Kritische Gesamtausgabe: Band 11 Predigten 1828-1829 9783110353655, 9783110350920

From his pulpit, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768–1834) was able to inspire his contemporaries in a singular

177 114 3MB

German Pages 692 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Kritische Gesamtausgabe: Band 11 Predigten 1828-1829
 9783110353655, 9783110350920

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung des Bandherausgebers
I. Historische Einführung
1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre
2. Begräbnisreden
3. Reise nach England
4. Schleiermachers Liederblätter und das Berliner Gesangbuch von 1829
5. Literarische Rezeption der gedruckten Predigten
II. Editorischer Bericht
1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen
A. Allgemeine Regeln
B. Manuskripte Schleiermachers
C. Predigtnachschriften
D. Sachapparat
E. Editorischer Kopftext
F. Liederblätter
2. Druckgestaltung
A. Seitenaufbau
B. Gestaltungsregeln
3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische editorische Verfahrensweisen
A. Schleiermacher-Drucke
B. Crayen-Nachschriften
C. Dunckel-Nachschriften
D. Pommer-Nachschriften
E. Schirmer-Nachschriften
F. Woltersdorff-Nachschriften
G. Nicht identifizierte Nachschriften
H. Liederblätter
Predigten 1828
Am 01. 01. vorm. (Neujahrstag)* Joh 12,26
Am 13. 01. vorm. (1. SnE) Mk 1,15
Am 20. 01. früh (2. SnE ) 1Thess 5,16–18
Am 03. 02. früh (Septuagesimae) 1Thess 5,19–22
Am 17. 02. früh (Estomihi) 1Thess 5,23–28
Am 24. 02. vorm. (Invocavit) Mk 14,37–38
Am 02. 03. früh (Reminiscere) Lk 22,52
Am 16. 03. früh (Laetare) Lk 22,61–62
Am 23. 03. vorm. (Judica) Mt 26,63–64
Am 03. 04. mitt. (Palmarum) Lk 22,15
Am 04. 04. vorm. (Karfreitag) Hebr 10,19.22
Am 13. 04. vorm. (Quasimodogeniti) Joh 20,21
Am 20. 04. vorm. (Misericordias Domini)* Joh 10,14
Am 30. 04. vorm. (Bußtag) Jak 1,22
Am 26. 05. vorm. (Pfingstmontag) 1Kor 2,12–13
Am 01. 06. früh (Trinitatis) Röm 11,32–36
Am 08. 06. vorm. (1. SnT)* 1Joh 4,17
Am 15. 06. früh (2. SnT) Mt 5,2–10
Am 22. 06. vorm. (3. SnT)* 1Petr 5,6–7
Am 29. 06. früh (4. SnT) Mk 2,5–12
Am 06. 07. vorm. (5. SnT) 1Petr 3,10–14
Am 20. 07. vorm. (7. SnT)* Röm 6,16–22
Am 27. 07. früh (8. SnT) Mk 2,17
Am 03. 08. vorm. (9. SnT)* 1Kor 10,12–13
Am 17. 08. vorm. (11. SnT) 1Kor 15,9–10
Am 24. 08. früh (12. SnT) Mt 11,28
Am 21. 09. wohl vorm. (16. SnT) Eph 4,23
Am 11. 10. mitt. (Abendsmahlsvorbereitung) Mt 28,20
Am 12. 10. vorm. (19. SnT) Eph 4,22–25
Am 26. 10. vorm. (21. SnT) Eph 6,13–17
Am 02. 11. früh (22. SnT) Mk 7,14–15
Am 09. 11. vorm.(23. SnT)* Phil 3,15–21
Am 16. 11. früh (24. SnT) Mt 9,15
Am 23. 11. vorm. (25. SnT; Totensonntag) Offb 3,11
Am 30. 11. früh (1. SiA) Lk 1,78-79
Am 14. 12. früh (3. SiA) Mk 1,15
Am 21. 12. vorm. (4. SiA) Mt 11,3
Am 25. 12. früh (1. Weihnachtstag) Lk 2,10–15
Am 26. 12. vorm. (2. Weihnachtstag) 1Joh 1,2
Predigten 1829
Am 01. 01. vorm. (Neujahrstag) Gal 3,25–26
Am 11. 01. vorm. (1. SnE) Röm 12,1
Am 08. 02. vorm. (5. SnE) Kol 3,17
Am 15. 02. früh (Septuagesimae) 2Tim 1,7
Am 01. 03. früh (Estomihi) Eph 2,20–22
Am 08. 03. vorm. (Invocavit) Joh 1,14
Am 15. 03. früh (Reminiscere) 2Tim 2,12
Am 22. 03. vorm. (Oculi) Eph 5,2
Am 29. 03. früh (Laetare) Kol 1,24
Am 05. 04. vorm. (Judica) Hebr 9,13–14
Am 12. 04. früh (Palmarum) Phil 2,8
Am 15. 04. mitt. (Konfirmation) Kol 1,10
Am 16. 04. mitt. (Gründonnerstag) Hebr 5,9
Am 03. 05. vorm. (Misericordias Domini) 1Petr 2,20–22
Am 12. 05. mitt. (Abendmahlsvorbereitung) Eph 2,4–6
Am 17. 05. früh (Cantate) 1Joh 4,7–8
Am 24. 05. vorm. (Rogate) Hebr 13,9
Am 28. 05. früh (Himmelfahrt) Hebr 8,1–2
Am 08. 06. vorm. (Pfingstmontag) Röm 8,13–16
Am 14. 06. früh (Trinitatis) 2Kor 13,13
Am 21. 06. vorm. (1. SnT) Mt 13,12
Am 23. 06. abends (Dienstag) Begräbnis Philipp Karl Buttmann
Am 05. 07. vorm. (3. SnT) Lk 15,1–7
Am 12. 07. früh (4. SnT) Lk 6,41–42
Am 19. 07. vorm. (5. SnT) Lk 5,4–6
Am 26. 07. früh (6. SnT) 1Petr 1,22
Am 02. 08. vorm. (7. SnT) Röm 6,19
Am 16. 08. vorm. (9. SnT) Lk 16,10–11
Am 23. 08. früh (10. SnT) 1Kor 12,3
Am 30. 08. vorm. (11. SnT) 1Kor 15,9–10
Am 27. 09. vorm. (15. SnT)* Gal 6,1–2
Am 04. 10. früh (16. SnT; Erntedank) Ps 4,8
Am 11. 10. vorm. (17. SnT) Eph 4,7
Am 25. 10. vorm. (19. SnT) Mt 9,1–8
Am 01. 11. früh (20. SnT) Gal 4,9
Am 01. 11. wohl mitt. (20. SnT) Begräbnis Nathanael Schleiermacher
Am 08. 11. vorm. (21. SnT) Eph 6,17
Am 22. 11. vorm. (29. SnT; Totensonntag) 1Petr 1,24–25
Am 29. 11. früh (1. SiA) 1Joh 2,8
Am 06. 12. vorm. (2. SiA) Röm 15,7
Am 25. 12. früh (1. Weihnachtstag) Phil 4,4
Am 26. 12. vorm. (2. Weihnachtstag) Tit 3,4–6
Anhang
Liederblätter aus den Jahren 1816 bis 1828
Verzeichnisse
Editionszeichen und Abkürzungen
Literatur
Namen
Bibelstellen

Citation preview

Friedrich Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe III. Abt. Band 11

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Kritische Gesamtausgabe Im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Günter Meckenstock und Andreas Arndt, Jörg Dierken, Lutz Käppel, Notger Slenczka

Dritte Abteilung Predigten Band 11

De Gruyter

Friedrich Daniel Ernst

Schleiermacher Predigten 1828⫺1829

Herausgegeben von Patrick Weiland

De Gruyter

ISBN 978-3-11-035092-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-035365-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038348-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Umschlaggestaltung: Rudolf Hübler, Berlin Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss GmbH, Mörlenbach 앝 Printed on acid-free paper 앪 Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Einleitung des Bandherausgebers . . . . . . . . . . . . . . .

IX

I. Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre 1828 und 1829 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begräbnisreden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reise nach England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schleiermachers Liederblätter und das Berliner Gesangbuch von 1829 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Literarische Rezeption der gedruckten Predigten . .

X

II. Editorischer Bericht 1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Allgemeine Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Manuskripte Schleiermachers . . . . . . . . . . . . C. Predigtnachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Sachapparat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Editorischer Kopftext . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Liederblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Druckgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Seitenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gestaltungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische editorische Verfahrensweisen . . . . . . . . . . . A. Schleiermacher-Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . B. Crayen-Nachschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . C. Dunckel-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . . . . D. Pommer-Nachschriften. . . . . . . . . . . . . . . . E. Schirmer-Nachschriften. . . . . . . . . . . . . . . . F. Woltersdorff-Nachschriften . . . . . . . . . . . . . G. Nicht identifizierte Nachschriften . . . . . . . . . H. Liederblätter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

X XIV XVII XXI XXIII XXV XXV XXV XXVII XXVII XXIX XXIX XXX XXX XXX XXXI XXXII XXXII XXXIII XXXIV XXXV XXXVI XXXVI XXXIX XL

VI

Inhaltsverzeichnis

Predigten 1828 Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am Am

01. 13. 20. 03. 17. 24. 02. 16. 23. 03. 04. 13. 20. 30. 26. 01. 08. 15. 22. 29. 06. 20. 27. 03. 17. 24. 21. 11. 12. 26. 02. 09. 16. 23. 30. 14. 21. 25. 26.

01. 01. 01. 02. 02. 02. 03. 03. 03. 04. 04. 04. 04. 04. 05. 06. 06. 06. 06. 06. 07. 07. 07. 08. 08. 08. 09. 10. 10. 10. 11. 11. 11. 11. 11. 12. 12. 12. 12.

vorm. (Neujahrstag)* Joh 12,26 . . . . . . . vorm. (1. SnE) Mk 1,15. . . . . . . . . . . . . früh (2. SnE ) 1Thess 5,16–18. . . . . . . . . früh (Septuagesimae) 1Thess 5,19–22 . . . . früh (Estomihi) 1Thess 5,23–28. . . . . . . . vorm. (Invocavit) Mk 14,37–38 . . . . . . . . früh (Reminiscere) Lk 22,52 . . . . . . . . . . früh (Laetare) Lk 22,61–62 . . . . . . . . . . vorm. (Judica) Mt 26,63–64 . . . . . . . . . . mitt. (Palmarum) Lk 22,15. . . . . . . . . . . vorm. (Karfreitag) Hebr 10,19.22 . . . . . . vorm. (Quasimodogeniti) Joh 20,21 . . . . . vorm. (Misericordias Domini)* Joh 10,14 . vorm. (Bußtag) Jak 1,22 . . . . . . . . . . . . vorm. (Pfingstmontag) 1Kor 2,12–13 . . . . früh (Trinitatis) Röm 11,32–36 . . . . . . . . vorm. (1. SnT)* 1Joh 4,17 . . . . . . . . . . . früh (2. SnT) Mt 5,2–10 . . . . . . . . . . . . vorm. (3. SnT)* 1Petr 5,6–7 . . . . . . . . . . früh (4. SnT) Mk 2,5–12 . . . . . . . . . . . . vorm. (5. SnT) 1Petr 3,10–14 . . . . . . . . . vorm. (7. SnT)* Röm 6,16–22. . . . . . . . . früh (8. SnT) Mk 2,17 . . . . . . . . . . . . . . vorm. (9. SnT)* 1Kor 10,12–13. . . . . . . . vorm. (11. SnT) 1Kor 15,9–10 . . . . . . . . früh (12. SnT) Mt 11,28 . . . . . . . . . . . . wohl vorm. (16. SnT) Eph 4,23 . . . . . . . . mitt. (Abendsmahlsvorbereitung) Mt 28,20. vorm. (19. SnT) Eph 4,22–25 . . . . . . . . . vorm. (21. SnT) Eph 6,13–17 . . . . . . . . . früh (22. SnT) Mk 7,14–15. . . . . . . . . . . vorm.(23. SnT)* Phil 3,15–21 . . . . . . . . . früh (24. SnT) Mt 9,15 . . . . . . . . . . . . . vorm. (25. SnT; Totensonntag) Offb 3,11. . früh (1. SiA) Lk 1,78-79 . . . . . . . . . . . . früh (3. SiA) Mk 1,15 . . . . . . . . . . . . . . vorm. (4. SiA) Mt 11,3 . . . . . . . . . . . . . früh (1. Weihnachtstag) Lk 2,10–15 . . . . . vorm. (2. Weihnachtstag) 1Joh 1,2 . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 13 20 26 32 39 46 53 59 67 76 83 90 97 104 111 117 127 134 142 147 154 162 168 176 183 189 201 203 209 217 221 227 232 245 250 255 261 265

Inhaltsverzeichnis

VII

Predigten 1829 Am 01. 01. vorm. (Neujahrstag) Gal 3,25–26. . . . . . . . Am 11. 01. vorm. (1. SnE) Röm 12,1 . . . . . . . . . . . . . Am 08. 02. vorm. (5. SnE) Kol 3,17. . . . . . . . . . . . . . Am 15. 02. früh (Septuagesimae) 2Tim 1,7 . . . . . . . . . Am 01. 03. früh (Estomihi) Eph 2,20–22 . . . . . . . . . . Am 08. 03. vorm. (Invocavit) Joh 1,14 . . . . . . . . . . . . Am 15. 03. früh (Reminiscere) 2Tim 2,12 . . . . . . . . . . Am 22. 03. vorm. (Oculi) Eph 5,2 . . . . . . . . . . . . . . . Am 29. 03. früh (Laetare) Kol 1,24 . . . . . . . . . . . . . . Am 05. 04. vorm. (Judica) Hebr 9,13–14 . . . . . . . . . . Am 12. 04. früh (Palmarum) Phil 2,8 . . . . . . . . . . . . . Am 15. 04. mitt. (Konfirmation) Kol 1,10 . . . . . . . . . . Am 16. 04. mitt. (Gründonnerstag) Hebr 5,9 . . . . . . . . Am 03. 05. vorm. (Misericordias Domini) 1Petr 2,20–22 Am 12. 05. mitt. (Abendmahlsvorbereitung) Eph 2,4–6 Am 17. 05. früh (Cantate) 1Joh 4,7–8 . . . . . . . . . . . . Am 24. 05. vorm. (Rogate) Hebr 13,9 . . . . . . . . . . . . Am 28. 05. früh (Himmelfahrt) Hebr 8,1–2 . . . . . . . . . Am 08. 06. vorm. (Pfingstmontag) Röm 8,13–16 . . . . . Am 14. 06. früh (Trinitatis) 2Kor 13,13 . . . . . . . . . . . Am 21. 06. vorm. (1. SnT) Mt 13,12 . . . . . . . . . . . . . Am 23. 06. abends (Dienstag) Begräbnis Philipp Karl Buttmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am 05. 07. vorm. (3. SnT) Lk 15,1–7. . . . . . . . . . . . . Am 12. 07. früh (4. SnT) Lk 6,41–42 . . . . . . . . . . . . . Am 19. 07. vorm. (5. SnT) Lk 5,4–6 . . . . . . . . . . . . . Am 26. 07. früh (6. SnT) 1Petr 1,22 . . . . . . . . . . . . . Am 02. 08. vorm. (7. SnT) Röm 6,19 . . . . . . . . . . . . . Am 16. 08. vorm. (9. SnT) Lk 16,10–11 . . . . . . . . . . . Am 23. 08. früh (10. SnT) 1Kor 12,3 . . . . . . . . . . . . . Am 30. 08. vorm. (11. SnT) 1Kor 15,9–10 . . . . . . . . . Am 27. 09. vorm. (15. SnT)* Gal 6,1−2 . . . . . . . . . . . Am 04. 10. früh (16. SnT; Erntedank) Ps 4,8 . . . . . . . . Am 11. 10. vorm. (17. SnT) Eph 4,7 . . . . . . . . . . . . . Am 25. 10. vorm. (19. SnT) Mt 9,1–8 . . . . . . . . . . . . Am 01. 11. früh (20. SnT) Gal 4,9. . . . . . . . . . . . . . . Am 01. 11. wohl mitt. (20. SnT) Begräbnis Nathanael Schleiermacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am 08. 11. vorm. (21. SnT) Eph 6,17 . . . . . . . . . . . . Am 22. 11. vorm. (29. SnT; Totensonntag) 1Petr 1,24–25 Am 29. 11. früh (1. SiA) 1Joh 2,8 . . . . . . . . . . . . . . .

275 283 290 297 301 307 315 319 325 331 339 344 347 351 372 375 377 383 390 400 406 410 413 420 429 436 441 450 458 464 471 479 484 492 501 507 513 521 529

VIII

Inhaltsverzeichnis

Am 06. 12. vorm. (2. SiA) Röm 15,7 . . . . . . . . . . . . . Am 25. 12. früh (1. Weihnachtstag) Phil 4,4 . . . . . . . . Am 26. 12. vorm. (2. Weihnachtstag) Tit 3,4–6 . . . . . .

534 540 541

Anhang Liederblätter aus den Jahren 1816 bis 1828 . . . . . . . . .

551

Verzeichnisse Editionszeichen Literatur . . . . Namen . . . . . Bibelstellen . . .

und ... ... ...

Abkürzungen . .......... .......... ..........

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

* Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

629 633 638 640

Einleitung des Bandherausgebers Die Kritische Gesamtausgabe der Schriften, des Nachlasses und des Briefwechsels Friedrich Schleiermachers1, die seit 1980 erscheint, ist gemäß den Allgemeinen Editionsgrundsätzen in die folgenden Abteilungen gegliedert: I. Schriften und Entwürfe, II. Vorlesungen, III. Predigten, IV. Übersetzungen, V. Briefwechsel und biographische Dokumente. Die III. Abteilung dokumentiert Schleiermachers gesamte Predigttätigkeit von seinem Ersten Examen 1790 an bis zu seinem Tod 1834. Die Predigten werden chronologisch nach ihrem Vortragstermin angeordnet. Nur die von Schleiermacher absichtsvoll geordneten sieben „Sammlungen“, alle im Verlag der Berliner Realschulbuchhandlung bzw. im Verlag von G. Reimer erschienen (Berlin 1801– 1833), bleiben in dieser Anordnung erhalten und stehen am Anfang der Abteilung. Demnach ergibt sich für die Abteilung „Predigten“ folgende Gliederung: 1. Predigten. Erste bis vierte Sammlung (1801–1820) 2. Predigten. Fünfte bis siebente Sammlung (1826–1833) 3. Predigten 1790–1808 4. Predigten 1809–1815 5. Predigten 1816–1819 6. Predigten 1820–1821 7. Predigten 1822–1823 8. Predigten 1824 9. Predigten 1825 10. Predigten 1826–1827 11. Predigten 1828–1829 12. Predigten 1830–1831 13. Predigten 1832 14. Predigten 1833–1834 sowie Gesamtregister Der vorliegende Band enthält Predigten zu 81 Terminen der Jahre 1828 und 1829 sowie zu acht Terminen Liederblätter Schleiermachers. Editionsgrundlage sind neben vier Drucktexten Schleiermachers Nachschriften verschiedener identifizierter und auch nicht identifizierter Personen. Autographen Schleiermachers liegen nicht vor. Zu 1

Zitatnachweise und Belegnachweise ohne Angabe des Autors beziehen sich auf Friedrich Schleiermacher.

X

Einleitung des Bandherausgebers

einem von Schleiermacher autorisierten Druck wird eine abweichende Nachschrift ediert, sodass zu 78 Terminen bislang nicht publizierte Textfassungen veröffentlicht werden. Außerdem bietet der Band im Anhang diejenigen Liederblätter aus den Jahren 1816 bis 1828, die zwar datiert, zu denen aber keine Predigten überliefert sind. Mit dem Jahr 1829 stellte Schleiermachers den Druck eigener Liederblätter ein und benutzte seitdem für seine Gottesdienste Lieder aus dem sogenannten Berliner Gesangbuch von 18292.

I. Historische Einführung 1. Schleiermachers Predigttätigkeit der Jahre 1828 und 1829 Schleiermacher war von 1809 bis zu seinem Tod Prediger an der Berliner Dreifaltigkeitskirche, die als Simultankirche von der lutherischen und reformierten Gemeinde genutzt wurde. Bis 1822 war Schleiermacher für die reformierte Gemeinde zuständig. Mit der Union der Gemeinden, die am 31. März 1822 ihren feierlichen Höhepunkt hatte, erweiterte sich sein Zuständigkeitsbereich enorm und bedeutete somit einen Arbeitsmehraufwand.3 Mit seinem lutherischen Kollegen Philipp Konrad Marheineke, der seit 1820 an der Dreifaltigkeitskirche tätig war, teilte sich Schleiermacher die Gottesdienste auf, sodass er abwechselnd den Hauptgottesdienst um 9 Uhr und den Frühgottesdienst um 7 Uhr hielt. Hinzu kamen Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse, die für die Jahre 1828 bis 1829 jedoch zumeist bei den Gemeindegliedern zu Hause bzw. auf dem Friedhof stattfanden. Bis auf wenige Ausnahmen4 predigte Schleiermacher ausschließlich in der Dreifaltigkeitskirche. War es für ihn nicht möglich, den Gottesdienst zu halten, ließ er sich vertreten: Johann Evangelista Goßner übernahm die Hauptgottesdienste am 10. Februar 1828, 31. August 1828 2

3

4

Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin [1829]; das ‚Berliner Gesangbuch‘ wird als Anhang in KGA III/2 veröffentlicht. Vgl. KGA III/7, S. X–XVI; die als Druck herausgegebene „Gottesdienstliche Feier bei der am Palmsonntage, den 31. März, vollzogenen Vereinigung der beiden zur Dreifaltigkeitskirche gehörenden Gemeinden“ ist in KGA III/7, S. 87–104 nachzulesen. Am 13. April 1828 hielt Schleiermacher den Vormittagsgottesdienst in der Neuen Kirche (Deutsche Friedrichstadtkirche) zu Berlin, am 21. September 1828 eine Predigt in London in der Savoy und am 26. April 1829 übernahm er einen Gottesdienst in Putzar. Für den letztgenannten Termin gibt es keine Predigtüberlieferung.

I. Historische Einführung

XI

und am 22. Februar 1829. Die Frühpredigt am 19. April 1829 hielt Karl Friedrich August Schirmer. Julius Schubring vertrat Schleiermacher bei den Frühpredigten am 6. September 1829 und am 13. Dezember 1829 und der neben Schleiermacher und Marheineke seit 1824 an der Dreifaltigkeitskirche als Hilfsprediger angestellte Adolf August Kober übernahm den Hauptgottesdienst am 13. September 1829.5 Die Gründe für die Vertretungen sind meist in Schleiermachers Abwesenheit an jenen Sonntagen zu suchen. Goßners Vertretung am 31. August 1828 fällt mit Schleiermachers Englandreise6 zusammen. Im September reiste Schleiermacher in den Harz und daher predigten in dieser Zeit Schubring und Kober für ihn. Nicht ganz eindeutig ist Schirmers Vertretung am 19. April 1829, einem Ostersonntag; möglicherweise ist es mit einem Wunsch Schleiermachers nach Arbeitserleichterung zu erklären, denn er hielt darauf am Ostermontag den Vormittagsgottesdienst, vollzog fünf Taufen und reiste noch am selben Tag nach Pommern.7 Ähnlich muss man wohl die Vertretung Goßners an den Sonntagen Sexagesimae 1828 und 1829 verstehen, da Schleiermacher an diesen Sonntagen in der Dreifaltigkeitskirche zu taufen hatte und auch jeweils danach zu einer Haustaufe ging.8 Schubrings Vertretung am 13. Dezember 1829 ist wohl mit einem hartnäckigen Husten Schleiermachers zu erklären: Schleiermacher schrieb am Sonntag zuvor in seinen Tageskalender: „mit üblem Husten“.9 Am Mittwoch den 9. Dezember notierte er: „Ausgesezt wegen Husten.“10 Auch am Donnerstag und Freitag finden sich solche Einträge, sodass die Vertretung am Sonntag wegen dieses Hustens, der ihm das Vortragen erschwerte bzw. unmöglich machte, wahrscheinlich ist. Bei etwa einem Drittel der Sonntags- bzw. Festtagspredigten bediente sich Schleiermacher der Perikopenordnung11. Als reformierter Prediger war er ohnehin frei in seiner Predigttextwahl und hatte dies offensichtlich genutzt.12 An 22 Terminen hatte er sich in den Jahren 5 6 7 8 9 10

11

12

Vgl. KGA III/1, Anhang: Günter Meckenstock, Kalendarium der überlieferten Predigttermine Schleiermachers, S. 946–984 Vgl. unten Einleitung, Punkt I.3. Vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang S. 976 Vgl. ebd. S. 964 u. 974 SN 449, Tageskalender 1829, Bl. 79 Ebd.; gemeint ist hier seine Vorlesung „Leben Jesu“, die er in fünf wöchentlichen Stunden hielt. Vgl. Andreas Arndt/Wolfgang Virmond: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, SchlA 11, Berlin/New York, 1992, S. 326 In Berlin galten die sog. Altkirchlichen Perikopen. Eine Übersicht aller in Preußen gebräuchlichen Ordnungen findet sich in: Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, Jg. 39, 1890, S. 576–599 Vgl. Statut für die vereinigte evangelische Gemeine der Dreifaltigkeitskirche [§ 11], GStA PK, HA X, Rep. 40, Nr. 876, Bl. 87r; ein Abdruck findet sich bei Andreas

XII

Einleitung des Bandherausgebers

1828 und 1829 an der Perikopenordnung orientiert, d. h. nur einen Teil der Perikope als Predigttext genutzt. Nur an drei Predigtterminen entspricht Schleiermachers Predigttext ganz der Perikope. Unsicher ist hierbei, ob Schleiermacher sich wirklich immer bewusst an die Perikope hielt bzw. anlehnte oder ob nicht die Auswahl dem kirchenjahreszeitlichen Anlass geschuldet war. Zum Beispiel predigte er am 25. Dezember 1828 früh über Lk 2,10–15. Die Perikopenordnung sah Lk 2,1–14 vor. Schleiermachers Weihnachtspredigen hatten oft die Geburtsgeschichte als Predigttext, aber auch Gal 4,4 nutzte er häufig für die Weihnachtspredigten. Vereinzelt finden sich bspw. ebenfalls Mt 10,34, Apg 17,30–31, Phil 2,5–7 oder Tit 2,11–13 als Predigttexte für Weihnachten.13 Es bleibt also unklar, wie Schleiermacher an bestimmten Terminen mit der Perikopenordnung verfahren ist; eindeutig jedoch bleibt der Befund, dass er insgesamt häufig in Übereinstimmung mit der Perikopenordnung predigte und sich dies auch bewusst vornahm.14 Das ließe sich etwa mit der Union der Gemeinden der Dreifaltigkeitskirche erklären, denn die Anzahl der lutherischen Gemeindemitglieder war wesentlich höher als die der reformierten Mitglieder und dieser Tatsache wollte er möglicherweise gerecht werden. Andererseits begann Schleiermacher seine Neujahrspredigt 1829, nachdem er den Predigttext Gal 3,25–26 vorgelesen hatte, mit folgenden Worten: „Diese Worte sind zwar aus der für den Anfang des neuen Jahres in den meisten evangelischen Kirchen üblichen epistolischen Lexion genommen, aber da wir zum Gebrauch der Einwirkung unsrer Andacht nicht gebunden sind und uns auch nicht wollen binden lassen an diese Abschnitte, so könnte man sich wundern über die Wahl dieser Worte, da sie gar keine unmittelbare Beziehung haben auf diesen Tag, zum Grunde unsrer heutigen Betrachtung: [...].“15 Schleiermachers Verhältnis zu der Perikopenordnung ist ambivalent, denn zum einen betont er eine Unabhängigkeit von der Perikopenordnung, zum anderen orientiert er sich aber trotzdem an ihr. Auffällig hinsichtlich des Gebrauchs der Perikopen ist Schleiermachers Gewohnheit, Themen- oder Homilienreihen zu predigen.16 Die Zeiten zwischen Weihnachten und Passionszeit, im Kern also die Epiphaniaszeit und die Trinitatiszeit, waren typische Zeiten im Kir-

13 14 15 16

Reich: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche 1809–1834, SchlA 12, Berlin/New York 1992, S. 484 und auch in KGA III/1, S. XLV Vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang S. 787–1033 Am 20. Juli 1828 notierte Schleiermacher in seinen Tageskalender: „über die Epistel.“ Unten S. 275 Vgl. KGA III/1, S. L–LII

I. Historische Einführung

XIII

chenjahr für diese Predigtreihen. In der Trinitatiszeit 1828 predigte Schleiermacher an den Frühgottesdiensten stets nach Perikopenordnung und daher nicht nach einer Homilie oder über ein Thema. Anders in der Epiphaniaszeit 1828, denn da predigte er eine schon 1827 begonnene Homilienreihe zum 1. Brief des Paulus an die Thessalonicher. Er begann diese Reihe am 17. Juni 1827 (1. Sonntag nach Trinitatis) und beendete sie am 17. Februar 1828 (Estomihi) immer im Frühgottesdienst. Bis auf den 15. Juli 1827, den 16. Dezember 1827 und den 6. Januar 1828 sind zu allen 16 Terminen Predigten überliefert.17 Somit fallen vier Predigttermine dieser Reihe in das Jahr 1828, zu drei Terminen sind Predigten überliefert und in diesem Band ediert. Es handelt sich um die Predigten vom 20. Januar 1828 früh, 3. Februar 1828 früh und als Abschluss der Reihe die Predigt vom 17. Februar 1828 früh. Schleiermacher predigte also etwas über die Epiphaniaszeit hinaus, indem er noch die Sonntage Septuagesimae und Estomihi für die Homilienreihe hinzunahm. Für den entsprechenden Zeitraum im Jahr 1829 ist die Überlieferungslage von Predigten, aber auch von Bibelstellen, über die Schleiermacher predigte, sehr lückenhaft, sodass keine Aussage über eine mögliche Predigtreihe getroffen werden kann. Der letzte in Frage kommende Zeitraum für eine gehaltene Predigtreihe ist die Trinitatiszeit in 1829. In dieser Zeit ist weder bei den Hauptgottesdiensten am Vormittag noch bei den Frühgottesdiensten eine Themenreihe oder Homilienreihe ersichtlich. Schleiermacher predigte recht ausgewogen nach Perikope oder frei gewähltem Bibeltext. Es gibt in dieser Zeit auch keine Rückbezüge oder Anspielungen innerhalb einer Predigt zu einer vorherigen, was Schleiermacher typischerweise hin und wieder gemacht hat: Beispielsweise bezog er sich 1828 bei der Frühpredigt vom 17. Februar auf die Frühpredigt vom 3. Februar oder auch am 24. August früh findet sich ein Bezug auf die Frühpredigt vom 10. August. Schleiermachers Tätigkeit war nicht nur auf das Predigen in diesen Jahren beschränkt, sondern umfasste auch weitere pfarramtliche Verpflichtungen.18 Hinzu kam seine Tätigkeit an der Berliner Universität, die durch die Struktur von Vorlesungszeiten und vorlesungsfreien Zeiten Auswirkungen auf seine Reisen hatte: Im Sommersemester 1828 las er über das Evangelium des Matthäus, die Praktische Theologie und die Grundsätze der Didaktik.19 Darauf nutzte er die 17 18 19

Vgl. KGA III/10; vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang S. 958 u. 965 Vgl. Reich: Pfarrer; Kurt Nowak: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2002, S. 209–215 Vgl. Arndt/Virmond: Briefwechsel, S. 324–325

XIV

Einleitung des Bandherausgebers

vorlesungsfreie Zeit für seine Englandreise.20 Das Verreisen nach Beendigung der Vorlesungen im Sommersemester war typisch für Schleiermacher. So auch im Jahr darauf, nachdem er die theologische Encyklopädie, die Einleitung ins NT und die Lehre vom Staat las.21 Die letzte Vorlesungsstunde war am 29. August 1829 und am 5. September begann er eine Reise in den Harz, die bis zum 16. September andauerte.22 Eigentlich wäre Schleiermacher gern für länger zum Grafen Alexander zu Dohna, von dem er eine Einladung erhalten hatte, gereist, hatte jedoch nicht genügend Zeit, sodass er die kürzere Reise in den Harz unternahm. Daher schrieb er an Graf Alexander: „Ich begnüge mich also für diesmal mit einer kleinen Wanderung in den Harz, die ich mit einigen Freunden heute noch antreten werde, die aber nur eilf Tage dauern soll. Mehr habe ich dies Jahr nicht und das wäre mir für Preußen viel zu wenig.“23 Im November 1829 endete eine von Schleiermachers Tätigkeiten, denn die Arbeiten am Berliner Gesangbuch waren abgeschlossen und es konnte noch im selben Jahr in den Druck gehen.24

2. Begräbnisreden Obwohl Schleiermacher in den Jahren 1828 und 1829 einige Kasualien wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen zu vollziehen hatte, sind davon lediglich zwei Beerdigungsreden mitgeschrieben bzw. überliefert worden. Das sagt jedoch in Hinblick auf die anderen Kasualien nicht unbedingt etwas über die Überlieferungslage aus, sondern bestätigt die Tatsache, dass Kasualien generell nicht mit einer Rede verbunden gewesen sein müssen.25 Dies könnte einer der Gründe sein, dass aus dem erwähnten Zeitraum nur die zwei Begräbnisreden über Philipp Karl Buttmann, gehalten am 23. Juni 1829, und über Schleiermachers Sohn Nathanael, gehalten am 1. November 1829, überliefert sind.26 20 21

22 23 24 25 26

Vgl. Einleitung, Punkt I.3. Vgl. Arndt/Virmond; Briefwechsel, S. 325–326; im Wintersemester 1828/29 hielt Schleiermacher Vorlesungen über die Grundsätze der Auslegungskunst und der Kritik sowie über die christliche Sittenlehre, vgl. ebd. Vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang S. 981 Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, ed. J. L. Jacobi, Halle 1887, S. 87 Vgl. Einleitung, I.4. Vgl. KGA III/13, S. XXVII–XXVIII Neben den im Band edierten Begräbnisreden über Philipp Karl Buttmann und Nathanael Schleiermacher hatte Schleiermacher auch die Bestattungen von Johann Carl Heinrich Meyer, am 7. August 1828, und von Caroline von Humboldt, am 30. März 1892, vollzogen. Vgl. das Kalendarium der überlieferten Predigten Schleiermachers in KGA III/1, S. 969 u. 975

I. Historische Einführung

XV

Die „Rede an Buttmann’s Grabe“27 wird hier erstmals veröffentlicht. Philipp Karl Buttmann wurde am 5. Dezember 1764 in Frankfurt a. M. als Sohn eines Kaufmanns geboren. Dort besuchte er auch das Gymnasium, bis er sich 1782 in der theologischen Fakultät an der Universität Göttingen einschrieb. Es war nie die Theologie selbst, die ihn interessierte, sondern wohl eher die Liebe zur hebräischen Sprache. Daher kam es auch zu seinem Entschluss die Fachrichtung zu wechseln und sich der Philologie zu widmen. Buttmann beschäftigte sich immer mehr mit der griechischen Sprache. Nach dem Studium verbrachte er einige Zeit bei seiner Familie und bei Verwandten in Straßburg. Darauf erhielt er zusammen mit seinem Universitätsfreund Gustav Hugo einen Erziehungsauftrag für den Erbprinzen Leopold I. in Dessau. Es war auch Hugo, der ihm 1796 eine Einstellung als Hilfsbibliothekar an der königlichen Bibliothek in Berlin vermittelte; ab 1796 bekam Buttmann dort eine feste Anstellung als Bibliothekssekretär. Bereits 1792 veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit der Mylius’schen Buchhandlung eine kleine griechische Grammatik. Dies war der Startschuss für Buttmanns erfolgreiche Schulgrammatik, die bis 1875 17 Auflagen erreichte. Buttmann war nie ordentliches Mitglied der Universität zu Berlin, jedoch wurde er 1806 außerordentliches und 1808 ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften; so hatte er neben der Freundschaft zu Schleiermacher stets enge Verbindungen zu den an der Hochschule tätigen Personen und den Gelehrtenkreisen in Berlin. Schleiermacher und Buttmann verband eine freundschaftliche Bekanntschaft. Die frühesten Belege für die Freundschaft zwischen Buttmann und Schleiermacher finden sich im Jahr 1799 als Erwähnungen in Briefen Schleiermachers. So schreibt Schleiermacher im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der „Reden über die Religion“28 am 16. April 1799 an Henriette Herz: „Daß zugleich mit der Religion eine Predigt von mir erscheint ist wunderlich genug; mein Name steht da zwischen lauter großen Theologen und Kanzelrednern, und der Buttmann hat sich, um das zu entschuldigen erdreistet in der Vorrede zu sagen: ‚ich sei in Berlin meiner Talente und Kenntnisse wegen allgemein geschätzt.“29 Schleiermacher bezieht sich hier auf seine erste gedruckte Predigt in dem Sammelband „Auswahl noch ungedruckter Predigten von Ammon, Bartels, Diterich, Löffler, Marezoll, Sack, Schleiermacher, Spalding, Teller, Zöllner, Zollikofer“, den Buttmann 27 28 29

Vgl. unten S. 410–412 Vgl. KGA I/2, S. 185–326 und KGA I/12, S. 1–321 KGA V/3, S. 95; hinsichtlich weiterer früherer Erwähnungen Buttmanns in Schleiermachers Briefwechsel vgl. das Register in KGA V/3

XVI

Einleitung des Bandherausgebers

Ostern 1799 anonym herausgab. Ein engeres Verhältnis entstand wohl erst nach 1808 mit Schleiermachers Übersiedelung nach Berlin. Beiden gemeinsam war die Liebe zur Geselligkeit. Buttmann war Gründer der „Griechischen Gesellschaft“ und der „Gesetzlosen Gesellschaft“ und war der letzteren „Zwingherr“ bis zu seinem Tod; Schleiermacher übernahm darauf dieses Amt und war ebenfalls Mitglied in der „Griechischen Gesellschaft“. Auch verband die beiden Männer die Freundschaft zu Ludwig Heindorf, der von Friedrich August Wolf geringschätzig behandelt wurde, sodass sie in einer gemeinsamen Schrift Heindorf verteidigten.30 Buttmann starb am 21. Juni 1829 an den Auswirkungen einer Lähmungserkrankung.31 In seiner Rede brachte Schleiermacher seine besondere Beziehung zu dem Verstorbenen zum Ausdruck: „Ich bin zu nahe betheiligt bei dem Verluste des theuren Freundes, [...] als daß ich aufgelegt sein könnte, oder geschickt, zu reden.“32 Die zweite Beerdigungsrede ist die wohl persönlichste und ergreifendste Rede Schleiermachers: die Rede an Nathanaels Grabe, gehalten am 1. November 1829. Am 29. Oktober 1829 starb der neunjährige Nathanael, das jüngste Kind von Henriette und Friedrich Schleiermacher, an Scharlach.33 Schleiermacher notiert zu diesem Tag: „Das liebe Kind stirbt Morgens auf 7 Uhr.“34 Drei Tage darauf fand das Begräbnis statt, zu dem Schleiermacher die Grabrede hielt. Ehrenfried v. Willich, Stiefsohn Schleiermachers, berichtet darüber: „Bei seiner Rede an Nathanaels Grabe, wo ich neben ihm stand, kostete es ihm eine fast übermenschliche Anstrengung, die von Tränen und vom tieffsten Herzensweh erstickte Stimme zum Sprechen zu bringen und sich selbst den Trost auszusprechen, an dem es ihm sein Gott nicht fehlen ließ. Es war einer der erschütterndsten und großartigsten Momente in meines Vaters Leben und ist wohl auch anderen, die ihn mit uns erlebt haben 30 31

32 33

34

Vgl. Buttmann und Schleiermacher über Heindorf und Wolf, Berlin 1816 (KGA I/14, S. 213–221) Vgl. ADB 3, S. 656–659; „Philipp Carl Buttmann, Profeßor und Bibliothekar, 64 Jahre, Behrenstr. 71, gestorben am 21. Juni Nachmitags 6 Uhr, Kirchhof Oranienburger Thor am Gitter“ (Dortheenstadtgemeinde, Totenbuch 1826–1830, ELAB 10/87) Unten S. 410 Der Krankheitsverlauf von Schleiermachers Sohn war sehr schnell. Gerade mal drei Tage vergingen von den ersten Krankheitssymptomen bis zum Eintreten des Todes; am 26. Oktober 1829 schreibt Schleiermacher in seinen Tageskalender: „Nathanael wird krank“ und bereits einen Tag darauf notiert er auch schon die Diagnose: „Nathanael hat Scharlach.“ (SN 449, Tageskalender 1829, Bl. 67) Ebd.

I. Historische Einführung

XVII

und ihm nicht so nahe standen, unvergeßlich geblieben.“35 Schleiermacher hatte sich in besonderer Weise seinem einzigen leiblichen Sohn gewidmet und entsprechend hart traf ihn dieser Schicksalsschlag; in einem Brief vom 12. November an Joachim Christian Gaß schrieb er: „Mir war es nun besonders, seit der Knabe angefangen das Gymnasium zu besuchen, ein eigener Beruf, ihn unter meine nähere Leitung zu nehmen. Zuletzt hatte ich es mir eingerichtet, daß er in meiner Stube arbeitete, und so kann ich sagen, es war keine Stunde, wo ich nicht des Knaben gedacht und ihm Sorge getragen hätte, so daß ich ihn nun auch in jeder Stunde vermisse. Da ist nun nichts zu thun als sich zu fügen und seinen Schmerz zu verarbeiten. Denn kämpfen kann und will ich nicht dagegen, und hingeben darf ich mich ihm nicht. Gleich an seinem Begräbnistage habe ich angefangen alles zu verrichten, und das Leben geht seinen alten Zug fort, nur freilich geht alles langsamer und schwerer.“36 Der Verlust trübte Schleiermachers Befindlichkeit bis zu seinem eigenen Tode. So erinnert sich Ehrenfried: „Es ist wahr, was man häufig bemerkt haben will, daß dieser schwere Schlag einen Wendepunkt in seiner Stimmung bezeichnet. Noch immer konnte er die alte Heiterkeit, sogar in Scherz und Mutwillen, momentan wiederfinden, aber man fühlte doch in seiner Seele einen nie ganz verschwindenden Hintergrund von Wehmut und wohl von Heimweh nach dem Jenseits.“37 Auch Schleiermacher selbst erkannte das Ausmaß jenes Schicksalsschlages: „Das fühl ich wohl in meinem Alter heilt eine solche Wunde nicht mehr.“38 Das spiegelt sich auch in seinem Briefwechsel wieder, da er ein fast unüberwindliches Widerstreben gegen das Briefeschreiben verspürte.39

3. Reise nach England Schleiermacher reiste nach Beendigung seiner Vorlesungen im Sommersemester 1828 vom 24. August bis zum 9. Oktober 1828 nach England.40 Der eigentliche Aufenthalt in England umfasste den Zeitraum vom 4. bis zum 23. September. Die Beweggründe Schleierma35 36 37 38 39 40

Ehrenfried v. Willich: Aus Schleiermachers Hause. Jugenderinnerungen seines Stiefsohnes, Berlin 1909, S. 106 Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852, S. 219 Willich: Schleiermachers Hause, S. 106 Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen, Bd. 4, edd. L. Jonas/W. Dilthey, Berlin 1863, S. 394 Vgl. ebd. Vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang S. 970

XVIII

Einleitung des Bandherausgebers

chers, nach England zu reisen, sind nicht eindeutig zu identifizieren. Schleiermacher selbst schrieb dazu am 16. Juli 1828 in einem Brief an Ludwig Gottfried Blanc: „Von Caroline werden Sie hören, daß ich Lust habe gegen Ende künftigen Monats auf ein Paar Wochen nach London zu gehen. Es liegt dabei gar keine besondere literarische oder kirchliche Absicht zum Grunde; ich will mir nur Land und Leute ansehen. Ich habe mich einmal darauf gesetzt so daß es mir nun lieb wäre wenn nichts dazwischen käme; doch bin ich noch gar nicht sicher.“41 In London angekommen traf er sich mit Ludwig von Mühlenfels, einem Vetter seiner Frau Henriette. Dessen bewegtes Leben überschnitt sich hier und da mit jenem der Familie Schleiermacher. Im Zuge der Demagogenverfolgungen wurde Mühlenfels, als er als Staatsanwaltsgehilfe in Köln lebte, verhaftet und 1819 nach Berlin gebracht; er verweigerte die Aussage und bestritt die Zuständigkeit der Kommission. Kurz bevor er vor Gericht gestellt wurde, konnte er Anfang Mai fliehen. Über Stralsund gelangte er nach Schweden und als er 1828 in Begriff war nach Nordamerika zu emigrieren, erhielt er einen Ruf an die University of London als Professor für deutsche und nordische Sprache und Literatur. Von London aus versuchte er sich an seiner Repatriierung. Möglicherweise hatte Schleiermachers Besuch mit diesen Bestrebungen von Mühlenfels zu tun. Jedoch beschrieb Schleiermacher in seinen Briefen an seine Frau ausschließlich freizeitliche Aktivitäten mit ihrem Vetter: „ [...] und [ich] sage Dir noch, ehe ich mich zu Bette lege, kürzlich, daß wir zum Ueberfluß des Glücks unsern Mühlenfels schon in einem Boot am Customhouse fanden, daß er schon eine sehr angenehme Wohnung verhältnißmäßig wohlfeil für uns besorgt hatte, in die wir nach einigem sehr mäßigen Aufenthalt sogleich einziehen konnten, daß wir dann mit ihm in einem eatinghouse gegessen haben, darauf noch einen Theil von London bei Licht sahn, einen comfortablen Thee mit ihm bei uns tranken und er nun erst gegen zehn Uhr seinen Weg nach Hamstead, sechs englische Meilen weit, angetreten hat.“42 Bereits ein Jahr später konnte Mühlenfels in die Heimat zurückkehren: 1829 reiste er zu einer Gerichtsverhandlung nach Deutschland. Er wurde freigesprochen und wieder in den preußischen Staatsdienst aufgenommen. Für den Fall einer erneuten Verfolgung hielt er sich London als möglichen Rückzugsort offen. Der Orientalist Friedrich August Rosen übernahm 41 42

Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 4, edd. L. Jonas/W. Dilthey, Berlin 1863, S. 391 Heinrich Meisner: Schleiermacher als Mensch. Sein Werden und Wirken. Familienund Freundesbriefe 1804–1834, Gotha 1923, S. 352

I. Historische Einführung

XIX

seine Seminare und den Verkauf seiner Vorlesungsmanuskripte. Offiziell kündigte Mühlenfels erst im August 1831 in London. Zuerst lebte er in Berlin, bis er als Richter über einige Stationen innerhalb Preußens nach Greifswald versetzt wurde. Ob Schleiermacher Mühlenfels bei dessen Repatriierung unterstütze oder irgendeinen Einfluss hatte, ist ungewiss. Jedoch gab es noch eine weitere Verbindung Schleiermachers nach England, die seine Reise nachvollziehbar macht. Connop Thirlwall, Gelehrter und Geistlicher sowie ab 1840 Bischof von St. David’s (Wales), fertigte 1825 eine Übersetzung von Schleiermachers Buch „Ueber die Schriften des Lukas“43 unter dem Titel „A Critical Essay on the Gospel of St. Luke“ an.44 Außerdem fügte er der Übersetzung eine 154 Seiten starke Einleitung hinzu. Schleiermacher wartete vergebens auf eine Zusendung des Buches und entsprechend freudig war dann ein Treffen mit Thirlwall in London. Zusammen machten sie einen Ausflug nach Cambrigde und Thirlwall kam am 21. September ein weiteres Mal nach London, um sich Schleiermachers „Predigt, gehalten bey der Wiedereröffnung der deutsch-evangelisch-lutherischen Kirche, in der Savoy, zu London“ anzuhören.45 Dass Schleiermacher nicht nach England bzw. London gereist war, um zu predigen, wird in einem Brief aus London an seine Frau deutlich: „Was sagst Du aber, wenn ich Dir erzähle, daß ich meinem Vorsatz untreu geworden bin und morgen über acht Tage hier predigen werde? Dem ersten Zureden des Pastor Schwabe habe ich glücklich Widerstand geleistet, aber Steinkopf gestern, von dem es mich überraschte, daß er mich so herzlich fromm unter vier Augen darum bat, hat mich bezwungen.“46 Schleiermacher hielt zusammen mit Dr. Karl Friedrich Adolf Stein43 44

45 46

Ueber die Schriften des Lukas, ein kritischer Versuch, Erster Theil, Berlin 1817 (KGA I/8, S. 1–180) Connop Thirlwall, geboren am 11. Februar 1797 in Stepney, Middlesex und verstorben am 27. Juli 1875 in Bath, war Historiker und Theologe. Als dessen Hauptwerk gilt die zwischen 1835 und 1844 erschienene „History of Greece“. Lord Melbourne sah in Thirlwalls Übersetzung „A Critical Essay on the Gospel of St. Luke“ samt seiner „Introduction“ die Arbeit eines Mannes, der für das Bischofsamt geeignet erschien und sorgte dafür, dass dieser 1840 zum Bischof von St. Davids (Wales) ernannt wurde; bis 1874 hatte Thirlwall das Amt inne: „Lord Melbourne was the Premier who discerned in Thirlwall’s translation of ‚Schleiermacher’s Essay on St. Luke‘ and the accompanying introduction the stuff of which Bishops are made, and when Archbishop Howley had assured him that the work was substantially orthodox, Thirlwall was the canditate in waiting in Lord Melbourne’s mind, and when the see of St. David’s fell vacant in 1840 was the first and only choice for the Welch episcopate.“ (New York Times vom 17. April 1882, S. 2) Vgl. Nowak: Schleiermacher, S. 441 Meisner: Schleiermacher, S. 353–354

XX

Einleitung des Bandherausgebers

kopf 47 den Gottesdienst am 21. September in der deutsch-evangelisch-lutherischen Kirche. Steinkopf hielt ein Gebet und die Bibellesung sowie eine Ansprache nach der Predigt Schleiermachers.48 Weiter beschreibt Schleiermacher seinen Englandaufenthalt als durchgehend positiv. Besuche und Besichtigungen standen auf dem Tagesplan, die auch mal kritische Kommentare zuließen. So schätzte er St. Paul als Gebäude, für die Begräbnisliturgie, der er beiwohnte, hatte er jedoch keine positiven Worte: „Keineswegs, als ob nicht St. Paul sehr schön wäre; die Begräbnisliturgie zwar nicht, die wir da hörten; die war etwas sehr Trockenes; die trauernden Frauen standen am Grabe in ungeheure schwarze Gewänder eingehüllt, die wahrscheinlich in den Kirchen hierzu gehalten werden, denn hernach in der Kirche hatten sie nichts dergleichen mehr; der Geistliche las sehr gleichgültig, das Ganze machte gar keinen Eindruck. Aber die Kirche ist ein sehr imposantes Gebäude, und nichts ist doch herrlicher und erhebender als Monumente der Dankbarkeit eines ganzen Volks gegen einzelne.“49 Schleiermachers Englandaufenthalt hatte wirkungsgeschichtlich keinen bedeutsamen Einfluss. In dieser Hinsicht war seine Predigt am 21. September zwar der Höhepunkt seiner Reise, jedoch ohne größere Spuren in England zu hinterlassen. Trotzdem sollte hervorgehoben werden, dass das Nachschreiben, also das Mitschreiben der Predigt während des Gottesdienstes, auch in London verwirklicht wurde: „Da die Predigt des Herrn Dr. Schleiermacher nicht von ihm selbst auf- sondern nur von einigen Freunden nach-geschrieben wurde, auch wegen seiner schnellen Abreise von London, nur einen kleinem Theile nach von Ihm durchgesehen werden konnte, so ist jede etwaige Un47

48 49

Karl Friedrich Adolf Steinkopf wurde am 7. September 1773 in Ludwigsburg geboren und verstarb am 29. Mai 1859 in London. Er studierte von 1790 bis 1795 in Tübingen evangelische Theologie und war darauf fünf Jahre lang als Sekretär der Christentumsgesellschaft in Basel tätig. Durch diese Tätigkeit konnte er Beziehungen ins Ausland knüpfen, besonders nach England. 1801 wurde er von der deutschen lutherischen Kirche in der Savoy in London zum Prediger berufen. Dort vertiefte er die schon von Basel begonnenen Beziehungen zur Religious Tract Society und zur Londoner Missionsgesellschaft. 1804 wurde er zusätzlich Sekretär für das Ausland der gerade gegründeten British and Foreign Bible Society. Darüber hinaus war er noch von 1808 bis 1819 Ehrensekretär der Religious Tract Society. Diese Ämter machten viele Reisen in Europa möglich, bei denen er zum einen von ihm gestiftete Bibelgesellschaften besuchte und zum anderen auch neue Gesellschaften gründete. Sein Amt als Prediger nahm er im Gegensatz zu den Sekretärsdiensten bis zu seinem durch Krankheit erfolgten Tod wahr. Vgl. ADB 35, S. 739–741. Vgl. die Sachanmerkungen zur Predigt vom 21. September 1828, S. 189 und 199– 200 Meisner: Schleiermacher, S. 353

I. Historische Einführung

XXI

richtigkeit, die sich bey aller Sorgfalt eingeschlichen haben möchte, nicht dem verehrten Herrn Verfasser zuzuschreiben.“50

4. Schleiermachers Liederblätter und das Berliner Gesangbuch von 1829 Für Schleiermacher waren neben der Predigt auch die gesungenen Lieder wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes. Ende 1829 konnte nach langer Vorbereitungs- und Arbeitszeit das Berliner Gesangbuch veröffentlicht werden. Es wurde offiziell am Neujahrstag 1830 zum Gebrauch eingeführt.51 Zuvor wählte Schleiermacher für seinen Gottesdienst Lieder zum einen aus dem von Johann Porst 1713 herausgegebenen Gesangbuch „Geistliche und liebliche Lieder“ und zum anderen aus dem von Johann Samuel Diterich, Johann Joachim Spalding und Wilhelm Abraham Teller 1780 im Verlag von August Mylius herausgegebenen „Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch in den königlich-preußischen Landen“. Ab 1812 stellte er eigene Liederblätter zusammen, da er Kirchengesang und Kirchenlieder verbessern wollte.52 Das bedeutete für Schleiermacher auch eine Änderung der verfügbaren Lieder. Beispielhaft ist dies bei der Nachschrift von Crayen zur Predigt am 15. Februar 1829 früh53 zu erkennen, da Crayen zur Predigt eine Liednummer und den Text des Liedes niedergeschrieben hatte. Das Lied mit der Nummer 786 ist im Gesangbuch „Geistliche und liebliche Lieder“ von Porst zu finden, aber nicht in der Form, wie Crayen es aufgeschrieben hat und somit nicht, wie es in dem Gottesdienst gesungen wurde. Schleiermacher hatte das Lied stark in der Abfolge der Verse verändert. So hatte er jeweils mit zwei Versen einer Strophe und zwei weiteren Versen einer anderen Strophe eine neue Strophe gebildet.54 Dass Crayen Liednummer samt von Schleiermacher verändertem Lied handschriftlich notiert hat, ließe sich damit erklären, dass ihr womöglich ein Liederblatt vorlag, von dem sie abschrieb. Nun war es aber nicht gebräuchlich, dass auf den Liederblättern auch eine Liednummer vermerkt wurde; möglicherweise hatte Crayen diese selbst dem Porst’schen Gesangbuch entnommen. 50 51 52 53 54

Aus der Vorrede zum nicht autorisierten Druck der Predigt am 16. Sonntage nach Trinitatis, dem 21. September 1828, Camberwell 1828, S. 3 Vgl. KGA III/12, S. XVII Vgl. Zwei unvorgreifliche Gutachten, KGA I/4, S. 418–423 Vgl. unten S. 297–300 Vgl. unten die Sachanmerkung, S. 300

XXII

Einleitung des Bandherausgebers

Das Berliner Gesangbuch resultiert neben der Arbeit der Gesangbuchkommission, in der Schleiermacher Mitglied war, besonders aus Schleiermachers Eigeninitiative entstandener jahrelanger Beschäftigung mit den Liedern und deren Aufbau selbst und mit der bewussten Veröffentlichung in Form von Liederblättern seit dem Jahr 1812. Ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Liederblättern und dem Berliner Gesangbuch ist spätestens ab dem Jahr 1824 zu konstatieren, denn von den Liedern der Liederblätter, die bis etwa 1823 gesungen wurden, lassen sich nur vereinzelt Lieder im Berliner Gesangbuch wiederfinden. Die meisten Liederblätter aus diesen Jahrgängen enthalten daher Lieder, die nicht im Gesangbuch stehen. Mit dem Jahr 1824 jedoch ändert sich dieser Befund: Die Anzahl der verwendeten Lieder der Liederblätter für das Gesangbuch steigt bis 1828 an, was den Schluss zulässt, dass Schleiermacher bewusst Lieder zu Erprobung in der Gemeinde ausgewählt bzw. bearbeitet hat.55 Auch Schleiermachers redaktionelle Arbeit bei der Gesangbuchkommission, bei der er seit der Gründung durch die Kreissynode 1817 Mitglied war, ist durch eine intensive Auseinandersetzung mit den Liedern gekennzeichnet. Von allen Mitgliedern der Kommission hat er die meisten anonymen Lieder und ca. 144 Lieder von etwa 70 bekannten Autoren redigiert. Bei 55 dieser Lieder hatte Schleiermacher zum Beispiel die Anfänge verändert und doch war er auch stets bemüht alte Lesarten beizubehalten, wenn es theologisch oder sprachlich zu begründen war. Für das Jahr 1829 finden sich in den Protokollen der Gesangbuchkommission immer wieder Belege für Schleiermachers Redaktion. Im Protokoll vom 22. Januar ist zu lesen: „Hr. D. Schleiermacher brachte einige Veränderungen der Lesarten in mehreren der zuerst bearbeiteten Lieder in Vorschlag, u sie wurden gern angenommen.“56 Auch eine Woche darauf findet sich eine solche Bemerkung: „Hr. D. Schleiermacher hatte mehrere Lieder aus der frühesten Bearbeitung noch einmal revidirt, u schlug Verbesserungen vor, welche ihm nothwendig schienen, u auch als solche anerkannt u angenommen wurden.“57 Und selbst zur letzten Sitzung am 27. August sprach Schleiermacher noch den Wunsch aus Lieder über den Hausstand hinzuzufügen, was positiven Anklang fand und somit ergab sich noch eine Hinzunahme von sieben weiteren Liedern.58 Diese Beispiele zeigen Schleiermachers 55 56

57 58

Vgl. Ilsabe Seibt: Friedrich Schleiermacher und das Berliner Gesangbuch von 1829, Göttingen 1998, S. 47 Die Protokolle wurden ediert und veröffentlich in Bernhard Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Zur Rekonstruktion seiner liturgischen Praxis, SchlA 20, Berlin 2000, S. 522–721, hier 714. Ebd., S. 715 Vgl. ebd., S. 721

I. Historische Einführung

XXIII

intensive und unermüdliche Beschäftigung mit den Liedern für das Gesangbuch bis zum letztmöglichen Zeitpunkt. Mit dem Jahr 1829 endet daher nicht nur diese Arbeit, sondern auch die schon 1812 begonnene Beschäftigung mit Liedern für den Gottesdienst in Form von den Liederblättern.59

5. Literarische Rezeption der gedruckten Predigten Die in diesem Band enthaltenen gedruckten Predigten Schleiermachers wurden kurz oder gar nicht rezensiert. Für die Rede an Nathanaels Grabe, die erst nach Schleiermachers Tod veröffentlicht wurde,60 konnte keine Rezension ausfindig gemacht werden. Die übrigen Drucke wurden jeweils nur in einer Zeitschrift und auch nicht besonders ausführlich besprochen. Das ‚Journal für Prediger‘ verhandelt zusammen in einem Artikel die Predigten Schleiermachers Predigt, gehalten bei der WiederEröffnung der Deutsch-Evangelisch-Lutherischen Kirche, in der SAVOY, zu London, am 16ten Sonntage nach Trinitatis, d. 21. Sept. 1828, von Dr. Fr. Schleiermacher 6 1 und die Predigt am 25sten Sonntage nach Trinitatis 1828, als am Todtenfeste in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen von Dr. Fr. Schleiermacher 62. Die erstgenannte wird kurz, nachdem Schleiermachers Aufenthalt in London Erwähnung findet, in ihrem Inhalt und Aufbau aufgerissen: „Sie hat den Text und das Thema: Epheser 4,23. ‚Erneuet euch aber im Geiste unseres Gemüthes.‘ Nachdem der Sinn dieser apostolischen Ermahnung erklärt, sagt der Verf., daß er besonders in Beziehung auf unsere christlichen Zusammenkünfte die Ermahnung des Apostels seinen Zuhörern ans Herz legen wolle, und I. zeigen, auf welche Weise besonders diese unsere christli59

60 61 62

Die offizielle Einführung des Gesangbuches war am 1. Januar 1830. Die Entstehungsgeschichte und weiterführende Details zum Berliner Gesangbuch von 1829 wurden an anderen Stellen schon beschrieben: Christoph Albrecht: Schleiermachers Liturgik. Theorie und Praxis des Gottesdienstes bei Schleiermacher und ihre geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, Berlin 1962; Johann Friedrich Bachmann: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher. Ein hymnologischer Beitrag, Berlin 1856; Bernhard Schmidt: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Zur Rekonstruktion seiner liturgischen Praxis, SchlA 20, Berlin 2000; Ilsabe Seibt: Friedrich Schleiermacher und das Berliner Gesangbuch von 1829, Göttingen 1998; vgl. dazu auch das Berliner Gesangbuch von 1829 im Anhang von KGA III/2 Vgl. unten Einleitung, Punkt II.3.A. Vgl. unten S. 189–200 Vgl. unten S. 232–244

XXIV

Einleitung des Bandherausgebers

chen Zusammenkünfte die Erneuerung im Geiste des Gemüths fördern und unterstützen; dann aber II. wie dieser erfreuliche Tag mit seiner eigenthümlichen Veranlassung ihnen eine besondere Aufforderung sehn solle, sich dieser Unterstützung theilhaftig zu machen und durch solche Erneuerung im geistigen Leben zu machen und zuzunehmen.“63 Der Rezensent schließt dann mit der Bemerkung: „Das Ganze hat uns in hohem Grade angesprochen, wiewohl es uns bedünken will, als habe sich der Verf. hin und wieder etwas nach der religiösen Redeweise bequemt, welche von den bekannten Mitgliedern jener Gemeinde jeder andern so einseitig vorgezogen wird.“64 Der Inhalt der Predigt am Totensonntag über Offb 3,11 wird noch kürzer beschrieben: „Es sind besonders die letzten Worte: Halte etc., über welche der Verf. sich in der Art verbreitet, daß er sie 1) mit andern Aussprüchen der Schrift vergleicht, um ihren wahren Sinn zu ermitteln, und dann 2) mit Bezug auf die Feier des Tages, zeigt, welche Anwendung von ihnen zu machen sei.“65 Der Rezensent schließt mit den Worten: „Die einzelnen Gedanken hängen aber, ohne besonders hervorgehoben zu seyn, so genau zusammen, daß wir zu weitläufig werden müßten, wollten wir sie näher angehen; daher wir auf die Predigt selbst verweisen müssen, welche Keiner, der mit des Verfs. Diction vertraut ist, und sich an die Eigehthümlichkeiten derselben gewöhnt hat, unbefriedigt aus der Hand legen wird.“66 Kurz soll noch die Begründung für die jeweils sehr knappen inhaltlichen Auseinandersetzungen der Predigten erwähnt werden, die der Rezension vorangestellt ist: „Es genügt, den Inhalt obiger Predigten in möglichster Kürze anzugeben. Geist und Form derselben sind in den übrigen weit verbreiteten des berühmten Verfs. gleich.“67 Der Sammelband „Predigten zum Besten der durch Ueberschwemmung verunglückten Schlesier“ mit seinen 25 Predigten verschiedener Prediger, von denen Schleiermachers Predigt Die an uns Alle gerichtete Aufforderung, dem Leiden Christi ähnlich zu sein als zehnter Beitrag zu lesen ist, wird umfangreich im ‚Theologischen Literaturblatt‘ rezensiert. Generell wird die Lektüre des gesamten Bandes empfohlen: „Denn der Geist, welcher uns aus den hier dargebotenen Predigten insgesammt anspricht, ist ein so echtchristlicher, neben wenig mittelmäßigen finden sich so viele treffliche, daß wir behaupten dürfen, Jeder, der nur mit wahrhaft christlichem Inter63 64 65 66 67

Journal für Prediger, Jg. 1830, Bd. 1, S. 250–251 Ebd., S. 251 Ebd. Ebd. Ebd.

II. Editorischer Bericht

XXV

esse daran geht, werde in dieser Sammlung nicht nur Einiges, sondern Vieles finden, was ihn befriedigt, möge er Belehrung, oder Trost, oder Erbauung und Erhebung suchen.“68 Der Rezensent gibt folgende kurze Inhaltsangabe: „Der erste Theil zeigt, wie unter den Texte aufgestellten Gegensatz: Leiden und Wohlthat und Uebelthat willen, alles menschliche Leiden überhaupt zu befassen sei. Im zweiten Theile wird nachgewiesen, daß, solange es noch Sünde in der Welt gebe, einen jeden Christen auch ein Leiden um Wohlthat willen treffen müsse, und wie er nur danach zu streben habe, daß nur dieses, und nicht das Leiden um Uebelthat willen in seinem Leben vorkomme.“69 Darauf schließt der Rezensent seinen Absatz zu dieser Predigt mit der Bemerkung, dass seine kurze inhaltliche Wiedergabe der Predigt eigentlich nicht gerecht werde: „Es ist nicht möglich, den Inhalt dieser tiefsinnigen und dennoch klaren, trefflichen Predigt bestimmter darzustellen, ohne weitläufig zu werden.“70

II. Editorischer Bericht Der editorische Bericht informiert über die einheitlich für alle Bände der III. Abteilung geltenden Grundsätze71 zur Textgestaltung (1.) und zur Druckgestaltung (2.), außerdem über die Quellentexte des vorliegenden Bandes und die spezifischen Verfahrensweisen angesichts der jeweiligen Textbeschaffenheit (3.).

1. Textgestaltung und zugehörige editorische Informationen Die allgemeinen Regeln der Textgestaltung für alle Textzeugen werden für Manuskripte spezifiziert und zwar in einem abgestuften Verfahren. Die von Schleiermachers Hand geschriebenen Predigtentwürfe und Predigtverschriftungen werden mit ausführlichen Nachweisen zum Entstehungsprozess versehen. Die Nachschriften von fremder Hand erhalten in einem vereinfachten Editionsverfahren nur knappe Apparatbelege. A. Allgemeine Regeln Für die Edition aller Gattungen von Textzeugen (Drucke und Manuskripte) gelten folgende Regeln: 68 69 70 71

Theologisches Literaturblatt, Jg. 1830, Nr. 19, Sp. 145 Ebd., Sp. 148 Ebd. Vgl. KGA III/1, S. IX–XX

XXVI

Einleitung des Bandherausgebers

a. Alle Textzeugen werden in ihrer letztgültigen Gestalt wiedergegeben. b. Wortlaut, Schreibweise und Zeichensetzung des zu edierenden Textzeugen werden grundsätzlich beibehalten. Dies gilt auch für Schwankungen in der Schreibweise und Zeichensetzung, wo häufig nicht entschieden werden kann, ob eine Eigentümlichkeit oder ein Irrtum vorliegt. Hingegen werden Verschiedenheiten in der Verwendung und Abfolge von Zeichen (z.B. für Abkürzungen oder Ordnungsangaben), soweit sie willkürlich und sachlich ohne Bedeutung sind, in der Regel stillschweigend vereinheitlicht. Verweiszeichen für Anmerkungen (Ziffern, Sterne, Kreuze etc.) werden einheitlich durch Ziffern wiedergegeben. Nach Ziffern und Buchstaben, die in einer Aufzählung die Reihenfolge markieren, wird immer ein Punkt gesetzt. Sekundäre Bibelstellennachweise, editorische Notizen und Anweisungen an den Setzer werden stillschweigend übergangen. Dasselbe gilt für Kustoden, es sei denn, dass sie für die Textkonstitution unverzichtbar sind. c. Offenkundige Druck- oder Schreibfehler und Versehen werden im Text korrigiert. Im textkritischen Apparat wird – ohne weitere Angabe – der Textbestand des Originals angeführt. Die Anweisungen von Druckfehlerverzeichnissen werden bei der Textkonstitution berücksichtigt und am Ort im textkritischen Apparat mitgeteilt. Bei den Predigtnachschriften fremder Hand gilt generell die Regel C.g. d. Wo der Zustand des Textes eine Konjektur nahelegt, wird diese mit der Angabe „Kj ...“ im textkritischen Apparat vorgeschlagen. Liegt in anderen Texteditionen bereits eine Konjektur vor, so werden deren Urheber und die Seitenzahl seiner Ausgabe genannt. e. Sofern beim Leittext ein Überlieferungsverlust vorliegt, wird nach Möglichkeit ein sekundärer Textzeuge (Edition, Wiederabdruck) oder zusätzlich ein weiterer Zeuge unter Mitteilung der Verfahrensweise herangezogen. f. Liegt ein gedruckter Quellentext in zwei oder mehr von Schleiermacher autorisierten Fassungen (Auflagen) vor, so werden die Textabweichungen in einem Variantenapparat mitgeteilt. Dessen Mitteilungen sollen in der Regel allein aus sich heraus ohne Augenkontakt mit dem Text verständlich sein. Zusammengehörige Textveränderungen sollen möglichst in einer Notiz erfasst werden. Leichte Ersichtlichkeit von einzelnen Textveränderungen und deutliche Verständlichkeit von neuen Sinnprofilierungen sind für den Zuschnitt der Notizen

II. Editorischer Bericht

XXVII

maßgeblich. Der Variantenapparat wird technisch wie der textkritische Apparat gestaltet und möglichst markant mit dem Text verknüpft. g. Hat Schleiermacher für die Ausarbeitung eines Drucktextes eine Predigtnachschrift genutzt, so wird diese Nachschrift, falls sie im Textbestand deutlich abweicht, zusätzlich geboten. Für die beiden Textzeugen gelten die jeweiligen Editionsregeln. B. Manuskripte Schleiermachers Der vorliegende Band enthält keine edierten Manuskripte Schleiermachers. C. Predigtnachschriften Für die Edition der nicht von Schleiermacher stammenden Predigtnachschriften gelten folgende Regeln: a. Abbreviaturen (Kontraktionen, Kürzel, Chiffren, Ziffern für Silben), deren Sinn eindeutig ist, werden unter Weglassung eines evtl. vorhandenen Abkürzungszeichens (Punkt, Abkürzungsschleife usw.) in der üblichen Schreibweise ausgeschrieben. Die Abbreviaturen mit ihren Auflösungen werden im textkritischen Apparat oder im Editorischen Bericht mitgeteilt. Die durch Überstreichung bezeichnete Verdoppelung von m und n, auch wenn diese Überstreichung mit einem U-Bogen zusammenfällt, wird stillschweigend vorgenommen. Abbreviaturen, deren Auflösung unsicher ist, werden im Text belassen; für sie wird gegebenenfalls im textkritischen Apparat ein Vorschlag mit der Formel „Abk. wohl für ...“ gemacht. In allen Fällen, wo (z. B. bei nicht ausgeformten Buchstaben, auch bei verkürzten Endsilben) aufgrund von Flüchtigkeit der Schrift nicht eindeutig ein Schreibversehen oder eine gewollte Abbreviatur zu erkennen ist, wird das betreffende Wort ohne weitere Kennzeichnung in der üblichen Schreibweise vollständig wiedergegeben. b. Geläufige Abkürzungen einschließlich der unterschiedlichen Abkürzungen für die biblischen Bücher werden im Text belassen und im Abkürzungsverzeichnis aufgelöst. Für die Abkürzungen in Predigtüberschriften (zu Ort und Zeit) erfolgt die Auflösung im editorischen Kopftext der Predigt, in den Apparaten oder im Abkürzungsverzeichnis. Der oftmals fehlende Punkt nach Abkürzungen wird einheitlich immer gesetzt. c. Unsichere Lesarten werden in unvollständige eckige Klammern (Beispiel: PnochS) eingeschlossen. Gegebenenfalls wird eine mög-

XXVIII

Einleitung des Bandherausgebers

liche andere Lesart mit der Formel „oder“ (Beispiel: PauchS] oder PnochS) vorgeschlagen. d. Ein nicht entziffertes Wort wird durch ein in unvollständige eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet; bei zwei oder mehr unleserlichen Wörtern wird dieses Zeichen doppelt gesetzt und eine genauere Beschreibung im textkritischen Apparat gegeben. e. Überlieferungslücken. Weist ein Manuskript Lücken im Text oder im Überlieferungsbestand auf und kann die Überlieferungslücke nicht durch einen sekundären Textzeugen gefüllt werden (vgl. oben A.e.), so wird die Lücke innerhalb eines Absatzes durch ein in kursive eckige Klammern eingeschlossenes Spatium gekennzeichnet. Eine größere Lücke wird durch ein in kursive eckige Klammern gesetztes Spatium gekennzeichnet, das auf einer gesonderten Zeile wie ein Absatz eingerückt wird. Eine Beschreibung erfolgt im textkritischen Apparat. f. Auffällige Textgestaltung wird im Editorischen Bericht oder bei Bedarf im textkritischen Apparat beschrieben (beispielsweise Lücken in einem fortlaufenden Satz oder Absatz). g. Offenkundige Schreibfehler und Versehen werden im Text stillschweigend im Sinne der üblichen Schreibweise und ohne Apparatnachweis korrigiert, entweder wenn die Korrektur durch einen zuverlässigen Paralleltext bestätigt wird oder wenn es sich, falls kein Paralleltext überliefert ist, um Verdoppelung von Silben, Worten oder Wortgruppen, um falsche Singular- bzw. Pluralbildung, falsche Kleinschreibung oder Großschreibung von Wörtern, falsches Setzen oder Fehlen von Umlautzeichen, falsche graphische Trennung von Wortbestandteilen oder Verknüpfung von Wörtern, Fehlen des Konsonantenverdoppelungsstrichs, um unvollständige Zitationszeichen (fehlende Markierung des Zitatanfangs oder Zitatendes), unvollständige Einklammerung und Ähnliches handelt. Sind offenkundig bei Streichungen und Korrekturen versehentlich Fehler unterlaufen, so wird der intendierte Textbestand stillschweigend geboten. h. Einzelheiten des Entstehungsprozesses (Streichungen, Zusätze, Korrekturen, Umstellungen und Entstehungsstufen) werden im textkritischen Apparat nicht nachgewiesen, auch nicht der Wechsel von Schreiberhänden und die Unterschiede in der graphischen Gestaltungspraxis. Nicht einweisbare Zusätze oder Anmerkungen auf dem Rand werden in Fußnoten mitgeteilt. i. Fehlende Wörter und Zeichen, die für das Textverständnis unentbehrlich sind, werden im Text in eckigen Klammern ergänzt.

II. Editorischer Bericht

XXIX

j. Hervorhebungen bleiben unberücksichtigt. Die thematische Gliederungsübersicht innerhalb einer Predigt wird in der Regel als Block eingerückt. k. Textüberarbeitungen Schleiermachers. Bei einer von Schleiermacher markant und ausführlich bearbeiteten Nachschrift wird sowohl der von Schleiermacher hergestellte Text als auch der zugrunde liegende Text der Nachschrift ediert. Hat Schleiermacher in einer Nachschrift nur vereinzelt Korrekturen, Ergänzungen oder Kommentierungen vorgenommen, so werden diese möglichst gebündelt als Fußnoten mitgeteilt. D. Sachapparat Der Sachapparat gibt die für das Textverständnis notwendigen Erläuterungen. a. Zitate und Verweise werden im Sachapparat nachgewiesen. Für die von Schleiermacher benutzten Ausgaben werden vorrangig die seiner Bibliothek zugehörigen Titel berücksichtigt.72 b. Zu Anspielungen Schleiermachers werden Nachweise oder Erläuterungen nur dann gegeben, wenn die Anspielung als solche deutlich, der fragliche Sachverhalt eng umgrenzt und eine Erläuterung zum Verständnis des Textes nötig ist. c. Bei Bibelstellen wird ein Nachweis nur gegeben, wenn ein wortgetreues bzw. Worttreue intendierendes Zitat gegeben wird, eine paraphrasierende Anführung von biblischen Aussagen vorliegt oder auf biblische Textstellen förmlich (z. B. „Johannes sagt in seinem Bericht …“) Bezug genommen wird. Geläufige biblische Wendungen werden nicht nachgewiesen. Für den einer Predigt zugrunde liegenden Bibelabschnitt werden in dieser Predigt keine Einzelnachweise gegeben. Andere Bibelstellen, auf die in einer Predigt häufiger Bezug genommen wird, werden nach Möglichkeit gebündelt nachgewiesen. Weicht ein ausgewiesenes Bibelzitat vom üblichen Wortlaut ab, so wird auf diesen Sachverhalt durch die Nachweisformel „vgl.“ hingewiesen. E. Editorischer Kopftext Jeder Predigt – ausgenommen sind die gedruckten ‚Sammlungen‘ (vgl. KGA III/1–2) und die Manuskripthefte ‚Entwürfe‘ (vgl. KGA III/3) – wird ein editorischer Kopftext vorangestellt. 72

Vgl. Günter Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, in: KGA I/15, S. 637–912

XXX

Einleitung des Bandherausgebers

a. Bestandteile. Der editorische Kopftext informiert über den Termin, den Ort, die ausgelegten Bibelverse, den Textzeugen sowie gegebenenfalls über Parallelzeugen und Besonderheiten. Die Textzeugen werden durch das Genus, die Archivalienangabe und gegebenenfalls den Namen der Autoren/Tradenten von Nachschriften charakterisiert. Sind Autoren und Tradenten verschiedene Personen und namentlich bekannt, werden beide mitgeteilt. b. Verfahrenshinweise. Bei Nachschriften wird gegebenenfalls über vorhandene Editionen des vorliegenden Textzeugen, bei Drucktexten gegebenenfalls über Wiederabdrucke Auskunft gegeben. Bei Wiederabdrucken von Druckpredigten werden keine Auszüge oder Referate berücksichtigt, sondern nur vollständige Textwiedergaben bibliographisch mitgeteilt. Wenn von einer in der jetzigen Publikation als Textzeuge genutzten Predigtnachschrift bereits eine leicht abweichende Version desselben Tradenten ediert worden ist, so wird diese frühere Publikation unter dem Stichwort „Texteditionen“ aufgeführt und als „Textzeugenparallele“ charakterisiert. Wird zu einem Drucktext Schleiermachers eine vorhandene Predigtnachschrift nicht als Textzeuge ediert, so wird diese Nachschrift unter dem Stichwort „Andere Zeugen“ genannt. Die Angaben zum editorisch ermittelten Bibelabschnitt können von den Angaben des Textzeugen abweichen. F. Liederblätter Die von Schleiermacher für die Berliner Dreifaltigkeitskirche herausgegebenen Liederblätter, soweit sie den edierten Predigten zugeordnet werden können, werden am Predigtende anhangsweise als Lesetext ohne textkritische Nachweise und ohne Literatur- und Sacherläuterungen mitgeteilt.73

2. Druckgestaltung Die Druckgestaltung soll die editorische Sachlage bei den unterschiedlichen Gattungen von Textzeugen möglichst augenfällig machen. A. Seitenaufbau a. Satzspiegel. Es werden untereinander angeordnet: Text des Originals gegebenenfalls mit Fußnoten, gegebenenfalls Variantenapparat, 73

Über den Umgang derjenigen Liederblätter, zu denen es keine Predigtüberlieferung gibt, vgl. unten Einleitung, Punkt II.3.H.

II. Editorischer Bericht

XXXI

textkritischer Apparat, Sachapparat. Text, Fußnoten und Variantenapparat erhalten eine Zeilenzählung auf dem Rand. b. Die Beziehung der Apparate auf den Text erfolgt beim textkritischen Apparat und beim Variantenapparat dadurch, dass unter Angabe der Seitenzeile die Bezugswörter aufgeführt und durch eine eckige Klammer (Lemmazeichen) von der folgenden Mitteilung abgegrenzt werden. Beim Sachapparat wird die Bezugsstelle durch Zeilenangabe bezeichnet; der editorische Kopftext samt vorangestellter Überschrift wird als Zeile Null gezählt. B. Gestaltungsregeln a. Schrift. Um die Predigtnachschriften fremder Hand graphisch von den Drucktexten Schleiermachers sowie von seinen eigenhändigen Manuskripten abzuheben, werden erstere in einer serifenlosen Schrift (Myriad) mitgeteilt. Dies gilt auch für die Fälle, in denen eine Predigtnachschrift nur in Gestalt eines nicht von Schleiermacher autorisierten Drucktextes als sekundärer Quelle vorliegt. Der Text des Originals wird einheitlich recte wiedergegeben. Bei der Wiedergabe von Manuskripten wird deutsche und lateinische Schrift nicht unterschieden. Graphische Varianten von Zeichen (wie doppelte Bindestriche, verschiedene Formen von Abkürzungszeichen oder Klammern) werden stillschweigend vereinheitlicht. Ordinalzahlen, die durch Ziffern und zumeist hochgestellten Schnörkel oder Endung „ter“ (samt Flexionen) geschrieben sind, werden einheitlich durch Ziffern und folgenden Punkt wiedergegeben. Sämtliche Zutaten des Herausgebers werden kursiv gesetzt. b. Die Seitenzählung des Textzeugen wird auf dem Außenrand angegeben. Stammt die Zählung nicht vom Autor, so wird sie kursiv gesetzt. Der Seitenwechsel des zugrundeliegenden Textzeugen wird im Text durch einen senkrechten Strich (|) markiert; im Lemma des textkritischen Apparats und des Variantenapparats wird diese Markierung nicht ausgewiesen. Müssen bei Textzeugenvarianten zu derselben Zeile zwei oder mehr Seitenzahlen notiert werden, so werden sie nach der Position der Markierungsstriche gereiht. Wenn bei poetischen Texten die Angabe des Zeilenbruchs sinnvoll erscheint, erfolgt sie durch einen Schrägstrich (/) im fortlaufenden Zitat. c. Unterschiedliche Kennzeichnung von Absätzen (Leerzeile, Einrücken, großer Abstand in der Zeile) wird einheitlich durch Einrücken der ersten Zeile eines neuen Absatzes wiedergegeben. Ab-

XXXII

Einleitung des Bandherausgebers

grenzungsstriche werden – außer bei den gedruckten ‚Sammlungen‘ und ‚Reihen‘ – nur wiedergegeben, wenn sie den Schluss markieren; versehentlich fehlende Schlussstriche werden ergänzt. Die Gestaltung der Titelblätter wird nicht reproduziert. d. Hervorhebungen Schleiermachers (in Manuskripten zumeist durch Unterstreichung, in Drucktexten zumeist durch Sperrung oder Kursivierung) werden einheitlich durch Sperrung kenntlich gemacht. e. Der zitierte Bibelabschnitt einer Predigt, der samt Stellenangabe in den Drucken und Manuskripten vielfältig und unterschiedlich gestaltet ist, wird einheitlich als eingerückter Block mitgeteilt, wobei die Bibelstellenangabe mittig darüber gesetzt und in derselben Zeile das Wort „Text“, falls vorhanden, gesperrt und mit Punkt versehen wird. Ist die Predigt verbunden mit Gebet, Kanzelgruß oder Eingangsvotum, so werden diese Begleittexte als Block eingerückt wiedergegeben. f. In Predigtentwürfen Schleiermachers und Dispositionen fremder Hand werden die Gliederungsstufen, die optisch unterschiedlich ausgewiesen sind, einheitlich durch Zeileneinrückung kenntlich gemacht.

3. Quellentexte des vorliegenden Bandes und spezifische Verfahrensweisen A. Schleiermacher-Drucke Im vorliegenden Band sind vier Drucktexte Schleiermachers ediert. Zu einem Termin, den 3. Mai 1829 vormittags, wird zusätzlich eine vom Druck abweichende Nachschrift Woltersdorffs geboten. Bei der „Rede an Nathanaels Grabe“ vom 1. November 1829 wirft das Veröffentlichungsdatum die Frage auf, ob der Druck noch von Schleiermacher autorisiert wurde, denn das Casualmagazin, in dem die Rede abgedruckt wurde, erschien am 19. September 1834,74 also nach Schleiermachers Tod. Wie es zur Veröffentlichung der Rede gekommen ist, bleibt unklar. Ob Schleiermacher selbst noch die Publikation zu verantworten hat oder andere Personen nach seinem Tod diese initiiert haben, ist nicht mehr nachvollziehbar. Daher ist es möglich, dass Schleiermacher seine Druckvorlage schon lange vor seinem Tod 74

Vgl. Wichmann von Meding: Bibliographie der Schriften Schleiermachers nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, SchlA 9, Berlin/ New York 1992, S. 85

II. Editorischer Bericht

XXXIII

versandt hatte. Außerdem führt das Casualmagazin Schleiermacher als Autoren auf ohne einen Hinweis auf seinen Tod zu machen.75 An folgenden Terminen basiert der edierte Text auf von Schleiermacher selbst veröffentlichten oder autorisierten Drucken: 21.09.1828 wohl vorm. 23.11.1828 vorm.

03.05.1829 vorm. 01.11.1829 wohl mitt.

B. Crayen-Nachschriften Die Nachschreiberin Caroline Crayen 76 war eine Verehrerin Schleiermachers, die zum einen selbständig Predigtnachschriften anfertigte und zum anderen mit ihrer Freundin Woltersdorff77 gemeinsam an Predigtnachschriften arbeitete. Dadurch entstanden Manuskripte, die bspw. durch Woltersdorff begonnen und dann von Crayen beendet wurden; dies wurde bei der Edition besonders kenntlich gemacht.78 Die Manuskripte der von Crayen selbstständig angefertigten Nachschriften befinden sich im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (ABBAW) im Schleiermacher-Nachlass (SN) unter den Nummern 619/2, 619/3, 619/4 und 623. Weiterhin sind Predigten aus dem Schleiermacher-Archiv (SAr) der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) aus der Mappe 106 ediert. Texte Crayens, die Teil einer Woltersdorffüberlieferung sind, befinden sich in der SBB unter SAr 68; als Tradentin wird dementsprechend Woltersdorff genannt.79 Charakteristisch für die Crayen-Nachschriften ist der häufige Gebrauch von waagerechten Strichen, die oft als Gedankenstriche gebraucht werden, aber auch als Kommata zu verstehen sind. Sie können auch das Ende eines Absatzes markieren; in diesem Fall wurde der Strich stillschweigend gelöscht. Anführungsstriche, die in den Manuskripten ausschließlich am unteren Zeilenrand stehen und bei längeren Zitaten bei jedem Zeilenanfang wiederholt werden, wurden in der Edition der heutigen Schreibweise angepasst. Oft stehen unterschiedliche Schreibweisen von Wörtern nebeneinander, besonders bei der heute ungewöhnlichen Verwendung von Doppelkonsonanten (z. B. „Krafft“). Unterschiedlich ist auch der Gebrauch von „ss“ und „ß“. Manchmal 75 76 77 78 79

Vgl. KGA III/13, S. XXXIX–XLI Zu Crayen vgl. auch KGA III/1, S. LXIII–LXV Vgl. Einleitung, Punkt II.3.E. Vgl. die Predigten vom 24. Mai, 28. Mai und 5. Juli 1829. Details zu den Quellen sind der Beschreibung des Depositums 42a, Archiv de Gruyter, in der Staatsbibliothek zu Berlin zu entnehmen.

XXXIV

Einleitung des Bandherausgebers

gibt Crayen im Text eine alternative Formulierung oder ein alternatives Wort an, die nicht eine Streichung des eigentlichen Textes bedeuten, da diese grammatikalisch nicht immer korrekt eingebunden sind; diese Alternativen sind im textkritischen Apparat wiedergegeben. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Apostel der, die, das Epistel Erlöser -ung geliebt Glauben heiligen Heiliger

Ap. d. Ep. Erl. -g gel. Gl. heil. Hl.

Herrschaft Jesus Christus Johannes -lich / -lisch Philipper Predigt Timotheus zugleich

Herrs. Jes. Chr. Joh. Phil. Pr. Timoth. zugl.

An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Crayen zu Grunde: 25.12.1828 15.02.1829 15.03.1829 12.04.1829 15.04.1829

früh früh früh früh mitt.

17.05.1829 24.05.1829 28.05.1829 05.07.1829 25.12.1829

früh vorm. früh vorm. früh

C. Dunckel-Nachschriften Friedrich Wilhelm Dunckel, gebürtig aus Glogau, studierte in den Jahren 1820 bis 1826 Theologie in Berlin.80 Die Dunckel zugeordneten Nachschriften befinden sich in der Mappe 82 des Schleiermacher-Archivs (SAr) der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). Darin befinden sich lediglich drei Predigten auf losen Doppelblättern geschrieben. Nur eine der drei Manuskripte beinhaltet eine Predigtnachschrift, die in den Zeitraum dieses Bandes fällt. Es handelt sich um ein Fragment, bei dem der Schluss fehlt. Unter dem Termin wird ebenfalls ein Fragment Woltersdorffs geboten, das den Schluss der Predigt zu diesem Termin darstellt ohne jedoch direkt an Dunckels Nachschrift anzuschließen. Es kann jedoch keine Aussage darüber getroffen werden in welchem Zusammenhang diese beiden Manuskripte stehen. 80

Zu Dunckel vgl. auch KGA III/1, S. LVI und LXV

II. Editorischer Bericht

XXXV

Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Alter Bund und -lich

A. B. u.

An einem Termin beruht der edierte Text auf einer Predigtnachschrift von Dunckel: 26.05.1828 vorm. D. Pommer-Nachschriften Nachschriften von Pommer 81, die in diesem Band berücksichtigt wurden, befinden sich in der Mappe 94 des Schleiermacher-Archivs (SAr) der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). Die Mappe beinhaltet 39 Predigten aus den Jahren 1827, 1829 und 1830. Die Nachschriften weisen einige Fehler in der Groß- bzw. Kleinschreibung und den falschen Gebrauch von „das“ und „daß“ auf. Mitunter tauchen falsche Dativ- bzw. Akkusativendungen auf. Gelegentlich wird anstelle von „auch“ das Wort „auf“ geboten. Dies und ähnliche Fälle lassen möglicherweise auf Abschreibungsfehler schließen und wurden dementsprechend im textkritischen Apparat behandelt. Zu Beginn einer jeden Predigt wurde eine römische Zählung und der entsprechende Sonntagsname offensichtlich nachgetragen. Diese sekundären Eintragungen wurden nicht in den edierten Text aufgenommen. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Apostelgeschichte Predigt und

Apostelges. P. u.

An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Pommer zu Grunde: 81

Zur Person Pommer und deren Lebensdaten konnten bisher keine Informationen ermittelt werden.

XXXVI

19.07.1829 26.07.1829 16.08.1829 23.08.1829 30.08.1829 27.09.1829

Einleitung des Bandherausgebers

vorm. früh vorm. früh vorm. vorm.

04.10.1829 11.10.1829 25.10.1829 08.11.1829 29.11.1829

früh vorm. vorm. vorm. früh

E. Schirmer-Nachschriften Karl Friedrich August Schirmer wurde am 18. September 1799 in Berlin geboren. Er besuchte das dortige Joachimsthalsche Gymnasium und studierte von 1817 bis 1821 Theologie in Berlin sowie zwischendurch in Halle an der Saale. Zur Hochzeit mit Pauline Blanc am 24. Juni 1829 hielt Schleiermacher die Traurede in der Berliner Nikolaikirche. Schirmer war Prediger ab 1829 an St. Marien in Prenzlau und ab 1843 an St. Nikolai; er starb am 17. Oktober 1858 in Prenzlau. Nachschriften von Schirmer, die in diesem Band berücksichtigt wurden, befinden sich in der Mappe 54 des Schleiermacher-Archivs (SAr) der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). Die Mappe beinhaltet 18 Predigten aus den Jahren 1818 bis 1831. Jedoch handelt es sich bei den Predigten vom 30. April 1828 vormittags und vom 22. November 1829 vormittags um Nachschriften unbekannter Hand, bei der Schirmer als Tradent zu kennzeichnen ist.82 An einem Termin beruht der edierte Text auf einer Predigtnachschrift von Schirmer: 03.04.1828 mitt.

F. Woltersdorff-Nachschriften Die Nachschriften der „Demoiselle Woltersdorff“ 83, die in diesem Band berücksichtigt wurden, befinden sich in den Mappen 67 und 68 des Schleiermacher-Archivs (SAr) der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB). Die ihr zugeordneten Predigten sind nicht auschließlich auf 82 83

Vgl. unten Einleitung, Punkt II.3.G. Vgl. SAr 121, Bl. 1r. u. 3r. Mehr als dieser Name ist von der Person leider nicht bekannt; möglicherweise war sie die Tochter des Professors Ernst Gabriel Woltersdorff, die im Jahr 1835 als Lehrerin im „Allgemeinen Wohnungsanzeiger“ verzeichnet ist. Vgl. dazu auch KGA III/1, S. LXIX–LXX.

II. Editorischer Bericht

XXXVII

die Arbeit einer Person zurückzuführen, sondern Ergebnisse eines Schreiberkreises. Daher befinden sich unter den Woltersdorff-Nachschriften auch Manuskripte, die von unbekannter Hand stammen; diese werden als nichtidentifizierbare Nachschreiber (NiN) im Predigtkopf mitgeteilt.84 Eine besonders intensive Zusammenarbeit bestand zwischen Woltersdorff und Crayen.85 Dadurch entstanden Manuskripte, die bspw. durch Woltersdorff begonnen und dann von Crayen beendet wurden; dies wurde bei der Edition besonders kenntlich gemacht.86 Auffällig bei Nachschriften Woltersdorff ist der Gebrauch des Doppelpunktes zum einen als Abkürzungspunkt, was stillschweigend korrigiert wurde, und zum anderen in den Funktionen verschiedener Interpunktionszeichen, welches weitgehend beibehalten wurde. Falsche Großschreibung und Kleinschreibung wurden stillschweigend korrigiert. Häufig lassen sich Unregelmäßigkeiten in der Zusammenbzw. Getrenntschreibung und generell in der Schreibweise einzelner Wörter (bspw. „nemlich“ neben „nämlich“, „Heerde“ neben „Herde“ oder „Schutz“ neben „Schuz“) feststellen; bei solchen Fällen wurde nicht eingegriffen. Hingegen wurde die Verdoppelung der Konsonanten bei fehlendem Verdoppelungsstrich stillschweigend vorgenommen. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): Advent Antwort antworten Apostel

84 85

86

Adv. Antw. ant. Ap. / Apost. / Apst.

Auferstehung Augenblick Barmherzigen Betrachtung

Auferst. / Aufersteh. Augenbl. Barmh. Betr.

Vgl. die Angaben im Predigtkopf auf den S. 410 u. 420 Woltersdorff beendet ihre Nachschrift zur Frühpredigt vom 20. Januar 1828 mit folgender brieflichen Notiz, die Auskunft über die Textherstellung gibt: „Liebe Freundin / Diesen Schluß der Predigt send’ ich Ihnen mit der Bitte daß Sie am Sonntag mir die ganze Predigt und diesen Schluß mitbringen, damit ich ihn hinzufügen und auch manches verbessern kann was ich wol gestern in Ihrer lieben Gesellschaft übersehen haben mag. Möge Gott in diesem neuen Jahr Ihres Lebens immermehr Ihre heiße Sehnsucht erfüllen und den reinigen Gegenstand der Freude Ihnen in mannigfaltigeren Gestalten zeigen, damit jede Spur des Göttlichen Ihnen so klar in die Augen leuchte daß Alles Andre dagegen Ihnen erscheine wie Nebel der im Verschwinden ist. Möge die Liebe wie Sie sie in sich tragen Ihnen die Bürgschaft der Liebe sein die endlich Alle zu ihm zieht der immer noch darin begriffen ist die Welt mit Gott zu versöhnen!“ (SAr 67, Bl. 11v); vgl. auch oben Einleitung, Punkt II.3.B. Vgl. die Predigten vom 24. Mai, 28. Mai und 5. Juli 1829

XXXVIII

betrachten Beziehung Blick Bund Capitel Christus Communion Corinther da der, die, das Ebräer erkennen Erkenntnis Erlöser Evangelist

Einleitung des Bandherausgebers

betr. Bez. / Bezieh. Bl. B. Cap. C. / Ch. / Chr. Comun. Corint. d. d. Ebr. erk. Erk. Erl. Evang. / Evangel. Evangelium Ev. / Evl. / Evangl. / Evangel. ewig ew. Ewigkeit Ew. Fleisch Fl. folgend fol. Gedanken Ged. Geist G. geistlich g. geknickt gek. Gemeinde G. / Gemd. gemeinsam gemeins. Gemeinschaft Gemsch. Gerechtigkeit Ger. Gesetz Ges. getrieben getr. Gichtbrüchiger Gichtbr. Glaube Gl. Gnade Gn. Gott G. / G / Θ Gottesdienst Gottesd. göttlich g. -heit -h. heilig h. / heil. Herr H. / Hr. / Hrr. Herrlichkeit Herrl.

Herrschaft Herz Hohepriester irdisch Jerusalem Johannes -keit Kirche Kleid Kraft -lich / -lisch Lucas Matthäus Mensch neu Nicodemus oder Offenbarung Paulus Petrus Platz Predigt Priester Prophet Reich römisch sein selig Seligkeit sie Sonntag Speisung That Thessaloniki Uebereinstimmung Ueberzeugung um und unsres Vater Vers Vollbringen

Hersch. H. Hohepr. ird. Jerus. Joh. -k. K. K. Kr. Luc. Matth. M. n. Nico. od. Offenb. P. / Paul. Petr. Pl. Pr. Pr. Proph. R. röm. s. sel. Sel. s. S. / Sonnt. Speisg. Th. Thess. Uebereinst. Überzeug. u. u. us. V. V. Vollbr.

II. Editorischer Bericht

vollkommen vor Vorbereitung wahr

vollk. v. Vorbereit. w.

XXXIX

wahrhaftig Wort Zuchtmeister zur

wahrh. W. Zuchtm. z.

An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von Woltersdorff zu Grunde: 01.01.1828 13.01.1828 20.01.1828 03.02.1828 17.02.1828 24.02.1828 02.03.1828 16.03.1828 23.03.1828 04.04.1828 13.04.1828 20.04.1828 26.05.1828 01.06.1828 08.06.1828 15.06.1828 22.06.1828 29.06.1828 06.07.1828 20.07.1828 27.07.1828 03.08.1828 17.08.1828 24.08.1828 11.10.1828 12.10.1828 26.10.1828

vorm. vorm. früh früh früh vorm. früh früh vorm. vorm. vorm. vorm. vorm. früh vorm. früh vorm. früh vorm. vorm. früh vorm. vorm. früh mitt. vorm. vorm.

02.11.1828 16.11.1828 30.11.1828 14.12.1828 26.12.1828 01.01.1829 11.01.1829 08.02.1829 01.03.1829 08.03.1829 22.03.1929 29.03.1829 05.04.1829 16.04.1829 03.05.1829 12.05.1829 24.05.1829 28.05.1829 08.06.1829 14.06.1829 21.06.1829 05.07.1829 02.08.1829 01.11.1829 06.12.1829 26.12.1829

früh früh früh früh vorm. vorm. vorm. vorm. früh vorm. vorm. früh vorm. mitt. vorm. mitt. vorm. früh vorm. früh vorm. vorm. vorm. früh vorm. vorm.

G. Nicht identifizierte Nachschriften In folgenden Archivbeständen befinden sich Nachschriften von nicht identifizierten Nachschreibern (NiN), die in diesem Band berücksichtigt wurden:

XL

Einleitung des Bandherausgebers

SBB, SAr 54: In dieser Mappe sind Predigten, die Schirmer zugeordnet werden, gesammelt. Bei zwei Predigten, 30. April 1828 vormittags und 22. November 1829 vormittags, handelt es sich um Nachschriften unbekannter Hand. Hier ist Schirmer lediglich als Tradent zu bezeichnen. SBB, SAr 68: Die Mappe enthält 29 Predigten aus dem Jahr 1829. Die meisten sind eindeutig Woltersdorff oder Crayen zuzuordnen, aber die Begräbnispredigt vom 23. Juni 1829 und die Predigt vom 12. Juli 1829 früh weisen unbekannte Handschriften auf. ABBAW, SN 605/1 und 612/2: Diese beiden Predigten vom 9. November 1828 früh und vom 16. November 1828 vormittags stammen vom selben Nachschreiber bzw. Nachschreiberin. Folgende Abbreviaturen wurden stillschweigend aufgelöst (Flexionsformen sind nicht gesondert aufgeführt): andere der, die, das diejenigen Jesus liebe nicht

sondern und Vater vom Christus

an. d. diej. J. l. n.

sond. u. V. v. X.

An folgenden Terminen liegt dem edierten Text eine Predigtnachschrift von nicht identifizierten Nachschreibern zu Grunde: 23.06.1829 abends 12.07.1829 früh 22.11.1829 vorm.

30.04.1828 vorm. 09.11.1828 vorm. 16.11.1828 vorm.

H. Liederblätter Schleiermacher gab ab dem Jahr 1812 Liederblätter für die Gottesdienste an der Dreifaltigkeitskirche heraus. Innerhalb der dritten Abteilung der KGA gibt es drei begründete Vorgehensweisen, wie diese Liederblätter geboten werden. Die Liederblätter der Jahre 1812 bis 1816 sind allesamt lediglich mit dem kirchlichen Sonntagsnamen überschrieben; die Angabe einer Jahreszahl fehlt. Daher ist eine Zuordnung zu den Predigtterminen nicht möglich. Diese Liederblätter sind in KGA III/4 in einem Anhang gesammelt wiedergegeben.87 Die 87

Vgl. KGA III/4, Einleitung, Punkt I.3.

II. Editorischer Bericht

XLI

datierten Liederblätter ab 1816 bis 1829 sind in den Bänden III/5 bis III/11 der KGA an die jeweilige Predigt angehängt.88 Der vorliegende Band bietet die übrigen Liederblätter aus dem Zeitraum 1816 bis 1828, zu denen es keine Predigtüberlieferung gibt, gesammelt in einem Anhang. Für das Jahr 1829 ist nur ein Liederblatt überliefert, das einer Schleiermacher-Predigt angehängt werden konnte.89 Mit der Einführung und Benutzung des Berliner Gesangbuches von 1829 stellte Schleiermacher die Herausgabe gesonderter Liederblätter ein.

* * * Der vorliegende Band ist entstanden im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Angestellter der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an der Schleiermacher-Forschungsstelle der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Ich hatte tatkräftige Unterstützung: Prof. Dr. Dr. Meckenstock, Projektleiter der Predigtedition, konnte stets durch seinen reichen Erfahrungsschatz zum Gelingen beitragen. Mit Rat und Tat waren mir ebenfalls meine Kolleginnen und Kollegen Elisabeth Blumrich, Kirsten Kunz, Dr. Michael Pietsch und Dr. Dirk Schmid eine große Hilfe. Beim Korrekturlesen, beim Erstellen der Verzeichnisse und bei Recherchen unterstützten mich Merten Biehl, Tobias Götze, Ronja Hallemann, Judith Ibrügger, Christoph Karn, Christian Müller und Dr. Dirk Schmid. Ebenfalls genannt sei Rolf Langfeldt, Bibliothekar der Kieler Fachbibliothek Theologie, der immer ein zuverlässiger Ansprechpartner bei Recherchen zur Literatur war. Allen Genannten gehört mein herzlicher Dank. Patrick Weiland

88 89

Vgl. oben Einleitung, Punkt II.1.F. Vgl. Predigt vom 27. September 1829 vormittags

Predigten 1828

Nachschrift der Predigt vom 24. Mai 1829 vormittags, SAr 68, Bl. 26r; Woltersdorff

Am 1. Januar 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Neujahrstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 12,26 Nachschrift; SAr 67, Bl. 1r–3v; Woltersdorff Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Aus der Predigt am Neujahrt. 1828. Joh. 12, 26. „Wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“

5

10

15

20

25

Vor wenigen Wochen feierten wir den Anfang eines neuen kirchlichen Jahres, heut beginnen wir miteinander ein neues bürgerliches Jahr: Diese zweifache Feier schadet vielleicht jeder von beiden, um so mehr als sie einander nahe stehn; denn nur zu häufig wird jene erste nur auf die Ordnung in der christlichen Kirche begangen in Absicht auf die zu feiernden Tage u. s. w. – weniger aber dabei gedacht unsers innern christlichen Lebens und alles dessen was sich während eines Jahrs daraus entwickelt. Und dann, wenn hernach diese zweite Feier herannaht, wie wir dabei ganz vorzüglich auf unser gesellschaftlich Verhältniß untereinander, auf unsre näheren Umgebungen und auf unsre Verbindungen in der ganzen menschlichen Welt, gewiesen sind, so ist dann auch davon das Herz voll und wir sprechen von den Wünschen die wir darbringen und empfangen, bei welchen das meiste auf die gegenseitgen Verhältnisse geht wenngleich sie dabei auf geistige Weise betrachtet werden und bezogen, nicht daß wir dabei Gottes vergäßen; denn das können wir nicht, er ist uns gegenwärtig als der unter dessen Rathschluß wir uns zu fügen haben, in jeder Beziehung, aber das heiligste Verhältniß zu ihm, das entschwindet uns vielleicht bei dieser Feier mehr als es für die Frucht die davon zu bringen ist zu wünschen wäre: So ists denn lobenswerth daß auch dieser erste Anfang eine Gottesdienstliche Feier ist um jene Wünsche und Gedanken zu heilgen, und auf das Innre zurückzuführen. Und was können die Diener der Kirche besseres thun als daß sie ihren Gemeinden ein leitendes Wort ein herrschendes Bild mitgeben wel17 daß] das

1r

4

Am 1. Januar 1828 vormittags

ches über alle Gedanken waltet und durch welches sie auch durch die Erinnerung, die vermittelt wird durch das was ihnen begegnet und sich darauf bezieht, geführt werden. Ein solches finden wir in dem verlesenen Wort des Herrn: Hört es und nehmt es zu Herzen ihr Alle die ihr bei dem Beginn eines neuen Abschnitts der Zeit auf neue Verhältnisse zu sehn gewohnt seid: was Gott euch auch verleihen möge um einen wohlthätigern Einfluß auszuüben auf die euch Umgebenden, ein größeres Vertrauen, eine richtigere Schätzung von ihnen zu genießen, hört es: es giebt etwas Höheres, nemlich geehrt zu sein von Gott! Hört es ihr die ihr heut für euch für die Euren und für den ganzen Kreis eures Wirkens, Wünsche gen Himmel sendet und seinen Schutz anfleht mag er euch segnen mit den mannigfachsten Gaben, hört es daß es Größeres giebt! Aber auch wenn wir von dem Äußern absehend Gott nur anrufen um seine geistigen Segnungen, dennoch müssen wir sagen es giebt etwas Größeres als sie nur in kindlicher Demuth zu empfangen; von Gott geehrt sein ist mehr als das Alles. So laßt uns das zu Herzen nehmen und es unserm Wunsch und Flehen als Ziel vorstecken und so laßt uns bedenken 1. was das heißt von Gott geehrt sein 2. wie es durch das was dies Wort unsers Herrn sagt allein erreicht werden kann.

1v

1. Das Ehren ist das Erste womit das höhre Bewußtsein des Menschen beginnt, das Erste was er mit den höhreren Sinnen wahrnimmt das ist für ihn das Verehrungswerthe, darum ist, wie der Apostel sagt, das das erste Gebot welches Verheißung hat: „du sollst Vater und Mutter ehren“: Dieses Ehren, das ist die Anerkennung des Werths der freien Entwicklung der geistigen Kräfte des Menschen; und von dieser untern Stufe des Ehrens steigen wir weiter | hinauf, jemehr sich unser Gesichtskreis erweitert wohl uns wenn wir recht viel Verehrungswerthes sehen; denn das Ehren ist für die jungen Gemüther ein Schutz, eine Obhut, ein Stab der sie leitet. Aber je höher nun der steht welcher ehrt um desto mehr gewinnt das Ehren ein ganz anderes Ansehen und trägt andere Kräfte und Wirkungen bei sich. Wenn das daß wir ehren uns selbst hütet, so ist das was ein selbst Ausgezeichneter und Hoher ehrt, etwas, was auf Andre eine Wirkung hervorbringt – wenn der der hoch steht und selbst geehrt ist, auf etwas einen Werth legt so muß das in den Gemüthern der Menschen etwas bewirken, sonst ists nichts d. h. nichts wirklich Verehrtes: wenn ein Herrscher einen seiner Diener ehrt und dieses sein Urtheil darstellt vor seinen übrigen Unterthanen aber sein Ur24 das] das, 24 Gemeint ist der Apostel Paulus.

25 Vgl. Eph 6,2 (Zitat aus Ex 20,12)

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 12,26

5

10

15

20

25

30

35

5

theil zieht nicht das ihre nach sich, so hat er ihn wol ehren wollen aber er hat ihn nicht wirklich geehrt. – In dem Augenblick wo unser Erlöser die Worte unsers Textes sprach ward er geehrt vom Vater: er hatte gesagt: die Stunde ist kommen wo des Menschen Sohn verklärt wird und nach manchen Betrachtungen rief er das aus: „Vater verkläre deinen Namen“: da kam eine Stimme vom Himmel und sprach: ich habe ihn verklärt und will ihn verklären und der Erlöser, selbst geehrt durch das Zeugniß des Vaters, sprach zu denen die ihn umgaben: nicht um meinetwillen sondern um eurentwillen ist dies geschehen: Und so ists überall wo der Vater im Himmel einen ehrt, denn das soll weniger für ihn, den Gott ehrt, etwas sein, als es vielmehr eine Wirkung in den Gemüthern der Menschen hervorbringen muß und eben diese Wirkung ists wodurch er ehrt, den er ehren will. Woran anders sollen wir das erkennen als am Sohn in dem er sich uns offenbart hat! Darum fragen wir: wie hat er denn geehrt? Der Erlöser selbst sagt, er suche nicht seine Ehre, es sei aber Einer der sie suche, wodurch aber ehrte ihn der Vater als durch das Zeugniß daß er sein lieber Sohn sei an dem er Wohlgefallen habe und weshalb eben der Herr sagte: wer mich sieht der sieht den Vater: Ja das war die Wirkung welches das Geehrtsein vom Vater in den Menschen hervorbrachte daß sie in ihm die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes und eben daher den Vater selbst schauten. Aber freilich wenn wir das, was dem Erlöser begegnet ist, und was dadurch geschehen, auf uns anwenden wollen so dürfen wir den großen Abstand nicht vergessen zwischen ihm und uns: nemlich: er war der Sohn an dem der Vater Wohlgefallen hat, wir sind die Kinder die ihm angenehm gemacht sind in dem Sohn und durch den Sohn, Er war der Sohn in dem man weil er das Ebenbild des göttlichen Wesens ist auch den Vater selbst schauen konnte, wir sind die die das von sich sollen rühmen können daß Christus in ihnen lebt in denen also Christus soll geschaut und erkannt werden können: er aber ist der in dem man den Vater schaut, und wenn wir uns nun fragen: was ists daß wir sollen geehrt werden vom Vater? O so kann uns ja die Antwort nicht schwer werden! Wenn wir einen Menschen sehn der unsre Aufmerksamkeit auf sich zieht so kann das nie einen andern Grund haben als den daß er uns erinnert an das was wir in der Tiefe unsers eignen Herzens geschrieben finden so daß sich bei seinem Anblick die Gedanken in reichrer Fülle erschließen, und das höhre Bewußtsein sich in uns steigert, wer so auf uns wirkt den ehren wir und der ist eben deshalb auch der Ehre werth. Aber wen nun anderes können wir ansehen als Einen der von Gott geehrt wird, als den der solche Wirkung auf uns hervorbringt, nicht in ein23 ihm] ihn 3–7 Vgl. Joh 12,27–28 14,9

8–9 Vgl. Joh 12,30

14–15 Vgl. Joh 8,50

17–18 Joh

6

2r

Am 1. Januar 1828 vormittags

zelnen Beziehungen sondern in Hinsicht auf unser gemeinsames Verhältniß zu Gott, und auf das Bewußtsein davon. Ja wenn das einem Menschen gegeben ist daß sein Anblick und sein ganzes Wesen auf solche Weise auf uns wirkt daß dadurch der lebendige Gedanke | das Bewußtsein unsers Vater im Himmel hervorgerufen wird aus der Tiefe des Herzens, wo es sich so oft verbirgt. Wenn es Einem gegeben ist so auf uns zu wirken daß ein tiefer Eindruck vom göttlichen Leben uns bleibt in dem so sich das Göttliche verklärt, der ist vom Vater geehrt! Wenn wir uns viele Vorzüge denken in einem Menschen aber wir denken uns das hinweg aus seinem Wesen, was bleibt dann übrig was giebts für eine wahre Vortreflichkeit wodurch wir nicht genöthigt würden zu denken an den, von dem alle gute Gabe kommt! wenn Einer noch so vieles vollbringt, aber darin und dadurch den uns nicht vergegenwärtigt der die Quelle des Heils ist, welche Wirkung hats dann! Ja wenn wir uns doch weiter überlegen und denken uns Einen der gar nicht so von Gott geehrt würde, gar nicht solche Wirkung auf uns hätte, ein solchen Eindruck auf uns machte: o so müssen wir wol sagen daß es uns nicht möglich wäre den zu verehren! denn jeder Zauber den er ausübte könnte dann doch nur seinen Grund haben in dem was irdisch wäre und vergänglich, also nicht verehrt werden kann! Haben wir ein für Gott und Göttliches waches Auge des Geistes dann wird auch jedes was darin seinen Ursprung hat zu Gott uns hinführen, jeder in dem das göttliche Leben aufgegangen ist von dem wird eine Wirkung davon auf uns ausgehen, o so mögen wir denn wol sagen: es kann nicht sein daß es unter den Christen, unter denen die in der That und Wahrheit den Namen des Herrn bekennen, Einen gäbe, der nicht solche Augenblicke hätte wo Gott ihn ehrte, wo er durch die Kraft des ihm einwohnenden Lebens auf Andre wirkte, ihr innerstes Bewußtsein anregte: ja so gewiß all der Glaube das Leben ist, so hat jeder Christ solche Augenblicke! aber von Gott geehrt sein, wie es das Herschende ist im Wesen des Christen das ist gewiß das Höchste und Seeligste wonach er streben kann; denn dann ist er für die die ihn wirklich sehen eine Leiter zum Himmel, er zeigt ihnen, die ihn umgeben, dies wahre Leben! Wenn wir in das vergangene Leben zurücksehen; o gewiß werden wir Alle Gott zu danken haben für solche Augenblicke, sie sind die seeligsten und reichsten gewesen in unsern Verhältnissen mit Anderen! Aber wie viele Augenblicke haben wir auch zu beklagen wo das nicht der Fall war und die jene fast wieder ausgelöscht haben, wie oft war unser Leben unter den Menschen entweder nichtig, oder wenn es Eindrücke waren die wir auf unsre Umgebungen machten und wie oft waren sie mit jenen sehr wenig zusammenstimmend! Darum, sehen wir nun in die Zukunft, wahrlich, nichts 19 vergänglich,] vergänglich. 31 Vgl. Gen 28,12

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 12,26

5

10

15

20

25

30

35

7

schöneres können wir für dieselbe wünschen, als, daß das zunehmen möge im gemeinsamen Leben daß wir so aufeinander wirken daß wir dadurch ihm näher kommen in dem wir verbunden sind, daß die Augenblicke sich näher aneinander reihen wo wir von Gott geehrt werden, und daß alles verschwinde was den Eindruck des Göttlichen dämpft; denn es ist nichts anderes als unsre Gemeinschaft mit Gott durch welche wir geehrt werden vor den Menschen. Daß das Bewußtsein dieser Gemeinschaft sich nicht verdunkle sondern immer lebendig kräftig und wirksam aus uns hervorleuchte, was kann es größeres und schöneres geben als dies! So laßt uns weil es ein so großer und unerschöpflicher Gegenstand ist uns auch nicht mehr als die Grundzüge desselben berühren, aber desto eifriger sein zu sehn 2. Wie wir dazu gelangen von Gott geehrt zu werden: Also spricht der Herr: „Wer mir dienen wird den wird mein Vater ehren“: Können wir das so verstehen als ob der Herr das nur hat ausdrücken wollen als einen Vorzug der denen nicht entgehen kann die ihm dienen, der aber auch auf | andre Weise zu erreichen wäre? Wenn sich Gott auf solche Weise wie wir vorhin gesehen durch uns den Menschen kund geben soll so ists nothwendig dazu daß wir ihn erkennen, aber giebt es wahre Erkenntniß als die die wir empfangen haben durch Christum? ists möglich daß wir in ihm unsern Herrn und Meister vernehmen ohne ihm zu dienen ohne unsre ganze Aufmerksamkeit auf ihn zu richten? Nein! Also hat er mehr sagen wollen als daß das nur so ein allgemeiner Vorzug sei, er hat sagen wollen nur die die mir dienen wird mein Vater ehren. – Wenn wir nun denken daß Gott sich nur durch sein Wort kund geben kann und daß wir also nur dadurch die Menschen zu ihm hin führen können, wir nähmen aber das nur buchstäblich daß es nur so geschehen kann so wäre freilich das das Erste daß man dächte je mehr sich unsre Reden darum drehen und wir alle Gespräche darauf zurückführen, desto mehr würden wir dazu gelangen von ihm geehrt zu werden. Aber wie der Herr schon sagte: es werden nicht Alle die zu mir sagen Herr Herr in das Himmelreich kommen, so lehrt uns die Erfahrung daß es darauf nicht ankommt, um von Gott geehrt zu werden. Wie viele Reden über Gotteswort giebts die das Herz der Hörer kalt lassen und von denen wir doch nicht sagen können daß Heuchelei dabei zum Grunde liegt und daß der Mensch nicht bei dem sei was er redet, viel zu hart wäre solch Urtheil, aber es giebt doch viele Reden die des göttlichen Zeugnisses ermangeln das sie haben müßten um das Leben hervorzurufen, woher kommt das anders als daher, daß sie etwas für sich selbst sein wollen, daß 30 werden.] werden, 30–31 Mt 7,21

32 werden.] werden,

2v

8

3r

Am 1. Januar 1828 vormittags

sie nicht lebendig zusammenhangen mit der geistgen Gegenwart des Herrn weil sie nicht aus dem seinem Dienst geweihten Leben von selbst d. h. ungesucht, hervorströmen, sondern noch ein besondrer Dienst sein wollen. Mögen sie denn gesprochen sein wie sie wollen, die rechte Wirkung, das rechte göttliche Zeugniß haben sie nicht, wir sind also nicht von Gott geehrt darin. Eben so wenig ists auf der andern Seite das so genannte gute Herz und der Wille allein durch welches dieser Vorzug erreicht wird; denn wie Viele giebt es nicht denen wir das nicht absprechen können, aber die doch so schwach erscheinen daß wir nicht von ihnen sagen können daß sie von Gott geehrt werden in keiner Beziehung die Menschen zu Gott hinweisen sondern überall der Hülfe bedürfen um ihm näher zu kommen. Darum sagt der Herr: nicht wer mir dienen will sondern wer mir dienen wird den wird mein Vater ehren. Es ist nicht der Wille, es ist die Thätigkeit die Treue selbst wodurch allein das erreicht wird; nur den der es thut den wird mein Vater ehren: sagt der Herr. So laßt uns darauf unsre Aufmerksamkeit richten wie wir ihm dienen. Das Erste aber ist dies: Daß, seitdem Gott seinen durch die Predigt vom Glauben an den Erlöser dem wir dienen sollen seinen Geist ausgegossen hat in unsre Herzen, seitdem das Gesetz in einzelne Gebote gestellt, aufgehoben ist und wir nicht mehr unter demselben stehn können wir nicht mehr auf solche Weise ihm dienen, wo es aber ein solch Gesetz giebt da ist das Erste was erfordert wird um zu dienen: ein treues Gedächtniß. Aber eben deswegen weil wir solch Gesetz nicht haben und der Herr solches nicht gegeben hat und geben konnte so gehört etwas anderes dazu ihm zu dienen[,] nemlich: ein immer auf ihn gerichtetes Herz: Der Erlöser that die Worte des Vaters so daß er immer sah auf den Vater und eben so ist das das Erste für uns um seine Werke zu thun eben das, daß wir so mit unserm Herzen immer auf ihn gerichtet sind; denn nur so kann sein Wille uns kund werden für jeden Augenblick, und nur so können wir gewarnt werden vor dem was uns hindern werde seine Werke zu thun. Ja ein solches immer auf den Erlöser gerichtetes Herz das ist die erste Grundlage um ihm zu dienen, und dann kann sein Geist nach dem Maaß als wir seine Herrlichkeit haben, das in uns bewirken, daß wir nicht im Stande sind zu thun was seinem Willen widerspricht, sondern immer | [ ] werden sein Werk zu vollbringen. Das auf ihn ge- [ ] die beständige Wirksamkeit seines Geistes auf unser [ ] [un]sre Thätigkeit, das ist der Dienst des Herrn[.] – Denn ists so mit [ ] [könn]en wir gar nicht anders als ihm dienen. Und laßt uns [ ] [sa]gen weder daß das schwer sei noch daß in dieser Beziehung [ ] mehr als die Andern von Gott begünstigt seien; denn haben wir [ ] mal den Blick auf ihn gerichtet so sind wir auch Alle gleich in Beziehung auf ihn und seinen Dienst und es giebt nichts in unserm Leben was uns diesen 34–1 immer ... könnte] Textverlust durch Blattabriss

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 12,26

5

10

15

20

25

30

35

9

[e]rschweren könnte. Gedenkt hiebei nicht auf störende Weise dessen was der heutige Tag uns vor Augen rückt, nemlich unser Beruf in der Welt und unsre gesellschaftlichen Verhältnisse; denn das müssen wir ja Alle gestehen, daß, wenngleich manchen unter uns der äußre Beruf schwer drückt, daß es doch nur der wieder bedeutende Theil unsrer Zeit und unsrer Kraft ist der darauf geht, und daß selbst diese Zeit dem Höheren nicht verloren ist. Die ersten Jünger des Herrn, sie hatten in der menschlichen Gesellschaft einen unbedeutenden und geringen Beruf, aber wenn sie gingen um zu fischen, so ging der Herrn mit ihnen: O das ists was auch uns frei steht, überall dürfen wir bei ihm sein, es giebt nichts was uns von ihm zerstreuen müßte, und mit der Liebe zu ihm nicht übereinstimmen könnte, überall uns zu begleiten ist er bereit und wenn er dies thut, dann bleibt, wenn die Hände thätig sind, doch das Herz frei und wenn wir ihm nicht immer unmittelbar dienen so thun wir doch Alles so daß wir dabei ihn fest halten und uns gewöhnen daß er uns nah sei und gegenwärtig. Wie aber sollte unser gesellschaftliches Leben uns störend sein in unserm Verhältniß zu ihm und in unserm Dienst den wir ihm leisten? wir leben ja unter Menschen, und da sollte er uns nicht gegenwärtig sein? wer sind dann die unter denen wir leben? ach immer nur die – und anders können sie uns nicht erscheinen in seinem Lichte – die seine Erlösung schon erfahren haben also schon im neuen Leben wandeln, oder die derer noch bedürftig sind! um seinetwillen lieben wir sie und thun mit ihnen und für sie was diese seine Liebe uns gebietet, und so kann er immer mitten unter uns sein, und nichts ist dann was uns hindert Herz und Gemüth auf ihn gerichtet zu halten: ach und wenn wir immer geneigt sind ihm die Gewalt zu lassen über unser Gemüth, und wenn wir zu Allem was er durch uns thun will, das Amen sagen und dabei fest bleiben ohne etwas anderes zu erwarten nur frisch thun was er eben will, dann dienen wir ihm und es kann uns nicht fehlen von seinem Vater geehrt [zu] werden, denn halten wir beides zusammen: so von Gott geehrt zu sein und dem Erlöser dienen, so müssen wir sagen, daß das Eine nicht fehlt wenn das Andre da ist. Der Erlöser als ihm nahe bevorstand das Ende seiner Laufbahn und er sagte: meine Seele ist betrübt: zu gleicher Zeit aber stellten sich ihm welche dar aus fremden Völkern die ein großes Verlangen hatten ihn zu sehen: da faßte er beides zusammen[,] nemlich: das nahe bevorstehende Ende seines Lebens und die Sicherheit seines Erfolgs und sprach: Die Stunde ist gekommen wo du deinen Sohn verklärst. Und indem er so in seinem Herzen zusammenfaßte seinen Tod und die große Bestimmung das Heil des ganzen menschlichen Geschlechts zu sein, 21 die] die, 32 Joh 12,27

36 Joh 17,1

10

3v

Am 1. Januar 1828 vormittags

sprach er zu seinen Jüngern die Zeit würde kommen wo auch sie ihr Leben würden lassen müssen und fügte das hinzu daß wer ihm dienen werde den werde auch sein Vater ehren. | Wenn wir heut einen neuen Abschnitt unsers Leben[s] [ ] laßt uns daran denken daß wir selten ohne groß[ ] wären in Beziehung auf das was sich gestalten soll [ ] Begebenheiten der Gegenwart: O wir klagen vielleicht [ ] unrecht daß der erwartete Erfolg nicht in den Tagen unsers PKampfesS [ ] Erscheinung kommt. Unsre Jugend hat noch keinen Jahresabschn[itt] [ ] ohne daß sie Ursach gehabt hätte zu denken, „was wird der Her[r] [ ] bringen? was wird aus dem Alten hervorgehen? und daß nicht Großes zu erwarten gewesen wäre auf das sie mit Ehrfurcht hingesehen. Aber es ist das Alles zusammengefaßt was werden soll und zu Stande kommen, in dem einen Rathschluß Gottes daß des Menschensohn verklärt werde. Wie der Herr sagte: „Vater die Stunde ist kommen daß du deinen Sohn verklärest;“ so ist seitdem die Stunde angebrochen. In dieser Stunde leben wir und wissen daß wie lange auch noch das Geschlecht der Menschen auf Erden währen möge sich das immer und immer wieder erneuern wird daß des Menschen Sohn verklärt werde. Die Stunde die seitd[em] angebrochen ist die ist die letzte und wir haben keiner andern zu e[rwar]ten; was geschehen möge, was der Herr thun möge, es hat keinen andern Sinn für uns als daß uns der Herr immermehr verklär[t] werde, er kann aber nicht anders verklärt werden als durch den Geist der es von den Seinen nimmt und es uns verklärt und wo thut er das als in der Gemeinde des Herrn die er seinen Leib nennt und die er als das Haupt regiert. Wolan, diese gekommne Stunde gehört auch diesem Jahre an, also je treuer wir ihm dienen desto mehr wird er uns verklärt werden durch seinen in uns thätigen Geist: o ist die feste Aufmerksamkeit und Richtung des Herzens auf ihn unser Vorsatz so verschwindet in dem was wir thun und erfahren aller Unterschied zwischen groß und klein; denn was von seinem Geist ausgeht wie unscheinbar es auch sei und wie wenig Erfolg daran sichtba[r] wird, doch wird es nicht fehlen daß darin sein Name verklärt werde, und daß wir darin von seinem und unserm himmlischen Vater geehrt werden. Auf diese Bestimmung laßt uns unser Auge richten; wenn wir ihm dienen und von ihm geehrt werden (wie beides Eins ist) was kann uns fehlen! was kann denen schaden die dem Guten nachtrachten. O so laßt uns ihm unser Leben weihen dann werden wir mit ihm leben und seelig sein in der Gemeinschaft mit ihm, und Alles was uns begegnet wird uns Gabe des Himmels sein, aber 4–10.18–21.30 Wenn ... wird,] Textverlust durch Blattabriss 1–2 Vgl. Joh 12,25

14–15 Joh 17,1

23–24 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 12,26

11

auch die Verheißung in sich tragen und die Erfüllung derselben, daß die, die an ihn glauben aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind!

[Liederblatt vom 1. Januar 1828:] Am Neujahrstage 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Komm heilger Geist etc. [1.] Lob, Preis und Ehre bringen wir, / Herr unser Gott und Vater dir! / Wie groß und viel sind deine Werke, / Du Gott der Macht und der Stärke! / Dein ist der Erdkreis, und in dir, / O Höchster, sind und leben wir; / Du trägst uns Alle voll Erbarmen / Auf deinen treuen Vaterarmen. / Hallelujah, Hallelujah. // [2.] Lob, Preis und Ehre Heiland dir! / Verlorne Sünder waren wir, / Du bist am Kreuz für uns gestorben, / Hast ewges Heil uns erworben. / Wer zu dir kommt, wer an dich gläubt, / Und in Versuchung treu dir bleibt, / Der soll, befreit vom Fluch der Sünden, / Erbarmung, Gnad’ und Leben finden. / Hallelujah, Hallelujah. // [3.] Lob, Ehr und Preis dir, Geist des Herrn! / Wir waren einst von Christo fern, / Entfremdet von dem wahren Leben, / Mit Finsterniß ganz umgeben. / Du hast durch deines Wortes Macht / Auch uns zum Licht aus Gott gebracht. / Du lehrst uns leben, lehrst uns sterben, / Und machest uns zu Himmelserben, / Hallelujah, Hallelujah. // [4.] Lob, Preis und Ehre bringen wir, / Dreieiniger, in Demuth dir. / Es müsse jedes Land der Erden / Voll deiner Herrlichkeit werden! / Wie selig, wie begnadigt ist / Ein Volk, deß Zuversicht du bist! / Anbetungswürd’ger! deinem Namen / Sei ewig Ruhm und Ehre. Amen. / Hallelujah, Hallelujah. // Nach dem Gebet. – Mel. Hier legt mein Sinn etc. [1.] Wie schnell ist doch das Jahr vergangen! / Schon ist ein neues angefangen. / Auf dich, o Gott, soll ganz allein, / Mein Herz und Sinn gerichtet sein. // [2.] O stärke, Vater, mein Verlangen, / An deinem Willen festzuhangen; / Vollführe du was ich nicht kann, / Und leite mich auf ebner Bahn! // [3.] Laß, Herr, dein himmlisch Reich auf Erden / Auch unter uns verbreitet werden! / Bedekke du mit treuer Hand / Den König und das Vaterland. // [4.] Laß alle die die Welt regieren / Mit Weisheit ihre Zepter führen! / Ihr Thun sei nur Gerechtigkeit, / Nur Friede was ihr Mund gebeut. // [5.] Laß treue Hirten, fromme Heerden, / Ein Hirt und eine Seele werden, / Daß wahrer Glaub’ und Liebestreu, / Die Zierde deiner Kirche sei. // [6.] Die Eltern, die heut zu dir flehen, / Laß Freud’ an ihren Kindern sehen, / Und mach’ durch deines Geistes Kraft / Die Jugend weis’ und tugendhaft. // [7.] Erhöre das Gebet der Deinen, / Laß nicht umsonst das Elend weinen! / Von oben sende Hülf und Rath, / Dem der sonst keinen Retter hat. // [8.] Auf dich soll stets mein Auge schauen, / Auf dich, Herr, soll mein Herz vertrauen; / Bist du mein Freund 2 Vgl. Joh 5,24

12

Am 1. Januar 1828 vormittags

und höchstes Gut, / So wird mein Glaube Heldenmuth. // [9.] Zu meinem Heil und dir zum Preise, / Sez ich dann fort die Pilgerreise, / Bis mir am Ziele meiner Bahn / Dein Vaterhaus wird aufgethan. // [10.] Die Sonne gehet auf und nieder, / Ein Jahr vergeht, ein Jahr kommt wieder; / Nur du der allgenügsam ist, / Nur du bleibst ewig der du bist. // Nach der Predigt. – Mel. Wie wohl ist mir etc. Dies Flehn sei vor dir Ja und Amen, / Du kannst mehr thun als wir verstehn; / Erhör’ uns Gott in Jesu Namen, / Und laß uns deine Hülfe sehn. / Wir trauen deiner Macht und Gnade; / Erhalt uns auf dem ebnen Pfade / Den unser Herr uns wandeln lehrt. / O segne, Vater, dir zum Preise / Auch dieses Jahr, und so beweise, / Du seist es, der Gebet erhört. //

Am 13. Januar 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Sonntag nach Epiphanias, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,15 Nachschrift; SAr 67, Bl. 5r–7r; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „1,14–15“

Aus der Predigt am 1. S. nach Epiph. 28 Marc. 1, 15. „Die Zeit ist erfüllet, und das Reich Gottes ist herbei gekommen. Thut Buße und glaubet an das Evangelium[.]“ 5

10

15

20

25

So begann dieser Evangelist seine eigentliche Nachricht von dem großen Geschäft unsers Erlösers, und giebt uns mit kurzen Worten den ganzen Inhalt seiner Predigt vom Reiche Gottes an. Diese Worte schließen sich noch ganz eng und genau dem an was Johannes der Vorläufer unsers Herrn gepredigt, und er selbst, seine eigne Person, so wie sie die Hinweisung war auf den Erlöser tritt darin vor. Demohnerachtet werden wir sagen müssen, wenn wir es näher erwägen, daß wir in diesen Worten den Inbegriff finden von dem was wir wissen müssen als Christen, und von dem was wir zu thun haben, daß wir also den ganzen Kern des Erlösers darin haben. Wenn wir nun freilich nicht anders können als nach Anleitung dieser Worte das Wissen und das Thun voneinander trennen, so wird doch die Sache selbst uns wieder darauf führen daß beides unzertrennlich ist. So laßt uns denn diese beiden Worte des Herrn nacheinander betrachten indem wir das eine auf das Wissen, das andre auf unser Thun anwenden. 1. Wenn der Erlöser sagt: „Die Zeit ist erfüllet, das Reich Gottes ist nahe“: So ist das der Inbegriff von alle dem was uns zu wissen nöthig ist. Der Erlöser richtete seine Predigt zunächst an sein Volk, welches im Besitz war der göttlichen Offenbarungen und Verheißungen. Seine Jünger brachten die Predigt vom Reich Gottes zu den Heiden, zu denen denen sich Gott auf besondre Weise nicht offenbart hatte und die in ihrem gemeinsamen Bewußtsein und in ihrer Geschichte keine Verheißungen hatten. Diese Predigt

5r

14

5v

Am 13. Januar 1828 vormittags

an die Heiden war aber in dieser Beziehung ein und dieselbe denn sie hatten in ihrem Innern dieselbe Sehnsucht wie jene; Wenn der Herr zu seinen Genossen sagt: „Die Zeit ist erfüllet:“ was meint er damit? Lange hatten sie geklagt daß der Herr sein Volk verlassen hätte, lange hatten sie geklagt, daß die göttlichen Verheißungen zurückgetreten wären, aber immer waren sie gehalten durch die Kraft des prophetischen Worts in einer Hoffnung auf bessre Zeiten, in der Hoffnung daß der Herr sein Volk wieder heimsuchen werde, daß ein neues Licht und Leben aufgehen werde. Wenn also der Herr sagt: Die Zeit ist erfüllt: so konnten sie darunter nichts anderes verstehen als daß der Augenblick gekommen sei wo der Grund der Klage verschwinde, wo der Herr sein Volk heimsuche, und wo die Zeit der Finsterniß aufhöre und der Entfernung von Gott. Das sind auch die Worte in denen alle die von der Erscheinung des Herrn reden in der Schrift zusammkommen. Wenn Paulus das Wort des Herrn zu den Heiden bringt, so schilt er ihren Aberglauben daß sie Götter anbeteten und sie sich bildeten da es doch nur Einen wahren lebendigen Gott gebe. Aber, sagt er, das Bisherige sei gewesen die Zeit der Unwissenheit, die wolle nun Gott übersehen, aber nur insofern als er den Menschen ein Neues vorhalte und sie es annehmen: und so sagt er auch ihnen die Zeit sei erfüllt. Das Reich Gottes sei nahe[.] Das war es was sie wissen mußten, sie mußten es erkennen was ihnen entgegenglänzte, um es entgegen nehmen zu können, sie mußten wissen die Zeit sei erfüllt wornach sie sich immer schon ohne es selbst zu wissen gesehnt hatten, die Zeit sei da wo sich Gott ihnen offenbaren und ein göttliches Leben in ihnen entzünden wolle. Und so ists noch immer: die Menschen müssen es wissen daß in ihm und durch ihn die Zeit erfüllt ist, und es ist der Wahlspruch aller Christen, es ist unser Wahlspruch wenn wir uns freuen daß Gott zuletzt zu uns geredet hat durch seinen Sohn; daß es wirklich die letzten Zeiten sind die in ihm und mit ihm begonnen! Und wenn er zu uns sagt: die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist da: so ist das Alles | was wir wissen müssen. Wir können keiner andern Zeit warten; die Zeit ist erfüllt, die letzte Zeit ist da, der ist erschienen auf den sich Alles zurück beziehen soll, durch den Alles neu wird vollkommen! Nur immer auf den zurückgegangen mit welchem die neue Zeit beginnt dann vergeht das was noch der alten Zeit angehört und wir erfahren es immer mehr daß die Zeit erfüllt ist, daß in dieser neuen alle Verheißungen Ja und Amen sind; das ist ein solcher das ganze menschliche Geschlecht umfassender Bund den Gott mit den Menschen gemacht, daß er geredet hat zuletzt durch seinen Sohn: das ist daß die Zeit erfüllt ist. Aber ist das alles was uns zu wissen nöthig ist so sind die folgenden Worte: das Reich Gottes ist nah: eine nähere Erklärung dessen daß die Zeit erfüllt ist in ihm; denn wenn auch schon die Verkündigung des Johannes das war daß die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe 16–17 Vgl. Apg 17,30

27 Vgl. Hebr 1,2

35 Vgl. 2Kor 1,20

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Mk 1,15

5

10

15

20

25

30

35

15

herbei gekommen sei, so sehn wir wenn wir das was der Herr selbst sagt und was Johannes sagt gegeneinander halten, daß Johannes nicht auf sich selbst hinweisen konnte sondern auf den nach ihm, und wenn er sagt der der nach ihm komme sei größer als er, was kann er damit meinen als daß der dann nicht wieder auf einen andern hinweisen werde, sondern er selbst sei in dem das Reich Gottes herbeigekommen sei! Christus sagt in diesen Worten nichts von sich selbst, aber wenn er auch nicht grade zu von sich selbst redet so weiset er doch auch auf keinen andern hin, und eben deshalb sind diese Worte im strengsten Sinn zu verstehen, nemlich von dem Augenblick an wo er sagt die Zeit ist erfüllt, ist sie auch wirklich schon erfüllt, in demselben Augenblick wo er hervortrit ist das Reich Gottes wirklich da, ists wirklich herbeigekommen, es ist nicht blos nah, es kam nicht nach ihm, sondern mit ihm und in ihm. Und was er hernach Großes und Herrliches von sich selbst sagt was ists als das daß in ihm das Reich Gottes gekommen war. Wenn er sagt er könne nicht anders als die Werke des Vaters vollbringen und nichts von ihm selber thun sondern was er den Vater thun sehe das thue er auch: was ist das anders als daß die liebende Erfüllung des göttlichen Willens in ihm sei? und wo ist das Reich Gottes, als da, wo der göttliche Wille so erfüllt wird! Und Alles was er weiter sagt nemlich daß er das Brod des Lebens sei, daß wer an ihn glaube das Leben habe und daß es der Wille des Vaters sei daß die Menschen an ihn glauben sollen: das ist schon enthalten in dem einen Wort daß in ihm das Reich Gottes herbeigekommen sei. Wenn aber in ihm die Zeit erfüllt war so konnte es auch nicht anders sein als daß in ihm das Reich Gottes war; Denn gab es eine Sehnsucht, ein Verlangen in den Menschen die durch was sie sich selbst ausgesonnen und aufgebaut hätten nicht erfüllt werden konnte was konnte anderes der Gegenstand derselben sein als das was sie sich nicht selbst geben konnten; wonach suchen sie was und warum hofften und wünschten sie unaufhörlich, o gewiß, einen andern Gegenstand konnte diese Sehnsucht nicht haben als die Gemeinschaft mit Gott! Das war das Verlangen daß das menschliche Leben sich erhebe zum Ewigen! aber es giebt nichts Ewiges als das Reich Gottes. Sollte also die Zeit erfüllt sein in ihm, so mußte das Reich Gottes in ihm sein, und es giebt nichts was uns zu wissen nöthig ist, als das was in diesen zwei Worten enthalten ist. Aber das war und ist auch nöthig zu wissen; denn wenn es nichts war als Sehnsucht nach Ewigem weshalb die Menschen in allem Schönen was sie erstrebten doch immer noch eines anderen warteten was war das als daß sie selbst es nicht herbeiführen konnten. Die Erfüllung, sie mußte kommen von 23 konnte] konnt 3–4 Vgl. Mk 1,7 21 Vgl. Joh 6,40

15–17 Vgl. Joh 5,19

20 Vgl. Joh 6,35

20 Vgl. Joh 6,47

16

6r

Am 13. Januar 1828 vormittags

Oben, nur Gott konnte die Zeit erfüllen durch seinen Sohn, nur in dem, in dem Gott war, konnte das Reich Gottes kommen. Ist nun ein solcher da in welchem weil Gott in ihm ist das Reich Gottes ist, ein solcher durch welchen Gott die Menschen zu sich zieht, nun so müssen sie es auch wissen | damit sie ihn finden und mit ihm und durch ihn in der schönen Zeit leben, jenseits welcher es keine andre mehr giebt, denn dieses Wissen und dieses Finden ist Eins und dasselbe. Aber freilich werden wir uns sorgen müssen, daß das nicht kann auf solche Weise gewußt werden wie anderes was wir uns auf die Tafel unsers Gedächtnisses schreiben und es dann wissen; denn solch Wissen das heißt nicht Wissen in dem Sinn wie es hier gemeint ist und wie es in Beziehung auf das was der Erlöser sagt nicht anders kann gemeint sein; Sollen wir wissen was sich auf ihn bezieht, so muß das eine innre Erfahrung des Gemüths sein, erst wenn es das geworden ist, wenn es unser innerstes Bewußtsein geworden ist, dann können wir sagen: wir wissen es: So jene Jünger als sie sagen konnten: „wir wissen daß du bist der Sohn des lebendigen Gottes“: So Johannes: als er sagen konnte: „wir sehen seine Herrlichkeit, wir haben ihn erkannt als den Messias“: da erst wußten sie daß die Zeit erfüllt war und das Reich Gottes herbeigekommen war. Und aus dieser innern Erfahrung heraus predigten sie und das war die Verkündigung des Erlösers, was ihn wirklich verkündigte, wodurch die Menschen ihn erkannten das war nichts als die eigne Erfahrung derer die verkündeten. Eben so wars mit dem Erlöser selbst; er wußte daß Gott in ihm war um die Welt zu versöhnen mit sich, und daher wußte er daß die Zeit erfüllet war, und aus dieser Fülle, aus dieser Sicherheit redete er. Und nur was so geredet wird das kann als Erkenntniß auf Andre übergehn, nur weil er so wußte daß das Leben in ihm war konnte es durch ihn auf Andre übergehn, und nur dadurch, daß das Ewige so gewußt wurde ist die Predigt des Ewigen auf wirksame Weise fortgegangen. So mögen wir denn sagen: es ist uns nichts nöthig zu wissen als dies; ist uns diese Erkenntniß geworden wie können wir anders als darnach leben! Denn wornach der Mensch nicht handelt das weiß er eigentlich nicht, was er aber weiß, was tief in sein Innres eingedrungen ist das wirkt auch in ihm und treibt ihn daß er nicht anders kann als darnach thun, und so ist denn das Wissen und das Thun Ein und dasselbe. Wenn die Seeligkeit des Menschen nur darin bestehn kann daß er im Reiche Gottes lebt, daß er zum Ewigen hindurchgedrungen ist was braucht er da zu wissen als daß die Zeit erfüllt ist die Eins ist mit der Ewigkeit, daß das Reich Gottes da ist also alle Seligkeit gegründet: Das ist das Wissen woraus sich die lebendige Kraft und Thätigkeit entwickeln soll! Alles was geschieht durch die Kraft des Herrn darin ist dieses Wissen eingeschlossen! Alles kommt darauf zurück daß das Reich Gottes da ist, also die Zeit erfüllt! Und in dieser Gewißheit laßt uns fragen 15–16 Vgl. Mt 16,16; Joh 6,69

16–17 Vgl. Joh 1,14

22–23 Vgl. 2Kor 5,19

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Mk 1,15

5

10

15

20

25

30

35

40

17

2. Was ist das was in der Predigt unsers Erlösers die Aufforderung ist zu dem was wir zu thun haben? Buße thun. Das heißt nichts anderes als das nicht mehr wollen und thun was man gewollt und gethan hat, also: die Vernichtung alles Vergangenen. (Das für nichtig erklären alles dessen was uns sonst wichtig war[.]) Das ist der Sinn dieses großen Worts. So sollen wir also nach der Aufforderung des Herrn eben weil die Zeit erfüllt ist, weil eine neue Zeit beginnt, Alles von uns thun und für nichtig erklären was der Zeit angehört die nun vorüber ist. Und weil nun das Reich Gottes erschienen ist, so sollen wir nun nicht darin sein und das thun weshalb es kein Reich Gottes für uns gab. – Wenn es vor der Erscheinung des Erlösers in der Tiefe der Gemüther eine unbefriedigte Sehnsucht gab und ein Verlangen nach Besserem, wenn das Leben noch nicht da war welches der Erlöser erst mitgetheilt hat, es gab aber doch ein Leben | so war dieses Leben mit anderem erfüllt als das worauf sich die Sehnsucht bezog. Wenn es kein Reich Gottes gab, aber es gab doch ein Wirken aufeinander, eine Thätigkeit, so war das ein Reich aber nicht das Reich Gottes. Und wenn nun ein Neues kam, wenn das kam worin die Sehnsucht ihre Erfüllung fand, so mußte sich das Herz abkehren von dem früheren und dieses Abkehren von allem frühern Leben und Weben, Thun und Treiben dieses Abkehren vom Alten und dieses Sichvertiefen in das was nun erschienen: das ist die Buße. Wenn wir aufgefordert werden Buße zu thun so schließt doch das die Aufforderung in sich das ganze Leben wie es ist zu verlassen, und wenn wir dabei an das denken was überall darüber in unsern heiligen Büchern enthalten ist, so müssen wir freilich im allgemeinen sagen daß das Bußethun das Verlassen der Sünde ist, aber wie es das Ausziehen des alten Menschen genannt wird so werden wir dabei an Vieles andre erinnert, nemlich die Zeitgenossen des Herrn sollten nicht nur Buße thun von der Sünde sondern auch vom Gesetz; die Grundlage, die Triebfeder ihres Lebens sollte eine andre werden, auf ganz andre Art und Weise sollten sie bewegt werden. „Wir haben erkannt – sagt Paulus – daß des Gesetzes Wort kein Fleisch gerecht macht vor Gott“: und sieht das als Grund aller Buße an. Wenn Johannes auffordert Buße zu thun so sagt er: „werdet aber nicht wieder Abrahams Kinder“: Das Buße thun ist also ein Lossagen von Allem worauf man sich sonst verlassen hat und gestützt, alles Sichverlassen auf Menschen also, beruhe es auf Abstammung Verwandtschaft oder Verabredung oder auf was sonst, es muß fort, jedem Ruhen, jedem Handeln nach selbstgestellten Regeln, nach Grundsätzen oder allgemeinen Gesetzen der Menschheit, allem Sich Verlassen darauf muß entsagt werden: das heißt Buße thun: Das Alte muß fort wenn das Neue erscheint, 27 Vgl. Eph 4,22; Kol 3,9 31–32 Vgl. Gal 2,16 Joh 8,37–41 40 Vgl. 2Kor 5,17

34 Vgl. Mt 3,9; Lk 3,9;

6v

18

7r

Am 13. Januar 1828 vormittags

darum war für die, die die Predigt vom Sohn Gottes, vom Reiche Gottes zuerst hörten, darum war sie eine Aufforderung zur Buße. Aber was ist die für uns? O wir müssen gestehen daß es auch jezt kein Treten in das Reich Gottes gebe ohne Buße! Denn ehe das Göttliche erwachen kann in der Seele des Menschen ist sie schon mit anderem erfüllt, und sie muß sich erst davon abkehren um in das Reich Gottes einzugehen und es bleibt also die erste Aufforderung das Göttliche und das erste was der Mensch zu thun hat um dazu zu kommen: Thut Buße. Wenn aber unter den Christen viel darüber geredet wird und gestritten, ob es nur Ein Bußethun gebe oder ob das Bußethun etwas fortgesetztes sei und immer wiederholt werden müsse: sie sehn aus den Worten des Herrn daß sich das bejahen läßt und verneinen; Denn wenn der Herr sagt: „Thut Buße und glaubt an das Evangelium“: so ist der Glaube das Ende der Buße; denn der Glaube ist eben das neue Leben nachdem wir dem alten Leben entsagt haben. Aber bedenken wir wie genau der Herr das zusammenfügt, nemlich Bußethun und Glauben: so können wirs uns nicht anders denken als so wie es auch die Erfahrung lehrt, nemlich: so wie das Herz sich anfängt abzukehren von dem wofür es bisher gelebt hat, das aus sich entfernt was es bewegt hat, so nimmt der Glaube die leere Stelle ein: aber der Glaube kann nicht vollkommen sein wenn die Buße nicht ganz und vollkommen ist, daß sie aber das nicht ist wenn sie beginnt das fühlen wir Alle! Soll also der Glaube vollkommen werden, so muß es die Buße werden und weil sie nun immer noch nicht ganz vollkommen ist so ist das ganze irdische Leben ein Ergänzen der Buße, welche wenn sie gleich vollständig wäre keine andre übrig ließe[.] Wenn der Herr sagt: thut Buße: warum fügt er nicht hinzu was sein Vorläufer Johannes hinzufügte, nemlich: Die Früchte der Buße sind die Früchte des Geistes. Damit aber der Mensch die Früchte der Buße bringe muß also erst der | Geist Gottes über ihn ausgegossen sein, wodurch aber das geschieht das ist das Wort Gottes: Darum hat der Erlöser nur hinzugefügt, glaubet an das Evangelium, der Geist kommt aus dem Glauben, wie der Apostel zu denen sagt die sich noch auf anderes verließen: „sagt[,] habt ihr den Geist empfangen durch die Werke des Gesetzes oder durch den Glauben?“ Der Glaube kommt aus der Predigt und der Geist Gottes kommt aus dem Glauben, indem der Mensch an das Ewige glaubt wie es gepredigt wird aus dem Geist Gottes so wird er des Geistes voll: Das ist die Fortpflanzung des Reichs Gottes auf Erden, das ist die Uebertragung des Lebens Christi, und von da geht jene Zeit an wo der Mensch sagen kann: „nicht ich lebe sondern Christus in mir“: und das ists dann daß die Früchte des Geistes erscheinen, dann 1 für die, die die] für die, die, die 26 Vgl. Mt 3,8–11

31–32 Vgl. Gal 3,2

37–38 Gal 2,20

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 1,15

5

10

15

20

25

30

35

19

erst wenn der Geist Gottes in uns ruft: lieber Vater: dann ist der so weit gediehen daß er thätig sein kann durch die Liebe. Glaubet nun an das fest: Das ists was der Erlöser fordert, und wie kann auch der Mensch Buße thun, wie kann er das Alte verlassen wenn er nicht das Neue ergreift! Der welcher Buße thut der glaubt auch schon, es muß schon eine Spur des neuen Lebens in der Seele sein; denn dann erst kann sich sein Herz vom Alten abwenden; Bußethun und Glauben, beides beginnt zu gleicher Zeit. Aber ehe es beginnt weiß er auch nicht daß die Zeit erfüllt ist und das Reich Gottes da ist; das Wissen und das Bußethun und das Glauben ist Eins: Ist der Erlöser also die ewige Quelle des Einen so ist er auch die des Andern. Er mußte erscheinen eher konnte er nicht erkannt werden, eher konnten die Menschen nicht wissen daß die Zeit erfüllt sei, er mußte erscheinen in dem der Vater wohnte und herrschte als der von dem aus ein Reich Gottes sich verbreiten konnte, und nur indem wir in ihm den Abglanz des Vaters erkennen, wissen wir daß das Reich Gottes gekommen. Aber eben so ist auch er allein der Urheber des Bußethuns und des Glaubens, denn wenn wir nicht in ihm, in dem es allein ist, das ewige Leben erkannten, wie werden wir vom alten Leben ablassen! So wars vor seiner Erscheinung, es blieb beim Alten; denn mag auch die Sehnsucht nach dem Ewigen in allen Bessern zum Vorschein gekommen sein mögen sie es erkannt haben daß Alles eitel sei und nur das Höhre wünschenswerth, so konnten sie es sich doch nicht herabführen; es mußte gegeben werden von Oben, Einer mußte kommen der das Leben in sich selbst hatte und erst indem wir in dem das Leben und die Liebe erkannten, vermochten wir Buße zu thun. So ist dann das Alles Eins und dasselbe, weil es nichts anderes ist als das Erkennen und Mittheilen des Sohnes Gottes, und darum ist den Menschen kein anderer Name gegeben darin sie sollen selig werden [als] der Seine. Und dieses sein Wort das ist die erste Predigt und die fortgehende und fortwirkende, und wir wissen sie wird fortgehen bis sie gehört ist an allen Enden der Welt, und das neue Leben mitgetheilt ist Allen, bis das Wissen und Thun in jeder Beziehung Eins und dasselbe geworden ist, bis der Sohn mit dem Vater gekommen in alle Herzen, bis der Geist in Allen ruft: Lieber Vater! und der Geist all die herrlichen Früchte trägt die dem neuen Leben angehören! Und so laßt denn die Predigt uns zurufen, und daran erkennen daß wir seine Jünger sind daß das Bußethun und Glauben nichts ist als Liebe zu ihm, und dieses neue Leben nichts ist als daß wir uns untereinander lieben mit der Liebe womit er uns geliebt hat!

1 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6 14–15 Vgl. Hebr 1,3 21 PredSal 1,2 23 Vgl. Joh 11,25; 14,6 26–28 Vgl. Apg 4,12 32–33 Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6

Am 20. Januar 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Sonntag nach Epiphanias, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Thess 5,16–18 Nachschrift; SAr 67, Bl. 9r–10r; 11r–11v; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „Die Communion fiel aus.“ Der Predigt ist ein Brief zur Entstehung der Reinschrift angehängt. (Vgl. Sachapparat, S. 25) Teil der vom 17. Juni 1827 bis zum 17. Februar 1828 gehaltenen Homilienreihe zum 1. Brief an die Thessalonicher

Aus der Predigt am 2. S. nach Epiph. 28 1. Thess. 5, 16–18

9r

Es wird gewiß für viele unter uns der erste Eindruck sein den diese Worte machen, wie leicht darin der Apostel das unmittelbar zusammenstellt was eben so schwer scheint als fast unmöglich sowol jedes einzeln zu leisten als beides miteinander zu vereinen. Aber wenn wir dabei an die Worte des Herrn denken welche der sprach als er zu den Jüngern eintrat und sie anblies mit dem heiligen Geist: „Friede sei mit euch“: und wenn wir daran denken daß dadurch die Jünger froh wurden, wenn wir also auf das uns aufmerksam machen was der Geist Gottes in den Herzen wirkt, so werden wir finden daß es nichts anderes ist als die Leichtigkeit und die Kraft des Geistes wodurch der Apostel vermochte diese Vorschrift so im Allgemeinen d. h. für jede Zeit und Lage des Lebens, und so im Zusammenhang zu geben. So laßt uns denn daran denken wie eben so das zweite eine Wirkung des Geistes ist und wenn wir uns dann den Inhalt jedes Einzelnen vergegenwärtigen, dann werden wir es leicht vereinen. [1.] Der Apostel Paulus unterscheidet anderwärts: eine Traurigkeit des Geistes die zur Seligkeit führt und eine Traurigkeit der Welt von welcher er das Gegentheil sagt. Wie es nun mit der Traurigkeit steht in dieser Bezie2 16–18] 16– 6–9 Vgl. Joh 20,19–22

17–19 Vgl. 2Kor 7,10

5

10

15

Predigt über 1Thess 5,16–18

5

10

15

20

25

30

35

40

21

hung so auch mit der Fröhlichkeit, es giebt eine Fröhlichkeit des Geistes die der Anfang der Seligkeit ist, aber es giebt auch eine Fröhlichkeit der Welt von der man das Gegentheil sagen kann; denn um so stärker sie das Gemüth in Bewegung gesetzt, läßt sie es unbefriedigt zurück; es ist eine Fröhlichkeit welche mit der Thorheit zusammenhängt und daraus entspringt, weswegen man wünschen muß daß jeder wenig oder nichts davon hat, damit das rechte Maaß und Gleichgewicht der Bewegungen nicht verloren gehe. Aber die Fröhlichkeit die vom Geist gewirkt ist, die ist eben so ein wesentlicher Bestandtheil der Seligkeit als die Traurigkeit des Geistes zum ersten Anfang derselben führt. Von dieser Fröhlichkeit nun konnte der Apostel mit Recht sagen daß wir sie allzeit haben, und daß sie nie von uns weichen solle, und wenn er sagt: seid allzeit fröhlich: so ist das dasselbe was er im Brief an die Philipper so ausdrückt: „freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sag ich freuet euch“: Da führt er uns zugleich auf den Gegenstand der Freude hin, und so wie wir dies Wort als Erklärung des: seid allzeit fröhlich: ansehn so sehn wir eben daraus auf welche Weise und warum es möglich ist allzeit fröhlich zu sein. Es scheint freilich von frommer Gemüthsstimmung herzurühren. Wenn die Menschen gestimmt sind die Welt als ein Jammerthal anzusehn, und nur desto mehr Ursach da ist zu jammern, desto weniger froh sein können und darum die Welt zu vergessen suchen, indem sie sich zurückziehn um des Jammers nicht theilhaftig zu werden, aber schwerlich werden sie so zu der Freude an dem Herrn gelangen; denn der Herr that nicht also, er zog sich nicht von der Welt zurück sondern wie für dieselbe so lebte er auch in derselben, und auch in der Welt hatte er Freude; denn indem er immerwährend auf den Vater sah so hatte er Freude an ihm und in ihm, er hatte Freude an seinen Werken, an seinem Walten in der Welt, und wenn er freilich über die Thorheit und Sünde weinen konnte, so war das sein Mitgefühl mit denen unter denen er lebte, sein eigen Gefühl aber war, auch mitten in der Welt in den Leiden derselben, eine ununterbrochne Gottähnliche Seligkeit. Zur Freude gehört nichts als daß wir einen beständigen Gegenstand des Wohlgefallens haben, wie aber kann der uns fehlen da wir im Reiche Gottes stehn wo der Geist des Herrn herrscht und wo der Sieg des Lichtes über die Finsterniß sich immerfort wiederholt und sie immer mehr austreibt, wo, wie der Apostel sagt: wir Jesum Christum vor Augen gemahlt haben | wo wir in ihm die Herrlichkeit des Sohnes Gottes schauen, und den Abglanz des göttlichen Wesens, ja wie er selbst sagt: den Vater in ihm schauen! wie könnten wir also die Zumuthung des Apostels von uns weisen, da wir ja immer den, unter mannigfachen Gestalten uns vorschwebenden Gegenstand der Freude haben und uns den nichts entreißen kann, wenn es auch noch so viele Gegenstände der Betrübniß um uns her giebt! So mögen wir sagen 13–14 Phil 4,4

35 Vgl. Gal 3,1

35–37 Vgl. Hebr 1,3

37 Vgl. Joh 14,9

9v

22

Am 20. Januar 1828 früh

daß wir wie der Erlöser mitten in die Thorheit der Welt gestellt sind, mit dem Unterschiede freilich daß wir selbst Antheil daran haben und es bei uns nicht blos Mitgefühl ist wie es bei ihm war wenn er weinte über die Sünde, aber dennoch, wenn wir nur das Bewußtsein der Gemeinschaft mit ihm haben, wenn wir nur wissen daß der Geist Gottes wirksam ist in uns und uns den Sieg verschafft über Alles was uns stören könnte im innern Leben und in der Thätigkeit, so können wir fröhlich sein allezeit in uns selbst, denn was uns schmerzlich bewegt es ist das Mitgefühl mit dem was außer uns ist; denn wir sind durch Christum die neue Creatur worden die ohne Sünde ist, nun ist freilich noch immer etwas von dem allen in uns und der Schmerz darüber trübt uns, aber doch können wir ihn als einen andern und fremden ansehen weil das nicht mehr zu unserm Wesen gehört, und so kann auch das unsre Freude nicht dämpfen, sondern wir sollen auch das unter die große Regel ziehn daß denen die Gott lieben alles zum Besten dienen muß. Ja auch das soll uns zum Besten dienen daß die Spuren der Gebrechlichkeit zum Vorschein kommen; denn erscheinen sie so können wir doch mit der Kraft des Geistes dagegen kämpfen und so allmählig immer mehr ausrotten was uns im Frieden stört und in der Fröhlichkeit. Nun wenn es sich nun so verhält daß uns das nicht stört was in uns selbst noch nicht zum Reich Gottes gehört wie sollten es denn die das Mannigfaltige vollkommen an sich tragenden Begebenheiten und das außer uns in mannigfaltigen Gestalten erscheinende noch nicht dazu gehörende thun können! Wenn wir das einmal wissen daß denen die Gott lieben Alles zum Besten dienen muß nun dann wissen wir auch daß das uns zum Besten dient, wissen es weil wir es immerfort im Jammer erfahren durch die Kraft des Geistes Gottes in uns. Und wenn uns das freilich indem es uns tief ergreift uns in unsrer Fröhlichkeit stört was in unsern Leben noch nicht zum neuen Leben aus Gott gehört und uns als zur Welt gehörend entgegentrit, so ist das der Zoll der Schwachheit, das Ziel aber soll sein daß auch das uns nicht stören kann. Und wenn nun auch Einer unter uns ein auf diese Weise betrübter wäre, so wird ihm das gewiß Ermunterung sein zur Fröhlichkeit daß der Apostel das den Christen als allgemeine Vorschrift giebt, er der selbst so viel zu leiden hatte, aber dabei immer durchdrungen war von der Freude an dem Herrn. Ja es wird jeden erheben in diese ewige Freude miteinzustimmen die den Dank in sich schließt wie wir ja Gott dankbar sein sollen in allem. 2. Wenn der Apostel sagt: Betet ohne Unterlaß: so scheint auch das etwas zu sein dem wir nicht entsprechen können, aber der Apostel bezieht sich dabei auf das Wort des Herrn „ihr sollt nicht viele Worte machen, denn 14–15 Vgl. Röm 8,28

39–1 Vgl. Mt 6,7

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Thess 5,16–18

23

euer himmlischer Vater weiß was ihr bedürfet.“ Sollen wir nun nicht viele Worte machen [ ] 5

10

15

20

25

30

35

Aber beten heißt Gott gegenwärtig haben und alles was uns bewegt in Verbindung mit Gott bringen, giebt es nun etwas in uns was wir nicht dahinein bringen können. Das ist dann freilich die Feindschaft gegen Gott und dabei | kann kein Beten bestehen, wenn aber davon nichts in uns ist, was könnte dann uns hindern Gott immer gegenwärtig zu haben, ja wie kann irgend ein Augenblick wo nicht Gott im Innern uns gegenwärtig wäre uns segensreich sein, wie kann ein Werk gerathen wenn wir nicht im Thun wie im Denken und Empfinden ihn gegenwärtig haben. Jemehr wir das in unser Bewußtsein tragen daß wir nichts empfinden denken und thun von ihm entfernt je mehr wir wissen daß die Unfähigkeit Gott gegenwärtig zu haben das ist was die Thorheit der Welt ist und die Fröhlichkeit der Welt, so wissen wir auch daß die Fröhlichkeit die der Apostel meint, Eins ist mit dem Gott gegenwärtig haben also mit dem Beten ohn Unterlaß, o so sehn wir daß das Eine ohne das Andre nicht sein kann. Wenn wir nun an den Erlöser denken, können wir denken daß es in seinem Leben einen Augenblick gegeben wo er außer der Gemeinschaft mit dem Vater gewesen wäre, denn dann hätte er nicht sagen können daß er Eins sei mit ihm, daß er nichts von sich selbst thue; denn was er außer der Gemeinschaft mit ihm gethan hätte das hätte er ja von sich selbst gethan. Nun sind wir freilich nicht er, aber in so fern wir in seiner Gemeinschaft stehen, so ist Gott durch ihn uns gegenwärtig und die Freude an ihm ist das allzeit fröhlichsein und unser Leben ist das Streben nach der Aehnlichkeit mit ihm in welchem wir so gewiß immer weiter gedeihen als er seinen Geist über uns ausgegossen hat; denn was bezeichnet uns der Apostel nun als das Werk des Geistes? er sagt: nun hat Gott den Geist in unser Herz gegeben welcher in euch ruft: „Lieber Vater.“ So ists der Geist Gottes in uns der nach Gott ruft, dem Gott seinen Willen kund thut und er der nach ihm ruft, ist auch immer bereit zu hören. Ja der Geist des Herrn ists der eben seine Gemeinschaft mit Gott uns mittheilt und uns Gott gegenwärtig erhält bei Allem was nicht der Feindschaft gegen ihn angehört. Wenn er also das sagt: seid fröhlich allzeit und betet ohn Unterlaß: so ist das die vollständigste Anweisung zu der Seligkeit der Christen: die in welchen der Geist so kräftig wirkt daß sie diesen Vorschriften nachkommen die haben die ewige Seligkeit schon hier und können dort nichts erwarten als die Fortsetzung und Vollkommenheit dieses Zustandes; denn es gehört nichts als die Fröhlichkeit und Sicherheit 2 machen] folgt ein Spatium von etwa drei Zeilen Länge 20–21 Vgl. Joh 5,19

28–29 Vgl. Gal 4,6

15 daß] das

10r

24

11r

Am 20. Januar 1828 früh

einer mit Gott verbundenen Seele, zu der Seligkeit. Es wäre nun wohl nicht nöthig von dem dritten Wort des Apostels: „seid dankbar in allen Dingen:“ zu reden, aber freilich umsonst hat er es auch nicht gesagt sondern er hats gesagt als eine Abmahnung von besondrer Schwachheit in Beziehung auf unsre Empfindung über unser Leben in der Welt; Denn wenn wir uns fragen: was ist das Gegentheil der Dankbarkeit wie es der Apostel hier meint wenn er sagt: in allen Dingen: so ists die Unzufriedenheit. Unzufrieden sollen wir nicht sein mit der Langsamkeit womit wie es uns erscheint das Werk des Erlösers von statten geht, mit der Langsamkeit unsrer eignen Führung, sondern dankbar in allem, dem, von dem wir wissen daß er alles herrlich hinaus führt. Und wie fern uns Christus in seinem Sein und Werken in uns gegenwärtig ist so wird die Dankbarkeit nichts sein als die Erinnerung daran was wir sein würden ohne ihn, wie tief das menschliche Verderben ist, und was er erst hervorbringen mußte und hervorgebracht hat um uns zu heiligen, diese Erinnerung wirft einen Schatten auf die frühere Zeit aber stärkt uns auch in der Freude an ihm. | Es wird nicht zur Traurigkeit ausschlagen daß wir dessen gedenken daß die Kraft des Herrn sich immer noch kräftiger bewähren muß weil noch immer viel zu überwinden ist, sondern wenn wir Gott in uns gegenwärtig haben, so müssen wir wachsen in der Freude an ihm: und so laßt uns das, daß wir dankbar sind in allen Dingen, in jeder Führung, ansehn, als das rechte Siegel, als die rechte Bewährung dessen, daß der Geist Gottes in uns ist. Laßt uns Gott darbringen das Opfer eines dankbaren Herzens, welches überzeugt ist daß alles grade so gut ist wie Gott es fügt. Aber PnunS laßt uns noch beherzigen was der Apostel sagt: das ist der Wille Gottes in Christo: nicht um uns besonders einzuschärfen daß es der Wille Gottes ist; sondern dies, daß es der Wille Gottes in Christo ist, d. h. daß wir gar nicht fähig wären dies als Willen Gottes zu erkennen und aufzunehmen wenn wir nicht in Christo worden wären die neue Creatur. Ja das ist gewisslich wahr und es ist das theure Wort daß nur Christus gekommen um was Verloren war selig zu machen, zu versöhnen mit Gott! In der Freude an ihm, in dem Beten ohn Unterlaß, in der sich immer gleichen Dankbarkeit des Herzens, darin verkündet sichs daß wir versöhnt sind mit Gott, daß wir in seine Gemeinschaft mit Christo aufgenommen sind, und daß keine Feindschaft wider ihn in uns übrig ist. Aber versöhnt sind wir nur durch ihn in dem Gott war und der sich uns dargeboten hat; denn denken wir an die vortrefflichsten Zustände der Menschen vor ihm, so müssen wir sagen: wie haben die Heiden gerungen um nur zu der Ueberzeugung zu gelangen daß das höchste Wesen nicht neidisch sei und rachsüchtig, wie hat das Volk Gottes Gott 2 dem] den

19 ist,] ist.

10–11 Vgl. Jes 28,29

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Thess 5,16–18

5

10

15

20

25

30

25

immer verehrt als eifrigen Gott der bereit ist die Sünde zu vergelten bis ins vierte Glied. Ja, dabei konnte keine Fröhlichkeit des Herzens bestehen und da mußten die Menschen es gern haben wenn recht Vieles sie abzog von dem Gedanken an ihr Verhältniß zu Gott. Aber so er geredet durch den Sohn so ist die Scheidewand gefallen zwischen Gott und den Menschen und Alle sollen nun Eins sein in der Liebe zu ihm der in Christo war als die Liebe, Alle sollen völlig werden in der Liebe die alle Furcht austreibt weil sie das hinwegnimmt was der Grund der Furcht ist, und ist nun alle Furcht ausgetrieben so ist der Weg da um allzeit fröhlich zu sein und dankbar wie das der Wille Gottes ist in Christo: So ist ers der uns fähig gemacht hat bei Gott zu sein und in ihm uns zu freuen, er in dem Gott war um die Welt zu versöhnen der hat uns den Weg zu ihm eröffnet, und in diesem hinzunahen zu dem Vater durch ihn ist uns die rechte Fröhlichkeit verliehen in der wir beten ohn Unterlaß und dankbar sind in allen Dingen. So laßt uns denn fest halten an der lebendigen Gemeinschaft mit Christo und sein Bild uns einprägen, und das als Maaßstab ansehen unsers Lebens in ihm daß wir nur fröhlich sind in ihm; denn jemehr wir es dazu bringen allezeit Gott in allen Dingen fröhlich und dankbar zu sein und ihn immer gegenwärtig zu haben wie das ja die schönste Verheißung | ist daß er mit dem Vater kommen will um Wohnung zu machen in uns – um destomehr werden wir schon hier seine Seligkeit genießen aus dem lebendigen Glauben an ihn; denn was uns hier beschieden ist, wozu wir hier bestimmt sind das ist das ewige Leben von dem wir nicht wissen könnten daß es dort unser Theil ist wenn wir nicht schon darin versenkt wären, wenn wir nicht schon aus dem vergänglichen Leben hindurchgedrungen wären zu diesem neuen ewigen Leben: So möge denn das Alles besiegen was nicht aus Gott ist, damit die Gemeinde des Herrn ein Bild darstelle wie der Apostel es hier verzeichnet. [Unter der Predigt mit Einfügungszeichen, jedoch ohne Entsprechung im Text:] und wird um so geneigter sein in diese Fröhlichkeit ( – wenn auch mit gebeugtem Herzen) mit einzustimmen als der Apostel hinzufügt daß wir Gott dankbar sein sollen in allem.

