter markierte wortgetreue Zitat stammt aus Hiob 21,12. Schleiermacher übersetzt markiert nur den ersten Halbsatz und fügt unmarkiert in freier Formulierung den zweiten Halbsatz hinzu, der in der von ihm angegebenen Nachweisstelle Jes 5,12 keinen Anhalt hat.

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many | of the soliloquies, which he cannot overhear; what must be often the sensations, to which he cannot penetrate; and frequently the thoughts, which he cannot read. Unrepelled by the sparkling front of his prosperity, his pity passes on to the inner parts of his enemy’s experience; and listens to that sigh of remorse, by which the song of joy must be succeeded; and looks on those thorns of disquietude, by which the slumber of ease must be broken, in a life from which innocence and virtue are banished. Melted by these pictures, he forgets his anger; and exchanges the fury of resentment, for gentle, and pensive sensations.

In this condition, his enemy may, perhaps, continue till he die; or, perhaps, he may not. If he should, he reflects, that bis situation is beyond expression deplorable. He sends forward his eye into awful futurity; anticipates the trumpet, which is to awaken the dead; and erects, in idea, the dread tribunal of him, in whose hands their fates are deposited. Before that bar, he places his enemy: no object of envy now! no triumphant oppressor! no longer elate with success, and flushed with victory over the innocent and the helpless! | but vanquished, disgraced, and dispirited! bound in the fetters of Omnipotence, and trembling at the feet of Justice! When from this dark picture, the prophetic spectator takes off his eye, it is suffused with a tear, which completely drowns all the fire that resentment had kindled in it. This is a contemplation, which allays every violent emotion of his mind; and causes all the tempest and hurricane of anger, gradually to sink into the gentle sigh of compassion for the danger of his foe, and into the soft breath of prayer for his deliverance from it. In such

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ches besser ist als das Leben verwirkt hat, daß er der Sklave von Leidenschaften ist, von denen er gewiß mitten unter den Freuden seines weichlichen Wohlergehens oft gewaltig gequält wird. Sind wir weise, so werden wir durch solche Betrachtungen, wenn die Bösen uns beunruhigt haben, uns sehr bald wieder zu edeln versöhnlichen und milden Empfindungen zu stimmen wissen. Unsere Einbildungskraft verfolgt den boshaften Störer unserer Ruhe in die Einsamkeit und zeigt ihn uns dort auf Augenblicke wenigstens schwermüthig und unglücklich. Wir gehn in Gedanken in das innerste seiner Seele und sind Zeugen von den Ueberlegungen, welche wie wir voraussetzen müssen, bisweilen wenigstens seine Ruhe unterbrechen. Wir können zwar im eigentlichsten Sinn nicht in die Geheimnisse seines Gemüths eindringen, aber wir wissen doch was die menschliche Natur ist, und ohne uns blenden und täuschen zu lassen von der oberflächlichen Glückseligkeit die ihn umgiebt, können wir wohl berechnen, was bisweilen in der Seele vorgehn muß, in welche wir nicht hineinsehen können, was für Selbstgespräche das seyn müssen, die wir nicht belauschen können, was für Empfindungen es da oft geben muß, die wir nicht | bemerken, was für Gedanken, die wir nicht lesen. Unser Mitleiden läßt sich nicht abweisen von der lächelnden Mine des Glücks, sondern dringt hindurch in die innern Theile des Bewußtseyns unsers Feindes, es horcht auf die Seufzer und Vorwürfe, die dem Freudengesang folgen müssen, es sieht die stechenden Dornen, die den glücklichen Schlummer eines Lebens unterbrechen müssen, aus dem Unschuld und Tugend verbannt sind. Erweicht durch dieses Gemälde vergessen wir unsern Zorn, und überlassen uns statt wilder Rache sanften, gedankenvollen Rührungen. In diesem Zustande bleibt unser Feind vielleicht bis an seinen Tod, vielleicht auch nicht. Sollte das erste seyn, so müssen wir doch seine Lage über allen Ausdruck bedauernswerth finden. Unser Auge fliegt voran in eine schreckliche Zukunft, wir hören im voraus die Trompete welche die Todten erwecken wird, wir erblicken in Gedanken das furchtbare Tribunal desjenigen in dessen Händen ihr Schicksal liegt. Vor diesen Richterstuhl stellen wir unsern Feind. Hier ist er kein Gegenstand des Neides, kein triumphirender Unterdrücker! Hier ist er nicht mehr aufgeblasen über sein Glück, und nicht länger brüstet er sich mit seinen Siegen über den Unschuldigen und Hülflosen; sondern überwunden steht er da, hoffnungslos, herabgestürzt von der Höhe der Gunst, gebunden in den Fesseln der Allmacht und zitternd zu den Füssen der Gerechtigkeit. Wenn der ahndende Zuschauer von diesem dunkeln | Gemälde sein Auge hinwegnimmt, so ist es von einer Thräne überschwemmt, die alles Feuer auslöscht welches der Unwille darin angezündet hatte. Dies ist eine Betrachtung welche alle heftigen

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a moment of solemn meditation, the single feeling that fills his heart, is forgiveness; the single wish that warms it, is, that Heaven may forgive!

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When the man is actually no more, who, when living, did us wrong, (I speak to the experience of every one, who has proved the situation I suppose) we instantly give him a free, and a full pardon. Along with the object of it, our resentment expires. Whatever were the injuries, which once he heaped upon our heads, we then remember them no more. The solemn sound of his knell, is a signal for every hostile passion to be gone, which every hostile passion obeys. When his ashes | are joined in his kindred ashes, we commit our enmity too to the dust, and bury it for ever there. When we look at his grave, if in our walk through the place of sepulchres, we chance to pass by it, where he ceases from troubling us now; when we observe how low he lies! how quiet, and how harmless he is become! and perceive the flowers of the field lifting up their heads above him! a tender melancholy steals over the breast, which admits of no sensations there, but such as are mild and gentle. We sigh, and say to ourselves, with a sort of sympathetic sadness, “How short has his triumph been! all his glory is over now! he has passed away, and lo he is not! he that seeks him, cannot find him! he has had his moment; and all to come, is judgment and retribution.” Before these reflections, every angry passion vanishes for ever away. These feelings, we all of us ever experience, when an enemy is actually no more; and to such we shall ever be conscious, whenever, while yet he lives, we send our imagination onward, and anticipate the hour of death, and the day of judgment.

But, perhaps, before that hour arrives, your enemy may repent. Perhaps he may: | say, then, that he does. The moment is, then, at hand, when he will wish he had never injured you; when, with bitterest remorse, he will remember every bad action he has done; when, with many blushes, and many tears, he will review the part he has acted; and look back, with all the agony of regret, upon the years he has thrown away, and cannot recall. Look forward to that hour: reflect on what h e has to endure, and forgive the pain he has given to y o u . Were I speaking to the most oppressed man this day in the

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Gemüthsbewegungen dämpft und den wildbrausenden Sturm des Zornes bricht, bis nur fromme Seufzer des Mitleidens über die Gefahr des Feindes und sanfte Töne des Gebetes um seine Errettung übrig bleiben. Das einzige Gefühl welches in solchen Augenblicken des feyerlichen Nachdenkens das Herz erfüllt ist Vergebung! Der einzige Wunsch, der darin glüht, ist der, daß auch der Himmel vergebe. Wenn derjenige der uns während seines Lebens übles that wirklich nicht mehr da ist, so lassen wir ihm – ich berufe mich auf die Erfahrung eines Jeden der in dieser Lage gewesen ist – gern eine herzliche und vollkommne Vergebung angedeihen. Unsere Erbitterung verschwindet zugleich mit dem Gegenstand derselben. Wie groß auch die Beleidigungen waren, die er einst übereinander häufte, jetzt gedenken wir ihrer nicht mehr. Der feyerliche Ton seiner Todtenglocke ist ein Zeichen zur Entfernung jeder feindseligen Leidenschaft, dem auch jede feindselige Leidenschaft gehorcht. Wenn sein Staub sich dem verwandten Staube vermischt, vertrauen auch wir unsere Feindschaft der Erde, und begraben sie da auf ewig. Wenn unser Weg uns über das Feld der Gräber führt, und wir da etwa auch bey dem seinigen vorbeygehn, und nun sehn wo er ausruht von aller Unruhe, die er uns ver|ursacht hat, und bemerken wie niedrig er liegt, wie still und harmlos er nun geworden ist, und sehen, daß die Blumen des Feldes über ihn ihre Häupter erheben, so stiehlt sich eine zarte Schwermuth in unsre Brust und läßt uns keine andere als fromme und sanfte Empfindungen. Wir seufzen und sagen in mitfühlender Traurigkeit zu uns selbst: Wie kurz sind doch seine Triumphe gewesen! aus ist es nun mit seinem Ruhm; er ist vorübergegangen und ist nicht mehr da; wer ihn sucht kann ihn nicht finden; er hat seinen Augenblick genossen, und was ihm jetzt bevorsteht ist Gericht und Vergeltung! Vor diesen Ueberlegungen verschwindet jede zornige Leidenschaft auf immer. Diese Empfindungen sind in uns allen, wenn einer von unsern Feinden nicht mehr ist, und wir sollten uns ihrer auch bewußt seyn, wenn er noch lebt, indem wir unsre Einbildungskraft vorausschicken zu der Stunde des Todes und dem Tage des Gerichts. Aber vielleicht gereuet es unsern Feind ehe diese Stunde noch kommt. Vielleicht! setzet also, es sey so. So ist denn der Augenblick da, wo er wünschen wird, euch nie beleidigt zu haben, wo er sich mit den bittersten Vorwürfen jeder schlechten Handlung erinnern wird, die er gethan hat; wo er mit tiefer Schaam und vielen Thränen an das Betragen denken wird, welches er angenommen, wo er mit allen Qua19–20 ver|ursacht] ver|verursacht

25 Triumphe] Triumpfe

24–28 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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world, I would say to him, Bless God that thou art not the oppressor, and pity him that is.

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The consideration, that our enemy may hereafter become an altered, and an amiable man, will, if properly entered into, and sufficiently indulged, dispose us to view him in the shade of his present character, and during the smarting of the pain, which he now inflicts upon us, with much less of acrimony, and will considerably soften our hearts in his favour. As long as my enemy lives, there is hope of his amendment. He is an object of divine mercy, and forbearance. He is at present in the province of repentance; in the | school of Providence. He is passing through a world, in which there are many scenes adapted to turn his heart; where “God speaketh once, yea twice,” to the conscience of man; where “Wisdom crieth” not only in schools, and in temples, but “without;” where “she uttereth her voice in the streets, in the chief place of concourse, in the openings of the gates.” It is not impossible but that, in some susceptible moment, he may turn him at her reproof, and lend an ear to her counsel. Now I cannot esteem him; h e r e af t e r, perhaps, I may. What he is at present I cannot love; it is possible, he may attract my f ut ure affection. He may become an object of my warmest esteem; a fellow-heir of God; a fellow-citizen of heaven. Who can tell, but I may meet and embrace him above? along with him, look back, with joy, upon the escape he shall have made from his present character; and associate with him for ever, in the mansions of immortal amity, and harmony. Let me indulge this hope! let me address this prayer to God! and, in the mean while, regard the creature he is educating, with the same merciful goodwill, | and patient forbearance, which he observes towards him Himself. Such are the methods, which will most powerfully operate to lay our angry passions, restore our irritated temper to tranquillity, and dispose us to the exercise of forgiveness, amidst the numerous injuries, which we are liable to receive, in our passage through this world.

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len der Reue auf die Jahre zurücksieht die er verschwendet hat, und die er nicht kann wiederkehren lassen. Auf diese Stunde sehet hin! | bedenket was er zu leiden hat, und vergebt ihm den Schmerz, den er euch gemacht hat. Redete ich heute zu dem unterdrücktesten Menschen auf der Welt, ich würde ihm doch sagen: danke Gott, daß du nicht der Unterdrücker bist, und bemitleide den, der es ist. Die Betrachtung daß unser Feind mit der Zeit noch ein gebesserter und liebenswürdiger Mensch werden kann, wird wenn wir sie auf die rechte Art anstellen und weit genug verfolgen, uns sehr geneigt machen ihn auch in dem Schatten seines jetzigen Charakters doch mit weniger Bitterkeit anzusehn, und wird vielleicht unser Herz für ihn erweichen. So lange mein Feind noch lebt ist Hoffnung zu seiner Besserung. Er ist ein Gegenstand der göttlichen Erbarmung und Langmuth. Er ist hier noch in dem Lande der Reue, in der Schule der Vorsehung. Er wandert durch eine Welt, worin es viele Auftritte giebt, welche sein Herz andern können; wo Gott „einmal auch zweymal“9 redet zu dem Gewissen des Menschen; wo „die Wahrheit ruft – nicht allein in den Schulen und in den Tempeln, sondern draußen, wo sie sich hören läßt öffentlich am Wege und an der Straßen, und bey den Thoren der Stadt.“10 Es ist nicht unmöglich, dass er in einem empfänglichen Augenblick ihren Verweis annimmt und ihrem Rath sein Ohr leiht. J e t z t kann ich ihn nicht achten, hernach kann ich es vielleicht. Wie er jetzt ist kann ich ihn nicht lieben; | vielleicht gewinnt er sich in Zukunft meine Zuneigung. Er wird vielleicht der Gegenstand meiner wärmsten Achtung, ein Miterbe Gottes, ein Mitbürger des Himmels. Wer kann sagen, ob ich ihn nicht dort oben antreffe und umarme? ob ich nicht mit ihm freudig darauf zurücksehe, wie er sich von seiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung glücklich losgemacht hat? und ob ich mich nicht auf immer zu ihm geselle in den Wohnungen der ewigen Freundschaft und Eintracht? Diese Hoffnung will ich nähren, dies Gebet will ich zu Gott schicken, und unterdessen das Geschöpf, welches er erzieht, mit der nemlichen nachsichtigen Güte und geduldigen Langmuth behandeln, welche Er selbst gegen dasselbe beweiset. Dies sind die Hülfsmittel, die am wirksamsten seyn werden um unsre heftigen Leidenschaften zu stillen, unser aufgebrachtes Gemüth zur Ruhe zu bringen und uns Versöhnlichkeit üben zu lehren unter den mancherley Beleidigungen, die wir vielleicht bey unserm Gang durch diese Welt zu erfahren haben. 9 10

Hiob 33, 14. Spr. Sal. 8, 1–3.

40 33, 14.] 33, 29.

41 8, 1–3.] 8, 1, 2.

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Permit me to press upon you the cultivation of this temper, from the consideration of the happiness and serenity of mind, that will of necessity flow from it, and the intrinsic beauty and dignity of it.

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I. Let me intreat you to reflect a moment upon the inward tranquillity, with which this temper is attended. There is nothing, which so much agitates and tosses the mind of man, as immoderate resentment. Perhaps you will tell me, it is a popular saying, and what all that have experienced it concur in declaring, that revenge is sweet. So they all agree in saying; and I will agree with them, and thank them for the argument against them, with which they have armed me. The boasted sweetness of revenge is a strong and striking proof of the bitter anguish of ex|cessive resentment. ’Tis true, revenge is sweet; so is death, to a wretch in the agonies of despair: insensibility is sweet, as an escape from torture; and revenge is sweet, because, and only because, it is a release from resentment. The gratification of immoderate anger is no otherwise agreeable, than as it puts an end to it. The vulture within is then satisfied, and ceases to tear the heart. If, then revenge be sweet, a forgiving temper must be sweeter still; for this never knows the torment, for their rescue from which, the vindictive are indebted to revenge, and on which account alone, they become enamoured of their deliverer. If continued repose be preferable to broken rest; if uninterrupted health be a greater good than a course of sicknesses and recoveries; to love our enemies, must be more blessed than to take vengeance on them.

II. Let me next beg you to consider the exalted and dignified nature of this disposition. That vigilant and irritable jealousy of honour, which pursues an enemy with vengeance, is a disposition, with which many are delighted. There are those, who look upon that meek requital of good for evil, which our religion inculcates, as having somewhat | in it of mean, of timorous, and of tame. Nor is it difficult to discover the door, at which this idea enters into the mind. In considering them, who are solely governed, in their actions, by constitutional impulses, who are under the influence of passion alone, and strangers to the restraint of principle and reason, (in which class the majority of mankind are to be included) we observe that those, who are most sprightly and spirited, most remarkable for rash bravery, 36 rash bravery] so Errata-Verzeichnis; OD: bravery

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Laßt euch das ernstliche Streben nach dieser Gesinnung auch noch aus zwey Gründen nachdrücklich empfohlen seyn, um der Glückseligkeit und Gemüthsruhe willen, die daraus nothwendig herfließt, und wegen ihrer innern Schönheit und Würde. 1) Ich bitte euch einen Augenblick darauf zu merken von welcher innern Ruhe diese Gesinnung | immer begleitet ist. Das menschliche Gemüth wird durch nichts so heftig und stürmisch bewegt als durch unmäßige Rachsucht. Vielleicht werdet ihr mir sagen, es sey ja ein gemeiner Ausdruck und alle die es versucht hätten erklärten es auch einmüthig für wahr, daß die Rache süß ist. Darin stimmen freylich alle überein, und ich will mit ihnen übereinstimmen, und ihnen danken für den Beweis mit dem sie mich dadurch gegen sich selbst bewaffnet haben. Die gerühmte Süßigkeit der Rache beweiset am stärksten und bündigsten mit welcher quälenden Angst die heftige Rachsucht verbunden seyn müsse. Es ist wahr die Rache ist süß; – auch der Tod ist süß dem Unglücklichen, der mit der Verzweiflung ringt, auch die Unempfindlichkeit ist süß wenn sie uns von Qualen befreyt und die Rache ist deswegen, nur deswegen süß, weil sie uns von der Rachbegierde erlöset. Die Befriedigung eines ausschweifenden Zorns ist nur deswegen angenehm, weil sie ihm ein Ende macht. Der Geier in uns ist dann gesättiget, und hört auf unser Herz zu zerreißen. Ist also die Rache süß, so muß ein versöhnliches Gemüth noch süßer seyn: denn dies kennt die Qualen gar nicht von denen die Rache erst den Unversöhnlichen befreyt, der sie nur um dieser Befreyung willen als seinen Erretter liebt. Wenn fortgesetzte Ruhe einer gestörten vorzuziehen ist, wenn ununterbrochene Gesundheit ein größeres Gut ist, als ein beständiger Wechsel von Krankheit und Genesung, so muß man auch glücklicher seyn wenn man | seine Feinde liebt, als wenn man Rache an ihnen nimmt. 2) Hiernächst bitte ich Euch das Große und Erhabene, was in dieser Gemüthsstimmung liegt zu erwägen. Jene wachsame und reizbare Eifersucht auf unsre Ehre, welche uns antreibt einen Feind mit unserer Rache zu verfolgen, ist eine Gesinnung, die von Vielen für schön gehalten wird. Es giebt Personen, welche die holdselige Vergeltung des Bösen mit Gutem wie unsere Religion sie verlangt, für etwas niedriges, furchtsames und schwaches ansehn. Es ist auch nicht schwer zu entdecken, wie dieser Gedanke in das Gemüth hinein kommt. Wenn wir auf diejenigen Acht geben, welche in ihren Handlungen allein von Antrieben der Neigung regiert werden, allein unter dem Einfluß der Leidenschaften stehn, und von einer Herrschaft der Vernunft und ihrer Grundsätze nichts wissen (und offenbar gehört der größere Theil des Menschengeschlechts in diese Klasse), so werden wir allerdings bemerken, daß diejenigen welche die lebhaftesten und

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and for ardour in their friendships, are most susceptible of violent resentment, and most eager and impetuous in the pursuit of revenge. The same fire of constitution, which kindles their generosity, adds heat to their anger. While, on the contrary, persons of a cold, inanimate, and timid complexion, are more disposed to put up with insults, and with injuries; or do not, when they are angry, discover so much of flame and fury in their anger.

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Now, in contemplating merely constitutional qualities, we are all of us naturally more disposed to admire spirit and fire, through all their expressions, and modifications, than phlegm, and torpor of disposition. | They argue, undoubtedly, a greater energy of nature; and, when properly directed, will produce more ardent, and vigorous virtue. We cannot help feeling more respect for even mechanical, and animal courage, that has no intellectual, or moral merit, than for constitutional timidity. We reverence the lion more than the deer: we look with more veneration upon the eagle, than upon the dove: and a brave man, though born such, receives more of our respect, than a constitutional coward. In consequence of this disposition to honour spirit and ardor, however produced, we admire a violent resentment, more than a torpid insensibility to injuries; and an impassioned pursuit of revenge, if it be open and manly, more than that forbearance, which arises solely from fear. In regarding that forbearing and forgiving temper, which our religion recommends to us, men are apt to associate along with it that poorness of nature, with which they observe it to be accompanied, when it springs only from native complexion; without reflecting, that this disposition, as it exists in | the true christian, does not arise from animal mechanism, but from moral principle; that, as it is perfectly consistent with the most animated nature, so it proceeds from a principle, which produces courage, fortitude, generosity, and every quality which mankind are most accustomed to admire; that it arises out of the most enlarged views, and springs from the truest greatness, and elevation of mind; that a christian forbears to pursue, not because he fears, but because he does n o t fear his enemy. The coolness, with which a scholar of Christ receives the injuries, and the insults that are rendered him, has no more connection with fear, than the tranquillity and silence of Heaven, when insulted by the voice of human blasphemy.

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muthigsten sind, welche sich durch ihre Tapferkeit und durch ihren Eifer in der Freundschaft auszeichnen, auch der heftigsten Rachgierde fähig sind und diesen Endzweck mit wildem Ungestüm verfolgen. Dasselbe natürliche Feuer welches ihre edeln Neigungen entzündet vermehrt auch die Hitze ihres Zorns. Dahingegen Personen von einer kalten schläfrigen und furchtsamen Gemüthsart eher geneigt sind Kränkungen und Beleidigungen ruhig einzustecken, oder wenn | sie auch zornig werden doch diese Wuth und dies Feuer in ihrem Zorn nicht äußern. Wenn wir aber bloß auf natürliche Anlagen und Eigenschaften sehen, so sind wir alle geneigt Muth und Feuer in allen ihren Aeußerungen und allen verschiedenen Gestalten mehr zu bewundern als Phlegma und starre Gleichgültigkeit. Jene beweisen ohnstreitig eine kräftigere Natur, und wenn sie gehörig geleitet werden, kann auch eine eifrigere und kraftvollere Tugend daraus hervorgehn. Wir können uns nicht enthalten selbst für bloß körperliche und thierische Herzhaftigkeit, die gar keinen geistigen oder sittlichen Werth hat, mehr Achtung zu fühlen als für eine furchtsame Natur. Wir schätzen den Löwen höher als das Reh, wir empfinden für den Adler eine Art von Achtung, aber nicht für die Taube, und einem braven Mann, wenn ihm diese Eigenschaft auch angeboren ist, geben wir mehr Ehre als dem der von Natur feigherzig ist. Zufolge dieser Geneigtheit Kraft und Muth zu ehren, woran sie sich auch zeigen, bewundern wir eine wilde Rache mehr als eine stumpfe Unempfindlichkeit bey Beleidigungen, und eine leidenschaftliche Rachsucht, wenn sie nur offen und männlich zu Werke geht, mehr als die Langmuth, welche nur aus Furcht entsteht. Wenn sich nun die Menschen diese langmüthige und versöhnliche Gesinnung ins Andenken bringen, welche unsre Religion empfiehlt, so denken sie dabey gar leicht an die innere Armseligkeit, welche | sie immer zum Grunde liegen sehen, wo diese Gesinnung nur ein Werk der Natur ist, ohne zu bedenken, daß diese Tugend so wie sie dem wahren Christen eigen ist, nicht aus der körperlichen Konstitution, sondern aus sittlichen Grundsätzen entsteht; daß sie mit dem lebhaftesten Gemüth vereinbar ist, und aus einem Grundsatz hervorgeht, der Muth, Tapferkeit, Edelsinn und jede Eigenschaft erzeugt, welche die Menschen am meisten zu bewundern pflegen; daß sie das Resultat der weit umfassendsten Einsichten ist und aus wahrer Größe und Hoheit des Geistes entspringt; daß ein Christ sich aller Verfolgungen enthält, nicht weil er seinen Feind fürchtet, sondern weil er ihn nicht fürchtet. Die Kälte womit ein Schüler Christi die Kränkungen und Beleidigun14 werden,] werden

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In examining, then, that forgiving spirit, which is inculcated upon us by the christian religion, it becomes us to correct the unfavourable impression, we may have received of this method of treating our enemies, from observing the bad company of mean passions, which it may keep, when it proceeds from complexional, and mechanical causes, by considering, that in the character of the true | Christian, it is accompanied with all those properties, that are most amiable, and venerable in the eye of mankind: that it is attended, in such a character, with the truest gallantry of spirit, and the most enlarged magnanimity. It becomes every examiner of this branch of christian morality, thus to correct, by the assistance of reason, the prejudice he may have conceived against it, from the cause to which I have pointed; and to judge the forbearance of a christian, when treated with injustice, or with insult, by the same rule of equity, by which a soldier of sense decides upon a brother soldier’s refusal to send, or to accept a challenge, when he knows that the man, who in this instance, adopts a conduct, with which all his military sentiments lead him to associate the idea of pusillanimity, and want of spirit, has signalized himself in the field of battle; has given undisputed proofs of courage, in the proper place, and upon the proper occasion; and that, therefore, his declining to draw his sword, upon this, cannot spring from fear, but must be dictated by a sense of duty. Upon this principle, to which even the proud | prejudices of a soldier bend, let every man revere that forgiving spirit; which he is disposed to despise, when it proceeds from the coldness of the blood; when it is accompanied, as, in the Christian character, it is, by true courage, and every other great and noble attribute; when it owes its very birth to a sublime sense of superiority to, and a generous compassion for, the authors of our wrongs.

Let any man place, for a moment, before the eye of his impartial reason, and moral discernment, the character of Christ, in this respect, and set by the side of it that of others, who, though great and good, were not great and good enough to love their enemies; and let

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gen aufnimmt, die man ihm anthut, hat mit der Furcht nichts mehr zu schaffen als die Rache und das Schweigen des Himmels, wenn sich die Stimme menschlicher Lästerungen gegen ihn erhebt. Wenn wir also die Bereitwilligkeit zum Vergeben, welche die christliche Religion uns einschärft, nur gehörig prüfen und recht verstehen, so werden wir es rathsam finden, alle ungünstigen Eindrücke, durch welche wir gegen diese Art Feinde zu behandeln überhaupt eingenommen waren, zu berichtigen. Wir werden finden, daß sie nur aus der Bemerkung entstanden waren, in welcher schlechter Gesellschaft niedriger Leidenschaften diese Handlungsweise da gefunden wird, wo sie aus dem Grad der Kräfte | und aus der Mischung der Neigungen mechanisch hervorgeht, und wir werden dagegen einsehen, daß sie in dem Charakter des wahren Christen von allen den Eigenschaften begleitet ist, welche das Menschengeschlecht für die liebenswürdigsten und achtungswerthesten hält, daß sie in einem solchen Gemüth mit dem Geist der wahren Ehre, und mit der unbeschränktesten Großherzigkeit verbunden ist. Jeder, der über diesen Theil der christlichen Sittenlehre genauer nachdenkt, muß die Vorurtheile, welche er aus den angeführten Gründen dagegen gefaßt haben kann, mit Hülfe seiner Vernunft besiegen und die Langmuth eines Christen, der ungerecht oder beleidigend behandelt wird, nach derselben Regel der Billigkeit beurtheilen, nach welcher ein Soldat von Ehre seinen Kameraden beurtheilt, welcher sich weigert eine Ausforderung von sich zu stellen oder anzunehmen. Wenn dieser weiß, daß derselbe Mann, der in dem gegenwärtigen Fall ein Betragen annimmt, welches nach der Denkungsart dieses Standes Kleinmuth und Feigherzigkeit voraussetzt, sich im Schlachtfelde ausgezeichnet und am rechten Orte zur rechten Zeit die unbezweifeltsten Proben eines wahren Muths abgelegt hat, so schließt er, daß seine Weigerung bey dieser Gelegenheit das Schwerdt zu ziehn, nicht aus Furcht entsprungen seyn kann, sondern von einem Gefühl für Pflicht geboten worden seyn muß. Diesem Grundsatz zufolge, vor welchem sich selbst die stolzen Vorurtheile des Kriegers beugen, muß also Jedermann | den versöhnlichen Sinn den man zu verachten geneigt ist, wenn er nur aus der Kälte des Blutes entsteht, da verehren, wo ihm, wie es in dem Charakter der Christen der Fall ist, wahrer Muth und alle große und edle Eigenschaften zur Seite stehn, und wo er einem erhabnen Gefühl von Ueberlegenheit über die Urheber des Unrechts und einem edlen Mitleiden mit ihnen seine Entstehung verdankt. Stellet doch auf einen Augenblick vor den Augen eurer unpartheiischen Vernunft den Charakter Christi in dieser Rücksicht dem Cha22–23 Kameraden] Kammeraden

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him say, which it is, that the most delights his virtuous taste, and sensibility. Let him contemplate that Roman, who, when banished by the country he had gloriously served, and zealously loved, sullenly withdrew from her walls, to seek her enemies, and returned, at their head, to thunder at her gates: let him survey another sufferer from national ingratitude, upon quitting the city that repaid his services with a similar sentence, | throwing up to Heaven a look of fierce devotion, and imprecating vengeance upon his ungrateful countrymen: then, let him turn from these ruffled and agitated forms, to the placid and quiet figure of Jesus Christ, dropping a generous tear over that still more ungrateful town, from which he had not yet indeed, but from which, he knew, he was to receive more severe treatment than expulsion from it; or, while suspended in the last agony their malice could inflict, lifting upwards a look of mild and amiable intreaty for the pardon of their crime. Let him compare these characters together, and declare which it is that appears the most venerable, and sublime, in his eye. He will not, he cannot hesitate. He must perceive, in a moment, that the greatest favour he can shew to the former of these, is to forget them, while he thinks on the last; and to release them from a company, in which they cannot shine.

To conclude, let us be thankful for a Religion, which enables us to ennoble our nature by the acquisition of this great, and generous quality. Let us resolve to improve it wisely and virtuously; let us open our hearts | to the united influences of its precepts, examples, and promises: let us drink as deeply as we can into its divine spirit; and may the Almighty grant, that we may all evermore enjoy the peace and beatitude it bestows, upon all who imbibe that spirit! Amen.

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rakter anderer Menschen gegenüber, die zwar auch groß und gut waren, aber doch nicht groß und gut genug um ihre Feinde zu lieben, und entscheidet dann, welcher von beiden auf euren Geschmack für das sittliche und auf euer feines Gefühl für dasselbe den angenehmsten Eindruck macht. Betrachtet jenen Römer, der, als er aus der Stadt verbannt wurde, der er rühmlich gedient, und die er eifrig geliebt hatte, sich tückisch aus ihren Mauern entfernt, um ihre Feinde aufzusuchen, und an der Spitze derselben zurückkehrt um ihre Thore zu bestürmen; denkt euch einen Andern, dem die Undankbarkeit des Volkes eben so mitspielt, und der indem er das Vaterland verläßt, welches seine Dienste durch einen ähnlichen Urtheilsspruch belohnt, den Himmel mit wildem Blick ansieht und Rache herabflucht auf seine undankbaren Mitbürger; und nun wendet euch von diesen widrigen und zerrütteten Gestalten zu dem sanften und ruhigen Bilde Jesu Christi, wie er über die noch | undankbarere Stadt, von der er eine noch weit härtere Behandlung als bloße Verbannung zwar noch nicht erfahren hatte, aber doch wußte daß er sie erfahren würde, eine edle Thräne vergießt, oder wie er am Kreuz unter den letzten Todesqualen, welche ihre Bosheit ihm anthun konnte, noch einen Blick gen Himmel richtete der die edle und liebenswürdige Bitte um Verzeihung für ihr Verbrechen enthielt. Diese Charaktere vergleicht mit einander, und entscheidet, welcher in euren Augen der ehrwürdigste und erhabenste ist. O ihr werdet, ihr könnt nicht wanken. Ihr müßt es im Augenblick einsehen, daß die größte Gunst die ihr den ersteren erweisen könnt, darin besteht, daß ihr sie vergeßt indem ihr an den letzteren denkt, und daß ihr sie aus einer Vergleichung laßt, bei welcher sie nicht bestehen können. Schließlich laßt uns dankbar seyn für eine Religion, die uns fähig macht unsre Natur durch den Besitz dieser großen und herrlichen Eigenschaft zu veredeln. Laßt uns den Entschluß fassen, diese Religion weislich und tugendhaft zu benutzen, laßt uns unsre Herzen den vereinigten Einflüssen ihrer Gebote, ihrer Vorbilder und ihrer Verheißungen eröffnen; laßt uns von ihrem göttlichen Geist schöpfen so tief wir können, und möge der Allmächtige geben, daß wir alle mit einander den Frieden und die Glückseligkeit genießen möchten die sie allen denen gewährt, welche sich diesen Geist zu eigen zu machen wissen. Amen.

7 tückisch] tükisch 20–21 Vgl. Lk 23,34

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On the Spirit proper to be exercised towards the Wicked.

SERMON

XIX.

And when the Pharisees saw it, they said unto his disciples, W h y e at e t h yo u r m as t e r w i t h publica ns a nd sinners? Matt. ix. 11.

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The fairest actions may be easily blackened into crimes, by those who are disposed to put malignant constructions upon the conduct of mankind. Our Saviour was at this time performing the most amiable, and the most momentous of all the offices of humanity. He was sitting with companions, proverbial for their vice, with a view of converting them to virtue. He was acting in his character as the Saviour of men: endeavouring to instruct the ignorant; to awaken the thoughtless; to touch the insensible; to be|seech the enemy of God, and his own happiness, to be reconciled; to recall the lost sheep to its forsaken fold. The Pharisees, perpetual spies upon his conduct, and ever upon the watch for an opportunity of detecting some impropriety either in his words, or actions, distorted, in their malicious representations, this great and generous design, into a love of evil company; an attachment to dissolute society; and a selection of sinners for his favourite associates, and familiar friends. His answer to their idle question addressed to his disciples, which he overheard, contains a satisfactory apology for himself, and an iron-

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Ueber die Gesinnungen, welche wir gegen die Gottlosen hegen sollen. Matth. 9, 11. 5

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D a d a s d i e P h ar i s äe r s ah e n , s p r ac hen sie zu seinen Jüng e r n : Wa r u m i ß t e u e r M e i s t e r mit den Zöllnern und Sündern? Diejenigen, welche geneigt sind boshafte Auslegungen des menschlichen Betragens zu ersinnen, können leicht die schönsten Handlungen als schwarze Verbrechen darstellen. Unser Erlöser erfüllte eben die liebenswürdigste und wichtigste aller Pflichten der Menschenliebe. Er saß unter einer Gesellschaft von Personen, welche ihrer Laster wegen zum Sprüchwort geworden waren, in der Absicht sie zur Tugend zu bekehren. Er handelte in seinem Beruf als Erlöser der Menschen indem er sich bemühte den Unwissenden zu belehren, den Gedankenlosen aufzuwecken, den Unempfindlichen zu rühren, den Feind Gottes und seines eigenen Heils zur Versöhnung zu be|wegen, und das verlorne Schaaf zu der verlaßenen Heerde zurückzuführen. Die Pharisäer die überall sein Betragen ausspähten und immer auf eine Gelegenheit lauerten, wo sie irgend etwas ungebührliches in seinen Worten und Werken entdecken könnten, verdrehten in ihrer boshaften Auslegung diese große und edle Absicht in ein Wohlgefallen an schlechter Gesellschaft, in eine Anhänglichkeit an ausgelaßene Menschen, in eine besondere Vorliebe Sünder zu seinen begünstigtsten Gefährten, zu seinen vertrauten Freunden zu wählen. Seine Antwort auf ihre elende Frage die sie eigentlich seinen Jüngern vorgelegt und die er nur nebenher gehört hatte, enthält eine hinreichende Vertheidigung für ihn und einen ironischen Tadel für sie:

23 ausgelaßene] ausgelaßenen

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Serm. 19: On the spirit proper to be exercised towards the wicked

ical reproof of them. “I came not to call the righteous, (such as you) but sinners to repentance.” Besides the particular object at which this question of the Pharisees directly aims, the crimination of an innocent character, there is also implied in it, there lies at the bottom of it, an hard, pitiless, unrelenting spirit towards that part of mankind, who have made shipwreck of their virtue and happiness. Upon these proud professors of religion, in other parts of Scripture, this spirit is directly | charged. Nor did it die with them: it has descended to this day. There are those, nor is their number small, who continue to consider that unhappy class of human creatures, who have forfeited the esteem of mankind, as having likewise lost all claim to their mercy; as possessing no title to a place in the bosom of Charity; as beings to be hated with that pure and perfect abhorrence, which is due only to evil in the abstract; as wretches unworthy of a beneficent office or a benevolent wish, from whom social attention should turn entirely away, with a loathing that allows them not a look, and with a total negligence of their welfare.

A milder, and more humane sentiment, not in the least degree allied to moral relaxation, and languor; perfectly congenial with virtuous energy and ardour; is what I would wish to see prevail among them, who profess the gentle, and generous religion of Jesus.

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There are those who err on both sides of the sentiment, with which it becomes the upright to contemplate the fallen part of the moral world. Some suffer their love, or their respect, for the person of the sinner, to | appease their hatred, or blunt their contempt, for the sin. In the faults of those, to whom they are attached by the ties of intimacy, or of blood, the deformity of Vice presents itself to their view, in a form so fair, as to call no frown into their faces. Personal qualities likewise, either of a lovely, or a brilliant nature, which they contemplate in characters, with whom they hold a more distant intercourse, or which occur to the eye of their imagination, in the pages where human life is represented, communicate, in the sight of multitudes, a lustre to the moral blemishes, along with which they are blended. While others not only permit recommendatory properties in the person, but also honourable distinctions in the situation, of the criminal, to recommend the crime to their respect; allow nobility of

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Ich bin kommen die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht solche Fromme wie ihr. Außer der eigentlichen Absicht, worauf diese Frage der Pharisäer unmittelbar hinzielt, nehmlich der Verunglimpfung eines schuldlosen Charakters liegt noch etwas anderes darin: es liegt ihr auch eine harte, untheilnehmende unversöhnliche Gesinnung gegen diejenigen zum Grunde welche an ihrer Tugend und Glückseligkeit Schiffbruch gelitten haben. Einer solchen Gesinnung wird diesen hochmüthigen Bekennern der Religion in andern Theilen der Schrift geradezu Schuld gegeben. Sie ist auch mit ihnen nicht gestorben, sondern hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Es giebt noch Personen | und ihre Anzahl ist nicht klein, welche diese unglückselige Klasse menschlicher Geschöpfe die die Achtung der Menschen verlohren haben, so ansehn, als ob sie zugleich alle Ansprüche auf ihre Barmherzigkeit verlohren hätten, als ob sie auf einen Platz in der Brust der Liebe kein Recht mehr besäßen, als Wesen die man mit dem reinen und vollkommenen Abscheu hassen darf, der nur dem Bösen an sich im allgemeinen betrachtet gebührt, als Elende die jedes freundlichen Dienstes und jedes wohlwollenden Wunsches unwerth sind, von denen die Gesellschaft mit einem Widerwillen der ihnen auch nicht einen Blick zugesteht, und mit gänzlicher Unbesorgtheit um ihr Wohlergehen, ihre Aufmerksamkeit ganz hinwegwenden sollte. Eine mildere und menschlichere Gesinnung, die aber auch nicht im geringsten mit moralischer Nachgiebigkeit und Schwäche verbunden ist, sondern sich mit Thätigkeit und Eifer in der Tugend vollkommen verträgt: das ist es was ich unter allen denen herrschend zu finden wünschte, welche die sanftmüthige und edle Religion Jesu bekennen. Man weicht auf beiden Seiten ab von den Gesinnungen womit der Rechtschaffene den gefallenen Theil der moralischen Welt ansehn sollte. Bei einigen besänftigt ihre Liebe oder Achtung für die Person des Sünders auch den Haß gegen die Sünde und stumpft ihre Verachtung gegen sie ab. In den Fehlern dererjenigen, mit denen sie durch die Bande des Bluts oder vertrauter Freundschaft ver|bunden sind, zeigt sich die Häßlichkeit des Lasters ihren Blicken in einer so schönen Gestalt, daß es gar keinen Unwillen auf ihrem Angesicht hervorbringt. In den Augen der Menge theilen die persönlichen Eigenschaften von liebenswürdiger oder schimmernder Natur auch bei solchen Personen mit denen sie nur einen entfernteren Umgang haben oder die ihrer Einbildungskraft in Büchern, welche das menschliche Leben schildern, 8 Einer solchen] Eine solche

25 in] so DV; OD: an

1–2 Lk 5,32 (nach der englischen Textfassung)

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rank to ennoble moral meanness in their estimation, and height of station to lift the baseness of Vice.

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On the opposite hand, as there are those who thus suffer the person of the sinner to soften to their sight the harsh lines of the sin, there are others who permit that frown of detestation, which belongs alone to the hard features of abstract iniquity, to extend itself | to the beings by whom it is practised; who throw that regard upon the vicious, which it is only right to cast upon vice; who look upon the guilty person, with the same eye, with which alone it is proper to look upon the guilty principle; and who suffer moral enmity to swallow up social love. In combating this mixture, in the mind, of the man and his vices, I do not set my face against a harmless cloud of speculative confusion: in seeking to restrain this stretch of moral detestation beyond its bounds, I am not endeavouring to check an innocent redundance of virtuous indignation: I oppose a transgression against truth, which, in passing the line of intellectual rectitude, trespasses upon prohibited practical ground: I resist an excess, which not merely oversteps a decent temperance, but which pushes into positive evil. It is a spirit, immediately hurtful to the temper, and ultimately inimical to the conduct, of him, who admits it into his mind: it is an inhuman feeling, and it leads to inhuman action. He who preserves, in his specula t i o n , a proper separation between the two idea s of the sinner, and the sin, is prompted, in his p r ac t i c e , to make a distinc|tion between the t h i n g s themselves. While he, on the contrary, who confounds immoral practices, and immoral persons, in his contemplations, is naturally led to confound them likewise in his conduct. He is desirous to see them both destroyed together; and instead of acting the part of the benignant physician, who is a foe to the disease, but a friend to the patient, he would extend to the contaminated creature that extermination, which ought to be confined to his corrupt qualities.

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vorgeführt werden, den tadelnswerthen einen Glanz mit, von dem sie sich blenden lassen. Ja einige gehen so weit, daß nicht nur empfehlende persönliche Eigenschaften sondern auch ehrenvolle Auszeichnungen in der äußern Lage eines Verbrechers ihnen Achtung gegen sein Verbrechen einflößen, daß in ihrem Urtheil ein edler Stand auch moralische Nichtswürdigkeit adelt, und ein hoher Rang auch das niedrigste Laster erhöht. Auf der entgegengesetzten Seite giebt es Andere welche den heftigen Abscheu der nur den harten Zügen der Ungerechtigkeit, wenn man sie an sich selbst betrachtet, gebührt, auch auf die Personen ausdehnen, von welchen sie geübt wird; welche auch dem Lasterhaften die Blicke zuwerfen, die man mit Recht nur dem Laster zuwerfen kann; welche den verwerflichen Menschen mit eben den Augen ansehn, womit sie nur den verwerflichen Grundsatz ansehn sollten, und deren moralische Feindschaft alles gesellige Gefühl verschlingt. Indem ich dagegen streite, daß wir in unserm Gemüth den Menschen nicht mit seinen Lastern ver|mischen sollen, habe ich es nicht mit einer ganz unschädlichen Verwirrung in unsern Urtheilen zu thun; indem ich die Erweiterung dieses moralischen Abscheues über seine Grenzen hinaus zu verhindern suche, bemühe ich mich nicht einer unschuldigen nur etwas zu reichlichen Ergießung eines tugendhaften Unwillens Einhalt zu thun; sondern ich widersetze mich einer solchen Uebertretung der Wahrheit, welche uns, indem sie die Linie der theoretischen Richtigkeit überschreitet, zugleich im praktischen auf verbotenen Grund und Boden führt; ich stelle mich einer Ausschweifung in den Weg, welche nicht nur darin besteht, daß die Grenzen der Mäßigung überschritten werden, sondern welche in ein wirkliches Uebel ausartet. Es ist dies eine Gesinnung, welche auf die Gemüthsstimmung dessen, der sie sich erlaubt, gleich unmittelbar einen schädlichen und zuletzt einen sehr feindseligen Einfluß hat, es ist ein unmenschliches Gefühl und verleitet zu unmenschlichen Handlungen. Wer in seinem Nachdenken die beyden Begriffe den Sü n der und die S ünde gehörig unterscheidet, der wird immer bereit seyn auch in seinem Betragen die Gegenstände selbst zu unterscheiden. Dagegen wird derjenige, der unsittliche Handlungsweise und unsittliche Personen in seinen Betrachtungen über sie verwechselt, auch natürlich verleitet werden, sie in seinem Benehmen zu verwechseln. Er wünscht beide mit einander vernichtet zu sehn, und anstatt das Geschäft eines wohlwollenden Arztes zu übernehmen, der ein Feind der Krankheit, aber ein | Freund 4 Verbrechers] Verbrechers,

26 darin] darinn

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8 Schleiermacher lässt hinter „giebt es“ einen Teilsatz Fawcetts aus.

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The book of Psalms presents to the reader a piety, of which the effusions are always fervent, and frequently generous, but with this stain upon it. There are occasional appearances of a spirit in these writings, against the imitation of which, it is the duty of every teacher of the mild and benevolent religion which we have received, to put his hearers upon their guard. There are several sentiments of a virulent, and vindictive nature, scattered over these pious compositions, such as cannot he supposed to have ascended, with any acceptance, from the harp of Devotion, to the God in whose praise it was tuned: such as nothing can excuse, but the infancy | of liberal knowledge and humanity, at the period in which they were penned: and such as must be sifted from these sacred pieces, before they can be perused with uniform pleasure, or used throughout as exercises of devotion, by the more enlightened, and humanized worshipper of christian times, and modern days. “I hate them with perfect hatred,” are words, the spirit of which it is vice to feel, even towards the enemies of virtue.—“Happy shall he be, that shall take thy little ones, and dash them against the stones,” is a sentiment, which can find no hiding place for its deformity, amidst all the beauties of poetry, by which the piece, where it stands, is embellished; amidst all the injuries of captive Judea, by which it was provoked; or all the patriot tears, on the banks of the rivers of Babylon, and all the pious sighs of absence from the national seat of worship, by which the reader is prepared to receive it with an indulgent eye. Still it stands, an odious and offensive blot, upon an immortal song: and the soothed heart, that had passed with a pensive and sentimental delight, through the simple, and affecting graces of the piece, is at length | shocked and wounded, upon discovering this snake among the flowers. Humanity recalls her encomium, and Heaven rejects the hymn.

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des Kranken ist, wird er den Menschen selbst wegschneiden wollen, da er nur gegen seine verderbten Eigenschaften so verfahren sollte. Das Buch der Psalmen zeigt dem Leser eine Frömmigkeit, deren Ergießungen immer sehr glühend und oft sehr edel sind, aber auf der dieser Fleck haftet. Es zeigt sich bei mancher Gelegenheit in diesen Schriften ein solcher Geist, daß es die Pflicht eines jeden Lehrers der milden und wohlwollenden Religion, die wir angenommen haben, seyn muß, seine Zuhörer vor der Nachahmung desselben zu warnen. Man findet in diesen frommen Gesängen verschiedentlich bittere und rachsüchtige Gesinnungen eingestreut, von denen man nicht glauben kann, daß sie dem Gott zu einigem Wohlgefallen gereicht haben, zu dessen Ehre die Harfe der Andacht von der sie emporstiegen angestimmt wurde; Gesinnungen welche nichts entschuldigen kann, als daß zu der Zeit, da sie aufgezeichnet wurden, freiere Einsicht und höhere Menschenliebe noch in der Kindheit waren, und welche man aus diesen heiligen Dichtungen erst aussichten muß, ehe aufgeklärtere und menschlich gesinntere Gottesverehrer aus der Schaar der Christen und in den neueren Tagen sie mit ungestörtem Wohlgefallen lesen, oder durchweg als Andachtsübungen gebrauchen können. „Ich haße sie in rechtem Ernst,“1 in diesen Worten liegt eine Gesinnung, welche, auch gegen die Feinde der Tugend zu hegen, lasterhaft ist. „Wohl | dem, der deine Säuglinge nimmt und zerschmettert sie gegen einen Stein.“2 Das ist eine Gesinnung, welche nirgends einen Platz finden kann um ihre Häßlichkeit zu verbergen, weder hinter allen Schönheiten der Poesie durch welche das Stück worin sie steht gehoben wird, noch hinter allen Kränkungen des gefangenen Juda, durch welche sie hervorgepreßt wurde, noch hinter allen patriotischen Thränen an den Wasserflüssen Babylons, noch hinter allen den frommen Seufzern über die Entfernung von dem Sitz des National Gottesdienstes, durch welche der Leser schon vorbereitet wird, sie mit einem nachsichtsvollen Auge aufzunehmen. Sie steht immer als ein böser häßlicher Fleck in dem unsterblichen Liede, und das sanfte Gemüth, welches mit einem schwermüthigen und empfindsamen Vergnügen die einfachen und rührenden Schönheiten des Stückes genossen hatte, wird zuletzt noch beleidiget und verwundet, indem es diese Schlange unter den Blumen entdeckt; das theilnehmende Gefühl nimmt seinen Lobspruch zurück und der Himmel verwirft den Gesang. 1 2

Ps. 139, 22. Ps. 137, 9.

7 haben,] haben

20 Ernst,“] Ernst“

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Such a sentiment as this would now be received with horror, by any civilized assembly in the world, in reference to the innocent offspring of the most execrable miscreants upon the face of it. That principle of humanity, which forbids us to wish ill to the progeny, equally prohibits malignant wishes to the persons, of the worst of men; although that principle is not sufficiently acted upon, even in the present day, to produce, even in humaner minds, that explosion of this latter indistinction in our moral views, which, it is enough exercised in all minds, to inspire of the former confusion.

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The bad, as well as the good, are the objects, not indeed of esteem, not of friendship, but certainly of benevolence. It is our duty to wish them well, and to promote their welfare by every method in our power; to survey their moral condition, not with a malignant, but with a melancholy, eye; while we look upon vice with simple, and unmingled enmity, to look with lamentation upon the sensitive, and rational beings, who | are the seats of it; instead of considering them as creatures that have no claim to compassion, when we see them plunged in serious and urgent necessity for the means of subsistence, to regard them as sufficiently wretched in the want of good conscience to support them, and whether they be the enemies of virtue in general, or our own in particular, if they hunger, to give them bread, if they thirst, to give them drink. We are bound, instead of seeking to extirpate them from the earth, to seek to save them from their sin; and to contemplate the punishment, which Providence may inflict upon them, and from which we cannot deliver them, not with a vindictive delight, as that which they deserve for being so bad, but with a virtuous and generous reconciliation to it, as that which may make them better.

I am not inculcating that undistinguishing behaviour towards persons of all characters, which is expressive of moral indifference, and productive of moral mischief. I do not recommend the criminal part of mankind to your intimate intercourse, to your esteem, to your trust, to your patronage; bestow these upon those that deserv e them, but | compassion, and relief, bestow upon them that w a nt them. Give your smiles to the go o d : give your kind wishes, and hu-

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Eine solche Gesinnung gegen die unschuldigen Nachkommen selbst der fluchwürdigsten Uebelthäter auf der Welt würde jetzt jede gebildete Gesellschaft mit Abscheu ansehn. Derselbe Grundsatz der Menschenliebe, der uns verbietet den Nachkommen auch der schlechtesten unter den Menschen böses zu wünschen, untersagt uns auch jeden ihnen selbst verderblichen Wunsch; aber | freilich wird diesem Grundsatz, der allen Gemüthern lebhaft genug beiwohnt, um der ersteren Verwirrung vorzubeugen, selbst in unsern Tagen noch nicht so durchgängig gemäß gehandelt, daß auch menschlichere Seelen in ihrer moralischen Ansicht von der letzteren Verwechselung ganz frei wären. Schlechte Menschen sind eben so wohl als gute ein Gegenstand zwar nicht für unsere Achtung und unsere Freundschaft, aber gewiß für unser Wohlwollen. Es ist unsere Pflicht ihnen Gutes zu wünschen, und auf jede Art die in unserer Macht steht, ihr Wohlergehen zu befördern, auf ihren moralischen Zustand nicht mit ergrimmten sondern mit schwermüthigen Augen zu sehn; es ist unsere Pflicht, indem wir das Laster mit unverholener und unvermischter Feindschaft ansehn, auf die empfindenden und vernünftigen Wesen in denen es seinen Sitz hat mit Bedauern hinzublicken. Weit entfernt, daß wir sie als Geschöpfe betrachten dürften, die keinen Anspruch auf unser Mitleiden haben, ist es unsre Pflicht, wenn wir sie in dringender Noth sehen, wo es ihnen an den ersten Bedürfnissen fehlt, zu bedenken, daß der Mangel eines guten Gewissens welches ihnen dieses Elend ertragen helfen könnte sie unglücklich genug macht, und daß es uns obliegt – mögen sie nun Feinde der Tugend im Allgemeinen oder die unsrigen ins besondere seyn – sie zu speisen wenn sie hungern, und zu tränken wenn sie dursten. Weit entfernt, daß wir suchen dürften sie von der Erde zu vertilgen, sind wir verbunden | uns Mühe zu geben, ob wir sie nicht von ihrer Sünde retten können: wir sind verbunden uns über die Strafen, welche die Vorsehung ihnen auflegt und von welchen wir sie nicht befreien können, nicht mit rachsüchtigem Vergnügen, als über das, was sie für ihre Schlechtheit schon längst verdient haben, zu freuen; sondern aus edler tugendhafter Theilnahme mit diesen Schickungen nur deswegen zufrieden zu seyn, weil sie ein Mittel werden können den Sünder zu bessern. Darauf dringe ich keineswegs, daß wir ohne Unterschied gegen Personen von jedem Charakter dasselbe Betragen annehmen sollen, denn dadurch würde nur Gleichgültigkeit gegen alles moralische ausgedrückt, und viel Unfug darin veranlaßt werden. Das empfehle ich nicht, das ihr den strafbaren Theil des Menschengeschlechts zu eurem 18 unverholener] Kj unverhohlener

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mane offices to al l . Let Approbation look round for Worth; let Friendship search for Excellence; let Confidence seek for Fidelity; but Benevolence lays down the balances. Of an object of Charity a sufficient qualification is a sense of pleasure and pain; a capacity of happiness and misery. In thus acting, you do not confound the good and evil characters of mankind, in one undiscriminating conduct towards all: you give to virtue its reward: you say to Merit, “All that I have is thine;” but it is meet that mercy should be denied to none.

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In the first transport of generous indignation, upon hearing the account of conduct peculiarly detestable, a man of virtuous sensibility, whose passions are the best governed, can scarcely, perhaps, escape, for a moment, that confusion in his views, in which the action, and the agent lie blended together. In the first mist of moral passion, his mind may not be able to see with sufficient clearness, to make a proper distinction between them. While his anger is greatly kindled against the | crime, he may be tempted to execrate the criminal. In the first rage of his wounded sense of right, he may look up to Heaven, with a wish for the descent of its fire upon the head of him, who thus has hurt his heart. But of this spirit, if he have imbibed the mild and liberal temper of christian, contemplative, and philosophical, philanthropy, he will not allow himself to be, for more than a moment. He will soon call down his eye from the malevolent elevation of a devotion, displeasing to the Object of his worship, and rebuked by the Author of his religion.

In order to maintain, in our minds, that harmonious mixture of enmity against wickedness, and good wishes for the wicked, which is most congenial with the spirit of our religion, and inseparably connected with the right discharge of our duties towards persons of this character, there are several considerations respecting them, which it is our wisdom habitually to carry with us, in all our contemplations of them. These reflections naturally follow one another, and all flow out of one fact, of which, however obvious, we are apt to lose sight, in looking to this class of mankind; which is, that they are rational | creatures; originally made, like us, in the image of the Maker.

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vertrauten Umgang erwählen, und gerade ihm eure Achtung, euer Vertrauen und euren Schutz schenken sollt. Diese schenkt denen welche sie verdienen; aber Mitleiden und Unterstützung gebt denen, die dessen bedürfen. Euer Lächeln gebet den Guten; eure guten Wünsche und eure freundschaftlichen Dienste gebt Allen. Der Beifall darf sich erst umsehn wo Verdienst ist, die Freundschaft darf erst Vorzüge suchen, das Vertrauen erst die Treue prüfen; aber das Wohlwollen muß mit der Wage nichts zu thun haben. Gefühl für Lust und Unlust, Empfänglichkeit für Glück und Elend ist genug um ein Wesen zu einem Gegenstand unserer Menschenliebe zu machen. | Wenn ihr so zu Werke geht behandelt ihr nicht den guten und schlechten Theil des Menschengeschlechts ohne Unterschied auf dieselbe Art: ihr gebt der Tugend ihre Belohnung, ihr sagt zum Verdienst: „alles was ich habe ist dein“; aber das erlangt ihr daß ihr euer Erbarmen keinem versagt. In der ersten Aufwallung eines edlen Unwillens bei der Erzählung von einem ganz vorzüglich verabscheuungswürdigen Betragen wird ein Mann von feinem sittlichen Gefühl, auch wenn er seine Leidenschaften sehr gut zu beherrschen weiß, schwerlich auf einen Augenblick wenigstens jener Verwirrung in seiner Ansicht der Sache entgehn, wobei die Handlung und der Handelnde mit einander verwechselt werden. In dem ersten Nebel seiner moralischen Leidenschaft wird er nicht im Stande seyn klar genug zu sehen um beide gehörig von einander abzusondern. Indem sein Zorn gegen das Verbrechen heftig entbrennt, ist er gewiß in Versuchung den Verbrecher zu verwünschen. In dem ersten Schmerz seines verwundeten Rechtsgefühls wird er zum Himmel aufsehn mit dem Wunsch, daß Feuer von oben herab auf das Haupt desjenigen fallen möchte, der sein Herz so gekränket hat. Wer aber von dem milden und liebenden Geist einer christlichen, vernünftigen Menschenliebe durchdrungen ist, wird sich nicht erlauben länger als einen Augenblick in dieser Gesinnung zu verharren. Bald wird er seinem Auge diesen Ausdruck einer übelwollenden Frömmigkeit untersagen, welche dem Gegenstand seiner Verehrung | mißfällt, und von dem Stifter seiner Religion verworfen wird. Um nun beides, Feindschaft gegen die Gottlosigkeit und gute Wünsche für die Gottlosen in unserm Gemüth in der harmonischen Verbindung zu erhalten, welche dem Geist unsrer Religion am angemessensten und zu einer richtigen Erfüllung unserer Pflichten gegen Personen von diesem Charakter unentbehrlich ist, giebt es verschiedne Betrachtungen, welche wir wohl thun werden fleißig bei uns anzustel39 wohl thun] Kj wohl daran thun 13–14 Lk 15,31 (nach der englischen Textfassung)

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From reflection upon this fact, as from a fountain, a series of sentiments and sensations towards the unworthy part of mankind flow after one another, all operating to prevent our moral disapprobation from trespassing upon human kindness.

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First, the consideration of what the wicked were made to be is calculated to accompany the angry, and turbulent feeling, produced by the detestation of what they are, with the calm compassion, which arises out of the contemplation of downfal from eminence; and to mingle with the contempt, excited by their conduct, a mournful respect for their capacities. In order to preserve in our minds that mixture of tenderness, which is necessary to temper the moral detestation, inspired by the moral turpitude of the wicked, so as to prevent malevolence to their vi c e , from becoming malevolence to them, we should endeavour to sooth ourselves, in some measure, under the irritated sense of that rectitude which they violate, by recourse to the mildness of pensive emotion. He that looks upon the depravity of the bad with an eye confined to | its actual appearance, will survey it with sensations very different from his, who associates along with it the sad and softening idea of declension and distemper. The pecuniary pride, that despises native poverty, contemplates opulence decayed with respectful pity. The eye that regards other rubbish with only disgust, regards the ruin of magnificence with melancholy reverence. The sense that feels nothing but pure offence, at sight of a naturally noisome animal, is accompanied with, compassion, when a human body appears before it, infected with a loathsome disease. And he who contemplates, in the wickedness of man, not native baseness, but fallen uprightness; not original deformity, but disfigured beauty; not natural turpitude, but contaminated purity; not innate darkness, but eclipsed light; instead of dwelling, with undiverted and unmoderated disgust, upon the present figure exhibited by human creatures that have contracted vice, relieves and lenifies his abhorrence of what they are, by respect for what they might have been, and by sorrow that they are not that. 17 Its actual appearance] so Errata-Verzeichnis; OD: actual appearance

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len so oft unser Nachdenken auf diesen Gegenstand fällt. Diese Ueberlegungen folgen sehr natürlich eine aus der anderen, und alle fließen aus einer Thatsache her, welche wir so klar sie auch vor Augen liegt, dennoch nur gar zu leicht aus dem Gesicht verlieren, wenn wir auf diese Menschenklasse sehen, nehmlich: daß sie auch vernünftige Geschöpfe und eben so wie wir ursprünglich nach dem Bilde unsers Schöpfers gemacht sind. Aus dem Nachdenken über diese Thatsache fließen als aus ihrer Quelle eine Reihe von Gesinnungen und Empfindungen gegen den unwürdigen Theil des Menschengeschlechts, welche alle dahin abzwecken, zu verhindern daß unsere moralische Mißbilligung nicht alle Grenzen der Menschenliebe überschreite. E r s t l i c h die Ueberlegung, was auch die Gottlosen ihrer Bestimmung nach eigentlich seyn sollten, muß nothwendig auf den Zorn und den Widerwillen, der durch den Abscheu gegen das was sie sind, | hervorgebracht wird, das ruhige Mitleiden folgen lassen, welches aus der Betrachtung daß sie von ihrer Höhe herabgefallen sind, entsteht; muß nothwendig unter die Verachtung, die durch ihr Betragen erregt wird, ein entgegengesetztes Gefühl mischen, nehmlich eine leidtragende Achtung für ihre Fähigkeiten. Um nun in unserm Gemüth die Beimischung von Zärtlichkeit zu erhalten, welche nothwendig ist um den moralischen Widerwillen den die sittliche Häßlichkeit der Gottlosen erregt so weit zu mäßigen, daß das Uebelwollen gegen das Laster nicht in Uebelwollen gegen sie ausarte, müssen wir uns bemühen die heftigen Aufwallungen unseres Gefühls für Recht und Pflicht, welches sie so gewaltsam beleidigen, dadurch zu besänftigen, daß wir uns den milderen Bewegungen einer sanften Rührung nicht entziehen. Wer, indem er auf die Verkehrtheit schlechter Menschen sieht, mit seinen Blicken bloß bei demjenigen stehen bleibt, was sich ihm wirklich darstellt, wird sie mit ganz anderen Empfindungen betrachten, als der welcher den betrübenden und erweichenden Gedanken an ihren Fall und ihr Unglück damit verbindet. Der Geldstolz welcher den Dürftigen, der dies von je her war, nur verachtet, betrachtet den Verarmten, der ehedem im Wohlstand lebte, mit einem achtungsvollen Mitleiden. Das Auge welches andern Schutt nur mit Wiederwillen ansieht, blickt auf die Ruinen ehemaliger Pracht mit schwermüthiger Ehrfurcht. Zu dem unangenehmen Sinneneindruck, den wir bei dem Anblick eines von | Natur widrigen Thieres empfinden würden, kommt noch Mitleiden hinzu, wenn es ein menschlicher Körper ist, der mit einer ekelhaften Krankheit befallen vor uns steht. Und wer in der Sittenverderbniß des Menschen nicht angestammte Niedrigkeit sieht, sondern 16 wird,] wird

19 wird,] wird

34 lebte,] lebte

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Secondly, In regarding the fallen part of the human race, while we reflect that they | were made upright as ourselves, we are naturally led to pay a proper attention to those infelicities of moral situation, which have been the occasion of their fall. This reflection will mingle, with the moral abomination their conduct inspires, the moderative, and corrective feeling, at once of pity, in contemplating their inferiority in virtue to us, and of humility, in surveying our virtuous superiority to them. It will be denied by none, that there are certain advantages for the preservation and improvement of human virtue, arising from education, from constitution, from social connections, from station in society, and from general experience in life, which are imparted to mankind in very different degrees. In the case of some, they are almost all assembled: from others, they are almost all withheld. A kindhearted man, such as every Christian should be, in beholding a criminal individual, with whose history he is acquainted, will consider, and give all its weight to the consideration, whatever circumstances, unpropitious to innocence and virtue, may have met in his particular situation: and in contemplating the guilty part of the world in the | gross, he will feel himself inclined to suppose, and to presume, that they may have been more unhappy than he has been in their moral education, considered in the most comprehensive sense of the word, as comprising the whole series of circumstances, as well without, as within the paternal walls, that have operated upon the mind, from the first moment of moral susceptibility, to the establishment of the character. When he trembles over the tragical effects of ungovernable anger, and impetuous temper, “Ah! cruel parents! (he will exclaim) that never instructed reason how to rein those passions!” When he hears with horror the vociferation of vulgar blasphemy, and beholds the barbarity of vulgar hands, he will lament the moral wilds, where weeds flourish, and where fruit is wanting, because no one has

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verlorne Würde, nicht ursprüngliche Mißgestalt sondern entstellte Schönheit, nicht eine natürliche Unsauberkeit sondern befleckte Reinheit, nicht angebohrne Finsterniß sondern verdunkeltes Licht, der wird anstatt mit unverwandtem und ungemildertem Widerwillen bei der Gestalt zu verweilen, welche lasterhafte Menschen jetzt zeigen, vielmehr seinen Abscheu gegen das was sie sind, dadurch mäßigen und mindern, daß er mit Achtung daran denkt was sie hätten seyn können, und mit Kummer daran, daß sie es nicht sind. Zw e i t e n s . Indem wir auf den gefallenen Theil des menschlichen Geschlechts hinblicken, muß die Ueberlegung, daß sie eben so schuldlos erschaffen sind als wir, uns natürlich darauf führen, die für ihre Sittlichkeit unglücklichen Umstände in Anschlag zu bringen, welche ihren Fall veranlaßt haben. Auf diese Weise wird der Abscheu den uns ihr Betragen einflößt gemildert und berichtiget, theils durch das Gefühl des Mitleidens, indem wir an die niedrigere Stufe der Sittlichkeit denken auf welcher sie stehen, theils durch das Gefühl der Demuth, wenn wir auf unsere moralischen Vorzüge vor ihnen acht geben. Niemand wird läugnen, daß es für die Erhaltung und das Wachsthum menschlicher Tugend gewisse Vortheile giebt, die aus der Erziehung, aus | dem körperlichen Zustande, aus den geselligen Verbindungen, aus dem Ort in der Gesellschaft und aus heilsamen Erfahrungen entstehen, und daß alles dieß den Menschen in sehr verschiedenem Grade zugetheilt wird. Bei Einigen finden sich alle diese Vortheile vereiniget; Andere müssen ihrer fast gänzlich entbehren. Wenn ein gutherziger Mann, und das sollte jeder Christ seyn, mit der Geschichte eines einzelnen strafbaren Menschen bekannt ist, so wird er die seiner Unschuld und Tugend ungünstigen Umstände, die sich in seiner Lage vereinigten, sehr ans Licht ziehn, und ein großes Gewicht auf sie legen, und eben so wird er, wenn er den lasterhaften Theil der Welt im Ganzen beobachtet, immer geneigt seyn anzunehmen und vorauszusetzen, daß diese Personen in Rücksicht auf ihre moralische Erziehung – das Wort in dem weitesten Sinn genommen, wo es die ganze Reihe von Umständen in sich begreift, welche innerhalb sowohl als außerhalb der väterlichen Mauern, von dem ersten Augenblick der moralischen Empfänglichkeit an bis zu dem Punkt wo der Charakter sich fest bestimmte, auf das Gemüth gewirkt haben, – weniger glücklich waren als er. Wenn er zittert über die tragischen Folgen eines unbeherrschten Zornes und eines ungestümen Gemüthes, so ruft er aus: „O ihr grausamen Eltern, die ihr die Vernunft nie unterrichtetet, wie sie diese Leidenschaften regieren sollte“! Wenn er mit Grausen das Geschrei 28 vereinigten,] vereinigten

32 Erziehung –] Erziehung

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planted, because no one has watered, because no cultivation has been bestowed upon the neglected ground. When he listens to the impious jest of the accomplished and elegant scoffer, he will sigh over the subject of fashionable, of frivolous, and sceptical tuition. When he observes the sons and the daughters of Pleasure, drowning reflection in amuse|ment, “taking the timbrel and harp, spending their days in mirth, and in a moment going down to the grave,” precipitated by mad intemperance into an untimely tomb, he will be disposed to impute their licentious love of pleasure to a series of temptations to it more soliciting and importunate, than his appetites have had to contend with; and to the absence of invitations to intellectual and moral entertainment, which he has been so happy as to have received. When he contemplates the dishonest, the enemies of law, the practisers of fraud and of violence, he will paint to himself, the want of instruction; the pressure of poverty; the absence of employment; the power of seduction, from artful lips, in the morning of life, in the moment of intoxication, during the slumber of Reason. He will represent to himself the hesitating conscience; the reluctant consent; the eloquent persuasive, “Come with us; let us lay wait; let us lurk privily for the innocent; we shall find all precious substance; we shall fill our houses with spoil; cast in thy lot among us; let us all have one purse.” He will imagine these fascinating words addressed to youth; to Youth, whom Wisdom had never coun|selled; to whom no venerable Preceptor had said, “My son, walk not thou in the way with them; refrain thy foot from their path; for their feet run to evil; they lay wait for their own blood, and lurk privily for their own lives.”—In regarding the cruel, the unfeeling, the oppressive great, while his blood boils with honest indignation, and with generous resentment, at the cry of innocence, and the triumph of power; he thinks, with some pity, on those that have always prospered; who have known no changes; who have never been taught, by troubles of their own, to feel for those of others; or instructed in their frailty, and reminded they are no more

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niedriger Lästerungen hört, und das barbarische Handgemenge eines pöbelhaften | Streites sieht, so beklagt er diese moralischen Wüsteneien, wo nur das Unkraut blüht, wo es an Früchten fehlt, weil Niemand den vernachläßigten Boden bepflanzte und begoß, und gar keine Sorgfalt auf ihn gewendet ward. Wenn er auf die gottlosen Scherze eines vollendeten feinen Spötters hört, so seufzt er über den Armen dem eine modische leichtsinnige irreligiöse Erziehung zu Theil ward. Wenn er die Söhne und Töchter des Vergnügens beobachtet, die jedes Nachdenken in Ergötzlichkeiten ersticken, die „die Zimbel und Harfe nehmen“, ihre Tage in Fröhlichkeit verbringen, und dann plötzlich ins Grab steigen, in welches Unmäßigkeit sie vor der Zeit hinabstürzt, so wird er gern ihre ausgelassene Liebe zum Vergnügen einer Reihe von lockenderen und heftigeren Versuchungen zuschreiben, als er zu bestreiten hatte, und einem Mangel an den reizenden Einladungen zu einem geistreicheren und sittlichen Genuß, welche ihm glücklicher Weise zu Theil wurden. Wenn er die Ehrlosen betrachtet, die Feinde des Gesetzes, welche Betrug und Gewaltthätigkeit ausüben, so wird er sich vorstellen wie es ihnen an Unterricht fehlte, wie die Armuth sie drückte, wie sie keine nützliche Beschäftigung fanden und wie mächtig die Verführung von listigen kunstreichen Lippen in dem Morgen des Lebens, in dem Augenblick des Sinnenrausches, während des Schlummers der Vernunft auf sie wirken mußte. Er denkt sich ihr zauderndes Gewissen, ihre widersträubende Einwilligung, und die beredten Ueberredungen: | „Gehe mit uns, wir wollen auflauern und den Unschuldigen ohne Ursach nachstellen. Wir wollen groß Gut finden und unsere Häuser mit Raub füllen; wage es mit uns: es soll unser aller ein Beutel seyn.“3 Er denkt sich diese bezaubernden Worte zu einem Jüngling gesprochen, dem die Weisheit nie Rath gab, dem nie ein ehrwürdiger Lehrer sagte: „Mein Kind wandele den Weg nicht mit ihnen; wahre Deinen Fuß für ihrem Pfad, denn ihre Füße laufen zum Bösen. Sie lauren selbst unter einander auf ihr Blut und stellet einer dem andern nach dem Leben.“4 Wenn er die grausamen, die gefühllosen, die tyrannischen Großen sieht, und sein Blut kocht vor tugendhaftem Unwillen und edlem Zorn bei dem Geschrei der Un3 4

Spr. Sal. 1, 11. 13. 14. Spr. Sal. 1, 15. 16. 18.

30 für ihrem] Kj vor ihrem 31 lauren] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 79– 80 35 1, 11. 13. 14.] 1, 11–14. 36 1, 15. 16. 18.] 1, 15–18. 9–11 Zu dem von Fawcett ausgedehnter markierten Zitat vgl. Hiob 21,12–13, gekürzt um den Halbsatz 12b. Schleiermacher übersetzt markiert nur den ersten Halbsatz 12a und lässt unmarkiert den Vers 13 folgen.

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than men, by the sense of pain. “Because they are not in trouble, (he will say) therefore it is that violence covereth them as a chain.”—In contemplating the vain, and the proud; that are puffed up with conceit of fancied excellence; who see nothing in all nature to admire, but in themselves; who are blind to every defect of their own, and to every merit of others; in surveying this self-absorbed, and self-enamoured tribe, while he despises their folly, he thinks of their flatterers.|

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Thirdly, The reflection, that the guilty part of mankind are naturally rational, and moral creatures, is farther calculated to inspire that compassion for them, which operates to prevent the moral abhorrence excited by their crimes, from producing malevolence towards their persons, by leading us to consider, that as they may have been peculiarly unfortunate in the circumstances that have occasioned their loss of virtue, so they must of necessity be unhappy in the absence of it. When a wicked man has experienced a considerable portion of visible punishment, when we see him within the walls of imprisonment, or on the bed of sickness, or under the rod of law; when we have seen him suffer for some time, and with some severity; our moral anger against him relents: we “forget his vices in his woes:’’ we say, he has expiated his offences. Alas! a little knowledge of human nature will enable us to see him suffer, in the midst of surrounding circumstances of ease and prosperity; will put it into our power, when others are envying him, and wondering wherefore it is that the way of such an one is permitted to prosper, to look with that pity upon him, | which shall prevent our animosity to the manners, from becoming enmity to the man. No one will be much disposed to wish ill to him, whom he considers as carrying the worst of ills within him. We have only to reflect, in order to place in this pitiable light a person of such a character, in such a situation, as I am supposing, what I set out with stating, that he is a rational, and moral creature; that he is not what he was made to be, and that, therefore, he is not happy; that he is in an unnatural, and, consequently, must be in an uneasy state; that he is sick, and, therefore, certainly in frequent pain; that his reason and

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schuld und dem Triumph der Gewalt, so denkt er mit innigem Mitleid an die, denen es immer gut ergangen ist, die keine Abwechselungen erfahren haben, die nie durch eignen Kummer gelehrt worden sind den Kummer Andrer mitzufühlen, die nie ihre eigne Schwäche erkannt haben, noch durch ein schmerzliches Gefühl erinnert wurden, daß auch sie nichts mehr als Menschen sind. „Weil sie keine Unruhe haben, sagt er, darum reißt die Gewalt sie fort.“ – Wenn er die Eiteln und Stolzen betrachtet, die aufgebläht sind von Vorstellungen erdichteter Vollkommenheiten, die in der ganzen Natur nichts zu bewundern finden als sich selbst, die gegen jeden Fehler an ihnen selbst, und gegen jedes Verdienst an Andern blind sind; wenn er dies in | sich selbst versunkene und in sich selbst verliebte Geschlecht sieht und ihre Thorheit verachtet, so denkt er zugleich an ihre Schmeichler. D r i t t e n s . Die Ueberlegung, daß auch die strafbaren unter den Menschen von Natur vernünftige und sittliche Geschöpfe sind, muß ferner deswegen ein Mitleiden gegen sie einflößen, welches verhindert, daß der Abscheu den ihre Verbrechen erregen nicht Haß gegen ihre Person erzeugt, weil sie uns auf die Betrachtung führt: daß nicht nur ein besondres Unglück auf ihnen ruhte, indem sie sich in Umständen befanden welche den Verlust ihrer Tugend veranlaßten; sondern daß sie auch jetzt, da sie sie verloren haben, höchst unglücklich seyn müssen. Wenn ein lasterhafter Mensch einen Theil seiner sichtbaren Strafe leidet, wenn wir ihn in den Mauern eines Gefängnisses, auf dem Lager der Krankheit, unter der Zuchtruthe des Gesetzes erblicken, und wir haben ihn eine Zeit lang etwas strenge büßend gesehen, so legt sich unser moralischer Zorn gegen ihn; wir vergessen seine Laster über seinem Leiden; wir sagen, er hat seine Beleidigungen abgebüßt. Wohlan! eine geringe Kenntniß der menschlichen Natur wird uns in Stand setzen noch mitten im Glück und in den blühendsten Umständen sein Leiden zu sehen, wird es uns möglich machen, ihn auch dann schon, wenn Andere ihn noch beneiden und sich wundern warum doch der Weg eines solchen so beglückt sey, mit einem Mitleiden anzusehen, welches nicht gestattet, daß unser Widerwille gegen die Sitten in Feind|schaft gegen den Menschen übergehe. Niemand wird geneigt seyn dem noch Uebles zu wünschen, dem er es anmerkt, daß er das ärgste aller Uebel mit sich herumträgt. Und um eine Person von solchem Charakter auch unter den Umständen, die ich voraussetze, in diesem bemitleidenswürdigen Lichte zu sehen, dürfen wir nur an die Thatsache denken von der ich ausging, daß nemlich auch ein sol1 innigem] so DV; OD: einigem 6–7 Vgl. Ps 73,5–6

28 Wohlan!] Wolan!

26–27 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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conscience are unreconciled to what he is; that “what he does, he would not, what he would not, he does;” that that in him, which you disapprove, he disapproves h i m s e l f ; that he is often whipped of the God within him; that his passions are his masters, and that they are the worst of masters.

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In such reflections as these, the generous and thoughtful reader of the cruelties and tyrannies of mighty men, in all ages of the world, has sought relief from that violent and harsh feeling of abhorrence, which it is painful to a humane mind to entertain towards | any human creature; and which it is prejudicial to social virtue to be in the habit of harbouring. He has followed the author of the prisoner’s sighing, to the sigh of his own solitudes: he has penetrated to the internal tremours, and, secret terrors of the tyrant, before whom innocence has “trembled, and feared:” has looked into the heart of him, in whose hand he has seen the iron rod of oppression, and beheld it under the lash of Conscience, and under the trampling of passions as oppressive to his soul, as his foot could have been to the bodies which it crushed. If “to him that is afflicted pity should be shewed,” let it be shewn to him who is afflicted with vice; who is visited with the worst of troubles, an accusing conscience, and tyrannical passions.

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This view of the present internal situation of the wicked, more especially when accompanied with the consideration of their future condition, on the supposition of their continuing what they are, will not suffer, if with sufficient tenaciousness it be held in the mind, the strongest moral antipathy to their practices, to harden into rancorous hatred to their persons: it will qualify virtuous anger | with that mixture of compassion, which is necessary to preserve the proper temperament of the mind; and will powerfully prompt the administration of mercy to the serious necessities of those, whose conduct has kindled that anger, in opposition to the iron maxim of men, who would push such persons out of the circle of claimants to pity, whatever the cry of their situation for relief, with a surly and rigid insensibility; who would wish to have them regarded as beings unworthy of human help, and meriting to be left to perish without mercy. Who that looks

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cher ein vernünftiges und moralisches Geschöpf ist; daß er nicht das ist wozu er bestimmt war, und daß er also nicht glücklich ist, daß er in einem unnatürlichen Zustande sich befindet, und also nothwendig auch in einem höchst unangenehmen; daß er krank ist und also gewiß oft Schmerzen leidet, daß seine Vernunft und sein Gewissen mit dem, was er ist, im Widerspruch stehen; daß er das nicht will, was er thut, und das thut was er nicht will; daß er das, was Ihr an ihm mißbilliget, selbst an sich mißbilliget; daß er oft gezüchtiget wird von dem Gott in ihm; daß er von seinen Leidenschaften beherrscht wird, und daß diese die beschwerlichsten aller Herren sind. Jeder, der mit Gefühl und Nachdenken von den Grausamkeiten und Tyranneien der Mächtigen in allen Zeitaltern gelesen hat, hat in solchen Betrachtungen Linderung gesucht für die heftige und schreiende Empfindung des Abscheus, die jedes menschliche Gemüth so höchst ungern gegen irgend ein menschliches Geschöpf hegen mag, und welche immer bei sich zu beherbergen der geselligen Tugend höchst gefährlich ist. Er schlich dem Urheber der Seufzer | des Gefangenen nach bis in seine Einsamkeit wo auch er seufzte; er drang hindurch bis zu dem innern Zittern, und den geheimen Schrecken des Tyrannen, vor dem die Unschuld zitterte und erschrak; er blickte in das Herz desjenigen, in dessen Händen er die eiserne Ruthe der Unterdrükkung sah, und fand ihn unter der Zucht des Gewissens und unter den Mißhandlungen der Leidenschaften, von denen seine Seele eben so schwer gedrückt wurde, als sein Fuß den Körper derjenigen drückte, auf denen er herumtrat. Wenn wir dem Niedergedrückten Mitleid beweisen sollen, so müssen wir es auch dem beweisen, der vom Laster niedergedrückt, der heimgesucht wird von der ärgsten Unruhe, einem anklagenden Gewissen und tyrannischen Leidenschaften. Fassen wir diese Ansicht von dem gegenwärtigen innern Zustand des Gottlosen recht fest ins Auge, verbinden wir gar damit den Gedanken, in welcher Lage – vorausgesetzt, daß sie bleiben, was sie sind – sie sich künftig befinden werden, so wird gewiß auch der stärkste moralische Widerwille gegen ihre Handlungsweise sich nicht zu bösartigem Haß gegen ihre Person verhärten; so wird gewiß unser tugendhafter Zorn diejenige Beimischung von Mitleiden erhalten, welche nöthig ist um in der gehörigen Gemüthsstimmung zu beharren: wir werden uns mächtig angetrieben fühlen, auch mit den dringenden Bedürfnissen derer Barmherzigkeit zu haben, deren Betragen diesen 6–7 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Röm 7,15 20 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Phil 2,12 26 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Hiob 6,14.

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inward to the secret sensations of their breast, and onward to the mournful close of their story, can avoid frowning upon them through his tears; can refrain from compassionating the person, while he disapproves the character, and from pitying the transgressor, while he hates the transgression? Who, when he sees one of this unhappy class, sunk into deep distress, must not feel himself prompted by an impulse he cannot resist, to put forth his hand, if it be in the power of it, and help him up? Who that saw such an one, in such a situation, could help saying to him, within himself, “Whatever be thy demerits, ’tis no | office of mine to punish thee: I will not add my scourge to that which Heaven hangs over thee: To thine own Master thou standest, or fallest: To God Almighty I commit thee! God Almighty have mercy upon thee!”

“But the necessity that sues for relief is the consequence of profusion, the direct punishment of Providence: Shall I interfere with the courses of divine Justice? Pluck from the hand of Heaven its rod, and snatch from righteous vengeance its victim?”—Alas! you cannot do it. After all the assistance your feeble mercy can lend, the punishment of prodigality remains: and sufficiently severe that punishment is. Degradation to an inferior station—the frowns of defrauded creditors—the insolence of former flatterers— the contempt of those who once were scorned —the blush of a pride untaught to depend, and unused to beg—the shame of even successful supplication—the frequency of fruitless—Is not this enough? O God! in the midst of judgment, t h o u rememberest mercy; make us merciful to one another!

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Although the man, in whom a good heart is guided by a good understanding, will admit | into his treatment of mankind such a degree of moral discrimination, as may be necessary to encourage virtue, and discourage vice; although he will withhold the pecuniary assistance, which, he has reason to think, will be prostituted to the purposes of indolence, and intemperance; though he will not wish to 24 fruitless] Kj fruitless experience

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Zorn in uns entzündet hat; kurz wir werden uns der eisernen Maxime derjenigen | entgegensetzen, welche solche Personen, wie laut auch ihre Lage um Hülfe schreie, mit harter und strenger Unempfindlichkeit aus dem Kreise derer, die auf Mitleid Anspruch machen dürfen, hinaus stoßen, und sie als Wesen betrachten möchten die aller menschlichen Hülfe unwerth sind, und verdienten, daß man sie ohne Erbarmen umkommen lasse. Wer, der in die geheimen Empfindungen ihrer Brust hinein und auf das äußre Ende ihrer Geschichte hinaus sieht, kann anders als zwischen Thränen hindurch auf sie zürnen, und sich enthalten die Person zu bemitleiden, indem er den Charakter mißbilligt, den Uebertreter zu bedauern, indem er die Uebertretung haßt? Wer könnte einen aus der Klasse dieser Unglücklichen in tiefes Elend versinken sehen, und nicht einen unwiderstehlichen Trieb fühlen, seine Hand auszustrecken, um ihm wo möglich aufzuhelfen? Wer könnte einen solchen Menschen in einer solchen Lage sehn ohne bei sich selbst so zu ihm zu reden: „Deine Schuld sey so groß sie wolle, meine Pflicht ist es nicht Dich zu strafen; ich will meine Geißel nicht zu der hinzufügen mit welcher der Himmel Dich züchtiget; Du stehst und fällst Deinem eignen Herrn; dem Allmächtigen Gott überlasse ich Dich, der Allmächtige Gott habe Barmherzigkeit mit Dir!“ „Aber die Noth welche jetzt Unterstützung sucht, ist die Folge der Verschwendung, ist die unmittelbare Strafe der Vorsehung: soll ich den Lauf der göttlichen Gerechtigkeit hemmen? soll ich diesen Stab der Hand des Himmels entreißen, und der gerechten | Rache ihr Opfer entziehen?“ – Ach! das kannst du doch nicht! Nach allem Beistande, den deine schwache Barmherzigkeit leisten kann, bleibt doch noch eine Strafe für die Verschwendung zurück, und streng genug ist diese Strafe. Herabsetzung in einen niedrigeren Stand – die zornigen Blicke getäuschter Gläubiger, die Unverschämtheit ehemaliger Schmeichler, die Verachtung derer, die einst verachtet wurden, das Erröthen eines Stolzes der ungelehrig ist sich zu schmiegen und ungewohnt sich etwas zu erbitten, die Beschämung, selbst wenn Bitten glücklich ablaufen, und die öftere Erfahrung daß sie vergeblich sind – ist das nicht genug? O Gott du bleibst ja barmherzig mitten in deinem Gericht, mache uns doch barmherzig gegen einander! Derjenige, dessen gutes Herz von einem gesunden Verstande geleitet ist, wird freilich die Menschen mit soviel Unterscheidung behandeln als nothwendig ist, um die Tugend aufzumuntern und das Laster abzuschrecken; er wird seine mildthätigen Unterstützungen zurück18–19 Das wortgetreue Zitat „To thine own Master thou standest, or fallest“ innerhalb des längeren, von Fawcett markierten rhetorisch-fiktiven Texts stammt aus Edmund Hickeringill: The ceremony-monger. His character, in five chapters, London 1689, Seite 75.

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promote, perhaps, an, immediate, or total rescue from those painful consequences of indiscretions, or of crimes, which Providence has appointed their punishment, and which may possibly contain their cure; yet will not such a man, when there are no dissuasives of this kind to hold the hand of his humanity, refuse to absolute necessity the relief it asks, because it wants the recommendation of a good character, and is therefore without the comfort of a good conscience?

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If any one should object, that this whole representation, which I have been making of vice, as being the creature of ill education, and the object of generous compassion, is calculated to encourage continuance in it, by affording them, who have fallen into it, a sanctuary from the reproaches of conscience, and the fears of future punishment in the soothing idea that they are faulty because | they have been unfortunate; I reply, that I have not made this representation, without the most serious, and decided conviction, after having gone round about it, and taken a view of its practical aspect, on all its sides, that it is the only representation that is effectually adapted to promote the moral welfare of mankind: that it would operate, if properly entered into, and perpetually presented, with most comprehensive benignity, upon the virtue of society: that it presses upon parents, and preceptors, and legislators, the infinite importance, and moral omnipotence, of p e r f e c t l y good education: that it represses that pride of virtue, which is unspeakably injurious to the genuine, and generous spirit of it: that it prevents that misanthropy, into which virtuous sensibility, when repeatedly exasperated by human vices, is apt to sour the temper: and that, with respect to the wicked themselves, it is so far from containing any encouragement to them to continue such, as to hold out the most cogent inducement that can be proposed to them, to become virtuous. If I can convince a bad man, that vice is, in itself, the sorest of all evils, and virtue the greatest possible good; I convert him more | effectually from the one to the other, than by telling him, that there is, in the established courses of things, an external rod for the one, and reward for the other. If I can persuade him, that vice is his bane; no reflection upon the strength of the temptation, that led him to take it to him, will hinder him from putting it away from him. If I be convinced, that I am fallen into a mistake in my pursuit of true happiness, that I have lost my way in my search after welfare; the 7 conscience?] conscience.

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halten wo er Ursach hat zu denken, daß sie nur gemißbraucht werden würden um der Trägheit oder Unmäßigkeit Vorschub zu thun; er wird vielleicht nicht gern behülflich seyn wollen die schmerzlichen Folgen unmittelbar und gänzlich aufzuheben, welche die Vorsehung mit gewissen Fehltritten und Verbrechen als die Strafe derselben verbunden hat, und welche vielleicht die Arzenei dagegen enthalten; aber nie wird ein solcher Mann – so lange keine Gründe von dieser Art eintreten, um | die Hand der Menschenliebe zurückzuhalten – der äußersten Noth die Unterstützung um welche sie fleht deswegen versagen, weil es ihr an der Empfehlung eines guten Charakters fehlt und sie also überdies auch den Trost eines guten Gewissens entbehrt. Sollte Jemand einwenden, daß diese ganze Darstellung des Lasters als einer Folge der schlechten Erziehung und als eines Gegenstandes für ein edles Mitleiden, so wie ich sie eben vorgetragen habe, ungemein viel Aufmunterung geben müsse um darin zu verharren, indem auf diese Art denen, welche in dasselbe verfallen sind, der beruhigende Gedanke daß sie nur deswegen lasterhaft sind weil sie unglücklich waren, als ein sicherer Schutzort gegen die Vorwürfe des Gewissens und gegen die Furcht vor den künftigen Strafen gezeigt wird; so erwiedere ich, daß ich diese Darstellung nicht unternommen habe, ohne sie von allen Seiten zu betrachten, und alle ihre praktischen Beziehungen ins Auge zu fassen, und daß ich dadurch zu der ernstlichen und entschiedenen Ueberzeugung gelangt bin, daß sie die einzige ist, welche die moralische Wohlfahrt des Menschengeschlechts recht wirksam befördern kann; daß sie, wenn man nur recht hineingeht und sie immer wiederholt, sehr vielseitig und sehr wohlthätig auf die Sittlichkeit der Gesellschaft wirken muß, daß sie Eltern, Erziehern und Gesetzgebern die unendliche Wichtigkeit und die moralische Allmacht einer vollendet guten Erziehung ans Herz legt; daß sie den geistlichen Stolz zurückdrängt, der den ächten und | höheren sittlichen Gesinnungen so unaussprechlich nachtheilig ist; daß sie dem menschenfeindlichen Wesen zuvorkommt, welches nur allzuleicht das ganze Gemüth durchdringt, wenn die moralische Empfindsamkeit durch menschliche Laster allzuoft aufs heftigste erbittert worden ist; und daß sie, was die Lasterhaftigkeit selbst betrift, weit entfernt sie im geringsten zum Beharren in ihrem Zustande aufzumuntern, ihnen vielmehr die dringendsten Bewegungsgründe tugendhaft zu werden vorhält, welche nur angeführt werden können. Wenn ich einen schlechten Menschen überzeuge, daß das Laster an sich selbst das bitterste aller Uebel und die Tugend das größtmögliche Gut ist, so bekehre ich ihn viel wirksamer von jenem zu dieser, als wenn ich ihm erzähle daß es in der eingeführten Ordnung der Dinge eine äußere Strafe für das eine und eine äußere Belohnung für die andere giebt. Wenn ich ihn überzeugen kann, daß

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consideration, that the seducing circumstances, which led me wrong, would have decoyed an o t h e r, will have no tendency to reconcile me to continuance in my error, or retard, for so much as a moment, the rectification of my steps. The instant I am deeply and decidedly convinced, that I am “wretched; and miserable, and poor, and blind, and naked,” it is of little consequence to me, how I came into this state of misery: my business is to get out of it, and to make that escape, which, if it be in my will, I feel to be in my power.

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Fourthly, Another consideration, naturally flowing out of the reflection, that those whom vice has infected were formed susceptible of the purity of virtue, which is adapted | still more to moderate the harshness and asperity of the sensation, with which a moral eye surveys their moral corruption, is, the partiality of their depravity. Irritated and disgusted at what we see and hear of their conduct, we are apt to consider them as made up of evil, without any mixture of good. We extend, in imagination, the stain that strikes our sight, over every point of their character. We paint to ourselves a shade which has penetrated the whole essence, and conceive of a dark, and total eclipse of character. But this is not the case: it is not the case with the worst. Those, who have most disfigured their nature, have not obliterated every feature of that divine image, in whose likeness they were made. In the faded, and wasted form of the widest, and most way-worn wanderer from His house, the Father still recognizes his child: some traces of former beauty yet remain, that faintly proclaim affinity to Heaven, that feebly evince divinity of descent.

There is no where to be found, among human creatures, pure, unmingled, and perfect evil. It is a monster that was never seen. Fiction may paint it, but Nature knows | it not. Like fallen structures, once fair and stately, over which Time has triumphed, but of which there are yet some venerable remains; of the former elegance and grandeur of which the pensive traveller is told by broken columns

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das Laster sein Todfeind ist, so wird kein Gedanke an die Stärke der Versuchung, die ihn lockt danach zu greifen, ihn hindern es von sich zu schleudern. Wenn ich überzeugt bin, daß ich in meinem Streben nach wahrer Glückseligkeit in einen Irrthum gerathen bin, und daß ich bei dem Aufsuchen meines Wohlergehens den Weg verloren habe, so wird die Betrachtung, daß die verführerischen Umstände, welche mich irre führten, auch Andere auf Abwege zu locken pflegen, mich nicht dazu vermögen ruhig in meinem Irrthum zu verharren oder meine Rückkehr auf den rechten Weg auch nur um | einen Augenblick zu verzögern. In dem Augenblick, da ich mich innig und fest überzeuge, daß ich elend und unglücklich, arm, blind und bloß bin, kommt mir sehr wenig darauf an, wie ich in diesen elenden Zustand gerathen seyn mag, sondern ich mache Anstalt herauszugehn und die Rettung zu bewerkstelligen, wozu ich, wie ich fühle, die Kräfte in mir finde, sobald ich nur den Willen dazu habe. Vi e r t e n s . Aus dem Gedanken, daß die, welche das Laster angesteckt hat, auch so geschaffen wurden, daß sie der reinsten Tugend fähig sind, fließt sehr natürlich noch eine andere Betrachtung, welche noch mehr dazu gemacht ist die herbe und bittere Empfindung, die der Anblick des moralischen Verderbens einem moralischen Auge verursacht, zu mildern, und das ist diese: daß sie alle doch nur zum Theil verderbt sind. Erzürnt und entrüstet wie wir sind über alles was wir von ihrem Betragen sehn und hören, glauben wir sehr leicht, daß sie aus lauter Bösem zusammengesetzt sind ohne einige Beimischung von etwas Gutem. Den Fleck der uns so sehr ins Auge sticht vergrößert unsere Einbildung so, daß er jeden Theil ihres Charakters zu bedecken scheint. Wir denken uns einen Schatten, der das ganze Wesen durchdringt, und glauben eine schwarze und totale Verfinsterung des Charakters wahrzunehmen. Aber das ist nicht der Fall; selbst bei den Aergsten ist dies nicht der Fall. Auch die, welche ihre Natur am meisten entstellt haben, konnten nicht jeden Zug des göttlichen Ebenbildes, nach dem sie | gemacht sind, verlöschen. In der verblichenen und wüsten Gestalt des Irrenden, der am weitesten und abgelegensten von seiner Heimath entfernt ist, erkennt der Vater noch sein Kind; einige Spuren der ehemaligen Schönheit bleiben immer zurück als verblichene Kennzeichen der Verwandtschaft mit dem Himmel, als schwache Beweise des göttlichen Ursprungs. Nirgends findet man an menschlichen Geschöpfen das Böse ganz rein, unvermischt und vollendet. Ein solches Ungeheuer ist nie gesehen 10 zu verzögern] verzögern 11 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Offb 3,17.

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and imperfect arches; the mournful ruins of human nature, in which the mind appears in its most mouldering state, exhibit nevertheless some relics of native goodness, some fragments of original excellence, which proclaim the wisdom of the Builder, and give a gloomy grace to the character decayed. In the most attached to vice, there is antipathy to it: in the most extinguished goodness, there are embers of benevolence: in the most broken integrity, there are pieces and remnants of rectitude. There are moments, there are situations, when even the hardened malefactor, the dark assassin, the furious bandit, will drop an iron tear; will melt into a sullen softness; will discover a principle of wild honour; emit a flash of savage gratitude; and breathe a spirit of rough generosity.

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From the most desolate shipwreck of human virtue, there is always something saved. Let us not over-look it. Let us remember, | that all human evil has in it some mixture of good. A vicious man is not vice. Fifthly, Another consideration, the last I shall lay before you, and inseparably connected with the preceding one, which is calculated to temper our contemplation of this class of human creatures, with the tenderness necessary to the preservation of our humanity towards them, is the possibility of their recovery to virtue. We know not, but at some future period, they may become entitled to our esteem. Those that are most “dead in trespasses and sins,” have in them a principle of life, a latent spark, that makes moral revival at least a possible thing. In looking, then, at a criminal character, while we condemn what it is, let us reflect upon what it certainly mig ht be made, and upon what hereafter, perhaps, it may a ctua lly become. This view, though but of the merely possible glory of a creature, now under the cloud of moral ignominy, will throw a faint splendour over his present appearance in our eye, and a little soften to our sight the blackness of the colour. We shall not look upon a shade, which we consider as moveable and transitory, | with the horror inspired by the idea of indelible darkness.

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worden. Die Dichtung kann es mahlen; aber die Natur kennt es nicht. Gleich versunkenen Gebäuden, einst schön und herrlich, über welche die Zeit triumphirt hat, von denen aber doch noch einige ehrwürdige Ruinen übrig sind, von deren ehemaliger Pracht und Größe noch jetzt zerbrochene Säulen und Bogenstücke dem wehmüthigen Wandrer erzählen, gleich diesen enthalten auch die traurigen Ruinen der menschlichen Natur, welche jede Seele auch in ihrem versunkenen Zustande noch darstellt, immer einige Ueberreste der angebornen Güte, einige Bruchstücke der ursprünglichen Vortreflichkeit, welche die Weisheit des Baumeisters vertheidigen und auch über den verfallenen Charakter eine gewisse düstere Anmuth ausgiessen. Wo die größte Anhänglichkeit an das Laster ist, giebt es doch noch Widerwille gegen dasselbe, wo alle Güte ausgebrannt ist, findet sich noch glühende Asche des Wohlwollens; wo die Redlichkeit am meisten zertrümmert ist giebt es noch Stücke | und Reste von rechtlichem Wesen. Es giebt Augenblicke, es giebt Umstände in denen selbst dem verhärtetsten Bösewicht, dem kältesten Mörder, dem wüthendsten Banditen eine eherne Thräne entfällt, wo er in plötzlicher Erweichung dahinschmilzt, wo er einen Grundsatz von barbarischer Ehre äußert, einen Blitz von milder Dankbarkeit ausgehen läßt und den Geist eines rohen Edelmuths athmet. Aus dem verderblichsten Schiffbruch der menschlichen Tugend wird immer etwas gerettet. Das laßt uns nicht übersehen. Laßt uns bedenken, daß alles Böse im Menschen immer eine Beimischung von etwas Gutem mit sich führt. Ein lasterhafter Mensch ist nicht das Laster selbst. F ü n f t e n s . Eine andere Betrachtung, die letzte die ich euch vorlegen will, welche unzertrennlich mit der vorigen verbunden ist und uns ebenfalls bei der Ansicht dieser Menschenklasse die Zärtlichkeit einflößt, welche nothwendig ist um unsere Menschenliebe auch für sie zu bewahren, ist die Möglichkeit, daß sie noch zur Tugend zurückkehren können. Wir wissen nicht, ob sie nicht in Zukunft noch einmal Anspruch auf unsere Achtung werden zu machen haben. Auch die, welche am meisten „todt sind in Uebertretungen und Sünden“, haben noch Lebenskraft in sich, noch einen verborgenen Funken, der es wenigstens möglich macht, daß sie moralisch wieder aufleben können. Wenn wir also einen strafbaren Charakter sehn, so laßt uns wenn wir das verdammen, was er jetzt ist, zugleich daran denken, | was er, wie wir gewiß wissen, eigentlich seyn sollte, und was er vielleicht noch 1 mahlen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 318–319 34 Eph 2,1 (nach der englischen Textfassung)

34 Sünden“,] Sünden“

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Serm. 19: On the spirit proper to be exercised towards the wicked

The reflection, that those, who now are objects of our disapprobation, certainly might, and possibly may, be rendered deserving of our esteem, will, instead of suffering our condemnation of their present practices to raise in us any ill will to their persons, possess our minds with a benevolent wish that they may undergo, and spur us to the employment of every method in our power to promote in them, that moral change, of which we suppose them to be susceptible. When, in the present seat of vice, we contemplate a fabric fitted to be, and that may at some time or other become, the temple of Virtue, we shall look upon it, not with a wish to behold it demolished, but to see it inhabited by its rightful tenant.

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In the amendment of human manners, individuals may sometimes do much. The community might do more: the community might do all. And much must every benevolent member of an enlightened nation wish, that his country would, in her wisdom and in her mercy, employ the power she possesses, of reclaiming from vice the millions of | citizens she condemns to die. The frequency of capital punishments is a melancholy speculation to the man, who not only thinks, but knows, that among all the multitude, vast as it is, of human malefactors, there is no such thing as a moral incurable. But we have paid more attention to the art of restoring the wandering reason, than to that of recalling the erring heart. For those members of society, whom intellectual disorder has rendered dangerous, we erect asylums; we exercise much long suffering; and practise many a healing art: upon them, whom moral derangement has made mischievous, with an unmerciful impatience, we inflict death. I hope, however, the day is at no great distance, when the amputation of its most distempered members shall not be thought necessary to the health, and safety of the community.

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einmal wirklich werden wird. Diese Aussicht auf einen, wenn gleich nur möglichen Ruhm eines Geschöpfs welches jetzt unter der Wolke der moralischen Schande einhergeht, wird über den Anblick, den es uns jetzt gewährt, wenigstens einen schwachen Glanz verbreiten und die schwarzen Farben desselben unsern Augen ein wenig erträglicher machen. Wir werden einen Schatten, von dem wir wissen daß er doch beweglich ist und vorüber gehen kann, nicht mit dem Abscheu ansehn, den uns der Gedanke an eine unvertilgbare Finsterniß einflößen würde. Der Gedanke, daß die, welche jetzt Gegenstände unseres Mißfallens sind, sich gewiß unserer Achtung würdig machen könnten, und es vielleicht auch noch werden, wird nicht zulassen, daß aus unserm Urtheil über ihr jetziges Betragen übler Wille gegen ihre Person entstehe, sondern wir uns vielmehr den wohlwollenden Wunsch einflößen, und uns auch antreiben auf jede Art, wie es in unsern Kräften steht dazu mitzuwirken, daß sich die moralische Veränderung bei ihnen wirklich ereignen möge, deren wir sie für fähig halten. Wenn wir in dem gegenwärtigen Sitz des Lasters ein Gebäude finden, welches sehr geschickt ist ein Tempel der Tugend zu seyn, und es früher oder später noch werden kann, so werden wir nicht den Wunsch haben es zerstört, sondern den, es von seinem rechtmäßigen Inhaber bewohnt zu sehn.| Zur Verbesserung der Sitten können einzelne Menschen bisweilen viel beitragen. Die Gesellschaft selbst könnte mehr thun; sie könnte alles thun. Und jedes wohlgesinnte Mitglied eines aufgeklärten Volkes muß eifrig wünschen, daß sein Vaterland auf eine weise und gütige Art alle Macht die es in Händen hat dazu aufbieten möchte, die Millionen von Bürgern die es jetzt zum Tode verurtheilt lieber vom Laster zurückzurufen. Die häufige Anwendung der Todesstrafe versetzt denjenigen in ein schwermüthiges Nachdenken, der nicht nur glaubt, sondern gewiß weiß, daß unter diesem ganzen Haufen von Uebelthätern, so zahlreich er auch seyn mag, doch kein einziger moralisch unheilbarer ist. Aber wir haben auf die Kunst die verirrte Vernunft wieder herzustellen mehr Aufmerksamkeit verwendet, als auf die das verirrte Herz zurückzurufen. Für diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, welche eine Unordnung ihres Verstandes gefährlich macht, erbauen wir Sicherheitshäuser; wir beweisen viel Langmuth gegen sie, und versuchen mancherlei heilende Künste; über diejenigen aber, welche durch eine sittliche Verwirrung schädlich geworden sind, wird mit der lieblosesten Unduldsamkeit der Tod verhängt. Ich hoffe jedoch, der Tag soll nicht sehr weit entfernt seyn, wo man auch das Hinwegschneiden der ungesundesten Glieder zur Gesundheit und Sicherheit der Gesellschaft nicht mehr nöthig finden wird.

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Serm. 19: On the spirit proper to be exercised towards the wicked

Let us, as individuals, be ever ready, whenever we possess opportunity and influence, to perform this most important and generous of all the offices of charity; this glorious, and honourable office, which filled the heart and engrossed the life, of the founder of our faith. Let u s also, like him, aspire, as far as our | abilities extend, to be the redeemers of mankind from iniquity; to heal the sick in mind; to save souls from death; to multiply the number of the happy; and people the mansions of heaven. Amen.

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Pred. 19: Über die Gesinnungen … hegen sollen

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Jeder Einzelne unter uns aber sey bereit, so oft sich in seinem Wirkungskreise Gelegenheit dazu | darbietet, diese wichtigste und erhabenste aller Liebespflichten zu verrichten, diese rühmliche und ehrenvolle Pflicht, wovon dem Stifter unserer Religion das ganze Herz voll war, und die eben so sein ganzes Leben ausfüllte. Auch uns laßt so weit unsre Fähigkeiten reichen danach streben, gleich ihm Erlöser der Menschen von der Ungerechtigkeit zu werden, die Kranken am Geiste zu heilen, Seelen vom Tode zu erretten, die Anzahl der Glücklichen zu vermehren, und die Wohnungen des Himmels zu bevölkern. Amen.

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On Fortitude.

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SERMON Ad d t o y o u r f ai t h , vi r t u e —

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XX. 2 Peter i. 5.

To many of my present hearers it may be needless to observe, that the term in the original, which we have translated Virtue, signifies Fortitude: and it is probable, that our translators intended to express this idea; it being one of the obsolete senses of the English word they have made use of, though not the meaning which it conveys to a modern ear. The sentence, indeed, taken altogether, sufficiently explains the sense of this part of it. It evidently consists of an enumeration of particular virtues; and we cannot consider all that follow, as included in the first, without charging this writer with an instance of peculiarly confused division, | not to be supposed in a person of common clearness of conception, and accuracy of ideas. This interpretation of the text, then, I propose to take along with me, in what I have to say upon it. “Add to your faith, fortitude.” This virtue is here put at the head, and stationed in the front of all the rest, as if it were to be regarded as the prince, and protector of the virtues. And, indeed, fortitude is necessary to so many of the acts of virtue, and enters so much into the essence of it, as to forbid our wonder, that these two words were ever made synonymous. The days, in which this epistle was penned, were days, in which fortitude was peculiarly requisite for every professor of our holy faith: in which, to faith if fortitude were not added, faith could not be even professed. During the struggle of Christianity with the world, every one, who would become a christian, was obliged to stretch every muscle of his mind, and to put the whole strength of his principles into 7 English] english

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Zwanzigste Predigt.

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Ueber die Tapferkeit. 2 Petr. 1, 5.

R e i c h e t d a r i n e u r e m G l au b e n Tu ge n d. 5

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Für viele meiner gegenwärtigen Zuhörer wird es nicht erst nöthig seyn zu bemerken, daß das Wort der Grundsprache, welches durch Tugend übersetzt ist, eigentlich Tapferkeit bedeutet. Wenn man die ganze Sentenz zusammen nimmt, so erläutert sie den Sinn dieses Theils derselben hinlänglich. Sie besteht offenbar in einer Aufzählung einzelner Tugenden, und wir können unmöglich glauben, daß alle folgenden schon in der ersten enthalten sind, ohne diesem Schriftsteller eine so besondere Verwirrung in seinen Eintheilungen Schuld zu geben, die man auch bey einer Person von nicht mehr als ganz gewöhnlicher Klarheit der Vorstellungen und Genauigkeit der Begriffe nicht einmal voraussetzen kann. Diese Auslegung des Textes lege ich also bey dem was ich darüber sagen werde zum Grunde: „Reichet dar in eurem Glauben Tapferkeit.“| Diese Tugend wird hier an die Spitze gestellt und allen übrigen vorausgeschickt, als ob sie als die Heerführerin und Beschützerin aller Tugenden angesehen werden müßte. Und in der That Tapferkeit ist bey so vielen Aeußerungen der Tugend nothwendig und gehört so sehr zu dem Wesen derselben, daß wir uns gar nicht wundern dürfen, wie diese beyden Wörter immer gleichbedeutend gebraucht wurden. Die Zeiten worin dieser Brief aufgesetzt wurde, waren Zeiten, wo Tapferkeit jedem Bekenner unsers heiligen Glaubens ganz vorzüglich nothwendig war, wo wer im Glauben nicht Tapferkeit darreichen konnte, den Glauben selbst nicht einmal bekennen durfte. Während der Kämpfe des Christenthums mit der Welt, war jeder, der ein Christ werden wollte, verbunden alle Muskeln seines Gemüths anzustrengen, und die ganze Stärke seiner Grundsätze in Thätigkeit zu setzen. Ver7–10 Vgl. 2Petr 1,5–7

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Serm. 20: On fortitude

action. Persecution or apostacy, death or dishonour, was then the dread alternative, to which the choice of the church was confined.| Those times are past. The religion, they could not crush, has long remained unmolested. “The kings of the earth” no longer “set themselves,” or the “rulers take counsel together against it.” Our assemblies we are now unanxious to conceal. We are no more under a necessity of hiding our heads in corners, when we meet together in the name of Christ. Our doors are no longer shut, for fear of either the Jews, or the Romans. We meet together in the face of day: christian churches shoot their conspicuous spires into the sky: christian chapels make a public appearance in every town, and village of the land. We enter our temples; we hear our teachers; we return to our houses; and “no one dares to make us afraid.” The Sanhedrim has lost its authority, and the Cæsars are “clods of the valley.” What, then, is there no farther occasion for saying to a christian, “Add to your faith, fortitude?” Far otherwise. Without some exercise of this virtue, no one can either perform the duties, or pass through the scenes of such a world as this, in that manner which Christianity inculcates. For him, whose trials are now of the most indulgent nature, it may | hereafter be necessary, for any thing he can tell to the contrary, to furnish the most striking, and heroic proofs of a firm and invincible spirit. And let it be remembered, it is what we are too apt to forget, it is what we frequently require to be reminded of, in these days of ecclesiastical peace and prosperity, that, although we are not called by Providence to make the same sacrifices to the service of God and society, to which the first professors of Christianity were summoned; yet that the same spirit, which emboldened them to suffer, and to die, in the cause of religion, and which would lead us to obey the call of similar occasions, with similar courage, is still required of us all. The christian character is one; “yesterday, to day, and for ever the same;” sometimes rouzed into intense action, and sometimes suffered to stand still; but, whether called to the stake, or left to the placid employment of worshipping the God of Heaven, and wiping the eye of affliction, the principle that inspires it is the same. It breathes the spirit of virtuous fortitude, and of virtuous defiance, when there is nothing for virtue to defy, when there is nothing for virtue to endure. Though no antagonist ap|pear, it is still the champion of duty. That is the high title which it eternally wears; that is the high office which it holds, at all times, and in all places; and the spirit of which it perpetually preserves. Every day, every hour, it walks

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folgung oder Abfall, Tod oder Schande waren damals die schrecklichen Gegenstücke, zwischen denen die Kirche allein zu wählen hatte. Diese Zeiten sind vorbey. Die Religion, welche sie nicht unterdrücken konnten, ist nun seit langer Zeit unbeunruhigt geblieben. Die Könige der Erde setzen sich nicht mehr gegen sie, und die Gewaltigen halten nicht mehr Rath über sie. Der Angst wie wir unsere Versammlungen verbergen wollen, sind wir überhoben. Wir haben nicht mehr nöthig uns in abgelegene Winkel zu verkriechen, | wenn wir im Namen Christi zusammen kommen wollen. „Unsere Thüren werden nicht mehr verschlossen aus Furcht vor den Juden“1 oder Römern. Wir versammeln uns im Angesicht des Tages, christliche Kirchen erheben ihre Thurmspitzen bis an die Wolken, christliche Kapellen fallen in jeder Stadt und in jedem Dorf auf dem Lande in die Augen. Wir gehen in unsere Tempel, wir hören unsere Lehrer, wir kehren in unsere Häuser zurück und Niemand darf uns erschrecken. Der jüdische Rath hat sein Ansehn verloren, und die Kaiser sind Erdschollen im Thal. Wie? hat also nun jede Veranlassung aufgehört zu den Christen zu sagen: „Reichet dar in eurem Glauben Tapferkeit?“ Mit nichten. Ohne alle Ausübung dieser Tugend kann Niemand weder seine Pflichten erfüllen, noch auf die Art wie das Christenthum es vorschreibt durch die mancherley Scenen einer Welt wie diese hindurchgehn. Demjenigen, dessen Prüfungen jetzt so gelinde als möglich sind, kann sie in der Folge nöthig werden, wenn ihm irgend etwas aufgelegt wird um die auffallendsten und heldenmüthigsten Beweise eines festen und unüberwindlichen Geistes zu geben. Und laßt euch daran erinnern – wir vergessen es nur gar zu leicht, und es sollte uns öfters zu Gemüthe geführt werden in diesen Tagen des Friedens und des Wohlergehens der Kirche – daß, ob wir gleich von der Vorsehung nicht berufen sind im Dienst Gottes und | der Gesellschaft dieselben Opfer zu bringen, die von den ersten Bekennern des Christenthums gefordert wurden, doch noch immer von uns allen derselbe Geist gefordert werde, der sie so kühn machte, für die Sache der Religion zu leiden und zu sterben, und der auch uns bey ähnlichen Gelegenheiten antreiben würde, dem Ruf unserer Pflicht mit gleichem Muthe zu folgen. Der Charakter des Christen ist nur einer und derselbe, „gestern und heute und in 1

Joh. 20, 19.

21 diese] Kj dieser 4–6 Zu den drei benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. Ps 2,2 9–10 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung. 15 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Lev 26,6; Hiob 11,19 16 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Hiob 21,33. 35–701,1 Vgl. Hebr 13,8

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Serm. 20: On fortitude

round the lifts, proclaims its challenge of all opposition, and holds itself in continual readiness for combat.

What I propose to do in this discourse, is to point out the several operations of fortitude; after which I will beg leave to mention some of the means of acquiring this temper; and then conclude with suggesting a few motives to make use of them.

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The office of fortitude is to resist allurements to do wrong, and to support, with dignity, adversity, and death.

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In the first place, Fortitude expresses itself, in resisting allurements to do wrong. To oppose the inclinations of nature to accept, what is, in a high degree, agreeable to the passions and appetites of the human breast, when the testimony of a good conscience, and the hope of divine favour, are to be given in exchange, requires no inconsiderable portion of strength of mind. This magnanimity is displayed, when youth, high passioned, and | panting for delight, refuses to enter the flowery paths of licentious pleasure; and resolves to walk in no ways but those, however thorny, and rough they prove, which lead to Heaven, and to God. This magnanimity is yet more exhibited, when honest poverty turns away its eye from looking upon, and pushes aside the hand which holds in it, a temptation of more than common attraction, to the performance of what equity and honour will not allow. To these kind of trials, mankind are called, in very different degrees, They are not all alike propelled by natural inclination, or alike exposed by external situation, to sensual excesses, in the morning of life: not to all is the opportunity presented, of refusing the wages of dishonesty, when under the pressure of indigence. And of them, who by such temptations have been never beset, it is difficult to say, who would, and who would not, be able to repel their attacks.

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Ewigkeit,“ nur daß er bisweilen zur lebhaftesten Thätigkeit aufgeweckt wird, bisweilen in Ruhe still liegen kann; aber es sey nun daß er aufgefordert werde alles aufs Spiel zu setzen, oder daß er dem stillen Geschäft obliegen dürfe, den Gott des Himmels zu verehren und das Auge des Betrübten zu trocknen, so muß doch die Gesinnung, die in ihm herrscht, immer dieselbe seyn. Er muß den Geist einer tugendhaften Tapferkeit und eines tugendhaften Trotzes athmen, wenn es auch nichts giebt dem die Tugend trotzen, und nichts was sie ertragen müßte. Auch wenn sich kein Gegner zeigt ist er doch der Verfechter der Pflicht. Das ist der erhabene Ehrentitel, den er ewig trägt, das ist das erhabene Amt, welches ihm zu allen Seiten und an allen Orten obliegt, und dessen Geist ihn nie verläßt. Alle Tage und alle Stunden geht er in den Schranken herum, wirft jedem den Handschuh hin der ihn aufnehmen will, und hält sich immer zum Streit fertig.| Was ich mir für diesen Vortrag vorgenommen habe ist: die verschiedenen Verrichtungen der Tapferkeit anzuführen, dann will ich einiger Mittel diese Gesinnung zu erwerben erwähnen, und dann will ich damit schließen, daß ich einige Bewegungsgründe an die Hand gebe, die uns antreiben müssen uns dieser Mittel auch wirklich zu bedienen. E r s t l i c h . Das Geschäft der Tapferkeit besteht darin, daß sie den Lockungen zum Bösen widersteht, und daß sie Unglück und Tod mit Würde erträgt. l) Zuerst äußert sich die Tapferkeit dadurch, daß sie den Lockungen zum Bösesthun widersteht. Sich der natürlichen Neigung, die immer nach dem, was den Leidenschaften und Begierden der menschlichen Brust in hohem Grade angenehm ist, greifen will, in jedem Fall widersetzen, wo man das Zeugniß eines guten Gewissens, und die Hoffnung der göttlichen Gunst dafür hingeben müßte, dazu gehört ein nicht unbeträchtliches Maaß von Geistesstärke. Diese Seelengröße zeigt sich wenn die Jugend mit ihren glühenden Leidenschaften und ihrem heftigen Durst nach Vergnügen sich dennoch weigert den blumigen Pfad der zügellosen Freude zu betreten, und den Entschluß faßt, keinen andern Weg zu wandeln, als den, wie dornig und rauh er auch sey, der zum Himmel und zu Gott führt. Diese Seelengröße zeigt sich noch deutlicher, wenn tugendhafte Armuth ihre Blicke abwendet, und die Hand von sich weiset, die ihr eine Bestechung von mehr | als gemeinem Gewicht anbietet, um sie zu einer Handlung zu verleiten, welche Billigkeit und Ehre nicht erlauben können. Dieser Art von Prüfungen werden die Menschen freylich in sehr verschiedenen Graden ausgesetzt. Nicht alle werden auf gleiche Weise am Morgen des Le6 herrscht,] herrscht

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Serm. 20: On fortitude

A capacity of doing this, however, enters into the character of fortitude. To say, “No,” when thus enticed, is one of the most honourable and arduous efforts of this principle.

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Secondly, Fortitude discovers itself, in supporting with firmness the sufferings of life. | To possess this spirit, we must possess such a superiority to pain, of every kind, as never to flee from it, when it opposes our performance of duty, or to sink under it, when it falls upon us in the unavoidable course of things. He, who would give proofs of his being fortified by this principle, must suffer no accident, however terrible, to unhinge his heart. In passing through the darkest shades of adversity, in walking through the tremendous night of tragedy, he may, for he must, pay to Nature her tribute. He may burst into tears; he may break into lamentation; he may feel, for a while, the agony that can neither speak, nor weep; but he must not suffer himself to be agitated into madness, or to sink into despair: he must not either arraign the providence of God, or seek for refuge in the grave. When disease prepares its rack, when wealth on a sudden takes wing, when imprisonment locks him from the light, when prejudice loads him with reproach, when persecution levels its arrows at him, when filial ingratitude puts forth its sting, when faithless Friendship turns away her eye, or when faithful Friendship resigns her breath, he must be able to preserve his self-possession; to hold his faith, and piety unshaken; to | pursue his exertions in the field of duty; to bless, and to hope in Almighty God. He, who to faith has added fortitude, will not suffer either of these blows to break his heart, or the dread of either of these, or of any others, to beat his spirit back from pressing towards the ends of virtue. In public life, he will not be intimidated by popular clamours, and political calumnies, from doing, what he thinks, his duty to his country. In private life, it will not be in the power of the fashionable and polite, to shame him either into infidelity, or into deviation from the simplicity and purity of virtuous manners. Nor will the fear of pain, or poverty, or chains, or exile, prevent him from rendering to society any services to which the voice of Providence may call him.

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bens durch ihre natürlichen Neigungen zu sinnlichen Ausschweifungen hingetrieben, oder durch ihre äußere Lage besonders dazu verleitet; und nicht allen wird die Gelegenheit dargeboten einen unredlichen Gewinn auszuschlagen wenn die Noth sie eben drückt. Und von denen, die nie von solchen Versuchungen bestürmt gewesen sind, ist es freylich schwer zu sagen, welche unter ihnen im Stande gewesen wären solche Angriffe zurückzuschlagen und welche nicht. Aber die Fähigkeit es zu thun gehört allerdings zum Charakter der Tapferkeit. Nein zu sagen, wenn man so gelockt wird, ist eine der ehrenvollsten und schwersten Aeußerungen dieser Tugend. 2) zeigt sich die Tapferkeit darin, daß man die Leiden des Lebens mit Standhaftigkeit erträgt. Um diese Fertigkeit zu besitzen, müssen wir über allen Schmerz, von welcher Art er auch sey, so weit erhaben seyn, daß wir ihn nie fliehen, wenn er sich der Erfüllung unserer Pflichten gegenüberstellt, und daß wir nie darunter versinken, wenn er nach dem unvermeidlichen Lauf der Dinge über uns kommt. Wer beweisen will, daß er dieser Tugend Stärke genug verdankt, der muß durch keinen Zufall, wie schrecklich er auch sey, außer Fassung ge|bracht werden. Wenn er durch die dunkelsten Schatten des Unglücks und durch die schreckliche Nacht der furchtbarsten Verwirrungen hindurch muß, so mag er immerhin, weil er muß, der Natur ihren Tribut bezahlen. Er mag in Thränen ausbrechen, er mag sich durch Klagen Luft machen, er mag eine Zeitlang den höchsten Schmerz empfinden, der weder reden noch weinen kann; aber bis zur Verwirrung des Gemüths darf er seine Unruhe nicht steigen lassen; er darf weder die göttliche Vorsehung anklagen noch im Grabe Trost suchen. Wenn der Schmerz seine Foltern bereitet, wenn der Reichthum auf einmal davon fliegt, wenn Einkerkerung ihn des Tageslichtes beraubt, wenn das Vorurtheil ihn mit Vorwürfen beladet, wenn die Verfolgung ihren Bogen gegen ihn spannt, wenn die Undankbarkeit seiner Kinder ihn verwundet, wenn treulose Freundschaft ihre Augen von ihm wegwendet oder treue Freundschaft ihre Augen schließt: auch dann muß er im Stande seyn Herr über sich selbst zu bleiben, seinen Glauben und seine Frömmigkeit unerschüttert zu behalten, seine gewöhnliche Thätigkeit auf dem Felde seiner Pflicht fortzusetzen, und den allmächtigen Gott zu preisen und auf ihn zu hoffen. Wer in seinem Glauben Tapferkeit darreicht wird weder zugeben, daß sein Herz unter solchen Schlägen breche, noch daß die schreckliche Erwartung eines derselben seinen Muth zurückhalte, auf der Bahn der Tugend immer vorwärts 14 fliehen,] fliehen 9 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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Serm. 20: On fortitude

Thirdly, Fortitude is displayed, in supporting, with serenity and self-possession, the pains of death. Some of the pains of life have been thought worse than death: to death, it is certain, that the sufferers of them have frequently flown for refuge from them. The certainty of this fact, however, is far from determining the question. The bitterness of death is to be considered as propor|tioned to the sweetness of life, in the moment of its arrival; and death, to be regarded as an occasion for fortitude, must be supposed to be met, in the midst of a condition by which existence is endeared. To pals from ease, from prosperity, from friendship, from family, from every thing that renders life delightful, to the agonies of dissolution, and the darkness of the grave, without shrinking from the hour, is certainly no easy talk: and I have chosen to consider this situation of fortitude, separately, as there is a singularity in it, which seems to set it by itself. That pain which inspires a wish to die, and that which is occasioned by wishing to live, when called to die, are so different from each other, that they may be considered apart, without any impropriety. There is a night of mystery around the moment of dissolution, there is a profound ignorance of the parting pang which may accompany it, there is a degree of doubtfulness, even in minds in which religion has taken the deepest root, of what may be beyond it; which conspire to render the last hour of life tremendous to Human Nature, when it is tranquilly contemplated, in the absence of those tragical circumstances, which | lead her to rush towards it, with that rash, and dreadful hurry that admits not of reflection upon it. And coolly to go forth to face this enemy of man, in the midst of health, and competence, and every thing that can lead nature to relinquish life with reluctance, at the call of duty; or calmly to await its coming, in the silent chamber of sickness, upon the couch of serene meditation upon it, when all is active thought and lively anticipation; to perceive the gradual approaches of it, in all that passes within us, in all that passes without us; in the face of the physician, in the looks, and the whispers, of attendants and friends; to infer from silent sorrow, what affection is afraid to speak; to take a long

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zu schreiten. In öffentlichen Geschäften wird er sich weder durch | Volksgeschrey noch durch politische Verläumdungen abschrecken lassen, das zu thun, was er für Pflicht gegen sein Vaterland hält. In seinem Privatleben werden alle Bemühungen der feinen und modischen Welt vergeblich seyn ihn durch falsche Schaam zum Unglauben herüberzuziehn, oder von der tugendhaften Einfalt und Reinigkeit seiner Sitten zu entfernen. Auch wird keine Furcht vor Schmerz oder Armuth oder Ketten oder Verbannung ihn hindern der Gesellschaft alle diejenigen Dienste zu leisten, zu denen die Stimme der Vorsehung ihn beruft. 3) beweist sich die Tapferkeit auch darin, daß sie die Schmerzen des Todes mit Heiterkeit erträgt. Man hat einige von den Schmerzen des Lebens für ärger gehalten als den Tod, und so viel ist gewiß daß die, welche sie zu leiden hatten, sehr oft lieber zum Tode ihre Zuflucht genommen haben. Aber diese Thatsache, so gewiß sie auch ist, kann bey weitem die Frage nicht entscheiden. Man muß bedenken, daß die Bitterkeit des Todes immer desto größer ist, je süßer uns das Leben in dem Augenblick, wo er herannaht, erscheint; und wenn der Tod uns eine Veranlassung geben soll unsere Tapferkeit zu zeigen, so muß er uns mitten in einem Zustande antreffen, der uns das Daseyn recht lieb und werth macht. Mitten aus dem Wohlergehn, dem Glück, der Freundschaft, den Familienfreuden und allem, was uns das Leben angenehm macht, in den Kampf der letzten Auflösung und in die | Dunkelheit des Grabes überzugehen, ohne vor der Stunde zu erbeben, das ist gewiß kein leichtes Geschäft, und ich habe die Tapferkeit in dieser Lage besonders betrachten wollen, weil wirklich etwas eigenthümliches darin ist, was sie zu der einzigen in ihrer Art macht. Der Schmerz der uns einen Wunsch zu sterben einflößt, und der, welcher uns, indem uns der Tod abruft, einen Wunsch zu leben abdringt, sind von einander so gänzlich unterschieden, daß man sie füglich abgesondert betrachten kann. Es ruht eine geheimnißvolle Nacht um den Augenblick unserer Auflösung, wir sind so gänzlich unbekannt mit den Qualen der Trennung die ihn begleiten, es giebt in Absicht dessen, was dahinter liegt, einen Grund von Zweifelmuth selbst bey Gemüthern in denen die Religion die tiefste Wurzel gefaßt hat, und dies alles vereiniget sich die letzte Stunde des Lebens der menschlichen Natur als etwas schreckliches vorzustellen, wenn man sie ganz ruhig betrachtet, abgesondert von solchen tragischen Umständen, welche den Menschen dahin bringen können, ihr mit der raschen furchtbaren Eilfertigkeit entgegen zu stürzen, die kein Nachdenken zuläßt. Und nun diesem Feind des Menschen auf den Ruf der Pflicht kaltblütig unter die Augen zu 34 liegt,] liegt

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Serm. 20: On fortitude

and formal farewel of every familiar, and friendly face, and bid an everlasting adieu to each domestic scene, and beautiful appearance of nature;—to be able to do this, with a composed, and placid spirit, which is capable of comforting the distress, and contriving the future happiness, of survivors; is no small proof of a strong, and well fortified mind.

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Such, in a few words, are the several instances in which fortitude shews itself. I proceed to point out the means of acquiring this | temper. In a time of peace, it has been thought proper to preserve discipline in an army, that, when the trumpet sounds to arms, it might acquit itself with honour in the field. And, in the absence of danger and distress, in the seasons of inactivity and rest, the human mind may cultivate that vigour, which will enable it to face every difficulty that may oppose the prosecution of honourable enterprise, and to stand up under whatever afflictions, Providence, at some future period, may throw upon it. Persecution, my fellow christians, slumbers; you rejoice that it does, and so do I; and we have reason to rejoice; but, while we rejoice, let us also tremble: for there is danger, lest that generous and invincible spirit, which it rouzed in the primitive professors of our faith, should slumber along with it. In the absence of private trials, likewise, there is room for fearing, lest the heart should suffer those faculties to sleep, which outward circumstances do not call forth: should grow feeble, timid, and irresolute, in consequence of this dormancy of its powers: and, when pain and troubles attack it, be unable to make any stand against them. Military, and moral, | experience, in this respect, resemble each other. If, during a cessation of hostilities, luxury and relaxation enter the camp, it becomes an easy conquest: and, in like manner, if, when prosperity and ease surround it, the human mind allows its powers to recline, and employs no means to preserve them awake and active; the onset of adversity will be sure to overset it. Let us, then, have the wisdom to devote the hours of security and tranquillity to such mental exercises,

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treten in voller Gesundheit, im besten Wohlseyn, in einem Zustande in welchem die Natur sich am meisten sträuben muß das Leben zu verlassen; oder seine Ankunft ruhig abzuwarten in einem stillen Krankenzimmer auf dem Lager wo man ungestört jeder Be|trachtung nachhängen kann, wo jeder Gedanke ausgemalt und alles bevorstehende lebhaft im voraus empfunden wird; dann an allem was in uns, an allem was außer uns vorgeht, an den Mienen des Arztes, an den Blicken und dem Flüstern der Angehörigen und Freunde, seine Annäherung wahrzunehmen; aus dem stillen Kummer zu schließen, was die Zärtlichkeit nicht auszusprechen wagt; einen langen und förmlichen Abschied zu nehmen von jedem bekannten und freundschaftlichen Angesicht; jeder häuslichen Scene, jedem schönen Anblick der Natur ein ewiges Lebewohl zu sagen – dies mit einem gefaßten und gelassenen Gemüth thun zu können, welches noch im Stande ist den Kummer der Ueberlebenden zu trösten und für ihre künftige Glückseligkeit Sorge zu tragen, das ist gewiß kein geringer Beweis eines starken und wohl befestigten Gemüths. Zw e y t e n s . Dies sind mit wenigen Worten die verschiedenen Fälle, worin die Tapferkeit sich zeigen kann. Ich komme nun auf die Mittel durch welche wir diese Gemüthsverfassung erwerben können. Auch in Friedenszeiten hält man es für nützlich Kriegszucht in einem Heer zu erhalten, damit es sich, wenn die Trompete zu den Waffen ruft, mit Ehren im Felde zeigen könne. Und eben so kann auch das menschliche Gemüth in den Zeiten der Ruhe und Unthätigkeit, wenn keine Gefahr und kein Unglück vorhanden ist, diejenige Stärke in sich sammeln, welche es in den Stand setzt jeder Schwie|rigkeit, die sich der Ausführung ehrenvoller Unternehmungen entgegen stellt, die Spitze zu bieten, und unter jedem Unglück, welches die Vorsehung in Zukunft verhängen könnte, aufrecht zu stehen. Die Verfolgung, meine Mitchristen, schläft; ihr freut euch daß es so ist, und ich auch: denn wir haben Ursach uns zu freuen; aber indem wir froh sind laßt uns auch zittern, denn es ist Gefahr daß mit ihr zugleich auch der hohe und unüberwindliche Muth schlafe, den sie in den ersten Bekennern unsers Glaubens aufregte. Eben so haben wir, wenn es uns an persönlichen Prüfungen fehlt, Ursach zu besorgen, daß unser Herz jene Fertigkeiten schlafen lasse, welche durch äußere Umstände nicht in Thätigkeit erhalten werden, daß es während dieses Schlummers seiner Kräfte schwach, schüchtern und unentschlossen werde, und wenn Schmerz und Unruhe es überfallen, nicht fähig sey dagegen Stand zu halten. Die Kriegskunst und die Moral haben in dieser Rücksicht gleiche Erfahrungen aufzuweisen. Wenn während eines Waffenstillstandes Schwelgerey und Weichlichkeit im Lager überhand nehmen, so wird es eine leichte Eroberung; und eben so, wenn die menschliche

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as may maintain in the mind a capacity of supporting the shock of a change. What these exercises are, allow me to lay before you.

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The first I shall mention is intense and repeated meditation upon the objects of our holy faith. The first step towards adding to our faith fortitude, is to add to our faith stability; and to open our hearts to its full influence upon them. The way, to do this, is often to reflect upon what our religion reveals to us: frequently to set the awful scenes it unfolds, full, and fairly, in our view: to make our retreat from this world, and wrap ourselves in the prospect of the next. By means of thus keeping up a daily commerce with the world to come, we shall acquire more lively and | animated views of it; diminish its distance; bring it to our door; and swell it out to the impressive size of a present object. In consequence of this intercourse of our thoughts with it, and approach of our hearts towards it, whenever, in the course of our lives, the occasion occurs, which calls us to discover in our conduct, that we are actuated by a “respect to the recompense of reward,” the idea of that “better country,” which our meditations have thus powerfully anticipated, and taken hold of, will readily recur to us, and, like a voice from heaven, rouze us into a vigorous exertion of our moral powers.

If, therefore, while dangers and difficulties are away, we would enable ourselves to rise superior to them, when they assail us, let us keep, as constantly as we can, upon that wing of contemplation, which carries us up towards heaven, and whence every thing in this world looks little, and comparatively contemptible. Faith is the nurse of Fortitude: let Faith be always at our side, and we shall ever be firm. By faith, the first christians conquered the world: by faith, we must acquire the same unconquerable spirit.|

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Seele, so lange Glück und Wohlstand sie umgeben, ihre Kräfte ruhen läßt, und nicht auf Mittel denkt, sie wach und thätig zu erhalten, so wird gewiß der erste Anlauf des Unglücks sie niederwerfen. Laßt uns also Weisheit genug besitzen, um die Stunden der Sicherheit und Ruhe solchen Geistesübungen zu widmen, die unser | Gemüth in dem Stand erhalten auch einen Glückswechsel mit allen seinen Stürmen zu ertragen. Was für Uebungen dies sind, erlaubt mir euch zu sagen. 1) Die erste, deren ich erwähne, ist gründliches und wiederholtes Nachdenken über die Gegenstände unsres heiligen Glaubens. Der erste Schritt um in unserm Glauben Tapferkeit darzureichen, besteht darin, daß wir unserm Glauben Festigkeit geben, und unser Herz allen Einwirkungen desselben öffnen. Und dies wird geschehen, wenn wir über das, was die Religion uns offenbart, öfters nachdenken, wenn wir uns die erhabenen Auftritte, die sie vor uns entfaltet, vollkommen und in ihrer ganzen Herrlichkeit vor Augen stellen, uns von dieser Welt zurückziehn und in den Aussichten auf die künftige vertiefen. Indem wir uns so in täglicher Verbindung mit der künftigen Welt erhalten, wird unsere Ansicht von derselben lebendiger und wirksamer werden, ihre Entfernung wird sich verringern, wir werden sie vor unsere Thür bringen, und in der ganzen überwältigenden Größe eines gegenwärtigen Gegenstandes erblicken. Dieser Beschäftigung unserer Gedanken mit ihr, dieser Annäherung unsers Herzens an sie werden wir es verdanken, daß so oft sich im Lauf unsers Lebens eine Gelegenheit zeigt, wo wir beweisen sollen, daß wir von einer Aussicht auf die künftige Belohnung angetrieben werden, auch der Gedanke an dieses „bessere Vaterland“ den unser Nachdenken so oft im Voraus ergriffen und mächtig | fest gehalten hat, sich uns auch zur rechten Stunde mit Leichtigkeit zurückrufen und alle unsre moralischen Kräfte zur lebhaftesten Thätigkeit aufregen wird. Wollen wir uns also, so lange Gefahren und Schwierigkeiten noch fern sind, in den Stand setzen, ihnen zu der Zeit, wenn sie uns bestürmen werden, überlegen zu seyn, so müssen wir uns, so oft und so lange wir können auf den Flügeln der Betrachtung erheben, die uns gen Himmel emporführen, und von denen herab alles in dieser Welt klein und verhältnißmäßig verächtlich erscheint. Der Glaube erzieht die Tapferkeit; laßt den Glauben immer an unserer Seite stehn, so werden wir auch immer standhaft seyn. Durch den Glauben überwanden die ersten Christen die Welt, der Glaube muß auch uns denselben unbesieglichen Muth einflössen. 13 offenbart,] offenbart

16 in den] Kj in die

24–25 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hebr 11,26 der englischen Textfassung) 37–38 Vgl. 1Joh 5,4

26 Hebr 11,16 (nach

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In the second place, The diligent cultivation of general virtue will be found, to produce a proportionable improvement in fortitude in particular. We are apt to consider the several virtues, as independent of each other; to imagine that they have no connection with one another; and that they may exist separately, as well as together. We do not consider, that they are but different exercises of the same spirit. Fortitude is an operation of the same principle, which produces every other act of virtue. By strengthening, therefore, the virtuous principle in general, we shall add vigour to this quality in particular. The moral process of the human mind, when put into motion by religion, appears to be this: Faith first awakens Fortitude; Fortitude enters upon the cultivation of virtue; and virtue, in its progress, increases the fortitude that gave it birth.

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There are three causes of a firm and intrepid soul: a sense of security; lively animal spirits; and the moderation of the selfish passions. All of these causes are increased by general improvement in virtue. The more of it any man is conscious of possessing, the more established will be his | assurance of divine favour, and, consequently, of personal safety and welfare, in every situation of danger and trouble. The more moderate he is in sensual gratification, the less he allows himself to lie in the lap of sloth, the more intensely he keeps up the proper employment of his powers, the more alert will be his faculties; the more sprightly his sensations; the more firm and fearless his heart; and the greater his animal, and mechanical capacity to encounter difficulties, when they occur, in a manly and spirited manner. And, to conclude, the more he imbibes of that benevolent and generous temper, which Christianity inculcates upon him; of love to God and love to man; the more capable he becomes of public spirit, and enlarged views; the more readily will he be reconciled to those afflictions, which he knows to be essential parts of the wise plan which Providence has concerted to accomplish the good of the whole; the more insensible he will be to private pain, and sorrow; the more absent and abstracted from personal troubles; and the more disposed

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2) wird auch fleißige Uebung in der Tugend überhaupt ein wirksames Mittel seyn uns auch besonders in der Tapferkeit verhältnißmäßig zu vervollkommnen. Wir halten gewöhnlich die verschiedenen Tugenden für unabhängig von einander, und bilden uns ein, daß keine Verbindung zwischen ihnen statt findet, und daß sie eben so gut abgesondert von einander als vereinigt bestehen können. Wir bedenken nicht, daß sie alle nur verschiedene Aeußerungen derselben Gesinnung sind. Tapferkeit ist eine Wirkung desselben Geistes, der alle andren tugendhaften Handlungen hervorbringt. Stärken wir also unsre tugendhafte Gesinnungen überhaupt, so | wird auch diese Eigenschaft insbesondere mehr Kräfte gewinnen. Der ganze Hergang im menschlichen Gemüth wenn es durch die Religion in Bewegung gesetzt wird, scheint folgender zu seyn: Der Glaube erweckt zuerst die Tapferkeit, die Tapferkeit übernimmt die Erziehung der übrigen Tugenden und diese verstärken wiederum durch ihre Fortschritte die Tapferkeit, aus der sie entsprungen waren. Es giebt drey Quellen eines festen und unerschrockenen Gemüths: ein Gefühl von Sicherheit, ein munterer Lauf der Lebensgeister, und Mäßigung der selbstsüchtigen Leidenschaften. Alle diese drey Vorzüge werden durch allgemeine Fortschritte in der Tugend noch vergrößert. Je mehr sich Jemand bewußt ist die göttliche Gnade zu besitzen, desto größer wird seine Zuversicht zu derselben seyn, und folglich auch sein Gefühl persönlicher Sicherheit in jeder gefährlichen und unruhigen Lage. Je mäßiger Jemand in der Befriedigung der Sinnlichkeit ist, je weniger er es sich verstattet auf dem Ruhebette der Trägheit zu liegen, und je aufmerksamer er darauf hält alle seine Fähigkeiten gehörig zu beschäftigen, desto regsamer werden auch alle seine Seelenkräfte, desto lebhafter seine Empfindungen seyn, desto fester und furchtloser sein Herz, und desto größer auch seine mechanische und körperliche Fertigkeit, Schwierigkeiten die sich ereignen | auf eine männliche und muthige Art entgegen zu gehn. Endlich je mehr Jemand von der wohlwollenden und edlen Gesinnung welche das Christenthum einschärft, von Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen durchdrungen ist, je mehr er großer Ansichten und eines Interesse am Ganzen fähig ist; desto leichter wird er sich mit den Trübsalen aussöhnen, von denen er weiß, daß sie wesentliche Theile des weisen Plans sind, den die Vorsehung entworfen hat um das Beste des Ganzen dadurch zu erreichen, desto unempfindlicher wird er seyn bey eignem Schmerz und Kummer, desto weniger werden ihn eigene Unruhen anfechten und stören, desto mehr wird er geneigt 8 andren] andre

36 Interesse] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1390

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to “mock at fear,” to “count the darts as stubble,” and to “laugh at the shaking of | the spears,” that may threaten his progress in the path of duty. It will, therefore, be the wisdom of him, who wishes to strengthen his mind, so as to be able to stand, in the day of calamity, while he practises temperance in the gratification of his senses, to feed within him the spirit of piety, by devout meditation, and to animate his benevolence, by every reflection that is adapted to inflame it, and by the performance of every kind, and friendly office, to which his opportunities invite him. A third method of invigorating fortitude, is frequently to fix our eyes upon the splendid examples of it, which the sacred pages hold up to them. If we would become a match for Adversity, let us open the book that records the history of our religion. Let us behold the brave apostles, “troubled on every side, yet not distressed; and perplexed, but not in despair.” Let us survey the most celebrated of that honourable band of heroes, passing through a life of peril and pain; continually surrounded by angry insurrections; hunted by mobs; dragged before tribunals; loaded with chains; now, fainting under a shower of stones; now, bleeding from the | lictor’s lash; yet, in the midst of all these things, declaring, that “none of them move him.” Last, let us turn our eye to that most illustrious of sufferers, that prodigy of patience, and miracle of magnanimity, the saviour of sinners! surrounded by a sad assembly of all the sorrows, to which human nature is subject, yet serenely smiling through the cloud, upon the sum of human happiness and salvation, which was to issue from it. Let us look upon these brilliant examples: let us warm ourselves at this fire: let us kindle over this page. Recall, Christians, the history of persecution, and heroism, to your memory, in order to animate and rouze the moral languor, into which more tranquil times are apt to lull the mind.

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seyn der „Furcht zu spotten,“2 die „Schleudersteine zu achten wie Stoppeln, und der bebenden Lanzen zu lachen,“3 die seine Fortschritte auf dem Wege der Pflicht bedrohen wollen. Wer also sein Gemüth so stärken will, daß es fähig ist am Tage des Unglücks fest zu stehn, für den wird es weislich gehandelt seyn, indem er sich bey der Befriedigung seiner Sinnlichkeit der Mäßigung befleißigt, zugleich den Geist der Gottesfurcht in sich durch frommes Nachdenken zu nähren, und sein Wohlwollen durch jede Betrachtung, die es anfeuern kann, und durch die willige Verrichtung jedes freundlichen Liebesdienstes, wozu die Umstände ihn einladen, immer mehr zu beleben.| 3) Ein drittes Mittel unsere Tapferkeit zu erhöhen besteht darin, daß wir unsere Augen fleißig auf die glänzenden Beyspiele dieser Tugend richten, die uns die heiligen Bücher vorhalten. Wollen wir dem Unglück gewachsen seyn, so laßt uns das Buch aufschlagen, welches die Geschichte unserer Religion erzählt. Laßt uns auf die braven Apostel sehen, die „allenthalben Trübsal hatten, aber sich nicht ängsteten, denen bange gemacht wurde, die aber nicht verzagten.“4 Laßt uns hinsehn auf die berühmtesten unter dem herrlichen Bunde von Helden, die sich durch ein Leben voll Gefahr und Schmerz durchschlagen mußten, von furchtbaren Feinden überall umgeben waren, vom zusammenlaufenden Volk geängstet, vor die Gerichtshöfe geschleppt, mit Ketten beladen wurden, jetzt unter einem Steinregen in Ohnmacht sanken, jetzt unter den Streichen der Gerichtsdiener bluteten, und mitten unter allen diesen Dingen dennoch erklärten, daß nichts von dem allen sie rührte. Endlich laßt uns unsre Augen auf den erhabensten aller Dulder richten, auf dies Wunder von Geduld und von Seelengröße, den Heiland der Sünder, der umgeben von dem traurigen Heer aller Leiden, denen die menschliche Natur unterworfen ist, dennoch heiter hindurch lächelte durch diese Wolke auf die Summe von Heil und Glückseligkeit, welche daraus für die Menschen entspringen sollte. Auf diese glänzenden Beyspiele laßt uns sehn, an dieser Flamme uns wärmen, über dieser Ge|schichte laßt uns von gleichem Feuer entzündet werden. Ruft, Christen, eurem Gedächtniß die Zeiten der Verfolgung und des Heldenmuths zurück, damit ihr euch ermuntert 2 3 4

Hiob 39, 22. Hiob 41, 19. 20. 2 Kor. 4, 8.

17 „allenthalben] allenthalben

36 39, 22.] 39, 25.

25–26 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Apg 20,24 Hiob 41,20–21 (KJB Hiob 41,29)

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Having thus briefly enumerated the means of acquiring this spirit, I proceed to the motives that should lead us to make use of them.

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First, A regard to our own safety and serenity, should induce us to cultivate the temper I am recommending, by every method in our power. However free we may be from present, we cannot say, to what future temptations, we may be exposed, to commit even the most atrocious crimes. To drop | on a sudden, from decent manners, and a fair reputation, into an abyss of infamy, would be a dreadful thing! Let us, then, in time, garrison our minds with such principles, as will be able to stand the attack of extraordinary temptation.—However safe and easy our present circle of duties may be, we cannot tell, to what difficulty and hazardous exertions, in the cause of society, we may be hereafter called, in a voice so distinctly, and audibly addressed to our consciences, as not to be able to draw back from obedience to it, without the grossest disgrace. If we would wish to avoid the shame and ignominy of flight from such services, let us, by adequate meditation, now stir up our faculties into a proper posture, and preserve them in a state of constant preparation, for such occasions.—In however smooth a stream our present moments may glide along; however rich we may be, in health, in ease, in property, in credit, in friendship, in connections, in every flower that lends delight to the journey of human life; we know not what calamities, of grim and horrid aspect, may lie lurking for us, in the dark ambush of the impenetrable future; what severe and iron events may be way|laying us, like ferocious forest-assassins, as we sojourn along on our dusky and uncertain way, ready to spring upon our unsuspecting hearts, with a murderous and unmerciful violence, and inflict such stabs upon them, as only the most vigorous virtue is able to survive. We have not to learn, how often the rich, the fortunate, and the gay, when suddenly assailed by those adversities, for which they had neglected to make any preparation, during the passage of their prosperous days, have fallen, in a moment, from all the glow of felicity, into all the death of despair, and often into all the darkness of perdition! In the mournful mansions, where shattered reason lies in ruins, many a cell would have wanted its tenant, had piety broken the blow of misfortune. Your public papers have informed you, how often the ball of death has been employed, to appease the throbbing of that burning brain, which virtuous principles would have preserved from phrenzy, and gradually composed to rest; how frequently the impious drug of oblivion has been lifted to lips, which religion would have taught to bless the name

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und aufmacht, um die geistige Schläfrigkeit zu vertreiben, in welche ruhigere Zeiten das Gemüth einzuwiegen pflegen. D r i t t e n s . Nachdem ich nun kürzlich die Mittel diesen Muth zu erwerben aufgezählt habe, wende ich mich zu den Bewegungsgründen, welche uns antreiben müssen Gebrauch von ihnen zu machen. 1) muß schon Rücksicht auf unsere eigne Sicherheit und Ruhe uns bewegen, durch jedes Mittel welches wir in Händen haben, die Gemüthsverfassung, die ich jetzt empfehle, in uns zu befördern. Wenn wir auch jetzt von allen Versuchungen frey sind, so können wir doch nicht wissen, wie oft wir noch in Zukunft selbst solchen ausgesetzt seyn können, die zu den schwärzesten Verbrechen anlocken. Plötzlich von dem schönen Ruf tadelloser Sitten in einen Abgrund von Schande hinunter zu stürzen wäre doch schrecklich. So laßt uns denn bey Zeiten unserm Gemüth solche Grundsätze zur Wache geben, die auch den Angriff außerordentlicher Versuchungen aushalten können. – Wie bequem und mit der vollkommensten Sicherheit verträglich der Kreis unserer Pflicht auch jetzt sey, wir können doch nicht sagen, zu was für schwierigen und gefahrvollen Unternehmungen in Sachen der Gesellschaft wir noch zu einer andern Zett durch einen Ruf aufgefordert werden können, der so be|stimmt und vernehmlich zu unserm Gewissen spricht, daß wir uns ohne das gröbste Vergehen nicht weigern können, ihm zu gehorchen. Wollen wir dem Schimpf und der Schande entgehen, alsdenn vor solchen Dienstleistungen zu fliehen, so laßt uns schon jetzt unsre Kräfte durch zweckmäßige Betrachtungen in die gehörige Fassung setzen, und sie in einem Zustande erhalten, worin sie auf solche Begebenheiten immer vorbereitet sind. – Wenn auch unsere gegenwärtigen Augenblicke in dem sanftesten Strom hinfließen; wenn wir auch jetzt reich sind an Gesundheit und Zufriedenheit, an Besitzungen und Ansehn, an Freundschaften und entfernteren Verbindungen und an jeder Blüthe des Lebens, welche die Reise durch dasselbe mit Annehmlichkeiten bestreut: so wissen wir doch nicht was für Unglücksfälle von grimmiger und schrecklicher Gestalt auf uns lauern in dem dunkeln Hinterhalt der undurchdringlichen Zukunft; was für harte, zermalmende Begebenheiten gleich wilden Meuchelmördern uns anfallen werden, indem wir auf unserm düstern und ungewissen Pfade dahingehn, wie sie sich mit mörderischer unbarmherziger Wuth über unser armes unbesorgtes Herz hermachen und ihm Wunden beybringen werden, welche nur die gesundeste und stärkste Tugend überleben kann. Man darf uns nicht erst sagen, wie die Reichen, die Beglückten, die Fröhlichen, wenn sie plötzlich von den Unglücksfällen bestürmt werden, auf welche sie sich in dem Lauf ihrer glücklichen Tage auf keine Weise vorbereitet hatten, dann oft 41 hatten,] hatten

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of the Lord, whatever it was, which he had taken away; how many swords | have been sheathed in broken hearts, which faith and hope would have bound up; how many eyes have been frightfully fixed in the up-drawn glare of self-inflicted death, which wisdom would have directed to Heaven with looks of reliance on its rectitude, until peace and comfort came down! As we would avoid a fate like this, as we would not have the ground accursed where our relics are laid, as we would not have our memory clouded with infamy, and our families blush over our graves, let us secure the support of religious and generous principles. The most prosperous and happy among us know not how soon we may have need of them.

Think, in the second place, how glorious it is to be able to subdue misfortune, and to trample upon danger. If to any victor statues and laurels be due, they belong to the victor of Adversity. The conquest of nations is nothing: it is a feat for school-boy declamation: but the conquest of calamities is the exploit of a mighty spirit!

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Think, in the last place, what signal service that professor of it renders to religion, who discovers to mankind, in a situation that would sink t h e m into despair, a serene superi|ority to it. Such a spectacle exhibits to the beholders a vi s ible heaven; shows them the p r e s e n t blessedness of righteous men; appeals to their senses, in behalf of religion; and addresses them in a strain of moral eloquence, to which no lectures or homilies can attain. They see the beatitude of the good: they envy their peace: they wish to partake of it: they resolve to cultivate the spirit that inspires it.

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in | einem Augenblick von dem Glanz ihres Glücks in den Tod der Verzweiflung, oft in die tiefste Finsterniß des Verderbens gestürzt sind. In den traurigen Wohnungen, wo die zerschmetterte Vernunft in Trümmern liegt, würde mancher Zelle ihr Bewohner gefehlt haben, wenn der Schlag des Unglücks sich an seiner Frömmigkeit hätte brechen müssen. Die öffentlichen Blätter erzählen es auch, wie oft die tödtliche Kugel angewendet wird, um das Pochen eines glühenden Gehirns zu besänftigen, welches tugendhafte Grundsätze vor dem Wahnsinn bewahrt, und nach und nach zur Ruhe gebracht hätten; wie oft der Trank der Vergessenheit ruchlos hinunter geschlürft worden ist von Lippen welche die Religion gelehrt haben würde den Namen des Herrn zu preisen, was er auch immer genommen haben mag, wie viele Schwerdter schon in zerbrochene Herzen eingesenkt worden sind, welche Glaube und Hoffnung noch hätten verbinden können; wie viele Augen sich schon mit verzerrten Blicken im selbstgesuchten Tode schrecklich geschlossen haben, welche die Weisheit angewiesen haben würde mit Blicken der Ergebung in seine Fügungen zum Himmel hinaufzusehn, bis ihnen Friede und Trost von dannen herabgekommen wäre. Wollen wir ein solches Schicksal vermeiden, soll einst die Stelle nicht verflucht werden wo unser Staub ruht, soll unser Andenken nicht von Schande umwölkt seyn, und unsre Familie über unserm Grabe erröthen, o so laßt uns darauf bedacht seyn uns die Unterstützung religiöser und ed|ler Grundsätze zu sichern. Die Glücklichsten und Wohlhabensten unter uns können nicht wissen, wie bald sie deren benöthigt seyn werden. 2) Bedenkt welcher Ruhm darin liegt wenn man im Stande ist sich das Unglück zu unterwerfen, und die Gefahr unter die Füße zu treten. Verdient irgend ein Sieger Bildsäulen und Ehrenkränze, so gebühren sie dem Besieger des Unglücks. Nationen zu überwinden ist nichts; es giebt einen schönen Gegenstand für die Redeübungen junger Knaben; aber die Trübsale zu überwinden, das ist das Heldenwerk eines hohen Muths. 3) Bedenkt endlich welchen ausgezeichneten Dienst derjenige Bekenner der Religion ihr leistet, der den Menschen zeigt, mit welcher Heiterkeit man sich über eine Lage erheben kann, welche sie zur Verzweiflung bringen würde. Ein solches Schauspiel stellt allen denen, die es sehen können, den Himmel s i c h t b ar vor Augen, zeigt ihnen die Seligkeit, deren schon h i e r die Rechtschaffenen genießen, gewinnt selbst ihre S i n n e für die Sache der Religion; und spricht zu ihnen mit einer Kraft moralischer Beredtsamkeit, an welche keine Vorlesungen, und keine Kanzelreden hinanreichen können. Sie sehen die Seligkeit der Guten, sie beneiden ihren Frieden, sie wünschen Theil daran zu 24 benöthigt seyn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 762

36 können,] können

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Serm. 20: On fortitude

Upon all these accounts, let us be persuaded to add to our faith, fortitude. Let us endeavour, by every method of moral cultivation, which reason points out to us, to put our minds into such a state, that we may be able to pass, with a firm step, through whatever painful scenes either the hand of Heaven may irresistibly lead us, or the voice of Heaven authoritatively call us. And may Almighty God afford us all a final admission into those immortal mansions, where all the generous and the brave shall meet together; and where all, who have borne adversity well, shall bid it adieu for ever, and for ever rejoice in the benefit they have derived from it. Amen.

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nehmen, und beschließen sich um die Gesinnungen zu bewerben aus denen er entspringt. Aus allen diesen Gründen nun laßt uns darauf bedacht seyn in unserm Glauben Tapferkeit darzureichen. Laßt uns alle Hülfsmittel der morali|schen Bildung, welche die Vernunft uns an die Hand giebt, anwenden, um unser Gemüth in die Verfassung zu setzen, daß wir mit festen Schritten durch alle schmerzvollen Scenen hindurchgehn können, in welche uns entweder die Hand des Himmels unwiderstehlich hineinführt, oder seine Stimme gebieterisch hineinruft. Und möge der allmächtige Gott uns endlich alle in die ewigen Wohnungen einlassen, wo alle Edlen und Tapfern sich begegnen, und wo alle, welche das Unglück muthig ertragen haben, von ihm auf ewig Abschied nehmen, und sich auf ewig des Segens erfreuen werden, den es ihnen gebracht hat. Amen.

5 giebt,] giebt

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On the Power of evil Habit.

SERMON

XXI.

Ca n t h e E t h i o p i an c h an ge h i s skin, or the leopa rd his s p o t s ? t h e n m ay ye al s o d o good, w ho a re a ccustomed t o d o e vi l . Jer. xiii. 23.