1–2 Vgl. Ex 20,5; 34,7; Num 14,18; Dtn 5,9 7 Vgl. 1Joh 4,18 19–20 Vgl. Joh 14,23 27 Der Predigt ist folgender Brief angehängt: „Liebe Freundin / Diesen Schluß der Predigt send’ ich Ihnen mit der Bitte daß Sie am Sonntag mir die ganze Predigt und diesen Schluß mitbringen, damit ich ihn hinzufügen und auch manches verbessern kann was ich wol gestern in Ihrer lieben Gesellschaft übersehen haben mag. Möge Gott in diesem neuen Jahr Ihres Lebens immermehr Ihre heiße Sehnsucht erfüllen und den reinigen Gegenstand der Freude Ihnen in mannigfaltigeren Gestalten zeigen, damit jede Spur des Göttlichen Ihnen so klar in die Augen leuchte daß Alles Andre dagegen Ihnen erscheine wie Nebel der im Verschwinden ist. Möge die Liebe wie Sie sie in sich tragen Ihnen die Bürgschaft der Liebe sein die endlich Alle zu ihm zieht der immer noch darin begriffen ist die Welt mit Gott zu versöhnen!“

11v

Am 3. Februar 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Septuagesimae, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Thess 5,19–22 Nachschrift; SAr 67, Bl. 12r–13v; Woltersdorff Keine Keine Teil der vom 17. Juni 1827 bis zum 17. Februar 1828 gehaltenen Homilienreihe zum 1. Brief an die Thessalonicher

Aus der Predigt am S. Septuag. 28. 1. Thess. 5, 19–22

12r

Diese Worte des Apostels enthalten vorzüglich Zweierlei, nemlich: 1. eine Vorschrift in Beziehung auf die Lehre. 2. eine andre in Beziehung auf das Leben, wie nemlich beides die Christen vernehmen und um sich her sehn. Das Erste was der Apostel sagt bezieht sich auf die verschiedne Art der Lehre; denn wenn er sagt: dämpfet den Geist nicht: so sehen wir wol daß er nicht nöthig hatte den Christen diese Vorschrift zu geben in Beziehung auf den Geist der Kindschaft im Allgemeinen; denn um des willen und dadurch waren sie ja Christen geworden und konnten den nicht dämpfen wollen; sondern es galt von den besondern Gaben des Geistes und vorzüglich von denen die sich in öffentlicher Rede äußerten. Es gab zweierlei bestimmt von einander verschiedene Arten der Rede unter den Christen – Unterschiede die wir jezt auch finden aber nicht auf dieselbe Weise. Die erste nemlich das war die mehr begeisterte Rede einer äußern und innern Aufgeregtheit des Gemüths, und diejenigen welche so redeten wurden ins Besondere mit dem Ausdruck: die Geistischen: bezeichnet. Der Apostel redet davon ausführlicher in seinem Briefe an die Corinther wo er auch auf den Mißbrauch aufmerksam macht, indem er darueber klagt daß die die so reden denen zu welchen sie reden nicht immer verständlich genug würden, und er deutet zugleich darauf hin daß eine Neigung diese Art der Rede der andern vorzuziehn vorhanden sei, da doch beide gleich sollten geachtet werden. Die andre Art, das war die mehr besonnere, ruhige, 2 19–22] 19–

14 Weise.] Weise –

17–23 Vgl. 1Kor 14,1–40

5

10

15

20

Predigt über 1Thess 5,19–22

5

10

15

20

25

30

35

40

27

sich mehr über das ganze christliche Sein und Leben erstreckende, erläuternde Rede, und die hieß die Weissagung; denn er meint nicht das Vorhersagen wenn er sagt die Weissagung achtet nicht gering, denn diese Ermahnung wäre nichts, indem mehr denn zu sehr die Menschen geneigt sind darauf zu hören und sich damit zu beschäftigen. Wo nun diese beiden Ausdrücke in der Schrift zusammen vorkommen, da haben sie immer diese, der damaligen Zeit angemessne Bedeutung. Wenn wir nun das, was wir in den Briefen des Apostels darüber lesen, zusammenfassen, so sehen wir wol daraus daß jene begeisterte Rede von den meisten Christen damals überschätzt und dagegen jene ruhigere besonnere geringer geachtet wurde. Aber wenn der Apostel sagt daß er auch könne in so besondrer, überschwänglicher Rede das Evangelium verkünden, er zöge es aber vor auf besonnenere, nüchterne Weise zu reden damit er Allen verständlich würde; und wenn er von der andern Art sprach und die, die dazu aufgeregt waren ermahnt sie möchten darauf halten daß ein Andrer das deutlich mache was sie redeten: so kann man denken daß schon damals die menschliche Schwachheit sich in die Äußerung der göttlichen Gabe des Geistes miteingemischt habe. Wenn nun die mehr glänzende Rede vorgezogen, und dagegen die einfache Hinweisung auf das Wort der Schrift zurückgestellt wurde hinter jene, so mußte das freilich wieder ausgeglichen werden. Hier aber ermahnt der Apostel den Geist nicht zu dämpfen, er wollte also daß die glänzenden Gaben nicht sollten übersehn werden die der Geist Gottes wirkt, sondern ermahnt ihn auch in diesen Äußerungen nicht zu dämpfen, auch solche Reden nicht zu dämpfen, und den Eindruck den sie auf die Gemüther machen zu ehren und zu pflegen, wobei er sich doch gewiß bezog auf den Unterricht den er ihnen früher gegeben, ähnlich denen welchen er an die Corinther richtete; denn nur in so fern verdienen die Gaben bewahrt zu werden als Erbauung dadurch entsteht und die kann nur entstehen wenn die Erläuterung nicht fehlt darum sollen alle Gaben frei walten. Aber hier scheint er eine entgegengesetzte Neigung vorauszusetzen d. h. eine Neigung zu einseitger Schätzung des schlichten Worts eines christlichen Verstandes, worüber die Schätzung jener andern Art der Rede vernachlässigt wird. Das also daß er sagt: Dämpfet den Geist nicht und verachtet die Weissagung nicht: das ist das Wort des Apostels in Beziehung | auf die richtige Benutzung aller Gaben des göttlichen Geistes, das ist die apostolische Weisheit daß auch die verschiedensten und entgegengesetztesten Gestaltungen dessen, was der Geist wirkt, sollen in Ehren gehalten werden! Wir finden überall in der christlichen Kirche, sowol im Amte des Worts als im Leben, eben die verschiednen Arten hervorgehn aus dem was der göttliche Geist wirkt in den verschiedenen Gemüthern, wir wissen daß der Geist mancherlei Gaben hervorbringt, und doch finden wir unter uns 27 Corinther] Corrinther

12v

28

Am 3. Februar 1828 früh

hin und wieder eine Neigung zu einer einseitigen Beurtheilung und zu einseitigem Gebrauch derselben, bei Einigen die Neigung die eine Art und Weise vorzuziehen, um das ruhige erläuternde Wort vernehmen zu wollen, und das als gefährlich darzustellen was in besondrer Aufgeregtheit des Gemüths geredet wird, bei anderen aus einseitiger Vorliebe dafür eine Geringschätzung der einfachen, dem Wort der Schrift genau folgenden, Allen bekannten Art und Weise. Der Apostel aber ermahnt das Eine nicht zu dämpfen und das Andre nicht gering zu schätzen sondern beides gleich zu halten und sich für keins zu verschließen. Und wie sollten wir dieser Ermahnung nicht folgen, wie sollten wir uns nicht freuen wenn der Geist Gottes ein Gemüth in Besitz nimmt und eine besondre Aufregung darin hervorbringt so daß die so begeisterten nicht anders können als in überschwenglichen Worten von göttlichen Dingen reden! Wer sollte sich nicht freuen wenn durch besonnenere tiefer eingehende Mittheilung des Worts der Schrift und auf den Grund der Allen gemeinen Erfahrung auf die Gemüther der Christen gewirkt wird! Ja über beides können wir uns freuen, und aus beidem sollen wir Nutzen ziehn zur Erbauung, über beides uns freuen ohne Vorliebe und Geringschätzung! Den göttlichen Geist wollen wir walten lassen ohne uns selbst für eine von seinen Wirkungen zu verschließen. Aber laßt uns ja nicht übersehn was der Apostel hinzufügt nemlich „Prüfet Alles“: Gewiß das ist ein ganz wesentliches und wichtiges Wort des Apostels . Denn freilich wenn der göttliche Geist vermöchte unmittelbar zu reden, dann wäre keine Prüfung nöthig, denn das was er so redete das müßte gut sein, aber er kann nicht anders reden als durch Werkzeuge und durch die kann er nicht anders als ihrer Eigenthümlichkeit nach wirken. Darum sollen wir das nicht übersehn, daß, wenn der Geist Gottes in den Gemüthern lebendig ist und aus ihnen redet, doch in allen sich das was der menschlichen Schwäche angehört miteinmischt, oder doch gar leicht sich mit einmischen kann: darum sollen wir alles prüfen was geredet wird weil eben jede von den verschiedenen Arten zu reden ihren eigenthümlichen Fehlern ausgesetzt ist, wie ja in jedem Gemüth sich die menschliche Schwachheit auf andre Art offenbart. Immerdar also müssen wir prüfen um nicht zu mischen und nicht das Menschliche eben so zu ehren wie das Göttliche: Das meint der Apostel wenn er sagt: „prüfet Alles!“ Und nicht etwa nur Einigen ruft er das zu sondern er endet den ganzen Brief damit daß er sagt „ich beschwöre euch bei dem Herrn, daß ihr diese Epistel lesen lasset alle Brüder.“ Und darin hatte er Alle im Sinne und an Alle ist das Wort gerichtet: Prüfet Alles und das Gute behaltet: Das ist der Vorzug welcher lange Zeit hindurch, in den Tagen der Finsterniß der Gemeinde abgesprochen war, indem Einige allein sich das Vorrecht angemaaßt hatten zu bestimmen was das Maaß der Wahrheit sein sollte aber als die Zeit kam wo Gott neues hervorbrachte und die 35–36 1Thess 5,27

41–1 Vgl. Apg 17,30

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Thess 5,19–22

5

10

15

20

25

30

35

40

29

Zeit der Unwissenheit übersehn wollte, da wurden Alle wieder auf das Recht Alles zu prüfen aufmerksam gemacht und auf das Wort Gottes hingewiesen um eben daran Alles prüfen zu können. Aber das Wort des neuen Bundes, das war damals noch nicht vorhanden als der Apostel dies sagte, sondern wie eben dieses Wort aus dem von ihm an die Gemeinde zu Thessaloniki gerichteten Briefe ist, so kamen damals erst allmählig die Bücher des neuen Bundes zusammen: wonach also sollten die | Christen damals Alles prüfen? nicht nach dem Wort des alten Bundes; denn das war ein schwaches Licht! aber so spricht der Apostel an einem andern Orte seiner Briefe: „und so ein Engel käme vom Himmel und predigte auch ein anderes Evangelium als ich euch predige so glaubet ihm nicht“: Also darauf weiset er die Christen hin als auf den Maaßstab um alles zu prüfen, das Evangelium d. h. die seligmachende Kraft, die Kraft des Herrn die sich als solche an ihren Selen bewährt hatte, das Wort Gottes das er ihnen immermehr mitzutheilen bemüth war, und wovon er sagte daß er es nicht von Menschen empfangen habe sondern von Gott durch den Geist Christi. Und was sind denn die Schriften unsers neuen Bundes selbst als Wiederholungen der ursprünglichen Verkündigung dessen was die ersten Gläubigen unmittelbar selbst empfangen haben, also dessen wie Gott sich in Christo uns offenbart! er also ists nach dem wir Alles prüfen sollen[,] er in dem der Vater sich ihnen verklärt die an ihn glauben, er dessen Bild sie uns abgezeichnet haben, treu und wahr, in dem Wort das sein Geist uns lebendig macht, er ist der Prüfstein der göttlichen Wahrheit, Alles was uns entgegenkommt, haben wir zu beurtheilen nach dem Eindruck der Gnade und Wahrheit den der eingeborne Sohn Gottes auf uns macht, und wie sich uns darstellt in ihm das Ebenbild des göttlichen Wesens: so, sagt er, sei er der Weg und die Wahrheit, wenn wir an seinem Maaße Alles prüfen und beurtheilen was sich uns für Wahrheit giebt auf daß er sei Alles in Allem. Und dieselbe Bewandniß hat es auch mit der Vorschrift des Apostels indem er sagt: „das Gute haltet fest und enthaltet euch aller Art des Bösen:“ Die letzten Worte lauten in unsrer kirchlichen Uebersetzung freilich so: „meidet allen bösen Schein“. Und das ist freilich auch eine gute Regel in sofern wir im Stande sind sie zu erfüllen oder ihr zu folgen, aber es bleibt doch immer eine bedenkliche Vorschrift; denn wie schwierig ists dabei, nicht wieder der Menschen Knechte zu werden; denn was Einem oder dem Andern böse scheint das kann man doch nicht wissen man muß also erst nach den Meinungen der Menschen hören um das vermeiden zu können, was in diesem oder jenem Fall nach ihrer Meinung böse ist, und so kann diese Vorschrift die Freiheit der Kinder Gottes und den Beruf in jedem Augenblick dem göttlichen Willen nachzukommen, beeinträchtigen. Ganz an9–11 Vgl. Gal 1,8 35 Vgl. 1Kor 7,23

15–16 Vgl. Gal 1,12

26 Vgl. Joh 14,6

28 Vgl. 1Kor 12,6

13r

30

13v

Am 3. Februar 1828 früh

ders ists mit dem Sinn dieses Worts des Apostels; denn wenn er sagt: „das Gute haltet fest, dagegen enthaltet euch von Aller Art des Bösen:“ so ist das der rechte Ausdruck für die Erfahrung die wir stets zu machen im Stande sind und es ist kein überflüssig Wort; nemlich, das werden wir nicht leugnen daß die meisten Menschen nicht unbefangen auf alle Erscheinungen des Lebens sehn, sondern mehr oder weniger sind wir mit Vorurtheilen behaftet und schwerlich wird Einer behaupten daß jeder zu Allem eine gleiche Aufgelegtheit des Gemüths haben könne: Wenn wir nun auf das Wahre und Gute sehn was im Reiche Gottes zum Vorschein kommt nun so müssen wirs wol erkennen daß es von der größten Wichtigkeit ist daß der offne Sinn dafür in Allen geweckt werde und die einfältige Liebe zu allem Guten, wie und wo es auch sich zeige, rege gemacht werde: so wie sich etwas als vom Erlöser gewirkt ausdrückt, es auch gleich anerkennen als solches und es sich einverleiben auf irgend eine Weise, das ist das Festhalten des Guten! Alles Gute was wir wahrnehmen auf uns wirken lassen und es in den unmittelbaren Zusammenhang des Guten das wir kennen hineintragen und es da befestigen und so allem Guten sein Recht sichern, das ists was der Apostel meint; denn daß wir nicht Alles d. h. jede Art des Guten in uns gestalten können, das wissen wir, und dazu ist ja auch die Verschiedenheit der Gaben damit keiner überflüssig sei in der Gemeinde sondern Alle zusammen den Leib des Herrn bilden der von ihm, seinem Haupte, geleitet wird. Und jemehr sich der offne freie | Sinn, der nöthig ist um alles Gute zu erkennen und fest zu halten, entwickelt um so mehr kommt die Gemeinde dieser Vollkommenheit näher. Wie wir nun einen großen Theil der Geschichte der christlichen Kirche vor uns haben so sehen wir daß gar oft manches Gute und Schöne das zum Vorschein kam in Einzelnen, keinen Eingang fand im Allgemeinen, und nicht gepflegt, keine bleibende Gestalt bilden konnte: Jemehr nun damals im ersten Beginnen der Kirche zu besorgen war daß manches wieder untergehen konnte durch das was aus den Heiden kam, um so nöthiger war es daß Alles was als Wirkung des göttlichen Geistes zum Vorschein kam auch fest gehalten wurde: darum sagt der Apostel: sie sollen das Gute behalten, nichts davon übersehn, und einsehen lernen wie unmittelbar es der Geist sei der da wirke Alles in Allem. Und eben so daß sie sich sollen aller Art des Bösen enthalten, es fern von sich halten damit es keinen Einfluß ausüben könne: und darin lag die Aufforderung nichts zu entschuldigen und aufkommen zu lassen was aus andrer Quelle als der des göttlichen Geistes kam; denn gar manche falsche Lehre u. s. w. konnte sich einschleichen und unerkannt Böses wirken. Und diese Vorschrift schließt sich unmittelbar an die vorige, daß Alles sollte geprüft werden, an, daß beide nicht zu trennen sind, sondern erst in dieser ihrer Verbindung den rechten Sinn haben und das sagen was der Apostel 21–22 Vgl. Eph 1,22–23; Kol 1,18–19

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Thess 5,19–22

5

10

15

20

25

30

31

meint nemlich sie sollten nie nachlassen zu prüfen um festhalten zu können das Gute und sich fern zu halten von jeder Spur des Bösen. Nun aber ists ein Wort das auch wir uns müssen gesagt sein lassen; denn da auch unter uns noch das vorkommt daß manches entschuldigt wird und geduldet was die rechte Prüfung nicht aushalten würde, wie denn in der Sitte jeder Zeit so etwas vorkommt was nicht bestehen kann mit dem Geist Christi, und daß unter uns nicht an alle Theile des Lebens dieser Maaßstab gelegt wird und daß noch manchem Raum gegönnt wird was einen gefährlichen Einfluß auf die Gemüther ausübt, und eben so auf der andern Seite, nicht alles Gute was der Geist hervorbringt fest gehalten wird: so haben wir alle Ursach dieser Vorschrift des Apostels zu folgen: Ja diese Weisheit das Gute, in welcher Gestaltung es erscheinen mag, fest zu halten und recht zu benutzen zur Erbauung des Reichs Gottes, und das Böse fern zu halten wie wenig gefährlich es auch zu sein scheint, das ist so wichtig daß wir es uns nicht genug aneignen können! Und wenn wir fragen woher so viel Streit unter den Christen entsteht, so werden wir sehen daß der Grund davon darin liegt daß eine oder die andre von diesen Vorschriften des Apostels nicht hinreichend beobachtet wird. Und wenn wir uns fragen warum wir im gemeinsamen christlichen Leben den heilgen Ernst noch gar nicht auf so vollkommne Weise vollendet finden wie der göttliche Geist es verlangt, warum auch hie und da leichtfertige Geringschätzung mancher Art und Weise des Guten was der Geist wirkt, sich hervorthut, nun so werden wir den Grund immer darin finden daß wir uns nicht überall auf gleich entschiedne Weise alles enthalten und uns dagegen erklären was der Apostel hier meint wenn er sagt: „enthaltet euch je der Art des Bösen.“ So laßt uns dieses theure Wort des Apostels fest in unser Herz schließen als gemeinsame Regel, in der Ueberzeugung daß je einfältiger und fester wir daran halten Alles nach dem Bilde Christi prüfen, je ernster wir prüfen und je strenger und genauer wir den Gegensatz des Guten und Bösen in jeder Beziehung auseinander halten, desto schöner und herrlicher wird sich der Tempel den der Herr gegründet hat, bauen, und desto mehr wird es in Erfüllung gehen daß die Gemeinde, wie sie soll, dargestellt werden wird ohne Flecken und Mängel von dem, der sie sich erwählt hat und erworben!

31–33 Vgl. Eph 5,26–27

Am 17. Februar 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Estomihi, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Thess 5,23–28 Nachschrift; SAr 67, Bl. 14r–15v; Woltersdorff Keine Keine Ende der vom 17. Juni 1827 an gehaltenen Homilienreihe über den 1. Brief an die Thessalonicher

Aus der Predigt am S. Estomihi 28. 1. Thess. 5, 23–28

14r

An die Worte welche wir neulich zuletzt betrachtet haben schließen sich natürlich diese Worte an mit welchen unser Text beginnt und es sind die Worte die wir uns fast sonntäglich zurufen am Schluß unsers Morgengebets: Wie nun dabei gewiß jeden der Geist Gottes noch besonders vertrit mit unausgesprochenem Seufzen, indem jeder dabei seines eignen Gemüthszustandes gedenkt: so wird es auch jedem willkommen sein diese Worte genauer zu erwägen. – Der Apostel wünscht den Christen daß Gott sie heilgen möge durch und durch daß Geist, Sele und Leib untadelich behalten werde, also nicht nur unsträflich, wie es in der Uebersetzung heißt. Und auch das ist erwünscht an die genauere Beschaffenheit dieses Worts zu denken, denn es ist nicht ein Geist der Frömmigkeit wenn wir an die Strafe gedenken; denn die soll uns das Geringere sein und die Sünde und Tadelichkeit die Hauptsache: Darum hat er gesagt: „untadelich“: Was aber die drei betrifft nemlich: Geist, Sele und Leib, so ist hier unter Geist nicht der Geist Gottes zu verstehen denn der ist nicht tadelsfähig, kann nicht tadelich werden; und so wäre das ein überflüssig Wort, daß er möge so behalten oder bewahrt werden, da selbst das bewahrende in uns ist. Sondern wenn ‚Geist’ bei Sele und Leib steht so ist der Geist das was den Menschen von den übrigen Wesen der Schöpfung unterscheidet, das was den Menschen von Gott eingehaucht ist und wodurch, wie der Apostel sagt, der Mensch 2 23–28] 23– 3 Vgl. 3. Februar 1828 früh 4–5 „Getreu ist der euch ruft, der wird es auch thun.“ Vgl. KGA III/3, S. 1000 6–7 Vgl. Röm 8,26 22–2 Vgl. Röm 1,19–20

5

10

15

20

Predigt über 1Thess 5,23–28

5

10

15

20

25

30

35

33

fähig wird in den Werken Gottes seine ewige Kraft und Gottheit zu erkennen. Nun sind wir freilich gewohnt zu sagen daß der Geist oder die Vernunft des Menschen vermöge der er eines Verhältnisses mit Gott fähig ist, das Untadeliche sei, und eben so kann man auch sagen daß der Leib, an und für sich betrachtet der Sünde nicht fähig sei, sondern was an ihm zu tadeln sei das sei nur der Mangel an Gesundheit und Kraft, wie es mit der Sünde nicht zusammenhängt: sondern der Sitz alles Tadelnswürdigen ist die Sele, wie auch der Apostel sagt, daß dem Herzen die argen Gedanken kommen und daß das das Einzige sei was ihn verunreinigen kann. Und wenn es wahr ist daß der nur versucht wird zu Sünde wenn er durch seine eigne Lust gereitzt und P S wird, so ist allerdings die Sele der Sitz alles Tadelichen und aller Sünde: aber von da aus verbreitet sichs und es wird auch der Geist ergriffen von dem was die Sele verwirkt, und es entsteht das, daß sich die Gedanken unter einander entschuldigen und verklagen und der Maaßstab des Guten an der Lust verloren geht und das ist die Tadelichkeit des Geistes. Und der Geist Gottes kann nicht ohne das Werk der Heilgung des Menschen beginnen bis er diese Befangenheit des menschlichen Geistes durchbricht daß das Licht wieder hineinscheint und dem Menschen sich feststellt was die Forderung Gottes sei. Aber abgesehen davon daß der Geist Gottes das bewirkt hat, ist der Geist tadelich, eben weil durch die Sünde der reine Sinn verloren gegangen ist, und eben so obgleich die Lust in der Sele ihren Sitz hat ist auch der Leib tadelich und sein Tadelichsein besteht darin, wenn der Gehorsam verloren gegangen ist und er durch die Verweichlichung der Lust und Trägheit ein unvermögender Diener des Geistes geworden ist. Ja jeder wird gestehn müssen, daß wenn die Sele der Sitz ist der Sünde doch überall Geist und Leib Theil daran haben. Eben darum spricht der Apostel das nicht als Ermahnung sondern auch als Wunsch aus, daß Gott uns heilgen möge und Geist, Sele und Leib untadelich behalten. Aber es ist nicht zu übersehn daß der Apostel hier noch besonders sagt: „er, der Gott des Friedens“: Nemlich, das ist wol die allgemeine Erfahrung, daß, so wie es die größte Unseligkeit ist wenn der Mensch in der Tadelichkeit und Anstekung der Sünde darnach ruhig und in Frieden hingeht | in welchem Zustand ihm nichts bessres zu wünschen ist als daß ein Stachel in ihm entstehe und ihn aufschrecke: so ist auf der andern Seite das höchste wenn durch den Zustand der Sünde und des Kampfes hindurch hernach wieder der Friede in das Gemüth zurükkehrt. Und eben weil dieser Friede das höchste Gut ist, so sagt der Apostel „der Gott der allein diesen Frieden herbeiführen kann, der heilge euch.“ Wenn wir nun fragen ob der Friede Bedingung der Seligkeit sei oder ob er selbst die höchste Seligekeit sei, so müssen wir sagen[:] es 26 haben.] hat. 13–14 Vgl. Röm 2,15

14v

34

Am 17. Februar 1828 früh

ist hiermit so wie es oft im Leben ist, es ist nemlich der Friede die Abwendung des Zwiespalts, und so angesehn erscheint er freilich als Bedingung ohne welche kein erfreulicher Zustand zu erwarten ist aber nicht als der Gipfel des höhren Zustandes selbst. Demungeachtet finden wir in der Schrift so oft den Frieden als das höchste Gut dargestellt: der Erlöser sagt als er den Jüngern das Letzte und Höchste mittheilt: „meinen Frieden geb ich euch“: wobei er diesen seinen Frieden von dem den die Welt geben kann auf das bestimmteste unterscheidet. Und so mögen wir sagen: so lange der Friede noch nicht in uns ist so sind wir unfähig des höhern Zustandes: wenn aber durch die Heilgung der Friede zwischen dem Geist Gottes und dem Geist der im Menschen ist und Sele und Leib, hergestellt ist, so ist das nicht ein Zustand aus dem sich Größeres entwickelt sondern es ist der höchste Zustand selbst, es ist die Seligkeit die uns Gott schon hier mittheilen will unter allen Umständen, es ist nicht das woraus das Höchste entsteht sondern worin es enthalten ist. Es ist also mit den beiden entgegengesetzten Zuständen so wie der Apostel sagt, nemlich wie Fleischlichgesinnetsein die Feindschaft ist wider Gott, so ist in dem Untadelichsein durch die Heilgung des Gottes des Friedens jedes Fleischlichgesinnetsein aufgehoben also jede Feindschaft und der Zustand da in welchem der Mensch mit Gott zusammstimmt, der Zustand des Friedens im Menschen, in welchem der Geist Gottes den er empfangen übereinstimmt mit dem Geist der ursprünglich in ihm ist, also mit der Vernunft, Sele und Leib. Und dieser innere Friede des Menschen ist zugleich der Friede mit Gott: und was kann es für einen größeren Grad der Seligkeit geben als das Bewußtsein des Zusammstimmens mit ihm; das ist ja die ewge Seligkeit in Gott selbst, und es ist nichts herrlicheres darüber hinaus zu sagen. Aber nirgends weiset uns die Schrift den Frieden der die Seligkeit ist anders als so daß er erst das Werk des Geistes Gottes ist; so lange nicht durch die Heilgung des Geistes Gottes, der Friede in uns hergestellt ist mangelts an dem Frieden mit Gott, nur dadurch daß er die Untadelichkeit in uns darstellt und gegen Alles kämpfet in uns was nicht der Wille Gottes ist, können wir uns des Zusammstimmens mit ihm zeihen, denn wenn es an der Heilgung noch fehlt dann widerstrebt Geist, Sele und Leib dem Geist Gottes, und es ist keine Uebereinstimmung da: So ist die Heilgung die Bedingung des Friedens mit Gott, und Eins läßt sich ohne das andre nicht denken. 4 Demungeachtet] vgl. Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches, Bd. 4, Sp. 851 27 nirgends] nirgens 32 zeihen] Vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1673 6–8 Vgl. Joh 14,27

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Thess 5,23–28

5

10

15

20

25

30

35

35

Wenn wir nun aber durch die Heilgung in den Zustand des Friedens gekommen sind, und also das ewige Leben aus Gott in uns ist, dann kann unser Auge nicht haften bleiben auf den Wechsel sondern das Ewige in uns bedecket das Wechselvolle, die Augenblicke des früheren Bewußtseins der Seligkeit in Gott überstralen unser ganzes Dasein so daß uns nun Alles gleichmäßig erscheint bis zu dem wovon der Apostel sagt, daß es noch nicht erschienen sei. Darum setzt er nicht einen Ruhepunkt in der Zeit sondern sagt[:] bis auf die Zukunft unsres Herrn Jesu Christi. Und das ist das schöne Bild der Gemeinschaft des Herrn mit seiner Gemeinde die er darstellt als seinen Leib. | Das ist die Gemeinschaft daß er sie, seine Gemeinde die er durch seinen Geist geheiligt und durch die Heilgung in ihnen den Frieden gewirkt hat, bewahret in diesem Frieden, in der ungetrennten Seligkeit, bis seine und ihre ganze Seligkeit wird offenbar werden wie er es verheißen hat. Und das bekräftigt der Apostel durch das ermunternde Wort: „getreu ist er der auch rufet[;] er wird es auch thun“: Das ists was uns über alle Beängstigung erhebt, denn wenn wir finden daß wir die Untadelichkeit auch nicht ereicht haben, so kann ein Zweifel in uns aufsteigen darüber ob der Herr das Werk der Heiligung das er angefangen in uns, auch fortsetzen werde; ob nicht, wie doch jedes Tadeliche ein Rückschritt in der Heiligung ist, die Rückschreitung sich fortsetzen werde: diese Besorgniß hebt der Apostel indem er sagt: „treu ist der auch ruft[;] er wirds auch thun“: Es gehört zu seiner Treue, zu seiner Gerechtigkeit daß ers auch thut wozu er uns berufen hat, das Berufensein ist uns die Bürgschaft daß das Werk des Herrn auch werde vollbracht werden; Er der das Wollen in uns wirkt, wirkt auch das Vollbringen. Das Vollbringen ist gleich mit dem Bewahren, und eben so ist das Wollen gleich mit dem Rufen; weil durch die Heilgung der Wille des Menschen sich lossagt vom dem Tadelichen um sich selbst dem zu geben der eben indem er das Wollen wirkt ihn zur Seligkeit ruft; denn eher können wir nicht sagen daß wir berufen sind ehe der Wille nicht geheiligt und Eins geworden ist mit dem seinen, der uns eben beruft zu dieser selgen Gemeinschaft. Ists aber nun so in uns daß wir in dem von ihm gewirkten Wollen seinen Ruf fühlen, nun so können wir uns verlassen auf die Treue dessen der uns ruft, indem er seinen Willen uns zu erkennen giebt nicht anders als in uns durch seinen Geist, daß er auch sein Werk an uns vollbringen und uns bewahren werde bis auf die Zukunft des Herrn. Das ist die Hoffnung die nicht zu schanden werden läßt weil es nicht ein leeres Hoffen ist, weil in dem Schmerz über die Sünde, in der Fortsetzung des Wollens 16 Beängstigung] Beänstigung

33 dessen] des

6–7 Auch wenn hier Paulus gemeint ist, bezieht sich die Stelle wohl auf 1Joh 3,2. 8 Vgl. 1Thess 2,19 9–10 Vgl. 1Kor 12,12–31 24–25 Vgl. Phil 2,13 35– 36 Vgl. Röm 5,5

15r

36

15v

Am 17. Februar 1828 früh

sich immer aufs neue der Ruf Gottes vernehmen läßt in der Stimme des Innern. Indem nun der Apostel an seine Gemeinde schreibt: betet für uns: so erinnert uns das daran daß er einen großen Theil seiner Briefe damit anfängt daß er sagt, daß er nicht aufhöre Gott zu danken für sie und sie ihm zu empfehlen im Gebet, und so schreibt er hier sie sollen nun auch für ihn beten: er durch den der Herr in ihnen sein Reich gegründet, er durch den der Geist Gottes geschäftig war um sie, denen er das Evangelium verkündete, in den Bund der Heilgen aufzunehmen, er bittet sie für ihn zu beten! Das ist jene brüderliche Gleichheit unter den Christen, das ists was der Apostel Petrus sagt daß alle Christen ein priesterlich Volk sind, und daß kein Unterschied obwaltet zwischen solchen welche könnten Gebete darbringen für die Andern und welche nicht, sondern wie die Liebe das Band ist das Alle umschließt so ist die Fürbitte ein gemeinsames Werk der Liebe. Und wenn es wahr ist daß das Gebet der Gerechten viel vermag weil es eine gemeinsame Wirkung der kindlichen Zuversicht und des Vertrauens auf ihn ist der durch seinen Geist Alles wirkt in den Gemüthern: so ist die Kraft des Gebetes eine gegenseitige Stärkung der Kraft des Geistes auf Alle. Und da wir in den Bund der Liebe, mit der Christus uns geliebt, aufgenommen sind so daß wir die Brüder in Christo lieben weil sie ihn erkannt haben und die zu welchen sein Wort noch nicht eingedrungen dennoch eben deshalb lieben weil sie zu dem Eigenthum gehören in das der Vater ihn gesendet: so ist jeder ein Gegenstand wie unsrer Sorge so | auch unsers Gebets, so ist jeder der Gegenstand der Fürbitte für den anderen. Ja dieses gemeinsame Gebet vermag viel; denn es kann kein stärkenderes Bewußtsein geben als wenn wir wissen der Geist Gottes vertrit uns nicht nur in unserm eignen sondern auch in dem Gebet der andern, wenn so der Geist Gottes aus der Gemeinschaft ruft: lieber Vater: und wir in diesem gemeinsamen Emporstreben uns gehoben und getragen fühlen und so die Liebe die Luft ist in der wir leben! Deshalb konnte der Apostel froh werden der überall solche Gemeinden gegründet hatte die nun für ihn beten konnten und er so der Gegenstand der Fürbitte aller war wie auch jeder für ihn dasselbe war, aber es kommt dabei auf das Viel oder Wenig nicht an, sondern es ist das Bewußtsein des gemeinsamen Geistes des Gebets (vermöge dessen jeder der Gegenstand der Fürbitte für Alle ist) was uns froh macht, und wir können nicht leugnen daß solch erhebend Bewußtsein der Liebe welche für Alle sich kümmert, daß das ein gar kräftiges Mittel ist untadelich bewahrt zu werden, und wenn wir uns erinnern in welchem Bunde des Gebets wir stehn wie jeder, wenn er sich einer besondern Gnade zu erfreuen hat, dabei gleich an die ganze Gemeinde denkt, so finden wir die Beziehung in wel10–11 Vgl. 1Petr 2,9 14

15 Vgl. Jak 5,16

19 Vgl. Eph 5,2

22 Vgl. 2Thess 2,13–

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Thess 5,23–28

5

10

15

20

25

30

35

40

37

cher das Gebet rein zu halten vermag und machen die unmittelbare Erfahrung davon in unserm eignen Gemüth. Wenn nun der Apostel sagt: Ich beschwöre euch bei dem Herrn daß ihr diese Epistel lesen lasset alle Heiligen alle heilige Brüder: So finden wir darin die rechte Bekräftigung für die Art und Weise wie wir die Schrift verbreiten. Der Apostel beschwört sie alle lesen zu lassen seinen Brief der natürlich zuerst zu denen kam die der Gemeinen vorstanden, die lasen ihn dann vor der versammelten Gemeine, aber indem der Apostel daran dachte, daß dabei, wie es nicht anders sein kann bald dieser bald jener Einzelne fehlt so trift er Vorkehrungen daß das ihnen nicht zum Nachtheil gereiche sondern daß doch jeder seine Worte lese, damit alle an dem was der Geist Gottes giebt theilnehmen und sich befestigt fühlen in dem Bund der gemeinsamen Liebe. – Und so thun auch wir was in unseren Kräften steht daß Alle die heilge Schrift lesen, und es ist nicht blos die Rede davon daß Alle sie lesen dürfen; denn so wie sie Gemeinheit ist so kann sie natürlich keinem entzogen werden, sondern es ist die Fürsorge gemeint daß keiner dieses Große Gut vernachlässige; wir sollen uns ermuntern uns mit der Schrift immermehr zu befreunden auf daß der Segen davon immer reicher werde: das ist unser Beruf, denn es ist damit nicht immer gemeint die Verbreitung der Schrift unter den Völkern denen sie noch ganz fremd ist, denn von dieser Verbreitung so an für sich würden wir nicht einmal in Stande sein zu bestimmen oder vorauszusetzen daß die segensreich sei; denn wie der Buchstabe nichts ist ohne den Geist, so kann auch das geschriebene Wort Gottes nur in Verbindung mit der lebendigen Rede die Frucht bringen die sie bringen soll in den Gemüthern, sondern es ist vorzüglich der zunehmende Gebrauch in der Gemeinde selbst; denn die Gleichgültigkeit dagegen ist immer ein übles Zeichen in Beziehung auf den christlichen Sinn, keinesweges zwar daß es zu behaupten wäre, daß das Dasein der Schrift die Bedingung wäre des Fortbestehens des Reichs Gottes, sondern wie die Gemeinde Christi lange bestanden ehe die Schrift des neuen Bundes da war, so wäre es ja wol möglich gewesen daß durch die Ueberlieferung von Munde zu Munde sie fortbestanden hätte, aber indem uns die Worte des Erlösers und des Apostels selbst aufbewahrt sind so müssen wir sagen: die Gleichgültigkeit dagegen verräth daß wir nicht auf das Dasein des Erlösers und auf die ersten Wirkungen seines Geistes in den Gemüthern zurükgehn und wie wäre das möglich wenn wir nicht auch gleichgültig wären gegen die Wirkungen des Geistes in uns selbst, und wenn es uns nicht an dem gemeinsamen Sinn fehlte. Der Herr selbst hat die Gemeinschaft verordnet und ihr die Verheißung seines Geistes gegeben, und in dieser Gemeinschaft in deren Mitte der Herr ist soll sie gelesen werden dann gereicht sie zur Verständigung der Wirkungen des Geistes und also zum Heil durch ihn. 11 lese] lesen

38

Am 17. Februar 1828 früh

Darum wollen wir nicht aufhören uns zu beschwören sie zu lesen damit durch sie der Geist Gottes wirke, dann wird erreicht werden womit der Apostel schließt daß die Gnade des Herrn mit uns sein werde.

Am 24. Februar 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Invocavit, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 14,37–38 Nachschrift; SAr 67, Bl. 17r–18v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Inv. 28. Mar. 14, 37. 38.

5

10

15

20

25

Allen ist unstreitig der Zusammenhang dieser Worte bekannt. Unser Erlöser hatte seinen Jüngern gesagt sie möchten eine Weile hinter ihm zurückbleiben, indem er allein sein wollte und beten, sie aber sollten sein harren: nun aber findet er sie schlafend und sagt[:] wenn sie nicht eine Stunde mit ihm wachen könnten so sollten sie doch wachen um zu beten um sich selbst vorzubereiten auf das was bevorstand. Als er sich aus der Stadt entfernt hatte ging er dem entgegen was sein himmlischer Vater über ihn beschlossen hatte, und sein Gebet war die Vorbereitung auf das was ihm bevorstand. Seine Jünger aber waren angestrengt von seinen Reden bei und nach dem Mahle in welchen er sein Herz vor ihnen ausgeschüttet hatte und deswegen waren sie minder fähig dieser seiner Aufforderung zu folgen: Wir aber, die wir auf besondre Weise diese Zeit die der Betrachtung seines Leidens geweiht ist begehen, wollen die Aufforderung als an uns gerichtet ansehn, und auf unsre Gleichheit mit ihm in seinem Leiden achtend, diese Aufforderung darauf beziehen was unser eigenthümlicher und besondrer Beruf ist wenn wir ihr folgen wollen: So laßt uns sehn 1. auf den Inhalt dieser Aufforderung des Herrn 2. nach Anleitung dieser Worte auf das was uns hindern kann derselben zu folgen. 1. Wenn wir uns fragen was die Meinung des Erlösers bei dieser Aufforderung war, so bleiben wir natürlich bei dem ersten stehn daß er nemlich zu den Jüngern sagt sie sollten mit ihm wachen: Irgend einer Hülfe begehrte er 8 bevorstand.] bevorstand. Das

17r

40

17v

Am 24. Februar 1828 vormittags

von ihnen nicht, vielmehr zog er sich auch von ihnen zurück, seine Aufforderung war ganz vorzüglich auf die Zeit seines ruhigen Gebets gerichtet, da sollten sie ihn, wenngleich fern von ihm, hineinbegleiten, denn als der Verräther kam und die Schaar mit ihm, da durfte er nicht sorgen daß sie wachen möchten. Jezt sollten sie wachen, jetzt da ihnen doch nur der Innre Zustand des Herrn konnte vor Augen stehn: Dort ist die Aufforderung die auch wir an uns zu richten haben; Es ist überall vorzüglich der innre Zustand seines Gemüths worauf wir zu sehen haben und um auf den sehen zu können müssen wir wachen. Wenn wir fragen: woraus geht das hervor? so finden wir in den Worten des Textes und in den vorangegangenen das Ganze desselben beisammen. 1. Denn unmittelbar vor diesen Worten hatte er gesagt: „meine Seele ist betrübt bis in den Tod“ und grade an diese Aeußerung schloß sich zunächst die Aufforderung an: so wie er zu beten ging so sollten sie mit ihm wachen. Wenn wir fragen: warum war er betrübt? so müssen wir sagen: es war nicht die Aussicht auf das was ihm bevorstand, sondern es konnte nur Eins sein, nemlich die Sünde der Menschen, nicht das, wie sie ihn anfallen würde, sondern das was sie in sich selbst war; denn wahrlich wir würden dem Erlöser unrecht thun und ihn nicht in seinem ganzen Wesen auffassen wenn wir meinen könnten daß er der äußern Beschaffenheit nach von den Empfindungen des Leidens erfüllt gewesen wäre. Wenn wir auf das Leiden selbst sehn, wie es sich von diesem Augenblick aus entwickelte, wahrlich wir können keinen Zweifel über seine Empfindungen hegen! Wenn nun bald die bewaffnete Schaar kam – was hat ihn am meisten geschmerzt? daß er gebunden geführt wurde vor den Rath? oder vielmehr die ganze Art und Weise wie das Werk in Erfüllung ging, das Lichtscheue darin vermöge dessen es sich bekundete als eine Ausgeburt der Hölle? Wenn er hernach, auf die Frage ob er Gottes Sohn sei, sagte: ich bins: indem er wußte daß das die Ursach seines Todes werden würde, können wir denken daß er betrübt gewesen sei über das was nun kam, und was für ihn die glorreiche Rückkehr zum Vater war? nein, sondern was ihn trübte war nichts anderes als das, daß die menschliche Verkehrtheit so weit gehn konnte, daß grade das offenste Bekenntniß der Wahrheit solche Verurtheilung veranlassen konnte! | Wenn dann der Jünger selbst, welchem er hier empfahl zu beten um nicht in Anfechtung zu fallen, nicht in der gehörigen Fassung des Gemüths war sondern in einem so verworrnem Augenblick ihn verleugnete: was kann ihn dabei geschmerzt haben? der kleine Triumph seiner Feinde darüber? oder eben das daß das ernste mahnende Wort doch seine rechte Frucht 12 1.] steht rechts neben der Zeile ohne Einfügungszeichen 12–13 Mk 14,34

28 Mk 14,62

17 ihn] ihm

35–37 Vgl. Mk 14,66–72

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 14,37–38

5

10

15

20

25

30

35

41

nicht gebracht in dem sonst so von Liebe erfüllten Gemüth? Und wenn er sich dann den wahren von aller Scheu los gebundnen Menschen hingeben mußte, war es das was er erduldete von ihnen, oder vielmehr eben die Rohheit des Gemüths selbst die durch das Heiligste nicht konnte gebändigt werden, worüber er trauerte? Und als der Augenblick des Scheidens kam und er die sah die die Ursach seines Todes waren und die sich nun freuten daß es ihnen gelungen war, o wir wissen daß er darüber erhaben war sich in Beziehung auf seine Person über sie zu betrüben, sondern wie er nur im tiefen Gefühl ihrer Verworfenheit noch Vergebung für sie erflehte: So ists das was die Menschen in ihrer Verblendung thaten so ists also die Gewalt der Sünde was seinen Sohn betrübt machte! So lange sein öffentliches Leben gewährt hatte, wo er umherging theils durch Lehre zu wirken, theils durch Wunderkraft die Leiden der Menschen zu lindern, da war ihm die Macht der Sünde entfernter geblieben: das war die Zeit der seegensreichen Wirksamkeit wo ihm vergönnt war manchen Theil der Finsterniß zu zerstreuen durch den Strahl des göttlichen Lichts. Aber der letzte Theil seines Lebens war bestimmt daß er in die Hände der Sünde übergeben ward um sie ganz zu empfinden deren Herrschaft ein Ende zu machen er gekommen war. Und gewiß werden wir zugeben müssen daß das auch für uns die wichtigste Betrachtung ist daß wir Christum, wie er im Innern war, in seinem Leiden anschauen; denn was ist dagegen alles Aeußre! Sehn wir aber auf die rechte Weise auf seine Leidensgeschichte, so sehn wir sie als die Zusammenstellung dessen der von keiner Sünde wußte und in den Händen der Sünder war, also den schärfsten Gegensatz den die Gewalt der Sünde und die göttliche Kraft sie zu überwinden, bildet. Darum ist in Betrachtung zu ziehen 2. das vollkommen reine Bewußtsein des Erlösers welches ihn mitten unter seinen Leiden keinen Augenblick verließ. So sagt er selbst kurz vorher als er in den Garten ging: „nun kommt der Fürst dieser Welt aber er hat nichts an mir“: so erkannte er selbst und beurtheilte was ihm bevorstand; der Fürst dieser Welt: das war die äußre Gewalt derer welche zugleich das Recht hatten über die göttlichen Gesetze zu urtheilen: die traten gegen ihn auf, aber sie hatten nichts an ihm, konnten ihm keiner Sünde zeihen, und mit diesem reinen Bewußtsein ging er dahin unter allen Leiden in ungestörter Seligkeit. Wenn wir nun damit auch den reinsten der Seinen vergleichen, und uns denken daß eben so nach gesegneter Wirksamkeit die Gegner derselben gegen ihn ausbrachen nachdem sie schon immer nicht unterlassen haben ihn in allen Worten und Thaten zu beobachten, so wird es gewiß keinen geben der auf gleiche Weise ausgerüstet seinem Leiden kann entge23 in den Händen] in die Hände 23 Vgl. 2Kor 5,21

29–30 Joh 14,30

42

18r

Am 24. Februar 1828 vormittags

gen gehen, sondern jeder wird sich vieler Vergehungen der Schwachheit bewußt sein, viel und mancherlei was freilich ein böser Wille der Gegner weit mehr ins Üble deuten kann, aber welches doch Zeugniß giebt daß nur Einer rein war, viel was sie gegen ihn aufbringen können. Eben deswegen nun, was kann uns Bessres begegnen als die Zeit, wo der Herr denen gegenüber stand die ihn mit der Macht der Welt verurtheilten, dazu anzuwenden, in seine immer von Gott erfüllte Sele hineinzuschauen um in diesem Anblick einen Trost zu haben gegen die Schwachheit in uns, und von uns weg sehend den Einen zu sehn der ohne Sünde war, ihn zu sehn wie er sich verhielt gegen die Sünde, um überall in ihm die vollkommne Erfüllung der Aufgabe des göttlichen Geistes sie zu besiegen zu sehn: und wo kann sich das uns besser zeigen als grade unter den Verhältnissen der letzten Stunden des Erlösers, und eben deswegen gehört dazu das dritte nemlich was er selbst sagte: „daß die Welt sehe daß ich den Vater liebe und thue was er will“: | Soll nun die Welt sehn, nun so wollen wir es doch auch sehn eben weil wir doch noch zur Welt gehören; denn was noch in uns von anderm Bestreben ausgeht als von dem zu zeigen daß wir die Seinen sind das gehört der Welt an und der kann nichts Bessres begegnen als zu sehn wie er den Vater liebt und Alles thut was der Wille des Vaters ist. Ja, Größeres kann es nichts geben was wir während seines Leidens in ihm schauen können als das Erfülltsein der Liebe zu Gott welche sich darthut in dem ununterbrochnen Gehorsam! Das ist das Größte daß wir dessen inne werden, weshalb uns auch die spätern Worte der Jünger aufmerksam machen auf Leiden und Tod des Erlösers als worin wir den göttlichen Gehorsam sehn den er Gelegenheit hatte zu beweisen. Seht da, das heißt mit dem Erlöser wachen! und dazu wollen wir uns ermuntern: überall auf das Innre seines Gemüths zu sehn und so in ihm erkennen den eingebornen Sohn Gottes voller Gnade und Wahrheit: dazu auch in den Stunden seines Leidens in ihn hineinschauen, überall den mitleidigen Hohenpriester der in seinem Gebet für uns indem es an uns in Erfüllung geht, uns vertritt, überall seine gänzliche Unschuld und Freiheit von der Sünde, und, eben statt dessen was in denen wohnte die er erlösen wollte davon, die in jedem Augenblick in ihm lebende Liebe zum Vater die von keinem Schmerz konnte zurückgedrängt werden, anerkennen. Aber nun laßt uns sehen

22 ununterbrochnen] ununterbrochnem 14–15 Vgl. Joh 14,31

29 Vgl. Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 14,37–38

5

10

15

20

25

30

35

43

2. was, wie er selbst sagt, uns hindern kann dieser seiner Aufforderung zu folgen, er sagt zu seinen Jüngern: „der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach.“ Wolan so laßt uns das eben so im Allgemeinen voraussetzen daß der Geist willig ist: wie sollt es auch anders sein wo er anerkannt wird als der Erlöser der Menschen, als der der das Reich Gottes begründet, wo er der ist auf den alle Wahrheit zurückgeführt wird und alle Kraft die uns belebt: da muß der Geist willig sein ihm zu folgen. Und diese Willigkeit des Geistes spricht sich auch darin aus daß sich die schöne Ordnung erhalten hat daß diese Zeit einer eigenthümlichen Betrachtung seines Leidens gewidmet ist: das ist die Willigkeit des Geistes auch diese Bild des Erlösers in uns aufzunehmen. Aber wenn das nun nicht so wie es soll von Allen geschieht nun so wollen wir das dem zuschreiben: das Fleisch ist schwach: Es zeigt sich aber in Beziehung auf die rechte Betrachtung der Leiden des Herrn die Schwachheit des Fleisches auf zweifache Weise. Erstens in einem gewissen Sinn der Genügsamkeit wie es hier bei den Jüngern der Fall war. Die Jünger waren gesättigt und angestrengt von den ihr ganzes Leben leitenden Vorschriften und Hoffnungen aus den Reden des Herrn und eben deswegen war das Fleisch schwach geworden ihn gleich von Anfang an in seinem Leiden zu folgen: So geht es vielen Christen, daß sie nur an der Lehre des Herrn sich halten, und indem sie die als höher erkennen als alle menschliche Weisheit, und die Worte seines Mundes allein in immer tieferm Sinn aufzufassen suchen, so wird das Fleisch schwach in die Betrachtung seines Leidens einzugehn, sie meinen an der Lehre genug und Alles zu haben, und sein Kreuz wie es vielen eine Thorheit und ein | Aergerniß geworden, sich lieber, weil es ein Gegenstand des Zwiespalts ist, aus den Augen rücken wollen um ungestört bei der Lehre bleiben zu können. Dabei liegt freilich auch die Willigkeit des Geistes zum Grunde, aber doch ist das Fleisch schwach und hindert daß die ganze Kraft des Herrn aufgenommen werde! Das Heil das Gott in ihm uns gesandt, es ist nicht die Lehre allein und nicht sein Tod allein, es ist der ganze ungetheilte Christus so wie er gewesen von Anfang bis zum Ende mit allem was er gethan und gewirkt hat, und der rechte Seegen kommt uns dadurch daß wir ganz und ungetheilt uns ihn aneignen. Und darum ists Schwachheit aus Scheu vor der Betrachtung des Leidens die Lehre allein als einzigen wesentlichen Bestandtheil des Heils in Christo anzusehn, als solche laßt es uns beurtheilen, und möge es geschehen daß wir in der Kraft des Geistes die Brüder locken damit sie mit uns aus seiner göttlichen Fülle schöpfen, und auch in seinem Leiden sich zu ihm bekennen; Nicht anders als durch die sich beweisende 25–26 Vgl. 1Kor 1,18–24

18v

44

Am 24. Februar 1828 vormittags

thätige Kraft des Geistes werden wir vermögen die Schwachheit zu überwinden. Zweitens ists Schwachheit wenn wir nicht vorzüglich das worauf der Erlöser uns hinweist in uns auffassen, sollen wir nemlich in dieser Zeit nichts so sehr als seinen ganzen innren Gemüths Zustand uns vergegenwärtigen, so ists eine Schwachheit wenn wir zu sehr vom Aeußern angezogen werden und uns in das Mitgefühl seiner Schmerzen hinein vertiefen also das Menschliche hervorheben statt daß wir überall auch während seines Leidens den Sohn Gottes in ihm sehn sollten, und statt ungestört vom Aeußern seines Leidens nur die Wirksamkeit der Fülle der Gottheit in ihm zu betrachten und dem nachzugehen wie sie sich verklärt in Allem, sich zu sehr zum sinnlichen Anschaun dessen was er zu erdulden hatte uns aufregen: das ist Schwachheit: Achten wir es doch an jedem wenn er das Gefühl äußern Leidens so bald als möglich überwindet, und fordern es von jedem, daß er Herr des eignen körperlichen Schmerzes sei, wie auch, daß er die niederschlagende Empfindung einer innern Betrübniß besiege: und wir sollten meinen, daß seine Sele auf so sinnliche Weise betrübt gewesen? und es sollten die sinnlichen Empfindungen des Mitgefühls sein, welche sein Leiden zur Quelle des Heils für uns machen? Nein! Freilich ist sein Leiden und Tod ein wesentlicher Bestandtheil seiner Erlösung, aber keinesweges hat er uns darauf gewiesen auf die äußern Einzelheiten solchen besondern Werth zu legen, sondern thun wir das, so ist das wieder ein sich hingeben in Schwachheit. Die Kraft des göttlichen Geistes aber soll diese Schwachheit überwinden so daß wir das geistige Auge wach halten und auf ihn richten und sehn wie es in Andern und wie es in ihm ist, schauen in ihm die höhre göttliche Kraft, welche ihn von allen Andern unterscheidet, und wie sein Leiden nicht das Versöhnende wäre wenn er nicht der Unschuldige wäre, daß aber auch seine Unschuld, seine Freiheit von der Sünde auf keine Weise könnte das Heil der Menschen begründen als nur dadurch daß er sich hingegeben, auf daß die Welt sehe, daß er den Vater liebt, aus seinem Gehorsam bis zum Tode. Wenn wir so mit dem Erlöser wachen, so werden wir in dem göttlichen Rathschluß des Todes des Herrn finden: den Kampf des Lichts mit der Finsterniß, und in der Art seines Leidens, die unvermeidliche Gestaltung dieses Kampfs, und so werden wir von dem Gefühl der Sünde durchdrungen und von dem der göttlichen Kraft die ihrer Gewalt ein Ende machte: und auch daß diese Kraft auf uns übergehe, darum hat der Herr sich geopfert. So werden wir ihn uns auf das Herrlichste aneignen in seinem Leiden und auf alle Weise den preisen welcher auch seines Sohnes nicht verschonete, damit durch den Gehorsam des Einen Alle gerecht würden 24 daß] das

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 14,37–38

45

indem sie nur ihm leben wollen, in ihm, den eingebornen Sohn Gottes, den Weg die Wahrheit und das Leben erkennen, und ihm zu folgen bereit sind der die alle seinem Vater zuführen will, die er ihm gegeben hat!

1–2 Vgl. Joh 14,6

Am 2. März 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Reminiscere, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 22,52 Nachschrift; SAr 67, Bl. 19r–21r; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Reminis. 28. Luc. 22, 52.

19r

Wenn wir die Leiden unsers Erlösers, vorzüglich in Beziehung auf das was dabei in ihm vorging und seine Sele beschäftigte, in dieser Zeit miteinander betrachten wollen: so ist der Augenblick an den diese Worte erinnern gewiß einer besondern Betrachtung werth; es ist der wo der Erlöser seiner Freiheit beraubt und in die Gewalt seiner Feinde gegeben ward. So ists denn wichtig für uns daß wir diese seine Worte recht erwägen und sehn in welchem Sinne er sie geredet: er erinnert darin 1. an die ganze Art und Weise seines öffentlichen Lebens und Zeugnisses so daß man deutlich sieht, er kannte die Gesinnung der Herschenden, welche nun ihr Ziel erreichte, als das was schon lange statt gefunden; denn wenn er nicht die Lust zu dem was jetzt wirklich geschah in ihnen vorausgesetzt hätte so würden seine Worte auf die Umstände sich nicht geschickt haben. Nun würden wir aber den rechten Sinn derselben verfehlen, wenn wir sie ansehn wollten als Rechtfertigung; denn hier war keiner vor dem er sich hätte rechtfertgen können, es waren nicht die Hohenpriester und Obern selbst, sondern die Schaar die sie ausgesandt hatten, also keinesweges die, welche irgend einen Einfluß auf das Weitere haben konnten, und wie wir wissen, wie wenig er sich überhaupt rechtfertgen wollte: so wären hier wol solche Aeußerungen am wenigsten an ihrer Stelle gewesen. Was uns aber dabei einfällt sind andere Stellen die mit dieser in Verbindung stehn: die Hohenpriester hatten nemlich schon früher ihre Diener ausgesen4 beschäftigte] am Rand steht die Alternative bewegte 23–4 Vgl. Joh 7,45–46

5

10

15

20

Predigt über Lk 22,52

5

10

15

20

25

30

35

40

47

det mit dem Auftrage ihn zu greifen und vor den Rath zu bringen, die aber hatten es nicht ausführen können, sondern kamen zurück und sagten, sie hätten es nicht vermocht, denn so habe noch nie ein Mensch geredet wie Jesus: Wenn er sie nun erinnerte an sein immer auf gleiche Weise geführtes öffentliches Leben, an seine Lehre und an seine Reden und deren Wirkung auf die Menschen, also an den Eindruck sie erinnerte, welchen er auf sie gemacht hatte und durch den sie vormals waren bestimmt worden daß nicht zu thun was der böse Wille jener Priester durch sie thun wollte: so erinnerte er sie also an einen bessern Zustand in dem sie früher waren, und stellt ihnen den gegenwärtigen als eine Verschlimmerung dar: und in diesem Sinn sind die Worte genommen: „nun ist eure Stunde gekommen“: welcher Ausdruck in der Schrift oft in erfreulichen oft in schwermüthigem Sinn genommen ist, so daß man freilich denken könnte es sei so gemeint: „früher nicht, aber jezt ist die Stunde eures scheinbaren Siegs gekommen“: wir würden aber bei dem rechten Sinn nur vorbeistreifen, wenn wir es nur so nehmen wollten, sondern: „jezt ist eure Stunde kommen“: das sagt der Herr in dem trüben Sinn, die Stunde ist nun für euch gekommen wo ihr überwunden habt die Scheu, und wo ihr nun das doch thut vor dem ihr mehr als einmal zurückgebebt wart. So macht er sie auf den Unterschied jenes und dieses Zustandes aufmerksam und eben deshalb ists wol der Mühe werth, daß wir die Ursach dieser Verschlimmerung näher ins Auge fassen. Diese Ursach ist eine zweifache, auf die eine weiset der Herr offenbar zurück, die andre erkennen wir aus dem Zusammenhang der Umstände. Die erste Ursach der Verschlimmerung war bedingt in dem Unterschiede des Lichts und der Finsterniß, nemlich: damals war er es selbst, welcher so auf ihre Gemüther wirkte, daß sie das nicht ausrichten konnten wozu sie gekommen waren[;] | er selbst war’s, der solchen Eindruck auf sie machte durch die Wirkung seiner Rede, durch die Gewalt womit er sich die Gemüther unterthan machte: deshalb hatten nun die, welche die Sache leiteten es aufgegeben dieselbe im Lichte auszuführen; sie sehen es nun ein, daß das geistige Uebergewicht des Herrn diejenigen die sie finden würden, wenn es auch andre wären, dennoch außer Stand setzen würde die That die sie ihnen aufgetragen, zu vollführen. Und das ist etwas was wir überall im Leben finden; denn was wir hier wirksam sehn vom Erlöser aus, das ist die eigentliche Gewalt welche die, die sich auszeichnen überall ausüben sollen durch die Kraft des Herrn und diese Gewalt soll der der Sünde immer entgegengestellt werden in der Gestalt lebendiger Rede, denn wenn das was das Gute und Gottgefällige ausspricht, geschrieben ist und vor jedem offen da liegt, so bringt das freilich Erkenntniß der Sünde hervor, aber selten vermag der Buchstabe die Sele zu ergreifen und zum Bessern zu bestimmen, aber anders ists wenn es im lebendigen Wesen und Wort an den Tag 11.16 Vgl. Lk 22,53

19v

48

Am 2. März 1828 früh

kommt! und so soll es denn an den Tag kommen, durch die deren innerstes Leben es ist durch ihn, und das soll ihre Freude sein, daß sie die Menschen von dem Bösen wozu sie aufgefordert sind zurückhalten, davon was sie schon im Begrif sind zu thun doch wieder abbringen und sie dann sagen müssen: ja in solcher Nähe vermöchten sie das nicht. Freilich kann sich hierin keiner mit dem Erlöser vergleichen; denn das war es wodurch er seine Gewalt auf Erden kund thut, daß er, auf der einen Seite, weil er die Macht hatte die Sünde zu vergeben die innre Kraft der Sünde ausrottete dadurch daß er durch seine göttliche Kraft die Gemüther zu sich zog, auf der andern Seite, daß er durch das Wort der Rede unmittelbar die Kraft der Sünde lähmte: aber doch finden wir, daß sich das wiederholt, daß die Menschen gestehen, es giebt solche in deren Nähe sie das nicht vermöchten was sie gewollt, weil diese Nähe eine ihnen unbekannte Gewalt über sie ausübe. – Wenn wir nun davon schon die Beispiele finden aus dem Theil der Geschichte wo das göttliche Licht in dem Erlöser noch nicht erschienen war, so müssen wir sagen, daß es an uns ist so die Gewalt des göttlichen Geistes über die Gemüther der Menschen auszuüben, daß es gelingt auf immer sanftere, geistigere und kräftigere Weise die Gewalt der Sünde nicht allein in ihrem Ausbruch, sondern auch in ihnen zu hemmen und sie für das Gute empfänglich zu machen: das ist die Gewalt des Lichts gegen die Finsterniß. Eben deswegen hatten nun die Hohenpriester einen Augenblick gewählt wo der Erlöser diese Art von Eindruck nicht machen konnte auf die, welche sie sendeten, weil sie ihn nicht in der Thätigkeit seines Lebens und Lehrens antrafen; sie wandelten in der Finsterniß so daß die Gewalt, welche ihre Vorgesetzten über sie ausübten das Vermögen den Befehl auszurichten hervorbrachte: das ists was der Erlöser sagt: „das ist eure Stunde.“ [2.] Die zweite Ursach der Verschlimmerung der Feinde des Herrn sehn wir aus den Umständen auf, welche der Erlöser nicht so deutlich zurückweiset, die wir aber aus dem Zusammenhang kennen: nemlich: Damals als die Hohenpriester den Entschluß schon gefaßt hatten ihn gefangen zu nehmen, waren sie unter sich darüber einig geworden, es sollte nicht geschehen auf das Fest, um des Volks willen, damals also hatten sie noch geachtet auf die allgemeine Stimme: Nun aber waren sie doch dahin gekommen ihr Werk auszuführen in den Tagen des Festes (aber doch auf solche Weise, daß sie für den Anfang desselben das Volk nicht zu fürchten brauchten, weil sie die Nacht dazu benutzten den Erlöser in ihre Gewalt zu bekommen) und daß sie nun dieser Furcht Herr geworden waren, das ist 11 lähmte] lämte 26–27 Lk 22,53

30–33 Vgl. Mt 26,3–5; Mk 14,1–2; Lk 22,1–2

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 22,52

5

10

15

20

25

30

35

49

die Verschlimmerung auf die der Herr hindeutet wenn er sagt: „nun ist eure Stunde gekommen“. Denn es ist gewiß, daß wenn die, die Gott auf besondre Weise begünstigt, solche Gewalt ausüben gegen die Sünde: so ist, auf der andern Seite, die allgemeine und öffentliche Stimme, eine der andern beigeordnete Gewalt die gegen das Böse gerichtet ist, und die eine Gewalt ist der andern unentbehrlich, und diese geht aus jener hervor. Aber nur | in solchen als die, denen es gegeben ist eine Gewalt über die Gemüther auszuüben, genau mit der Stimme der göttlichen Wahrheit sprechen vermögen sie die öffentliche Stimme so zu leiten, daß sie eine wahre sei, und solche Gewalt die das vermochte war die des Erlösers; sein Licht ist solche ausgezeichnete Gewalt wodurch die große Masse der Menschen erleuchtet wird und nur in so fern, als seine Gewalt wirksam ist, vermag die öffentliche Stimme das Rechte und Wahre zu finden: So ist nun in Beziehung auf den Unterschied dessen was zu der öffentlichen Stimme gehört und dessen was die göttliche Gewalt darauf ausübt der Erlöser der Einzige von dem man das rein sagen kann daß er diese Gewalt ausübt weil er die göttliche Wahrheit selbst ist, der vor allen andern hervorragt, denn alle andern, alle auf die seine Gewalt wirkt, gehören zu der öffentlichen Stimme und er ist der, der das ganze gläubige Geschlecht endlich zu einer solchen öffentlichen Stimme erhebt, die gegen das Böse gerichtet ist und welcher niemand widerstehn kann. Aber der Unterschied zwischen ihm und seiner Gemeinde soll immer geringer werden, immer mehr sich ausgleichen, und wenn wir an das Ziel denken, wo der Zweck des neuen Bundes wird erreicht sein von dem gesagt ist, daß er darin bestehe was der Herr sagt: „ich will mein Gesetz in ihren Sinn schreiben, und Alle sollen von Gott gelehrt sein“: so ist das eine Beschreibung der Gemeinschaft der Christen untereinander, in welcher wir den Unterschied der Einzelnen verschwinden sehn; denn wenn keiner braucht den andern zu lehren, dann, wenn alle werden von Gott gelehrt sein, so ist dann auch keiner mehr dem andern voran, sondern uns Allen auf gleiche Weise thätig lebendig und kräftig thut sich kund jene allgemeine öffentliche Stimme[.] Aber das Ziel ist nicht erreicht und das ist nun die Art wie von der Zeit des Erlösers an, das Reich Gottes sich ausbreitet, und wie der Geist Gottes in seiner Kirche wirkt um die Gewalt der Sünde zu brechen und die Gemüther gefangen zu nehmen unter dem Gehorsam des Geistes, daß beide Gewalten wirken; immer noch kommen Zeiten wo es der Kirche noth thut, daß Einzelne solche Gewalt ausüben über die Gemüther: diese Gewalt wird sich aber nur bewähren nicht durch den Eindruck des Augenblicks sondern dadurch wenn sie die allgemeine Stimme leiten 17 ist,] ist. 1–2 Lk 22,53 Jes 54,13)

24–25 Vgl. Jer 31,33 in Verbindung mit Joh 6,45 (Zitat aus

20r

50

20v

Am 2. März 1828 früh

erheben und stärken und so gleichsam den Ton angeben: aber immer weniger nöthig soll es werden, daß es solche ausgezeichnete Gewalt Einzelner gebe und immer mehr Gleichmäßigkeit im ganzen Umfange der Kirche bestehe: Aber so wie wir wissen, daß das noch Noth thut und wie uns deshalb oft bange wird so daß wir fragen ob der Herr nicht bald Einen ausrüsten werde: so wissen wir wie jene zweite Gewalt auch das ihrige thut gegen die Sünde indem sie das die Wahrheit ausdrückende Urtheil ist. Und wenn nun die Scheu derer abnimmt, wenn die Sünde ihre Gewalt so äußert über die Menschen, daß sie von der öffentlichen Stimme nicht abgehalten werden das Böse zu thun: so ist das eine Verschlimmerung von der übelsten Art, und wenn es in der Gegend des Reichs Gottes geschieht zu der wir auch gehören so ists ein übles Zeichen davon, daß der Geist Gottes nicht so wirksam in uns ist wie er müßte, sondern er betrübt sich in uns, und das ist dann eine dringende Aufforderung zur allgemeinen Buße. So der Erlöser; zur Buße wollte er die erwecken, die gegen ihn auftraten, indem er sie darauf führte was sie früher an der Ausübung ihres argen Vorsatzes gehindert hatte was ihnen aber nun gar nicht mehr gegenwärtig war, zur Buße darüber, daß nun doch die Obersten so weit gegangen, daß sie nicht hörten auf die allgemeine Meinung, wie sie den ersten Augenblick gewählt ohne sie hören zu müssen hernach aber über die Scheu davor sich weg setzten. Und in diesem Sinn sagt er: „dies ist eure Stunde und die Macht der Finsterniß“: Denn auf ihn selbst konnten diese Worte keine Beziehung haben, für ihn gab es keine Macht der Finsterniß und sie konnte auf ihn keine Gewalt beweisen, wie er auch sagt: „nun kommt der Fürst dieser Welt aber er hat nichts an mir“: Was ihm begegnen sollte und nun wirklich begegnete das war | der Kelch den ihm der Vater zu trinken ab, wie er sich selbst ausgedrückt hat, und von dem er zwar menschlicher Weise wünschen mußte daß er vorüber gehe aber doch nichts andres zu sagen wußte als daß der Wille des Vaters geschehen möge. Denn wie er wußte daß das der Rathschluß Gottes war, daß er das Werk der Erlösung vollbringe durch den Gehorsam bis zum Tode, und daß er im ganzen Umfange des Worts sagen konnte daß denen die Gott lieben Alles zum Besten dienen müsse, und wie er von sich selbst sagte zu den Jüngern: „auf daß die Welt sehe, daß ich den Vater liebe so lasset uns nun gehen“; nur so wußte er auch, daß es vom Vater kam was ihm bei Vollbringung seines Willens begegnete, und also ihm nicht anders als zum Besten gereichen konnte: Nicht als ob er Bessres bedurft hätte oder Höheres erwartet, oder hätte erreichen können, sondern wie das sein Bestes war daß er den Willen des Vaters vollbrachte und wie sein Leiden und Tod dazu gehörte, daß das Werk zum Ziel kam, so gereichte eben dies sein Leiden zu seinem Besten, es war sein Bestes und als solches nahm er es 21–22 Lk 22,53 24–25 Joh 14,30 Röm 8,28 33–34 Vgl. Joh 14,31

25–29 Vgl. Mt 26,42

31–32 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 22,52

5

10

15

20

25

30

35

51

hin, in dem Bewußtsein, daß ewig siegreich ist die Macht des göttlichen Lichts! Was ist dagegen die Macht der Finsterniß wenn sie die Stimme der Wahrheit erstickt was ist sie wenn sie auch auf Augenblicke mit glücklichem Erfolg gekrönt ist! sie ist das was fort muß, sie ists die zu überwinden der Herr gekommen, und so sagt er hier: Das ist die Macht der Finsterniß über euch nun alles unkräftig zu machen was sonst noch Einfluß auf euch hatte, das ist die Stunde des Verderbens in euch, die Macht der Finsterniß die euch zu Knechten macht der Sünde. Und kräftigere Worte gibts nicht um die Menschen zur Buße zu führen, als wenn man ihren Zustand als von der Macht der Finsterniß bedingt, darstellt; denn wie der Funke des Lichts das erste war was die menschliche Natur ausmachte, so ist ein Verlangen nach dem Lichte in dem Menschen übrig geblieben auch in dem Verderben der Sünde, und wie sich der Mensch übel befindet in der natürlichen Finsterniß und sie nur die Zeit ist des vorübergehenden Aufhörens seines Wirkens, wo er aber handeln soll da muß sie sich erst zerstreut haben, so ist im geistgen Leben der Menschen immer ein Verlangen nach dem Lichte von Oben, und wenn sie zum Bewußtsein darüber kommen, daß sie in der Gewalt der Finsterniß sind, daß das geistige Auge ihnen erloschen ist, so ist das die stärkste Aufforderung, sich zum Lichte zu wenden: also eine kräftigere Aufforderung zur Buße hat es nie gegeben als die daß der Erlöser sagt: Sie selbst seien die Macht der Finsterniß, durch sie selbst geschehe alles das mit was nur zufolge der Finsterniß möglich sei und was den Zustand des Sehens immer mehr verschließt. Wenn wir also fragen wie hier der Erlöser gehandelt, wovon seine Sele bewegt war und welches der innerste Sinn seines Worts ist: nun so finden wir, daß das das ist worin er beständig verweilte; denn sein ganzes Lehren, sein immerwährendes Geschäft war der Ruf Buße zu thun, hier aber geschah dieser Ruf auf traurige Weise und gleichsam in der Rückkehr, denn vorher war das der Ruf auf den alle seine Reden zurückkommen: „thut Buße denn das Himmelreich ist nahe“: aber jetzt spricht er: „thut Buße denn das ist die Macht der Finsterniß die euch gefangen hält“: aber das Erste war jezt eben so nahe wie das Letzte; denn kräftiger ist durch nichts die Macht der Finsterniß gebrochen als durch seinen Gehorsam bis zum Tode, und durch nichts ist das Reich Gottes näher gekommen als durch den Kreuzestod des Herrn: – Wenn wir nun denken wie er über das Volk zu welchem er das sagte, daß es unter der Macht der Finsterniß sei, das: „Vater vergieb ihnen“: aussprach: auch so wird uns, in diesem Zusammenhange gedacht, auch dieses Wort eine Aufforderung zur Buße. Wenn wir uns menschlicher Weise in ähnliche Verhältnisse denken so meinen wir[:] es ist schon etwas Großes wenn unser Herz frei bleibt von 25 das das] das, das 29 Mt 4,17

30–31 Vgl. Lk 22,53

36 Lk 23,34

52

21r

Am 2. März 1828 früh

Zorn und wir in die Worte die der Herr hier sprach einstimmen können und wie wir Vergebung für sie erflehen auch ihnen vergeben: aber laßt uns bedenken, daß nur der ein Recht hat so zu sagen der ohne Sünde ist und so lange er reden kann nicht aufhört die Menschen | zur Buße aufzufordern: so nur können wir uns das Recht dazu erwerben und ohne dies ist auch das Wort, das so tiefen herrlichen Sinn hat wie es der Erlöser sagt, nur leerer Schall; denn wie kann der es so aussprechen daß es Wahrheit sei, welcher nicht im Streit gegen die Sünde Alles gethan was in seinen Kräften steht und dessen ganzes Leben nicht der Sünde entgegen war; denn wie kann der wirklich wollen daß die Sünde hinweggenommen (vergeben) werde in dem dieses Wollen sich nicht stets thätig erwiesen hat. Darauf also sollen wir uns prüfen, und so uns dadurch zur Buße bewegen lassen. Ja wol fühlen wir wie nöthig das ist, wenn wir auf den Zustand des Reichs Gottes zurücksehn, und auf der einen Seite auf die die von Gott ausgerüstet sind die Wahrheit zu reden, und auf der andern Seite auf die allgemeine Stimme: so müssen wir sagen: oft verstummen die Einen zu früh und oft steht es auch bei den Andern so, daß sie dahin kommen die öffentliche Stimme nicht zu scheuen, und dann ist keiner da, der das Recht hätte zu sagen: Vater vergieb ihnen. Denn es ist keiner da der im Lichte wandelt und weiß was er thut, sondern Alle haben nachgelassen den Willen des Vaters zu vollbringen. So laßt uns denn dazu ermuntern, daß es nichts geben möge was uns hindert Alles unter das Joch der Wahrheit zu beugen und die Gewalt auszuüben die der Erlöser ausübte und die öffentliche Stimme laut zu erheben gegen das Böse, damit es nicht als Macht zum Vorschein kommen könne. Und nur wenn wir hierin dem Erlöser ähnlich werden und nicht aufhören zur Buße einzuladen, nur dann können wir ihm auch darin ähnlich werden, in Wahrheit und Reinheit des Herzens, Vergebung von Gott zu erflehen: Ja wenn sein Bild lebendig in uns ist, dann werden wir die Gewalt haben dazu wir von ihm berufen sind, und immer ists nur der Erlöser in seinem Wort und Leben in seinen Jüngern, welcher solche Gewalt das Böse zurückzuhalten ausüben kann. Und so laßt uns ihn in seinem Leiden betrachten, durch das Äußre hindurchdringend das Innre anschauend, woraus uns die Gottheitsfülle entgegenstrahlt, auf daß sich sein Bild immer mehr gestalte in seiner Gemeinde!

5

10

15

20

25

30

Am 16. März 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Laetare, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 22,61–62 Nachschrift; SAr 67, Bl. 23r–24v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Lät. 28 Luc. 22, 61.62.

5

10

15

20

25

23r

Alle vier Evangelisten ohne Ausnahme erzählen uns mit großer Genauigkeit die Geschichte von dem Fall des Petrus aber Lucas ist der Einzige der des Umstandes gedenkt daß der Herr ihn angesehn, die andern auch, mit Ausnahme des Johannes, sagen daß Petrus angefangen habe zu weinen, wie aber der Herr ihn angesehn das sagt nur Lucas[.] Aber den ganzen Zusammenhang können wir doch nur verstehen wenn wir den Johannes dazu nehmen; denn wenn der Herr ihn konnte ansehn, so fällt es uns auf warum das nicht eher geschehen sei, und wir finden darüber in den andern Evangelien keinen Aufschluß: aber Johannes erzählt daß die Schaar die Jesum hatte gefangen genommen und vor den Hohenpriester Hannas gebracht, ihn, eben indem dem Petrus in der Vorhalle des Palastes das begegnet war, von da weg zu dem Hohenpriester Caiphas führte: da also ging Jesus durch die Halle wo Petrus war, und da erst konnte er seinen Einfluß auf ihn ausüben durch jenen Blick. Laßt uns nun nicht uns dabei aufhalten zu überlegen und abzuwägen wie groß das Vergehen des Petrus gewesen, von wie schlimmer Art die Verleugnung, oder wie gelinde sie zu beurtheilen sei; Was wir davon gewiß wissen ist das, daß er sich vermessen hat, daß, was auch dem Erlöser bevorstehn sollte, daß das keinen Einfluß haben würde auf seine Treue, und er doch hernach den Widerstand nicht leistete den er sich selbst zugetraut. Es ist zweierlei was diese Erfahrung allgemein macht – und allgemein ist sie wol; denn jeder wird sich Aehnliches aus seinem Leben bewußt sein; denn wenn die Ausführung immer entspräche der Lebendigkeit unsrer Vorsätze, dann müßten die Fortschritte in der Heiligung schneller sein, und die Gemeinde des Herrn stände schon reiner vor 3–6 Vgl. Mt 26,69–75; Mk 14,66–72; Joh 18,17.25–27

11–14 Vgl. Joh 18,12–16

54

23v

Am 16. März 1828 früh

ihm da. – Also daß wir so hinter unsrer eigenen Erwartung zurückbleiben das hat vorzüglich zwiefachen Grund. 1. begegnet es uns wol am meisten in Beziehung auf das was uns zur Gewohnheit geworden war und wovon wir erst später den nachtheiligen Einfluß sehn und den Zusammenhang mit der Sünde begreifen, daß wir hinter unsrer Erwartung zurückbleiben; denn sobald wir diesen Zusammenhang in dem Spiegel des göttlichen Worts erkennen, entsteht der Entschluß uns davon los zu machen, und in der Klarheit wie durch den Geist Gottes das Göttliche vor uns steht, hoffen wir von diesem Entschluß einen guten Erfolg und der täuscht uns auch nicht wenn wir bei dem bleiben was uns das Wort zeigt, er täuscht uns nicht im Ganzen; denn wo blieben sonst die Verheißungen des Herrn von der Förderung seiner Gemeinde! aber doch täuscht er uns oft für längre oder kürzere Zeit; denn gleich knüpft sich nicht der Erfolg an den Entschluß sondern allmählig nur kommt er zur Ausführung und immer viel langsamer als wir dachten. 2. Wenn uns etwas Neues bevorsteht im Leben, was natürlich auch neue Versuchungen in sich schließt, und wir denken uns in das hinein was uns obliegt nach dem Willen des Herrn indem uns sein Wort vor Augen tritt und wir dadurch uns gekräftigt fühlen Alles zu thun, und uns dann die Versuchung vorschwebt die zu erwarten ist, so denken wir die überwinden wir leicht und wie sie uns aber kommt die Versuchung dann wirklich dann geht es nicht so gleich und wir erfahren wol oft die Gewalt des Augenblicks, und erst lange Uebung stählt dagegen unsre Kraft: So wars mit dem Petrus – Johannes erzählt von sich | er war in dem Hause des Hohenpriesters bekannt, er wußte daß Alle die dort waren ihn kannten als einen Jünger Jesu, es war ihm also nichts fremd was ihm da begegnen konnte. Petrus aber stand in dieser Beziehung im nachtheiligen Lichte gegen ihn; er war wol nie an solchem Orte gewesen, nun aber da der Herr dahin geführt wurde, drang es ihn, ihn zu begleiten, da war er unter ganz fremder Umgebung, und wenn es gleich nicht der Hohepriester selbst war, so war es doch der Glanz des äußern Ansehns was ihn hinderte auf die gewohnte Weise seinen Muth geltend zu machen. Und so geschah es daß das Fremde und das schnell auf ihn Eindringende ihn überwältigte, und seinen Entschluß für diesmal entkräftete. Das sind die beiden allgemeinen Quellen solcher traurigen Erfahrung wie wir sie Alle machen. – Wenn wir nun aber auf den Erlöser sehn was giebt uns der für ein Bild? Der hatte den Petrus gewarnt und ihm vorhergesagt was geschehen werde, daß nemlich die frühste Morgenstunde noch nicht würde vorüber sein wenn er schon seinem Vorsatz untreu gewesen sein werde: Und wenn wir uns das überlegen so müssen wir sagen: schon das, was die andern Evangelisten uns sagen daß Petrus indem er den Hahn 23–25 Vgl. Joh 18,15 Mt 26,74–75; Mk 14,72

37–39 Vgl. Mt 26,34; Mk 14,30; Joh 13,38

40–2 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 22,61–62

5

10

15

20

25

30

35

40

55

krähen hörte sich dessen erinnert, mußte so in ihm wirken daß er anfing zu weinen. Lucas aber erzählt noch dabei daß der Erlöser ihn angesehn habe. Wir werden wol Alle einig sein die Frage zu beantworten was das wol für ein Blick gewesen sei den der Erlöser seinem Jünger zugewendet; denn daß er sich sollte der Wahrheit seines vorhersagenden Worts gefreut haben und daß eine Art von Triumph aus ihm sollte geblickt haben, ist unmöglich, vielmehr ists ja schon uns natürlich daß wenn wir in solchem Fall sind so über Einem zu stehen in einem Augenblick wie hier der Erlöser über dem Petrus daß dann die Bewegung der Liebe die Oberhand in uns hat und daß wir eben so lebhaft wünschen unrecht gehabt zu haben wie daß auch würde den Erlöser gefreut haben. Eben so wenig war es Zorn der aus ihm geblickt, und auch wir, wenn wir gleich aller Schwachheit ohne Ausnahme der Sünde unterworfen sind, müssen gestehen: es ist immer nur das Unerwartete was ein Gemüth noch in solche leidenschaftliche Bewegung bringen kann; denn wie groß auch die Schwachheit der Menschen sein möge und wie nachtheilig wirken, kennen wir sie, wissen wir im Voraus was ihnen geschehen wird, können wir sie warnen, nun wohl, dann soll es uns wol nie begegnen daß ihre Schwachheit uns in zornige Gemüthsbewegung versetzt. So war denn also der Blick des Erlösers kein anderer als ein Blick der bedauernden Liebe, er wußte sein Jünger würde dem Schmerz nicht entgehen und so und nicht anders sah er ihn an. Und die Thränen die Petrus weinte, woher hatten sie ihre Bitterkeit? Daher, daß er so zerstreut gewesen war durch das was ihm begegnete daß ihm nicht eher der Zusammenhang eingefallen war jenes Worts des Herrn und das was er gesprochen und er fühlte auch das sei schon die Erfüllung von dem warnenden Wort des Herrn daß er so zerstreut sein konnte. Und das sind dann die bittern Thränen die wir zu weinen haben wenn uns das begegnet was dem Petrus begegnete. Aber sind wir nun auch in Beziehung auf den Erlöser und er auf uns in demselben Fall? Das Wort der Warnung ist zu uns allen geredet, und das ist eben das Eigenthümliche und Bewunderungswürdige der Worte des Herrn daß sie wenn sie auch großentheils in Beziehung auf Besonderes geredet sind doch jedesmal auch für uns von großer Bedeutung sind; denn es ist keins darunter welches nicht eine Anwendung auf jedes auf ihn gerichtete Gemüth und auf jedes Verhältniß zuließe: So auch dieses Wort der Warnung des Herrn welches ja keinen andern Gegenstand hat als den daß wir uns nicht sollen vermessen d. h. zu viel zutrauen, zu viel einbilden auf unsre Kraft. Das Wort der Warnung also haben wir | Alle und wir vermögen eben so wie Petrus es sollte gethan haben, uns daran zu halten, es soll uns eben so lebendig und gegenwärtig sein wie es ihm hätte sein sollen, und gewiß, je größer die Erfahrung ist die von der Kraft desselben, je lebendiger jeder Zusammenhang seines warnenden Worts und dessen was noch so 8 dem] den

23 was ihm] was ihn

24r

56

Am 16. März 1828 früh

häufig geschieht, je tiefer jede Bekümmerniß über eigne Zerstreutheit, je deutlicher Alles vor uns liegt worauf er hingedeutet: nun um so mehr sollen wir genug haben an dem Wort des Herrn wie Petrus hätte sollen genug daran haben. Aber auch der Blick unsers Herrn soll uns nicht entgehen und auch in Beziehung darauf sind wir in gleichem Verhältniß mit dem Petrus: denn es sind nicht blos heilge Worte und Reden des Herrn die wir in den heilgen Büchern haben, sondern wenn wir schon so weit gediehen sind, daß wir die Frage (die der Erlöser diesem seinem Jünger nicht ohne Beziehung auf die Wirkung jenes Blicks that): „hast du mich lieb“: mit: ja: beantworten können, nun dann haben wir sein ganzes lebendiges Bild gegenwärtig, dann fehlt es uns nicht daß sein Blick uns trift und immer tiefer in uns dringt. Ja, wie er gewesen da er auf Erden wandelte so soll er vor uns stehn und der Eindruck den er machte auf die Gemüther, als der, dessen Geschrei man nicht hörte auf den Straßen, als der der das geknickte Rohr nicht zerbrach und das glimmende Docht nicht verlöschte, als der, der alle Bekümmerte zu trösten nicht aufhörte, der soll auch uns nicht unbewegt lassen, und dieses sein Bild soll uns immer gegenwärtig sein. Uebrigens hätte es ja auch dem Petrus begegnen können daß er auch den Blick nicht gesehn hätte eben wie ihm in der Schnelligkeit mit welcher die Begebenheiten an ihm vorüber gingen die Worte des Herrn entfallen waren: das wäre freilich ein Verlust gewesen den er schwer verschmerzt hätte, er hätte die Thränen wol auch geweint aber etwas hätte ihm doch gefehlt wenn er den Blick nicht aufgenommen: So kann es auch uns gehen, aber doch nur wenn nicht lebendig genug unser Verkehr mit dem Erlöser ist, und nicht sein Bild so wie es sein Geist uns verklärt in uns lebt! Wenn wir aber bei dem trauten Umgang mit seinem Wort, zugleich in jedem bedeutenden Augenblick und in Beziehung auf alles was uns bewegt, zu ihm hingewendet sind, dann können wir es alle haben was hier dem Petrus zu Theil ward. Und wir haben dann nicht nur sein Wort wie es uns aufgezeichnet ist; denn alle Stimmen der Wahrheit, abgesehn von lebendiger Mittheilung, ja sie haben ihren Werth nach dem Maaße ihres Inhalts, aber Geist und Leben sind sie uns nur wenn sie aus dem unmittelbaren geistgen Leben von Andern zu uns kommen, aber, Geist [und] Leben – im höchsten Sinne – sind uns nur die Worte des Herrn wenn wir sie aus der rechten Lebendigkeit seiner mittheilenden Kraft, seiner erlösenden Liebe empfangen. – Darum ists schön, daß wir in dieser Zeit uns den letzten Theil seines Lebens vergegenwärtigen und wir mögen sagen es ist die Zeit wo wir durch die ganze Art unsers Gottesdienstes uns in den Zusammenhang seiner lebendigen Wirksamkeit für uns vertiefen und somit bezeugen, daß Alles was wir aus dem Munde des Herrn empfangen und benutzen, das soll uns sein Bild auf das lebendigste vergegenwärtigen. Und so sieht er uns auch an, aus allen Blättern der 9 Joh 21,15–17

13–15 Vgl. Mt 12,19–21 (Zitat aus Jes 42,2-3)

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 22,61–62

5

10

15

20

25

30

35

57

Schrift, und wenn es Zeit für uns ist, daß wir weinen, dann soll uns ein lebendiges Bewußtsein werden von der milden Liebe, die die Schwachheit unterstützt; denn wahrlich es gilt auch von der eigenen Schwachheit und den Thränen die darüber fließen, daß denen die Gott lieben Alles zum Besten dienen muß: ja auch dem Petrus hats gedient und ist nicht unfruchtbar gewesen, denn welch ein neues Band war es, welches | hernach zwischen ihm und dem Herrn sich knüpfte, als in den Tagen der Auferstehung der Herr ihn an sein Herz schloß und nicht ohne Beziehung auf das Vergangne zu ihm sagte: „weide meine Schaafe“: wie mußte ihn das kräftigen! Und so sehn wir ihn bald darauf in demselben Verhalten und vor dem Hohenpriester selbst das Wort des Evangeliums bekennen und es laut verkündigen, daß in keinem andern Heil ist als in dem Namen des Herrn Jesu Christi. So fruchtbar war ihm der Blick des Herrn gewesen. Und diese Erfahrung werden wir Alle machen wenn wir nur den Augenblick nicht versäumen, wo sein Blick uns treffen soll, je schneller wir nach jeder Schwachheit auf das warnende Wort des Erlösers zurückkommen, desto eher wird auch sein Blick uns treffen und je fester dann das Band sich knüpfen wird und jemehr wir nur verlangen nach der göttlichen Kraft, desto schneller werden wir in der Aehnlichkeit mit dem Petrus zunehmen und uns reinigen von aller Schwachheit, und uns Allen wird dann der gekreuzigte und auferstandne Erlöser, nach dem Maaße der Gabe des Geistes die jedem zu Theil geworden, eben so anvertrauen seine Schaafe zu weiden; denn wer am meisten erfahren hat der kann auch am besten und kräftigsten lehren, trösten und warnen. Es ist nicht möglich – bei dieser Ansicht der Sache – daß daraus in Einem von uns Leichtsinn entstehen kann gegen die Sünde und Schwachheit; nein, wer leichtsinnig ist dem kann nicht ein Wort des Herrn einfallen und noch viel weniger ein Blick sich ihm vergegenwärtgen: Das kann uns nicht begegnen, aber wol kann die Geschichte des Petrus trösten über unser Loos und uns erwecken und auf das Eine uns hinführen, daß es keinen bessern Schild und Stab giebt als nur den daß er uns immer gegenwärtig sei. An ihn uns haltend und von seiner Liebe beseelt werden wir immermehr seiner werth und indem wir in seiner Kraft hingehen, ähnliche Worte von ihm hören wie Petrus. Und wenn die Erfahrung unsrer Schwachheit auch eine solche wäre wie die dieses Apostels so werden wir doch bei derselben Treue auch dazu gelangen (was Christus hier zu Petrus sagte) unsre Brüder zu warnen und zu ihrer Umkehrung beizutragen. Und so führe 10–11 Hohenpriester] Hohenpriestern 4–5 Vgl. Röm 8,28

9 Joh 21,16–17

12 Vgl. Apg 3,16

24v

58

Am 16. März 1828 früh

er uns denn auf gleiche Weise wie diesen der ihn lieb hatte, und lasse sein Wort und sein Bild zu unsrer Heiligung uns gegenwärtig sein auf daß wir wahrhaft seine Jünger sein und bleiben mögen!

Am 23. März 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Judica, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 26,63–64 Nachschrift; SAr 67, Bl. 25r–27v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Judic. 28 Matth. 26, 63.64.

5

10

15

20

25

So bekannt uns auch diese Geschichte bis in ihre einzelnen Worte hinein ist, so viele ähnliche Aussprüche des Herrn es auch giebt über das was er von sich selbst halten mußte, so viel es auch giebt aus den letzten Tagen des Herrn was unser Gemüth bewegt, doch müssen wir sagen: es ist ein ganz eigenthümlicher Eindruck den diese Worte immer aufs neue machen; denn der Augenblick der hier beschrieben wird ist wol der entscheidenste seines Lebens, und was er hier sagt ist die feierlichste Aussage von sich selbst und von der göttlichen Sendung durch ihn. So laßt uns denn mit dem ganzen Ernst unsrer Betrachtung hiebei verweilen, nicht gegenüberstellend den Antwortenden dem Fragenden als nur in so fern es nöthig ist zum rechten Verständniß der Antwort, nicht darüber denkend was für eine Sonne nicht aufgegangen wäre, wenn sich die Sonne nicht verfinstert hätte während der Kreuzigung des Herrn was für ein Tag uns nicht angebrochen sein würde wenn jenes nicht geschehen wäre, sondern laßt uns ganz einfach bei diesem Bekenntniß des Herrn selbst stehn bleiben. Es ist zweierlei worauf wir dabei zu sehn haben: 1. die Veranlassung welche es von dem Herrn hervorlockte 2. der Inhalt derselben. Auf beides laßt uns unsern gläubigen Sinn richten. 1. Was also zuerst betrift die Art und Weise wie das Bekenntniß des Herrn entstanden, so finden wir nicht daß er überall in seinem Leben auf gleiche Weise gehandelt; es ging ihm nicht sogleich bei jeder Gelegenheit von den 14–15 Vgl. Lk 23,44–45

25r

60

25v

Am 23. März 1828 vormittags

Lippen daß er der Sohn Gottes sei, vielmehr finden wir daß er oft seinen Jüngern wehrte zu sagen daß er der Christ sei, wir finden eben so daß er nicht selten der Frage aus dem Wege ging, bald grade zu sich entschuldigend damit, daß sie doch nicht glauben würden wenn er es ihnen auch sagte, bald auf andre Weise indem er sagte: „ich würde euch antworten wenn ihr mir erst eine Frage beantwortet“: und als sie nun die Antwort schuldig blieben that er desgleichen. Wie ist er nun darin doch Ein und Derselbe und welches ist der Grund der Verschiedenheit in seinem Benehmen? Warum beantwortete er die Frage nicht immer? Er hatte die Erfahrung gemacht (und hätte sie nicht einmal brauchen zu machen weil er wußte was in den Herzen war) daß ein großer Theil seines Volks ganz verkehrte Vorstellungen von dem hatte was es heißt: der Sohn Gottes sein, und was es mit dem auf sich habe der da kommen sollte; er hatte es erfahren wie sie irdisch aufnahmen was er in ganz anderm Sinne sagte, und wie sie oft dabei gewesen waren ihn zu ergreifen daß er ihr König sein sollte. So mögen wir dann sagen: er wollte sich nicht der Sünde mit schuldig machen, deren sich die schuldig gemacht die ihn gemißbraucht hätten, ihn darstellend als ihr irdisches Oberhaupt. | Und wo er also wußte daß der Sinn seiner Rede gar nicht konnte verstanden werden da schwieg er selbst und da verbot er seinen Jüngern zu reden: und wenn er nun auf andre Weise sich den Forschungen der Menschen entzog, und selbst solchen wie die mit denen er es hier zu thun hatte nicht antwortete wenn sie ihn fragten, so geschah es deswegen weil er wußte sie fragten nicht mit einem Gemüth welches begehrte die Wahrheit zu vernehmen – daß sie sie hätten verstehen können giebt er zu erkennen indem er selbst sagt daß sie die Schlüssel des Himmelreichs hätten, indem sie Ausleger des Gesetzes und der Propheten waren – Aber sie fragten ihn nicht aus Verlangen die Wahrheit zu hören wie jener der bei der Nacht zu ihm kam, sondern weil sie ihn fangen wollten in seiner Rede, so entwich er ihnen auf geistige Weise. Warum nun that er hier nicht das Nämliche, warum bekannte er hier mit dem großen Worte: „Du sagest es, ich bins“? Wir würden ihn nicht verstehen wenn wir dächten es sei nichts gewesen als der Glanz und das ehrfurchtgebietende Ansehn dessen der ihn fragte und des Orts wo er sich befand: nein; denn hätte er gegen sich über gehabt eine einzelne Seele welche ihn gefragt hätte aus Verlangen nach ihrem Heil und um zur Gewißheit darüber zu gelangen was zu glauben sei und was nicht, wie äußerlich gering geschätzt, wie dürftig an geistiger Ausbildung, er hätte sich ihr nicht entzogen, sondern geantwortet; denn wie oft hat er nicht 7 blieben] blieb

34 gegen sich über] Kj gegen über sich

5–6 Vgl. Lk 22,68 20 Vgl. Mt 16,20; Mk 8,30; Lk 9,21 Nikodemus; vgl. Joh 3,1–21

28 Gemeint ist

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 26,63–64

5

10

15

20

25

30

35

40

61

ähnliches gesagt wenn er umgeben war, nicht nur von seinen Jüngern sondern auch von einer Masse des Volks, wie deutlich hatte er da nicht oft geredet von dem eigenthümlichen Verhältniß zwischen ihm und dem Vater, und daß er der sei dem die Menschen glauben sollten daß Gott ihn gesendet zu ihrer Heiligung. Ja wo er in seinem Berufe war zu lehren, da war er nie sparsam in seinem Bekenntniß und wenn es auch nur Wenigen in den Grund des Herzens fiel, und wenn es auch bei Vielen nur solchen Eindruck machte der nicht die Hitze des ersten Entgegenstrebens aushielt; er war freigebig damit zu sagen wer er sei. Etwas Anderes aber war es was ihn hier antrieb zu reden, wo er nicht freiwillig war sondern gefangen, wo er nicht in dem Beruf als Lehrer stand sondern wie ein Einzelner aus seinem Volk der Rede und Antwort geben sollte vor der Obrigkeit. Hier war es nun nicht angewandt die feierliche Rede an ihn zu richten; denn wahrlich der Erlöser würde sich auch solcher Aufforderung nicht gefügt haben, wenn der Hohepriester nicht ein bestimmtes Recht gehabt hätte ihn zu fragen; aber das war es nun warum der Hohepriester ihn so anredete daß er wollte von seinem Zeugniß von sich selbst einen solchen Gebrauch machen daß er daran etwas hatte um sich darnach zu richten in den Verrichtungen seines Berufs, diese sollten nemlich nicht willkürlich erscheinen, er wollte also im Namen des Gottes dastehn in dessen Namen er Rede und Antwort verlangte. Wir wissen welchen Gebrauch er machte von seiner Rede, und daß es hier eben so der Fall war daß das Zeugniß des Erlösers keine andre Frucht hervorbrachte als es damals würde hervorgebracht haben, als er sich dadurch würde in die Verschuldung derer, die ihn fragten, mit verwickelt haben, aber weil hier eine Pflicht gegen die andre Pflicht stand, darum konnte der Erlöser nicht anders als so sagen. Seht da, wenn wir das zusammenfassen: nemlich auf der einen Seite die große Bereitwilligkeit, zu zeugen von seiner göttlichen Sendung, indem er lehrend umherging und Alle zu sich einlud, diese Bereitwilligkeit von sich selbst zu zeugen und dann wieder auf der andern Seite, die große Vorschrift, das genaue Maaß welches er beobachtete wo er sich ohne Noth hätte können in die Gemeinschaft der Sünde ver|wickeln, und dann wieder die Bereitwilligkeit andrer Art, wo er im Namen eines heilgen Rechts aufgefordert wurde zu bekennen wer er sei: das ist der Inbegriff von dem wie wir haushalten sollen mit dem köstlichsten was Gott uns anvertraut hat, mit unsrer innern Wahrheit und Ueberzeugung. Wie wir Alle, nachdem jener Vorhang in dem Tempel zerrissen welcher das Volk von dem Allerheiligsten schied, ein priesterlich Volk des Herrn sind: so sollen auch Alle Lehrer sein, ohne Ausnahme, jeder der seine Stelle gefunden hat in der Welt und in der Kirche des Herrn, er hat einen Kreis wo er eben so bereit sein soll das ganze Geheimniß seiner innern Ueberzeugung hin zu geben, von der Wahrheit zu zeugen, wie es der 36–37 Vgl. Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45

26r

62

26v

Am 23. März 1828 vormittags

Brauch des Herrn war unter seinem Volk. Aber auch das warnende Wort des Herrn nicht leichtsinnig umzugehn mit dem köstlichesten, welches er seinen Jüngern sagte, sollen wir uns aneignen und überall die Weisheit und Vorsicht des Erlösers in Beziehung darauf nachahmen. Wir werden aber diese Weisheit und Vorsicht und das tiefe Geheimniß der verschiednen Art seiner Bereitwilligkeit nicht fassen, wenn wir uns nicht die ganze Handlungsweise des Erlösers vergegenwärtigen. Die menschliche Rede geht freilich von Mund zu Ohr, aber sie wird nicht immer so genommen wie sie gesprochen wird, wir haben die Rede in unsrer Gewalt, aber nicht so den Sinn wie der Andre ihn vielleicht in sein Gemüth aufnehmen wird; darum, wo wir fürchten müssen nicht verstanden zu werden, da haben wir alle Ursach wie der Erlöser, in solchem Fall, vorsichtig zu sein, auf daß wir nicht die Verwirrung noch mehren, die ohnehin schon so groß ist. Aber eben deswegen weil es für uns Alle auch solche Gelegenheiten giebt wie diese für den Herrn war, wo wir es uns bewußt sind: hier ist es heilge Pflicht der Wahrheit die Ehre zu geben die wir tief im Innern fühlen – mag davon der übelste Gebrauch gemacht werden – o da schweige keiner! – Aber Eins von beiden soll auch ein jedes Zeugniß der Wahrheit sein welches wir ablegen, entweder ein reines Werk der Liebe, wie es das Werk der Liebe war daß der Erlöser die göttliche Wahrheit verkündend umherging um die mühseligen und die bekümmerten zu sich einzuladen, entweder so, oder es muß sein das Werk der innern Nothwendigkeit einer heilgen Pflicht. In beiden Fällen wo wir von ihm zeugen (denn so von sich selbst hat keiner zu zeugen wie der Erlöser) da handeln wir als seine Jünger, da reden wir in seinem Geiste; und mag es viel oder wenig sein was dadurch in den Gemüthern entsteht, und auf der andern Seite, mögen dann auch die Verwirrungen sich noch mehren, dennoch, was wir gethan haben das war in Gott gethan. Aber laßt uns nun noch dabei einen Augenblick stehn bleiben und uns vergegenwärtigen alles menschliche Gespräch welches getrieben wird über die Gegenstände unsers Glaubens; Wenn wir davon alles abrechnen was Werk der Pflicht ist, und was aus liebevollem Gemüth herkommt und in dem allgemeinen Beruf geredet wird, wieviel bleibt dann noch übrig, worüber wir nicht streng urtheilen möchten, aber was doch nicht das Rechte ist; denn was nicht Werk der Liebe ist wie oft gehört das der Eigenliebe an! was nicht aus Pflicht das wird aus Vorwitz geredet, und von beiden, wie entfernt war der Erlöser davon! Wer außerhalb des bestimmten Kreises in welchem wir alle Lehrer sein sollen und das Wort des Herrn weiter fördern, in das unbestimmte des Gesprächs hinaus die Ueberzeugung von göttlichen Dingen hinausträgt, der möge sich Rechenschaft geben darüber was ihn dazu bewegt; denn hat er Neues zu sagen dann ist er willkommen und redet zum allgemeinen Nutz, hat er aber das | nicht, redet aber hie und da unaufgefordert über die verschiednen Vorstellungen, was ist das anders als daß er will zu erkennen

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Mt 26,63–64

5

10

15

20

25

30

35

40

63

geben was sein Urtheil ist! und dieses Streben darnach sein eigen Urtheil auszusprechen: das ist Werk der Eigenliebe aber nicht der Liebe; denn wem kann daran gelegen sein zu wissen ob der oder jener dahin oder dorthin gehört. Und wenn Einer, wie er seine eigenthümliche Art und Weise zu reden hat, so auch auf eigenthümliche Weise auf Andre wirkt, er redet aber auch da wo er keine Ueberzeugung davon hat durch sein Reden eine gewisse Herrschaft auszuüben über die Gemüther, und wo er auch durch keine Pflicht dazu aufgefordert ist, da handelt er entgegen dem Herrn und es ist Werk des Vorwitzes was er treibt. Es giebt kein heiligeres Gut als unsre innre Ueberzeugung von der göttlichen Wahrheit, und dieses herrliche Gut sollen wir nicht vergraben, aber laßt uns auch gute Haushalter darüber sein, und damit wir das sein können so stehe uns vor Augen und im Herzen die reine Menschenfreundlichkeit und Gewissenhaftigkeit des Herrn die ihn trieb zu reden, wo er redete, wol wissend was daraus entstehn werde; aber auch wie er laßt uns Gewalt haben über unsre Zunge und lieber schweigen wo wir nicht wissen wie das Reden wirkt und ob es wirkt. 2. Laßt uns sehn auf den Inhalt dieses Bekenntnisses des Herrn. [1.] Der Hohepriester fragte ihn: bist du Christus, der Sohn Gottes? und er antwortete: Du sagests: das heißt also er bejahte seine Frage, aber es waren doch nicht die eignen Worte die er bejahte sondern es waren die Worte eines andern den er kannte weil er wußte was in den Herzen war, er sagte: Du sagests: Meinte denn der Hohepriester nun wirklich dasselbe dessen der Erlöser sich bewußt war? oder stellte er ihn sich nicht vielmehr auf seine Weise vor als den Sohn Gottes wenn er fragte ob er es sei? Denn wenn er davon die wahre Einsicht gehabt hätte, dann hätte er schlechter sein müssen als er war, alles menschliche Gefühl hätte in ihm erstorben sein müssen, wenn er nicht vor ihm niedergefallen wäre als vor seinem Herrn. Also, wie verworrene Gedanken und Vorstellungen mögen in der Sele dieses Mannes gewesen sein! ein dunkles Gemisch verschiedenartiger Ansichten; aber wie der sei und sein müsse der das ganze Geschlecht erlösen und an das Licht bringen sollte: das kam in seine Sele nicht. Und doch sagt der Erlöser zu ihm: Du sagests: und doch bejate er ohne den Vorbehalt: ganz anders als du es meinst bin ich der Sohn Gottes, du vermagst noch nicht zu fassen was es heißt: der Sohn Gottes: Ohne diesen Vorbehalt sagte er ganz einfach: Du sagest es: – O laßt uns doch hier von dem Erlöser lernen wie er es machte[.] Das genügte ihm daß er wußte: wenn der Hohepriester ihn fragte, so fragte er: hältst du dich für den den ein großer Theil des Volks als den Christ verehrt, auf den die Verheißungen hin deuten, der einen ganz neuen An34 vermagst] vermachst

64

27r

Am 23. März 1828 vormittags

fang menschlicher Dinge zu gründen kommen werde, und nach dem nun keine göttlichen Offenbarungen zu erwarten sind? und das bejahete der Herr. So frei war er davon über das Größte und Wichtigste, über dieses Eine Nothwendige, in eine Menge von Erörterungen einzugehn, er hielt sich daran was genug war um sein Recht über das ganze Geschlecht auszusprechen, über das wurde er gefragt und das bejahete er ohne sich über die Verschiedenheiten der Vorstellungen von ihm, zu erklären, ohne sich | an diese zu halten. O was nun für ihn der Gegenstand seines Bekenntnisses war; was er bejahete ohne daß er daran säuberte: das soll denn auch der Gegenstand sein des Glaubens den wir festhalten durch das Band des Friedens. So also Einer nur glaubt: Christus ist in das Fleisch gekommen und er ist der den Gott gesandt und durch den er sich offenbaren will: wer das sagt den laßt uns aufnehmen als den Bruder unsers Bekenntnisses, zu dem laßt uns auch sagen: Du sagests: und wie der Apostel zu jenen Christen deren Glaube noch mangelhaft war, so laßt uns auch zu dem sagen von dem wir das denken „was dir noch mangelt das wird Gott dir offenbaren“: So laßt uns bei dem großen Wort des Erlösers stehn bleiben, so nur sehn auf den Einen Gegenstand der alle Herzen eint, so immer zuerst nur halten auf die Unterwerfung des Herzens und Verstandes unter den der in allen leben will die an ihn glauben: so laßt uns ihn bekennen in seinem Geiste wie er das Wort über sich aussprach, und laßt uns nicht zerspalten die große Gemeinschaft der Liebe indem wir daran hängen woran der Erlöser selbst nicht hing. 2. Als er aber gesprochen hatte: „Du sagest es:“ da fuhr er fort: „Doch ich sage euch von nun an wird es geschehen daß ihr sehen werdet des Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft“: – Von nun an? wie? mußte er nicht noch leiden und sterben? lagen nicht auch jene vierzig Tage dazwischen ehe er auffuhr zur Herrlichkeit? wie sagt er denn: von nun an werdet ihr des Menschensohn sitzen sehn zur Rechten der Kraft? Seht da, das ist nun der tiefste und innerste Grund des eigenthümlichen Gefühls welches uns ergreift bei diesem seinem Bekenntnisse! Ja, wir fühlen es, von nun an geschah es also; seine That war nun gethan, was noch übrig war in der Welt für ihn das begegnete ihm, es gehörte freilich mit zu dem Werke der erlösenden Liebe daß er litt und starb, aber es war nur die, in dem ihm Gegenüberstehen der Sünde gegründete, nothwendige Folge dessen was er gethan, es war also Ereigniß, seine That aber die war gethan; denn die Erlösung der Menschen ist eine That, sie ist nicht Ereigniß! Dem Gehorsam des Erlösers der war es dem sein Vater im Himmel das Geschlecht der Menschen zur Beute versprochen hatte: das Bekenntniß das er hier ablegte das 11 So] So,

17 dem] den

10–11 Vgl. Eph 4,3

16 Vgl. Jak 1,5

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 26,63–64

5

10

15

20

25

30

35

65

war das letzte Thun, nun war er gehorsam gewesen in allem, der Fürst dieser Welt hatte nichts an ihm; von nun an war sein Sieg festgestellt, die Macht der Sünde ging zu Ende. Er wußte daß dies sein Bekenntniß das letzte war was er gethan, denn er wußte wol was gleich danach geschehen würde; das Bekenntniß war sein Gehorsam bis zum Tode am Kreuz, und darum konnte er sagen: „von nun an:“ Aber er sagte nicht nur von nun an wird des Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft: sondern: daß ihr ihn sehen werdet: O das ist ein großes vielbedeutendes und tiefsinniges Wort! Ja er wußte wol was für ein Stachel durch dieses sein Bekenntniß in die Selen seiner Feinde gelegt war, daß sie nun anfingen zu sehen und es immer mehr erfahren würden daß sie die Wahrheit nicht überwinden würden und daß sie nichts ausrichteten gegen die Verbreitung derselben. Und wie er späterhin zu dem sagte der seine Lehre verfolgte: „umsonst strebst du gegen den Stachel“: so wußte er daß alle Gewalt der Feinde nichts thun konnte um sein Reich zu überwinden, und daß ihre ganze Gewalt in vergeblichen Bestrebungen sich aufreiben werde: und so sagt er: „nun – von dem Augenblick | an wo er durch sein Bekenntniß seine That endete – werdet ihr ihn sehen zur Rechten der Kraft:“ Von dieser Zeit an konnte er in seinem Gottesreich walten und es immer weiter führen; denn das Bekenntniß des Herrn das war auch von da an der Grund alles Bekenntnisses welches von ihm abgelegt ward; denn wie sein Gehorsam sich bewies in diesem Bekenntniß, so sagten seine Jünger sie müßten Gott mehr gehorchen als den Menschen und das Wort des Bekenntnisses des Herrn sollte niemand in ihrem Munde ersticken dürfen. Wenn nun die Zeiten vorüber sind wo das Zeugniß von dem Erlöser und für ihn, eben solche Früchte trug wie damals für die ersten Jünger, wenn es jezt ein leichtes und fröhliches Geschäft ist daß der Mund übergehe dessen wovon das Herz voll ist: O so laßt uns um so mehr bei der innern Würde des Bekenntnisses stehn bleiben: Es bleibt immer das köstlichste womit wir hauszuhalten haben: wir thun es aber nur auf die einzig rechte Weise wenn wir das Bekenntniß des, jedes Wort der göttlichen Wahrheit dazu anwenden um die Menschen zu ihm zu führen, als zu eben dem, um den sich Alle sammeln sollen, in dem Alle Eins sein sollen: Und so weit nur geht sein Reich als die Einigkeit im Geiste geht, denn es ist nichts als der Bund des Friedens und der Liebe woraus so ein Reich besteht, wo sein Friede ist und Alle die Wahrheit suchen in Liebe, nur da werden die Segnungen seiner Verheißung wirklich genossen. So sei denn jedes Bekenntniß eine aufrichtige Bemühung Alle zu ihm zu versammeln: und so lasset uns 31 des] Kj deß oder des Herrn 1–2 Vgl. Joh 14,30 13–14 Vgl. Apg 9,5; 26,14 28 Vgl. Mt 12,34; Lk 6,45 33 Vgl. Joh 17,20–21

22–23 Vgl. Apg 5,29

27–

27v

66

Am 23. März 1828 vormittags

denn davor uns hüten daß wir nicht das was das Band der Liebe sein soll zur Quelle des Zwiespalts machen. Der Glaube ist die reine Quelle des Bekenntnisses aber es ist der Glaube der durch die Liebe thätig ist: so sei denn lieben und bekennen Eins! Und wenn wir daran festhalten daß er allein es ist in dem für Alle Heil ist: so möge jeder das Seine thun daß es an Allem erfüllt werde damit man an den Früchten des Glaubens erkenne daß er der gewesen ist als den er sich gegeben: So laßt es uns nie, in keinem Augenblick vergessen, daß seine Jünger daran zu erkennen sind daß sie sich lieben mit der Liebe womit er sie geliebt: mit dieser also laßt uns Alle umfassen welche denselben Herrn bekennen. In Liebe verbunden laßt uns über die Verschiedenheiten der Ansichten wegsehn; denn nur dadurch daß die Herzen vereint sind in ihm wird sein Reich gefördert, und nur wenn wir von der Liebe beseelt sind dabei, kann das Bekenntniß Werth haben für dasselbe: so laßt uns je weniger wir dafür zu streiten haben desto mehr darauf bedacht sein daß wir es so recht innerlich fördern und mehren und das geschieht eben nur durch das: die Wahrheit suchen in Liebe!

3 Vgl. Gal 5,6

6 Vgl. Mt 7,16.20

8–9 Vgl. Joh 13,34

5

10

15

Am 3. April 1828 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Palmarum, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 22,15 u. Hebr 6,11–12 a. Nachschrift; SAr 54, Bl. 125r–128v; Schirmer Eigenheiten: Abendmahlsvorbereitung b. Nachschrift; SAr 54, Bl. 128v–135r; Schirmer Eigenheiten: Konfirmation Keine Nachschrift; SAr 67, Bl. 29r–30v; Woltersdorff (Nur Konfirmationspredigt) Tageskalender: „Vorbereitungsrede“ / „Einsegnungsrede. 37 Knaben und 34 Töchter“

a. Abendmahlsvorbereitung

125r

Beicht- und Einsegnungsrede am grünen Donnerstage 1828. Beichtrede. Tex t : Luc. 22 v. 15. 5

10

15

20

M. and. Fr.! Der heutige Tag schließt auf eine ganz besondere Weise in sich ein das Fest des heiligen Mahles der Christenheit, in Beziehung auf welches wir jetzt hier versammelt sind. Es ist der Tag, an welchem der Herr es eingesetzt hat, und da begehren wir natürlich ganz besonders und mehr als sonst, uns in jene heilige Stunde hineinzuversetzen und zu erwägen, wie dem Erlöser selbst, dem Stifter dieses heiligen Mahles dabei zu Muthe gewesen ist. Darüber geben uns nun die verlesenen Worte den einigen Aufschluß, den wir in der heiligen Schrift finden: „Mich hat herzlich verlanget, dies Osterlamm mit Euch zu essen, ehe denn ich leide.“ Nun sprach er zwar hier zunächst nur von der Ostermahlzeit seines Volkes, allein er wußte es doch, daß er bei dieser Gelegenheit seinen Jüngern geben wollte einen anderen Leib und ihnen darreichen wollte den Kelch eines | neuen Bundes, und mit vollem Recht ziehen wir daher dies Verlangen seines Herzens auf die Stiftung des heiligen Mahles. Es war aber nicht zufällig, daß er eben dieses Gedächtnißmahl des alten Bundes anknüpfte. Wie jenes war die Erinnerung an die Befreiung des Volkes aus dem Zustande und dem Lande der Knechtschaft, so soll nun dieses Mahl, welches er daran knüpft, den Seinigen die feste Versicherung geben,

125v

68

126r

126v

127r

Am 3. April 1828 mittags

daß sie durch seinen Tod ebenfalls errettet würden aus dem Zustande und dem Lande der Knechtschaft. Darum wollte er es mit ihnen essen, ehe denn er litte, und ihnen in Beziehung auf das, was, indem er starb, auch ihnen bevorstand, dieses schöne und festliche Mahl als Trost lassen. Von welchem Zustande der Knechtschaft kann hier wohl die Rede sein? das sagt uns ein Apostel des Herrn, welcher das eine Mal sagt, daß die Menschen aus Furcht des Todes hätten Knechte sein müssen ihr lebelang, aber dann auch, daß der Stachel des Todes die Sünde sei. Sie also ist es, um derentwillen die Menschen den Tod fürch|ten, als die Trennung von alle dem, was ihnen das Verderben der menschlichen Seele lieb und werth gemacht hat, und um derselbenwillen sind sie in der Angst und Furcht des Todes Knechte ihr Leben lang. Davon hat uns der Tod des Erlösers befreit, und wir verstehen es mit Recht so, daß er im Angesichte des Todes das herzliche Verlangen hat, den Seinigen ein solches Gedächtniß zu stiften, ein theures Unterpfand der Befreiung, welche ihnen durch ihn gewiß werden würde. Er sagt aber weiter und führt als Grund dieses Verlangens an: „denn ich werde nun nicht mehr davon essen und überhaupt auch nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis daß es erfüllet werde im Reiche Gottes.“ Er hat aber in den Tagen seiner Auferstehung, das bezeugen die Jünger, mit ihnen gegessen und getrunken, also auch von der Frucht des Weinstocks, und ihnen dadurch die Versicherung gewährt, daß das Reich Gottes erfüllt sei. Sehet da, m. gel. Fr., wie der Herr in Beziehung auf dieses heilige Mahl sagt: „Mich hat herzlich verlanget u. s. w.,“ um auch darin, was sie betrüben würde, | ihnen die Versicherung zu lassen: „so wie für mich der Tod der Ausgang ist aus dem Zustand der Erniedrigung, den ich aus Liebe zu den Menschen übernommen habe, so ist er auch für Euch der freudenreiche Ausgang aus dem Zustande der Knechtschaft und der Eingang zur Freiheit der Kinder Gottes“, auf daß auf diesem Tod fest gegründet und versiegelt und erbauet wurde das Reich Gottes, welches von dem Augenblick an fest stand, wo durch den Tod des Herrn jener Vorhang zerriß, der die Menschen von dem Heiligthum schied und nun allen in der Gemeinschaft mit ihm wieder eröffnet ist die Gemeinschaft mit seinem und unserem himmlischen Vater. Wenn wir nun dies heilige Mahl miteinander genießen, m. gel. Fr., und es uns nach der Meinung und dem Sinne des Erlösers zu einer solchen trostreichen Versicherung wird; wenn wir uns stärken in dem lebendigen, uns selig machenden Glauben, daß derjenige, der seines eigenen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns dahingegeben, uns auch mit ihm alles schenken werde, wenn wir | in demselben gleichsam von ihm selbst empfangen den Kelch des neuen Bundes, das Gedächtniß des wahren 6–7 Vgl. Hebr 2,15 7–8 1Kor 15,56 16–18 Lk 22,16–18 Lk 24,30.41–43 29–30 Vgl. Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45 Röm 8,32

19–20 Vgl. 36–38 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 22,15

5

10

15

20

25

30

35

69

Blutes der Besprengung, an welchem diejenigen erkannt werden, an denen der Herr sein Wohlgefallen hat in seinem Sohne; wenn wir im Genuß des heiligen Mahles alles andere vergessen, ganz und ausschließlich leben in dem Reiche Gottes, welches er gestiftet hat, d. h. in der Freude und in dem Frieden, die da sind im heiligen Geist: so stillen wir das Verlangen seines Herzens, welches er trug, dies Mahl mit ihnen zu genießen. Es wird durch uns auch ebenso bestehen, wie damals durch seine Jünger. Aber, m. gel. Fr., es soll nicht nur ein tröstliches Unterpfand uns sein und eine lebendige Versicherung, sondern wie Brodt und Wein Nahrung und Stärkung des leiblichen Lebens sind, so soll uns allen das heilige Mahl sein eine Stärkung des Geistes. Und wie kann das fehlen, wenn wir dessen gedenken, daß wir gepflanzet sind in das göttliche Reich durch ihn und daß es durch uns soll erfüllt werden und sich vollbereiten und sich bauen von einem | Raume zum anderen und von einer Zeit zur anderen. Wie kann es fehlen, wenn wir versichert werden durch sein herrliches Verlangen seiner herzlichen Liebe und Treue gegen uns alle, und eben dadurch, wie Er die gemeinsame Quelle des Lebens für uns alle ist, wie auch die Liebe Gottes ausgegossen wird in unsere Herzen, welche allein die Kraft des ewigen Lebens ist, die Freude und der Friede, durch welchen das Reich Gottes besteht. Darauf laßt uns unsere Herzen gerichtet haben, so oft wir miteinander dies heilige Mahl feiern, vorzüglich aber freilich in diesen Tagen des Leidens und des Auferstehens des Herrn. Denn das sind die beiden glänzenden Punkte, durch welche sich sein und unser gemeinsames Geschick vollendet hat. Wie er einmal gestorben ist der Sünde und auferwecket worden durch die Kraft des Vaters: so wissen wir, daß wir mit ihm der Sünde sterben sollen und mit ihm begraben werden in seinen Tod, um mit ihm aufzustehen zu einem neuen Leben. Und beides ist ungetrennt miteinander | verbunden, wie es dasjenige ist, was Gott selbst so verbunden hat, daß es der Mensch nicht scheiden kann, das Begrabenwerden in dem Tod des Herrn und das Auferstehen mit ihm zu neuem Leben. Wie können wir anders als ihm danken für alles, was er gethan hat, wie können wir anders, als in seiner Freude und in seinem Frieden leben und uns weiter bauen in der lebendigen Gemeinschaft mit ihm! Es ist aber jetzt hier vorhanden eine Anzahl junger Christen, welche zum ersten Mal theilnehmen wollen an diesem heiligen Male des Herrn, zuvor aber deßwegen aufgenommen werden sollen zu Mitgliedern der Gemeinschaft unseres Glaubens. Ich soll in ihrem Auftrage sie der Gemeinde 13 vollbereiten] vgl. Grimm: Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 12/2, Sp. 595 22 dies] diese 4–5 Vgl. Röm 14,17

17–18 Vgl. Röm 5,5

26–28 Vgl. Röm 6,4.10–11

127v

128r

70

Am 3. April 1828 mittags

vorstellen und sie dem Gebet und ihren guten Wünschen empfehlen, daß sie mit uns zu Einem Leibe gespeiset und getränket werden und mit uns wachsen in dem Herrn von einem Tage zu dem anderen. Ihre Namen sind u. s. w.

b. Konfirmation 128v

129r

129v

Einsegnungsrede. Meine lieben Söhne und Töchter in dem Herrn. Die Stunde ist erschienen, diese schöne, feierliche und herrliche Stunde, mit welcher sich gewiß euer Gemüth schon lange beschäftigt hat. Laßt uns jetzt miteinander ihre Bedeutung erwägen. Das ist nun darin das Wenigste, meine Lieben, daß das Verhältniß, in welchem ich bisher zu Euch gestanden habe, aufhört: Denn einmal hört es nicht auf, wie immer schon viele von denen, welche nach erhaltenem Unterricht in die Gemeinde sind aufgenommen worden, denselben noch eine Zeit lang freiwillig weiter besucht haben; dann wisset Ihr auch alle, daß, so lange Ihr mir nahe seid, mein Rath und meine Belehrung Euch offen stehen. Aber es ist überhaupt die menschliche Persönlichkeit in unseren großen Angelegenheiten das Wenigste. Ihr bedürfet noch des Wachsthums in der Erkenntniß, dazu wird Euch gegeben das Buch der heiligen Schrift, dazu stehen Euch offen die Häuser unserer Andacht, jeder Diener des göttlichen Wortes ist berufen, | Euch zu dienen mit seiner Erkenntniß, und sie ist der Gegenstand und Zweck alles christlichen Strebens, aller christlichen Freundschaft und alles gemeinsamen christlichen Lebens. – Die Hauptsache aber, m. gel. Kinder, ist, daß Ihr nun eure freie Zustimmung gebet zu dem, was Euch widerfahren ist in den Tagen eurer Kindheit. Damals wurdet Ihr im Glauben und auf Hoffnung in diese Gemeinde des Herrn aufgenommen, denn das ist ein geistiges Geschäft, und euer Geist schlief damals und war noch nicht erwacht. Nun aber ist Euch dargelegt der Weg des Lebens, nun habt Ihr schon die Erfahrung gemacht auf mancherlei Weise von dem, was dem unsterblichen, nach Gottes Ebenbild geschaffenen Geiste in ihm selbst gefährlich werden kann und verderblich. Indem Ihr also eure Zustimmung dazu gebt, in die Gemeinde der Christen aufgenommen zu werden, wohlan! so gebt Ihr zu erkennen, daß Ihr gewählt habt, daß es Euch zu thun ist nicht um das Irdische und Vergängliche, sondern um das Ewige, und daß Ihr begierig greift nach der Stütze der göttlichen Offenbarung in seinem Worte | die Euch dazu dargeboten wird, nach der Stütze der Gemeinde der Christen, die Euch ihre Hand darreicht in dieser heiligen Stunde. O da muß in Euch sein ein herzliches Gefühl der Dankbarkeit für Alles, was Ihr schon empfangen habt und woran ich Euch jetzt mit wenigen Worten erinnere. Es muß aber auch sein in Euch ein festes und sicheres Ver-

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 6,11–12

5

10

15

20

25

30

35

40

71

trauen in Beziehung auf die Zukunft. Danket Gott in dieser Stunde vorzüglich, daß Ihr schon von Kindheit an, wenngleich nur im Glauben und in der Hoffnung, in diese Gemeinschaft aufgenommen seid, daß Ihr geboren seid in dem Umfang der christlichen Kirche, wo in Euch angefacht wurde das Verlangen nach den höchsten Gütern des Lebens. Alle die, welche bisher an eurer Seele gearbeitet haben, legen nicht etwa jetzt ihre Arbeit nieder, sondern sie lehnen sich mit ihren Euch liebenden Herzen eben an die Dankbarkeit und an jenes Vertrauen, welches in Euch sein wird. Denn eben ja deßwegen wollt Ihr der Gemeinde der Christen beitre|ten, weil Ihr das Vertrauen hegt, da walte der Geist Gottes, da sei derjenige, der von unserem himmlischen Vater uns gemacht ist zur Erlösung, zur Heiligung, zur Weisheit und Gerechtigkeit, auf geistige Weise; da verbinde und heile er auch alle Kranken und Schwachen, da stärke er alles Bekümmerte und Beladene und Dürftige, da gründe er noch jetzt den Frieden, der in seiner Seele war und jene Freude in Gott, welche das gemeinsame geistige Eigenthum aller derer ist, welche an ihn glauben. – Aber, m. gel. Kinder, indem nun die christliche Gemeinde diese eure freie Zustimmung annimmt und Euch zu Mitgliedern ihres gemeinsamen Bundes erklärt; so erklärt sie zugleich dadurch, sie habe das feste Vertrauen, daß Ihr auch das wohl verstehet, was Ihr thut, und daß euer Wort wie ein wohlverstandenes, so nicht ein leeres sei, sondern daß Ihr der ernsten Richtung eures Gemüthes und eures Willens folget. In diesem Vertrauen nimmt sie Euch auf und bietet Euch darfür euer künftiges Leben zu eigenem | und freiem Gebrauch alle die köstlichen Güter, in deren Besitz sie der Erlöser und Richter dieser Gemeinde gesetzt hat. In diesem Vertrauen nimmt sie Euch auf in das gemeinsame Leben, in welchem jeder dem anderen dient mit den Gaben, die ihm von Gott gegeben sind, jeder dem anderen die Hand reicht, jeder Stärkere sich des Schwächeren annimmt, und alle, von Einem Geiste beseelt, den gemeinsamen Weg finden zu einem und demselben herrlichen Ziele. Wenn ich nun sonst wohl, m. gel. Kinder, bei dieser Veranlassung jedem mit dem Segen des Herrn zugleich einen bedeutenden Spruch seines Wortes mitgegeben habe, so will ich heute allen gemeinsam Einen geben. Das ist der, welchen ich zu Euch spreche im Namen der Gemeinde, welche Euch aufnimmt: Wir begehren alle, daß jeglicher unter Euch denselben Fleiß anwende, die Hoffnung festzuhalten bis ans Ende, daß Ihr nicht träge werdet, sondern nachfolget denen, die durch den Glauben und Geduld die Verheißungen ererben. | Der Verfasser des Briefes an die Ebräer, von welchem ich diese Worte genommen habe, hatte vorher gesagt, wenn einmal ein Mensch erleuchtet sei und geschmecket habe das gütige Wort Gottes und die Kraft der zukünftigen Welt und wolle dann wieder den Heiland der Welt, den er erkannte, 10–12 Vgl. 1Kor 1,30

39–1 Vgl. Hebr 6,4–6

130r

130v

131r

72

131v

132r

132v

Am 3. April 1828 mittags

für Spott halten, der könne nicht ernannt werden zur Buße. Aber, führt er fort, wir wissen, daß Gott gerecht ist und nicht vergessen kann eures Werkes und der Arbeit der Liebe, wie Ihr den Heiligen gedienet habet und noch dienet. Und so fährt er fort mit den Worten, die ich vorher ausgesprochen. – Wohlan! auch Ihr seid erleuchtet, es ist derjenige Euch vor Augen gemalt, der das Licht der Seelen ist. Ihr habt geschmecket das gütige Wort Gottes, denn Ihr seid genährt worden mit den schönsten und trefflichsten Aussprüchen desselben und habt im Gemüthe eine Ahnung von der Kraft der neuen Welt, in welcher wir durch die Gnade Gottes leben. Ich kann mich nicht berufen, wie der Apostel für jene Christen, an die er schrieb, auf die Arbeit | der Liebe. Aber seht, dies ist das erste Werk der Arbeit der Liebe, daß Ihr hier das Bekenntniß des Glaubens ablegt und Euch weihet zu Mitgliedern der Gemeinde des Heilandes; denn jeder Entschluß, wenn er den Namen verdient, ist der Anfang eines Werkes, eine lebendige Regung des Willens und hat ein einiges Ziel, ein Ziel, wovon wir wissen zu unserem Trost und zu unserer Freude, daß wir dennoch zu laufen haben und uns ihm entgegenstrecken müssen. Darum begehren wir alle, daß Ihr gleichen Fleiß anwendet, die Hoffnung festzuhalten bis ans Ende, daß Ihr nicht träge werdet u. s. w. O wie weislich hat der Verfasser dieses heiligen Briefes abgesehen von allem, was eine geistige Ungleichheit der Menschen ist! Er redet nicht von dem Gebrauch solcher Gaben, von denen dem Einen und dem Anderen ein größeres oder geringeres Maaß zu Theil geworden ist, er redet nur von Fleiß und Treue, und das begehren wir alle von Euch, daß Ihr gleichen Fleiß | beweiset. Dies vermöget Ihr alle, wenn euer Sinn auf das Gute gerichtet ist, wenn Ihr Euch der Liebe und des Beistandes Gottes gewiß haltet und den gleichen Fleiß anwendet, um die Hoffnung fest zu halten auf die zukünftige Welt, das Reich Gottes, welches weiter gedeiht, und welches zu fördern die Hoffnung ist, die Euch immer beseelen soll. Und so begehren wir, daß Ihr den gleichen Fleiß anwendet, die Hoffnung fest zu halten bis ans Ende, daß Ihr nicht träge werdet. Das, m. th. Kinder, ist der beständige Feind, gegen den der Mensch zu kämpfen hat auf Erden. Alle guten Entschlüsse und die Ausführung aller guten Werke haben dagegen zu streiten, daß der Mensch nicht träge werde, und nur in dem Maaß, als Ihr es nicht werdet, Euch erhaltet in Fleiß und Eifer, zurückkehrend zur ersten Liebe Euch erinnert jedes heiligen Ausspruchs, in welchem Gott und der Erlöser eurer Seele nahe treten, nur in dem Maaß könnt Ihr Nachfolger werden derer, die in Glauben und Geduld die Verheißung vererbt haben: | Sehet da, das ist die große Bestimmung für Euch, das ist die freudige Hoffnung, mit der wir auf Euch sehen. Wir alle sind solche, die da hoffen, in 34 zurückkehrend] zurückehrend 1–4 Vgl. Hebr 6,10

10–11 Vgl. Hebr 6,10

16–17 Vgl. 1Kor 9,24

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 6,11–12

5

10

15

20

Glauben und Geduld die Verheißung zu ererben; wir halten fest an dem Glauben, der uns die Quelle des Lebens geworden ist, und indem wir Gott aufs Neue anrufen um Beharrlichkeit in der Erfüllung seines göttlichen Willens, um Beharrlichkeit zu erkennen, welches sei sein gütiger und wohlgefälliger Wille, um Beharrlichkeit in der treuen Liebe, daß uns nicht selbstsüchtiges Wesen beschleiche; so hoffen wir, die Verheißung zu ererben, daß auch durch uns sich das Reich Gottes baue. Und so soll sich ein Geschlecht an das andere reihen, daß der geistige Tempel Gottes sich höher erhebe und fester gründe gegen alle Stürme, die über ihn kommen, und so soll ein Geschlecht auf das andere folgen, wie wir gefolgt sind auf die Väter, so Ihr auf uns. So reiht sich jährlich ein neues an das alte, und wir hoffen, daß alle sollen Nachfolger werden derer, die vor uns durch Glauben und Geduld | die Herrlichkeit ererbt haben. Daß wir jetzt unser angefangenes Werk in eure Hände legen, daß wir auf das künftige Geschlecht, wenn wir das Zeitliche verlassen, in getroster Hoffnung hinsehen und wissen, daß es auch das Seinige thun wird in der Wahrheit, um das Wort des Lebens lebendig zu erhalten, den Bund der Liebe und des Glaubens fest zu halten und die Kraft der künftigen Welt selbst zu gebrauchen und fortzupflanzen von einem Geschlecht auf das andere: das, m. th. Kinder, ist unser Begehren und unser Wunsch an Euch, indem wir Euch die Hand der Gemeinde reichen, und nun laßt uns dies schöne und gesegnete Werk vollführen. Ich beginne es damit, daß ich Euch auffordere, zuerst einen von den Söhnen und dann auch eine von den Töchtern das gemeinsame Bekenntniß unseres Glaubens abzulegen, zu welchem Ihr Euch bekennen wollt.

35

40

133r

Apostolisches Glaubensbekenntniß.

25

30

73

Wohlan! m. gel. Kinder, in Beziehung auf den Unterricht, welchen Ihr bis jetzt von mir | empfangen habt, wobei ich dies gemeinsame Bekenntniß der Christen zum Grunde gelegt und Euch den Sinn der evangelischen Kirche bekannt gemacht habe, frage ich Euch alle, ob Ihr wirklich begehret, in die Gemeinschaft des Bekenntnisses aufgenommen zu werden. Aber das Bekenntniß mit dem Munde, wißt Ihr wohl, ist so viel, als nichts. Wollt ihr wahrhaftig in die Gemeinschaft des Bekenntnisses aufgenommen werden, und wisst Ihr, was es sagen will, zu der Einen und allgemeinen Kirche des christlichen Glaubens zu gehören, in die Ihr treten wollt; so muß es auch euer ernster Wille sein, nach der Regel, die der Erlöser den Seinigen gegeben hat, euer Leben einzurichten und des Glaubens, zu welchem Ihr Euch bekennet, würdig zu wandeln, Ihr wißt aber wohl, daß Ihr dies nicht vermögt durch Euch selbst, sondern es muß sein Gottes Werk an Euch. Dazu hat er gesetzt die Ordnung des göttlichen Wortes in der christlichen Kirche, so daß sein Geist in derselben waltet, und was er von Christo nimmt, den 40–1 Vgl. Joh 16,14

133v

74 134r

134v

135r

Am 3. April 1828 mittags

Seinigen immer mehr | verklärt und das Wort des Herrn immer mehr Geist und Leben werden kann in allen. Damit Ihr also Euch zur Erfüllung eures Vorsatzes des göttlichen Beistandes in der christlichen Kirche getrösten könnt: so gehört dazu, daß Ihr nicht aufhöret, in der Schrift, welche die einige Regel unseres Glaubens und Lebens ist, immer mehr zu forschen, welches sei der gnädige und wohlgefällige Wille Gottes; daß Ihr dazu braucht alle Gelegenheit der Belehrung und Erbauung, welche Euch die christliche Kirche in ihren Versammlungen darbietet, und indem Ihr das Recht erhaltet, am heiligen Mahl der Christen Theil zu nehmen, daß Ihr oft und zwar aus freiem Triebe des Herzens – wie es ja kein erzwungenes Werk giebt in unserer evangelischen Kirche – Euch mit seiner Gemeinde vereinigt, um den Segnungen dieses heiligen Mahles theilhaftig zu werden und sie an eurem Herzen zu erfahren. Ist das nun auch euer ernster Vorsatz; so antwortet: ja. Nun wohlan! so erkläre ich denn auf dieses Wort, das Ihr gegeben, Kraft meines Amtes Euch zu Mitgliedern der evangelischen Kirche | und verleihe Euch alle Rechte, welche sie solchen zugesteht im Gebrauch des göttlichen Wortes und in aller Theilnahme an den Sakramenten unserer Kirche. Amen. Heiliger Gott und Vater! der Du die Herzen erforschst, Du hast die Gelübde dieser Kinder gehört, die wir jetzt in die Gemeinde der Christen aufgenommen haben. Du, von dem das Wollen kommt und das Vollbringen, lass sie Deiner Gnade und dem Beistande Deines Geistes empfohlen sein, auf daß sie als wahre und würdige Jünger Deines Sohnes, in der lebendigen Gemeinschaft mit ihm die ewigen Güter suchen und festhalten; auf daß sie, nicht geblendet durch den Reiz des Irdischen, nicht träge gemacht durch die Lockungen der Welt, immer dem Ziele entgegengehen, welches ihnen vorgesteckt worden ist. O lass auch ihr Leben fruchtbar sein in allen guten Werken, daß alle, die an ihnen gearbeitet haben, ihre Freude sehen an den Früchten ihrer Lehre. Du wollest sie bereiten zu würdigen Gliedern der Gemeinde Deines Sohnes, daß auch durch sie Dein Reich befestiget werde, daß sie überall im Leben davon zeugen, wie es kein anderes Heil gebe, als in dem, zu dessen Namen sie sich jetzt bekennen; auf daß ihr ganzes Leben Zeugniß davon sei, daß es keine andere Glückseligkeit giebt, als den Frieden des Herzens mit ihm, keine andere Kraft, als die seligmachende Kraft des Evangeliums, und daß von demjenigen und durch denjenigen, den Du uns zum Heil gegeben fest, die Fülle aller geistigen Güter über uns herabkomme, neben welchem wir alles Andere für gering achten. | Ja 1–2 Vgl. Joh 6,63 Apg 4,12

6 Vgl. Röm 12,2

22–23 Vgl. Phil 2,13

33–34 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 6,11–12

5

75

lass dies Wort in ihnen wahr werden, daß sie Alles für Schaden achten, auf daß sie Christum gewinnen. Dein Geist walte über ihnen, und erhöre die Gebete und erfülle sie, die jetzt zu Deinem Thron über diese Kinder aufsteigen; mache die Verheißung, die Du ihnen gegeben in ihren Herzen wahr, daß sie unsere Nachfolger seien im Glauben und dem herrlichen Beruf zu Deinem Reiche getreu, aller Güter desselben froh werden hier und dort, und gieb es uns um Christi willen. Unser Vater u. s. w.

1–2 Vgl. Phil 3,8

Am 4. April 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Karfreitag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 10,19.22 Nachschrift; SAr 67, Bl. 31r–32v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am Charfreitage 28. Ebr. 10, 19. 22

31r

Die Erzählungen der Evangelien enthalten mancherlei über den verschiednen Eindruck den der Tod des Herrn auf die machte die dabei zugegen waren. Wie der Herr es vorhergesagt hatte: „sie werden den Hirten schlagen und die Heerde wird sich zerstreuen“: so war über die Jünger eine Niedergeschlagenheit und Muthlosigkeit gekommen; wovon sie vorher glaubten fest überzeugt zu sein, das erschien ihnen nun als ein schöner Traum; denn sie sagten: „wir hatten gedacht er sollte Israel erlösen“: waren also weit entfernt von der Freudigkeit von welcher unser Text redet. Wie die Schrift sagt: „sie werden sehn in welchen sie gestochen haben“: so erzählten die Evangelisten daß ein großer Theil des Volks welcher an seiner Verurtheilung Wohlgefallen hatte, nun als sie sahen was dabei geschah, an ihre Brust schlugen und sprachen: „was will das werden!“ Das war eine gerechte Bestürzung in der Ahnung des Bewußtseins einer fürchterlichen Schuld, aber noch weiter von der Freudigkeit die uns in unserm Text befohlen wird! Und als der römische Hauptmann der dabei war ausrief: Dieser ist ein frommer Mensch gewesen! oder wie andre Evangelien sagen: „wahrlich dieser ist Gottes Sohn“: so war das freilich ein gutes Zeugniß, welches auch eine noch in der Finsterniß des Heidenthums wandelnde Seele für den ablegte der so erschien, aber es war eine Ehrfurcht die veranlaßt war durch Äußeres und also nicht frei war von Bestürzung und Furcht: weit entfernt also auch dieser, von der Freudigkeit die, wie unser Text sagt, die Wirkung sein soll des Todes des Herrn. So ists denn ganz etwas anderes wozu wir hier aufgefordert werden; denn es ist ein Gewinn der uns gegeben wird durch den Tod des 5–6 Mt 26,31 17–18 Lk 23,47

9 Vgl. Lk 24,21 10–11 Joh 19,37 18–19 Mt 27,54; Mk 15,39

13–14 Vgl. Lk 23,48

5

10

15

20

25

Predigt über Hebr 10,19.22

5

10

15

20

25

30

35

40

77

Herrn, ganz anders aber auch als die Vermächtnisse der Menschen von dem was sie zurücklassen müssen, ganz anders auch als die weit schöneren geistigen Vermächtnisse bestehend in weisen, sich tief in das Gemüth prägenden Lehren und Sprüchen, und in unmittelbaren Ausdrücken einer ungefärbten Liebe, ganz anders ist der Gewinn der durch den Tod der Herrn uns geworden! So laßt uns denn auf diesen unsern frommen Sinn richten uns betrachten nach Anleitung dieser Worte des Apostels: 1. worin dieser Gewinn besteht. 2. wie wir ihn uns anzueignen und ihn zu benutzen haben. 1. „So“, sagt der Verfasser unsers Textes: „so wir nun haben die Freudigkeit zum Eingang in das Heilige durch das Blut Jesu“: Diese Worte führen uns, wie besonders ein großer Theil dieses Briefes, in den alten Bund und seine Heiligthümer und Verhältnisse zurück. Aber es ist ja auch der vorzüglichste Werth den die Kenntniß jener früheren Haushaltung Gottes hat, daß so vieles in den Schriften des neuen Bundes sich bezieht darauf und ohne diese Kenntniß nicht verstanden werden kann. So auch dieses, welches zurückgeht auf das Heiligthum, des Volks, welches den einigen Gott verehrte, und auf die Verfassung seines Gottesdienstes. Und wir wollen uns das vergegenwärtigen damit wir den hohen Sinn dieser Worte begreifen: Das Heilige war der Ort wo die Altäre des Höchsten standen, es war durch einen Vorhang geschieden von dem großen Raume des Tempels wo das Volk sich befand um die heilgen Gottesdienste zu schauen. In diesen heilgen Raum durfte niemand eingehen als die Priester. Dieses Verschlossensein des Heiligen vor dem Volk, hing zusammen mit der Art wie demselben in frühern Zeiten waren die Gesetze gegeben von Gott und von dem Volke aufgenommen worden. Als nemlich Gott sich ihnen offenbaren wollte und sie sich versammelten um den Berg von wo aus die Stimme des Herrn geschah, da sprachen sie zu Mose er solle hinaufgehn und mit Gott reden, sie vermöchten es nicht. Durch diese Furcht vor Gott, welche ihren Grund hatte in dem Bewußtsein der Sünde, hatte das Volk sich selbst ausgeschlossen von dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Höchsten der doch ihr Herr sein wollte. Dieser Abgeschlossenheit, die sie selbst wählten, gemäß, ordnete der Herr ihnen einen Gottesdienst; sie waren durch ihre Furcht abgeschlossen, darum ordnete sich Gott das Geschlecht der Priester (um das Volk zu vertreten), welches seine besonderen Reinigungen hatte für sich ehe es dem Herrn nahen konnte, heilge Gewänder die sie anlegten und die von den Menschen abgesondert bewahrt wurden im Heiligthum. Da nahmen sie die Opfergaben und Gebete des Volks in Empfang und brachten sie in heilgen Gebräuchen dem Herrn dar, von da aus segneten sie das Volk und 27–30 Vgl. Ex 20,19

78

31v

Am 4. April 1828 vormittags

verhießen die Gnade des Höchsten wenn die Gesetze erfüllt würden. Das ist der unmittelbare Zusammenhang in den Ausdrücken des Textes, mit dem worauf sie sich beziehen. | In dem Heiligen da wohnte die Gemeinschaft mit Gott, da war die Nähe des Höchsten nicht die unmittelbare Gegenwart, sondern die war noch besonders in dem Allerheiligsten wohin nicht die Priester sondern nur der Hohepriester den Eingang hatte: Da wohnten die Heiligthümer, die heilgen Güter an die das Volk glaubte. Aber der Verfasser dieses Briefes sagt, das Alte habe nur den Schatten gehabt der ewigen Güter, das Neue das die Güter selbst habe sei durch Christum offenbart. Güter waren da auf die das Volk gewiesen war, aber es konnte derselben nur theilhaftig werden auf mittelbare Weise; sie sich selbst zu holen und mitzutheilen, das war den Priestern vorbehalten. Wie sollte nun nicht jedes fromme Gemüth hingegangen sein in unbefriedigter Sehnsucht, in niederdrückendem Gefühl sich vergleichend mit denen die nahen durften dem Heiligthum! So spricht nun der Text, das durch Christo geoffenbarte entgegenstellend jenem traurigen Zustande: „nun haben wir Freudigkeit zum Eingang in das Heiligthum durch das Blut Christi“: Dieses Heilige aber, es ist nicht wieder ein Heiliges mit Händen gemacht sondern es ist das wovon der Apostel sagt daß weil Christus unser Hohepriester hineingegangen sei, so sei auch das Heilige nicht wieder mit Händen gemacht sondern ein geistiger Tempel aus lebendigen Steinen: und diese Steine, dieses heilge Gebilde das Christus gebildet, das sind wir selbst, indem Christus in uns lebt! Wie sollt es auch anders sein da das Gemeinschafthaben mit Gott durch Christum, das aus der Fülle der so begnadigten Herzen sich auch weiter verbreiten kann, da das nichts ist als ein geistiges Leben! Ausgeschieden aus der Gemeinschaft mit Gott waren wir aber auch, wie jene, durch die Furcht der Sünde; darum ist das: den Zugang zum Heilgen öffnen, und, die Sünde aufheben: Eins und dasselbe; denn nur wenn die in uns aufgehoben ist und wenn statt ihrer in uns wohnt der Geist Gottes der uns gestaltet zu seinem Tempel, so daß wir die lebendigen Steine sind woraus dieser geistige Tempel besteht, nur dann haben wir den Zugang zu dem Heiligthum der Gemeinschaft mit Gott durch Christum. Darum sagt der Verfasser, daß Christus sich nur einmal geopfert habe um die Sünde aufzuheben und daß darum, weil sie nun durch dieses sein Opfer aufgehoben ist, wir nun die Freudigkeit haben hinzuzunahen zu dem Heilgen durch das Blut Christi. Das wissen wir wol Alle, daß eben diese Gemeinschaft mit Gott durch welche wir sein Tempel sind, durch welche wir nun Alle ein priesterlich Volk und Geschlecht sind, daß wir die nicht haben ohne ihn; denn es giebt keine Gemeinschaft mit Gott ohne ihn zu kennen, aber niemand kennt ihn als der Sohn und wem er es will offenba9–10 Vgl. Hebr 9,11; 10,1 18–20 Vgl. Hebr 9,24 38 Vgl. 1Petr 2,5 40–1 Vgl. Mt 11,27

20–22 Vgl. 1Petr 2,5

37–

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 10,19.22

5

10

15

20

25

30

35

79

ren: Und so wissen wir auch, daß wenn wir in der That solch Leben im Heiligthum führen wo wir im Namen des Sohnes den Willen thun des Vaters, so sind wir es nicht, sondern Christus der uns mächtig machet und uns das Recht und die Macht giebt Kinder Gottes zu werden: So ists denn sein Leben in uns wodurch wir den Eingang haben zu dem Heiligen, wie aber ists denn sein Tod? wie doch hier der Apostel sagt. Wenn die Schrift sagt daß er sich geopfert um die Sünde aufzuheben – nicht um die Strafe der Sünde aufzuheben und nicht um für uns die Strafe zu leiden; denn das wäre ganz etwas anderes – und daß er deswegen durch Ein Opfer Alle vollendet (Alle geheiligt die an ihn glauben) weil er durch das eine Opfer die Sünde selbst aufgehoben hat: so hängen damit alle andern Worte der Schrift über den Opfertod des Herrn zusammen, und nur in diesem Zusammenhange sind sie zu verstehen. Wie aber hat Christus die Sünde aufgehoben? Wie er sagt daß er die Macht genommen hat dem Tode, die Sünde aber ist der Stachel des Todes, die hat also die Gewalt des Todes und die hat er aufgehoben durch seinen Tod. Aber freilich ists gewiß, daß, wie er durch sein Leben wirkte gegen die Sünde, sein Leben und sein Tod Eins ist, und Dasselbe und nicht voneinander zu trennen in Beziehung auf die Wirkung; und er hat durch seinen Tod die Sünde aufgehoben, weil das eben sein höchstes Leben war daß er sich selbst opferte, es war die höchste Fülle der Kraftäußerung des Gotteslebens in ihm; denn er mußte, um den Willen Gottes ganz zu vollbringen, Gehorsam üben bis zum Tode, und wie er sagte der Wille des Vaters sei ihm das Höchste: so mußte er beweisen daß es nichts gebe was er zurückhalten wollte, was er nicht daran geben wollte um nur das Eine zu erreichen daß er gehorsam sei; darum gab er sich selbst dahin in den Tod, opferte sein eignes irdisches Leben auf, weil er nicht mehr anders konnte gehorsam sein dem Willen des Vaters daß er sollte zeugen von der göttlichen Wahrheit. Weil nun so das Sichdahingeben in den Tod der höchste Gipfel des Gehorsams war, der höchste Beweis seiner Liebe, daß er um seines Bekenntnisses willen sich in den Tod gab, darum hat er in diesem die Sünde aufgehoben [ihre] Macht besiegt. O was sollten wir weiter der Worte bedürfen um uns dieses zu beweisen! wir können uns ja berufen auf unsre eigne Erfahrung; jährlich feiern wir mit tiefem lebendigen Gefühl die Zeit die der | besondern Betrachtung der Leiden des Herrn geweiht ist, kommen wir zusammen um den heilgen Augenblick seines Todes zu feiern, und, o fraget euch was euch bewegte so oft es euch gelingt euch ganz von Allem los zu machen um mit ganzem Gemüth einzugehn in das Werk der Erlösung das sich vollendete mit dem Tode des Herrn, so oft es euch gelingt ganz das Heilige in dem Erlöser das sich kund giebt in seinem 31 besiegt.] besiegt,) 14 Vgl. Hebr 2,14

14–15 Vgl. 1Kor 15,56

27–28 Vgl. Joh 18,37

32r

80

Am 4. April 1828 vormittags

Tod zu empfinden, giebt es etwas um so die Sünde zu dämpfen wie es hiedurch geschieht? giebt es einen Augenblick wo ihr sie mit tieferer Wahrheit hingebt in den Tod? Ja es ist das Blut Christi, es ist sein Tod in welchem wir die Freudigkeit haben hinzuzunahen zu dem Heiligen! Dadurch, durch das Opfer des Herrn indem er, wie die Schrift sagt, auf einmal vollendet hat Alle die geheiligt werden, uns geheiligt zum priesterlichen Volk, dadurch ist er selbst das heilge Gewandt das wir anlegen auf daß der Herr uns nicht anders sehe als so wie Christus in uns lebt! Und dazu werden wir geheiligt zu Gehilfen dieses unsers Hohenpriesters, um indem wir selbst das priesterliche Geschlecht sind, ihm zu dienen und Alle zu bitten: laßt euch versöhnen auf das ihr habt den Eingang zu dem Heiligen durch Christum. 2. Laßt uns betrachten wie wir diesen Gewinn uns anzueignen haben. „So“, sagt der heilge Schriftsteller, „wir nun haben die Freudigkeit zum Eingang in das Heilige durch das Blut Christi, so lasset uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben“: Ach, zuerst, laßt uns wirklich hinzunahen! Wenn wir die allgemeine Erfahrung bedenken wie sich das menschliche Gemüth immer nach dem streckt was am schwersten zu erreichen ist, wie wir das zu loben finden; denn der Mensch soll sich nicht begnügen mit dem was nur ein Geringes wäre für sein edles Wesen, wenn wir das bedenken und dann doch sehen wie Wenige es giebt die ohnerachtet daß sie sich dafür erklären und dazu bekennen was durch den Erlöser uns eröffnet ist, doch nicht hinzunahen: O welch tiefer Schmerz! Und doch können wir nicht anders sagen als daß es so ist; denn wie der Herr sagt: nicht Alle die zu mir sagen Herr Herr u. s. w. sondern die im Glauben mit mir vereint eben so den Willen des Vaters thun kommen in das Himmelreich: (Aber ins Himmelreich kommen und nahen zu dem Heiligen. Das ist Eins, und Eins kann nicht auf andre Weise geschehen als das Andre) so war es auch als der Herr mit dem Einen Opfer Alle vollendete die geheiligt wurden da waren es auch nur die die da geheiligt wurden, nur die kamen wirklich hinein in das Heiligthum der Gemeinschaft mit Gott durch Christus. – Und so nahet man nur wirklich zu dem Heiligen indem man Alles was da erinnert an den Dienst der Sünde zurückläßt um sich ganz in das Gewand zu kleiden das ihm wohlgefällt, in die Gerechtigkeit Christi der gekommen um den Willen seines Vaters zu thun. Und als er mit Einem Opfer Alle vollendete, da riß der Vorhang des Allerheiligsten entzwei, zum sichern Zeichen daß nun der Eingang eröffnet ist. Und dies Zerrissensein, das ist der Grund daß Alle mit Freudigkeit hinzunahen können, und doch giebt es Christen, welche, wiewol sie viel von der Gerechtigkeit durch das Blut Christi und von dem vollkommnen Opfer sei25 Vgl. Mt 7,21

36–37 Vgl. Mt 27,51; Mk 15,38; Lk 23,45

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 10,19.22

5

10

15

20

25

30

35

40

81

nes Todes, reden, doch nichts thun als wieder neue Vorhänge ziehn, indem sie sich abschließen in besondre Heiligthümer und die daraus ausschließen die nicht in allen Stücken sich so ausdrücken wie sie: O wie weit ist dieses ausschließende Wesen entfernt von der Freudigkeit in ihm, der Alle zu sich rufen will um Alle seelig zu machen. Aber wenn wir nun hinzunahen zu dem Heiligen so kann es nur geschehen mit wahrhaftem Herzen. Der Herr sagt: „seelig sind die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“: reines Herzens, wer vermag das von sich zu sagen! Nur Einer! Aber eben deswegen damit wir in seinem Heiligthum lebend immer mehr reines Herzens werden, o so laßt uns wenigstens wahren Herzens hinzunahen! Wie er sagt er sei die Wahrheit der Weg und das Leben: so ist die Wahrheit des Herzens der Weg zum Leben. Und eben weil das menschliche Herz thöricht ist, weil es, von sich untereinander verklagenden und entschuldigenden Gedanken einen Schleier zu weben weiß der die Wahrheit verdüstert, so ist eben das | wahrhafte Herz das erste was dazu nöthig ist; wahrhaften Herzens nur können wir nahen zu dem Heiligen: die Wahrheit des Herzens besteht darin daß wir das was nicht rein ist auch dafür erkennen was es ist, daß wir also das was noch aus dem Leben des alten Menschen in uns ist, nicht mengen wollen mit dem neuen geistigen Leben, sondern es gern hingeben, daß es begraben werde: ja das ist die Wahrheit des Herzens daß wir ihm uns nahend immer wieder ausrufen: „Herr ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ Denn wir wissen wol wie vieles es giebt was uns zurückziehn will von der Liebe zu ihm, von seinem Dienst. Das wahrhafte Herz fühlt den Mangel des Göttlichen in sich und das ist der Durst der uns wird gelöscht werden in dem Heiligthum dazu wir den Eingang haben durch ihn, der Durst nach der göttlichen Wahrheit die die Reinheit des Herzens bewirken kann. Und wenn wir den vor Augen und im Herzen haben der Alle zu sich einladet so laßt uns dem Winke des Apostels folgen, daß wir nur so und nicht anders wirklich ihm nahen können auf daß wir vollendet werden durch sein Opfer, einmal gebracht! Aber dann – sagt der Apostel weiter – „mit vollkommnem Glauben“: Was meint er damit? Es ist die Rede von dem Glauben an ihn durch den wir die Freudigkeit ihm zu nahen, haben, und es ist der vollkommne Glaube der sich ausgesprochen hat in dem kräftigen alles überwindenden Worte des Apostels Petrus: „Es ist kein ander Heil als in Christo und ist kein andrer Name den Menschen gegeben darin sie sollen selig werden.“ Das ist der vollkommene Glaube daß wir wissen: in ihm sind alle Verheißungen Ja und Amen, mit ihm sind uns alle Schätze der göttlichen Liebe aufgethan, er hat uns versöhnt mit Gott indem er Alles von uns genommen was eine Feindschaft war wider Gott. Ja das ist der vollkommene Glaube daß wir nach nichts verlangen als darnach was 7 Mt 5,8 10–11 Joh 14,6 13–14 Vgl. Röm 2,15 36 Apg 4,12 37 Vgl. 2Kor 1,20

21–22 Mk 9,24

34–

32v

82

Am 4. April 1828 vormittags

wir aus der Fülle Christi erhalten können, durch seinen Geist der es von dem Seinem nimmt und uns verklärt! Aber wenn auch wir durch die Verkündigung des Herrn in Wort und That, sein Reich sollen bauen helfen, o so gehört gewiß auch das zu der Vollkommenheit des Glaubens, daß wir es auf keine andre Weise thun als er. So wie er sollen wir die Menschen zu Gott führen wollen, so sollen wir sie zu ihm einladen wie er es that der von sich sagte er sei nicht gekommen um zu richten, denn wer nicht glaube der sei schon gerichtet, sondern seelig zu machen. O der, der von sich selbst sagt er sei gekommen um zu suchen was verloren ist, der sich selbst nennt den guten Hirten der mit Mühe und Fleiß und Sorge jedem verirrten Schaaf nachgeht bis ers gefunden, er, der Arzt der Kranken, der Stab der Schwachen, die Stärke seiner Diener: er ist der Anfänger und Vollender unsers Glaubens. Er, dem man nachrühmt daß man sein Geschrei nicht hörte auf den Straßen, daß er das glühende Docht nicht auslöschte und das geknickte Rohr nicht zerbreche, sondern binde, heile anfache mit dem Hauche der Liebe: der ist der Anfänger und der Vollender unsers Glaubens! Wenn wir ihm dienen so seis auf seine Weise! Und so laßt uns zurückkehren zu dem Augenblick seines Todes wo das Bewußtsein Gottes ihn nicht verließ; denn, hat er da ein anderes Wort ausgesprochen als immer und immer wieder noch ein Wort der Liebe! können wir in seinem Wesen etwas anderes sehn als die Liebe? Die Liebe also, das ist der Geist in welchem wir ihm zu dienen haben, und der giebt uns die rechte Freudigkeit einzugehen in das Heiligthum! Je öfter wir ihn betrachten in seinem Leiden und Tode um so mehr mögen wir geläutert werden zu der Wahrhaftigkeit des Herzens und zur Vollkommenheit des Glaubens: das sei der Seegen von dieser, von jeder Stunde in welcher wir uns in die Heiligkeit seines Todes versenken!

18 verließ] verlies 1–2 Vgl. 2Kor 3,18 7–8 Vgl. Joh 12,47 9 Vgl. Lk 19,10 9–10 Vgl. Joh 10,12 10–11 Vgl. Mt 18,12; Lk 15,4 12–13 Vgl. Hebr 12,2 13–15 Vgl. Mt 12,19– 20 (Zitat aus Jes 42,2−3)

5

10

15

20

25

Am 13. April 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Quasimodogeniti, 7 Uhr Neue Kirche (Deutsche Friedrichstadtkirche) zu Berlin Joh 20,21 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 33r–35r; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Quasi. 28. Joh. 20, 21

5

10

15

20

Diese Worte welche unser Erlöser in den Tagen seiner Auferstehung geredet zu seinen Jüngern, sind von einer so großen Bedeutung daß wir sagen können es spricht sich darin aus die ganze Herrlichkeit der Gnade Gottes in Christo, und das was uns das Bedeutenste, das Heiligste, das Geheimnißvollste unsers Glaubens ist, und sie sind von solchem Umfang daß es nicht möglich ist ihren Inhalt zu erschöpfen in einer Betrachtung. Schon in dem Gebet welches der Erlöser vor den Jüngern zu seinem Vater gesendet nach jenem Mahle vor seinen Leiden, hatte er das Nemliche gesagt: „gleichwie du mich gesandt, so sende ich sie“: Was er damals zu seinem Vater sagte von denen die er ihm gegeben, das sagt er hier zu ihnen, damals aber legte er zugleich seinem Vater Rechenschaft ab von der Art wie er seine Sendung und seinen Beruf erfüllt. Und eben darum werden wir das Wesentlichste in der Aehnlichkeit unsrer Sendung mit der Sendung des Herrn am sichersten finden, wenn wir auf jene Rechenschaft zurückgehn. Es zeigt sich diese Aehnlichkeit 1. In dem was wir durch unsre Sendung bewirken sollen. 2. In dem wodurch wir dazu in den Stand gesetzt werden. 1. Fragen wir uns – wenn der Erlöser uns in die Welt sendet wie ihn der Vater gesendet – was sollen wir durch unsre Sendung bewirken? was sollte er durch die Sendung ausführen? Zweierlei ists in der Rechenschaft welche er seinem Vater ablegte was uns hier leiten kann. 10–11 Joh 17,18

33r

84

33v

Am 13. April 1828 vormittags

1. daß er sagt: „die Worte die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“: Denn, sagt er: „so lange ich in der Welt war erhielt ich sie in deinem Namen:“ Das war es also was der Herr durch die Sendung ausrichten sollte und ausgerichtet hat. Er redet davon daß er den Namen des Vaters verherrlicht und verbreitet hat: sendet er uns also wie ihn der Vater gesendet: so muß das auch der Zweck unsrer Sendung sein daß wir die Worte wiedergeben die er uns gegeben und daß wir uns einander erhalten bei seinem Namen. Ueberall wird der Erlöser dargestellt – wie ihn auch Johannes im Anfang seines Evangeliums nennt das fleischgewordne Wort – als der der durch die Macht des Worts wirken sollte, und so sagt er auch selbst: „die Worte die ich rede sind Geist und Leben“: und eben so bekannten seine Jünger: wo sollten wir hingehen, du allein hast die Worte des Lebens! Und also sagt er: „die Worte die du mir gegeben hast die habe ich ihnen gegeben“; Was aber nun von seinen Worten die Hauptsache ist und die Hauptwirkung in den Gemüthern das spricht er darin aus daß er sagt: „und sie haben erkannt wahrhaftig daß ich von dir ausgegangen bin“: Das also war es was er den Menschen sagte, daß er von Gott ausgegangen, von ihm gesandt sei. Und daraus geht hervor wozu er gesandt sei; er sollte das Wort Gottes an die Menschen bringen also ihn ihnen vergegenwärtigen, sie zu dem lebendigen Bewußtsein Gottes, zu der geistgen Gemeinschaft mit Gott führen. Und eben darum sagt er daß er von Gott ausgegangen, eben darum lud er sie zu sich als der der vom Vater im Himmel gesandt: und da von Oben keine andre als gute Gabe kömmt, so gab er sich selbst als einzigste und köstlichste Gabe des Vaters womit er zugleich alles andre uns schenkt. Darum ladet er die Menschen zu sich ein damit sie durch das Wort Gottes wie er es ihnen gab, wie es Geist und Leben in ihnen ward, Friede und Ruhe und Erquickung empfingen. Seht da, wie der Herr hier sagt zu seinem Vater: „die Worte die du mir gegeben, habe ich ihnen offenbart:“ so müssen wir ihm das Zeugniß ablegen daß wir von ihm den Frieden mit Gott und somit Alles empfangen was unsre Sehnsucht erfüllt. Aber wie er die Worte des Vaters empfangen hatte um sie wiederzugeben so auch wir von ihm, denn wie er sagt: wie mich der Vater so sende ich euch: | So schreibt er uns den großen Beruf als allgemeinen Beruf vor; denn wie er in jenem Gebet sagt: „ich bitte nicht nur für sie sondern auch für die die durch ihr Wort gläubig werden“: so spricht er auch das Wort der Sendung zu denen mit die durch ihr Wort gläubig geworden. Wenn er also sagt er sendet uns wie ihn der Vater gesendet, so hält er uns Allen den großen Beruf vor daß durch uns das Wort der Versöhnung in der Welt soll erhalten wer1–2 Joh 17,8 2–3 Joh 17,12 Joh 6,68 13–14.16 Joh 17,8 35 Joh 17,20

8–9 Vgl. Joh 1,14 11 Joh 6,63 12–13 Vgl. 22–23 Vgl. Jak 1,17 28 Joh 17,8 34–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 20,21

5

10

15

20

25

30

35

85

den und die Segnungen desselben sich verbreiten. Keiner hat es empfangen als eigenthümlichen Besitz sondern als das anvertraute Pfund mit welchem wir erwerben sollen haben wir Alle es und wer es für sich behalten wollte von dem würde es genommen werden. Wie könnte es auch anders sein! Denn die Worte die der Herr redete waren Worte der Liebe, und wenn wir sie aufgenommen wie er sie geredet d. h. wenn sie Geist und Leben in uns geworden sind, so sind sie die Kraft der Liebe: die aber ist nicht für sich allein, sondern will sich mittheilen, und eben deswegen offenbart sich die Liebe des Vaters in dem Sohn weil er durch den Sohn sich mittheilen will: haben wir also von ihm die Worte Gottes wie sie Geist und Leben sind von ihm empfangen sind sie also in uns. Die Kraft der Liebe wie können wir sie dann für uns behalten wollen! und was kann da anders der Zweck unsers Leben sein als es weiter zu verbreiten. Aber das Wort des Herrn das war nie unwirksam und konnte es nicht sein; eben weil Gott in ihm war und jedes Wort Gottes ein kräftiges und schöpferisches ist: sind wir nun von ihm gesendet, so auch die Worte die wir reden müssen kräftige und schöpferische Worte sein, und wenn sie es nicht sind dann sind seine Worte auch nicht in uns Geist und Leben, und wir sind dann nichts andres als ein tönend Erz weil die Kraft der Liebe nicht in uns ist; denn wo sie redet da wirkt und schaft sie und da entsteht Leben: So sollen wir miteinander leben und wirken, so sein Wort wiedergeben in derselben Kraft wie er es zu Geist und Leben gemacht und um das Wort der Wiedervereinigung der Menschen mit Gott zu fördern eben so unser Leben hingeben wie er, eben so wie er nichts anderes wollen als den Willen seines und unsers Vaters erfüllen. Und wie Christus indem er den Menschen die Worte des Vaters wiedergab, sie zu sich selbst einlud: so sollen wir sie zu uns einladen, zu der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe sollen wir sie einladen, und immer dahin wirken daß sie je länger je mehr in dieser leben daß sie der Gemeinde des Herrn sich ganz weihen mit allen ihren Kräften, und das darin all ihre Gedanken aufgehn, und alles was sie thun und treiben sich bezieht auf diese Gemeinschaft, die seinen geistgen Leib auf Erden darstellt. Und so soll sich von der Gemeinschaft des Herrn aus, mit derselben wirksamen Kraft wie aus ihm, sein Leben verbreiten durch die Worte Gottes die Geist und Leben sind und worin die Gemüther der Menschen Ruhe finden und Frieden mit Gott, und so in sein Reich eingehen darin der Sohn waltet. 2. sagt der Herr: „So lange ich in der Welt war erhielt ich sie bei deinem Namen:“ Auch das also haben wir anzuwenden auf uns weil er uns sendet wie ihn der Vater gesandt. So lange wir in der Welt sind sollen wir sie die 1 es] er

14 konnte] konnt

18–20 Vgl. 1Kor 13,1

37–38 Joh 17,12

86

34r

Am 13. April 1828 vormittags

der Herr in unsre Gemeinschaft mit sich gesetzt hat erhalten bei dem Namen seines Vaters. Welchen Namen meint der Erlöser? Keinen von all denen womit die Menschen das ihnen unbekannte höchste Wesen genannt, sondern in dem den er ihnen offenbart hat als seinen und unseren Vater. Die Menschen erhalten bei dem Namen das Vaters, das heißt also sie erhalten in dem lebendigen Gefühl der väterlichen Liebe Gottes, in dem Bewußtsein daß der der den Sohn gesandt um uns die Macht zu ertheilen durch ihn seine Kinder zu werden, nun auch unser Vater sein will, auf daß wir in Vertrauen und kindlicher Liebe ihm nahen wie seine väterliche Liebe uns nahet. Wie aber der Herr sagt: „ich habe sie erhalten bei deinem Namen und sie bewahrt“: Giebt er dadurch nicht zu verstehen daß eine Gefahr da | sei, daß sie sich davon entfernen könnten und daß es deswegen nöthig sei die Seinen zu erhalten bei seinem Namen? Ja, so ists! und das Geheimniß davon offenbart uns derselbe Jünger der uns das Gebet des Herrn aufgezeichnet; denn er sagt: „Gott ist die Liebe. Furcht aber ist nicht in der Liebe, denn die vollkommne Liebe treibet die Furcht aus“: bewahrt werden also bei dem Namen dessen der die Liebe ist d. h. völlig rein sein und bleiben von aller Furcht; ist also noch eine Spur von Furcht da, so ist noch die Gefahr da, daß die Menschen sich von dem Namen des Herrn entfernen können; nur die vollkommne Liebe kann die gänzliche Sicherheit geben daß wir bei seinem Namen bleiben. Und was ists denn was es den Menschen so schwer macht daß in ihm die Liebe die Furcht austreibt? es ist zweierlei welches aber so gut wie Eins ist, es ist nemlich die Sünde und das Trachten des Menschen nach dem Eitlen und Vergänglichen; denn eben wie das das Vergängliche ist, so erfüllt es den Menschen mit der Sorge und die Sorge erzeugt Furcht, und in dem Wechsel der Dinge, die den Menschen gefangen halten, wird er ungewiß über die Güte Gottes und er erscheint als harter Herr: wo also noch etwas von der Furcht ist da bleiben wir nicht ganz bei dem Namen des Vaters wie der Erlöser ihn offenbart. Wie aber nun die Sünde wie sie der Stachel des Todes ist, die Menschen in der Gewalt des Todes erhält und also die Menschen aus Furcht des Todes Knechte sind ihr lebenlang, und dem Knecht der Herr ein harter Richter ist: so ists natürlich daß die Sünde hindert daß die Liebe zur Vollkommenheit gedeiht und die Menschen sich statt unverrückt ihm näher zu kommen sich immer wieder entfernen von dem Namen des Vaters. Sind wir also von dem Erlöser gesandt und ist das der Gegenstand unsrer Sendung die Menschen zu erhalten bei dem Namen: so ist auch unsre Sache daß wir sie suchen los zu machen von dem Tichten und Trachten nach dem Vergänglichen. Wenn aber nun Christus sagt: „wie mich der Vater so send ich euch“: So müssen wir ja auch jedes seiner Worte so anwenden daß dadurch die Menschen erhalten werden bei seinem Namen der uns gesendet wie er allein der Herr 10–11 Joh 17,12

15–16 1Joh 4,16.18

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 20,21

5

10

15

20

25

30

35

87

ist vor dem Alle sich beugen sollen, dem alle Gewalt gegeben ist und Macht über Alles. Bei seinem Namen also, bei dem Namen des Herrn sollen wir die Menschen erhalten weil immer die Gefahr da ist daß sie sich losreissen von dieser Herrschaft. Welche Herrschaft aber übet er aus, als die Herrschaft der Liebe! Was ists daß wir nicht von ihm lassen können, als das daß er die Herrlichkeit des Vaters hat! – Wenn sich nun aber doch etwas regt und sich darstellt als sei es etwas, ohne daß es dieser Herrschaft dient, das ist dann auch das was die Menschen entfernen kann von seinem Namen. Darum laßt uns darauf halten daß die Menschen sich keiner andern Herrschaft hingeben, laßt es ihnen durch unser ganzes Leben und Wirken zurufen: Einer ist euer Herr und Meister! Keine menschliche Vortreflichkeit, wenn sie nicht bekennt den Namen des Herrn soll Gewalt über unsre Seele haben. Laßt uns Alles in seiner Zufälligkeit und Nichtigkeit darstellen was etwas sein will ohne ihn, ohne seine Herrschaft anzuerkennen. Erhalten wir sie aber bei seinem Namen, bei dem Namen des Herrn so erhalten wir sie auch bei dem der die Liebe ist, erhalten sie in der Gemeinschaft der Liebe Gottes in Christo, die darin besteht daß er sie sich vereint; denn je mehr wir seiner Herrschaft folgen desto gewisser ists daß uns nichts scheiden kann von der Liebe! Wolan so laßt uns fragen | 2. Was ists wodurch wir in den Stand gesetzt werden die Sendung des Herrn zu erfüllen? Wodurch ist der Erlöser im Stande gewesen die Sendung seines Vaters zu erfüllen? Als Antwort darauf finden wir zwei merkwürdige Worte in jenem Gebet des Herrn. „Diese sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin“: und dann: „Du in mir und ich in ihnen“ – Was heißt das: nicht von der Welt sein? Ueberall stellt die Schrift einander entgegen: die Welt und das Himmelreich d. h. das Reich Gottes welches Christus gegründet und das durch ihn besteht: alles was damit nicht zusammenhängt und davon nicht ausgeht, das ist die Welt. Alles was Gegenstand des Gesprächs ist außer Beziehung auf das Reich Gottes, das ist die Welt. Ja selbst die frühere Erkenntniß des Höchsten, so fern sie nicht das Verlangen war nach dem Reich Gottes in Christo, gehörte der Welt an! Wenn Christus sagt er sei nicht von der Welt so sagt er damit daß sein Leben mit dem der Welt nicht zusammhängt sondern ein ursprünglich von Gott ausgegangenes und allein mit ihm in Verbindung stehendes sei. Wer nun von der Welt ist der kann nicht anders als den Dienste der Welt treiben, der ist selbst darin verwickelt und kann nicht davon erlösen. Nur er selbst in dem eine reine Fülle göttlichen Lebens offenbart wird, er der als Mensch betrachtet nichts that von ihm selber sondern nur was der Vater ihm zeigte, nur die Werke 11 Vgl. Joh 13,13 18–19 Vgl. Röm 8,35–39 38–39 Vgl. Joh 5,19

24–25 Joh 17,16

25 Joh 17,23

34v

88

35r

Am 13. April 1828 vormittags

des Vaters, nur der vermögte die Sendung des Vaters zu erfüllen. Und so auch vermögen wir nur seine Sendung zu erfüllen wenn wir auf keine Weise verwickelt sind mit der Welt; so fern wir selbst noch von der Welt sind so verdunkeln und zerstören wir in den Selen das herrliche Bewußtsein des Vaters den sie in dem Sohn schauen sollen. Eben so wie er müssen wir in der Welt nichts thun von uns selbst, von der Welt und für die Welt sondern nur das thun was der Herr in uns wirkt, nur so alles thun was wir thun daß dadurch die Worte Gottes offenbar werden. Nur wenn uns so in der Gemeinschaft mit Gott, die Welt, wie sie ist ohne Christum, nichts ist, nur wenn wir alle äußern Hilfsmittel anwenden um die Menschen zu der Gemeinschaft mit Gott zu bringen, nur dann können wir seine Sendung vollbringen. Und das wird noch deutlicher wenn wir das zweite hinzunehmen nemlich daß der Herr sagt: „Du in mir und ich in ihnen“: Ja so muß Christus in uns sein, in uns leben wie Gott in ihm war: Darum ist das der Wahlspruch aller die als von ihm gesendet sich ansehn: „was ich lebe, das lebe nicht ich sondern Christus in mir“: Wie könnt es auch etwas anderes sein als sein Leben in uns wodurch wir vermögten seine Sendung zu erfüllen, wie könnt es Wahrheit sein daß sein Wort Geist und Leben in uns ist wenn nicht sein Leben so in uns ist wie er sich das Zeugniß giebt daß er dadurch daß Gott in ihm war ihnen den Vater verklärt hat. Lebt er in uns so müssen wir uns das Zeugniß geben können daß wir ihnen, die er uns gegeben, seinen Namen verklären: das kann aber nur geschehen wenn ihnen in uns sein Leben zur Erfahrung wird, wenn sie in unsrer Gemeinschaft ihn schauen der uns vereint. Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich: so sollen wir Alle sagen können: Christus ist in uns und führt durch uns die Menschen zu Gott. Das ist der große Beruf unsrer Sendung der nur auf diesem Wege auszuführen ist. Und haben wir erkannt die Herrlichkeit des eingebornen Sohns Gottes d. h. die Liebe Gottes die in ihm war was können wir dann am liebsten begehren als daß er in uns lebe damit auch in uns | das Ebenbild des Vaters erkannt werde. Und wie der Herr seinen Jüngern zugleich mit diesem Worte seinen Frieden gab und so das beides verband, so daß sie von ihm sich gesendet fühlend seinen Frieden haben. Wo wir in dem Beruf der durch unsre Sendung soll ausgeführt werden, wankend werden, dann ist der Friede getrübt in unsrer Seele, denn wir fühlen dann daß wir unsre Bestimmung verfehlen. Je treuer wir aber in diesem Beruf sind um desto mehr erfüllt sich’s daß er seinen Frieden uns giebt wie könnt es auch anderswo Frieden mit Gott geben als in dem bestimmten Bewußtsein in Christo sein zu sein und ihm zu leben indem wir die Selen zu ihm führen. 5 dem] den 13 Joh 17,23

15–16 Gal 2,20

25 Vgl. 2Kor 5,19

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 20,21

5

89

Und wie er in den Tagen seiner Auferstehung seinen Jüngern die Sendung befahl, so ist seine geistge Gegenwart jetzt unter uns um uns gewiß zu machen in dieser unsrer Bestimmung. Und so wollen wir uns einander bei seinem Namen erhalten und nicht aufhören den Menschen zu geben die Worte die das Leben sind welches in die Ewigkeit fließt!

Am 20. April 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

37r

Misericordias Domini, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 10,14 Nachschrift; SAr 67, Bl. 37r–38v; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „V.16.“ Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Aus der Predigt am S. Miseric. Dom. 28. Joh. 10, 14 Ihr habt gewiß nachdem was wir gesungen haben keine andre als diese Worte erwartet um sie zum Grunde unsrer Betrachtung zu nehmen und eben das Gesungne hat uns eben so an den Zusammenhang erinnert daß wir uns den Anfang dieser Rede des Herrn der Alles was sie enthält in sich schließt uns [nicht] ins Gedächtniß zu rufen brauchten. Es ist dies ein Bild welches ehedem oft gebraucht wurde von denen die die Angelegenheiten der Menschen leiteten, sie wurden nemlich Hirten der Völker genannt. Aber indem doch ein großer Unterschied ist zwischen dem Hirten und der Herde da der Erste ein Wesen höhrer Art ist: so ists uns, jemehr der Unterschied unter den Menschen verschwunden ist, um desto anmaßender erschienen das Wort von solchem Verhältniß zu brauchen. Aber auch wird es gebraucht von geistigen Verhältnissen; wo von zarter Fürsorge und leitender Weisheit die Rede ist da finden wir den Ausdruck an seiner Stelle, aber doch ists nur wahr in so fern das Alles ein Ausfluß ist dessen der sich den Hirten nennt, in so fern es nichts ist als seine göttliche Liebe zu den Menschen, die ihn drang sich für sie hinzugeben. Und eben darum weil nichts als die Liebe ihn trieb sagt der Erlöser mit solchem Rechte er sei der gute Hirte, d. h. der allein vollkommne in Beziehung auf Alles was ein solcher zu leisten hat. Aber jedes Bild das in menschlichen Angelegenheiten gebraucht wird – wie der Erlöser sich immer nur solcher bediente – wird etwas Unendliches und Unerschöpfliches wenn er es braucht von seinem Verhältniß zu uns: so 10 Herde] Vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1122 3 Vgl. Lied nach dem Gebet (unten Anhang)

5

10

15

20

Predigt über Joh 10,14

5

10

15

20

25

30

35

40

91

auch mit diesem Bilde, und darum kann es nicht unsre Meinung sein den unerschöpflichen Inhalt in einer kurzen Rede erschöpfen zu können: und so laßt uns nur auf die hauptsächlichsten und wesentlichsten Eigenschaften eines Hirten und dessen was er der Herde zu leisten hat, sehn, um unser Herz mit Dank zu erfüllen dafür daß er unser Hirte ist. Es ist zweierlei was der Hirt seiner Heerde zu leisten hat und worauf auch der Erlöser in seiner Rede deutet, nemlich 1. er soll der Heerde Schutz verleihen. 2. dafür sorgen daß sie Nahrung finde und davon zur Genüge habe. Das beides sei es worauf wir unsre Betrachtung beschränken. 1. Wenn wir auf das Gebiet des Lebens sehn von welchem dieser Ausdruck genommen ist, so gestehen wir: es ist die Pflicht des Hirten seine Heerde zu schüzen, aber eben wie das nicht sein ausschließlich Geschäft ist d. h. wie er allein es nicht kann, so hat dies Bestreben auch nicht immer den besten Erfolg: gar leicht wird Eins von der Heerde ein Raub des Feindes derselben und mit aller Anstrengung vermag der Hirt es nicht zu verhindern! Wenn wir auf die menschlichen Angelegenheiten sehen und wir denken uns die Hirten der Völker die ihrer Führsorge sich vertrauen, so ists ihnen theure Pflicht ihnen Schuz zu verleihen und es giebt nichts Größeres in diesem Verhältniß als wenn solch ein Hirt sein Leben wagt um die Heerde zu schützen: aber nicht immer ist er im Stande sie zu schützen; denn sobald es solche Gefahren giebt die dem Ganzen drohen so verschwindet der Unterschied und er selbst erscheint nur als ein Einzelner und vermag nicht mehr als Andre, was also bleibt übrig als daß ein Theil der Heerde ihm zu Hülfe kommt: und anders nicht als so kann die Sicherheit und das Wohl des Ganzen bestehen und die Weisheit und Tapferkeit des Hirten besteht darin daß er die Verhältnisse richtig ordne und vorangehe mit Muth. Wenn wir nun den Erlöser betrachten während seines irdischen Lebens so scheint er in mancher Hinsicht Aehnlichkeit zu haben mit dem menschlichen Hirten; Es war ein klein Häuflein das sich um ihn gesammlet hatte, von mancherlei Gefahren umgeben und überall nur auf ihn gestützt | und er vermochte nicht anders zu handeln als daß er ein noch kleiner Häuflein um sich sammlete das seine Stelle mit vertrat, und überall wo das Häuflein angegriffen ward da trat er voran und sie harrten seines Schuzes. Aber seit jener Nacht wo er zu denen die gekommen um ihn zu greifen, sagte: sucht ihr mich so laßt diese gehn, seitdem er auf solche Weise seinen Schuz geltend machte daß er sich selbst dahin gab, hat diese Art seines Schuzes ein Ende genommen; von da ists angegangen was er vorher gesagt: „Es wird dem Jünger nicht besser ergehen als dem Meister, haben sie mich verfolgt, 36–37 Joh 18,8

39–1 Vgl. Joh 15,20

37v

92

Am 20. April 1828 vormittags

so werden sie auch euch verfolgen:“ und keinen Schuz von der Art wie während seines irdischen Lebens, hat er verheißen und keinen je geleistet, weil nicht anders als auf demselben Wege des Leidens den er gegangen sein Reich konnte weiter erbaut werden. Wolan, was ists für ein Schutz den er jetzt seiner Heerde leistet? nicht ein leiblicher, aber es ist der Schuz ihres geistigen Lebens welches von ihm erweckt ist und dessen Erhaltung sie ihm verdanken! Was für Gefahr droht demselben? kann es dem Menschen entrissen werden? ists nicht ein Schaz, den, einmal gewonnen, er selbst sich bewahren kann? So sollt es sein! aber es ist nicht so: das wird uns unser Bewusstsein sagen. Wenn der Apostel Paulus sagt: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes“: so sagt er daß es Vieles giebt was uns davon zu scheiden sucht was aber uns nicht gefährlich sein kann, so lange wir diesem Hirten folgen, seine Stimme hören und ihm bekannt bleiben, so bedürfen wir keines Schuzes weiter und Alles was er für uns thut ist das daß er uns Nahrung verleiht. Aber wie vieles giebt es was uns von ihm weg zu lenken sucht! wie sind die Menschen, die selbst noch nicht den Grund gefunden haben auf den allein sichs fest steht, bemüht, andere abwendig zu machen, die Würde die Gott ihnen ertheilt als Glieder der Gemeinde des Herrn in Zweifel zu stellen, die Güter des Heils als Wahn darzustellen, und die Herrschaft des Erlösers nicht als das beste Theil das der Mensch erwählen soll! Können wir nun durch so etwas irgend aufgeregt werden, kann es uns unsre Erwählung im Geringsten unsicher machen, können wir noch von solcher Weisheit beunruhigt werden, dann bedürfen wir seines Schuzes, und dann erweist er sich ganz anders als ein menschlicher Hirt. Er braucht nicht einen Theil der Heerde um den andern sicher zu stellen, sondern Alle sind gleich, ists nicht dasselbe was Gefahr bringen kann Allen, jede Zeit hat ihre Gefahren, jedes Gemüth seinen Feind. Er allein kann schüzen und schüzt! und was vermögen wir zu thun als daß wir ihn vorhalten! Und wenn wir nichts anders thun als ihn vorhalten wo Gefahr droht, wenn wir es ihm überlassen sein Wort zu vertreten, und wenn wir nicht anders können als ihm folgen, so wir uns so gründen auf seinen Frieden, so festhalten an dem Kleinod um das wir alles andre hingeben: so haben wir nicht nöthig irgend etwas zum Schuz seines Reichs zu thun. Und wahrlich, Alles was die Menschen haben unternehmen wollen dem zu helfen der sich allein helfen kann, wie wenig haben sie ausgerichtet dadurch, wie nichtig ists gewesen! Denn durch alle menschliche Vertheidigung gegen solche Gefahr, kann die Verkehrtheit der Herzen nicht ausgerottet werden, die doch allein der Grund der Gefahr ist. Er selbst muß seine Feinde besiegen durch die Kraft sie zu sich zu ziehn; denn nicht tödten will er sie sondern er vermag zu verwandeln auch die wildesten Thiere im Schooße seiner Heerde, daß sie müssen seiner Stimme folgen! Ja er vermag in Erstorbenen nur dem Nichti10–11 Vgl. Röm 8,38–39

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 10,14

5

10

15

20

25

30

35

93

gen lebenden Seelen das Leben aus Gott hervorzubringen, er belebt und beschüzt Alles und nur dadurch daß wir uns selbst unter seinem Schuze wohl befinden können wir etwas thun in seinem Reiche. Er ists allein der jetzt | noch die Herzen verwandelt und was Fels war umformt in empfänglichen Boden. So schüzt er, und so wollen wir ihm für alle Zukunft den Schuz seiner Heerde überlassen. Behalten wir nur was wir haben und lassen uns immer mehr heilgen durch seinen Geist in dem Wort das die Wahrheit ist, dann wird er sein Reich zu schützen wissen und das Wort lösen daß er der Hirt ist Aller! 2. Der Hirt hat dafür zu sorgen daß es nie der Heerde fehle an Nahrung. Das ist das beständige Geschäft derer die das Amt eines Hirten, im ursprünglichen Sinne, haben; dahin haben sie ihre Heerde zu leiten wo es Nahrung giebt die ihr gedeihlich ist, und sie zu bewahren davor was ihr gefährlich werden kann. Und eben so ists die Sorge derjenigen welche als Hirten der Völker angesehn werden, daß keiner darbe und es nicht fehle an dem wodurch die Kraft erhalten wird. Aber der Hirt ist nicht Herr darüber wo die Nahrung her kommen soll; denn es ist abhängig von den Gewalten der Natur, und wenn die Hitze der Sonne das Gras der Wiesen und die Früchte der Felder troknet, so kann er es nur mit Schmerz ansehen, ohne etwas thun zu können, wie seine Heerde dahin stirbt. Und die Hirten der Völker, sie können freilich (und lassen es auch nicht daran fehlen) alles daran wenden, daß die Völker klug werden und verständig in allem was zu ihrem Wohl gehört, aber wenn nun die Menschen in einem Lande immer zahlreicher werden, immer mannigfacher die Geschäfte, immer verwickelter ihre Beziehungen auf einander: wie leicht geschieht es dann daß sie nicht wissen was sie sagen und thun sollen, ob sie einen Theil der Menschen ausführen sollen, oder ob sie sagen sollen: durch alles was geschehen sei um sie klug zu machen in Entdeckung der Mittel zu ihrer Erhaltung, hätten sie sich ihrer Pflicht entledigt und seien nun nicht Schuld wenn das Volk darbe. Das sind die beschränkten Verhältnisse der Menschen! Anders der, der allein der gute Hirt ist! Was sollen wir sagen wenn wir unsre eigne Erfahrung zu Rathe ziehn und wenn wir auf die Geschichte der Kirche zurückgehn, als daß er immer gesorgt hat und noch sorgt daß es seiner Heerde nicht fehle an Nahrung. Die Nahrung des geistigen Lebens, sie ist nichts anderes als das Wort das er zu uns redet. Er sagt: „Die Worte die ich rede sind Geist und Leben“: und geistges Leben kann nicht anders genährt werden als nur durch eben dasselbe. So wars zu der Zeit als er selbst auf Erden wandelte: 12–13 ursprünglichen] ursprünglichem 36–37 Joh 6,63

14 ihr] ihnen

38r

94

38v

Am 20. April 1828 vormittags

er redete die Worte des Lebens und wem diese Nahrung mundete der folgte ihm, und von denen die er also nährt sagt er: „meine Schaafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir“: Und die die in Wahrheit dazu gehören, die kennen nie einen andern Wahlspruch als den: Herr wo sollten wir hingehen du allein hast die Worte des Lebens, du allein vermagst uns den Vater zu offenbaren, in dir nur schauen wir ihn, du vermagst uns einzuflößen die Kraft des Lebens die uns regiert, so daß alle unsre menschlichen Kräfte umgewandelt werden zu Kräften des geistgen Lebens, du ziehst uns weg von den Träbern der Welt und die Nahrung die du giebst erhält und stärkt das geistge Leben daß es auch in uns wird eine Quelle des Lebens die in die Ewigkeit fließt! | So ist ers der seiner Heerde immer Nahrung giebt. Aber wenn wir die ganze Geschichte der Kirche durchgehn, zeugt sie nicht auch mitunter von Krankheit und Mangel, unterscheiden wir nicht die Zeiten wo sich unter der gesunden Nahrung etwas Giftiges eingemischt fand? Wol ists so, aber was war das anderes als daß die Menschen sich hatten verleiten lassen ihre Nahrung anderswo zu suchen als bei ihm, was war es als menschlicher Wahn der die reine Erkenntniß trübte? was war es als daß sie sich vertieften in solche Dinge durch deren Einfluß das Band der Liebe gelöset werden mußte: Darum, folgen wir nur seiner Stimme, wollen wir nur unsre Seele mit nichts nähren als mit der Kraft seines Worts welches Allen die Fülle darbietet und in Allen das Leben aus Gott zu erhalten vermag: so kann nie uns das Schädliche nahen. Und diese Ueberzeugung müssen wir immer aufs neue gewinnen und sie muß immer fester in uns werden wenn wir mit einfältigem Herzen zu der göttlichen Wahrheit uns nahen; denn wenn wir die Kraft seiner Worte erwägen, wenn wir eins besonders in unser Herz schließen und es entfalten; o ists nicht wie ein Frühregen der die Pflanzen stärkt und erfrischt! fühlen wir nicht das geistge Leben erblühen, sich stärken, befestigen, ermuthigen! Und auf welche Weise wir auch kranken möchten, wie ermattet das geistge Leben in einem Augenblick auch sei: Wenn wir nur dem Wort folgen: „wem da hungert und dürstet der komme hie her“: wenn wir dieser Einladung folgen, o bald erblüht das Leben wieder in Gesundheit und Kraft! Und wenn wir auf beides sehn, nemlich wie der Herr seine Heerde schüzt und nährt, so sehn wir auch wie er allein das Recht hat sich den guten Hirten zu nennen. Aber, – wenn er, auf der einen Seite, war wie wir, auf der andern betrachtet, weit höher als wir – : was ist seine Macht womit er uns schüzt? Es ist die vollkommne Unsündlichkeit seines Wesens und seines Geistes, vor welcher jeder giftige Hauch sich auflöst, vor welcher jede feindliche Gewalt verschwindet, ohnmächtig wird. Ja seine Unsündlichkeit, die ist der Schild den wir uns anlegen müssen zum Schuz gegen alle Gefahr. Wo falscher Schein uns blenden will da müssen wir sein Bild hervorrufen 2–3 Joh 10,27

4–5 Vgl. Joh 6,68

31 Vgl. Joh 6,35

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 10,14

5

10

15

20

25

30

35

95

dann trübt nichts unsern Blick, die Göttlichkeit seines Wesens das ist der Zauber der uns zu ihm zieht, das ists was unser Herz zur Ruhe bringt: Das ist sein Schutz! Und was ists womit er uns nährt? Mit nichts Geringerem als mit der Fülle der Gottheit und mit den Worten die der Vater ihm offenbart hat. Er sagt: „ich habe eine Speise – “: aber er hatte keine andre als die daß er den Willen des Vaters vollbrachte, und der Wille ist kein andrer als daß er den Menschen das Leben mittheilt und es nährt aus seiner Fülle. So nährt er uns immerdar, so nehmen wir Gnade um Gnade, Licht um Licht, Kraft um Kraft, Erkenntniß um Erkenntniß von ihm und werden gesättigt immer aus derselben Quelle eines göttlichen Lebens welches in ihm nur ursprünglich war aber von ihm aus immer weiter sich fortpflanzt. Aber wie jedes menschliche Bild, jeder abbildende Ausdruck etwas hat was nicht ähnlich ist sondern über die Aehnlichkeit hinausgeht, so thut er ja, indem er uns mit sich selbst nährt, weit mehr als ein Hirt. Eben so indem er uns sammelt zu einer starken und kräftigen Gemeinde die die Pforten der Hölle nicht zu besiegen vermögen, so schüzt er nicht nur die Seinen, er verwandelt sie selbst in einen starken Schuz; jeder der Seinen einzeln ist schwach, sehn wir uns aber in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe dann ist das Reich Gottes welches die Hölle nicht überwindet; das ist die Feste von welcher alle Geschütze abprallen. Ja sein Schuz das ist die Kraft des göttlichen Lebens welches verbreitet ist über die Gemeinschaft der Seinen von ihm aus. Und so mögen wir auf das Ganze sehn oder auf die einzelnen Selen, überall finden wir dasselbe Verhältniß der Hirten zur Heerde aber auf überschwängliche Weise. Der Hirt, wenn von hunderten seiner Schaafe eines sich verloren hat so läßt er die neun und neunzig allein und geht dem Einen nach. Der Herr aber bedarf nie die Heerde im Stich zu lassen um Einzelnen zu helfen; es ist Eine Sorge und Liebe mit welcher er das Ganze und die Einzelnen trägt, es ist dasselbe womit er uns nährt in seinem Wort wie im Geheimniß des Bundes in seinem heilgen Mahle. Es ist dasselbe womit er mitten unter uns ist wenn wir beisammen sind und womit er vor die einzelne Sele trit in dem stillen Gespräch des Herzens, und sich ihr hingiebt zur Kraft des geistigen Lebens. So laßt uns dem Spruch seiner Jünger folgen: Herr wo sollen wir hingehen[?] Du hast die Worte des ewigen Lebens! Einen Hirten giebts nur, laßt uns seiner Stimme folgen und bei ihm bleiben!

4 Vgl. Kol 2,9 5 Joh 4,32 5–6 Vgl. Joh 5,30 8 Vgl. Joh 1,16 16 Mt 16,18 24–26 Vgl. Mt 18,12; Lk 15,4 33–34 Joh 6,68

15–

96

Am 20. April 1828 vormittags

[Liederblatt vom 20. April 1828:] Am Sonnt. Misericord. Domini 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Mein Freund zerschmilzt etc. [1.] Wie herrlich ists ein Schäflein Christi werden, / Und in der Huld des treusten Hirten stehn, / Kein höh’rer Stand ist auf der ganzen Erden, / Als ihm in Lieb’ und Demuth nachzugehn. / Was alle Welt nicht geben kann, / Trifft seine Heerde stets bei diesem Hirten an. // [2.] Hier findet sie die angenehmsten Auen, / Hier wird ihr stets ein frischer Quell entdeckt. / Kein Auge kann die Gnade überschauen, / Die sie allhier in reicher Fülle schmeckt. / Hier wird ein Leben mitgetheilt, / Voll Fried’ und Seligkeit, die nie vorübereilt. // [3.] Wer dürfte sich vor Höll’ und Tod entfärben, / Da Höll’ und Tod der treue Hirt besiegt? / Wie froh kann nun, wie ruhig jeder sterben, / Wer nur im Schooß des treuen Hirten liegt! / Fällt auch des Leibes Hütte ein, / Die Seele kann doch nie ein Raub des Todes sein. // [4.] Wer leben will und gute Tage sehen, / Der eile hin zu dieses Hirten Stab; / Hier wird sein Fuß auf süßer Weide gehen, / Da ihm die Welt nur eitle Freuden gab. / Hier wird nichts Gutes je vermißt, / Weil unser Hirt ein Herr der Schäze Gottes ist. // Nach dem Gebet. – Mel. Jesu, der du meine Seele. [1.] Jesu frommer Menschenheerden, / Guter und getreuer Hirt, / Laß auch mich den Deinen werden, / Den dein Wort und Stab regiert. / Liebe trieb dich, Herr, dein Leben / Für die Deinen hinzugeben, / Und du gabst es auch für mich; / Laß mich wieder lieben dich. // [2.] Heerden ihre Hirten lieben, / Und ein Hirt liebt seine Heerd; / Laß uns auch so Liebe üben, / Du im Himmel, ich auf Erd’! / Schallet deine Lieb’ hernieder, / Soll die meine schallen wieder, / Wann du rufst, ich liebe dich, / Ruft mein Herz, dich liebe ich. // [3.] Heerden ihren Hirten kennen, / Dem sie auch sind wohl bekannt; / Nichts kann sie vom Hirten trennen, / Nichts entreißt sie seiner Hand. / Als der Feind schon mich den Schwachen, / Sich zur Beute wollte machen, / Riefest du: ich kenne dich! / Ich auch rief: dich kenne ich. // [4.] Heerden ihren Hirten hören, / Folgen seiner Stimm’ allein; / Hirten sich zur Heerde kehren, / Schüzend alle groß und klein. / Laß dein Rufen mich vernehmen, / Laß dein Warnen mich beschämen! / Laß mich hören stets auf dich; / Jesu höre du auch mich! // [5.] Jesu, treuer Hirte, höre / Wenn ich ängstlich zu dir schrei! / Jesu dich von mir nicht kehre, / Steh mir dann in Gnaden bei; / Ja du hörst; in deinem Namen, / Herr, ist alles Ja und Amen. / Nun, ich glaub’, und fühle schon, / Deinen Trost, o Gottes Sohn. // Nach der Predigt. – Mel. Es ist genug etc. Ich habe gnug! / Mein Herr ist Jesus Christ, / Mein Herr ist er allein. / Wer nur sein Knecht / Und treuer Jünger ist, / Darf ohne Sorgen sein. / Er selbst, mein Herr, ist auch mein Leben, / Mit ihm ist alles mir gegeben; / Ich habe gnug. //

Am 30. April 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Bußtag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Jak 1,22 Nachschrift; SAr 54, Bl. 137r–144v; NiN, in: Schirmer Ungedruckte Predigten, ed. Bauer, 1909, S. 88–94 (Textzeugenparallele; Druckvorlage in: FHDS 34, 104/1, Bl. 1r– 8r) Nachschrift; FHDS 34, 104/1, Bl. 1r–8r; NiN Nachschrift; SAr 67, Bl. 39r–40v; Woltersdorff Keine

Predigt am Bettage 1828. gesprochen von Schleiermacher

5

10

15

20

25

137r

Tex t : Brief Jacobi 1, 22. „Seid aber Thäter des Worts, und nicht Hörer allein, damit ihr euch selbst betrüget.“ Meine andächtigen Freunde! Wenn gleich auf der einen Seite alles dasjenige, was nothwendig die Empfindung der menschlichen Gebrechlichkeit und eitlen Bethörung in uns hervorruft, welche zu erwecken der heutige Tag besonders geeignet ist, wenn gleich dies alles Eines und dasselbige ist mit dem Kampf des Fleisches gegen den Geist: so erscheint doch dem menschlichen Auge sowohl im Allgemeinen, als auch insbesondere, wenn wir uns aufgefordert fühlen, in das Einzelne des menschlichen Lebens einzugehen, auch hier ein großer und gewichtiger Unterschied. Aber wenn wir erwägen, was schwerer ist und was geringer, so werden wir wohl alle gestehen, daß dasjenige das Schlimmste ist, wodurch der Mensch | sich selbst betrügt; denn dadurch verdirbt er sich die Klarheit des Auges, um zu sehn wie es mit ihm selbst steht und die Aufrichtigkeit des Herzens über das rechte Bewußtsein seines Zustandes. Jeder Betrug, wodurch der Mensch sich täuschen kann, besteht überhaupt darin daß er etwas für anders hält als es ist, und je köstlicher das ist, wofür er es ausgiebt, desto größer ist der Betrug; je mehr aber der Mensch von sich selber glaubt, dem nahe zu sein, der allein die Quelle des Heils ist, desto verderblicher ist der Betrug. Wenn also von Allem, was den Menschen zurückhalten kann von der ihm beschiedenen Seligkeit, nichts schlimmer ist als wodurch er sich selbst betrügt; wenn es darüber hinaus keinen größeren Betrug gibt als wenn der Mensch

137v

98

138r

138r

139r

Am 30. April 1828 vormittags

glaubt das zu besitzen, was ihm allein Heil bringen kann: dann wahrlich, meine gel. Freunde, ist kein Betrug ärger als der am heiligen Worte Gottes. Darum sind denn diese Worte des Apostels ganz besonders beherzigungswerth und geeignet zu gemeinsamer Betrachtung. Aber auch diesen Worten ist es gar oft so ergangen, daß sich die Menschen | durch oberflächliche Erklärung derselben selbst getäuscht haben. Darum lasset uns den Herrn anflehen, daß er uns das geistige Auge öffnen möge, damit wir erkennen ihren tiefen Sinn und so lasset uns denn forschen, worin dieser Selbstbetrug bestehe und welches der große Umfang sei jenes leidigen Hörens, wovon der Apostel in unserem Texte spricht. Um aber dies richtig zu fassen, müssen wir sehen, was der Apostel selbst dem bloßen Hören entgegenstellt. Andere kennt er nicht in Beziehung auf das göttliche Wort als Hörer und Thäter desselbigen. Wer ist nun ein Thäter des Worts? Es ist hier von dem Worte die Rede, welches in der Seele besteht und im Geiste, es ist das Wort von demjenigen, welcher Fleisch geworden ist und unter uns wohnte; denn er der Herr selbst ist Seele und Geist seines Evangeliums. Wie er sich selbst uns hat gegeben, und wie er eben deswegen weil er das Wort von oben her war, auch zugleich der Thäter desselben war, darum weil er kam, um die Menschen aus der Gewalt der Sünde zu erlösen, wie er eben dadurch, daß er der eingeborene Sohn vom Vater war und das Ebenbild des göttlichen Wesens, nothwendig sein mußte der Abglanz der | göttlichen Herrlichkeit, welche nichts Anderes ist als die Liebe und das Wirken der Liebe nichts Anderes, als die Menschen an sich zu ziehen: o, meine theuren Freunde, so giebt es auch keine andere Thätigkeit für uns als durch die Liebe und wir sind Thäter des Worts, wenn es aus uns wirkt durch die Liebe. Es kann aber nichts auf eine andere Weise wirken als wozu es gesendet ist. Das Wort ist uns gegeben, uns selig zu machen, und Thäter also desselbigen sind wir, wenn uns die Liebe, die in Christo war, in unserem ganzen Leben treibt und leitet. Das Wort in uns bewirkt den Glauben, der Glaube ist thätig durch die Liebe, die Liebe ist das Thun des Worts – und Beides ist nicht von einander zu trennen. Dies also lasset uns festhalten, meine theuren Freunde wenn wir die Worte unseres Textes erwägen „seid aber Thäter des Worts und nicht Hörer allein.“ Lasset uns betrachten, in wie verschiedenen Abstufungen und wie, je größer und herrlicher sich selber erscheinend, desto schlimmer der Mensch ein bloßer Hörer des Wortes sein kann. Zuerst, meine Freunde, giebt es wohl kein Hören ohne ein Thun. „Heute, so ihr seine Stimme höret, verstockt eure Herzen nicht;“ verstopfet euer Ohr nicht – das ist allerdings eine Thätigkeit des Men|schen, er muß das Ohr öffnen und das Wort dringt ein in das leibliche Ohr, er muß das 15–16 Vgl. Joh 1,14 (zitiert in Hebr 3,7–8)

18 Vgl. Joh 1,1.14 22 Vgl. Hebr 1,3 39–1 Vgl. 1Kor 2,9 (Zitat aus Jes 64,3)

38 Ps 95,7–8

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Jak 1,22

5

10

15

20

25

30

35

40

99

Herz öffnen, damit es eindringe das Wort in sein geistiges Ohr. Aber dieses Thun, kraft dessen wir das Wort, indem wir es hören, aufnehmen ist noch nicht das Thun des Wortes selbst. Es ist das dem Menschen eingepflanzte Streben, der Mittheilung sein Ohr zu leihen, aber lediglich in dieser Thätigkeit ist noch kein Scheiden des Wahren und Falschen, des Richtigen und Verkehrten, dessen was von oben ist und dessen was von unten, was Weisheit ist und was ihr widerstrebt. Der Mensch faßt es alles auf gleiche Weise auf und so entsteht, daß er, was Andere erlebt und gesehn, in sich aufnimmt: und so kann ja auch das Wort, das von oben kommt, von ihm aufgenommen werden in seine Seele als eine Erkenntniß, wie er darin alle Tage und viele andere daneben hat. Aber was sagt der Apostel? „Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und Erkenntniß und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ Soll das gehörte Wort nicht den Augenblick wieder verfliegen, wie es in die Seele gekommen ist, nun so muß der Mensch es ich selbst wieder | geben, ein Tag muß es dem anderen wiederholen, damit es fest bleibe im Gemüthe: und um so lebendiger bleibt es, wenn es der Mensch nicht nur sich selbst wiedergiebt, sondern auch Anderen. Und thut er das, so erscheint er als ein Zeuge, er legt Bekenntniß von demselbigen ab, – und das sollte auch noch nicht ein Thun des Wortes sein? Nein, meine Freunde, so giebt der Mensch auch Anderes wieder, was er empfangen hat, um sich selbst zu schmeicheln in dem, was er den Menschen mitgetheilt hat, und was er dabei sieht, ist nur er selbst, und was er dabei hegt und pflegt, ist nur er selbst. Und das kann alles geschehen, ohne daß er Thäter des Worts ist, ohne daß etwas ihn treibt als Eigenliebe, als das Bewußtsein seines inneren Reichthums, seines persönlichen Vorzuges – das aber heißt nicht, ein Thäter des Wortes sein. Ja, es kann sich dazu gesellen ein großer und thätiger Eifer, der Mensch kann das Wort so fest und sicher haben, daß er lieber alles Andere eher verlieren will als dies, so kann der Bekenner und Zeuge des Worts selbst ein Blutzeuge werden, – und doch ist er kein Thäter des Worts, meine Geliebten. Wie Viele von denen, über die wir in der Geschichte der christlichen Kir|che erfahren, daß sie ihr Bekenntniß des Wortes mit dem Blut besiegelten, in denen das Wort aber herabgesunken war zu trübem, menschlichem Wahn, gingen doch hin und litten den Tod, um das Wort festzuhalten. Darum sagt der Apostel: „Und wenn ich meinen Leib brennen ließe und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ Es giebt ferner kein Hören ohne ein Vergleichen. Daher finden wir von Anfang an in den Menschen das Bestreben, die göttliche Weisheit zu ver9 Vgl. Joh 1,1.14 11–14 1Kor 13,1 in Verbindung mit 1Kor 13,2 Ps 19,2 36–38 1Kor 13,1 in Verbindung mit 1Kor 13,3

17 Vgl.

139v

140r

100

140v

141r

Am 30. April 1828 vormittags

gleichen mit dem, was die menschliche Weisheit hervorgebracht hat. Daher auch die verschiedene Art, wie die Hörer des Wortes es wiedergegeben, wie die Thäter desselben es wiedergeben. Ob der Mensch, indem er es wiedergibt, Thäter des Wortes sei oder bloß Hörer – das bleibt verborgen, aber die verschiedene Art, wie man es aufgefaßt, die bleibt zu vergleichen, und nicht Alle, die es auf eigene Weise aufgefaßt, sind darum Thäter desselben. Laut, ach nur zu laut zeugt gerade hievon die christliche Kirche. Kephisch der Eine und paulisch der Andere von denen, die da vergleichen und so entsteht eine Mannigfaltigkeit | von Namen der Zusammengehörigen, und in diesem Vergleichen, Sondern und Trennen wird denn der ächten Liebe nicht gedacht. Allerdings giebt es kein festes und sicheres Forschen, keine Wahrheit ohne solche Vergleichung: allerdings kann der darin viel Bewanderte einen großen Einfluß ausüben auf andere Gemüther. Aber ist er deswegen ein Thäter des Worts? Mit nichten, denn so sagt der Apostel: „Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ Und gerade in diesem Sondern, Trennen und Sichten offenbart sich die Eigenliebe und Selbstsucht des Menschen am meisten: nur die Liebe waltet nicht darin. Endlich, meine theuren Freunde, es giebt ein Hören des Worts, da der Mensch dasselbe zwar allen den verschiedenen Zweigen seines Wissens einverleibt, aber doch wird, ob es gleich ein Schatz der Erkenntniß in ihm geworden ist, das Hören ihm nicht zum Leben. Und so giebt es bei solchem Hören von allen diesen verschiedenen Standpunkten aus eine gänzliche Trennung in der Seele zwischen dem was „hören“ ist und was „thun“, und es bleibt nichts als ein bald mehr vergeistigter, bald fleischli|cherer Wahn. Dies nun, hat uns gezeigt, wie groß der Preis derer sei, die nur Hörer des Wortes sind, nicht Thäter. Es giebt aber auch ein Thun, das gleichwohl nicht das wahre Thun des Worts ist. Der Apostel nimmt hier besonders Rücksicht auf diejenigen, die gläubig geworden waren aus dem alten Bunde und will sie warnen, daß sie nicht wieder zurücksänken in die Art und Weise jener Zeit. Wir wissen es ja, wie sich das jüdische Volk von jeher damit brüstete, daß unter ihnen die Offenbarungen der göttlichen Gesandten waren und bewahrt wurden: die Mitglieder des alten Bundes waren gewohnt, darin ihr Verdienst zu setzen, daß das Wort ihr Eigenthum war, aber freilich ohne daß sie demselbigen folgten. Und weil das Wort nun Geist geworden, so spricht der Apostel: „seid nicht wieder bloße Hörer, als womit ihr euch selbst betrüget“, aber er fügt hinzu, sie sollten Thäter des Wortes sein. Wer nun ein solcher ist, der 10–11 ächten] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1633 7–8 Vgl. 1Kor 1,12

15–16 1Kor 13,1

25 „thun“,] „thun,“

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Jak 1,22

5

10

15

20

25

30

35

40

101

kann kein Thäter des Gesetzes sein, denn dessen Gebot ich vollziehe, dem diene ich, und es kann kein Mensch zweien Herren dienen; so wenig Einer kann Gott und dem Mammon, | so wenig kann er dienen dem lebendigen Gotteswort und dem fleischlichen Hören des Worts. Wenn wir nur Gebote und Regeln vor Augen haben, um sie in jedem Augenblicke anzuwenden, so lebt der Thäter des Gesetzes in uns; aber der Thäter des Wortes darf nicht hier ein Gebot und dort ein Gebot haben, sondern nur das eine Wort: „uns dringet die Liebe Christi.“ Was die Liebe zu Christo in jedem Augenblick uns zeigt zu thun, das ist das Rechte und dabei darf man sich nicht auf äußere Gebote stützen, so nothwendig und verpflichtend dergleichen auch für die äußere gesellschaftliche Ordnung sein mögen, aber auf dem Gebiete des inneren, geistigen Lebens tritt sie der Thäter des Worts mit Füßen, sie fallen zur Rechten, zur Linken, auf daß der Geist allein lebe und nichts thätig sei als die Liebe. Darum wenn Einer noch so streng alle die Werke vollbringt, die eben als äußerliche Gesetzmäßigkeiten Lob und Ehre bringen, was sagt der Apostel? „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle.“ | Sehet da, so kann denn auch die äußere Pflichterfüllung, die Ehre und das gottesfürchtige Betragen ein bloßes Hören des Wortes sein, ohne daß wir desselbigen Thäter heißen dürften. Wenn wir das betrachten, wie sehr muß es uns nicht demüthigen und besorgt machen! Bei Allem, was wir gestrebt haben, bekannt haben, erkannt und gelebt den Gesetzen gemäß, nach denen die Menschen auf Erden leben sollen, – dennoch sollen wir fürchten, daß der Herr zu uns sagen werde: „ich kenn euch nicht, die ihr ‚Herr Herr‘ zu mir sagt, denn ihr seid nicht Thäter des Worts gewesen, das der Herr für euch der Erde geschenkt hatte“? Ja aller Ruhm verschwindet vor diesem niederdrückenden Gefühl. Aber so wie uns dies demüthigt, so werden wir auch wieder – wie ja in dem christlichen Bewußtsein niemals das Eine ohne das Andere sein soll – durch den Apostel gehoben und ermuthigt. Eben weil er nichts Anderes weiß als Hörer und Thäter des Worts und uns den Schlüssel giebt, um zu begreifen, wie viel dazu gehöre, daß der Mensch im ganzen Umfang | Hörer sein kann und immer noch kein Thäter, so zeigt er uns zugleich die Herrlichkeit derer, die zum Thun des Worts hindurchgedrungen sind, in den nachfolgenden Worten. Einen Menschen aber, der bloß Hörer des Wortes ist, vergleicht er mit Einem, der sein Angesicht im Spiegel beschaut, und indem er sich umwendet, vergißt wie er gestaltet war, und eben deswegen nennt er alle Hörer, die nicht Thäter sind, vergeßliche Hörer. Nur dadurch daß der Mensch vergißt, wie er gestaltet war, kann er Alles thun, ohne doch ein Thäter des Wortes zu sein. Lasset uns dies genauer ansehen. 2–3 Vgl. Mt 6,24 8 2Kor 5,14 24–25 Vgl. Mt 25,11–12; Lk 13,25

16–17 1Kor 13,1 in Verbindung mit 1Kor 13,3 34–37 Vgl. Jak 1,23–24

141v

142r

142v

102

143r

143v

144r

Am 30. April 1828 vormittags

Wenn das Wort, das uns Gott gegeben hat, kein anderes ist, als das unsere Seligkeit schaffen soll, so kann es auch kein anderes sein als dasjenige, welches mit der Sünde zusammenhangt und mit der Erlösung durch die Kraft dessen, den er uns gegeben hat. Wer das Wort auf lebendige Weise aufnimmt, der trägt zwei Bilder in sich, das eine von sich selbst, das andere vom Erlöser, aber nur das letzte erleuchet ihm das erste. Zwar sagt der Apostel, das Gesetz bringe Erkenntniß der Sünde: aber | die Erkenntniß unserer selbst ist nicht die Erkenntniß dessen was Sünde ist, sondern sie ist das Sichbewußtwerden der innersten Sündhaftigkeit: und jene Erkenntniß wirket auch die Seligkeit nicht, sie kann die Seele mit lichten Momenten durchziehen, aber etwas Bleibendes ist es nicht. Wo wir aber das Bild Christi lebendig in uns aufgenommen haben, da erkennt der Mensch sich selbst, indem er sich hält neben denjenigen, der gekommen ist, ihm den Frieden zu bringen, welchen er selbst nicht hat. Und das ist nun das Geheimniß von den Anfängen des neuen Lebens, daß diese Erkenntniß immer mehr in uns befestigt wird: wo der Mensch dies fest halte und nicht vergißt, da ist es unmöglich, daß er nur Hörer des Worts sei und nicht Thäter. Diese beiden, die Erkenntniß der Sünde und das Bewußtsein der Erlösung neben einander sind nichts Anderes als das Sterben des alten Menschen und das Gestaltgewinnen des Bildes Christi in uns. Der allein ist kein Hörer mehr, der das Bild Christi lebendig in sich gestaltet: gestaltet sich dies | [in] uns und vergessen wir dabei nicht, wie wir selbst gestaltet sind, so muß das in uns die Kraft erwecken, nicht bloß Hörer, sondern auch Thäter des Wortes zu sein. Aber so oft wir etwas ergreifen und in uns aufnehmen, was nicht aus dem Bilde Christi hervorgegangen ist, so oft lasset uns zurückkehren zu jenem Spiegel, um uns immer von Neuem wieder zu beschauen und zu merken wie wir gestaltet sind, und es nicht wieder zu vergessen, daß der alte Mensch noch nicht ganz erstorben ist und die eigene Gestalt noch nicht ganz zurückgedrängt, um die Gestalt Christi in uns aufzunehmen, der in uns alles Thun und Vollbringen wirken soll. Dies, meine gel. Freunde, ist es, wozu uns der heutige Tag ganz besonders auffordert, uns selbst zu erkennen, zu sehen, wie wir gestaltet sind. Wir sollen immer fortschreiten, aber eben deshalb auch immer wieder zurückkehren zu den ersten Anfängen unseres neuen, geistigen Lebens. Dazu kann ein Jeder nur sich selber helfen, ein Jeder muß selbst die Gebrechlichkeit erkennen, die da hindert, daß die Liebe in ihm mächtig sei, damit er sagen | könne: ich wollte wohl dem Gesetze meines Gottes folgen, aber ich vermag es nicht, denn ich fühlte ein Gesetz in meinen Gliedern, das jenem widerstrebt. Diese Selbsterkenntniß darf Keiner übergehen, und welchen Gang der Entwicklung unsere Verhältnisse auch 21 [in]] steht als Kustode auf der vorherigen Seite 6–7 Vgl. Röm 3,20

19 Vgl. Eph 4,22; Kol 3,9

36–38 Vgl. Röm 7,23

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Jak 1,22

5

10

15

103

nehmen mögen, es kommt dasselbe immer wieder vor und nimmer werden wir vollendet sein darin, daß wir uns selbst erkennen, wie wir gestaltet sind. Aber wenn uns auch dies demüthigt und niederschlägt, so erhebet uns doch wiederum jenes und spricht uns Muth ein, daß dieses Nichtwollen unserer selbst, eben deswegen weil wir sein leuchtendes Vorbild in uns haben, schon der Anfang ist von dem rechten Thun des Worts. Das, m. Fr., ist es, was uns ermuthigt, daß von Gott kommt nicht bloß das Thun und Vollbringen, sondern auch das Wollen. Will der Mensch nur nicht mehr selbst und sich selber leben, o dann – wie ja auch in der natürlichen Schöpfung den leer gewordenen Raum als bald die lebendigen Kräfte erfüllen – dann dringt das Leben Christi ein und nimmt Besitz von dem Herzen, aus dem der Mensch selber ausgezogen ist. Das Wollen und das Vollbrin|gen kann nur ausgehen von ihm, wir aber sind nie und dürfen nie etwas Anderes sein wollen als die Werkzeuge des lebendigen Geistes Gottes. Daß also von jener Selbsterkenntniß durch das Bild des Erlösers nichts uns abhalten möge, dies sei der Entschluß des heutigen Tages und dazu wollen wir uns vereinigen im Gebet.

7–8 Vgl. Phil 2,13

144v

Am 26. Mai 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Pfingstmontag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 2,12–13 a. Nachschrift; SAr 82, Bl. 27r–34v; Dunckel Eigenheit: Fragment b. Nachschrift; SAr 67, Bl. 41r–43v; Woltersdorff Eigenheit: Fragment Keine Keine Die Nachschrift Woltersdorffs ist ein Schlussfragment der Predigt, schließt jedoch nicht direkt an die Nachschrift Dunckels an.

a. Nachschrift Dunckel 27r

27v

Am 2. Pfingsttage 1828. 1 Cor 2, 12. 13. M. a. F. Wenn wir an die Geschichte des großen Tages der Pfingsten zurückdenken, so ist uns nächst dem, was von oben herab geschah, gewiß allen sehr merkwürdig die Art, wie eben diese große Begebenheit von den Menschen angesehen und aufgefaßt wurde. Schon gleich bei dieser ersten öffentlichen Kundgebung des Geistes wurde die große Menge der Menschen bestürzt, indem sie in ihm zu erkennen glaubten einen Geist wunderbarer Zerrüttung, der das natürliche Geleis der Menschen überschritt, die Scheidewände, welche die göttliche Weisheit unter ihnen aufgerichtet zu haben schien, niedergerissen hatte, und eine Zukunft vorherverkündete, der man nur mit Bedenken entgegensehn konnte. Von andern wurde das, was er brachte | angesehen als hervorgegangen aus einer gemeinsamen Aufregung, ohne daß sie etwas höheres und göttliches darin spürten und da späterhin dieser Geist für seine Thaten sich einen anderen Schauplatz wählte, die Rede derer, die ihn aufgenommen hatten, nicht stehen blieb bei dem Volke des Alten Bundes, sondern sich wendete gegen diejenigen, die den todten Götzen gedient hatten, so schien erst den meisten Menschen dieser Geist Gottes alle Freude des Lebens zu tödten, er erschien als ein 1 Darüber steht die Notiz: „(Von der Schleiermacher mitbekommen. Nachschrift v. Dunckel.)“ 4 Vgl. Apg 2,1–4 6–8 Vgl. Apg 2,6

5

10

15

Predigt über 1Kor 2,12–13

5

10

15

20

25

30

35

105

menschenfeindlicher und trübseliger Geist. Das, m. th. F., das war die Art, wie zuerst der Geist Gottes und der Geist dieser Welt zusammentrat. Seit dem – wie vieles hat sich geändert! Wie viel Raum haben die Wirkungen dieses Geistes sich in der menschlichen Geschichte gewonnen! Wie sind alle Völker und Zonen voll geworden von der Herrlichkeit des Namens, der damals zuerst den Menschen als PPanirS des Heils öffentlich vorgehalten wurde! | Aber demohnerachtet werden wir nicht mit Unrecht sagen, daß der Zwist darüber, was nun eigentlich dieser Geist Gottes sei, woher er komme und wohin er gehe, in die christliche Kirche selbst hinein versetzt sei. Wenn wir alle geistigen Gaben, derer wir uns erfreuen, betrachten, wie wenig sind die Menschen einig – ich meine nur diejenigen, die den Namen Christi bekennen – wem sie dieselben eigentlich zuzuschreiben haben. Wie weit ist die Meinung verbreitet, es gehe doch alles, was den Menschen zum Heile gereichen könne, aus dem eigenen Quell seines Wesens hervor. Alles, was uns ein besonderes göttliches Ansehn zu sein scheine, was uns als eine Stimme vorkomme nicht aus uns heraus, sondern an uns gerichtet, könne höchstens nur sein eine andre und eigenthümliche Erscheinung derselben geistigen Kraft und keinen andern Erfolg haben, als die Wirksamkeit derselben auf eine zeitlang zu bestätigen | oder in ihrem Gange zu beschleunigen. Darum m. th. F., damit wir dieser Gaben recht froh werden an diesem heiligen und schönen Fest, laßt uns auf die Worte des Textes merken. Da stellt der Apostel, der mit Recht von sich sagen konnte: „ich halte dafür, daß ich auch den Geist Gottes habe“, da stellt er diesen Geist aus Gott entgegen dem Geist der Welt im Zusammenhang mit den großen Worten, daß es der Geist Gottes allein sei, der die Tiefe der Gottheit erforscht. So laßt uns denn sehen, wie uns der Apostel eben, indem er den Geist Gottes dem Geiste der Welt gegenüberstellt, den eigentlichen Weg von der Wirksamkeit desselben beschreibt: Er beschreibt ihn aber als einen Geist der Erkenntniß, weil er sagt: „wir haben den Geist aus Gott empfangen, daß wir wissen können was uns Gott gegeben hat“ und sein Maß und Wirksamkeit beschreibt er als Rede: | „solches rede vor euch“ aber indem er auch hier wieder ihn dem Geiste der Welt gegenüberstellt „nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehrt, sondern mit Worten, welche der heilige Geist lehrt!“ Aber freilich möchte jemand sagen, der Apostel rede hier im ganzen Zusammenhange seiner Rede von dem köstlichen und hohen ihm anvertrauten Amt und Beruf das Evangelium zu predigen und darauf sei denn auch seine ganze Beschreibung gerichtet. Wie könnten wir sie aber wohl für vollständig halten als Worte desselben Apostels, der an andern 17 sein] sie 23–24 1Kor 7,40

26 Vgl. 1Kor 2,10

39–2 Vgl. 1Kor 12,1–11

28r

28v

29r

106

29v

30r

30v

Am 26. Mai 1828 vormittags

Stellen eben dieses Briefes so herrlich schreibt von den Gaben des Geistes, die in herrliche und gottgefällige Thaten ausgehen, hier aber nur handelt von Erkenntniß und von Rede. Mag das nun sein, m. F., so wollen wir uns, vorausgesetzt diese Unvollständigkeit, wenigstens daran halten, daß hier mit einer besonderen Bestimmtheit der Apostel den Geist aus Gott dem Geiste | der Welt entgegenstellt und so laßt uns sehen auf den Sinn seiner Worte einmal, wenn er sagt, daß wir durch ihn allein wissen können, was uns Gott gegeben hat und zweitens, daß wir durch ihn reden eben von dem, was uns Gott gegeben hat, mit Worten, die auch er allein lehrt. 1. Wenn nun der Apostel sagt: „wir aber haben empfangen nicht den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns Gott gegeben hat,“ so scheint es, als ob gerade auf solche Weise am wenigsten ein bestimmter Gegensatz könne aufgestellt werden zwischen dem Geiste Gottes und dem Geiste der Welt. Denn wie der Apostel hier redet, sieht man, daß er ein drittes nicht annimmt oder gelten lassen will und also, wenn der Geist aus | Gott nur es ist, den die Jünger des Herrn empfangen haben in Folge seiner Verheißung und seiner an den Vater gerichteten Bitte; so muß alles andere, was je im Menschengeist entstanden ist und sich entwickelt hat, zum Geist der Welt gehören und so versteht der Apostel nicht nur unter dem Geist der Welt, was verkehrt und dem Geiste Gottes entgegengesetzt ist, sondern was unabhängig von ihm und ohne ihn sich in dem Menschengeschlechte gebildet hat. Wie? und so sollen wir in der That sagen können, daß wir nur durch den Geist Gottes wissen, was uns Gott gegeben hat? Derselbe Apostel redet davon, daß Gott sein Dasein den Menschen auf eine ursprüngliche Weise offenbart habe eben dadurch, daß sie vermöge ihrer Vernunft, wenn sie die Werke der Schöpfung betrachten der ewigen Kraft und Gottheit dessen, der sie erschaffen, könnten inne werden, so ist ja der Inbegriff der Schöpfung, so weit sie sich vor unsern Augen entfaltet, so weit sie in unsre Sinne | einströmt, so weit wir sie mit dem Verstande ergreifen können das, was uns Gott gegeben hat. Er redet freilich hernach davon, wie die Menschen die Wahrheit aufgehalten haben in Ungerechtigkeit, wie sie, indem sie sich gedünkt weise zu sein, wären zu Thoren geworden, wie sie die ursprüngliche Erkenntniß Gottes aufgelöset hätten und zersplittert in verkehrten und verderblichen Wahn des Götzendienstes. Aber wenn doch, wie er deutlich genug sagt, diese göttliche Offenbarung zum Wesen der menschlichen Natur gehört, so konnte sie freilich sehr gehemmt werden in ihrer Lust, so konnte sie auf mancherlei Weise getrübt 27–30 Vgl. Röm 1,20

33–37 Vgl. Röm 1,22

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Kor 2,12–13

5

10

15

20

25

30

35

40

107

werden und verdunkelt, die Wahrheit vermischt mit Wahn und zertrümmert, aber nie konnte sie ganz aufhören. Der Gott, der den Menschen gemacht hatte ihm zum Bilde, der konnte unmöglich dem Wahn den Sieg lassen | über die Wahrheit. Darum wenn ein großer Theil der Menschen versunken war in Unwissenheit, Aberglauben, Sünden aller Art, so erhält sich der höchste doch den Seinen, in denen etwas übrig blieb von der ursprünglichen Mittheilung, so ließen sich mitten im Gewühle des Verderbens Stimmen der Warnung, der Aufregung der Lehre hören; und wieviel von jenem Wahn, von jener Knechtschaft war nicht schon zerstört, ehe an denjenigen gedacht wurde, den wir als Erlöser preisen und von dem allein dieser Geist aus Gott herrschen sollte. Der Wahn des Götzendienstes – wie vielen erleuchteten Gemüthern hatte er sich gewiesen als leer und nichtig! Von wie vielen waren die Lehren umgedeutet als eine Hülle für den sinnlichen Menschen, hinter welchem die Erkenntniß des Ewigen, der alles in allem ist, und alles in allem wirkt, lebendig zu bleiben sei! | Wie herrlich trat nicht in manchen Gemüthern, die als die ausgezeichneten und von Gott gekannten angesehen wurden, wie herrlich trat die reinere Erkenntniß in ihnen hervor! Ja auch der Wahn, der so tief eingewurzelt war im Volke des Alten Bundes daß Gott ihm besonders eigne und an dem freilich die göttliche Allmacht und Weisheit und Liebe sich besonders verherrlichte, dieser war aus vielen Gemüthern entwichen, und so könnten wir sagen, wenn dieser Eine nicht erschienen wäre, den wir als eine herrliche Gabe uns von Gott verliehen, verehren wollen, doch würde früher oder später alles Verkehrte, Gottes Unwürdige verschwunden sein; immer mehr würden die sich gesammelt haben und die kleinen Scharen der Wahrheit würden zusammen geschlossen sein in einem großen alles lebendige | befruchtenden und belebenden Strom. Wenn dieß alles der Geist der Welt ist, können wir sagen, daß wir durch ihn nicht wissen können, was uns Gott gegeben hat? Ist es das Wort des Evangeliums, welches dem Menschen aufgeschlossen hat die Regionen der Erde, ihn bekannt gemacht mit den Kräften der Natur, sein Auge bereitet für die ungemessenen Formen, daß er die herrlichen Schöpfungen Gottes sieht, ist dieß die PKraftS des Evangeliums gewesen, der Geist aus Gott, oder war es nicht die in die menschliche Natur gelegte Begierde des Forschens, die der Apostel zum Geist der Welt rechnet? Und wenn die Menschen zu der Zeit, wo sie zu kämpfen hatten mit den ersten und den niedrigsten Bedürfnissen des Lebens, neu ein kleines Häuflein aneinander gekettet, alle die außerhalb | waren fremd und feind, wie sehr hatte nicht durch andere Begebenheiten von der göttlichen Vorsehung geleitet, diese Zersplitterung der Geschlechter aufgehört! Wie hatten sie sich gefunden von Morgen und von Abend, von Mittag und Mitternacht! Wie waren sie 2–3 Vgl. Gen 1,27

14–15 Vgl. 1Kor 12,6

31r

31v

32r

32v

108

Am 26. Mai 1828 vormittags

unter einer Herrschaft vereint! Wie fingen alle Völker an sich zu berühren und zu befreunden [ ]

33r

33v

34r

als Gegenstände der Liebe, der Sorge, der geistigen Freude und Thätigkeit haben wir alles auch erkannt und zwar durch das, was der Apostel den Geist der Welt nennt. Was sollen wir sagen, um diese Stimmen zu widerlegen? „Niemand erforscht die Tiefe der Gottheit“, sagt der Apostel, „als der Geist aus Gott“. Und wer wollte sich rühmen, zu wissen und zu erkennen was Gott uns gegeben, wenn er nicht die Tiefe der Gottheit erforscht. Niemand weiß, was im Menschen ist, als der Geist der Menschen selbst | und wenn, wie er hier zwar nicht sagt, wie es aber doch gewiß sein Glaube gewesen ist und seine feste Ueberzeugung, wie wir es anderwärts aus dem Zusammenhange seiner Rede ersehen, der Geist der Menschen selbst ein anderer wird und ein neuer, wenn der Geist Gottes in ihm wohnt, so müssen wir auch sagen, daß niemand als der Geist aus Gott die Tiefe der Menschheit erforscht. Die Tiefe der Gottheit und die Tiefe der Menschheit ist es, was Gott uns gegeben hat, und wir wissen es nur durch den Geist aus Gott. Was ist aber diese Tiefe der Menschheit, die wir nur durch ihn erforschen? Es ist die Sünde, m. th. F. Was ist die Tiefe der Gottheit, die wir nur durch ihn kennen? Es die Gnade Gottes in Christo Jesu. Das ist es, was Gott uns gegeben; das ist es, was wir nur durch den Geist Gottes erkennen. O! wie streiten sie beide gegeneinander, der Geist | Gottes und der Geist der Welt, wenn es darauf ankommt jene Tiefe der Menschheit ans Licht zu setzen, der eine verklagend und der andere entschuldigend! Wie streiten sie beide gegen einander, wenn es darauf ankommt die Tiefe der Gottheit ins Licht zu setzen, daß die Liebe Gottes sich darin preiset, daß er seinen Sohn gegeben, als wir noch Sünder waren, der eine, indem er behauptet: es ist in keinem Heil gegeben als in dem Namen Jesu von Nazareth, der andere, indem er sich auf alle Weise und aus allen Kräften zusammen PmeintS zu zeigen, daß er sich auch sich selbst zu helfen wisse. Ja, m. th. F., derselbe Apostel, dessen Worte wir vor uns haben, sagt herrlich, was das erste betrifft, das Gesetz vermöge nichts anderes, als dem Menschen zu geben Erkenntniß der Sünde und sagt es nicht nur von dem Gesetz, welches dem Volk des Alten Bunds gegeben war, sondern auch von den Heiden | indem er ihnen das rühmliche und vortreffliche Zeugniß giebt, daß sie ohne Gesetz gelassen gewesen wären, aber sich selbst zum Gesetz geworden. Aber wie oberflächlich ist alle Erkenntniß der Sünde, die irgend ein äußerliches Gesetz dem Menschen bringt! wie unsicher alle Erkenntniß der Sünde, die er 2 befreunden] folgt eine Lücke von einer Zeile 7–8 Vgl. 1Kor 2,10

26–27 Vgl. Röm 5,8

29 PmeintS] oder PnimmtS 34–36 Vgl. Röm 2,14

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 2,12–13

5

10

15

20

109

aus dem Gesetz nimmt, das er in sich selbst aufrichtet! der allein hat die rechte Erkenntniß der Sünde gebracht, der auch die Heilung derselben gebracht hat, indem wir in ihm die Herrlichkeit des Eingeborenen Sohnes vom Vater erkennen. In dessen Lichte erkennen wir auch allein die Finsterniß der Sünde und des Verderbens. Wenn nun Paulus, der Apostel, sagt: daß wir wissen, was uns Gott gegeben hat, woran anderes hat er gedacht, als hieran? Nicht an die Schätze der menschlichen Weisheit, nicht an das, was für das irdische Leben der menschliche Verstand sich erzwingen kann, sondern an die höhere Weisheit, die im | Innern aufgehen muß; und die mit nichts anderem endigen kann, als mit der Erkenntniß der Sünde, die wir nur durch den nehmen und aus dem schöpfen können, der uns deswegen auch allein zur Heiligung werden kann. Ja die Sünde und die Gnade, das sind die Tiefe der Menschheit und der Gottheit, und wenn wir alles, was wir auf irgend einem andern Wege erreichen können, wenn wir alle Schätze des menschlichen Verstandes und der Weisheit, den ganzen Reichthum und die ganze Pracht der Gestalt der Welt zusammenfassen, und in eine Wage und Schale legen alles, was dadurch gewonnen werden kann, in die andere den Frieden Gottes, der nur denen zu Theil wird, die mit der Sünde zugleich die Gnade [ ] mit der Erkenntniß seiner selbst im Lichte Christi, zugleich die Erkenntniß davon, daß er uns zum Heil gegeben ist [Der Text endet hier.]

34v

b. Nachschrift Woltersdorff

25

30

Wolan denn weil es Werk der Nothwendigkeit ist, so laßt uns mäßig sein in der Rede, laßt sie uns nicht treiben als ein Werk des Verdienstes, als eine vergnügliche Weise Gott zu preisen. Ist es einmal so, daß es ein Volk geben kann, welches Gott nur mit den Lippen preist und mit dem Herzen fern von ihm ist, dann laßt uns nicht werth legen auf das was über die Lippen geht. Wie leicht gehn die schönen Reden über die Lippen weg, ohne daß das Herz theil an ihnen nimmt; da entsteht dann der Dienst der Lippe; Streit über Worte, Knechtschaft des Buchstabens, die den Geist selbst tödtet, niederschlägt und dämpft. So ist es, es giebt etwas größeres und Höheres als von göttlichen Dingen auf menschliche Weise zu reden; der Apostel sagt von sich: „Ich habe einen Menschen gekannt, ob er im Leibe war ich weiß es nicht, ob er nicht im Leibe war ich weiß es nicht, der war entzückt bis in den dritten Himmel und hörte unausgesprochne Worte:“ Und was sagt er von allen Christen die in der Schwachheit sind? er sagt wenn sie nicht 19 Gnade] folgt eine Lücke von etwa einer viertel Zeile 3–4 Vgl. Joh 1,14 23–25 Vgl. Jes 29,13 (zitiert in Mt 15,8) 2Kor 12,2 34–2 Vgl. Röm 8,26

31–33 Vgl.

41r

110

Am 26. Mai 1828 vormittags

wüßten was sie beten sollten, so würde der Geist sie vertreten mit unausgesprochnem Seufzen. Hier ist nicht menschliche Begeisterung, nicht ein Strom schöner Worte und ergreifender Bilder – unausgesprochne Worte sinds. So ists mit aller menschlichen Rede: sie ist schwach und unwürdig aber neben ihr unausgesprochne Seufzer und die bringen allein unsers Daseins Wahrheit vor Gott, die sind das Höchste was aus uns redet und aus uns handelt, so daß dadurch alle wohl wissen die des Geistes kundig sind: das ist der Geist Gottes. Darnach laßt uns trachten, nach dem stillen Leben in Gott mit Gott durch Gott. Menschliche Rede ist unser Beruf, aber laßt uns nicht glauben, daß sie Seligkeit verkünden kann, daß wir dadurch etwas verdienen und wirken, sondern uns den Geist in uns sagen daß wir menschliche Worte reden. Laßt uns die Brüderliebe nicht messen nach denselben menschlichen Worten sondern nach der Selbigkeit des Geistes und trachten nach dem Band des Friedens wodurch die Gemeinde des Herrn zusammengehalten wird und sich erbaut von einem Tage zum andern.

12 Brüderliebe] Brüderliche

5

10

15

Am 1. Juni 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 11,32–36 (Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 44r–45v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Trinitat. 28. Röm. 11, 32.

5

10

15

20

Wenn wir auf die festliche Hälfte unsers kirchlichen Jahres, die wir nun zurückgelegt haben, von der Zeit an wo wir uns bereiteten die Ankunft des Erlösers auf Erden zu feiern, bis zu der Zeit seines Leidens und Todes seiner Auferstehung und Erhöhung und der der Ausgießung seines Geistes über seine Gemeinde die seitdem nun den geistigen Leib Christi bildet, zurücksehn: wie sollten wir nicht von selbst ausbrechen in diese Worte: „O welche Tiefe des Reichthums[.]“ Aber es ist auch ganz dem Zusammenhang in welchem der Apostel diese Worte gesprochen gemäß, sie eben auf die Offenbarung Gottes im Geiste anzuwenden; denn diese Worte sind der Schluß des ganzen ersten Haupttheiles seines Briefes, in welchem er sich gleich anfangs erklärt er sei berufen zu predigen das Evangelium von dem der durch den Geist Gottes erwiesen sei als Gottessohn, das Evangelium das eine Kraft sei seelig zu machen. Und seine ganze Auseinandersetzung hat keinen andern Zweck als darzustellen die Gerechtigkeit vor Gott durch Christum und zu zeigen wie sich der Rathschluß Gottes gegen alle Menschen verhält, nemlich wie kein Unterschied sei unter den Menschen in Beziehung auf diesen Rathschluß, und wie sich in der frühern oder späteren Berufung die verborgne Weisheit Gottes offenbare. Und in Beziehung darauf sagt er eben hier: „Gott hat Alles beschlossen unter den Unglauben, auf daß er sich Aller erbarme“: Und eben diese Worte bilden nun den Uebergang zu dem zweiten Theile seines Briefs worin er unter der Gestalt der Ermahnung zugleich die ganze 22 den] dem 13–16 Vgl. Röm 1,1–4

16–21 Vgl. Röm 1,16–17

44r

112

Am 1. Juni 1828 früh

Herrlichkeit des christlichen Lebens welches, wie er auch sagt, durch die Offenbarung Christi und die Ausgießung des göttlichen Geistes bereitet sei Allen, darstellet: So laßt uns denn von diesen Worten Veranlassung nehmen – indem wir auf die Zeit zurücksehn wo wir uns aufs neue an den Offenbarungen Gottes durch das Leben Christi erfreut haben – das Frühere und das Spätere in der Geschichte des menschlichen Geschlechts zu vergleichen und zu unterscheiden. Wenn der Apostel sagt „Gott hat Alles beschlossen unter den Unglauben auf daß er sich Aller erbarme“: und dann hinzufügt: „wer hat des Herrn Sinn erkannt:“ (nachdem er jenen Ausruf vorangeschickt hat von der Tiefe des Reichthums in der göttlichen Weisheit) „wer ist sein Rathgeber gewesen“: so vergleicht er die Zeit des menschlichen Geschlechts die vorher war mit der die nun erschienen: Und so laßt uns denn bedenken, indem wir in dieser Vergleichung ihm folgen, wie hier das Wort: Gott hat Alles beschlossen unter dem Unglauben: ganz dasselbe ist mit dem: „Gott hat Alles beschlossen unter dem Ungehorsam“: und wie beides als das nämliche zu betrachten sei: Dann, wie der Apostel wenn er fragt: wer hat des Herrn Sinn erkannt, wer ist sein Rathgeber gewesen? er offenbar keine andre Antwort erwartet als die daß das gänzlich zu verneinen sei. Und so sehn wir in der Unfähigkeit der Menschen solchen Rathschluß zu erkennen oder zu ahnen, eben das Frühere worauf wir 1. in unsrer Betrachtung sehn wollen.

44v

1. Indem der Apostel das sagt so setzt er voraus – wie uns das auch allen bekannt ist – eine allen Menschen verliehene Erkenntniß Gottes, auch darin den Unterschied aufhebend zwischen denen die das Gesetz empfangen hatten und denen die vermöge dessen was der Schöpfer in sie gelegt hatte sich selbst zum Gesetz geworden: er sieht es also als dem Menschen natürlich an, sich von der Ahnung des Höchsten aus eine Vorstellung zu bilden von einem göttlichen Willen und Gesetz aber nicht anders als so daß dabei der Mensch unfähig gewesen sei demselben zu folgen, und diese Unfähigkeit stellt er dar als eben so allgemein; denn[,] sagt er[,] seit durch Einen die Sünde in die Welt gekommen sind Alle Sünder: und das ist das was er in den Worten sagen will: „Gott hat Alles beschlossen unter den Unglauben“: Und wenn das nicht so wäre so hätte auch Christus nicht recht gehabt zu sagen daß niemand zum Vater | kommen könne als durch ihn, daß nur der Sohn ihn kenne und daß der Vater ihn habe senden müssen auf daß die Welt die er liebe nicht verloren gehe. So also ists: Gott hatte Alles beschlossen unter den Unglauben und was uns aus der frühern Zeit 12–16 Schleiermacher stellt hier die beiden Übersetzungsmöglichkeiten von πεθεια, „Unglaube“ und „Ungehorsam“, gegenüber. 26–27 Vgl. Röm 2,14 31–32 Vgl. Röm 5,12 34–36 Vgl. Joh 14,6–7 36–37 Vgl. Joh 3,16–17

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 11,32–36

5

10

15

20

25

30

35

40

113

Ausgezeichnetes entgegen trit das ist das allgemeine Ringen der Creatur ehe die Zeit erfüllt war wo Gott seinen Sohn senden konnte, das ist das allgemeine Zeugniß daß in jenem Zustande das Sehnen zu keiner Befriedigung gelangen konnte, und das ist das allgemeine Zeugniß von der Tiefe des göttlichen Rathschlusses daß solche Zeit vorangehn mußte damit sich die ganze Liebe Gottes in dem Sohn enthüllen konnte. Und daß es so geschehn ist, das ist die Tiefe des Reichthums der göttlichen Liebe die wir nun erkennen in Christo und durch ihn, weil eben jener Zustand weit hinter uns liegt, weil wir nun den Rathschluß Gottes in seiner Erfüllung von uns sehn. Wenn wir aber fragen warum der Mensch nicht von Anfang an so gewesen sei daß er den Willen Gottes ausführen konnte, warum mußte Alles beschlossen sein unter Unfähigkeit und Ungehorsam? Wer vermag das zu beantworten! Darum erkennen es Alle für ein Geheimniß: es ist uns nun offenbar das Geheimniß der göttlichen Liebe denn es liegt vor uns, warum es aber sich nicht früher offenbaren konnte das vermögen wir mit der Vernunft nicht zu begreifen, aber es ist nicht mehr beschlossen unter den Unglauben sondern in der Erkenntniß der Liebe Christi ist der Glaube aufgegangen an die väterliche Liebe Gottes; denn es liegt vor uns daß er sich aller erbarmt durch den Einen, und das ganze Geschlecht der Menschen in einen großen Zug seiner Liebe und Gnade zusammenfassen will. Indem wir uns nun bescheiden daß unsre Unfähigkeit nicht anders als durch ihn konnte aufgehoben werden, eben den göttlichen Rathschluß zu erkennen, so verstehen wir die Worte des Apostels „wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ Indem er das verneint haben will so spricht er die Fähigkeit dazu allen Menschen auch den Propheten, auf die er sich doch oft beruft, ab. Auch sie haben des Herrn Sinn nicht erkannt; den wenn wir alle die Beschreibungen zusammenfassen von dem der da kommen sollte, o wie weit bleiben sie zurück hinter dem was die unmittelbare Erfahrung denen gab die ihn zuerst erkannten, in ihm sahen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes Gottes voller Gnade und Wahrheit! wie weit bleiben sie dahinter zurück was er sagt daß er gekommen sei nicht um die Welt zu richten sondern selig zu machen! wie weit dahinter daß er ein Reich Gottes errichten wollte in welchem die Anbetung Gottes allein bestehe im Geist und in der Wahrheit und der Glaube thätig sei in der Liebe und allen ihren Erweisungen! Ja wie viel Sinnliches und Beschränktes ist nicht in all ihren Beschreibungen von der Zeit des neuen Bundes! keiner erkannte die Tiefen in dem Rathschluß Gottes daß er seinen Sohn senden würde um die Menschen zu sich zu ziehn und auf solche Weise mit sich zu verbinden daß er in ihnen lebe. Und welche Vorstellungen hatten sie von dem Geiste der herab kommen sollte! wie getrübt wie ungenügend waren ihre Darstellungen um die ganze Herr29–30 Vgl. Joh 1,14 Gal 5,6

31–32 Vgl. Joh 12,47

32–33 Vgl. Joh 4,23–24

34 Vgl.

114

45r

Am 1. Juni 1828 früh

lichkeit der neu beginnenden Welt, des neuen Himmels und der neuen Erde zu offenbaren! Keiner hat es erkannt was der Herr im Sinn hatte; nicht anders als durch die That Gottes und durch die unmittelbare Erfahrung dieser That die sich damals anhing in den Herzen der Menschen um sich nun immer herrlicher zu entwickeln, nicht anders konnte es in den Sinn der Menschen kommen. Und darum fügt der Apostel hinzu: „wer ist des Herrn Rathgeber gewesen?“ Freilich mögen wir denken: wer wird denn auch das sein wollen! aber dennoch, wie oft unterfangen wir uns seine Rathgeber sein zu wollen wenn unsre Gedanken auf ein bestimmtes Ziel hingerichtet sind im Reich Gottes und sich uns die Schwierigkeiten die dem was wir wünschen entgegen sind, zeigen, wenn wir das Entgegenstreben der Menschen betrachten, o wie oft meinen wir da: so oder so müsste es kommen, so müßte | der Höchste es fügen, der doch allein Alles herrlich hinaus führt! So also auch meint der Apostel wenn der Mensch vermögte das mit seiner Vernunft zu begreifen daß auf der einen Seite so viel, und auf der andern Seite so wenig in den Geist des Menschen hinein gelegt ist, daß alle zu einer Erkenntniß des Schöpfers gelangen können und in sich selbst ein Gesetz haben ihm aber nicht genügen können und daß also der Kampf des Fleisches gegen den Geist immer zum Nachtheil des letztern ausfalle, und daß diese Unfähigkeit nicht anders konnte aufgehoben werden als dadurch daß das Wort Fleisch ward, daß Gott sich mußte offenbaren in dem Sohn um so die Menschen mit sich zu vereinen: wer sich hätte vermessen wollen das mit seiner Vernunft zu begreifen der wäre ja eben der Rathgeber des Herrn gewesen; denn der hätte, wenn er auch früher gelebt hätte als der Rathschluß der göttlichen Liebe in Erfüllung ging, dem Herrn die Wege zeigen können und es ihm mit Worten vormachen können wie er den Sohn senden, und wie der wieder hätte müssen gen Himmel fahren damit der Tröster kommen könne über die Gläubigen damit sie nun ein göttliches Leben führen könnten; Also, so wenig Einer des Herrn Sinn erkannt hat so wenig ist Einer sein Rathgeber gewesen in seiner Vorerkenntniß der menschlichen Vernunft! Tiefen sind es, der Vernunft unergründliche Tiefen der Weisheit Gottes daß er Alles beschlossen unter den Unglauben um sich Aller zu erbarmen in seinem Sohn. Und eben noch auf andre Weise giebt der Apostel zu erkennen wie weit der Mensch entfernt sei von solcher Vorerkenntniß, indem er sagt: „wer hat ihm etwas zuvor gegeben das ihm werde wieder vergolten“: Denn in allem was die Menschen haben thun können vor der Erscheinung Christi, und ehe jeder Einzelne in die Gemeinschaft des Herrn geführt wird, darin sei nicht ein Recht, nicht ein Anspruch gegründet darauf was Gott für uns gethan hat, sondern das Alles sei die 16 Seite] Seite, 13 Vgl. Jes 28,29

21 Vgl. Joh 1,14

27–28 Vgl. Joh 16,7

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 11,32–36

5

10

15

20

25

30

35

115

von allem menschlichen Thun unabhängige freie Gnade. Und wer könnte anders über die ganze menschliche Vergangenheit, über die ganze Geschichte des menschlichen Geschlechts bis es ergriffen ward von der Gnade Gottes in Christo, urtheilen als so wie es der Apostel hier thut; denn wie konnte der Mensch Gott etwas geben daß ihm werde wiedervergolten, wie war irgend etwas würdig sich hinzustellen als das was vor Gott gilt, denn wenn wir an die Worte denken: Gott hat seinen Stuhl aufgerichtet zum Gericht, und wir denken dabei auch nur an das Gericht wozu der Herr seinen Stuhl in den Herzen der Menschen selbst errichtet hat, nur an die unvollkommenen Vorstellungen welche die menschliche Natur selbst hervorbringt von dem Willen Gottes, dennoch sehn wir wie jeder hat sagen müssen er habe nichts gethan, er sei unfähig dem Herrn zu geben das ihm hätte müssen vergolten werden, und wie es für Alle gilt: und wenn ihr Alles gethan hättet was ihr zu thun schuldig seid, so sprecht, wir sind unnütze Knechte und ermangeln des Ruhms den wir vor Gott haben sollten: Denn keine Art des Vorzugs kann es geben die den Menschen würdig machte der Gnade Gottes, und so lange der Mensch noch den Willen Gottes so auffaßt daß er schuldig ist dies und das zu thun, so muß er sich auch sagen: „nichts vermagst du:“ Wenn aber der Geist Gottes anfängt in uns das Abba, lieber Vater zu rufen, und es uns bezeuget: ihr seid ihm und euch untereinander nichts schuldig als Liebe, und was ihr Einem der Geringsten gethan habt in der Liebe das habt ihr ihm gethan, und: der Wille Gottes an euch ist nur daß ihr glaubt an den den er gesandt hat: o dann bildet sich in uns der Uebergang von der Vergangenheit zu dem Zustand in welchem wir zwar auch immer | von Gott empfangen aber doch so daß sich’s in uns lebendig gestaltet zu dem Menschen Gottes der tüchtig ist zu den Werken des Herrn[.] Und nun, wie beschreibt der Apostel den Zustand der jenem gegenüber steht wo Gott alles beschlossen hatte unter den Unglauben auf daß er sich Aller erbarme, wie beschreibt er den Zustand der herbeigeführt wird durch die erbarmende Liebe Gottes? Er sagt: zu ihm [sind alle Dinge.] 2. Das ist das Zeugnis welches wir Alle immer ablegen so oft wir uns in der Stille oder vereint zu Gott erheben, daß zu ihm Alles in uns gemacht ist. Es ist das Bewußtsein der väterlichen Liebe, es ist das Bewußtsein daß alle gute und vollkommne Gabe von Oben herab kommt, und daß Alles was irgend der Mühe werth ist es zu erwünschen nichts andres sein kann als solche Gabe der erbarmenden Liebe. Ja das ist der rechte Ausdruck von dem was und wie es der Geist Gottes in uns gestaltet, daß zu ihm alles 7–8 Vgl. Ps 9,7 13–15 Vgl. Lk 17,10 15 Vgl. Röm 3,23 19–20 Vgl. Röm 8,15 20–21 Vgl. Röm 13,8 21–22 Vgl. Mt 25,40 22–23 Vgl. Joh 6,40

45v

116

Am 1. Juni 1828 früh

gemacht ist. Das ist das Zeugniß des Geistes, der uns zu Kindern Gottes macht, daß wir Alles auf ihn beziehen, und Alles nach seinem Willen, der in uns lebt, gestalten wollen[.] Ja darin ist die ganze Seligkeit dieses Zustandes zusammengefasst, nemlich in dem Bewusstsein der Alles vermögenden, Aller sich erbarmenden Liebe Gottes in Christo, und in dem von ihm hervorgebrachten freien Bestreben des Herzens nur ihm zu leben, so daß wir kein Ziel kennen als nur seinen Willen, und so das Bewußtsein haben, daß durch unser vereintes Thun, in der Gemeinschaft seiner Liebe wir die Züge dessen in unserm gemeinsamen Leben darstellen, der den Willen und das Werk der göttlichen Liebe vollbrachte, und daß nichts, wie herrlich es auch dastehen möge, einen Werth für uns hat, als nur in wie fern es sich dazu benutzen läßt wie wir ihn suchen und finden und ihm dienen und seinen Willen darzustellen suchen aus dem freien Triebe des Herzens, so daß kein Gesetz uns treibt sondern die Liebe zu ihm jeden dringt, sich selbst ihm darzugeben, und seines Wohlgefallens in seiner Liebe gewiß zu werden! Darum knüpft der Apostel die folgenden Worte denen an die uns jetzt beschäftigt haben, nemlich: „So ergebt euch zum Opfer[.]“ Das ist das was von selbst aus dem Bewußtsein daß er sich Aller erbarmt und daß Alle zu ihm gemacht sind, hervorgeht und anders können wir nicht sagen daß Gott in seinem Sohn sich Aller erbarmt als dann wenn es so in uns ist; nur wenn sein Geist uns neu gemacht hat, nur dann wissen wir daß er auf solche wunderbare Weise sich Aller erbarmet indem er den Sohn gegeben, daß er in ihm sich Aller erbarmet mit der ganzen Herrlichkeit der väterlichen Liebe. Seht da, so laßt uns uns freuen daß das alte vergangen und laßt uns mit allem Streben und Wünschen und Hoffen, und mit unsrer ganzen Aufmerksamkeit und mit der ganzen Richtung unsers Lebens in dem Neuen das uns erschienen ist, leben. So nur werden wir Frieden finden in uns mit Gott, und Befriedigung in dem Gedanken: es hat Alles müssen beschlossen bleiben unter den Unglauben und die Menschen nur eine Ahnung des Höchsten und seines Rathschlusses haben können, bis die Zeit erfüllt war wo ein neuer Himmel und eine neue Erde sich gestaltete durch den Glauben und die Liebe zu ihm der uns geworden zur Heilgung. So laßt uns das Alte vergessen und uns zum Neuen strecken – wir werden es nie ganz und vollkommen hier erreichen, aber der Glaube ist der Sieg der allmählig Alles überwindet, indem er thätig ist durch die Liebe, und indem wir in ihm den allerbarmenden und unbegreiflichen Rathschluß Gottes mit der innersten Kraft unsers Lebens erfassen, um dem zu danken mit unserm ganzen Leben der seinen Sohn für uns gegeben da wir noch Sünder waren!

17 Vgl. Röm 12,1 31–32 Vgl. 2Petr 3,13 32–33 Vgl. 1Kor 1,30 1Joh 5,4 35 Vgl. Gal 5,6 38–39 Vgl. Röm 5,8

34–35 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Am 8. Juni 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Joh 4,17 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 46r–48v; Woltersdorff Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Aus der Predigt am 1. S. nach Tr. 28. 1 Joh. 4, 17.

5

10

15

20

25

Wenn der Erlöser zu seinen Jüngern sagt: „Wie mich mein Vater sendet, so sende ich euch“: so können wir leicht Bedenken tragen diese und ähnliche seiner Aussprüche auf uns Alle allgemein anzuwenden; wir denken, das war nur zu denen gesagt die er selbst erwählt und sich unmittelbar berufen hatte zu seinen Werkzeugen um nach ihm das große Werk Gottes auch seiner äußern Erscheinung nach zu erweitern und zu erhalten: Hier aber sagt es ein Apostel zu der Gemeinde der Christen, und giebt es ihnen an als einen Maaßstab der Vollkommenheit in der Liebe, um sie dazu zu begeistern so zu sein wie Christus war. Er sagt: „Denn gleichwie er ist, so sind auch wir in der Welt“, und er sagt es hier nicht in Beziehung auf irgend einen besondern Beruf welcher jenen obgelegen hätte uns aber nicht, sondern in Beziehung auf etwas was uns Allen gleich sehr am Herzen liegen muß, daß wir nemlich Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts: Die haben wir nur, sagt er, wenn die Liebe völlig ist, und wie darum nur wenn wir die Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts dann nur ist die Liebe völlig in uns; denn gleichwie er ist, so sind auch wir in dieser Welt: Darauf also kömmt es an daß wir so in der Welt sind wie er war. Wie war nun Christus in der Welt? Wenn wir uns diese Frage vorlegen so ist freilich das Erste was uns beifällt, das, was wir nicht von uns sagen können; denn er konnte sagen: „Wer kann mich einer Sünde zeihen“: So stand er in der Welt, aber so auch er allein und darin ihm gleich zu kommen das ist nie unser Theil und wird es nie sein, das ist der Abstand zwischen ihm und uns der da bleibt und doch ist eben dieses von einer so großen Bedeutung für das Freudigkeithaben auf den Tag des Gerichts. Um desto genauer also müssen 3–4 Joh 20,21

22 Joh 8,46

46r

118

Am 8. Juni 1828 vormittags

wir suchen die Aehnlichkeit zu erforschen und uns anzueignen die möglich ist um uns die Freudigkeit auf den Tag des Gerichts zu sichern ohne die die Liebe nicht ihre Vollkommenheit erreicht. Wie aber sollt es angehn – abgesehn davon worin wir ihm nicht können ganz ähnlich werden – seine ganze Art zu sein in der Welt, in einer Stunde uns gegenseitig vorzuhalten? wie kann das so zusammengefaßt werden was die Bemühung und das Geschäft unsers ganzen Lebens ist! Um aber das wenigstens was der Apostel meint, uns zu vergegenwärtigen, müssen wir das, daß wir sein sollen wie er in der Welt, zunächst beziehen auf den Zweck den uns der Apostel davon vorhält, nemlich: auf daß wir eine Freudigkeit haben am Tage des Gerichts. Diese Freudigkeit aber ist die Furchtlosigkeit: wenn wir also erwägen was die Furcht sei in dieser Beziehung, so werden wir das herausgreifen können aus dem Dasein des Erlösers in der Welt, worauf – wenn wir ihm darin ähnlich werden – sich das gründen kann, daß wir frei werden von Furcht und eine Freudigkeit haben können am Tage des Gerichts: Das also sei in dieser unsrer Betrachtung das erste daß wir darauf sehen was es sei um die Furcht am Tage des Gerichts und daß sie ganz verschwinden muß um der Freudigkeit Platz zu machen.

46v

1. Was der Apostel hier sagt erinnert uns zunächst an das Wort: Gott ist die Liebe: welches er vorher sagt, und dann an das welches er hernach hinzufügt: Furcht ist nicht in der Liebe; denn die völlige Liebe treibet die Furcht aus, wer sich aber fürchtet der ist nicht völlig in der Liebe. Wenn wir nun also an den Zustand der Furcht überhaupt gedenken, so fallen uns wol zunächst die Worte ein daß die Menschen ihr ganzes Leben hindurch Knechte sein mußten aus Furcht des Todes. Von dieser Furcht aber und ihrer Knechtschaft | sagt der Erlöser sind schon alle die befreit die an ihn glauben; denn so sagt er: „wer an mich glaubt der wird den Tod nicht sehen“: und: „wer an mich glaubt der ist schon hindurchgedrungen vom Tode zum ewigen Leben“: Der Apostel aber sagt hier daß nur die vollkommne Liebe die Furcht austreibe; Der Glaube aber ist der Grund allerdings aus welchem die Liebe hervorgeht und die rechte Liebe hat keinen andern als den, und wiederum, der Glaube ist durch die Liebe, und anders nicht, thätig, aber eben deswegen ist er selbst das erste Vorangehende, er ist der Anfang dazu daß die Liebe vollkommen wird, er ist das Leben in uns und wir sind in diesem in uns begonnenen geistigen Leben schon befreit 16 daß] das 20–21 1Joh 4,16 22–23 1Joh 4,18 25–26 Vgl. Hebr 2,15 28–29 Schleiermacher verbindet hier Joh 6,47 mit Joh 8,51. 29–30 Vgl. Joh 5,24 33–34 Vgl. Gal 5,6

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 4,17

5

10

15

20

25

30

35

119

von der Furcht des Todes und alles dessen was ihm angehört, wir sind befreit von aller Furcht vor dem Wechsel im irdischen Leben, und von aller Menschenfurcht die doch nichts ist als daß sie ist nur die Furcht vor denen die den Leib tödten können, den Geist aber nicht vermögen zu tödten, weswegen wir denn von dieser Furcht schon frei werden sobald der Glaube Leben gewinnt und Kraft in uns, wir haben in ihm das ewige Leben gewonnen dessen Quelle in ihm ist an den wir glauben, und sobald sich das in uns regt so ist uns das Irdische gleichgültig und wird uns immer gleichgültiger. Also, die Furcht vor dem Tode überwindet schon der Glaube. Von der Furcht aber vor dem Gericht sagt der Erlöser Aehnliches, nemlich „wer da glaubt der kommt nicht ins Gericht.“ (Und eben deswegen weil er gekommen war die Scheidung unter den Menschen zu beginnen wie sie immer weiter sollte durchgeführt werden, die Scheidung zwischen denen die an ihn glauben und nicht glauben, sagt er daß er nicht gekommen sei um zu richten, denn wer nicht glaube der sei schon gerichtet, wer aber glaube der könne nicht ins Gericht kommen); denn wie er selbst erhaben war über alles Gericht so auch die die der Vater ihm gegeben weil er den Vater gebeten daß sie da sein sollten wo er sei, so können sie nie ins Gericht kommen. Wohl mögen wir sagen das ist die erste Frucht des wahren und lebendigen Glaubens daß wir befreit sind von der Furcht vor dem Tode und vor dem Gericht, so daß wir ausrufen können in unserm Innern: „wer ist hie der verdammt“: Wie auch Paulus sagt: „so wir auch noch [ ]“, so danken wir doch Gott durch unsern Herrn Jesum Christum, der uns erlöst hat von diesem Leibe des Todes: Dieser Zustand aber den der Apostel Paulus in den Worten beschreibt, das ist noch nicht der Zustand der Völligkeit in der Liebe von welchem Johannes hier redet, es ist also auch die Freudigkeit und die Furchtlosigkeit die er hier meint noch eine andre als jene die schon gleich Anfangs der Glaube in uns bewirkt. Nemlich: Wenn nun es ganz im Allgemeinen wahr ist daß das Wort des Herrn uns nicht fern ist (sondern es ist in uns) und daß das Gericht auch das Wort des Herrn ist so ists auch nicht etwas was wir nur zu suchen haben am Ende aller Dinge, sondern der Herr hat schon seinen Stuhl aufgeschlagen zum Gericht, so ists uns also nah und gegenwärtig. Ja überall in unserm Leben wo sich irgend etwas Bedeutendes seiner Entscheidung nähert, da ist ein Zeitpunkt des Gerichts; denn da wird der Wille des Herrn [Zu Z. 11–16 links am Rand:] Sein Kommen war ein Tag des Gerichts, sein Reden und Wirken war aber nicht zum Gericht sondern zur Seligkeit, es wurde aber denen zum Gericht die nicht an ihn glaubten; also war er nicht gekommen um zu richten sondern selig zu machen[.] 10–11 Vgl. Joh 5,24 14–15 Vgl. Joh 12,47 15–16 Vgl. Joh 3,18 Joh 17,24 22 Vermutlich Röm 6,5 32–33 Vgl. Ps 9,8

17–18 Vgl.

120

47r

Am 8. Juni 1828 vormittags

offenbar, da wird der Sinn und die Gedanken der Menschen und da wird alles Verborgne offenbar, da erwacht das strafende und richtende Bewußtsein in Beziehung auf das was ausgeführt werden sollte: und das ist das Gericht wozu der Herr seinen Stuhl schon aufgerichtet hat; Denn wenn sich eine Entscheidung nahet wie sollten wir da uns nicht bewußt werden wie wir uns verhalten haben in Beziehung auf das was sich nun entscheidet! Mitten in der Thätigkeit – und alles soll ja sein eine Thätigkeit fürs Reich Gottes – mitten in derselben sind wir im Augenblick zu sehr hingegeben dem was eben geschieht als daß es uns ganz klar werden sollte, aber wenn sich die Entscheidung nahet, wenn es sich kund thut was der Herr will, ob es gelingen wird was wir ausführen wollten oder ob der Herr das in sein Nichts zurückwerfen will was nicht sein Wille war, das ist dann für die die darin verflochten sind allemal ein Tag des Gerichts und da gilts Freudigkeit zu haben und los zu sein von aller Furcht. Was ists aber für eine Furcht die in uns sein kann in Beziehung auf solchen Tag des Gerichts? Ists der Zweifel daran daß der Herr Alles herrlich hinausführen wird? | Fürchten wir daß er seinen Sohn wird im Stich lassen? Nein das können wir nicht, sondern unser Glaube spricht sich bei jeder Entscheidung in Beziehung auf das was uns nun in dem was wir dabei gethan haben als vergeblich erscheint, so aus: Der Herr hats gegeben der Herr hats genommen, sein Name sei gepriesen! Welche Furcht also kann es geben als die daß sich entdecke irgend eine Schuld die wir auf uns geladen haben; wir fürchten daß bei der Entscheidung dessen wozu wir mitgewirkt haben, deutlich werden möge wo wir gefehlt haben, wo wir nicht die Treue bewahrt haben wozu unser Beruf uns aufgefordert, wo wir verblendet gewesen sind und vertieft in etwas Fremdes hinein was nicht dazu gehörte wozu wir eben wirken sollten: das heißt Furcht haben auf den Tag des Gerichts: Und das weiset uns zurück auf das Wort der Schrift: „Es ist ein köstlich Ding daß das Herz fest werde“: denn wo solche Furcht ist, da fehlt es an der rechten Sicherheit darüber daß es der Geist Gottes ist der uns treibt und die Liebe zu dem der uns zuvor geliebt hat. Nicht eher also wird diese Furcht aufgehoben, als bis das Bewußtsein in uns Sicherheit gewinnt daß es nicht zweierlei ist zwischen dem was uns, im Drange der Geschäfte, treibt und dem was uns treibt indem es uns gestattet ist in unser Innres hineinzusehn. Wenn nun das die Furcht auf einen Tag des Gerichts ist: so laßt uns sehn welches denn die Aehnlichkeit ist zwischen dem Sein des Herrn in der Welt und unserm Sein, die da macht daß die Furcht verschwinde und daß wir eine Freudigkeit haben in unserm Herzen in Beziehung auf jeden Tag des Gerichts. Und das sei in unsrer Betrachtung das

16 Vgl. Jes 28,29

20 Hiob 1,21

28 Hebr 13,9

29–31 Vgl. 1Joh 4,10

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 4,17

5

10

15

20

25

30

35

40

121

Zweite. 1. Laßt uns dabei dessen gedenken was der Erlöser sagt eben in der genauesten Verbindung damit daß er nicht gekommen sei die Welt zu richten ..., nemlich daß er gekommen sei die Welt selig zu machen. So stand er in der Welt daß das seine Thätigkeit und seine Freude war und daß er auch in sich selbst das Bewußtsein hatte, daß wie er den Beruf die Welt selig zu machen hatte so auch das Vermögen dazu, und daß darin sein ganzes Dasein aufging und daß er nichts suchte als dies. Um aber die Welt seelig zu machen, mußte er nicht von der Welt sein, und das sagt er auch von den Seinen, denn in dem Gebet für sie da giebt er ihnen das Zeugniß: „sie sind nicht von der Welt wie denn auch ich nicht von der Welt bin“: Aber wir sollen so in der Welt sein wie er in der Welt war: sind wir nun in ihm und mit ihm nicht von der Welt so können wir nichts begehren als das was er der Welt brachte ihr ebenfalls zu bringen, nicht freilich als ob wir irgend das Vermögen in uns selbst dazu hätten, denn das ist das Zeugniß gewesen aller Gläubigen, von dem an welches Petrus und Johannes ablegten vor dem Tempel wo sie den Kranken geheilt hatten und sprachen: „was wundert ihr euch als ob wir das gethan hätten aus eigner Kraft sondern im Namen Jesu von Nazareth.“ So wissen wir das wohl daß wir keine Kraft haben selig zu machen, aber wenn wir an ihn glauben so müssen wir auch sagen können, daß nicht wir leben sondern er in uns und so können auch wir, wie wir selbst in ihm und mit ihm selig sind, nichts anderes wollen als seelig zu machen. Wenn wir aber noch irgend etwas anderes dabei wollen so sind wir von der Welt, und wer durch das lebt was diese vergängliche Welt gewähren kann: der ist von der Welt: und wenn noch irgend etwas von solchem Begehren welches die Welt befriedgen kann Einfluß hat auf das Bestreben die Welt selig zu machen sind wir von der Welt, also unfähig dazu; denn wenn wir das nicht allein suchen, so suchen wir noch uns selbst, entgegen dem Herrn der nicht gekommen war ihm dienen zu lassen, sondern indem er der Welt diente, begehrte er keinen Gegendienst von ihr; er wollte sich von nichts dienen lassen, weil er nichts für sich von der Welt erwerben wollte. Daß er aber dienen wollte, dazu rechnete er das mit daß er sein Leben lassen wollte für die Welt, und darum sagt er zu Allen die an ihn glauben, also so sein wollen wie er war in der Welt: „wer mir dienen will der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich“: Seht da das ist die innre Gesinnung die wir haben müssen durch ihn, wenn wir wollen frei sein von Furcht und immer Freudigkeit haben auf jeden entscheidenden Augenblick, daß wir nichts von | der Welt begehren sondern unser Tichten und Trachten allein darauf richten die Seligkeit die Christus der Welt gebracht, weiter zu verbreiten, und nicht auf uns selbst sehen, sondern immer 3–4 Vgl. Joh 12,47 10–11 Joh 17,14 16–17 Vgl. Apg 3,1–8 Apg 3,11–12 34–35 Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23

17–19 Vgl.

47v

122

Am 8. Juni 1828 vormittags

nur auf ihn. Diese reine Gesinnung der Liebe, die ist der erste Grund aller Freudigkeit, in dem Maaße als die Liebe völlig in uns ist, werden wir uns dessen bewußt daß wir Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts; denn wenn wir keine andre Stellung zu der Welt nehmen als er dann können wir wissen daß wir keine Furcht zu haben brauchen in Beziehung auf irgend eine Entscheidung wie sie auch für uns selbst ausfallen möge, denn wir suchen nicht uns selbst, und wollen nichts anderes als was er gewollt. [2.] Aber freilich wenn auch das das Erste ist so ists nicht das Einzige um so zu stehn in der Welt wie er stand; Denn wie oft ists so gewesen daß wenn wir uns auch beim Anfang einer Thätigkeit dessen bewußt waren daß wir nicht uns selbst sondern den Herrn suchen wie anders ist nicht oft unser Bewußtsein gewesen wenn wir uns dem Augenblick des Gerichts in irgend einer Beziehung näherten, wie oft geht uns da die Ahnung auf daß das was so rein gewesen sei in seinem Ursprung nun nicht mehr so sei weil sich während der Thätigkeit unvermerkt Fremdes eingemischt und sich uns dargestellt hat als dazu gehörend was wir thun müßten um die Welt frei zu machen. Wie viel mehr also gehört dazu so in der Welt zu sein wie er war. Von Mose wird gesagt er sei treu gewesen im Hause des Herrn als der Knecht. Von Christo aber, er sei treu gewesen wie der Sohn im Hause des Vaters. Treu wie der Sohn treu ist. Deswegen weil sein Wille mit dem Willen des Vaters übereinstimmt und er keinen andern Willen, und weil kein ander Tichten und Trachten in ihm ist als was im Sinn seines Vaters ist. Wenn wir nun fragen welchem Bilde wir gleichen sollen so vernehmen wir in uns die Antwort: Knechte sollen wir und wollen wir nicht mehr sein; denn solches geziemte den Menschen nur als sie unter dem Zuchtmeister des Gesetzes standen, aber in der Gemeinschaft des Sohnes kann kein knechtisch Wesen sein sollen sondern wie er stand so sollen wir stehn als Kinder Gottes in seinem Sohn und durch ihn und zwar als solche die durch den Geist mündig sind wie er. Was sagt der Erlöser von sich selbst in eben der Beziehung daß er gekommen um selig zu machen? er sagt: Der Sohn thut nichts von ihm selber, der Vater aber zeigt ihm alle seine Werke und wie er sie ihm zeigt so thut der Sohn sie gleich: Seht da, das Bewußtsein dieser Treue das ists was wir so oft vermissen in einem Augenblick der Entscheidung, wenn wir auch uns das Zeugniß geben können daß wir im Grunde unsres Herzens nichts suchen und wollen als die Seligkeit. Ja was es macht daß uns manches am Ende anders erscheint als früher das ist das daß wir abgewichen sind von dem was in jedem Augenblick der Herr uns zeigen will und statt dessen gethan haben was uns selbst als das Rechte erschien. Wenn der Sohn wartet daß der Vater ihm seine Werke zeige, wie sollten wir anders 21 ander] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 276–280 18–20 Vgl. Hebr 3,5–6

25 Vgl. Gal 3,27

30–32 Vgl. Joh 5,19–20

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 4,17

5

10

15

20

25

30

35

123

thun! Aber freilich, wenn Einem soll etwas gezeigt werden so gehört dazu daß er sehe, es erkenne auf daß ers dann thun könne: und so gehört denn weiter nichts zu der Treue als daß wir nichts thun als das was wir als Werk des Vaters erkennen durch ihn selbst; Es liegt immer noch eine Unlauterkeit des Herzens ein selbstgefällg Wesen darin, wenn der Mensch willkürlich sich etwas aussinnt wodurch er beitragen will zu der Seligkeit der Welt. Lebendig soll in uns sein das Trachten des Herzens zum Werk Gottes mitzuwirken, bei dem was wir aber zu thun haben sollen wir immer nur darauf gerichtet sein zu erkennen wie Gott es will gethan haben, und wenn wir die Art wie uns Gott in die Welt gestellt hat, wenn wir die Kenntniß von dem frühern Wege Gottes mit den Menschen und den erweiterten Blick über die Gegenwart, dazu gebrauchen jezt seine Wege zu erkennen, o dann wird er selbst uns vor jedem voreiligen Thun sichern, dann wird keine Eitelkeit uns ablenken von dem was er in jedem Augenblick will, und wenn er uns dann seine Werke zeigt, dann ists gewiß, daß wir die sollen mit aller Treue des Herzens thun. Vor Irrthum im Einzelnen werden wir zwar in keinem Zustande geschützt sein, und nur der der von aller Sünde frei war, konnte von Irrthum frei sein, er der allein das große Werk Gottes vor Augen hatte und nichts in sich hatte was ihn davon ablenken konnte, für den war nichts in seiner Entscheidung anders als früher. So gehts nicht uns, aber in der Aehnlichkeit mit seiner Treue kommen wir doch so weit, daß wir uns das Wort des Herrn aneignen können | „Laß Dir an meiner Gnade genügen“: Und wir können uns in Beziehung auf unsern Irrthum trösten damit daß er, der Herr weiß zu seinem Zweck zu leiten was die menschliche Schwachheit versehen hat, wenn wir nur jeden solchen Fall dazu benutzen uns zu prüfen ob wir nicht noch irgendwo in Beziehung auf das Werk Gottes im Irrthum begriffen sind: Das ist dann die wahre Treue, und wenn wir die festhalten in unserm Leben, dann können wir frei sein von aller Furcht auf jeden Tag des Gerichts, in dem Bewußtsein daß wir überall nur zum Handeln getrieben werden durch den Willen des Herrn und nie durch unsern eignen. Darin können wir eine Freudigkeit haben und es ist die Vollkommenheit der Liebe die dann sich offenbart. Denn wie es die Liebe Gottes war daß Christus in die Welt kam um sie selig zu machen: so war es nichts als die Liebe des Sohnes zum Vater daß er immer die Augen gerichtet hatte auf ihn und alles gleich selbst that was er ihn thun sah: So ist auch in uns diese Treue das Werk der Liebe die sich uns in Christo hat zu erkennen gegeben und ausgegossen ist über uns, und wenn wir immer bemüht sind das zu erfüllen was er uns zeigt, so ist das die Liebe die uns nicht gestattet uns von ihm zu entfernen. 25 versehen] Vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1133 22–23 2Kor 12,9

48r

124

48v

Am 8. Juni 1828 vormittags

Aber wenn das freilich der allgemeine Ausdruck ist für das ganze Bestreben unsers Herrn auf Erden daß er gekommen ist um die Welt selig zu machen, wenn die Seligkeit nichts ist als die Vollkommenheit der Liebe, wenn es das Werk der Liebe ist daß sie die Furcht austreibt, und wenn es die Furcht ist die uns zu Knechten macht, und wir immer Knechte sind so lange es uns fehlt an der Freudigkeit in Beziehung auf jeden Tag des Gerichts: so ist die Freiheit eben das was aus der Liebe entsteht und was mit der Freudigkeit Eins ist. Aber wie sagt der Herr? Ihr seid nicht recht frei: als nur wenn euch der Sohn frei macht durch die Wahrheit“: Er macht uns also frei weil er die Wahrheit ist. Er stand so in der Welt daß vor ihm jeder Schein verschwand weil in seinem ganzen Wesen die Wahrheit war. Sehen wir nun auf die Freudigkeit auf jede Stunde des Gerichts, so muß es uns deutlich werden, daß es dazu nicht nur darauf ankommt was wir ausgeführt haben, sondern auch darauf wie wir gewesen sind und uns dargestellt haben in der Welt; denn auch dadurch sollen wir die Seligkeit der Welt fördern. So also müssen auch wir sein, daß jeder täuschende Schein vor der Wahrheit die in uns ist verschwindet, nur dann kann unser Dasein dazu beitragen von den Banden der Knechtschaft die Menschen zu befreien. Es giebt keine Freudigkeit auf irgend eine Stunde des Gerichts als wenn wir das Bewußtsein, in jeder Beziehung in der Wahrheit zu sein, haben, und uns nie haben dem Bestreben eines täuschenden Scheines hingegeben. Nur wer selbst frei ist durch die Wahrheit und alle Furcht so in sich überwunden hat, der kann die Nothwendigkeit fühlen frei zu machen durch die Wahrheit. Wer aber so frei ist von aller Furcht und in der Kraft der Freiheit wandelt der muß auch eben so wahr sein in Beziehung auf sich selbst, im Urtheil über sich selbst, die Schwachheit die noch in ihm ist als solche darstellend, und von allem was gut in ihm ist dem Herrn die Ehre gebend dem es angehört. Wer so in der Welt ist der ist frei und der wird durch die Gnade dessen, der uns frei machen kann auch dazu beitragen andre frei zu machen und selig; denn nicht anders als in der Wahrheit ist die Seligkeit: wie der Herr sagt: „Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben“: – Wolan denn, wie er in der Welt war, das ist der Weg den er uns zeigt zu der Freudigkeit auf jeden Tag des Gerichts! Wie er in der Welt war das ist die Wahrheit wodurch wir in uns und in andern die Seligkeit fördern sollen! wie er in der Welt war, das ist das Leben darin er uns frei macht und uns immer mehr verhilft zu der Seligkeit der Kinder | Gottes in dem Bewußtsein sein Werk zu fördern, die Welt selig zu machen. Den Anfang damit machen was zu der Freudigkeit und Vollkommenheit in der Liebe führt und darin fortschreiten, das müssen Alle die an ihn glauben: aber laßt uns vergessen was da hinten ist und uns strecken nach dem was noch vor uns lieget damit wir dem Ziel näher kom8–9 Vgl. Joh 8,36

30–31 Joh 14,6

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Joh 4,17

125

men nach besten Kräften durch ihn, und endlich sagen können: ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet!

[Liederblatt vom 8. Juni 1828:] Am 1. Sonnt. nach Trinitatis 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Lobe den Herrn etc. [1.] Christe mein Leben, mein Hoffen, mein Glauben, mein Wallen, / Der du verleihest, was Christen kann einzig gefallen, / Lenke dahin, / Heiland, der Gläubigen Sinn, / Ruhm dir zu bringen vor Allen. // [2.] Dich will ich freudig, du Wonne des Herzens, erheben, / Dir mich auf ewig zum Eigenthum gänzlich ergeben! / Bin ich nur dein, / Das ist Gewinn mir allein; / Dann ist gesegnet mein Leben. // [3.] Laß nur das Eine was noth ist stets in mir bestehen, / Mag denn das eitle und nichtige immer vergehen! / Himmlische Lust / Senkest du mir in die Brust; / Die nur hab ich mir ersehen. // [4.] Herzog des Lebens du wollest mich selber regieren, / So daß ich heilig und selig mein Leben kann führen! / Laß auch den Geist, / Den du den Deinen verheißt, / Reichlich im Herzen mich spüren! // [5.] Friedefürst laß mich im Glauben dir treulich anhangen; / Eile zu stillen mein Wünschen, mein heißes Verlangen, / Tilge in mir / Was mich kann scheiden von dir, / Nimm mich dir selber gefangen! // Nach dem Gebet. – Mel. Machs mit mir Gott etc. [1.] Mir nach, spricht Christus, unser Held, / Mir nach, ihr Christen alle! / Verläugnet euch, verlaßt die Welt, / Folgt meinem Ruf und Schalle! / Nehmt auf euch Kreuz und Ungemach, / Und folget meinem Wandel nach. // [2.] Ich bin das Licht, ich leucht euch vor / Mit göttlich heilgem Leben, / Wer mich zum Führer auserkohr, / Deß Bahn ist hell und eben. / Ich bin der Weg, ich weise wohl, / Wie man wahrhaftig wandeln soll. // [3.] Mein Herz ist ganz von Lieb’ erfüllt, / Von Sanftmuth und von Güte. / Das Wort das meinem Mund’ entquillt, / Erquicket das Gemüthe; / Auf meinen Vater schau ich hin, / Und ihm ergiebt sich ganz mein Sinn. // [4.] Ich zeig euch an, was schädlich ist, / Lehr’ euch die Sünde meiden, / Und von des Herzens Trug und List / Euch reinigen und scheiden. / Ich bin der Seelen Fels und Hort, / Und führ euch zu der Himmelspfort. // [5.] Fällt’s euch zu schwer; ich geh voran, / Steh helfend euch zur Seite. / Ich kämpfe selbst, ich brech die Bahn, / Bin alles in dem Streite. / Ein Kriegsmann darf nicht stille stehn, / Sieht er den Feldherrn selbst angehn. // [6.] Wer mehr als mich sein Leben liebt, / Wird seine Seel verlieren; / Wer es in meinem Dienst hingiebt, / Wird sie in Gott einführen. / Wer statt des Kreuzes Lust begehrt, / Ist meines Namens nimmer werth. // [7.] Ja, Herr, dein Vorbild leuchtet mir, / Zeigt mir den Weg zum Leben; / 1–2 2Tim 4,7

126

Am 8. Juni 1828 vormittags

Wem sollt ich auch wol sonst als dir / In Liebe mich ergeben? / Dir folgend trag ich einst die Kron / Des ewgen Lebens auch davon. // Nach der Predigt. – Mel. Herr Christ der ein’ge etc. [1.] Ach zünde deine Liebe / Zu meinem Herzen an, / Daß ich aus innerm Triebe / Dir immer dienen kann: / Und dir zum Wohlgefallen / Beständig möge wallen / Auf rechter Lebensbahn. // [2.] Ja, Herr, verleih mir Stärke, / Verleih mir Kraft und Muth! / Das sind die Gnadenwerke, / Die dein Geist an mir thut; / Gieb daß ich deinen Willen / Beständig mög’ erfüllen, / Das nur ist recht und gut. //

Am 15. Juni 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 5,2–10 Nachschrift; SAr 67, Bl. 50r–51v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 2. S. nach Tr. 28. Matth: 5, 2–10.

5

10

15

20

Diese bekannten Worte unsers Erlösers aus dem Ersten was uns der Evangelist als öffentliche Lehre und Rede Christi darstellt, sind jedes einzeln für sich so wichtig und bedeutend, daß es fast zu viel scheint sie in einer so kurzen Betrachtung zusammenzufassen, aber wenn es allerdings sehr lohnt im Einzelnen auf jedes zurükzusehn, so kann es doch auch nützlich sein sie zusammzufassen und in ihrer eigentlichen Verbindung als den Anfang des Lehrens des Herrn zu betrachten. Wenn wir sie nun so betrachten wollen so fällt uns ja wol Allen bei dem gemeinsamen Anfang derselben das andre Wort des Erlösers ein: „Der Menschensohn ist gekommen nicht um zu richten sondern um seelig zu machen“: Er war gekommen um selig zu machen und so konnte er auch wol sein öffentliches Leben nicht anders beginnen als damit daß er den Menschen die Seligkeit darstellte welche er verleihen wollte, und so dürfen wir denn freilich alles das was er hier sagt nicht anders verstehen als, daß die, von denen er es sagt, seelig sein werden durch ihn, nicht aber aus eigner Kraft. Und wie der Evangelist Matthäus schon vorher, als er erzählt wie Christus angefangen habe zu predigen, sagt, er habe verkündet das Himmelreich: so konnte er auch nicht anders als gleich damit anfangen den Menschen das Himmelreich und die Bedingungen um dazu zu gelangen und die Art wie es durch ihn sollte begründet werden darzustellen: und dieser Anfang ists dessen Nothwendigkeit uns die Betrachtung dieser Worte zeigt. Zugleich aber müssen wir bei dem Anfang an den wei[Zu Z. 9–10 rechts am Rand:] selig

11–12 Joh 12,47

17–19 Vgl. Mt 4,17

50r

128

50v

Am 15. Juni 1828 früh

tern Verfolg denken, und wie hier schon von der Gerechtigkeit vorkommt so ists freilich nöthig zu sagen was er unter der Gerechtigkeit versteht und es wird dabei jedem das Wort einfallen: „so eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten u. s. w.“: und so finden wir hier schon gleich wenn auch nicht so deutlich wie später den Gegensatz bemerklich gemacht zwischen der Gerechtigkeit des Gesetzes und der die in dem Erlöser erschien und in dem Glauben an ihn. Aus diesem Gesichtspunkt nun laßt uns die Worte näher erwägen, so wie dadurch der ganze Sinn des Erlösers dabei deutlich wird. Da muß nun wol zuerst uns bemerklich sein daß es zuerst in der Rede heißt: „selig sind die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr:“ und endlich: „selig sind die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das Himmelreich ist ihr.“ Wenn nun freilich in beiden Fällen die Worte: das Himmelreich ist ihr: dieselben sind, so können wir uns doch das nicht verbergen daß geistlich arm sein und verfolgt werden um Gerechtigkeit nicht dasselbe ist: Es hängt aber so zusammen daß das Eine der Anfang und das Andre das Ende ist der ganzen Ordnung des Heils die der Erlöser den Menschen vorzeichnet hat und so haben wir hier Ordnung und Zusammenhang, dessen was nöthig ist um das Heil in Christi zu finden, in ihrer natürlichen Folge, und so werden wir diese Worte recht verstehen. Wenn der Herr sagt: „selig sind die geistlich arm sind:“ so will er die bezeichnen welche am meisten geschickt sind die Verkündigung des Himmelreichs sich zu nutze zu machen und anzueignen, und wenn er sagt „selig sind die um Gerechtigkeit verfolgt werden:“ so will er zuletzt die bezeichnen welche nun sicher sein können in dem Besitz des Himmelreichs. Das geistlich Armsein setzt voraus einen geistlichen Reichthum den Andre besitzen, und wenn nun in dem geistlich Armsein eine Seligkeit ist, so muß eine Unseligkeit sein in dem Reichthum, es ist also ein falscher, ein eingebildeter Reichthum: und der Herr sagt also, der erste Anfang in Beziehung auf die Seligkeit in ihm, das was zuerst in dem Menschen sein muß das ist daß er den falschen Reichthum fahrn lasse und vor dem der ihn ruft als geistig arm dastehe. Der falsche Reichthum damals war nichts anderes als die Einbildung die das jüdische Volk hatte, daß, weil sie Nachkommen waren deß den Gott geliebt hatte, sie auch im ausschließlichen Besitz aller Verheißungen wären: und auf der andern Seite setzten sie ihren Reichthum darin, daß, nachdem sie das Gesetz welches der Herr ihnen gegeben noch überfüllt | hatten mit allerlei einzelnen Regeln fürs menschliche Leben, sie sich nun rühmen konnten diese Satzungen wozu ihnen nun Alles geworden war, zu erfüllen. So ist also das Wort: selig sind die geistlich arm sind: dem, 1 Verfolg] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1036 und] sein, und, 33 deß] das 3–4 Vgl. Mt 5,20

8 dabei] dabei,

14 sein

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 5,2–10

5

10

15

20

25

30

35

40

129

daß sie sich hielten für reich und für etwas besonderes, entgegengesetzt, dem gleich wie Johannes der Täufer sagt: „Denkt nur nicht daß ihr bei euch wollt sagen: wir haben Abraham zum Vater: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken“: Und auf der andern Seite dem gleich was der Herr sagt durch das Gleichniß von Pharisäern und Zöllnern. So lange nun dieser falsche Reichthum der Menschen genügte so waren sie solche die wie der Erlöser sagt daß die Starken nicht des Arztes bedürfen: sie konnten nicht zu ihm kommen; denn sie standen fest in ihrer falschen Meinung und sprachen sich so über ihn aus: „glaubt auch irgend ein Oberster an ihn? sondern das Volk das nichts weiß vom Gesetz:“ Darum konnte er nicht anders als gleich anfangs sagen: „selig sind in Beziehung auf meine Verkündigung die die geistig arm sind,“ d. h. die die sich entweder nicht so bewußt sind der Gerechtigkeit, oder die, die weil sie nun lange genug das Joch des äußern Gesetzes getragen haben, nun einsehn daß das nicht das rechte sei und daß sie also nicht haben was sie zu haben meinten; Denn alle jene äußerliche Gerechtigkeit und Werkheiligkeit die kann der Mensch sich erwerben ohne daß doch das in ihm sei was allein der Ausdruck der Gemeinschaft mit Gott also der Grund aller Seligkeit ist, nemlich die Liebe, wie sie sich aus dem Erlöser so verkündet daß die Seinen in ihm erkannten die Herrlichkeit des Vaters, und wie er eben deshalb weil nichts in ihm war als die Liebe das Ebenbild und der Abglanz des göttlichen Wesens war. Und damit das Licht dieser Liebe den Menschen aufgehen konnte mußte erst aller falsche Reichthum verschwinden, sie mußten geistlich arm sein um in ihm die Fülle der Gottheit zu erkennen. Wenn nun aber der Herr hier zuletzt sagt: „Selig sind die die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden“: nun so hat er freilich die Gerechtigkeit darunter verstanden wornach er erst Liebe und Bestreben in den Menschen erweckt; denn er hatte vorher gesagt: „selig ist wen da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit: aber beruht denn darauf die Seligkeit in dieser seiner Gerechtigkeit daß wir deshalb verfolgt werden? ist das die Vollständigkeit des Himmelreichs daß noch Verfolgung und Widerstand in der Welt ist? Das wäre übel! Der Herr sagte zwar selbst in Beziehung auf das Bevorstehende in Israel: ich bin nicht gekommen um Friede zu bringen sondern das Schwerdt, aber er bezeichnet das doch nur als das vorübergehende, und allerdings kann da noch nicht die volle Beseligung sein wo es noch Streit giebt: aber wenn der Herr von denen spricht die während dieses Streits selig sind so will er nur die innre Beschaffenheit bemerklich machen die dazu gehört um sicher zu sein in der Beseligung durch ihn[.] Nicht als ob der Mensch müsse um sicher zu sein erst so gesättigt worden sein daß er nun nichts mehr bedürfte, sondern die Sättigung in der Gerechtigkeit wie weit sie eben gediehen ist, ist nur 2–4 Mt 3,9 5 Vgl. Lk 18,9–14 7 Vgl. Mt 9,12; Mk 2,17 21 Vgl. Hebr 1,3 24 Vgl. Kol 2,9 32–33 Mt 10,34

9–10 Joh 7,48–49

130

51r

Am 15. Juni 1828 früh

eine wirkliche wenn er das, dessen er sich erfreut, verbreiten will, wenn er nun jeder falschen Gerechtigkeit die Menschen sucht abzubringen eben dadurch daß er die Kraft der Wahrheit ihnen fühlbar macht um das lebendige Verlangen ihres Herzens dahin zu lenken wo sie Befriedigung finden können, und daß er das thut ohne Rücksicht darauf daß er deshalb verfolgt wird; das ist das was den innern Zustand bezeichnet von dem der Erlöser sagt daß darin der sichre und vollständige Besitz des Himmelreichs bestehe, die Seligkeit deren sich die die ihn hörten (seine Jünger) späterhin zu erfreuen hatten; denn für die, in ihren Verhältnissen zu der Welt, war es das Höchste daß sie tapfer dastanden, und indem sie dem Gebot des Herrn gemäß, überall ihn verkündeten, sein Kreuz auf sich nahmen und ihm folgten. Aber so ists doch auch in alten Zeiten – unabhängig freilich von allem was Verfolgung herbeiführt – dieselbe Treue, derselbe kräftige Wille ihm zu dienen, worin allein die volle Beseligung beruht, und nur die können sagen daß sie im Reich Gottes (im Himmelreich) sind, die auch eben so ganz ihre Kraft daran setzen es zu fördern und zu verbreiten. | Und nun laßt uns auf das sehen was dazwischen liegt und wovon der Herr sagt daß es auch da sein muß wenn die Seligkeit soll erreicht werden. Davon ist nun Einiges uns gleich klar, Anderes erscheint uns dunkel und nicht so wichtig und so laßt uns dieses zuerst durchnehmen. Wenn der Herr zu denen redet die ein Verlangen haben nach dem Reich Gottes, wie kann er sagen: „selig sind die Sanftmüthgen; denn sie werden das Erdreich besitzen“? Und wenn dann der Mensch sobald er dem Ruf des Herrn daß das Himmelreich nah ist mit dem ganzen Triebe seines Gemüths folgt, zu denen gehört von welchen der Herr sagt daß sie aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind also das ewige Leben schon haben wie kann er hier das hinzufügen: „selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Da schon, was den ersten Anfang der Seligkeit betrift, der Jünger den der Herr lieb hatte, sagt, es sei nicht sowol Barmherzigkeit sondern Treue, daß Gott die Sünde vergiebt, da er ja seinen Sohn uns gegeben habe: Dies beides ist am wenigsten deutlich; Und die Eigenschaften welche er hier als Bestandtheile dessen was zur Erlangung der Seligkeit gehört, darstellt, sind eben so einzelne und aus der Natur der Sele hervorgehende und dadurch bedingte wie alle andern einzelne Eigenschaften, und sie sind abhängig von den äußern Umständen; Denn Sanftmuth ist freilich eine schöne Eigenschaft und Barmherzigkeit ist auch gut, aber soll die Barmherzigkeit sich wirksam zeigen so gehört Äußeres dazu, und die Sanftmuth kann sich nur ganz als solche ausprägen wo eine ganz besondre, eigen12 allem] allen 25–26 Vgl. Joh 5,24 28–29 Schleiermacher identifiziert den sog. Lieblingsjünger mit dem Verfasser des 1. Johannesbriefes. 29–31 Vgl. 1Joh,8–9

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 5,2–10

5

10

15

20

25

30

35

131

thümliche Beschaffenheit der Sele ist, die nur Wenigen gegeben ist. Das sind nun solche Theile der Rede des Herrn welche eine Warnung davor waren wodurch sich die konnten verleiten lassen die ihn hörten, und die, weil sie Nachkommen Abrahams waren denen das gesegnete Land verheißen war, wenn sie hörten vom Himmelreich sich davon eine Vorstellung machten die nie getrennt war vom Irdischen denn immer schwebte ihnen dabei das Land vor, in welchem sie freilich schon lange wohnten aber als Fremdlinge; hörten sie nun vom Himmelreich so entstand das Verlangen nach dem vollen Besitz des Landes und nach der Freiheit vom fremden Joch, und das regte sie auf zu solchen Vorstellungen daß sie nicht anders dachten als durchs Schwerdt, durch die Wucht des Krieges sich das zu erstürmen was sie wünschten. Um nun das zu entfernen sagt der Herr: selig sind nicht die das meinen, sondern auch einen gesegneten Besitz des Irdischen giebt es nicht anders als den, der auf Gelassenheit und Gleichmuth ruht, er mahnt sie davon ab um solchen Strebens den innern Frieden in Gefahr zu setzen. Damit sie die Nichtigkeit des äußern Besitzes deutlich erkennen möchten und einsehn daß das Reich Gottes ein geistiges sei. Und damit hängt auch das andre zusammen: „selig sind die Barmherzigen“: Nemlich, so wie jenes so haben wir auch dies am meisten zu beziehen auf die äußre Seite des damaligen Lebens: selig sind die Barmherzigen das ists was der Erlöser auch so ausdrückt: „richtet nicht“: Richten, das ist der Barmherzigkeit entgegengesetzt, und was das heißt das kommt so oft in den Schriften des alten Bundes vor daß den Zuhörern des Herrn das nicht entgehen konnte was er damit meinte; jeder konnte wissen daß er der Barmherzigkeit bedurfte, denn da geschrieben steht: wer da bleibt in allen Worten des Gesetzes und thut sie der soll selig werden, wer aber nicht der ist verdammt: Davon also sollte jeder ausgehen daß er auch nach dem Maaßstabe der Barmherzigkeit bedurfte gemessen zu werden, und diesen sollten sie anlegen um andre zu messen die noch weiter zurückgeblieben waren hinter den Forderungen des Gesetzes. Damit wollte der Herr den Grund dazu legen daß die aufgenommen würden in die von ihm zu stiftende neue Gemeinschaft die scheinbar noch entfernter standen, den Grund zu der Gleichstellung der Heiden mit dem alten Volk Gottes, damit jene eben so Theilhaber würden der Seligkeit in ihm, denn dazu mußte freilich zuerst Barmherzigkeit geübt werden, wie es die Barmherzigkeit Gottes war daß er seinen Sohn in die Welt sandte da wir noch Feinde waren. | Und nun laßt uns zu dem Deutlicheren übergehn. Wenn der Erlöser anfängt nachdem er gesagt hat: „selig sind die die geistlich arm sind: selig 9 vom] von

25 denn da] denn dar (vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1389–1390)

21 Mt 7,1 Röm 5,10

25–27 Vermutlich eine Anspielung auf Dtn 10,8–22

35–36 Vgl.

51v

132

Am 15. Juni 1828 früh

sind die da Leid tragen“: so ist das eben die erste Stufe des Genusses, daß, wie er sagt, sie getröstet werden sollen. Wie sollen die nicht Leid tragen die es nun einsehn daß sie in falschem Bestreben begriffen waren, die sich dessen bewußt werden daß sie auch das nicht gethan haben was ihnen als das Rechte erschien, sondern ganz dem Vergänglichen gelebt haben! Dieses Leidtragen war nun in dem Gefühl der geistlichen Armuth das Erste was der Erlöser in den Menschen wirkte und auch die nur ruft er zu sich durch das Wort: „sie sollen getröstet werden.“ Und dies Wort legt den Grund zu allen Reden dieser Art. Und daß er sagt: „selig sind die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden“: Das hängt aufs Genaueste zusammen mit dem: selig sind die da Leid tragen: und selig sind die da geistlich arm sind: denn Eins ist durch das Andre bedingt. Erkennt der Mensch als nichtig was er für geistlichen Reichthum hielt, so muß in ihm entstehen ein Hunger und Durst nach der wahren Gerechtigkeit, und wenn er sich geplagt hat am Gesetz und um ihm alles leer erscheint, was er gethan hat, wie sollt es nicht natürlich sein daß ihm der Muth sinkt nach irgend etwas zu verlangen! Darum sagt der Herr: „selig sind die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit“ und will den Menschen Muth machen nach der bessern Gerechtigkeit zu verlangen, indem er sagt: „sie solln satt werden.“ Das ists was er so oft wiederholt, indem er z. B. sagt, er sei das Brod des Lebens, er sei es der durch den Glauben die Gerechtigkeit mittheile die vor Gott gilt, er habe das Wasser des Lebens und wer davon trinke den werde nicht dürsten ewiglich. Dieser Hunger und Durst der in ihm soll gestillet werden, das ist das Verlangen nach der lebendgen Gemeinschaft mit Gott durch ihn, das Verlangen nach dem ursprünglichen Verhältniß daß wir seine Kinder sind; denn diese Gemeinschaft mit Gott, die ist die Gerechtigkeit welche er denen mittheilt die an ihn glauben, und das ists was er sagt: es kann niemand zum Vater kommen als durch den Sohn. Das ist aber nicht das Werk eines Augenblicks; wenn auch plötzlich ein Licht in die Sele hineinscheint, vom Erlöser aus, um den Unterschied bemerklich zu machen zwischen dem Wahren und Falschen, so hört doch nicht in demselben Augenblick das Trachten nach dem Vergänglichen ganz auf, darum sagt der Herr: „selig sind die reines Herzens sind denn sie werden Gott schauen“; Wenn er sagt daß man in ihm den Vater schaue so kann daß nicht anders sein als so daß man den Abglanz der göttlichen Herrlichkeit in ihm sieht, ganz können wir ihn aber nicht erkennen als erst dann wenn wir ihm gleich sein werden; wenn er also hier sagt: „selig sind die reines Herzens sind denn sie werden Gott schauen“: so laßt uns jenes dazwischen setzen und sagen: ganz kann keiner in ihm den Vater schauen als in so fern er reines Herzens 11 zusammen] zusamm 20–21 Vgl. Joh 6,35

21 mittheile] mithheile 22–23 Vgl. Joh 4,14

38 werden] wird

28 Vgl. Joh 14,6

35 Vgl. Hebr 1,3

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 5,2–10

5

10

15

20

133

ist, in so fern als sein Wille wirklich rein dem Göttlichen zugewendet ist. Aber es kann das Eine nicht blos als vorausgehend und das andre als nachfolgend angesehn werden, vielmehr ist das Reinesherzenssein anfangs nicht vollständig, und die die zuerst sagten; „wir haben den Messias funden“, die waren doch noch lange nicht zur wahren und vollständigen Erkenntniß des Herrn gelangt, und nicht zur vollkommenen Reinheit des Herzens sie waren durch diese Erkenntniß des Herrn von vielem frei gemacht, aber nur in der vollkommenen Erkenntniß ist die vollkommene Reinheit und nur die, die durch ihn reines Herzens geworden sind, erkennen ihn ganz und in ihm den Vater, der sich in dem Sohn offenbart und ihn zum Heil der Menschen gesandt hat. Und wenn er sagt: „selig sind die Friedenstifter denn sie werden Gottes Kinder heißen“: so denken wir daran daß er es war der den Menschen die Macht gab Gottes Kinder zu werden und so ist er der Friedenstifter; denn aller Streit hört auf wenn die sich um den Einen versammeln, der aus Allen Einen Menschen Gottes macht, und hat sie Feindschaft getödtet durch sich selbst. So sind auch nur die Friedenstifter, die sich selbst dazu geben die Menschen zu sammeln um ihn, und nur die auch sind Kinder Gottes. Und wenn nun dieses Bestreben aus reinem Herzen hervorgegangen dann wird die Kraft des Friedens uns in den Stand setzen Alles zu tragen was in diesem Beruf uns treffen mag und das ist dann der volle Besitz des Himmelreichs, in dem Bewußtsein daß wir in seinem Dienst keine Trübsal scheuen, und daß uns nichts scheiden kann von der Liebe Gottes die da ist in Christo Jesu.

7 vielem] vielen 16 nur die] nur die, Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1268–1269) 4 Joh 1,41

22–23 Vgl. Röm 8,38–39

17 sammeln] sammlen (vgl. Adelung:

Am 22. Juni 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

3. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 5,6–7 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 52r–53v; Woltersdorff Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Aus der Predigt am 3. S. nach Tr. 28. 1. Petr. 5, 6. 7.

52r

Wenn wir diese Worte des Apostels vernehmen, so wird es uns wol Allen, nach der Regel der menschlichen Schwachheit, so ergehen, daß wir dabei zuerst denken an die mannigfachen Verwicklungen des irdischen Lebens, daß wir daran denken wie oft der Mensch sich seinen Weg vorgezeichnet mit Sicherheit, aber es geht ihm dann ganz anders als er dachte, wie oft er alle Weisheit anwendet um etwas zu verhüten oder zu bewirken, aber es zeigt sich dann daß es nichts hilft, wie oft er ausgeht von dem Bewußtsein der Kraft, aber es bewährt sich hernach nicht: Das ist aber nicht der Sinn in welchem der Apostel diese Worte geredet zu jenen Christen; denn von dem Tichten und Trachten nach dem Vergänglichen hatte er sie schon für erlöset gehalten; das hat er für sie im Sinn gehabt daß sie längst das Wort des Herrn gefaßt hatten, daß es für den der an ihn glaubt nur ein Trachten gebe, nemlich, das Trachten nach dem Himmelreich und daß er alles Andre ansehn müsse als das was uns dann von selbst zufällt nach dem Willen des Vaters. Und wenn er vorher sagt: „haltet fest an der Demuth, denn Gott widerstehet den Hoffärtigen aber den Demüthigen giebt er Gnade“: so wissen wir ja wol, daß Alles von Oben her kommt und alle Unterstützung im Irdischen Leben dem Höchsten angehört, aber es ist nicht das Gebiet der Gnade. Der Apostel bezieht also das Demüthigsein nicht auf das äußere Leben, und wie es damals stand um die Gemeinde so waren ja auch keine da welche hätten höffärtig sein können, sondern er meint den geistigen Hochmuth des Herzens, das leere und eitle Selbstvertrauen des Menschen auf dem geistgen Gebiet. Wenn er also sagt: „Demüthiget euch unter die [Zu Z. 25–6 rechts am Rand:] Demüthigen sollen sie sich, weil sie nicht sich selbst sondern allein dem alles zuschreiben können von dem alle Gute Gabe kommt. 17–18 1Petr 5,5

5

10

15

20

25

Predigt über 1Petr 5,6–7

5

10

15

20

25

30

35

135

gewaltge Hand Gottes“: so meint er unter: die gewaltge Hand Gottes: das was ihnen durch Gottes Fügung Wichtiges und Unerwartetes widerfährt im geistigen Leben. Und so laßt uns nicht nach Unten, nicht auf die äußern Angelegenheiten der Welt sehn, sondern in die geheimen Tiefen des Herzens hinein, und laßt uns den Rathschlag des Apostels auffassen als uns mitgegeben auf den Weg der Heilgung. Das sei es womit wir uns jetzt unter Gottes Beistand beschäftigen. Es sind aber zweierlei Rathschläge welche der Apostel uns giebt, nemlich: 1. So demüthiget euch unter die gewaltge Hand Gottes 2. Sorget nicht, denn er sorget für euch. 1. Zuerst laßt uns fragen: was ists daß wir uns demüthigen sollen unter die starke Hand Gottes? preisen wir nicht seine Gnade und Barmherzigkeit daß er seinen Sohn für uns gegeben als wir noch Feinde waren? Ist nicht dadurch daß er seinen Geist in unser Herz gegeben die Liebe Gottes ausgegossen, ruft er nicht in uns das Abba? Was ist also die starke Hand Gottes unter die wir uns demüthigen sollen? wir die wir den Vater schauen, sind wir nicht durch seine Gnade wiedergeboren und dem alten Menschen nach begraben in den Tod Christi und auferstanden zu neuem Leben, und ist das nicht ein geistig Leben von Gott geboren? hat es nicht die Verheißung daß es gelangen soll zur Aehnlichkeit Christi? Ja wohl! Und das ists nicht allein was der Apostel meint in den Worten unsers Textes daß wir das neue Leben nicht sollen ansehn als ein selbsterworbnes, sondern als die höchste Gabe Gottes und uns bewußt sein sollen daß von ihm das Wollen kommt: das ists nicht allein, sondern mitten in dem Bewußtsein der Gnade Gottes, mitten in dem Besitz des Geistes, mitten in der köstlichen Zuversicht in der wir sagen: „nicht ich lebe, sondern Christus in mir“: mitten in dem köstlichen Besitz und geistlichen Reichthum sollen wir wissen daß noch die starke Hand Gottes über uns ist und daß er es ist von dem nicht nur das Wollen, sondern auch dann noch wenn das Wollen schon befestigt ist, das Vollbringen kommt. So laßt uns denn fragen: wie ists mit dem Wachsthum des Menschen in der Heiligung? Kann irgend Einer darauf rechnen daß er sich seinen Weg vorzuzeichnen wisse in dem Gebiet der göttlichen Gnade? Kann er sagen: das wisse er gewiß daß er so und so fortschreiten werde in der Heilgung und durch dies und jenes was ihm bevorstehe, werde bis zu einem bestimmten Ziele | gelangen? Dies und jenes von menschlicher Schwachheit sei schon jezt abgestreift und könne gar nicht mehr vorkommen in seinem Leben: wer vermögte es zu sagen! Das deuten diese Worte an: sie sind die eines vielgeprüften aber auch bewährten Dieners des Herrn, 14 Vgl. Röm 5,10

14–16 Vgl. Röm 5,5

27 Gal 2,20

29–31 Vgl. Phil 2,13

52v

136

Am 22. Juni 1828 vormittags

sie sind die Worte dessen der sich erst mußte gedemütigt haben, ehe der Herr ihm auftrug seine Schaafe zu weiden. Ja, wenn wir unsern Weg in dem schönen Gebiet der göttlichen Gnade hingehen und wir hoffen, daß dabei, was uns auferlegt ist zu thun in dem Weinberge des Herrn diese und jene Gabe des Geistes hervorkommen werde, und hoffen daß dazu was der Herr uns aufgetragen er auch die Kraft uns verleihen werde: so ists recht daß wir das hoffen denn der Herr hat es ja verheißen, aber laßt uns dabei immer denken an die starke Hand Gottes die etwas herbeiführen kann wodurch wir erfahren daß wir noch nicht so weit gediehen sind in der Heilgung als wir dachten, daß Hindernisse kommen können die schwerer zu überwinden sind als wir meinten, daß in uns selbst Hindernisse sein können und Geheimnisse die wir noch nicht kannten, daß Alles wieder erwachen kann in uns was längst bezwungen schien, wenn der Herr solches herbeiführt durch welches sich zeigt daß wir den Geist Gottes nur haben nach dem Maaß und daß kommen kann was das Maaß überschreitet das wir wirklich schon haben. Daran laßt uns immer denken und darauf gefaßt sein und uns nicht überheben: Das ist die Demüthigung unter die starke Hand Gottes! Und gewiß, jeder der sein Leben aufmerksam betrachtet und sich Rechenschaft ablegt von allen ihm zu Theil gewordenen Hülfsmitteln der göttlichen Gnade u. s. w. der wird auch die starke Hand Gottes oft erfahren haben! das ist das menschliche Geschick, das ist die verborgne Weisheit des Höchsten, deren Verborgenheit uns viel tiefer trift und stärker schlägt als Alles was sich auf gesellige Verhältnisse, als aller Verlust der sich auf das was zum schönen Besitz der Liebe gehört, bezieht! – Das Leben welches wir hier führen, nachdem wir zu dem ewigen Leben erwacht sind, es ist ein Zustand der Prüfung, worin das sich allmählig immermehr bewähren soll wozu wir erwacht sind und wenn wir gewohnt sind es so zu betrachten so thun wir es auch in Beziehung auf Alles: wo nur ein Abschnitt sich schließt, wo die Verhältnisse sich anders gestalten, wo Besonderes zu arbeiten vorhanden ist, da erwarten wir saß wir durch die Gnade Gottes größre Fortschritte machen werden in der Heiligung: So heißen wir die Schule des Kreuzes willkommen, so freuen wir uns des ebenen Weges wenn er vor uns liegt; wir wissen wir werden unterstützt und erleuchtet von Oben. Aber wenn dann ein solcher Abschnitt vorüber ist, dem wir mit so freudiger Erwartung entgegengingen, entsprechen die Fortschritte, die wir wirklich gemacht haben, unsrer Erwartung? haben wir erlangt was wir hätten können erlangen? O so wollen wir uns denn demüthigen unter die starke Hand Gottes! Auch das ist ein Werk der göttlichen Liebe daß er uns zeigt wie unsicher und schwankend noch Alles in uns ist, wie wir nicht in Beziehung auf die Zukunft von uns selbst abhängen sondern wie die starke Hand Gottes bald Erleichterungen herbeiführt, bald auch die Stunde der Versuchung aus der 1–2 Vgl. Joh 21,16–17

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 5,6–7

5

10

15

20

25

30

35

137

wir lernen wie groß die Schwachheit noch in uns ist; denn auch durch jede nicht glücklich bestandne Stunde der Versuchung sollen wir inne werden daß von dem Herrn jedesmal das Vollbringen kommt, daß in jedem Augenblick die Kraft von ihm ausgehen muß durch die wir überwinden, wir sollen es einsehen wie unstätt alle Tugend ist und wie unzuverlässig: Wenn wir uns so demüthigen unter die starke Hand Gottes und erkennen auch das als Werk seiner Liebe, daß er so uns demüthigt wenn wir die Weisheit Gottes verehren lernen, dann wird er uns erhöhen zu seiner Zeit! Er allein ists der die Fäden zu Allem in seiner Hand hat, er allein ists in dem das Leben Christi seinen Grund hat, in keinem ists auf solche Weise gegründet daß er allein und für sich selbst zur Vollkommenheit gelangen und sich auf sich selbst verlassen könnte, sondern Ein Grund ists in welchem alles göttliche Leben zusammenhängt in einem schönen Bau, der nur so vollendet werden kann; und jeder der sich dünkt für sich etwas zu sein, der ist gefangen in Unverstand, der verkennt noch die göttliche Liebe in dem Sohn Gottes; denn in seiner Gemeinde ist Alles gemeinsam und Alles ist nur das Werk des Einen der Alles in Allem ist, er kehrt Alles zum Besten, auch das, wenn wir die starke Hand Gottes erfahren die uns demüthigt; denn das wird den Andern zur Warnung und zur Lehre, es knüpft das Band der Gemeinschaft fester, indem wir dadurch uns bewußt werden daß wir nicht uns selbst genug sind, sondern unsre Hand ausstrecken müssen nach Hülfe, selbst auch von den schwächern Brüdern. | Wenn wir uns so demüthigen unter die starke Hand Gottes, wenn wir es so als sein Werk ansehn, daß das Bewußtsein immer von neuem in uns angeregt wird daß wir noch schwach sind und immerfort seiner Gnade bedürfen, daß wir bald rascher bald langsamer fortschreiten in der Heilgung und daß wir traurige und frohe Erfahrungen machen im geistigen Leben, dann erhöht er uns zu seiner Zeit d. h. dann kommen nach den trüben Zeiten wieder Zeiten der Erquickung von Oben, dann erfrischt sich zur rechten Stunde das geistige Leben wieder und der gedemüthigte Geist erhebt sich nun den zu preisen dessen Gnade mächtig ist in den Schwachen: so daß wir sagen können: „wir vermögen Alles durch den der uns mächtig machet – Christus:“ Das ist die Eine Erhöhung auf welche wir hoffen, daß wenn wir den Willen Gottes und den Zweck unsers Daseins recht verstehen, wir durch Alles was uns zur Demüthigung gereicht, immermehr bereitet werden zu treuen, zuverlässigen und kräftigen Werkzeugen in seinem Reich! Wer wird es nicht von sich sagen müssen daß er oft lange Zeit hindurch nicht ein Gefäß der Ehre Gottes gewesen ist, nicht weiter gekommen ist in [Zu Z. 38–2 rechts am Rand:] P[reis] und L[eben] 9 Allem] Allem, 31 Vgl. 2Kor 12,9

32–33 Vgl. Phil 4,13

53r

138

Am 22. Juni 1828 vormittags

der Heilgung, aber jemehr uns das zur Demüthigung gereicht hat so machen wir die Erfahrung von dem großen Wort des Apostels daß denen die Gott lieben alle Dinge, also auch die Stunden der Schwachheit, zum Besten dienen; denn jemehr wir uns demüthigen um desto mehr erhöht uns durch die Prüfung hindurch der Herr zu seinem Dienst, wir erreichen dadurch das Köstliche daß das Herz fest wird, es wird dadurch allmählig der Gang durchs Leben sicher und wenn es sich seinem Ende naht als dann gewinnt der Vielgeprüfte die Zuversicht: das was nun noch übrig ist in der That dem Herrn zum Preise zu leben, und er sieht mit Dank zurück und mit Hoffen vor sich daß der Herr ihn noch anders erhöhen werde zu seiner Zeit. Das ist der Rathschlag des Apostels welcher sich auf die Gegenwart bezieht, und so laßt uns ihn uns aneignen, damit wir immer bereit sind uns zu demüthigen unter die starke Hand Gottes wodurch wir unsre Gebrechlichkeit erfahren. Jemehr nun wir davon durchdrungen sind um so leichter können wir versucht werden mit Sorge in die Zukunft zu sehn; denn hat es Zeiten gegeben wo die Kraft des neuen Lebens sich nicht höher gehoben und mehr Raum gewonnen hat, wie leicht ist zu besorgen daß sie sich verberge und daß der alte Mensch wieder Kraft gewinne und herrsche; je öfter uns das begegnet daß das was wir im Vertrauen darauf daß es uns fördern werde willkommen heißen, nicht solche Frucht getragen hat als wir hofften, desto leichter können wir besorgen es sei Alles vergebens was der Herr uns auch entgegenführe, wir werden doch nicht weiter können in dem Wege der Heiligung, in dem Genuß des Friedens mit Gott. Was sagt der Apostel nun in dieser Beziehung? wie lautet sein Rathschlag? 2. „Sorget nicht, sondern all eure Sorge werfet auf ihn; denn er sorget für euch:“ Und diese Worte führen uns zu ähnlichen Worten des Erlösers die sich eben freilich – weil er es zu thun hatte mit Menschen deren falsche Begriffe vom Reich Gottes er erst beseitigen mußte – mehr aufs Äußre beziehn. Wie er da sagt: sorget nicht, denn keiner vermag seiner Länge eine Spanne hinzuzusetzen, keiner vermag den Gang seines Lebens zu leiten, es ist genug daß ein jeder Tag seine eigne Plage habe. Diese Worte nimmt der Apostel auf und wendet sie aufs Geistige an, meint also: auch geistiger Weise: sorget nicht was ihr essen oder trinken werdet; denn der Vater im Himmel weiß was ihr bedürfet und er weiß es besser als ihr: Hier könnte man freilich sagen: der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern von jeglichem Wort das aus dem Munde Gottes gehet, aber hier ist beides das2–4 Vgl Röm 8,28 5–6 Vgl. Hebr 13,9 31–33 Vgl. Mt 6,27.34 Mt 6,25.32 37–38 Mt 4,4 (Zitat aus Dtn 8,3)

35–36 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 5,6–7

5

10

15

20

25

30

35

139

selbe: das ewige Wort das ist das Brod des Lebens und es giebt keine andre Nahrung und Kräftigung des geistigen Lebens als aus dieser Quelle. Aber doch hat das Wort auch hier seinen tiefen Sinn; denn was in Beziehung auf das geistige Leben und dessen Gesundheit dem Menschen zuträglich ist, das ist freilich immer nur Eins, es ist das ewige Wort Gottes, | aber es wird uns dargeboten unter vielerlei Gestalten, und je öfter wir uns geirrt haben wenn wir es auf diese oder jene Weise gebrauchen wollten zum Heil, desto eher sorgen wir, wie es uns in Zukunft damit gehen wird. Der Apostel aber sagt[:] sorget nicht! ihr würdet euch doch schlecht rathen wenn ihr für euch sorgen solltet; der Herr weiß was euch am heilsamsten ist, verlaßt euch auf ihn und haltet fest an dem Glauben daß was er euch auch schickt, immer seine Gabe der Liebe ist, sei es liebliche Kost, oder die die mit den Thränen der Reue gewürzt ist: es ist immer das Brod des Lebens; er versteht für euch zu sorgen. Aber freilich, davon hat uns der Herr nicht entbinden wollen daß jeder Tag seine eigne Plage habe, sondern das sagt er eben daß es so sei und daß es damit genug sei. Und nur dadurch können wir aller Sorge für die Zukunft überhoben sein in Beziehung auf die geistige Nahrung, wenn wir jeden Tag das genießen was der Herr uns baut und das thun was uns der Herr zeigt daß wir es thun sollen und dabei werden wir nicht so leicht in Gefahr kommen uns zu irren; denn die Vorschrift des Herrn für die nächste Stunde ist immer deutlich genug wenn wir nur auf ihn gerichtet sind. Thun wir also immer gleich was er will daß wirs thun sollen; dann ists der Herr allein der für die Zukunft sorgt: wenn wir nur immer sind wie der Knecht den der Herr wachend findet und treu im Geringen, wolan so können wir dem vertrauen daß wenn wir treu gewesen sind im Kleinen er uns wird über mehr setzen und so unser geistig Leben immer mehr nähren und stärken wird. Seht da, das ist der schöne Zusammenklang von Demuth und Vertrauen wie der Apostel sagt: Demüthigt euch aber sorget nicht: Aus diesen beiden sind die Kräfte des Lebens zusammgesetzt, nur in diesem Verein fühlen wir den Frieden den der Herr gebracht hat. – Dazu ist das irdische Leben daß wir sollen geprüft werden und es wird nie fehlen an dem was uns demüthigt und genug haben daran aber laßt uns auch fest halten an dem Vertrauen auf den Geist Gottes der in uns ruft: lieber Vater, und uns bei ihm vertritt, und daß denen die den Herrn lieben alle Dinge zum Besten dienen auch das wodurch sie im geistigen Leben die starke [Zu Z. 1–4 rechts am Rand:] von jeglichem Wort das aus dem Munde Gottes gehet

17 überhoben] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 756–757 14–16 Vgl. Mt 6,34 23–24 Vgl. Lk 12,37 24 Vgl. Lk 16,10 25–26 Vgl. Mt 25,21 33 Vgl. Röm 8,15 34 Vgl. Röm 8,26 34–35 Vgl. Röm 8,28

53v

140

Am 22. Juni 1828 vormittags

Hand Gottes und die Schwachheit alles menschlichen erfahren. Wenn das beides immermehr Eins in uns wird, dann dringen wir hindurch zu der Freiheit der Kinder Gottes, zu der Freiheit über den Wechsel des Irdischen. Und bleibt freilich das Ziel vor uns liegen, nähern wir uns ihm nicht so schnell als wir hofften, so wissen wir doch wir trachten ihm nach; denn nicht umsonst ist das Geheimniß der göttlichen Liebe offenbart, nicht umsonst der Geist Gottes ausgegossen und dem Tode der Sieg genommen, und nicht ist der Tempel Gottes erbaut daß er zerstört werde, sondern daß er immer herrlicher sich erhebe! Und so laßt uns immer das Wort zu Herzen nehmen: Laß dir – wenn der Herr dich demüthigt – an seiner Gnade genügen: wirf dein kindlich Vertrauen nicht weg! Aber wenn der Apostel hinzufügt in Beziehung auf die Last und Mühe jeder Stunde seid nüchtern und wachet, so fällt uns das dabei ein: wohl dem Knecht den der Herr wach findet: d. h. also: seid wach und nüchtern und besonnen und ihr werdet zur rechten Stunde eure Zuflucht nehmen können zu dem der Allen die Kraft des Siegs eintheilte, und so haben wir nichts zu fürchten vom Widersacher, sondern gedemüthigt unter die starke Hand Gottes, sind wir unter dem Schutze der Vaterhand, und werden durch ihn erhöht werden zu seiner Zeit und als solche die ihre Sorge auf den Herrn werfend ihm vertrauen werden wir den Weg des Lebens immer ebner finden bis wir endlich dahin gelangen wo aller Wechsel schwindet und unsre Demuth und unser Vertrauen Eins wird indem wir ihn sehen und erkennen werden wie er ist!

[Liederblatt vom 22. Juni 1828:] Am 3. Sonnt. nach Trinitatis 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Eins ist noth, ach etc. [1.] Herzog unsrer Seligkeiten, / Führ uns in dein Heiligthum; / Hilf daß wir uns recht bereiten, / Zu verkünden deinen Ruhm! / Laß unsere Bitte dein Herze jezt rühren, / Du hast uns erkauft, und du wirst uns auch führen, / Wir wollen dem Vater zum Opfer da stehn, / Und in der Gemeinschaft der Leiden hingehn. // [2.] Er hat uns zu dir gezogen, / Und du ziehst zu ihm uns hin; / So hat Liebe überwogen / Unsers Herzens starren Sinn. / Drum wollen wir freudig in dir auch absterben / Der Welt und des eigenen Herzens Verderben. / In deinen Tod, Herr, laß gepflanzet uns sein, / Sonst dringen wir nimmer zum Leben hinein. // [3.] Denn noch immer sucht die Sünde / Soviel Vorwand 10 Vgl. 2Kor 12,9 Lk 12,34

10–11 Vgl. Hebr 10,35

12–13 Vgl. 1Petr 5,8

13–14 Vgl.

5

10

15

20

Predigt über 1Petr 5,6–7

141

überall, / Wie sie unsern Willen binde, / Und bereit’ uns neuen Fall. / O laß sich dein neues erstandenes Leben / In unsern erkalteten Herzen erheben; / Laß deine vollkommene Klarheit uns sehn, / Auf daß wir als neue Geschöpfe erstehn. // [4.] Kehre die zerstreuten Sinnen / Aus der Vielheit in das Ein, / Daß sie wieder Raum gewinnen / Nur von dir erfüllt zu sein. / Dein Eden erblüh’ in den Seelen der Deinen, / Und bald laß die selige Stunde erscheinen, / Wo du dich in allen Erlösten verklärst, / Und allen auch hier schon das Leben gewährst. // Nach dem Gebet. – Mel. Die Tugend wird etc. [1.] O daß ich Gott erkennen lernte, / Und wandelte den Weg des Rechts! / Daß ich vom Eitlen mich entfernte; / Denn ich bin göttlichen Geschlechts. / Der Herr ist über alle Schäze, / Er ist und bleibt das höchste Gut; / Und wenn ich mich an ihm ergöze, / So fühl’ ich wo man sicher ruht. // [2.] Denn was hier herrlich scheint auf Erden / Ist wie ein Rauch, der schnell vergeht; / Ein Reichthum der geraubt kann werden / Ist Lust die nur im Traum besteht. / Ein solcher Schaz wird nicht besessen, / Und solcher Trost schwächt nur den Muth; / Die ird’sche Freud’ ist leicht vergessen, / Gott aber ist ein ew’ges Gut. // [3.] Durch Lieb’ allein ward er bewogen, / Daß er uns arme Menschen schuf, / Und als die Sünd’ uns ihm entzogen, / Uns wieder rief mit heilgem Ruf. / So, Seele, sucht er auch noch heute, / Wie er mit Liebe dich umsah, / Schenkt gern dich seinem Sohn zur Beute, / Und bleibt dir dann in Gnaden nah. // [4.] Er überschüttet dich mit Segen, / Er speiset dich mit Himmelsbrodt; / Er ist dein Licht auf deinen Wegen, / Und führt dich mächtig aus dem Tod. / Er tränkt dich aus den Lebensbächen, / In Nöthen stehet er dir bei; / Im Kreuz wird er dir Heil versprechen, / Und stets bleibt seine Liebe neu. // [5.] O Seele, die dies Gut darf schmecken / Und seine Kraft erfahren hat, / Laß immer stärker dich erwecken, / Und such’ es eifrig früh und spat! / Ja ringe drum mit heißen Thränen, / Nichts halte dein Verlangen auf; / Beginne stets mit neuem Sehnen, / Nichts locke dich vom rechten Lauf! // Nach der Predigt. – Mel. Wie wohl ist mir etc. Laß meine Hoffnung nicht erliegen, / Hilf daß dein Kreuz ihr Anker sei; / Mit dir kann ich die Furcht besiegen, / Dein Tod macht mich von Schrecken frei. / Die Welt mag auf das Eitle bauen, / Ich aber will auf dich nur schauen, / O Jesu, wahrer Hoffnung Licht. / Ich will in Trübsal dich umfassen, / Du wirst den schwachen nicht verlassen, / Denn deine Liebe wanket nicht. //

Am 29. Juni 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

54r

4. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 2,5–12 Nachschrift; SAr 67, Bl. 54r–55r; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „5–11“

Aus der Predigt am 4. S. nach Tr. 28. Mar. 2, 5–12. In allen Erzählungen der Evangelisten von dem Leben des Erlösers ist dies der erste Fall dessen sie erwähnen wo er bestimmt zu einem Einzelnen die großen Worte gesprochen durch welche er den herrlichsten und eigenthümlichsten Theil seines Berufes ausübte, nemlich die Sünde zu vergeben wie er hier sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben:“ und es ist dankenswerth daß wir einen dreifachen Bericht davon haben. Unser Evangelist und Lucas erzählen beide, Christus sei nach Capernaum zurückgekehrt und eine große Menge Volks habe ihn umgeben und sei ihm gefolgt in ein Haus wo er redete und die die den Gichtbrüchigen trugen, daß er ihn heilete, konnten nicht hinein und mußten ihn aus dem Dach hinunter lassen in den Saal wo Christus von seinen Zuhörern umgeben saß. Und als er ihren Glauben sah sprach er diese Worte. So war also von dem Glauben derer die Rede welche den Gichtbrüchigen zu dem Herrn brachten, und auch wol nur von solchem Glauben, der die Ueberzeugung war, daß er im Stande sei ihn zu heilen. Dieser Glaube an Christum beruhte auf Erfahrung und er konnte sein auf zweifache Weise nemlich 1. indem sie ihn als Wohlthäter der Menschen ansahen, aber er konnte auch [2.] mal so sein daß der Glaube damit zusammhing er sei der der da kommen sollte und in Beziehung auf diesen Glauben hat der folgendes gethan was er that. Aber dieser Glaube mußte freilich auch in dem sein den sie trugen; denn wenn in ihm nicht die sichre Hoffnung gewesen wäre die auch sie hätten so wär es gar nicht dazu gekommen daß sie ihn hintrugen zum Herrn. Als der Herr nun das gesprochen und die Schriftgelehrten die dabei waren leise sprachen oder dachten: „wer 7–8 Neben dem Markusevangelium bieten auch die Evangelien nach Matthäus und Lukas die Erzählung; vgl. Mt 9,1–8; Lk 5,17–26. 8–13 Vgl. Mk 2,1–4; Lk 5,17–19

5

10

15

20

25

Predigt über Mk 2,5–12

5

10

15

20

25

30

35

143

kann Sünde vergeben denn allein Gott:“ so lag wol in dem was Christus ihnen erwiederte keinesweges ein Tadel dessen daß sie gesagt, niemand könne Sünde vergeben als Gott, denn wenn das nicht mehr gewesen wäre was er sagte daß er und der Vater Eins seien, so hätte er sich auch das nicht anmaßen können, wie er überzeugt war daß das nur Gott kann und wie er es nur vermochte und ausübte in der Einheit mit ihm. Denn wie eben der Zustand des Menschen in Beziehung auf den göttlichen Willen nichts ist als ein Verhältniß zwischen Gott und dem Menschen, so kann nicht ein dritter sich dazwischen stellen denn solches kann nur geschehen wo ein Dritter ein Größrer sein also einen Einfluß haben kann auf das Verhältniß zweier: wo eben vom Verhältniß des Menschen zu Gott die Rede ist da kann nicht ein Dritter als Vermittler gedacht werden, darum und eben deswegen mußte Gott in Christo sein um die Welt sich zu versöhnen und in der That und Wahrheit die Sünde zu vergeben. – Wenn wir nun das allerdings ganz natürlich finden sobald wir uns einmal auf das innerste und heiligste Gebiet des Glaubens stellen, so muß uns doch das auf den ersten Anblick wundern auf welche Weise das Sündevergeben hier zusammgestellt ist mit der leiblichen Hülfe denn indem der Herr sagt: „bedenket doch was leichter ist zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben, oder: steh auf und wandle“: Indem er das sagt so kann es ohnmöglich seine Meinung gewesen sein daß das Letzte größer sei und daß mehr dazu gehöre leiblich zu halten als geistlich. Wenn es nun also dabei bleiben muß daß Sündenvergeben größer ist als Krankheit heilen, wie kann denn der Erlöser weiter sagen: aber daß ihr seht daß des Menschensohn Macht habe die Sünde zu vergeben so sag ich nun steh auf und wandle? Denn wenn das Sündevergeben das Größre ist und das Wiederherstellen der körperlichen Gesundheit das Kleinere: so kann man nicht von dem Kleinern auf das Größere schließen und der der die Macht hatte die kranken Glieder wieder herzustellen der konnte deswegen nicht das Recht und das Vermögen haben die Sünde zu vergeben. Es konnte auch eines solchen Beweises nicht bedürfen; denn das wußten sie aus früherer Erfahrung und aus den Erzählungen der Andern daß Christus schon bei seinem ersten Auftreten die Menschen von Uebeln befreit hatte, das Gerücht ging von ihm her daß er viele gesund gemacht, und darauf gründete sichs daß sie hernach eine große Menge Kranke zu ihm gebracht, und eben darum kamen auch die mit dem Gichtbrüchigen, hatte also das daß er heilete sollen ein Beweis sein daß er vermochte Sünde zu vergeben so hätte er [auf ] frühre | Thaten hinweisen können, es hätte aber dazu keiner neuen bedurft. Darum hat es damit eine andre Bewandniß daß der Herr seine Rede so stellt. Der Gichtbrüchige ward zu ihm gebracht daß er ihn 4 seien] sei

25 wandle?] wandle:?

4 Vgl. Joh 10,30

13 Vgl. 2Kor 5,19

30–34 Vgl. Mk 1,23–45

54v

144

Am 29. Juni 1828 früh

heilen sollte, so war also das leibliche Bedürfniß das erste was sich ihm darstellte und da der Herr nun sagte: „deine Sünden sind dir vergeben“: so können wir nicht anders als annehmen daß das körperliche Leiden eine Folge von seinen Sünden und daß Christus das gleich erkannte und nun da er seinen Glauben sah ihn zuerst befreite von dem was seine Seele niederdrükte und dann erst zu den Umstehenden das sagte daß nun auch die Folge dessen aufgehoben sei. Also nicht deswegen weil aus dem wunderthätigen Vermögen folgt daß er die Macht hatte die Sünd zu vergeben, sondern weil das Leiden in der Sünde seinen Grund hatte und weil dieser Grund nun aufgehoben war, so sagt der Herr damit ihr wißt daß das geschehen ist so will ich nun auch das zweite sagen nemlich: „stehe auf und wandle“: Denn freilich, das gehört wol mit zu der Wahrheit des Sündevergeben, daß das in der Sünde entstandne Uebel, nemlich die Lähmung der Kraft, aufhöre. Und das ist das Wahre in dieser Begebenheit und in der Handlungsweise des Herrn: und in diesem Sinn können wir sagen: das ist der Beweis daß er die Macht hatte die Sünde zu vergeben, daß er sagen konnte: „aber nun steh auch auf und wandle.“ Dazu gehört nemlich zweierlei: Laßt uns absehen davon daß das ein leiblich Gebrechen war wovon der Herr den Menschen heilte und laßt uns darauf sehn was durch die Sünde und dadurch daß sie als solche erkannt wird entsteht: dann aber auch wie sie wirkt durch die natürliche Folge an und für sich. Wenn wir nun auf das Erste sehn so beschreibt uns der Psalmist [ ] meine Kraft ist gelähmt [ ], als ich meine Sünde verschweigen wollte. Das ist die Wirkung des gedrükten Gewissens welches aus der Erkenntniß der Sünde hervorgeht und wir müssen gestehen: nur dann ist in Wahrheit die Sünde vergeben wenn zugleich alle geistige Schwäche, welche aus dem Bewußtsein der Sünde entstanden, aufgehoben ist, das ist dann erst der rechte Beweis daß der Mensch des Trostes theilhaftig worden, und daß das Bewußtsein der Sünde von seiner Seele genommen; Denn wie sollten wir nicht gestehen müssen es sei etwas ganz Leeres mit der Hoffnung daß die Sünde vergeben sei, wenn die Unruhe des Gewissens und die Folge davon nicht aufgehoben ist; denn das Behalten der Sünde und das Bewußtsein derselben ist ja Eins! Wie vermag aber wol alles das von der menschlichen Sele hinweggenommen zu werden, wenn doch das nicht vergessen werden kann, daß die Sünde wirklich sein innrer Zustand gewesen ist? Nur 22 meine ... gelähmt] davor und nachfolgend Lücken durch durchgehende waagerechte Striche gekennzeichnet 22 gelähmt] gelämt 22–23 Vermutlich sind hier die ersten Verse von Psalm 32 gemeint: „Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! Wohl dem Menschen, dem der HERR die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist! Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen.“ Ps 32,1–3

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 2,5–12

5

10

15

20

25

30

35

40

145

dadurch kann es geschehen daß er eine andre Ansicht von der Sünde bekommt. Wenn der Apostel sagt, daß die Sünde eine Feindschaft wider Gott ist, so ists eine Entfernung von Gott, ein Gegentheil des Zustandes in welchem der Mensch strebt den Gedanken an Gott fest zu halten und in seiner Gemeinschaft zu leben. Wenn also dem Menschen die Sünde soll vergeben werden, so muß er in das Verhältniß mit Gott gebracht werden daß er wieder Lust und Liebe hat an Gott und an dem Bewußtsein Gottes, und dann ist die Entfernung aufgehoben, und es ist dann nicht anders möglich als daß er von der Sünde eine andre Ansicht bekömmt; denn indem er nun weiß daß er Gott und die Liebe zu Gott fühlt, nur so weiß er auch das gewiß, daß denen die Gott lieben Alles zum Besten dient, er erkennt das daß sein Gewissen so geänstigt werden mußte als den Weg den die göttliche Barmherzigkeit mit ihm gegangen um ihn in die Gemeinschaft Christi zu führen, und sobald der Mensch diese Ansicht bekommt so ists natürlich daß er dafür Gott lobt weil er dadurch auf den Weg des Heils geleitet ist, und so ist das Bewußtsein der Sünde und die daraus entstandne Unruhe des Gewissens hinweg genommen. Das Zweite was hinweggenommen werden muß wenn die Sünde soll vergeben werden, ist das was die Sünde hervorbringt an und für sich selbst. Denn so sagt der Apostel Paul: „ich hatte zwar Lust zum Guten aber ich konnt es nicht thun“: So beschreibt er also die Wirkung der Sünde daß sie den Menschen unfähig macht das Gute zu vollbringen. Das ist die Wirkung der Sünde an und für sich selbst | wie sie ist: die Kraft des Fleisches wider den Geist. Wenn nun die Sünde vergeben werden soll so muß auch das geschehen daß er von dieser Lähmung befreit wird, er muß der freien Bewegung der Kräfte des geistgen Lebens wieder fähig werden, wird ihm also die Sünde vergeben, so wird ihm mit dem rechten Wollen das Vollbringen gegeben, und in dem Vollbringen wird er immer mehr frei von der Sünde und ihrem Dienst weil er ein Diener der Gerechtigkeit worden. Aber dies beides in dem Innern, das kann nie getrennt werden; denn es ist nicht möglich daß er sich der Vergebung bewußt werde als nur so daß zugleich die Umkehr des Willens und die Kraft des Vollbringens erfolge und bewirkt werde, und alles andre was als Sündenvergebung gelten will ist Täuschung, es ist damit wie mit den Opfern im alten Bunde nemlich so wie durch dieselben immer nur ein Gedächtniß der Sünde gestiftet wurde, so ists auch damit. Und das führt uns zurück auf das erste Wort des Textes und darauf daß die nicht unrecht haben welche sagen daß ein Mensch nicht Sünde vergeben kann, und daß das eben der größte Mißbrauch war daß in der christlichen Kirche solche Meinung auftrat als ob Gott irgendwie Menschen das Recht gegeben habe Sünde zu vergeben, und daß dadurch ein täu2–3 Vgl. Röm 8,7 11 Vgl. Röm 8,28 20–21 Vgl. Röm 7,18 Phil 2,13 29 Vgl. 2Kor 11,15 35 Vgl. Hebr 10,3

27–28 Vgl.

55r

146

Am 29. Juni 1828 früh

schendes Wesen entstanden, der Sünde ein Gedächtniß gestiftet ward, und das immer fruchtlos wiederholt was Menschen scheinbar thaten weil das Vermögen es wirklich zu thun nicht in ihnen war. Aber in der göttlichen Kraft des Herrn die Sünde zu vergeben, lag zugleich das Vermögen die Umkehr des Willens hervorzubringen, die entsteht wenn sich der Mensch ihm so hingiebt daß nur Christus in ihm leben soll. Wenn wir nun fragen, (indem wir die Worte des Erlösers auf solche Weise wenden daß das beides den allgemeinen und den engern Sinn ausspricht) wie steht es nun um die Frage: welches ist das Größte? da mögen wir wol nicht entscheiden zwischen dem Einen und dem Andern, aber nur deswegen weil das Eine von dem Andern nicht zu trennen ist; Es ist groß und unbegreiflich daß der Mensch das soll vergessen können was er war, d. h. daß er davon soll eine andre Ansicht bekommen, und daß dadurch aller Stachel der Sünde ausgerottet wird aus seinem Gemüth! Aber eben so groß ist auch das, daß die geistige Kraft des neuen Lebens durch die geistige Berührung dessen in dem sie auf ursprüngliche Weise ist[,] geschaffen wird in dem Menschen! Und so sehn wir auf das Eine so erscheints als das Größte, weil wo die Sünde vergeben ist sich das neue Leben in Anmuth und Schönheit gestaltet, auf das Wort des Herrn: „stehe auf:“ aber auf der andern Seite, wenn wir denken daß der Mensch, indem ihm die Sünde vergeben wird, den ganzen Trost der Vergebung fühlen kann und sich sagen: „ich bin nicht mehr derselbe sondern ein andrer:“ so erscheint uns denn dieses größer und das andre nur als die Folge desselben. Und so laßt es uns nicht trennen und auf gleiche Weise ihn in unser Herz schließen, der das sagen konnte „Deine Sünden sind dir vergeben;“ und: „steh auf und wandle:“ Und jemehr wir unser Leben ganz mit dem Seinen vereinen, um desto mehr wird uns beides als zu uns gesagt in seiner Wahrheit erscheinen; jemehr das Leben Christi aufgeht in uns desto tiefer werden wir fühlen, daß wir den alten Menschen ausgezogen, und nicht mehr der sind der nach Vergebung lechzet ohne ihrer theilhaftig zu werden: jemehr das Vollbringen des göttlichen Willens durch uns wahr wird, desto mehr erkennen wir, daß wir das nicht sind sondern Christus der in uns lebt, und so werden wir in beidem ihn verherrlichen und ihm die Ehre geben und Gott preisen der solche Kraft unter die Menschen gegeben hat!

28–29 Vgl. Eph 4,22

5

10

15

20

25

30

Am 6. Juli 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

5. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 3,10–14 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 56r–57v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 5. S. nach Tr. 1828. 1 Petr. 3,10–14

5

10

15

20

56r

Diese Worte des Apostels bringen uns einen sehr großen und bedeutenden aber auch sehr schwierigen Theil des menschlichen Lebens vor das Gemüth, es ist nemlich die Rede davon was der Mensch durch den Gebrauch der Rede gewinnt oder verliert, und gewiß, wenn wir das seinem ganzen Umfang nach uns vergegenwärtigen, wie groß muß es uns erscheinen! Wie leicht und flüchtig ist ein Wort entflohen und wie schwer zurükzunehmen! wie oft ist, was wir sprechen, nur auf der Oberfläche des Gemüths entstanden, aber dennoch das Innre des Andern aufregend und erschütternd. Der Apostel Jacobus führt uns, indem er davon redet in die Wildniß unter die wilden Thiere, und die, sagte er, seien leichter zu regieren als die Werkzeuge menschlicher Rede! Durch die spricht er im allgemeinen davon wie es in der Welt ist, und in diese Wildniß des Lebens sollen unsre Gedanken sich nicht verkehren. Wir wollen darauf sehen wie es in dieser Beziehung bei uns ist, wo der Name des Herrn genannt wird und gepriesen: Das wildeste Uebel ist hier bezwungen, aber doch, wie groß ist die Verschiedenheit in dem Betragen in dieser Beziehung und in den Regeln für das Betragen unter den Christen! Oft erscheint das lieblos was sie reden um der Gerechtigkeit zu dienen, wie oft erscheint die Schweigsamkeit des Herzens als Gleichgültigkeit, wie oft finden wir sich Verhältniße entwickeln gar nicht unähnlich denen welche die heftigste Leidenschaft hervorbringen, und 2 1Petr 3,10–14] 1Petr 3,10– hervorbringt 10–13 Vgl. Jak 3,7–8

10 erschütternd] erschüthernd

22 hervorbringen]

148

Am 6. Juli 1828 vormittags

doch kommt das alles aus neuer Quelle, aus dem Verlangen der Gerechtigkeit zu dienen! Aber wenn die Sache so groß ist und die Schwierigkeiten dabei so mannigfach sind wie steht es um den Rath den uns der Apostel giebt. „Wer leben will und gute Tage sehn der schweige seine Zunge“: und, „suche Friede und jage ihm nach“: Wie soll das der Christen Sinn sein daß sie wollen leben und gute Tage sehn, da sie doch immerfort sich selbst verleugnen sollen? sollen sie dem Frieden im äußeren Leben nachjagen da doch der Herr gesagt hat, er sei nicht gekommen den Frieden zu bringen sondern das Schwerdt, und da es immer noch als nöthig erscheint sowol in dem Kreise seiner Gemeinde als in der Welt, daß das zweischneidige Schwerdt seines Worts Mark und Gebein trenne? Und doch werden wir in diesen so mannigfachen und auf den ersten Anblick so wenig genau zusammenstimmenden Ermahnungen des Apostels einen Mittelpunkt finden von dem Alles ausgeht und von dem betrachtet es zu verstehen ist: „Wer ist der euch schaden könnte, so ihr dem Guten nachkommt, und ob ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig.“ Das ists auf das wir uns gründen müssen und das ists welchem wir folgen müssen, wenn wir (was eben der Gegenstand unsrer Betrachtung sein soll) in Beziehung auf dieses große Gebiet des Lebens den rechten Weg wissen wollen, welcher uns vorgezeichnet ist. Das sei es worauf wir unsre Aufmerksamkeit wenden wollen: Es sind von dem Mittelpunkt der Rede aus zwei Regeln welche der Apostel in seinem Briefe giebt, wenn er sagt 1. Wer leben will und gute Tage sehn der schweige seine Zunge: 2. Und ob ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen seid ihr doch selig: Nemlich, jenes Bestreben zu leben und diese Ueberzeugung daß wir doch selig sind wenn wir auch leiden: diese beiden vollenden das Ganze der Vorschrift die dem Christen gegeben ist in Beziehung auf sein Reden und Schweigen, und bedingen die Ruhe und Sicherheit seines Gemüths dabei.

56v

1. Was nun das Erste betrifft, so können wir – wenn wir das voraussetzen daß wir, die wir das Haus des Herrn bilden, keinem nachkommen können als dem Guten – uns auch die schönen und anmuthigen Worte gesagt sein lassen: „wer leben will und gute Tage sehn“: Denn wer wollte nicht gute Tage sehn | wohnen in dem Hause des Herrn wo ein Tag mehr werth ist als sonst tausend Jahr! Es wird eben in den Schriften des alten Bundes [Zu Z. 27–30 rechts am Rand:] und das was aus der Ueberzeugung hervorgeht 7–8 Vgl. Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23 36–37 Vgl. Ps 90,4

9–10 Vgl. Mt 10,34

11–12 Vgl. Hebr 4,12

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 3,10–14

5

10

15

20

25

30

35

40

149

dieser Name gegeben den heiligen Zeiten wo sich die Gemeinde versammelte um dem Herrn zu dienen, wo die schönen Feste des Volkes gefeiert wurden: das waren die guten Tage. Und wie sollten wir nicht dasselbe anwenden auf das wovon gesagt ist, daß wir nicht den Schatten der ewgen Güter sondern die Güter selbst haben. Was sind die guten Tage deren erwähnt wird in der Geschichte der beginnenden Gemeinde des Herrn? was wird von den Aposteln gesagt und den andern Gliedern der Gemeinde? sie waren einmüthig beieinander und die Gemeinde Gottes baute sich und hatte Frieden und ward geehrt. Das sind die guten Tage des neuen Bundes, und wie sollten wir die nicht Alle sehen wollen! und wie sollten wir nicht bekennen daß in solchen guten Tagen eine Stunde mehr werth ist als sonst tausend Jahr! Und eben weil der Mittelpunkt dieser seelgen Zufriedenheit nichts ist als der Friede, die Einheit der Gemüther in Gott, so sagt der Apostel wer gute Tage sehn will der schweige seine Zunge eben weil er dem Frieden nachjaget. Aber was könnte denn wenn einmal die Gemüther einmüthig beieinander sind und aus derselben Quelle den gleichen Durst löschen, den Frieden unter ihnen stören, was könnte jene Behutsamkeit einflößen und nöthig machen, welche der Apostel einprägt? Die Liebe mit welcher wir verbunden sind ist freilich die Eine gemeinschaftliche Dankbarkeit gegen den der uns berufen hat an das Licht, es ist die Freude die wir an einander haben über denselben Genuß seiner Gnade: aber wie der Herr die Menschen mannigfach verschieden gebildet, die Starken und Schwachen neben einander gestellt und den bösen Tag neben dem Guten: so ists die heilige Pflicht der Liebe daß wir uns untereinander ermahnen, daß die Starken sich annehmen der Schwachen, daß jeder mittheilt aus dem Schatz der Erkenntniß und Weisheit, damit die guten Tage sich mehren, die Gemeinde sich immer kräftiger und schöner baue, und der selge Friede des Herrn das Gemeingut Aller sei. Aber der alte Mensch ist in keinem ganz getödtet und wenn der Geist schwach ist, da erhebt sich das Fleisch in aller Gewalt; also, wo Einer der Ermahnung und Lehre bedarf wie leicht fühlt er sich zurückgesetzt und beschämt wenn er ermahnt wird, und wo ermahnt wird und gelehrt wie wird da oft das Werk Gottes verderbt durch die Regung der Eitelkeit, wie leicht schleicht sich auch unter denen die berufen sind die Brüder zu stärken, das Werk der Eitelkeit und Selbstsucht ein! Darum, wer leben will und gute Tage sehen der schweige seine Zunge, der halte in seiner Rede das rechte Maaß, damit er den schlafenden Lärm nicht wecke, damit er sich nicht mit Schmeichelrede täusche und sich erhebe. Wenn es aber Ernst ist mit dem Gutetagesehnwollen, was kann doch irgend eine Befriedigung der Eitelkeit und Selbstliebe sein gegen den gemeinsamen Genuß in dem jeder sich selbst vergißt in dem Ganzen! die guten 4–5 Vgl. Hebr 10,1 7–9 Vgl. Apg 1,14; 2,1.46 Hebr 10,24–25 24–25 Vgl. Röm 15,1

23–24 Vgl. Röm 15,14;

150

57r

Am 6. Juli 1828 vormittags

Tage des Herrn in welchen die Gemeinde sich baut in Frieden die sind des Wunsches werth, und das Leben darin, das ist ein Leben in dem unvergänglichen Garten Gottes, wo die geistigen Bäume der Wahrheit und Liebe sich erheben und prangen mit reifen Früchten, lieblich zu sehen und genießen! wer wollte sie verderben mit Früchten der Bitterkeit, wer wollte falsche Reiser pfropfen in alte Bäume! Wer wollte nicht, damit dieser Zustand daure überall, wo zwei oder mehrere versammlet sind um den Willen des Herrn zu erfahren, gern sich selbst vergessen und nur des Herrn Willen suchen geltend zu machen; Die Einigkeit in ihm, das ist der Friede | dem wir nachjagen sollen überall wo sich ein Gemüth dem andern mittheilt, nicht der Friede des Einen mit dem Andern ists, sondern das Zusammstimmen mit dem Ganzen; jeder ist ein lebendig Glied an jenem großen Ganzen dessen Haupt er ist, der seiner Gemeinde den Frieden verheißen und ihn gegründet hat, jeder ist ein Werkzeug dessen sich der Herr bedient um zu bauen in seinem Reich. Und eben weil der welcher – eben weil der Herr sich sein als Werkzeug bedient – giebt, größer erscheint als der welcher empfängt, darum soll jener zuerst sich vergessen und nicht auf seine Worte lauschen um sich selbst darin wiederzufinden, sondern denken an die Früchte des Lebens die er ausstreuen will, an den gemeinsamen Frieden der erhalten und gefördert werden soll. Ist das Verlangen in uns, gute Tage zu sehen, o wie sollten wir nicht durch jede schmerzliche Erfahrung dazu aufgefordert werden daß wir unsre Zunge schweigen und dem Frieden nachjagen, damit nicht die guten Tage gestört werden und Zwietracht komme wo nichts sein soll als Liebe. Es ist wahr: nicht nur was vom Herzen kommt geht zu Herzen, sondern wie es vom Herzen kommt so geht es zu Herzen: Ists also in uns nicht rein von Eigenliebe indem wir geben, o dann gehts nicht anders zu Herzen als so, daß dadurch die Eigenliebe geweckt wird in denen die empfangen, und es wird dann der neue Mensch nicht, sondern der alte, der doch immer mehr ersterben soll, gepflegt; denn also sind die guten Tage gestört und statt zu bauen, wird zerstört. Aber freilich nicht selten scheint der Rath des Apostels nur zu sehr befolgt zu werden, denn Viele giebts die nicht nur ihre Zunge schweigen um die guten Tage des Reichs Gottes nicht zu stören, sondern sie schweigen eben deswegen weil sie das nicht zu sondern verstehen was gedeihlich ist und was störend ist, sie schweigen, nicht weil sie dem Frieden nachjagen den der Herr seiner Gemeinde verheißen hat, sondern weil sie ihren eignen (äußern) nicht unterbrechen wollen. Für diese ist das zweite Wort des Apostels.

34 schweigen] schweigen sie 28–30 Vgl. Eph 4,22–24

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 3,10–14

5

10

15

20

25

30

35

40

151

2. „Und bedenket daß wenn ihr um Gerechtigkeit leidet ihr doch selig seid.“ Um der Gerechtigkeit willen leiden: das scheint freilich uns weit aus dem heilgen Gebiet hinaus zu führen in dem wir gute Tage sehn wollen; denn daß Einer um der Gerechtigkeit willen leidet, das soll doch nicht geschehen im Hause des Herrn! Aber freilich wenn der Apostel zu Christen redete, so that er es zu solchen die überall umgeben waren mit Feinden der Gerechtigkeit, und zu einer Zeit wo das noch ein kleiner und nicht abgesonderter Theil der Erde war wo die Christen, versammelt waren, sondern jeder hatte zu thun mit denen die auch fern waren vom Heile, da war es freilich der Beruf eines jeden jene herbeizurufen, ihnen die Wohlthaten der Erlösung in Christo anzupreisen, sie aufzustören aus dem gefährlichen Schlafe des alten Lebens, damit ihnen zuerst die Hoffnung und der Anblick eines höhern Lebens aufgehe: da galt es zu reden und da gab es zu leiden um der Gerechtigkeit willen. Wir befinden uns nicht in dem Fall. Freilich giebt es wenige, welche behaupten es sei nur ein klein Häuflein, unter denen sich der Glaube an den Herrn erhalten habe und groß sei die Zahl der Feinde seines Kreuzes. Aber daß das nur nicht auch solche Reden sind in Beziehung auf welche wir unsre Zunge schweigen sollten, weil wir darin nicht rein dem Guten nachkommen, daß das nicht Reden sind aus einem Gemüth welches nicht den Frieden sucht sondern Streit und Zwietracht hervorruft; Denn wenn wir fragen, worauf denn diese Ansicht von der Kirche beruht: so finden wir oft daß es nichts anders | ist als das, daß das Wesen des Glaubens gesetzt wird in diese oder jene besondre Art den Glauben auszusprechen, indem sie, welche eine der besondern Arten festhalten, sich allein zuschreiben das Kleinod zu besitzen das doch der Besitz Aller ist. Laßt uns also damit wir nicht voreilig die guten Tage stören, die, welche wiewohl sie anders als wir leben und handeln doch denselben Herrn mit uns bekennen, nicht ansehen als solche unter denen wir könnten zu leiden haben um der Gerechtigkeit willen. Aber freilich wo jenes rechte Maaß zwischen Reden und Schweigen nicht gehalten wird, und es kann nicht gehalten werden wo noch etwas übrig ist von Selbstliebe und Eitelkeit, da kann es, wenn wir auch im Innern dem Frieden nachjagen und besitzen, doch kommen daß wir um der Gerechtigkeit willen leiden: das Bewußtsein aber daß wir dem Guten nachkommen soll uns die Ueberzeugung geben daß wir doch selig sind. Laßt uns das so betrachten wie es in der Gemeinde der Christen nur allzuleicht vorkommt so lange noch Unvollkommenheit darin ist. Es schärft sich nemlich eben das gereizte Gefühl des Einen an den Andern wenn Einer voraussetzt daß in dem andern nicht die reine Liebe zur göttlichen Wahrheit sondern eine selbstgefällige Liebe an sich selbst sei: in demselben Maaß als Einer das voraussezt schärft sich in dem Andern der Verdacht daß jener wol dem Guten nachzukommen vorgebe, aber es sei doch wohl noch etwas

57v

152

Am 6. Juli 1828 vormittags

anderes in seinem Herzen. Und so können sich beide einander Leiden machen um der Gerechtigkeit willen, durch den Verdacht den jeder hegt gegen des Andern Bestreben. Das sind die unseelgen Mißverständnisse die aus der Wurzel der Eigenliebe emporwachsen und den Frieden stören und die Ursach davon sind daß nicht nur gute Tage sind, das ists weshalb die Gemeinde oft einen solchen Anblick darbietet daß beide Partheien scheinen sich zu täuschen, und das wahre Gut nicht zu besitzen, und nicht das neue Leben sondern den alten Menschen zu nähren! Darum, wenn wir noch in Gefahr sind in solchen Zustand zu kommen, so sind wir wol nicht frei und unbefangen genug um darüber zu entscheiden wer am meisten im Stande ist der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen: so setze denn jeder von dem Andern voraus daß er der Gerechtigkeit diene und es ihm um nichts zu thun sei als um die göttliche Wahrheit daß er also dem Guten nachkomme und geschieht es dann daß aus der Verschiedenheit der Ansichten Leiden hervorgehe so können wir doch sagen daß wir selig sind im gemeinsamen Suchen der Wahrheit; Denn, ist Verwirrung da, wo Alles klar sein sollte, was bleibt übrig als daß wir suchen der Wahrheit uns zu nähern, und den Segen von Oben zu erflehen damit die Augen geöffnet werden. Aber das kann nur geschehen wenn wir mit allem Fleiß das verfolgen was sich als Wahrheit in uns gestaltet hat durch das Wort des Herrn und unsre Zunge nicht schweigen in Beziehung auf das was nöthig ist zu sagen. Sind wir darin treu, so giebt es in dem Wechsel von Zuständen, wo das Herz nur rein ist, doch feste und sichre Grenzen; denn wie scharf mir noch Einer gegenüber trete, wenn ich doch sehe daß er bereit ist um der Gerechtigkeit willen zu leiden wie kann ich anders als solchen Eifer ehren. Und wenn so Alle sich erkennen als solche welche bereit sind zu leiden um der Gerechtigkeit willen, wie sollen sie nicht sehn daß das eine Liebe ist zu dem der uns zuvor geliebt hat, und wie sollten sie dann nicht sich einander in Liebe nähern! Und dann ist das: Leiden um der Gerechtigkeit willen: doch ein seliges und befriedigendes Wort, wie scharf es auch klinge. In der Gemeinde des Herrn da kann der reine Wille alles zu thun und zu leiden um der Wahrheit willen, wie anders als endlich den Frieden herbeiführen in der Gerechtigkeit und Wahrheit denn in der reinen Hingebung an beide da vereinen sich die Gemüther, sie erkennen ja an dem sichersten Zeichen daß sie Jünger sind dessen der nicht gekommen war um zu herrschen und es nicht für einen Raub hielt Gott gleich zu sein in Knechtsgestalt, sondern sich selbst verleugnete und hingab im Dienst der Wahrheit. Wir, deren gemeinschaftlich Loos, das ist, daß für uns das ewige Wort Fleisch ward und wohnte unter uns, wir die wir Gott danken, daß er durch das Wort das Amt gestiftet hat das die Versöhnung predigt, wir die wir gewiesen sind an die 27–28 Vgl. 1Joh 4,19 35 Vgl. Joh 12,47 Joh 1,14 39–40 Vgl. 2Kor 5,18

35–36 Vgl. Phil 2,7

38–39 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 3,10–14

5

10

153

große Gemeinschaft für die es kein Mittel der Mittheilung giebt als das Wort: wie sollten wir nicht streben diese Gabe rein zu halten, damit wir dem ähnlich werden der das rechte Maaß hatte im Reden und Schweigen und überall bereit war zu leiden, und mitzutheilen was der Vater ihm gegeben. Wie sollte es die Quelle der Zwietracht werden, was überall den wahren Frieden und gute Tage im Hause des Herrn bereiten soll! So laßt uns dieser Weisheit nachtrachten damit wir Jünger sind dessen der durch das Wort die sündige Welt erlöset hat, und damit wir uns nur mittheilen von dem Schatze der durch seine Kraft uns in unsere Selen gegründet ist, und damit Friede und Gerechtigkeit überall sich begegnen und umarmen!

10 Vgl. Ps 85,11

Am 20. Juli 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

7. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 6,16–22 (Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 58r–59v; Woltersdorff Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang der Predigt) Tageskalender: „über die Epistel.“

Aus der Predigt am 7. S. Tr. 28. Röm. 6,16.–22.

58r

Derselbe Apostel welcher so oft das schöne und große Wort der Freiheit aus vollem Herzen ausspricht, und den Christen den Genuß derselben verkündet, derselbe Apostel welcher sagt, so lange der Mensch unter dem Gesetz sei, sei freilich unter dem Erben der heilgen Güter und dem Knecht kein Unterschied, wenn aber die Zeit der Mündigkeit komme dann sei er frei: derselbe welcher so herrlich redet von der Freiheit der Kinder Gottes für welche kein Gesetz sei, der redet hier nur von einer Freiheit vor der wir uns scheuen müssen, nemlich: von der gefährlichen Freiheit von der Gerechtigkeit, sonst nur von Knechtschaft, entweder der Sünde zum Tode oder Gerechtigkeit zum Leben, und sagt, Einem von diesen müsse sich der Mensch ergeben dessen Knecht er sei. Und so rückt er uns jene Freiheit ganz aus den Augen als fernes Ziel, so daß wir hier nicht denken können sie zu erreichen: freilich sagt er dabei er müsse menschlich davon reden, und darin sollen wir den Trost finden als ob wir doch jene Freiheit wiederfinden mögen. So laßt uns, indem wir eben das herrliche Ziel der Freiheit der Kinder Gottes im Auge behalten, reden von dem menschlichen Zustande, von der doppelten Knechtschaft die der Apostel hier anführt; laßt uns so von diesem Zustande reden, [1.] daß wir ihn erst im Allgemeinen betrachten. 2. daß wir mehr auf uns selbst sehn und auf das Maaß unsers eigenen Zustandes.