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The people of Israel are held up to us, in sacred history, as examples of incorrigible impenitence, and monuments of divine displeasure. They are represented as living in the general neglect of every divine, social, and personal virtue. Their tables were polluted with intemperance; their appetites were the sole guides of their pleasures; the poor were oppressed; the orphan and widow were trampled in the dust; Corruption sat in the seat of Justice; indigent innocence was condemned, and guilt was cleared, for gold; and true religion was, at one time, exchanged for the worship of idols, and at another, for | hypocritical appearances, and ceremonious mockeries of piety. From these offences, both against God, and against man, it was not in the power of all the calls that were repeated in their ears, or of all the education of circumstance and situation that was addressed to their experience, effectually to reclaim them. Neither the thunder, nor the tenderness of prophetic eloquence; neither the promises, nor the threatenings, of the Almighty; neither the smiles, nor the frowns, of his providence; were able to produce any lasting impression upon them. Nothing, for any length of time, could preserve them from impiety and immorality, and fix them in the worship and service of the One, Living, and True God. Their history is one long chronicle of correction, repentance, and relapse into evil: and the pages of their prophets are occupied with complaints of their guilt, with predictions of their punishment, pathetic expostulations with their folly and ingratitude, and solemn exhortations to repentance, and amendment of manners.

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Ueber die Gewalt schlechter Gewohnheiten. Jerem. 13, 23. 5

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K a n n a u c h e i n M o h r s e i n e H au t w a ndeln oder ein Pa rder s e i n e F l e c k e n ? So k ö n n e t i h r au c h G ut es t hun, die ihr d e s B ö s e n ge w o h n t s e i d .

Das Volk Israels wird uns in der heiligen Geschichte als ein Beispiel der unverbesserlichsten Unbußfertigkeit, und als ein Denkmal des göttlichen Mißfallens aufgestellt. Es wird uns beschrieben als jede fromme gesellige und persönliche Tugend gänzlich vernachläßigend. Ihre Mahlzeiten befleckten sie durch Unmäßigkeit, ihre Begierden waren die einzigen Führer bei ihren Vergnügungen, die Armen waren unterdrückt, die Wittwen und Waisen in den Staub getreten, die Bestechung saß auf dem Richterstuhl, für Gold wurde die dürftige Unschuld verdammt und das Verbrechen freigesprochen, und die wahre Religion wurde bald gegen den Götzendienst, bald gegen einen heuchlerischen Anschein und leere Zeremonien vertauscht. Kein Ruf der wieder|holt in ihre Ohren tönte, keine Erziehung durch die Umstände und Lagen in welche sie versetzt wurden, war im Stande sie davon zurückzurufen. Weder die donnernde noch die rührende prophetische Beredtsamkeit, weder die Verheißungen noch die Drohungen des Allmächtigen, weder das Lächeln noch die strafenden Winke seiner Vorsehung machten irgend einen bleibenden Eindruck auf sie. Nichts konnte sie auch nur einige Zeit lang vor Gottlosigkeit und Unsittlichkeit bewahren, und sie bei der Verehrung und dem Dienst des einen lebendigen und wahren Gottes festhalten. Ihre Geschichte ist eine lange Chronik von Züchtigungen, Buße, und Rückfall ins Böse, und die Bücher ihrer Propheten sind angefüllt mit Klagen über ihre Verschuldungen, mit Vorherverkündigungen ihrer Strafe, mit pathetischen Beschwerden über ihre Thorheit und Undankbarkeit, und feierlichen Ermahnungen zur Buße und Verbesserung ihrer Sitten.

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Serm. 21: On the power of evil habit

The passage, you have just heard, is a preface to one of the denunciations of divine vengeance against them. It breathes over their | depravity the sigh of despair: it pronounces them incurably corrupt: it expresses their inflexibility in error, their tenaciousness of evil, with an emphasis the most forcible that can be conceived. It is not possible to paint the desperate, and hopeless condition of persons, who have been long in habits of vice, who have persisted in the practice of evil to a certain point, in more strong, and striking colours, than are employed in the picture, which these words place before us. As an improvement of this passage, let us distinctly attend to the important truths, which are included in it, and which it naturally, and immediately suggests to every one who reads it: After which, I will conclude with one or two practical inferences, which I hope will leave an useful impression upon each of our minds. The First observation which these words lead me to make, is, that evil, when it has been long practised, constitutes the na ture of those who have thus addicted themselves to it. As the dark skin of the Ethiopian, and the spots that appear upon the leopard’s hide, are not paint, are not adventitious, or extrinsic colour, a surface loosely laid on, and easily | taken off, but inherent in the substances upon which they appear; so vice, when it has been long cherished, is more than an adjunct; it becomes the fixed and intrinsic complexion of the mind; it enters into the temperament and composition of the soul. Custom, we say, is second nature; and to them, that are accustomed to do evil, it is natural to do it. There is no difference, in point of fixedness, and settled residence in the mind, between innate, and unwrought, properties. So impossible is it to distinguish, by any perceptible difference in the degree of their strength and stability, between what we are born with, and what we acquire at an early period, that it has been a long agitated question, whether certain notions and sentiments, common to us all, were inherited from Nature, or imbibed from education. And the same may be said of temper: that, to which we have formed ourselves, is as much a part of us, and propels us to the gratification of itself, with as much mechanical power, as any of the instinctive appetites, with which our Creator originally endued us.

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Die Stelle, die Ihr eben gehört habt, ist eine Vorrede zu einer solchen Ankündigung der göttlichen Rache wider sie. Sie stößt einen Seufzer der Verzweiflung über ihre Verkehrtheit aus, sie erklärt sie für unheilbar verdorben, sie schildert ihre Beharrlichkeit beim Irrthum, ihre Hartnäckigkeit beim Bösen mit dem stärksten Nachdruck den man sich denken kann. Es ist nicht möglich den verzweifelten und hoffnungslosen Zustand solcher Personen, die lange in der Gewohnheit des Lasters gewesen sind, und in der Ausübung des Bösen bis auf einen gewissen | Punkt beharret haben, mit stärkeren und grelleren Farben zu malen, als in dem Bilde welches uns hier vorgehalten wird aufgetragen sind. Laßt uns diese Stelle zuerst so anwenden, daß wir auf die wichtigen Wahrheiten, welche darin liegen und jedem Leser natürlich und unmittelbar einfallen, genau Acht geben, und dann will ich mit ein paar praktischen Bemerkungen schließen, welche hoffentlich in jedem Gemüth unter uns einen heilsamen Eindruck zurücklassen werden. E r s t e r T h e i l . Die erste Bemerkung zu der mich diese Worte veranlassen ist die: daß das Böse, wenn es lange ausgeübt worden ist, die Natur derjenigen ausmacht, die sich demselben so ergeben haben. So wie die dunkle Haut des Mohren und die Flecken auf dem Fell des Leoparden nicht gemalt, nicht zufällig, nicht eine äußere Farbe sind oder ein dünner Ueberzug der locker aufliegt und leicht hinweg genommen werden kann, sondern in die Theile verwebt auf denen sie erscheinen; so ist auch das Laster, wenn es lange gepflegt worden ist, mehr als ein äußerer Zusatz, es gehört mit zu der innern unveränderlichen Einrichtung des Gemüths, mit zu dem Ton und den Bestandtheilen der Seele. Gewohnheit, sagen wir, ist die andere Natur, und denen die gewohnt sind Böses zu thun, ist es natürlich es zu thun. In Absicht auf die Beharrlichkeit und den festen Sitz im Gemüth giebt es keinen Unterschied zwischen angebornen und angewöhnten Eigenschaften. Es ist so un|möglich, dasjenige womit wir geboren sind von dem was wir in einer früheren Periode erworben haben an irgend einer merklichen Verschiedenheit in dem Grade der Stärke und Festigkeit zu unterscheiden, daß es lange eine unentschiedene Frage gewesen ist, ob gewisse Begriffe und Empfindungen, die uns Allen gemein sind, uns von Natur angeerbt, oder durch die Erziehung eingesogen sind. Dasselbe kann man von der Gemüthsart sagen: diejenige, zu der wir uns selbst gebildet haben, ist eben so sehr ein Theil von uns, und fodert mit eben so mechanischer Gewalt ihre Befriedigung, als irgend einer von den Naturtrieben, womit der Schöpfer uns ursprünglich begabt hat. 23 verwebt] Kj verwebt sind

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To perform any act naturally, is to do it without force upon our propensities; without | violence to our inclination; without any struggle, or conflict with ourselves. It is to do it with ease; with readiness; with pleasure. Now, it may be asserted, that those, who have for a long time committed sin, commit it with as much propension to it; as easily fall, and slide into the courses of it; and apply themselves to the pursuit of those particular pleasures, which they have been accustomed to reap from it, with as much bent and bias of mind towards them; as any of the various classes of living creatures, which the earth contains, pursue the gratification of those appetites, which Nature has implanted in them. He, who has been long in the habit of intemperance, is carried to the table of excess, with as powerful an impulse, with a necessity as craving, as any animal in nature has recourse to that particular food, which nature has designed for it. He, whose thoughts have been ever centred in this world, he, who has habitually confined his views and prospects to it, as naturally, with as much confinement of his affection to them, with as steady, and determined direction of will and desire, lays up his treasures upon earth, as the bee carries its honey to its hive, or as the | fowls of heaven “have their habitation,” and build their nests, “among the branches.” To the man, who has been used to subsist upon dishonest practices, it is as natural to seek for subjects of fraudulent imposition, or for victims of lawless violence, as it is to “the young lions to roar after their prey, and to seek their meat” in the forest. And he, who has permitted, by repeated indulgence, the malevolent passions to establish themselves in his breast, as naturally, with as much propensity, attacks the reputation, or injures the interests, of one who excites his envy, or his resentment, as the scorpion puts forth its sting, or as the vulture strikes his talons into his prey. He is, as truly as any of those that are ranked by nature in that class, a noxious animal; he is a man of prey; it is become his nature to “devise mischief.” The current of human thoughts and affections may be compared to that of waters, which, by frequently flowing in that particular line of direction which they chose, when they first descended from the hills, by degrees wear themselves a channel, which confirms and fixes their course; which ever after, with added power, invites the stream to that path, | and confines it there. Thus the affections of the human mind, when they have made choice of their direction, by the repetition of their passage along that line of pursuit, seem, as it were, to hollow themselves a bed; to form for themselves a furrow in the breast, which they never afterwards forsake, but in which the current rests, and

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Irgend eine Handlung natürlich verrichten heißt sie so verrichten, daß unsern Neigungen keine Gewalt dadurch geschieht, und ohne Streit und Kampf mit uns selbst, sie ungezwungen, leicht und mit Vergnügen verrichten. Nun kann man behaupten daß die, welche schon lange Zeit Sünde begangen haben, sie mit soviel Neigung begehen, so leicht in die Ausübung derselben hineingerathen, und sich den Vergnügungen, welche sie in der Sünde zu suchen gewohnt sind, mit so überwiegender Lust ergeben, als irgend eins von den lebendigen Geschöpfen, welche die Erde enthält, die Befriedigung der Triebe sucht welche die Natur ihm eingepflanzt hat. Wer lange in der Gewohnheit der Unmäßigkeit gewesen ist, eilt zu der ausschweifenden Tafel mit einem so gewaltigen Triebe, mit so dringendem Bedürfniß, als | irgend ein Thier in der Welt zu dem Futter seine Zuflucht nimmt, welches die Natur ihm bestimmt hat. Demjenigen, dessen Gedanken immer auf diese Welt allein gerichtet gewesen sind, und der seine Absichten und Aussichten nur auf sie eingeschränkt hat, dem ist es so natürlich, alle seine Neigungen sind so darauf eingeschränkt, sein Wille so fest und bestimmt darauf gerichtet Schätze auf Erden zu sammeln, als es der Biene natürlich ist Honig in ihren Stock zu tragen und den Vögeln des Himmels ihre Wohnung zu suchen und ihr Nest zu bauen unter den Zweigen. Demjenigen, der gewohnt ist von unredlichen Handlungen zu leben, ist es eben so natürlich Gelegenheiten für sein betrügerisches Wesen und Opfer für seine gesetzwidrigen Gewaltthätigkeiten zu suchen, als den jungen Löwen auf Raub zu gehen und Speise zu holen im Walde. Und wer durch wiederholte Nachsicht den übelwollenden Leidenschaften erlaubt hat sich in seiner Brust festzusetzen, der ist nun eben so geneigt, die Ehre desjenigen anzugreifen und den zu übervortheilen der seinen Neid oder seine Rache erregt hat, als es dem Skorpion natürlich ist mit seinem Stachel zu verletzen, oder als es dem Geier ist seinen Raub mit den Klauen zu fassen. Er ist eben so gewiß ein schädliches Thier, als diejenigen, welche die Natur in diese Klasse gesetzt hat. Er ist der Mann des Raubes, und seine Natur ist Unheil zu stiften. Man kann den Lauf der menschlichen Gedanken und Neigungen mit dem Lauf des Wassers verglei|chen, welches sich dadurch, daß es eine Zeitlang in der Richtung hinfließt, die es bei seinem ersten Herabströmen erwählte, nach und nach einen Kanal aushölt, der seinen Lauf sichert und bestimmt und von da an mit immer größerer Gewalt den Strom in diesen Pfad hineinnöthiget und in demselben festhält. 20–21 Die beiden benachbarten von Fawcett markierten wortgetreuen Zitate stammen aus Ps 104,12. 24–25 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 104,21 33 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Ez 11,2.

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resides for ever, unless it be forced another way, by some powerful effort of violence.

A second truth, which the text contains, and which is, indeed, included in the last, is the extreme difficulty of moral reformation, when vice has been long habitual.

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The passage before us compares this difficulty to an utter imp o s s i b i l i t y. It calls the expectation of such a change, under such circumstances, as wild and visionary, as the expectation of a thing that c a n n o t be. T h e n , when the sooty Ethiopian shall acquire the fair complexion of an European face; then, when the leopard shall be able to clear his skin of the spots, which Nature has sprinkled upon it; t h e n , but n o t b e f o r e , may we hope to see those, who have long done evil, cease to do it. Such a revolution in the mind and manners of those, whom time has confirmed | in evil courses, the subversion of the established empire of Vice, and the introduction of the dominion of Conscience and Virtue in its room, is considered, in these words, as a kind of prodigy. The figure of speech, which is here employed, is exceedingly strong; and it expresses, in the most powerful manner, the extreme difficulty of accomplishing a conversion to virtue, in a heart that has long cleaved to vice; of producing an inclination to good, in minds that have been a long time prone to evil. It is, no doubt, of all tasks the most arduous, and one which, therefore, there is little probability that he, who has suffered it to become necessary to his moral salvation, will have the resolution to undertake, when the shade of depravity has deeply dyed the mind, when its dark stain has pierced, and entered into the character, by means of all the washings that can be applied, to discharge the obstinately adhesive colour, so as to restore the heart to the clearness of moral purity.

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The vice of a bad man does not reside in the fugitive, and fleeting actions, to which it gives birth; which pass away, which are | forgot-

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So scheinen auch die Bestrebungen des menschlichen Gemüths, wenn sie einmal ihre Richtung erwählt haben, durch die Wiederholung ihres Weges längst dieser Linie sich gleichsam ein Bett zu graben, und in der Brust eine Furche für sich zu ziehen, die sie hernach nie wieder verlassen, und in welcher der Strom ruhig und ungestört fortläuft, er müßte denn durch irgend eine gewaltsame Anstrengung in einen andern Weg hineingezwängt werden. Eine z w e i te Wahrheit, welche der Test enthält, und die eigentlich in der vorigen enthalten ist, betrift die außerordentliche Schwierigkeit jeder sittlichen Verbesserung, wenn das Laster schon lange zur Gewohnheit geworden ist. Unsere Stelle vergleicht diese Schwierigkeit mit einer völligen Unmöglichkeit. Sie hält die Erwartung einer solchen Veränderung unter diesen Umständen für eben so wild und fantastisch als die Erwartung einer Sache, die gar nicht geschehen kann. Dann, wenn der rußige Ethiopier die schöne Farbe eines europäischen Angesichtes bekommt; dann, wenn der Leoparde im Stande seyn wird seine Haut von den Flecken zu reinigen, womit die Natur sie besprengt hat; dann, aber nicht eher können wir | hoffen auch die, welche lange Böses gethan haben, damit aufhören zu sehn. Eine solche Umwälzung in dem Gemüth und in den Sitten derjenigen welche die Zeit schon in ihrem bösen Wandel bestärkt hat, daß die festgegründete Herrschaft des Lasters umgestürzt und an deren Stelle ein neues Reich des Gewissens und der Tugend errichtet werde, wird in diesen Worten als eine Art von Wunder vorgestellt. Die Art des Ausdrucks, welche dabei angewendet wird, ist ausnehmend stark, und bezeichnet aufs allerkräftigste die außerordentliche Schwierigkeit eine Bekehrung zur Tugend in einem Gemüth zu bewerkstelligen, welches lange am Laster gehängt hat, und eine Neigung zum Guten in Herzen hervorzubringen, welche eine lange Zeit hindurch dem Bösen ergeben gewesen sind. Ohne Zweifel ist dies das schwierigste aller Geschäfte, so schwierig daß es gar nicht wahrscheinlich ist, der, der es so weit hat kommen lassen, daß dies zu seiner moralischen Rettung nothwendig ist, werde Entschlossenheit genug haben es noch dann, wenn der Schatten der Verkehrtheit das Gemüth gänzlich verfinstert hat und der schwarze Fleck in das Innere des Charakters hindurchgedrungen ist, unternehmen zu wollen, das Geschäft nemlich: durch alle Reinigungen die nur angebracht werden können, die hartnäckig festhängende Farbe so weit abzuwaschen, daß das Herz das ursprüngliche Weiß der moralischen Reinigkeit wieder erlangt.| Das Laster eines schlechten Menschen hat seinen Sitz nicht allein in den flüchtigen und vorübergehenden Handlungen welche es erzeugt

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ten by the agent, and, perhaps, forgotten by the world. The principle of evil, which produced those actions, the parent of those departed deeds, and which, unless eradicated, will prove prolific of more, of a similar complexion, is a quality inherent in himself, and not to be separated from him, without the utmost force, and violence of extraction. A radically wicked man is not merely such, while his outward actions are wicked; he retains the character of wicked, during the intervals of those overt acts which his depravity prompts. The darkness of the Ethiopian’s skin is not a shifting shadow, arising from accidental situation, that passes over him, and passes away; but a standing shade; a permanent property of his body; a part of his nature. The reformation of a vicious man, therefore, does not consist in ceasing from criminal action, for that cessation may proceed from want of opportunity, and temptation, or from the termination of life; neither does it consist in saying, I will cease for ever from them, for that resolution may vanish to-morrow: but the reformation of a bad man consists, in the actual eradication of his inclina tion to do wrong; in the change of his | secret desires, and dispositions; in the settlement of his affections, and pursuits in another channel. I need say nothing to prove, what no one here will deny, that the accomplishment of such a wrench of nature from a wrong, to a right, direction, is a work of difficulty. To put off anger, wrath, malice, pride, and other criminal dispositions, and to put on mercy, kindness, humility, and the rest of the christian graces, is not to put off an external dress, or covering, that will slip from us with facility, and to assume, in its place, another array, that, with equal facility, will slide over us; it is not to unstrip ourselves of what hangs loosely upon us, and what one simple act of the will, and of the hand, is sufficient to divest us of: but it is to put f r o m us, what has penetrated int o us; it is to tear off, what has entered into our composition, what has grown to us, and is become a part of us. It is, in a word, to alter our nature.

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und welche, wenn sie gethan sind, von dem Handelnden selbst und vielleicht auch von der Welt vergessen werden. Die böse Gesinnung, die diese Handlungen erzeugte, die Quelle dieser einzelnen Thaten, welche, wenn von diesen auch nie mehr die Rede wäre, doch immer mehrere von ähnlicher Beschaffenheit hervorbringen würde, diese Gesinnung ist eine in ihm selbst fest eingewurzelte Eigenschaft, die nicht ohne große Kraft und gewaltsame Anstrengung aus ihm herausgerissen werden kann. Ein von Grund aus lasterhafter Mensch ist dies nicht deswegen, weil seine äußerlichen Handlungen lasterhaft sind, sondern er behält diesen Charakter auch in den Zwischenräumen zwischen diesen offenbaren aus seiner Verkehrtheit entsprungenen Handlungen. Die Schwärze der Haut eines Mohren ist nicht ein schwankender Schatten, der nur von einer zufälligen Lage abhängt, und an ihm vorüberzieht und verschwindet; sondern eine feste Schattirung, eine bleibende Eigenschaft seines Körpers, ein Theil seiner Natur. Die Besserung eines Lasterhaften besteht also nicht darin, daß er aufhört strafbare Handlungen auszuüben, denn dies kann daher kommen, weil es ihm an Gelegenheiten, an Versuchungen fehlt, oder auch weil sein Leben sich zu Ende neigt; auch nicht darin, daß er sagt ich will auf immer davon ablassen, denn dieser Entschluß kann Morgen wieder verschwunden seyn; son|dern die Besserung eines schlechten Menschen besteht darin, daß seine Neigung Böses zu thun wirklich ausgerottet werde, daß seine geheimen Wünsche und Begierden eine andere Richtung nehmen, daß seine Bestrebungen und Absichten sich in ein anderes Bett begeben. Ich sage nichts um zu beweisen, was hier Niemand läugnen wird, daß es ein Geschäft voller Schwierigkeiten ist, die Natur aus einem schlechten Zustand heraus in den der ihr eigenthümlich ist wiederum einzulenken. Mißmuth, Zorn, Bosheit, Stolz und andere strafbare Anlagen hinwegzuschaffen und ihr dagegen Liebe, Gütigkeit, Demuth und alle übrigen hohen Reize eines christlichen Charakters anzueignen, das heißt nicht etwa ein Kleid oder eine äußere Bedeckung ausziehn die sich leicht abstreifen läßt, und dagegen einen andern Anzug anlegen, in den wir eben so leicht hineinschlüpfen; das heißt nicht etwas abwerfen, was nur ganz lose auf uns liegt, und wovon eine einzige Bewegung unsres Willens oder unserer Hände uns entkleiden kann; sondern es heißt etwas von uns thun was tief in uns eingedrungen ist, es heißt etwas ausreißen was mit allem übrigen eine innige Verbindung eingegangen, was in uns eingewachsen und ein Theil von uns selbst geworden ist, kurz es heißt – unsre Natur ändern. 30 übrigen] übrige

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Now, consider what it is to change the nature of a thing. To alter the properties of a n y thing, is a work of toil, and a work of time. To alter the qualities of a plant, to improve the beauty of a flower, or the richness of a fruit, requires a long process of cultivation. | To alter the nature of an animal; to convert a ferocious beast into a gentle, and domestic one; to teach a creature, naturally shy, and timorous of man, a fearless confidence in him, and a fond familiarity with him; calls for long, and patient tuition. Nor is the change of a radically bad man into a really good one to be effected, without the same patience, and labour. To convert a veteran in vice, to virtue: to make the impious, devout; the selfish, generous; the cruel, merciful; the revengeful, forgiving; the tyrannical, mild, and protecting to those in their power; is to teach “the wolf to dwell with the lamb,” and “the leopard to lie down with the kid,” and the lion to allow “a little child” to “lead him” along, with tame and gentle tractability.

This adhesiveness of properties, which habit has added to the nature of man, is applicable to every part of his being; to his body, to his understanding, and his heart. The ungraceful mien, in which he grows up, commonly accompanies him to the grave; whatever inelegancies it may have contracted, are only to be corrected by the utmost strain of violence and restraint. From the vicious | pronuncia t ion of the province in which he was bred, scarcely any liberality of after education, or politeness of metropolitan situation, is able completely to purify his speech. The erroneous speculative opinions, which he imbibed from his preceptors, and which, for a series of years, he has entertained, become so much a part of his intellectual being, that he will almost as soon be persuaded to “pluck out a right eye,” or to “cut off a right hand,” as to resign them, even at the loudest calls of reason to relinquish them. And whatever infelicities a faulty education may have permitted his t e m p e r to contract, will continue, in a great degree, to molest and trouble him, in the midst of all the attempts which religion and wisdom may dictate, to govern his passions.

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Nun bedenket nur, was das sagen will, die Natur eines Dinges umschaffen. Um die Eigenschaften irgend einer Sache zu verändern wird schon viel Arbeit und Zeit erfordert. Die Beschaffenheiten | einer Pflanze zu ändern, die Schönheit einer Blume oder die Vortreflichkeit einer Frucht zu erhöhen, dazu gehört eine lange und mühsame Kultur. Die Natur eines lebendigen Wesens zu ändern, ein wildes Thier zahm und häuslich zu machen, einem Geschöpf, welches von Natur scheu ist und den Menschen fürchtet, argloses Zutrauen und zärtliche Anhänglichkeit an ihn einzuflößen: das erfodert eine lange Behandlung und viel Geduld. Und die Veränderung eines von Grund aus schlechten Menschen in einen guten kann gewiß nicht ohne eben so viel Geduld und Mühe zu Stande kommen. Einen alten Diener des Lasters zur Tugend zu bekehren, den Ruchlosen fromm, den Selbstsüchtigen edelmüthig, den Grausamen barmherzig, den Rachsüchtigen versöhnlich, und den Tyrannischen mild und hülfreich gegen seine Untergebenen zu machen, das heißt in der That den Wolf lehren mit dem Lamm zu wohnen, und den Leoparden bei den jungen Böcken zu liegen, und den Löwen sich mit zahmer und freundlicher Folgsamkeit von einem kleinen Kinde leiten zu lassen. Dieses Festhalten der Eigenschaften, welche die Gewohnheit zu der Natur des Menschen hinzugefügt hat, erstreckt sich in gleichem Maaße auf alle Theile seines Wesens, auf seinen Körper, seinen Verstand und sein Herz. Die unangenehmen Minen mit denen er aufwächst begleiten ihn gewöhnlich bis an sein Grab, und was er unzierliches angenommen hat, das wird nur durch die äußerste | Gewalt durch Anstrengungen und Selbstzwang verbessert. Von der fehlerhaften Aussprache der Provinz in der er geboren war kann kaum die feinste Erziehung die er hernach genießt, und der gebildetste Umgang in großen Städten ihn gänzlich befreien. Die irrigen Meinungen die er von seinen Lehrern eingesogen, und eine Reihe von Jahren hindurch bei sich genährt hat, werden so sehr ein Theil seines geistigen Wesens, daß er sich eben so gern überreden ließe sein rechtes Auge auszureißen, oder seine rechte Hand abzuhauen, als ihnen zu entsagen, wenn ihm auch die Vernunft noch so laut zuriefe, daß er sie verlassen solle. Und die unglücklichen Eigenschaften welche seine Gemüthsart bei einer fehlerhaften Erziehung angenommen hat, werden mitten unter allen Versuchen, die er auf das Geheiß der Religion und der Weisheit oft wiederholt um seine Leidenschaften beherrschen zu lernen, dennoch

16–19 Zu den vier benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. Jes 11,6 32– 33 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Mt 5,29 33 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Mt 5,30

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The difficulty of effecting a change to virtue, in one who has permitted vice to pervade, and compose the temper of his mind, and to blend itself with his nature; and, perhaps, the moral impossibility, in the little space which long delay has left, of producing such a reformation, as shall exclude every relic and trace of former depravity, is, by no circumstance, placed in so clear, and striking | a light, as by the frequent inefficacy of virtuous cultivation, even when commenced at a timely period, and when prosecuted with diligence, completely to remove, what we call, the peculiarities of the natural temper. These peculiarities continue to operate, and to oppose, in some degree, the discharge of duty, in the midst even of shining improvements in piety and virtue. The timorous man retains a portion of his native timidity, and is apt to shrink from danger in the path of duty, even though he practises the precepts, and has a claim to the promises, of that religion, which bids him “fear none of those things he may suffer.” The man of choleric complexion, though an honest christian, cannot sometimes prevent his anger from flashing a fiercer fire, and from dropping a warmer word, than the meekness of his religion allows. The little circle of followers, that surrounded the Saviour of the world, was large enough to illustrate these immoveable differences of native disposition, in the midst, perhaps, of equal attainments in the same religion. Peter was hot, and hasty; John was gentle, and mild.

This observation is sufficient to convince | us, that the reformation of one, who has been l o n g addicted to vice, and to whom it is, consequently, become natural, even when his reformation is sincere, will be likely to be partial. What has entered so deeply into his nature, it is probable, he will never be able, in this world, ent irely to expel. The restoration to moral soundness of him, who has suffered vice to shake and impair the strength of his mind, will be likely to resemble the languid recovery, the sickly health, and the patched repair, of a shattered constitution of body, which the physician can only imperfectly relieve from the effects of former intemperance.

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fortfahren ihn in einem hohen Grade zu belästigen und zu beunruhigen. Wie schwierig es sey, in demjenigen, der das Laster hat einreißen und zur herrschenden Stimmung seines Gemüths werden lassen, noch eine Veränderung zum Besten der Tugend hervorzubringen; ja wie fast moralisch unmöglich es sey, in dem kleinen Zeitraum, den ein langer Aufschub übrig gelassen hat, noch eine solche Besserung zu bewirken, die jeden Rest und jede Spur der vorigen Verdorbenheit hinwegnimmt, dies kann durch keinen Umstand so klar gemacht und in ein so grelles Licht gesetzt | werden, als durch den, daß es der sittlichen Bildung wenn sie auch zeitig angefangen und mit Ernst fortgesetzt wird, dennoch so oft unmöglich ist diejenigen Eigenthümlichkeiten fortzuschaffen, die wir Temperamentsfehler zu nennen pflegen. Diese Eigenschaften fahren fort wirksam zu seyn und sich der Erfüllung der Pflicht, selbst mitten unter glänzenden Fortschritten in der Frömmigkeit und Tugend dennoch gewissermaaßen zu widersetzen. Der Furchtsame behält einen Theil von seiner natürlichen Zaghaftigkeit, und wird auf dem Pfade der Pflicht leicht vor der Gefahr erbeben, ob er gleich die Gebote der Religion ausübt, die ihm gebietet nichts zu fürchten, und ob er gleich ein Recht auf ihre Verheißungen hat. Der Mann von heftiger Gemüthsart kann, ob er gleich ein rechtschaffner Christ ist, doch nicht immer seinen Zorn verhindern in eine wildere Flamme aufzulodern und sich in wärmere Worte zu ergießen, als die Mildigkeit seiner Religion es erlaubt. Selbst der kleine Kreis von Jüngern, der den Erlöser der Welt umgab, war groß genug um uns zu zeigen wie unbeweglich selbst bei vielleicht ganz gleichen Vollkommenheiten in derselben Religion dennoch die Verschiedenheiten der natürlichen Anlagen stehen blieben. Petrus war hitzig und hastig; Johannes war sanft und mild. Diese Bemerkung reicht hin, um uns zu überzeugen, daß die Besserung eines solchen, der lange dem Laster ergeben war und dem es folglich natürlich geworden ist, selbst wenn sie aufrichtig wäre, | doch wahrscheinlich immer nur unvollständig seyn wird. Was so tief in seine Natur eingedrungen ist, das wird er wahrscheinlich in dieser Welt nie ganz zu vertreiben im Stande seyn. Die sittliche Genesung desjenigen, der seine Gemüthskräfte durch das Laster erschüttert und geschwächt hat, wird wahrscheinlich immer der schwankenden Wiederherstellung der kränklichen Gesundheit, dem geflickten Wohlbe37–38 Wiederherstellung] Wiederherstellung, 19 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Offb 2,10; Schleiermacher lässt Fawcetts wortverändertes Zitatende „he may suffer“ aus.

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But, indeed, nothing need be said, to convince him, of the difficulty of a long delayed reformation of manners, who takes notice of, what is sufficiently obvious to every spectator of human life, the extreme rarity of it. In “the path that leadeth to destruction,” there are but few prints to be traced of returning feet. So scarce a thing is the relinquishment of erroneous courses, even in the earlier stages of progress in them, that you may so far assume the gift of prophecy, as to venture to predict, that in that folly and | guilt, in which any allow themselves to grow up, they will grow old, without fearing that your prophetical credit will be shaken by many instances to the contrary. Still, however, the rectification of a disorderly heart and irregular manners, even when the irregularity has been of long continuance, is possible, is practicable, if attempted, with sufficiently powerful, and with sufficiently patient resolution. It is possible, though it is difficult, by the employment of the proper means, and with the auspicious aids of Heaven, to “create a clean heart, and renew a right spirit,” even when the heart has long been corrupt, and the spirit long erroneous. There is, in habit of every kind, even when time has lent it a sturdy, and stubborn strength, a sullen, a slow, and reluctant, flexibility to the efforts of fortitude to bend it. The palate may be taught to relish what was most distasteful; the ear may be reconciled to sound, at first offensive to it, and the eye to figures, originally unpleasing to it: and the heart also may attain to love that virtue, from which it is now averse: they that forget God, may acquire a habit of having Him “in all their thoughts;” | and those that have hitherto, and though it have been long, lived only to themselves, may learn to love mankind.

There is, however, which is the third thing I submit to your consideration, as contained in the text, and which is, indeed, involved in the last consideration, as that is included in the first, there is a degree of confirmation in vice, which renders recovery from it, by any means which human life affords, at least, in its present state, all but impossible. There is a stage of guilt, there is a state of mind, of which the mournful picture of moral incapacity to effect an amendment of heart, which the prophet places before us in the text, is scarcely to be called a figurative description, is nearly a literal representation. There

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finden eines zerrütteten Körpers gleichen, den der Arzt nur unvollkommen von den Wirkungen ehemaliger Unmäßigkeit befreien kann. Aber gewiß, dem braucht man nichts zu sagen, um ihn von der Schwierigkeit einer lang aufgeschobenen Sittenverbesserung zu überzeugen, der die ausnehmende Seltenheit derselben bemerkt, die keinem aufmerksamen Beobachter des menschlichen Lebens entgehen kann. Auf dem Pfade, der zum Verderben führt, kann man nur wenig Fußstapfen von Zurückkehrenden wahrnehmen. Es ist etwas so seltenes, einen irrigen Weg, selbst wenn man noch nicht allzuweit darauf fortgerückt ist, zu verlassen, daß Ihr es sicher ohne zu besorgen daß euer prophetischer Kredit durch mehrere Beispiele des Gegentheils geschwächt werden würde wagen könnt, denen die jetzt unter Thorheiten und Lastern aufwachsen vorauszusagen, daß sie auch darin altern werden. Dennoch ist die Erneuerung eines unordentlichen Herzens und Wandels, selbst wenn die Unregelmäßigkeit lange fortgesetzt worden ist, möglich und ausführbar, wenn man mit fester Entschlossenheit und | hinreichender Geduld daran arbeitet. Ob es gleich schwer ist, so ist es doch bei dem Gebrauch der rechten Mittel und durch die gnädige Hülfe des Himmels möglich, in sich „ein reines Herz und einen neuen gewissen Geist“ zu schaffen, selbst wenn das Herz lange verderbt, und der Geist lange auf Irrwegen gewesen ist. Obgleich ungern, langsam und sträubend geben doch Gewohnheiten von jeder Art wenn auch die Zeit sie schon störrig und hartnäckig fest gemacht hatte den Anstrengungen der Tapferkeit nach, die sich vorgesetzt hatte sie zu beugen. Den Gaumen lehrt man Geschmack finden an dem, was ihm am meisten zuwider war, das Ohr kann man mit Tönen aussöhnen, die es anfangs gewaltsam beleidigten, und das Auge mit Gestalten die ihm ursprünglich sehr mißfielen; und eben so kann das Herz dahin kommen die Tugend zu lieben, der es jetzt abgeneigt ist, die Gottvergeßnen können eine Gewohnheit erwerben ihn immer vor Augen und im Herzen zu haben, und die welche bis jetzt, gesetzt auch sie hätten schon lange gelebt, nur sich selbst lebten, können lernen die Menschen zu lieben. Auf der andern Seite aber – und dies ist die Betrachtung, die ich d r i t t e n s als in unserm Text enthalten Eurer Aufmerksamkeit empfehle, und die eigentlich in der vorigen eben so begriffen ist, wie diese es in der ersten war – auf der andern Seite giebt es einen solchen Grad 8 Fußstapfen] Fußtapfen 7 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Mt 7,13 20–21 Vgl. Ps 51,12 (KJB Ps 51,10) 31–32 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 10,4

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is a vitiated state of the heart, in which, the difficulty of rectifying it is so great, as, if not to amount to an absolute impossibility, approaches so near it, that the difference is not discernible to an eye that calculates the chances of reformation. There have been minds, and such, it is to be feared, there are, the moral darkness of which has been almost as immoveable, by any human means, at present known and practised in human life, | as that with which Nature has painted the Ethiopian’s complexion. This state of the mind has been styled, by divines, a judicial hardness of heart: so it may, certainly, with propriety be called, considered as the penalty of a too long delay to learn to do good; although it is not to be imputed to any immediate, direct, or extraordinary interposition of Providence; but is to be regarded as arising out of the established courses of nature, and constitution of the human mind. The unhappy man, who has reduced himself to this condition, is, morally speaking, in as hopeless, and desperate a state, as if the Almighty had employed a miracle to harden his heart; or had formally prohibited his prayer, and rejected his repentance.

From this subject, the following practical inferences offer themselves to our consideration. I. From what has been said, we are led to reflect upon the infinite importance of early piety, and virtue. The passage of Scripture, we have been considering, places in the most striking light the obligations of parents to “train up their children in the way in which they should go:” the gratitude which is due | from them, whose childhood and youth have met with such tuition, to the providence of God, and to the human guardians of their innocence; and the wisdom of cherishing the virtuous impressions which a religious and moral education may have made, of suffering no delay in the cultivation of virtue, and dedicating the days of youth to the service of God and society.

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von Festigkeit im Laster, daß es bei demselben jedem Hülfsmittel, welches das menschliche Leben darbietet, völlig unmöglich ist | wenigstens in dem gegenwärtigen Zustande eine Gemüthsänderung zu bewirken. Es giebt eine Stufe der Verschuldung, es giebt einen Zustand des Gemüths worin die moralische Unfähigkeit noch irgend eine Verbesserung des Herzens zu Stande zu bringen so groß ist, daß das traurige Gemälde, welches der Prophet in unserm Text davon aufstellt, kaum noch eine bildliche Bezeichnung genannt werden kann, sondern fast eine buchstäbliche Beschreibung ist. Es giebt einen so verderbten Zustand des Herzens, daß die Schwierigkeit es wieder zurecht zu bringen einer völligen Unmöglichkeit so nahe kommt, daß das Auge, welches die Wahrscheinlichkeit der Besserung berechnen will, den geringen Unterschied der vielleicht noch statt findet nicht wahrnehmen kann. Es hat Gemüther gegeben, und ich fürchte es giebt deren noch, deren moralische Schwärze jedem menschlichen Mittel welches bis jetzt bekannt und im Leben versucht worden ist eben so unbeweglich widerstand, als die Farbe womit die Natur die Haut des Mohren bemalt hat. Diesen Gemüthszustand haben die Gottesgelahrten eine Verstockung des Herzens genannt, und so kann man ihn auch mit Recht nennen, wenn man ihn als eine Strafe für den zu langen Aufschub des Anfangs zur Besserung ansieht, nur daß man ihn nicht einer unmittelbaren und außerordentlichen Einwirkung der Vorsehung zuschreiben muß, da er ganz natürlich aus dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der Einrichtung des menschlichen Gemüths hervorgeht. Der Unglückliche | der sich selbst in diesen Zustand versetzt hat, ist in moralischer Rücksicht in einer so hoffnungslosen und verzweifelten Lage, als ob der Allmächtige ein Wunder gethan hätte um sein Herz zu verhärten, oder als ob er sein Gebet förmlich abgewiesen und seine Buße verworfen hätte. Zw e y t e r T h e i l . Dieser Gegenstand bietet uns folgende praktische Folgerungen dar. E r s t l i c h . Was gesagt worden ist führt uns auf die Betrachtung, wie unendlich wichtig es ist, sich zeitig zur Frömmigkeit und Tugend zu wenden. Die Schriftstelle, die wir mit einander erwogen haben, setzt es in das hellste Licht, wie sehr Eltern verbunden sind ihre Kinder in dem Wege aufzuziehen, den sie gehen sollen; wie sehr diejenigen, die in ihrer Kindheit und Jugend einer solchen Aufsicht genossen haben, der göttlichen Vorsehung sowohl als auch persönlich den Hütern ihrer Unschuld dankbar seyn sollten, und wie weise es ist, was eine religiöse und sittliche Erziehung einem jeden so tief einprägt, auch immer bei sich zu unterhalten, nemlich eine lebhafte Ueberzeugung 35–36 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Spr 22,6

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If vice be so adhesive a thing to the heart, which permits it to cleave to it, as to become almost as inseparable from it, as a sable complexion from a native of Ethiopia; let him, whose youth as yet is fair, tremble at the thought of suffering it to contract so indelible a stain. I intreat them, who are setting out in life, to consider how seldom it is, that those persons end life well, by whom it is not well begun. Let them ponder their path, and take heed to their steps, for their first will probably prove but too faithful samples of all the rest. Let them not set one foot upon that ground, which detains for ever the majority of them that touch it. Evil Habit is the evil Enchanter of mankind; who holds them in his castle, year after year, bound by strange and potent spells: and, as romance | represents the release of the prisoners of enchantment, as depending upon the hazardous and valorous exploit of some bold and daring adventurer; so nothing less than an achievement of mighty and resolute Fortitude can dissolve the charms of vicious habits, and emancipate man from the more than magic captivity.

II. This subject places in a striking light the extreme absurdity of supposing, that virtuous conversion may be performed in the last hours of life. This fatal error arises solely from ignorance of, or inattention to, the nature of true repentance. He who considers, that reformation implies a change of disposition, an alteration of the temperature, and complexion of the heart, the extirpation of evil propensities, and the production of opposite inclinations; who farther reflects, that the temper in which true repentance terminates is as necessary to the happiness which the world to come contains, as our present organs of sense are to the reception of that which this affords; that virtue is the faculty which can alone enable us to admit the felicity of a future state; is the sole inlet of celestial delight; is that thirst for the knowledge | of God, that hunger after general happiness, that appetite for public welfare, that taste for friendship, that eye for the beauties of Providence, and for the glories of Truth, which must be essential to the enjoyment of a state, the principal entertainments of which will consist in the display of the Divine perfections, intercourse with wise and virtuous characters, the exclusion both of wickedness and misery, and the harmony and order of a well regulated and blissful society:

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davon, daß man sich für die Ausbildung des Herzens zur Tugend keinen Aufschub gestatten, und auch die Tage der Jugend dem Dienst Gottes und der Gesellschaft widmen müsse. Hängt sich das Laster an das Herz, welches sich damit befaßt, so fest an, daß es von demselben eben so wenig ausgeschieden werden kann, als die schwarze Farbe von der Haut eines Mohren, so müssen diejenigen, deren Jugend jetzt noch rein ist, | bei dem Gedanken zittern, sie durch einen so unauslöschlichen Flecken verunreinigen zu lassen. Ich beschwöre die, welche ihre Lebensbahn antreten, zu bedenken, wie selten es geschieht, daß diejenigen ihr Leben gut endigen, die es nicht gut angefangen haben. Sie mögen ihren Pfad wohl erwägen und sich bei ihren Schritten vorsehn: denn die ersten werden wahrscheinlich nur allzutreue Proben von allen übrigen seyn. Sie mögen sich hüten die Gegend auch nur mit einem Fuß zu betreten, die den größten Theil derer, welche sie einmal berührt haben, auf immer festhält. Böse Gewohnheit ist der böse Zauberer, der die Menschen von wunderbaren aber mächtigen Zaubersprüchen gebunden ein Jahr nach dem andern in seiner Gewalt festhält, und so wie in den romantischen Dichtungen die Befreyung eines solchen Gefangenen immer von dem kühnen und tapfern Wagestück eines muthigen und verwegnen Abentheurers abhängt; so kann auch nichts geringeres als eine Heldenthat mächtiger und entschlossener Tapferkeit die Zauberey lasterhafter Gewohnheiten auflösen, und den Menschen von dieser mehr als magischen Gefangenschaft befreyen. Zw e y t e n s . Diese Betrachtung setzt es in ein recht auffallendes Licht, wie völlig abgeschmackt die Voraussetzung ist, daß wahre Bekehrung zur Tugend in den letzten Stunden des Lebens noch vollbracht werden könne. Dieser verderbliche Irrthum entsteht allein daraus, daß man die Natur der wahren Reue nicht kennt, oder nicht darauf Acht | giebt. Wer es bedenkt, daß zur Besserung die Veränderung der bisherigen Bestrebungen, die Umwandlung der ganzen Richtung und Verfassung des Gemüths, die Ausrottung der bösen und die Belebung der entgegengesetzten Neigungen gehört; wer ferner bedenkt, daß die Gesinnung, zu der wahre Reue hinführt, eben so nothwendig ist, um die Freuden der künftigen Welt zu genießen, als unsre sinnlichen Organe es sind um die Annehmlichkeiten der gegenwärtigen aufzufassen; daß die Tugend die einzige Fertigkeit ist die uns für die Glückseligkeit des künftigen Zustandes empfänglich machen kann, und der einzige Sinn durch den die himmlischen Freuden den Eingang finden können; daß wir nur ihr den Durst nach der Erkenntniß Gottes verdanken, das Wohlgefallen an allgemeiner Glückselig34 hinführt,] hinführt

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He who considers the necessity of such a temper to the beatitude of such a state; and reflects, that a change to such a temper, from one that is the reverse of it, must occupy a considerable space of time, and be accompanied with considerable labour: he who rolls all this in his mind, will drop an honest tear over the danger, while he will be scarcely able to suppress a mournful smile at the folly, of that man, who imagines, that, at the close of a life devoted to vice, to send for a minister of religion, to open a book of prayer, to receive the memorials of the death of Christ, and confess the sins which it has failed to “take away” from h i m , is to make a proper, and competent preparation for heaven!|

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That man should discover an infatuation, in the great business for which he was chiefly made, which he betrays in the prosecution of no other; that, in the pursuit of the most important ends, he should display a neglect of the appointed means, a substitution of prayer for industry, of wishes for efforts, of ceremony for labour, with which, in the pursuit of no other end, he contents himself; is only to be accounted for, by concluding, that his reluctance to take much trouble, in pursuit of an end so remote, and for that reason, so faintly attractive, as that which religion proposes to him, induces him to shut his eyes upon truth, and to resolve not to see the task, which he cannot prevail upon himself to p r ac t i s e .

Does the florist, who wishes to obtain the prize of flowers, ever dream of trusting to his t e ar s , and i n trea ties, on the day of exhibition and of decision? or of mending a faulty flower, in a few hours, by c e r e m o n i e s , and incantations?—No: he proceeds to the patient arts of culture; the selection of seed; the choice of soil; the administration of water, and shelter, and sunshine, and shade: he passes through a process of art, and has long patience for the perfection of the

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keit, den Geschmack an der Freundschaft, das Auge für die schönen Verhältnisse in den Wegen der Vorsehung und für das Erhabene in dem Zusammenhang der Wahrheit, welches alles so wesentlich erfodert wird um in einem Zustande glücklich zu seyn, dessen vornehmste Vergnügungen in dem Anschaun der göttlichen Vollkommenheiten, in dem Umgang mit weisen und tugendhaften Seelen, in der Entfernung von allem Laster und allem Elend, und in der Eintracht und Ordnung, die in einer wohleingerichteten und glücklichen Gesellschaft statt findet, bestehen werden; wer es bedenkt, wie nothwendig eine solche Gemüthsverfassung dazu gehört, um die Glückseligkeit eines solchen Zustandes zu genießen, und dabey überlegt, | daß der Uebergang zu einer solchen Gesinnung von einer ganz entgegengesetzten einen beträchtlichen Zeitraum hinwegnehmen und mit vieler Mühe verbunden seyn muß: wer dies alles in seinem Gemüth erwägt, der wird, ob er sich gleich eines traurigen Lächelns über die Thorheit kaum enthalten kann, doch auch eine tugendhafte Thräne über die Gefahr desjenigen vergießen, der sich einbildet, wenn er nur am Ende eines dem Laster gewidmeten Lebens einen Diener der Religion holen lasse, sein Andachtsbuch aufschlage, die Gedächtnißzeichen des Todes Christi empfange, und die Sünden bekenne, welche dieser nicht von ihm hinweggenommen hat, so sey dies eine schickliche und hinreichende Zubereitung zum Himmel. Daß der Mensch in der großen Angelegenheit, welche vorzüglich seine Bestimmung ausmacht, eine Bethörung verräth, die er sich in keiner andern zu Schulden kommen läßt; daß er grade in den Bemühungen, die er den wichtigsten Gegenständen widmet, die sichersten Mittel so ganz vernachläßigt, und nur Gebete statt rastloser Emsigkeit, nur Wünsche statt ununterbrochener Anstrengungen, nur Gebräuche statt ernster Arbeit anwendet, womit er sich doch in keinem andern Fall begnügt, wenn er nach etwas strebt; dies können wir uns nur dadurch erklären, daß wir annehmen, sein Widerwille sich um ein so entferntes, und also so wenig anlockendes Ziel, als das, welches die Religion ihm setzt, zu bemühen, verleite ihn, sein Auge der Wahrheit zu verschließen, und das Geschäft lieber gar nicht sehen zu wol|len, welches er sich nicht entschließen kann ernstlich zu betreiben. Wird es wohl dem Blumenliebhaber, der vor allen andern den Preis davonzutragen wünscht, auch nur im Traum einfallen, sich am Tage der Ausstellung und Entscheidung auf seine Thränen und Bitten verlassen, oder eine fehlerhafte Blume in wenig Stunden durch Ceremonien und Besprechungen verbessern zu wollen? – Nein, er bequemt 20–21 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus 1Joh 3,5; Hebr 10,4.

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plant, | that is to entitle him to his reward.—Does the author, who aspires to literary immortality, ever hope to obtain it, by beg g ing the world to bestow it upon his book? by deprecating the justice of criticism? by supplicating the mercy of the public? or imagine, that a prayer to the Fountain of light will procure for him an insta nta neo u s infusion of wit, or of learning, or of eloquence, into his production?—No: he makes use of the means that are suited to his end: he enters his closet; he takes his pen; he exercises thought, and attention; he revises his performance with patience; he corrects it with care; he keeps it by him for some time; and is contented to see it grow, under his eye, into gradual perfection.—Does the sick man, whose constitution intemperance has impaired, ever entertain so wild an idea, as to expect, that an i n vo c at i o n to health will restore it to him? or that a s k i n g t h e p ar d o n of his physician, for the neglect of his prescriptions, will supply the place of those prescriptions?— No: he is not so visionary: he looks for a slow and gradual recovery; and expects it only from a course of medicine, from a regul|lated diet, and an uniform obedience to his medical guide.

Yet, that common sense, and common prudence, which accompany all mankind, in every other pursuit, appear totally to desert them, in the pursuit of qualification for the favour of God, and the happiness of heaven. Here, they seem to entertain a notion of charmed words, of occult causes, and mystic influences, in the room of sober diligence: appear to ascribe to the pronunciation of a prayer, a talismanic power; and make use of the rites of religion, as the ceremonies of magic! The Scriptures encourage nothing of this enchantment-expedition, this lightning-rapidity, in moral production. They talk of “building up;” of laying stone to stone; of exercising labour, and proceeding with the sober steps of steady, and patient toil.

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sich zu den langsamen Künsten der Kultur, zur Auswahl des Saamens, zur Bereitung des Bodens, zu einer richtigen Vertheilung von Sonnenschein und Schatten, von Schutz und Feuchtigkeit: er befolgt eine lange Reihe von Vorschriften der Kunst, und beweiset viel Geduld um die Pflanze zur Vollkommenheit zu bringen, auf der seine Ansprüche an die bestimmte Belohnung beruhen sollen. – Wird je ein Schriftsteller, der nach literarischer Unsterblichkeit strebt, sie dadurch zu erlangen hoffen, daß er die Welt bittet, sein Buch damit zu krönen? daß er es dem Richterstuhl der Kritik entziehen will? daß er das Publikum um Gnade anfleht? oder wird er sich einbilden, daß es nur eines Gebets an die Quelle des Lichtes bedürfe, um in einem Augenblick seinem Werk Witz, Gelehrsamkeit und Wohlredenheit einzuzaubern? – Nein: er bedient sich der Mittel die diesem Endzweck angemessen sind, er verschließt sich in sein Studierzimmer und nimmt die Feder zur Hand, er strengt Nachdenken und Aufmerksamkeit an; geduldig sieht er sein Werk öfters durch, feilt | es sorgfältig, läßt es eine Zeitlang liegen und begnügt sich, es so unter seinen Augen nach und nach zur Vollkommenheit heranreifen zu sehn. – Hat wohl je ein Kranker, dessen Körper durch Unmäßigkeit zerrüttet war, den tollen Gedanken gehabt, daß eine Anrufung an die Gesundheit sie ihm schon wiederverschaffen werde? oder daß, wenn er seinen Arzt nur wegen der Vernachläßigung seiner Vorschriften um Verzeihung bitte, es eben so gut sey, als ob er sie beobachtet hätte? – Nein, so schwärmerisch ist er nicht: er erwartet nur eine langsame und stufenweise Genesung, und diese hofft er nur von einem anhaltenden Gebrauch der Arznei, von einer regelmäßigen Diät, und einem pünktlichen Gehorsam gegen seinen Arzt. Und dieser gemeine Verstand, diese ganz gewöhnliche Klugheit, welche allen Menschen bey jeder andern Angelegenheit eigen ist, scheint sie gänzlich zu verlassen, wo es darauf ankommt die Gunst des Höchsten zu erwerben, und sich zur Glückseligkeit des Himmels geschickt zu machen. Hier haben sie wunderbare Begriffe von kräftigen Worten, verborgenen Ursachen und mystischen Einflüssen, die sie an die Stelle eines ordentlichen Fleißes setzen: hier scheinen sie dem Aussprechen eines Gebets eine geheime Zaubermacht zuzuschreiben, und sich der Gebräuche der Religion als magischer Zeremonien zu bedienen. In der Schrift ist nirgends die Rede davon, daß so durch einen Zauberschlag und mit Blitzesschnelligkeit etwas moralisches in uns gewirkt | werden könne. Sie redet von „Aufbauen“ wo ein Stein 25 hofft] Kj erhofft 39 Vgl. 1Petr 2,5

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May none of us suffer ourselves to be destroyed by this dangerous delusion! Let us remember, that though the Almighty is merciful, infinitely merciful; blessed be the book that tells us he is! yet that his mercy extends not to the forgiveness of unrelinquished iniquity, of uneradicated disposition to ill: that the good, that the best, have faults enough to | call for all his mercy: but that those, in the midst of whose imperfections virtuous propensities do not prevail, the God of heaven neither will, nor ought, nor can, reward: for vice is incapable of happiness. Let us remember, (I am guilty of great repetition, but it is better that an important truth should be often repeated by me, than forgotten by y o u ) that prayer is a prevailing voice, from no other lip than his, whose life is virtuous, and whose heart is right: that repentance procures no absolution for sins, which nothing but death forces us to forsake: that, at the close of a lost life, an idle sigh is of no more worth, in the estimation of Heaven, than a breath of any other air; an idle tear, of no more value, than a drop of any other water.

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III. To conclude: This subject holds out comfort and encouragement to them, who are inclined to cultivate a virtuous character. The laws of nature, respecting our moral state, are just, and equitable. God has balanced the evil of our condition, with an equal proportion of good. If, after a time, vi c e , when indulged, become fixed and permanent in the character, so, also, does v irt ue. If it | be almost as difficult for them to do good, who are accustomed to do evil, as for the Ethiopian to change the colour of his skin; almost as difficult is it, for them deliberately to do evil, that are accustomed to do good, as for the fair European to acquire a jetty hue. There is a period, in the progress of those who persevere in the practice of virtue, when they may be said to be “established in every good word, and work:” when they are “rooted and grounded” in the love of God, and of man: when nothing but whirlwinds and tempests of temptation, which, (thanks be to God!) do not often assail the integrity of man, are able to tear them up from that ground, to which they have thus grown. Less furious gusts may shake them; cause them to wave, and bend; interrupt the steadiness, and disturb the tranquillity, of their uprightness; but shall do no more: shall leave them standing. There

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auf den andern gelegt wird, davon daß man sich Mühe geben und auf dem ordentlichen Wege einer beharrlichen geduldigen Arbeit sein Heil suchen solle. Lasse sich doch keiner unter uns durch diese gefährliche Täuschung ins Verderben stürzen! Laßt uns bedenken, daß obgleich der Allmächtige gnädig, unendlich gnädig ist – und gesegnet sey uns das Buch, das uns dieses verkündigt! – sich seine Gnade doch nicht so weit erstreckt, daß er unabgethane Ungerechtigkeit und unausgerottete Lust zum Bösen vergeben könnte; daß auch die Guten, ja selbst die Besten noch Fehler genug an sich haben um seiner ganzen Barmherzigkeit zu bedürfen, daß aber der Gott des Himmels diejenigen, über deren Unvollkommenheiten nicht tugendhafte Gesinnungen die Oberhand haben, weder belohnen will, noch darf, noch kann, denn das Laster ist der Glückseligkeit unfähig. Laßt uns bedenken (ich erlaube mir viel Wiederholungen, aber es ist besser, daß ich eine wichtige Wahrheit oft wiederhole, als daß Ihr sie vergeßt) daß nur das Gebet Kraft hat, welches von den Lippen eines Menschen kommt, dessen Leben tugendhaft, und dessen Herz rechtschaffen ist; daß die Reue uns keine Vergebung für Sünden verschaffen kann, welche wir nur verlassen, weil der Tod uns dazu zwingt; daß am Ende eines verlorenen Lebens ein leerer Seufzer in den Augen des Himmels nicht | mehr werth ist, als irgend ein anderer Lufthauch, und eine eitle Thräne nicht höher geachtet wird, als irgend ein anderer Wassertropfen. D r i t t e n s . Endlich liegen in dieser Betrachtung angenehme Aussichten und Erwartungen für diejenigen, welche ihren sittlichen Charakter immer mehr zu vervollkommnen wünschen. Die Gesetze der Natur in Beziehung auf unsern moralischen Zustand sind gerecht und billig. Gott hat die Nachtheile und Vortheile unserer Lage genau gegen einander abgewogen. Wird nach einiger Zeit das Laster, wenn man ihm nachsieht, fest und bleibend im Charakter, so geht es eben auch mit der Tugend. Wenn denen, welche gewohnt sind Böses zu thun, das Rechtthun fast eben so schwer wird, als es dem Mohren ist die Farbe seiner Haut zu ändern, so wird es dafür auch denen, die sich an das Gute gewöhnt haben, fast eben so schwer vorsätzlich böse zu handeln, als es dem weißen Europäer unmöglich ist seiner Haut die Rußfarbe des Mohren mitzutheilen. Es giebt in den Fortschritten derer die bei der Ausübung der Tugend beharren eine Zeit, wo man von ihnen sagen kann daß sie „fest sind in allen guten Worten und Werken“, daß sie eingewurzelt und gegründet sind in der Liebe zu Gott 39–40 Vgl. 2Thess 2,17 aus Eph 3,17.

40 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt

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are storms that agitate the sturdiest tree, but that cannot pull it up. The stately branches of the British Oak the common winds of heaven may ruffle, and discompose; but it must be a hurricane of incredible force, that is able to rend its roots from the bed, where it has rested for an hundred years.|

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Let the expectation of this permanent establishment, this repose of residence in the right, encourage the virtuously inclined, amidst the struggles and difficulties, that may accompany the commencement of virtuous cultivation. Those struggles may all of us, who have need of them, have the resolution to make: and may we all at length attain to that serenity of virtuous settlement, and immortality of moral security, in which, if we do make them, they will infallibly fix us! Amen.

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und den Menschen; wo nur noch die Sturmwinde und Ungewitter der Versuchung, die Gott sey Dank nur selten die Rechtschaffenheit des Menschen bestürmen, im Stande sind sie aus dem Boden hinwegzureißen, in den sie eingewachsen sind. Die we|niger wüthenden Stöße können sie zwar erschüttern, können sie beugen und zum Wanken bringen, können die Ruhe und Sicherheit, mit der sie auf ihrem Platz feststehen, unterbrechen; aber weiter vermögen sie nichts, sie müssen sie stehen lassen. Es giebt Stürme unter denen auch der festeste Baum schwankt, aber die ihn doch nicht ausreißen können. Auch gemeine Winde können die stattlichen Zweige der hohen Eiche in Bewegung setzen, und aus ihrer gewöhnlichen Lage bringen, aber es müßte ein Orkan von unglaublicher Stärke seyn, der im Stande seyn sollte ihre Wurzeln aus dem Lager zu heben, worin sie ein Jahrhundert hindurch geruht haben. Möge die Aussicht auf diese sichre Festigkeit, auf diesen ungestört ruhigen Besitz des Guten alle diejenigen, die von tugendhaften Neigungen beseelt sind, unter den Kämpfen und Schwierigkeiten, welche den Anfang der sittlichen Ausbildung zu begleiten pflegen, munter und aufrecht erhalten. Möchten wir Alle, denen es noch nöthig ist, Entschlossenheit genug haben diese Kämpfe zu bestehen, und zuletzt auch Alle zu der Heiterkeit einer befestigten Tugend, zu der ununterbrochenen Sicherheit unsers unsterblichen Eigenthums gelangen, wozu jene Schwierigkeiten, wenn wir sie überwunden haben, uns unfehlbar hinführen. Amen.

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The Causes of the Insecurity of human Virtue pointed out, and the Caution necessary to its Preservation recommended.

SERMON

XXII.

L e t h i m t h at t h i n k e t h h e s t an d e t h , t a ke heed lest he f a ll. 1 Cor. x. 12.

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Moral uprightness, and moral establishment, are very different things. There are those that stand, but that are every moment liable to fall. There is goodness, whose form is fleeting, as it is fair: whose figure is lovely, but whose substance is delicate, and frail. Who shall number the virtuous purposes that have perished, before they have produced one virtuous deed? Or | who shall recount the instances, in which virtuous conduct has failed to settle into virtuous character? That which constitutes the principal security of human integrity is habit: that habit, which annihilates temptation; converts principle into passion, virtue into nature, and the dictates of duty into the impulses of inclination. Prior to this invincible propensity to what is right, which is only to be derived from the long practice of it, the most promising virtuous posture of the mind is mutable and unsteady. Let it, at the present instant, anticipate, with what force and vivacity it may, the immortal rewards of virtue; or discern, with whatever clearness, its intrinsic rectitude and beauty; or desire, with whatever moderation, those objects which stand in competition with the pleasures of good conscience, and the eternal patronage of Omnipotent Power; the good purposes, that are formed under these impressions, are in danger of passing away.

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Zwey und zwanzigste Predigt.

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Die Ursachen von der Unsicherheit der menschlichen Tugend werden angegeben, und die Vorsicht, welche zu ihrer Erhaltung nothwendig ist, wird empfohlen. 1 Kor. 10, 12.

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We r s i c h l ä ß e t d ü n k e n e r s t e h e , m ag w ohl zusehen, da ß er nicht falle.

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Stehen und Feststehen im moralischen Sinne, sind zwey sehr verschiedene Dinge. Es giebt Menschen welche stehen, aber jeden Augenblick in Gefahr sind zu fallen. Es giebt eine Güte deren Bildung eben so unstät als schön ist; deren Gestalt liebenswürdig, aber deren Wesen zart und gebrechlich ist. Wer zählt die tugendhaften Vorsätze, welche untergegangenen sind, ehe sie irgend eine tugendhafte Handlung hervorgebracht hatten? Oder wer sammelt die einzelnen Beyspiele, wo ein tugendhaftes Betragen dennoch nie bis zu einem tugendhaften Charakter gediehen ist?| Die Gewohnheit ist es, in welcher die vorzüglichste Sicherheit aller menschlichen Rechtschaffenheit liegt, die Gewohnheit welche die Versuchung vernichtet, welche Gesinnungen in Leidenschaft, Tugenden in Natur, und Gebote der Pflicht in Antriebe der Neigungen verwandelt. Vor dieser unüberwindlichen Neigung zu allem was Recht ist – welche freylich nur durch eine lange Ausübung desselben entstehen kann – ist auch die vielversprechendste sittliche Anlage des Gemüthes veränderlich und unzuverläßig. So stark und lebhaft es auch in dem gegenwärtigen Augenblick die ewigen Belohnungen der Tugend voraus empfinde, so deutlich es auch einsehe, wie in sich vollendet und wie schön sie ist, so mäßig es auch nach den Gegenständen strebe, die mit den Vergnügungen des guten Gewissens, und dem Genuß der ewigen Vaterliebe des allmächtigen Wesens um den Vorzug streiten: so 13 sind,] sind

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The mutability of such a state of mind arises from the possibility there is, that those desires, which now are temperate, may be | increased; and that those views both of the mad imprudence, and moral impropriety, of vice, which, at this hour, are vivid, may, at a future period, become faint. He, whose desires of temporal objects have been inflamed by the indulgence of them, but who, in consequence of vigorous convictions of religious and moral truth, determines to devote the remainder of his days to his duties, has peculiar reason to lend an ear to the counsel contained in the text. “Let him that thinketh he standeth, take heed lest he fall.” At this time, however, I would wish to address this caution to that situation of the mind, which, though as yet unconfirmed by custom in virtuous courses, presents the most auspicious and encouraging appearance, that can be exhibited by a beginner in goodness. I will suppose a person, at his outset in life, who has not yet declined from uprightness, and stooped to vice, to stand in the most advantageous moral circumstances, which the present state of society will admit. I will suppose him to have received into his mind a firm conviction of the existence of a life to come; to entertain right and rational views | of religion; to have just sentiments of virtue; to perceive, with clearness, the debasing nature of sensuality and sloth, in a creature capable of such pleasures, and possessed of such powers, as man; to discern all the meanness of deceit, and all the ugliness of injustice and inhumanity. I will farther imagine him to have appetites and passions, at present, as temperate and cool, as the rules of a sober and well-ordered family could have possibly preserved them.

Thus situated, he is not secure. He is upright, but in danger of falling: he stands, but he stands not fast: he stands, but, without the exertion of all his strength, he will not stand long. To him, whose situation answers to this description, and whose present solicitude it is to preserve that erect attitude of mind he has hitherto held, to avoid that appearance, so often presented to moral observation, and so painful to moral wisdom, the bent and crooked figure, the base and downward inclinations of vice; let him allow me to recommend the exercise of all that caution, which is necessary to

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sind doch die guten Entschlüsse die sich unter dem Einfluß dieser Eindrücke bilden immer in Gefahr wieder zu verfliegen. Die Wandelbarkeit eines solchen Gemüthszustandes entsteht aus der Möglichkeit daß die Begierden, die jetzt mäßig sind, zunehmen, und dagegen die Ansichten von der thörichten Unklugheit und den innern Widersprüchen des Lasters, so lebhaft sie auch jetzt seyn mögen, zu einer andern Zeit schwächer werden können. Derjenige, dessen Begierden nach irdischen Gegenständen durch seine Nachgiebigkeit gegen ihre | Forderungen heftig entzündet waren, der aber zufolge einer starken Ueberzeugung von den religiösen und moralischen Wahrheiten sich entschließt, den Rest seiner Tage seinen Pflichten zu widmen, hat ganz vorzüglich Ursach auf den in unserm Text enthaltenen Rath zu hören: Wer sich dünken läßt er stehe, der sehe wohl zu, daß er nicht falle. Für diesmal aber wünschte ich diese Vorsichtsmaaßregel solchen Gemüthern ans Herz zu legen, welche ob sie gleich noch nicht durch lange Gewohnheit in einem tugendhaften Wandel befestigt sind, doch die günstigsten und erfreulichsten Hoffnungen geben, die man von einem Anfänger im Guten nur schöpfen kann. Einen solchen, der von der Rechtschaffenheit noch nicht abgewichen ist, noch sich zum Laster hingeneigt hat, und der sich in Umständen befindet, welche für die Sittlichkeit so günstig sind als es in dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft nur möglich ist, will ich mir beym Antritt seiner Lebensbahn denken. Ich setze voraus, er habe in sein Gemüth eine feste Ueberzeugung von der Wirklichkeit eines künftigen Lebens aufgenommen, er nähre richtige und vernünftige Begriffe von der Religion, er habe wahrhaft tugendhafte Empfindungen, er sehe deutlich ein, wie sehr Sinnlichkeit und Trägheit ein Geschöpf erniedrigen, welches solcher Vergnügungen fähig und mit solchen Kräften begabt ist, als der Mensch, und erkenne die ganze Niedrigkeit des Betruges und die ganze Häßlichkeit der Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit. Ich will | ferner annehmen seine Begierden und Leidenschaften seyen für jetzt so mäßig und kühl, als die Lebensregeln einer sittsamen und wohlgeordneten Familie sie nur immer haben erhalten können. Auch in dieser Lage ist er nicht sicher. Er steht zwar, aber er ist immer in Gefahr zu fallen; er steht, aber er steht nicht fest und ohne angestrengte Thätigkeit aller seiner Kräfte wird er nicht lange stehn. Derjenige, dessen Lage mit dieser Beschreibung übereinstimmt, und dessen Sorge jetzt dahin geht, wie er sich die aufgerichtete gerade Stellung seines Gemüths erhalten und die Gestalt vermeiden wolle, die sich dem sittlichen Beobachter so oft darbietet und der sittlichen Weisheit so sehr zuwider ist, die krumme und schiefe Gestalt der niedrigen kriechenden Neigungen des Lasters, der erlaube mir ihm die

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this end. If he would secure from falling a straight, but a tottering uprightness, and | give it the stability of the everlasting hills; if he would save from fracture and ruin a beautiful, but a brittle integrity, and harden it into immortal temper; it will be his wisdom to watch with sleepless vigilance, and meditate upon moral truth with intense and repeated attention: to renew, from time to time, by reflection upon the reality and magnitude of the recompense promised to the righteous, those strong views of it, which take hold of the heart of man, and draw it towards heaven: to guard, at the same time, against the increase of the desires that impel the mind in a contrary direction, and against any abatement of the sense, I suppose him to possess, of the intrinsic turpitude of vice.

What the way is, in which that sensual and worldly desire, which at present is moderate and governable, is inflamed in the human breast; and what the causes are, which operate to lessen the loathing, with which a moral understanding looks upon vice; I proceed to place before him, with all the fidelity of a friend to his welfare, and the warmest wishes to put him upon his guard, against the stow, and soft step, with which vice steals into the breast of man.| 294

Desire is increased, by the frequent recurrence of the object of it either to the senses, or to the imagination. If the eye be often fixed upon it, or if, in its absence from the sight, f a ncy be repeatedly permitted to recall and contemplate the image of it, the desire to attain it will be gradually inflamed. The way, then, to prevent sensual and secular desire from growing to a strength too sturdy for conscience to contend with, is to keep the objects of it as much as possible out of the sight, and out of the mind. For want of this precaution, the pupil of Wisdom, that entered the world with wise resolutions, and resisted the temptations that met him at the door, after having walked a little way into it, has yielded and fallen.

Was licentious p l e as u r e the temptation that accosted him?— “No,’’ he said, “it is beneath a rational creature, capable of relishing the entertainments of knowledge, the luxuries of benevolence, the voluptuous elevation and moral vivacity of virtuous activity, and the

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Anwendung aller der Vorsicht zu empfehlen, die zu seinem Endzweck nothwendig ist. Will er eine gerade, aber noch schwankende Rechtschaffenheit vor dem Fall sichern, und ihr die Festigkeit der ewigen Berge geben, will er eine schöne aber zerbrechliche Tugend vor Unfall und Zerstörung sichern, und zu einer unveränderlichen Gesinnung abhärten, so muß er seine Weisheit darin setzen, daß er mit ununterbrochener Wachsamkeit auf sich Acht gebe, und mit gespannter und wiederholter Aufmerksamkeit über die sittlichen Wahrheiten nachdenke, daß er sich von Zeit zu Zeit durch Betrachtungen über die Gewißheit und Größe der Belohnungen die dem Recht|schaffnen verheißen sind, diese große Aussicht erneuere, welche das Herz des Menschen ergreift und zum Himmel hinzieht, und daß er zugleich dahin sehe, daß die Begierden, welche das Gemüth nach einer entgegengesetzten Richtung hinlocken, nicht überhand nehmen, und daß das Gefühl von der innern Schädlichkeit des Lasters, ein Gefühl welches ich bey ihm voraussetze, nicht geschwächt werde. Auf welche Art die sinnlichen und irdischen Begierden, welche jetzt mäßig und leicht zu beherrschen sind, in der menschlichen Brust heftiger entzündet werden, und welche Ursachen den Widerwillen verringern können, mit dem der sittliche Verstand das Laster ansieht, das will ich euch jetzt vor Augen stellen mit aller Treue eines Freundes dem euer Wohlergehen lieb ist, und mit den wärmsten Wünschen, daß ihr auf eurer Hut seyn möget gegen die leisen und stillen Schritte, womit das Laster sich in die menschliche Brust einschleicht. E r s t e n s . Die Begierde wird verstärkt, indem der Gegenstand derselben oft vor unsere Sinne oder unsere Einbildungskraft zurückkehrt. Wenn das Auge oft darauf geheftet wird, oder wenn man, so lange er von dem Gesicht entfernt ist, der Phantasie wiederholentlich erlaubt das Bild desselben zurückzurufen und zu betrachten, so wird die Begierde ihn zu erlangen nach und nach erhitzt. Das Mittel also um zu verhüten, daß sinnliche und weltliche Wünsche nicht zu einer Stärke heranwachsen, die | sie zu keck macht, als daß das Gewissen noch dagegen streiten könnte, besteht darin daß man die Gegenstände derselben so viel als möglich von dem Gesicht und aus dem Gemüth entfernt halten muß. Läßt es der Schüler der Weisheit an dieser Vorsicht fehlen, so wird er, wenn er auch mit den weisesten Entschließungen in die Welt hineintrat und den Versuchungen die ihm am Eingang begegneten glücklich widerstand, dennoch nachdem er einen kleinen Weg darin zurückgelegt hat, nachgeben und fallen. War ausgelassenes Vergnügen die Versuchung die ihn lockte? – „Nein, sagte er, für ein vernünftiges Geschöpf, welches die Unterhal32 keck] kek

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sweet and animating music of an approving conscience, to sink into a poor dependant upon the senses; to stoop from these heights of enjoyment, and descend to ask happiness of | the dust. No (said he, when sinners enticed him to these lower delights), I will not consent.” Thus far, he felt, and he acted, nobly. But, alas! he hailed himself the victor of temptation too soon, when he had once pronounced that honourable, No. He was not careful to keep out of the company of those, whose conduct he had determined not to copy. He opened his ear, that ear he should have sealed to the siren sounds, to their animated descriptions of the sprightly life they led. He allowed his imagination to be led by them, whither he would not consent to be himself conducted: he permitted his eyes to pursue those, whom his feet refused to follow, into the flowery paths of irregular enjoyment: he painted to himself the picture of that lawless pleasure, of which he suffered not himself to partake: he placed it before him, contemplated it again and again, until, by degrees, his fancy was fired, beyond the power of reason to correct its delusions, and to curb its desires.

Was g o l d the object that tempted him to forsake the path of duty? In whatever sphere of occupation he was placed, whether mercantile, or literary, or professional, or politi|cal, he perceived the baseness of departing from the dictates of honour in order to secure it: he felt how contemptible and degrading it is, for a trafficker to practise aught unfair and fraudulent, or to utter aught uningenuous, in any of his transactions; for a professor of the healing art, to pursue his own interest, at the expence of the health committed to his care; for a professor of law, to promote litigation, and practise dishonest arts; for a writer, to prostitute his pen, “That sacred weapon giv’n for truth’s defence;” for a senator, to betray his country, by carrying a venal voice to her councils, and opening lying lips in the solemn assemblies of her deliberative servants.—Or, when tempted by the successful gamester to go with him to the table, where a die dispenses to a company of madmen alternate riches and ruin, he saw and felt all the folly of exposing himself to the hazard of beggary, and all the guilt of securing 5 hailed] so Errata-Verzeichnis; OD: haileth

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tungen des Verstandes, die schwelgerischen Freuden des Wohlwollens, die erhabene Wollust und das lebhafte Vergnügen tugendhafter Thätigkeit genießen, und sich an der süßen, begeisternden Musik eines billigenden Gewissens ergötzen kann, für ein solches ist es unter seiner Würde in eine armselige Abhängigkeit von den Sinnen zu versinken, und sich von dieser Höhe des Genusses so weit herabzulassen, daß es seine Glückseligkeit von dem Staube erbettelte. Nein, sagt er, wenn die Sünder ihn locken zu diesen niedrigen Vergnügungen, ich will nicht einwilligen.“ So weit fühlte und handelte er edel. Aber ach! er begrüßte sich zu früh als Sieger über die Versuchung, nachdem er einmal dies ehrenvolle Nein ausgesprochen hatte. Er hütete sich nicht sorgfältig genug vor der Gesellschaft derjenigen, deren Betra|gen er beschlossen hatte nicht nachzuahmen. Er öffnete sein Ohr, welches er diesen Sirenentönen hätte verschließen sollen, ihren lebhaften Beschreibungen von dem Wonneleben, welches sie führten. Er ließ seine Einbildungskraft von ihnen dahin führen, wohin er selbst doch nicht geführt seyn wollte, er erlaubte seinen Augen diejenigen, denen zu folgen er seinen Füßen untersagt hatte, auf die blumigen Pfade ihres regellosen Genusses zu begleiten, er mahlte sich selbst das Bild dieser gesetzwidrigen Vergnügungen, an denen Theil zu nehmen er sich nicht gestattete, er stellte es vor sich hin, und betrachtete es wieder und wieder, bis seine Phantasie nach und nach so in Feuer gerieth, daß die Vernunft es nicht mehr in ihrer Gewalt hatte, ihre Täuschungen zu zerstören, und ihre Begierden zu bändigen. War das Gold der Gegenstand, der ihn reizte den Pfad seiner Pflicht zu verlassen? – Von welcher Art seine Beschäftigungen auch waren, kaufmännisch, gelehrt oder politisch, er sah ein, wie niedrig es sey von den Forderungen der Ehre abzuweichen, um Geld zu erwerben; er fühlte wie verächtlich oder heruntersetzend es für einen Handelsmann sey irgendwo unredlich und betrügerisch zu Werke zu gehn oder sich bey irgend einer seiner Verhandlungen etwas unedles zu gestatten; für einen Arzt seinen eignen Vortheil zu bedenken auf Kosten der Gesundheit, die seiner Sorgfalt anvertraut ist; für einen Rechtskundigen Zwistigkeiten zu nähren und sich niedriger Kunstgriffe zu bedienen; für einen | Schriftsteller seine Feder – „dies heilige Gewehr zum Schutz der Wahrheit“ – zu besudeln; für einen Volksvertreter sein Vaterland zu verrathen, indem er eine feile Stimme in die Rathsversammlung trägt, und lügenhafte Lippen öffnet in dem feyerlichen Kreise der rathschlagenden Diener der Nation. – Oder wenn der glückliche Spieler ihn versuchte mit ihm an den Tisch zu treten, wo 35–36 Vgl. Alexander Pope: One thousand seven hundred and thirty eight. Dialogue II, London [i.e. Edinburgh] 1738, Zeile 212

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success by recourse to dishonourable artifices. Under the impression of these convictions, the first and the second temptations, that solicited him to vice, he threw from him with virtuous indignation. But when this generous | swell of his soul subsided, he suffered the idea of the object, which he refused, upon such terms, to take into his hand, to rest and linger in his h e ad ; to unfold and spread out before him its various advantages; the many pleasures it can procure; the numerous conveniences in its power to purchase; the respect it obtains from the world; the felicity of freedom from pecuniary embarrassment, and of enlargement from straitness of situation. He thus permitted that, which his virtue had rejected, to recur to his contemplation, to stand before his mind, and entice him by the leisurely revelation of its various charms, to purchase it at that price, which impoverishes, and renders him a wretch for ever!

Against this gradual growth of desire, it is the business of him who would secure his virtue from falling, to guard with all the caution in his power. The causes, which operate to lessen the aversion of a moral understanding to the odious nature of vice, are the following: 298

First, The frequent appearance of it in the conduct of mankind. The repetition of any impression, impairs it. The repeated impres|sion of the turpitude of vice, produced by the repeated presentation of it to our eyes, causes us to feel, less and less forcibly, how detestable a thing it is. Familiarity with them gradually reconciles every part of our nature to objects, naturally the most repugnant to them. It reconciles the eye to the most unsightly forms; the ear, to the most discordant sounds; the touch, to the roughest surfaces; the heart, to the most painful situations: and, in the same manner, the moral sense, to practices calculated to give it the greatest disgust. All that can be said in illustration of this branch of my subject, the most eminent, and admired of your moral poets has said, in four lines that are in every mouth: Vice is a monster of so frightful mien, As to be hated, needs but to be seen; But seen too oft, familiar with her face, We first endure, then pity, then embrace.

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ein Würfel einer Gesellschaft von Wahnsinnigen abwechselnd Reichthum und Verderben austheilt, sah und fühlte er ganz wie thöricht es sey sich aufs Ohngefähr der Dürftigkeit auszusetzen, und wie strafbar, um das Glück festzuhalten, zu unredlichen Künsten seine Zuflucht zu nehmen. Unter dem Einfluß dieser Ueberzeugungen schleuderte er die erste und zweyte Versuchung die ihn zum Laster hinlockte mit tugendhaftem Unwillen von sich. Aber als dieser edle Zorn seiner Seele sich gelegt hatte, gestattete er, daß der Gedanke an den Gegenstand, den er unter solchen Bedingungen nicht besitzen wollte, in seinem Gemüth zurück blieb und brütete, daß er die mannichfaltigen Vortheile des Besitzes vor ihm entfaltete und ausbreitete, die mancherley Vergnügungen die er gewährt, die zahlreichen Bequemlichkeiten die er verschafft, die Ehrerbietung welche die Welt ihm zollt, die Glückseligkeit keine Verlegenheit zu kennen und sich aus einer beschränkten Lage herauszureißen. So erlaubt er, daß das, was seine Tugend schon verworfen hat, doch seine Gedanken noch beschäftigt, sich vor sein Gemüth | hinstellt, und indem es Muße hat ihm alle seine Reize aufzudecken, ihn verführt, auch um den Preis danach zu streben, der ihn auf immer arm und elend macht. Wer also seine Tugend vor dem Fall sichern will, muß es sich zum Geschäft machen, sich wider dieses unmerkliche Wachsen der Begierde mit aller Vorsicht, die er nur anwenden kann, zu verwahren. Zw e y t e n s . Die Ursachen welche den Widerwillen eines sittlichen Gefühls gegen die verhaßte Gestalt des Lasters vermindern können, sind folgende. 1) Die öftere Wahrnehmung desselben in dem Betragen der Menschen. Wiederholung schwächt einen jeden Eindruck. Je öfter also die Häßlichkeit des Lasters ihren Eindruck macht, indem es sich unsern Augen überall darstellt, desto mehr nimmt die Stärke unsers Gefühls von seiner Abscheulichkeit ab. Vertraute Bekanntschaft söhnt nach und nach jeden Theil unsres Wesens auch mit solchen Gegenständen aus, die uns von Natur am meisten zuwider sind. Sie versöhnt das Auge mit den unangenehmsten Gestalten, das Ohr mit den widrigsten Tönen, das Gefühl mit den rauhesten Oberflächen, das Herz mit den peinlichsten Umständen, und auf dieselbe Art auch das moralische Gefühl mit demjenigen Betragen, welches ihm den größten Widerwillen einflößen sollte.| 20 will,] will 37 Schleiermacher lässt hinter „sollte.” zwei Sätze Fawcetts aus, die ein vierzeiliges, von Fawcett nicht markiertes wortgetreues Zitat umrahmen, das aus Alexander Pope: An essay on man, in epistles to a friend. Epistle II, London 1733, Gesang 3, Zeile 125–128 stammt; die Erstausgabe erschien anonym.

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The process of human reconciliation to vice, and ultimate adoption of it, are marked, in this passage, with the nicest truth, and in a manner which discovers an accurate knowledge of our nature.| Let him, then, who would preserve his virtue, exercise his vigilance against the dangerous operation upon his character, of the frequent practice of virtue around him. Let him reflect, and throw out all his reason in the reflection, that, though the impression upon his heart of the odious nature of vice may, in consequence of its frequent recurrence, have lost its first vivacity, vice itself has lost nothing of its odious nature: that, though the glow of his indignation at the deformity of it may not be so ardent as it was, that deformity remains as misshapen as ever: that, though his blush for the infamy of the wicked may have faded to a fainter crimson, the blackness of wickedness is not diluted to a softer shade. Secondly, Another circumstance tending to soften, and by degrees to subdue, that abhorrence of vice, which is natural to a moral understanding, is the frequent appearance of it in the company of other things which command the respect of mankind.

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One of these is superiority of rank and station. That baseness in vice, which man is so constructed as to see and feel, he is so formed by the education society has given | him, as to fancy ennobled by the elevation of the situation in which it is practised. He is apt to lose the meanness of the crime, in the greatness of the criminal. The d is h o n e s t y of the p o o r man, the dishonesty that breaks through into houses, or fills the traveller with terror, is considered by all, as what it is; as an outrage to rectitude and equity; as deserving punishment from the laws of the land: but the same dishonesty, and equal in degree, which is practised by persons of what is called f ig u r e and f as h i o n in the world, which consists in defrauding industrious creditors of their due, this politer violation of equity, this more genteel injustice is contemplated, by multitudes, with an indulgent eye. Corruption in the s h o p , or in the ma rt , appears to every eye the moral contamination which it is: but when History records, or Observation remarks, how often it has sitten in the sena te; how frequently it has ascended the t r i b u n al, and worn the robes of office; 12 misshapen] mishapen

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Wer also seine Tugend bewahren will, der richte seine ganze Wachsamkeit gegen den gefährlichen Einfluß, welchen der Anblick des Lasters, das auf allen Seiten geübt wird, auf seinen Charakter haben könnte. Er bedenke, und nehme alle seine Vernunft zusammen um sich davon zu überzeugen, daß obgleich der Eindruck, den die Häßlichkeit des Lasters auf sein Herz machte, von seiner ersten Lebhaftigkeit durch die öftere Wiederkehr verloren hat, doch das Laster selbst von dieser Häßlichkeit nichts verloren hat; daß obgleich sein Unwille über die Mißgestalt desselben nicht mehr so heftig glüht als anfänglich, doch diese Mißgestalt selbst noch eben so verhaßt ist; daß obgleich sein Erröthen über die Schande der Gottlosen bleicher geworden ist, die Schwärze der Ruchlosigkeit deswegen doch kein milderes Licht angenommen hat. 2) Ein anderer Umstand, der dazu beyträgt den Abscheu gegen das Laster, der einem sittlichen Gemüth natürlich ist, zu vermindern und nach und nach hinwegzuwischen ist der: daß es sich öfters in Gesellschaft von andern Eigenschaften findet, welchen die Welt ihre Achtung zollt. Hieher gehört hoher Rang und Ansehn. Durch die Erziehung, welche der Mensch in der Gesellschaft empfängt, wird er zu der Einbildung verleitet, als ob die Niedrigkeit des Lasters, die er nothwendig sehen und fühlen muß, veredelt würde durch die erhabene Stufe worauf diejenigen die es ausüben in der Gesellschaft stehen. Die Niedrigkeit des Ver|brechens verliert sich für ihn in der Größe des Verbrechers. Die Unredlichkeit des armen Mannes, die Unredlichkeit dessen der in die Häuser einbricht und den Reisenden mit Schrecken füllt, wird von Jedermann für das angesehen was sie ist, für eine Verletzung von Recht und Billigkeit, welche Strafe von den Gesetzen des Landes verdient; aber wenn Personen von Stande, wie man sie nennt, und von großem Ansehn in der Welt dieselbe Unredlichkeit in demselben Grade ausüben, indem sie arbeitsame Gläubiger um das betrügen, was ihnen gebührt, so sehen sehr viele Menschen diese feinere Verletzung der Billigkeit, diese modischere Ungerechtigkeit mit nachsichtigen Augen an. Betrügerey im Laden und auf dem Markt sieht jeder für die sittliche Verunreinigung an, die sie wirklich ist, aber wenn die Geschichte uns erzählt, wie oft der Betrug im Senat gesessen hat, wie oft er auf den Richterstuhl gestiegen ist und die Kleidung der Staatsdiener getragen hat, so wird der getäuschte Verstand entwaffnet und die betrogene Vernunft schaut ehrfurchtsvoll empor.

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then the deluded understanding is disarmed of its detestation, and the cheated reason looks up with respect. 301

Had none but r u s t i c s and m e c h a nics interspersed their conversation with profane o at h s | and impreca tions, no one, who had his manners to form, would have seen any thing in such expressions, but what reason sees in them: an indecent and ridiculous redundance of words; an impious introduction of the most sacred of names: but when they fall from the lips of nobles and of princes, then, they derive a grace, in the ear of deluded youth, then, they are considered as expressions of energy and spirit, and ambitiously cultivated as ornaments of speech. Another associate of vice, which is apt to soften the abhorrence of it natural to man, is splendour of genius. Such is the veneration of man for brilliancy of talents, that their countenance and authority easily lead him to look upon error as truth; to mistake folly for wisdom; and imagine that to be beauty in manners, which is really blemish.

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The i n f i d e l i t y of the i gn o r an t , the uneducated, and the dull, if to such it had been confined, if it had never issued but from the mouths, or the pens, of such; the members of vulgar clubs, or the authors of vapid books; would have worn no other appearance to the subject of religious education, than of what it is, Blindness to blazing evidence: but when | it is insinuated in the pages of eloquent and masterly writers, then, it assumes the seducing form of Superiority to popular prejudice. All men despise a t h i e f . Those who consent to practise themselves, and to pardon in others, relaxations of strict veracity, and deviations from nice and delicate equity, in the transactions of traffic, agree to look with contempt upon them, whose occupation is plunder, and whose sole calling is dishonesty; and more especially upon that particular class of this infamous number, who, without discovering any of that intrepidity which recommends the wicked to the respect of the weak, have recourse to fraud, rather than violence, and substitute cunning for courage. But the appearance, though but of one or two among this lawless multitude, who have acquired the fame of wit and p a r t s , and have defended themselves with eloquence and grace, before the tribunal of their country, has operated, in many a melancholy instance, to remove that sense of shame, which otherwise would

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Pflegten nur Landleute und Handwerker ihr Gespräch mit unheiligen Schwüren und Verwünschungen zu würzen: so würde jeder, der seine Sitten bilden wollte, in diesen Ausdrücken das sehen, was die Vernunft darin sieht, einen unschicklichen und lächerlichen Schwall von Worten, eine ruchlose Einmischung des heiligsten Namens; aber wenn | man dies von den Lippen der Edlen und der Fürsten hört, dann bekommt es eine gewisse Anmuth in den Ohren der verblendeten Jugend, dann sieht man dies als kräftige und geistreiche Ausdrücke an, und setzt eine Ehre darein sie als Verzierungen der Rede anzubringen. Ein anderer Bundesgenosse des Lasters, der sehr viel beyträgt den natürlichen Abscheu des Menschen dagegen zu besänftigen, ist glänzendes Genie. So groß ist die Verehrung der Menschen gegen blendende Talente, daß ihr Schutz und ihr Ansehn ihn sehr leicht verleitet den Irrthum für Wahrheit anzusehn, Thorheit für Weisheit zu nehmen, und das für eine Zierde der Sitten zu halten, was in der That eine Schande derselben ist. Wenn der Unglaube nur bey unwissenden unerzogenen und thörichten Menschen gefunden würde, nur bey den Mitgliedern gemeiner Gesellschaften und den Verfassern abgeschmackter Bücher, wenn er nur aus dem Munde und der Feder solcher Personen gehört würde, so würde er dem Zögling der Religion in keiner schönern Gestalt erscheinen, sondern als das, was er wirklich ist, als Blindheit gegen die klarste Wahrheit; aber da er sich aus den Produkten beredter und meisterhafter Schriftsteller einschleicht, nimmt er die verführende Gestalt einer Erhebung über gemeine Vorurtheile an. Jedermann verachtet einen Dieb. Diejenigen die es sich selbst erlauben – und was sie thun auch andern verzeihen – von der strengen Wahrhaftig|keit etwas nachzulassen, und in den Geschäften des Handels von der genauen und zarten Billigkeit hie und da abzuweichen, sehen doch alle mit Verachtung auf die, deren Geschäft das Rauben und deren einziger Beruf die Ehrlosigkeit ist, vorzüglich aber auf diejenigen Elenden dieser Klasse, welche von der Unerschrockenheit nichts an sich haben, die auch dem Gottlosen die Achtung der Schwachen sichert, sondern welche den Betrag der Gewalt vorziehn, und List an die Stelle des Muthes setzen. Aber wenn sich auch unter diesem gesetzlosen Haufen nur einer oder ein Paar zeigen, die sich den Ruhm des Witzes und mancher Fähigkeiten erworben, und sich mit Anmuth und Beredtsamkeit vor den Gerichtshöfen des Staats vertheidigt haben; gleich wird – manches traurige Beyspiel belehrt uns davon – bey

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have stood between the necessities of indolence and dissipation, and descent to such means of supply.| 303

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Were i n t e m p e r an c e in sensual pleasures practised only by the u n c u l t i v at e d , the rude, and unrefined, by them that are unsusceptible of intellectual and elegant delight, the well-educated youth would be capable of contemplating sensual excess, with no other eye than that of compassion and of contempt; as the inferior gratification of inferior spirits; as the low enjoyment of unelevated minds:—But when he looks into the written lives of men of wit and g enius, or observes the manners of yet living possessors of splendid talents, and finds so large a proportion of such men addicted, in a distinguished degree, to dissipation; when he is accustomed to contemplate poet s, and ora t o r s , s t a t e s m e n , and l e gi s l at o r s , among the foremost, and most fervent votaries of irregular Pleasure; when he beholds intemperance and profusion exalted to this height; when he thus can call them, “The glorious faults of angels and of gods,” then his contempt for what reason teaches him to despise is dispersed; and the pride of a rational nature is prevailed upon, to stoop to drink at those inferior fountains of pleasure, to which such lofty beings have descended to draw entertainment.| There are also other personal qualities calculated to inspire respect, which not unfrequently accompany folly and vice, that throw a recommendatory splendour over them, and powerfully operate to reconcile offended reason to them. Elegant manners, high spirit, undaunted courage, pecuniary generosity, ardor of friendship, sometimes meet together in the man of pleasure, the corrupter of innocence, the destroyer of another’s peace, and the author of a parental disappointment, that “brings the grey hair with sorrow to the grave.” The sparkling points of the character communicate a portion of their lustre to its dark shades, in the inconsiderate, and easily dazzled eye of juvenile imagination, which leads it to conclude, that those qualities, however reason, at the first sight, may recoil from them, cannot be very odious, with which such shining properties coexist.

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einem oder dem andern das Schaamgefühl aufgehoben, welches ihn sonst verhindert haben würde, zu ähnlichen Mitteln seine Zuflucht zu nehmen, um der Noth zu entgehn, die aus Trägheit und Zerstreuung entstanden ist. Würde Unmäßigkeit in sinnlichen Vergnügungen nur von ungebildeten, rohen, unverfeinerten Menschen ausgeübt, von solchen die jedes geistigen und feineren Vergnügens unfähig sind, so würde der wohlerzogene Jüngling wohl im Stande seyn, sinnliche Ausschweifungen nur mit mitleidigen und verächtlichen Blicken anzusehn, als den niedrigen Genuß niedriger Gemüther, als das elende Vergnügen ungebildeter Seelen. Aber wenn er die Lebens|beschreibungen von Männern von Witz und Genie liest, oder wenn er die Sitten lebender Personen, die glänzende Talente besitzen, beobachtet, und so viele von ihnen der Zerstreuung auf eine ausgezeichnete Art ergeben sieht; wenn er sich daran gewöhnen muß Dichter und Redner, Staatsmänner und Gesetzgeber unter den eifrigsten Anhängern des zügellosen Vergnügens zu finden; wenn er Unmäßigkeit und Verschwendung zu dieser Höhe erhoben sieht, daß er sie als die rühmlichen Fehler der Schutzengel und Götter der Erde ansehn kann: dann verliert sich seine Verachtung gegen das, was die Vernunft ihn verachten lehrt, und der Stolz der vernünftigen Natur wird zu der Erniedrigung verleitet, gleichfalls aus diesen untersten Quellen des Vergnügens zu trinken, da sich so hohe Wesen so weit herabgelassen haben, Annehmlichkeit aus ihnen zu schöpfen. Es giebt noch andere Achtung gebietende persönliche Eigenschaften, welche nicht selten Thorheit und Laster begleiten, sie mit einem empfehlenden Firniß überziehn, und gar mächtig wirksam sind die beleidigte Vernunft damit auszusöhnen. Feine Sitten, hohes Selbstgefühl, unerschrockner Muth, edle Freygebigkeit, Eifer in der Freundschaft, dies alles findet sich bisweilen bey dem Sklaven der Lust, bey dem Verführer der Unschuld, bey dem Störer fremder Ruhe, bey dem, der seinen Eltern einen Gram verursacht, der ihr graues Haar mit Kummer in die Grube bringt. Die glänzenden Theile des Charak|ters verbreiten in den Augen der vorschnellen, leicht zu blendenden Einbildung des Jünglings etwas von ihrem Schein auf die schwarzen Schatten die neben ihnen stehn, und er schließt, daß Eigenschaften die bey so strahlenden Vorzügen ihren Platz finden, obgleich die Vernunft auf den ersten Anblick vor ihnen zurückschaudert, doch im Grunde nicht so verabscheuungswürdig seyn können. 18–19 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Alexander Popes Gedicht „Verses to the memory of an unfortunate lady“, Zeile 14, in: The works of Mr. Alexander Pope, London 1717, Seite 359 32–33 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Gen 42,38; 44,29

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He, that would preserve his disapprobation of immorality unimpaired, must guard against the imposition of these associations upon his moral judgment. Let him reflect, and often renew the reflection, that vice remains unalterably the same thing, in the company of | whatever personal properties, or outward possessions, it be found: that no alliance can possibly ennoble it: that the great can confer no honour upon it: that though they can lift pov ert y out of the dust, and set secular meanness on high, by setting it at their side, they cannot, by placing it at their right hand, elevate v ice from its native baseness: and that, as the authority of the most eminent in the intellectual world is incapable of turning error to truth, it is equally incompetent to convert vice into virtue, or to soften it into innocence. Impurity is impurity, injustice is injustice, inhumanity is inhumanity, whether practised by a peasant, or an emperor; by the unlettered hind, or the accomplished scholar.

Lastly, Another cause, which operates, in some degree, in peculiarly social and affectionate tempers, to mitigate the moral disapprobation of at least that vice, by which social virtue, though by all vice really violated, is not so obviously, directly, or flagrantly infringed, is the instinct that attaches us to our kind. Nature has so wrought into the constitution of man, an affection for mankind, that even those, whom we term selfish, are not entirely destitute of it. When social in|tegrity is gone, fragments of social love remain. In consequence of this human kindness, in proportion to the degree in which it prevails in the temper, that vice, which, in itself considered, we contemplate with pure disapprobation, when it appears before us, in the conduct and character of creatures to whom Nature has thus knit us, assumes, from this situation, somewhat of a softer, a less harsh, and odious aspect, than when it stands before us upon abstract ground. As a fond father looks upon that vice, which, in another, would excite his disgust, with a more tolerant eye, when he sees it in his son; so the man, whose complexion of mind is social, judges vice, when joined with mankind, with an indulgence he does not allow it, when he meets it in the field of moral speculation. The severity of the judge is relaxed by the partiality, and tenderness of the relative; and the frown of Reason upon Vice is softened by natural affection for a human creature.

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Wer seine Mißbilligung der Unsittlichkeit ungeschwächt erhalten will, muß auf seiner Hut seyn, daß solche Verbindungen des Lasters seinem moralischen Urtheil nicht Gewalt anthun. Er überlege, und erneuere diese Ueberlegung oft, daß das Laster unabänderlich dasselbe bleibt, mit was für persönlichen Eigenschaften oder äußern Besitzungen es auch in Gesellschaft gefunden werde; daß es durch kein Bündniß geadelt werden kann, und die Großen ihm keine Ehre mittheilen können; daß sie zwar die Armuth aus dem Staube heben und was vor der Welt niedrig ist erhöhen können, indem sie es an ihrer Seite sitzen lassen, aber nicht im Stande sind das Laster, wenn sie es auch zu ihrer rechten Hand stellen, aus seiner angebornen Niedrigkeit hervorzuziehn; und daß das Ansehn der erhabensten Geister eben so wenig im Stande ist das Laster in Tugend zu verkehren, oder der Unschuld gleich zu machen, als es ihm möglich ist den Irrthum in Wahrheit zu verwandeln. Unreinigkeit bleibt Unreinigkeit, Ungerechtigkeit bleibt Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit bleibt Unmenschlichkeit, es mag sie ein Kaiser aus|üben oder ein Bauer, ein unwissender Schäferknecht oder ein vollendeter Gelehrter. 3) Eine andere Ursache welche gewißermaßen, besonders bey geselligen und zärtlichen Gemüthern dazu beyträgt, die moralische Mißbilligung wenigstens derjenigen Laster zu mildern, wodurch die gesellige Tugend, der freylich jedes Laster Gewalt thut, doch nicht so offenbar, nicht so gerade zu, nicht so schreiend beleidigt wird, ist der Naturtrieb der uns an unsere Gattung fesselt. Die Natur hat Liebe zu dem Menschengeschlecht in unser ganzes Wesen so innig verwebt, daß selbst diejenigen, die wir selbstsüchtig nennen, nicht ganz davon entblößt sind. Auch da wo die Rechtschaffenheit im geselligen Betragen verschwunden ist, bleiben noch Reste von geselligen Empfindungen der Liebe zurück. Dieser allgemeinen Menschenliebe zufolge und in dem Maaß als sie die Oberhand im Gemüth hat, nimmt auch das Laster, welches wir an sich selbst betrachtet mit reinem Mißfallen ansehn, sobald wir es in dem Betragen und dem Charakter dieser Geschöpfe verwebt finden, mit denen uns die Natur so enge verbunden hat, eine mildere weniger harte und verhaßte Gestalt an, als wenn es in Gedanken ganz für sich allein vor uns steht. So wie ein zärtlicher Vater auf den Fehler, welcher bey einem Andern seinen ganzen Unwillen erregen würde, mit einem duldsamen Auge sieht, wenn er ihn bey seinem Sohn findet: so beurtheilt auch derjenige dessen Gemüthsstimmung sehr gesellig ist, das Laster wenn er es | unter den Menschen antrift, mit einer Nachsicht, die er ihm nicht zu gute kommen läßt 2 will,] will 2 seyn,] seyn20–21 Mißbilligung] Mißbilligung, 23 gerade zu] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 570 30 im Gemüth] in Gemüth

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He, then, that is desirous to preserve the impressions, which may be, at the present moment, upon his mind, of moral rectitude and error, from any diminution of their vivacity, must guard against this source of re|laxation in his moral judgment. While he allows himself to love the person of the sinner, let him not allow that love to lessen his hatred of the sin. The guilt of the sinner let him extenuate as much as he can, by a generous attention to every circumstance that tends to extenuate it; but let him beware of extenuating the sinfulness of sin itself. Let him show mercy, if he will, as much as he pleases, to the unhappy m an , whom folly has infected; let him pity, if he choose, the misery it may have brought upon him; let him mitigate that misery, if his compassion prompt him; let him reach to him the hand of humane relief; give him bread when hungry, and drink when athirst, and attendance when sick; and include him in the good wishes of benevolence: but, while he shows this mercy to the ma n, let him show no tenderness to vi c e i t s e l f : let him call it by the hard name it deserves, without seeking a moment for a softer word: let him “hate it with perfect hatred, let him count it his enemy.”

Permit me to add, that besides mitigating the moral detestation of it which is entertained by a moral and intellectual nature, there are | yet other ways in which the social principle operates to promote the interests of vice. It acts as an auxiliary to temptation: it assists insensibility to the infamy, and insensibility to the punishment, of vice. The social object of moral contempt, the social victim of moral justice, is soothed by the idea of having society in disgrace, and society in destruction. Thus the social passion, when not cultivated into social virtue, degenerates into an ungenerous love of man; into a selfishly social feeling, which, extending to pleasure in the presence, but not to zeal for the happiness, of its object, derives a gloomy consolation from the idea of having associates in shame, and companions in perdition!

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wenn er ihm auf dem Gebiet seines moralischen Nachdenkens begegnet. Die Strenge des Richters wird gemildert durch die Partheilichkeit und Zärtlichkeit des Verwandten, und der Zorn der Vernunft gegen das Laster wird besänftigt durch die natürliche Zuneigung zu dem menschlichen Geschöpf. Wer also wünscht die Eindrücke, welche Rechtschaffenheit und sittliche Verirrungen in diesem Augenblick auf sein Gemüth machen, in ungeschwächter Lebhaftigkeit zu erhalten, muß auch gegen diese Quelle einer schädlichen Milderung des sittlichen Urtheils auf seiner Hut seyn. Er erlaube sich immerhin die Person des Sünders zu lieben; aber er gestatte dieser Liebe nicht seinen Haß gegen die Sünde zu verringern. Er bemühe sich immer die Schuld des Sünders, so weit er kann, herabzusetzen, indem er freundschaftlich jeden Umstand hervorzieht, der ihm zu Statten kommen kann; nur hüte er sich die Sündlichkeit der Sünde selbst geringer darzustellen. Er beweise, wenn er will, dem Unglücklichen, den die Thorheit angesteckt hat, so viel Barmherzigkeit als er kann; er bemitleide, wenn es ihm so gefällt, das Elend, welches sie über ihn gebracht hat; er mildere dieses Elend, wenn sein Mitleid ihn dazu antreibt; er reiche ihm menschenfreundlich und hülfreich die Hand; er speise ihn wenn er hungert, tränke ihn wenn er durstet, und pflege ihn wenn er krank ist, und er schließe ihn mit ein in die guten Wün|sche des Wohlwollens; aber indem er dem Menschen diese Barmherzigkeit beweiset, zeige er keine Zärtlichkeit gegen das Laster selbst; er nenne es bey dem harten Namen, den es verdient ohne nur einen Augenblick nach einem sanfteren Wort zu suchen, er haße es mit rechtem Ernst1 und halte es für seinen Feind. Erlaubt mir hinzuzufügen, daß der gesellige Trieb, außerdem daß er den Abscheu, den jedes moralische und vernünftige Wesen gegen das Laster haben sollte, vermindert, das Interesse desselben auch noch auf eine andere Weise befördert. Er ist ein treuer Bundesgenosse der Versuchung, er vermehrt die Unempfindlichkeit gegen die Schande und die Unempfindlichkeit gegen die Strafe des Lasters. Mancher der ein Gegenstand der moralischen Verachtung, mancher der ein Opfer der moralischen Gerechtigkeit ist, beruhigt sich in seiner geselligen Gemüthsstimmung mit dem Gedanken, daß er noch Gesellschaft in seinem Unglück, noch Gesellschaft in seinem Verderben hat. So arten 1

Ps. 139, 22.

19 ihn dazu] ihm dazu 26 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert, wobei das Zitat auch noch den Halbsatz hinter der Nachweisposition umfasst.

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It is scarcely necessary to say, how much the social instinct opens the human heart to the admission of vice, at that door at which it is beset, when it is addressed by the solicitations of sinners to accompany them in their irregular courses. It is but too well known, how often these invitations have drawn from complaisance a compliance, which, perhaps, sensual appetite, unsupported by social passion, would have refused. Melancholy is the number, may no young man, who hears me to | night, be added to it, of them, who have thus suffered that beautiful flame of social love, which Nature lighted in the breast of man, to burn with a warmth benignant to others and to himself, to become a consuming fire!

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Such then, are the sources of moral danger, against which it is the wisdom of him, who, at present, is innocent and upright, but who has not attained to virtuous security and settlement to be upon his guard.

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To sum up the advice I have given him, in one emphatical word, let him stand at as remote a distance as possible from that evil company, into which innocence has been frequently so fatally attracted, by the elegant manners and brilliant conversation, by which it is often embellished, without any intention to contract the licentious spirit, with which it is infected; for that contains within it, in an eminent degree, all the sources of moral danger, which I have set before him this evening. Within that circle, his irregular desires are peculiarly exposed to the danger of inflammation, from the sprightly descriptions, he will be likely to hear, of pleasures, to his participation of which his conscience will not consent. And there, his clear discernment, and | just detestation, of moral error, are laid peculiarly open to the danger of diminution, from all the causes I have recounted; from familiarity with the folly and vice, which will express themselves in words, in the moment of inaction, and, by frequently offending, gradually grow less and less offensive to his ear, until, at length, the flush of resentment excited by them will bid farewel for ever to his face; from the association of beautiful endowments with moral blemishes, many of which, in such circles, he will probably find; from that affection for the person of the sinner, which intercourse with him

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die geselligen Neigungen, wenn sie nicht unter der Herrschaft der Tugend stehn, in eine unedle Menschenliebe, in ein selbstsüchtiges Geselligkeitsgefühl aus, welches, da es nur in der Gegenwart Anderer Vergnügen findet, aber mit keinem Eifer für ihre Glückseligkeit verbunden ist, einen traurigen Trost in dem Gedanken finden kann, Gefährten in der Schande und Gesellschafter im Verderben zu haben.| Es ist kaum nöthig zu sagen, wie sehr der gesellige Trieb dem Laster auch dann den Eingang in das menschliche Herz öffnet, wenn die Sünder jemanden belästigen mit ihren ungestümen Bitten sie in ihrem unordentlichen Lebenswandel zu begleiten. Es ist nur zu wohl bekannt, wie oft aus Gefälligkeit diese Einladungen angenommen werden, die vielleicht die sinnliche Begierde allein, wenn ihr nicht gesellige Neigung zu Hülfe gekommen wäre, ausgeschlagen haben würde. Es ist ein schwermuthsvoller Gedanke, wie groß die Anzahl derer ist – möge kein junger Mann, der mich heute hört, sie vermehren – für welche auf diese Art die schöne Flamme der Geselligkeit, welche die Natur in der Brust des Menschen anzündet, um mit einer ihm und andern wohlthätigen Wärme zu brennen, zu einem verzehrenden Feuer geworden ist. Dies sind also die Quellen der sittlichen Gefahr, gegen welche Jeder, der für jetzt noch unschuldig ist und steht, aber dessen Tugend noch nicht sicher und festgegründet ist, wenn er weise seyn will, auf seiner Hut seyn muß. Um den guten Rath, den ich diesen Personen gegeben habe in ein nachdrückliches Wort zusammen zu fassen, bitte ich sie, sich so weit es ihnen nur möglich ist, von den schlechten Gesellschaften entfernt zu halten, welche vermittelst feiner Sitten und eines glänzenden Tons einen gewissen Reiz bekommen, und dadurch die Unschuld oft zu ihrem Verderben an sich gezogen haben, ohne daß sie im gering|sten die Absicht gehabt hätten, den zügellosen Geist anzunehmen der darin herrschend war: denn in solchen Gesellschaften vereinigen sich in einem hohen Grade alle die Quellen der moralischen Gefahr, auf welche ich heute Abend aufmerksam gemacht habe. In einem solchen Zirkel werden ihre Begierden ganz vorzüglich der Gefahr ausgesetzt seyn erhitzt zu werden durch die glänzenden Beschreibungen, welche dort von Freuden gemacht werden, an denen ihr Gewissen sie nicht will theilnehmen lassen. Hier werden sich alle die Ursachen, die ich angeführt habe, vereinigen, um ihr richtiges Urtheil über moralische Verirrungen zu verfälschen und ihren gerechten Abscheu gegen dieselben zu verringern: erst jene nähere Bekanntschaft mit der Thorheit und 2 stehn,] stehn 38 habe,] habe

26 den schlechten] denen schlechten

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must of necessity increase, by which the detestation of his practices is diminished; and from those solicitations to do wrong, which a social being finds it so difficult a thing to withstand.

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Let him cultivate, on the contrary, as much as possible, intimate connection with virtuous characters. By this means, he will, in the most effectual manner, counteract all the causes which operate to draw human creatures to immoral conduct. Within that hallowed circle, his virtuous inclinations will be animated and confirmed by virtuous converse, and combat his contrary propensities | with a continually increasing force: there, the perpetual presence and amiable expressions of virtue will keep up, by the power of contrast, that detestation of vice, which the continual recurrence of it in the conduct of surrounding society causes to become fainter and fainter: there, the frequent associations, he will see, of shining abilities with solid worth, will oppose themselves to the seductive and imposing operation upon his understanding, of ornamented vice: there, partiality to the virtuous person will endear the virtuous character: and there, society in virtue and in honour will spur a social nature to continue virtuous and honourable.

Let him, then, that is solicitous to preserve his virtue, put it under the protection of Virtuous Friendship. That is the guardian angel of the human character! that is the high fortress of the innocence, that is anxious to secure itself from the assaults of temptation! Is he desirous to make a hedge about his heart? would he erect a fence around it, capable of keeping out the vice that seeks to invade it? let me persuade him to surround it with the sheltering circle of virtuous connections.| And may Almighty God crown with his blessing, all the endeavours he may exert, to pass unpolluted through the world: and, when his last hour shall arrive, that hour, when vice, whatever successful disguises it may have assumed, in the midst of life, and in the glow of health, is stripped of those disguises; when the deluded understanding

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dem Laster, welches sich in den Augenblicken, wo es nicht thätig seyn kann, in Worten äußert, und indem es ihr Ohr oft beleidigt, es jedesmal weniger und weniger empfindlich kränkt, bis am Ende die Röthe des Unwillens die dadurch hervorgebracht wurde, auf immer von ihrem Angesicht flieht; dann jene Verbindung schöner Naturgaben mit moralischen Flecken die gewiß da auf mehr als eine Art angetroffen wird; dann jene Zuneigung gegen die Person des Sünders, die der Umgang mit ihm nothwendig erhöhen muß, und die den Abscheu gegen sein Betragen vermindert; endlich jene nöthigenden Ueberredungen zum Unrechtthun, denen zu widerstehen einem geselligen Wesen so schwer wird.| Dagegen knüpfet, soviel es euch möglich ist, vertraute Verbindungen mit tugendhaften Personen an. Dadurch werdet ihr am wirksamsten allen den Reizen entgegenarbeiten, welche den Menschen zu einem unsittlichen Betragen hinzuziehn pflegen. In diesem heiligen Kreise werden durch einen tugendhaften Umgang eure tugendhaften Neigungen belebt und befestiget werden, und mit immer wachsender Kraft den entgegengesetzten Hang bestreiten. Hier wird die beständige Gegenwart und die liebenswürdige Aeußerung der Tugend durch die Macht des Kontrastes den Abscheu gegen das Laster, den die öftere Wahrnehmung desselben in dem Betragen der Menschen so leicht schwächt, in seiner vollen Stärke erhalten; hier wird die glückliche Verbindung glänzender Geschicklichkeiten mit wahrem innerm Werth, die ihr gewiß oft antreffen werdet, sich den verführerischen und überwältigenden Einwirkungen des ausgeschmückten Lasters auf euren Verstand entgegensetzen; hier wird Partheilichkeit für die Person des Tugendhaften euch den tugendhaften Charakter noch lieber machen, und hier wird die Gesellschaft, mit der ihr zu Tugend und Ehre verbunden seyd, jede gesellige Natur unter euch anspornen tugendhaft und achtungswerth zu bleiben. Wer also besorgt ist, wie er seine Tugend erhalten soll, der stelle sie unter den Schutz einer tugendhaften Freundschaft. Sie ist der Schutzengel des menschlichen Gemüths! sie ist die Bergfestung der Unschuld, die ängstlich ist sich gegen die Stürme der | Versuchung zu sichern. Wollt ihr ein Verhau um euer Herz anlegen? wollt ihr eine Schanze rund herum aufwerfen, um das Laster welches euch zu überrumpeln sucht abzuhalten? Laß euch überreden es mit einem schützenden Kreise tugendhafter Verbindungen zu umgeben. Und der allmächtige Gott kröne mit seinem Segen alle Bemühungen, welche ihr so anwendet um unbefleckt durch die Welt zu kommen; und wenn eure letzte Stunde kommt, die Stunde wo das Laster, 2 kann,] kann

9 vermindert;] vermindert,

9 nöthigenden] nöthigende

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Serm. 22: The causes ... the caution ... recommended

recovers from its delusion, and beholds virtue and vice in their true colours; may that hour, which is an honest hour to all, be to him, a tranquil, and triumphant one! Amen.

Pred. 22: Die Ursachen ... die Vorsicht ... empfohlen

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wie glücklich es sich auch in der Mitte des Lebens und in der Blüthe der Gesundheit verkleidet haben mag, alle seine Masken ablegen muß, wo der betrogene Verstand sich von seiner Täuschung erholt, und Tugend und Laster in ihren wahren Farben sieht: so möge diese Stunde welche aufrichtig mit allen umgeht, für euch eine ruhige und siegreiche Stunde seyn. Amen.

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The prolific Nature of Vice.

SERMON

XXIII.

E n t e r n o t i n t o t h e p at h o f t h e wicked, a nd g o not in the w a y o f e vi l m e n . Avo i d i t , p a ss not by it , turn from it, a n d p a s s aw ay. Prov. iv. 14, 15. It seems, at first sight, surprizing, that so large a proportion of mankind, beings capable of discerning between right and wrong, and aware that for the one they will be richly rewarded, and for the other severely punished, in a future state, should yet, in all ages, have chosen ruin rather than welfare, and preferred disgrace to promotion in the immortal kingdom of God. It appears peculiarly amazing, that this choice should continue to be so common as it is, under a dispensation of religion, in which Almighty God himself protests, that “he has appointed a day, in the which he will judge the world in righteousness.”| 314

True, in the present state at least, sin has its pleasures; and to the eye of Inexperience it appears to have more than it has. It wears, no doubt, a smiling face, it makes, no doubt, inviting promises, to young Imagination upon entering the world. But is the triumph of the wicked, in whatever sphere of exultation and transport, for more than a moment? Is not the prospect which Religion spreads before her virtuous professor “vast and unbounded,” as well as dazzlingly splendid? How comes it then to pass, that a rational elector should make so strange a mistake in his choice, as to prefer the inferior and fugitive objects of human life, to the infinitely sublime, and the for ever standing joys, which heaven has in store for the honest and good?

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Die fruchtbare Natur des Lasters. Spr. Sal. 4, 14. 15. 5

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K o m m n i c h t au f d e r G o t t l o s e n P f ad , und tritt nicht a uf d e n We g d e r B ö s e n . L aß i h n f ahren und g ehe nicht d a r i n , w ei c h e vo n i h m u n d ge h e v orüber. Es scheint auf den ersten Anblick wunderbar, daß ein so ansehnlicher Theil des Menschengeschlechts, daß so viele Wesen, welche fähig sind Recht und Unrecht zu unterscheiden, und welche es im voraus wissen, daß sie in einem künftigen Zustand für jenes reichlich belohnt, für dieses strenge bestraft werden sollen, dennoch zu allen Zeiten lieber das Verderben als das Glück wählen, und die göttliche Ungnade jeder höheren Beförderung in dem ewigen Reich Gottes vorziehen konnten. Es scheint ganz besonders unbegreiflich, daß diese Wahl auch da noch so gemein seyn kann, wo eine Religion angenommen ist, in welcher der Allmächtige Gott selbst bezeugt, daß er „einen Tag gesetzt hat, auf welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit.“1| Gewiß, die Sünde hat, in dem gegenwärtigen Zustande wenigstens, ihre Vergnügungen, und dem Auge des Unerfahrenen scheint sie deren noch mehr zu haben als sie hat. Sie zeigt, man kann nicht daran zweifeln, eine lächelnde Mine, und macht der jugendlichen Einbildungskraft, welche eben in die Welt tritt, einladende Versprechungen. Aber dauert der Triumph der Gottlosen, wie sehr sie auch frohlocken und entzückt seyn mögen, wohl länger als einen Augenblick? Und ist nicht die Aussicht, welche die Religion ihrem tugendhaften Bekenner eröffnet, eben so groß und unbeschränkt, als sie glänzend 1

Ap. Gesch. 17, 31.

17 Gerechtigkeit.“] Gerechtigkeit“ 26 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. John Milton: Paradise lost, Buch 10, Zeile 471

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Serm. 23: The prolific nature of vice

Of the account that is given of the cause of conduct so irrational, in rational creatures, as self-exclusion from the city of God and selfprecipitation into the pit of perdition, “the deceitfulness of sin,” against which St. Paul exhorts the Hebrews to be upon their guard, constitutes a considerable branch. Temptation does not covenant with man, in this plain, open, honest language: “I will give you these pleasures, I will give you these | profits, I will give you these honours, if you, on your part, will give me your soul, your “everlasting salvation,” your “unfading crown,” and “undefiled inheritance.”” Thus called upon to choose between life and death, a blessing and a curse; before he fixed a choice so final, before he put his hand upon a lot to be thus for ever held, the trembling arbitrator of his own destiny, however allured by illicit objects of pursuit, would, probably, make a solemn pause, and seriously ponder the subject. Before he came to a determination so awfully ultimate, and tremendously conclusive, before he suffered the decree of fate to go from him, the inquirer after happiness, however charmed with the lying shadows of it that have deceived so many eyes, would stand still; and fix that stedfast look upon the “everlasting destruction” that is coupled with them, and enter into that close comparison of immortal with momentary enjoyment, which would prove sufficient to counteract the imposing operation upon his mind, of the present pleasures of sin, or pains of virtue; and shew him the objects beyond the grave in that true shape, and magnitude, for want of appearing in which, they present themselves, without | producing their proper impression, to so many professors of religion.

Thus set upon a serious examination of his true interest, the friend to himself would probably prove a wise one; and the judge between his good and evil genius decide the cause in favour of the first. But he is prevented from giving this close, and intense attention to the objects that contest the right to reign over him, by the fond 9 inheritance.””] inheritance.”

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und herrlich ist? Wie kann es also zugehn, daß ein vernünftiges Wesen bey seiner Wahl einen so argen Mißgriff begeht, und die niedrigen vergänglichen Gegenstände des menschlichen Lebens den unendlich erhabenen und unvergänglichen Freuden vorzieht, welche der Himmel für die Tugendhaften und Guten aufbewahrt? Wollen wir uns von den Ursachen eines so unvernünftigen Betragens vernünftiger Geschöpfe einige Rechenschaft geben, so müssen wir vorzüglich auf das betrügerische Wesen der Sünde Rücksicht nehmen, vor welchem Paulus die Hebräer so ernstlich warnt. Die Versuchung handelt mit dem Menschen nicht in der offnen unverfänglichen Sprache, daß sie ihm sagte: ich will dir diese Vergnügungen geben, diese Vortheile verschaffen, diesen Ruhm zusichern, wenn du mir von deiner Seite deine Seele, | dein ewiges Heil, deine unverwelkliche Krone, dein unbeflecktes Erbe geben willst. Wenn der Mensch so aufgefordert würde zwischen Tod und Leben, zwischen Segen und Fluch zu wählen, so würde er gewiß, ehe er sich zu einer so entscheidenden Wahl bestimmte, ehe er seine Hand nach einem Loose ausstreckte, welches so auf ewig das seinige bleibt, sein Schicksal zitternd bedenken, und so sehr auch die verbotenen Gegenstände seiner Begierde ihn locken möchten, eine feyerliche Pause machen und die Sache ernstlich erwägen. Er, der nach Glückseligkeit sucht, würde gewiß ehe er so feyerlich ein für allemal seinen letzten – o! er muß schaudern bey dem Gedanken – seinen ewiggeltenden Schluß faßt und die Entscheidung von sich giebt, die sein Schicksal unwiderruflich bestimmt, er würde gewiß still stehen, der Freund der Glückseligkeit, so mächtig er auch von den trügerischen Schatten derselben, die schon so viele Augen täuschten, bezaubert wäre; er würde seine Blicke fest auf das ewige Verderben heften, welches damit verbunden ist, er würde eine genauere Vergleichung anstellen zwischen dem immerwährenden und dem augenblicklichen Genuße, und diese würde hinreichen um den verderblichen Einfluß der gegenwärtigen Freuden der Sünde, der gegenwärtigen Leiden der Tugend in seinem Gemüth das Gegengewicht zu halten, und ihm die Gegenstände jenseit des Grabes, die nur deswegen auf so viele Bekenner der Religion nicht den gehörigen Eindruck machen, weil sie nicht so wahrgenommen werden, in | ihrer eigenthümlichen Gestalt und ihrer wahren Größe zu zeigen. Würde jeder zu einer so ernsten Beherzigung seines wahren Wohlergehns genöthigt, so würde die Liebe eines jeden zu sich selbst eine 8 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Hebr 3,13. 11–13 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv. 13–14 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Jes 45,17. 13–14 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Petr 5,4 14 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. 1Petr 1,4 27– 28 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus 2Thess 1,9.

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imagination, that, in taking the pleasures of sin, he chooses the happiness of earth, without rejecting the joys of Heaven. He is not addressed by Temptation with a perplexing offer that summons his mind to the balance; calls him to weigh the conditions; to determine, of two evils, which is the heaviest, and to put good in the scale against good. He is presented with a proposition which requires no consideration from him; which holds out to him nothing but good; and which, without containing any staggering stipulations, and puzzling proposals, invites his ready acceptance of only delight. He is accosted with fair speech, and flattering lips, that utter none but enticing words. There is no mention made, in the song of the Siren, of such an exchange, | as that of his eternal treasure for the objects it intreats him to take. Every word is calculated to charm his attention, and to require a chain to hold the hearer back from compliance with the tuneful call. It is all pure invitation; it is all soft seduction. It is not, “Whether will you dwell yonder, where angels dwell, and where there are pleasures for evermore; or here, where short-lived pleasures reign?” all he hears is, “Hither, hither come; take these blissful shores in your way to those of immortality.”

It is thus that Temptation talks with man. The sin, that subdues him, first deceives him. In consenting to it, he does not consent to sacrifice eternity to an instant, or pay, for aught that earth can offer him, so high a price as heaven.

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Were the artificer, when consulted concerning the expence with which the execution of a plan in which he is to be employed will be attended, to lay before the person who sends for him a fair, and faithful statement of it, the projector would, in many cases, relinquish his design. But he is made to believe that it may be accomplished, without putting him to any high, and formidable charges.| He begins to build without knowing the cost, and finds himself involved in unexpected ruin. The destruction of the candidate for eternity is brought about in the same manner. Were he to be previously persuaded, at the mo-

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weise Liebe seyn, und jeder würde, wenn er zwischen seinem guten und bösen Genius zu richten hat, die Sache zu Gunsten des erstern entscheiden. Aber der Mensch bringt es nicht bis zu dieser genauen und angestrengten Aufmerksamkeit auf die Gegenstände, welche sich die Herrschaft über ihn streitig machen; die liebliche Einbildung, daß er, indem er den Vergnügungen der Sünde nachgeht, die Glückseligkeit der Erde wähle ohne den Freuden des Himmels zu entsagen, läßt ihn so weit nicht kommen. Die Versuchung wendet sich nicht mit einem bedenklichen Anerbieten an ihn, wobey sein Verstand ihn erinnerte, erst an die Wage zu treten, die Bedingungen abzuwägen, das Gewicht zweyer Uebel zu vergleichen, und ein Gut gegen das andere auf die Schale zu legen. Sie thut ihm vielmehr einen Vorschlag, der gar keine Ueberlegung zu fodern scheint, wobey ihm nichts als Gutes angeboten, und er ohne verfängliche Gegenversprechungen, ohne verwickelte Klauseln nur eingeladen wird, das reine Vergnügen baar einzustreichen. Sie tritt mit süßen Reden zu ihm, und von ihren schmeichelnden Lippen fließen nur lockende Worte. Die Sirene erwähnt in ihrem Gesange nichts von einem Tausch, wobey er für die Dinge die sie ihm anpreist seinen ewigen Schatz hingeben soll. Jedes | Wort ist darauf berechnet, die Aufmerksamkeit des Hörers so zu fesseln, daß nur Ketten und Bande ihn zurückhalten könnten, ihrem melodischen Ruf zu folgen. Da ist alles freundliche Einladung, alles süße Verführung. Es heißt nicht: „willst du dort wohnen, wo Engel wohnen und wo es ewige Freuden giebt, oder hier wo ein vergängliches Vergnügen herrscht?“ Alles was er hört ist: „hieher, hieher komm! lande an dieser seligen Küste auf deinem Wege zum Lande der Unsterblichkeit!“ So redet die Versuchung mit dem Menschen. Die Sünde, die ihn unterjocht, betrügt ihn zuvor. Wenn er ihr seine Einwilligung giebt, williget er nicht ein die Ewigkeit einem Augenblick aufzuopfern, und für irgend etwas, was die Erde ihm anbieten kann, einen so hohen Preis zu bezahlen, als sein Himmel ist. Wenn der Künstler von den Kosten, welche die Ausführung eines Entwurfs, die ihm übertragen werden soll, erfodert, immer einen offnen und zuverläßigen Anschlag machte, so würde mancher Plan ver15 Klauseln] Klausuln 23–25 Ps 16,11 (nach der englischen Textfassung) 25 Fawcetts wortgetreues Zitat stammt aus dem Refrain des Liedes „Hither, Mary, hither come“, erstmals abgedruckt in: The songs, duets, choruses, &c. &c. now singing at Vauxhall. Published by authority, and under the direction of Mr. Hooke, London 1793, Seite 13. 25–26 Fawcetts wortgetreues Zitat „blissful shores“ stammt aus Thomas Lisles Gedicht „The history of Porsenna, King of Russia in two books“, Zeile 443, erstmals veröffentlicht in: A collection of poems in six volumes, by several hands, London 1758, Bd. 6, Seite 207.

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ment they propose themselves to his pursuit, that criminal pleasures are, in the end, to cost him the “incorruptible inheritance” to which he is born, he, probably, would not consent to take them upon such terms; he would say “they are too highly rated; I cannot afford to part with so much to obtain them; I should be a madman to impoverish myself for ever, for the pleasure of a moment.”

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We are deceived, in this transaction, with ourselves, by our own treacherous imagination; an imagination, untrue to its master, that betrays his interests, and allures him with lying words to his ruin. No man, in yielding to temptation, assents to his own certain destruction. Perdition is scarcely farther from the saint’s, than it is from the sinner’s prospect, in the o u t s e t of his error from rectitude. Various are the screens, which the mind of man contrives, and most ingeniously are they constructed, to conceal from itself this frightful consequence of criminal courses. | The fertile Fancy has a large assortment of fair and flowery tufts, to form a false ground with to cover over the mouth of the pit of perdition, and tempt the foot of Folly to trust herself upon it. Imagination finds little difficulty in prevailing upon him, who hearkens to his passions, either to deny the existence of a life to come, or, allowing its reality, to infer the final impunity of vice from the infirmity of nature; from the example of the majority, and the goodness of God.

But the most frequent cover which the mind employs, to hide from its eye the terrible figure of final ruin, at the end of the path that leadeth to it, and it is one that has been but too commonly successful in shutting it out of the sight even of those, to whom the finger of their fathers had pointed it out, with oft repeated warnings not to walk that way, is that secret intention, which, every one who is tempted to tread it, forms, to stop short of the dreadful image by which it is terminated. The period of intended return to duty is, sometimes, fixed at a shorter, and, sometimes, at a longer distance, according to

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worfen werden. Aber er redet dem Unternehmer ein seine Idee könne ausgeführt werden, ohne ihn in einen beträchtlichen abschreckenden Aufwand zu verwickeln. Er fängt also an zu bauen ohne zu wissen was es kosten wird, und befindet sich hernach unvermuthet in der äußersten Verwirrung. Auf eben die Art wird der Kandidat der Ewigkeit ins Unglück gestürzt. Wäre er in dem Augenblick, da sich die strafbaren Vergnügungen als ein Gegenstand seines | Bestrebens darstellen, im voraus überzeugt, daß sie ihm am Ende das „unverwelkliche Erbe“ kosten werden, zu welchem er geboren ist – er würde sie unter diesen Bedingungen nicht annehmen wollen; er würden sagen: sie sind zu hoch im Preise, ich kann mich nicht entschließen so viel aufzuopfern um sie zu erlangen; ich wäre ein Wahnsinniger, wenn ich mich auf ewig arm machen wollte für das Vergnügen eines Augenblicks. In dieser Verhandlung mit uns selbst werden wir durch unsere eigene verrätherische Einbildungskraft hintergangen, die ihrem Herrn untreu ist, sein Interesse verkauft und ihn mit lügenhaften Worten zu seinem Verderben hinlockt. Niemand willigt wissentlich in seinen eignen unfehlbaren Untergang indem er der Versuchung nachgiebt. Von dem Heiligen liegt das Verderben kaum entfernter, als es von den Blikken des Sünders liegt, wenn er seine abweichende Bahn betritt. Wie viel Vorhänge webt nicht das menschliche Gemüth, und wie künstlich stellt es sie nicht gegen einander, um dieses schreckliche Ende eines sündlichen Wandels vor sich selbst zu verbergen. Die fruchtbare Phantasie hat einen reichen Vorrath von schönen blühenden Zweigen, aus denen sie einen falschen Boden zusammensetzt um die Oeffnung von dem Abgrund des Verderbens damit zu bedecken, und den Fuß des Thoren in Versuchung zu führen, daß er sich darauf wage. Die Einbildungskraft findet wenig Schwierigkeit den der auf seine Leidenschaften horcht dahin zu bringen, daß | er entweder die Wirklichkeit eines künftigen Lebens läugne, oder, wenn er sie auch zugiebt, doch aus der Schwachheit unserer Natur, aus dem Beyspiel des größeren Haufens und aus der Güte Gottes den Schluß ziehe: das Laster werde am Ende ungestraft davonkommen. Die Decke aber, deren sich das Gemüth am häufigsten bedient, um die schreckliche Gestalt des Verderbens, das am Ende des Weges steht, dem Auge zu verhüllen, die Decke, der es nur zu oft gelungen ist diese Gestalt selbst den Blicken derjenigen zu entziehen, denen ihre Väter sie schon, mit wiederholten Warnungen diesen Weg nicht zu wandeln, gewiesen hatten, das ist der geheime Vorsatz, den jeder welcher in Versuchung ist diese Straße zu betreten, bey sich selbst faßt: 8–9 Vgl. 1Petr 1,4

11–14 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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the idea, which each individual entertains, of the sum of sinful pleasure that will satisfy him, and of | the space of time that is requisite for the worst of reformation. Some find a resolution to come back, in the evening of their days, sufficient to remove the reluctance of their reason, to leave the path that “leadeth unto life.” Others appoint an earlier period for their proposed recovery of the way, which they are resolved, for the present, to forsake; before the coldness of the passions shall have taken away a l l the merit of sobriety; before the infirmities of nature shall have dissolved all the energy of the mind; when time enough remains, upon the supposition of their counting “threescore years and ten,” for overcoming bad habits, and contracting good ones. There are others, who make yet fairer promises; promises, of which the performance is yet more probable, because yet more practicable; and whose contract with Conscience must be confessed to be peculiarly plausible. They will, in one instance only, deviate from the path of duty. A single step aside, they think, will satisfy them. It, however, s h al l satisfy them. They then will err no more.— This language is very specious. In serious truth, it is but too specious.

To those who are upon the point of yield|ing to temptation, seduced by this fair, and flattering idea, the words of my text are addressed. They are the words of one, who was well acquainted with the human heart, and who had closely studied the histories of men. “Enter not into the path of the wicked, and go not in the way of evil men. Avoid it, pass not by it, turn from it, and pass away.” This advice is grounded in a thorough knowledge of our nature. The truth, on which the wisdom of it turns, is the close, the intimate, and almost indissoluble, connection, which there is between one act of folly and another. Full well that sagacious observer of nature knew, that when one foot is set in forbidden paths, the other almost necessarily follows; that to one step another mechanically succeeds; and that thus the whole career of vice is traversed by him, who only intended to have touched it with his tread. A single erroneous action without a successor, a lonely unconnected crime, is, at least, a very rare thing. Can he, who overturns a vessel of water, undertake to say, how many drops shall be spilt upon the ground, before it be caught up again? Can | he, with any confidence, venture to assert, that any

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daß er nemlich weit eher umkehren wolle, als er bey dem schrecklichen Bilde dort am Ende angekommen ist. Der Zeitpunkt dieser beschlossenen Rückkehr zur Pflicht wird bald länger bald kürzer angesetzt, je nachdem ein jeder glaubt, daß eine größere oder geringere Summe sündlicher Freuden ihm genüge, und daß mehr oder weniger Zeit zu dem Werk der Besserung erfodert werde. Bey einigen ist der Entschluß am Abend ihrer Tage zurückzukehren schon hinreichend den Widerstand der Vernunft, die den Weg „der zum Leben führt“ nicht verlassen will, zu überwinden. Andre bestimmen für die vorgesetzte Rückkunft auf den Weg, den sie vor der Hand zu verlassen gesonnen sind, einen früheren Zeitpunkt ehe noch die Abkühlung aller | Leidenschaften der Mäßigung alles Verdienst benimmt, ehe noch die Schwachheiten des Körpers alle Kräfte des Gemüths aufgelöst haben, und wenn – unter der Voraussetzung nemlich, daß „ihr Leben siebzig bis achtzig Jahre währt“ – noch Zeit genug übrig ist böse Gewohnheiten zu besiegen und bessere dafür anzunehmen. Andre machen noch schönere Versprechungen, Versprechungen deren Erfüllung noch wahrscheinlicher ist weil sie eher ausgeführt werden können, und ihr Vertrag mit dem Gewissen ist, man muß es gestehen, vorzüglich annehmlich. Sie wollen nur in einem Falle von dem Wege der Pflicht abweichen. Ein einziger Schritt seitwärts, meynen sie, werde ihnen genügen. Er soll ihnen wenigstens genügen. Sie werden hernach nicht mehr irren. – Das sind schöne Worte. In der That es sind nur zu sehr schöne Worte. An diejenigen, welche durch diesen schönen schmeichelnden Gedanken verführt im Begriff sind der Versuchung zu unterliegen, sind die Worte unsres Textes gerichtet. Es sind Worte eines Mannes der mit dem menschlichen Herzen genau bekannt war und die Geschichte desselben gründlich studirt hatte. „Komm nicht auf der Gottlosen Pfad und tritt nicht auf den Weg der Bösen. Laß ihn fahren und gehe nicht darin; weiche von ihm und gehe vorüber.“ Dieser Rath gründet sich auf eine vollständige Kenntniß unserer Natur. Er ist deswegen so weise, weil er sich auf die genaue, innige und völlig unauflösliche Verbindung bezieht, welche zwischen jeder | einzelnen thörichten Handlung und irgend einer andern stattfindet. Sehr wohl wußte der scharfsichtige Beobachter der Natur, daß wenn erst ein Fuß auf verbotene Wege gesetzt ist, der andere nothwendig nachfolgt, daß ein Schritt mechanisch den andern nach sich zieht, und daß auf diese Art derjenige, der die Bahn des Lasters nur berühren wollte, sie ganz und gar durchlaufen muß. Wenigstens ist eine einzelne 8 Mt 7,14 (nach der englischen Textfassung) schen Textfassung)

14–15 Vgl. Ps 90,10 (nach der engli-

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of it shall be left behind? No more foundation has he, who suffers his passions to take their course, in but, as he supposes, a single instance, for ascertaining where they shall stop, or whether they shall ever stop at all. Folly, when once suffered to find a vent, when it is once poured forth, is no slow, thick, sluggish, stream; that drips from its source with the tardiness of filtered effusion; in which drop distils after drop with difficulty, and long time hangs, as reluctant to leave its urn: it is quite a fluent thing, in which the particles follow one another freely, and form a sprightly flow; and which, when once let out, is, with difficulty, stopped, if stopped at all.

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The connection, which there is between one criminal action and another, may be placed in three points of view.

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First, one ill action leads on to another, by strengthening the desire it has gratified, and by weakening the conscience it has overcome. Desire is increased by indulgence. Mental indulgence inflames it; actual indulgence inflames it still more. No idea was ever more wild, and fanciful, than that a | single compliance with an irregular inclination will content it. Say, that the lion, who “suffers hunger,” will retire from his but tasted prey; and find the rage of appetite appeased, by one morsel of the animal he has taken, by one drop of the blood he has drawn. Say, that the traveller, parched with thirst, and panting for water in a burning land, will be content to touch with his lip the first brook that he finds in his way. Say, that the playful animal, let loose from long, and close confinement, will satisfy its sportive propensity with a single gambol; will exhaust the ecstasy of liberty in a single leap.—Say any thing, as soon as say, that he, who indulges himself with a taste of the unlawful pleasures, whatever they be, for which his passions burn, will burn for no more. His experience, will add to his appetite, of them. Nature c an be contented without any intemperance; but cannot be contented with a little.

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fehlerhafte Handlung ohne Nachkommenschaft, ein einsames Verbrechen ohne Anhang etwas sehr seltenes. Kann der, welcher ein Gefäß mit Wasser umwirft, sich unterfangen zu bestimmen wieviel Tropfen auf den Boden werden vergossen werden, ehe er es wieder aufnehmen kann? Kann er auch nur mit einiger Zuversicht behaupten, daß überall noch etwas darin bleiben wird? Eben so wenig hat der, welcher seinen Leidenschaften, wenn es auch nur, wie er meynt, in einem einzelnen Fall geschieht, freyen Lauf läßt, den geringsten Grund zu behaupten, wo sie stillstehen, oder daß sie überhaupt stillstehen werden. Wenn man der Thorheit einmal eine Schleuse öffnet, wenn man sie einmal losläßt, so ist sie nicht etwa ein langsamer, dicker, träger Fluß, dessen Wasser an seiner Quelle nur tropfenweise und mit Mühe aus dem Erdreich hervordringt, und noch lange hängen bleibt, als ob es ihm leid thäte sein Behältniß zu verlassen; sondern sie ist ein gar flüßiges Wesen, dessen Theilchen eines dem andern mit großer Leichtigkeit folgen und einen raschen Strom bilden, den man, wenn er ein|mal losgelassen worden, nur mit Mühe dämmen kann, wenn es ja noch möglich ist. Die Verbindung, welche zwischen einer strafbaren Handlung und der andern stattfindet, kann man aus drey Gesichtspunkten betrachten. E r s t l i c h . Eine böse Handlung führt zu einer andern, weil sie die Begierde verstärkt, welche sie befriedigt hat, und das Gewissen schwächt, über welches sie den Sieg davon trug. Jede Begierde wächst, wenn man ihr nachhängt. Ihr innerlich nachhängen entflammt sie schon; es aber äußerlich durch Handlungen thun, entflammt sie noch mehr. Es giebt keine so übel zusammenhängende und fantastische Idee, als die, daß eine einzelne Gefälligkeit gegen eine unregelmäßige Neigung sie zufriedenstellen kann. Glaubt lieber, daß der hungrige Löwe von dem Raube ablassen wird, den er nur eben gekostet hat, daß die Wuth seiner Begierde durch einen Bissen von dem Thier das er gefangen hat, durch einen Tropfen seines Blutes gestillt werden könne; glaubt, daß der Wanderer der vom Durst verzehrt ist und nach Wasser schmachtet, in einem heissen Lande sich begnügen werde nur mit seinen Lippen den ersten Bach zu berühren, den er auf seinem Wege antrift; – glaubt eher alles, als daß der, welcher sich nur einmal erlaubt die gesetzwidrigen Vergnügungen zu kosten für die eine Leidenschaft in ihm brennt, nun nicht mehr brennen werde. Seine Erfahrung wird seine Begierde danach nur vermehren. Man kann zufrieden seyn 4 den Boden] dem Boden 29 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 34,10

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The inordinate passion, then, whatever it be, by one indulgence of it, is become more powerful than it was. On the other hand, to counterbalance this accession of power to passion, the understanding perhaps has deriv|ed no additional conviction of the folly, or of the guilt, of compliance with its impulse. The intrinsic rectitude of duty is not more clearly perceived, than it was, before the breach of it. Faith in judgment to come has acquired no increase of stedfastness, since the commission of what was inconsistent with it. The goodness of God, in the works of nature, or in the redemption of the world, is not rendered more visible to reason, or more inviting to gratitude, than it was, prior to the act of disobedience and ingratitude. On the contrary, the original reluctance to do wrong, arising from the impression of these truths, is diminished, in consequence of having been subdued. The fall of virtue has enfeebled it. What, then, is there, let me ask you, to prevent your being conquered again, by an enemy, who is now stronger than he was when he triumphed over you before, while you yourself are become weaker than you were then? From such a situation a second defeat necessarily follows. If no new circumstance take place, if no incident occur, benignant to the character, inimical to its victorious enemy, a repetition of the victory over it may with certainty be predicted. It | may be demonstrated, that he, who enters into the path of the wicked, will “proceed from evil to evil,” till he has gone too far to recede, unless some event of an extraordinary, and peculiarly impressive nature, interpose, in aid of vanquished conscience, to rouze the virtuous resolution, and arrest the moral error, of the mind. Let him, who can depend upon the arrival of such a circumstance to him, suffer himself to “go into the way of evil men.” Let him that cannot, (and who is there that can?) “remove his foot from evil.”

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o h n e a l l e Unmäßig|keit, aber man kann sich nicht begnügen bey ei n w e n i g Unmäßigkeit. Die unordentliche Leidenschaft, es sey welche Ihr wollt, ist also dadurch, daß man ihr einmal nachgegeben hat, mächtiger geworden als sie war. Auf der andern Seite ist aber wohl schwerlich etwas geschehen, um diesem Zuwachs an Macht das Gleichgewicht zu halten. Der Verstand hat keine stärkere Ueberzeugung davon erlangt, wie thöricht und wie strafbar es sey dem Antrieb der Leidenschaft zu folgen. Die innere Nothwendigkeit der Pflicht wird nun, da man sie übertreten hat, nicht deutlicher eingesehen als zuvor. Der Glaube an das künftige Gericht hat keine neue Festigkeit gewonnen, seitdem man etwas begangen hat, was mit demselben nicht bestehen kann. Die Güte Gottes, die sich in den Werken der Schöpfung und in der Erlösung der Welt zeigt, ist jetzt der Vernunft nicht sichtbarer, ladet jetzt nicht mehr zur Dankbarkeit ein, als damals, da man noch nicht ungehorsam, noch nicht undankbar war. Im Gegentheil, der natürliche Widerwille gegen das Bösesthun, der aus dem Eindruck von diesen Wahrheiten entsteht, ist verringert, weil er überwunden worden ist. Der Unfall, der die sittliche Kraft betroffen hat, hat sie geschwächt. Laßt mich also fragen: was ist denn vorhanden um zu verhindern, daß Ihr nicht aufs neue von einem Feinde besiegt werdet, der jetzt stärker ist, als er bey seinem ersten Triumph über Euch war, indem Ihr selbst zugleich schwächer geworden seyd, als Ihr da|mals waret? Aus einem solchen Zustande erfolgt natürlich eine zweyte Niederlage. Wenn nicht neue Umstände eintreten, wenn nicht ein besonderes Ereigniß vorfällt, welches dem Gemüth günstig und dem siegreichen Feinde nachtheilig ist, so kann eine Wiederholung seines Sieges über jenes mit Zuversicht vorhergesagt werden. Man kann es beweisen, daß der, welcher einmal auf den Pfad der Gottlosen gekommen ist, von einem Uebel zum andern so lange fortschreiten wird, bis er zu weit gegangen ist um wieder zurückzukehren – es müßte dann eine außerordentliche und ganz besonders eindrückliche Begebenheit dem besiegten Gewissen zu Hülfe kommen, um den Entschluß zur Tugend zu wecken, und den sittlichen Verirrungen des Gemüthes Einhalt zu thun. Wer sich darauf verlassen kann, daß ein solcher Umstand zu seinem Besten eintreten werde, der „trete auf den Weg der Bösen.“ Wer das aber nicht kann – und wie sollte es Jemand können? – der „wende seinen Fuß vom Bösen.“2 2

Spr. Sal. 4, 27.

29–30 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Jer 9,3.

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Secondly, It often happens, that the commission of one crime makes another necessary, in order to supply the deficiency of the first, in the attainment of its end. One bad action is found, of itself, to be incomplete. It requires either a repetition of the same, or the commission of another, to accomplish the point at which it aims. Its incompetence, perhaps, to the production of the effect for which it was committed, was not foreseen: and thus the criminal finds himself drawn, by one deviation from duty, into more than he intended. By this means, a single step in the path of error is stretched to an ample stride; | and the mind is, in a manner, habituated to wickedness, even in the beginning of it. It becomes as it were depraved, even by a single stroke. In this case, the probability of continuance in the path, that has been entered, must be considered as peculiarly increased. This is frequently the case. The vices hang together. They help one another. They cohere and cluster. Misfortunes, says the proverb, seldom come alone: it is much more seldom, that evil actions do. “Rare are solitary woes,” it is true; but much rarer are solitary sins. They, also, “love a train;” they also “tread each other’s heel.” He that seeks to separate one from the rest, to take one to him and keep off all the others; will find the meditated exclusion impracticable. Can he, who opens his door to a concourse of people without, pressing for admittance, be sure of admitting only one? He, that opens his heart to one bad action, will, in the same manner, find many enter along with it. His breast will become full of evil, when he intended only to have entertained a single sin.

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Most criminal acts, when they seek the alliance | alliance of no other, court the concurrence of Falshood. This is usually coupled with breaches of duty, that are most detached and insulated. “Come now therefore, and let us slay him,” said the sons of Jacob to one another, “and cast him into some pit, and we will say some evil beast hath devoured him.” When in the pursuit of any single point, by criminal means, there is no other succession of evil to evil, this short and simple procession commonly takes place.

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Zw e y t e n s . Es trift sich oft daß ein begangenes Verbrechen ein anderes nothwendig macht, welches dasjenige ergänzen muß, was jenem um seinen Endzweck zu erreichen noch fehlte. Eine niedrige Handlung für sich allein wird unzureichend befunden. Um den Punkt zu erreichen, auf den sie zielt, muß man sie selbst wiederholen oder eine andere begehen. Ihre Unzulänglichkeit, um das zu bewirken, um deswillen sie unternommen wurde, konnte vielleicht | nicht vorhergesehen werden, und so wird der Verbrecher durch eine Abweichung von der Pflicht weiter geführt, als er wollte. So wird ein kleiner Schritt auf dem Pfade des Irrthums zu einem weiten Sprung ausgedehnt, und das Gemüth ist auf gewisse Art schon an die Ruchlosigkeit gewöhnt, indem es eben erst anfängt sie auszuüben. In diesem Fall muß man die Wahrscheinlichkeit, daß es auf dem Wege, den es eingeschlagen hat, beharren werde, für ganz vorzüglich groß halten. Dies ist aber sehr oft der Fall. Die Laster hängen zusammen. Sie unterstützen einander gegenseitig. Sie sind mit einander verbunden und verwachsen. Ein Unglück, sagt das Sprüchwort, kommt selten allein, aber noch weit seltner eine böse Handlung. Auch sie sind gesellig, auch sie folgen einander auf dem Fuß. Wer da sucht eine von den übrigen zu trennen, eine für sich zu nehmen und alle die anderen von sich abzuhalten, der wird finden, daß er diese Absonderung nicht zu Stande bringen kann. Wer seine Thür einer Menge von Menschen öffnet, die sich alle drängen hineinzukommen, kann der gewiß seyn, daß er nur einen einlassen wird? Eben so wird der, welcher sein Herz nur für eine schlechte Handlung öffnen wollte, finden, daß manche andere zugleich hineinschleichen. Seine Brust wird des Bösen voll werden, wenn er die Absicht hatte nur eine einzelne Sünde darin aufzunehmen. Die meisten strafbaren Handlungen suchen, wenn sie sich auch mit keiner andern verbinden, we|nigstens den Beystand der Lügen. Diese findet man auch mit solchen Pflichtübertretungen vergesellschaftet, welche noch am meisten allein, und ohne weitere Begleitung sind. „So kommt nun, und laßt uns ihn erwürgen, sprachen die Söhne Jakobs untereinander, und in eine Grube werfen und sagen ein böses Thier habe ihn gefressen.“3 Wenn man nur etwas einzelnes durch 3

1 Mos. 37, 20.

18 Schleiermacher lässt hinter „Handlung.” ein Zitat und einen nachfolgenden Halbsatz Fawcetts aus. Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Edward Young: The complaint, or, Night-thoughts on life, death, and immortality. Night the third, London 1742, Zeile 63. 18–19 Die beiden benachbarten von Fawcett markierten wortgetreuen Zitate stammen aus Edward Young: The complaint, or, Nightthoughts on life, death, and immortality. Night the third, London 1742, Zeile 64.

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When the original crime is falshood, in order to answer some sinister purpose, it frequently happens, that one departure from truth is not sufficient to accomplish the point. Sometimes there is need of a frequent repetition of the s am e violation of veracity. Peter must t h r i c e deny, that he knew his master. This necessity often occurs to him, who stoops to say what is not true. He thought, perhaps, as Peter thought, that a single declaration would have done. He finds himself questioned by different persons; to different persons the lie must be told.—Sometimes recourse must be had to the fabrication of a n o t h e r, in order to support the first. And, thus, the unhappy wanderer from truth finds | it frequently necessary to put together a phalanx of falshood; to compose a complicated system of deceit, in order to defend and cover the original deceit from detection. In the same manner, it is often found, that one act of violence calls unexpectedly for another, in order to render it complete. Robbery, a first robbery, has sometimes terminated in murder, when nothing was farther from the original intent of the robber, than that frightful act: when, in the morning of the day on which he did it, the proposal of such an act would have made every hair of his head stand up, and driven every drop of blood from his cheek; when, even the moment before he did it, the idea of such a deed entered not into his heart. Pecuniary embarrassment prevails upon him to make an essay of force upon the traveller’s purse. He goes forth from the village where he dwells, intending only to extricate himself from his present difficulty, and then return to the hamlet, and lead an innocent and reputable life. Oh! for a warning voice, to tell him the horror that awaits him! to tell him, how much deeper than he dreams, he is going to plunge himself into guilt! Unexpected re|sistance from the passenger he selects to plunder exasperates his passions, and hurries his hand to a fatal violence; or a declaration, equally unlooked for, of a knowledge of his person, suddenly suggests to him the horrid idea of taking away the breath that may bear testimony against him. This is no uncommon case.

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strafbare Mittel erreichen will, wobey auch nicht eine Sünde der andern nachzieht, so bleibt doch dies kurze und einfache Gefolge gewöhnlich nicht aus. Ist Lüge das ursprüngliche Verbrechen, welches man sich aus irgend einer unrechten Absicht erlaubt, so trägt es sich häufig zu, daß eine Abweichung von der Wahrheit nicht genug ist, um zu dem Ziel zu gelangen. Man muß bisweilen der Wahrheit mehrmals dieselbe Gewalt anthun. Petrus mußte dreymal verläugnen, daß er seinen Herrn kenne. In dieser Nothwendigkeit befindet sich derjenige sehr oft, der sich soweit erniedrigt die Unwahrheit zu sagen. Er dachte vielleicht wie Petrus dachte, es würde mit einer Erklärung genug seyn; er wurde aber von mehreren Personen befragt, und mehreren mußte die Lüge erzählt werden. – Bisweilen muß man sich damit helfen, daß man eine andere schmiedet, um die erste zu unterstützen. So sieht sich der, der einmal von der Wahrheit abgewichen ist, oft genöthigt eine ganze Kette von Lügen an einander zu reihen und ein verwickeltes | System von Unwahrheiten zu ersinnen, um die erste Unwahrheit gegen die Entdeckung zu sichern. Eben so findet man oft, daß eine gewaltthätige Handlung unerwartet eine andere zu Hülfe rufen muß, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Eine Räuberey, ein erster Versuch in der Räuberey hat oft mit einem Morde geendet, da doch von der ursprünglichen Absicht des Thäters nichts so weit entfernt war als diese schreckliche Handlung: da der Vorschlag zu einer solchen That noch an dem Morgen da er sie ausübte jedes Haar auf seinem Haupt emporgehoben und jeden Tropfen Bluts aus seinen Wangen vertrieben hätte; da selbst einen Augenblick ehe er sie beging der Gedanke an diese That nicht in sein Herz gekommen war. Geldnoth trieb ihn an einen gewaltthätigen Versuch auf den Beutel des Reisenden zu wagen. Er geht aus dem Dorfe welches er bewohnt nur in der Absicht, sich aus seiner gegenwärtigen Verlegenheit herauszuwickeln, und dann in seine Hütte zurückzukehren und ein schuldloses ehrbares Leben zu führen. O daß doch eine warnende Stimme da wäre, um ihm zu sagen, was seiner grausendes erwartet, um ihm zu sagen, wie viel tiefer, als ihm träumt, er sich in das Verbrechen hineinstürzen werde. Unerwarteter Widerstand des Vorübergehenden, den er der Plünderung bestimmt hatte, erregt seine Leidenschaften, und führt ihm die Hand zu dem tödtlichen Streich; oder eine eben so unvermuthete Aeußerung, daß seine Person bekannt sey, flößt ihm plötzlich den schrecklichen Ge|danken ein, die Zunge verstum9 kenne] nicht kenne 8–9 Vgl. Mt 26,34.75

38 sey,] sey 11–13 Vgl. Mt 26,69–74

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One sanguinary act, in which more than one was concerned, is often followed by another, to prevent the discovery of the first. The first was all that was projected by either of the party. The second was a secondary suggestion. The accomplice may betray the secret, from imprudence; from remorse; from revenge; in the moment of mad resentment: the only means are employed to remove all possibility of such a communication.