5–8 Vgl. Gal 4,1

8–9 Vgl. Röm 8,21

5

10

15

20

Predigt über Röm 6,16–22

5

10

15

20

25

30

35

40

155

1. Wenn wir fragen wie es um die zweifache Knechtschaft stehe, und um die Freiheit welche nicht mehr ein Gehorsam ist, (und wenn es eine solche Freiheit giebt) ob es nicht eine Freiheit in der Knechtschaft gebe: So müssen wir das zunächst unterscheiden wie der Apostel redet von den Gliedern des Menschen und vom Menschen selbst indem er sagt: „so begebet nun eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit:“ Und wir müssen das Erste nicht so äußerlich nehmen sondern wie es mit dem Körper ist so ists auch mit der Seele: wie kein Glied für sich etwas ist und durch sich selbst in Bewegung gesetzt wird, sondern wie es die innre verborgne Einheit des Lebens ist für die und durch die sie da sind, so ists auch mit den Gliedmaßen der Sele alles was wir wahrnehmen von dem wodurch die Seele ihre Thätigkeit äußert, das ist die Mannigfaltigkeit der Gliedmaßen aber es ist ein innres verborgenes Leben durch das und für das sie etwas sind. So giebt es in dem Menschen viel – ja Alles Einzelne – das nicht anders kann als dienen; denn was von einem Andern in Bewegung gesetzt wird, das dient auch dem durch den es in Bewegung gesetzt wird. Also alle Fähigkeiten des Verstandes, aller kunstreiche Sinn des Menschen, das ganze Spiel seiner Gedanken und Einbildungskraft und alle Eigenschaften u. s. w. sind Gliedmaßen. Sie dienen entweder der Sünde oder der Gerechtigkeit, je nachdem die innre Einheit des Lebens beschaffen ist, welche Alles in Bewegung setzt. Sehn wir nun daß alle Gliedmaßen der Sünde dienen, indem alles was er thut dieselbe Gestalt hat, alles dasselbe Gepräge zeigt, dann muß der Mensch frei sein von der Gerechtigkeit; denn wenn sie ihm irgend etwas wäre, so würde doch hie und da ein vergeblicher Versuch zu Stande kommen seine Gliedmaßen nach dem Gesetz der Gerechtigkeit zu bewegen, ist das also nicht so ist die Einheit des innren und äußern Menschen da, und der innre Mensch ist frei von der Gerechtigkeit. Wie dürfen wir aber wol behaupten daß wir je diesen vollendeten abgerundeten Menschen der Sünde gesehen hätten! der Apostel sagt zwar „da ihr noch Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit:“ aber er sagt das nur um der Schwachheit willen, er will es recht anschaulich machen und bezeichnet deshalb die Hauptsache als das Einzige im Menschen. Aber, in einem solchen Zauber ist der Mensch fest gehalten, daß, wo nur der Name | der Gerechtigkeit ertönt, da hat sie gleich ein Recht auf ihn, ja wenn dieser Klang an sein Ohr schlägt, wenn dann auch weiter nichts erfolgt als daß er sich gedrungen fühlt sich zu entschuldigen, sich selbst zu rechtfertigen, so ist er schon nicht ganz mehr der Mensch der Sünde, so hat die Gerechtigkeit schon einen schwachen Faden an ihn befestigt, und wohl ihm wenn ein Strick daraus wird der ihn befreit aus dem Netze der Sünde! – Wenn uns der Mensch erscheinen sollte im verderblichen Zustande einer gänzlichen 41 Mensch] Mensch uns

58v

156

Am 20. Juli 1828 vormittags

Freiheit von der Gerechtigkeit, dann müsste sein Zustand ein solcher sein wo ihm gar nicht gegeben wäre einen Unterschied zu erkennen zwischen der Sünde und Gerechtigkeit; denn weiß er erst um den Unterschied so weiß er auch von der Gerechtigkeit, und so ist schon ein Stachel in seiner Sele, und ein Zwiespalt aufgerichtet. Und wenn sich der nun entwickelt, wenn bisweilen die Gliedmaßen ein plötzlicher Schauer durchfährt und sie lähmt in ihrem Geschäft, wenn bisweilen als Vorwurf sich die Gerechtigkeit vernehmlich macht, wenn dann das Wort in seinem Innren immer lauter erschallt, wenn er das Bild der Gerechtigkeit sucht, o dann kann es nicht anders sein, es wird Augenblicke geben, wo ein leiser Wunsch in ihm aufsteigt ihr zu dienen, wo ein Wohlgefallen in ihm entsteht an dem Gesetz Gottes, es wird Augenblicke geben wo er wagt sich zu sagen: ich will das nicht was ich thue: und so entwikelt sich dieser selige Zwiespalt schon immer weiter in ihm wenn er auch noch bleibt in der Sünde, und er weiß dann nicht ob er sagen soll: so bin ichs nicht der die Sünde thut: oder ob er sagen soll: „ich selbst bin das Fleisch und ich weiß daß im Fleisch nichts gutes wohnt“: Das ist der Zwiespalt der sich aufrichtet im Kampfe gegen die Sünde. Aber so lange er bleibt im Dienst der Sünde, so müssen doch zuletzt alle verschiednen Schätzungen seines Werths zusammen gehn in das Geständniß: „Mich verlangt wol nach der Gerechtigkeit indem ich die Sünde erkenne, aber das Gesetz in den Gliedern hält mich gefangen in ihrem Dienst:“ Und das ist der ausgesprochne Dienst der Sünde wiewol der innre Mensch nicht mehr frei ist von der Gerechtigkeit, sondern anfängt zu fühlen das sanfte Joch der Gerechtigkeit, aber daß er sich nicht los machen kann von dem herben Gesetz der Sünde. Aber laßt uns sagen mit dem Apostel: Gott sei dank daß das war aber nun nicht mehr ist! – Wie die Verwandlung im Menschen vor sich geht, wie das unvermögende Wohlgefallen an der Gerechtigkeit sich verwandelt in ein kräftig Wollen und wie nun durch die Gnade Gottes die Heilung beginnt, davon laßt uns jezt nicht reden wo die Zeit zu kurz ist diesen Gegenstand zu erschöpfen. Wie der Apostel sagt zu den Christen, so können auch wir sagen, und so laßt uns denn diese seelge Verwandlung voraussetzen und nun fragen wie es steht um den Dienst der Gerechtigkeit. Es ist wol nicht anders möglich, jene große Verwandlung sie mag vor sich gehn wie sie will, sie mag das Werk sein eines von Gott geschenkten glücklichen Augenblicks oder eines langen mühsamen Kampfs, wie sie geschehen sein mag, auch der neue Zustand kann kein andrer sein als ein Zustand des Streits, wie könnte sonst der Apostel zu den Christen sagen: so tödtet denn immermehr das Gesetz in den Gliedern: Wie könnte er das sagen wenn schon aller Zwiespalt aufgehoben wäre und nichts lebte und wirkte als der neue Mensch der Gerechtig12–17 Vgl. Röm 7,15–21 20–22 Röm 7,23 Röm 7,25 38–39 Vgl. Röm 8,13

23–24 Vgl. Mt 11,30

26 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 6,16–22

5

10

15

20

25

30

35

157

keit. Wie könnte er sagen: „Wie ihr mit Christo gestorben seid so seid ihr auch mit ihm auferstanden und so haltet euch denn dafür daß ihr mit ihm lebet,“ wenn er nicht wüßte, es war etwas in ihrem tiefen Bewußtsein das das zweifelhaft machte. Ja so ists, die Glieder des Menschen der zum neuen Leben geboren ist, sie stehn unter dem Gesetz der Gerechtigkeit, dies strenge Gesetz muß sie bewachen; denn leicht weichen sie davon, um das zu wiederholen was sie sonst gethan, und ein geheimnißvolles Band geht aus den Gliedern tief in das Innre hinein, und dahin gelangt was die Glieder auffassen und es regt sich die alte Lust. | Und die können wir nicht anders fassen als so daß wir in Beziehung auf die Glieder Knechte geworden sind der Gerechtigkeit; mit Gewalt müssen sie zusammengehalten werden und bewacht, als solche die unwillig in dem Zustande sind in welchem sie sind. Und wenn der Mensch das neue Leben in sich ansehn wollte als sein eignes o wie bald würd es zerstört sein! Wie gern sieht er sich um nach der Hülfe nach der göttlichen Kraft die ihn ergreift und hält, damit das Leben in ihm erstarke, und erstarkt es in ihm so wird es in seiner Erscheinung immermehr ein Leben im Dienst der Gerechtigkeit und je mehr es ein solches ist um so mehr fühlt der Mensch daß er fern ist von der Sünde, wie der Apostel sagt: „nun ihr frei seid von der Sünde und Gottes Knechte geworden.“ Aber auch das sagt er nur menschlicher Weise, und beschreibt das als ausschließlich was nun die Oberhand gewonnen; Frei von der Sünde wird der Mensch jemehr er gedeiht und erstarkt im Dienst der Gerechtigkeit im Gehorsam zum Leben, aber daß er frei ist von der Sünde, wer möchte das sagen! Wenn wir das menschliche Geschlecht betrachten in der Blüthe seiner geistigen Kraft, wenn wir in die gesegnetsten Zeiten der Gemeinde Gottes hinein sehen, wohl erblicken wir da viel von der Frucht der Gerechtigkeit und des Gehorsams zum Leben, aber die bittre Frucht des Todes ist doch immer nicht weit davon, die Spur, der Same des Unkrauts ist nie ganz verschwunden, und immer wieder geht es auf! und so mögen wir wol sagen: ja es ist nicht anders, der Mensch muß ein Knecht sein und wohl ihm wenn er ein Knecht ist der Gerechtigkeit. Aber was sagt der Herr zu seinen Jüngern? „Ich sage nun nicht mehr daß ihr Knechte seid:“ Er sagt weiter: „Ihr werdet frei sein und recht frei so euch der Sohn frei macht:“ Er drängt also die Menschen dahin, daß sie sollen aus dem Zustand der Knechtschaft herausgehn durch ihn: und wenn der Apostel sagt das Ende dieses Gehorsam sei das ewige Leben so sagt ja der Herr selbst: „wer an mich glaubt und dadurch den Willen dessen thut der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben denn er ist hindurchgedrungen vom Tode zum Leben:“ O so sollen 31 Jüngern?] Jüngern?: 1–3 Vgl. Röm 14,7–9; 2Kor 5,15 38 Joh 5,24

32 Joh 15,15

32–33 Vgl. Joh 8,36

36–

59r

158

Am 20. Juli 1828 vormittags

wir denn in dieser seelgen Knechtschaft in diesem heilgen Dienst eben zugleich die Freiheit haben, der innre Mensch soll sie haben und hat sie wenn er durch die Kraft des göttlichen Geistes das Vollbringen gefunden hat, er ist frei, wenn auch so daß er selbst sich halten muß in den Banden der Gerechtigkeit, damit jene verderbliche Herrschaft nicht wieder ihre Netze ausspanne für ihn. – Und so ist des Menschen Zustand immer in dem hin und her schwanken zwischen der Freiheit in der Gerechtigkeit und der Knechtschaft der Gerechtigkeit, zwischen dem Abgrunde, in welchem der Mensch nie ganz hinab sinkt, nemlich der Knechtschaft der Sünde, und dem volkommnen Besitz des herrlichen Kleinods der Freiheit, der vollkommnen Seligkeit darin alle Verheißungen Ja und Amen sind.

59v

2. So lasset uns denn fragen: wie stehn wir? welches ist unser Zustand, die wir uns rühmen daß wir den Einen Meister bekennen in dem die Seligkeit ist? Das werden wir am besten sehn wenn wir auf das achten was der Apostel von den Früchten des zweifachen Zustandes sagt, er sagt: „als ihr Knechte der Sünde ward was hattet ihr für Frucht?“ aber er überläßt es ihnen sich die Früchte zurükzurufen, er nennt sie uns anderwärts in ihrer traurigen Fülle, hier aber sagt er nichts von ihnen als: „solche Früchte deren ihr euch jezt schämet:“ O das ist das erste tröstliche Zeichen bei welchem wir verweilen mögen, wenn wir den Zustand des Menschen erkennen wollen; wo Schaam ist da hat auch die selige Knechtschaft der Gerechtigkeit begonnen, wenn der Mensch sich schäämt in Beziehung auch auf das leiseste Tichten und Trachten was nicht im Dienst der Gerechtigkeit vor kommen kann, das, sagt der Apostel sind schon Früchte des neuen Lebens: Es ist das erste verborgne Zeichen des Lebens wenn die Röthe der Schaam die Wangen färbt, wenn jene heilge Bewegung entsteht die der Abscheu gegen die Sünde ausspricht, das sind die ersten gesegneten Anfänge der Freiheit die die Bande der Sünde sprengen. | So laßt uns denn darauf fleißig achten wie es stehe um das Schäämen, jemehr das herrscht, jemehr von Schaam sich jedes Auge feuchtet, o wohl uns so laßt uns glauben, da wirkt der göttliche Geist, und ein Ring löset sich nach dem andern aus der Kette der Sünde: jemehr wir dem Raum geben, jemehr wir die Menschen dahin bringen daß sie sich schämen, desto mehr wirken wir für den göttlichen Geist wie durch denselben es nur geschehen kann. Und beides ist Eins: Das Schämen vor den Früchten des Dienstes der Sünde und der Wohlgefalle des Menschen an dem Gesetz Gottes, die geheime Freude mit welcher der Mensch nach der Gerechtigkeit, nach den Gütern des neuen Lebens schaut; 16 sagt:] sagt. 11 Vgl. 2Kor 1,20

18–19 Vgl. Röm 7,5

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 6,16–22

5

10

15

20

25

30

35

40

159

und wenn er dahin gekommen ist daß er sich schämt und ihm gelüstet nach der Gerechtigkeit dann wird er selig gebunden in dem Dienst der Gerechtigkeit und immer mehr werden seine Gliedmaßen frei werden von der Sünde. Und was sagt der Apostel vom Dienst der Gerechtigkeit: Er sagt: „Nun ihr Knechte Gottes geworden habt ihr nun Frucht daß ihr heilig werdet:“ Von jedem Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes beginnt das Heiligwerden des Menschen. Wie aber beschreibt der Apostel das? „Dankt Gott daß ihr Knecht des Herrn gewesen seid, nun aber gehorsam geworden von Herzen dem Vorbilde der Lehre, welchem ihr ergeben seid: Was ist das Vorbild? Was ists oder wer ists als der der der ewige Lehrer ist, der Anfänger und Vollender unsres Glaubens! Dem gehören wollen, das ists, worauf das Heiligwerden beruht, auf dies Vorbild hinschauen damit immermehr die Lust des inwendigen Menschen an dem Willen Gottes im Anschaun dessen, der ihn vollbracht, erstarke, das ist der Weg zum Heil. Und wenn wir sagen müssen, wir sind doch immer noch Diener und Knechte der Gerechtigkeit zum Gehorsam, so wird doch immermehr die Zeit kommen wo wir sagen können „was ich noch lebe im Fleisch, das lebe nicht mehr ich nicht der der gestanden unter der Sünde sondern Christus in mir“. Wenn der in uns lebt wie sollten wir dann nicht frei sein; wenn sein Leben und das unsre Eins geworden ist, so giebt es keinen andern Gehorsam in uns als den Gehorsam gegen den Willen Gottes, aber nicht gegen den Willen Gottes wie er vor uns steht in Buchstaben des Gesetzes sondern wie er ausgegossen ist in unseren Herzen. Lebt Christus, lebt der Wille Gottes in uns ist der in unser Herz gegeben, so ist kein Zwiespalt in uns, als der der sich bisweilen zu erkennen giebt in den Gliedern aber stets besiegt wird durch die Einheit und Freiheit des Willens: Der inwendige Mensch ist frei und die Freiheit die sich wahrnehmen läßt ist daß wir heilig werden, und das Ende ist das ewige Leben wie wir es hier schon haben können. Und so sehen wir denn beides, wir sehn daß wir frei sind und daß wir Knecht sind der Gerechtigkeit, wenn wir uns dem innren und dem äußern Menschen nach betrachten, betrachten wir uns im äußern Leben, so können wir nicht anders als sagen daß wir Knechte der Gerechtigkeit sind, und Gott danken daß wir es sind. Betrachten wir den inwendigen Menschen welcher nun nichts ist als das Leben des göttlichen Geistes; den inwendigen Menschen, von dem wir sagen können, nicht wir, sondern Christus lebt in uns; dem wir uns ergeben haben, dem wir treu und gehorsam sind mit allem was wir sind und haben; so können wir sagen: wir sind frei, wir sind recht frei durch die Wahrheit, durch die er uns frei gemacht, wir sind frei durch den Zusammhang des innren Menschen mit ihm und durch den Zusammhang des Innren mit dem Äußern werden wir ganz frei. Und so werden wir hineinschauen in das seelge vollkommne Gesetz der Freiheit und in demselben leben und wandeln: So laßt 10–11 Vgl. Hebr 12,2

17–18 Vgl. Gal 2,20

160

Am 20. Juli 1828 vormittags

uns stark sein, als gehorsame Knechte der Gerechtigkeit, laßt uns den Kampf unsrer Ritterschaft gut kämpfen, daß wir heilig werden und daß uns als seelge Kinder Gottes durch Christum die Freiheit erfreue von der wir wissen daß wir sie uns nicht geben können, sondern, Einer ists der uns frei macht. Christus, der Herr!

[Liederblatt vom 20. Juli 1828:] Am 7. Sonnt. nach Trinitatis 1828. Vor dem Gebet. – Mel. O wie selig seid etc. [1.] Lebt ihr Christen so allhier auf Erden, / Daß ihr Christo möget ähnlich werden, / Der aus dem Leiden / Ging zum Vater in das Reich der Freuden. // [2.] Seht auf die mit eifrigem Verlangen, / Die ihm nach und euch sind vorgegangen; / Schaut an ihr Leben / Und das Beispiel, so sie euch gegeben. // [3.] Uebet willig eures Meisters Lehren; / Folgt ihm nach, wollt ihr ihm angehören, / Entsagt dem allen, / Was der eitlen Welt noch kann gefallen. // [4.] Opfert euch ihm auf und eure Glieder, / Fallet unterm Kreuze vor ihm nieder; / Im Kreuzesorden / Seid ihr seine Knecht’ und Ritter worden. // [5.] Haltet euch an ihn da ihr müßt streiten; / Bleibt beständig, Er steht euch zur Seiten, / Er hilft euch ringen, / Giebt euch Kraft den Sieg davon zu bringen. // [6.] Nur daß ihr im Glauben muthig kämpfet, / Und in seiner Kraft die Sünde dämpfet, / Die stets sich reget / Und der Seele heimlich Schlingen leget. // [7.] Wer nun glücklich diesen Kampf geendet, / Und den schweren Lauf zum Ziel vollendet, / Dem wird die Krone / Der Gerechtigkeit zum Gnadenlohne. // Nach dem Gebet. – Mel. Dir dir Jehovah etc. [1.] Was bring ich dir, o Gott, für Gaben, / Wenn mich dein Wohlgefallen soll erfreun? / Gehorsam willst du von mir haben; / Kein Opfer sonst soll angenehm dir sein. / Du bist der Herr; o wär’ ich ganz dein Knecht! / Was du gebeutst ist alles gut und recht. // [2.] Ja, Gott, dein Recht ist zu befehlen, / Und mir gebührt gehorsam dir zu sein. / Laß mich das beste Theil erwählen: / Mein Wille stimme mit dem deinen ein! / Der wahre Christ gehorcht dir ohne Zwang, / Er hält dein Wort aus reiner Liebe Drang. // [3.] Wie treu vollbrachte deinen Willen, / Dein Sohn, der mir zum Muster vorgestellt! / O möcht’ auch ich ihn so erfüllen, / Und gern mich selbst verläugnen samt der Welt! / Wie Jesus bis zum Tod gehorsam war, / Bringt, wer dich liebt, sich selbst zum Opfer dar. // [4.] Doch soll ich dein Gebot vollbringen, / Darf ich mit Fleisch und Blut zu Rath nicht gehn. / Dies hat nur Lust an irdschen Dingen, / Und will dem Trieb des Geistes widerstehn. / Denn ach! in unsern Gliedern findet sich / Nur ein Gesez, was streitet wider dich. // [5.] Drum grabe du, Herr, dein Geseze / Dem innern Menschen tief und kräftig ein, / Daß ich nie deinen Bund verleze, / Und mich von Untreu immer halte rein; /

5

Predigt über Röm 6,16–22

161

Laß mich an deinem Joch mit Freuden ziehn, / Den Reiz der Welt mit weiser Vorsicht fliehn. // [6.] Sobald ich deine Stimme höre, / Sei auch mein Herz auf ihren Ruf bereit; / Daß ich dein Wort in Demuth ehre, / Und klügle nicht, wenn es mir klar gebeut. / Du willst ich soll ein Hörer nicht allein, / Nein auch des Worts getreuer Thäter sein. // [7.] Und endlich gieb mir auch im Kreuze, / Ein Herz das deine Lasten willig trägt; / Daß ich dich nicht zum Zorne reize / Durch Murren, wenn du Leiden auferlegst! / Und züchtigst du: ich sink’ an deine Brust, / Und alle Last wird mir zur Himmelslust. // Nach der Predigt. – Mel. Meine Hoffnung etc. [1.] Wen die Weisheit recht belehret, / Freiheit sei des Christen Theil; / Wer sich hat zu Gott bekehret, / Als dem allerhöchsten Heil, / Sucht allein / Ohne Schein / Christi freier Knecht zu sein. // [2.] Gott giebt seinen frommen Knechten / Dort der Treue Gnadenlohn; / In den Hütten der Gerechten, / Schallet dann ihr Siegeston, / Wo führwahr / Gottes Schaar / Christum lobet immerdar. //

Am 27. Juli 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

8. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 2,17 Nachschrift; SAr 67, Bl. 60r–61v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 8. S. Tr. 28. Mar. 2,17

60r

Diese Worte sind unstreitig einer der allerbekanntesten und den meisten Christen geläufigsten Aussprüche des Herrn, bekannt auch die Veranlassung dazu, nemlich eine Frage der Pharisäer an seine Jünger als er selbst zu Tische saß mit den Zöllnern, da er einen Zöllner gerufen um in sein Haus einzukehren und der ihm ausrichtete ein Mahl. Es ist ja aber auch keineswegs die Absicht dieser unsrer Zusammenkünfte daß wir darin etwas neues hören wollen, sondern indem wir zurückgehn zu der einen Quelle des Lebens aus der wir immer wieder schöpfen, so bezeugen wir eben dadurch daß wir nichts begehren als das zu Herzen zu nehmen und uns daran zu erquicken was wir allein daraus schöpfen können. Der Apostel Paulus sagt auch, so ein Schriftgelehrter ein Jünger des Herrn geworden sei, der gebe aus seinem Schatze hervor Altes und Neues. Aber das Neue muß alt sein es muß das sein was immer gewesen ist und sich bewährt hat, und das Alte wird nun indem es uns aufs neue als ein Licht leuchtet in einem bisher noch nicht so ganz erleuchteten Theil unsers Wesens und Weges des Lebens. So ist [es] auch mit diesem Ausspruch des Herrn. Es ist etwas Allen bekanntes, daß indem der Erlöser sagt er sei gekommen als Arzt zu den Kranken, seine Meinung keineswegs die gewesen sei, als ob es Gesunde gebe, und als ob die die die Frage an ihn richteten solche Gesunde waren. Aber er hat es auch nicht verheimlichen wollen daß es keine Gesunde giebt; denn wenn er sagt er sei gekommen zur Buße der Sünden, nun so fragt 17 Weges] Wege 5–7 Vgl. Mt 9,9–11; Mk 2,14–16; Lk 5,27–30 12–14 Das Bibelzitat ist kein Wort des Apostel Paulus, sondern stammt aus Mt 13,52.

5

10

15

20

Predigt über Mk 2,17

5

10

15

20

25

30

35

40

163

sich jeder wozu er den Gerechten gekommen ist, da es aber darauf keine Antwort giebt weil keiner gerecht ist vor Gott, so liegt darin daß er solche nicht anerkennen konnte. Sondern, das ist das Verhältniß des Erlösers zum ganzen menschlichen Geschlecht: er ist der Arzt und wir Alle sind die Kranken. Was er aber hier sagt das ist das: ob er den Menschen helfe oder nicht das liegt weniger an ihm als vielmehr daran ob sie ein Bedürfniß fühlen geholfen zu werden. Er sagt: Ich bin gekommen zu rufen die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten, weil jene ein Bedürfniß haben von mir geholfen zu werden, wodurch er zu erkennen giebt daß ihm Alle gleich sind wenn sie sich nur bedürftig fühlen, aber auch das, daß der erste Anknüpfungspunkt der Gemeinschaft mit ihm kein andrer sein kann als das gefühlte Bedürfniß nach ihm dem Arzt der allein helfen kann. So ist er in die Welt getreten, und das ist die Geschichte die sich immer wiederholt in der Wirksamkeit des Erlösers daß er der Eine Arzt ist für Alle. – Die Stimme ertönt laut und es giebt viel Rühmens von der herrlichen Wahrheit und dem kräftigen Troste des Evangeliums, aber so lange es nichts ist als auf die Weise herrlich für die Menschen daß sie es nur gern hören, so entsteht noch nicht die Erfüllung der Absicht. Nur wenn ein bedürftig Herz da ist von dem Bewußtsein durchdrungen, daß etwas da ist was es sich selbst nicht geben kann dann wird die Kraft des Evangeliums empfunden, dann aber auch gewiß empfunden. Wir dürfen das Verhältniß des Herrn zu Allen nicht übersehn und nicht die Verschiedenheit ob die Menschen dies Bedürfniß fühlen oder nicht; denn davon hängt es ab ob sie mit ihm in Verbindung kommen, denn daß sie dann wenn sie es fühlen, ihn erkennen, das ist seine Sache, dafür sorgt er. Indem er sich aber zu Allen gleich verhält, so dürfen wir nicht aus der Erzählung von der die Worte unsers Textes herrühren, den Schluß machen als ob die Zöllner solche waren, die, weil sie auch äußerlich mehr als andre als Sünder erkannt wurden, der Hülfe des Erlösers eher konnten theilhaftig werden: wir würden unrecht haben wenn wir dächten daß das in Sündevertieftsein, daß das eben ein besonders begünstigter Zustand sei um von der Kraft des Erlösers ergriffen zu werden, oder als ob die ihm lieber wären die von den Menschen verachtet sind; denn so ists nicht, sondern er stellt sie Alle ganz gleich gegen sich indem er sagt | „Ich bin gekommen die Sünder zu rufen zur Buße; und dieser mein ursprünglicher Beruf ist unumschränkt, aber wer sich getroffen fühlt, so daß mein Ruf und sein Bedürfniß zusammentreffen, nur der kann beseligt werden:“ Das ist der innre Unterschied auf den alles ankommt, aber keineswegs dürfen wir sagen daß solch äußrer Unterschied für den Erlöser etwas sei. Vielmehr wenn wir uns erinnern wie einst ein Meister aus Israel zu ihm kam in der Nacht mit dem Verlangen von ihm erleuchtet zu werden: so können wir uns das nicht leugnen daß indem der Herr ihm das recht vorhielt daß die 39–3 Vgl. Joh 3,1–21

60v

164

Am 27. Juli 1828 früh

neue Geburt aus dem Geist ein neuer Lebensanfang sei, er in der kurzen Zeit dieser Unterredung weit tiefer einging in das Geheimniß der Erlösung als es bei solchen andern geschehen konnte. Und gewiß hatte er immer eine Freude daran wenn er Einen traf zu dem er sagen konnte: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes:“ wozu aber freilich das Bewußtsein es nicht zu haben vor Allem mit gehört. Also immer ists nichts anderes als dieses beides wovon das Wirken des Erlösers abhängt, nemlich: der Ruf des Evangeliums der an alle Menschen ergeht und das gefühlte Bedürfniß des Herzens: sie müssen in dem Zustand sein daß sie Hülfe suchen, und wenn ihnen dann gesagt wird: „Sieh der ists welcher denen die ihn aufnehmen ein neues Leben verleiht:“ dann kann es nicht fehlen, daß sie in ihm erkennen die Herrlichkeit dessen von dem die Menschen Macht bekamen Gottes Kinder zu werden, daß sie in seinem Lichte die Nothwendigkeit der Umkehr des Lebens erkennen. Und sind sie dahin gekommen so sind sie alle gleich, und Alles was dem Zustand vorangegangen ist das ist gleich und keins ist besser und günstiger gewesen; denn es kommt nur an auf die Wahrheit der innern Empfindung und auf die Wahrheit des Eindrucks den der Erlöser und sein himmlischer Ruf auf uns macht. Aber auf der andern Seite könnte man sagen: wohl, so war es damals[;] die ganze Welt lag in Sünde und wo der Ruf des Evangeliums hinkam da fand er überall denselben Zustand, aber anders ists doch wol jezt nachdem so viele Geschlechter dem Ruf des Evangeliums gefolgt sind, nachdem eine Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe sich gebildet hat die zu der Aehnlichkeit mit dem Erlöser heranreifen soll, nachdem es zu dem ersten gehört was in der Jugend dem Menschen gesagt wird es gebe einen göttlichen Erlöser der Menschen von dem alle geistige Gabe herrührt deren wir uns erfreuen: soll es denn nun noch immer so sein daß der Ruf des Erlösers ergeht als an Sünder, und daß immer wieder in jedem das Bedürfniß den Erlöser von der Sünde zu haben, so daß der Herr an ihm einen Kranken findet der des Arztes bedarf? Denn wenn wir uns denken daß die christliche Lebensordnung schon viele Jahrhunderte lang besteht, und daß die Jugend mit der Milch des Erlösers genährt wird, so zeigt sich ja die Sele schon früh erwacht für die höhern Bedürfnisse, und so sollte man denken es sei dadurch schon ein solcher Zustand bedingt in dem sich die Krankheit gar nicht entwikeln könnte, und die Menschen werden, durch des Evangeliums Erziehung von Kindheit an, solche Stärke in dem Herrn, ohne daß sie je ein solch Bedürfniß, als Kranke nach dem Arzt, zu empfinden brauchten; denn sie müßten ja ihr eignes Bewußtsein von den hohen Gütern des Geistes des Herrn verleugnen wenn sie sich einbilden sollten auf demselben Flecke zu 28 Bedürfniß] zu ergänzen wohl hervorgerufen werden soll 4–5 Mk 12,34

10–13 Vgl. Joh 1,12

29 ihm] ihn

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 2,17

5

10

15

20

25

30

35

40

165

stehn auf den der Erlöser die Menschen fand: Darin nun ist freilich etwas Wahres und nicht zu Verwerfendes; wohl wär es traurig wenn wir sagen müßten jedes Geschlecht ist eben so und nicht anders wie damals! Wohl, wir wollen sogar zugeben die Menschen bedürften, so entwickelt, des Arztes nicht[.] | Aber wenn sie denn das meinen so wollen wir doch daran mahnen daß sie nicht vergessen aus welcher Quelle diese ihre Gesundheit kommt, daß sie nicht sich selbst zuschreiben was seinen Grund hat in dem womit sie genährt sind, sie sollen nicht als eigne Werke ansehen was das Werk der göttlichen Gnade ist. Und wenn wir sie nur dahin bringen daß sie nicht wollen als Undankbare erscheinen, sondern auf den zurükgehn und die Geschichte dessen klar in ihrem Bewußtsein tragen von dem uns alle Segnungen gekommen sind, und wenn sie das aufrichtig thun, den Erlöser überall ins Auge fassen, und sie vergleichen sich mit ihm: sollte da nicht dasselbe Urtheil entstehen daß er doch allein der Gesunde in dem die reine Fülle der geistigen Lebenskraft war und ursprünglich war? Und wenn sie dann darauf sehn wie von ihm aus sich diese Kraft ergießt, sie also nichts sich selbst gegeben haben, und sie betrachten sich ausgezogen von derselben[,] sollten sie dann nicht in diesem ihren ursprünglichen Zustand als eben so unvermögend erkennen wie die zu denen er zuerst kam als der Arzt und alleinige Helfer? Und so sehn wir, bleibt der Mensch nur wahr und aufrichtig so kann kein anderes Urtheil entstehen als dieses richtige; Denn übt die Sünde nicht mehr überall solch zerstörende Gewalt aus wie früher, so ists das Leben das er ans Licht gebracht hat das nun herschend geworden; und wenn wir finden daß das was dem alten Leben angehört noch nicht ganz zerstört also immer noch Krankheit da ist, o es giebt immer dafür keine andre Heilung als den lebendigen Einfluß seines Lebens in dem die Fülle der Gottheit ist, und es giebt keinen Genuß ewigen Lebens als nur wenn wir sagen können: „nicht ich lebe, sondern Christus in mir“: Aber eben darum müssen wir wol zuletzt noch fragen: (wenn der Erlöser sagt: „ich bin gekommen zur Buße zu rufen:“ und er offenbar damit den ersten Anfang meint einer lebendigen und beselenden Gemeinschaft der Menschen mit ihm, daß ihr Verlangen seinem Ruf entgegen kommt und daß es keinen andern Anknüpfungspunkt der Gemeinschaft geben kann als daß wir seinen Ruf hören. Wie denn dieser Ruf erst das rechte Bewußtsein der Krankheit und das Verlangen nach Hülfe erweckt: Aber wenn nun das der Krankheitszustand ist in welchem wir nach dem Arzt verlangen, so kann doch einer, der statt die Krankheit zu heilen nur das Bewußtsein derselben zu erhalten sucht, nicht der wahre Arzt sein: wenn wir nun sagen: „Christus ist unser Arzt geworden“: so ist doch darin nur so viel Wahrheit als wir sagen können daß wir durch ihn wirklich geheilt sind.) Wie steht es nun damit wenn einige Christen sagen es sei die Seligkeit selbst daß der Mensch 26–27 Vgl. Kol 2,9

28 Gal 2,20

61r

166

61v

Am 27. Juli 1828 früh

sich als Sünder fühle und immer das Verlangen nach dem Arzte in sich trage? Der Erlöser sagt er sei gekommen zur Buße, und die Buße ist der Uebergang zu einem neuen Leben, wär es also so daß in dem Bewußtsein der Krankheit schon die Seligkeit läge, so hätte der Herr sagen müssen er sei gekommen nicht zur Buße sondern zum Bewußtsein der Krankheit, und er wäre dann ein solcher der nicht dem alten Zustande ein Ende macht, und nicht die Krankheit aus dem Grunde heilt: So werden wir also sagen müssen daß das nicht das Rechte sei. Aber freilich können wir auch nicht leugnen daß etwas Wahres darin ist, daß das das immerwährende Bewußtsein sein muß daß wir die Kranken sind, denn das Verhältniß des Herrn zu allen Menschen bleibt immer dasselbe; er allein ist der Gesundheit bringende Arzt, er ist der Gerechte der gerecht macht und sie sind allzumal Sünder. Und so müssen wir freilich sagen: er ist auf solche Höhe gestellt, daß, wenn er auch sagt er will sie Alle zu sich ziehn, doch der Unterschied bleibt: Denn wenn wir mit dem Apostel auch sagen können „ich danke Gott der durch Christum mich stark gemacht hat:“ und wenn wir dem Zeugniß geben können daß uns nichts scheiden kann von der Liebe Gottes in Christo, und daß eben dadurch sich die Gemeinde Christi baut zu dem unvergänglichen Tempel: so fühlen wir doch wenn wir uns mit dem Einem vergleichen immer denselben Unterschied; denn was | wir leben, das ist immer nur das Gefühl der Gemeinschaft mit ihm, sonst aber bleibt das Verhältniß daß er der Arzt ist und wir die Kranken sind[.] Aber das soll nicht das ganze Bewußtsein unsers Lebens sein sondern wenn wir sagen in Beziehung auf das in uns was noch fort muß: „wer wird mich erretten von diesem Leibe des Todes:“ so müssen wir auf der andern Seite doch auch sagen können: „es ist nichts Verdammliches in denen die in Christo sind:“ Darum wenn wir dem Evangelium dies Zeugniß geben können daß es eine Kraft Gottes ist selig zu machen, so müssen wir, da der Herr nicht mehr sichtbar auf Erden ist, darstellen das Werk das er in der menschlichen Sele vollbracht hat, wir müssen darstellen den Menschen Gottes durch Christum, und nur indem das geschieht daß aus diesem seinem Werk seine Herrlichkeit erkannt wird, nur so wird jenes Bewußtsein von dem ursprünglichen Zustande der menschlichen Natur ein wahres heiliges und belebendes. Wir müssen unterscheiden daß ohne die Hinwegnahme der Krankheit durch ihn, der ursprünglich unsichre Zustand immer derselbe bleibt, daß aber er ein neues Leben entzündet. Und so dürfen wir die Gemeinde des Herrn nicht ansehen als ein Sieghaus in welchem die Herrlichkeit des Arztes nur kann ange3 neuen] neuem Bd. 4, Sp. 87)

37 Sieghaus] steht wohl für Siechhaus (vgl. Adelung, Wörterbuch,

14 Vgl. Joh 12,32 15–16 Vgl. 1Tim 1,12 17–18 Vgl. Röm 8,35 25 Röm 7,24 26 Röm 8,1 26–28 Vgl. Röm 1,16

24–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 2,17

5

10

15

20

167

schaut werden durch die Krankheit, sondern wie er die Welt überwunden so überwinden wir durch ihn, und die Gemeinde soll sich herantraun nicht durch sich selbst sondern durch die Kraft des göttlichen Lebens welches von Christo aus sich über sie verbreitet, zu dem lebendigen ewigen Tempel Gottes. Und wenn unser Zustand diesem Bilde noch nicht entspricht, so sei uns das eine Erneuerung der Buße. Aber indem wir dem Wesen nach geheilt sind durch ihn, so muß das Bewußtsein zum Grunde liegen wenn wir uns seiner Gemeinschaft erfreuen, und so werden wir ihm dann mit dem dankbaren Bewußtsein verbunden bleiben daß wir ohne ihn im Tode liegen. Von diesem Bekenntniß wollen wir nicht weichen, aber laßt es uns auch immer erfahren in wie weit wir gesund geworden sind, und uns bestreben durch die uns von ihm verliehne Kraft, daß alle Krankheit ausgerottet werde, und unser gemeinsames Leben immer mehr werde das ihm wohlgefällige Opfer und jeder erscheine als gesegnetes Glied an dem geistigen Leibe des Herrn[.] Das sei das Zeugniß welches wir uns bestreben abzulegen, damit Alle den Zusammenhang sehn von dem hülflosen Zustand und dem was durch die Kraft des Herrn neu geworden ist, auf daß Alle ihre Zuflucht nehmen zu ihm, und dann ihn verherrlichen in der That und Wahrheit durch das Werk das durch ihn in ihnen ausgeführt wird immer herrlicher von einem Tage zum andern!

14 geistigen] geistigem

Am 3. August 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

62r

9. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 10,12–13 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 62r–64r; Woltersdorff Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Aus der Predigt am 9. S. nach Tr. 28. 1. Cor. 10,12.13. Der Apostel hatte vorher den Christen, an welche sein Brief gerichtet war, das Volk des alten Bundes dargestellt als ein warnendes Vorbild, wie sie nemlich Alle die das Volk ausmachten der göttlichen Gnadenbezeugungen wären theilhaftig gewesen aber dennoch in so mancherlei wiederholte Verirrungen gesunken, so daß der Herr kein Wohlgefallen an ihnen haben konnte und sie das ihnen vorgesteckte Ziel das ihnen verheißne Land nicht erreichen konnten. – Mitten aus der Freude welche sie hatten über das neue Leben in Christo, mitten aus dieser Seligkeit der Christen, führt er sie zu diesen Bildern der Rohheit längst vergangner Zeit, und dann sagt er: „darum, wer steht der sehe zu daß er nicht falle:“ – Aber auch hier erkennen wir wie überall dasselbe Gepräge des Evangeliums; wie es immer damit anfängt zu demüthigen aber hernach wieder erhebt: so auch hier, der Apostel giebt zuerst die ernste Warnung aber er fügt ein Wort der Ermunterung hinzu und des Trostes, er verweist die Christen auf ihre Erfahrung von der göttlichen Treue die ihnen auch das Höchste was sie zu erleben haben werden, sichert. So laßt uns nach Anleitung dieser Worte, den Christen in Beziehung auf die Versuchung betrachten wie der Apostel ihn darstellt, so daß wir 1. auf die Warnung sehn 2. auf die Aufmunterung die er giebt in dieser Beziehung. Es ist wol ein sehr ernstes Wort der Warnung: „wer steht der sehe zu daß er nicht falle:“ aber wir können uns allerdings darüber bedenken ob das ein so allgemeines Wort sei, ob es wie von jenen Christen so auch von uns 3–9 Vgl. 1Kor 10,1–11

5

10

15

20

25

Predigt über 1Kor 10,12–13

5

10

15

20

25

30

35

169

Allen gilt. Der Apostel legt viel Werth auf den Zustand worin sich das Volk des alten Bundes befand während seines Aufenthalts in der Wüste. Die neuen Christen hatten zu kämpfen mit allerlei Hindernissen und mußten sich durch alle Gefahren mit ihrem neuen noch wenig gekräftigten Leben hindurchdrängen, ihnen kam nicht zu statten eine Erziehung in christlicher Sitte und Zucht, sondern alle alten Gewohnheiten, alles was vorher gegangen verband sich mit dem was in ihrer Umgebung sie zum Abfall neigte. Wie anders unsre Lage! wie viel ebner ist unser Weg gebahnt durch das irdische Leben, wie kommen uns schon von Anfang an alle Hülfsmittel entgegen, wir finden überall Unterstützung und Hülfe in jeder Gefahr die unserem geistgen Leben droht. Aber freilich der Apostel redet nicht zu denen die wie die Kinder wankenden Schrittes gehn und noch nicht fest stehn, sondern er sagt: „wer da steht der sehe zu daß er nicht falle:“ und das giebt freilich der Warnung eine sehr allgemeine Bedeutung, und so können wir denn dem uns nicht entziehn daß das Wort auch an uns gerichtet ist. Freilich wenn wir an ein anderes und schönes Wort der Schrift denken, nemlich: „es ist ein köstlich Ding daß das Herz fest werde:“ und wie verschwindet uns dies schöne Ziel wenn wir uns immer noch das Wort sollen gesagt sein lassen: „wer steht der sehe zu daß er nicht falle:“ Denn diese Besorglichkeit stimmt nicht zusammen mit dem befestigten Herzen und dem innern Bewußtsein desselben. So laßt uns denn eben dies Ziel vor Augen habend welches ja allerdings das Werk sein soll des göttlichen Geistes an den Gemüthern, auf beides, auf die Warnung und auf die Ermunterung des Apostels sehen. | 1. Aber was kann es helfen auf das Erste unsre Aufmerksamkeit zu richten? Giebt er uns Lehre? sagt er wie wir es machen sollen um nicht zu fallen? er sagt nichts als: der sehe zu daß er nicht falle: Worauf, wohin sollen wir sehen? Das Wort des Apostels kann erscheinen als Aufforderung zu besorglichem und ängstlichem Wesen, welches doch entfernt zu sein scheint von der rechten Freiheit der Kinder Gottes, mit der Freudigkeit mit welcher wir durch das Leben gehen sollen. Und wenn die Gefahr zu fallen doch von nichts her kommen kann als aus uns selbst; worauf sollen wir achten? Etwa auf die leisesten Keime der Gebrechlichkeit die wir noch in uns erbliken? auf die zuckenden Bewegungen des alten Menschen der im Sterben liegt aber immer wieder noch sich regt? welch niederschlagender Anblick! Und wie wenig zusammstimmend ist das damit daß wir vergessen sollen was hinter uns liegt! Wolan so laßt uns versuchen ob wir auf bessre Weise dem Sinn des Apostels in dieser Beziehung nachkommen können. Wenn wir ver6 alten] alte 16 Hebr 13,9

14 Bedeutung,] Bedeutung:, 36–37 Vgl. Phil 3,13

30 mit der] Kj von der

38–2 Vgl. Phil 3,13

62v

170

63r

Am 3. August 1828 vormittags

gessen sollen was da hinten ist und uns strecken nach dem was vor uns liegt worauf denn soll eigentlich wol unser Auge gerichtet sein? o gewiß auf das schöne, große und herrliche Ziel unsers gemeinsamen Berufs, auf die Ausbreitung des Reichs Gottes, auf das Werk was uns in jedem Augenblick obliegt zu thun, auf das worauf wir durch die Gnade Gottes gerichtet sind! Ach und wenn wir statt in das Innre des Verderbens des menschlichen Herzens zu sehn, statt uns mit unserm eignen Anblick zu quälen, auf den einzig erfreulichen Anblick gerichtet bleiben, auf den Einen Vollkommnen, auf den Anfänger und Vollender unsers Glaubens! wenn wir nichts zu sehn begehren als die Herrlichkeit des eingebornen Sohns vom Vater voller Gnade und Wahrheit, in dem eben deshalb die göttliche Herrlichkeit sich abspiegelt, wenn wir damit das Auge des Geistes angefüllt erhalten, wer wollte uns dann zumuthen daß wir noch auf irgend anderes sehn sollten! Denn wahrlich davon würden wir genug haben um fest zu stehn und in keinem Augenblick zu fallen: Könnten wir nur immer an den beselenden Anblick des Erlösers hangen, wir würden nie nöthig haben in die Tiefe unsers Herzens hinab zu sehen; denn wir würden fest werden und stark durch den der uns stark macht. Das ist freilich das einzige Mittel fest und sicher zu stehn und nicht zu fallen und wer dem folgen könnte für den wäre die Warnung überflüssig, aber eben darin hat uns der Apostel das Volk des alten Bundes zum Vorbild gestellt: Gott hatte sich ihm auf vielfach wunderbare Weise offenbart und dennoch hatte es gemurrt und Abgötterei getrieben und sich von dem entfernt der sich so wenig hatte unbezeugt gelassen. Und so ists eben die Unbeständigkeit des menschlichen Herzens, das Unvermögen auf Eines jeden Augenblick gerichtet zu bleiben, sei es auch das Schönste Erfreulichste und Herrlichste: Das ists was der Warnung des Apostels ihren Sinn giebt und ihre Allgemeinheit über alle Menschenkinder. Und so würden wir freilich, wenn wir Gefahr merken einen Blick werfen müssen auf unser Innres, aber jemehr wir auf das Ziel unsers Berufs, jemehr wir auf den Gegenstand unsers Glaubens sehn und uns dafür halten, daß wir der Sünde gestorben sind und mit ihm leben desto mehr werden wir auch durch seinen Geist des Fleisches Geschäfte tödten. Aber weit entfernt ist die Warnung des Apostels uns aufzufordern zu solcher Behutsamkeit und Vorsicht wie die Kinder dieser Welt ausüben, sie freilich, wenn sie sich hüten wollen daß nicht das verborgne Uebel ausbreche in That, wenn sie in sich merken die Lust welche als Sünde hervorgehn will, ja dann richten sie ihre Augen weit umher um jedem äußern Anlaß aus dem Wege gehn zu können, damit sie nicht (was sie so nennen) fallen. Ein sinnlich Gefühl erwägen sie gegen | das andre: Scham gegen Lust, Furcht gegen Hoffnung, 4 jedem] jeden 9 Vgl. Hebr 12,2

10–11 Vgl. Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 10,12–13

5

10

15

20

25

30

35

40

171

aber das sind gebrechliche Stäbe! Und wenn sie sich das Nahe was ihnen als Genuß erscheint klein denken und das Ferne groß womit sie sich trösten wollen, ach, die ferne Gestalt wird bleich und bald verschwindet sie von der nahen der Versuchung! Das also hat der Apostel nicht gemeint daß wir auf unserm geistlichen Wege nachahmen sollten die falsche Klugheit der Kinder dieser Welt auch in Beziehung auf ihre innre Führung. Sondern, einfältig soll das Auge nur auf das Licht, nur auf die hellen Gegenstände gerichtet sein, nicht mit zur Erde gesenktem Auge wandeln, damit nicht wenn wir aufsehn der Schwindel uns ergreife sondern mit aufgerichtetem Angesicht dahin gewandt von wo allein Hülfe kommen kann, nach dem Licht das ja uns erleuchten soll und dazu uns gegeben ist: So werden wir der Warnung des Apostels folgen. Aber wenn die Warnung eine beständige sein soll so dürfen wir uns wol nicht schmeicheln in einen Zustand zu kommen wo gar keine Gefahr mehr ist. Um nun aber zu sehn wie das nicht hindert, daß das schöne Ziel erreicht werden kann, daß das Herz fest wird im eigentlichen Sinn des Worts: so laßt uns fragen 2. Wie uns der Apostel selbst in dem Wort der Ermunterung den Erfolg der Befolgung seiner Ermahnung beschreibt. Er sagt: „Es hat euch noch kaum denn menschliche Versuchung betreten, Gott ist getreu. Der euch nicht lässet versuchen über euer Vermögen sondern macht daß die Versuchung so ein Ende gewinne daß ihrs könnet ertragen.“ Er weiset die Christen auf ihre Erfahrung hin obgleich sie auch kein langes Leben im Glauben zurükgelegt: aber grade das, daß der größte Theil derselben in dem Leichtsinn des heidnischen Lebens erzogen war und nun auf einmal ihr Leben sich umgestaltet hatte, grade darum konnte eine kurze Zeit für sie schon reich sein an den Erfahrungen die der Apostel ihnen vorhält. Und er giebt ihnen auch zugleich Sicherheit für die Zukunft indem er sagt die Treue Gottes werde es nicht zulassen daß sie versucht würden über Vermögen. Aber freilich auch in diesem aufmunternden Wort kommt er zurück zu dem demüthigenden womit er angefangen. Er sagt die Versuchung werde so ein Ende gewinnen daß wirs können ertragen. Freilich ein mäßiges Ziel das in uns stekt wenn er sagt: ertragen. Aber laßt uns genauer in diesem zweiten Theil seiner Rede eingehn, um den Sinn derselben ganz zu fassen. Zuerst sagt er: „bedenkt eure Erfahrung: es hat euch noch kaum als menschliche Versuchung betreten:“ Was will er eigentlich damit sagen? Der Wahn der alten Welt welcher den dem Menschen natürlichen Glauben zerspalten hatte in mancherlei thörichtige Bilder, der hatte auch alles was ihn umgab mit geheimnißvollen Einfluß auf die Menschen habenden, Geistern erfüllt: und diese Vorstellung war allgemein verbreitet. Fiel nun der Mensch durch einen Stoß von innen, nun 2 erscheint] erscheinen

5 geistlichen] geistlichem

39 mit] mit,

172

63v

Am 3. August 1828 vormittags

so war er zu bedauern als Einer der durch fremde Gewalt hinabgezogen war, und hatte die Entschuldigung für sich immer bei der Hand. Von diesem Wahn sollte nun der Glaube an Gott schon die Herzen gereinigt haben. Der Apostel aber führt die Christen auf die Erfahrung ihres christlichen Lebens zurück indem er sagt: „Keine als menschliche Versuchung.“ Das heißt: wenn der Mensch in den dunklen Abgrund seiner selbst schaut, so entdeckt er da aus dem Herzen alle argen Gedanken kommen, zu Allem wodurch er und Andre versucht worden, findet er den Grund in sich selbst. Es sind nicht fremdartige Geister, sondern er kennt es aus sich selbst was ihm die Menschen entgegen bringen zur Versuchung, wie damals die Heiden die Christen versuchten durch Lust und durch die Furcht, und so immer ankämpften gegen die Bekenner des neuen Glaubens. Die Schwachheit die gern andre zu sich hinab zieht, die Herschsucht die gar zu gern möchte daß keiner anders dächte und handelte, wir kennen sie in uns selbst: also ist alles was uns je versucht hat, menschliche Versuchung gewesen. Und eben deswegen muß Rath dafür sein, da wo für alles Menschliche Rath ist; Giebt es einen Retter und Heilbringer, giebt es Einen den Gott entgegengestellt hat allem was wider ihn ist, nun so können wir in Hoffnung und Zuversicht rechnen auf die Liebe Gottes die sich uns offenbart | in ihm dem Sohn, der uns zur Heiligung ist. Und diese Zuversicht ists worauf der Apostel als auf das, was sie erfahren haben die Christen hinweist, indem er sagt wie auch bis jetzt nichts als Menschliches entgegengekommen ist, so ist Gott getreu der auch in Zukunft euch nicht läßt versuchen über Vermögen: Wenn er aber sagt: „nicht über euer Vermögen“ so dürfen wir nicht denken daß er solch Vermögen solche Kraft im Sinn gehabt welche sie mitgebracht von ihrem frühern Leben her, etwa von den Vorschriften der Mäßigung von denen sie sich damals leiten ließen, von der menschlichen Weisheit, die damals ihr Höchstes war: sondern wenn er sagt: „euer Vermögen:“ so meint er kein ander Vermögen als das welches der den Menschen giebt der allein sie stark macht; der Apostel der nichts sich selbst zuschreibt, der hat auch Andern kein Vermögen beigelegt das sie hätten aus sich selbst, er der bei allem was er that und vollbrachte immer bezeugte es sei die Liebe Christi die ihn dringe, er selbst sei schwach aber in Christo sei er stark, der hat auch hier kein ander Vermögen gemeint als das aus der Fülle Christi. Und wenn wir bedenken was durch Christum alles unser Vermögen ist, wenn wir bedenken wie wir eingepflanzt sind in die Gemeinde Gottes wo das Licht die Finsterniß immermehr durchdringt und die göttliche Wahrheit immer siegender wird, und durch welche die Menschen immer mehr auf den einen sichern Weg, auf den Gebrauch und die Kraft des göttlichen 33 dringe] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1553–1555 32–33 Vgl. 2Kor 5,14

33–34 Vgl. 2Kor 12,10

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 10,12–13

5

10

15

20

25

30

35

40

173

Worts geführt werden, wenn wir bedenken wie zu unserm Vermögen gehören alle Gaben des Geistes, aller Beistand der brüderlichen Liebe, alles was die reifere christliche Weisheit der Brüder uns geben kann: o so müssen wir wol sagen: „wie sollt es zugehn daß wir sollten versucht werden über unser Vermögen! wie sollten wir nicht auf die Treue Gottes bauen, der, da er ja aus Liebe der Gemeinde Christi diesem Tempel des Herrn alles geschenkt hat, auch nichts wieder aus demselben heraus reissen kann!“ – Aber wie kommt es denn doch, daß, statt der Apostel nun hätte sagen können: „ist nun Gott getreu, so wird durch jeden Schritt immer euer Herz fester werden“ warum läßt er nicht die Möglichkeit des Fallens verschwinden durch die Festigkeit des Herzen? wie kommt es daß er statt dessen sagt: „und er läßt jede Versuchung solchen Ausgang gewinnen daß ihr es könnt ertragen?“ Was ist der Ausgang der Versuchung? – Der Anfang jeder Versuchung und das Wesen jeder Versuchung ist immer das Gelüsten wider den Geist, zweifach aber ist das Ende; der Geist kann siegen über das Fleisch, der Geist Gottes kann es verhindern daß wir nicht in Sünde fallen, es kann aber auch geschehen, daß wir erfahren wie kräftig sich noch der alte Mensch regen kann, daß wir erfahren wir sind immer noch auch dazu da um Zeugniß abzulegen von der menschlichen Gebrechlichkeit: Das sind die beiden verschiedenen Ausgänge. Wer sollte sich nicht beider bewußt sein in seinem Leben! Und für beide hat der Apostel nur die eine Benennung, nemlich: ein solch Ende daß wirs können ertragen: Wie, werden wir sagen, sollte nicht mehr können gesagt werden von dem Ausgang der Versuchung wenn der Geist gesiegt hat? soll uns das nicht erheben zu Dank und Freude? Der Apostel unterscheidet es nicht, und wahrlich wenn es für uns einen Kampf gegeben hat in dem wir haben wirken müssen, und sind genöthigt gewesen in die Tiefe des Herzens zu sehn: dann ist keine Ursach zur Freude da, sondern es ist immer nur das was wir können ertragen, wenn wir sehn wir sind noch nicht über jeden Kampf hinaus, und auch der Dank ist nur der Dank dafür daß wir es können ertragen! | Und sehn wir das aus diesem Gesichtspunkt an, so werden wir auch wol sehn, daß der andre Ausgang nicht sehr verschieden ist von diesem; der eine Augenblick und der andre, sie liegen nicht weit auseinander, sie sind Darstellungen ein und desselben Kampfs und des Selben unsichern Zustandes. Und wenn der Apostel sagt, daß Alles was uns in der Schrift von frühern Zeiten gesagt sei, das sei uns zur Warnung und zum Vorbilde gesagt: O so müssen wir wol gestehen: jeder Augenblick in welchem wir die Macht der Versuchung erfahren, er ist für uns selbst und für Andre zur Warnung und zum Vorbilde, und so ist er nicht vergeblich in so fern er uns den Maaßstab giebt von den Fortschritten die das neue Leben in uns gemacht, er ist nicht vergeblich wenn er den Brüdern zur Warnung wird, und 6 Christi] Christi;

12–13 ertragen?“] ertragen:“?

64r

174

Am 3. August 1828 vormittags

wie sollte er das nicht! wie sollt es ihnen nicht zur Warnung sein wenn sie in denen, mit denen sie sich desselben Siegs gefreut, in solchem Augenblick das Entgegengesetzte sehn! Und so ist dann auch dieser Ausgang ein solcher den wir können ertragen wie den andern, so nur aus dem einen und dem andern das hervorgeht, daß wir nicht den Muth sinken lassen uns zu betrachten als Streiter Christi, und so fern wir nur das erreichen, daß wir sagen können: „es giebt nichts was uns scheiden kann von der Liebe Gottes, es fesselt mich stärker an ihn wenn ich ihm danke für den Beistand des Geistes, es fesselt mich eben so stark daß ich weiß und von neuem erfahre, daß nur bei ihm die Hülfe ist:“ Wenn wir nun das wissen, daß uns von ihm nichts trennen kann weder Hohes noch Tiefes: so läßt sichs ertragen welch Ende auch die Versuchung gewinne. Und wollen wir nicht sagen daß auf diesem Wege das Herz fest werde? ja, seien auch die Erfahrungen noch so ungleich die wir machen in Beziehung auf die Versuchungen, doch kann uns nichts scheiden von der Liebe zu ihm auf dessen Wege wir bleiben, wir stehn immer wieder auf, alles führt uns mehr zu ihm, indem es uns zeigt daß wir ohne ihn nichts sind: wird also nicht so das Herz immer fester? Ja, denn der Mensch soll und kann nicht stehn auf sich selbst, das Herz kann nur fest werden, indem es sich als die Rebe fest schlingt um den Weinstock aus dem es allein den Saft des Lebens erhält, es kann nur fest werden in der Gemeinschaft die die Verheißung hat heranzureifen zu der Aehnlichkeit mit ihm der sie gestiftet; unser Herz kann nur fest werden, insofern wir uns bewußt sind des Lebens Christi und der Gnade Gottes die mächtig ist in den Schwachen! So laßt uns wenn wir auch nicht in jedem Augenblick stehn, doch immer wieder aufstehn und wandeln auf den Ruf des Herrn den wir hören mögen. Laßt uns fortschreiten auf dem Wege und immer mehr die Gnaden Gaben uns aneignen, immer fester wurzeln in der Liebe derer, die, weil sie die Seinen sind uns festhalten können und stärken und tragen: und so, in dem frohen Bewußtsein der Treue Gottes die die nicht läßt die in Christo sind, und sie alle vollenden will, in dieser Zuversicht auf die Treue Gottes allein, laßt uns die Festigkeit des Herzens suchen und so in der Hoffnung fest stehn die nicht zu schanden werden läßt! „Dank Dir, o Gott, daß er uns Alles ist, an dem, weil Du in ihn alle Kräfte gelegt hast, wir uns aufrecht halten können, und aufrichten immerdar! u. s. w.“

5 dem] den

6 betrachten] betrachtet

7–9 Vgl. Röm 8,38–39

27 mögen.] mögen,

29 tragen] fragen

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 10,12–13

175

[Liederblatt vom 3. August 1828:] Am 9. Sonnt. nach Trinitatis 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Jesus meine Zuversicht etc. [1.] Stark ist meines Jesu Hand / Und er wird mich ewig fassen; / Hat zu viel an mich gewandt / Um mich wieder loszulassen. / Mein Erbarmer läßt mich nicht, / Das ist meine Zuversicht. // [2.] Sieht mein Kleinmuth auch Gefahr, / Fürcht ich auch zu unterliegen: / Christus beut die Hand mir dar, / Mit ihm kann der Schwache siegen. / Daß mich Gottes Held vertritt, / Das ist meine Zuversicht. // [3.] Wenn der Kläger mich verklagt; / Christus hat mich schon vertreten! / Wenn er mich zu sichten wagt; / Christus hat für mich gebeten. / Daß mein Mittler für mich spricht, / Das ist meine Zuversicht. // [4.] Wird es Nacht vor meinem Blikk / Daß ich seinen Ausgang wüßte, / Und mit ungewissem Tritt / Ohne Licht verzagen müßte: / Christus ist mein Stab und Licht, / Das ist meine Zuversicht. // [5.] Will der Herr durch strenge Zucht / Mich nach seinem Bild gestalten: / Dennoch will ich ohne Flucht / Seiner Hand nur stiller halten. / Er übt Gnad’ auch im Gericht, / Das ist meine Zuversicht. // [6.] Seiner Hand entreißt mich nichts / Wer will diesen Trost mir rauben? / Mein Erbarmer selbst versprichts; / Sollt’ ich seinem Wort nicht glauben? / Jesus läßt mich ewig nicht, / Das ist meine Zuversicht. // Nach dem Gebet. – Mel. Seelenweide meine Freude etc. [1.] Wer sich dünken läßt zu stehen / Hüte wol sich vor dem Fall! / Uns umschleichet, wo wir gehen, / Die Versuchung überall. // [2.] Falsche Freiheit bringt Verderben, / Knechtschaft ist ihr sichrer Lohn / Wahre Freiheit zu erwerben, / Sprich nie dem Gewissen Hohn. // [3.] Sicherheit wird dich betrügen, / Läßigkeit thut niemals gut; / Läßt du in den Schlaf dich wiegen, / So mehrt sich des Feindes Muth. // [4.] Ist der Geist auch noch so willig, / Bleibt das Fleisch doch immer schwach. / Giebst du nach: so trifft dich billig / Deiner Feigheit bittre Schmach. // [5.] Unser Feind ist stets in Waffen, / Nie ficht ihn der Schlummer an; / Willst im Eifer du erschlaffen, / O dann ists um dich gethan. // [6.] Wohl dem der stets wacht und flehet, / Der sein Heil mit Zittern schafft! / Wenn er unbeweglich stehet, / Wird der Sichre weggerafft. // [7.] Wohl dem der mit Glaubensöle / Seine Lampe früh versieht! / Der errettet seine Seele, / Wenn der Herr auch lang’ verzieht. // [8.] Hüter deiner Menschenheerden, / Der du schläfst und schlummerst nicht, / Laß mich täglich wakrer werden, / Wandeln stets in deinem Licht. // [9.] Stärke du die trägen Sinnen / Halte fertig mich zum Streit, / Daß ich, rufst du mich von hinnen, / Wachend sei und wohl bereit! // Nach der Predigt. – Mel. O daß ich tausend etc. [1.] Sollt’ er was sagen, und nicht halten? / Sollt er was reden und nicht thun? / Kann je der Wahrheit Kraft veralten, / Sein liebewallend Herz je ruhn? / O nein sein Wort steht felsenfest; / Wohl dem, der sich auf ihn verläßt! // [2.] Drum sucht bei dir die Seele Frieden: / Verleih ihn du, o Jesu mir. / Und trifft mich Prüfung noch hienieden, / Behalte du mich fest an dir: / Daß ich mit Glaubensfreudigkeit / In dir vollende meine Zeit. //

Am 17. August 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

11. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 15,9–10 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 66r–68v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 11. S. nach Tr. 28 1 Cor. 15, 9.10.

66r

Der Apostel Paulus ist oft genug in dem Fall in seinen Briefen von sich selbst zu reden; bisweilen geschieht es indem er sich denen, welche seine Widersacher waren und seine Arbeit zu verlästern suchten, entgegenstellen mußte, bald geschieht es im Bewußtsein seiner Apostolischen Würde, welche sich wol ziemte darzustellen im Glauben an den dessen Apostel er eben war, indem er sagt: „seht auf die die eure Vorbilder sind im Glauben“: und auf ähnliche Weise. Hier aber ist weder das Eine noch das Andre der Fall, sondern es ist die Betrachtung der außerordentlichen göttlichen Führung mit ihm, welche ihn darauf bringt daß er reden muß wovon das Herz voll war. Er hatte vorher geredet von dem Glauben an die Auferstehung und von dem Zusammenhang dieses Glaubens mit dem Glauben an die Auferstehung des Herrn, er hatte gesagt daß der Herr nach seiner Auferstehung sich gezeigt habe den Aposteln und hernach vielen andern Brüdern, und hinzugefügt, indem er eben jener außerordentlichen Erscheinung gedachte die ihn gleich stellte denen die in den vierzig Tagen den Herrn gesehen hatten, daß der Herr auch ihm erschienen sei und dadurch ihn gleich gesetzt haben denen die ihm die nächsten waren: wie Petrus sagt: „nicht allen ist der Herr erschienen, sondern den vorerwählten Zeugen“: Indem nun der Herr auf eine uns unerklärliche Weise sich dem Paulus gezeigt, hat er ihn gleich gestellt diesen seinen Zeugen, und das führte ihn darauf daß er sagt: „auch mir ist er schienen, mir der ich nicht werth bin daß ich ein Apostel heiße, darum daß ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe:“ Und so stellt er uns in diesen Worten ganz dicht neben einander den größten Unterschied welcher sich in der Angelegenheit unsrer geistigen Führung zwischen 8 Vgl. Phil 3,17

12–19 Vgl. 1Kor 15,1–8

19–20 Vgl. Apg 10,40–41

5

10

15

20

25

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

40

177

zweien Zuständen zeigen kann, nemlich der schnaubende Paulus der die Christen verfolgt, und der, der von sich sagen kann er sei ein Apostel und habe mehr gearbeitet denn sie alle. Zwischen diesen beiden Zuständen tritt der Wendepunkt ein, von welchem der Uebergang von dem einem zu dem andern abhängt. Eben dieses – wiewol nicht auf so wunderbare Weise – war der Fall bei den Jüngern des Herrn; denn wenn auch vorher nicht Feinde des Herrn so waren sie doch fern von dem Wege des Heils, und wenn auch nicht so unbegreiflich, immer doch war es ein Augenblick der Erleuchtung der sie errettete aus den Schatten des Todes und führte zu dem wunderbaren Licht, und wenn sie auch nicht alle große Apostel wurden, so doch Jünger dessen der sie zu seinem Licht berufen. Aehnlich ist der Lauf unsers Weges; aber obgleich die Wege Gottes in Christo die er uns führt so einfach sind so liegt doch eben in dieser Einfachheit solche Tiefe und göttliche Weisheit daß wir von diesen Worten Veranlassung nehmen müssen zu fragen: wie es denn mit allen welche Jünger des Herrn sind dasselbe ist wie damals in dieser Beziehung: Darüber laßt uns nachdenken indem wir unser Augenmerk richten 1. Auf den Punkt von welchem bei dem Apostel die ganze Umkehr seines Zustandes abhing. 2. Auf die Vergleichung des vorhergehenden und nachherigen Zustandes mit jenem Punkt, und dann auf die Vergleichung der beiden Zustände untereinander. 1. Ists denn noch und für uns alle wie damals, daß es solchen Uebergang geben muß, ähnlich dem, dessen, der ein Verfolger der Gemeinde war und dann ein Lehrer und Apostel ward? Freilich können wir nicht sagen daß der Gegensatz in unserm Leben je so scharf hervortritt; wer könnte sagen – es müßte denn | eine Sele sein, die auf einem, dem natürlichen Laufe gar nicht angemessenen Abwege gerathen wäre – daß er ein Verfolger der Gemeinde des Herrn gewesen wäre im eigentlichen Sinne des Worts! Schon mit der ersten Milch des Lebens saugen wir die Milch des Evangeliums zugleich ein, von Anfang an wird die Aufmerksamkeit gerichtet auf den Mittelpunkt des geistigen Lebens, der überall weit über das irdische Leben hinaus gesetzt wird, als hoch darüber erhaben: Wie sollt er also nicht überall der erste Gegenstand der Verehrung sein! Und auf der andern Seite; wenn wir nie so weit zurük gewesen sind, so kommen wir auch nie so weit vorwärts wie der Apostel; wer könnte sich mit ihm vergleichen? wer kann sagen daß er die Gemeinde aus einem dunklen Keim hat hervortreten sehn an das Licht? wer kann irgend etwas eine Arbeit nennen im Vergleich mit seiner? Und doch können wir die Aehnlichkeit seiner und unsrer Führung 1 Vgl. Apg 9,1

66v

178

Am 17. August 1828 vormittags

nicht verkennen; Denn immer giebt es in dem menschlichen Leben einen Zustand in welchem es im Innern des Menschen etwas giebt welches dem sanften Zuge des Evangeliums widerstrebt, immer machen wir die Erfahrung, daß, obwohl der Mensch schwerlich umhin kann Wohlgefallen zu haben an dem Gesetz Gottes, doch das Gesetz in den Gliedern ihn nicht finden läßt das Wollen und das Vollbringen: für alle Menschen giebt es Augenblicke wo sie es einsehn daß es ein köstlich Ding sei daß das Herz fest werde, Augenblicke wo man sagt: „mein Herz was beschwerst du dich noch mit der Eitelkeit, was trägst du noch in Gedanken das Irdische da du zu so Großem berufen bist!“ aber es sind nur Augenblicke, und wie wir es ansehen mögen, es ist ein Zustand in welchem wir zwar das beßre wünschen aber unser Herz ist nicht die geweihte Stätte des festen Wollens, nicht der Tempel wo der Geist Gottes wohnt: Seht da, wenn gleich anders gestellt so ists doch dasselbe was der Apostel als seinen frühern Zustand bezeichnet, es ist die Feindschaft gegen Gott die der Apostel nennt fleischlich gesinnt sein: denn wo noch solche Unstätigkeit ist, solch Wünschen und nicht wollen, da ist nicht der Geist Gottes; denn der müßte Kraft und Leben sein, und wo der Geist des Herrn nicht ist, da ist die Feindschaft wider ihn; er kann verehrt sein, aber wir fühlen uns von dem was er aus uns machen will gedrückt und beschwert, wir sind dem zuwider, und ist das nicht Verfolgung? die, wenn sie sich auch nicht nach Außen doch nach Innen wendet und da ihre verderbliche Wirkung übt! Und indem wir das als gemeinsamen Zustand auffassen, in dem wir alle gewesen sind, wie könnten wir wol, wenn wir auch das nur noch vor uns erblicken was der Apostel sagt von der Arbeit die er gethan, aber doch mit ihm einstimmen können, daß er sagt: „von Gottes Gnaden bin ich was ich bin und seine Gnade ist nicht vergeblich gewesen an mir:“ wie könnten wir wol leugnen, daß wir auf demselben Wege sind wie er, also auf dem entgegengesezten als vorher! Wenn das Herz fest wird im Glauben an ihn der in uns wirkt das Wollen und Vollbringen, wenn wir ein stätig Leben führen in Gemeinschaft mit ihm, ihm und also der Gerechtigkeit uns zum Dienst ergeben haben, dann kann es nicht fehlen daß er uns erwählt als seine Rüstzeuge für die Ausbreitung seines Reichs, daß wir seine Arbeit thun, seinen Willen verkünden indem wir ihn vollbringen, in Worten und That, wie wir es vermögen durch ihn. So sehn wir denn im Allgemeinen: der Gegensatz eines zweifachen Zustandes ist da. Und wenn wir auch nicht solche Erzählung zu machen haben wie Paulus, der dem Herrn widerstrebt hatte und nun sein Apostel war, wenn wir 5 Gliedern] Gliedern. 16 Unstätigkeit] Unstättigkeit wird, 30 stätig] stättig 5 Vgl. Röm 7,5.23 5–6 Vgl. Röm 7,18 Röm 8,7–8 29–30 Vgl. Röm 7,18

27 mir:“] mir:“,

7–8 Vgl. Hebr 13,9

29 wird]

15–16 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

179

uns auch des allerersten Anfangs des geistigen Lebens nicht erinnern, so werden wir doch das Aehnliche in dieser Beziehung nicht verkennen; Denn können wir wol sagen es wäre dieselbe Gestalt des Erlösers die vor uns steht in den beiden Zuständen unsers Lebens? wie er vor uns stand als wir uns davon was wir durch ihn werden sollten fürchteten, ist er derselbe in unsern Augen wie wir ihn hernach sehn wenn das Herz fest geworden? ist er uns derselbe wenn wir ihm widerstreben, der er uns hernach ist wenn wir ihm folgen? | Nein, so lange wir noch nicht mit ihm leben so haben wir ihn auch noch nicht erkannt in seiner ganzen Herrlichkeit wie Johannes sagt von den unendlichen Fortschritten die wir machen werden in seiner Erkenntniß, sehen wie er ist[,] das gilt auch von diesem Leben: wer ihm nicht gleichen will dem ist er nicht der der er doch wirklich ist. Und so können wir nicht anders als sagen: es giebt eine Erscheinung des Erlösers auch für uns wie für den Paulus, welcher wir folgen müssen unser lebelang, solch Erscheinen daß wir ihn sehn wie er ist und eben so stark fest gehalten werden. Ach und wenn der Herr in jenem Augenblick zum Apostel sagt: „es wird dir schwer werden zu widerstreben:“ das ists wovon wir ergriffen werden müssen wir müssen es anfangen zu fühlen daß doch aller Kampf gegen ihn vergeblich ist, daß wir doch auf die Länge uns ihm nicht entziehn können, daß unser Herz um zu dem Frieden zu gelangen den es ahnt, aber noch nicht kennt sich ihm ergeben muß, und er sich unsrer bemächtigen muß darum je schneller je lieber daß wir ihm folgen: So sind wir denn in Beziehung auf das Wesentliche ganz in den Fall wie der Apostel hier von sich erzählt, und wenn er in dem Augenblick als ihm der Herr erschien sich anreihen durfte an die die in den Tagen der Auferstehung ihn gesehn: so dürfen auch wir sagen: „lebt der Herr nicht mehr auf Erden, so ist eben das Leben das er in den Herzen derer führt, die sein Leben führen auf Erden ein und dasselbe mit dem welches er auf Erden führte nach seiner Auferstehung“, und wenn der Apostel um die Menschen dahin zu bringen wo er war, sie zu überzeugen suchte von der Auferstehung des Herrn, so ist es auch der Erstandne, der, so wie er nun lebt, vor uns Alle treten muß damit wir der neue Mensch werden durch sein Leben in uns. So ist er denn auch für uns der uns erweckende Erstandne. 2. Laßt uns unsre Aufmerksamkeit richten darauf wie es sich in dieser Beziehung um den Gegensatz des alten und neuen Zustandes verhält, nemlich, ob irgend eine Beschaffenheit des alten den Uebergangspunkt verhindern könne, und dann, welchen Einfluß die Beschaffenheit jenes Zustandes auf den neuen habe. 8–9 Vgl. 1Joh 3,1–24

16–17 Vgl. Apg 9,5; 26,14

67r

180

67v

Am 17. August 1828 vormittags

Der Apostel fängt damit an daß er sagt er habe es nicht verdient ein Apostel zu werden, aber wenn er es nicht verdient hatte so hieß er es doch, und das was er vorher gewesen, das konnte das nicht verhindern was er wurde. Können wir das auch von uns sagen? Ist das eine allgemeine Beschaffenheit der göttlichen Gnade in ihren Führungen? Es ist hierin etwas was man oft zu verbergen sucht aus Furcht es könne ein Anstoß werden, wenn man nemlich sagt, wie der Mensch auch gewesen sein möge, es könne ihm nicht schaden in Beziehung auf den Übergang zum neuen Leben. Damit es nicht dem verkehrten Sinn der Menschen zum Vorwand werde, der irdischen Gesinnung zum Ruhekissen, scheut man es zu erwägen. Aber es kommt dabei nur darauf an daß wir zweierlei wohl unterscheiden, nemlich, erstens, daß wir fragen: wenn unser menschliches Leben zu dem Anfang eines neuen Lebens nur fähig wird dadurch daß der Erlöser auf solche fortreißende Art vor uns trit, wie sollten wir zweifeln daß er jedem so erscheinen könne? Wo wäre die Allgemeinheit seiner erlösenden Kraft, wenn wir sagen wollten es gäbe menschliche Zustände die so weit abständen vom Wege zum Heil daß ganz die Fähigkeit herausgerissen wäre aus den Selen um vom Herrn ergriffen zu werden, wenn wir das sagten so höben wir ja die Allgemeinheit der Gnade Gottes in Christo auf; Aber wir könnten dann auch nicht sagen daß ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, und daß vor ihm endlich sich aller Knie beugen sollten. | Also kein Zustand wie er auch sei, kann verhindern daß der Punkt eintrete von wo aus ein Leben beginnt durch den Geist des Herrn. Und indem wir das Bekennen was thun wir anders als den Erlöser verherrlichen in der Gewalt die er ausübt, was thun wir anders als daß wir uns selbst trösten in unserm Mitgefühl in allem was noch unseliges vorhanden ist, wenn wir sagen daß es nichts giebt was nicht überwunden werden könnte durch die Macht des Herrn, durch ihn, der der Sieger ist über Sünde und Tod. Anders thun wir nichts als uns selbst trösten über das was dem alten Leben angehört wenn wir schon die Möglichkeit sehn zu dem neuen Himmel der doch endlich sich öffnen muß für Alle. Und da wir so wenig vermögen in die Tiefe der menschlichen Herzen hineinzuschauen, so würden wir, wenn wir nicht von dem Glauben an die Allgemeinheit der göttlichen Gnade ausgingen, bald den Muth verlieren zu arbeiten an solchen Selen welche uns nur das traurige Bild einer eingewurzelten Widerspenstigkeit geben; erkalten würde der Muth, die Treue im Dienst des Evangeliums unter den schwierigsten Umständen hätten wir nicht die Ueberzeugung von der Allgewalt der Gnade Gottes in Christus. 17 Fähigkeit] Fähigkeit, 20–21 Vgl. Mt 28,18

19 auf;] auf, 21 Vgl. Phil 2,10

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

40

181

2. Aber anders ists wenn wir fragen ob der frühere Zustand einen Einfluß habe auf den der neu wird, und welches der Einfluß sei. Freilich scheint es als sollten die Worte des Apostels nun alle Schranken aufheben: aus einem Verfolger des Erlösers wird ein Apostel, sollten wir demnach nicht denken daß auch aus dem verderbtesten Sünder der aller kräftigste Mensch Gottes in dem sich alles Lob der Gottseligkeit verkläre, werden könne im Augenblick der Umwandlung? Nicht also; Der Apostel mußte freilich von sich bekennen daß er ein Verfolger des Erlösers gewesen, aber er mußte sich doch das Zeugniß geben daß er sich bemüht hatte unsträflich zu wandeln: nun erkannte er freilich daß kein Fleisch gerecht werde durch des Gesetzes Werk, sondern daß die Gerechtigkeit nur komme aus dem Glauben an Christus. Aber wenn wir nun fragen wie war er denn als solcher der dem Gesetz lebte dazu gekommen die Gemeinde des Herrn zu verfolgen? so ists dasselbe was er von seinen Brüdern und dem Fleisch sagt: „ich gebe ihnen das Zeugniß daß sie eifern um Gott aber nicht mit Verstand:“ Daß er die Gemeinde verfolgte das war der Eifer um das Gesetz das ihm als das höchste von Gott gegebne Gut erschien. Und ein solcher nun, der in Befangenheit des Verstandes, für das was ihm das Rechte dünkt, alles thut, wenn dabei das Innre des Gemüths unberührt geblieben ist von dem Verderben, ein solcher in dem immer der Ernst gewesen ist unsträflich zu wandeln, der darf nur aus dem Dunklen in das Helle geführt werden, wo er dann dieselbe nun noch erhöhte Kraft gleich verwenden wird um dem Ziel das er nun erkannt hat nachzukommen. Aber ganz anders ists wenn es nicht die Kurzsichtigkeit des Verstandes war was den Widerstand bewirkte, sondern wenn der Mensch Lust gehabt hat an dem Nichtigen, wenn er sich hingegeben hat dem Dienst der Ungerechtigkeit; wenn er dann dahin kommt daß er umgewandelt wird, wird es ihm dann möglich sein, mit gleicher Schnelligkeit vorwärts zu gehen wie jener auf dem neuen Wege? Wenn der Mensch durch den Geist Gottes eine neue Creatur geworden, so ist freilich ein neues Leben in ihm aufgegangnen, aber je tiefer in dem vergangnen Leben die bösen Gewohnheiten eingerissen sind, jemehr er der Ungerechtigkeit gedient hat, ach, desto schwerer wird ihm der Dienst der Gerechtigkeit nachher! | Das bildet einen Unterschied der nicht aufzuheben ist. Also, kein Grad der Verworfenheit läßt sich denken daß nicht doch der Mensch aus der Gewalt des Todes gerissen werden könnte durch die göttliche Gnade. Aber der Unterschied zwischen einem baldigen und ruhigen Genuß des Friedens der sich in Einfalt und Demuth entwickelt aus dem Zusammstimmen des Bewußtseins mit dem göttlichen Willen; dieser Vorzug hängt größtentheils davon ab wie der Mensch vorher gewesen ist, wie hart und wie tief die Knechtschaft der Sünde war; denn nur allmählig läßt sich das wieder aufheben was Werk langer Zeit war, da gilt es kämpfen und 10–11 Vgl. Röm 3,20

14–15 Röm 10,2

68r

182

68v

Am 17. August 1828 vormittags

siegen aber auch oft fallen. Und wenn wir freilich sagen können: der Erlöser läßt keinen wieder los den er ergriffen, so müssen wir doch auch sagen daß die Kraft des Herrn ein leichtes Werk hat, und daß es schneller geht mit dem Einen als mit dem Andern. Darum laßt uns nicht gleichgültig sein in Beziehung auf die Zeit welche einem zusammhängenden Leben der Selen mit Christo vorangeht; damit das Herz leichter fest wird ists ein großes daß es bewahrt werde. Wie soll es auch anders sein! alle Mühe mit der Jugend um sie in Zucht und Ermahnung zum Herrn zu erziehen, sollte sie vergeblich sein für die Zukunft? Alles was wir noch nicht anders ansehn können als Ueberbleibsel einer alten Zeit, sollte es ohne störende Folge sein in der neuen Zeit? Das hieße den Willen Gottes verkennen; denn Gott könnte nie Gott der Ordnung sein wenn ihm in der Welt alles gleichgültig wäre. So geschieht es denn auch daß jeder in seinem Wandel noch die Spuren des alten Wandels fühlt, daß man der einen Sele die Narben noch anmerkt von den Stunden des vormaligen Kampfs[.] | So geschiehts daß die eine Sele noch an sich trägt die Spuren von Verworrenheit aus jener Zeit während die andere nichts ist als Licht und Frieden. Aber jeder sei dankbar und gleich dankbar dem Herrn daß sein Herz fest geworden durch Gnade, wenn auch noch so manche Kämpfe vor ihm liegen, er denke des Apostels der auch klagt der Herr habe ihn mitgegeben einen Pfahl ins Fleisch, und oft habe er ihn gebeten daß er von ihm genommen würde aber der Herr habe ihm geantwortet: „Laß dir an meiner Gnade genügen:“ An der denn wollen wir uns Alle genügen lassen! jemehr sie sich verherrlicht an den Selen. Laßt uns ihn preisen und uns erfreuen an Allem was er thut, seien wir von den Begünstigten in dieser Beziehung oder von denen die das von sich sagen müssen was der Apostel von sich sagt. Laßt uns an dem genügen daß wir ihn gefunden haben der uns das Leben giebt, laßt uns ihm nur immer nachgehen, bei ihm ausharren der allein uns vollenden kann. Wolan, laßt uns nur auf ihn sehn den einen Gegenstand eines wahren Wohlgefallens und der eben je fester wir unser Auge auf ihn richten uns immer mehr läutern wird ihm selbst zum Wohlgefallen und zum Preise.

20–23 Vgl. 2Kor 12,7–9

5

10

15

20

25

30

Am 24. August 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

12. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 11,28 Nachschrift; SAr 67, Bl. 69r–70v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 12. S. nach Tr. 28. Matth. 11,28

5

10

15

20

Wie wir neulich miteinander gesehen haben wie der Erlöser sich darüber erklärt daß er gekommen sei zu suchen und selig zu machen was verloren war: so sinds diese Worte in welchen wir am meisten in der Kürze sehn wie er das gethan. Allbekannte und oft wiederholte Worte sind es, aber der, für den sie dadurch den ursprünglichen Eindruck den sie machen nicht verloren haben, der wird wol einig darüber sein wie tief man sich darin verlieren kann, wie natürlich sie erscheinen und doch auf der andern Seite wie unbegreiflich und dem Verhältniß des Erlösers zu den Menschen ganz und gar nicht angemessen. Wenn wir die beiden Ausdrücke des Erlösers besonders ins Auge fassen wo er von sich sagt er sei sanftmüthig und demüthig, und dann, wo er sagt sein Joch sei leicht: so ists eben dieses beides zusammengenommen worin wir uns, wiewol wir die Wahrheit desselben fühlen, nicht finden können. Wenn wir auf den nächsten Zusammenhang dieser Worte sehn denn wir brauchen nicht einmal so weit in diesem Abschnitt zurükzugehn wo er sagt: „wenn in Sodom die Thaten nur geschehen wären wie bei euch geschehen sind, es stände noch:“ um zu fragen: wie paßt zu solcher Rede das daß er von sich sagt: sanftmüthig und demüthig? wie konnte er der so Großes mit Recht von sich rühmte das von sich sagen? Wir wollen also nur bei dem nächsten Zusammenhang stehn bleiben wo er sagt: „Ich danke dir, ich preise dich Vater daß du es den Weisen verborgen und den Unmündigen offenbart hast:“ und dann: „mir ist Alles übergeben von mei16 Abschnitt] Abschnit

19 demüthig?] demüthig:?

3 Die Frühpredigt vom 10. August 1828 ist nicht überliefert. 4–5 Vgl. Mt 18,11; Lk 19,10 12–13 Vgl. Mt 11,29–30 17–18 Mt 11,23 21–23 Mt 11,25 23– 2 Mt 11,27

69r

184

Am 24. August 1828 früh

nem Vater, niemand kennt den Vater als den Sohn und wem es der Sohn will offenbaren:“ Wie schickt sich zu solchen Rufen das von Herzen demüthig? Und wenn wir an das andre denken, nemlich: Mein Joch ist leicht: und wir erinnern uns dabei der Worte, die er zu denen die ihm nachfolgen wollten, sprach: „wer nicht hasset Vater und Mutter um meinetwillen der kann mir nicht nachfolgen“: wie können wir denn ein solches Joch leicht und sanft nennen wodurch so großes und schweres den Menschen aufgelegt wird? Wolan, so laßt uns beides in seinem Zusammenhang, in seinem Sinn und Geist näher erwägen:

69v

[1.] Wenn der Herr zu denen die ihm umgaben sagte sie sollten kommen um von ihm zu lernen denn er sei sanftmüthig so vergleicht er sich und die von denen sie sonst lernten, und das hat Zusammenhang mit dem daß er sagt: ich preise dich Gott daß du es den Weisen verborgen hast: denn diese Weisen denen der Rathschluß Gottes in Christo verborgen war, das waren eben die von denen die Menschen sonst zu lernen pflegten, und die, freilich, erhoben sich über die, die lernen sollten, sahen sich an als Bewahrer der Geheimniße Gottes und die andern als Söhne der Erde, von ihnen abhängig und ohne Gemeinschaft mit ihnen. Er aber, der Erlöser schämte sich nicht sie Brüder zu nennen, und so trat er überall auf und so lud er sie zu sich ein. Wenn er also von sich sagt er sei sanftmüthig und von Herzen demüthig: so will er sich gegen die stellen die so hochmüthig einhergehen und so stolz, und mit Recht mußten von sich sagen lassen daß sie dem Volke Lasten auflegten die sie selbst mit keinem Finger anrührten indem sie sich erhoben dünkten über die Gebote: Das war der Stolz des Herzens weshalb ihnen die Geheimnisse Gottes nicht konnten offenbart werden und in Beziehung darauf sagt der Erlöser von sich selbst daß er demüthig sei. Aber wenn wir doch sagen müssen daß das dem Erlöser wenig anstehe sich selbst zu beschauen nur durch das Vergleichen mit | andern Menschen die doch in das Verderben verstrickt waren, mit denen er sich also gar nicht vergleichen konnte, daß also wenn er von sich sagt: demüthig: dies sein innerstes von allem Vergleich unabhängiges Bewußtsein sein muß: so, wenn uns auch das, daß er von sich sagt: sanftmüthig: klar ist, so scheint es mit dem Demüthigsein anders zu sein. Darum, so laßt uns fragen in welchem Sinn der Erlöser das von sich sagt daß er von Herzen demüthig sei: Laßt uns bei dieser Untersuchung den vorangehenden Worten, in denen er so Großes von sich sagt, grade entgegen gehen, und uns nicht scheuen sie damit zusammenzuhalten. Er sagt nemlich unmittelbar vorher: „Niemand kennt den Vater als der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren“: Das 3 Mt 11,30 5–6 Vgl. Lk 14,26 31.33 Mt 11,29 38–39 Mt 11,27

14 Mt 11,25

23–24 Vgl. Lk 11,46

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 11,28

5

10

15

20

25

30

35

40

185

sind freilich große und hohe Worte die er von sich selbst redet, aber indem er im Zusammhange damit sagt: Vater, so ists wohlgefällig gewesen vor dir: so geht er nicht auf sich selbst sondern auf das Wohlgefallen Gottes zurück, auf das Wohlgefallen Gottes welches der Ausdruck der göttlichen Allmacht und Gnade ist; Gott hat es im Rathschluß seiner Gnade und vermöge seiner Allmacht so gewollt und vorherbestimmt daß in seinem Sohn die Fülle der Gottheit sein und aus ihm sich den Menschen offenbaren soll: das ist das Wohlgefallen auf das der Erlöser zurükgeht indem er sagt: „mir ist Alles gegeben:“ Und wenn wir an andre Worte denken die uns auch aufbewahrt sind, nemlich: „der Sohn thut nichts von ihm selber sondern was er den Vater thun sieht der ihm alle seine Werke zeigt:“ Und wir fragen nun was ists eigentlich worin sich am meisten das Gegentheil der Demuth verräth? was sollen wir sagen als, daß es eben das ist wenn der Mensch das was er mehr als andre ist aus sich selbst herleitet und übersieht dabei wie wenig alles sein eigen ist: und so werden wir sagen müssen es giebt keinen andern Grund der Demuth als das Anerkennen daß Alles was wirklich ist von dem herkommt von welchem alle gute Gabe kommt, und wenn dem Menschen das stets gegenwärtig ist in seinem innersten Bewußtsein dann ist er zu dem selgen von Herzendemüthigsein gelangt. So konnte der Erlöser in einem Augenblick sagen: „Mir ist Alles übergeben:“ und im andern Augenblick: „ich bin von Herzen demüthig weil ich erkenne daß das der gnädige Wohlgefalle Gottes ist“: Der gnädige Wohlgefalle Gottes, der ists vermöge dessen wir sind was wir sind, und davon durchdrungen sein, das ist der rechte Grund und das eigentliche Wesen der Demuth, dabei haben wir nicht nöthig uns herabzusetzen gegen Andre; denn wenn die Demuth darin läge so könnte ja das von Herzen demüthig sein am wenigsten Wahrheit sein bei denen die viel empfangen haben und hätte gar nicht können wahr sein bei ihm dessen Bewußtsein es keinen Augenblick entgehen konnte daß ihm Alles übergeben, daß in ihm die Fülle der Erkentniß, die Fülle der Gottheit ruhe. Dies Bewußtsein verließ ihn nie, aber weil er immer nach Oben sah und wußte daß Gott in ihm wohnte und daß es also wohlgefällig war vor ihm, darum blieb er, der Mensch, menschlich betrachtet, doch in der allein wahren und herrlichen Demuth. So laßt uns denn das ins Auge fassen was er anderwärts sagt: „Du in mir und ich in ihnen:“ Und laßt uns das darauf anwenden wie wir demüthig sein sollen: Nemlich, so wie der Wohlgefalle des Vaters in seinem Herzen ruhte, so wie er also dabei daß er wußte daß ihm Alles übergeben war, immer demüthig blieb: so will er in uns sein; denn uns ist von ihm Alles übergeben freilich nicht uns als Einzelnen, aber so uns wie wir die Gemeinschaft bilden in der er lebt: so mögen wir sagen uns ist Alles übergeben von ihm, uns sind von ihm alle Worte 2 Mt 11,26 20 Mt 11,27

6–7 Vgl. Kol 2,9 8–9 Mt 11,27 21–22 Mt 11,29 34 Joh 17,23

10–11 Vgl. Joh 5,20

186

70r

Am 24. August 1828 früh

Gottes anvertraut, wir die wir die Hüter sind der Geheimnisse Gottes, wir sollen | sagen können daß niemand den Sohn Gottes kennt als wir und die denen es offenbar wird durch das Leben des Sohnes Gottes in den Seinen; Denn das Wort des Sohnes und die von ihm gestiftete Gemeinde[:] dieses beides ist Eins in seiner Wirkung; Eins wie das Andre ist die nämliche Quelle aus welcher alle lebendige Erkenntniß des Sohnes ausgehen muß. Und so mögen wir als theilhaftig der Gemeinschaft mit ihm und durch ihn zu seiner Gemeinde verbunden, als die die die Schätze seines Worts hüten und bewahren auf daß es Geist und Leben bleibe, so mögen wir sagen, niemand kennt den Sohn als wir in denen er lebt, und alle Offenbarung geht aus von uns. Aber wir können das nicht sagen als nur insofern daß das darin mitenthalten ist: also ists wohlgefällig gewesen vor dir: Ja es ist das gnädige Wohlgefallen Gottes das uns dazu berufen hat, und in diesem Bewußtsein sind wir demüthig von Herzen immerdar, und nur so verstehen wir den Erlöser und haben die rechte Einsicht in den Rathschluß Gottes, in das Werk des Erlösers; denn wenn das nicht Eins ist nemlich seine Erkenntniß und sein Leben in uns, so sind wir ja außer ihm und es haben seine Worte keine Wahrheit durch uns. 2. Und nun laßt uns dem zweiten schönen Wort des Herrn entgegengehn, worin er sagt daß sein Joch leicht sei. Er sagt das in Beziehung auf den Zustand der Menschen unter dem Gesetz: Ach außer der Menge der Regeln und Vorschriften im Gesetz waren sie noch beladen mit allen Ketten der Menschensatzungen: das alles sollte das jüdische Volk tragen, das war die Last die sie nicht fortbewegen konnten, das war es was Paulus sagt daß wer nicht das alles thut was im Gesetz geschrieben ist der sei verflucht, und darum konnte kein Seegen und keine Freudigkeit in das Leben kommen, und darum war es solche Last die kein Mensch vermochte zu tragen. Wenn also nun der Herr uns erlöst hat von dem immer drohenden Fluch des Gesetzes, wenn er uns erlöset hat davon gerecht werden zu wollen durchs Gesetz nun so müssen wir gestehen daß er die Menschen befreit hat von einer großen Last. Aber wenn wir nun erwägen wie er diejenigen tadelt die dem Volk diese Last auflegten die in Befolgung einzelner Vorschriften bestand aber dagegen die Hauptsache des Gesetzes, nemlich die Gerechtigkeit und die Liebe und den Gehorsam gegen Gott unterließen und hintenan stellten: wie können sie, die das thaten, anders geurtheilt haben, als daß alle diese äußern Vorschriften zu befolgen leicht sei gegen das Große was sie in den Schatten stellten? Aber wenn wir nun dabei bedenken daß alle 20 schönen] schönem 21 Vgl. Mt 11,30

36 daß] das

25–26 Vgl. Gal 3,10 (Zitat aus Dtn 27,26}

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 11,28

5

10

15

20

25

30

35

187

Vorschriften der Liebe im Gesetz sich nur erstrekten auf das Volk welches Gott zusammhalten wollte unter dem Gesetz bis zu dem Glauben: so müssen wir doch sagen: wenn sie nun auch dieses Hauptpunkts des Gesetzes nemlich der Liebe sich befleißigt haben, was für eine leichte Last war das gegen die die ihnen aufgelegt werden sollte durch den der das Gebot der Liebe allgemein macht, keine Grenze derselben anerkennt? und wenn wir das hinzunehmen daß der Herr verlangt daß um der einen Liebe willen die in Beziehung auf ihn alle Menschen umfaßt, die natürliche Liebe soll hintenan gesetzt werden: wie schwer erscheint dies und dagegen wie leicht jenes! Und doch, wenn wir die Freudigkeit derer betrachten die zu ihm sagten: „wir haben nun Alles verlassen um dir zu folgen“: und wenn wir bedenken wie sie Alles hunderfältig wieder | fanden in der von ihm ausgehenden allgemeinen Liebe, welche ihnen Alles ersetzt. Wenn wir die Freudigkeit betrachten mit der die Apostel redeten von den Widerwärtigkeiten die sie erfuhren im Dienst des Herrn, und in der sie sagten: „wir können nicht anders die Liebe Christi dringt uns.“ O dann müssen wir ja sagen es ist ein leichtes Joch! Denn das ist ja mal die allgemeine Erfahrung des Menschen was ihm vom Herzen kommt ist leicht, was von Innnen, aus innerem Trieb gethan wird ist leicht, aber was ihn aufgelegt wird das ist schwer! Und das ist die Demuth des Herrn daß er auch hier menschlicher Weise redet und so seine Forderung die der des Gesetzes entgegen stand, auch ein Joch nennt; Denn ists denn wol wirklich ein Joch, ists eine Last daß wir in der Liebe zu ihm wandeln? Nein, es ist gar keine Last! Denn so spricht er: „so euch der Sohn frei macht so seid ihr recht frei:“ und was kann weniger zusammen bestehen als Freiheit und Joch und Last? Seine Forderung legt uns keine Last auf eben weil er nichts fordert als wozu die Liebe uns dringt die er selbst uns eingeflößt hat, dadurch weil er uns so erscheint wie er uns erscheint. Wie wollten wir seine Führung als Joch und Last fühlen, wir, die wir die Freien sind, die keinen andern Weg gehen als den den ihr Herz wählt, keiner Stimme folgen als der in ihrem Innern, die keine andre ist als die Seine, wenn sie durch ihn Eins geworden sind mit ihm. Wie schwer sich auch die Menschen die ihn noch nicht erkannt haben die Last denken mögen die seine Nachfolge ihnen auferlegt, wie schwer ihnen das Joch vorkommen möge, entschließen sie sich nur seiner Einladung zu folgen so ist von keiner Last von keinem Joch die Rede mehr, so fühlen sie nichts als die herrliche Freiheit der Kinder Gottes zu welcher er die Menschen erheben will. Was wollen wir nun sagen, als, daß aber das Bewußtsein daß keiner sie frei machen kann als er, und das Bewußtsein daß nur er den Vater kennt 24 frei:“] frei:“:

37 aber das] aber daß

11 Vgl. Mt 19,27; Mk 10,28; Lk 18,28 35–36 Vgl. Röm 8,21

15–16 Vgl. 2Kor 5,14

23–24 Joh 8,36

70v

188

Am 24. August 1828 früh

und uns ihn offenbaren kann, daß dieses beides Eins ist; denn die Erkenntniß Gottes in der das mitenthalten ist daß das das Wohlgefallen ist der Gnade Gottes, von welchem wir abhängen mit allem was wir sind und haben, daß wir in Christo seine Kinder sind, diese Erkenntniß Gottes in Christo und das Bewußtsein der Freiheit der Kinder Gottes ist ja Eins. Und wenn wir also hingehen im Dienst des Herrn um andern sein Joch, das für uns kein Joch mehr ist, zu empfehlen, so werden wir dann nichts thun als sie einladen zu der Freiheit der Kinder Gottes: und wenn das das Werk ist wozu die Liebe Christi uns dringt, wenn wir so ihm helfen das Himmelreich zu bauen, wie das der gnädge Wohlgefalle Gottes ist daß es durch uns geschehen soll, wie sollten wir nicht dadurch uns mit ihm vereinen in der Demuth; denn wenn der Apostel sagt: „ich vermag nichts als nur durch den der mich mächtig macht“: so auch wir, indem wir uns selbst frei fühlen, indem wir alle Lasten von den Menschen nehmen so sie sich nur in Liebe wollen binden lassen mit ihm: so gehn wir hin in der Kraft dessen der allein stark machet, und in dem Bewußtsein durch die Gnade Gottes sein zu sein, damit durch uns eben die Gnade sich offenbare und jedes Herz durchdringe, und so alle Lasten verschwinden und die Freiheit der Kinder Gottes allein lebe und sie allein das Himmelreich sei auf Erden. So verschwindet denn jeder Schein von Widerspruch in den Worten des Erlösers wie die Göttlichkeit und die Demuth Eins war in ihm, indem er darin dessen er sich nährt zugleich sich bewußt ist daß das der ewige und gnädige Wohlgefallen Gottes ist; und so sei denn auch in uns die Gnade Gottes und das demüthige Gefühl eins. Jemehr wir in der rechten Demuth wandeln um desto mehr werden wir auch die Kraft und Herrlichkeit erfahren und in jener lebendigen Erkenntniß zunehmen durch die wir immermehr frei werden in dem Sohn zu dem Alles geschaffen ist. Das ist der Sinn der großen Worte des Herrn die eben so sehr gemacht sind uns zu demüthigen als zu erheben, aber nicht uns zu erheben, sondern ihn selbst in uns zu erheben, so daß wir in dem Bewußtsein leben daß es kein geistig Leben giebt als nur das Leben aus Gott durch ihn, und daß wir keine Kraft fühlen als die durch die er uns frei macht, kein ander Joch als das welches im Verschwinden ist, dadurch daß wir die Menschen lieben mit der Liebe womit er uns geliebt, mit der Liebe die kein anderes Glük begehrt als daß sie alle zu ihm kommen, auf daß wir die eine Perle gewinnen, nemlich, das Reich Gottes das nicht kommt mit äußern Gebehrden sondern in uns lebt!

12–13 Vgl. Phil 4,13 36 Vgl. Lk 17,20

33–34 Vgl. 1Joh 4,7–11

35 Vgl. Mt 13,45–46

35–

5

10

15

20

25

30

35

Am 21. September 1828 wohl vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

16. Sonntag nach Trinitatis London, Savoy Eph 4,23 Drucktext Schleiermachers; Predigt am 16. Sonntage nach Trinitatis, dem 21. September 1828, Berlin 1829, S. 1–18 Wiederabdrucke: SW II/4, 1835, S. 171–181; 18442, S. 246–256 – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 5, 1877, S. 139–147 Andere Zeugen: Keine Besonderheiten: Der Drucktext Schleiermachers ist ein Wiederabdruck einer nicht autorisierten Druckfassung: Predigt am 16. Sonntage nach Trinitatis, dem 21. September 1828, Camberwell 1828, S. 5–19; vgl. oben Einleitung, Punkt I.3.

5

Predigt, gehalten bei der Wieder-Eröffnung der Deutsch-Evangelisch-Lutherischen Kirche, in der SAVOY, zu London, am 16ten Sonntage nach Trinitatis, d. 21. Sept. 1828, von Dr. Fr. Schleiermacher.

1

Berlin, 1829. Gedruckt und verlegt bei G. Reimer. |

10

Die Savoy-Kirche war mehrere Monate eines Baues wegen gesperrt gewesen, und da es sich traf, daß grade während meines kurzen Aufenthaltes in London zum ersten Male wieder Gottesdienst gehalten werden sollte: so hatte Hr. Dr. Steinkopff die Freundlichkeit mir vorzuschlagen, daß ich die Predigt übernehmen möchte. Ein solcher gelegentlicher Vortrag mitten unter den Zer12–5 Der von Schleiermacher nicht autorisierte in England herausgegebene Druck von 1828 gibt dazu folgende Vorbemerkung: „Da die Predigt des Herrn Dr. Schleiermacher nicht von ihm selbst auf- sondern nur von einigen Freunden nach-geschrieben wurde, auch wegen seiner schnellen Abreise von London, nur einen kleinem Theile nach von Ihm durchgesehen werden konnte, so ist jede etwaige Unrichtigkeit, die sich bey aller Sorgfalt eingeschlichen haben möchte, nicht dem verehrten Herrn Verfasser zuzuschreiben. Ein von mehreren Seiten her herzlich geäusserter Wunsch, diese Predigt im Drucke zu sehen, hat die Herausgeber dazu bestimmt; und sie begleiten dieselbige mit dem Wunsche, daß der Höchste auch dieß Samenkorn himmlischer Wahrheit mit seinem göttlichen Gedeihen begleiten wolle.“ Predigt am 16. Sonntage nach Trinitatis, dem 21. September 1828, Camberwell 1828, S. 3. Der Vorbemerkung folgt der Abdruck eines Gebetes, gehalten von Dr. Karl Friedrich Adolf Steinkopf, sowie einer Bibellesung zu 1Chr 30,1–9.

2

190

Am 21. September 1828 wohl vormittags

streuungen eines solchen Aufenthaltes vor einer ganz fremden Gemeine gehalten, eignet sich freilich weniger für ein größeres Publicum; indeß da diese Predigt schon in London aus einer im Ganzen recht getreuen Nachschrift gedrukt worden ist: so konnte ich gegen eine neue Bekanntmachung derselben hier auch nichts bedeutendes einwenden. | 3

Herr, unser Gott und Vater, der du uns durch den Mund deines Sohnes verheißen hast, daß wo Viele oder Wenige vor dir versammlet sind in seinem Namen, Er selbst unter ihnen seyn werde, Er, der Eins ist mit dir, und in dem alle deine Verheißungen Ja sind und Amen; O! laß denn dieses auch an uns in Erfüllung gehen, so daß wir in dieser Stunde uns seiner geistigen Gegenwart erfreuen zum Heil unsrer Seelen; und gieb, daß hier und in allen Gemeinden der Gläubigen nichts anders möge verkündigt werden, als Er und deine seligmachende Gnade durch Ihn! darum rufen wir dich an in seinem Namen: Vater unser, u. s. w.

5

10

15

Ephes. 4, 23. Erneuert euch aber im Geist eures Gemüths.

4

Meine geliebten Freunde in Christo Jesu! Als es mir auf das freundlichste in brüderlicher Liebe vergönnt ward, mir als einem Fremdlinge, der aber doch euch verwandt ist und befreundet, an diesem besonders erfreulichen Tage zu euch zu reden: so glaubte ich nichts besseres thun zu können, als mit diesen Worten des Apostels euch an|zusprechen; und in demselbigen Sinne, in welchem er sie zu jener Christen-Gemeinde redete, will ich sie auch für euch anwenden. Es war eine Gemeinde von Christen, welchen der Apostel selbst das Zeugniß gab, daß sie aus Gottes Gnade selig gemacht worden durch den Glauben an Jesum. Wenn er ihnen also dennoch hier zuruft, sie sollen sich erneuern im Geist: so meint er damit nicht jenes ursprüngliche geheimnißvolle Wirken des göttlichen Geistes, welches doch immer nur der Anfang bleibt eines neuen Lebens, wenn nämlich der Mensch zuerst von sich sagen kann, Ich glaube, Herr, hilf meinen Unglauben, wenn er zuerst sich in Wahrheit das Zeugniß geben kann, Ich habe ein Wohlgefallen nach dem inwendigen Menschen an dem Gesetze Gottes, ich habe das Wollen und Wünschen, aber das Vollbringen fehlt. Denn wenn er von ihnen sagt und ihnen bezeugt, daß sie selig geworden seien durch den Glauben an Jesum: so mußte auch dieses schon an ihnen geschehen sein. Aber das neue und göttliche Leben, welches Er unser Erlöser wiedergebracht hat, bedarf einer be31–32 Mk 9,24

33–34 Röm 7,22

34–35 Röm 7,18

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,23

5

10

15

20

25

30

35

40

191

ständigen Erfrischung und Erneuerung aus seinem Ursprung. Mit jener ersten Hinwendung des Menschen zu Gott im Glauben, beginnt erst der Kampf zwischen dem Geiste und dem Fleische; und eben deswegen, damit der Sieg immer vollständiger werde, bedürfen wir einer sich oft erneuenden Belebung jener geistigen Kräfte. Von dieser also redet der Apostel in unserm Texte. Eben so nun glaube auch ich, so oft ich vor einer Versammlung von Christen rede, sie ansehen zu müssen als solche, welche sich schon in der seligen Bearbeitung des | göttlichen Geistes befinden, in welchen Christus bereits angefangen hat sich zu gestalten. Aber wie weit wir es auch darin schon gebracht haben mögen, wie stark der Geist sein mag über das Fleisch; immer bedarf es für uns dieser fortgesetzten und unausgesetzten Erneuerung in dem Geiste des Gemüthes; und zu dieser soll uns Alles gedeihen, was zu dem christlichen Leben gehört. Dazu soll beitragen die tägliche Uebung in dem göttlichen Gesetze, wie sie einem jeden der Kreis seines Berufs und seiner geselligen Verhältnisse anweist, in welchem wir ja immer Gelegenheit haben zu erkennen, wie mächtig schon der Geist Gottes in uns wirkt, oder wie schwach wir noch selbst sind. Dazu soll beitragen die stille Selbstbetrachtung, welche überall jenes geschäftige Leben unterbricht, so oft der Mensch sich selbst prüft, um zu erkennen, indem er in den Spiegel des göttlichen Wortes hineinschaut, wie er gestaltet ist. Aber auch diese unsere Versammlungen, ja alle gemeinschaftliche Ermahnung und Erbauung, wie sie beginnt mit dem vertrauten Verhältniß einzelner Seelen untereinander aber am deutlichsten und wirksamsten sich zu erkennen giebt und sich in ihrem größten Umfange zeigt in unsern christlichen Zusammenkünften, auch diese hat daran ihr eigenes und bescheidnes Theil. Und hierüber mit einander nachzudenken, fordert uns dieser Tag, an dem ihr euch zuerst in diesen Gott geweihten Räumen wieder zusammen findet, auf besondere Weise auf. Darum möchte ich auch vorzüglich in dieser besondern Beziehung euch die Ermahnung des Apostels ans Herz legen. Laßt uns deshalb Erstens erwägen: Auf welche Weise besonders diese unsere christlichen Zusammenkünfte | die Erneuerung im Geist des Gemüths fördern und unterstützen. Dann aber auch Zweitens: Wie dieser erfreuliche Tag mit seiner eigenthümlichen Veranlassung euch eine besondere Aufforderung seyn soll, euch dieser Unterstützung theilhaftig zu machen, und durch solche Erneuerung im geistigen Leben zu wachsen und zuzunehmen. I. Wenn wir erstlich uns die Frage vorlegen: Was ist denn die besondere eigenthümliche Wirkung dieser unsrer christlichen Zusammenkünfte zum Behuf der Erneuerung im Geiste des Gemüths? – so

5

6

192

7

Am 21. September 1828 wohl vormittags

werden wir sie uns nur richtig beantworten können, wenn wir darauf Achtung geben, was denn überhaupt das eigentlich Wirksame in denselben sei. Was wird uns, so oft wir uns hier versammlen, vor Augen gehalten, womit beschäftigen wir uns? Es ist nichts anderes, als das Wort Gottes. Was ergreift uns allemal, wenn wir uns in unsern Versammlungshäusern vereinigen, auf ganz besondere und eigenthümliche Weise? Es ist das Bewußtsein eines gemeinsamen über Alle verbreiteten Lebens, in Beziehung auf welches keiner etwas ist für sich selbst und durch sich selbst. So finden wir uns hier als die Glieder einer christlichen Gemeinde zusammen. Diese selbst aber ist wieder nur ein Glied einer größern kirchlichen Gesellschaft; und auch diese, die Gemeinschaft der evangelischen Bekenner, ist nur ein Glied in jener unsichtbaren Kirche des Herrn, welche überall nur eins ist, und dasselbe. Seht denn, diese beiden Stükke, Wort Gottes und Bewußtsein der geistigen Gemeinschaft, sind das eigentlich | wirksame in allen Versammlungen der Christen; aber gewiß auch eben dasjenige, was am kräftigsten sein muß, um uns im Geiste des Gemüthes zu erneuern, weil gerade davor der alte Mensch am wenigsten bestehen kann. Denn das Wort Gottes ist die ewige und heilige Wahrheit, welche bis tief in das Innere des Gemüthes hineindringt; aber alles, was in uns noch dem alten Menschen angehört, das hat auch noch einen Theil an der Unwahrheit. Das Gefühl des gemeinsamen Lebens, welches uns hier ergreift, muß uns nothwendig festhalten an der gemeinsamen Quelle dieses Lebens; aber alles, dem alten Menschen Angehörige, hat einen Theil an der Eigenliebe und Selbstsucht. Wenn dieses beides nicht wäre, die Unwahrheit in den verborgensten Tiefen der menschlichen Seele auf der einen Seite, und die Selbstsucht, welche an dem Eitlen des irdischen Daseins hängt, auf der andern: wo hätte jemals die Sünde Raum gewinnen und Gewalt üben können in der unsterblichen, nach dem Ebenbilde Gottes geschaffenen Seele? Je ungetrübter wir uns also einerseits das göttliche Wort vorhalten, so daß seine reine himmlische Wahrheit unser innerstes Wesen durchdringt; je freudiger wir uns von dem gemeinsamen Leben ergreifen lassen, so daß was hingebende Thätigkeit, die nicht das ihrige sucht, zur Seligkeit wird: desto mehr ringt der alte Mensch in uns mit dem Tode; und eben sein Absterben ist unser zunehmendes, sich immer erneuerndes Leben. Das ist die Erfahrung, meine Freunde, welche alle treuen und gläubigen Teilnehmer christlicher Versammlungen zu allen Zeiten ma23 Das] das 36–37 Vgl. Eph 4,22

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,23

5

10

15

20

25

30

35

193

chen; das ist die eigenthümliche Art, wie diese zur Erneuerung im Geist des Gemüthes beitra|gen. Und der Apostel Paulus bezeugt dies in einem andern, unserm Briefe verwandten Schreiben, auf eine ausdrückliche Weise, wo er von dieser Erneuerung im Geiste des Gemüths redet, indem er sagt: Wir sollen den neuen Menschen anziehen, der da erneuert wird zu der Erkenntniß nach dem Ebenbilde deß, der ihn geschaffen hat; da nicht ist Grieche, Jude, Beschneidung, Vorhaut, Ungrieche, Scythe, Knecht, Freier; sondern Alles und in Allen Christus1. Ist nun diese brüderliche Gleichheit nur in unserm gemeinsamen Leben; ist jene Erkenntniß nur in dem göttlichen Worte: so sehen wir aus diesen Worten des Apostels noch genauer, was wir besonders durch unsere christlichen Versammlungen für unsere Erneuerung gewinnen sollen. Es ist die Klarheit in der Erkenntniß, welches da sei der heilige und wohlgefällige Gotteswille an uns Alle in Christo Jesu, es ist die erhöhte lebendige Beziehung auf das gemeinsame Leben der Christen, in welchem eben Er Alles ist in Allem; so daß ein Jeder, der also gestärkt und erinnert von dannen geht, sagen kann, daß nun wie auf’s neue und in einem höhern Grade nicht mehr er lebe im Fleisch, sondern Christus in ihm, und daß ihm aufs neue der Geist Christi, was er von Christo genommen, verklärt habe. Diese Wirkung werden wir gewiß alle immer reiner, so wie immer reicher erfahren, je weniger wir glauben, daß es hier etwas anderes wirksames gebe, als dieses beides, das Wort Gottes und das Bewußtsein der christlichen Gemeinschaft. So haben auch von Anfang an alle diejenigen gedacht, welchen der Dienst an dem göttlichen Worte durch die Gnade | Gottes zu ihrem Berufe geworden ist; und eben unser Apostel hat dieß am einfältigsten und deutlichsten heraus gesagt, indem er spricht, Er sei nicht gekommen mit Worten menschlicher Weisheit, sondern nur mit dem Worte Gottes; er habe sich nicht gedünkt etwas anderes zu wissen, als nur Jesum Christum den Gekreuzigten. Aber eben deßwegen sagt er auch, daß seine Predigt überall gewesen sei im Geist und in der Kraft. Und eben so ermuntert er auch überall die Christen, fest zu halten an der Gemeinschaft, und weiset hin an diese, als an die rechte Bürgschaft und Sicherheit für die Fortdauer und Gesundheit des geistlichen Lebens. 1

Coloss. 3, 10. 11.

13 Erkenntniß] Erkenntntß 28–30 Vgl. 1Kor 2,1

30–31 Vgl. 1Kor 2,2

31–32 Vgl. 1Kor 2,4

8

9

194

10

Am 21. September 1828 wohl vormittags

Wo es nun anders geschähe als so, da würde freilich dieser göttliche Segen aus unsern Zusammenkünften weichen; sie würden aber auch nicht mehr dieselben sein. Wer hier reden wollte zu den Christen aus seiner eigenen Weisheit, der würde handeln, wie wir in andern menschlichen Geschäften pflegen; und diejenigen, die hieher kämen, in der Absicht den einen Lehrer vor den Anderen zu unterscheiden, indem sie nämlich auf die Anmuth und Lieblichkeit oder auf die Stärke und menschliche Weisheit der Rede vorzüglich merkten, die stellen unsere Zusammenkünfte ganz anderen Oertern gleich, wo mit den Waffen der Rede und um anderen Preis gekämpft wird. Beide aber würden auf das Fleisch säen, und vom Fleische nichts anders als das Vergängliche und das Verderben erndten. Je mehr wir von allem Menschlichen absehen, und es nur betrachten als die Schale, in der uns die himmlische Gabe dargereicht wird; je mehr wir für nichts anderes Sinn und Geschmack haben, als für das Wort Gottes, das eben so | einfältig ist, als kräftig: um desto mehr werden wir zunehmen in der Klarheit der Erkenntniß. Je weniger jeder, der hieher kommt in die Gemeinschaft seiner christlichen Brüder und Schwestern um sich mit ihnen an dem göttlichen Worte zu erbauen und zu stärken, eine Rechnung anlegt, was er selbst sei und gelte in dieser Gemeinschaft der Gläubigen, vielmehr nur darauf bedacht ist, aus der gemeinsamen Quelle zu schöpfen für sich und somit auch für alle, denen er in seinem Leben wieder darreicht von den neu gestärkten Kräften der Liebe und der Wahrheit: desto mehr werden wir alle gewiß erneut werden im Geiste unseres Gemüthes, um desto mehr wird alles von uns abfallen, was noch irdisch ist und fleischlich, und was deswegen eine Feindschaft ist gegen Gott. Wer aber dessen vergißt, daß wie wir alle Glieder sind an demselben geistigen Leibe Christi, so auch jeder, indem er dienen will mit seiner Gabe, bedürftig ist des freundlichen Hinzutritts der Gabe des Andern, der wird immer nur jenem gleichen, welcher, weil er nur in den Tempel Gottes ging um zu danken für das, was er bereits geworden war, und um sich mit Anderen zu messen, ungerechtfertigt von dannen ging. Und was anders wäre das wieder, als auf das Fleisch säen, und von dem Fleische das Verderben ernten? Darum laßt uns mit unserm ganzen Gemüthe ausschließlich auf diese beiden Hauptstücke gerichtet sein! Je mehr unser Herz nur aufgethan ist, um das Wort Gottes, wie es an uns ergangen ist durch seinen Sohn, in uns aufzunehmen; je lieber wir uns durchwehen lassen von dem 18 Gemeinschaft] Gemeinschnft 10–12 Vgl. Gal 6,4 34 Vgl. Gal 6,4

27–29 Vgl. Röm 12,4–6

30–33 Vgl. Lk 18,10–14

33–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,23

5

10

15

20

25

30

35

195

lebendigen Geiste der Gemeinde, in welcher ein Jeder sich selbst vergißt und verliert, um sich dadurch hundertfältig wiederzufinden in | dem Reiche Gottes, in dem er nicht ein Ganzes ist für sich, sondern nur ein Theil, ein Glied: um desto reichlicher wird aller Segen, der in diesen christlichen Versammlungen liegt, über uns kommen, und keiner von uns wird je von dannen gehen, ohne erneut zu sein in einem höhern Grade im Geiste des Gemüthes. Wenn wir also hierher kommen als solche, die sich bewußt sind, daß sie dieser Erneuerung bedürfen: wohlan! so laßt uns denn, indem wir die schöne und erfreuliche Veranlassung des heutigen Tages ins Auge fassen, im zweiten Theile unserer Betrachtung darauf sehen, II. Wie wir uns eben hierdurch um so kräftiger sollen aufgefordert finden, an jener Unterstützung in der Heiligung und Erneuerung, an jenem besondern göttlichen Gnadenmittel immer aufs Neue zu unserer Seelen Heile theilzunehmen. Bedenkt, deswegen, meine theuren Freunde: 1) Wie diese ganze schöne Erneuerung eures Gotteshauses etwas vergängliches sein würde und leeres, nichtiger als irgend ein anderes menschliches Werk, wenn ihr nicht zu dem ausgesprochenen großen Zwekke zusammenkommt. Denn alles andere fast, was Menschen unternehmen und allein oder durch vereinigte Kräfte ausführen, hat mannigfaltige Abzwekkungen, und dient zu gar verschiedenem Gebrauche. Je zusammengesezter jedes ist, je mehr mit Verstand erdacht und ausgeführt und je mehr Kräfte dazu verwandt worden, um desto vielseitiger ist der Gebrauch und die Anwendung. Hier aber giebt es nur dieses Eine, die Erneuerung im Geiste des Gemüthes; und wird dies verfehlt, so ist nichts | leerer und vergeblicher, als dies Zusammenkommen, weil es eben keinen andern Nuzen und Gebrauch haben, weil es uns in keinem Theil unseres weltlichen Lebens fördern, weil sonst nichts dadurch ausgerichtet und geübt werden kann, wenn nicht eben das Eine, Erneuerung im Geiste des Gemüthes durch das Wort Gottes. Wenn wir unsere Kirchen und Versammlungs-Häuser bezeichnen als Gott geweihte Stätten, so haben wir wohl recht; vorausgesetzt daß wir dabei bedenken das Wort des Apostels, daß der Gott, der Himmel und Erde erschaffen, nicht wohnet in Tempeln mit Händen gemacht, und nicht bedarf, daß man sein pflege. Wenn also doch diese Gebäude ihm geweihet sind, wenn wir sie ansehen als die Stätten seiner Wohnung, worauf beruht das, als darauf, daß während wir hier versamm16 Freunde] Freude 35–37 Vgl. Apg 17,24–25

11

12

196

13

Am 21. September 1828 wohl vormittags

let sind im Namen seines Sohnes, Er unter uns sein, in uns wohnen will, daß sein Geist zur Erneuerung im Geiste des Gemüthes, und zur Heiligung unseres Lebens wirksam ist; und daß eben dadurch das Band unserer christlichen Gemeinschaft, in welcher jeder gehalten wird durch das Ganze auf Christum gebaut, immer mehr befestiget wird. Darum, schmücken wir und erneuern wir unsere Gotteshäuser, finden wir uns darin ein als fleißige Besucher; es fehlt aber der Segen der Erneuerung im Geist des Gemüths, eben weil wir irgend etwas anderes dabei wollen oder suchen, – denn sonst kann er uns niemals fehlen: so sind Mühe und Arbeit, Zeit und Kosten umsonst aufgewendet. Eine Gemeinde von Christen, die sich ihr Gotteshaus auf das sorgfältigste ordnet, es auf das schönste und angemessenste verziert, ja auch fleißig ist im Besuch | desselben; sie glaubt aber, daß hiedurch an und für sich etwas bewirkt wäre, abgesehen von dem, was im Innern des Gemüthes geschehen soll, die wäre nicht besser als jene, von welchen Christus sagt, sie wären wie die übertünchten Gräber, welche von außen zwar ein stattliches Ansehn hätten, aber inwendig wären sie voller Todtengebeine. Denn rechnet zusammen die Schönheit des Gebäudes, die Fülle der Anwesenden, den Wohllaut der Rede und des Gesanges; alles das ist nur ein Aeußeres und warlich nur ein Todtengehäuse, wenn es an dem Innern fehlt. Denn wenn in dem Gemüthe die Sehnsucht nicht ist sich zu erneuern, in der Erkenntniß zuzunehmen nach dem Ebenbild dessen, durch den wir alle geschaffen sind in der neuen Creatur: was kann anderes darin sein als Staub und Verwesung, und was anders als Liebe und Anhänglichkeit (ohne sie kann der Mensch nicht sein) da nicht zu dem Geistigen und Ewigen, folglich zu dem Irdischen und Nichtigen. 2) Aber eben so laßt euch besonders auffordern, meine theuren Freunde, euch hier immer nur zu der Erneuerung im Geiste des Gemüths zu versammeln, dadurch, daß eben dieses Werk ein Werk der Liebe ist. Ihr seid dieses euch gewohnten und befreundeten Raumes lange Zeit beraubt gewesen, ihr waret ungewiß, ob es würde durchzuführen sein, ihn auf so erfreuliche Weise herzustellen; und wären nicht die Gaben der Liebe, wäre nicht die freundliche auf diesen Zweck gerichtete Gesinnung der Mitglieder dieser und andrer Gemeinden gewesen, so wäre auch das, was uns heute mit so dankbarer Freude erfüllt, nicht zu Stande gekommen. | 29 theuren] theure 17–19 Vgl. Mt 23,27

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,23

5

10

15

20

25

30

35

40

197

Wohlan! so laßt uns denn fragen: Was will und was sucht denn die Liebe in diesem, wie in Allem? Sie sucht nicht das ihrige, aber sie sucht alles und hoffet alles, was wahr ist und gut; sie sucht und will nichts anders, als daß Alle ungeschieden bleiben mögen von der Liebe Gottes, die da ist in Jesu Christo; denn es giebt keine andere wahre Liebe, als die, welche in Ihm war, und durch Ihn in uns aufgerichtet ist. Was hat also auch diese christliche Liebe gewollt, die euch dies schöne Gotteshaus erbaut hat? Nichts anderes, als daß ihr aufs Neue möchtet zusammengefaßt werden in Liebe, daß es auch Euch nicht fehlen möge an einer Stätte, wo das erneuernde Wort Gottes verkündiget wird, an einem Vereinigungsort, um gestärkt zu werden in dem Bewußtsein der christlichen Gemeinschaft. So ehrt denn, meine theuren Freunde, das Werk der Liebe! Es kann bei dem, was diese thut, niemals die Frage sein, ob wir mehr oder weniger verdienen es zu empfangen, – denn die Liebe wartet nicht auf das verdienen, so wenig sie es erfordert, – aber ob wir fähig sind es zu gebrauchen, diese Frage haben wir überall uns vorzulegen, wo irgend etwas uns als eine Gabe der Liebe dargeboten wird. Wenn Ihr nun anders hier zusammen kämet, als um Euch zu erneuern im Geiste des Gemüthes: so wäret ihr unfähig zu einem solchen Gebrauch; so würde der Zweck der Liebe verfehlt werden. Und so gewiß Ihr glaubet, daß es nichts anders gewesen ist als sie, als diese reine Lust und Freude an der Erhaltung und Verbreitung jedes lebendigen Werkes christlicher Gemeinschaft, was Euch diesen Tempel erneuert hat: desto mehr sollt ihr suchen das | Werk der Liebe dadurch zu ehren, daß ihr es würdig gebrauchet. – So wächst, nach der heiligen Ordnung Gottes, die Liebe, dieser Inbegriff alles göttlichen Segens, durch sich selbst. Auch der Apostel, wenn er der Gemeinde an welche die Worte unseres Textes gerichtet sind das Zeugniß giebt, daß sie schon selig geworden durch den Glauben an Jesum, was meint er anders, als daß der Glaube in ihnen die Liebe gewirkt habe; denn das ist die Seligkeit des Menschen. So laßt euch denn zurufen in diesen erneuerten Mauern den großen und einzigen Wahlspruch aller Christen: Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott, und Gott in ihm. In der Liebe zu bleiben, dazu ladet uns ein jedes Werk der Liebe ein; aber wie nur durch Christum die Liebe ausgegossen ist in unsre Herzen, so wissen wir, giebt es auch kein anderes Bleiben in der Liebe, als wenn Er in uns lebt. Und das ist ja nichts anders, als eben die selige Erneuerung im Geiste des Gemüthes. 34–35 1Joh 4,16

14

15

198

16

17

Am 21. September 1828 wohl vormittags

3) Wenn wir aber irgend eins von den Versammlungshäusern der Christen betreten, so können wir nicht umhin auch an die mannigfaltigen Zertheilungen der christlichen Gemeinschaft zu denken. Denn ein jedes solches Gebäude ist nur einem bestimmten Bekenntnisse, einer Gemeinschaft, die sich als eine abgeschlossene geschichtlich erhalten hat, zunächst geweiht. Wir wissen, wie wenig dies das Festhalten der Einigkeit im Geiste hindert, wir wissen, wie ohnerachtet des Anscheins vom Gegentheil doch diese Trennung und Verschiedenheit durch göttliche Ordnung besteht. Und alle göttliche Ordnung stimmt zusammen, und keine stört und hindert die andere. | So sind denn auch die hiesigen Gemeinden unsres deutsch-evangelischen Bekenntnisses für dieses unsrer Sprache fremde Land ein lebendes Denkmal jenes großen Werkes Gottes, nämlich der Verbesserung und Reinigung der christlichen Kirche, welche in unserm deutschen Vaterlande begonnen wurde. Indem nun Ihr meine hiesigen deutschen Brüder Euch großentheils in den Geschäften eures Berufes der Sprache dieses Landes bedient, indem Ihr an dieses Land mit manchen theuern Banden gefesselt seid, und Euch mannigfaltiger Segnungen und göttlicher Wohlthaten erfreut in der bürgerlichen Gemeinschaft mit dem christlichen Volke, unter dem ihr lebet; so laßt ihr euch dennoch hier anreden in der Sprache unsers Vaterlandes, so übt Ihr hier die Form des evangelischen Gottesdienstes wie er in unserm Deutschland besteht, so befindet Ihr Euch hier fortwährend in einer besonderen Gemeinschaft mit denen, die im Vaterlande derselbe Glaube und dieselbe Art und Weise des Bekenntnisses christlicher Wahrheit vereinigt. Und wohl muß es auch etwas Gutes und Gottgefälliges sein, daß dieses Denkmal bis jezt erhalten worden; denn es ist der gnädige Wille Gottes, daß dieses Werk der Verbesserung der Kirche, wie es in Deutschland begonnen hat, nicht in demselben eingeschränkt bleibe. Wie viele Bemühungen das Evangelium zu verkündigen sind von dieser unserer evangelischen Kirchen-Gemeinschaft ausgegangen! wie viele Boten des Friedens, die ursprünglich keine andre Sprache redeten als die unsrige, haben sich zerstreut in alle Theile der Erde! Und wie auch das deutsche Volk mannigfaltig verbreitet ist in diesem unserm gesitteten und gebildeten Welttheile: so giebt es fast in allen Landen des|selben solche Denkmale dieser Begebenheit in einer größern oder geringern Anzahl Evangelischer Gemeinden. Laßt es uns als etwas Gottgefälliges betrachten, daß, indem wir so erinnert werden an jene weitverbreitete Segnung, wir uns immermehr darauf stärken, nach dieser väterlichen Weise Bekenner Christi zu sein und mit allen Kräf31 Bemühungen] Bemühnngen

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Eph 4,23

5

10

199

ten zur Erhaltung und Verbreitung seines göttlichen Wortes zu wirken. – Darum laßt Euch von mir, der ich unserm gemeinschaftlichen Vaterlande angehöre, das Wort der Ermahnung nicht mißfallen, daß auch Ihr festhalten möget an dieser besondern Gemeinschaft unter den mannigfaltigen Hindernissen, die einem solchen Zusammenhalten entgegentreten in einem fremden Lande; daß ihr diese Versammlungen fleißig besuchen möget und Euch bemühen zu ihrem Bestehen mitzuwirken. Dazu ist Euch heute noch eine besondere Gelegenheit eröffnet; und wie und weshalb es für diese Gemeinde besonders wünschenswerth sei, daß sie treulich benuzt werde, davon giebt Euch der wür9–2 Im nicht von Schleiermacher autorisierten in England herausgegebenen Druck von 1828 folgt der Predigt Schleiermachers folgende Anrede von Dr. Karl Friedrich Adolf Steinkopff: „Mit tiefgerührter Seele erscheine ich in der Mitte dieser Gemeine, und rufe ihr, wie mir selbst zu: Danket dem Herrn: denn Er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich. Aufgefordert von meinem verehrten Herrn Amtsbruder, füge ich ein paar Worte über die Veranlassung der jetzt zu sammelnden Collecte bey. Schon seit mehreren Jahren wurde das Bedürfnis einer Reparatur unserer Kirche gefühlt; Dach und Mauerwerk, Gewölbe und Sacristen, Fenster, Kanzel, Altar, Stühle, Leuchter, das Innere wie das Aeußere, war einer Ausbesserung, Erneuerung, Verschönerung benöthigt. Nur die Größe der Unkosten schreckte uns mehr als einmal ab; zuletzt aber sahen wir uns gedrungen, getrost und im Vertrauen auf Gottes väterliche Fürsorge, so wie auf die thätige Unterstützung unserer deutschen und englischen Brüder zum Werk zu schreiten; und, gepriesen sey sein heiliger Name! wir finden uns in unserer Hoffnung nicht getäuscht. Wir hielten es für billig, eine Sub scription zur Beschreitung der Unkosten zuerst im Kreise unserer eigenen Gemeine zu eröffnen, und mit Freuden darf ich es der Wahrheit gemäß bezeugen, daß Aelteste, Vorsteher, Gemeinglieder, willig und froh ihre Gaben darbrachten, ja daß mehrere derselben wetteiferten, nicht nur durch Geldbeträge, sondern auch mit persönlicher Anstrengung, durch Rath und That, zur Verminderung der Unkosten und zur zweckmäßigen Ausführung des ganzen Unternehmens beyzutragen. Wir wandten uns sodann zutrauensvoll an einige unserer deutschen und englischen Brüder. Auch hier ließ uns Gottes Güte von mehr als einer Seite offene Herzen und Hände finden, und nicht ohne innige Rührung konnte ich es vernehmen, mit welcher Herzlichkeit meine werthen Herrn Amtsbrüder in andern deutschen Gemeinen deren Glieder aufgefordert haben, ihre Theilnahme an dem Wohl der unsrigen auch bey dieser Gelegenheit thätig an den Tag zu legen. Nichts kann erfreulicher und ermunternder seyn, als so das Band deutscher Bruderliebe auch im fremden Lande ausgebreitet, erhalten, gestärkt, und immer fester geknüpft zu sehen. Vorzüglich aber wurden wir mit Gefühlen der lebhaftesten Dankbarkeit durchdrungen, als Sr. Majestät, unser König, ein großmüthiges Geschenk von £ 200, und Ihre Königliche Hoheit, die Frau Herzogin von Clarence, ein anderes von £ 50 uns huldreichst zusichern ließen. Der Segen des Höchsten ströme herab auf unsern Monarchen und das ganze königliche Haus. So ermuntert konnten wir mit dem begonnenen Werk muthig fortschreiten, und mit innigem Dank gegen Gott und gegen unsere Wohlthäter darf ich es jetzt verkündigen: Es ist beynah vollendet. Der größere Theil der Unkosten ist gesichert; nicht ganz £ 200 fehlen uns noch. Und wenn ich mich jetzt in dieser zahlreichen Versammlung umsehe, so erblicke ich Glieder und Freunde dieser Gemeine, die zwar nicht im Stande waren, eine größere Summe ins

200

18

Am 21. September 1828 wohl vormittags

dige Lehrer derselben mit einigen geschichtlichen Worten jezt noch besondere Nachweisung. So bedenkt denn Alle das Wort des Herrn, daß er lieb hat einen willigen Geber; zumal, wenn es gilt zur Unterhaltung der Gemeinschaft der Gläubigen; zumal, wenn es ein Werk ist, das da beiträgt in unsern christlichen Versammlungen die Heiligung und die Erneuerung im Geiste des Gemüthes zu befördern. Dann wird auf Allen, welche dieses gute Werk thätig fördern, dann wird auf dem Wort der Verkündigung, welches hier an den Tagen des Herrn erschallt, so wie auf der brüderlichen Gemeinschaft, die hier besteht, der göttliche Segen ruhen, an den uns die Worte | unsers Textes erinnern; und der Wunsch, mit welchem ich diese Stätte betreten habe, daß Ihr hier erneuert werden möget von einem Tage des Herrn zum andern im Geiste des Gemüths, und immer kräftiger anziehen und ausschmükken den neuen Menschen in rechtschaffner Gerechtigkeit und Heiligkeit, – dieser Wunsch wird immer mehr in Erfüllung gehn, zum Preise des Herrn, zur Förderung seiner Kirche, zum Heil einer jeden einzelnen gläubigen Seele. Amen.

12 betreten] berreten Subscribtions-Buch einzutragen, die aber nun bereit sind, das, was sie vermögen, mit frohem Sinn und willigem Herzen beyzutragen; ich sehe andere, die schon subscribirt haben, und doch entschlossen sind, dem guten Werke, das der Herrn [!] so weit gedeihen ließ, die Krone der Vollendung aufsetzen zu helfen. Zugleich erblicke ich aber auch mehrere unserer werthen Mitchristen, welche zwar andern Gemeinen, ja andern Nationen angehören, die aber von den Gefühlen eines allgemeinen Wohlwollens belebt, und von Ehrfurcht gegen unsere allerheiligste Religion beseelt, sich mit uns zu diesem feyerlichen Gottesdienste in christlicher Eintracht und Liebe vereinigt haben. Diesen, so wie allen hier Versammelten, rufe ich die Worte des Apostels zu: Lasset uns Gutes thun und nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne aufhören. Als wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. Ich schließe mit einem Theil des herrlichen LobGebets, welches einst ein David zum Himmel emporsteigen ließ, als sein Volk ausserordentlich reiche Beyträge zum Tempelbau Gottes dargebracht hatte.“ Es folgte die Verlesung von 1Chr 30,10–20. Vgl. Predigt am 16. Sonntage nach Trinitatis, dem 21. September 1828, Camberwell 1828, S. 20–23

5

10

15

Am 11. Oktober 1828 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Samstag, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 28,20 Nachschrift; SAr 67, Bl. 71r–71v; Woltersdorff Keine Keine Abendmahlsvorbereitung

Aus der Vorbereit. Pr. vor dem 19. S. nach Tr. Erste nach der Reise im Herbst 1828 Matth. 28,20 5

10

15

20

Mit diesen Worten beschließt Matthäus sein Evangelium[;] er übergiebt sie uns als die Abschiedsworte des Herrn die im genauesten Zusammenhang stehen mit dem Auftrag den er seinen Jüngern giebt daß sie sollen hingehn in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie, und nachdem sie sie so zu Jüngern des Herrn gemacht, ihnen einschärfen daß sie Alles halten was er befohlen. Dies Beiunssein des Herrn das ist nun, wie alle Verheißungen in ihm ja und amen sind, die allgemeine Erfahrung aller Christen; auf alle Weise erfreuen wir uns seiner Nähe und vorzüglich auch in der Handlung in Beziehung auf welche wir eben hier versammlet sind. Wenn wir nun fragen: wie ist er in diesem geistgen Sinn bei uns? so trifft das aufs genaueste zusammen damit daß er sagt: „mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden:“ denn darum weil ihm alle Gewalt gegeben ist, konnte er auch sagen daß er bei uns sein werde. Ist er also bei uns so ist er bei uns auch mit der Gewalt die ihm gegeben ist und welche Gewalt das ist das sagt er in den Worten die uns Johannes aufbewahrt hat: „des Menschensohn ist nicht gekommen um zu richten sondern um seelig zu machen“: Das Seligmachen das ist also die Gewalt die ihm vom Vater gegeben ist, dies ist die Macht die er ausübt, und mit der will er bei uns sein alle Tage bis an der Welt Ende. Dies Seligmachen das kann freilich durch nichts anderes bewirkt werden als dadurch daß der Grund der Unseligkeit nemlich die 2 Schleiermacher war vom 24. August bis zum 9. Oktober 1828 nach England verreist; vgl. Meckenstock: Kalendarium, in: KGA III/1, Anhang, S. 767–1033, bes. 970 und Einleitung, Punkt I.3. 6–7 Vgl. Mt 28,19 9–10 Vgl. 2Kol 1,20 14– 15 Mt 28,18 18–19 Vgl. Joh 12,47

71r

202

71v

Am 11. Oktober 1828 mittags

Entfernung von Gott die Gesinnung der Feindschaft gegen ihn hinweggenommen wird, und ist die hinweggenommen und ist die Sele frei geworden [ ] dann ists eben die Theilnahme an seinem Leben, das Leben mit ihm darin wir Macht bekommen Kinder Gottes zu werden, welches die Quelle aller Seligkeit ist. – Wie nun durch das Sacrament der Taufe – (wie der Herr sagt lehret und taufet sie) – ganz besonders uns die Reingung der Sele von dem von Gott Entfernendem angedeutet wird: so ists die Gegenwart des Herrn, darin wir uns in der Feier seines heiligen Mahles aufs lebendigste bewußt werden, die uns die feste Ueberzeugung und das bestimmte Gefühl giebt von der Kindschaft Gottes, die uns zu Theil wird indem wir so wie er Eins ist mit Gott, Eins werden mit ihm, und in wie fern wir es schon geworden, so auch Eins sind mit Gott: So und dazu will er mit seiner seligmachenden Gewalt bei denen sein die indem sie sich bestreben durch ihn völlig rein zu werden auch von ihm begehren die Kindschaft Gottes durch sein Wirken in ihnen zu empfangen. Und wir dürfen wol sagen, daß jeder ihm das Zeugniß geben muß, daß in dieser seiner geistgen Gegenwart in den Augenbliken solcher Feier, er mit besondrer Freude der Kindschaft Gottes sich bewußt ist. | Aber wir sollen auch nicht vergessen daß der Herr bei uns sein will mit der Gewalt die er durch uns ausüben will; wie das Haupt den ganzen Leib beseelt und die Glieder in Thätigkeit setzt, eben so wirkt der Herr durch uns und will so seine Gewalt ausüben. Dazu wollen wir uns als Glieder seines Leibes, bei diesem seinem Mahl aufs neue verbinden, daß wir, nicht wir selbst, sondern als die Jünger des Herrn dazu beitragen, daß Andre selig werden, daß wir die Menschen ihm zuführen auf daß sie in ihm ihr Heil finden, und daß wir so dazu beitragen daß sein Reich gefördert und seine Gewalt wie im Himmel also auch auf Erden anerkannt werde; Darum nimmt er sich jedes an daß jeder sich des andern annehme und so Alle werden das Volk seines Eigenthums. Möge das der Sinn sein in dem wir durch diese Feier gestärkt werden daß wir als seine Jünger wirken durch das Zeugniß das wir ablegen durch Wort und That, auf daß sein Reich immermehr gefördert werde in den Selen und sie in seiner Wahrheit erhalten und in seiner Liebe bewährt bleiben, daß der Friede Gottes auf uns ruhe und wir uns erfreuen dessen daß er bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende.

2 geworden] folgt eine Lücke von etwa einer halben Zeile 5–6 Vgl. Mt 28,19 1Petr 2,9

10–11 Vgl. Joh 10,30

6 sie)] sie

22 Mahl] Mal

22 Vgl 1Kor 12,12–27

28 Vgl.

5

10

15

20

25

30

Am 12. Oktober 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

19. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 4,22–25 (Anlehnung an die Perikopenordnung) Nachschrift; SAr 67, Bl. 73r–74v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 19. S. nach Tr. 28. Eph 4,22 ...

5

10

15

20

Wir kennen alle den Unterschied den uns die Schrift vor Augen stellt zwischen dem alten Menschen und dem neuen und zwar als den größten welcher stattfinden kann in dem Verhältniß des Menschen zu Gott, indem der neue Mensch der ist welcher in Gott und mit ihm lebt, der alte aber der der in die Feindschaft gegen Gott verwikelt ist. Allein die Art wie der Apostel hier den Unterschied anwendet hat manch Schwieriges: Darum, ehe wir uns diese Ermahnung aneignen können, müssen wir uns darüber besinnen was damit gemeint ist und dann sehn wie es um die Ausführung dessen wozu der Apostel ermahnt steht. 1. Was das Schwierige ist in der Art wie der Apostel hier von dem Unterschied Gebrauch macht ist: 1. Wir wissen alle daß, wie die Schrift es mit dem Unterschiede meint, er durchaus geknüpft ist an die Erlösung durch Christum, an die Verkündgung derselben und an die Annahme, und es ist mit diesem Unterschiede so gemeint wie sich die Schrift auch andrer Bilder bedient um die Veränderung und gänzliche Umkehr des Menschen durch die Gnade in Christo zu bezeichnen. Aber ist die erfolgt, so ists geschehen für immer und wie Paulus auch sagt: wer in Christo ist der ist eine neue Creatur geworden: Aber er redet hier zu solchen die schon in Christo waren und sagt doch sie sollen den alten Menschen ausziehen und sich erneuern im Geist ihres Gemüths; denn wenn es nicht solche gewesen wären die 17 so] so, 20–21 Vgl. 2Kor 5,17

73r

204

73v

Am 12. Oktober 1828 vormittags

schon umgewandelt waren, wie hätte er sagen können sie seien versiegelt durch den Geist der Verheißung: denn das konnte doch den alten Menschen nicht begegnet sein, sondern der neue Mensch in Christo hat den Geist: eben so sagt er sie seien nicht Fremdlinge in der Stadt Gottes sondern Bürger, da findet aber der alte Mensch keinen Eingang sondern wer den neuen angezogen hat: Ja er sagt zu ihnen sie seien selig durch den Glauben aus Gnaden: der alte Mensch aber ist unselig. Wenn er nun also zu solchen redet welche schon wiedergeboren waren wie konnte er sie ermahnen den alten Menschen ab und den neuen Menschen erst anzuziehen. Daß er also jene erste und größte Veränderung hier nicht meint das ist klar und deutlich, aber es wird es noch mehr wenn wir darauf sehn daß er die Menschen selbst dazu auffordert als wenn das etwas wäre das sie selbst vermögten, dagegen jene Umwandlung nicht der Mensch selbst bewirken kann; denn der Glaube ist nicht das Werk des Menschen: könnte nun aber der Mensch in diesem Sinne den alten Menschen ablegen so wäre das ja sein Werk. Diese große Veränderung also meint der Apostel hier nicht; wenn nun aber das nicht, was meint er PdannS? Wenn es für uns Alle um uns des Wohlgefallens der Gnade zu erfreuen nichts bedürfte als jener großen Umwandlung, wie ganz anders müßte es um uns und um die ganze Welt stehen! Es wäre dann damit gleich alles abgethan und der neue Mensch wäre gleich und bliebe der Mensch Gottes tüchtig zu allen guten Werken, oder, wenn doch Wachsthum in der Heilgung sein müßte, so wär es ein Wachsthum nicht | gestört durch Widerstreit in uns und kein Rükfall wäre möglich, sondern wie der Schmetterling im ersten Augenblik seines Seins seine Flügel noch nicht ganz ausbreiten kann aber im nächsten Augenblick in aller Farbenpracht damit prangt: so der neue Mensch; bald wird er vollendet sein und keines Fleißes und keiner Uebung mehr bedürfen. Und wie bestimmt in jeder Beziehung würde sich der neue vom alten unterscheiden! Fragen wir nun unsre Erfahrung so finden wirs nicht so; daß es also außer jener großen Veränderung noch etwas anders giebt – nicht ohne sie aber doch anders als sie selbst, das folgt daraus und das ists wovon der Apostel hier redet. Und eben das ists wozu nur die aufgefordert werden können die schon umgewandelt sind zu dem neuen Leben, welches ist in Christo. Es ist aber etwas Wunderbares um die Bilder in denen die Apostel reden, es ist eine große Mannigfaltigkeit in der Art und Weise wie sie diese größte Angelegenheit der Menschen darstellen. In dem Briefe an die Römer beschreibt der Apostel Paulus das anders er sagt nemlich daß der Mensch Lust habe am Gesetz Gottes, und er meint hiermit den Menschen so wie er eine neue Creatur worden in Christo aber nun sagt er von dem neu gewordenen Men17 PdannS] oder PdennS 1–2 Vgl. Eph 1,13

4–5 Vgl. Eph 2,19

37–38 Vgl. Röm 7,22

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,22–25

5

10

15

20

25

30

35

205

schen weiter: „so finde ich nun ein ander Gesetz im Geiste; das Wollen habe ich wol aber ich finde nicht das Vollbringen“: Und in diesem Streite stellt er uns den Zustand dar zwischen der größten Veränderung und Umwandlung und zwischen der Vollendung wenn wir werden herangereift sein zu dem vollkommnen Alter Christi. Indem er nun sagt: ein anderes Gesetz im Geist und ein anderes in den Gliedern, so stellt er den Zustand dar als Zustand des Kampfs, und indem so beiden eine Kraft zugeschrieben wird was ist natürlicher als daß bald das eine bald das andre siegt. Hierbei ermahnt er nun nach dem Geist zu wandeln und so immer mehr frei zu werden von dem Gesetz der Sünde. In unserm Text aber redet er auf andre Weise von den Fortschritten in der Heilgung indem er ermahnt: „erneuert euch im Geist eures Gemüths, leget ab den alten Menschen und ziehet den neuen an immer wieder“: Das Immerwieder stehet freilich nicht in den Worten des Apostels aber ists nicht das immer wieder kehrende was er bezeichnet mit dem Aus und Anziehen? ists nicht das was sich stets wiederholt und dessen Nothwendigkeit uns immer wieder fühlbar wird? Aber das hängt auch in unserm natürlichen Leben zusammen mit Schlafen und Wachen und wie er sagt: so stehe nun auf der du schläfst, so sagt er hier „ziehet den alten Menschen aus“: und so ist der Zustand des Wachens das Anziehen des neuen Menschen. Das ist eben der tägliche Wechsel der das Bild giebt unsers innern Zustands; denn eben in einem Zustande des Schlafs, der Nichtbesinnung da haben wir den alten Menschen an, der wieder ab muß, und wie wir erwachen müssen so auch müssen wir anziehen den neuen Menschen. Und indem wir nicht anders können als das Bedürfniß fühlen welches er in dem Worte trift so werden wir uns seine Ermahnung aneignen. Fragen wir also: was rechnet der Apostel dazu wenn er sagt[:] ziehet den neuen Menschen an: indem er von uns fordert das zu bewerkstelligen? so ists Zweierlei 1. indem er sagt[:] erneuert euch im Geist eures Gemüths[,] das Andre in mannigfache Einzelheiten abtheilend indem er sagt: „leget die Lügen ab: u. s. w.“ | Wenn wir nun zuerst fragen: was ist das Erneuen im Geist des Gemüths? so finden wir, indem wir die Antwort suchen, noch einen andern Grund warum der Apostel dieser Ermahnung kein ander Gewand anlegt, nemlich eben weil dies Erneuen nichts ist als jene ursprüngliche Umwandlung des ganzen Menschen, weil wir immer in den Fortschritten der Heilgung den alten Menschen nicht anders abthun können als so wie ursprünglich im Allgemeinen, und weil das wozu er die ermahnet die schon jene ursprüngliche Umwandlung erfahren haben eben die Wiederholung und Ergänzung derselben ist. Der Mensch kann und will nichts ablegen 1 ander] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 276–280 1–2 Vgl. Röm 7,18; vgl. dazu auch Röm 8,1–17 Eph 5,14

5 anderes] andere

4–5 Vgl. Eph 4,13

18 Vgl.

74r

206

74v

Am 12. Oktober 1828 vormittags

als gegen ein Besseres. Darum war es nicht möglich daß er das alte Leben ausziehn konnte als bis ihm ein beßres erschienen: das ist erschienen in Christo und es kommt kein beßres Leben in uns zu Stande als nur wenn er lebt in uns, nur wenn wir mit Christo leben kennen wir ein anderes und höhres Leben und wir vermögen nur zu entsagen dem Niedern wenn uns das Höhre erscheint. Und so ist das Erneuen im Geist des Gemüths das immer wieder zurückkehren und das immer mehr kommen zu ihm der die große Umwandlung in uns gewirkt hat. Wenn also der Apostel sagt: „erneuet euch“: so konnte er das nur zu solchen sagen die nicht mehr sich selbst leben sondern in denen schon Christus lebt. Und wer sollte nicht das Bedürfniß fühlen immer mehr zu ihm zu kommen, wem sollte sich dies Erneuen nicht als der einzige Weg des Heils darstellen! Wenn wir finden daß der alte Mensch sich regt in uns, wenn es für uns Augenblicke der Besinnung giebt wo wir uns selbst betrachten im Spiegel des göttlichen Worts, wenn wir uns vergleichen mit dieser großen Regel der göttlichen Wahrheit, und wir finden dann daß manches in uns ist das seine Quelle nicht haben kann in dem Leben Christi, sondern daß es noch das Ringen des alten Menschen ist, und daß wir noch schwach sind im wahren Leben, nun dann ists Zeit zu dem unsre Zuflucht zu nehmen der es stärken kann. Freuet euch: d. h. geht zu dem hin dem ihrs verdankt um in dem Leben zuzunehmen und kräftger zu werden, malt ihn euch von neuem vor Augen damit ihr nichts sehen möget als ihn, sättigt euch durch das Anschaun der Macht durch die ihr Kinder Gottes werdet, erneut euch an dem Bilde dessen der rein ist und euch vermag rein zu machen! Wie aber steht es um jenes Andre sich in mannigfache Regeln Zertheilende? Es ist alles zusammengefaßt in dem: „leget den alten Menschen ab:“ Wenn der Apostel sagt „den alten Menschen der durch Lüste verstrickt ist [im] Irrthum“: so ist das die kurz zusammgefaßte Geschichte der Menschheit vor Christus, es ist die ursprüngliche Geschichte des Falles des Menschen. Durch Lüste verstrickt im Irrthum, so war der Mensch vor der Zeit des Gesetzes und in der Zeit des Gesetzes: sie haben die Wahrheit aufgehalten in Ungerechtigkeit durch die Lust, so daß sie durch das Verderben der Unwahrheit immer tiefer sanken. Das ist auch noch immer die sich wiederholende Geschichte alles Lebens außer Gemeinschaft mit Christo, das ist der Grund aller Klage die der Apostel so ausdrükt: „ich armer Mensch wer wird mich erretten von diesem Leibe des Todes“: So wie er nun dabei sagt: „ich danke Gott der durch Christus uns den Sieg gegeben“: so sagt er hier: „erneuet euch!“ Das Ablegen des alten Menschen also es kann nichts sein als daß wir | uns nichts gestatten was in der irdischen Lust seinen Grund 34 außer Gemeinschaft] Kj außer in der Gemeinschaft 31–32 Vgl. Röm 1,18

35–36 Röm 7,24

36–37 1Kor 15,57

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,22–25

5

10

15

20

25

30

35

207

hat, was nicht Wahrheit ist. Die Erneuung im Geist des Gemüthes würde etwas leeres sein wenn sie nicht tägliche Nahrung wäre und hervorbrächte. Und einen andern Weg giebt es nicht um von jener großen Veränderung zu dem Ziele zu gelangen, zu der Aehnlichkeit mit Christo zu der Vollkommenheit zu gelangen. Das Leben der Gemeinschaft mit Christo, wollten wir aufhören es zu erneuen so würde sich uns Christum entfremden und bald würde von unsrer Verbindung mit ihm nur die leere Schaale übrig sein. Wenn wir nicht Fleiß anwenden um uns frei zu machen von dem was nicht stimmt mit dem Leben Christi in uns, so wär es nichts mit dem erneuen und wir gingen mehr zurük. Jeder aber hat sein eigen Maaß und was jedem sich als Lust zu erkennen giebt dem muß er Widerstand leisten. Und diese tägliche Uebung sie ist nicht das wovon der Apostel sagt: durch die Werke werdet ihr nicht seelig: sie ist kein Werk des Gesetzes sondern die Folge von der Erneuung des Gemüths, die Liebe Christi dringt uns Alles was nicht mit seinem Leben bestehn kann hinauszuwerfen. So ist diese Uebung ein wesentlicher Bestandtheil des Lebens und des Fortschreitens in der Heilgung, und der Apostel verlangt das als etwas was wir selbst vermögen – nicht wir freilich wie wir sind ohne Christum sondern so wie wir sind wenn sein Leben unser eigen geworden – er verlangt es von denen von denen er sagt daß sie aus Gnade selig werden durch den Glauben; denn nur von denen die nicht fremd sind sondern Bürger im Reich Gottes kann es verlangt werden daß sie sich erneuen sollen; denn es gehört dazu eben die Kraft des neuen Lebens, und nur in Gemeinschaft mit Christo und in so fern seine Liebe uns dringt vermögen wir uns zu erneuen und den alten Menschen zu tödten. Wolan, daß der Zeiten des Schlafs in welchen der alte Mensch gedeiht immer weniger werden, daß sich die Augenblicke der Besinnung häufger wiederholen das ists was der Apostel uns an das Herz legt. In dem Maaße als wir dem folgen werden wir der Vollendung uns nähern, in dem Maaße als wir darin lässig werden, werden wir hindern daß die Gemeinde ohne Flecken sich ihm darstelle dem sie gleich soll werden. So laßt uns das Ziel im Auge haben und nicht das scheuen wozu die Kraft doch da ist, nemlich in ihm der allein vermogte die Welt mit Gott zu versöhnen. So laßt uns hinzunahen auf daß wir von ihm nehmen Gnade um Gnade, daß wir wachsen in der Tapferkeit gegen Alles was nicht sein ist, damit entfernt werde was der Apostel nennt „als zum alten Leben gehörig:“ Daß dessen immer weniger werde und die Gemeinde sich dem Herrn immer reiner darstelle 1 Gemüthes] Gemüth buch, Bd. 4, Sp. 1095

29 nähern,] nähern. 36 Daß] Das

33 vermogte] vgl. Adelung: Wörter-

13–14 Vgl. Röm 3,28; Eph 2,8–9 15 2Kor 5,14 31 Vgl. Eph 5,27 34 Vgl. Joh 1,16

20–21 Vgl. Eph 2,8

30–

208

Am 12. Oktober 1828 vormittags

das sei das gemeinsame Ziel unsrer Bemühungen und wie der Apostel sagt: Das Wollen habe ich wol: so laßt uns bedenken daß er auch sagt, daß Gott es ist der das Wollen und auch das Vollbringen wirkt. Denn hat er das Wollen gewirkt d. h. haben wir einen unauslöschlichen Wohlgefallen bekommen an dem Wort Gottes, so laßt uns auch von ihm hoffen daß er das Vollbringen herbeiführt. Laßt uns der Mahnung seines Geistes der Stimme seines Worts nicht widerstehen und so einer schwach ist so seien die andern mit für ihn stark, wie wir Glieder sein sollen würdig des Haupts und werden sollen der Tempel den er baut und ihn nicht verlassen will bis an das Ende!

2 Röm 7,18 2Kor 6,16

2–3 Vgl. Phil 2,13

8 Vgl. Eph 4,15–16

9–10 Vgl. Mt 28,20;

5

10

Am 26. Oktober 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

21. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 6,13–17 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 67, Bl. 75r–77r; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „vacat“

Aus der Predigt am 21. S. nach Tr. 28. Eph. 6, 13–17.

5

10

15

20

Das sind sehr ernste aber zugleich auch getroste und hoffnungsvolle Worte des Apostels. Ernst allerdings soll es immer sein wenn diejenigen, die überall bezeichnet werden als Kinder des Friedens, und als solche, die das Friedensreich des Herrn verkündigen, ausbreiten und beschützen sollen, aufgefordert werden zu Kampf und Streit; ohne tiefen Eindruck davon wie es noch um das Menschengeschlecht stehe, wie das Verderben eingewurzelt ist, kann es dabei nicht abgehen, aber eine schöne Hoffnung ist die des Gelingens und des Siegs über das Verderben als die Ursach des Kampfs. Tapfern Widerstand zu leisten das ists worauf da Alles ankommt! So laßt uns denn die Worte des Apostels näher erwägen und die Aufforderung zur christlichen Tapferkeit uns aneignen: es wird dabei darauf ankommen daß wir 1. uns überzeugen was es denn eigentlich für ein Kampf ist von welchem der Apostel hier redet[.] 2. Daß wir recht erwägen welches die Waffen sind auf die wir uns verlassen sollen und die Hoffnung des Siegs gründen. 1. Der Apostel redet hier zu einer Gemeinde von Christen welcher er unmittelbar vorher die einfachsten klarsten lieblichsten Vorschriften für alle ihre innern Verhältnisse, für die Verhältnisse der Häuslichkeit und der brüderlichen Liebe überhaupt gegeben hat, und nachdem er so das Innre geordnet, 14 daß] das

17 Daß] Das

20–23 Vgl. Eph 5,21–33; 6,1–9

75r

210

75v

Am 26. Oktober 1828 vormittags

so fordert er sie gemeinsam auf zu dem Kampf der ihnen bevorsteht. Es kann also von keinem andern Kampf und Streit als von dem den sie als Christen zu führen haben die Rede sein. Aber Streit setzt Gegner voraus: und wer sind und wer waren diese? Wir können als Christen kein andern Gegner haben als die die Feinde Gottes sind und des Erlösers – und der Apostel sagt uns fleischlich gesinntsein das ist die Feindschaft wider Gott. Fragen wir also, wo denn die Feinde sind welche bekämpft werden sollen, so werden wir keine andre Antwort finden als: da ist der Kampf wo es dem Fleisch gelüstet gegen den Geist: So würden wir nur die Worte des Apostels vernehmen als gesagt von dem innern Kampf, von welchem wir wol wissen, daß wir nie vollkommen frei davon sind; immer wieder regt sich das Fleisch wider den Geist, und die mannigfachsten Erfahrungen zeigen uns oft auf unerwartete Weise wie es sich noch einer Kraft erfreut die wir ihm nicht zugetraut. Aber von diesem Kampf redet der Apostel nicht; das können wir daraus abnehmen, daß er uns solche Rüstung anempfiehlt, welche, indem wir sie so bereit haben für jeden Augenblick des Kampfs, voraussetzt daß der innre Kampf bereits geschlichtet: ja gewiß wer immerdar umgürtet ist mit der Wahrheit, wem beständig zu Gebote steht die ganze Fülle der Gerechtigkeit, wer auf nichts bedacht ist als wohlgestiefelt zu treiben das Evangelium, wem sich nie die schützende Kraft des Glaubens verringert, o der ist über den innern Kampf fast hinweg! Wenn der Apostel also den innern Kampf gemeint hätte, so hätt er sich nicht so ausdrücken können: „ergreifet den Schild des Glaubens“: sondern er hätte dann wol gesagt: „Betet daß euch der Glaube gestärkt werde“: er hätte nicht gesagt [ ] sondern: „bedenkt wohl euren großen Beruf dem zu dienen der euch der Herrschaft des Jüdischen entziehet“: u. s. w. Wenn er nun den innern Kampf nicht meint, so gab es damals freilich einen großen äußern Kampf für jedes größre oder kleinere Häuflein der Christen; denn das Reich Gottes auf Erden in seinem ersten Anfang war umgeben von den Feinden des Christenthums, von denen, denen es ein Aergerniß war oder eine Thorheit, von denen die nicht begehrten daß etwas anders waltete als | das Gesetz, und welche sich begnügten an dem was sie mit menschlicher Kraft zu erreichen hoffen konnten und darin den Frieden und das Glück des Lebens suchten, und die, wenn ihnen das Höhre angemuthet wurde, sich abgeneigt zeigten weil sie das sollten fahren lassen worin sie sich wohl befanden: So konnte das Evangelium nicht ausgebreitet 7 sollen] solten 15 anempfiehlt] anempfielt 24 gesagt] folgt eine Lücke im Text; wohl mit Eph 6,13 zu ergänzen: „Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt.“ 5–6 Vgl. Röm 8,7

8–9 Vgl. Gal 5,17

30–31 Vgl. 1Kor 1,23

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 6,13–17

5

10

15

20

25

30

35

211

werden ohne Kampf weil die verfolgt wurden, die es wollten[.] Das also war der damalige Kampf der Christen. Wenn aber der Apostel den im Auge hatte bei seinen Worten, was für eine Anwendung könnten wir davon auf uns machen und auf unsre Verhältniße? Denn so steht es nicht um uns; denn wenn freilich in der Gemeinde des Herrn große Ungleichheit herrscht in Beziehung auf die Kraft der Wahrheit das lautre Wesen der Gerechtigkeit und die Stärke des Glaubens, so wird doch überall der Name des Herrn bekannt und es ist also wol nur der innre Kampf den wir zu bestehen haben aber von äußerm Kampf dürfen wir wol nicht reden wir die wir in die Mitte gestellt sind der christlichen Welt! Aber auch an den Grenzen giebt es solchen nicht wie damals; denn wie ganz haben sich seitdem die Verhältnisse geändert! von denen aus die das Evangelium noch nicht haben werden keine Angriffe gemacht auf die Christen, sondern die die in dem Schatten des Todes sitzen, suchen höchstens sich zu sichern in ihrer gewohnten Weise: daß sie aber als solche, die dem Evangelium feind wären, auftreten sollten, das ist etwas was so gut als ganz verschwunden ist. Also von Kampf mit solchen die auf solche Weise gegen das Evangelium sich auflehnen kann jezt nicht mehr die Rede sein. Aber doch wird mancher denken es sei doch ein zu kühnes und flüchtiges Wort, welches behauptet, in der Gemeinde der Christen, wie sie jetzt ist, giebt es keinen als den innern Kampf den jeder mit sich selbst zu bestehen hat, denn wenngleich alle Christen Eines sein sollen, wenn sie sich gleich alle verhalten sollen als Glieder dessen der ihr Haupt ist, so werden wir doch sagen müssen: das ist nicht so; denn wie mannigfach sind nicht die Bekenntnisse getheilt! eine Gemeinde hat sich gesondert von der andern, und die auch den Namen nach noch Eins sind, wie mancherlei Gegensätze entwickeln sich, wie stehn Ansichten und Lebensweisen einander gegenüber und welche Trennungen werden dadurch verursacht. Und wenn nun diese Verschiedenheit auf solche Weise herrschend wird daß der Herr mit seiner Lehre und seinem Gebote des Friedens nicht überall gleich verstanden wird, muß da nicht Streit sein? Freilich erscheint es als ein Streit, wenn jeder seine Ueberzeugung, jeder seine Art und Weise sucht zu vertheidigen und weil er eben in seiner Auffassungs und Lebensweise das höchste Maaß christlicher Segnungen zu genießen überzeugt ist dahin zu streben sucht, daß Andre eben so denken und leben wie er; aber wenn das auch oft erscheint als ein Streit, so ists doch der Streit und Kampf nicht den der Apostel hier meint; Denn wenn jeder seine Ansicht beschützt und verbreiten will zum Heil der Andern, ist da Einer der gleich zu stellen wäre dem (wie der Apostel sagt) Bösewicht der die feurigen Pfeile gegen den Gläubigen zielt? ist da Einer gegen den wir 4 Verhältniße] Verhättniße

30 sein?] sein?“

22–23 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18

212

76r

Am 26. Oktober 1828 vormittags

den Helm des Heils gebrauchten? Nein, sondern der Glaube ist das innerlich Gleiche in uns Allen und wenn jeder strebt dem Andern eines höhern Maaßes von christlicher Seligkeit theilhaftig zu machen, was ists da anders als die Liebe Christi die sie treibt, und wo die Liebe ist, ist da Streit und Kampf? Wenn sich Alle indem sie ihre Weise festhalten, berufen auf das Wort Gottes, wollen sie es denn handhaben als Schwerdt gegen die Brüder die andrer Meinung sind? nein, sondern als Licht um ihnen zu leuchten. Also das gemeinsame Suchen der Wahrheit und das Verbreiten wollen der Ansichten des Glaubens, das ist nicht der Kampf den der Apostel meint. Und jemehr wir die Sache so ansehn wollten als wäre das ein solcher Kampf, und die die anders denken über manches als wir für solche Gegner halten wollten wie der Apostel sie hier darstellt, um desto mehr würden wir un|geschickt sein unser Ziel zu erreichen d. h. ihnen mitzutheilen unsre Seligkeit in Christo. Denn wenn wir die die nach unsrer Ueberzeugung noch nicht das Rechte gefunden haben aber sie handhaben es doch als die Regel Christi, wenn wir die für solche halten die gegen das Reich Gottes sind, also für Kinder des Unglaubens, um desto mehr müßte die Kraft der Liebe schwinden und wir würden nicht ausrichten was wir begehren! Aber wie jeder einen innern Kampf zu bestehen hat, so hat jeder auch manchen äußern Kampf zu bestehen, abgesehen von den Verhältnissen in der christlichen Kirche. Aber diese Kämpfe, es sind nicht die die wir als Christen zu bestehen haben, also auch nicht die von denen der Apostel hier redet. Und wahrlich nächst dem, was wir eben uns als gefährlich vorstellten, möchte es nichts gefährlicheres geben als wenn wir jeden Kampf den wir im irdischen Leben haben, wollten als einen Kampf ansehn den wir als Christen zu bestehen haben! Gar leicht bemächtigt sich solche Täuschung des Menschen; denn wenn wir uns bewußt sind nichts zu wollen und zu begehren als das Gute, und wir finden bei unsern Bemühungen Widerstand, wie leicht denken wir es ist ein Widerstand gegen das Gute selbst! Wie gern macht sich Einer der irgend ein Werk nicht zu Stande bringen kann zum Vertheidger und Märtirer des Glaubens, aber wie viel Erbittrung bringt das hervor, wie viel falsche Eitelkeit wird nicht dadurch erzeugt und genährt! Darum, laßt uns doch von einander sondern was wir als göttliche Wahrheit und was wir als Menschenwerk zu vertheidgen haben! Was wir in der Welt als gut erkannt haben, wohl, es werde vertheidigt und mögen wir uns dabei aller dazu dienlichen Waffen bedienen, aber keineswegs uns einbilden daß das der Kampf sei den wir um des Reichs Gottes willen kämpfen denn mit diesem hat der Streit um die weltlichen Dinge nichts zu schaffen. Wenn nun der Apostel auch dies nicht meint, was bleibt übrig? Sind wir über den Zustand den er meint hinaus? Nein; denn aus dem innern Kampf entsteht immer noch der äußre; denn das Gelüsten gegen den Geist erreicht oft ein 28 Bemühungen] Bemühungen,

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Eph 6,13–17

5

10

15

20

25

30

35

213

hohes Maaß, und die Gewalt der irdischen Lust richtet sich gegen den heiligen Geist der in der Gemeinde des Herrn waltet. Also, wenn irgendwo, sei es die Lust die das Irdische sucht, sei es die wilde Gewalt des Zorns welche sich gegen die richtet die gleiche Ansprüche haben, sei es die feigherzige Schmeichelei um Schuz und Gunst zu finden bei denen die die Macht haben es zu gewähren, sei es die Hartherzigkeit welche sich Raum macht für die Befriedigung eitler Wünsche, sich zeigt, und wenn alles dies durch sein Zusammentreten zu einer Gewalt wird, dann wendet sich diese Gewalt von selbst gegen das Reich Gottes; denn jemehr sich das Reich Gottes erbaut um so mehr muß jene Gewalt besiegt sein. Und so kann es kommen, daß wir zu kämpfen haben für das Reich Gottes in dem was unser Beruf ist. Wenn die Menschen von der Gewalt der Sinnlichkeit geführt sich auflehnen gegen das Walten des Geistes: das ist der Kampf von welchem der Apostel redet so wie er sich uns darstellen kann und wir werden sagen müssen daß alles was er davon sagt, auch auf diesen Zustand gilt; Denn es ist doch nicht die Herrschaft Christi unter der die stehn die sich feindlich betragen gegen das Reich Gottes, es ist nicht die Kraft des Geistes, und wo nicht die Herrschaft Christi ist da handeln die Menschen auch nicht als solche die sein sind, und so fallen sie denn unter das Wort des Herrn „wer nicht mit mir ist der ist wieder mich und wer nicht mit mir sammlet der zerstreuet.“ Und welche innern Zustände des Schwankens der Ueberzeugung oder sonst es auch seien in denen die Menschen befangen sind wenn sie uns hindern wollen das auszuüben was unser Beruf ist dann müssen wir die Waffen ergreifen die der Apostel uns anzeigt. Und so laßt uns fragen | 2. Welches denn eigentlich die Waffen sind auf welche der Apostel sagt daß wir allein uns verlassen und die Hoffnung des Siegs gründen sollen. Er bedient sich bei der Beschreibung derselben einer Reihe von bildlichen Ausdrüken und von solchen finden wir einen großen Schatz in der Schrift, und es muß uns lieb sein das Geistige auch versinnlicht zu sehen. Wo nun das was gesagt werden soll in den bildlichen Ausdrüken nur leise angedeutet ist, da ist es das Geschäft der christlichen Aufmerksamkeit sie in ihrer Tiefe zu verfolgen und anzuwenden, wenn wir aber so vielfache Anwendung finden auf das Eine wovon eben die Rede ist, da liegt es uns ob das Mannigfache zusammenzufügen um den Mittelpunkt zu finden, damit wir nicht das innre Wesen verlieren. Darum laßt 1. uns überlegen warum er uns keine anderen Waffen gestatten will. Der Harnisch Gottes, der Helm des Heils, Wahrheit, Gerechtigkeit, Glauben 22 sonst] sonst,

34 ist,] ist.,

19–20 Mt 12,30; Lk 11,23

76v

214

Am 26. Oktober 1828 vormittags

lauter geistige Waffen! Ob die aber eine Wirkung thun, das hängt davon ab, daß die auf die sie wirken sollen, des Geistigen empfänglich sind; denn so wie der vergeblich ficht der gegen Luftgebilde seine Streiche richtet so auch der der mit geistigen Waffen gegen einen sich richtet der dafür unempfänglich ist. Stellt nun der Apostel die Gegner nicht als solche dar die sich verschließen gegen die Eindrücke des Geistes? werden wir es daher nicht natürlich finden andre Waffen gegen sie zu gebrauchen? Der Erlöser sagt zwar: „mein Reich ist nicht von dieser Welt, wär es von dieser Welt so würden meine Diener darob streiten, nun aber ists nicht also:“ Da meint er aber den Kampf mit dem weltlichen Schwerdt, und da hat er denn ein für allemal das Kämpfen mit dem irdischen Schwerdt untersagt: und daß wir nie, damit Gutes hervorkomme Böses thun dürfen, das wissen wir auch. Aber giebt es nicht noch andre Waffen gegen solche auf die die geistigen Waffen keinen Eindruck machen? Wenn z. B. uns Ungunst stören will, sollen wir da nicht Gunst suchen? oder wenn es Lust ist die uns entgegenwirkt, sollen wir da nicht weltliche Klugheit der Lust entgegenstellen? wenn die die die feurigen Pfeile des Bösewichts abschießen und wie der Apostel sich ausdrückt – das Leben der Christen verunglimpfen, wenn sie es anders und verkehrt darstellen was der Herr wirken will durch die Seinen, sollen wir da nicht außer den geistigen Waffen des Worts Gottes auch die Waffen des menschlichen Worts der Ueberredung gebrauchen und zur Vertheidigung anwenden? Der Apostel sagt davon nichts und will jeden Gedanken daran entfernen indem er mit so kräftigen Worten die geistgen Waffen darstellt die alle andre ausschließen, er gestattet also nichts anderes in dem Kampf fürs Reich Gottes. Freilich, wenn es darauf ankommt etwas zu unternehmen für das Reich des Herrn so sagt der Herr selbst in Beziehung darauf: „wer einen Thurm bauen will der überschlage vorher die Kosten“ und so werden wir seiner Anweisung folgen wenn wir suchen nicht nur die Kosten zu überschlagen sondern auch die Mittel herbeizuschaffen um irgend ein Werk ausführen zu können; denn auf solche Weise müssen die irdischen Kräfte dienstbar sein; Aber so wie es Streit gibt da laßt uns uns streng an diese Rede des Apostels halten; Eben weil es so schauderhaft ist für die Kinder des Friedens daß sie kämpfen sollen, eben weil wir immer fertig sein sollen das Evangelium des Friedens zu treiben und umgürtet sein sollen mit der göttlichen Wahrheit, eben deswegen laßt uns streng uns halten an sein Wort und keine andern Waffen gebrauchen als die rein geistigen Kräfte damit wir nicht uns Vorwürfe zu machen haben wenn der Erfolg zeigt was des Herrn Wille gewesen an uns. In der ruhigen Thätigkeit für das Reich Gottes o da möge jeder Alles anwenden was ihm zu Gebote steht auch von 36 andern] andrn 8–9 Joh 18,36

26–27 Vgl. Lk 14,28

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 6,13–17

5

10

15

20

25

30

35

40

215

weltlichen Kräften so wie es aber auf Kampf und Streit kommt o so laßt uns Alles wegwerfen und uns nur auf das Geistige verlassen; denn wollten wir anderes zu Hülfe nehmen so würden wir Blöße geben, wenn wir aber mit nichts anderm uns wehren als mit der göttlichen Gerechtigkeit, mit dem Helm des Heils u. s. w. wenn wir auf nichts rechnen als darauf, wol wissend daß das Reich des Herrn nicht untergehn kann, dann sind wir wohl gerüstet und der Sieg wird nicht fehlen. 2. Laßt uns darauf sehn wie alle Waffen die der Apostel beschreibt nur solche sind die zur Vertheidigung dienen, Eins aber was zum kämpfen selbst dient: das Schwerdt des Geistes! Und gewiß, nie wird es eine Sicherheit des Herzens geben wenn wir in dem Streit des Herrn und bei der Vertheidigung seines Worts irgend eine andre Waffe als das Schwerdt des Geistes gebrauchen; alles andre wäre | menschliches, und wenn wir das gebräuchten, dann wäre es unsicher wer der Sieger sei! Also auf dem geistgen Gebiet haben wir uns mit nichts zu rüsten als mit dem Wort Gottes, darum ist das das Erste dazu, Streiter des Herrn zu sein, daß wir durch das Wort Gottes fähig werden, damit uns zu rüsten, und daß wir sicher sind nichts anders zu wollen als mit dem Geistigen das Geistige zu gewinnen: dann werden wir Alles wohl ausrichten nach dem Willen dessen der uns berufen hat. Jemehr wir uns rein daran halten das Schwerdt des göttlichen Worts schärfen oder schützen zu wollen durch unsre Kraft, um desto mehr werden die Streiche kräftig und der Sieg sicher sein. Und ein solcher Sieg ists welcher nicht die Feinde tödtet sondern den Streit: Das Wort Gottes schlägt heftige Wunden, aber es heilt auch wieder, es ist dasselbe Schwerdt welches die Schlafenden aufweckt daß Christus sie belebe, darum ists ein Schwerdt welches die, die das Evangelium des Friedens treiben, tragen sollen; denn eben dadurch sind sie die Boten des Friedens den Christus auf der Erde begründet hat! Das Schwerdt des Geistes, welches da ist das Wort Gottes verwundet und wirkt eine Reue die niemand gereuet und dann wird es die Leuchte auf dem Wege des neuen Lebens. Und so sehn wir denn, wie wir uns in dem Streit nach dem Apostel zu halten haben und wie es das Wort Gottes allein ist worauf wir die Hoffnung des Siegs gründen können, und wie ohne diese verwundende und dann heilende und lebendigmachende Kraft, der Friede des Herrn nicht kann allgemein gemacht werden. Und so wird die Seele beruhigt in Hinsicht auf die Nothwendigkeit des Streits und Kampfs, den die Kinder des Friedens haben mit denen die es noch nicht sind, bis auch sie sich gesammlet haben unter die Fahne des Kreuzes. Und es ist nicht zweierlei das Evangelium des Friedens treiben, und kämpfen für das Reich des Herrn sondern es ist beides Eins; beruft uns der Herr zu dem Einen so beruft er uns auch zu dem Andern. Regiert dann endlich sein Geist überall dann giebts keinen Kampf 20 Schwerdt] Schwert

40 Einen] Einem

77r

216

Am 26. Oktober 1828 vormittags

mehr und dann bedarfs nicht mehr daß wir das Evangelium des Friedens treiben, sondern Alle erfreuen sich des Friedens. Aber wie schon jetzt überall wo auch kein Streit ist, wir die Rüstung nie bei Seite legen sollen, sondern wie sie der schönste Schmuck unsers Daseins ist, so wird auch einst wenn aller Streit geschlichtet sein wird diese Rüstung der Grund der Ruhe und Seligkeit sein; Alle werden ihres Glaubens sich freuen als die Gerechten. Und so ists ein und dieselbe seelige Führung des Herrn die im Kampf und zum Frieden! Dieselbe Rüstung, dieselben Waffen laßt uns immer an haben, aber seien sie zugleich immer die schönsten Güter unsers Lebens dann werden wir uns einst Alle ihres Besitzes vollkommen erfreuen in Ruhe und Friede in der Gemeinde des Herrn!

5

10

Am 2. November 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

22. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 7,14–15 Nachschrift; SAr 67, Bl. 79r–80r; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 595, Bl. 1r–2v; NiN Keine

Aus der Predigt am 22. S. nach Tr. 28. Mar. 7,14–15

5

10

15

20

Der Zusammenhang dieser Worte des Erlösers ist Folgender: Es hatten ihn die Pharisäer gefragt warum denn seine Jünger die Aufsätze der Aeltesten nicht beobachteten, der Erlöser hatte ihnen vorgehalten wie sie streng wären in den äußern Vorschriften des Gesetzes dabei aber die Hauptsache desselben dem unterordneten, und nachdem er diese Rede geredet so richtet er an Alle Gegenwärtige diese Worte. Nun erinnern wir uns in diesen Tagen besonders an den ersten Anfang unsers kirchlichen Verhältnisses, an die Zeit wo es durch den Geist Gottes gelang ein großes Joch von äußern Gebräuchen von der Christenheit abzuwälzen und die Gemüther wieder auf das rechte Maaß nemlich auf das was den innern Menschen betrift, zu führen. Und wir finden die rechte Vertheidigung dessen was damals geschah in diesen Worten des Erlösers: diese Vertheidigung besteht in Zweierlei 1. stellt der Herr die evangelische Freiheit auf 2. den rechten Ernst und die Strenge des Christenthums als Grund der Freiheit. Beides laßt uns in seinem Zusammenhang betrachten. 1. Laßt uns darauf sehn daß, wie der Herr sagt, das den Menschen gemein macht was von ihm ausgeht, nemlich: aus dem Herzen gehn aus die bösen Gedanken und Unvernunft: Das also ists was er uns vorschreibt wovor wir uns hüten sollen, und wir sehn also daß wir nicht auf äußre Handlungen sondern auf das was sich im Innern bewegt, sehn sollen; denn 2 Mar. 7,14–15] Mar. 7,14– 3–8 Vgl. Mk 7,1–13

8–13 Gemeint ist die Reformation.

79r

218

79v

Am 2. November 1828 früh

Gedanken und Unvernunft ist nicht was man wahrnehmen kann aber was freilich nicht für immer sich verbergen kann, man kann sich darüber täuschen aber früher oder später zeigt sichs doch: Arge Gedanken und Unvernunft: das ists was der Herr zusammfaßt als das worin alles was gemein macht seinen Ursprung hat, wie denn beides nemlich arge Gedanken und Unvernunft sich gründet in dem fleischlich Gesinntsein; denn sucht der Mensch das Höhre, wirkt der Geist Gottes in ihm, so wird der rechte schlichte Sinn nie können in die Unvernunft ausarten, und ist er nach Oben gerichtet so können nicht arge Gedanken aus ihm kommen; denn wo sein Schatz ist da ist auch sein Herz, und er wird nichts suchen als was droben ist. Aber nun sagt der Herr daß wenn nun beides (arge Gedanken und Unvernunft) von dem Menschen ausgeht ihn in der That unrein macht, und wir müssen sagen, daß er das nicht anders wollte verstanden haben als daß es das ist was in den Menschen selbst seinen Grund hat, nemlich: die ersten Regungen und Gemüthsbewegungen von welchen nichts anderes ausgehn kann als was sie selbst sind, und das ists, sagt er, was gemein und unrein macht, nicht aber das worauf sich die Verbote und Aufsätze der Pharisäer bezogen. Diesem äußern Gesetz, worauf jene so viel hielten und wovon der Herr V.13 sagt: „Ihr hebet auf Gottes Wort durch eure Aufsätze:“ stellt er entgegen das rechte Gesetz der Freiheit und sagt: „es ist nichts außer dem Menschen was ihn könnte gemein machen:“ Der erste Anlaß zu dieser Rede war freilich das was als Speisung durch den Mund eingehet, aber in den Worten des Textes erweitert der Herr das und sagt: nichts was eingehet kann gemein machen. Es giebt auch ein Eingehen in den Menschen durch Auge und Ohr, und wenn der Herr sagt: nichts: so müssen wir auch hierauf unsre Aufmerksamkeit richten. Wie wär es wol möglich, daß wir in der Welt leben sollten ohne daß wir manches Gottmissfällige in den Reden und Handlungen der Menschen zu sehn und zu hören hätten! Und eben deswegen hat es in der Christenheit einen Sinn gegeben der dahin strebte sich zu entfernen von der menschlichen Gesellschaft, aber wenn wir gar nichts hören und sehn wollen, was freilich die gemein macht aus deren Innern es hervorgeht, so müssen wir aus der Welt gehen, wie aber könnten wir dann das Wort Gottes | das Werk des Herrn treiben, wie könnten wir dazu beitragen daß das Verwerfliche weniger werde und das Wort Gottes Raum gewinne in den Gemüthern? Darum konnte der Herr nicht anders als so sagen. Das Entgegengesetzte erscheint freilich oft als Weisheit die Menschen ziehen sich oft zurück um zu vermeiden, daß das was äußerlich eingegangen, das werde was ausgehet, und gemein macht, aber wir würden das rechte 19 sagt:] sagt.

19 Aufsätze:“] Aufsätze:“)

9–10 Vgl. Mt 6,21; Lk 6,45 an.

35 Gemüthern?] Gemüthern.

29–30 Schleiermacher spielt hier auf das Mönchtum

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 7,14–15

5

10

15

20

25

30

35

219

Mittel dazu nicht gefunden haben wenn wir meinten es bestehe in diesem Sichzurückziehen, vielmehr könnte das ausarten in geistlichen Hochmuth. Der Herr sagt das, was er hier sagt auch als sie ihm vorgeworfen, daß er mit den Zöllnern esse, welches er doch that um ihre Seelen zu retten und er wußte wohl, daß ihn das nicht verunreinigen konnte. Und so mußten die die ihm folgten sich eben so unter die Menschen begeben und es konnte sie nicht unrein machen weil es nicht in ihr Herz wo der Erlöser lebte eingehen konnte. Darum ist das die wahre Freiheit der Kinder Gottes, daß sie unter den Menschen leben um das Beßre zu gründen. Wenn wir im Voraus uns zurückziehen so rauben wir uns die Gelegenheit unsre beste Kraft, die Kraft des Herrn in uns, anzuwenden, wir vergraben das uns von ihm verliehene Pfund und können ihm, dem es gehört, auch nicht die gemeinen Zinsen abtragen, was wir nur können indem wir das Beßre dem Schlechten entgegenstellen. Wenn nun jemand sagen wollte: ist denn das verkehrt oder ists wahr, daß es heißt: „böse Gesellschaften verderben gute Sitten:“ Wer wollte das leugnen, daß es wahr ist, aber es hebt das nicht auf was der Herr hier sagt; Laßt uns nur noch mehr darauf achten. [2.] Wenn er sagt: „was ausgehet das ists was gemein macht nicht aber das was eingehet:“ so meint er das Eingehen äußerlich; denn was wir sehn und hören es geht in uns ein durch Auge und Ohr[;] zu diesem Eingehen gehört aber nicht daß es in unser Herz eingeht, denn wenn es in das Herz eingehet, wenn wir, was wir hören und sehn in uns erfahren, ja dann wirds zu Wohlgefallen in uns, und gehört dann schon zu den argen Gedanken weil es Lust ist aus der die argen Gedanken kommen und die Unvernunft; denn die Lust ists die die Wahrheit aufhält in Ungerechtigkeit. Darum möge jeder sich selbst prüfen und erforschen was seine schwache Seite ist, und dann in dieser Beziehung sich seine eigne Weisheit machen. Fühlt er daß es in sein Herz gehen könnte was er hört und sieht, nun dann möge er sich hüten vor dieser Gefahr [durch] äußres Zurükziehen, aber keiner möge davon was er sich als Gesetz vorschreibt ein allgemein Gesetz machen wollen und das was ihn unrein machen würde, anderen verbieten; denn dadurch macht er sich zum Meister über andre nicht durch die Kraft des Herrn sondern durch seine eigne Schwachheit. Jeder soll sich selbst verbieten was er für sich als schädlich erkennt aber keiner soll beschränken wollen die allgemeine Freiheit der Kinder Gottes. Es gäbe kein richtiges Maaß der Unterscheidung für uns wenn wir uns von Allem zurükziehen wollten, wir müssen vielmehr um das menschliche Herz kennen zu lernen in unser Ohr eingehn lassen was aus seinem Herzen kommt, ists einmal da, 29 Zurükziehen,] Zurükziehen., 3–4 Vgl. Mt 9,9–13; Mk 2,13–17; Lk 5,27–32 27 15 1Kor 15,33 25 Vgl. Röm 1,18

11–13 Vgl. Mt 25,14–30; Lk 19,11–

220

80r

Am 2. November 1828 früh

nun so laßt uns Aug und Ohr öffnen auf daß wir erkennen wie es ist, daß wir in den Spiegel des göttlichen Worts schauen um zu sehn wie der Mensch ohne dasselbe gestaltet ist, dann wird das Wort Gottes es sein was in unser Herz eingehet, wenn wir so in Beziehung auf dasselbe alles ansehn und wenn wir um nichts als um das Wort Gottes in die Gemüther zu bringen und zu wirken daß weniger des Argen aus ihnen ausgehe, das sehn und hören was noch ausgehet. Denn das ist gewiß daß die Gegenwart derer die in Gott sind, etwas heiligendes hat. | Wenn wir mit diesem Sinn unter die Menschen treten und mit ihnen leben damit durch uns das Wort Gottes eine Wirkung auf sie hervorbringe dann werden wir seine treuen Diener sein, und wie seine Wahrheit uns immermehr befreit, so werden wir auch vermöge dessen was ausgeht aus ihm immermehr fördern und ausbreiten sein Heil, das Heil dessen, der in seinem erfreulichen Licht in seiner himmlischen Kraft nichts anders wollte als was sein himmlischer Vater ihm zeigte. Daß es so geschehe dazu hat der Herr erscheinen lassen das Licht der göttlichen Wahrheit. Nach diesem Gesetz der Freiheit sollen alle Gläubigen sich bauen, und das ist die Wirkung die sie haben sollen. Zweierlei sagt der Herr wodurch die Menschen frei werden, er sagt: „die Wahrheit wird euch frei machen, und, der Sohn Gottes wird euch frei machen und nur dann seid ihr frei wenn er euch frei machet.“ Beides ist Eins. Aber eben wer durch die Wahrheit frei machen soll, der muß selbst frei sein und da er nun die Wahrheit ist, so ist die göttliche Wahrheit und die Freiheit Eins. Es ist dieselbe Wahrheit aus der die Freiheit entspringt, und der Grund des Ernstes und der Strenge so sein zu wollen wie er war in der Welt. Das ist die Wahrheit die er in uns wirkt und wodurch allein alle unsre Herzen fest werden können, wie es wohlgefällig ist vor ihm. Dazu leuchtet uns das Licht der Wahrheit, dazu erfreuen wir uns der evangelischen Freiheit daß wir alle Kräfte dazu gebrauchen die Brüder zu stärken nach dem Willen dessen der uns Alle dazu gesendet hat.

7 daß] das 14 Vgl. Joh 5,20

18–20 Vgl. Joh 8,31–32.36

5

10

15

20

25

Am 9. November 1828 vormittags (vermutet) Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

5

10

15

20

25

23. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Phil 3,15–21 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SN 612/2, Bl. 1r–3r, NiN Keine Keine Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

Phil. III, 15–21 So viele unserer vollkommen sind, so laßet uns alle gesinnet seyn; seyd ihr aber in einem Stüke verschieden gesinnt, so wird das euch Gott offenbaren. Aber fest verharren wollen wir auf demselben Grunde, nach dem wir strebten. Folget mir nach, liebe Brüder, und schauet auf die, die nach unserem Vorbilde wandeln. Viele wandeln nemlich, von denen ich schon oft und jezt weinend mit euch spreche, als Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende Verderben ist, deren Gott der Bauch ist, und die ihre Ehre in ihrer Schande haben, die irrdisch Gesinnten pp. Der allgemeine Eindruk den diese Worte auf uns machen müssen, ist für uns alle gewiß von einer großen Wichtigkeit. Es zeigt sich nemlich in diesen Worten Pauli die Voraussezung einer bedeutenden Verschiedenheit unter den Christen. So viele unserer vollkommen sind, sagt er: er sezt also voraus einen Zustand der Christen in dem Schwache und Starke, Vollkommne und Unvollkommne bei einander sind. Dieß aber übersieht der Apostel – indem er sich wieder zu den Vollkommnen wendet – an sie seine Belehrungen richtet, von denen aus ja auch alle Unvollkommenheit in der Kirche geleitet und die Schwachheit gestärkt werden soll. Der Apostel fährt aber weiter fort – so ihr nun an einem Punkte verschieden gesinnet seyd, so wird Gott euch dieß offenbaren. Der Apostel sagt also unter den Christen zu denen er redet, eine Verschiedenheit der Einsicht und der Gesinnung voraus. Eine solche Wahrnehmung ist für uns selbst eine Ursache des Kummers: der Wunsch dringt sich uns so natürlich auf, daß alle Verehrer Christi in allen Gesinnungen und Wahrheiten einander gleich seyn sollten und da wir dieß nicht finden, so bemächtigt sich oft unseres Gemüthes eine innere Unruhe. In der Rede des Apostels aber spricht sich nur Ruhe des Geistes 1 Phil. III, 15–21] Phil. III, 15

1r

222

1v

Am 9. November 1828 vormittags (vermutet)

aus: er spricht ganz sanft und mild – und so ihr in etwas verschieden gesinnet seyd, so wird Gott euch dieß offenbaren. Es ist nur wichtig für uns zu wißen, gegenüber vor unserem Anrufe, worauf sich diese Ruhe des Apostels gründet. Lasset uns also gesinnet seyn – hat er kurz zuvor ausgesprochen – und in der Gesinnung – die er durch das also ausdrükt muß daher der Grund dieser Seelenruhe liegen. Wie nun dieß Wort gleich eigentlich auf das Vorhergehende sich bezieht, so findet dasselbe doch im Folgenden seine Erklärung – denn er sagt diese Gesinnung – entgegen der Gesinnung derer, welche Feinde Christi und seines Kreuzes sind. Darum also daß man nicht wandle als Feind des Kreuzes Christi findet Paulus Beruhigung genug bei den mancherlei verschiedenen Ansichten, die noch in der Gemeinde des Herrn in manchen Beziehungen stattfanden. So wollen wir auch jezt betrachten | 1. was es heißt nicht wandeln, wie die Feinde des Kreuzes Christi. 2. wie darauf der Glaube und Trost des Apostels bei den mancherlei verschiedenen Gesinnungen in der Gemeinde beruhe. 1. Hören wir von Feinden des Kreuzes Jesu Christi, so denken wir wohl zuerst an Menschen, denen das Kreuz Christi ein Aergerniß und eine Thorheit ist – solche denen das Evangelium vom Kreuze gepredigt wird, die dasselbe aber nicht annehmen wollen. Hier aber redet der Apostel zu einer christlichen Gemeinde und zu der Christengemeinde hielten sich zu jenen Zeiten nur solche, die von Herzen Christo zugethan waren; daher kann dieß nicht der Sinn der Worte seyn. Sie finden vielmehr ihre Erklärung im Nachfolgenden, in den Worten – die irrdisch gesinnt sind, welche nicht in die Gemeinschaft des Glaubens eingehn, die ihren Bauch für einen Gott halten, die für ihre Ehre besorgt sind, die aber zu Schanden werden muß, weil es nicht die Ehre Gottes ist. Wir müßen jedoch die Rede des Apostels noch von einer andern Seite ansehen. Anderswo stellt nemlich der Apostel Christus selbst zum Vorbilde und sprach seyd gesinnet, wie Jesus Christus. Hier aber wo vom Kreuze Christi die Rede ist, warum macht da der Apostel nicht Christus sondern sich selbst zum Vorbild für die christliche Gemeinde. Dieß ist so zu erklären, indem er den Christen einschärfen wollte das Kreuz Christi zu tragen, so mußte er zugleich zuvorkommen der Meinung derer – die glauben Christi Kreuz zu tragen während sie eigentlich nur ihr eigenes tragen. Für wie viele eigene Meinungen haben doch schon die Menschen irrdische Güter und das Leben selbst aufgeopfert. Sie hätten es nicht gethan, wenn sie nicht im Wahne gestanden wären, Christi Kreuz zu tragen. Aber etwas anderes ist der Herr und der Diener. So weißt nun Paulus solche Leute zur Demuth und zur Vorsicht, indem er sie auf sein Vorbild verweißt. Dieß weißt uns eben auf das Frühere zurük wo Paulus erklärt, daß er alles 18–19 Vgl. 1Kor 1,23

29 Vgl. Phil 2,5

40–3 Vgl. Phil 3,8–9

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Phil 3,15–21

5

10

15

20

25

30

35

40

223

andere für Schaden erachte, wenn er nicht Christum gewinne, uns erklärt – er wolle nicht seine eigene Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit durch den Glauben – Und so heißt das Kreuz Christi tragen – im Gegensaze vom Feind Christi seyn – alles für Schaden achten – wenn man nur Christum gewinnen kann. 2. Und das ist die Regel, welche der Apostel hier giebt, dieß der Grund, worauf die Ruhe beruhte, die ihn bei allen verschiedenen Meinungen in der Kirche beruhigte. So lange diese Gesinnung die herrschende bliebe so wußte er daß die Christen in göttlicher Gesinnung und der Erkenntniß der Offenbarung immer weiter kommen würden. | PDiesenS Sinn – jedoch – alles für Schaden zu erachten vor dem Gewinn Christi könnte uns blos als eine der vielen christlichen Tugenden erscheinen – nur als eine große christliche Tapferkeit betrachten, die sich in Widerwärtigkeiten und Gefahren zeigt. Wir müßen also die Sache noch näher betrachten um zu sehen – wie hierauf die völlige Ruhe des Apostels beruht. Der Apostel war ruhig – bei einer Mannigfaltigkeit verschiedener Ansichten, die sich auf die verschiedenen Grade der P S PEinsichtS in der Heilsordnung und der daraus hervorgehenden Gesinnungen bezogen. In einem solchen unvollkommenen Zustande kann der eine die Wahrheit haben der andere nicht – und es können beide sie nicht haben. Bei dieser Verschiedenheit der Ansichten kann also auch die Wahrheit überall zerstreut seyn[.] Ja bedenken wir m. Fr. daß nur Einer Jesus Christus die Wahrheit ist und daß wir wenn wir sie ganz besizen wollten Christus selbst seyn müßten, so wird das wohl wie eine allgemeine Unvollkommenheit noch viel klarer werden. Das ist nun wohl aber nöthig – daß wir uns aus diesem Zustande der Unvollkommenheit immer mehr erheben zur Vollkommenheit – 1. daß in allem in jedem der Sinn und die Liebe zur Wahrheit vorherrscht und daß man die Wahrheit nicht in sich allein suche, sondern in Christo[.] 2. daß jeder handle, nicht als ob er das Kleinod schon ergriffen habe – sondern daß jeder jage nach dem Ziele der Heiligung: und also in immerdauernder Entwiklung der Wahrheit begriffen sey. Auf diese zwei Künste kommt es an, sind sie vorhanden, so könnten wir ruhig über alle Verschiedenheiten wegsehen. Weil jene aus der Liebe zum Kreuz Christi – aus dem nicht Feinde desselben seyn – hervorgehen, so konnte auch der Apostel mit solcher Ruhe auf sie hinsehen: Und nun fragt sichs – ob nicht jener Feindschaft Christi gar nichts mehr in P S ist während wir mit solcher Unruhe oft auf die verschiedenen Gesinnungen und Meinungen in der christlichen Kirche hinsehen. Wo irdische Gesinnung – das sieht [man] ja da bei der Feindschaft Christi – da ist, so ist auch kein Glaube an Christus da – und daher auch keine Gerechtigkeit, durch den Glauben. Wo aber diese nicht ist, da sucht jeder seine eigene Meinung. Ist einmal Christus der Herr so wird erkannt, daß seine Lehren nicht völlig in den Wind geschlagen werden

2r

224

2v

Am 9. November 1828 vormittags (vermutet)

können, was ist jene Folge einer irrdischen Gesinnung anderes – als Verwirrung und das immer sich Verklagen der Gedanken. Wo aber einmal in der Seele die Wahrheit aufgegangen ist, daß Christus allein die Wahrheit ist, da kann keiner auf seine Gerechtigkeit bauen, also auch nicht auf seine Gedanken – auch nicht auf die Treue mit der er seine Ueberzeugung ausspricht, wenn sie nicht das Werk Christi ist. Ja ihm war der reine Sinn für die Wahrheit, der ihn | alles andere oft vergeßen ließ, ihn über alle aeußern Verhältniße erhob. Dieß könnten wir nun auch nur, wenn wir keine Feinde Christi mehr sind. Wer in Christo die Wahrheit sucht, der wird sie auch immer mehr finden. Denjenigen die darnach handeln, wird es der Herr offenbaren – alle diejenigen aber die als Feinde Christi wandeln, die gelangen nie zum Ziele, sie machen ihre Ehre zu Schanden weil sie ihre eigene Ehre suchen. So gilt’s die Wahrheit nicht in sich sondern in Christo zu suchen – sobald wir sehen, daß das was wir fanden nicht Christi Wahrheit war, es fahren zu lassen und zu verwerfen. Das 2. – aber worauf der Apostel, indem er sich zum Vorbild stellt, es ankommen läßt, ist das – was er in den Worten ausdrükt: Es ist nicht als ob ichs schon ergriffen hätte, sondern ich jage darnach – er sezt also bei jedem einen lebendigen Eifer voraus, der christlichen Wahrheit immer näher zu kommen. Daß dieß geschehen werde – weißt der Apostel und spricht es mit Ruhe aus – wenn seine Leser nicht Feinde des Kreuzes Christi seyen. Es giebt einen Zustand bei den Menschen – in dem sie über der Wahrheit die sie einmal gefunden zu haben glauben, und in der sie seelig sind, die Ueberzeugungen aller andern Menschen, die auch Christum suchen für falsch halten. Wo diese Ruhe einmal eingetreten ist, da ist keine weitere Erleuchtung möglich – Gott kann nichts weiter offenbaren. Eine solche Selbstzufriedenheit beruht eines Theils darauf, daß die Menschen überhaupt sich nach Ruhe sehnen und die Anstrengung dieses weiteren Strebens nach Wahrheit scheuen. Es beruht aber auch darauf, daß eine solche Selbstzufriedenheit oft durch große Leiden erkämpft wurde. Dieß alles zeigt aber nur, daß wir im Kampfe mit der Wahrheit nichts Früheres mehr aufgeben wollen, nicht fragen wollen, wie das in uns Geltende entstanden ist? Heißt das aber in die Gemeinschaft der Christen eintreten? Paulus der früher ein Eiferer fürs Gesez gewesen war, welch anderer Mensch war er hernach nach seiner himmlischen Erscheinung. Freilich könnte einer sagen – wenn eine solche himmlische Erscheinung einem zu Theil würde, dann wäre es leicht der Wahrheit zu folgen. Aber kein Fortschritt auf dem Wege der Wahrheit ist möglich als durch Kampf: auch Paulus war seine Erscheinung nur nach Kämpfen zu Theil geworden. Und sollte uns die Wahrnehmung der himmlischen Erschei20 weißt] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1581 2 Vgl. Röm 2,15

17–18 Vgl. Phil 3,13

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Phil 3,15–21

5

10

15

20

25

30

225

nung, die Paulo zu Theil wurde nicht antreiben – in Liebe und Verbindung mit andern die gemeinsame Wahrheit zu suchen, um auch einer solchen himmlischen Erscheinung theilhaftig zu werden. – Wenn aber nun doch jeder | sich sobald wieder bei seiner Meinung beruhigt; rührt dieß nicht her von einer Feindschaft gegen Christum: Er sprach ich bin nicht gekommen, um den Frieden sondern um das Schwerdt zu bringen. Das Schwerdt im schlimmen Sinne konnte er nicht bringen, denn er war es ja, der das Gebot der Liebe brachte. Nein er will sagen, der sein Kreuz suche, der werde nicht ruhen auf dem Wege zur Wahrheit: er werde sich nicht beruhigen bei dem Buchstaben, weil der Buchstabe tödtet, der Geist aber lebendig macht. – Und ist diese Gesinnung dieses rastlosen Streben nach Christo herrschend, so können wir auch eben so beruhigt seyn wie der Apostel. Wo Verschiedenheit der Gesinnung unter den Christen herrscht, da laßet uns vor allem darauf sehen, ob alle Christum suchen. Ist es nicht der Fall, so müßen wir sehen, denselben ihnen in aller Liebe mitzutheilen. Können wir es aber nicht leugnen, daß sie ihn suchen, nun wohl so laßet uns mit ihnen wandeln und in aller Freiheit der Kinder Gottes, mit ihnen gemeinschaftlich die Wahrheit suchen: dann wird Gott uns endlich offenbaren, was uns noch zu wißen nöthig ist. – Mit diesem zuversichtlichen Glauben wollen auch wir den gegenwärtigen Zustand der Kirche ansehen, wenn PerS auch an ihm selbst nicht bessern und selbstständig darin eingreifen könne. Wahrheit wollen wir suchen – aber keine andere Gerechtigkeit als die durch den Glauben, kämpfen wollen wir und nicht verzagen – aber dann auch alle Verschiedenheiten in Erkenntniß und Gesinnung Gott und Christo anheimstellen. Alle, die, welche Christum gewinnen wollen, wird Gott immer mehr zur Uebereinstimmung und Wahrheit bringen, wie ferne sie auch noch davon seyn mögen. Keiner ermatte: jeder jage nach dem Ziele: Dazu führt aber kein anderer Weg als der, daß man alles für Schaden erachte, wenn man ihn nicht gewinne: ihn Christum immer für das einzige Gut halte. Darauf gründet sich die feste Zuversicht des Apostels: diese Zuversicht möge auch uns leiten, daß der Geist der Liebe und der Wahrheit immer mehr herrschend werde, auf daß wir alle gemeinsam der Wahrheit entgegenwandeln – da ja unser Wandel nicht auf Erden sondern im Himmel seyn soll, von dannen wir warten des Herrn.

11 diese] dieser

5–6 Mt 10,34

19 zuversichtlichen] zuversichtlichem

10–11 2Kor 3,6

3r

226

Am 9. November 1828 vormittags (vermutet)

[Liederblatt vom 9. November 1828:] Am 23. Sonnt. nach Trinitatis 1828. Vor dem Gebet. – Mel. O Gott du frommer etc. [1.] Ach Gott, verlaß mich nicht, reich du mir deine Hände, / Daß ich die Pilgerschaft im Glauben wol vollende; / Hier in dem finstern Thal sei du mein helles Licht, / Mein Stecken und mein Stab; ach Gott, verlaß mich nicht! // [2.] Ach Gott, verlaß mich nicht! lehr’ deinen Weg mich wallen, / Und laß mich nimmermehr in Sünd und Thorheit fallen; / Verleih mir deinen Geist, gieb Glaubenszuversicht, / Und wenn ich straucheln will, dann Gott verlaß mich nicht. // [3.] Ach Gott, verlaß micht nicht! gieb Wollen und Vermögen, / In allem meinem Thun begleite mich dein Segen, / Was mein Beruf verlangt, was mir gebeut die Pflicht, / Vollbringt nur deine Kraft, drum Gott, verlaß mich nicht. // [4.] Ach Gott, verlaß mich nicht, daß ich mich dir ergebe, / Voll Lieb’ und Hoffnung sei, recht glaub’ und christlich lebe, / Bereite mich schon hier zu schaun dein Angesicht, / Ja, weiche nicht von mir, verlaß mich Schwachen nicht. // Nach dem Gebet. – Mel. Mir nach, spricht etc. [1.] Du Urbild aller Frömmigkeit, / Herr wer kann dich erreichen? / Mit dir der ganz sich Gott geweiht, / Ist keiner zu vergleichen. / Auf deinem Wandel frei von Schuld / Ruhe, Jesu, deines Vaters Huld. // [2.] Wer lebte treuer wol als du / Für Gottes heiligen Willen? / Das war dein Ruhm und deine Ruh, / Ihn freudig zu erfüllen. / Nicht Ehr und Herrschaft war dein Ziel, / Du suchtest nur was Gott gefiel. // [3.] Wenn irgendwo sein Wort geschah, / Quoll Freud’ aus deinem Herzen; / Und wenn dein Aug’ Verirrte sah, / Empfandst du tiefe Schmerzen. / So hing an Gott dein ganzer Sinn, / Und immer sahst du nur auf ihn. // [4.] Ihn priesest du durch Wort und That / Vor aller Welt mit Freuden; / Du warst bereit nach seinem Rath / Zu unserm Heil zu leiden: / So daß, wie Gott die Liebe ist, / Du seines Wesens Abglanz bist. // [5.] Du zeigtest, daß des Frommen Noth / Ihn nie zum Bösen reize; / Du wardst gehorsam bis zum Tod, / Ja bis zum Tod am Kreuze. / Stets blieb Gott deine Zuversicht, / Und dein Vertrauen wankte nicht. // [6.] Auch als du riefst, mein Gott, mein Gott, / Wie hast du mich verlassen! / Auch da wußt unter bitterm Spott / Dein Herz sich doch zu fassen. / Und was du hofftest ist geschehn, / Gott ließ dich seine Hülfe sehn. // [7.] Wie hat dich Gott, dein Gott erhöht! / Ein Nam’ ist dir gegeben, / Der über alle Namen geht, / Voll Kraft und Heil und Leben; / Durch alle Himmel tönt dein Ruhm, / Die Herrschaft ist dein Eigenthum. // [8.] Doch wird einst ewig bei dir sein, / Wer dir ist nachgewandelt; / Zu deiner Freude gehen ein, / Die hier wie du gehandelt. / O laßt uns Gottes Willen thun, / Und ganz in seiner Fügung ruhn. // Nach der Predigt. – Mel. Auf meinen lieben etc. [1.] Wohin, wohin von dir, / O Jesu, gingen wir? / Die Welt mit allen Schäzen / Kann dich uns nicht ersezen. / Bei dir kann unsern Seelen / Die Seligkeit nicht fehlen. // [2.] Drum stärke meine Treu / Und mach sie täglich neu, / Daß keine Last noch Mühe / Mich deinem Dienst entziehe, / So leb’ ich ungeschieden / Von dir in ewgem Frieden. //

Am 16. November 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

24. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 9,15 Nachschrift; SAr 67, Bl. 81r–82v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 605/1, Bl. 1r–2v; NiN Keine

Aus der Predigt am 24. S. nach Tr. 28. Matth. 9, 15.

5

10

15

20

81r

Diese Worte unsers Herrn, wiewohl bei einer andern Veranlassung gesprochen, stehen ihrem innern Gehalt nach in genauem Zusammenhange mit denen die wir bei unsrer vorigen Frühbetrachtung zum Gegenstand hatten. Es wird hier erzählt, die Jünger des Johannes wären gekommen und hätten Christum gefragt nach dem Unterschiede der Gewohnheit der Jünger der Pharisäer und seiner Jünger, und eben so der Jünger des Johannes und seiner, da gab der Herr ihnen diese Antwort. – Wenn er nun in jenen Worten gesagt hat daß nichts den Menschen verunreinige was nur äußerlich in ihn hineingeht, so folgt daraus von selbst daß auch nichts ihn reinigen kann was blos von außen in ihn eingeht; denn auch das geistige Gute sobald es äußerlich aufgefaßt und nicht sein innres Leben selbst wird, so kann es ihn nicht vor Gott und nicht vor seinem eignen Herzen rein sprechen, vielweniger daß irgendein äußres Hineingehen oder Nichthineingehen irgend wie zum wahren Heil des Menschen beitragen könnte. Nun aber macht der Herr doch einen Unterschied zwischen dem Fasten und Nichtfasten indem er sagt: V. 15 Und so laßt uns betrachten wie er es in Beziehung auf seine damaligen Jünger gemeint, und, was für eine Anwendung wir davon auf uns zu machen haben. Er stellt hier das Fasten und das Leidtragen zusammen und macht also einen Unterschied zwischen dem Leidtragen und nicht Leidtragen: und der 8 so] so, 18 V. 15] An dieser Stelle wurde der Rest der Zeile mit einer durchgehenden Linie versehen; möglicherweise sollte hier der Vers ausgeschrieben werden. 5 Vgl. die Frühpredigt vom 2. November 1828 Mk 7,15

6–9 Vgl. Mt 9,14

10–11 Vgl.

228

81v

Am 16. November 1828 früh

Sinn dieser seiner bildlichen Rede ist der: Er selbst der Sohn Gottes war mit den Jüngern war immer bei ihnen, und diese ihre Freude und Erhebung über das gewöhnliche irdische Leben vergleicht er mit einem Festmahl, und sagt es werde eine Zeit kommen wo er werde von ihnen getrennt sein und sie würden dann Leid tragen. Das also fand er natürlich daß sie das empfinden würden als einen großen Verlust, als eine Herabsetzung zu geringerm Zustande, und das, daß sie über einen Verlust würden Leid zu tragen haben das nennt er: sie werden fasten: Eben so hat er ihnen, als die Zeit seines Leidens näher gekommen war, dasselbe gesagt, ihr Herz würde sein voll Trauerns, und so war es ja auch natürlich. Als sie aber dann wirklich voll Trauer waren, da er von ihnen genommen war, lobte er da ihre Trauer? Nein, sondern er scholt sie trägen Herzens [nicht] zu glauben dem, was von ihm gesagt war. Wenn er also hier sagt es werde eine Zeit kommen wo sie Leid tragen werden, hat er dadurch das Leidtragen um sein leiblich Entschwinden geboten oder gut geheißen? das werden wir nicht glauben, sondern er hat es nur natürlich gefunden und entschuldigt aber eben deshalb kann er es nur angesehn haben als vorübergehend und als keinen Unterschied hervorbringend in der Anordnung ihres Lebens und darum tadelt er auch jene Jünger die nach Emmaus gingen nicht darüber, daß sie nicht fasteten sondern ihn einluden an ihrem Mahl theil zu nehmen. Und so mögen wir sagen, was der Herr hier gesagt, das hat er nicht als Gebot gesagt für seine Jünger, er hat ihnen in Beziehung auf die Veränderung die ihnen bevorstand, nemlich, daß er ihnen entzogen ward, nicht ein Gebot einer Niedergeschlagenheit gegeben, vielmehr hat er von Anfang an, indem er ihnen das voraussagte, daß sie würden trauern, sie zugleich getröstet und auf andre Zeiten hingewiesen wo er werde bei ihnen sein immerdar, wo er senden werde seinen Geist der sie trösten werde und ihnen noch in helles Licht setzen was er ihnen sei und so sein Werk in ihnen fortsetzend auf das Vollkommenste seine Stelle vertreten, denn so werde, sagt er, sein Geist in ihren Selen, die kräftigere Wirksamkeit seiner geistigen Gegenwart in ihnen, an die Stelle seiner leiblichen Gegenwart bei ihnen, treten[.] | Und so werden wir sagen müssen: so lange das Verhältniß der Gläubigen zu dem Erlöser das seiner Jünger ist in dem Zustand den er ihnen verheißt es nie eine Ursach der Trauer geben kann und daß also im Leben der Christen nichts, was so ein äußres Zeichen der Trauer ist, wie das Fasten wovon hier die Rede ist, Platz finden kann: und daß dies Wort des Herrn weder für seine ersten Jünger noch für die späteren ein Gebot sein konnte: Einen solchen Uebergang wie die ersten Jünger zu machen hatten von dem Ge3 Leben] Leben, 9–10 Vgl. Joh 16,6 12–13 Vgl. Lk 24,25 18–20 Vgl. Lk 24,29–30 29 Vgl. Joh 15,26; 16,7 29–31 Vgl. Joh 14,15–26

25–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 9,15

5

10

15

20

25

30

35

229

nuß seiner Gegenwart wo die ganze Fülle des göttlichen Lebens um sie war, und auf sie wirkte, zu dem Zustande der bloßen Erinnerung an ihn und von diesem zu dem wo sein Geist das Werk in ihnen vollendete, einen solchen Uebergang sah der Herr an als etwas besonderes nur für seine ersten Jünger zu erlebendes welches seine Wirkung auf ihre Stimmung nicht verfehlen werde: daß er es aber so ansah, dadurch gab er zu verstehen, daß die, die nur in Verbindung des Glaubens an ihn und mit ihm getreten und aus diesem Bunde in keinem Augenblick herausgehn, nie einen Grund haben zu dem was er nur konnte als Zeichen einer geistgen Beraubung ansehn. Fasten ist ein äußerlich Entsagen, sich alle Genüße, alle geselligen Freuden entziehen, welche darum immer zugleich geistige Freuden sind, weil sie allemal auf solche Weise gestaltet sind in der christlichen Welt daß sie mit dem geistigen Theile unsers Wesens zusammenhängen; denn alle Befriedgung geistger Bedürfniße knüpfen wir an eine Zeit wo wir der Sorgen entladen und dem Beruf genügt haben. Und in dem Reich Gottes hängt wieder das alles, nemlich das geistig Sicherfreuen, zusammen mit dem Genuß den die Sele an dem Erlöser selbst hat, mit dem innern göttlichen Frieden, mit der Fülle von Segnungen die der Erlöser in die Selen giebt um auch einander sich zu erquicken und zu erfreuen und so das ganze gemeinsame Leben zu solchem Genuß der göttlichen Treue zu erheben. Ist nun das Leben der Christen ein solches als davon die zu frohen Genuß eingeladen sind, von ihm der bei ihnen sein will immerwährend, sollten seine Jünger lernen seine leibliche Gegenwart entbehren um die geistge vollkommen zu genießen, so konnte er die Trauer nur dulden für die Zeit des Uebergangs, er konnte sie nur dulden als Schwäche bis dahin wo sie würden ausgerüstet sein mit Kraft aus der Höhe. Wenn wir unsern Zustand vergleichen mit dem ihren, so finden wir, daß es für uns nicht solchen Uebergang giebt; wir sind von Anfang an eingeladen zu dem Genuß seiner geistgen Gegenwart und der ganzen Fülle welche sein Geist ausgegossen, und in Beziehung hierauf giebt es gar keinen Wechsel, also auch keine so doppelte Zeit, sondern über allen äußern Grund solchen Wechsels sind wir völlig erhoben durch die Erfüllung seiner Verheißung. Wenn also die Entsagung von allem, was wir an geselligem Leben genießen können und was wir in Verbindung bringen sollen mit dem geistgen Leben der Natur der Sache nach nichts sein kann als Zeichen der Trauer über eine geistige Beraubung die ihren Grund nur haben kann in dem Nichtgegenwärtigsein des Herrn, so ist das etwas was auf uns gar keine Anwendung findet und wovon auch das Zeichen, nemlich, diese Entsagung, nicht in unserm Leben Platz finden soll. Indem wir uns nun die Sache so darstellen, 16 Sicherfreuen,] Sicherfreuen – 26 Vgl. Lk 24,49

230

82r

Am 16. November 1828 früh

so malen wir uns das Ziel vor Augen welches wir zu erreichen hoffen, das gemeinsame Leben der Christen wie es sein wird wenn alles Störende überwunden ist, aber wir sind uns bewußt noch in der Unvollkommenheit zu stehn: giebt es also gar keinen Unterschied, gar keinen Wechsel in der Zeit da der Bräutigam gegenwärtig ist? Es giebt einen! Laßt uns sehn worin er besteht. Wir leben dem Herrn und seinem Werke, dessen Förderung ist unsre Thätigkeit geweiht, und der gottgefällige Zustand des Reichs des Herrn auf Erden ist unsre Freude. Wo es wächst, wo die geistige Kraft, die Kraft des Herrn wirksamer und offenbarer wird, da | gewinnen wir die Ueberzeugung daß der Bräutigam bei den Hochzeitleuten ist, da fühlen wir die Freude die der Apostel von der Gemeinde Christi fordert indem er sagt: „freut euch in dem Herrn allewege:“ da ist nicht Ursach zu Trauer! Wenn wir aber auf die andre Seite sehn, auf den noch so unvollkommenen Zustand des gemeinsamen christlichen Lebens, wenn es noch wahr ist daß der Herr nicht den Frieden bringt, sondern das Schwerdt weil noch so Vieles erst muß bekämpft werden worauf der Friede sich nicht gründen kann, wenn wir finden wie das Band der Einigkeit des Geistes auf manche Weise gelöst ist, daß die Herde als ob der Hirte geschlagen wäre sich zerstreut in immer mehrere kleine Häuflein, dann mögen wir wol eine Empfindung haben, als hätten wir keinen hinreichenden Grund uns allewege zu freuen und dann kann das Gemüth so niedergedrückt werden, daß es sich in ähnlichem Zustand befindet wie das der Jünger als der Herr von ihnen genommen war! Und wenn wir auf den eignen innern Zustand sehn, auch dann werden wir nicht leugnen daß wir ähnlichen Wechsel erfahren: und wenn solche Beschreibung daß der Herr sich nicht will finden lassen in manchen Zeiten von den Seinen, eigentlich nur die Beschreibung vom nicht christlichen Zustande ist; da ja die Seinen so sollen Eins sein mit ihm wie er mit dem Vater Eins ist, so ists doch wahr daß das Gedeihen jeder Sele dem Wechsel unterworfen ist; es giebt Zeiten für uns wo wir die Gewalt des Irdischen stärker fühlen, so daß es uns störend wird in der Thätigkeit des geistgen Lebens, und wo es uns dann gemahnt, daß solche Bewegungen unsrer Sele mit der Nähe des Herrn nicht zusammenstimmen! Ja solcher Demüthigungen werden wir in unserer Unvollkommenheit oft erfahren! Aber wenn es uns so geht, daß uns das ganze Leben öde erscheint und wir dann mit Recht trauern über diese unsre Verlassenheit, und dann sollen wir denken an den Zustand der Jünger als sie den Herrn nicht sahen, aber die Verheißung vergessen hatten, daß sie ihn über ein Kleines wieder sehen sollten! Ja gehen wir in die innersten Tiefe dieses Gedankens ein: so werden wir 10 daß] das

37 Kleines] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1619

12 Phil 4,4 14–15 Vgl. Mt 10,34 18–19 Vgl. Mt 26,31 (Zitat aus Sach 13,7) 27–28 Vgl. Joh 17,22 37 Vgl. Joh 16,16–19

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 9,15

5

10

15

20

25

30

35

231

sagen müssen: je geschwinder wir uns aus dieser Traurigkeit erheben, (welches wir können wenn wir nur den Mangel klar ins Auge gefaßt haben und erkannt daß an und für sich diesen Schmerz der Herrn nicht fordert) je geschwinder wir uns von der Niedergeschlagenheit zu der frischen Thätigkeit in seinem Dienst wenden, unser Gemüth zusammenfassen um die Verbindung mit dem Herrn zu erneuen, mit ihm der ja bei uns sein will alle Tage, um desto mehr finden wir das Verhältniß wieder und somit das Bewußtsein des Lebens, und so ists wieder wahr, daß er bei uns ist. Und indem er bei uns ist, wirkt diese seine geistge also dem Wechsel nicht unterworfne Gegenwart so in uns, daß auch für uns immermehr der Wechsel verschwindet, weil es immermehr an uns in Erfüllung geht, daß er die Worte des ewigen Lebens hat! Und so laßt uns das festhalten wie so wohl der Herr es meint, daß er uns erlösen will von dem Leidtragen und uns dazu beleben, daß wir uns des größten Festes, nemlich, seiner Wirksamkeit immerdar erfreuen. Wie er bei uns sein will, so sollen wir jeder, und Alle mitsammen, mit ihm zusammenleben und uns freuen seines Daseins mitten unter uns, denn je schneller wir über das Bewußtsein der eignen Unvollkommenheit hinweg kommen – nicht leichtsinnig, sondern weil wir uns bewußt sind daß seine Gegenwart unsre Unvollkommenheit besiegen wird – je schneller wir über den traurigen Gemüthszustand hinwegkommen, um desto mehr folgen wir dem Sinn dieses Worts des Herrn und es wird wahr durch seine Gnade, daß | er bei uns ist alle Tage. Und so werden sich die Jünger des Herrn am vollkommensten unterscheiden dadurch, daß das in ihrem Leben nicht mehr zu finden ist oder doch immerweniger vorkommt, was damals die Jünger des Johannes an den seinen vermißten! Der Erlöser will uns erfreuen immerdar und so werden wir ihm Freude machen je weniger wir von Kummer wissen und also seinem Willen genügen, uns festhalten an ihm und durch den Genuß seiner Gnadenmittel und seines Worts die Freude an ihm hervorrufen. Dann beginnt immermehr das ewige geistige Mahl zu welchem wir berufen sind, dann verschwindet mehr und mehr die Unvollkommenheit die wir noch empfinden und die unsre Trauer gerecht macht, aber je leichter wir sie überwinden durch seine Kraft desto mehr verkünden wir die Herrlichkeit dessen der uns berufen hat zu sich und zu dem unmittelbaren Genuß seiner Wohlthaten. Zu diesem freudgen Verkünden seines Namens wollte er uns mehr bereiten!

6–7 Vgl. Mt 28,20

11–12 Vgl. Joh 6,68

22–23 Vgl. Mt 28,20

82v

Am 23. November 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

25. Sonntag nach Trinitatis (Totensonntag), 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Offb 3,11 Drucktext Schleiermachers; Predigt am 25. Sonntage nach Trinitatis, Berlin 1828, S. 1–22 Wiederabdrucke: SW II/4, 1835, S. 182–194; 18442, S. 257–269 – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 5, 1877, S. 148–158 – Kleine Schriften und Predigten, ed. Gerdes u. Hirsch, Bd. 3, 1969, S. 320–333 Andere Zeugen: Nachschrift; SAr 67, Bl. 83r–85v; Woltersdorff (unvollendet) Nachschrift; SN 615, Bl. 1r–3r; NiN Besonderheiten: Keine

1

Predigt am 25sten Sonntage nach Trinitatis 1828, als am Todtenfeste in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen von Dr. Fr. Schleiermacher.

5

Berlin, 1829. Gedruckt bei G. Reimer. | 3

Text: Offenbarung 3, 11. Siehe, ich komme bald. Halte was du hast, daß niemand deine Krone nehme. Meine andächtigen Freunde! unter die irrigen und verwirrenden Vorstellungen und Uebungen in der christlichen Kirche, von denen sie durch diejenige Reinigung und Verbesserung, zu welcher auch wir uns freudig bekennen, zum Theil frei geworden ist, gehört auch die, daß viele Jahrhunderte lang die Christen glaubten, durch opfernde Gebete, welche für die Dahingeschiedenen dargebracht würden, könnten die noch auf Erden wandelnden einen Einfluß haben auf das Geschikk derer, die von der Erde hinweggerufen worden. Die freudige Zuver-

10

15

20

Predigt über Offb 3,11

5

10

15

20

25

30

35

40

233

sicht zu demjenigen, dem wir alle leben und dem wir alle sterben, hat diesen Wahn verscheucht, der keinen Raum wieder unter uns gewinnen kann. Wenn wir also seit geraumer Zeit am Ende unsers kirchlichen Jahres immer eine besondere Gedächtnißfeier begehen für die, welche die göttliche Vorsehung von diesem irdischen Schauplaz abgerufen hat: so wollen wir damit nichts anderes, als nur, was während des Verlaufes des Jahres die schmerzliche Angelegenheit der Einzelnen war, aus deren Lebenskreise der Herr bald diesen, bald jenen, bald so bald anders abgerufen hat, zu einer gemeinsamen Angelegenheit machen, um dadurch | zugleich dasjenige, was sie am Ende des Jahres noch schmerzlich bewegen kann, in ihnen selbst zu einem reinen und Gottes würdigen Gefühl umzuwandeln. So oft wir aber unsere Dahingeschiedenen an die Stätte der Ruhe begleiten, und es werden dort Worte des Trostes und der Beruhigung gesprochen: was ist es anders, meine Geliebten, womit sie auch wenn nur Wenige versammelt sind in des Herrn Namen bei solchen Gelegenheiten, allemal zu endigen pflegen, als daß wir bitten, der Herr wolle uns alle weise machen eben dadurch, daß wir bedenken das Ende, welches uns allen bevorsteht. Worauf sonst also sollen wir es auch an diesem feierlichen Tage absehen bei der großen Verschiedenheit der Umstände unter welchen, und der Art wie einzelne Familien unsrer Gemeinde betrübt worden sein mögen durch den Abruf ihrer Glieder? was können wir auch an diesem Tage besseres thun als das nämliche? Und darauf nun, meine geliebten Freunde, zielen die verlesenen Worte aus der Offenbarung Johannis ab. Sie gehören freilich einer Zeit an, welche an einen solchen Zustand wie der gegenwärtige, an eine so lange Reihe von Jahrhunderten, in denen sich die christliche Kirche in Ruhe und Frieden von einem Geschlecht zum andern bauen und immer mehr erweitern würde, nicht denken konnte, einer Zeit, als die ungeduldige Sehnsucht der Christen nach dem, der so zeitig wenngleich erst nach vollbrachtem Werke von der Erde erhöht worden war, allen Worten dieser Art, welche er zurükkgelassen hatte, die Bedeutung gab, daß er bald, auch nach menschlichem Maaße bald, wiederkommen werde in der ganzen vollen Herrlichkeit seines Reiches. Dieser Zeit gehört ganz besonders | das geheimnißvolle und schwer verständliche Buch an, aus welchem die verlesenen Worte genommen sind, und auf welches ich auch in unsern gemeinsamen Betrachtungen so überaus selten nur hinweise. Es sind auch die Worte unseres Textes nicht den Einzelnen gesagt, sondern sie sind aus jenen Sendschreiben an verschiedene christliche Gemeinden, welche dies Buch eröffnen, und sind, wie die auch dun1 Vgl. Röm 14,8

4

5

234

6

Am 23. November 1828 vormittags

keln Worte lauten, an die Engel dieser Gemeinden gerichtet. Denen also wird gesagt, ,,Siehe ich komme bald,“ und der ganzen Gemeinde, ,,Halte was du hast, daß niemand deine Krone nehme.“ Aber eben, wenn wir, was zunächst und unmittelbar nur Einzelne und doch immer nur einen kleinen Theil unserer Gemeinde schmerzlich berührt hat, zu einer gemeinsamen Angelegenheit machen: wie sollten wir uns dann nicht diese Worte vorzüglich aneignen, ja, wie nicht auch sie auf die Einzelnen anwenden, welchen eben der Abruf aus diesem zeitlichen Leben das baldige Kommen des Herrn ist, welches uns allen bevorsteht? Und wir dürfen nicht eben einen baldigen schnellen Tod uns vor Augen halten; sondern, wenn wir auch nur an die, selbst das größte Maaß angenommen, doch schnell verlaufende Kürze des Lebens denken, dürfen wir uns nur erinnern, wie wir am Ende jedes Jahres geneigt sind zu glauben, daß von einem Jahre zum andern die Zeit schneller ihre Flügel schwingt und dahin eilt, um dem Worte, „Siehe ich komme bald“ seine volle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Aber wenn wir weiter hören, wie es hier lautet, – und das ist eben die Ermahnung in diesen Worten der Schrift, die wir uns heute ans Herz legen wollen, – wenn wir hören, es werde, damit | niemand unsere Krone nehme, nichts erfordert, als nur daß wir fest halten, was wir haben: so scheint dies so leicht und so sehr der Neigung jedes auch des natürlichen Menschen gemäß, und wir sehen außer dem, was zu einer besonnenen und muthigen Gegenwehr gehört, so wenig Schwierigkeit dabei, daß wir Bedenken tragen möchten, auf dies Wort allein unser festes Vertrauen zu sezen, zumal es aus diesem dunkeln Buche von nur zweifelhaftem Ursprunge genommen ist. Darum, wollen wir dennoch dieses Wort zur Richtschnur nehmen, so wird es sehr wohl gethan sein, daß wir zuerst andere denselben Gegenstand betreffende Worte der Schrift dagegen halten, um nach einer solchen Vergleichung desto sicherer zu sein, daß wir auch die richtige Anwendung davon für uns alle machen. 1. Wenn wir, meine andächtigen Freunde, uns erinnern, wie häufig unser Erlöser, zumal in der lezten Zeit vor seinem Leiden, wie uns die evangelischen Schriftsteller berichten, mit seinen Jüngern geredet hat von seiner Zukunft, von der Rechenschaft, die dann ein jeder von den Seinigen ihm werde abzulegen haben: so finden wir freilich dort so manche Aussprüche, die dem Ansehn nach dem unsrigen ganz entgegengesezt und gar nicht so leicht und gefahrlos klingen wie das Wort, welches wir hier vernehmen, und doch auch als ein solches, welches der Geist den Gemeinden sagt. Wenn es hier heißt, „Halte was du

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Offb 3,11

5

10

15

20

25

30

35

40

235

hast:“ so unterscheidet der Erlöser in seinen Gleichnißreden dieser Art das, was wir haben von dem, was wir haben sollen, und sagt, Wer nicht hat, was er haben soll, was billig von ihm | erwartet werden kann, daß er es erworben haben sollte für seinen Herrn mit dem Pfunde, welches ihm verliehen war, dem wird auch genommen werden, was er hat. Von einem solchen Unterschiede aber scheinen die Worte unseres Textes nichts zu wissen. Hier wird nur von dem Festhalten eines Besizes geredet; dort ist die Rede von einer lebendigen, thätigen, angestrengten Wirksamkeit. Wer nur vorzeigen könne, was er besizt, und also nichts hat, als was er schon von Anfang an hatte, den erklärt der Herr für einen unnüzen Knecht, und läßt ihm auch das nehmen, was er hat. Unser Text hingegen sagt, dem der da fest gehalten was er hatte, dem werde niemand seine Krone rauben können. Wie lösen wir nun, meine theuern Freunde, diesen Widerspruch? Sollten jene Worte des Herrn unter seinen Jüngern so gänzlich verklungen gewesen sein, daß schon der Jünger, dessen Werk dieses Buch ist, nicht mehr an eine solche Rede des Herrn sollte gedacht haben? Das können wir wohl nicht meinen, da ja eben jene Worte doch bis auf unsre Tage gekommen sind! Vielmehr sind sie gewiß von dem Augenblikk an, wo der Herr sie sprach, der Maaßstab gewesen, welchen seine Jünger sich untereinander vorhielten, um sich dadurch zu einer kräftigen Wirksamkeit zu erbauen. – Aber wir finden freilich auf der andern Seite auch dem unsrigen ähnliche Aussprüche in solchen Worten des Herrn, welche von dem Reiche Gottes handeln, und in welchen er die Menschen zum Tichten und Trachten nach diesem Reiche und nach dessen Gerechtigkeit ermuntern will. Da sagt er, das Reich Gottes sei gleich der köstlichen Perle, die einer fand, und alles andere verkaufte, was er hatte, um sich den Besiz dieses Kleinods zu verschaffen, und bei ei|nem solchen Bilde können wir an nichts anderes denken, als an einen bloßen Besiz, der, wenn man ihn einmal hat, nur festgehalten sein will, an ein Gut, dessen Werth nicht darin besteht, daß noch etwas anderes dadurch erreicht oder erworben werde, sondern das ihn lediglich hat in sich selbst und in dem Wohlgefallen des Besizers an ihm als einem Kleinode. Diese Worte des Herrn stimmen nun ganz wohl mit denen unsers Textes überein, Halte was du hast, damit dir niemand deine Krone nehme. Aber wenn wir uns fragen, ob wol der Erlöser jemals sein Reich, die Segnungen seiner Erlösung, so könne angesehen und dargestellt haben als etwas, das man habe und behalten könne, und darin bestände denn alles? Nein, meine geliebten Freunde! das würde unser aller gemeinsamem Gefühle gar sehr widerstreiten. Wie also vereinigen wir beides? Die Reden, welche 2–6 Vgl. Lk 19,11–27

26–29 Vgl. Mt 13,46

7

8

236

9

10

Am 23. November 1828 vormittags

das Reich Gottes mehr als ein Kleinod darstellen, fallen größtentheils in die früheren Zeiten des Lehramtes unsers Herrn; wogegen diejenigen, welche eifrige Treue empfehlen und auf die abzulegende Rechenschaft hindeuten, späteren Ursprungs sind. In jenen redet er als der eben Aufgetretene; in diesen als der, welcher bald hingehn werde, aber nur um wieder zu kommen. So lange er umherging und verkündigte, das Reich Gottes nahe heran, konnte ihm nichts so sehr am Herzen liegen, als dem kleinen Häuflein, welches sich im frohen Glauben um ihn zu sammeln anfing, die Herrlichkeit dieses neuen Zustandes anzupreisen, und ihr Verlangen nach demselben aufzuregen und zu steigern. Als aber die Gemeinschaft der Gläubigen fest werden sollte, und seinen Jüngern bevorstand, ohne ihn für die Begründung und Ausbreitung seines Reiches thätig zu sein: da | mußte er ihnen den heiligsten Ernst und Eifer im Gebrauch der ihnen mitgetheilten höheren Kräfte ans Herz legen. Aber eben diese Kräfte des Geistes sind jener selige Besiz, und der kann nur festgehalten werden im treuen Gebrauch. Deswegen ist nun auch beides, dies Festhalten dessen, was wir haben, und jenes Wuchern mit dem anvertrauten Pfunde nicht zweierlei, sondern Eins und dasselbe. Und das liegt auch schon in den Worten unseres Textes selbst. Denn fragen wir, Was ist es, was wir hier ermuntert werden zu halten, weil wir es haben: so heißt es in diesem Briefe an die Engel der Gemeinde vorher, Dieweil du hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet. Was also fest gehalten werden soll, weil und wie die Gemeinde es hatte, das war eben das Wort. Was sagt aber der Herr selbst von seinem Worte? Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben, und alles andere, das liegt in dem hinzugefügten, wäre auch nur Fleisch und kein Nüz. Geist und Leben, meine andächtigen Freunde, wenn wir das hören, können wir dabei wol irgend an einen unthätigen Besiz denken, an einen in sich abgeschlossenen unfruchtbaren Genuß? Nein! wo Geist und Leben sind, da ist auch ein Heraustreten aus sich und Eindringen in anderes, da ist auch Schaffen und Wirken. Also nur in dieser Gestalt können wir festhalten, was wir haben; und so werden wir dann auch aufzuzeigen haben, was wir noch nicht hatten. Seliger Genuß und erfolgreiche Wirksamkeit ist hier nur eins und dasselbe. Das Festhalten ist nicht so leicht als es dem ersten Klange nach erscheint; aber das Wuchern und Erwerben ist auch eben so sicher, als unser gläubiges Vertrauen auf den, von welchem wir alles | haben, was wir halten können und halten sollen. Und nachdem wir sie uns so ergänzt haben, so laßt uns jezt näher mit einander betrachten, was in dieser immer doch tröstlichen und ermuthigenden Anweisung eigentlich enthalten ist, in wel22–23 Offb 3,8

25–26 Joh 6,63

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Offb 3,11

237

cher wir unsere Sicherheit finden müssen für den Augenblikk, wenn auch für uns der Herr kommt.

5

10

15

20

25

30

35

2. Und ich bin überzeugt, meine geliebten Freunde, wenn wir nur die Worte, die ich vorher aus dem Zusammenhange mit unsern Textesworten anführte, als die Bedingung, unter welcher schon das Festhalten dessen, was wir haben, uns unsere Krone sichern kann, wenn wir diese nur in ihrem tiefsten Sinne und ganzen Umfang auffassen, so brauchen wir auch nur ganz einfach bei ihnen stehn zu bleiben. Du hast mein Wort behalten und meinen Namen nicht verläugnet, so lauteten sie. So laßt uns denn zunächst fragen, wie sich das Wort des Herrn als Geist und Leben zu erkennen gab in seinem Leben unter uns, von den ersten Anfängen an bis zu seiner schönsten und seligsten Entwikkelung, damit wir in freudiger Erinnerung an das, was wir immer schon behalten haben, zugleich sehen, was wir auch in Zukunft festhalten sollen. Gehen wir nun zurükk zu dem ersten Auftreten des Erlösers auf dem Schauplaz dieser Welt, welches war das Wort, durch welches er sich gleichsam den Weg zu bahnen suchte zu den Herzen der Menschen? Kein anderes, als das freundlich einladende, Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will | euch erquikken; kein anderes, als das süße Versprechen, daß er ihnen statt des schweren Joches, unter welchem sie sich abquälten, buchstäbliches Gesez, äußerer Dienst, willkührliche Werke, fortan nur seine leichte Last auflegen wolle. Die Zeiten seien vorbei, wo man sich streiten mochte über ein hier und dort des göttlichen Dienstes; Anbetung im Geist und in der unmittelbaren Wahrheit, und das Eine Gebot, uns mit derselben befreienden Liebe zu lieben, das sei sein Joch und seine Last. Wohl uns, meine geliebten Freunde, wenn wir dies immer festgehalten und auf diese Weise uns haben frei machen lassen von dem Sohn! Aber wie reich auch unsere Erfahrung davon sein mag, wie diese von Ihm mitgetheilte Freiheit der Kinder Gottes auch über das irdische Leben der Menschen eine überschwengliche Freude auszugießen vermag: ich glaube doch, wir können kein Jahr unsers Lebens zurükkgelegt haben, ohne auf mancherlei Weise auch das erfahren zu haben, wie tief die Neigung sich unter ein anderes Joch zu beugen und andere Lasten auf sich zu nehmen in der menschlichen Seele liegt. So wie sie erschrikkt, sei es nun irgend über das, was im äußerlichen Leben die Unvollkommenheit der menschlichen Dinge herbeiführen kann, oder über ihre 9–10 Offb 3,8 Joh 13,34

20–21 Mt 11,28

22–25 Vgl. Mt 11,29–30

27–28 Vgl.

11

238

12

13

Am 23. November 1828 vormittags

eigene Gestalt, wie sie sich im Spiegel des göttlichen Wortes beschaut, so geräth sie auch in die Besorgniß, ob das sanfte Joch wol genüge, und ist nur zu geneigt sich wieder fremde Lasten aufzubürden. Je mehr wir uns nun dafür, zumal in den Anfängen des christlichen Lebens, bewahren, und den Glauben, daß uns alles zum Besten diene, festhalten, und uns nicht überreden lassen, daß wir anders um Gottes Wohlgefallen zu dienen brauchen, als indem wir das Heil in Christo umfassen und in aller Freudigkeit der Kin|der Gottes leben: um desto weniger werden wir in Gefahr sein, daß, auch wenn der Herr kommt, uns jemand unsre Krone nehmen könne. Aber das Wort des Herrn war nicht nur dieses freundlich einladende, es war auch ein kräftig belebendes. Wenn er die Last von den Menschen genommen hatte und ihnen sagen konnte, Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen, deine Sünden sind dir vergeben; wenn es in einer einzelnen Seele wahr geworden war, daß der Sohn allein durch die Wahrheit auch wahrhaft frei macht: so mußte sie auch ein ganz neues, seiner göttlichen Einwirkung würdiges, das neue Reich Gottes ankündigendes Leben durch ihn und für ihn beginnen. Auch in diesem Sinne sagt er, Alle die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben; und eben dies meint er vorzüglich, wenn er sagt, Wer zu mir kommen wird und trinken, dem will ich lebendiges Wasser geben, das in ihm ein Brunnen werden soll, der in das ewige Leben quillt. – So giebt Er; und wir Alle können wol nicht anders als das freudige Zeugniß ablegen, daß wenn das Herz voll geworden ist von der Liebe Gottes, die durch Ihn in uns ausgegossen ist, auch der Mund davon übergeht und Wort und That davon Zeugniß geben. Das ist das belebende Wort des Lebens, welches kein Anderer so hat wie Er; in diesem Sinne sagt er auch zu uns, Wenn du dich bekehrt hast, so stärke deine Brüder. So können wir die Gemeinschaft mit Ihm nicht festhalten, ohne auch den Menschen Gottes zu zeigen durch die Werke, zu denen er allein geschickt ist; wir können mit dem Wasser des Lebens nicht getränkt werden, ohne daß es auch von uns aus|ströme und auch Andere durch dasselbe erquikt werden. Wenn wir nun so in unserm Leben überall seinen Namen bekennen, meine geliebten Freunde: so thun wir nichts anderes als festhalten, was wir haben. Und wenn wir hiebei beharren ohne müde zu werden; wenn wir dieses lebendige Wassers immer bei uns führen, das von selbst immer ausströmt, und sich auch aus der ursprünglichen Quelle immer wieder in uns erneuert 36 lebendige] lebendigen 13–14 Vgl. etwa Mk 10,52 26 Vgl. Mt 12,34; Lk 6,45

19–20 Joh 6,63 28–29 Lk 22,32

20–22 Vgl. Joh 4,10–11

24–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Offb 3,11

5

10

15

20

25

30

35

239

bis der Herr kommt: wie sollte es dann wohl geschehen können, daß unsere Krone uns genommen würde? wie sollte denn wol der Herr, wenn wir ein solches Leben vor ihn bringen, den Ausspruch thun können, daß uns, weil wir nicht hätten, genommen werden solle was wir haben? Und so sehen wir denn auf alle Weise, wie dies beides einerlei ist, Festhalten was wir haben und treu sein in dem worüber wir gesezt sind – sei es nun wenig oder viel, denn es ist mancherlei Maaß, nach welchem der Herr seine Gaben austheilt. Wenn der Rebe am Weinstock bleibt: was thut er anders als nur festhalten, was er hat? und doch kann er auch nicht mehr thun als dieses, um viel Früchte zu bringen! Das köstliche Ding, daß das Herz fest werde, kann uns nirgend anders her kommen, als nur aus dem Festhalten an der lebendigen Gemeinschaft Christi; von daher aber auch gewiß. Denn diese besteht nur darin, daß wir Kräfte eines höheren Lebens von ihm empfangen; und von seinen Worten sagt er, daß sie Geist und Leben sind, weil wir vermittelst ihrer eben diese Kräfte überkommen. Halten wir also diese Gemeinschaft fest, und nähren uns immer wieder an seinem Wort: so bleiben wir eingefugt als lebendige Steine in jenen geistigen Tempel Gottes, in welchem | allein er auf eine eigenthümliche Weise wohnt, und erstarken mit diesem immer mehr, bis wir herangezogen werden zur Aehnlichkeit mit dem vollkommnen Lebensalter Christi. Und wie kann es dann anders sein, als daß der Herr, wenn er kommt, uns als treue Genossen seiner Thätigkeit und seiner Leiden auch beruft um einzugehen in seine Freude. Laßt mich jedoch zur vollständigen Erläuterung nur noch eines mit Kurzem erwähnen, aus dem Zusammenhange unserer Textesworte, das ich nicht gern übergehen möchte. Es heißt nämlich dort unmittelbar vorher, „Dieweil du hast behalten das Wort meiner Geduld, will ich auch dich behalten vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen die da wohnen auf Erden.“ Wohl, meine theuern Freunde, ist dies ein herrliches und ermuthigendes Wort! Was ich vorher mehr berührt und angedeutet habe, als daß ich es hätte ausführen können von den mancherlei Verleitungen die es geben kann, fahren zu lassen was wir haben und andere Wege einzuschlagen, andere Stüzen zu suchen, das beschränkt sich nicht nur auf die ersten Anfänge des christlichen Lebens, sondern es wiederholt sich unter gar mancherlei Gestalten immer während unserer ganzen irdischen Laufbahn, und dies alles wird hier, gleich als 31 Weltkreis] Weltkeis 29–32 Offb 3,10

14

240

15

16

Am 23. November 1828 vormittags

ob es ein einziger entscheidender Augenblikk wäre, ein einziges furchtbares Gericht Gottes, durch den Ausdruck bezeichnet, die Stunde der Versuchung, welche kommen wird über alle die auf Erden wohnen. Und hier haben wir also schon vor der Ermahnung das trostreiche Versprechen, daß Er uns bewahren will vor der Stunde der Versuchung, nicht so zwar, daß wir überhaupt nicht versucht werden – | denn wenn sogar Aergerniß nothwendig kommen muß, wie viel mehr noch Versuchung – aber doch so, daß wir nicht darin erliegen. Nur müssen wir solche sein, die das Wort seiner Geduld bewahrt haben. Fragt ihr nun, was das sagen will, das Wort seiner Geduld? Die Geduld unsers Erlösers, meine theuern Freunde, und seine Beharrlichkeit sind nur eins und dasselbe. Eine bloß leidende Geduld hat er selbst nur da geübt und insofern, als er gar nichts weiter zu thun und zu wirken hatte; und anders begehrt er eine solche auch nicht von uns. Seine eigentliche Geduld war die ruhige durch alle Schwierigkeiten hindurch fortgehende Ausführung des Werkes, wozu Gott ihn berufen hatte. Dieser Geduld können wir uns Alle getrösten, denn er übt sie noch an allen denen, die seinen Namen bekennen. Es ist die Beharrlichkeit des guten und treuen Hirten, mit welcher er alle, die seiner Stimme folgen, zusammenzuhalten sucht bei der gesunden Weide seines Wortes, mit welcher er allen nachgeht, welche im Begriff sind sich zu verirren. Wie nun aber auch dieses Wort Geist ist und Leben: so können wir uns dessen, daß wir das Wort seiner Geduld bewahrt haben, noch nicht schon deshalb rühmen, weil Er uns oft zur rechten Stunde Warnung und Trost, Erleuchtung und Kraft geworden ist; sondern es muß auch in uns gewirkt haben dieselbe Beharrlichkeit und Treue in allem, wozu Er uns berufen hat. Und gewiß, je unausgesezter wir thätig sind in dem Werke des Herrn, und uns nicht abwendig machen lassen durch irgend eine Furcht oder Lust; je mehr wir auch Andere nach Vermögen suchen zu stärken und zu bewahren: um desto sicherer werden wir auch selbst bewahrt bleiben in jeder Stunde der Versuchung. | Wohlan denn, meine geliebten Freunde, das ist der Weg, der uns allen vorgezeichnet ist. Zu uns allen ohne Unterschied des Alters, der Umstände und der Fortschritte kann gesagt werden, Siehe, ich komme bald. Laßt uns desfalls gute Zuversicht hegen! Wir dürfen nur halten, was wir haben, daß auch das Wort seiner Verheißung an uns in Erfüllung gehe und die verheißene Krone uns gesichert bleibe. Laßt uns Fleiß anwenden, daß wir uns strekken nach dem Ziel, das vor uns liegt, ob wir es ergreifen möchten! Und wenn wir so sein Wort behalten, so hat es wol keine Noth, daß wir seinen Namen verläugnen 2–4 Offb 3,10

40–1 Offb 3,8

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Offb 3,11

5

10

15

20

25

30

35

40

241

sollten. Das Bewußtsein, was wir an geistigen Gütern haben, nur von ihm zu haben, wird zu bestimmt sein und zu mächtig, als daß es nicht unsre Freude sein sollte, seinen Namen vor aller Welt zu bekennen; der Preis des treuen Seligmachers wird auf unsern Lippen sein, weil er in unserm Herzen ist; und es wird uns ein eben so süßes als ernstes Geschäft, Sorge zu tragen, daß, bis der Herr auch zu uns kommt, jedermann erkenne daß wir seine Jünger sind. Aber, m. gel. Fr., laßt mich noch zum Schluß meiner Rede das Wort an diejenigen richten, die der Herr in diesem Jahre betrübt hat, indem er Einen oder den Andern aus ihrem nächsten Kreise abrief, und deren schmerzliche Gefühle zu theilen wir heute besonders berufen sind. Wie mannigfaltig aber, m. gel. Fr., sind die Umstände, unter denen dies geschehen ist! Wie verschieden waren gewiß von Anfang an die Empfindungen derer, die der Herr so geprüft hat! Wie frisch mögen bei Manchen noch die Wunden des Herzens bluten, und wie vieles hin|gegen sich bei Andern schon ereignet haben, wodurch der Schmerz gemildert ist. Wie fast unmöglich scheint es daher, ein allen gemeinsames und doch ergreifendes Wort des Trostes und der Beruhigung zu sagen! Laßt uns deshalb von allen äußeren Verschiedenheiten absehn, aber uns zu den inneren wenden, welche sich leicht übersehen lassen und für uns Alle zugleich die bedeutendsten sind. Ein großer Theil derer, welche im Verlauf eines Jahres das Zeitliche gesegnen, sind immer solche, deren Leben noch nicht entwikkelt war, deren geistige Kräfte noch schlummerten, und in denen daher auch die ihnen großentheils schon zugesicherte Gemeinschaft mit Christo noch nicht zu einem bewußten und wirksamen Leben hat gedeihen können. So vernehmet denn Ihr, denen solche Kleine entrissen worden sind, was der Herr, in demselben Zusammenhang aus welchem die Worte unseres Textes genommen sind, zu eurem Troste sagt, Siehe ich habe vor dir gegeben eine offene Thür und niemand kann sie zuschließen! Er selbst, m. gel. Fr., wie er anderwärts sagt, ist die Thüre, die immer offen steht, und niemand kann sie zuschließen. Auch der Tod vermag sie nicht zu schließen; er vermag nicht diejenigen, die des Herrn Eigenthum sind, aus seiner Hand zu reißen. Auch die von hinnen unentwikkelt scheiden müssen, bleiben in seiner Hand; und so wie er die Thüre zum Leben ist, so wird er auch sie zu dem Leben einzuführen wissen, das er uns Allen geöffnet hat. Und wenn auch jezt noch in der Gemeinschaft der Christen es manche giebt unter den Dahingeschiedenen, deren natürliches Leben zwar vollkommen | entwikkelt ist und zur Vollständigkeit gediehen, aber kaum hat das Auge der Liebe und Hoffnung auch nur die ersten 30–31 Offb 3,8

31–32 Vgl. Joh 10,7.9

17

18

242

19

Am 23. November 1828 vormittags

Keime des höheren Lebens in ihnen entdekkt! Das freilich, m. gel. Fr., das ist der tiefste Schmerz, wenn wir Angehörige verlieren, die sich noch in diesem Zustande befinden. Aber auch für die, welche diesen bittern Kelch im verflossenen Jahre haben leeren müssen, liegt der Trost in den Worten dieses Briefes an die Gemeinde. Oder wie, m. th. Fr., können wir von irgend einem, der, wenn auch nur im äußern Umfang der christlichen Kirche gelebt hat, zu behaupten wagen, daß das Wort des Herrn gar nicht an ihn ergangen sei? Und kann es irgendwo unwirksam sein, wo es doch angelangt ist? Ja, wenn es auch Viele giebt, in denen es noch nicht zur Kraft und zum Leben gediehen ist: wirkt es nicht auch in diesen Seelen dennoch als das strafende und mahnende Wort? Kann ihr Gewissen einen geringeren Maaßstab festhalten auf lange Zeit, – denn vorübergehend können sich freilich oft die sträflichen Gedanken entschuldigen, – aber kann Einer unter uns einen andern Maaßstab in seinem tiefsten Innern für immer gelten lassen, als den das Wort Gottes, das Licht der Wahrheit, in der christlichen Gemeinschaft gestempelt hat? Und wenn das Wort Gottes wenigstens doch auf diese Weise im Innersten des Gewissens tief eingewurzelt ist: so dürfen wir gewiß vertrauen, der Herr werde das nicht vergeblich bleiben lassen, und auch noch jenseit vermögen, es zu einem schöneren Leben zu erwekken. Für uns alle hat es eine ähnliche Zeit gegeben, und auch uns hätte das Loos treffen können, schon damals von dieser Welt gerufen zu werden. Gewiß werden wir nicht glauben wollen, daß es nur von | einem solchen Umstande abhänge, ob die Barmherzigkeit dessen, der der Abglanz ist der ewigen Liebe und dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, ihr Ziel erreicht oder nicht. Und wenn es unter den Dahingeschiedenen Andere giebt, von denen wir ein froheres und besseres Zeugniß haben im Innern des Gemüths, und an denen die theilnehmende Liebe mehr Freude hatte, solche, von denen wir sagen können, sie haben nicht nur erkannt was der wohlgefällige Wille Gottes sei, sondern sie haben auch gewollt, sie haben dem inwendigen Menschen nach Lust gehabt an dem heiligen Willen Gottes, aber freilich des Vollbringens war nur wenig! Wie oft sind die guten Vorsäze fruchtlos wieder hingewelkt! und wo das wahrhaft Gute wirklich zum Vorschein kam, wie wenig Zusammenhang war dennoch in diesen Aeußerungen des Lebens! Wohlan! was spricht zu diesen der Geist des Herrn? Denn du hast eine kleine Kraft, aber siehe, ich will machen, daß sie kommen sollen und anbeten zu 20 jenseit] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 1433–1434 26 Vgl. Mt 28,18

38–1 Vgl. Offb 3,8–9

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Offb 3,11

5

10

15

20

25

30

35

40

243

deinen Füßen, und erkennen, daß ich dich geliebt habe. Auch die kleine Kraft, wie klein sie sei, ist doch ein Ausfluß aus jener göttlichen Kraft, die in dem war, den wir als Herrn und Erlöser verehren; sie drükkt einem jeden das Zeichen auf, daß der Herr ihn geliebt hat, und alle Mängel und Schwächen die noch übrig sind können es nicht auslöschen. Darum sollen wir Alle jezt schon auch in der kleinen Kraft den ewigen göttlichen Ursprung gern verehren. Aber wie sollte der Herr nicht diejenigen, die doch auf diese Weise auch seine Zeugen sind und seinen Namen nicht verleugnen, wie sollte er nicht auch sie für solche erkennen, die da halten, | was sie haben, wenn ihnen auch in diesem Leben nur wenig gegeben war! Aber endlich, m. gel. Fr., wird es ja auch niemals an solchen fehlen, von denen wir in einem höheren Sinne getrost sagen können, Sie haben gehalten, was sie hatten, und Niemand kann ihnen ihre Krone nehmen. Aber wie treu und emsig sie auch gewesen sind, wie frei sie auch gestanden, wie großartig sie auch gewirkt haben mögen im Reiche Gottes: der Herr kann sie doch nur rufen als Knechte, die da gethan haben, was sie schuldig waren; und auch wir können sie nur als solche ansehen, die Er bewahrt hat in der Stunde der Versuchung und die glükklich überwunden haben. So laßt uns denn auch hören, wie es von ihnen heißt! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem geistigen Tempel Gottes, auf den er sich stüze, und der ihn tragen helfe. Aber der Tempel, in dem wir Alle schon hier lebendige Steine sind, das ist hier diese Kirche Christi auf Erden, die angefochtene, streitende, sich noch höher bauende und schöner schmükkende. Wie können nun für diese die Dahingeschiedenen erst nachdem sie überwunden haben noch stüzende Pfeiler werden? Nicht anders als dadurch, daß das Andenken der Gerechten im Segen bleibt, und sich als eine fortwirkende Kraft bewährt; also dadurch, daß wir ihr Andenken festhalten, daß ihr Bild uns vorschwebt, daß ihr Beispiel uns leuchtet. Nur dadurch können sie Pfeiler werden in dem Tempel Gottes, an denen er sich höher aufbaut; nur dadurch kann dies Wort des Herrn an ihnen in Erfüllung gehen. So laßt uns denn festhalten das Andenken derer, die unsere Vorgänger gewesen sind in der Kraft | des Glaubens und in den Werken der Liebe! Jeder treue Jünger des Herrn, jeder tapfere Vorkämpfer, wenn er dieser irdischen Arbeit und Mühe enthoben ist, bleibe nicht nur unvergessen in den Gemüthern derjenigen, welche die nächsten Zeugen seines Lebens gewesen sind; sondern gelöst von der irdischen Unvollkommenheit wirke sein Bild fort als eines solchen, für den schon erschienen ist, was wir sein werden. Oder fühlen wir nicht diese geheimen Kräfte der edlen Bilder, 21–22 Offb 3,12

40–41 Vgl. 1Joh 3,2

20

21

244

22

Am 23. November 1828 vormittags

welche uns die Geschichte der Kirche Christi aufbewahrt? Nicht eben so auch derer, die in demselben Geist in einem stillen Kreise reich gesegnet wirkten? Verbreitet sich nicht der Segen dieser Arbeit der Vollendeten in unseren Seelen zulezt noch unbewußt woher er komme immer weiter über alle, die in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe mit uns stehen? Solches Bewußtsein von dem was uns bleibt, wenn der Tod unter uns seine jährliche Erndte gehalten hat; solche erneute Ueberzeugung von einer kräftigen Gemeinschaft der vollendeten Gemeinde mit der irdischen, das ist der beste Segen dieser gottesdienstlichen Feier! Und damit dieser uns niemals fehle, so laßt uns noch einmal zu den Worten der Schrift zurükkgehen, die wir heute zum Grunde gelegt haben, wie sie ursprünglich und unmittelbar nicht den Einzelnen gesagt sind, sondern der Gemeinde des Herrn. „Halte was du hast“ wollen wir uns zurufen am Ende dieses kirchlichen Jahres im Andenken an diejenigen, die im Verlauf desselben dahin gegangen sind! Auch sie hat der Herr aufgenommen nach Maaßgabe, wie sie eben das festgehalten hatten, was wir haben. Laßt uns halten, was wir | haben! und wenn wir uns bewußt sind nur eine kleine Kraft zu besizen: so laßt uns desto treuer sein Wort behalten, seinen Namen bekennen und in seiner Schule bleiben, um von ihm immer aufs neue zu vernehmen das Wort des Lebens! Es gehe von Mund zu Munde, daß es jedem gegenwärtig sei, wenn er dessen bedarf, daß Jeder es dem Andern vorhalte in der Stunde der Versuchung, die es ihm verdunkeln möchte! Und wenn wir von jedem Jahresschluß wie von jeder sinkenden Sonne gemahnt der ungewissen irdischen Zukunft gedenken: so laßt uns feststehen auf dem Wort der Verheißung auch für die kleine Kraft, daß doch zuletzt Alle kommen sollen und anbeten vor denen, die den Namen des Herrn bekennen. Und keinem von uns sei das Wort, „Siehe ich komme bald“ ein Wort des Schrekkens, sondern eine freudige Botschaft, wie jedes Wort seines Mundes! Denn durch seine Gnade werden wir halten was wir haben und unsere Krone wird uns nicht genommen werden. Amen.

5

10

15

20

25

30

Am 30. November 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Sonntag im Advent, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 1,78-79 Nachschrift; SAr 67, Bl. 86r–87v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 607/1, Bl. 1r–2v; NiN Keine

Aus der Predigt am 1. Advent 28. Luc. 1,78. 79

5

10

15

20

25

Wenn wir aufs neue mit der Vorbereitung auf die Feier der Geburt unsers Herrn unser kirchliches Jahr beginnen, so ists natürlich daß wir uns in jene Zeit zurückversetzen ehe der Herr erschienen, in die Zeit des größten geistgen Bedürfens und der tiefsten Sehnsucht nach dem Göttlichen, welches eben die Zeit war die auch die Schriften des neuen Bundes so beschreiben daß eben um der Sehnsucht willen nun die Zeit erfüllt war. Aus dieser Zeit und von dieser Art sind die verlesenen Worte, Worte des Zacharias als auch ihm ein besonderes Verlangen durch eine besondre Gnade gestillt war und er in dem Knaben der ihm geschenkt war den Propheten des Herrn erkannte, der vor ihm her gehn sollte und ihm den Weg bereiten: und eben den Herrn beschreibt er hier als der Aufgang aus der Höhe um Allen zu scheinen welche in Finsterniß saßen. In diesen Worten finden wir nun kurz und bündig das Wesentliche beschrieben von dem Heil welches der Welt durch Christum geworden. Und so laßt uns dem weiter nachdenken. Wenn dabei erstens die herzliche Barmherzigkeit Gottes gerühmt ist: so müssen wir nicht vergessen daß wir von Gott immer menschlicher Weise reden, daß wir aber was wir menschlicher Weise von ihm sagen, anders und in höherm Sinn wollen verstanden haben, als es bei Menschen ist: Unter Barmherzigkeit verstehn wir oft eine Liebe, welche sich bei der Noth anderer erweist in plötzlicher Aufregung des Gemüths durch den Eindruck welchen eben Noth und Elend auf uns machen, und worin wir, indem wir der menschlichen Gleichheit auf einer Seite und anderseits unsers Vortheils in Vergleich mit Andern uns bewußt werden, durch die Mittheilung das ausgleichen wollen was der Lauf der 9–12 Vgl. Lk 1,68–76

86r

246

86v

Am 30. November 1828 früh

Welt ungleich gemacht hat: Das nun können wir auf Gott nicht anwenden; denn von wechselnden Bewegungen in ihm kann nicht die Rede sein, sondern es ist die immer gleiche Liebe Gottes welcher wir Alles verdanken. Aber es ist doch auch nicht umsonst daß in der Schrift die Liebe Gottes als Barmherzigkeit dargestellt wird, und selbst der Erlöser bedient sich dieses Ausdrucks. Dieser Ausdruck bezieht sich nemlich auf die Stelle welche in der großen Schöpfung Gottes das Menschengeschlecht einnimmt, auf die Vorsicht Gottes und auf den Weg den sie von Anfang an mit dem Menschengeschlecht gegangen und nicht aufhört zu gehen; Denn so ists gewesen und so ists noch: es geht mit dem Menschen aus dem Abgrund in die Höhe, aus der Finsterniß zum Licht, aus Zwiespalt und Hader zur Liebe und zum Frieden: Das ist der Weg den uns die göttliche Weisheit führt: und darum gehört das beides zusammen wie es im Text zusammen gestellt ist: die Barmherzigkeit Gottes und die Finsterniß in der wir saßen vor der Offenbarung derselben in Christo. Und so war es auch nicht anders möglich als daß, so sehr auch das Volk des alten Bundes sich bewußt war seines Vorzugs vor allen andern Völkern und sich nicht selten überhob, welches immer einen Fall zur Folge hatte welcher die Barmherzigkeit Gottes aufweist, so war es nicht anders möglich als daß eben in diesem Volk die Menschen sich am meisten ergriffen fühlten von der Sehnsucht und von dem Bewußtsein der allgemeinen Gleichheit welche statt findet in Beziehung auf geistige Noth; Alle saßen in der Finsterniß und dem Schatten des Todes und dessen mußten sie sich bewußt werden. So finden wir den Apostel Paulus | darstellend den Zustand der Menschen so daß kein Unterschied sei indem sie Alle des Ruhms ermangeln den sie vor Gott haben sollten, und so nun spricht Zacharias hier in dem Ausdruck daß allen die in Finsterniß sitzen denen sei der Aufgang aus der Höhe erschienen um sie zu erleuchten, also Allen ohne Unterschied. Aber wie uns nun eben der Ausdruck der göttlichen Liebe, wie er hier gegeben ist, auf den Wechsel hinweißt zwischen Licht und Finsterniß, so heißt es, durch die Barmherzigkeit Gottes habe uns besucht der Aufgang aus der Höhe d. h. ein neuer himmlischer Tag nach der Nacht, das Licht um aufzuheben die Finsterniß, und denen leuchte die sich in jenem Zustand befinden. Und es ist deutlich aus diesen seinen Worten daß er ihn, den Aufgang aus der Höhe, sich gedacht hat als Einen; Einer sollte die große Wendung bringen in die Geschichte der Menschheit! Einer sollte die Wohlthat bringen für immer, so daß in diesem Einen der Grund läge daß immer wieder die Menschen wenn sie in Nacht versinken in das himmlische Licht kommen können und wenn Zwiespalt eintrit, ihre Füße auf den Weg des Friedens können geleitet werden! Das ist nun der, dessen Ankunft wir feiern, und jezt bereiten wir uns auf diese Feier[,] darum wird uns gesagt was durch ihn den Menschen geworden ist. 23–26 Vgl. Röm 3,23

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 1,78-79

5

10

15

20

25

30

35

247

Es giebt keinen größern Gegensatz als Finsterniß und Licht, und auf der andern Seite: Zwiespalt und Friede, Friede in dem Sinn daß Alles aufgehoben ist was den Zwiespalt verursacht und Alles verbunden ist in Liebe. Finsterniß ist dem Licht entgegen wie Wahn der Wahrheit, wie Irrthum der klaren Einsicht[.] Wenn wir nun fragen worauf es ankommt in Beziehung auf beides so ists zweierlei, nemlich, daß der Mensch Gott erkenne und sich selbst: Beides ist nur durch einander möglich. Je mehr es daran fehlt desto größer die Finsterniß in der die Menschen sind, desto größer die Unsicherheit in ihren Regeln, desto verworrner und unnützer ihr Tichten und Trachten, und desto mehr werden sie durch die falsche Furcht zurückgedrängt, so daß ihnen immer wieder aus ihnen selbst eine neue Finsterniß entsteht. Darum rühmen die Schriften des neuen Bundes von ihm der allein Gott erkannte, so: „das Licht hat hineingeschienen in die Finsterniß und sie vertrieben“: Und wie sollten wir es nicht dankbar erkennen, daß der Erlöser, weil er sagen konnte, „ich und der Vater sind Eins:“ und weil wer ihn sah den Vater sah, uns gegeben hat Gott zu erkennen, und uns, eben mit ihm und durch ihn und beides durch einander und daß je mehr wir fortschreiten in dieser Erkenntniß um so mehr durch ihn die Finsterniß schwindet. Und eben so ist er es der weil er Eins ist mit Gott uns mit ihm vereint, unsre Füße richtet auf den Weg des Friedens. Und wenn der Erlöser in anderm Sinn sagt: „ich bin nicht gekommen den Frieden zu bringen sondern das Schwerdt:“ so wissen wir doch daß er der Friede sei und ihn bringe indem er jede Scheidewand niedergerissen zwischen Gott und Menschen und sie durch das neue Gebot der Liebe verbindet zum Frieden. Wo nun ihre Füße noch nicht wandeln auf dem Wege des Friedens, (sondern er noch erst das Schwerdt bringen muß um fortzukämpfen den Grund des Zwiespalts): so ist das das daß sich eine Finsterniß lagert vor dies Licht, und daß sie noch über das Wesen Gottes und des Menschen in Wahn und Irrthum befangen sind. Aber eben weil es der eine Tag ist der über All sein soll, weil der Aufgang aus der Höhe erschienen ist um nie wieder zu schwinden | so ist diese Finsterniß vor dem Licht nur wie eine Wolke vor der Sonne, herbeiführend ein prüfendes und Segen bringendes Ungewitter, wonach dann das Licht herrlicher erglänzt! Also darauf, daß immer wieder Finsteriß kommt, gründet sichs daß die Liebe Gottes als Barmherzigkeit sich darstellt und zu fassen ist. Aber wie es im Allgemeinen in der Geschichte der Welt geht so auch in der jeder einzelnen Seele: Ueberall ists die klarste Anschauung der Liebe Gottes wenn wir sie als Barmherzigkeit betrachten. Und für keinen giebt es 18 einander] einander. 14 Vgl. Joh 1,5

16 Joh 10,30

16 Vgl. Joh 14,9

22–23 Mt 10,34

87r

248

87v

Am 30. November 1828 früh

einen andern Weg als aus Zwiespalt zum Frieden u. s. w. Mehr oder weniger zerfällt der Mensch mit der Welt und mit sich selbst ehe er zu dem rechten Genuß all der Güter kommt die Christus gebracht, jeder ist dem andern darin gleich, Finsterniß und Schatten des Todes gehn voran, obgleich nicht überall in gleichem Maaße, sie gehn voran ehe auch der einzelnen Seele der Aufgang aus der Höhe erscheint, das Licht erhellt uns wenn wir die Finsterniß durchkämpft haben: und so ist für jeden wie für Alle die Liebe Gottes, Barmherzigkeit. Aber eben darum laßt uns indem wir es mit festem Glauben umfassen daß der ewige Tag angebrochen ist in der Erscheinung des Herrn alles was noch Finsterniß und Zwietracht ist nicht anders als im Licht der Barmherzigkeit Gottes betrachten und so der Zukunft mit festem Muth und herzlichem Vertrauen entgegen gehn. – Wenn wir den Zustand der christlichen Kirche betrachten von Anfang an so finden wir darin viel Ungleichheit; das Licht hat nicht immer gleich hell geschienen – aber wie es in der Schrift des alten Bundes heißt: „dem Gerechten geht das Licht immer wieder auf, hell wie der Mittag:“ so geht es auch mit denen die gerecht sind durch den Glauben an Christum daß das Licht ihnen immer wieder aufgeht! Es geht uns immer wieder auf wenn wir nur das Auge richten nach dem Aufgang aus der Höhe. – Und so ist solche Mischung immer noch vorhanden: hier glüht die Sonne des Lebens klar und dort ists als wenn die Schatten des Todes wiederkehrten oder noch nicht verscheucht wären! – Wir aber die der Aufgang aus der Höhe heimgesucht hat durch die herzliche Barmherzigkeit Gottes, wir mögen uns sagen daß wir durch die Gnade Gottes bestimmt sind die Finsterniß und Schatten des Todes zu vertreiben, die Menschen mit dem Licht welches uns in Christo scheint zu befreunden, ihnen die Anmuth und Lieblichkeit klar zu machen. – Eben so fehlt uns, wenn wir auf den noch obwaltenden Streit über das Himmlische sehn, das Bewußtsein des rechten Friedens – auch das kann nicht anders sein! aber nur daß wir nicht denken unser Bestreben das Heil in Christo zu erkennen und die Wahrheit von Irrthum zu unterscheiden müsse Zwiespalt und Hader hervorrufen, sondern unser gemeinsames Bestreben den Herrn zu erkennen soll nichts sein als ein Wandeln auf dem Wege des Friedens und wenn es anders ist irgendwo, so muß uns das demüthigen, aber fest sollen wir darauf vertrauen daß es anders wird. Und wenn wir uns ermuntern zu der Liebe die in ihm uns verbindet so werden wir leiten durch die Kraft des Herrn auf den Weg des Friedens! O wie könnten wir uns besser bereiten auf das Fest der Geburt des Herrn, als wenn wir uns ihm hingeben als seine Gehülfen. | Der Aufgang aus der Höhe hat die heimgesucht die in Finsterniß saßen auf daß sie nun auch Genossen seines Leuchtens werden mögen; Alles Licht soll mitwirken um die Finsterniß zu vertreiben, und in allem Zwiespalt sollen immer die 15–16 Ps 37,6

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 1,78-79

5

249

die Christum erkannt haben auf den Weg des Friedens leiten: so sollen wir mitarbeiten am Werke des Herrn aber nicht so daß wir um des äußern Friedens willen dem rechten Licht etwas vergeben, sondern so daß wir miteinander, die Unvollkommenheit hinter uns lassend, suchen was noch nicht vollkommen in uns erschienen ist. Daß das Licht mehr und heller leuchte, Alle zu leiten auf den Weg des Friedens, darin möge jedes Jahr die Christen fördern, damit der Aufgang aus der Höhe immer mehr erscheine bis es endlich erscheint, nach seinem Wort, daß wir Eins sind mit ihm wie er Eins ist mit dem Vater!

9 Vgl. Joh 17,20–21

Am 14. Dezember 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

3. Sonntag im Advent, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mk 1,15 Nachschrift; SAr 67, Bl. 88r–89v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 3. Adv. S. 28. Mar. 1,15.

88r

Das ist eine kurze Zusammenfassung von dem Inhalt der Reden unsers Erlösers bei seinem ersten öffentlichen Auftreten, sie deutet aber in diesen wenigen Worten auf alles das hin, was durch ihn, und wie es durch ihn dem menschlichen Geschlecht zu Theil wird, und bezeichnen zugleich indem sie auf die Vergangenheit zurückweisen den ganzen Seegen der göttlichen Führung. Und so schicken sie sich besonders zu Betrachtungen in dieser Zeit. Laßt uns ihren Inhalt, und wie sich darin eins auf das andre genau bezieht, erwägen: 1. Wenn der Herr damit anfängt daß er sagt, „die Zeit sei erfüllet, das Reich Gottes ist herbei kommen:“ so deutet das nun zugleich auf die sanfteste und mildeste Art die Unvollkommenheit alles dessen an was früher bestand. Es war im Jüdischen Volke ein Bund Gottes, er bestand zwischen Gott und den Menschen, auf dem Grund der göttlichen Ordnung gebaut, aber es war nicht das Reich Gottes von dem der Erlöser spricht. Es hatte sich auch der Geist und das Wesen des Volks von der ersten Rohheit zu einem höhern Grade der Erkenntniß heraufgearbeitet, sie hatten gelernt das Geistige und das Irdische besser voneinander zu sondern, aber in alle dem war nicht das Reich Gottes. Und wenn wir fragen: wem konnte das Wort: „die Zeit ist erfüllt:“ werth sein und bedeutsam? so müssen wir wol sagen: „nur denen die sich nach was bessrem sehnten, und welche eben jene Worte der Sehnsucht sich angeeignet hatten die wir so oft ausgesprochen finden in den Schriften des alten Bundes.“ Zugleich erinnert uns beides die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeikommen daran, wie 4 deutet] Kj deuten

5

10

15

20

25

Predigt über Mk 1,15

5

10

15

20

25

30

35

251

in der ganzen Führung Gottes, d. h. darin wie Gott das menschliche Geschlecht geführt hat, Ordnung ist; Die Zeit mußte erfüllt werden, alles mußte darauf vorbereitet sein, daß der Erlöser erschien. Diese allmählige Entwicklung das ist die Ordnung die Gott gesetzt hat. Und darauf sich beziehend sagt auch Paulus indem er die alte Zeit vergleicht mit der neuen: „als aber die Zeit erfüllt war da sandte Gott seinen Sohn:“ Das ist das Wesen alles sich Entwickelnden daß es sich in richtiger Folge entwickelt, so hat es Gott geordnet sowol im Irdischen als Geistigen. Und so liegt in dem Wort: Das Reich Gottes ist herbei kommen das, daß nun alle die Güter des Heils in Christo nach dieser Ordnung Gottes zum Genuß kommen. Der Ausdruck: Reich: erinnert uns an eine (geistige) Gewalt die eine große Masse Menschen zusammhält darin alles leitet und durch sich alle Kräfte vereint um zu Einem Zweck ineinander zu greifen. Seht so stehn wir; wir leben in der selig erfüllten Zeit und sind in den Zusammenhang des Reichs Gottes gestellt, und wenn der Erlöser sagt daß die Zeit erfüllt ist so hat das seine Wahrheit von da an als er erschien und dazu daß die Zeit erfüllt ist gehört nun auch das daß wir keines andern warten sollten; Er ist da und er bleibts allein durch welchen in allen Menschen die Vaterliebe Gottes offenbart werden soll. Aber auch im Reich Gottes ist alles im Werden, der Grund ist da, aber nur allmählig sich entwickelnd kann das Reich Gottes in die Erscheinung treten und endlich zur Vollendung gedeihen. Wir stehn noch in der Unvollkommenheit, aber doch ganz anders als vor der Erscheinung des Herrn ists jezt um das Bewußtsein; denn das Reich Gottes ist doch da in so fern als es fest gegründet ist, die Kräfte sind alle da durch die wir vollendet werden, sie sind da in dem Heil durch Christum, in dem Geist den er ausgegossen, in dem Bewußtsein von einem Reich Gottes wie es besteht in Friede und Freude im heilgen Geist! | Und wenn nun eben das Reich das er gestiftet und von dem er der Grund ist und der belebende Geist, wenn dieses Reich der Bund unsrer Seligkeit ist so kann es doch nur so sein indem wir uns in die Ordnung fügen, nach der Alles nur allmählig gedeiht, und indem wir uns sehnen nach dem schönen Zusammklang dessen wovon der Grundton da ist, und uns mit allen Kräften darnach strecken als nach dem vorgestecktem Ziele. [2.] „Das Reich Gottes ist herbei kommen“: An diese Worte knüpfen sich die an: „so thut nun Buße“: das Bußethun das war das Erste was geschehen mußte, das war die Predigt des Johannes gewesen und wir finden diese Predigt von der Buße in den Worten der Verkündigung des Erlösers so wie sie sich an jene anschließt. Und so war es überall dann als das Evangelium 11 Masse] Maaße 6 Gal 4,4

17 Vgl. Mt 11,3; Lk 7,19–20

26–27 Vgl. Röm 14,17

88v

252

Am 14. Dezember 1828 früh

an die Heiden kam zuerst durch den Apostel Paulus[,] was that er da? er hielt ihnen ihre Unwissenheit vor und ihr Verderben überhaupt, und nachdem er ihnen den lebendigen Gott verkündet und den Glauben an Christum vorgehalten hatte sagte er ihnen sie müßten nun Buße thun, sich weg wenden von der Unwissenheit, um den Glauben aufnehmen zu können. Ja alle Menschen mußten Buße thun, mußten sich weg wenden vom alten Leben. Wie wär auch sonst die Erscheinung des Erlösers solch ein Wendepunkt in der Geschichte des menschlichen Geschlechts gewesen wenn nicht in den Menschen selbst eine Ordnung hätte geschehen müssen, es wäre ja sonst alles in dem alten Gange fortgegangen: die Buße, die Wegwendung vom Alten, also mußte dem neuen Leben vorangehen. Wenn aber die Worte: „die Zeit ist erfüllet und das Reich Gottes herbei kommen“: uns hinweisen an eine solche Sehnsucht durch die eben das bedingt war daß die Zeit erfüllt werden konnte, wie sollten wir da nicht glauben daß die Buße schon gewesen in denen die sich sehnten. Die Buße war also schon da vor der Erscheinung des Herrn, vor dem Anbeginn des Reichs Gottes. Schon in der Predigt der Propheten war die Aufforderung zur Buße, und was diese Predigt wirkte es war Buße, aber darin war das Reich Gottes nicht, es war eine Buße der sich nicht die frohe Botschaft vom Reich Gottes anschloß; Das Bewußtsein der Schuld war erregt und sie wurde anerkannt in der Demüthigung vor dem Herrn; aber das Beßre lag in ferner Zukunft. Darum dürfen wir das: Thut Buße: nicht lösen von dem andern Wort: „glaubet an das Evangelium:“ Das ist der wesentliche Unterschied der neutestamentlichen Buße, daß sich das Leben des Glaubens unmittelbar daran anschließt; Jenes war immer ein neuer Ansatz dem Bessern nachzustreben, aber es war ein solcher der sein Ziel nicht erreichte, sondern der immer wieder überwältigt wurde von dem herschenden Verderben, und darum war das Reich Gottes nicht herbeigekommen und konnte sich nicht begründen. Nun aber, da das Wort der Buße sich an die Ueberzeugung anschließt, daß das Reich Gottes da ist, und der Buße selbst sich anschließt das Sehen der Herrlichkeit des eingebornen Sohns vom Vater voller Gnade und Wahrheit, nun ists nicht mehr solche Buße wie damals, sondern es giebt nur solche die der Uebergang ist zum Glauben, zum Ergreifen des Heils in Christo. Und so mögen wir sagen daß der Zuruf: „thut Buße“: nicht blos in jene erste Zeit gehört; denn bezieht er sich bestimmt auf den Gegensatz des Alten und Neuen, so muß er sich auch wiederholen in jedem Menschen sobald ihm der rechte Sinn aufgeht für das Reich Gottes das seinen Anfang und Grund hat in Christo, wenn er es anfängt zu fühlen und zu begreifen was das Wesen des Reichs Gottes ist. Ja der Zuruf: thut Buße: wiederholt sich dann 13 daß] das 30–31 Vgl. Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mk 1,15

5

10

15

20

25

30

35

40

253

in ihm und er thut Buße indem ihm deutlich wird der Gegensatz des Reichs Gottes zu dem was der Grund der Unvollkommenheit desselben auf Erden ist und worin er sich verstrickt fühlt, er fühlt daß er obgleich er immer gewesen ist in der äußern Gemeinde des Herrn doch ein | anderes Ziel vor Augen gehabt hat, als das welches im Reich Gottes erscheint, und daß seine Füße auf andrer Bahn gewandelt als auf der, die zu jenem Ziele führt. Darum giebt es nur einen Anfang der gemacht werden muß mit der Buße: sie soll überall der Anfang des Gehens zum Heil sein und dann soll unmittelbar das frohe Ergreifen jener Botschaft folgen: wir sollen die Schmerzen des alten Lebens fühlen um es zu verlassen, um zu dem neuen Leben in Christo zu gelangen, denn wäre das nicht zu ergreifen durch die göttliche Gnade, hätte die Buße dasselbe Wesen wie früher, daß sie immer nur ein Ansatz zur Bekehrung wäre, sollten die Menschen nur sich quälen und peinigen um dessen gewiß zu sein daß sie sich als Sünder anerkennen, sollten sie nur dabei stehn bleiben, dann könnten wir nicht sagen, daß das Reich Gottes herbei gekommen ist; denn das besteht in Freude und Friede im heilgen Geist, im vollen Besitz der geistgen Güter die der Herr verleiht wenn wir mit ihm in der Verbindung sind die der Glaube bedingt: es besteht darin daß wir unsre Freude haben an dem Herrn allewege. Dazu können wir nicht kommen ohne Buße, und es kann auch nicht sein ohne fortgesetzte Buße, ohne das Widerstreben gegen das was uns will davon abbringen daß wir fortschreiten darin, wozu wir gelangt sind, aber es soll sich daran eben die Freude im Geist anknüpfen. Darum werden wir nicht leugnen können, daß auch das noch zu der Unvollkommenheit gehört und zu der Vermischung des Alten und Neuen, daß manche Christen sich nicht genug zu peinigen wissen und meinen immerwährend auf diesem mühseelgen Wege wandeln zu müssen und in trübem Sinn einherzugehen, um endlich zu dem Genuß der Segnungen des Herrn zu gelangen. Denn wenn wir bedenken daß der Genuß davon abhängt daß wir Theilhaben an dem Leben das in dem Leben Christi seinen Grund hat um in die Ewigkeit zu fließen: so müssen wir sagen es ist nicht anders möglich als daß die Buße immer gleich übergehen muß darin, daß wir uns an ihn wenden und halten als seine Jünger. Und das sein, und als solche mit ihm arbeiten – als worin eben der Genuß der Segnung besteht – können wir nur in der festen Ueberzeugung daß die Kraft des Reichs Gottes in uns lebe: und ist das nun so, so bleibt das das Gepräge des neuen Testaments daß auch jene Trauer sich stets darin auflöset daß wir an ihm uns freuen und also jenes Worts des Herrn gedenken, daß seine Jünger nicht fasten so lange er bei ihnen ist. Das bei uns bleiben des Herrn aber hört nicht auf und soll uns zu dem heitern Leben der vollendeten Uebereinstimmung, des Einsseins mit ihm immer mehr fördern. So ist also die Buße nur dann die wahre, wenn wir von derselben, die freilich 16–17 Vgl. Röm 14,17

19 Vgl. Phil 4,4

37–38 Vgl. Mk 2,19; Lk 5,34

89r

254

89v

Am 14. Dezember 1828 früh

noch immer unumgänglich nöthig ist, immer gleich zur Freude im heilgen Geist übergehn, wie der Herr sagt daß darin das Reich Gottes besteht. So will er in jedes Herz einziehen, so in der Freude an dem Herrn sollen wir untereinander verbunden bleiben als die Seinen zum wahren geistigen Reich Gottes, so sollen Friede und Freude im heilgen Geist immer mehr erblühen indem immer mehr alle Menschen durch die Thätigkeit des Reichs Gottes zu dem Bekenntniß kommen, daß in ihm allein der Grund und die Quelle der geistgen Güter ist, und wir nur dadurch daß wir ihm treu den Willen Gottes thun den er vermöge des neuen Bundes mit den Menschen in die Herzen schreibt so den Willen Gottes in uns tragen, der sich in ihm offenbart. | Und nur dadurch können wir wirklich in der erfüllten Zeit leben. So laßt uns so ihn aufnehmen und ihm alles weihen, laßt uns in seinem Licht die Erde ansehn als sein Eigenthum das durch ihn soll erneut und verklärt werden. So laßt uns den Tönen unser Ohr öffnen daß die Zeit erfüllt ist, daß alle Zukunft eigentlich schon da ist, daß alle Kraft des Reichs Gottes schon da ist, und nur braucht in Umlauf gesetzt zu werden! Auf diesem Wege laßt uns wandeln dann werden wir leicht vergessen was da hinter uns liegt, und uns streken nach dem was vor uns liegt auf daß wir das Ziel erreichen.

8–11 Vgl. Jer 31,33 (zitiert in Hebr 8,10; 10,16)

18–19 Vgl. Phil 3,13

5

10

15

Am 21. Dezember 1828 vormittags (vermutet) Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

4. Sonntag im Advent, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 11,3 Nachschrift; SN 605/2, Bl. 3r–5v, NiN Keine Keine Keine

Predigt am 4. Advent

5

10

15

20

Matth. XI, 3. Johannes aber, als er in seinem Gefängnisse von den Worten Christi hörte, sandte zwey seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: bist du, der da kommen soll oder sollen wir eines andern warten? Es war Johannes, an den das Wort des Herrn ergangen war, er sollte dem Herrn den Weg bereiten, es war derselbe, der, als der Erlöser der Welt wirklich auftrat, auch gleich von Gott gewürdigt wurde, ihn zu erkennen. Es war derselbe, der gern seine Jünger herüberwandern ließ, zu dem der nachher gekommen war, der den Grund dazu wohl einsah, daß Jesus mehr Jünger hatte, als er – denn er wußte, daß er abnehmen und Jesus zunehmen mußte. Und jetzt als er sich von seinem Beruf gewaltsam getrennt sah, und nicht wußte, wie nahe ihm sein Ende bevorstände, jetzt als er von den Worten Jesu hörte, sandte er ihm zwei Jünger und fragte ihn: Bist du, der pp. Wenn wir nun auch nicht glauben können, daß bei Johannes aus einem so herrlich begonnenen Glauben, wieder ein Unglauben entstanden sey, und wenn wir auch nur sagen wollen er habe nicht wegen seiner sondern seiner Jünger selbst wegen diese zu ihm geschickt, so geht doch das daraus hervor, daß er glaubte, daß Jesus die Frage besser beantworten könne und den Unglauben besser werde erstiken können, als er selbst. Gieng es also Johannes auch nicht so, so ist es doch selten, daß aus dem Glauben wieder Unglauben entstehe, wir sehen das Schiff der Kirche unter Stürmen immer schwanken und sobald wir uns des Augenblicks, in dem wir einen festen 4–5 du, der] du der, 6–10 Vgl. Joh 1,19–37

18 das] das; 11–12 Vgl. Joh 3,30

3r

256

3v

Am 21. Dezember 1828 vormittags (vermutet)

Glauben hatten erinnern, wird an uns selbst auch das Entgegengesezte bewußt. PSoS laßt es uns machen, wie Johannes es machte zu fragen wie unter den Christen dieselbe Frage könne aufgeworfen werden: bist du es, der da kommen soll und dann in verschiedenen Beziehungen sehen wie der Glaube sie beantwortet. Fürs Erste, meine Freunde, selbst wenn wir uns das nicht vergegenwärtigen was wir vorhin gesungen haben, wo sich unsre Betrachtung ganz zurückzogen auf das, was im Innern des Gläubigen vorgeht, so ergeht doch gar zu leicht die Frage auch hier: bist du es oder pp. Nicht als ob derjenige, der wirklich in Christo den Erlöser gefunden hat, nicht die Herrlichkeit des eingebornen Sohns erkannt hätte. Wir kennen aus eigener Erfahrung die herrlichen Kräfte des Glaubens und des in ihm wirkenden heiligen Geistes: wir sind uns im Kampfe des Geistes mit dem Fleische mancher glüklicher Augen|blike bewußt wo unser Geist aufgerichtet sich zum Himmel wandte. Ja wir müßen der göttlichen Gnade das Zeugnis geben, daß wir ihr wenn auch durch Mühe errungen, doch schnelle und belehrende Fortschritte verdanken[.] In den Augenbliken, in denen wir uns dann dieser Gnade bewußt sind, PdrängetS sich dann das Alte zurük, das Irdische erscheint uns so verächtlich in der ersten Freude über das neue Geheimnis, und wir glauben es sey falsch, daß wir durch immer neue Anstrengungen unserm Ziele näher kommen können. Aber erscheint uns es nicht auch oft so, daß wie das Leben auf seiner höchsten Spitze wieder bergab und alle Bewegungen darin rükwärts gehen so auch, daß auch unsere Fortschritte im geistigen Leben immer langsamer werden, daß darin die alten Gewohnheiten wieder hervortreten und immer neue Gelüste des Fleisches wieder den Geist wieder sich zeigen. Da tritt dann das so nah geglaubte Ziel wieder zurük, alles geistige Leben ist im Rükschreiten begriffen. – Mit jenem Leben des Geistes aber hatte der Herr auch seine Verheißung verbunden, daß er seinen Jüngern seinen Frieden lassen werde. Und wie steht es mit diesem? Gewiß haben wir alle die Erfahrung dieses Friedens schon gemacht und wir müßen sagen, könnten wir an jenem höhern Leben des Geistes festhalten, so müsste es wahr seyn, daß wir das ewige Leben schon auf dieser Erde in jenem herrlichen göttlichen Frieden genießen könnten. Aber wie vieles ist nun, was in jenem sich immer wieder erneuernden Kampfe des Geistes mit dem Fleisch jenen innern Frieden stört – sehen wir auch nur auf das äußere Trübende – können wir auch sagen, daß wir den Kampf mit einzelnen uns gegenüberstehenden Hindernißen bestehen können, wie ist es aber mit dem Kampf mit der gemeinen so oft und täglich sich uns aufdringenden Unvollkommenheit. Wie oft finden wir da unsern Frieden getrübt und es 18 PdrängetS] PdrägetS 10–11 Vgl. Joh 1,14

26 zurük,] zurük.

38 dem] der

27–29 Vgl. Joh 14,27

38 der] dem

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 11,3

5

10

15

20

25

30

35

257

scheint also doch, daß die Kraft die uns verheißen sey uns doch nicht an das Ziel führen könne und fragen wir, bist du es der da kommen soll pp. So werden wir zugleich ausrufen müßen – wer wird mich erretten aus diesem Leide. Aber doch können wir antworten – Ich danke Gott Vater unserm Herrn Jesu Christi. Ja, meine Freunde, der Apostel selbst, der diese Worte sprach, der so oft dankbar der göttlichen Gnade erwähnt, die ihn | von Kindesbeinen an bestimmt hatte, sein Evangelium zu verkünden, derselbe Apostel, der sich rühmt der hohen Offenbarungen des Herrn, er klagt doch wieder, daß ihm der Herr, damit er sich nicht überhebe, einen Pfahl ins Fleisch gegeben habe. Und doch sprach die göttliche Stimme durch ihn: laß dir an meiner Gnade genügen. Und so wollen auch wir im Bewußtseyn unserer Schwäche dieß beherzigen. Wer weiß, wenn wir nicht immer dieselbe Erfahrung menschlicher Gebrechlichkeit machen, ob wir nicht sonst uns erhöhen und vergäßen, daß wir nichts haben, was wir nicht empfangen hätten und wie viel Schlimmeres würde uns dann bevorstehen. – Nein wir wollen uns genügen lassen an seiner Gnade, wir wollen fest bleiben auf dem begonnenen Wege, wir wollen stark seyn in unserer Schwachheit. Was sagt Johannes, der Jünger der an Jesu Brust lag, den er so lieb hatte: – es ist noch nicht erschienen, was wir seyn werden! Aber nicht als ob wir etwas Größeres werden wollten als er und auf anderem Wege, so wenn das was erscheinen soll, erscheint, so werden wir ihm gleich seyn, indem wir ihn sehen und erkennen. Und sehen wir, daß wir uns keine andere Gestalt menschlicher Vollkommenheit denken können als in ihm, keine größere Herrlichkeit des vernünftigen Geistes sehen können, als in ihm, so haben wir keines andern zu warten – er wird uns erretten vom Leibe dieses Todes[.] – Wir werden ihm immer näher kommen dem, was wir seyn sollen und was noch nicht erschienen ist. Dieselbe Frage kann uns nun aber auch entstehen im Hinblick auf den allgemeinen Zustand der menschlichen Dinge in dieser irdischen Welt. Christus sagt – ihm sey alle Macht und Gewalt gegeben auf Erden auch und im Himmel und der Glaube im Schimmer der schönsten Hoffnungen ruft es ihm nach. Es ist kein andrer Name in dem wir seelig werden könnten, als nur der Eine Jesus Christus. Und alle diejenigen welche mit ihm Eins sind, sollen auch untereinander Eins werden, so wie er Eins ist mit dem Vater – das ist sein eignes Wort. Und wenn wir nun auf die hiedurch erregten Hoffnungen auf ein Reich unter Einem Haupte sehen, was sollen wir von der Erfüllung derselben sagen? Wenn wir uns den Verlauf der menschlichen Geschichte seit der menschlichen Erscheinung Christi zusammenfassen, nun so finden wir Zeichen der großen Verherrlichung seiner Macht: ganze Völker 3–5 Vgl. Röm 7,24 8–10 Vgl. 2Kor 12,7 11 Vgl. 2Kor 12,9 18 Vgl. Joh 21,20 18–19 Vgl. 1Joh 3,2 30–31 Vgl. Mt 28,18 32–33 Vgl. Apg 4,12 34–35 Vgl. Joh 10,30

4r

258 4v

5r

Am 21. Dezember 1828 vormittags (vermutet)

warfen ihren Wahn ab – und traten über zu dem neuen Licht – | Tausende werden getauft und es scheint als ob nun Ein Band die ganze Menschheit umschlingen sollte. Aber ist es nach diesen Zeichen nicht geschehen, daß eine fremde Lehre in die Welt eindrang und einen großen Theil der Erde unter ihre Herrschaft brachte, wo früher die ersten herrlichen Gemeinden bestanden. Und gieng damit nicht alle Heiterkeit des Lebens alles freie und frische Treiben des Geistes verloren: und Finsterniß bedeckte die, die glaubten, durch einen bessern Glauben seelig zu werden. Freilich fehlte es nie an Boten des Friedens und Evangeliums. Finden wir sie auch nicht mehr ganze Völker zum Bessren zu bekehren, so gab es doch auch Zeiten, wo ein besonderer Segen Gottes über dieser Verkündigung waltete. Geschlechter der Menschen, die früher geringgeschäzt waren, haben sich zu diesem Namen, Jesus Christus bekannt, und die Segnungen seines Reichs haben sich über sie verbreitet. Aber wie viele Völker widerstehen immer noch jener reineren Erkenntniß, bei denen alle Mühe vergeblich zu seyn scheint, die sich hinter ihrem Aberglauben verschanzen – wie viele haben der Ausführung dieses edlen Werks der Verbreitung des Christenthums ihr Leben geopfert und es ist ihnen mißlungen. Wie steht es mit der Gewalt Christi im Himmel und auf Erden? Ja betrachten wir nun die christliche Welt selbst – und wollten wir auf alle weitere Verbreitung des Evangeliums Verzicht leisten, wie steht es hier mit dem brüderlichen Gottesfrieden? Wie oft kehrte hier mit der christlichen Kirche ein blutiger Hader wieder, wie oft vergißt man, daß man Jünger Eines Herrn ist. Und wenn wir es auch gestehen wollen – daß bisweilen ein gesegneter Versuch gemacht wurde, diese Leidenschaften durch die Macht des Evangeliums zu verdrängen und wir immer auch sagen können, daß man nicht vergeblich arbeitete, dieses Gefühl des Zusammen-Seyns zu erweitern – erwärmen, wenn auch kein Mord und Tod mehr um irrdischer Dinge willen, schläft wohl die Eifersucht über das größere oder geringere Maaß irrdischer Güter, ist eine Aussicht da, daß Verträglichkeit ganz herrschend werde, ist der Argwohn ganz verschwunden – und müßen wir da nicht oft ausrufen: Bist du es, der da pp. | Doch nein – laßt uns des Worts gedenken – Laß dir an meiner Gnade genügen – wie sollten wir dem Zorne entrinnen, wenn wir eine solche Gnade nicht ergreifen, wie würden wir bestraft werden für unsere Ungeduld. Wie groß genug sind die gesegneten Erfolge des Christenthums. Laßt uns nun zurüksehen auf die Tiefen, aus denen die Menschen mußten gerissen werden, an die Leidenschaften, an die Anhanglichen ans Künftige und Vergängliche, den sie entrißen werden mußten und laßt uns darum nicht müde werden und sicher glauben – er wird sich noch mehr verherrlichen 18 steht] stehts 32–33 Vgl. 2Kor 12,9

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 11,3

5

10

15

20

25

30

35

259

und noch mehr sehen lassen, daß es keinen andern Namen giebt im Himmel und auf Erden und keinen andern Abglanz der göttlichen Liebe wodurch Friede auf Erden könnte gestiftet werden: denn der uns seinen Sohn gegeben hat und jedem Frieden schenkte wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken. Trachte nur jeder nach der Gerechtigkeit Gottes, so wird ihm das andere von selbst zufallen, trachte ein jeder nach seinen Kräften den Geist der Liebe zu verbreiten, dann wird sich immer mehr der Herr verherrlichen – und es wird uns immer deutlicher werden, daß wir keines andern zu warten haben. Sehen wir nun aber auf den innern Zustand der christlichen Kiche. Der Herr sagte als sich das kleine Häuflein seiner Jünger um ihn zu versammeln anfieng, er habe noch andere Schaafe die er herbeizuführen habe, daß alles Eine große Heerde mit ihm als Haupte und Führer werden sollte. Damals gieng auch das große Wort in schöne Erfüllung als diejenigen welche aus Juden und Heiden herbeigeführt wurden zu Einer neuen höhern Creatur, und alle Scheidewand zwischen Juden und Griechen verschwand. Aber nicht lange dauerte diese Einheit. In wie viele Gemeinschaften sind die Christen vertheilt, die sich gar nicht brüderlich vertragen, sondern nur höchstens nach eifrigem Streite in kurzer Ruhe bleiben, und nie die innere Feindseligkeit lassen. Und sehen wir auch von dieser Trennung ab und sehen wir allein auf die christliche Gemeinschaft, der wir selbst angehören o wie wenig ist auch hier Eine Heerde, Einheit der Gemüther: bei der Einheit des Namens und Buchstabens wie viele verschiedene Wahrheiten, und wenn wir die innern Töne des Geistes vernehmen könnten anstatt blos die äußern des Mundes, wie große Verwirrung bei der Einheit des Bekenntnisses müßten wir wohl entdeken. Ist hier der, der mit Recht sagte, Er sey die Wahrheit, da doch die Wahrheit nur Eine ist. Ja wie leicht sind | wir dann in Versuchung zu fragen, bist du es, der da kommen soll pp. Was sagt aber dazu die Stimme des Glaubens. Eben der Apostel Paulus, der mit so manchen verschiedenen Ansichten mit so vielen Irrungen zu kämpfen hatte – sagt – Es kann niemand einen andern Grund legen als den Einen Jesum Christum – mögen sie noch so verschieden darauf bauen, keiner kann einen andern Grund legen. Und das vermögen auch wir zu sagen, wenn wir die Stimme des Glaubens reden lassen. Ja bei allen verschiedenen Einsichten wie viel Christus dem einen wie wenig dem andern sagt, wie viel Streit sey über die Auslegung der wichtigsten Worte, bei der wir das einemal nur Leichtsinn im Heilgen, das andre mal nur Hohes tödtende Abschließung 8 wird] wir

23 Wahrheiten] Wahrhten

34 reden lassen] reden zu lassen

4–5 Vgl. Röm 8,32 5–6 Vgl. Mt 6,33 12–13 Vgl. Joh 10,16 13–15 Vgl. Gal 6,15 16 Vgl. Eph 2,14 26 Vgl. Joh 14,6 31–32 Vgl. 1Kor 3,11

5v

260

Am 21. Dezember 1828 vormittags (vermutet)

erkennen, doch kann es keinen andern Grund geben als Jesum Christum und was Vergängliches und Künftiges gebaut ist auf diesem Grund, das wird das wohlthätige Feuer, das der Apostel, verheißen hat verzehren; der wahre Grund aber wird immer bleiben, auf dem jeder kann fortbauen die wahre unsichtbare Kirche vergeht nicht, von ihr wird nichts verzehrt im Feuer der Gerichte, ihr Grund bleibt und auf ihm wird immer weiter und höher gebaut – Wohlan so laßt das mit den Jüngern des Herrn – nachdem wir gefragt haben, Bist du es, der da kommen soll – auch ansprechen – Wo sollen wir hingehen? Du hast Worte des ewigen Lebens geredet. Und wenn ein Engel käme und verkündigte ein anderes Evangelium, so sollt ihr ihn von euch weisen. Einer hat den wahren Grund gelegt – auf ihm wollen wir fortbauen, Einer ist der wahre Weinstock – an ihm wollen wir lebendige Reben bleiben, Einer ist daher Herr, vor ihm wollen wir unsere Knie beugen und ihm willig unser Leben weihen und widmen bis ans Ende unsrer Tage.

1 Vgl. 1Kor 3,11 2–3 Vgl. 1Kor 3,13 9–10 Vgl. Joh 6,68 Gal 1,8 12–13 Vgl. Joh 15,5 13–14 Vgl. Joh 2,10

10–11 Vgl.

5

10

15

Am 25. Dezember 1828 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Weihnachtstag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 2,10–15 (Anlehnung an die Festtagsperikope) Nachschrift; SAr 106, Bl. 48r–49v; Crayen Keine Keine Tageskalender: „vacat“

Frühpredigt 1. Weihn. 1828. Luc. 2. v. 10.–15.

5

10

15

20

Ich habe aus dieser ganzen Geschichte wie sie der Evangelist hier erzählt gleich das zusammengezogen was sich bezieht darauf: wie die Geburt des Erlösers zuerst den Menschen verkündigt ward um daraus zu zeigen wie dieses noch jetzt geschehen müsse – und worin wir das rechte Maas dafür finden können. Wenn wir nun in diesem Sinn auf unsre Erzählung hinsehen so unterscheidet sich darin eine himmlische, und eine menschliche Verkündigung. – Keiner zwar kommt jetzt mehr vom Himmel dem ohnerachtet ist es die himmlische Verkündigung worauf wir aufmerken sollen um sie auf die Unsrige anzuwenden: denn alle Verkündigung die sich auf ihn bezieht der dazu gekommen ist einen neuen Himmel uns zu eröffnen soll gleich sein jener ursprünglichen Verkündigung – welche aber dadurch sich uns bezeichnet – daß sie eine Freude verkündigende war, darüber daß er alles neu gemacht – und einen neuen Himmel wie eine neue Erde gegründet – denn wo er ist da ist der Himmel – und wir – die wir die Seinen sind – sind nicht mehr von der Erde – sondern zu neuen himmlischen Kreaturen geworden – die umleuchtet da stehen mit der Klarheit des Herrn – wie es von diesem Engel gesagt war und so soll sich denn auch unsre Verkündigung der seinen gleich aus sprechen[.] Dieses aber läuft kurz darauf hinaus daß er sagt: 1. Siehe ich verkündige euch große Freude die allem Volke wiederfahre 17 zu] zur 3 Vgl. Lk 2,1–21

12 Vgl. 2Petr 3,13

48r

262

Am 25. Dezember 1828 früh

2. und darauf: daß dieser Engel nun mit der ganzen himmlischen Herrschaar Gott lobte – der so großes an dem Menschen gethan. – Wie denn dieses auch der rechte evangelische Geist dieser Verkündigung ist, worin unmittelbar das Lob Gottes sich anschließt.

48v

1. Fragen wir nun: was für eine freudige Botschaft war es welche der Engel verkündigte – damit die Hirten sie unter den Menschen verbreiten sollten? so ist der Inhalt der: „Euch ist der Heiland gebohren!“ Aber nur bei denen in denen das Bedürfniss und die Sehnsucht nach demselben schon erwacht war konnte eine Freude darüber entstehen. – Die Andern aber – welche – weil sie noch unter dem Gesetz des Judenthums und Heidenthums standen und darin ihre Befriedigung fanden – für die bedurfte es erst der Predigt Johannes des Täufers „Thut Buße!“ – um jenes Bedürfniss zu wecken. Hier aber setzt der himmlische Bote das als schon geschehen voraus – und so sehen wir ihn rein für sich: das herbeigekommene Himmelreich verkündigen. Wenn wir dieses nun auf uns – als die Verkündiger dieses großen Heils welches in Christo erschienen anwenden: welches ist dann die Verkündigung die uns gebührt. Sollten wir daran zweifeln daß dieses Bedürfniss bei denen denen wir heute diese große Freude zu verkünden berufen noch nicht geweckt ist? – O, was wäre es doch dann um die schon unter uns fest stehende christliche Kirche! | wenn nicht durch sie einem Jeden der in ihrem Gebiete steht schon so viel Licht in der Seele aufgegangen wäre, das dieses Bedürfniss geweckt. Was also dieser Engel hier voraus setzt, das wollen auch wir voraus setzen bei unsrer Verkündigung – und so sei denn dieses Fest – so oft es uns wiederkehrt – ein Fest der reinsten Freude! wenn freilich nur in dem Bewußtsein dieses Bedürfnisses und dieser Sehnsucht einem Jeden von uns diese Freude entstehen kann über den Heiland der heute uns gebohren ist – wie denn auch nur die sein Leben theilen in denen er gebohren ist. Je inniger aber wir selbst ergriffen sind von der Herrlichkeit des neuen Himmels den er uns hernieder gebracht, um so mehr wird aus unsrer ihn verkündigenden Rede die Klarheit des von ihm ausgegangnen Heils leuchten. – Indem wir aber Alle – als unterrichtete Christen – wissen müssen die Bedingung der Wiedergeburt, um eingehen zu können in dieses himmlische Reich – so ist es nun eines Jeden eigene Schuld – wenn er darum des Genusses dieses Heils noch nicht recht froh werden kann weil er versäumte Beides – welches doch unzertrennlich ist aneinander zu knüpfen nemlich das: „Thut Buße und glaubet an das Evangelium“ – denn selig nur sind erst die durch den Glauben rein gewordenen Seelen – nur sie können schauen die ganze 8 demselben] denselben 12 Mt 3,2

36–37 Mt 1,15

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 2,10–15

263

Herrlichkeit dieses Heils welches in ihm – dem Heiland – uns gebohren ist.

5

10

15

20

25

30

35

2. Nun soll diese unsre Verkündigung – auch wie die der Engel – unmittelbar begleitet sein von dem Lobe Gottes welches von der ganzen himmlischen Herrschaar hier ausspricht – als welche Beides für Eins ansieht: den Frieden – und die Ehre Gottes; wie denn das auch nur das rechte Wohlgefallen Gottes an dem Menschen hervorbringt wenn wir Zeugniss davon ablegen daß dieser Friede in unsren Herzen und diese Ehre Gottes unter uns wohnt – welche von dem Glauben an Christum ausgehen, und von dem Leben in ihm. Von Anfang zwar hatte Gott seine Ehre durch das Werk der Schöpfung selbst verkündigt. – Aber die eigenthümliche Ehre Gottes auf Erden, sie spricht sich erst recht aus durch das Werk der Erlösung und Heiligung – in diesen Früchten des Geistes der dadurch über uns ausgegossen ist – und das auch ist erst der rechte Ausdruck des Wohlgefallens das der Mensch hat an dem was durch die Gnade Gottes in Christo ihm geschehen ist. Welches Zeugniss aber nur dann erst als ein lebendiges und kräftiges von uns ausgehn kann – wenn wir durch alles das was todt ist hindurchgedrungen sind zu dem Leben welches hat wer an ihn glaubt. – Fragen wir nun: warum mussten denn aber wohl diese Hirten die ersten sein welche dazu von Gott ausersehn waren die ersten menschlichen Verkündiger dieser himmlischen frohen Botschaft zu sein? so stehen wir vor den Geheimnissen der göttlichen Führungen. – Wenn freilich die Engel Solche gewählt hätten – welche für sich behalten hätten | – ohne weiter zu verbreiten diese himmlische Erscheinung – dann hätten sie nicht das Beste gethan. – Sie wussten aber daß diese einfachen Gemüther mit derselben Einfachheit und Treue diese Kunde weiter bringen würden; – welches sie dann auch thaten, und so den Anfang damit machten diese große Freude welche allem Volke zu wiederfahren von Gott bestimmt war – auch zu aller Ohren zu bringen – auf daß Alle einstimmen möchten in den himmlischen Lobgesang der Engel. Und so lasst uns denn auch ihre menschliche Verkündigung uns zum Vorbilde nehmen. „Lasset uns hingehn“ sagten sie pp[.] Auch wir sollen nicht anstehen diese Freude Allen zu verkündigen – so weit hin – und so kräftig wir es zu thun im stande sind – fest vertrauend dabei dem verborgenen Werk des in der Gemeine der Heiligen waltenden Geistes Gottes um die Herzen zu erleuchten zur Aufnahme dieses himmlischen – uns erschienenen Lichtes – wissen wir es ja doch daß er allein es ist der in alle Wahrheit leitet. – Und so mögen dann auch wir immer nur von ihm uns 9–10 ausgehen] ausgeht 37–38 Vgl. Joh 16,13

49r

264

49v

Am 25. Dezember 1828 früh

treiben lassen – zu denen aber wird er zunächst uns treiben – in deren engern Kreise wir stehen – (denn das sind unsre Hirten – denen wir die Verkündiger der himmlischen Botschaft sind) – und darum auch sollen wir wiederum – mit unsrer menschlichen Verkündigung die Hirten sein. Lasset aber noch einmahl uns zurückgehn auf diese menschliche Verkündigung – und deren Beschaffenheit : Von den Hirten heißt es: „Und als sie, in eigner Erfahrung, gesehn hatten da gingen sie hin und verbreiteten das Wort was ihnen von den Engeln vertraut war.“ Und so sollen denn auch wir es halten! – giebt doch der Erlöser selbst uns diese Anweisung wenn er sagt: „Forschet – zuvor – in der Schrift – als welche Zeugniss giebt von mir.“ – Es vermag aber auch Keiner von uns auf eine wirksame segensreiche und lebendige Weise zu verkündigen dieses Heil – er habe es denn in sich selbst aufgenommen. Wenn es aber so Manche noch giebt welche in der Verblendung eines unrichtig geleiteten Verstandes keines Heilands zu bedürfen meinen, so vermögen wir solche Dunkelheit durch nichts Anderes in ihnen zu vertreiben als durch das Zeugniss unsres ganz von ihm ergriffenen und durchdrungenen Lebens – wie denn das eben die schönste und wirksamste Verkündigung dieser großen Freude ist. Durch den Verein aber dieser unserer Lobgesänge – dadurch | kann erst recht – und auf die schönste Weise zu stande kommen dieses – durch ihn uns geöffnete Himmelreich dessen Geburt wir heute feiern. Nun aber wird hier gesagt: „Manche verwunderten sich!“ – Verwunderung aber fasst immer noch einen Zweifel in sich[.] – Von Manchen Anderen aber bezeugen die Apostel: daß sie um Haders willen Christum gepredigt hätten. Der Apostel aber tröstet darüber sich indem er sagt: „Wenn nur Christus gepredigt wird!“ – Wir aber wollen es halten wie hier von Maria gesagt wird: „Sie aber behielt alle diese Worte – und bewegte sie in ihrem Herzen!“ Und wir wollen das thun! Denn dann sind wir sicher daß er selbst sich immer herrlicher in unsre Herzen offenbaren wird. Alles Andre aber wollen wir in dessen Hand stellen, der alles herrlich hinausführen wird zu seines Namens Ehre. – Wir aber wollen nur dafür sorgen daß unsre Freude nie schweigt – dann werden alle Verwirrungen und Verdunkelungen mehr und mehr sich auflösen – wodurch dann unser Glaube gekrönt werden wird. Und dazu möge er es verhelfen durch die reine Verkündigung seines Worts.

16 Anderes] Anderem

18 Lebens] Lebens.

6–8 Lk 2,17 10–11 Vgl. Joh 5,39 26 Vgl. Phil 1,18 27–28 Lk 2,19

22–23 Vgl. Lk 2,18 24–25 Vgl. Phil 1,15 31–32 Vgl. Jes 28,29

5

10

15

20

25

30

35

Am 26. Dezember 1828 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Weihnachtstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Joh 1,2 Nachschrift; SAr 67, Bl. 90r–92v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 619/2, Bl. 6r–8r ; Crayen Keine

Aus der Predigt am 2. WeihnachtsT. 28 1. Joh 1,2. Und das Leben ist erschienen – das ewig ist, welches war bei dem Vater, und ist uns erschienen. 5

10

15

20

Wir dürfen diese Worte nur hören als Worte jenes Jüngers und Apostels des Herrn so wissen wir daß darin von keinem andern die Rede ist als von dem dessen heilsame Erscheinung wir in diesen Tagen fröhlich feiern. Wir finden auch zwischen diesen Worten und jenen erhabenen Worten wodurch derselbe Apostel im Anfang seines Evangeliums die Kraft Gottes in Christo und das Heil, welches durch ihn gekommen, verkündigt, eine so unverkennbare Aehnlichkeit, daß dieses sowol wie jenes uns eine treue und vollkommene Darstellung giebt von dem Gesamt-Eindruck den der Erlöser vermöge der Fülle der Gottheit die in ihm war, auf diesen Jünger seines Herzens machte. Was könnten wir also bessres thun als diese großen Worte zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen in Beziehung auf die festliche Freude dieser Tage, um derselben ganz inne zu werden und sie vollständig und in ihrer Lauterkeit zu genießen. So laßt uns denn in dieser Stunde 1. in den vollen Sinn dieser Worte eindringen. 2. der rechte Gebrauch und die Anwendung derselben für uns wird sich dann von selbst finden. 1. Das Wort „das Leben ist erschienen:“ eins der ältesten und größesten Zeugnisse in den Schriften des neuen Bundes von dem Herrn ist das allgemeine 23 Herrn] Herrn, 8–10 Vgl. Joh 1,1–4; hier besonders Joh 1,4

12–13 Vgl. Kol 2,9

90r

266

90v

Am 26. Dezember 1828 vormittags

Bekenntniß aller Christen und keiner kann sich mit Wahrheit zu dem Namen des Herrn bekennen der es nicht zu dem seinen machen kann. Aber wie verschieden ist der Verstand der damit verbunden wird! Das Leben ist erschienen: finden wir uns bei diesen Worten nicht aufgefordert zu sagen: „also war vor der Erscheinung des Herrn Alles todt“ Alles was das freudge Bewußtsein der Menschen ausmachte, alles wodurch sie ihre schöne Bestimmung Herren der Erde zu sein zu erreichen suchten, Alles war nichts als todt! Und freilich wenn wir bedenken wie alles menschliche Thun ehe der Herr erschien, entweder unter dem Zwang des todten Buchstabens des Gesetzes oder in der Finsterniß des Heidenthums zu Stande kam, so ists natürlich, daß darin kein Leben war. Wie aber, wenn man nun weiter sagt: „eben deshalb weil das Leben neu erschienen ist und wir haben das Zeugniß desselben empfangen, so müssen wir ja, wenn wir es uns aneignen wollen uns von altem entfernen was wir aber als todt anerkannt haben.“ Sagen so nicht viele Christen? und was entsteht daraus? Ja von diesen Gedanken geleitet haben sich von Anfang an nicht Wenige so gut als von allem was das gesellige Leben ausmacht ausgeschlossen, d. h. nicht nur von dem was Sünde ist also freilich das Leben würde getödtet haben sondern auch von dem was so zu sagen der Ort oder die Stätte der Sünde werden kann. Alle geselligen Freuden wollten sie fliehen denn sie könnten ausarten in Sinnenlust, alle Geschäftigkeit war ihnen zuwider und sie eilten in die Wüste; denn die Geschäftigkeit konnte verleiten zur Anhänglichkeit an die Dinge dieser Welt, sie scheuten sich mit den Menschen ihre Gedanken zu theilen und um ihr Urtheil sich zu bekümmern; denn wer könnte dabei, meinten sie, dem falschen Wahn der eitlen Ehre entgehen: So haben viele Christen das freudge Wort: „das Leben ist erschienen“: selbst getödtet und sind nicht eingedenk | gewesen dessen, daß wir uns der Welt nicht gleich stellen sollen aber auch nicht aus der Welt hinausgehen sollen. Betrachten wir diese Gesinnung in dem Lichte der Freude dieser Tage so mögten wir zu solchen die noch jezt eine ähnliche nähren, sagen: – nachdem wir sie gefragt haben: habt ihr die Weihnachten gefeiert, habt ihr die irdischen Lichter herbeigerufen zum Zeichen des himmlischen das uns erschienen, habt ihr der schuldlosen Jugend dargereicht was auch dazu diente sie sinnlich zu erfreuen? habt ihr ihnen, die schon herangereifter sind, dargereicht was sie belehren und auf heilsamen Weg im äußern Leben führen und ihnen eine Anleitung geben kann, dazu, wie sie sich benehmen sollen in der Welt? – O löscht eure Weihnachtslichter aus, laßt die Töne der 3 Verstand der] Verstand die 34 erfreuen?] erfreuen,? 7 Vgl. Gen 1,28 28 Vgl. Röm 12,2

5 sagen:] sagen?:

12 sagt:] sagt?:

27 daß] daß,

16–25 Anspielung auf die frühchristlichen Eremiten

27–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 1,2

5

10

15

20

25

30

35

267

Freude verstummen, versenkt auch diese Tage in die Düsterheit eurer Gesinnung, damit ihr ganz die seid die ihr sein wollt! Wenn nun aber das nicht zu billigen ist, so laßt uns fragen wie steht es mit der entgegengesetzten Gesinnung? Ja denen entgegen die sich weil das Leben erschienen ist zurükziehn mögten aus der Welt, sagen Andre: „Das Leben ist erschienen in Christo“: das glauben wir auch, aber laßt uns dies Wort betrachten in Verbindung mit allem was wir in der Schrift finden in Beziehung auf das menschliche Leben. Hat nicht Gott den Menschen die Bestimmung gegeben, daß sie sollen die Erde beherrschen? Wenn nun von Anfang an sie sich im Gehorsam gegen dies göttliche Gebot tüchtig geregt haben, und haben es erreicht Herren zu sein auf Erden: ist denn das der Todt gewesen? Das kann doch keiner sagen daß das von Gott selbst geordnete Leben der Tod war, also war doch schon Leben da, ehe der Herr erschien. Und was sagt Paulus in dieser Beziehung? er sagt: Gott der Herr hat zuvor versehen wie die Geschlechter der Menschen sich ausbreiten sollten und wohnen auf Erden: Stellt er uns nicht hier alle menschliche Ordnung als Ordnung Gottes dar? Wenn nun das was Gott verordnet schon da war soll es denn todt gewesen sein ehe der Herr erschien? So war also das rechte Leben d. h. das Leben welches Gott geordnet schon da ehe der Herr erschien. Ja und wenn der Apostel sagt: „in ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen“: wie kann er das so gemeint haben daß Alles Vorherige Finsterniß gewesen sei? Denn was ist das Leben und das Licht wenn es nicht die Liebe ist und die Wahrheit! Und war denn alles frühere nur Haß und Zwietracht? und gab es keine Wahrheit die göttliche Wahrheit war? Wie wollt ihr all die Sprüche der Weisheit verleugnen die doch solche Aehnlichkeit an sich tragen mit den Worten das Herrn? War nicht der Mensch auch geistiger Weise aufgerichtet zum Licht, strebte er nicht darnach und wie wollt ihr dieses Streben und Ringen als todt verschreien? Was sagt der Apostel Paulus von der Ausbildung des menschlichen Geistes? er sagt, daß Gott der Herr das Alles zuvor versehen und dem Menschlichen Geiste solche Entwicklung bereitet, ob sie ihn finden mögten wie sie könnten vermöge dessen was er in sie gelegt. Und wenn das die Absicht Gottes gewesen ist, wie soll der Wunsch der Allmacht in der Zeit vergeblich gewesen sein und alles todt was lebendig sollte sein? und wenn auch ein großer Theil der Welt in Nacht versunken war, gab es nicht immer einige welche sich über den Wahn erhoben? und wenn Johannes sagt, „das Leben | welches bei dem Vater war ist erschienen“; so müssen wir sagen: wo die menschliche Vernunft eine Ahnung bekam von der Ordnung Gottes 21 daß] das 8–9 Vgl. Gen 1,28 1Kor 2,11–12

14–16 Vgl. Apg 17,26

20–21 Joh 1,4

30–32 Vgl.

91r

268

Am 26. Dezember 1828 vormittags

von der ewigen Weisheit und Liebe, da sollte nichts von dem Leben das bei dem Vater war gewesen sein? Was kann also Johannes meinen wenn er sagt: das Leben ist erschienen? Darauf antworten sie dann sich selbst Leben und Tod wird in der Schrift oft gebraucht als Bezeichnung des Unterschieds zwischen mehr und weniger, wie der zwischen Glück und Unglück, Vollkommenheit und Mangel: und in diesem Sinn wollen wir zugeben: das Leben ist erschienen; denn so heißt das: eine schönere und bessre Blüthe des geistigen Lebens, und das geben wir zu, ist uns geworden in dem Erlöser, ein Wendepunkt der Geschichte der Menschenheit ist mit ihm aufgegangen, vieles was der Todt war ist durch ihn überwunden, die einige Wahrheit die nur immer einzelnen sonst kund gewesen und sich bald wieder verdunkelte, die ist nun sicher gestellt und kann nicht wieder untergehn. Aber wie nun seitdem dieses höhere Leben erschienen, vermöge dessen die Menschen in höherm Grade Herrn geworden sind über Alles, sich selbst besser erkannt haben und ihr Verhältniß zu Gott und untereinander sich losgemacht haben von dem was sie in der Erkenntniß der Wahrheit hemmen konnte: so ist uns seitdem eine unendliche Laufbahn eröffnet, und wir sollen nicht stehn bleiben auf jener Stufe der Klarheit von wo der Mensch weiter dringen sollte von einer Stufe zur andern: Das klingt nun alles recht schön, aber genügt es uns wol als Grund unsrer Freude? Nein die hat einen andern Grund! und im Bewußtsein desselben mögen wir zu solchen die daran sich genügen, sagen: „wenn wir nun auch alles das was ihr da aufgeführt habt, anerkennen wollten, aber ist denn eure Freude so vollkommen, wie sie dem gemäß sein müßte? mischt sich nicht Schaam mit ein wenn ihr euch sagen müßt: wie, zweitausend Jahre sind beinah vergangen, aber doch hat die Entwicklung des Lebens das uns weiter führen sollte so wenig gethan! so wenig wären wir vorwärts gekommen, daß wir noch mit derselben Liebe und derselben Andacht hängen müßten an den ersten Ausdrükken und Offenbarungen dieses Lebens! O so laßt uns, zwischen diesen beiden, ganz einfach bleiben bei dem Wort des Apostels: „das Leben das ewig ist und bei dem Vater war, ist erschienen“: und um dessen recht froh zu werden laßt uns fragen: wie ists in ihm erschienen? Der Herr sagt: „der Vater läßt mich nie allein:“ So also ist das göttliche Leben in ihm erschienen. Der Vater ließ ihn nie allein, er hatte ihn überall in sich und bei sich. Der Herr erschien uns als Mensch, in allem ward er uns gleich, außer der Sünde, er ging in menschlicher Gestalt umher das ganze Leben theilend mit uns, als vollkommner Mensch: aber der Vater ließ ihn nicht allein, und eben in diesem Bewußtsein, in dieser schönen Freiheit wandelte er auf der Erde, nicht wie Johannes der Täufer 21 Grund!] Grund,! 33 Joh 8,29

35–36 Vgl. Hebr 4,15

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 1,2

5

10

15

20

25

30

35

269

der sich der Gemeinschaft der Menschen entzog und fastete, sondern er aß und trank, nicht wie Johannes der in der Wüste blieb und wartete daß die Menschen zu ihm kämen um sein Wort zu hören, sondern der Herr wandelte den Vater in sich tragend, überall umher, bei den Pharisäern auch und bei den Zöllnern wenn sie nur Freudigkeit hatten ihn aufzunehmen. Aber eben dies daß er so wandelte und der Vater ihn nie allein ließ, und er uns so die reine Offenbarung des Lebens aus Gott ward, ist das Leben vorher je gewesen? müssen wir nicht sagen: das Leben das ewig ist und bei dem Vater war, ist in ihm erschienen, aber in der ganzen Gestalt des Zeitlichen. Und wozu wäre die | Erscheinung dessen der den Vater in sich trug, wenn der Vater nicht hätte mit den Menschen wandeln wollen auf der Erde? Ja das ist nicht ein Leben welches uns eine wesentliche Stufe darstellt der Entwiklung des menschlichen Geschlechts, und in diesem Leben das uns erschienen steht auch nicht ein anderes uns noch bevor; denn das Leben das ewig ist, ist in sich abgeschlossen, darin kann es kein anderes geben, und wenn es ein höheres gäbe wo wäre das gewesen ehe der Herr erschien da er uns das Leben Gottes eben offenbart hat: und wenn dieses Leben aus Gott vorher schon gewesen wäre unter uns wo bliebe dann die göttliche Wahrheit, daß der Sohn Gottes allein uns den Vater zeigen kann. Ja, wenn das Wort erschallt: „Das Leben ist erschienen“: es will uns nicht entfernen von der Welt, aber, das Leben ist erschienen: d. h. das Leben ist erschienen vermöge dessen wir, wie der Herr, überall in uns tragen sollen die Nähe des Vaters der uns nie allein lassen will, die Erscheinung des Herrn hat uns das Sein und Leben mit Gott als die Aufgabe unsres Lebens gegeben, und wozu Alles uns dienen soll als die Sache des tiefsten Gemüths, als den einigen Gegenstand unsrer Betrachtung, als den Genuß der allein und ganz unserm Wesen genügt, als die Erkenntniß die uns immer beschäftigt, belebt und erhebt. Das ist das Leben welches ewig ist und bei dem Vater war. Und wie niemand den Vater kennt als der Sohn, so ists gewiß daß das Leben nie vor ihm unter uns war und wir es nicht anders haben können als mit ihm und in ihm. O es hat früher Viele gegeben mit ausgezeichneten Gaben ausgerüstet die durch alle Nacht des Irrthums hindurch näher zur Wahrheit kamen, aber das beständige Leben mit Gott, wer von allen Weisen der Welt hat vermocht es sich selbst zu geben. Nein, dazu mußte der Abglanz und das Ebenbild Gottes erscheinen, die unmittelbare Gewißheit mußte den Menschen vor Augen geführt werden, die eigenthümliche Erfahrung davon, daß Gott nun in den Menschen sein will sein Gebot in ihr Herz schreiben will, auf daß sie 4 Pharisäern] Pharisäer

34 wer] wer,

28–29 Vgl. Joh 17,25 35–36 Vgl. Hebr 3,1 37–38 Vgl. Jer 31,33 (zitiert in Hebr 8,10; 10,16) 38–1 Vgl. Joh 6,45 (Zitat aus Jes 54,13)

91v

270

Am 26. Dezember 1828 vormittags

Alle von Gott gelehrt werden. Die Erfahrung mußte erst uns gegeben werden, daß er, der Eins ist mit dem Vater, daß der allein den Vater sieht, und daß es sein Geist ist, der, über uns ausgegossen, in uns ruft Abba, lieber Vater! so nur konnte das Leben sich mittheilen.

92r

2. Aber eben weil der Herr das zeitliche Leben nicht verschmäht hat: so soll eben das ewige Leben das in ihm erschienen ist sich verbreiten über das ganze menschliche Leben, es soll in uns sein in all unserm Wirken und Wandeln, in den sinnigen Betrachtungen des Herzens, in dem lautern Ergießungen der Freude – überall soll das ewige Leben in uns sein, und ist in uns, alles heiligend, wenn es wirklich in uns ist. Darum, wenn dieses Wort unsre Freude heilgen soll und vollständig machen, und wir sagen uns: so und in diesem Sinn ist uns das Leben erschienen, wie soll dann die Freude dieses Bewußtseins in unserm Leben fortwirken? Das sagt der Apostel in den folgenden Worten, da spricht er: was wir gesehn und gehört haben das verkündgen wir“: Seht da das ists und das ists Alles wodurch es sich ausbreiten soll. Das Leben ist erschienen damit es kund werde und es ist kund geworden auch uns, damit unsre Gemeinschaft sei mit dem Vater durch den Sohn, und darin unsre Freude völlig sei, wie der Apostel sagt. Er war Eins mit dem Vater und durch ihn soll unser menschliches Leben ganz in die Gemeinschaft des göttlichen ewigen Lebens aufgenommen werden[.] | Was sich nun in unserm Leben nicht verträgt mit dem ewigen Leben, was uns von dieser Gemeinschaft scheidet das muß dadurch verdrängt werden. Was aber ists? Es ist die Sünde! Fragt ihr aber was Sünde ist, so hütet euch ja, nicht solche Antwort hören zu wollen daß die Sünde Eins sei für Alle. Es giebt freilich so offenbare Werke des Bösen, daß sie nicht anders als aus der Feindschaft wider Gott entstehen können, aber außer diesen giebt es für den Einen dies, für den Andern jenes was ihn scheiden kann von der Gemeinschaft des Herrn weil es ihm Sünde ist. Und es ist die Weisheit des Lebens daß wir uns davor hüten was uns zur Sünde werden kann und es ist die Kraft des Lebens daß wir uns die Lehren der Weisheit zu Nutze machen. Jene Weisheit möge sich jeder zulegen, aber die Kraft des Lebens ists auch daß wir darnach handeln daß der Apostel sagt: „ich thue was mir frommt dann“; erlaubt ist jedem Alles wovon er sich bewußt ist es scheidet ihn nicht von der Gemeinschaft des Vaters durch den Sohn: er kann theilnehmen an Allem und dabei im Innern des gewiß sein daß er ungeschieden ist von der Gemeinschaft des Vaters weil der ihn nicht allein läßt, sondern 9 lautern] lauten 2–4 Vgl. Gal 4,6 1Kor 6,12

15–16 Vgl. 1Joh 1,3

19 Vgl. 1Joh 1,4

33–34 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 1,2

5

10

15

20

25

271

mit dem Sohn in ihm lebt. Und je fester wir darin werden, je mehr wir zunehmen in der Kraft alles zu dürfen, desto sichrer sind die Grenzen der Gemeinschaft mit dem Herrn überwunden und um desto mehr kommen wir dahin daß unsre Freude völlig werde und daß wir, weil diese Gemeinschaft des ewigen Lebens alles heiligt, alles was wir thun zur Ehre Gottes thun. Jemehr aber auch der Muth und die Lust Alles zu thun wodurch sein Name kann verherrlicht werden in uns wächst, um desto mehr werden wir im Stande sein uns zu freuen allewege, in allen Führungen. Und was ist dieses Fest anders als das Fest der Freude die alle Freude adeln soll, dadurch, daß wir alles was wir thun und empfinden davon durchdringen lassen: Das ist das Werk der Freude der wir heut uns ganz hingeben, es ist die Freude an dem Herrn die Freude daran, daß sein menschliches Leben verklärt war in das göttliche Leben, weil der Vater ihn nie allein ließ[.] Aber wenn dies Fest das Fest solcher Freude ist, wie lange ists hin, so feiern wir den Tag wo er sein herrliches Leben dahin gab, sich in des Vaters Hand befahl; soll sich da unsre Freude in Trauer verwandeln, soll sich unsre Freude heut enden? Nein, eben weil in ihm das Leben erschienen das ewig ist, wie sollten wir hangen an der Zeitlichkeit seines menschlichen Lebens! es mußte ein Ende nehmen, und er konnte der nicht gewesen sein der er war wenn sein Leben nicht im Dienst, im Gehorsam gegen den Vater zu Ende ging. Aber laßt uns das beides, sein Leben und seinen Tod, zusammenfassen, sonst haben wir ihn nicht ganz; Darin hat sich die Liebe Gottes offenbart daß er seinen Sohn gesandt, aber verherrlicht hat sie sich darin, daß er für uns gestorben ist da wir noch Sünder waren. Aber jemehr uns in ihm die Liebe Gottes erscheint werden wir nicht | mehr Sünder sein, sondern ihn verherrlichen und um das zu können gern mit ihm und für ihn in das irdische Leben gehen und in den Tod, und getrost die Zeitlichkeit verlassen; denn unser ist durch ihn und mit ihm das Leben welches ewig ist und welches bei dem Vater war!

14 ließ] lies 8 Vgl. Phil 4,4

24 Vgl. Röm 5,8

92v

Predigten 1829

Nachschrift der Predigt vom 23. Juni 1829 abends (Begräbnis Buttmann), SAr 68, Bl. 45r; NiN, in: Woltersdorff

Am 1. Januar 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Neujahrstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Gal 3,25–26 (Anlehnung an die Festtagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 1r–4r; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „vacat“

Aus der Predigt am Neuj.tage 29.

5

10

15

20

25

Gal. 3, 25. 26. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes Kinder, durch den Glauben an Christu Jesu. Diese Worte sind zwar aus der für den Anfang des neuen Jahres in den meisten evangelischen Kirchen üblichen epistolischen Lexion genommen, aber da wir zum Gebrauch der Einwirkung unsrer Andacht nicht gebunden sind und uns auch nicht wollen binden lassen an diese Abschnitte, so könnte man sich wundern über die Wahl dieser Worte, da sie gar keine unmittelbare Beziehung haben auf diesen Tag, zum Grunde unsrer heutigen Betrachtung: Allein wenn wir in einem neuen Abschnitt unsres Lebens hineinsehn so ists doch immer nur zweierlei was unsre Aufmerksamkeit auf sich zieht, nemlich das was wir werden zu thun haben: und: was uns begegnen wird: Was wird also auch wenn wir das neue Jahr unter Gottes Segen wollen verleben, unsre Sorge sein für jeden Augenblik desselben als nur das daß wir das Rechte treffen in Absicht auf das was wir zu thun haben und wornach werden wir richten, und worin werden wirs finden, als nur indem wir auf den Glauben PanS ihn, in dem wir Kinder Gottes sind, sehn! Und wenn wir daran denken was den gewöhnlichen Lauf des Lebens in Beziehung auf das was uns begegnet unterbrechen kann, was werden wir thun können in unserm Gemüth die Fassung und Gottgefällige Richtung zu erhalten? gewiß nur das daß wir Alles betrachten im Lichte des Glaubens in dem wir unser Heil gefunden haben. Wohlan, was wir in jedem einzelnen Fall werden zu thun haben darüber wollen wir uns auf diese Weise die in den Worten des Apostels angegeben 6–7 Die Festtagsperikope für den Neujahrstag ist Gal 3,23–29.

1r

276

Am 1. Januar 1829 vormittags

ist, an dem Anfang des Jahres besinnen. Indem uns aber der Apostel auf den Glauben hinweist so stellt er dem entgegen ein anderes indem er sagt: wenn aber der Glaube gekommen, so sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister: und also, wenn wir seinem Weg folgen wollen und darüber nachdenken und das festhalten daß wir in Beziehung auf Alles unsre Beruhigung finden werden darin daß der Glaube gekommen ist: so müssen wir die Sache ja wol auf dieselbe Weise betrachten wie der Apostel. Er stellt den Glauben gegenüber dem Zuchtmeister welcher ist das äußre Gesetz, und es giebt kein drittes zu diesen beiden; der Mensch lebt entweder durch die Kraft des Glaubens oder unter dem äußren Gesetz, wenn sein Leben verdient ein Leben zu heißen; denn wo noch gar keine Erkenntniß des Guten und Bösen ist da ist auch noch gar kein menschliches Leben, wo aber diese Erkenntniß ist da ists entweder der Glaube oder das Gesetz worauf das Leben sich gründet. So sagt der Apostel: auch von den Heiden daß sie unter dem Gesetz gestanden, indem sie sich selbst das Gesetz wurden. Dies Gesetz nennt er einen Zuchtmeister und sagt dagegen von dem Glauben daß wir in demselben Kinder Gottes sind. Nun scheint aber beides zusamm zugehören, wie es im gewöhnlichen Sinn genommen wird, nemlich Kinder des Zuchtmeisters, darum müssen wir den Sinn dieses Ausdrucks genau erwägen: Nemlich, wenn der Apostel sagt: durch den Glauben sind wir Kinder Gottes: damit kann er eben weil er sagt, daß wir nun nicht mehr unter dem Zuchtmeister sind, nicht die unmündigen Kinder meinen, wie er auch sagt: „da wir noch unmündig waren da waren wir unter den Satzungen“: der Ausdruck: Kinder: bedeutet also hier: die erwachsenen Kinder: Und in diesem Sinn vergleicht er auch im Briefe an die Ebräer: Mose und Christum: Mose darstellend als den Knecht der Knecht der treu ist im Hause des Herrn, Christus als den Sohn der des Vaters Willen kennt weil er sein eigner ist. In diesem Sinne sagt er: ihr seid durch den Glauben Kinder Gottes in Christo. Und so laßt uns zugleich und vorzüglich, indem wir auf diese Vergleichung sehn, bedenken, daß nun der Glaube gekommen in dem wir Kinder Gottes sind, wir darin unsre Beruhigung und unsern Frieden finden. Es besteht aber

1v

1. der Gegensatz darin daß der Zuchtmeister den er meint ein solcher ist welcher äußre Gebote und Verbote aufdringt: So schickt es sich für das unmündige Alter, weil die Kinder müssen gewöhnt werden zu der Ordnung und Sitte deren Zusammenhang sie nicht einsehn, wenn sie also folgsam sind, so kann das nicht etwas sein was aus ihrem Innern kommt, sondern was sie thun ist ihnen als äußere That geboten; und das ist das Wesen alles Gesetzes, sowohl des Gesetzes Mose | als auch des Gesetzes jener die selbst zum Gesetz wurden indem sie einsahen was sie eigentlich thun müßten. – Jemehr nun so äußerlich geboten oder verboten wird, d. h. jemehr das 14–15 Vgl. Röm 2,14

23 Gal 4,3

24–27 Vgl. Hebr 3,1–6

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Gal 3,25–26

5

10

15

20

25

30

35

40

277

Gebieten und Verbieten über das Maaß der Nothwendigkeit hinaus geht, so wird die Aufmerksamkeit des Menschen nach Außen gerichtet und von Innen abgezogen. Und was uns äußerlich geboten und verboten wird das ist von zweierlei Art: das finden wir in dem Gesetz welches der Apostel vorzüglich meint; denn was darin vorgeschrieben wird, es sind solche Handlungen welche ihren Werth nur bekommen durch ihre Hinweisung auf anderes als was sie selbst sind, eben durch das was sie im Ganzen in großer Menge wirken: aus solchen Vorschriften besteht großentheils das Gesetz Mose, es giebt freilich auch andres darin welches gehaltreicher ist aber als äußre That geboten ist dadurch der Zusammenhang mit dem Innern des Menschen aufgehoben, und er genügt dem Gesetz gegen seinen Willen: So wird also dadurch die Aufmerksamkeit immer von dem Innern auf das Äußre gelenkt. Ists nun ein Wesen äußrer Gebräuche welches geboten wird so wissen wir recht gut wie nachtheilig das dem Innern Leben des Menschen wird, und wenn wir in den Sitten der Menschen solch Bild finden, so bedauern wir die die unter einer Last von äußern Gebräuchen u. s. w. unterliegen. Aber eben so ists auf der andern Seite wenn von wirklicher Thätigkeit die Rede ist; denn was auch für das Wohl der Menschheit förderlich ist, es wird uns eben nur als äußre That geboten und von uns gethan, so muß das Innre seinen Werth verlieren; denn jemehr dem Menschen das Äußre gilt so kann es ihm nicht darauf ankommen ob er Wohlgefallen habe am Gesetz sondern nur darauf ob er es vollbringe. Und hierzu gehört auch daß wir (in Beziehung auf diesen Tag) sehen wie der Gegensatz des Gesetzes gegen den Glauben darin besteht daß um so mehr wir vom äußren Gesetz regiert werden wir abhängig sind von dem was uns begegnet im äußren Leben; Denn zu allen Handlungen gehören äußre Bedingungen, fehlen diese so können auch die Handlungen nicht zu Stande kommen. Darum, in den Zeiten der Verdunklung in der christlichen Kirche, wo ein gesetzlicher Sinn herrschend geworden war und das Christenthum zurückgeführt zu dem ihm Entgegengesetzten worin es nie bestehn kann, da trug man Sorge auch zweierlei Art von Verdienst aufzustellen und so wurden den Menschen nach Maaßgabe ihrer äußern Lage Handlungen geboten, deren Befolgung ihnen als christliches Verdienst zugerechnet werden sollte. Denen die eine große Menge äußerer Hülfsmittel besaßen, wurden Werke vorgeschrieben die die Hülfsmittel in Anspruch nahmen, die übrigen aber solche wodurch sie an ihre Person gewiesen wurden, und da sie wenig thun konnten so waren es kärgliche Entbehrungen und Selbstpeinigungen worin die ihnen vorgeschriebenen Werke bestanden. – Wenn wir nun in das neue Jahr hinein sehn und versetzen uns dabei in Gedanken in jenen Zustand zurück: was sollen wir da sagen als daß wir uns darin ganz würden abhängig fühlen vom Äußern, und daß wir, aber um der Wandelbarkeit des Äußern willen, uns oft würden umsetzen müssen von der einen Art des Verdienstes zu der

278

2r

3r

Am 1. Januar 1829 vormittags

andern. Was aber spricht der Glaube? Daß durch des Gesetzes Werke kein Fleisch gerecht wird und daß das Gesetz etwas Äußres ist und wirkt Gott aber auf das Innre sieht. Und wenn wir uns zu dem nicht hinwenden wollen so spricht der und dies Wort des Herrn ist im Glauben erfüllt: „es wird eine Zeit kommen, einen neuen Bund will ich mit den Menschen machen, ich will meinen Willen in ihr Herz schreiben“: Seht da, dadurch ist alle Abhängigkeit vom Äußern aufgehoben, und eben dadurch wird unsre Aufmerksamkeit auf das Innere gerichtet und wir fragen nur, ob wir in diesem Bunde stehn, ob der Wille Gottes so in uns ist daß er uns eigen ist, ob wir so handeln, von innen heraus, daß wir keines Gesetzes bedürfen: das ists allein worauf es ankommt | um uns des Glaubens und somit der Freiheit der Kinder Gottes bewußt zu sein. Aber daß es uns nicht fehlen kann den Glauben durch die That zu beweisen: was sagt der Apostel in dieser Hinsicht? Daß wir Alles thun können zur Ehre Gottes was wir thun! Das ist das befreiende Wort des Glaubens wodurch wir mit unserm Thun, weil es im einzelnen und äußern kein Bestimmtes ist, sondern wir alles was wir thun, thun können zur Ehre Gottes, ganz unabhängig sind von dem was uns begegnet. Der der das Wort Gottes in sich geschrieben trägt, der findet überall etwas zu thun, überall kann sich der Mensch Gottes beweisen zum gemeinsamen Nutz. Darauf kommt es bei allem an daß die That unseren Sinn beweise und das daß der Wille Gottes in uns ist, unser eigner ist. Und wir also überall als Kinder Gottes handeln. Und wenn wir alles so thun wie die erwachsenen Kinder, dann thun wirs auch zur Ehre Gottes; denn es giebt keine andre Ehre Gottes als die daß Gott nun unter den Menschen wohnt und daß so Friede ist und Wohlgefallen Gottes auf Erden. Was uns also vorkommt zu thun, thun wir es so daß der Wille Gottes der uns ins Herz geschrieben ist dadurch geschieht und daß eben dadurch daß sein Wille geschieht er immermehr unter den Menschen wohnt, daß wir es also so zur Ehre Gottes thun, und welch schöneres Zeugniß kann uns der Geist Gottes geben als dies! So laßt uns uns freuen daß wir nun nicht mehr unter dem Zuchtmeister sondern durch den Glauben mündige Kinder Gottes sind in Christo. | 2. Besteht der Gegensatz des Glaubens und des Gesetzes darin daß dieser Zuchtmeister die Unmündigen durch nichts andres zu leiten vermag als 20 Nutz.] Nutz., 20 daß] das 33–8 Besteht ... geschehen] Diesen Abschnitt der Predigt hatte die Nachschreiberin bereits auf Bl. 2r begonnen. Vermutlich vergaß sie diesen zu streichen und hatte den Text – mit leichten sprachlichen Abweichungen – auf Bl. 3r neu begonnen und zu Ende geführt; dadurch entstand versehentlich das leere Bl. 2v. 1–2 Vgl. Röm 3,20 1Kor 10,31

4–6 Vgl. Jer 31,33 (zitiert in Hebr 8,10; 10,16)

14 Vgl.

5

10

15

20

25

30

Predigt über Gal 3,25–26

5

10

15

20

25

30

35

279

durch Furcht und Hoffnung, Aussicht auf Strafe und Lohn, nun aber der Glaube gekommen ist und wir deshalb nicht mehr unter dem Zuchtmeister stehn sind wir frei von Furcht und solcher Hoffnung weil wir das ewige Leben schon haben insofern der Glaube in uns gekommen, und was wir darin für Trost und Beruhigung finden das brauchen wir uns wol nicht erst klar zu machen. Wenn durch Zucht etwas soll bewirkt werden so kann es nur geschehen in dem Maaße als Furcht und Hoffnung sich wirksam beweist: aber sie sind immer nur wirksam in dem natürlichen Menschen; denn wenn das Gesetz auch seiner Natur nach geistig ist aber es wirkt als äußres Gesetz, d. h. von Außen auf die Menschen, also durch Furcht und Hoffnung: so wird es so mit dem Sinnlichen vermischt daß es von dem Sinnlichen abhängig wird: Das ist immer die Folge. Und wir täuschen uns nur, wenn wir das Sinnliche gebrauchen wollen, um den Gemüthern eine Richtung zu geben; denn es geschieht dadurch nichts als daß die Kraft des sinnlichen Menschen vermehrt wird; denn thue ich etwas um der Hoffnung willen oder unterlaß ich etwas um der Furcht willen, so wird durch die sinnliche Triebfeder der Trieb herrschend und so kann eine Herrschaft des Geistes nicht bestehen wenn die Sele unter dem Zuchtmeister ist und eben so wenig kann damit bestehen die Freiheit der Kinder Gottes. Und so ist denn im neuen Bunde wo Gott sein Gesetz in die Herzen giebt nicht die Rede von Lohn und Strafe, weshalb auch der Herr die Frage gar nicht gelten lies, die ihm vorgelegt wurde in Beziehung auf einen Unglücklichen: „was hat denn er oder was haben seine Eltern gesündigt?“ Und so tritt uns hier der Gegensatz des Lebens unter dem Glauben und des Lebens unter dem Zuchtmeister, in seiner ganzen Stärke entgegen: Und so ists der Glaube vermöge dessen wir freudig in die Zukunft sehn – aber wenn wir noch unter dem Zuchtmeister ständen, wie könnten wir ruhig in die Zukunft sehn; denn wir würden fragen müssen, wenn wir uns das Unangenehme vorstellen was uns begegnen kann, wodurch verschulden wir das? und wenn wir uns Angenehmes wünschen, wodurch verdienen wir das? Es bliebe demnach unser geistig Leben in der Abhängigkeit von dem Sinnlichen welches wir wünschen oder fürchten; denn mögen wir über das Angenehme und Unangenehme denken wie wir wollen und jeder verschieden von dem andern: so müssen wir doch sagen, daß dadurch – wenn wir auf diese Weise auf unser Innres geführt werden daß wir fragen: wodurch erlange ich das? – | unser geistig Leben nicht kann gefördert werden. – Wie spricht nun im Gegensatz gegen den Zuchtmeister der von Lohn und Strafe spricht der Glaube? „Seid fröhlich 30–31 wünschen,] wünschen. 20–21 Vgl. Jer 31,33 (zitiert in Hebr 8,10; 10,16) 1 1Thess 5,16

23–24 Joh 9,2

38–

3v

280

Am 1. Januar 1829 vormittags

allezeit:“ „seid dankbar in allen Dingen:“ Fröhlich sein sollen wir, und wir können ja auch nicht anders, indem wir mitten in die Ungewißheit der Zukunft hinein sehn, eben weil wir wissen daß es uns nicht fehlen wird thun zu können was wir thun zur Ehre Gottes! Dankbar in allen Dingen, auch in denen die wir damals unter dem Zuchtmeister als Strafe ansahen. Ja dankbar in allen Dingen und fröhlich allezeit: das löset uns von der Abhängigkeit vom Äußern! Darum lasset uns bei der Ungewißheit der Dinge die da kommen werden, nun da der Glaube gekommen ist mit dem vernünftigen Bekenntniß in die ferne Zukunft und in das eine Jahr sehn, daß wir, unbekümmert um das was in dem frühern Zustand der Menschen Furcht erregte, als solche die frei davon sind den festen Vorsatz fassen fröhlich zu sein allzeit, wie wir es jezt sind durch die Erfahrung daß uns jede Zeit eine Zeit der Förderung unsers geistgen Lebens und unsrer Freude an dem Herrn sein kann. Und dankbar zu sein in Allem weil wir wissen daß der Mensch von Allem die süße Frucht der Gerechtigkeit sich erzeugen kann durch die Gnade. 3. Endlich, was so genau mit dem bisher erörterten zusammenhängt, in der Zeit da der Mensch steht unter dem Zuchtmeister, ist sein Leben nicht für sich selbst da, sondern nur in Beziehung auf ein andres welches erst später beginnen soll; der Glaube aber ist das um sein selbst gegeben Leben. So ists, und so sagt auch der Apostel Gott habe früher Alles beschlossen unter dem Gesetz bis der Glaube käme: So daß der Zustand unter dem Gesetz immer ein solcher ist der auf einen zukünftigen Zustand hinweiset. Was ist aber der wichtigste Unterschied des Menschen als freies Wesen anders als das, daß der Mensch nie ein Mittel ist zu andern Zwecken sondern um sein selbst willen ist er da (in ihm selbst soll das göttliche Leben zur Erscheinung kommen und sich ausbilden bis zur endlichen Vollendung)[.] Alle Zeiten also in welchen wir nur da sind in Beziehung auf ein anderes noch gar nicht begonnenes Leben, das sind solche Zeiten, in denen wir uns des rechten Lebens nicht erfreuen, sondern unser gegenwärtiges Leben muß dann erst vergehen. Wohl haben auch die Kinder ihr Leben, aber nicht in wie fern sie unter dem Zuchtmeister stehn; denn das ist nur in Beziehung auf Künftiges. Denken wir uns nun den Menschen als eben aus der Kindheit tretend, so ist er noch gewohnt auf die Zukunft zu sehn, jemehr er aber weiter kommt [Zu Z. 15–16 alternativer Text als Randbemerkung:] die süße herrliche Frucht der Gerechtigkeit die aus dem Glauben kommt, ziehen kann [Zu Z. 18 als Randbemerkung:] er lebt nicht in der Gegenwart [Zu Z. 21–22 als Randbemerkung:] und sich selbst genügende Leben in Gott 1 1Thess 5,18

22–23 Vgl. Gal 3,23

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Gal 3,25–26

5

10

15

20

25

30

35

40

281

so will er in der Gegenwart ruhen. Das ist aber bei allem äußeren Gebot so, daß was uns geboten wird, das wird uns geboten als Mittel zum anderen Zweck als es selbst ist, von der Gegenwart, in der wirs thun sollen, weg zu sehen wird uns die Zukunft vorgehalten. Wenn wir aber das menschliche Leben betrachten so scheint es darin gar nicht zu bestehen, daß es sich nur auf die Zukunft beziehen soll; denn jemehr sich der Mensch entwickelt, desto kürzer wird für ihn die Zukunft und ein Leben um der Zukunft willen müßte ihm je länger desto mehr unzufrieden machen. Nun könnte man aber sagen: ist denn hier vom irdischen Gebiet die Rede, von Lohn und Strafe des irdischen Lebens? und wenn es zur Seligkeit gehört daß das Leben um sein selbst willen frei und unabhängig vom Äußern da ist, wird dabei nicht vergessen daß die | Ewigkeit der Vergänglichkeit folgt und daß die unabhängig ist? Nein, aber wenn wir uns eine selige Ewigkeit denken die gebaut sein soll darauf daß wir hier thun was uns geboten wird und unterlassen was uns verboten wird: was haben wir denn in der Vorstellung der Ewigkeit als wieder Aeußeres? was haben wir da als ein sinnliches Bild von der Erfüllung dessen was uns als Belohnung vorgehalten wird dafür was wir hier gethan haben getrieben von dem Sinnlichen, nemlich von Furcht und Hoffnung? Darum spricht der Glaube: „Unter dem Gesetz waren die Menschen beschlossen bis auf den Glauben der allein gerecht, frei, selig macht:“ Und was spricht er durch den Mund des Herrn? Der spricht: „Die da glauben an mich die haben das ewige Leben, sie sind durch den Tod hindurch zum Leben gedrungen.“ So fern wir also an ihn glauben, durch ihn den Willen Gottes in uns haben, haben wir die Ewigkeit schon hier, und das Leben ist nicht auf Hoffnung gestellt, sondern gegenwärtig haben wir an der Fülle göttlicher Segnungen die in Christo uns zutheil werden völlige genüge. Und eben deswegen giebt es keinen Genuß des Lebens für den Menschen, als nur, nachdem er durch den Glauben ein solch mündig Kind Gottes geworden ist, nachdem er durch alles Sinnliche hindurch gedrungen zum ewigen Leben. So laßt uns in das neu beginnende Jahr unsers Lebens schauen als solche die Gott danken daß sein Wille in ihren Sinn gegeben damit sie alles was sie thun thun können zur Ehre Gottes, als solche die herrlich sein wollen und dankbar in Allem weil es nichts für sie als Gutes giebt, als solche die durch den Tod hindurch ins Leben gekommen und das ewige Leben das in Christo ist schon haben und besitzen. Das ist der christliche Sinn welcher sich in uns immer mehr bethätigt indem wir des Friedens und der Seligkeit froh werden und in der That zur Ehre Gottes beitragen durch seine Kraft an die wir glauben und in der wir Kinder Gottes sind. Das ist der Sinn der uns erhebt über das Nichtige und uns festhält bei dem was uns nicht nur ein Bild ist des Ewigen sondern das Ewige selbst ist. Und wie derselbe 19–21 Vgl. Gal 3,23–24

21–23 Vgl. Joh 5,24

4r

282

Am 1. Januar 1829 vormittags

Apostel welcher sagt [„]seid fröhlich allzeit:[“] auch sagt: „Betet ohne Unterlaß:“ so wollen wir das immer zugleich auch thun weil wir wissen daß wir jenes köstliche Kleinod (das ewige Leben) tragen in zerbrechlichen Schaalen, und weil wir wissen, daß wir immer wieder trinken müssen aus der Quelle des ewigen Lebens, denn wir haben das Leben uns nicht selbst gegeben sondern wie es muß uns gegeben werden durch ihn: so ist er es der allein es erhalten und nähren kann!

1–2 1Thess 5,16–17

5

Am 11. Januar 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Sonntag nach Epiphanias, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 12,1 Nachschrift; SAr 68, Bl. 5r–6v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 610, Bl. 1r–3v; NiN Tageskalender: „Vom Opfer des Leibes als einzigem vernünftigem Gottesdienst“

Aus der Predigt am 1. S. nach Epiph. 29.