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Innumerable are the ways, in which injury seeks the support of injury. When David had invaded Uriah’s bed, he must next invade his person. He must escape from the consequences of the first injustice, by the perpetration of the second. After having rendered the greatest of all wrongs, he must close the lip of complaint, by sealing it in | everlasting silence. He must put the hand of Death upon the mouth of Reproach; and throw the chain of Mortality upon the arm of brave Revenge. And this inhuman deed he must do, in order to secure himself, in the most base, and cowardly manner. The productive, and prolific nature of vice, in this respect, is strikingly, though terribly, illustrated, in the picture, which your great dramatist has drawn, of him, who, in violation of the laws of hospitality, consanguinity, gratitude, and loyalty, is represented, in the all-thrilling page of that great Lord of every bosom, as being instigated by ambition, to “hold the knife,” at dead of night, over his guest, his kinsman, his benefactor, and his prince. This act, though, in itself, an act of complicated guilt, is yet complicated with others of a similar nature, in order to complete the accomplishment of the purpose it was to answer. When he has perpetrated this deed, the only one that entered into his original intention, he finds, that, if he mean to attain his end, the work of death is but begun. In order to prevent a discovery of his guilt, and to secure the crown it has placed upon his brow, he perceives, that he | must pass through a tragical process, and wade through a sea of blood. The words which the author puts into his mouth, to express his resolution to persevere in the black business

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men zu machen die ein Zeugniß gegen ihn ablegen könnte. Dies ist kein ungewöhnlicher Fall. Auf eine blutige That, in die mehr als einer verwickelt war, folgt oft eine andere, um der Entdeckung der ersten zuvorzukommen. Die erste war alles was eigentlich beabsichtigt wurde. Zu der zweyten entstand der Gedanke erst aus jener. Der Mitschuldige könnte das Geheimniß verrathen aus Unklugheit, aus Gewissensbissen, aus Rache in einem Augenblick thörichter Empfindlichkeit; und so wird das einzige Mittel angewendet, welches jede Möglichkeit einer solchen Mittheilung aus dem Wege räumt. Unzählige Beweggründe giebt es, warum Eine Ungerechtigkeit immer bey einer neuen Hülfe suchen muß. Als David sich gegen Urias Bett vergangen hatte, mußte er sich hiernächst auch an seiner Person vergreifen. Er mußte den Folgen seines ersten Unrechts dadurch entgehen, daß er ein zweytes beging. Nachdem er ihm die größte aller Beleidigungen zugefügt hatte, mußte er die Lippen, die eine Klage hätten ausstoßen können, zu ewigem Stillschweigen versiegeln. Die Hand des Todes mußte den Vorwürfen den Mund stopfen, und seine Bande mußten den tapfern Arm, der Rache gesucht hatte, gefesselt halten. Und diese unmenschliche Handlung mußte er, um auch dabey sicher zu gehen, auf die niedrigste und feigherzigste Art ausführen.| Diese fruchtbare immer neues erzeugende Natur des Lasters ist in einem Gemälde unsres großen Tragikers sehr treffend, aber auch sehr schrecklich erläutert; in jener schauerlichen Stelle nemlich wo dieser jedes Herz beherrschende Dichter den Makbeth vorstellt, wie er allen Gesetzen der Gastfreyheit, der Blutsfreundschaft, der Dankbarkeit und der Vasallentreue zum Trotz vom Ehrgeiz angetrieben zum nächtlichen Morde das Messer über seinen Gast, seinen Verwandten, seinen Wohlthäter und seinen Fürsten erhebt. Obgleich diese That an sich selbst schon ein sehr zusammengesetztes Verbrechen war, so hefteten sich doch daran noch mehrere von ähnlicher Art, um den Endzweck zu dem sie hinführen sollte in seiner Vollkommenheit zu erreichen. Nachdem er diese That vollendet hat, die einzige auf die eigentlich sein Vorsatz gerichtet war, findet er, daß wenn er anders seine Absicht erreichen will, das Werk des Todes nur so eben erst begonnen sey. Er sieht, daß er um der Entdeckung seines Verbrechens zuvorzukommen, und die Krone zu sichern die er auf sein Haupt gesetzt hat, eine Reihe von Grausamkeiten begehen und Seen von Blut durchwaden muß. Die Worte, welche der Dichter ihm in den Mund legt um seinen Entschluß auszudrücken, daß er in dem schwarzen Geschäft welches er einmal 12–21 Vgl. 2Sam 11,2–17 Shakespeare: Macbeth I,7

28 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. William

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upon which he had entered, contain the sentiment I am attempting to illustrate: “Things bad begun make themselves strong by ill.” The same sort of link and alliance, which subsists between sing le a c t s of vice, subsists also between different courses of vicious conduct. The ruling passion, whatever it be, seeks the assistance of practices, which it does not itself directly prompt. One evil ha bit calls, after a time, for the concurrence, and co-operation of another evil habit, in order to attain its end. A t r a in of one kind of criminal actions requires the ministration of a train of another kind.

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He, who sets out in pursuit of pleasure, engages in the pursuit, under the idea of contracting only sensual guilt; which, he prevails upon himself to believe, is no guilt at all. He calls it folly; he calls it vivacity; he calls it spirit; or, whatever be its admitted impropriety, in the eye of stern, and strict Reason, he boasts of his socia l innocence; perhaps of his s o c i al merit. “In gratifying | my sensual appetites,” he says, “I injure nobody. I am no one’s enemy. Heaven forbid, I should act, in any case, inconsistently with the strictest principles of integrity; with the nicest rules of honour. Justice I revere; Generosity I adore; my donative is ever at the service of Necessity; no friend, that comes to my door, in the day of his distress, shall ever find any coolness in my look; I am ready to divide my last crumb with a companion in penury and wretchedness: where is the harm; who is hurt; if I strew my short passage to the grave with as many flowers as I am able to scatter along it?—If, by my excesses, my health is impaired, who, but m y s e l f , is injured? Who e l s e has any reason to complain? I bring no infirmities upon yo u : they are not y our spirits I exhaust: it is not y o u r life that I shorten.”

This is a specious, it is a sparkling, style. It has dazzled many a juvenile understanding. But attend a little. Await the sequel of the social s e n s u al i s t ; of the benevolent v oluptua ry, the just, the generous, the honourable l o ve r o f plea sure. He that loveth it too well, and too long, becomes a poor man. Profusion reduces his store, so as to | call for an immediate retrenchment of his expences.

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angefangen hat beharren will, enthalten eben die Gesinnung, die ich jetzt zu erläutern suche: „Was mit Lastern anfing, kann auch nur durch Laster befestigt werden.“| Dieselbe Art von Befreundung und Verkettung, die zwischen einzelnen lasterhaften Handlungen stattfindet, besteht auch zwischen den verschiedenen Arten des lasterhaften Wandels überhaupt. Die herrschende Leidenschaft, welche es auch sey, bedarf des Beystandes anderer Handlungen, welche nicht gradezu aus ihr selbst hervorgehn. Eine üble Gewohnheit erfodert nach einiger Zeit die Unterstützung und Mitwirkung einer andern um ihren Zweck zu erreichen. Eine Reihe strafbarer Handlungen von einer Art braucht zu ihrem Dienst eine Reihe von andern. Der, welcher sich entschließt dem Vergnügen nachzugehen, faßt diesen Vorsatz in der Meinung daß er nur Verschuldungen der Sinnlichkeit auf sich laden will, welche, wie er sich glauben gemacht hat, überall keine Verschuldungen sind. Er nennt sie Lustigkeit, Lebhaftigkeit, Kraftgefühl, und wie groß auch in den Augen der ernsten strengen Vernunft seine Verirrungen seyn mögen, er rühmt sich doch, daß er gegen die Gesellschaft nichts verschulde, oder wohl gar daß er sich Verdienste um sie erwerbe. Indem ich meine sinnlichen Begierden befriedige, so sagt er, beleidige ich Niemanden. Ich bin Niemandes Feind. Der Himmel bewahre daß ich in irgend einem Fall gegen die strengsten Gesetze der Rechtschaffenheit, gegen die feinsten Regeln der Ehre handeln sollte. Ich verehre die Gerechtigkeit, ich bete die Großmuth an, meine Gabe ist immer bereit für den Dürftigen. Kein Freund der in den Tagen | des Unglücks meine Thüre sucht wird die geringste Kälte in meinen Minen wahrnehmen: ich bin bereit meinen letzten Bissen mit einem Genossen der Armuth und des Elendes zu theilen: was für ein Unrecht ist es denn, was für Schaden erwächst daraus, wenn ich meinen kurzen Weg zum Grabe mit so viel Blumen bestreue, als ich nur immer darüber hinwerfen kann? – Wenn durch meine Ausschweifungen meine Gesundheit geschwächt wird, wer leidet denn darunter als ich selbst? Wer sonst hat einige Ursach sich zu beklagen? Ich bringe keine Krankheit über Euch, es sind nicht Eure Lebensgeister die ich erschöpfe, es ist nicht euer Leben das ich verkürze. Dies ist eine scheinbare und schimmernde Vertheidigung. Sie hat manchen jugendlichen Verstand verblendet. Aber wartet nur ein wenig. Gebt acht wie es dem Schwelger, der der Gesellschaft so eifrig 3–4 Vgl. William Shakespeare: Macbeth III,2 Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

21–37 Das von Fawcett markierte

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His appetites, clamorous for their accustomed food, refuse to be pacified without it. They demand to be satisfied, with a voice, he wants the fortitude to oppose. He can now no longer satisfy them, without proceeding to a breach of the social duties; without keeping back what he owes to them who have supplied his luxurious accommodations; without applying to his own use what was trusted to his hand: without setting to sale, if he possess a seat, his suffrage, in the senate; without carrying that integrity, which “cannot be gotten for gold,” to the political market; without taking the bread of his family to the table of Fortune; without leaving it to the determination of a die, whether his posterity shall be beggars or not. In order to continue a sensualist, he must now become a robber, a traitor, a savage.

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The same alliance from collateral courses of evil conduct is required, when the desire of wealth, or of power, is the governing passion. When the intemperate pursuit of either of these is the original career of error, a career to be considered as comprising a course of criminal omissions, (for the excess | of self-love and private solicitude, must be accompanied with a proportionable deficiency, both of devotional, and benevolent ardour) it is not long before this series of social inattentions, the negative guilt of which, though little regarded, perhaps, by the careless examiner of his obligations, is sufficiently culpable in the eye of Reason, calls for a succession of positiv e offences against society, to run by its side, and assist its course.

Such, in this respect, is the encroaching, and insinuating nature of vice. He, who consents to the commission of a single act of it, which he imagines he may do, without contracting much guilt, or running much moral danger, finds himself, contrary to his intention, carried along to a stream of similar acts. And he who is persuaded by his desires to devote himself to voluptuousness, to avarice, or to ambition, in neither of which passions, in themselves considered, he thinks there is much evil, is pushed on to the perpetration of actions, in the service of these passions, which all his moral instincts, and native sentiments of right and wrong, lead him most to execrate; and which nothing but the most hardened depravity can hinder man from

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zugethan ist, wie es dem wohlthätigen Wollüstling, wie es dem gerechten, dem edelmüthigen, dem auf Ehre haltenden Jünger der Freude ergeht. Wer sie zu sehr und zu lange liebt wird ein armer Mann. Die Verschwendung verringert sein Vermögen, so daß eine unmittelbare Einschränkung seines Aufwandes nöthig wird. Seine Begierden schreien nach ihre gewohnten Nahrung, und wollen sich ohne diese nicht beruhigen lassen. Sie fordern ihre Befriedigung mit einer Stimme, welcher zu widerstehen er nicht Stärke genug hat. Jetzt kann er sie aber nicht mehr befriedigen ohne zu einer Uebertretung seiner geselligen Pflichten zu schreiten, ohne | zurückzuhalten was er denen schuldig ist, die ihm die Gegenstände seiner Schwelgerey herbeygeschaft haben, ohne zu seinem eignen Gebrauch zu verwenden, was ihm von fremder Hand anvertraut war, ohne seine Stimme im Volksrath, wenn er dort einen Platz hat, feilzubieten, ohne das Brodt seiner Familie am Glückstische zu wagen, ohne es auf die Entscheidung eines Würfels ankommen zu lassen, ob seine Nachkommen betteln sollen oder nicht. Um seiner Sinnlichkeit noch wie sonst fröhnen zu können muß er jetzt ein Räuber, ein Verräther, ein Barbar werden. Eben so müssen verwandte Zweige des Lasters zu Hülfe gerufen werden, wenn Begierde nach Reichthum oder nach Macht die herrschende Leidenschaft ist. Wenn unmäßiges Streben nach einem von diesen Gegenständen der Hauptfehler des Gemüths ist, so enthält ein solches Leben schon an sich selbst eine große Menge von Unterlassungssünden, denn eine so ausschweifende Liebe und Sorge um sich selbst muß es nothwendig in eben dem Maaß als sie zu groß ist an frommem und wohlwollendem Eifer fehlen lassen, und die Verschuldung welche hierin liegt ist in den Augen der Vernunft groß genug, wenn sie auch von dem, der seine Verpflichtungen nur obenhin prüft, wenig bemerkt wird. Aber nicht dies allein, sondern es wird nicht lange währen, so führen diese Vernachläßigungen der Gesellschaft eine eben so große Reihe wirklicher Beeinträchtigungen dersel|ben herbey, um sie zu begleiten, und ihnen in ihrem Fortgange beyzustehn. So greift in diesem Sinn das Laster um sich und schleicht sich immer mehr ein. Wer sich dazu versteht eine einzige lasterhafte Handlung zu begehen, von der er glaubt, er könne sie wohl ausüben ohne eine große Verschuldung auf sich zu laden, ohne mit seiner Sittlichkeit große Gefahr zu laufen, der findet sich ganz gegen seine Absicht in einen Strom ähnlicher Handlungen fortgerissen. Wer sich von seinen 38 einen] Kj einem 14 Schleiermacher lässt hinter „feilzubieten,” einen Nebensatz Fawcetts aus, der ein von Fawcett markiertes wortgetreues Zitat aus Hiob 28,15 enthält.

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re|garding with detestation. Such is the harmony and connection subsisting between one vice and another. Such is their tendency, however separated for a time, to come together, and meet, in full assembly, in the mind that admits one of them into it. The crimes are a needy and a numerous family: if you open your heart to one of them, they will gradually introduce one another, until all are taken in. He, that would not see them all collected within him, must exclude them every one: he must not permit a single member of so linked and so loving a fraternity, to knock with success at his breast. In attempting to attain the simplest point, by unjustifiable means, he will seldom find a single deviation from rectitude sufficient: there is usually occasion for a longer, or a shorter current of crimes, in order to accomplish one criminal purpose.

Thirdly, One wicked act is frequently the parent of another, by introducing nature into a new situation, by which the power of original temptation is reinforced, or temptation to other crimes created. 336

A virtuously educated, and virtuously connected youth, who is anxious to retain the | esteem of the respectable and sober circle, by which he is surrounded, is tempted to take one step aside from the path of Wisdom. His deviation sought concealment from his, and from Wisdom’s friends. Contrary to his expectation, it is discovered by them. He is ashamed, and mortified. A blot appears upon that reputation, which, till then, had been perfectly white. It hurts his eye. He has not that nice regard to his good name, that tender solicitude, and proud anxiety, to preserve his fame, now that it is spotted, which he felt, before it had received a stain. By this situation, his temptation to impropriety of conduct is considerably increased. His original restraint from what is wrong is greatly diminished. The first fine edge of the sense of shame is worn away; the feeling is become blunter than it was. The blush of ingenuous shame before the rebuke of venerable Purity, has lost that depth of scarlet, in which Nature dyed it; it

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Begierden überreden läßt, sich der Wollust, der Habsucht, dem Ehrgeiz zu ergeben, weil er glaubt, daß in keiner von diesen Leidenschaften an sich selbst sehr viel Böses liege, der wird im Dienst dieser Leidenschaften dahin gebracht Handlungen zu begehen, welche er nach seinem moralischen Gefühl, und seinen angebornen Empfindungen von Recht und Unrecht aufs entschiedenste verwerfen muß, und welche von der Art sind, daß ein Mensch nur durch die abgehärtetste Verdorbenheit dahin kommen kann sie ohne Abscheu zu betrachten. Eine solche Uebereinstimmung und Verbindung besteht zwischen einem Laster und dem andern. So sehr gehen sie darauf aus sich, wenn sie auch eine Zeitlang getrennt gewesen sind, zu vereinigen und in vollzähliger Versammlung in jedem Gemüth zusammenzutreffen, welches nur eines von ihnen eingelassen hat. Die Laster sind eine zahlreiche Schmarotzerfamilie: wenn Ihr Euer Herz einem Mitgliede derselben öffnet, so werden sie nach und nach eins das andere einführen | bis sie alle zusammen sind. Wer sie nicht alle bey sich sehen will muß kein einziges einlassen, kein einziges Mitglied einer so eng verketteten und unzertrennlichen Brüderschaft muß mit Erfolg an seine Brust anklopfen. Wer nur den einfachsten Wunsch durch Mittel erreichen will, die sich nicht rechtfertigen lassen, der wird selten finden, daß er mit einer einzelnen Abweichung von der Rechtschaffenheit ausreicht; gewöhnlich giebt das Verfolgen einer einzigen strafbaren Absicht Gelegenheit zu einer längeren oder kürzeren Kette von Verbrechen. D r i t t e n s . Eine schlechte Handlung erzeugt öfters dadurch eine andere, daß sie die Seele in einen neuen Zustand versetzt, wodurch entweder die Gewalt der ersten Versuchung verstärkt wird, oder eine Versuchung zu andern Verbrechen entsteht. Ein tugendhaft erzogener, und unter tugendhaften Menschen lebender Jüngling, der ängstlich besorgt ist sich die Achtung seiner verehrungswerthen und sittlich gebildeten Bekanntschaft zu erhalten, kommt in Versuchung einen Schritt seitwärts von dem Pfade der Weisheit zu thun. Seine Abweichung sucht sich zu verbergen vor seinen und der Weisheit Freunden. Ganz seiner Erwartung zuwider wird sie von ihnen entdeckt. Er ist beschämt und gekränkt. Sein Ruf, der bis dahin vollkommen rein war, hat nun einen Fleck. Dieser beleidigt sein Auge. Jetzt, da sein guter Name einmal befleckt ist, widmet er ihm nicht mehr die genaue Aufmerksamkeit, er beobachtet nicht mehr die zarte Sorg|falt, die spröde Aengstlichkeit seinen Ruf zu erhalten, die er beobachtete ehe noch ein Tadel daran war. In dieser Lage muß jede Versuchung zu einem unsittlichen Betragen weit stärker gefühlt werden. Was ihn ursprünglich vom Bösen zurückhielt, das ist nun gar sehr geschwächt. Die oberste feine Spitze seines Schaamgefühls ist abgebrochen, und dies Gefühl ist weit stumpfer, als es war. Die Röthe

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has faded to a fainter hue; and the heart has advanced a step nearer than it was to the shameless excesses of insensible folly.

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A man in business is tempted to the commission of an act, injurious to his credit in | trade. He is detected in it: it draws down odium upon his head. Perhaps it occasions a total discouragement, and desertion of him, in that line of occupation, upon which he depends for subsistence. By this consequence of his crime, he is more strongly tempted, than he was by the passion that first impelled him to the commission of it, to throw from him all principles of probity, and devote himself to lawless dishonesty. A young man, without, perhaps, being solicited, or very warmly pressed, by licentious society, feels a disposition to be of their party for once only. In checking his desire to enter into such an association, he has only to oppose his own appetites. But, when once entered into it, in checking his inclination to continue in such a partnership of pleasure, he has to encounter, not only the persuasions of his passions, but those also of his companions. His manners, perhaps, have rendered him an agreeable addition to their circle; they are loth to lose him; and, to retain him, they attempt to take hold, at once of his love of pleasure, and of his sense of shame. With little resolution he might have resisted their original, and comparatively faint, invitations | to join them; but, in quitting them, he will have to contend, at once with pressing importunity, and with pointed ridicule.

A person is induced to indulge himself in an act of revenge upon one who has strongly excited his resentment. He proposes not, however, to proceed to any violent lengths: he will content himself with a slight insult, or with a slender injury. Small, however, as it is, it provokes a return. The retaliation blows up the fire within him to a yet fiercer flame, till, at length, he finds himself drawn into an irritating series of reciprocal hostilities, which embroils, and embitters his whole life, and which, while it destroys his tranquillity, sours his temper, and ruins his virtue. Perhaps his passions are exasperated to some sudden violence of procedure, which leaves behind it every principle of equity, humanity, and decency; and plunges him into an abyss of guilt and misery, from which if his virtue, his peace, may never

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der edeln Schaam bey den Vorwürfen der reinen, ehrwürdigen Tugend hat von dem hohen Scharlach, womit die Natur sie gezeichnet hat, etwas verloren; sie ist ausgebleicht, und das Herz ist den schaamlosen Ausschweifungen der unverständigen Thorheit um einen großen Schritt näher, als vorher. Ein Mann der Geschäfte macht läßt sich zu einer That verleiten, die seinem Handelskredit nachtheilig ist. Er wird dabey entdeckt und sie zieht ihm Haß zu. Vielleicht verliert er nun ganz das Vertrauen, und ist verlassen in dem Gang seiner Unternehmungen von welchem sein Wohlstand abhängt. Durch diese Folge seiner Vergehung wird er nun weit stärker, als durch die Leidenschaft, die ihn zu derselben verführte, versucht, alle Grundsätze der Rechtschaffenheit von sich zu werfen, und sich der gesetzlosesten Unredlichkeit zu ergeben. Ein junger Mann fühlt, vielleicht ohne von einer ausgelassenen Gesellschaft sehr ernstlich gebeten und gedrängt zu werden, doch eine Lust ein einziges mal bey ihren Festen zu seyn. Um dem Verlangen sich in einen solchen Zirkel zu wagen Wider|stand zu leisten, darf er nur seine eigne Lust unterdrücken. Ist er aber einmal darin, und will über die Neigung, in einer solchen lustigen Bande zu bleiben, Herr werden, so hat er es nicht nur mit den Ueberredungen seiner Leidenschaft, sondern auch mit denen seiner Gesellschafter zu thun. Er ist ihnen vielleicht seiner Gemüthsart wegen ein angenehmer Zuwachs zu ihrem Kreise; sie möchten ihn ungern verlieren, und um ihn zurückzuhalten, legen sie es zugleich auf seine Liebe zum Vergnügen und auf sein Ehrgefühl an. Ihren anfänglichen, vergleichungsweise gar nicht ernstlichen Einladungen sich mit ihnen zu vereinigen, hätte er mit ein wenig Entschlossenheit leicht widerstehen können; will er sie aber jetzt verlassen, so muß er zugleich gegen die heftigste Zudringlichkeit und gegen den stachlichsten Spott kämpfen. Es läßt es Jemand so weit kommen sich eine Handlung der Rache gegen eine Person zu erlauben, die seine Empfindlichkeit gewaltig gereizt hatte. Sein Vorsatz ist es aber nicht sich in weitaussehende Thätlichkeiten einzulassen; er will sich mit einer leichten Kränkung, mit einer geringen Beleidigung begnügen. So gering sie aber auch ist, sie lockt doch eine Erwiederung hervor. Diese Wiedervergeltung facht das Feuer in ihm zu einer wilden Flamme an, bis er sich endlich in eine höchst unangenehme Reihe gegenseitiger Feindseligkeiten verwickelt sieht, welche sein ganzes Leben verwirren und verbittern, und indem sie seine gute Laune verderben, zugleich seine | Tugend stürzen. Vielleicht werden seine Leidenschaften zu einer solchen Heftigkeit hinaufgetrieben, daß er plötzlich in ein gewaltsames Verfahren ausbricht, 1 Tugend] Tugend,

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emerge. “The beginning of strife is as when one letteth out water; therefore leave off contention before it be meddled with.”

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He who indulges himself in the draught of intemperance, knows not to what moral evil | he may be going to open the door. He thinks only of forgetting his cares, of remembering his anxieties no more, of enjoying, what, to pacify his conscience, perhaps, he chooses to call, an hour of harmless hilarity. Alas, in that harmless hour, as he calls it, of absent reason, he knows not what secrets he may betray, which he is bound, by every principle of honour, to lock in the most sacred recesses of his soul; nor into what quarrels he may be hurried, that may terminate in tragical consequences, and convert him, in one moment, into a ruffian, and into a wretch for ever! “Who hath contentions? Who hath babblings? They that tarry long at the wine.” Thus, in various ways, the commission of one crime throws the mind into a situation, which increases the moral danger in which it originally stood. Such, then, is the close, and complicated, connection which there is between one ill action and another. They are so attached, and adhesive to each other, that it is scarcely possible to commit one, without a companion. They so closely cleave to one another’s side, that to sever one of them from the throng, so as to take it singly, and without any one | associate, into our practice, is to effect a detachment, of all others the most difficult. They are social things; they herd together; they are averse to solitude, and separation. A single act of deviation from duty scarcely ever found itself in the line of obliquity, quite alone, and without a single follower. Folly is the forerunner of folly; the errors course one another: and, when once they have commenced the melancholy chase, they but too commonly continue it, as long as the sand of life continues to run.

9 by every principle] so Errata-Verzeichnis; OD: in every principle ted,] complicate,

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wobey alle Gesetze der Billigkeit, der Menschenliebe und des Wohlstandes hintangesetzt werden, und wodurch er sich selbst in einen Abgrund von Verschuldungen und Elend stürzt, aus dem seine Tugend und seine Ruhe sich nie wieder herausarbeiten können. „Wer Hader ansähet ist gleich als der dem Wasser den Damm aufreißt: darum laß du vom Hader ehe du darein gemenget wirst.“4 Wer sich der Unmäßigkeit in vollen Zügen überläßt, weiß nicht was für sittlichen Uebeln er noch die Thür öffnen wird. Er denkt nur seiner Sorgen zu vergessen, sich seinen Kummer aus dem Sinn zu schlagen, und sich einen Genuß zu verschaffen, den er, um sein Gewissen zu beruhigen, vielleicht eine Stunde harmloser Fröhlichkeit nennt. Ach! kann er wissen, was er in dieser harmlosen Stunde, wie er es nennt, wo seine Vernunft abwesend ist, beginnen wird? was für Geheimnisse er vielleicht verräth, die er allen Grundsätzen der Ehre zu Folge in den heiligsten Tiefen seiner Seele zu verbergen verbunden ist? oder in was für Streitigkeiten er sich verwickelt, die sich mit den traurigsten Folgen endigen, und ihn in einem Augenblick zum Schläger, zum Mörder, und elend auf immer machen können? „Wo ist Leid, wo ist Zank, wo ist Klagen? Nemlich wo man beym Wein liegt.“5| So bringt auf verschiedene Weise ein begangenes Verbrechen das Gemüth in eine Lage, wodurch die Gefahr, in welcher die Sittlichkeit anfänglich schwebte, noch immer vergrößert wird. Dies ist also die genaue und vielfache Verbindung zwischen einer schlechten Handlung und einer andern. Sie sind einander so zugethan und so unentbehrlich, daß es kaum möglich ist eine zu begehen, die keinen Gefährten hätte. Sie hängen sich so dicht an einander, daß es bey weitem das schwierigste Absonderungsgeschäft ist, eine von ihnen aus dem Gedränge herauszuscheiden, und so einzeln zu fassen, daß wir sie ganz allein, ohne irgend eine Begleitung in unserm Betragen aufstellen können. Sie sind im höchsten Grade gesellig, sie rotten sich zusammen, und Einsamkeit und Trennung sind ihnen zuwider. Vielleicht fand sich kaum jemals eine einzelne von der Pflicht abweichende Handlung ganz allein jenseits der Linie, ohne daß ihr eine andere gefolgt wäre. Eine Thorheit ist immer die Vorläuferin der andern, ein Irrthum jagt den andern, und wenn sie einmal ihr klägliches Treiben angefangen haben, währt es gewöhnlich so lange, als der Sand des Lebens noch rinnt. 4 5

Spr. Sal. 17, 14. Spr. Sal. 23, 29. 30.

16–17 sich ... endigen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1665 23, 29.

39 23, 29. 30.]

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Serm. 23: The prolific nature of vice

Take, then, the advice of the wise man in the text. “Enter not into the path of the wicked.” And not only refuse to enter, but refuse to approach it. Avoid it, pass not by it. Suffer me to say to you, not only, do not set a single foot in forbidden paths; but, do not send a single look that way. As one step in those paths is followed by another, there is the same link and magnetism between the wishful contemplation of them, and actual treading in them. As foot follows foot, the feet follow the longing eye. Keep, then, at the remotest distance from what is wrong, ye that wish not to wander, in the end, to the remotest point of error. Touch it not; ap|proach it not; behold it not. Avert your step, and avert your view. Let your avoidance of it be complete; let your very sight shun it. Turn not towards it a single, though but a side glance. Fly from it; and forget it. And may Almighty God preserve you all virtuous, and happy for ever, for his infinite mercy’s sake! Amen.

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Nehmet also den Rath an, den uns der Weise in unserm Text giebt. „Kommt nicht auf den Pfad der Gottlosen.“ Weigert Euch nicht nur ihn zu betreten, sondern weigert Euch auch ihm nahe zu kommen. „Weichet von ihm, und gehet vorüber.“ Laßt es Euch gesagt seyn, daß Ihr nicht nur kei|nen Fuß auf den verbotenen Pfad setzen, sondern daß Ihr auch keinen einzigen Blick auf diesen Weg hinwerfen müßt. So wie auf einen Schritt in dieser Bahn immer ein anderer folgt, so findet auch zwischen dem sehnsuchtsvollen Betrachten und dem wirklichen Betreten desselben die nemliche Verkettung und magnetische Anziehung statt. So wie ein Fuß dem andern folgt, so folgen auch die Füße dem begehrenden Auge. Haltet Euch also in der weitesten Entfernung von allem Bösen, Ihr die Ihr nicht zuletzt auch in den fernsten Irrgängen desselben herumwandeln wollt. Berührt es gar nicht, nähert Euch ihm nicht, seht es gar nicht an. Wendet Eure Schritte ab, und wendet Eure Augen ab. Bleibt ganz und gar davon geschieden, laßt auch Euer Angesicht es meiden. Werfet auch nicht einen einzigen, auch nicht einen schielenden Seitenblick darauf. Fliehet davor und vergeßt es. Und der allmächtige Gott erhalte Euch Alle tugendhaft und glücklich bis in Ewigkeit um seiner unendlichen Liebe willen. Amen.

4 Die Zitatmarkierung findet sich nur in der Übersetzung.

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The Wisdom of devoting the whole of Life to Duty.

SERMON

XXIV.

J u s t p e r s o n s w h i c h n e e d n o r e p e n ta nce. Luke xv. 7.

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All the advice that is delivered from this place may be considered as pointed to these three objects; to recall him who is wandering in the ways of Folly; to fix the feet, and quicken the pace, of him who has entered upon the path of Wisdom; and to direct his choice who is hesitating which of the two he shall take. Of these offices, the last, perhaps, is that, which the Minister of Religion has the most reason to perform with pleasure; as in that, the peculiar importance of the attempt, concurs with the peculiar probability of success, to recommend the diligent discharge of it. He, who has already | begun to go in the path of virtue, is more likely, in the absence of exhortation, to proceed in it, than he, who has not, to enter into it: and to “save a soul from death,” is an endeavour, in which Humanity holds out a more eager hand, than to advance a virtuous mind a step farther in virtue. While, of those who are not now walking in the way of Rectitude with decided steps, they who have never decidedly strayed from it, or if they have, who can but have deviated a little way, are much more easily led into the right direction, than those who have travelled for some time in the wrong. Guilt is a great way from virtue; Innocence has but a few steps to take: and may, therefore, with less difficulty be persuaded to take them.

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Vier und zwanzigste Predigt.

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Wie weise es ist das ganze Leben der Tugend zu weihen. Luk. 15, 7.

G e r e c h t e , d i e d e r B u ß e n i c h t b e d ü r f e n.

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Alle guten Rathschläge, welche von dieser Stätte herab ertheilt werden, lassen sich als auf einen von den folgenden drey Gegenständen gerichtet ansehn: entweder diejenigen zurückzurufen, die auf den Wegen der Thorheit wandeln, oder die Schritte derer, die den Pfad der Weisheit schon betreten haben, zu sichern und ihren Gang zu beschleunigen, oder diejenigen, die noch zweifelhaft sind, welchen Weg sie einschlagen sollen, in ihrer Wahl zu bestimmen. Unter diesen Geschäften ist es vielleicht das letztere, welches der Diener der Religion mit der größten Freudigkeit zu verrichten Ursach hat, wie sich denn auch hier die besondere Wichtigkeit der Absicht mit der vorzüglichen Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolgs vereinigt, um ihm den größten Fleiß zu | empfehlen. Man kann eher vermuthen, daß der, welcher schon angefangen hat auf dem Pfade der Tugend zu wandeln, auch ohne weitere Ermahnung darauf fortgehn könne, als daß der, welcher ihn noch nicht gewandelt ist, ihn so von selbst betreten werde, und eine Seele vom Tode zu retten ist eine Bemühung, zu welcher die Menschenliebe ihre Hand eifriger ausstreckt, als um ein schon tugendhaftes Gemüth einen Schritt weiter in der Tugend zu bringen. Sieht man auch nur auf die welche jetzt nicht mit festen Tritten auf dem Wege der Rechtschaffenheit einhergehn, so ist doch gewiß, daß diejenigen unter ihnen, die nie völlig oder nur in einer geringen Entfernung davon abgewichen sind, weit leichter auf die rechte Straße zurückgeführt werden können, als die, welche schon eine Zeitlang im Bösen gewandelt sind. Vom Laster ist ein weiter Weg zur Tugend; die Unschuld hat nur einige Schritte bis zu ihr, und es kann 20 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Jak 5,20.

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Serm. 24: The wisdom of devoting the whole of life to duty

To take them, however, few as they are, calls for more fortitude than all are found to possess, whom virtuous Tuition introduces to the world. At the entrance into life, Pleasure presents a path, of which the flowers appear, but of which the thorns are concealed; and Christianity tells the human heart, but too well inclined to tread it, that deviation from rectitude, if followed by a timely return, shall escape destruction, that | he who regains the path of duty, infallibly recovers the favour of Heaven. These promises of pardon made by Religion, in addition to those of pleasure made by Temptation, create a very formidable opposition to those dictates of reason, which require the sacrifice of the whole of life to the service of God and society, and to those impressions of virtuous education that may incline the youthful mind to make it.

At this period of moral contest and uncertainty; at this critical season of amiable sensibility to the beauty of Virtue, and lively impression of the charms of her enemy; of alarming danger to the character, and of animating advantages for the cultivation of it; of powerful religious checks, and wildly wandering inclinations; of fond hopes, and chilling fears, in the bosom that wishes the doubtful elector well, where Suspence holds her breath in eager watchfulness of the event, and trembles as the big moment passes by;—at this period of human determination, upon the most important question that comes before man, the Pulpit has interposed, with a variety of friendly dissuasives from setting so much as a single foot upon forbidden paths. | Ever since I have had the honour of standing here, I have been peculiarly solicitous to say, and I have said, at different times, nearly all I am able to think of, to prevent that youth-alluring plan of its allotment, which, in the morning of life, passion so perpetually prompts, and to which the erring reason so frequently consents; that scheme of distribution of the days of our years, in evil hour concerted, and with each ill omen accompanied, which divides them between vice and virtue; which consecrates a part to inclination, and dedicates the remainder to duty.

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also weniger Schwierigkeit haben sie zu diesen wenigen Schritten zu bewegen. Dennoch auch diese wenigen Schritte zu thun, erfordert mehr Tapferkeit als man bey allen denen findet, welche ein tugendhafter Beschützer in die Welt einführt. Beym Eintritt in das Leben zeigt ihnen das Vergnügen einen Pfad, dessen Blumen sie sehen, dessen Dornen aber verborgen sind, und das Christenthum sagt dem Herzen, welches nur zu sehr geneigt ist diesen Pfad zu erwählen, daß man auch nach einer Abweichung vom rechten Wege, wenn man nur auf eine zeitige Rückkehr denkt, dem Ver|derben entgehen kann, und daß der, welcher den Pfad der Tugend wieder findet, auch unausbleiblich die Gunst des Himmels wieder gewinnt. Diese Aussichten auf Verzeihung, welche die Religion eröffnet, verbunden mit den Aussichten auf Vergnügen, welche die Versuchung zeigt, machen eine furchtbare Opposition gegen die Rathschläge der Vernunft, welche fordern, daß man das ganze Leben dem Dienst Gottes und der Gesellschaft widmen soll, und gegen alle Eindrücke einer tugendhaften Erziehung, welche ein jugendliches Gemüth geneigt machen könnten, diesen Forderungen Gehör zu geben. In dieser Periode der Zwietracht und Unentschiedenheit des Willens, in diesem kritischen Zeitpunkt, wo das Gemüth noch jede liebenswürdige Empfänglichkeit für die Schönheit der Tugend besitzt, und zugleich den lebhaftesten Eindrücken von den Reizen ihrer Gegnerin offen steht, wo die größten Gefahren dem Charakter drohen, und zugleich die günstigsten Augenblicke da sind, um ihn auszubilden, wo die Religion das Gemüth mächtig ergreift, und zugleich die Neigungen wild umherschweifen, wo zärtliche Besorgnisse in dem Busen desjenigen wechseln, der dem zweifelnden Zauderer wohl will, von dem er in begieriger Erwartung auf den Ausgang zitternd keinen Blick verwendet, indem der große Augenblick herannaht – in dieser Periode wo ein Entschluß gefaßt werden soll über die wichtigste Frage, die dem Menschen je vorgelegt wird, | verwendet sich der geistliche Redner durch eine Menge der freundlichsten Warnungen dafür, daß man doch ja auch nicht einen Fußtritt auf verbotene Wege setzen möge. Seitdem ich das Glück habe hier zu reden, hat mir dies immer am Herzen gelegen, und ich habe euch zu verschiedenen Malen fast alles gesagt was ich zu sagen wußte, um diesem für die Jugend so reizenden Plan, den die Leidenschaft am Morgen des Lebens unaufhörlich in Anregung bringt, und den die irrende Vernunft so oft genehmigt, der aber in einer bösen Stunde angenommen, und immer von üblen Vorbedeutungen begleitet wird, aus allen Kräften entgegen zu arbeiten, dem Entwurf nemlich über die Anwendung unserer Le-

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Serm. 24: The wisdom of devoting the whole of life to duty

I have upbraided the ingratitude of making any delay to keep his commandments, who makes none to promote our happiness.—I have endeavoured to describe the peculiar efficacy of early examples of goodness; the amiable charm, in the eye of the spectator, the all alluring ornament that is lent to Rectitude, when it appears in the person of Youth; the “invincible grace” that is added to Virtue’s “grave rebuke” of Vice, whether conveyed by tacit opposition of practice, or by sounds of indignation, when it is addressed, “severe in youthful beauty.”—I have asserted, that the region of sensual excess, all ely|sian as it looks to the eye of Inexperience, wears, only through a small part of it, that beautiful appearance, which entices the foot of man to traverse it. I have told the incredulous fancy of Youth, hard to be persuaded that the discouraging account is true, while captivated by the blooming aspect of that part of the enchanting ground which can be seen by an eye without it; while ravished by the odours that are wafted from it by every passing wind; and the gladsome sounds of the viol and the lute that issue from its shades; I have told the charmed spectator of the seducing spot, that it is only in prospect that the realm of Pleasure presents this inviting and pleasant face; that it is but the outside smile of a land which is full of frowns within; that it is only a little way that the road of him, who resolves to direct his journey over it, is found to lie through such a lovely scene as that on which he is looking; that the flowers and fragrance and luxuriant richness of situation, which so strongly attract his footsteps that way, are confined to the skirts of the country before him: I have told him, that he who penetrates into the heart of it, finds, for those bowers of delight that met him at his | entrance, the dreary caverns of Melancholy; that instead of the smooth and beautiful lawns, all verdure to his eye, and all velvet to his foot, that first received his steps, long tracts of desert, and tangled paths, and rough places, and thorns and briars succeed; and in the room of the songs of gaiety, that saluted his ear, and solicited his accompaniment, at his joyous outset, the only sounds he has to hear, or to join, are the sighs of depression, and the groans of sickness. Such, I have said, again and again, to the young admirer of the grounds of Pleasure, such are the gloomy forms, whatever be the florid face that may meet the prospective eye, with which the bosom of that deceitful land abounds.—I have attempted to terrify youthful folly from moral procrastination, by pointing to the formidable image of untimely mortality, which may for ever prevent, what is only delayed for a day. I have directed the eye of early Health, to the early dates of tomb-stones; to the funeral tears that so frequently fall

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benstage, der sie zwischen Tugend und Laster theilt, den Neigungen zuerst das ihrige giebt, und dann nur das übrige der Pflicht widmet. Ich habe vorgestellt, wie undankbar es ist, sich auch nur den geringsten Aufschub zu gestatten, ehe man die Befehle desjenigen befolgt, der keine ergehen läßt, als nur um unsre Glückseligkeit zu befördern. Ich habe mich bemüht zu zeigen, welche außerordentliche Wirkung jedes Beyspiel früher Vortreflichkeit thut, in welchem liebenswürdigen Reiz, in welchem alles hinreißenden Schmuck die Sittlichkeit vor den Augen des Zuschauers da steht, wenn sie in der Gestalt der Jugend erscheint; welche unwiderstehliche Anmuth es der Tugend giebt, wenn sie mit ihren ernsten Vorwürfen, sie mögen nun stillschweigend nur in einem entgegengesetzten Wandel, | oder in lauten Aeußerungen des Unwillens bestehn, in hoher jugendlicher Schönheit sich dem Laster entgegenstellt. – Ich habe behauptet, daß in dem Lande der ausschweifenden Sinnlichkeit so elysisch es auch dem unerfahrnen Auge erscheint, doch nur an der äußersten Grenze diese reizenden Landschaften anzutreffen seyen, welche den Fuß des Menschen verleiten es zu durchwandern. Ich habe der ungläubigen Phantasie der Jugend erzählt – ob es gleich schwer ist, sie von der Wahrheit dieser niederschlagenden Nachricht zu überzeugen, indem sie eben bey der blühenden Ansicht desjenigen Theils der bezauberten Gegend verweilt, den man von außen wahrnehmen kann; indem sie eben die Düfte einathmet die jeder Wind welcher von dieser Küste kommt herüberweht; indem sie eben die frohen Töne des Saitenspiels und des Gesanges, die aus jenen Schatten hervorgehn vernimmt – ich habe dennoch dem bezauberten Bewunderer dieser verführerischen Küste erzählt, daß das Reich des Vergnügens nur von fern so einladend und anmuthig aussieht, daß das nur die lächelnde Aussenseite eines im Innern öden und düstern Landes ist; daß die Straße dessen der es zu durchreisen beschließt, nur eine kleine Weile in so lieblichen Gegenden fortgeht, als er jetzt erblickt; daß nur die nächste Grenze des Landes jene Blüthen und Düfte hervorbringt, und jene reichen üppigen Landschaften enthält, die seinen Fuß auf diesen Weg locken. Ich habe ihm erzählt, daß wer tiefer in die Gegend eindringt, statt der Lauben des | Vergnügens, die ihn am Eingang empfingen, nur die fürchterlichen Hölen der Schwermuth antrift; daß auf die heitern lachenden Fluren, die er zuerst betrat, und die seinen Augen das wohlthätige Grün, seinen Füßen den weichsten Sammt darboten, lange 23–24 herüberweht;] herüberweht,

32 Düfte] Dünfte

36 Hölen] Kj Höhlen

10–14 Zu den drei benachbarten von Fawcett markierten Zitaten vgl. John Milton: Paradise lost, Buch 4, Zeile 844–846

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Serm. 24: The wisdom of devoting the whole of life to duty

from parental eyes. I have called upon the young, to recollect all the juvenile companions with whom they have sported, and gone to the house of feasting in company, | and asked them, if they are able to recall them all to their memory, without saying to themselves with a sigh, as the image of some of them returns, “where are they!”—I have laboured to raise yet other alarms. I have insisted upon the improbability there is, even upon the supposition of long life, of a return to duty, after departure from it, arising from the natural current of human feelings, and the usual courses of human life; from the imperceptible flight of time, and unnoticed approach of age; the daily decay of moral sensibility; the continually increasing dread of inspecting inward deformities, that are continually accumulating, and correcting evil habits, to whose obstinacy every day is adding; the growing necessity to Nature, of the vitious gratification, to which she has become accustomed; the perpetual accession of inducements, of various kinds, to continue in sin, some of a common, and some of a peculiar nature; and that multiplication, by most experienced, whose life is mercantile, as life advances, of the secular avocations, by which the moral reflections, that, in every educated mind, must sometimes collect, are more and more scattered, and prevented from | forming into virtuous fortitude, as the necessity for its exercise becomes more and more urgent: all cruelly co-operating, to fix in her service the servant of Sin, and to make escape from moral captivity a miracle.

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Wüsteneyen folgen, versteckte Pfade, rauhe Gegenden, Dornen und ödes Gesträuch; daß er statt der fröhlichen Gesänge, die bey dem lustigen Anfang des Weges sein Ohr begrüßten und ihn aufforderten mit einzustimmen, keine andern Töne hört und in keine einstimmen kann als die Seufzer des Unmuths und das Stöhnen des Siechthums. Dies, so habe ich oft und immer wieder zu den jungen Bewunderern des Landes der Freude gesagt, dies sind die traurigen Gestalten, von denen das Innere dieses betrügerischen Landes voll ist, was für ein blühendes Bild es auch dem Auge in der Ferne darstellt. – Ich habe versucht die thörichte Jugend von jedem Aufschub ihrer moralischen Angelegenheiten abzuschrecken, indem ich ihr das furchtbare Bild des frühen Todes zeigte, der auf immer verhindern kann, was nur auf einen Tag ausgesetzt wird. Ich habe die blühende Gesundheit darauf hingewiesen, wie viel Grabsteine die blühendsten Jahre als die letzten bezeichnen, und wie häufig die Thränen der Eltern das Kind zu seinem Grabe geleiten. Ich habe die Jünglinge aufgefordert sich aller Gespielen zu erinnern, mit denen sie gescherzt und ihre Freuden getheilt haben, und ich habe sie gefragt, ob sie alle ins Gedächtniß zurückrufen können ohne | daß sie bey dem Bilde so manches einzelnen mit einem Seufzer sagen müßten: wo ist er geblieben! – Ich habe darauf gearbeitet, noch Besorgnisse von anderer Art zu erregen. Ich habe behauptet, es sey höchst unwahrscheinlich, daß man, gesetzt auch man lebe sehr lange, zur Pflicht zurückkehren werde, wenn man einmal davon abgewichen ist; ich habe gezeigt, wie diese Unwahrscheinlichkeit sich gründe auf den natürlichen Gang der menschlichen Empfindungen, und den gewöhnlichen Lauf des menschlichen Lebens, auf die unmerkliche Flucht der Zeit, und die unbeachtete Annäherung des Alters, auf die tägliche Abnahme der moralischen Empfindsamkeit, auf die immer zunehmende Furcht innere Gebrechen ins Auge zu fassen, die immer größer werden, und üble Gewohnheiten abzulegen, deren Hartnäckigkeit sich mit jedem Tage vermehrt, auf die immer wachsende Härte, womit die Natur die lasterhaften Befriedigungen erzwingt, an die sie einmal gewöhnt ist, auf die vielen Lockungen bey der Sünde zu bleiben, deren sich immer neue, theils allgemeine, theils eigenthümliche von der verschiedensten Art hinzufinden, auf die allen denen, die ein geschäftiges Leben führen, wohlbekannte Vervielfältigung weltlicher Abhaltungen, wodurch die moralischen Ueberlegungen, die jedes gebildete Gemüth bisweilen sammeln muß, mehr und mehr zerstreut, und grade dann am meisten verhindert werden, eine 10 ihrer] ihreer

35 die allen] die, allen

20 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus Sach 1,5.

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Serm. 24: The wisdom of devoting the whole of life to duty

I can yet advance one step farther, in my argument for early virtue, and that step I advance to night. I will, then, for the moment, concede to him, for whose young affections I am now, in the name of Virtue, and of God, contending with the temptations of the world, that impossibility of his untimely mortality, a persuasion of which is cherished in the bosom of each individual, in the beginning of life, by the sanguine sensations of that ardent period. I will admit, with him, the veracity of those playful pulses within him, which promise him they will continue to play as long as the life of man was ever protracted. I will allow to him, that his dancing spirits tell him truly, when they tell him, that it is quite as likely the noonday sun should suddenly shoot to the west, should drop in a moment from the height of heaven below the horizon, and snatch the day from man, ere the work, to which he went forth, when it arose, is more than half | accomplished; as that his eyelids should close for ever upon the light, till the regular evening of life shall shed its gradual shadows upon them. I will smile with him at the absurdity of mentioning such a word as death in connection with youth; of joining together two so unsocial ideas, whose meeting in the mind forms an image so untrue to nature and to fact. Along with him, who feels a spring within him that lifts him above the clouds, and leads him to laugh at danger to a life that glows and bounds like his, along with him, I will look down upon danger to it, and treat with derision the idea, that aught but the burden of years can weigh him down to his grave. Be it so. His strength is the “strength of stones;” flesh is “of brass.” He contains within him none of the seeds of disease; and in the midst of accidents without him, that may prove fatal to others, he “bears a charmed life.”—Nay more; I will admit, that the moral promises of a deceitful heart, in order to obtain the consent of conscience to present deviation from duty, will, some time or other, be performed. I will suppose, in the midst of a thoughtless career, that thoughtfulness to be excited, which is necessary to | lead to reformation. That circumstance in life, whatever it be, which is sufficiently stimulating to awaken the sense of duty that has been cast into a deep sleep, and to spur an indolent and drowsy spirit to the labour of reformation, I will suppose to occur. I will imagine that fortitude to be roused, at some 27 “bears] “wears

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tugendhafte Tapferkeit hervorzubringen, wenn die Nothwendigkeit diese auszuüben am dringendsten wäre; | ich habe gezeigt wie sich dies alles vereinige, um den Sklaven der Sünde in ihrem Dienst festzuhalten und das Entkommen aus dieser moralischen Knechtschaft zu einem wahren Wunder zu machen. Ich kann in meiner Empfehlung einer frühzeitigen Tugend noch einen Schritt weiter gehn, und das will ich heute unternehmen. Ich will demjenigen, um dessen erste Jugendliebe ich im Namen Gottes und der Tugend kämpfe mit der Welt und ihren Versuchungen, ich will ihm auf einen Augenblick zugeben, es sey wirklich unmöglich daß er zeitig sterben könne, und diese Ueberredung, die das fröhliche Lebensgefühl der glühenden Jugendzeit in jeder Brust hervorbringt und unterhält, sey wirklich gegründet. Ich will mit ihm annehmen, der volle hüpfende Puls rede wahr, der ihm verspricht, so lange fortzuschlagen, als nur je ein menschliches Leben gewährt hat. Ich will zugeben seine tanzenden Lebensgeister hätten Recht, wenn sie ihm sagen, er könne eben so leicht glauben, daß die Mittagssonne plötzlich dem Abend zustürzen, daß sie in einem Augenblick von der Höhe des Himmels bis unter den Horizont hinabsinken und dem Menschen den Tag entreißen werde, ehe das Werk welches er bey ihrem Aufgange anfing, mehr als zur Hälfte vollendet ist – er könne dies eben so leicht glauben, als daß seine Augenlieder sich dem Licht auf immer verschließen würden ehe der natürliche Abend des Lebens nach und nach seine Schatten über sie ver|breitet habe. Ich will mit ihm lächeln über die Abgeschmacktheit das Wort Tod in Verbindung mit Jugend auszusprechen und zwey so unverträgliche Ideen zusammenzuknüpfen, als ob ihre Vereinigung im Gemüth ein unnatürliches und auch der Erfahrung zufolge ganz unwahres Bild erzeugte. Ich will mit ihm, der eine Schnellkraft in sich fühlt, die ihn über die Wolken erhebt, und ihn nur lachen läßt über die Gefahren, die einem Leben drohen sollen, welches wie das seinige schlägt und glüht, ich will mit ihm auf diese Gefahren verächtlich herabsehn, und den Gedanken nur spöttisch behandeln, als ob irgend etwas anderes als die Last der Jahre ihn zum Grabe herunterdrücken könnte. Es sey so: seine Stärke sey wie Stein und sein Fleisch wie Erz. Er trage keinen von den Samen der Krankheit in sich, und mitten unter äußern Zufällen die Andern verderblich sind, führe er ein zaubervolles Leben. – Ja noch mehr: ich will annehmen daß 22 Augenlieder] vgl. Adelung: Wörterbuch 1, Sp. 506

33 anderes] anders

34–35 Die beiden benachbarten von Fawcett markierten wortgetreuen Zitate stammen aus Hiob 6,12. 36–37 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. William Shakespeare: Macbeth V,8

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Serm. 24: The wisdom of devoting the whole of life to duty

period, by some event or other, which is able to stop short in the downhill path of depravity, and climb the ascent to Heaven, in a far steeper, and rougher part of the acclivity, than that by which they go up, who ascend from the situation in which nature placed them. All this I can grant to the young, and not leave myself without arguments for their immediate dedication of themselves to the duties of life.

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The great illusion, which principally operates to reconcile our nature to the sacrifice of a part of life to illicit enjoyment, and the offering of only a remnant to duty, is this idea,—That the moment our disobedience stops, an equality in point of welfare and happiness is obtained with them, who have never disobeyed the dictates of conscience. Those who are determined to indulge for a season the irregular inclinations of nature, do not | appear to perceive any difference between the condition of him who ceases to do evil, and of him who has always done well. They consider the former, even in the moment of his resolution to reform his conduct, as upon a level with the latter. They conceive he has nothing to do but to glide out of one course of conduct into another; to take an easy step from the wrong path to the right; to be transported with a wish from evil to good. With them, the passage from vice to virtue, from death to life, those two opposed and distant things, is but a smooth and pleasant slide over a polished path, or the easy way of a wing through the yielding air.

They do not think of the painful feelings of sorrow and shame, by which reformation is necessarily accompanied. They are not

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auch die moralischen Versprechungen die sein betrügerisches Herz von sich giebt, um ihm seine Einwilligung in die Abweichungen von der Pflicht abzulocken, zu einer oder der andern Zeit in Erfüllung gehen werden. Ich will annehmen, daß mitten in einem gedankenlosen Leben einmal das Nachdenken werde erweckt werden, welches nothwendig ist um zur Besserung zu leiten. Der Umstand im Leben der stark genug wirken kann um das Pflichtgefühl welches in einen tiefen Schlaf gewiegt ist, aufzuwecken, und ein träges träumerisches Gemüth zu dem großen Geschäft der | Besserung anzuspornen, dieser Umstand, wie er auch beschaffen seyn müsse, soll sich wirklich ereignen. Ich will mir einbilden, es könne zu irgend einer Zeit mit Hülfe irgend einer Begebenheit eine Tapferkeit in ihm erweckt werden, die ihn in Stand setzt, plötzlich still zu halten auf dem jäh herabstürzenden Pfade zum Verderben, und den steilen Weg zum Himmel von einer Seite des Abhanges her zu erklimmen, die weit steiler und rauher ist, als diejenige, welche die Andern zu ersteigen haben, die ihren Weg von dem Punkt aus antraten, auf welchen die Natur sie gestellt hat. Alles dies will ich dem Jüngling zugeben und doch noch Gründe genug haben, um ihn zu bewegen daß er sich jetzt unmittelbar allen Pflichten des Lebens widmen müsse. Die große Täuschung welche ganz vorzüglich dazu beyträgt, daß wir so leicht darein willigen, einen Theil unsers Lebens einem unerlaubten Genuß zu weihen und nur den Rest desselben unsern Pflichten zu heiligen, ist die Idee: daß wir von dem Augenblick, wo unser Ungehorsam aufhört, an, in Absicht unserer Wohlfahrt und unserer Glückseligkeit denen ganz gleich sind, die den Vorschriften ihres Gewissens nie ungehorsam waren. Diejenigen welche sich entschließen eine Zeitlang ihren unregelmäßigen natürlichen Neigungen freyen Lauf zu lassen, scheinen gar nicht zu bemerken, daß es einen Unterschied giebt zwischen dem Zustand dessen, der nur | eben aufhört Böses zu thun, und dessen, der immer Gutes gethan hat. Sie glauben der erstere stehe schon in dem Augenblick wo er den Entschluß faßt sein Betragen zu ändern auf Einer Linie mit dem letzteren. Sie glauben er habe nichts zu thun, als aus einer Lebensbahn in die andere hinüberzulenken, als durch eine leichte Bewegung von dem falschen Wege zum richtigen hinüberzuschreiten; nichts als sich vom Bösen zum Guten herüberzuwünschen. Ihrer Meinung nach ist der Uebergang vom Laster zur Tugend, vom Tode zum Leben, so entgegengesetzt und entfernt auch beyde von einander sind, nur ein bequemer und angenehmer Gang auf einer geebneten Bahn, oder der leichte Weg eines Fittigs durch die nachgiebige Luft. Sie denken nicht an die peinlichen Gefühle des Kummers und der Schaam, welche jede Besserung unvermeidlich begleiten. Sie bedenken

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aware, that penitence, though the path to peace, as blessed be God it is, is a path of pain: that, though repentance procures the pardon of guilt, it cannot save from the sigh, with which the spot upon innocence must be seen, by a mind awake to the love of purity: that, though reformation, if it be real, delivers the mind from perdition, it is unable to rescue it from remorse: that, though Almighty | Justice, when reconciled by his return to duty, shall lay down the scourge he held over him before, yet, by the constitution of human nature, the criminal is condemned to lash himself: that, mild and generous as the government of the Deity over us is, guilt, whatever reformation may follow it, cannot escape with p e r f e c t impunity. They are not aware, that those reflections and feelings, which must precede, which are necessary to produce, reformation, whenever they arise in it, must fill the mind with agony: that, though he who strays from duty may, during his excursion, be gay, whenever he returns, he shall return in tears: that, though we may do evil without remorse, we cannot cease to do evil without it; because, though vice may be pursued without thought, it cannot without thought be forsaken, and to the heart, that has erred from rectitude, every moral reflection is a rod.

Neither do they consider, that reformation, besides being accompanied by painful feelings, is itself a painful and laborious task; that, though to form the purpose of distant amendment, in the morning of life, is an easy thing, to accomplish that purpose is ex|tremely difficult: that the path from habitual guilt to real goodness is so far from admitting, as they imagine, of that easy swim of motion which wins its way without effort, as to be a passage full of impediment, choked with obstruction, through which a way must be forced with all the struggle and groan of exertion: that, in transferring the desires, from things upon which they have been suffered to settle, to totally new objects, it is necessary to repeat, again and again, the command of reason that calls them off, and to oppose, with reiterated resolution, their continual and mechanical recurrences to their old seat: and that, as to fix them upon their new objects, to give an effectual and final check to the flow of the affections in their former channel, and force them to run another way, as to accomplish completely this turn of their course, calls for all the strain and pant of virtuous fortitude, so,

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nicht, daß die Buße, ob sie gleich Gott sey Dank der Weg zum Frieden ist, doch ein schmerzlicher Weg ist; daß die Reue, ob sie gleich dem Verbrechen Vergebung verschaft, doch vor den Seufzern nicht schützen kann, womit ein Gemüth, in welchem die Liebe zur Reinheit wieder erwacht ist, die Befleckungen seiner Unschuld betrachten muß; daß die Besserung, ob sie gleich, wenn sie wahrhaft ist, die Seele vom Verderben rettet, doch nicht im Stande ist sie von den eignen Vorwürfen zu befreyen; daß obgleich die ewige Gerechtigkeit, sobald sie durch die Rückkehr | des Strafbaren zu seiner Pflicht versöhnt ist, auch gleich die Geißel niederlegt, welche sie vorher über ihn aufgehoben hielt, der Sünder doch durch die Einrichtung der menschlichen Natur verurtheilt ist, sich selbst zu geißeln; daß so mild und gütig die Regierung Gottes über uns seyn mag, das Laster doch, wenn auch die gründlichste Besserung darauf folgt, keiner vollkommenen Straflosigkeit genießen kann. Sie bedenken nicht, daß die Ueberlegungen und die Empfindungen welche der Besserung vorhergehn müssen, ja welche nothwendig sind um sie zu bewirken, das Gemüth in dem sie entstehn, mit Todesangst erfüllen müssen, daß jeder, der sich von der Pflicht entfernt hat, so fröhlich er auch während seiner Abweichung gewesen seyn mag, wenn er zurückkehrt, nicht anders als in Thränen zurückkehren kann; daß wenn wir auch Böses thun können ohne Gewissensbisse zu fühlen, wir doch nicht ohne sie aufhören können es zu thun, weil man im Laster zwar gedankenlos fortgehn, aber es nicht verlassen kann ohne dieser Gedankenlosigkeit zu entsagen, und weil dem Herzen welches von der Rechtgesinntheit abgewichen ist, jeder moralische Gedanke zur Strafruthe wird. Auch überlegen sie nicht daß die Besserung, abgerechnet daß sie von schmerzlichen Gefühlen begleitet wird, auch an sich selbst ein mühseliges und beschwerliches Geschäft ist; daß so leicht es auch seyn mag, am Morgen des Lebens den Entschluß | zu fassen, man wolle sich in der Folge einmal bessern, es doch hernach äußerst schwer wird diesen Entschluß auszuführen; daß der Pfad der von der Gewohnheit des Lasters zur wahren Güte hinführt, weit entfernt nur die leichte schwebende Bewegung zu erfordern, von der sie träumen, vielmehr die schwierigste Straße ist, durch tausend Hindernisse unwegsam gemacht, über welche man sich mit den gewaltsamsten und ermüdendsten Anstrengungen einen Weg bahnen muß; daß man um die Begierden von den Dingen, über die man sie sonst herfallen ließ, zu ganz neuen Gegenständen hinüberzulenken, das Gebot der Vernunft welches sie von jenen abruft, immer und immer wiederholen, und sich immer aufs neue mit Entschlossenheit ihren unaufhörlichen mechanischen Bewegungen nach ihrem alten Wohnplatz widersetzen muß; daß um sie bey ihren neuen Gegenständen fest zu halten, um den Lauf der

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until they h ave fastened upon the objects which Wisdom has brought before them, to tear from them those, to which, by long cleaving to them, nature has, in a manner, grown, and which are become a part of ourselves, is to experience the agony of amputation; is to “cut off a | right hand,” and to “pluck out a right eye.”

Since, then, the tears of repentance are such bitter drops, is it not wisest in them, whose time is all before them, to enter at once upon that conduct, of which the review shall never call them into their eyes? Since the power of habit is so obstinate, is it not best to give the heart its proper bent, when it will take it easily from our hand, than suffer it to receive a wrong inclination, and then strain our strength to bend it right, when time has lent its crooked direction that stiffness and sturdiness, which will stubbornly resist your endeavours, and call for all the violence of correction, and all the stoutness of resolution, in order to make it straight? Why should we impose upon ourselves more painful mortifications, enjoin ourselves severer selfdenials, and set ourselves more laborious tasks, than any which Heaven and Nature have appointed to man?

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But we will suppose the hour of conversion from vice to virtue to be over; the tears of awaking Sensibility to the disfigurement discovered within, to be shed; the pang off parting with long-loved pleasures, to be past; | the throes of virtuous resolution, to be made; the difficulties of removing misplaced desire, to be surmounted; the manners to be altered; the temper to be changed; the heart to be “created anew:”—alas, the penitent has not yet made a complete escape from the consequences of past misconduct: his escape from those consequences is far indeed from complete: they pursue him still: they pursue him to his grave: they pursue him beyond it.

11 wrong] so Errata-Verzeichnis; OD: long

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Neigungen in ihr altes Bett wirksam und vollkommen zu hemmen, und sie zu nöthigen einen andern Weg zu nehmen, um sie in diesen neuen Weg vollkommen hinein zu gewöhnen, alle Kräfte und Anstrengungen einer tugendhaften Tapferkeit erfordert werden; und daß, bis sie endlich an die Gegenstände, welche die Weisheit ihnen zum Ziel setzt, gewöhnt sind, die Trennung von den vorigen, mit denen die Seele durch die lange und enge Verbindung gleichsam verwachsen ist, und die ein Theil von uns selbst geworden sind, jenen heftigen und tödtlichen Schmerz verursachen muß, der die gewaltsame | Ablösung eines Gliedes vom Körper begleitet, und daß sie in der That nichts geringers ist als das Abhauen der rechten Hand und das Ausreißen des rechten Auges.1 Da also die Thränen der Reue so bittere Tropfen sind, werden nicht die, welche noch alle ihre Zeit vor sich haben, am weisesten handeln, wenn sie gleich eine solche Handlungsweise einschlagen, daß der Rückblick auf dieselbe ihnen jene Thränen nie ins Auge lockt? Da die Macht der Gewohnheit so hartnäckig ist, ist es nicht besser dem Herzen seine gehörige Richtung zu geben, so lange es sie noch leicht von unserer Hand annimmt, als daß wir es erst eine alte Neigung annehmen lassen, und dann erst alle unsere Kräfte anstrengen, um es zurecht zu beugen, wenn die Zeit es schon in seiner verkehrten Richtung so gesteift und verhärtet hat, daß es sich unbiegsam allen unsern Bemühungen widersetzt, und daß die strengste Zucht und die beharrlichste Entschlossenheit nöthig ist um es grade zu machen? Warum sollten wir uns selbst schmerzlichere Kränkungen zufügen, uns strengere Selbstverläugnungen auferlegen, und uns mit mühseligeren Geschäften beladen als der Himmel und die Natur dem Menschen bestimmt haben? Aber wir wollen annehmen, die Stunde der Rückkehr vom Laster zur Tugend sey vorüber, die Thränen des erwachten Gefühls über die entdeckte | innere Mißgestalt seyen vergossen, der Schmerz über die Trennung von lange geliebten Vergnügungen sey überwunden, der Kampf eines tugendhaften Entschlusses sey überstanden, die Schwierigkeit Neigungen von ihrer unrechten Stelle hinwegzubringen sey erstiegen; die Sitten sollen geändert, die Gemüthsart umgestaltet, das Herz aufs neue geschaffen seyn – ach! so ist doch der Büßende den 1

Matth. 5, 29. 30.

14 haben,] haben

37 Matth. 5, 29. 30.] Math. 5. 29, 30.

11–12 Schleiermacher gibt einen gemeinsamen Nachweis zu den beiden benachbarten von Fawcett markierten Zitaten. 36 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. vermutlich Eph 4,24 oder 2Kor 5,17

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Of these consequences, some are common to all penitents, and some are of a more peculiar nature. I intreat your attention while I proceed to set them before you. I begin with them that are common to all penitents. First, In the mind of him, who has to look back upon a period of his life over which guilt has thrown its shade, the recollection of that period will continue, through the whole of his life, at particular moments, to throw some damp over the pleasure arising from the testimony of an approving conscience. Although what he has been is, in the eye of philosophical reflection, and moral science, when what he has been he is not now, no | part of his present self, and therefore no solid foundation for present self-reproach, yet, the moral sentiment of such a creature as man, in proportion as his moral taste improves in nicety and delicacy, as his sensibility to what is beautiful in conduct becomes more and more exquisite and refined, will be apt to be offended by the image, as often as it presents itself before it, even of the sin which he has sincerely, and which he has long forsaken. When he reviews his life, he will consider it as a w hole; the blotted part will appear to him a blemish in the piece; it will offend his eye; he will wish it were away. Though now his heart is clean, and such as he can retire into without disgust, the remembrance will be likely to give him some, whenever it recurs, that it was once the feat of what now he loathes. As his love of rectitude improves in ardour, though his former deviation from it has retired to a greater distance than ever from the present moment, he will sometimes, perhaps, reflect upon it, when his memory brings it back, with a severity of self-abhorrence, to which he was a stranger in the earlier stages of reformation. This refinement of moral feeling will cause the remembrance of that | moral deformity, which, though obliterated now from his breast, cannot be erased from his memory, to mingle some alloy with the pleasure he has, in contemplating the fairer figure he has given to his heart. In the midst of his approbation of what he i s , he will sometimes blush at the thought of what he w as . Though divine Generosity has promised to bury all his forsaken sins in the depths of the sea, his own memory can find no grave to hide them from her eye; there is no oblivion within his own bosom in which he is able to bury them. He knows, for Christianity has told him so, and he believes what it says, that God has forgiven him; but he cannot forgive himself: and while Conscience

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Folgen seines vorigen üblen Betragens noch lange nicht gänzlich entgangen; von dieser vollkommnen Sicherheit ist er noch weit entfernt, sie verfolgen ihn noch, sie verfolgen ihn bis an sein Grab, sie verfolgen ihn noch jenseits desselben. Einige von diesen Folgen sind allen Büßenden gemein; andere haben einen eingeschränkteren Einfluß. Ich erbitte mir eure Aufmerksamkeit, indem ich sie euch vor Augen stelle. Ich fange mit denen an, die allen Büßenden gemein sind. E r s t e r T h e i l . 1) In dem Gemüth desjenigen, der in seinem Leben auf eine Periode zurückzusehn hat, über welche das Verbrechen seine Schatten zog, wird die Erinnerung an diese Periode, so lange sein Leben währt, immer noch in gewissen Augenblicken das Vergnügen, welches aus dem Zeugniß eines billigenden Gewissens entsteht, in einen trüben Nebel einhüllen. Obgleich in dem Gesichtspunkt des philosophischen Nachdenkens und der moralischen Wissenschaft das was er war, in sofern als er es nur nicht noch ist, keinen Theil seines dermaligen Selbsts | ausmacht, und also auch keinen hinlänglichen Grund abgeben kann, sich jetzt selbst Vorwürfe zu machen: so wird doch das moralische Gefühl eines solchen Geschöpfs als der Mensch ist, selbst von dem Bilde derjenigen Sünde die er aufrichtig und seit langer Zeit schon verlassen hat, so oft es sich ihm darstellt nur um desto mehr beleidigt, je mehr sein moralischer Geschmack an Richtigkeit und Zartheit gewonnen hat, und je mehr sein Gefühl für die Schönheit eines sittlichen Betragens erhöht und verfeinert worden ist. Wenn er sein Leben übersieht, wird er es immer als ein Ganzes ansehn, der befleckte Theil desselben wird ihm eine Verunreinigung des Stükkes zu seyn scheinen, sein Auge wird davon beleidigt werden, er wird ihn hinwegwünschen. Ist gleich sein Herz jetzt rein und so beschaffen, daß er sich ohne Unlust in dasselbe zurückziehn kann, so wird ihm doch die Erinnerung, so oft sie sich darstellt, Unlust machen, daß es einst der Sitz dessen war, was ihn jetzt anekelt. Obgleich, so wie seine Liebe zur Rechtgesinntheit an Eifer zunimmt, auch seine vorige Abweichung von derselben sich mehr und mehr in eine immer größere Entfernung vom gegenwärtigen Augenblick zurückzieht, so wird er doch bisweilen vielleicht wenn sein Gedächtniß ihm jenen Zustand vor Augen bringt, mit einer strengen Selbstverdammniß daran denken, die ihm auf den frühern Stufen seiner Bildung fremd war. Diese Verfeinerung seines moralischen Gefühls wird immer die Wirkung haben, daß die Erinnerung an jene mo|ralische Häßlichkeit, welche zwar aus seiner Brust vertilgt ist, aber aus seinem Gedächtniß doch nicht verlöscht werden kann, ein unedler Zusatz zu dem Vergnügen 41 verlöscht] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1474

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approves the present, and Hope smiles upon the future, Memory will sometimes sigh over the past.

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Secondly, As the recollection of former errors will be likely to continue, through the whole of life, to excite, at some seasons, some degree of shame, in the bosom that has relinquished them, it will also tend, in some degree, to damp the hope of divine acceptance. Although the promises of the Gospel to sincere, however imperfect, virtue, are clear and | decided, yet, when the cultivation of it has been long delayed, the mind of man is subject to suspicion of its sincerity, in proportion to the period of moral procrastination; because, in that proportion, must the virtue that is afterwards attained, fall short of that vigour and eminence, which is accompanied with vivid consciousness of its existence in the breast; that glow of goodness which, by being strongly felt, powerfully proves itself to be. This suspicion will, in some measure, at some moments, disturb the religious peace of the penitent, however sincere, in reality, his reformation may be. It will not, unless his judgment be depressed by peculiar dejection of spirit, throw over his mind the shadows of religious melancholy; Almighty Mercy forbid it should! but it will take from the refulgence of that golden sunshine of religious joy, which would have overspread it, had he been always virtuous. When the weight of years shall press upon him, and the tide of his animal spirits shall sink, he will experience the peace, which flows from the hope of heavenly Goodness; yet will he not feel, yet will he be far from feeling, that steady confidence towards God, with which | he is supported under the infirmities of age, who can trace his piety as far back into life as his memory can go. Nor, when he lies upon the bed from which he shall rise no more; when he meets that hour, which calls for all the comfort and support a well-spent life can lend it; will he be able to bid the disappearing world adieu, with that untroubled tranquillity; to show the attendants upon his exit, that sublime superiority to the fears of humanity; and to look upon the advancing king of terrors with that placid smile, and

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ist welches er empfindet, wenn er die schönere Gestalt betrachtet, die er seinem Herzen gegeben hat. Mitten unter seiner Zufriedenheit über das, was er i s t , wird er bisweilen erröthen über das, was er war. Hat gleich die göttliche Barmherzigkeit versprochen alle seine abgelegten Sünden in die Tiefen des Meeres zu begraben, so kann doch sein eignes Gedächtniß kein Grab finden, um sie vor seinen Augen zu verbergen, so giebt es doch in seinem eignen Busen keine Vergessenheit in welche er sie versenken könnte. Er weiß – denn das Christenthum sagt es ihm, und er glaubt, was es sagt – er weiß, daß Gott ihm vergeben hat; aber er selbst kann sich nicht vergeben, und indem sein Gewissen das gegenwärtige billigt und seine Hoffnung in die Zukunft hineinlächelt, wird sein Gedächtniß bisweilen über das Vergangene seufzen. 2) So wie die Erinnerung an frühere Irrthümer wahrscheinlich durch das ganze Leben nicht aufhört auch in der Brust dessen, der sie wirklich aufgegeben hat, von Zeit zu Zeit ein Gefühl von Beschämung zu erregen: so wird sie auch in einem gewissen Grade im Stande seyn, die Hoffnung auf das göttliche Wohlgefallen zu verdunkeln. So deutlich und entscheidend auch die Verheißungen sind, welche das Evangelium der aufrichtigen, wenn | auch noch so unvollkommnen Tugend ertheilt, so ist doch das menschliche Gemüth, wenn es lange gezögert hat sich um dieselbe zu bekümmern, um so geneigter manchem Verdacht gegen ihre Aufrichtigkeit Raum zu geben, je länger dieser Aufschub seiner moralischen Angelegenheiten gedauert hat: denn freilich muß es der Tugend, die erst spät erworben wird, verhältnißmäßig sehr an der Stärke und Vortreflichkeit fehlen, aus welcher erst ein lebhaftes Bewußtseyn von ihrer Gegenwart im Herzen entsteht; es muß der sittlichen Güte an dem Feuer fehlen, welches, weil es so heftig gefühlt wird, ihr Daseyn am kräftigsten beweiset. Dieser Verdacht wird in manchen Augenblicken den religiösen Frieden des Bußfertigen nicht wenig stören, so aufrichtig auch in der That seine Besserung seyn mag. Die Schatten der religiösen Schwermuth werden freylich – es müßte denn der Verstand durch eine besondere Muthlosigkeit gedrückt werden – sein Gemüth nicht überziehn, dafür sey die allmächtige Liebe, daß das nicht geschehe! aber doch wird dem goldnen Sonnenschein der religiösen Freudigkeit jener herrliche Glanz fehlen, mit dem sie geprangt haben würde, wenn die Seele immer tugendhaft gewesen wäre. Wenn die Last der Jahre ihn drückt und der Strom seiner Lebensgeister versiegt wird er die Ruhe genießen, die aus der 32 Schwermuth] Schwermuth, 4–5 Vgl. Micha 7,19

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unshrinking eye, which mark the end of that man, who served his God, as soon as he knew he had a God to serve.

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Thirdly, If different degrees of goodness be to be differently rewarded at the resurrection of the just; as the degree of virtue, that is presented before the bar of God, must be proportioned to the time that has been devoted, and the diligence that has been given, to the cultivation of it; it follows hence, that he, who misspends any part of his time allotted him to prosecute his improvement in it, is to be considered as making so much deduction from that sum of celestial glory, to which he might have attained, by the proper employ|ment of the whole. This deduction from his final promotion in the kingdom of God, occasioned by the subtraction he has made from the time afforded him to promote his advancement in virtue, the most diligent improvement of the remainder is unable to restore. At the tribunal of eternal Justice he shall receive his reward; a reward, more than equal to his utmost merit; a reward, worthy the munificence and generosity of his judge;—but not s u c h a reward, as he might have obtained, by an earlier entrance on his moral course. Through all eternity, he shall continue to rise higher and higher; but he will never stand so high, in the scale of that celestial society that shall ascend along with him, as he might have stood, had he sooner spurned the ground, and spread out the wing that was given him to mount upward with.

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Hoffnung auf die Güte des Himmels entspringt; aber er wird weit entfernt seyn jenes feste Vertrauen auf Gott zu empfinden, von welchem derjenige unter den Schwachheiten sei|nes Alters unterstützt wird, der seine Frömmigkeit so weit in seinem Leben zurückverfolgen kann, als sein Gedächtniß nur reicht. Und wenn er auf dem Bett liegt, von welchem er nicht mehr aufstehn wird, wenn die Stunde herannaht, die aller Beruhigungen und alles Trostes bedarf, den ein wohlverwandtes Leben gewähren kann, dann wird er nicht im Stande seyn der Welt, welche nun für ihn verschwindet, mit ungestörter Ruhe Lebewohl zu sagen, denen die bey seinem Abscheiden von derselben gegenwärtig sind, die erhabene Größe zu zeigen, die sich über alle Besorgnisse der Menschlichkeit hinwegsetzt, und dem herannahenden König der Schrecken mit dem stillen Lächeln, mit dem unverwandten Blick ins Auge zu sehen, wodurch sich das Ende des Mannes auszeichnet, der seinem Gott diente, sobald er wußte, daß er einen Gott habe, dem er dienen müsse. 3) Wenn verschiedene Grade von Güte auch bey der Auferstehung der Gerechten in verschiedenem Grade werden belohnt werden, so muß, da der Grad von Tugend, den man vor dem Richterstuhl Gottes darbringt, mit der Zeit die man dem Streben danach gewidmet und dem Fleiß den man darauf gewendet hat im Verhältniß stehen wird, nothwendig folgen, daß derjenige der einen Theil von der Zeit vergeudet, welche ihm gegeben ist, um sein Wachsthum in der Tugend zu befördern, sich selbst um eben so viel von dem himmlischen Ruhm be|raubt den er erlangt haben würde, wenn er seine ganze Zeit zweckmäßig angewendet hätte. Und was ihm auf die Weise abgeht an seiner Erhöhung im Reich Gottes, weil er von der Zeit die ihm gegeben war, um im Guten zuzunehmen, einen Theil unbenutzt gelassen hatte, das kann ihm der angestrengteste Fleiß in dem übrigen Theile des Lebens nicht ersetzen. Seinen Lohn wird er empfangen vor dem Richterstuhl der ewigen Gerechtigkeit, und einen Lohn der dem höchsten Anschlag seiner Verdienste mehr als angemessen ist, einen Lohn, wie er sich von der Freygebigkeit und der Großmuth seines Richters erwarten läßt – aber doch nicht einen solchen Lohn, als ihm zugetheilt worden wäre, wenn er seine tugendhafte Laufbahn früher angetreten hätte. Durch alle Ewigkeit hindurch wird er fortfahren immer höher und höher zu steigen; aber er wird in der Rangordnung der himmlischen Gesellschaft, welche mit ihm zugleich aufsteigt, nie so hoch stehn, als er würde gestanden haben, wenn er diesen Grund eher betreten und eher den Fittig gehoben hätte, der ihm gegeben war um sich damit aufwärts zu schwingen. 9 verschwindet,] verschwindet

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Past vice, then, though repented of, though renounced, is not completely gone. Though put away, it has not entirely vanished. Though bad begone by the breast that harboured it, it has not perfectly disappeared. Its vestige stands still before the eye. Departed vice is present, in the present proof of its past existence; in the imperfection of the virtue that succeeds it, compared with what it would | have been, had it not been thus preceded. The absent vice is visible, in the inferiority of that virtue to theirs, by whom the same space of time has been spent, and by whom it has all been wisely spent. The shadow of it will hereafter remain, will be hereafter conspicuous, in that inferiority of celestial situation, which shall follow inferiority in virtuous excellence. Of former wounds that were given to the injured image of God within, during the madness of folly, though those wounds have long been closed, and the character is completely healed, this relative inferiority in intrinsic worth, and in final reward, may be regarded as the mark and the scar. In this view, the remembrance of relinquished vice is matter of repentance, not only to the nice and tender sense of rectitude, which bleeds afresh over the honour, that once bled, but that is now unhurt and whole; it is ground of solid and substantial regret. Let this consequence of moral delay dissuade the young from indulging it. It is a consequence, let them remember, that repentance cannot remove. Repentance can do a great deal, blessed be God it can; but not all the torrents that ever streamed from the eye of Penitence, | or all the importunity that Prayer can pour, or all the exertions that Reformation can make, are able to recall the months that are past, and the years that are no more. Departed time is for ever gone; and that proficiency in morals to which it might have given birth, is for ever lost.

These consequences of past misconduct, irremediable by reformation, and that mix a sigh with the peace of God, are common to all penitents. They inevitably and invariably embitter, in a greater, or a smaller degree, the sweetness of that serenity which Virtue brings with her, in every human breast where Vice has been before her. There are others of a more peculiar nature; peculiar to particular kinds of erroneous conduct, or particular d e grees of deviation from rectitude: or that are of a p o s s i b l e and accident a l nature, but from

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Das Laster aus der vorigen Zeit ist also, wenn man es gleich bereut, wenn man ihm gleich entsagt hat, doch nicht völlig von uns geschieden. Ist es auch verabschiedet, so ist es doch nicht gänzlich verschwunden. Das Auge sieht immer noch seine Spur. Das abgelegte Laster ist noch gegenwärtig | in den Beweisen seines vorigen Daseyns, die immer gegenwärtig bleiben, und in der Unvollkommenheit, welche an der Tugend, die darauf folgt, immer wahrgenommen wird, so oft man sie mit dem vergleicht, was sie hätte seyn können, wenn jenes nicht vorhergegangen wäre. Es bleibt darum immer sichtbar, weil diese Tugend weit unter der Tugend derjenigen stehn bleibt, die nur eben so viel Zeit nutzen konnten, aber sie ohne Ausnahme weislich genutzt haben. Und der Schatten dieses Lasters wird noch nach diesem sichtbar bleiben, und wird noch in dem geringern Grade himmlischer Glückseligkeit, der auf einen geringern Grad moralischer Vortreflichkeit folgen muß, wahrgenommen werden. Sind die Wunden die man ehedem während der Herrschaft der Thorheit dem innern Ebenbilde Gottes zufügte, gleich längst geschlossen und der Charakter vollkommen geheilt, so bleibt doch dieser verhältnißmäßige Abstand an innerm Werth und göttlicher Belohnung als ein unauslöschliches Denkzeichen, als eine ewige Narbe von denselben zurück. Die Erinnerung an das verlassene Laster ist in dieser Rücksicht nicht nur für das zarte und feine Sittlichkeitsgefühl, welches immer aufs neue blutet über die Ehre die einst blutete, aber jetzt wieder hergestellt und unbeschädigt ist, ein Gegenstand der Reue, sondern auch ein hinreichender Grund zu einem tiefen und wesentlichen Kummer. Diese Folge eines jeden Aufschubes der Besserung möge der Jugend abrathen, sich ihn nicht zu erlauben. Sie bedenke, daß dies eine | Folge ist, welche keine Reue hinwegnehmen kann. Die Reue kann viel thun, und Gott sey gelobt, daß sie es kann, aber alle Thränenströme, die je den Augen der Buße entquollen sind, aller Ungestüm des brünstigsten Gebets, und alle Anstrengungen, welche die Besserung machen kann, sind nicht im Stande die Monate zurückzurufen die vorüberflohen, und die Jahre, die nicht mehr sind. Die verfloßene Zeit ist auf immer dahin, und jeder Fortschritt in der Sittlichkeit, den sie hätte erzeugen können, ist auf immer verloren. Zw e y t e r T h e i l . Diese Folgen eines üblen Betragens, denen wenn es auch abgelegt wird, keine Besserung abhelfen kann, und die selbst unter den Frieden Gottes einen Seufzer mischen, sind a llen g e m e i n , welche Buße thun müssen. Unvermeidlich und in jedem Fall verbittern sie mehr oder weniger jeder menschlichen Brust, in welcher das Laster vor der Tugend gewohnt hat, die süße Heiterkeit, welche diese immer mit sich bringt. Es giebt aber auch andere, die nicht so allgemein, sondern gewissen Arten des irrigen Betragens, oder gewis-

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which, whether their arrival depend upon that circumstance, over which man has not any government, or upon the excess of that folly, over which he that swerves from wisdom thinks he has, none that enter into the paths, in which they can be incurred, have any foundation for confidence in their security.|

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First, A course of folly and vice frequently terminates in temporal punishment, which reaches to the end of life, and of which the most sincere amendment is unable to procure the remission. He who has loved pleasure too well, and too long, becomes a p o o r man. He repents of past profusion, but is condemned to feel the effects of it as long as he lives. His reformation may be radical; he may see all the grossness and all the selfishness of a luxurious life; its insensibility to surrounding want; its unworthiness of an intellectual nature; but his return to virtue restores him not to his native situation. The rescue of his character from folly, cannot rescue him, either from the consequences of that folly, or from sensibility to those consequences. It cannot save him from degradation to an inferior station, or from the shame of sinking in society. It cannot throw open the doors of the prison into which his creditor may cast him, or reconcile nature to imprisonment. It cannot make the manual labour, to which he may be forced to submit, less necessary to his subsistence, or less painful to his pride, or less hard to his hand. It cannot relieve him from the office, | if his condition should condemn him to it, or chase from his cheek the blush, of pecuniary application to the opulent. It cannot deliver him from the necessity, or extract from his heart the sting, of dependence. It cannot change into respect, or teach him not to feel, the insolence of former flatterers, or the scorn of them whom once he spurned. And so far from rendering less painful, how much more acutely so will it make, the succour of those, if from such he should receive it, whom, in the day of his inconsideration, and during the dream of his pride, he treated with unkindness, or contempt!

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sen Graden der Abweichung von der Rechtgesinntheit eigenthümlich, oder die ihrer Natur nach nur möglich und zufällig sind, jedoch so, daß keiner der die Pfade auf denen wir sie antreffen können einmal betreten hat mit einigem Grunde vor ihnen gesichert zu seyn glauben kann, es seyn nun, daß ihr Eintritt von den äußerlichen Umständen abhänge, | über die der Mensch gar keine Herrschaft hat, oder von dem übermäßigen Wachsthum der Thorheit, worüber der, welcher von der Weisheit abschweift, noch Herr zu seyn glaubt. 1) Ein lasterhaftes und thörichtes Leben führt zuletzt gewöhnlich irdische Strafen herbey, die bis ans Ende des Lebens hinreichen, und von denen die aufrichtigste Besserung nicht im Stande ist uns loszukaufen. Wer das Vergnügen zu heftig und zu lange geliebt hat, wird ein armer Mann. Er bereut seine vorige Verschwendung; aber er ist verurtheilt die Folgen derselben so lange zu empfinden, als er lebt. Seine Besserung kann sehr gründlich seyn, er kann vollkommen einsehn, wieviel Unverstand und Selbstsucht in einem schwelgerischen Leben liegt, wie es unempfindlich macht gegen die Dürftigkeit umher, und wie sehr es eines vernünftigen Wesens unwürdig ist; aber seine Rückkehr zur Tugend versetzt ihn nicht in seine ursprüngliche Lage zurück. Die Erlösung seines Gemüths von der Thorheit kann ihn weder von den Folgen dieser Thorheit noch von seiner Empfindlichkeit für diese Folgen erlösen, kann ihn nicht von dem Herabsinken auf eine niedrigere Stufe, und nicht von der Schaam über diese Erniedrigung in der Gesellschaft erretten. Sie kann ihm nicht die Thüre des Gefängnisses öffnen, in welches ihn sein Gläubiger werfen läßt, und ihn | nicht mit der Gefangenschaft aussöhnen. Sie kann nicht machen, daß er der körperlichen Arbeit, zu der er sich jetzt vielleicht bequemen muß, entübrigt seyn kann, oder daß sie seinem Stolz weniger schmerzhaft sey, oder seinen Händen weniger hart falle. Sie kann ihn, wenn anders sein Zustand ihn dazu verdammt, nicht davon befreyen, den Reicheren für Geld Dienste zu leisten, und kann die Schaamröthe darüber nicht von seinen Wangen vertreiben. Sie kann ihn von der Nothwendigkeit abhängig zu seyn, und von dem Stachel, den das in sein Herz treibt, nicht erlösen. Sie kann den Uebermuth seiner ehemaligen Schmeichler, und die Verachtung derer, die er ehedem geringschätzig behandelte, nicht in Ehrfurcht verwandeln, kann ihn auch nicht lehren, dies alles nicht zu fühlen. Und sollte er gar von denjenigen Beystand annehmen müssen, die er in den Tagen seines Leichtsinns, und in dem Traum seines Stolzes lieblos oder verächtlich behandelt hat, um wieviel würde seine Rückkehr zur Tugend das schmerzliche Gefühl einer solchen Nothwendigkeit, weit entfernt es zu lindern, vielmehr noch erhöhen müssen!

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To him, whose intemperance has impaired and ruined his animal system, it is not in the power of reformation, however sincere, to restore departed h e al t h . He laments, but too late, the folly which threw it away. He wishes, but in vain, for his former vigour and vivacity. No prayers he can present to the God of nature, no temperance he now can practise, have power to bring them back to him. His repentance, if it be true, procures him salvation from the pit of perdition; but not from the chamber of sickness, but not from the couch of languor. His amendment | blots out sin from the book of divine remembrance against it; but fails to eradicate disease from the body, in which excess has sown it. His preparation for it, if it be diligent, and rational, secures him e t e r n al life; but hinders not that abbreviation, which his vices have made of t h is. The dedication of his future days to the discharge of his duties delivers him from the second death; but brings him no reprieve from the untimely dart of the first. Of this punishment, repentance cannot obtain the remission. Thus far, penitence asks for pardon in vain. Justice remains inexorable. The ear of Mercy is sealed; and Heaven refuses to forgive.

He, whose conduct has deprived him of the g ood opinion of mankind, is unable, for a long time, to regain it; and if the term, and the extent, of his errors, have been great, and his opportunities of evincing a contrary character be contracted, is, perhaps, for ever unable entirely to recover it, however entirely he may relinquish the practices by which he lost it. In vain he pants for the immediate friendship of the worthy and the wise; once he might with ease, but cannot now without difficulty obtain it. It is more difficult to | gain, than to lose, a good name; and to recover it, when lost, is most difficult of all. It is easy for the bad to prove themselves to be bad; but not so easy for the good to satisfy the world that they are sincerely so; and least of all, if they have once been bad. Opportunity favours the manifestation of vice, more than the visibility of virtue. As occasions more frequently present themselves of expressing wrong, than right dispositions, so the former display themselves, when exhibited, in more unquestionable forms than the other. Of the oppressor no one disputes the malignity; but the purity of the patron’s generosity, or the protector’s justice, is sometimes liable to be disputed. He, who pursues pleasure more than duty, affords an undeniable proof, that he is a lover of pleasure more than a lover of God; but it is not so obvious, that he, who practises temperance, is abstemious from a

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Dem, dessen Unmäßigkeit seinen Körper geschwächt und zerrüttet hat, kann keine Besserung, wie aufrichtig sie auch sey, die verlorene G e s u n d h e i t wieder ersetzen. Er beklagt, aber zu spät, die Thorheit, welche sie ihm geraubt hat. Er schmachtet, aber vergeblich, nach seiner ehemaligen Stärke | und Lebhaftigkeit. Keine Gebete, die er dem Herrn der Natur darbringt, keine Mäßigkeit, die er jetzt ausübt, ist im Stande sie ihm zurückzubringen. Seine Reue, wenn sie wahrhaft ist, errettet ihn von dem Abgrunde des Verderbens, aber nicht von dem Krankenzimmer, nicht von dem siechen Lager. Seine Besserung löscht seine Sünde aus aus dem Buch, in welches sie der Allmächtige geschrieben hatte um ihrer zu gedenken; aber sie kann die Krankheiten seines Körpers nicht ausrotten, zu denen seine Ausschweifungen den Samen gestreut haben. Wenn er sich fleißig und vernünftig zum ewigen Leben vorbereitet, so kann er sich dieses sichern; aber er kann es nicht ungeschehen machen, daß seine vorigen Laster ihm das zeitliche abgekürzt haben. Wenn er seine übrigen Tage seinen Pflichten widmet, so befreyet ihn das vom zweyten Tode; aber es giebt ihm keine Frist gegen den frühzeitigen Pfeil des ersten. Die Reue kann nicht bewirken, daß ihm diese Strafe erlassen werde. So weit flehet die Buße umsonst nach Verzeihung. Die Gerechtigkeit bleibt unerbittlich, das Ohr der Gnade ist verstopft, und der Himmel weigert sich zu vergeben. Derjenige, den sein Betragen um die gute Meinung der Menschen gebracht hat, ist lange Zeit nicht im Stande sie wieder zu gewinnen, und wenn seine Verirrungen lange währten und sich über viele Gegenstände verbreiteten, und dagegen die Gelegenheit seine nunmehrigen entgegengesetzten Gesinnungen | zu beweisen eingeschränkt ist, so bleibt er vielleicht immer unfähig diese gute Meinung gänzlich wieder zu erlangen, so vollkommen er auch dem Betragen entsagt haben mag, wodurch er sie zuerst verlor. Vergebens strebt er nach der vertrauteren Freundschaft würdiger und weiser Männer: ehedem konnte er sie leicht, jetzt nicht ohne die größten Schwierigkeiten erlangen. Es ist schwerer sich einen guten Namen machen, als ihn verlieren; und ihn wieder bekommen wenn er einmal verloren ist, das ist unter allem am schwersten. Schlechten Menschen ist es leicht zu beweisen, daß sie schlecht sind; den Guten wird es nicht so leicht, die Welt darüber zufriedenzustellen, ob sie auch in der That und aufrichtig gut sind, am wenigsten aber wenn sie einmal schlecht waren. So wie sich öfter Veranlaßungen darbieten böse als gute Gesinnungen zu äußern, so stellen sich auch jene bey jeder Veranlaßung in einer unverkennbarern Gestalt dar als diese. Niemand bezweifelt die Bosheit des Unterdrükkers; aber ob die Großmuth des Gönners, ob die Gerechtigkeit des Beschützers auch unverfälscht sey, das ist öfters manchem Streit unter-

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sense of rectitude. And, as the evidence of ill is less disputable than of good disposition, the world is less disposed to dispute it. The bad motive of a bad action is readily ascribed by mankind to him that commits it; but the good motive that gives a | good one its good desert, they are not all so swift to impute.

Upon these accounts, he who for some time has done evil, upon ceasing to do it, finds it long impossible, and if the ill he has done have excited much of their disapprobation, and his sphere of virtuous action be strait, perhaps he finds it for ever impossible, to convince mankind that he has put that evil away from his heart. The moment, a bad man becomes a good one, that moment, he obtains the forgiveness of God; that moment, he receives the forgiveness of his conscience; but for that of the world he is condemned to wait. Man cannot look at once into the heart, where Omniscience reads repentance and renovation. By man, therefore, he that has once deserved his ill opinion, must submit, for some time, to be thought ill of, however he may now merit to be esteemed. The sobriety, that succeeds to a series of sensual excesses, will be ascribed, if the means of gratification remain, to satiety of pleasure; if they have made themselves wings, to the want of them. Of him, who has been guilty of injustice and inhumanity, the innocence will be imputed to the absence of temptation, | and the good actions suspected of sinister motive. The sincerity of the former scoffer’s profession of religion, will be doubted long, by all that have heard of his impious jests. The most sincere, and the most solemn, asseverations of the man, who has allowed himself to open lying lips, are condemned to the unconquerable incredulity of all, that have detected his tongue in uttering deceit, with whatever devotion he have sworn, that “all the while his breath is in him,” it shall “utter deceit” no more. And he, however worthy of it he may now have become, who has, but once, betrayed the trust that was reposed in him, whatever forgiveness he may obtain from the object of his infidelity, must not look to him for confidence again; or expect it to be placed in him by any one, to whom his treachery has been told.

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worfen. Der, welcher dem Vergnügen mehr nachgeht als der Pflicht, giebt einen unläugbaren Beweis, daß er seine Lust mehr liebt als Gott; aber es ist nicht eben so einleuchtend, daß der, welcher mäßig lebt, aus einem Gefühl von Sittlichkeit enthaltsam ist. Und so wie böse Gesinnungen sich weit bestimmter ausdrücken als gute, so ist die Welt auch viel weni|ger geneigt sie zu bezweifeln. Wer eine schlechte Handlung begeht, dem legen die Menschen sehr gern auch einen schlechten Bewegungsgrund dazu unter; aber die gute Absicht, die einer guten Handlung erst ihr wahres Verdienst giebt, trauen sie nicht so leicht einem jeden zu. Aus diesen Ursachen wird es dem, welcher eine Zeitlang Böses gethan hat, und nun aufhört es zu thun, noch lange Zeit nicht möglich seyn, die Menschen zu überzeugen, daß er das Böse aus seinem Herzen entfernt hat; ja wenn das, was er ehemals that, ihre Mißbilligung in einem hohen Grade erregt hat, und der Wirkungskreis seiner tugendhaften Thätigkeit nur eng ist, so wird es ihm vielleicht immer unmöglich bleiben. In demselben Augenblick, da ein böser Mensch sich in einen guten verwandelt, erhält er die Vergebung Gottes, in demselben Augenblick erhält er die Vergebung seines Gewissens; aber auf die Vergebung der Welt ist er verurtheilt noch lange zu warten. Die Menschen können nicht auf einmal in das Herz sehen, in welchem die Allwissenheit sogleich Reue und neuen Sinn lesen kann. Wer also einmal die üble Meinung der Menschen sich zugezogen hat, der muß sich gefallen lassen noch eine Zeitlang übel von ihnen beurtheilt zu werden, ob er gleich nun ihre Achtung verdient. Die Mäßigkeit, welche auf eine Reihe sinnlicher Ausschweifungen folgt, wird einem Ueberdruß am Vergnügen zugeschrieben werden, | wenn die Mittel es herbeyzuschaffen noch vorhanden sind; und haben diese sich schon Flügel gemacht, so wird man eben darin die Ursach der Veränderung finden. Wer sich der Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit schuldig gemacht hat, dessen Rechtlichkeit wird man nun einem Mangel an Versuchung zuschreiben, und bey seinen guten Handlungen auf schlechte Bewegungsgründe rathen. An der Aufrichtigkeit des ehemaligen Religionsspötters werden alle, welche seine ruchlosen Scherze gehört haben, noch lange zweifeln. Und derjenige, der nur einmal das Zutrauen, welches in ihn gesetzt wurde, betrogen hat, mag dessen jetzt so würdig seyn als er wolle, er darf doch, auch nachdem er die herzlichste Verzeihung erhalten hat, nie hoffen, daß der Gegenstand seiner Treulosigkeit ihm noch einmal sein Vertrauen schenken werde; 35 Schleiermacher lässt nach „zweifeln.” einen Satz Fawcetts aus. Dieser Satz enthält ein von Fawcett markiertes wortverändertes Zitat aus Hiob 27,3 und ein von Fawcett markiertes wortgetreues Zitat aus Hiob 27,4.

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Thus, in every walk of moral error, the loss of that reputation, of which, however hardened guilt may despise it, awakened virtue feels the value, when the heart would separate from evil society, and seek its social happiness in virtuous circles, leaves him, that has wandered from duty, substantial reason to repent, long after his return, that ever he | went astray. To these wounds of fame, Religion brings no balm. She promises the penitent the forgiveness of God; but the pardon of man is not in the number of her promises. His reformation instantly disperses the frown of divine displeasure; but the brow of the world is more retentive of its angry wrinkle. His crimes are erased from the account that is kept of them by celestial Justice, the moment they are renounced by his heart; but in the book of human remembrance, they stand longer against him.

But the simple sensations of want, and sickness, and shame, do not comprise all the punishment, which these several situations, I have enumerated, inflict upon them, whom their vices have reduced to them: they are a source of m o r al mortification and of g enerous despair, in the breast where sincere repentance has taken place.

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“How much good,” exclaims the ruined spendthrift, when alive to a sense of the social duties, “how much good might I have done, by the proper employment of what I once possessed! How many glorious opportunities of munificence and mercy, have I permitted to pass by me! How many worthy | men might I have forbidden to be poor! How much dejected merit might I have lifted out of the dust! How many untuned hearts, might I have taught to sing! How many blessings might at this moment have been pouring upon my head! How many eyes might have “given witness to me, when they saw me,” might now have glistened with honest gratitude at my approach, and gazed with fond delight upon me as I passed by! eyes, that now meet me without knowing me; that sparkle no more at my appearance, than at the presence of any o t h e r man. How many ears might there, at this hour, have been, that would have blessed the sound of my voice, that now are able to hear it with perfect indifference!—This elegant luxury, this virtuous voluptuousness, I have lost for ever. Now, that I have discovered the true uses of wealth, it is gone from me. The

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er darf nicht erwarten, daß es ihm irgend Jemand schenken werde, dem seine Verrätherey bekannt geworden ist. Der Verlust des guten Namens also, den das verhärtete Verbrechen vielleicht verachtet, dessen Werth aber die erwachte Tugend gar sehr fühlt, wenn das Herz sich von böser Gesellschaft entfernen, und sein geselliges Glück in einem tugendhaften Kreise suchen will, dieser Verlust giebt jedem der von der Pflicht abgewichen ist, auf welcher Bahn der sittlichen Verirrungen es auch gewesen sey, hinlänglichen Grund noch lange nach seiner Rückkehr zu bereuen, daß er sich zu dieser Abweichung hat | verleiten lassen. Für diese Wunden der Ehre giebt die Religion keinen Balsam. Sie verheißt dem Bußfertigen die Vergebung Gottes; aber die Verzeihung der Menschen ist unter ihren Versprechungen nicht mit aufgeführt. Seine Besserung zerstreut sogleich jede Wolke des göttlichen Mißfallens; aber die Stirne der Welt behält die Falten des Unwillens weit länger. Seine Verbrechen werden in dem Augenblick, da sein Herz ihnen entsagt, aus der Rechnung, welche die göttliche Gerechtigkeit führt, gestrichen; aber in den Gedächtnißbüchern der Menschen legen sie länger ihr Zeugniß gegen ihn ab. Doch die einfachen Empfindungen des Mangels, der Krankheit und der Schaam begreifen bey weitem nicht alle Strafen in sich, welche die eben aufgezählten Umstände über denjenigen verhängen, der durch seine Laster so weit herabgekommen ist; diese Umstände werden der Brust, in der eine aufrichtige Reue Platz genommen hat, auch zu einer Quelle moralischer Kränkung und einer edlen Art von Verzweiflung. „Wie viel Gutes – so ruft der gesunkene Verschwender aus, wenn ein Gefühl von seinen geselligen Pflichten in ihm erwacht – wie viel Gutes hätte ich thun können durch eine schickliche Anwendung dessen, was ich einst besaß! Wie viel ehrenvolle Gelegenheiten freygebig und mildthätig | zu seyn habe ich vorbeygehn lassen! Wie vielen würdigen Menschen hätte ich die Armuth abwehren können! Wie viel gebeugtes Verdienst hätte ich aus dem Staube erheben können! Wie viel verstimmte Herzen hätte ich zur lauten Freude umstimmen können! Wie viele Segnungen könnten in diesem Augenblick über mein Haupt herabströmen. Wie viele Augen würden mir Zeugniß geben, wenn sie mich sähen, würden sich mit tugendhafter Dankbarkeit auf mich richten, wenn ich mich näherte, und von einer zärtlichen Freude glänzen, wenn ich vorüberginge! Augen, die mir jetzt begegnen ohne mich zu kennen, die sich bey meiner Erscheinung nicht mehr aufheitern, als wenn irgend ein anderer Mensch zugegen ist! – Diesen hohen 36–37 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Hiob 29,11

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“base Indian” has learned the value of the pearl which he threw away; but, alas, he has learned it too late; it will never, never, come back to his hand. I could, once, have shewn my gratitude to God, by my beneficence to man: I can, now, only bring to his altar an useless profession of piety; and have | left myself nothing to bestow upon his creatures but an idle benediction.” Such reflections as these have wrung many a repentant mind, in such a situation as this. And permit me to say, that when poverty proceeds from such a cause, and is accompanied with such regrets; when want thus enters into the soul, and penury presses upon the social affections; beggary is a word inadequate to express the bitterness of the situation.

A sigh, equally sad, has he to heave, who has impaired, by intemperance, his strength of body and mind, when he is awake to a sense of the generous use to which it should be applied, when he opens his eyes upon the duties he owes to society, and is desirous of discharging them with diligence, and finds that he has enfeebled his powers of social service; that he has diminished the energy of his understanding; weakened the spring of his activity; shortened the period, and contracted the sphere, of his utility; and caused much of that power, which Nature gave him, of imparting benefit, to shrink into impotence, and wither into a wish. The pain, proceeding from this reflection, will embitter his religious joy; will follow him to his last hour; | and disturb, in some degree, the tranquillity of that.

Nor is he a prey to less painful reflections, and mournful regrets, whose reputation has been lost by former misconduct, beyond the power of reformation, at least for a long time, to redeem it; when he finds, that, until he can redeem it, if it be at last recoverable, now that he wishes to countenance religion by his profession, and recommend virtue by his countenance, they are capable of receiving no credit from him: that he has now no suffrage to give them; no voice in the controversy concerning the comparative wisdom of duty and disobedience to it; that he must submit, for some time, to act a virtuous part, without setting a virtuous example; and content himself with being an invisible servant of God, without adding to that appar-

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Genuß, diese tugendhafte Schwelgerey habe ich auf immer verloren. Nun, da ich eben den wahren Nutzen des Reichthums entdeckt habe, ist er von mir geflohen. Der rohe Indier hat den Werth der Perle die er wegwarf kennen gelernt; aber ach zu spät, nie, nie wird sie wieder in seine Hand zurückkommen. Einst hätte ich meine Dankbarkeit gegen Gott durch Wohlthätigkeit gegen die Menschen beweisen können; jetzt kann ich vor seinem Altar nur ein unnützes Bekenntniß meiner Frömmigkeit niederlegen, und habe mir nichts übrig gelassen, was ich seinen Geschöpfen darbringen könnte, als einen leeren Segen.“ Solche Bemerkungen haben schon manches reuige Gemüth in den wehmühtigsten Zustand versetzt. Und erlaubt mir es zu sagen, wenn die Ar|muth von einer solchen Ursach herrührt, und von solchen Vorwürfen begleitet ist; wenn der Mangel so die Seele angreift und die Dürftigkeit so hart auf die geselligen Empfindungen drückt, so ist Elend ein Wort, welches die Bitterkeit eines solchen Zustandes noch gar nicht auszudrücken im Stande ist. Eben so tiefe und traurige Seufzer muß derjenige, der die Kräfte seines Geistes und Körpers durch Unmäßigkeit geschwächt hat, ausstoßen, wenn nun der Sinn für den edlen Gebrauch, zu dem er sie hätte anwenden können, in ihm erwacht; wenn er seine Augen den Pflichten öffnet, die ihm gegen die Gesellschaft obliegen, wenn er nun vor Verlangen brennt sie mit Eifer zu erfüllen, und findet, daß seine Fähigkeiten der Gesellschaft zu dienen geschwächt sind; daß die Kraft seines Verstandes zusammengeschrumpft, und die rege Thätigkeit seines Gemüths entnervt ist, daß er die Periode seiner Nützlichkeit abgekürzt, und ihren Wirkungskreis eingeengt hat; daß er vieles von den Talenten, die ihm die Natur gab um wohlthätig damit zu wirken, zur Unfähigkeit hat vertrocknen, und bis auf einen leeren Wunsch verwittern lassen! Der Schmerz, der aus dieser Betrachtung entsteht, wird seine religiöse Freude verbittern, wird ihm bis zu seiner letzten Stunde folgen, und auch da noch gewissermaßen seine Ruhe stören. Auch der wird nicht weniger schmerzlichen Ueberlegungen, nicht weniger traurigen Vorwürfen zur | Beute, der durch vorhergegangenes übles Betragen seine Ehre so ganz verloren hat, daß seine Besserung wenigstens eine lange Zeit hindurch nicht im Stande ist, sie ihm wieder einzulösen; wenn er findet, daß er bis dahin, wenn es anders je wieder so weit mit ihm kommt, seiner eifrigsten Wünsche ohnerachtet nicht im Stande ist, der Religion die er durch sein Bekenntniß ehren, der Tugend die er durch sein Betragen empfehlen möchte, auch nur 3 Das von Fawcett markierte wortgetreue Zitat stammt aus William Shakespeare: The tragedy of Othello, the moore of Venice, in: Mr. William Shakespeares comedies, histories, & tragedies. Published according to the true originall copies, Folio-Erstausgabe London 1623, Akt V, Szene 2.

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ent number of the party, which operates, with no inconsiderable force, in determining the moral choice of mankind.

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These are consequences of former folly, which reformation cannot remove. These are tears, which the consolations of Christianity cannot wipe; tears, that only Time can dry; that create a wide difference between | the condition of “a sinner that repenteth,” and a “just person that needs no repentance.” But, Secondly, the peace of penitence is sometimes ruffled, not only by the consciousness of utility curtailed by past misconduct, but by the recollection of positive injuries rendered to individuals, which it is not in the power of repentance to repair.

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Imagine, for a moment, the situation of him, who, while he hopes that the past is forgiven, is not able to forget, cannot banish from his mind, cannot prevail upon his memory to be silent concerning, an act of cruelty, of which he once was guilty, when under the influence of passions he has since subdued, of such a nature as threatened to give an unfortunate turn to the history of a fellow-creature, whom since he has never seen; of whom since he has never heard; and who may now, for aught he knows, be groaning under the consequences of his inhumanity. He pines to repair the wrong he has done; but the object of it he cannot find, he has lost him in the crowd of life; and perhaps, if successful in his search, his powers are inadequate to a complete reparation. The afflicting idea, | of the injury he has done reaching, in its remote effects, to the present moment, and not having spent itself upon the fortunes and happiness of the wretch to whom he rendered it, is an arrow in his heart, continually throbbing and burning there, which all his efforts are unable to pull out!

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den geringsten Zuwachs an Ansehn zu verschaffen; daß er ihnen vor der Hand keine Stimme zu geben hat; daß er gar kein Wort hat in dem Streit, ob es weiser sey der Pflicht zu folgen, oder sie zu vernachläßigen; daß er sich auf lange Zeit gefallen lassen muß tugendhaft zu leben, ohne daß er dadurch ein tugendhaftes Beyspiel giebt; daß er sich damit begnügen muß unbemerkt ein Diener Gottes zu seyn, ohne mitgerechnet zu werden unter das Häufchen derer, deren Anzahl doch nicht wenig beyträgt, um die Menschen zu bestimmen mit welcher Parthey sie es halten wollen. Dies sind solche Folgen der vergangenen Thorheit, die von keiner Besserung aufgehoben werden können. Dies sind Thränen, welche die Tröstungen des Christenthums nicht abwischen, Thränen, welche die Zeit allein trocknen kann, und die einen großen Unterschied machen zwischen dem Zustand des Sünders der Buße thut, und des Gerechten, der der Buße nicht bedarf. | 2) Aber die Ruhe des Büßenden wird nicht nur durch das Bewußtseyn gestört, daß sein übles Betragen seiner Nützlichkeit Abbruch gethan hat, sondern öfters auch durch die Erinnerung an wirkliche Beleidigungen, die er bestimmten Personen zugefügt hat, und die er bey aller Reue nicht wieder gut machen kann. Stellt Euch auf einen Augenblick die Lage eines Menschen vor, der ohnerachtet seiner Hoffnung, daß ihm das Vergangene vergeben ist, doch sich selbst nicht vergeben, sein Gedächtniß nicht zum Schweigen bringen, und die Erinnerung an eine grausame Handlung, deren er sich einst schuldig machte, als er noch unter der Herrschaft der jetzt unterjochten Leidenschaften stand, nicht aus seinem Gemüth verbannen kann; eine Handlung, die so beschaffen war, daß sie drohte der ganzen Geschichte eines Andern eine unglückliche Wendung zu geben; denkt, daß er diesen seitdem nie wieder gesehn, nie wieder etwas von ihm gehört hat, und vermuthen muß, er seufze jetzt unter den Folgen dieser Unmenschlichkeit. Er brennt vor Begierde, das Böse was er angerichtet hat wieder gut zu machen; aber er kann den Gegenstand desselben nicht finden, er hat ihn verloren in dem Gewühl des Lebens, und wenn er in seinen Nachforschungen glücklich wäre, würden vielleicht seine Kräfte zu einer vollkommnen Genugthuung nicht hinreichen. Der traurige Gedanke, daß das Unrecht welches er gethan | hat in seinen entfernten Folgen bis an den jetzigen Augenblick reicht, und daß es nicht bey dem Vermögen und der Glückseligkeit der Unglücklichen allein stehen geblieben ist, denen er es eigentlich zufügte: dieser Gedanke ist ein Pfeil, der immer in seinem Herzen 14–15 Die beiden von Fawcett markierten benachbarten Zitate wiederholen den leitenden Bibelvers.

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Picture to yourselves the feelings of him, in the hour of repentance and reformation, who has to remember, that, in the mad moment of nocturnal intoxication, in the hot hour of irritated passion, or in the cool contest of fashionable honour, he once sent a human creature to his last account, “with all his imperfections on his head.” Circumstances appeared in his favour, and procured his acquittal, at the tribunal of his country. A serious relinquishment of the thoughtless life he led encourages him to hope he shall receive a pardon at the bar of God. But neither the forgiveness of earth, nor of Heaven, is able to remove the horror, with which he looks on the hand that acted so dark a tragedy; to erase from his memory the terrible story that is written there; or bid the injured phantom begone, that haunts his re|tirements, and draws his curtains, and governs his dreams.

Paint to yourselves the situation of that wretched, though reformed, man, who, in departing from his duties, forgot the lessons, degenerated from the example, disappointed the expectations, and broke the hearts of those who gave him being; whose most fervent efforts were employed, and whose fondest wishes were placed, upon making that being a blessing to him; and who could not survive the crush of their hopes: who could have supported the sight of his untimely grave, without sinking into theirs; who could have borne to behold the rose of health faded for ever upon the face of his youth; who could have seen that flower succeeded there by the pale hand of death, without giving way to parental despair; but who could not endure to behold, who were not able to outlive, the withered blossom of innocence, in that bosom, they had taken so much pains to shelter from the wind that blighted it.—The parricide repents; but repentance brings him little peace. He has sorrows that weep on, when the tears of common penitence have ceased to flow. The God of mercy forgives | his forsaken sin; but the cruel crime how shall himself forgive? He practises now the precepts of his parents; he has now relinquished the conduct that occasioned their death; but his return to rectitude cannot effect their restoration to life. His virtues flourish now, as they wished to see them flourish: but now their eyes are closed. The victim of vice has made his escape; the slave of passion has recovered his freedom; he has reason to rejoice in his release; still, however, he must grieve, for the grave, the more retentive grave, refuses to resign its

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bohrt und brennt, und den er mit allen seinen Anstrengungen nicht herausreißen kann. Malt euch aus, von welchen Gefühlen derjenige in der Stunde der Reue und der Besserung gefoltert wird, der sich erinnern muß, daß er einst in dem thörichten Augenblick eines nächtlichen Rausches, in der heißen Stunde gereizter Leidenschaft, oder in dem kalten Streit über eine Ehrensache, eine menschliche Seele mit allen ihren Unvollkommenheiten beladen zu ihrer letzten Rechenschaft hingefördert hat. Umstände zeigten sich ihm günstig und verschaften ihm seine Lossprechung vor den Gerichtshöfen seines Vaterlandes. Ein ernstliches Abstehen von dem gedankenlosen Leben, das er führte, macht ihm Muth zu hoffen, er werde auch vor dem Gericht Gottes Vergebung erhalten. Aber weder die Vergebung der Erde noch die des Himmels kann den Abscheu entfernen, womit er die Hand betrachtet, die eine so schwarze tragische That vollführen konnte, kann aus seinem Gedächtniß die schreckliche Geschichte nicht auslöschen, die darin aufgezeichnet ist, kann die beleidigte Gestalt nicht vertreiben, die ihn in seiner Einsamkeit beunruhigt, seine Vorhänge aufzieht, und seine Träume beherrscht.| Malt Euch den Zustand des unglücklichen, wenn gleich gebesserten Mannes, der, als er von seiner Pflicht abwich, die Lehren derer vergaß, welche ihm das Leben gegeben hatten, der von ihrem Ebenbild ausartete, ihre Erwartungen täuschte und ihr Herz zerriß, weil sie, deren eifrigste Bemühungen darauf verwendet wurden, deren zärtlichste Wünsche dahin gerichtet waren, daß sein Daseyn ihm ein Segen werden sollte, die Zertrümmerung ihrer Hoffnungen nicht überleben konnten. Sie hätten den Anblick seines frühen Grabes ertragen können, ohne in das ihrige zu sinken. Die Blume der Gesundheit auf den Wangen seiner Jugend auf immer verwelken, und die bleiche Hand des Todes den Platz einnehmen zu sehn, wo diese Blume geblüht hatte, das hätten sie ertragen können, ohne ihr väterliches Herz der Verzweiflung hinzugeben; aber das konnten sie nicht ansehn, das konnten sie nicht überleben, daß die Blüthe der Unschuld in dem Busen verwelkte, den sie gegen den Wind, welcher sie hingerafft hat, mit so vieler Mühe hatten zu schützen gesucht. – Der Vatermörder bereut, aber seine Reue bringt ihm wenig Frieden. Er hat Leiden, die ihn noch weinen machen, wenn die Thränen der gewöhnlichen Buße schon lange nicht mehr fließen. Der Gott der Gnade vergiebt ihm die Sünde, von der er sich bekehrt; aber dies gräuliche Verbrechen, wie kann er 7–8 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. William Shakespeare: The tragedy of Hamlet, Prince of Denmarke, in: Mr. William Shakespeares comedies, histories, & tragedies. Published according to the true originall copies, Folio-Erstausgabe London 1623, Akt I, Szene 5

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prey. The venerable form of him, the mild and amiable figure of her, of whose prayers he was the child, of whose heart he ought to have been the pride, and of whose age, the prop, seem incessantly to pursue him, with silent looks of tender reproach. Christianity teaches him to contemplate the tombs with a cheerful eye; but there is one among the number, that mingles a gloomy horror with the contemplation. The gospel bids him rejoice in the resurrection of the dead; but there is one revival, that leads to an interview, which throws a shade over the splendid scene, as it stands presented to the eye of his faith.—| Can all the moral exertions of one, whose follies have struck a blow like this, to the hearts of which he was once the treasure, and planted, in his own, a sorrow with such a frightful root, restore him to an equality in peace and joy, with that virtuous youth, whose amiable manners are a recompence of the care, and an answer to the prayers, of those who gave him life, and who taught him how to live; whose character is the blessing, for which their principal praise ascends to heaven, and the column on which their infirmity leans for its chief support; or with that virtuous man, who has to remember, that he w a s all this to the preceptors and guides of his youth, as long as they lived?—No: this is a difference, which none of the efforts of reformation, which none of the promises of Religion, are able to remove. This is a bruise in the wounded spirit of Repentance, that shall continue to smart, when the broken heart of common Contrition has long been healed.

To mention no more cases of this melancholy nature; will you enter, a moment, into the sensations of him, in the hour of moral wisdom and virtuous sensibility, whose con|duct and conversation, in a former period of his life, contributed to unsettle the religious belief, and corrupt the moral purity, of one, possessed, till with him connected, of good principles, and of good propensities. Struck, and

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es sich selbst vergeben? Jetzt befolgt er die Vorschriften seiner Eltern; jetzt hat er den Wandel verlassen, der ih|ren Tod verursachte; aber seine Rückkehr zur Rechtschaffenheit kann sie nicht ins Leben zurückbringen. Jetzt blühen seine Tugenden, so wie sie sie blühen zu sehen wünschten; aber nun sind ihre Augen geschlossen. Das Schlachtopfer des Lasters ist glücklich entkommen; der Sklave der Leidenschaften hat seine Freiheit wieder erlangt, er hat Ursach sich seiner Befreyung zu erfreuen; aber doch muß er sich härmen, denn das Grab, das geizigere Grab weigert sich seine Beute fahren zu lassen. Das ehrwürdige Bild des Vaters, die milde liebenswürdige Gestalt der Mutter verfolgen ihn unaufhörlich – ach! er war das Kind ihrer Gebete, er hätte der Stolz ihres Herzens und die Stütze ihres Alters seyn sollen – diese Gestalten verfolgen ihn jetzt mit stillen Blicken voll zärtlicher Vorwürfe. Das Christenthum lehrt ihn Gräber überhaupt mit einem heitern Auge zu betrachten; aber es ist eins darunter, welches dieser Betrachtung eine finstre schauerliche Schwermuth mittheilt. Das Evangelium gebietet ihm, sich über die Auferstehung der Todten zu freuen; aber es giebt eine Auferstehung, die zu einer Zusammenkunft führt, welche einen Schatten über den glänzenden Auftritt zieht, der sich den Augen seines Glaubens darstellt. – Einen Menschen dessen Thorheiten dem Herzen derjenigen, deren einziger Schatz er einst war, eine Wunde wie diese schlugen und zugleich in sein eignes Herz einen solchen Kummer mit dieser fürchterlichen Wurzel so fest einpflanzten, können dem wohl die größten mo|ralischen Anstrengungen den Frieden und die Freude des tugendhaften Jünglings verschaffen, dessen liebenswürdige Sitten nun die Wünsche derer erfüllen, die Sorgfalt derer belohnen, die ihm das Leben gaben, und ihn leben lehrten? dessen Charakter nun eine Segnung ist, für die ihre heiligsten Dankgebete gen Himmel steigen, und eine Säule, an welche sie sich anlehnen, um ihre Schwachheit zu unterstützen? können jenen Menschen alle Anstrengungen dem tugendhaften Manne gleich setzen, der sich erinnern kann, daß er den Lehrern und Führern seiner Jugend dies alles gewesen ist, so lange sie gelebt haben? – Nein, dies ist ein Unterschied, den keine Bemühungen der Besserung, den keine Verheißungen der Religion aufheben können. Dies ist in dem verwundeten Gemüth des Reuigen eine Narbe, die noch immer fortfahren wird zu schmerzen, wenn das zerbrochene Herz der gewöhnlichen Buße längst geheilt ist. Um nicht mehrere so erschütternde Fälle anzuführen, versucht es nur einen Augenblick euch vorzustellen, was derjenige in der glücklichen Stunde sittlicher Weisheit und tugendhafter Empfindsamkeit fühlen muß, dessen Betragen und dessen Umgang in den früheren Perio30 jenen Menschen] jenen

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arrested, by some merciful incident in his life, he stopped himself in the descent to destruction; but all his efforts failed to stop the c o m p a n i o n of his way; h e continued to rush downward, with undiminished rashness, and rapidity: let loose from the ties of religious restraint, which, he has to recollect, it was his cruel hand that cut asunder, h e is rushing downward still. All the remonstrances he has made him, have met with only ridicule from him. The words of wisdom, which he has addressed to him, have but moved his mirth. Grave and sober advice, from lips that initiated him in levity, from which first he heard the language of licentiousness, has been received by him with laughter. The former, and then but too persuasive, preceptor of pleasure, has found himself unable to impress any other lessons upon his pupil. It is not in language to describe, it is not in philosophy, or in religion, to cure, the agony of this successful enemy, but unsuccessful friend, to the | welfare of his brother. In the midst of his prospect of personal salvation, the perdition he has brought upon another’s head is a mill-stone upon his mind! and the horrid prospect of hearing, on the day when all are to stand before the judgment-seat of Christ, the piercing curse of a ruined soul, blasts and withers all the joy, with which he would otherwise have looked forward to that day! As long as he lives, “oh! his offence is foul” in his eye. Nothing can sweeten to his mind the heart that did it. He sees the stain of a brother’s blood upon him! a stain that stabs him, every time he sees it! He is the murderer of an immortal soul, and he has murdered his own peace for ever.

These are consequences of immoral conduct, from which reformation cannot rescue, and under which religion cannot console. Let it not be said by them who are tempted to enter into the path of folly, “I will not go these lengths.” They are the words of folly. It is idle for him, who surrenders himself to his passions, to say what he will do, and what he will not do; how far he will go, and where he will stop. Let the charioteer, who is drawn by furious coursers, | throw the reins from his hand, and declare, that he will remain the regulator of his 17 upon] opon

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den seines Lebens viel beygetragen hatte, den religiösen Glauben und die sittliche Reinigkeit eines Andern, welcher bis zu seiner Verbindung mit ihm gute Grundsätze und Neigungen gezeigt hatte, wankend zu machen. E r s e lb s t ist, ergriffen und festgehalten durch irgend | einen glücklichen Zufall in seinem Leben stehen geblieben auf dem bergab eilenden Pfade zum Verderben; aber alle seine Bemühungen haben nicht vermocht auch den G e f äh r t e n seines Weges aufzuhalten: der fuhr fort, nicht minder rasch und reißend als vorher hinabzustürzen; los von den Zügeln der Religion, welche wie der Verführer sich erinnern muß, seine grausame Hand zuerst abschnitt, raset er immer noch tiefer hinunter. Alle Vorstellungen die er ihm gemacht hat, sind nur belacht worden. Die Worte der Weisheit, die er ihm gesagt hat, haben nur seine lustige Laune gereizt. Ernsten und verständigen Rath von denselben Lippen, die ihn zuerst im Leichtsinn einweihten, und von denen er zuerst die Sprache der Frechheit hörte, hat er nur mit Gelächter aufgenommen. Der ehemalige, damals nur zu viel Eingang findende Lehrer der Freude kann es nicht dahin bringen, seinem Zögling eine andere Lehre einzuprägen. Die Todesangst, die derjenige empfinden muß, der mit so vielem Glück das Wohlergehen seines Bruders anfeindete, und als Freund so gar kein Glück hat, die kann keine Sprache beschreiben, und keine Philosophie, seine Religion kann sie heilen. Mitten in der fröhlichen Aussicht auf seine eigne glückliche Rettung ist das Verderben, welches er über das Haupt eines Andern gebracht hat, ein Mühlstein an seinem Gemüth, und die fürchterliche Aussicht an dem Tage, wenn alle vor den Richterstuhl Christi gestellt werden, den durchdringenden Fluch einer ins Unglück ge|stürzten Seele zu hören, verlöscht und bleicht alle Freude, mit welcher er sonst auf diesen Tag hingesehn haben würde. So lange er lebt, ach! steht seine Verschuldung gräßlich vor seinen Augen. Nichts kann ihm das Herz wieder lieb machen, welches damit beladen ist. Er sieht den Fleck von dem Blut eines Bruders darauf, einen Fleck der ihn peinigt, so oft er ihn erblickt. Er ist der Mörder einer unsterblichen Seele, und er hat seine eigne Ruhe auf immer gemordet. Dies sind solche Folgen eines unsittlichen Wandels von denen uns unsre Besserung nicht befreyen, und über welche uns die Religion nicht trösten kann. Es sage keiner, der in Versuchung ist den Pfad der Thorheit zu betreten: so weit will ich nicht darauf gehn. Das sind eben 24 hat,] hat 28–29 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. William Sampson: The vow breaker, or, The faire maide of Clifton. In Notinghamshire as it hath beene divers times acted by severall companies with great applause, London 1636, Akt III, Szene 2. 37 Das von Fawcett markierte Zitat ist rhetorisch-fiktiv.

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pace, and of his direction. Let him, that determines to devote an evening to intoxication, promise, that he will act no extravagance; that he will betray no secret; that he will engage in no broil. Let him, that enlists himself a soldier, expect to be consulted, what battles he shall fight; in what causes he shall draw his sword; and in what, it shall rest in the scabbard. “Whosoever committeth sin, is the serv a nt of sin.”

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Most sincerely happy shall I be, if the considerations I have thrown together prove sufficient to counteract, in but a single instance, the inclination so commonly felt, and so frequently followed, in early life, of employing a part of it in such a manner, as must lay a foundation for that repentance, the bitterness of which I have stated to extend beyond a single moment, and beyond a single ground; which is more than a fugitive feeling, confined to the instant when wandering Nature stops in the path of folly, and turns her face the other way; which is an oft-repeated sigh; a protracted sorrow; spreading out into more than one branch of grief, and | liable to be ramified into a sad variety of regret. Frequently, we endeavour to animate Virtue; our voice is repeatedly lifted up to arrest Vice; often, it is our office to comfort Penitence; to night, let me be forgiven, for having confined my care to Innocence. I am happy, upon all occasions, to proclaim the consolations, which Christianity addresses to the “broken and contrite heart:” with pleasure I hold out the balm that heals it: God grant I may, this evening, have said, what may prevent the wound from being given, the balm from being wanted. I would stretch out a willing hand, to wipe away the tear from the face of Repentance: let me, now, have endeavoured with success, to save the eye of those, whose hearts as yet are clean, from being ever sullied by it! to preserve the innocent gaiety, that now sparkles there, from being ever dimmed by so sad a drop! I am ready to comply with my duty, and with the dictate of benevolence, in calling out to them that have gone out of the way, and that are rushing to their ruin, to stop; to turn back; and not to die: but I could wish, and may the Almighty in his mercy grant, that, to night, I may not have tried in vain, | to save the human soul, not only from final perdition, but from present anguish; and to render all repentance needless, but that which is occasioned by the venial errors and infirmities of human nature. In the presence

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Worte der Thorheit. Es ist vergeblich, daß der, welcher sich seinen Leidenschaften ergiebt, sagt was er thun und was er nicht thun, wie weit er gehn und wo er inne halten will. Werfe doch der Führer eines von wilden Rennern gezogenen Wagens die Zügel aus der Hand, und behaupte, er wolle es dennoch in seiner Gewalt behalten, ihre Schritte und ihren Weg zu regieren. Verspreche doch der, der einen Abend der Unmäßigkeit zu widmen beschließet, daß er keine ausschweifende Handlung begehen, kein Geheimniß verrathen, und sich in keinen Streit einlassen wolle. Träume doch der, welcher sich als Krieger anwerben läßt, man werde ihn um Rath fragen, in welchen | Schlachten er fechten, für welche Sache er sein Schwerdt ziehn, und bey welcher er es in der Scheide lassen wolle! „Wer Sünde thut, der ist der Sünde K n e c h t !“2 Sehr aufrichtig werde ich mir Glück wünschen, wenn die Betrachtungen, die ich hier zusammengefaßt habe, auch nur in einem einzigen Falle Kraft genug beweisen um jener Neigung das Gegengewicht zu halten, die sich in der ersten Hälfte des Lebens gewöhnlich einschleicht, und die nur zu oft befolgt wird, der Neigung nemlich: einen Theil des Lebens so anzuwenden, daß man dadurch den Grund zu der Reue legt, von der ich eben gezeigt habe, daß ihre Bitterkeit länger als einen Augenblick währt, und mehr als einen Seufzer auspreßt. Ja sie ist mehr als ein flüchtiges Gefühl, welches sich auf den Augenblick beschränkt, wenn die Natur stehen bleibt auf dem Pfade der Thorheit, und ihr Angesicht auf den andern Weg hinwendet: sie ist ein oft wiederholter Seufzer, ein langwieriges Leiden, ein Gram der viele weit um sich greifende Zweige treibt und aus dem tausend Aeste der bittersten Vorwürfe hervorsprossen. Wir geben uns oft Mühe die Tugend zu ermuntern, unsere Stimme erhebt sich wiederholt um das Laster aufzuhalten, es ist oft unser Geschäft der Buße Trost zuzusprechen; vergönnt es mir, daß ich heute einmal meine ganze Sorgfalt der Unschuld geschenkt habe. | Es macht mich glücklich bey jeder Gelegenheit die Trostgründe vorzutragen, welche das Christenthum dem zerbrochenen und zerknirschten Herzen verordnet; mit Vergnügen reiche ich den Balsam dar, der es heilt. Gebe nur Gott, daß das, was ich diesen Abend gesagt habe, verhindern möge, daß die Wunde nicht geschlagen werde, und daß man des Balsams nicht benöthiget sey. Gern will ich 2

Joh. 8, 34.

35 nicht geschlagen] Kj geschlagen

36 nicht benöthiget] Kj benöthiget

32–33 Zu dem von Fawcett markierten Zitat vgl. Ps 51,19 (KJB Ps 51,17)

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of Humanity and Heaven, “there is joy over one sinner that repenteth;” but in the presence of Humanity and Heaven, there is more, over the contested heart of youth, in the moment of determination, when victory decides in favour of Virtue; when the world is overcome; and the character has taken the turn that calls for generous congratulation. In the bosom of Benevolence, this event demands a more joyous jubilee than the former; as, while an equal evil is escaped, a greater sum of good is gained.

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Let the consequences of delaying the cultivation of virtue, which I have enumerated, receive the serious consideration they deserve. Let the young, the thoughtless, and the gay, revolve them with trembling. They must not think, indeed they must not, that reformation, upon the fairest supposition, will lift them to a level with the ever steady servants of God, that have never deserted his standard. T hey have been ever with their Lord, and | all that he has is theirs. To t hem, the most unclouded joys belong. Upon their heads the most unsullied

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meine Hand ausstrecken um die Thräne aus dem Antlitz der Reue hinwegzuwischen; wenn ich mich nur jetzt nicht fruchtlos gemüht habe, die Augen derjenigen, deren Herzen noch rein sind, zu bewahren, daß diese Thräne sie nie beflecke! zu verhindern, daß die unschuldige Fröhlichkeit, welche jetzt darin glänzt, nie durch einen so trüben Tropfen verdunkelt werde. Gern will ich meine Pflicht und die natürlichen Forderungen des Wohlwollens auch dadurch erfüllen, daß ich denen, die schon aus dem Wege gewichen sind und ihrem Verderben entgegeneilen, zurufe inne zu halten, umzukehren und nicht zu sterben; aber ich wünsche herzlich, und der Allmächtige gewähre es mir nach seiner Gnade, daß ich heute nicht umsonst versucht haben möge, menschliche Seelen nicht nur von dem Verderben in jener, sondern auch von der Angst in dieser Welt zu befreyen, und alle Reue überflüßig zu machen, bis auf die, welche durch die verzeihlichen Irrthümer und Schwachheiten der menschlichen Natur veranlaßt wird. Im Himmel und auf Erden ist Freude | über einen Sünder der Buße thut3; aber im Himmel und auf Erden ist noch mehr Freude über das zweifelhafte Herz der Jugend, wenn sich im Augenblicke des Entschlusses der Sieg zu Gunsten der Tugend entscheidet; wenn die Welt überwunden ist, und der Charakter die Wendung genommen hat, die uns zur aufrichtigsten Freude über das Heil einer Seele auffordert. Diese Begebenheit verlangt deswegen von einem wohlwollenden Herzen eine lebhaftere und lautere Freudenbezeugung als jene, weil indem gleiches Uebel dadurch vermieden wird, eine weit größere Summe des Guten daraus hervorgeht. Schenket diesen Folgen, welche wie ich sie entwickelt habe, wirklich entstehen, wenn wir es aufschieben uns die Tugend zum Endzweck unserer Thätigkeit zu machen, schenket ihnen die ernste Aufmerksamkeit, welche sie verdienen. Möchten die Jungen, die Leichtsinnigen, die Fröhlichen sie mit Zittern erwägen. Sie dürfen nicht denken, in der That sie dürfen es nicht, daß selbst unter der günstigsten Voraussetzung ihre Besserung sie den alten, beständigen Dienern Gottes gleich machen werde, die seine Fahne nie verlassen haben. D i e s e sind immer bey ihrem Herrn gewesen, und alles, was 3

Luk. 15, 7.

5 nie durch] Kj jemals durch 16 Der von Schleiermacher mit einem Nachweis versehene Text ist von Fawcett als Zitat markiert.

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honours stall be placed. “Blessed is the man, whose transgression is forgiven, whose sin is covered.” But blessed still more is the man, who has had no habitual transgressions to confess, no habitual sin to forsake. Amen.

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er hat, ist das ihrige. I h n e n gehören die unbewölktesten Freuden; auf i h r Haupt wird die unbeflekteste Ehrenkrone gesetzt. „Heil dem Mann, dem die | Uebertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist.“4 Aber noch mehr Heil dem Mann, dem keine Uebertretung zur Gewohnheit worden ist, die er bekennen, den keine Sünde beherrscht hat, die er verlassen müßte. Amen. 4

Ps. 32, 1.

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Reisen im Innern von Afrika auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797 unternommen von Mungo Park Wundarzt.

Aus dem Englischen.

– egens Libyae deserta peragro. Virg.

Mit Kupfern.

Berlin bei Haude und Spener 1799.

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7 Aus] aus

9 Mit] mit

8 Publius Vergilius Maro: „Ego ipse ignotus, egens, peragro deserta Libyae, pulsus ex Europa atque Asia.“ (Aeneis, Buch I, Vers 372). Die Abkürzung „Virg.“ steht für die im Englischen übliche Namensfassung „Virgil“.

Vorrede des Verfassers.

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Diese Reisebeschreibung ist aus flüchtigen Bemerkungen und Notizen ausgearbeitet, wie ich sie im ersten günstigen Augenblick entwerfen und nicht ohne große Schwierigkeit aufbewahren konnte. Sie wird jetzt auf Veranstaltung meiner verehrungswürdigen Kommittenten, der Mitglieder der afrikanischen Gesellschaft, dem Publikum vorgelegt, und ich bedaure nur, daß sie des Schutzes, unter dem sie erscheint, nicht würdig genug ist. Von Seiten des schriftstellerischen Verdienstes kann sie sich durch nichts empfehlen, als durch Wah r h e i t . Sie enthält eine einfache ungeschminkte Erzählung, und macht nicht die mindesten Ansprüche auf irgend etwas, als nur darauf, | unsre geographische Kenntniß von Afrika hie und da zu erweitern. Dies war die Absicht, als ich der Gesellschaft meine Dienste anbot, und sie dieselben annahm; und ich hoffe, daß ich nicht ganz vergeblich gearbeitet habe. Jedoch, das Werk mag für sich selbst reden; auch würde ich gar keine Vorerinnerung für nöthig gehalten haben, wenn nicht Gerechtigkeit und Dankbarkeit mich aufforderten, folgender Umstände zu erwähnen. Bei meiner Rückkunft aus Afrika sah die geschäftführende Committee1 der Gesellschaft sehr bald, wie viel Zeit nöthig sein würde, um eine ausführliche Erzählung, wie die, welche gegenwärtig erscheint, auszuarbeiten, und da sie doch wünschte, sobald als möglich die Neugierde zu befriedigen, welche viele Mitglieder, gütig genug, in Rücksicht meiner Entdeckungen geäußert hatten: so beschloß sie, daß aus den Materialien und mündlichen Eröfnungen, welche ich an die Hand geben konnte, ein kurzer Umriß meiner Reise sogleich verfaßt und zum Gebrauch der Gesellschaft gedruckt, auch zugleich eine gestochene Karte von | meinem Wege ausgegeben werden sollte. Ein solcher Aufsatz ward von Mitgliedern der Gesellschaft selbst in zwei Abschnitten verfertigt und unter die Gesellschaft vertheilt. Herr Bryan Edwards besorgte den historischen Theil und Major James Rennell die geographischen Erläuterungen über meine Wanderung. Er fügte zugleich nicht nur eine Karte von meinem Wege hinzu, die nach mei1

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Diese Committee besteht aus folgenden Herren: dem Earl von Moira, dem Lord Bischof von Landaff, dem Präsidenten der Akademie, Sir Joseph Banks, Andrew Stuart, Esquire, und Bryan Edwards, Esquire.

35 Landaff] London

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Reisen im Innern von Afrika

nen eignen Beobachtungen und Skizzen aufgenommen wurde (nachdem jedoch die Irrthümer verbessert waren, welche er vermöge seiner großen Kenntniß und ausgezeichneten Genauigkeit in geographischen Beobachtungen darin entdeckt hatte), sondern auch eine allgemeine Charte, von Nord-Afrika, die, nach Maaßgabe der Fortschritte welche wir in der Geographie dieses Landes gemacht haben, alles darstellt, was wir bis jetzt davon wissen; endlich that er auch noch eine besondere Karte hinzu, auf welcher die Abweichungen der Magnetnadel in den Meeren, die diesen großen Welttheil umgeben, verzeichnet sind. Da ich mich nun eines solchen Beistandes bei dieser Gelegenheit erfreue, so kann ich unmöglich vor dem Publikum erscheinen, ohne zu bezeugen, wie sehr ich mich dadurch geehrt finde, und wie dankbar ich | die Vorzüge erkenne, die mein Werk den Arbeiten dieser Herren verdankt; Herr Edwards hat mir gütigst erlaubt, seine ganze Erzählung meinem Werke an den gehörigen Stellen einzuverleiben, und Major Rennell hat mir mit gleicher Gefälligkeit vergönnt, nicht nur meine Reisen durch die vorerwähnten Karten zu verschönern und zu erläutern, sondern auch seine geographischen Erläuterungen hinzuzufügen. Bei solcher Unterstützung würde ich der Welt dies Werkchen mit demjenigen vollen Vertrauen auf eine günstige Aufnahme übergeben, wozu meine eignen Verdienste mich keinesweges berechtigen könnten, wenn ich nur nicht besorgen müßte, daß mehrere meiner Leser allerlei Erwartungen hegen von Entdeckungen, die darin mitgetheilt werden würden, welche ich aber keinesweges gemacht habe, und von Wunderdingen, die darin vorkämen, von denen ich aber ganz und gar nichts weiß. Es ist allerdings zu besorgen, daß diejenigen, welche sich hierin getäuscht finden, indem mein Buch sie weder so kurzweilig ergötzen, noch in solches Staunen versetzen wird, als sie sich im Voraus versprochen hatten, mir dann auch nicht einmal das kleine Verdienst werden lassen wollen, welches ich mir mit Wahrheit zuschreiben kann. So un|angenehm ich dies auch empfinden werde; so werde ich mich doch darüber zu trösten wissen, wenn die vortreflichen Männer, in deren Aufträgen ich gereiset bin, mir nur das Zeugniß geben, daß ich mich derselben zu ihrer Zufriedenheit entledigt habe, und daß das Buch, welches ich ihnen jetzt zu widmen die Ehre habe2, dasjenige wirklich ist, was es meiner Absicht nach sein soll, eine schlichte und treue Erzählung von dem, was ich vom Anfang bis zum Ende meiner Reise in ihrem Dienst geleistet und beobachtet habe. Mung o Pa rk. 2

Das Original ist der afrikanischen Gesellschaft dedicirt.

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Nachschrift der Verleger.

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Mungo Park’s Reise ist ohne Zweifel zu einer großen Anzahl von Lesern berechtigt, da sie aber nicht alle, ohne Ausnahme, an den gelehrten, kritisch-geographischen Untersuchungen des Major Rennell über die Lage der Länder, welche Park besucht hat κ., sowohl der Sache selbst als der Behandlung nach, Interesse finden dürften: so haben wir es dem Vortheil der Käufer für zuträglicher gehalten, Parks Reisebeschreibung für sich allein erscheinen zu lassen und Rennells Karte besonders zu verkaufen. Sie wird jetzt von Herrn Jä ck gestochen, und mit Erläuterungen, die auf das Bedürfniß der Leser von Park’s Reise im Allgemeinen berechnet sind, bald nachfolgen. Bei dieser Veranstaltung gewinnt das Publikum, und wird deshalb hoffentlich damit zufrieden seyn; so wie auch d am it, daß in dieser Reisebeschreibung die Namen der Länder, Orte und Personen in Afrika, nicht nach der englischen Rechtschreibung, sondern so wie sie der dadurch angedeuteten Aussprache nach lauten würden, folglich: z. B. statt Benowm, Benaum, statt Sooseeta, Susita u. s. w. gedruckt worden sind. Berlin, den 1sten August 1799. Ha ude und S pener.

4 Rennell] Rennel

8 Rennells] Rennels

14 Personen] Persohnen

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Reisen im Innern von Afrika.

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Erster Abschnitt. Veranlassung zur Reise. Der Verfasser schifft sich nach Afrika ein; seine Ankunft daselbst und Aufenthalt zu Pisania bei dem Doctor Laidley. Abreise von da nach den innern Gegenden des Landes.

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Als ich im Jahr 1793 aus Ostindien nach London zurückkam, suchte die a f r i k a n i s c h e Gesellschaft3 jemand, der zu Erforschung der innern Gegenden von Afrika eine Reise den Gambia hinauf versuchen sollte. Dies war mir eine erwünschte Nachricht, denn ich hatte eine unwiderstehliche Neigung, ein so unbekanntes Land, als Afrika uns Europäern ist, zu untersuchen, und den Charakter und die Lebensweise seiner Bewohner durch eigne Erfahrung kennen zu lernen; ich bat also den Präsidenten der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften, Ritter Banks, (der zugleich einer von den Commissarien der afrikanischen Gesellschaft ist), daß er zu diesem Unternehmen mich in Vorschlag bringen möchte. Zwar war mein nächster Vorgänger, der Capitain Houghton, auf eben dem Wege, den ich jetzt einschlagen sollte, wahrscheinlicherweise ver|unglückt. Er war nehmlich vom Fort Goree aus, wo er das Commando geführt, auf Veranstaltung und Kosten der Gesellschaft, zu dem jetzt mir vorgeschriebenen Zweck, den Gambia hinaufgesegelt, man hatte aber schon lange keine Nachricht mehr von ihm erhalten, und also war er vermuthlich von dem ungesunden Clima weggerafft, oder vielleicht gar von den Eingebohrnen ermordet. Allein dadurch ließ ich mich nicht abschrecken. Ich wußte, daß ich 3

Diese Gesellschaft besteht aus vornehmen, aus reichen, und aus gelehrten Privatpersonen, die aus Liebe zu nützlichen Kenntnissen, auf gemeinschaftliche Kosten Entdekkungsreisen nach dem Innern von Afrika veranstalten.

9 G es e l l s c h a f t jemand,] G e se l l sc h a f t , jemand

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Beschwerlichkeiten aller Art ertragen konnte, und vor den Einwirkungen des Clima’s, hoffte ich, würden meine Jugend und feste Gesundheit mich schützen. Die Committee gab eine ansehnliche Besoldung, an welcher ich mir genügen ließ, ohne wegen einer künftigen Belohnung im voraus etwas festzusetzen. Sollte ich auf meiner Reise umkommen, dachte ich, nun so sterben meine Erwartungen und Hoffnungen mit mir; gelingt es mir aber, meine Landsleute mit der Geographie des innern Afrika bekannter zu machen, und ihrer Betriebsamkeit durch bisher unbekannte Handelswege eine neue Quelle des Reichthums zu öffnen, so weiß ich, daß ich in den Händen ehrliebender Männer bin, welche mir den wohlverdienten Lohn meiner gelungenen Bemühungen nicht vorenthalten werden. Da die Committee mich mit den Kenntnissen, die zu einer solchen Reise im Allgemeinen erfordert werden, hinreichend ausgerüstet fand, und auch die Erkundigungen, welche sie in andern Rücksichten über mich einzog, zu meinem Vortheil ausfielen, so nahm sie mich in Dienst, und sie verfuhr gegen mich in allen Stücken so zuvorkommend und so freigebig, als ich es nur wünschen konnte. Anfänglich war die Rede davon, daß ich bis nach Senegambia mit Herrn Willis reisen sollte, der dort zum Consul ernannt worden war, und in dieser Eigenschaft mir hätte nützlich werden können. Allein diese Aussicht ward dadurch vereitelt, daß die Regierung die | Consulstelle ganz einzog: indeß ersetzte mir die Vorsorge der Committee den von dieser Seite gehofften Vortheil auf andre Weise. Der Secretair der Gesellschaft, der verstorbene Henry Bea ufoy, war so gütig, mir ein Empfehlungsschreiben an den Dr. La idley zu geben, der schon mehrere Jahre bei einer englischen Factorei an den Ufern des Gambia angestellt war; auch versah er mich mit einem Creditbriefe von 200 Pfund Sterling (ohngefähr 1400 Thaler). Nachdem auf diese Weise alles eingeleitet war, begab ich mich an Bord der Brig4 En d e a v o u r, auf welcher ich die Ueberfahrt zu machen gedachte; dies war ein kleines Schiff, das vom Capitain Richard Wyath commandirt wurde, und Wachs und Elfenbein am Gambia einzuhandeln pflegte. Meine Instruction war einfach und bestimmt; sie lautete blos dahin, daß ich bei meiner Ankunft in Afrika entweder durch Bambuk, oder auf einem andern bequemern Wege, nach dem Nigerfluß gehn, dann den Lauf, und wo möglich den Ursprung und das Ende dieses Flusses mit Gewißheit bestimmen, und mein Möglichstes thun sollte, die daran belegenen Oerter zu sehen, besonders die Städte Tombucktu 4

Ein kleines zweimastiges Kauffahrteischiff.

39 belegenen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 754

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und Hussa; wäre das geschehen, so könnte ich entweder auf dem Gambia oder auf jedem andern Wege, der mir meiner Lage und meinen Planen nach dazu am bequemsten dünken würde, nach Europa zurückkehren. Am 22sten May 1795 segelten wir von Portsmouth ab. Am 4ten Junius erblickten wir die Gebirge von Afrika über Mogadore, und kamen hierauf am 21sten desselben Monats, nach einer angenehmen Reise von dreißig Tagen, bei Dschillifrih vor Anker. Dies ist eine Stadt am nördlichen Ufer des Gambia, der James-Insel | gegenüber, wo die Engländer vormals eine kleine Festung hatten. Das Königreich Barra, worin Dschillifrih liegt, ist überaus fruchtbar an Lebensmitteln; der vorzügliche Handel der Einwohner besteht aber in Salz. Sie schiffen diese Waare in Canots den Fluß hinauf bis nach Barraconda, und bringen indianisches Korn, (türkischen Weizen) Baumwollen-Zeug, Elephantenzähne, etwas weniges Goldstaub und andere Dinge mehr wieder dafür zurück. Die große Anzahl Canots und Volks, die beständig zu diesem Handel gebraucht werden, machen den Europäern den König von Barra furchtbarer, als irgend ein anderer Regent in der Nachbarschaft des Flusses ist; und dieser Umstand mag wol Schuld daran sein, daß er sich’s anmaßt, von allen Nationen, die hieher handeln, so hohe Eingangszölle zu erheben. Für jedes Schiff, es sei groß oder klein, müssen beinahe 20 Pfund Sterling erlegt werden. Dieser Zoll wird gewöhnlich von dem Alkaid, Gouverneur von Dschillifrih, in Person eingefordert. Bei diesem Geschäfte hat er allemahl ein ansehnliches Gefolge von Eingebohrnen bei sich, unter denen sich gemeiniglich einige finden, die durch den häufigen Umgang mit Engländern, etwas gebrochenes Englisch gelernt haben. Sie sind bei dieser Gelegenheit äußerst lärmend und beschwerlich, und bitten mit solchem Ernst und solcher Zudringlichkeit um alles, was ihnen in die Augen fällt, daß die Kaufleute, um ihrer los zu werden, gezwungen sind ihnen alles zu geben was sie nur verlangen. Den 23sten schifften wir von Dschillifrih zwei englische Meilen weiter, nach Wintain, einer am südlichen Ufer des Flusses an einer Bucht belegenen kleinen Stadt, die, wegen ihres starken Handels mit Wachs, von den Europäern häufig besucht wird. Das Wachs wird von den F e l u p e n in den Wäldern gesammelt, und hier zum Verkauf gebracht. Die Felupen sind ein wildes und un|geselliges Volk, welches einen ansehnlichen Strich Landes bewohnt, der außerordentlich viel Reis hervorbringt; die Kaufleute, die auf dem Gambia und auf dem Cassamansa Handel treiben, pflegen sich daher in diesem Lande mit Reis, mit Ziegen und mit Federvieh zu versorgen, weil das alles um 3 Planen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1088–1089

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ein Billiges zu haben ist. Den Honig, den die Felupen sammeln, verbrauchen sie großentheils selbst: sie machen nehmlich ein starkes berauschendes Getränk daraus, fast wie unser englischer Meth. Bei dem Handel mit den Europäern bedienen die Felupen sich gewöhnlich eines Mäklers von der Mandingo-Nation, der etwas Englisch spricht, und mit dem Verkehr auf dem Fluß Bescheid weiß. Dieser Mäkler schließt den Handel, giebt aber mit Vorwissen des Europäers dem Felupen nur einen Theil der Zahlung; den Rest (der mit vielem Rechte d a s Tr u gge l d heißt,) läßt er sich erst auszahlen, wenn der Felupe schon wieder abgereiset ist, und behält ihn für seine Mühe. Die Felupen haben eine eigene Sprache und da ihr Handel gewöhnlich durch Mandingohs betrieben wird, so finden die Europäer nicht Gelegenheit, sie zu lernen, indessen hab’ ich wenigstens die Nahmen ihrer Zahlwörter aufgeschrieben. Eins heißt E n o r y. Zwei — Si c k ab a oder Cuka ba . Drei — Si s aj i h . Vier — Si b ak i h r. Fünf — Futuck. Sechs — F u t u c k - E n ory. Sieben — F u t u c k - C u ka ba . Acht — F u t u c k - Si s ajih. Neun — F u t u c k - Si b a kihr. Zehn — Si b an k o n ye n. Am 26sten verließen wir Wintain und setzten unsere Reise auf dem Flusse fort; zur Ebbe-Zeit gingen wir jedes|mal vor Anker; oft ließen wir uns auch von einem vorausgeschickten Ruderboote bogsiren. Der Fluß ist tief und trübe, die Ufer sind mit undurchdringlichem Dickicht bewachsen, und das ganze nahe liegende Land scheint flach und sumpficht zu sein. Der Gambia ist ausnehmend fischreich, und zwar sind einige seiner Fischarten überaus wohlschmeckend; aber, so viel ich mich erinnere, ist keine davon in Europa bekannt. An der Mündung giebt es viel Hayfische, und höher hinauf Crocodile und Flußpferde, welche letztere aber eigentlich Fluß-E l e p h an t e n genannt werden sollten, da sie einen ungeheuren, schwerfälligen Körper haben, und ihre Zähne gutes Elfenbein liefern. Dieses Thier ist amphibienartig; es hat dicke, kurze Beine und gespaltene Klauen, frißt Gras und Gesträuch, das längst den Ufern des Flusses wächst, Zweige von Bäumen und mehr dergleichen. Selten wagt es sich weit vom Wasser, wo es gewöhnlich 27 vorausgeschickten] voraufgeschickten Bd. 3, Sp. 52

39 längst] vgl. Adelung: Wörterbuch,

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Schutz sucht, wenn es Menschen kommen hört. Ich habe sehr viele gesehen, sie aber immer schüchtern gefunden. Am sechsten Tage nach unsrer Abreise von Wintain erreichten wir Dschonkakonda; dies ist ein ansehnlicher Handelsplatz, wo unser Schiff einen Theil seiner Ladung einnehmen sollte. Den andern Morgen kamen die europäischen Kaufleute von den verschiedenen Factoreien, um ihre Briefe in Empfang zu nehmen und sich nach der Art und dem Werth der Ladung zu erkundigen. Der Capitain schickte sogleich einen Boten an Dr. Laidley, um ihm von meiner Ankunft Nachricht zu geben. Den folgenden Morgen kam der Doctor nach Dschonkakonda; ich stellte ihm den Brief des Herrn Beaufoy zu, worauf er mich sogleich überaus gastfrei einlud, so lange in seinem Hause zu bleiben, bis ich eine Gelegenheit fände, meine Reise weiter fortzusetzen. Dieses Anerbieten nahm ich mit Dank an; der Doctor verschafte mir ein Pferd und einen | Führer, so daß wir schon am 5ten Julius von Dschonkakonda aufbrechen konnten, und noch desselben Vormittags um eilf Uhr kamen wir bei der Wohnung meines gütigen Wirthes an. Pisania ist ein kleines Dorf, das in dem Gebiete des Königs von Jany liegt; es bestehet blos aus einer englischen Factorei, und wird auch nur von Engländern und ihren schwarzen Sklaven bewohnt. Es liegt an den Ufern des Gambia, sechzehn englische Meilen von Dschonkakonda. Von Weißen wohnten bei meiner Ankunft, ausser dem Doctor, nur noch zwei Gebrüder Ainsley hier, aber diese drei Personen hatten eine sehr zahlreiche Dienerschaft von Schwarzen. Dies kleine Etablissement stand unter dem Schutz des Königs, und die Europäer wurden von den Eingebohrnen weit umher so geachtet und geehrt, daß sie alles was das Land gewährt, vollauf hatten, auch ging der größte Theil des Handels mit Sklaven, Elfenbein und Gold, durch ihre Hände. Da ich nun auf einige Zeit mit Bequemlichkeit hier bleiben konnte; so ließ ich es meine erste Sorge sein, die Mandingo-Sprache zu lernen, weil diese fast durch ganz Afrika gesprochen wird, und ich nicht hoffen konnte, mir ohne sie eine richtige Kenntniß vom Lande und seinen Bewohnern zu erwerben. Dr. Laidley, der durch einen langen Aufenthalt in dem Lande, und durch den beständigen Umgang mit den Eingebohrnen, der Sprache Meister geworden war, stand mir in Erlernung derselben treulich bei. Nächst der Sprachkenntniß suchte ich auch über die Gegenden, die ich besuchen wollte, Erkundigungen einzuziehen. Man verwies mich deshalb an die Slatihs. Dies sind schwarze freie Kaufleute, die in diesem Theil von Afrika in großem 17 eilf] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1540

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Ansehn stehen, und aus dem Innern des Landes Neger-Sklaven zum Verkauf bringen. Ich merkte bald, daß ich mich auf ihre Nachrichten eben nicht sehr verlassen konnte; denn einer widersprach immer dem andern gerade | in den wichtigsten Dingen, und keiner schien es gern zu sehen, daß ich meinen Weg weiter fortsetzen wollte. Diese Umstände vergrößerten aber nur meine Begierde, durch eigne Beobachtungen zur Wahrheit zu gelangen. Unter Beschäftigungen dieser Art, und mit Beobachtung der Sitten und Gebräuche der Eingebohrnen eines in Europa so unbekannten Landes, das so auffallende und ungewöhnliche Naturerscheinungen darbietet, verstrich mir die Zeit auf eine angenehme Weise, und schon schmeichelte ich mir mit der Hoffnung, dem Fieber, dem fast jeder Europäer bei seinem ersten Eintritt unter einem heißen Himmelsstrich ausgesetzt ist, entgangen zu sein. Unvorsichtigerweise aber setzte ich mich am 31sten Julius dem Nachtthau aus, als ich eine Mondfinsterniß beobachten wollte, um die Länge des Orts zu bestimmen. Den andern Morgen befiel mich ein böses Fieber mit Fantasiren, und ich ward so ernstlich krank, daß ich den größten Theil des Augusts das Haus hüten mußte. Meine Genesung ging nur langsam vorwärts, indeß nützte ich jede kleine Zwischenzeit von Wohlbefinden, um auszugehen und mich mit den Producten des Landes bekannt zu machen. Auf einer dieser Streifereien, an einem heißen Tage, wagte ich mich weiter als gewöhnlich, und bekam das Fieber von neuem, so daß ich bis den 10ten September das Bette hüten mußte. Bei diesem Rückfall war jedoch die Krankheit nicht so heftig, als zuvor, und in Zeit von drei Wochen war ich im Stande, wenn das Wetter es erlaubte, meine botanischen Spaziergänge von neuem vorzunehmen; wenn es regnete, so zeichnete ich Pflanzen in meinem Zimmer. Die Sorgfalt und Aufmerksamkeit des Dr. Laidley trug sehr viel bei, mir das Ungemach der Krankheit erträglich zu machen; seine Gesellschaft und Unterhaltung verkürzten mir die langweiligen Stunden der trüben Jahreszeit, in welcher der Regen wie in Strömen herabfällt, wo erstickende Hitze am Tage zu Boden | drückt, und des Nachts das Gequak der Frösche (deren Anzahl hier alle Einbildungskraft übersteigt) und das durchdringende Geschrei der Goldwölfe, oder das tiefe Heulen der Hyäne, den Schlaf des Fremdlings verscheuchen, oder das Getöse des fürchterlichsten Donners ihn immer wieder aufweckt; ein Getöse, wovon man keinen Begriff haben kann, wenn man es nicht selbst gehört hat. Das Land ist eine ungeheure Ebene mit Wäldern bedeckt, welches eine ermüdende und einförmige Ansicht gewährt. Aber wenn gleich die Natur den Einwohnern die Schönheiten einer romantischen Landschaft versagt, so hat sie ihnen doch mit freigebiger Hand den reichern Segen des Ueberflusses und der Fruchtbarkeit gespendet; denn auch

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ohne sonderliche Bestellung trägt der Boden doch reichlich zu. Die Wiesen geben vortrefliche Weide für die Heerden, und der Gambia, imgleichen die Bucht Welli, liefern wohlschmeckende Fische. Was vorzüglich gebauet wird, ist das sogenannte Kaffer-Korn, (türkischer Weizen, Zea Mays) zwei Arten von Holcus spicatus, von den Eingebohrnen S u n o und San i o genannt, ferner Holcus niger und Holcus bicolor; das erstere heißt in ihrer Sprache Ba ssi Wulima , das letztere B a s s i q u i . Diese Getreidearten und der Reis werden in großer Menge gebauet; überdem haben die Eingebohrnen in Städten und Dörfern bei ihren Wohnungen Gärten, worin sie Zwiebeln, Jams5, verschiedene Arten Kürbis, Wassermelonen, Erdnüsse und einige andre Küchengewächse anbauen. Nahe an den Städten sahe ich auch kleine Felder mit Baumwolle und Indigo angepflanzt; aus dem erstern machen sie Zeuge, und mit dem letztern geben sie ihm eine schöne blaue Farbe. Um das Korn zur Speise zu bereiten, stampfen es die Eingebohrnen in einem großen hölzernen Mörser (in | ihrer Sprache Paluh genannt), so lange bis es aus den Hülsen ist, lassen es hernach, wie in England, durch den Wind von der Spreu säubern, und stampfen es dann in dem Paluh wieder zu Mehl. Dies letztere wird in verschiedenen Gegenden auf verschiedene Art verspeiset. Am Gambia, zum Beispiel, machen sie allgemein eine Art von Pudding daraus, der Kuskus heißt, und folgendergestalt bereitet wird: zuerst machen sie das Mehl feucht, rütteln es in einem großen Kürbis, bis es in kleinen Kügelchen zusammenklebt, wie Sago, dann schütten sie es in einen irdenen Topf, dessen Boden voll kleiner Löcher ist; dieser Topf wird nun entweder mit einem Teig von Mehl und Wasser, oder mit Kuhmist, auf einen andern festgeklebt und so aufs Feuer gesetzt. In dem untern Gefäß ist gewöhnlich Fleisch und Wasser, dessen Dünste durch den durchlöcherten Boden des obern Gefäßes dringen und so den Kuskus locker und gahr machen. In allen Gegenden, die ich durchreist habe, war dies ein Lieblingsgericht. Man sagte mir, daß diese Art das Mehl zu bereiten, auch auf der Küste der Barbarei allgemein sei, und daß das Gericht dort ebenfalls Kuskus heißt, wahrscheinlich haben also die Neger diese Zubereitung mit samt dem Namen von den Mauren gelernt. Man macht hier aus Mehl noch eine andere Art von Pudding, der Niling heißt; desgleichen bereiten sie den Reis auf zwei oder drei verschiedene Arten. Die geringere Volksklasse bekömmt nur selten 5

Eine Wurzel, Dioscoraea alata L., woraus die Eingebohrnen Brodt bereiten.