5

10

15

20

25

Röm 12,1 Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. Wir wissen es sehr wohl, daß, wenn wir uns für unsre christlichen Versammlungen, für die Ermahnungen in der Gottseligkeit und für die Andachten in der Stille unsrer Häuser des Ausdrucks bedienen, daß wir sie einen Gottesdienst nennen, daß wir das nur im uneigentlichen Sinn thun, aber wir freuen uns doch wenn diese Uebungen so gestaltet sind daß wir sie wenigstens einen vernünftigen Gottesdienst nennen können. – Hier aber weiset uns der Apostel mit diesem Ausdruck auf ganz etwas anderes hin, indem er sagt: „begebet eure Leiber zum Opfer, u. s. w.:“ und zwar weiset er uns darauf hin, auf eine solche Art, daß er alles andre von dem Ausdruck daß es ein Gottesdienst sei ausschließt, indem er sagt: „welches sei euer vernünftiger Gottesdienst“: so daß wir daraus sehen, daß er meint, daß das wovon er hier redet im engeren Sinne und ausschließlicher als irgend ein andres ein Gottesdienst sei. Das laßt uns zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen und zwar so daß wir sehn 1. Was er damit meint: Begebet eure Leiber zum Opfer daß da sei lebendig u. s. w. 2. Ja wie fern wir ein Fest haben zu sagen daß das und das allein unser vernünftiger Gottesdienst sei. I. Wenn wir nun fragen wie der Apostel das meint wenn er sagt, wir sollten unsre Leiber begeben zum Opfer: so ist vielleicht das Nächste was jedem

5r

284

5v

Am 11. Januar 1829 vormittags

dabei einfällt dieses: daß die Christen, vorzüglich die aus dem Heidenthum übergegangen, auf das ernsteste ermahnt wurden ihren Leib heilig zu halten, in welchem Sinn der Apostel Paulus auch andernwärts sagt: „wisset ihr nicht daß ihr Tempel Gottes seid.“ Der Tempel aber ist nicht das Opfer sondern der Ort wo das Opfer dargebracht wird. Und wenn es freilich wahr ist und wir es Alle tief empfinden müssen, daß in der Gestalt des Menschen, in dem ganzen Ausdruck seiner Gesichtszüge das sich offenbaren kann, daß ein Gottgeweihtes Gemüth darin wohnt: ja wenn wir wahrnehmen darin ein nach dem Geistgen und Ewgen, gerichtetes Bestreben, so fühlen wir uns mit Ehrfurcht erfüllt, wir fühlen die Wahrheit dessen, daß wir stehn vor einem Tempel des Höchsten. Aber das ist eben nicht das was hier der Apostel meint; denn in dem ganzen Zusammenhang der Gedanken dieser seiner Rede woraus die Textesworte genommen sind findet sich nicht die geringste Anspielung darauf. Wie nun, sollte in diesen Worten jener Wahn, der in der christlichen Kirche sich schon zeitig genug verbreitet hat, etwas für sich finden? (wir nennen es Wahn weil wir davon frei geworden sind durch das hellre Licht des Erlösers welches sich in der Reinigung und Verbessrung der Kirche bewährt hat.) Der Wahn nemlich: es sei ein Gott gefälliger Dienst den Leib geringschätzig zu behandeln, eine Freude zu finden in willkürlichen Schmerzen und Qualen die man ihm auflegt. Sollte dieser Wahn Vorschub finden in diesen Worten des Apostels? Nein, er müßte sich ja selbst widersprechen, denn er ermahnt den Leib zu pflegen auf rechte Weise. Und wie könnte auch solche Ertödtung ein lebendig Opfer sein, das da könnte Gott wohlgefällig sein, wenn der Mensch sich von der Kraft und Anmuth die Gott ihm gegeben entblößen wollte statt sie zu erhalten! Es sind also auch nicht die Selbstpeinigungen die der Apostel meint wenn er sagt: „begebet euern Leib zum Opfer.“ Wenn aber das es nicht ist was bleibt dann noch übrig? was kann er meinen? Der Leib ist nicht nur der Schmerzen und der angenehmen Empfindungen fähig, er ist nicht nur fähig diese und jene Regungen fortzupflanzen u. s. w. sondern er ist auch fähig des Geistes Wirksamkeit ins Äußre hinein zu übertragen und in der Welt auszuüben. | Und wenn der Apostel sagt: zum Opfer das da sei lebendig, heilig und Gott wohlgefällig: so meint er damit nichts anderes als den ganzen Umfang der Wirksamkeit des Geistes die er vermittelst des Leibes nur hervorbringen kann; denn auch das Geistigste wenn es Wirkung hervorbringen soll muß sich durch denselben bewegen, beweisen abspiegeln und auf andre übergehn. Und daß der Apostel dieses gemeint hat das sehn wir deutlich aus dem weitern Verfolg der Rede; denn wenn er das sagt, es solle niemand mehr von sich halten als sichs gebühre, und wir fragen, was ists wessen sich die Menschen am ersten überheben? so können wir doch nicht andres sagen als: es ist die Wirksamkeit die sie ausüben: und die [ist] nicht höher 3–4 1Kor 3,16

38–39 Vgl. Röm 12,3

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 12,1

5

10

15

20

25

30

35

285

zu schätzen als sichs gebühret. Das meint der Apostel gehöre mit zu dem Opfer das da lebendig und heilig ist. Und wenn er gleich nach den Worten des Textes sagt, damit sie das könnten, nemlich sich zum Opfer geben, möchten die Christen prüfen welches da sei: der vollkommene GottesWille: so kann er mit dem sich zum Opfer geben nichts meinen als die Wirksamkeit in wie fern sie ist die Erfüllung des göttlichen Willens: erfüllen wir also auf alle Weise durch unsre Thätigkeit den Willen Gottes der in Christo uns kund wird, nun dann begeben wir unsre Leiber Gott zum Opfer das lebendig ist. Eben so sagt der Apostel wie wir ein Leib sind in Christo so sind wir untereinander Glieder und verbunden durch die Mannigfaltigkeit der Gaben die der Herr nach seiner Gnade vertheilt, und die auch nicht anders als durch den Leib ihre Wirksamkeit ausüben und den Zweck wozu Gott sie gegeben, erreichen. Und so redet er weiter von den verschiedenen Gaben und Kräften die thätig sind in der christlichen Kirche: z. B. regieren, Barmherzigkeit ausüben, weissagen, lehren u. s. w. Denn alles das, sobald es eine Wirksamkeit ist die wir ausüben, so können wir dazu den Dienst des Leibes nicht entbehren: So ist denn freilich über den Sinn dieses Worts kein Zweifel möglich, und wenn wir von dem ausgehen, was sich aus der Rede des Apostels entwickelt, nemlich von dem Gedanken der Wirksamkeit die der Geist ausübt vermittelst des Dienstes des Leibes: so werden wir freilich sehr voll davon sein wie viel wenn wir auf den geringen Umfang unsrer Tätigkeit sehn wir fehlen lassen davon daß wir ganz unsre Leiber begeben zum Opfer, das da sei lebendig (d. h. wir immer in lebendiger Thätigkeit die davon zeugt daß der Geist Gottes lebendig macht, begriffen sind) heilig, d. h. nichts anderes dabei im Sinne haben als das Wohl des Reichs Gottes, das große Werk der göttlichen Liebe in Christo, und so als die Reben die aus dem Weinstock emporwachsen an ihm bleibend thätig sein durch ihn: Gott wohlgefällig d. h. indem wir bei dieser Wirksamkeit auf nichts sehn, nicht auf uns selbst, nicht auf das Urtheil der Welt sondern allein auf den der uns zeigt durch sein heilig Wort was wir thun sollen und dessen Gnade uns immerdar genügen soll. Aber so deutlich wir das einsehn, so mag doch wol mancher fragend denken: warum sagt der Apostel das auf diese Weise? weshalb bedient er sich des Ausdrucks daß wir unsre Leiber begeben sollen zum Opfer? Denn Alles bis jezt angeführte und was sich noch in Gedanken daran knüpft, ists des Leibes? ists nicht vielmehr des Geistes Thätigkeit, warum redet er von dem Leib der nichts andres ist als das äußre Werkzeug zu ihrer Ausführung? Giebt es größerers, heiligeres als die innre Gottgefällige Gesinnung, die durch Gottes Willen bedingte Kraft des Willens, die Ungetrübtheit der ungefärbten Liebe in der der Glaube sich beweiset? warum 3–4 Vgl. Röm 12,2 27 Vgl. Joh 15,5

9–11 Vgl. Eph 4,15–16

13–15 Vgl. Röm 12,4–8

26–

286

6r

Am 11. Januar 1829 vormittags

weiset der Apostel auf das sterbliche Werkzeug hin als ob das das Opfer wäre lebendig heilig und Gottwohlgefällig? Freilich mögen wir das wol sagen; denn weil eben das die gänzliche Erfüllung ist von dem göttlichen Rathschluß der Erlösung in Christo, daß nun sein Geist ausgegossen ist, so ists nichts als die Wirksamkeit dieses seines Geistes wodurch nun auch wir in das Werk des Herrn eingreifen können und das Zeugniß ablegen daß der Rathschluß an uns erfüllt ist. | Das ist allerdings wahr, aber so wie wir es empfinden daß der Ausdruck den der Apostel hier gebraucht hat nicht willkürlich ist, – und daß er absichtlich so geredet – so laßt uns in diese Empfindung tiefer eingehend, fragen: warum er so geredet. Worin unterscheiden wir denn am sichersten und am wahrsten das in uns was nur vorübergehende Regung ist, und das was wahre lebendige sich fortentwickelnde und darum erfolgreiche Wirksamkeit des Geistes ist? Bleiben wir, um das zu unterscheiden bei dem Innern stehn, o wie leicht täuschen wir uns da durch eine Aehnlichkeit unsrer Gefühle mit dem was uns vorschwebt; wie oft geschieht es nicht, daß wir kräftig erhoben durch das göttliche Wort, durch einen eigenthümlichen Verstand aufgeregt Gedanken und Entschlüsse hervorrufen die uns weit über das Maaß erheben in welchem bis jezt der göttliche Wille von uns geschehen ist: welch ein Bild der künftigen Wirksamkeit stellt sich uns da vor Augen, wie reichhaltig erscheint uns die Zukunft! aber kommt dann die Wahrheit des Lebens, kommt die Gelegenheit die Gedanken wahr zu machen, stoßen uns unerwartete Hinderniße auf, dann erst erfahren wir wie wir uns getäuscht haben und wie das eine vorübergehende Aufregung des Gemüths war was wir für vollendete Wirkung des Geistes Gottes in uns hielten! Darum sagt der Apostel: „begebet eure Leiber zum Opfer!“ Heraus aus dem Innern mit der neuen Kraft mitten auf den Schauplatz der PWirksamkeitS ! Tretet hervor gegen den Widerstand! erfaßt die Gelegenheit das zu verwirklichen was in eurem Innern lebt! hört auf den Ruf des Herrn und wohin er euch ruft, da ists wo ihr euch prüfen sollt, da ist das Feld wo ihr Gott dienen könnt! Wie wenn ihr in euch selbst seid, wie wohl gereinigt und schön geschmükt euch in solchen Augenbliken der Erhebung eure Seele erscheint, und es mag sein, ihr seid dann ein Tempel Gottes, aber noch nicht der Priester welcher vermag ein wohlgefällig Opfer Gott darzubringen; das könnt ihr nur vermittelst des Leibes, nur in dem wirklichen Leben wo alles in seiner Wahrheit uns entgegentritt. Seht da, das meint der Apostel, das ist der tiefe Sinn seiner Worte. Und da wir den erfaßt, so werden wir es nun wol leicht haben uns das darzuthun, daß es keinen andern vernünftigen Gottesdienst giebt. Und das sei das Zweite unsrer Betrachtung.

21 uns die] uns sie

26 der] der,

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 12,1

5

10

15

20

25

30

35

40

287

II. So laßt uns erstens sehn wie wir in unsrer häuslichen Andacht und hier das Wort: Gottesdienst zu gebrauchen pflegen. Der Apostel bringt das beides in ausdrückliche Verbindung, nemlich das Wort Opfer und Gottesdienst. Dies beides war bei dem Volk des alten Bundes so gut als Eins, und es liegt auch in der Natur der Sache; denn Opfer und Gabe ist nicht zu trennen; wer opfert der muß darbringen, wer dient der muß auch etwas hingeben, er muß den Gebrauch seiner Kräfte dem hingeben dem er dient. Mögen wir also was wir wollen bezeichnen mit diesem Ausdruk in diesem Sinn betrachten. Wenn wir uns hier vereinen um tiefer in den Zusammenhang des göttlichen Worts einzudringen als es uns im gewöhnlichen Leben möglich ist, oder wenn wir längere Abschnitte aus der Schrift lesen für uns allein oder mit mehreren Christen, um uns vertrauter damit zu machen, wenn wir das hier thun, wenn wir, wie wir darum Gott bitten in unserm gemeinsamen Gebet, uns durch wahre Andacht untereinander erbauen, unsere Herzen vereinen zu innigerem Gebet das aber deshalb desto kräftiger auf uns zurückwirkt, wenn wir miteinander der heilgen Taufhandlung beiwohnen wodurch wir die Kinder dem Herrn weihn, wenn wir uns dem Tisch des Herrn nahen und denken dabei dessen wie er sich zum Opfer gegeben für uns: Hat dieses Alles zusammen genommen wol Aenlichkeit von einem Gottesdienst der besteht in Opfer und Gaben darbringen? Leisten wir etwas was ein Opfer oder ein Dienst zu nennen ist? Wir empfangen aus | der Quelle des Lebens zu der wir uns immer wieder hin wenden um daraus zu schöpfen, aber daß wir uns dadurch nähren, das ist nicht Dienst den wir dem Herrn thun sondern an uns selbst und wenn wir uns selbst dienen so freilich auch dem geistgen Leibe des Herrn weil wir eben untereinander uns erbauen, aber wir dienen nicht Gott unmittelbar denn es ist noch kein Thun seines Willens sondern erst das was dasselbe begründet: So werden wirs immer erkennen und nicht uns einbilden als ob wir hierin ihm Opfer darbrächten. So auch jene heiligen Gebräuche: beim Taufen der Kinder, was thun wir anders als sie dem Herrn weihen zum Dienst, und wenn dann der Augenblik kommt wo sie dies bestätigen durch ihre eigne Zustimmung, so geben sie sich nicht zum Opfer sondern fassen und sprechen aus den Entschluß sich zum Opfer darzubringen, und hernach erst geht die Zeit an wo sie ihre Leiber darbringen können zum Opfer das da ist lebendig heilig und Gott gefällig. Und wenn wir in dem heiligen Mahl des Herrn uns seines Opfers erinnern, ja mehr als erinnern, wenn wir uns mit diesem Brodte des Lebens erquikken und nähren, die Säfte des Lebens von ihm empfangen, so ist ers, der uns giebt, speiset und erquikkt aber nicht daß wir ihm dienten; was wir dabei thun, das thun wir uns und empfangen für uns, aber freilich damit wir hernach unsre Leiber begeben zum Opfer lebendig und 32 bestätigen] bestättigen

6v

288

Am 11. Januar 1829 vormittags

heilig. Wenn nun hier der Apostel so einen vernünftigen Gottesdienst beschreibt und dabei von Opfer und Gaben redet, so wollte er freilich daß alle sich erinnern sollten daran was man früher unter Opfer und Gaben verstand, aber sagt er, daß sei nicht ein vernünftiger Gottesdienst gewesen, denn das ist die Stimme des neuen Bundes, und das Wort ist schon im alten ausgesprochen: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt: Und wenn im Briefe an die Ebräer das auch im alten Bunde schon gesprochne Wort angeführt wird und auf Christum bezogen: „siehe ich komme zu thun deinen Willen“: so ist damit gesagt: das ist das Opfer das ist die Gabe, daß der Wille Gottes gethan wird. Und wie das Wort: sieh ich komme zu thun deinen Willen: auf Christum bezogen wird, so ist er der Erstling gewesen auch hierin daß er seinen Leib zum Opfer gebracht und eben in diesem lebendigen Gottesdienst und wir können nur durch ihn und in ihm hierin seine Nachfolger werden. Er hat es von Anfang an gewußt daß Gott ihn dazu berufen und konnte von Anfang an sagen: sieh ich komme zu thun deinen Willen. Und eben in diesem lebendigen Gottesdienst sind alle frühern Opfer und Gaben die der Schatten waren, erloschen, und die Wahrheit ist eingetreten von der alle Schatten weichen, es ist wahr geworden wie es heißt: du hast den Leib mir bereitet daß ich thue deinen Willen. Aber wenn wir denken an die Art wie der Herr sich selbst hingegeben zum Opfer, so denken wir dabei nicht nur an sein Leben voll Anstrengung der Kraft, voll wohlthuender Wirksamkeit, sondern vorzüglich an sein Leiden und an den heilgen Augenblick seines Todes: und da mögen wir freilich denken in solchem Sinn gilt es doch nicht von uns daß wir uns zum Opfer begeben; fern sind wir der Zeit wo das Häuflein der Christen von Feinden umstellt war, und wo die Gemeinde nicht anders sich selbst begründen und fest stellen konnte als indem jede wo es darauf ankam, in dem Tod sich selbst hingab und daß sie so Genossen wurden des Leidens Christi. Sollten wirs nun bedauern, daß diese Zeiten nicht mehr sind? o so müßten wir ja bedauern daß in so viel reicherm Maaße sich die Menschen der Segnung des Evangeliums erfreuen! Nein; denn doch können und sollen wir unsre Leiber begeben zum Opfer. Seht da, das sterbliche Werkzeug, welches nun zum Tempel geworden wir geben es Gott zum Opfer, wenn unser ganzes Leben sein Dienst ist. Und es wird ganz zum Dienst des Herrn werden, wenn wir des Worts des Apostels nie vergessen: „so seid nicht träge zu erfahren seinen Willen.“ Hierin liegt vor uns aufgedeckt die Bahn aller Anstrengung des Geistes; denn jemehr und je deutlicher wir erkennen was der Herr will daß wir es thun, um so mehr haben wir Aufforderung zu rastloser Thätigkeit: freilich 16 Gottesdienst] Gottesdienst,

17 waren,] waren;

6–14 Vgl. Hebr 10,5–10 (Zitat aus Ps 40,7–9) 36 Vgl. Röm 12,11

32 Werkzeug,] Werkzeug; 16–17 Vgl. Hebr 10,1

35–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 12,1

5

10

15

20

289

fangen wir oft an zu ermatten, aber der lebendigmachende Geist treibt uns, daß wir immer frischer und froher angreifen und nicht unterliegen. Und wenn dann die Zeit kommt wo wir scheiden sollen, wenn wir fühlen das Abnehmen der leiblichen Kräfte, sollen wir uns da nicht durch seine Gnade das Zeugniß geben können, daß wir nicht darauf bedacht gewesen sind das irdische Leben in Länge und deshalb in Leerheit hinauszuspinnen! Seid nicht träge, haltet die Augen offen um das Werk Gottes zu prüfen und zu erkennen, bleibt das, das, wodurch der Geist uns treibt, o dann wird so gern das Leben ihm zum Opfer gegeben! Ja mögen die Zeiten sein wie sie wollen, und wenn die Kirche sich des besten Friedens erfreut in sich selbst, und stark genug ist das Leben weit um sich her zu verbreiten, und die an sich zu ziehn die noch in Finsterniß sind, und überall die Empfänglichkeit für das höhre Leben aufgeregt wird, kurz, wenn das Beste geschieht, und der wohlgefällige Wille Gottes uns leichter wird zu erkennen und auszuüben, o dann eben bekommt das Wort immer mehr und immer tiefren Sinn, daß wir nicht träge sein sollen ihn zu erkennen! Und so von Innen heraus, so vom innern Wirken und Schaffen des Geistes Gottes, von da aus, unsre Leiber zum lebendigen Opfer gegeben d. h. sich selbst dem Herrn geopfert, d. h. ihm leben und ihm sterben auch als ein lebendig, heilig und ihm wohlgefälliges Opfer!

19 Vgl. Röm 14,8

Am 8. Februar 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

7r

5. Sonntag nach Epiphanias, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 3,17 (Anlehnung an die Perikopenordnung) Nachschrift; SAr 68, Bl. 7r–8v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 619/4, Bl. 11r–12v; Crayen Keine

Aus der Predigt am 5. S. nach Epiph. 29. Colosser 3,17 Und Alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott dem Vater durch ihn. Diese Worte des Apostels sind aus einem Zusammenhange von Gedanken genommen, worin ihm, indem er dieser Gemeinde schreibt, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Theilen vor Augen lag; Er redete vorher von allen Erweisungen der Liebe welche den Christen obliegen, er redete nachher von den Verhältnissen der natürlichen und bürgerlichen Ordnung, und wie er so das ganze Leben vor sich hat stellt er das auf, daß wir alles was wir thun, thun sollen im Namen Jesu. Zunächst könnten wir nun freilich meinen, wenn wir diese Worte außer Zusammenhang betrachten, daß der Apostel dabei nur kann an das gedacht haben was sich auf den Dienst Christi in unmittelbarer Förderung seines Reichs bezieht, weit mehr also an das was er und die andern Apostel vermochten zu thun und was ihnen oblag als an das wozu alle Christen berufen sind. Aber wir dürfen nun an ein paar andre Aussprüche des Apostels denken um deß gewiß zu sein daß er hier nicht solche Unterscheidung gemacht hat sondern Alles gemeint hat was wir Alle thun. Und wenn wir an diese Aussprüche denken so werden wir zugleich sehen was das heißt Alles im Namen Jesu thun. Nemlich 1. als der Herr, welcher das geistge Leben der Christen bedingt: so wie der Apostel eben das Leben der Freiheit vom Gesetz im Gegensatz des Lebens unter dem Gesetz, also beschreibt, daß er nun nicht lebe sondern Christus in ihm. Eben so sagt er, 2. und zwar indem er von einem untergeordneten Verhältniß spricht, was wir thun das sollen wir thun vom Herzen nicht als wenn 7–8 Vgl. Kol 3,12–16 1 Vgl. Kol 3,23

8–11 Vgl. Kol 3,18–4,6

21–23 Vgl. Gal 2,19–20

24–

5

10

15

20

25

Predigt über Kol 3,17

5

10

15

20

25

30

35

40

291

wirs den Menschen thun sondern dem Herrn. – Wenn nun Christus in uns lebt, nun dann kann er es ja sein welcher Alles durch uns thut was wir thun: und, wenn wir doch Alles thun sollen als ihm gethan so können wir es Alles auch für ihn thun. Und dieses beides zusammengenommen, nemlich daß was wir thun, nicht wir thun, sondern Christus durch uns, und eben so, daß wir was wir thun [nicht] einander thun sondern nur dem Herrn. Das meint der Apostel wenn er sagt: Alles im Namen Jesu thun. So laßt uns das Beides zum Gegenstand unserer näheren Betrachtung und unsers Nachdenkens machen. Die Worte des Apostels also, daß wir Alles thun sollen im Namen Jesu, haben 1. den Sinn daß wir Alles was wir thun, thun sollen vermöge des neuen Lebens welches ist das Leben Christi in uns. Wir sind immer noch gar zu sehr gewohnt uns das ganze Leben auf eigne Weise zu theilen indem wir darin das Eine ansehn als den geistgen Gehalt des Lebens, das Andre als den unvermeidlichen irdischen Gehalt desselben, als das welches sich nur auf das Leben in der zerbrechlichen Hütte bezieht. – Wenn es nun mit dieser Scheidung seine Richtigkeit hätte, wenn wir vermöge des Lebens Christi in uns nichts thun könnten als was sich auf das Vaterland im Himmel bezieht, nun dann müßten wir, was sich auf das irdische Leben bezieht ganz unterlassen, müßten, so zu sagen, aus der Welt scheiden um alles was wir thun, thun zu können im Namen des Herrn. Der Apostel aber unterscheidet eben dadurch die Christen von der Welt, daß er sagt, daß sie in der Welt lebend sich nicht der Welt gleich stellen. Eine solche Trennung also ist nicht im Sinn des Apostels sondern wenn er sagt, daß nun nicht mehr er lebe sondern Christus in ihm, daß also nun alles was er thue aus dem Leben Christi in ihm hervorgehe: so müssen wir das auf das ganze Leben, und auf die verschiednen Bestandtheile desselben beziehen wie er es thut indem er sagt daß wir alles thun sollen im Namen Jesu. Und um das recht deutlich zu machen so unterscheidet er noch Wort und Werk indem er sagt: Alles was ihr thut, mit Worten und mit Werken[.] Wenn wir nun fragen: in wie fern denn kann alles, auch das was sich auf die irdischen Verhältnisse bezieht, im Namen Jesu, also Kraft seines Lebens in uns, geschehen? Gewiß in so fern als wir ihm ähnlich sind: Nun so laßt uns auf ihn sehn und darauf wie er uns sein Thun und Reden beschreibt. | Wie sollte dabei uns nicht einfallen wie er zu seinen Jüngern sagt: „Die Worte die ich rede sind Geist und Leben“: Wenn wir also alles Kraft des Lebens Christi in uns thun sollen, was wir thun, wie könnten wirs denn anders thun sollen als mit Geist und Leben? Und das daß das was er thut mit Worten Geist und Leben sei das setzt er dem entgegen daß das 17–18 Vgl. 2Kor 5,1

24–25 Vgl. Röm 12,2

26 Vgl. Gal 2,20

37 Joh 6,63

7v

292

Am 8. Februar 1829 vormittags

Fleisch kein nütze sei. Werden wir nun nicht sagen daß es allerdings möglich sei, das was man mit Worten thut, zu thun mit Geist und Leben? Denn das ist ja eben jene Herrlichkeit und bewunderungswürdige Kraft des Worts vermöge welcher es das einzige Werkzeug des göttlichen Geistes ist, daß es vermag Geist und Leben hervorzubringen und auf Andre zu übertragen. Und werden wir nicht gestehen müssen daß wir den Unterschied überall bemerken, und ihn hineintragen können in alles was wir mit Worten zu thun haben, denn können wir nicht alle Verhältnisse und unsre Thätigkeit darin herabziehn zu einer leblosen Gewohnheit? Können wir nicht überall wo wir zu reden haben nur den todten Buchstaben übrig lassen? Und alles was wir so thun mit Worten das ist kein nütze; denn Geist und Leben soll sein wo menschlich Wort ist. – „Die Worte die ich rede sind Geist und Leben“: Wenn der Herr das freilich gesagt hat zunächst von den tiefsinnigsten Worten die wir im Evangelio finden, aber wir verfolgen ihn in das tägliche Leben, in die gewöhnlichen Verhältnisse und überall hin wo er half und heilte, zu den Geringsten im Volk sich gesellte, ihren Festen beiwohnte: werden wir nicht sagen, daß auch da überall und immer sein Wort Geist und Leben war? da er eben durch die ihm einwohnende göttliche Kraft den Dingen die den mindesten Gehalt haben an und für sich, doch ein Leben mittheilte und dadurch eine belebende Kraft erwekte. Und finden wir das nicht unterschieden überall in dem was mit Worten geschieht? Haben wir nicht, von manchen besonders Begabten in denen Geist und Leben ist, wenn sie den Mund öffnen um zu sprechen wenn auch über Unwichtiges, eine frohe Aussicht, daß sie es wol beleben werden (weil sie aus dem Schatz des Geistes zu uns reden) daß so ihr Wort uns danach wichtig wird, daß also diese innre Kraft des Worts Geist und Leben hervorbringen kann auch in den untergeordnesten Verhältnissen und Thätigkeiten! Es gilt also nicht – um alles was wir thun thun zu können im Namen des Herrn – irgend ein Verhältniß von uns zu stoßen sondern wenn Christus in uns lebt so wird unser Wort Geist und Leben sein und lebendig machen was ohne dies todt ist und kein nütze: und was wir so thun das thun wir vermöge seines Lebens in uns: Freilich giebts überall zu dem was Wesen und Ausdruck des Geistes ist, auch einen leeren Schein vom Geist, was aber aus der vom göttlichen Geist erfüllten Gesinnung, was aus der Liebe, aus der Kraft des göttlichen Geistes die in allen Menschen bestimmt ist auch göttlich hervorzubringen, was aus diesem Schatz des Geistes und seiner mancherlei Gaben hervorgeht; das wird gewiß Geist und Leben sein und es schaffen und erhalten. 1 kein nütze sei] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 545–546 12–13 Joh 6,63

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Kol 3,17

5

10

15

20

25

30

35

40

293

Und was sagt der Herr in Beziehung auf das er thut mit Werken? Große Worte werden uns hier einfallen; denn gewiß muß es auf jeden einen tiefen Eindruck machen wenn der Herr sagt: „der Sohn thut nichts von ihm selbst sondern was der Vater ihm zeigt“: Und wenn er von allem seinem Thun nicht anders redet als von solchen Werken welche der Vater ihm aufgegeben zu thun. Das also ist das Leben Christi in uns wenn wir nichts thun was wir thun, von uns selbst sondern nur was wir erkennen als uns von ihm befohlen und es nicht anders thun als eben so wie wir es erkennen daß nach der göttlichen Ordnung es muß gethan werden: So war der Erlöser; Wie alles Göttliche wirkt nach göttlichen Gesetzen, und wie nach immer sich gleich bleibenden Regeln eins auf das andre folgt: so unterwarf sich auch der Herr dem was er für die göttliche Regel seines Thuns erkannte. Die Gewißheit seines großen Berufs trug er in sich, aber auch den erkannte er zugleich in den Werken die er den Vater thun sah; Denn der hatte sich ja ausgerüstet in früherer Zeit schon die Werkzeuge um vorzubereiten das Werk des Erlösers. Alle Reden und Ver|heißungen zuvor bezogen sich auf ihn, auf ihn wies alle Sehnsucht hin und in ihm waren alle Verheißungen Ja und Amen: Sein Werk also fand er sich vorgezeichnet eben in den Aussprüchen und Worten welche seine Verkünder waren; denn er kam um Alles das wahr zu machen was von ihm gesagt war und gehofft ward, mit ihm trat es in die Wirklichkeit. Und wenn der Apostel von dem Herrn sagt daß er in die Welt gesandt und unter das Gesetz gethan sei, so blieb er auch immer unter dem Gesetz seines Volks, und wie undankbar gegen ihn sein Volk auch war er trennte sich nicht von ihm, und wie verunreinigt das Gesetz auch war von Menschensatzungen er hat als Gesetz selbst immer gehalten, und sagt er sei nur gesandt zu den verlorenen Schaafen aus dem Hause Israel. So hielt er sich frei von dem Umherschweifen menschlicher Willkühr, so hielt er sich fest an der von Ewigkeit gegründeten göttlichen Ordnung: Und wie er that wie er den Vater thun sah, den er mit seiner Güte Heiligkeit und Vollkommenheit als das höchste Vorbild herstellte, indem er in dem göttlichen Geiste handelte: so sehn wir wie wir alles was wir mit Werken zu thun haben nicht anders so thun können in seinem Namen. Aber weil durch göttliche Ordnung das menschliche Leben abgezweigt ist in die verschiedenen Bestandtheile so giebts nichts was wir nicht thun könnten vermöge des Lebens Christi in uns; und also in seinem Namen, auf seine Weise können wir alles thun was wir thun, überall können wir handeln wie er und in jedem Augenblik das thun was er uns giebt zu thun und nichts anderes; Denn wenn wir fragen ob der Erlöser wol irgend einen Theil seines Lebens wird entfernt haben von seinem unmittelbaren Beruf und ihn angesehen als nicht dazu gehörend, ob er wol eine That davon wird 3–4 Vgl. Joh 5,19 Mt 15,24

17–18 Vgl. 2Kor 1,20

21–22 Vgl. Gal 4,1

26–27 Vgl.

8r

294

Am 8. Februar 1829 vormittags

ausgenommen haben daß er handelte wie er in jenen Worten beschreibt: so müssen wir, indem wir uns die einzelnen Züge seines Lebens in ihrem Zusammenhange zurükrufen, antworten: Nein: Und doch finden wir ihn überall auch in einem äußren Beruf und in allen Verhältnissen fast in welchen wir selbst stehen, könnten wir also überall so handeln wie er eben handelte vermöge göttlicher Ordnung und göttlichen Befehls; wie sollten nicht auch wir durch ihn es können! Und wenn doch das wahre Leben der Frommen, und wenn die Seligkeit darin besteht, daß wir in jedem Augenblick das Bewußtsein Gottes fest halten, wie könnte das der Fall sein wenn nicht eben das Aufsehen auf Gott das wäre was uns bestimmt beim Handeln und woraus es hervorgeht. Darum, weil wir sein festes Wort darüber, daß wir Alles thun können in seinem Namen, vor uns haben, so laßt uns jener eitlen und leeren Trennung nicht länger folgen, sondern das fest halten, daß es das ganze menschliche Leben ist, welches, eben wie es ist, Gott uns gegeben auf daß es sei in seiner Kraft, die sich in Christo geoffenbart, Geist und Leben. Laßt uns nicht Raum geben dem trügerischen Wahn als ob unser menschliches Leben einen himmlischen und einen irdischen Gehalt (jeder vom andern gesondert) hätte, sondern dem Herrn folgen, und wie er selbst in allen Verhältnissen und überall war der Abglanz Gottes oder der göttliche Herrlichkeit: so wollen auch wir überall handeln und sein und leben in seinem Namen und durch alles was wir thun sein Leben und seine Kraft offenbaren und so alles heiligen damit es ein Bestandtheil sei unsres göttlichen Lebens durch ihn. und es also mit uns immermehr dahin komme, daß wir nicht mehr leben sondern Christus in uns. Und wie [er] durch alles was er that die Welt selig machte so wird alles wenn wir es in seinem Namen thun zur Förderung seines Reichs beitragen. Und das führt uns auf das

8v

2. Nemlich daß zu dem Thun im Namen Jesu das gehört daß wir Alles was wir thun ihm thun d. h. für ihn. Aber eben darin kann vielleicht zunächst die Vorstellung von zweierlei verschiedenen Bestandtheilen des menschlichen Lebens ruhen | daß wir meinen daß nur Einiges für den Herrn geschehen könne und alles andre nur für die Menschen: Ja darin hat diese unselge Trennung wol ihren Grund! Wenn aber der Apostel im Namen des Herrn sagt zu den Knechten: „Alles was ihr thut, das thut von Herzen, nicht als wenn ihr es thut den Menschen sondern dem Herrn:“ Wie sollte nicht das von Allem gelten was nur immer in dem menschlichen Leben vorkommen kann! Freilich ists etwas besonders herrliches großes und schönes wenn wir denken können daß irgend etwas in unmittelbarem Sinn für den Herrn geschieht, für sein Reich gewirkt wird, aber wenn wir den ganzen Zusam19–20 Vgl. Hebr 3,1

35–36 Kol 3,23

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Kol 3,17

5

10

15

20

25

30

35

40

295

menhang des neuen Lebens in Christo betrachten und auf ihn als auf die Quelle des Lebens zurükgehn, so werden wir sagen müssen: das Wort des Apostels Johannes daß in ihm erschienen ist die Herrlichkeit des Vaters, das ist gewiß ein beständiger Eindruk gewesen den seine ganze Erscheinung, sein Leben in seinem Zusammenhange, auf die Jünger machte: wie Johannes im Sinn aller sagt: wir sahen seine Herrlichkeit[.] Freilich gab es darin hellre Augenblicke aber es war ein Eindruk der in keinem Augenblick sich ihnen verdunkelt hat. Wie also der Erlöser ihnen immer mehr und durch alles was er that da sie einmal den Grund seines Thuns erkannt hatten, erschien als der Sohn Gottes, und wie sie dadurch im Glauben an ihn bestärkt wurden: so wirkte sein ganzes Leben unmittelbar dazu die Menschen zu ihm zu führen und dadurch das göttliche Leben in ihnen zu gründen zu erhalten und zu nähren. Wenn wir von dem Erlöser aus weiter gehn auf die Boten die er aussandte, so haben die freilich unmittelbar für ihn gewirkt, aber in unsrer Zeit verringert sich das was jeder unmittelbar für den Herrn thun kann, und wenn wir von Zeit zu Zeit besonders ausgerüstete Werkzeuge des Herrn sehn, ach die Freude darüber wird selten rein sein; denn daß solche welche als besonders ausgerüstet unmittelbar wirken müssen, nöthig sind fürs Reich Gottes, das setzt voraus eine Zeit der Dunkelheit, je heller es aber wird desto mehr wird jenes ausgezeichnete Wirken zurüktreten. – Sehn wir auf den gegenwärtigen Zustand, so müssen wir sagen: was jeder unmittelbar für den Herrn thun kann ist sehr geringe; denn was der Einzelne thut, es ist so in dem Allgemeinen verflochten, daß keiner sagen kann er thue es, sondern das Thun des Einzelnen tritt zurük: Aber es ist eben das gemeinsame Leben in dem sich zeigen soll, daß Alles gethan wird durch und für den Erlöser. Der Apostel macht uns das deutlich in den Worten die er in Beziehung auf die gegenseitigen Verhältnisse der Menschen ihnen zuruft: „was ihr thut das thut von Herzen“ und das Leben Christi in uns ist ja eben unser innerstes Herz – und das, sagt er: thut als dem Herrn. Wenn wir also so den Menschen etwas thun daß es nicht dem Herrn gethan ist d. h. was wir aus Menschenfurcht und Menschengefälligkeit thun, welches wir ja nur verstehen als entgegengesetzt der Furcht des Herrn und welches so auf die Menschen zielt wie sie nicht sein sind, denn das kann freilich nicht dem Herrn gethan sein das hatten wir den Menschen gethan und nicht dem Herrn. Aber wenn wir was wir den Menschen thun, so thun, daß es sich darin zeigt daß wir nur dem Herrn leben, dann ists nicht anders als daß wirs zur Förderung seines Reichs thun, also für ihn; Denn das muß unser Glaube sein, wenn uns nicht alles soll vergeblich vorkommen, daß von alle dem was im Namen Jesu gethan wird, auch für sein Reich nichts kann verloren gehen. Und wie könnte davon auch was verloren gehn! nein, wie wenig auch von uns geschehen möge wie vorübergehend, 3 Vgl. Joh 1,14

6 Vgl. Joh 1,14

296

Am 8. Februar 1829 vormittags

wie leicht verschlungen von den Wellen des Lebens es erscheint doch müssen wir sagen, indem es auf die Gemüther der Menschen wirkt, so ists nicht vergebens, es legt einen Keim nieder der früher oder später aufgeht, und was einen Einfluß hat auf den Gemüthszustand der Menschen, kann und soll das nicht dem Herrn gethan sein, der zur Erde gekommen um sie mit dem Himmel zu befreunden! Jedes noch so geringe menschliche Leben, diese Frucht kann es tragen, auch das Kleinste was wir thun es kann dem Herrn gethan sein. – Seht da, wenn wir auf diese Weise das Leben betrachten, so gleicht sich darin das Verschiedenscheinende aus; das Große und das Unscheinbare[:] beides hat gleichen Werth wenn wir auf die innre göttliche Kraft sehn aus der es hervorgeht und zu welcher alles hinzielt und sich darauf bezieht. Und so werden wirs auch dahin bringen daß in dem Maaße als wir Alles thun im Namen Jesu, auch Gott danken durch ihn für Alles, d. h. dankbar sein in allen Dingen ohne erst den Erfolg eines jeden abzuwarten, dankbar für jede neue Gelegenheit was wir thun, thun zu können im Namen Jesu. Dies Dankbarsein durch ihn weil wir für ihn wie durch seine Kraft alles thun können was wir thun, das ist der sicherste Weg zum Frieden des Herzens, zur Uebereinstimmung mit Gott und seinem Willen: Das hat der Herr im Sinn wenn er sagt der Sohn thut nichts von ihm selber sondern was der Vater ihm zeigt; denn in der Uebereinstimmung mit dem göttlichen Willen alles thun d. h. im Namen Jesu. Und wenn wir durch ihn Eins sind mit Gott wie sollten wir nicht Gott danken durch ihn. Das ist die selge Vereinigung mit Christus und dem Vater, das ist das durch den Tod ins Leben gedrungensein, welches dann fortgeht in das ewige Leben.

19–20 Vgl. Joh 5,20

5

10

15

20

Am 15. Februar 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Septuagesimae, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 2Tim 1,7 Nachschrift; SAr 106, Bl. 50r–51r; Crayen Keine Keine Der Predigt ist ein Lied angehängt; vgl. oben Einleitung, Punkt I.4. und die entsprechende Anmerkung im Sachapparat

Frühpredigt. 2 Timoth. 1. v. 7. „Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht sondern der Krafft und der Liebe und der Zucht.“ 5

10

15

20

Nachdem der Apostel im Eingang seines Briefes diesen seinen Schüler ermahnt: die Gaben des göttlichen Geistes rege in sich zu erhalten, so beschreibt er hier diesen Geist als Solchen – der nicht wie der, durch das empfangene Gesetz, im alten Bunde – wiederum sei, ein Geist der Furcht; sondern – wie er hinzusetzt: Ein Geist der Krafft – der Liebe – und der Zucht. Er stellt aber diese drei Wesenheiten desselben auf, als der Furcht entgegen wirkend. [1.] Indem wir nun zuförderst in solcher Beziehung auf den Geist der Krafft sehen: so hat es damit die Bewandtniß, daß die Furcht zwar oft den Menschen eine große augenblickliche Stärke giebt. Eine solche Stärke aber das ist nicht der Geist der Krafft von welcher hier der Apostel redet; wie denn diese Krafft etwas sich immer gleichbleibendes – tief innerliches ist. Wann dagegen in jenem andern Fall: so bald die Ursach der Furcht verschwunden ist, der Mensch wieder zurückfindet in seine vorige Schlaffheit – und so ist es denn mit der Stärke die die Furcht hervorbringt ein leerer Schein – wie denn auch schon längst den Menschen die Einsicht davon geworden ist: daß mit Furcht wenig auszurichten ist. Der Geist aber der Krafft, den der Apostel hier empfiehlt der ist gerichtet gegen alle Furcht! welches sich uns zeigt an den ersten Jüngern des Herrn – welche ihn emp5–6 Vgl. 2Tim 1,6

50r

298

Am 15. Februar 1829 früh

fangen hatten; – sie nemlich blieben immer sich gleich in dieser lebendigen göttlichen Krafft, und beseitigten dadurch alle Hindernisse die sich ihrer Thätigkeit entgegenstellten – und die das Böse ihnen in den Weg legte – welches sie besiegten krafft dieses Geistes. Wenn dagegen das Böse, was getrieben von der Furcht, welche dazu mehr unserer Zwangsmittel sich bediente – nicht auch zugleich im Inneren gedämpft wird.

50v

2. Daß aber auch durch den Geist der Liebe ausgetrieben wird alle Furcht – das ist uns allen bekannt! Wie denn dieses auch zwei der vorzüglichsten Jünger des Herrn – Paulus – und Johannes – in so schöner Zusammenstimmung bezeugen und ausdrücken: Paulus (nämlich) sagt: „Wo auch Furcht sei, da könne nicht Liebe sein. Denn der Geist der Furcht könne nicht zugleich mit der völligen Liebe in den Menschen wohnen“. Und was sagt Johannes in dieser Beziehung? er sagt: „Gott ist die Liebe – und wer in der Liebe bleibt der ist in Gott und Gott in ihm“. Haben wir aber in dieser Liebe Gott selbst so in uns daß er in uns Wohnung gemacht; wie wäre es möglich daß daneben noch Furcht in uns sein könnte? – da dieses die Quelle der höchsten Sicherheit ist! | Wo aber die Liebe Gottes ist – da ist auch zugleich die Freiheit der Kinder Gottes – und mit ihr das wahre Leben in Gott. – Wenn dagegen in der heiligen Schrifft geredet wird von der Furcht als von einer Knechtschafft! Und damit ist auch das ganz übereinstimmend was der Erlöser selbst darüber sagt: wenn er so sich ausdrückt: „der Sohn kann allein – krafft seines Geistes – welcher der Geist der Liebe ist – frei machen!“ Und: „durch die Gemeinschafft mit ihm – welche in der Liebe bestehet – sei hindurch gedrungen der Mensch zu dem Leben welches keiner Furcht mehr unter worfen sei“! So wie denn auch das Evangelium – seinem Wesen nach, ein Geist der Liebe ist. – Darum setzt denn auch der Apostel unseren Textes Worten hinzu: „Darum, mein Sohn! schäme dich des Zeugnisses desselben nie! denn es hat eine Krafft selig zu machen Alle die daran glauben – auch Christi: der uns selig gemacht hat durch diesen heiligen Ruf!“ Wie nun in der Liebe die Seligkeit – so bestehet in der Furcht dagegen die Unseligkeit! 3. stellt der Apostel der Furcht entgegen die Zucht: zwar scheint es, auf den ersten Anblick – als könne viel mehr die Furcht ein Werkzeug 5 Zwangsmittel] Zwangsmittes

15 Liebe] Liebe,

10–12 Das Zitat stammt nicht, wie es in der Nachschrift steht, aus einem Brief des Paulus, sondern von Johannes. Vgl. 1Joh 4,18 13–14 1Joh 4,16 15 Vgl. Joh 14,23 18–19 Vgl. Röm 8,21 22–23 Vgl. Joh 8,36 24–26 Vgl. Joh 5,24 28–31 2Tim 1,8–9

5

10

15

20

25

30

Predigt über 2Tim 1,7

5

10

15

20

299

werden die Menschen in Zucht zu erhalten! Solches aber wäre nur eine äußere Zucht – und nicht der Geist der Zucht – den wir mit der Kindschafft empfangen haben! – vermöge welcher der Mensch in sich selbst das rechte Maaß gewonnen hat göttlicher Ordnungen – und die Krafft sich in die gehörigen Schranken derselben zu halten; damit – wie der Apostel anderwärts sagt: die Freiheit nicht gemißbraucht werde! Und es giebt wohl keinen größeren Beweis von der Liebe und ihrer Krafft, als wenn das menschliche Herz mit seinen mannigfachen, in ihm aufsteigenden Wünschen, sich dennoch gebunden fühlt von diesem göttlichen Geist der Zucht. Und wo gäbe es eine größere sorgfältigere Liebe, als wenn wir in diesem Geiste, überall das Böse schon in seinem ersten Keim zu unter drücken suchen – indem wir einander dabei den vor Augen stellen in dem das wichtigste Maaß göttlicher Ordnung uns aufgestellt ist, und so uns selbst und unsre Brüder durch diese Hinweisung weise machen zu der Seligkeit die allein in ihm zu finden ist! – Sehet da, meine geliebten Freunde! die Beziehung des Geistes – in seiner dreifachen Gestalt – den auch wir empfangen haben! Und so laßt uns denn uns fragen: ob auch wir schon überall durch diesen Geist der Krafft – der Liebe – und der Zucht, überwunden haben alle Furcht? | und ob er – der ein Geist der schönsten Freiheit ist – statt ihrer – uns leitet und regieret? und dadurch gefördert wird das Reich dessen – dessen Glieder wir sind. – Möge denn dieses immer schöner unter uns sich bewähren damit wir immer mehr wachsen zu dem männlichen Alter Christi und zu dessen Vollkommenheit.

1 wäre] darüber steht als Alternative ist 5–6 Vgl. 1Kor 9,18

22–23 Vgl. Eph 4,13

51r

300

Am 15. Februar 1829 früh

Lied 786 „Erneure mich o heilges Licht! Und lass von deinem Angesicht Mein Herz und Geist mit dessen Schein Durchleuchtet und erfüllet sein!

5

Schaff in mir deinen neuen Geist Der dir mit Zucht Gehorsam leist’ Bewaffne mich mit Kraft und Muth Zu streiten wider Fleisch und Blut[.] Durch deine Liebe treib mich an Zu geh’n auf deiner Lebens-Bahn! Und leuchte du, o Gott, allein Zu dem Verstand mit deinem Schein. Daß ich dein Wort mit Freuden hör’. Mein Herz nach ihm in allem lehr’ Laß mich dein freundlich Angesicht Mit Freuden seh’n in seinem Licht! Und weil ich von mir selbst nichts kann: So treib durch deinen Geist mich an Daß er in mir das Ruder führ’ Und mich mit seinen Früchten zier’! So wirke, Herr, durch diesen Geist, den Glauben der sich thätig weis’t! In allem, o Herr Jesu Christ „Laß mich mit Kraft sein ausgerüst; und weil ich, ohn’ dein Gnadenlicht, Erkenne deinen Willen nicht So gieb daß ich dies fühl’ in mir Und ganz umschlossen sei von dir.

1–29 Vgl. Geistliche und Liebliche Lieder, ed. Porst, 1812, Nr. 786: „Erneure mich, o ew’ges Licht“ (Melodie von „O Jesu Christ! mein’s Lebens Licht“); Schleiermacher hat das Lied in der Hinsicht verändert, dass er jeweils mit zwei Versen einer Strophe und zwei weiteren Versen einer anderen Strophe eine neue Strophe gebildet hat. So besteht bspw. die dritte Strophe seiner Version aus aus den letzten beiden Versen der fünften Strophe und den letzten beiden Versen der sechsten Strophe der Version des Gesangbuches. Lediglich die erste Strophe, mit kleinen Veränderungen, und die zwölfte Strophe, hier die fünfte Strophe, wurden in ihren Verszusammenstellungen belassen. Vgl. oben Einleitung, Punkt I.4.

10

15

20

25

Am 1. März 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Estomihi, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 2,20–22 Nachschrift; SAr 68, Bl. 9r–10r; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Eph. 2,20–22.

5

10

15

20

Sowohl der Erlöser selbst in seinen Reden als auch seine Jünger in ihren Briefen sind reich in einer Abwechslung von schönen Bildern, in welchem unser Verhältniß zu ihm und das unsre untereinander, wie es in jenem sich gründet, dargestellt wird. – Wenn er sagt, er sei der Weinstock und seine Jünger die Reben an ihm: Wenn der Apostel sagt, wir zusammen seien ein Leib in ihm und Glieder untereinander, regiert von Einem Haupt, und, wie es hier heißt: die Gemeinde Gottes sei ein geistger Tempel Gottes erbaut auf dem Einen Grund dessen Ekstein Christus ist: So sind das eben so viele verschiedene bildliche Ausdrücke des Raths Gottes über unsre Seligkeit. Hier aber in diesen Worten des Apostels wird Christus auf besondre Weise zusammgestellt mit den Aposteln und Propheten, und zwar so als ob sie zusammen der Grund, welcher der Ekstein darin sei. Was wir eben gesungen haben giebt uns eine viel größre und unmittelbarere Vorstellung wie es scheint, davon, wie auf ihn die Gemeinde gegründet ist und wenn wir an das unmittelbare Verhältniß denken zwischen ihm und uns so scheint uns das in diesen Worten der Schrift fast als etwas Geringes dagegen, aber eben damit wir nicht meinen es sei etwas anderes hier gesagt als in jenen Bildern, schließt, was in dem Liede ausgedrükt, sich den verlesenen Worten des Apostels an. Laßt uns darum nach Anleitung derselben recht deutlich sehn daß Christus der Ekstein ist, und dann: daß wir auf ihn gebaut werden als ein Tempel Gottes.

17 scheint] scheinen 6–7 Vgl. Joh 15,5

7–8 Vgl. Eph 4,15–16; Kol 1,18

9r

302

Am 1. März 1829 früh

1. Es ist freilich nicht zu leugnen: wie hier 1. Christus mit den Aposteln und Propheten zusammgestellt wird so vergegenwärtigt uns das den ganzen Schatz der Schrift, das Eine, nemlich die Zusammenstellung mit den Propheten, die Schriften des alten Bundes, das andre, die des neuen Bundes: Nicht als ob wir bei dem geschriebenen Buchstaben stehn bleiben sollten, wohl aber bei der mündlichen Ueberlieferung von da an wo Gott die ersten Werkzeuge sich ausrüstete in der Zeit der Vorbereitung, bis zu jenen kräftgen Zeiten der ersten Verkündgung der Erscheinung des Heils als der Geist Gottes die Lippen der Jünger bewegte und dies erste Zeugniß vom Geiste ablegte. Wie nun der Apostel erst geredet von einem großen Theil der Christen aus dem Heiden Theil bekommen haben an ihn so weiset er hier darauf hin wie sie miteingebaut sind in den Tempel der darauf gegründet worin er der Ekstein ist. Wenn wir das nun so fassen und fragen dann: wie erscheint uns hier Christus in Mitten der Propheten und Apostel? so kann es scheinen als sei er der der ebenfalls das Wort der Ueberlieferung weiter fortgepflanzt habe und auf die Apostel übertragen, und als haben wir hiernach vorzüglich Christum anzusehen als den der uns mehr war als die Propheten ein größrer Lehrer und auf den die Apostel zurükgingen eben deshalb. Freilich ists auch so; denn es war Lehre was die Propheten aussprachen und eben so war Lehre und Zeugnis das Wort der Apostel. Aber wie erscheint uns überall wenn wir auf den Tage des Herrn sehn der ganze Hergang der Sache in Beziehung auf das Zeugniß von ihm? überall finden wir daß wer glaubte auch gleich Zeugniß ablegte von seinem Glauben und daß eben so wie die eigne Erfahrung der von ihm ausgehenden Wirkung auf das Gemüth das Zeugniß hervorbrachte auch überall dem Zeugniß folgte die eigene Erfahrung als Grund des Glaubens derer denen das Zeugniß abgelegt wurde; Als die Jünger von Johannes dem Täufer hingewiesen, sich zu Christo begeben hatten sprachen sie zu anderen: „wir haben den Messias funden, aber kommt selbst und seht.“ Und was sie sahen das war immer dasselbe was Johannes so ausdrükt: wir sahen seine Herrlichkeit als die des eingebornen Sohns Gottes, vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Und als die samaritische Frau vom Brunnen zur Stadt zurükkehrte und zu den Männern sagte: „Kommt und seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, ob es nicht Christus sei:“ und wie sie hernach hingingen und Christum baten daß er zu ihnen käme und er es auch that, so sagten sie zur Frau: „wir glauben nun nicht nur um deiner Rede willen, sondern weil wir selbst gesehen und gehört haben“: Und so trat immer die eigne 11 einem] einen 11–12 Vgl. Eph 2,11 28–30 Vgl. Joh 1,35–41 35 Joh 4,28 35–38 Vgl. Joh 4,30.40–42

31–33 Vgl. Joh 1,14

34–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

303

Erfahrung an die Stelle des bloßen Vernehmens des Zeugnisses der Andern die schon gläubig waren. So kam denn alles darauf an was das für eine Erfahrung war die aus dem Zeugniß entsprang, es mußte die sein daß in ihm das Heil sei, es mußte die unmittelbare Erfahrung seiner Wirkung auf das Gemüth sein; denn nur diese Erfahrung ists durch die sich das Zeugniß fortgepflanzt hat; denn wenn nicht aus dem Zeugniß diese Erfahrung und aus dieser wieder das Zeugniß hervorgegangen wäre, so wäre das Zeugniß längst verklungen! Und eben die Erfahrung ists, die in dem | Liede sich ausspricht, die unmittelbare Erfahrung ists, daß in ihm, den der Vater uns zum Heil gesandt, die Fülle der Gottheit ist, und daß er auf die Sele wirkt mit dieser göttlichen Kraft. Das war von Anfang an der wahre Grund des Glaubens der den Mund öffnete zum Zeugniß woraus dann wieder diese Erfahrung hervorging. Wenn also hier der Apostel sagt, in dem ganzen Zusammenhang der Lehre, von den Propheten an bis zu den Aposteln, sei Christus der Ekstein: so sagt er eben das ausgezeichnet von ihm daß er auch der Gegenstand der Lehre sei, daß die Lehre sich bezieht auf ihn daß die Lehre der Propheten die Hinweisung darauf war was geschehen sollte und daß die Apostel da waren das Zeugniß abzulegen von dem was geschehen war, denn das Zeugniß, es war die Wirkung die von der Erscheinung des Herrn ausging und sich so in den Selen offenbarte, daß das Zeugniß die Wirkung weiter hervorbrachte: so hat sich von Anfang an die Erscheinung des Heils verkündigt. Und auf diese Weise haben wir anzusehn den Zusammenhang der Propheten und Apostel; denn was an die Propheten erging als Wort Gottes das sie verkündigen sollten, war: es könne so nicht bleiben wie es eben sei, aber eben weil Gott die Wahrheit und die Liebe sei, so werde und müsse ein Anderes kommen. Und dieses Zeugniß, diese Lehre der Propheten konnte nun Frucht tragen wenn die Erfahrung hinzukam und dadurch wach ward in dem Volk, wenn eigne unmittelbare Erfahrung der Selen von dem großen und unausweichlichen Bedürfniß hinzu kam, das Bewußtsein der an sich selbst erfahrenen Nothwendigkeit göttlicher Hülfe, und an diese Erfahrung knüpfte sich die Sehnsucht der Menschen an, und so wirkte das Zeugniß der Propheten bis auf die Tage des Johannes und des Erlösers. Und so fing das kräftigere Zeugniß wieder an von denen die die unmittelbare Erfahrung hatten daß sie in Christo den Sohn Gottes sahn, daß der erste Strahl des Lichts aufgegangen in den Selen durch seine Erscheinung, und erfüllt waren von der Zuversicht daß in ihm alle Verheißungen ja und amen seien und werden. So gab es allerdings kein anderes Mittel das Heil vorzubereiten, als das Wort, und Christus hatte auch kein anderes Mittel um die Herrlichkeit des 6 und] aus

7 wäre,] wäre.

10 Vgl. Kol 2,9

25–26 Vgl. Joh 4,8.16

36–37 Vgl. 2Kor 1,20

9v

304

Am 1. März 1829 früh

Vaters kund zu machen und sich zu beweisen als der Sohn Gottes, und die Wirkung in den Gemüthern konnte durch nichts als durch das Wort hervorgebracht werden. Aber so eben war sein Wort nicht nur der Buchstab, sondern die Verkündigung der Kraft die durch ihn wirksam war der unmittelbare Ausdruk der göttlichen Kraft die in ihm wohnte wie sie ist eine Kraft selig zu machen insofern etwas dadurch wird in den Selen, insofern sie die Erfahrung der Wirkung derselben an sich selbst machen: – So erhebt sich denn der Erlöser vor unsern Augen weit über die zwischen welchen er hineingestellt ist, der Propheten und Apostel: Er steht in der Mitte der Beiden im Verlauf der Zeiten, aber als der auf den sie hin und zurükweisen, als der der Mittelpunkt war für Beide weil von ihm eben die Kraft ausgeht um selig zu machen, die jene verhießen diese gebrauchten. Und nun werden wir sehn

10r

2. wie der Apostel das meint, daß er sagt, auf diesen Grund erhöbe sich nun der ganze Bau der Gemeinde Christi des Tempels, und wüchse zu einer Behausung Gottes im Geist. Wenn wir unmittelbar bei diesem Bilde stehn bleiben, so scheint es zurükzustehn ja zusammengefügt aus leblosen Dingen, wie anders ists dagegen mit jenem, wie haben wir dadurch gleich eine Anschauung von lebendiger Kraft welche von innen heraus wirkt und nach allen Theilen hin sich verbreitet. Und von derselben Kraft ergriffen ist, Alle also Eins sind, in ihm dem Haupte. Aber der Tempel wird nicht betrachtet in Beziehung darauf, woraus er erbaut ist – freilich je fester die Stoffe desto zuverlässiger und länger steht er – aber doch vorzüglich nur wird er betrachtet in Beziehung auf das was in demselben ist und geschieht und so genommen nähert sich dies Bild uns als Bild unsers Verhältnisses mit Christo, denn wenn der Apostel sagt: wisset ihr nicht daß ihr Tempel Gottes seid: und wenn er hier sagt – „bauen zu einer Behausung Gottes im Geist“: so führt er uns auf das Innre; denn eben daß der Geist Gottes darin wohnt, das macht das Gebäude zum Tempel und wenn wir darin eingefügt sind worin der Geist Gottes wohnt, so sind wir die Behausung Gottes im Geist, so sind wir die bei denen er Wohnung gemacht hat, die durch ihn belebt und beseelt sind. Und darauf sagt anderwärts der Apostel das begeisterte Wort: „wir sind eingefügt als die lebendigen Steine u. s. w.“ | wodurch er das scheinbar Todte verwandelt in ein lebendig Bild unsers Verhältnisses zu Christo. Wenn wir nun darauf zurükgehn wie Christus zusammgestellt ist 16 der ... Tempels] Kj der ganze Bau des Tempels der Gemeinde Christi dagegegen 21–22 Vgl. Joh 17,21–23; Eph 5,23 34 Vgl. 1Petr 2,5

27–28 Vgl. 1Kor 3,16

19 dagegen]

32 Vgl. Joh 14,32

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

305

mit den Propheten und Aposteln welches uns nothwendig erinnern muß an die Lehre der Ueberlieferung, nun so scheint es freilich dem, dem es an jener Erfahrung fehlt, es sei der Buchstab der gesprochen ist von den Propheten vom Herrn selbst und von den Aposteln auf welchen der Bau gegründet ist, und der Bau erhöbe sich immer mehr je mehrere Menschen denselben Buchstaben fest halten. Aber das wäre freilich das Todte und deswegen vergänglicher Stoff, wie es denn nicht anders möglich wäre als daß es immer wieder ein anderes werden sollte wenn es auf andre Geschlechter übergeht. So ists aber nicht, sondern wovon hier die Rede ist das ist die Frucht eigner Erfahrung, aber das macht auch wieder von selbst einen jeden zum Zeugen dessen was er erfahren, und so besteht der ganze Bau aus der Gesamtheit der christlichen Erfahrung, welche immer wieder zum Zeugniß wird vermittelst dessen sich die Kraft fortpflanzt, es ist der ganze Zusammenhang des christlichen Lebens: die Behausung Gottes im Geist. Das ist also was der Apostel meint wenn er sagt, daß wir eingefügt sind in den Bau als lebendige Steine, das wir ein Theil sind der zusammenhängenden Erfahrung des Heils das von Christo ausgeht. Und diese Erfahrung, daß wir miteinander als Theil desselben in das Gebäude wovon Christus der Ekstein ist und das sich immer mehr erheben soll zur Behausung Gottes im Geist, die ruht auf nichts anderm als darauf daß Christus der Weinstok ist und wir die Reben und Frucht bringen als solche, daß wir trachten nach dem was da oben ist, daß unser Leben ein Ausdruck dessen ist was wir gesehn und gehört als seine Jünger, daß wir leben in der Liebe Gottes die wir erkannt haben in Christo, daß wir untereinander uns lieben mit der Liebe womit er uns geliebt, und daß wir uns bewußt sind daß von ihm der Abglanz der Kraft Gottes immer aufs neue ausströmt: darauf ruht die Erfahrung daß wir eingefügt sind in den Bau dessen Grund er ist; denn in diesem unmittelbaren Verhältniß sind wir eben auf die Weise verbunden mit ihm und untereinander, wie der Apostel hier sagt, zu einer Behausung Gottes die immer mehr ausgeführt wird im Geist, zu dem Tempel Gottes worin das Wort Gottes wie es Geist ist und Leben, verkündet wird, aber nicht das Wort als Buchstab, sondern insofern als es ausgeht aus der Kraft der eignen Erfahrung und wiederum die eigne unmittelbare Erfahrung in den Gemüthern wirkt. Das ist der Tempel Gottes der nicht untergeht sondern durch die ewige Kraft Gottes besteht. Und wenn die christliche Kirche in ihrer irdischen Erscheinung immer zugleich ein Zeugniß ablegt von der Schwäche die noch übrig ist, und wenn wir gleich, wenn wir den Tempel von außen betrachten verschiedene Stoffe mitunter daran wahrnehmen, 24 die] der

27 den] dem

20–21 Vgl. Joh 15,1–8 22 Vgl. Kol 3,2 1Joh 4,11 31 Vgl. Joh 6,63

23–24 Vgl. 1Joh 4,15

24–25 Vgl.

306

Am 1. März 1829 früh

die fort und durch das läuternde Feuer des Herrn ausgeschieden werden müssen, so besteht doch der Tempel Gottes selbst alle diese Prüfungen; denn es ist die göttliche Kraft auf die er so gegründet und die ihn erhält und aus jeder solchen Prüfung herrlicher hervorgehen läßt. Und so gewiß als der Herr das innerste Leben ist in diesem Zusammenhang des Baues dessen lebendige Steine wir sind: so zuverlässig hoffen wir, daß das Gebäude fortbesteht bis in die Ewigkeit. Und jeder der seinen Theil dieser lebendigen Kraft in sich fühlt und vermöge desselben in das Gebäude eingefügt ist, der gehört auch hinein und ist ein Träger des Heils das in Christo seinen Grund und Ursprung hat. So laßt uns dafür sorgen so eingefügt zu werden, daß wir fest stehen in allen Zeiten und Prüfungen und daß wir nicht fortbauen mit vergänglichem Stoff, sondern mit dem was fest sich verbindet mit dem woraus der Tempel wirklich besteht, auf daß wir werden eine Behausung des Herrn, in dem Zeugniß seines Mundes und der Kraft seines Lebens wie es das unsre geworden durch seine Gnade, auf daß wir dadurch zu ihm zurük und zu ihm vorwärts führen, zu dem von dem alle Dinge sind!

1 fort] im Sinne von „sofort“ (vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 249) 13 vergänglichem] vergänglichen 12–13 Vgl. 1Kor 3,12

12–

5

10

15

Am 8. März 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Invocavit, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Joh 1,14 Nachschrift; SAr 68, 11r-12v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 597/1, 1r–2v; NiN Keine

Aus der Predigt am S. Invoc. 29

5

10

15

20

25

Joh. 1, 14. Und das Wort ward Fleisch, und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Wir beginnen jezt wieder die Zeit in welcher unsre kirchlichen Versammlungen vorzüglich der Betrachtung des leidenden Erlösers gewidmet sind: wir können sie nicht aufs neue beginnen ohne zu denken an die große Verschiedenheit die in dieser Hinsicht in der christlichen Kirche obwaltet. Es giebt nemlich eine große Anzahl solcher Gemeinden die mit uns auf demselben Grunde des Glaubens stehen, und den Einen Herrn bekennen, und wie wir ihn zum Gegenstand ihrer Betrachtung haben bei ihren Versammlungen: aber die Unterscheidung einer Zeit von der andern in dieser Beziehung ist ihnen fremd; sie heben die hohen heilgen Feste seiner Geburt, seines Tods seiner Auferstehung usw. nicht so besonders heraus wie wir es thun, und noch weniger solche vorbereitende Zeit wie wir den Festen voranstellen. Wir wollen sie darüber nicht tadeln; denn sie haben gute Gründe dafür anzuführen, sie sagen nemlich: „jeder Tag des Herrn an welchem wir zusammenkommen, ist ein Fest seiner Auferstehung; denn dazu ist der Tag eingesetzt und darum sind die gemeinsamen Versammlungen zur Andacht und zur Erbauung auf ihn übertragen weil es der Tag der Auferstehung des Herrn ist. Wir haben den ganzen Christus gegenwärtig in seinem ganzen Dasein unter uns und in seinem Wirken in uns, so oft wir uns ihn vergegenwärtigen steht das ganze Bild seines Lebens Leidens Sterbens und seiner Auferstehung, und so oft wir vom Geiste getrieben uns versammlen um ihn zu preisen, so ist das ja immer eine neue Feier von jener 25–26 versammlen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1112

11r

308

Am 8. März 1829 vormittags

Ausgießung des Geistes als er zuerst den Mund der Gläubigen öffnet, um die großen Thaten Gottes zu preisen:“ – Wenn wir nun davon entgegengesetzt uns halten an die festgesetzten Zeiten zu den Festen: was haben wir worauf wir uns berufen für uns, als die Schwachheit die überall uns eigen ist, als die Aehnlichkeit mit allem andern was wir üben! Wir fühlen daß es oft nöthig ist daß wir Einzelnes uns vergegenwärtigen, um es tiefer uns einzuprägen und im Gemüth zu bewegen. Aber laßt uns das uns hierin gegenüberstehende Bild jener christlichen Andacht nicht vergeblich gegeben sein, sondern, wie ja Alles für uns zur Lehre und Warnung da ist, so auch dies benutzen; Denn wenn jene sagen, daß der ganze Christus ihnen gegenwärtig sei, wenn sie in die Schrift hineinschauen wo uns ja überall die Züge des eingeborenen Sohnes Gottes entgegentreten: so soll uns das warnen, daß wie wir Einzelnes aus seinem Wesen oder seiner Geschichte hervorheben, wir uns jenen Zusammenhang nicht zerstören, es soll uns davor warnen, so am Einzelnen zu haften daß uns darüber in dem Augenblik das Ganze verloren geht. Und wahrlich wenn wir diese Zeit beginnen und dabei darauf sehn wie die Betrachtungen des leidenden Erlösers von Vielen gehegt werden im Innern, so können wir nicht leugnen, es zeigen sich Spuren von dem wovor jene uns warnen; Denn wenn wir uns ausschließlich versenken in die äußere Seite seines Leidens, in seine Schmerzen, sein Bluten und Sterben: ist das nicht ein Bild ganz gewöhnlichen Leidens wie es in tausend Gestalten wiederkehrt im menschlichen Geschlecht? Wenn wir das unserm Gedächtniß einschärfen und dadurch unser Gefühl aufzuregen suchen, und mit unsrer Betrachtung stehn bleiben bei dem was er auf diese Weise gelitten, so kann dabei der ganze Christus unsrer Aufmerksamkeit entgehen. Ja es ist wahr, daß wir uns gefallen können in diesen mehr sinnlichen Empfindungen die uns mehr abbringen von dem Kern unsres Glaubens an Christum als uns darin fördern. Darum können wir wol diese neue Reihe von Betrachtungen nicht besser beginnen, als mit einem solchen Worte der Schrift welches uns die immer gleiche Herrlichkeit des Herren ausspricht und uns den Gedanken daran, als an den Grund unsres Glaubens, aufs neue erregt und dadurch unsrer Empfindung für ihn die rechte Richtung giebt. – Johannes sagt: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohns Gottes:“ Das sagt er, indem er anfängt das Leben des Herrn zu beschreiben, dem er gefolgt war auf jedem Schritt, das sagt der Jünger des Herrn der in seinem Schooß ruhte und besondere Zeichen der Liebe erfahren, der Jünger der am nächsten gestanden dem Kreuz des Herrn und dem das ganze Bild seines Lebens und Leidens gegenwärtig war. Er sagt so lange das Wort unter uns wohnte haben wir, seine Jünger, und alle uns Gleichgesinnten die Herrlichkeit des Sohnes Gottes in ihm gesehen. Alles zusamm36–38 Vgl. Joh 13,23

38–39 Vgl. Joh 19,26

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

309

fassend also was der Herr war, sagt Johannes das, und keine Spur ist zu finden davon, daß ihm das Ende des irdischen Lebens des Herrn diese Herrlichkeit getrübt hätte, oder als ob er ihm am Kreuz weniger herrlich gewesen wäre als zu der Zeit da er durch Lehre und Wunderthaten sich verkündete als der der da kommen sollte: So laßt uns die Betrachtung des Herrn in der Zeit seiner Leiden sicher stellen damit wir nicht von irgend sinnlichem befangen würden, und den großen Zusammenhang des Rathschlusses Gottes in Beziehung auf die Erlösung durch Christum aus den Augen verlieren; und laßt uns sehn: wie das Leiden des Herrn und seine Herrlichkeit unzertrennlich mit einander verbunden, und wie er als er litt eben so herrlich war als zu jeder andern Zeit seines irdischen Lebens und zu jeder Zeit seiner geistigen Gegenwart unter uns. | 1. Laßt uns im Allgemeinen darauf sehn: wie das in der That nicht anders sein konnte. 2. an einigen wesentlichen Beispielen uns das vergegenwärtigen, auch im Einzelnen[.] 1. Wir werden wol um uns davon zu überzeugen nichts thun dürfen, als nur recht genau die Worte des Apostels betrachten: „das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes Gottes:“ So war der Erlöser so nahm er die menschliche Natur an: es ist keine spätere Würde die etwa ihm zu Theil ward, sondern so war er von Anfang an derselbe durch sein ganzes Dasein hindurch. Und eben weil diese göttliche Herrlichkeit ihm anhaftete und wesentlich zu seiner Person gehörte, wie hätte sie je, auf Augenblicke auch nur verschwinden können! Das Verhältniß des Sohnes zum Vater bleibt wie es ist und kann nicht aufhören, und ists der Träger solcher Herrlichkeit: wie könnte diese erschüttert werden! wie könnte sie je verringert werden? wie, daß irgend Aeußeres im Stande wäre sie zu trüben? – Worin aber besteht die Herrlichkeit des Herrn so wie Johannes und alle Gläubige sie anschauen und erfahren und sich ihrer erfreuen? 1. In dem geheimnißvollen Wesen der Vereinung der menschlichen Natur mit der göttlichen in ihm, an welcher wir nur Antheil bekommen können durch ihn, durch den Geist den er von Oben sendet. Dies geheimnißvolle Verhältniß welches aber sobald der Glaube lebendig ward in den Jüngern, sich ihnen fest einprägte und das eigentliche Wesen ihres Glaubens war, dies wovon der Herr selbst redet – wie er es in sich trug so gut wie es menschliche Worte vermögen auszusprechen – indem er sagt, daß er Eins sei mit dem Vater, daß der Vater ihm seine Werke zeige und er sie thue: 28 werden?] werden,?

32 welcher] welche

37–38 Vgl. Joh 10,30

38 Vgl. Joh 5,20

11v

310

Am 8. März 1829 vormittags

dies geheimnißvolle Verhältniß dies unmittelbare Bewußtsein des Erlösers von Gott, dies Bewußtsein daß er den Vater, das göttliche Wesen in sich wohnen hatte: das war seine Herrlichkeit, die wohnte durch ihn in der menschlichen Natur. Und es war nicht möglich daß irgend ein Verhältniß zu andern Menschen hätte diese Herrlichkeit verringern können oder das Bewußtsein seiner Sele trüben, seiner Sele die freilich tief bewegt sein mußte von dem Verderben und der Sünde der Menschen, die er gekommen war hinwegzunehmen. Nein, dieses Bewußtsein konnte doch seine Herrlichkeit nicht trüben; denn wie konnte er sich seiner Herrlichkeit bewußt sein ohne zugleich sich seiner Verschiedenheit von allen andern bewußt zu sein, wie er eben der eingeborene Sohn Gottes war indem er überall erschien als Mensch aber frei von aller Sünde war: So konnte also der Anblick der Sünde und das tiefste Bewegtsein von ihr doch seine Herrlichkeit [nicht] trüben! Sie hätte ja sonst müssen etwas vergängliches sein, aber nicht ein so unveränderliches Verhältniß des Vaters und Sohns, wenn sie von einer Zeit zur andern verschieden gewesen wäre, und wie könnte dann unser Glaube immer derselbe sein, wenn wir bald auf diesen bald auf jenen Zustand des Herrn gewiesen wären, und wie sollten die Gläubigen immer mit demselben Vertrauen und derselben Ehrerbietung auf ihn hin sehn! Nein, soll unser Glaube immer Eins sein so mußte die göttliche Herrlichkeit in ihm stets dieselbe sein! 2. gehört zu dieser seiner Herrlichkeit die feste Ueberzeugung von der Unerschütterlichkeit des göttlichen Rathschlusses die menschliche Natur zu bringen zu dem wozu sie bestimmt ist, und das Reich Gottes zu gründen durch ihn. Das war das ursprüngliche Bewußtsein in ihm, mit dem er unter die Menschen trat: so verkündete er daß das Reich Gottes nah herbei kommen sei, so verwies er die Menschen auf sich hin, so bezeugte er daß nun alle auf dem Heilsweg gelangen und zum Vater kommen könnten durch den Sohn. Durch ihn sollte das Heil sich begründen, dessen war er sich bewußt, und Alles was ihm von Anbeginn an begegnete das hing auf solche Weise mit der Erfüllung des göttlichen Raths zusammen daß er einsah, daß er so den ganzen Willen Gottes vollbringen könnte, daß es also so grad kommen müßte. – Wir kurzsichtigen Menschen die wir nie ohne Sünde sind werden bald von diesem bald von jenem angezogen, wir möchten bald dies bald jenes aus dem Willen Gottes an uns herausheben um die Kraft unsres Glaubens daran zu prüfen, und können dabei uns nicht enthalten zu klügeln darüber ob dies nicht hätte anders und besser sein, oder auf andre Weise bewirkt werden können: so aber konnte der nicht sehn und theilen der von sich sagen konnte daß er den ganzen Willen des Vaters erfüllte wie der gehorsame Sohn, dem konnte der göttliche Wille nur ein untheilbarer sein und alles erkannte er als von dem göttlichen Rathschluß 35 uns] uns,

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

311

ausgehend und sagte wenn das Einzelne ihm entgegentrat: „Laßt uns aufstehen, und ihm entgegen gehen!“ Und wenn er in der liebevollen Anhänglichkeit an die Seinen, in ihrer Sele den Schmerz sich von ihm zu trennen fühlend, sagte: „Ists möglich so gehe dieser Kelch vorüber“: so war doch auch da das unzertrennlich davon was immer sein Hauptgedanke war: „Dein Wille geschehe“: Wie hätte nun dieses Bewußtsein von dem göttlichen Rath je verringert sein können, wie hätte die Herrlichkeit dieses Einen Werkzeugs göttlicher Gnade, wie hätte die Herrlichkeit dessen, in dessen Namen alle sollen selig werden, verringert werden können durch sinnlichen Schmerz, durch die Annäherung des Todes welcher nichts war in dem Verhältniß zum Vater? Nein eben diese Herrlichkeit des Bewußtseins daß er von Gott gesandt war um zu suchen und selig zu machen was verloren war, auch diese war unveränderlich in ihm. 3. Aber noch Eins gehört wesentlich und nach den Worten des Textes zu seiner Herrlichkeit. „Wie viele ihn aufnahmen denen gab er Kraft Gottes Kinder zu werden:“ Diese seine Macht, daß wir durch ihn Gottes Kinder werden, die ist das in seiner Herrlichkeit was uns am unmittelbarsten ergreift, was wir am tiefsten fühlen. Konnte diese Macht je geringer sein so lange er noch einen Blick seines Auges in seiner Gewalt hatte? Konnte diese Macht in den letzten Augenblicken seines irdischen Lebens geringer sein als in früheren? Gewiß nicht; weil kein Schmerz ihn so erfaßte daß er dadurch wäre abgezogen gewesen von dem Zustand der Menschen um deren Heil er erschienen war! Diese Macht die Menschen zu Kindern Gottes zu machen die konnte, vom ersten Augenblick an wo er auftrat um die Kindschaft zu verkünden, nie sich verringern; sie war die schöpferische Macht alle Dinge umzuwandeln und das Reich Gottes hervorzubringen! So ists wenn wir die Sache im Allgemeinen betrachten, wenn wir uns die wesentlichen Bestandtheile der Herrlichkeit des Erlösers so vergegenwärtigen, so sehen wir wie sie in ihm unverändert und immer dieselbe blieb und bleiben mußte, wie also die Leiden keinen Einfluß darauf hatten. | Aber nun 2. wollen wir das, was diese allgemeine Betrachtung uns klar gemacht hat, durch einige besonders hervortretende bedeutende und wichtige Beispiele aus dem Leiden des Erlösers recht deutlich zu erfassen suchen. [1.] Erst aber laßt uns fragen: Wo fing das Leiden des Erlösers an, worin wir uns umsehn wollen nach solchen Augenblicken wie es uns wichtig ist, daß auch da ihn nicht die Herrlichkeit des Sohnes Gottes verlassen? Sollten wir irgend einen Zeitpunkt finden von da an wo der Herr zuerst öffentlich 1–2 Vgl. Mt 26,46; Lk 14,42 4 Vgl. Mt 26,39 6 Mt 6,10; Lk 11,2; 22,42 9 Vgl. Apg 4,12 12 Vgl. Lk 19,10 15–16 Vgl. Joh 1,12

8–

12r

312

Am 8. März 1829 vormittags

auftrat um zu lehren und das Reich Gottes zu verkündgen, wo er nicht wäre leidend gewesen? sinds grade nur die letzten Tage vor seinem Tode wo sein Leiden begann? Denkt an das Evangelium des heutgen Tages, welches die Geschichte von der Versuchung enthält und laßt uns fragen: mußte das nicht der Anfang seines Leidens sein? Was konnte ein größres Leiden für den Sohn Gottes sein als wenn die mannigfachen Gestalten des Bösen ihm entgegen traten auf solche Weise vereint? gab es etwas was sein Gemüth schmerzlicher bewegen konnte als die geistige Kraft des Menschen herabgesunken zu sehn um andre von dem Wege des Gehorsams gegen Gott zu verleiten, herabgesunken zu sehn zu dem noch Frevelhafterem das Wort Gottes selbst zum Mittel der Verführung zu machen! Ach und das wars ja eben was er täglich sehn konnte, weil er in in die Herzen zu sehn vermogte und ihm auch das Geheimste nicht verborgen blieb! Wohl werden wir sagen müssen daß das ein beständiges Leiden des Herrn war, daß das die Quelle von Mitgefühl war das ihn immer begleitete; Denn, konnte er Weh ausrufen über die die auf dem Stuhl Mose saßen, konnte er dem Volk sagen: „thut nach ihren Worten aber ja nicht nach ihren Werken:“ Und wenn er sah daß Viele die angefangen hatten ihm zu folgen wieder hinter sich gingen und er seine Jünger fragte: wollt ihr auch mich wieder verlassen? konnte er das thun ohne zu leiden! war es nicht der tiefste Ausdruck des Mitgefühls über die Verkehrtheit der Menschen! Aber laßt uns wieder zurückgehn auf die Erzählung von der Verführung und bedenken in welcher göttlichen Herrlichkeit der Herr dem Bösen gegenüberstand, nemlich mit dem festen lebendigen Bewußtsein daß er nicht nöthig hatte Gott in Versuchung zu setzen und daß es ihn nur ein Wort koste um die Gestalt des Versuchers fort zu bannen, weil eben in der Weise das Wort, das Wesen Gottes ihm eben so gegenwärtig war wie immer und überall, und auch in der Wüste die Jünger dasselbe Schauspiel erblickten, daß der Himmel offen war über ihm und die Engel Gottes hinauf und herabkamen zu ihm: und so auch verließ ihn die göttliche Herrlichkeit nicht in der geistigen Wüste wo er so oft allein war unter denen, an denen sein Wort, für den Augenblick wenigstens, vergeblich, war: Ja können wir sagen: wir sahen die Herrlichkeit des eingeborenen Sohns Gottes: so müssen wir auch sagen: unerschütterlich war dieselbe auch in diesem Leiden! 2. laßt uns daran denken wie er den Widerspruch der Sünde erduldete nicht nur in den letzten Tagen sondern so lange er sich offenbart durch Lehre, Hülfsleistungen u.s.w. Wenn sie von ihm sagten: „er ist ein Mensch der das Volk verführt; wer glaubt an ihn sonst als das Volk daß vom Gesetz 16 sagen:] sagen,: 3–4 Vgl. Mt 4,1–11 15–16 Vgl. Mt 23,2 16–17 Vgl. Mt 23,3 17–18 Vgl. Joh 6,66 19 Joh 6,67 28–29 Vgl. Joh 1,51 37–38 Vgl. Joh 7,12

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

313

nicht weiß“: wenn sie sagten er thut die Wunder durch Hülfe des Obersten der bösen Geister; wenn sie suchten die Menschen ab von ihm zu bringen, und dem Glauben entgegen zu wirken: das mußte ein um so größerer Schmerz in ihm sein als grade sie es waren, welche täglich mit der Schrift umgingen die doch so deutlich von ihm zeugte, grade sie die am besten die Last des Gesetzes kannten obgleich sie freilich es mit keinem Finger anrühren mochten und sich also am meisten hätten freuen müssen darüber daß er diese Last den Menschen abnehmen wollte: Ja jemehr grade diese ihm entgegen traten um desto mehr mußte ihn dieser Widerspruch der Sünder schmerzen! Aber finden wir in diesem Leiden die göttliche Herrlichkeit in ihm verringert? O immer hat ihn Johannes gesehen, und immer war der Friede Gottes, die unerschütterliche Ruhe einer heilgen, reinen Seele, die Milde mit welcher er sagte daß die Sünde gegen ihn vergeben werden könnte, immer war die Sicherheit des Bewußtseins Gottes und seiner Herrlichkeit in ihm. Und die Leichtigkeit mit welcher er sie die ihm widersprachen zum Schweigen brachte darin offenbarte sich die immer gleich deutliche Einsicht in das Wesen des göttlichen Rathschlusses, wie sie in ihm war, durch den er eben vollführt ward. Und wenn die Menschen sagten: „er ist ein großer Prophet“: Wie Viele bedenklich waren und es hin und her überlegten ob er wol Christus wäre, wenn die kleine Zahl seiner Jünger nur sagte: „Du bist Gottes Sohn; wo sollten wir hingehen Du hast die Worte des ewigen Leben“: so sehn wir überall und in allem Widerspruch und bei allen Schmerzen die Herrlichkeit dessen auf gleiche Weise den die Macht auszeichnete, diejenigen | die ihn aufnahmen zu Kindern Gottes zu machen, sie auszurüsten mit der Seligkeit, Freiheit und Freudigkeit der Kinder Gottes! Sehn wir ihn nur in dem was der Widerspruch der Sünde äußerlich für ihn herbeiführte in den Leidenstagen vor seinem Tod – obgleich alle seine Tage Leidenstage waren – sollte da das äußre Leiden des Herrn uns auf solche Weise ergreifen: daß wir die Herrlichkeit weniger in ihm erblickten! Der, der so wenig mit sich selbst beschäftigt war, so ganz in dem Heil der Menschen welches er begründete, versunken war, daß er sagte: „weinet über euch und über eure Kinder“: und der so in dem Herannahen seines Gerichtes nichts sah als nur die unvermeidlichen Schikkungen die dadurch über das Volk kamen: wahrlich in dem erblikken wir solche Freudigkeit im Leiden daß wir darin deutlich sehn die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes! – Und der, der am Kreuz von Hohn und Schmähungen seiner thörichten Feinde umgeben doch nichts zu sagen wußte, und von keinem 25 Kindern] Kinder 1–2 Vgl. Mt 12,24; Mk 5,22; Lk 11,15 13–14 Vgl. Mt 12,31 21–22 Vgl. Joh 6,58–69 32–33 Vgl. Lk 23,28

19 Vgl. Lk 7,16

12v

314

Am 8. März 1829 vormittags

andern Gefühl in Beziehung auf sie erfüllt war als dem in dem er sagte: „Vater vergib ihnen ...“ in dem wäre nicht auch in diesen leidvollsten Augenblicken der Abglanz der ewigen Liebe gewesen! er hätte nicht in der Gewißheit daß auch diese Bitte werde erhört werden, das Einssein mit dem Vater tief gefühlt! er hätte nicht das Inerfüllunggehen des göttlichen Rathschlusses der Erlösung klar geschaut, indem er sagte „sie wissen nicht welch Heil sie in diesem Augenblick verschmähen, ich aber weiß welch Heil ihnen und Allen bereitet ist:“ Er hätte nicht eben da als Erfüllung der Bitte selbst die Macht gefühlt die Sünder zur Buße zu bringen und sie umzuwandeln zu Kindern Gottes, diese Macht die er eben am Kreuz unter Uebelthätern hangend an dem ausübte dessen Stunde gekommen war. Er hätte diese Macht und darin die Herrschaft Gottes nicht gefühlt oder sie sollte geringer gewesen sein? Nein überall solange der Sohn Gottes auf diesem Schauplatz der Sünde wallete, in der großen Bestimmung sie hinwegzunehmen, mußte er immer der Leidende sein, aber auch immer war in ihm die Seligkeit des Einsseins mit Gott und immer strahlte den Seinen auch in seiner tiefsten Erniedrigung aus ihm entgegen die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes die in ihm wohnte! So laßt uns den leidenden Erlöser auf diese Weise betrachten daß uns dabei das frohe Gefühl der Herrlichkeit des Herrn nie verloren gehe. Und laßt uns dabei des Wortes des Apostels gedenken: „sind wir denn Kinder Gottes so sind wir auch Erben und Miterben Christi auf daß wir, wie wir mit ihm leiden, auch mit ihm zur Herrlichkeit eingehen.“ Ja so werden wir, sind wir durch ihn Gottes Kinder worden mit ihm dulden und herrschen zugleich, und durch ihn erfüllt sein mit demselben Vertrauen des Bewußtseins Gottes, mit derselben Gewißheit des Glaubens und der Freudigkeit des Herzens unter allem was uns begegnen mag!

2 Lk 23,34 10–11 Vgl. Mt 27,38; Mk 15,27; Lk 23,33 25 Vgl. 2Tim 2,12

21–23 Röm 8,17

24–

5

10

15

20

25

Am 15. März 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Reminiscere, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 2Tim 2,12 Nachschrift; SAr 106, Bl. 52r–53r; Crayen Keine Keine Keine

Reminis. 2. Fastenpred. 29 2 Timoth. 2. V. 12. „Dulden wir aber mit ihm – so werden wir auch mit ihm herrschen!“ 5

10

15

20

Diese Worte waren es auf welche wir hingewiesen wurden am Schluss unserer letzten Betrachtung; lasset sie uns näher erwägen in Beziehung auf uns selbst – indem wir ihnen zur Seite stellen einen – diesen ähnlichen Ausspruch des Apostels Paulus an die Römer, „Leiden wir mit ihm so werden wir auch mit ihm eingehen in seine Herrlichkeit!“ – und so lasset uns denn dieses beides – als Eines – betrachten, in Beziehung auf die Gemeinschaft der Leiden Christi sehen; indem wir 1. sehen: auf das Dulden mit ihm; und 2. auf das Herrschen mit ihm. 1. Zuforderst lasset uns sehen auf den Irthum derer, welche, in der ersten Zeit des Christenthums sich dazu drängten Märtirer für die Sache Christi zu werden, weil sie meinten dadurch in einem höheren Grade mit ihm zu herrschen im künftigen Leben. Sehen wir aber, in dieser Beziehung auf seine ersten Jünger und Apostel – ja auf unsern Erlöser selbst, so werden wir finden, daß sie nie das Leiden suchten, sondern in der Treue ihres Berufes das Evangelium zu verkündgen – und in dem heiligen Ernst für denselben, so wie in dem Gehorsam gegen den göttlichen Willen trat dasselbe ihm entgegen – auf dem schlichten Gange ihres Lebens – indem sie das Ziel desselben erreichen wollten; und in solchem reinen Streben offenbarte sich zugleich dessen Herrlichkeit. Ist dagegen das Leiden auf irgend eine Weise nur Gesuchtes – so kann seine göttliche Herrlichkeit nicht daraus wieder strahlen – sondern nur ein falscher Glanz – und da4–5 Vgl. Predigt vom 8. März 1829 vormittags

7–8 Vgl. Röm 8,17

52r

316

52v

Am 15. März 1829 früh

her kein Dulden mit ihm – und auf seine Weise; es kann als dann aber auch nicht die Wirkung des Herrschens mit ihm daraus hervorgehen. – Deren ersten Apostel zwar trafen auf gleiche leibliche Weise – wie dem äußren Leiden; wir aber wären übel daran wenn dieses leibliche Leiden die Bedingung wäre, einzugehen mit ihm in seine Herrlichkeit – da solch ein äußeres Leiden für die Sache Christi uns nicht mehr treffen kann. Bringen wir aber die (noch andern) Worte des Apostels mit jenen in Verbindung: „Sterben wir mit ihm so werden wir auch mit ihm leben“ und richten dabei unsre Blicke auf die Beschaffenheit unsres menschlichen Lebens – und auf die Verwandlung seiner Verhältnisse – so können wir die Frage so stellen: wie verhält es sich in Beziehung auf diese unsre Verhältnisse mit jener Bedingung? und wir werden dann so sagen müssen: Nur in so fern als unser Leiden und Dulden mit dem Reiche Christi zusammen hängt, ist es ein solches Leiden und Dulden für ihn und mit ihm! in Verbindung des Herrschens mit ihm und des Eingehens dadurch in seine göttliche Herrlichkeit. – Nun aber kommt es nicht darauf an, ob in unsrer Thätigkeit für sein Reich – in dem Gange unsres menschlichen Lebens und in dessen Verhältnissen – es Freude oder Leid ist was uns trifft: – wie denn Beides uns Veranlassung dazu werden kann sein Reich zu fördern – Beides uns aber auch zur Versuchung zum Gegentheil werden kann. – Wohlan! worin liegt der rechte Sinn jener Bedingung? – Ja, wir müssen wohl sagen, es giebt keine wahre Treue in dem Verhältniß worin wir mit unsrem Erlöser stehen als unter der Bedingung eines beständigen angestrengten Kampffes des Geistes wider das Fleisch sowohl in unserm Innern als nach außen hin! – | So wie denn dieses der Apostel auch in den Worten ausdrücken will: „Begraben müsse werden in Christi Tod unser alter Mensch – damit der neue mit ihm auferstehe zum Leben!“ Dieses: Sterben aber es ist nicht die Sache des Augenblicks – wir sollen und müssen also immer darin begriffen sein! es giebt aber kein solches ernstliches Sterben ohne ein Leiden – oder vielmehr ein Dulden – wie es der Apostel hier ausdrückt – So sollen wir denn sowohl in Freude als Leid den Kampff dafür bestehen und wohl auch führen: dazu aber gehört Standhaftigkeit und Tapferkeit im Glauben und in der Gelassenheit; und so hat denn der alte Mensch (noch) fortwährend zu leiden in uns damit die Herrschaft des neuen Menschen Raum gewinne in uns. Gegen welchen Kampff aber der Mensch leicht einen Vorwand nimmt an dem Druck und der Sorge für das äußere Leben und dessen verwickelte Verhältnisse um den alten Menschen in sich walten zu lassen – thun wir aber dieses dann gehet leicht verloren die Herrschaft des göttlichen Geistes in uns – und der alte Mensch herrscht dann wieder. Es gehört freilich dazu 19 Beides] Bedes 8 2Tim 2,11

25–27 Vgl. Röm 6,4

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 2Tim 2,12

317

eine große Krafft, die durch nichts sich abwenden noch erschüttern lässet in solcher thätigen Beharrlichkeit.

5

10

15

20

25

30

35

2. Lasset aber noch uns sehen: wie dieses denn aber auch die Bedingung ist des Herrschens mit unserm Erlöser und zugleich des Eingehens in seine Herrlichkeit! – Zu damahliger Zeit nun, da hatten die Menschen dabei – irriger Weise – im Sinn: die baldige leibliche Wiederkunft des Erlösers auf Erden – wenn sie sagten: „Wir werden mit ihm herrschen und eingehen in seine Herrlichkeit.“ Wir aber wissen wie er auf geistige Weise – nach seiner Verheißung – seitdem nie gewichen ist mit seiner Gegenwart von den Seinen. Und so weiset denn dieses sein Herrschen mit ihm uns hin: auf die Vergrößerung seines Reiches auf Erden – so wie auf dessen Verherrlichung – und damit hängt dann aufs innigste zusammen das Wort: „Dann werden auch wir mit ihm eingehen in seine Herrlichkeit.“ – welches Wort der Apostels Paulus mit einem so großen Gefühl von Gewissheit hier ausspricht. – Wie denn auch diese Herrlichkeit und diese Macht in Christo Eins war: denn von dem Augenblick an wo wir erschauet haben in ihm diese göttliche Herrschaft da beginnt auch seine Herrschafft auf unser Gemüth! – und so wiederholt sich denn noch immer in dem Bekenntniss: daß er sei der Sohn des lebendigen Gottes! das Gefühl: „Wohin anders könnten wir gehen!“ Wodurch aber und worin anders übt er diese seine Gewalt aus in dem Innren der Gemüther? als in der göttlichen Liebe die in ihm uns erschienen ist – in diesem Abglanz des Wesens dessen der die Liebe ist! Seine höchste Herrlichkeit aber besteht darin; daß er auch uns erziehet zu der Erfüllung dieses seines neuen Gebots: „zu lieben mit einer der Seinen ähnlichen Liebe“ – darin aber bestehet dann auch zugleich seine Herrlichkeit in uns: – in der wir bestimmt sind mit ihm einzugehen. | Wir selbst nemlich haben in uns keine Herrlichkeit als die Unsere – lebt er aber in uns, so ist als denn auch seine Herrlichkeit in uns zu schauen, und zwar darin: daß dadurch dann auch uns die Macht verliehen ist die Gemüther zu ihm hinzuziehen. Und wie er von sich sagen konnte: „der Vater lasse ihn nie allein!“ eben so ist es dann auch mit uns in Beziehung auf ihn! – wo aber er einzieht – da macht auch zugleich der Vater Wohnung mit ihm. Je mehr nun sein Bild in uns sich gestaltet – um so mehr gehet diese seine göttliche Herrlichkeit auf uns über. Die Herrschaft aber welche er ausübt als Haupt des ganzen geistigen Leibes in dessen Gliedern das ist die: daß mehr und mehr Alle – und auch die welche noch fern stehen sich bekennen zu dieser seiner Herrschaft – und die Macht in welcher er wirkt durch uns Alle, zur Förderung seines Reiches! Und überall wo es seine Liebe ist die 13 Röm 8,17 19 Vgl. Mt 16,16; besonders Joh 6,69, da nach alter Übersetzung auch hier die Formulierung „der Sohn des lebendigen Gottes“ steht. 19–20 Joh 6,68 24–25 Vgl. Joh 13,34 30–31 Vgl. Joh 8,29 32 Vgl. Joh 14,23

53r

318

Am 15. März 1829 früh

uns treibt – und der Glaube an ihn der uns zudringt da wird sichtbar diese seine Herrlichkeit und Gewalt! – da herrschen wir in seiner Herrschaft. So lange, freilich, als sich das Leben Christi noch nicht so fest in uns gestaltet hat wie in Paulus – welcher das Zeugniss sich geben konnte: „Auch was ich noch lebe im Fleisch, das lebe ich in Christo“ so stehen wir noch im Kampffe; in dem Maaße aber als Christus eine Gestalt in uns gewinnt – in dem Maaße als schon getödtet ist in uns der alte Mensch – in dem Maaße auch gewinnt Krafft in uns der neue – durch Christum nach Gott geschaffene Mensch – und die Herrlichkeit desselben offenbart sich aus uns. So lange freilich wir noch im Fleische wollen haben wir noch zu dulden in uns (vermöge dieses Kampffes) – ja Christus selbst ist es in uns – der da bestehen hilft, diesen Kampff – und wenn gleich dieser innre Kampff der Welt verborgen ist – so offenbart er sich doch auch ihr in den herrlichen Früchten desselben. – Fest also sollen wir das ins Auge fassen: daß es kein Herrschen mit ihm giebt für uns – ohne ein Dulden mit ihm – Eins ist durch das Andre bedingt und gegeben. In einem solchen Ergriffensein aber der Thätigkeit des göttlichen Geistes in uns – können wir als dann ruhig auch auf die verwickelsten Verhältnisse unsres Lebens auf Erden hinsehen. Und so möge denn immermehr Christus sich in uns und unter uns auf diese Weise verherrlichen – und zu diesem Gedeihen seines Lebens in uns mögen uns gesegnet sein alle unsre Betrachtungen in dieser festlichen Zeit, worin wir näher erwägen wollen: daß wenn wir die sind, welche auf die rechte Weise mit ihm dulden – wir dann auch die sind, welche seiner Herrlichkeit theilhaftig werden! So wie wir als dann nun zu denen gehören (in der That und Wahrheit) welche Glieder genannt werden können des geistigen Leibes welcher regieret wird von dem Haupte desselben – und durch strömt von dessen Herrlichkeit – welche Herrlichkeit sich kund giebt an der Macht die ihm gegeben ist von Gott – seinem himmlischen Vater.

27 strömt] darüber steht als Alternative strahlt 4–5 Gal 2,10

25–26 Vgl. Eph 4,15–16

5

10

15

20

25

Am 22. März 1929 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Oculi, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 5,2 Nachschrift; SAr 68, 13r-14r; Woltersdorff Keine Nachschrift; SN 601, 1r–3r, NiN Keine

Aus der Predigt am S. Oculi 1829. Eph 5, 2. Wandelt in der Liebe, gleichwie Christus uns hat geliebet, und sich selbst dargegeben für uns, zur Gabe und Opfer, Gott. 5

10

15

20

25

Der Apostel Paulus, an der Stelle wo er so begeistert von dem Wesen und der Herrlichkeit der Liebe redet, sagt unter anderm auch von ihr: „sie eifert nicht:“ d. h. zunächst sie eifert nicht um das Ihre aber wenn sie das sucht was des andern ist so eifert sie doch um alles Gute, und je größer und göttlicher es ist, desto mehr: So zeigt sichs in alle dem was die Ansicht des großen Werks der Erlösung durch Christum betrift, nemlich: wo die Einen so, die andern es anders auffassen, da entsteht leicht ein Eifer der nicht selten seine Grenzen überschreitet und nicht mit rechtem Verstande getrieben wird. Zu dieser Betrachtung geben die Worte des Apostels Veranlassung: Nemlich wenn wir über den Tod des Herrn und das Heil welches uns daraus entsteht, nachdenken, so finden wir daß die Gemeinde des Herrn sich in Beziehung auf das Nachdenken in zwei verschiedene Ansichten theilt; die Einen sehen darin daß Christus sich dahingeben, das Werk der göttlichen Liebe, und suchen das Heil darin, daß wir sollen dadurch entzündet werden zu gleicher Liebe. Die Andern, ausgehend von dem Bewußtsein daß wir einen Erlöser suchen müssen um in ihm ein Heil zu finden was wir eben nicht in uns selbst finden, sehn darin daß er sich zum Opfer gegeben, das, daß er es gethan hat auf daß die Welt nicht verloren gehe. Jene nun, in ihrem Eifer, denken leicht daß diese in dem Erlösungswerke nur suchen eine Beruhigung des Gewissens, nicht eine Aehnlichkeit mit ihm der sich für uns gegeben. Diese fürchten – indem sie meinen, daß das was jene 6–7 Vgl. 1Kor 13,4

13r

320

Am 22. März 1929 vormittags

finden das sei freilich eine Erweckung zum Guten, aber wenn es keinen tiefern Grund habe – daß sie des Heils verlustig gehen. Diesen Eifer kennen wir, er umgiebt uns, und wer daran gar keinen Theil nehmen wollte, von dem würden wir denken müssen daß er gleichgültiger wäre als billig, wenn auch nicht gegen das Heil selbst doch gegen das Heil seiner Brüder in Christo. Aber warum machen wirs nicht so wie der Apostel und bringen dadurch Alles was nicht rechter Art ist, in der Beurtheilung der Ansicht andrer zur Ruhe? Denn wir sind ihm dem Apostel nicht ähnlich wenn wir das Eine ohne das Andere denken. Er vereint beides, indem er sagt: „wandelt in der Liebe, gleichwie Christus uns hat geliebet“, aber seine Liebe (setzt er hinzu) ist eben das, daß er sich hingegeben hat Gott zum Opfer. – So laßt uns betrachten: wie nothwendig das beides verbunden sein muß, indem wir darauf sehn 1. daß die Hingebung des Erlösers eben deswegen ein Opfer war, weil sie aus Liebe entstand. 2. daß die Hingebung des Erlösers deswegen uns auffordert in der Liebe zu wandeln, weil er sich hingegeben hat Gott zum Opfer und zur Gabe. 1. Wenn wir uns das vorhalten, daß die Hingabe Christi deshalb ein Opfer war, weil sie aus der Liebe hervorging, so führt uns das in die Zeit des alten Bundes; denn überall wo sich die Schrift des Ausdrucks „Opfer“ bedient, liegt die Vergleichung mit der frühern Zeit dem zum Grunde. Wie nun in den Schriften des alten Bundes sehr menschlich von Gott geredet wird, so laßt uns menschlich davon reden und sagen daß er so dargestellt wird in Beziehung auf die Opfer jener Zeit, daß je länger die Zeit des Gesetzes schon gewährt hatte und je näher die Zeit Christi kam, der Herr sich desto weniger gefallen konnte in den Opfern und Gaben, weil sie kein Werk der Liebe waren; Denn waren sie Gaben und Opfer des Danks so blickte die Selbstsucht und der Eigennutz daraus hervor, weil sich der Dank auf Segnungen im Irdischen bezog. Waren es Opfer für die Sünde – woraus anders entstanden sie als aus Furcht vor der Strafe: So wurde immer wiederholt was Ausdruck war der Selbstsucht und der Furcht: es blieb immer bei dem Entferntsein von Gott und sich nur zu ihm Nahen mit den Lippen: daran hatte er kein Wohlgefallen. Und so stellen ihn dar die Worte der Propheten welche so oft angewendet werden auf Christum als auf den dessen Opfer den Gegensatz bildet zu den Opfern die Gott nicht gefielen: So geschiehts auch im Briefe Pauli an die Ebräer wo es heißt: „Aber es steht geschrieben: Siehe ich komme zu thun deinen Willen:“ Und so führt jener 33–34 Vgl. Mt 15,8; Mk 7,6 (Zitat aus Jes 29,13) Ps 40,8–9)

38–39 Hebr 10,7 (Zitat aus

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 5,2

5

10

15

20

25

30

35

321

heilge Schriftsteller fort: „In diesem Willen nun, den er that, da er das Alte aufhob und das Neue einsetzte, in diesem Willen sind wir geheiligt durch dies Opfer Christi, einmal geschehen für immer:“ So ists, Gott ist die Liebe, was also kein Werk der Liebe ist daran kann Gott kein Wohlgefallen haben, aber Christus ist der Sohn des Wohlgefallens Gottes weil sein Wesen der Abglanz der Liebe Gottes war, der in ihm wohnte, und darum gefiel ihm seine Hingebung, weil sie ein Opfer war aus der Liebe entsprungen: So hat sich der Höchste ausgesprochen über den Sohn von Anfang an da der Herr sich seinem Beruf weihte in der Taufe wo es von Oben herab gesagt ward: „das ist mein lieber Sohn an dem ich Wohlgefallen habe:“ Und das innerste Selbstbewußtsein des Herrn es war kein anderes, als daß er nichts thue von ihm selbst, sondern was der Vater der die Liebe ist, ihm zeigt, und durch ihn und mit ihm. Wie spricht der Erlöser selbst den ganzen Zweck seines Daseins in der Welt aus? Er sagt daß er gekommen sei nicht die Welt zu richten, nicht strenge Gerechtigkeit zu üben, sondern daß Gott ihn gesandt habe dazu daß die Menschen das ewige Leben haben in ihm. Aus diesem Geist ging sein ganzes Dasein hervor und in diesem hat er sich selbst dargebracht zum Opfer weil er sonst nicht hätte können den Willen vollbringen in dem wir geheiligt werden, denn eben sein Thun des göttlichen Willens wovon er sich durch nichts abbringen lies, gab ihn in den Tod den die Sünder ihm bereiteten. | Und der Wohlgefalle Gottes daran, war eben der Wohlgefalle an dem größten heilbringendsten Werke der Liebe. Darum waren auch alle frühern Ordnungen Gottes in dem Gesetz eben so wenig etwas daran der Höchste sein Wohlgefallen haben konnte als sie etwas waren was im Stande war den Rath der Liebe an den Menschen zu erfüllen. Sondern das worauf das Volk dem es gegeben war sich etwas zu gute that und seinen Stolz und die Befriedgung seiner Eigenliebe darin zu finden suchte, das konnte nicht das sein was den Wohlgefallen Gottes herab rief! Darum erklärt auch die Schrift sich so darüber daß das Gesetz etwas Zwischeneingetretenes sei (eingetreten zwischen dem Sündenfall und der Erlösung) damit die Menschen zusammgehalten würden und zwar zusammgehalten nur unter der Sünde d. h. unter dem Bewußtsein der Sünde. – Aber indem nun alle Opfer aufgehoben durch das Eine daß er sich selbst dahingiebt, weil es je länger desto deutlicher wurde daß sie als Werke der Furcht nicht den Wohlgefallen Gottes an sich tragen konnten, hebt er das Alte auf und setzt das Neue ein, nemlich: das, daß es kein andern Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens giebt als seinen Willen zu thun, und das ist die Liebe selbst. Und höher kann sich die Liebe nicht zeigen als wenn Christus 19 denn] (denn 1–3 Hebr 10,9–11 16 Vgl. Joh 12,47

22 heilbringendsten] heilbringensten 3 1Joh 4,16 10 Mt 3,17 29–32 Vgl. Röm 5,18–20

11–12 Vgl. Joh 8,28

14–

13v

322

Am 22. März 1929 vormittags

sich selbst dahingab in Gestalt der Opfer aber nicht wie die Priester fremdes darbrachten als Opfer sondern sich selbst für das Heil der Welt, für seine Brüder aus Liebe. So war von Anfang an wo er seinen Beruf ausübte bis dahin wo er sagen konnte es sei vollbracht, nur dies, daß all sein Thun und Leiden Ein Werk der Liebe war, der Grund des göttlichen Wohlgefallens. 2. Laßt uns sehn wie eben deswegen weil die hingebende Liebe Christi sich gestaltete als Opfer, eben dieses uns auffordert in der Liebe zu wandeln. Wenn der Apostel sagt: wandelt in der Liebe wie Christus uns geliebt hat und hat sich selbst hingegeben zum Opfer: So sagt er deutlich, daß die opfernde Hingabe es sei die uns auffordern soll in derselben Liebe zu wandeln. Und diese Worte gehn zurük auf die großen Worte des Erlösers als er den Jüngern sagte: „ein neu Gebot geb ich euch, daß ihr euch liebet mit der Liebe damit ich euch liebe.“ Das sagt er als er im Begriff war ihnen den größten Beweis der Liebe zu geben, und das zu thun worin sie sollten seine Diener und Zeugen sein. So also wie der Herr das zu den Jüngern sagt, sagt der Apostel hier: wandelt in derselben Liebe wie Christus der sich selbst zum Opfer Gott gegeben. Wenn wir an das Opfer Christi denken, so pflegen wirs oft anzusehn als etwas was unvermeidlich gewesen wäre als Befriedigung der Gerechtigkeit Gottes in Beziehung auf die Sünde der Welt, und als wenn sonst die Liebe Gottes sich nicht hätte kund geben können wenn nicht erst seine Gerechtigkeit durch dies Opfer wäre befriedigt worden. Was daran nun wahr ist; denn Alles ists freilich nicht weil eine unvollkommne menschliche Vorstellung dem zum Grunde liegt, aber auch was das Wahre daran ist, das ist dem Apostel hier, wo er uns auffordert zur Aehnlichkeit mit Christus, ganz fremd; denn in wiefern wir das Opfer Christi anzusehen haben als Befriedgung der göttlichen Gerechtigkeit, in so fern hätte er uns nicht auffordern können ihm ähnlich zu wandeln in der Liebe; Denn darin liegt das, daß der Opfernde mußte rein sein von Sünde, wie doch eben nur der Eine war; und abgesondert von den Sündern: wenn nun hier von einer solchen Ausübung der Liebe durch deren Werk die göttliche Gerechtigkeit sollte befriedigt werden die Rede wäre, wo blieben wir! Von den Sündern abgesondert ist keiner von uns! sondern es bleibt dabei: „sie sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes den sie vor Gott haben sollten“: Darauf also, nemlich, auf das innige Verhältniß der göttlichen Sündlosigkeit des Erlösers und seines Opfers, hat er uns nicht hinweisen wollen, aber darauf, daß wir durch ihn fähig sind der Liebe aus welcher er es dargebracht hat. Und so laßt uns denn sehn was es hiermit für eine Bewandtniß hat daß wir sollen wandeln in der Liebe in der er sich dahingegeben hat; so laßt uns sehn darauf vorzüglich wie von dem Erlöser gesagt wird, daß er habe müssen erdulden den Widerspruch der Sünde; denn so müssen wir sagen, er 3–4 Vgl. Joh 19,30

13–14 Joh 13,34

33–34 Röm 3,23

40–41 Vgl. Hebr 12,3

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Eph 5,2

5

10

15

20

25

30

35

323

hat sich deshalb hingegeben in den Tod weil der hervorging aus dem Widerspruch der Sünde gegen ihn der gekommen war die Welt selig zu machen; der der von keiner Sünde wußte ist für uns zur Sünde gemacht deswegen weil der Widerspruch der Sünde gegen ihn den Schein der Sünde auf ihn brachte und weil so unter dem Schutz des buchstäblichen Gesetzes die Sünde das Leiden für ihn einleitete dessen Ende der Tod war. Denken wir nun an die ersten Zeiten der Kirche zurück, und an die Apostel; o unter welchem Widerspruch der Sünde lebten sie! wie spricht Paulus davon als von dem Täglichen, und stellt sich dar in dem Kampf begriffen, aber immer auch in der Freudigkeit mit welcher er hierin dem Herrn nachjagt und eingeht in die Gemeinschaft seiner Leiden[.] Und so war sein Wort: „wandelt in der Liebe wie Christus der sich dahingegeben hat:“ eine Aufforderung zu wandeln in der Liebe die gern alles auf sich nimmt was sich richtet gegen den Weg des Heils in Christo, und die gern in die Gemeinschaft seiner Leiden eingeht wenn ihr nur vergönnt wird in seinem Geist zu leben, und wie er Gott zu lieben. – Aber freilich es läßt sich auch denken ein Leiden durch den Widerspruch der Sünde, welches nicht das Leiden Christi ist, sondern wovon die Veranlassung in uns liegt aber | nicht darin daß wir den Willen Gottes thun. Das wirft uns zurück auf das Wort: „Von mir steht geschrieben: sieh ich komme zu thun deinen Willen:“ Und das ist das Neue welches der Vater eingesetzt hat durch den Sohn, daß nur dies Opfer der Liebe ihm wohlgefällt. Also nur das ist eine Aehnlichkeit mit dem Opfer des Herrn was uns daraus hervorgeht wenn wir unaufhaltsam beharren darin den Willen Gottes zu thun. Aber es giebt nur Einen Willen Gottes den wir thun sollen, nemlich daß jeder auf seinem Wege das seligmachende Werk des Herrn fördre, die Verbindung der Menschen zu diesem Zweck aufrecht zu halten suche, damit sein Geist Raum gewinne immer mehr: das ist der Wille Gottes den wir ausüben, wenn wir dem neuen Bunde angehören; Denn wie das in dem Erlöser das war wodurch er handelte: so ists auch die Beschreibung des Handelns seiner Gemeinde. Und alle Leiden die uns treffen sie haben keine Gemeinschaft mit dem Leiden Christi wenn sie nicht damit zusammhängen daß wir den Willen Gottes thun und durch nichts darin uns stören lassen. Und so sehn wir wie eben deswegen die Hingabe Christi ein solch Opfer der Liebe war das er Gott darbrachte, weil er es darbrachte in der unablässigen Verkündung des Worts des Lebens, in der immer sich wiederholenden Einladung zu ihm um durch ihn selig zu werden und weil er was ihm in dieser Erfüllung seines Berufs begegnete gern ertrug, und so sich in seinem Leben, Leiden und Tod, Gott darbrachte zum Opfer und darum der Gegenstand seines Wohlgefallens war. Fragen wir uns 24 thun.] thun, 2–3 Vgl. Mt 18,11; Lk 19,10 3 Vgl. 2Kor 5,21 20 Hebr 10,7 (Zitat aus Ps 40,8–9)

10–11 Vgl. Phil 3,10

19–

14r

324

Am 22. März 1929 vormittags

nun: wie ergeht die Ermahnung an uns? und wie sollen wir ihr genügen? so müssen wir sagen: das hängt nicht von uns ab auf dieselbe Weise wie der Erlöser uns Gott zum Opfer zu geben; nur das können wir durch ihn, daß wir alle unsre Verhältnisse dazu nutzen, um eben seinen Willen zu thun, sein Reich zu fördern und mit derselben Liebe seine Zeugen zu sein wie seine ersten Jünger; das vermögen wir durch die heilsame Kraft seiner Hingabe: aber daß auch wir in dem Bestreben uns Gott zum Opfer zu geben so wie der Erlöser der die volle Bekanntschaft damit gemacht was es heiße den Willen Gottes thun auch wenn Alles was uns umgiebt dagegen ist: das vermögen wir nicht! Und wenn wir sagen mögen: das sei doch eben das Rechte ihm zur rechten sitzen: so laßt uns daran denken, daß der Herr gesagt hat, daß er nicht vermöge das seinem liebsten Jünger zu geben, sondern das sei die Sache des Vaters allein. Und sollen wir uns nicht freuen, daß der Leiden in dieser Beziehung immer weniger werden; ists nicht ein Beweis daß die Menschen je länger desto mehr sich alles gefallen lassen was die Kraft der Wahrheit ausrichtet in der Welt. Und so mögen wir sagen, daß wir uns gefallen lassen nicht zu leiden in seinem Dienst. Das sei auch ein Theil unsrer Gemeinschaft mit ihm. Laßt uns dabei gedenken jenes Apostels, der, als er sich beklagen wollte daß ein beständiger Stachel in ihm ihn hindre mehr zu thun, vom Herrn die Antwort bekam: „Laß dir an meiner Gnade genügen“! So laßt uns zur genauesten Treue, zum Gehorsam der überall hinsieht, dem Herrn uns hingeben auf daß wir unsre geringen Dienste leisten in seinem Weinberg so wie es ihm wohlgefällig ist, und wenn wir dabei immer weniger zu leiden haben so wollen wir uns freuen daß das Reich des Herrn sich bauet in Friede und daß die Menschen des Heils genießen ohne von bittern Empfindungen erregt zu werden. Ja wir wollen uns gefallen lassen wie seine Gnade uns stellt und haben wir uns ihm ganz hingegeben zum Opfer, so wird auch uns in dieser Beziehung, unser bescheiden Theil nicht fehlen. Laßt uns nur immer darauf gerichtet sein wie wir uns ihm hingeben, und laßt uns dabei weder wünschen noch uns scheuen zu leiden, denn in jedem Fall und was uns auch beschieden sei, werden wir uns stillen mit dem Bewußtsein daß seine Gnade reich an uns ist, wie sie eben auch reich an uns sein würde wenn wir litten. Und so werden wir, ihm uns hingebend, seine Gemeinschaft fühlen und auch unser Leben wird Gott ein Opfer und ihm wohlgefällig sein in seinem Sohne!

21 genügen“!] genügen“:! 12–13 Vgl. Mt 20,23

18–21 Vgl. 1Kor 12,7–9

5

10

15

20

25

30

35

Am 29. März 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Laetare, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,24 Nachschrift; SAr 68, Bl. 15r–16r; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Lätar. 29. Col. 1, 24.

5

10

15

20

Es ist der Schluß unsrer neulichen Betrachtung welcher uns veranlaßt diese Worte ins Gedächtniß zu rufen. Der Apostel redet hier von den Leiden die ihn treffen in dem ihm übergebenen Dienst des Evangeliums, er stellt sie dar, auf der einen Seite, als Leiden für den geistgen Leib des Herrn welches ist die Gemeinde, auf der anderen Seite als Ergänzung der Leiden Christi, und in beidem sagt er daß er sich derselben freue. So geben uns nun diese Worte eine Veranlassung die Leiden der Gemeinde, eben wie er, als eine Fortsetzung und Ergänzung der des Herrn näher ins Auge zu fassen. Dabei nun was der Apostel hier sagt ist das zuerst allerdings merkwürdig, daß er sagt seine Leiden seien Leiden für die Gemeinde. Nemlich, Er war ein Verkünder des Evangeliums und der Zweck seines Lebens war also der aus Juden und Heiden, also aus denen die der Gemeinde noch fern standen Glieder derselben zu gewinnen: seine Thätigkeit war also eine Thätigkeit für die die noch außer der Gemeinde Christo waren zu ihrem Besten und Heil. Davon sieht er aber hier ab und sagt er erstatte was noch mangele an Trübsal, und er thue das für die Gemeinde. Nun giebt es freilich einen zweifachen Gebrauch von dem Wort: für: – was wir für jemand thun d. h. zu seinem Wohl, es heißt eben auch an der Stelle jemandes. Der Apostel meint hier also an der Stelle der Gemeinde leide er als ein Glied derselben. Dabei laßt uns zweierlei recht ins Auge fassen.

3 neulichen] neuligen 3 Schleiermachers Anspielung ist nicht eindeutig. Wahrscheinlich meinte er die Frühpredigt vom 15. März 1829, aber auch die Vormittagspredigt vom 22. März 1829 ist in Betracht zu ziehen.

15r

326

Am 29. März 1829 früh

1. Wie er so gar bescheiden redet von dem großen Dienst den er dem Evangelium leistet, indem er sich nur ansieht als ein Glied aus der Gemeinde aber daß auch die ganze Gemeinde daran sollte theilnehmen: so sagt er uns denn in diesen Worten daß dies Leiden eigentlich der Beruf der ganzen Gemeinde sei und daß wenn einige daraus mehr daran zu tragen haben so litten sie es eben im Namen und an der Stelle Aller. Und grade weil er dies große Verhältniß ins Auge faßt, so kann er sich nicht anders ansehn als einen Einzelnen, dem es zugekommen ist das Leiden zu tragen an der Stelle der Anderen; Es ist ein gemeinsamer Dienst zu dem wir verpflichtet sind und daran wie so fern der Glaube lebendig in uns ist auch wirklich theilnehmen und auch an der Vermehrung der Gemeinde arbeiten; Denn wenn unser Glaube auch nicht auf die Einfluß hat die außer der Gemeinde leben, nun so sinds doch die die im Umfang der christlichen Kirche geboren sind aber doch erst lebendige Glieder derselben werden müssen, oder die deren Gemüther noch nicht recht aufgeschlossen sind für den Genuß des Heils in Christo: diese nun desselben theilhaftig zu machen das ist der gemeinsame Beruf Aller. Aber eben deswegen gehört auch diesem gemeinsamen Beruf das Ertragen der Widerwärtigkeiten die verursacht werden durch das was der Fruchtbarkeit des Evangeliums widersteht: überall aber finden wir das als die göttliche Ordnung daß die Thätigkeit und die Leiden bei denen die die Gemeinde bilden äußerlich ungleich vertheilt sind und daß oft Einzelne mehr zu tragen haben als viele andre zusammen. So erscheint uns der Apostel und alle die welchen es vorzüglich geworden ist die Wahrheit des Evangeliums ans Licht zu setzen und alles was den Glauben befestgen kann zur rechten Klarheit zu bringen, und diese handeln und leiden dann im Namen des Ganzen, und wir können nichts Beßres thun als das uns aneignen, und dessen uns freuen. Denn der Widerstand gegen das selge Wirken des Evangeliums ist nie gegen Einzelne sondern immer gegen das Ganze gerichtet denn was würd’ es der dunklen Macht helfen wenn der Eine oder der Andere durch sie litte und außer Stand gesetzt würde sein Werk fortzusetzen, denn so lange die Lebenskraft, derselbe Geist und dieselbe Liebe wirken in der Gemeinde, so lange wird das Bestreben des Geistes nie enden die Sünde zu besiegen und dahin zu wirken daß endlich Alle sich beugen vor dem Namen des Herrn. Und so ists auch das dunkle Gefühl derer, von denen der Widerspruch ausgeht, daß er eben nicht gegen Einzelne sondern gegen die ganze Gemeinde gerichtet ist, es ist der geistge Leib des Herrn den sie möchten kreuzigen. Hier ist also nichts Einzelnes, sondern was gelitten wird das wird im Namen und an der Stelle der Gemeinde gelitten und so hat der Apostel recht indem er sagt daß seine Leiden Leiden für die Gemeinde sind. Er sagt er erstatte, oder genauer genommen er ergänze das 40 seine Leiden] seine Leiden,

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Kol 1,24

5

10

15

20

25

30

35

40

327

was noch fehle daran daß die Leiden Christi ihre volle Wirkung erreichen; Und so sehn wir wie der Apostel das Leiden Christi so ansieht wie das was auch seiner Gemeinde geziemt zu tragen bis der Kampf gegen den Geist und sein Wirken aufhört, und daß alles aus dem Widerstand gegen den Geist entstehende Leiden mit gehört zu dieser Ergänzung. So ist unser Herr also auch | in dieser Hinsicht der Anfänger unsres Glaubens, der Anführer in diesem Kampf, weil wir um sein Heil weiter zu verbreiten nicht aller Leiden entgehen können. Und das ist die Erfüllung dessen was geschrieben stehet, nemlich: „Des Menschensohn, der zukünftig verheißne Saame wird der Schlange den Kopf zertreten; aber sie wird ihm in die Fersen stechen“: Das Evangelium wird siegen und seinen Frieden und sein Heil allgemein machen, aber so lange der Kampf noch währt so lange werden auch jene Leiden währen und es sind dieselben die ihn trafen. Seht da das ist der Trost aller auf diese Weise Leidenden, und derer nicht allein sondern es ist der Trost der ganzen Christenheit in dem Streit des Geistes gegen das Fleisch; denn wenn dies Leiden die Fortpflanzung des Leidens des Herrn ist in welchem seine Herrlichkeit unvermindert sich zeigte so erscheint dieselbe auch in den Leiden der Gemeinde die sein geistger Leib ist, in allen Aufopferungen welche Einzelne zu machen haben, in allem was daraus entsteht daß das Kommen des Herrn Einigen zum Aergerniß andern zur Thorheit wird, denn dies Leiden und das woraus es entsteht ist immer dasselbe, es ist derselbe Widerspruch der Sünde, aber es zeigt sich in diesem Leiden auch eben die Herrlichkeit des Herrn: es zeigt sich die Macht die er den Seinen gegeben Kinder Gottes zu werden, denn es giebt keine Ergänzung und Fortsetzung der Leiden des Herrn als in Gemeinschaft seines Lebens und Wirkens und des Geistes der in ihm und in der Gemeinde ein und derselbe ist; denn was von dem nicht ausgeht, was nicht seine Herrschaft bezeichnet, was nicht ein Dienst ist den wir dem Geist leisten, das kann keine Fortsetzung der Leiden Christi sein: so wie es aber dieses ist so muß sich darin alles Eigenthümliche und Große der Kindschaft, deren wir durch den Sohn Gottes theilhaftig worden sind, beweisen, es muß sich an uns zeigen wie der ganze Rathschluß Gottes sich erfüllt den auszuführen der Herrn gekommen. Seht da das ist also die Betrachtung der Leiden Christi, welche immer dieselbe bleibt zu aller Zeit und uns die wichtigste sein muß, weil sie uns den großen Beruf des geistgen Leibes des Herrn als des seinen, ins Licht setzt. Und so laßet uns sehn darauf 2. wie der Apostel sagt, daß er sich freue daß er erstatte was noch mangelt an Leiden Christi für seinen Leib: das meint er nemlich so daß das Freuen derer die mit Christo und in der Gemeinschaft und Aehnlichkeit seiner Lei9–10 Vgl. Gen 3,15

20–21 Vgl. 1Kor 1,23

15v

328

16r

Am 29. März 1829 früh

den und für sein Wort und an der Stelle seiner Gemeinde leiden, daß dieses Freuen der Leiden mit dazu gehöre daß sich die Herrlichkeit des Herrn darin zeigt wie in seinem Leiden; denn es ist ja eben in diesem Freuen das Bewußtsein von dem nothwendigen Ausgang des Kampfes des Geistes, es ist darin die lebendige Ahnung von dem immer vollständiger werdenden Sieg des Geistes, der Liebe und Wahrheit in der Welt. Aber diese Freude soll nicht die Freude Einzelner sein, sondern wie die Einzelnen leiden im Namen der Gemeinde, so soll auch die ganze Gemeinde sich freuen, und das ist auch die Empfindungsweise gewesen in jener Zeit des Apostels. Wir PaberS müßen das nicht nur natürlich finden, und wenn wir uns freuen indem wir jene Leiden des Apostels betrachten, so muß das nicht nur eine Freude sein deswegen weil wir davon was jene wirkten das unmittelbare Bewußtsein haben indem wir dadurch Glieder der Gemeinde geworden sind, aber die Leiden, die sie ertrugen uns nur im dunklen Spiegel der Erinnerung vorschweben, sondern wir nehmen lebendgen Antheil daran indem wir als Gemeinde uns freuen wenn Einzelne von uns gewürdigt werden zu leiden in der Stelle der Gemeinde. Aber das kann keiner sagen als nur der der sich im Licht der Wahrheit das Zeugniß geben kann, daß er so bereit sei zu leiden im Dienst des Herrn und in der Stelle der Gemeinde deren Lebenskraft eben in diesem Zustand am meisten sich zeigt. Und so ists noch immer so wie der Apostel sagt daß wir uns freuen können im Leiden; zwar können wir nicht leugnen, wenn wir den entgegengesetzten Zustand betrachten, es hat jeder seinen Sieg; Wenn sich die Gemeinde in Frieden baut so wird die Kraft derselben nicht so sichtbar, aber der göttliche Wohlgefalle, der selige Friede des Herrn der Wohlgenuß der Liebe des Vaters die dann sich spiegelt in allem was uns umgiebt: das ists dann | dessen wir uns freuen. Im Zustand des Streits aber freuen wir uns der Kraft des Herrn die so wirksam ist in seiner Gemeinde daß selbst die Pforten der Hölle sie nicht überwinden können. Ja wir freuen uns mit allen Kindern Gottes der Ergänzung und Fortsetzung der Leiden des Herrn zur Heilgung der Welt. Diese Freude können wir aber nur dann und immer in sofern uns aneignen, als es wahr ist, daß nicht mehr wir leben sondern Christus in uns; denn nur so kann das was wir zu leiden haben die Fortsetzung des seinen sein, wir dürfen also nicht aus der Acht lassen daß seine Sündlosigkeit eben der Grund war seines Leidens und der Wirkung desselben; und daß nur in dem Maaße als wir diese uns aneignen wir im Leiden uns freuen können. Und darauf deutet der Apostel eben hin daß in sofern noch Sünde in uns ist, wir nicht können theilnehmen an den Leiden des Herrn oder vielmehr an der Fortsetzung derselben, nemlich deswegen nicht weil wir sagen müssen: (so wie das 23 Frieden] Friede 28–29 Vgl. Mt 16,18

32 Vgl. Gal 2,20

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Kol 1,24

5

10

15

20

25

30

35

329

Leiden Christi ein Leiden war welches von der Sünde der Welt ausging, indem dieselbe sich auflehnte gegen seine Sündlosigkeit und wie aller Streit der Sünde gegen den Geist des Herrn eine Wiederholung davon ist.) daß die Sünde ein zusammenhängendes Ganzes ist, daß also die Sünde die außer uns ist die Sünde zusammenhängt ihrem innern Wesen nach und wie sie die Feindschaft gegen Gott in sich trägt mit der Sünde die noch in uns ist, in uns, in denen doch schon angefangen hat das Leben Christi, indem also die Sünde der Welt sich zugesellt der Sünde die in uns ist, so gehört diese eben auch mit zu der Macht der Sünde die sich gegen den göttlichen Geist oder gegen das Leben Christi in der Gemeinde empört, und so sind wir je mehr noch Sünde in uns ist desto weniger im Stande fortzusetzen die Leiden des Herrn, sondern insofern sind wir die um deren willen es noch nöthig ist, daß die Gemeinde des Herrn leide und dadurch erstatte was noch mangelt an Leiden, damit die Erlösung durch Christum vollständig in die Erscheinung trete. Und so werden wir sagen müssen: soll alles was zu leiden ist eine Forstsetzung sein des Leidens Christi so muß die Sünde verschwinden aus uns und in demselben Maaß als sie verschwindet können wir uns freuen der Leiden; Denn wie geht es zu daß in dem Leiden des Herrn seine Herrlichkeit sich zeigte, als eben so daß er ohne Antheil war an der Sünde die seine Leiden verursachte? er war ohne Gemeinschaft mit der Sünde also nur insofern dieses sich fortpflanzt und es wahr wird, daß wir in ihm und in seiner Kraft die Sündlosigkeit gefunden haben, können wir uns freuen aller Leiden, auf solche Weise daß diese Freude mitgehört zu dem Offenbarwerden der Herrlichkeit des Herrn! Ist aber in uns noch ein Gesetz, welches streitet gegen das Gesetz in Christo, so muß unsre Freude getrübt sein. Nun aber sind wir durch den Erlöser dazu berufen, daß alle unsre Leiden sollen eine Fortsetzung sein seiner Leiden, und daß das Leiden Einzelner soll ein Gemeingut werden, und wir Alle uns des Leidens freuen: so laßt uns denn auch durch ihn dahin zu gelangen suchen, daß wenn wir zu leiden haben unser Leiden ein solches sei, laßt uns immer zuerst aufsuchen die Sünde in uns selbst, damit sie uns nicht hindre zu leiden für ihn, laßt und immermehr in dem Kampf gegen dieselbe wach sein, damit kein Gelüsten wider den Geist sich in uns mehr regen könne und damit wir uns freuen können allerwege und so eingehen zu dem Frieden Gottes der ganz derselbe in uns sein kann mitten in äußrer Ruhe wie mitten im innersten Kampf. So uns dem Herrn zu heilgen dazu soll die Kraft seines Leidens sich an uns erweisen, so wird sie aber nur auf uns wirken, wenn wir sein Leiden so betrachten wie das Leiden der Gemeinde eine Fortsetzung desselben ist, 23 daß] das

25 Gesetz, welches] Gesetz welches,

31 selbst, damit] selbst. damit

330

Am 29. März 1829 früh

die so lange dauert als der Kampf gegen die Sünde, und bis die Gemeinde in solcher Lauterkeit dasteht wie es seiner würdig, der der Anfänger ist wie der Vollender unsres Glaubens!

2–3 Vgl. Hebr 12,2

Am 5. April 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Judica, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 9,13–14 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 17r–18v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am S. Judica 29. Ebräer 9, 13.14

5

10

15

20

Auch diese aus der heutigen epistolischen Lexion genommenen Worte der Schrift stellen uns den Tod des Erlösers dar in der Vergleichung und Aehnlichkeit mit den Opfern des alten Bundes[.] Was aber der Verfasser dieser Worte, indem er ihn damit vergleicht, von dem Tode des Herrn rühmt: das ist die vereinigende Kraft des Gewissens, die er demselben zuschreibt: – Indem wir nun das näher erwägen, werden wir darauf sehn müssen: 1. Wie uns hier die Darbringung des Erlösers und sein Tod beschrieben wird. 2. Daß wir eben daraus recht verstehen, welches da sei die Reinigung unsres Gewissens die daraus hervorgehn soll. 1. Laßt uns sehn auf welche Weise in dieser Stelle der Schrift von dem Tod des Erlösers als von einem Opfer das er Gott dargebracht hat, geredet wird. Wir müssen dabei, indem wir auf die Vergleichung zurükgehen, uns daran erinnern, daß jene Opfer auch nichts waren an und für sich selbst, sondern sie hatten nur ihren Sinn und ihre Bedeutung in ihrem Zusammenhange mit der Erfüllung all der Vorschriften und dem ganzen Gottesdienst der dem Volk verordnet war: So heißt es in den vorigen Worten, daß die Hütte – der Raum und die Ordnung in welchen der Gottesdienst ausgeübt ward – ein Vorbild sein mußte, und mußten Opfer und Gaben dargebracht werden, welchen allein mit Speis und Trank und äußrer Heiligkeit bis auf 21 welchen] welchem 3 Die Sonntagsperikope für Judica ist Hebr 9,11–15.

20–1 Vgl. Hebr 9,6–10

17r

332

Am 5. April 1829 vormittags

die Zeit der Besserung sind aufgelegt: Diese Gebräuche von allerlei Reinigungen, die Vorschriften über Speise und Trank, über die Anordnung einzelner Theile des Lebens wie sie immer wiederkehren: das war der Zusammenhang des Gottesdienstes und in den gehörten die Opfer mit ein, und vor allen die welche jährlich der Hohepriester selbst darbrachte für seine und des Volks Unwissenheit (wie es im 7. Verse heißt.) Die Opfer wurden – aber nur dargebracht in Beziehung auf das was vorhergegangen war, und wie es heißt Vers 9 „sie konnten nicht vollkommen machen nach dem Gewissen, den, der da Gottesdienst thut“: so werden wir dadurch, daß die Opfer ein Theil waren des Gottesdienstes, darauf hingewiesen, daß der Tod des Erlösers nur in sofern kann als Opfer betrachtet werden wie er zusammenhängt mit dem Gottesdienst den er seinem Vater gethan hat durch sein ganzes Leben. Und so führts der Verfasser auch im nächsten Capitel weiter aus indem er sagt, daß Christus gleichsam gesprochen habe zu Gott „Opfer und Gaben gefallen dir nicht, aber siehe, ich komme zu thun Gott deinen Willen; den Leib hast du mir bereitet, daß ich thun soll deinen Willen“: Der Tod des Herrn gehörte also zu dem ganzen Gottesdienst seines Lebens, welcher nichts andres war und aus nichts anderem hervorging als daraus daß er sich von Anfang an ansah als so daß ihm Gott den Leib bereitet habe auf daß er seinen Willen thue. Den Willen Gottes zu thun, darin bestand sein Leben und in dem Zusammenhang mit seinem ganzen lebendigen, thätigen Gottesdienst, war dann auch sein Tod das Opfer das er Gott darbrachte. Hievon wird nun zweierlei gesagt, nemlich: ohne Wandel d. h. ohne Tadel, und, „durch den ewigen Geist“[.] Das Erste ist gesagt in einer unmittelbaren Vergleichung mit dem ganzen Priesterthum und Opferdienst des alten Bundes; denn die Opfer sowol als die Priester mußten untadlich sein: und in Beziehung darauf hebt der Verfasser das hervor, daß der Erlöser ohne Tadel sich geopfert, d. h. nachdem sein ganzer vorhergegangener Gottesdienst ohne Mangel gewesen war, und er selbst auch so vollkommen war wie er eben sein mußte, wenn sein ganzes Leben, all sein Thun Ein Gottesdienst sein sollte; Denn das ist dieselbe Vollkommenheit des Erlösers in welcher er sich selbst Gott darbrachte, und eben diese Darbringung seiner selbst, insofern sie muß angesehn werden als Opfer, ist gleichsam die Versiegelung seiner Vollkommenheit in seinem ganzen Wesen und Dasein, so wie er dargestellt wird schon am Anfang seines öffentlichen Auftretens – freilich nur zunächst denen denen er konnte, schon damals in der Taufe, kund gemacht werden, als der Sohn des lebendigen Gottes. Daß er der sei, 4 ein] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1686 sein 6 Vgl. Hebr 9,7 Hebr 9,14

5 seine] sein

14–16 Vgl. Hebr 10,5–7 (Zitat aus Ps 40,7–9)

32–33 seiner]

23–24 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 9,13–14

5

10

15

20

25

30

35

333

das war der Eindruck den er auf die machte die seines nähern Umgangs gewürdigt waren; sie sahen in ihm die Herrlichkeit des Vaters, die Herrlichkeit des eingebornen Sohns Gottes: und so wurde ihm kurz vor seinem Leiden nochmals das Zeugniß gegeben von Oben her: „das ist mein Sohn an dem ich Wohlgefallen habe“: Und diese Untadlichkeit ward aufs höchste bestätigt indem er sich Gott darbrachte im Tode zum Opfer, wie im Leben er gethan. | Ja das war der höchste Augenblick des Gottesdienstes darin sein Leben bestand, es war das lauteste Zeugniß seiner Vollkommenheit, seines durch nichts zu hemmenden Thuns des Willens Gottes. Und wie seine Darbringung nun in Beziehung gebracht wird und in Vergleichung mit den Opfern die nun als das Unvollkommene aufgehoben sein sollten durch das Eingetretensein des Vollkommenen: so ist das nun eben das göttliche Zeugniß bei der Vollendung seines Lebens, über die Untadlichkeit dessen der von Anfang an der Sohn des göttlichen Wohlgefallens war. Dunkler nun ist das Zweite was hier von der Darbringung Christi gesagt wird, nemlich daß er sich Gott dargebracht habe durch den ewigen Geist. – Luther hat zwar diese Stelle übersetzt: durch den heilgen Geist: Es stehn aber diese Worte „durch den ewgen Geist“: im genauesten Zusammenhange mit der Vergleichung der Darbringung des Herrn mit den Opfern des alten Bundes, und auch mit den vorhergehenden Worten worin die ganze Anordnung des Gottesdienstes beschrieben wird und verglichen mit dem Gottesdienst Christi, und gesagt daß jenes nur aufgelegt gewesen sei bis auf die Zeit der Besserung, also als Vorübergehendes, wie ja auch anderwärts das Gesetz dargestellt wird als ein Zwischeneingetretenes, und als der Schatten des Zukünftigen, bis der Glaube offenbart würde. Jener Gegensatz also dessen was sich in Christo offenbart, gegen das Vorübergehende im alten Bunde stellt sich hier dar, und in Beziehung darauf wird gesagt er habe sich geopfert durch den ewigen Geist d.h. durch den Geist welcher nun das beständige sein soll, fortgehen durch die ganze Zukunft ohne Ende, durch den Geist des neuen und ewigen Bundes mit Gott hat er sich Gott geopfert, und das ist der Geist der nun waltet im Reich Gottes, durch Christum gegründet! Und wie sein Gottesdienst und Opfer das Ende war alles frühern, wie auch gesagt ist: „wäre er nicht für uns gegeben, so hätten wir kein Opfer für die Sünde“: und wie sein Gottesdienst und Opfer die Erfüllung dessen war was eben jenes nicht zu erfüllen, nicht zu vollbringen vermochte, so stellt sich eben das, wodurch er es that dar, als das 34 Sünde“:] Sünde“:, 2–3 Vgl. Joh 1,14 4–5 Mt 3,17 17–18 Schleiermacher macht hier auf die korrekte Übersetzung von δι πνεματου α ωνου in Hebr 9,14 aufmerksam. 22– 23 Vgl. Hebr 9,10 23–24 Vgl. Röm 5,18–20 24–25 Vgl. Hebr 10,1 33– 34 Vgl. Hebr 9,26

17v

334

Am 5. April 1829 vormittags

Unveränderliche, so also wie der Opfertod des Erlösers hier dargestellt wird als geschehen für uns, so ist das was daraus für uns hervorgeht, das, was nun als der neue und ewige Geist des Bundes mit Gott angeschaut werden kann. In diesem und durch den war der Erlöser eben untadlich, und durch denselben hat er sich, als der Untadliche, Gott geopfert. Seht da, so weiset uns auch diese Stelle der Schrift, indem sie von dem Ende der menschlichen versöhnlichen Wirksamkeit des Erlösers redet und seinen Tod als Beweis und Bestätigung des lebendigen Gottesdienstes seines ganzen Lebens darstellt und ihn deshalb ein Opfer Gotte dargebracht nennt, hin, auf das neue und ewige was mit ihm seinen Anfang genommen unter uns: und eben in diesem Sinn ist das Opfer Christi das worauf wir verwiesen werden als auf das was nun jene reinigende Kraft auf unser Gewissen ausübt, wie hier geschrieben steht: „das Blut Christi wird unser Gewissen reinigen von den todten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott“:

18r

2. Laßt uns darauf sehn, was eigentlich mit der reinigenden Kraft des Todes Christi gemeint ist und wie er dieselbe ausübt über unser Gewissen: Vor unsrem Text und namentlich im 9. Verse wird gesagt, daß die Gaben und Opfer nicht konnten vollkommen machen dem Gewissen nach, und im Text wird den Opfern das Zeugniß gegeben daß sie die Unreinen reinigen zu der leiblichen d. h. oberflächlichen Reinigkeit des Gewissens. Das Unvermögen jener Opfer also war eben das, daß die reinigende Kraft derselben nur eine äußre war, die Kraft des Todes Christi aber ist eine innere Kraft, die das Uebel mit der Wurzel vertilgt, unser Gewissen reinigt von den todten Werken und uns fähig macht zu dienen dem lebendigen Gott. – Wenn wir nun fragen: „was heißt eine Reinigung des Gewissens?“ so kann man zweierlei antworten: Nemlich: Wir sagen das Gewissen des Menschen sei beflekt wenn er sich etwas bewußt ist was da streitet mit seiner eignen Erkenntniß von dem was ihm obgelegen hat zu thun, und daß wir das eine Befleckung des Gewissens nennen, das weiset hin auf das Bedürfnis einer Reinigung. Und wenn wir fragen: wie vermag das Gewissen davon gereinigt zu werden? So müssen wir sagen daß nichts kann ungeschehen gemacht werden und aus der Erinnerung gelöscht, und von dieser Seite angesehen | giebt es eine solche Reinigung des Gewissens also gar nicht, sondern was geschehen ist, es kann nur seiner äußern Wirkung nach ungeschehen gemacht werden, nemlich insofern als wir bei uns feststellen daß wir gleichsam vergessen können was geschehen und nichts mehr in Beziehung darauf nöthig sei zu thun; insofern es also auf diese Weise aus dem Zusammenhange des äußern Lebens herausgenommen wird, kann eine Art von Beruf ganz darüber entstehen. Aber es giebt einen zweiten Sinn, in 7 versöhnlichen] versönlichen

21 oberflächlichen] oberflächlicher

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 9,13–14

5

10

15

20

25

30

35

40

335

dem der Ausdruck gebraucht wird, und genau genommen ist das tiefer und wichtiger, nemlich: Wenn wir darauf zurückgehn: das Gewissen sei das was uns vorhält was recht und unrecht gegen den göttlichen Willen ist, und es also darauf ankommt wie klar, wie fest und wie der Wahrheit gemäß dieser Unterschied dargestellt wird: durch das Gewissen: Wenn wir darauf zurükgehn wie das Gewissen die Stimme Gottes ist in dem Menschen und also das was Gott selbst in die ursprüngliche menschliche Natur hinein gelegt hat, daß also, je reiner nun das Gewissen das dem Menschen vorhält was recht und unrecht ist, es um desto besser mit ihm steht, weil eben dann um so reiner sich Gott ihm darstellt: Und wir fragen immer, was besser sei ein unbefleckt Gewissen, aber so, daß das was uns als der Wille Gottes erscheint, noch lange nicht der ewige Wille Gottes ist an uns, oder, auf der anderen Seite, ein Gewissen in dem der ewige Wille Gottes rein erkannt wird – woraus denn ein lebendig Bestreben entsteht ihm zu genügen – aber so, daß dieses reine Gewissen in Beziehung auf die Erfüllung des rein erkannten göttlichen Willens nicht rein ist sondern auf mancherlei Weise getrübt im einzelnen: So wird wol keiner Bedenken tragen zu gestehen daß das Letztere der vorzüglichere Zustand sei, und daß alle Sicherheit des Vergessens und Unwirksammachens des Verschuldeten doch einen sehr unvollkommenen Zustand darstelle wenn dabei das Gewissen im innren Wesen unsicher und unrein ist und wir im Bewußtsein von dem was wir eigentlich wollen immer wieder verwirrt werden, weil eben eine vollkommenere Erkenntniß des göttlichen Willens noth thut um aufs Reine zu kommen zuvorderst mit unserm Wollen. – Wenn wir nun fragen welche Reinigung unsres Gewissens gemeint sei, in unserm Text, so werden wir sagen müssen die Reinigung des Gewissens im letzteren und größern Sinn; denn das sehn wir aus dem ganzen Zusammenhange der Worte in denen gesagt wird das Blut Christi reinige das Gewissen von den todten Werken, um zu dienen dem lebendigen Gott; denn indem der lebendige Gottesdienst entgegengesetzt ist den todten Werken, und gesagt, daß wir davon gereinigt werden die todten Werke thun zu wollen so ist nicht die Rede von solcher Reinigung des Gewissens die sich auf einzelne Verschuldungen bezieht; denn die kann eben nicht solchen Gegensatz bilden zwischen dem Thunwollen der todten Werke und dem lebendigen Dienst Gottes. Also jene letztre Reinigung des Gewissens ist gemeint. Und wenn wir auf den frühern Zustand der Menschen sehn wo sie ihr Gewissen zufrieden stellen wollten durch das Thun todter Werke, und stellen dem entgegen einen spätern Zustand des Gewissens worin es auf nichts geringeres gestellt ist als auf den Dienst des lebendigen Gottes: so werden wir uns das recht vergegenwärtigen daß der Apostel in diesen Worten, wo er den Gegensatz aufstellt, eingeht auf den Dienst des alten Bundes worin damals alles gestellt war 24 zuvorderst] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1778

25 unsres] unsers

336

18v

Am 5. April 1829 vormittags

auf äußere Heiligkeit und auf äußre Werke die als solche einen Werth haben sollten den sie doch ihrer Natur nach nicht haben konnten: und das ist es nun eben was in dem Worte bezeichnet ist: „todte Werke“ im Gegensatz mit dem lebendigen Gottesdienst durch Christum. Wem sollte dabei nicht einfallen das Wort des Erlösers: „Es kommt die Zeit wo man Gott anbeten wird im Geist und in der Wahrheit:“ Wie nun der Geist lebendig macht und der Buchstab tödtet: so waren alle Vorschriften des äußren Gottesdienstes von dem der Herr sagt daß er nun aufhören solle, Vorschriften zu todten Werken: die Aufforderung aber Gott anzubeten im Geist, das war die Aufforderung zu dem lebendigen Gottesdienst, und indem der Erlöser diese ausspricht, fügt er hinzu, der Vater wolle solche Anbeter haben und dazu sei er erschienen daß das wahr werden könne. Und hier im Text wird gesagt, daß durch das Opfer Christi unser Gewissen gereinigt | werden soll von den todten Werken. Wie nun vom Tode Christi als von einem dargebrachten Opfer geredet wird, das muß uns deutlich sein wenn wir auf den ersten Theil unser Betrachtung zurückgehn, nemlich: das ganze Leben des Erlösers wie es beschrieben wird als die Erfüllung des Willens Gottes, ist nichts anderes als solcher Dienst, dem lebendigen Gott dargebracht: war nun sein Tod die höchste Versiegelung seiner Untadlichkeit, werden Alle die ihn erkennen durch den Glauben an ihn, hingewendet zu dem ewigen Geist durch den er sich geopfert: wie könnten sie noch Wohlgefallen haben an todten Werken! Wenn uns aus dem innern geistigen lebendig thätigen Dienst Gottes, aus dem Thun des Willens des Vaters die Herrlichkeit des eingeborenen Sohns Gottes erschienen ist: wie sollten wir unser Gewissen noch genügen wollen an todten Werken! Nein davon reinigt uns der lebendige Gottesdienst des Herrn, der Opfertod dessen der der Anfänger ist unsres Glaubens. Das aber gilt nicht nur von solchen Werken wie sie vorgeschrieben waren für den Tempeldienst im alten Bunde, es gilt nicht nur davon daß wir uns nicht sollen begnügen mit äußren Gebräuchen, und auch nicht nur davon daß wir auf alle Gottesdienstliche Verrichtungen nicht einen Werth legen sollen an sich selbst, sondern es gilt von dem ganzen thätgen Leben, es gilt von dem ganzen Reich Gottes wie wir es sollen mit erbauen helfen, es gilt von Allem was wir in Beziehung darauf zu thun haben und wirklich thun. Wenn wir den Werth darauf legen daß irgend was, sei es viel oder wenig nach dem Maaß als wir viel Gelegenheit haben solches zu thun, geschehen ist, so gleichen wir den Jüngern die, als der Herr sie ausgesandt hatte und sie nun zu ihm zurückkehrten, sich rühmten daß sogar die bösen Geister ihnen unterthan gewesen. Da sprach er zu ihnen „freut euch nicht darüber daß die Geister euch unterthan gewesen sind und – da ihr das als das Größte haltet – nicht über Thaten und 5–6 Vgl. Joh 4,23 Lk 10,20

6–7 Vgl. 2Kor 3,6

11–12 Vgl. Joh 4,23

39–2 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 9,13–14

5

10

15

20

25

30

35

337

Werke, sondern freut euch darüber daß eure Namen im Himmel geschrieben sind,“ beruhigt euch nicht und sucht nicht in der Menge äußrer Thaten die Reinigung des Gewissens sondern fragt nur ob ihr innerlich im lebendigen Gottesdienst begriffen seid und all euer Thun davon ausgeht: Ja das ists, wie wir die Herrlichkeit des Erlösers darin sehn, daß er Eins war mit dem Vater und daß alles was er that auf diese Quelle seines Daseins zurückführt, so sollen auch wir bei uns nur darauf sehn daß wir immermehr Eins werden mit ihm und daß aus diesem seinem Leben in uns unser lebendiger Gottesdienst hervorgeht – wie er ja auch anders nicht gegenwärtig werden könnte[.] – Nicht sollen wir den Dienst den wir ihm thun als in äußren Thaten bestehend erachten, braucht er uns um viel zu thun und es ist ausgeführt was er gewollt, so sollen wir uns nicht freuen daß dies gethan, gelingt etwas in seinem Reich so freuen wir uns daß er so sorgt für seine Gemeinde, aber nicht weil es durch unser Thun gelungen ist; denn sehn wir darauf, so ists todtes Werk und nicht sind wir im Zusammenhange mit ihm der sich als untadlich Opfer Gott hingegeben hat, es ist nicht der Dienst im Geist der Wahrheit. Darum reinigt uns das Opfer Christi von den todten Werken auf daß wir uns Gott zum Dienst im Geist hingeben wie er, zum solchen Opfertod freilich nicht, aber wir alle sollen nun gekommen sein, durch den Glauben an ihn, den Willen Gottes zu thun, unser ganzes Leben seinem Dienst zu weihen, den Willen Gottes als den lebendigen Trieb im Herzen zu tragen, damit unser gemeinsam Leben dem seinen ähnlich wird, nicht in der Herrlichkeit aber doch so daß seine Herrlichkeit sich dadurch ausspricht, nicht daß wir so großes thun könnten wie er gethan, aber doch so, daß wir wissen daß unser Gewissen auf dasselbe gerichtet ist wie das seine es war. Und indem wir in seine Gemeinschaft immer aufs neue uns versenken vergessen wir darin die Einzelheiten unsres Thuns ohne ihn und das kommt dann immer seltener vor. Das ist die reinigende Kraft des Gewissens von den todten Werken zu dem wahren lebendigen Gottesdienst. Wie übt der Tod Christi diese Kraft aus? was haben wir dabei zu thun? Darüber hat sich der Erlöser ausgesprochen indem er sich vergleicht mit der Heilbringenden Schlange von der alle geheilt wurden die gläubig zu ihr aufschauten. Damit hat er andeuten wollen die Darstellung der ganzen Art und Weise dieser seiner Wirkung auf uns, nemlich daß von unsrer Seite nichts nöthig ist als aufzusehn zu ihm mit dem Auge des Glaubens, mit dem durch ihn selbst für seine Herrlichkeit geöffneten Auge: So laßt uns aufsehn auf den Anfänger und Vollender unsres Glaubens, dieser uns mit ihm verbindenden Kraft, indem wir so zu ihm aufsehn, übt er die reinigende Wirkung seines Opfertodes auf uns aus, er erhebt uns zu dem geistgen 2 äußrer] äußer 30–33 Vgl. Joh 3,14

37 Vgl. Hebr 12,2

338

Am 5. April 1829 vormittags

lebendigen Gottesdienst wie er sich durch den ewigen Geist des Bundes mit Gott ihm hingegeben hat, und sind wir in diesem Dienst begriffen so vermögen wir nicht mehr uns zu genügen mit todten Werken, sondern immermehr prägen sich uns im gläubigen Anschaun seine Züge ein und mit den Zügen seines Bildes kommt die Umgestaltung des Innern von selbst, es stirbt unser eigen Leben und es beginnt ein immer kräftiger Leben in uns und so dienen wir durch ihn dem lebendigen Gott und das ist der Dienst der uns ganz beschäftigt und keine todten Werke zuläßt. So laßt uns denn auf ihn sehn und so unser Gewissen reinigen und immer uns prüfen ob nicht doch in unsrer Denkungs und Handlungsweise etwas den todten Werken das Wort redet, und laßt uns dem entsagen und nur in der rechten Freiheit der Kinder Gottes durch den ewgen Geist des Bundes mit ihm Gott dienen, dazu werden wir durch seinen Sohn als ein ihm gefällig Opfer erfunden.

5

10

Am 12. April 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Palmarum, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Phil 2,8 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 106, Bl. 54r–55v; Crayen Keine Keine Keine

Palmsonntag Fastenpredigt 29. Phil. 2. v. 8. „Er erniedrigte sich – und ward gehorsam pp.“

5

10

15

20

25

Diese Worte (aus der heutigen Epistel) hängen zusammen mit der Ermahnung welche der Apostel denselben voran schickt: „Ein jeglicher sei gesinnt wie Jesus Christus“ – und nachdem er ferner sagt: „Er habe Knechtsgestalt angenommen“ – so fügt er nun diese unsre Textesworte hinzu: „Er erniedrigte sich im Gehorsam“ – das also ist das Bild seiner Erniedrigung. Jemehr nun diese Darstellung bestimmt ist uns zum Vorbilde zu dienen, um so wichtiger ist es daß wir vollkommen und richtig verstehen 1. was damit gemeint ist. 2. wie wir es auf uns anwenden sollen. Es ist aber hiermit, wie mit manchen Wörtern der heiligen Schrift, die in dem aufmerksamen Leser derselben leicht Bedencklichkeiten erregen können. Wenn, nemlich hier, gesagt wird: „Er erniedrigte sich selbst – im Gehorsam“ welcher er mit Kraft hätte P S machen können und wir dencken nun daran: wodurch er das war – was er war: an seine eigenthümliche Hoheit welche sich uns bezeichnet durch das Eins sein mit Gott seinem himmlischen Vater – vermöge welcher er sich unterscheidet von allen andern Menschen! und hören dann (wie es hier von ihm heißt): „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode!“ – Könnten wir wohl seinen Gehorsam gegen den göttlichen Willen als eine Erniedrigung für ihn ansehen wollen? Gewiss nicht! Denn das ist es ja eben, des er sich rühmt – und es als seine große Bestimmung ansieht zu thun den Willen seines himmlischen Vaters – und zu vollführen sein Werk – als wozu er gekom4 Die Sonntagsperikope für Palmarum ist Phil 2,5–11.

5–6 Phil 2,5

54r

340

54v

Am 12. April 1829 früh

men – und welches seine Speise war! Hierin also liegt keine Erniedrigung für ihn! Denn wo gäbe es vielmehr Größeres als in einem solchen vollkommenen Thun des göttlichen Willens? – und welche größere Herrlichkeit könnte es geben, als ein Werk Gottes zu vollbringen! Eben so wenig aber konnte diese Erniedrigung bestehen in der – auch nur augenblicklichen Entäußerung seines göttlichen Wesens – vermöge des der Vater in ihm war – denn jenes ausgezeichnete Verhältniß das musste er unabläßig festhalten in sich – wenn er im stande sein solte das Werk Gottes der Versöhnung und Vermittlung zu vollführen dessen also, als der ihm eigenthümlichen inneren Würde durfte er eben so wenig sich entäußern – als es uns – seinen Gläubigen – zugemuthet werden könnte daß wir auch nur auf Augenblicke des Verhältnisses worin wir – durch die göttliche Gnade – mit Christo gestellt sind, uns entäußern; – als welches von dem Augenblick an, fest in uns geworden ist, wo wir damit in’s Klare gekommen sind: „daß es die Sünde war welche trennte uns und unsern Gott voneinander und wir nun von den Glauben zu Christum ergriffen worden sind zur Wiedergeburt im Geist – und durch denselben zur lebendigen Gemeinschaft gekommen sind mit Gott in Christo.“ – Denn wolten wir uns dessen auch nur auf Augenblicke entäußern – so wäre damit verbunden ein zurückversinken in die Finsterniss aus der wir durch dieses wunderbare Licht enthoben sind. – Das also wollte der Apostel auch gar nicht darunter verstanden haben, indem er uns Christum darin als Vorbild aufstellt! wie denn davor es kein Entäußern giebt weder für ihn noch für uns! – | Wie denn dieses das köstlichste Kleinod ist – welches wir in jedem Augenblick, und unter allen Verhältnissen nicht fest genug halten können damit es nie gestört und gehemmt in uns werde. Wenn aber der Apostel sagt: „Er erniedrigte sich im Gehorsam“ – so hat er dabei im Sinn: den Gehorsam des Erlösers in allen den menschlichen Verhältnissen worin er – so lange er hier auf der Erde wandelte von Gott gestellt war – weil er nur so seine Bestimmung erfüllen und das ausrichten konnte unter den Menschen wozu er gekommen war es zu bewirken nach dem Willen Gottes – und so lag denn diesem Gehorsam, der Gehorsam gegen Gott zum Grunde – und das nun nennt der Apostel seine sich selbst Erniedrigung – und die Knechtsgestalt in welcher er einherging unter den Menschen – und das sich entäußern der äußeren Vorzüge – welche er vermöge seiner göttlichen Würde und Rechte hätte können geltend machen. – Wie weil sie seiner göttlichen Abkunft angemessen und ihm mit Recht zu kommen. – Weil er aber nur in einer solchen Knechtsgestalt das ausrichten konnte wozu der Vater ihn gesandt – so begab er sich dessen freiwillig – im Gehorsam bis zum Tode – am Kreuze – indem er sich gefallen ließ alles das was damit verbunden war um den Willen Gottes aufs genaueste zu vollziehen! – Darum aber – so setzt der Apostel hinzu: konnte nun auch Gott ihn (so 42–2 Vgl. Phil 2,9

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Phil 2,8

5

10

15

20

25

30

35

341

wiederum) erhöhen; daß nun auch ein so großer Name ihm geworden ist, der über alle Namen geht! Und wie er sich neu diesem allen unterwarf im Gehorsam so stellt ihn uns der Apostel hier als Vorbild auf wenn er sagt: „Ein jeglicher sei eben so gesinnet!“ Und indem wir nun eingehen in diese seine Erniedrigungen im Gehorsam in seinen letzten Leiden so lasset uns denn hinsehen auf die mit denen er es dabei zu thun hatte – (vorzüglich in seinem letzten Leiden) Wer aber waren die? Es waren die Hohenpriester – mit denen er noch in seinen letzten Lebenstagen in Berührung kommen musste – es war die römische Obrigkeit – ohne deren Zustimmung diese Hohepriester ihn nicht zum Tode verurtheilen konnten. Und welches war das Verhältniss worin er bis dahin zu diesen Heiden gestanden hatte? – Er wusste – daß wenn gleich auch diese endlich der großen Heerde zugeführt werden sollten er doch – während seines Erdenlebens mit seiner Thätigkeit nur beschränkt sein sollte auf das jüdische Volk (auf die Schaafe vom Hause Israels) auch hatte er das Bewußtsein daß er an diesen während seines Erdenlebens alles gethan was er in seiner Weisheit und Liebe er ihnen zu thun vermochte! Jene aber konnten bis dahin noch nichts wissen von der Heiligkeit und Göttlichkeit seiner Person. Aber in welcher göttlichen Hoheit stehet er ihnen gegenüber vor unserm Blick! sowohl in seinem Schweigen als in seinem Reden. Er der wohl gewußt hätte sie mit der Krafft von einem einzigen seiner Worte zu gewinnen – er machte hier keinen Gebrauch von der Gewalt seiner Rede – wo – wie er es nicht wollte – dieselbe leicht eine Wirkung hätte hervorbringen können. – | Und ließ sie nach ihrer Ansicht handeln mit ihm eine Ansicht welche bestärkt wurde durch das Gesetz dem sie sich unter worfen fühlten. Und eben so verfuhr er mit den Dienern, die auf ihren Befehl sich seiner heiligen Person bemächtigten – und welche schon bei seinem Anblick zur Erde niederstürzten. – Er ließ sie sich wieder erholen – und das nun war es worin sein sich selbsterniedrigen bestand im Gehorsam gegen seine menschlichen Verhältnisse. Wie denn auch darin daß er sich wiederum da wo es galt der göttlichen Wahrheit die Ehre zu geben auf Frage und Antwort mit denen einließ die nicht einmahl im stande waren den hohen Sinn zu ahnen der in seinem Zeugniss über die Göttlichkeit seiner Person lag. – Und alles dieses that er aus Gehorsam gegen die menschlichen und bürgerlichen (von Gott eingesetzten) Ordnungen um sie nicht zu verlezen – ja er erniedrigte sich in diesem Gehorsam so weit, daß er sich lieber dem Tode – ja dem Tode am Kreuze hingab, als diese Ordnungen zu verlezen 7 Leiden)] Leiden)? 17 aber] darüber steht als Alternative also Ordnungen] eingesetzten Ordnungen) 4 Phil 2,5

36 eingesetzten)

55r

342

55v

Am 12. April 1829 früh

auf irgend eine Weise. – Wenn nun der Apostel sagt: „Ein jeglicher von uns sei eben so gesinnt!“ so liegt darin daß auch wir im gleichen Falle – eben so handeln müssen im Aufschauen auf ihn: Ist aber sein Geist in unser Herz ausgegossen – leben wir in der seligen Gemeinschafft mit ihm – so werden wir auch nichts andres wollen als das was wir ihn haben thun sehen – in der Krafft der allmächtigen Liebe[.] – So lasset uns denn beharren in einem solchen wahren lebendigen Glauben an ihn, der da immer nur thätig ist, in dieser Liebe – wie es seine ersten Apostel thaten – und festhalten dabei – wie sie – an seinem prophetischen Worte – denn nur so können wir in der That sein Reich bauen auf Erden. Wie denn auch nur so sich begründen kann seine milde Herrschaft. – Ja, nur so können wir sein Werk verherrlichen auf Erden! und so kann auf eine untadlige Weise sein Reich sich bauen wenn auch wir – wie er – gehorsam sind allen menschlichen Ordnungen welche Gott eingesetzt – und Ehre geben dem – welchem Ehre gebührt. Ja nur so kann auf untadliche Weise das Reich sich bauen welches nicht kommt mit äußerer Geberde und Gewalt. Eben so machten es auch die Apostel – wenn gleich sie wussten daß auf ihrer Lehre der ewige Friedensrath Gottes beruhete! – wenn diese Lehre verworfen ward von den Kindern dieser Welt. – Und was wurde nun die schöne Frucht davon. Es galt in dem Streben der Apostel nichts Geringeres: als die Gewalt des göttlichen Geistes ans Licht zu ziehen. Es galt daß eben die dadurch selbst zur Erkenntniss der Wahrheit kommen sollten zu ihrem eignen Heil welche diesem Lichte wiederstrebt – durch ihre Liebe und durch ihre Fürbitte. – Es galt: das Verhältniß des Reiches Gottes auf Erden zu der menschlichen Gewalt festzustellen! Und das wurde denn auch der schöne Preis den sie davon trugen in der Krafft des Herrn. – Und darum überall wo auch wir erblicken eine menschliche Gewalt die sich gründet auf eine göttliche Ordnung – da gilt auch für uns eine solche Erniedrigung unsrer selbst dieser Gewalt gegen über – aus Gehorsam gegen diese göttlichen Anordnungen. Ja selbst dann wenn wir wissen, daß unsre Einsicht davon was uns befohlen wird eine reinere ist, weil die welche diese Gewalt in Händen haben nicht immer auch eine reine Erkenntniss haben – | so giebt es doch für uns ein solches Unterwerfen im Gehorsam. Von der andern Seite aber auch gilt es – in unsern Aussprüchen über göttliche Dinge der Wahrheit die Ehre zu geben. Und nur durch beides zusammengenommen kann sich bauen die Gemeine Jesu Christi! Was aber will in dieser Beziehung unsre Erniedrigung sagen gegen die Seine – die ja doch nur eine schwache Nachbildung sein kann von der Seinen! auch kann die Gele16 Geberde] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 449–450 1–2 Vgl. Phil 2,5 16 Vgl. Lk 17,20

3–4 Vgl. Röm 5,5

7–8 Vgl. Gal 5,6

14–15 Vgl. Röm 13,7

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Phil 2,8

5

10

15

20

343

genheit dazu nur noch selten vorkommen – wir sollen aber nicht vergessen: daß wir das wesentlich mit zu seiner Nachfolge rechnen müssen. Beides auf welche Weise immer zu scheiden und zu verbinden was wir darin Gott und Menschen schuldig sind – und dadurch (Beides) zu zeigen wie wir unserm großen Vorbilde nachkommen – so daß in beiden Fällen der Gehorsam gegen Gott unser höchste Ruhm bleibt[.] Indem wir uns nun aber des freuen daß es immer weniger nöthig ist auf diese Weise zu kämpfen für das Reich Gottes – so sollen wir doch des uns bewußt sein – und auch dieses mit zu unserm Glauben rechnen – : daß auch wir – wie es Paulus war – willig sind – auch uns gürten und führen zu lassen wohin wir nicht PgerechnetS denn auch durch solch ein Dulden mit ihm, wird immer herrlicher hervortreten die Verklärung des Reiches Jesu Christi auf Erden – wie es nicht ist ein Reich von dieser Welt. Sehet, m. gel. Freunde so führt die Betrachtung des Leidens Jesu Christi immer wieder uns zurück auf sein Vorbild hin zu schauen und weiset uns hin auf die allein richtige Bahn auf die wir als seine Nachfolger gehen sollen. So lasset denn uns von ihm es lernen, in schöner Übereinstimmung zu bringen: den Gehorsam gegen Gott auch in Beziehung auf alle unsre menschlichen Verhältnisse! Dann werden wir eben so gute Weltbürger werden, als wir Himmelsbürger sind. Und in dieser schönen Übereinstimmung das Reich des Friedens bauen – und dadurch dann immer mehr die Fleckenlosigkeit der Gemeine Jesu Christi herbeiführen – zu seines Namens Ehre und Preise.

10–11 Vgl. Joh 21,18

21 Vgl. Eph 5,27

Am 15. April 1829 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Mittwoch, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Kol 1,10 Nachschrift; SAr 68, Bl. 19r–19v; Crayen, in: Woltersdorff Keine Keine Konfirmationspredigt Tageskalender: „Einsegnung 58 Kinder“

Aus der – Einsegnungs. Rede. (29.)

19r

Ihr, meine geliebten Kinder, sollt jetzt unter die Zahl der Christen aufgenommen werden. Und so lege ich Euch denn an’s Herz das Wort des Apostels – in diesem beiden Stücken: „Wandelt würdiglich Eurem Beruf als dem Herrn! – Wachset in der Erkenntniß Gottes in Christo!“ – Ein jeder Abschnitt des menschlichen Lebens hat etwas Bedeutendes! Ihr tretet jetzt ein in einen Solchen: Früher waret ihr schon angeregt vom Geist aber es war immer nur Einzelnes was er in Euch wirkte. – Von jetzt an soll Euer ganzes Leben ein Wandel sein vor Gott. Von jetzt an beginnt der Ernst Eures Lebens – von jetzt an soll Euer ganzes Leben ein Wandel sein vor Gott. Und so begehren denn auch wir von Euch zu bemerken: daß das Gelübde in Euch hafftet, welches Ihr heut ablegt. Fraget Ihr nun: wie sollen wir wandeln würdig dem Herrn? so ist die Antwort: „Wandelt in einer der Seinen ähnlichen Liebe – welche er zum Kennzeichen gemacht seiner wahren Jünger.“ Und wie sein ganzes Gemüth immer nur davon erfüllt war – so daß es aus dieser Liebe alles vollbrachte – so sei er auch mit Euch! Trachtet überall nur nach seinem Reiche – welches bestehet in Friede und Freude! – Beides aber ist nur da wo der Geist der Liebe ist. Ihr, meine lieben Söhne, tretet ein in die Welt – darin Ihr würdig wandeln sollet vorm Herrn – zum Preise! So lenket denn über all Euren Blick immer nur darauf hin was der Wille Gottes an Euch ist; folget keinem Beispiel als worin Ihr die Züge Jesu Christi erblickt – sehet auf das allein was göttlich ist! Bedenket wohl was Ihr redet! – Worte sind auch Thaten – ja oft die Bedeutendsten – und Folgenreichsten! Von keiner unreinen 11 Gelübde] Gelübd kann nur da sein

17–18 Beides ... da] darüber steht als Alternative Beides aber

5

10

15

20

Predigt über Kol 1,10

5

10

15

20

25

30

35

40

345

Stimme lasset Euch verlocken! – Und, wie verschieden dann auch Euer Beruf ist: Alle sind darin gleich, daß Ihr nur so wandeln könnt würdiglich darin: wenn ihr treu seid dem Willen Gottes an Euch. – Ihr, meine geliebten Töchter, seid bestimmt für einen engern Kreis des Lebens darin Ihr würdig wandeln sollt! Aber – o, achtet ihn nicht gering diesen Euren schönen Beruf! – Der Segen des ganzen häuslichen Lebens – darin Ihr gestellt seid – ist daran geknüpfft daß Ihr würdig darin wandelt dann werdet Ihr den früheren Frauen ähnlich sein welche den Herrn überall begleiteten. – Hier – in dem bescheidenen Kreise unsres häuslichen Lebens – begehren wir zu finden eine Stätte des Friedens und der Erquickung; hier – neue Kräffte zu sammeln zu unserm Wirken für die Sache Gottes – hier Trost zu finden für jedes Wehe! Bleibet denn überall in diesen Euren heiligen Schranken und haltet aufrecht darin christlich Sinn und christlich Sitte – wie denn davon ausgeht der Segen für das Ganze. – Und je inniger Ihr Euch ihm – dem Herrn – ergebet um so größer wird der Segen sein können welchen Ihr verbreitet. | Das zweite Wort: „Wachset in der Erkenntniss Gottes in Christo.“ Das sei zu euch Allen gesagt! – So trachtet denn danach Euch darin immer vollkommner zu machen! Das aber muss das Werk Eures ganzen Lebens sein! Und damit nie aufhöre das Wachsthum darin, dazu tretet Ihr rein in diese unsre christlichen Versammlungen – indem Ihr Euch verpflichtet sie treu zu benuzen. Sie aber sind es nicht allein – durch die Ihr wachsen könnt in jener Erkenntniß: Ihr selbst sollet den Herrn suchen! Der Apostel weiset dazu uns hin, auf seine Schöpfungen! – Ihr tretet heute ein in seine geistige Schöpfung – in die heilige Gemeinschaft welche die Kirche Christi bildet; – und so sollt Ihr denn selbst Euch umsehen in diesem Gebiet, wie es vor Euch liegt; das geistige Auge aber kann – in seinem Durst nach Erkenntnissen leicht angezogen werden – aber hütet Euch nicht von Allen Gaben zu empfangen: Ihr werdet einzelne Menschen finden, welche zwar über das göttliche Wort viel zu reden wissen – sie selbst aber haben es mit einem fleischlichen Auge erhofft – hütet Euch von Solchen geistige Gaben zu empfangen die Einfluss haben können auf Euer Herz. – Viele auch werdet Ihr sehen die zwar sich auszeichnen in äussern Vorzügen aber es fehlt ihrem Leben der rechte christliche Ernst zu trachten nach dem Reiche Gottes! – sie werden ihre Schäze Euch anbieten aber, wie wohlgefällig auch ihr Äußeres auf Euch wirken mag – hütet Euch vor jedem innern Einfluß überall da, wo Ihr nicht den Geist Gottes erkennet – und vor jeder nähern Verbindung mit denen deren Streben einem andren Ziele zugewandt ist als wonach wir als Christen streben sollen. Aber auch denen dürftet Ihr nicht vertrauen welche zwar den Namen des Herrn oft und viel im Munde führen – welche aber weil sie mehr Werth legen auf 7 wandelt] wandet 22–23 Der Apostel] darüber steht als Alternative Die heilige Schrift 27 Erkenntnissen] Erkenntnisse 33 zu] darüber steht als Alternative im

19v

346

Am 15. April 1829 mittags

den Buchstaben als auf den Geist – darüber auf solche Weise streiten daß sie die Liebe verletzen auf welche der Herr doch allein verheißen hat seine Gemeine zu bauen, der da will, daß die Wahrheit immer nur in Liebe gesucht werden soll. Und, so bewahrt denn dieses mein letztes Wort – welches ich noch für Euch auf meinem Herzen hatte, und nehmet es auf in das Eure! – es ist geredet in dem wahren Geist des Evangeliums. – So wandelt denn würdig Eures großen Hauptes – als die Glieder desselben. Gebet nach der Einsegnung. Der Du uns Alle aus der Finsterniß zu Deinem wunderbaren Licht erhoben hast: hilf diesen jungen Seelen daß sie wandeln auf dem Wege des Lebens in Dir – als die welche hindurchgedrungen sind zu Demselben! Wir bitten Dich, daß Du sie ausrüstest mit der Krafft deines Geistes – und daß Du sie, unterstützt von Derselben, aufrecht erhaltest im wahren Glauben. Lass ihre Herzen geöffnet bleiben dem Worte der Wahrheit und hilf, daß sie ihre Gelübde treu erfüllen – zur Freude der Ihrigen. (Aus dem Liede:) „Treu nun müsst ihr sein – und beten – und der Geist wird euch vertreten. Glaubend hofft und liebend lebt! bis euch Gott zu sich erhebt!“

17–19 (Aus ... erhebt!“] steht über die gesamte Seite quer am linken Rand 6–7 Vgl. Eph 4,15–16 17–19 Vgl. Berliner Gesangbuch 1829 Nr. 351: „Wandelt glaubend eure Wege!“ (Melodie von „Jesu, der du meine etc.“)

5

10

15

Am 16. April 1829 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Gründonnerstag, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 5,9 Nachschrift; SAr 68, Bl. 20r–21r; Woltersdorff Keine Keine Abendmahlsvorbereitung

Aus der Vorbereitungsrede zur Charfr. Commun. 29. Ebr. 5,9. Da er vollendet ist, ist er geworden allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursach zur ewigen Seligkeit. 5

10

15

20

25

Um diese Worte recht zu verstehen müssen wir zurückgehn auf die vorhergehenden worin gesagt ist daß unser Erlöser ohnerachtet er der Sohn Gottes war doch an dem daß er litt habe Gehorsam gelernt. Denn darauf beziehen sich diese: „und da er vollendet – nemlich im Gehorsam vollendet – ist er geworden eine Ursach der Seligkeit:“ Wenn wir uns den Erlöser denken als den Einen der ohne Sünde war, so erscheint es uns befremdend wenn gesagt wird er habe Gehorsam gelernet. – Als ob er den Gehorsam gegen Gott, der doch in ihm wohnte, erst hätte lernen müssen: Das kann nun freilich nicht so zu verstehen sein als ob er erst am Ende seiner irdischen Laufbahn es zur Vollkommenheit gebracht habe in dem Thun des Willens Gottes; denn sein ganzes Leben war der vollkommenste Gehorsam: aber das allerdings gehört mit zu der Wahrheit seiner menschlichen Natur, daß auch er, indem er seine Kraft gebrauchte dieselben Erfahrungen machen mußte wie jeder, nemlich, daß von Außen her – denn in ihm war nichts was dem Willen Gottes den er that, hätte widerstreben können – ihm solcher Widerstand entgegen kam der in seine Handlungsweise hätte eingreifen können, den er also überwinden mußte, und dieses Ueberwinden des Widerstands, dieses Unmöglichmachen des Einflusses desselben auf sein Thun, das war freilich eine Uebung, aber insofern eine leichte für ihn, als eben seine ganze Sele erfüllt war mit dem Willen Gottes und darauf gerichtet ihn auszuführen. In diesem Sinn nun kann der Verfasser dieser 6–7 Vgl. Hebr 5,8

20r

348

20v

Am 16. April 1829 mittags

Worte sagen daß er Gehorsam gelernt indem er litt; denn eben den Widerstand überwinden müssen, das ist leiden. Also: „indem er litt hat er Gehorsam gelernt, nun er aber ist vollendet, d. h. vollendet im Gehorsam – ist er geworden eine Ursach der Seligkeit denen die ihm gehorsam sind.“ In diesen Tagen wo wir das letzte und eigentlichste Leiden des Erlösers feiern, da steht uns auch dieser sein Gehorsam und die Vollendung in dem Gehorsam deutlich im Gemüth: Er ist gehorsam geblieben dem göttlichen Willen indem er sein Leben hingegeben hat um nicht von Außen her sich abbringen zu lassen vom Gehorsam und durch diesen vollkommenen Gehorsam hat er den göttlichen Rathschluß vollkommen hinausgeführt, hat er den göttlichen Willen ganz erfüllt hat er allen Widerstand dagegen überwunden; sein sich hingeben in den Tod war die Vollbringung des Werks des Gehorsams, weil darüber hinaus nichts kann gedacht werden; denn größeres kann der Mensch nicht thun als bis zum letzten Augenblick Gott gehorsam sein, und lieber sein Leben lassen als davon abzulassen. In dieser Vollendung seines Gehorsams nun ist er geworden eine Ursach der Seligkeit, und darauf laßt uns nun auch besonders sehn worin er geworden eine Ursach der Seligkeit: Wenn wir in dieser Zeit mehrere Male damit beschäftigt waren uns das vorzuhalten daß auch in dem Leiden des Erlösers seine Herrlichkeit auf besondere Weise erschien: so müssen wir auch sagen: diese Herrlichkeit ist das was von Außen her nicht gegeben werden kann: das Innre aber davon ist die Seligkeit, wo die aber ist da scheint sie auch nach Außen d. h. sie wird durch Äußres nicht gestört in ihrer Wirkung, und so war der Erlöser während seines Leidens in dem Gehorsam eben so selig wie immer, ja er war in dem Gehorsam der ihm vollkommen genügte, weil sein ganzes Verlangen auf | den göttlichen Willen und dessen Erfüllung gerichtet war, ganz vollkommen selig, das Bewußtsein des vollkommenen Gehorsams war seine Seligkeit, und wie hätte er ohne das Bewußtsein sagen können: „es ist vollbracht“: Darin nun daß in ihm selbst die vollkommene Seligkeit war, ist er geworden der alleinige Urheber unsrer Seligkeit. Das ist das Vorzüglichste in dem was unser Bewußtsein als Christen ausmacht, daß wir alles was zum Heil gehört von ihm allein haben: das ist die Erfahrung welche sich als solche in allen gläubgen Gemüthern ausspricht. Und wenn wir derselben ganz ins Innre folgen, so müssen wir sagen, daß wenn wir noch irgend etwas anders mit zu Hülfe nehmen wollen zu unserm Heil oder als Bestandtheil unserer Seligkeit ansehn, so ist noch Mangelhaftes darin: also von ihm allein kommt uns Heil und Seligkeit: Aber worauf wir nun besondre Aufmerksamkeit richten das ist das: Er ist eine Ursach der Seligkeit geworden, denen die ihm gehorsam sind, durch die Vollendung seines Gehorsams: Also auf die Weise daß er in uns den Gehorsam wirkt ist er geworden uns Ursach der Seligkeit[.] – Wie könnt es auch 29 Joh 19,30

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 5,9

5

10

15

20

25

30

35

349

anders sein! Denn hat er selbst die Vollendung seiner Seligkeit in der Vollendung seines Gehorsams gehabt, ist er deswegen der vollkommene Selige gewesen weil er den Willen Gottes ganz erfüllte in jedem Augenblick, und dabei das Bewußtsein in sich trug, daß er ihn immer erfüllen würde was ihm auch bevorstehen möge, war nur der Gehorsam es, weswegen ihn Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben hat der über alle Namen ist; wie könnten wir anders unsre Seligkeit erwarten als auf diese Weise durch ihn, wie anders als so wie wir durch ihn das Leben haben, wie also anders als eben wie er! Und giebt es überhaupt keine Seligkeit für den Menschen als in dem Bewußtsein Gottes, dem Sein Gottes in ihm, wie können wir sie anders haben als in der Uebereinstimmung mit dem Willen des Höchsten, also in der Vollendung unsres Gehorsams. Aber der Erlöser ist vollendet worden im Gehorsam gegen Gott, des Textes Wort aber sagt: denen die ihm gehorsam sind: können wir eben dieses Beides unterscheiden? nein; Denn wenn er sagt: „wer mich siehet, der sieht den Vater“: so folgt daraus daß wer ihm gehorsam ist auch dem Vater gehorsam ist, weil sein Wille der des Vaters ist, wir ihn aber nur durch ihn erkennen. Fragen wir nun: wie wir gehorsam sein können und was sein Wille ist, so kennen wir das Wort des Herrn: „ein neu Gebot geb ich euch, daß ihr euch liebet untereinander wie ich auch geliebt“: aber freilich wenn er uns das Gebot gäbe als ein äußres Gebot, wo sollte uns die Kraft zum Gehorsam herkommen! Aber er sagt: ohne mich könnt ihr nichts thun: und bleibet in mir [ ] und das Beides gehört zusammen; denn können wir gehorsam sein wie er dem Vater gehorsam war wenn wir nicht in ihm bleiben? Kann es seine Liebe sein mit der wir Alle lieben sollen, wenn wir ohne ihn wären, wenn er nicht in uns lebte, da eben seine Liebe sein Wesen ist? So ist denn der Gehorsam durch welchen er Urheber unsrer Seligkeit worden derselbe den wir ausüben wenn wir die sind denen er Urheber der Seligkeit geworden, und dieser unser Gehorsam ist eben dadurch bedingt daß wir in ihm bleiben, daß wir alles von ihm nehmen und daß nicht mehr wir leben sondern er in uns. Wie sollt es | auch anders sein als so da in ihm die Kraft liegt die Welt selig zu machen: das eben kann er auf keine andre Weise als so daß die Menschen seiner Einladung folgen, von seiner Kraft nehmen, immermehr, durch die sie mit ihm verbindende Kraft des Glaubens, ihn aufnehmen, und so wie er war, nichts werden als lauter Gehorsam und Liebe[.] Dies heilige Mal nun, deswegen wir hier versammelt sind, ist nichts andres als: nicht nur das höchste Sinnbild des geistigen Vereins mit dem Erlöser, sondern es wird uns diese Vereinigung selbst dadurch zu Theil, diese 7 ihn,] ihn / 6 Vgl. Phil 2,9 Gal 2,20

22 mir] folgt eine Lücke von etwa einer viertel Zeile 15 Joh 14,9

19–20 Joh 13,34

22 Vgl. Joh 15,5–6

30 Vgl.

21r

350

Am 16. April 1829 mittags

Vereinigung wie sie das höchste Bewußtsein seiner geistgen Gegenwart unter uns ist: Und so kann es nicht anders als uns gedeihen zur Vermehrung des Gehorsams, zu einer Erquickung und Erfrischung des geistgen Lebens und regeren Thätigkeit der Liebe, und wie diese alle Furcht austreibt, so schließt das, daß er durch diesen Verein in uns lebt, alles was den Genuß der Seligkeit stört, aus, treibt allen Widerstand immermehr hinaus; und so werden wir mit ihm, so wie wir seine Gemeinde sind, seiner Gerechtigkeit Seligkeit und seiner Herrlichkeit theilhaftig. Ja so mit seiner Liebe erfüllt, wird er uns Urheber der Seligkeit wie denn auch der Gehorsam gegen ihn in uns zur Vollendung kommt wenn die Liebe völlig in uns wird: und das ist eben das, daß die Gemeinde Gottes endlich dargestellt werden wird ganz rein und fleckenlos und theilhabend an seiner Herrlichkeit: so werden wir durch sein Leben in welchem die ewige Seligkeit ist, der Göttlichen Gnade theilhaftig, daß seine Herrlichkeit aus uns, seiner Gemeinde, leuchtet. Dieser Seligkeit, deren Urheber er uns geworden, immermehr theilhaftig zu werden, möge dazu uns Allen, so oft wirs genießen, das heilge Mal gesegnet sein und mögen besonders auch diese Erfahrung machen all die jungen Christen die zum ersten mal hierin sich mit uns ihm vereinen: das gebe der Herr nach seiner Gnade und Barmherzigkeit!