13 sahe] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 400

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Fleisch, ist aber doch nicht völlig von dem Genuß desselben ausgeschlossen. An Hausthieren findet man hier, was wir in Europa haben. Schweine giebt es in den Wäldern; man isset sie aber nicht gern. Vermuthlich ist der entschiedene Abscheu, den die Mahomedaner gegen dieses Thier haben, auch auf die Heiden übergegangen. Federvieh giebt es überall und von allen Arten, den welschen Hahn ausge|nommen. Das Perlhuhn und das rothe Rebhuhn findet man sehr häufig auf den Feldern, und in den Wäldern hält sich eine Art von kleiner Antelope auf (ein Thier wie unser Reh) deren Fleisch mit Recht für sehr schmackhaft gilt. Unter den andern wilden Thieren des Mandingo-Landes sind die Hyäne, der Panter und der Elephant die gewöhnlichsten. Es ist sonderbar, daß in keiner Gegend dieses großen Welttheils die Eingebohrnen die Kunst der Ostindier besitzen, dieses starke und lenksame Thier zu zähmen und zum Dienst der Menschen zu nutzen. Wenn ich einigen von den Eingebohrnen erzählte, daß man das in östlichen Ländern thäte, so lachten sie mich geradezu aus, und riefen einmal übers andere: To b ah b o f o n n i o ! Lüge eines Weißen! Die Neger schießen den Elephanten vorzüglich der Zähne halber, die sie dann gegen andere Dinge bei denen vertauschen, die das Elfenbein nach Europa verkaufen. Das Fleisch essen sie und finden es sehr köstlich. Das gewöhnliche Lastthier in allen Theilen von Afrika ist der Esel. Zum Ackerbau aber wird nirgends ein Thier gebraucht, daher auch der Pflug völlig unbekannt ist. Die Feldarbeit wird gewöhnlich von Sklaven und zwar mit der Hacke verrichtet, die, in den verschiedene Distrikten, hier so, dort anders, gestaltet ist. Am sechsten October hatte das Wasser des Gambia seinen höchsten Stand erreicht, nehmlich funfzehn Fuß über dem Zeichen der gewöhnlichen Fluth. Nun fing es an zu fallen, anfangs langsam, dann aber sehr schnell; oft sank es in vier und zwanzig Stunden um mehr als zwölf Zoll. Zu Anfang des Novembers hatte der Fluß wieder seine gewöhnliche Höhe und auch wiederum Ebbe und Fluth. Zugleich ward die Luft weniger feucht, daher ich mich denn allmählich erhohlte und an meine Abreise denken konnte; die beste Jahreszeit zum Reisen war da, die Ernte war vorüber, Lebensmittel die Fülle und wohlfeil.| Dr. Laidley machte um diese Zeit eine Geschäftsreise nach Dschonkakonda. Ich bat ihn, mir durch seinen Einfluß bei den Slatihs, oder Sklavenhändlern, Gelegenheit zu verschaffen, daß ich in Gesell19 To b a h b o f o n n i o !] so DV; OD: To b a u b o F o n n i o ! lung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 350

29 funfzehn] vgl. Ade-

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schaft und unter dem Schutz der nächsten Kof fle (oder Caravane,) die von Gambia nach dem Innern des Landes abgehen würde, die Reise mitmachen könne; und zugleich trug ich ihm auf, mir ein Pferd und zwei Esel zu kaufen. Nach wenigen Tagen kam der Doctor nach Pisania zurück, und sagte mir, daß während der trocknen Jahreszeit gewiß eine Koffle nach dem Innern des Landes abgehen würde, weil aber mehrere Kaufleute ihre Waaren noch nicht beisammen hätten, so lasse sich nicht bestimmen, wann. Weil mir nun die Slatihs und das andere Volk, woraus die Caravane bestand, völlig unbekannt, sie auch meinem Plane eigentlich entgegen waren, und überhaupt nichts weniger als geneigt schienen sich mit mir in irgend etwas einzulassen, auch die Zeit der Abreise noch so sehr ungewiß war; so entschloß ich mich, die gute Jahreszeit zu nutzen und mich ohne sie auf den Weg zu machen. Dr. Laidley pflichtete mir bei, und versprach nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß ich bequem und sicher reisen könne. Der Entschluß war gefaßt und ich machte Anstalten zur Abreise. Da ich jetzt von meinem gastfreundlichen Beschützer mich trenne, (dessen Sorgfalt und Güte bis zum Augenblick meiner Abreise nicht ermüdete6) und auf einige Zeit von den Gegenden des Gambia Abschied nehme; so werden einige Nachrichten von den verschiedenen Negervölkern, welche die Ufer dieses großen Stromes bewohnen, wie auch von ihrem Verkehr mit den europäischen | Nationen, die hier Handel treiben, im nachfolgenden Abschnitt hoffentlich an ihrer rechten Stelle stehen. 6

Leider hat Dr. Laidley seitdem den Tribut der Natur bezahlt. Er verließ Afrika zu Ende des Jahrs 1797, mit dem Vorsatz, über Westindien nach England zurück zu gehen und starb bald nach seiner Ankunft in Barbados.

7 hätten,] hätten; wechsel.

25 stehen.] OD markiert das Abschnittsende nicht durch Seiten-

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Zweiter Abschnitt.

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Nachricht von den Felupen, den Jaloffen, den Fulahs und den Mandingohs. Von dem Handel zwischen den Europäern und den Afrikanern am Gambia, imgleichen von dem Verkehr zwischen den Bewohnern der Küste und den Völkern im Innern des Landes.

Die Eingebohrnen in den Gegenden des Gambia können, dünkt mich, obschon sie in eine große Menge verschiedener Staaten vertheilt sind, dennoch unter vier große Klassen gebracht werden; nemlich: die Fel u p e n , die J a l o f f e n , die F u l ah s und die M a nding ohs. Unter allen diesen Nationen hat sich die mahomedanische Religion sehr ausgebreitet, doch hängt der größere Theil, sowohl unter Freien als Sklaven, noch immer an dem blinden wiewohl harmlosen Aberglauben seiner Voreltern, und diese werden dann von den Mahomedanern Kaf i r s , oder Ungläubige, genannt. Von den Felupen habe ich wenig mehr zu dem hinzu zu setzen, was ich schon im vorigen Abschnitte gesagt habe. Sie sind sehr mürrisch und werden für unversöhnlich gehalten. Man sagt sogar, daß sie ihren tödtlichen Haß mit ihren Fehden den Nachkommen übertragen, so daß ein Sohn, aus rein kindlichem Gefühle, es als eine ihm obliegende Pflicht ansiehet, der Rächer seines verstorbenen Vaters zu sein. Wenn, bei einem plötzlich entstehenden Streit, einer das Leben verliert, was denn bei ihren Festen gewöhnlich geschieht, wo die ganze Versammlung an Meth berauscht zu sein pflegt; so sucht sein Sohn (und zwar der Aelteste, wenn er mehrere hat) die San|dalen (Pantoffeln) seines Vaters sich zu verschaffen, die er so lange einma l im J a h r e , und zwar an seines Vaters Sterbetag anzieht, bis er eine schickliche Gelegenheit gefunden hat, seinen Tod zu rächen, und früher oder später entgeht ihm diese Gelegenheit nie. Manche gute Eigenschaft aber hält dieser rachsüchtigen Gemüthsart das Gleichgewicht. So sind sie, zum Beispiel, dankbar und anhänglich gegen ihre Wohlthäter, und die Treue, womit sie ein ihnen anvertrautes Gut aufbewahren, ist außerordentlich. Während des jetzigen Krieges haben sie oft zu den Waffen gegriffen um englische Kauffartheischiffe gegen französische Kaper zu vertheidigen; und oft wird englisches Eigenthum von ansehnlichem Werthe auf eine lange Zeit in Wintain gelassen und einzig 23 an Meth] in Meth

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und allein der Obhut der Felupen anvertraut, die bei solchen Gelegenheiten allemal die strengste Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit bewiesen haben. Wie sehr wäre es zu wünschen, daß ein Volk von solcher Festigkeit und Ehrlichkeit im Charakter, durch den milden, wohlwollenden Geist des Christenthums, auch noch sanft gemacht würde! Die J a l o f f e n (oder D s c h al o f f e n) sind ein thätiges, mächtiges, und kriegerisches Volk, das den Strich Landes bewohnt, der zwischen dem Senegal und den Mandingo-Staaten am Gambia liegt; doch ist es von den Mandingohs, sowohl in Sprache als an Farbe und Gesichtszügen verschieden. Die J al o f f e n haben nicht so eingedrückte Nasen und nicht so aufgeworfene Lippen als alle übrigen Afrikaner, deshalb werden sie auch, obgleich sie der Farbe nach die schwärzesten von allen Negern sind, von den Weißen doch für die schönsten in diesem Theil von Afrika gehalten. Sie sind in verschiedene unabhängige Staaten oder Königreiche vertheilt, die oft unter einander, oder mit den Nachbaren im Krieg sind. In ihrer Lebensweise, ihrer Religion und ihrer Regierungsform, haben sie mit | den Mandingohs die meiste Aehnlichkeit: übertreffen diese aber bei weitem im Verfertigen der Baumwollenzeuge; der Faden ist nehmlich feiner, das Zeug breiter, und die Farbe schöner. Ihre Sprache, sagt man, sei reich und ausdrucksvoll und sie wird oft von Europäern, die nach dem Senegal handeln, erlernt. Aus eigener Erfahrung kann ich nicht davon urtheilen, ich habe nichts als ihre Zahlen behalten: Eins — Wi h n . Zwei — J a r. Drei — J at . Vier — J an e t . Fünf — Judom. Sechs — J u d o m - Wi h n. Sieben — J u d o m - J ar. Acht — J u d o m - J at . Neun — J u d o m - J anet . Zehn — Fuhk. Eilf — Fuhk ang-Wihn. Die F u l ah e n (oder Pholyen), wenigstens die am Gambia wohnenden, sind meistentheils von braungelber Gesichtsfarbe, haben weiches Seidenhaar und liebliche Züge. Sie haben das Hirtenleben gewählt und sich in allen den Königreichen, die an der Küste liegen, als 12 übrigen] übrige 36 F u h k a n g - Wi h n ] so DV; OD: F u h k a u g - Wi h n 37 P h o l y en ),] P h o l y e n )

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Hirten und Landleute niedergelassen; für das Stück Land, welches sie bebauen, entrichten sie dem Könige eine Abgabe. Ich hatte während meines Aufenthalts in Pisania eben nicht Gelegenheit, sie genauer kennen zu lernen, werde aber in der Folge aus eigener Erfahrung von ihrem Charakter ein mehreres sagen. Die M a n d i n go h s endlich machen, in allen Staaten von Afrika, die ich besucht habe, die größte Masse der Einwohner aus; ihre Sprache wird in diesem Theil des festen | Landes allgemein verstanden und fast eben so allgemein gesprochen. Ihre Zahlen lauten wie folgt7. Eins — Killin. Zwei — F u l a. Drei — Sab b a. Vier — Nan i . Fünf — Lulo. Sechs — Wo r o . Sieben — O r o n gl o . Acht — Si e . Neun — C o n u n t a. Zehn — Tan g. Eilf — Tan - n i n g- K i l l i n u. s. w. Mandingohs heißen sie wol daher, weil sie ursprünglich aus dem Mandingo-Staate (von dem ich weiter unten einige Nachrichten geben werde) ausgewandert sind, aber ganz gegen die Regierungsform ihres eigentlichen Vaterlandes, welche republikanisch ist, schien mir die Regierung in allen Mandingo-Staaten am Gambia monarchisch zu sein. Die Macht des Souverains ist indeß keinesweges ganz uneingeschränkt. Bey jedem wichtigen Geschäft, beruft der König eine Versammlung der angesehensten Männer, oder der Aeltesten, auf deren Rath er hören muß, und ohne deren Zustimmung er weder Krieg noch Frieden beschließen kann. 7

In Franz Moore’s Reisen findet man ein ziemlich reichhaltiges Wörterbuch der Mandingo-Sprache, das im Ganzen korrekt ist.

31 Vgl. Francis Moore: Travels into the inland parts of Africa containing a description of the several nations for the space of six hundred miles up the river Gambia; their trade, habits, customs, languages, manners, religion and government; the power, disposition and characters of some negro princes; with a particular account of Job Ben Solomon, a Pholey, who was in England in the year 1733, and known by the name of The African. To which is added, Capt. Stibbs’s voyage up the Gambia in the year 1723, to make discovries; with an accurate map of that river taken on the spot: And many other copper plates. Also extracts from the Nubion’s Geography, Leo the African, and other authors antient and modern, concerning the Niger Nile, or Gambia, and observations thereon, 2. Aufl., London [1755]; hinzugefügt A list of words, English and Mundingo (mit eigener Paginierung).

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In jeder angesehenen Stadt ist eine obrigkeitliche Person, die man den Alkaid nennt, dessen Amt erblich, und dessen Geschäft ist, Ordnung zu erhalten, und von den Reisenden den Zoll einzufordern; auch hat er bei allen Versammlungen, die zu Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten gehalten werden, den Vorsitz. Der Gerichtshof bestehet aus den angesehensten freien Männern der | Stadt und heißt Pa la v er; er versammelt sich unter freiem Himmel, und es wird dabei alles mit vieler Feierlichkeit verhandelt. Bey Streitigkeiten werden beide Parteien genau verhört, und die Zeugen öffentlich vernommen; die Entscheidung hat gewöhnlich den Beifall des zahlreichen Volks, das die Versammlung umgiebt. Da die Neger in ihrer eigenen Sprache gar nichts Geschriebenes haben, so berufen sie sich bei ihren Aussprüchen allemal auf a lt e G e b r ä u c h e ; seitdem aber das mahomedanische System so große Fortschritte bei ihnen gemacht hat, haben die Neubekehrten allmählich mit den Religionslehren auch manche bürgerliche Einrichtung des Propheten angenommen; und wo der Koran nicht klar genug ist, nehmen sie ihre Zuflucht zu einem Commentar, Al S cha rra genannt, der eine vollständige Sammlung der mahomedanischen Civil- und Criminalgesetze mit hinzugefügten Erläuterungen enthalten soll. Da die Richter sich oft auf geschriebene Gesetze berufen, welche den eingebohrnen Heiden nothwendig unbekannt sein müssen; so haben sie in ihren Palavern (was ich bei den Afrikanern gewiß nicht erwartet hätte) Advokaten von Profession eingeführt, die, wie bei uns in England, des Klägers oder des Beklagten Sache vortragen. Diese Advokaten sind mahomedanische Neger, welche die Gesetze des Propheten mit großem Fleiß studirt haben, oder dieses Studium wenigstens vorgeben; und, so viel ich aus ihren Reden urtheilen kann, deren ich mehrere gehört habe, stehen sie auch den besten europäischen Advokaten nicht nach, weder in Spitzfindigkeiten, noch in der Kunst, eine Sache in die Länge zu ziehen oder sie nach Belieben zu verwickeln und zu verwirren. Während ich in Pisania war, ereignete sich eine gar trefliche Gelegenheit, bei welcher die mahomedanischen Advokaten ihre ganze Geschicklichkeit zeigen konnten. Der Fall war dieser: | Ein Esel eines Serawullih-Negers8 war in das Kornfeld eines MandingoEinwohners gekommen und hatte es sehr verwüstet. Der Mandingo 8

Ein Volk in den innern Gegenden des Landes, nahe am Senegal, von welchem weiter unten die Rede sein wird.

37 welchem] welchen 37–38 Vgl. unten S. 901–902

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ertappte das Thier in seinem Felde und schnitt ihm sogleich die Kehle ab. Der Serawullih berief ein P al ave r, um eine Entschädigung für sein Thier zu erhalten, worauf er einen hohen Werth setzte. Der Beklagte gestand zwar, daß er den Esel getödtet habe, sagte aber, daß der Verlust, den er durch die Verheerung in seinem Korn erlitten, wohl der Summe gleich wäre, die jener für den Esel fordere. Die Wahrheit dieser Aussage auszumitteln war nun der Hauptgegenstand, und die gelehrten Advokaten wußten die Sache dergestalt zu verwirren, daß nach einer Sitzung von drei Tagen die Versammlung aufgehoben ward, ohne das Geringste entschieden zu haben. Die Mandingohs sind, im Ganzen genommen, gesellig, mild und von gefälligem Wesen. Die Männer sind gewöhnlich von mehr als mittlerer Größe, wohlgestaltet, stark, und können schwere Arbeit verrichten; die Frauen sind gutmüthig, lebhaft und angenehm. Der Anzug beider Geschlechter besteht in Baumwollenzeug von ihrer eigenen Arbeit; die Männer tragen einen losen Rock, der fast wie ein Chorhemd gemacht ist; weite Beinkleider, die bis auf die Mitte der Beine reichen, Sandalen (Pantoffeln) und eine weiße baumwollne Mütze. Der FrauenAnzug besteht in zwei Stücken Zeug, jedes sechs Fuß lang und drei Fuß breit; das eine ist um den Leib gewickelt, und die beiden herunterhangenden Enden dienen statt eines Rockes, das andere Stück ist nachlässig um Brust und Schultern geworfen. Diese Art sich zu kleiden ist fast in allen Gegenden dieses Theils von Afrika gebräuchlich, und das Eigenthümliche einer jeden Nation besteht bloß in dem Kopfputz der Frauen. So tragen, zum Beispiel, die | Frauen, in den Gegenden des Gambia, eine Art von Binde um den Kopf, die sie J al l a nennen; es ist ein schmaler Streif Baumwollenzeug, der über der Stirn mehreremale dicht um den Kopf gewickelt wird. An Bondu tragen sie Schnüre von weißen Korallen um den Kopf gewunden, und mitten auf der Stirn eine kleine Goldplatte. In Kasson ist der Kopfputz besonders zierlich und geschmackvoll, und besteht aus weißen Seemuscheln. In Kaarta und Ludamar thürmen sie sich das Haar vermittelst eines Polsters auf, dergleichen die Frauen sonst in England trugen, (ein bourlet) und schmücken es mit einer Art von Corallen aus dem rothen Meere, welche die von Mecca zurückkommenden Pilgrimme mitbringen, und um sehr hohe Preise verkaufen. In dem Bau ihrer Wohnhäuser richten sich die Mandingos nach dem in diesem Theil von Afrika allgemein üblichen Brauch, das heißt, sie begnügen sich mit kleinen unbequemen Hütten. Eine vier Fuß hohe cirkelförmige Lehmwand, mit einem kegelförmiggestalteten Dache von Sparren aus Bambusrohr mit Gras gedeckt, 33 sonst] im zeitlichen Sinn von „früher“ oder „einst“, Übersetzung von „formerly“

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ist der Pallast des Königs, wie die Hütte des Sklaven. Eben so einfach ist auch ihr Hausgeräth. Ein Bündel Rohr auf zwei Fuß hohe Pfosten gelegt, worüber eine Matte oder Rindshaut ausgebreitet wird, dient zum Bette. Das Uebrige besteht in einem Wasserkrug, einigen irdenen Koch-Töpfen, einigen hölzernen Näpfen und Kürbisflaschen, und ein oder zwei niedrigen Stühlen. Da jeder freie Mann mehrere Frauen hat, so findet man es nöthig, (vermuthlich um ehelichen Streitigkeiten vorzubeugen,) daß jede Frau ihre eigne Hütte habe; und alle Hütten, die zu einer Familie gehören, sind mit einem Zaun von Bambusrohr umgeben, das gespalten und geflochten wird. Die ganze Umzäunung | heißt ein S irk oder S urk. Eine Anzahl solcher Umzäunungen mit engen Zwischenräumen, nennt man dort eine Stadt. Die Hütten werden aber ganz nach den oft sonderbaren Ideen des Eigenthümers gebaut, ohne alle Regelmäßigkeit, ausgenommen daß die Thür allemahl nach Südwesten angebracht wird, damit die Seeluft hinein dringen könne. In jeder Stadt ist eine Art von großer Bühne, Benta ng genannt, welche das Rathhaus vorstellt und zugleich zu einem öffentlichen Sammelplatz dient. Sie besteht aus geflochtenem Rohr, und wird, um Schutz gegen die Sonne zu haben, gewöhnlich unter einem großen Baum errichtet. Dort werden alle Geschäfte abgemacht, alle Gerichtsversammlungen gehalten und die Müßigen und Trägen lagern sich darum her um ihre Pfeife zu rauchen und Neuigkeiten zu hören. Auch haben die Mahomedaner eine M i s s u r a oder Moschee, wo sie täglich zum Gebete zusammen kommen. Was ich bis jetzt von den Afrikanern gesagt habe, gilt nur von den Freien, die, im Ganzen, den vierten Theil aller Einwohner überhaupt ausmachen. Die andern drei Viertheile befinden sich in einem elenden Zustande von erblicher Sklaverei; sie müssen das Land bestellen, die Heerden hüten und, wie die Sklaven in Westindien, alle schwere Arbeit verrichten; doch geht in dem Mandingo-Staate die Oberherrschaft des Freien über den Sklaven nicht so weit, daß er ihm das Leben nehmen, noch ihn einem Fremden verkaufen könnte, ohne deshalb ein Palaver berufen zu haben, das heißt, ohne ihn zuvor öffentlich vor Gericht gestellt zu haben: indeß genießen nur die eing ebohrnen Sklaven dieses Vorrechts. Kriegesgefangene, oder andre Unglückliche, die wegen Verbrechen oder Schulden zur Sklaverei verdammt, imgleichen die, welche aus dem Innern des Landes zum Verkauf gebracht werden, finden nirgends Schutz, und der Eigenthümer kann, ohne alle Einschrän|kung mit ihnen verfahren, wie es ihm beliebt. Es ereignet sich zuweilen, daß, wenn grade kein Schiff an der Küste ist, ein 35–36 genießen ... dieses Vorrechts] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 560–561

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menschlicher und angesehener Hausherr die gekauften Sklaven unter seine Hausgenossen aufnimmt, und dann bekommen die Kinder, wenn gleich nicht die Eltern, die Rechte der eingebornen Sklaven. Bei diesen allgemeinen Bemerkungen über die verschiedenen Nationen, welche die Ufer des Gambia bewohnen, will ich es vor der Hand bewenden lassen. Von den Mandingohs wird mir der Verfolg meiner Reise ein mehreres zu erwähnen Gelegenheit geben; das übrige, was ich im Lande beobachtete, was sich aber mit der Erzählung meiner Begebenheiten nicht füglich verbinden läßt, werde ich am Ende des Buchs in eins zusammenfassen und gegenwärtigen Abschnitt mit einigen Nachrichten über den Handel beschließen. Eine portugiesische Factorei war das erste europäische Etablissement an diesem berühmten Flusse, und daher schreibt es sich, daß hier eine große Menge portugiesischer Worte eingeführt sind, deren sich die Neger noch jetzt bedienen. Späterhin errichteten auch die Holländer, Franzosen und Engländer hier ebenfalls Factoreien, der eigentliche Handel aber war viele Jahre hindurch, als eine Art von Monopol, in den Händen der Engländer. Franz Moore giebt in seiner Reisebeschreibung Nachrichten von den königlichen afrikanischen Gesellschafts-Etablissements an diesem Flusse, denen zufolge im Jahr 1730 die James-Factorei allein aus einem Gouverneur, einem Untergouverneur und zwei anderen Officianten bestand; zu welchen noch acht Factore, dreißig Schreiber, zwanzig Subalternbediente und Kaufleute, eine Compagnie Soldaten, zwei und dreißig Negerbediente, nebst einer Anzahl Schaluppen und Booten, und der dazu erforderlichen Mannschaft gehörten; und außerdem befanden sich nicht weniger als | acht untergeordnete Factoreien noch an andern Orten des Flusses. In der Folge ward der Handel mit Europa frei gegeben, dadurch aber fast ganz zerstört, so daß selbst der Theil, den die Engländer noch daran haben, nur unbedeutend ist; sie schicken nehmlich jährlich nicht mehr als zwei oder drei Schiffe dahin; und man hat mir versichert, daß der ganze Werth der englischen Ausfuhr hieher sich noch nicht auf zwanzigtausend Pfund Sterling belaufe. Die Franzosen und Dänen haben auch noch einen kleinen Antheil daran, und die Amerikaner haben kürzlich ebenfalls versucht, einige wenige Schiffe nach dem Gambia zu schicken. Die Waaren, die aus Europa hieher kommen, bestehen größtentheils aus Schießgewehr und Ammunition, Eisenwaaren, starken Getränken, Taback, baumwollenen Mützen, etwas wenigem groben Zeuge, und einigen Artikeln der Manchester-Manufacturen, imglei24 Negerbediente,] Negerbedienten,

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chen einem kleinen Sortiment indianischer Waaren, als Glaskorallen, Bernstein und andern Kleinigkeiten; dafür werden Sklaven, Goldstaub, Wachs und Häute eingetauscht. Der Hauptartikel sind die Sklaven, aber die ganze Anzahl die jährlich ausgeführt wird, beträgt jetzt kaum tausend. Die meisten dieser unglücklichen Schlachtopfer werden durch Caravanen zu gesetzten Zeiten nach der Küste gebracht; viele von ihnen müssen aus sehr entfernten Gegenden im Innern sein, denn die Bewohner der Küste verstehen ihre Sprache nicht. Ueber die Art, wie sie in diesen Zustand gerathen, werde ich in der Folge die glaubwürdigsten Nachrichten, die ich mir verschaffen konnte, mittheilen. Wenn sie ankommen, und es findet sich gerade keine Gelegenheit, sie vortheilhaft zu verkaufen; so werden sie in die benachbarten Dörfer vertheilt, bis ein Sklavenschiff ankommt, oder bis ein schwarzer Sklavenhändler sie auf | Speculation nimmt; bis dahin aber bleiben die armen Elenden beständig zwei und zwei aneinander gefesselt, und müssen Feldarbeit verrichten. Leider muß ich hinzusetzen, daß sie äußerst hart behandelt werden, und nur spärliche Kost bekommen. Der Preis eines Sklaven steigt und fällt, je nachdem viel Käufer da sind, und viel Caravanen aus dem Innern ankommen; im Durchschnitt aber kostet ein gesunder junger Mann, zwischen sechszehn und fünf und zwanzig Jahren auf der Stelle achtzehn bis zwanzig Pfund Sterling (126 bis 140 Thaler.) Die schwarzen Sklavenhändler, welche, außer Sklaven, den Weissen auch noch andere Waaren zum Verkauf bringen, versehen zugleich die Bewohner der Seeküste mit Eisen, wohlriechenden Harzen, Räucherwerk und Sc h i t u l u (Baumbutter). Diese wird vermittelst kochenden Wassers aus dem Kern einer Nuß gezogen, sie hat die Festigkeit und das Ansehn unserer zubereiteten Butter, und macht diese so wie das Oel entbehrlich; die Nachfrage darnach ist also zu allen Zeiten sehr stark. Die Küstenbewohner versehen dafür das innere Land mit Salz, und zu meinem Leidwesen habe ich es während meiner Reise oft erfahren, daß dies eine kostbare und seltne Waare daselbst ist, obschon auch die Mauren eine ansehnliche Menge, welche sie aus den Salzgruben der großen Wüste erhalten, hinschicken, und dafür Baumwollenzeug, Korn und Sklaven eintauschen. Bei diesem Vertauschen einer Waare gegen die andere mußten anfangs vielerlei Unbequemlichkeiten entstehen, weil sie weder Geld noch sonst ein bestimmtes Mittel kannten, um den Unterschied zwischen dem Werth verschiedener Waaren auszugleichen; um diesem ab21 sechszehn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 381

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zuhelfen, bedienen sich die Bewohner des Innern kleiner Muscheln, die sie Ka u r i e s nennen; die Küstenbewohner aber helfen sich auf eine andre ihnen ganz eigene Art.| Das Eisen war in ihrem ersten Handel mit den Europäern der Hauptartikel, weil es zu Waffen und Ackergeräth vorzüglich gut war, und bald ward es das Maaß, nach dem man den Werth der andern Waaren bestimmte. Eine gewisse Quantität Waare von jeder Art, die ohngefähr den Werth einer Eisenbarre hatte, hieß in der Handelssprache eine Barre von dieser Waare. Zwanzig Blätter Taback, zum Beispiel, hieß eine Barre Taback; vier Maaß Brantwein, (der in der Regel immer zu gleichen Theilen mit Wasser verdünnt ist) eine Barre Brantwein. Da aber der Werth der Waaren, je nachdem der Markt voll oder leer ist, nothwendig bald fallen, bald steigen mußte, so fand man es nöthig, denselben näher zu bestimmen, und die Weißen haben den Werth einer einzelnen Barre jeder Art jetzt auf zwei Schilling Sterling (ohngefähr ein Gulden) festgesetzt. So sagt man von einem Sklaven, der 15 Pfund kostet, er sei 150 Barren werth. Bei diesem Verkehr hat der Weiße natürlich großen Vortheil gegen den Afrikaner, mit dem auch deshalb schwer fertig zu werden ist. Er ist sich seiner Unwissenheit bewußt, und ist so argwöhnisch und schwankend, daß der Europäer den Handel nicht eher für wirklich geschlossen hält, bis das Kaufgeld bezahlt und der Afrikaner wieder fort ist. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen über das Land und dessen Bewohner, wie ich sie während meines Aufenthalts in der Nähe des Gambia machen konnte, will ich den Leser nicht länger mit Einleitungen aufhalten, sondern in dem folgenden Abschnitte umständlich und treu erzählen, was mir auf meiner mühseligen und gefahrvollen Reise von Anfang bis zu Ende begegnet ist.

9 eine Barre] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 656

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Dritter Abschnitt.

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Der Verfasser reiset von Pisania ab und erreicht Dschindi – er geht weiter nach Medina, der Hauptstadt von Wulli – Unterredung mit dem Könige – Amulete – kömmt nach Kolor – Beschreibung des Mumbo Jumbo – kömmt nach Kuhdschar und erreicht Tallika, im Königreich Bondu.

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Am 2ten December 1795 verließ ich die freundliche Wohnung des Dr. Laidley. Glücklicherweise hatte ich einen Negerbedienten, Nahmens J o h n s o n , der englisch und mandingo sprach. Er war aus diesem Theil von Afrika gebürtig, in seiner Jugend als Sklave nach Jamaika gekommen, hatte dort seine Freiheit erhalten, war mit seinem Herrn nach England gegangen, wo er sich mehrere Jahre aufgehalten hatte und war endlich nach seinem Vaterlande zurückgekehrt. Dr. Laidley empfahl ihn mir, und ich miethete ihn als meinen Dolmetscher monatlich für fünfzehn Barren, wovon Er zehn und seine zurückbleibende Frau fünf erhielt. Dr. Laidley gab mir auch einen seiner eignen Negerjungen, Namens D e m b a mit; einen lebhaften Burschen, der die Mandingo- und Serawulli-Sprache9 redete, und bei unsrer Rückkunft seine Freiheit haben sollte, wenn er mir treu dienen und sich gut aufführen würde. Ich versah mich mit einem Pferde für mich selbst, einem kleinen aber lebhaften Thiere, das mir sieben Pfund zehn Schilling (ohngefähr 52 Thaler) kostete, und mit zwei Eseln für meine beiden Begleiter. An Gepäck nahm ich so wenig als möglich mit, nehmlich blos Lebensmittel auf zwei Tage, etwas Korallen, Bernstein und Taback, um mir neuen Mundvorrath zu verschaffen; etwas Wäsche, die unentbehrlichsten Kleidungsstücke, einen Sonnenschirm, einen | Taschensextanten, einen Compaß und ein Thermometer; zwei Vogelflinten, zwei Paar Pistolen und einige andere Kleinigkeiten. Ein freier Mann (ein Buschrihn oder Mahomedaner), Namens Madibu, welcher nach dem Königreich Bambarra reisete, zwei serawullihsche Slatihs, die nach Bondu gingen, und ein Neger Namens Ta m i aus Kasson, auch ein Mahomedaner, der mehrere Jahre dem Dr. Laidley als Schmidt gedient, und jetzt mit dem was er sich von 9

S. oben zu Seite 18.

21–22 mir ... kostete] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1733–1734

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seiner Arbeit erspart hatte, nach seiner Geburtsstadt heimkehrte, boten mir ihre Dienste an, so weit unsere Reise uns mit einander führen würde. Sie gingen alle zu Fuß, und trieben ihre Esel vor sich her. So hatte ich nicht weniger als sechs Begleiter, in deren Augen ich ein sehr bedeutender Mann war; denn man hatte ihnen angekündigt, daß ihre glückliche Rückkehr in die Gegenden am Gambia lediglich von meiner Erhaltung abhinge. Dr. Laidley und die Herren Ainsley waren so gütig mich die ersten zwei Tagereisen mit einem Theil ihrer Bedienten zu begleiten, und ich glaube gewiß, daß sie besorgen mochten, mich nie wieder zu sehen. Nachdem wir über den Walli-krihk, (einem Arm des Gambia) gesetzt hatten, erreichten wir noch an dem nehmlichen Tage Dschindi und stiegen im Hause einer schwarzen Frau ab, die vormals die Geliebte eines weißen Handelsmanns gewesen war, und deshalb vorzugsweise S e n i o r a genannt wurde. Den Abend spazierten wir nach einem benachbarten Dorfe, das einem der reichsten Slatihs, Namens Jemaffu Mamadu, gehörte. Wir trafen ihn zu Hause und er fand sich durch unsern Besuch so geehrt, daß er uns ein schönes Rind schenkte, das gleich geschlachtet, und zum Theil zu unserm Abendbrodt bereitet ward.| Die Neger essen gewöhnlich sehr spät. Um uns nun während der Bereitung des Abendessens die Zeit zu vertreiben, foderte man einen Mandingo auf, einige belustigende Geschichtchen zu erzählen; die wir denn drei Stunden lang mit anhörten. Diese Erzählungen sind den arabischen ähnlich, nur sind sie mehr scherzhafter Art. Ich theile hier im Auszug eine mit. „Vor mehreren Jahren (begann der Erzähler) wurden die Einwohner von Dumasansa, einer Stadt am Gambia, gar sehr von einem Löwen geplagt, der jede Nacht ihre Heerden anfiel. Wüthend über diese ewige Plage, beschloß das Volk Jagd auf das Raubthier zu machen. Sie zogen aus den Feind zu suchen, und fanden ihn im Dickicht verborgen. Sie feuerten sogleich auf ihn und waren glücklich genug, ihn so stark zu verwunden, daß, als er auf sie losspringen wollte, ihn die Kraft verließ und er zurück sank. Doch zeigte er noch so viel Stärke, daß niemand sich ihm zu nähern wagte. Man berathschlagte, wie man sich seiner lebendig bemächtigen könnte, weil dies der sicherste Beweis ihrer Tapferkeit sein, und ihnen zugleich etwas ansehnliches eintragen würde, wenn sie das Thier nach der Küste brächten und es den Europäern verkauften. Ein alter Mann schlug vor, das Sparrwerk eines Dachs von einem Hause abzunehmen und es über den Löwen zu werfen; sollte er, während sie sich ihm näherten, auf sie losspringen wollen, so dürften sie nur das Dach über sich herab fallen lassen und durch die Oeffnungen feuern.

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Dieser Vorschlag ward angenommen. Es wurde ein Hüttendach abgehoben und die Löwenjäger zogen muthig damit zu Felde; jeder hatte in der einen Hand ein Schießgewehr und trug das Dach auf der entgegensetzten Schulter. So näherten sie sich dem Feinde, welcher aber wieder Kräfte gesammelt hatte, und so grimmig aussah, daß die Jäger es für gescheiter hielten, für ihre eigne | Sicherheit zu sorgen und sich mit dem Dache zu bedecken. Unglücklicherweise war der Löwe zu schnell; während sie das Dach niederließen, machte er einen Sprung, und ward mit seinen Verfolgern in denselben Käfig gefangen; und zum Entsetzen und Jammer der Dumasanser, verzehrte sie das Thier, einen nach dem andern, ganz nach Bequemlichkeit. Noch jetzt ist es gefährlich in jener Gegend diese Geschichte zu erzählen, denn die Einwohner haben sich dadurch in der ganzen Nachbarschaft zum Gelächter gemacht, und mit nichts kann man sie so aufbringen, als wenn man sie auffodert: einen Löwen lebendig zu fangen.“ Um ein Uhr Nachmittags, den dritten December, nahm ich Abschied vom Dr. Laidley und den Herren Ainsley, und ritt langsamen Schrittes in den Wald hinein. Ein gränzenloser Wald lag vor mir, und zwar in einem Lande, dessen Einwohner ganz roh sind, und wo ein Weißer meistentheils ein Gegenstand der Neugierde oder der Raubsucht ist. Die Freunde, denen du eben jetzt Lebewohl gesagt hast, sind, dachte ich, wahrscheinlicherweise die letzten Europäer die du gesehn hast, und du bist von nun an vielleicht auf immer aus der Gesellschaft der Christen ausgeschlossen. Solche Gedanken trübten meine Seele, und ich mochte wohl drei Meilen in tiefem Nachdenken geritten sein, als ich in meinen Träumereien durch einen Haufen Volks gestört ward, das auf uns zulief, die Esel anhielt und uns andeutete, daß wir nach Peckaba gehn, und uns bei dem Könige von Walli melden oder den gewöhnlichen Zoll hier auf der Stelle erlegen müßten. Vergebens suchte ich ihnen begreiflich zu machen, daß, da ich nicht in Handelsgeschäften reisete, ich auch unmöglich Abgaben entrichten könnte, die nur die Slatihs angingen. Sie erwiederten, alle Reisende müßten dem König ein Geschenk machen, und wenn ich das nicht wollte, so dürfte ich nicht weiter reisen. Da sie zahlreicher als wir und überdem sehr laut waren; so hielt ich es fürs klügste, nachzugeben, | und reichte ihnen vier Barren Taback für den König, worauf sie mich meines Weges ziehen ließen. Mit Sonnenuntergang kam ich in ein Dorf, nahe bei Kutacunda, und blieb die Nacht über dort. Am vierten December, Morgens, kamen wir durch Kutakunda, die letzte wallihsche Stadt, und nahe dabei wurde ich in einem kleinen Dorfe angehalten, um dem Könige von Wulli den Zoll zu entrichten; die folgende Nacht ruheten wir in einem Dorfe Tabajang, und am

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nächsten Mittag, den fünften December, erreichten wir Medina, die Hauptstadt des wullihschen Gebiets. Walli begrenzt das Königreich Wulli gegen Westen, der Gambia gegen Süden, der kleine Wallifluß gegen Nord-Westen, Bondu gegen Nord-Osten und gegen Osten die simbanische Wüste. Das ganze Land ist voller sanft abhängigen Hügel die mit großen Waldungen bewachsen sind, und in den dazwischen liegenden Thälern befinden sich die Städte. Bei jeder Stadt ist so viel Land angebauet, als hinreicht die Einwohner zu ernähren; der Boden ist sehr fruchtbar; in den Thälern wird vornehmlich Baumwolle, Taback und allerhand Küchengewächse erzeugt, die Hügel aber werden mit Korn besäet; blos gegen die Gipfel hin, deuten kurzes Gesträuch und der rothe Eisenstein, die Grenze der Fruchtbarkeit an. Die Einwohner sind Mandingohs, und, wie die meisten von dieser Nation, in zwei große Secten getheilt, in Mahomedaner (Bus c h r i h n s ) und in Heiden, K af i r s (Ungläubige) oder S ona kihs (Leute die starkes Getränk lieben). Die Heiden machen bei weitem die größte Anzahl aus, und die Regierung ist in ihren Händen; denn, obschon bei wichtigen Vorfällen die vornehmsten Buschrihns oft zu Rathe gezogen werden, so sind sie doch von der ausübenden Gewalt ausgeschlossen, welche allein | in den Händen des Ma nsa , oder Fürsten, und seiner vornehmsten Staatsbedienten ist. Den ersten Rang unter diesen behauptet der Farbanna, oder nächste Thronerbe; auf diesen folgen, nach der Autorität, die sie in Händen haben, die Alka i d s , oder Provinzialgouverneurs, die auch Kimohs genannt werden: das übrige Volk theilt man nur überhaupt in Freie und Sklaven10; unter den erstern sind die obenerwähnten Slatihs die Vornehmsten; in a l l e n Klassen aber wird das Alter geehrt. Der älteste Sohn ist Erbe des Throns; ist er aber noch unmündig, oder ist überhaupt kein männlicher Nachfolger da, so versammeln sich die Vornehmsten und übergeben dem nächsten Verwandten des verstorbenen Monarchen die Regierung, nicht etwa als Vormund oder Regent, sondern für sich und mit gänzlicher Ausschließung des Unmündigen. Die Staatsausgaben werden, nach Maasgabe des Bedürfnisses, durch Tribut vom Volke und durch Zollabgaben von den durchgehenden Waaren bestritten. Die Landeinwärts gehenden Kaufleute müssen ihre Abgaben in europäischen Waaren, die aus dem Innern des Landes Seewärts gehenden hingegen in Eisen und Baum10

Die Freien heißen H o ri h , die Sklaven D sc h o n g .

30 da, so] da; so

36 Landeinwärts gehenden] Landeinwärtsgehenden

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butter entrichten, und zwar in jeder einzelnen Stadt, welche sie unterweges passiren. Medina11, die Hauptstadt des Königreichs, worin ich mich jetzt befand, ist von ansehnlichem Umfange; sie zählt achthundert bis tausend Häuser, und ist nach allgemeiner Landessitte mit einer hohen Lehmmauer, einer Umzäunung von spitzigen Pfählen und stachlichtem Gesträuch, umgeben. Die Mauer ist aber sehr verfallen, und die Umzäunung hat von der Hand rüstiger Hausfrauen, welche die Pfähle zu Brennholz weggeschleppt haben, manches gelitten. Ich wohnte bei einem nahen Verwandten des Königs, der mir in Absicht der Etikette sagte, daß, wenn ich | dem Könige vorgestellt würde, ich ihm nicht die Hand reichen dürfte; diese Freiheit werde keinem Fremden gestattet. Ich wollte ihm nehmlich Nachmittags meine Aufwartung machen und mir die Erlaubniß erbitten, durch sein Gebiet nach Bondu reisen zu dürfen. Der König hieß D s c h at t a, und war der nehmliche ehrwürdige Greis, dessen der Major Houghton so vortheilhaft erwähnt. Ich fand ihn auf einer Matte vor der Thür seiner Hütte sitzend, und zu beiden Seiten viel Männer und Frauen, welche sangen und in die Hände dazu schlugen. Ich grüßte ihn aufs ehrerbietigste und trug mein Anliegen vor. Der König antwortete sehr gnädig, daß er mir nicht nur Erlaubniß gebe, durch seine Staaten zu gehen, sondern er wolle auch für meine Sicherheit beten; worauf einer von meinen Begleitern, wahrscheinlich zum Dank für des Königs Herablassung, ein arabisches Lied zu singen, oder vielmehr zu brüllen anfing, wobei zwischen jeder Pause der König und alle Anwesende die Hände gegen die Stirn schlugen, und mit einer andächtigen Feierlichkeit, A m en, A men, ausriefen12. Der König versprach mir auch, mich den andern Tag sicher bis an die Grenze seines Reichs geleiten zu lassen. Ich beurlaubte mich und schickte am Abend dem König eine Anweisung auf Dr. Laidley von zwölf Maaß Rum, wofür ich einen großen Vorrath Lebensmittel von ihm zum Gegengeschenk bekam. Den sechsten December ging ich am frühen Morgen wieder zum Könige, um mich zu erkundigen, ob für jemand, der mir zum Führer und Begleiter dienen sollte, gesorgt sei? Ich fand Seine Majestät auf 11 12

Medina heißt im Arabischen eine Stadt: dieser Name ist nicht ungewöhnlich bei den Negern, und wahrscheinlich haben sie ihn von den Mahomedanern entlehnt. Man sollte daraus schließen, daß der König ein Mahomedaner gewesen sei, man hat mir aber das Gegentheil versichert. Er betete wol nur aus reinem Wohlwollen mit, in der Meinung, daß der Allmächtige jedes andächtige, aufrichtige Gebet erhört, es komme von einem Buschrihn oder von einem Heiden.

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einem Felle an einem großen Feuer sitzen, denn die Afrikaner sind gegen die geringste Veränderung in der Temperatur der Luft äußerst empfindlich und beklagen sich oft über Kälte, wann ein Europäer | es vor Hitze kaum aushält. Er empfing mich sehr freundlich, und bat mich dringend, doch von dem Vorhaben, das Innere von Afrika zu bereisen, abzustehen; der Major Houghton, sagte er, sei umgebracht worden, und mir würde es gewiß nicht besser ergehen. Ich solle die Einwohner der östlichen Gegenden nicht nach den Wullihs beurtheilen, denn diese wären mit den Weißen bekannt und ehrten sie, jene aber hätten nie einen Weißen gesehen und würden mich unfehlbar umbringen. Ich dankte dem König für seine gütige Fürsorge, sagte ihm aber, daß ich alles genau erwogen habe und fest entschlossen sei, trotz allen Gefahren weiter zu gehen. Er schüttelte den Kopf, drang aber nicht ferner in mich, sondern sagte blos, daß der Führer sich Nachmittags einstellen sollte. Um zwei Uhr kam er wirklich, ich nahm also Abschied von dem guten alten Könige, machte mich auf den Weg, und in drei Stunden erreichten wir Kondschur, ein kleines Dorf, wo wir die Nacht bleiben wollten. Hier kaufte ich für einige Korallen ein schönes Schaaf, welches meine serawullihschen Begleiter sogleich unter vielen religiösen Ceremonien schlachteten. Johnson, mein Dolmetscher, der Schlächterdienste versehen, und ein Serawullih, der ihm dabei geholfen hatte, stritten sich um die Hörner: ich legte den Streit dadurch bei, daß ich jedem eins gab. Die Neger bedienen sich solcher Hörner zu Capseln, um die S a f f i h s (Amulete), die jeder Afrikaner beständig bei sich trägt, vor Nässe zu schützen und sicher aufzubewahren. Diese Saffihs sind Gebete oder Sprüche aus dem Koran, welche die Priester auf kleine Stückchen Papier schreiben und den unwissenden Eingebohrnen verkaufen, welche denselben außerordentliche Wunder-Kräfte zuschreiben. Einige Neger tragen sie in Schlangenhaut eingewickelt um den Fuß, und glauben dadurch vor dem Biß dieser giftigen Thiere geschützt zu seyn; andere nehmen sie mit in den Krieg und bilden sich ein, daß ihnen alsdann der Feind nichts anhaben könne; gewöhnlich aber gebraucht man sie | als Hülfsmittel gegen Krankheiten, gegen Hunger und Durst, und als eine Versicherung, daß das höchste Wesen den, der damit versehen ist, in allen Begebenheiten seines Lebens in Schutz nehmen werde. Man sollte kaum glauben, wie ansteckend diese Art von Aberglauben ist; denn, obschon die meisten Neger Heiden sind, und die mahomedanische Lehre durchaus verwerfen, so habe ich doch weder einen Buschrihn noch einen Kafir gefunden, der nicht an die mächtige 3 wann] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 65–66

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Wirksamkeit dieser Amulete fest glaubte. Wahrscheinlich rührt dies daher, daß die Eingebohrnen dieses Theils von Afrika das Schreiben als eine Art von Magie ansehen, und mehr Vertrauen auf die Kunst des Magiers als auf die Sprüche des Propheten setzen. Den siebenten verließ ich Kondschur und schlief in einem Dorfe, Malla, oder Malleng genannt; den achten, gegen Mittag, kamen wir nach Kolor, einer ansehnlichen Stadt, wo mir am Eingange eine Art von Maskenkleid aus Baumrinde gemacht, auffiel, das an einem Baume hing und, der Aussage meiner Begleiter nach, dem Mumbo J u m b o zugehörte. Dies ist ein Knecht Ruprecht, den man in allen Mandingo-Städten findet, und mit dessen Hülfe die heidnischen Einwohner ihre Frauen zum Gehorsam bringen: denn da die Kafirs so viel Frauen nehmen als sie ernähren können, und es sich wol ereignet, daß diese mit einander in Streit gerathen, und das Ansehen des Hausherrn nicht hinreicht, sie wieder in Ruhe zu bringen; so wird der Mumbo Jumbo als Mittler gerufen, und diesem gelingt es immer die Ruhe wieder herzustellen. Dieser sonderbare Verwalter der Gerechtigkeit, (in dem man entweder den Mann selbst vermuthet, oder doch jemand, den er von allem unterrichtet hat), verkündigt in dieser auffallenden Verkleidung, mit einer Ruthe bewaffnet, seine Ankunft durch ein lautes und schreckliches Ge|schrei in den Wäldern außerhalb der Stadt; sobald es dunkel wird, geht seine pantomimische Rolle an: er kommt in die Stadt, und begiebt sich nach dem Bentang, wo alle Einwohner sich sogleich versammeln. Den Frauen ist dieser Vorfall wohl eben nicht erfreulich, denn da der Verkleidete ihnen völlig unbekannt ist, so fürchtet jede verheirathete Frau, daß der Besuch ihr zugedacht sei; erscheinen aber müssen sie alle, wenn sie aufgefodert werden. Mit Gesang und Tanz, der bis Mitternacht dauert, fängt die Ceremonie an; dann heftet der Mumbo seine Blicke auf die Verbrecherin. Diese Unglückliche wird darauf sogleich ergriffen, nackt ausgezogen, an einen Pfal gebunden, und unter Gelächter und Spott der ganzen Versammlung entsetzlich mit der Mumbo-Ruthe gepeitscht. Es ist empörend, daß gerade die F r au e n sich bei solchen Gelegenheiten am lautesten gegen ihre arme Mitschwester zeigen. Diese unsittliche Scene pflegt bis zur Morgendämmerung zu dauern. Den neunten December fanden wir unterweges nirgends Wasser, und eilten deshalb nach Tabakunda. Den zehnten, des Abends, kamen wir nach Kuniakary, einer Stadt, fast so groß als Kolor. Den eilften erreichten wir Kudschar, die Grenzstadt von Wulli gegen Bondu, von welchem es durch eine Wüste von zwei Tagereisen getrennt ist. Mein wullihscher Führer, dem ich etwas Bernstein für seine Mühe gegeben hatte, ging nun zurück, und da man mir hier voraussagte,

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daß ich in der Wüste nicht immer Wasser finden würde; so sah ich mich nach Leuten um, die ich als Führer und zugleich als Wasserträger gebrauchen könnte. Drei Neger, Elephantenjäger, erboten sich dazu; ich nahm sie an und zahlte jedem drei Barren im voraus; der Tag war indessen größtentheils verstrichen, wir blieben also diese Nacht noch in Kudschar. Obschon der Anblick eines Weißen den Kudscharern nicht völlig fremd ist, da mehrere von ihnen die Gegen|den am Gambia zu besuchen pflegen, so betrachteten sie mich dennoch mit einem Gemisch von Neugier und Ehrfurcht, und auf den Abend luden sie mich ein, auf dem Bentang einem Ne o b e r i n g, oder Wettkampf, beizuwohnen. Die Zuschauer stellen sich in einen Kreis, in der Mitte die Kämpfer, junge starke Leute, welche, wie es scheint, von Kindheit an in dergleichen Kampfspielen geübt sind. Sie haben nichts als ein Paar kurze Beinkleider an, und nachdem sie sich den Körper mit Oel oder Butter gesalbt haben, nähern sie sich einander auf allen Vieren. Eine Zeitlang pariren sie mit der Hand, oder halten sie eine Weile still ausgestreckt, bis einer von beiden plötzlich zuspringt, seinen Gegner beim Knie packt, und ihn durch Gewandtheit oder durch List überwältigt; doch behält am Ende gemeiniglich der Stärkere die Oberhand, und meines Erachtens würden wenig Europäer sich mit dem Sieger messen können. Während des Wettstreits werden die Kämpfer durch die Musik einer Trommel angefeuert, und scheinen sich mit ihren Bewegungen einigermaßen nach dem Takt derselben zu richten. Auf den Kampf folgt ein Tanz von mehreren Personen, welche an Armen und Beinen kleine Schellen tragen, und auch das geschieht nach dem Schall der Trommel. Der Trommelschläger hat in der rechten Hand einen gekrümmten Stab, womit er den Ton hervorbringt, und mit der linken dämpft er das Instrument, welches zugleich dazu dient, Signale zu geben, indem es, wie bei uns, die Stelle der Commandowörter vertritt. Kurz vor dem Anfange des Wettkampfes, zum Beispiel, schlägt er A l i b a n s i – „ s e t z t euch“, worauf die Zuschauer sich alle setzen, und wenn der Kampf wirklich anfangen soll, wird A m e t a , Am e ta – „ gr e i f z u “ geschlagen. Den Abend gab man mir ein Getränk zur Erfrischung, das völlig wie sehr gutes englisches Bier schmeckte. Es interessirte mich, die Bereitung desselben zu wissen, und | ich erfuhr zu meiner Verwunderung, daß es wirklich aus Korn, (dem holcus spicatus) gemacht, und daß dies, eben wie in England der Weizen, vorher gemalzt wird. Eine Wurzel von angenehmer Bitterkeit dient statt des Hopfens. 32 eu ch “,] eu ch ”

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Am zwölften Morgens erfuhr ich, daß einer von meinen Elephantenjägern davon gegangen sei; damit nun die beiden andern nicht seinem Beispiele folgen möchten, ließ ich sie sogleich ihre Kalabaschen mit Wasser füllen, und mit Aufgang der Sonne trat ich meine Reise durch die Wüste an. Wir hatten kaum eine Meile zurückgelegt, als meine Begleiter Halt machten, um ein Safih zu bereiten, damit uns unterweges nichts übles begegnen möchte; zu dem Ende sagten sie dreimal hintereinander ein Paar Sprüche her, spieen auf einen Stein, warfen ihn alsdann mitten auf den Weg, und zogen nun getrost weiter, in der festen Ueberzeugung, daß der Stein alles Böse auf sich genommen habe, was die höhern Mächte bewegen könnte, uns zu schaden. Um Mittag gelangten wir an einen großen Baum, welchen die Eingebohrnen N i m a Tab a nennen. Er war mit einer unzähligen Menge Lumpen und kleiner Zeugschnitzchen behängt, welche Reisende wahrscheinlich deshalb an die Zweige geknüpft haben, um dem Wanderer anzuzeigen, daß Wasser in der Nähe zu finden sei. Dies ist aber durch die Länge der Zeit eine so heilige Gewohnheit geworden, daß es jetzt niemand wagt, vor dem Baume vorüberzugehen, ohne etwas daran zu hängen. Auch ich hing ein schönes Stück Zeug daran auf. Da meine Führer sagten, daß in der Nähe ein Quell oder ein See sein müsse, so ließ ich die Esel abladen und ihnen Futter geben, während auch wir uns ausruheten und an unserm Vorrath labten. Unterdeß schickte ich einen Elephantenjäger aus, um den Brunnen, der da | sein sollte, aufzusuchen, mit dem Vorsatze, wenn Wasser zu haben wäre, die Nacht hier zu bleiben. Der Neger fand eine Tränke, aber das Wasser war dick und schlammig, und am Ufer zeigten sich Spuren eines kürzlich erloschnen Feuers und Ueberreste von Speisen; ein Zeichen, daß Reisende oder Straßenräuber den Ort ohnlängst verlassen hatten. Meine Begleiter fürchteten das letztere, und riethen mir deshalb, lieber bis zu einem andern Wasserplatz zu gehen, den wir, ihrer Versicherung nach, gegen Abend gewiß erreichen würden. Wir machten uns also gleich wieder auf den Weg; aber es war wol acht Uhr ehe wir hinkamen, und da wir von der langen Tagereise sehr müde waren, so zündeten wir ein großes Feuer an und lagerten uns, umgeben von unsern Lastthieren, einen Büchsenschuß weit vom Walde, auf dem nackten Boden. Die Neger kamen überein, einer um den andern Wache zu halten. Ich ahnte gar keine Gefahr, die Neger aber hatten die ganze Reise über eine unbeschreibliche Furcht vor Straßenräubern. Sobald der Tag 22 sagten,] sagten;

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anbrach, füllten wir unsre Sufros, oder Schläuche, und Kürbisse aus dem See und machten uns auf den Weg nach Tallika, der ersten Stadt in Bondu, welche wir am 13ten December, Vormittags um eilf Uhr erreichten. Ich kann mich nicht von den Wullihs trennen, ohne es zu rühmen, daß sie mich überall freundlich empfingen, und daß ich über ihrer herzlichen Aufnahme am Abend, die Mühseligkeiten des Tages gewöhnlich vergaß. Obgleich mir die afrikanische Lebensweise anfänglich nicht gefiel, so fand ich doch bald, daß die Gewohnheit alle kleine Unbequemlichkeiten erträglich macht.

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Vierter Abschnitt. Einige Nachrichten von den Einwohnern von Tallika. – Ankunft zu Kurkerany. – Fischerei am Fluß Falemeh. – Ankunft zu Fattekonda. – Unterredung mit Almami, König von Bondu. – Zweiter Besuch bei dem König und seinen Frauen, und freundliche Entlassung. – Ankunft in Dschoag.

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Tallika, die Grenzstadt von Bondu gegen Wulli, wird von mahomedanischen Fulahen bewohnt. Die durchziehenden Carawanen pflegen sich hier mit Lebensmitteln zu versehen, und Elfenbein einzukaufen; denn die Einwohner sind geübte Elephantenjäger, und durch die Jagd und den Handel sehr wohlhabend. Ein königlich Bonduhscher Officiant residirt beständig hier; er muß von der Ankunft der Carawanen zeitig Nachricht geben. Der Zoll, den die Carawane hier entrichtet, wird nach Esels-Ladungen gerechnet, also für jeden beladenen Esel, den sie mit sich führt, eine bestimmte Taxe erlegt. Ich nahm meine Wohnung in dem Hause dieses Zolleinnehmers, und kam mit ihm überein, daß er mich für fünf Barren nach Fattekonda, der Residenz des Königs, begleiten solle. Vor meiner Abreise schrieb ich einige Zeilen an Dr. Laidley und gab meinen Brief dem Anführer einer Carawane, die eben nach dem Gambia abging. Sie bestand aus fünf mit Elfenbein beladenen Eseln; von den großen Zähnen trägt der Esel in Netzen zwei auf jeder Seite, die kleinern sind in Häute eingewickelt und mit Stricken befestiget. Den 14ten December verließen wir Tallika und ritten ungefähr zwei Meilen weit ruhig fort, als auf einmal ein heftiger Wortwechsel zwischen dem Schmidt und einem andern meiner Gefährten entstand. Es ist merkwürdig, daß der Afrikaner eher Schläge vergiebt, als ein Schimpfwort | auf seine Voreltern. „Schlage mich, aber schimpfe meine Mutter nicht“ ist ein gewöhnlicher Ausdruck bei den Sklaven. Diese Art von Beleidigung hatte den einen so aufgebracht, daß er seinen Säbel gegen den Schmidt zog, und den Streit gewiß sehr ernsthaft geendigt haben würde, wenn nicht die andern ihm den Säbel aus der Hand gewunden hätten. Endlich trat ich ins Mittel. Dem Schmidt gebot ich Stillschweigen, und dem andern, der Unrecht hatte, drohte ich, wenn er in Zukunft seinen Säbel wieder ziehen oder mit einem von meinen Leuten Händel anfangen würde, ihn als einen Räuber auf der Stelle zu erschießen. Diese Drohung wirkte, und wir ritten

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verdrüßlich fort den ganzen Nachmittag, bis wir in eine angebaute Ebene gelangten, wo eine Anzahl kleiner Dörfer zerstreut umher lagen. In einem derselben, Ganado genannt, blieben wir die Nacht. Eine gute Abendmahlzeit und kleine Geschenke endigten alle Feindseligkeiten unter meinen Begleitern, und es war schon ziemlich spät, ehe einer von uns an den Schlaf dachte. Wir unterhielten uns mit einem herumziehenden Sänger, der kleine Geschichtchen erzählte und kleine Lieder spielte, indem er über eine gespannte Saite blies und sie zugleich mit einem Stäbchen strich13. Den funfzehnten December, bei Tagesanbruch, nahmen meine serawullihschen Reisegefährten Abschied von mir, mit vielen Gebeten für meine Sicherheit. Eine Meile von Ganado setzten wir über einen Arm des Gambia, Nerico genannt. Die Ufer sind steil, und mit Mimosen bedeckt. In dem Schlamme des Flusses giebt es eine Menge großer Muscheln, die aber die Eingebohrnen nicht essen. Gegen Mittag, wo die Sonne fürchterlich brannte, ruhten wir zwei Stunden in dem Schatten eines Baums, hielten von Milch und gestoßnem Korn, welches wir von | fulahischen Hirten kauften, unsere Mahlzeit, und bei Sonnenuntergang erreichten wir Kurkarany, wo der Schmidt einige Verwandte hatte. Hier machten wir ein Paar Rasttage. Kurkarany ist eine mahomedanische Stadt, mit einer hohen Mauer umgeben und hat eine Moschee. Ich bekam hier eine Anzahl arabischer Handschriften zu sehen, besonders eine Abschrift von dem oben erwähnten Buche A l Sc h ar r a. Der Ma ra buh, oder Priester, der sie besaß, las einige vorzügliche Stellen daraus her, und übersetzte sie mir in die Mandingo-Sprache. Ich zeigte ihm dafür Richardsons arabische Grammatik, die er gar sehr bewunderte. Am Abend des zweiten Tages, den 17ten December, brachen wir von Kurkarany wieder auf. Ein junger Mann, welcher Salz von Fattekonda holen wollte, machte sich mit uns auf den Weg. Gegen Abend erreichten wir Duggi, ein kleines Dorf, ohngefähr 3 Meilen von Kurkarany. Hier versahen wir uns mit Lebensmitteln, die so wohlfeil waren, daß ich ein schönes Rind für sechs kleine Stückchen Bernstein kaufte; denn ich merkte daß meine Reisegefährten sich vermehrten oder verminderten, je nachdem ihnen die Kost behagte. 13

Diese herumziehenden Barden singen aus dem Stegreif das Lob derer, die sie bezahlen.

1 verdrüßlich] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1406 26–27 Vgl. John Richardson: A grammar of the Arabick language. In which the rules are illustrated by authorities from the best writers. Principally adapted for the service of the Honourable East India Company, London 1776

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Am folgenden Morgen setzten wir unsere Reise weiter fort, und da eine Anzahl Fulahs und noch andere sich zu uns gesellten, so hatte unser Zug ein recht wehrhaftes Ansehen, und wir durften nicht befürchten, in den Wäldern geplündert zu werden. Die Neger haben eine eigene Art, die widerspenstigen Esel zum Gehorsam zu bringen. Sie spalten einen Baumzweig, geben dem Esel das gespaltene Ende wie das Gebiß eines Zaums ins Maul, und binden die Enden davon über dem Kopf wieder zusammen; das ungespaltene Ende hängt also vom Maule nach der Erde herab; es muß | so lang sein, daß es, wenn das Thier den Kopf sinken läßt, den Boden berührt, folglich wenn es an Steine oder Wurzeln anschlägt, ihm einen heftigen Stoß gegen die Zähne verursacht. Der Esel merkt dies bald, trägt den Kopf aufrecht, und geht sehr ruhig und gravitätisch. Die ganze Anstalt sieht lächerlich genug aus, ist aber bewährt und bei den Slatihs allgemein üblich. Abends kamen wir an einige einzelne Dörfer, die mit bebautem Boden umgeben waren. In einem derselben, Buggil genannt, brachten wir die Nacht in einer elenden Hütte auf Stroh zu. Die Brunnen sind hier auf eine sinnreiche Weise gegraben, und ich fand einen acht und zwanzig Klafter tief. Am 19ten December verließen wir Buggil, und ritten bis Mittag einen dürren, steinigen, mit Mimosen bedeckten Hügel entlang; alsdann senkte sich das Land nach Osten, und wir stiegen in ein tiefes Thal hinab, wo ich viel weißen Quarz und Whin-stone14 fand. Der Weg lief in dem Bette eines ausgetrockneten Flusses immer nach Osten, bis wir ein großes Dorf erreichten, wo wir anhalten wollten. Hier fanden wir viele von den Einwohnern in dünnen französischen Flor gekleidet, den sie B i q u i nennen; dies ist ein leichter luftiger Anzug, der den Wuchs des Körpers durchscheinen läßt, und der, vermuthlich deswegen, von den Frauen vorzüglich geschätzt wird. Das Betragen der Frauen paßte indeß zu diesem eleganten Anzuge keinesweges, denn sie sind im höchsten Grade roh und zudringlich. Sie versammelten sich um mich her, und foderten Bernstein, Korallen und was sie nur bei uns sahen, mit solchem Ungestüm, daß ich durchaus nachgeben mußte. Sie zerrissen mir den Mantel, schnitten meinem 14

Vermuthlich eine Abänderung von Feuerstein, in Kirwan’s Mineralogie findet sich diese Benennung nicht. R.

22 dürren,] dürren 36 Vgl. Richard Kirwan: Elements of mineralogy, London 1784. Die Fußnote steht nicht in der englischen Vorlage; das am Schluss hinzugefügte Kürzel „R.“ soll wohl die Quelle angeben.

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Bedienten die Knöpfe vom Rock, und wir mußten, um diesem Ungestüm nicht länger ausgesetzt zu sein, weiter. Ein Schwarm dieser Harpyen verfolgte uns eine halbe Meile weit.| Den Abend erreichten wir Subruduka, und da unsere Gesellschaft zahlreich war, (wir waren unserer vierzehn) kaufte ich ein Schaaf und hinreichendes Korn zum Abendbrodt. Nachdem wir es verzehrt hatten, legten wir uns bei unserm Gepäck nieder, und brachten im starken Thau eine sehr unangenehme Nacht zu. Am 20sten December brachen wir von Subruduka auf, und erreichten um zwei Uhr ein Dorf an den Ufern des Falemeh, der hier in einem felsichten Bett sehr reißend fortströmt. Die Einwohner waren auf verschiedene Art mit der Fischerei beschäftigt; die großen Fische fangen sie in Körben aus gespaltenem Rohre, von denen einige mehr als zwanzig Fuß lang sind. Diese Körbe gebrauchen sie, wie wir die Reusen. Zu dem Ende führen sie quer durch den Fluß einen Damm von Steinen auf, und lassen hin und wieder Oefnungen darin, durch welche das mit Gewalt sich durchdrängende Wasser die Fische in die dahinter aufgestellten Körbe führt, und vermittelst seiner starken Strömung sie verhindert, wieder hinaus zu schwimmen. Die kleinen Fische, die von der Größe unserer Sardellen sind, werden in großer Menge in Netzen gefangen, deren sie sich sehr geschickt zu bedienen wissen. Sie machen einen Handelsartikel daraus; sie stampfen sie nehmlich in hölzernen Mörsern, und lassen sie hernach, in große Klumpen zusammengeballt, an der Sonne trocknen. Die Mauren aus den Gegenden nördlich vom Senegal, die in ihrer Heimath fast gar nichts von Fischen wissen, finden dieses getrocknete Fischmuß, so übelriechend es auch ist, doch köstlich und bezahlen es sehr theuer. Die Eingebohrnen schneiden ein Stück von diesem schwarzen Klumpen ab, kochen es in Wasser und vermischen es mit ihrem Kuskus. Ich fand es sonderbar, daß in dieser Jahreszeit an den Ufern des Falemeh überall das Korn im schönsten Wachsthum stand; bei genauer Untersuchung aber zeigte sich | daß es nicht die nehmliche Kornart war, welche am Gambia gebaut wird, sondern der Holcus cernuus; die Eingebohrnen nennen es M an io; es trägt sehr reichlich, wächst in der trocknen Jahreszeit, und wird im Januar reif. Bei meiner Rückkehr nach dem Dorfe begegnete ich einem alten maurischen Scherif, der mir seinen Segen ertheilte, und mich um ein wenig Papier zu Safihs bat. Dieser Alte hatte den Major Houghton im Königreich Kaarta gesehen, und erzählte mir, daß er im Lande der Mauren umgekommen wäre. Er forderte darauf auch vom Schmidt Papier, der es ihm willig gab, denn es ist Sitte, daß die jungen Musel36 einem alten] einen altem

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manen den Alten etwas schenken, wofür diese ihnen in arabischer Sprache den Segen ertheilen, der mit großen Demuthsbezeugungen empfangen wird. Um drei Uhr Nachmittags setzten wir unsere Reise nordwärts längs den Ufern des Flusses fort; um acht Uhr erreichten wir Najimow, wo uns der vornehmste Mann der Stadt sehr freundlich empfing, und mit einem jungen Rinde beschenkte; ich erwiederte diese Freigebigkeit durch etwas Bernstein und Korallen. Am 21sten December ließen wir unser Gepäck vermittelst eines Canots über den Fluß schaffen; ich selbst ritt hindurch, obschon das Wasser mir bis an die Kniee ging; es ist so durchsichtig, daß man von den höchsten Ufern des Flusses den Grund sehen kann. Gegen Mittag kamen wir nach Fattekonda, der Hauptstadt von Bondu. Es giebt keine öffentliche Wirths-Häuser in Afrika; die Fremden gehen daher nach dem Bentang oder sonst einem öffentlichen Orte, und warten dort, bis sie in die Behausung eines Einwohners eingeladen werden. Ein angesehener Slatih lud uns zu sich ein, und wir nahmen das Anerbieten an. Kaum waren wir eine Stunde dort, als jemand kam, um mich | zum Könige zu holen, der, wie er sagte, sehr begierig sei, mich sogleich zu sehen, wenn ich nicht allzumüde wäre zu kommen. Ich nahm meinen Dolmetscher mit, und folgte dem Boten. Er führte mich aber zur Stadt hinaus und weiter über Kornfelder hin; da fing ich an zu besorgen, es sei Hinterlist im Spiele. Ich stand also still, und fragte den Führer, wohin er gehe. Er zeigte mir darauf eine kleine Strecke davon einen Mann, der unter einem Baume saß, und sagte, daß dies der König sei, der oft an diesem entfernten Orte Audienz gebe, um das Hinzudringen des Volks zu vermeiden, und daß jetzt niemand zu ihm dürfe, als ich und mein Dolmetscher. Als ich mich ihm näherte, nöthigte er mich neben sich auf seiner Matte zum Sitzen; und nachdem er sich meine Geschichte hatte erzählen lasten, fragte er mich, ob ich Sklaven oder Gold kaufen wolle? Als ich erwiederte, daß ich weder dies noch irgend sonst etwas einkaufen wollte, wunderte er sich gar sehr und verlangte, ich sollte den Abend wieder zu ihm kommen, wo er mir Lebensmittel geben wolle. Dieser Fürst hatte einen maurischen Namen Almami, war doch aber ein Kafir. Ich hatte gehört, daß er dem Major Houghton unfreundlich begegnet habe, und Schuld an seiner Plünderung gewesen sei. Sein über alle Erwartung freundliches Benehmen gegen mich beruhigte mich daher nicht, sondern ließ mich nur desto mehr Hinterlist besorgen. Ich glaubte also, es sei das Beste, wenn ich ihn durch Geschenke zu gewinnen suchte, und nahm zu dem Ende beim zweiten 37 begegnet habe] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 711

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Besuch am Abend, eine Büchse Schießpulver, etwas Bernstein, Taback und meinen Sonnenschirm mit. Auch verbarg ich, auf den Fall daß man mein Gepäck durchsuchen möchte, einiges davon unter dem Dache der Hütte, die ich bewohnte, und zog, Vorsichts wegen, meinen besten Rock an.| Alle Häuser, welche dem Könige oder seiner Familie gehören, sind mit einer hohen Lehmmauer umgeben, welches ihnen das Ansehn einer Zitadelle giebt; das Innere ist in verschiedene Höfe getheilt. Am ersten Eingange stand ein Mann mit einer Flinte auf der Schulter, und der Weg zum Könige scheint überhaupt nicht leicht zu sein, er ging durch mehrere Gänge und an jeder Thür stand eine Schildwache. Als wir an den Eingang der eigentlichen Wohnung kamen, in welcher der König sich unmittelbar aufhielt, zogen mein Führer und mein Dolmetscher, der Sitte gemäß, ihre Sandalen aus, und der erstere rief den Namen des Königs so oft laut, bis ihm von Innen geantwortet wurde. Wir fanden den König auf einer Matte sitzend, und zwei von seinem Gefolge bei ihm. Ich wiederholte was ich ihm schon von meiner Reise gesagt hatte, er schien aber noch nicht völlig befriedigt. Die Idee, daß man aus bloßer Neugierde eine Reise unternehmen könne, war ihm völlig neu: es scheine ihm gar nicht denkbar, sagte er, daß ein Mensch bei Sinnen eine so gefährliche Reise unternehme, bloß um das Land, und dessen Bewohner kennen zu lernen. Als ich mich aber erbot, ihm meinen Mantelsack zu öffnen, und alles, was ich bei mir führte, vorzuzeigen, zum Beweise, daß es keine Handelswaaren wären, glaubte er mir endlich. Die Vorstellung, daß jeder Weiße ein Kaufmann sei, hatte ihm ohne Zweifel den Argwohn beigebracht, daß ich ihm die Wahrheit verhehlte. Er freuet sich über meine Geschenke, besonders aber über den Sonnenschirm, den er zum Erstaunen seiner Bedienten, die den Gebrauch dieser wunderbaren Maschine gar nicht begriffen, immer auf und zu machte. Als ich mich beurlauben wollte, bat er mich noch ein wenig zu bleiben, und hielt eine Lobrede auf die Weißen, indem er ihren Reichthum und ihre Gutmüthigkeit rühmte. Dann bewunderte er meinen blauen Rock, dessen gelbe Knöpfe ihm | vorzüglich zu behagen schienen, und endlich schloß er mit der Bitte, daß ich ihn damit beschenken möchte. Zum Trost für meinen Verlust versprach er mir dagegen, ihn bei jeder feierlichen Gelegenheit anzuziehen, und jedem, der ihn sehen würde, meine Freigebigkeit zu rühmen. Die Bitte eines afrikanischen Fürsten, in seinem eignen Reiche, an einen Fremden, ist nicht viel weniger als ein Befehl; und da er das, was er sich von mir ausbat, mit Gewalt hätte nehmen können, ich ihn aber nicht erzürnen wollte, so zog ich ruhig meinen besten Rock aus und legte ihn ihm zu Füßen. Zum Gegengeschenk erhielt ich einen großen Vorrath von Lebensmitteln.

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Den andern Morgen mußte ich wieder zu ihm kommen. Ich fand ihn auf seinem Bette sitzend: er sei krank, sagte er mir, und wünsche, daß ich ihn zur Ader ließe. Kaum aber hatte ich ihm den Arm gebunden und die Lanzette heraus genommen, als er den Muth verlor, mir für meine Bereitwilligkeit dankte, und mich bat, die Operation bis Nachmittag zu verschieben, da er sich jetzt auf einmal weit besser befände. Er ersuchte mich darauf zu seinen Frauen zu gehen, die sehr begierig wären, mich zu sehen. Man führte mich zu ihnen und kaum war ich in den Hof getreten, als das ganze Serail sich um mich her drängte; einige baten um Arzneien, andere um Bernstein; alle aber wollten das große afrikanische Universalmittel versuchen und zur Ader lassen. Es waren ihrer zehn oder zwölf, alle jung und schön, und hatten viel Gold und Bernsteinkorallen in ihrem Kopfputz. Sie spotteten und lachten besonders über meine weiße Haut und hervorstehende Nase, und behaupteten, daß beides erkünstelt sei; jene hätte man dadurch hervorgebracht, daß man mich als Kind in Milch gebadet hätte, und diese wäre so lange gekniffen worden, bis sie diese häßliche unnatürliche Form hätte annehmen müßen. Statt meine Häßlichkeit zu bestreiten, pries ich ihre Schönheit. Ich lobte das glänzende Schwarz ihre Haut und die einge|drückte Nase; sie sagten mir aber, daß Schmeichelei, oder wie sie sich emphatisch ausdrückten, ein Hon i g m u n d in Bondu nicht geachtet sei. Für meinen Besuch und für das Schöne, das ich ihnen gesagt hatte, (wogegen sie doch nicht so unempfindlich waren, als sie vorgaben,) beschenkten sie mich mit einem Krug Honig und etwas Fischen, welches nach meiner Behausung gebracht wurde. Vor Sonnenuntergang mußte ich abermals zum Könige. Da es Sitte ist, beim Abschied eine Kleinigkeit zu schenken, so nahm ich Korallen und einige Bogen Schreibpapier mit, wofür der König mir fünf Drachmen Gold gab; das sei zwar nur eine Kleinigkeit, sagte er, er schenke sie mir aber aus ächter Freundschaft, und ich könnte mir doch unterweges Lebensmittel dafür kaufen. Er erhöhete seine Wohlthat noch dadurch, daß er mir sagte, es sei sonst zwar eingeführt, daß das Gepäck der Reisenden durchsucht würde, mich aber wolle er für dieses Mal mit der Ceremonie verschonen, und es stehe mir nun frei, zu reisen, wenn ich wollte. Am 23sten Morgens verließen wir Fattekonda und erreichten um eilf Uhr ein kleines Dorf, wo wir den Rest des Tages ruhen wollten. Am Nachmittag sagten mir meine Reisegefährten, wir wären jetzt auf der Grenze zwischen Bondu und Kadschaaga, diese Gegend aber sei unsicher und wir würden daher wohl thun, uns nicht eher als mit 3 ihn zur] ihm zur

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Einbruch der Nacht auf den Weg zu machen. Ich miethete also hier zwei Führer, die uns durch den Wald bringen sollten, und sobald alles im Dorfe schlief, machten wir uns bei Mondschein auf. Die Stille in der Luft, das Geheul der wilden Thiere, und die Oede des Waldes, machten einen schauerlichen Eindruck auf mich. Wir sprachen nur ganz leise mit einander, und meine Gefährten zeigten mir einer um den andern die Wölfe und Hyänen, die wie Schat|ten von einem Dikkicht zum andern schlichen. Gegen Morgen gelangten wir an ein Dorf, Kimmu genannt, wo unsere Führer einen ihrer Bekannten aufweckten; hier hielten wir an um unsere Esel zu füttern und uns einige Erdnüsse15 zu rösten. Bei Tagesanbruch setzten wir unsere Reise fort und den Nachmittag kamen wir nach Dschoag in dem Königreich Kadschaaga. Da ich jetzt in einem Lande und bei einem Volke bin, das von den bisher beschriebenen so sehr verschieden ist, so will ich, ehe ich in meiner Erzählung fortfahre, einige Nachrichten von Bondu, das wir so eben verließen, und von seinen Einwohnern (den Fulahs) mittheilen. Bambuck begrenzt Bondu gegen Osten, Tenda und die simbanische Wüste gegen Süd-Osten und Süden, Wulli gegen Süd-Westen, Futa Torra gegen Westen und Kadschaaga gegen Norden. Das Land ist, so wie Wulli, sehr waldreich, aber höher und gegen den Falemeh zu erhebt es sich zu ansehnlichen Bergen. Einen ergiebigern Boden findet man wol in keiner andern Gegend von Afrika. Da Bondu in der Mitte zwischen dem Senegal und dem Gambia liegt, so ist es ein Sammelplatz der Slatihs, wenn sie von der Küste nach dem Innern reisen; und auch andere Kaufleute kommen oft aus dem Innern des Landes hieher, um Salz zu kaufen. Diese verschiednen Handelszweige sind vornehmlich in den Händen der Mandingohs und der Serawullihs, welche sich hier niedergelassen haben, und auch nach Geduma und andern maurischen Gegenden hin Verkehr treiben, wo sie Korn und Baumwollenzeug für Salz vertauschen. Dies | verhandeln sie dann wieder nach Dentila und andern Distrikten für Eisen, Baumbutter und etwas weniges Goldstaub. Sie handeln ferner mit allerlei wohlriechenden Harzen, welche in 15

Ob unter der unter der Benennung Erdnüsse, in der Urschrift ground nut genannt, Arachis hypogæa, Convolvulus Batatas, oder eine Art der Dioscoræa zu verstehen sey, läßt sich, in Ermangelung näherer botanischer Bestimmungen, nicht entscheiden. W.

33 vertauschen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1546

37 sey,] sey;

36–38 Die Fußnote steht nicht in der englischen Vorlage; das am Schluss hinzugefügte Kürzel „W.“ soll wohl die Quelle angeben.

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kleine Beutel gepackt sind, deren jeder ein Pfund wiegt. Auf heiße Asche gestreut geben diese Harze einen sehr angenehmen Geruch und die Mandingohs pflegen ihre Hütten und Kleider damit zu durchräuchern. Die Kaufleute müssen hier sehr hohe Abgaben entrichten, nemlich fast in jeder Stadt für eine Eselsladung einen Barren europäischer Waare, und in Fatteconda, der Residenz des Königs, gar eine Flinte und sechs Flaschen Schießpulver, wodurch der König Waffen und Ammunition bekömmt; ein Umstand, der ihn den benachbarten Staaten furchtbar macht. Die Einwohner, welche mit den Mandingohs und Serawullihs oft Krieg führen, sind an Farbe und Sitten von ihnen verschieden. Vor einigen Jahren ging der König von Bondu mit einer zahlreichen Armee über den Falemeh, und nach einem kurzen und blutigen Treffen, schlug er Sambu, den König von Bambuk, gänzlich, so daß dieser um Frieden bitten und ihm alle Städte längs den östlichen Ufern des Falemeh abtreten mußte. Die Fulahs sind (wie schon oben erwähnt ist) von gelbbrauner Farbe, haben feine Gesichtszüge und weiches Haar. Nächst den Mandingohs sind sie das ansehnlichste Volk in Afrika. Ihr eigentliches Vaterland ist Fuladu (das Land der Fulahs): jetzt aber besitzen sie mehrere andere Königreiche, welche sehr weit von einander entfernt sind. Ihre Farbe weicht indeß in verschiedenen Districten von einander ab, und ist namentlich in Bondu und in den andern Königreichen in der Nachbarschaft der maurischen Gebiete, gelber als in den südlichen Staaten.| Die Bonduischen Fulahs sind von Natur sanft und gutmüthig, nur haben die lieblosen Grundsätze des Korans ihrer angebohrnen Gastfreiheit Einhalt gethan, und sie zurückhaltender als die Mandingohs gemacht. Sie dünken sich besser als alle eingebohrnen Neger, und rechnen sich, im Gegensatz mit andern Nationen von Afrika, immer zu den Weißen. Ihre Regierungsform ist vornehmlich darin von der mandingoischen verschieden, daß sie mehr als jene dem Gesetz Mahomets anhangen, denn, den König ausgenommen, sind alle Vornehmen, und überhaupt die meisten Einwohner von Bondu, Muselmannen, daher alles nach dem Gesetz des Propheten geht. Indeß sind sie nicht unduldsam gegen diejenigen von ihren Landsleuten, welche noch dem Heidenthum anhängen, auch weiß man nichts von Religionsverfolgungen. Statt dessen haben sie ein wirksameres Mittel gefunden das 7 Residenz des Königs,] Residenz, des Königs andern] so DV; OD: zu andern

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mahomedanische System zu verbreiten. Sie haben nehmlich in verschiedenen Städten kleine Schulen errichtet, wo sowohl heidnische als mahomedanische Kinder den Koran lesen lernen und in der Lehre des Propheten unterrichtet werden. Die mahomedanische Priester, welche diesen Unterricht ertheilen, wissen ihre jungen Zöglinge zu so überzeugten, eifrigen Bekennern Mahomets zu machen, daß sie sich bei zunehmenden Jahren durch nichts abwendig machen lassen. Ich habe bei meiner Durchreise mehrere dieser kleinen Schulen besucht, die Gelehrigkeit und Folgsamkeit der Kinder bewundert, und ihnen von Herzen aufgeklärtere Lehrer und eine reinere Religion gewünscht. Mit dem mahomedanischen Glauben ist auch die arabische Sprache eingeführt worden, wovon die meisten Fulahs einige Kenntniß haben. Ihre Landessprache ist sehr reich an Halblauten, die Art sie auszusprechen aber sehr unangenehm. Ein Fremder, der zwei Fulahs | mit einander sprechen hört, kann nicht anders glauben, als daß sie sich zanken. Ihre Zahlen lauten so: Eins — Go. Zwei — Diddi. Drei — Te t t i . Vier — Ni. Fünf — Dschuih. Sechs — D s c h e - go . Sieben — Dsche-Diddi. Acht — D s c h e - Te t t i . Neun — D s c h e - Ni . Zehn — Sap p o . Die Betriebsamkeit der Fulahs, in Ansehung des Ackerbaues und der Viehzucht, ist überall sehr groß. Selbst an den Ufern des Gambia sind sie es, die das meiste Getreide bauen, und ihre Heerden sind zahlreicher und in besserm Zustande, als bei den Mandingohs; vollends in Bondu sind sie äußerst wohlhabend. Die Heerden, welche sie außerordentlich gut zu behandeln wissen, sind sehr zahm. Wenn die Nacht einbricht, werden sie aus den Wäldern eingetrieben und in der Nachbarschaft der Dörfer in Hürden (Korrihs), eingeschlossen. In der Mitte jeder Korri ist eine kleine Hütte errichtet, worin ein oder zwei Hirten die Wache haben um das Feuer zu unterhalten, welches zu Verscheuchung der Raubthiere rund um die Korri angezündet wird, und zugleich um vor Diebstahl sicher zu sein. Morgens und Abends wird die Heerde gemelkt. Die Milch ist vortreflich; doch geben die Kühe hier bei weitem nicht so viel als in Europa; die Fulahs essen die Milch, jedoch nicht eher als bis sie völlig 13 Halblauten] Halblautern

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sauer ist. Die Sahne ist sehr dick und wird so lange in einem Kürbiß tüchtig umgerührt, bis sie zu Butter wird. Diese lassen sie alsdann über gelindem Feuer schmelzen, sondern die Unreinigkeiten sorgfältig ab, und bewahren sie in irdenen Töpfen auf; sie brau|chen sie fast zu allen ihren Speisen, salben sich auch den Kopf, die Hände und das Gesicht damit ein. Es ist sonderbar, daß die Fulahs, und alle Einwohner dieses Theils von Afrika, obschon sie Milch genug haben, doch vom Käsemachen gar nichts wissen. Aus Anhänglichkeit an die Sitte ihrer Vorfahren, hegen sie aber gegen jede Art von Neuerung Vorurtheil und wollen also auch vom Käsemachen nichts hören; es scheint ihnen allzu mühsam und allzu umständlich zu sein: auch sehn sie die Hitze des Climas und den Mangel an Salz für unüberwindliche Hindernisse dabei an. Nächst dem Hornvieh, welches den Hauptreichthum der Fulahs ausmacht, besitzen sie auch prächtige Pferde, welche ein Gemisch von arabischer und afrikanischer Race sind, jedoch nicht in großer Anzahl.

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Nachricht von Kadschaaga – die Serawullihs. – Nachricht von Dschohg. – Der Verfasser wird auf Befehl des Königs Badscheri geplündert. – Gutmüthigkeit einer Sklavin. – Besuch beim Neffen des Königs. – Ankunft in Sami. – Ankunft im Königreich Kaßon. –

Das Königreich Kadschaaga, in dem ich nunmehro angekommen war, nennen die Franzosen Gallem, ich wähle aber den Nahmen, den es in der Landessprache führt. Die Grenzen sind nach Süd-Osten und Süden Bambuk, nach Westen Bondu und Futa Torra, und nach Norden der Senegal. Luft und Klima dünkten mich hier reiner und gesünder als irgendwo weiter gegen die Küste zu. Das Land ist voll Hügel und Thäler, deren Abwechselung, in Verbindung mit dem schlängelnden Lauf des Senegal, reizende Aussichten gewährt. Der Senegal kommt aus dem Innern des Landes, ströhmt über felsichte Höhen und hat hier sehr schöne mahlerische Ufer. Die Einwohner heißen Serawullihs, oder (wie die Franzosen sie nennen) Seracolets. Sie sind von dunkelbrauner, glänzend schwarzer Farbe, und in dieser Hinsicht von den Jaloffen nicht zu unterscheiden. Die Regierungsform ist monarchisch, und, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, ziemlich uneingeschränkt; indeß klagte das Volk doch nicht über Bedrückung und schien sehr thätig und willig den König zu unterstützen, als er mit dem Fürsten von Kaßon Krieg führen wollte. Die Serawullihs sind ein handeltreibendes Volk, das vormals viel Verkehr mit den Franzosen hatte, denen es Gold und Sklaven zuführte; und noch jetzt treiben sie mit den brittischen Faktoreien am Gambia einigen Skla|venhandel. So eifrig sie sind, durch den Handel etwas vor sich zu bringen, so gehn sie doch ziemlich rechtlich zu Werke, und haben beim Absatz von Baumwollenzeug und Salz in entfernten Gegenden ansehnlichen Verdienst. Wenn ein serawullischer Handelsmann von einer Geschäftsreise nach Hause kommt, so versammeln sich sogleich die Nachbarn, und wünschen ihm Glück zur Ankunft. Bei dieser Gelegenheit zeigt der Reisende seinen Reichthum und seine Freigebigkeit, indem er seinen Freunden kleine Geschenke macht; ist aber seine Spekulation mißglückt, so ist die Cour bald vorbei, jeder hält ihn für einen unverständigen Menschen, der eine große

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Reise unternehmen konnte, und (wie sie sich ausdrücken) nichts m i t b r i n g t al s d as Haar au f d e m K opf ! Ihre Sprache hat viel Kehlbuchstaben und ist daher nicht so wohllautend als die fulahische. Wer ins Innere von Afrika reiset, thut wohl sie zu erlernen, weil sie in den Königreichen Kasson, Kaarta, Ludamar und im nördlichen Theil von Bambarra allgemein verstanden wird. In allen diesen Gegenden sind die Serawullihs die vorzüglichsten Handelsleute. Ihre Zahlen sind: Eins — Bani. Zwei — Fillo. Drei — Sicco. Vier — Narrato. Fünf — Karrago. Sechs — Tumo. Sieben — Nero. Acht — Sego. Neun — Kabbo. Zehn — Tamo. Zwanzig — Tamo di Fillo. Am 24sten December kamen wir nach Dschohg, der Grenzstadt dieses Königreichs, und kehrten bei dem ersten Beamten ein, der hier nicht mehr Alkaid, sondern Duti | genannt wird. Er war ein eifriger Mahomedaner, aber sehr gastfrei. Die Stadt hat ungefähr zweitausend Einwohner, und ist mit einer hohen Mauer umgeben, worin überall Schießlöcher sind. Eben so ist jedes einzelne Gehöft mit einer Mauer umzogen, so daß man nichts als kleine Zitadellen sieht; denn eine bloße Mauer ist hier, wo man nichts von Artillerie weiß, eine vollkommen hinreichende Befestigung. Auf der West-Seite der Stadt fließt ein kleiner Strom, an dessen Ufern die Einwohner viel Taback und Zwiebeln bauen. Am Abend besuchte der Buschrihn Madibu, der mich von Pisania aus begleitet hatte, seine Eltern in der benachbarten Stadt Dramanet, und ich erlaubte dem Schmidt ihn zu begleiten. Mit Einbruch der Nacht ward ich eingeladen die Belustigungen der Einwohner mit anzusehen, womit sie Fremde bei ihrer Ankunft zu unterhalten pflegen. Hier bestanden sie in Tanz. Umringt von einer zahlreichen Versammlung, tanzte nehmlich beim Schein einiger großen Feuer, eine Anzahl Personen zum Schall von vier Trommeln, die sehr regelmäßig und gleichförmig geschlagen wurden. Zum Tanz gehört aber hier zu Lande weder Kraft noch Geschmeidigkeit der Muskeln, oder gefällige Stellung, sondern er besteht blos in üppiger Gestikulation: besonders wetteifern die Weiber mit einander in den wollüstigsten Bewegungen.

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Um zwei Uhr Morgens, am 25sten December, kam ein Trupp Reiter in die Stadt; sie weckten meinen Wirth und sprachen mit ihm Serawullisch; dann stiegen sie ab, und gingen nach dem Bentang, wo ich mich mit meinen Begleitern gelagert hatte. Einer von den Reitern versuchte es, die Flinte, die neben mir auf der Matte lag, zu stehlen, bemerkte aber bald, daß ich wachte; und nun setzten sich die Fremden bei mir nieder, und blieben bis der Tag anbrach. Mein Dollmetscher, Johnson, gab mir durch sein Benehmen bald zu erkennen, daß wir nichts Gutes zu er|warten hätten; auch befremdete michs, daß Madibu und der Schmidt von ihrer Reise schon wieder zurückkamen. Mabibu erklärte mir aber das Räthsel; während dem zu ihrer Bewillkommung in Dramanet ein Tanz angestellt worden, wäre des Königs Batscheri zweiter Sohn mit neun Reitern angekommen, und hätte gefragt, ob der Weiße durchgezogen wäre? auf die Nachricht, ich sei zu Dschohg, wären sie sogleich weiter geritten, und er und der Schmidt hätten sich deshalb augenblicklich auf den Rückweg gemacht, um mir dies zu melden. Er hatte seine Erzählung noch nicht geendigt, als die zehn Reiter ankamen; sie ritten nach dem Bentang, stiegen ab, und setzten sich zu denen, die vorher angekommen waren. Es mochten ihrer itzt ohngefähr zwanzig sein; sie schlossen einen Kreis um mich, und jeder hatte seine Flinte in der Hand. Ich sagte nun meinem Wirthe, daß ich das Serawullische nicht verstünde, und daher hoffte, wenn die Fremden etwas mit mir zu verhandeln hätten, sie Mandingo sprechen würden. Das bewilligten sie, und nun trug ein kleiner Mann mit einer Menge Saffihs behangen, die Sache in einer sehr weitläuftigen Rede vor. Ich wäre in die Stadt des Königs gekommen, ohne vorher den Zoll erlegt, oder dem Könige ein Geschenk gebracht zu haben; nach den Gesetzen des Landes würde daher was ich bei mir hätte, Bediente, Lastthiere und Gepäck, alles konfiscirt. Sie hätten Befehl vom Könige, mich nach Mahna16, seiner Residenz, zu führen, und, wenn ich mich weigere, mich mit Gewalt fortzubringen. Bei diesen Worten standen sie alle auf, und fragten mich, ob ich bereit sei. Mit einer solchen Schaar es aufzunehmen, wäre vergebens und unklug gewesen; ich bat sie daher bloß, so lange zu warten, bis ich mein Pferd gefüttert, und mich mit meinem Wirth abgefunden hätte. Mein ehrlicher Schmidt, der aus Kasson gebürtig war, merkte | nicht, daß diese Nachgiebigkeit nur Verstellung war; er nahm mich bei Seite, und sagte, er habe mir immer mit der Treue und dem Gehorsam eines 16

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Mahna liegt nicht weit von den Ruinen der Festung St. Joseph, am Senegal, wo ehedem eine französische Faktorei war.

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Sohnes gedient, ich würde ihn doch nicht so unglücklich machen und nach Mahna gehen; es bräche gewiß bald ein Krieg zwischen Kaßon und Kadschaaga aus, und dann würde er nicht nur seine kleine Habe verlieren, die er während vier saurer Jahre durch seinen Fleiß erworben habe, sondern er würde noch oben ein als Sklav verkauft werden, wenn seine Freunde nicht zwei Sklaven für ihn stellen könnten. Um ihn also nicht in diesen Fall zu bringen, erbot ich mich gegen den Sohn des Königs, mit ihm zu gehn, wofern er dem Schmidt, der ein Einwohner eines entfernten Königreichs sei, und mit mir in keiner Verbindung stehe, gestatten wolle, bis zu meiner Rückkunft in Dschohg zu bleiben; das war aber umsonst. Alle wendeten ein, wir hätten insgesammt gegen die Gesetze gehandelt, wir wären also alle gleich verantwortlich. Nun ging ich mit meinem Wirth bei Seite, schenkte ihm etwas Schießpulver und bat mir seinen Rath aus. Er bestand darauf, daß ich nicht zum Könige gehen müße, denn wenn der König unter meinen Sachen irgend etwas von einigem Werthe fände, so würde er nichts unversucht lassen, um es mir abzunehmen; also sah ich wohl, daß es am rathsamsten sein würde, mich mit des Königs Leuten abzufinden. Ich habe, sagte ich, nicht aus Mangel an Ehrfurcht gegen den König gefehlt, noch um gegen seine Gesetze zu handeln, sondern bloß aus Unwissenheit als ein Fremder, der mit den Gesetzen und Gewohnheiten eures Landes gänzlich unbekannt ist. Ich bin ins Gebiet des Königs gekommen, ohne zu wissen, daß ich vorher einen Zoll erlegen muß; aber ich bin bereit, ihn jetzt zu entrichten. Bei diesen Worten reichte ich ihnen zum Geschenke für den König die fünf Drachmen (fünfviertel Loth) Gold, die mir der König von Bondu gegeben hatte. Sie nahmen sie an, bestanden aber darauf, demohnerachtet auch noch mein Ge|päck zu durchsuchen. Alle Gegenvorstellungen halfen nichts; sie öffneten die Bündel, fanden aber bei weitem nicht so viel Gold und Bernstein, als sie erwartet hatten. Dafür nahmen sie denn alles, was ihnen gefiel, zankten und stritten mit mir bis Sonnenuntergang, und zogen endlich mit der Hälfte meiner Habseligkeiten von dannen. Meine Leute hatten durch diesen Vorfall allen Muth verlohren; wir hatten den Tag über noch nichts gegessen und auch das Abendbrod war so kärglich, daß wir dadurch nicht sonderlich gestärkt wurden. Madibu bat mich wieder umzukehren; Johnson lachte darüber, daß ich ohne Geld weiter zu reisen gedächte, und der Schmidt ließ sich weder sehen noch hören, aus Furcht, man möchte ihn für einen Eingebohrnen ans Kasson erkennen. So brachten wir die Nacht bei einem schwachen Feuer zu; aber welche Verlegenheit am folgenden Tage! Ohne Geld konnte ich mir keine Lebensmittel ver5 Sklave] Sklav

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schaffen; und brachte ich etwas Bernstein zum Vorschein, so mußte ich fürchten, es würde sogleich ruchtbar werden, und dann würde mir der König auch das wenige, was ich versteckt hatte, vollends nehmen lassen. Wir kamen also überein, daß wir uns den Tag über ohne Essen behelfen, und es abwarten wollten, bis wir verstohlner Weise Lebensmittel kaufen oder als Almosen uns welche erbetteln könnten. Gegen Abend, als ich auf dem Bentang saß und Stroh kauete, ging eine alte Sklavin mit einem Korb auf dem Kopfe vorüber, und fragte mich, ob ich schon Mittagbrodt gegessen hätte? Ich dachte, sie spotte meiner, und gab ihr keine Antwort; mein Negerjunge aber, der neben mir saß, sagte ihr, des Königs Leute hätten mich ausgeplündert und mir namentlich nicht einen Heller Geldes gelassen. Bei dieser Nachricht, sah mich die gute Alte mitleidig an, nahm gleich den Korb vom Kopfe herunter, zeigte mir, daß Erdnüsse darin wären, und fragte, ob ich dergleichen wol äße. Als ich es bejahete, gab sie mir | einige Hände voll und ging fort, ohne mir Zeit zu lassen ihr zu danken. Es war eine Kleinigkeit, die aber meinem Herzen sehr wol that. Diese Sklavin, so arm und unwissend sie war, fragte nicht erst nach meinem Stande, oder nach meinen Umständen, sondern sie that auf der Stelle was ihr Herz ihr zu thun gebot. Kaum war die Alte fortgegangen, als ich die Nachricht erhielt, daß ein Neffe des Demba Sego Jalla, des Mandingo-Königs von Kasson, mich besuchen wolle. Er war als Gesandter zum König von Kadschaaga, Batscheri, geschickt worden, um Streitigkeiten zwischen diesem und seinem Oheim zu schlichten, mit welchem Geschäft er vier Tage fruchtlos zugebracht hatte; jetzt auf dem Rückwege trieb ihn die Neugierde, den Weißen in Dschohg zu sehen. Den gutmüthigen Mann rührte meine Lage so sehr, daß er mir seinen Schutz anbot, und mich, wofern ich am andern Morgen aufbrechen wollte, sicher nach Kasson zu geleiten versprach. Mit Dank nahm ich dies an, und machte mich mit meinem Gefolge gegen Tagesanbruch den 27sten December auf den Weg. Mein Beschützer, – er hieß, wahrscheinlich nach seinem Oheim, Demba Sego, – hatte eine zahlreiche Begleitung. Wir waren, als wir Dschohg verließen, unserer dreißig, und hatten sechs beladene Esel bei uns. Als wir einige Stunden ziemlich frohen Muthes geritten waren, ohne daß uns etwas merkwürdiges aufstieß, kamen wir an einen Baum, nach welchem mein Dollmetscher, Johnson, oft gefragt hatte. Wir mußten Halt machen, und nun zog er ein weißes Huhn hervor, das er zu diesem Zweck in Dschohg gekauft hatte, band es mit den Füßen an einen Zweig, und sagte: nun könnten wir sicher fortreiten, 2 ruchtbar] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1507

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es werde uns nichts übles begegnen. Ich erwähne dies bloß als einen Charakterzug der Neger. Sieben Jahr war dieser Mann in England gewesen, und doch hatte er sich von den Vorurtheilen, die er als Kind | eingesogen, noch nicht befreien können. Das Huhn, sagte er, sei ein Opfer für die Geister des Waldes, welches mächtige Wesen wären, weiß von Farbe und mit langem fliegenden Haar. So thöricht dieser Wahn ist, so sah’ ich doch, wie gut ers mit mir meinte. Mittags kamen wir nach Gungadi, einer großen Stadt, wo wir eine Stunde lang anhielten, bis einige von unsern Eseln, die nicht so gut zu Fuße waren als die übrigen, wieder zu uns stießen. Ich fand hier viel Dattelbäume und eine Moschee aus Lehm erbaut, mit sechs Thürmen, auf deren Spitzen sechs Strauß-Eier befestiget waren. Kurz vor Sonnenuntergang kamen wir in der Stadt Sami an, an dem Ufer des Senegal, der hier ein schöner, aber seichter Strom ist, und langsam über einen kiesigen Boden hinfließt. Die Ufer sind hoch und mit Gras bewachsen; das Land ist eben und angebauet, und die felsichten Berge von Fulah und Bambuk verschönern die Landschaft ungemein. Am 28sten December Nachmittags gelangten wir von Sami nach Kayi, einem großen Dorfe, das halb auf der Nord-, halb auf der Südseite des Flusses liegt. Etwas höher hinauf ist ein großer Wasserfall, wo der Strom über Felsen mit Ungestüm herabstürtzt; unten ist er sehr schwarz und tief. Gerade an dieser Stelle sollten unsere Lastthiere den Fluß passiren; wir gaben deshalb durch Rufen und durch einige Flintenschüsse den Einwohnern jenseit des Flusses ein Zeichen. Endlich bemerkten sie uns, und brachten einen Nachen für unser Gepäck herüber. Da das Ufer hier mehr als vierzig Fuß hoch ist, so hielt ichs für unmöglich, das Vieh hinabzubringen; aber die Neger ergriffen die Pferde, und ließen sie in einer ausgegrabenen Bahn, die, ohne Zweifel durch den öfteren Gebrauch, schon glatt geworden war, beinahe senkrecht hinabgleiten. Sobald sie auf diese Art ins Wasser getrieben waren, suchte auch ein jeder von uns | so gut er konnte, hinabzukommen. Dann zog der Fährmann einige Pferde am Strick ins Wasser, und ruderte mit dem Nachen etwas vom Ufer ab, worauf ein allgemeiner Angriff auf die übrigen Pferde geschah. Diese, von allen Seiten gedrängt und gestoßen, stürzten sich alle in den Strom, und folgten den Vorausschwimmenden. Einige junge Leute, die ihnen nachschwammen, begossen sie mit Wasser, wenn sie umkehren wollten, und nöthigten sie auf diese Weise geradeaus zu schwimmen. So glückte es uns, sie in Zeit von funfzehn Minuten alle sicher an der andern Seite zu sehen. Aber desto mehr Zeit und Mühe erfoderte es, die widerspenstigen Esel hinüber zu bringen; erst nach vielen Stößen und Schlägen wagten sie sich ins Wasser, und kaum waren sie in der Mitte des Flusses, so kehrten vier davon um, trotz aller Mühe, die wir anwandten,

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sie vorwärts zu treiben. Drei Stunden dauerte es, ehe alles hinüber war, und erst gegen Abend kam das Canot zurück, um Demba Sego und mich herüber zu holen. Es war ein mißliches Fahrzeug, welches bei der leichtesten Bewegung umschlagen konnte. Des Königs Neffe bekam Lust in eine zinnerne Büchse zu sehen, die mir gehörte, und im Vordertheil des Canots stand; als er die Hand darnach ausstreckte, kam das Fahrzeug aus dem Gleichgewicht und schlug um. Glücklicherweise befanden wir uns noch nicht weit vom Ufer, und konnten es ohne viel Schwierigkeit wieder erreichen. Nachdem wir das Wasser aus unsern Kleidern gerungen hatten, setzten wir uns wieder ein, und landeten bald in Kasson.

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Sechster Abschnitt. Ankunft in Tisi und was dem Verfasser daselbst begegnete – seine Unterredung mit des Königs Bruder – Abreise – er erreicht Kuniakary.

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Kaum waren wir in Kasson ausgestiegen, als mir Demba Sego sagte, daß wir nun in seines Oheims Gebiet, und außer aller Gefahr wären, daher er hoffe, ich würde in Rücksicht der Verbindlichkeit, die ich ihm dafür schuldig sei, es an einer verhältnißmäßigen Belohnung für seine Mühe nicht fehlen lassen. Dies kam mir unerwartet, besonders da er wußte, wie man mich in Dschohg ausgeplündert hatte, und daß der Rest meiner Habseligkeiten durch das Umschlagen des Fahrzeuges vollends gelitten hatte. Mich zu beklagen wäre indeß thöricht gewesen, ich schwieg also, und gab ihm sieben Barren Bernstein und etwas Taback, womit er zufrieden schien. Auf dem Wege nach Tisi, der eine halbe Tagereise beträgt, stieß mir nichts bemerkenswerthes auf, außer daß ich weissen Granit in großen einzelnen Klumpen antraf. In Tisi, wo wir am 29sten Abends ankamen, beherbergte uns Demba Sego in seiner Hütte. Den andern Morgen führte er mich zu seinem Vater Tig g ity S eg o, Bruder des Königs von Kasson und Gouverneur von Tisi. Dieser alte Mann betrachtete mich eine Weile mit großer Aufmerksamkeit, weil, wie er selbst sagte, er außer mir nur Einen Weißen in seinem Leben gesehen hätte, welches, der Beschreibung nach, der Major Houghton gewesen sein muß. Er fragte mich, zu was für einem Zweck ich diese Reise unternommen hätte. Ich erwiederte, bloß um das Land und seine Bewohner kennen zu lernen. Er bezweifelte aber die Wahrheit meiner Aussage, und schien zu glauben, daß ich irgend ein geheimes Projekt hätte, das ich mich zu gestehen scheute. Er sagte, ich | müßte schlechterdings nach Kuniakary gehen, wo der König residire, um diesem Fürsten meine Aufwartung zu machen; doch möchte ich, ehe ich von Tisi weiter reisete, ihn noch einmahl besuchen. Am Nachmittag entlief einer seiner Sklaven; darüber entstand ein allgemeiner Tumult; jeder, der ein Pferd hatte, ritt in die Wälder, in der Hoffnung, den Entlaufenen zu fangen, und Demba Sego bat mich zu diesem Endzweck um das meine. Ich gab es ihm gern, und in einer Stunde kamen die Reiter alle zurück mit dem Sklaven, der gewaltig gestäupt und dann in Fesseln gelegt wurde. Am folgenden Tage, den 31sten December, ward Demba Sego beordert, mit zwanzig Reitern

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nach einer Stadt in Gedumah aufzubrechen, um dort einen Streit mit den Mauren beizulegen, deren einige drei Pferde von Tisi gestohlen haben sollten. Demba bat wieder um mein Pferd, und da, seiner Aussage nach, mein Zaum und Sattelzeug ihm bei den Mauren ein ausgezeichnetes Ansehen geben, und er in drei Tagen wieder zurück sein würde, so gab ichs ihm auch diesesmal. Während seiner Abwesenheit durchstrich ich die Stadt, und unterhielt mich fleißig mit den Eingebohrnen, die mich mit vieler Freundlichkeit und Neugier überall begleiteten, und mich für ein Billiges mit Milch, Eiern und andern Lebensmitteln versorgten. Tisi ist eine große Stadt ohne Ring-Mauer und gegen feindliche Anfälle durch nichts gesichert, als durch eine Art von Zitadelle worin Tiggity mit seiner Familie wohnt. Diese Stadt war, nach Aussage der Einwohner, vormals bloß von einigen sehr reichen fulahischen Heerde-Eigenthümern bewohnt, welche sich hier sehr wohl befanden, weil ihr Vieh in den vortreflichen Wiesen vollauf Futter hatte. Ihre Wohlhabenheit aber reizte den Neid einiger Mandingohs, welche jene vertrieben und sich ihrer Grundstücke bemächtigten.| Obgleich die jetzigen Einwohner Vieh und Getreide in Ueberfluß haben, so sind sie doch nichts weniger als ekel in ihren Speisen. Ratzen, Maulwürfe, Schlangen, Heuschrecken, Eichhörnchen und dergleichen mehr, werden von Hohen und Niedern gegessen. Meine Leute wurden einmal zu einem Feste eingeladen, und nachdem sie tüchtig von einem Gericht, das sie für Fisch und Kuskus hielten, gegessen hatten, fand einer ein Stück harte Haut darin, und brachte es mit nach Hause, um mir zu zeigen, welche Art von Fisch sie gegessen. Bei der Untersuchung fand sich, daß sie eine große Schlange geschmaust hatten. Eine andere, noch sonderbarere Sitte ist diese, daß Frauen keine Eier essen dürfen. Dieses Verbot, welches entweder aus einem verjährten Aberglauben, oder von irgend einem alten listigen Buschrihn herkommt, der selbst gern Eier aß, wird streng befolgt, und man kann eine tisische Frau nicht schwerer beleidigen, als wenn man ihr ein Ei anbietet. In keiner andern Gegend des Mandingo-Landes habe ich dieses Verbot gefunden. Den dritten Tag nach Demba’s Abreise, berief Tiggitty, wegen eines sonderbaren Ereignisses, ein Palaver, dem ich beiwohnte. Die Debatten dafür und dawider, zeugten von vielem Scharfsinn. Der Fall war dieser. Ein junger Kafir, von ansehnlichem Vermögen, der kürzlich eine junge schöne Frau geheirathet hatte, bat einen Buschrihn von 20–21 Ratzen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1276 24 Fisch und] so DV; OD: Fleisch und 25 Haut darin,] Hau-/darin, 25 und brachte] so DV; OD: brachte

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seiner Bekanntschaft, einen mahomedanischen Priester, der im Ruf besonderer Frömmigkeit stand, um Amulete, die ihn im bevorstehenden Kriege schützen sollten. Der Buschrihn erfüllte sein Verlangen, damit aber, wie er sagte, das Amulet noch wirksamer sei, müsse er sich den ehelichen Umgang mit seiner jungen Frau auf sechs Wochen versagen. So hart dieses Verbot auch war, so beobachtete der Kafir es doch äußerst strenge, und ohne seiner Frau den wahren Grund zu sagen, hielt er sich entfernt von ihr. Während der Zeit verlautete es in Tisi, | daß der Buschrihn, welcher sein Abendgebet immer vor des Kafirs Hüttenthüre verrichtete, mit dessen Frau vertrauter wäre als er sein sollte. Der gute Ehemann war Anfangs gar nicht geneigt, in die Rechtschaffenheit seines geistlichen Freundes Mißtrauen zu setzen, und es verging wol ein Monat, ehe er im geringsten eifersüchtig auf ihn ward; als aber das Stadtgespräch nicht nachließ, befragte er seine Frau, und diese gestand ihm unverhohlen, daß der Buschrihn sie verführt habe. Der Kafir sperrte sie darauf ein, und berief ein Palaver um den Buschrihn zur Verantwortung zu ziehen. Dieser wurde vollkommen überführt und verdammt als Sklave verkauft zu werden, oder zwei Sklaven zum Lösegelde zu geben, je nachdem es der Kläger verlangen würde. Der beleidigte Ehemann, der nicht gern mit dieser äußersten Strenge gegen seinen Freund verfahren wollte, trug darauf an, ihn lieber vor Tiggity Sego’s Hause öffentlich stäupen zu lassen. Dies ward genehmigt, und man schritt unmittelbar zur Sache. Der Verbrecher wurde mit den Händen an einen starken Pfahl gebunden, und bekam mit einer langen schwarzen Ruthe, die erst einigemale über seinen Kopf geschwenkt wurde, so kräftige Streiche auf den Rücken, daß er fürchterlich brüllte; sonderbar ist es, daß die Anzahl der Streiche, wie nach dem mosaischen Gesetz, v ierzig w enig er einen war! Die in großer Anzahl versammelten Zuschauer, zeigten durch Zischen und Lachen ihr Wohlgefallen darüber, daß der alte Sünder so gezüchtiget ward. Da Tisi eine Grenzstadt und, während des Krieges, den Räubereien der gadumahischen Mauren ausgesetzt ist; auch zu besorgen war, daß alles noch auf dem Halm stehende Getreide von dem Feinde verheert werden würde; so hatte Tiggity Sego, kurz vor meiner Ankunft, in die benachbarten Dörfer umher geschickt, um auf ein ganzes Jahr Lebensmittel für alle Einwohner der Stadt, theils | erbetteln, theils aufkaufen zu lassen. Die Landleute bewilligten gern was sie konnten, und bestimmten einen Tag, an welchem sie alles was sie an Vorräthen missen könnten, nach Tisi bringen wollten. Dies war der vierte Januar 1796. Da um diese Zeit mein Pferd noch nicht wieder zurückgekommen war, so ging ich dem Zuge, der die Provision brachte, zu Fuß entgegen.

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Er bestand aus vierhundert Mann, die in einer gewissen Ordnung marschirten; jeder trug einen Kürbiß voll Korn oder voll Erdnüsse auf dem Kopfe. Vor ihnen ging eine starke Bedeckung von Schützen, auf welche acht Sänger folgten. Sobald sie sich der Stadt näherten, fingen diese an zu singen, und die ganze Procession beantwortete jeden Vers, nach dessen Endigung allemahl die großen Trommeln gerührt wurden. Unter dem Jauchzen des Volks erreichten sie Tiggity’s Haus, wo die Ladung in Verwahrsam gebracht ward. Den Abend versammelten sie sich alle unter dem Bentangbaum, und brachten die Nacht mit Tanz und andern Belustigungen hin. Viele von den Fremden blieben drei Tage in Tisi, während welchen ich überall von Neugierigen umringt war, und da ein jeder mich sehen wollte, so war des Zudrängens kein Ende. Am 5ten Januar kam eine Gesandtschaft von zehn Personen, von A l m a m i Ab d u l c ad e r, König von Futa Torra, einem westwärts von Bondu gelegenen Strich Landes. Diese verlangten, daß Tiggity Sego eine Volksversammlung berufen sollte, und machten folgenden Beschluß ihres Königs öffentlich bekannt: Daß, wofern das Volk von Kasson nicht die mahomedanische Religion annehme, und seine Bekehrung nicht durch öffentliches Hersagen von eilf Gebeten beweise, er, der König Almami, bei den jetzigen Streitigkeiten unmöglich neutral bleiben könne, sondern sich mit dem Könige von Kadschaaga verbinden werde. Eine Botschaft dieser Art, | von einem so mächtigen Fürsten, mußte nothwendig große Unruhe erregen, und die Tisier beschlossen, nach langen Berathschlagungen, sich, so demüthigend es auch für sie war, seinem Willen zu unterwerfen. Einer wie der andre sagte seine eilf Gebete öffentlich her, welches denn als ein hinlängliches Bekenntniß angesehen ward, daß sie dem Heidenthum entsagt, und die Lehre des Propheten angenommen hatten. Erst am 8ten Januar kam Demba Sego mit meinem Pferde zurück. Ich war herzlich froh, daß ich nun endlich nicht länger warten durfte, und verfügte mich sogleich zu Tiggity, um ihm zu melden, daß ich den nächsten Morgen nach Kuniakary gehen würde. Der alte Mann machte mir einige unbedeutende Einwürfe, und gab mir endlich zu verstehen, daß ich nicht eher an meine Abreise denken könnte, bis ich ihm die Abgaben entrichtet hätte, welche er von jedem Reisenden erhebt; und überdem erwarte er auch noch etwas mehr zur Erkenntlichkeit dafür, daß er mich so gütig behandelt habe. Am nächsten Morgen kam mein Freund Demba, mit einem beträchtlichen Gefolge, um die Geschenke für Tiggity in Empfang zu nehmen. Ich wußte, daß Widerstand fruchtlos und Klagen vergeblich waren, und gab ihm also sieben Barren Bernstein und fünf Barren Taback. Nachdem er sie eine Weile gleichgültig angesehen hatte, legte er alles hin und sagte: dies wäre

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kein Geschenk für einen so bedeutenden Mann wie Tiggity Sego, der es in seiner Gewalt hätte, mir zu nehmen was ihm gefiele, und wenn ich ihm nicht ein ansehnlicheres Geschenk machen wollte, so würde er mein ganzes Gepäck zu seinem Vater bringen lassen, damit er sich daraus wählen könnte, was ihm beliebte. Ich hatte nicht Zeit zu antworten, denn Demba und sein Gefolge öffneten sogleich meine Bündel, streueten alles auf dem Boden umher, und stellten eine weit genauere Nachsuchung an, als man in Dschohg gethan | hatte. Sie nahmen was ihnen gefiel, und unter andern nahm Demba die zinnerne Büchse, die schon bei der Ueberfahrt über den Fluß ihm so aufgefallen war. Nachdem ich die zerstreuten Ueberbleibsel meiner kleinen Habe zusammengerafft hatte, fand ich, daß man mir hier wiederum wie in Dschohg die Hälfte derselben und zwar ohne allen Schein von Verschuldung geraubt hatte. Der Schmidt selbst, der ein Eingebohrner von Kasson war, mußte seinen Bündel öffnen, und es half ihm nichts, daß er hoch und theuer schwur, alles darin vorhandene sei sein Eigenthum. Was wollte ich machen! ich war Demba Sego für seine Willfährigkeit, mich von Dschohg sicher hieher zu bringen, Verbindlichkeit schuldig; ich machte ihm also keine Vorwürfe über seine Raubsucht, beschloß aber auf jeden Fall, den andern Morgen von Tisi aufzubrechen. Um den gesunkenen Muth meiner Gefährten wieder zu heben, kaufte ich ein Schaf zum Mittagessen. Am 10ten Januar, Morgens, reisten wir von Tisi ab: gegen Mittag ging der Weg eine Höhe hinan, von der wir über die Berge um Kuniakary her eine weite Aussicht hatten. Abends erreichten wir ein kleines Dorf, wo wir übernachteten. Den andern Morgen brachen wir zeitig auf, und nach zwei Stunden setzten wir über einen schmalen aber tiefen Strom, Krieko genannt, einen Arm des Senegal. Zwei Meilen weiter, kamen wir durch eine große Stadt Medina, und um zwei Uhr lag Dumbo vor uns, des Schmidts Vaterstadt, von der er mehr als vier Jahre lang abwesend gewesen war. Sein Bruder, der zufällig seine Ankunft erfahren hatte, kam ihm mit einem Sänger entgegen, brachte ihm ein Pferd, damit sein Einzug desto stattlicher sein sollte, und in eben dieser Absicht bat er uns, zu einer Ehren-Salve unsere Flinten zu laden. Der Sänger führte an, die zwei Brüder folgten ihm, und wir waren bald von einer Menge Volk um|ringt, die ihre Freude, einen alten Bekannten wieder zu sehen, durch singen und springen auf eine unbändige Art äußerten. Beim Eintritt in die Stadt begann der Sänger ein Lied, aus dem Stegereif, zum Lobe des Schmidts; er rühmte seinen 16 seinen Bündel] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1131–1132 äußerte

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Muth, so viele Schwierigkeiten überwunden zu haben, und endigte damit, daß er seine Freunde ermahnte, reichlich Lebensmittel für ihn herbei zu schaffen. Als wir an des Schmidts Wohnung kamen, stiegen wir ab und feuerten unsere Flinten los. Das Wiedersehen zwischen dem Heimkehrenden und seinen Verwandten war rührend; denn diese rohen Kinder der Natur, die von keinem Zwange wissen, äußern ihre Gefühle stark und ausdrucksvoll. Mitten unter diesem Frohlocken ward des Schmidts alte Mutter auf einen Stab gelehnt herbei geführt. Jeder machte ihr Platz, und sie reichte ihm die Hand zum Willkommen. Sie war völlig blind, streichelte ihm Hände, Arme und Gesicht, und schien sehr glücklich ihn in ihren letzten Tagen noch um sich zu haben und den süßen Klang seiner Stimme zu hören. Während dieser lauten Freudensbezeugungen hatte ich mich etwas abwärts an einer Hütte hingesetzt, um diese gegenseitigen Herzensergießungen nicht zu stören, und alles war mit dem Schmidt so sehr beschäftigt, daß mich niemand bemerkt hatte. Als endlich jedermann sich gesetzt hatte, wünschte des Schmidts Vater zu hören, wie es ihm unterdeß ergangen sei. Es ward also Stillschweigen geboten und der Schmidt hob seine Erzählung an. Zuerst dankte er Gott, der ihn überall beschützt und nun auch glücklich wieder nach Hause gebracht habe, und erwähnte hierauf alles Wesentliche, was ihm seit der Abreise aus seinem Vaterlande begegnet, wie es ihm in Gambia ergangen sei, was er dort getrieben, und wie mancherlei Fährlichkeiten er jetzt auf dem Rückweg hierher ausgestanden habe. In diesem letztem Theil seiner Geschichte hatte er oft Gelegenheit meiner zu erwähnen, und nachdem er es | umständlich gerühmt, wie gütig ich mich gegen ihn betragen hatte, zeigte er nach dem Platze hin wo ich saß, und rief a f f i l l e i b i s i r i n g: Seht da sitzt er! Im Augenblick waren alle Augen auf mich gerichtet; ich schien ihnen wie aus den Wolken gefallen, jeder war verwundert mich nicht schon bemerkt zu haben, und einige Frauen und Kinder geriethen in Sorgen, einem Menschen von so ungewöhnlicher Gestalt so nahe zu sein. Allmählich aber schwand ihre Furcht, und, als der Schmidt ihnen versicherte, daß ich völlig gutmüthig sei, und niemanden Leids zufüge, wagten es einige, das Zeug meines Kleides zu untersuchen; andere hingegen trauten mir noch nicht so bald, sondern, wenn ich mich zufällig bewegte oder die Kinder ansah, liefen die Mütter in größter Eil mit ihnen davon. Nach Verlauf weniger Stunden waren wir jedoch schon bekannter mit einander. Mit diesen guten Leuten brachte ich nun den Rest dieses Tages und den ganzen folgenden in Freude und Lustbarkeit zu; und der Schmidt erklärte sich, daß er mich nach Kuniakary begleiten und so

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lange ich dort bliebe, treulich bei mir aushalten würde. Am Morgen, den 14ten Januar, machten wir uns dahin auf den Weg, und um Mittag erreichten wir Sulo, ein kleines Dorf, drei Meilen südwärts von Kuniakary. Nach diesem Orte, der von der geraden Straße etwas abliegt, ging ich, um einen sehr angesehenen Slatih, Namens Salim Dahkari, zu besuchen. Er war mit Dr. Laidley bekannt, der ihm fünf Sklavenwerths an Waaren kreditirt, und mir für den Betrag eine Anweisung auf ihn gegeben hatte. Glücklicherweise fand ich ihn zu Hause und er empfing mich überaus freundlich und gütig. Der König von Kasson mußte gleich Nachricht davon bekommen haben, daß ich von Dumbo nach Sulo gegan|gen sei, denn kaum war ich ein Paar Stunden dort, als Sambo Sego, sein zweiter Sohn, mit einem Trupp Reiter hinkam, um sich zu erkundigen, was mich verhindert hätte, geradezu nach Kuniakary zu gehen und mich bei dem Könige zu melden, da er sehr begierig wäre mich zu sehen. Salim Dahkari vertheidigte mich gegen diesen Vorwurf und versprach, mich denselben Abend noch nach Kuniakary zu begleiten. Gegen Sonnenuntergang machten wir uns auf den Weg, und trafen nach Verlauf einer Stunde daselbst ein. Der König schlief aber schon, die Audienz mußte also bis auf den andern Tag ausgesetzt bleiben, und Sambo Sego beherbergte uns in seiner Hütte.

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Audienz beim Könige von Kasson. – Der Verfasser reist nach Kemmu, der Hauptstadt von Kaarta, und von da, ohnerachtet es ihm der König widerräth, in das maurische Königreich Ludamar. – Er geht von drei Söhnen des Königs und 200 Reitern begleitet, nach Dscharra.

Am 15ten Januar 1796 verfügten wir uns zur Audienz. Der Zulauf des Volks war so ungeheuer groß, daß wir kaum durch konnten. Wir fanden den König (der mit Namen Demba Sego Dschalla hieß) in einer großen Hütte auf einer Matte sitzend; er schien ohngefähr sechzig Jahr alt. Seine Tapferkeit im Kriege, und sein leutseliges Betragen im Frieden, hatte ihn allen seinen Unterthanen Werth gemacht. Er betrachtete mich mit großer Aufmerksamkeit, und als Salim Dahkari ihm den Zweck meiner Reise, und die Gründe, weshalb ich durch sein Land ging, erklärt hatte; schien der gute alte König nicht nur ganz wohl damit zufrieden zu sein, sondern versprach auch, mir so viel als möglich in meinem Vorhaben behülflich zu sein. Er habe den Major Houghton gesehen und ihm ein weißes Pferd geschenkt, sagte er, aber jenseits des Königreichs Kaarta, sei er von den Mauren umgebracht worden. Nach der Audienz kehrten wir nach unserer Wohnung zurück, wo ich aus dem Rest dessen, was mir noch geblieben war, (denn von Salim Dahkari hatte ich noch nichts empfangen) ein Geschenk für den König zusammen suchte, welches seiner Geringfügigkeit ohnerachtet doch mit Wohlgefallen aufgenommen ward und mir von Seiten des Königs, einen großen weißen Ochsen zum Gegengeschenk einbrachte. Der Anblick dieses Thieres erfreute meine Begleiter gar sehr, nicht sowohl seiner Größe, sondern seiner Farbe wegen, die als ein Zeichen besonderer Gnade angesehen wird. So gütig mich aber | der König aufgenommen und so bereitwillig er mir erlaubt hatte durch sein Gebiet zu reisen, so standen doch weiterhin, meiner Reise, allem Anschein nach, große Hindernisse ganz nahe bevor. Der Krieg zwischen Kasson und Kadschaaga war nemlich auf dem Punkt auszubrechen; das Königreich Kaarta, wo mein Weg durchging, war mit darein verwickelt und überdem mit Feindseligkeiten von Seiten des Königs von Bambarra bedroht. Alle diese Umstände hatte mir der König selbst erzählt und mir daher angerathen, noch so lange in der 6 1796] 1796.

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Nachbarschaft von Kuniakary zu bleiben, bis er Nachrichten wegen Bambarra eingezogen hätte, die, seiner Aussage nach, in vier bis fünf Tagen einlaufen müßten, da er deshalb bereits vier Boten nach Kaarta abgeschickt habe. Um nun die Rückkunft von wenigstens einem dieser vier Boten abzuwarten, ging ich vor der Hand nach Sulo, und benutzte diesen Aufschub zu Einkassirung meiner Anweisung, welche mir Dahkari auch endlich in Goldstaub auszahlte. Nunmehr wünschte ich sobald als möglich weiter zu reisen, und bat Dahkari sich beim König dahin zu verwenden, daß er mir einen Führer mitgeben möchte, der mich über Fuladu brächte, weil, wie ich gehört hätte, der Krieg zwischen Bambarra und Kaarta bereits ausgebrochen sei. Dahkari ging am nehmlichen Abend noch nach Kuniakary und kam den andern Morgen (am 20sten Januar) mit des Königs Antwort zurück, die dahin lautete: Der König habe seit mehreren Jahren einen Vertrag mit Däsi, König von Kaarta geschlossen, alle Kaufleute und Reisende durch s e i n Land zu schicken; wollte ich indeß den Weg über Fuladu nehmen, so stehe es mir zwar frei, einen Führer aber dürfte er mir, jenem Vertrage zufolge, nicht gestatten. Nun war ich auf meiner bisherigen Reise bereits gewahr worden, was es auf sich hat, wenn man ohne den Schutz des Landesfürsten reiset und wollte nicht gern noch einmal eine so bittere Erfahrung machen, zumal da mir hier das letzte Geld ausgezahlt worden war, was ich noch zu | hoffen hatte; ich entschloß mich also, hier die Zurückkunft der nach Kaarta ausgeschickten Boten abzuwarten. Während der Zeit verbreitete sich das Gerücht, daß ich eine große Menge Goldes von Dahkari erhalten hätte, und den 23sten Morgens kam Sambo Sego mit einem Trupp Reiter zu mir, und bestand darauf, daß ich ihm die Summe genau angeben müsse, die ich von Dahkari empfangen hätte, weil die Hälfte davon, es sei nun viel oder wenig, dem Könige gegeben werden müsse; und außerdem erwarte er für sich, als Sohn des Königs, und für seine Begleiter, als Verwandte desselben, noch besonders Geschenke. Man kann leicht denken, daß, wenn ich alle diese Forderungen befriedigt hätte, ich eben nicht viel übrig behalten haben würde. So kränkend es nun auch für mich war, diesem ungerechten und willkührlichen Begehren nachzugeben, so bedachte ich dennoch, wie gefährlich es sei, einen Löwen zu reizen, der einen mit seinen Klauen abreichen kann, und wollte mich unterwerfen, als Dahkari sich ins Mittel schlug und Sambo überredete, sechzehn Barren europäischer Waare, nebst etwas Pulver und Kugeln, als eine vollständige Bezahlung für alles was man mir noch im Königreich Kasson abfodern könnte, anzunehmen. Am 26sten Januar erstieg ich im Spazierengehen einen auf der Süd-Seite von Sulo belegenen Berg, von dessen Gipfel aus ich eine

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bezaubernde Aussicht über das Land hatte. Die Anzahl der Städte und Dörfer, und die großen Strecken bebaueten Landes rund umher, übertraf alles was ich bis jetzt in Afrika gesehen hatte. Von der großen Anzahl der Einwohner kann man sich daraus einen Begriff machen, daß der König von Kasson durch das Aufgebot der Kriegestrommel viertausend Krieger zusammenbringen kann. Auf dem felsichten Gipfel dieses Berges gab es Schluchten und Hölen, wo die Wölfe und Hyänen den Tag über sich verbergen. Einige von | diesen Thieren schlichen sich am 27sten Abends nach Sulo herein; die Hunde im Dorfe kündigten ihre Annäherung an, und zwar, was mich bemerkenswerth dünkt, nicht durch Bellen, sondern durch ein entsetzliches Geheul. Sobald die Einwohner dies hörten, wußten sie schon was vorging; sie bewafneten sich, und gingen mit Bündeln trocknen Grases auf den umzäunten Platz mitten im Dorf, worin das Vieh die Nacht eingetrieben wird; hier zündeten sie das Gras an, und liefen, indem sie die brennenden Büschel hin und her schwenkten, mit Geschrei und Lärmen nach dem Hügel zu. Dieses Mittel that gute Wirkung, die Wölfe wurden zurückgescheucht; sie hatten aber, wie sich bei näherer Untersuchung fand, doch schon fünf Stück Vieh getödtet, und noch mehr angefallen und zerfleischt. Am 1sten Februar kamen die nach Kaarta ausgesandten Boten mit der Nachricht zurück, daß der Krieg zwischen Bambarra und Kaarta noch nicht ausgebrochen sei, und daß ich wol noch durchkommen könnte, ehe die bambarranische Armee ins Land einfallen würde. Am 2ten Februar, früh Morgens, sandte der König zwei Reiter von Kuniakary, die mir, bis an die Grenze von Kaarta, als Wegweiser und als Eskorte dienen sollten. Ich nahm also Abschied von Salim Dahkari, und trennte mich nun von meinem Reisegefährten dem Schmidt, der mir sehr herzlich alles Wohlergehen wünschte. Um zehn Uhr verließen wir Sulo. Wir reisten den Tag durch eine felsige Berggegend längs den Ufern des Krieko, und kamen gegen Sonnenuntergang nach dem Dorfe Sumu, wo wir übernachteten. Am 4ten Februar setzten wir unsere Reise von Sumu aus längs den Ufern des Krieko fort, welche überall gut angebauet sind, und von Einwohnern wimmeln, zumal eben jetzt, da des bambarranischen Krieges wegen eine | Menge Leute aus Kaarta hieher geflüchtet waren. Am Nachmittag erreichten wir Kimo, ein großes Dorf, die Residenz des Madi Kanko, Gouverneur des Hochlandes von Kasson, welches Sorroma heißt. Hier verließen mich meine kassonschen Führer, um mit gegen Kadschaaga zu fechten, und ich mußte bis zum 6ten 7 Hölen] Kj Höhlen

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warten, ehe ich Madi Kanko dahin vermochte, mir einen Wegweiser und Begleiter nach Kaarta zu bewilligen. Endlich gab er mir seinen eigenen Sohn dazu mit, und nun brach ich am 7ten Februar von Kimo auf. Der Weg geht hier längs den Ufern des Krieko fort, bis wir am Nachmittag Kandschi, eine ansehnliche Stadt, erreichten. Der Krieko ist hier bloß ein kleiner Bach. Dieser schöne Strom entspringt ostwärts nicht weit von der Stadt, und fließt bis an den Fuß eines Berges, Tappa genannt, schnell und rauschend hinab17. Dort wird er stiller, und windet sich sanft durch die lieblichen Ebenen von Kuniakary, dann nimmt er noch einen Fluß von Norden her auf, und ergießt sich, ohnweit der Wasserfälle von Feloh, in den Senegal. Am 8ten Februar kamen wir durch rauhe steinige Gegenden, und nachdem wir Seimpo und viele andere Dörfer passirt hatten, erreichten wir am Nachmittag Lakarago, ein kleines Dorf, das auf den Bergen liegt, welche Kasson von Kaarta trennen. Wir begegneten hier Hunderten von Menschen, die mit all dem Ihrigen aus Kaarta flüchteten. Am 9ten Februar früh Morgens verließen wir Lakarago und gelangten, etwas weiter gegen Osten, auf einen Berg, von dessen Spitze wir das ganze Land über|sehen konnten. Gegen Südosten entdeckten wir in der Ferne Berge, welche nach der Aussage unsers Wegweisers die Gebirge um Fuladu waren. Bergab ging der Weg sehr steil und war der vielen Steine wegen überaus beschwerlich und gefährlich, bis wir in das Bett eines ausgetrockneten Flusses gelangten, an dessen Ufern zu beiden Seiten Bäume standen, die oben dicht in einander geschlungen waren, welches den Weg ganz schattig und kühl machte. Es dauerte nicht lange, so erreichten wir das Ende dieses romantischen Thales, und um zehn Uhr mußten wir zwischen zwei Felsen hindurch, jenseit welchen die sandige Ebene von Kaarta vor uns lag. Um Mittag kamen wir an eine Korri, oder Tränkplatz, (ein Ort wo Wasser ist) wo wir für ein paar Schnüre Korallen so viel Milch und Mehl beka17

Seite 68 wird der Krieko für einem Arm des Senegal ausgegeben, hier wird gesagt wo er entspringt. Wenn er aber eine Quelle hat; so ist er ein für sich bestehender Strohm und kann sich zwar in den Senegal ergießen, aber nicht ein Arm desselben genannt werden. Auf Rennells Karte ist er nicht angemerkt. U e b e r s .

5 am Nachmittag] Nachmittag

22 welche] welches

36 Rennells] Rennels

33–36 Die Fußnote steht nicht in der englischen Vorlage; das am Schluss hinzugefügte Kürzel „U eb e rs.“ gibt den Verfasser an; es darf mit großer Wahrscheinlichkeit Schleiermacher vermutet werden.

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men, als wir verzehren konnten. Die Lebensmittel sind hier so wohlfeil, und die Hirten haben solchen Ueberfluß daran, daß sie selten Bezahlung fodern, wenn Reisende sich bei ihnen zu essen geben lassen. Gegen Sonnenuntergang erreichten wir Fisura, wo wir übernachteten. Hier machten wir einen Rasttag, um uns einige Kleidungsstücke zu waschen und genaue Erkundigung von der Lage der Sachen einzuziehen, ehe wir uns nach der Hauptstadt wagten. Unser Wirth, der die Unruhen im Lande nutzen wollte, foderte für unsere Beherbergung eine so ungeheure Summe, daß ich argwöhnte, er suche bloß Gelegenheit zu Händeln, und mich deshalb von ihm nicht gleich in Furcht jagen lassen wollte. Meine Gefährten aber waren wegen der Gerüchte von dem nahen Ausbruch des Krieges in so gewaltiger Besorgniß, daß sie nicht von der Stelle wollten, bis ich mich mit ihm nicht nur abgefunden, sondern ihn noch überdies vermogt haben würde, uns, Sicherheits halber, bis nach Kemmu zu begleiten. Dies kostete mir nicht wenig Ueberredung und obenein | eine Bettdecke, an der er großes Behagen gefunden hatte, und die ich ihm zum Geschenk machen mußte. Nun setzte er sich zu Pferde und führte den Zug. Er war einer von den Negern, die sich zwar zur mahomedanischen Religion bekennen, aber nichts als das Ceremonialgesetz derselben beobachten, übrigens dem Aberglauben ihrer Vorväter noch immer anhangen, ja selbst starke Getränke trinken. Sie werden Dschoars oder Dschoers genannt, und sind in diesem Königreiche sehr zahlreich und mächtig. Kaum waren wir im nächsten Walde in eine einsame Gegend gekommen, als er ein Zeichen gab anzuhalten, und auf einem hohlen Bambusrohr, das wie ein Amulet ihm um den Hals hing, dreimal laut pfiff. Ich gestehe, daß mich dies gewaltig erschreckte, da ich es für ein abgeredetes Zeichen hielt, das er seinen Gesellen gäbe, uns zu überfallen; er versicherte mir aber, daß er es bloß in der Absicht thue, um zu erfahren, ob wir eine glückliche Reise haben würden. Darauf stieg er ab, legte seinen Speer quer über den Weg, sagte einige kurze Gebete her und pfiff wieder dreimal, dann horchte er, als ob er eine Antwort erwartete, und als keine erfolgte, sagte er, wir könnten unbesorgt weiter gehen, es drohe uns keine Gefahr. Gegen Mittag kamen wir durch eine Menge kleiner ganz verlassener Dörfer, deren Einwohner des Krieges halber, nach Kasson geflüchtet waren. Mit Sonnenuntergang erreichten wir Karankalla, vormals eine große Stadt, die vor vier Jahren von den Bambarranern zerstört worden ist, so daß noch jetzt die Hälfte davon in Trümmern liegt. 13 wegen der] so DV; OD: durch die Bd. 4, Sp. 1482

15–16 vermogt] vgl. Adelung: Wörterbuch,

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Am 12ten Februar verließen wir mit Tagesanbruch Karankalla, und da es nur eine kleine Tagereise bis Kemmu ist, so reisten wir langsamer als gewöhnlich, und pflückten unterweges Baumfrüchte, die an der Landstraße wuchsen. Bei diesem Geschäft hatte ich mich ein wenig von meinen Gefährten entfernt, und da ich nicht wußte | ob sie hinter oder vor mir waren, so eilte ich nach einer Anhöhe, um mich von da aus nach ihnen umzusehn. Als ich eben hinauf wollte, kamen zwei Neger zu Pferde mit Flinten, im Galop aus dem Busch gesprengt. Bei diesem Anblicke stand ich still, und sie ihrerseits, thaten, sobald sie meiner ansichtig wurden, das nehmliche; wir schienen einer nicht weniger verwundert und verlegen als die andern. Endlich ging ich auf sie zu, da jagte der eine mit verhängtem Zügel davon, und der andere von Schrecken gleichsam versteinert, hielt die Hände vor die Augen und murmelte einige Gebete her, bis sein Pferd, wahrscheinlich ohne daß der Reiter selbst es wußte, umdrehte und seinem Gefährten langsam folgte. Eine Meile westwärts begegneten sie meinen Begleitern und erzählten ihnen die Wunder-Geschichte. In dem Schreck den ihnen die Furcht eingejagt, hatten sie mich für ein Gespenst mit fliegendem Gewande angesehn, und einer von ihnen versicherte, daß, als ich ihnen erschienen sei, ein kalter Windstoß von oben auf ihn herab gewehet hätte, als würde er mit kaltem Wasser übergossen. Gegen Mittag sahen wir die Hauptstadt von Kaarta in einiger Entfernung vor uns. Sie liegt in einer offenen Ebene; zwei Meilen in der Runde ist nehmlich wegen des Holzbedarfs der Stadt, der Wald gänzlich ausgehauen. Um zwei Uhr Nachmittags kamen wir daselbst an, und verfügten uns unmittelbar nach des Königs Wohnung; wir waren aber von einer so ungeheuern Menge Neugieriger umringt, daß ich es nicht wagte vom Pferde zu steigen, sondern ich ließ mich durch meinen Wirth und Madi Konko’s Sohn bei dem Könige melden. Es dauerte nicht lange, so kamen sie zurück von einem Boten begleitet, der mir andeutete, daß der König mich noch diesen Abend sprechen wolle. Der Bote hatte zugleich Befehl mir eine Wohnung anzuweisen und dafür zu sorgen, daß das Volk mir nicht lästig würde. Er führte mich darauf in einen Hof, an dessen Eingang er einen Mann mit einem Stabe hinstellete, um das Zudringen | des Pöbels zu verhindern, und mir wies er eine große Hütte an, wo ich wohnen sollte. Kaum hatte ich mirs in diesem geräumigen Quartier bequem gemacht, als das Volk, das durchaus nicht abzuwehren war, hinein drang. Die Hütte war gepfropft voll, und hatte ein Haufen sich satt gesehen, so machte er einem andern Platz. Kurz vor Sonnenuntergang schickte der König und ließ mir sagen, daß er jetzt Muße habe, und mich zu sehen wünsche. Ich folgte dem Boten durch eine Menge Höfe, alle mit hohen Mauern umgeben, in

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denen Heu-Bündel angehäuft lagen, damit es, im Fall die Stadt vom Feinde umringt werden sollte, nicht an Futter für die Pferde fehlen möchte. Ich fand den König von einem großen Gefolge umgeben; alles saß in größter Ordnung. Die Krieger saßen dem Könige zur Rechten, die Frauen und Kinder zur Linken. Der König hieß mit Nahmen Däsi Kurabarri; im Anzuge war er von seinen Unterthanen durch nichts ausgezeichnet; sein Sitz, eine zwei Fuß hohe Rasenbank, worüber ein Leopardenfell ausgebreitet lag, war das einzige Kennzeichen seiner Würde. Als ich mich vor ihm auf die Erde gesetzt, den Anlaß meiner Reise erzählt, und mir zu Fortsetzung derselben sicheres Geleit durch sein Land ausgebeten hatte, schien er mit allem wohl zufrieden zu sein, sagte mir aber, daß es jetzt nicht in seiner Macht stehe, viel für mich zu thun, weil alle Gemeinschaft zwischen Kaarta und Bambarra schon seit einiger Zeit unterbrochen sei; Mansong, König von Bambarra, sei auf seinem Zuge gegen Kaarta bereits mit seiner Armee ins Fuladusche eingerückt; es sei also sehr wenig Aussicht vorhanden, daß ich auf einem von den gewöhnlichen Wegen sollte nach Bambarra kommen können; denn da ich aus einem feindlichen Lande käme, so liefe ich Gefahr geplündert oder für einen Spion gehalten zu werden. Wäre er selbst nicht in Krieg verwickelt, so würde er mir anheim gestellt haben, ob ich vor der Hand bei ihm bleiben, und einen | günstigeren Zeitpunkt abwarten wollte; so wie aber die Sachen jetzt stünden, würde er es nicht gern sehen, daß ich länger in Kaarta bliebe, es könnte mir ein Unfall begegnen und dann würden meine Landsleute glauben, Er habe einen Weißen umgebracht. Er riethe mir deshalb, nach Kasson zurückzugehen, bis der Krieg, der wahrscheinlich nicht über vier Monate dauern würde, geendet sei; es würde ihm alsdann sehr lieb sein, mich wieder zu sehen, und wenn er unterdeß sterben sollte, so würden seine Söhne für mich sorgen. Ich war vielleicht zu tadeln, daß ich diesen wohlgemeinten Rath des Königs nicht befolgte; allein ich wollte nicht gern die gute Jahreszeit ungenutzt verstreichen lassen und hernach die Regenzeit im Innern von Afrika unthätig zubringen. Diese Besorgniß und die unangenehme Idee, zurück zu gehen, ohne wichtigere Entdeckungen gemacht zu haben, bestimmten mich, meinen Weg weiter fortzusetzen, und obschon der König mir keinen Führer nach Bambarra geben konnte, so bat ich ihn dennoch, wenigstens zu erlauben, daß irgendjemand mich so nahe als es ohne Gefahr geschehen könne, bis an die Grenzen seines Reichs begleiten dürfe. Da er fand, daß ich fest entschlossen war, meine Reise fortzusetzen, so sagte er mir, es gebe noch einen andern Weg, doch sei auch dieser nicht frei von aller Gefahr. Ich müßte nehmlich von Kaarta nach dem maurischen Königreiche Ludamar gehen, und von dort durch einen Umweg nach Bambarra: und wenn ich das

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wollte, so sollten einige von seinen Leuten mich bis Dscharra, der Grenzstadt von Ludamar, eskortiren. Er erkundigte sich sehr genau, wie man mich auf meiner Reise von dem Gambia bis hieher behandelt hätte, und setzte scherzhaft hinzu, wie viel Sklaven ich mit nach Hanse zu nehmen gedächte? Er wollte weiter reden, als ein Mann auf einem schönen maurischen Pferde, das mit Schweiß und Schaum bedeckt war, zum Hof hereinsprengte und andeutete, daß er eine wichtige Nach|richt brächte. Der König griff nach seinen Sandalen, ein Zeichen, daß die Fremden sich entfernen sollten; ich beurlaubte mich also, ließ aber meinen Negerjungen in der Nähe zurück, um bald etwas von der Nachricht zu erfahren, die der Bote gebracht hatte. Nach einer Stunde kam der Junge nach Hause und sagte mir, daß die Bambarranische Armee Fuladu verlassen habe, und auf dem Marsch gegen Kaarta wäre, daß der Mann, den ich gesehen, eine Art Kundschafter oder Wächter sei, deren jeder seinen bestimmten Standort, gewöhnlich auf einer Anhöhe, habe, um die Gegend zu übersehen und die Bewegungen des Feindes zu beobachten. Den Abend schickte uns der König ein schönes Schaaf, das sehr willkommen war, da keiner von uns den Tag über etwas gegessen hatte. Während wir unser Abendbrodt bereiteten, ward das Abendgebet angekündigt, und zwar nicht wie sonst bei den Mahomedanern gewöhnlich, durch einen Priester, sondern durch Trommel-Schlag, zu welchem auf großen ausgehöhlten Elephanten-Zähnen geblasen ward. Dies Instrument gleicht einem Hiefhorn, der Ton ist sehr melodisch, und nähert sich, meinem Dünken nach, unter allen künstlichen Tönen am meisten der Menschen-Stimme. Da von Däsi’s Armee das HauptCorps jetzt hier in Kemmu stand, so waren die Moscheen gedrängt voll, und ich sah, daß beinahe die Hälfte der kaartanischen Truppen Mahomedaner waren. Am 13ten Februar mit Tagesanbruch schickte ich dem Könige meine Pistolen zum Geschenk; und da ich so bald als möglich von hier weg zu kommen wünschte, weil sich erwarten ließ, daß die Kriegesoperationen gegen die Hauptstadt gerichtet sein würden, so ließ ich durch den Boten, dem Könige sagen, daß ich wegen unverzüglicher Fortsetzung meiner Reise bäte, Er möchte mir bald einen Beglei|ter schicken. Nach einer Stunde ließ sich der König durch den Boten für das ihm überschickte Geschenk bedanken, und sandte zugleich acht Reiter mit, die mich bis Dscharra geleiten sollten. Sie sagten mir, der König wünsche, daß ich meine Reise nach Dscharra möglichst beschleunigen möchte, damit sie, noch ehe etwas Entscheidendes zwischen den beiden Armeen vorfiele, zurück sein könnten. 9 sollten] sollen

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Wir brachen sogleich auf, und drei Söhne des Königs mit einem Gefolge von zweihundert Mann zu Pferde, waren so gütig, uns eine Strecke weit das Geleite zu geben.

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Reise von Kemmu nach Funingkidi – interessante Scene bei dem Tode eines von den Mauren verwundeten Jünglings – der Verfasser zieht Nachrichten vom Major Houghton ein – erreicht Dscharra – kurzgefaßte Nachricht von dem Kriege zwischen Kaarta und Bambarra.

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Am Abend des nehmlichen Tages, da wir Kemmu verlassen hatten, erreichten wir ein Dorf, Mareina genannt, wo wir übernachteten. Der älteste Sohn des Königs und ein Theil der Reiter waren schon früher zurückgegangen. Während der Nacht brachen Diebe in die Hütte ein, wo mein Gepäck lag, schnitten eines meiner Bündel auf und stahlen mir viel Korallen, einen Theil meiner Kleidungsstücke und etwas Bernstein, desgleichen Gold, das zufällig in einer von meinen Taschen war. Ich beklagte mich bei meinen Beschützern darüber; richtete aber damit nichts aus. Am Morgen (den 14ten Februar) brachen wir ziemlich spät von Mareina auf und reisten, der ungeheuren Hitze halber, langsam. Nachmittags um vier Uhr sahen wir in einer kleinen Entfernung von der Straße zwei Neger in einem Gebüsche sitzen. Des Königs Leute hielten es für ausgemacht, daß es entlaufene Sklaven wären, zogen den Hahn ihrer Flinten auf, und sprengten in verschiedenen Richtungen durch die Büsche, um sie zu umringen und sich ihrer zu bemächtigen. Die Neger ließen uns ganz ruhig bis auf einen Bogenschuß herankommen, dann langte jeder eine Handvoll Pfeile aus dem Köcher, zwei nahmen sie in den Mund, einen legten sie auf den Bogen und winkten uns nun, nicht näher zu kommen; des Königs Leute riefen ihnen zu, daß sie sagen sollten, wer sie wären. Sie antworteten, sie wären Einwohner von Turda, einem benachbarten Dorfe, und hieher gekommen, um To m b e r o n gs zu sammeln. Dies | sind kleine mehlige Beeren von gelber Farbe und köstlichem Geschmack; ich kannte sie schon als die Frucht des Rhamnus lotus Linn. Die Neger zeigten uns einen großen Korb voll, die sie im Verlauf des Tages eingesammelt hatten. Auf diese Beeren legen die Eingebohrnen einen großen Werth, und bereiten eine Art von Brodt daraus. Die Frucht muß einige Tage in der Sonne liegen, dann stoßen sie sie gelinde in einem hölzernen Mörser, bis der mehlige Theil derselben sich vom Kerne gelöst hat. Dieses Mehl wird mit etwas Wasser vermischt und kleine Kuchen dar2 Funingkidi] Foningkidi

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aus geformt, die an der Sonne trocknen müssen, und dann an Geruch und Geschmack dem besten Pfefferkuchen (Honigkuchen, Lebkuchen) gleichen. Die Kerne werden in Wasser gelegt und geschüttelt, damit das Mehl, welches noch daran hängt, sich völlig abscheide; dies giebt dem Wasser einen süßen und angenehmen Geschmack, und macht dann, mit etwas gestoßener Hirse vermischt, eine gute Grütze, die man F o n d i nennt, und die im Februar und März in vielen Gegenden von Ludamar allgemein zum Frühstück genossen wird. Um die Frucht einzusammeln, breitet man ein Tuch unter den Strauch, und schlägt mit Stäben an die Zweige.

Der Lotus wächst in allen den Gegenden von Afrika, die ich durchreiset habe, sehr häufig; am meisten in dem sandigen Boden von Kaarta, Ludamar und in den nördlichen Theilen von Bambarra, wo er einer von den gemeinsten Sträuchen ist; auch am Gambia habe ich dieselbe Art gefunden und einen blühenden Zweig davon gezeichnet, den ich hier in Kupferstich beifüge. Ich muß indeß anmerken, daß bei dem Lotus-Strauch, der in der Wüste wächst, die Blätter schmaler, als an dem hier abgebildeten Exemplare sind, und in dieser Rücksicht 14 Sträuchen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 805–806

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mehr denen gleichen, von welchen Desfontaines, in den Mémoires de l’académie royale des sciences 1788. S. 443. eine Abbildung geliefert hat.| Da sich dieser Strauch sowohl in Tunis als in den Negerstaaten findet, und eine Art Brodt und starkes Getränk daraus bereitet wird, welches dort vorzüglich geschätzt wird; so läßt sich kaum bezweifeln, daß dies nicht der nehmliche Lotus sein sollte, dessen Plinius als der Kost der libyschen Lotophagen erwähnt. Er erzählt, daß in Libyen eine Armee mit Lotus-Brodt gespeiset worden sei; dies kann sehr wohl sein, denn das welches ich gekostet habe, schmeckte süß und angenehm, und die Soldaten werden sich wol nicht darüber beklagt haben. Am Abend kamen wir nach dem Dorfe Turda, von wo des Königs Leute, bis auf zwei die mich vollends nach Dscharra bringen sollten, zurückgingen. Am 15ten Februar brachen wir von Turda wieder auf, und um zwei Uhr kamen wir nach einer ansehnlichen Stadt, Funingkidi genannt. Als wir uns näherten, hielten die Einwohner uns für maurische Räuber, weil einer meiner Führer einen Turban auf hatte. Das Mißverständniß ward aber bald gehoben und ein Gambia-Slatih nahm uns freundlich in seiner Hütte auf. Am folgenden Morgen wollten wir weiter, weil aber die Mauren die Wege unsicher machten, und wir hörten, daß am nächsten Morgen mehrere Leute von hier nach Dscharra zu gehn gedachten, so machten wir, um in ihrer Gesellschaft desto weniger zu befürchten zu haben, heut (am 16ten Februar) einen Rasttag. Man erzählte uns, daß wenige Tage vor unserer Ankunft, die meisten Buschrihns und viele von den angesehensten Einwohnern nach Dscharra gegangen wären, um wegen Fortschaffung ihrer Familien und Effekten dorthin Anstalten zu treffen, während ihrer Abwesenheit aber, wären die Mauren hier eingefallen und hätten einen Theil ihres Hornviehes geraubt. Ich schlief auf einer Rindshaut hinter der Thür meiner Hütte, als ich um zwei Uhr durch Weibergeschrei und ein | allgemeines Lärmen und Laufen der Einwohner geweckt ward. Anfangs glaubte ich die Bambarraner wären schon in der Stadt, und rief meinem Jungen, der 7 dies nicht der] Kj dies der

16 Funingkidi] Foningkidi

1–2 Vgl. René Liouche Desfontaines: Recherches sur un arbrisseau connu des anciens sous le nom de Lotos de Lybie, in: Histoire de l’Académie royale des sciences. Avec les mémoires de mathématique et de physique, Jahrgang 1788, Paris 1791, S. 443–453; die Abbildung des Lotusstrauchs gegenüber von S. 452 ist ein Kupferstich von YvesMarie Le Gouaz. 7–9 Desfontaines referiert umfänglich die Beschreibungen des Lotusstrauchs, die in antiken Schriften überliefert sind, insbesonders auch diejenigen, die Gaius Plinius Secundus im Buch XIII seiner Historia naturalis gegeben hat.