4 Vgl. 1Joh 4,18

11–12 Vgl. Eph 5,27

5

10

15

Am 3. Mai 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Andere Zeugen: Besonderheiten:

Misericordias Domini, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 2,20–22 a. Drucktext Schleiermachers; in: Predigten zum Besten der durch Ueberschwemmung verunglückten Schlesier, Berlin 1829, S. 136–153, Nr. X Wiederabdrucke: SW II/4, 1835 S. 765–777; 21844, S. 233–245 – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 5, 1877, S. 626–636 b. Nachschrift; SAr 68, 22r–23v; Woltersdorff Textedition: Keine Keine Die Predigt wurde in der von Adolf Sydow veranlassten und herausgegebenen Predigtsammlung abgedruckt; der Verkauf des Buches erbrachte Einnahmen zur finanziellen Unterstützung der Überschwemmungsopfer in Schlesien. Vgl. die Vorrede Sydows in der Sachanmerkung

a. Drucktext Schleiermachers Die an uns Alle gerichtete Aufforderung, dem Leiden Christi ähnlich zu sein. Predigt über 1 Petr. 2, 20–22, 5

gesprochen von F. Schleiermacher, Prediger an der Dreifaltigkeitskirche. Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes, des Vaters, und die Gemeinschaft des Geistes sei mit uns! Amen. 1–2 Das Vorwort des Herausgebers Adolf Sydow zur Predigtsammlung lautet: „Vorrede. Vorliegende Predigtsammlung verdankt ihr Entstehn zunächst dem Wunsche des Herausgebers, an seinem Theile etwas beitragen zu können zur Abhilfe der Noth, die über einen Theil unsrer Schlesischen Brüder durch die Zerstörungen des Elements hereingebrochen ist, und er wählte dazu, indem er sich der Mühwaltung unterzog, welche die Herausgabe eines solchen Buches erforderte, ein ihm angemessenes und allein zu Gebote stehendes Mittel. Er theilte seinen Wunsch einigen ihm näher stehenden Freunden und Amtsbrüdern mit, die den Zweck mit liebevoller Bereitwilligkeit zu dem ihrigen machten; allmählig vergrößerte sich der Kreis der Theilnehmung, und so entstand

136

352

Am 3. Mai 1829 vormittags

Die Worte der heiligen Schrift, welche unsrer andächtigen Betrachtung zum Grunde liegen, finden wir aufgezeichnet 1 Petr. 2, 20–22. Was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat willen Streiche leidet? Aber wenn ihr um Wohlhat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen. Sintemal auch Christus gelitten hat für uns, und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen, welcher keine Sünde gethan hat, ist auch kein Betrug in seinem Munde erfunden. dieses Buch, von welchem der Herausgeber nun hofft, daß es nicht allein durch seinen Zweck, sondern auch durch sich selbst Aufmerksamkeit erwecken möchte. Der Zweck des Buches forderte Mäßigkeit des Umfangs (damit nicht zu viel Kostenabzug nöthig werde) und Beschleunigung seines Erscheinens. Wenn das Letztere nun freilich wegen mannigfacher Hindernisse nicht erreicht werden konnte, so konnte und mußte doch das erste festgehalten werden, und so hat der Herausgeber es sich leider versagen müssen, noch viele seiner werthen Herren Amtsbrüder um einen Beitrag anzusprechen, der unter andern Umständen ihm sehr willkommen und schätzbar gewesen sein würde. Inzwischen möchten doch die im Buche enthaltenen Predigten ziemlich hinreichen, die Hauptrichtungen in unserm hiesigen kirchlichen Leben darzustellen, und der Herausgeber mag daher wohl der Hoffnung Raum geben, daß dieses Buch nebenher noch ein nicht ganz uninteressanter Beitrag zum Gemählde unsrer Zeit und zur Geschichte des evangelischen Predigtwesens sein könne. Der Ton, welcher in den mitgetheilten Vorträgen herrscht, ist ein verschiedener, aber gewiß ist dies eben so nothwendig als erfreulich: wenn das Christenthum lebendig den ganzen Menschen ergreift, so wird es sich auch in Vorstellung und Darstellung individuell ausprägen, und was wäre gegen diese schöne, reiche Mannigfaltigkeit des Lebens eine todte, langweilige Einförmigkeit? Wenn es nur am Ende der eine Herr ist, den alle Zungen meinen, und der eine heilige und freimachende Geist, der sich in mancherlei Gaben offenbart. Durch die That sei es denn bekundet, daß, wie auch die theologischen Vorstellungen auseinandergehn mögen, doch die Herzen im Geiste der Liebe eins sein können, und diese practische Seite unsers Glaubens immer das heilige Gebiet bleibe, auf dem sich alle einmüthig und brüderlich zusammenfinden. Die Texte, welche den einzelnen Predigten zum Grunde liegen, sind meistens nicht aus den gebräuchlichen Perikopen entlehnt; der Herausgeber hofft, daß dies dem Buche eher zum Vortheil, als zum Schaden gereichen werde, da jene biblischen Abschnitte schon so vielfach behandelt sind. Da jeder Beitragende unabhängig vom andern und ohne weitere Bedingung aus seinem Vorrathe wählte, so will jede einzelne Predigt für sich selber da- und einstehn; auch konnte für die Anordnung des Ganzen kein anderes Gesetz beobachtet werden, als das äußerliche der Zeitfolge, in der die Beiträge eingingen; wo einmal eine Zeit des gänzlichen Mangels eintrat, da wurde es vorgezogen, statt das Werk still stehn zu lassen, von einigen Verfassern, welche gleich anfangs so freundlich gewesen waren, durch Darbietung mehrer Arbeiten den Fortgang des Unternehmens zu sichern, einen zweiten und dritten Vortrag einzurükken. Der Herausgeber erlaubt sich noch zu bemerken, daß zur Mittheilung seiner Antrittsrede ihn besondere Rücksichten bestimmten, welche anzugeben nicht dieses Ortes ist; es möchte sonst ein Mißgriff scheinen, eine Rede, die so private Verhältnisse berührt, der Oeffentlichkeit zu übergeben. Daß zu jeder Predigt der Text vollständig abgedruckt würde, schien einen zu wesentlichen Nutzen zu bringen, als daß derselbe hätte einer kleinen Raumersparniß aufgeopfert werden mögen. Der Herausgeber fühlt

5

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

353

M. a. Fr.! Wenn wir diese Worte aufmerksam bedenken, so können wir nicht anders als uns in einer ge|wissen Verlegenheit befinden. Was die Apostel des Herrn den Christen ihrer Tage schreiben, das sehen wir an als für alle Zeiten geltend, und als eben so gut auch den späten Nachkommen gesagt; und gewiß, es hätte von vielen Seiten auch gar viel Bedenkliches, und es könnte uns von dem großen Nutzen, den wir aus der Schrift schöpfen sollen, viel entgehen, wenn wir zu bereit wären, dasjenige, was nicht so leicht scheint sich auf uns anwenden zu lassen, nur auf jene ersten Anfänge des christlichen Lebens zu beziehen. Und doch, wenn wir uns denken, daß dieß für alle Zeiten gelten soll, und den Christen ganz im allgemeinen und für immer gesagt wird, sie seien berufen, um Wohlthat willen zu leiden und in diesem Stücke dem Vorbilde zu folgen, was Christus uns gegeben hat; was sollen wir dazu sagen? Soll der Widerwille der Menschen gegen die göttliche Ordnung des Heils und gegen alles Gute, was aus derselben kommt, niemals aufhören? Sollen die Christen aller Zeiten immer auf's Neue um des Glaubens und des Bekenntnisses willen leiden, und das Kreuz Christi tragen wie die Märtyrer der ersten Jahrhunderte? Wir müßten schon den gnädigen Führungen Gottes unrecht thun; wir müßten von der Herrlichkeit Christi, soweit sie sich offenbart hat, viel übersehen, wenn wir sagen wollten, daß es noch so sei, wie ehedem; wir müßten wenig Zuversicht haben zu den Kräften der göttlichen Gnade, wenn wir glauben sollten, es müsse auch immer so bleiben. Demohnerachtet, wenn ein Wort der heiligen Schrift eine Aufforderung enthält, Christo ähnlich zu werden, lieber und theurer als ein solches soll uns ja wohl keines sein; und so wollen wir auch diese Aufforderung des Apostels noch eben so betrachten und nun sehen, sich noch verpflichtet, der hiesigen Papierhandlung Ebart und Strehmann, welche das Papier vorgeschossen hat, dem Herrn W. Plahn u. Comp., in dessen Buchdruckerei das Buch vorläufig unentgeltlich gedruckt ist, und dem Bruder desselben, dem hiesigen Buchhändler C. F. Plahn, welcher aus uneigennützigem Interesse den Debit übernommen hat, für die liberale Zuvorkommenheit zu danken, mit der sie das Unternehmen befördert haben. Die Einnahme, nach billigem und gewissenhaftem Abzug der Unkosten für Papier, Satz und Druck des Ganzen und Einband einiger Exemplare wird den durch Wassersnoth verunglückten Schlesiern zufließen. Die Ausweisung über Ertrag und Verwendung soll in öffentlichen Blättern erfolgen. Schließlich spricht der Herausgeber noch in seinem und der Einsender Namen den Wunsch aus, daß das Buch auch Freunde finden möge, welche sich in ihren Kreisen der Verbreitung desselben annehmen, damit unsern verarmten leidenden Brüdern die wohlgemeinte Gabe der Liebe möglichst zu Gute komme, und der Herr gebe seinen Segen und fördere auch durch diese Predigten unter uns sein Reich! – D. Herausgeber.“ Predigten zum Besten der durch Ueberschwemmung verunglückten Schlesier, dargeboten von Bollert, Brescius, Couard, Deibel, Goßner, Hoßbach, Lisco, Marheineke, Marot, Pischon, Roß, Sack, Schleiermacher, Schulz, Schweder, Strauß, Stüler, Sydow, Theremin, Wilmsen, Ziehe, ed. Adolf Sydow, Berlin 1829, S. III–VI.

137

354 138

139

Am 3. Mai 1829 vormittags

Wie es eigentlich ohne allen Unterschied der Zeit | damit gemeint sein könne, daß wir aufgefordert werden, dem Leiden Christi ähnlich zu sein. Aber wenn ich darüber euch meine Gedanken mittheilen soll, so kann ich es nicht anders als so, daß ich zuerst die Frage aufwerfe: wie sich denn überhaupt dieß Zweifache, was der Apostel hier aufstellt, um Missethat willen leiden und um Wohlthat willen leiden, zu allem menschlichen Leiden überhaupt verhält? Und wenn wir uns diese Frage nach dem Sinn der Schrift und in dem Geist der Lehre Christi werden beantwortet haben, dann werden wir weiter gehen und zweitens auch das beantworten können, was es mit der Aehnlichkeit der Leiden Christi, zu welcher wir aufgefordert werden, für eine Bewandniß habe. I. Zuerst also, m. g. F., laßt uns erwägen, wie sich wohl der Gegensatz, welchen der Apostel hier aufstellt zwischen einem Leiden um Missethat willen und einem Leiden um Wohlthat willen, zu dem menschlichen Leiden überhaupt verhält? Können wir denn wohl sagen: es gebe kein drittes Leiden zu diesen, sondern jedes müsse eines von diesen beiden sein? Läßt sich behaupten, alles, was der Mensch leidet, sei entweder um Uebelthat willen, und das ist denn das Leiden, welches nicht sein soll, oder um Wohlthat willen, und das wäre das, worin wir Christo ähnlich werden sollen? Diese schwierige Frage, m. g. Br., würde ich leicht beseitigen, wenn ich sagte: der Apostel rede hier nicht von allen menschlichen Leiden im allgemeinen; sondern wenn wir den Ausdruck genauer betrachten, dessen er sich bedient: „wenn ihr um Missethat willen Streiche leidet,“ so sei ja deutlich genug, daß er nur | von denjenigen Leiden redet, welche die Menschen sich unter einander zufügen, und zwar auch nicht von diesen ohne Unterschied, sondern von dem, welches unter dem Vorwande des Rechts und der Gerechtigkeit und um beider willen dem Menschen zugefügt wird. Aber, m. g. F., wenn das auch von einer Seite noch so richtig wäre, ich würde dadurch das nicht erreichen, dessen ich als Vorbereitung zu unserer zweiten Frage bedarf; und ich glaube, es würde mir auch nicht gelingen, wenn ich diese Frage so beseitigen wollte, dann eure Aufmerksamkeit festzuhalten, grade jetzt, indem so ungeheuer viel menschliches Leiden aus der Ferne uns vor Augen tritt, welches nicht von Menschen den Menschen zugefügt wird, sondern nach den geheimnißvollen Fügungen Gottes aus der Natur entsteht. Diese durch Erschütterungen der Erde verwüsteten Städte und menschlichen Wohnungen; die Tausende von Leichnamen, die aus dem Schutte gezogen

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

355

werden, und von winselnden Verwundeten, die das Licht nur noch einmal sehen und noch einmal Luft schöpfen, um mit klarem Bewußtsein ihre Qual zu enden; die ausgetretenen Fluthen, die so viel fruchtbare Gegenden – und wer weiß, auf wie lange – verheert haben; die mit Mühe zu Hunderten aus den Fluthen geretteten Kinder, die ihrer Eltern entbehren; diese ungeheuren Zerstörungen, von denen wir sagen müssen, es ist keine Verschuldung sichtbar, womit sie zusammenhangen – wie sollen wir es wagen, den Gegensatz, den der Apostel aufstellt, auf diese anzuwenden? Laßt uns, m. g. Fr., sehen, was der Herr selbst in einem ähnlichen Falle sagt, als er nämlich mit seinen Jüngern in Jerusalem wandelnd, einen Blindgebornen sah, und die Jünger ihn fragten, wer denn wohl gesündigt habe, dieser oder seine Eltern, daß ihm solches widerfahren sei? Wovon ging diese Frage aus, m. g. F.? Von der Vor|aussetzung unstreitig, daß alles Leiden müsse in der Uebelthat seinen Grund haben, auch dasjenige, welches mit der menschlichen Ausübung der Gerechtigkeit in gar keinem Zusammenhang steht. Aber was sagt der Herr? Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, daß ihm dieß widerfahren ist; sondern es ist ihm widerfahren, damit die Werke Gottes offenbar werden. Durch diese Antwort, m. g. F., hat nun freilich der Herr das aufgehoben, daß alles Leiden müsse ein Leiden um Missethat willen sein, aber keinesweges auch jenes, daß es entweder dies sein müsse oder ein Leiden um Wohlthat willen; denn es giebt ja gewiß keine größere Wohlthat, als wenn Werke Gottes offenbar werden. An jenem Blindgebornen verherrlichte sich der Herr selbst, indem er ihn sehend machte durch die ihm von Gott verliehenen und die Schranken des menschlichen Vermögens übersteigenden Kräfte; und indem uns nun der Herr diesen Fingerzeig giebt, so beruhigt er uns über alles Leiden, welches auf eine ähnliche, geheimnißvolle Weise den Menschen kommt. Aber wie? Nur so, daß er sagt: die Werke Gottes sollen dadurch offenbar werden. Wenn also nun der Apostel uns hier auffodert, daß wir sollen dem Vorbilde folgen, welches uns Christus gelassen hat, und seinen Fußstapfen nachgehen, wie können wir dies anders verstehn als so, daß überall, wo Christus ist und lebt, überall in seiner Kirche, seinem geistigen Leibe, dies die Ordnung sein soll, daß wo sich Leiden findet, da auch Werke Gottes offenbar werden sollen. Wenn, m. g. F., auf das Leiden der Menschen die christliche Liebe sich hinwendet; wenn sie oft aus weiter Ferne her einen Damm aufrichtet gegen die Fluthen, daß sie zurücktreten und fruchtbare menschliche Arbeit wieder beginnen kann; wenn sie durch den Zauber ihrer Kräfte, was die Natur zerstört hat, in kurzer Zeit wieder auf10–13 Vgl. Joh 9,1–2

17–19 Vgl. Joh 9,3

30–31 Vgl. Joh 9,3

140

356 141

142

Am 3. Mai 1829 vormittags

baut, | dann werden Werke Gottes offenbar in den Werken der Liebe. Dasselbe muß aber auch gelten von allem Leiden, das uns durch Menschen kommt, ohne uns jedoch im Namen des Gesetzes zugefügt zu werden. Und so steht denn allerdings alles Leiden, von welcher Art es auch sei, unter diesem Gegensatz, den der Apostel aufstellt; es ist alles immer nur ein Leiden entweder um Uebelthat willen oder um Wohlthat willen. Aber freilich auf eine zweifache Weise. Es giebt ein Leiden um Wohlthat willen, einmal um deren willen, zu welcher wir gereizt werden sollen durch das Leiden selbst, damit so Werke Gottes offenbar werden; es giebt ein Leiden um Wohlthat willen, nämlich um solcher Wohlthat willen, welche nur durch Leiden konnte erworben werden. Es giebt Leiden um Uebelthat willen ebenso auf eine doppelte Weise; das eine, dessen Grund die Uebelthat ist, mag dann das Leiden durch Ausübung der menschlichen Gerechtigkeit entstehen, oder mögen wir darin die verborgenen Gerichte Gottes wahrnehmen; das andere, ein Leiden um Missethat willen in dem Sinn, daß in dem Leiden und durch dasselbe die Sünde ans Licht kommt und hervortritt; denn wie das ein Leiden ist um Wohlthat willen, wodurch Werke Gottes offenbar werden: so ist auch das Leiden um Uebelthat willen, wodurch böse Werke offenbar werden. So ist es mithin dieß zwiefache Leiden um Missethat willen sowohl als um Wohlthat willen, worauf wir zu sehen haben, wenn wir den Sinn der Worte des Apostels ganz erschöpfen wollen. Und so ausgerüstet werden wir nun die Hauptfrage beantworten können, welche die Worte des Textes veranlassen, nämlich, II. welches eigentlich der Sinn dieser Aufforderung des | Apostels sei, daß unser Leiden dem Leiden Christi ähnlich sein soll. Denn das meint er doch, wenn er sagt: dazu seid ihr berufen, um Wohlthat willen zu leiden, wie auch Christus für uns gelitten hat, und uns ein Vorbild gelassen, dessen Fußstapfen ihr nachfolgen sollt. Wenn wir uns nun diese Frage beantworten sollen, m. g. F., so laßt uns zuerst bei dem Leiden um der Uebelthat willen stehen bleiben, und uns fragen, was es denn in dieser Hinsicht für eine Aehnlichkeit mit dem Leiden Christi gebe, zu welcher wir uns durch das Wort des Apostels erwecken lassen sollen? Der Apostel stellt das Leiden um Uebelthat willen dar als ein solches, welches dem Leiden Christi entgegengesetzt ist, indem er dieses ganz und gar nur bezeichnet als ein Leiden um Wohlthat willen. Wenn wir daher dem Leiden Christi ähnlich werden wollen, so muß sich das zuerst darin zeigen, daß auch wir eben so wenig als er um Uebelthat willen leiden, und zwar weder so, daß eine schon offenkundige Uebelthat der Grund sei, aus

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

357

welchem das Leiden hervorgeht, noch auch so, daß durch das Leiden selbst sich die in uns verborgene Uebelthat zeige. Beides, m. g. F., erinnert uns zunächst auf das lebhafteste an den ganzen Inbegriff der Vollkommenheit des Christen, wie sie uns überall in den heiligen Schriften des neuen Bundes als unser gemeinsames Ziel dargestellt wird. Wo keine Uebelthat mehr ist, wo die Sünde ihre Kraft verloren hat, wo in allen Handlungen und lebendigen Bewegungen der Menschen sich nichts mehr zeigt, als die Wirksamkeit des göttlichen Geistes, nämlich das schöne herrliche Leben in der Freiheit der Kinder Gottes, die Früchte die er hervorbringt, nämlich alle christlichen Tugenden: wohl, da kann aus der Uebelthat kein Leiden mehr entstehen, weil sie nicht mehr da ist, da kann auch durch nichts, was ir|gend dem Menschen begegnen kann, etwas hervorgelockt werden, was ja in seinem Innern längst erstorben ist. Wir könnten dann zunächst alles, was uns begegnet, in so fern für gleich achten, daß nichts uns geschehe um einer Uebelthat willen, die wir begangen hätten. Wenn uns Leiden treffen, die aus den gewaltigen Kräften der Natur nach der Ordnung Gottes entstehen, würden wir nicht in Versuchung sein, zu fragen, wie die Jünger des Herrn ihn wegen des Blindgebornen fragten: was wohl wir oder unsre Eltern gesündigt haben? Wenn das Bewußtsein der Sünde verschwunden wäre, dann würde es uns nicht einfallen, einen Zusammenhang zu suchen zwischen der Sünde und allem Uebel und Unheil, welches dem Menschen in diesem irdischen Leben von außen her begegnet. Aber diese Vollkommenheit, m. g. F., die wir nirgend anders als bei dem Erlöser finden, sie ist zwar das Ziel, dem auch wir alle uns nähern sollen, wovon wir aber auch dasselbe wissen, was der Apostel sogar mit Freudigkeit sagt: nicht daß ichs ergriffen hätte, aber ich jage ihm nach. Tief fühlen wir, daß, bis wir es ergriffen haben, in demselben Maaß, in welchem die Sünde noch in uns wohnt, auch eine reiche Quelle von Leiden über das Leben sich ergießt und bald größere, bald geringere Verwüstungen anrichtet. Da sehen wir mit Schaudern, wie es uns auch jetzt an einem großen Beispiel vor Augen steht, die Handhabung menschlicher Ordnung durch grausame Willkühr entehrt, die von Gott zum Schutz der Guten verliehene Macht partheiisch gemißbraucht, das Leben von Tausenden durch Furcht und Schrecken verbittert, welches in Ruhe und Frieden dahin fließen sollte, Ungewißheit und Schrecken sich über alle menschliche Verhältnisse verbreiten. Wir wissen, dergleichen kann nicht geschehen, wo nicht die Sünde in reichen Strömen von vielen Seiten her zusammen|fließt, und so sagen wir mit Recht: so ihr um der Missethat willen leidet, was habt ihr für Ruhm? Aber das ist 27–28 Phil 3,12

143

144

358

145

Am 3. Mai 1829 vormittags

die Aufforderung, die der Apostel an uns ergehen läßt, wie Christus gelitten hat, ohne daß eine Missethat in ihm erfunden wurde, kein Betrug, keine Uebertretung der göttlichen Gebote in seinem Leben, keine Sünde, der ihn jemand zeihen konnte; so sollen auch wir sein, wie er war, ganz rein, um ohne Sorge, frohen und fröhlichen Herzens allen menschlichen Leiden, die aus den Schickungen Gottes entstehen, entgegentreten zu können. Wohlan denn, m. g. F., nicht jedoch, als ob ich dies als einen Beweggrund, uns schneller und emsiger von der Sünde zu reinigen, geltend machen wollte! nein, reinigen von der Sünde sollen wir uns nicht, weil sie eine Quelle von Uebeln ist, sondern weil sie uns entfernt von der Aehnlichkeit mit dem, der der Abglanz der göttlichen Liebe ist, weil sie uns des Friedens mit Gott nicht genießen läßt, den er uns bereitet. Als ein Beweggrund also, uns von ihr zu trennen, sei es nicht aufgestellt; aber der Zuversicht wollen wir uns doch ermuntern zu leben, daß, jemehr wir uns, jeder für sich und alle verbunden im gemeinsamen Leben, von der Gewalt der Sünde losmachen, desto mehr auch die Quelle der menschlichen Leiden verstopft werden wird, und desto froher wir werden in die dunkle Zukunft hineinsehen können. Aber freilich ist das nicht alles; wir sollen auch nicht in dem Sinne um Uebelthat willen leiden, daß durch unser Leiden irgend eine uns bisher verborgen gewesene Sünde zum Vorschein komme, und das Leiden uns also zur Offenbarung der Sünde diene. Das hat der Apostel auch vorzüglich im Sinne, indem er in den auf unsern Text folgenden Worten von dem Erlöser sagt: welcher nicht wiederschalt, da er gescholten ward. Denn auch das | wäre schon ein Hervorbrechen der Sünde gewesen, weil es ja eine leidenschaftliche Bewegung seines Gemüthes gewesen wäre. Und doch, wenn wir ihn erst einigermaßen zu uns herabziehn und ihn uns nur nicht ganz mehr als den denken, der er war, werden wir uns leicht vorstellen können, es könnte wohl gewesen sein, wenn er nicht der wäre, der er war, daß er sonst zwar in seinem Leben sich nie solchen leidenschaftlichen Bewegungen überlassen hätte, so lange nämlich sein Leben ohne Störung verflossen wäre, daß es aber doch in einer Zeit voll Verdruß und Kränkung, wenn er gescholten worden wäre und das Unrecht gefühlt hätte, ihm hätte widerfahren können, wiederzuschelten und aufzubrausen zu einem leidenschaftlichen Widerstand. Und so geschieht es uns andern Sterblichen oft, daß durch das Leiden die im Herzen verborgene Sünde zum Vorschein kommt. Ja, m. g. F., das erfahren wir alle vielfältig! kein Leiden, das nicht eine Quelle von Handlungen und oft genug zunächst von solchen würde, wodurch verborgene Tiefen des Herzens aufge25–26 1Petr 2,23

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

359

deckt werden. Wie leicht ist es, mit den göttlichen Fügungen zufrieden sein, so lange das Leben ruhig ohne quälende Störungen hingeht! Wie leicht ist es, freudig und wohlthätig in das Leben Anderer eingreifen, so lange die Führung des unsrigen uns in eine freudige Stimmung versetzt, die uns jede Erweisung unserer Kraft zum gemeinen Nutzen erleichtert! Aber wie bald zeigt sich die Trägheit und Thorheit des menschlichen Herzens, wenn die Prüfung des Kummers und der Sorge angeht! Wie schwer wird das Gute, wenn uns der Muth gesunken ist, und wir, statt um uns zu schauen, was uns vorhanden komme zu thun, den schwermüthigen Blick nur immer erdwärts richten! Wie leicht geschieht es, daß wir, um von dem Druck der Sorge frei zu kommen, zu solchen Mitteln unsre Zuflucht | nehmen, mit denen wir unter andern Umständen jede Gemeinschaft würden vermieden haben! Das, m. g. F., das ist das andere Leiden um Uebelthat willen. Denn wie können wir es anders ansehen, als so? Und hier, m. G. ist der Ort, von wo ich noch einmal zurücksehen möchte auf das, was ich im ersten Theile unserer Betrachtung gesagt habe. Wenn wir uns freilich gern einen großen Theil des menschlichen Leidens gleichsam als zufällig denken mögen, und das heißt doch immer nur losgerissen von allem Zusammenhang mit Missethat und Wohlthat; dürfen wir dann wohl sagen, daß wir dennoch das menschliche Uebel betrachten aus dem Gesichtspunkt der göttlichen Weltregierung? Können wir wohl diese jemals denken, ohne ihr überall das Gute und dessen Förderung zum Grunde zu legen? Können wir uns das die Welt lenkende ewige, allmächtige Wesen denken als das, welches die Liebe ist, ohne dennoch alles, was von dorther kommt, darauf anzusehn, wie es zum Guten führt? Nur darum giebt es so viel Leiden in dieser Welt um Uebelthat willen auf die Weise, die ich eben beschrieben habe, damit den Menschen die Augen geöffnet werden, damit sie sich selbst erkennen lernen, wie sie sich in den guten Tagen der Freude und der Ruhe nicht erkennen würden, damit ihnen die verborgenen Schwächen kund werden, die nun durch das Uebel gereizt zum Vorschein kommen, und damit sie so lernen, unter den Prüfungen Gottes und seinem Beistande auch den tiefsten verborgensten Grund ihrer Herzen reinigen. Darum, m. g. F., so lange wir noch nicht, indem wir immerfort und bei jeder Veranlassung, welche das Leiden uns darbietet, in den Spiegel des göttlichen Wortes schauen, das Werk der Heiligung mit dem größesten Ernst, wie die Schrift es ausdrückt, mit Furcht und Zittern trei|ben, wird und muß es zu unserer Förderung solche Leiden um der Uebelthat willen geben. Und wie können wir anders, als in denselben den allmächtigen, liebreichen Vater, der uns zum Guten führen will, erkennen? wie sie anders ansehen, als daß sie eine willkommene Arzenei seien, sobald sie uns kennen

146

147

360

148

Am 3. Mai 1829 vormittags

lehren das verborgene Böse, welches ohne sie nicht erkannt werden würde? Aber darum ist auch das herrliche Ziel derer, die in der That Christo nachfolgen, nichts geringeres, als die Vollkommenheit der christlichen Gemeinschaft, daß in derselben immer weniger sein und am Ende aufhören Leiden um der Uebelthat willen. Wie aber, m. g. F., steht es nun zweitens in Beziehung auf das Leiden um Wohlthat willen? Laßt uns die Beantwortung dieser Frage an das knüpfen, was ich eben zuletzt gesagt habe. Alles Leiden, welches den Menschen ganz unverschuldet zukommt, von dem wir aber doch entweder die Quelle dennoch suchen können und wirklich zu suchen haben in Uebelthat Anderer, wie auch Christus, indem er litt, unsere Sünden geopfert hat, wie der Apostel sagt in den auf unsern Text folgenden Worten, oder dessen göttliche Absicht in der Uebelthat des Leidenden selbst liegt, welche dadurch ans Licht kommen soll – immer ist doch Uebelthat entweder vorangegangen, oder entwickelt sich erst aus denselben. Wenn wir dieß betrachten, wie können wir außer Acht lassen, daß solche Leiden zugleich sein sollen ein Leiden um Wohlthat willen, um der Wohlthat willen, zu welcher wir dadurch sollen gereizt werden; um solcher Wohlthat willen, durch welche die Werke Gottes offenbar werden. So der Herr überall, wo er die Leiden der Menschen durch seine wunderthätige Kraft heilte und dann sagte: gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben, sündige hinfort nicht mehr! Wo | eben dieses sein tiefer Blick in die Verborgenheit des menschlichen Herzens, vermöge dessen er sah, wie auch solche Leiden, wenn sie auch in keiner frühern Uebelthat ihren Grund hatten, doch gewiß dem Menschen die verborgene Uebelthat seines Herzens bekannt gemacht haben müßten, und sie auf mancherlei Weise ans Licht hervorgelockt. Aber wie der Erlöser seine Hilfe austheilte an die Leidenden, ohne sich abhalten zu lassen dadurch, daß ihr Leiden in irgend einem Sinne ein Leiden um Uebelthat willen war: so sollen wir auch darin dem Vorbild folgen, welches Christus uns gelassen hat, daß alles Leiden der Menschen, welches zu unserer Kenntniß kommt, die wir auf den Namen Christi verbunden sind, und, wenn wir auch nicht seine wunderthätigen Kräfte auf dem Gebiet der Natur theilen, doch an den weit höhern göttlichen Kräften, vermöge deren er der Abglanz der göttlichen Herrlichkeit war, durch seinen Geist Antheil haben, uns dafür in Bewegung setze, wie auch er jedesmal that, um die Leiden der Menschen zu lindern. Wiefern sie aus Uebelthat entstanden seien oder nicht, das ist etwas, was wir allerdings, wenn wir es erkennen können, zu unserm eignen Heil und unsrer eignen Lehre zu benutzen haben, was aber unser Handeln gegen die Leidenden selbst nicht be19–20 Vgl. Joh 9,3

22 Joh 5,14

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

361

stimmen soll. Denn so unterschied auch der Erlöser nicht, der doch wußte, was in eines Jeden Herzen war. Mögen wir jene also erkennen oder nicht, und die Uebelthat der Brüder benutzen können oder nicht, immer müssen wir danach streben, daß immer ihr Leiden werde ein Leiden um Wohlthat willen, daß Werke Gottes dadurch offenbar werden, nämlich Werke der brüderlichen Liebe, die keine Entfernung der Zeit und des Raumes achtet, um wirksam zu sein auf diese wahrhaft göttliche Weise. So, m. g. F., hat sich auch die Gemeine Christi von Anfang | an bewährt und erbaut. Von jenen ersten Tagen der Apostel an, als sie noch so dürftig berathen war mit allen äußerlichen Mitteln, als sie noch so wenig verbreitet war, und also auch so wenig menschliche Kräfte in ihr versammelt, sehen wir doch bei jeder Gelegenheit die brüderliche Liebe kräftig um Leiden zu steuern und dadurch Werke Gottes zu offenbaren. Da wurde alles ein gemeinsames Gut; das Bedürfniß und Leiden des Einen, die Freudigkeit und der frische Muth des Andern, hier der Besitz, dort der Mangel, alles wurde in Eines zusammengebracht. Denn im Bewußtsein der Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge und in der Erwartung eines herrlicheren Zustandes, wo nur das Geistige gelten werde, wußten sie nichts Besseres, als sich so zu verhalten, daß, wie schwach und armselig die Kräfte zur Hilfleistung auch sein mochten, doch alles, wie es Gott verlieh, hineingezogen wurde in Ein Leben der Liebe, und alles, was jeder besaß, willig zusammengebracht in Einen gemeinsamen Schatz, aus dem alle Gaben und Erweisungen der Liebe hervorgingen, ohne daß irgend Einer sich seines Antheils besonders rühmen konnte. Jemehr nun auch wir dieses nach unserer Weise und unseren Umständen gemäß nachbilden, um desto herrlicher wird es kund werden, daß in der Gemeine Gottes und durch sie alles irdische Leid ein solches Leiden ist um Wohlthat willen. Ja, dahin soll es kommen durch diese tröstende und aufrichtende Kraft der Liebe, daß wir es denen selbst, die auf das möglichst Unverschuldete leiden durch die gewaltigen Kräfte der Natur, sobald sie nur einigermaßen wieder zur Ruhe gebracht sind, sagen können, und so, daß sie es gern hinnehmen und selbst bekennen, es sei Gnade von Gott, auch so zu leiden um Wohlthat willen, daß das Leiden Einiger Veranlassung giebt zu neuen Werken Gottes, die nun Allen | kund und offenbar werden. Denn wir können zu keinem herrlicheren und freudigeren Bewußtsein Gottes erregt werden, als wenn er sich so in seinen Kindern offenbart als den Gott und Vater der Liebe in allen den guten und schönen Werken, durch welche Thränen getrocknet werden, Schmerzen gelindert, gedämpfter Muth wieder erfrischt, gesunkene Lebensgeister neu aufgeregt, und durch welche aus tiefem Kummer schöne Hoffnungen wieder aufgehn. So entsteht den Leidenden selbst ein Trost, der sie nicht nur die Leiden

149

150

362

151

Am 3. Mai 1829 vormittags

der Erde vergessen lehrt, sondern durch den sie sich mitten im Leiden höher gehoben fühlen, als in einem ruhigen, ja anmuthigen Fortgang des Lebens geschehen kann. Denn so von den Erweisungen brüderlicher Liebe getragen, wandeln sie unter schöneren und herrlicheren Werken Gottes als gewöhnlich, und werden so mitten unter irdischen Schmerzen deutlicher inne, wie hier schon unser Wandel im Himmel ist. Aber noch herrlicher ist es freilich um Wohlthat willen leiden in jenem andern Sinne des Wortes, nämlich um des Guten willen, welches durch unser Leiden selbst entsteht, und ohne dasselbe nicht würde zu Stande gekommen sein. Das hat der Apostel im Sinne gehabt, indem er sagt: ihr waret vorher wie die irrenden Schafe; nun aber der Herr gelitten hat um Wohlthat willen, nun er unsre Sünde geopfert hat an seinem Leibe auf dem Holz, nun seid ihr bekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen. Wenn nun die Schrift dieses sagt und der Herr selbst sagt, mußte nicht Christus also leiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen; was ist denn in diesem Zusammenhang seine Herrlichkeit wohl anders, als eben unsre von ihm ausgehende Seligkeit? und sein Leiden war ein Leiden um Wohlthat willen, indem das ewige Heil der Menschen daraus hervorwachsen und sich bis zur himmlischen Vollen|dung vermehren sollte. Daß wir können der Gerechtigkeit leben, das leitet hier der Apostel von dem Leiden und Tode des Erlösers ab. Wir sollten gerecht werden durch den Gehorsam dieses Einen, und Er mußte zu dem Ende seinen Gehorsam bewähren bis zum Tode am Kreuz, damit er jenen Namen empfinge, der über alle Namen ist. Und in eben diesem Zusammenhang nun stellt uns unser Text das Leiden des Erlösers als ein Vorbild dar, dem wir folgen sollen. Seine Meinung ist also, daß es eben so noch jetzt ist, und wir Alle als Nachfolger Christi zu eben solchem Leiden um des Guten willen berufen sind. So lange die Sünde noch mehr oder weniger mächtig ist, muß auch der Christus, der in uns lebt, noch immer bald so bald anders die Sünden der Menschen opfern, um immer mehr diejenigen, die ihn bekennen, zu reizen, daß sie der Gerechtigkeit leben. Wenn wir im Widerstand gegen die Sünde und in dem Bestreben, sie aufzuheben, durch die Sünde der Welt leiden, so offenbaren wir in uns selbst Werke Gottes, indem wir mitten unter solchem Leiden die Treue gegen den göttlichen Willen offenbaren, ohne einen Schritt zurück zu weichen, und werden so auch Andern wieder Vorgänger auf diesem Wege des Heils, und erwecken in ihnen die Lust zu einem kräftigen und fruchtbaren Leben in dem Reiche Gottes. Dieß nun ist das Vorbild, wovon Petrus hier sagt, daß Christus es uns gelassen hat. Freilich, je 6–7 Vgl. Phil 3,20

14–15 1Petr 2,25

16–17 Lk 24,26

25–26 Vgl. Phil 2,9

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

363

weiter sich sein Reich verbreitet, je mehr diese Herrlichkeit, in die er durch Leiden eingegangen ist, den Menschen ins Auge leuchtet, desto mehr muß sich die Widerwärtigkeit und Feindschaft der Menschen gegen das Gute, welches aus seinen Leiden hervorgegangen ist, verlieren; aber wenn wir uns auch diese schon ganz ausgestorben denken dürften, so würden wir doch sagen müssen, so lange noch Sünde da ist, wird es | einen Widerstand geben müssen, den wir zu leisten haben, so lange wird auch unsere Arbeit im Weinberge des Herrn mit Leiden verbunden sein, welches, wenn auch nur in dieser einzigen Beziehung, dem Leiden Christi ähnlich ist, und nur erst, wenn auch die Sünde ganz hinweggenommen sein wird, wird es kein Leiden mehr geben um Wohlthat willen. Auch um uns hierüber den rechten Aufschluß zu geben, erinnert uns der Apostel daran, wie der Herr nicht wieder schalt, als er gescholten ward, das heißt an die göttliche Milde, welche immer und überall den Gebrauch seiner Kraft begleitete. Denn freilich, wenn wir es daran fehlen lassen, so giebt es mitten in dem an sich löblichsten und gottgefälligsten Streit gegen die Sünde an dem Leiden, das uns hieraus entsteht, eine Verschärfung, die nur auf unsrer eigenen offenbar gewordenen Unvollkommenheit beruht; aber an dem Leiden selbst wird es, auch wenn wir dem Herrn in seiner Milde nach Vermögen folgen, doch nicht fehlen. Und so ist das Wort des Apostels in seinem ganzen Umfange nicht etwa ein solches, dessen Wahrheit sich beschränkte auf jene ersten Zeiten der christlichen Kirche, da, wenn welche um des Glaubens willen verfolgt wurden, man ihnen sagen konnte, dieselben Leiden träfen alle ihre Brüder in der Welt, sondern es bleibet wahr für die ganze Zeit des Wandels der christlichen Kirche auf dieser Erde. So lange wir hier leben, ist die Sünde in uns, und regt sich immer aufs neue im menschlichen Geschlecht; der Kampf des Geistes gegen das Fleisch wird hier nie ganz beendigt. Nur der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet, und eben deshalb währt auch der Kampf so lange, als wir unsres Glaubens leben, sonst wäre nicht der Glaube der Sieg, sondern das Schauen, die selige Ruhe, der ewige Friede. Hier ist das Land des Kampfes und des Strei|tes, und da Kampf und Streit nicht sein können ohne Leiden, welches schönere Ziel könnten wir uns stellen, als immer zu leiden um Wohlthat willen? welches schönere, als daß auf alle Weise durch uns alle herrliche Gotteswerke offenbar werden, die davon ausgehn und damit zusammenhängen, daß sich in uns das Bild Christi gestaltet, nicht minder als in freudigen und liebevollen Werken, auch in dem ernsten Widerstande, den wir dem Bösen leisten, darauf bedacht, es zu überwinden durch das Gute, indem auch wir mit ihm und durch ihn die Sünde der Menschen opfern, um sie hinweg zu nehmen und die Liebe zu offenbaren, die durch seinen Geist in uns ausgegossen ist, auf daß

152

153

364

Am 3. Mai 1829 vormittags

auch wir seinen Fußstapfen nachfolgend unsre Brüder reizen und kräftigen, daß sie der Gerechtigkeit leben. Dazu möge seine Kraft in uns reichlich wohnen, dazu auch aller Anblick menschlicher Leiden auf der einen Seite, aber auch auf der andern alle Erfahrung von menschlicher Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit uns immer kräftiger antreiben, damit wir dem Ziel immer näher kommen, daß die Gemeine Christi sich offenbare in jener fleckenlosen Schönheit, für welche kein anderes Leiden möglich ist, als das selbst schöne Leiden um Wohlthat willen, in welchem sich der göttliche Ursprung des Geistes, der über die Gemeine ausgegossen ist und in ihr waltet, immer herrlicher offenbare als von Christo nehmend, und ihn in uns und durch uns verklärend, als unter allen Abwechselungen dieses Lebens gleich freudig und vertrauensvoll Abba, lieber Vater, rufend, und die Macht bezeugend, die uns gegeben ist, Kinder Gottes zu sein! Amen.

5

10

15

b. Nachschrift Aus der Predigt am S. Misericord. Dom. 29.

22r

1 Petr. 2, 20–24. „Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missethat Streiche leidet! Aber wenn ihr um Wohlthat willen leidet, das ist Gnade bei Gott. – Denn dazu seid ihr berufen. Sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen. u. s. w. Wenn wir diese Worte aufmerksam bedenken so können wir wol nicht anders als uns in Verlegenheit befinden in Beziehung darauf; denn was die Apostel des Herrn den Christen ihrer Zeit als ihren Pfad beschreiben, das sehn wir an als für alle Zeiten wahr bleibend: und gewiß es hätte von unsrer Seite auch viel bedenkliches und es könnte uns dadurch viel von dem Nutzen der Schrift entgehen, wenn wir nicht bereitwillig wären, das, was uns nicht leicht scheint, doch auf uns anzuwenden, sondern es nur auf jene Apostolischen Zeiten beziehen wollten. Und doch, wenn gesagt ist, daß die Christen sollen, wie der Erlöser selbst gelitten hat, um Wohlthat willen leiden und eben in diesem Stücke ihm folgen: was sollen wir sagen? soll die Widrigkeit der Menschen gegen das Gute nie aufhören? sollen die Christen immer wieder leiden um des Bekenntnisses Christi, um des Glaubens willen? Nein, wir müßten der gnädigen Führung Gottes unrecht thun, wir müßten 35 Gottes] Gottes,

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

365

viel des wahrhaft christlichen übersehen, wir müßten wenig Zuversicht haben zu der Kraft der Gnade des Herrn wenn wir denken wollten, es müsse so bleiben. Demohnerachtet, wo ein Wort der Schrift eine Aufforderung enthält Christum ähnlich zu werden; o, lieber soll uns keines sein! So wollen wir denn dieses Wort des Apostels betrachten und darauf sehn wie es gemeint sein kann, daß das Leiden der Christen dem Leiden Christi ähnlich sein soll. Wir werden dabei aber nicht anders zu Werke gehn können als so, daß wir 1. die Frage aufwerfen wie sich denn überhaupt das zwiefache Leiden von dem hier die Rede ist, nemlich um Missethat willen und um Wohlthat willen leiden, verhält zu allem menschlichen Leiden. Und dann erst wenn wir im christlichen Sinne und durch das eigne Wort des Erlösers uns diese Frage werden beantwortet haben, werden wir übergehn können zu der Hauptfrage: wie es denn eigentlich mit der Aehnlichkeit des Leidens Christi zu der wir aufgefordert werden, beschaffen sei. 1. Wie sich der Gegensatz des Leidens, der in dem Wort des Apostels aufgestellt ist, zu dem menschlichen Leiden überhaupt verhält? – wenn wir so fragen: können wir behaupten es gebe kein Leiden als dies? alles was die Menschen leiden sei entweder um Missethat willen, also das was nicht sein soll, oder um Wohlthat willen, und also das worin wir Christo ähnlich sein sollen? Wenn wir aber das so unbedingt behaupten wollten, so würde uns das am allerwenigsten genügen zu einer Zeit wo so ungeheure viele Leiden den Menschen aus den Gewalten der Natur entstehen, von denen wir sagen müssen daß keine Verschuldungen damit zusammenhängen: Wie also sollen wir jenen Gegensatz darauf anwenden? – Laßt uns sehn was der Herr selbst, in einem ähnlichen Fall, sagt: nemlich als er in Jerusalem umherging und einen Blinden sah, da fragen ihn seine Jünger: „wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß ihm das geschehen ist?“ – wovon ging diese Frage aus, als von der Voraussetzung daß alles Leiden müsse in der Uebelthat seinen Grund haben[.] – Aber was sagt der Herr? Er sagt: „Weder dieser noch seine Eltern haben gesündigt, sondern damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden pp." Hat dadurch nun der Herr das aufgehoben daß alles Leiden ein Leiden entweder um Missethat oder um Wohlthat willen sei? Nein, vielmehr giebt es ja keine größre Wohlthat als wenn die Werke Gottes offenbar werden. An dem Blinden nun verherlichte sich der Herr selbst und offenbarte das Werk Gottes. Und indem uns nun der Herr diesen Fingerzeig giebt, so beruhigt er uns darin über alles Leiden indem er sagt: es sei, auf daß die Werke Gottes offenbar werden! Und wenn der Apostel uns auffordert daß wir sollen folgen dem Vorbilde Christi, was können wir sagen in Beziehung auf solche Leiden, als daß das sein soll die Ordnung in 25–32 Vgl. Joh 9,1–3

366

22v

Am 3. Mai 1829 vormittags

der Gemeinschaft der Menschen wo Christus lebt, daß wo sich Leiden findet, daß da auch immer die Werke Gottes offenbar werden sollen. Wenn nämlich auf die Leiden der Menschen die christliche Liebe sich lenkt, wenn sie aus der Ferne gleichsam einen Damm aufwirft damit das Leiden nicht noch größer wird je länger es währt, wenn sie, was die Natur zerstört hat, durch den Zauber ihrer Kraft, wieder aufbaut: müssen wir da nicht sagen, daß die Werke Gottes offenbar werden? Es ist also dieses Leiden ein Leiden um Wohlthat willen weil dadurch | ein Werk Gottes (das große Werk Gottes die christliche Liebe) offenbar wird. – Da es sich nun – wie wir aus dem Wort und Werk des Erlösers eben gesehen haben – so verhält mit dem Umwohlthatwillenleiden, daß solch Leiden mithineingehört – so führt uns das darauf daß das um Uebelthat willen Leiden auch wol zwei Beziehungen hat: Und so können wir sagen: Alles Leiden fällt unter den Gegensatz den der Apostel aufstellt; es ist alles entweder ein Leiden um Uebelthat willen oder um Wohlthat, aber beides auf zwiefache Weise. Nemlich, es giebt Leiden um Wohlthat willen auf die Weise, daß durch das Leiden der Menschen, andere gereizt werden sollen zur Wohlthat. Es giebt Leiden um Wohlthat willen auf die Weise, daß durch die Ausübung Leiden entstehen. Und eben so mit dem andern nemlich: „es giebt ein Leiden dessen Grund die Uebelthat ist. Es giebt ein Leiden um Uebelthat willen, nemlich ein solches dadurch die Sünde die verborgen ist an das Licht kommt.“ Dieses Zwiefache also ists, worauf wir sehn müssen um überzeugt zu werden, daß es sich so verhält mit dem menschlichen Leiden überhaupt, daß es so kann eingetheilt werden. Und so ausgerüstet werden wir zu der Hauptfrage schreiten können und mit Gottes Hülfe zu der Antwort gelangen. Nemlich 2. was es für eine Bewandniß hat mit der Aehnlichkeit unsrer und der Leiden Christi? – Wie nemlich der Apostel sagt und „dazu seid ihr berufen! – auch sintemahl Christus gelitten hat für uns und hat uns ein Vorbild gelassen:“ – Wenn wir diese Frage beantworten wollen so laßt uns zuerst stehn bleiben bei dem Leiden um Missethat willen und fragen: was es hier für eine Aehnlichkeit gebe mit dem Leiden Christi. – Der Apostel aber stellt das dar als dem Leiden Christi entgegen gesezt: Wenn wir also ihm ähnlich werden wollen so muß sich das zuerst darin zeigen, daß wir um Uebelthat willen nicht zu leiden haben und zwar weder so daß die offenbare Uebelthat der Grund sei des Leidens, noch auch so daß durch das Leiden die in uns verborgne Uebelthat sich zeigt. Das Erste läßt uns denken an die Vollkommenheit (der Christen) der Kirche Christi, welche als unser Ziel uns sich darstellt; wenn keine Uebelthat mehr ist, wenn die Sünde die Kraft gänzlich verloren, wenn in allen Handlungen sich nichts zeigt als das 18 Ausübung] Korrektur von Crayen

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

40

367

Werk des Geistes Gottes, wenn überall nichts ist als das schöne und herrliche Leben der Freiheit der Kinder Gottes, des Friedens mit Gott, der Freude im heiligen Geist, denn wenn nichts sich zeigt, als die Erweisungen aller christlichen Tugenden: nun da kann aus der Uebelthat kein Leiden entstehn! weil sie gar nicht mehr ist. Und wenn den Menschen dann Leiden treffen die aus der Natur entstehen dann kann er nicht in Versuchung sein, zu fragen, wie die Jünger in Beziehung auf den Blinden: „Was hat dieser gesündigt?“ Denn wenn das Bewußtsein der Sünde ganz verschwunden wäre, dann würde es uns nie einfallen einen Zusammenhang zu suchen zwischen der Sünde (diesem innern Uebel) und dem Unheil von außen. Aber diese Vollkommenheit die war nirgend anders als bei dem Erlöser; sie ist das Ziel das wir endlich durch ihn erreichen werden, wovon wir aber auch immer wissen, und es, wie der Apostel Paulus freimüthig bekennen: „nicht daß wirs schon ergriffen hätten“: Jemehr wir nun noch davon entfernt sind, ach wir fühlen es wohl in demselben Maaße ist die Sünde eine reiche Quelle von Leiden! und wenn wir sehen, wie bei allem was die Menschen von außen her trift, bei den großen Verwüstungen die die Natur (durch die ihr von Gott verliehne Macht) ausübt, die Leiden, welche Leiden sein sollten um Wohlthat willen, durch Furcht und alles das was damit zusammhängt, verbittert wird, so müssen wir gestehen das Alles sei die Frucht der Sünde, welche eben das Leiden zu einem solchen macht welches die Seligkeit ausschließt; weshalb der Apostel auch sagt: so ihr um Missethat willen leidet, was ist das für ein Ruhm! Aber das ist die Aufforderung des Apostels „wie Christus zu leiden, welcher keine Sünde gethan hat:“ So freilich sollten auch wir sein, wir würden dann ganz freien und frohen Herzens allem Leiden entgegen gehn! Wolan denn, nicht daß das allein der Beweggrund sein sollte die Sünde zu meiden, sondern deswegen wollen wir immer mehr frei davon werden, weil sie uns von ihm entfernt! Also die Verringerung des Leidens für uns selbst, d. h. eines jeden für sich wollten wir nicht als Beweggrund der Trennung von der Sünde anwenden, aber dazu wollen wir uns ermuntern: in dem gemeinschaftlichen Leben uns immermehr von der Gewalt der Sünde los zu machen, weil um desto mehr die Quelle des menschlichen Leidens verstopft wird und das natürliche Leiden ein Leiden wird um Wohlthat willen! und um so zuversichtlicher und reiner werden dann auch wir in die dunkle Zukunft bliken. Aber freilich ist das nicht Alles was dazu gehört, nicht um Missethat willen zu leiden, denn wir sollen auch nicht so leiden, daß dadurch verborgne Sünde zum | Vorschein kommt, weil eben in uns keine Sünde sein soll: Das hat der Apostel auch im Sinn, indem er uns Christum zum Vorbild stellt im Leiden; denn er sagt: „welcher nicht wiederschalt da er geschalten ward:“ denn wenn er das gethan hätte das wäre auch gewesen ein Hervorbrechen der Sünde. Freilich 14 Vgl. Phil 3,12

40 1Petr 2,23

23r

368

Am 3. Mai 1829 vormittags

konnte das nicht sein, weil er ohne Sünde war: wenn er aber nicht ganz frei davon gewesen wäre, so würde sich das gezeigt haben indem er litt, nemlich: er wäre dann wol der gewesen der er war so lange das Leben still an ihm vorübergegangen wäre, aber, so wie er gescholten wäre, dann würde er auch aufgebraust sein, und darin hätte sich dann, statt daß seine Vollkommenheit in seinem Leiden offenbart ist, Unvollkommenheit gezeigt. Und so geschieht es so oft mit den Menschen daß erst durch das Leiden die verborgene Sünde zum Vorschein kommt; Wie leicht ists freundlich und wohlthuend in das Leben Andrer einzugreifen für Einen dem sein Leben sich ruhig gestaltet, wie leicht kann er sich überall beweisen als der Gerechtigkeit lebend, und dem Guten nachjagend, aber wie bald zeigt sich die Trägheit und Thorheit des Herzens wenn das Leiden angeht, wie leicht erniedrigt er sich zu solchen Hülfsmitteln die er sonst wol fern von sich gehalten haben würde! und so zeigt sich denn darin die sonst in ihm verborgen gebliebne Sünde! Das ist das andre Leiden um Missethat willen welches P S für uns, die wir Christum sollen ähnlich werden nicht sein soll! Und hier ist der Ort von wo aus wir wol noch einmal zurüksehn mögen, auf den ersten Theil unsrer Betrachtung. Nemlich, wenn wir einen großen Theil des menschlichen Leidens uns wollten abgelöst denken von dem Leiden um Missethat und Wohlthat willen, und wir das Leiden das die Natur bringt doch nicht anders ansehen können als aus dem Gesichtspunkt einer göttlichen Regierung, könnten wir uns denken daß dem zufolge das Leiden da sein sollte anders als so daß es führen soll zum Guten? Nein, denn nach dem Rathschluß der göttlichen Liebe soll uns Alles ja der Vollkommenheit näher bringen die in Christo ist, und darum also giebt es Leiden, damit den Menschen die Augen geöffnet werden daß sie sich erkennen weil die verborgnen Schwächen P S zum Vorschein kommen durch das Leiden, und der tiefste verborgenste Grund des Herzens offenbar wird darin. Seht, so lange wir nicht in dem Spiegel des göttlichen Worts unsre Unvollkommenheit schauen, und das Werk der Heilgung mit Furcht und Zittern treiben, so lange muß es geben solche Leiden um der Uebelthat willen, die uns zur Erkenntniß derselben bringen, und mit des Herrn Hülfe zu ihm, die wir also nicht anders ansehn können als so daß sie uns eine willkommne Arznei sind. Aber eben darum ists auch das herrliche Ziel, dem wir immer näher kommen sollen, daß immer weniger sein soll des Leidens um der Uebelthat willen, es soll nemlich immer mehr aufhören nöthig zu sein zu unsrer Heilgung daß solche Mittel angewandt werden müssen. Und nun laßt uns fragen: wie stehts um das Leiden um Wohlthat willen in Beziehung auf die Aehnlichkeit mit dem Leiden Christi? Laßt uns das anknüpfen an das letzte, nemlich alles Leiden dürfen wir in nichts suchen als in der Uebelthat entweder eigner oder andrer; Uebelthat ist entweder dem Leiden vorangegangen oder entwikelt sich darin. Ists nun aber so, wie können wir dann außer Acht lassen, daß es eben deshalb weil die Uebelthat

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 2,20–22

5

10

15

20

25

30

35

369

fort muß, zugleich ein Leiden sei um der Wohlthat willen wozu andre gereizt werden sollen, nemlich um der Wohlthat willen wodurch die Sünde ausgerottet wird welche Wohlthat der Herr nennt: „das Offenbarwerden der Werke Gottes“. Daß die Werke Gottes offenbar werden, so hat der Herr überall gehandelt, wenn er sagte: „sündige hinfort nicht mehr:“ so war das eben sein Blick in das Verborgne hinein wo er sah, daß der Mensch die verborgne Uebelthat seines Herzens bekannte und nun fähig war durch ihn davon befreit zu werden. Aber wenn der Erlöser heilte ohne sich dadurch abhalten zu lassen daß das Leiden aus Uebelthat entstanden: so sollen die Christen auch hierin ihm folgen; und sollen, die menschliche Kraft, aber vorzüglich die weit höhre göttliche Kraft die durch seinen Geist sie in sich fühlen, in Bewegung setzen um die Leiden zu lindern, mögen sie entstanden sein auf diese oder jene Weise, mögen wir sie als Leiden um der Uebelthat willen erkennen oder nicht, darnach strebend, daß es nun ein Leiden werde um Wohlthat willen: So hat sich denn auch die Gemeinde des Herrn bewährt und erbaut von Anfang an; in jenen ersten Tagen schon sehn wir die brüderliche Liebe kräftig wirkend um Werke Gottes zu offenbaren, da war Alles Gemeingut! Denn in dem Bewußtsein | der Vergänglichkeit der irdischen Dinge, wußten sie nichts anderes damit zu thun als so damit umzugehn daß alles was sie hatten und thaten hingezogen wurde in den Kreis der Liebe, alles nur Erweisung christlicher Liebe, und bei jedem Leiden auch offenbarten sich diese Werke Gottes! – und nur auf diese Weise erbaut sich die Gemeinde, und kommt der Vollkommenheit näher, wie eben die Liebe das Band ist der Vollkommheit. Und wenn dem so ist, wie sollten wir dann nicht sagen um Wohlthat willen leiden, das ist Gnade von Gott! Ja schon um deswillen zu leiden damit die Liebe offenbar werde ist Gnade von Gott, weil es ein herlicheres Bewußtsein Gottes erregt in den Leidenden; es giebt kein größres Werk Gottes als das welches sich durch die christliche Liebe offenbart an ihnen, es soll dadurch ihnen eine Freude entstehen die das Leiden weit überwiegt; wo die christliche Liebe hinreicht da soll der Mensch es wissen und erfahren, daß schon hier der Himmel sein Vaterland ist, und darüber das Vergängliche vergessen! – Aber freilich herrlicher noch ists um Wohlthat willen leiden im andern Sinn, nemlich um der Wohlthat willen die ausgeht von dem Geist Christi worin seine Herrlichkeit sich offenbart, wie eben das Leiden Christi ein solches war und dieses um Wohlthat willen leiden, hat der Apostel ganz besonders im Sinn dabei indem er sagt: „nun seid ihr bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Selen:“ Wenn die Schrift sagt von Christo und er selbst es bestätigt: „mußte nicht darum 25 von] darüber steht als Alternative bei 3–4 Vgl. Joh 9,3 5 Joh 5,14 37 1Petr 2,25 38–1 Lk 24,26

23–24 Vgl. Kol 3,14

31–32 Vgl. Hebr 11,16

23v

370

Am 3. Mai 1829 vormittags

Christus leiden um zu seiner Herrlichkeit einzugehen:“ So ist ja unser Leiden wenn es dem seinen ähnlich ist nichts als die Offenbarung seiner Herrlichkeit – wie denn diese wiederum nichts ist als die uns aus ihm hervorgehende Seligkeit, wie er eben in seinem Leiden geworden ist der Urheber dieser unsrer Seligkeit das könnte er nicht geworden sein, ohne daß er unsre Sünde opferte an seinem Leibe und so sie hinwegnahm; er ging in den Tod um seinen Gehorsam zu beweisen und einen Namen zu empfangen der über alle Namen ist! Er war dazu berufen die Sünde zu opfern, sie hinwegzunehmen; und wie ihn der Vater gesandt, so sendet er die Seinen: dazu also sind auch wir berufen durch ihn, die Sünde der Menschen zu opfern an unserm Leibe, d. h. indem wir durch die Sünde leiden, unsern Gehorsam gegen den Herrn zu beweisen, zu beweisen daß der uns lieber ist, als alles irdische Gut und daß wir alles gern dahingeben um nur zu bleiben in der Treue gegen den göttlichen Willen, um so den Menschen den Weg des Heils zu zeigen und ihnen Lust zu machen zu dem Leben aus Gott, darin wir volle Genüge finden! Das ists was der Apostel meint wie wir sollen ähnlich werden im Leiden dem Herrn welcher keine Sünde gethan, sondern unsre Sünde geopfert hat an seinem Leibe. Freilich um desto mehr als den Menschen sein Licht leuchtet wird ihre Widrigkeit dagegen sich verlieren, aber wenn wir sie uns auch gestillt denken, so wird doch die Arbeit im Werke des Herrn nicht ohne Leiden sein, auch in dieser schönsten Beziehung nicht und nur wenn die Sünde ganz hinweggenommen ist, dann wird es kein Leiden mehr geben auch in diesem Sinne nicht um Wohlthat willen. So sehn wir: es ist dasselbe Wort der Wahrheit für uns, als für jene ersten Christen zu denen es der Apostel sprach, denn so lange wir noch nicht vollendet sind, so ist die Sünde noch in uns, so ist der Kampf dagegen noch nicht geschlichtet; zwar der Glaube ist der Sieg der die Welt überwindet, aber so lange der Kampf noch währt, ist der Sieg nicht vollkommen erschienen: Und so laßt uns nun immermehr dem Ziel nachstreben daß unser Leiden ein Leiden sei um Wohlthat willen, daß der Widerstand den wir der Sünde leisten dazu führt, daß sie geopfert werde, und so sich das Bild Christi gestalte in seiner Gemeinde, und seine Kraft sich offenbare. Dazu möge seine Kraft reichlich in uns wohnen, und dazu möge der Anblick der Unvollkommenheit und Sündhaftigkeit uns reitzen, damit wir dem Ziel näher kommen, daß die Gemeinde sich offenbare in ihrer ganzen geistigen Schönheit in der Reinheit des Herrn, daß alles Leiden in ihr um Wohlthat sei und die Offenbarung der Werke Gottes, Offenbarung des gött2–3 als ... ist] Ergänzung Crayens am linken Rand 7–8 Vgl. Phil 2,9

9 Vgl. Joh 20,21

28–29 Vgl. 1Joh 5,4

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 2,20–22

371

lichen Werks der Erlösung – auf daß der göttliche Ursprung (Christus) sich darin zeige durch den die Menschen Macht bekommen haben, solche Kinder Gottes zu werden.

3 Am linken Rand steht noch die Bemerkung: „Dieser Schlußsatz ist so kurz gefaßt, um der schönen Hoffnung willen, daß die Predigt gedruckt wird.“

Am 12. Mai 1829 mittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Dienstag, 13 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 2,4–6 Nachschrift; SAr 68, Bl. 24r–24v; Woltersdorff Keine Keine Abendmahlsvorbereitung Tageskalender: „Vorbereitung nach Katechisation“

Aus der Vorbereitungsrede zum Bußt. 29.

24r

Eph. 2,4–6. Gott der da reich ist von Barmherzigkeit, durch seine große Liebe damit er uns geliebt hat. Da wir todt waren in Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht – denn aus Gnaden seid ihr selig worden – und hat uns samt ihm auferwecket und samt ihm in das himmlische Wesen versetzt, in Christo Jesu. Wir feiern morgen einen Tag der Buße und des Gebets und werden uns auch an demselben bei dem Mahl des Herrn vereinen. Ein solcher Tag kann und soll, nach dem was der Apostel in diesen Worten sagt nemlich daß wir durch die Gnade Gottes samt Christo in das himmlische Wesen versetzt sind, nichts andres sein als ein Tag der erneuten Erinnerung an den glükseligen Zustand in welchem Alles neu geworden ist durch den Erlöser und die Gnade Gottes: Zugleich aber auch ist ein solcher Tag ein Tag der Ermahnung daß nun die ganze Erscheinung unsres Lebens dem immer vollkommner entspreche. Wenn wir einmal durch das Wort Gottes, das in Christus uns erschienen, erneut sind und in dem Bund mit ihm aufgenommen und zum Leben gelangt sind, zum Leben des Glaubens und Vertrauens und der selgen Gemeinschaft mit Gott in der freudgen Erfüllung seines Willens: so ist an einen Zustand der herrschenden Sünde und des überwiegenden Verderbens nicht mehr zu denken. Aber dessen sollen wir uns immer bewußt sein daß das alles nichts andres als eben eine gnädige Gabe Gottes, und dieses Bewußtsein soll eben an solchem Tage recht lebendig werden, denn das irdische Leben in seinen mannigfachen Verwicklungen wirkt doch wol zuweilen so 3 von] Kj an

5

10

15

20

25

Predigt über Eph 2,4–6

5

10

15

20

25

30

35

373

auf unser Gemüth daß dies Bewußtsein mehr oder weniger in den Hintergrund tritt, und dieses Zurückgetretensein legt denn mancherlei Zeugniß ab von menschlicher Schwachheit. Darum sagt der Apostel wir sollen es mit ihm immer aufs neue erkennen daß wir mit Christo und durch ihn und in ihm in das himmlische Wesen versetzt sind, ohnerachtet dessen daß auch wir todt waren in Sünden, und von ihm die Kraft empfangen haben und immer aufs neue erhalten mit ihm zu wandeln in dem neuen Leben welches er an das Licht gebracht. D. h. in dem selgen Reich Gottes das da besteht in Friede und Freude im heilgen Geist und allem was zur rechten Freiheit der Kinder Gottes gehört. Und so soll die Feier jedes Festtags und vorzüglich solcher, nichts sein als die dankbare Anerkennung der Gnade Gottes in Christo: Das ists eben worin die Buße besteht und sich beständig wiederholt, daß wir immer durch die Erfahrung zur Erkenntniß gelangen des Mangels an göttlicher Kraft, und dann uns selbst verleugnen und uns selbst absagen, und mit dem herzlichen Verlangen ihm uns nahen, daß er uns ganz versetze in das himmlische Wesen, auf daß nicht mehr wir leben sondern nur Christus in uns, so daß alles andre verschwinde aus unserem Gemüth. Wie also nun die Kraft des geistgen Lebens uns allein durch Christum gekommen, den Gott uns geschenkt hat aus Gnaden; so ists auch gewiß daß wir unserm Bedürfen und Verlangen gemäß das himmlische Leben nur bei ihm suchen und von ihm nehmen: und eben darum ist das heilge Mahl uns als ein besonderes Mittel der Gnade, von dem Erlöser selbst eingesetzt, so willkommen, indem es eine lebendige Stärkung unsrer Liebe zu ihm ist, und unsres Bundes untereinander wie er ihn gegründet, eine Nahrung des Lebens aus ihm welches eben dadurch immermehr das Einzige in uns wird, eine Befestigung des Bewußtseins daß wir durch ihn in das himmlische Wesen gesetzt sind. Wenn wir nun in diesem Sinn die Feier des heilgen Mahls betrachten, so ists die Gemeinschaft der Buße in der wir begriffen sind in Beziehung auf unser gemeinsam Leben welches noch immer nicht vollkommen ist, ohnerachtet in der Tiefe des Herzens der Geist Gottes uns Zeugniß giebt daß wir durch Christo Gottes Kinder sind. Von diesem | innern Leben aus werden wir nun, durch seine fortwährende Gnadenwirkung derer wir gewiß werden in solcher Feier, immermehr gedeihen zu der Vollkommenheit des gemeinsamen Lebens, weil wir mit immer größerer Kraft und reinerer Gesinnung dem absagen was zu dem himmlischen Leben nicht gehört, und wohl wissend daß die Sünde uns in Christus vergeben, werden wir an der Zuversicht gewinnen daß alles was Gott über uns verhängt nicht göttliche Strafe ist, sondern Werk der göttlichen Liebe die uns durch die 1 daß] das

5 ohnerachtet] ohnerachten

5–6 Vgl. Eph 2,5 Röm 8,16

8–9 Vgl. Röm 14,17

20 das] daß 16–17 Vgl. Gal 2,20

30–31 Vgl.

24v

374

Am 12. Mai 1829 mittags

Buße hindurch zu gleicher Liebe leitet zu der Liebe die in Christo sich offenbart und also das Band ist der Vollkommenheit. In dieser festen Zuversicht soll jeder Tag besonderer Andacht uns stärken und auch dieser wird es, wenn wir auf die göttliche Stimme merken; wir werden in der Vollkommenheit wachsen und in allem was Gott für uns ordnet, seinen heilgen Willen vollbringen damit die herrliche Freiheit der Kinder Gottes immermehr ans Licht trete, damit durch uns, durch unser gemeinsam Leben in Christo, kund werde das himmlische Wesen und herrsche das Leben im Geist zu welchem wir erweckt sind. Dazu sei uns gesegnet die Feier des Mahls des Herrn die uns bevorsteht daß wir immermehr uns versetzt fühlen durch ihn in das himmlische Wesen und die daraus hervorgehende Seligkeit ausschließlich ohne Störung des Sündlichen genießen, und uns und Andre kräftig erbauen zu dem göttlichen Leben dessen wir alle vollkommen durch ihn theilhaftig werden sollen.

7 uns, durch] uns durch, 2 Vgl. Kol 3,14

5

10

Am 17. Mai 1829 früh (vermutet) Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Cantate, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Joh 4,7–8 Nachschrift; SN 619/3, Bl. 8v–10r; Crayen Keine Keine Keine

1 Joh. 4. v. 7–8.

5

10

15

20

8v

Wir kennen wohl Alle, das neue Gebot, welches der Erlöser seinen Jüngern gab! Wie sehr nur Johannes dieses in seinem Herzen trug, das beweiset sich uns in diesem seinem Ausspruch; wie denn auch sein ganzer Brief dessen uns Zeugniss giebt: wie er, gleichsam, als eine Kette, ansieht – von dem innersten Wesen derselben ausgesand – : die Liebe welche sich uns in Christo, als die Liebe Gottes geoffenbaret, und die in welcher wir untereinander in Ihm so Eins sein sollen, wie Er es war mit Gott, seinem und unserm himmlischen Vater. – Nun aber stellt der Apostel hier seine Worte so, daß er sagt: „Wer diese Liebe hat, der ist aus Gott gebohren“ – so wie denn dieses zugleich der reineste Ausdruk unsers christlichen Glaubens ist! – Es erklärt sich uns aber dieser Gedanke am besten aus den eigenen Worten unsers Erlösers: „Was aus dem Geist gebohren ist, das ist Geist“; uns zeigend: daß wirklich nichts anders dazu gehöre aus dem Geiste Gottes gebohren zu werden, als wenn die Krafft dieser Liebe so uns erfüllt daß sie des Fleisches Geschäfft ertödtet in uns: – wozu freilich ihre ganze Krafft gehört. – | Nun müssen wir zwar, in dieser Beziehung, mit dem Apostel Paulus das Bekenntniß ablegen: „Nicht daß ich es schon ergriffen hätte!“ Dem er aber hinzusetzt: „Ich jage ihm nach! pp.“ – Und ist dieses auch in uns zu einem Worte der Wahrheit geworden, so dürfen wir dann wiederum den tröstenden Ausspruch uns aneignen: „So ist denn nun nichts verdammliches mehr in uns – welche also in Christo Jesu sind.“ Und wenn wir von nichts Anderem mehr getrieben werden als von dieser Liebe – so daß alles was wir sind und thun sich nur aus ihr erklären lässt – dann gehören auch 4 dessen] des

14 Geiste Gottes] Geistegottes

2–3 Vgl. Joh 13,34

13 Joh 3,6

18–19 Phil 3,12

21–22 Röm 8,1

9r

376

9v

10r

Am 17. Mai 1829 früh (vermutet)

wir zu denen die durch sie „aus Gott gebohren sind“ – Dagegen nun sagt der Apostel: „Wer aber nicht Liebe hat, der auch kann Den nicht erkennen, Welcher, weil Er, seinem Wesen nach, die Liebe ist, auch nur, in dem Lichte dieser seiner Liebe, in welcher Er in Christo uns erschienen ist, kann erkannt werden“. Schon aus den Werken seiner äußeren Schöpfungen zwar, kann Gott erkannt werden; richtet aber der Mensch die Kräffte seines Verstandes auf diese Gotterkenntniß aus der Natur – in Grübeleien darüber | was dem menschlichen Verstande unerreichbar ist, so kann es leicht geschehen, daß die rechte Wahrheit sich ihm verbirgt – und die Furcht wird als dann das Höchste, was aus einer solchen Erkenntniß Gottes ihm hervorgeht: Diese aber macht es als dann dem Menschen unmöglich, Gott in seinem rechten Lichte zu erkennen: – welches das der Liebe ist! Denken wir uns dagegen eine menschliche Seele, die, weil es ihr nicht mangelt an der Seligkeit die ein Werk ist des Geistes Gottes, weil sie hervorgeht aus dem Glauben der der Grund ist dieser Seligkeit; Denken wir uns eine solche Seele welche in ihrer eigenen Liebe die seligmachende Liebe Gottes – welche nur einer solchen Seele sich offenbaren kann – erkennet, so leuchtet es uns ein, wie dieses allein der Weg ist um dazu zu gelangen. Eher also – so meint es der Apostel – kann der Mensch weder die Gesinnung Gottes gegen uns, noch das Wesen Gottes erfassen, ehe er nicht aus diesem Geist der Liebe oder aus Gott – der die Liebe ist – gebohren ist; denn vergeblich ist das Streben, Gott erkennen zu wollen, | wenn wir nicht in uns fest halten was die Seligkeit solcher Erkenntniß ausmacht! – Sehet da! Das schöne – große Wort des Apostels – seinem reichen Inhalte nach! Und so sei es denn unser Streben: diese Liebe in ihrer ganzen – göttlichen Krafft immer inniger in uns aufzunehmen – als das Band der Vollkommenheit – als die einige Quelle aller reinen Gotterkenntniß, und der damit verbundenen Seligkeit – und als den Bestandtheil des ewigen Lebens, welches hat wer an Ihn glaubt, der, den daraus hervorgehenden Frieden – als den Seinen – uns verheißenen – gegeben – und gelassen hat! Wie diese Liebe es denn auch allein ist, in welcher Er mit dem Vater kommen kann um Wohnung in uns und unter uns zu machen.

16 welche] welcher 26 Vgl. Kol 3,14

28 den] das 30–32 Vgl. Joh 14,23

5

10

15

20

25

30

Am 24. Mai 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Rogate, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 13,9 a. Nachschrift; SAr 68, Bl. 26r–27v; Woltersdorff Eigenheiten: Keine b. Nachschrift; SAr 68, Bl. 28r–28v; Crayen, in: Woltersdorff Eigenheiten: Keine Keine Keine Der Text wurde bis einschließlich Bl. 27r von Woltersdorff aufgeschrieben; ab Bl. 27v setzt Crayen die Nachschrift fort. Vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.B.

a. Nachschrift Woltersdorff Aus der Predigt am S. Rogate 29.

5

10

15

20

Ebr. 13,9. Lasset euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding daß das Herz fest werde, welches geschiehet durch Gnade u. s. w. Was ists für ein herrliches Ziel welches uns diese Worte vorhalten! Das köstliche Ding daß das Herz fest werde, daß uns nichts mehr bewegen kann oder ableiten von unserm Wege, nichts mehr irre machen daran was wir als die Richtschnur unsers Lebens erkannt haben aber der Weg um zu dieser Festigkeit zu kommen, wie schwer erscheint der eben aus diesen Worten, ja so schwer, daß wir sagen möchten es sei fast ohnmöglich ihm zu folgen; Mancherlei Lehre – davon sich nicht umtreiben lassen – wer kann dem aus dem Wege gehn daß er in Gefahr kommt davon bewegt zu werden, wenn es wirklich mancherlei Lehre giebt. Und doch, wer könnte sagen wollen es sei kurzsichtige Beschränktheit dem damaligen Zustand gemäß, worin wie der heilge Schriftsteller die Worte geschrieben, und wir könnten es auf uns nicht beziehen! So laßt uns denn die Sache genauer erwägen, und fragen, wie es sich verhalte um den Zusammhang zwischen der Festigkeit des Herzens und der Mannigfaltigkeit der Lehre: und zwar so daß wir sehn

26r

378

Am 24. Mai 1829 vormittags

1. Worauf die Festigkeit des Herzens beruht 2. in wiefern nun die Mannigfaltigkeit der Lehre derselben gefährlich werden könne. 1. Die erste Frage, nemlich worauf eigentlich die Festigkeit des Herzens beruht, die beantwortet unser Text indem er sagt: „es ist ein köstlich Ding daß das Herz fest werde welches geschieht durch Gnade“: – Was ist aber die Gnade? Wenn wir den Sinn dieses Wortes welches so häufig vorkommt in der Schrift und unmittelbar und immer aufs neue aus dem Munde der Gläubigen ertönt, wenn wir den Sinn dieses Worts, ohnerachtet seines vielfachen Sinns in dem es gebraucht wird, zusammenfassen wollen was können wir anderes sagen als: die Gnade ist die Erfahrung von der Mittheilung der höhern Kraft, welche durch Christum nach der göttlichen Ordnung des Heils dem Menschen geboten wird. Wenn also der Verfasser des Textes sagt: „welches geschieht durch Gnade“: so macht er die Festigkeit des Herzens zur Sache der Erfahrung, der Erfahrung nemlich, welche uns nur möglich ist zu machen nachdem sich Gott uns offenbart hat durch Christum, und wovon der erste Anlaß von dem ausgehen muß, welcher auch der einige Grund derselben ist. Das ist aber, auch wenn wir hinwegsehn von dem Gebiete des Glaubens, überall der Fall in den verschiednen Zweigen des Lebens, daß die Festigkeit immer Sache der Erfahrung ist und zwar ohne Ausnahme, in Beziehung auf Alles was uns umgiebt und unser Urtheil über alles was in unser Leben eingreift; Denn Alles ist freilich im ersten Augenblick ein unmittelbar Ergebniß welches wir Kraft des innern Antriebes nehmen wie es ist, aber Zweifel entstehen dann durch die Thätigkeit des Verstandes, und wenn die so entstanden sind oder durch das Dazwischenreden andrer Menschen erregt werden, dann bildet sich allmählig die Festigkeit des Herzens durch die Erfahrung, nemlich dadurch, daß sich das eben immer wieder so zeigt (wie es uns zuerst erschienen ist und auf uns gewirkt hat) in jedem Zusammensein mit dem Gegenstande. Aber auch was uns eine ursprünglich innre Gewißheit ist, und was eben so die Sache Aller ist wie jedes Einzelnen, so müssen wir sagen es ist ein und derselbe Grund woraus sich die Gewißheit in Beziehung darauf in den Einzelnen bildet aber in verschiedene Gemüther auf macherlei Weise und indem die Mannigfaltigkeit in der Art der Auffassung der Wahrheit sich weiter ausbildet so entsteht die Festigkeit des Herzens in einem jeden in der Erfahrung der eignen Art der Auffassung der Wahrheit, wie wir sie am hellsten fassen, am leichtesten halten. Wie sollt es nun anders sein im Gebiet des Glaubens! Wo finden wir zuerst die Festigkeit des Herzens im christlichen Glauben ausgedrükt? Als 18 einige] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1710

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Hebr 13,9

5

10

15

20

25

30

35

379

der Herr die Jünger fragte: „wollt ihr mich auch verlassen?“ und sie antworteten: „Herr wohin sollten wir gehen du hast die Worte des ewigen Lebens:“ Das war das Zeugniß von der Festigkeit | des Herzens und es beruhte auf Erfahrung; denn wie hätten sie sagen können: „Du hast Worte des ewigen Lebens“: wenn sie nicht seine Lehre verglichen hätten, in ihrer Wirkung auf sie, mit allen andern Auslegungen von dem was Gott dem Menschen ins Herz geschrieben und durch die Schrift offenbart hat. Was sagt der Herr selbst in Beziehung auf die Erfahrung der göttlichen Wirkung seines Worts? Er sagt: „so jemand meine Lehre thut der wird erfahren daß sie von Gott ist:“ Als er das sagte wußte er wol daß keiner seine Lehre thun könnte aus sich selbst sondern nur in der engsten Verbindung mit ihm und nur durch seine Kraft, aber doch sagt er: „anders erfährt Keiner ob meine Lehre von Gott sei als indem er sie thut:“ So muß ihm also zuerst entgegengetreten sein die Herrlichkeit des eingeborenen Sohns Gottes, auf solche Weise daß er sich ihm anschließt. Dann kommt jenes Wort des Herrn „bleibet in mir“: Und aus dieser festen und dauernden Verbindung mit ihm geht dann die Kraft hervor seine Lehre zu thun und in dem fortwährenden Thun bildet sich die Erfahrung und daraus die Gewißheit daß sie das Heil ist. Auf anderm Wege kann keiner dazu gelangen, und wenn diese Festigkeit des Herzens nichts anders ist als die Gewißheit daß sich Gott und der göttliche Wille und der Weg den er mit uns gehn will, in Christo offenbart, wie sollten wir das anders erfahren können als so daß wir wirklich den Weg gehn und so zum Heil in Christo gelangen; es ist die Erfahrung die wir durch die Gnade machen und wiederum offenbart sich uns die Gnade und macht unser Herz fest durch die Erfahrung die wir in ihr machen; Es ist die Festigkeit des Herzens durch die Gnade, die sich darin beweist daß wir aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind. Und Alles was sich darauf bezieht ist der Gegenstand der Erfahrung und wie wir wissen aus der Erfahrung daß unser Leben nirgend anders hergekommen als daher daß wir in dem Erlöser die Herrlichkeit Gottes schauten so wissen wir auch daß auch nur aus ihm uns die Nahrung desselben kommen kann und so ist die Festigkeit des Herzens in uns die die sich bei den ersten Jüngern so aussprach: Herr wohin – : denn sie wußten es wodurch sich ursprünglich die göttliche Kraft sich ihnen mittheilte, sie wußten es wie seine Liebe damit er sie zuerst geliebt ihr Herz an ihn knüpfte und fest an ihm hielt. Wenn nun das sich so verhält und wir sagen müssen die Festigkeit des Herzens welche unser Text meint ist nichts anderes als eine Sache der Erfahrung, nemlich: der Erfahrung von dem Verhältniß mit dem Erlöser, nichts anders als die unerschütterliche Gewißheit daß wir je länger desto 33 wohin] zu ergänzen sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. 1–2 Vgl. Joh 6,67–68 9–10 Vgl. Joh 7,16 Joh 1,14 15 Vgl. Joh 15,4–7 33 Joh 6,68

12–13 Vgl. Joh 7,17 34–35 Vgl. 1Joh 4,19

14 Vgl.

26v

380

27r

Am 24. Mai 1829 vormittags

mehr darin zunehmen und wachsen in der Heilgung: so werden wir auch sagen müssen daß wir das bestätigt finden in dem ganzen großen Umfang der christlichen Kirche; denn welches Häuflein wollte sagen daß die Festigkeit des Herzens in ihm allein zu erlangen sei: Nemlich, wir finden jezt seit mehreren Jahrhunderten (und so ists immer gewesen seit sich das Evangelium verbreitet) die Christenheit getheilt in nicht geringe Verschiedenheit des Bekenntnisses und darauf beruhen die verschiednen Verbindungen der Christen untereinander davon jede eine in ihrer Auffassungsart eine von den übrigen sich unterscheidende Gemeinde bildet. Wollten wir sagen, daß in einer derselben die Festigkeit des Herzens nicht könne erworben werden, gar keine Erfahrung gemacht von des höhern Lebens Einfluß durch die göttliche Gnade? O wozu sollten sie verbunden bleiben! sie können ja auf nichts anderem verbunden sein als darauf denn anderes giebts nichts als die göttliche Gnade die uns zu einer Gemeinde macht. – Und so wird es auch die allgemeine Erfahrung sein daß wir überall dasselbe Zeugniß hören daß die Festigkeit des Herzens Sache der Erfahrung ist, und werden finden daß überall der Kern derer die die Gemeinde bilden aus solchen besteht welche durch die Erfahrung zu solcher Festigkeit gelangt sind. Aber auch alle die verschiedenen Gemeinden sind auf gleiche Weise innerlich getheilt; in jedem Bekenntniß nemlich giebt es eine große Menge verschiedener Ansichten: sollte es aber solche darunter geben wobei die Erfahrung gar nicht gemacht werden könnte? wenn es so wäre | so müßte alle Wahrheit untergegangen sein, alle Wahrheit davon daß Christus das Haupt und wir die Glieder, und solche bei denen es so wäre müßten statt Christum zu bekennen sagen daß sie das nicht erfahren hätten an ihren Selen daß er der Herr sei. Sie wären dann also nicht die die eine Gemeinde bildeten. Und wenn wir nicht sagen wollen daß es eine Menge Menschen gäbe die sich damit beschäftigen [ ] und aus denen dabei die Wahrheit verschwunden wäre: so müssen wir gestehen daß die Festigkeit des Herzens überall möglich ist; In jeder Gemeinde muß das zuerst da sein daß die Glieder derselben die Erfahrung machen von der Mittheilung Christi; denn ohne diese kann keine Gemeinde Christi bestehn. Und Alle müssen wir ansehen als solche welche die Festigkeit des Herzens suchen wenn sie sie noch nicht haben. Wolan denn so laßt uns, wenn es denn so ist, fragen 2. Was kann denn die Mannigfaltigkeit der Lehre für einen verderblichen Einfluß haben in Beziehung auf die Festigkeit des Herzens |

5 Jahrhunderten] Jahrhunderten, 23–24 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18

28 beschäftigen] folgt eine Wortlücke

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 13,9

381

b. Nachschrift Crayen Fortsetzung von der Predigt „Es ist köstlich Ding daß das Herz fest werde.“ 2. Theil

5

10

15

20

25

30

35

Wenn dem nun aber so ist! – wie meint es denn der Apostel wenn er sagt: „Solches aber geschieht durch Gnade“? An einem andern Orte sagt dieser nemliche Apostel: „Keinen andern Grund giebt es worauf der Bau des Reiches Gottes vollführt werden kann; als allein Christus!“ Diesem Worte aber setzt er noch das hinzu: „Manche aber bauen mit einem zerstörbaren Stoffe darauf – mit einer Speise die vergänglich ist“ – Wenn er nun hier sagt: „Solches geschiehet durch Gnade – nicht aber durch Speise“ so hat er dabei im Sinn, die Bestrebungen in menschlicher Weisheit darauf fort bauen zu wollen wozu Christus den Grund gelegt hat – und er will dadurch uns warnen – und zugleich uns mahnen uns in das allein feste und sichere Gebäude hinein zu retten. Indem der Apostel aber dem noch hinzusetzt: „Jenes menschliche Gebäude aber – mit vergänglich Stoff gebauet – müsse zwar wie Feuer der Läuterung verzehret werden“ – „Die Seele aber bleibe errettet“ so liegt der große Trost für uns darin: daß diese Seele – dieser innerste Kern des Lebens – worin Christus schon eine feste Wurzel gelegt habe – nicht mit aufgehen könne in solchem verzehrenden Feuer – sondern nur das was Menschen in menschlicher Weisheit auf seine Lehre gebaut haben. Und – o wie selig macht uns diese Bewusstsein: daß nichts im stande ist das wieder zu zerstören – was durch die göttliche Gnade die in Christo uns erschienen ist! – so wenig wie das was die Gemeinschaft der menschlichen Seelen mit ihrem Erlöser ausmacht und sich uns darbietet in der Seligkeit und in dem Frieden den wir in ihm gefunden haben – und in der Freude in seinem heiligen Geist. – Und dabei nun lasset uns gedenken des schönen großen Wortes aus dem Munde unsres Erlösers: „Alles was ihr bitten werdet in meinem Namen das soll euch gewährt werden:“ Was aber Größeres könnten wir wohl bitten in seinem Namen: als daß alles was darauf gebauet wird wozu er den Grund gelegt, mit dem dauerhafftesten Stoffe immer nur gebauet werden möge – damit sich fördere der Bau – und so sein Name sich immermehr verherliche unter uns – und sein Reich zu uns komme. Wenn aber diese Bitte in einem Jeden von uns Wahrheit sein soll – so muss auch ein jeder von uns seine Kräffte, dadurch, daß er das worin sein Herz schon fest geworden ist – auch in seinen Brüdern fest zu machen strebe, und sie hinleite zu Christo – zu dieser einig Quelle alles wahren Lebens – alles Friedens – und aller 6–7 Vgl. 1Kor 3,11 8–9 Vgl. 1Kor 3,12–15 mit Bezugnahme auf Joh 6,27 15– 16 Vgl. 1Kor 3,12–15 16–17 Vgl. Hebr 10,39 28–29 Vgl. Joh 14,13–14

28r

382 28v

Am 24. Mai 1829 vormittags

Seligkeit. | – So müssen wir Alle gegenseitig uns fest zu machen suchen. – Damit wir in die Erscheinung bringen: daß wir – weil Christus in uns lebt – das Volk seines Eigenthums sind – welches im stande ist – in der Krafft seines Geistes immer mehrere dem zu zuführen in dem allein alles Heil zu finden ist – so wie alle Herrlichkeit und Seligkeit in ihm erschienen ist. – Amen

3 Vgl. 1Petr 2,9

5

Am 28. Mai 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Himmelfahrt, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Hebr 8,1–2 a. Nachschrift; SAr 68, Bl. 30r–31r; Woltersdorff Eigenheiten: Keine b. Nachschrift; SAr 68, Bl. 31v; Crayen, in: Woltersdorff Eigenheiten: Keine Keine Keine Der Text wurde bis einschlielich Bl. 31r von Woltersdorff aufgeschrieben; mit Bl. 31v setzt Crayen die Nachschrift fort. Vgl. Einleitung, Punkt II.3.B. Tageskalender: „6 1/2 Uhr“

a. Nachschrift Woltersdorff Aus der Predigt am Himmelft. 29.

5

10

15

Ebr. 8, 1–2 Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzet zur Rechten, auf dem Stuhl der Majestät im Himmel; und ist ein Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte, welche Gott aufgerichtet hat, und kein Mensch. Wenn wir uns an dem heutgen Tage zurükversetzen in jene Zeit wo der Herr zum letzten Mal seine Jünger versammelte und vor ihren Augen aufgehoben ward gen Himmel: so erinnern wir uns dessen was uns davon erzählt wird – d. h. das was unmittelbar die Herzen der Jünger bewegte, nemlich: seine Entfernung von der Erde, sein Abschied von ihnen auf unbestimmte Zeit bis er wieder kommen werde in den Wolken von da her wohin er nun erhoben ward. Aber wie die Jünger selbst das nur sehen konnten, daß er von ihnen schied, nichts aber von dem Gehen in den Himmel wo der Stuhl der Majestät aufgerichtet und wo er zur Rechten Gottes sitzt: so ist das 2 Ebr. 8, 1–2] Ebr. 8, 1– 7–13 Vgl. Apg 1,6.9–11

30r

384

Am 28. Mai 1829 früh

eben so wenig unserm Verstande eindringbar als es ihren Sinnen aufnehmbar war und sein konnte. Das Geschiedensein des Herrn von der Erde ist nach seinen Worten und nach der Erfahrung seiner Gemeinde dessen Haupt er ist, ein Sein bei dem Vater nachdem er seine Sendung auf Erden erfüllt hat. Und so müssen wir denn sagen, daß das Wichtigste für uns in dieser Beziehung nur das sein kann: wie es um unser Verhältniß zu ihm stehe: Darüber nun geben uns die Worte des Textes allen Aufschluß dessen wir bedürfen. Der Grundgedanke darin ist der daß der Herr aufgehoben ist als unser Hohepriester, was er seiner Bestimmung nach immer gewesen war, und wie er nun das Amt verwaltet nach seinem Hinscheiden, das beschreibt uns diese Schriftstelle in zwei verschiednen Ausdrüken[,] nemlich: 1. Ein Pfleger der heilgen Güter. 2. Der wahrhaftigen Hütte welche Gott aufgerichtet. So laßt uns was der Herr gegenwärtig d. h. nachdem er sich entfernt hat körperlicher Weise von der Erde, in Beziehung auf seine Gemeinde ist, nach Anleitung dieser Worte näher überlegen. 1. Erstens also heißt es er sei als unser Hohepriester dort zur Rechten der Majestät der Pfleger der heilgen Güter. Und da ist nun freilich die Frage: welches sind die heilgen Güter? Denn das giebt der Verfasser dieser Worte hierin nicht näher an, er sagt aber selbst: das was er geredet habe sei die Summa: Wir haben also in diesem Briefe woraus die Worte sind, uns umzusehn darnach was er von den heilgen Gütern sagt. Die Art aber wie er sich darüber ausspricht bezieht sich darauf was im alten Bunde die Güter waren welche die Hohepriester pflegten. So sagt er Capitel 10: das Gesetz habe nur den Schatten von den zukünftgen Gütern nicht das Wesen der Güter selbst, weil alle in demselben vorgenommnen Opfer, worauf aller Gottesdienst sich beziehe nicht vermögen die Sünde wegzunehmen, also nur das Gedächtniß der Sünde sei in den Opfern wiederholt, und das eben daß statt der Hinwegnahme nur das Gedächtniß (Bewußtsein) der Sünde bewirkt werde, das sei der Schatten, die Hinweisung auf etwas was es nicht selbst sei, sondern hernach werde die Hinwegnahme der Sünde geschehen: welches er nun zusammenbringt mit dem einmaligen d. h. vollkommnen Opfer Christi, und auf der anderen Seite damit, daß der Herr redet von einem 3 Erde] Erde,

27 zukünftgen] zukünfgen

4 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18 23 Luther übersetzte κεφλαιον in Hebr 8,1 mit „Summa“. In neueren Bibelausgaben lautet die Übersetzung „Hauptsache“. 26– 33 Vgl. Hebr 10,1–4 34–35 Vgl. Hebr 10,12–14 35–1 Vgl. Hebr 10,16 (Zitat aus Jer 31,33)

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 8,1–2

5

10

15

20

25

30

35

385

neuen Bunde mit den Menschen, nemlich so daß er sagt: „ich will mein Gesetz in ihr Herz schreiben und so der Sünde nicht gedenken, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein:“ Beides also zusammen nemlich das Opfer für die Sünde und der neue Bund den er gestiftet, und die Beschaffenheit des Opfers welches Christus gebracht und daß er der Mittler des neuen Bundes worden, dadurch, daß er den Seinen in der That den göttlichen Willen in das Herz geschrieben: das ist nun der Grund davon, daß die Sünde hinweggenommen ist. Und also die Frucht jenes Opfers und Stifters des neuen Bundes, und alle Segnungen mit dazu gerechnet die dazu gehören: das zusammen sind die heilgen Güter deren Pfleger der Herr ist: Denn so lange nur das Gedächtniß der Sünde besteht, die Sünde selbst aber nicht hinweggenommen ist, so lange ist das wahre Verhältniß zu Gott nicht hergestellt, so lange noch äußres Gesetz da ist, so besteht die Sünde noch, und so lange gebricht es an der Versöhnung mit Gott die der Grund ist von dem wahren Frieden des Menschen. Und so können wir Beides in unmittelbare Verbindung bringen, nemlich das was aus dieser spätern Stelle des Briefs | hervorgeht als das worin die heilgen Güter bestehen, der göttliche Wille ins Herz geschrieben und die Art und Weise wie der Herr selbst sich ausgedrückt hat über diesen seinen Frieden, den vollen ganzen Frieden des Herzens, das Sichgenügtfühlen, die hergestellte Einheit des Göttlichen und Menschlichen das hergestellte Gleichgewicht unsres Verlangens nach Gott und unsres Bewußtseins von Gott und alles dessen, was in unserm Leben uns bewegt und als unser Werk aus unserm Sinn hervorgeht: – Ja aus diesen beiden wie es Eins ist nemlich aus dem Frieden Gottes durch Christi und aus dem Imherzenhaben des göttlichen Willens, gehn die heilgen Güter hervor und darin bestehn sie. – Dann aber ist das Gesetz Gottes, der Wille Gottes uns ins Herz geschrieben, wenn wir Alles was geschieht, so erkennen zu unserm Heil, wie es dadurch soll gefördert werden, wenn in der That Alles uns zum Besten dient, wenn wir alles was wir thun nicht thun als den Menschen sondern wie und weil wir es erkennen als seinen Willen; dann ist sein Wille in unsern Herzen, dann ist das innerste Wesen der Sünde verschwunden, die Feindschaft wider Gott aufgehoben, der Friede wiedergebracht auf ewig. Wenn nun aber der Text sagt der Herr sei der Pfleger der heilgen Güter, so erinnert das daran, daß das Wort dessen sich der heilge Schriftsteller bedient noch mehr in sich schließt, nemlich das, daß der Herr noch immer selbst die ewigen oder heilgen Güter darreicht, und zwar – wie es der Hohepriester im alten Bunde nicht konnte – aus eignem Vermögen, und 18 geschrieben] geschrieben.

24 diesen] diesem

1–3 Hebr 8,10 5–6 Vgl. Hebr 8,6; 9,15; 12,24 18–20 Vgl. Joh 14,27 28–29 Vgl. Röm 8,28

25 Willens] Willen 16–18 Vgl. Hebr 10,1–15

30v

386

31r

Am 28. Mai 1829 früh

daß er alles leite und jeder sich an ihn zu wenden habe in Beziehung darauf. Seht da, so genau hängt das zusammen mit dem Ausdruck des unwandelbaren Verhältnisses dessen den Gott gesandt mit den Seinen: so ist dadurch, daß der Herr den irdischen Schauplatz verlassen, nicht gehemmt was wesentlich ist in dem Verhältniß in dem die, welche durch ihn Kinder Gottes geworden sind zu ihm stehn; Er ist jezt, wie der Urheber, so der Pfleger der heilgen Güter und eben so war er der Pfleger der heilgen Güter während seines irdischen Lebens; Er war der, der zu sich einlud die Bekümmerten, die Gedrükten, damit sie Ruhe fänden, er war es der ihnen statt des schweren Jochs des Gesetzes sein sanftes Joch auflegte, er wars allein der das Wort sprechen konnte: „gehe hin deine Sünden sind vergeben, auf daß du nicht mehr sündigst:“ er war also der auch damals die heilgen ewgen Güter der Vergebung der Sünde austheilte, er war es allein bei welchem in allem innern Streit die Menschen den wahren Frieden fanden, indem sie durch ihn eines wurden mit ihm. Wie er nun noch jezt eben so der Pfleger der heilgen Güter ist, so ist die Meinung des Verfassers dieser Worte die, daß sein ganzes Wirken jezt dasselbe ist wie damals, daß von ihm die heilgen Güter ausgehen und er der Austheiler und Verwalter derselben ist: wie sichs denn auch gleich anfangs in seiner Gemeinde bewährt hat. Wie wenig würden wir auch die verstehen deren Loos es gewesen ist das Leben des Herrn auf Erden zu theilen und mit den leiblichen Augen ihn zu sehen und mit den Ohren die Worte der Wahrheit aus seinem Munde zu vernehmen, wie weit würden wir hinter ihrem Sinn zurükbleiben wenn wir meinten sie hätten das, daß er ihr Herr war bezogen auf das von seiner menschlichen persönlichen Erscheinung ausging; Denn was war es wodurch er der Ursprung der heilgen Güter geworden? nichts anderes als sein eigenthümlich Verhältniß zum Vater, das Einssein mit Gott, das Erfülltsein mit der Kraft der Gottheit, sein sich-offenbaren als der eingeborne Sohn Gottes, als der in dem Gott wohnt um die Welt mit sich zu versöhnen! Das war es, und alles andre war nur Mittel dazu; ohne sein Erscheinen als Mensch hätte die Offenbarung Gottes nicht an die Menschen kommen können, Gott hätte sich durch ihn nicht mittheilen können wäre er nicht wahrer Mensch gewesen, aber daß er das war das war nicht das Wesen selbst sondern nur das Mittel wodurch alles Wahre und Wesentliche in das menschliche Leben verflochten werden konnte. Hätten wir nun nicht die Offenbarung des Göttlichen Wesens durch ihn, könnten wir nicht der Einheit mit Gott, deren Möglichkeit in ihm erschienen, gewiß werden dadurch was er in uns gewirkt, | dann wäre er jezt nicht der Pfleger der heilgen Güter; denn die waren auch damals mit leiblichen Augen nicht zu schauen, und das geistge Auge öffnete 16 Worte] Worte, 5–6 Vgl. Joh 1,12

17 ganzes] ganzen

33 daß] das

11–12 Vgl. z. B. Mt 9,2

28–29 Vgl. 2Kor 5,19

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Hebr 8,1–2

5

10

15

20

25

30

35

387

er durch das göttliche Wort wie es von ihm ausging als Geist und Leben. Und dasselbe thut er auch noch jezt nachdem er aufgefahren zu seinem und unserm Vater, und wenn wir sein Wort so wirklich und wirksam vernehmen, so ists gleich ob wirs vernehmen mit leiblichem Ohr, und ob wir das Leben des Herrn betrachten wie es von den Augenzeugen desselben dargestellt ist, oder ob wir uns mit dem begnügen mit dem was durch ihn im Herzen und Sinn aller Gläubigen geschrieben steht, mit dem was aus der ersten und einzigen Quelle geschöpft, uns entgegen tritt! Denn es ist der Friede des Herzens der jezt empfangen werden kann, derselbe, den er damals den Seinen brachte, die Macht Kinder Gottes zu werden die er den Menschen gab, ist dieselbe die er jezt ihnen giebt wenn sie sich durch die Kraft des Glaubens in die lebendige und unzerstörbare Gemeinschaft mit ihm setzen. Und so ist er Christus gestern und heut und in Ewigkeit, und der Pfleger der ewigen Güter die für uns Alle in ihm sich gründen. 2. Wenn nun der Verfasser des Textes hinzufügt der Herr sei der Pfleger der wahrhaftigen Hütte: so redet er freilich nicht von etwas Andrem aber er betrachtet dasselbe von andrer Seite. Nemlich: wenn die heilgen Güter das sind und darin bestehen was jede Sele von dem Erlöser empfängt, so ist das was er die wahrhaftige Hütte nennt die lebendige Gemeinschaft der Gläubigen untereinander in welcher wir uns der heilgen Güter im ganzen Umfange erfreuen. Die Ausdrücke des Textes: heilge Güter und wahrhaftige Hütte sind entstanden aus der Vergleichung des alten und neuen Bundes; der Verfasser nemlich sieht zurük auf die eigenthümliche Verfassung des Gottesdienstes im jüdischen Volk, und da eben war die Hütte die er meint der Ort wo die Güter der Offenbarung aufbewahrt wurden und wo die göttliche Gegenwart auf besondre Weise wahrzunehmen war. Die Hütte war aber vergänglich und ward auf den Wanderungen durch die Wüste bald hie bald da aufgeschlagen, und als das Volk zu äußrer Ruhe kam, so war der Tempel, darin der Ort des Allerheilichsten sich befand, doch auch wieder ein vergänglich Gebäude. Darum nun sagt der Verfasser, daß jene Hütte von Menschen gebaut war, Menschenwerk war, wie sich das eben bewiesen in der Vergänglichkeit. Und wenn er die Hütte des neuen Bundes: die wahrhaftige Hütte: nennt, eben in dem Sinn wie er die heilgen Güter auch ewige Güter nennt: so weist er dadurch auf den Gegensatz hin des neuen Bundes zum alten Bunde, nemlich jene Hütte war das vergängliche Vorbild, das Wesen aber worin die heilgen Güter sind, nemlich die Hütte die Gott aufgerichtet: das ist nichts andres als die Gemeinde des Herrn, welche die Apostel auch nennen seinen geistgen Leib, als auch den geistgen Tempel Gottes – 1 Vgl. Joh 6,63 1Kor 3,16; 6,19

13 Vgl. Hebr 13,8

38–39 Vgl. möglicherweise Röm 8,10;

388

Am 28. Mai 1829 früh

im Gegensatz mit dem Tempel der aus todten Dingen erbaut ist – das ist die wahre Hütte der Gegenwart Gottes, die Gemeinschaft der Gläubigen die der Herr errichtet hat, indem er sie verbunden hat zum gemeinsamen Leben welches gleich sein soll seinem Leben. Das ists wodurch er in der wahren Hütte der Pfleger der ewigen Güter ist und die wahre Hütte, das ists wodurch er die einladende, die belebende Kraft übt, das ists wodurch er Einzelne aufnimmt in die Gemeinschaft des göttlichen Geistes wodurch der Mensch des Gesetzes Gottes und des Friedens theilhaftig wird. Und diese Kraft ists die er den Seinen, wie sie in ihm Eins sind, zugedacht hat, diese Kraft in der sie sollen wie er die Sünde erlassen und behalten können. (Es ist dieses also nicht etwas von ihm getrenntes – der da selbst sein und bleiben will der Pfleger seiner Gemeine – wie er ihr einiges Haupt ist.) Aber nicht ist nun die wahrhaftige Hütte die er erbaut von ihm getrennt, sondern er ists der noch jezt Haupt derselben ist, wie er eben darin der Pfleger der ewgen Güter ist. Und wie kann es anders sein! Die unsichtbare Gemeinde des Herrn rühmt sich keines irdischen Hauptes sondern so ists immerdar wenn der Apostel sagt: Einer ist Christus und ihr seid Brüder: So giebt es keinen irdischen Meister und keinen Pfleger. Aber er der Meister er ist und bleibt der Pfleger der wahrhaftigen Hütte und der ewgen Güter, er ertheilt jedem seinen |

5

10

15

20

b. Nachschrift Crayen 31v

Und so erschallt denn immer noch sein Ruf – in der Krafft und Gewalt seines Geistes als welcher noch immer der es von dem Seinen nimmt – und diese Krafft und Gewalt an den Seelen ist noch dieselbe ist wie er sie (von Anfang) ausübte! – Wir wissen aber: daß nur der das Werkzeug dafür werden kann – : in dem Christus selbst in der Krafft dieses seines Geistes lebt. – Denn ist es Menschen-Werk was danach gebauet – das heisst: ist es nicht That und Wahrheit aus seiner göttlichen Fülle genommen: – so hat es keinen festen Bestand! (mag es auch für eine Zeit lang so scheinen). Unvergänglich aber kann unser Werk nur als dann sein: wenn wir immer nur das göttliche Licht aus ihm allein darin leuchten lassen. – Und was er nun so – noch immer thut auch durch uns – das thut er in der innigsten Verbindung mit seinem himmlischen Vater – mit welchem er gekommen ist d. h. kommen will Wohnung in und unter uns zu machen – in einer 3 zum] zu 11–12 (Es ... ist.)] Einschub von Crayens Hand der welcher noch immer 24 der] der: 28 auch] auch) 12.14 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18

33 Vgl. Joh 14,23

22 als ... der] Kj als

25

30

Predigt über Hebr 8,1–2

5

389

ewigfortdauernden Wirksamkeit. Und an dieser seiner geistigen Wirksamkeit sollen wir genug haben! – festhaltend diese himmlischen Güter – und feststellend diese heilige Hütte durch und in seinem Worte! – im festen Vertrauen auf dessen Verheißungen: [ ] die er den Seinen gegeben: „daß sie da sein und wirken sollen wo er ist!“ – und dessen lasset unverzüglich heute PnunS uns freuen.

1 ewigfortdauernden] ewigfortdauernder etwa einer drittel Zeile 5 Vgl. Joh 12,26

4 Verheißungen] folgt eine Lücke von

Am 8. Juni 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Pfingstmontag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 8,13–16 Nachschrift; SAr 68, 33r–34v; Woltersdorff Keine Nachschrift; SAr 68, 35r–37r; Woltersdorff Woltersdorff hat zwei Exemplare der Predigt angefertigt, die sich lediglich vereinzelt in Wortwahl und Satzbau unterscheiden.

Aus der Predigt am 2. Pfingstt. 29

33r

Römer 8,13–16 Wo ihr durch den Geist des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben; denn welche der Geist Gottes treibet die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist giebt Zeugniß unserm Geist daß wir Gottes Kinder sind. Wenn es sich so verhält wie der Apostel Petrus am Tage der Pfingsten zu denen die sich versammelt hatten, als er ihnen auseinander gesetzt hatte, was es zu bedeuten habe mit der Gabe des Geistes, sagte, indem er sprach: „Eurer und eurer Kinder ist diese Verheißung und allen die der Herr herbeirufen wird:“ Wenn es wahr ist was der Apostel Paulus an einem andern Orte sagt: „Wer nicht den Geist des Herrn hat der ist nicht sein“: Wolan, so müssen wir, auf der einen Seite der festen Zuversicht leben, daß diese Verheißung auch unser ist, daß also auch wir des göttlichen Geistes theilhaftig sind; aber wir müssen auch das uns fest einprägen, daß wenn es nicht so wäre wir auch nicht Christi sein würden und also an dem Heil in ihm keinen Theil hätten, so daß das also ganz vermittelt ist und bedingt durch den Geist der damals ausgegossen ist. Und so ists heut wol eine Frage die jedem das Herz bewegt und auf den Lippen schwebt: welches denn nun eigentlich das Werk oder Geschäft des Geistes in dem Menschen sei und was wir eigentlich an ihm haben: Darauf giebt uns der Apostel in den verlesenen Worten die Antwort. In 12–13 Apg 2,39

14 Vgl. Röm 8,9

5

10

15

20

Predigt über Röm 8,13–16

5

10

15

20

25

30

35

40

391

Weniges aber auch Großes faßt er das zusammen, welches wir nun zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen. Es ist zweierlei was der Apostel hier als Wirkung des göttlichen Geistes angiebt und zwar 1. daß wir durch ihn die Geschäfte des Fleisches tödten 2. daß er in uns ein kindlicher Geist ist welcher aus uns ruft: lieber Vater. Damit wir aber dies Beides so fassen wie es zusammen gehört und wir dadurch Alles was der Geist Gottes wirkt ausgedrückt ist, müssen wir unsre Betrachtung noch etwas weiter ausbreiten. Nemlich: es beruht die ganze Rede des Apostels aus der unsre Textesworte sind, darauf daß er voraussetzt es gebe nur das Beides für den Menschen, nemlich: entweder nach dem Fleisch leben oder vom Geist Gottes getrieben werden; Wenn es ein Drittes gäbe nach seinem Sinn, so fehlte der Rede der Zusammenhang. Und das sei in unser Betrachtung das 1. nemlich daß es nach dem Sinn des Apostels nur dies Beides giebt: Dann werden wir 2. von dem, was er darstellt als den Zusammenhang und Umfang des Geschäfts des Geistes weiter reden können[.] I. Erstens laßt uns davon uns überzeugen wie es ein Drittes nicht giebt als nach dem Fleisch leben, oder vom Geist Gottes getrieben werden. Es ist uns nicht leicht uns hierin in den Sinn des Apostels zu fügen, weil wir gewohnt sind noch ein Drittes anzunehmen. Wir verstehen nemlich unter dem was wir Fleisch nennen das Sinnliche, und wenn wir an das demselben gegenüberstehende denken, nemlich an das vom Geist Gottes getriebenwerden: so stellt sich uns noch ein Drittes dar, nemlich wenn der Mensch nicht der Sinnlichkeit folgt, aber auch nicht vom Geist Gottes getrieben wird, er ist aber im Gehorsam gegen die Vernunft, lebt nach der Vernunft, wird von ihr getrieben: Das ist unsre Art es uns vorzustellen, das kennt aber der Apostel nicht: und so müssen wir uns dann suchen in seine Denkungsart recht der Wahrheit nach hineinzuversetzen. Es verhält sich aber damit so: Es giebt kein menschlich Leben und Bewußtsein ohne daß der Mensch sich seinem Wesen nach unterscheidet von den niedern Geschöpfen: Daß es also etwas gebe, dessen er theilhaftig ist die übrigen Geschöpfe aber nicht, das ist unumstößlich, und liegt eben sowol in der Vorstellungsart des Apostels als in unsrer. Aber das worin sich der Mensch unterscheidet, das ist in ihm nicht etwas Besonderes, so daß es abgesondert wäre von dem was übrigens sein Wesen ausmacht, sondern das was ihn unterscheidet das durchdringt ihn auch ganz, es ist übergegangen auf alle Sinne und Triebe, und deshalb ist bei ihm alles anders als bei jenen, alle Wahrnehmung, alle 6 Vater.] Vater:

392

33v

Am 8. Juni 1829 vormittags

Empfindung und alles Bewußtsein, Alles ist ein Anderes in ihm. Und eben das Alles was das Wesen des Menschen ausmacht, wozu also die geistge Kraft mitgehört die Gott ursprünglich in ihn hineingelegt, das faßt die heilige Schrift zusammen unter dem Ausdruck: das Fleisch: Warum aber nennt sie es so? Das war damals die allgemeine Bezeichnung für alles Lebendige in so fern es irdisch ist und vergänglich; und eben deswegen weil die Richtung auf das Irdische den natürlichen Menschen beherrscht, alle seine Sinne anregt alle Kräfte in Thätigkeit setzt, so hat die heilige Schrift recht zu sagen: er lebt nach dem Fleisch; denn durch Alles, auch durch das wodurch er sich über das Gemeine emporschwingt, sucht er Irdisches und in Beziehung auf alles was in ihm ist beherrscht ihn die Richtung auf das Irdische und Vergängliche. Wir nun kennen Alle ohne Ausnahme, unserm gemeinsamen Bewußtsein gemäß, in dem Menschen etwas Anderes und Höheres, aber laßt uns einmal, uns, wie wir nun sind, vergessen, und uns das Gemälde der Natur des Menschen vorhalten und der natürlichen Entwicklung des Menschengeschlechts. Was den Menschen auszeichnet, das ist die Fähigkeit und das Gebiet des Gedanken; denn darin gründet sich alles übrige, und dieses Gebiet sehn wir an als das innerste Heiligthum des Menschen, worin das Bewußtsein Gottes seinen Sitz haben soll: und eben dieser Ort der sich entwickelnden Gedanken und Vorstellungen das ists worin wir erkennen daß zu dem Bilde Gottes der Mensch geschaffen ist. Aber nur wenn wir die ganze Menschheit, das ganze Gemälde der menschlichen Natur ins Auge fassen, können wir zu richtiger Anschauung gelangen, dessen, was der Mensch ist und wie er sich entwickelt, denn wenn wir von dem Gipfel bis zu den Rändern der Menschheit gehn, wie dumpf erscheint | uns da das Leben, wie geringe das Vermögen des Gedanken um das auszubilden was unmittelbar sich kund giebt, wie begnügen sich ganze Völker in einem ganz den äußern Bedürfnissen untergeordnetem Zustande, da ist kein Streben, und in der dumpfsten Trägheit wird die Entwicklung der geistigen Kräfte zurückgehalten! Wenn nun das etwas

5

10

15

20

25

30

[ ] sollen wir ihnen den Brudernamen absprechen? nein; sie sind Fleisch wie wir und wir wie sie! das Leben des natürlichen Menschen mag er die Fähigkeit sich auszubilden oder ausgebildet zu werden, mag er die geistge Kraft die wir Vernunft nennen in niederm oder höherm Grade besitzen: es ist nichts andres als Fleisch[.] – Aber laßt uns weiter gehen. Wenn der Mensch sich erhebt über die Befriedung der nächsten Bedürfnisse, dann erwacht er zum Bewußtsein höhrer Kräfte die ihn fähig machen das Geschaffne sich unterzuordnen daß es ihm diene; jemehr er aber dazu erwacht, desto mehr 22 Vgl. Gen 1,27

35

40

Predigt über Röm 8,13–16

5

10

15

20

25

30

35

40

393

auch regt sich Leidenschaft in der Sele, und dann entsteht jenes Treiben und Ringen, dann werden alle Kräfte in Bewegung gesetzt und es giebt ein lebendig Streben: aber wonach? nach vergänglichem Wohlgefallen und Wohlbefinden! Ja so benutzen die Menschen dann ihre Kräfte im Ringen gegeneinander damit sich einer über den andern erhebe und sich nach bessern, noch größern Genusses erfreue: Was aber ists wovon diese Regung ausgeht? ist das Geist? nein; sondern von nichts als Vergänglichem wird der Mensch getrieben, und alles Thun und Treiben von wie vielseitger Ausbildung es zeugt, und wie lieblich, wie glänzend, wie hoch es scheine es ist doch nichts anderes als das was der Apostel mit jenem allgemeinen Namen bezeichnet. – Aber es erwacht doch auch noch ein ander Bewußtsein im Menschen, in einem dunkler im andern deutlicher, nemlich das Bewußstein des Gesetzes. Und wenn sich solche, in denen es so deutlich sich zu erkennen giebt daß es Einfluß hat auf ihr Leben, in den Völkern der frühern Zeit zerstreut finden, worunter Einzelne unsre ganz besondre Aufmerksamkeit auf sich ziehn, so kann uns das, als ein Versuch scheinen den der Höchste gemacht, ob es möglich sei auf andre Weise als durch die Sendung seines Sohns die Menschen zum Leben des Geistes zu erheben: Wolan so laßt uns das näher betrachten: Je mannigfaltiger jenes Bewußtsein erwacht wovon vorher die Rede war, jemehr sich die Menschen drängen und stoßen und entgegengesetzte Wünsche hegen, desto mehr gewahren sie denn, es gebe ein Gesetz: und dieses Gesetz ists wovon der Apostel sagt, es sei Geist. – Und immer gab es unter den Völkern solche, welche dann das Gesetz feststellten und mittheilten, und deshalb als Gesandte Gottes angesehn wurden. – Und eben so hat es andre Ausgezeichnete gegeben, welche zurückgingen in die innerste Tiefe des Gemüths um da den Keim der Wahrheit, den Gott ursprünglich hineingelegt, zu finden und ins Leben zu rufen, und dadurch das Höchste Wesen kennen zu lernen: und von dieser stillen Betrachtung aus, die keinen anderen Gegenstand hatte als die Werke Gottes von denen eben der Mensch das größte ist, offenbart sich dann auch Gott ihnen, wie der Apostel Paulus sagt, das sei die erste Offenbarung Gottes an den Menschen, daß sie seine ewige Kraft und Gottheit wahrnehmen an den Werken, nemlich in der Schöpfung der Welt. Und so ist denn das freilich richtig, daß sich der Mensch erheben kann, auf der einen Seite, dazu daß er das Gesetz aufstellt als Richtschnur seines Lebens, und auf der andern Seite, dazu, daß aus der Betrachtung der Werke Gottes das Bewußtsein sich in ihm entwickelt; Und da wir sagen müssen das Gesetz sei Geist, und das Bewußtsein Gottes sei Geist: so ist denn freilich der Geist da, aber ein Leben im Geist – das fehlt! wir finden es nirgends, weder vermöge des Gesetzes noch des Bewußtseins Gottes! Und selbst die 23 Vgl. Röm 8,2

31–34 Vgl. Röm 1,20

394

Am 8. Juni 1829 vormittags

Hoffnung daß sich solch Leben bilden wird, war nicht da; denn wenn diejenigen, die das Gesetz aufstellten, das Zutrauen gehabt hätten, daß es werde Geist und Leben werden in denen auf die sie es übertragen wollten, und daß daraus ein geistig Leben entstehn werde, wie würden sie es so herabgewürdigt haben, daß sie es bedingten durch Lohn und Strafe; wie würden sie es durch diese sinnliche Umgebung gleichsam erstickt haben; wenn sie gehofft hätten es werde zum Leben gedeihen! Aber so ists immer gegangen; was auch an sich Geist war, es ist getrübt, gedämpft, erstickt vom Vergänglichen, es konnte nicht zum freien, kräftigen Leben gelangen, und das Höchste wozu es gedeiht ist das, daß in dem Menschen eine Lust am Gesetz aufgeht, aber diese Lust ist unvermögend, sie ist nicht wirksam, sie ist kein Leben, sie bringt hervor immer neue Ansätze dem Guten nachzukommen, aber das Sinnliche gewinnt immer wieder die Oberhand im Menschen und das Gute das er mögte, thut er nicht. – Und wie gehts mit dem Bewußtsein Gottes in dieser Beziehung? ach wie ists anders damit ergangen als so, daß die Menschen, wie der Apostel sagt, die Wahrheit aufgehalten haben in Ungerechtigkeit; schon im ersten Entstehen dieses Bewußtseins haben sie sich die Herrlichkeit des göttlichen Wesens verkehrt durch die Sinnlichkeit, in Bildern auch vom Irdischen hergenommen! Also auch hier ist der Geist gedämpft vom Fleisch. Zum Leben gelangte er nicht, obwohl eine Anregung des Geistes da war. Und freilich müssen wir sagen wenn auch dieser erste Funken nicht hätte können aufgeregt werden, wie wär es möglich gewesen daß der Sohn Gottes hätte können Mensch werden, wie hätte er können menschliche Natur annehmen wenn sie unfähig wäre das Göttliche aufzunehmen, wenn es gar kein Band, gar keinen Anknüpfungspunkt gäbe zwischen Göttlichem und Menschlichem. Aber zum Leben konnte der Geist nicht gelangen ohne ihn von dessen Geist wir sollen getrieben werden: und darum giebt es nichts anderes als entweder nach dem Fleisch leben oder vom Geist getrieben werden den er ausgegossen hat über die Seinen. Und von diesem Punkt aus laßt uns übergehn zum zweiten Theil unsrer Betrachtung: | 34r

II. Laßt uns sehn wie der Apostel die Wirkung des Geistes beschreibt: In zweien Stücken sagt er bestehe sie, nemlich daß er die Geschäfte des Fleischs ertödte und daß er ein kindlicher Geist sei, welcher ruft: lieber Vater. Dies beides aber ist Eins und dasselbe und der Apostel hat es nur zerspalten um es deutlicher zu machen. – Um aber den Zusammenhang und Umfang von Beidem recht zu verstehen müssen wir noch einen Blick 20 Fleisch.] Fleisch, 10–11 Vgl. Röm 7,22

13–14 Vgl. Röm 7,18–20

16–17 Vgl. Röm 1,18

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 8,13–16

5

10

15

20

25

30

35

395

werfen von dem Punkt aus auf den sich unsre Betrachtung gestellt hat, darauf hin was der Apostel nennt die Geschäfte des Fleischs. – Um uns das vorzuhalten, dürfen wir nicht erst das menschliche Verderben in seinen einzelnen verschiedenen Ausbrüchen uns denken, denn das an für sich wenn es uns auch noch so sehr empörte wäre doch nicht das Uebelste, sondern das Uebelste ist die Wirkung die der Apostel beschreibt indem er sagt, daß aus dem Leben nach dem Fleisch hervorgehe ein knechtisch Wesen voll Furcht, und daß das Fleischlichgesinntsein eine Feindschaft sei wider Gott: Das sind die eigentlich verderbenden Geschäfte des Fleisches, und alles übrige davon wie Schauder erregend es auch sei, kann doch im Vergleich damit wenig uns stören. So laßt uns denn fragen, wie die Wirkung die der Apostel so beschreibt zu Stande kommt, indem wir uns denken den Menschen mit dem, freilich ohnmächtigen, Verlangen nach dem Thun des Gesetzes das ihm vorschwebt und mit dem nie ganz auszurottenden Bewußtsein Gottes, dem gegenüber aber in ihm die Sinnlichkeit die der Apostel nennt das Gesetz in den Gliedern: Also wie geschieht es daß die Furcht vor Gott und die Feindschaft wider ihn entsteht? – In Beziehung auf das Tichten und Trachten nach irdischem Wohlbefinden erscheint dem Menschen das höchste Wesen als auf nothwendige, unabänderliche Weise sein Geschick feststellend und beherrschend: nun ist aber in ihm eine unendliche Fülle von Wünschen, er sieht auch die Gegenstände um dieselben zu befriedgen, aber er fühlt daß er nicht selbst Herr seines Geschicks ist, und indem nun die Hand die es leitet ihm eine unbekannte ist, und er keine Vorstellung hat vom ewigen Wesen als solche, welche er ableitet vom Menschlichen, und ihm menschliche Triebe z. B. Zorn und Rache andichtet, und nun sich in ihm die höchste Macht und Gewalt über Alles hinzudenkt: was kann da anders entstehen als Furcht! Ja indem der Höchste als die Alles beherrschende ewige Macht ihm vor der Sele steht, so fühlt er sich als ein ohnmächtiges, nichtiges Geschöpf und wird beselt von Furcht. – Aber, auf der andern Seite, nemlich wenn ihm vor Augen tritt das Gesetz als der Ausdruck des göttlichen Willens: so ist das ein neuer Gegenstand der Furcht, eben weil in ihm zwar ein Wohlgefallen ist am Gesetz, ein Leben darnach aber nicht zu Stande kommt, und er mit dem Wohlgefallen des Höchsten am Gesetz, zugleich ihn als Herrscher anerkennen muß, so fühlt er wol daß der über Alles herrschende auch werde seinen Willen geltend machen in Beziehung auf ihn und ihn trefen mit Strafe. Und in dieser Furcht vor der unbekannten Macht über ihn, und in der Furcht vor dem bekannten Gesetz, ist er nun aus Furcht der Strafe ein Knecht sein lebelang. Er fühlt was es ist was diese Furcht in ihm erregt, aber 14 auszurottenden] auszurottendem 8–9 Vgl. Röm 8,7

15–16 Vgl. Röm 7,23

396

Am 8. Juni 1829 vormittags

er kann sich nicht los machen, weder vom Einen noch von dem Andern, weder von dem Bewußstein Gottes; es entwickelt sich immer mehr in ihm, und eben so wenig kann er sich des Gesetzes entschlagen; denn er weiß, daß das menschliche Leben ganz nichtig wäre ohne dasselbe: beides zusammen also wirkt eine beständige Furcht in ihm, die immer mehr geweckt wird je mehr er in Besonnenheit lebt. Er fühlt sich entfremdet von Gott und, weil sein Leben dem göttlichen Willen Gottes entgegen ist, sich ihm feindlich gegenüber; Fleischlichgesinntsein, eben weil es ein knechtisch Wesen ist, das die Furcht erzeugt ist eine Feindschaft wider Gott: und da dieselbe dem Menschen, seiner ursprünglichen Natur nach, unerträglich ist, so mögte er lieber gar nicht das Bewußtsein Gottes haben sondern, eben wie Adam vor Gott fliehen wollte, so mögte der Mensch wiederzurückkehren in den Zustand dumpfer Bewußstlosigkeit. Ja so ists das Leben des Fleisches, wie sehr auch die höhre Kraft des Menschen die wir Vernunft nennen thätig in ihm ist, es ist doch nichts als Furcht vor Gott und Feindschaft wider ihn! Es giebt also für den natürlichen Menschen nichts anderes, weil die Vernunft miteingeschlossen ist in das Leben nach dem Fleisch. – Und, auch wenn wir auf das Beste, auf das Geistige hinsehn was es früher gegeben hat, werden wir sagen können, daß wir etwas darin finden was dagegen streitet? finden irgend ein zusammenhängendes Leben des Geistes, einen innerlichen Gehorsam gegen das Gesetz? Zwar finden wir überall, in allen Völkern und Zeiten, Einzelne, welche begnadigt erscheinen, mit besondrer Kraft ausgerüstet; aber nur um als schwaches Licht in die Finsterniß hineinzuleuchten und die Ketten der Knechtschaft desto fühlbarer zu machen und vor Aller Augen das menschliche Verderben hinzustellen, denn hat je Einer vermogt aufzukommen dagegen, daß die höhre Kraft in Bewegung gesetzt wurde um dem Irdischen zu dienen, statt daß dieses soll als Mittel gebraucht werden um das Geistige auszubilden, und ist diese Kraft dadurch nicht immer bald ausgeartet und hat sich aufgelehnt gegen das Göttliche und ist thätig gewesen um als nichtig darzustellen den Unterschied des Guten und Bösen? und das Gebiet der daraus entstandenen mannigfachen Verirrungen, ist das nicht der Schauplatz wo der Verstand sich abmüht Alles zu verdunkeln und hinüberzuziehn in das sinnlich Anzuschauende? und ist je solch ein Kampf der Gedanken untereinander anders ausgeschlagen als nach der Seite hin, des Lebens nach dem Fleisch? und sind nicht alle Bemühungen Einzelner vergeblich gewesen um Beßres herbeizuführen? Ja haben sie selbst sich erheben können zum unabhängigen Leben des Geistes, finden wir nicht daß selbst die ausgebildesten Gedanken doch nicht übergegangen sind in das den Menschen unmittelbar leitende Gefühl! Ja finden wir nicht überall zwar 11–12 Vgl. Gen 3,8–9

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 8,13–16

5

10

15

20

25

30

35

397

die schwache ohnmächtige Lust nach dem Geist zu leben, aber nirgend ein geistig Leben! Wie nun aus dem Fleischlichgesinntsein die Furcht entsteht vor Gott, die den Geist des Menschen zu einem | knechtischen Geist macht und wie die Furcht, die Feindschaft wider Gott mit sich führt, so sehn wir nun wie das Geschäft des Geistes Gottes darin besteht die Handlungen des Fleisches zu tödten, aber er thut es dadurch, daß er ein kindlicher Geist in uns ist; denn eben dadurch daß er die kindliche Liebe in uns wirkt treibt er die Furcht aus und die Feindschaft wider Gott. Um uns das zu vergegenwärtigen, dazu werden nur ein paar Worte nöthig sein. Nemlich: Wenn der Herr selbst seinen Jüngern, indem er ihnen die Verheißung giebt daß er ihnen seinen Geist senden werde, von ihm sagt: „Von dem Meinen wird er es nehmen und es euch verklären:“ so können wir sagen: was der Apostel hier in zweien verschiedenen Vorstellungen spaltet nemlich das tödten und das, daß er uns zu Kindern Gottes macht, das ist Eins, in dem Einen was der Erlöser sagt, daß er von dem Seinen nehmen werde und ihnen verklären: Es ist also ein und dieselbe Wirkung des göttlichen Geistes die jenes tödtet und von der unser Leben ausgeht. – Als der Herr seine Jünger fragte: „wollt ihr auch weg gehen?“ und sie antworteten: „Herr wohin sollten wir gehen Du hast die Worte des Lebens!“ da sagte er zu ihnen „Fleisch und Blut hat euch das nicht offenbart; sondern mein Vater im Himmel:“ Und diese Offenbarung, das war die erste Regung seines Geistes in ihnen, die verband sie mit ihm auf unveränderliche Weise, sie konnten nun nicht wieder von ihm gehn denn in ihm war ihr Leben. Und als er von ihnen scheidet so tröstet er sie mit der Verheißung seiner Gegenwart durch seinen Geist der nun seine Worte in ihnen verklären sollte. – Womit also beginnt das Werk des göttlichen Geistes in den Selen? Der Apostel Paulus fragt die Christen: „habt ihr den Geist bekommen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben“: So ist also die Predigt durch welche die erste Regung des göttlichen Geistes erwacht, eben dieselbe Predigt die so große Wirkung that damals am Tage der Pfingsten durch Petrum, nemlich die Predigt: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gesandt auf daß sie nicht sterbe sondern durch ihn das Leben habe:“ Wenn nun die Menschen zu dem Glauben an den Sohn Gottes gelangt sind, wenn sie in ihm die Herrlichkeit des Vaters schauen, ihn eben in dieser Wirkung seines Geistes erkennen und dann aufgenommen werden in die Gemeinschaft Christi: so ist dann das beginnende Leben Christi und das Werk des Geistes wodurch die Geschäfte des 27 das] daß 13 Vgl. Joh 16,14 19–20 Vgl. Joh 6,67–68 20–22 Vgl. Mt 16,17 29 Gal 3,2 31–32 Vgl. Apg 2,14–36 32–34 Vgl. Joh 3,16

28–

34v

398

Am 8. Juni 1829 vormittags

Fleisches getödtet werden, Eins in ihnen, und es verwandelt sich der Ruf: also hat Gott die Welt geliebt: in den Ruf: „so laßt uns ihn wiederlieben“. Das Bewußtsein des Lebens Christi in uns also, das wird das Bewußtsein, daß wir durch ihn die Macht bekommen Kinder Gottes zu werden. Von dieser Erfahrung also, daß wir in ihm den Vater schauen, davon, daß wir den Sohn Gottes im Glauben aufnehmen, geht alle Mittheilung seines Geistes aus, wodurch unser Geist aufhört ein knechtischer zu sein und wodurch die Gegenliebe entsteht, die Liebe der Kinder zum Vater: Und nun ist er also der Geist der Kindschaft in uns und die Liebe fängt an die Furcht auszutreiben, und das zunehmende Bewußtsein des Geistes seines Sohnes macht uns immermehr frei von Furcht vor Gott: ertödtet ist nun jene Richtung auf das Irdische und Vergängliche: ein neues Leben beginnt, das göttliche Licht geht uns auf, ein neuer Trieb fängt an zu walten: die geistige Kraft des Menschen hat nun die Richtung genommen auf ihn hin, er nahet sich zu Gott durch den Geist seines Sohnes, durch diesen Geist der Kindschaft um sich hineinzubilden in die Aehnlichkeit mit ihm. Das höchste Wesen steht nicht mehr den Menschen vor ihrer Sele als sein Gesetz verkündend welches sie ohnmächtig sind zu erfüllen, sondern als der liebende Vater der seinen eingeborenen Sohn gesandt um sie mit seiner Liebe zu erfüllen, seinen Willen in ihr Herz zu geben als ihr eigen: und so fällt denn die Furcht weg weil die nicht unter dem Gesetz stehn die den Geist empfahn: so fällt alle Furcht weg je mehr die Zuversicht erstarkt durch Erfahrung daß der, der uns seinen Sohn geschenkt mit ihm Alles schenken werde. Und wenn so die Furcht und Feindschaft verschwindet, wie sollten da nicht alle Werke des Fleisches ertödtet werden, und daß das geschieht und wir immermehr Eins werden mit ihm, das ist das fortgehende Werk der Heiligung. Und nun werden wir auf dem Punkt sein wo wir unsre gewöhnliche Art zu denken rechtfertigen können, wenigstens einigermaßen; Denn wenn, weil das Höhre im Menschen herabgedrückt ist in die Sinnlichkeit, wie wir es überall finden in dem natürlichen Menschen, die Schrift Recht hat nichts zu kennen als entweder nach dem Fleisch leben oder vom Geist Gottes getrieben werden: so haben wir auch Recht es anders auszudrücken und allerdings in der vom Geist umgewandelten Natur des Menschen zu unterscheiden die Sinnlichkeit und die Vernunft, aber die vom Geist Gottes erleuchtete Vernunft, nicht die Vernunft wie sie nur wirkt das vergebliche Bestreben nach geistigem Leben, sondern wie sie nur ist durch ihn; es ist nun durch die Kraft die sie aufgenommen ein Wille entstanden, der die Kraft des Lebens in sich trägt, und so die Vernunft nun freilich eine göttliche 10 auszutreiben] austreiben 1796–1797 2 Vgl. Joh 3,16

21 empfahn] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp.

23 Vgl. Röm 8,32

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 8,13–16

5

10

15

20

25

30

399

Kraft, aber ist nur das und kann nur das bleiben in so fern sie den Geist Gottes immermehr in sich aufnimmt, also insofern als der Mensch vom Geist Gottes getrieben wird: so ist denn der immer das Wesentliche, aber das Werkzeug ist und bleibt auch groß und herrlich, wir krönen es mit hohem Namen, aber leider, daß wir oft vergessen daß sie das nur ist durch den Geist Gottes. Daß wir aber das anerkennen das ists was der Apostel sagt: „der Geist Gottes giebt Zeugniß unserm Geist“, nemlich dadurch, daß er in uns sondert was ursprünglich unser eigen ist und was wir zu verdanken haben dem in der Kirche Christi waltenden Geist; denn der wirkt auf uns auch schon ehe wir ihn zu unterscheiden vermögen. – Ja der Mensch wird Geist wenn er vom Geist Gottes getrieben wird, die ursprüngliche Kraft wird in ihm Geist jemehr der Geist Gottes das Werk der Heilgung in ihm vollbringt. So laßt uns Beides vereinen, nemlich nach der Vernunft leben und vom Geist Gottes getrieben werden, und laßt uns des Glaubens leben, daß vom Geist Gottes getrieben wir Geist werden, und daß, indem wir den Willen Gottes durch den Geist vollbringen, er Zeugniß geben wird unserm Geist daß wir Gottes Kinder sind und dann auch die Tiefe der Gottheit erforscht jemehr der menschliche Geist Eins mit ihm wird. Das ist die Vollendung des Lebens welches der Herr den Seinen mittheilen will und welches er bezeichnet als das schöne, freie, heilge Leben der Kinder Gottes die den Sinn und Willen Gottes in ihren Herzen finden. Und so wird es wahr daß der Sohn kommt und der Vater mit ihm, Wohnung zu machen in ihnen und daß der Mensch ein Tempel wird der sonst unerforschlichen Gottheit und daß als solcher endlich die ganze Menschheit aufgenommen wird in das selge Leben des Erlösers. So laßt uns im Glauben dahin streben, daß wir das Zeugniß empfahn der Kindschaft Gottes durch den Geist Christi unsres Herrn.

[Zu Z. 14–28 links am Rand:] aber das nicht als ein Drittes annehmen, weil die Vernunft nur eben dadurch wenn sie den Geist Gottes aufnimmt, sich unterscheidet von dem Sinnlichen. 23 Vgl. Joh 14,23

23–24 Vgl. 1Kor 6,19; 2Kor 6,16

Am 14. Juni 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

38r

Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 2Kor 13,13 Nachschrift; SAr 68, Bl. 38r–39v; Woltersdorff Keine Keine Berliner Intelligenz-Blatt: „7 Uhr“

Aus der Predigt am S. Trinitat. 29. 2 Cor. 13,13 Die Gnade unsres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen! Dieser Gruß des Apostels eignet sich vorzüglich zum Gegenstand unsrer heutigen Betrachtung weil er uns erinnert an die Vollendung der Offenbarung Gottes durch die Ausgießung des Geistes Christi, und weil er uns den himmlischen Vater mit ihm zugleich vergegenwärtigt[.] Indem dieser Gruß aber mit zu den Ausdrücken gehört die in Aller Mund sind und häufig vorkommen, so geschieht es leicht daß man sich dabei mit einem allgemeinen und dunklen Eindruck begnügt, und so mag es willkommen sein daß wir ihn nun mal näher erwägen. Aber wie das allerdings ein unvollkommener Gebrauch der Schrift ist, wenn man nicht tief genug in jedes Einzelne eingeht, so ists dagegen auch gefährlich wenn man gar zu genau unterscheiden und sondern will was mit den verschiedenen Ausdrücken desselben Gedanken doch könne für eine Verschiedenheit gemeint sein. Wir würden also unrecht thun wenn wir die Ausdrücke in diesem Gruß des Apostels so genau von einander scheiden wollten nemlich wenn wir die Gnade dem Erlöser die Liebe aber Gott nur zuschreiben wollten der Apostel kann es so nicht gemeint haben, denn es kommt oft vor in den Briefen desselben Apostels daß er es grade umgekehrt gestellt hat und gesagt die Gnade Gottes und die Liebe Christi. Es wird also nicht seinem Sinn entsprechen, wenn wir mit der Liebe Gottes nicht die des Erlösers mit einbegreiffen wollten und so auch mit der Gnade; denn beides ist unzertrennlich, die Gnade des Erlösers ist auch die Gnade Gottes wie er ja Eins war mit Gott und Gott 20–22 Vgl. zu „Gnade Gottes“ bspw. Röm 15,5; 1Kor 1,4; 2Kor 1,12; Gal 2,21; Eph 3,2; vgl. zu „Liebe Christi“ bspw. 2Kor 5,14; Eph 3,19

5

10

15

20

25

Predigt über 2Kor 13,13

5

10

15

20

25

30

35

40

401

in ihm wohnte. Denn was ists was der Apostel meint wenn er von der Gnade Christi redet? Es ist der Inbegriff der Wohltaten die uns durch den Erlöser sind zu Theil geworden. Und worin bestehn die? darin, daß wir Gott versöhnt sind durch den Tod und selig werden durch das Leben Christi. Dieses Versöhntsein mit Gott, dieses Aufgehobensein der Feindschaft wider ihn, und die Seligkeit des Lebens Christi, nemlich des Lebens das er in uns führt in Allen welche durch ihn in Wahrheit sagen können: „was ich nun noch lebe, das lebe nicht ich sondern Christus in mir:“ Das ist der Inbegriff der Wohltaten durch ihn, denn alles was wir durch ihn haben geht daraus hervor und ist aufs aller Innigste verbunden mit dem Versöhntsein mit Gott und der Seligkeit des Lebens Christi in uns. Was ist nun aber die Liebe Gottes von welcher der Apostel redet? Auch darüber erklärt er sich näher, indem er sagt: „darin preiset Gott seine Liebe daß Christus für uns gestorben da wir noch Sünder waren“ und: „Also hat Gott die Welt geliebt daß er seinen Sohn gesandt, auf daß sie das Leben habe.“ Das ist also die Liebe Gottes zu uns, daß er uns eben durch seinen Sohn zu dem Leben erweckt hat zu dem geistgen Leben wozu wir sonst nicht gelangen konnten. Und so ist die Gnade Christi nichts anderes als das Werk der Liebe Gottes und was die Liebe Gottes uns gewährt das ist nichts andres als die Gnade Christi. Beides also ist unzertrennlich. Und wenn nun der Apostel anderwärts sagt. „Durch Gnade seid ihr selig:“ So richtet er das als die Gnade Gottes auf, daß er uns den Weg der Seligkeit eröffnet hat in Christo, die Gnade Gottes ist also durch Christum uns erschienen und die Gnade Christi durch die Liebe Gottes: Beides läßt sich nicht trennen denn es ist ja die Liebe Christi daß er sich uns gegeben. Aber die eigentliche Hauptsache in den Worten des Apostel ist nun eben das: daß die Gnade Gottes die Gnade des Heilandes und die Liebe Gottes soll mit uns sein. Das ist so zu verstehen: Wenn wir beides so zusammenfassen wie wir es gethan haben, so ists die Sendung unsres Herrn in welcher sich die Gnade und Liebe verherrlicht und wenn wir dies nun betrachten als etwas Geschehenes und Vergangenes, was wir als solches in Sinn und Erkenntniß aufzunehmen hätten dann wäre es freilich in so fern wirs wirklich in Gedanken und Erinnerung trügen mit uns; aber nicht in dem Sinn des Apostels wäre dann die Gnade und Liebe mit uns, sondern so kann sie nur mit uns sein, wenn wir sie als etwas Gegenwärtiges, Unmittelbares haben, welches nie auffhört auf dieselbe Weise vorhanden zu sein, es ist ein beständig sich erneuerndes und wie es ursprünglich, ewig ist, so auch jeder Zeit da für die die dessen theilhaftig sind; das sagt der Apostel ausdrücklich in den Worten, daß ein jeder Christ müsse von sich sagen können: „nicht ich lebe sondern Christus in mir:“ Das fortgehende Leben 7–8 Vgl. Gal 2,20 40 Gal 2,20

13–14 Vgl. Röm 5,8

14–16 Vgl. Joh 3,16

21 Eph 2,8

402

38v

Am 14. Juni 1829 früh

Christi in uns: das ist das Mitunssein der Gnade Christi; wenn er in uns lebt so haben wir seine Gnade gegenwärtig, haben sie mit uns, unser ganzes Leben in seinen verschiedenen Theilen begleitend, als das woraus sich alles erklären läßt und worauf sich alles bezieht. Eben so sagt er in andern Worten daß die Liebe Gottes soll mit uns sein nemlich: indem er sagt: „So ist nun die Liebe Gottes ausgegossen:“ Damit meint er zunächst unsre Liebe zu Gott welche eine nothwendige Folge ist des Lebens Christi eine unmittelbare Folge davon, daß wir mit Gott versöhnt sind und durch Christus das Leben haben; denn es ist nicht möglich, daß das höchste Wesen zu dem Menschen kann | gleichgültig sein: ist die Feindschaft wider ihn aufgehoben, so ist die Liebe zu ihm da[.] Aber die Liebe ist nur da in so fern die Wohlthat Gottes angenommen, der Rathschluß an uns erfüllt ist, und das ist die Folge der Liebe Gottes zu uns: die Liebe Gottes kann also nicht anders als Gegenliebe in uns ausgegossen sein, unsre Liebe zu ihm ist ein Frohwerden seiner väterlichen Liebe zu uns. Soll also die Liebe Gottes ausgegossen sein, so muß auch die Liebe Gottes zu uns uns gegenwärtig sein; unsre Liebe zu ihm ist das, daß sich preiset seine Liebe zu uns, darin, daß er uns seinen Sohn gesandt der uns [mit] ihm versöhnt. So ist das Beides Eins die Liebe Gottes zu uns d. h. das Bewußtsein der Liebe Gottes zu uns und unsre Liebe zu ihm. Seht da, das ist der große Inhalt von dem ersten Theil des Wunsches des Apostels womit er die Christen begrüßt, daß die Gnade und Liebe Gottes und Christi auf diese Weise soll mit ihnen sein, daß die, die eigenthümliche Kraft ihres Lebens sein soll, mit ihnen sein soll als das Bewußtsein der Seligkeit deren sie durch das Leben Christi in ihnen theilhaftig sind, als das Bewußtsein des Friedens den er als seinen eigenthümlichen den Seinen mittheilt, als das Bewußtsein des Ausgetilgtseins der Feindschaft, des Versöhntseins mit Gott, welches wir nicht sein können ohne Gegenliebe zu Gott; wir lieben ihn im Bewußtsein seiner Liebe, durch Christus uns offenbart. So wir nun das haben, so haben wir die Quelle alles Lebens Fülle aller Heilsgüter und wir mögen sagen, daß an denen die das haben, die Worte des Herrn in Erfüllung gehn: sie werden volle Genüge haben weil ihnen nichts fehlt, sondern sie sind durchgedrungen aus dem Tode zum Leben! Warum fügt der Apostel nun noch ein Drittes hinzu in seinem Wunsche nemlich Gemeinschaft des heiligen Geistes: da doch schon in dem vorhergehenden Alles enthalten was zu wünschen ist? Es verhält sich aber damit so, daß das letzte nichts andres ist als jenes erste selbst; darauf führen schon die Worte worin er sagt, daß die Liebe Gottes ausgegossen sei durch den heilgen Geist: und so sagt er andern14 anders als] anders als, als 6 Vgl. Röm 5,5

33 Vgl. Joh 5,24

38–39 Vgl. Röm 5,5

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 2Kor 13,13

5

10

15

20

25

30

35

403

wärts: Gott hat durch die Liebe gegeben seinen Geist. Der Geist Christi in uns und die Liebe zu Gott welche nichts ist als das Bewußtsein der Liebe Christi zu uns: das ist Eins. Und wie der Erlöser selbst von dem Geist der Wahrheit sagt, er werde es von dem Seinen nehmen und es verklären: was sollen wir sagen als daß eben jenes Leben Christi in uns als die unmittelbare Gegenwart des heiligen Geistes, und beides ist Eins und dasselbe. Durch die Gegenwart des Geistes muß sich uns Christus verklären, immer dar in jedem Augenblick, damit wir in allen Beziehungen die sich durch das äußre Leben bilden anblicken und ihn fragen können und immer zugleich die Antwort vernehmen, das kann nicht anders geschehn als durch die Wirksamkeit des heiligen Geistes und so giebt es kein Mitunssein der Gnade und Liebe Christi und Gottes als durch den Geist der ausgegossen über alle Gläubigen. Aber es ist nicht vergeblich, daß der Apostel das hinzufügt; denn so wie wir sagen müssen daß wir in der Gnade Christi und Liebe Gottes in der That die ganze Quelle des geistgen Lebens haben, so müssen wir sagen daß der Ausdruck: Gemeinschaft des heilgen Geists die ganze eigenthümliche Art und Weise des christlichen Lebens darstellt. Denn wenn er sagt die Gemeinschaft des heilgen Geists und nicht blos der heilge Geist: so will er begreifen daß das Leben des Geists in der Gemeinde der Christen in nichts bestehe, als in gegenseitiger Mittheilung: Und so ists auch; denn ist Gnade und Liebe in jedem Einzelnen, so ists nicht anders möglich als daß sie auch ausströmt, und indem das nicht geschehen kann als nur durch den Geist Gottes so ist das Leben der Christen untereinander und miteinander nichts als die beständige Mittheilung des göttlichen Geistes: nemlich das ist das innerste Wesen der lebendigen christlichen Gemeinschaft, daß das in ihm Lebende sich mittheilt. Wie der Erlöser sagt von seiner Gemeinde „sie sei eine Stadt auf einem Berge ge|baut die dar ihr Licht leuchten lasse“: und wie freilich das Licht wenn es leuchtet nichts andres thut, als, daß es dahin einströmt wohin es leuchtet: so ists mit dem heilgen Geist wo er selbst sich regt, was von seiner Gegenwart durchdrungen ist, dadurch theilt er sich mit. Das ist ja der Fall mit allen Regungen des Gemüths, was wie stark sich rege erblicken die andern, davon fühlen wir uns bewegt, freilich jemehr es in uns schon als lebendiger Keim ist: nun sind wir in Beziehung darauf daß Gnade und Liebe wie Beides Eins ist mit uns ist, eine Gemeinde, wenn es sich also regt in uns so regt es sich dadurch auch in denen die es wahrnehmen und so ist das Leben der Gemeinde des Herrn Mittheilung des heiligen [Zu Z. 5–10 rechts am Rand:] Einwohnung 28 dar] vgl. Adelung, Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1389–1390 1 2Tim 1,7

4 Vgl. Joh 16,14

27–28 Vgl. Mt 5,14

39r

404

Am 14. Juni 1829 früh

Geistes: und so ist in der That das Leben Christi in den Gliedern seiner Gemeinde um so stärker und kräftiger je lebendiger ihr Verkehr untereinander ist, weil es eben nur an Vollkommenheit zunehmen kann durch Mittheilung des heiligen Geistes. Wenn also der Apostel sagt: „die Gemeinschaft des Geistes sei mit euch“: so meint er daß solche Mittheilung sein soll; der göttliche Geist soll sich in jedem erweisen, jeder soll durch seine Wirksamkeit alle Kräfte sich aneignen alle Gabe aufnehmen die seiner Eigenthümlichkeit gemäß der heiligen Geist ihm bietet, und diese Gabe die sich ausbildet in den Einzelnen, die soll sich erweisen zu gemeinem Nutz, Alles soll Allen zu Gute kommen. Es ist aber damit gemeint was durch uns der Geist wirkt, nicht sowol dies und jenes Einzelne was wir thun oder verhindern, sondern das lebendig Erhalten des göttlichen Lebens in der Gemeinde, die beständige gegenseitige Erregung, welche nicht wieder einschlummern läßt das Leben, sondern wodurch es erhalten wird, der beständige Kreislauf der Liebe Gottes und der Gnade des Herrn das beständige Bewußtsein der Liebe Gottes zu uns wie es durch jedes Einzelnen Erfahrung sich verstärkt: das ist das was der Apostel meint, was sich beweisen soll zu gemeinem Nutz in der Gemeinde, und das ists wodurch sich die Gemeinschaft des heilgen Geistes nur beweisen kann; denn was diese Wirkung nicht thut, das ist nicht in der Kraft des göttlichen Geistes gethan, alle Werke die nicht das hervorbringen, daß die welche sie sehn dafür Gott preisen, und in ihnen die Lust angeregt wird auch vom Geist Gottes getrieben zu werden, die sind nicht aus dem Geist Gottes gethan; denn was aus der Liebe Gottes und Gnade hervorgeht das erweckt auch den Trieb danach in Andern, und eben diese Mittheilung des Geistes, das ist das Wahre was alle Werke hervorbringen sollen. Wir werden die Erfahrung gemacht haben daß dieser Erfolg oft ausbleibt bei dem was geschieht, aber das kann nie ausbleiben wenn die Liebe Gottes und Gnade darin wirksam sind, was aber auf andre Weise geschieht das kann nie die Kraft haben das zu erregen, daß die Menschen in Wahrheit Gott preisen, mag auch übrigens der Erfolg davon noch so glänzend sein. Und so ist eben das Beides zusammen der ganze Inhalt von dem Wunsch des Apostels daß Liebe und Gnade Gottes und Christi mit uns sein soll, so daß wir in jeden Augenblick davon durchdrungen, alles darauf beziehn; aber dann auch die Gemeinschaft des Geistes mit uns sei damit die innre Quelle des Lebens sich immer ergieße und eben dadurch sich ihre Lebendigkeit bewährt, daß sie diese Wirksamkeit auf Andre hervorbringt. So nur kann es geschehen daß das christliche Leben sich vollkommen gestaltet: dadurch nur kann es geschehen, daß alles uns zum Besten dient, d. h. daß auch das was an sich selbst nur geringer ist, doch eben dadurch, daß es so geschieht, daß sich das vom Geist Gottes Getriebensein darin 10 Vgl. 1Kor 12,7

39 Vgl. Röm 8,28

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 2Kor 13,13

5

10

15

20

25

405

offenbart, zu unserm Heil beiträgt, und daß auch die vergänglichen Werke dadurch Mittel werden das unvergängliche Leben aufzuregen und zu erhalten. Was können wir erfreuenderes haben, als dies daß wir überall sehn die lebendige Bewegung der Liebe und Gnade und indem wir die hervorleuchten sehn aus Anderen sie in uns selbst erzeugen immer aufs neue und immer lebendiger und kräftiger. Das ist auch die Gemeinschaft des heilgen Geistes die Wirksamkeit der Liebe und Gnade Gottes und Christi, wenn sie mit uns ist, und so vereint sich Alles wieder | in der Liebe Gottes die ausgegossen ist durch den Geist, der ist aber nicht ohne die Gnade Christi. Denn nur indem wir durch ihn versöhnt sind, sind wir in der lebendgen Erkenntniß der Liebe Gottes. Und eben das kann nicht sein ohne die Wirksamkeit des heilgen Geistes in dem die Fülle des christlichen Lebens ist, das Gott uns geschenkt mit seinem Sohn. Und die Wirkung von dem allen faßt der Apostel zusammen in dem Ruf: „So laßt uns ihn wiederlieben.“ Das ist der Ruf des kindlichen Geistes in uns, das ist das beginnende Leben Christi in uns, das ist das Getröstetsein und Getriebensein vom Geist Gottes dadurch uns der Herr die Macht gegeben Kinder Gottes zu sein. So möge denn auch unter uns, indem Liebe und Gnade Gottes und Christi mit uns ist, die Gemeinschaft des heiligen Geistes lebendig sein, damit alle die dieses Werk Gottes sehn ihn preisen und loben um dieser Gemeinschaft willen. Und so sei denn der; den der Vater gesandt um seine Liebe zu offenbaren und der Geist den er ausgegossen wodurch unsre Gegenliebe entstanden ist und sich offenbart, gepriesen jezt und in Ewigkeit! Durch welchen wir seine Liebe immer besser erkennen und die unsre zu ihm immermehr entzünden zu seinem Preise.

14 Vgl. 1Joh 4,19

39v

Am 21. Juni 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

40r

1. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 13,12 Nachschrift; SAr 68, Bl. 40r–42v; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „Lk“

Matth. 13 v. 12 „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden und wer nicht hat, dem wird genommen auch das was er hat:“ Dies Wort des Herrn ist oft ein Anstoß worden. Menschlicher Verstand erforscht es nicht, ob ers zu fassen meint. Auch fromme treue Christen meinen oft es zu verstehn indem sies dunkel fühlen; denn gehn wir tiefer ein so finden sich Bedenklichkeiten: darum lasset uns von Christo lernen wie er es gemeint. Laßt den Zusammenhang der Rede uns genau erwägen und daraus ersehn: 1. Was denn die Christen haben müssen um die Segnungen des Gottesreichs zu nehmen. 2. Und was das Schicksal sei der Habenden und der Nichthabenden in diesem Sinn. 1. Das Texteswort scheint dem zu widersprechen: daß seelig seien, die da geistlich arm. Und dem: daß Christus zu den Kranken nur gekommen und die Gesunden nichts von ihm empfangen: denn hieraus scheint, daß die Nichthabenden empfangen sollen. Wenn nun hier der Herr das Volk das ihm entfernter war als seine Jünger, im Vergleich mit diesen als die Nichthabenden hat dargestellt; so folgt daraus, daß er nicht hat gemeint erhöhetern Verstand als jeder hat. Denn seine Jünger waren einfach nur, und wenig hatten damals sie verstanden von seiner Lehre, seiner Göttlichkeit. So war es nur die Liebe zu dem Herrn: die starke Sehnsucht nach dem Gottesreich was jene hatten, aber nicht das Volk: denn es bekümmerte sich 12 Nichthabenden] Nichthabenden, 14–15 Vgl. Mt 5,3

15–16 Vgl. Lk 5,31

5

10

15

20

Predigt über Mt 13,12

5

10

15

20

25

30

35

407

nicht um das was Christus darbot, in dem schönen Gleichniß gleichgültig bliebs, wie Jesaias sagt: Mit Ohren hören sie, verstehn es nicht: | Es war schon alles Mögliche geschehn um diesem Volke offenbar zu machen, daß Christus der verheißne Heiland sei. Sie fühltens auch daß seine Lehr’ gewaltiger, als der Propheten Lehre weiland war doch blieb ihr Herz verstockt, vernahm es nicht daß Licht und Leben seiner Red entfloß. Sie fühlten wol das Tödtende des Sündenjochs[.] Der Wunsch herausgekommen aber war nur schwach und kalt, sie hatten nicht Begierde nach wahrer Heiligung. Die Liebe zu der Wahrheit zum Göttlichen. Die fehlte. Darf nicht fehlen wenn Gott mit geistgen Gütern segnen soll. Fortwährend fordert Lieb und Sehnsucht er. Lebendig soll sie sein, nicht dunkel unbestimmt. Nun wissen wir was jeder haben muß damit ihm mehr gegeben werden kann. Doch fragen wir nun auch: woher denn hat er es? Von Oben nur kommt Lieb und Sehnsucht her. Nicht blos Vollbringen auch das Wollen schafft der Herr von ihm allein kommt Kraft. Sein Wort nur kann erwecken, stärken, vollbringen wenns uns zur Buße antreibt wirkts das Wollen. Nur Christus der das ganze Reich der Sünde vor unsern Augen aufgedecket hat und der durch seine Reinheit von der Sünde uns unsre Schwäche zeigt, an dem allein wir prüfen wie wir von göttlicher Gesinnung fern. Nur er kann uns zur Buße recht bewegen doch nicht nur niederschlagen will er uns, er richtet uns empor mit Gotteskraft[.] Erlösend uns von Sündenlast giebt er uns Ueberwindungskraft, giebt uns den Sieg[.] So unsre Sünde tilgend läßt er uns Vergebung angedeihn. Durch diese Thätigkeit der höchsten Liebe, regt er unsre an[.] Wir fühlen dann die Größe seines Opfers und fühlen was das Wort bedeuten will[:] Kommt her zu mir die ihr beladen seid. | Ich will erquicken euch will euch befrein: Gewaltig fühlen wir uns hingezogen zu ihm der so uns liebt, so uns sein Reich erschließt. Wer durch die Kraft von Oben die Gefühle der Liebe und der Sehnsucht in sich trägt der hat was er bedarf zur Jüngerschaft. Dies nun erkennend mögen wol wir fragen: warum nicht alle Menschen Buße thun da so gewaltig ist die Gotteskraft. Im Gleichniß sagt es der Erlöser uns, warum nicht alle Lieb und Sehnsucht fühlen. Er sagt es komme auf den Boden an ob guter Saame gut gedeihen mag: Wo sich das Herz verstockt, da kann das Wort nicht wirken; todter Buchstab bleibts. Und Unkraut drängt die guten Keime weg. Zwei Feinde hat in uns das Wort des Herrn: Die Trägheit und die Eitelkeit sie 5 Lehre] Lehre, 1 Hier ist das Gleichnis vom Sämann, welches Mt 13,12 vorausgeht, gemeint. Vgl. Mt 13,1–9 2 Vgl. Jes 6,10 15–16 Vgl. Phil 2,13 26–27 Vgl. Mt 11,28 33–36 Hier ist die Deutung des Gleichnisses vom Sämann gemeint. Vgl. Mt 13,18–23

40v

41r

408

Am 21. Juni 1829 vormittags

sinds. Die Eitelkeit zieht stets den Menschenwillen dem höhern vor, so kann er nicht gedeihen. Demüthig nur, dem Geiste unterworfen gelangt der Mensch zu wahrer Heiligung. So lange Eitelkeit den Platz behauptet muß wol die Gotteslehre fruchtlos bleiben[.] Das ist das Arge, das der Herr gemeint. Wo Geistesträgheit herrscht da kann der Herr nicht treu geliebt ihm nicht gefolget werden[.] Tritt Trübsal ein so läßt der Träge ab[.] Anstrengungshitze mag er nicht erdulden. Und gegen diese Feinde hat ein Jeder zu kämpfen auch, obwol nicht Jeder gleich. Wer unbekämpft sie läßt, und wessen Herzensgrund verhärtet ist, der ist es der nicht hat[.] Im Gegentheile dessen der voll Liebe und sehnsüchtgem Verlangen strebend ist nach inniger Gemeinschaft mit dem Herrn[.] Den Unterschied hat unser Herr gemacht vergleichend seine Jünger mit dem Volk. | 41v

42r

[2.] Und nun laßt uns auf beider Schicksal sehn. Der Lieb und Sehnsucht habenden Geschick ist leicht und klar, befriedigt sind sie stets die Segnungen des Gottesreichs genießend sind sie befreit von aller Angst und Noth. Die Gaben die es seinen Jüngern leiht es sind Gerechtigkeit und Fried und Freude: Bewußtsein christlicher Gerechtigkeit hängt nimmermehr von Menschenurtheil ab! Vergebung fühlend preisen sie den Herrn der so sie liebt, der so sich ihnen eint, daß seine Kraft in ihnen mächtig wird. Ein Himmelsfriede blühet ihnen auf der die Erinnerung des Kampfs verschönt und nicht zu stören ist durch Weltgeräusch. Und Freude die den Wechsel nicht berührt, weil bald sie jede Trauer überstrahlt: wie Gott der Höchste ist und ewig bleibt so ist die Freud an ihm das dauerndste und höchste der Gefühle unsrer Brust. Und wenn nun nicht vorübergehend nur nein dauernd sie die Nähe Gottes fühlen weil er sie würdigt, sie zu sich zu ziehn, weil er in ihnen selber Wohnung macht, dann wird ihr Glaube immer mehr zum Schaun und hohe Seligkeit ist schon ihr Theil. In ihrer Seele ist kein Schwanken mehr[.] Der irdische Wechsel ändert sie nicht um. Sie fühlen dann die hohe Wahrheit ganz: Daß es ein köstlich Ding sei, wenn das Herz fest werde, und getreu und froh und frei: Die Hoffnung macht sie überschwänklich reich einst ganz den Herrn zu schaun, ihm gleich zu sein und in Gewißheit unerschöpfter Fülle. Der Gotteskraft die aus dem Glauben strömt ist Mittheilung ihr Trieb und höchster Wunsch[.] Zu suchen was verloren ist sind sie von ihrem Herren in die Welt gesandt. | Verloren sind die Liebe mangelnden; ihr Schicksal 4 fruchtlos] fruchtos 25 ihm] ihn 25 dauerndste] dauernste 32 überschwänklich] überschwenklich (vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 773−774) 17–18 Vgl. Röm 14,17 27 Vgl. Joh 12,32 Hebr 13,9 35–36 Vgl. Mt 10,6

27–28 Vgl. Joh 14,23

31 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 13,12

5

10

15

20

25

30

35

409

ist in Dunkelheit gehüllt[.] Das Licht bleibt ihnen fern, da sie sich ihm entziehn. Genommen wird auch das was sie unmittelbar von Gott empfingen: Gott schuf den Menschen sich zum Ebenbild und diese Züge kann er ihm nicht nehmen[.] Wenn menschliche Natur ihm bleiben soll so ist die Sehnsucht nach dem Göttlichen ihm eingeprägt. Ihm ist das Wort gegeben daraus er alle Sehnsucht stillen mag; doch wenn ers nicht in Demuth anerkennt als Gottesgabe, und sich überhebt der göttlichen Gewalt, durch eigne Kraft zu steigen denkt, bis zur Vollkommenheit, dann muß der Seegen dieser Gottesgabe an ihm vorübergehn; genommen wird ihm was er hat, weil ers nicht haben will. Den reinen Weg verfehlend suchen sie auf andern Wegen die Glückseeligkeit[.] sie kommen zur Erfahrung stets zurück daß die unrechte Thür sie ausersehn. Sie hängen sich an dies und jenes Gut und wähnen dann zu haben; doch der Wahn, von kurzer Dauer ist er immer nur. Er ist die Tür die zum Verderben führt. Gar traurig ist ihr Loos und schwankend stets[.] Nichts können sie mit ganzem Herzen fassen und thöricht rühmen sie auf diesem Wechsel beruhe ja das Wesen ihrer Freiheit. Sie dienen vielen Herrn, sind schlecht berathen stets. Nie sind sie frei von Schuld; nur Christus macht uns frei. Nur wo sein Geist ist, da ist Freiheit auch! | Das eigne Wiß’n und Wollen hilft uns nichts Verwirrung nur und Ungewißheit wirkts[.] Nur was Er in uns schafft dient uns zum Heil. Wir haben nur, wenn seine Gnade nicht vergeblich ist in uns. (Wenn er uns Gnade giebt[.]) Daß noch nicht alle haben: sollen wir darüber klagen? Nein wir merken wohl, daß unerforschlich Gottes Wege sind[.] Wir wissen, daß er alles kann und weiß und rufen oft in tiefster Demuth aus: O welche Füll des Reichthums seiner Weisheit! Unendlich ist die Kraft, sie kann noch zu ihm ziehn[.] Was jezt verloren ist, und was vielleicht uns scheint als obs verloren wäre, unserm Blick. Nicht klagen wollen wir, wir beten stets für alle Menschen, daß geholfen werde auch ihren Seelen in der Ewigkeit wenn jezt die rechte Zeit noch nicht erscheint. Arbeiten wollen wir im Weinberg unsers Herrn[.] Lebendig hoffend daß er uns erhört!

8 Vollkommenheit,] Vollkommenheit. 3 Vgl. Gen 1,27

21–22 Vgl. 2Kor 3,17

28–30 Vgl. Röm 11,33

42v

Am 23. Juni 1829 abends, Begräbnis Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

Dienstag, 18 Uhr, Begräbnis Friedhof der Dorotheenstadtgemeinde vor dem Oranienburger Tor Keiner Nachschrift; SAr 68, Bl. 44r–46v; NiN, in: Woltersdorff Keine Keine Begräbnis von Philipp Karl Buttmann; er starb am 21. Juni 1829 im Alter von 64 Jahren. Vgl. oben Einleitung, Punkt I.2. Tageskalender: „Buttmanns Begräbnis“

44r

Rede an Buttmann’s Grabe gesprochen von Schleiermacher. |

45r

Meine theuren Versammleten. – Ich bin zu nahe betheiligt bei dem Verluste des theuren Freundes, dessen entseelte Ueberreste wir zu ihrer Ruhe begleiten, als daß ich aufgelegt sein könnte, oder geschickt, zu reden. Doch kann ich mir’s auch nicht nehmen lassen, der geliebten Seele in unser Aller Namen ein Wort des Abschieds nachzurufen. Hätte er gehalten, was er versprach, als er noch an der Schwelle des Alters mit ungeschwächter Kraft wandelte, so würde ich nicht in diesem Falle sein. Er hätte noch wirksam seinem Beruf in der Wissenschaft gelebt, er wäre ferner die Stütze und der Stab der Seinigen gewesen, er hätte auch noch seine jüngsten Sprößlinge zur Selbstständigkeit des Lebens hinaufgeführt, und ich mit vielen Andern wäre ihm lange vorangegangen. Wenn aber dann noch ein leichter Uebergang ihn von der Bürde des Lebens befreit hätte, dann wären alle unsere Wünsche für ihn erreicht, ihm wäre dann zu Theil geworden, wovon wir gewiß Alle überzeugt sind, wie sehr er es verdiente. Es sollte anders sein. Als ob der Tod dieses Leben nicht auf einmal hätte angreifen können, hat er uns das wehmüthige Schauspiel einer allmäligen Zerstörung gegeben, wobei freilich immer unser Trost der war, daß die Kräfte des Geistes nicht verwirkt und nicht sichtlich geschwächt wurden, aber wobei doch immer mehr alle seine Organe die Kraft sich mitzutheilen, verloren. Nun mußte es dahin kommen, daß der Mund, der mit einem Zauber über die Rede geherrscht, der mit wunderbarer Leichtigkeit mit der

5

10

15

20

Am 23. Juni 1829 abends

5

10

15

20

25

30

35

40

411

Sprache gespielt hatte, auch nicht mehr | die einfachsten Töne hervorzubringen vermochte. Was konnten wir so mehr wünschen, als das, was nun wirklich geworden ist. So lassen Sie uns über diese Zeit, die für ihn selbst kaum eine mehr war, hinweggehen und ein Bild seines Lebens uns vergegenwärtigen. Wohl ihm, es war ein leichtes, heiteres, fröhliches und darum auch ein glückliches. Aber nicht das leichte Glück eines Lebens, das die Umstände begünstigen. Nicht leicht hat es einer der Versuchung so leicht gemacht, seine Ansprüche an das Leben zu befriedigen, als er, der mit einer Anspruchslosigkeit, die nie daran dachte, sich selbst anzuschlagen, oder den eigenen Werth in Zahlen zu bestimmen, weit entfernt war sein Loos mit dem Loose Anderer zu vergleichen, die das Glück mehr begünstigte, – aber anstatt aller Sorgen, aller nichtigen Pläne und Entwürfe, sich nur darauf verlassend, daß es in des Menschen Gewalt steht, den Augenblick schön zu gestalten, ergriff, was der Augenblick ihm bot. Auch unter Trübsalen ist er gebeugt worden, wo der Schmerz tiefe Furchen in die Bahn seines Lebens zog, als er den Verlust seiner geliebten Tochter tragen mußte: und wenn er so von noch manchen Kummer nicht frei blieb, so ließ er sich nie den innern Gleichmuth trüben, die Kraft der Seele nicht schwächen. Unter heitern Scherzen und leichter Fröhlichkeit verlor er den Ernst des Lebens nie aus dem Auge, indem er sich eine Reinheit und Sicherheit zu bewahren wußte, daß Niemand sich vermessen hätte, ihm irgend etwas Gemeines oder Uebles zuzumuthen oder zuzutrauen. Ueberall, von dem engsten Kreises des Hauses an durch die weiten Kreise seiner ausgebreiteten Bekanntschaft, war er bereit mit Trost, Hülfe und Rath kräftig bei|zustehen, ohne zu ermüden, oder auch nur verletzt zu werden, wenn der Weg, [den] er vorschlug, der Rath und die Hülfe, die er bot, nicht angenommen wurde. Das und vieles andre Schöne und Edle können wir von ihm lernen. Und wenn er nie viel Worte machte von Frömmigkeit, aber jeder menschlichen Noth gegenwärtig in seinem Kreise, half, wie er vermogte, ohne nach der Veranlassung zu fragen, aus der sie entstanden wäre, oder nach dem Ferner- und Näherstehen dessen, dem geholfen werden mußte – überall bereit, das Schöne und Gute anzuerkennen, wo er es finden mogte, ohne seine Freunde zu überschätzen, oder die er für seine Widersacher halten konnte, zu verkleinern – überall bereit, sich anzueignen was er in seinem Beruf und seiner Wissenschaft brauchen konnte, ohne zu fragen, von wem es kam und fremdes Verdienst herabzusetzen, überall bereit mitzutheilen von dem Seinigen, wo es verlangt wurde – wer so lebte, Allen zur Freude und zur Erquickung, keinem zum Harme, auf den können wir wohl das göttliche Wort der heiligen Schrift anwenden: Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 26 [den]] Textverlust durch Blattabriss 40 1Joh 4,16

45v

46r

412

46v

Am 23. Juni 1829 abends

Er selbst würde uns rathen, wie er immer gethan hat, über das, was die Natur als einen unerläßlichen Zoll von Allen fordert, was die Vorsehung jedem zu der Stunde bietet, die ihr die richtige ist, nicht zu wehklagen und zu jammern. Aber wenn wir auch hier so viel von ihm lernen müssen, dann werden wir auch umso mehr die Lücke fühlen, die er zurückläßt. Mögen alle seine Freunde mit vereinten Kräften in seine Fußstapfen treten und vollenden helfen, was er begonnen hat. Das ist der rechte Sinn des Wortes, daß über [dem] Andenken des Gerechten Segen Gottes waltet. | So sei der Erde gegeben, was der Erde gebührt – uns Allen bleibe das Bild dessen, der uns so lange gefreut hat – den Seinigen werde der Trost, woran es Gott ihnen wird nicht fehlen lassen – Alle aber mögen bedenken, daß sie sterben müssen, auf daß sie klug werden. Amen!