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unterdeß auf ein Dach geklettert war, zu, was es gebe? da erfuhr ich denn, daß die Mauren abermals kämen um Vieh zu rauben. Ich kletterte nun ebenfalls auf ein Dach, und sah eine große Heerde Hornvieh auf die Stadt zukommen, die fünf Mauren zu Pferde mit ihren Flinten vor sich her trieben. Als sie an die Brunnen kamen, die dicht vor der Stadt sind, suchten sie sich sechzehn Stück des schönsten Viehes aus und jagten damit in vollem Gallop davon. Während dieses ganzen Vorganges standen wenigstens fünfhundert Einwohner dicht an der Stadtmauer, und ohnerachtet die Räuber nur einen Büchsenschuß weit von ihnen waren, leisteten sie doch fast gar keinen Widerstand. Nur etwa vier Mann feuerten ihre Flinten ab, da sie aber mit Pulver von der Neger eignem Machwerk geladen waren, thaten sie keine Wirkung. Bald nachher brachte man unter einem großen Zulauf von Volk einen jungen Mann, auf einem Pferde, langsam nach der Stadt. Dies war einer von den Hirren, der einen Speer nach den Räubern geworfen hatte, aber dafür von einem derselben verwundet worden war. Seine Mutter ging, außer sich vor Betrübniß, voran; sie schlug die Hände zusammen und zählte ihres Sohnes gute Eigenschaften auf. Als der Verwundete zum Thor hereingetragen wurde, rief die trostlose Mutter einmal übers andere: I maffo fonnio abada! (nie hat er gelogen, nein nie). Man legte ihn in seiner Hütte auf eine Matte und alle Anwesende beklagten sein Schicksal, heulten und schrien auf eine jämmerliche Weise. Nachdem ihr Schmerz sich ein wenig gemildert hatte, baten sie mich, seine Wunden zu untersuchen. Ich fand, daß die Kugel gerade durchs Bein gegangen war und beide Knochen ein wenig unterm Knie zerschmettert hatte. | Der arme Junge war durch den Blutverlust ohnmächtig geworden und sein Zustand war so mißlich, daß ich seinen Verwandten keine große Hoffnung geben konnte; um aber doch noch das Möglichste zu versuchen, sagte ich ihnen, das einzige was geschehen könne, sei, ihm das Bein über dem Knie abzunehmen. Dieser Vorschlag erregte Grausen, nie hatten sie von einer solchen Operation gehört und wollten auf keine Weise darein willigen; sie sahen mich für eine Art von Kannibalen an, weil ich ein so grausames und unerhörtes Mittel vorschlagen konnte, das, wie sie glaubten, dem Kranken mehr Schmerzen verursachen und gefährlicher sein müßte als die Wunde selbst. Statt meiner ward also der Patient der Sorgfalt einiger alten Buschrihns übergeben, welche alle mögliche Mühe anwendeten, ihm einen Weg zum Paradies zu bahnen, indem sie ihm einige arabische Sprüche ins Ohr flüsterten, die er wiederholen sollte. Nach vielen vergeblichen Bemühungen sagte der arme Heide endlich: la illa h el a l l a h M a h o m e d r as au l al l ah i (es giebt nur einen Gott und Mahomet ist sein Prophet) worauf denn die Apostel Mahomets der Mut-

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ter versicherten, daß ihr Sohn einen hinlänglichen Beweis seines Glaubens abgelegt habe, und gewiß in jenem Leben glücklich sein werde. Er starb noch den nehmlichen Abend. Da meine Führer der Meinung waren, daß wir, der maurischen Straßenräuber wegen, besser thun würden nur des Nachts zu reisen; so brachen wir in Gesellschaft von dreißig Personen, die aus Furcht vor dem Kriege mit ihren Habseligkeiten nach Ludamar flüchteten, schon am Nachmittage von Funingkidi auf. Wir verhielten uns unterweges so still als möglich und eilten so sehr wir konnten bis Mitternacht, wo wir bei einer Art von Hürde nahe an einem kleine Dorfe anhielten und ruheten. Das Thermometer stand auf 68° (oder nach Reaumur auf 15½° Grad) aber keiner von den Negern konnte vor Kä l t e schlafen.| Am 18ten setzten wir mit Tagesanbruch unsere Reise fort, und um acht Uhr kamen wir durch Simbing, ein Grenzdorf von Ludamar, das in einem engen Paß zwischen zwei Felsen liegt, und mit einer hohen Mauer umgeben ist. Von diesem Dorfe aus hatte Major Houghton, nachdem seine Negerbedienten, die ihm nicht zu den Mauren folgen wollten, ihn verlassen, den letzten Brief mit Bleifeder an Dr. Laidley geschrieben. Dieser brave und unglückliche Mann nahm, nachdem er viele Schwierigkeiten bekämpft, von hier aus seinen Weg nördlich, und gedachte durch Ludamar zu gehen, wo ich nachher die besonderen Umstände seines traurigen Schicksals erfuhr. Bei seiner Ankunft in Dscharra ward er mit einigen maurischen Kaufleuten bekannt, die, um Salz zu kaufen zehn Tagereisen weit von dort nach Tischiht wollten, einem Orte, der nahe an den Salzgruben in der großen Wüste liegt. Für eine Flinte und etwas Taback wollten sie ihn mit sich dorthin nehmen. Wie der Major sich darauf einlassen konnte, ist nicht anders zu begreifen, als daß die Mauren ihn absichtlich hintergangen und ihm entweder den Weg den er nehmen müsse oder die Lage der Gegend zwischen Dscharra und Tombuktu ganz falsch beschrieben haben. Allem Anschein nach, hatten sie die Absicht ihn zu plündern, und in der Wüste zu lassen. Nach zwei Tagen ahnte er dies und bestand darauf, nach Dscharra zurück zu gehen, und da er auf diesem Entschluß beharrte, nahmen ihm die Mauren alles was er bei sich hatte, und gingen mit ihren Kameelen davon; der arme Verlassene kehrte nun zu Fuß zurück bis zu einem maurischen Tränkplatz, Namens Tarra. Er hatte mehrere Tage ohne Speise zugebracht, und da die hartherzigen Mauren ihm durchaus nichts zu essen geben wollten, so unterlag er endlich seinen Drangsalen. Ob er nun wirklich von Hunger umgekommen oder von den rohen Mahomedanern gradezu 19 verlassen,] verlassen

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ermordet worden ist, bleibt unentschieden. Sein Leichnam ward in die Wälder geschleppt, | und in der Entfernung zeigte man mir den Ort wo er gelegen hatte. Vier Meilen nördlich von Simbing kamen wir an ein kleines Gewässer, wo es viele wilde Pferde gab; sie waren alle von einerlei Farbe und flohen in einem leichten Gallop vor uns oft stillstehend und sich umsehend. Die Neger machen Jagd auf sie und essen ihr Fleisch sehr gern. Gegen Mittag kamen wir nach Dscharra, einer großen Stadt, die am Fuß eines felsigen Hügels liegt. Ehe ich aber von diesem Orte und von dem, was mir dort begegnete, rede, will ich zuvor kürzlich den Ursprung des Krieges erzählen, der mich bewog diesen Weg zu nehmen; ein unseliger Entschluß, von dem sich alles Mißgeschick herschreibt, welches mich in der Folge betroffen hat. Dieser Krieg, der Kaarta, bald nachdem ich es verlassen hatte, zerstörte, und in vielen benachbarten Staaten Schrecken verbreitete, entstand aus folgenden Ursachen. Ein Trupp Mauren hatte einige Rinder, welche in ein bambarranisches Grenzdorf gehörten, aus diesem geraubt und sie dem Duti, oder Vorsteher einer Stadt in Kaarta, verkauft. Die Landleute forderten ihr Vieh zurück, der Duti verweigerte es und sie beklagten sich deshalb bei ihrem Monarchen, Mansong, König von Bambarra; dieser, der wahrscheinlich den wachsenden Flor von Kaarta mit neidischen Augen ansah, benutzte diesen Vorfall und erklärte diesem Königreiche deshalb den Krieg. In dieser Absicht fertigte er einen Gesandten, von einer Anzahl Reiter begleitet, an Däsi, König von Kaarta, ab, und ließ ihm sagen, daß er während der trocknen Jahreszeit mit neun tausend Mann nach Kemmu kommen würde, und Däsi möchte deshalb durch seine Sklaven die Häuser in Stand setzen lassen und alles zu ihrer Aufnahme in Bereitschaft halten. Beim Schluß dieser Rede reichte | der Gesandte dem König ein Paar eiserne Sandalen mit den kränkenden Worten: Nicht eher soll Däsi vor den bambarranischen Pfeilen sicher sein, bis er diese Sandalen auf seiner Flucht abgenutzt hat. Däsi ging nun mit den Angesehensten seines Landes zu Rathe, auf welche Weise man einem so furchtbaren Feinde am nachdrücklichsten Widerstand leisten könne. Nachdem sie darüber eins geworden, ertheilte er den Gesandten auf die Kriegserklärung eine trotzige Antwort, und ließ von einem Buschrihn, auf ein dünnes Brett in arabischer Sprache, eine Art von Proklamation schreiben, welche auf dem öffentlichen Platz an einen Baum gehängt ward; mehrere bejahrte Leute mußten in der Stadt umhergehen und sie dem Volke erklären. Diese Proklamation enthielt 38 Brett] Bret

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einen Aufruf an alle diejenigen, die es mit Däsi wohl meinten, sich sogleich mit ihm zu vereinigen; denen aber, welche keine Waffen führten, oder sich fürchteten in den Krieg zu ziehen, stehe frei, sich in die benachbarten Königreiche zu begeben, und wenn sie sich durchaus neutral verhielten, so solle es ihnen unbenommen sein, nach Endigung des Krieges nach ihren Wohnungen zurückzukehren; unternähmen sie aber das Geringste gegen Kaarta, so hätten sie den Schlüssel zu ihrer Hütte zerbrochen und könnten nie wieder zur Thür hinein. Dies war der eigentliche Ausdruck. Diese Proklamation hatte fast allgemeinen Beifall, aber viele Kaartaner, und unter andern die mächtigen Stämme Dschohr und Kakaru, machten sich diese Vergünstigung zu Nutze und zogen aus dem Lande nach Ludamar und Kasson. Dadurch ward Däsis Armee um vieles kleiner als er erwartet hatte, dergestalt, daß als ich in Kemmu war, sie aus mehr nicht als vier tausend Mann bestand: indeß waren es lauter muthige unternehmende Leute, auf welche der König sich verlassen konnte. Vier Tage nach meiner Ankunft in Dscharra, (am 22sten Februar) rückte Mansong gegen Kemmu vor. | Däsi, ohne eine Schlacht zu wagen, zog sich nordwärts nach Dschoko und drei Tage nachher nach der Festung Gedinguma zurück, welche zwischen Hügeln liegt und mit einer hohen Steinmauer umgeben ist. Däsis Söhne mißbilligten diesen letztern wehrlosen Rückzug ihres Vaters und wollten sich in Dschoko behaupten; wenn es bekannt würde, sagten sie, daß Däsi und seine Söhne aus Dschoko geflohen wären, ohne eine Flinte abgefeuert zu haben, so würden die Sänger Spottlieder auf sie machen. Däsi ließ sie also mit einer Anzahl Reiter in Dschoko zurück, um in Vertheidigung dieses Postens ihr Heil zu versuchen; allein nach mehreren Scharmützeln wurden sie total geschlagen, und einer von ihnen gerieth dabei in Gefangenschaft; der Rest floh nach Gedinguma, wo Däsi sich zu behaupten gedachte und deshalb in der Eil Proviant zusammen gebracht hatte. Da Mansong sah, daß Däsi einer geordneten Schlacht auswich, legte er Besatzung in Dschoko, um von dort aus die Bewegungen des Feindes zu beobachten; den ganzen Rest seiner Armee theilte er in kleine Detaschementer, die das Land nach allen Richtungen hin durchstreifen und alle Einwohner, deren sie habhaft werden konnten, zu Gefangnen machen sollten. Diese Operation ward mit einer solchen Schnelligkeit ausgeführt, daß das Königreich Kaarta in wenig Tagen ausgeplündert und menschenleer war. Die armen Einwohner wurden größtentheils bei Nacht überfallen, so daß sie sich weder wehren noch durch die Flucht retten konnten; und was an Vorräthen und Waffen nicht gleich fortgebracht werden konnte, ward, um Däsi keine Hülfs-

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mittel übrig zu lassen, verbrannt oder auf andre Weise zerstöhrt. Während dieser unglücklichen Begebenheiten schränkte Däsi sich darauf ein, Gedinguma zu befestigen. Diese Stadt liegt zwischen zwei hohen Bergen und hat nur zwei Thore, das eine nach Kaarta zu, dessen Vertheidigung Däsi sich selbst vorbehielt, das andere gegen Dschaffnu, welches er | seinen Söhnen anvertraute. Als die Bambarranische Armee vor der Stadt anlangte, versuchte sie sich derselben mit stürmender Hand zu bemächtigen. Der Sturm ward aber zu wiederholten Malen, und mit großem Verlust auf Seiten der Belagerer, abgeschlagen. Da solchergestalt Mansong mehr Widerstand fand als er vermuthet hatte, so begnügte er sich, der Stadt alle Zufuhr abzuschneiden, um sie durch Hunger zur Uebergabe zu nöthigen. Die Einwohner des platten Landes, welche in seine Gefangenschaft gerathen waren, ließ er nach Bambarra (seinem eignen Lande) transportiren, brachte Proviant für seine Armee zusammen, und blieb mit derselben vor Gedinguma stehen. Die Belagerten machten oft Ausfälle, doch kam es nie zu etwas entscheidendem. So vergingen zwei volle Monate; als, nach Ablauf derselben, bei der belagernden Armee der Proviant auf die Neige ging, wandte sich Mansong an den maurischen König von Ludamar, Nahmens Ali, und bat ihn, daß er mit zweihundert Mann Reiterei einen Angriff auf das nördliche Stadtthor machen möchte, während er von der andern Seite her abermahls einen Sturm unternehmen wollte. Ali hatte sich nehmlich zu Anfang des Krieges erboten, Mansong Beistand zu leisten; jetzt aber weigerte er sich Wort zu halten. Um sich wegen dieser Bundbrüchigkeit zu rächen, brach Mansong mit einem Theil seiner Armee nach Funingkidi auf, in der Absicht, den König Ali in seinem Lager bey Benaum zu überfallen. Die Mauren aber, die zeitig Nachricht davon erhielten, zogen sich so eilfertig weiter nach Norden zurück, daß Mansong unverrichteter Sache umkehren mußte. Nachdem ihm dies nicht gelungen war, hob er auch die Blokade von Gedinguma auf, und gieng nach Sego zurück. Dies geschah während ich selbst als Gefangener in Ali’s Lager war; wie ich weiter unten erzählen werde. Däsi war auf diese Weise einen furchtbaren Gegner los, und konnte den Frieden in seinen Staaten als herge|stellt ansehen; wenn nicht ein unvorhergesehener Vorfall ihn aufs neue in Feindseligkeiten gegen Kasson verwickelt hätte. Der König von Kasson war um diese Zeit gestorben und es entstanden Streitigkeiten zwischen seinen beiden Söhnen wegen der Thronfolge. Der jüngste, Sembo Sego, mein alter Bekannter, siegte und vertrieb seinen Bruder. Dieser floh nach Gedinguma und ward vom Sieger reclamirt. Däsi, der beider Brüder 31 Ségou ist eine Stadt am Niger (13° 25# 51$ N; 6° 12# 54$ W).

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Freund war, weigerte sich ihn auszuliefern, erklärte aber, daß er seine Foderung nicht unterstützen und sich überhaupt nicht in den Streit mischen wolle. Sembo Sego, stolz auf die Macht, die er als nunmehriger Herrscher von Kasson in Händen zu haben glaubte, und unzufrieden mit Däsi’s Benehmen, vereinigte sich mit einigen mißvergnügten flüchtigen Kaartanern zu einem Streifzuge in sein Land. Däsi, der nichts weniger als einen solchen Besuch erwartete, hatte eine große Anzahl seiner Leute nach Dschoko geschickt, um das Feld zu bestellen, und das Vieh, das etwa in den Wäldern umherstreifte, für seine Armee zusammen zu treiben. Alle diese Leute fielen dem Sembo Sego in die Hände, der sie nach Kuniakari, und von dort in Carawanen nach dem Fort Louis, am Senegal, bringen und sie als Sklaven an die Franzosen verkaufen ließ. Däsi, dem es jetzt an Lebensmitteln zu fehlen anfing, und dem durch jenen unvermutheten Angrif auch die Aussicht auf einen Theil der nächsten Ernte vereitelt worden war, suchte sich jetzt aus Kasson mit Gewalt Proviant zu verschaffen; zu dem Ende zog er mit achthundert Mann seiner besten Leute heimlich durch den Wald und überfiel des Nachts drei große Dörfer nahe an Kuniakari, worin viele seiner treulosen Unterthanen, die sich mit Sembo vereinigt hatten, jetzt wohnten. Diese Verräther und selbst alle Unschuldige, die in Däsi’s Hände fielen, wurden auf der Stelle niedergemacht. Nach dieser Expedition hoffte Däsi Ruhe und Frieden hergestellt zu haben; auch kehrten wirklich von seinen auf|rührischen Unterthanen viele zum Gehorsam zurück, und bauten die zum Theil zerstöhrten Städte wieder auf. Die Regenzeit war nahe und alles schien die Fortdauer der Ruhe zu begünstigen; als sich plötzlich von einer ganz entgegen gesetzten Seite ein neuer Feind zeigte. Die Dschauren, die Kakaruer und einige andere Kaartaner, die zu Anfang des Krieges, unter dem Vorwande neutral zu bleiben, aus dem Lande gezogen waren, aber während des ganzen Feldzuges eine entschiedene Vorliebe für Mansong und seine Truppen gezeigt hatten, schämten sich jetzt, bei Däsi um Verzeihung nachzusuchen, und hielten es, im Vertrauen auf ihre Anzahl, für schicklicher, förmlich gegen ihn zu Felde zu ziehen. Es zeigte sich nachher, daß sie die Mauren um Beistand gebeten hatten, und so fielen sie mit einem ansehnlichen Heer ins Land, plünderten ein großes Dorf und führten eine Menge Gefangener mit sich fort. Um diesen Frevel zu bestrafen, brach Däsi unverzüglich gegen die Rebellen auf; allein sie hielten nicht Stand, sondern flohen mit sammt 24 auf|rührischen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 468 Verzeihung

33 um Verzeihung]

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allen in Ludamar wohnhaften Negern nach Osten zu. Mittlerweile hatte sich auch die Regenzeit eingestellt, wodurch denn auch von dieser Seite allem Kriege ein Ende gemacht ward. Er hatte, wie das auch bei unsern Kriegen in Europa der Fall ist, einige wenige Menschen bereichert, dagegen aber das Glück von Tausenden zernichtet. So standen die Sachen unter den verschiedenen Nationen in der Nachbarschaft von Dscharra, zu der Zeit als ich dort ankam.

5 zernichtet] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 369

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Nachrichten von Dscharra und dessen maurischen Bewohnern. – Der Verfasser erhält vom Könige Ali Erlaubniß, durch sein Gebiet reisen zu dürfen. – Kommt nach Dina. – Gehet nach Sami. – Wird als Gefangener nach dem maurischen Lager gebracht.

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Die Stadt Dscharra ist von ansehnlichem Umfang. Die Häuser sind von Steinen und Lehm gebaut, der statt Mörtels gebraucht wird. Sie liegt im maurischen Königreich Ludamar; die meisten Einwohner aber sind Neger, von den Grenzen der südlichen Staaten, die sich lieber durch Tribut den unsichern Schutz der Mauren erkaufen, als immerwährend ihren Räubereien ausgesetzt sein wollen. Sie geben sehr ansehnlichen Tribut, und bezeigen den unbeschränktesten Gehorsam gegen ihre maurischen Gebieter, von welchen sie dafür mit der größten Verachtung behandelt werden. Die Mauren in dieser und andern Gegenden, die an Negerstaaten grenzen, sind den westindischen Mulatten so ähnlich, daß sie kaum von ihnen zu unterscheiden sind, und es scheint fast, daß die jetzige Generation eine vermischte Rasse von Mauren und Negern ist, da sie die bösen Eigenschaften beider Nationen besitzt. Von dem Ursprung d i e s e r maurischen Stämme, (welche von den Einwohnern der Barbarei, auf der an dern Seite der großen Wüste, verschieden sind) weiß man wohl nichts weiter, als was Leo der Afrikaner von ihnen sagt, welches kürzlich in folgendem besteht. Ehe die Araber sich Afrika unterwarfen, ohngefähr in der Mitte des siebenten Jahrhunderts, nannte man a lle Einwohner von Afrika mit dem allgemeinen Namen, M au r e n, sie mochten nun aus Numidien, oder aus Phönizien, von Carthaginensern, Römern, Vandalen oder Gothen ab|stammen. Alle diese Nationen wurden, während der Zeit, daß in Arabien die Kalifen regierten, zu Mahomedanern gemacht. Damals waren mehrere numidische Stämme, die ein wanderndes Hirtenleben führten, und sich von ihren Heerden ernährten, südwärts durch die Wüste gezogen, um der Wuth der Araber zu entgehen. Einer dieser Stämme (nehmlich der von Zanhaga) stieß am Niger, auf die an diesem Fluß vorhandnen Negernationen, und machte sie sich 21 Wüste,] Wüste

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unterwürfig. Unter dem Niger ist hier gewiß der Senegal gemeint, welcher auf Mandingoisch B af i n g, oder der schwarze Strom, heißt. Wie weit sich nun dieses Volk durch Afrika verbreitet hat, ist schwer zu bestimmen; aber allem Anschein nach, bewohnt es, von der Mündung des Senegal an, (das nördliche Ufer dieses Stromes mit einbegriffen), bis nach den Grenzen von Abissinien hin, einen schmalen Streifen Landes, dergestalt, daß sein Gebiet sich in Form eines Gürtels von Westen nach Osten quer über ganz Afrika erstreckt. Es ist ein verschmitztes verrätherisches Volk, das bei jeder Gelegenheit die zutraulichen und verdachtlosen Neger betrügt und beraubt. Im Verfolg meiner Erzählung werde ich Anlaß finden, von ihren Sitten und ihrer Lebensart mehreres zu sagen. Bei meiner Ankunft in Dscharra nahm mich ein Gambia-Slatih, mit Namen Daman Dschomma in seine Wohnung auf. Diesem Manne hatte Dr. Laidley für sechs Sklaven werth an Waaren kreditirt und mir eine Anweisung auf ihn gegeben. Ob nun gleich die Schuld schon fünf Jahre stand, so erkannte er sie doch sogleich an, und versprach mir so viel Gold, als er würde zusammenbringen können, auf Abschlag zu bezahlen; doch dürfte es, setzte er hinzu, seiner jetzigen Lage nach, schwerlich mehr als den Werth zweier Sklaven ausmachen. Er half mir meine Korallen und Bernstein gegen Gold umsetzen, weil | dieses bequemer fortzubringen, und leichter vor den Mauren zu verbergen sei. Die Schwierigkeiten die wir schon angetroffen hatten, die Unruhen im Lande, und besonders das wilde und übermüthige Betragen der Mauren, hatten den Muth meiner Begleiter jetzt so sehr niedergeschlagen, daß sie sich erklärten, lieber alle Belohnung für ihre bisher geleisteten Dienste aufzugeben, als mich noch einen Schritt weiter nach Osten zu begleiten. In der That wurde die Gefahr, von den Mauren gefangen und als Sklaven verkauft zu werden, von einem Tage zum andern augenscheinlicher, und ich konnte ihre Besorgniß nicht tadeln. In dieser Lage, da meine Begleiter mich verlassen wollten, da mir der Rückweg durch den Krieg abgeschnitten war, und ich einen Weg von zehn Tagereisen durch das Gebiet der Mauren vor mir hatte, bat ich meinen Wirth, daß er mir von Ali, Fürsten von Ludamar, die Erlaubniß durch sein Gebiet nach Bambarra reisen zu dürfen, auswirken möchte, und auf den Fall, daß ich diese Erlaubniß erhielte, miethete ich mir einen von meines Wirthes Sklaven zum Wegweiser nach Bambarra. Es ward ein Bote an Ali abgefertigt, welcher zu der Zeit nahe bei Benaum kampirte, und da es bei einer solchen Botschaft an Geschenken nicht fehlen darf; so schickte ich ihm fünf Kleider von 18 Gold] so DV; OD: Geld

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Baumwollenzeug, die ich für eine Vogelflinte von meinem Wirth eingehandelt hatte. Vierzehn Tage vergingen, ehe die Sache zur Richtigkeit kam. Am 26sten Februar, Abends, kam endlich ein Sklave von Ali, der, seiner Aussage nach, den Auftrag hatte, mich sicher nach Gumba zu bringen; doch vergaß er nicht hinzuzusetzen, daß ich ihm für seine Mühe ein blaues baumwollenes Kleid schenken müßte. Als mein treuer Negerjunge sah, daß ich auf dem Punkt war, ohne ihn zu reisen, entschloß er sich mich zu begleiten, und sagte mir, daß, obschon er herzlich wünsche, daß ich umkehren | möchte, er doch nie den ernstlichen Gedanken gehabt habe mich zu verlassen, Johnson hätte ihn nur dazu verleitet, um mich desto eher zur unmittelbaren Rükkehr nach dem Gambia zu bewegen. Vorsichtswegen gab ich meine wichtigsten Papiere dem Johnson, um sie sobald als möglich nach Gambia zu bringen, behielt aber, auf den Fall eines Unglücks, eine Abschrift davon zurück; und um mein Gepäck so viel als möglich zu vermindern, damit die Mauren desto weniger in Versuchung geriethen mich zu plündern, ließ ich alles, was ich zu Fortsetzung der Reise nicht durchaus nöthig brauchte, bei meinem Wirthe in Verwahrung zurück. Nach dieser Vorbereitung reiste ich am 27sten Februar Vormittags von Dscharra ab, und übernachtete in Trumgumba, einem kleinen, von Mauren und Negern bewohnten Dorfe. Am folgenden Tage erreichten wir Quira, und den 29sten kamen wir, nach einer mühseligen Reise über sandigen Boden, nach Compe, einem maurischen Tränkplatz, von wo wir den andern Morgen aufbrachen und bis Dina gingen. Dies ist eine große Stadt und, wie Dscharra, von Stein und Lehm gebauet. Wir nahmen unser Nachtquartier in der Hütte eines Negers, die bald von Mauren umringt war. Diese Kerle behandelten mich auf die unverschämteste Weise: sie zischten, lärmten und schimpften mich, ja spieen mir ins Gesicht, in der Absicht mich zum Zorn zu reizen, damit sie einen guten Vorwand hätten mich zu plündern. Als sie aber sahen, daß dies vergeblich war, nahmen sie ihre Zuflucht zu dem letzten und entscheidenden Argument, daß ich ein Christ wäre, und daß also mein Eigenthum die rechtmäßige Beute der Nachfolger Mahomets sei. Sonach öfneten sie meine Bündel, und nahmen mir alles was ihnen gefiel. Da meine Begleiter sahen, daß jeder mich ungestraft plündern könne, bestanden sie darauf, nach Dscharra zurückzukehren.| Am nächsten Morgen, den 2ten Merz, gab ich mir alle mögliche Mühe meine Leute zu bereden weiter mit mir zu gehen, sie blieben aber hartnäckig bei ihrem Vorsatz, und da mir bei längerem Hierbleiben von den fanatischen Mauren noch etwas ärgeres als die gestrige Behandlung widerfahren konnte; so nahm ich mir vor, wenn es nicht

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anders sein könnte, allenfalls al l e i n weiter zu reisen, und machte mich am folgenden Morgen um zwei Uhr wirklich auf den Weg. Es war Mondschein, aber das Brüllen der wilden Thiere nöthigte mich, bei jedem Schritt sehr aufmerksam um mich her zu schauen. Als ich ohngefähr eine halbe Meile von der Stadt eine kleine Anhöhe erreicht hatte, hörte ich hinter mir her rufen; ich sah mich um und erblickte meinen treuen Jungen, der mir meldete, daß Ali’s Sklave bereits nach Benaum zurück gegangen sei, und Daman’s (meines Wirthes in Dscharra) Neger so eben auch umkehren wolle; wenn ich indeß noch ein wenig warten wolle, so zweifele er keinesweges diesen letzteren noch zu bereden, daß er uns begleiten möchte. Das war mir des Wartens werth, und noch ehe eine Stunde verging, kam der Junge mit dem Neger zurück. Bis Mittag reisten wir durch sandiges Land, mit asclepias gigantica bedeckt; dann kamen wir zu einer Anzahl verlassener Hütten. Wir hatten Ursach nicht weit davon Wasser zu vermuthen, und ich schickte meinen Jungen hin ein Sufru zu füllen; als er aber noch das Wasser aussuchte, trieb ihn der Schreck vor einem brüllenden Löwen, der wahrscheinlich dieselbe Absicht hatte, eiligst zurück, und wir mußten die Hoffnung, hier unsern Durst zu stillen, anfgeben. Den Nachmittag erreichten wir Samamingkus, eine Stadt, die größtentheils von Fulahs bewohnt wird. Am nächsten Morgen, den 4ten Merz, brachen wir nach Sampaka auf, wo wir gegen zwei Uhr ankamen. Die Bäume am Wege waren mit einer ungeheuren Menge | Heuschrecken bedeckt. Diese Insekten verzehren auf ihrem Zuge alles was sie an Pflanzen antreffen und fressen die Bäume in kurzer Zeit ganz kahl. Wenn sie ihren Unrath auf das Laub und das dürre Gras fallen lassen, glaubt man regnen zu hören, und wenn man die Bäume schüttelt, fliegen sie wie eine schwarze Wolke davon. Sie richten ihren Flug nach dem Winde, der in dieser Jahreszeit immer aus Nord-Osten kommt. Sollte er sich einmal drehen, so würden sie Hungers sterben müssen, denn an den Orten, die sie verlassen, bleibt durchaus nichts übrig, wovon sie, im Fall einer solchen ungewöhnlichen Rükkehr, zehren könnten. Sampaka ist eine große Stadt, welche die Mauren in einem Kriege mit den Bambarranern dreimal angegriffen haben, wobei sie aber immer mit großem Verlust zurückgeschlagen worden sind. Dennoch mußte in der Folge der König von Bambarra, diese und alle anderen Städte, bis nach Gumba hin, den Mauren abtreten um Frieden zu erlangen. Ich wohnte hier bei einem Neger, der Schießpulver verfertigte. Er zeigte mir einen Beutel voll Salpeter der sehr weiß war, die Kristalle aber waren kleiner als gewöhnlich. Sie bekommen ihn in 37 anderen] andere

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ziemlicher Menge aus den Sümpfen, die in der Regenzeit voll Wasser sind, und in denen sich das Vieh an heißen Tagen abkühlt. Wenn das Wasser wieder verdunstet ist, bemerkt man auf dem Schlamm einen weißen Anflug, den sie sammeln, und so weit reinigen als es zu ihrer Absicht nöthig ist. Schwefel führen ihnen die Mauren von dem mittelländischen Meere her zu, und diese Materialien stoßen sie zusammen in einem hölzernen Mörser. Bei dieser Art der Zubereitung wird das Pulver sehr ungleich gekörnt und es giebt bei weitem keinen so starken Knall als das europäische. Mit Tagesanbruch (am 5ten Merz) verließen wir Sampaka; gegen Mittag hielten wir in einem kleinen | Dorfe, Dangali, an und am Abend erreichten wir Dalli. Unterweges sahen wir zwei große Heerden Kameele weiden, denen der Vorderfuß aufgebunden war, damit sie nicht zu weit umherschweifen und sich verlaufen möchten. Es war ein Festtag in Dalli und die Einwohner tanzten eben vor des Duti Thüre; als sie aber hörten, daß ein Weißer angekommen sei, hatte der Tanz ein Ende und sie kamen in Prozession zu zwei und zwei mit der Musik vor sich her, nach der Hütte, wo ich wohnte. Die Musik bestand aus einer Art von Flöte, die an einem Ende eine Oefnung hat, welche mit einem dünnen Stückchen Holz halb zugemacht ist; in diese Oefnung blasen sie in schiefer Richtung hinein. Um verschiedene Töne hervorzubringen sind an den Seiten Löcher angebracht, die, wie bei unsern Flöten, mit den Fingern wechselsweise zugedrückt und wieder geöfnet werden. Ihre Melodien fand ich einfach und rührend. Sie tanzten und sangen bis Mitternacht, und die ganze Zeit hindurch war ich von einer so großen Menge umgeben, daß ich ganz still sitzen mußte, um ihre Neugier zu befriedigen. Am 6ten Merz machten wir einen Rasttag, weil einige von den Stadtleuten uns nach Gumba zu begleiten wünschten, aber erst am folgenden Tage sich auf den Weg machen konnten. Da das Volk sich alle Abend zu versammeln pflegt, und ich dem Zudringen desselben nicht gern so wie gestern ausgesetzt sein wollte, so ging ich mit meinen Begleitern schon am Nachmittage nach einem ostwärts von der Stadt gelegenen Neger-Dorf, Sami, wo wir von dem Duti gastfrei aufgenommen wurden. Er schlachtete uns zu Ehren zwei schöne Schafe und lud seine Freunde zum Abendessen ein. Unser Wirth war so stolz auf die Ehre einen Weißen bei sich zu bewirthen, daß er mich bat bei ihm und seinen Freunden zu bleiben, bis der Abend kühler wäre, alsdann | wolle er selbst mich bis zum nächsten Dorfe begleiten. Da ich nur noch zwei Tagereisen weit von Gumba war, fürchtete ich die Mauren nicht mehr und nahm die 2 an heißen] in heißen

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freundliche Einladung an. Ich brachte den Vormittag sehr angenehm bei diesen guten Negern zu, und fand ihre Gesellschaft um so behaglicher, da sie gegen die Rohheit und Härte der Mauren einen auffallenden Contrast machte. Um das Gespräch zu beleben, wurde von demselben Bier getrunken, dessen ich schon oben erwähnt habe, und welches so gut ist, als irgend eine Art, die ich in England getrunken habe. In dieser unschuldigen Freude schmeichelte ich mir schon alle Gefahren wegen der Mauren überstanden zu haben; meine Einbildungskraft führte mich bereits bis an die Ufer des Niger und mahlte mir tausend angenehme Bilder vor, als auf einmal ein Trupp Mauren ganz unerwartet in die Hütte trat und mich in meinem goldenen Traum stöhrte. Sie kämen, sagten sie, auf Ali’s Befehl, um mich nach seinem Lager bei Benaum zu bringen; wofern ich gutwillig mit ihnen gienge, so hätte ich nichts zu befürchten, weigerte ich mich aber ihnen zu folgen, so hätten sie Ordre Gewalt zu brauchen. Ich war vor Erstaunen und Schrecken stumm; die Mauren, die es bemerkten, bemüheten sich mich durch die Versicherung zu beruhigen, daß ich nichts zu besorgen habe, und daß Fatima, Ali’s Frau, die einzige Ursach der ganzen Begebenheit sei; sie habe so viel von Christen gehört, daß sie sehr begierig sei einen zu sehen, und sie zweifelten nicht, daß, sobald ihre Neugier befriedigt wäre, Ali mich reichlich beschenkt, sicher nach Bambarra bringen lassen würde. Bitten und Widerstand waren eines so fruchtlos als das andere, also nahm ich mit Rührung Abschied von meinem Wirrhe und seiner Gesellschaft und folgte den Abgesandten, von meinem treuen Jungen begleitet, denn Damans Sklave war entsprungen, sobald er die Mauren erblickt hatte. Gegen Abend kamen wir nach Dalli, wo wir die Nacht hindurch strenge bewacht wurden.| Den 8ten Merz wurden wir durch einen Umweg, der durch den Wald gieng, nach Dangali gebracht, wo wir schliefen. Den 9ten Merz setzen wir unsere Reise fort und kamen den Nachmittag nach Sampaka. Auf dem Wege war uns ein Trupp Mauren begegnet, die, wie sie vorgaben, einem entlaufenen Sklaven nachsetzten; die Leute im Ort aber sagten uns, daß eben Mauren da gewesen wären und versucht hätten Vieh zu stehlen, aber vertrieben worden wären; und der Beschreibung nach, waren es die nehmlichen, denen wir im Walde begegnet waren. Den andern Morgen (den 10ten Merz) gingen wir nach Samaning-Kus. Unterweges trafen wir eine Frau mit zwei Knaben und einem Esel an, die nach Bambarra hatte gehen wollen, aber von einem Trupp Mauren angehalten und an Kleidungsstücken und Geld beraubt worden war, so daß sie nach Dina zurückkehren und ihre Reise 3 Rohheit] Roheit

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nun bis nach den Fasten aufschieben mußte. Den nehmlichen Abend wurde der Neumond beobachtet, mit welchem der Rhamadam anfängt. Bei diesem Anlaß wurden in mehreren Quartieren der Stadt große Feuer angezündet und, zur Vorbereitung auf die Fasten, noch tapfer geschmauset. Am 11ten Merz waren meine Begleiter, die Mauren, schon mit Tagesanbruch in Bereitschaft aufzubrechen. Weil ich gestern ausnehmend viel Durst hatte ausstehen müssen, so ließ ich durch meinen Jungen ein Sufru mit Wasser für mich füllen. Die Mauren betheuerten zwar, daß s i e , der nunmehro angegangnen Fastenzeit wegen, vor Sonnenuntergang nichts genießen würden. Die entsetzliche Hitze aber und der Staub, siegten über ihr Gewissen, und mein Wasser behagte ihnen gar sehr. Bei unserer Ankunft in Dina, machte | ich einem von Ali’s Söhnen meine Aufwartung. Er saß in Gesellschaft von fünf oder sechs Personen in einer niedrigen Hütte; sie wuschen sich alle Hände und Füße, und spülten sich den Mund mit Wasser aus. Kaum hatte ich mich gesetzt, so reichte er mir eine doppelläufige Flinte, und sagte mir, ich sollte den Schaft blau färben, und das eine Schloß ausbessern. Ich hatte viel Mühe ihm begreiflich zu machen, daß ich gar nichts davon verstünde. Wenn du denn die Flinte nicht repariren kannst, sagte er, so sollst du mir einige Messer und Scheeren geben. Als mein Junge, der den Dolmetscher machte, ihm versicherte, daß ich dergleichen nicht hätte, ergriff er schnell eine Flinte die neben ihm stand, spannte den Hahn, und legte an, so daß die Mündung hart an des Jungen Ohr kam, und er ihn gewiß auf der Stelle todt geschossen haben würde, wenn die Mauren ihm nicht die Flinte aus der Hand gewunden, und uns gewinkt hätten, uns zu entfernen. Der Junge, der durch diesen Auftritt in Furcht gejagt war, machte in der Nacht einen Versuch zu entfliehen, die Wachsamkeit der Mauren aber, die uns genau beobachteten, verhinderte ihn daran, denn sie lagerten sich des Nachts immer unmittelbar vor der Thür der Hütte in welcher wir schliefen, so daß man nicht hinaus konnte ohne auf sie zu treten. Am 12ten Merz verließen wir Dina und nahmen unsern Weg nach Benaum. Um neun Uhr kamen wir zu einer Korri, wo die Mauren, wegen Mangel an Wasser, sich eben zum Abzug bereiteten; wir füllten hier unser Sufru und reisten durch heißes sandiges Land bis gegen Ein Uhr, wo die entsetzliche Hitze uns anzuhalten nöthigte. Unser Wasservorrath war zu Ende, wir hielten deshalb nicht länger an, als erforderlich war um etwas Harz zu sammeln, welches ein treflicher Ersatz für Wasser ist, indem es den Mund feucht erhält, und zugleich die brennende Empfindung im Halse etwas lindert.| 8 viel Durst] viel vom Durst

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Um fünf Uhr sahen wir Benaum, die Residenz Ali’s vor uns liegen. Sie bestand aus einer Menge Zelte von schmutzigem Ansehen, die ohne Ordnung in einer großen Ebne zerstreut standen, und zwischen welchen große Heerden von Kameelen, Hornvieh und Ziegen weideten. An der äußersten Grenze dieses Lagers kamen wir vor Sonnenuntergang an, und es kostete nicht wenig gute Worte, ehe man uns Wasser zukommen ließ. Auf die erste Nachricht, daß der Weiße angelangt sei, drängte sich alles zu mir heran. Wer bei dem Brunnen Wasser schöpfte, der warf, vor Begierde mich zu sehen, den Eimer weg, die in den Zelten stiegen zu Pferde, und alles, Männer, Frauen und Kinder ströhmte von allen Seiten auf mich zu. Ich war bald so umringt, daß ich mich nicht rühren konnte; einer zupfte mich am Rock, der andere nahm mir den Hut ab, einer untersuchte meine Westenknöpfe, der andere rief: l a i l l a al l ah M ah o m e t r as aul a lla hi 18 und setzte mit drohender Gebehrde hinzu, daß ich diese Worte wiederholen müsse. Endlich erreichten wir des Königs Zelt, wo eine große Menge Frauen und Männer versammelt waren. Ali saß auf einem schwarz ledernen Küssen, und schnitt sich mit einer Scheere etwas Haare von der Oberlippe ab, wobei eine Sklavin ihm einen Spiegel vorhielt. Er war schon bei Jahren, hatte einen langen weißen Bart, und schien von arabischer Abkunft zu sein; sein Ansehen war finster und stolz. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, und fragte meine maurischen Begleiter, ob ich arabisch spräche; sie verneinten es; er schien verwundert und schwieg. Alle Anwesende und besonders die Frauen waren sehr neugierig; sie thaten tausend Fragen an mich, besichtigten jeden Theil meiner Kleidung, durchsuchten meine Taschen und nöthigten mich die Weste aufzuknöpfen, um sie die Weiße meiner Haut sehn zu lassen. Ja sie zählten mir sogar die Zähne und Finger, als ob sie zweifelten, daß ich ein | Mensch sei. Bald darauf kündigte ein Priester durch lauten Ausruf an, daß es Zeit zum Abendgebet sei. Ehe das Volk sich dazu entfernte, sagte mir mein maurischer Dolmetscher, daß Ali mir sogleich würde zu essen geben lassen. Es dauerte nicht lange, so brachte ein Junge ein wildes Schwein getrieben, und band es an einem Zelte fest. Ali gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß ich es schlachten und mir zum Abendbrodt bereiten sollte. Nun war ich freilich sehr hungrig, indeß hielt ich es doch für klüger, nichts von einem Thiere zu essen, das die Mauren so sehr verabscheuen, also sagte ich ihm, daß ich Schweinefleisch nicht äße. Nun banden sie das Schwein los, in der Meinung, daß es sogleich auf mich zulaufen würde; denn sie 18

Es giebt nur einen Gott und Mahomet ist sein Prophet.

18 Küssen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1852–1853

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Ali in seinem Zelt im Lager zu Benaum.

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bilden sich ein, daß zwischen Christen und Schweinen eine große Feindschaft herrscht; sie irrten sich aber, denn kaum hatte das Thier seine Freiheit, so fiel es jeden ohne Unterschied an, der ihm in den Weg kam, und endlich verkroch es sich unter dem Sitz auf welchem der König saß. Die Versammlung ging nun auseinander und ich wurde nach dem Zelt von Ali’s Sklavenaufseher geführt, wurde aber nicht hineingelassen; ja ich durfte nicht das Mindeste von dem anrühren, was dazu gehörte. Ich forderte etwas zu essen und bekam endlich ein wenig Korn mit Salz und Wasser gekocht, das in einem hölzernen Gefäß vor mir hingesetzt ward; am Abend ward auf dem Sande vor dem Zelt eine Matte ausgebreitet, und auf dieser mußte ich, umgeben von der neugierigen Menge, die Nacht zubringen. Bei Sonnenaufgang kam Ali mit einem kleinen Gefolge um mich zu besuchen; er deutete mir an, daß für eine Hütte gesorgt sei, wo ich vor der Sonne geschützt sein würde. Ich wurde hingeführt und fand die Hütte kühl und leidlich genug. Sie war viereckig, die Seitenwände von aufrecht stehendem Stroh und das Dach, ebenfalls von Stroh, war flach und ruhte auf gabelförmigen Stäben. An einen dieser Stäbe fand ich das oben erwähnte wilde Schwein angebunden; wahrscheinlich auf | Ali’s Befehl, und mir, als einem Christen, zum Spott. Es war ein lästiger Stuben-Camerad, denn alle Knaben liefen zusammen und machten sich eine Lust daraus, das Thier so lange mit Stöcken zu schlagen, bis es so wild ward, daß es jeden biß, den es erreichen konnte. Kaum hatte ich meine neue Herberge bezogen, als die Mauren sich Haufenweise versammelten, um mich zu sehen. Das war eine unangenehme Cour, denn ich mußte einen von meinen Strümpfen auszie-

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hen, um sie meinen Fuß sehen zu lassen, und eben so meine Jacke und Weste, um ihnen zu zeigen, wie ich meine Kleider an- und auszöge; der Gebrauch der Knöpfe gefiel ihnen vorzüglich. Jedem, der mich besuchte, mußte ich dies wiederholen, denn jeder, der diese Wunder gesehen hatte, wollte, daß auch sein Freund sie sähe, und so mußte ich von Mittag bis Abend mich unaufhörlich an- und ausziehen, aufund zuknöpfen. Um acht Uhr schickte mir Ali eine Portion Kuskus, nebst etwas Salz und Wasser zum Abendbrodt, welches mir sehr willkommen war, da ich seit dem Morgen nichts gegessen hatte. Die Nacht hindurch hielten die Mauren regelmäßig Wache bei mir, und sahen bisweilen zur Hütte hinein, ob ich schliefe; wenn es völlig finster war, zündeten sie Strohwische an. Um zwei Uhr Morgens kam ein Maure in die Hütte, wahrscheinlich um zu stehlen, oder vielleicht gar um mich zu morden; er tappte umher und stieß mit seiner Hand auf meine Schulter. Da nächtliche Besucher immer etwas verdächtig sind, so sprang ich augenblicklich auf und packte ihn, er wand sich los und wollte schnell entfliehen, stolperte aber über meinen Jungen und fiel auf das wilde Schwein, das ihn zu Erwiederung dieses Willkommens in den Arm biß. Das Geschrei, welches er darüber erhob, weckte die Leute in des Königs Zelt; sie muthmaßten, daß ich entsprungen wäre, und warfen sich auf die Pferde um mir nachzusetzen. Ich sah bei dieser Gelegenheit, daß Ali nicht in seinem eigentlichen Zelte | schlief, sondern von einem andern kleineren Zelte, das von jenem ziemlich entlegen war, auf einem weißen Pferde auf mich zugesprengt kam. Das tirannische und grausame Betragen dieses Fürsten, hat ihn so mißtrauisch und argwöhnisch auf jeden gemacht, der ihn umgiebt, daß seine eignen Bedienten und Sklaven nicht wissen wo er schläft. Als die Mauren ihm erzählt hatten, was vorgefallen war, ging alles aus einander und man ließ mich bis zum Morgen ruhig fortschlafen. Den 13ten Merz aber mit Sonnenaufgang fingen die Neckereien und das Verhöhnen wiederum an, wie Tages zuvor; die Kinder versammelten sich, um das Schwein zu prügeln, und die Erwachsenen, um den Christen zu plagen. Das empörende Betragen dieser Menschen läßt sich durch Worte nicht beschreiben. Sie sinnen gleichsam nur auf Unheil, und erfreuen sich an dem Elend ihrer Mitgeschöpfs; ich war ihrer Rohheit, Wildheit und ihrem Fanatism, wodurch sie sich von allen andern Menschen-Rassen auszeichnen, ein willkommener Fund. Fremd, ohne Schutz, und Christ – Einer dieser Umstände wäre schon genug gewesen, jeden Funken von Menschlichkeit in der Brust eines Mauren zu ersticken, und alle drei vereinigten sich nun in mir, also 26 mißtrauisch] mistrauisch

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konnte ich allerdings nichts Gutes erwarten. Um nun wenigstens Ali nicht zu mißfallen, und überhaupt den Mauren keinen Vorwand zu geben, mir übel zu begegnen, that ich unweigerlich alles, was von mir verlangt ward, und ertrug jede Beleidigung mit Geduld. Aber ich gestehe es, in meinem ganzen Leben habe ich mich nie in einer so drükkenden Lage befunden, als hier in Ali’s Lager, wo ich von dem rohesten, wildesten Volke auf Erden vom Morgen bis zum Abend die gröbsten Beschimpfungen ertragen mußte, und nicht einmal sauer dazu aussehen durfte!

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Was sich während des Verfassers Gefangenschaft in Benaum weiter ereignete – Begräbniß und Hochzeit, nebst andern Ereignissen, welche die Sitten und den Charakter der Mauren betreffen. 5

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Obschon die Mauren selbst sehr träge sind, so wissen sie doch ihre Untergebenen unvergleichlich zu beschäftigen. Mein Negerjunge, Demba, mußte in den Wald hinaus, um für Ali’s Pferde Heu herbei zu schaffen, und nach vielem hin und her sinnen fanden sie auch für mich eine Beschäftigung, die dann nichts anders war, als das ehrenvolle Amt eines – B ar b i e r s . Ich sollte die erste Probe meiner Fähigkeit in Gegenwart des Königs ablegen, und die Ehre haben, dem jungen Prinzen von Ludamar den Kopf zu scheren. Ich setzte mich auf die Erde, und der Knabe, etwas schüchtern, setzte sich neben mich. Man gab mir ein kleines, drei Zoll langes Scheermesser in die Hand, und befahl mir zu Werke zu schreiten. Ich weiß nun nicht, ob meine eigene Ungeschicklichkeit dran Schuld war, oder die schlechte Beschaffenheit des Instruments, genug ich war so unglücklich, gleich zu Anfang der Operation das Haupt des Knaben ein wenig zu verletzen. Der König bemerkte bald, wie wenig ich das Messer zu regieren verstand, und urtheilte daß das Haupt seines Sohnes eben nicht in den besten Händen sei. Er befahl mir also abzulassen und meiner Wege zu gehen. Dies that ich sehr gern, denn ich hatte es mir zur Regel gemacht, mich so unbrauchbar und untauglich als möglich anzustellen, weil ich dies für das einzige Mittel hielt, meine Freiheit bald wieder zu erlangen. Am 18ten Merz brachten vier Mauren meinen Dolmetscher, Johnson, von Dscharra her geschleppt. Sie hatten sich seiner bemächtigt, ehe er noch von meiner Gefangenschaft etwas vernommen; nebst ihm brachten sie | auch einen Bündel Zeug mit, den ich zur Vorsorge in Daman Dschomma’s Haus auf den Fall hinterlassen hatte, wenn ich meinen Rückweg über Dscharra nehmen sollte. Johnson ward nach Ali’s Zelt gebracht und examinirt. Man öfnete den Bündel und ließ mich holen, um den Gebrauch jedes einzelnen Stücks darin zu erklären. Wie freuete ich mich als ich von Johnson erfuhr, daß wenigstens meine Papiere in Sicherheit wären; er hatte sie nehmlich einer von Daman’s Frauen zu verwahren gegeben. Als ich Ali’s Neugier befriedigt hatte, wurde der Bündel wieder zusammengebunden und in einen

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großen rindsledernen Sack gesteckt, der in einem Winkel des Zeltes stand. Den nehmlichen Abend noch schickte Ali drei von seinen Leuten zu mir, und ließ mir sagen, daß viele Diebe in der Nachbarschaft wären; damit mir nun das übrige von meinen Sachen nicht gestohlen würde, so müßte ich alles nach seinem Zelte schicken. Meine Kleider, meine Instrumente, kurz alle meine Habseligkeiten wurden dort hingebracht, und, so nöthig ich, der Hitze und des Staubes wegen, auch reine Wäsche brauchte, so ließ man mir aus meinem kleinen Vorrath doch nicht ein einziges Hemd verabfolgen. Ali fand sich indessen sehr betrogen, als er bei Durchsuchung meiner Sachen viel weniger Gold und Bernstein fand, als er erwartet hatte: um aber seiner Sache recht gewiß zu sein, schickte er die nehmlichen Leute zu mir, um untersuchen zu lassen, ob ich nicht Geld oder Geldeswerth am Leibe verborgen habe. Sie durchsuchten mich mit ihrer gewöhnlichen Rohheit bis auf die Haut, und nahmen mir meine Uhr, meinen Taschenkompaß, und alles was ich an Gold und Bernstein bei mir trug, ab. Zum Glück hatte ich noch einen andern Compaß in den Sand verscharrt, und dieser und die Kleider auf dem Leibe waren alles, was Ali’s Raubsucht mir übrig ließ. Das Gold und der Bernstein waren der Habsucht des Fürsten eine willkommene Beute, der Compaß aber ward | bald ein Gegenstand seiner abergläubischen Neugier. Ali war sehr begierig zu wissen, weshalb das kleine Stückchen Eisen, die Magnetnadel, immer nach der großen Wüste hinzeige; und ich war verlegen, was ich zur Ursach davon angeben sollte. Hätte ich mich unwissend gestellt, so hätten sie leicht auf den Argwohn gerathen können, daß ich ihnen die Wahrheit verhehlen wolle; ich sagte also, daß meine Mutter weit über die Sandwüste von Zahara hinaus wohne, und daß, so lange sie lebe, das Stückchen Eisen immer dahin zeige und mir als Führer zu ihr diene, sterbe sie aber, so würde es auf ihr Grab zeigen. Ali sah jetzt mit doppeltem Erstaunen auf den Compaß, drehte und wandte ihn hin und her, und als er fand, daß die Spitze immer wieder auf die nehmliche Stelle kam, faßte er ihn sehr vorsichtig an und gab ihn mir mit der Aeußerung zurück, er halte das Ding für etwas magisches, und möchte mit einem so gefährlichen Instrument nichts zu schaffen haben. Am folgenden Morgen (den 20sten Merz) ward bei Hofe ein geheimes Conseil über mich gehalten. Das Resultat der Berathschlagung ward mir von dem einen so, von dem andern anders erzählt, aber keine dieser Angaben war tröstlich für mich. Einige sagten, man wolle mich umbringen, andere, daß ich bloß die rechte Hand verliehren 4 wären;] wären,

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sollte, das Wahrscheinlichste aber war wohl das, was ich von Ali’s eignem Sohne erfuhr, einem Knaben von neun Jahren, der am Abend zu mir gelaufen kam und mir ganz bestürzt hinterbrachte, daß sein Oheim seinen Vater überredet habe, mir die Augen ausstechen zu lassen, weil sie wie Katzenaugen aussähen und daß alle Buschrihns diesem Antrag beigepflichtet wären; indeß würde sein Vater das Urtheil nicht eher vollziehen lassen, bis die Königin Fatima, die jetzt weiter nach Norden hin sich aufhalte, mich gesehen habe. Begierig über mein künftiges Schicksal Auskunft zu erhalten, ging ich am nächsten Morgen (den 21sten Merz) | zum König, und da gerade viele Buschrihns bei ihm versammelt waren; so hoffte ich eine günstige Gelegenheit zu finden, um zu erfahren, was sie mit mir vorhätten. Ich fing damit an, den König um Erlaubniß zu bitten, daß ich nach Dscharra zurück kehren dürfte; das ward mir aber rund abgeschlagen: seine Frau, sagte er, habe mich noch nicht gesehen und ich müßte warten, bis diese nach Benaum käme; nachher sollte ich Freiheit haben zu gehen, wohin ich wolle, auch sollte mir mein Pferd, das mir den Tag nach meiner Ankunft im Lager abgenommen worden war, wieder zugestellt werden. So unbefriedigend diese Antwort auch war, so mußte ich mich doch anstellen, als ob ich wohl damit zufrieden wäre, und da in dieser Jahreszeit, wegen der entsetzlichen Hitze und des gänzlichen Mangels an Wasser in den Wäldern, an keine Flucht zu denken war, so blieb mir nichts anders übrig, als mich in Geduld zu fassen, und bis zur Regenzeit hier auszuharren, wenn nicht etwa ein unerwarteter Glücksfall mich früher erlösete. Aber diese langweilige Verzögerung meiner Abreise, und der Gedanke, daß ich während der Regenzeit, die jetzt mit schnellen Schritten herannahete, durch die Neger-Königreiche würde reisen müssen, machten mich äußerst traurig. Ich hatte eine sehr unruhige Nacht und bekam am Morgen ein heftiges Fieber. Ich hatte mich in meinen Mantel eingehüllt, um in Transpiration zu gerathen und war eben ein wenig eingeschlafen, als ein Trupp Mauren in meine Hütte kam und mit ihrer gewöhnlichen Fühllosigkeit mir den Mantel wegrissen; vergebens gab ich ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß ich krank sei und gern schlafen möchte, sie spotteten meines Ungemachs und vermehrten es auf alle mögliche Weise. Diese vorsätzlichen und empfindlichen Beleidigungen, denen ich mich unaufhörlich ausgesetzt sah, waren mir das härteste in meiner Gefangenschaft, und machten mir das Leben zur Last. Wie oft habe ich in solchen Augenblicken den niedrigsten Sklaven beneidet, der bei seinem Elend doch | bisweilen seinen Gedanken nachhangen kann, ein Glück, das ich lange schon entbehrte. Ich befürchtete daher nicht ohne Grund, daß, bei den unaufhörlichen Nekkereien und Plagen, mir die Geduld einmahl reißen und ich in einer

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Aufwallung von Verdruß, durch thätliche Widersetzlichkeit mein Leben unmittelbar aufs Spiel setzen möchte, und da ich eben jetzt, des Fiebers wegen mißmüthiger und reizbarer war als je; so gieng ich zur Hütte hinaus und legte mich unter einige schattige Bäume, etwas abwärts vom Lager, nieder, um dort in Ruhe zu sein. Aber auch hier vergönnte man mir sie nicht. Dem armen Christen ward nicht einmahl das Glück der Einsamkeit zu Theil. Ali’s Sohn, von einem Trupp Reiter begleitet, kam auf mich zugesprengt, und befahl mir aufzustehen und ihm zu folgen. Ich bat, daß man mich hier wenigstens nur ein paar Stunden möchte liegen lassen, aber umsonst; unter drohenden Worten und Gebehrden nahm einer von ihnen ein Pistol ans einem ledernen Beutel, der am Sattelknopf befestigt war und legte auf mich an. Das Pistol versagte zweimal, und der Kerl blieb bei dem ganzen Vorgänge so gleichgültig, daß ich wirklich glaubte, es sei nicht geladen. Er spannte es zum dritten mal, und wollte den Stein mit einem Stahl schlagen, als ich, ohne den Erfolg abzuwarten, mich aufraffte und gutwillig nach dem Lager zurück gieng. Wir fanden Ali bei sehr übler Laune in seinem Zelte. Er forderte das Pistol des Mauren, und nachdem er sich mit auf- und zumachen der Pfanne eine Weile unterhalten hatte, griff er nach seinem Pulverhorn, lud es aufs neue und sagte, mit drohenden Blicken gegen mich etwas auf arabisch, was ich nicht verstand. Ich rief meinen Jungen, der vor dem Zelte saß, um durch ihn fragen zu lassen, was ich begangen hätte; und da erfuhr ich denn, daß, weil ich ohne Ali’s Erlaubniß aus dem Lager gegangen wäre, man geglaubt habe, daß ich entfliehen wolle, und daß Befehl gegeben wäre, daß der erste, der mich wieder außerhalb der Grenzen des La|gers gewahr würde, mich geradezu vor den Kopf schießen sollte. Am Nachmittag war der Horizont, nach Osten zu, trübe und neblicht, und die Mauren prophezeihten einen Sandwind, der auch den andern Morgen anfing und mit kleinen Unterbrechungen, zwei Tage lang dauerte. Er war eben nicht heftig, sondern was die Seeleute einen guten Segelwind nennen, aber die ungeheure Menge Sand und Staub, die er von Osten nach Westen wie einen Strom vor sich her trieb, verdunkelte die ganze Atmosphäre, die Luft war oft so finster und voll von Sand, daß man das nächste Zelt nicht sehen konnte. Da die Mauren ihre Speisen unter freiem Himmel bereiten, so fiel ihnen viel Sand in den Kuskus, auch hing er sich an die Haut, weil sie von Ausdünstung feucht war, und jedem ward auf eine zwar wohlfeile aber lästige Art das Haar gepudert. Die Mauren hüllen sich ein Tuch um das Gesicht, um den Staub nicht einzuschlucken, und wenn sie aufsehen, wenden sie immer dem Winde den Rücken zu, damit der Sand ihnen nicht in die Augen falle.

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Zu dieser Zeit färbten alle Frauen im Lager ihre Füße und Fingerspitzen mit einer dunkeln Safranfarbe. Ich konnte aber nie recht dahinter kommen, ob es bloß zur Zierde oder aus religiösen Begriffen geschehe. Die Neugier der maurischen Weiber war seit meiner Ankunft in Benaum mir schon oft lästig geworden. Am 25sten des Abends kam eine große Anzahl von ihnen (ob auf Anstiften anderer, ob aus unbezwingbarer eigner Neugier, oder ob aus bloßem Scherz, kann ich nicht sagen) in meine Hütte und gaben mir sehr deutlich zu verstehen, daß sie kämen um eine Besichtigung anzustellen, ob die Nazarener auch, wie die Mahomedaner, beschnitten wären. Diese Erklärung kam mir sehr unerwartet und um der Untersuchung zu entgehen, hielt ich es fürs Beste die ganze Sache als einen Scherz zu behandeln. Ich sagte ihnen, daß in meinem Lande nicht Sitte sei, in Gegenwart so | vieler schönen Frauen einen augenscheinlichen Beweis von solchen Dingen abzulegen; wenn sie sich aber alle, diese junge Frau ausgenommen (ich zeigte hierbei auf die Jüngste und Schönste) entfernen wollten, so wollte ich ihre Neugier befriedigen. Die Damen verstanden den Spaß, lachten herzlich und gingen allerseits unverrichteter Sache fort. Der jungen Frau mußte der Vorzug, den ich ihr gegeben hatte, auf keine Weise zuwider sein, denn sie schickte mir am Abend etwas Mehl und Milch. Am 28sten Morgens, kam eine große Heerde Hornvieh von Osten her an, und einer von den Treibern, dem Ali mein Pferd geliehen hatte, brachte mir eine Antelopenkeule zum Geschenk und sagte mir, daß mein Pferd vor Ali’s Zelt stände. Kurz darauf schickte Ali einen Sklaven zu mir und ließ mir andeuten, daß ich am Nachmittag mit ihm ausreiten sollte, indem er mich einigen seiner Frauen vorstellen wolle. Um vier Uhr kam er selbst, zu Pferde, von sechs Hofleuten begleitet, nach meiner Hütte und befahl mir aufzusitzen. Ich gehorchte; die Mauren, deren Kleidung ein weites und loses Gewand ist, waren mit meinen Nanking-Beinkleidern nicht zufrieden; sie fanden sie nicht nur der Form nach häßlich, sondern weil sie allzudünn und gleichsam durchsichtig wären, auch unanständig; da es nun zum Besuch bei Damen ging, so ließ Ali durch meinen Jungen den Mantel, den ich hier gewöhnlich zu tragen pflegte, holen, und befahl mir ihn umzuhängen. Wir besuchten vier Frauen in ihren Zelten, und man bewirthete mich überall mit einem Becher Milch und Wasser. Alle diese Frauen waren sehr korpulent, was hier für die größte Schönheit angesehen wird. Sie fragten vielerlei, und betrachteten meine Haut und mein Haar sehr aufmerksam, affektirten aber, mich wie eine Art von untergeordnetem Wesen anzusehen; sie runzelten die Stirn und schauderten, wenn sie die Weiße meiner Haut sahen. Mein Anzug und | Ansehen gaben auf dem ganzen Wege meinen Gefährten zu vielem Spaß Anlaß. Sie

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galoppirten um mich her, als ob sie ein wildes Thier hetzten; sie schwangen ihre Flinten um die Köpfe, und machten allerhand Reiterkünste, wahrscheinlich um zu zeigen, daß sie kecker und gewandter wären, als ihr armer Gefangener. Sehr gute Reiter sind die Mauren allerdings, sie reiten sehr dreist; da ihre Sättel hinten und vorn hoch sind, so sitzen sie fest, und stürzt auch einmal einer herunter, so beschädigen sie sich selten, weil der Boden überall sandig und daher weich ist. Beim Reiten setzen sie eine Ehre und ein Vergnügen darein, ein Pferd im schärfsten Galopp durch einen Hieb plötzlich zum Anhalten zu bringen, so daß es oft in die Knie sinkt. Ali reitet immer ein milchweißes Pferd mit rothgefärbtem Schweif. Er geht niemals zu Fuß, außer zu den Betstunden, und selbst in der Nacht müssen ohnweit seines Zeltes zwei bis drei Pferde immer gesattelt stehen. Die Mauren halten erstaunlich viel auf ihre Pferde, weil die große Schnelligkeit derselben sie allein in Stand setzt, Streifereien in die Negergebiete zu unternehmen. Sie füttern sie drei oder viermal des Tages, und am Abend geben sie ihnen viel süße Milch, welche die Pferde sehr gern saufen. Den 3ten April Vormittags starb ein Kind in dem nächsten Zelt, und die Mutter und Verwandten fingen sogleich das Todtengeheul an. Eine Menge weiblicher Besuche gesellte sich zu ihnen, und vergrößerte dieses Trauer-Concert. Ich hatte nicht Gelegenheit, das Begräbniß zu sehen, denn es geschieht gewöhnlich in der Abenddämmerung sehr insgeheim, und das Grab ist oft nur einige Schritte weit vom Zelt. Auf dem Grabe wird ein besonderes Gesträuch gepflanzt, und kein Fremder darf ein Blatt davon nehmen, oder es auch nur anrühren, so große Ehrfurcht haben sie vor ihren Todten.| Am 7ten April gegen vier Uhr Nachmittags, erhob sich ein so heftiger Wirbelwind, daß er drei Zelte und auch von meiner Hütte eine Wand umriß. Dergleichen Wirbelwinde wehen von der Seite der großen Wüste her und sind in dieser Jahreszeit so häufig, daß ich fünf bis sechs auf Einmahl gesehen habe. Sie heben große Sandmassen zu einer gewaltigen Höhe, so daß man in der Entfernung bewegliche Rauchsäulen zu sehen glaubt. Durch die brennende Sonnenhitze auf diesem trockenen und sandigen Boden wird die Luft unerträglich heiß. Ali hatte mir mein Thermometer genommen, ich konnte also keine eigentlichen Beobachtungen anstellen; um Mittag aber, wenn zu den senkrechten Strahlen der Sonne sich der heiße Wind von der Wüste gesellet, ist der Boden so erhitzt, daß der nackte Fuß es nicht ertragen kann; selbst die Negersklaven gehen nicht ohne Sandalen von einem Zelt zum andern. Die Mauren liegen zu dieser Tageszeit in ihren Zelten ausgestreckt, schlafen entweder, oder sind doch unthätig; und die Luft war wirklich oft

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so glühend, daß ich meine Hand nicht ohne empfindlichen Schmerz an die Zugluft halten konnte, die durch die Ritzen meiner Hütte eindrang. Am folgenden Tage (den 8ten April) kam der Wind aus Süd-Westen, und in der Nacht hatten wir ein Gewitter von starkem Regen begleitet. Am 10ten Abends wurde die Tabala, oder große Trommel, gerührt, um eine Hochzeit anzukündigen, welche in einem der benachbarten Zelte gefeiert werden sollte. Eine große Menge Volks beider Geschlechter versammelte sich, aber nicht mit dem Frohsinn und der Heiterkeit, wie bei den Neger-Hochzeiten. Hier gab es weder Gesang noch Tanz, noch irgend eine andere Lustbarkeit. Eine Frau schlug die Trommel, und die andern stießen zu verschiedenen Zeiten ein durchdringendes Ge|schrei aus, indem sie mit großer Schnelligkeit die Zunge im Munde hin und her bewegten. Ich ward des Lärmens bald überdrüßig und ging nach meiner Hütte, wo ich eben im Einschlafen war, als eine alte Frau mit einem Napf in der Hand zu mir hereintrat, und mir bedeutete, daß sie ein Geschenk von der Braut brächte. Ehe ich ihr meine Verwunderung darüber zu erkennen geben konnte, goß sie mir den Inhalt des Napfes ins Gesicht. Da ich merkte, daß es das nehmliche Weihwasser war, womit, wie man sagt, die hottentottischen Priester die Neuvermählten besprengen, so glaubte ich, daß das alte Weib es aus Bosheit gethan. Sie versicherte mir aber sehr eifrig, daß es eine Hochzeitsspende von der Braut selbst sei, welche die unverheiratheten jungen Mauren immer als ein Zeichen besonderer Gunst aufnehmen. Da die Sache sich so verhielt, trocknete ich mir das Gesicht, und ließ mich bei der Dame schönstens bedanken. Die Hochzeitstrommel wurde immerfort geschlagen, und die Frauen sangen oder pfiffen vielmehr die ganze Nacht hindurch. Den Morgen gegen neun Uhr wurde die Braut, im größten Staate aus ihrer Mutter Zelt geführt und von einer Menge Frauen begleitet, die ihr neues Zelt (ein Geschenk des Bräutigams) trugen. Einige trugen die Stangen, andere die Stricke, und so zogen sie unter immerwährendem Pfeifen bis an den künftigen Wohnplatz der Braut, wo das Zelt aufgeschlagen ward. Der Bräutigam folgte nebst einer großen Anzahl Männer, die vier Rinder führten, welche sie an den Stricken des Zeltes festbanden, und nachdem sie ein fünftes geschlachtet, und das Fleisch unters Volk vertheilt hatten, war die Ceremonie zu Ende.

27–28 Hochzeitstrommel] Hochzeistrommel

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Eilfter Abschnitt. Weitere Begebenheiten im Lager – Der Verfasser zieht Nachrichten wegen Tombuktu ein – Beschreibung des Weges von Marokko nach Benaum – Ali verlegt das Lager weiter nach Norden – Der Verfasser wird als Gefangener mitgenommen und der Königin Fatima vorgestellt – Großer Wassermangel.

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Ich hatte nun bereits vier Wochen hier im Lager als ein Gefangener zugebracht, und fast jeden Tag neues Ungemach erfahren. Mit Sehnsucht folgte ich dem zögernden Laufe der Sonne, und segnete ihre Abendstrahlen, die über den sandigen Boden meiner Hütte einen gelblichen Glanz verbreiteten; dann erst verließen mich meine Unterdrükker, und erlaubten mir die schwüle Nacht in Einsamkeit und Nachdenken hinzubringen. Um Mitternacht wurde mir und meinen Gefährten eine Portion Kuskus nebst etwas Wasser und Salz gebracht; dies war unsere gewöhnliche Kost, und mit einer solchen Mahlzeit mußten wir uns den ganzen andern Tag hinhalten. Die Mahomedaner hatten jetzt Fasten, und da die Mauren sie mit religiöser Strenge halten, so zwangen sie auch mich, sie zu beobachten, ohne darnach zu fragen, ob ich meiner Religion wegen daran gebunden sei oder nicht. Indeß schickte ich mich in meine Lage, und fand, daß ich Hunger und Durst besser ertragen konnte, als ich erwartet hatte, und um mir die Langeweile zu vertreiben, lernte ich arabisch schreiben. Wer aus Neugier zu mir kam, den bat ich, mich die Buchstaben kennen zu lehren. Dadurch beschäftigte ich ihre Aufmerksamkeit und sie wurden mir weniger lästig. Sobald einer zu mir kam, zu dessen Physiognomie ich mir nichts Gutes versah, so bat ich ihn, mir etwas im Sande vorzuschreiben, oder zu lesen was ich geschrieben hatte, und da | dies seiner Eitelkeit schmeichelte, so that ich selten eine Fehlbitte. Da die Königin Fatima noch immer nicht angekommen war; so machte Ali sich auf, um sie zu holen; da aber der Ort ihres Aufenthalts zwei Tagereisen von Benaum entfernt war, so mußten Lebensmittel mit auf den Weg genommen werden. Ali war so argwöhnisch und fürchtete so sehr, vergiftet zu werden, daß er von keinem Gerichte aß, das nicht vor seinen Augen zubereitet war; es wurde daher ein schönes Rind geschlachtet, das Fleisch in dünne Scheiben geschnitten und an

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der Sonne getrocknet; dieses und zwei Beutel mit trocknem Kuskus machten den ganzen Reisevorrath aus. Vor seiner Abreise stellten sich, wie gewöhnlich jedes Jahr, die Neger aus Benaum zur Musterung um ihre Waffen vorzuzeigen und ihren Tribut an Korn und Zeug zu entrichten. Sie waren schlecht bewaffnet; zwei und zwanzig mit Flinten, vierzig oder funfzig mit Bogen und Pfeilen, und fast eben soviel Männer und Knaben bloß mit einem Speer. Vor dem Zelte marschierten sie auf, da denn ihre Waffen besichtigt und kleine Händel geschlichtet wurden. Am 16ten April reiste Ali, um Mitternacht, in aller Stille von Benaum ab. Er hatte nur ein kleines Gefolge bei sich und wurde in neun oder zehn Tagen zurück erwartet. Den 18ten April, zwei Tage nach Ali’s Abreise, kam ein Scherif mit Salz und andern Waaren von Walet, der Hauptstadt des Königreichs Biru, im Lager an. Da kein Zelt für ihn in Bereitschaft war, so wohnte er mit mir in Einer Hütte. Er schien ein unterrichteter Mann zu sein, und da er Arabisch und Bambarranisch sprach; so konnte er in diesem Theil von Afrika sicher und ohne Schwierigkeit durch mehrerer Herren Gebiet | reisen. So war er, obgleich sein eigentlicher Wohnsitz Walet war, sogar bis Hussa gekommen, hatte sich auch einige Jahre in Tombuktu aufgehalten. Da ich mich sehr angelegentlich erkundigte, wie weit es von Walet nach Tombuktu sei; so fragte er, ob ich gesonnen sei diesen Weg zu nehmen. Als ich es bejahete, schüttelte er den Kopf und sagte, das würde nicht angehen: denn dort sähe man die Christen für Kinder des Teufels und Feinde des Propheten an. Von ihm erfuhr ich folgende nähere Umstände: Hussa sei die größte Stadt die er je gesehen habe; Walet sei größer als Tombuktu, da es aber so weit vom Niger entfernt sei, und der vornehmste Handel nur in Salz bestehe, so kämen Fremde nur selten dorthin. Von Benaum nach Walet wären zehn Tagereisen, der Weg führe aber durch keine merkwürdige Stadt, und die Reisenden müßten sich unterweges mit Milch behelfen, welche die Araber, die sich mit ihren Heerden bei den Tränkplätzen aufhielten, verkauften. Zwei Tage lang ginge der Weg durch sandiges Land, völlig ohne Wasser: von Walet bis Tombuktu seien noch eilf Tagereisen; man finde jedoch mehr Wasser auf dem Wege, und reite gewöhnlich auf Ochsen. In Tombuktu gebe es viele Juden, die aber alle Arabisch sprächen und mit den Mauren einerlei Gebete hätten. Auf die Frage: nach welcher Himmelsgegend Tombuktu läge, zeigte er mit der Hand nach Süd-Osten, oder vielmehr nach Ost gen Süd; Sicherheits wegen wiederholte ich diese Frage mehreremale, und 6 funfzig] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 350

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immer blieb er sich in Andeutung der Lage gleich, oder wich höchstens nur um einen halben Compaß-Strich nach Süden ab. Am 24sten April kam Scherif Sidi Mahomed Mura Abdalla, ein Marokkaner, mit fünf Ochsen-Ladungen Salz im Lager an. Er hatte sich vormals einige Monate in Gibraltar aufgehalten und so viel Englisch aufgegriffen, daß er sich verständlich machen konnte. Er erzählte mir, | daß er fünf Monate von Santa Cruz bis Benaum unterweges gewesen wäre, einen großen Theil dieser Zeit aber hätten ihm seine Handelsgeschäfte hinweggenommen. Ich bat ihn, mir anzugeben, wie viel Tage er wirklich zur Reise von Marokko nach Benaum gebraucht habe, und er gab sie folgendergestalt an: – Nach Swira, drei Tage; nach Agadier, drei; nach Dschiniken, zehn; nach Wädenun, vier; nach Läkeneh, fünf; nach Ziriwin-zerimen, fünf; nach Tischit, zehn; nach Benaum, zehn; in allem funfzig Tagereisen; die Reisenden hielten sich aber gewöhnlich in Dschiniken und Tischit auf. An diesem letzteren Orte wird das Steinsalz gegraben, das bei den Negern ein so großer Handels-Artikel ist. In der Unterhaltung mit diesen Scherifs, und mit den verschiedenen Fremden die ins Lager kamen, verging mir die Zeit weniger unangenehm. Von der andern Seite aber war ich übler dran als vorher, denn in Ansehung meiner Kost hing ich jetzt völlig von Ali’s Sklaven ab, denen ich nichts sagen durfte, und ich ward jetzt noch kärglicher gehalten als selbst in den Fasten. Zwei Tage nacheinander hatten sie es völlig vergessen uns unsere gewöhnliche Portion zu schicken. Mein Junge ging in ein kleines benachbartes Negerdorf, und bettelte von Hütte zu Hütte, erhielt aber nichts als ein paar Handvoll Erdnüsse, die er treulich mit mir theilte. Der Hunger verursacht Anfangs eine sehr schmerzhafte Empfindung, die sich aber in der Folge in Mattigkeit und Schwäche verwandelt: in diesem Zustande erquickt ein Trunk Wasser, der den Magen ausgedehnt erhält, die sinkenden Lebensgeister, und entfernt auf eine kurze Zeit jede Unbehaglichkeit. Johnson und Demba waren sehr herunter. Sie lagen in einem betäubenden Schlummer auf dem Sande ausgestreckt, und sogar wenn unser Kuskus kam, hatte ich Mühe sie zu erwecken. Ich fühlte keine Neigung zum Schlaf, hatte aber einen convulsi|visch tiefen Athem, als ob ich immer seufzte. Was mich am meisten beunruhigte, war eine Verminderung der Sehekraft, und daß, wenn ich aufrecht sitzen wollte, mich Ohnmachten anwandelten. Diese Symptomen verlohren sich erst einige Zeit nachdem ich wieder etwas gegessen hatte. Wir erwarteten täglich, daß Ali mit seiner Gemahlin Fatima von Sahil (oder aus den nördlichen Gegenden) nach Benaum zurückkom37 Verminderung] so DV; OD: Veränderung

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men würde. Während der Zeit hatte Mansong, König von Bambarra, wie ich bereits weiter oben (im achten Abschnitt) erzählt habe, um einen Succurs von Reiterei gebeten, der ihm bei der vorhabenden Stürmung von Gedinguma behülflich sein sollte. Dieses Anliegen hatte aber Ali nicht nur abgelehnt, sondern, obenein, die Abgesandten mit Stolz und Verachtung entlassen. Darüber gab nun Mansong die Belagerung von Gedinguma auf und rüstete sich dagegen zu einem Feldzuge gegen Ali, um sich wegen des seinen Abgeordneten angethanen Schimpfes zu rächen. So standen die Sachen, als am 29sten April ein Bote mit der unangenehmen Nachricht nach Benaum kam, daß die bambarranische Armee sich den Grenzen von Ludamar nähere. Darüber gerieth in der ganzen Gegend alles in Bestürzung. Den Nachmittag kam Ali’s Sohn mit ohngefähr dreißig Reitern nach Benaum, und befahl, daß die Heerden sogleich weggetrieben, die Zelte abgebrochen werden, und daß am folgenden Morgen mit Tagesanbruch jedermann zum Abzug bereit sein sollte. Am 30sten April war also mit Sonnenaufgang das ganze Lager in Bewegung. Das Gepäck ward auf Ochsen geladen, von den zwei Zeltstangen ward auf jede Seite des Thieres eine fest gebunden und so auch die hölzernen Geräthschaften; über die ganze Ladung ward die Zeltdecke ausgebreitet, und auf diese setzten sich eine oder zwei | Frauen, denn die maurischen Weiber sind schlechte Fußgängerinnen. Des Königs Favoritinnen reiten auf Kameelen mit einem ganz eigenen Sattel, der oben einen Traghimmel hat, um sie vor der Sonne zu schützen. Unser Weg ging nach Norden. Gegen Mittag befahl Ali’s Sohn, daß der ganze Zug, zwei Zelte ausgenommen, seinen Weg durch einen dichten niedrigen Wald nehmen sollte, der uns zur Rechten lag, während ich mit den zwei Zelten vorausgeschickt ward, und am Abend nach einer kleinen Negerstadt, Faräni genannt, kam, wo wir uns auf einem offnen Platze, ohnweit der Stadt, lagerten. In der Eil und Verwirrung, in welcher das Lager von Benaum aufgebrochen war, hatten die Sklaven nicht Provision genug für unterweges zubereitet, und aus Besorgniß, daß ihr trockner Vorrath nicht zureichen möchte, ehe wir den Ort unserer Bestimmung erreicht hätten (denn niemand als Ali und die Hauptpersonen wußten wo die Reise hinging) fanden sie für gut, mich einen Fasttag halten zu lassen. Da ich befürchten mußte, daß es mir in dieser Absicht am folgenden Tage nicht besser ergehen würde; so ging ich früh Morgens (am ersten Mai) nach dem Negerstädtchen Faräni und bat den Duti, mir etwas zu essen zu geben; das that er sehr bereitwillig, und lud mich ein, so lange ich in der Nachbarschaft wäre, alle Tage zu ihm zu kommen. Diese guten, gastfreien Menschen, wurden von den Mauren wie

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verworfene Sklaven angesehen und auch so behandelt. Zwei von Ali’s Haussklaven, ein Mann und eine Frau, die mit bei den beiden Zelten waren, trieben an diesem Morgen die Heerde nach dem Brunnen bei der Stadt, um sie dort zu tränken. Als die Negerfrauen die Heerde ankommen sahen, nahmen sie ihre Wasserkrüge und liefen, was sie konnten, der Stadt zu; Ali’s Sklaven aber rannten ihnen nach, holten sie noch vor dem Thore ein, und nöthigten sie, das Wasser, das | sie für sich geschöpft hatten, zurück zu tragen, es zu Tränkung der Heerde in die Tröge zu gießen, und so lange zu schöpfen, bis die ganze Heerde getränkt war. Die Sklavin ging dabei in ihrem gebieterischen Uebermuth so weit, daß sie zwei hölzerne Gefäße auf dem Kopf eines schwarzen Mädchens entzwei schlug, weil es, ihrem Bedünken nach, beim Wasserschöpfen nicht hurtig genug war. Am 3ten Mai brachen wir aus der Nachbarschaft von Faräni auf, und langten, auf Umwegen, durch die Wälder den Nachmittag in Ali’s Lager an, welches viel größer als das bei Benaum, und in einem dichten Walde zwei Meilen von einer Negerstadt, Bubaker genannt, aufgeschlagen war. Ich machte Ali sogleich meine Aufwartung, um der Königin Fatima, die mit ihm aus Sahil gekommen war, vorgestellt zu werden. Er schien sich über meine Ankunft zu freuen, schüttelte mir die Hand und sagte seiner Frau, daß ich der Christ sei. Sie war von arabischer Abkunft, sehr korpulent und hatte langes schwarzes Haar. Der Gedanke einem Christen so nahe zu sein, schien sie Anfangs zu erschrecken, als ich ihr aber durch einen Negerjungen, der mandingo und arabisch sprach, eine Menge Fragen, die sie über Sitten und Gebräuche der Christen mit sichtbarer Neugier an mich richtete, beantwortet hatte, schien sie unbesorgter zu sein, und reichte mir einen Becher Milch, welches ich für ein günstiges Zeichen hielt. Die Hitze war jetzt durchaus unerträglich, und die ganze Natur schien darunter zu erliegen. Das ganze Land umher stellte dem Auge nichts dar, als eine große Sandfläche, mit einigen wenigen kleinen Bäumen und stachlichtem Gesträuch bewachsen, in deren Schatten das hungrige Vieh das welke Gras abfraß, und die Kameele und Ziegen sich an dem wenigen Laube zu sättigen suchten. Der Wassermangel war hier noch größer als in Benaum. Tag und Nacht waren die Brunnen von brüllenden Heer|den umringt, die mit einander fochten, um an den Trog zu kommen; und der entsetzliche Durst machte mehrere wüthend; andere, die zu schwach waren, um sich des Wassers wegen zu schlagen, verschlangen gierig den schwarzen Morast in den Rinnen des Brunnens, so übel er ihnen auch bekam. Alles im Lager fühlte diesen Wassermangel schwer, niemand aber mehr als ich; denn obschon mir Ali einen Schlauch erlaubte, um mir Wasser zu holen, und Fatima mir, wenn ich in Noth war, etwas weniges

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zukommen ließ; so waren die Mauren doch so hartherzig, daß, wenn mein Junge an die Brunnen ging, um den Schlauch zu füllen, er mit einer derben Tracht Schläge zurückgewiesen ward; denn jeder fand es unerhört, daß der Sklave eines Christen die Vermessenheit habe, aus Brunnen Wasser zu schöpfen, die von Nachfolgern des Propheten gegraben worden waren. Diese Behandlung jagte den Jungen endlich so in Furcht, daß er lieber vor Durst umgekommen wäre, als den Schlauch bei den Brunnen gefüllt hätte. Statt dessen bettelte er sich Wasser von den Negersklaven, die im Lager waren; ich folgte seinem Beispiele, aber mit schlechtem Erfolg, obschon ich es bei Negern und Mauren an guten Worten nicht fehlen ließ. So brachte ich manche Nacht in einem wahren tantalischen Zustand hin; denn kaum hatte ich die Augen geschlossen, so versetzte meine Fantasie mich an die grünenden Ufer irgend eines Flusses in meinem Vaterlande. Mit Entzücken sah’ ich den Strom, und eilte einen erquickenden Trunk daraus zu schöpfen, – aber leider, die Täuschung selbst weckte mich, und ich fand mich allein, gefangen und fast sterbend vor Durst mitten in den Wüsten von Afrika. Einst als ich im Lager vergebens um Wasser gebeten hatte, und von einem Fieber-Anfall doppelt heftigen Durst litt, wollte ich in der Nacht mein Glück selbst an den | Brunnen versuchen. Um Mitternacht schlich ich mich also aus meinem Zelte. Um den Weg nicht zu verfehlen, denn die Brunnen liegen eine halbe Meile weit von der Stadt, richtete ich mich nach dem Brüllen der Heerde. Ich fand die Mauren eben beim Wasserschöpfen beschäftigt, und bat, daß sie mich trinken lassen möchten; ich wurde aber mit harten Schimpfreden zurückgewiesen. Ich ging von einem Brunnen zum andern, bis ich zu einem kam, wo nur ein alter Mann und zwei Knaben waren. Ich wandte mich nun mit meiner Bitte an den Alten, und er schöpfte mir sogleich einen Eimer Wasser; als ich ihn aber nehmen wollte, besann er sich, daß ich ein Christ sei, und fürchtete, daß der Eimer durch meine Lippen verunreinigt werden möchte; er goß also das Wasser in den Trog und sagte mir, ich möchte nur daraus trinken. Der Trog war eben nicht groß, und drei Kühe tranken schon daraus, ich wollte aber meinen Theil auch davon haben, knieete also nieder und trank in Gesellschaft der Kühe mit vielem Behagen, bis beinahe kein Wasser mehr da war, und sie um den letzten Trunk mit einander stritten. Unter Ereignissen solcher Art verfloß mir der heiße Maimonat, ohne daß meine Lage sich im wesentlichen verändert hätte. Ali sah mich noch immer als seinen rechtmäßigen Gefangenen an, und Fatima, obschon sie mich reichlicher mit Lebensmitteln versah, als ich in Benaum bekam, hatte noch nichts von meiner Befreiung gesagt. Die 7 als den] Kj als daß er den

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öftere Veränderung des Windes, das Ansammeln der Wolken, Blitze in der Ferne und andere Zeichen eines nahen Regens, verkündeten endlich, daß die Regenzeit herannahe, wo die Mauren allemahl die Negergegenden verlassen und an die Grenze der großen Wüste zurückgehen. Dies ließ mich eine nahe Veränderung meines Schicksals hoffen, und ich nahm mir also vor, diesen Zeitpunkt ohne anscheinende Unzufriedenheit abzuwarten. Durch einen glücklichen Zufall trat er indeß noch früher | ein, als ich ihn der Jahreszeit nach erwartete. Die Sache war diese. Als die des Krieges wegen aus Kaarta nach Ludamar ausgewanderten Einwohner sahen, daß die Mauren nach einer andern Gegend ziehen wollten, fürchteten sie sich vor der Rache ihres Fürsten, den sie so schändlich verlassen hatten, und unterhandelte mit Ali, daß er ihnen zweihundert Mann maurischer Cavallerie bewilligen möchte, mit deren Beihülfe sie Däsi mit Gewalt aus Gedinguma zu vertreiben versuchen wollten; denn ehe Er nicht überwunden oder gedemüthiget war, konnten sie weder nach ihren ehemaligen Wohnsitzen zurückkehren, noch auch nur in einem benachbarten Königreiche sich für sicher halten. Um für seinen Beistand von den Kaartanern Geld zu erpressen, schickte nun Ali seinen Sohn nach Dscharra, und bereitete sich, ihm in wenig Tagen selbst dahin zu folgen. Dies war eine allzu günstige Gelegenheit zu meiner Befreiung, als daß ich sie hätte vernachlässigen sollen. Ich wandte mich also auf der Stelle an Fatima, die, wie ich wohl sah, den Staat eigentlich regierte, und bat sie, sich bei Ali zu verwenden, daß er mir die Erlaubniß gäbe, ihn nach Dscharra begleiten zu dürfen. Dieses Gesuch ward nach einigem Bedenken gnädigst bewilligt. Fatima war gütig gegen mich gesinnt, und mochte wol endlich Mitleid mit mir haben. Meine Bündel wurden aus dem großen ledernen Sack, der in Ali’s Zelt stand, herbeigeholt, und man befahl mir, daß ich von jedem Stück angeben solle, wozu es gebraucht werde, und wie man sich desselben bediene; so mußte ich unter anderm zeigen, wie man Strümpfe, Stiefeln u. dergl. anzieht. Mit Freuden that ich das, und nun hieß es, sollte ich in wenig Tagen die Freiheit haben abzureisen. Wenn ich nur erst in Dscharra wäre, dachte ich, an Mitteln von dort zu entkommen könnte es mir nicht fehlen; und in dieser Hofnung sah ich das Ende meiner Gefan|genschaft ganz nahe vor mir. Ich unterbreche hier den Faden meiner Erzählung, um noch einige Bemerkungen über den Charakter und das Land der Mauren nachzuholen, die sich mit meiner vorhergehenden Erzählung nicht füglich verbinden ließen.

31 anderm] andern

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Bemerkungen über die Mauren. – Nachrichten von der großen Wüste, und den Thieren in derselben.

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In diesem Theil von Afrika sind die Mauren in verschiedene Stämme getheilt; die furchtbarsten von diesen sind, so viel ich erfahren konnte, der Stamm Trasart und der Stamm Il Breken, welche am nördlichen Ufer des Senegal wohnen. Die Stämme von Geduma, Dschafnu und Ludamar, sind zwar nicht so zahlreich als jene, doch ebenfalls mächtig und kriegerisch. Sie haben keinen gemeinschaftlichen Herrn, sondern jeder steht unter seinem eigenen Heerführer oder König, der unumschränkt regiert. In Friedenszeiten beschäftigt sich das Volk mit der Viehzucht, und die Mauren leben fast nur von dem Fleische ihrer Heerden. Sie sind immer im Extrem von unmäßigem Essen oder von Enthaltsamkeit. Durch die vielen und strengen Fasten, die ihre Religion ihnen auflegt, und durch die beschwerlichen Reisen durch die Wüste, sind sie an Hunger und Durst so sehr gewöhnt, daß sie beides mit bewundernswürdiger Ausdaurung ertragen; finden sie aber eine Gelegenheit ihren Hunger zu stillen, so verschlingen sie in Einer Mahlzeit soviel, als ein Europäer kaum in dreien verzehrt. Auf den Ackerbau verwenden sie wenig Fleiß, weil sie ihr Korn, Baumwollenzeug und andere Bedürfnisse von den Negern gegen Salz eintauschen, welches sie aus den Salzgruben der großen Wüste ziehen. Bei der eigenthümlichen Unfruchtbarkeit des Bodens haben sie zu Manufakturen nur wenig Produkte; doch weben sie zu Zeltdecken ein starkes Zeug aus Ziegenhaar, welches zu diesem Behuf die Frauen zu Garn spinnen. Aus den Viehhäuten machen sie Sättel, Zäume, Säcke und andere Dinge mehr, auch sind sie geschickt genug, aus | Eisen, welches sie von den Negern bekommen, Scheeren, Messer und Kochtöpfe zu bereiten; ihre Säbel aber, und andere Waffen, sowohl als Flinten und Ammunition, kaufen sie von den Europäern für Negersklaven, die sie auf ihren Streifereien rauben. Das meiste Verkehr haben sie mit den französischen Kaufleuten am Senegal. Die Mauren sind strenge Mahomedaner, und vereinigen mit der Bigotterie und dem Aberglauben ihrer Sekte auch alle Intoleranz derselben. In Benaum hatten sie keine Moscheen, sondern hielten ihren 31 Das ... Verkehr] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1453

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Gottesdienst in einer Art von offenem Schoppen, oder Umzäunung von Matten. Der Priester ist zugleich Schulmeister. Seine Zöglinge versammeln sich alle Abend vor seinem Zelte, wo, bei einem Feuer von Reisholz und Kuhmist, ihnen einige Sentenzen des Korans vorgesagt, und sie in den Grundlehren ihres Glaubens unterrichtet werden. Ihr Alphabet ist wenig von dem in der richardsonschen Grammatik verschieden. Sie schreiben immer mit Vokal-Punkten. Ihre Priester bilden sich sogar ein, etwas von ausländischer Litteratur zu wissen: einer in Benaum versicherte mir, daß er die Schriften der Christen lesen könne; worauf er mir eine Menge barbarischer Lettern zeigte, von denen er behauptete, daß sie das römische Alphabet wären, und von andern eben so unleserlichen sagte er, es wäre das Ka lla m Il Indi oder Persische. Seine Bibliothek bestand aus neun Quartbänden, wahrscheinlich alle religiösen Inhalts, denn der Name Mahomet in rothen Buchstaben stand fast auf jeder Seite. Die Schüler schrieben ihre Lektionen auf dünne Brettchen, denn Papier war zum gewöhnlichen Gebrauch zu kostbar. Die Knaben waren fleißig genug, auch schien es ihnen nicht an Nacheiferung zu fehlen; bei ihren anderweitigen täglichen Geschäften tragen sie diese Brettchen über die Schultern hangend. Wenn ein Knabe einige wenige Gebete auswendig gelernt hat, und gewisse Stücke | aus dem Koran lesen und schreiben kann, so glaubt man er wisse genug, und mit diesem geringen Vorrath von Kenntnissen fängt er seine Laufbahn an. Stolz auf seine Gelehrsamkeit sieht er mit Verachtung auf die ungelehrten Neger herab, und ergreift jede Gelegenheit, sein Uebergewicht gegen diejenigen seiner Landsleute geltend zu machen, welche nicht eben so viele Kenntnisse besitzen. Die weibliche Erziehung wird gänzlich vernachlässigt, an geistige Bildung wird bei den Frauen gar nicht gedacht; auch rechnen die Männer den Mangel derselben ihnen gar nicht für einen Fehler an. Sie werden in Vergleichung mit den Männern als Wesen geringerer Art, gleichsam als eine Gattung von Thieren betrachtet, und zu keinem andern Zweck erzogen, als für das sinnliche Vergnügen ihrer strengen Herren zu sorgen. Wollüstigkeit wird daher für ihre größte Vollkommenheit, und eine sklavische Unterwürfigkeit für ihre unerläßlichste Pflicht gehalten. Von weiblicher Schönheit haben die Mauren einen sonderbaren Begriff. Grazie in Gestalt und Bewegung, und eine ausdrucksvolle Physiognomie kommen gar nicht in Betracht. Corpulenz und Schön1 Schoppen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 246 6 Vgl. John Richardson: A grammar of the Arabick language (oben S. 891,26–27)

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heit scheinen gleichbedeutende Worte bei ihnen zu sein, und eine Frau von den geringsten Ansprüchen muß wenigstens so dick sein, daß sie ohne die Hülfe zweier Sklaven nicht gehen kann: soll sie eine vollkommene Schönheit sein, so muß schier ein Kameel sie kaum tragen können! Schon in ihrer frühen Jugend sind die maurischen Frauen bemüht, sich diesen ungeheuren Umfang zu verschaffen. Die jungen Mädchen werden von ihren Müttern gezwungen, jeden Morgen eine gewisse Portion Kuskus und einen großen Napf Kameelmilch zu verzehren; die Mädchen mögen Appetit haben oder nicht, es muß hinunter, und wenn sie auch durch Prügel dazu gebracht werden sollten. Ich selbst sah ein armes junges Mädchen, mit dem Napfe | am Munde, eine Stunde lang weinend sitzen; die Mutter stand mit einem Stock in der Hand vor ihr, und sobald sie bemerkte, daß sie nicht schluckte, schlug sie unbarmherzig auf sie los. Diese sonderbare Diät zieht indeß den jungen Dirnen weder Indigestionen noch andere Uebel zu, und verschafft ihnen bald den Grad von Corpulenz, den die Mauren für den höchsten Grad der Schönheit halten. Da die Mauren alle ihre Zeuge von den Negern kaufen, so müssen die Frauen in Rücksicht ihres Anzuges sehr haushälterisch sein. Gewöhnlich begnügen sie sich mit einem breiten Stück Baumwollenzeug, das um die Mitte des Leibes gewickelt wird, und dessen bis zur Erde herabhangende Enden anstatt des Rockes dienen. Oben an diesem breiten Stück Zeug sind zwei viereckige angenähet, eines hinten und das andere vorn, die über die Schultern zusammengenommen und befestiget werden. Der Kopfputz bestehet in einer Binde von dem nehmlichen Zeuge die von ungleicher Breite ist, so daß sie sich mit den breiteren Theilen derselben das Gesicht bedecken, wenn sie in der Sonne gehen; oft auch verschleiern sie sich, wenn sie ausgehen, von Kopf bis zu Fuße, Die Beschäftigungen der Frauen sind nach Maasgabe ihrer Wohlhabenheit verschieden. Die Königin Fatima und einige andere Damen von hohem Range, bringen ihre Zeit wie unsere europäischen Damen von Stande zu, das heißt, sie geben und nehmen Besuche an, halten ihre Andacht, und bewundern ihre Reize im Spiegel. Die Frauen von der niederen Classe beschäftigen sich mit allerlei häuslichen Arbeiten. Sie sind eitel und geschwätzig; und sind sie übler Laune, so müssen es ihre Sklavinnen entgelten, über die sie mit gränzenlosem Despotismus herrschen. Der Zustand dieser Sklavinnen ist in der That erbarmungswürdig. Mit Tagesanbruch müssen sie in großen Schläuchen, die sie G i r b a ’s nennen, aus den Brunnen Wasser holen; und wenn sie für die Hausge|nossen und die Pferde, welchen die Mauren nur selten die 37 gränzenlosem] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 773–774

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Mühe machen nach den Brunnen zu gehen, auf den ganzen Tag Wasser genug herbeigeschaft haben, dann müssen sie Korn stampfen und die Speisen zubereiten. Alles dieses geschiehet unter freiem Himmel, und die armen Geschöpfe sind dreifacher Hitze, der Sonnenglut, dem brennenden Sande und dem Koch-Feuer ausgesetzt. In der Zwischenzeit müssen sie die Zelte reinigen, buttern und andere häusliche Geschäfte verrichten. Dafür bekommen sie magre Kost und werden um des geringsten Versehens willen grausam gestraft. Der Anzug der ludamarschen Mauren, ist von der Tracht der Neger (die ich schon weiter oben beschrieben habe) wenig verschieden, ausgenommen, daß sie alle das charakteristische Zeichen der mahomedanischen Secte, den Tu r b an tragen, der hier gewöhnlich von weißem Baumwollenzeug gemacht ist. Auf lange Bärte sind die Mauren sehr stolz als auf ein Zeichen arabischer Abkunft. Zu dieser gehörte auch Ali; im ganzen haben die Mauren kurzes, struppichtes, schwarzes Haar. Mein Bart war das einzige, was ihnen eine vortheilhafte Idee von mir gab, auch war er so entsetzlich lang, daß er durchgehends entweder Wohlgefallen oder Neid erregte. Ich bin überzeugt, daß sie oft gedacht haben, dieser Bart sei doch zu gut für einen Christen. Die einzigen Krankheiten, die ich als herrschend bei den Mauren bemerkte, waren intermittirende Fieber und rothe Ruhr; die Kur wird zum Theil durch Arcana von alten Weibern bewerkstelligt, gemeiniglich aber der Natur überlassen. Man erwähnte auch der Pocken als sehr verheerend; so lange ich aber in der Gefangenschaft war, sind sie in Ludamar nicht ausgebrochen; daß sie jedoch oft bei den Mauren herrschen und von ihnen zu den Negern in die südlichen Staaten gebracht werden, weiß ich von Dr. Laidley, der mir auch sagte, daß die Neger am Gambia sie einimpfen.| Die Criminaljustiz wird, so viel ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe, schnell und entscheidend verwaltet, denn obschon man in Ludamar die bürgerlichen Rechte eben nicht sehr respektirt, so bleiben doch, des Beispiels wegen, nicht a lle Verbrechen unbestraft. In solchen Fällen läßt Ali den Verbrecher vor sich bringen, und spricht ihm das Urtheil nach eignem Belieben: doch sollen Todesstrafen selten oder gar nicht vorkommen, ausgenommen an Negern. Der Reichthum der Mauren besteht vorzüglich in ihren Heerden, folglich lebt das Volk größtentheils in gänzlichem Müßiggang. Sie verbringen den ganzen Tag mit Gesprächen von ihren Pferden, oder machen Plane, wie sie ein Negerdorf plündern wollen. Der gewöhnliche Sammelplatz der Müßigen ist des Königs Zelt, wo die Gesellschaft sich unterhält. Hier herrscht im Reden und Urtheilen große Freiheit; doch erstreckt sich das nicht bis auf den König, sondern der wird einstimmig gelobt; es giebt auch Lieder auf ihn,

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welche die Versammlung oft im Chor anstimmte, sie sind aber voll so grober Schmeicheleien, daß nur ein maurischer Despot sie ohne Erröthen hören kann. Der König zeichnet sich durch die Feinheit seiner Kleider aus, die aus blauem Baumwollenzeug von Tombuktu oder aus weißer Leinewand oder Mußlin von Marocco bestehen. Auch ist sein Zeit größer als die andern und hat eine weiße Decke; in dem gewöhnlichen Umgang aber mit seinen Unterthanen wird aller Unterschied des Standes oft völlig bei Seite gesetzt. Nicht selten ißt der König mit seinem Kameeltreiber aus einer und derselben Schüssel, und hält während der größten Tageshitze seinen Mittagsschlaf mit ihm auf demselben Lager. Die Staatsausgaben und die Unkosten seines Haushalts werden von den Steuern bestritten, welche seine Negerunterthanen entrichten müssen, und die jeder Hausherr, entweder in Korn, in Zeugen | oder in Goldstaub abträgt; ferner von den Abgaben, welche die verschiedenen maurischen Tränkplätze gewöhnlich in Vieh bezahlen müssen, und endlich von dem Zoll, der für alle durchgehende Waaren, und zwar gemeiniglich in Natura entrichtet werden muß. Ein beträchtlicher Theil der Einkünfte bestehet aus dem, was Plünderung und Confiscation einbringt. Die Neger in Ludamar und die reisenden Kaufleute fürchten sich daher, es bekannt werden zu lassen, wenn sie etwas im Vermögen haben. Ali hat in jeder Stadt einen Spion, der ihm von dem Wohlstande seiner Unterthanen Nachricht giebt; und dann erfindet er leicht irgend einen Vorwand, um ihnen das Ihrige zu nehmen und so den Reichen seinen ärmeren Mitbürgern wiederum gleich zu machen. Wie hoch sich die Anzahl der maurischen Einwohner in Ludamar belaufen mag, hatte ich nicht Gelegenheit zu erfahren, aber das weiß ich, daß das Militär des Landes bloß in Reiterei besteht, und daß diese, zur Zeit des Krieges gegen Bambarra sich auf mehr nicht als zwei tausend Mann belief. Doch sollen sie nur einen geringen Theil aller maurischen Unterthanen ausmachen. Diese Cavallerie ist vortreflich beritten und in Scharmützeln und Ueberfällen sehr geübt. Jeder Soldat versieht sich selbst mit einem Pferde, und mit seiner Rüstung, die aus einem breiten Säbel, einer doppelläufigen Flinte, einem kleinen rothen ledernen Beutel für die Kugeln, und einem Pulverhorn besteht, das über die Schulter hängt. Löhnung oder Sold bekommt der Soldat nicht, sondern bloß einen gewissen Antheil an aller Beute. Die Pferde sind ausnehmend schön und werden so sehr geschätzt, daß ein Negerfürst zuweilen zwölf bis vierzehn Sklaven für ein Pferd giebt. Gegen Norden hin wird Ludamar durch die große Wüste von Zahara begrenzt. Dieser große Sand-Ocean, der einen so beträchtlichen Raum im nördlichen Afrika | einnimmt, ist, so weit meine Nachforschungen reichen, fast völlig unbewohnt, ausgenommen, daß hie

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und da wenige armselige Araber von einem Tränkplatz zum andern ziehen, um einige magere Weide für ihre kleine Heerde zu finden. An andern einzelnen Stellen, wo etwas mehr Wasser und Weiden sind, haben kleine Haufen von Mauren ihren Wohnsitz aufgeschlagen und leben hier in unabhängiger Armuth sicher vor der tyrannischen Regierung der Fürsten auf der Küste der Barbarei; der größte Theil der Wüste aber ist, wegen gänzlichen Wassermangels, durchaus unbewohnt und nur den Carawanen zugänglich, die mit großer Mühe und Gefahr nach verschiedenen Richtungen ihren Weg hindurch nehmen. An einigen Orten ist der Boden mit kurzem Gesträuch bewachsen, das den Carawanen zu Grenzzeichen dient und den Kameelen ein wenig schlechtes Futter giebt; an andern erblickt der hofnungslose Wanderer rund umher in einem weiten unbegrenzten Horizont nichts als Sand und Himmel; eine heiße dürre Leere, wo das Auge keinen Ruhepunkt findet und die bange Ahnung zu verschmachten die Seele ergreift. In dieser fürchterlichen Einöde findet der Wanderer die Leichname von Vögeln, welche durch die Heftigkeit des Windes aus glücklicheren Regionen hierher getrieben worden waren, und mit Besorgniß über die schreckliche Länge des noch vor ihm liegenden Weges, horcht er bang auf das Sausen des Windes, den einzigen Ton, der die todte Stille der Wüste unterbricht19. An wilden Thieren wohnen in diesem traurigen Erdstrich nur die Antelope und der Strauß, die vermöge ihrer Schnelligkeit bald die fernen Wasserplätze erreichen. An den Grenzen der Wüste, wo mehr Wasser vorhanden ist, giebt es Löwen, Panther, Elephanten und wilde Schweine.| Das Kameel ist das einzige unter den zahmen Thieren, das die beschwerliche Reise durch die Wüste aushält. Vermöge des besondern Baues seines Magens kann es in demselben so viel Wasser beherbergen, daß es daran auf zehn bis zwölf Tage genug hat; sein breiter und weicher Fuß scheint ausdrücklich für den sandigen Boden gemacht zu sein, und durch eine ihm eigenthümliche Bewegung der Oberlippe kann es auf seinem Wege auch die kleinsten Blättchen des dornigen Strauchwerks in der Wüste abfressen. Das Kameel ist daher das einzige Lastthier, dessen sich die Handelscarawanen bedienen, welche von der Barbarei nach Nigritien in verschiedenen Richtungen durch 19

S. Verhandlungen der afrikanischen Gesellschaft, 1. Theil.

37 Vgl. Beaufoy, Henry: Proceedings of The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa, London 1790, S. 129. Der in der Fußnote gegebene, aus der Vorlage übersetzte Quellennachweis gilt dem letzten Satz („In dieser fürchterlichen Einöde ...“), der von Park („Surrounded by this dreary solitude ...“) als Zitat markiert ist (vgl. Travels S. 157).

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die Wüste reisen. Da dieses nützliche und lenksame Thier in den Lehrbüchern der Naturgeschichte schon hinlänglich beschrieben worden ist, so darf ich von seinen Eigenschaften hier kaum noch etwas sagen, doch muß ich hinzusetzen, daß das Fleisch, obgleich ich es trocken und unschmackhaft gefunden habe, von den Mauren doch jedem andern vorgezogen wird, und daß die Milch süß, wohlschmeckend und nährend ist. Ich haben oben gesagt, daß die Mauren in ihrer Gesichtsfarbe den westindischen Mulatten gleichen; jene aber haben etwas sehr Unangenehmes in ihrem Gesicht, das diese nicht haben. Bei den meisten verriethen die Gesichtszüge Anlagen zur Grausamkeit und zu niedriger List, daher ich sie nie ohne ein unangenehmes Gefühl ansehen konnte. Ihr starrer wilder Blick deutet auf Mordsucht; auf den Streifereien, die sie nach den Negerdörfern machen, beweisen sie die größte Tücke und Hinterlist, und bemächtigen sich, ohne daß jene Anlaß dazu geben, ja manchmal unter den wärmsten Freundschaftsversicherungen, der Heerden und oft der Einwohner selbst. Die Neger setzen sich selten zur Wehre, denn die Verwegenheit der Mauren, ihre Kenntniß des Landes, und vorzüglich die Schnelligkeit ihrer Pferde, machen sie zu so | furchtbaren Feinden, daß die kleinen Negerstaaten an der Grenze der Wüste in immerwährender Furcht sind, so lange maurische Stamme sich in ihrer Nachbarschaft aufhalten; und sie sind viel zu sehr unter dem Druck, als daß sie sichs einfallen lassen sollten, an Widerstand zu denken. Wie die herumstreifenden Araber, so ziehen auch die Mauren, nach Maasgabe der Jahreszeit und der Weide, von einem Ort zum andern. Im Februar, wo die Sonnenhitze die spärlichen Pflanzen in der Wüste zu versengen anfängt, brechen sie ihre Zelte ab, und nähern sich den südlichen Negerstaaten, bleiben den Sommer über dort, tauschen für Salz, welches sie aus der Wüste mitbringen, Korn und andere Bedürfnisse ein, und wann die Regenzeit angeht, das heißt im Julius, kehren sie wieder nach der Wüste zurück. Dieses wandernde unruhige Leben, das sie gegen jedes Ungemach abhärtet, macht auch zugleich, daß sie mit gegenseitiger Anhänglichkeit sehr fest unter sich zusammenhalten, und eine fast unüberwindliche Abneigung gegen Fremde haben. Dadurch, daß sie von allem Umgang mit civilisirten Nationen abgeschnitten sind, und sich gleichwol, weil sie lesen und schreiben können, unendlich besser dünken, als die Neger, sind sie das eitelste, stolzeste und vielleicht das bigotteste, wildeste und intoleranteste Volk auf Erden geworden, das den blinden 40 auf Erden geworden] so DV; OD: auf Erden

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Aberglauben der Neger, mit der wilden Grausamkeit und Verrätherei der Araber in sich vereinigt. Es ist wahrscheinlich, daß ich der erste Weiße war, den sie in Benaum gesehen hatten; allen aber ist ein so unglaublicher Haß gegen Christen beigebracht, daß sie, einen Europäer umzubringen, oder einen Hund todt zu schlagen, für gleich unbedenklich halten. Das traurige Schicksal des Major Houghton, und die Behandlung | die während meiner Gefangenschaft bei ihnen mir widerfuhr, mag Reisende die nach mir kommen, belehren, was sie in diesen unwirthbaren Distrikten zu hoffen haben. Der Leser hat vielleicht mehrere und ausführlichere Nachrichten über die Sitten, Gebräuche, den Aberglauben und die Vorurtheile dieses abgesonderten und seltsamen Volkes erwartet, in diesem Fall bitte ich ihn, zu erwegen, daß ich in meiner kläglichen Lage zu näheren Erkundigungen und Beobachtungen nicht füglich Gelegenheit hatte. Ich könnte indeß hier noch manches davon anführen; da dasselbe aber auch von den südlichen Negern gilt, so wird der Verfolg meiner Reise Anlaß geben, es seines Orts einzuschalten.

14 erwegen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1801–1802

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Der Verfasser erhält Erlaubniß dem Ali nach Dscharra zu folgen, und dort zu bleiben, als dieser in sein Lager zurückkehrt; – er denkt von diesem Augenblick an auf seine Flucht. – Er begleitet die Einwohner, welche bei der Annäherung des Königs Däsi die Stadt verlassen; – wird von einer Partei Mauren in Quehra eingeholt, – macht sich von ihnen los, – wird geplündert und entkommt zuletzt glücklich.

Nachdem ich, wie schon erzählt worden, Erlaubniß erhalten, Ali nach Dscharra zu begleiten, beurlaubte ich mich bei der Königin Fatima, die mir auf eine sehr gnädige Art einen Theil meiner Kleidungsstücke wieder zustellte, und den Abend vor meiner Abreise wurde mir, auf Ali’s Befehl, auch mein Pferd mit Sattel und Zaum zurück geschickt. Sehr früh des Morgens, am 26ten Mai, reiste ich von meinen beiden Bedienten, Johnson und Demba, und von vielen Mauren zu Pferde begleitet, aus dem Lager von Bubakehr ab, von wo Ali selbst schon in der Nacht mit etwa funfzig Reutern insgeheim aufgebrochen war. Mittags hielten wir zu Faräni an; zwölf Mauren, die auf Kameelen ritten, stießen zu uns, und wir gingen in ihrer Gesellschaft weiter zu einem Tränkplatz in den Wäldern, wo wir Ali und seine funfzig Reuter antrafen. Sie waren nahe bei den Brunnen in einigen kleinen Hirten-Zelten einquartiert, welche, da die Gesellschaft zahlreich war, kaum uns alle beherbergen konnten, und ich mußte auf dem freien Plaz zwischen den Zelten schlafen, damit ich jedermann unter Augen wäre. In der Nacht blitzte es häufig in Nord-Osten, und mit Tagesanbruch erhob sich ein heftiger Sandwind, der bis vier Uhr Nachmittags | mit großer Gewalt anhielt. Es muß diesen Tag über unglaublich viel Sand nach Westen getrieben worden sein. Bisweilen war es unmöglich aufzusehn, und das Vieh wurde von dem Sande, der ihm in Augen und Ohren hinein flog, so gequält, daß es wie toll herumlief, und ich in beständiger Gefahr war von ihm todt getreten zu werden. Den 28sten sattelten die Mauren sehr zeitig ihre Pferde, und Ali’s Kammersklave befahl mir mich fertig zu halten. Bald darauf kam er zurück, nahm meinen Knaben beim Arme, sagte ihm auf Mandingo, „Ali würde von nun an sein Herr sein” und wendete sich dann mit den Worten zu mir: „die Sache ist endlich in Richtigkeit gebracht, der 6 Mauren] Mauern

16 Reutern] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1414

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Knabe und alles übrige, ausgenommen dein Pferd, geht nach Bubakehr zurück; aber den alten Narren – er meinte den Dollmetscher Johnson – kannst du mit nach Dscharra nehmen”. Ich antwortete ihm nicht, sondern in der unbeschreiblichsten Bestürzung über den Gedanken, den armen Knaben zu verlieren, eilte ich zu Ali, der eben von vielen Hofleuten umgeben vor seinem Zelt frühstückte. Ich sagte ihm, vielleicht in einem allzu leidenschaftlichen Tone, wie groß auch die Unbesonnenheit gewesen sei, die ich dadurch begangen hätte, daß ich sein Gebiet betrat, so sei ich doch durch meine lange Gefangenschaft, und durch den Verlust meiner ganzen kleinen Habe, hinlänglich dafür gestraft; das alles aber achtete ich für nichts im Vergleich mit dem, was mir jetzt eben wiederfahre. Ich gab ihm zu erwegen, daß der Knabe, dessen er sich bemächtigt habe, weder ein Sklave noch irgend eines Verbrechens angeklagt sei; er gehöre zwar zu meinen Bedienten, aber eben seine treuen Dienste hätten ihm schon seine Freiheit verschafft; nur seine Liebe und Anhänglichkeit hätten ihn vermocht, mir in meiner jetzigen Lage zu folgen, und da er auf meinen Schutz überall Anspruch habe, so könne ich | ihn unmöglich seiner Freiheit beraubt sehen, ohne gegen eine solche Handlung als gegen die äusserste Grausamkeit und Ungerechtigkeit zu protestiren. Ali antwortete gar nicht, sondern mit stolzer Miene und einem boshaften Lächeln, sagte er nur seinem Dollmetscher, wenn ich mich nicht sogleich zu Pferde setzte, würde er mich eben so zurückschicken. Es liegt in dem kalten Uebermuth eines Tyrannen etwas, was das Herz bis in sein Innerstes empört; ich konnte meine Gefühle nicht unterdrücken, und im Unwillen wandelte mich die Lust an, die Welt von einem solchen Ungeheuer zu befreien. Der arme Demba war nicht ruhiger als ich; denn er war mir wahrhaft und innig zugethan. Er hatte eine Heiterkeit des Gemüths, welche oft die langweiligen Stunden der Gefangenschaft hinwegtäuschte; zudem machte er Fortschritte in der Bambarranischen Sprache, und auch in d i e s e r Rücksicht versprach er mir in Zukunft sehr nützlich zu werden. Es war aber umsonst, etwas menschliches von Leuten zu erwarten, denen alle menschlichen Gefühle fremd sind. Ich drückte also dem unglücklichen Knaben die Hand, weinte mit ihm, versicherte ihn, daß ich mein möglichstes thun würde, ihn wieder zu befreien, und mußte sehen, wie drei von Ali’s Sklaven ihn nach dem Lager von Bubakehr hin abführten. Als die Mauren zu Pferde stiegen, befahl man mir, ihnen zu folgen, und nach einer mühseligen Reise durch die Wälder, an einem sehr schwülen Tage, kamen wir Nachmittags in ein Dorf mit Ringmauern, 19 beraubt] berauben

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welches Dumbehni hieß; hier blieben wir zwei Tage, um die Ankunft einiger Reuter aus Norden abzuwarten. Den ersten Juni gingen wir von Dumbehni nach Dscharra. Wir waren jetzt zweihundert Mann stark, alle zu Pferde; denn die Mauren haben in ihren Kriegen | nie Fußvolk. Sie scheinen viel Beschwerlichkeiten ertragen zu können; aber bei dem gänzlichen Mangel an Mannszucht, glich unser Zug nach Dscharra, mehr einer Fuchsjagd als dem Marsch einer Armee. In Dscharra nahm ich meine Wohnung in dem Hause meines alten Bekannten, Deman Dschomma und erzählte ihm alles, was mir begegnet war. Ich lag ihm besonders an, er sollte seinen Einfluß bei Ali anwenden, um die Befreiung meines Knaben zu bewirken, und versprach ihm, sobald er ihn nach Dscharra bringen würde, eine Anweisung an Dr. Laidley auf den Werth von zwei Sklaven auszustellen. Deman unterzog sich dem Geschäft sehr gern, fand aber, daß Ali den Knaben als meinen vornehmsten Dollmetscher ansah, und ihn nur deshalb nicht fahren lassen wollte, damit er nicht wieder in meine Hände käme, und mir behülflich wäre, nach Bambarra zu kommen. Ali schob also die Sache von Tage zu Tage auf, und sagte ihm: wenn er den Knaben für sich selbst kaufen wolle, solle er ihn in der Folge für den gewöhnlichen Preis eines Sklaven bekommen; und den versprach Deman zu bezahlen, sobald der Knabe nach Dscharra geschickt würde. Ali’s Hauptabsicht bei diesem Zuge nach Dscharra ging, wie ich schon erwähnt habe, dahin, von denen Kaartanern, die in sein Gebiet geflüchtet waren, Geld beizutreiben. Einige von ihnen hatten seinen Schutz nur deswegen gesucht, um den Schrecken des Krieges zu entgehen; bei weitem die meisten aber waren Mißvergnügte, die ihrem eigenen Fürsten nicht wohl wollten. Diese Leute hatten kaum gehört, daß die Bambarranische Armee nach Sego zurückgekehrt sei, ohne, wie man allgemein erwartet hatte, den König Däsi zu überwinden; so entschlossen sie sich, ihn selbst schleunig anzugreifen, ehe er seine Armee, die bekanntlich durch einen blutigen Feldzug sehr geschwächt war, und großen Mangel an Lebensmitteln | litt, wieder ergänzen und in guten Stand setzen konnte. In dieser Absicht suchten sie die Mauren zu bewegen, daß sie sich mit ihnen vereinigen sollten, und machten deshalb dem Ali das Anerbieten, sie wollten zweihundert Reiter von ihm in Sold nehmen. Ali machte sich unter den wärmsten Freundschaftsversicherungen anheischig, sie ihnen zu stellen, wenn sie ihm vorher vierhundert Stück Rindvieh, zweihundert Stücke blaues Zeug und eine ansehnliche Menge Korallen und Schmuck geben wollten. Diese Forderung setzte sie nicht wenig in Verlegenheit, und um das Vieh herbeizuschaffen, überredeten sie den König, die Hälfte der bedungenen Anzahl von den Einwohnern von Dscharra zu fordern, de-

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nen sie sie bald wiederzugeben versprachen. Ali nahm diesen Vorschlag an, und noch denselben Abend (den 2ten Juni) ging die Trommel durch die Stadt, und der Ausrufer machte bekannt, daß wenn jemand den nächsten Morgen sein Vieh in die Wälder triebe, ehe der König seinen Antheil ausgesucht habe, so würde sein Haus geplündert und seine Sklaven weggeführt werden. Das Volk wagte es nicht diesen Befehl zu übertreten, und so wurden den nächsten Morgen zweihundert Stück ihres besten Viehes ausgesucht und den Mauren übergeben: die fehlende Hälfte wurde hernach durch eben so ungerechte und gewaltsame Mittel herbeigeschafft. Den 8ten Juni, Nachmittags, schickte Ali seinen Kammersklaven zu mir, und ließ mir sagen, er würde nach Bubehker zurückgehn; da er aber nur wenige Tage dort bleiben wolle, um das bevorstehende Fest (Benna Salih) zu feiern, so könne ich bei Deman bleiben bis er nach Dscharra zurück käme. Dies war mir eine angenehme Bothschaft; ich war aber schon so oft getäuscht worden, daß ich gar nicht das Herz hatte daran zu glauben, bis Johnson kam und mir sagte, Ali habe wirklich mit einem Theil seiner Reiter die Stadt ver|lassen, und der Rest werde ihm am nächsten Morgen folgen. Am 9ten, ganz früh, verließen auch die übrigen Mauren die Stadt. Sie hatten während ihres Aufenthalts viele Räubereien begangen, und noch am letzten Morgen mit der beispiellosesten Frechheit drei Mädchen, die Wasser von den Brunnen brachten, aufgefangen und als Sklavinnen weggeführt. Das Fest B e n n a Sal i h verdiente in Dscharra in der That den Namen eines Festes. Alle Sklaven waren schön gekleidet, und die Hauswirthe wetteiferten miteinander in der großen Menge Speisen, die sie herbeischafften und zu allen Nachbaren mit großer Freigebigkeit herumschickten. Der Hunger war im buchstäblichen Sinne aus der Stadt verbannt: Männer, Weiber und Kinder, Sklaven sowohl als Freie, jeder bekam soviel als er nur essen konnte. Den 12ten Juni fand man bei einem Tränkplatz, in den Wäldern, zwei Leute auf eine schreckliche Art verwundet; der eine war so eben verschieden, der andere wurde noch lebendig nach Dscharra gebracht. Als er sich etwas erholt hatte, sagte er aus, daß er aus Kasson durch die Wälder geflüchtet sei; daß Däsi gegen den König Sambo von Kasson Krieg führe; daß er drei von seinen Städten überfallen, und alle Einwohner über die Klinge habe springen lassen. Er rechnete viele Freunde von Leuten aus Dscharra namentlich her, die alle in Kasson ermordet waren. Auf diese Nachricht entstand in Dscharra ein allgemeines Todtengeheul, welches zwei volle Tage währte. 28 Nachbaren] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 665

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Auf diese üble Zeitung folgte eine andere, die nicht weniger beunruhigend war. Es kamen am 14ten einige aus Kaarta entlaufene Sklaven, und erzählten, daß Däsi von dem gegen ihn im Werk seienden Angriff Nach|richt bekommen habe, und im Begriff sei, einen Besuch in Dscharra abzustatten. Dies machte, daß die Neger nun den Ali wegen der zweihundert Reiter, die er ihnen in Folge ihres Vertrags liefern sollte, ansprechen ließen. Ali hörte aber wenig auf ihre Vorstellungen, und sagte ihnen zuletzt grade heraus, seine Reiterei sei anderweitig beschäftigt. Die Neger, die sich auf diese Art von den Mauren verlassen sahen, und den sehr richtigen Schluß machten, daß der König von Kaarta mit ihnen nicht gelinder umgehn würde, als mit denen von Kasson, entschlossen sich, alle ihre Kräfte zu sammeln und eine Schlacht zu wagen, ehe noch der König, der jetzt aus Mangel an Lebensmitteln in großer Noth war, ihnen allzu mächtig würde. Sie brachten in allem etwa achthundert wirklich streitbare Männer zusammen, und mit diesen rückten sie am 18ten Juni des Abends ins Kaartanische ein. Am 19ten früh setzte sich der Wind nach Südwesten um, und wir bekamen Nachmittags einen heftigen Tornado (Gewittersturm mit Regen), der die ganze Natur merklich erfrischte, und der Luft eine angenehme kühle Temperatur gab. Es war seit vielen Monaten der erste Regen. Da bis jetzt jeder Versuch, meinen Knaben zu befreien, fehlgeschlagen war, und es aller Wahrscheinlichkeit nach nie anders gegangen wäre, so lange ich im Lande blieb; so hielt ich es um so mehr für nothwendig, in Rücksicht auf das, was für mich selbst zu thun wäre, zu einem festen Entschluß zu kommen, ehe die Regenzeit völlig einträte; denn mein Wirth, der keine Aussicht hatte, für die Unruhe, die ich ihm machte, bezahlt zu werden, wünschte meine Abreise, und da Johnson, der Dollmetscher, sich weigerte weiter zu gehen, so wurde meine Lage sehr bedenklich. Blieb ich wo ich war, so war vorauszusehen, daß ich bald ein Opfer der barbarischen Mau|ren werden würde; wollte ich ohne Begleiter weiter gehen, so mußten offenbar aus dem Mangel an allen Mitteln mir die Nothwendigkeiten des Lebens zu verschaffen, und mich Andern verständlich zu machen, die unübersteiglichsten Schwierigkeiten entstehen. Auf der andern Seite war mir der Gedanke nach England zurückzukehren, ohne den Zweck meiner Sendung erfüllt zu haben, ärger als alles andere. Ich beschloß also, die erste Gelegenheit zur Flucht zu benutzen, und geradezu nach Bambarra zu gehen, sobald es nur so viel geregnet haben würde, daß ich sicher sein konnte, Wasser in den Wäldern zu finden. 18–19 Tornado (Gewittersturm mit Regen),] Tornado, (Gewittersturm mit Regen)

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Such was my situation, when, on the evening of the 24th of June, I was startled by the report of some muskets close to the town, and inquiring the reason, was informed that the Jarra army had returned from fighting Daisy, and that this firing was by way of rejoicing. However, when the chief men of the town had assembled, and heard a full detail of the expedition, they were by no means relieved from their uneasiness on Daisy’s account. The deceitful Moors having drawn back from | the confederacy, after being hired by the Negroes, greatly dispirited the insurgents; who, instead of finding Daisy with a few friends concealed in the strong fortress of Gedingooma, had found him at a town near Joka, in the open country, surrounded by so numerous an army, that every attempt to attack him was at once given up; and the confederates only thought of enriching themselves, by the plunder of the small towns in the neighbourhood. They accordingly fell upon two of Daisy’s towns, and carried off the whole of the inhabitants; but lest intelligence of this might reach Daisy, and induce him to cut off their retreat, they returned through the woods by night, bringing with them the slaves and cattle which they had captured.

June 26th. This afternoon, a spy from Kaarta, brought the alarming intelligence, that Daisy had taken Simbing in the morning, and would be in Jarra some time in the course of the ensuing day. A number of people were immediately stationed on the tops of the rocks, and in the different passages leading into the town, to give early intelligence of Daisy’s motions; and the women set about making the necessary preparations for quitting the town as soon as possible. They continued beating corn, and packing up different articles, during the night; and early in the morning, nearly one half of the townspeople took the road for Bambarra, by the way of Deena.

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Their departure was very affecting: the women and children crying; the men sullen and dejected; and all of them looking back with regret on their native town; and on the wells and rocks, beyond which their ambition had never tempted them to | stray, and where they had laid all their plans of future happiness; all of which they were now forced to abandon, and to seek shelter among strangers.

8 the confederacy] Der Seitenbeginn ist der Beginn des Bogens Z und damit des Textteils, den Schleiermacher selbst übersetzte (vgl. KGA V/3, Nr. 651, Z. 10). Dieser Reisebericht endet mit Bogen Hh (vgl. unten S. 1070, Textanmerkung zu Z. 11).

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So war meine Lage beschaffen, als ich den 24sten des Abends durch einige Flintenschüsse ganz nahe bei der Stadt erschreckt ward. Ich erkundigte mich was es bedeute, und erfuhr, daß die Armee von Dscharra aus einem Gefecht mit Däsi zurückkehre, und daß dies Freudenschüsse wären. Als aber die angesehensten Männer des Orts sich versammelten, und die näheren Umstände von dieser Expedition hörten, wurden sie eben nicht veranlaßt, die Besorgnisse, die sie sich Däsi’s halber gemacht hatten, fahren zu lassen. Daß die wortbrüchigen Mauren sich, nachdem sie von den Negern in Sold genommen waren, von der Conföderation losgesagt hatten, dies hatte den Muth der Insurgenten sehr niedergeschlagen; überdies hatten sie den König nicht etwa mit wenigen Anhängern in der starken Festung Gedinguma eingeschlossen gefunden, sondern bei einer Stadt ohnweit Dschoka im ofnen Felde, mit einer so zahlreichen Armee, daß sie sogleich jeden Gedanken an einen Angrif aufgaben, und nur daran dachten, sich durch Plünderung der kleinen Orte in der Nachbarschaft zu bereichern. Sie überfielen also zwei von Däsi’s Städten, und führten alle Einwohner weg; damit aber Däsi dies nicht zu früh erfahren, und auf den Gedanken kommen möchte, ihnen den Rückzug abzuschneiden, nahmen sie gleich bei der Nacht ihren Rückweg durch die | Wälder, und brachten ihre Beute an Vieh und Sklaven mit. Den 26sten Juni, Nachmittags, brachte ein Spion die Nachricht, daß Däsi diesen Morgen Sambing eingenommen habe, und gewiß noch am folgenden Tage in Dscharra sein werde. Sogleich wurden kleine Parteien auf die Gipfel der Felsen und auf die verschiedenen Wege, die nach der Stadt führen, ausgeschickt, um bei Zeiten Nachricht von Däsi’s Bewegungen zu geben, und die Frauen fingen an alle nöthigen Vorkehrungen zu treffen, damit man die Stadt sobald als möglich verlassen könne. Die ganze Nacht hörten sie nicht auf Korn zu dreschen, und ihre Habseligkeiten einzupacken, und des Morgens früh machte sich beinahe die Hälfte der Einwohner auf den Weg nach Bambarra über Dihna. Ihr Auszug war ein rührender Anblick: Weiber und Kinder weinten, die Männer waren muthlos und trübsinnig, und alle sahen mit Leidwesen auf ihre Geburtsstadt, und auf die Brunnen und Felsen zurück, von welchen Ehrgeiz oder Raubsucht sie nie entfernt hatten, und auf die alle ihre Aussichten auf künftige Glückseligkeit berechnet 14 ofnen] ofneu 8–11 In diesem Satz „Daß die wortbrüchigen Mauren ... sehr niedergeschlagen;“ beginnt mit Bogen Z (Vorlage S. 169) der von Schleiermacher übersetzte Teil von Mungo Parks Reisebericht, der mit Bogen Hh endet (vgl. unten S. 1071, Sachanmerkung zu Z. 15).

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Travels, chapter 13

June 27th. About eleven o’clock in the forenoon, we were alarmed by the centinels, who brought information that Daisy was on his march towards Jarra, and that the confederate army had fled before him without firing a gun. The terror of the townspeople on this occasion is not easily to be described.—Indeed, the screams of the women and children, and the great hurry and confusion that every where prevailed, made me suspect that the Kaartans had already entered the town; and although I had every reason to be pleased with Daisy’s behaviour to me, when I was at Kemmoo, I had no wish to expose myself to the mercy of his army, who might, in the general confusion, mistake me for a Moor. I therefore mounted my horse, and taking a large bag of corn before me, rode slowly along with the townspeople, until we reached the foot of a rocky hill, where I dismounted, and drove my horse up before me. When I had reached the summit, I sat down, and having a full view of the town, and the neighbouring country, could not help lamenting the situation of the poor inhabitants, who were thronging after me, driving their sheep, cows, goats, &c. and carrying a scanty portion of provisions, and a few clothes. There was a great noise and crying every where upon the road; for many aged people and children were unable to walk, and these, with the sick, were obliged to be carried, otherwise they must have been left to certain destruction. 171

About five o’clock we arrived at a small farm, belonging to the | Jarra people, called Kadeeja; and here I found Daman and Johnson employed in filling large bags of corn, to be carried upon bullocks, to serve as provisions for Daman’s family on the road. June 28th. At daybreak, we departed from Kadeeja; and, having passed Troongoomba, without stopping, arrived in the afternoon at Queira. I remained here two days, in order to recruit my horse, which the Moors had reduced to a perfect Rosinante, and to wait for the arrival of some Mandingo Negroes, who were going for Bambarra in the course of a few days.

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waren. Jetzt mußten sie diese geliebte Heimath verlassen, und bei Fremden Schutz suchen. Am 27sten, etwa um eilf Uhr Vormittags, wurden wir durch die Wachen in Unruhe gesetzt, welche Nachricht gaben, daß Däsi bereits auf dem Marsch nach Dscharra, und die conföderirte Armee geflohen sei, ohne einen Schuß zu thun. Der Schrecken, den dies in der Stadt verbreitete, läßt sich nicht beschreiben. Das Klagegeschrei der Weiber und Kinder, und die lärmende Verwirrung, die überall herrschte, machte mich glauben, daß die Kaartaner schon in der Stadt wären, und ob ich gleich Ursach hatte, mit Däsi’s Betragen gegen mich, als ich in Kemmu war, | ganz zufrieden zu sein, so hatte ich doch jetzt keine Lust, mein Schicksal auf die Diskretion seiner Armee ankommen zu lassen, die mich in der allgemeinen Verwirrung leicht für einen Mauren halten konnte. Ich setzte mich also zu Pferde, nahm einen großen Sack voll Korn vor mich, und ritt langsam mit den Leuten aus der Stadt fort, bis wir den Fuß eines felsichten Berges erreichten, wo ich abstieg, und mein Pferd vor mir hertrieb. Auf dem Gipfel setzte ich mich nieder; ich hatte hier die Aussicht auf die Stadt und die benachbarte Gegend, und konnte nicht umhin, den Zustand der armen Einwohner zu bedauern, die mit einem dürftigen Vorrath von Lebensmitteln und einigen Kleidern beladen, hinter mir her gezogen kamen, und ihre Schaafe, Kühe und Ziegen vor sich her trieben. Ueberall auf der Straße war große Unruhe und viel Geschrei; viele alte Leute und Kinder konnten nicht gehen, und diese nebst den Kranken mußten getragen werden, um sie nicht dem gewissen Tode Preis zu geben. Gegen fünf Uhr kamen wir an ein kleines Gehöfte Namens Kadihdscha, welches den Dscharranern gehörte; hier fand ich Deman und Johnson beschäftigt, große Säcke mit Korn zu füllen und auf Ochsen zu laden, damit Demans Familie unterwegens zu leben hätte. Den 28sten mit Tagesanbruch gingen wir von Kadihdscha ab, und kamen, ohne uns aufzuhalten, über Trunguhmba Nachmittags nach Quehra. Hier blieb ich zwei Tage, damit mein Pferd, welches die Mauren in eine wahre Rosinante verwandelt hatten, sich etwas erholen könnte; auch wollte ich die Ankunft einiger Mandingo-Neger abwarten, die in einigen Tagen nach Bambarra gehen wollten. 25 Preis zu geben] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1142−1143 33 Miguel de Cervantes Saavedra (1547–1616) lässt in seinem Roman „Don Quijote“ den Helden auf dem skurril-klapprigen Pferd Rosinante reiten; vgl. The history of the valorous and wittie knight-errant, Don Quixote of the Mancha. Translated out of the Spanish, the first parte, London 1612; The second part of the history of the valorous and witty knight-errant, Don Quixote of the Mançha. Written in Spanish by Michael Cervantes, and now translated into English, London 1620.

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On the afternoon of the 1st of July, as I was tending my horse in the fields, Ali’s chief slave and four Moors arrived at Queira, and took up their lodging at the Dooty’s house. My interpreter, Johnson, who suspected the nature of this visit, sent two boys to overhear their conversation; from which he learnt that they were sent to convey me back to Bubaker. The same evening, two of the Moors came privately to look at my horse, and one of them proposed taking it to the Dooty’s hut, but the other observed that such a precaution was unnecessary, as I could never escape upon such an animal. They then inquired where I slept, and returned to their companions.

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All this was like a stroke of thunder to me, for I dreaded nothing so much as confinement again among the Moors; from whose barbarity I had nothing but death to expect. I therefore determined to set off immediately for Bambarra; a measure which I thought offered almost the only chance of saving my life, and gaining the object of my mission. I communicated the design to Johnson, who, altho’ he applauded my resolution, was so far from shewing any inclination to accompany me, that he solemnly | protested, he would rather forfeit his wages, than go any farther. He told me that Daman had agreed to give him half the price of a slave for his service, to assist in conducting a coffle of slaves to Gambia, and that he was determined to embrace the opportunity of returning to his wife and family. Having no hopes therefore of persuading him to accompany me, I resolved to proceed by myself. About midnight I got my clothes in readiness, which consisted of two shirts, two pairs of trowsers, two pocket-handkerchiefs, an upper and under waistcoat, a hat, and a pair of half boots; these, with a cloak, constituted my whole wardrobe. And I had not one single bead, nor any other article of value in my possession, to purchase victuals for myself, or corn for my horse. About daybreak, Johnson, who had been listening to the Moors all night, came and whispered to me that they were asleep. The awful crisis was now arrived, when I was again either to taste the blessing of freedom, or languish out my days in captivity. A cold sweat moistened my forehead, as I thought on the dreadful alternative, and reflected, that, one way or the other, my fate must be decided in the course of the ensuing day. But to deliberate, was to lose the only chance of escaping. So, taking up my bundle, I stepped gently over the Negroes, who were sleeping in the open air, and having mounted 25 pairs] pair

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Den ersten Juli Nachmittags, da ich auf der Weide mein Pferd hütete, kam Ali’s Kammersklave mit vier | Mauren nach Quehra, und nahmen ihr Quartier in des Duti Hause. Mein Dollmetscher, Johnson, der die Absicht dieses Besuchs argwöhnte, schickte zwei Knaben aus, um sie zu behorchen, und es zeigte sich, daß sie abgeschickt waren, mich nach Bubehker zurückzuführen. Denselben Abend kamen zwei von den Mauren insgeheim, um nach meinem Pferde zu sehen; der eine schlug vor, es sogleich in des Duti Gehöft zu nehmen, der andere aber meinte, diese Vorsicht sei unnütz, da ich auf einem solchen Thiere nimmermehr entwischen könne. Sie erkundigten sich dann wo ich schliefe, und kehrten zu ihren Gefährten zurück. Dies alles war ein Donnerschlag für mich, denn nichts fürchtete ich so sehr, als wieder von den Mauren festgehalten zu werden, von deren Barbarei ich nichts als den Tod zu erwarten hatte. Ich beschloß also, mich sogleich auf den Weg nach Bambarra zu machen, da es auf diese Art noch allein möglich war, mein Leben zu retten, und die Absicht meiner Sendung zu erreichen. Ich theilte Johnson meinen Plan mit, der zwar meinen Entschluß billigte, aber so wenig Neigung zeigte, mich zu begleiten, daß er feierlich versicherte, er wolle eher seinen ganzen Lohn verlieren, als irgend weiter gehen. Er sagte, Deman habe ihm den halben Werth eines Sklaven geboten, wenn er ihm helfen wolle, eine Sklaven-Koffle nach dem Gambia zu führen, und er sei entschlossen, diese Gelegenheit wahrzunehmen, um zu Frau und Kindern zurückzukehren. Ich hatte keine Hofnung, ihn zum Gegentheil zu überreden, und beschloß also allein zu gehen. Um Mitternacht machte ich mein Bündel Kleidungsstücke zurecht, welche aus zwei Hemden, zwei Ueberhosen, zwei Taschentüchern, einer Weste, einem Brusttuch, einem Hut und einem Paar Halbstiefeln bestanden; dies und mein Mantel war | meine ganze Garderobe. Und ich hatte nicht eine einzige Koralle, oder sonst etwas von Werth mehr übrig, um Lebensmittel für mich, oder Korn für mein Pferd zu kaufen. Gegen Tagesanbruch kam Johnson, welcher die ganze Nacht hindurch die Mauren beobachtet hatte, und flüsterte mir zu, daß sie alle schliefen. Der große Augenblick war nun da, welcher entscheiden mußte, ob ich das Glück der Freiheit wieder schmecken, oder mein Leben in der Gefangenschaft verschmachten sollte. Ein kalter Schweiß stand mir vor der Stirn, als ich an die schreckliche Alternative dachte, und überlegte, daß sich an diesem Tage mein Schicksal auf eine oder die andere Art entscheiden müßte. Berathschlagen hieß, den köstlichen Augenblick, in welchem die Flucht möglich war, verstreichen 4 argwöhnte] argwohnte

40 Berathschlagen hieß,] Berathschlagen, hieß

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my horse, I bade Johnson farewell, desiring him to take particular care of the papers I had entrusted him with, and inform my friends in Gambia that he had left me in good health, on my way to Bambarra.

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I proceeded with great caution; surveying each bush, and | frequently listening and looking behind me for the Moorish horsemen, until I was about a mile from the town, when I was surprised to find myself in the neighbourhood of a Korree, belonging to the Moors. The shepherds followed me for about a mile, hooting and throwing stones after me; and when I was out of their reach, and had begun to indulge the pleasing hopes of escaping, I was again greatly alarmed to hear somebody holla behind me; and looking back, I saw three Moors on horseback, coming after me at full speed; hooping and brandishing their double-barrelled guns. I knew it was in vain to think of escaping, and therefore turned back and met them: when two of them caught hold of my bridle, one on each side, and the third, presenting his musket, told me I must go back to Ali. When the human mind has for some time been fluctuating between hope and despair, tortured with anxiety, and hurried from one extreme to another, it affords a sort of gloomy relief to know the worst that can possibly happen: such was my situation. An indifference about life, and all its enjoyments, had completely benumbed my faculties, and I rode back with the Moors with apparent unconcern. But a change took place much sooner than I had any reason to expect. In passing through some thick bushes, one of the Moors ordered me to untie my bundle, and shew them the contents. Having examined the different articles, they found nothing worth taking except my cloak, which they considered as a very valuable acquisition, and one of them pulling it from me, wrapped it about himself. This cloak had been of great use to me; it served to cover me from the rains in the | day, and to protect me from the musketoes in the night; I therefore earnestly begged him to return it, and followed him some little way to obtain it; but without paying any attention to my request, he and one of his companions rode off with their prize. When I attempted to follow them, the third, who had remained with me, struck my horse over the head, and presenting his musket, told me I should proceed no further. I now perceived that these men had not been sent by any authority to apprehend me, but had pursued me solely in the view to rob and plunder me. Turning my horse’s head therefore once more towards the east, and observing the Moor follow the track of his confederates, I congratulated myself on having escaped with my life, though in great distress, from such a horde of barbarians.

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lassen. Ich nahm also mein Bündel, schritt leise über die Neger, die unter freiem Himmel schliefen, hinweg, bestieg mein Pferd, sagte Johnson Lebewohl, und bat ihn, die Papiere die ich ihm anvertraut hatte, wohl in Acht zu nehmen, und meinen Freunden am Gambia zu sagen, daß er mich in gutem Wohlsein auf dem Wege nach Bambarra verlassen habe. Jeden Schritt that ich mit der größten Behutsamkeit, jeden Busch untersuchte ich, und alle Augenblicke horchte ich auf, und sah mich hinterwärts um nach den maurischen Reitern. Als ich etwa eine Meile von der Stadt entfernt war, erschrak ich nicht wenig, mich in der Nähe einer maurischen Hürde zu finden. Die Hirten folgten mir wol eine Meile, zischten hinter mir drein und warfen Steine nach mir und als ich ihnen endlich aus dem Gesicht war, und der angenehmen Hofnung, daß ich glücklich entkommen sei, Raum zu geben anfing, hörte ich zu meinem großen Schrecken schon wieder jemand hinter mir her rufen; ich sah mich um, und erblickte drei Mauren | zu Pferde, die mir in der größten Eile nachkamen, pfiffen, und mit ihren doppelläufigen Flinten drohten. Ich wußte, daß ich gar nicht daran denken durfte, ihnen zu entkommen, wendete also mein Pferd und ritt ihnen entgegen; als ich herankam, fiel mir auf jeder Seite einer in den Zügel, und der dritte hielt mir sein Gewehr vor, und sagte, ich müsse zurück zu Ali. Wenn die menschliche Seele eine Zeitlang zwischen Hofnung und Verzweiflung geschwebt hat, von Angst gepeinigt, und von einem Extrem zum andern hin und her geworfen worden ist, so giebt es eine Art von düsterer Beruhigung, wenn man weiß, was denn nun das ärgste ist, was sich ereignen kann. Dies war meine Stimmung; ich war bis zur Gleichgültigkeit gegen das Leben und alle seine Freuden abgestumpft, und ritt in scheinbarer Ruhe mit den Mauren zurück. Die Sache änderte sich aber, ehe ich es erwartete. Als wir durch ein dickes Gebüsch kamen, befahl mir einer von den Mauren mein Bündel aufzumachen, und ihnen zu zeigen was darin wäre. Sie durchsuchten alles; aber nichts schien ihnen der Mühe werth es zu nehmen, als mein Mantel; den sahen sie für eine gute Beute an, und einer von ihnen riß mir ihn ab, und warf ihn sich selbst um. Dieser Mantel war mir von großem Nutzen gewesen, er schützte mich bei Tage vor dem Regen, und bei Nacht vor den Muskito’s; ich bat ihn also ernstlich, mir ihn wieder zu geben, und verfolgte ihn noch eine Weile mit meinen Vorstellungen; aber ohne im geringsten darauf zu hören, ritt er nebst seinen Gefährten mit dem Raube weiter. Da ich ihnen immer noch folgte, hieb der dritte, der neben mir geblieben war, meinem Pferde über den Kopf, hielt mir das Gewehr vor und sagte mir, ich solle nicht weiter gehen. Nun wurde ich erst inne, daß diese Leute von gar niemand abgeschickt waren, um mich aufzugreifen, sondern daß sie mich ledig-

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I was no sooner out of sight of the Moor, than I struck into the woods, to prevent being pursued, and kept pushing on, with all possible speed, until I found myself near some high rocks, which I remembered to have seen in my former route from Queira to Deena; and directing my course a little to the north-ward, I fortunately fell in with the path.

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lich in der Absicht verfolgt hatten, um mich auszuplündern. Noch einmal lenkte ich also mein Pferd wieder nach Osten, und | da ich sahe, daß der Maur seinen Kameraden folgte, wünschte ich mir Glück, doch noch lebendig, wenn gleich im größten Elende, dieser Horde von Barbaren entkommen zu sein. Sobald ich den Mauren aus dem Gesicht war, lenkte ich, um nicht verfolgt zu werden, in die Wälder, und ritt möglichst schnell zu, bis ich an einige hohe Felsen kam, die ich schon vorher auf dem Wege von Quehra nach Dihna gesehen hatte. Ich hielt mich nun etwas nördlich, und kam glücklich in den Weg.

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CHAPTER XIV. T h e A u t h or f e e ls g r e at J o y at h i s De l i v er a n c e, a n d pr o c e ed s t h ro u g h th e Wi ld e r n es s , E . S . E . ; b u t f in d s h is S i t ua t i o n v e r y d e pl o r a bl e . — Su f f e rs g r e at l y f ro m T h ir s t , an d f a in t s o n t h e S a nd : — r ec o v e rs , a n d m a k e s a n o t he r E f fo r t t o p u s h fo r w a rd . — I s p r o v id e n t ia l l y re l i e ve d b y a F a l l of R a i n. — A r ri v e s a t a F o u l ah Vi l la g e , wh e r e he i s r ef u s e d R e l i ef b y t he D o o ty ; b u t o b t a in s F o od f r o m a p o o r Wo m a n. — C o nt i n u es h i s Jo u r n e y t h r o ug h t h e Wi l d er n e s s, a n d th e n e xt D a y li g h t s o n a n o t he r F o ul a h Vil l a g e, w h e re h e i s h o s p it a b l y r e c e iv e d b y o n e o f th e S h ep h e r ds . — A rr i v e s o n t h e t h i r d D a y a t a N e g ro To w n c a ll e d Waw r a , tr i b u ta r y t o t h e K in g o f Ba m b a rr a .

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It is impossible to describe the joy that arose in my mind, when I looked around and concluded that I was out of danger. I felt like one recovered from sickness; I breathed freer; I found unusual lightness in my limbs; even the Desert looked pleasant; and I dreaded nothing so much as falling in with some wandering parties of Moors, who might convey me back to the land of thieves and murderers, from which I had just escaped. I soon became sensible, however, that my situation was very deplorable; for I had no means of procuring food, nor prospect of finding water. About ten o’clock, perceiving a herd of goats feeding close to the road, I took a circuitous route to avoid | being seen; and continued travelling through the Wilderness, directing my course, by compass, nearly east-south-east, in order to reach, as soon as possible, some town or village of the kingdom of Bambarra. A little after noon, when the burning heat of the sun was reflected with double violence from the hot sand, and the distant ridges of the hills, seen through the ascending vapour, seemed to wave and fluctuate like the unsettled sea, I became faint with thirst, and climbed a tree in hopes of seeing distant smoke, or some other appearance of a human habitation; but in vain: nothing appeared all around but thick underwood, and hillocks of white sand.

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Große Freude des Verfassers bei seiner Errettung; er seht seinen Weg durch die Wüste in Ost-Süd-Oestlicher Richtung fort. – Ein Regenschauer erlöst ihn glücklicher Weise von den Qualen des Durstes. – Ankunft in einem FulahDorf, wo eine arme Frau ihn speiset, nachdem der Duti ihm jede Unterstützung versagt hatte. – Der Verfasser kommt am dritten Tage in eine dem König von Bambarra zinsbare Negerstadt, Waara.

Es ist unmöglich zu beschreiben, wie froh ich war, als ich mich umsah, und mich außer Gefahr erblickte. Meine Empfindung war die eines Genesenen: ich athmete freier, ich fühlte mich ungewöhnlich leicht; die Wüste selbst schien mir reizend, und ich fürchtete nichts so sehr, als einem Trupp umherstreifender Mauren zu begegnen, der mich in das Land der Räuber und Mörder, aus welchem ich eben glücklich entronnen war, zurückschleppen möchte. Ich wurde indeß bald inne, daß meine Lage sehr kläglich war: denn ich hatte kein Mittel mir Nahrung zu verschaffen, und keine Aussicht Wasser zu finden. Gegen zehn Uhr sah ich eine Heerde Ziegen dicht am Wege weiden, und nahm einen Umweg, um nicht bemerkt zu werden; ich gieng immer weiter durch die Wüste, indem ich meine Richtung mit Hülfe des Kompasses nach O. S. O. nahm, um so bald als möglich eine Stadt oder ein Dorf im Königreich Bambarra zu erreichen. Bald nach Mittag, als die brennende Sonnenhitze von dem glühenden Sande mit doppelter Heftigkeit auf mich zurückprallte und die Umrisse der entfernten Hügel, durch den aufsteigenden Dunst gesehen, wie eine unruhige See zu wogen schienen, quälte mich der Durst aufs | heftigste, und ich klomm einen Baum hinan, in der Hofnung, irgendwo in der Ferne Rauch oder irgend ein anderes Zeichen, daß es menschliche Wohnungen da gäbe, zu sehen: aber vergeblich; rund umher nichts als dickes kurzes Gesträuch und weiße Sandhügel. 3 Ost-Süd-Oestlicher] Ost-Süd-Ostlicher

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About four o’clock, I came suddenly upon a large herd of goats, and pulling my horse into a bush, I watched to observe if the keepers were Moors or Negroes. In a little time I perceived two Moorish boys, and with some difficulty persuaded them to approach me. They informed me that the herd belonged to Ali, and that they were going to Deena, where the water was more plentiful, and where they intended to stay, until the rain had filled the pools in the Desert. They shewed me their empty water-skins, and told me that they had seen no water in the woods. This account afforded me but little consolation; however, it was in vain to repine, and I pushed on as fast as possible, in hopes of reaching some watering-place in the course of the night. My thirst was by this time become insufferable; my mouth was parched and inflamed: a sudden dimness would frequently come over my eyes, with other symptoms of fainting; and my horse being very much fatigued, I began seriously to | apprehend that I should perish of thirst. To relieve the burning pain in my mouth and throat, I chewed the leaves of different shrubs, but found them all bitter, and of no service to me. A little before sunset, having reached the top of a gentle rising, I climbed a high tree, from the topmost branches of which I cast a melancholy look over the barren Wilderness, but without discovering the most distant trace of a human dwelling. The same dismal uniformity of shrubs and sand every where presented itself, and the horizon was as level and uninterrupted as that of the sea. Descending from the tree, I found my horse devouring the stubble and brushwood with great avidity; and as I was now too faint to attempt walking, and my horse too much fatigued to carry me, I thought it but an act of humanity, and perhaps the last I should ever have it in my power to perform, to take off his bridle and let him shift for himself; in doing which I was suddenly affected with sickness and giddiness; and falling upon the sand, felt as if the hour of death was fast approaching. “Here then, thought I, after a short but ineffectual struggle, terminate all my hopes of being useful in my day and generation: here must the short span of my life come to an end.”—I cast (as I believed) a last look on the surrounding scene, and whilst I reflected on the awful change that was about to take place, this world with its enjoyments seemed to vanish from my recollection. Nature, however, at length resumed its functions; and on recovering my senses, I found myself stretched upon the sand, with the bridle still in

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Um vier Uhr ohngefähr stieß ich plötzlich auf eine große Ziegenheerde; ich zog mein Pferd in den Busch, und legte mich auf die Lauer, um zu beobachten, ob die Hüter Mauren oder Neger wären. Ich wurde sehr bald zwei maurischer Knaben ansichtig, und nicht ohne Schwierigkeit überredete ich sie, mir näher zu kommen. Sie sagten, daß die Heerde dem Ali gehörte, und daß sie selbst nach Dihna gehn wollten, wo es mehr Wasser gäbe, und wo sie zu bleiben gedächten, bis der Regen die Pfützen in der Wüste angefüllt haben würde. Sie zeigten mir ihre leeren Wasserschläuche, und versicherten mich, in den Wäldern hätten sie kein Wasser getroffen. Diese Erzählung gab wenig Trost; es war aber nichts anders zu machen, und ich eilte vorwärts so gut ich konnte, in der Hofnung, während der Nacht irgend einen Wasserplatz zu erreichen. Mein Durst war indessen unerträglich geworden, mein Mund war entzündet, es wurde mir oft plötzlich schwarz vor den Augen, und andere Kennzeichen der Ohnmacht stellten sich ein; dabei war mein Pferd im höchsten Grade ermüdet, und ich fing an ernstlich zu befürchten, daß ich vor Durst umkommen würde. Um den brennenden Schmerz im Munde und Halse zu lindern, kauete ich die Blätter verschiedener Stauden; aber ich fand sie alle bitter, und sie halfen mir nichts. Kurz vor Sonnenuntergang hatte ich den Rücken eines ziemlich ansehnlichen Berges erreicht; ich kletterte auf einen hohen Baum, und von den Aesten, die seinem Gipfel am Nächsten waren, warf ich einen melancholischen Blick über die dürre Wildniß; aber ohne auch nur die entfernteste Spur eines menschlichen Wohnplatzes zu entdecken. Auf allen | Seiten zeigte sich wieder dieselbe traurige Einförmigkeit, Gesträuch und Sand, und der Horizont war ringsum eben so ununterbrochen wie auf der See. Als ich vom Baum wieder hinabstieg, fand ich mein Pferd mit großer Begierde an dem Gesträuch und dem Buschwerk nagend: und da es viel zu schwach war, um mich zu tragen; so hielt ich es nur für eine Handlung der Menschlichkeit – und vielleicht für die letzte, die je in meiner Gewalt sein würde – es von seinem Zügel zu befreien und sich selbst zu überlassen. Indem ich dies that, fühlte ich mich plötzlich krank und schwindlig; ich fiel auf den Sand hin, und hatte ganz die Empfindung, als ob meine Todesstunde nun mit starken Schritten herannahte. Hier also, dachte ich, endigen sich nach einem kurzen und unwirksamen Streben alle meine Hofnungen, meiner Zeit und meinem Geschlecht nützlich zu werden: hier soll es mit der kurzen Spanne meines Lebens vorbei sein. Ich warf – wie ich fest glaubte – noch einen letzten Blick auf das, was mich umgab, und indem ich über 4 maurischer] maurische

38 Hofnungen] Hosnungen

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my hand, and the sun just sinking behind the trees. I | now summoned all my resolution, and determined to make another effort to prolong my existence. And as the evening was somewhat cool, I resolved to travel as far as my limbs would carry me, in hopes of reaching (my only resource) a watering-place. With this view, I put the bridle on my horse, and driving him before me, went slowly along for about an hour, when I perceived some lightning from the north-east; a most delightful sight; for it promised rain. The darkness and lightning increased very rapidly; and in less than an hour I heard the wind roaring among the bushes. I had already opened my mouth to receive the refreshing drops which I expected; but I was instantly covered with a cloud of sand, driven with such force by the wind as to give a very disagreeable sensation to my face and arms; and I was obliged to mount my horse, and stop under a bush, to prevent being suffocated. The sand continued to fly in amazing quantities for near an hour, after which I again set forward, and travelled with difficulty, until ten o’clock. About this time I was agreeably surprised by some very vivid flashes of lightning, followed by a few heavy drops of rain. In a little time the sand ceased to fly, and I alighted, and spread out all my clean clothes to collect the rain, which at length I saw would certainly fall. For more than an hour it rained plentifully, and I quenched my thirst, by wringing and sucking my clothes.

There being no moon, it was remarkably dark, so that I was obliged to lead my horse, and direct my way by the compass, which the lightning enabled me to observe. In this manner I travelled, with tolerable expedition, until past midnight; when, | the lightning becoming more distant, I was under the necessity of groping along, to the no small danger of my hands and eyes. About two o’clock my horse started at something, and looking round, I was not a little surprised to see a light at a short distance among the trees, and supposing it to be a town, I groped along the sand in hopes of finding cornstalks, cotton, or other appearances of cultivation, but found none. As I approached, I perceived a number of other lights in different places, and began to suspect that I had fallen upon a party of Moors.

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die schauerliche Veränderung, die mir bevorstand, nachdachte, schien diese Welt mit allem, was darin ist, schon aus meinem Bewußtsein zu verschwinden. Endlich aber setzte sich das Triebwerk der Natur wieder in Bewegung, und als ich zur Besinnung kam, fand ich mich im Sande hingestreckt, den Zügel noch in meiner Hand, und die Sonne ging eben hinter den Bäumen unter. Ich raffte nun allen meinen Muth zusammen, und beschloß noch einmal das Mögliche zu versuchen, um mein Leben zu erhalten. Da der Abend etwas kühl war, setzte ich mir vor so weit zu gehen, als meine Beine mich tragen würden, in der Hofnung, einen Tränkplatz zu erreichen; denn das war das Einzige, was mich retten konnte. So legte ich den Zügel auf mein Pferd, trieb es vor mir hin, und schlich langsam fort, wol eine Stunde lang, als ich von Nordosten her einige Blitze wahrnahm; das war ein er|freulicher Anblick, denn er verhieß Regen. Finsterniß und Gewitter nahmen sehr schnell zu, und in weniger als einer Stunde hörte ich den Wind in den Büschen sausen. Schon hatte ich meinen Mund geöfnet, um die erfrischenden Tropfen aufzufangen, die ich erwartete, als ich plötzlich von einer Sandwolke bedeckt ward, die der Wind mit solcher Gewalt fortwälzte, daß es mir eine höchst unangenehme Empfindung an Gesicht und Händen verursachte; ich war genöthigt mein Pferd zu besteigen, und unter einem Busch zu halten, um nicht erstickt zu werden. Eine Stunde lang flog der Sand in erstaunlicher Menge, dann machte ich mich wieder auf den Weg, und wanderte, jedoch mit großer Beschwerde, bis zehn Uhr. Um diese Zeit wurde ich angenehm überrascht durch mehrere sehr lebhafte Blitze, denen einige wenige schwere Regentropfen folgten. Nun hörte es auch auf Sand zu wehen; ich stieg ab und breitete alles aus, was ich von reinen Kleidungsstükken hatte, um den Regen zu sammeln, der doch endlich einmal gewiß kommen mußte. Es regnete denn auch länger als eine Stunde reichlich, und ich löschte meinen Durst, indem ich meine Wäsche ausrang und aussog. Mondschein war nicht; daher wurde es so außerordentlich finster, daß ich mein Pferd führen, und meinen Weg nur nach dem Kompaß suchen mußte, welchen ich beim Schein der Blitze beobachten konnte. So ging es noch leidlich geschwind bis nach Mitternacht; aber nun entfernte sich das Gewitter, und ich mußte tappend weiter gehn, mit nicht geringer Gefahr meiner Augen und Hände. Gegen zwei Uhr stutzte mein Pferd über etwas, und da ich mich umsah, war ich nicht wenig verwundert, in einer nur geringen Entfernung ein Licht zwischen den Bäumen zu sehen. In der Meinung, daß es eine Stadt sein müßte, tappte ich im Sande umher nach Kornhalmen, Baumwollstauden, oder anderen Merkmalen angebauten Landes, fand aber nichts der|gleichen. Als ich näher kam, sah ich eine Menge anderer Lichter

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However, in my present situation, I was resolved to see who they were, if I could do it with safety. I accordingly led my horse cautiously towards the light, and heard by the lowing of the cattle, and the clamorous tongues of the herdsmen, that it was a watering-place, and most likely belonged to the Moors. Delightful as the sound of the human voice was to me, I resolved once more to strike into the woods, and rather run the risk of perishing of hunger, than trust myself again in their hands; but being still thirsty, and dreading the approach of the burning day, I thought it prudent to search for the wells, which I expected to find at no great distance. In this pursuit, I inadvertently approached so near to one of the tents, as to be perceived by a woman, who immediately screamed out. Two people came running to her assistance from some of the neighbouring tents, and passed so very near to me, that I thought I was discovered; and hastened again into the woods.

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About a mile from this place, I heard a loud and confused noise somewhere to the right of my course, and in a short time was happy to find it was the croaking of frogs, which was heavenly | music to my ears. I followed the sound, and at daybreak arrived at some shallow muddy pools, so full of frogs, that it was difficult to discern the water. The noise they made frightened my horse, and I was obliged to keep them quiet, by beating the water with a branch until he had drunk. Having here quenched my thirst, I ascended a tree, and the morning being calm, I soon perceived the smoke of the watering-place which I had passed in the night; and observed another pillar of smoke east-south-east, distant 12 or 14 miles. Towards this I directed my route, and reached the cultivated ground a little before eleven o’clock; where seeing a number of Negroes at work planting corn, I inquired the name of the town; and was informed that it was a Foulah village, belonging to Ali, called Shrilla. I had now some doubts about entering it; but my horse being very much fatigued, and the day growing hot, not to mention the pangs of hunger which began to assail me, I resolved to venture; and accordingly rode up to the Dooty’s house, where I was unfortunately denied admittance, and could not obtain even a handful of corn, either for myself or horse. Turning from this inhospitable door, I rode slowly out of the town, and perceiving some low scattered huts without the walls, I directed my route towards them; knowing that in Africa, as well as in Europe, hospitality does 23 drunk] drank

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an verschiedenen Stellen, und begann zu argwöhnen, daß ich unter einen Trupp Mauren gerathen wäre. Dennoch war ich in meiner gegenwärtigen Lage entschlossen, zu sehen wer sie wären, wenn ich es irgend mit Sicherheit thun könnte. Ich leitete also mein Pferd behutsam nach dem Lichte hin, und hörte an dem Brüllen des Viehes und den lauten Stimmen der Hirten, daß es ein Tränkplatz war, der höchst wahrscheinlich den Mauren gehörte. So erfreulich mir auch der Ton menschlicher Stimmen sein mußte, so beschloß ich doch, lieber wieder in den Wald einzubeugen, und mich der Gefahr des Hungertodes auszusetzen, als mich ihren Händen anzuvertrauen; aber durstig wie ich war, und schon in Furcht vor der Annäherung des kommenden Tages, hielt ich es für rathsam, die Brunnen aufzusuchen, die ich in der Nähe zu finden hofte. Bei dieser Untersuchung kam ich unbedachtsamerweise einem von den Zelten so nahe, daß ich von einer Frau bemerkt wurde, die denn sogleich ein Geschrei erhob. Zwei Leute kamen aus einem der nächsten Zelte zu ihrem Beistande herbei gerannt, und liefen so nahe an mir vorüber, daß ich mich entdeckt glaubte, und wieder in den Wald eilte. Etwa eine Meile von diesem Platz hörte ich ein lautes und verwirrtes Geräusch irgendwo, rechts ab von meinem Wege, und war bald so glücklich zu unterscheiden, daß es das Quaken von Fröschen war. Dies war himmlische Musik für meine Ohren. Ich folgte dem Ton, und bei Tagesanbruch, kam ich an einige seichte sumpfige Pfützen, so voll von Fröschen, daß man kaum das Wasser sehen konnte. Ihr Lärm machte mein Pferd scheu, und ich mußte ihnen, so lange es trank, Ruhe gebieten, indem ich mit einem Zweige ins Wasser schlug. Nachdem ich meinen Durst hier gelöscht hatte, erstieg ich einen Baum, und da der Morgen still war, erblickte ich bald den Rauch von | dem Tränkplatz, an dem ich diese Nacht vorbei gekommen war, und entdeckte noch eine andere Rauchsäule ostsüdöstlich, 12 oder 14 Meilen weit. Dorthinwärts nahm ich meine Richtung, und erreichte das angebaute Land ein wenig vor 11 Uhr; eine Menge Neger fand ich beschäftigt, Korn zu pflanzen; ich fragte nach dem Namen des Ortes, und erfuhr, daß es Schrilla, ein Fulah-Dorf, und dem Ali zugehörig sei. Nun war ich wieder zweifelhaft, ob ich hinein gehen sollte; aber da mein Pferd sehr ermüdet war, und der Tag heiß wurde, des Hungers nicht zu gedenken, der mich zu peinigen anfing, so beschloß ich es zu wagen. Ich ritt auf des Duti’s Haus zu, wo man mir aber unglücklicherweise den Eintritt verweigerte, und wo ich nicht einmal eine Handvoll Korn erhalten konnte, weder für mich, noch für mein Pferd. Dieser unfreundlichen Thür den Rücken kehrend ritt ich lang23–24 Pfützen] Pfüz/zen

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not always prefer the highest dwellings. At the door of one of these huts, an old motherly-looking woman sat, spinning cotton; I made signs to her that I was hungry, and inquired if she had any victuals with her in the hut. She immediately laid down her distaff, and desired me, in Arabic, to come in. When I had seated myself upon the floor, she set before | me a dish of kouskous, that had been left the preceding night, of which I made a tolerable meal; and in return for this kindness I gave her one of my pocket-handkerchiefs; begging at the same time, a little corn for my horse, which she readily brought me.

Overcome with joy at so unexpected a deliverance, I lifted up my eyes to heaven, and whilst my heart swelled with gratitude, I returned thanks to that gracious and bountiful Being, whose power had supported me under so many dangers, and had now spread for me a table in the Wilderness. Whilst my horse was feeding, the people began to assemble, and one of them whispered something to my hostess, which very much excited her surprise. Though I was not well acquainted with the Foulah language, I soon discovered that some of the men wished to apprehend and carry me back to Ali; in hopes, I suppose, of receiving a reward. I therefore tied up the corn; and lest any one should suspect I had ran away from the Moors, I took a northerly direction, and went cheerfully along, driving my horse before me, followed by all the boys and girls of the town. When I had travelled about two miles, and got quit of all my troublesome attendants, I struck again into the woods, and took shelter under a large tree; where I found it necessary to rest myself; a bundle of twigs serving me for a bed, and my saddle for a pillow.

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I was awakened about two o’clock by three Foulahs, who, taking me for a Moor, pointed to the sun, and told me it was time to pray. Without entering into conversation with them, | I saddled my horse and continued my journey. I travelled over a level, but more fertile country, than I had seen for some time, until sunset, when, coming to a path that took a southerly direction, I followed it until midnight, at which time I arrived at a small pool of rain-water, and the wood being open, I determined to rest by it for the night. Having given my horse the remainder of the corn, I made my bed as formerly: but the musketoes and flies from the pool prevented sleep for some time, and I was

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sam zum Orte hinaus, und da ich außerhalb einige einzelne schlechte Hütten gewahr ward, lenkte ich zu diesen hin, wol wissend, daß in Afrika, wie in Europa, die Gastfreiheit nicht immer in den stattlichsten Wohnungen vorzüglich zu Hause ist. Vor der Thüre von einer dieser Hütten saß ein altes Mütterchen und spann Baumwolle; ich gab ihr durch Zeichen zu verstehen, daß ich hungrig sei, und fragte, ob sie nichts von Lebensmitteln in ihrer Hütte habe. Sie legte sogleich ihren Spinnrocken bei Seite, und bat mich auf arabisch, hineinzutreten. Ich ließ mich auf der Diele nieder, und sie setzte mir eine Schüssel Kuskus vor, die am vorigen Abend übrig geblieben war, und von der ich eine leidliche Mahlzeit machte. Zur Erkenntlichkeit für diese Güte, gab ich ihr eins von meinen Taschentüchern, und bat zugleich um etwas Korn für mein Pferd, welches sie sehr bereitwillig herbeibrachte. Innig froh über eine so unerwartete Hülfe, erhob ich meine Augen zum Himmel, und dachte mit einem Herzen voll Dankbarkeit an das gütige Wesen, dessen Macht | mir schon durch so viele Gefahren hindurchgeholfen, und jetzt in der Wildniß den Tisch für mich bereitet hatte. Während mein Pferd fraß, sammelten sich Leute um uns her, und einer flüsterte meiner Wirthinn etwas ins Ohr, was sie gar sehr in Verwunderung zu setzen schien. Obgleich ich von der Fulah-Sprache nicht viel verstand, merkte ich doch bald, daß einige von den Männern die Idee hatten, mich fest zu nehmen, und zu Ali zurück zu führen, wofür sie sich vermuthlich eine Belohnung versprachen. Ich band also mein Korn auf, und damit niemand argwöhnen möchte, daß ich den Mauren entlaufen wäre, schlug ich eine nördliche Richtung ein, und marschirte ganz lustig zu, das Pferd vor mir hertreibend, und die sämtliche Jugend des ganzen Orts, beiderlei Geschlechts, hinter mir. Als ich ungefähr zwei Meilen weit entfernt war, und meine unruhigen Begleiter sich alle verlohren hatten, machte ich mich wieder in den Wald, und suchte mir einen großen Baum aus, um unter seinem Schutze zu ruhen, was mir sehr nöthig war; ein Bündel Reisig war mein Unterbett, und mein Sattel mußte zum Kissen dienen. Gegen zwei Uhr weckten mich drei Fulahs; sie hielten mich für einen Mauren, zeigten auf die Sonne, und erinnerten mich, daß es Zeit sei zu beten. Ohne mich mit ihnen einzulassen, sattelte ich mein Pferd und setzte meine Reise fort. Bis Sonnenuntergang wandelte ich durch eine ebene aber fruchtbarere Gegend als ich lange Zeit gesehen hatte; dann traf ich auf einen Pfad, der nach Süden zu ging; diesem 20 Wirthinn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 255 16–18 Vgl. Ps 23,4–5

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twice disturbed in the night by wild beasts, which came very near, and whose howlings kept the horse in continual terror.

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July 4th. At daybreak I pursued my course through the woods as formerly: saw numbers of antelopes, wild hogs, and ostriches; but the soil was more hilly, and not so fertile as I had found it the preceding day. About eleven o’clock I ascended an eminence, where I climbed a tree, and discovered at about eight miles distance, an open part of the country, with several red spots, which I concluded were cultivated land; and directing my course that way, came to the precincts of a watering-place, about one o’clock. From the appearance of the place, I judged it to belong to the Foulahs, and was hopeful that I should meet a better reception than I had experienced at Shrilla. In this I was not deceived; for one of the shepherds invited me to come into his tent, and partake of some dates. This was one of those low Foulah tents in which there is room just sufficient to sit upright, and in which the family, the furniture, &c. seem huddled together like so many articles in a chest. When I had crept upon my hands and knees into this humble habitation, I found that it | contained a woman and three children; who, together with the shepherd and myself, completely occupied the floor. A dish of boiled corn and dates was produced, and the master of the family, as is customary in this part of the country, first tasted it himself, and then desired me to follow his example. Whilst I was eating, the children kept their eyes fixed upon me; and no sooner did the shepherd pronounce the word N a za ra ni, than they began to cry, and their mother crept slowly towards the door, out of which she sprang like a greyhound, and was instantly followed by her children. So frightened were they at the very name of a Christian, that no entreaties could induce them to approach the tent. Here I purchased some corn for my horse in exchange for some brass buttons; and having thanked the shepherd for his hospitality, struck again into the woods. At sunset, I came to a road that took the direction for Bambarra, and resolved to follow it for the night; but about eight o’clock, hearing some people coming from the southward, I thought it prudent to hide myself among some thick bushes near the road. As these thickets are generally full of wild beasts, I found my situation rather unpleasant; sitting in the dark, holding my horse by the nose, with both hands, to prevent him from neighing, and equally afraid of the natives without, and the wild beasts within. My fears, however,

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folgte ich, er führte mich gegen Mitternacht an eine kleine Pfütze von Regenwasser, und da der Wald offen war, beschloß ich die Nacht hier zu bleiben. Ich gab meinem Pferde das übrige Korn, und machte mein Lager zurecht wie vorher: aber die Muskito’s und Fliegen aus dem Pfuhl hinderten mich lange am Schlafen, und zweimal ward ich in der Nacht durch wilde Thiere | gestört, die sehr nahe kamen, und deren Geheul mein Pferd in beständigem Schrecken hielt. Den 4ten Juli setzte ich bei Tagesanbruch meinen Weg durch die Wälder fort, wie vorher; ich sah eine Menge Antelopen, wilde Schweine und Strauße; aber der Boden war hüglichter und nicht so fruchtbar als ich ihn gestern gefunden hatte. Gegen eilf Uhr kam ich auf eine Höhe, ich erstieg einen Baum, und entdeckte in einer Entfernung von ohngefähr acht Meilen eine ofne Gegend mit verschiedenen rothen Flecken, die, wie ich schloß, angebautes Land sein mußten; ich nahm meinen Weg dorthin, und kam gegen Ein Uhr an die Umzäunungen eines Tränkplatzes. Aus dem ganzen Aussehn desselben konnte ich abnehmen, daß er den Fulahs gehörte, und ich hoffte, daß ich eine bessere Aufnahme finden würde, als mir in Schrilla zu Theil geworden war. Darin betrog ich mich auch nicht: denn einer von den Hirten lud mich ein, in sein Zelt zu kommen, und einige Datteln mit ihm zu essen. Dies war eins von den niedrigen Fulah-Zelten, worin eben Raum genug ist, um aufrecht zu sitzen, und worin Familie, Hausgeräth, und alles Uebrige untereinander gepackt liegt, eben wie vielerlei Dinge, die man in eine Schachtel zusammen geworfen hat. Als ich auf Händen und Füßen in diese niedrige Wohnung hineingekrochen war, fand ich eine Frau und drei Kinder darin; diese nebst dem Schäfer und mir füllten den ganzen Raum vollkommen aus. Ein Gericht geröstetes Korn und Datteln kam zum Vorschein; der Hausvater kostete, der Landessitte gemäß, zuerst, und hieß mich dann seinem Beispiel folgen. Indem ich aß verwendeten die Kinder kein Auge von mir, und kaum hatte der Schäfer das Wort Naz ar e n i ausgesprochen, so erhuben sie ein Geschrei; auch die Mutter schlich sich sachte zur Thür, sprang dann wie ein Windhund hinaus, und alle ihre Kinder hinterdrein. So erschrocken waren sie schon bei | dem Namen eines Christen, und kein Zureden konnte sie bewegen, dem Zelte wieder nahe zu kommen. Gegen einige metallene Knöpfe tauschte ich hier etwas Korn für mein Pferd ein, dankte dem Schäfer für seine Bewirthung und lenkte wieder in den Wald. Bei Sonnenuntergang traf ich auf eine Straße, die nach der Gegend von Bambarra hinführte, und ich beschloß, ihr die Nacht über zu folgen; als ich aber gegen acht Uhr Menschen von Süden her kommen hörte, hielt ich es für räthlich, mich in einem dichten Gebüsch nahe an der Straße zu verbergen. Da diese Dickichte gewöhnlich voll wilder Thiere sind, so fand ich meine Lage sehr unbe-

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were soon dissipated; for the people, after looking round the thicket, and perceiving nothing, went away; and I hastened to the more open parts of the wood, where I pursued my journey E. S. E. until past midnight; when the joyful cry of frogs induced me once more to deviate a little from my route, in order to quench my thirst. Having | accomplished this, from a large pool of rain water, I sought for an open place, with a single tree in the midst, under which I made my bed for the night. I was disturbed by some wolves towards morning, which induced me to set forward a little before day; and having passed a small village called Wassalita, I came about ten o’clock (July 5th) to a Negro town called Wawra, which properly belongs to Kaarta, but was at this time tributary to Mansong, King of Bambarra.|

3 E. S. E.] E. S. E,

10–11 July 5th] July 5th,

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quem, im Dunkeln sitzend, das Pferd mit beiden Händen an der Nase haltend, damit es nicht wiehern möchte, und gleich sehr in Furcht vor den Menschen draußen, und vor den wilden Thieren drinnen. Meine Angst wurde aber bald gehoben, denn nachdem die Leute sich im Dickicht umgesehen und nichts bemerkt hatten, gingen sie vorüber, und ich eilte den ofneren Theilen des Waldes zu, in denen ich meinen Weg in O. S. Oestlicher Richtung bis nach Mitternacht fortsetzte; dann verleitete mich das Geschrei der Frösche noch einmal ein wenig von meinem Wege abzugehn um meinen Durst zu löschen. Nachdem ich dies an einem großen Pfuhl von Regenwasser bewerkstelligt hatte, sah ich mich nach einem ofnen Platz um, und unter einem einzelnen Baum in der Mitte desselben bereitete ich mein Nachtlager. Gegen Morgen beunruhigten mich einige Wölfe, weshalb ich noch etwas vor Tage aufbrach; ich kam durch ein kleines Dorf Wassalita, und erreichte ohngefähr um 10 Uhr (den 5ten Juli) eine Negerstadt, Namens Waara, die eigentlich zu Kaarta gehört, zu dieser Zeit aber Mansong, dem König von Bambarra, zinsbar war.

10 ich dies] ich ich dies

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CHAPTER XV. T h e A u t h or p r o ce e d s to Wa s si b o o —i s j o in e d b y s o m e fu g i t iv e K a a r ta n s , wh o a c co m p a ny h i m in h i s Ro u t e th r o u gh B a m b a rr a . — Di s c o ve r s t he N i g er. — S om e A c co u n t of S e g o, t h e C a pi t a l of B a m ba r r a .— M a n so n g , th e K i ng , r e fu s e s to s e e th e A u th o r, bu t s e nd s h i m a P r e se n t . —G r e a t H o s p it a l i ty o f a Ne g r o Wo m a n.

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Wawra is a small town surrounded with high walls, and inhabited by a mixture of Mandingoes and Foulahs. The inhabitants employ themselves chiefly in cultivating corn, which they exchange with the Moors for salt. Here, being in security from the Moors, and very much fatigued, I resolved to rest myself; and meeting with a hearty welcome from the Dooty, whose name was Flancharee, I laid myself down upon a bullock’s hide, and slept soundly for about two hours. The curiosity of the people would not allow me to sleep any longer. They had seen my saddle and bridle, and were assembled in great number to learn who I was, and whence I came. Some were of opinion that I was an Arab: others insisted that I was some Moorish Sultan; and they continued to debate the matter with such warmth, that the noise awoke me. The Dooty (who had formerly been at Gambia) at last interposed in my behalf, and | assured them that I was certainly a white man; but he was convinced, from my appearance, that I was a very poor one. In the course of the day, several women, hearing that I was going to Sego, came and begged me to inquire of Mansong, the king, what was become of their children. One woman, in particular, told me that her son’s name was Mamadee; that he was no Heathen, but prayed to God morning and evening, and had been taken from her about three years ago, by Mansong’s army; since which she had never heard of him. She said, she often dreamed about him; and begged me, if I should see him, either in Bambarra, or in my own country, to tell him, that his mother and sister were still alive. In the afternoon, the Dooty examined the contents of the leather bag, in which I had packed up my clothes; but finding nothing that was worth taking, he returned it, and told me to depart in the morning.

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Weitere Reise des Verfassers nach Wassibu; einige flüchtige Kaartaner gesellen sich zu ihm, und begleiten ihn auf seinem Wege durch Bambarra. – Er erblickt den Niger. – Einige Nachrichten von Sego der Hauptstadt von Bambarra. – Mansong, der König dieses Reichs, will den Verfasser nicht sehen, sendet ihm aber ein Geschenk. – Große Gastfreundschaft einer Negerfrau.

Waara ist eine kleine Stadt mit hohen Mauern umgeben; die Einwohner sind ein Gemisch von Mandingo’s und Fulah’s, und legen sich hauptsächlich auf den Ackerbau, und gegen ihr Korn tauschen sie von den Mauren Salz ein. Da ich sehr ermüdet und vor den Mauren hier in Sicherheit war, beschloß ich einen Rasttag zu machen; der Duti, er hieß Flantscherie, hatte mich sehr freundlich bewillkommt, und so legte ich mich auf eine Rindshaut nieder, und schlief köstlich beinahe zwei Stunden. Länger aber wollte es mir die Neugier der Leute nicht vergönnen. Sie hatten meinen Sattel und Zaum gesehen, und waren in großer Anzahl versammelt, um zu erfahren, wer ich wäre und woher ich käme. Einige waren der Meinung, daß ich ein Araber wäre, andere bestanden darauf, ich sei ein maurischer Sultan, und sie debattirten die Sache so lange und so hitzig, daß der Streit mich aufweckte. Endlich legte sich der Duti, der einmal am Gambia gewesen war, für mich ins Mittel, und versicherte sie, ich wäre ganz gewiß ein Weißer; aber mein ganzes Aussehen überzeugte ihn, daß ich sehr arm sein müßte. Im Verlauf des Tages kamen mehrere Weiber, welche gehört hatten, daß ich nach Sego ging, und baten, ich möchte mich beim König Mansong erkundigen, was aus ihren Kindern geworden wäre. Eine besonders er|zählte mir, ihr Sohn hieße Memadih, er wäre kein Heide, sondern bete Morgens und Abends, und sei vor drei Jahren durch Mansongs Armee weggenommen worden, seit welcher Zeit sie nun nichts von ihm gehört habe. Sie sagte, daß sie oft von ihm träume, und bat mich, wenn ich ihn etwa sähe, es sei nun in Bambarra oder in meinem eigenen Lande, möchte ich ihm sagen, daß seine Mutter und Schwester noch lebten. Nachmittags untersuchte der Duti den Inhalt des Mantelsacks, worin ich meine Kleider gepackt hatte, da er aber nichts fand, was der Mühe werth gewesen wäre, gab er ihn zu-

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July 6th. It rained very much in the night, and at daylight I departed, in company with a Negro, who was going to a town called Dingyee for corn; but we had not proceeded above a mile, before the ass upon which he rode kicked him off, and he returned, leaving me to prosecute the journey by myself.

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I reached Dingyee about noon; but the Dooty and most of the inhabitants had gone into the fields to cultivate corn. An old Foulah, observing me wandering about the town, desired me to come to his hut, where I was well entertained; and the Dooty, when he returned, sent me some victuals for myself, and corn for my horse. July 7th. In the morning, when I was about to depart, my landlord, with a great deal of diffidence, begged me to give him | a lock of my hair. He had been told, he said, that white men’s hair made a saphie, that would give to the possessor all the knowledge of white men. I had never before heard of so simple a mode of education, but instantly complied with the request; and my landlord’s thirst for learning was such, that, with cutting and pulling, he cropped one side of my head pretty closely; and would have done the same with the other, had I not signified my disapprobation, by putting on my hat, and assuring him, that I wished to reserve some of this precious merchandize for a future occasion. I reached a small town called Wassiboo, about twelve o’clock, where I was obliged to stop until an opportunity should offer of procuring a guide to Satilé, which is distant a very long day’s journey, through woods without any beaten path. I accordingly took up my residence at the Dooty’s house, where I staid four days; during which time I amused myself by going to the fields with the family to plant corn. Cultivation is carried on here on a very extensive scale; and, as the natives themselves express it, “hunger is never known.” In cultivating the soil, the men and women work together. They use a large sharp paddle, much superior to the paddle used in Gambia; but they are obliged, for fear of the Moors, to carry their arms with them to the field. The master, with the handle of his spear, marks the field into regulars plats, one of which is assigned to every three slaves.

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rück, und kündigte mir an, daß ich den nächsten Morgen weiter reisen möchte. Den 6ten Juli regnete es in der Nacht sehr stark, und mit Tagesanbruch reiste ich ab in Gesellschaft eines Negers, der nach einer Stadt, Namens Dingiih, gehen wollte, um Korn zu holen; wir hatten aber noch nicht mehr als eine Meile zurückgelegt, als der Esel, den er ritt, ihn abwarf: nun kehrte er um, und ließ mich meinen Weg allein fortsetzen. Gegen Mittag erreichte ich Dingiih; aber der Duti und der größte Theil der Einwohner war in den Feldern, um Korn zu pflanzen. Ein alter Fulah, der mich im Ort herumwandern sah, lud mich in seine Hütte, wo ich gut bewirthet ward; und der Duti sandte mir, als er zurückkam, einige Provision für mich, und Korn für mein Pferd. Den 7ten Juli, des Morgens, da ich eben abreisen wollte, bat mich mein Wirth sehr schüchtern um eine Locke von meinem Haar. Er habe gehört, sagte er, daß das Haar der Weißen eine Zauberkraft habe, und dem Eigenthümer alle ihre Einsichten mittheile. Nie hatte ich vorher von einer so höchst einfachen Art sich zu bilden etwas vernommen; aber ich bewilligte die Forderung ohne An|stand; und die Begierde des Mannes, nach Erkenntniß, war so groß, daß er immer darauf losrupfte und schnitt, bis er mir die eine Seite des Kopfes ganz kahl geschoren hatte. Gewiß würde er’s mit der andern eben so gemacht haben, hätte ich nicht einigen Unwillen bezeigt, und indem ich meinen Hut aufsetzte, ihn versichert, daß ich von dieser köstlichen Waare auch noch für andere Gelegenheiten etwas zu behalten wünschte. Wassibu, eine kleine Stadt, erreichte ich um zwölf Uhr, und mußte hier warten bis sich eine Gelegenheit fände, einen Wegweiser nach Satileh zu bekommen; dieser Ort ist eine sehr starke Tagereise entfernt, und man muß durch Wälder ohne irgend einen gebahnten Weg. Ich schlug also meine Wohnung in des Duti Hause auf, wo ich vier Tage blieb und während dieser Zeit zu meinem Vergnügen immer mit der Familie in die Felder ging und beim Kornpflanzen Hand anlegte. Der Ackerbau wird hier sehr stark betrieben, und, wie die Leute sich selbst ausdrückten, „von Hunger wissen sie nichts”. Männer und Frauen bearbeiten gemeinschaftlich den Boden. Sie bedienen sich eines langen scharfen Spatens, der weit besser ist als die, welche man am Gambia hat; aber aus Furcht vor den Mauren, müssen sie ihre Waffen immer mit auf den Acker nehmen. Der Herr theilt mit dem Schaft seines Speers das Feld in regelmäßige Flächen, auf deren jede drei Sklaven angewiesen werden. 14 Juli] Juni

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On the evening of the 11th, eight of the fugitive Kaartans arrived at Wassiboo. They had found it impossible to live under the tyrannical government of the Moors, and were now going to | transfer their allegiance to the King of Bambarra. They offered to take me along with them as far as Satilé; and I accepted the offer. July 12th. At daybreak we set out, and travelled with uncommon expedition until sunset: we stopped only twice in the course of the day; once at a watering-place in the woods, and another time at the ruins of a town, formerly belonging to Daisy, called Illa -Compe (the corn town). When we arrived in the neighbourhood of Satilé, the people who were employed in the corn fields, seeing so many horsemen, took us for a party of Moors, and ran screaming away from us. The whole town was instantly alarmed, and the slaves were seen, in every direction, driving the cattle and horses towards the town. It was in vain that one of our company galloped up to undeceive them: it only frightened them the more; and when we arrived at the town, we found the gates shut, and the people all under arms. After a long parley, we were permitted to enter; and, as there was every appearance of a heavy tornado, the Dooty allowed us to sleep in his baloon, and gave us each a bullock’s hide for a bed. July 13th. Early in the morning we again set forward. The roads were wet and slippery, but the country was very beautiful, abounding with rivulets, which were increased by the rain into rapid streams. About ten o’clock, we came to the ruins of a village, which had been destroyed by war about six months before; and in order to prevent any town from being built there in future, the large Bentang tree, under which the | natives spent the day, had been burnt down; the wells filled up; and every thing that could make the spot desirable completely destroyed. About noon, my horse was so much fatigued that I could not keep up with my companions; I therefore dismounted, and desired them to ride on, telling them, that I would follow as soon as my horse had rested a little. But I found them unwilling to leave me: the lions, they said, were very numerous in those parts, and though they might not so readily attack a body of people, they would soon find out an individual: it was therefore agreed, that one of the company should stay with me, to assist in driving my horse, while the others passed on to Galloo, to procure lodgings, and collect grass for the horses before night. Accompanied by this worthy Negro, I drove my horse before me until about four o’clock, when we came in sight of Galloo;

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Den 11ten Abends kamen acht von den flüchtigen Kaartanern nach Wassibu. Sie hatten es unmöglich gefunden, unter der tyrannischen Regierung der Mauren zu leben, und gingen jetzt, um sich unter die Herrschaft des Königs von Bambarra zu begeben. Sie erboten sich mich bis Satileh mitzunehmen, was ich gern annahm. Den 12ten machten wir uns mit Tagesanbruch auf, und reisten mit ungewöhnlicher Eilfertigkeit bis Sonnen|untergang. Wir hielten den ganzen Tag über nur zweimal an: einmal bei einem Tränkplatz in den Wäldern, und das andere Mal bei den Ruinen einer Stadt, die ehemals dem Däsi gehört hatte, und I l l a Kompe, die Kornstadt hieß. Als wir in die Nähe von Satileh kamen, und die Leute, die in den Kornfeldern beschäftigt waren, so viele Reiter sahen, hielten sie uns für einen Trupp Mauren, und rannten unter großem Geschrei davon. Der ganze Ort war sogleich in Bewegung, und von allen Seiten her sahen wir Sklaven, welche Vieh und Pferde nach der Stadt zu trieben. Vergeblich galopirte einer von unserer Gesellschaft voran, um ihnen ihren Irrthum zu benehmen; das jagte ihnen nur um so mehr Furcht ein, und da wir an die Stadt kamen, fanden wir die Thore geschlossen, und jedermann unter den Waffen. Nach langen Unterhandlungen ließ man uns endlich ein, und da aller Anschein zu einem schweren Tornado vorhanden war, erlaubte uns der Duti in seinem Baluhn zu schlafen und gab uns jedem eine Rindshaut zum Lager. Den 13ten des Morgens machten wir uns wieder auf den Weg. Die Wege waren naß und schlüpfrig, aber die Gegend sehr schön, voll kleiner Bäche, die durch den Regen zu reißenden Strömen angewachsen waren. Gegen zehn Uhr kamen wir zu den Ruinen eines Dorfes, welches ohngefähr sechs Monate vorher im Kriege zerstört worden war. Um zu verhindern, daß nie wieder eine Stadt hier erbaut würde, hatte man den großen Bentang-Baum, unter dem man hier zu Lande den Tag zuzubringen pflegt, niedergebrannt, alle Brunnen verschüttet, und alles zerstört was den Ort bewohnbar machen konnte. Am Mittag war mein Pferd so sehr ermüdet, daß ich mit meinen Gefährten nicht mehr Schritt halten konnte. Ich stieg also ab, und bat sie, nur weiter zu reiten; ich würde ihnen folgen, sobald mein Pferd ein wenig geruht hätte. Aber sie hatten gar nicht Lust mich |zu verlassen. Die Löwen, sagten sie, wären in diesen Gegenden sehr häufig, und wenn sie auch nicht leicht einen ganzen Trupp angriffen, so würden sie doch einen Einzelnen sehr bald ausspüren. Es wurde also beschlossen, daß einer von der Gesellschaft bei mir bleiben sollte, um mir mein Pferd treiben zu helfen, indessen die Andern voran nach Gallu ritten, um uns vor Nachts Quartier zu bestellen, und Gras für 28 nie] Kj je

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a considerable town, standing in a fertile and beautiful valley, surrounded with high rocks.

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As my companions had thoughts of settling in this neighbourhood, they had a fine sheep given them by the Dooty; and I was fortunate enough to procure plenty of corn for my horse. Here they blow upon elephants’ teeth when they announce evening prayers, in the same manner as at Kemmoo. Early next morning, (July 14th), having first returned many thanks to our landlord for his hospitality, while my fellow-travellers offered up their prayers that he might never want, we set forward; and about three o’clock arrived at Moorja; a large town, famous for its trade in salt, which the Moors bring here in great quantities, to exchange for corn and cotton-cloth. | As most of the people here are Mahomedans, it is not allowed to the Kafirs to drink beer, which they call N e o - d o l l o (corn spirit,) except in certain houses. In one of these I saw about twenty people sitting round large vessels of this beer, with the greatest conviviality; many of them in a state of intoxication. As corn is plentiful, the inhabitants are very liberal to strangers: I believe we had as much corn and milk sent us by different people, as would have been sufficient for three times our number; and though we remained here two days, we experienced no diminution of their hospitality.

On the morning of the 16th, we again set forward, accompanied by a coffle of fourteen asses, loaded with salt, bound for Sansanding. The road was particularly romantic, between two rocky hills; but the Moors sometimes lie in wait here to plunder strangers. As soon as we had reached the open country, the master of the salt coffle thanked us for having staid with him so long, and now desired us to ride on. The sun was almost set before we reached Datliboo. In the evening we had a most tremendous tornado. The house in which we lodged, being flat roofed, admitted the rain in streams; the floor was soon ankle deep, the fire extinguished, and we were left to pass the night upon some bundles of fire wood, that happened to lie in a corner.

8 (July 14th),] (July 14th,)

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die Pferde herbeizuschaffen. Von diesem braven Neger begleitet, trieb ich mein Pferd vor mir her bis gegen vier Uhr, da wir Gallu zu Gesicht bekamen. Dies ist eine beträchtliche Stadt in einem fruchtbaren schönen Thale, welches von hohen Felsen umgeben ist. Da meine Gefährten den Gedanken hatten sich in dieser Gegend niederzulassen, so gab ihnen der Duti ein schönes Schaaf, und ich war glücklich genug mir Korn die Fülle für mein Pferd zu verschaffen. Man bläst hier auf Elephanten-Zähnen, um das Zeichen zum Abendgebet zu geben, grade wie in Kemmuh. Den nächsten Morgen (am 14ten Jul.) sagte ich unserm Wirth vielfachen Dank für seine Gastfreundschaft, unterdeß meine Gefährten ihre Gebete für ihn darbrachten, daß es ihm nie an etwas fehlen möge, worauf wir uns zeitig auf den Weg machten. Gegen drei Uhr kamen wir nach Murdscha, einer großen, ihres Salzhandels wegen berühmten Stadt. Die Mauren bringen das Salz in großer Menge hieher, um dagegen Korn und baumwollene Zeuge einzutauschen. Da der größte Theil der Einwohner Mahomedaner sind, so ist es den Kafiren nicht erlaubt Bier zu trinken, welches sie N eo-dollo, Korngeist nennen; ausgenommen in gewissen bestimmten Häusern. In einem von diesen sah ich an zwanzig Personen, in der größten Fröhlichkeit des Herzens, um große Humpen voll Bier her | sitzen; mehrere von ihnen waren schon berauscht. Da die Einwohner Korn im Ueberfluß haben, so sind sie sehr freigebig gegen Fremde; es wurde uns von mehreren Orten her so viel Korn und Milch geschickt, daß ich glaube, es wäre für dreimal soviel Menschen hinreichend gewesen; und ob wir gleich zwei Tage hier blieben, merkte ich doch nicht, daß ihre Gastfreundschaft sich vermindert hätte. Den 16ten des Morgens brachen wir wieder auf, begleitet von einem Zuge von 14 Eseln, die mit Salz beladen und nach Sansanding bestimmt waren. Der Weg ging zwischen zwei felsichten Hügelreihen hin, und war ausnehmend romantisch; aber die Mauren liegen hier bisweilen im Hinterhalt um Reisende zu plündern. Sobald wir das offne Land erreicht hatten, bedankte sich der Eigenthümer der Salzladung, daß wir uns so lange mit ihm aufgehalten hätten, und bat uns nun weiter zu reiten. Die Sonne war beinahe untergegangen, als wir Datlibu erreichten. Des Abends gab es einen fürchterlichen Tornado. Da das Haus, welches wir bewohnten, flach gedeckt war, so stürzte der Regen stromweise herein; unsre Diele war bald bis über die Knöchel unter Wasser gesetzt, das Feuer ging aus, und es blieb uns nichts übrig, als die Nacht auf einigen Bündeln Brennholz zuzubringen, welche zufällig in einem Winkel lagen.

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July 17th. We departed from Datliboo; and about ten o’clock passed a large coffle returning from Sego, with corn paddles, mats, and other household utensils. At five o’clock we came to a large village, where we intended to pass the night; but the Dooty would not receive us. When we departed from | this place, my horse was so much fatigued that I was under the necessity of driving him, and it was dark before we reached Fanimboo, a small village; the Dooty of which no sooner heard that I was a white man, than he brought out three old muskets, and was much disappointed when he was told that I could not repair them. July 18th. We continued our journey; but, owing to a light supper the preceding night, we felt ourselves rather hungry this morning, and endeavoured to procure some corn at a village; but without success. The towns were now more numerous, and the land that is not employed in cultivation affords excellent pasturage for large herds of cattle; but, owing to the great concourse of people daily going to and returning from Sego, the inhabitants are less hospitable to strangers.

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My horse, becoming weaker and weaker every day, was now of very little service to me: I was obliged to drive him before me for the greater part of the day; and did not reach Geosorro until eight o’clock in the evening. I found my companions wrangling with the Dooty, who had absolutely refused to give or sell them any provisions; and as none of us had tasted victuals for the last twenty-four hours, we were by no means disposed to fast another day, if we could help it. But finding our entreaties without effect, and being very much fatigued, I fell asleep, from which I was awakened, about midnight, with the joyful information “k i n n e - n a t a ” (the victuals is come.) This made the remainder of the night pass away pleasantly; and at daybreak, July 19th, we resumed our journey, proposing to stop at a village called Doolinkeaboo, for the | night following. My fellowtravellers, having better horses than myself, soon left me; and I was walking barefoot, driving my horse, when I was met by a coffle of slaves, about seventy in number, coming from Sego. They were tied together by their necks with thongs of a bullock’s hide, twisted like a rope; seven slaves upon a thong; and a man with a musket between every seven. Many of the slaves were ill conditioned, and a great number of them women. In the rear came Sidi Mahomed’s servant, whom I remembered to have seen at the camp of Benowm: he pres18 horse,] horse

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Den 17ten Juli reisten wir von Datlibu ab, und begegneten gegen zehn Uhr einer ansehnlichen Koffle, die von Sego zurückkam; sie hatte Grabscheite, Matten und anderes Hausgeräth geladen. Um fünf Uhr kamen wir an ein großes Dorf, wo wir die Nacht zu bleiben gedachten; aber der Duti wollte uns nicht aufnehmen. Als wir von diesem Orte abreisten, war mein Pferd wieder so ermüdet, daß ich mich genöthigt sah es zu treiben, und es war finster, ehe wir Fanimbuh, ein kleines Dorf erreichten. Der Duti desselben hörte nicht so bald, daß ich ein Weißer wäre, als er drei alte Flinten herbeibrachte; und | er war sehr in seinen Erwartungen getäuscht, da ich ihm sagte, daß ich sie nicht zurechtmachen könnte. Den 18ten Juli setzten wir unsere Reise fort. Da wir gestern Abend nur eine sehr leichte Mahlzeit gehalten hatten, fühlten wir diesen Morgen Hunger, und bemühten uns in einem Dorfe etwas Korn zu bekommen, aber ohne Erfolg. Städte wurden jetzt häufiger, und was von dem Lande nicht angebaut ist, giebt herrliches Futter für große Heerden Rindvieh; aber da die Passage von und nach Sego täglich sehr stark ist, so sind die Einwohner weniger gastfrei gegen Fremde. Mein Pferd, welches von Tage zu Tage schwächer wurde, war mir wenig mehr nütze; den größten Theil des Weges mußte ich es vor mir her treiben, und ich erreichte Geosorro nicht eher als um acht Uhr Abends. Meine Gefährten fand ich in einem heftigen Streit mit dem Duti, der es rundaus abgeschlagen hatte, ihnen irgend etwas von Provision zu geben oder zu verkaufen; und da wir sämtlich seit vier und zwanzig Stunden nichts genossen hatten, waren wir gar nicht aufgelegt noch einen Tag zu fasten, wenn wir es irgend vermeiden könnten. Da ich jedoch sah, daß alle Bitten unwirksam waren und ich sehr ermüdet war, so schlief ich ein, wurde aber um Mitternacht durch die frohe Nachricht „K i n n a- n at a, es ist zu essen da” wieder aufgeweckt. Nun brachten wir den noch übrigen Theil der Nacht sehr lustig hin, und traten den 19ten mit Tagesanbruch unsre Reise wieder an, mit den Vorsatz, die folgende Nacht in einem Dorfe, Namens Dulinkibu zuzubringen. Meine Reisegefährten, die bessere Pferde hatten als ich, waren mir bald aus dem Gesicht; denn ich mußte leider mein Pferd vor mir her treiben und war überdies barfuß. So begegnete ich einem Zuge Sklaven, es mochten ihrer siebenzig sein, die von Sego kamen. Sie waren mit Riemen von Rindshaut, die wie ein Strick gedreht waren, am Nacken zusammengebunden, je sieben an | einen Riemen, und zwischen sieben und sieben ging immer ein Mann mit einer Flinte. Viele von den Sklaven waren in einem schlechten Zustande, und ein großer Theil waren Weiber. Ganz hinten kam Sidi Mahomeds Bedienter, den ich mich erinnerte im Lager von Benaum

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ently knew me, and told me that these slaves were going to Morocco, by the way of Ludamar, and the Great Desert. In the afternoon, as I approached Doolinkeaboo, I met about twenty Moors on horseback, the owners of the slaves I had seen in the morning; they were well armed with muskets, and were very inquisitive concerning me, but not so rude as their countrymen generally are. From them I learned that Sidi Mahomed was not at Sego, but had gone to Cancaba for gold-dust. When I arrived at Doolinkeaboo, I was informed that my fellowtravellers had gone on; but my horse was so much fatigued that I could not possibly proceed after them. The Dooty of the town, at my request, gave me a draught of water, which is generally looked upon as an earnest of greater hospitality; and I had no doubt of making up for the toils of the day, by a good supper and a sound sleep: unfortunately, I had neither one nor the other. The night was rainy and tempestuous, and the Dooty limited his hospitality to the draught of water.| 193

July 20th. In the morning, I endeavoured, both by entreaties and threats, to procure some victuals from the Dooty, but in vain. I even begged some corn from one of his female slaves, as she was washing it at the well, and had the mortification to be refused. However, when the Dooty was gone to the fields, his wife sent me a handful of meal, which I mixed with water, and drank for breakfast. About eight o’clock, I departed from Doolinkeaboo, and at noon stopped a few minutes at a large Korree; where I had some milk given me by the Foulahs. And hearing that two Negroes were going from thence to Sego, I was happy to have their company, and we set out immediately. About four o’clock, we stopped at a small village, where one of the Negroes met with an acquaintance, who invited us to a sort of public entertainment, which was conducted with more than common propriety. A dish, made of sour milk and meal, called S inka t oo, and beer made from their corn, was distributed with great liberality; and the women were admitted into the society; a circumstance I had never before observed in Africa. There was no compulsion; every one was at liberty to drink as he pleased: they nodded to each other when about to drink, and on setting down the calabash, commonly said b e r k a (thank you). Both men and women, appeared to be somewhat intoxicated, but they were far from being quarrelsome.

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gesehen zu haben: er erkannte mich ebenfalls und sagte mir, diese Sklaven gingen über Ludamar und die große Wüste nach Marokko. Am Nachmittag, als ich nicht mehr weit von Dulinkibu war, begegnete ich zwanzig Mauren zu Pferde; es waren die Eigenthümer der Sklaven, die ich diesen Morgen gesehen hatte, sie waren gut mit Flinten bewafnet, und fragten mich gewaltig aus; doch waren sie nicht so ungestüm als ihre Landsleute gewöhnlich sind. Ich erfuhr von ihnen, daß Sidi Mahomed nicht zu Sego wäre, sondern nach Kankaba gereist, um Goldstaub zu holen. Als ich nach Dulinkibu kam, hörte ich, daß meine Reisegefährten weiter gegangen wären; mein Pferd war aber so ermüdet, daß ich ihnen unmöglich folgen konnte. Der Duti des Orts gab mir, als ich ihn darum ansprach, einen Trunk Wasser; und da dies allgemein als das Unterpfand einer reichlichern Gastfreundschaft angesehen wird, so zweifelte ich nicht, daß ich mich für die Beschwerden des Tages an einer guten Mahlzeit und einem gesunden Schlaf erholen würde; aber unglücklicherweise wurde mir keines von beiden zu Theil. Die Nacht war regnicht und stürmisch, und der Duti schränkte seine Freigebigkeit auf jenen Trunk Wasser ein. Am folgenden Morgen (den 20sten Juli) bemühte ich mich aufs neue, etwas Speise vom Duti zu erhalten, aber vergeblich. Ich bat sogar eine seiner Sklavinnen, welche eben Korn am Brunnen wusch, um etwas davon, und hatte auch hier die Kränkung, eine abschlägige Antwort zu bekommen. Als der Duti ins Feld gegangen war, sandte mir jedoch seine Frau eine Handvoll Mehl, welches ich | mit Wasser vermischte und so zum Frühstück trank. Um acht Uhr reiste ich von Dulinkibu ab, und gegen Mittag hielt ich bei einer großen Korrih auf einige Minuten an, wo mir die Fulahs etwas Milch gaben. Zwei Neger sollten von da nach Sego gehen; ich war sehr froh in ihrer Gesellschaft zu sein, und wir machten uns sogleich auf den Weg. Um vier Uhr hielten wir bei einem kleinen Dorf, wo einer von den Negern einen Bekannten antraf, der uns zu einer Art von öffentlicher Lustbarkeit einlud, wobei es weit besser und ordentlicher als gewöhnlich herging. Ein aus saurer Milch und Mehl bereitetes Gericht, welches S inka t u heißt, und Bier aus ihrem Korn gebraut, ward mit großer Freigebigkeit ausgetheilt; auch die Weiber waren mit von der Gesellschaft, wovon ich bisher noch kein Beispiel in Afrika gesehen hatte. Es war kein Gedränge; jeder hatte Freiheit so viel zu trinken als er Lust hatte, sie nickten einander gewöhnlich zu wenn sie tranken, und wenn sie den Kalabasch niedersetzten, sagten sie B ar k a, „ich danke euch”. Män3 Am Nachmittag] Nachmittag

10 kam,] kam

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Departing from thence, we passed several large villages, where I was constantly taken for a Moor, and became the subject of much merriment to the Bambarrans; who, seeing me drive my horse before me, laughed heartily at my appearance.—He has been at Mecca, says one; you may see that by his | clothes: another asked me if my horse was sick; a third wished to purchase it, &c.; so that I believe the very slaves were ashamed to be seen in my company. Just before it was dark, we took up our lodging for the night at a small village, where I procured some victuals for myself, and some corn for my horse, at the moderate price of a button; and was told that I should see the Niger (which the Negroes call Joliba, or the g rea t w a ter), early the next day. The lions are here very numerous: the gates are shut a little after sunset, and nobody is allowed to go out. The thoughts of seeing the Niger in the morning, and the troublesome buzzing of musketoes, prevented me from shutting my eyes during the night; and I had saddled my horse, and was in readiness before daylight; but, on account of the wild beasts, we were obliged to wait until the people were stirring, and the gates opened. This happened to be a market-day at Sego, and the roads were every where filled with people, carrying different articles to sell. We passed four large villages, and at eight o’clock saw the smoke over Sego. As we approached the town, I was fortunate enough to overtake the fugitive Kaartans, to whose kindness I had been so much indebted in my journey through Bambarra. They readily agreed to introduce me to the king; and we rode together through some marshy ground, where, as I was anxiously looking around for the river, one of them called out, g e o af f i l l i , (see the water); and looking forwards, I saw with infinite pleasure the great object of my mission; the long sought for, majestic Niger, glittering to the morning sun, as broad as the Thames at Westminster, and flowing slowly to the ea st w a rd. | I hastened to the brink, and, having drank of the water, lifted up my fervent thanks in prayer, to the Great Ruler of all things, for having thus far crowned my endeavours with success. The circumstances of the Niger’s flowing towards the east, and its collateral points, did not, however, excite my surprise; for although I had left Europe in great hesitation on this subject, and rather be13 nobody is] nobody

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ner und Frauen schienen etwas berauscht zu sein, waren aber weit entfernt Händel anzufangen. Von da aus kamen wir durch verschiedene große Dörfer; überall wurde ich für einen Mauren genommen, und mußte das Ziel für den Witz der Bambarraner sein, die, wenn sie mich so mein Pferd vor mir hertreiben sahen, sich über die ganze Gruppe von Herzen lustig machten. – „Er ist in Mekka gewesen”, sagte einer, „das könnt ihr an seiner Kleidung sehn”; ein anderer fragte mich, ob mein Pferd krank sei, ein dritter wollte es kaufen u. s. w., so daß ich glaube, die Sklaven selbst schämten sich, in meiner Gesellschaft getroffen zu werden. Grade als es finster ward, nahmen wir unser Nachtquartier in einem kleinen Dorfe, wo ich mir für den mäßigen Preis eines Knopfes, Lebensmittel für mich und etwas Korn für mein Pferd verschaffte; auch erfuhr ich, daß ich | den Niger (den die Neger Joliba , oder das große Wasser, nennen) am andern Tage schon früh zu Gesicht bekommen würde. Die Löwen sind hier sehr zahlreich: die Thore werden bald nach Sonnenuntergang geschlossen und niemand wird hinaus gelassen. Der Gedanke, am nächsten Morgen den Niger zu sehn, und das fatale Summen der Muskito’s, ließ mich die ganze Nacht kein Auge zuthun. Schon vor Tage hatte ich mein Pferd gesattelt, und war reisefertig, aber der wilden Thiere halben, mußten wir warten bis die Leute hier lebendig wurden und man die Thore öffnete. Es war eben Markttag in Sego und die Straßen waren überall voll Menschen, welche verschiedene Artikel zum Verkauf hinführten. Wir kamen durch vier große Dörfer und um acht Uhr sahen wir den Rauch über Sego. Als wir uns der Stadt näherten, war ich so glücklich die flüchtigen Kaartaner einzuholen, deren Güte ich auf meiner Reise durch Bambarra soviel zu verdanken hatte, und sie übernahmen es sehr gern, mich dem Könige vorzustellen. Wir ritten durch ein Stück Marschland, und eben, indem ich mich ängstlich nach dem Fluß umsah, rief einer von ihnen aus: G e o af f i l l i „seht da, das Wasser!“ Ich blickte vorwärts, und mit unendlichem Vergnügen sah ich den großen Gegenstand meiner Sendung, den majestätischen Niger, so breit als die Themse bei Westminster, in der Morgensonne flimmernd und langsam n a c h O s t e n fließend. Ich eilte an das Gestade, trank von dem Wasser, und mein glühender Dank strömte in Gebeten zu dem großen Regierer aller Dinge, der so weit wenigstens meine Bemühungen mit einem glücklichen Erfolg gekrönt hatte. Der Umstand, daß der Niger nach Osten, und den nächstgelegenen Compaßstrichen zufließt, setzte mich eben nicht in Verwunde31 G eo a f f i l l i „seht da, das Wasser!“ Ich] „G e o a f f i l l i “ seht da, das Wasser! ich 40 eben nicht] so DV; OD: aber nicht

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lieved that it ran in the contrary direction, I had made such frequent inquiries during my progress, concerning this river; and received from Negroes of different nations, such clear and decisive assurances that its general course was t o w ar d s t h e r ising sun, as scarce left any doubt on my mind; and more especially as I knew that Major Houghton had collected similar information, in the same manner.

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Sego, the capital of Bambarra, at which I had now arrived, consists, properly speaking, of four distinct towns; two on the northern bank of the Niger, called Sego Korro, and Sego Boo; and two on the southern bank, called Sego Soo Korro, and Sego See Korro. They are all surrounded with high mud-walls; the houses are built of clay, of a square form, with flat roofs; some of them have two stories, and many of them are whitewashed. Besides these buildings, Moorish mosques are seen in every quarter; and the streets, though narrow, are broad enough for every useful purpose, in a country where wheel carriages are entirely unknown. From the best inquiries I could make, I have reason to believe that Sego contains altogether about thirty thousand inhabitants. The King of Bambarra constantly resides at Sego See Korro; he employs | a great many slaves in conveying people over the river, and the money they receive (though the fare is only ten Kowrie shells for each individual) furnishes a considerable revenue to the king, in the course of a year. The canoes are of a singular construction, each of them being formed of the trunks of two large trees, rendered concave, and joined together, not side by side, but end ways; the junction being exactly across the middle of the canoe: they are therefore very long and disproportionably narrow, and have neither decks nor masts; they are, however, very roomy; for I observed in one of them four horses, and several people, crossing over the river. When we arrived at this ferry, we found a great number waiting for a passage; they looked at me with silent wonder, and I distinguished, with concern, many Moors among them. There were three different places of embarkation, and the ferrymen were very diligent and expeditious; but, from the crowd of people, I could not immediately obtain a passage; and sat down upon the bank of the river, to wait for a more favourable opportunity. The view of this extensive city; the numerous canoes upon the river; the crowded population, and the cultivated state of the surrounding country, formed altogether a prospect of civi6 Houghton] Houghton,

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rung; denn ob ich gleich Europa in großen Zweifeln über diesen Gegenstand verlassen hatte, | und eher glaubte, er nehme einen ganz entgegengesetzten Lauf: so hatte ich doch bei allen Nachfragen über diesen Fluß, die ich während meiner Reise häufig anstellte, von Negern verschiedener Nationen immer so deutliche und entscheidende Versicherungen erhalten, daß er im Ganzen der a ufg ehenden S o n n e e n t g e g e n fließe, daß mir kaum noch irgend ein Zweifel übrig blieb, besonders da ich wußte, daß Major Houghton ähnliche Nachrichten auf dieselbe Art eingezogen hatte. Sego, die Hauptstadt von Bambarra, bei der ich nunmehr angekommen war, besteht eigentlich aus vier verschiedenen Städten; zwei davon, Sego-Korro, und Sego-Bu liegen am nördlichen Ufer des Nigers, und die andern beiden, Sego-Su-Korro, und Sego-Sih-Korro am südlichen. Alle sind mit hohen Erdmauern umgeben; die Häuser sind von Lehm gebaut, viereckig gestaltet, mit flachen Dächern; einige sind zwei Stockwerk hoch, und viele sind abgeweißt. Außer diesen Gebäuden sieht man in jedem Quartier maurische Moscheen, und die Straßen sind zwar eng, aber in einem Lande, wo man von keiner Art von Fuhrwerk etwas weiß, in aller Absicht breit genug. Den besten Nachforschungen zu Folge, welche ich anstellen konnte, habe ich Ursach zu glauben, daß Sego in allem ohngefähr dreißig tausend Einwohner enthält. Der König von Bambarra residirt beständig in SegoSih-Korro. Eine Menge seiner Sklaven sind bei der Ueberfahrt über den Fluß angestellt, und das Geld welches sie empfangen macht, obgleich der Preis für die Person nur zehn Kauri-Muscheln ist, das Jahr über eine beträchtliche Einnahme für den König aus. Die Kähne sind von einer ganz besondern Bauart; sie bestehen aus zwei Stämmen von großen Bäumen, welche ausgehöhlt und zusammengefügt sind; aber nicht etwa der Breite nach, sondern in die Länge, so daß die Fuge genau über die Mitte des Kahns gehet; daher sind sie sehr lang und unverhältnißmäßig | schmal, und haben weder Verdeck noch Masten. Dennoch sind sie sehr geräumig, denn ich sah in einem vier Pferde und noch verschiedene Menschen über den Fluß setzen. Als wir an diese Fähre kamen, wartete schon viel Volk auf die Ueberfahrt; mich sahen sie mit stiller Verwunderung an, und nicht ohne Bestürzung bemerkte ich verschiedene Mauren darunter. Man schiffte sich an drei verschiedenen Plätzen ein, und die Fährleute waren sehr rasch und fleißig; aber unter der großen Menge Volks konnte ich nicht sogleich mit hinüberkommen; ich setzte mich also an das Ufer des Flusses hin, um auf einen bequemeren Zeitpunkt zu warten. Der Anblick dieser ansehnlichen Stadt, die Menge von Kähnen auf dem Fluß, das Ge39 hinüberkommen;] hinüberkommen,

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lization and magnificence, which I little expected to find in the bosom of Africa.

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I waited more than two hours, without having an opportunity of crossing the river; during which time the people who had crossed, carried information to Mansong the King, that a white man was waiting for a passage, and was coming to see him. He immediately sent over one of his chief men, | who informed me that the king could not possibly see me, until he knew what had brought me into his country; and that I must not presume to cross the river without the king’s permission. He therefore advised me to lodge at a distant village, to which he pointed, for the night; and said that in the morning he would give me further instructions how to conduct myself. This was very discouraging. However, as there was no remedy, I set off for the village; where I found, to my great mortification, that no person would admit me into his house. I was regarded with astonishment and fear, and was obliged to sit all day without victuals, in the shade of a tree; and the night threatened to be very uncomfortable, for the wind rose, and there was great appearance of a heavy rain; and the wild beasts are so very numerous in the neighbourhood, that I should have been under the necessity of climbing up the tree, and resting amongst the branches. About sunset, however, as I was preparing to pass the night in this manner, and had turned my horse loose, that he might graze at liberty, a woman, returning from the labours of the field, stopped to observe me, and perceiving that I was weary and dejected, inquired into my situation, which I briefly explained to her; whereupon, with looks of great compassion, she took up my saddle and bridle, and told me to follow her. Having conducted me into her hut, she lighted up a lamp, spread a mat on the floor, and told me I might remain there for the night. Finding that I was very hungry, she said she would procure me something to eat. She accordingly went out, and returned in a short time with a very fine fish; which, having caused to be half broiled upon some | embers, she gave me for supper. The rites of hospitality being thus performed towards a stranger in distress; my worthy benefactress (pointing to the mat, and telling me I might sleep there without apprehension) called to the female part of her family, who had stood gazing on me all the while in fixed astonishment, to resume their task of spinning cotton; in which they continued to employ themselves a great part of the night. They lightened their labour by songs, one of which was composed extempore; for I was myself the subject of it. It was sung by one of the young women, 38 a great] great

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dränge des Volks, die Kultur der ganzen umliegenden Gegend, dies alles deutete auf einen Grad von Bildung und Wolleben, den ich in dem Herzen von Afrika nicht vermuthet hatte. Ich wartete länger als zwei Stunden, ohne daß ich hinüber kommen konnte; unterdessen aber hatten schon diejenigen, welche übergesetzt waren, dem König Mansong die Nachricht gebracht, daß ein Weißer am Fluß auf die Ueberfahrt warte und ihn sehen wolle. Er schickte sogleich einen von seinen Hauptleuten herüber, welcher mir sagen mußte, der König könne mich unmöglich vor sich lassen, ehe er wüßte, was mich in dieses Land geführt hätte, und ich solle mir nicht beigehn lassen, ohne seine Erlaubniß auf die andere Seite zu kommen; ich möchte in einem Dorfe, welches er mir in der Ferne zeigte, übernachten, und würde den andern Morgen nähere Verhaltungsbefehle bekommen. Das war sehr niederschlagend; es war aber nichts zu thun, als auf das Dorf loszuwandern, wo mich hernach zu meiner großen Kränkung nicht einmal jemand aufnehmen wollte. Man betrachtete mich mit Erstaunen und Furcht, und ich mußte den ganzen Tag ohne etwas zu essen, unter dem Schatten eines Baumes | sitzen. Dabei drohte die Nacht sehr unangenehm zu werden; es erhob sich ein Wind, der einen heftigen Regen erwarten ließ, und da die wilden Thiere in der Nähe so zahlreich sind, wäre ich gewiß genöthigt gewesen, auf einen Baum zu klettern, und mich in die Aeste zu lagern. Gegen Sonnenuntergang, da ich mich eben anschickte, die Nacht auf diese Art zuzubringen, und mein Pferd abgezäumt hatte, damit es nach Belieben grasen könnte, kam eine Frau des Weges von der Arbeit aus dem Felde; sie machte Halt um mich zu betrachten, und ließ sich kürzlich meine Umstände erzählen, worauf sie mit viel Ausdruck von Mitleiden meinen Sattel und Zaum nahm und mich folgen hieß. Sie führte mich in ihre Hütte, zündete eine Lampe an, breitete eine Matte auf der Diele aus, und sagte mir, daß ich die Nacht da bleiben könne. Bald brachte sie auch, da sie merkte, daß ich sehr hungrig war, einen guten Fisch herbei, der auf heißer Asche, freilich nur halb, geröstet, und mir zur Abendmahlzeit gereicht ward. Nachdem auf diese Art den dringendsten Forderungen der Gastfreundschaft gegen den unglücklichen Fremdling Genüge geleistet war, deutete meine würdige Wohlthäterin auf die Matte, und sagte mir, ich könne mich ohne alle Besorgniß schlafen legen; und nun rief sie ihren weiblichen Hausgenossen, welche die ganze Zeit über wie versteinert um mich her gestanden hatten, ihre Baumwollenspinnerei wieder vorzunehmen, womit sie auch einen großen Theil der Nacht beschäftigt blieben. Sie erleichterten sich ihre Arbeit durch Gesänge, von denen einer gewiß 18 Baumes] darunter der Kustos zubringen.

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the rest joining in a sort of chorus. The air was sweet and plaintive, and the words, literally translated, were these.—“ The winds roared, and the rains fell.—The poor white man, faint and weary, came and sat under our tree.—He has no mother to bring him milk; no wife to grind his corn. C h o r u s . Let us pity the white man; no mother has he, &c. &c.” Trifling as this recital may appear to the reader, to a person in my situation, the circumstance was affecting in the highest degree. I was oppressed by such unexpected kindness; and sleep fled from my eyes. In the morning I presented my compassionate landlady with two of the four brass buttons which remained on my waistcoat; the only recompence I could make her.

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July 21st. I continued in the village all this day, in conversation with the natives, who came in crowds to see me; but was rather uneasy towards evening, to find that no message had arrived from the king; the more so, as the people began to whisper, that Mansong had received some very unfavourable accounts of me, from the Moors and Slatees residing at Sego; | who it seems were exceedingly suspicious concerning the motives of my journey. I learnt that many consultations had been held with the king, concerning my reception and disposal; and some of the villagers frankly told me, that I had many enemies, and must expect no favour. July 22d. About eleven o’clock, a messenger arrived from the king; but he gave me very little satisfaction. He inquired particularly if I had brought any present; and seemed much disappointed when he was told that I had been robbed of everything by the Moors. When I proposed to go along with him, he told me to stop until the afternoon, when the king would send for me. July 23d. In the afternoon, another messenger arrived from Mansong, with a bag in his hand. He told me, it was the king’s pleasure that I should depart forthwith from the vicinage of Sego; but that Mansong, wishing to relieve a white man in distress, had sent me five thousand Kowries,1 to enable me to purchase provisions in the course of my journey: the messenger added, that if my intentions were really 1

Mention has already been made of these little shells (p. 27), which pass current as money, in many parts of the East-Indies, as well as Africa. In Bambarra, and the adjacent countries, where the necessaries of life are very cheap, one hundred of them would commonly purchase a day’s provisions for myself, and corn for my horse. I reckoned about two hundred and fifty Kowries, equal to one shilling.

34 shells (p. 27),] shells, (p. 27)

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aus dem Stegereif verfertigt wurde, da ich der Gegenstand desselben war. Eine von den jungen Frauen sang, und die übrigen fielen nachher als Chor ein. Die Melodie war sanft und klagend, und die Worte lauteten buchstäblich so: Die Winde sausten, der Regen fiel – der arme Weiße, matt und verdrossen, kam und setzte sich unter unsern Baum. Er hat keine Mutter mehr, die ihm Milch bringt, keine Frau, die ihm Korn stampft. Chor: | Beklaget den Weißen, keine Mutter hat er κ. κ. So unbedeutend dies dem Leser scheinen mag, so war es doch für einen Menschen in meiner Lage im höchsten Grade rührend; ich war so übernommen von dieser unerwarteten Güte, daß der Schlaf meine Augen floh. Am Morgen schenkte ich meiner mitleidigen Wirthin zwei von den vier metallenen Knöpfen, die noch an meiner Weste saßen; die einzige Erkenntlichkeit, die ich ihr bezeigen konnte. Den 21. Julius blieb ich den ganzen Tag in diesem Dorfe, und unterhielt mich mit den Einwohnern, die nun haufenweise kamen, mich zu sehen; je näher aber gegen Abend, um so unruhiger ward ich, daß gar keine Bothschaft vom Könige kam, und das desto mehr, da die Leute anfingen unter sich zu flüstern, daß Mansong von den in Sego sich aufhaltenden Mauren und Slatihs, die wegen der Absichten meiner Reise sehr viel Argwohn zu hegen schienen, sehr ungünstige Berichte meinetwegen erhalten habe. Ich erfuhr, daß viel darüber berathschlagt worden sei, wie man mich aufnehmen, und was man mit mir machen solle, und einige von den Bauern sagten mir geradezu, ich habe viele Feinde und dürfe wenig Gutes erwarten. Den 22. Julius um eilf Uhr kam ein Abgeordneter des Königs; er brachte mir aber wenig befriedigendes. Er fragte vorzüglich, ob ich gar keine Geschenke mitgebracht habe, und es schien ganz gegen seine Rechnung, als ich ihm sagte, daß ich von den Mauren rein ausgeplündert worden. Da ich mich erbot, mit ihm zu gehen, sagte er, ich sollte warten, Nachmittags würde der König nach mir schicken. Am 23sten Nachmittags kam ein anderer Bote von Mansong, der einen Sack trug. Er sagte, es sei des Königs Wille, daß ich mich sogleich aus der Nachbarschaft | von Sego entfernen solle; da er aber wünsche, einem Weißen in seinem Unglück einige Erleichterung zu geben, sende er mir fünf tausend Kauries20, damit ich im Stande sein 20

Da in Bambarra und den umliegenden Gegenden alle Lebensbedürfnisse ausnehmend wohlfeil sind, so waren 100 Kauries täglich für mich und mein Pferd hinreichend. Ich rechnete etwa 250 Kauries auf einen Schilling.

25 Julius] Julins 36 Schleiermacher lässt den ersten Satz der Fußnote mit dem Rückverweis auf S. 27 aus; der dortige Satz „the natives of the interior make use of small shells called k o w r i e s , as will be shewn hereafter.“ ist in der Übersetzung ebenfalls gekürzt (vgl. S. 879,2).

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to proceed to Jenné, he had orders to accompany me as a guide to Sansanding. I was at first puzzled to account for this behaviour of the king; but, from the conversation I had with the guide, I had after|ward reason to believe, that Mansong would willingly have admitted me into his presence at Sego; but was apprehensive he might not be able to protect me, against the blind and inveterate malice of the Moorish inhabitants. His conduct, therefore, was at once prudent and liberal. The circumstances under which I made my appearance at Sego, were undoubtedly such as might create in the mind of the king, a well warranted suspicion that I wished to conceal the true object of my journey. He argued, probably, as my guide argued; who, when he was told, that I had come from a great distance, and through many dangers, to behold the Joliba river, naturally inquired, if there were no rivers in my own country, and whether one river was not like another. Notwithstanding this, and in spite of the jealous machinations of the Moors, this benevolent prince thought it sufficient, that a white man was found in his dominions, in a condition of extreme wretchedness; and that no other plea was necessary to entitle the sufferer to his bounty.|

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möchte, mir auf meiner weitern Reise Lebensmittel anzuschaffen. Der Bote fügte hinzu, daß falls es wirklich meine Absicht sei nach Dschenneh zu reisen, er Befehl habe mich als Wegweiser bis Sansanding zu begleiten. Anfänglich konnte ich mir diese Maaßregeln des Königes nicht erklären; aus meiner nachherigen Unterhaltung mit dem Wegweiser war aber zu schließen, daß Mansong mich gern in Sego vor sich gelassen haben würde, daß er aber besorgt, es möchte nicht in seiner Gewalt stehen, mich gegen das übermüthige und barbarische Verfahren der maurischen Einwohner zu schützen. Sein Betragen war also eben so klug als edelmüthig. Die Umstände, unter denen ich in Sego erschien, waren allerdings von der Art, daß sie in dem Gemüthe des Königs einen wohlgegründeten Argwohn erregen konnten, als suche ich die eigentliche Absicht meiner Reise nur zu verbergen. Er schloß wahrscheinlich eben so wie mein Wegweiser, der, als ich ihm sagte, ich sei von sehr weitem her, und habe mancherlei Gefahren ausgestanden, um den Joliba zu sehen, sehr naiv fragte: ob es in meinem Lande keine Flüsse gäbe, und ob nicht ein Fluß aussähe wie der andere. Demohnerachtet und trotz aller feindseligen Eingebungen der Mauren glaubte dieser wohldenkende Fürst, der unglückliche Zustand, worin ein Weißer innerhalb seines Reiches gefunden worden, gebe ihm ein hinreichendes Recht auf seine Güte, und dazu bedürfe es keiner weiteren Untersuchungen.

CHAPTER XVI.

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D e pa r t u re f r o m S e g o , a n d A rr i v a l a t K a bb a . — De s c r ip t i o n o f t h e S h ea , o r ve g e t ab l e B ut t e r Tr e e . —T h e A ut h o r an d h i s G u i d e a r ri v e a t Sansanding.—Behaviour of the Moors at that Place.—The Author pursues his Journey to the Eastward.—Incidents on the Road.—Arrives at Modiboo, and proceeds for Kea; but obliged to leave his Horse by the Way.—Embarks at Kea in a Fisherman’s Canoe for Moorzan; is conveyed from thence across the Niger to Silla.—Determines to proceed no further Eastward.—Some Account of the further Course of the Niger, and the Towns in its Vicinage, towards the East.

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Being, in the manner that has been related, compelled to leave Sego, I was conducted the same evening to a village about seven miles to the eastward, with some of the inhabitants of which my guide was acquainted, and by whom we were well received.1 He was very friendly and communicative, and spoke highly of the hospitality of his countrymen; but withal told me, that if Jenné was the place of my destination, which he seemed to have hitherto doubted, I had undertaken an enter|prize of greater danger than probably I was apprized of; for, although the town of Jenné was, nominally, a part of the King of Bambarra’s dominions, it was in fact, he said, a city of the Moors; the leading part of the inhabitants being Bushreens, and even the governor himself, though appointed by Mansong, of the same sect. Thus was I in danger of falling a second time into the hands of men who would consider it not only justifiable, but meritorious, to destroy me; and this reflection was aggravated by the circumstance that the danger increased, as I advanced in my journey; for I learned that the places beyond Jenné were under the Moorish influence, in a still greater degree than Jenné itself; and Tombuctoo, the great object of my search, altogether in possession of that savage and merciless people, who allow no Christian to live there. But I had now advanced too far to think of returning to the westward, on such vague and uncertain information, and determined to proceed; and being accom1

I should have before observed, that I found the language of Bambarra, a sort of corrupted Mandingo. After a little practice, I understood, and spoke it without difficulty.

4 Sansanding.—] Sansanding.

33 Bambarra] Bambarra,

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Abreise von Sego – Beschreibung des Butterbaums – Ankunft und Begebenheiten zu Sansanding – Fortsetzung der Reise nach Osten – der Verfasser verliert unterwegens sein Pferd – Er fährt in einem Fischerkahn auf dem Niger bis Silla, und beschließt, nicht weiter ostwärts zu gehen – Einige Nachrichten von dem weiteren Lauf des Nigers nach Osten und von den daranliegenden Städten.

Auf diese Art wurde ich gezwungen, Sego zu verlassen, und noch denselben Abend sieben Meilen weit in ein Dorf geführt, von dessen Einwohnern mein Führer einige kannte, und wo wir gut aufgenommen wurden. Er war sehr freundlich und gesprächig21, und machte viel Rühmens von dem Betragen seiner Landsleute gegen Fremde; bei alle dem aber sagte er, wenn wirklich Dschenneh mein Bestimmungsort wäre, woran er immer noch gezweifelt zu haben schien, so habe ich Etwas unternommen, was gefährlicher sei, als ich es mir wol gedacht habe; denn obgleich Dschenneh dem Namen nach zum Gebiete des Königs von Bambarra gehöre, so sei es doch in der That eine maurische Stadt; die angesehensten Einwohner seien Buschrihner, und der Stadthalter selbst, obgleich Mansong ihn bestelle, sei von dieser Sekte. So war ich also in Gefahr, zum zweitenmale in die Hände dieser Menschen zu fallen, die es nicht nur für erlaubt, sondern für verdienstlich hielten, mich umzubringen. Ich war desto übler dran, da die Gefahr immer zunahm, je weiter ich reiste; denn wie ich hörte, so waren die Orte jenseits Dschenneh noch mehr als dieser Ort selbst unter dem Einfluß der Mauren, und Tombuktu, der große Gegenstand meiner Untersuchungen, war ganz im Besitz | dieses wilden und unbarmherzigen Volks, welches auch keinem Christen den Aufenthalt dort verstatte. Ich hatte aber nun schon allzu große Fortschritte gemacht, um auf so unbestimmte und unsichere Nachrichten wieder nach Westen umzukehren; ich beschloß also weiter zu gehn, und reiste mit meinem Führer am 24sten früh aus diesem Dorfe ab. Gegen acht Uhr kamen 21

Ich hätte schon früher anmerken sollen, daß die Bambarranische Sprache ein plattes Mandingoisch ist. Nach ein wenig Uebung verstand und sprach ich sie ohne Schwierigkeit.

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panied by the guide, I departed from the village on the morning of the 24th. About eight o’clock, we passed a large town called Kabba, situated in the midst of a beautiful and highly cultivated country; bearing a greater resemblance to the centre of England, than to what I should have supposed had been the middle of Africa. The people were every where employed in collecting the fruit of the Shea trees, from which they prepare the vegetable butter, mentioned in former parts of this work. These trees grow in great abundance all over this part of Bambarra. They are not planted by the natives, but are found growing naturally in the woods; and, in clearing wood land for cultivation, every tree is cut | down but the Shea. The tree itself, very much resembles the American oak; and the fruit, from the kernel of which, being first dried in the sun, the butter is prepared, by boiling the kernel in water, has somewhat the appearance of a Spanish olive. The kernel is enveloped in a sweet pulp, under a thin green rind; and the butter produced from it, besides the advantage of its keeping the whole year without salt, is whiter, firmer, and, to my palate, of a richer flavour, than the best butter I ever tasted made from cows’ milk. The growth and preparation of this commodity, seem to be among the first objects of African industry in this and the neighbouring states; and it constitutes a main article of their inland commerce. We passed, in the course of the day, a great many villages, inhabited chiefly by fishermen; and in the evening about five o’clock arrived at Sansanding; a very large town, containing, as I was told, from eight to ten thousand inhabitants. This place is much resorted to by the Moors, who bring salt from Beeroo, and beads and coral from the Mediterranean, to exchange here for gold-dust, and cotton-cloth. This cloth they sell to great advantage in Beeroo, and other Moorish countries, where, on account of the want of rain, no cotton is cultivated.

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I desired my guide to conduct me to the house in which we were to lodge, by the most private way possible. We accordingly rode along between the town and the river, passing by a creek or harbour, in which I observed twenty large canoes, most of them fully loaded, and covered with mats, to prevent the rain from injuring the goods. As we proceeded, three other canoes arrived, two with passengers, and one with goods. | I was happy to find, that all the Negro inhabitants took me for a Moor; under which character I should probably have passed unmolested, had not a Moor, who was sitting by the river side, 17 salt,] salt;

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wir durch eine große Stadt, Kabbe genannt, welche mitten in einer schönen und sehr angebauten Gegend liegt, wo alles dem Mittelpunkt von England ähnlicher sieht, als dem, was ich mir vom innern Afrika vorgestellt hatte. Die Leute waren hier überall beschäftigt, die Früchte des Schihbaumes einzusammeln, aus dem die vegetabilische Butter bereitet wird, deren ich schon gedacht habe. Dieser Baum wächst in diesem ganzen Theile von Bambarra in großem Ueberfluß in den Wäldern, ohne eigentlich gepflanzt zu werden, nur daß man, wo Land urbar gemacht, und alles andere Holz herunter gehauen wird, den Schihbaum stehen läßt. Der Baum selbst ist der amerikanischen Eiche sehr ähnlich, und, die Frucht hat einigermaßen das Ansehn einer Spanischen Olive. Aus dem Kern derselben wird die Butter bereitet, indem er in Wasser gekocht wird, nachdem die Frucht an der Sonne getrocknet worden. Dieser Kern sitzt unter einer dünnen grünen Schale, in weißes Mark eingehüllt; und die Butter, die daraus gewonnen wird, hat nicht nur den Vorzug, daß sie sich ein ganzes Jahr ohne Salz hält; sondern sie ist auch weißer, fester und, für meinen Gaumen wenigstens, schmackhafter, als die beste Butter aus Kuhmilch, die ich jemals gekostet habe. Die Verfertigung dieser Waare scheint unter die vornehmsten Gegenstände der afrikanischen Industrie, in diesem und in den benachbarten Staaten, zu gehören, und sie ist ein Hauptartikel ihres inneren Handels. Wir kamen den Tag über durch sehr viele Dörfer, die größtentheils von Fischern bewohnt werden, und | Abends gegen fünf Uhr, erreichten wir Sansanding, welches eine große Stadt ist, die wie man mir sagte, acht bis zehn tausend Einwohner enthält. Dieser Platz wird sehr stark von den Mauren besucht, welche Salz aus Bihru und Korallen vom mittelländischen Meer herbringen, wogegen sie Goldstaub und baumwollene Zeuge hier eintauschen Diese Zeuge verkaufen sie mit großem Vortheil, in Bihru und andern solchen maurischen Gegenden, wo aus Mangel an Regen keine Baumwolle gewonnen werden kann. Ich bat meinen Führer, mich so unbemerkt als möglich in unser Quartier zu bringen. Wir ritten also zwischen der Stadt und dem Fluß hin, bei einer Art von Bucht oder Hafen vorbei, wo ich zwanzig große Kähne sah, die fast alle ihre volle Ladung hatten, und mit Matten bedeckt waren, damit die Güter nicht vom Regen litten. Indem wir vorüber gingen, kamen noch drei Kähne, zwei mit Passagiers, und einer mit Gütern. Zu meiner großen Freude merkte ich, daß alle Neger mich für einen Mauren hielten, und unter diesem Charakter würde ich wahrscheinlich unangefochten durchgekommen sein, wenn nicht ein Maur, der an der Flußseite saß, den Irrthum entdeckt, und ein 40 unangefochten] unangefochten,

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discovered the mistake, and setting up a loud exclamation, brought together a number of his countrymen. When I arrived at the house of Counti Mamadi, the Dooty of the town, I was surrounded with hundreds of people, speaking a variety of different dialects, all equally unintelligible to me. At length, by the assistance of my guide, who acted as interpreter, I understood that one of the spectators pretended to have seen me at one place, and another at some other place; and a Moorish woman absolutely swore that she had kept my house three years at Gallam, on the river Senegal. It was plain that they mistook me for some other person; and I desired two of the most confident, to point towards the place where they had seen me. They pointed due south; hence I think it probable that they came from Cape Coast, where they might have seen many white men. Their language was different from any I had yet heard. The Moors now assembled in great number; with their usual arrogance, compelling the Negroes to stand at a distance. They immediately began to question me concerning my religion; but finding that I was not master of the Arabic, they sent for two men, whom they call I l h u i d i (Jews), in hopes that they might be able to converse with me. These Jews, in dress and appearance, very much resemble the Arabs; but though they so far conform to the religion of Mahomet, as to recite, in public, prayers from the Koran; they are but little respected by | the Negroes; and even the Moors themselves allowed, that though I was a Christian, I was a better man than a Jew. They, however, insisted that, like the Jews, I must conform so far as to repeat the Mahomedan prayers; and when I attempted to waive the subject, by telling them that I could not speak Arabic, one of them, a Shereef from Tuat, in the Great Desert, started up and swore by the Prophet, that if I refused to go to the mosque, he would be one that would assist in carrying me thither. And there is no doubt but this threat would have been immediately executed, had not my landlord interposed in my behalf. He told them, that I was the king’s stranger, and he could not see me ill treated, whilst I was under his protection. He therefore advised them to let me alone for the night; assuring them, that, in the morning, I should be sent about my business. This somewhat appeased their clamour; but they compelled me to ascend a high seat, by the door of the mosque, in order that every body might see me; for the people had assembled in such numbers as to be quite ungovernable; climbing upon the houses, and squeezing each other, like the spectators at an execution. Upon this seat I remained until sunset, when I was conducted into a neat little hut, with a small court 8 woman] woman,

26 waive] wave

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großes Geschrei darüber erhoben hätte, welches eine Menge seiner Landsleute herbeizog. Als ich bei dem Hause des Kaunti Mamadi, des Duti der Stadt, ankam, war ich schon von mehreren hundert Menschen umgeben, die sehr verschiedene, mir alle gleich unverständliche Sprachen redeten. Wie mein Führer, der den Dollmetscher machte, mir sagte, so behauptete der eine, er habe mich hier, der andere, er habe mich dort gesehen, und besonders schwor eine maurische Frau, sie sei in Gallam am Senegal, drei Jahre lang in meinem Hause gewesen. Offenbar hielt man mich für einen Andern, und ich bat daher Zwei, die am zutraulichsten waren, sie möchten doch die Gegend andeuten, wo sie mich gesehen | hätten. Beide zeigten nach Süden, und ich vermuthe daher, daß sie vom Cap-Coast kamen, wo sie viele Weiße gesehen haben mochten. Ihre Sprache war von allen, die ich bis jetzt gehört hatte, verschieden. Die Mauren versammelten sich nun in großer Anzahl, und drängten mit ihrer gewöhnlichen Arroganz die Neger in die Ferne zurück. Sie fingen sogleich an, mich über meine Religion zu befragen, und da sie merkten, daß ich des Arabischen nicht mächtig war, schickten sie nach zwei Leuten, die sie J al l h u i d i (Juden) nannten, in der Hofnung, daß diese mit mir würden sprechen können. Diese Juden kommen in ihrer Kleidung und ihrem ganzen Aeußern den Arabern sehr nahe, aber ob sie sich gleich so weit zur mohamedanischen Religion bequemen, daß sie öffentlich Gebete aus dem Koran hersagen, werden sie doch von den Negern wenig geachtet, und die Mauren selbst sagten, ob ich gleich ein Christ sei, wäre ich doch noch besser als ein Jude. Doch bestanden sie darauf, daß ich eben wie diese, die mahomedanischen Gebete nachsagen sollte, und als ich Ausflüchte suchte, und sagte, ich könne nicht arabisch sprechen, stand einer unter ihnen auf, ein Scherif von Tuat in der großen Wüste, und schwor beim Propheten, wenn ich mich weigerte in die Moschee zu gehen, so wolle er einer von denen sein, die mich schon hinbringen würden. Diese Drohung würde auch gewiß sogleich erfüllt worden sein, wenn sich mein Wirth nicht für mich verwendet hätte. Er sagte ihnen, ich sei des Königs Gastfreund, und so lange ich unter seinem Schutz wäre, würde er nicht leiden, daß man mich mißhandle. Er rieth ihnen also, mich diese Nacht in Ruhe zu lassen, morgen würde man mich meine Straße ziehen heißen. Darauf legte sich denn der Tumult einigermaßen; doch aber nöthigten sie mich einen hohen Sitz an der Thür der Moschee zu besteigen, damit mich jedermann sehen könnte: denn das Volk hatte sich in solcher Anzahl versammelt, daß es gar nicht mehr in Ordnung zu halten | war; sie stiegen auf die Häuser, und drängten und stießen sich wie die Zuschauer bei einer Hinrichtung. Auf diesem Platz blieb ich bis Sonnenuntergang, da ich in eine niedliche kleine Hütte, mit einem

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before it; the door of which Counti Mamadi shut, to prevent any person from disturbing me. But this precaution could not exclude the Moors. They climbed over the top of the mud-wall, and came in crowds into the court, in order, they said, to see me perform my e v e n i n g d e vo t i o n s , an d e at e ggs . The former of these ceremonies, I did not think proper to | comply with; but I told them I had no objection to eat eggs, provided they would bring me eggs to eat. My landlord immediately brought me seven hens’ eggs, and was much surprised to find that I could not eat them raw; for it seems to be a prevalent opinion among the inhabitants of the interior, that Europeans subsist almost entirely on this diet. When I had succeeded, in persuading my landlord that this opinion was without foundation, and that I would gladly partake of any victuals which he might think proper to send me; he ordered a sheep to be killed, and part of it to be dressed for my supper. About midnight, when the Moors had left me, he paid me a visit, and with much earnestness, desired me to write him a saphie. “If a Moor’s saphie is good, (said this hospitable old man), a white man’s must needs be better.” I readily furnished him with one, possessed of all the virtues I could concentrate; for it contained the Lord’s prayer. The pen with which it was written was made of a reed; a little charcoal and gum-water made very tolerable ink, and a thin board answered the purpose of paper. July 25th. Early in the morning, before the Moors were assembled, I departed from Sansanding, and slept the ensuing night at a small town called Sibili; from whence, on the day following, I reached Nyara, a large town at some distance from the river, where I halted the 27th, to have my clothes washed, and recruit my horse. The Dooty there has a very commodious house, flat roofed, and two stories high. He shewed me some gunpowder of his own manufacturing: and | pointed out as a great curiosity, a little brown monkey, that was tied to a stake by the door, telling me that it came from a far distant country, called Kong. July 28th. I departed from Nyara, and reached Nyamee about noon. This town is inhabited chiefly by Foulahs, from the kingdom of Masina. The Dooty (I know not why), would not receive me, but civilly sent his son on horseback, to conduct me to Modiboo; which he assured me was at no great distance. We rode nearly in a direct line, through the woods; but in general went forwards with great circumspection. I observed that my guide frequently stopped, and looked under the bushes. On inquiring the 8 hens’] hen’s

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kleinen Hof davor, geführt ward, dessen Thüre Kaunti Mamadi verschloß, damit mich Niemand stören möchte. Das konnte aber die Mauren nicht abhalten. Sie stiegen über die Erdmauer, und kamen Haufenweise in den Hof, um mich, wie sie sagten, mein A bendg eb e t v e r r i c h t e n u n d E i e r e s s e n zu sehn. Das erste hielt ich nicht für nöthig, ihnen zu Gefallen zu thun; ich sagte ihnen aber, ich hätte gar nichts dagegen Eier zu essen, wenn sie mir welche bringen wollten. Mein Wirth holte sogleich sieben Hüner-Eier, und wunderte sich sehr, daß ich sie nicht roh essen konnte; denn es scheint eine allgemeine Meinung unter allen Einwohnern des Innern zu sein, daß dies die gewöhnlichste Kost der Europäer ist. Als ich meinen Wirth überzeugt hatte, daß diese Meinung ungegründet sei, und daß ich sehr gern mit jeder Speise vorlieb nehmen würde, die er mir reichen lassen wollte, so befahl er ein Schaaf zu schlachten und einen Theil davon zu meiner Abendmahlzeit zurecht zu machen. Um Mitternacht, als mich die Mauren verlassen hatten, besuchte er mich, und bat mich sehr ernstlich, ihm ein Safi zu schreiben. Wenn eines Mauren Safi gut ist, sagte der gastfreie alte Mann, so muß ein Safi von einem Weissen noch weit besser sein. Gern gab ich ihm eins das alle Tugenden besaß, die ich nur hinein legen konnte; es enthielt nemlich, das Gebet des Herrn. Die Feder, mit der ich schrieb, ward von einem Schilfrohr gemacht, etwas Kohle und Gummiwasser gab eine leidliche Dinte, und ein dünnes Brettchen diente statt Papiers. Am 25sten früh, ehe die Mauren sich noch versammeln konnten, verließ ich Sansanding, und schlief die folgende Nacht in der kleinen Stadt Sibili; am folgenden | Tage erreichte ich Niara, eine große Stadt in einiger Entfernung vom Strom, wo ich den 27sten blieb, um mein Zeug waschen, und mein Pferd ausruhen zu lassen. Der Duti hier hat ein sehr bequemes Haus, zwei Stockwerk hoch, mit einem platten Dach. Er zeigte mir etwas Schießpulver von seiner eignen Fabrik, und machte mich auf einen kleinen braunen Affen, der an einen Pfahl bei der Thüre angebunden war, als auf eine große Seltenheit, aufmerksam: er käme aus einem sehr entfernten Lande, Namens Kong. Den 28sten reiste ich von Niara ab, und erreichte gegen Mittag Niamih. Diese Stadt wird vorzüglich von Fulahs aus dem Königreich Masina bewohnt. Der Duti wollte mich, ich weiß nicht warum, nicht aufnehmen, gab mir aber sehr höflich seinen Sohn zu Pferde mit, um mich nach Modibuh zu bringen, bis wohin es nicht weit sein sollte. Wir ritten fast in grader Linie durch die Wälder, aber überall mit großer Vorsicht. Mein Führer hielt oft still, und sah unter die Büsche, 22 Dinte] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1368 20 Vgl. das Vaterunser in Mt 6,9–13

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reason of this caution, he told me that lions were very numerous in that part of the country, and frequently attacked people travelling through the woods. While he was speaking, my horse started, and looking round, I observed a large animal of the camelopard kind, standing at a little distance. The neck and fore legs were very long; the head was furnished with two short black horns, turning backwards; the tail, which reached down to the ham joint, had a tuft of hair at the end. The animal was of a mouse colour; and it trotted away from us in a very sluggish manner; moving its head from side to side, to see if we were pursuing it. Shortly after this, as we were crossing a large open plain, where there were a few scattered bushes, my guide, who was a little way before me, wheeled his horse round in a moment, calling out something in the Foulah language, which I did not understand. I inquired in Mandingo what he meant; Wara b i l l i b i l l i , a | very large lion, said he; and made signs for me to ride away. But my horse was too much fatigued: so we rode slowly past the bush, from which the animal had given us the alarm. Not seeing any thing myself, however, I thought my guide had been mistaken, when the Foulah suddenly put his hand to his mouth, exclaiming, S o u b a h a n al l ah i , (God preserve us!) and to my great surprise, I then perceived a large red lion, at a short distance from the bush, with his head couched between his fore paws. I expected he would instantly spring upon me, and instinctively pulled my feet from my stirrups, to throw myself on the ground, that my horse might become the victim, rather than myself. But it is probable the lion was not hungry; for he quietly suffered us to pass, though we were fairly within his reach. My eyes were so riveted upon this sovereign of the beasts, that I found it impossible to remove them, until we were at a considerable distance. We now took a circuitous route, through some swampy ground, to avoid any more of these disagreeable rencounters. At sunset we arrived at Modiboo; a delightful village on the banks of the Niger, commanding a view of the river for many miles, both to the east and west. The small green islands (the peaceful retreat of some industrious Foulahs, whose cattle are here secure from the depredations of wild beasts), and the majestic breadth of the river, which is here much larger than at Sego, render the situation one of the most enchanting in the world. Here are caught plenty of fish, by means of long cotton nets, which the natives make themselves; and use nearly in the same manner as nets are used in Europe. I observed the head | of a crocodile lying upon one of the houses, which they told me had been killed by the shepherds, in a swamp near the town. These ani37 plenty] great plenty

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weil, wie er sagte, die Löwen hier sehr häufig wären, und nicht selten diejenigen angriffen, welche durch die Wälder reisten. Indem er mir dies sagte, stutzte mein Pferd, und da ich mich umsah, sah ich in einer kleinen Entfernung ein großes Thier, aus dem Geschlecht der Giraffen stehn. Hals und Vorderbeine waren sehr lang; am Kopf hatte es zwei kurze schwarze Hörner, die rückwärts gebogen waren; der Schwanz reichte bis an die Knie, und endigte in ein Büschel Haare; die Farbe war mausefalb. Das Thier trabte schläfrig fort, und wandte nur den Kopf bisweilen von der Seite, um zu sehen, ob wir ihm nachsetzten. Kurz darauf, als wir eine große ofne Fläche durchschnitten, wo nur hin und her einzelne Büsche standen, wendete mein Führer der etwas voran ritt, auf einmal sein Pferd kurz um, und rief mir etwas in seiner Sprache zu, was | ich nicht verstand. Ich fragte ihn auf mandingoisch was es gäbe: Wa r a b i l l i b i l l i , „einen sehr großen Löwen” sagte er, und winkte mir davon zu jagen. Mein Pferd war aber zu ermüdet, und so ritten wir langsam um den Busch herum, aus dem das Thier uns den Schreck gegeben hatte. Ich sah nichts, und glaubte schon mein Führer habe sich geirrt, als er seine Hand in den Mund nahm und ausrief: S u b a h an A l l ah i , „Gott stehe uns bei!” und nun sah ich zu meinem großen Schreck einen gewaltigen rothen Löwen ohnweit des Busches, den Kopf zwischen die Vordertatzen gelegt. Ich erwartete, daß er den Augenblick auf mich losspringen würde, und machte mich aus den Steigbügeln los, um mich herunterwerfen zu können, damit lieber mein Pferd das Opfer würde als ich. Der Löwe war aber vermuthlich nicht hungrig; denn er ließ uns ruhig vorbeiziehn, ohnerachtet er uns sehr bequem hätte erreichen können. Meine Augen waren so fest auf diesen Monarchen der Thiere gerichtet, daß ich sie noch immer nicht wegwenden konnte, als wir schon weit entfernt waren. Wir nahmen nun einen Umweg durch einen Moorgrund, um nicht mehr dergleichen anzutreffen. Mit Sonnenuntergang kamen wir nach Modibuh, einem gar reizenden Dorfe an den Ufern des Nigers; es hat die Aussicht längs dem Fluß, sowol ost- als westwärts viele Meilen weit. Die kleinen grünen Inseln, die freundliche Zuflucht einiger emsigen Fulahs, deren Vieh hier vor den Räubereien der wilden Thiere sicher ist, und die majestätische Breite des Stromes, der hier weit größer ist als bei Sego, machen diesen Fleck zu einem der lieblichsten in der Welt. Man fängt hier sehr viel Fische, vermittelst großer baumwollener Netze, die man hier selbst verfertigt, und sich ihrer eben so bedient, wie in Europa. Auf einem von den Häusern sah ich den Kopf eines Krokodills liegen, den die Schäfer, wie ich hörte, in einem Sumpf nahe bei der Stadt erlegt hatten. Diese Thiere sind im Niger nicht ungewöhnlich, aber gefährlich, | glaube ich, sind sie selten. Für den Reisenden wenigstens sind sie nichts gegen die unermeßlichen

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mals are not uncommon in the Niger; but I believe they are not oftentimes found dangerous. They are of little account to the traveller, when compared with the amazing swarms of musketoes, which rise from the swamps and creeks, in such numbers as to harass even the most torpid of the natives; and as my clothes were now almost worn to rags, I was but ill prepared to resist their attacks. I usually passed the night, without shutting my eyes, walking backwards and forwards, fanning myself with my hat; their stings raised numerous blisters on my legs and arms; which, together with the want of rest, made me very feverish and uneasy. July 29th. Early in the morning, my landlord observing that I was sickly, hurried me away; sending a servant with me as a guide to Kea. But though I was little able to walk, my horse was still less able to carry me; and about six miles to the east of Modiboo, in crossing some rough clayey ground, he fell; and the united strength of the guide and myself, could not place him again upon his legs. I sat down for some time, beside this worn-out associate of my adventures; but finding him still unable to rise, I took off the saddle and bridle, and placed a quantity of grass before him. I surveyed the poor animal, as he lay panting on the ground, with sympathetic emotion; for I could not suppress the sad apprehension, that I should myself, in a short time, lie down and perish in the same manner, of fatigue and hunger. With this foreboding, I left my poor horse; and with great reluctance followed my | guide on foot, along the bank of the river, until about noon; when we reached Kea, which I found to be nothing more than a small fishing village. The Dooty, a surly old man, who was sitting by the gate, received me very coolly; and when I informed him of my situation, and begged his protection, told me, with great indifference, that he paid very little attention to fine speeches, and that I should not enter his house. My guide remonstrated in my favour, but to no purpose; for the Dooty remained inflexible in his determination. I knew not where to rest my wearied limbs, but was happily relieved by a fishing canoe belonging to Silla, which was at that moment coming down the river. The Dooty waved to the fisherman to come near, and desired him to take charge of me as far as Moorzan. The fisherman, after some hesitation, consented to carry me; and I embarked in the canoe, in company with the fisherman, his wife, and a boy. The Negro, who had conducted me from Modiboo, now left me; I requested him to look to my horse on his return, and take care of him if he was still alive, which he promised to do.

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Schwärme Muskito’s, die von den Sümpfen und Buchten in solcher Menge emporsteigen, daß es selbst den abgehärtetsten Negern beschwerlich wird. Da meine Kleider bereits aus einander fielen, war ich gegen ihre Angriffe sehr schlecht geschützt; ohne ein Auge zuzuthun, brachte ich gewöhnlich die Nacht zu, auf- und abgehend, und mit meinem Hut herumschlagend; von ihren Stichen bekam ich unzählige Blasen an Armen und Beinen, und diese nebst dem Mangel an Schlaf machten, daß mir sehr übel und fieberhaft zu Muthe ward. Am 29sten Juli, da mein Wirth merkte, daß ich kränklich war, trieb er des Morgens sehr zeitig auf meine Abreise, und gab mir einen Sklaven als Wegweiser nach Kih mit. Ich konnte nicht gut gehen, aber noch weniger konnte mein Pferd mich tragen, und etwa sechs Meilen ostwärts von Modibuh fiel es um, als wir eben einen schweren Lehmgrund paßirten; mein Führer und ich strengten alle unsere Kräfte an, um ihm wieder auf die Beine zu helfen, aber umsonst. Ich setzte mich eine Weile neben diesem nun ganz erschöpften Gefährten meiner Abentheuer hin; da er aber immer außer Stande blieb aufzustehen, nahm ich ihm Sattel und Zaum ab, und legte ihm einen Haufen Gras hin. Ich sah das arme Thier, wie es keuchend auf der Erde lag, mit sympathetischer Rührung an; denn ich konnte die traurige Besorgniß nicht unterdrücken, daß ich selbst in kurzem eben so da liegen, und vor Mattigkeit und Hunger umkommen würde. Mit dieser Ahnung verließ ich mein armes Pferd, und folgte schwer und ungern meinem Führer zu Fuß längs den Ufern des Flusses. Kih, welches wir um Mittag erreichten, ist nichts als ein kleines Fischerdorf, und der Duti, ein verdrießlicher alter Mann, der am Thore saß, nahm mich sehr kalt auf und sagte, da ich | ihm meine Lage schilderte: er kümmere sich wenig um schöne Reden, und ich solle nur nicht in sein Haus gehen. Es half nichts, daß mein Führer für mich sprach; er blieb unbeweglich auf seinem Sinn. Zum Glück kam ein Fischerkahn, der nach Silla gehörte, eben den Fluß herunter. Der Duti rief die Fischer heran, und bat sie, mich bis Muhrzan mitzunehmen; nach einigen Bedenklichkeiten willigten sie ein, und ich bestieg den Kahn, worin der Fischer, seine Frau und ein Knabe sich befanden. Den Neger bat ich, auf seinem Rückwege nach meinem Pferde zu sehen, und sich seiner anzunehmen, wenn es noch lebte, was er auch versprach.

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17 hin;] hin,

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Departing from Kea, we proceeded about a mile down the river, when the fisherman paddled the canoe to the bank, and desired me to jump out. Having tied the canoe to a stake, he stripped off his clothes, and dived for such a length of time, that I thought he had actually drowned himself, and was surprised to see his wife behave with so much indifference upon the occasion; but my fears were over when he raised up his head astern of the canoe, and called for a rope. With this rope he dived a second time; and then got into the canoe, and | ordered the boy to assist him in pulling. At length, they brought up a large basket, about ten feet in diameter, containing two fine fish, which the fisherman (after returning the basket into the water), immediately carried ashore, and hid in the grass. We then went a little farther down, and took up another basket, in which was one fish. The fisherman now left us, to carry his prizes to some neighbouring market: and the woman and boy proceeded with me in the canoe, down the river. About four o’clock, we arrived at Moorzan, a fishing town on the northern bank; from whence I was conveyed across the river to Silla, a large town; where I remained until it was quite dark, under a tree, surrounded by hundreds of people. But their language was very different from the other parts of Bambarra; and I was informed that, in my progress eastward, the Bambarra tongue was but little understood, and that when I reached Jenné, I should find that the majority of the inhabitants spoke a different language, called Jenné Kummo by the Negroes; and K al am So u d an , by the Moors. With a great deal of entreaty, the Dooty allowed me to come into his baloon, to avoid the rain; but the place was very damp, and I had a smart paroxysm of fever, during the night. Worn down by sickness, exhausted with hunger and fatigue; half naked, and without any article of value, by which I might procure provisions, clothes, or lodging; I began to reflect seriously on my situation. I was now convinced, by painful experience, that the obstacles to my further progress were insurmountable. The tropical rains were already | set in, with all their violence; the rice grounds and swamps, were every where overflowed; and, in a few days more, travelling of every kind, unless by water, would be completely obstructed. The Kowries which remained of the King of Bambarra’s present, were not sufficient to enable me to hire a canoe for any great distance; and I had but little hopes of subsisting by charity, in a country where the Moors have such influence. But above all, I perceived that I was advancing, more and more, within the power of those merciless fanatics; and from my reception both at Sego and Sansanding, I was apprehensive that, in attempting to reach even Jenné (unless under the protection of some man of consequence

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Als wir etwa eine Meile den Fluß hinunter gefahren waren, ruderte der Fischer den Kahn ans Ufer und hieß mich aussteigen. Er band den Kahn an einen Pfahl, warf seine Kleider ab, und tauchte so lange unter, daß ich wirklich glaubte, er sei ertrunken, und mich sehr wunderte, seine Frau so gleichgültig zu sehn. Endlich kam er hinter dem Kahn wieder zum Vorschein, er rief nach einem Strick, mit diesem tauchte er zum zweiten Male unter, kam dann in den Kahn, und befahl dem Knaben ihm ziehen zu helfen. Sie brachten einen großen Korb herauf, etwa zehn Fuß im Durchmesser, worin zwei schöne Fische waren, die der Fischer, nachdem der Korb wieder ins Wasser gelassen worden, sogleich ans Land trug und im Grase versteckte. Ein wenig weiter unten wurde noch ein Korb heraufgezogen, worin Ein Fisch war. Der Fischer verließ uns nun, um seinen Fang auf den nächsten Markt zu tragen, und die Frau und der Knabe fuhren mit mir weiter den Fluß hinunter. Um vier Uhr kamen wir nach Muhrzan, einem Fischerort am nördlichen Ufer; von da ward ich über den Fluß nach Silla, einer großen Stadt, geführt, wo ich, bis es völlig finster ward, unter einem Baume blieb, umgeben von vielen hundert Menschen. Ihre Sprache war | von der in andern Gegenden von Bambarra völlig verschieden, und ich erfuhr, daß weiter ostwärts die Bambarranische Sprache wenig verstanden würde, und daß ich in Dschenneh den größeren Theil der Einwohner eine ganz andere würde reden hören, welche die Neger D s c h e n n e h - K u m m o , die Mauren Kalam-Sudan nennen. Auf vieles Bitten erlaubte mir der Duti in seinen Baluhn zu kommen, um mich vor dem Regen zu bergen; es war aber sehr feucht da, und ich hatte in der Nacht einen Fieberanfall. Nun fing ich an ernstlich über meine Lage nachzudenken: ich war durch Krankheit heruntergebracht, von Hunger und Mühseligkeiten erschöpft, halb nackend, und ohne irgend etwas von Werth, wodurch ich mir hätte Speise, Wohnung und Kleider verschaffen können. Durch eine schmerzliche Erfahrung war ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß sich meinem weiteren Vordringen unübersteigliche Schwierigkeiten in den Weg stellten. Die tropischen Regen traten schon in ihrer ganzen Heftigkeit ein; die Reisfelder und Niederungen waren überall überschwemmt, und wenige Tage weiterhin wäre jede andere Art zu reisen, als zu Wasser, völlig unmöglich gewesen. Die Kauries, die mir noch von Mansongs Geschenk übrig geblieben waren, hätten nicht hingereicht, um einen Kahn für einen beträchtlichen Weg zu miethen, und ich hatte wenig Hofnung in einer Gegend, wo die Mauren so viel Einfluß haben, bloß 24 Ka l a m- S u d a n ] so DV; OD: K a l a m - S u c h d a n

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amongst them, which I had no means of obtaining), I should sacrifice my life to no purpose; for my discoveries would perish with me. The prospect either way was gloomy. In returning to the Gambia, a journey on foot of many hundred miles presented itself to my contemplation, through regions and countries unknown. Nevertheless, this seemed to be the only alternative; for I saw inevitable destruction in attempting to proceed to the eastward. With this conviction on my mind, I hope my readers will acknowledge, that I did right in going no farther. I had made every effort to execute my mission in its fullest extent, which prudence could justify. Had there been the most distant prospect of a successful termination, neither the unavoidable hardships of the journey, nor the dangers of a second captivity, should have forced me to desist. This, however, necessity compelled me to do; and whatever may be the opinion of my general readers on this point, it affords me inexpressible | satisfaction, that my honourable employers have been pleased, since my return, to express their full approbation of my conduct.

Having thus brought my mind, after much doubt and perplexity, to a determination to return westward; I thought it incumbent on me, before I left Silla, to collect from the Moorish and Negro traders, all the information I could, concerning the further course of the Niger eastward; and the situation and extent of the kingdoms in its vicinage; and the following few notices I received from such various quarters, as induce me to think they are authentic. Two short days’ journey to the eastward of Silla, is the town of Jenné, which is situated on a small island in the river; and is said to contain a greater number of inhabitants than Sego itself, or any other town in Bambarra. At the distance of two days more, the river spreads into a considerable lake, called D i b b i e (or the dark lake), concerning the extent of which, all the information I could obtain was, that in crossing it, from west to east, the canoes lose sight of land one whole day. From this lake, the water issues in many different streams, which terminate in two large branches, one whereof flows towards the 4 miles] miles,

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von der allgemeinen Wohlthätigkeit leben zu können. Vor allen Dingen aber sah ich deutlich, daß ich je weiter landeinwärts desto mehr in die Gewalt dieser fühllosen fanatischen Barbaren käme, und meine Aufnahme in Sego und in Sansanding ließ mich befürchten, daß ich schon bei dem Versuch, Dschenneh zu erreichen, wenn es nicht unter dem Schutz eines angesehenen Mauren geschähe, den ich doch auf keine Weise zu erlangen wußte, mein Leben einbüßen würde, und das ganz ohne | Nutzen, denn meine Entdeckungen würden mit mir untergehen. Die Aussicht war auf beiden Seiten sehr trübe. Wollte ich nach dem Gambia zurück kehren, so hatte ich viele hundert Meilen durch ein Land zu wandern, welches mir ganz unbekannt war. Dennoch war dies das einzige was mir übrig blieb; denn bei jedem Versuch ostwärts vorzudringen, sah ich meinen unvermeidlichen Untergang vor Augen. In dieser festen Ueberzeugung wird, hoffe ich, der Leser gestehen, daß ich Recht that nicht weiter zu gehen. Ich hatte alles, was die Klugheit zuließ, versucht, um meiner Sendung in ihrem ganzen Umfang Genüge zu leisten. Wäre nur die entfernteste Aussicht zu einem glücklichen Ausgang gewesen, so hätten mich weder die unvermeidlichen Beschwerden der Reise, noch die Gefahren einer zweiten Gefangenschaft bewegen sollen meinen Vorsatz aufzugeben. Dazu war ich aber jetzt schlechterdings genöthigt, und wie auch die Leser im Allgemeinen darüber denken mögen, meine verehrten Committenten haben mir bei meiner Rückkunft ihre vollkommne Zufriedenheit mit meinem Benehmen zu erkennen gegeben. Nachdem ich endlich durch viele Zweifel und Bedenklichkeiten hindurch zu dem Entschluß gekommen war, nach Westen umzukehren, hielt ich es für meine Pflicht, ehe ich Silla verließ, von den Maurischen und Neger-Kaufleuten über den östlichen Lauf des Nigers und die Lage und den Umfang der daran stoßenden Reiche soviel Nachrichten einzuziehen, als ich nur immer könnte, und die folgenden wenigen Angaben habe ich aus soviel verschiedenen Quellen erhalten, daß ich sie füglich als authentisch ansehen kann. Zwei kleine Tagereisen ostwärts von Silla liegt die Stadt Dschenneh auf einer kleinen Insel im Strome; sie soll mehr Einwohner haben als Sego selbst, oder irgend eine andere Stadt in Bambarra. Zwei Tagereisen weiterhin breitet sich der Strom in einen ansehnlichen See aus, welcher D i b b i h oder der schwarze See heißt, und über dessen Größe ich keine weitere Nachricht erhalten konnte, als daß die Kähne, wenn sie ihn von Westen nach Osten durchschneiden, einen ganzen Tag lang das Land aus dem Gesicht verlieren. Aus diesem See kommt das Wasser in verschiedenen Strömen hervor, die sich in zwei große Arme vereinigen, von denen der eine nordostwärts, der andere ostwärts fließt; aber auch diese vereinigen sich wieder bei Kabra, welches eine

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north-east, and the other to the east; but these branches join at Kabra, which is one day’s journey to the southward of Tombuctoo, and is the port or shipping-place of that city. The tract of land which the two streams encircle, is called Jinbala, and is inhabited by Negroes; and the whole distance, by land, from Jenné to Tombuctoo, is twelve days’ journey.| From Kabra, at the distance of eleven days’ journey, down the stream, the river passes to the southward of Houssa, which is two days’ journey distant from the river. Of the further progress of this great river, and its final exit, all the natives with whom I conversed, seem to be entirely ignorant. Their commercial pursuits seldom induce them to travel further than the cities of Tombuctoo and Houssa; and as the sole object of those journies is the acquirement of wealth, they pay but little attention to the course of rivers, or the geography of countries. It is, however, highly probable that the Niger affords a safe and easy communication between very remote nations. All my informants agreed, that many of the Negro merchants who arrive at Tombuctoo and Houssa, from the eastward, speak a different language from that of Bambarra, or any other kingdom with which they are acquainted. But even these merchants, it would seem, are ignorant of the termination of the river, for such of them as can speak Arabic, describe the amazing length of its course in very general terms; saying only, that they believe i t r u n s t o t h e w orld’s end. The names of many kingdoms to the eastward of Houssa, are familiar to the inhabitants of Bambarra. I was shewn quivers and arrows of very curious workmanship, which I was informed came from the kingdom of Kassina. On the northern bank of the Niger, at a short distance from Silla, is the kingdom of Masina, which is inhabited by Foulahs. They employ themselves there, as in other places, chiefly in pasturage, and pay an annual tribute to the King of Bambarra, for the lands which they occupy.| To the north-east of Masina, is situated the kingdom of Tombuctoo, the great object of European research; the capital of this kingdom being one of the principal marts for that extensive commerce which the Moors carry on with the Negroes. The hopes of acquiring wealth in this pursuit, and zeal for propagating their religion, have filled this extensive city with Moors and Mahomedan converts; the king himself, and all the chief officers of state are Moors; and they are said to be more severe and intolerant in their principles than any other of the Moorish tribes in this part of Africa. I was informed by a venerable old Negro, that when he first visited Tombuctoo, he took

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Tagereise südwärts von Tombuktu liegt, und der Hafen oder Ladungsplatz für diese Stadt ist. Der Landstrich, den die beiden Ströme einschließen, heißt D s c h i n b al a, und ist von Negern bewohnt, und die ganze Entfernung von Dschenneh nach Tombuktu beträgt zu Lande zwölf Tagereisen. Eilf Tagereisen von Kabra, den Strom hinunter, geht er südlich vor Hussa vorbei, in einer Entfernung von zwei Tagereisen. Mit dem weiteren Lauf dieses großen Stromes und seinem Ende, schienen alle Einwohner, mit denen ich sprach, gänzlich unbekannt zu sein. Ihr kaufmännisches Interesse führt sie selten weiter als bis Tombuktu und Hussa, und da es ihnen bei diesen Reisen nur um ihren Erwerb zu thun ist, so bekümmern sie sich wenig um den Lauf der Ströme oder die Geographie des Landes. Höchst wahrscheinlich ist es aber, daß der Niger zwischen sehr entfernten Völkern eine sichre und leichte Gemeinschaft eröffnet. Alle stimmten darin überein, daß die Sprache vieler von den Negerkaufleuten, die von Osten her nach Tombuktu und Hussa kommen, von der bambarranischen und der in allen andern ihnen bekannten Reichen völlig verschieden sei. Diese Kaufleute selbst aber scheinen von dem Ende des Stromes nichts zu wissen, indem diejenigen unter ihnen, welche arabisch sprechen können, von der erstaunlichen Länge seines Laufes nur in höchst allgemeinen Ausdrücken reden; sie glauben, sagen sie, er ginge bis an der Welt En d e .| Die Namen vieler Königreiche östlich von Hussa, wissen die Bambarraner. Es wurden mir Bogen und Pfeile von sehr sonderbarer Arbeit gezeigt, und gesagt, sie kämen aus dem Königreich Kassina. Am nördlichen Ufer des Niger, nicht weit von Silla, ist das Königreich Masina, welches von Fulah’s bewohnt wird. Sie legen sich hier, wie überall, vornehmlich auf die Viehzucht, und bezahlen dem König von Bambarra einen jährlichen Tribut von dem Lande, welches sie inne haben. Nordöstlich von Masina liegt das Königreich Tombuktu, der große Gegenstand der europäischen Nachforschungen, dessen Hauptstadt einer der wichtigsten Marktplätze für den ausgebreiteten Handel zwischen den Mauren und Negern ist. Die Hoffnung auf diesem Wege Reichthümer zu erwerben, und der Eifer für die Ausbreitung der Religion, haben diese Stadt mit Mauren und mahomedanischen Proselyten angefüllt; der König selbst und die vornehmsten Staatsbedienten sind Mauren, und sie sollen in ihren Grundsätzen strenger und unduldsamer sein, als irgend ein anderer Stamm in diesem Theile von Afrika. Ein alter ehrwürdiger Neger erzählte mir, er habe, da er zum

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up his lodging at a sort of public inn, the landlord of which, when he conducted him into his hut, spread a mat on the floor, and laid a rope upon it; saying “if you are a Mussulman, you are my friend, sit down; but if you are a Kafir, you are my slave; and with this rope, I will lead you to market.” The present King of Tombuctoo is named Abu Ab r a h i m a ; he is reported to possess immense riches. His wives and concubines are said to be clothed in silk, and the chief officers of state live in considerable splendour. The whole expence of his government is defrayed, as I was told, by a tax upon merchandize, which is collected at the gates of the city.

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The city of Houssa, (the capital of a large kingdom of the same name, situated to the eastward of Tombuctoo,) is another great mart for Moorish commerce. I conversed with many merchants who had visited that city; and they all agreed that it is larger, and more populous, than Tombuctoo. The trade, police, and government, are nearly the same in both; but | in Houssa, the Negroes are in greater proportion to the Moors, and have some share in the government. Concerning the small kingdom of Jinbala, I was not able to collect much information. The soil is said to be remarkably fertile, and the whole country so full of creeks and swamps, that the Moors have hitherto been baffled in every attempt to subdue it. The inhabitants are Negroes, and some of them are said to live in considerable affluence, particularly those near the capital; which is a resting-place for such merchants as transport goods from Tombuctoo to the western parts of Africa. To the southward of Jinbala, is situated the Negro kingdom of Gotto, which is said to be of great extent. It was formerly divided into a number of petty states, which were governed by their own chiefs; but their private quarrels invited invasion from the neighbouring kingdoms. At length a politic chief, of the name of Moossee, had address enough to make them unite in hostilities against Bambarra; and on this occasion he was unanimously chosen general; the different chiefs consenting for a time to act under his command. Moossee immediately dispatched a fleet of canoes, loaded with provisions, from the banks of the lake Dibbie up the Niger, towards Jenné, and with the whole of his army pushed forwards into Bambarra. He arrived on the bank of the Niger opposite to Jenné, before the townspeople had the smallest intimation of his approach; his fleet of canoes joined him the same day, and having landed the provisions, he embarked part of

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erstenmal nach Tombuktu gekommen sei, sein Quartier in einer Art von öffentlichem Gasthause genommen, und als der Wirth ihn in seine Hütte geführt, habe er eine Matte auf den Boden gebreitet und einen Strick darauf gelegt, wobei er ihn also angeredet: „Bist du ein Muselmann, so bist du mein Freund, und kannst dich niedersetzen; bist du aber ein Kafir, so bist du mein Sklave und ich will dich an diesem Strick zu Markte führen“. Der jetzige König von Tombuktu heißt A b u Ab r a h i m a und soll unermeßliche Reichthümer besitzen. Seine Frauen und Konkubinen sind in Seide gekleidet, und die obersten Staatsbedienten leben in großem Glanz. Alle Unkosten der Regierung werden, wie man mir sagte, | durch eine, auf die Waaren gelegte Taxe bestritten, welche an den Thoren der Stadt eingehoben wird. Die Stadt Hussa, die Hauptstadt eines großen Reiches gleichen Namens östlich von Tombuktu, ist ein anderer großer Markt für den maurischen Handel. Ich sprach mit vielen Kaufleuten, die in dieser Stadt gewesen waren, und sie waren darüber einig, daß sie größer und volkreicher sei als Tombuktu. Handel, Polizei und Verfassung, sind in beiden fast einerlei, nur daß in Hussa verhältnißweise viel weniger Mauren sind, daher auch die Neger einigen Antheil an der Regierung haben. Ueber das kleine Königreich Dschinbala konnte ich nicht viel Auskunft bekommen. Der Boden soll sehr fruchtbar und das ganze Land so sehr von Gewässern und morastigen Niederungen durchschnitten sein, daß die Mauren bisher bei jedem Versuch es zu erobern zurückgewiesen worden sind. Die Einwohner sind Neger, und viele unter ihnen sollen in einem artigen Wohlstande leben; besonders in der Nähe der Hauptstadt, welche ein Ruheplatz für die Kaufleute ist, die Güter von Tombuktu nach den westlichen Gegenden von Afrika führen. Südwärts von Dschinbala liegt das Neger-Königreich Gotto, welches von weitem Umfang sein soll. Ehedem war es in eine Menge kleiner Staaten getheilt, deren jeder von seinem eigenen Oberhaupt regiert wurde; ihre Streitigkeiten untereinander begünstigten aber Einfälle von den benachbarten Königreichen her. Endlich gelang es einem von diesen Oberhäuptern, Namens Mußi, sie alle zum Kriege gegen Bambarra zu vereinigen; bei dieser Gelegenheit ward er einmüthig zum General erwählt, indem die anderen Oberhäupter es sich gefallen ließen, eine Zeitlang unter seinen Befehlen zu stehn. Mußi rüstete sogleich an den Ufern des schwarzen Sees eine | Flotte von Kähnen aus, die er mit Proviant beladen den Niger hinauf nach Dschenneh 6 mein Sklave] so DV; OD: ein Sklave 13 gleichen] gleiches Gegend 33 untereinander] untereinander,

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his army, and in the night took Jenné by storm. This event so terrified the King of | Bambarra, that he sent messengers to sue for peace, and in order to obtain it, consented to deliver to Moossee a certain number of slaves every year; and return every thing that had been taken from the inhabitants of Gotto. Moossee, thus triumphant, returned to Gotto, where he was declared king, and the capital of the country is called by his name.

On the west of Gotto, is the kingdom of Baedoo, which was conquered by the present King of Bambarra about seven years ago, and has continued tributary to him ever since. West of Baedoo, is Maniana; the inhabitants of which, according to the best information I was able to collect, are cruel and ferocious; carrying their resentment towards their enemies, so far as never to give quarter; and even to indulge themselves with unnatural and disgusting banquets of human flesh. I am well aware that the accounts which the Negroes give of their enemies, ought to be received with great caution; but I heard the same account in so many different kingdoms, and from such variety of people, whose veracity I had no occasion to suspect, that I am disposed to allow it some degree of credit. The inhabitants of Bambarra, in the course of a long and bloody war, must have had frequent opportunities of satisfying themselves as to the fact: and if the report had been entirely without foundation, I cannot conceive why the term M a d u m m u l o , (man eaters), should be applied exclusively to the inhabitants of Maniana.|

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schickte, und er setzte sich mit seiner ganzen Armee gegen das Bambarranische in Bewegung. Er kam an den Ufern des Nigers, Dschenneh gegenüber, an, ehe noch die Einwohner das geringste von seiner Annäherung erfahren hatten; seine Kahnflotte stieß denselben Tag zu ihm, und nachdem er seine Vorräthe gelandet hatte, schiffte er einen Theil seiner Armee ein, und eroberte in der Nacht Dschenneh mit Sturm. Diese Begebenheit setzte den König von Bambarra in solche Furcht, daß er durch Abgesandte um Frieden bitten ließ, und sich dazu verstand, dem Mußi jährlich eine gewisse Anzahl von Sklaven zu bezahlen und alles wieder zu erstatten, was den Einwohnern von Gotto war genommen worden. Mußi kehrte triumphirend nach Gotto zurück, wo er zum König ausgerufen und die Hauptstadt des Landes nach seinem Namen benannt wurde. Westwärts von Gotto ist das Königreich Baeduh, welches ohngefähr vor sieben Jahren von dem jetzigen König von Bambarra erobert wurde, und ihm seitdem zinsbar geblieben ist. Westwärts von Baeduh liegt Maniana, dessen Bewohner nach den besten Nachrichten, die ich einziehn konnte, grausam und wild sind. Sie sind gegen ihre Feinde so erbittert, daß sie nie Pardon geben, und sogar unnatürliche und ekelhafte Gastmäler von Menschenfleisch anstellen. Ich weiß wohl, daß man die Nachrichten, welche die Neger von ihren Feinden geben, immer für sehr verdächtig halten muß; aber ich habe dieselbe Erzählung in so verschiedenen Ländern, und von so verschiedenen Menschen gehört, gegen deren Glaubhaftigkeit ich gar nichts einzuwenden hatte, daß ich in der That geneigt bin, ihr | einigen Glauben beizumessen. Die Bambarraner müssen während eines langen und blutigen Krieges häufig Gelegenheit gehabt haben, über diesen Punkt hinter die Wahrheit zu kommen, und wenn die Sache ganz ohne Grund wäre, so begreife ich nicht, wie mau den Namen M a D u m m u l o „Menschenfresser” so ausschließend den Einwohnern von Maniana beilegen würde.

28 Krieges] Krieges,

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CHAPTER XVII. T h e A u t h or r e t ur n s Wes t w a rd — a r ri v e s at M o d ib o o , an d r e co v e r s h i s H o r s e— f i n ds g r e at D i f fi c u l ty i n t ra v e l li n g , in c o n se q u en c e o f t h e R ai n s , an d t h e o v e r fl o w i ng o f t he R i v er ; — i s i n f o rm e d t ha t t h e K i n g of B a m ba r r a ha d s e nt P e r so n s t o a p p r eh e nd h i m :— a v o id s S e go , a n d p r o s ec u t e s h i s J ou r n e y a l o n g t h e B a nk s o f th e N i ge r. — In c i d en t s o n t h e R oa d . — Cr u e l ti e s a tt e nd a n t on A f r ic a n War s . — Th e A u th o r c ro s s e s t h e R iv e r F r in a , a nd a r r iv e s a t Ta f f ar a .

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Having, for the reasons assigned in the last Chapter, determined to proceed no farther eastward than Silla, I acquainted the Dooty with my intention of returning to Sego, proposing to travel along the southern side of the river; but he informed me, that, from the number of creeks and swamps on that side, it was impossible to travel by any other route than along the northern bank; and even that route, he said, would soon be impassable, on account of the overflowing of the river. However, as he commended my determination to return westward, he agreed to speak to some one of the fishermen to carry me over to Moorzan. I accordingly stepped into a canoe about eight o’clock in the morning of July 30th, and in about an hour was landed at Moorzan. At this place I hired a canoe for sixty Kowries, and in the afternoon arrived at Kea; where, for forty Kowries | more, the Dooty permitted me to sleep in the same hut with one of his slaves. This poor Negro, perceiving that I was sickly, and that my clothes were very ragged, humanely lent me a large cloth to cover me for the night. July 31st. The Dooty’s brother being going to Modiboo, I embraced the opportunity of accompanying him thither, there being no beaten road. He promised to carry my saddle, which I had left at Kea when my horse fell down in the woods, as I now proposed to present it to the King of Bambarra. We departed from Kea at eight o’clock, and about a mile to the westward observed, on the bank of the river, a great number of earthen jars, piled up together. They were very neatly formed, but not glazed; and were evidently of that sort of pottery which is manufactured at Downie (a town to the west of Tombuctoo), and sold to great advantage in different parts of Bambarra. As we approached towards

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Der Verfasser wendet sich wieder nach Westen, und findet sein Pferd wieder. – Beschwerden auf der Reise wegen der Ueberschwemmungen. – Er erfährt, daß der König von Bambarra ihn gefangen nehmen lassen will, vermeidet Sego und reist längst den Ufern des Niger weiter. – Ankunft in Taffara.

Nachdem ich mich aus den oben erzählten Ursachen entschlossen hatte, von Silla aus nicht weiter ostwärts zu gehn, sagte ich dem Duti, ich wäre gesonnen, nach Sego zurückzukehren, und wollte meinen Weg am südlichen Ufer des Stroms nehmen; er sagte mir aber, daß es wegen der vielen Buchten und Sümpfe, an dieser Seite nicht möglich wäre, einen andern Weg zu nehmen, als am nördlichen Ufer, und auch dieser Weg, würde wegen der Ueberschwemmungen bald nicht mehr zu passiren sein. Da er übrigens meinen Entschluß nach Westen umzukehren billigte, redete er mit einem von den Fischern, wegen meiner Ueberfahrt nach Murzan. Ich setzte mich also am 30sten Juli, Morgens um acht Uhr, in einen Kahn, und in einer halben Stunde war ich in Murzan gelandet. Hier miethete ich für 60 Kauries einen Kahn, und kam Nachmittags nach Kih, wo mir der Duti für vierzig Kauries die Erlaubniß ertheilte, mit einem von seinen Sklaven in einer Hütte zu schlafen. Da dieser arme Neger sah, wie krank ich war, und wie zerrissen meine Kleider, lieh er mir eine große Decke, um mich in der Nacht darin einzuhüllen. Den 31sten Juli, da des Dutis Bruder nach Modibuh ging, nahm ich diese Gelegenheit wahr, und begleitete ihn; denn es giebt keinen gebahnten Weg dorthin. Er versprach mir meinen Sattel zu tragen, den ich in Kih gelassen hatte, und mit dem ich nun dem König von Bambarra ein Geschenk machen wollte.| Etwa eine Meile westwärts von Kih, sahen wir am Ufer des Flusses eine große Menge irdener Krüge, sehr ordentlich aufgestellt. Sie waren sehr niedlich geformt, aber nicht glasirt, und offenbar von der Art Töpferwaare, die man zu Dauni, einer Stadt westwärts von Tombuktu, verfertigt, und sehr vortheilhaft in mehreren Gegenden von Bambarra verkauft. Als wir uns den Krügen näherten, pflückte mein

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the jars, my companion plucked up a large handful of herbage, and threw it upon them; making signs for me to do the same, which I did. He then, with great seriousness, told me that these jars belonged to some supernatural power; that they were found in their present situation about two years ago; and as no person had claimed them, every traveller as he passed them, from respect to the invisible proprietor, threw some grass, or the branch of a tree, upon the heap, to defend the jars from the rain. Thus conversing, we travelled in the most friendly manner until, unfortunately, we perceived the footsteps of a lion, quite fresh in the mud, near the river side. My companion now proceeded with great circumspection; and at last, coming to some | thick underwood, he insisted that I should walk before him. I endeavoured to excuse myself, by alleging that I did not know the road; but he obstinately persisted; and after a few high words and menacing looks, threw down the saddle and went away. This very much disconcerted me; but as I had given up all hopes of obtaining a horse, I could not think of encumbering myself with the saddle; and taking off the stirrups and girths, I threw the saddle into the river. The Negro no sooner saw me throw the saddle into the water, than he came running from among the bushes where he had concealed himself, jumped into the river, and by help of his spear brought out the saddle, and ran away with it. I continued my course along the bank; but as the wood was remarkably thick, and I had reason to believe that a lion was at no great distance, I became much alarmed, and took a long circuit through the bushes to avoid him. About four in the afternoon I reached Modiboo, where I found my saddle. The guide, who had got there before me, being afraid that I should inform the king of his conduct, had brought the saddle with him in a canoe. While I was conversing with the Dooty, and remonstrating against the guide for having left me in such a situation, I heard a horse neigh in one of the huts; and the Dooty inquired, with a smile, if I knew who was speaking to me? He explained himself, by telling me that my horse was still alive, and somewhat recovered from his fatigue; but he insisted that I should take him along with me; adding, that he had once kept a Moor’s horse for four months, and when the horse had recovered and got | into good condition, the Moor returned and claimed it, and refused to give him any reward for his trouble. August 1st. I departed from Modiboo, driving my horse before me; and in the afternoon reached Nyamee, where I remained three

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Begleiter eine Handvoll Gras, und warf es darauf, machte mir auch ein Zeichen dasselbige zu thun. Hierauf erzählte er mir sehr ernsthaft: diese Krüge gehörten irgend einem überirdischen Wesen; sie wären vor zwei Jahren in ihrer gegenwärtigen Lage gefunden worden, und da sich niemand dazu gemeldet habe, so werfe nun jeder Reisende, aus Ehrfurcht vor dem unsichtbaren Eigenthümer, im Vorbeigehn etwas Gras oder einen Zweig darauf, um sie vor dem Regen zu schützen. Indem wir so in freundschaftlicher Unterhaltung unsern Weg fortsetzten, sahen wir die Spur eines Löwen noch ganz frisch im Schlamm an der Flußseite. Mein Gefährte ging nun nur mit der äußersten Behutsamkeit vorwärts; als wir aber an dickes Strauchwerk kamen, bestand er darauf, ich sollte voran gehen. Ich suchte mich damit zu entschuldigen, daß ich den Weg nicht wisse, er beharrte aber bei seiner Forderung, und nach einigen lauten Worten und drohenden Blicken, warf er meinen Sattel hin, und ging fort. Dies brachte mich sehr aus der Fassung. Da ich aber alle Hoffnung aufgegeben hatte, wieder ein Pferd zu bekommen, konnte ich nicht daran denken, mich mit dem Sattel zu beladen; ich nahm also nur den Gurt und die Steigbügel davon, und warf den Sattel in den Fluß. Kaum hatte dies der Neger gesehen, so kam er aus dem Busch, in welchem er sich versteckt hatte, hervorgesprungen, stürzte sich ins Wasser, holte mit Hülfe seines Speers den Sattel heraus, und | rannte damit fort. Ich ging längst dem Ufer weiter, da aber der Wald sehr dick war, und ich alle Ursach hatte zu glauben, daß ein Löwe in der Nähe wäre, war ich sehr ängstlich, und nahm einen großen Umweg durch die Büsche, um ihn zu vermeiden. Gegen vier Uhr erreichte ich Modibuh, wo ich meinen Sattel fand. Dem Neger, der früher ankam, war bange geworden, ich möchte dem Könige von seiner Aufführung erzählen, und darum hatte er den Sattel in einem Kahn mitgebracht. Indem ich über dies Betragen des Wegweisers, der mich in einer solchen Lage verlassen hatte, mit dem Duti sprach, hörte ich ein Pferd wiehern und der Duti fragte, ob ich wol wüßte wer mit mir spräche? Er sagte mir, daß mein Pferd noch lebe, und sich etwas von seiner Schwäche erholt habe, zugleich bestand er aber darauf, daß ich es mitnehmen solle; denn er habe einmal eines Mauren Pferd vier Monate lang bei sich gehabt, und als es wieder in gutem Stande gewesen, habe es der Maur zurückgefordert, und sich geweigert ihm irgend eine Belohnung für seine Mühe zu geben. Den 1sten August ging ich, mein Pferd vor mir hertreibend, von Modibuh ab, und erreichte Niamih, wo ich drei Tage blieb, weil es

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days; during which time it rained without intermission, and with such violence, that no person could venture out of doors. Aug. 5th. I departed from Nyamee; but the country was so deluged, that I was frequently in danger of losing the road, and had to wade across the savannahs for miles together, knee deep in water. Even the corn ground, which is the driest land in the country, was so completely flooded, that my horse twice stuck fast in the mud, and was not got out without the greatest difficulty.

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In the evening of the same day, I arrived at Nyara, where I was well received by the Dooty; and as the 6th was rainy, I did not depart until the morning of the 7th; but the water had swelled to such a height, that in many places the road was scarcely passable; and though I waded breast deep across the swamps, I could only reach a small village called Nemaboo, where, however, for an hundred Kowries, I procured from some Foulahs, plenty of corn for my horse, and milk for myself. Aug. 8th. The difficulties I had experienced the day before, made me anxious to engage a fellow-traveller; particularly as I was assured, that, in the course of a few days, the country would be so completely overflowed, as to render the road utterly impassable; but though I offered two hundred Kowries for a guide, nobody would accompany me. However, on the morning | following, (August 9th), a Moor and his wife, riding upon two bullocks, and bound for Sego with salt, passed the village, and agreed to take me along with them; but I found them of little service; for they were wholly unacquainted with the road, and being accustomed to a sandy soil, were very bad travellers. Instead of wading before the bullocks, to feel if the ground was solid, the woman boldly entered the first swamp, riding upon the top of the load; but when she had proceeded about two hundred yards, the bullock sunk into a hole, and threw both the load and herself among the reeds. The frightened husband stood for some time seemingly petrified with horror, and suffered his wife to be almost drowned before he went to her assistance. About sunset we reached Sibity; but the Dooty received me very coolly: and when I solicited for a guide to Sansanding, he told me his people were otherwise employed. I was shewn into a damp old hut, where I passed a very uncomfortable night; for when the walls of the huts are softened by the rain, they frequently become too weak to support the weight of the roof. I heard three huts fall during the night, and was apprehensive that the hut I lodged in would be the fourth. 22 (August 9th),] (August 9th,)

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diese ganze Zeit über so heftig regnete, daß sich niemand aus der Thür wagte. Am 5. August reiste ich von Niamih ab: das Land war aber so überschwemmt, daß ich oft in Gefahr war den Weg zu verlieren und in den Savannen ganze Meilen weit bis an die Knie im Wasser waten mußte. Selbst das Kornland, welches immer das trockenste in der Gegend ist, war so vom Wasser durchweicht, daß mein Pferd zweimal im tiefen Schlamm stecken blieb und nur mit der größten Mühe heraus gezogen werden konnte. Abends kam ich nach Niara, wo der Duti mich wohl aufnahm. Da es den 6ten regnete, reiste ich erst den 7ten | wieder ab; das Wasser war aber so hoch angeschwollen, daß ich an einigen Stellen kaum durchkommen konnte. Ich watete bis an die Brust durch den Sumpf und kam nur bis Nimabuh, ein kleines Dorf, wo ich für hundert Kauries von einigen Fulah’s Korn genug für mein Pferd und Milch für mich bekam. Den 8. August. Die Mühseligkeiten, die ich Tages vorher erduldet, erregten ein dringendes Verlangen in mir, einen Reisegefährten anzuwerben, besonders da ich überzeugt war, die Gegend würde in einigen Tagen so überschwemmt sein, daß es völlig unmöglich sein würde zu reisen; allein auch für zweihundert Kauries, die ich bot, wollte mich niemand begleiten. Am folgenden Morgen (den 9ten) kam ein Maur mit seiner Frau das Dorf vorbei; sie ritten auf Ochsen und gingen mit Salz nach Sego. Sie ließen sichs gefallen mich mitzunehmen, aber sie nützten mir wenig; denn der Weg war ihnen unbekannt und da sie an einen sandigen Boden gewöhnt waren, gaben sie schlechte Gefährten ab. Anstatt vor den Ochsen herzuwaten, um zu fühlen, ob der Grund auch fest wäre, ritt die Frau ganz keck, oben auf ihrer Ladung sitzend, in das erste Wasser hinein; aber kaum war sie zweihundert Ruthen weit, so versank der Ochse in ein Loch und zog sie zusamt der Ladung zwischen das Schilf hinunter. Der Mann stand eine ganze Weile versteinert vor Schreck, und ließ seine Frau beinahe ertrinken, ehe er ihr zu Hülfe kam. Gegen Sonnenuntergang kamen wir nach Sibiti, als ich aber den Duti um einen Führer nach Sansanding bat, sagte er mir ganz kalt, seine Leute hätten anders zu thun. Ich wurde in eine dumpfige alte Hütte gewiesen, wo ich eine sehr schlechte Nacht hatte. Wenn die Wände dieser Hütten vom Regen durchweicht sind, werden sie öfters zu schwach, um die Last des Daches zu tragen; ich hörte diese Nacht drei Hütten einstürzen, und mir war | bange, daß meine die vierte 23 das Dorf] Kj am Dorf

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In the morning, as I went to pull some grass for my horse, I counted fourteen huts which had fallen in this manner, since the commencement of the rainy season. It continued to rain with great violence all the 10th; and as the Dooty refused to give me any provisions, I purchased some corn, which I divided with my horse. Aug. 11th. The Dooty compelled me to depart from the town, and I set out for Sansanding, without any great hopes of | faring better there than I had done at Sibity; for I learned, from people who came to visit me, that a report prevailed, and was universally believed, that I had come to Bambarra as a spy; and as Mansong had not admitted me into his presence, the Dooties of the different towns were at liberty to treat me in what manner they pleased. From repeatedly hearing the same story, I had no doubt of the truth of it; but as there was no alternative, I determined to proceed, and a little before sunset I arrived at Sansanding. My reception was what I expected. Counti Mamadi, who had been so kind to me formerly, scarcely gave me welcome. Every one wished to shun me; and my landlord sent a person to inform me, that a very unfavourable report was received from Sego concerning me, and that he wished me to depart early in the morning. About ten o’clock at night Counti Mamadi himself came privately to me, and informed me, that Mansong had dispatched a canoe to Jenné to bring me back; and he was afraid I should find great difficulty in going to the west country. He advised me, therefore, to depart from Sansanding before daybreak; and cautioned me against stopping at Diggani, or any town near Sego. Aug. 12th. I departed from Sansanding, and reached Kabba in the afternoon. As I approached the town, I was surprised to see several people assembled at the gate; one of whom, as I advanced, came running towards me, and taking my horse by the bridle, led me round the walls of the town; and then pointing to the west, told me to go along, or it would fare worse with me. It was in vain that I represented the danger of being benighted in the woods, exposed to the inclemency of the | weather, and the fury of wild beasts. “Go along,” was all the answer; and a number of people coming up, and urging me in the same manner, with great earnestness, I suspected that some of the king’s messengers, who were sent in search of me, were in the town; and that these Negroes, from mere kindness, conducted me past it, with a view to facilitate my escape. I accordingly took the road for Sego, with the uncomfortable prospect of passing the night on the branches of a tree. After travelling about three miles, I came to a small village near the road. The Dooty was splitting sticks by the

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sein würde. Als ich des Morgens ausging, etwas Gras für mein Pferd zu pflücken, zählte ich vierzehn Hütten, welche auf diese Art seit Anfang der Regenzeit eingefallen waren. Den ganzen folgenden Tag regnete es äußerst heftig, und da mir der Duti nichts zu leben geben wollte, kaufte ich etwas Korn, welches ich mit meinem Pferde theilte. Den 11. August nöthigte mich der Duti den Ort zu verlassen, und ich machte mich auf nach Sansanding, ohne große Hofnung, daß es mir dort besser gehen würde als in Sibiti; denn ich erfuhr von Leuten, die mich besuchten, es habe sich ein Gerücht verbreitet, und es werde allgemein geglaubt, daß ich als ein Spion nach Bambarra gekommen sei; und da Mansong mich nicht vor sich gelassen hatte, so hatten die Duti’s an jedem Ort völlige Freiheit, mich zu behandeln, wie sie wollten. Dieselbe Geschichte wurde mir so oft wiederholt, daß ich an der Wahrheit der Sache nicht zweifeln konnte. Ich kam gegen Sonnenuntergang nach Sansanding, und wurde aufgenommen, wie ich es erwartet hatte. Kaunti Mamadi, der vorher so gütig gegen mich war, begrüßte mich kaum. Jeder suchte mich zu vermeiden, und mein Wirth schickte jemand zu mir, um mir zu sagen, man habe sehr nachtheilige Dinge über mich aus Sego gehört, und er wünsche, daß ich des Morgens zeitig abreisen möchte. Gegen zehn Uhr Abends kam Kaunti Mamadi selbst insgeheim zu mir, und erzählte mir, Mansong habe einen Kahn ausdrücklich nach Dschenneh gesandt, um mich zurückzuholen, und er besorge, ich würde sehr viel Unannehmlichkeiten erfahren, wenn ich nach Westen ginge. Er rieth mir von Sansanding vor Tagesanbruch abzureisen, und warnte mich weder in Diggani noch in irgend einem Ort nahe bei Sego anzuhalten. Am 12. August reiste ich also von Sansanding ab und erreichte Nachmittags Kabba. Als ich mich der Stadt | näherte, fand ich zu meiner Verwunderung mehrere Menschen am Thor versammelt, von denen Einer, als ich heran kam, auf mich zulief, mein Pferd am Zügel nahm, und mich rund um die Mauern der Stadt führte; dann zeigte er nach Westen und sagte: ich sollte gehen, oder es würde übel mit mir werden. Umsonst stellte ich ihm die Gefahr vor, der ungestümen Witterung und der Wuth der wilden Thiere ausgesetzt, in den Wäldern von der Nacht überfallen zu werden. „Geh!“ war seine ganze Antwort: und da mehr Leute kamen und mich sehr ernstlich auf dieselbe Art nöthigten zu gehn, vermuthete ich, es möchten einige von des Königes nach mir ausgeschickten Leuten im Orte sein, und diese Neger hätten mich aus lauter Güte herumgeführt, um mir das Entkommen zu erleichtern. Ich nahm also den Weg nach Sego mit der eben 35 „Geh!] Geh,“

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gate; but I found I could have no admittance; and when I attempted to enter, he jumped up, and with the stick he held in his hand threatened to strike me off the horse, if I presumed to advance another step. At a little distance from this village (and farther from the road), is another small one. I conjectured, that being rather out of the common route, the inhabitants might have fewer objections to give me house room for the night; and having crossed some corn fields, I sat down under a tree by the well. Two or three women came to draw water; and one of them perceiving I was a stranger, inquired whither I was going. I told her I was going for Sego, but being benighted on the road, I wished to stay at the village until morning; and begged she would acquaint the Dooty with my situation. In a little time the Dooty sent for me, and permitted me to sleep in a large baloon, in one corner of which was constructed a kiln for drying the fruit of the Shea trees: it contained about half a cartload of fruit, under which was kept up a clear wood fire. I was | informed, that in three days the fruit would be ready for pounding and boiling; and that the butter thus manufactured, is preferable to that which is prepared from fruit dried in the sun; especially in the rainy season, when the process by insolation is always tedious, and oftentimes ineffectual.

Aug. 13th. About ten o’clock I reached a small village within half a mile of Sego, where I endeavoured, but in vain, to procure some provisions. Every one seemed anxious to avoid me; and I could plainly perceive, by the looks and behaviour of the inhabitants, that some very unfavourable accounts had been circulated concerning me. I was again informed, that Mansong had sent people to apprehend me; and the Dooty’s son told me I had no time to lose, if I wished to get safe out of Bambarra. I now fully saw the danger of my situation, and determined to avoid Sego altogether. I accordingly mounted my horse, and taking the road for Diggani, travelled as fast as I could, until I was out of sight of the villagers, when I struck to the westward, through high grass and swampy ground. About noon, I stopped under a tree, to consider what course to take; for I had now no doubt that the Moors and Slatees had misinformed the king respecting the object of my mission, and that people were absolutely in search of me, to 19 season,] season;

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nicht tröstlichen Aussicht, die Nacht in den Aesten eines Baumes zuzubringen. Drei Meilen weiterhin kam ich an ein kleines Dorf, nahe an der Straße. Der Duti stand am Thor und spaltete Holz; ich fand ihn nicht geneigt mich aufzunehmen, und da ich dennoch versuchen wollte, hinein zu reiten, sprang er auf und drohte mir mit dem Stück Holz, das er eben in der Hand hielt, mich vom Pferde herunter zu hauen, wenn ich noch einen Schritt näher käme. Nicht weit von diesem Dorf abwärts von der Straße liegt ein anderes, eben so kleines. Ich vermuthete, daß die Bewohner desselben, eben weil man gewöhnlich nicht bei ihnen vorbei reist, weniger Einwendungen dagegen machen würden, mir Nachtquartier zu geben; ich ritt also quer über die Kornfelder und setzte mich am Brunnen unter einen Baum. Ein paar Frauen kamen um Wasser zu schöpfen, und die eine, welche sah, daß ich ein Fremder war, fragte wohin ich ginge. Ich sagte ihr, ich ginge nach Sego, es habe mich aber auf der Straße die Nacht überfallen und ich wünsche hier im Dorfe bleiben zu können bis Morgen; ich bat, sie möchte den Duti mit meinen Umständen bekannt machen. Bald | darauf ließ mich der Duti holen und erlaubte mir in einem großen Baluhn zu schlafen, in dessen einem Winkel ein Ofen gebaut war, um die Früchte des Schihbaumes zu trocknen. Es mochte etwa ein halber Karren voll darin sein und unten wurde ein helles Feuer unterhalten. Die Leute sagten, die Frucht würde in drei Tagen so weit sein, daß man sie stoßen und kochen könne, und die Butter, die auf diese Art bereitet würde, sei besser als die von Früchten, die an der Sonne getrocknet wären, besonders in der regnichten Jahreszeit, wo die letztere Verfahrungsart immer langwierig wäre und oft ganz mißlänge. Den 13ten August gegen zehn Uhr erreichte ich ein kleines Dorf, eine halbe Meile von Sego, wo ich mir umsonst Mühe gab, einige Lebensmittel zu bekommen. Jeder schien ängstlich bemüht, mich zu vermeiden, und ich konnte an den Mienen und dem Betragen der Einwohner deutlich sehn, daß sehr ungünstige Gerüchte von mir herumgehn mußten. Es wurde mir wieder gesagt, daß Mansong Leute ausgeschickt habe, um mich festzunehmen; und des Duti’s Sohn sagte, ich hätte keine Zeit zu verlieren, wenn ich glücklich aus Bambarra entkommen wollte. Ich sah nun wie gefährlich meine Lage war, und beschloß Sego gänzlich zu vermeiden. Ich bestieg mein Pferd, und ritt auf der Straße nach Deggeni so schnell als ich konnte, bis ich den Leuten im Dorfe ganz aus dem Gesichte war; dann bog ich westwärts ab durch hohes Gras und morastigen Grund. Gegen Mittag machte ich Halt unter einem Baum, um zu überlegen, welchen Weg ich nehmen sollte; denn ich zweifelte nun nicht mehr daran, daß die Mauren und Slatihs dem König über den Gegenstand meiner Sendung falsche Vorstellungen beigebracht hätten, und daß wirklich Leute ausge-

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convey me a prisoner to Sego. Sometimes I had thoughts of swimming my horse across the Niger, and going to the southward, for Cape Coast; but reflecting that I had ten days to travel before I should reach Kong, and afterward an extensive country to traverse, inhabited by various nations, with whose language and manners I was totally unacquainted, I relinquished this scheme, and judged, that I | should better answer the purpose of my mission, by proceeding to the westward along the Niger, endeavouring to ascertain how far the river was navigable in that direction. Having resolved upon this course, I proceeded accordingly; and a little before sunset arrived at a Foulah village called Sooboo, where, for two hundred Kowries, I procured lodging for the night. Aug. 14th. I continued my course along the bank of the river, through a populous and well cultivated country. I passed a walled town called Kamalia,1 without stopping; and at noon rode through a large town called Samee, where there happened to be a market, and a number of people assembled in an open place in the middle of the town, selling cattle, cloth, corn, &c. I rode through the midst of them without being much observed; every one taking me for a Moor. In the afternoon I arrived at a small village called Binni, where I agreed with the Dooty’s soon, for one hundred Kowries, to allow me to stay for the night; but when the Dooty returned, he insisted that I should instantly leave the place; and if his wife and son had not interceded for me, I must have complied.

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Aug. 15th. About nine o’clock I passed a large town called Sai, which very much excited my curiosity. It is completely surrounded by two very deep trenches, at about two hundred yards distant from the walls. On the top of the trenches are a number of square towers; and the whole has the appearance of a regular fortification. Inquiring into the origin of this extraordinary entrenchment, I learned from two of the towns|people the following particulars; which, if true, furnish a mournful picture of the enormities of African wars. About fifteen years ago, when the present King of Bambarra’s father desolated Maniana, the Dooty of Sai had two sons slain in battle, fighting in the king’s cause. He had a third son living; and when the king demanded a further reinforcement of men, and this youth among the rest, the Dooty refused to send him. This conduct so enraged the king, that when he returned from Maniana, about the beginning of the rainy season, and found the Dooty protected by the inhabitants, he sat 1

There is another town of this name, hereafter to be mentioned

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schickt wären, um mich gefangen nach Sego zurückzubringen. Bisweilen fiel mir der Gedanke ein, mit meinem Pferde über den Niger zu schwimmen, und südwärts nach Cape Coast zu gehn; wenn ich aber bedachte, daß | ich zehn Tage zu reisen hätte, ehe ich nur Kong erreichte, und daß ich dann noch eine große Strecke Landes zu durchwandern hätte, die von verschiedenen Nationen bewohnt wird, mit deren Sprache und Sitten ich gänzlich unbekannt war, so verwarf ich wiederum diesen Plan, und meinte, ich würde der Absicht meiner Sendung besser entsprechen, wenn ich westwärts längs dem Niger hinginge, und zu erforschen suchte, wie weit der Strom in dieser Richtung schiffbar ist. Bei diesem Entschluß blieb es, und so kam ich gegen Abend in ein Fulah-Dorf, Namens Subu, wo ich für zweihundert Kauries ein Nachtquartier bekam. Den 14ten August setzte ich meinen Weg längs dem Ufer des Flusses fort, durch eine bevölkerte und wohlangebaute Gegend. Durch eine mit Mauern versehene Stadt Kamalia22 ging ich ohne anzuhalten, und Mittags ritt ich durch eine große Stadt Samih, wo eben Markt gehalten wurde, und viel Menschen auf einem ofnen Platz mitten in der Stadt versammelt waren, und mit Vieh, Zeug, Korn κ. handelten. Ich ritt mitten durch sie hindurch, ohne eben sehr bemerkt zu werden, weil mich jedermann für einen Mauren hielt. Nachmittags kam ich in ein kleines Dorf Binni, wo ich mit des Duti’s Sohn für hundert Kauries einig wurde, daß er mich die Nacht beherbergen sollte; als aber der Duti nach Hause kam, bestand er darauf, ich sollte augenblicklich den Ort verlassen, und wenn sich nicht seine Frau und sein Sohn für mich verwendet hätten, würde ich haben nachgeben müssen. Den 15ten August um neun Uhr kam ich durch eine große Stadt, Namens Sai, welche meine Neugierde gar sehr beschäftigte. Sie war nehmlich ganz und gar mit einem doppelten Laufgraben umgeben, der von der Ringmauer | ohngefähr sechs hundert Fuß weit absteht. Auf dem Aufwurf desselben stehn eine Anzahl viereckiger Thürme, und das Ganze hat das Ansehn einer regelmäßigen Festung. Ich fragte nach dem Ursprung dieser sonderbaren Umschanzung, und erfuhr von zwei Leuten aus der Stadt folgende Umstände, die, wenn sie sich so verhalten, ein trauriges Bild von den Abscheulichkeiten der afrikanischen Kriege geben. Ohngefähr vor funfzehn Jahren, so erzählten sie, als der Vater des jetzigen Königs von Bambarra Maniana verwüstete, verlor der Duti von Sai zwei Söhne, welche für den König fochten, in 22

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Es giebt noch eine andere Stadt dieses Namens, deren weiter unten Erwehnung geschieht.

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down before Sai, with his army, and surrounded the town with the trenches I had now seen. After a siege of two months, the townspeople became involved in all the horrors of famine; and whilst the king’s army were feasting in their trenches, they saw with pleasure, the miserable inhabitants of Sai devour the leaves and bark of the Bentang tree that stood in the middle of the town. Finding, however, that the besieged would sooner perish than surrender, the king had recourse to treachery. He promised, that if they would open the gates, no person should be put to death, nor suffer any injury, but the Dooty alone. The poor old man determined to sacrifice himself, for the sake of his fellow-citizens, and immediately walked over to the king’s army, where he was put to death. His son, in attempting to escape, was caught and massacred in the trenches; and the rest of the townspeople were carried away captives, and sold as slaves to the different Negro traders.

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About noon I came to the village of Kaimoo, situated upon the bank of the river; and as the corn I had purchased at Sibili, | was exhausted, I endeavoured to purchase a fresh supply; but was informed that corn was become very scarce all over the country; and though I offered fifty Kowries for a small quantity, no person would sell me any. As I was about to depart, however, one of the villagers (who probably mistook me for some Moorish shereef) brought me some as a present; only desiring me in return, to bestow my blessing upon him; which I did in plain English, and he received it with a thousand acknowledgments. Of this present I made my dinner; and it was the third successive day that I had subsisted entirely upon raw corn. In the evening I arrived at a small village called Song, the surly inhabitants of which would not receive me, nor so much as permit me to enter the gate; but as lions were very numerous in this neighbourhood, and I had frequently, in the course of the day, observed the impression of their feet on the road, I resolved to stay in the vicinity of the village. Having collected some grass for my horse, I accordingly lay down under a tree by the gate. About ten o’clock I heard the hollow roar of a lion at no great distance, and attempted to open the gate; but the people from within told me, that no person must attempt to enter the gate without the Dooty’s permission. I begged them to inform the Dooty that a lion was approaching the

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der Schlacht. Er hatte noch einen dritten Sohn, und als der König in der Folge Verstärkungen verlangte, und darunter auch diesen Jüngling, so weigerte sich der Duti, ihn herzugeben. Dies Betragen brachte den König dermaßen auf, daß, als er beim Eintritt der Regenzeit aus Maniana zurückkehrte, und die Einwohner den Duti schützten, er sich mit seiner Armee vor Sai lagerte, und die Laufgräben um die Stadt zog, welche ich eben gesehen hatte. Nach einer zweimonatlichen Belagerung geriethen die Einwohner in die fürchterlichste Hungersnoth, und indem die Armee des Königs in ihren Laufgräben schwelgte, sah sie mit Vergnügen, wie die unglücklichen Belagerten die Blätter und Rinde des Bentangbaums verzehrten, der mitten in ihrer Stadt stand. Da der König sah, daß sie dennoch lieber umkommen, als sich ergeben würden, nahm er seine Zuflucht zur Verrätherei. Er versprach, wenn sie die Thore öfneten, sollte niemandem das Leben genommen, oder das mindeste Leid zugefügt werden, als dem Duti allein. Der arme alte Mann wollte sich für seine Mitbürger aufopfern, und ging sogleich hinüber zu des Königs Armee, wo er umgebracht ward. Sein Sohn, der zu entkommen versuchte, ward ergriffen, und in den Laufgräben niedergemacht, und die übrigen Einwohner wurden gefangen weggeführt, und als Sklaven an Negerkaufleute verhandelt.| Gegen Mittag kam ich in das Dorf Kaimuh, welches am Ufer des Stroms liegt, und da das Korn, welches ich in Sibiti gekauft hatte, zu Ende war, suchte ich einen frischen Vorrath anzuschaffen, hörte aber, daß in der ganzen Gegend das Korn sehr selten geworden sei, und ob ich gleich für eine kleine Quantität funfzig Kauries bot, wollte mir doch niemand etwas verkaufen. Als ich eben wegreisen wollte, kam noch einer von den Bauern, der mich wahrscheinlich für einen maurischen Scherif ansah, und brachte mir etwas zum Geschenk, wofür er nichts verlangte, als meinen Segen; den gab ich ihm in gutem Englisch, und er nahm ihn mit tausend Danksagungen an. Dies Geschenk war mein Mittagsmahl, und ich hatte nun drei Tage hintereinander nur von rohem Korn gelebt. Gegen Abend kam ich an ein kleines Dorf, Song, dessen verdrießliche Einwohner mich nicht aufnehmen, ja nicht einmal zum Thore hineinlassen wollten; da aber die Löwen in dieser Gegend sehr zahlreich waren, und ich den Tag über unterweges häufig ihre Fußstapfen gesehen hatte, so beschloß ich wenigstens in der Nähe des Dorfes zu bleiben. Ich sammelte also etwas Gras für mein Pferd, und legte mich unter einen Baum am Thor. Gegen zehn Uhr hörte ich das hohle Brüllen eines Löwen in einer nicht sehr großen Entfernung, und versuchte das Thor zu öfnen. Die Leute drinnen aber sagten mir, es dürfe nie14 niemandem] niemanden

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village, and I hoped he would allow me to come within the gate. I waited for an answer to this message with great anxiety; for the lion kept prouling round the village, and once advanced so very near me, that I heard him rustling among the grass, and climbed the tree for safety. About midnight | the Dooty with some of his people, opened the gate, and desired me to come in. They were convinced, they said, that I was not a Moor; for no Moor ever waited any time at the gate of a village, without cursing the inhabitants.

Aug.16th. About ten o’clock I passed a considerable town, with a mosque, called Jabbee. Here the country begins to rise into hills, and I could see the summits of high mountains to the westward. I had very disagreeable travelling all this day, on account of the swampiness of the roads; for the river was now risen to such a height, as to overflow great part of the flat land on both sides; and from the muddiness of the water, it was difficult to discern its depth. In crossing one of these swamps, a little to the westward of a town called Gangu, my horse being up to the belly in water, slipt suddenly into a deep pit, and was almost drowned before he could disengage his feet from the stiff clay at the bottom. Indeed, both the horse and his rider were so completely covered with mud, that in passing the village of Callimana, the people compared us to two dirty elephants. About noon I stopped at a small village near Yamina, where I purchased some corn, and dried my papers and clothes.

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The town of Yamina, at a distance, has a very fine appearance. It covers nearly the same extent of ground as Sansanding; but having been plundered by Daisy, King of Kaarta, about four years ago, it has not yet resumed its former prosperity; nearly one half of the town being nothing but a heap of ruins: however, it is still a considerable place, and is so much frequented by the Moors, that I did not think it safe to lodge | in it; but in order to satisfy myself respecting its population and extent, I resolved to ride through it; in doing which I observed a great many Moors sitting upon the Bentangs, and other places of public resort. Every body looked at me with astonishment; but as I rode briskly along, they had no time to ask questions. I arrived in the evening at Farra, a walled village; where, without much difficulty, I procured a lodging for the night.

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mand zum Thor hinein, ohne Erlaubniß des Duti. Ich bat sie dem Duti zu sagen, daß sich ein Löwe dem Dorfe nähere, und ich hofte, er würde mich deshalb ins Thor hineinlassen. Mit großer Angst erwartete ich die Antwort auf diese Botschaft; denn der Löwe schlich immer um das Dorf herum, und kam einmal so nahe, daß ich ihn im Grase rascheln hörte, und eilig auf einen Baum stieg, um mich in Sicherheit zu setzen. Um Mitternacht öfnete der Duti mit seinen Leuten das Thor, und ließ mich hereinkommen. Sie wären jetzt überzeugt, | sagten sie, daß ich kein Maur wäre; denn ein Maur warte nie eine Zeitlang an dem Thore eines Dorfs, ohne den Einwohnern zu fluchen. Den 16ten gegen zehn Uhr kam ich durch eine beträchtliche Stadt mit einer Moschee; sie hieß Dschabbih. Das Land fängt hier an, sich in Hügeln zu erheben, und ich konnte gegen Westen hin die Spitzen hoher Berge sehen. Den ganzen Tag hatte ich wegen der grundlosen Wege eine sehr unangenehme Reise; denn der Fluß war nun zu einer solchen Höhe gestiegen, daß er sich über einen großen Theil des flachen Landes zu beiden Seiten ausbreitete, und weil das Wasser sehr schlammig ist, war es schwer die tiefen Stellen zu unterscheiden. Indem ich ein wenig westwärts von einem Orte, Namens Gangu, quer durch eine von diesen überschwemmten Stellen ritt, glitt mein Pferd, welches ohnedies bis an den Bauch im Wasser ging, plötzlich in eine tiefe Grube, und wäre beinahe ertrunken, ehe es seine Füße aus dem fetten Lehm auf dem Grunde losmachen konnte. In der That waren Pferd und Reiter beide so ganz mit Schlamm bedeckt, daß, als ich das Dorf Kalimana passirte, die Leute uns mit zwei schmutzigen Elephanten verglichen. Um Mittag machte ich in einem kleinen Dorfe, nahe bei Jamina, Halt, wo ich etwas Korn kaufte, und meine Papiere und Kleider trocknete. Die Stadt Jamina hat von fern ein sehr schönes Ansehn. Sie hat beinahe einen eben so großen Umfang als Sansanding; da sie aber vor vier Jahren von dem König Däsi von Kaarta geplündert worden ist, hatte sie ihren vorigen Wohlstand noch nicht wieder erlangt. Fast die Hälfte der Stadt ist nichts als ein Haufe Ruinen. Doch ist sie immer noch ein beträchtlicher Ort, und von den Mauren so häufig besucht, daß ich es nicht für rathsam hielt, Quartier darin zu nehmen; um mir aber doch von ihrer Bevölkerung und Größe einen Begrif zu machen, beschloß ich hindurchzureiten. Ich sah sehr viele Mauren | um den Bentang und an andern öffentlichen Versammlungsplätzen sitzen; jedermann sah mich mit Verwunderung an, da ich aber rasch fortritt, 6 rascheln] ruscheln

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Aug. 17th. Early in the morning I pursued my journey, and at eight o’clock passed a considerable town called Balaba; after which the road quits the plain, and stretches along the side of the hill. I passed in the course of this day, the ruins of three towns; the inhabitants of which were all carried away by Daisy, King of Kaarta, on the same day that he took and plundered Yamina. Near one of these ruins I climbed a tamarind tree, but found the fruit quite green and sour; and the prospect of the country was by no means inviting; for the high grass and bushes seemed completely to obstruct the road, and the low lands were all so flooded by the river, that the Niger had the appearance of an extensive lake. In the evening I arrived at Kanika, where the Dooty, who was sitting upon an elephant’s hide at the gate, received me kindly; and gave me for supper, some milk and meal; which I considered (as to a person in my situation it really was) a very great luxury. Aug. 18th. By mistake, I took the wrong road, and did not discover my error until I had travelled near four miles; when coming to an eminence, I observed the Niger considerably to the left. Directing my course towards it, I | travelled through long grass and bushes, with great difficulty, until two o’clock in the afternoon; when I came to a comparatively small, but very rapid river; which I took at first for a creek, or one of the streams of the Niger. However, after I had examined it with more attention, I was convinced that it was a distinct river; and as the road evidently crossed it (for I could see the pathway on the opposite side), I sat down upon the bank, in hopes that some traveller might arrive, who would give me the necessary information concerning the fording place; for the banks were so covered with reeds and bushes, that it would have been almost impossible to land on the other side, except at the pathway; which, on account of the rapidity of the stream, it seemed very difficult to reach. No traveller, however, arriving, and there being a great appearance of rain, I examined the grass and bushes, for some way up the bank, and determined upon entering the river considerably above the pathway, in order to reach the other side before the stream had swept me too far down. With this view I fastened my clothes upon the saddle, and was standing up to the neck in water, pulling my horse by the bridle to make him follow me, when a man came accidentally to the place, and seeing me in the water, called to me with great vehemence to come out. The alligators, he said, would devour both me and my horse, if we attempted to swim over. When I had got out, the stranger, who had never before seen a European, seemed wonderfully surprised. He

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hatten sie nicht Zeit, viel zu fragen. Nachtquartier bekam ich ohne Schwierigkeit in Ferre, einem Dorfe mit einer Ringmauer. Den 17ten August gegen acht Uhr führte mich mein Weg durch einen ansehnlichen Ort Baleba; hernach verläßt die Straße die Ebene, und geht längs den Hügeln hin. Ich kam diesen Tag bei den Ruinen von drei Städten vorbei, deren Einwohner der König Däsi von Kaarta sämtlich an demselben Tage hinweggeführt hatte, da er Jamina einnahm und plünderte. Nahe bei einem von diesen Plätzen stieg ich auf einen Tamarindenbaum, die Frucht fand ich aber ganz grün und sauer, und der Anblick der Gegend war auch nichts weniger als einladend: hohes Gras und Buschwerk schien die Straße völlig zu versperren, und das niedere Land war alles so überströmt, daß der Niger das Ansehn eines sehr breiten Sees hatte. Abends kam ich nach Konika, wo der Duti, der auf einer Elephantenhaut am Thore saß, mich freundlich aufnahm, und mir Milch und Mehl zum Abendbrodt gab, was für mich ein herrlicher Schmaus war. Den 18ten August schlug ich einen unrechten Weg ein, und merkte meinen Irrthum nicht eher, bis ich beinahe vier Meilen gereist war, und auf einen Berg kam, wo ich den Niger beträchtlich weit von mir zur Linken entdeckte. Ich ging nun grade auf ihn zu mit großer Beschwerde, durch hohes Gras und Büsche, bis zwei Uhr Nachmittags, da ich an einen kleinen, aber verhältnißmäßig sehr reißenden Fluß kam, den ich zuerst nur für eine Bucht, oder für eine von den Ausströmungen des Nigers hielt. Bei genauerer Untersuchung überzeugte ich mich aber, daß es ein eigener Fluß sei, und da die Straße offenbar hindurchging, denn ich konnte auf der entgegengesetzten Seite den Steig sehn, so setzte ich mich ans Ufer hin, und hofte, es würde irgend ein Reisender kommen, | der mir die nöthige Anweisung geben könnte, wie die Furth ginge: denn die Ufer waren überall so mit Schilf und Büschen bedeckt, daß es unmöglich gewesen wäre, irgendwo anders als grade am Wege zu landen, und dort hin zu kommen, schien mir wegen des reißenden Stromes sehr schwer zu sein. Da aber kein Reisender kam, und es sich stark zum Regen anließ, untersuchte ich das Gras und die Büsche eine Strecke am Ufer, und entschloß mich beträchtlich oberhalb des Weges in den Fluß zu gehen, damit ich die andere Seite erreichen könnte, ehe der Strom mich zu weit hinunter getrieben hätte. Ich befestigte also meine Kleider auf dem Sattel, und stand schon bis an den Nacken im Wasser, als zufällig ein Mann herbeikam, der, da er mich im Wasser sah, mir sehr stark zurief, herauszukommen; die Alligators, sagte er, würden mich und 15 und Mehl] uud Mehl

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twice put his hand to his mouth, exclaiming in a low tone of voice, “God preserve me! who is this?” but when heard he me speak the | Bambarra tongue, and found that I was going the same way as himself, he promised to assist me in crossing the river; the name of which he told me was Frina. He then went a little way along the bank, and called to some person, who answered from the other side. In a short time, a canoe with two boys, came paddling from among the reeds: these boys agreed for fifty Kowries, to transport me and my horse over the river, which was effected without much difficulty; and I arrived in the evening at Taffara, a walled town; and soon discovered that the language of the natives was improved, from the corrupted dialect of Bambarra, to the pure Mandingo. |

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mein Pferd verschlingen, wenn wir versuchten, hinüber zu schwimmen. Als ich herauskam, schien der Fremde, der noch nie einen Europäer gesehen haben mochte, wunderbar überrascht zu sein. Zweimal nahm er seine Hand in den Mund, und rief mit unterdrückter Stimme aus: „Gott bewahre mich! wer ist das?“ Da er mich aber Bambarranisch reden hörte, und fand, daß ich denselben Weg ging als er, so versprach er mir über den Fluß zu helfen, der, wie er sagte, Frina hieß. Er ging dann eine kleine Strecke am Ufer hin, und rief jemand, der von der andern Seite antwortete. Bald darauf kamen zwei Knaben in einem Kahne, aus dem Schilf hervorgerudert. Diese Knaben übernahmen es für funfzig Kauries, mich und mein Pferd über den Fluß zu schaffen, was auch ohne Schwierigkeit bewerkstelligt wurde. Abends kam ich nach Taffara, einem Ort mit einer Ringmauer, und merkte bald, daß ich nun das Gebiet des verdorbenen bambarranischen Dialekts verlassen hatte; denn hier hörte ich wieder die reine MandingoSprache sprechen.

CHAPTER XVIII.

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I n ho s p i ta b l e Re c e p ti o n a t Ta f f ar a . — A N e g r o F u n e ra l a t So o h a .— T h e A u t h or c o n ti n u e s h i s R ou t e t hr o u g h s e v e ra l Vi ll a g e s a l on g t h e B a n k s o f t h e N i g e r, u n t il h e c om e s t o K o o l ik o r r o. — S u pp o r t s h i m s el f b y wr i t i ng Saphies—r e a ch e s M ar r a b oo — l o se s t h e R o a d ; a n d a ft e r m an y D i ff i c u lt i e s ar r i v es a t B am m a k o o. — Ta ke s t h e R o a d fo r S i bi d o o lo o — m ee t s w it h g r ea t K i nd n e s s a t a Vil l a g e c a l l ed K o o ma ; — i s a f t e rw a r d s r o b b ed , s t ri p p e d, a n d pl u n d er e d b y B a n d it t i . —T h e A ut h o r ’s R e s ou r c e a n d C o n s ol a t i on u n d er e x q ui s i t e D i s t re s s . —H e a r ri v e s in S a fe t y a t S i b i do o l o o.

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On my arrival at Taffara, I inquired for the Dooty, but was informed that he had died a few days before my arrival, and that there was, at that moment, a meeting of the chief men for electing another; there being some dispute about the succession. It was probably owing to this unsettled state of the town, that I experienced such a want of hospitality in it; for though I informed the inhabitants that I should only remain with them for one night, and assured them that Mansong had given me some Kowries to pay for my lodging, yet no person invited me to come in; and I was forced to sit alone, under the Bentang tree, exposed to the rain and wind of a tornado, which lasted with great violence until midnight. At this time the stranger, who had assisted me in crossing the river, paid me a | visit, and observing that I had not found a lodging, invited me to take part of his supper, which he had brought to the door of his hut; for, being a guest himself, he could not, without his landlord’s consent, invite me to come in. After this, I slept upon some wet grass in the corner of a court. My horse fared still worse than myself; the corn I had purchased being all expended, and I could not procure a supply. Aug. 20th. I passed the town of Jaba, and stopped a few minutes at a village called Somino, where I begged and obtained some coarse food, which the natives prepare from the husks of corn, and call Boo. About two o’clock I came to the village of Sooha, and endeavoured to purchase some corn from the Dooty, who was sitting by the gate; but without success. I then requested a little food by way of charity, 30 20th.] 20.

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Unfreundliche Aufnahme zu Taffara. – Der Verfasser setzt seinen Weg längs den Ufern des Nigers fort bis Kulikorro. – Er verdient seinen Unterhalt durch Safischreiben und kommt nach mancherlei Schwierigkeiten nach Bammaku. – Berathschlagungen über die weitere Reise. – Er wählt den Weg über Sibidulu, wird unterweges von Räubern geplündert, und kommt endlich an diesem Orte an.

Bei meiner Ankunft zu Taffara fragte ich nach dem Duti, hörte aber, daß er vor wenigen Tagen gestorben sei, und daß eben jetzt eine Versammlung gehalten werde, um einen neuen zu wählen, da es Streit über die Nachfolge gebe. Diesem unruhigen Zustande in der Stadt schrieb ich den Mangel an Gastfreundlichkeit zu, den ich erfuhr: denn soviel ich auch versicherte, daß ich mich nur eine Nacht aufhalten wollte, und daß Mansong selbst mir Kauries gegeben habe, um mein Quartier zu bezahlen, so lud mich doch niemand ein, und ich mußte unter dem ungestümsten Regen und Wind, der mit großer Heftigkeit bis Mitternacht anhielt, allein unter dem Bentang sitzen. Um diese Zeit besuchte mich der Fremde, der mir über den Fluß geholfen hatte, und bat mich, an seinem Abendbrodt Theil zu nehmen, welches er vor die Thür seiner Hütte gebracht hatte: denn mit hinein nehmen konnte er mich nicht ohne Bewilligung seines Wirthes, da er selbst ein Gast war. Hernach schlief ich auf etwas feuchtem Grase in einem Winkel eines Hofes. Meinem Pferde gings noch schlimmer als mir: denn das zuletzt gekaufte Korn war verzehrt, und ich konnte diesem Mangel nicht abhelfen. Den 20sten August kam ich durch die Stadt Dschaba, und hielt einige Minuten in einem Dorf Somino an, wo | ich auf mein Bitten etwas von einer schlechten Speise erhielt, die aus den Hülsen des Korns bereitet wird und Buh heißt. Gegen zwei Uhr kam ich an das Dorf Suha, und wollte den Duti, der am Thore saß, bewegen, mir etwas Korn zu verkaufen; er wollte aber nicht. Dann bat ich ihn, mir 4 Safischreiben] Sofischreiben

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but was told he had none to spare. Whilst I was examining the countenance of this inhospitable old man, and endeavouring to find out the cause of the sullen discontent, which was visible in his eye, he called to a slave who was working in the corn-field at a little distance, and ordered him to bring his paddle along with him. The Dooty then told him to dig a hole in the ground; pointing to a spot at no great distance. The slave, with his paddle, began to dig a pit in the earth; and the Dooty, who appeared to be a man of a very fretful disposition, kept muttering and talking to himself until the pit was almost finished, when he repeatedly pronounced the words da nka too (good for nothing); j an k r a l e m e n (a real plague); which expressions I thought could be applied to nobody but myself; and as the pit had very much the appearance of a grave, I thought it prudent to | mount my horse, and was about to decamp, when the slave, who had before gone into the village, to my surprise, returned with the corpse of a boy about nine or ten years of age, quite naked. The Negro carried the body by a leg and an arm, and threw it into the pit with a savage indifference, which I had never before seen. As he covered the body with earth, the Dooty often expressed himself, na phula a ttinia ta (money lost); whence I concluded that the boy had been one of his slaves. Departing from this shocking scene, I travelled by the side of the river until sunset, when I came to Koolikorro; a considerable town, and a great market for salt. Here I took up my lodging at the house of a Bambarran, who had formerly been the slave of a Moor, and in that character had travelled to Aroan, Towdinni, and many other places in the Great Desert; but turning Mussulman, and his master dying at Jenné, he obtained his freedom, and settled at this place, where he carries on a considerable trade in salt, cotton-cloth, &c. His knowledge of the world had not lessened that superstitious confidence in saphies and charms, which he had imbibed in his earlier years; for when he heard that I was a Christian, he immediately thought of procuring a saphie; and for this purpose brought out his w a lha , or writing board; assuring me, that he would dress me a supper of rice, if I would write him a saphie to protect him from wicked men. The proposal was of too great consequence to me to be refused; I therefore wrote the board full, from top to bottom, on both sides; and my landlord, to be certain of having the whole force of the charm, washed the writing from the board into a calabash with a little water, and having said a | few prayers over it, drank this powerful draught; after which, lest a single word should escape, he licked the board until it was quite dry. A saphie writer was a man of too great consequence to be long concealed: the important information was carried to the

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aus Mitleid etwas zu essen zu schenken; er sagte aber, er könne nichts missen. Indem ich die Physiognomie dieses unfreundlichen alten Mannes betrachtete, um die Ursach des bittern Mißvergnügens, welches in seinem Auge lag, zu entdecken, rief er einen Sklaven, der in der Nähe im Kornfeld arbeitete, und befahl ihm, sein Grabscheid mitzubringen. Hierauf ließ er ihn ein Loch graben und wies ihm den Ort dazu an. Der Sklave fing sein Werk an, und der Duti, der von sehr mürrischer Gemüthsart zu sein schien, murmelte und sprach für sich selbst bis die Grube beinahe fertig war; dann wiederholte er öfters die Worte D a n k a t u „taugt zu gar nichts“, I an k r a l emen „wahre Plage“; und da ich diese Ausdrücke auf niemand als auf mich selbst beziehen konnte, und die Grube gar sehr das Ansehn eines Grabes hatte, so hielt ich es für das klügste mein Pferd zu besteigen, und wollte mich eben aus dem Staube machen, als der Sklave, der ins Dorf gegangen war, mit dem ganz nackten Leichnam eines neun- oder zehnjährigen Knaben zurückkam. Der Neger schleppte den Körper an einem Bein und einem Arm und warf ihn mit einer rohen Gleichgültigkeit, die ich nie so gesehn hatte, in die Grube. Indem er die Leiche mit Erde bedeckte, sagte der Duti mehrere Male Naf ula a t tinia ta , „verlornes Geld“; woraus ich denn schloß, daß der Knabe einer von seinen Sklaven gewesen war. Ich wendete mich von diesem widrigen Auftritt hinweg und hielt mich am Fluß bis Sonnenuntergang, da ich nach Kulikorro kam; dies ist eine ansehnliche Stadt und ein großer Salzmarkt. Hier nahm ich mein Quar|tier in dem Hause eines Bambarraners, der ehedem Sklave eines Mauren gewesen war, und als solcher Reisen nach Aroen, Taudinni und andern Orten in der großen Wüste gemacht hatte; da er aber ein Muselmann wurde und sein Herr zu Dschenneh starb, erhielt er seine Freiheit, und ließ sich an diesem Ort nieder, wo er einen beträchtlichen Handel mit Salz, baumwollnen Zeugen u. s. w. treibt. Seine Weltkenntniß hatte das in frühern Jahren eingesogene abergläubische Vertrauen auf Zaubereien nicht ausgerottet: denn als er hörte, daß ich ein Christ sei, war sein erster Gedanke, sich ein Safi zu verschaffen. Er brachte deshalb sein Wal h a oder Schreibebrett zum Vorschein, und sagte, er wollte mir Reis zur Abendmahlzeit zurecht machen, wenn ich ihm ein Safi gegen böse Menschen schreiben wollte. Der Vorschlag war zu reizend um abgelehnt zu werden; ich schrieb also das Brett von oben bis unten auf beiden Seiten voll, und mein Wirth, um gewiß die ganze Kraft des Zaubers zu besitzen, wusch die Schrift mit etwas Wasser von dem Brett in ein Kalabasch, sprach ei15 nackten] nakten

15 neun-] neun

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Dooty, who sent his son with half a sheet of writing-paper, desiring me to write him a n ap h u l a s ap h i e (a charm to procure wealth). He brought me, as a present, some meal and milk; and when I had finished the saphie, and read it to him with an audible voice, he seemed highly satisfied with his bargain, and promised to bring me in the morning some milk for my breakfast. When I had finished my supper of rice and salt, I laid myself down upon a bullock’s hide, and slept very quietly until morning; this being the first good meal and refreshing sleep that I had enjoyed for a long time.

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Aug. 21st. At daybreak I departed from Koolikorro, and about noon passed the villages of Kayoo and Toolumbo. In the afternoon I arrived at Marraboo; a large town, and, like Koolikorro, famous for its trade in salt. I was conducted to the house of a Kaartan, of the tribe of Jower, by whom I was well received. This man had acquired a considerable property in the slave trade; and from his hospitality to strangers, was called, by way of pre-eminence, Ja tee (the landlord); and his house was a sort of public inn for all travellers. Those who had money were well lodged, for they always made him some return for his kindness; but those who had nothing to give, were content to accept whatever he thought proper; and as I could not rank myself among the monied men, I was happy to take up my lodging in the same hut with seven poor fellows who | had come from Kancaba in a canoe. But our landlord sent us some victuals. Aug. 22d. One of the landlord’s servants went with me a little way from the town, to shew me what road to take; but, whether from ignorance or design I know not, he directed me wrong; and I did not discover my mistake until the day was far advanced; when, coming to a deep creek, I had some thoughts of turning back; but as, by that means, I foresaw that I could not possibly reach Bammakoo before night, I resolved to cross it; and leading my horse close to the brink, I went behind him, and pushed him headlong into the water; and then taking the bridle in my teeth, swam over to the other side. This was the third creek I had crossed in this manner, since I had left Sego; but having secured my notes and memorandums in the crown of my hat, I received little or no inconvenience from such adventures. The rain and heavy dew kept my clothes constantly wet; and the roads being very deep, and full of mud, such a washing was sometimes pleasant, and oftentimes necessary. I continued travelling, through high grass,

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nige Gebete darüber, und schluckte den kraftvollen Trank hinunter; hernach leckte er noch das Brett, bis es ganz trocken war, damit ihm auch nicht ein einziges Wörtchen entwischen könnte. Ein Safi-Schreiber war ein zu bedeutender Mann, um lange verborgen zu bleiben; die wichtige Nachricht kam vor den Duti, er schickte seinen Sohn mit einem halben Bogen Schreibpapier, und verlangte, ich solle ihm ein N a f u l a - S a f i schreiben, einen Zauberspruch um reich zu werden. Zum Geschenk brachte er mir etwas Mehl und Milch, und als das Safi fertig war, und ich es ihm mit vernehmlicher Stimme vorlas, schien er sehr zufrieden mit seinem Kauf zu sein, und versprach mir, am andern Morgen noch Milch zum Frühstück zu bringen. Nachdem ich mein Abendbrodt von Reis und Salz verzehrt hatte, legte ich mich auf eine Rindshaut, und schlief sehr ruhig bis an den Morgen. | Dies war seit langer Zeit die erste gute Mahlzeit und der erste erquickende Schlaf. Den 21sten August reiste ich mit Tagesanbruch ab, und kam gegen Mittag durch die Dörfer Kaju und Tulombo. Nachmittags kam ich nach Marrabu, einer großen Stadt, die wie Kulikorro, wegen ihres Salzhandels berühmt ist. Man führte mich in das Haus eines Kaartaners vom Stamm Dschauer. Dieser Mann hatte durch den Sklavenhandel ein ansehnliches Vermögen erworben, und wurde, wegen seiner Gastfreiheit gegen Fremde, schlechthin I o t i „der Wirth“ genannt. In der That war sein Haus gleichsam ein öffentliches Gasthaus für alle Reisende. Wer Geld hatte, wurde immer gut bewirthet, denn solche Leute gaben ihm eine Erkenntlichkeit für seine Güte; wer nichts hatte, mußte zufrieden sein mit dem was er bekam. Da ich mich unter die erste Klasse nicht rechnen konnte, war ich froh mit noch sieben armen Leuten, die in einem Kahn von Kankaba gekommen waren, in einer Hütte einquartiert zu werden. Lebensmittel schickte uns unser Wirth. Den 22sten August begleitete mich einer von seinen Leuten eine Strecke vor die Stadt hinaus, um mich auf den Weg zu bringen. Ich weiß nicht, war es Unwissenheit oder Vorsatz, aber er führte mich falsch, und ich entdeckte den Irrthum nicht eher, als da es schon hoch am Tage war. Ich kam nun an einen tiefen Arm des Flusses, und da ich unmöglich Bammaku vor Nachts hätte erreichen können, wenn ich wieder zurückgegangen wäre, so beschloß ich hinüberzusetzen. Ich führte mein Pferd dicht ans Ufer und stieß es von hinten grade ins Wasser hinein; dann nahm ich den Zügel zwischen die Zähne, und schwamm hinüber. Dies war seit meiner Abreise von Sego das dritte Wasser, über welches ich auf diese Art setzen mußte; aber meine Papiere waren in der Krempe meines Hutes sicher, und übrigens hatte ich von | einem solchen Abentheuer nicht viel Unannehmlichkeit. Da 1 kraftvollen] kraftvvllen

23 Geld hatte,] Geld hatte

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without any beaten road, and about noon came to the river; the banks of which are here very rocky, and the force and roar of the water were very great. The King of Bambarra’s canoes, however, frequently pass these rapids, by keeping close to the bank; persons being stationed on the shore with ropes fastened to the canoe, while others push it forward with long poles. At this time, however, it would, I think, have been a matter of great difficulty for any European boat to have crossed the stream. About four o’clock in the afternoon, having altered my course from the river towards the mountains, | I came to a small pathway, which led to a village called Frookaboo, where I slept.

Aug. 23d. Early in the morning I set out for Bammakoo, at which place I arrived about five o’clock in the afternoon. I had heard Bammakoo much talked of as a great market for salt, and I felt rather disappointed to find it only a middling town, not quite so large as Marraboo: however, the smallness of its size, is more than compensated by the richness of its inhabitants; for when the Moors bring their salt through Kaarta or Bambarra, they constantly rest a few days at this place; and the Negro merchants here, who are well acquainted with the value of salt in different kingdoms, frequently purchase by wholesale, and retail it to great advantage. Here I lodged at the house of a Sera-Woolli Negro, and was visited by a number of Moors. They spoke very good Mandingo, and were more civil to me than their countrymen had been. One of them had travelled to Rio Grande, and spoke very highly of the Christians. He sent me in the evening some boiled rice and milk. I now endeavoured to procure information concerning my route to the westward, from a slave merchant who had resided some years on the Gambia. He gave me some imperfect account of the distance, and enumerated the names of a great many places that lay in the way; but withal told me, that the road was impassable at this season of the year: he was even afraid, he said, that I should find great difficulty in proceeding any farther; as the road crossed the Joliba at a town about half a day’s journey to the westward of Bammakoo; and there being no canoes at that place large enough to receive my horse, I could not pos|sibly get him over for some months to come. This was an obstruction of a very serious nature; but as I had no money to maintain myself even for a few days, I resolved to push on, and if I could not convey my horse across the river, to abandon him, and swim over myself. In thoughts of this nature I passed the night, and in the morning consulted with my land-

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Regen und starker Thau meine Kleider immer feucht hielten, und die Wege durchaus tief und kothig waren, so war eine solche Wäsche bisweilen angenehm und oft sehr nöthig. Ohne gebahnten Weg wanderte ich durch hohes Gras weiter, bis ich um Mittag den Fluß erreichte. Seine Ufer sind hier sehr felsig und das Wasser strömt und tobt gewaltig. Dennoch fahren die Kähne des Königs von Bambarra häufig über diese reißenden Stellen; sie halten sich dicht am Ufer, an der Küste sind Leute angestellt mit Tauen, die am Kahn festgemacht sind, und andere stoßen ihn mit langen Stangen vorwärts. Um diese Zeit aber würde es, glaube ich, selbst für ein europäisches Boot höchst schwierig gewesen sein, quer über den Strom zu kommen. Um vier Uhr lenkte ich vom Strom ab nach den Bergen zu, und fand einen schmalen Fußsteig, der mich in ein Dorf, Namens Frukabu führte, wo ich schlief. Den 23sten August Nachmittags gegen fünf Uhr erreichte ich Bammaku. Ich hatte von diesem Ort als von einem großen Salzmarkt reden hören, und fand, sehr gegen meine Erwartung, nur eine mittelmäßige Stadt, nicht ganz so groß als Marrabu; aber der Reichthum der Einwohner macht den kleinen Umfang der Stadt bald vergessen. Wenn die Mauren ihr Salz durch Kaarta und Bambarra führen, ruhen sie hier immer einige Tage, und die hiesigen Negerkaufleute, die mit den Salzpreisen in den verschiedenen Königreichen genau bekannt sind, kaufen oft die Ladungen im Ganzen, und vereinzeln sie hernach mit großem Vortheil. Ich wohnte hier in dem Hause eines SerawullihNegers, und wurde von vielen Mauren besucht, welche sehr gut Mandingoisch sprachen, und artiger gegen mich waren, als ich ihre Landsleute bisher gefunden hatte. Einer von ihnen, der in Rio Grande gewesen war, sprach mit vieler Achtung von den Christen; auch schickte er mir | Abends etwas gekochten Reis und Milch. Ich suchte nun über meine weitere Reise westwärts Erkundigungen einzuziehn, und wendete mich deshalb an einen Sklavenhändler, der einige Jahre am Gambia gewohnt hatte. Er nannte mir eine große Menge von Städten her, die auf meinem Wege liegen sollten, gab mir auch von ihren Entfernungen einige unvollkommene Nachrichten; dabei aber sagte er mir, der Weg wäre in dieser Jahreszeit gar nicht zu machen, ja er befürchte, ich werde jetzt gleich eine große Schwierigkeit antreffen. Die Straße nehmlich wende sich bei einer Stadt eine halbe Tagereise westwärts von Bammaku auf die andere Seite des Nigers hinüber, und 27 Grande] grande 16 Bamako, heute die Hauptstadt der Republik Mali (Amtssprache Französisch), liegt nach Getty-TGN auf 12° 40# nördlicher Breite und 7° 59# westlicher Länge.

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lord, how I should surmount the present difficulty. He informed me that one road still remained, which was indeed very rocky, and scarcely passable for horses; but that if I had a proper guide over the hills to a town called Sibidooloo, he had no doubt, but with patience and caution, I might travel forwards through Manding. I immediately applied to the Dooty, and was informed that a Jilli kea (singing man) was about to depart for Sibidooloo, and would shew me the road over the hills. With this man, who undertook to be my conductor, I travelled up a rocky glen about two miles, when we came to a small village; and here my musical fellow-traveller found out that he had brought me the wrong road. He told me that the horse-road lay on the other side of the hill, and throwing his drum upon his back, mounted up the rocks, where indeed no horse could follow him, leaving me to admire his agility, and trace out a road for myself. As I found it impossible to proceed, I rode back to the level ground, and directing my course to the eastward, came about noon to another glen, and discovered a path on which I observed the marks of horses’ feet: following this path, I came in a short time to some shepherds’ huts, where I was informed that I was in the right road, but that I could not possibly reach Sibidooloo before night. Soon | after this I gained the summit of a hill, from whence I had an extensive view of the country. Towards the south-east, appeared some very distant mountains, which I had formerly seen from an eminence near Marraboo, where the people informed me, that these mountains were situated in a large and powerful kingdom called Kong; the sovereign of which could raise a much greater army than the King of Bambarra. Upon this height the soil is shallow; the rocks are iron-stone and schistus, with detached pieces of white quartz.

A little before sunset, I descended on the north-west side of this ridge of hills, and as I was looking about for a convenient tree, under which to pass the night (for I had no hopes of reaching any town), I descended into a delightful valley, and soon afterwards arrived at a romantic village called Kooma. This village is surrounded by a high wall, and is the sole property of a Mandingo merchant, who fled

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da es an diesem Ort keine so großen Kähne gäbe, daß sie mein Pferd einnehmen könnten, so würde ich es vielleicht in einigen Monaten nicht übersetzen können. Dies war freilich ein sehr wesentliches Hinderniß; indessen da ich nicht Geld genug hatte, um auch nur einige Tage zu verweilen, so beschloß ich weiter zu gehn, und wenn ich mein Pferd nicht über den Strom schaffen könnte, es im Stich zu lassen, und allein hinüber zu setzen. Mein Wirth aber, den ich am Morgen zu Rathe zog, wie diese Schwierigkeit zu überwinden wäre, sagte mir, es gäbe noch eine Straße, sie sei freilich sehr felsig, und kaum zu Pferde darauf durchzukommen; wenn ich aber einen guten Führer über die Hügel bekommen könnte, bis zu einer Stadt Namens Sibidulu, so zweifele er nicht, daß ich mit Geduld und Vorsicht meine Reise weiter durch Manding würde fortsetzen können. Ich wendete mich sogleich an den Duti, und bekam die Nachricht, daß ein D s c h i l l i k i h (ein Spielmann) eben im Begrif wäre, nach Sibiduhlu abzugehen. Nachdem ich mit diesem Manne, der mich führen wollte, etwa zwei Meilen in einer Felsenschluft gereist war, kamen wir an ein kleines Dorf, und hier entdeckte mein musikalischer Reisegefährte, daß er mich den unrechten Weg geführt habe; die große Straße, sagte er, ginge an der andern Seite der Höhen, und so | warf er seine Trommel auf den Rücken und stieg Felsen hinauf, wo ihm freilich kein Pferd zu folgen im Stande war. Ich konnte daher nur seine Geschicklichkeit bewundern, und mir meinen Weg selbst suchen. Weiter vorwärts zu gehn war unmöglich; ich ritt also in den ebenen Grund zurück, hielt mich östlich, und kam gegen Mittag in eine andere Schluft, wo ich einen Weg entdeckte, auf dem einige Pferdetritte zu sehen waren. Diesen ging ich nach, und kam bald zu einigen Schäferhütten, wo ich hörte, daß ich zwar auf dem rechten Wege sei, aber Sibidulu unmöglich vor Nachts erreichen könne. Nicht lange nachher erreichte ich den Gipfel eines Hügels, von welchem ich eine sehr weite Aussicht über das Land hatte. Gegen Südosten zeigten sich sehr entfernte Gebirge, die ich schon vorher auf einer Höhe bei Marrabu gesehen hatte, wo die Leute mir sagten, sie lägen in dem großen und mächtigen Königreiche Kong, dessen Beherrscher ein weit größeres Heer aufbringen könne, als der König von Bambarra. Die Erdschicht auf dieser Höhe ist nur dünn; die Felsen sind Eisenstein und Schistus, mit eingesprengtem weißen Quarz. Kurz vor Sonnenuntergang stieg ich an der nordwestlichen Seite dieser Hügelreihe hinab, und eben als ich mich nach einem bequemen Baum umsah, um die Nacht darunter zuzubringen, kam ich in ein sehr anmuthiges Thal, und bald darauf an ein romantisches Dorf 17 Felsenschluft] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 156

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hither with his family, during a former war. The adjacent fields yield him plenty of corn, his cattle roam at large in the valley, and the rocky hills secure him from the depredations of war. In this obscure retreat he is seldom visited by strangers, but whenever this happens he makes the weary traveller welcome. I soon found myself surrounded by a circle of the harmless villagers. They asked a thousand questions about my country; and, in return for my information, brought corn and milk for myself, and grass for my horse; kindled a fire in the hut where I was to sleep, and appeared very anxious to serve me.

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Aug. 25th. I departed from Kooma, accompanied by two shepherds, who were going towards Sibidooloo. The road was | very steep and rocky, and as my horse had hurt his feet much in coming from Bammakoo, he travelled slowly and with great difficulty; for in many places the ascent was so sharp, and the declivities so great, that if he had made one false step, he must inevitably have been dashed to pieces. The shepherds being anxious to proceed, gave themselves little trouble about me or my horse, and kept walking on at a considerable distance. It was about eleven o’clock, as I stopped to drink a little water at a rivulet (my companions being near a quarter of a mile before me), that I heard some people calling to each other, and presently a loud screaming, as from a person in great distress. I immediately conjectured that a lion had taken one of the shepherds, and mounted my horse to have a better view of what had happened. The noise, however, ceased; and I rode slowly towards the place from whence I thought it had proceeded, calling out; but without receiving any answer. In a little time, however, I perceived one of the shepherds lying among the long grass near the road; and though I could see no blood upon him, I concluded he was dead. But when I came close to him, he whispered to me to stop; telling me that a party of armed men had seized upon his companion, and shot two arrows at himself, as he was making his escape. I stopped to consider what course to take, and looking round, saw at a little distance a man sitting upon the stump of a tree: I distinguished also the heads of six or seven more, sitting among the grass, with muskets in their hands. I had now no hopes of escaping, and therefore determined to ride forward towards them. As I approached them, I was in hopes they were ele11 was] Das Seitenende ist das Ende des Bogens Hh und damit des Textteils, den Schleiermacher selbst übersetzte (vgl. KGA V/3, Nr. 651, Z. 10).

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Kuma. Dies Dorf ist von einer hohen Mauer umgeben, und ganz und gar das Eigenthum eines Mandingo-Kaufmannes, der während eines Krieges sich mit seiner Familie hieher geflüchtet hatte. Die umliegenden Felder tragen ihm Korn im Ueberfluß, sein Vieh weidet weit im Thale umher, und die Felsenhügel sichern ihn vor den Verwüstungen des Krieges. In dieser unbekannten Einsamkeit wird er selten von Fremden besucht; ereignet es sich aber einmal, so ist ihm der müde Reisende immer willkommen. Ich war | bald von den gutmüthigen Dorfleuten umgeben; sie hatten mich tausenderlei zu fragen nach meinem Vaterlande, und für meine Erzählungen brachten sie mir Korn und Milch für mich, und Gras für mein Pferd; sie machten ein Feuer in der Hütte wo ich schlafen sollte, und waren sehr beflissen mir zu dienen. Den 25sten August reiste ich in der Gesellschaft zweier Hirten, die auch nach Sibidulu zu gehn wollten, von Kuma ab. Der Weg war sehr felsigt und abschüssig, und da mein Pferd sich auf dem Wege von Bammaku die Füße sehr zerstoßen hatte, ging es nur langsam und mit Mühe; denn an vielen Stellen waren die Höhen so steil und der Abhang so jäh, daß es bei einem einzigen falschen Tritt ohne Rettung zu Tode gestürzt wäre. Die Hirten, die gern vorwärts wollten, kümmerten sich wenig um mich oder mein Pferd, und gingen immer voran. Ohngefähr um eilf Uhr hielt ich bei einem kleinen Bach an um zu trinken; meine Gefährten waren beinahe eine Viertelmeile vor mir; ich hörte Leute einander zurufen, und gleich darauf ein lautes Geschrei, wie von einem Menschen, der sich in großer Noth befindet. Ich vermuthete, ein Löwe möchte einen von den Hirten gefaßt haben; und setzte mich zu Pferde um besser sehen zu können was geschehen wäre. Der Lärm hörte aber auf, und ich ritt langsam auf die Gegend zu, von wo er gekommen zu sein schien; dabei rief ich von Zeit zu Zeit, aber ohne Antwort zu bekommen. Ich entdeckte indessen bald, daß einer von den Hirten im hohen Grase nahe an der Straße hingestreckt lag, und ohnerachtet ich kein Blut an ihm bemerkte, hielt ich ihn doch für todt. Als ich aber herankam, flüsterte er mir zu, ich möchte still halten, und erzählte mir, ein Trupp bewafneter Männer sei über seine Gefährten hergefallen, und da er selbst sich auf die Flucht gemacht, seien zwei Pfeile auf ihn abgeschossen worden. Ich hielt an, um zu überlegen, welchen Weg ich einschlagen sollte, und indem | ich mich umsah, sah ich nicht weit davon einen Mann auf dem Stumpf eines 14 25sten] 26sten

33 herankam,] herankam

15 Mit den Worten „Der Weg war“ endet der Bogen Hh (Vorlage S. 240) und damit der von Schleiermacher übersetzte Teil von Mungo Parks Reisebericht.

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phant hunters; | and by way of opening the conversation, inquired if they had shot any thing; but without returning an answer, one of them ordered me to dismount; and then, as if recollecting himself, waved with his hand for me to proceed. I accordingly rode past, and had with some difficulty crossed a deep rivulet, when I heard somebody holla; and looking behind, saw those I had taken for elephant hunters, running after me, and calling out to me to turn back. I stopped until they were all come up, when they informed me, that the king of the Foulahs had sent them on purpose to bring me, my horse, and every thing that belonged to me, to Fooladoo; and that therefore I must turn back, and go along with them. Without hesitating a moment, I turned round and followed them, and we travelled together near a quarter of a mile, without exchanging a word; when coming to a dark place in the wood, one of them said, in the Mandingo language, “this place will do;” and immediately snatched my hat from my head. Though I was by no means free of apprehension, yet I resolved to shew as few signs of fear as possible, and therefore told them, that unless my hat was returned to me, I should proceed no further. But before I had time to receive an answer, another drew his knife, and seizing upon a metal button which remained upon my waistcoat, cut it off, and put it into his pocket. Their intentions were now obvious; and I thought that the easier they were permitted to rob me of every thing, the less I had to fear. I therefore allowed them to search my pockets without resistance, and examine every part of my apparel, which they did with the most scrupulous exactness. But observing that I had one waistcoat under another, | they insisted that I should cast them both off; and at last, to make sure work, they stripped me quite naked. Even my half boots (though the sole of one of them was tied on to my foot with a broken bridle-rein), were minutely inspected. Whilst they were examining the plunder, I begged them, with great earnestness, to return my pocket compass; but when I pointed it out to them, as it was lying on the ground, one of the banditti, thinking I was about to take it up, cocked his musket and swore that he would lay me dead upon the spot, if I presumed to put my hand upon it. After this, some of them went away with my horse, and the remainder stood considering whether they should leave me quite naked, or allow me something to shelter me from the sun. Humanity at last prevailed: they returned me the worst of the two shirts, and a pair of trowsers; and, as they went away, one of them threw back my hat, in the crown of which I kept my memorandums; and this was probably the reason they did not wish to keep it. After they 6 holla] holloa

8 up,] up;

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Baumes sitzen, und entdeckte auch die Köpfe von sechs oder sieben andern, welche mit ihren Flinten in der Hand im Grase saßen. Es war nun keine Möglichkeit zu entkommen, und ich beschloß grade auf sie zuzureiten. Als ich näher kam hielt ich sie für Elephantenjäger; ich fing ein Gespräch an und fragte ob sie etwas geschossen hätten; aber ohne darauf zu antworten, befahl mir einer abzusteigen; dann schien er sich wieder zu bedenken, und winkte mir mit der Hand, weiter zu reiten. Ich ritt also vorüber, und war so eben nicht ohne Schwierigkeit durch einen tiefen Bach glücklich hindurchgekommen, als ich jemand hinter mir her schreien hörte. Ich sah mich um, und die vermeinten Elephantenjäger kamen mir nachgejagt, und riefen mir zu, umzukehren. Ich hielt still bis sie alle herangekommen waren, und nun sagten sie mir, der König der Fulah’s habe sie ausgeschickt, um mich mit meinem Pferde und meiner ganzen Habe nach Fuladu zu bringen; ich müßte also umkehren und mit ihnen gehn. Ohne mich einen Augenblick zu bedenken, wendete ich mein Pferd und folgte ihnen, und wir reisten beinahe eine Viertelmeile mit einander, ohne ein Wort zu wechseln. Als wir aber an eine sehr dunkle Stelle im Walde kamen, sagte einer von ihnen auf mandingoisch: „das ist ein guter Platz“, und sogleich riß er mir den Hut vom Kopf. Freilich ward mir nun bange genug; aber doch nahm ich mir vor, so wenig Furcht als möglich merken zu lassen, und sagte ihnen deshalb, daß ich nicht weiter gehen würde, wenn sie mir meinen Hut nicht wiedergäben. Allein, ehe ich noch eine Antwort bekommen konnte, zog ein anderer sein Messer heraus, schnitt mir einen von den metallenen Knöpfen ab, die noch an meiner Weste waren, und steckte ihn ein. Ihre Absichten waren nun klar, und ich dachte, je gutwilliger ich mich plündern ließe, desto weniger würde ich für mich selbst zu fürchten haben. Ohne mich zu widersetzen, ließ ich sie | also meine Taschen durchwühlen; sie untersuchten jedes Kleidungsstück mit der äußersten Genauigkeit, und da sie gewahr wurden, daß ich unter der Weste noch eine andere trug, bestanden sie darauf, daß ich beide abwerfen sollte; ja zuletzt zogen sie mich, um recht reine Arbeit zu machen, ganz nackend aus. Sogar meine Halbstiefeln – ohnerachtet die Sohle des einen mit einem zerrissenen Zügel unter meinem Fuß festgebunden war – wurden auf allen Seiten besehen. Indem sie den ganzen Raub so in Augenschein nahmen, bat ich sie sehr ernstlich, mir meinen Taschen-Compaß wiederzugeben; als ich aber nur darauf hinzeigte, schlug einer von den Banditen, welcher glaubte, ich wollte ihn von der Erde aufheben, seine Flinte an, und schwur, er würde mich auf der Stelle todtschießen, wenn ich nur meine Hand daran legte. Hierauf gingen einige von ih19 Platz“,] Platz,“

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were gone, I sat for some time, looking around me with amazement and terror. Which ever way I turned, nothing appeared but danger and difficulty. I saw myself in the midst of a vast wilderness, in the depth of the rainy season; naked and alone; surrounded by savage animals, and men still more savage. I was five hundred miles from the nearest European settlement. All these circumstances crowded at once on my recollection; and I confess that my spirits began to fail me. I considered my fate as certain, and that I had no alternative, but to lie down and perish. The influence of religion, however, aided and supported me. I reflected that no human prudence | or foresight, could possibly have averted my present sufferings. I was indeed a stranger in a strange land, yet I was still under the protecting eye of that Providence who has condescended to call himself the stranger’s friend. At this moment, painful as my reflections were, the extraordinary beauty of a small moss, in fructification, irresistibly caught my eye. I mention this to shew from what trifling circumstances the mind will sometimes derive consolation; for though the whole plant was not larger than the top of one of my fingers, I could not contemplate the delicate conformation of its roots, leaves, and capsula, without admiration. Can that Being (thought I), who planted, watered, and brought to perfection, in this obscure part of the world, a thing which appears of so small importance, look with unconcern upon the situation and sufferings of creatures formed after his own image?—surely not! Reflections like these, would not allow me to despair. I started up, and disregarding both hunger and fatigue, travelled forwards, assured that relief was at hand; and I was not disappointed. In a short time I came to a small village, at the entrance of which I overtook the two shepherds who had come with me from Kooma. They were much

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nen mit meinem Pferde fort, die übrigen blieben noch und überlegten, ob sie mich ganz nackend lassen, oder mir etwas vergönnen sollten, um mich gegen die Sonne zu schützen. Die Menschlichkeit behielt endlich die Oberhand; sie gaben mir das schlechteste von den beiden Hemden und ein Paar Ueberhosen zurück, und als sie abzogen, warf mir noch einer meinen Hut zu, in dessen Krempe meine Papiere lagen; dies war wahrscheinlich die Ursach, warum sie ihn nicht behalten mochten. Ich saß noch eine Zeitlang, nachdem sie fort waren, und sah mich mit Schrecken um. Wohin ich mich auch wenden wollte, erblickte ich nichts als Schwierigkeiten und Gefahren. Nackend und allein, von wilden Thieren und noch wilderen Menschen umgeben, war ich in der schlimmsten Periode der Regenzeit mitten in einer ungeheuren Wildniß, fünfhundert Meilen von der nächsten europäischen Niederlassung entfernt. Alle diese Umstände kamen mir auf einmal ins Gemüth, und ich bekenne, daß der Muth anfing mir auszugehn. Mein Schicksal schien mir ganz ausgemacht, und ich sah keinen Ausweg, als mich hinzulegen und zu sterben. Die Reli|gion richtete mich wieder auf. Ich bedachte, daß keine menschliche Klugheit oder Vorsicht hingereicht hätte, mein gegenwärtiges Schicksal zu vermeiden. Ich war zwar ein Fremdling in einem fremden Lande, aber doch immer unter dem schützenden Auge der Vorsehung, die sich selbst den Freund der Fremdlinge genannt hat. Ein kleines Moos von außerordentlicher Schönheit zog in diesem Augenblick, meiner ängstlichen Gedanken ohngeachtet, meine Augen unwiderstehlich auf sich. Ich erwähne dies, um zu zeigen, aus was für geringfügigen Dingen das Gemüth bisweilen einen Trost herleitet: die ganze Pflanze war nicht größer als meine Fingerspitze; aber ich konnte die zarte Bildung ihrer Wurzeln, Blätter und Samendecke nicht ohne Bewunderung ansehn. Kann wol, dachte ich, das Wesen, welches in diesem abgelegenen Theile der Welt ein so unbedeutendes Gewächs zu solcher Vollkommenheit bildete, auf die Umstände und die Leiden eines Geschöpfs, welches nach seinem Bilde gemacht ist, mit Gleichgültigkeit sehen? – Gewiß nicht. Ich machte mich auf; Hunger und Müdigkeit verschmähend, ging ich weiter, in der festen Zuversicht, daß Hülfe nahe sein müsse; auch ward ich nicht getäuscht. Ich kam bald an ein kleines Dorf, bei dem ich die beiden Hirten einholte, die mit mir von Kuma gekommen waren. Sie waren sehr verwundert mich zu sehn, denn sie 5 abzogen,] abzogen

20 Vgl. Ex 2,22

21–22 Vgl. wohl Dtn 10,18

32 Vgl. Gen 1,27

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surprised to see me; for they said, they never doubted that the Foulahs, when they had robbed, had murdered me. Departing from this village, we travelled over several rocky ridges, and at sunset, arrived at Sibidooloo; the frontier town of the kingdom of Manding.|

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hatten gar nicht daran gezweifelt, daß die Fulaher mich ermordet haben würden, nachdem sie mich ausgeplündert hatten. Von diesem Dorfe aus ging unser Weg noch über einige felsichte Hügel, und mit Sonnenuntergang erreichten wir Sibidulu, die Grenzstadt des Mandingo-Staates.

2 ausgeplündert] ausgeplündet

Neunzehnter Abschnitt.

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Der Verfasser erhält durch die Bemühungen des Mansa von Sibidulu sein Pferd und seine Effekten wieder; er verschenkt das erstere, und reist weiter nach Kamalia. – Er wird von einem Slatih, Karfa Tahra freundlich aufgenommen, wird krank und beschließt dort zu bleiben, um mit Karfa nach dem Gambia zu reisen.

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Die Stadt Sibidulu liegt in einem fruchtbaren Thale das von hohen felsichten Hügeln umgeben ist. Es ist für Pferde kaum zugänglich; daher ist auch die Stadt in den häufigen Kriegen zwischen den Bambarranern, Fulah’s und Mandingohs nicht ein einziges mal von Feinden geplündert worden. Als ich in die Stadt kam, versammelten sich die Leute um mich, und begleiteten mich bis zum Baluhn, wo ich dem Duti vorgestellt ward, der hier M an s a genannt wird, welches sonst so viel als König bedeutet. Demohnerachtet scheint es mir, daß die Regierungsform von Mandingo eine Art von Republik oder Oligarchie ist; jede Stadt hat ihren eigenen Mansa, und die höchste Gewalt im Staat ruht auf der Versammlung dieser aller. Ich erzählte dem Mansa, wie man mir mein Pferd und alle meine Habseligkeiten geraubt hatte, und die Hirten bezeugten, daß sich alles so verhalte. Er rauchte, indem ich sprach, seine Pfeife immer fort; kaum aber hatte ich geendigt, so nahm er die Pfeife aus dem Munde, riß mit allem Ausdruck des Unwillens die Schleife an seinem Mantel auf, und sagte: „Setze dich; du sollst alles wieder haben, ich habe es geschworen.” Dann wendete er sich zu einem seiner Untergebenen und sprach: Gieb dem Weißen einen Trunk Wasser, und sobald der Morgen anbricht, geh über die Berge und sage dem Duti von Bammaku, daß ein Weißer, ein Gastfreund des Königs von Bambarra, von Leuten des Königs von Fuladu geplündert worden sei.| Ich hatte nicht erwartet, in meinem verlassenen Zustande jemand zu finden, der sich so für meine Leiden interessiren würde. Ich dankte dem Mansa herzlich für seine Güte, und nahm seine Einladung an, bei ihm zu bleiben bis der Bote zurückkäme. Man führte mich in eine Hütte und brachte mir zu essen; aber die Menge von Menschen, welche sich versammelten um mich zu sehn, und welche sämmtlich mein Unglück bedauerten, und Verwünschungen gegen die Fulah’s ausstie4 Karfa] Korfa

4 Tahra] so DV; OD: Tohra

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ßen, ließ mich vor Mitternacht nicht zum Schlaf kommen. Zwei Tage blieb ich da, ohne irgend etwas von meinem Pferde oder meinen Kleidern zu hören; und da um diese Zeit die Lebensmittel in der ganzen Gegend so knapp waren, daß der Mangel einer Hungersnoth nahe kam, machte ich mir ein Bedenken der Güte des Mansa länger zur Last zu fallen, und bat um Erlaubniß, mich auf das nächste Dorf zu begeben. Da er sah, daß mir sehr daran gelegen war, sagte er, ich möchte bis nach Wonda gehen, und er hoffe ich würde dort einige Tage warten, bis Nachricht käme. Dem zu folge reiste ich den 28sten früh ab, und hielt unterweges an mehreren kleinen Dörfern an, um mir etwas geben zu lassen. An einem Ort bekam ich ein Gericht, das mir ganz neu war: es bestand aus den Staubbeuteln des Mais, die in Milch und Wasser gekocht waren. Man ißt es nur wenn der Mangel sehr groß ist. Am 30sten um Mittag kam ich nach Wonda, einer kleinen Stadt mit einer Moschee und einer hohen Mauer. Der Mansa, ein Mahomedaner, versah zwei Aemter, er war die erste obrigkeitliche Person in der Stadt, und zugleich Schulmeister. Die Schule hielt er in einem offnen Schoppen, wo mir auch mein Quartier angewiesen wurde, bis aus Sibidulu Nachricht von meinem Pferde und meinen Kleidern kommen würde. Das Pferd konnte mir zwar nicht mehr viel helfen; aber die wenigen Kleider | waren mir sehr wichtig; denn was ich jetzt noch von Bedeckungen hatte, konnte mich weder bei Tage vor der Sonne noch bei Nacht vor den Moskito’s schützen. Mein Hemd war in der That nicht nur so dünn abgetragen wie ein Stück Mußlin, sondern es war auch so schmutzig, daß ich herzlich froh war, es waschen zu können. Dies that ich, hing es an einem Busch auf, und setzte mich nackend in den Schatten bis es trocken war. Schon seit dem Anfang der Regenzeit ging es mit meiner Gesundheit sehr schlecht. Ich hatte oft kleine Fieberanfälle, und seit der Abreise von Bammaku hatten die Zufälle gar sehr zugenommen. Als ich auf die oben beschriebene Art da saß, kam mein Fieber mit solcher Heftigkeit wieder, daß es mich sehr in Sorgen setzte, um so mehr, da ich gar nichts von Arznei hatte, um seinen Fortschritten Einhalt zu thun, und eben so wenig Hoffnung, die Pflege und Wartung haben zu können, welche mein Zustand erforderte. Ich blieb neun Tage in Wonda, und mein Fieber stellte sich jeden Tag regelmäßig ein. Vor meinem Wirth suchte ich mein Leiden möglichst zu verbergen, und lag oft den ganzen Tag in einem Kornfelde, damit er mich nicht bemerken möchte; denn ich wußte wohl, wie lästig ich ihm und seiner Familie in dieser Zeit der allgemeinen Noth 24 Hemd] Hemde

31 Zufälle] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 5,1, Sp. 427

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werden mußte. Dennoch fand ich, daß er meinen Zustand wohl wußte; denn eines Morgens, da ich mich stellte, als ob ich am Feuer schlief, sagte er zu seiner Frau: ich würde wahrscheinlich ein beschwerlicher und lästiger Gast werden, denn in meinem gegenwärtigen kränklichen Zustande, müßten sie mich doch um ihrer Ehre willen bei sich behalten, bis ich entweder besser würde oder stürbe. Die armen Leute fühlten um diese Zeit gewiß den Mangel der Lebensmittel auf eine höchst drückende Art, | was ich besonders aus folgendem Umstand zu meinem großen Bedauern abnehmen konnte. Ich sah jeden Abend fünf oder sechs Frauen in des Mansa Haus kommen, und jede bekam eine gewisse Portion Korn. Da ich wußte, wie hoch man dieses unter den gegenwärtigen Umstanden hielt, so fragte ich den Mansa, ob er diese armen Frauen aus lauter Güte unterstütze, oder ob er erwarte, daß sie es ihm nach der Erndte wieder erstatten würden. Er zeigte auf ein schönes Kind von fünf Jahren und sagte: „Sieh, diesen Knaben hat mir seine Mutter verkauft, für Lebensmittel auf vierzig Tage, für sich und ihre übrige Familie. Einen andern habe ich auf dieselbe Art erstanden”. Guter Gott, dachte ich, was muß eine Mutter leiden, ehe sie sich entschließt ihr Kind zu verkaufen. Ich konnte diesen traurigen Gegenstand aus meinem Gemüth nicht loswerden, und als den nächsten Abend die Weiber wieder kamen, sich ihre Portion zu holen, mußte der Knabe mir seine Mutter zeigen. Sie sah sehr ausgehungert aus, hatte aber nichts grausames oder wildes in ihren Gesichtszügen, und als sie ihr Korn empfangen hatte, sprach sie mit ihrem Sohne so heiter, als gehörte er ihr noch eben so an wie zuvor. Am 6ten September kamen zwei Männer aus Sibidulu, welche mein Pferd und meine Kleidungsstücke brachten; mein Taschen-Compaß aber war zerbrochen. Dies war ein großer Verlust, den ich nicht ersetzen konnte. Den 7ten September, als mein Pferd am Rande eines Brunnens grasete, gab der Boden unter ihm nach, und es fiel hinein. Der Brunnen war zehn Fuß im Durchmesser, und als ich mein Pferd sah, wie es im Wasser schnaufte, hielt ich es für unmöglich, es zu retten. Die Einwohner versammelten sich sogleich, sie banden eine Anzahl Reben (von einer Pflanze Namens Kabba, welche sich wie ein Weinstock an den Bäumen hinaufschlingt) zusammen, und ließen einen Mann in den Brunnen hin|unter, der diese Reben rund um den Leib des Pferdes befestigte; die Leute zogen den Mann wieder in die Höhe, und dann faßten sie die Reben und brachten zu meiner großen Verwunderung, vermittelst derselben das Pferd ohne sonderliche Mühe wieder herauf. 10 in des] so DV; OD: an des

28 Kleidungsstücke] Kleidungsücke

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Das arme Thier war jetzt ein bloßes Skelett; die Wege waren theils sehr felsig, theils von tiefem Wasser und Schlamm bedeckt; ich fand es also unmöglich, weiter mit ihm zu reisen, und war nur froh, es in den Händen eines Mannes lassen zu können, von dem ich hoffte, er würde Sorge dafür tragen. Ich verehrte es also meinem Wirth, und bat ihn Sattel und Zaum als ein Geschenk dem Mansa von Sibidulu zuzuschicken, dem ich mich für die Mühe, die er sich gegeben, mir Pferd und Kleider wieder zu verschaffen, auf keine andere Art erkenntlich bezeigen konnte. So krank ich auch war, hielt ich es doch für nothwendig, von meinem freundlichen Wirth Abschied zu nehmen. Am 8ten früh, als ich eben im Begrif war, abzureisen, beschenkte er mich mit seinem Speer zum Andenken, und mit einem ledernen Sack, um meine Kleider hineinzupacken. Meine Halbstiefeln hatte ich in Sandalen verwandelt, was mir den Weg sehr erleichterte. Diese Nacht schief ich in einem Dorfe Namens Ballanti, und am 9ten erreichte ich Nemaku; aber der Mansa des Ortes wies mich auf das Camelions-Gericht an. Zu seiner Entschuldigung versicherte er mich am andern Morgen, der Mangel an Korn sei so groß, daß er mir unmöglich etwas hätte geben können; auch konnte ich ihn keiner Lieblosigkeit beschuldigen, denn ich sah, daß alle Menschen beinahe vergingen. Den 10ten regnete es den ganzen Tag stark, und jedermann hielt sich in seiner Hütte. Nachmittags besuchte mich ein Neger, Modi Lemina Tahra, ein großer Handelsmann; er vermuthete, daß ich Mangel litt, und brachte mir etwas Speise; auch versprach er mir, mich | am folgenden Tage in sein eigenes Haus zu Kinjetu zu führen. Den 11ten September verließ ich Nemaku, und kam Abends nach Kinjetu. Ich hatte mir unterweges den Knöchel zerstoßen, und dieser schwoll und entzündete sich so sehr, daß ich am folgenden Morgen ohne große Schmerzen weder auftreten noch gehn konnte. Mein Wirth, der dies bemerkte, lud mich sehr gütig ein, einige Tage da zu bleiben, und ich blieb in seinem Hause bis zum 14ten. Nun befand ich mich merklich besser, und konnte mit Hülfe eines Stabes gehen. Ich brach daher auf, sehr dankbar gegen meinen Wirth für seine große Sorgfalt und Aufmerksamkeit; ein junger Mann, der denselben Weg reiste, machte Gesellschaft mit mir, und so kam ich nach Dschiridschang, einer schönen und wolangebauten Gegend. Der Mansa dieses Ortes gilt für den mächtigsten Befehlshaber in Mandingo. Am 15ten erreichte ich Desita, eine große Stadt, wo ich des Regens halber einen Tag blieb; ich war noch immer kränklich und jede Nacht fantasirte ich ein wenig. Am 17ten machte ich mich auf den 24 Tahra] so DV; OD: Tohra

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Weg nach Mansia, einer ansehnlichen Stadt, wo auch etwas Gold gesammelt wird. Der Weg ging über einen hohen Felsenhügel und meine Kräfte waren so erschöpft, daß ich mich dreimal niedersetzen mußte, ehe ich den Gipfel erreichen konnte, so schwach und kränklich war ich. Der Mansa von Mansia, wohin ich Nachmittags kam, stand im Ruf eben nicht gastfreundlich zu sein; indessen schickte er mir doch ein wenig Korn zum Abendessen, aber nicht ohne etwas dafür zu verlangen; und als ich ihn versicherte, daß ich gar nichts von Werth mehr besäße, sagte er gleichsam im Scherz, mein weißes Fell solle mich nicht schützen, wenn ich ihn belöge. Dann zeigte er mir die Hütte, worin ich schlafen sollte, und nahm mir meinen Speer weg, mit der Versicherung, er solle mir am Morgen zurückgegeben | werden. Dieser geringfügige Umstand machte, daß ich Argwohn gegen ihn schöpfte, da ich ohnehin nicht viel Gutes von ihm gehört hatte; und ich bat insgeheim einen von den Einwohnern, der Bogen und Pfeile besaß, bei mir in meiner Hütte zu schlafen. Um Mitternacht hörte ich jemand an die Thür kommen, und da ich bemerkte, daß auf einmal der Mond in die Hütte hereinschien, richtete ich mich auf, und sah einen Mann sehr vorsichtig über die Schwelle schreiten. Sogleich ergriff ich des Negers Armbrust: das Geräusch machte, daß der Mann sich entfernte, und mein Gesellschafter, der hinaus sah, versicherte mich, es sei der Mansa selbst, und rieth mir bis gegen Morgen wach zu bleiben. Ich verschloß die Thüre, stellte ein groß Stück Holz dahinter, und wunderte mich noch über den unerwarteten Besuch, als jemand aufs neue so hart gegen die Thür drängte, daß der Neger sie kaum zuhalten konnte. Da ich ihm aber zurief, er solle aufmachen, entfernte sich der zudringliche Gast wieder wie das erste Mal. Den 16ten September schickte ich sobald es helle war den Neger nach des Mansa Haus, und er brachte mir meinen Speer zurück. Er sagte mir, der Mansa schliefe, und damit dieser unfreundliche Mann nicht Mittel fände, mich zurück zu halten, möchte ich lieber aufbrechen, ehe er erwachte. Dies that ich sogleich und kam um zwei Uhr nach Kamalia, einer kleinen Stadt am Fuß einiger Felsenhügel, (deren Prospekt ich hier beifüge) wo die Einwohner Gold in ansehnlicher Menge sammeln. Die Buschrihns wohnen hier abgesondert von den Kafiren, und haben ihre Hütten in einiger Entfernung von der Stadt aufgebaut, ohne ihrem Wohnsitz eine regelmäßige Gestalt zu geben. Sie haben auch einen eignen Platz, um ihre Andacht darin zu halten, und nennen ihn M i ß u r a oder Moschee: eigentlich aber ist es nichts als ein viereckiges wohlgeebnetes Stück Land mit Baumstämmen eingefaßt, und einem kleinen Vorsprung gen Osten, wo der Marrabu oder Priester steht, wenn er das Volk zum|

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Gebet ruft. Dergleichen Moscheen sind unter den bekehrten Negern sehr gewöhnlich, da sie aber weder Mauern noch ein Dach haben, so kann man sich ihrer nur bei schönem Wetter bedienen. Wenn es regnet, verrichten die Buschrihns ihre Andacht in ihren Hütten. Als ich nach Kamalia kam, ward ich in das Haus eines Buschrihns, Namens Karfa Tahra geführt, eines Bruders von dem, dessen Gastfreundschaft mir in Kinjitu so wohl gethan hatte. Er kaufte eben einen Zug Sklaven zusammen, die er, sobald die Regenzeit vorüber sein würde, zum Verkauf an die Europäer nach Gambia führen wollte. Ich fand ihn in seinem Baluhn sitzen mit mehreren Slatihs, welche mit von dem Zuge sein wollten. Er las ihnen etwas aus einem arabischen Buch und fragte lächelnd, ob ich es verstünde. Da ich es verneinte, bat er einen von den Slatihs, doch das wunderliche kleine Buch herzuholen, welches aus Westen her gebracht worden. Ich öfnete es und war gleich sehr verwundert und erfreut, unser gewöhnliches Liturgienbuch hier anzutreffen; auch Karfa freute sich sehr darüber, daß ich darin lesen konnte; denn einige von den Slatihs, welche an der Küste Europäer gesehen haben mochten, und damit meine von der Krank13–14 Vgl. Book of common prayer and administration of the sacraments according to the use of the Church of England, London 1662

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heit sehr gelb gewordene Haut, meinen langen Bart, meine zerrissenen Kleider und meine äußerste Armuth verglichen, wollten nicht zugeben, daß ich ein Weißer wäre, sondern hatten dem Karfa gesagt, sie hielten mich für einen verkleideten Araber. Als er aber sah, daß ich dies Buch lesen konnte, blieb ihm kein Zweifel mehr über mich, und er versprach mir sehr gütig jeden Beistand, den er mir würde leisten können. Zugleich sagte er mir, es würde noch mehrere Monate lang unmöglich sein durch die Dschallonka-Wildniß zu reisen, da nicht weniger als acht reißende Ströme im Wege wären; er selbst wolle nach dem Gambia, sobald man die Flüsse passiren könne und das Gras abgebrannt sei, und es wäre das beste, daß ich hier bliebe und nachher mit ihm | ginge. Er gab mir zu bedenken, daß wenn eine Karawane von Eingebornen sich nicht getraue, die Reise zu unternehmen, es für einen einzelnen Weißen ganz vergeblich sei, es zu wagen. Ich gab ihm gern zu, daß das Unternehmen sehr gewagt sei, versicherte ihn aber, es bliebe mir nichts anders übrig: denn da ich kein Geld hätte, müßte ich entweder meinen Unterhalt erbetteln und also natürlicherweise von einem Ort zum andern reisen, oder vor Mangel umkommen. Karfa sah mich nun sehr ernstlich an, und fragte mich – denn er hatte nie vorher einen Weißen gesehen – ob ich die hier zu Lande gewöhnliche Kost vertragen könne. Er fügte hinzu, wenn ich bei ihm bleiben wollte, bis die Regenzeit vorüber wäre, wollte er mir unterdeß Lebensmittel genug, und auch eine Hütte zum Nachtquartier geben, und wann er mich dann sicher an den Gambia gebracht hätte, möchte ich ihm dafür geben, was ich für gut hielte. Ich fragte ihn, ob der Werth eines Sklaven von der ersten Güte ihm genug wäre; er antwortete ja, und befahl sogleich eine von den Hütten für mich zurecht zu machen. So wurde ich durch die freundschaftliche Fürsorge dieses wolgesinnten Negers aus einer in der That sehr kläglichen Lage befreit. Noth und Hunger bedrängten mich hart; ich hatte die grausenvolle Wildniß von Dschallonkadu vor mir, wo der Reisende fünf Tage hinter einander keine menschliche Wohnung sieht. Ich hatte von fern den reißenden Lauf des Kokoro-Stromes gesehen, und konnte mir schon in Gedanken den Ort bezeichnen, wo ich würde umkommen müssen, wenn dieser gute Neger nicht seine wohlthätige Hand zu meiner Rettung ausgestreckt hätte. In der Hütte, die für mich eingerichtet wurde, fand ich eine Matte, um darauf zu schlafen, einen irdenen Wasserkrug und einen kleinen Kalabasch, um daraus zu trinken. Karfa schickte mir aus seiner eignen Wohnung täglich zweimal zu essen, und befahl seinen Sklaven mich | 8 Dschallonka-Wildniß] so DV; OD: Jallonka-Wildniß 31 Dschallonkadu] so DV; OD: Jallonkadu

12 Karawane] Karavane

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mit Brennholz und Wasser zu versorgen. Aber weder Karfa’s Güte, noch die Bequemlichkeit, die ich genoß, konnten dem Fieber Einhalt thun, welches mich schwächte, und mich von Tage zu Tage mehr beunruhigte. Ich suchte meine Krankheit so gut als möglich zu verbergen; aber den dritten Tag nach meiner Ankunft, da ich mit Karfa einige seiner Freunde besuchen wollte, fühlte ich mich auf einmal so schwach, daß ich kaum gehen konnte, und ehe wir hinkamen, wankte ich, und fiel in eine Grube, aus der man Lehm zum Bau einer Hütte geholt hatte. Karfa gab sich alle Mühe mich mit der Hofnung einer baldigen Genesung zu trösten, und versicherte mich, wenn ich nur nicht ins Feuchte hinaus ginge, würde ich bald gesund werden. Ich beschloß seinem Rath zu folgen und mich in meiner Hütte zu halten; aber noch fünf Wochen lang wurde ich vom Fieber gequält und befand mich in einem sehr mißlichen Zustande. Bisweilen konnte ich aus der Hütte heraus kriechen, und einige Stunden an der freien Luft sitzen; zu andern Zeiten war ich nicht im Stande aufzustehen, und brachte die ewig langen Tage allein und traurig hin. Selten besuchte mich jemand, ausgenommen mein gütiger Wirth, der täglich kam um sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Als es nicht mehr so häufig regnete, und das Land anfing trocken zu werden, verließ mich das Fieber; aber ich war so schwach, daß ich kaum aufrecht stehn, und nur mit großer Mühe meine Matte ein kurzes Stück Weges von der Hütte ab in den Schatten eines Tamarindenbaumes tragen konnte, um den erquickenden Duft der Kornfelder zu genießen, und meine Augen an dem Anblick der Gegend zu weiden. Endlich hatte ich doch die Freude zu sehen, daß ich wirklich genas, wozu die einfache Lebensart der Neger und das fleißige Lesen in Karfa’s kleinem Buche nicht wenig beitrug. Unterdessen sahen viele von den Slatihs, die sich zu Kamalia aufhielten und, nachdem ihr Geld verzehrt | war, gar sehr von Karfa’s Gastfreundschaft abhingen, mich mit neidischen Augen an, und ersannen eine Menge lächerlicher und nichts bedeutender Geschichtchen, um mich bei ihm um allen Credit zu bringen. Am Anfang des Decembers kam ein Serawulli-Slatih mit fünf Sklaven aus Sego; auch dieser Mann streute eine Menge boshafter Erzählungen von mir aus; aber Karfa achtete nicht darauf, und bewies mir immer die nehmliche Güte. Da ich mich eines Tages mit den Sklaven, welche dieser Slatih führte, unterhielt, bat mich einer von ihnen um etwas zu essen. Ich sagte ihm, ich wäre ein Fremder, und hätte nichts zu geben. „Ich gab 29–30 aufhielten und,] aufhielten, und 39–1086,1 Vgl. Mt 25,35

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dir aber doch, erwiederte er, als du hungrig warst. – Erinnerst du dich nicht des Mannes, der dir in Karrankalla Milch brachte? Aber freilich, fügte er mit einem Seufzer hinzu, diese Ketten trug ich damals nicht.” Ich erinnerte mich seiner sogleich, und bat mir von Karfa einige Erdnüsse für ihn aus, als eine Vergeltung für seine damalige Güte. Er erzählte mir, er sei den Tag nach der Schlacht bei Dschoka von den Bambarranern gefangen genommen und nach Sego gebracht worden; hier habe ihn sein jetziger Herr gekauft, und führe ihn nun nach Kadschaaga. Noch drei andere dieser Sklaven waren aus Kaarta und einer aus Wassala; alles Kriegesgefangene. Sie blieben vier Tage in Kamalia, und wurden dann nach Balla gebracht, wo sie bleiben sollten, bis das Gras abgebrannt wäre, und man den Kokoro wieder passiren könnte. Anfang Decembers machte Karfa Anstalt, seinen Sklaveneinkauf völlig zu Stande zu bringen, und zog deshalb alle Schulden ein, die er in dieser Gegend ausstehen hatte, und am 19ten reiste er mit drei andern Slatih’s nach Kankaba, einer großen Stadt am Ufer des Niger, wo ein ansehnlicher Sklavenmarkt ist. Der größte Theil der Sklaven, die in Kankaba verkauft werden, kommt aus Bambarra; denn, um die Kosten zu ersparen, | die es ihm machen würde, alle seine Gefangenen in Sego zu behalten, und um die Gefahren zu vermeiden, die damit verbunden sind, schickt Mansong sie gewöhnlich in kleinen Partien nach den verschiedenen Handelsplätzen, um dort verkauft zu werden; und da Kankaba von vielen Kaufleuten besucht wird, so ist der Markt immer sehr wohl mit Sklaven versehen, die in Kähnen den Niger heraufgeführt werden. Karfa sagte bei seiner Abreise, daß er in einem Monat wieder zurückkommen würde, und empfahl mich unterdessen der Obhut eines guten alten Buschrihns, der das Amt eines Schulmeisters in Kamalia versah. Ich war nun allein und hatte Zeit, meine Gedanken zu sammeln und durchzuarbeiten. Dies war ein Zeitpunkt, den ich nicht versäumen durfte, um meine bereits gemachten Beobachtungen über das Klima und die Produkte des Landes zu ergänzen und zu erweitern, und mir von den Einwohnern eine genauere Kenntniß zu erwerben, als mir während einer gefährlichen Reise, da ich mich nirgends aufhalten konnte, möglich gewesen war. Ich suchte ferner über die wichtigsten Zweige des afrikanischen Handels, nehmlich den Handel mit Gold, Elfenbein und Sklaven so viel Nachrichten zu sammeln, als ich nur immer konnte, und ich will jetzt dem Leser das Resultat meiner Nachfragen und Untersuchungen vorlegen, wobei ich soviel als möglich die Wiederholung desjenigen vermeiden werde, was schon gelegentlich in der Erzählung von meiner Reise vorgekommen ist.

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Klima und Jahreszeiten. Winde. Vegetabilische Produkte. Bevölkerung. Allgemeine Bemerkungen über den Charakter und die Anlagen der Mandingo’s. Kurze Nachricht von ihren Sitten und ihrer Lebensart. 5

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Da mein ganzer Weg, sowol hin als zurück, zwischen dem zwölften und funfzehnten Grade der Breite lag, so ist leicht zu erachten, daß ich das Klima in den meisten Gegenden ausnehmend heiß fand; nirgends aber empfand ich einen so hohen Grad von Hitze, und die zugleich so drückend war, als in dem Lager von Benaum. Da, wo das Land sich in Hügeln erhebt, ist die Luft zu allen Zeiten verhältnißmäßig kühl; eine Gegend aber die man eigentlich gebirgig nennen könnte, habe ich auf meinem Wege nicht angetroffen. Um die Mitte des Juni ohngefähr wird die heiße und schwüle Atmosphäre von heftigen Windstößen bewegt, die von Gewitter und Regen begleitet werden. Man nennt sie Tornado’s. Diese bringen nun die sogenannte Regenzeit mit, welche bis in den November anhält. Während dieser Zeit regnet es täglich sehr heftig, und der Südwestwind ist der herrschende. Das Ende der Regenzeit wird wiederum durch heftige Tornado’s angekündigt; wenn diese vorüber sind, setzt sich der Wind nach Nordosten um, und weht den übrigen Theil des Jahres aus dieser Gegend. Sobald der Nordostwind sich einstellt, verwandelt sich die ganze Gestalt des Landes auf eine wunderbare Art. Das Gras wird sogleich trocken und welk; die Ströme fallen äußerst schnell und viele Bäume verlieren ihr Laub. Um diese Zeit läßt sich auch der Ha rma t ta n spüren; ein trockner, brennender Wind, auch von Nordosten her, von einem dicken räuchrigen Dunst begleitet, durch den die Sonne ganz dunkelroth erscheint. Dieser | Wind bekommt, indem er über die große Wüste Sahara hinstreicht, einen hohen Grad von Anziehungskraft gegen die Feuchtigkeit, und trocknet alles aus, was ihm ausgesetzt wird. Dennoch hält man ihn für sehr heilsam, vorzüglich für die Europäer, die gewöhnlich in seiner Periode ihre Gesundheit wieder erlangen. Sowol bei Herrn Laidley als in Kamalia empfand ich unmittelbare Erleichterung während des Harmattans. Zur Regenzeit ist die Luft dermaßen mit Feuchtigkeit überladen, daß Kleider, Schuhe und alles was nicht dicht am Feuer steht, schimmlig und dumpfig wird, und man kann sagen, daß die Einwohner in einer Art von Dampfbad leben; dieser trockne Wind aber spannt die erschlafften Fibern wieder

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an, setzt die Lebensgeister in eine rasche Bewegung, und ist selbst der Lunge angenehm. Er hat keine nachtheilige Wirkungen, als daß die Lippen aufspringen, und daß schlimme Augen unter den Eingebohrnen sehr häufig sind. Sobald das Gras trocken genug ist, zünden die Neger es an; in Ludamar aber und andern maurischen Ländern wird dies nicht geduldet. Denn eben auf den welken Stoppeln lassen die Mauren ihr Vieh weiden, bis der Regen sich wieder einstellt. Das Verbrennen des Grases in Mandingo giebt einen schrecklich schönen Anblick. Mitten in der Nacht sah ich Ebenen und Höhen, so weit mein Auge reichen konnte, mit feurigen Streifen gezeichnet, und der Widerschein des Lichts aus den Wolken machte, daß auch der Himmel in Flammen zu stehen schien. Bei Tage sah man Rauchsäulen auf allen Seiten, und die Raubvögel schwebten um den Brand herum, und stießen herab auf die Schlangen, Eidechsen und anderes Gewürme, welches sich aus den Flammen zu retten suchte. Auf diesen jährlichen Brand folgt bald ein frisches und angenehmes Grün, und die Gegend wird dadurch gesünder und lieblicher.| Die merkwürdigsten und wichtigsten vegetabilischen Produkte habe ich schon erwähnt, und sie sind in allen Ländern, durch welche ich gekommen bin, fast dieselbigen. Doch muß ich bemerken, daß, obgleich mehrere Arten eßbarer Wurzeln, welche in den westindischen Inseln gefunden werden, auch in Afrika wachsen, ich doch niemals auf meiner Reise irgendwo Zuckerrohr, Kaffee oder Kakao gefunden habe; auch habe ich nie gehört, daß diese Gewächse den Eingebohrnen bekannt wären. Die Ananas und so viel andere herrliche Früchte, welche durch die Industrie civilisirter Völker, die überall die Schönheiten der Natur erhöhen, in den tropischen Erdstrichen von Amerika zu so hoher Vollkommenheit gebracht werden, sind hier gleichfalls unbekannt. Einige Orangen- und Bananas-Bäume habe ich wol an der Mündung des Gambia angetroffen, ich habe aber nicht mit Gewißheit erfahren können, ob sie hier einheimisch sind, oder ehedem von europäischen Kaufleuten hieher gebracht wurden. Ich vermuthe, daß sie sich von den Portugiesen herschreiben. Was das Eigenthum des Bodens betrift, so muß ich glauben, daß der noch mit Waldung bewachsene Boden als das Eigenthum des Königs, oder, wo die Verfassung nicht monarchisch ist, des Staats angesehen wird. Denn wenn ein freier Mann im Stande zu sein glaubt, mehr Land zu bearbeiten, als er wirklich besitzt, so muß er sich an den Beamten des Orts wenden, und dieser weiset ihm dann ein Grundstück an, unter der Bedingung, daß es wieder verfallen ist, wenn es nicht binnen einer bestimmten Zeit urbar gemacht wird. Ist die Bedingung erfüllt, so geht das Eigenthum des Bodens auf den Inhaber über,

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und pflanzt sich, so viel ich abnehmen konnte, auch auf seine Erben fort. Dennoch ist die Bevölkerung nach Verhältniß der Größe und Fruchtbarkeit des angebauten Landes, und, ohnerachtet es so leicht ist, Grundstücke zu erhalten, in | allen Gegenden, die ich besucht, eben nicht sehr stark. Ich fand sehr große und schöne Strecken Landes ganz ohne Einwohner, und im allgemeinen sind die Grenzgegenden der verschiedenen Staaten sehr schwach bevölkert oder ganz öde. Viele Gegenden sind auch deswegen nicht sonderlich bevölkert, weil sie ungesund sind. Von dieser Art sind die sumpfigen Ufer des Gambia, des Senegal und anderer Flüsse nach der Küste zu. Dies ist vielleicht die vornehmste Ursach, warum die inneren Gegenden reicher an Bewohnern sind, als die Küstenländer: denn alle Negervölker die mir vorgekommen sind, so groß auch die Anzahl kleiner unabhängiger Staaten ist, haben dieselben Erwerbszweige, dieselbe Lebensart, und sind sich durchaus untereinander gar sehr ähnlich. Die Mandingo’s sind ein vorzüglich gutes Volk, heiteren Gemüths, wißbegierig, leichtgläubig, einfach und eitel. Der hervorstechendste Fehler in ihrem Charakter ist vielleicht jene unüberwindliche Neigung, welche der Leser in meiner Geschichte an allen Volksklassen bemerkt haben wird, mich meiner geringen Habseligkeiten zu berauben. Dieser Theil ihres Betragens läßt sich nicht vollkommen rechtfertigen, weil sie den Diebstahl selbst für ein Verbrechen halten, und gegen einander machen sie sich dessen auch eben nicht schuldig. Aber eben dies ist ein sehr wichtiger mildernder Umstand, und ehe wir sie für ein verderbteres Volk als andere erklären, müssen wir wohl bedenken, ob die niedrige Volksklasse in irgend einem Theil von Europa unter ähnlichen Umständen rechtlicher gegen einen Fremden würde gehandelt haben, als die Neger gegen mich; man muß ferner nicht vergessen, daß die Gesetze mich nicht schützten – denn jeder hatte volle Freiheit, mich ungestraft zu berauben – und daß ein Theil meiner Effekten für die Neger von eben so großem Werth war, als Perlen und Diamanten für einen Europäer. In der That würde ich es für ein Wunder halten, wenn ein schwarzer Kaufmann aus Indostan, der mit einem Juwelenkästchen | im Innern von England erschiene, und sich des Schutzes der Gesetze nicht zu erfreuen hätte, nicht gleich aufs erste Mal rein ausgeplündert würde. So habe ich die Sache angesehen, und so viel ich auch von dieser Neigung der Mandingo-Neger gelitten habe, so halte ich dennoch ihren natürlichen Sinn für Recht und Unrecht nicht für verderbt oder erloschen; nur hier war die Versuchung allzugroß, und um sie zu überwinden wäre eine mehr als gemeine Tugend nöthig gewesen.

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Auf der andern Seite kann ich unmöglich die uneigennützige Mildthätigkeit und die zärtliche Sorgfalt vergessen, womit so viele von diesen armen Heiden an meinen Leiden Theil nahmen, mein Unglück erleichterten, und sich für meine Sicherheit thätig verwendeten, vom Könige von Bambarra an, bis zu den armen Frauen herab, die mich verschiedentlich in ihren Hütten aufnahmen, wenn ich vor Hunger umkommen wollte. Jedoch bin ich hierin vielleicht dem weiblichen Geschlecht bei weitem die meiste Erkenntlichkeit schuldig. Der Leser wird gesehen haben, daß ich von den Männern im allgemeinen zwar auch gütig behandelt wurde; daß aber doch bisweilen das Gegentheil statt fand, je nachdem diejenigen gestimmt waren, an welche ich mich wendete. Bei einigen hatte der rohe Geiz, bei andern die blinde Bigotterie dem Mitleid jeden Zugang verschlossen: aber ich besinne mich auf kein einziges Beispiel, daß eine Frau sich hartherzig gegen mich bezeigt hätte. Sie fand ich überall auf meinen Wanderungen und in meinem Elend gütig und mitleidig, und ich muß das gute Zeugniß, welches mein Vorgänger Herr Ledyard ihnen hierüber ertheilt, vollkommen bestätigen. Es ist eine sehr natürliche Voraussetzung, daß diese theilnehmende und hülfreiche Gesinnung, die sich gegen mich in meinem Unglück so deutlich offenbarte, sich in einem noch höheren Grade, wenn es die Gelegenheit giebt, gegen ihre Landsleute und Nachbarn äußern wird, und gegen die, welche | ihnen durch die Bande des Blutes theuer sind. So ist auch in der That die mütterliche Liebe, die bei ihnen weder durch den Zwang unsers gesitteten Lebens unterdrückt, noch durch die mancherlei Sorgen desselben geschwächt wird, überall in einem hohen Grade sichtbar, und flößt auch den Kindern eine ihr entsprechende Zärtlichkeit ein. Als ein Beispiel davon habe ich oben meinen Begleiter angeführt, welcher sagte: Schlage mich, nur schimpfe meine Mutter nicht. Dieselbe Gesinnung fand ich überall herrschend, und in ganz Afrika ist es die gröbste Beleidigung, die man einem Neger anthun kann, wenn man nachtheilig von seiner Mutter spricht. Man darf sich nicht darüber wundern, daß dieses kindliche Gefühl gegen den Vater nicht eben so stark ist. Die Vielweiberei schwächt die väterliche Liebe, indem sie sie unter die Kinder verschiedener Frauen vertheilt, und concentrirt dagegen die ganze eifersüchtige Zärtlichkeit der Mutter auf den einen Punkt, ihre eignen Kinder zu beschützen. Zu meiner großen Zufriedenheit habe ich bemerkt, daß die Sorgfalt der Mütter für die Kinder sich nicht nur auf das Wachsthum und das Wohlbefinden des Körpers, sondern in einem gewissen Grade auch auf die Bildung des Gemüths erstreckt: denn das erste, was die mandingoischen Frauen ihren Kindern einschärfen, ist,

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daß sie sie der Wahrheit überall treu zu sein lehren. Der Leser erinnere sich der unglücklichen Mutter in Funingkidi, und ihres einzigen Trostes in dem tiefsten Kummer über den Tod ihres Sohnes; daß er nie in seinem Leben gelogen habe. Ein solches Zeugniß von einer zärtlichen Mutter bei einer solchen Gelegenheit muß mächtig auf die dabei versammelte Jugend gewirkt haben. Die Negerinnen säugen ihre Kinder so lange bis sie allein gehen können. Drei Jahre lang die Brust zu geben, ist nicht ungewöhnlich, und diese ganze Zeit über, wendet der Mann seine Gunst den andern Frauen zu. | Daher kommt es, daß eine Frau selten eine zahlreiche Familie hat; wenige haben mehr als fünf oder sechs Kinder. Sobald ein Kind gehen kann, darf es herumlaufen fast wo es will, und die Mutter ist nicht sehr darauf bedacht, es vor dem Fallen oder andern kleinen Uebeln zu bewahren. Ein wenig Uebung lehrt die Kinder bald, sich selbst in Acht nehmen, und ihre Erfahrung dienet ihnen statt der Kinderfrau. Wachsen sie heran, so werden die Mädchen im Baumwollespinnen, Korndreschen und andern häuslichen Beschäftigungen unterrichtet, und die Knaben zu den Feldarbeiten gebraucht. Bei den Buschrihns sowohl als den Kafirs, werden die jungen Leute von beiden Geschlechtern beschnitten, wenn sie mannbar sind. Bei den Kafirs wird diese schmerzhafte Operation nicht sowohl als eine religiöse Ceremonie betrachtet, sondern als etwas sehr nützliches; sie haben nehmlich die Vorstellung, daß die Ehen dadurch sehr fruchtbar werden. Die Operation wird immer an mehreren jungen Leuten zugleich verrichtet, welche dann zwei Monat lang von jeder Arbeit frei sind, und während dieser Zeit eine besondere Gesellschaft ausmachen, welche S o l i m a n e heißt. Sie ziehn zusammen in den Städten und Dörfern auf der Nachbarschaft umher, tanzen und singen, und werden von den Einwohnern sehr gut bewirthet. Ich habe auf meiner Reise öfters solche Partien angetroffen; aber es waren immer lauter Jünglinge; doch einmal in Kamalia sah ich eine weibliche S olima ne. Oft werden die jungen Frauenzimmer schon während dieses Festes verheirathet. Wenn ein Mann Neigung für ein Mädchen empfindet, ist es gar nicht nöthig, daß er ihr selbst ein Geständniß macht. Das erste ist, daß er mit den Eltern über die Entschädigung einig wird, die er ihnen für den Verlust der Gesellschaft und der Dienste ihrer Tochter geben muß. Der Werth von zwei Sklaven ist ein gewöhnlicher Preis; wird aber das Mädchen für | sehr schön gehalten, so fordern die Eltern ungleich mehr. Wenn der Liebhaber reich genug ist, und 2 Funingkidi] Funingkedi 1–4 Vgl. den achten Abschnitt, oben S. 927

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Lust hat, die verlangte Summe zu geben, so macht er denn auch das Mädchen mit seinen Wünschen bekannt; aber ihre Einwilligung ist gar nichts wesentliches: denn wenn die Eltern nur die ihrige gegeben haben, und einige K o l l a- N ü s s e essen, die ihnen der Freier als ein Aufgeld auf den Handel darreicht, so muß das Mädchen entweder den Mann nehmen, den sie gewählt haben, oder sie muß unverheirathet bleiben, indem sie hernach keinem andern gegeben werden darf. Sollten die Eltern dies letztere wagen, so ist der Liebhaber durch die Gesetze berechtiget, sich des Mädchens als seiner Sklavin zu bemächtigen. Wenn der Hochzeittag bestimmt ist, so werden viel Leute dazu eingeladen, ein Rind oder eine Ziege wird geschlachtet, und eine große Menge Speisen zubereitet. Sobald es dunkel ist, wird die Braut in eine Hütte geführt, wo eine Gesellschaft von Matronen ihr helfen ihren Hochzeitsschmuck anlegen, der allezeit aus weißem Baumwollenzeug verfertiget ist und die Braut von Kopf bis zu Füßen verhüllt. Hierauf wird sie mitten auf der Diele auf eine Matte gesetzt, und die alten Frauen setzen sich in einen Kreis um sie her, geben ihr eine Menge guter Lehren, und sagen ihr, wie sie ihr Betragen einzurichten haben wird. Dieser lehrreiche Auftritt wird jedoch häufig von Mädchen unterbrochen, welche die Gesellschaft mit Gesängen und Tänzen belustigen, die mehr munter als zierlich sind. Unterdeß die Braut mit den Frauen in der Hütte ist, bezeigt der Bräutigam den Gästen welche sich vor der Thüre versammeln, seine Aufmerksamkeit: er theilt ihnen kleine Geschenke von Kolla-Nüßen mit, er sieht darnach, daß jeder eine gute Mahlzeit mache, und trägt auf diese Art viel zur allgemeine Fröhlichkeit bei. Wenn das Abendessen zu Ende ist, bringt die Gesellschaft den übrigen Theil der Nacht mit Singen und Tanzen hin, und geht selten vor Tagesanbruch auseinander. Um Mitternacht wird die Braut von | den Frauen in die Hütte geführt, welche zu ihrer künftigen Wohnung bestimmt ist, und der Bräutigam entfernt sich auf ein gegebenes Zeichen von der Gesellschaft. Allemal wird das junge Ehepaar gegen Morgen von den Frauen gestört, welche sich versammeln, um ihr hochzeitliches Lager in Augenschein zu nehmen, und um dasselbe her zu tanzen. Diese Ceremonie, die eine Aehnlichkeit mit der Sitte der alten Hebräer hat, wie sie in der Schrift beschrieben wird, ist unumgänglich nothwendig, und die Ehe wird ohne sie nicht für gültig gehalten. Die Vielweiberei ist, wie ich schon öfters angemerkt habe, bei den Negern eingeführt, bei den mahomedanischen sowohl als bei den heidnischen – nur daß den ersteren ihre Religion nur vier Frauen gestattet. Da der Mann gewöhnlich für jede Frau eine ansehnliche 29 von | den] von | von den

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Summe bezahlt: so fordert er auch von ihnen allen den strengsten Gehorsam und die tiefste Ehrerbietung, und behandelt sie als gemiethete Mägde und nicht als seine Gesellschafterinnen. Sie haben jedoch die häuslichen Angelegenheiten unter ihrer Aufsicht, und stehen abwechselnd der Wirthschaft vor, besorgen die Küche, und halten die Sklavinnen in Ordnung. So groß aber auch die Autorität ist, welche die schwarzen Ehemänner über ihre Gattinnen behaupten, so habe ich doch nicht bemerkt, daß sie sie im ganzen grausam behandelten: auch fand ich bei ihnen nicht die heftige Eifersucht, die unter den Mauren so herrschend ist. Sie lassen vielmehr ihre Frauen an allen öffentlichen Lustbarkeiten Theil nehmen, und diese Freiheit wird selten gemißbraucht: denn die Negerinnen sind zwar sehr frei und frölich in ihrem Betragen, aber zur Intrigue haben sie gar keine Neigung, und ich glaube, daß Beispiele von Untreue in der Ehe sehr selten sind. Wenn die Weiber untereinander Streit haben, was sich natürlich bei ihrer Lage sehr oft ereignen muß, so entscheidet der Mann, und er findet es bisweilen nö|thig zu einer kleinen körperlichen Züchtigung zu schreiten, um nur die Ruhe wieder herzustellen. Beklagt sich aber eine Frau bei dem Obersten der Stadt, daß ihr Mann sie ungerechter Weise bestraft, oder für eine andere Frau eine unerlaubte Parteilichkeit gezeigt habe, so wird die Sache gerichtlich untersucht. In diesen Pa la v e r s oder Gerichtsversammlungen, worin doch vorzüglich nur verheirathete Männer sitzen, wird es aber, wie ich gehört habe, mit der Klage einer Frau nicht immer sehr ernstlich genommen; die Klägerin wird bisweilen selbst der Zanksucht überführt und abgewiesen. Murrt sie über die Entscheidung des Gerichtshofes, so macht der magische Stab des M u m b o J u m b o der Sache bald ein Ende. Die Kinder der Mandingo’s werden nicht immer nach ihren Verwandten benannt, sondern öfters nach irgend einem merkwürdigen Umstand. So hieß mein Wirth in Kamalia „Ka rfa ”, welches ersetz e n bedeutet, weil er kurz nach dem Tode eines seiner Brüder geboren war. Andere Namen deuten auf gute oder böse Eigenschaften, als M o d i , „guter Mann”, F ad i b b a, „Vater der Stadt”, ja auch die Namen ihrer Städte haben oft etwas bedeutendes: so heißt S ibidulu „die Stadt der Ciboa-Bäume”, K e n n i j i t u „hier ist zu leben”, Dos e i t a „greife zum Löffel”. Andere scheinen einen Vorwurf zu enthalten, als B a m m ak u „wasche einen Krokodill”, Ka ra nka lla „kein Becher ist da” κ. Ein Kind erhält seinen Namen, wenn es acht Tage alt ist. Die Ceremonie fängt damit an, daß ihm der Kopf geschoren wird, und den Gästen wird ein Gericht vorgesetzt, welches D eg a heißt, und aus gestoßenem Korn und sauerer Milch bereitet wird; sind 30 „Ka r fa ”,] „Ka rf a ,”

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die Eltern reich, so kommt noch ein Schaaf oder eine Ziege hinzu. Dies Fest heißt D i n g k u h n l i h „des Kindes Kopfschur”. Ich wohnte bei meinem Aufenthalt in Kamalia vier verschiedenen Festen dieser Art bei, und die Ceremonie war überall dieselbe, das Kind mochte einem Buschrihn oder einem Kafir ge|hören. Der Schulmeister, der bei dieser Gelegenheit den Priester vorstellt, und immer ein Buschrihn ist, sprach zuerst ein langes Gebet über das Dega, während dessen alle Gegenwärtige mit der rechten Hand den Rand ihres Kalabasch anfaßten; dann nahm er das Kind in seine Arme, und sprach ein zweites Gebet, worin er wiederholt den göttlichen Segen für das Kind und die ganze Gesellschaft erflehte. Als dies zu Ende war, flüsterte er dem Kinde einige Sprüche ins Ohr, und spuckte ihm dreimal ins Gesicht, dann sprach er den Namen laut aus, und gab das Kind der Mutter wieder. Ist dieser Theil der Ceremonie vorbei, so macht der Vater des Kindes aus dem Dega eine Anzahl Kugeln, und giebt jedem Gast eine. Auch fragt er, ob jemand im Ort gefährlich krank ist: denn in diesem Fall schickt man eine große Portion hin, weil dem Dega außerordentliche Heilkräfte zugeschrieben werden. Jeder Neger hat außer seinem eigenen Namen noch einen Kont o n g oder Zunamen, um die Familie oder vielmehr den Stamm zu bezeichnen, zu welchem er gehört. Viele von diesen Familien sind sehr zahlreich und mächtig; es ist aber unmöglich alle die Kontongs aufzuzählen, die ich in den verschiedenen Gegenden augetroffen habe, obgleich es dem Reisenden nützlich sein kann, viele davon zu kennen: denn da sich jeder Neger auf das Alter und den Ruhm seiner Familie nicht wenig einbildet, so finden sie sich auch sehr geschmeichelt, wenn man sie mit ihrem Kontong anredet. Die Neger begrüßen sich allemal, wenn sie einander begegnen; aber die gewöhnlichsten Grüße der Kafiren: A bbi Ha kretto – I m i n g s i n i – E m an ar i bedeuten alle „befindest du dich wohl”, oder etwas ähnliches. Es giebt auch Grüße für die verschiedenen Tageszeiten: I m i n g s u m o , guten Morgen κ. Die Antwort besteht darin, daß man den Kontong des Grüßenden wiederholt, oder auch den Gruß selbst, wobei man zuvor M ar h ab a „mein Freund” sagt.

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Vorstellungen der Mandingo’s von den Weltkörpern und der Gestalt der Erde. – Ihre religiösen Meinungen. – Ihre Krankheiten und Kurmethoden. – Ihre Vergnügungen, Geschäfte, Künste und Manufakturen. 5

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Die Mandingo’s, und ich glaube die Neger überhaupt, haben keine künstliche Art die Zeit zu messen. Die Jahre berechnen sie nach der Anzahl der Regenzeiten. Das Jahr theilen sie in Monden, und zählen darin die Tage oder So n n e n . Den Tag theilen sie in Morgen, Mittag und Abend; weitere Unterabtheilungen wissen sie nicht, als daß sie, wenn es nöthig ist, den Stand der Sonne am Himmel beschreiben. Ich fragte sie oft, was denn des Nachts aus der Sonne würde, und ob wir jeden Morgen dieselbe wieder sähen, oder immer eine andere; aber diese Frage kam ihnen sehr kindisch vor. Die ganze Sache schien ihnen außerhalb der Grenzen der menschlichen Wißbegierde zu liegen, und es war ihnen nie eingefallen, Muthmaßungen darüber zu wagen. Der Mond hatte wegen der Veränderungen seiner Gestalt, ihre Aufmerksamkeit mehr auf sich gezogen. Beim ersten Anblick des Neumondes – sie glauben, daß er jedesmal aufs neue geschaffen werde – sprechen die Mahomedaner sowohl als die Kafiren ein kurzes Gebet, und dies scheint die einzige Verehrung zu sein, welche die letztern dem höchsten Wesen bezeigen. Dies Gebet wird leise gesprochen, und der Betende hält sich dabei die Hände vors Gesicht. Der Inhalt geht dahin, daß sie Gott für seine Güte, während der Existenz des vorigen Mondes danken, und sich dieselbe Gunst von ihm erbitten, so lange der neue dauern wird. Nach dem Gebet spucken sie sich in die Hände, und reiben sich damit das Gesicht. Auf den Wechsel des Mondes geben sie genau Acht, und man hütet sich sehr, eine Reise oder irgend ein wichtiges | Geschäft im letzten Viertel anzufangen. Von den Sonnen- und Mondfinsternissen glauben sie, daß sie durch Zauberei hervorgebracht werden. Auf die Sterne wird wenig Rücksicht genommen; sie halten das Studium der Astronomie für ganz unnütz, und glauben, daß sich nur diejenigen darauf legen, die sich mit der Magie abgeben wollen. Ihre geographischen Begriffe sind eben so kindisch. Sie stellen sich die Erde als eine große Ebene vor, deren Ende noch kein Auge gesehen hat, weil Wolken und Finsterniß es immer umhüllen. Das Meer beschreiben sie als einen großen Strom von salzigem Wasser, an dessen

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entfernter Küste Tab ah b o d u , das Land der Weißen liegt. Weit von Tabahbo du setzen sie noch ein anderes Land, D schong sa ng du, „das Land wo die Sklaven verkauft werden”, dessen Einwohner sie Ku m i nennen, und als Kannibalen von riesenhafter Größe beschreiben. Unter allen Ländern der Welt, halten sie das ihrige für das beste, und sich für das glücklichste Volk, und sie bemitleiden das Schicksal anderer Nationen, welche die Vorsehung in weniger fruchtbare und beglückte Gegenden gesetzt hat. Ueber die religiösen Meinungen der Neger habe ich mit Personen aus allen Ständen unter ihnen häufig gesprochen, und ich kann mit völliger Gewißheit behaupten, daß der Glaube an einen Gott und an einen künftigen Zustand der Vergeltung ganz allgemein unter ihnen ist. Sonderbar ist es, daß demohnerachtet die heidnischen Einwohner, wie ich schon erwähnt habe, zu keiner andern Zeit nöthig finden zu beten, als bei der Erscheinung eines neuen Mondes. Sie stellen sich die Gottheit zwar als den Schöpfer und Erhalter aller Dinge vor, zugleich aber auch als ein so entferntes und erhabnes Wesen, daß die schwachen Gebete armer Sterblicher unmöglich etwas in den Beschlüssen der unfehlbaren Weisheit ändern könn|ten. Fragt man sie, warum sie denn also am Neumond beteten, so antworten sie: das sei einmal so die Gewohnheit; sie thun es, weil es ihre Väter gethan haben. So blind ist die menschliche Natur ohne einen höhern Beistand. Sie glauben, daß der Allmächtige die Angelegenheiten dieser Welt der Aufsicht und Leitung untergeordneter Geister übertragen habe, über welche gewisse magische Ceremonien viel vermögen. Ein weißes Huhn, das an den Ast eines gewissen Baumes aufgehängt wird, ein Schlangenkopf, eine Handvoll Früchte, sind Opfer, welche der Aberglaube und die Unwissenheit sehr oft darbringen, um den Zorn dieser mächtigen Wesen abzuwenden, oder ihre Gunst zu gewinnen. Die Neger sprechen sehr selten über ihre religiösen Meinungen; besonders so oft ich sie über ihre Vorstellungen vom künftigen Leben befragte, drückten sie sich zwar sehr ehrerbietig aus, suchten aber immer das Gespräch durch die Bemerkung abzukürzen, daß Mo omo inta a l l o , „kein Mensch etwas davon wisse”. Sie begnügen sich, sagen sie, bei allen Ereignissen dieses Lebens, den Lehren und dem Beispiel ihrer Voreltern zu folgen, und scheinen, wenn diese Welt ihnen nicht mehr behagt, sehnlich nach einer andern zu verlangen, die ihrer Natur angemeßner sei; aber unnütze und trügliche Muthmaßungen über dieselbe erlauben sie sich nicht. Die Mandingo’s erreichen selten ein sehr hohes Alter. Mit vierzig Jahren bekommen sie schon graue Haare und Runzeln, und wenige 18 Sterblicher] Sterblichen,

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überleben fünf und funfzig oder sechzig. Die Jahre ihres Lebens berechnen sie nach den Regenzeiten, deren es jährlich nur eine giebt, und sie bezeichnen jedes Jahr mit einem besondern Namen, der sich auf eine merkwürdige Begebenheit während desselben bezieht. So hörte ich: „das Jahr des bambarranischen Krieges, das Jahr des kaartanischen Krieges, das Jahr der Plünderung von Gadu κ.” und ich zweifle nicht, | daß das Jahr 1796 an vielen Orten „das Jahr der Reise des Weißen” Tab ah b o t am b i s o n g heißen wird, weil diese Begebenheit ohnstreitig in ihrer Traditions-Geschichte Epoche machen wird. Obgleich sie nicht alt werden, scheinen doch wenig Krankheiten unter ihnen zu herrschen. Ihre einfache Diät, und ihre thätige Lebensart, bewahrt sie vor vielen Uebeln, welche unser schwelgerisches und unmäßiges Leben verbittern. Fieber und Flüsse sind die gemeinsten und gefährlichsten Uebel. Gegen dieselben werden Safis an verschiedenen Theilen des Körpers angebracht, und viele andere abergläubische Ceremonien werden verrichtet, von denen die meisten in der Thal sehr gut dazu geeignet sind, dem Kranken gute Hoffnung einzuflößen, und ihn zu hindern, daß er nicht über dem Gedanken an seinen gefährlichen Zustand brüte. Bisweilen habe ich aber doch eine systematischere Behandlungsart gesehn. Beim ersten Anfall eines Fiebers, wenn der Patient über Frost klagt, wird er nehmlich in eine Art von Dampfbad gesetzt. Zweige von der nauclea orientalis werden über heiße Asche gelegt, und der Patient, in ein weites baumwollenes Gewand gehüllt, auf diese Zweige. Dann wird Wasser auf die Aeste gesprengt, welches in die heiße Asche tröpfelt und den Patienten sehr bald mit einer Wolke von Dampf bedeckt; darin bleibt er bis die Asche beinahe verloschen ist. Diese Behandlung bringt gewöhnlich einen starken Schweiß hervor, und thut dem Kranken außerordentlich gut. Gegen die Ruhr bedienen sie sich der gepulverten Rinde mehrerer Bäume, die mit der Speise des Patienten vermischt wird; dies bleibt aber größtentheils ganz ohne Erfolg. Die anderen Krankheiten, die unter den Negern herrschen, sind die Yaws (einzelne Geschwüre, die über den ganzen Körper ausbrechen), die Elephantiasis und ein sehr bösartiger Aussatz. Dies letztere Uebel äußert sich anfänglich durch schorfige Flecke an verschiedenen Theilen des Körpers, | welche sich hernach nach den Händen oder Füßen ziehn, wo die Haut spröde wird und an vielen Stellen aufspringt. Zuletzt schwellen und schwären die Fingerspitzen, der Eiter ist scharf und stinkend, die Nägel fallen ab, die Knochen werden kariös und trennen sich von den Gelenke los. 7 1796] 1796. 19 hindern, daß er nicht] Kj hindern, daß er (einzelne ... ausbrechen),] Yaw’s, (einzelne ... ausbrechen)

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Auf diese Art verbreitet sich das Uebel immer weiter, oft bis der Patient alle Finger und Zehen verliert. Sogar Hände und Füße werden bisweilen zerstört, wenn die Krankheit recht einwurzelt. Die Neger nennen sie B al l a D s c h u , die unheilbare. Der Guinea-Wurm ve n a m e d i n e nsis, ist auch an gewissen Orten sehr häufig, besonders zu Anfang der Regenzeit. Als Ursach dieser Krankheit, welche von vielen Schriftstellern beschrieben worden ist, geben die Neger das schlechte Wasser an, und berufen sich darauf, daß diejenigen, welche aus Brunnen trinken, ihr mehr unterworfen wären als die, welche fließendes Wasser genießen. Derselben Ursach schreiben sie das Anschwellen der Glandeln am Halse (Kröpfe) zu, welche in einigen Gegenden von Bambarra sehr häufig sind. In einigen Gegenden des Innern fand ich auch einzelne Beispiele von einem einfachen Tripper; aber nie die eigentliche Lustseuche. Im ganzen scheinen die Neger bessere Wundärzte als Aerzte zu sein. In Behandlung der Brüche und Verrenkungen sind sie sehr glücklich; ihre Schienen und Verbände sind einfach und leicht abzunehmen. Sie legen die Patienten auf eine weiche Matte, und baden das gebrochene Glied mehrere Male in kaltem Wasser. Alle Geschwüre öfnen sie mit dem heißen Eisen, und ihre Umschläge bestehen entweder aus weichen Blättern und Baumbutter, oder aus Kuhmist, wie es ihrer Meinung nach der Fall zu erfordern scheint. Näher an der Küste, wo sie europäische Lanzetten haben können, öfnen sie bisweilen die Ader. Bei örtlichen Entzündungen bedienen sie sich einer ganz eignen Art zu schröpfen. Es werden Ein|schnitte in den leidenden Theil gemacht, und auf diese wird ein Rindshorn, mit einer kleinen Oefnung am Ende, angesetzt. Der Operateur nimmt ein Stück Wachs in den Mund, setzt seine Lippen an die Oefnung, zieht die Luft aus dem Horn heraus, und verstopft dann durch eine geschickte Bewegung mit der Zunge, die Oefnung mit dem Wachs. Durch dieses Verfahren wird der beabsichtigte Zweck erreicht, und es erfolgt gewöhnlich ein reichlicher Ausfluß. Wenn eine Person von Wichtigkeit stirbt, so versammeln sich die Verwandten und Nachbarn, und verkündigen ihren Kummer durch ein lautes und unangenehmes Geheul. Ein Rind oder eine Ziege wird für diejenigen geschlachtet, welche dem Begräbniß beiwohnen wollen, welches gewöhnlich noch am Abend des Sterbetages vollzogen wird. Die Neger haben keine eigenen Begräbnißplätze; sie machen oft das Grab im Fußboden der Hütte des Verstorbenen, oder im Schatten eines ihm vorzüglich lieben Baumes. Der Leichnam wird in weißes Baumwollenzeug gekleidet, und in eine Matte gewickelt. Die Verwandten tragen ihn in der Abenddämmerung zu Grabe. Ist das Grab 37 eigenen] eigene

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ausserhalb der Ringmauern, so wird etwas dorniges Gesträuch darauf gelegt, damit die Wölfe die Leiche nicht ausscharren; niemals aber habe ich gesehen, daß man einen Stein als Denkmal auf ein Grab gelegt hätte. Bis jetzt habe ich die Neger vornehmlich in moralischer Hinsicht betrachtet, und die hervorstechendsten Züge ihres Charakters verzeichnet; jetzt komme ich auf ihre häuslichen Vergnügungen, ihre Beschäftigungen, ihre Lebensart, ihre Künste und Manufakturen, und einige minder wichtige Gegenstände. Von ihrer Musik und ihren Tänzen habe ich schon gelegentlich an verschiedenen Stellen meines Tagebuchs Nachricht gegeben. Ich habe, was die erstere betrift, | zuförderst ein Verzeichniß ihrer musikalischen Instrumente hinzuzufügen; die vornehmsten darunter sind der Ku n t i n g , eine Art von Cither mit drei Saiten, die Korro, eine große Harfe von achtzehn Saiten; die Si m b ing , eine kleine Harfe von sieben Saiten; der B al af u , ein Instrument, das aus zwanzig Stücken harten Holzes von verschiedener Länge besteht, woran unterwärts Schalen von Kürbissen hangen, um den Schall zu verstärken; der Teng lan g , eine Art von Trommel, die unten offen ist, und endlich die Tab a l a , eine große Trommel, die gewöhnlich gebraucht wird, um durch das ganze Land Allarm zu schlagen. Ueberdies haben sie noch kleine Flöten, Bogensaiten, Elephantenzähne und Glocken, und bei allen Tänzen und Konzerten scheint das Klatschen in die Hände einen wesentlichen Theil des Chors auszumachen. Mit der Liebe zur Musik ist natürlich Geschmack für die Dichtkunst verbunden, und die glücklichen Dichter Afrika’s haben nicht zu befürchten, daß man sie vernachlässigt und in Dürftigkeit gerathen läßt, wie es in gesitteten Ländern den Dienern der Musen so oft geht. Man kann sie in zwei Klassen theilen; die zahlreichste machen die Sänger oder D s c h i l l i K i h ’s aus, deren ich schon sonst in meiner Erzählung erwähnt habe, und deren es einen oder mehrere in jeder Stadt giebt. Sie singen Gesänge aus dem Stegreife zum Lobe ihrer Vornehmen, oder jedes andern, der Lust hat sie gut zu bezahlen. Ein edlerer Theil ihres Geschäfts besteht darin, daß sie die Begebenheiten ihres Landes erzählen: daher begleiten sie in Kriegszeiten die Soldaten ins Feld, um durch Erinnerung an die großen Thaten ihrer Vorfahren den Geist einer rühmlichen Nacheiferung in ihnen zu erwecken. Die andere Klasse besteht aus mahomedanischen Frömmlingen, welche im Lande umher ziehn, geistliche Lieder singen, und religiöse Ceremonien verrichten, um den Allmächtigen zu bewegen, daß er entweder Unglück abwende, oder zu | irgend einem Unternehmen seinen Beistand verleihe. Beide Arten von wandernden Barden werden vom Volk

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sehr gebraucht und sehr geachtet, und es werden sehr reichliche Sammlungen für sie veranstaltet. Die gewöhnliche Kost der Neger ist nicht in allen Gegenden dieselbe. Freie Leute frühstücken mit Tagesanbruch gewöhnlich Brei aus Mehl und Wasser, der mit etwas Tamarinden angemacht wird, um ihm einen sauren Geschmack zu geben. Um zwei Uhr Nachmittags wird meistentheils ein Mehlbrei mit Milch und etwas Baumbutter bereitet, gespeist; die Hauptmahlzeit ist aber das Abendbrodt, und dieses ist selten vor Mitternacht fertig. Es besteht fast allgemein aus Kuskus, dem etwas weniges Fleisch oder Baumbutter beigemischt wird. Beim Essen bedienen sich die Kafirs sowol als die Mahomedaner nur der rechten Hand. Das Getränk der heidnischen Neger ist Bier und Meth; von beiden trinken sie oft zum Uebermaaß. Die Mahomedaner trinken nichts als Wasser. Schnupf- und Rauchtaback ist unter allen Volksklassen beliebt; ihre Pfeifen sind von Holz gemacht, und haben einen irdenen Kopf von gar sonderbarer Arbeit. In den innern Gegenden ist das Salz die größte aller Leckereien. Einem Europäer kommt es ganz sonderbar vor, wenn er ein Kind an einem Stück Steinsalz lecken sieht, als ob es Zucker wäre. Dies habe ich oft gesehen, obgleich die ärmere Klasse der Einwohner im Innern so sparsam mit diesem köstlichen Artikel versehen ist, daß, wenn man von einem Manne sagt „er ißt S a lz z u r Mahlzeit“, man dadurch andeutet, daß er ein reicher Mann ist. Ich selbst habe die Seltenheit dieses Naturprodukts sehr hart empfunden. Der beständige Genuß vegetabilischer Nahrung erregt eine so schmerzliche Sehnsucht nach Salz, daß sie sich gar nicht genug beschreiben läßt.| Die Neger überhaupt, und die Mandingo’s ganz besonders, werden von den Weißen an der Küste für eine träge und unthätige Nation gehalten; ich glaube mit Unrecht. Das Klima ist freilich großen Anstrengungen sehr ungünstig; aber man kann doch von einem Volk nicht sagen, daß Trägheit sein Charakter sei, dessen Bedürfnisse ihm nicht von der Natur von selbst geliefert, sondern nur durch seine eigene Arbeit hervorgebracht werden. Wenig Menschen arbeiten härter, wenn es sein muß, als die Mandingo’s; aber da sie eben nicht Gelegenheit haben, die überflüssigen Produkte ihrer Arbeit auf eine vortheilhafte Art umzusetzen, so begnügen sie sich, nur so viel Land anzubauen, daß sie selbst sich davon erhalten können. Die Feldarbeit giebt ihnen vollauf zu thun, so lange die Regenzeit währt, und in der trockenen Jahreszeit beschäftigen sich die, welche an großen Strömen wohnen, hauptsächlich mit der Fischerei. Die Fische werden in weidenen 23 M a h l zei t “,] M a h l z e i t “

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Körben oder mit kleinen baumwollenen Netzen gefangen; um sie aufzubewahren werden sie an der Sonne getrocknet und mit Baumbutter eingerieben, damit sie nicht aufs neue Feuchtigkeiten an sich ziehn. Die andern legen sich auf die Jagd. Ihr Gewehr ist eine Armbrust, aber die Pfeile sind in der Regel nicht vergiftet23. Sie sind sehr geschickte Schützen, und treffen eine Eidexe auf einem Baum, oder irgend einen andern kleinen Gegenstand in einer erstaunlichen Entfernung. Sie schießen auch Perlhüner, Rebhüner und Tauben, aber nie im Fluge.| Indessen die Männer diesen Beschäftigungen nachgehn, bearbeiten die Frauen zu Hause die Baumwolle zu ihren Zeugen. Die erste Vorbereitung besteht darin, daß sie sie in kleinen Quantitäten auf einen glatten Stein oder ein Stück Holz legen, und vermittelst einer starken eisernen Walze den Samen herausrollen; gesponnen wird sie auf dem Rocken. Ihr Faden ist nicht fein, aber sehr gut gedreht, und giebt ein dauerhaftes Zeug. Eine Frau spinnt, ohne ungewöhnlich fleißig zu sein, in einem Jahre zu sechs bis neun Gewändern von diesem Zeuge, deren jedes sich, je nachdem es fein ist, für anderthalb bis zwei Minkallis24 verkauft. Das Weben verrichten die Männer. Ihr Weberstuhl ist auf dieselbe Art wie der europäische gebaut, aber so schmal, daß das Gewebe selten mehr als vier Zoll breit ist. Das Weberschiff gleicht auch dem unsrigen; aber da der Faden grob ist, so ist der Bauch desselben etwas weiter als in Europa. Die Weiber färben dieses Zeug mit einer hohen und ächten blauen Farbe auf folgende sehr einfache Art. Die Blätter des Indigo werden ganz frisch in einem hölzernen Mörser gestoßen, und dann in einem großen irdenen Krug mit einer starken Lauge von Holzasche vermischt, bisweilen wird auch Urin hinzugefügt. In diese Mischung wird das Zeug eingetaucht, und bleibt so lange darin liegen, bis es die gehörige Dunkelheit hat. In Kaarta und Ludamar, wo der Indigo nicht so häufig ist, sammelt man die Blätter und trocknet sie in der Sonne; sollen sie dann gebraucht werden, so wird eine hinlängliche Quantität davon pulverisirt, und dann eben so mit der Lauge vermischt. Auf 23

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Vergifteter Pfeile bedienen sie sich im Kriege. Das Gift, welches sehr tödtlich sein soll, wird aus einem in allen Wäldern sehr gemeinen Strauch bereitet; einer Art von Echites, die sie K u h n a nennen. Die Blätter dieses Strauches werden mit ein wenig Wasser gekocht, und geben eine dicke schwarze Brühe, in welche die Neger einen baumwollenen Faden eintauchen. Dieser Faden wird um die eiserne Spitze des Pfeils so befestigt, daß, wenn dieser nur bis über den Widerhaken eingedrungen ist, man ihn unmöglich herausziehen kann, ohne die eiserne Spitze und den vergifteten Faden in der Wunde zu lassen. Ein Minkalli ist eine Quantität Gold, etwa zehn Schilling Sterling an Werth.

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beide Arten geräth die Farbe sehr gut, und bekommt einen schönen Purpurschimmer; meiner Meinung nach kommt sie dem schönsten indischen oder europäischen Blau gleich. Das Zeug wird dann in ver|schiedene Stücke zerschnitten, und mit Nadeln, die ebenfalls im Lande gemacht werden, die Gewänder daraus zusammengenäht. Da das Weben, Färben und Nähen sehr leicht erlernt wird, so macht es in Afrika kein besonderes Gewerbe aus; fast jeder Sklave kann weben und fast jeder Knabe kann nähen. Die einzigen Künstler, welche von den Negern dafür anerkannt werde, und ihr Geschäft als ein eignes und abgesondertes Gewerbe betreiben, sind diejenigen, welche in Leder und Eisen arbeiten. Die erstem heißen Ka rra nkih, oder wie das Wort auch oft ausgesprochen wird, G a hng ä h. Man findet sie fast in jeder Stadt, auch ziehn sie häufig im Lande herum, um in ihrem Handwerk zu arbeiten. Sie gerben und bereiten das Leder sehr schnell, indem sie die Haut zuerst in eine Auflösung von Holzasche in Wasser einweichen, bis das Haar abgeht, und sich dann der gestoßenen Blätter eines Baumes, der G u h heißt, als des adstringirenden Mittels bedienen. Sie geben sich viel Mühe, die Haut so weich und schmeidig als möglich zu machen, indem sie sie oft zwischen den Händen reiben und auf einen Stein schlagen. Rindshäute werden gewöhnlich zu Sandalen verarbeitet, und erfordern also nicht so viel Sorgfalt als die Schaaf- und Ziegenfelle, welche zu Köcherdecken und Safi’s gebraucht werden, auch macht man Scheiden zu Degen und Messern, Gürtel, Taschen und allerlei Schmuck daraus. Diese Felle werden gewöhnlich roth oder gelb gefärbt; roth mit den Halmen der Hirse, welche zu Pulver gestoßen werden; gelb mit der Wurzel einer Pflanze, deren Name mir entfallen ist. Die Eisenarbeiter sind nicht so zahlreich als die Karrankihs; aber sie haben ihre Geschäft eben so vollkommen inne. Die Neger an der Küste, welche Eisenwaaren zu sehr wohlfeilen Preisen von europäischen Kaufleuten bekommen, legen sich gar nicht darauf, diesen Artikel selbst | zu bearbeiten; tiefer im Innern aber wird dies nützliche Metall in solcher Menge gewonnen, daß die Einwohner nicht nur sich selbst mit allen Waffen und nöthigen Werkzeugen versehen, sondern auch noch in einige benachbarte Staaten damit handeln. Während meines Aufenthaltes in Kamalia war ein Schmelzofen nicht weit von der Hütte, wo ich wohnte, und weder der Eigenthümer noch seine Arbeitsleute machten ein Geheimniß aus ihrer Verfahrungsart, sondern erlaubten mir sehr gern den Ofen in Augenschein zu nehmen, und ihnen beim Brechen des Eisensteines zu helfen. Der Ofen war ein zehn Fuß hoher Cylinder, drei Fuß im Durchmesser; an zwei Stellen waren Bänder darum gelegt, damit er nicht durch die Gewalt des Feuers springen und in Stücke fallen könne. An dem untern Theil auf

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gleicher Ebene mit der Erde – aber nicht mit dem Boden des Ofens, der etwas tiefer ist – waren rund herum sieben Oefnungen, in welche Röhren von Thon eingelegt und die Oefnungen dann wieder so verklebt wurden, daß keine Luft in den Ofen dringen konnte, als nur durch die Röhren, vermittelst deren sie denn das Feuer regieren, indem sie sie bald öffnen, bald verschließen. Diese Röhren machen sie, indem sie eine Mischung von Lehm und Stroh um eine glatte hölzerne Walze kleben; diese wird dann, sobald der Lehm anfängt fest zu werden, herausgezogen, und die Röhren in der Sonne vollends getrocknet. Der Eisenstein, den ich sah, war sehr schwer, dunkelroth mit grauen Flecken; sie brachen ihn in Stücke, ungefähr von der Größe eines Hühnereies. Ein Bündel trocknes Holz wurde zuerst in den Ofen gelegt und mit einer ansehnlichen Menge Kohlen bedeckt, die ganz frisch gebrannt aus dem Walde kamen. Hierüber wurde eine Lage Eisenstein gelegt, dann wieder Kohlen, und so fort, bis der Ofen ganz voll war. Das Feuer wurde durch eine von den Röhren hineingebracht und eine Zeitlang mit Blasebälgen von Ziegenfellen angefacht. Die Sache ging anfänglich sehr langsam von stat|ten, und es währte einige Stunden, ehe die Flamme oben zum Ofen heraus schlug, hernach aber brannte es sehr heftig die ganze erste Nacht hindurch, und die Leute thaten von Zeit zu Zeit frische Kohlen hinzu. Am zweiten Tage war das Feuer nicht so stark, und einige von den Röhren wurden heraus gezogen, um der Luft freien Zugang zu verstatten; die Hitze war aber noch immer sehr groß, und eine bläuliche Flamme stieg einige Fuß hoch über den Rand des Ofens empor. Am dritten Tage wurden alle Röhren heraus genommen, und ich fand die Enden von einigen verglast; das Metall wurde aber erst einige Tage hernach, als alles völlig kalt war, heraus geholt. Ein Theil des Ofens ward eingerissen und es erschien als eine große unregelmäßige Masse, der noch Stücke Kohlen anhingen; es hatte Klang und war im Bruch körnig wie Stahl. Der Eigenthümer sagte mir, ein großer Theil dieser Masse wäre unbrauchbar, aber doch wäre gutes Eisen genug darunter, um ihm seine Arbeit zu belohnen. Aus diesem Eisen, welches ich lieber Stahl nennen möchte, werden dann verschiedene Instrumente gemacht. Es muß in ihren Schmieden erst mehrere Male wieder zum Glühen gebracht werden; in diesen unterhalten sie mit ein paar doppelten Blasebälgen, deren Röhren sich vereinigen, ehe sie in die Esse hineingehn, und die auf eine sehr einfache Art aus zwei Ziegenfellen gemacht sind, ein sehr anhaltendes und regelmäßiges Feuer. Hammer, Zangen und Ambos ist alles sehr einfach und die Arbeit besonders an den Messern und Scheeren nicht 11 Stücke] Stücken

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ohne Verdienst. Das Eisen ist indessen hart und brüchig, und erfordert viel Arbeit, ehe es brauchbar gemacht werden kann. Die meisten afrikanischen Grobschmiede verstehen zugleich auch das Goldschmelzen, wobei sie sich eines alkalischen Salzes bedienen, welches aus einer Lauge von Stroh-Asche, die bis zur Trockne verdunsten | muß, erhalten wird. Sie ziehen das Gold auch zu Drat und verfertigen daraus verschiedene Arten von Schmuck, wovon einiger in der That geschmackvoll und sauber gearbeitet ist. Dies ist das wichtigste, was ich in Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Künste und Manufakturen in dem Theil von Afrika, den ich durchgereist bin, habe erfahren können. Ich könnte noch hinzufügen, daß in Bambarra und Kaarta sehr schöne Körbe, Hüte und andere Dinge, theils zum Schmuck, theils zum Gebrauch aus Schilf verfertiget werden, das auf verschiedene Art gefärbt wird; auch machen sie Deckel für ihre Kalabaschen aus geflochtenem und gleichfalls gefärbtem Rohr. Bei allen hier beschriebenen Geschäften arbeitet der Herr mit seinen Sklaven gemeinschaftlich ohne einigen Unterschied. Von gemietheten Dienern, ich meine freie Leute die ums Lohn arbeiten, weiß man in Afrika nichts. Dies führt mich natürlich auf die Sklaven, und die verschiedene Art, wie Menschen in diesen unglücklichen Zustand gerathen. Man findet, glaube ich, diese bedauernswürdige Menschenklasse in allen Gegenden dieses großen Landes und sie macht einen beträchtlichen Handelszweig der Einwohner aus, sowol mit den Staaten am mittelländischen Meere, als auch mit den europäischen Nationen.

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Bemerkungen über die Beschaffenheit und die Ursachen der Sklaverei in Afrika.

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Gewisse Unterschiede des Standes und eine darauf sich beziehende Subordination, ist auf jeder Stufe und in jeder Art der bürgerlichen Gesellschaft unvermeidlich; wenn aber diese Subordination so weit geht, daß die Person und die Dienste des einen Theils der Gemeinheit ganz und gar dem andern zu Gebot stehn, so kann man sagen, daß jener sich im Zustande der Sklaverei befinde; und in diesem Zustande hat sich ein großer Theil der schwarzen Einwohner von Afrika von jeher befunden, so weit man ihre Geschichte zurückverfolgen kann, und zwar so, daß auch ihre Kinder gleich für diesen Stand gebohren werden. Ich nehme an, daß die Sklaven in Afrika zu den Freien in dem Verhältniß von Drei gegen Eins stehen. Sie haben für ihre Dienste nichts zu fordern, als Nahrung und Kleidung, und können gütig oder hart behandelt werden, je nachdem ihr Herr gesinnt ist. Doch hat die Gewohnheit gewisse Regeln über die Behandlung der Sklaven eingeführt, die nun niemand verletzen kann, ohne seinem guten Ruf zu schaden. So werden allgemein die Haussklaven, das heißt diejenigen, welche in dem eigenen Hause eines Mannes gebohren sind, gelinder behandelt, als die, welche man gekauft hat. Das Recht eines Herrn über seine Haussklaven erstreckt sich, wie ich schon anderswo angemerkt habe, nur auf eine mäßige Züchtigung; denn ein Herr kann seine Hausleute nicht verkaufen, ohne sie in der Versammlung der Angesehenen des Orts öffentlich vor Gericht gestellt zu haben25. So | beschränkt ist aber die Gewalt eines Herrn nicht über diejenigen Sklaven, welche im Kriege gefangen, oder für Geld erkauft worden sind. Diese unglückseligen Geschöpfe werden ganz als Fremdlinge angesehn, die auf den Schutz der Gesetze gar keine Ansprüche haben, und der Eigenthümer kann sie ganz nach seinem Belieben mit der größten 25

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Zur Zeit einer Hungersnoth, darf ein Herr einen oder mehrere von seinen Hausleuten verkaufen, um Lebensmittel für seine Fa|milie anzuschaffen. Ist ein freier Mann insolvent, so legen die Gläubiger bisweilen Arrest auf seine Haussklaven, und wenn er sie nicht auslösen kann, werden sie verkauft, um seine Schulden zu bezahlen. Anderer Fälle erinnere ich mich nicht, daß Hausleute, wenn nicht Vergehungen oder ein schlechtes Betragen von ihrer Seite vorangegangen sind, verkauft werden dürften.

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Härte behandeln, und an einen Fremden verkaufen. Es giebt regelmäßige Märkte, wo Sklaven von dieser Art gekauft und verkauft werden. Der Werth eines solchen Sklaven steigt in den Augen des afrikanischen Käufers um so höher, je weiter er von seinem Vaterlande entfernt ist; denn wenn Sklaven nur wenige Tagereisen nach ihrem Geburtsort haben, so gelingt es ihnen oft zu entwischen; liegt aber ein oder mehrere Staaten dazwischen, so ist das Entkommen sehr schwierig, und sie beruhigen sich daher eher in ihrem Zustande. Aus dieser Ursach geht ein unglücklicher Sklave oft so lange aus einer Hand in die andere, bis er alle Hofnung verloren hat, in sein Vaterland zurückzukehren. Die Sklaven, welche die Europäer an der Küste kaufen, sind größtentheils von dieser Art: nur wenige werden in den kleinen Kriegen an der Küste, von denen ich hernach reden werde, eingefangen; bei weitem die meisten kommen in großen Karawanen aus Ländern im Innern, von denen viele den Europäern nicht einmal dem Namen nach bekannt sind. Man kann die Sklaven, welche auf diese Art nach der Küste gebracht werden, in zwei verschiedene Klassen theilen: es sind nehmlich theils solche die als Sklaven gebohren sind, weil ihre Mütter Sklavinnen waren, theils Freigebohrne, die erst auf irgend eine Art Sklaven geworden sind. Die erste Klasse ist die zahlreichste; denn fast alle welche im Kriege gefangen genom|men werden – wenigstens in ofnen und erklärten Kriegen, wo ein Staat dem andern Feindschaft angesagt hat – sind von dieser Art. Ich habe schon angemerkt, wie gering überhaupt in Afrika die Anzahl der Freien gegen die der Sklaven ist, und freie Leute haben außerdem noch manche Vortheile vor den Sklaven im Kriege voraus. Sie sind überall besser bewafnet und wohl beritten, so daß sie mit gutem Erfolg fechten, und auch leichter entkommen können; die Sklaven hingegen, die nur ihren Speer und Bogen haben, und von denen noch die meisten mit Gepäck beladen sind, werden eine leichte Beute des Feindes. So machte Mansong, König von Bambarra, in dem Kriege gegen Kaarta einst an Einem Tage neunhundert Gefangene, und unter dieser großen Zahl waren nur siebenzig freie Männer. Dies erzählte mir Deman Dschomma, der dreißig Sklaven in Kemmu hatte, die Mansong alle zu Gefangenen machte. Ferner, wenn ja ein freier Mann gefangen genommen wird, so lösen ihn seine Freunde öfters aus, indem sie zwei Sklaven für ihn geben; ein Sklave, der gefangen wird, hat aber zu einer solchen Befreiung gar keine Aussicht. Hiezu kommt noch, daß die Slatihs, welche die Sklaven im Innern aufkaufen, um sie zum Verkauf nach der Küste zu führen, allemahl diejenigen vorziehn, welche schon von Kindheit an in diesem Zustande gewesen sind; weil sie wissen, daß diese an Hunger und Ungemach gewöhnt, und besser im Stande sind, die Mühseligkeiten einer langen und beschwerlichen Reise zu ertragen, als freigebohr-

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ne Männer; daß, wenn sich nicht gleich Gelegenheit findet, sie zu verkaufen, jene leichter ihren Unterhalt durch ihre Arbeit verdienen als diese; und daß sie auch nicht so gern versuchen zu entkommen, als die, welche bis jetzt immer das Glück der Freiheit genossen haben. Sklaven von der zweiten Klasse gerathen im allgemeinen aus einer von folgenden vier Ursachen in diesen | Zustand: Gefangenschaft, Hungersnoth, Schulden, Verbrechen. Ein freier Mann wird nach afrikanischer Sitte ein Sklave, wenn er im Kriege gefangen wird. Der Krieg ist die ergiebigste Quelle der Sklaverei, und war auch wahrscheinlich ihr erster Ursprung: denn wenn der eine Theil eine größere Anzahl Gefangene von dem andern gemacht hat, als dieser zurückgeben kann, so ist es sehr natürlich, daß die Eroberer, denen die Erhaltung ihrer Gefangenen zur Last fällt, sie zur Arbeit anhalten, anfänglich nur damit sie ihren Unterhalt verdienen, hernach auch damit sie ihren Herren Nutzen bringen. Doch dem sei wie ihm wolle, in Afrika, dies ist eine bekannte Thatsache, sind die Kriegsgefangenen Sklaven der Eroberer; und wenn der schwächere oder unglücklichere Krieger, unter dem aufgehobenen Sperre seines Gegners, um Gnade bittet, so giebt er zugleich alle Ansprüche auf Freiheit auf, und erkauft auf Kosten derselben sein Leben. In einem Lande, welches in tausend kleine Staaten getheilt ist, die von einander unabhängig, und auf einander eifersüchtig sind, wo jeder freie Mann in den Waffen geübt ist und das kriegerische Leben liebt, wo der Jüngling, der Bogen und Speer von Kindheit an gehandhabt hat, nichts so sehnlich wünscht, als eine Gelegenheit seine Tapferkeit zu zeigen; da ist es natürlich, daß Kriege sehr oft aus unbedeutenden Veranlassungen entstehn. Sobald eine Nation sich einer andern überlegen fühlt, fehlt es ihr selten an einem Vorwande, Feindseligkeiten anzufangen. So hatte der Krieg zwischen Kadschaaga und Kasson keinen andern Grund, als die Zurückbehaltung eines entlaufenen Sklaven; und der zwischen Bambarra und Kaarta den Verlust einiger Stücke Rindvieh. Solche Vorfälle sind immer leicht bei der Hand, und mehr braucht es nicht, damit die Thorheit oder der tolle Ehrgeiz der Fürsten und der Eifer religiöser Schwärmer ihrer Zerstörungssucht freien Spielraum lasse.| Die afrikanischen Kriege sind von zweierlei Art, die auch durch eigne Namen unterschieden werden. Diejenige Art, welche mit unsern europäischen Kriegen die meiste Aehnlichkeit hat, heißt Killi, welches herausfodern bedeutet, weil diese Kriege ofne Fehden sind, und vorher erklärt werden. Solche Kriege werden aber doch in Afrika gewöhnlich durch einen einzigen Feldzug beendigt. Ein Gefecht wird geliefert, die Ueberwundenen denken selten daran, sich wieder zu ver-

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einigen; alle Einwohner überfällt ein panischer Schrecken, und die Eroberer haben nichts zu thun als ihre Sklaven zu binden, und ihre Opfer mit der andern Beute abzuführen. Solche Gefangene, die zu alt oder schwach sind, um Ungemach auszuhalten, oder die sonst nicht verkäuflich sind, werden als eine unnütze Last angesehn, und, wie ich nicht zweifle, oft getödtet. Dasselbe Schicksal erwartet gewöhnlich jedes Oberhaupt, oder jeden Andern, der an dem Kriege einen ausgezeichneten Antheil gehabt hat. Wunderbar ist es, wie schnell, ohnerachtet dieses zerstörenden Systems, eine afrikanische Stadt wieder aufgebaut und bevölkert wird. Dies kommt wahrscheinlich daher, weil der regelmäßigen Gefechte immer nur wenige sind; der Schwächere fühlt sich, und sucht sein Heil in der Flucht. Ist das Land verwüstet, und der Feind hat die zerstörten Städte und Dörfer verlassen, so kehren alle Einwohner, soviele deren dem Schwert und der Kette entronnen sind, nach und nach, wiewol sehr vorsichtig, an ihren Geburtsort zurück. Der arme Neger nährt ebenfalls den allgemeinen Wunsch, den Abend seines Lebens da zuzubringen, wo seine Kindheit verflossen ist; kein Wasser ist ihm so süß, als das aus seinem eignen Brunnen, und kein Baum hat für ihn einen so kühlen und lieblichen Schatten, als der Ta b b ab au m 26 seines Geburtsdorfes. Nöthigt ihn der Krieg diesen Ort zu verlassen, und in einem andern | Staate Sicherheit zu suchen, so redet er dort immer von dem Lande seiner Väter, und der Friede ist kaum hergestellt, so kehrt er dem fremden Lande den Rükken, baut eiligst seine verfallenen Mauern wieder auf, und freut sich, den Rauch aus seiner Heimath wieder aufsteigen zu sehen. Die andere Art des afrikanischen Krieges heißt Ta g ria , Plündern oder Stehlen. Er entsteht aus einer Art von erblicher Fehde, welche die Einwohner eines Distrikts mit denen eines andern führen. Es wird keine eigentliche Ursach der Feindseligkeiten angegeben, auch verlautet vorher nichts von einem bevorstehenden Angrif; sondern die Einwohner jeder Gegend nehmen nur jede Gelegenheit wahr, wo sie Beute machen können, und beunruhigen ihre Feinde durch räuberische Streifzüge. Diese sind sehr gewöhnlich, besonders am Anfang der trocknen Jahreszeit, wenn die Erntearbeit vorüber ist, und es überall Lebensmittel im Ueberfluß giebt: dann macht man Entwürfe sich zu rächen. Der Anführer berechnet die Anzahl und die Geschicklichkeit seiner Vasallen, wenn sie bei Volksfesten ihre Speere schwingen, und stolz auf seine Kräfte richtet er seine Gedanken darauf, einen Schaden 26

Dies ist eine Art von Sterculia, ein Baum der sich sehr weit ausbreitet, und unter dem gewöhnlich der Bentang errichtet wird.

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oder eine Beleidigung zu rächen, die ihm oder einem seiner Vorfahren von einem benachbarten Staate zugefügt worden ist. Mit Kriegen dieser Art, geht es gewöhnlich sehr geheimnißvoll her. Einige entschlossene Leute, von einem unternehmenden und muthigen Manne angeführt, marschiren in aller Stille durch die Wälder, überfallen in der Nacht irgend ein wehrloses Dorf, und führen die Einwohner mit ihrer Habe fort, ehe die Nachbaren ihnen zu Hülfe kommen können. Bei meinem Aufenthalt in Kamalia, wurden wir alle eines Morgens durch eine solche Partei in großen Schrecken versetzt. Der Sohn des Königs von Fuladu, ging mit fünfhundert Reitern etwas südlich von Kamalia durch die Wälder, und plün|derte am folgenden Morgen drei Städte, die dem Madigai, einem angesehenen und mächtigen Oberhaupt der Dschallonka’s gehörten. Der glückliche Erfolg dieser Expedition ermunterte den Statthalter von Bangassi, einer Stadt in Fuladu, einen zweiten Einfall in eine andere Gegend desselben Landes zu wagen. Er versammelte etwa zweihundert von seinen Leuten, ging in der Nacht mit ihnen über den Fluß Kokoro, und machte eine große Menge Gefangene. Viele Einwohner, welche bei diesen Angriffen glücklich entflohen waren, wurden hernach, als sie in den Wäldern herumirrten, oder sich in den Gebirgthälern und engen Pässen versteckt hatten, von den Mandingo’s gefangen. Solche räuberische Einfälle werden allemal sehr bald auf dieselbe Art vergolten, und wenn man nicht zahlreiche Parteien dazu zusammenbringen kann, so vereinigen sich einige Freunde miteinander, und fallen ins feindliche Land um zu plündern, und Einwohner wegzuschleppen. Ja man hat Beispiele, daß ein einziger Mensch seinen Bogen und Köcher nimmt und in dieser Absicht ausgeht. Dies ist ohne Zweifel ein tolles Wagestück; aber wenn man bedenkt, daß ein solcher wahrscheinlich in einem ähnlichen Kriege einen Sohn oder einen nahen Verwandten verloren hat, so verdient er eher Mitleid als Tadel. Von dem Gefühl seines Verlustes zur Rache angetrieben, geht der Gekränkte aus und verbirgt sich im Gebüsch, bis ein Kind oder eine unbebewaffnete Person vorbeigeht. Wie ein Tiger fällt er dann über seinen Raub her, schleppt ihn ins Dickicht, und führt ihn in der Nacht als Sklaven fort. Ist ein Neger auf diese Art in die Hände seiner Feinde gefallen, so behält ihn sein Ueberwinder entweder als Sklaven für sich, oder er verhandelt ihn lieber in ein entferntes Königreich; denn ein Afrikaner, der einmal seinen Feind in seine Gewalt bekommen hat, wird ihm | nicht leicht Gelegenheit geben, in Zukunft einmal seine Hand wieder gegen ihn aufzuheben. Das Schicksal, welches ein Eroberer seinen Ge13 Dschallonka’s] so DV; OD: Jallonka’s

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fangenen bestimmt, hängt gewöhnlich von dem Range ab, den sie in ihrem Vaterlande behaupteten. Solche ehemalige Haussklaven, welche eine gute Gemüthsart zu haben scheinen, behält er in seiner eignen Familie, besonders aber alle junge Frauenzimmer. Andere, welche Unzufriedenheit äußern, werden weiter nach entfernten Gegenden fortgeschaft, und diejenigen, es seien nun freie Leute oder Sklaven, welche thätigen Antheil am Kriege genommen haben, werden entweder den Slatihs verkauft oder getödtet. Der Krieg ist also gewiß schon an sich die allgemeinste und ergiebigste Quelle der Sklaverei, und die zweite, nehmlich die Hung ersn o t h entsteht oft – jedoch nicht immer – wiederum aus den Verwüstungen des Krieges. In diesem Falle wird ein freier Mann ein Sklave, um ein größeres Uebel zu vermeiden. Ein philosophisches und nachdenkendes Gemüth wird vielleicht den Tod kaum für ein größeres Uebel halten, als die Sklaverei; der arme Neger aber, wenn er vor Hunger verschmachtet, denkt wie vor Alters Esau; siehe, ich muß doch sterben, was soll mir denn die Erstgeburt? Es giebt sehr viele Beispiele, daß Leute freiwillig ihrer Freiheit entsagen, um ihr Leben zu retten. Während einer großen Theurung in den Ländern am Gambia, welche drei Jahre währte, geriethen eine Menge Menschen auf diese Art in die Sklaverei. Dr. Laidley versicherte mich, es wären damals viele freie Leute gekommen, und hätten ihn sehr ernstlich gebeten, sie a n s e i n e Sk l ave n k e t t e z u l e ge n , um sie vom Hungertode zu retten. Zahlreiche Familien sind oft einem gänzlichen Mangel ausgesetzt, und da die Eltern eine fast unumschränkte Gewalt über ihre Kinder haben; so geschieht es in allen Gegenden von Afrika häufig, daß einige davon verkauft werden, um der übrigen Familie | dadurch Lebensmittel zu verschaffen. In Dscharra zeigte mir Deman Dschomma drei junge Sklaven, die er auf diese Art erstanden hatte. Einen andern Fall, der mir in Wonda aufstieß, habe ich schon erzählt, und man sagte mir, daß dies Verfahren damals in ganz Fuladu sehr gewöhnlich gewesen sei. Die dritte Ursach der Sklaverei, ist die Unf ä hig keit seine S c h u l d e n z u b e z ah l e n . Unter allen Vergehungen – wenn man dies anders so nennen kann – auf welche die afrikanischen Gesetze die Sklaverei als Strafe erkennen, ist diese die gewöhnlichste. Ein Negerkaufmann macht gewöhnlich zum Behuf einer Handelsspekulation Schulden, entweder bei seinen Nachbarn um Waaren zu kaufen, die er auf einem entfernten Markt mit Vortheil zu verkaufen denkt, oder bei europäischen Kaufleuten an der Küste; immer aber so, daß ein Termin zur Zahlung festgesetzt wird. Die Lage des Spekulanten ist in 16–17 Gen 25,32

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beiden Fällen dieselbe. Hat er Glück, so macht er sich vielleicht ein Vermögen; hat er Unglück, so geräth er selbst und alles was er hat in die Gewalt seines Gläubigers: denn in Afrika werden nicht nur die Effekten eines insolventen Schuldners, sondern auch er selbst wird verkauft, um den rechtmäßigen Forderungen seiner Gläubiger gerecht zu werden27.| Die vierte unter den angegebenen Ursachen, ist die Begehung solcher Verbrechen, auf welche nach den Landesgesetzen die Sklaverei als Strafe steht. Deren sind nur drei: Mord, Ehebruch und Zauberei, und ich muß zu meiner Freude den Afrikanern das Zeugniß geben, daß sie mir nicht häufig zu sein scheinen. Ist ein Mord begangen, so hat der nächste Verwandte des Getödteten es in seiner Gewalt, den Mörder, wenn er überwiesen ist, entweder mit eigner Hand zu tödten, oder in die Sklaverei zu verkaufen. Beim Ehebruch wird es gewöhnlich dem beleidigten Theile freigestellt, den Inkulpaten entweder zu verkaufen, oder ein solches Lösegeld von ihm anzunehmen, welches ihm für das erlittene Unrecht ein Ersatz zu sein scheint. Unter Zauberei versteht man diejenige vorgebliche Magie, welche gegen das Leben oder die Gesundheit eines Menschen gerichtet ist: mit andern Worten die Giftmischerei. Mir ist, so lange ich in Afrika war, von einem Gericht, welches über dieses Verbrechen gehalten worden wäre, nichts bekannt geworden, und ich vermuthe also, daß das Vergehen sowohl als die Bestrafung desselben sehr selten vorkommt. Wenn ein freier Mann durch eine von diesen Ursachen ein Sklave geworden ist, so bleibt er es gewöhnlich, und seine Kinder, wenn sie mit einer Sklavin erzeugt sind, werden in demselben Zustande erzogen. Jedoch fehlt es nicht an Beispielen, daß Sklaven ihre Freiheit wieder erhalten, bisweilen mit Einwilligung ihres Herrn, wenn sie ihm einen besonders wichtigen Dienst leisten, oder wenn sie aus einem Gefecht zwei Sklaven als Lösegeld mitbringen; öfter aber durch die Flucht: denn, wenn ein Sklave erst seinen Kopf darauf setzt zu entlau27

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Wenn ein Neger von einem Europäer an der Küste Waare auf Kredit nimmt, und seinen Zahlungstermin nicht einhält: so berechtigen die Gesetze den Europäer, auf den Schuldner selbst, wenn er ihn habhaft werden kann, wo nicht, auf einen seiner Verwandten, oder endlich auf irgend einen Unterthan desselben Staates Arrest zu legen. Derjenige, der auf diese Art ergriffen ist, bleibt verhaftet, unterdeß seine Freunde gehen um den Schuldner aufzusuchen Wird dieser gefunden, so beruft man eine Versammlung der Vornehmsten des Ortes, und der Schuldner wird aufgefordert, durch Erfüllung seiner Verbindlichkeiten seinen Freund auszulösen. Ist er dies nicht im Stande, so versichert man sich augenblicklich seiner Person und schickt ihn nach der Küste, worauf der Andere frei gelassen wird. Ist der Schuldner nicht zu finden, so muß der Verhaftete den doppelten Belauf der Schuld bezahlen, oder er wird selbst verkauft. Doch sagte man mir, daß man selten auf die Vollstreckung des letzten Punktes dränge.

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fen, so gelingt es gemeiniglich. Sie sind im Stande mehrere Jahre zu warten, bis sich ihnen eine gute Gelegenheit darbietet, und während dieser Zeit gar nicht die geringste Unzufriedenheit zu äußern. Im allgemeinen ist zu be|merken, daß Sklaven aus einer bergigen Gegend, die sich mit der Jagd beschäftiget haben, und des Wanderns gewohnt sind, ihre Flucht leichter bewerkstelligen, als die aus dem flachen Lande, welche nur Feldarbeit getrieben haben. Dies sind die allgemeinen Umrisse des Systems der Sklaverei, welches in Afrika herrscht, und man sieht es seiner Natur und seinem Umfang an, daß es sich nicht erst aus neueren Zeiten herschreibt. Wahrscheinlich ist es in jenem frühern Alterthume entstanden, ehe noch die Mauren einen Weg durch die Wüste entdeckt hatten. In wie fern es durch den Sklavenhandel aufrecht erhalten werde, welcher seit zweihundert Jahren zwischen den Europäern und den Küstenbewohnern getrieben wird; das bin ich nicht im Stande zu entscheiden, auch gehört es nicht für mich. Sollte man meine Meinung darüber wissen wollen, welchen Einfluß wol der gänzliche Stillstand dieses Handels auf die Sitten der Neger haben würde; so würde ich ohne Bedenken sagen, daß in ihrem gegenwärtigen, unaufgeklärten Zustande, diese Veränderung weder so große noch so wohlthätige Folgen haben dürfte, als manche weise und würdige Männer aus Menschenliebe erwarten.

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Vom Goldstaube, dem Verfahren damit, und seinem Werth in Afrika – Vom Elfenbein – Verwunderung der Neger über die Begierde der Europäer nach dieser Waare – Elephantenjagd – Bemerkungen über den unvollkommenen Zustand des Landes.

Gold und Elfenbein hat man wahrscheinlich in Afrika schon in den allerältesten Zeiten gefunden; sobald die Geschichte nur dieses Welttheiles erwähnt, werden auch jene kostbaren Waaren schon als die wichtigsten Produkte desselben genannt. Man hat bemerken wollen, daß das Gold selten oder nie anders als in bergigen und dürren Gegenden gefunden würde, als ob ihnen die Natur auf diese Art ersetzen wollte, was sie ihnen versagt hat; dies ist aber nicht durchaus richtig. Man findet Gold in ansehnlicher Menge, in allen Theilen von Manding, und dieses Land ist zwar gar nicht eben, aber man kann es doch eigentlich nicht gebirgig, noch viel weniger aber dürre nennen. Eben so findet man sehr viel Gold im Dschallonkadu, vorzüglich um Buri, und dies ist ebenfalls ein hügliges, aber keinesweges ein unfruchtbares Land. Es ist merkwürdig, daß der Salzmarkt in der letztgenannten Stadt, welche ohngefähr vier Tagereisen südwestwärts von Kamalia liegt, oft zu gleicher Zeit mit Steinsalz von der großen Wüste, und mit Seesalz von Rio Grande besetzt ist, da der Preis beider Arten, in dieser Entfernung von ihrem Vaterlande ohngefähr gleich ist, und die Verkäufer von beiden, die Mauren aus Norden und die Neger aus Westen, beide ihr Salz dorthin bringen, um es gegen Gold umzusetzen. Das mandingische Gold wird, soviel ich erfahren habe, nie in einer Gangart oder Ader gefunden, sondern immer in fast ganz reinem Zustande in kleinen Körnern, | von der Größe eines Nadelknopfes bis zu der einer Erbse, in großen Massen von Sand oder Lehm einzeln zerstreut. Die Mandingo’s nennen es in diesem Zustande S a nu m u n k o , Goldpulver. Doch ergiebt sich aus der Lage des Bodens mit großer Wahrscheinlichkeit, daß es ehedem durch häufige Wasserströme von den benachbarten Hügeln herunter gespült worden ist. Gesammelt wird es auf folgende Art. Im Anfang des Decembers, wenn die Ernte vorbei und das Wasser in den Strömen gefallen ist, setzt 21 Grande] grande

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der Mansa des Ortes einen Tag fest, an welchem das S a nuku, das Goldwaschen, seinen Anfang nehmen soll, so daß die Frauen sich gegen diese Zeit fertig halten können. Ein Grabscheid um den Sand aufzugraben, zwei bis drei Kalabaschen, um ihn darin zu waschen, und einige Federkiele, um den Goldstaub darin aufzubewahren, sind alle Geräthschaften, welche dazu erfordert werden. Am Morgen, wenn sie ausziehen, wird zur Feier des ersten Tages ein Ochse geschlachtet und viele Gebete und Zaubersprüche werden hergesagt, um sich Glück zu verschaffen, denn es wird für ein sehr schlechtes Zeichen gehalten, wenn der erste Tag unglücklich ist. Dem Mansa von Kamalia und vierzehn von seinen Leuten mißlang das Waschen am ersten Tage, so daß Wenige das Herz hatten, die Arbeit fortzusetzen, und diese Wenigen hatten einen schlechten Erfolg – was allerdings sehr natürlich zuging, denn anstatt eine frische Stelle aufzugraben, gruben und wuschen sie immer an demselben Fleck, wo sie vor Jahren gegraben und gewaschen hatten, und wo also nur noch wenig große Körner übrig sein konnten. Die leichteste Art den Goldstaub zu erlangen ist allerdings die, daß man den Sand in den Strömen auswäscht; aber an den meisten Stellen ist er schon vorher so genau durchsucht, daß man das Gold nur sehr sparsam findet, wenn nicht etwa der Strom einen neuen Lauf nimmt. Während einige den Sand durchsuchen, beschäfti|gen sich andere mehr oberwärts, wo die reißende Strömung allen Lehm und Sand hinweg geführt und nur kleine Kiesel übrig gelassen hat. Diese zu durchsuchen ist ein sehr mühsames Geschäft; ich habe Frauen gesehen, welche sich dabei die Haut von den Fingerspitzen ganz weg gearbeitet hatten. Bisweilen werden sie aber sehr gut dafür belohnt durch Goldmassen, welche sie San u b i r r o , Goldsteine nennen; eine Frau aus Kamalia fand mit ihrer Tochter an einem Tage zwei Stücke dieser Art, von denen eins drei, das andere fünf Drachmen wog. Die sicherste und ergiebigste Art des Goldwaschens ist aber die, daß man mitten in der trocknen Jahreszeit in der Nähe eines Hügels, dessen Goldgehalt erst kürzlich entdeckt ist, mit kleinen Spaten oder Kornschaufeln ein tiefes Loch gräbt, wie zu einem Ziehbrunnen, und die Erde daraus mit großen Kalabaschen heraufzieht. So wie man in eine neue Lage von Lehm und Sand kommt, werden gleich ein oder zwei Kalabaschen zur Probe ausgewaschen, und die Arbeiter fahren so lange fort, bis sie an eine Lage kommen die goldhaltig ist, oder bis sie auf Felsen stoßen, oder Wasser eindringt. Gewöhnlich finden sie das Gold in einem feinen röthlichen Sande mit schwarzen Flecken: wenn sie eine solche Lage antreffen, schicken sie den Frauen gleich große Kalabaschen voll von diesem Sande zum Auswaschen. Denn wenn gleich die Männer 42 Auswaschen] auswaschen

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graben, so bleibt doch das Waschen immer für die Frauen, die an eine ähnliche Arbeit bei dem Korn von Kindheit an gewöhnt sind. Da ich nie in eine von diesen Gruben gefahren bin, so kann ich nicht sagen auf welche Art sie in der Tiefe arbeiten. Meine Lage machte es nothwendig, jede Veranlassung zu dem Argwohn, als ob ich mich zu genau um die Reichthümer des Landes bekümmerte, von mir zu entfernen; die Art aber, wie das Gold von dem Sande geschieden wird, ist sehr einfach, und die Frauen ver|richten dies Geschäft oft mitten in der Stadt. Denn wenn die Arbeiter des Abends aus den Thälern nach Hause kommen, bringt gewöhnlich jeder ein oder zwei Kalabaschen voll Sand mit, damit die Frauen, welche etwa zu Hause bleiben müssen, auch etwas zu thun haben. Sie verfahren dabei so. Eine Portion Sand oder Lehm – denn das Gold findet sich bisweilen auch in einem braunen Lehm – wird in einen großen Kalabasch gethan, und mit einer hinreichenden Menge Wasser übergossen. Der Kalabasch wird dann so geschüttelt, daß Sand und Wasser sich mit einander vermischen, und die ganze Masse in eine kreisförmige Bewegung geräth, erst langsam und dann immer schneller, bis bei jeder Umdrehung ein klein wenig Sand und Wasser über den Rand des Kalabasches abfließt. Nur die gröbsten Theile des Sandes, mit ein wenig schlammigem Wasser vermischt, sondern sich auf diese Art ab. Hat man damit eine Zeitlang fortgefahren, so läßt man den Sand sich setzen und gießt das Wasser ab; etwas grober Sand, der sich nun oben auf im Kalabasch findet, wird mit der Hand abgenommen, frisches Wasser hinzugethan, und das Verfahren so lange fortgesetzt, bis dieses fast ganz klar abläuft. Nun nimmt die Frau einen andern Kalabasch, schüttet die Masse langsam aus einem in den andern, und behält den Sand, der ganz unten liegt, zurück. Diese kleine Quantität, in der es am wahrscheinlichsten ist, Gold zu finden, wird mit etwas reinem Wasser vermischt, im Kalabasch herumbewegt und sorgfältig untersucht. Werden einige Goldtheilchen herausgelesen, so untersucht man den Inhalt des andern Kalabasch auf dieselbe Art; im Ganzen aber ist man wohl zufrieden, wenn aus beiden zusammen nur drei oder vier Körner gewonnen werden. Einige Frauen haben durch lange Uebung die Beschaffenheit des Sandes und die Art, wie man damit umgehen muß, so vollkommen kennen gelernt, daß sie noch Gold finden, wo andre nicht das kleinste Stäubchen ausspüren konnten. Der | Goldstaub wird in Federkielen, die mit Baumwolle verstopft werden, aufbewahrt, und die Wäscher stecken gern einige solcher Kiele in ihr Haar. Man nimmt an, daß ein Mensch bei gewöhnlichem Fleiß in einem guten Boden während der trockenen Jahrszeit, für zwei Sklaven werth Gold gewinnen kann.

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Aus der einfachen Art, wie die Mandingo Neger beim Goldsuchen verfahren, kann man schließen, daß dies Land eine ansehnliche Menge dieses köstlichen Metalls enthalten muß: denn von den kleineren Theilchen müssen natürlich dem unbewafneten Auge sehr viele entgehen, und da sie den Sand der Ströme gewöhnlich in einer beträchtlichen Entfernung von den Hügeln durchsuchen, und also weit von den Minen in denen das Gold ursprünglich erzeugt wird, so wird den Arbeitern ihre Mühe oft nur kärglich belohnt. Der Strom kann nur kleine Theile dieses schweren Metalles so weit hinunterführen, die größeren müssen nahe bei dem Ort, wo das Wasser sie zuerst aufgenommen hat, wieder niederfallen. Könnte man die goldhaltigen Ströme bis zu ihrer Quelle verfolgen, und die Hügel, aus denen sie entspringen, ordentlich untersuchen, so würde man in dem Sande, der das Lager des Goldes ist, wahrscheinlich weit größere Stücke finden, und auch auf die kleineren könnte, wenn man sich des Quecksilbers und anderer Hülfsmittel, die den Afrikanern ganz unbekannt sind, bediente, noch mit großem Vortheil gearbeitet werden. Dieses Gold wird zum Theil zu Schmuck für die Frauen verbraucht, an dem man aber mehr das Gewicht, als die Arbeit bewundern muß. Er ist massiv und ungeschickt, und die Ohrringe vornehmlich sind gewöhnlich so schwer, daß sie das Ohrläppchen herunterziehn und zerreißen würden, und um dies zu verhindern, von einem rothen ledernen Riemen gehalten werden, der oben über den Kopf von einem Ohr zum andern geht. Die | Halsketten sind etwas besser gearbeitet, und die geschickte Anordnung der goldnen Perlen und Platten daran, ist der größte Beweis des Geschmacks und der Zierlichkeit. Das Goldgeschmeide einer Dame von Stande in ihrem vollen Schmuck, mag zwischen funfzig und achtzig Pfund Sterling werth sein. Einen kleinen Theil des Goldes nehmen die Slatihs mit, um die Ausgaben auf ihren Reisen nach der Küste und zurück davon zu bestreiten; bei weitem das meiste aber bekommen alle Jahre die Mauren für Salz und andere Waaren. Das Gold, welches während meines Aufenthaltes in Kamalia die dortigen Kaufleute allein für Salz einnahmen, betrug nahe an hundert und acht und neunzig Pfund Sterling, und da Kamalia nur eine kleine Stadt ist, und von den maurischen Kaufleuten eben nicht stark besucht wird, so muß diese Summe nur ein geringes sein, gegen das was in Kankaba, Kankarih und andern großen Städten verhandelt wird. Der Preis des Salzes ist in diesem Theil von Afrika sehr hoch. Eine Scheibe von drittehalb Fuß lang, vierzehn Zoll breit und zwei Zoll dick, verkauft sich bisweilen für 2 Pfund 10 Schilling Sterling (ohngefähr 25 Gulden), und 1 Pfd. 15 Schill. bis 2 Pfd. ist 7 den Minen] der Mine

41 Sterling (... Gulden),] Sterling, (... Gulden)

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der gewöhnliche Preis. Vier solche Scheiben sind die Ladung eines Esels, ein Ochse trägt deren sechs. Europäische Waaren sind in Manding sehr ungleich im Preise, je nachdem die Zufuhr von der Küste oder die Besorgniß vor Kriegen im Lande groß ist; sie werden aber gewöhnlich in Sklaven bezahlt. Als ich in Kamalia war galt ein Sklave von der ersten Güte neun bis zwölf Minkallis, und die europäischen Waaren standen in folgendem Preise S 18 Flintensteine ...... P P P P P 48 Rollen Toback .... 1 Minkalli. T (ohngefähr ein Dukaten) 20 Ladungen Schießpulver .... P P P P P 1 Hirschfänger ..... U 1 Flinte ……......... 3 – 4 Minkalli’s.| Die Landesprodukte und Lebensbedürfnisse standen gegen Gold in folgendem Preise: Lebensmittel für einen Tag ...... 1 Tilikissi schwer28 Ein junges Huhn 1—— Ein Schaaf 3—— Ein Ochse 1 Minkalli. Ein Pferd 10–17 Minkalli’s. Die Neger wiegen das Gold auf kleinen Waagen, die sie immer bei sich führen. Zwischen Goldkörnern und gearbeitetem Golde machen sie im Preise keinen Unterschied. Beim Tauschhandel wiegt allemal derjenige, der das Gold empfängt, es mit seinen eigenen Tilikissi’s. Diese Bohnen werden bisweilen in Baumbutter eingeweicht, um sie schwerer zu machen, ja ich sah einmal einen Kieselstein, der ganz genau in die Form einer solchen Bohne gearbeitet war; doch sind dergleichen Betrügereien nicht sehr gemein. Dies ist das wichtigste was ich über die Art, das Gold in Afrika zu gewinnen, und über seinen Werth im Handel zu sagen weiß, und ich komme jetzt zu dem andern Artikel, von dem ich reden wollte, nehmlich dem E l f e n b e i n . Nichts erregt bei den Negern an der Küste soviel Verwunderung als die große Nachfrage der europäischen Kaufleute nach Elephantenzähnen; und es ist sehr schwer ihnen begreiflich zu machen, wozu sie gebraucht werden. Zeigt man ihnen auch Messer mit elfenbeinernen Heften, Kämme und andere Kleinigkeiten von diesem Material und überzeugt sie, daß dies wirklich von Elephantenzähnen gemacht ist, so sind sie damit doch nicht befriedigt. Sie glauben, daß man diese Waare zu weit wichtigern Dingen so häufig in Europa braucht, und daß man ihnen dies absichtlich verhehle, damit der Preis des Elfenbeins | nicht steigen möge. Sie meinen, sie könnten sich nicht überzeu28

Dies sind schwarze Bohnen, deren sechs soviel wiegen als ein Minkalli.

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gen, daß man Schiffe baue und Reisen unternehme, bloß um einen Artikel zu holen, der zu nichts tauge als Messerstiele daraus zu machen, wozu doch ein Stück Holz völlig eben so gut wäre. Die Elephanten sind im innern Afrika sehr häufig; aber es scheint eine besondre Art zu sein, die sich von der asiatischen unterscheidet. Blumenbach hat von beiden einen Backenzahn abgebildet, und der Unterschied ist auffallend. Auch Herr Cüvier hat im Magazin Encyclopédique die Verschiedenheiten zwischen beiden angegeben, und da ich nie einen asiatischen Elephanten untersucht habe, so habe ich mich lieber auf diese Schriftsteller beziehen als selbst eine Meinung vortragen wollen. Man hat gesagt, der afrikanische Elephant sei weniger gelehrig als der asiatische, und könne nicht gezähmt werden. Das ist gewiß, daß die Neger ihn jetzt nicht zähmen; aber wenn man bedenkt, daß die Karthager immer zahme Elephanten bei ihren Heeren hatten, und daß sie in den punischen Kriegen mehrere nach Italien herüberbrachten, so ist es doch wahrscheinlicher, daß sie die Kunst verstanden haben, die einländischen Elephanten abzurichten, als daß sie diese großen Thiere mit ungeheuren Kosten sollten aus Asien geholt haben. Vielleicht hat erst die Gewohnheit der Afrikaner, die Elephanten um der Zähne willen zu jagen, sie wilder und unlenksamer gemacht, als sie ehedem waren. Der größte Theil des Elfenbeins, welches am Gambia und Senegal verkauft wird, kommt aus dem Innern. Das Land an der Küste ist zu sumpfig, und von Flüssen und ihren Nebenarmen zu sehr durchschnitten, als daß ein so großes Thier es durchwandern könnte, ohne entdeckt zu werden, und haben die Neger nur erst seine Fußstapfen in dem Boden gesehen, so ist gleich das ganze Dorf in den Waffen. Der Gedanke von seinem Fleische | zu schmausen, aus seiner Haut Sandalen zu schneiden, und die Zähne den Europäern zu verkaufen, flößt einem jeden Muth ein, und das Thier entkommt seinen Verfolgern selten. Aber in den Ebenen von Bambarra und Kaarta und in den großen Wildnissen von Dschallonkadu sind die Elephanten in großer Menge, und werden, weil das Schießpulver hier sehr selten ist, von den Einwohnern weniger beunruhigt. Die Zähne findet man häufig in den Wäldern, und die Reisenden sehen sich fleißig darnach um. In trocknen und hohen Gegenden, wo die fruchtbare Erdschicht nur dünn ist, pflegt der Elephant die Sträuche und Büsche mit den Zähnen zu untergraben und so umzureißen, 6 Vgl. Johann Friedrich Blumenbach: Handbuch der Naturgeschichte, Bd. 1–2, Göttingen 1779–1780, hier Bd. 1, Tafel 1 gegenüber S. 448 7–8 Vgl. Georges Cuvier: Mammiferes, in: Magasin encyclopédique, ou Journal des sciences, des lettres et des arts, Jahrgang 4, Paris 1798, Bd. 3, S. 145–150, hier Seite 145

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um von den Wurzeln zu zehren, welche zarter und saftiger zu sein pflegen, als die harten Aeste oder das Laub. Sind aber die Zähne schon vom Alter angegriffen, oder die Wurzeln zu fest, so brechen jene bei der großen Anstrengung des Thieres gewöhnlich ab. In Kamalia sah ich zwei Zähne, von denen einer sehr groß war, die in den Wäldern gefunden und offenbar auf diese Art abgebrochen waren. Anders läßt sich’s auch nicht erklären, wie täglich so viel Elfenbein in Stücken bei allen Faktoreien zum Verkauf gebracht werden könnte: denn wenn der Elephant auf der Jagd getödtet wird, und er sich nicht zufälligerweise in einen Abgrund stürzt, werden die Zähne allemal ganz herausgebracht. Zu gewissen Zeiten im Jahr ziehen die Elephanten Heerdenweise durch das Land, um Nahrung oder Wasser zu suchen, und da es auf der Nordseite des Nigers keine Ströme giebt, so müssen sie sich, sobald die Pfützen in den Wäldern ausgetrocknet sind, den Ufern dieses Flusses nähern. Hier bleiben sie bis zum Anfang der Regenzeit im Juni oder Juli, und während dieser Zeit gehn alle Bambarraner, die Schießpulver übrig haben, fleißig auf die Jagd. Die Elephantenjäger gehn nicht leicht allein | aus, sondern immer ihrer vier oder fünf zusammen. Jeder versorgt sich mit Pulver und Blei, und mit Mehl auf fünf oder sechs Tage, und so gehen sie in die unbesuchtesten Gegenden des Waldes, und geben auf alles genau Acht, was sie auf die Spur der Elephanten leiten kann. So groß auch das Thier ist, so gehört doch hiezu eine sehr scharfe und genaue Beobachtung. Die abgebrochnen Aeste, der Unrath, den das Thier hat fallen lassen, die Fußstapfen, alles das wird aufs sorgfältigste besehen, und manche Jäger haben es durch lange Erfahrung und aufmerksame Beobachtung so weit gebracht, daß sie, so bald sie den Fußtritt eines Elephanten sehen, mit großer Gewißheit sagen können, wann er da gegangen ist, und in welcher Entfernung man ihn antreffen wird. Entdecken sie eine Heerde Elephanten, so folgen sie ihr von weitem bis sie sehen, daß einer sich von den andern entfernt, und eine solche Stellung nimmt, daß sie mit Vortheil auf ihn feuern können. Dann nähern sich die Jäger in dem langen Grase, fast kriechend, sehr behutsam, bis sie ihn schußrecht haben; nun schießen sie Alle ihre Gewehre auf einmal ab, und legen sich dann aufs Gesicht ins Gras hin. Der verwundete Elephant versucht gleich sich mit seinem Rüssel zu helfen; da er aber die Kugeln nicht herausziehn kann, und niemanden sieht, wird er ganz wüthend, und rennt zwischen den Büschen herum, bis er ermüdet und durch den Blutverlust erschöpft ist, und den Jägern Gelegenheit giebt noch einmal auf ihn zu feuern, worauf er denn gewöhnlich zu Boden sinkt.

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Die Haut wird sogleich abgezogen und auf den Boden ausgebreitet um zu trocknen; diejenigen Stücke von seinem Fleische, welche man für die besten hält, werden in dünne Streifen geschnitten und in der Sonne gedörrt, um ihren Vorrath zu vermehren, und die Zähne werden mit einem leichten Beil ausgeschlagen. Dies | führen die Jäger immer bei sich, nicht nur zu diesem Behuf, sondern auch um Bäume in denen wilder Honig ist umzuhauen: denn obgleich sie sich nur auf fünf oder sechs Tage mit Lebensmitteln versehen, bleiben sie dennoch, wenn es gut geht, bisweilen Monatelang in den Wäldern, und leben von dem Fleische der erlegten Elephanten und von wildem Honig. Selten bringen die Jäger das gewonnene Elfenbein selbst an die Küste. Sie überlassen es den reisenden Kaufleuten, die jährlich um diese schätzbare Waare einzuhandeln, mit Waffen und Ammunition von der Küste zu ihnen kommen. Manche von diesen Kaufleuten bringen in einer Jagdzeit vier bis fünf Eselsladungen Elfenbein zusammen. Auch die Sklaven-Karawanen bringen immer viel Elfenbein aus dem Innern mit; es giebt jedoch einige mahomedanische Slatihs, die aus religiösen Gründen nicht mit Elfenbein handeln, auch kein Elephantenfleisch essen, das Thier müßte denn mit einem Speer getödtet sein. Aus diesen Gegenden von Afrika wird nicht so viel Elfenbein ausgeführt, als aus den Gegenden näher an der Linie; auch sind die Zähne nicht so groß. Sie wiegen hier selten mehr als achtzig oder hundert Pfund, und im Durchschnitt ist eine Barre europäischer Waare der Preis für ein Pfund Elfenbein. Ich glaube, daß ich in diesem und den vorigen Kapiteln die Handelsverbindungen, die nun schon lange Zeit zwischen den Negervölkern dieses Theils von Afrika und den europäischen Nationen statt finden, ihrer Beschaffenheit und ihrem Umfange nach, genau genug beschrieben habe. Sklaven, Gold, Elfenbein und die wenigen Artikel, deren ich am Anfange des Werkes erwähnt habe, nehmlich: Wachs und Honig, Häute, Harze und Färbehölzer, machen wol die ganze Ausfuhrliste aus. Ich habe zwar gelegentlich auch anderer Artikel als afrikani|scher Produkte erwähnt, Korn von verschiedener Art, Taback, Indigo, Baumwolle, und vielleicht noch eines und das andere; aber von allen diesen Dingen, die nur durch Kultur und Arbeit gewonnen werden können, erzielen sie nicht mehr als ihren eignen Bedarf; auch ist bei ihren gegenwärtigen Gesetzen, Sitten und Staatsverfassungen nichts bessers von ihnen zu erwarten. Indessen ist es keinem Zweifel unterworfen, daß alle kostbaren Produkte beider Indien in den tropischen Gegenden dieses unermeßlichen Welttheils mit leichter Mühe einheimisch gemacht, und zur höchsten Vollkommenheit ge30 am Anfange] im Anfange

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bracht werden könnten. Es fehlt dazu nichts als Beispiel, um die Eingebohrnen aufzuklären, und Unterricht um ihre Industrie auf die rechten Gegenstände zu lenken. Wann ich die bewundernswürdige Fruchtbarkeit des Bodens und die großen Heerden Rindvieh, welches zur Arbeit und zum Einschlachten gleich vorzüglich ist, betrachtete; wann ich dabei an eine Menge anderer Umstände dachte, welche die Kolonisation und den Ackerbau begünstigen, und an den großen Vortheil einer ausgebreiteten einländischen Schiffahrt; so konnte ich nicht umhin zu bedauern, daß ein so reichlich begabtes und von der Natur begünstigtes Land, in seinem gegenwärtigen, wilden und vernachlässigten Zustande bleiben soll. Noch weit mehr aber bedauerte ich, daß ein Volk von so freundlichen Sitten und wohlwollender Gemüthsart, entweder in seinem groben und blinden heidnischen Aberglauben versunken bleiben, oder zu einer bigotten und fanatischen Religion bekehrt werden soll, welche sehr oft den Charakter erniedrigt, ohne den Verstand zu erleuchten. Hierüber wäre noch manches zu sagen; der Leser wird aber wahrscheinlich der Meinung sein, daß ich schon zu weit ausgeschweift sei, und ich kehre also zu meinem Aufenthalte in Kamalia zurück.

2 Industrie] Indüstrie

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Vier und zwanzigster Abschnitt. Arabische Handschriften der mohamedanischen Neger. – Bemerkungen über die Erziehung der Negerkinder. – Des Verfassers Wohlthäter, Karfa, kommt zurück. – Weitere Nachricht vom Einkauf und der Behandlung der Sklaven. – Aufbruch der Karawane und Nachricht von ihrer Reise bis zu ihrer Ankunft in Kingitakuro.

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Der Schulmeister, der sich während Karfa’s Abwesenheit meiner annahm, war ein freundlicher und liebreicher Mann, zwar ein sehr strenger Anhänger der Lehre Mahomeds, aber in seinen Grundsätzen gegen Andersdenkende keinesweges unduldsam: er hieß Fankuma. Ein großer Theil seiner Zeit war dem Lesen gewidmet und der Unterricht schien eben so sehr sein Vergnügen als sein Geschäft zu sein. Seine Schule bestand aus siebenzehn Knaben, fast lauter Söhnen von Kafiren, und aus zwei Mädchen, wovon Karfa’s Tochter die eine war. Die Mädchen erhielten ihren Unterricht bei Tage; aber die Knaben hatten ihre Lehrstunden beim Schein eines großen Feuers vor Tagesanbruch, und dann wieder spät Abends; denn da sie, so lange sie die Schule besuchen, als Haussklaven des Lehrers angesehen werden, so mußten sie den Tag über Korn pflanzen, Brennholz tragen und andere Sklavendienste verrichten. Außer dem Koran und ein Paar Kommentaren darüber, besaß der Schulmeister noch vielerlei Handschriften, die er theils von maurischen Handelsleuten gekauft, theils von einigen Buschrihns in der Nähe geborgt, theils sehr sorgfältig abgeschrieben hatte. Schon an mehreren Orten auf meiner Reise, waren mir Handschriften gezeigt worden; ich erinnerte mich jener und verglich sie mit diesen; ich befragte den Schulmeister über diesen Gegenstand, und so entdeckte ich, daß die Neger unter andern auch eine arabische Uebersetzung der fünf Bücher Mosis | besitzen, welche sie Ta rit a la Musa nennen, und so hoch achten, daß sie oft eben so theuer als ein Sklave von der ersten Güte bezahlt wird. Eben so haben sie eine Uebersetzung der Psalmen Davids, Z ab o r a D aw i d i : und das Buch Jesaia, welches L i n g i h l i l a I s a heißt und ebenfalls in großer Achtung steht. Ich vermuthe wohl, daß in alle diese Abschriften verschiedene von den eigenthümlichen Lehren Mahomets eingeschoben sind, denn ich konnte den Namen des Propheten an mehreren Stellen erkennen; doch kann es sein, daß ich dies würde anders erklärt haben, wenn meine

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Bekanntschaft mit dem Arabischen etwas größer gewesen wäre. Durch diese Bücher sind viele von den bekehrten Negern mit den vornehmsten Geschichten des alten Testaments bekannt. Die Geschichte unserer ersten Eltern; der Tod Abels; die Sündfluth; das Leben Abrahams, Isaaks und Jakobs; die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern; die Geschichte von Moses, David, Salomon u. s. w.; dies alles ist mir von mehreren Personen so ziemlich richtig in der MandingoSprache erzählt worden; und meine Verwunderung, da ich diese Geschichten aus dem Munde der Neger hörte, war nicht größer als die ihrige, da sie fanden, daß ich das alles schon wisse: denn so hohe Vorstellungen auch sonst die Neger von dem Reichthum und der Macht der Europäer haben, so muß ich doch befürchten, daß die mahomedanischen Proselyten unter ihnen von unsern höheren Einsichten in Sachen der Religion eine sehr geringe Meinung haben. Die meisten europäischen Kaufleute in den Küstenländern nehmen sich nicht die Mühe diesem leidigen Vorurtheil entgegen zu wirken; ihre Andacht verrichten sie immer insgeheim, und lassen sich selten bis zu einem freundlichen und lehrreichen Gespräch mit den Negern herab. Ich konnte mich also nicht sowohl darüber wundern, sondern nur es bedauern, daß dieses arme Volk von dem herrlichen Lichte des Christenthumes ganz ausgeschlossen ist, indessen Mahomets Aberglauben | doch einige schwache Strahlen von Erkenntniß unter demselben verbreitet hat. Ich konnte nur bedauern, daß den armen Negern die Lehren unserer heiligen Religion noch ganz fremd sind, nachdem die afrikanische Küste seit länger als zweihundert Jahren den Europäern bekannt und von ihnen besucht ist. Alle Meinungen und Urkunden des Alterthums, alle Schönheiten der arabischen und asiatischen Litteratur ziehen wir sehr sorgfältig aus der Dunkelheit hervor; aber indem wir unsere Bibliotheken mit der Gelehrsamkeit aller Länder bereichern, theilen wir selbst nur mit sehr sparsamer Hand den im Dunkeln wandelnden Völkern der Erde die Segnungen der Religion mit. Die Asiaten ziehen in dieser Hinsicht nur wenig Vortheil von ihrem Umgange mit uns, und ich fürchte, daß die armen Afrikaner, die wir als Barbaren ansehn, uns für nicht viel mehr als eine Rasse mächtiger aber unwissender Heiden halten. Als ich einigen Slatihs am Gambia Richardsons arabische Sprachlehre zeigte, waren sie ganz betroffen darüber, daß ein Europäer die heilige Sprache ihrer Religion sollte verstehen und schreiben können. Zuerst vermutheten sie, es möchte 22 Strahlen] Stralen 30–31 Vgl. Jes 9,1 (KJB Jes 9,2) 36 Vgl. John Richardson: A grammar of the Arabick language (oben S. 891,26–27)

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etwa von einem von der Küste weggeführten Sklaven herrühren, bei näherer Untersuchung aber überzeugten sie sich, daß kein Buschrihn so schön Arabisch schreiben könne; und einer von ihnen bot mir einen Esel und sechzehn Barren Güter, wenn ich ihm das Buch überlassen wollte. Eine kurze und leichte Unterweisung im Christenthum, wie man sie in einigen Lehrbüchern für Kinder findet, recht zierlich arabisch gedruckt und an verschiedenen Gegenden der Küste ausgetheilt, würde vielleicht eine wunderbare Wirkung thun. Die Kosten würden unbedeutend sein; die Neugierde würde viele antreiben das Buch zu lesen, und seine entschiedenen Vorzüge in Absicht der Zierlichkeit und des Preises vor allen Handschriften, die sie jetzt besitzen, würde ihm endlich einen Platz unter den afrikanischen Schulbüchern verschaffen.| Diese Bemerkungen über einen so wichtigen Gegenstand drängten sich mir von selbst auf, als ich sah, wieviel Aufmunterung das Bestreben bessere Einsichten – wie mangelhaft sie auch sind – zu verbreiten in vielen Gegenden von Afrika findet. Die Schulkinder in Kamalia gehörten größtentheils heidnischen Eltern, die also keine Vorliebe für die mahomedanische Lehre haben konnten. Sie hatten nur die Vervollkommnung ihrer Kinder im Auge, und wenn sich ihnen ein noch aufgeklärteres System dargestellt hätte, würden sie es wahrscheinlich vorgezogen haben. Auch fehlte es den Kindern nicht an Ehrliebe, welche der Lehrer sehr gut benutzte. Wenn eines von ihnen den Koran durchgelesen und eine gewisse Anzahl öffentlicher Gebete zu verrichten gelernt hat, so stellt der Schulmeister ein Fest an, und der Schüler muß sich einer Prüfung unterziehen, oder empfängt, um mich nach englischer Sitte auszudrücken, seinen Grad. Dreimal wohnte ich einer solchen Feierlichkeit bei, und freute mich über die deutlichen und verständlichen Antworten, welche die Schüler nicht selten den Buschrihns geben, die sich bei solchen Gelegenheiten zahlreich einfinden und die Examinatoren machen. Waren sie mit den Fähigkeiten und Kenntnissen des Schülers zufrieden, so gaben sie ihm das letzte Blatt des Korans in die Hand, welches er laut herlesen mußte; und nachdem dies geschehen war, wurde das Papier an seine Stirn gedrückt und das Wort Amen ausgesprochen; worauf alle Buschrihns aufstanden, ihm treuherzig die Hand schüttelten, und ihn für einen Buschrihn erklärten. Hat ein Schüler diese Prüfung überstanden, so wird seinen Eltern bekannt gemacht, daß seine Erziehung vollendet sei, und daß sie nun ihren Sohn dadurch auslösen müssen, daß sie dem Schulmeister einen Sklaven oder den Werth eines Sklaven für ihn geben. Dies geschieht 14 Bemerkungen] Bemerkuugen

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allemal, wenn die Eltern es irgend möglich machen können; | können sie es nicht, so bleibt der Knabe als Haussklave bei seinem Lehrer, bis er durch eignen Fleiß soviel erwirbt, daß er sich auslösen kann. Ohngefähr acht Tage nach Karfa’s Abreise kamen drei Mauren mit einer ansehnlichen Menge Salz nach Kamalia, auch mit andern Waaren, die sie von einem Kaufmann aus Fezzan, der eben in Kankaba angekommen war, auf Kredit genommen hatten. Sie hatten sich anheischig gemacht, zu bezahlen, sobald die Waaren verkauft wären, welches sie in einem Monat zu bewerkstelligen hoften. Da sie strenge Buschrihns waren, so räumte man ihnen zwei von Karfa’s Hütten ein, und sie verkauften ihre Waaren mit großem Vortheil. Am 24sten Januar kam Karfa in großer Gesellschaft und mit 13 Sklaven erster Güte, die er gekauft hatte, nach Kamalia zurück. Auch brachte er ein junges Mädchen mit, das er in Kankaba als seine vierte Frau geheirathet hatte. Den Eltern hatte er drei von den besten Sklaven für sie gezahlt. Karfa’s andere Frauen empfingen sie an der Thüre des Baluhns sehr freundlich und führten sie in eine der besten Hütten, die zu ihrem Empfang geweißt29 und gekehrt worden war. Meine Kleider waren jetzt so sehr zerlumpt, daß ich mich schämte, mich vor der Thüre sehen zu lassen; aber Karfa schenkte mir den Tag nach seiner Ankunft ein Kleid und ein Paar lange weite Hosen, wie man sie hier zu Lande trägt. Die Sklaven, welche Karfa mitbrachte, waren alle Kriegsgefangene. Die Bambarranische Armee hatte sie in den Königreichen Wassela und Kaarta erbeutet und nach Sego geführt, wo einige von ihnen drei Jahre in Eisen gelegen hatten. Von Sego wurden sie mit mehreren Gefangenen in zwei großen Kähnen den Niger hin|auf geschickt, und in Jamina, Bammaku und Kankaba zu Markt gebracht. Die meisten wurden an diesen Pläzzen gegen Goldstaub vertauscht und die übrigen weiter nach Kankarih geschickt. Eilfe darunter gestanden mir, daß sie von Kindheit an Sklaven gewesen wären; nur zwei wollten von ihrem vorigen Stande gar keine Rechenschaft geben. Alle waren sehr neugierig; zuerst sahen sie mich mit Blicken voll Abscheu an, und fragten mehrmals, ob meine Landsleute Menschenfresser wären. Sehr gern wollten sie wissen, was aus den Sklaven würde, wenn sie nun über das salzige Wasser gefahren wären. Ich sagte ihnen, sie müßten das Land bauen; das wollten sie aber nicht glauben, und einer von ihnen berührte mit seiner Hand den Boden und fragte mich in seiner Einfalt: „habt ihr denn wirklich solche Erde, worauf ihr eure Füße setzt?“ Eine tief eingewurzelte Idee, 29

Die Neger weißen ihre Hütten mit einem Brei von Knochen-Asche und Wasser, dem gewöhnlich etwas Gummi beigemischt wird.

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daß die Weißen die Neger nur kaufen, um sie zu verzehren, oder um sie an andere, von denen sie verzehrt werden, zu verkaufen, macht natürlich, daß alle Sklaven nur mit Angst und Schrecken nach der Küste reisen; so daß die Slatihs genöthigt sind, sie immer in Eisen zu halten, und sie sehr genau zu bewachen, damit sie nicht entwischen. Man legt gewöhnlich das rechte Bein des Einen und das linke des Andern in dasselbe Eisen; sie können gehen, wenn sie ihre Fesseln mit einem Bande in die Höhe halten, aber doch nur langsam. Eben so werden immer vier und vier mit starken Stricken von gedreheten Riemen am Nacken an einander befestiget. Des Nachts legt man ihnen noch ein Eisen an die Hände und bisweilen noch eine leichte eiserne Kette um den Hals. Diejenigen, welche Zeichen des Mißvergnügens von sich geben, werden auf andere Art festgehalten. Es wird ein dickes Scheit Holz etwa drei Fuß lang geschnitten, auf der einen Seite desselben ein glatter Ausschnitt gemacht, | und an diesem der Knöchel des Sklaven vermittelst einer starken eisernen Klammer, die über ihn weggeht, angeriegelt. Alle diese Fesseln und Klammern sind von inländischem Eisen gemacht; der Schmidt legte sie den Sklaven an, sobald sie aus Kankaba kamen, und nahm sie nicht eher wieder ab, als an dem Morgen da die Karawane nach dem Gambia aufbrach. Uebrigens aber wurden die Sklaven, so lange sie in Kamalia waren, nichts weniger als hart oder grausam behandelt. Man führte sie alle Morgen in ihren Fesseln in den Schatten eines Tamarindenbaumes, und ermunterte sie Hazardspiele zu spielen und lustige Lieder zu singen, um sie vergnügt zu erhalten. Einige ertrugen ihr Schicksal mit erstaunlichem Muth, der größere Theil aber war sehr niedergeschlagen, und saß den ganzen Tag, die Augen zur Erde geheftet, in düsterer Schwermuth. Abends wurden ihre Eisen nachgesehn und ihnen die Hände gefesselt; dann führte man sie in zwei große Hütten, wo sie von Karfa’s Haussklaven bewacht wurden. Demohnerachtet wußte sich ohngefehr acht Tage nach ihrer Ankunft einer von ihnen ein kleines Messer zu verschaffen, womit er einige seiner Fesseln losmachte, den Strick zerschnitt und davonging. Wahrscheinlich wären mehrere so glücklich gewesen, wenn sie einander beigestanden hätten; aber als der Sklave in Freiheit war, weigerte er sich zu warten um die Kette zerbrechen zu helfen, die um den Nacken seiner Gefährten geschlungen war. Da alle zur Karawane gehörigen Slatihs und Sklaven nun theils in Kamalia, theils in einigen benachbarten Dörfern versammelt waren, so erwartete ich, daß wir sogleich aufbrechen würden: allein so oft auch der Tag unserer Abreise schon angesetzt war, so fand sich doch immer etwas weshalb sie aufgeschoben werden mußte. Einige von den

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Leuten hatten ihren trocknen Vorrath noch nicht beisammen; andere besuchten erst ihre Verwandten oder | zogen kleine Schulden ein; und zuletzt mußte man erst berathschlagen ob der Tag auch ein glücklicher Tag sein würde. Aus solchen oder ähnlichen Ursachen wurde unsere Abreise von einem Tage zum andern aufgeschoben, bis wir schon weit im Februar waren; dann kamen alle Slatihs überein in ihren jetzigen Quartieren zu bleiben, bis der Fastenmonat vorüber wäre. Zeitverlust ist in den Augen des Negers nichts großes. Hat er auch etwas wichtiges vor, so ist es ihm gleichgültig, ob er es heut oder morgen oder in ein oder zwei Monaten thut; so lange er den gegenwärtigen Augenblick noch in einem leidlichen Zustand hinbringen kann, kümmert er sich wenig um die Zukunft. Alle Buschrihns beobachteten das Fasten im Rhamadan äußerst strenge; aber weit entfernt mich auch dazu zu nöthigen, wie die Mauren bei derselben Gelegenheit thaten, sagte mir Karfa ganz offen, es stehe mir völlig frei, es zu halten wie ich wollte. Um jedoch meine Achtung für ihre religiösen Meinungen zu bezeigen, fastete ich aus eignem Antriebe drei Tage, welches denn genug war, um mich vor dem gehässigen Beinamen eines Kafir zu sichern. So lange das Fasten dauerte, versammelten sich alle zur Karawane gehörigen Slatihs jeden Morgen in Karfa’s Hause, wo der Schulmeister aus einem großen Foliobande von einem Araber, Namens Sc hif eh, verfaßt, einige religiöse Vorträge vorlas. Abends versammelten sich diejenigen Frauen, welche die mahomedanische Religion angenommen hatten und hielten öffentlich ihr Gebet in der Misura. Sie waren alle weiß gekleidet und verrichteten alle Ceremonien und Kniebeugungen, die ihre Religion vorschreibt, mit einem der Sache angemessenen Anstande. Ueberhaupt betragen sich die Neger während der ganzen Fastenzeit äußerst sanft und bescheiden, was gegen die wilde Intoleranz und die dumme Bigotterie, welche die Mauren um dieselbe Zeit äußerten, gar sehr abstach.| Als die Fastenzeit beinahe zu Ende war, versammelten sich die Buschrihns in der Misura, um den Neumond zu beobachten; da aber der Himmel des Abends sehr bewölkt war, warteten sie lange vergeblich, und viele waren schon mit dem Entschluß, noch einen Tag länger zu fasten, nach Hause gegangen, als plötzlich der erwünschte Himmmelskörper mit seinen scharfen Hörnern hinter einer Wolke hervor trat, und mit Händeklatschen, Trommelschlagen, Musketenschüssen und andern Freudensbezeugungen bewillkommt ward. Da dieser Mond für außerordentlich glücklich gehalten wird, so gab Karfa Befehl, daß alle die zur Karawane gehörten, sogleich ihren trocknen Vor27 angemessenen] angemessenem

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rath aufpacken und sich fertig halten sollten; und am 16ten April hielten die Slatihs eine Versammlung und bestimmten darin den 19ten zur Abreise der Karawane von Kamalia. Dieser Entschluß befreite mich von vielen Besorgnissen; denn unsere Abreise war schon so lange aufgeschoben worden, daß ich fürchtete, es möchte sich damit wieder verzögern, bis die Regenzeit einfiele, und meine Lage war in der That sehr unangenehm, so gütig sich auch Karfa gegen mich bezeigte. Die Slatihs waren unfreundlich gegen mich und die maurischen Handelsleute, die sich eben in Kamalia aufhielten, waren vom Tage ihrer Ankunft an ununterbrochen geschäftig Kabalen gegen mich zu schmieden. Ich konnte mir nicht verbergen, daß unter diesen Umständen mein Leben größtentheils von der guten Meinung eines einzigen Menschen abhing, der täglich mit boshaften Erzählungen von den Europäern unterhalten wurde, und von dem ich kaum erwarten konnte, daß er beständig unparteiisch zwischen mir und seinen Landsleuten richten würde. Mit ihrer Lebensart hatte mich die Zeit gewissermaßen ausgesöhnt, eine räuchrige Hütte und ein spärliches Abendbrodt war mir etwas gewohntes: aber diese beständige Angst und Unruhe war ich endlich von Herzen überdrüssig, und ich fühlte ein sehnliches Verlangen nach der Lebensweise einer gesitteten Gesellschaft.| Am 17ten des Morgens ereignete sich ein Umstand der sehr zu meinem Vortheil wirkte. Die drei maurischen Kaufleute nehmlich, die seit ihrer Ankunft zu Kamalia unter Karfa’s Schutz gelebt, und sich durch einen Schein von großer Heiligkeit die Achtung aller Buschrihns erworben hatten, packten plötzlich auf und gingen ohne einmal Karfa für alle seine Güte zu danken, über die Berge nach Bala. Jedermann war erstaunt über diese unerwartete Abreise; aber die Sache klärte sich noch denselben Abend auf, indem der Fezzanische Kaufmann von Kankaba (dessen Seite 284. erwähnt worden) herüberkam, welcher den Karfa versicherte, daß diese Mauren ihr Salz und alle ihre andern Güter von ihm geborgt, und ihn nun hatten bitten lassen nach Kamalia zu kommen, und seine Bezahlung in Empfang zu nehmen. Da er hörte daß sie sich aus dem Staube gemacht hätten und nach Westen gegangen wären, wischte er sich mit dem Ermel seines Mantels eine Thräne aus den Augen und sagte: „Mahomedaner sind diese S chirr u k a s (Räuber) wohl, aber Menschen nicht; sie haben mich um zweihundert Minkallis betrogen.” – Von diesem Kaufmann erfuhr ich, daß die Franzosen im Oktober 1795 unser Convoi auf dem mittelländischen Meer genommen hätten. Der 19te April, der lange herbeigewünschte Tag unserer Abreise, war endlich gekommen; die Slatihs nahmen ihren Sklaven die Fesseln ab, und versammelten sich mit ihnen vor Karfa’s Wohnung, wo man alle Bündel aufpackte, und jedem seine Last angewiesen wurde. Der

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Zug bestand bei dem Aufbruch von Kamalia aus sieben und zwanzig Sklaven zum Verkauf, welche Karfa und vier andern Slatihs gehörten; es stießen aber in Marabu noch fünf und in Bala noch drei Sklaven zu uns, zusammen also fünf und dreißig solcher Sklaven. An freien Männern waren unserer vierzehn, und die meisten von ihnen hatten eine oder zwei Frauen und einige Haussklaven mit sich, und | der Schulmeister, der jetzt nach seinem Geburtsort Woradu zurückging, nahm acht von seinen Schülern mit, so daß die Anzahl der freien Leute und Haussklaven in allem acht und dreißig betrug, und die ganze Karawane aus drei und siebenzig Personen bestand. Unter den freien Leuten waren sechs Dschillikihs, deren musikalische Talente oft in Requisition gesetzt wurde, theils um uns selbst aufzuheitern, theils um uns einen guten Empfang bei Fremden zu verschaffen. Die meisten Einwohner der Stadt begleiteten uns bei unserer Abreise beinahe eine halbe Meile weit; Einige weinten, Andere nahmen Abschied von ihren Verwandten, die sie nun verließen, und als wir eine Höhe erreichten, von der wir die Aussicht nach Kamalia hatten, hieß man alles zur Karawane gehörige Volk auf einen Fleck neben einander niedersitzen, das Gesicht gegen Westen gekehrt, und die Leute aus der Stadt setzten sich an einen andern Ort mit dem Gesicht gegen Kamalia. Hierauf nahm der Schulmeister mit zwei der vornehmsten Slatihs seinen Platz in der Mitte zwischen beiden Parteien, und sprach ein langes und feierliches Gebet; dann gingen sie dreimal um die Karawane herum, beschrieben mit den Spitzen ihrer Speere einen Kreis in den Sand, und murmelten etwas wie einen Zauberspruch her. Als diese Ceremonie geendiget war, sprangen alle Leute die zur Karawane gehörten auf, und gingen weiter, ohne einen förmlichen Abschied von ihren Freunden zu nehmen. Da viele von den Sklaven jahrelang in Fesseln gewesen waren, so verursachte ihnen die ungewohnte Anstrengung, mit schweren Lasten auf dem Kopf schnell zu gehen, krampfhafte Zukkungen an den Beinen, und wir waren noch nicht über eine Meile gegangen, als man zwei von ihnen vom Stricke nehmen und sie langsamer gehen lassen mußte, bis wir Marabu erreichten, ein Dorf mit einer Ringmauer, wo einige Personen auf uns warteten, um zu uns zu stoßen. Hier hielten wir uns beinahe zwei Stunden auf, um den Fremden Zeit zu lassen, | ihre Vorräthe aufzupacken; dann setzten wir unsern Weg nach Bala fort, welche Stadt wir etwa Nachmittags um vier Uhr erreichten. Die Einwohner von Bala leben in dieser Jahreszeit hauptsächlich von Fischen, die sie in den naheliegenden Strömen in großer Menge fangen. Wir blieben bis den 20sten Nachmittags hier, und gingen dann bis Worumbang, dem Grenzdorfe von Manding nach Dschallonkadu hin. Da wir nun die Wildniß von Dschallonka vor uns hatten, so brachten uns die Einwohner dieses Dorfs noch große

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Vorräthe von Lebensmitteln, und den 21sten des Morgens kamen wir westlich von Worumbang in den Wald. Nachdem wir eine kurz Strecke gereist waren, wurde eine Berathschlagung gehalten, ob wir unsern Weg durch die Wildniß fortsetzen, oder lieber nach Kinitakuro, einer Stadt in Dschallonkadu gehen sollten, um einen Tag Proviant zu sparen. Nach einigen Debatten wurde das letztere beschlossen; aber da wir noch eine große Tagereise bis zu dieser Stadt hatten, mußten einige Erfrischungen genommen werden. Jedermann öfnete also seinen Proviantbeutel, und brachte eine oder zwei Handvoll Mehl an den Ort wo Karfa und die Slatihs saßen. Nachdem jeder seinen Beitrag gebracht hatte, und alles in kleinen Kürbisschalen angerichtet war, hielt der Schulmeister ein kurzes Gebet, des Inhalts: daß Gott und der heilige Prophet uns vor Räubern und schlechten Menschen bewahren, daß unsere Vorräthe nie ausgehn, und unsere Glieder nie möchten müde werden. Nach der Ceremonie nahm jeder von dem Mehl und trank etwas Wasser dazu; dann brachen wir auf und setzten unsern Weg, mehr laufend als gehend, fort, bis wir an den Kokoro, einen Arm des Senegal kamen, wo wir etwa zehn Minuten Halt machten. Die Ufer dieses Stromes sind sehr hoch, und an dem Grase und Reisholz, welches er zurückgelassen hatte, konnte man sehen, daß hier das Wasser in der Regenzeit zwanzig Fuß hoch senkrecht gestiegen war. Jetzt war es nur ein kleiner | Fluß, eben groß genug eine Mühle zu treiben, und es wimmelte darin von Fischen. Seinen Namen Kokoro (gefährlich) hat er wegen der Menge von Krokodillen und wegen der Gefahr, zur Regenzeit durch die Gewalt des Stroms über die Furth hinaus getrieben zu werden. Von hier gingen wir wieder mit der größten Eilfertigkeit weiter, und setzten Nachmittags noch über zwei kleine Arme des Kokoro. Gegen Sonnenuntergang bekamen wir Kinitakuro zu Gesicht, eine beträchtliche Stadt, beinahe ein Viereck, mitten in einer großen und sehr gut angebauten Ebene. Ehe wir in die Stadt einzogen, machten wir so lange Halt, bis die Zurückgebliebenen nachgekommen waren. Zwei Sklaven, eine Frau und ein Mädchen, die einem Slatih aus Bala zugehörten, kamen während dieser Tagereise so sehr von Kräften, daß sie nicht mit der Karawane Schritt halten konnten. Sie wurden scharf gegeisselt, und ohngefähr bis drei Uhr Nachmittags mitgeschleppt; dann bekamen sie beide Erbrechen, wobei sich ergab, daß sie Lehm gegessen hatten. Dies ist unter den Negern nicht ungewöhnlich; ich kann aber nicht sagen ob es ein krankhafter Appetit ist, oder ob sie es in der Absicht thun sich umzubringen. Man erlaubte ihnen sich im Walde niederzulegen, und drei Leute mußten bei ihnen bleiben, bis sie sich ausgeruht haben würden; 36–37 wobei] so DV; OD: woraus

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aber sie kamen erst nach Mitternacht in die Stadt, und waren so erschöpft, daß der Slatih den Gedanken, sie in diesem Zustand durch die Wälder zu führen, aufgab, und beschloß, mit ihnen nach Bala zurückzugehn, und eine andere Gelegenheit abzuwarten. Da dies die erste Stadt außerhalb des Mandingo-Gebietes war, so wurden mehr Formalitäten beobachtet als gewöhnlich. Jedem wurde sein bestimmter Platz angewiesen, und wir marschirten in einer Art von Prozession ohngefähr in folgender Ordnung auf die Stadt zu. Voran fünf oder sechs Sänger, (Dschillikih’s) die alle zur Kara|wane gehörten; auf diese folgten die übrigen freien Männer; dann die Sklaven, wie gewöhnlich mit einem Strick um den Nacken je vier und vier zusammengebunden, und immer zwischen vier und vier ein Mann mit einem Speer; nach ihnen kamen die Haussklaven und zuletzt die Frauen der Slatihs und das übrige freie Frauenzimmer. Als wir ohngefähr bis auf hundert Schritt an die Thore herangekommen waren, erhoben die Sänger einen lauten Gesang, der der Eitelkeit der Einwohner schmeicheln sollte, indem er ihre bekannte Gastfreundschaft gegen Fremde, und ihre besondre Freundschaft für die Mandingo’s rühmte. Als wir in die Stadt gekommen waren, gingen wir grade nach dem Bentang, wo sich die Leute um uns her versammelten, um unsre D eta g i (Geschichte) zu hören. Diese erzählten dann zwei von den Sängern öffentlich; jeder kleine Umstand, der der Karawane begegnet war, wurde erwähnt, und zwar fing die Erzählung mit den Begebenheiten des heutigen Tages an, und ging dann immer rückwärts bis zur Abreise von Kamalia. Nachdem die Geschichte geendigt war, gab ihnen das Oberhaupt der Stadt ein kleines Geschenk, und jedermann von der Karawane, Freie und Sklaven, wurde von einem oder dem andern eingeladen, und mit einer Mahlzeit und Nachtquartier versorgt.

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Fünf und zwanzigster Abschnitt. Die Karawane zieht durch die Dschalonka-Wildniß; sie kommt nach Susihta und Manneh. – Einige Nachricht von den Dschalonka’s.– Sie geht über den Hauptstrom des Senegal und kommt nach Malakolla. – Sonderbares Betragen des Königs der Jaloffs.

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Wir blieben bis den 22sten Mittags in Kinitakuro, und gingen bis in ein Dorf sieben Meilen westwärts. Die Einwohner desselben besorgten eben Feindseligkeiten von den Fulahs aus Fuladu, und waren deswegen beschäftigt, sich vor der Hand Hütten zwischen den Felsen zu bauen, an der Seite eines Hügels dicht am Dorfe. Diese Lage war ganz unzugänglich, indem sie hier auf allen Seiten von tiefen Abgründen umgeben waren, außer an der östlichen, und hier hatten sie einen Fußsteig gelassen, auf dem man nur so eben einzeln heraufsteigen konnte. Am Rande des Hügels, grade über dem Fußsteig, sah ich mehrere Haufen großer losen Steine, welche auf die Fulahs herunter gerollt werden sollten, wenn sie etwa einen Versuch machten den Hügel zu ersteigen. Den 23sten mit Tagesanbruch verließen wir dieses Dorf, und nun ging es in die Dschallonka-Wildniß. Wir kamen diesen Morgen bei den Ruinen von zwei kleinen Städten vorbei, welche die Fulahs kürzlich verbrannt hatten. Der Brand mußte äußerst heftig gewesen sein, denn ich fand einige Wände von Hütten leicht verglast, und sie schienen in der Entfernung wie mit einem rothen Firniß überzogen. Gegen zehn Uhr kamen wir an den Fluß Wonda, der etwas breiter ist als der Kokoro; der Strom war aber jetzt beinahe schlammig, welches, wie mich Karfa versicherte, lediglich von den ungeheuren Zügen von Fischen herrührte. Man sah deren in der That in | allen Richtungen, und in solcher Menge, daß es mir vorkam, als ob das Wasser selbst nach Fischen röche und schmeckte. Sobald wir über den Fluß waren, befahl Karfa, daß man sich von nun an nahe zusammenhalten, und jedem ein bestimmter Platz angewiesen werden sollte. Die Führer und die jungen Leute wurden vorangestellt, in die Mitte die Frauen und Sklaven, und die freien Männer beschlossen den Zug. In dieser Ordnung reisten wir mit ungemeiner Eilfertigkeit durch eine waldige aber schöne Gegend; Hügel und Thäler wechselten aufs angenehmste miteinander ab, und Rebhüner, Perlhüner und Rehe waren in Menge zu sehn. Gegen Sonnenuntergang kamen wir an einen sehr romantischen

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Strom, Comessang. Meine Arme und mein Nacken waren den ganzen Tag der Sonne ausgesetzt gewesen, durch das Reiben der Kleider im Gehen gereizt worden, und jetzt sehr entzündet und mit Blasen bedeckt; ich nahm daher sehr gern die Gelegenheit wahr, mich, unterdeß die Karawane an den Ufern ausruhte, im Strom zu baden. Dies und die Kühlung des Abends, linderte die Entzündung sehr. Drei Meilen westwärts vom Comessang, machten wir im dicken Walde Halt, und zündeten unser Nachtfeuer an. Wir waren gewiß alle sehr ermüdet; denn ich glaube, wir hatten den Tag dreißig Meilen gemacht; aber man hörte niemand klagen. Indem das Abendbrodt bereitet wurde, ließ Karfa mir von einigen Zweigen ein Lager zurecht machen. Als unsere Abendmahlzeit von Kuskus, der mit etwas kochendem Wasser angefeuchtet wurde, verzehrt, und die Sklaven in Eisen gelegt waren, legten wir uns alle schlafen; aber wir wurden in der Nacht oft durch das Geheul der wilden Thiere gestört, und die kleinen braunen Ameisen quälten uns gewaltig. Den 24sten April vor Tagesanbruch, verrichteten alle Buschrihns ihr Morgengebet, und die meisten freien | Leute tranken etwas Mum i n g , eine Art Grütze, wovon auch diejenigen Sklaven etwas bekamen, die am meisten einer Stärkung zu bedürfen schienen, um die Beschwerden des Tages auszuhalten. Eine von Karfa’s Sklavinnen war sehr mürrisch und weigerte sich von dem Grüzschleim zu trinken, der ihr angeboten wurde. Sobald es tagte brachen wir auf, und gingen den ganzen Morgen durch eine felsige Gegend, wo ich mir die Füße tüchtig zerstieß. Ich war voll banger Besorgniß, daß ich es den Tag über mit dem Zuge nicht würde aushalten können, aber ich bemerkte bald, daß andere noch erschöpfter waren als ich. Besonders fing die Sklavin, welche am Morgen das Frühstück ausgeschlagen hatte, an, hinten nach zu schleppen, und sich jämmerlich über Schmerzen in den Beinen zu beklagen. Man nahm ihr ihre Last ab, die ein anderer Sklave tragen mußte, und wies ihr ihren Platz an der Spitze der Karawane an. Um eilf Uhr ohngefähr, da wir an einem kleinen Bächlein ruhten, entdeckten einige einen Bienenstock in einem hohlen Baum, und da sie sich des Honigs bemächtigen wollten, kam der größte Schwarm, den ich je gesehen habe, herausgeflogen, fiel über das Volk her, und jagte uns nach allen Seiten in die Flucht. Ich suchte zuerst das Weite, und ich glaube, ich war der einzige, der ungestraft davon kam. Als unsere Feinde mit ihrer Verfolgung nachließen, und nun jedermann beschäftigt war, sich die Stachel herauszuziehen, zeigte sichs, daß das arme Weib, dessen ich schon vorher erwähnt habe – sie hieß Nili – nicht mitgekommen war; und da ohnedies mehrere Sklaven 6 Entzündung] Enzündung

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auf der Flucht ihre Bündel zurückgelassen hatten, mußten nothwendig einige umkehren, um sie zu holen. Um dies sicher zu bewerkstelligen, ward erstlich vor dem Bienenstock eine große Strecke weit das Gras angezündet: der Wind trieb die Flamme wüthend vor sich hin, und die Leute gingen durch den Rauch und hohlten das Gepäck. Auch die arme Nili brachten sie in dem kraftlo|sesten Zustand mit. Sie hatten sie am Bach liegend gefunden, wohin sie gekrochen war, um sich Wasser auf den Leib zu sprühen, und sich so vor den Bienen zu retten. Dies hatte ihr aber gar nichts geholfen; denn sie war auf die schrecklichste Weise zerstochen. Nachdem die Slatih’s ihr die Stacheln soviel als möglich heraus gezogen hatten, wurde sie mit Wasser gewaschen, und mit zerquetschten Blättern gerieben; aber die unglückliche Frau weigerte sich hartnäckig weiter zu gehn und erklärte, sie wolle lieber sterben, als noch einen Schritt thun. Bitten und Drohungen waren vergeblich, und so wurde zuletzt die Peitsche gebraucht. Sie hielt einige wenige Streiche geduldig aus; dann aber sprang sie auf, und zog nun noch vier oder fünf Stunden leidlich geschwind weiter; hierauf wollte sie einen Versuch machen, aus dem Zuge zu entspringen, war aber so schwach, daß sie ins Gras fiel. Ob sie gleich nicht im Stande war, aufzustehen, wurde doch die Peitsche noch einmal gebraucht, aber vergeblich. Karfa bat darauf zwei Slatihs sie auf den Esel zu setzen, der unsern trocknen Proviant trug; aber sie konnte nicht aufrecht sitzen und da der Esel sehr wild war, war es schlechterdings unmöglich, sie auf diese Art fortzubringen. Weil aber unsere Tagereise beinahe vollendet war, wollten die Slatihs sie doch nicht gern zurücklassen; es wurde also von Bambusrohr eine Art von Trage gemacht und sie darauf mit Streifen von Baumrinde angebunden: diese Trage wurde zwei Sklaven auf den Kopf gelegt, die hintereinander her gingen, und zwei andere folgten diesen, um sie gelegentlich abzulösen. Auf diese Art wurde die Frau getragen, bis es finster war und wir an einen Bach kamen, am Fuß eines hohen Hügels, Namens Gankaran-Kuro. Hier machten wir Halt für die Nacht und setzten uns um unser Abendbrodt. Seit voriger Nacht hatten wir nur eine Handvoll Mehl genossen und waren den ganzen Tag in | der heißen Sonne gereist; viele von den Sklaven, die noch Last auf dem Kopf trugen, waren daher sehr ermüdet, und einige schnappten sich nach den Fingern, welches unter den Negern ein sicheres Zeichen des höchsten Unmuthes ist. Diese legten die Slatihs sogleich in Eisen, und die, welche große Merkmale von Kleinmuth geäußert hatten, wurden von den Andern abgesondert und ihnen die Hände gebunden. Des Morgens hatten sie sich sehr wieder erholt. Den 25sten April mit Tagesanbruch wurde die arme Nili geweckt; aber ihre Glieder waren nun so steif und schmerzhaft, daß sie weder

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gehn noch stehen konnte. Sie wurde also wie eine Leiche auf den Rücken des Esels gelegt, und man band mit langen Streifen von Rinde ihre Hände unter dem Halse und ihre Füße unter dem Bauch des Esels an, damit sie fest liegen möchte; aber der Esel war so störrisch, daß er durch keine Art von Behandlung dahin gebracht werden konnte, mit seiner Last ruhig fortzugehen, und da Nili gar nichts thun konnte, um sich zu halten, so wurde sie bald abgeworfen und an dem einen Beine stark beschädigt. Da also jeder Versuch sie fortzubringen, unwirksam blieb, hörte man überall im Zuge das Geschrei, ka ng teg i, k a n g t e g i , „schneidet ihr den Hals ab, schneidet ihr den Hals ab.” Diese Operation begehrte ich nicht mit anzusehen, und hielt mich daher zu denen, die am meisten voraus waren. Als ich etwa eine Meile gegangen war, kam einer von Karfa’s Haussklaven, der Nilis Kleid auf seinem Bogen hangen hatte, an mich heran, und rief mir zu: N ili a f f i l i t a , „Nili ist verloren.” Ich fragte ihn, ob ihm die Slatihs ihr Kleid zur Belohnung dafür gegeben, daß er ihr den Hals abgeschnitten; er sagte aber, Karfa und der Schulmeister hätten in diese Maaßregel nicht einstimmen wollen, und man hätte sie auf dem Wege liegen lassen, wo sie ohne Zweifel bald umgekommen und von wilden Thieren verzehrt worden ist.| Ohnerachtet jenes allgemeinen Geschreies machte das traurige Schicksal des armen Weibes einen starken Eindruck auf die ganze Karawane, und der Schulmeister fastete deshalb den ganzen folgenden Tag. Im tiefsten Stillschweigen gingen wir vorwärts, und setzten bald darauf durch den Fluß Forkuma, der ohngefähr eben so breit ist, als der Wonda. Wir gingen nun sehr schnell, weil jeder besorgte, das Schicksal der armen Nili könnte ihn treffen. Ich konnte jedoch nur mit der größten Mühe vorwärts kommen, ob ich gleich meinen Speer, und alles, was mir im geringsten lästig sein konnte, weggeworfen hatte. Um Mittag sahen wir eine große Elephantenheerde; sie ließen uns aber ungestört vorüberziehen. Abends kamen wir an eine Stelle, wo das Bambusrohr sehr dick stand; wir fanden aber doch kein Wasser, und mußten noch vier Meilen weiter gehn, bis an einen kleinen Bach, wo wir Nachtquartier machten. Wir hatten, wie ich glaube, diesen Tag sechs und zwanzig Meilen zurückgelegt. Den 26sten April Morgens beklagten sich zwei von des Schulmeisters Lehrlingen über heftige Schmerzen in den Beinen, und ein Sklave hinkte, weil seine Fußsohlen ganz entzündet und voll Blasen waren; nichts desto weniger ging es immer vorwärts, und um eilf Uhr fingen wir an einen felsichten Hügel hinan zu steigen, der Boki Kuro heißt und uns so viel zu schaffen machte, daß zwei Uhr Nachmittags vorbei war, ehe wir den ebenen Grund auf der andern Seite erreichten. Dies war der steinigste Weg, der uns bis jetzt aufgestoßen war, und unsere

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Füße litten viel dabei. Bald darauf kamen wir an einen schönen breiten Fluß, Namens B o k i , den wir durchwateten; er floß glatt und klar über ein Bett von Rollsteinen. Etwa eine Meile westwärts von diesem Fluß kamen wir an eine Straße, die nordostwärts nach Gadu führt, und da wir viel Pferdetritte auf dem Sande sahen, | muthmaßten die Slatihs, es möchte kürzlich eine Streifpartei des Weges geritten sein, um eine Stadt in Gadu zu überfallen. Damit sie nun bei ihrer Rückkehr nichts von unserm Zuge merken, und wol gar auf den Einfall kommen möchte, uns auf unserer Spur nachzusetzen, wurde die Karawane befehligt, sich zu zerstreuen und einzeln durch das hohe Gras und die Büsche zu gehn. Kurz ehe es dunkel ward gingen wir über die Hügel westwärts des Boki, und kamen an einen Brunnen, der Kul l o n g q u i , „der weiße Sandbrunnen” hieß, und bei dem wir übernachteten. Den 27sten April sehr früh brachen wir mit der größten Munterkeit wieder auf, weil wir die Aussicht hatten, vor Nachts eine Stadt zu erreichen. Vormittags ging unser Weg durch ein dickes Röhricht von trocknem Bambus. Gegen zwei Uhr kamen wir an einen Fluß, Nunkolo, wo jeder mit einer Handvoll Mehl traktirt wurde, das aber einem Aberglauben zufolge nicht eher gegessen werden durfte, bis es mit Wasser aus dem Strome angefeuchtet war. Gegen vier Uhr erreichten wir Susihta, ein kleines Dschallonkisches Dorf mitten in dem Distrikt von Kullo, der den ganzen Strich Landes zwischen den Ufern des schwarzen Flusses und dem Hauptstrom des Senegal begreift. Dies waren die ersten menschlichen Wohnungen, welche wir sahen, seitdem wir das Dorf westwärts von Kinitakuro verlassen hatten, und in diesen letzten fünf Tagen waren wir gewiß an hundert Meilen gereist. Nur nach vielen Bitten wurden uns hier Hütten zum Schlafen angewiesen; aber in Betref der Lebensmittel sagte uns der Herr des Dorfes geradezu, daß er uns keine geben könne, da jetzt in diesen Gegenden großer Mangel daran sei. Er versicherte uns, ehe die letzte Ernte habe eingesammelt werden können, hätten alle Bewohner von Kullo in neun und zwanzig Tagen kein Korn gekostet, und sie hätten die ganze Zeit über von dem gel|ben Staube in den Hülsen der N itta , einer Art von Mimosa, und von dem Samen des Bambus gelebt, der, wenn er gehörig gestoßen und zurecht gemacht wird, beinahe wie Reis schmeckt. Da unser trockner Vorrats noch nicht erschöpft war, so bereiteten wir eine ziemliche Menge Kuskus zum Abendbrot und viele von den Leuten im Dorfe wurden eingeladen, mit uns zu essen. Sie bezahlten uns aber diese Freigebigkeit sehr schlecht: denn in der Nacht machten sie sich über einen von des Schulmeisters Knaben her, der unter dem Bentang-Baum eingeschlafen war, und schleppten ihn weg. Der Knabe wachte zum Glück auf, ehe er noch zu weit vom

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Dorfe war, und da er ein lautes Geschrei erhob, stopfte ihm der Mann, der ihn führte, den Mund mit der Hand zu, und rannte mit ihm in den Wald. Als er aber hernach erfuhr, daß er dem Schulmeister angehörte, dessen Wohnort nur drei Tagereisen von hier entfernt war, befürchtete er, wie ich mir vorstelle, daß er ihn doch nicht würde als Sklaven behalten können, ohne daß dieser es erführe: er zog ihm daher nur seine Kleider aus, und ließ ihn zurückgehn. Den 28sten April, des Morgens früh, reisten wir von Susihta ab, und kamen um zehn Uhr nach Manna, einer Stadt ohne Mauern, deren Einwohner eben beschäftigt waren, die Früchte des Nittabaumes einzusammeln, der in der Nähe sehr häufig ist. Die Schoten sind lang und schmal, und enthalten einige schwarze Samenkörner von dem oben erwähnten feinen mehlichten Staube umgeben; das Mehl selbst ist von einer hellgelben Farbe, wie Schwefelblumen, und hat einen süßen schleimigen Geschmack. Für sich allein gegessen, ist es zäh und klebrig; aber mit Milch oder Wasser vermischt, giebt es eine sehr angenehme und nahrhafte Speise. In Manna wird dieselbe Sprache gesprochen, wie in dem ganzen großen und unebenen Strich Landes, der den Namen Dschallonkadu führt. Viele Worte haben | eine große Verwandschaft mit dem Mandingoischen; aber die Einwohner selbst sehen es als eine ganz verschiedene Sprache an. Ihre Zahlen sind folgende: Eins — Kidding. Zwei — Fidding. Drei — Sarra. Vier — Näni. Fünf — Sulo. Sechs — Sini. Sieben — Sulo ma Fidding. Acht — Sulo ma sarra. Neun — Sulo ma Näni. Zehn — Noff. Die Dschallonker werden, wie die Mandingo’s, von vielen einzelnen Oberhäuptern beherrscht, die von einander größtentheils unabhängig sind; einen gemeinschaftlichen Oberherrn haben sie nicht, und die kleinen Anführer sind selten in so freundschaftlichen Verhältnissen, daß sie einander zu Kriegszeiten beistünden. Der Mansa von Manna begleitete uns mit einigen seiner Leute bis an die Ufer des Bafing, oder schwarzen Flusses, eines Hauptarmes des Senegal; über diesen gingen wir auf einer Brücke von Bambus, die von ganz sonderbarer Bauart war, von welcher der hier beigefügte Kupferstich einigermaßen eine Vorstellung geben wird. Der Fluß ist an dieser Stelle tief, aber ruhig, und hat wenig Strömung. Zwei schlanke Bäume mit den

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Gipfeln an einander gebunden, reichen von einer Seite auf die andere; die Wurzeln ruhen auf den Felsen fest, und die Gipfel schwimmen auf dem Wasser. Nachdem einige Bäume auf diese Art hingelegt worden, werden sie mit trocknem Bambus bedeckt, so daß das Ganze eine schwimmende Brücke bildet, mit einer abhängigen Anfahrt auf jeder Seite, da wo die Bäume auf den Felsen liegen. Der Strom, der in der Regenzeit anschwellt, reißt diese Brücke alle Jahre fort, und sie wird von den |

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Die hängende Brücke über den Bafing, oder schwarzen Fluß 303

Einwohnern von Manna immer wieder gebaut, die auch deshalb von allen Hinübergehenden einen kleinen Zoll einfordern. Nachmittags kamen wir durch mehrere Dörfer, konnten aber in keinem Quartier bekommen, und in der Dämmerung erfuhren wir, daß sich bei der Stadt Melo beinahe zweihundert Dschallonker versammelt hätten um die Karawane zu plündern. Dies bewog uns unsern Weg zu ändern, und wir gingen sehr still und heimlich, bis wir gegen Mitternacht an die Stadt Kaba kamen. Ehe wir hinein gingen, wurden die Namen von allen zur Karawane gehörigen Personen aufgerufen, und ein freier Mann und drei Sklaven wurden vermißt. Jedermann vermuthete sogleich, daß die Sklaven den Freien ermordet und die Flucht genommen hätten. Man beschloß also sechs Personen bis zum letzten Dorf zurückzuschicken, um den Leichnam aufzusuchen

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oder einige Nachricht von den Sklaven einzuziehen. Unterdeß mußte die Karawane sich in einem Baumwollen-Felde, ohnweit eines großen Nittabaumes, versteckt halten, und niemand durfte anders als ganz leise reden. Der Morgen kam fast heran, ehe die sechs Leute zurückkamen; aber sie hatten weder von dem Manne noch von den Sklaven etwas gehört. Da niemand von uns in vier und zwanzig Stunden das geringste genossen hatte, fand man für gut, daß wir nach Kaba hinein gehen sollten, um uns einige Lebensmittel zu verschaffen. Wir zogen also in die Stadt, ehe es noch völlig Tag war, und Karfa kaufte von dem Befehlshaber für drei Schnüre Korallen eine ansehnliche Menge von Erdnüssen, die wir rösteten und zum Frühstück aßen. Hernach wurden uns Hütten angewiesen, und wir hielten Rasttag. Gegen eilf Uhr kam zu unserer großen Freude und Verwunderung unser Mann mit den drei Sklaven in die Stadt. Der eine von ihnen hatte sich am Fuß Schaden | gethan, und da die Nacht sehr finster war, verloren sie die Karawane bald aus dem Gesicht. Sobald der freie Mann sich mit den Sklaven allein befand, sah er auch das gefährliche seiner Lage ein, und bestand darauf, sie sollten sich schließen lassen. Die Sklaven hatten Anfangs keine Lust dazu; da er aber drohte, einen nach dem andern mit seinem Speer zu erstechen, widersetzten sie sich nicht länger, und er blieb mit ihnen bis gegen Morgen im Gebüsch; dann entfesselte er sie wieder, und kam in die Stadt, in der Hoffnung zu hören, welchen Weg die Karawane genommen habe. Die Nachricht von den Dschallonkern, die uns plündern wollten, bestätigte sich an diesem Tage aufs neue, und Karfa mußte eine Anzahl Leute miethen, um uns zu beschützen, so daß wir erst den 30sten Nachmittags abreisen konnten, da wir denn noch bis in ein Dorf Namens Tinkingtan gingen. Von hier reisten wir den folgenden Tag ab, und gingen über einen hohen Bergrücken, westlich vom schwarzen Fluß, durch eine rauhe steinige Gegend, bis wir mit Sonnenuntergang nach Lingikotta, einem kleinen Dorfe im Distrikt von Woradu kamen. Hier kratzten wir die letzte Handvoll Mehl aus unsern Proviantbeuteln zusammen, und dies war der zweite Tag seit unserm Uebergange über den schwarzen Fluß, daß wir vom Morgen bis Abend gereist waren, ohne das geringste dazwischen zu genießen. Am 2ten Mai reisten wir von Lingikotta ab, da aber die Sklaven sehr ermüdet waren, nahmen wir schon in einem Dorfe neun Meilen weiter westwärts Nachtquartier, und erhielten durch den Einfluß des Schulmeisters einige Lebensmittel. Dieser schickte von hier aus einen Boten voran nach seiner Geburtsstadt Malakotta an seine Freunde, um von seiner bevorstehenden Ankunft Nachricht zu geben, und sie zu bitten, daß sie die nöthigen Anstalten treffen möchten, um die Karawane zwei oder drei Tage zu bewirthen.|

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Den 3ten Mai machten wir uns auf den Weg nach Malakotta, und kamen Mittags in ein Dorf, nahe bei einem beträchtlichen Fluß, der nach Westen zu fließt. Es wurde beschlossen hier die Rückkunft des Boten abzuwarten, der Tages zuvor nach Malakotta geschickt war, und da die Leute mich versicherten, es gebe keine Krokodille im Fluß, so badete ich mich. Man scheint hier nicht schwimmen zu können, denn es kamen viele Menschen, um mich vor einer Stelle zu warnen, wo mir das Wasser, wie sie sagten, über den Kopf gehen würde. Um zwei Uhr kam der Bote aus Malakotta zurück, und der ältere Bruder des Schulmeisters hatte ein so großes Verlangen nach ihm, daß er ihm bis hieher mit entgegen kam. Das Wiedersehn der beiden Brüder, die seit neun Jahren von einander entfernt gewesen, war sehr rührend. Sie fielen einander um den Hals, und konnten eine Zeitlang nicht zu Worte kommen. Endlich, nachdem sich der Schulmeister etwas gesammelt hatte, nahm er seinen Bruder bei der Hand, führte ihn zu Karfa und sagte: Das ist der Mann, der in Manding mein Vater gewesen ist; ich würde dir ihn eher gezeigt haben, aber mein Herz war zu voll. Abends kamen wir nach Malakotta, und wurden sehr wohl aufgenommen. Diese Stadt hat keine Ringmauern, die Hütten sind größtentheils von gespaltenem Rohr gemacht, welches auf Korbmacherart zusammen geflochten und mit Lehm beworfen ist. Wir blieben drei Tage hier, und jeden Tag beschenkte uns der Schulmeister mit einem Rinde; so wurden wir auch von den andern Leuten in der Stadt gut bewirthet. Die Einwohner dieses Ortes scheinen sehr thätig und arbeitsam zu sein. Sie machen sehr gute Seife aus Erdnüssen, die in Wasser gekocht werden, wozu dann eine Lauge von Holzasche kommt. Auch verfertigen sie treffliche Eisenwaaren, welche sie nach Bondu führen, um Salz dafür einzutauschen. Es war eben eine Gesellschaft von einer solchen Handels|reise zurückgekommen und hatte die Nachricht von dem Kriege zwischen Almami Abdulkader, König von Futa Torra, und Damel, König der Dschaloffs, mitgebracht. Die Begebenheiten dieses Krieges wurden bald der Lieblingsgegenstand der Sänger, und das allgemeine Gespräch in allen Ländern am Senegal und Gambia, und da die Geschichte in der That sonderbar genug ist, so will ich eine kurze Nachricht davon hier einschalten. Der König von Futa Torra, von Eifer für die Ausbreitung seiner Religion beseelt, hatte dem Damel eine eben solche Gesandschaft geschickt, wie nach Kasson (s. den 6sten Abschnitt S. 66). Der Gesandte war bei dieser Gelegenheit von zwei der vornehmsten Buschrihns begleitet, deren jeder ein großes Messer an der Spitze einer langen Stange trug. Als er beim König 39 S. 66).] S. 66.)

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Damel vorgelassen ward, und die Meinung seines Herrn vorgetragen hatte, befahl er den Buschrihns die Embleme ihrer Sendung vorzuzeigen. Die beiden Messer wurden also vor Damel niedergelegt, und der Gesandte ließ sich folgendergestalt vernehmen: „Mit diesem Messer wird Abdulkader selbst dem König das Haupt scheren, wenn Damel den mahomedanischen Glauben annehmen will; und mit diesem andern Messer wird Abdulkader dem Damel den Hals abschneiden, wenn Damel den Glauben nicht annehmen will – nun wähle.” Damel antwortete ganz kalt, er habe keine Wahl zu treffen, er wolle sich weder den Kopf scheren, noch den Hals abschneiden lassen, und mit dieser Antwort wurde der Gesandte ganz höflich fortgeschickt. Abdulkader nahm dem zufolge seine Maaßregeln, und fiel mit einer mächtigen Armee in Damels Ländern ein. Die Bewohner der Städte und Dörfer verschütteten überall bei seiner Annäherung die Brunnen, zerstörten ihre Vorräthe, nahmen ihre Habseligkeiten mit sich, und verließen ihre Wohnungen. So wurde er von einem Orte zum andern gelockt, bis er drei Tagereisen weit im Lande der Dschaloffs vorgerückt war. Widerstand hatte er bis jetzt zwar nicht | gefunden; aber sein Heer hatte vom Wassermangel so sehr gelitten, daß viele auf dem Marsch starben. Dies bewog ihn seinen Weg nach einem Wasserplatz in den Wäldern zu nehmen; hier löschten seine Leute ihren Durst, und legten sich, von Mattigkeit überwältigt, sorglos in den Schatten schlafen. In dieser Verfassung wurden sie vor Tagesanbruch von Damel angegriffen, und gänzlich geschlagen. Viele wurden noch schlafend von den Pferden der Dschaloffs todtgetreten, andere wurden getödtet indem sie die Flucht nehmen wollten, und bei weitem der größte Theil wurde gefangen genommen. Unter den letzter war Abdulkader selbst. Dieser ehrgeizige oder vielmehr fanatische Fürst, der nur vor einem Monat jene drohende Gesandschaft an Damel geschickt hatte, wurde nun selbst als ein unglücklicher Gefangener vor ihn geführt. Damels Betragen bei dieser Gelegenheit wird von den Sängern nie anders als mit den höchsten Lobeserhebungen erwähnt, und es ist in der That von einem afrikanischen Fürsten so außerordentlich, daß der Leser der Erzählung vielleicht kaum Glaube beimessen wird. Als der königliche Gefangene in Ketten vorgeführt und auf die Erde geworfen ward, redete ihn der großmüthige Damel, anstatt ihm den Fuß auf den Nacken zu setzen, und ihn mit seinem Speer zu erstechen, vielmehr folgendermaßen an: „Abdulkader, beantworte mir eine Frage: wenn das Kriegesglück mich in deine Lage versetzt hätte, und dich in die meinige, wie würdest du mit mir verfahren haben?”– „Ich hätte dir meinen Speer ins Herz gestoßen, antwortete Abdulkader mit großer Standhaftigkeit, und ich weiß, daß mich jetzt dasselbe Schicksal erwartet.” – „Nicht also, sagte Damel, mein Speer ist roth genug

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von dem Blute deiner Unterthanen, die im Gefecht getödtet sind, und ich könnte ihn nicht höher färben, wenn ich ihn auch noch in das deinige tauchte; aber dadurch würden weder meine Städte wieder anfgebaut, noch die Tausende, die in den Wäldern geblieben sind, ins | Leben zurückgerufen. Ich will dich also nicht mit kaltem Blute tödten, sondern ich werde dich als meinen Sklaven hier behalten, bis ich sehe, daß deine Rückkehr in dein Reich deinen Nachbaren nicht mehr gefährlich ist; dann will ich sehen, wie ich am besten mit dir verfahre.” – Abdulkader arbeitete also drei Monate lang als Sklave; dann ließ sich Damel von den Einwohnern von Futa Torra erbitten, und gab ihnen ihren König wieder. – So sonderbar auch diese Geschichte scheint, so setze ich doch in die Wahrheit derselben gar keinen Zweifel. Ich hörte sie nicht nur in Malakotta von den Negern, sondern sie wurde mir auch nachher von den Europäern am Gambia und von einigen Franzosen in Goree erzählt, und zuletzt noch von neun Sklaven bestätiget, die mit Abdulkader zugleich beim Wasserplatz in den Wäldern gefangen worden waren, und sich auf demselben Schiffe befanden, in welchem auch ich nach Westindien reiste.

7 Rückkehr] Rükkehr

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Die Karawane geht über den Falemeh Fluß, und kommt durch viele Städte und Dörfer endlich an die Ufer des Gambia – Sie geht durch Medina, die Hauptstadt von Wulli, und endigt ihre Reise in Dschindi – Der Verfasser geht von Karfa begleitet nach Pisania – Verschiedene Umstände vor seiner Abreise ans Afrika – Kurze Nachricht von seiner Reise über Westindien nach Großbritannien.

Am 7ten reisten wir von Malakotta ab, gingen über den Ba lih, „Honigfluß”, welcher ebenfalls ein Arm des Senegal ist, und kamen Abends in eine mit Ringmauern umgebene Stadt, Bintingala, wo wir zwei Tage blieben. Von hier kamen wir in einem Tage nach Dindiku, einer kleinen Stadt am Fuß einer Reihe hoher Hügel, von denen der ganze Distrikt K o n k o d u „das hügelige Land” heißt. Diese Hügel enthalten viel Gold. Man zeigte mir eine kleine Quantität von diesem Metall, welche erst kürzlich gesammelt war. Die Körner waren von der gewöhnlichen Größe, aber weit flacher als die in Manding, und man findet sie in weißem Quarz, der mit Hämmern in Stücke geschlagen wird. In dieser Stadt traf ich einen Neger, dessen Haare und Haut von einer matten weißen Farbe waren; einer von denen die man im Spanischen Westindien Albinos nennt. Die Haut war welk und unscheinbar, und die Eingebohrnen betrachteten diese Farbe, wie ich glaube mit Recht, als einen krankhaften Zustand. Den 11ten Mai reisten wir mit Tagesanbruch aus Dindiku ab, und kamen nach einer sehr beschwerlichen Tagereise nach Satadu, der Hauptstadt eines Distrikts gleiches Namens. Diese Stadt war ehedem von ansehnlichem Umfang, aber viele Familien hatten sie jetzt ver|lassen, wegen der räuberischen Einfälle der Fulah’s von Futa Dschalla, welche sich in der Stille durch die Wälder heran zu schleichen und die Leute von den Kornfeldern, ja sogar von den Brunnen nahe an der Stadt fortzuschleppen pflegten. Den 12ten Nachmittags gingen wir über den Falemeh-Fluß, ebendenselben, über den ich vorher auf meiner Reise ostwärts bei Dondu gegangen war. Man kann um diese Jahreszeit den Fluß sehr leicht an dieser Stelle durchwaten, da das Wasser nur etwa zwei Fuß lief ist. Es ist sehr klar, und fließt reißend über ein Bett von Sand und Kies. Wir kehrten die Nacht in einem kleinen 8–9 „Honigfluß”, welcher] „Honigfluß,” welches

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Dorfe, Namens Medina, ein, welches ganz und gar einem MandingoKaufmann gehörte, der durch vieljähriges Verkehr mit den Europäern dahin gekommen war, daß er einige von ihren Gebräuchen angenommen hatte. Seine Speisen wurden in zinnernen Schüsseln aufgetragen, und selbst seine Häuser waren nach Art der englischen Häuser am Gambia gebaut. Den 13ten des Morgens, da wir uns eben zur Abreise rüsteten, kam eine Sklaven-Karawane, die einigen Serawullischen Kaufleuten gehörte, über den Fluß, und wünschte mit uns bis Baniserile, der Hauptstadt von Dantile, zu reisen, bis wohin wir noch eine sehr starke Tagereise hatten. Wir machten uns also zusammen auf, und gingen sehr schnell durch die Wälder, bis Mittag, da einer von den SerawulliSklaven seine Last abwarf, wofür er tüchtig gegeißelt wurde. Die Bürde wurde ihm wieder aufgelegt; aber er war kaum eine Meile weiter gegangen, so ließ er sie zum zweiten Male fallen, und empfing dieselbe Strafe. Unter großen Schmerzen ging er nun bis zwei Uhr, da wir bei einem Teich etwas anhielten, um Athem zu schöpfen; der Tag war außerordentlich heiß. Der arme Sklave war nun so gänzlich erschöpft, daß sein Herr sich genöthigt sah, ihn vom Strick abzulösen; denn er lag ohne Bewegung auf | der Erde. Ein Serawulli übernahm es bei ihm zu bleiben und alles mögliche zu thun, um ihn in der Kühlung der Nacht bis in die Stadt zu bringen. Wir setzten unterdeß unsern Weg fort, und kamen nach einer sehr angreifenden Tagereise Abends spät nach Baniserile. Einer von unsern Slatihs war aus diesem Ort gebürtig, und seit drei Jahren abwesend gewesen. Er lud mich in sein Haus ein, an dessen Thüre seine Freunde ihn mit vielen Freudensbezeugungen empfingen; sie drückten ihm die Hand, umarmten ihn, und sangen und tanzten vor ihm. Sobald er sich an der Schwelle seiner Thür auf einer Matte niedergelassen hatte, brachte ein junges Frauenzimmer, seine verlobte Braut, ein wenig Wasser in einem Kalabasch, und bat ihn, sich die Hände zu waschen, und das Mädchen trank hernach – eine Freudenthräne glänzte dabei in ihren Augen – das Wasser, welches als der größte Beweis von Treue und Anhänglichkeit angesehen wird, den sie ihm geben konnte. Denselben Abend um acht Uhr kam der Serawulli, der in den Wäldern gelassen worden war, um auf den ermüdeten Sklaven Acht zu haben, und sagte, er sei gestorben; man glaubte aber allgemein, daß er ihn selbst umgebracht, oder auf der Straße habe liegen lassen: denn die Serawulli’s stehn in dem Ruf, die Sklaven unendlich grausamer zu behandeln als die Mandingo’s. Wir blieben zwei Tage in Baniserile, um inländisches Eisen, Baumbutter und einige andere Artikel aufzukaufen, die am Gambia gesucht werden. Der Slatih, der mich in sein Haus eingeladen hatte, und dem drei Sklaven von

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unserer Karawane gehörten, hatte erfahren, daß die Preise an der Küste schlecht wären, und beschloß deshalb sich von uns zu trennen und hier zu bleiben, bis sich eine Gelegenheit fände, sie vortheilhafter loszuschlagen; auch wollte er unterdeß seine Hochzeit mit dem jungen Frauenzimmer vollziehen.| Den 16ten Mai reisten wir von Baniserile ab, immer durch dichte Wälder, bis wir gegen Mittag in der Ferne die Stadt Dschulifonda ansichtig wurden, aber nicht darauf zugingen, sondern uns nach Kirwani, einer großen Stadt wendeten, wo wir die Nacht zubringen wollten, und Nachmittags um vier Uhr daselbst eintrafen. Diese Stadt liegt in einem Thale, und das Land umher ist mehr als eine Meile in die Runde ausgeholzt und gut angebaut. Die Einwohner scheinen thätig und betriebsam zu sein, und den Ackerbau zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht zu haben: denn sie sammeln während der trocknen Jahreszeit den Mist ihres Rindviehs in großen Haufen, um das Land zur gehörigen Zeit damit zu düngen. Ich habe sonst nirgends in Afrika etwas ähnliches gesehn. Nicht weit von der Stadt waren mehrere Schmelzöfen, die sehr gutes Eisen lieferten. Sie schmieden dieses Metall hernach in kleine Stangen von einem Fuß Länge uud zwei Zoll Breite, aus deren einer man zwei Mandingische Kornschaufeln machen kann. Den Morgen nach unserer Ankunft besuchte uns ein hiesiger Slatih, der kürzlich einige Sklaven gekauft hatte, unter denen auch einer aus Futa Dschalla war; da nun dieses Land nicht weit entfernt war, so konnte er ihn nicht zur Feldarbeit gebrauchen, ohne besorgen zu müssen, daß er entliefe. Er wünschte also, daß Karfa ihn gegen einen von seinen Sklaven austauschen möchte, und erbot sich etwas Zeug und Baumbutter zuzugeben; ein Vorschlag, auf den Karfa auch einging. Der Slatih schickte nun einen Knaben ab, um dem verhandelten Sklaven zu befehlen, er solle einige Erdnüsse herbringen. Der arme Kerl kam bald darauf in den Hof, wo wir saßen, ohne den geringsten Argwohn von dem was im Werke war, bis sein Herr befahl das Thor zu verschließen, und ihm sagte, er solle sich niedersetzen. Nun merkte der Sklave was ihm bevorstehe, warf die Nüsse hin, und da er das Thor schon hinter sich verschlossen fand, sprang er über den Zaun. | Er wurde aber sogleich von den Slatihs verfolgt und eingeholt, man brachte ihn zurück, legte ihn in Eisen, und es wurde dafür einer von Karfa’s Sklaven ausgespannt und abgeliefert. Der unglückliche Gefangene war anfänglich sehr niedergeschlagen; in einigen Tagen aber legte sich seine Schmermuth nach und nach, und er wurde zuletzt so heiter, als irgend einer von seinen Gefährten. 7–8 die Stadt Dschulifonda ansichtig] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 332–333 18 Schmelzöfen] Schmelzofen 27 auf den] den

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Am 20sten früh reisten wir ab, und betraten die Wildniß von Tanda, welche zwei Tagereisen lang ist. Der Wald war sehr dicht, und das Land senkte sich gegen Südwesten. Um zehn Uhr begegneten wir einer vom Gambia zurückkommenden Karawane von sechs und zwanzig Personen und sieben beladenen Eseln. Viele von den Männern waren mit Flinten bewaffnet, hatten breite Bandeliere von scharlachrothem Zeuge über die Schultern hangen, und trugen europäische Hüte. Sie sagten, daß wenig Nachfrage nach Sklaven an der Küste wäre, da seit mehreren Monaten kein Schiff angekommen sei. Auf diese Nachricht verließen die Serawullis, welche vom Falemeh-Fluß mit uns gereist waren, mit ihren Sklaven unsere Karawane. Es fehlte ihnen, wie sie sagten, an Mitteln ihre Sklaven am Gambia zu unterhalten, bis etwa ein Schiff ankäme, und sie wollten sie nicht gern mit Schaden verkaufen: sie gingen also nordwärts nach Kadschaaga. Wir setzten unsern Weg durch die Wildniß fort, und gingen den ganzen Tag durch eine rauhe, mit ungeheuren Dickichten von Bambus bewachsene Gegend. Gegen Sonnenuntergang kamen wir zu unserer großen Freude an einen Wasserpfuhl, an dem ein großer Tabba-Baum stand, daher auch der Platz Tab b a D schih hieß, und hier ruhten wir einige Stunden. Das Wasser ist um diese Jahreszeit nichts weniger als häufig in diesen Wäldern, und da es am Tage unerträglich heiß war, so beschloß Karfa nur des Nachts zu reisen. Die Sklaven wurden also um eilf Uhr aus den Eisen genommen und die ganze | Karawane befehliget, sich nahe zusammen zu halten, sowohl, damit die Sklaven keinen Versuch machen möchten zu entkommen, als auch der wilden Thiere wegen. Wir gingen rasch zu bis Tagesanbruch; da zeigte sich, daß in der Nacht ein freies Frauenzimmer sich verloren hatte. Sie wurde so laut bei Namen gerufen, daß die Wälder davon ertönten; da aber keine Antwort erfolgte, vermutheten wir, daß sie entweder den Weg verfehlt habe, oder auch unbemerkt von einem Löwen ergriffen worden sei. Endlich beschloß man doch, daß vier Leute einige Meilen weit bis an einen kleinen Bach, wo einige von der Karawane sich aufgehalten hatten um zu trinken, zurückgehn, und daß wir hier ihre Rückkunft abwarten sollten. Die Sonne stand schon eine Stunde über dem Horizont, als die Leute mit der Frau zurückkamen, welche sie in festem Schlaf am Wasser liegend gefunden hatten. Wir setzten nun unsere Reise fort, und kamen um eilf Uhr nach Tambakonda, einer Stadt mit Ringmauern, wo wir gut aufgenommen wurden. Wir blieben vier Tage hier, eines Palaver’s wegen, das auf folgende Veranlassung gehalten ward. Modi Lemina, einer von den Slatihs die zu unserer Karawane gehörten, hatte ehedem eine Frau aus dieser Stadt geheirathet, die ihm zwei Kinder geboren hatte; er war darauf nach Manding gegangen und acht Jahr dort geblieben, ohne diese ganze

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Zeit über seiner verlassenen Gattin die geringste Nachricht zu geben; diese, die keine Aussicht hatte, daß er wieder kommen würde, hatte nach drei Jahren einen andern Mann geheirathet, und ihm ebenfalls zwei Kinder geboren. Lemina forderte nun sein Weib zurück, der jetzige Ehemann aber weigerte sich sie herauszugeben, und berief sich darauf, daß es in ganz Afrika einer Frau, deren Mann drei Jahre abwesend sei, ohne ihr Nachricht von seinem Leben zu geben, frei stehe, eine anderweitige Ehe zu schließen. Nachdem in einer Versammlung der angesehensten Männer alle Umstände in Erwägung gezogen waren, |

fiel das Urtheil dahin aus, es lediglich der Frau anheim zu stellen, ob sie zu ihrem ersten Ehemann zurückkehren, oder bei dem zweiten bleiben wolle. So günstig auch diese Entscheidung für die Dame war, so konnte sie doch nicht gleich mit sich einig werden, sondern bat um Bedenkzeit. Ich schloß aber aus allem, daß die erste Liebe den Preis davon tragen würde. Lemina war zwar etwas älter als sein Nebenbuhler, aber dafür auch viel reicher; wieviel Gewicht dieser Umstand auf der Wage seiner Frau hatte, kann ich nicht sagen. Als wir am 26sten früh von Tambakonda abreisten, machte Karfa die Bemerkung, daß es nun westlich von dieser Stadt keine Schihbäume mehr gäbe. Ich hatte Blätter und Blüthen dieses Baumes aus

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Manding mitgebracht; dies Exemplar hatte aber unterweges so gelitten, daß ich es für besser hielt, von hier ein anderes mitzunehmen, und von diesem ist der beigefügte Kupferstich genommen. Der Gestalt der Frucht nach, gehört der Schihbaum offenbar in die natürliche Ordnung der Sapota, und er hat einige Aehnlichkeit mit dem Madhukabaum, den Lieut. Carl Hamilton in den Asiatic Researches, B. 1. p. 300. beschrieben hat. Um ein Uhr kamen wir nach Sabikillin, einem Dorf mit einer Ringmauer; wir gingen aber nicht hinein, da die Einwohner in dem Rufe stehn, sehr unfreundlich gegen Fremde, und dem Diebstahl ergeben zu sein. Wir ruhten nur eine Weile unter einem Baum, und setzten dann unsern Weg fort bis es finster wurde; unser Nachtquartier nahmen wir an einem kleinen Fluß, der in den Gambia fällt. Den andern Tag ging unser Weg durch eine felsige Gegend voller Hügel, wo es Affen und wilde Thiere in Menge gab. In den kleinen Bächen, zwischen den Hügeln, fanden wir sehr viel Fische. Dies war eine schwere Tagereise, und erst um Sonnenuntergang erreichten wir das Dorf Kumbu, nahe bei den Ruinen einer | großen Stadt, die vor langer Zeit im Kriege zerstöhrt worden ist. Die Einwohner von Kumbu stehen eben so wie die von Sibikillin in so schlechtem Ruf, daß selten Fremde bei ihnen Quartier nehmen: wir brachten daher die Nacht in den Feldern zu, und errichteten uns Hütten, weil es starken Anschein zum Regen hatte. Am 28sten Mai gingen wir sieben Meilen weiter und übernachteten in einer Fulah-Stadt. Den folgenden Tag gingen wir über einen ansehnlichen Arm des Gambia, der Niola Koba heißt, und kamen wieder in eine gut bevölkerte Gegend. Mehrere Städte liegen hier so nahe beieinander, daß man von jeder die andern sehen kann; sie heißen alle zusammen Tenda; aber jede hat noch einen eigenen Namen. Die, in welcher wir unser Nachtquartier nahmen, hieß Kaba Tenda, und wir blieben den folgenden Tag da, um für unsern Weg durch die Simbanischen Wälder Lebensmittel genug anzuschaffen. Den 30sten kamen wir bis Dschallakotta, einer ansehnlichen Stadt, die aber von fulahischen Räubern sehr heimgesucht wird, welche von Bondu her durch die Wälder kommen, und alles wegnehmen, was sie erhaschen können. Wenige Tage vor unserer Ankunft hatten sie zwanzig Stück Vieh gestohlen, und den folgenden Tag machten sie einen zweiten Versuch; sie wurden aber zurückgetrieben, und einer von ihnen gefangen genommen. Ein Sklave aus der Karawane, der 6 Charles Hamilton: A description of the Máhwa tree, in: Asiatick researches or, Transactions of the Society instituted at Bengal, for inquiring into the history and antiquities, the arts, sciences, and literature, of Asia, Bd. 1, Calcutta 1789, S. 300−308

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schon die letzten drei Tage nicht recht fort gekonnt hatte, befand sich nun ganz außer Stande weiter zu gehn. Sein Herr, ein Sänger, vertauschte ihn also gegen eine junge Sklavin, die einem Manne aus der Stadt gehörte. Das arme Mädchen wußte nichts von ihrem Schicksal, bis alles aufgepackt und die Karawane zum Aufbruch fertig war; sie kam mit andern jungen Frauenzimmern um uns abreisen zu sehn, und nun erst nahm ihr Herr sie bei der Hand und übergab sie dem Sänger. Nie sah ich ein frohes Gesicht sich so plötzlich in die | Miene des tiefsten Kummers verwandeln. Der Schreck, den sie zeigte, als ihr das Bündel auf den Kopf und der Strick um den Nacken gelegt ward, und der Schmerz mit dem sie ihren Gefährtinnen Lebewohl sagte, war wahrhaft rührend. Um 9 Uhr kamen wir über eine große mit CiboaBäumen (einer Art von Palmen) bewachsene Ebene, an den Fluß Ner i k o , einen Arm des Gambia. Jetzt war er nur schmal; aber in der Regenzeit ist er den Reisenden oft gefährlich. Sobald wir diesen Fluß hinter uns hatten, huben die Sänger einen besondern Gesang mit lauter Stimme an, der ihre Freude darüber ausdrückte, daß sie glücklich im westlichen Lande, oder wie sie es nennen, in dem La nde, w o d i e S o n n e s i c h l age r t , angekommen wären. Das Land war hier sehr eben und der Boden eine Mischung von Lehm und Sand. Nachmittags regnete es stark, und wir nahmen unsere Zuflucht zu den gewöhnlichen Regenschirmen der Neger, einem großen Ciboa-Blatt, welches auf den Kopf gelegt, den ganzen Körper vollkommen schützt. Die Nacht lagerten wir uns unter dem Schatten eines großen TabbaBaums, nahe bei den Ruinen eines Dorfes. Den folgenden Morgen setzten wir über den Nauliko, und um zwei Uhr sah ich mich zu meiner großen Freude wieder an den Ufern des Gambia. An dieser Stelle ist er tief und ruhig, so daß er schiffbar ist; etwas weiter unten aber soll er so seicht sein, daß die Karawanen oft hindurchwaten. An der Südseite des Flusses, dieser Stelle gegenüber, ist eine große Ebene von lehmichtem Boden, welche Tu m b i Tu r i l a heißt. Es ist eine Art von Morast, in welchem, da er mehr als eine Tagereise breit ist, oft Menschen umkommen. Nachmittags begegneten wir einem Mann und zwei Frauen mit Packen baumwollenem Zeug auf dem Kopf. Sie gingen, wie sie sagten, nach Dantile, um Eisen zu kaufen, da dieser Artikel am Gambia sehr knapp wäre. Kurz ehe es finster wurde kamen wir an ein Dorf im Königreich Wulli, Namens Sisokonda. Nahe bei diesem Dorf giebt | es eine Menge Nitta-Bäume, und unsre Sklaven hatten im Vorbeigehn große Büschel von der Frucht abgepflückt. Die Leute waren aber so abergläubisch, daß sie nicht leiden wollten, daß das geringste von der Frucht ins Dorf gebracht würde, weil man ihnen 30 gegenüber,] gegen über,

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geweissagt hätte, es stehe dem Ort ein großes Unglück bevor, wenn die Einwohner von Nittas lebten und den Kornbau vernachlässigten. Den 2ten Juni kamen wir durch viele Dörfer, bei deren keinem der Karawane erlaubt ward, anzuhalten, ob wir gleich alle sehr ermüdet waren. Es war vier Uhr Nachmittags, als wir Barakonda erreichten, wo wir Rasttag hielten. Am 4ten kamen wir in wenig Stunden nach Medina, der Hauptstadt im Gebiet des Königs von Wulli, von dem ich, wie der Leser sich erinnern wird, am Anfang des Decembers 1795 auf meiner Hinreise so gastfrei aufgenommen worden war. Ich erkundigte mich sogleich nach dem Befinden meines guten alten Wohlthäters, und erfuhr zu meiner großen Betrübniß, daß er gefährlich krank wäre. Da Karfa der Karawane nicht erlauben wollte, anzuhalten, konnte ich dem Könige meine Ehrfurcht nicht persönlich bezeigen; ich ließ ihm aber durch den Beamten, dem wir den Zoll bezahlten, sagen, daß seine guten Wünsche für meine Erhaltung nicht unwirksam geblieben wären. Wir setzten unsere Reise bis Sonnenuntergang fort, und übernachteten in einem kleinen Dorfe, etwas westlich von Kurakonda. Am folgenden Tage erreichten wir Dschindi, wo ich mich vor achtzehn Monaten von meinem Freunde dem Dokter Laidley getrennt hatte. Seit dieser Zeit hatte ich keine Christenseele gesehn, und nie den lieblichen Ton meiner Muttersprache gehört. Ich war nun nahe bei Pisania, von wo meine Reise sich eigentlich angefangen hatte, und da ich hörte, daß Karfa wol schwerlich sogleich eine vortheilhafte Gelegenheit finden würde, seine Sklaven am Gambia zu ver|kaufen, so gab ich ihm an die Hand, ob es nicht das beste sein würde sie in Dschindi zu lassen, bis sich Gelegenheit fände, sie vortheilhaft loszuwerden. Er stimmte mir darin bei, und miethete von dem Befehlshaber der Stadt Hütten für sie und ein Stück Land, worauf sie Korn und andere Gewächse zu ihrem Unterhalt bauen sollten. Was ihn selbst betraf, so erklärte er, er würde mich, bis zu meiner Abreise aus Afrika, nicht verlassen. Dem zufolge machten wir, Karfa, ich und einer von den Fulahs von unserer Karawane, uns den 9ten des Morgens früh auf den Weg. Ob ich gleich jetzt dem Ende einer mühseligen und beschwerlichen Reise so nahe war, und den andern Tag unter meinen Landsleuten und Freunden zu sein hoffte, so konnte ich mich doch von meinen unglücklichen, größtentheils, wie ich wußte, zur Gefangenschaft und Sklaverei in einem fremden Lande vom Geschick verdammten Reisegefährten, nicht ohne große Rührung trennen. Während einer beschwerlichen Wanderung von mehr als fünfhundert englischen Meilen, unter den brennenden Strahlen der tropischen Sonne, hatten diese Sklaven, mitten unter ihren eignen unendlich grö8 am Anfang] im Anfang

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ßern Leiden, die meinigen bedauert, und oft aus freiem Antriebe Wasser geholt, um meinen Durst zu löschen, und zur Nachtzeit Reisig und Laub zusammengesucht, um mir eine Lagerstätte in der Wildniß zu bereiten. Wir bezeigten uns beim Abschiede gegenseitig unser Bedauern und unsere guten Wünsche. Denn auch ich konnte ihnen weiter nichts geben als meine Segenswünsche, und es war ein Trost für mich, daß es ihnen selbst leid that, daß ich nichts weiter hatte. Mein großes Verlangen, weiter zu kommen, gestattete unterweges keinen Aufenthalt, und wir kamen Abends nach Tendakonda, wo wir in dem Hause einer alten Negerin gastfrei aufgenommen wurden. Sie hieß Signora Camilla, hatte mehrere Jahre in den | englischen Faktoreien gewohnt, und sprach englisch. Ich war ihr bekannt gewesen, ehe ich meine Reise vom Gambia aus antrat30; aber meine Kleidung und meine Gestalt hatten jetzt mit dem gewöhnlichen Aussehen eines Europäers so wenig Aehnlichkeit, daß ich sie sehr gern entschuldigte, als sie mich für einen Mauren hielt. Da ich ihr meinen Namen und mein Vaterland sagte, betrachtete sie mich mit großem Erstaunen, und schien kaum ihren Sinnen zu trauen. Sie versicherte mich, daß keiner von den Kaufleuten am Gambia erwartete, mich je wieder zu sehn, indem man schon seit langer Zeit Nachricht habe, daß die Ludamarischen Mauren mich eben so umgebracht hätten, wie den Major Houghton. Ich fragte nach meinen beiden Bedienten, Johnson und Demba, und erfuhr zu meinem großen Leidwesen, daß keiner von beiden zurück gekommen sei. Karfa, der noch nie hatte englisch sprechen hören, horchte uns mit großer Aufmerksamkeit zu. Alles, was er sah, schien ihm wunderbar. Die Einrichtung des Hauses, die Stühle, und besonders die Betten mit Vorhängen bewunderte er höchlich, und hatte über den Nutzen und die Nothwendigkeit verschiedener Artikel tausend Fragen zu thun, auf die ich nicht immer sogleich eine befriedigende Auskunft finden konnte. Den 10ten des Morgens kam Robert Ainsley, der meine Ankunft in Tendakonda erfahren hatte, mir entgegen, und war so höflich, mir für den Rückweg sein Pferd anzubieten. Er sagte mir, Dr. Laidley hätte sich ganz und gar an einem Ort Namens Kaye niedergelassen, der etwas weiter den Strom hinunter läge; jetzt aber sei er mit seinem Schiffe nach Dumasansa gegangen, um Reis zu kaufen, werde aber in ein oder zwei Tagen wieder zurückkommen. Er bat mich also, bis dahin bei ihm in Pisania zu bleiben; ich nahm die Einladung an, und war mit Freund Karfa um zehn Uhr dort. Hrn. Ainsley’s Schooner 30

S. den dritten Abschnitt.

3 Lagerstätte] Lagerstäte

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(ein kleines | Kauffahrtei-Schiff) lag bei dem Orte vor Anker. Dies war der überraschendste Gegenstand, den Karfa bis jetzt gesehn hatte. Er konnte den Gebrauch der Masten, Segel und Taue nicht leicht fassen; auch begriff er nicht wie es überhaupt möglich sei, eine so große Maschine bloß durch die Kraft des Windes von der Stelle zu bewegen. Die Art, die Planken aus denen das Schiff bestand, aneinander zu fügen, und die Fugen so auszufüllen, daß kein Wasser hineindringen könne, war ihm ganz neu, und der Schooner mit seinem Zubehör erhielt Karfa den ganzen Tag über in tiefem Nachdenken. Den 12ten Mittags kam Dr. Laidley aus Dumasanßa zurück, und empfing mich mit solcher Freude, wie einen von den Todten Erstandenen. Da die Kleidungsstücke, die ich unter seiner Verwahrung zurückgelassen hatte, weder verkauft noch nach England geschickt waren; so legte ich ohne Zeitverlust wieder englische Kleider an, und befreite mein Kinn von seiner ehrwürdigen Last. Karfa betrachtete mich in meinem brittischen Anzuge mit großem Vergnügen, bedauerte aber ausnehmend, daß ich meinen Bart abgenommen hätte, durch dessen Verlust ich, wie er sagte, aus einem Mann in einen Knaben verwandelt worden wäre. Doktor Laidley übernahm es sehr gern, alle Geldverbindlichkeiten, die ich seit meiner Abreise eingegangen war, zu erfüllen, und ich trassirte über den ganzen Belauf auf die afrikanische Gesellschaft. Meinem Wohlthäter Karfa hatte ich mich anheischig gemacht, den Werth eines Sklaven von der besten Güte, zu bezahlen, und ich hatte ihm vor meiner Abreise von Kamalia eine Anweisung darauf an Dr. Laidley gegeben, weil ich nicht wollte, daß er auf den Fall, wenn ich unterweges mit Tode abginge, etwas verlieren sollte. Diese gute Seele hatte mir aber unausgesetzt so viel Güte erzeigt, daß ich es noch für eine sehr geringe Vergeltung hielt, als ich ihm jetzt sagte, er solle die Summe, die ich ihm anfänglich versprochen hatte, | doppelt bekommen; und Dr. Laidley erklärte ihm, daß er sich für den ganzen Betrag derselben nach Belieben Waaren aussuchen und sie abholen lassen könne. Karfa war über diesen Beweis meiner Dankbarkeit ganz außer sich, und noch mehr, als er hörte, ich wollte auch dem guten alten Schulmeister Fankuma in Malakotta ein artiges Geschenk machen. Er versprach, die für diesen bestimmten Waaren mit dorthin zu nehmen, und Dr. Laidley gab ihm die Versicherung, er wolle ihm aus allen Kräften behülflich sein, seine Sklaven so vortheilhaft als möglich zu verkaufen, sobald nur ein Sklavenschiff ankäme. Dies und andere Beweise von Aufmerksamkeit und Güte, die Dr. Laidley meinem Karfa gab, waren nicht an ihm verloren: er sagte oft zu mir, „meine Reise ist warlich glücklich gewesen”. Da er aber den vollkommenen Zustand unserer Manufakturen, und unsere offenbare Ueberlegenheit in allen

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Künsten des gesitteten Lebens sah, war er oft sehr nachdenklich, und sagte mit einem unwillkührlichen Seufzer: F a to f ing int a f eng , „Wir Neger sind doch nichts“. Dann fragte er mich wieder mit großem Ernst, was wol mich, der ich kein Kaufmann wäre, bewogen haben könnte, ein so armseliges Land als Afrika zu durchreisen? Er wollte damit zu verstehen geben, daß nach demjenigen, was ich in meinem Vaterlande gesehen haben müßte, seiner Meinung nach, doch nichts in ganz Afrika meine Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick hätte auf sich ziehen können. Diese kleinen Charakterzüge von dem braven Neger, habe ich nicht nur aus persönlicher Achtung für den Mann aufgezeichnet, sondern auch, weil sie mir zu beweisen scheinen, daß seine Gesinnung über seinen Zustand erhaben war; und ich hoffe, daß denjenigen unter meinen Lesern, die gern die menschliche Natur in allen ihren Verschiedenheiten, von ihrer Rohheit bis zu ihrer Verfeinerung betrachten mögen, die Nachrichten, die ich von diesem armen Afrikaner gegeben habe, nicht unangenehm sein werden.| Schon seit vielen Monaten vor meiner Rückkehr aus dem Innern, war kein europäisches Schiff im Gambia angekommen, und da die Regenzeit sich jetzt einstellte, überredete ich Karfa zu seinen Leuten in Dschindi zurückzugehn. Er nahm am 14ten sehr herzlichen Abschied von mir; aber da ich in der That wenig Hoffnung hatte, noch in demselben Jahr Afrika verlassen zu können, sagte ich ihm, wie ich es auch wirklich dachte, daß ich ihn noch vor meiner Abreise wieder zu sehn erwartete. Hierin irrte ich mich indeß glücklicherweise, und meine Erzählung eilt jetzt zu ihrem Ende: denn am 15ten kam das amerikanische Schiff Charlestown, geführt vom Kapitän Harris, in den Fluß. Es wollte Sklaven holen, und war gesonnen in Goree anzusprechen, um die Ladung voll zu machen, und dann nach Süd-Karolina zu gehn. Da aber die europäischen Kaufleute am Gambia jetzt eine große Menge Sklaven ganz in der Nähe hatten, wurden sie mit dem Kapitän einig, ihm seine Ladung, die größtentheils aus Rum und Taback bestand, im Ganzen abzukaufen, und ihm binnen zwei Tagen Sklaven für den ganzen Werth derselben zu liefern. Dies gab mir eine so gute Gelegenheit in mein Vaterland, obwohl auf einem Umwege, zurückzukehren, daß ich glaubte sie nicht versäumen zu dürfen. Ich bedung also sogleich auf dem Schiff meine Ueberfahrt nach Amerika, nahm von Dr. Laidley, dessen Güte ich so sehr viel zu verdanken hatte, und von meinen übrigen Freunden am Flusse Abschied, und schiffte mich am 17ten Juni zu Kaye ein. Unsere Fahrt den Fluß hinunter war langweilig und unangenehm, und die Witterung war so heiß, feucht und ungesund, daß noch vor unserer Ankunft in Goree vier Matrosen, der Wundarzt und drei Skla-

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ven am Fieber starben. In Goree wurden wir bis Anfang Oktobers aufgehalten, ehe wir unsere Vorräthe einnehmen konnten.| Die Anzahl der Sklaven, die am Gambia und in Goree an Bord genommen wurden, betrug zusammen Einhundert und dreißig; von denen etwa nur fünf und zwanzig, wie ich glaube, in Afrika freie Leute gewesen waren, da diese größtentheils Buschrihns waren, und ein wenig Arabisch schreiben konnten. Neun von ihnen waren in dem Religionskriege zwischen Abdulkader und Damel, dessen am Ende des vorigen Abschnitts erwähnt ist, gefangen worden; zwei andere hatten mich gesehen als ich durch Bondu ging, und viele hatten außerdem im Innern von mir gehört. Es gereichte ihnen zum großen Trost, daß ich mich in ihrer Muttersprache mit ihnen unterhalten konnte, und da der Wundarzt gestorben war, ließ ich mich willig finden, für den übrigen Theil der Reise seine Verrichtungen auf dem Schiffe zu übernehmen. In der That hatten sie nöthig, daß ich alles mögliche zu ihrer Erleichterung beitrug; nicht als ob etwa der Steuermann oder die Matrosen sie ohne Noth hart behandelt hätten: sondern nur weil die Art, wie man in den Amerikanischen Schiffen die Sklaven einsperrt und verwahrt, wegen der schwachen Bemannung, weit härter und strenger ist, als auf den englischen Fahrzeugen, die sich mit diesem Handel beschäftigen. Die armen Geschöpfe mußten viel ausstehen, und waren alle mehr oder weniger krank. Außer den dreien die auf dem Fluß, und sechs bis acht, die während unsers Aufenthaltes in Goree starben, verloren wir eilf auf der See, und viele von denen, die am Leben blieben, waren ganz abgefallen und entkräftet. Nicht genug an diesem Elende; das Schiff wurde auch, nachdem es drei Wochen in See gewesen war, so leck, daß die Pumpen immer im Gang erhalten werden mußten. Man fand daher für nöthig, einige von den Negern, die sich noch im erträglichsten Zustande befanden, aus den Eisen zu nehmen und bei den Pumpen anzustellen, wo sie oft weit über ihre Kräfte angestrengt | wurden. Daraus entstanden mancherlei und sehr verwickelte Uebel. Wir wurden indeß eher erlöst, als ich erwartete; denn das Leck nahm, aller Anstrengungen ohnerachtet, so überhand, daß die Matrosen darauf bestanden, man müsse nach Westindien steuern, weil dies das einzige Mittel wäre, unser Leben zu retten. Nach mancherlei Einwendungen von Seiten des Steuermanns richteten wir unsern Lauf nach Antigua, und hatten am fünf und dreißigsten Tage nach unserer Abfahrt von Goree die Insel im Gesicht. Aber auch hier noch entgingen wir nur so eben dem Verderben; denn als wir uns der Insel an der Nordostseite näherten, stießen wir an den Diamant-Felsen, und liefen nur mit großer Noth in die Rhede von St. John ein. Das Schiff ist hernach, wie ich gehört habe,

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für unfähig erklärt worden wieder in See zu gehn, und die Sklaven mußten für Rechnung der Eigenthümer verkauft werden. Ich blieb nur zehn Tage auf der Insel. Das Paketboot Chesterfield, von den Leeward-Inseln nach England bestimmt, hielt in St. John an, um das Antigua Felleisen einzunehmen, und ich dingte mich auf diesem Schiffe ein. Wir gingen den 24sten November unter Segel, und kamen nach einer kurzen aber stürmischen Reise den 22sten December in Falmouth an, von wo ich sogleich nach London abging, nachdem ich zwei Jahr und sieben Monate aus England abwesend gewesen war.

Editionszeichen und Abkürzungen Das Abkürzungsverzeichnis bietet die Auflösung der Zeichen und Abkürzungen, die in den edierten und den zitierten Texten sowie von den Bandherausgebern benutzt worden sind, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten oder im Literaturverzeichnis erfolgt. Nicht verzeichnet werden die Abkürzungen, die für Vornamen stehen. Ferner sind nicht berücksichtigt Abkürzungen, die sich von den aufgeführten nur durch das Fehlen oder Vorhandensein eines Abkürzungspunktes, durch Klein- bzw. Großschreibung oder die Flexionsform unterscheiden. | / [] ] °

Seitenwechsel Zeilenwechsel, Markierung zwischen Band und Teilband, zwischen mehreren Editoren, zwischen Erscheinungsorten, zwischen Reihengliedern Ergänzung der Bandherausgeber Lemmazeichen Grad

Abt. Abteilung ALZ Allgemeine Literatur-Zeitung Apg / Ap. Gesch. / Die Apostelgeschichte des Lukas Apostelgesch. b. Bd. bzw.

bei / bey Band / Bände beziehungsweise

1Chr / 1 Chr. 1 Cor.

Das erste Buch der Chronik Der erste Brief des Paulus an die Korinther The first epistle of Paul the Apostle to the Corinthians

D. / Dr. Dan d. i. Dtn DV

Doctor Der Prophet Daniel das ist Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Druckfehlerverzeichnis

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Verzeichnisse

Ebendas. Ebr. ed. ed. / edd. Engl. Eph / Ephes. &c. Ex Ez

Ebendaselbst Der Brief an die Hebräer editor / editors edidit / ediderunt Englisch Der Brief des Paulus an die Epheser et cetera Das zweite Buch Mose (Exodus) Der Prophet Hesekiel (Ezechiel)

F.

Fawcett

Gal. geb. Gen. gr. Gr.

Der Brief des Paulus an die Galater geborene Das erste Buch Mose (Genesis) The first book of Moses called Genesis groß / griechisch Groschen

Hab Heb. Hebr. Hn. Hofpred. Hr.

Der Prophet Habakuk The epistle of Paul the Apostle to the Hebrews Der Brief an die Hebräer Herrn Hofprediger Herr

Jak / Jakob. Jer. / Jerem.

Der Brief des Jakobus Der Prophet Jeremia The book of the Prophet Jeremiah Der Prophet Jesaja Das Evangelium nach Johannes Der erste Brief des Johannes

Jes. Joh. 1Joh / 1 Joh. κ. KGA Kj KJB Klagel. Jerem. / Klgl 1Kön / 1 Kön. 2Kön / 2 Kön. Königl. Kol.

και (und) Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe Konjektur King-James-Bible Die Klagelieder Jeremias Das erste Buch der Könige Das zweite Buch der Könige Königlich Der Brief des Paulus an die Kolosser

Editionszeichen und Abkürzungen

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1Kor / 1 Kor. 2Kor / 2 Kor.

Der erste Brief des Paulus an die Korinther Der zweite Brief des Paulus an die Korinther

l. Lamen. lat. Lev Lk Luc. / Luk.

lies The lamentations of Jeremiah lateinisch Das dritte Buch Mose (Leviticus) Das Evangelium nach Lukas Das Evangelium nach Lukas

Marc. Matt. Matth. Mk 1 Mos. 5 Mos. Mr. Mt

Das Evangelium nach Markus The gospel according to St. Matthew Das Evangelium nach Matthäus Das Evangelium nach Markus Das erste Buch Mose (Genesis) Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Mister Das Evangelium nach Matthäus

N/NB No. Nr. Num

nördlicher Breite (bei geographischen Angaben) number (numero) Nummer Das vierte Buch Mose (Numeri)

O OD Offb

östlicher Länge (bei geographischen Angaben) Originaldruck Die Offenbarung des Johannes (Apokalypse)

P. Park 1Petr / 1 Petr. Der erste Brief des Petrus 2Petr / 2 Petr. Der zweite Brief des Petrus Phil Der Brief des Paulus an die Philipper Pred. Predigt PredSal / Pred. Sal. Der Prediger Salomo (Kohelet) Prov. The Proverbs Ps / Ps. Der Psalter (Psalmen) Rec. Rev. Röm. Rom. Rthlr.

Recensent Reverend Der Brief des Paulus an die Römer The epistle of Paul the Apostle to the Romans Reichsthaler

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Verzeichnisse

S. Sach 1Sam / 1 Sam. 2Sam / 2 Sam. SB Serm. Sp. Sp. Sal. Spr / Spr. Sal. / Sprüchw. St.

Seite / Siehe Der Prophet Sacharja Das erste Buch Samuel Das zweite Buch Samuel Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek Sermon Spalte Die Sprüche Salomos Die Sprüche Salomos / Sprüchwörter

Th. 1Thess / 1 Thessal. 2Thess Thlr. 1Tim / 1 Tim. 2Tim / 2 Tim.

Theil Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher Thaler Der erste Brief des Paulus an Timotheus Der zweite Brief des Paulus an Timotheus

u. u. a. Ueb. Uebers. übers. v. u. f. u. s. f.

und und andere Uebersetzung Uebersetzer übersetzt von und fort und so fort

v. Chr. Vf. vgl. Vol.

vor Christi Geburt Verfasser vergleiche Volume / Volumes

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westlicher Länge (bei geographischen Angaben)

Z. z. B.

Zeile zum Beispiel

Saint

Literatur Das Literaturverzeichnis führt die Schriften auf, die in den edierten Texten sowie in den Apparaten und in der Einleitung der Bandherausgeber genannt sind. Die jeweiligen Titelblätter werden nicht diplomatisch getreu reproduziert. Folgende Grundsätze sind besonders zu beachten: 1. Die Verfassernamen werden in der heute gebräuchlichen Schreibweise angegeben. In gleicher Weise wird bei den Ortsnamen verfahren. 2. Ausführliche umfangreiche Titel werden in einer sinnvoll konzentrierten Fassung wiedergegeben, die nicht als solche gekennzeichnet wird. 3. Werden zu einem Verfasser mehrere Titel genannt, so werden die Gesamtausgaben vorangestellt. Alle anderen Titel (Werkausgaben in Auswahl, Einzelausgaben, Beiträge in Sammelwerken und Zeitschriften) werden chronologisch angeordnet. 4. Bei anonym erschienenen Werken wird der Verfasser in eckige Klammern gesetzt. Lässt sich kein Verfasser nachweisen, so erfolgt die Einordnung nach dem ersten Titelwort unter Übergehung des Artikels. 5. Bei denjenigen Werken, die für Schleiermachers Bibliothek nachgewiesen sind, wird nach den bibliographischen Angaben in eckigen Klammern die Angabe „SB“ (vgl. unten Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek) mit der Listennummer hinzugefügt.

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Addison, Joseph: Cato. A tragedy, as it is acted at the Theatre-Royal in Drury-Lane, by her Majesty’s servants, London 1713 Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1–5,1, Leipzig 1774–1786 [SB 8: Bd. 1–4 (A–V), 1774–1780]

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Verzeichnisse

Anzeige von Auswahl noch ungedruckter Predigten von Ammon usw. 1799, in: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, 1799, Nr. 62, [Sp. 9] Anzeige von Fawcett, The art of war, in: Morning chronicle, 1796, Nr. 8453, vom 12. November 1796, S. 2 [doppelspaltig] Anzeige von Fawcett, Predigten, übersetzt von Friedrich Schleiermacher, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Haude- und Spenersche Zeitung), 1798, Nr. 84, vom 14. Juli 1798, [S. 5–6, doppelspaltig] Anzeige von Park, Reisen im Innern von Afrika, Berlin 1799, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Haudeund Spenersche Zeitung), Jahrgang 1799, Nr. 100, vom 20. August 1799, [S. 6–8, doppelspaltig] —: in: Allgemeine Literatur-Zeitung, Intelligenzblatt, Nr. 107, vom 24. August 1799, Sp. 857–859 Aristoteles: Opera [gr.], Akademie-Ausgabe, ed. Immanuel Bekker, Bd. 1–3, Berlin 1831 [SB 78] [Bd. 1–5, 1831–1870]; 2. Auflage, edd. Immanuel Bekker / Olof Gigon, Bd. 1–5, Berlin 1960–1961 Auswahl noch ungedruckter Predigten von Ammon, Bartels, Diterich, Löffler, Marezoll, Sack, Schleiermacher, Spalding, Teller, Zöllner, Zollikofer, [ed. Philipp Karl Buttmann], [Zweittitel:] Predigten von protestantischen Gottesgelehrten, 7. Sammlung, Berlin 1799 (Nachdruck unter dem Titel: Predigten von protestantischen Gottesgelehrten der Aufklärungszeit, ed. Wichmann von Meding, Darmstadt 1989) Barrow, John: An account of travels into the interior of southern Africa in the years 1797 and 1798, London 1801 —: Reisen durch die inneren Gegenden des südlichen Africa in den Jahren 1797 und 1798, [Bd. 1], aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Matthias Christian Sprengel, Weimar 1801; Bd. 2, ed. Theophil Friedrich Ehrmann, Weimar 1805 Beaufoy, Henry: Proceedings of The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa, London 1790 Biblia, dt.] Biblia, Das ist: Die gantze Heilige Schrifft Alten und Neuen Testaments, Nach der Ubersetzung und mit den Vorreden und Randglossen D. Martin Luthers, mit Neuen Vorreden, Sum-

Literatur

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marien, weitläuffigen Parallelen, Anmerckungen und geistlichen Anwendungen, auch Gebeten auf jedes Capitel: Wobey zugleich Nöthige Register und eine Harmonie des Neuen Testaments beygefüget sind, edd. Christoph Matthäus Pfaff / Johann Christian Klemm, Tübingen 1729 [SB 206] Biblia, engl.] The Holy Bible containing the Old and New Testaments, newly translated out of the original tongues and with the former translations diligently compared and revised, London 1611 Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte, Bd. 1–2, Göttingen 1779–1780 Book of common prayer and administration of the sacraments according to the use of the Church of England, London 1662 Buchanan, James: The first six books of Milton’s Paradise lost, rendered into grammatical construction, Edinburgh 1773 Budden, Harry Douglas: The story of Marsh Street Congregational Church, Walthamstow, Margate 1923 Bülow, Adam Heinrich Dietrich von: Der Freistaat von Nordamerika in seinem neuesten Zustand, Bd. 1–2, Berlin 1797 Burleigh, John Henderson Seaforth: A church history of Scotland, 4. Auflage, Edinburgh 1983 Cervantes Saavedra, Miguel de: The history of the valorous and wittie knight-errant, Don Quixote of the Mancha. Translated out of the Spanish, the first parte, London 1612; The second part of the history of the valorous and witty knight-errant, Don Quixote of the Mançha. Written in Spanish by Michael Cervantes, and now translated into English, London 1620 Cicero, Marcus Tullius: Abhandlung über die menschlichen Pflichten, aus dem Lateinischen übersetzt von Christian Garve, 4. Auflage, Breslau 1792 [SB 431] —: De officiis, Cato maior, Laelius, Paradoxa, Somnium Scipionis, ed. Johannes Georgius Graevius, [vermutlich] Bd. 1–2, Leiden 1710 [SB 433] A collection of poems in six volumes, by several hands, London 1758 Collins, David: An account of the English colony in New South Wales with remarks on the dispositions, customs, manners, etc. of the native inhabitants of that country, Bd. 1–2, London 1798–1802

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Verzeichnisse

Cooper, William: Discourses on several subjects, Bd. 1–2, London 1786 (Nachdruck als 2. Auflage 1795 unter dem Titel: Discourses on the following subjects) Cowley, Abraham: The works of Abraham Cowley, London 1668 Cuvier, Georges: Mammiferes, in: Magasin encyclopédique, ou Journal des sciences, des lettres et des arts, Jahrgang 4, Paris 1798, Bd. 3, S. 145–150 Desfontaines, René Liouche: Recherches sur un arbrisseau connu des anciens sous le nom de Lotos de Lybie, in: Histoire de l’Académie royale des sciences. Avec les mémoires de mathématique et de physique, Jahrgang 1788, Paris 1791, S. 443–453 Dilthey, Wilhelm: Leben Schleiermachers, Bd. 1 [einziger], Berlin 1870; 2. Auflage, vermehrt um Stücke der Fortsetzung aus dem Nachlasse des Verfassers, ed. Hermann Mulert, Berlin / Leipzig 1922; 3. Auflage, auf Grund des Textes der 1. Auflage von 1870 und der Zusätze aus dem Nachlaß, ed. Martin Redeker, Bd. 1–2 in 4, Berlin 1966–1970 Dryden, John: Alexander’s feast, or the power of music, London 1697 Edwards, Bryan / Rennell, James: Proceedings of The Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa; containing an abstract of Mr. Park’s account of his travels and discoveries, abridged from his own minutes by Bryan Edwards; also, geographical illustrations of Mr. Park’s journey, and of North Africa at large by Major Rennell, London 1798 Fawcett, Joseph: A sermon preached at St. Thomas’s, January 1782, for the benefit of the charity-school in Gravel Lane, Southwark, London 1782 —: A sermon on the propriety and importance of public worship, delivered at the close of the Sunday-evening lecture, for the winter season at the Old Jewry, on Sunday March 28, 1790, London 1790 —: Sermons delivered at the Sunday-evening lecture, for the winter season, at the Old Jewry, Bd. 1–2, London 1795; 2. veränderte Auflage, 1801 —: The art of war. A poem, London 1795 —: The art of war, to which is added A war elegy, London 1796

Literatur

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—: The art of poetry according to the latest improvements. A poem by Sir Simon Swan. Published by Joseph Fawcett, London 1797 [—:] Unsittlichkeit eine Folge des Unverstandes. Eine Rede aus dem Englischen übersetzt, Berlin 1798 —: Poems. To which are added Civilised war, before published under the title The art of war, with considerable alterations, and The art of poetry, according to the latest improvements, with additions, London 1798 —: Predigten. Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Schleiermacher, mit einer Vorrede von Friedrich Samuel Gottfried Sack, Bd. 1–2, Berlin 1798 [Fawcett, Thomas:] A humble attempt to form a system of conjugal morality, being the substance of six discourses addressed to young persons of both sexes with a design to lead them through the becoming duties of celibacy and matrimony, Manchester 1787 Fürst, Julius: s. Herz, Henriette Fyfe, Christopher: Park, Mungo, in: Oxford dictionary of national biography, Bd. 42, Oxford 2004, S. 637–640 Gray, Thomas: Ode on a distant prospect of Eton College, London 1747 [—:] Elegy wrote in a country churchyard, London 1751 Hamilton, Charles: A description of the Máhwa tree, in: Asiatick researches or, Transactions of the society instituted at Bengal, for inquiring into the history and antiquities, the arts, sciences, and literature, of Asia, Bd. 1, Calcutta 1789, S. 300−308 Harris, John: Navigantium atque itineratum bibliotheca, or, A compleat collection of voyages and travels, London 1705 Hertfordshire 1731–1800 as recorded in The gentleman’s magazine, ed. Arthur Jones, Hertford 1993 Herz, Henriette: Henriette Herz. Ihr Leben und ihre Erinnerungen, ed. Julius Fürst, Berlin 1850 (Nachdruck Leipzig 1977); 2. Auflage, Berlin 1858 Hickeringill, Edmund: The ceremony-monger. His character, in five chapters, London 1689 Historisch-genealogischer Calender oder Jahrbuch der merkwürdigsten neuen Welt-Begebenheiten, 17 Bände, Berlin 1784–1800 Horatius Flaccus, Quintus: s. Cowley, Abraham

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Verzeichnisse

Jackson’s Oxford journal, Nr. 2650, vom 11. Februar 1804 Kirwan, Richard: Elements of mineralogy, London 1784 Lupton, Kenneth: Mungo Park the African traveler, Oxford 1979; verdeutscht von Wolfdietrich Müller unter dem Titel: Mungo Park 1771–1806. Ein Leben für Afrika, Wiesbaden 1980 McLachlan, Herbert: English education under the Test Acts. Being the history of the non-conforming academies 1662–1820, Manchester 1931 Meckenstock, Günter: Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages Georg Reimer, 2. Auflage, in: Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, I. Abt., Bd. 15, Berlin / New York 2005, S. 637– 912 Meding, Wichmann von: Bibliographie der Schriften Schleiermachers nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, Schleiermacher-Archiv, Bd. 9, Berlin / New York 1992 Meier-Dörken, Christoph: Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, Berlin 1988 Milton, John: Paradise lost. A poem written in ten books, London 1667 —: s. Buchanan, James Moore, Francis: Travels into the inland parts of Africa containing a description of the several nations for the space of six hundred miles up the river Gambia; their trade, habits, customs, languages, manners, religion and government; the power, disposition and characters of some negro princes; with a particular account of Job Ben Solomon, a Pholey, who was in England in the year 1733, and known by the name of The African. To which is added, Capt. Stibbs’s voyage up the Gambia in the year 1723, to make discovries; with an accurate map of that river taken on the spot: and many other copper plates. Also extracts from the Nubion’s Geography, Leo the African, and other authors antient and modern, concerning the Niger Nile, or Gambia, and observations thereon, 2. Auflage, London [1755]

Literatur

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Observations on preachers, preaching and academical institutions, in: Monthly repository of theology and general literature, Bd. 12, Hackney 1817, S. 87–93 Ovidius Naso, Publius: Ovid’s Metamorphoses in fifteen books, translated by the most eminent hands, ed. Samuel Garth, London 1717 The Oxford English dictionary, 2. Auflage, edd. John Simpson / Edmund Weiner, Bd. 1–20, Oxford 1989 The Oxford handbook of the British sermon 1689–1901, edd. Keith Francis / William Gibson, Oxford 2012 Park, Mungo: Travels in the interior districts of Africa performed under the direction and patronage of the African Association, in the years 1795, 1796, and 1797. With an appendix, containing geographical illustrations of Africa by Major Rennell, London 1799; 2. Auflage, 1799; 3. Auflage, 1799; 4. Auflage, 1800; 5. Auflage, 1807; 6. Auflage, 1810 —: Reisen im Innern von Afrika auf Veranstaltung der afrikanischen Gesellschaft in den Jahren 1795 bis 1797, aus dem Englischen [übersetzt von Henriette Herz / Friedrich Schleiermacher], Berlin 1799 —: Reise in das Innere von Afrika in den Jahren 1795, 1796 und 1797. Auf Veranstaltung der Afrikanischen Gesellschaft unternommen. Nebst einem Wörterbuche der Mandingo-Sprache und einem Anhange geographischer Erläuterungen von James Rennell, aus dem Englischen [übersetzt von Adam Heinrich Dietrich von Bülow], Hamburg 1799 (Neuere Geschichte der See- und Landreisen, Bd. 12) —: The journal of a mission to the interior of Africa in the year 1805; together with other documents, official and private, relating to the same mission. To which is prefixed an account of the life of Mr. Park, [ed. John Whishaw], London 1815 Pope, Alexander: The works of Mr. Alexander Pope, London 1717 —: Epistle to Mrs. M. B., on her birth-day, in: British journal, 14. November 1724 —: An epistle to the Right Honourable Richard Boyle Earl of Burlington, London 1731; [3rd edition:] Of false taste. An epistle to the Right Honourable Richard Boyle Earl of Burlington, London 1731

1170

Verzeichnisse

—: Of the use of riches. An epistle to the Right Honourable Allen Lord Barthurst, London 1732 [—:] An essay on man, in epistles to a friend. Epistle I, London 1733 [—:] An essay on man, in epistles to a friend. Epistle II, London 1733 [—:] An essay on man, in epistles to a friend. Epistle IV, London 1734 —: The works of Alexander Pope, Bd. 1–4, London 1736 —: One thousand seven hundred and thirty eight. Dialogue II, London [i.e. Edinburgh] 1738 —: Moral essays, in four epistles to several persons, Edinburgh 1751 —: The works of Alexander Pope, in nine volumes complete. With his last corrections, additions, and improvements, ed. William Warburton, London 1751 Rennell, James: siehe Edwards, Bryan Rezension von Edwards / Rennell, Proceedings, in: The gentleman’s magazine and historical chronicle, Bd. 69, Teil 2, London August 1799, S. 680–681 Rezension von Fawcett, Sermons, in: Analytical review, or History of literature, domestic and foreign, on an enlarged plan, Bd. 23, London 1796, S. 59–64 —: in: Monthly review, or Literary journal, Bd. 21, London 1796, S. 9–12 Rezension von Fawcett, Predigten. Aus dem Englischen übersetzt von Friedrich Schleiermacher, in: Allgemeine Literatur-Zeitung. Ergänzungsblätter. Revision der Literatur der drey letzten Quinquennien des achtzehnten Jahrhunderts, Jahrgang 4, Halle / Leipzig 1804, Bd. 1, Nr. 19, Sp. 149–151 Rezension von Park, Travels in the interior districts of Africa, in: The annual register, or A view of the history, politics, and literature, of the year 1799, London 1799, S. 594–604 Rezension von Park, Travels in the interior districts of Africa, in: St. James chronicle, or The British evening post, London 16.–18. April 1799, Nr. 6448, S. 4 Rezension (Sammelrezension) von Park, Travels in the interior districts of Africa; Park, Reise in das Innere von Afrika, Hamburg 1799; Park, Reisen im Innern von Afrika, Berlin 1799, in: Allgemeine Literatur-Zeitung, Jena / Leipzig 1801, Bd. 1, Sp. 425–430. 433–440

Literatur

1171

Richardson, John: A grammar of the Arabick language. In which the rules are illustrated by authorities from the best writers. Principally adapted for the service of the Honourable East India Company, London 1776 Ruston, Alan: Fawcett, Joseph, in: Oxford dictionary of national biography, Bd. 19, Oxford 2004, S. 175–176 Sampson, William: The vow breaker, or, The faire maide of Clifton. In Notinghamshire as it hath beene divers times acted by severall companies with great applause, London 1636 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Sämmtliche Werke, 3 Abteilungen, 30 Bände in 31, Berlin 1834–1864 —: Kritische Gesamtausgabe, edd. Hans-Joachim Birkner / Hermann Fischer / Günter Meckenstock u. a., 5 Abteilungen, Berlin / New York [ab 2011: Berlin / Boston] 1980ff; Abt. I: 15 Bände in 18, 1980–2005; Abt. II: bisher 9 Bände in 10, 1998ff; Abt. III: 15 Bände, 2011–2018; Abt. IV: bisher 2 Bände, 2016ff; Abt. V: bisher 12 Bände und ein Kommentarband, 1985ff Shakespeare, William: Mr. William Shakespeares comedies, histories, & tragedies. Published according to the true originall copies, Folio-Erstausgabe London 1623 The songs, duets, choruses, &c. &c. now singing at Vauxhall. Published by authority, and under the direction of Mr. Hooke, London 1793 Thomas à Kempis: The imitation or following of Christ, and the contemning of worldly vanities: at the first written by Thomas Kempise a Dutchman, amended and polished by Sebastianus Castalio, an Italian, Englished by Edward Hake, London 1567 Thukydides: De bello Peloponnesiaco libri VIII [gr. / lat.], ed. Societas Bipontina, Bd. 1–6, Zweibrücken 1788–1789 [SB 1993] Vergilius Maro, Publius: Opera, ed. Christian Gottlob Heyne, Bd. 1– 4, Leipzig 1767–1775 [SB 2067] Weld, Isaac: Travels through the states of North America, and the provinces of Upper and Lower Canada during the Years 1795, 1796, and 1797, London 1799

1172

Verzeichnisse

—: Reise durch die nordamerikanischen Freistaaten und durch Oberund Unter-Canada in den Jahren 1795, 1796 und 1797, aus dem Englischen mit 6 Kupfern, [übersetzt von Henriette Herz], Berlin 1800 Whishaw, John: s. Park, Mungo, Journal 1815 Wilson, Walter: The history and antiquities of dissenting churches and meeting houses in London, Westminster and Southwark, including the lives of their ministers from the rise of nonconformity to the present time, in 4 volumes, London 1808 Young, Edward: The complaint, or, Night-thoughts on life, death, and immortality. Night the first, London 1742 —: The complaint, or, Night-thoughts on life, death, and immortality. Night the third, London 1742

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Erklärung und Heiratseintrag von Mungo Park, datiert 20. July 1799, Gemeindebuch (Old Parish Register) von Selkirk, National Records of Scotland, OPR778/4, S. 38

Namen Das Namensregister verzeichnet die in diesem Band genannten historischen Personen in der heute gebräuchlichen Schreibweise. Bei afrikanischen Namen des Park-Reiseberichts ist der erste Name maßgeblich für die Reihung und die von den beiden Übersetzern verdeutschte Schreibweise maßgeblich für die Namensform, bei Schwankungen in deren überwiegendem Gebrauch. Nicht aufgeführt werden die Namen biblischer, literarischer und mythischer Personen, die Namen von Herausgebern und Übersetzern, soweit sie nur in bibliographischen oder archivalischen Angaben vorkommen, die Namen der an der vorliegenden Edition beteiligten Personen, soweit ausschließlich die Arbeit an dieser Edition betroffen ist, sowie die Namen der Autoren Joseph Fawcett (1758–1804) und Mungo Park (1771–1806) sowie des Übersetzers Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Bei Namen, die in dem edierten Text oder die sowohl im Text als auch im zugehörigen Apparat vorkommen, sind die Seitenzahlen recte gesetzt. Bei Namen, die im Text der Bandherausgeber (Bandeinleitung oder Apparat) genannt werden, sind die Seitenzahlen kursiv gesetzt. Beim Park-Reisebericht wird allein der deutsche Übersetzungstext samt den zugehörigen editorischen Texten erfasst. Abu Abrahima (Herrscher von Tombuktu) 1037 Addison, Joseph 213 Adelung, Johann Christoph LVIII. 23.29.63.99.103.111.149.185. 199.203.205.213.233–237.269. 291.313.327.373.385.424.428. 430.463–469.487.495.513.529. 533.537.569.583.601.623.679. 691.711.717.765.803.815.823. 863–866.868.869.876.878– 880.885.891.894.897.905.909. 912.919.925.932.933.941.953. 959–961.966.967.970.975.991. 1025.1069.1079.1145 Ainsley (Brüder) 866.881.882 Ainsley, Robert 1151. XXXI Ali (Herrscher von Ludamar) 931. 934–936.939.941–950.952–958.

962.963.967–971.979.985. 989.991 Almami (Herrscher von Bondu) 890.894 Almami Abdulkader (Herrscher von Futa Torra) 911.1140 Amadi Fatouma XXXVII Ammon, Christoph Friedrich XXIV Anderson, Alexander XXXVII Anderson, Thomas XXVIII Anville, Jean Baptiste Bourguignon d’ LV Aristoteles 212.213 Ashworth, Caleb X Bamberger, Johann Peter XXXIX Banks, Joseph 859.862. XXIX. XXXIV.XXXVI

1174

Verzeichnisse

Barrow, John LI Bartels, August Christian XXIV Batscheri (Herrscher von Kadschaaga) 903.905 Beaufoy, Henry 863.866. XXX.964 Black, Joseph XXVIII Blair, Hugh 424.429. VIII. IX.LXV Blount, Martha 31 Blumenbach, Johann Friedrich 1118 Buchanan, James 591 Budden, Harry Douglas IX Bülow, Adam Heinrich Dietrich von XLIX.LV.LVII Burleigh, John Henderson Seaforth XXVIII Buttmann, Philipp Karl XXIV.XXV Camden siehe Pratt Camilla 1151 Cato (Uticensis), Marcus Porcius 212.213. 359 Cervantes Saavedra, Miguel de 975 Cicero, Marcus Tullius 358. 359 Collins, David XXXIX–XLI Cook, James XXIX Cooper, William 285 Coward, William X Cowley, Abraham 163 Cuvier, Georges 1118 Däsi Kurabarri (Herrscher von Kaarta) 916.921.922.929–932. 958.967.969–971.973.975.1001. 1055.1057 Daman Dschomma 935.937.939. 945.969.970.975.977.1106.1110 Damel (Herrscher der Dschaloffs) 1140–1142.1154 Deman siehe Daman Demba (in Parks Diensten) 880. 945.954.967.968.1151 Demba Sego 905.907–909. 911.912

Demba Sego Dschalla (Herrscher von Kasson) 905.915 Demosthenes X Desfontaines, René Liouche 926 Dickson, James XXIX Dilthey, Wilhelm L.LI Diterich, Johann Samuel XXIV Doddridge, Philip X Dryden, John 473 Dschatta (Herrscher von Wulli) 884 Edwards, Bryan 859.860. XXXIII.LIV Edwards, Jonathan 359 Farmer, Hugh XI Fatima(Herrscherin von Ludamar) 939.947.952–954. 956.958.961.967 Fawcett, Charlotte, geb. French IX.XI.XVI Fawcett, Thomas XI Flantscherie 997 Flinders, Matthew XXXIV French, Barron IX French, Charlotte siehe Fawcett French, John IX Friedrich Wilhelm II. von Preußen XXI Friedrich Wilhelm III. von Preußen XXI Fürst, Julius L Fyfe, Christopher XXXVII Gibson, William XII.XIII Godwin, William (der Ältere, 1756– 1836) XVI.426 Gray, Thomas 135.165.191 Hamilton, Charles 1148 Harris, Charles 1153 Harris, John 473 Hazlitt, William XVI Heindorf, Ludwig Friedrich XLI.L Heinrich der Seefahrer XXIX Hermes, Hermann Daniel XXII Herodotos XXX.XXXVI

Namen Herz, Henriette VIIIX.XL– XLIV.L Hickeringill, Edmund 685 Hillmer, Gottlob Friedrich XXII Hobart, Robert, 4th Earl of Buckinghamshire XXXVI Hoffmann, Benjamin Gottlob XLIX Horatius Flaccus, Quintus 161 Houghton, Daniel 862.884.885. 893.894.908.915.924.928.966. 1011.1151. XXX.XLVI.XLVIII Isaaco

XXXVII

James I of England / James VI of Scotland 539 Jemaffu Mamadu 881 Johnson (Parks Dolmetscher) 880. 885.903–905.936.945.954.967. 968.970.971.975–979.1151. LIV Johnson, Joseph 2.436. XII.XV Karfa Tahra 1078.1083–1086. 1122.1125–1130.1132–1135. 1139.1140.1143.1145–1147. 1150–1153 Kaunti Mamadi 1023.1025.1047 Kirwan, Richard 892 Kotzebue, August von LVI

1175

Mansong (Herrscher von Bambarra) 921.929–932.955.995–997.1013– 1019.1031.1047–1049.1061. 1086.1106. XXXII Marezoll, Johann Gottlob XXIV McLachlan, Herbert X Meding, Wichmann von XXII. XLIX Meier-Dörken, Christoph XXVII Memadih 997 Milton, John 106.107.242.243. XIII.147.245.257.487.565.591. 775.811 Modi Lemina Tahra 1081.1146 Moira siehe Rawdon-Hastings Moore, Francis 873.877 Monro, Alexander secundus XXVIII Müller, Wolfdietrich XXX Muβi (Herrscher von Gotto) 1037. 1039 Mylius, August 1.435. XIX.XX. XXIII.XXXIII–XXV Nicholson, Samuel XII Nicol, George XXXIV.LII Nili 1133–1135 Ovidius Naso, Publius

15

Laidley, John 862.863.866.867. 869.870.880–882.884.890.914. 928.935.962.969.1087.1110. 1150–1153.XXXI.LIII Lander, John XXXVIII Lander, Richard XXXVIII Ledyard, John 1090. XXX Leo der Afrikaner 934. 873 Lisle, Thomas 779 Llandaff (Landaff) siehe Watson Löffler, Josias Friedrich Christian XXIV Lucas, Simon XXX Lupton, Kenneth XXX.XXXI. XXXIV

Park, Allison, geb. Anderson XXVIII.XXXIV.XXXVI. XXXVIII Park, Elspeth, geb. Hislop XXVII–XXVIII Park, Mungo (1714–1793) XXVII.XXVIII Park, Thomas XXXVIII Perikles 289 Plinius Secundus, Gaius 926 Pope, Alexander XIII.31.83.85. 155.161.175.287.501.755. 757.763 Pratt, John, 1st Marquess of Camden XXXVI

Madi Kanko 917.918.920 Madibu 880.902–904

Rawdon-Hastings, Francis Edward, Earl of Moira 859

1176

Verzeichnisse

Rennell, James 859–861. VII.VIII. XXX.XXXIII.XXXIV.XLIX.LII– LIV.918 Richardson, John 891.960.1123. LIII Robins, Thomas X Ruston, Alan XII.XVI Sack, Friedrich Samuel Gottfried 1.433.435. V.VIII.XIV.XV.XVIII– XXV.XXVII.XL.425–427 Salim Dahkari 914.915.917 Sambo (Herrscher von Kasson) 970 Sambo Sego 914.916 Sampson, William 847 Schifeh 1127 Schleiermacher, Charlotte (Friederike Charlotte) XXIII.L Scipio 359 Scott, Henry, 3rd Duke of Buccleuch XXVII Scott, Walter XXVIII Shakespeare, William 106.107. 295.299.513.793.795.815. 839.843 Sidi Mahomed Mura Abdalla 954. 1004–1007 Spalding, Johann Joachim XXIV

Spener, Johann Carl Philipp 861. IX.XXIII.XXIV.XXXIX–XLIV. XLVII–LII Stuart, Andrew 859 Stubenrauch, Samuel Ernst Timotheus XIX–XXIII Tami 880 Teller, Wilhelm Abraham XXIV Thomas à Kempis 473 Thukydides 289 Tieck, Ludwig XL–XLII Tiggity Sego 908–912 Tyrtaios XV Vergilius Maro, Publius

855. 641

Watson, Richard, Bishop of Llandaff 859 Weld, Isaac VIII.L.LI Whishaw, John XXXVII Willis, James 863 Wilson, Walter XI Wöllner, Johann Christoph von XXI.XXII Wordsworth, William XII Wyath, Richard 863 Young, Edward

275.421.789

Zöllner, Johann Friedrich XXIV Zollikofer, Georg Joachim XXIV

Bibelstellen Die Seitenzahl bezeichnet den Ort der Bibelstellenangabe, nicht den Ort der manchmal seitenübergreifenden Bibelstellenmitteilung im Text. Recte halbfett gesetzte arabische Seitenzahlen weisen die Bibelstellen nach, über die Fawcett gepredigt hat; die am Predigtanfang erfolgte Nennung durch den Autor steht auf der Bandseite mit gerader Zahl, die Nennung durch den Übersetzer folgt auf der Bandseite mit ungerader Zahl. Recte normal gesetzte arabische Seitenzahlen verzeichnen die vom Autor im Inhaltsverzeichnis angegebenen und die vom Übersetzer zum Text nachgewiesenen Bibelstellen. Kursiv gesetzte arabische und römische Seitenzahlen geben solche Bibelstellen an, welche die Bandherausgeber im Sachapparat und in der Einleitung mitgeteilt haben. Falls eine Seitenzahl bereits recte mitgeteilt ist, wird sie nicht noch einmal kursiv notiert. Die kursiv gesetzten Seitenzahlen sind nachrangig hinter die recte gesetzten aufgelistet. Die Nachweise sich im Umfang übergreifender Bibelstellen sind angeordnet vom Einzelnen zum Weiteren. Die Abfolge und die Verszählung der biblischen Bücher sind an der Luther-Bibel orientiert. Weicht die Verszählung der King-JamesBible davon ab, sind diese Stellenangaben kursiv gesetzt. Das erste Buch Mose (Genesis) Gen 1,1–2,3 1,1.3 1,3 1,7.9.11.15.24.30 1,11 1,14 1,20 1,26 1,26–27 1,27 2,1 2,7 2,16–17 3,23–24 6,5 25,32 28,17 37,20 42,38

79 405 405 405 405 400.401.442 83 603 533.619 1075 55 83 119 179 355 1110 337 789 763

44,29 45,8

763 639

Das zweite Buch Mose (Exodus) Ex 2, 22

1075

Das dritte Buch Mose (Levitikus) Lev 19,18 26,6

603 699

Das vierte Buch Mose (Numeri) Num 11,4 23,10

165 197

Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Dtn 10,18 30,12–14

1075 501

1178 31,6 32,2

Verzeichnisse 157 73

Das erste Buch Samuel 1Sam 16,7

33.535

Das zweite Buch Samuel 2Sam 1,21 11,2–17 16,10 16,11 19,36 (KJB 19,35) 24,14

385 793 639 629 165 349

Das erste Buch der Könige 1Kön 8,27 17,10–24 20,43 21,4

55 209 35 438.444.445

Das zweite Buch der Könige 2Kön 4,8–37 20,15

209 35

Das erste Buch der Chronik 1Chr 21,13 29,14

349 395

Das Buch Esther Est 6,9

269

Das Buch Hiob Hiob 1,19 2,4 2,7 2,13 3,17 3,20 3,22 4,16

231 177 233 517 275 133 275 181

6,12 6,14 7,3 7,6 7,7 7,10 7,20–21 7,21 11,9 12,10 14,2 14,10 14,21 17,14 18,11 18,17 21,12 21,12–13 21,33 27,3 27,4 28,15 28,16 28,28 29,8 29,11 29,12–13 29,13 29,25 31,13 31,13–15 32,8 33,14 34,22 39,22 41,19.20 (neu 41,20.21; KJB 41,29)

815 683 275. 135 275 237 239 235 6.230.231 699 89 259 239. 241 267 537 297 191 647 679 699 835 835 797 43 4.10.11 73 837 171 327 233 563 107 455.549 653. 219 69 713 713

Der Psalter (Psalmen) Ps 1,3 2,2 4,7 (KJB 4,6) 5,4 (KJB 5,3) 8,6

371 699 499 529 535

Bibelstellen 10,4 15,1 16,8 16,11 19,2 (KJB 19,1) 23,4 23,4–5 32,1 34,10 37,16 37,35.36 37,37 41,10 (KJB 41,9) 46,2 (KJB 46,1) 47,1 50,10 50,13 51,12 (KJB 51,10) 51,19 (KJB 51,17) 55,16 (KJB 55,15) 55,18 (KJB 55,17) 63,4 (KJB 63,3) 65,14 (KJB 65,13) 73,3 73,5 73,5–6 73,12 73,26 90,10 92,14 (KJB 92,13) 96,9 98,4 100,1 100,3 100,4 100,1–4 101,8 102,12 103,14 103,15–16 104,12

1179

735 Pr 9 529 271.779 331 183 991 835 785 6.278.279 269 4.160.161 593 67 239 61 325 735

104,15 104,21 104,24 109,23 110,1 112,4 115,16 119,164 133,1 (KJB 133,2) 137,9 138,8 139,14 139,22 144,4 146,6 148,3.8.9.10 148,11

849

Die Sprüche Salomos (Sprichwörter)

587

Spr 1,11.13.14 1, 15.16.18 3,15 4,14.15 4,27 8,1–3 8,11 10,7 14,31 15,3 15,15 15,16 16,8 17,14 18,16 19,15 21,15 22,2 22,6 23,5 23,17 23,29–30 24,17 26,18–19 30,15 31,7

529 647 61 301 461 681 281 275 783 371 325 239 239 4.78.79 99 81 359 169 115. 219 269 725

255 725 561 169.269 111 163 349 529 243 669 561 109.561 669.767 169 301 329 329

679 679 43.301. 497.525 440.774.775 787 653 123.301 259 561 69 37.161 299 295 803 557 47.491 367 107.555.559 737 479 529 803 633 519 491.493. 477.497 275

1180

Verzeichnisse

Der Prediger Salomo (Kohelet)

Der Prophet Jona

PredSal 1,9 5,10 11,7 12,1 12,5 9,3 9,5 9,5–6 9,6

Jona 2,4.6 (KJB 2,3.5) 2,6 (KJB 2,5)

493 493 147.487.609. 487 177 465 177 267 253 253

69 69

Der Prophet Micha Mi 7,19

825

Der Prophet Habakuk Hab 1,4

563

Der Prophet Jesaja Jes 3,15 9,1 (KJB 9,2) 11,6 22,13 25,8 30,21 35,6 45,17 55,12 65,5

563 133.1123 731 259 479 521 505 777 239 8.372.373

Die Prophet Jeremia 9,3 13,23 17,9 23,24

787 440.720.721 XVII 4.54.55

Die Klagelieder Jeremias Klgl 3,33

4.120.121

Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Ez 11,2

725

Der Prophet Daniel Dan 12,3

555

Der Prophet Sacharja Sach 1,5 9,9

813 635

Das Evangelium nach Matthäus Mt 3,10 3,17 5,1 5,29 5,29–30 5,30 5,44 6,2.15.16 6,9–13 7,13 7,14 7,29 8,8 9,11 10,24 11,5 12,50 13,5.20 13,43 20,28 21,5 25,24 25,35 26,6–13 26,34.75 26,69–74

263 73 213 731 821 731 440.628.629. 211 301 1025 735 783 431 517 440.662.663 459 553 601 499 269.559 113 635 497 1085 201 791 791

Bibelstellen Das Evangelium nach Markus Mk 1,15 1,22 4,28 9,41 11,1–7 12,43 14,3–9 14,8

307 431 415 459 635 209 201 6.200.201

Das Evangelium nach Lukas Lk 5,32 6,35 Lk 6,35–36 7,36–50 7,48 9,51 10,27 10,29 15,7 15,31 16,19 16,26 17,10 18,9–14 18,13 19,29–35 21,3 21,19 23,28 23,34

665 438.568.569 599 201 203 307 603 438.600.601 442.806.807.851. 841 673 459 557 359 381 381 635 209 213 159 637.661

Das Evangelium nach Johannes Joh 1,39 3,3 4,23 4,24 8,34 11,1–45 11,25.26 12,1–8 12,3 12,15 13,34

179 255 6.302.303 329 849 203 267 201 209 635 617

15,14 16,33 19,11 20,19

1181 601 249 641 699

Die Apostelgeschichte des Lukas Apg 3,2 3,6 10,34 14,17 17,23–24.29 17,26 17,27 17,28 17,31 20,24

503 438.502.503 553 133 211 603 499 89 21.775 713

Der Brief des Paulus an die Römer Röm 1,20 7,15 12,15 12,16 13,7 13,11 13,12

479 683 159.257.479.591. 621. 483 551 345 442. XIV 553

Der erste Brief des Paulus an die Korinther 1Kor 10,12 12,21 13,11 13,12 13,13 15,10 15,22 15,26.55 15,32 15,58

440.748.749. XIV 547 489. 309 555 573 399 183 277 259 229

Der zweite Brief des Paulus an die Korinther 2Kor 1,12 3,18

171 637

1182 4,8 5,17

Verzeichnisse 713 255. 821

Der Brief des Paulus an die Galater Gal 6,2 6,9

507 525

Der Brief des Paulus an die Epheser Eph 2,1 3,17 4,24

691 745 821

Der Brief des Paulus an die Philipper Phil 2,12 3,19 3,21 4,18

683 43 483 479

Der Brief des Paulus an die Kolosser Kol 3,26 (neu 4,1)

553

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher 1Thess 2,19 4,13 4,16 5,5.6

535 387 423 253

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher 2Thess 1,9 2,17

777 745

Der erste Brief des Paulus an Timotheus 1Tim 1,17 6,6 6,15

269 283 89.555

Der zweite Brief des Paulus an Timotheus 2Tim 4,7

183. 171

Der erste Brief des Petrus 1Petr 1,4 1,23 2,5 2,17 5,4

777.781 255 743 438.532.533 183. 777

Der zweite Brief des Petrus 2Petr 1,5 1,5–7 1,7

440.696.697 697 507

Der erste Brief des Johannes 1Joh 2,17 3,5 4,18 5,4

539 741 645 709

Der Brief an die Hebräer Hebr 3,13 4,15 4,16 10,4 11,16 11,26 11,27 12,22–24 12,23 13,8

777 635 555 741 709 709 643 175 6.342.343 699

Bibelstellen Der Brief des Jakobus Jak 1,27 2,1 2,2 2,5 3,12

323 553 553 553 137

4,14 5,20

1183 269 807

Die Offenbarung des Johannes Offb 2,10 3,17

733 689