8 [dem]] Textverlust durch Blattabriss 7–8 Vgl. Spr 10,7

11–12 Vgl. Ps 90,12

5

10

Am 5. Juli 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge:

Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

3. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 15,1–7 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) a. Nachschrift; SAr 68, Bl. 48r–49v; Woltersdorff Eigenheiten: Keine b. Nachschrift; SAr 68, Bl. 50r; Crayen, in: Woltersdorff Eigenheiten: Keine Keine Keine Der Text wurde bis einschließlich Bl. 49r von Woltersdorff aufgeschrieben; ab Bl. 50r setzt Crayen die Nachschrift fort; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.B.

a. Nachschrift Woltersdorff Aus der Predigt am 3. S. nach Tr. 29. Lucas 15,1–7. Es wird Freude im Himmel sein über einen Sünder der Buße thut usw. 5

10

15

Es ist uns Allen ganz natürlich, um so mehr lebendig und gegenwärtig uns das Bild des Erlösers ist, zu denken daß es keinen gebe der der Buße nicht bedürfe: wenn wir also die Worte des Herrn vernehmen, es sei Freude im Himmel über einen Sünder der Buße thut vor neun und neunzig Gerechten die der Buße nicht bedürfen: so ist es natürlich der erste und nächste Gedanke daß es solche Gerechten gar nicht gebe. Und darum meinen wir leicht der Erlöser habe diejenigen nicht gemeint die es sind und also wirklich der Buße nicht bedürfen, sondern die, die sich einbilden gerecht zu sein aber eben deswegen am meisten der Buße bedürfen. Auf solche Weise redete der Erlöser auch wol anderwärts, und die zu denen er es sagte in diesem Sinn, verstanden es auch so; denn Johannes der Täufer und Vorläufer des Herrn hatte es ihnen deutlich genug gesagt daß sie sich auf nichts verlassen könnten, am allerwenigsten auf die Gerechtigkeit derer sie meinten theilhaftig zu sein durch die Werke des Gesetzes und durch die Vorzüge 9 Gerechten] Gerechte 14–2 Vgl. Mt 3,7–10; Lk 3,7–9

48r

414

Am 5. Juli 1829 vormittags

ihrer Abstammung, und daß sie nicht könnten in das nun beginnende Reich Gottes kommen, wenn sie nicht rechtschaffne Früchte der Buße brächten: Das hatte er ihnen aber oft und deutlich gesagt darum war das wie der Erlöser oft von dieser ihrer falschen Gerechtigkeit sprach, eine ihnen nicht unverständliche Weise. Aber danach sind diese Worte wol nicht so gemeint, denn das Bild welches er hier aufstellt würde sonst nicht passen; Denn die neun und neunzig Schafe die Einer hat, die sind nicht solche welche der Buße bedürfen aber nichts davon wissen, sonst wär es ja nicht wahr daß er der Hirt ist dem sie folgen: So also würde die ganze Rede nicht passen und das Bild unanwendbar sein. Ja wir dürfen wol sagen; wenn er sich denkt einen Menschen der hundert Schaafe hätte und ließe die neun und neunzig in der Wüste um dem Einen nachzugehn welches sich von ihm und den andern verirrt, so müssen sie wol nicht in so schlimmem Zustande sein, sondern als sein Eigenthum sicher. So laßt uns sehn, wie, wenn wir das ganze Bild welches der Herr hier aufstellt im natürlichen Sinn nehmen, wir es seinem Sinn gemäß anwenden können. Nehmen wir diese seine Worte so wie er sie gesagt so ists dies doppelte welches wir zu betrachten haben. Nemlich: 1. Was er sagt von dem und wie er es meint mit dem Zustande derer die gerecht sind[.] 2. Wie er es meint mit der Freude über einen Sünder der Buße thut[.] 1. Was das Erste betrifft, so müssen wir davon ausgehn daß es wol einen Zustand gab für die Seinen so wie ihn hier der Erlöser beschreibt. Er konnte aber Keine andern meinen mit denen von welchen er das sagt, als die welche wirklich Schaafe seiner Heerde waren, das kleine Häuflein seiner Jünger das nur ganz allmählig sich mehrte. Und giebt es denn keinen Sinn in welchem wir sagen könnten daß das Wort auch auf uns Anwendung fände? giebt es keinen Sinn in dem wir sagen könnten, daß wir gerecht wären als die Seinen? Wenn das nicht wäre, wie stände es dann um die Worte der Schrift die den Hauptinhalt unsres Glaubens aussprechen! Wenn nemlich gesagt ist, Christus sei gestorben um unsrer Sünde willen und um unsrer Gerechtigkeit willen auferwecket. Und wenn es heißt, daß kein Fleisch gerecht wird durch des Gesetzes Werke es gebe aber eine Gerechtigkeit und das ist die Gerechtigkeit aus dem Glauben an Christus. So müssen wir uns sagen, daß in der Gemeinschaft mit Christo, um der Gerechtigkeit willen die in ihm ist, wir Alle gerecht sind vor Gott, und zwar ohnerachtet der Schwäche und Unvollkommenheit die noch in uns ist und erst allmählig überwunden wird; denn sonst wären wir nicht in Gemeinschaft mit ihm. Und sollte der Herr indem er in dem großen Beruf begriffen war die Heerde 32–33 Vgl. Röm 4,25

33–34 Vgl. Röm 3,20; Gal 2,16

34–35 Vgl. Röm 1,17

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 15,1–7

5

10

15

20

25

30

35

40

415

der Seinen zu sammeln, sollte er indem er sich selbst den Menschen darbot, auf daß sie Ruhe fänden (und es giebt ja keine Ruhe ohne Gerechtigkeit) nicht das im Sinn gehabt haben, daß von den Seinen gesagt werden könne, daß sie durch ihn gerecht sind? Gewiß hat er das im Sinn gehabt und eben in diesem Sinn von Gerechten gesprochen. Nun kann man freilich sagen: das ist wahr, und es ist eben die Wohlthat die er ausübt daß er die Sünder gerecht macht, aber diese Gerechtigkeit schließt das nicht aus, daß sie der Buße bedürfen: Das ist wahr aber in verschiedenem Grade, und nur in wiefern es auch für die noch, in denen, durch den Glauben das Leben Christi begonnen, verschiedene Zustände giebt eben weil es noch nicht zur Vollendung gediehen in ihnen. Indem der Erlöser aber hier im allgemeinen von dem Unterschiede der eben um ihn Versammelten und der eben von ihm Verirrten, redet, so hat er als den Zustand jener, den im Auge: Gerecht sein und der Buße nicht bedürfen: aber er hat ihn im Auge als solchen Zustand über den keine besondre und außerordentliche Freude sei im Himmel; weil dieser Zustand | eben der ist der nach göttlicher Ordnung aus der Gemeinschaft mit Christo hervorgeht, die sonst nicht wirklich wäre. Und aus diesem Gesichtspunkt laßt uns die Sache näher betrachten und fragen: Wann bedarf der Mensch der Buße? wenn er gesündigt hat und dessen ist gewahr worden. Der aber der wahrhaft in der Gemeinschaft Christi lebt, der schon die Kraft des Lebens Christi sich angeeignet hat, nun wahrlich, für den wird es ja wol einen Zustand geben – wenn derselbe auch noch nicht der ununterbrochne ist – der dem entspricht, also einen Zustand in dem er nicht sündigt. – Wenn wir mit dem was uns obliegt zu thun oft an die Grenze der Kraft des geistigen Lebens kommen, wenn es für uns solche Veranlassungen giebt wodurch sich in uns die Nachwehen des frühern Zustands regen, nun dann ist das nicht jener Zustand den der Erlöser meint und der der Gemeinschaft mit ihm gemäß ist, sondern dann regt sich die Sünde wieder und wir bedürfen allerdings der Buße. Wenn wir aber in dem Zustand eines regelmäßigen Lebens im Reiche des Herrn uns befinden, wenn uns schon eine Menge Veranlassungen zur Sünde entfernt sind und entfremdet durch christliche Sitte, wenn in regelmäßiger Arbeit wir begriffen sind im Weinberge des Herrn wenn sein Leben in uns wirksam ist ohne daß wir die Grenze seiner Kraft wahrnehmen: seht da, das ist ein solcher Zustand in dem wir gerecht sind: den meint der Herr wenn er spricht von der Gerechtigkeit der Seinen durch den Glauben an ihn. Daß aber in solchem Zustand die Seinen nicht in dem Fall sind der Buße zu bedürfen: das ist gewiß. Aber über solchen Zustand ist keine besondre Freude im Himmel. Aber warum nicht? weil es kein Zustand raschen Fortschreitens ist, weil keine bedeutende Zunahme der Kraft des Reichs Gottes sich zeigt, kein außerordentlich Näherkommen zum Ziele; denn wenn wir uns denken die ganze innre Kraft und Herrlichkeit des Reichs des Herrn so ists doch immer nur noch ein geringer Theil von dem was soll offenbart werden, es ist noch

48v

416

Am 5. Juli 1829 vormittags

wenig erreicht und in Besitz genommen, und ein geringer Besitz ist nicht Gegenstand großer Freude, es ist ein Zustand stiller Zuversicht sichern Besitzes, aber keiner einer großen Freude. Und doch müssen wir sagen: schon von Anfang der christlichen Kirche an hat es diesen Zustand mitunter gegeben; wenn wir in der Geschichte der Apostel lesen: die Gemeinde hatte Frieden und baute sich: so giebt das das Bild solchen Zustandes. Aber freilich kommen immer wieder dazwischen stürmische Zeiten wo es der Entwicklung neuer Kräfte galt, wo es Veranlassung gab dazu daß die Christen gewahr wurden was ihnen noch mangelte an Kraft, wie sie schon hätten sollen in höherm Grade sich aneignen was der Herr ihnen immerfort darbot; wo sie also der Buße bedurften und auch Buße thaten. Und das waren die Zeiten wo die Gemeinde die ganze Herrlichkeit des neuen Lebens offenbarte, es waren die Zeiten äußrer Verfolgung und innrer Reinigung. Wolan denn, wir werden wol sagen müssen: die Freude die wir an solchem Zustande haben, wo wir alles nach der göttlichen Ordnung finden: das ist eine ruhige sich gleich bleibende Freude deren Gegenstand das Reich Gottes ist. Würde aber diese Freude sehr lebhaft, so könnte sie uns stören in dem Bewußstein, welches uns nie verlassen darf und welches der Apostel Paulus so ausdrückt: „nicht daß ichs schon ergriffen hätte:“ wir könnten dadurch in Gefahr gerathen daß unser Zustand ein Stillstand würde, und dann bedürften wir eben gar sehr der Buße[.] Nie also soll diese Freude über den Zustand allmähligen Fortschreitens auf dem Wege der Heilgung, auf dem Wege zu dem Ziel daß wir ihm gleich sein sollen der uns gerecht macht, eine ausgelassne Freude werden, sondern die ruhige Betrachtung soll sie leiten und immer mehr auf die Herrlichkeit hinrichten die der Herr offenbaren wird wenn wir ihn sehen werden wie er ist denn wir kommen nicht dahin und unsre Freude hat nicht den rechten Grund wenn Christus uns nicht immer aufs neue verklärt wird, sondern worüber wir uns freueten das wäre dann immer nur das was schon gewesen ist. So mag der Herr es gemeint haben daß er sagt es sei größre Freude über einem Sünder der Buße thut als über die Gerechten die der Buße nicht bedürfen. Und wie er das ganze Geschlecht der Menschen im Herzen trug, und wie das Gerechtsein durch ihn als der gewöhnliche Zustand seiner Jünger ihm hat im Sinn gelegen und er verglich was geschehen war und bewirkt und was noch bewirkt werden mußte damit Alle könnten gerecht werden: so hat er sich nach der ganzen Wahrheit geäußert in diesen Worten; Denn so lange seine Jünger um ihn waren beschützte er sie, half ihnen und gab ihnen die Kraft zu allem was sie thaten: was also war es da anderes mit ihm als daß sie eben solche waren von denen er sagt daß sie gerecht sind: sie waren aber noch nicht aufgerufen um alle Kräfte die ihnen sollten zu Theil werden zu brauchen, und darum bedurften sie in der Zeit der Buße 5–6 Vgl. Apg 9,31

19 Phil 3,12

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 15,1–7

5

10

15

20

25

30

35

417

nicht. Wir wollen nicht leugnen daß es mit einem großen Theil der Gemeinde des Herrn zu Zeiten so ist, daß sie der Buße nicht bedürfen, aber eben darum sollen wir die Ordnung Gottes preisen dafür daß es nicht immer so ist, sondern daß der Mensch oft auf die Probe gestellt wird, dadurch daß seine Kräfte in Anspruch genommen werden, damit er erfahre wie fest er stehe in der Gemeinschaft des Herrn, wie weit er gediehen sei auf dem Wege des Heils. An solchen Zeiten fehlt es nicht | wo wir geprüft werden, es fehlt nicht, daß nicht jeder sollte Veranlassung finden Buße zu thun und der Buße zu bedürfen und einzusehn wie leicht er noch durch dies oder jenes verborgne Spiel sinnlicher Neigungen aufgehalten wird auf dem Wege zur vollkommenen Gemeinschaft mit Christo. 2. Laßt uns nun sehn wie es der Herr meint mit der Freude im Himmel über einen Sünder der Buße thut. Worin besteht diese ausgezeichnete Freude? Wenn wir finden daß er davon keine ausführliche Beschreibung macht so hat das keinen andern Grund als den daß er eben der Grund und Gegenstand der Freude ist. Wenn der Sünder Buße thut – es sei die erste einmalige große Buße wenn er anfängt zu verlangen nach dem neuen geistgen Leben, oder die immer wiederkehrende Buße bei der Ausbildung des geistigen Menschen nach Christo – in jedem Fall ist es Christus der da wirkt alles in Allem: und wie er allein der Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens ist so verklärt ihn auch der Vater immer auf die Weise daß es offenbar wird daß Alles durch ihn und zu ihm geschaffen ist in der geistgen Welt, und also jede neue Verklärung ist. Und wenn wir nur durch ihn zum Vater kommen, so soll jede Verklärung Christi ein neuer Grund der Freude sein. Und anders geht es ja nie zu in der Buße; Mögen wir uns den Menschen denken am Anfang der Gemeinschaft Christi oder schon weiter gediehen, so wird er selten zur Buße geführt werden ohne daß bald an ihm der Grund der Freude sich offenbart. Wenn der Mensch sich anfängt sündig zu fühlen, dann beginnt er sich zu verklagen und zu entschuldigen, und das ist fruchtlos. Aber wenn das Bild des Erlösers ihn trift dann vergeht ihm das Eine und das Andre, das alte Leben verschwindet ihm und er erwacht zum neuen: so ists immer der Erlöser der die wahre Buße wirkt und ohne ihn würde sie nie zu Stande kommen: eben deswegen ist er der alleinige Gegenstand der Freude und sowol im Anfang der Heilgung als im Fortschreiten wird der Erlöser aufs neue verklärt in seiner Gemeinde. Und das giebt er zu verstehen indem er 29 daß] das 23 Vgl. Kol 1,16

25 Vgl. Joh 14,6

31–32 Vgl. Röm 2,15

49r

418

49v

Am 5. Juli 1829 vormittags

sagt die verirrten Schaafe können nicht anders zur Heerde kommen als dadurch daß der Hirt ihnen nachgeht; – Denn wenn wir aus der Verirrung zu ihm geführt werden, so ist das das uns Nachgehen des Herrn, und um so wirksamer wird dieses uns Ziehen zum Vater, als wir es seiner Kraft zuschreiben! Wer sollte wol die Wahrheit davon nicht empfinden und sagen: jemehr das wahr ist, daß diejenigen welche an ihn glauben durch den Tod hindurchgedrungen sind zum ewigen Leben – und Himmel und ewiges Leben ist ja Eins – um so mehr soll unter uns Freude sein an jedem Sünder der Buße thut weil der Herr sich an ihm verklärt und also immermehr seine Herrlichkeit von uns angeschaut wird. Und deswegen eben weil es solch freudenreiches Werk ist was an dem Sünder geschieht indem er Buße thut, sollen wir es als das Seine betrachten. Und gewiß werden wir nicht sagen daß die Sünder zur Buße geführt werden wenn wir ihnen drohen, sie zum Gefühl der Vernichtung bringen, den Zorn des Höchsten ihnen vorhalten; denn das ist nicht das was der Herr gethan, und wir sollten wol bedenken daß es eben deshalb nicht solche Buße hervorbringen kann die zu ihm führt: Dem Verirrten, der sich verirrt fühlt, kann es nicht fehlen am ängstlichen Bewußtsein, das entsteht in ihm selbst unmittelbar, und wird verschwinden wenn der Hirt kommt und das verirrte Schaaf wieder aufsucht, und wir dürfen nichts thun um es zu schärfen; wie ja auch der Herr nicht sagt daß der Hirt das thut um das verirrte Schaaf wiederzugewinnen, sondern geht ihm nach und wenn er es gefunden trägt er es auf seinen Armen zurück. – Was sehn wir in diesem Bilde als das innerste Erbarmen woraus das sanfteste Zureden hervorgeht aber nicht eine Menge von Scheltworten, so sagt die Schrift von ihm: „man hört sein Geschrei nicht auf den Straßen: sondern [daß er] das glimmende Docht nicht auslöscht und das geknickte Rohr nicht zerbricht,“ sondern anfacht und bindet und neues Leben einflößt dem Erstorbenen und mit der innersten Liebe und Erbarmen überschüttet und so die Freude wirkt die im Himmel ist über einen Sünder der Buße thut. Laßt uns nicht vergessen, daß wir im Reich des Herrn in zweifachem Verhältniß stehen, wir sind die an denen sein Werk geschieht aber auch die durch welche es geschehen soll: sind wir nun die an denen es geschieht, so laßt uns | uns davon durchdringen daß wir als solche die gerecht sind es dem Herrn anheim gestellt sein lassen daß wir zu manchen Zeiten werden der Buße bedürfen, wenn Veranlassung für uns kommt daß wir darauf geführt werden daß wir noch nicht genug die Gerechtigkeit des Herrn uns angeeignet haben und also der Buße bedürfen. Und gewiß wird es der Hirt 21 schärfen] vgl. Adelung, Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1363 6–7 Vgl. Joh 5,24

25–27 Vgl. Jes 42,2–3

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 15,1–7

419

nicht fehlen lassen uns zu helfen, wie denn eben darin seine Liebe sich zu erkennen [gibt]. Indem wir aber zugleich die sind durch welche es geschehen soll |

b. Nachschrift Crayen

5

10

15

20

In so fern wir aber die sind die da berufen sind Andre zur Buße zu leiten – sollen wir, wie er, in der Fülle der Liebe und als von dem Seinen es nehmend – es thun. Eine Gefahr freilich ist für uns dabei – die bei ihm nicht statt fand – die Gefahr, nemlich, des Hochmuths darüber daß er uns als seine Werkzeuge gebraucht. – Aber wie er sollen auch wir „sanftmüthig und von Herzen demüthig“ sein – und wie er nichts that als was der Vater ihm zeigte – so sollen auch wir uns nur als Werkzeuge in seiner Hand betrachten; wohl bedenkend daß er nur Einer ist der da wirken muss Alles in Allem – Ein Geist – ein Herr – und ein Gott. – Wenn wir nun dieses rechte Bild und Maas immer dabei vor Augen haben – nun so wird es auch uns nicht fehlen an Gelegenheiten – und auch wir werden dann Gegenstände werden, worüber Freude im Himmel ist; denn aus einem solchen Bestreben wird hervorgehen ein immer P S Wachsthum in der Heiligung – und ein immer größerer Fortschritt in der Vollkommenheit – und wir Alle werden dadurch immer näher kommen dem Ziele welches er uns Allen vorgestekt hat.

17 P S] korr. aus P S 9–10 Vgl. Mt 11,29 10 Vgl. Joh 5,19–20 20 Auf Bl. 50v steht ein Gedicht von unbekannter Hand, welches wohl von Schleiermacher handelt: „und wo Du lehren magst der Geist wird Dich erinnern. / Des Treuesten Wort sein Sinn wird stets – durchschimmern. / Wenn Du die Schrift erklärst. Du wirst behütet sein. / Von Sorge Furcht und Schmerzen. / Weil fest und stark Dein Herz.“

50r

Am 12. Juli 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

52r

4. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 6,41–42 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 52r–61r; NiN, in: Woltersdorff Keine Keine Keine

Ev. Lucae. Capitel 6. Vers 41–42. Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und den Balken in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehest selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge, und besiehe dann, daß du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehest.

5

Predigt vom Prof. Schleiermacher gehalten am 12. Juli 1829.

53r

Meine andächtigen Freunde! Es ist eine allgemein bekannte Unart der menschlichen Natur, von welcher der Erlöser in den vorgelesenen Worten redet im Zusammenhang mit vielen andern ähnlichen Aussprüchen, worin er die Anmaaßung derer, welche sich selbst dünken, etwas zu seyn, vor den Richterstuhl der Wahrheit zieht. Es ist aber in der Art, in welcher er über diesen Gegenstand redet, so sehr auch seine Worte auf den ersten Anblick jedem einleuchten mögen, genauer betrachtete, vieles, was wieder nur, wenn wir es aus einem scheinbar verborgenen und nicht mit ins Licht gestellten Gesichtspunkt betrachten, uns klar werden kann und seine ganze Wirkung thun. 1 Auf Bl. 51v steht oben links die Notiz: „Der Woltersd. gehörig.“

10

15

Predigt über Lk 6,41–42

5

10

15

20

25

30

35

40

421

Laßt uns daher zuerst mit einander sehn, was es mit diesem Tadel, den der Erlöser ausspricht, eigentlich zu sagen hat und dann die eigenthümliche Art, wie er den Gegenstand behandelt, näher mit einander betrachten. Es ist eine ganz einfache Wahrheit, die sich beständig im menschlichen Leben wiederholt, daß wir eher der Andern Fehler sehen als die eigenen; und so lange auch schon diese Worte des Erlösers da stehen, so sehr sie auch allen bekannt geworden sind, so werden wir doch nicht sagen können, daß sich in der Sache, an und für sich betrachtet, vieles geändert habe; und so müssen wir freilich zuerst sehen, worin dieß seinen Grund habe und wie dieß mit der menschlichen Natur zusammenhänge. | Wenn nun der Erlöser sich hier eines bildlichen Ausdrucks bedient, so ist dieß einer von den Fällen, wo wir es nicht gar zu genau mit demselben nehmen dürfen. Denn wenn wir uns das recht lebhaft denken, was der Erlöser hier ausspricht, auch nur das Erste: Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge wirst du nicht gewahr? so ist das etwas, was wir nicht zu sehn nöthig haben, sondern es fühlt es ein jeder und er kann es nicht verbergen wollen. Fühlt er es aber wirklich, so wird er sich nicht selbst davon zu befreien suchen, sondern lieber zu einem Andern gehen und bitten, daß er ihm den Splitter aus dem Auge ziehe. Wir müssen aber bei dem Einen stehen bleiben, worauf der Erlöser zurückkommt, daß jeder den Splitter im eigenen Auge nicht sieht bei der natürlichen Unfähigkeit des Menschen, seine eignen Fehler wahrzunehmen, verbunden mit der Leichtigkeit, womit er die Fehler Andrer sieht. Wenn wir nun bedenken, wie das täglich im menschlichen Leben vorkommt, ja wie so oft wir sogar Gelegenheit haben, zu bemerken, daß einer Fehler bei dem andern wahrnimmt, die er gar selbst noch hat, aber bei sich nicht kennt, welches das Auffallendste in dieser Gattung ist, was es giebt, aber nicht etwas Seltenes: so müssen wir freilich einen natürlichen Grund davon suchen. Wenn wir betrachten, was für ein Unterschied ist zwischen unsrer Art uns selbst und unsrer Art Andre anzusehen und zu behandeln, so werden wir sagen: es liegt vorzüglich darin, daß wir bei Andern nur unmittelbar erst auf das merken, was sie thun, bei uns selbst | aber ist immer etwas dem Thun vorangesendet, welches wir zuerst inne werden, die innere Bewegung des Gemüthes, sie sei welche sie wolle, die einer jeden Handlung vorausgeht. Indem wir uns nun dieser bei uns selbst bewußt sind, so erscheint uns alles, was daraus hervorgeht, natürlich, und wenn oft, was uns innerlich aufregt, weniger von unserm Willen hat, als vielmehr in dem gegründet ist, was andre Menschen thun, oder was uns äußerlich kommt, so sagen wir uns davon los, als ob es nicht unser eigen wäre, und finden, was wir thun, nur in natürlichen Zusammenhange mit dem, was uns begegnet ist; und es braucht nicht einmal so zu seyn, daß wir uns zu rechtfertigen suchen, – denn das setzt doch voraus, daß schon ein Verdacht in uns entstanden ist, sondern es ist der natürliche Lauf, daß alles, was aus den Bewe-

53v

54r

422

54v

55r

Am 12. Juli 1829 früh

gungen, zu denen wir aufgeregt werden, hervorgeht, im nächsten Augenblick mit anderem verschlungen wird und wir ziehn es nicht in unsre Betrachtung. Kommt eine Veranlassung, die uns aufmerksam macht, dann geschieht es, daß wir das ganz natürlich ansehen und entweder aussprechen, daß eine Schuld überhaupt nicht dabei sei oder nicht die unsrige. Wogegen wenn uns die Handlung eines Andern begegnet, so betrachten wir sie nicht sowohl im Zusammenhang mit der Bewegung des Gemüths, weil diese sich uns verbirgt, als im Zusammenhang mit seinen Verhält|nissen zu uns oder zur menschlichen Gesellschaft, und wenn wir finden, daß sie für diese Verhältnisse nicht angemessen ist, so gehen wir dann noch auf den innern Grund zurück, indem wir voraussetzen, daß das nicht gut seyn könne, dem etwas nicht gutes vorangegangen ist und dann erkennen wir den Splitter im Auge und so entsteht das, was der Erlöser gesagt hat. Aber nun, wenn wir das voraussetzen, daß es in der Natur der Sache liegt, daß wir uns nicht eben so in der Hinsicht behandeln können, wie Andre, weil unsre Wahrnehmung an uns selbst von einem andern Punkte ausgeht, so werden wir sagen: wenn der Mensch den Splitter in seinem eignen Auge nicht sieht, so kommt es daher, daß er nicht vor den Spiegel geht, sonst würde er ihn sehen; und wir wissen, daß es einen Spiegel giebt, der uns nichts verbirgt und daß wenn wir uns im Spiegel des göttlichen Wortes betrachten, es nicht geschehen wird, wenn ein Sinn für die Wahrheit in uns ist, daß wir nicht unsre Fehler sehen sollten. Aber wir werden doch wieder sagen müssen: damit hat es allerdings seine Richtigkeit, die Fehler der Andern treten uns in ihren Wirkungen und in ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit den Taten vor das Auge. Wenn uns nun die unsrigen nicht so vor die Augen treten, weil unsre Aufmerksamkeit festgehalten wird bei dem, was vorhergeht und wir nicht anders zu einer fruchtbaren Erkenntniß kommen können als durch die Betrachtung | im Spiegel des göttlichen Wortes: so gehört dazu, daß wir uns aus dem Zusammenhang des Lebens herausreißen, daß wir in die Stille gehen, einen Theil unsrer Muße zum Nachdenken über uns selbst und zur Prüfung anwenden und daß uns alles zu Gebote stehe, was im Strom der Zeit so leicht vor uns vorübergegangen ist und in unsrem Gedächtniß vertilgt. Wenn nun dazu, die Fehler Andrer wahrzunehmen, nichts gehört, als daß wir mit ihnen im Zusammenhange des Lebens sind, wo sie sich uns nicht verbergen können, wenn wir sie wahrgenommen haben, ist es dann recht oder unrecht, daß wir uns Mühe geben, sie davon zu befreien? Das kann doch nur ein Beweis der Liebe seyn. Daß wir unsre Fehler nicht sehen, ist ein Mangel an Einsicht und so scheint der Mangel an Einsicht nicht verschont zu werden dadurch, daß wir, wenn wir die Fehler der Andern sehen, einen Trieb fühlen, daß unsrige zu thun, um sie davon zu befreien, sondern im Gegentheil können wir sagen: es ist übel genug, 33 dazu,] dazu.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 6,41–42

5

10

15

20

25

30

35

40

423

daß der Mensch so gestellt ist, seine Fehler nicht leicht zu erkennen, und daß ihm die Fehler der Andern so nahe vor’s Auge treten. Ist’s aber einmal so, so muß uns doch der lieber seyn, der, wenn er auch nur die Fehler der Andern sieht, seine aber nicht, doch die Andern wenigsten davon zu befreien sucht, wenn er sich davon zu befreien nicht vermag. Der Erlöser scheint aber einen ganz andern Maaßstab anzulegen. Es ist ein hartes Wort, indem er sagt: „du Heuchler, warum willst du denn den Splitter aus deines Bruders Auge ziehn, während du den Balken in dem deinen nicht einmal siehst?“ Darin liegt, | daß er das, was als eine Folge zu seyn scheint und eine Aeußerung des guten Willens und der Liebe, dafür nicht will gelten lassen, sondern es aus einem ganz andern Gesichtspunkte ansieht; und eben dieß führt uns auf das Zweite, daß wir ganz die eigenthümliche Art, wie der Erlöser diesen Gegenstand behandelt, noch näher mit einander erwägen müssen, wozu uns gerade dieß die beste Veranlassung giebt und den natürlichen Anknüpfungspunkt. Wie kann der Erlöser denn nun einen deßwegen einen Heuchler nennen, weil er Andre von ihren Fehlern zu befreien sucht, indem er nichts thun kann, sich von den seinigen zu befreien, indem er sie nicht sieht; ja noch mehr, was sollen wir denn zu der Forderung sagen, die er an den Menschen macht, daß er solle den Balken, der in seinem eignen Auge ist, herausziehen? Wenn wir schon gestehen müssen: das ist nicht leicht, daß der Mensch seine Fehler auf eine andre Weise inne werde, als wenn er sich selbst in dem Spiegel des göttlichen Wortes betrachte: so müssen wir noch mehr sagen: es ist ihm nicht zuzumuthen, es widerspräche unsrer innigen Ueberzeugung von dem menschlichen Verderben, daß der einzelne Mensch sich selbst von seinen Gebrechen befreien könne, wenn er sie auch noch so gut sieht. Wie kann es der Erlöser nun von ihm fordern? Und, sobald wir uns diese Frage aufwerfen, so müssen wir ungewiß werden über diese zwei Worte des Herrn, wie wir sie zu verstehen haben: ob er dabei mehr den Menschen von Anbeginn in seinem natürlichen Zustande vor Augen hat | oder mehr an diejenigen denkt, die zu seiner nähern Umgebung und Gemeinschaft gehörten, ob er sich den Menschen so denkt, wie er wird, abgesehen von dem, was der Erlöser ihm bringen soll oder ob er ihn im Zusammenhange des Werkes der göttlichen Erbarmung sieht. Allein wenn wir uns wirklich denken im Besitz der göttlichen Gnade, so werden wir doch sagen müssen: es hat damit nicht die Beschaffenheit, daß der Mensch sich selbst könne von seinen Fehlern befreien, sondern die Mittel dazu sind von der Art, daß sie ihn von sich an etwas Andres weisen, und so scheint der Erlöser auf beide Weise Unrecht zu haben, mag er den Menschen betrachten in seinem natürlichen Zustande oder in der Gemeinschaft des Glaubens und der Erlösung. Der letztre macht keinen Anspruch, sich selbst von seinen Fehlern befreien zu wollen, er nimmt seine Zuflucht zu der göttlichen

55v

56r

424

56v

57r

Am 12. Juli 1829 früh

Gnade und den Mitteln, die ihm diese giebt und der erste kann sich nicht von seinen Fehlern befreien, weil er nicht im Stande ist, dieselben zu sehen. Wohlan, m. gel. Fr., so laßt uns zuerst fragen: wie kommt der Erlöser dazu, den Menschen, den er uns darstellt, als einen Heuchler zu bezeichnen? Es liegt darin immer, daß der Mensch wolle für etwas andres gehalten seyn, als was er wirklich und in der That ist und daß in ihm selbst hiervon ein Bewußtseyn ist denn wenn das nicht ist, so werden wir immer Bedenken | tragen müssen, dieses Wort über einen Menschen auszusprechen. Wenn wir nun vorher sagten, daß der Mensch nicht im Stande sei, seine eignen Fehler zu sehen, aber wohl die der Andern und so sei es ein Beweis der Liebe, wenn er diese davon zu befreien sucht, – wenn dieß wahr ist und wir Ursache haben, daß vorauszusetzen, so hat der Erlöser Unrecht, daß er den, der dieß thun will, als einen Heuchler bezeichnet. Er muß es daher anders angesehen haben, er muß nicht geglaubt haben, daß dieß seinen Grund habe in der Liebe zu den Menschen und zum Guten, um die Menschen des Guten theilhaftig zu machen und daß wir so bereitwillig seien sobald wir der Fehler der Andern inne geworden, sie davon zu befreien. Nun ist freilich wahr, wenn wir einen Augenblick bei dem Bilde stehen bleiben, wenn wir etwas Fremdes im Auge eines Andern sehen und er fühlt das nicht selbst, oder es doch nicht fühlen kann, daß, wenn er in eine andre Lage kommt, er nicht sollte Schmerz empfinden und wir ihn davon befreien wollen, so muß er stille halten und damit er still halte, müssen wir ihn dazu auffordern und ihm sagen: was wir mit ihm vorhaben! Und so scheint es in der Natur des Verhältnisses zu liegen, daß es nicht möglich ist, eine Erweisung der Liebe auszuüben, die einem unbewußt bliebe. So ist es, wenn wir uns an das Bild halten, das der Erlöser braucht und so ist es auch in der Natur der Sache selbst. Wenn es möglich wäre daß wir vieles thun könnten, Andre von ihren Fehlern zu befreien, ohne daß sie es merkten, ohne daß sie unsre Absicht zu kennen brauchten, so wäre das allerdings | viel besser und schöner, unser ganzes Verhältniß bliebe dann rein. Wenn einer sich anheischig macht, einen Andern von seinen Fehlern zu befreien, so stellt er sich über ihn und giebt sich das Gefühl der Ueberlegenheit, dem andern aber giebt er das demüthigende Gefühl davon, daß er der Hülfe des Andern bedürfe und in einem solchen Zustande gewesen, das nicht selbst zu wissen. Aber wenn wir hiebei stehen bleiben, und auf unsre eigne Erfahrung und das ganze Gebiet der Betrachtung hinsehen, so werden wir nicht läugnen können, es ist in dem: halt still, Bruder, daß ich dir den Splitter aus dem Auge herausziehe, in den meisten Fällen etwas von verkehrter Selbstgefälligkeit darüber, daß wir seine Fehler wahrgenommen haben, die er selbst nicht hat bemerken können; ja, noch weiter laßt uns zurückgehn; wenn das wahr ist, daß wir der Fehler der Andern inne werden in den Ausbrüchen derselben in dem geselligen Leben und dem, was für Andre und für uns selbst daraus hervorgeht, so müssen wir sagen, daß wir gar oft und in mancherlei

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 6,41–42

5

10

15

20

25

30

35

40

425

Fällen zu einem solchen Beistande nicht angetrieben werden durch den reinen Grund, daß der Verkehrtheit unter den Menschen möge weniger seyn, sondern dadurch, daß die Nachtheile, Uebelstände und Anordnungen, die in der Gesellschaft dadurch entstehen, verhütet werden. Und so sehen wir ein doppeltes Gebrechen, das sich hiebei einschleicht und wovon wir sagen werden, daß jeder mehr oder weniger seinen Theil daran hat. | Es ist auf der einen Seite nicht der reine Sinn für die Wahrheit, was uns antreibt, zu dem Andern zu sagen: halt still, daß ich dir den Splitter aus deinem Auge ziehe, auch nicht die reine Liebe zum Guten, sondern auf der einen Seite die Freude, daß wir mehr gesehen haben als er, und auf der andern, nur die Absicht und das Verlangen, etwas zu thun, um das ganze Leben im Allgemeinen zu erleichtern und mancher nachtheiligen Folge vorzubeugen, die uns selbst können unbequem werden, das uns dazu treibt, als daß es reine Liebe wäre für den innern Zustand unsrer Brüder. Und auf das Erste ganz besonders, aber auch auf das Zweite geht das Wort des Erlösers: Du Heuchler! Denn freilich, wer dafür angesehen seyn will, als würde er nur getrieben durch den Sinn für die Wahrheit und die reine Liebe zum Guten, aber es wäre eine Selbstsucht und Selbstgefälligkeit und ein auf das Aueßere des Lebens gerichteter Eigennutz, der ihn zu dieser That getrieben, der wird schwerlich sagen können, daß er den Nahmen nicht verdiene den der Erlöser hier ausspricht. Und so mögen wir uns das einen heilsamen Wink seyn lassen, daß, wenn es freilich wahr ist: wir sollen des Wunsches voll seyn, auch unsre Brüder von ihren Fehlern zu befreien, und wenn wir gestehen müssen, es wird uns dieß leichter, als auf unsre eignen zu merken, es unsre Pflicht ist, das Gute zu thun, was wir thun können und uns an das zu halten, was uns das Leichteste ist und so wie wir sagen müssen: es ist von diesem und jenem Verderben etwas mit dabei, so mögen wir | uns auch den Tadel des Erlösers gefallen lassen, und es mag uns dienen, daß wir recht tief in uns sehen: ob wir reines Herzens sind bei dem, was wir in Beziehung auf den Fehler unsrer Nächsten denken und thun. Nun aber laßt uns auch das Zweite kurz beantworten: Wie kommt es denn, daß der Erlöser sagt: der Mensch solle den Balken aus seinem eignen Auge herausziehen, da er das in keinem menschlichen Zustand thun kann? Das ist nicht zu läugnen, es ist der innerste Grund unsres Glaubens an die Wahrheit unsres Verhältnisses zwischen dem Erlöser und uns; wenn es irgend wahr wäre und denkbar, daß der Mensch sich selbst könne von seinen Fehlern befreien, wobei vorausgesetzt wird, daß er sie selbst durch sich inne werden könne: dann wäre die ganze göttliche Anstalt zur Erlösung des Menschen nicht nöthig; jeder wäre an sich selbst gewiesen, und, wäre dieses eine allgemeine, menschliche Schwachheit, daß jemand weniger im Stande wäre, seine Fehler zu sehen, so wäre jeder an den andern gewiesen. Dieß letztere ist aber auch jetzt noch, und, wenn wir das Verhältniß, das der Erlöser im Auge hat, betrachten aus dem Gesichtspunkt der brüderli-

57v

58r

426

58v

59r

Am 12. Juli 1829 früh

chen Liebe, so würden wir sagen: das liegt einmal in der menschlichen Natur, daß der Mensch die Fehler der Andern eher sieht als seine eignen, wie das geistige Auge eben so wie das leibliche nach außen gerichtet ist. Dafür hat aber der andre auch ein Auge, und so müssen wir überall, jeder, dem andern, seine Fehler | zu erkennen zu geben suchen und jeder, dem andern Hülfe zu leisten, daß er sich davon befreie. Wo die Stimme der Liebe vernommen wird, wo es dem Menschen darum zu thun ist, von seinen Fehlern frei zu werden, da wird er sich dem Zuge der Liebe hingeben und so wird jedes erleuchtete Auge dazu beitragen, das wahr zu nehmen an Andern, was der Gemeinschaft des Menschen mit Christo nicht gemäß ist und die Kräfte, die durch den göttlichen Geist in ihm geweckt sind, anwenden, Andern fortzuhelfen in der christlichen Vollkommenheit. Jeder wird aber selbst einsehen, daß er der Hülfe Andrer bedürfe, ihm zu zeigen, was er selbst nicht sehen kann und daß sie ihre Kräfte daran setzen, daß auch er befreit werde von dem, was in ihm unvollkommen ist. So ist es, m. gel. Fr., das ist das Wesen der Verbindung, die der Erlöser zu stiften gekommen war; es ist das Licht, das die Welt erleuchtet und auch uns in eben diesem Bestreben leuchten muß. Wenn wir sein Licht nicht einsaugen, so werden wir auch die Fehler der Andern nicht sehen, wie sie sind, denn so, wie sie sind, sehen wir sie nur in seinem Lichte; wir werden auf der einen Seite nicht verführt werden durch das, was im menschlichen Leben verwirrt, sie für schlimmer zu halten, als sie sind, auf der andern, von einem Betruge des menschlichen Herzens ausgehend, das nicht gelinder vorstellen, wovon wir einen Verdacht haben, daß es auch in uns sei, wenn wir das Licht von dem einsaugen, der Licht und Wahrheit ist, und dadurch in den Stand gesetzt werden, in seinem Lichte alles Menschliche zu sehen wie es ist. Wenn der Erlöser nun sagt: es wäre die Pflicht eines jeden, sich selbst zu|erst von den größern Fehlern zu befreien, ehe er das Seine thue, die Andern von den geringern frei zu machen, was will er uns damit zu erkennen geben? Daß der Mensch es nicht vermöge, ist die Voraussetzung aber ein andres ist das Vermögen, ein andres das Wollen. Wenn wir sagen: der Erlöser sagt, daß jeder ein Heuchler sei, der Anstalten macht, Andre von ihren Fehlern zu befreien, aber nicht die Voraussetzung macht, daß in ihm selbst nicht nur eben solche, sondern größere seien als diejenigen, in Beziehung auf welche er wirksam seyn will für Andre, so werden wir sagen müssen, daß er vollkommen recht hat. Das Licht, welches uns allein recht erleuchten kann, die Fehler Andrer zu sehen, wie sie sind, im Verhältniß zu der göttlichen Kraft des Lebens, die in denjenigen, welche den Nahmen des Herrn bekennen, verbreitet seyn soll, setzt uns in den Stand, wenn auch nicht 22–23 Betruge] Betruge ausgehend 25 Vgl. Joh 8,12; 14,6

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 6,41–42

5

10

15

20

25

30

35

40

427

unsre Fehler im einzelnen zu sehen, doch die allgemeine Voraussetzung zu machen, daß auch wir in demselben Falle sind und nicht beurtheilen können, wie das beschaffen sei, was in uns eben so als ein Fremdes ist, wovon wir müssen befreit werden, wenn wir ein gottgefälliges Leben im Reiche des Herrn führen sollen. Gehen wir von dieser Voraussetzung aus, und betrachten die ganze christliche Gemeinschaft von dem Gesichtspunkt, daß wir einen Anspruch haben auf die Hülfe Aller, die uns hülfreich seyn können sowohl was die Erkenntniß der Fehler betrifft, als die Mittel, uns davon zu befreien, und leisten nur die geringen Dienste, | die jeder kann und zwar auf solche Weise, daß wir uns auf’s neue prüfen: ob es das rechte Licht sei, in welchem wir gegenseitig unsre Fehler sehen und die wahre, hülfreiche Hand der Liebe, welche uns davon zu befreien sucht, dann wird die Voraussetzung ganz verschwinden, die der Erlöser hier macht. Darum steht das Wort des Herrn auch in Verbindung mit andern, welche ich nicht gelesen habe: „Kann ein Blinder einem Blinden den Weg weisen?“ – Das ist das Wort, welches auf den allgemeinen natürlichen Zustand des Menschen zurückgeht. Und dann sagt uns der Erlöser, daß in diesem andern davon die Rede ist, daß er könne den Splitter sehen, wie er ist, noch davon, daß er ihn herausnehmen könne, daß hier gar nichts sei, was einer dem andern PmachenS könne, sondern „sie sollen beide in die Grube“. Wenn wir uns die menschliche Gesellschaft denken in diesem Zustande, so kann nur eines das andre verschlimmern, die Selbstgefälligkeit des Einen rügt den Andern, daß er keine Hülfe annehmen will, und die Verblendung macht den Zustand einer jeden Seele übler und so sehen wir nichts als den Wachsthum des Bösen von allen Punkten aus, und auf alle Weise. Dagegen denken wir uns in der Gemeinschaft, welche der Erlöser gestiftet hat, so sehen wir das Licht und den Schatz, des göttlichen Wortes und das Allen vorschwebende Bild des Erlösers als des ewigen göttlichen Wortes. Und das ist das Licht das Allen leuchtet, das strahlt aus jedem Auge heraus | wie es der Natur der Sache nach nach außen gerichtet ist. Aber wenn wir überlegen, wie wir in die Gemeinschaft der Christen gekommen sind, wenn uns gegenwärtig ist, was der Zweck derselben sei: so müssen wir auch von der Voraussetzung ausgehen, daß ohne seine Hülfe auch wir nicht würden auf irgend eine Weise auf den rechten Weg kommen und dem Guten zugelenkt worden seyn. Wir machen die Voraussetzung daß auch in uns die menschliche Gebrechlichkeit ihr Wesen treibt und haben einen Anspruch an die Liebe der Andern, uns auf das göttliche Wort und auf das Bild des Erlösers zu leiten, daß wir die Fehler finden müssen, die sie uns bemerklich machen können, und daß alle Kräfte in Anwendung gebracht werden, das Verkehrte und Unrechte wegzuschaffen. So sehen wir wie nur von dem Punkte aus eine Verbesserung der Menschen ausgehen 15–16 Lk 6,39

20–21 Lk 6,39

59v

60r

428

60v

61r

Am 12. Juli 1829 früh

kann, wie aber davon aus auch alles verschwindet, was eigentlich Gegenstand des Tadels des Erlösers ist, und wie es die Christen nur betrifft, sofern sie das noch nicht ganz sind, was sie seyn sollen, sofern der natürliche Zustand des Menschen und am meisten in der Art, wie wir Andre und uns selbst beurtheilen, nicht aufhört, sondern fortdauert. Wohlan, m. gel. Fr., so ist uns auch hier die ganze Wahrheit der Beschaffenheit des menschlichen Herzens aufgedeckt, und wir sind auf diesem | Wege gewiesen an den gemeinsamen Führer und die gemeinsamen Kräfte, auf die allein wir uns verlassen können. Aber auch darin ist uns das rechte Bild der christlichen Liebe und Selbsterkenntniß aufgestellt, daß wir sagen können: so ist es, jeder muß seine Zuflucht zu Andern nehmen wollen und im Spiegel des göttlichen Wortes recht erkennen, wie er beschaffen ist, und beides muß in Anwendung gebracht werden, wenn es im menschlichen Leben besser werden soll und wir werden jeden Augenblick gern bereit seyn, jede Hülfe anzunehmen und zu leisten, wenn wir wissen, daß wir unser Auge nicht nur für uns selbst haben, sondern auch für Andre, aber nur in dem Maaße geschickt werden, etwas zur allgemeinen Besserung beizutragen, als wir uns der Gesammtheit der christlichen Gemeinschaft hingeben, zu sehen, wie wir sind und das zu thun, was keiner selbst vermag, das herauszureißen, was im Spiegel des göttlichen Wortes als verkehrt erscheint. So laßt uns wachsen und zunehmen in dem brüderlichen Vertrauen und in der brüderlichen Liebe; dann werden wir auch die Wahrheit davon einsehen, wie wirksam dieselbe ist, uns eine rechte Selbsterkenntniß zu erwerben und dem Guten Hülfe zu schaffen, daß es wachsen könne auf alle Weise, aber auch das nicht vergessen, | daß kein Blinder dem andern den Weg weisen kann, daß alle rechte Erkenntniß und Hülfe nur ausgehen kann von dem, der uns allein das Licht ist, der Weg und die Wahrheit. Amen!

25–26 Vgl. Lk 6,39

27 Vgl. Joh 8,12; Joh 14,6

5

10

15

20

25

Am 19. Juli 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

5. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 5,4–6 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 94, Bl. 1r–3v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

Schleiermachers Predigten 19. Juli 1829. Worauf es bei dem Segen, dessen wir uns in unserm irdischen Beruf zu getrösten haben, ankommt? 5

10

15

Tex t : Luc. V,4–6. „Und als er hatte aufgehört zu reden, sprach er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werfet die Netze aus, daß ihr einen Zug thuet. Und Simon antwortete und sprach zu ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen. Und da sie das thaten, beschlossen sie eine große Menge Fische und ihr Netz zerriß.“ Ich habe diesen, Allen bekannten Abschnitt nur so weit gelesen, als ich Eure Aufmerksamkeit darauf lenken will, damit nicht das Folgende uns von der Betrachtung desselben abziehe. Es ist hier die Rede von dem Beruf den Simon und mehrere Jünger des Herrn hatten zu der Zeit, als sie seine Bekanntschaft machten, und auch noch später bis nach den Tagen seiner Auferstehung, und indem wir hier gleich auf die Wechselfälle in diesem irdischen Leben aufmerksam werden, wollen wir darüber reden, worauf es bei dem Segen, dessen wir uns in unserm irdischen Beruf zu erfreuen ha2 19.] 10. 1 Die Überschrift bezieht sich auf diese und alle darauffolgenden Nachschriften Pommers in SAr 94.

1r

430

Am 19. Juli 1829 vormittags

ben, ankommt? Wir müssen hierbei zweierlei zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen. 1. den irdischen Beruf von und für sich und 2. wozu uns die verlesenen Worte genugsam auffordern den Zusammenhang unseres irdischen Berufes mit dem Höheren und Geistigen.

1v

1. Fragen wir nun, worauf es ankommt bei den Segnungen des irdischen Berufs? so scheint es, als ob unser Text uns nur auf das Seltene und Außerordentliche hinweise, nur auf das, worauf zu rechnen, wir kein Recht haben; doch genauer betrachtet erläutert er uns den ganzen Umfang dieses so wichtigen Theils unseres irdischen Lebens. Zuerst lernen wir aus demselben, wie das gehörige Maaß von Fleiß und Thätigkeit, angewendet nach der natürlichen Ordnung der Dinge, die erste Grundlage sei zu allem Segen, den wir von demselben erwarten können. So konnten die Jünger als der Herr zu ihnen sagte: „Fahret hinaus auf die Höhe und werfet eure Netze aus“ mit gutem Gewissen sagen: „Meister wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Die Nacht nämlich war nach den Verhältnissen jener Gegenden, die ihrer Thätigkeit angewiesene Zeit, so wie sie denn überhaupt die Arbeitszeit der Fischer ist; und die Jünger konnten sich das Zeugnis geben, daß sie fleißig gearbeitet, doch hatten sie nichts gefangen. Nach der Arbeit nun hatten sie ihre Morgenruhe gehalten | und darauf bereiteten sie sich, indem sie ihre Netze auswuschen, zu neuer Arbeit vor. Dieses Mal jedoch war das gewöhnliche Maaß ihrer Treue unbelohnt geblieben und es wird keinen irdischen Beruf geben, in dem wir nicht auch diese Ungleichheit antreffen, so daß wir sagen müssen, sie gehöre mit zu der göttlichen Ordnung. Freilich sind alle Menschen in ihrem irdischen Beruf, der sie anweist, daß sie sich sollen zu Herrn der Erde machen, gebunden an die Ordnung der Welt, an den Wechsel der Tage und Jahreszeiten, und darum giebt es auch für jeden menschlichen Beruf dieser irdischen Natur eine solche allgemeine Regel, eine bestimmte Zeit und Ordnung, ein Maaß von Treue und Arbeit nach Beschaffenheit der Sache, welche der Mensch an dieselbe zu wenden hat; aber doch begegnet uns eine solche Menge von unregelmäßigem Wechsel, daß dieser uns oft das Maaß zu überschreiten scheint, und wir, das Vorige vergessend sagen, eine solche Ungleichheit sei uns noch nicht vorgekommen. Eben eine solche Verschiedenheit findet sich aber auch in dem Erfolg der Arbeit, wie wir es auch in dem Evangelium erblicken. Dafür giebt uns der Herr anders wo eine Regel, und die Apostel müssen ihr hier gefolgt sein, sonst hätten sie nicht so ruhig über das Mislingen ihrer Arbeit geredet. „Sorget nicht für den anderen Morgen, es ist ge3 von und für sich] Kj an und für sich 38–1 Mt 6,34

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 5,4–6

5

10

15

20

25

30

35

40

431

nug, daß jeder Tag seine eigene Plage habe“ ruft uns der Herr zu, und das, was er hier unter „Plage“ versteht ist die Mühe und Arbeit, die der Mensch auf seinen irdischen Beruf wenden muß. Saget er nun, wir sollen nicht für den andern Morgen sorgen, es sei genug, daß jeder Tag seine eigene Plage habe, so weist er uns darauf hin wie unser Geschäft an die Ordnung der Natur gebunden ist; an diese sollen wir uns halten, und auf sie fest vertrauen. Diese Regel kann aber nur der befolgen, der zugleich das andere Wort des Herrn ausübt: „Trachtet zu erst nach dem Reich Gottes, so wird euch das andre alles zu fallen.“ Daß der Mensch seinen Fleiß an seinen irdischen Beruf wendet, das gehört zum Reich Gottes; denn es gehört dazu, daß er ein gutes Gewissen habe, und die so gesinnt sind, sind auch mäßig in dem Gebrauch der irdischen Güter, und wer sich an diese Genügsamkeit hält, der kann auch überzeugt sein, daß ein Tag den andern ertragen wird. So klagten denn auch die Jünger nicht, daß sie schon an diesem Tage wegen der mislungenen Arbeit Hunger gelitten hätten. Wie wenig sie durch jenen Erfolg waren mismütig geworden, sehen wir aus der Bereitwilligkeit mit der sie dem Herrn, dem sie noch nicht näher verbunden waren, ihr Schiff einräumten, damit er sich dessen bedienen, und aus demselben das Volk bequem lehren könne; denn ist der Mensch nieder gedrückt, so ist er auch nicht geneigt, sich um fremde Angelegenheiten zu kümmern. Halten wir nun gegen einander die Art, wie die scheinbaren Unregelmäßigkeiten in den Veränderungen der Dinge unsere Mühe nicht täuschen solle, und dann den festen Grund, auf den alle | irdische Arbeiten, die zum Wohl der Menschen wirken, gegründet sind, und wie sie alle ihre bestimmte Ordnung haben, so müssen wir es dabei bewenden lassen, daß ein regelmäßiger Fleiß die Grundlage ist von allem göttlichen Segen. – Nun aber ereignete sich in dieser Beziehung etwas Außerordentliches bei den Aposteln. Wie der Herr sie auffordert sie sollten auf die Höhe fahren, und sie ihm, wie wir aus ihren Worten schließen müssen, mit wenig Vertrauen, aber dennoch gehorchten; worauf beruhte der außerordentliche Segen der ihnen zu Theil wurde? Wir können uns diese Frage nicht einfach und bestimmt beantworten, weil die Erzählung uns nicht sagt, ob etwas Wunderbares in diesem Gelingen war oder nicht, und wir wollen dieses daher bei Seite lassen und uns daran halten, was wir wissen, und was auch in unserm Beruf uns oft vorgekommen ist und vorkommen wird. Zuerst die Zeit, in der der Herr zu seinen Jüngern sagt, sie möchten auf die Höhe fahren, und ihre Netze aus werfen, war eine solche wo man meist nicht zu fischen pflegt. Diese Eintheilung der Zeit beruht auf der Erfahrung, und der Herr forderte sie also zu etwas auf, was mit der Erfahrung nicht stimmte, und er selbst übte doch diesen Beruf nicht aus. Also ist das ein Beispiel davon, wie oft es heilsam ist, dem Rath derer zu folgen in unserm Beruf, die ihn selbst nicht ausüben. 8–9 Lk 12,31

2r

432

2v

Am 19. Juli 1829 vormittags

Das scheint freilich sonderbar, aber gewiß ist eine Menge lehrreicher Erfahrungen Bürge dafür. Es ist nur zu wahr, daß, jemehr sich der Mensch mit einer Sache beschäftigt, um so mehr kommt er auch in eine bestimmte Art sie zu verrichten, und fragt man nun die Menschen, warum sie das so, und das so betreiben, so können sie oft keine Rechenschaft davon geben. So bilden sich oft Regeln und Gewohnheiten in dem Leben, die den jetzigen Umständen nicht mehr angemessen sind, und die aus Zeiten herrühren, wo noch eine unvollkommnere Erkenntniß herrschte. Da geht denn oft besserer Rath aus von dem, der diese Geschäfte nicht ausübt, aber alle menschliche Dinge mit einem freien, scharfen, beobachtendem Blick ansieht; so daß wir wol sagen werden, es gehöre mit zu der göttlichen Ordnung, daß der größt mögliche Umlauf der Einsicht über alle menschliche Gegenstände sich bilde, und ein Jeder sei neben seiner Berufstreue auch dazu berufen, allem solchen Rath Gehör zu geben, von dem etwas Besseres ausgehen kann. So sagten die Jünger, obgleich sie ihr Bedenken hatten, daß sie auf sein Wort hingehen wollten, und wir sehen an ihrem Beispiel, wie es wol gelingen kann, wenn Einer fremdem Rath folgt, auch wenn er noch nicht die rechte Einsicht in derselben hat. Freilich wären die Jünger einem fremden Rath gefolgt während der Zeit ihrer Arbeit gegen ihre Ueberzeugung, so wäre das bedenklich gewesen, aber hier kam es darauf an einen Theil der Zeit der Ruhe daran zu wenden. So entstand ihnen der Segen und so entsteht | er in dem ganzen menschlichen Leben einmal von der Betrachtung Anderer und dann auch von der Geneigtheit der Menschen, ihrem Rath zu folgen, sei es auch nur, um ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zu beweisen. – Sehen wir dieses nun noch von einer anderen Seite an. Die Jünger hatten die ganze Nacht gearbeitet, und daher waren ihre Kräfte erschöpft, wie denn das die Bedingung aller menschlichen Thätigkeit ist. Nun hatte der Herr auf ihrem Schiffe gelehrt und sie hatten ihm zugehört; denn hätten sie ihn dessen nicht werth geachtet, so hätten sie ihn auch wol nachher nicht in ihrer eigenen Sache gehört. Besonders, da er ihre Kräfte in Anspruch nahm. Als aber der Herr ihnen den tröstenden Zuspruch that, war dieses einer von Einem mit frischem Muth an Solche, die an dem Rande ihrer Kräfte waren, und dieser frische Muth theilte sich ihnen mit, und darauf hat denn auch der Segen beruht, den sie geerndtet. Das ist ein Zweites außer jenem, wodurch uns in unserem Beruf der Segen zu Theil wird. Es ist eine herrliche Sache um einen freien, fröhlichen, freundlichen Umlauf der Gemüthsstimmung, und die Wirkung, die der Eine auf die Andern in einem freundlichen Verkehr aus übt. So wie Gott die Gaben verschieden vertheilt hat, daß jede sich zum allgemeinen Nutzen erweise, so hat er auch den Menschen verschiedene Gemüthsstimmungen gegeben, nicht daß jeder sich in der seinigen versitze und verstiere, sondern daß die eine auf die andere wirke. Wo nun Einer einem Erschöpften zuruft, noch einmal Muth zu fassen, und das Werk zu beginnen, und wenn wir einem solchen Zuruf

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 5,4–6

5

10

15

20

25

30

35

40

433

Gehör geben, davon hängt ein großer Theil des Gelingens menschlicher Arbeit ab. Also sehen wir bloß auf unsern irdischen Beruf, so haben wir zwei Bedingungen, unter denen wir Segen von demselben erwarten können, 1. die Treue in unseren Bemühungen nach den fest stehenden Bedingungen des Lebens. 2. unsere Bereitwilligkeit, auf den Rath Anderer zu hören, und so ermuntert auch das gewöhnliche Maaß von Kräften zu überschreiten. 2. Sehen wir nun auf den Zusammenhang unseres irdischen Berufs mit unserem geistigen und höheren, und was für ein Segen für den ersten aus diesem hervorgeht. Hier zeigt uns unsere Geschichte: Als viel Volks sich um den Herrn versammelt hatte, so daß er nicht eine feste und ruhige Stellung gewinnen konnte, um seine Gedanken auseinanderzusetzen, und als er diese Fischer sah, die doch auch nicht müßig waren, und er sich an sie wendete, so gaben sie ihm Gastfreiheit auf ihrem Schiff, und räumten es ihm ein, um es zu seinem Beruf zu gebrauchen. Dieses aber war ein geistiger Beruf, und also sehen wir hier eine Dienstbeflissenheit, die die Jünger in ihrem irdischen Beruf dem geistigen des Herrn leisteten. Wie weit sie ihn damals als den anerkannten, der ihnen verheißen war, und als welchen sie ihn nachher kennen lernten, wissen wir nicht, und wir haben hier nur zu denken | an die Achtung vor der Gastfreiheit, die sie seinem geistigen Berufe in dem Gebiete ihres irdischen gewährten. Wenn nun oft gesagt wird, daß wir hier auf der Erde nur Pilger sind, so gilt das nicht allein von dem irdischen Leben überhaupt, sondern von unserm geistigen Beruf ganz besonders. Der irdische Beruf ist nur der, daß die Menschen sich zu Herrn machen sollen über die Natur; aber daß der Mensch angeleitet werde, auf der Erde das Höhere zu suchen, das ist der geistige Beruf. Jener ist in dem eigentlichen Besitz aller menschlichen Kräfte und Hülfsmittel; alle Vertheilungen der menschlichen Dinge, alle Ordnung der Gesellschaft bezieht sich auf diesen, und er hat hier seine Heimath mit vollem Rechte; der geistige Beruf ist ein Gast, ein Fremdling auf der Erde, und zu seiner Ausübung nimmt er die Gastfreundschaft der irdischen Dinge in Anspruch, und diese müssen ihn unterstützen. Geschieht das nicht, und findet er in den Verhältnissen der Gesellschaft, in den Einrichtungen des Lebens, und in den Gesetzen der Staaten keine Unterstützung, dann freilich ist auch wenig von ihm zu erwarten. Gott selbst hat diese Abhängigkeit gegründet, damit sich offenbare, wie die Menschen das Geistige achten und schätzen; thun sie das Irdische willig auch zur Hülfe des Geistigen, dann wird der geistige Beruf in der Mitte einer solchen Gesellschaft sich wohlbefinden, und zu einer heilsamen Wirksamkeit gelangen. Wird davon aber nicht auch auf den irdischen ein Segen überfließen? Das lehrt uns unser Text freilich nur als Ausnahme, aber der einzelne Fall ist doch ein Sinnbild einer großen Regel. Nämlich so 36 auch] auf

3r

434

3v

Am 19. Juli 1829 vormittags

ist es: Je mehr Achtung die Menschen Allem, was zum geistigen Leben gehört, weihen, um desto freier werden sie von dem Dienst des Irdischen, gewöhnen, sich es nur als Mittel anzusehen und so machen sie sich am Meisten die Genügsamkeit zu eigen, die am sichersten schützt gegen die Uebel, die aus der Veränderlichkeit und Unbeständigkeit der menschlichen Dinge entstehen, und so werden sie geschickt, den geistigen Einfluß aufzunehmen von dem der Segen über die irdischen Dinge kommt. Als die Jünger dem Herrn ihr Schiff geöffnet, da war es nur ein Ausdruck der natürlichen Dankbarkeit, daß er ihnen nun mit seinem Geistigen auch wollte behülflich sein für ihr Irdisches. Die Forderung, die er machte, war größer, als die erste; denn sie sollten ihm nicht nur ihr Schiff einräumen sondern auch ihre Thätigkeit anstrengen zu einer ungewohnten Stunde. Was hat sie denn nun vermocht, ihm zu folgen? Man könnte sagen, daß das wol auch ein Anderer gethan hätte, wenn ihn die Aufforderung in einer günstigen Stimmung antraf; aber bei ihnen geschah es doch in einem andern Sinn. Indem sie durchdrungen waren von Ehrerbietung gegen ihn, und geneigt zu einer solchen Demüthigung des Herzens, wie nachher Petrus sie ausspricht, so war es ein Ergriffensein von dem Geistigen, was sie zum Gehorsam gegen den Herrn stimmte. So ist es denn auch überall, daß, jemehr wir von dem Geistigen durchdrungen sind, um so mehr kann uns | eine solche Stimme, die uns über das gewöhnliche Maaß unserer Kräfte führt, als eine göttliche erscheinen, wenn sie uns im Zusammenhang mit einem solchen geistigen Beruf, wie der Herr ihn eben vollbrachte, begegnet. So war es denn auch bei den Jüngern, daß sie nicht etwa in der Hoffnung auf Gewinn – denn sonst wären sie nachher durch den Erfolg nicht so überrascht gewesen – dem Herrn gehorchten; sondern weil sie nicht anders konnten als einer Stimme, die so zu ihnen geredet, folgen, und dieses war der eigentliche Grund ihres Betragens. Gehen wir nun zum Schlusse über die verlesenen Worte hinaus, so sagt der Herr weiter: „Nun laßt eure Netze, denn nun sollt ihr Menschenfischer sein“, und gleich als ob es ein Denkmal sein sollte an den Beruf, in dem er sie getroffen und als ob ihn selbst das ergriffen hätte, so hat er sich nachher oft dieses Wortes bedient, um ihre Thätigkeit in dem Reich Gottes zu bezeichnen. Freilich kannte er der Herzenskündiger die Tiefe ihrer Liebe, und wir können den Grund, warum er den Fischern dieses auftrug, nicht sowohl in der augenblicklichen Stimmung suchen; doch gab diese immer die Veranlassung dazu. Nach der alten Regel: „Wer treu ist im Wenigen, wird es auch im Mehreren sein“ – das Wenige aber ist der irdische Beruf, das Mehrere der geistige – ist auch der Herr mit seinen Jüngern verfahren, und diese Regel hält auch immer in dem Leben. Wer nicht treu ist in dem Irdi16–18 Vgl. 1Petr 5,5–6 Lk 16,10

30–31 Vgl. Mt 4,19

34 Vgl. Apg 15,8

37–38 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 5,4–6

5

10

15

435

schen, kann es auch nicht in dem Geistigen sein; aber von dem der Herr sieht, daß er nicht nur das gehörige Maaß der Kräfte an den irdischen Beruf gewendet hat, sondern daß er auch gern dem geistigen Beruf dient, ein solcher ist geeignet um dem Herrn zu dienen in dem Reich Gottes. Dieses gilt auch noch für uns. Unser irdischer Beruf sei welcher er wolle, so wird der erste Anspruch zum Dienste des geistigen zu gelangen dadurch erworben, daß wir dem irdischen treu dienen und dem geistigen die Stelle bereiten. Das kann ein Jeder, jeder gehört einem Beruf oder einem Hauswesen an, und da kann ein Jeder treu sein, und in dem Maaße als wir würdig sind in dem irdischen, wird der Herr uns auch für den geistigen würdig halten, und uns auswählen, die Menschen zu fangen für das Reich des Friedens und der Liebe. Und so laßt uns denn, m. a. Fr! immerdar beides verbinden, daß das Eine sei für das Andere, und das Eine durch das Andre, dann können wir sagen, daß wir schon hier in dem Himmel wandeln, daß wir dem Rath dessen folgen, der die, so sich von ihm stärken lassen, auch aussondern will, damit sie ihre Brüder stärken. Amen.

5 irdischer] irdische

7 Stelle] Kj Stätte

Am 26. Juli 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

6. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 1,22 Nachschrift; SAr 94, Bl. 3v−5v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 68, Bl. 63r−64r; Woltersdorff Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

26. Juli. 1829

3v

Tex t : 1 Petri I, 22. „Und machet keusch eure Seelen im Gehorsam der Wahrheit durch den Geist, zur ungefärbten Bruderliebe, und habet euch unter einander brünstig lieb aus reinem Herzen.“

4r

Das Gebot der Bruderliebe, welches uns der Apostel hier giebt, und das er als ein so ernstes und wichtiges darstellt, scheint uns doch eigentlich gar kein Gebot, sondern vielmehr ein Trieb, dem wir von selbst folgen; denn | die Natur weist uns unmittelbar an die Werke der Liebe, und bei dem Allen inwohnenden Bewußtsein der allgemeinen Verwandtschaft und Zusammengehörigkeit der Menschen giebt es gar keine Grenze für diese natürliche Liebe. Dennoch sagt der Herr, daß es ein neues Gebot sei, welches er seinen Jüngern gebe, daß sie sich unter einander lieben, und auch in unserem Text ist es die ungefärbte Bruderliebe zu der die ganze Ermahnung hinführt. Daß aber der Apostel weit entfernt war, dieses als so natürlich und sich von selbst verstehend in dem Menschen anzusehen, zeigen uns seine Worte, vielmehr ist ein großer Nachdruck in allem Einzelnen, was vorhergeht, um zu dieser ungefärbten Bruderliebe zu führen. Was daher ist für ein Unterschied zwischen der natürlichen Liebe, und der, von welcher hier der Apostel spricht, zu der wir unsere Seelen erst sollen keusch machen im Gehorsam der Wahrheit durch den Geist? 1 Juli.] möglicherweise Abk. für Julius 12–13 Vgl. Joh 13,34

5

10

15

20

Predigt über 1Petr 1,22

5

10

15

20

25

30

35

40

437

Betrachten wir die Worte, mit denen der Apostel anfängt, so liegt in dem: „Machet eure Seelen keusch“ ganz bestimmt die Richtung seines Gedankens. Dieses Wort bezieht sich ganz eigentlich auf die Liebe, aber sobald diese auf die Sinnenlust ausgeht, so ist das die unkeusche, und sagt der Apostel: „Machet eure Seele keusch“, so meint er damit eine Zurüstung, daß die Liebe frei sei von allem Sinnlichen, und eben so von aller Beziehung auf uns selbst; denn jede Nebenabsicht, die sich unter dem Schein der Liebe verbirgt, ist immer eine Unkeuschheit der Seele, und sagt der Apostel, wir sollen unsre Seelen keusch machen zur ungefärbten Bruderliebe, so meint er damit eben die, von welcher der Herr sagt: „Ein neues Gebot gebe ich euch“. Er sagt aber weiter: „Liebet euch unter einander mit der Liebe, mit welcher ich euch geliebet habe.“ Also seine Liebe stellt uns der Herr als Muster auf, mit eben dieser reinen, keuschen, uneigennützigen Liebe, die nichts anders sucht, als das Wohl des Gegenstandes, sollen auch wir unsere Brüder lieben, und so wie seine Liebe das ganze menschliche Geschlecht umfaßt, und das ganze menschliche Geschlecht selig machen wollte, so läßt auch die Bruderliebe sich nicht anders denken, als wenn sie Alle theilhaftig zu machen sucht der Segnungen Christi. Daher sagt auch der Apostel, wir sollen unsere Seelen keusch machen im Gehorsam der Wahrheit. Was ist diese Wahrheit? Wenn wir die Bücher unseres neuen Bundes aufschlagen, so finden wir immer auf eine und dieselbe Wahrheit gewiesen, und das ist das, was Paulus sagt: „Darin preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß er seinen Sohn für uns gegeben hat, da wir noch sündigten.“ Diese Offenbarung der Liebe Gottes in Christo ist die Nachricht, von der alle Lehren Christi und der Apostel ausgehen, auf der der Grund der Christlichen Kirche ruht, und auch Johannes sagt „Also hat Gott die Welt geliebet, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß Alle die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ und das ist auch | die Wahrheit, die hier der Apostel meint, und zu deren Gehorsam er uns auffordert. Gehorsam aber, m. a. Fr! deutet immer auf eine Thätigkeit des Menschen aber auf eine solche, die von ihm für sich allein nicht würde ausgegangen sein, wozu er erst getrieben ist durch eine mächtige, gebietende Stimme, und daß er dieser nach giebt, das ist der Gehorsam. Anders wird auch die Wahrheit des Evangeliums nie vorgetragen. Bewährt Gott seine Liebe dadurch, daß er seinen Sohn in die Welt gesandt hat, so wird, indem wir die Stimme dieser Wahrheit annehmen, zugleich die Kraft der Liebe in uns ausgegossen, und etwas anders hat die Liebe nie verstanden unter dem Gehorsam gegen die Wahrheit. Nimmt man diese Worte freilich außer dem Zusammenhang, so werden wir veranlaßt, an noch vieles Andre zu denken. Wahrheit ist etwas so allgemeines so umfassendes, das ganze Verhältniß des Menschen zu der Welt umspannendes, daß wir glauben, es ist ein Unendliches und 10–12 Joh 13,34

22–23 Röm 5,8

26–28 Joh 3,16

4v

438

5r

Am 26. Juli 1829 früh

der Gehorsam des Menschen gegen die Wahrheit müsse Alles begreifen, was Schönes, Gutes und Wahres in der Welt vorkommt, das Tichten und Trachten nach Allem nicht nur was uns selbst vorliegt, sondern was Gott geschaffen hat. Wie sollten wir das nun alles befassen in dem Gehorsam gegen die eine Wahrheit, die wir vorher gesehen haben? Bedenken wir, daß der Herr gesagt hat, daß wenn wir ihn sehen, wir auch den Vater sehen. Worunter nun ist jener Umfang der Wahrheit zu befassen? Doch unter die Erkenntniß Gottes; denn diese schließt in sich die Erkenntniß aller seiner Werke, am meisten die von dem Menschen, weil ihn Gott nach seinem Bilde geschaffen hat, die genauste Kenntniß dessen, was die Welt von dem Menschen zu fordern hat, weil nur der Wille Gottes es ist, dem Menschen in das Herz geschrieben, durch den er im Stande ist, Alles dieses zu erfüllen, und der Wille Gottes in dem Menschen ist eben die Erkenntniß jenes lebendigen, kräftigen Wesens in dieser Fülle. Das ist die ganze Wahrheit, wie sie uns erscheint, wenn wir mit einem frommen Herzen suchen, und der Apostel hat unter diesem Ausdruck Wahrheit nichts Geringeres nichts Einzelnes, sondern eben dieses Ganze gemeint. Darauf führen uns auch die eben genannten Worte des Erlösers, denn sonst könnte er nicht sagen, daß wir nur durch ihn den Vater kennen lernen. Das ist ja eben die Quelle aller Verkehrtheit in dem menschlichen Leben, daß sich das Licht der Erkenntniß Gottes in dem Menschen verdunkelt hat, daß er es nicht in seiner Kraft festhalten konnte, sondern, daß er abgeirrt ist nach allen Seiten hin. Fragen wir: wie und wodurch ist uns in Christo eine Erneuerung der Gotteserkenntniß geworden? Da ist das alte Bekenntniß der Gläubigen von ihm, daß er der Abglanz sei der göttlichen Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens, und daß in ihm erschienen sei die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Als er in dem Leben wandelte, erschienen freilich auch viele Spuren höherer Kräfte in ihm, doch wie sein Leben in Knechtsgestalt war, so mußten doch die Augen der Menschen auf eine ganz andere Weise geöffnet sein, als sie es waren, wenn sie einen | Abglanz der göttlichen Allmacht in ihm erkennen konnten. Doch, wie war er denn, wenn er dieses nicht war? Er war die Liebe, und diese giebt erst der Knechtsgestalt ihre Richtung, und die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater ist eben die Alles umfassende Liebe, und wie anders können wir zu einer Erkenntniß Gottes kommen, als wenn wir ihn erkennen durch die Liebe? Fragen wir nach der göttlichen Allmacht mit einem Gemüth, in dem die Richtung auf das sinnliche Dasein vorherrscht, so können wir nie zu einer wahren Erkenntniß Gottes gelangen, so bleibt es uns immer zweifelhaft, ob es mehr Erweise der göttlichen Liebe oder des göttlichen Zornes gebe. Das 6 sehen.] sehen.“ 5–6 Vgl. Joh 14,10

33 Vater] Vater,

37 Richtung] Richtung und

24–25 Vgl. Hebr 1,3

26–27 Vgl. Joh 1,14

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 1,22

5

10

15

20

25

30

35

439

ist der natürliche Gang des verfinsterten menschlichen Herzens, daß es nie kann durch sich zu einer Erkenntniß Gottes gelangen, und so sagt auch die Schrift an jener Stelle: „Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren.“ So wie uns diese Liebe in dem Bewußtsein aufgeht, und wenn es auch nur erst eine leise Ahnung ist von dem, was der Mensch durch Christum werden soll, so erkennen wir in Gott die Liebe, und der Gehorsam gegen die Wahrheit ist nur, daß die Liebe ausgegossen wird in unsere Herzen. Wohlbedächtig sagt daher der Apostel: „So machet denn eure Seelen keusch zu ungefärbter Bruderliebe,“ und in einer andern Stelle der Schrift lesen wir, wie die Liebe es ist, die in uns ruft: „Lieber Vater“, und eben dieses, daß sie der Kern ist unseres ganzen Wesens, eben dieses stete Getriebenwerden durch die Liebe ist der Gehorsam gegen die Wahrheit, von dem die Schrift überall Zeugniß giebt. Wo nun durch den Geist dieser Gehorsam gegen die Wahrheit ist, da werden auch die Seelen keusch zu ungefärbter Bruderliebe, denn es giebt keine andre Liebe, die der seinigen ähnlich wäre, als eben diese, gar nicht auf sich selbst, gar nicht auf das Irdische, nur auf das wahre Wohl der Menschen gerichtete. Wie sollten wir also nicht sagen, daß dieses der ganze Kern des gesammten christlichen Lebens sei, daß durch den Geist wir immer fester werden in dem Gehorsam gegen die Wahrheit, und daß die Seele keusch werde zu ungefärbter Bruderliebe, daß sie nicht verlange nach Anderem, daß sie nicht hinter der Liebe etwas Anderes wolle, daß sie nicht, indem sie das Höhere zu erstreben scheint, nebenbei sehe auf die Welt und sie auch das haben möchte, was seitwärts liegt. So lange in dieser Beziehung das Gemüth noch nicht ganz rein ist, so können wir auch nicht die Bruderliebe in jenem ungefärbtem Lichte darstellen, wie sie in dem Erlöser erschienen ist, und so wie wir noch nicht dazu gelangt sind, sind wir auch noch nicht fest in dem Gehorsam gegen die Wahrheit, dann unterlassen wir gewiß manches, zu dem wir würden angetrieben werden, wenn jener Geist in uns riefe: „Abba, lieber Vater.“ – So ist denn dieses Eine Gebot der ganze Weg zur Wahrheit, und die dieses Gebot befolgen, sind die, welche schon hier in | dem Glauben an ihn das ewige Leben haben; denn was soll dieses anders sein, als mit dem Bewußtsein der Liebe Gottes uns selbst und Alles, was uns umgiebt durch die Kraft dieser Liebe immer mehr zu erfüllen, was wäre die Ewigkeit anders, als die Aehnlichkeit mit dem, was Gott gethan hat? So wie Gott deshalb ewig und selig ist, weil er die Liebe ist, so wie es in ihm keinen Wechsel von Finsterniß und Licht giebt, weil er nur dieses Eine ist, so kann auch für die Menschen die Seeligkeit keine andere sein, als daß sie immer diesem Beispiel folgen, immer der Liebe nachstreben und 28 dann] denn 3–4 Röm 5,8

8 Vgl. Röm 5,5

10–11.30 Vgl. Röm 8,15

5v

440

Am 26. Juli 1829 früh

dem Gehorsam gegen die Wahrheit nachgehn und dieser macht nicht nur im Allgemeinen die Herzen keusch, sondern auch in jedem Momente sind wir überzeugt, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, und hierdurch werden wir zugleich erhoben über Alles, was der Wechsel in dem Menschen Erniedrigendes für ihn hat, und indem wir wissen, daß denen die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, so sind wir immer im Besitz aller der Güter, die wir in dem neuen Bunde erlangt haben, und gänzlich sind wir durchdrungen von dem Gehorsam gegen die Wahrheit, und von dem Glauben, der in der Liebe thätig ist. So wollen wir uns denn Einer den Andern stärken in diesem Gehorsam, damit unserer Aller Seelen keusch werden zu der wahren Bruderliebe und unsere Herzen sein ein Tempel, in dem der heilige Geist Wohnung mache. Amen.

5–6 Vgl. Röm 8,28

9 Vgl. Gal 5,6

11–12 Vgl. Joh 14,23

5

10

Am 2. August 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

7. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 6,19 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 65r–66v; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 7. S. nach Tr. 29. Röm. 6,19. Ich muß menschlich davon reden um eurer Schwachheit willen. 5

10

15

20

Mit diesem Worte beginnt die heutige apostolische Lexion die ich eben deshalb vorher vorlas damit euch der Zusammenhang dieser Worte erinnerlich sei. Aber es ist nicht etwa hier daß der Apostel anfängt menschlich zu reden, sondern schon in einer Menge vorhergehender Sätze hat er auf diese Weise geredet. Wenn er nun sagt er müsse menschlich davon reden, so wissen wir wol wie das zu verstehen sei, nemlich: menschlich reden von menschlichen Dingen bedarf keiner Entschuldigung: menschlich Reden aber von göttlichen Dingen deutet eine Unvollkommenheit an und er entschuldigt sich darüber, daß er nicht anders kann um der menschlichen Schwachheit willen: So könnten wir dann freilich meinen daß wenn es nicht solche Anfänger gewesen wären im Christenthum, an die er schrieb, wenn der Geist Gottes schon mehr gewaltet unter ihnen, und sie die Werke des Geistes gekannt hätten, dann hätte er können würdger reden; Aber gegenüber dem göttlichen Geist, von dessen Wirken und Wesen in dem Menschen hier die Rede ist, ist Alles Fleisch: also jedes Reden ist ein menschlich Reden. Der Geist des Herrn konnte und wollte sich keine neue Sprache bilden, er wäre sonst nicht vernommen worden, er hatte keine andre Sprache als die welche die Menschen vermöge ihrer Vernunft sich weiter ausgebildet haben. Wenn wir also auch annehmen, daß es der Geist Gottes war der aus dem Apostel redete, indem er wie er hier sagt menschlich redet von göttlichen Dingen, so können wir doch nicht anders als, das als das 24 als, das als das] als das, als das 4 Die Sonntagsperikope ist Röm 6,15–23.

65r

442

Am 2. August 1829 vormittags

allgemeine anerkennen; denn allgemein ist die menschliche Schwachheit, allgemein also die Nothwendigkeit unter der wir Alle stehen, daß menschlich geredet werden muß auch von göttlichen Dingen. Und alle Männer Gottes wie sehr sie ergriffen waren vom göttlichen Geist, haben nicht anders geredet. So ists ja auch mit allem reden über Gott selbst; je inniger wir mögten ausdrücken wie sich seine Offenbarung in uns regt, wie unser Verstand sie auffaßt und wie die Bewegungen unsres Herzens auf ihn sich beziehen: um so mehr finden wir, wenn wir geredet haben, daß wir menschlich geredet: je mehr wir von den hohen Eigenschaften Gottes, sie über alle menschliche stellend, also, wie wir nicht anders können, vergleichend davon reden, um so mehr merken wir, daß wir menschlich geredet. Wollen wir uns davor hüten, richten wir unsre Rede so ein, daß wir die Worte scharf abgrenzen und jedes vergleichende Bild bis ins Äußerste verfolgen: was gewinnen wir da anders als vielleicht eine genauere Rede und die Möglichkeit Missverständnisse abzuwenden, aber das Herz giebt sich weniger kund, und was so durch Ueberlegung des Verstandes entwickelt ist das geht dann auch weniger zu Herzen, als was unmittelbar daraus hervorgeht: So ists denn nicht anders und kann und soll nicht anders sein als daß menschlich geredet wird über göttliche Dinge. So laßt uns denn diese Stunde dazu anwenden, daß wir über die Nothwendigkeit menschlich zu reden weiter nachdenken. Wir wollen uns dieselbe 1. aus dem Beispiel, worauf der Apostel bei diesen Worten zunächst hinweist, recht anschaulich machen. Und hiedurch noch mehr über die Sache verständigt: 2. uns fragen was uns in Beziehung auf diese Nothwendigkeit obliegt. I. Um uns die Nothwendigkeit menschlich zu reden von göttlichen Dingen, aus dem worin der Apostel hier begriffen ist anschaulich zu machen: so laßt uns sehn was es ist worüber er redet und welches die menschliche Art und Weise seiner Rede ist. Das ist und besteht darin, daß er Erstens: das ganze Verhalten und Verhältniß des Menschen wenn er erleuchtet ist vom Geist Gottes und sein ganzes Leben ihm reicht, eben so darstellt als Dienst und Knechtschaft wie das Leben des Menschen unter der Sünde: So sagt er: als ihr der Sünde dientet waret ihr frei von der Gerechtigkeit, nun aber da ihr seid Knechte worden der Gerechtigkeit seid ihr frei von der Sünde. Was können wir wol davon sagen als das sei eine sehr menschliche Art von göttlichen Dingen zu reden; Die Knechtschaft ist nur [Zu Z. 32–35 rechts am Rand:] von seinem ganzen Leben in Gott 35–37 Vgl. Röm 6,16–18

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 6,19

5

10

15

20

25

30

35

40

443

ein Zustand in dem der Mensch wider seinen Willen ist, wie der Apostel auch sagt von den gewöhnlichen Verhältnissen der Menschen untereinander: „wer als ein Knecht berufen ist der bleibe in seinem Beruf; kann er aber frei werden so gebrauche er des viel lieber.“ Wie nun, würde er das auch gesagt haben in Beziehung auf den Dienst und die Knechtschaft der Gerechtigkeit wovon er hier redet? würde er gesagt haben es sei eine Knechtschaft und sei gut daß sich die Christen darin befänden aber könnten sie frei davon werden so sollten sie [es] wahrnehmen? Weit wäre er gewiß davon entfernt gewesen! Und indem er selbst zu den Christen sagt daß sie hindurchgedrungen von dem Dienst der Sünde der der Tod sei zu dem Leben der Gerechtigkeit würde er die auf solche Weise haben zurückführen wollen auf ihren frühern Zustand, daß sie darin eine Aehnlichkeit finden sollten mit dem Leben daß sie jezt führten wo der Geist Gottes sie trieb, sollen sie im Dienst der Gerechtigkeit eine Aehnlichkeit finden mit dem Dienst der Sünde? Gewiß nicht! – Darum weil das eine zu menschliche Weise ist die Sache zu nehmen, so redet der Apostel anderwärts entgegengesetzt davon, und der Erlöser selbst sagt zu seinen Jüngern: „so sage ich nicht mehr daß ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht was sein Herr thut: ihr seid meine Freunde“: und in Beziehung auf den Gegensatz der Knechtschaft und Freiheit sagt er noch genauer bestimmend: „so euch der Sohn frei macht so seid ihr recht frei:“ Und so wird uns also anderwärts das was der Apostel hier darstellt als Knechtschaft, unter dem schönen Namen der Freiheit der Kinder Gottes gegeben. Aber ist das etwa weniger menschlich? Der Apostel wenn er von der Freiheit geredet hat der die Christen theilhaftig seien | so fügt er ähnliches hinzu wie er hier sagt, nemlich: „aber daß euch die Freiheit nur nicht werde zum Deckmantel der Schlechtigkeit:“ und ist sich also bewußt auch das sei nur menschliche Rede und könne eben so gemißdeutet werden als die entgegengesetzte. So laßt uns fragen: was hatte er für Grund hier so davon zu reden? Er wollte den Christen zu erkennen geben daß es keinen mittleren Zustand gebe zwischen dem in der Sünde und dem in der Gerechtigkeit, wo sie es etwa weder mit diesem noch jenem zu schaffen hätten, wo sie also entweder nach eigenem Gesetz oder nach Lust und Gutdünken handelten; denn wo das geschähe da wäre keine Freiheit von der Sünde: Das will er ihnen deutlich machen, daß dahin der Mensch kommen müsse, daß er so der Gerechtigkeit lebt, daß er sagen muß er könne nicht anders, denn die Liebe Christi dränge ihn dazu: und eben dies ganz und gar auf diesem einen Wege begriffen sein, dieses mit allen Kräften dem ergeben sein und darnach streben: das nennt er den Dienst der Gerechtigkeit und will es ihnen eben dadurch recht deutlich machen da sie entweder der Gerechtigkeit dienten oder noch der Sünde. 3–4 Vgl. 1Kor 7,21 17–19 Vgl. Joh 15,15 20–21 Vgl. Joh 8,36 Röm 8,21 25–26 Vgl. 1Petr 2,16 36 Vgl. 1Kor 5,14

22–23 Vgl.

65v

444

Am 2. August 1829 vormittags

2. Was ists nun weiter worin er hier menschlich redet? Es ist die Aufforderung an die Christen „Wie ihr euch begeben hattet zum Dienst der Sünde so begebet euch nun zum Dienst der Gerechtigkeit:“ Ja auch das ist eine sehr menschliche Rede von göttlichen Dingen, es ist eine Aufforderung der Mensch soll es unternehmen den Zustand zu verlassen in dem er ist und sich in den der Christen hineinbegeben: als ob das auch eine That freien Entschlusses wäre; denn so, sagt er ihnen wie sie früher der Sünde gedient so sollten sie nun umwenden und sich durch freien Entschluß geben zum Dienst der Gerechtigkeit. Wenn das nicht eine ungenaue Rede wäre, so müßte darnach der Mensch von selbst das können[;] es wäre eine augenblickliche That aus eignem Entschluß von Innen heraus und nicht Werk des göttlichen Geistes. Was sagt aber der Erlöser hierüber? er sagt es könne niemand zum Vater kommen als durch den Sohn: und so ists auch der Sinn aller sich darauf beziehenden Worte der Schrift, daß der Mensch nicht anders kann als in Gemeinschaft des Erlösers zu dem Leben gelangen welches der Apostel meint wenn er sagt: Dienst der Gerechtigkeit: und daß diese Gemeinschaft nicht sein Werk sei das sagt der Herr in dem Wort: „es kann keiner zum Sohn kommen es ziehe ihn denn der Vater:“ so ists also nicht Sache freien Entschlusses. Und wie vielfältig finden wir, daß die Schrift über diese große Sache eben so entgegengesetzt redet wie wir eben gesehn. Ja der Apostel selbst, wie beschreibt er den Zustand des natürlichen Menschen? Er redet von einer Lust in seinem inwendigen Menschen am Gesetz Gottes, ein aufdämmerndes Wollen, sagt er, finde er wol in sich aber das Vollbringen finde er nicht; denn es sei ein Widerstreben in seinen Gliedern dagegen, und so könne er das Gute nicht thun; was er will, sondern er thue das Böse das er nicht will. Könnte der Mensch selbst eben durch reinen freien augenblicklichen Entschluß aus diesem Zustand heraus und in einen andern hinein und das wäre dann der wo er nicht anders könnte als der Gerechtigkeit leben: so wäre mit einem einzigen Willensentschluß schon alles vollbracht, die Heilgung wäre vollendet und das Werk der Seligkeit wäre nur Werk dieses einen Entschlusses: wo bliebe die Gnade und wo die Nothwendigkeit der Erlösung? Nein, das ist sehr menschlich und ungenau geredet wenn die Sache so dargestellt wird als ob der Mensch das könnte durch seinen Willen. 3. Aber es ist Eins wovon er so menschlich redet, nemlich der Zustand in welchem die Christen sich befinden wenn sie nicht mehr der Sünde dienen, sondern in That und Wahrheit im Dienst der Gerechtigkeit sind, von diesem Zustand, der doch Alles schon in sich schließt, unterscheidet er 7 denn] denn, 12–13 Vgl. Joh 14,6 17–18 Vgl. Joh 6,44 26 Vgl. Röm 7,19 37–2 Vgl. Röm 6,22

22–25 Vgl. Röm 7,22–23

25–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 6,19

5

10

15

20

25

30

35

445

wieder die Frucht daß sie heilig werden, und davon unterscheidet er noch einmal das Ende: nemlich das ewige Leben: Auch das ist eine gar sehr menschliche Rede; Denn wenn wir irgend andere Frucht suchen so müssen wir vielerlei thun, bald mehr bald weniger; aber was wir so thun um zu der Frucht zu gelangen das thun wir nicht um sein selbst willen sondern um der Frucht willen: der Landmann mit all seinen unermüdlichen Arbeiten will nicht das Arbeiten haben, aber was er will das ist die Erndte, die ihm für sich und die Seinen sein Auskommen sichert; so ist mit Allem was der Frucht wegen geschieht; Wie, und es sollte die Meinung des Apostels gewesen sein, daß wir den Dienst der Gerechtigkeit so ausübten nicht um sein selbst sondern um eines andern willen? Dies Andre ist freilich etwas Großes und Herrliches nemlich daß wir heilig werden; aber können wir das Heiligwerden und das Heiliggewordensein anders denken als im Dienst der Gerechtigkeit? Wovon kann der Mensch merken wie er ist und was ists wie er ist? es ist entweder der Dienst der Sünde oder der Gerechtigkeit und das Heiligsein äußert sich eben nur in dem Dienst der Gerechtigkeit und es ist nichts andres als dieser Dienst selbst, beides also, nemlich das Heiligsein und der Dienst der Gerechtigkeit ist Eins und dasselbe und ist gar nicht von einander zu trennen; Denn wie können wir den Dienst ausüben ohne das, daß wir schon heilig sind; denn um desto weniger wir heilig geworden sind um desto mehr wird sich die Sünde zeigen die den Dienst der Gerechtigkeit nicht zuläßt: nur in dem Maaße als wir heilig geworden sind können wir den Dienst der Gerechtigkeit verrichten, und eben so verhält sich also Eins gegen das Andre und wir können eben so wohl sagen daß der Dienst der Gerechtigkeit die Frucht sei, davon, daß wir heilig geworden sind. | Und nun unterscheidet der Apostel noch davon, das Ende, das ewige Leben und der Selen Seligkeit. Der Erlöser sagt, daß die, die an ihn glauben das ewige Leben haben: also nicht als Ende dem sie entgegensehn, sondern als Besitz dessen wir uns jezt schon erfreuen und der unmittelbar verbunden ist mit dem lebendigen thätigen Glauben an ihn in dem die Gerechtigkeit ist der wir dienen. Wie menschlich also ists geredet daß der Apostel das erst an das Ende setzt was er doch schon hatte und alle die die mit ihm gläubig waren. Wenn der Erlöser sagt von sich selbst: der Sohn thue nichts als was der Vater ihm zeige: und wenn er eben deswegen, weil er nichts anderes aus sich selbst thun könne als was der Vater thut, sagen konnte daß er und der Vater Eins sei, und wenn das eben ist die größte Segnung die er über die Seinen herabfleht in jenem hohepriesterlichen Gebet daß sie Eins sein sollten mit ihm und durch ihn mit Gott wie er Eins mit ihm ist: Wolan das 3 irgend andere] irgendere 27–28 Vgl. Joh 6,47 Joh 17,20–21

35 könne] konnte

33–34 Vgl. Joh 5,19

35–36 Vgl. Joh 10,30

36–38 Vgl.

66r

446

Am 2. August 1829 vormittags

wäre dann nicht das ewige Leben und müßte das ewige Leben sein wenn der Mensch Eins ist mit Gott! Können wir uns Größeres und Herrlicheres denken! Und doch, wenn wir sagen und uns bewußt sind: der Herr hat recht so ruft es immer wieder in uns: es ist noch nicht erschienen was wir sein werden; und so ists freilich auch; aber auch das ist menschliche Rede d. h. hier, sie ist nicht alles erschöpfend, nicht das ganze Wesen unsres Zustandes und Verhältnisses zu Christo darstellend. So sehn wir denn wie es in diesen Stücken geht, die der Apostel hier behandelt und wo es darauf ankommt das Verhältniß des Geistes Gottes in den Selen in denen er lebt zu dem in den Menschen was nicht aufhört gegen den Geist zu ringen, darzustellen: wie es in diesen Stücken geht daß wir sagen müssen wie der Apostel davon handelt, das sei menschlich geredet, so ists überall so, daß nur menschlich kann geredet werden von göttlichen Dingen. Denn selbst wenn der Apostel von seiner und seiner Genossenthätigkeit im Reich des Herrn sagt: „die Liebe Christi dringt uns also wir können nicht anders“: und also dieses Werk freier Liebe gleichsam beziehet als ein Untereinergewaltstehen: Was sollen wir da sagen, und welches Stück der christlichen Lehre sollen wir uns vorbilden worin es anders wäre! Denn eben das hier Dargestellte ist der Mittelpunkt von Allem, ists also hier so, so ists überall so, daß nur kann menschlich geredet werden; denn es ist die allgemeine Schwachheit der menschlichen Natur, es ist eben die beschränkte Kraft der Rede, welche uns nicht läßt genauer umfassender und würdiger reden von göttlichen Dingen. II. Laßt uns nun uns vorhalten was uns obliegt in Beziehung darauf was sich aus allem eben Gesagten von selbst ergiebt nemlich zuerst wie eben das Ungenaue der menschlichen Rede darin besteht daß sie immer nur eine Seite berührt von dem ins Licht gesetzt und den Menschen ans Herz gelegt werden soll [und] einiges von dem was tief ergründet werden soll. Da es nun so ist, was können wir bessres verlangen in dieser Beziehung vom ganzen christlichen Leben, als das, daß es eben so gehalten wird mit dem Reden über göttliche Dinge wie es sich mit den verschiedenen Worten des Apostels verhält, wie es sich verhält mit der Rede überhaupt von dem an der den Geist Gottes hatte ohne Maaß bis zu seinen Aposteln die ihn hatten nach dem Maaß, und bis zu allen Männern Gottes die je geredet was der Geist sie lehrte: so nemlich, daß auf allerlei Weise geredet wird von göttlichen Dingen. So wie in den Worten des Apostels bald von dem Lohn und der Frucht der Arbeit geredet wird, bald so daß Arbeit und Lohn nicht unterschieden ist und überhaupt bald so bald anders über dasselbe geredet wird wie es eben der Augenblick und das Bedürfniß giebt. Ja das wäre eine 4–5 Vgl. 1Joh 3,2

15–16 Vgl. 2Kor 5,14

37–40 Vgl. 1Kor 3,5–17

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 6,19

5

10

15

20

25

30

35

447

Sache wenn wir uns darauf könnten das Wort geben daß es so gehalten würde unter uns und wenn wir dann Alle das auch könnten verlangen daß das geschähe. Aber freilich sind wir in der ganzen Ausübung des Redens und Aufnehmens des Worts weit davon entfernt das vertragen zu können; wir verlangen es nicht, sondern hat sich Einer einmal darin eingelebt so zu reden und Reden zu hören von göttlichen Dingen wie es ihm als die rechte Weise erscheint hat er sich gewöhnt nach einer gewissen Art der Darstellung das göttliche Wort in sich aufzunehmen, dann geschieht es gar leicht daß er gestimmt wird das Göttliche nicht anzuerkennen in denen die auf andre menschliche Weise reden, indem er selbst sich nicht bewußt ist daß er eben auch menschlich redet und mit größrer Zuversicht dem nicht entgegentreten kann. O laßt uns doch das annehmen und anerkennen was aus der menschlichen Rede Göttliches uns entgegenkommt, und wenn wir merken es sei ein von dem Erlöser ergriffenes Gemüth dem die Rede entströmt so laßt uns nicht auf die Form sehn sondern daran uns halten woher auch die Apostel sagten: „wir können nicht anders wir müssen reden; denn die Liebe Christi dringt uns:“ Ja laßt uns auf diesen innern Kern der Rede sehn und finden wir den, dann sei sie Gestalt wie sie wolle, wir würden erbaut; Wenn wir uns aber irgend eine Gestalt und Herrschaft des Buchstabens aufrichten dann fallen wir in eine Knechtschaft | die sich nicht mit der Freiheit der Kinder Gottes verträgt; wir sind dann nicht im Dienst des Geistes sondern im Dienst des Buchstaben und es wird an uns wahr daß der Buchstabe tödtet. Darum gehe ein jeder in sich selbst und prüfe sich und seine menschliche Rede nicht allein sondern auch die welche grade ihm besonders zusagt, ob er auch die Spuren des göttlichen Geistes herausfinde, und leuchtet der Geist ihm belebend daraus entgegen, so freue er sich der Rede, aber so, daß er sich die entgegensetzte gefallen lasse und desgleichen Geistes wegen auch ihrer sich freue. Ist er so gebunden im Geist dann wird die menschliche Rede mit all ihrer Unvollkommenheit ihn nicht irre machen: erkennen werden sich dann alle untereinander welche Christen sind und aus der äußern Verschiedenheit wird dann sich mehr Wohllaut bilden als aus noch so genauer äußrer Uebereinstimmung. Aber zweitens laßt uns auch das nicht vergessen, daß, weil wir nicht anders können als menschlich reden und weil eben deshalb unser Reden so wenig hinreicht um auszusprechen die große That göttlicher Erbarmung und Liebe, das Reden nur Sache der Nothwendigkeit ist: und daß wir also nur wenig reden sollen und nicht anders als durch die Nothwendigkeit uns dazu bestimmen lassen sollen. Denn wenn wir uns denken ein Volk von Christen, geübt durch Leiden und Trübsal und nun dahin gelangt, daß sie 4 Worts] Worts –

5 eingelebt] eingelegt

19 Buchstabens] Buchstabe

16–17 Vgl. Apg 4,20 in Verbindung mit 2Kor 5,14

22–23 Vgl. 2Kor 3,6

66v

448

Am 2. August 1829 vormittags

abgestreift haben die Spuren der Sünde, und in Wort und Werk treu erfunden werden, so daß ihr gemeinsam Leben eine Darstellung ist des Willens Gottes, eine Darstellung des Gehorsams gegen den göttlichen Willen, werden sie sich nicht untereinander verstehen ohne Wort? werden sie nicht alle Ausdrücke des Geistes so in sich tragen, daß sie nicht nöthig haben sie sich gegenseitig in Erinnerung zu bringen und sich selbst auf besondre Weise zu vergegenwärtigen? Ja die innre Offenbarung Gottes wird dann aus Allen von selbst hervorblicken und der Mensch wird durch seine That, durch seine menschliche Rede von menschlichen Dingen selbst, sich aussprechen als geschaffen nach dem Bilde Gottes. Wo es aber noch nicht so ist da ists nöthig von göttlichen Dingen zu reden, es ist und bleibt Sache der Nothwendigkeit; denn war es etwa nicht das Werk der Nothwendigkeit daß das Wort Fleisch werden mußte? War es nicht Sache der Nothwendigkeit daß die Apostel hingingen in alle Welt und lehrten die Heiden usw. Wir fühlen die Nothwendigkeit des Redens und PinS diesem Gefühl wo es erregt wird auf besondre Weise werden wir den Menschen zurufen: „begebet euch zum Dienst der Gerechtigkeit“. Wir rufen es ihnen zu damit sie ihrer Ohnmacht inne werden, damit ihnen wenigstens das aufgeht, daß sie nichtig sind und daß nur der Geist Gottes sie gestalten kann zu einem Geschöpf Gottes; aber daß sie dann auch anfangen sich den Geist anzueignen um zum Dienst der Gerechtigkeit zu gelangen: Wie es also nur Werk der Nothwendigkeit ist so laßt uns mäßig sein zu reden von göttlichen Dingen und laßt es uns nie so ansehen als ob es ein Werk des Dankes wäre für die Gnade Gottes an uns, sondern immer nur laßt uns dazu uns angeregt werden durch die Noth. Denn ist es einmal so daß es ein Volk geben kann, das mit den Lippen nur zu Gott sich nahet aber im Herzen fern von ihm ist, o so müssen wir uns hüten einen zu großen Werth zu legen auf die Rede: die schöne, folgerechte, wohlgesetzte Rede wie oft wird sie gesprochen ohne daß sie als Werk der Nothwendigkeit erscheint und da entsteht dann die Selbstgefälligkeit, der leere Hochmuth, da entsteht eben indem der Buchstabe das Genaueste des Glaubens darstellen soll, daß der Geist durch den Buchstaben gedämpft wird. Und so laßt uns daran denken, daß es Größeres giebt als zu reden von göttlichen Dingen. Der Apostel sagt von dem höchsten Augenblick seines Lebens daß er ihn so wenig mit Worten beschreiben könne, daß er nicht wisse ob er im Leibe oder außer dem Leibe gewesen sei, er hörte unaussprechliche Worte, unausgesprochene Worte versetzen ihn in den Zustand höchster Entzückung den er nicht beschreiben kann. Und von den Christen sagt er, daß sie zwar 26 das] daß 13 Vgl. Joh 1,14 14–15 Vgl. Mt 28,19 26–27 Vgl. Mt 15,8; Mk 7,6 (Zitat aus Jes 29,13) 33–38 Vgl. 2Kor 12,2–4 38–2 Vgl. Röm 8,26

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Röm 6,19

5

10

15

20

449

in der Schwachheit des Fleisches wandeln daß aber der Geist sie vertreten wird mit unausgesprochnem Seufzen vor Gott. So ists in dem höchsten Zustand geistgen Entzückens nicht etwa ein Strom von ergreifenden Worten der ihn bezeichnet, sondern unausgesprochene Worte sinds die das Höchste ausdrücken. Und eben so in aller Schwachheit des Fleisches wird die Rede als nothwendig da sein müssen aber daneben sind die unausgesprochenen Seufzer eben das innerste geheimnißvollste sich Verkünden des Bewußtsein von Gott, des Verhältnisses mit Gott, des Lebens in Gott welches als das Höchste unsres Wesens sich nicht aussprechen läßt. Das ist das selige Wesen des Geistes aus Allen welche seiner Gemeinschaft teilhaftig sind, daran werden die Menschen erkennen und bekennen: das ist der Geist Gottes, wenn sie gleich nicht wissen woher er kommt und wohin er führt. Dahin laßt uns streben daß dies Unaussprechliche immer heller und reiner in uns werde, nicht aber durch unser Reden von göttlichen Dingen unsre Seligkeit begründen zu können meinen, oder unseren Dank beweisen zu können, sondern laßt uns nur Reden wo es noth thut und immer dabei der Unvollkommenheit unsres Redens gedenken. Und laßt uns die Bruderliebe nicht messen nach denselben Buchstaben der Rede, sondern nach der Seligkeit des Geistes, nach der Einheit die da ist das Band des Friedens durch welches sich die Gemeinde erbaut immer herrlicher von einem Tage zum andern!

11–12 Vgl. Joh 3,8

19 Vgl. Eph 4,3

Am 16. August 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

9. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Lk 16,10–11 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 94, Bl. 5v–8v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

16. August 29

5v

Wie sind die Worte des Herrn: „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu“, zu verstehen. Tex t : Luc. XVI 10–11. „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu, und wer im Geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht. So ihr nun in dem ungerechten Mammon nicht treu seid, wer will euch das Wahrhaftige anvertrauen.“ Diese Worte, m. a. Fr! folgen auf das heutige Sonntagsevangelium, welches die Gleichnißrede von dem ungerechten Mammon enthält, sie folgen als mit den dort behandelten Gegenständen sehr verwandte Aussprüche. Es muß uns aber sehr schmerzlich sein, wenn wir einen Ausspruch des Herrn lesen und finden, es hat sich unter den Christen eine Meinung und Ansicht, sei es nun erhalten von früher, oder aufs Neue verbreitet, die mit den Worten des Herrn in Widerspruch steht. Daß wer im Kleinen treu ist, es auch im Großen sein wird, das ist etwas, was wir vorauszusetzen nicht gewohnt sind, und nicht nur dieses ist es, daß es eine Verschiedenheit des Geschicks und der Verstandeskräfte giebt, so daß der, welcher das Kleine zu verwalten im Stande ist, eben so dem Großen [nicht] immer vorstehen könnte, sondern auch in Beziehung auf die Treue selbst meinen wir das, und wir haben viele Erfahrungen, wie einer im Kleinen ganz treu war; hat er es aber dahin gebracht, daß ihm das Große anvertrauet wird, so erkaltet sein Eifer, wenn er nicht noch ein größeres Ziel sich vorgesteckt hat, das er erreichen will, 9–10 Vgl. Lk 16,1–12

5

10

15

20

Predigt über Lk 16,10–11

5

10

15

20

25

30

35

451

und wenn der Eifer erkaltet so läßt er auch in der Treue nach. Eben so auf der andern Seite ist es eine | gewöhnliche Erfahrung, daß die Menschen im Kleinen den Versuchungen zu widerstehen im Stande sind; doch geht es an das Große, da werden sie überwältigt, ihr Widerstand läßt nach, und auch ihre Treue. − Das sind die allgemeinen Erfahrungen die mit den Worten des Herrn in Widerspruch stehen, doch sind diese es, woran wir uns immer zu halten haben, um unsere Erfahrungen danach zu berichtigen. Nun aber hebt der Herr diesen Unterschied ganz und gar auf denn er sagt: es ist dieselbe Treue und Untreue im Kleinen wie im Großen, wer im Kleinen treu ist, muß es auch im Großen sein. Wie hat der Herr es nun mit dieser Regel gemeint? und wie es hier auf zweierlei ankommt, so laßt uns auf dieses achten 1. was er unter Treue kann verstanden haben? 2. was es für eine Beziehung giebt zwischen der Treue und dem Unterschiede des Kleinen und Großen? Und dann werden wir wol können die richtige Anwendung von der Regel des Erlösers machen. I. Was versteht der Erlöser unter Treue? Bei Beantwortung dieser Frage kommt es uns sehr zu Statten, daß die heilige Schrift ihm selbst die Treue zu schreibt. In dem Brief an die Ebräer, wo, wie überall in demselben die Vergleichung herrscht zwischen dem Neuen und Alten Testament, auch unser Erlöser als Stifter des neuen Bundes verglichen wird mit Moses als dem, welcher das Gesetz, und so den alten Bund gestiftet hat, wird gesagt: „Und Moses war zwar treu in seinem ganzen Hause als ein Knecht; Christus aber als ein Sohn im Hause des Vaters.“ Kommt nun dem Erlöser selbst dieses zu, treu gewesen zu sein, so dürfen wir nur auf ihn sehen, auf sein Leben und sein Betragen gegen den, welchem er treu war, nämlich seinen Vater, um gewiß zu sein, was er unter Treue versteht. Was sagt er selbst nun hierüber? Er sagt: „der Sohn kann nichts von ihm selbst thun, denn was er siehet den Vater thun; denn was derselbige thut, das thut gleich auch der Sohn.“ und in diesen wenigen Worten haben wir die ganze vollständige Beschreibung seiner Treue, so daß wir sie uns nur recht vorzuhalten, und ihren Sinn uns klar zu machen brauchen, um zu wissen, was die Treue sei, die er von uns fordert. Also schon dieses, daß er nichts von ihm selbst thun kann, das ist der erste wichtige und wesentliche Punkt seiner Treue. Das Thun nämlich ist eine Sache des Willens, und Wollen und Können pflegen einander oft entgegengesetzt zu sein, und wird hier gesagt: der Sohn kann nichts thun, so könnte das als eine Verringerung seines Willens 19 kommt ... Statten] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 303 24–25 Vgl. Hebr 3,5–6

29–31 Joh 5,19

22 Bundes] Bundes,

6r

452

6v

Am 16. August 1829 vormittags

erscheinen; doch ist darunter nichts zu verstehen, als die freie Richtung seines Willens, so daß jenes heißt: er kann nichts wollen von ihm selbst thun. Dieses kann keinen andern Grund haben, als weil es zu seiner Natur gehörte, immer gerichtet zu sein auf seinen Vater im Himmel; aber ein solcher war er nicht ohne seinen Willen, sondern dieses zu sein, war sein Wille selbst, und vermöge dieses, seines Willens, konnte er nichts von ihm selbst thun, sondern nur was er den Vater thun sah. Also das Erste der Treue in solch einem Verhältniß, wie der Erlöser das seinige zu dem Vater beschreibt, ist die | beständige Richtung des Willens auf den Andern; aber in diesen Worten liegt das und der Erlöser beschreibt das so, daß der Wille des Vaters das Leitende für ihn war in seinem ganzen Leben, und so ist die Treue, die Richtung des Willens auf den leitenden Willen des Andern. Doch freilich ist es dies nicht allein, sondern, wie wir es auch nicht anders denken können, wenn wir die Richtung des Willens ansehen als den Willen dessen, der dem Andern folgt, das zweite damit verbunden ist, daß, so wie der Geist auf den leitenden Willen des Andern gerichtet ist, dieser auch, sobald er erkannt ist, vollzogen wird. Also dieses beides: die beständige Richtung des Geistes auf den leitenden Willen des Andern; und, ist dieser erkannt, die Bereitwilligkeit, ihn zu erfüllen ist das, was der Erlöser Treue nennt. – Was meint nun aber die Schrift, indem sie diese Treue von der des Moses unterscheidet? Es liegt hierin das, was der Herr anders wo zu seinen Jüngern sagt: „ein Knecht weiß nicht, was sein Herr thut!“ Der Knecht gehorcht dem Befehle des Herrn und dieser muß ihm für jeden einzelnen Fall seinen Willen kund thun, und auf diese Weise diente Moses seinem Gott; aber in dem Erlöser war zugleich mit der Richtung des Geistes auch dieses Vermögen, was ihn eben von allen anderen Menschen unterschied, den Willen seines Vaters in jedem Fall, so gewiß er wollte, zu erkennen. Sind wir ihm auch darin nicht gleich, und müssen wir sagen: es kann bei uns etwas zwischentreten zwischen die Richtung des Geistes auf den göttlichen Willen und die Vollziehung desselben, nämlich daß wir ihn nicht richtig erkennen; dann werden wir freilich nicht thun, was dem Herrn wohlgefällig ist; aber wir sind dann doch nicht untreu gewesen, sondern wir waren treu nach Maaßgabe unserer Kräfte. Weil wir uns jedoch unserer Unvollkommenheit immer bewußt sind, so müssen wir nie ablassen danach zu streben, daß wir immer reiner den Willen Gottes erkennen, daß wir unsere Erkenntniß von demselben immer mehr läutern, und deshalb uns stets wenden zu der ungetrübten Quelle dieser Erkenntniß, dem Wirken des Sohnes in dem Hause des Vaters. – Was für eine Treue nun aber fordert der Erlöser von uns? eine Treue gegen ihn oder gegen den, dem er auch treu war? Ich glaube, daß 25 auch] auf 22 Vgl. Joh 15,15

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Lk 16,10–11

5

10

15

20

25

30

35

40

453

wir über die Beantwortung dieser Frage nicht in Zweifel sein können; denn weil der Erlöser treu war wie der Sohn in dem Hause des Vaters, so ist die Treue gegen ihn dieselbe wie gegen den Vater. Denken wir uns das Wirken eines erwachsenen Sohnes in dem Hause des Vaters, das Handeln eines Sohnes, der seinem Vater in allem getreu ist, so wird auch jeder nur auf ihn zu sehen brauchen, um den Willen des Vaters zu erkennen, und das ist auch der Sinn, in dem der Erlöser dieses ewig denkwürdige Wort gesprochen hat, daß wer ihn sieht, auch den Vater sieht. Weil das doch unser fortwährendes Bestreben ist, Gott zu erkennen, nicht daß wir sein Wesen erforschen möchten, das da wohnt in einem undurchdringlichen Licht, sondern daß wir seinen Willen erkennen mögen, und eben deshalb, weil wir in dem, was er thut, den Willen des Vaters erkennen, so sagt er, daß, wer ihn | sieht, der sieht den Vater. Nun aber hat der Erlöser uns ein Gebot gegeben, allen seinen Jüngern, eins und dasselbe, und nur Eins, und das ist das, „daß wir uns unter einander lieben sollen mit der Liebe, mit welcher er uns geliebt hat.“ Diese seine Liebe zu uns ist nur das Ergebniß seiner Treue in dem Hause seines Vaters; so erkennt er den Willen Gottes, daß er die Menschen lieben soll, um sie mit seinem und unserm Vater im Himmel zu vereinen und sein Reich hier zu gründen, und diese seine Liebe war also der Ausdruck seiner Treue in dem Hause des Vaters, und hierin erkennen wir den Willen des Vaters, so weit wir im Stande sind, ihn zu vollziehen, soweit er in das Gebiet des Menschen fällt. Was ist denn nun unsere Treue? Sie kann ja nichts anders sein, als die Reinheit und Beständigkeit in dieser Liebe, das und nichts anders ist die Treue. – Wollten wir nun noch fragen: Ist denn die Treue nur in einem solchen Verhältniß, wie das des Erlösers zu seinem Vater und unseres zu dem Erlöser und seinem Vater? Giebt es nicht auch ein Verhältniß der Treue unter solchen, die sich gleich sind, und giebt es nicht auch eine Treue des Vaters gegen den Sohn und des Erlösers und seines himmlischen Vaters gegen uns? Nennen wir sie doch den Einen einen treuen Gott, und den Andern den treuen Erlöser. Sollte nun der Erlöser nichts sagen von der Treue des Vaters? Dieses große Wort hat er gesprochen: „Der Vater läßt mich nie allein.“ Also daß, sobald sein Wille gerichtet war auf den Vater, dieser auch immer ihm ganz erschien, das war die Treue Gottes gegen ihn, und ebenso sprach er seine Treue gegen uns aus, indem er uns verheißt, uns nie allein zu lassen, und sagt, „er wolle bei uns sein alle Tage bis an der Welt Ende.“ Und das in demselben Sinn, wie er es von dem Vater gegen ihn sagt. So können wir ihn immer, sobald wir es bedürfen, so gegenwärtig haben, um zu sehen, was der Ausdruck der Liebe ist, mit der er uns geliebt hat, und mit der wir ihn wieder lieben sollen, und sind wir mit ähnlicher Treue auf ihn gerichtet, wie er es war auf den Willen 8 Vgl. Joh 14,9 10 Vgl. 1Tim 6,16 12–13 Vgl. Joh 14,9 Joh 13,34 32 Joh 8,29 35–36 Vgl. Mt 28,20

14–16 Vgl.

7r

454

Am 16. August 1829 vormittags

seines Vaters, so kann uns das nicht fehlen, und ohne diese Treue des Herrn könnte die unsere nichts helfen, so wie es nichts gewesen wäre mit seiner Treue gegen den Vater, wenn dieser ihn hätte allein gelassen, wenn dieser sich hätte vor ihm verbergen wollen; denn da hätte er etwas anderes können für den Willen des Vaters halten, als er wirklich war und so aus Irrthum fehlen und sündigen. Daß ebenso unsere Treue zu unserm wirklichen Gedeihen, zu unserer Stärkung und zu unserem Heil gereiche, das hängt ab von der seinigen; aber nur da wir diese Verheißung haben, daß der Erlöser uns nie wolle allein lassen, so können wir auch sicher sein, daß, wenn wir uns immer zu ihm wenden, so wird es uns auch nicht fehlen, in dem was uns obliegt seinen Willen zu erkennen, und die Treue wird so ihren Lohn haben in sich selbst. Wohlan denn, m. Fr! so laßt uns nun

7v

II. sehen, wie es stehe um das Verhältniß der Treue zu diesem Gegensatz | des Kleinen und Großen in dem menschlichen Leben. Zuerst wenn, wie ich vorher sagte, die allgemeine Erfahrung und die daraus entspringende Regel den Worten des Erlösers entgegen zu sein scheint, so müssen wir doch auch sagen, daß das, was wir so eben von der Treue gesehen haben, in Widerspruch ist mit jenen Erfahrungen. Wenn die Treue nichts ist, als die Beständigkeit in der Liebe, kann diese Beständigkeit verringert werden dadurch, daß die Gegenstände, an denen die Liebe sich bewähren soll, wachsen und zunehmen? Gewiß nicht. So wollen wir denn den Gegensatz des Kleinen und Großen und der Treue des Gemüths und Willens untersuchen. Wir werden das allgemein so ausdrücken können, daß, wo die Seele des Menschen von diesem Gegensatz des Kleinen und Großen beherrscht wird, da kann das innere Wesen der Treue nicht sein, mag es mit diesem, was groß und klein ist, an und für sich stehen wie es will. Nämlich so wie wir sagen, daß die Treue besteht in der freiwilligen Richtung des ganzen Gemüths auf den liebenden Willen des Andern, so findet hier nur Ein Unterschied statt; es kann Handlungen geben, die mit diesem leitenden Willen des Andern nichts zu thun haben, und dann läßt sich in diesen keine Treue zeigen, denn sie liegen in einem andern Gebiet, aber das Verhältniß ist auch nur ein beschränktes. Was aber in dem Gebiet jenes leitenden Willens liegt, das hat den selben Einfluß auf den, welcher geleitet wird, es kommt auf jenen Gegensatz hier nichts an, wenn die Treue das ist, was die Handlungen des Menschen bestimmt. Der Gegenstand sei so oder so beschaffen; so wie der leitende Wille bekannt ist, so hat die Treue immer das zu thun, daß sie diesen vollzieht, und so hat auch das Kleine und Große auf die Treue keinen Einfluß. So wie die Rede davon ist, daß eine Handlung soll einen Theil unseres Lebens ausfüllen, und so wie sie in dem Kreise des leitenden Willens liegt, so ist die Größe oder Kleinheit des Gegenstandes ganz gleichgültig für uns und so sehen wir, daß der Erlöser in jenen Worten 8 nur] vielleicht zu korrigieren in nun

12 haben] haben,

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 16,10–11

5

10

15

20

25

30

35

40

455

vollkommen Recht hat. Es ist auch klar, daß, wenn wir jene Fälle, die ich in dem Eingang dargestellt habe genauer betrachten, die Treue dabei nicht sein kann, weil sonst nicht geschehen konnte, was geschah. Wenn Einer treu war im Kleinen, und er so befunden, nun das Wort hört: „Ei du frommer und getreuer Knecht; du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen“ und es hört dann seine Treue auf, so können wir doch nicht sagen, daß er wirklich treu war, sondern vielmehr hat er nur danach gestrebt über Mehreres gesetzt zu werden, und die Vollziehung des leitenden Willens hat er nur als Mittel zu Erreichung eines anderen Zwecks gebraucht. Auf gleiche Weise verhält es sich auch in dem andern Fall. Wenn wir sagen: in der Verwaltung des Fremden sei der Mensch manchen Versuchungen ausgesetzt bald von seiner eigenen Natur her, bald werden | sie ihm eingeflüstert von Anderen, und sagen wir nun: es giebt gar Viele, die bei Kleinem im Stande sind, diesen Versuchungen zu widerstehen, bei Großem aber nicht, sondern da werden sie den Lockungen nachgeben und der Versuchung unterliegen: können wir da wol sagen, daß sie vorher treu waren? Es war ja nur dieses der Grund davon, daß das Verlockende nicht Kraft genug hatte, sie zu verleiten; aber so wie die Kraft kommt, so folgen sie ihm auch, und hier ist also auch die Treue von Anfang an nicht gewesen. So steht denn das wol fest, daß der Erlöser ganz im Allgemeinen Recht hat, und daß, wenn wir es mit der Treue redlich meinen, wir wol zugeben müssen, daß Groß und Klein hier gar keinen Unterschied mache. – Um aber von den Anweisungen des Erlösers den rechten Gebrauch zu machen, so laßt uns fragen, was er als groß, was als klein ansieht. Er sagt, daß wer nicht in dem Kleinen treu ist, es auch nicht in dem Großen sein kann, wie könnt ihr daher erwarten, daß, wer nicht in den irdischen Gütern in dem Mammon treu war, es in dem Wahrhaftigen sein werde? Hier kann es aus dem Zusammenhang doch nicht undeutlich sein, daß er den Mammon das Kleine, das Wahrhaftige das Große nennt. Auf welcher Seite nun liegen jene Erfahrungen, von denen wir vorher sprachen? Alle in dem Gebiet des Mammon und auf diesem unterscheiden wir ein Kleines und ein Großes; aber dem Erlöser ist dieses Alles das Kleine, und fragen wir nun, was versteht er unter dem Großen, Wahrhaftigen? Er sagt selbst, er sei die Wahrheit und das Wahrhaftige ist also das, was er den Menschen gebracht hat, die lebendige Erkenntniß von dem Reich Gottes und Alles, was dazu gehört. Dieses ist das Große, wie klein es auch in anderer Rücksicht sein mag. In diesen Worten stellt aber der Erlöser diesen Unterschied gewissermaaßen wieder her, den er vorher aufgehoben hat, und wenn er sagt: Wenn ihr dem Mammon nicht treu seid, wie könnt ihr verlangen, daß euch das Große anvertraut wird? So stellt er den Mammon doch vor als das Erste, und das Andre als das Letzte, 28 doch] noch 4–6 Mt 25,21.23

33 Vgl. Joh 14,6

8r

456

8v

Am 16. August 1829 vormittags

und warum ist denn das Kleine der natürliche Maaßstab der Treue? Es bedarf wol nur eines geringen Nachdenkens, um uns die Meinung des Erlösers klar zu machen. Alles, was dem Menschen gegeben ist, um es zu beherrschen, und auch alle Kräfte die sich darauf beziehen, alles dieses hat seinen nächsten und unmittelbaren Gebrauch nur für das irdische und sinnliche Leben, und wenn nicht ein von Gott erleuchteter Wille, ein höheres Streben des Geistes dazu kommt, so hat das mit dem Reich Gottes, mit dem Willen des Erlösers nichts zu thun, unmittelbar nichts, aber wol mittelbar; denn indem das Reich Gottes auf Erden sein soll, so muß das Irdische sich auf dieses beziehen. Es verhält sich also nicht so, daß es etwas giebt, was ganz außerhalb des Gebiets dieser Treue ist, aber dieser Unterschied ist doch: was der Herr das Wahrhaftige nennt, das hat einen unmittelbaren Bezug auf das Reich Gottes, was er Mammon nennt, einen mittelbaren. So ist es daher natürlich, daß das Wahrhaftige, uns den Willen Gottes leichter vergegenwärtigt, aber der Mammon uns nicht so leicht den Willen Gottes und das Heil und den Frieden der Menschen vor das Gemüth führt, und darum sagt der Erlöser: Wenn sich in diesem nicht zuerst zeigt, daß in dem Menschen eine Richtung ist auf den göttlichen Willen, so kann man auch nicht wissen, ob er in dem Wahrhaftigen treu sein wird; wenn er aber in dem, was nur mittelbar Beziehung auf den Willen Gottes hat, treu ist, dann kann ihm auch das Wahrhaftige anvertraut werden. Sehet da, meine Freunde! das ist der vollkommene Sinn der Rede des Erlösers, und darum, weil seine Rede selbst mit | zu seinem Thun gehört, und er in allem den Willen Gottes thut, so müssen auch alle dazu geneigt sein, uns die göttliche Offenbarung aufzuschließen. Das ist denn auch die Ordnung in dem menschlichen Leben, das Wahrhaftige wird dem Menschen nicht zuerst anvertrauet, er bewegt sich zuerst in dem Irdischen und da vernimmt er auch in den Jahren seiner Kindheit einen leitenden Willen, und ist in ihm eine Richtung auf Gehorsam, so vollzieht er den leitenden Willen, der ihn vorbereitet auf das Wahre. So ist es nicht nur in dem beschränkten Leben des Einzelnen, sondern auch in dem Leben der Völker. Nicht zuerst auf das Wahrhafte bezieht sich die Treue, sondern auf das äußere Gesetz, das äußere Recht, und das gehört in das Gebiet des Mammon, aber da ist Gesetz und Recht, als von Gott geordnet das, woran sich der menschliche Geist üben soll, bis ihm das Wahrhafte anvertrauet wird. So sprach der Herr in jener Zeit, wo das Wahrhafte noch nicht Allen anvertrauet war, sondern wo sie Alle einem äußern Gesetz folgten. Das hatten und kannten sie alle, und lebten in dem Gebiete des Kleinen, und nun sagt er: „Wenn ihr darin nicht treu seid, wie könnt ihr vertragen, daß euch das Große anvertraut wird?“ Seitdem wie unendlich viel hat der Mensch gewonnen in dem Gebiet, was der Herr den Mammon nennt, wie viel haben die Kräfte des Menschen zugenommen um sich die Erde dienstbar zu machen, und weit umher ist der Genuß und die Herr13 nennt,] nennt;

26 dem] den

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Lk 16,10–11

5

10

15

20

25

30

35

457

schaft des Menschen über die Erde verbreitet. Und das ist nicht nur etwas sinnliches, sondern hängt mit den edelsten Kräften des menschlichen Geistes zusammen, und wenn wir uns über diesen großen Gewinn freuen und mit Recht freuen, so laß uns an das Wort des Herrn denken, was er zu seinen Jüngern sprach, als sie von ihrer Reise zu ihm zurückgekehrt, Rechenschaft ablegten über ihre Wirksamkeit und sie sich freuten über die Thaten welche sie gethan: „doch darin freuet euch nicht, daß euch die Geister unterthan sind: Freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind.“ Welche Namen sind denn aber im Himmel angeschrieben? Der Herr hält kein ander Buch und Rechnung als über seine Diener, und also darüber sollen wir uns freuen, wenn wir Diener sind in dem Reiche, das er gegründet hat. Aber laßt uns immer das Geringe nicht verachten, sondern denken: Darin müssen wir stets unsere Treue bewähren, und ist uns etwas viel oder wenig anvertraut, so müssen wir suchen es mit dem Wahrhaften in Zusammenhang zu bringen, damit sich darin unsere Treue zeige, und wir das Bewußtsein haben, daß uns das Wahrhafte mit Recht ist anvertraut worden, und daß wir nun auch durch den Erlöser treu sind, wie die Kinder in dem Hause des Vaters. Alles, was wir in jenem Gebiet thun, thun wir doch nur als in dem Hause des Herrn, und die Treue ist die des Knechts; was wir hier thun im Gebiet des Wahrhaften, das ist die Treue des Kindes, das ist die Wirkung des Gemüths, das immer nach oben, nach dem Göttlichen und Wahren gerichtet ist, das Werk des Sinnes, der nur immer den Willen Gottes zu thun trachtet. Dann ist dieser die belebende und treibende Kraft, und das Wort des Herrn wird wahr, daß er uns ins Herz geschrieben sei. Dieses ist also die Stufenleiter, die niemand verrücken darf: in der Treue im Kleinen müssen wir zuerst es bewähren, daß das Wahrhafte mit Recht uns anvertrauet wird, und dessen laßt uns aus dem Worte des Erlösers uns getrösten, daß, wie es in der Treue keinen Unterschied giebt des Kleinen und Großen, so in dem Reich Gottes auch nicht; sondern da ist Alles groß, und scheint es, als ob Einer über Größeres gesetzt ist, als der Andere, so ist das nur Schein, und wenn es uns vorkommt, daß in dem Reich Gottes von einem viel, von dem Andern wenig geschieht, so ist das auch nur Schein; denn es geht Alles aus von dem Einen Geist, und nur das Zusammenwirken aller Kräfte ist es, woraus alles hervorgeht, das Kleine und das Große. Und so wollen wir uns denn über den Unterschied des Kleinen und Großen nicht nur beruhigen, sondern auch hinwegsetzen, es ist das Eine Wahrhafte, was wir Alle zu thun haben, und in dem Alles geschieht durch den Einen Geist, den Einen Herrn, den Einen Gott und Vater. Amen.

7–8 Lk 10,20 1Kor 12,4

18–20 Vgl. Hebr 3,5–6

23–24 Vgl. Jer 31,33

37–38 Vgl.

Am 23. August 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

9r

10. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 12,3 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 94, Bl. 9r–11v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

23. August 1829 Tex t : 1 Corint. XII, 3. „Darum thue ich Euch kund, daß niemand Jesum verfluchet, der durch den Geist Gottes redet; und niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne den Heiligen Geist.“ Der Zusammenhang der Worte des Apostels, die aus unserer heutigen epistolischen Lektion genommen sind, ist der, [daß er] die Christen an die er schreibt, unterrichten will über die geistigen Gaben. So beginnt seine Rede: Um der geistigen Gaben aber will ich euch, liebe Brüder, nicht verhalten; dann erinnert er sie an ihren vorigen Zustand, wo sie zu den stummen Götzen geführt wurden, und nun da das Evangelium von Christo zu ihnen gekommen ist, so stellt er ihnen dieses beides vor. Auf der einen Seite will er darstellen als die rechte Grundlage aller geistigen Gaben das, worin der Geist Gottes sich in dem Menschen ausspricht, indem er vorher das anführt, was sich unmöglich mit einer Wirksamkeit das göttlichen Geistes vertragen kann, und also auf den ersten Punkt weist er hin, von dem alle geistigen Gaben sich entwickeln sollen; aber indem er das zwiefache Verhältniß zu Christo aufstellt, ihm fluchen und ihn einen Herrn nennen, so sehen wir, daß er zugleich auch das hat umfassen wollen, worin der Mensch sich zu Christo zu verhalten hat, und dann das Eine von beiden als den wahren Grund aller geistigen Gaben darstellen. – So lasset uns denn in beider Hinsicht diese Worte des Apostels mit einander erwägen.

6–7 Die Sonntagsperikope ist 1Kor 12,1–12. 1Kor 12,2

9 Vgl. 1Kor 12,1

10–12 Vgl.

5

10

15

20

Predigt über 1Kor 12,3

5

10

15

20

25

30

35

40

459

Es muß uns auffallen, wie er damit anfängt: Niemand kann Jesum verfluchen, der durch den Geist Gottes redet, denn das scheint uns ganz fremd; aber es steht auch in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erinnerung, die er ihnen vorhält an ihren vorigen Zustand. So lange sie zu den stummen Götzen geführt wurden, waren sie auch voll alles Aberglaubens von Geistern und geistigen Wesen, die zu den Menschen und durch Menschen redeten und sie zu bewegen suchten. Da war es natürlich, daß es oft vorkam, daß die Menschen, wenn ihnen das Evangelium verkündet und also Christus als Herr des Glaubens dargestellt wurde, seine Herrschaft nicht anerkennen wollten, und darin liegt schon dieses. Kein Mensch kann dem wohlwollen, der sich eine Herrschaft über ihn anmaßt, die er nicht anerkennen will, und also dieses Widersetzen gegen die Herrschaft Christi und diesen daraus entstehenden Widerwillen, meinte Paulus wenn er sagt: „Es kann niemand Jesum verfluchen, der durch den Geist Gottes redet.“ Und das will er ihnen sagen, daß | wenn oft früher solche Stimmen zu ihnen kamen, auch mit dem Anspruch von höheren geistigen Kräften zu stammen, so sei das nicht der göttliche Geist gewesen, der durch sie sprach, denn was sich Christo widersetze, das könne nicht der göttliche Geist sein. Was aber hier der eigentliche Schlüssel ist zu dem Verständniß seiner Worte, ist dieses, daß er ein Drittes gar nicht scheint zuzugeben, sondern Eins von beiden muß sein, der Mensch müsse Jesum verfluchen oder ihn einen Herrn heißen, natürlich sobald er von ihm vernommen hat. Sollte es nun gar kein Drittes geben? Das Eine, Jesum einen Herrn heißen ist der natürliche Ausdruck der Verehrung, und von dieser Verehrung, von diesem Anerkennen der Herrlichkeit des Erlösers muß alles Wirken des Geistes in dem Menschen beginnen: das Andre ist der Ausdruck des Widerwillens, des Abscheus, und zwischen beiden sollte es kein Drittes geben können? Wie oft verhält sich ja auch unser Gemüth in ähnlichen Fällen gleichgültig, daß wir, was Andere verehren nicht verehren können, aber es doch nicht verabscheuen, sondern wir gehen gleichgültig daran vorüber. Dieser Fall scheint dem Apostel aber gar nicht vorgeschwebt zu haben, oder wenn es doch war, wie wir es denn bei der Schärfe seines Denkens nicht anders erwarten können, so muß er ihn gleich als etwas unstatthaftes von sich gewiesen haben, und das finden wir denn auch wirklich, daß, wenn der Mensch Jesum nicht mehr verflucht, er ihn auch einen Herrn nennen muß. Damit hat es die Bewandniß, daß die Verkündigung an die menschliche Seele nicht anders kann gebracht werden, als indem der Erlöser Anspruch macht, Herr ihrer zu werden, sein sanftes Joch ihr aufzulegen, und wo der Herr verkündigt wird, kann es nicht anders geschehen als mit diesem Anspruch, daß der Mensch sich ihm unterwerfe um durch ihn selig zu werden. Also was der Apostel im Sinn hat, ist, daß der Mensch nichts könne, als Eins von beiden thun, entweder sich 3–5 Vgl. 1Kor 12,2

37–38 Vgl. Mt 11,29–30

9v

460

10r

Am 23. August 1829 früh

seiner Herrschaft unterwerfen ihn einen Herrn nennen, und das kann er nicht anders als durch den göttlichen Geist, oder ihm widerstreben, sich seiner Herrschaft entziehen wollen, und das kann er nur auf die andere Art. Freilich können wir wol gegen manches andere gleichgültig sein, doch hier ist es nicht gut; denn der Mensch ist von Gott als ein freies Wesen gesetzt, so daß es von ihm ausgeht welche Richtung er seinen Kräften geben will, und mit diesem Bewußtsein kann er gegen Einen, der sich ihm immer wieder aufdringt um Herrschaft zu üben, nicht gleichgültig sein, und er muß entweder seine Herrschaft anerkennen, oder seinen Wider|willen in dem Maaße steigern, als diese Ansprüche ihm entgegen kommen. Wenn es nun aber doch Menschen giebt, die in keinem von beiden Fällen sich befinden, woran liegt das? Offenbar nur daran, daß ihnen die Herrschaft Christi nicht recht ans Herz gelegt ist, daß ihnen die Ansprüche die er macht noch nicht vorgestellt sind, und daß sie entweder gar nichts von ihm gehört, und wie können sie wol glauben, wenn sie nichts gehört haben? oder daß das, was ihnen gesagt ist, nicht die rechte Art war. Also nur da, wo es keine andre, als eine laue Verkündigung des Herrn giebt, nur da, wo die, welche von ihm reden, selbst noch nicht stark genug sind, ihn einen Herrn zu nennen, und seine Herrschaft zu preisen, kann es eine Gleichgültigkeit gegen ihn geben. Wenn wir nun bisher den Sinn der Worte des Apostels verfolgt haben, so kommen wir nun an den letzten Theil unseres Textes, der unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, wo der Apostel sagt: Niemand kann Jesum einen Herrn heißen denn durch den heiligen Geist. In der Verbindung mit dem Vorigen ist also dieses der Sinn: wo nur der Anfang gemacht wird Jesum zu preisen, das kann der Mensch allein durch den heiligen Geist, und das ist auch der Anfang von allen geistigen Gaben, sie haben alle ihren Grund darin, daß wir Jesum einen Herrn nennen, aber so wie das ist, so wirkt auch der göttliche Geist in uns, und dann kann es auch nicht anders sein, als daß die geistigen Gaben in uns zum Vorschein kommen und sich bewähren zum Wohl des Reiches Gottes. Also alles Gute in unserem Herzen hat seinen Grund in nichts Anderem, als in diesem Ersten, daß wir Jesum einen Herrn heißen. Wem aber fielen da nicht die Worte des Erlösers ein, die ganz entgegengesetzt lauten: „Nicht alle, die zu mir Herr, Herr! sagen, werden in das Himmelreich kommen sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel.“ Da muß doch wohl ein anderes Herr, Herr! sagen gemeint sein, als wovon der Apostel hier sagt, daß es durch den göttlichen Geist geschehe; denn was der göttliche Geist giebt, kann doch für uns unmöglich vergeblich sein, und muß uns doch das Himmelreich aufschließen. Der Erlöser dachte bei jenem Ausspruch an das was er immer als den Willen seines himmlischen Vaters darstellt, nämlich daß die Menschen an den glau34–36 Mt 7,21

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Kor 12,3

5

10

15

20

25

30

35

461

ben, den er gesandt hat, und er meint also unter dem Herr Herr! sagen nur ein scheinbares Anerkennen seiner Herrschaft; aber wo dieses wirklich geschieht, wenn auch nur in einem leisen Anfang, da ist auch der Anfang des Glaubens. Also das wider|spricht einander nicht, und von einem solchen Herr, Herr! sagen, von dem hier Paulus redet, hätte auch der Erlöser gesagt, daß es dem Menschen das Himmelreich öffne! Wenn wir nun aber von hier aus, m. F. auf unseren gemeinsamen Zustand sehen, auf den ganzen Umfang dieser großen Gemeinschaft, die wir die christliche Kirche nennen, und auf das Verhältniß ihrer Glieder zu ihr und gegen einander, so können wir uns es nicht bergen, daß oft die Klage gehört wird, es seien viele, die zwar äußerlich zu derselben gehören, aber innerlich fern davon sind. Was hätte wol der Apostel zu dieser Klage gesagt? Er der so viel dazu gethan hat die Menschen alle unter die Herrschaft des Friedens zu bringen, sie durch das Band des Geistes zu vereinigen, was würde er wol sagen, wenn wir ihm mit dieser Klage kämen? ihm, der nichts in der Mitte zugeben will zwischen dem: Jesus einen Herrn heißen und ihn verfluchen? Was würde er anderes gesagt haben, als dieses? Nun wol! wenn so Viele sind, die Jesum nicht einen Herrn heißen, so zeigt mir doch daß sie ihn verfluchen; aber, wenn das nicht ist, wenn sie in dem Gebiet der christlichen Kirche leben, deren Herr Christus ist, und wenn sie sich seiner Herrschaft nicht widersetzen, so erkennen sie ja Christum auf ihre Weise an, und wenn das nicht so geschieht wie ihr wollt, so denkt doch nur an die verschiedenen Kräfte, welche der heilige Geist austheilt, und danket Gott, daß ihr mit höheren Kräften Christum einen Herrn nennt; aber handelt ihm auch nicht so zuwider, daß ihr das schwache Rohr zerbrecht und das glimmende Docht verlöschet. Wenn ein Mensch unter der Leitung des göttlichen Worts steht, welches der Erlöser uns gebracht hat, so mag es eine noch so schwache Kraft sein, die durch ihn wirkt, eine noch so leise Stimme, die aus ihm spricht, so ist doch immer der Grund zu einer vollkommneren Herrschaft gelegt, die Christus über ihn erlangen soll, und wenn ihr sein Wirken und Thun, wenn ihr sein ganzes Leben betrachtet, so werdet ihr doch gestehen, daß es nicht so sein könnte ohne die Herrschaft, welche der Herr schon jetzt über ihn ausübt, und da gestehet ihm doch zu, daß er Jesum einen Herrn heißet, und daß er dieses nicht anders thun kann, als durch den Geist Gottes. Und wenn wir dem Apostel weiter folgen, was er über die geistigen Gaben sagt, von ihrer Verschiedenheit, aber doch von der Einen Quelle derselben: „es sind mancherlei Gaben aber nur Ein Geist, es sind mancherlei Kräfte, größere, oder geringere, die diese oder jene Gaben in uns entwickeln, | aber es ist nur Ein Gott, der da wirket Alles in 6 öffne!] öffne? 25–26 Vgl. Mt 12,20 (Zitat aus Jes 42,3)

37–1 Vgl. 1Kor 12,4–6

10v

11r

462

11v

Am 23. August 1829 früh

Allem!“ und das ist doch der Gott, von dem gesagt ist, daß zu ihm wir nicht anders können kommen, als durch den Sohn, daß wir nicht können: lieber Vater! rufen, wenn nicht der göttliche Geist in uns ruft – wenn wir ihm bis dahin folgen, und auch selbst glauben an diese Kraft des Geistes, an dieses allgemeine Walten des Einen Gottes, von dem alle Kräfte ausgehen; aber alles, was von ihm ausgeht, ist auch eine Kraft: ehren wir da wol diesen Herrn, der die mancherlei Aemter austheilt, lebt das rechte Bewußtsein dieses Gottes in uns, der in uns Allen Alles wirkt, wenn wir doch glauben, daß dieses Zusammenwirken der Kräfte, die aus Einer Quelle kommen, wo der Herr, Herr! genannt wird, unnütz sei und vergeblich, daß der göttliche Geist nicht wisse Zugang zu finden zu dem Herzen, daß alle Beispiele christlicher Gottseligkeit, die ihr gebt, vergeblich seien unter so Vielen; wenn ihr darüber klagt, daß es so Viele giebt, die Jesum nicht einen Herrn nennen? So wie wir mit dem Apostel darüber einverstanden sind, daß es kein Drittes giebt, zwischen Jesum verfluchen, und ihn einen Herrn nennen, und daß auch das Leiseste nichts anderes als eine Wirkung des heiligen Geistes sei, so laßt uns dieses doch nicht zu gering halten, und so wie wir uns fürchten, von einem Menschen zu sagen, daß er Jesum verflucht, so müssen wir auch von den Menschen glauben, daß sie Jesum einen Herrn nennen, wenn sie ihn nicht verfluchen; mögen sie nun auch solche sein, die ihm versprechen zu thun, was er geboten hat, aber von dem Gesetz in ihren Gliedern überwunden werden; aber wenn sie nur immer wieder zurück kehren zu seiner Herrschaft, wenn sie der Stimme, so leise sie auch zu vernehmen sei, gehorchen, die ihnen den Unterschied zeigt zwischen der Herrschaft Christi und der ihrer Glieder, und wenn sie das thun, so erkennen sie Jesum, nennen ihn einen Herrn, und sie thun es durch den Geist Gottes. Ist nun, m. Fr.! eben dieses, wenn auch noch so leise, und unwirksame Anerkennen Jesu als eines Herrn der Anfang von der Wirksamkeit des göttlichen Geistes, so laßt uns glauben: da, so seine erste Wirkung ist, ist auch der erste Anfang zu dem Glauben an den Erlöser, der erste Anfang zu der Entwickelung der geistigen Gaben, und wie der göttliche Geist es ist, der sich überall wiedererkennt, so laßt uns glauben, daß er es ist, der uns die Augen öffnet, um zu erkennen, was seine Wirkung ist; aber wenn wir sagen müssen, es seien noch Viele, wo es an dieser Wirkung mangele, so laßt uns denken, daß das unsere Schuld ist, weil wir nicht kräftig | genug die Herrschaft Christi den Menschen verkündigen, laßt uns daher kräftiger den Herrn den Menschen zur Anerkennung darstellen, und dann werden sie auch immer mehr zu denen gehören, die Jesum einen Herrn nennen, und wenn wir die geistigen Gaben auf sie richten, so werden wir die Funken die in ihnen glühen, anfachen, so werden den Worten Wirkungen folgen, und sie werden sein Joch auf sich nehmen, und ihm nachfolgen. So sprach der Apostel zu denen, die 2–3 Vgl. Röm 8,15

21–22 Vgl. Röm 7,23

40–41 Vgl. Mt 11,29

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Kor 12,3

5

463

noch vor kurzem den stummen Götzen nachgegangen waren, und so suchte er sie zusammenzuhalten, wie verschieden sie auch in ihrer Frömmigkeit waren, durch diese Verschiedenheit der Gaben, die alle von Einem Geiste ausgehen wo alle Kräfte ineinander greifen, und dazu zusammenstimmen, daß der Name, der über alle Namen ist, auch immer mehr von Allen anerkannt und erhöht werde, und Alle ihre Seligkeit darin finden, daß sie erkennen: Jesus sei der Herr über Alles, was im Himmel und auf Erden ist. Amen!

5 Vgl. Phil 2,9

7–8 Vgl. Mt 28,18; Lk 17,24

Am 30. August 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

11. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Kor 15,9–10 Nachschrift; SAr 94, Bl. 11v–14v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 68, Bl. 67r–68v; Woltersdorff Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

30. August 1829.

11v

Von dem Werth, den der Einzelne in der christlichen Kirche und für die christliche Kirche haben soll. Tex t : 1 Cor XV, 9 und 10.: „Denn ich bin der Geringste unter den Aposteln, als der ich nicht werth bin, daß ich ein Apostel heiße, darum, daß ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnade bin ich, das ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe vielmehr gearbeitet denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.“

12r

M. a. Fr.! In den vorhergehenden Versen hat der Apostel indem er in diesem ganzen Kapitel von der Hoffnung der Auferstehung redet, gegründet auf die Auferstehung Christi, Erwähnung gethan, wie der Herr nach der Auferstehung den Seinigen erschienen sei, und da fügt er zuletzt auch das hinzu, wie er sich ihm kund gegeben, und ihn zum Apostel berufen hat, und dann folgen die eben verlesenen Worte. Es ist als ob der Apostel diese Gelegenheit nicht konnte vorbei gehen lassen, ohne auf der einen Seite seine Gleichheit mit den anderen Aposteln des Herrn, als der eben so wie sie, unmittelbar von ihm war berufen worden, und auf der andern Seite auch den Unterschied, der zwischen ihm und ihnen stattfand, ins Licht zu | setzen. Bedenken wir nun meine Freunde! wie jene zwölf Apostel des Herrn 20 den] der 11–16 Vgl. 1Kor 15,3–8

5

10

15

20

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

465

auf der einen Seite, und der Apostel Paulus mit seinen wenigen Gefährten auf der andern zusammen die Säule der christlichen Kirche gewesen und geworden sind, wie auf ihrer Thätigkeit der erste Beginn und der ganze Fortgang des Wortes Gottes in seinen, ersten Stufen ruht, und wenn wir dabei doch sagen müssen, es sei wie dasselbe Werk noch jetzt, so auch derselbe Geist, durch den es müsse gefördert werden, und dieselbe Thätigkeit, die dieser Geist hervorrufen muß, wenn die Kirche des Herrn feststehen und nie wieder unterdrückt werden soll, so müssen wir uns sagen, daß, indem der Apostel hier auf der einen Seite die Vorzüge der andern Apostel beschreibt, und auf der andern Seite seine eigenen, gewiß weder eine Ruhmredigkeit ihn veranlaßte, die seinigen zu erwähnen, noch eine falsche Bescheidenheit, die der Andern zu erhöhen, sondern wie wir ihm die Aufrichtigkeit zutrauen müssen, daß er die Wahrheit dargestellt, so wie er sie erkannte, so müssen wir sagen: noch jetzt muß Alles in diesen beiden beschlossen sein, was der Einzelne für das Wohl der Kirche thun kann, er muß entweder zu der Aehnlichkeit mit dem, was Paulus von den andern Aposteln sagt, sich hinneigen, oder mit dem, was er von sich selbst sagt. So wollen wir dann mit einander reden von dem Werth, den der Einzelne, sei es nun mehr auf die eine oder auf die andere Weise, in der christlichen Kirche, und für die christliche Kirche haben kann, und daher betrachten 1. Was ist der Unterschied den der Apostel aufstellt zwischen sich und den andern Aposteln? Und 2. Welche Anwendung können wir davon machen auf die Bedürfnisse der christlichen Kirche und auf das Wirken eines Jeden von uns in ihr? I. Sagt der Apostel, der Herr sei zuletzt auch ihm erschienen, als einem Spätling, denn er sei der Geringste unter den Aposteln, ja! er sei nicht werth ein Apostel zu heißen; denn während die Andern das Werk des Herrn trieben in der Kraft seines Geistes, habe er noch die Gemeinen des Herrn verfolgt: so können wir wol nicht umhin an die Worte des Apostels Petrus zu denken, als er seinen Mitgenossen den Vorschlag that, einen neuen Apostel zu erwählen, damit die Zahl der Zwölfe voll würde, nachdem Judas sein Amt verlassen. Er sagt: „So muß nun einer unter diesen Männern, die bei uns gewesen sind, die ganze Zeit über, welche der Herr Jesus unter uns ist aus und eingegangen, von der Taufe Johannis an, bis auf den Tag, da er von uns genommen ist, ein Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden.“ Also dieses beständige Begleiten des Herrn, diese Fähigkeit, alles in sich zu bewahren, was | er geredet und gethan, dieses genaue Wissen des Zusammenhanges seiner Worte und Lehren war das, was Petrus von einem Apo11 Ruhmredigkeit] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1206 25–26 Vgl. 1Kor 15,8

32–35 Apg 1,21–22

15 er] es

12v

466

13r

Am 30. August 1829 vormittags

stel fordert, und so müssen wir denn sagen, daß Paulus dieses nicht von sich rühmen konnte, und darum mochte er von der einen Seite mit Recht sagen, er verdiene nicht ein Apostel zu heißen, er sei den Andern in Beziehung dieses wesentlichen Merkmals nicht gleich. Wenn wir nun bedenken wie die Apostel des Herrn mit diesem Schatz mit dieser genauen Kenntniß des Erlösers und diesem vollständigen Bild von seinem ganzen Leben und Weben hausgehalten, so sehen wir aus der Geschichte der Apostel, daß sie sich früh von den äußern Geschäften, die ihre Zeit in Anspruch nahmen, los zu machen suchten, damit sie sich ganz dem Wirken für den Erlöser widmen könnten, um auch andern mitzutheilen von den Worten des Lebens. Dazu hat der Erlöser ihnen die Verheißung gegeben, daß sein Geist ihnen immer nahe sein werde, daß er ihnen nie fehlen werde, wo sie in einem wichtigen Augenblick Rath finden könnten in einem Worte des Herrn. Indem sie nun so das Werk trieben in der Gemeine zu Jerusalem, von dem Tage an, wo durch Petri Rede einige Tausend waren gläubig geworden und eine feste Gemeinde gegründet war, so sehen wir aus der Geschichte der Apostel selbst wie sie in dieser ganzen Zeit weniger darauf bedacht waren, das Wort Gottes in andere Gegenden zu verbreiten; sondern dazu bediente sich der Herr anderer Werkzeuge, wie sie auch weniger zu thun hatten mit den Streitigkeiten gegen die Feinde des Erlösers, die aus Mose und die Propheten beweisen wollten, daß Jesus nicht der Christ sei, sondern dazu bediente sich der Herr anderer Werkzeuge. Wenn aber in einer Gegend das Evangelium verkündet, und eine Gemeine gegründet war, dann wird erzählt wie ein Apostel mit einigen Gefährten hinging, um das ausgesäete Wort fester zu pflanzen und die Gaben des Geistes mitzutheilen und ihren Gebrauch zu ordnen, und darauf gingen sie wieder zurück in die Gemeine zu Jerusalem, und trieben das Werk der Lehrer weiter. So hatte denn Paulus ein Recht zu sagen, daß sie weniger gearbeitet als er; aber dagegen ist es ihr Werk, daß die Worte des Herrn, und die einzelnen Züge seines Lebens aufbewahrt sind, aus ihren Erzählungen und Reden haben die Apostel die uns die Züge aus dem Leben des Herrn, wie sie in unserm Evangelio sich finden, aufgezeichnet haben, und durch sie ist sein Bild gepflanzt in den ersten Gemeinen und in den Nachkommen und Nachfolgern des Herrn und so haben sie allerdings den Grund gelegt dazu, daß der Herr seinem ganzen Wesen nach sich den Menschen | mittheilen konnte, daß Andere, eben so wie sie selbst erkennen konnten, daß er Worte des Lebens 6 vollständigen] vollständigem 15 Petri] Petrus 30–32 haben ... haben,] Kj haben die Apostel uns die Züge aus dem Leben des Herrn, wie sie in unserm Evangelio sich finden, aufgezeichnet, 7–10 Vgl. Apg 6,1–4

15–16 Vgl. Apg 2,37–47

36–1 Vgl. Joh 6,68

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

467

hat, und Andre eben so wie sie sehen die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater. Und wie viel werden sie dabei gethan haben, die Gemüther, die oft durch eine große, plötzliche Bewegung des Geistes zum Glauben geführt wurden, immer mehr von allem zu reinigen, was sie von ihrem vorigen Wandel in die neue Gemeinschaft trugen, wie kräftig werden sie wirksam gewesen sein, indem sie die Lehre des Herrn den Menschen immer deutlicher machten, unter ihnen zu erbauen den Grund, den Gott gelegt hat, und neben dem kein anderer kann gelegt werden? und wenn wir in der Geschichte der Apostel lesen, daß die Gemeinen sich kräftiger erbauten, daß sie Ein Herz und Eine Seele waren, daß sie große Freude und Achtung hatten vor allem Volk, so war dieses gewiß der Erfolg von dem stillen Wirken der Apostel. – Wie, m. Fr.! war es nun auf der andern Seite mit Paulus? Jenes Vorzugs, dessen die Apostel sich rühmen konnten, hatte er sich nicht zu erfreuen, und wenn er hätte durch ihre Stimme sollen zum Apostel ernannt werden, so würde er sie nicht erhalten haben, weil er dieses Merkmal nicht hatte. Nur ein paar Mal in den seligsten Augenblicken, in den erwecktesten Stimmungen seines Lebens gab sich ihm der Herr kund, aber seine ganze Sinnesänderung, seine ganze Umwandlung aus einem Verfolger der Gemeine in ein seliges Rüstzeug des Herrn gründete sich auf die Worte, die er damals hörte auf dem Wege nach Damaskus: Saul! Saul, was verfolgst du mich? Es wird dir schwer werden wider den Stachel zu löcken.“ Da ging er in sich, da ward er inne, das sei der Weg Gottes, den Jesus von Nazareth gegangen sei, und den müssen Alle gehen, denen es Ernst ist das Reich Gottes auf Erden zu fördern, und in ihm sei die Verheißung Ja und Amen. So that sich seinem hellen Geist der verborgene Rathschluß Gottes auf, indem seine Augen sich richteten auf die Vergangenheit, von dem großen Sinn der Geschichte der Menschen, von dem Rathschluß Gottes ergriffen, wandte er um und wurde aus einem Verfolger ein Apostel. Um auf alle Weise die Menschen der Segnungen theilhaftig zu machen, die in Gottes Verheißungen von Anbeginn waren vorbedeutet gewesen, darum scheute er keine Mühe und Arbeit[;] der Geist trieb ihn hier und dort hin, und warnte ihn auch dahin zu gehen, wo die Gemüther noch nicht reif waren für den Saamen des göttlichen Worts, aber er zog ihn überall hin, wo seine Rede Früchte bringen konnte. So wurde er an viele Orte geführt, und eine Menge neuer Gemeinden entstanden aus der Kraft seines Wortes, da mochte er wol sagen er habe mehr gearbeitet als die Andern, und seine Leiden aufzeigen; aber auch sagen, daß er immer derselbe wäre in allen Leiden und Freuden, aber weil er nicht anders könne als das Evangelium 15 Merkmal] Merkmaal 1–2 Vgl. Joh 1,14 24 Vgl. 2Kor 1,20

7–8 Vgl. 1Kor 3,11 9–11 Vgl. Apg 4,32 38–1 Vgl. Röm 1,16

20–21 Apg 9,4–5

468

13v

Am 30. August 1829 vormittags

verkünden, als eine Kraft Gottes selig zu machen alle die da glauben, weil er nicht anders könne, als geleitet von der Liebe Christi, ihn verkündigen den Gekreuzigten und Auferstandenen. So wandelte er seinen Weg wol wissend, daß er und die Verkünder des Evangeliums nicht zu kämpfen | haben mit Fleisch und Blut, sondern mit Allem, was gewaltig ist in denen die sich fürchten vor einer geistigen Erhebung der Menschen, und die immer nur wollen, daß alles bleibe wie es war zu der Zeit der Väter – gegen Alles dieses hatte er zu kämpfen und er ließ nicht nach von seinen Versuchen und Arbeiten, bis er gewürdigt wurde des Todes für das Evangelium, für die Wahrheit. Das ist der Unterschied, auf den der Apostel sieht, wenn er sich mit den Andern vergleicht; jenen schreibt er zu daß sie ein Recht hatten, Apostel genannt zu werden, als beständige Zeugen von dem Wirken des Herrn, von sich sagt er, daß er durch die Gnade Gottes ein Apostel sei, und dem legt er es auch bei, daß er mehr gearbeitet als sie Alle. II. Machen wir nun die Anwendung davon auf das, was jetzt und immerdar der Kirche Noth thut. Wie sollen wir zuerst, m. Fr.! uns nicht freuen, wenn wir sagen können, daß es viele giebt in der christlichen Gemeinde, die in dem stillen Wirken, in dem Zusammenhang mit dem Leben des Erlösers in ihrem Gemüth, den andern Aposteln des Herrn gleichen? Wohl uns, wohl jeder Zeit, und jedem Ort, wo es viele solcher Gemüther giebt, die in stillem Umgang mit der Schrift, mit dem Erlöser leben, denen der Geist des Herrn, wie den ersten Aposteln alles erklärt, was sie von seinem Wort empfangen, die nichts von seinem Worte lesen, daß ihnen nicht das ganze Licht entgegen leuchte, was sie sonst in dem Herrn sehen, die nicht eher ruhen, es hin und her zu wenden in dem Gemüth, wie Maria, bis sie den Zusammenhang finden mit andern seiner Reden, und dieses ihnen eine neue Regel wird, ein neues Licht, womit sie sich und Anderen leuchten. Wohl uns, wenn es Viele giebt in der christlichen Gemeine, die ein heller und durchdringender Verstand fähig macht, die einzelnen Worte des Herrn im Zusammenhang zu fassen, alle seine Worte von dem Verhältniß des Sohnes zum Vater, von der Erhöhung durch den Glauben, wie der Vater uns zieht durch den Sohn, wie man nur zum Vater kommen kann durch den Sohn, wie wer den Sohn sieht, siehet auch den Vater − dieses Alles in seiner rechten Beziehung auf einander zu sehen, alle Lehren des Herrn so darzustellen, wie sie zum Heile des Lebens der Christen dienen können. Wohl uns, wenn es recht viele giebt, die mit der Wärme eines aufgeregten Gemüths Alles um sich her erquicken und zugleich mit aufgeklärtem Verstande die Menschen von den Banden des Irrthums lösen. Das ist das Werk, das mit dem der Apostel des Herrn ähnlich ist, weil es auf nichts Anderem 4–6 Vgl. Eph 6,12 25 Vgl. Lk 2,19 Joh 14,6 33 Vgl. Joh 14,9

31–32 Vgl. Joh 6,44

32–33 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Kor 15,9–10

5

10

15

20

25

30

35

469

beruht, als daß uns der Herr nahe ist, weil es seinen Grund in nichts Anderem hat, als in der Verheißung des göttlichen Geistes, der uns von Einem auf das Andere führt PanS den Banden der Liebe zu dem Erlöser. Dazu sind uns die zerstreuten Züge seiner Lehre aufbewahrt, freilich nur ein Stückwerk von dem anschaulichen Bilde, was die Apostel | hatten, aber derselbe Geist ruht auch auf uns, der ihnen verheißen war, wenn es uns daran gelegen ist, die einzelnen Züge zu einem Ganzen zu vereinen, es wirksam in uns zu beleben und Christum immer herrlicher zu verkündigen. Aber ist es auch nicht mehr so daß wir einen Kampf zu bestehen haben mit den Gewaltigen der Welt mit den dunklen Mächten der Finsterniß? Bedarf die Kirche nicht noch der Kraft, die der Apostel Paulus gebrauchte, das Wort des Herrn zu verbreiten, bedarf es nicht noch seiner starken Reden, mit denen er die Angriffe derer niederschlug, denen das Evangelium ein Aergerniß war und eine Thorheit; bedürfen die Schwachen keines starken Gemüths an das sie sich lehnen können, die Furchtsamen, welche sich scheuen voranzugehen, nicht eines Führers, dem sie folgen, der der Herzog sei für die Gemeine? Ja! deren bedarf die Kirche noch eben so wie damals. Aber wenn dieses beides vereint ist in ihr, dann wird sie auch alles, was ihr noch so schwierig begegnen darf, eben so glücklich bestehen wie damals. Laßt uns nicht scheuen, wenn wir hier davon reden, wie der Apostel Paulus sich mit den andern vergleicht, an jene Zeit zu gedenken, wo nur aus ihrer Einigkeit das Heil der Kirche hervorging. Da waren einige gekommen von Jakobus aus Jerusalem nach Antiochia, nicht ganz durchdrungen von dem Geist der Liebe, nicht ganz erleuchtet von der Predigt, die sie aus dem Munde der Apostel vernommen hatten; sondern an den Geboten hangend, begehrten sie, daß jede Gemeine sich eben so gestalten solle wie die, aus der sie kamen, daß sie derselben Sitte folgen sollten, die doch nur ihren Grund darin hatte, weil sie von den Anhängern des alten Bundes stammten, daß sie dieselben Gebote und Gesetze beobachten sollten, wie sie es thaten. Da war viel Noth und Klage, und große Gefahr, daß die Kirche des Herrn sich schon damals getheilt hätte, und was wäre daraus geworden? Aber da ging der Verfechter der Kirche nach Jerusalem, trat zusammen mit dem stillen Wirken der Andern, und aus ihrer Vereinigung ging hervor, daß jener Streit beseitigt wurde, daß die Freiheit der Kinder Gottes ausgesprochen wurde, so weit die Kirche Christi sich verbreitete, und daß sie sich vereinigten in dem Einen Geist der da wirket Alles in Allem. Sehen wir hier auf unsere Zeit und blicken in die Zukunft, so fehlt es nicht an mancherlei Anlaß zu Streitigkeiten, an Manchem, was uns besorgt machen kann für das, was da kommen wird; 38 Manchem] Machen 13–14 Vgl. 1Kor 1,23 16 Vgl. Mt 2,6 (Zitat aus Mi 5,1) 13 31–36 Vgl. Apg 15,1–21

22–29 Vgl. Gal 2,11–

14r

470

14v

Am 30. August 1829 vormittags

aber wenn es an Leiden nicht fehlt in der Kirche, an starken Vertheidigern der Wahrheit auf der einen Seite, und auf der andern an stillen Gemüthern, die nichts Anderes suchen, als Alles zu gestalten durch die sanfte Liebe in seinem Bild, wenn das zusammen wirkt, wie kann es anders ausschlagen, als daß der Herr denselbigen gestern und heut und in Ewigkeit sich | immer mehr verkläre unter Allen, die an ihn glauben. Und so müssen wir denn sagen, m. Fr.! daß das Wirken in diesen beiden Arten immer sein muß; aber daß es auch immer so vereint bleiben muß, wie es damals war, daß aller Zwist sich zerstreue vor der Kraft der Wahrheit, und dem Blicke der Liebe wie damals. So werden beide zusammen das innere und äußere Heil der Gemeinen schaffen, und das Wort des Herrn wird immer kräftiger werden; aber nicht so m. Fr.! als ob Eins allein es ganz und gar vermöge, sondern beide müssen vereint sein; denn wie auch in einzelnen Augenblicken sich der Herr dem Kämpfer des Glaubens, dem Verfechter seiner Kirche in kurzem flüchtigem Gespräch unmittelbar kund gab, aber wovon seine Seele so bewegt wurde, daß er es für den größten Vorzug hielt, der ihm widerfahren sei, und wie auch die Andern, obgleich sie an das stille Wirken in ihrer Gemeine gewiesen waren, doch auch wo anders hinzogen, und wo sich Gemeinen gebildet hatten, die besuchten sie dem Verfahren des Paulus entgegen, um das Wort des Herrn zu befestigen und die Verbindung zu stärken: so muß auch beides in Jedem sein, nur daß in dem Einen dieses, in dem Andern jenes den Vorrang hat. Dann sind beide aneinander, und erkennen beide in sich den selben Geist, dieselbe Gnade, von der der Apostel sagt, daß sie es ist die da wirkt und nicht wir. Das ist die letzte Hauptsache in dem Werke des Herrn. Wohl mögen wir, wie der Apostel thut, uns mit anderen vergleichen, bei dem Lichte des göttlichen Worts die Art unterscheiden, die jedem anvertraut ist; aber keiner begehre zu wissen, wer mehr ist oder weniger, wie denn der Apostel zuvor sagt, er habe mehr Mühe und Noth gehabt aber doch nicht, daß er mehr sei als die Anderen, und keiner schreibe sich selbst etwas zu, denn dadurch lösen wir uns von der Kraft, die in Allen wirken soll, sondern immer mögen wir überzeugt sein, daß Alles, was wir thun, sei das Werk des Geistes, der in uns ruft: Abba, lieber Vater! Wenn wir so an ihm halten, seinen Zügen und Treiben folgen, dann wird auch unter uns das Werk des Herrn frei und fröhlich vor sich gehen, und wir Alle werden sagen können, daß auch durch uns, sei es viel oder wenig, denn wir wissen es nicht, sein Reich befestigt und das Heil der Menschen befördert sei. Amen.

6 verkläre] verklären 17–20 Vgl. 2Kor 11,1–15 Gal 4,6

28–29 Vgl. 2Kor 11,16–33

32 Vgl. Röm 8,15;

5

10

15

20

25

30

35

Am 27. September 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

15. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Gal 6,1−2 Nachschrift; SAr 94, Bl. 18r−21r; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 68, Bl. 69r−70v; Woltersdorff Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D. Liederblatt (vgl. Anhang nach der Predigt)

27. Sept. 1829 Ueber den sanftmüthigen Geist und über das, was er in der Kirche zu leisten hat.

5

10

15

20

Tex t : Gal. VI, 1–2. „Lieben Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilt würde; so helfet ihm wieder zurecht mit sanfmüthigem Geist, die ihr geistlich seid. Und siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versuchet werdest. Einer trage des Andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Wir wissen, daß es eine einzige Quelle und Wurzel alles Guten giebt, das der Mensch zu thun im Stande ist, das ist die Liebe, die Liebe, durch die der Glaube thätig ist. Von dieser wissen wir, daß alles Gute aus ihr herrührt, und mit ihr zusammenhängt, wir wissen, daß wir immer nur sollen völliger werden in ihr, und daß es in ihr kein zu viel giebt. Darauf kommen denn freilich im Großen und Ganzen alle Ermahnungen, alle Vorschriften, die wir in unsern heiligen Büchern finden, zurück, aber doch verbreiten sich die Apostel über die einzelnen Arten, wie die Liebe sich erweist, über die einzelnen Eigenschaften und Tugenden der Menschen. Aber so wie wir bei einem solchen Einzelnen verweilen, und von einer Fülle von Namen überschüttet werden, so haben wir nicht mehr die Klarheit, wie wenn wir alles zusammenfassen, und da scheint es uns, als könne es ein zu viel geben, und ein 1 27.] 2.

12–13 völliger werden] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1233

10–11 Vgl. Gal 5,6

18r

472

Am 27. September 1829 vormittags

zu wenig, und als könne das Einzelne am rechten, aber auch wieder am unrechten Orte geschehen. Dennoch ist es die Wahrheit des göttlichen Geistes, welche die Apostel in der Schrift auch auf dieses Einzelne hinleitet, und von einem solchen Einzelnen reden auch die Worte unsers Textes, von dem sanftmüthigen Geist und dem, was er in der Kirche zu leisten hat. So lasset uns denn dieses zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, aber damit wir dabei jene ursprüngliche Klarheit nicht verlieren, so laßt uns unterscheiden 1. den sanftmüthigen Geist von dem der Apostel hier redet, und die natürliche Sanftmüthigkeit, die wir bei den Menschen finden, nicht als Frucht des Geistes, sondern als natürliche Eigenschaft, und wenn wir beides werden unterschieden haben, und bei dem sanftmüthigen Geist, den der Apostel meint, können stehen bleiben, so laßt uns [2.] fragen nach dem, was, wie der Herr selbst sagt, die Unerleuchteten nicht wissen können, wir aber wissen sollen, von wannen er kommt, und wohin er fährt. | 18v

I. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, welche wir nicht miteinander verwechseln dürfen. Die Sanftmuth als Eigenschaft der menschlichen Natur, durch die sich Viele von einander unterscheiden, und der sanftmüthige Geist, den der Apostel hier meint. Diesen Unterschied können wir gleich daran festhalten, daß jenes eine von den verschiedenen Arten ist, wie die menschliche Seele ursprünglich gestaltet; eine Eigenschaft, die wir nicht bei Allen finden und auch nicht von allen verlangen können, ja! was noch mehr ist, wir wünschen nicht einmal, sie überall zu finden. So ist es mit allen Gestaltungen der menschlichen Seele, die Gott der Herr zusammen geschaffen hat, und die zusammen uns ein Bild geben von dem menschlichen Geist, wie er sich in diesem Leben, an das Leibliche, an den Körper gebunden, entwickeln soll. Wenn wir einen Menschen von Natur sanftmüthig finden; so ist uns das ein erfreuliches Zeichen, daß es sich leicht mit ihm werde leben lassen, daß eine Menge von Reibungen und Anstößen, wie sie sonst wol in dem Zusammenleben der Menschen entstehen, nicht werden vorkommen; aber wenn es darauf ankommt, daß etwas Großes und Schweres mit Anstrengung der Kräfte soll hervorgebracht werden, so sehnen wir uns nach Andern, denn jenem trauen wir nicht zu, daß er das werde vollbringen können, und das ist Sache der Erfahrung; so wie jene, die viele Anstrengungen überwunden, die einen starken und kräftigen Geist gezeigt haben, und es kommt wieder in den Gang des gewöhnlichen Lebens, so finden wir sie beschwerlich und wünschen uns die Andern. So ist es mit allen Eigenschaf5 sanftmüthigen] sanftmüthigem 14–16 Vgl. Joh 3,8

12 sanftmüthigen] sanftmüthigem

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Gal 6,1−2

5

10

15

20

25

30

35

40

473

ten der menschlichen Seele, und das ist der Unterschied zwischen dem was die Schrift Fleisch, und dem was sie Geist nennt; dieses ist immer Eins, jenes getheilt. So wie es mit den sinnlichen Neigungen ist, daß eine der andern widerspricht, so ist es auch mit den guten Eigenschaften, die aber doch nicht ihrem Grund in dem göttlichen Geist haben, daß sie miteinander in Widerspruch sind, und das Gute in jeder ist mit einer Unfähigkeit und einem Mangel verknüpft, und deshalb sollen auch nicht alle dieselbe an sich haben, sondern der eine diese, der andere jene, damit sie sich gegenseitig ausgleichen. Betrachten wir, was der Apostel hier von dem sanftmüthigen Geist sagt, so finden wir das ganz anders; denn es sind Einige zu denen er sagt: Ihr, weil ihr sanftmüthigen Geistes seid, so helfet den Menschen zurecht, das ist wegen eures | sanftmüthigen Geistes von euch zu verlangen. Andere thun etwas anderes – das sagt er nicht, sondern von Allen die geistig sind, fordert er den sanftmüthigen Geist. Derselbe Apostel aber, in einer anderen früheren Stelle eben des Briefes sagt: Eifern ist gut, wenn es immer aber geschieht um des Guten willen. Nun sind Eifer und Sanftmuth als natürliche Eigenschaften der menschlichen Seele einander entgegen; je mehr Eifer wir finden in einem Menschen, desto weniger Sanftmuth werden wir von ihm erwarten, und je mehr wir ihn als einen Sanftmüthigen erkennen, um so weniger frischen Eifer schreiben wir ihm zu. Das ist der Widerspruch in dem Gebiet des Fleisches, der in dem Reich des Geistes nicht statt findet; von Allen fordert der Apostel den Eifer, aber auch von Allen die Sanftmuth, und beide sollen sich erweisen in dem Guten und Eins widerspricht dem andern nicht, sondern was einander in dem Fleisch entgegen ist, soll in dem Gebiet des Geistes verbunden und einig sein. Der sanftmüthige Geist, der eifrige Geist sind beide Eins, und müssen in jedem heraustreten; wo das Eine gefordert wird, soll es sich wirksam zeigen, und das Andere eben so, wo es gefordert wird; Eifer ist gut um des Guten willen, aber mit sanftmüthigem Geist weiset den Bruder zurecht. Nun wol, wenn es denn so ist, und wir nur diese beiden Aussprüche, die auf einem Blatt stehen, zusammenzustellen brauchen, wie der Apostel den Eifer rühmt, und auch von Allen den sanftmüthigen Geist verlangt, so muß er doch selbst das Bewußtsein gehabt haben, daß der Geist Gottes nicht nur einzelne Gaben erweckt, sondern daß, je nachdem es erforderlich ist, jede Gabe in jedem soll erwecket werden. Was nun der Gegenstand von beiden sei, sehen wir auch aus den Worten des Apostels; denn er sagt: wir sollen eifern um des Guten willen; wo es ankommt auf die Förderung des Reiches Gottes, da soll der Eifer sich wirksam zeigen; wo wir aber der menschlichen Gebrechlichkeit gegenüberstehen, da soll der sanftmüthige Geist in uns wirken, und beides hat seine Quelle in dem Einen göttlichen Geist. Aber indem wir hier 15–16 Gal 4,18

19r

474

Am 27. September 1829 vormittags

das Letzte zum Gegenstand unserer Betrachtung machen, so lasset uns, das Erste bei Seite stellend,

19v

20r

II. fragen, was der Apostel sagt von dem eigentlichen Ursprung wie von dem Zweck und Ziel dieses sanftmüthigen Geistes, den er von Allen verlangt, die geistig sind. Woher soll denn nun, und unter welchen Umständen aus derselben Quelle wie jenes Andere der sanftmüthige Geist sich entwickeln? Der Apostel stellt uns | hier zweierlei vor, den Bruder, der von einem Fehl übereilt wird, und uns selbst indem er sagt: „Siehe auf dich, daß du nicht auch versuchet werdest.“ Das Eine, m. Fr.! führt uns sehr oft auf das Andere, aber wir sollen doch das Eine nicht bedürfen um das Andere zu ergänzen. Freilich nicht selten, wenn wir den Bruder sehen, der von einem Fehl übereilt wird, und wir in Gefahr stehen uns in dem Eifer zu verlieren, der hier nicht hergehört, ist es der Fall, daß dann erst der Geist Gottes uns aufmerksam macht, wie viel wir fehlen, und wir da geneigt werden, den sanftmüthigen Geist an dem Bruder zu beweisen, weil wir denselben auch von seiner Seite bedürfen. Aber das gehört doch zu unserer Schwachheit, wenn wir erst die Zeichen des Geistes am andern bedürfen um bei uns ihn zu erwecken, und die eigentliche Quelle ist: „Siehe auf dich selbst, daß du nicht auch versucht werdest.“ Das Bewußtsein, daß wir schwach sind, soll uns in allen Fällen, wo diese Schwachheit uns bei andern vorkommt, zu der Sanftmuth erregen, daß wir die Andern zurecht weisen, und sie auf den Weg des Guten zurückführen. Was meint der Apostel nun mit dem Versuchtwerden und wie das zusammen mit dem Uebereiltwerden von einem Fehl? Es gehört nicht viel Nachdenken dazu, um den Zusammenhang beider einzusehen. Versucht werden wir auf zwei Arten, einmal durch alte Gewohnheiten, wenn sie wiederkehren und ihr Recht verlangen im einzelnen Fall; und dann durch einen neuen sinnlichen Reiz, der uns betäubt und uns die Festigkeit des Muthes raubt. Beides, wenn der Mensch von der Versuchung heimgesucht wird und ihr unterliegt, ist denn das, was der Apostel nach seinem milden Sinn so ausdrückt: von einem Fehl übereilt werden. Genauer paßt der Ausdruk nur für den einen Fall, wenn es etwas Neues ist, was uns berührt, dann ist es auch nicht so leicht, das Gute und Böse zu unterscheiden, und wir werden von dem sinnlichen Reiz hingerissen, und der Fehl entsteht aus Übereilung, weil wir nicht meinen zu fehlen. In dem Kampf mit alten Gewohnheiten sollte freilich keine Uebereilung sein, wir sollten sie vorher fürchten, und uns auf ihre Besiegung rüsten, aber, das ist die Schwachheit des Menschen, daß wir in dem Gewirr des Lebens oft das vergessen und verachten, was uns wohl bekannt und gewohnt ist, daß, indem unser Gemüth vielfach | getheilt ist, auch solche Gelegenheiten und Gewohnheiten, die wir als unserer Natur besonders eigen kennen, ehe wir zur Besinnung kommen, uns überraschen. Und wir können, wenn wir es zu thun haben mit einem Bruder, der gefehlt hat,

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Gal 6,1−2

5

10

15

20

25

30

35

475

dieses nicht anders ansehen, als daß er übereilt worden sei von der Macht der Gewohnheit, und müssen glauben, daß wenn er zur rechten Klarheit gekommen wäre, die Gedanken sich gestellt hätten gegen den sinnlichen Reiz, dann würde dieser auch überwunden sein. In allem diesem, sagt der Apostel, sollen wir den sanftmüthigen Geist beweisen, um dem Bruder zu Hülfe zu kommen, seinen Blick zu schärfen, und seinen Willen zu stärken für ein andres mal, und das Alles deshalb, weil wir wissen, daß auch wir versucht werden, gleich viel wie, und wir sollen keine Rücksicht darauf nehmen, ob dieselbe Art es ist, wie unser Bruder übereilt ist, oder eine andere. Dieses also, daß auch wir versucht werden von dem Sinnlichen, dieses Bewußtsein, das wir Alle in uns tragen, soll in uns erwecken den sanftmüthigen Geist, daß wir von dem Mitleiden über die Schwäche der menschlichen Natur bewegt, der Art, wie wir andern zu Hülfe kommen, keinen andern Ton und Farbe geben können, als diesen sanftmüthigen Geist. Was ist nun das Ziel dieses sanftmüthigen Geistes? Dieses finden wir in den andern Worten des Apostels: „Einer trage des Andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, und indem er uns auf das Gesetz Christi führt, so führt er auch uns auf diesen sanftmüthigen Geist als ein Einzelnes zurück von der Liebe, welche wir gegen einander hegen sollen, denn ein anderes als dieses neue Gebot: „Liebet euch untereinander mit der Liebe, mit welcher ich euch geliebet“ hat ja der Herr seinen Jüngern nicht gegeben. Was heißt das nun eines andern Last tragen? Es führt uns dieses darauf zurück, daß der sanftmüthige Geist da sein rechtes Gebiet hat, wo der Andre sich von einer Last gedrückt fühlt, und in diesem Fall ist ein Jeder; denn daß wir ausgesetzt sind der Verfolgung und daß wir es immer bleiben in dem Leben, das ist die Last, welche hier der Apostel meint. Wird nun gesagt: Einer soll des Andern Last tragen, was heißt das anders als: es soll keiner eine eigene Last haben, sondern jede Last soll eine gemeinsame sein und wenn das ist, so trägt Einer | des Andern Last. Jeder hat freilich seine eigene Last, denn die Art wie sich das Sinnliche in jedem, auch in dem der Geist schon lebt, offenbaret, das Gelüsten des Fleisches wider den Geist, das ist die Last; nun soll jeder des andern Last tragen; denn könnte jeder seine eigene tragen, so wäre es keine Last, könnte jeder in jedem Augenblick die Versuchung besiegen, dann brauchte keiner des Andern, sondern jeder könnte seinen Weg für sich gehen, und er würde auch keine Last fühlen; denn in dem Augenblick wo sie anfinge drückend zu werden, wäre sie auch schon wieder weg. Weil es aber nicht so ist, so soll Einer des Andern Last tragen, jeder soll auf den Beistand des Andern rechnen können, und sich auf ihn verlassen; freilich nicht so, daß der Glaube an die hülfreiche Liebe der Brüder in 10 werden] werden, 20–21 Joh 13,34

17 erfüllen“,] erfüllen.“,

20v

476

21r

Am 27. September 1829 vormittags

Leichtsinn übergeht, daß wir uns der Versuchung muthwillig unterziehen, in der Hoffnung daß die Hülfe der Brüder uns nicht fehlen werde, wenn wir ihrer bedürfen. Das kann aber auch keinem einkommen, der dieses als eine Last fühlt; sondern es sollen alle Kräfte gemeinsam sein, die dem Guten dienen, und die dem Bösen widerstehen. Nun aber wissen wir wie jeder auf den andern mehr vermag, als auf sich selbst, und so wird die gemeinsame Last am besten getragen von Allen insgesammt, nicht, wenn jeder Einzelne für sich sorgt, wenn jeder Einzelne sich dünken läßt er selbst sei etwas, denn da würde er sich nur betrügen, wie der Apostel nachher sagt. Wenn wir uns so also nicht betrügen sollen, wenn jeder soll bereit sein, sanftmüthig dem Andern die Last abzunehmen, ihm zu helfen, wo er selbst schwach ist, ihm mit seinen hellen Augen zu Hülfe zu kommen, wo jener blind ist, so hat auch jeder das Recht auf die Hülfe des Andern zu rechnen, wo ihn seine Last zu schwer wird. Der Erlöser sagt, daß die Menschen wo sie wollten Ruhe finden für ihre Seelen sollten sein Joch auf sich nehmen und seine Last tragen. Was war seine Last? Er für sich hat keine getragen, er ging frei und froh umher, sich keiner Last bewußt, sondern nur davon erfüllt, daß er that den Willen seines Vaters im Himmel. Was aber seine | Last war, das war die Sünde der Welt, diese unheilbare Gebrechlichkeit der menschlichen Natur, der nur abgeholfen werden konnte durch eine neue Kraft, die Gott in die menschliche Natur sandte, und mit dieser seiner Kraft trug er die Last der menschlichen Natur. Die sollen wir auf uns nehmen, und er sagt in dem Gefühl seiner Kraft, daß seine Last leicht sei, und das sollen wir nicht nur nachsagen und glauben, sondern auch nachfühlen. Trägt jeder seine eigene Last, so wird sie ihm zu schwer, tragen wir einer die des andern, so macht uns die Kraft dessen, der in uns allen mächtig ist, stark, und die Hülfe dessen, der die Menschen eingeladen hat, sein Joch auf sich zu nehmen und seine Last zu tragen. Wenn nun so der sanftmüthige Geist in der Gemeine der Christen waltet, wenn jeder Bruder mit diesem sanftmüthigen Geist zurecht gewiesen wird, so daß ihm dieses ein Zuwachs der Kraft wird, wenn wir wol wissen, daß auch wir versucht werden, einer dem Andern uns hingeben, um seine Last zu tragen, und die Kraft, die gegen das Sündliche gerichtet ist, sich immer mehr verbreitet, so wird auch die gemeinsame Last eine geringere, und denken wir sie wäre ganz aufgehoben, und es wäre nur noch eine Erinnerung von früheren Zeiten, daß jeder auf sich sehe, ob er nicht auch versucht werde, dann wäre der sanftmüthige Geist nicht mehr nöthig, der Ort wäre nicht mehr da für ihn, das Ziel, wohin er führt, wäre erreicht, und sehen wir auf den Eifer um das Gute, von dem der Apostel spricht, und wir haben in unserm Leben immer in dem Guten geeifert, und 3 einkommen] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1715 8–9 Vgl. Gal 6,3

14–16 Vgl. Mt 11,29

30 ihm] ihn

23 Vgl. Mt 11,30

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Gal 6,1−2

5

10

477

das Gute ist fest geworden in den Menschen, und sie sind in den Besitz des geistigen Gutes gekommen, dann ist auch der Eifer nicht mehr nöthig, die Quelle aus der er entspringt ist nicht mehr und sein Ziel ist erreicht, das [wissen] wir freilich, daß das in diesem Leben nie erreicht wird, der sanftmüthige Geist wird immer seinen Ort finden in der Gemeine, der Eifer um das Gute wird nie einschlafen können; aber denken wir, daß wir uns diesem Ziel immer mehr nähern, dann werden wir sagen, daß freilich die | einzelnen Theile der Liebe aufhören, aber die Liebe selbst bleibt ewig, und wenn sie ihren Zweck erringt hat, dann wäre das beides Eins und dasselbe, daß die Liebe bleibt und daß Gott alles ist in Allem.

[Liederblatt vom 27. September 1829:] Am 15ten Sonnt. n. Trinitatis 1829. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Allein Gott in der Höh sei Ehr, / Und Dank für seine Gnade; / Darum daß nun und nimmermehr / Uns rühren kann kein Schade. / Ein Wohlgefall’n Gott an uns hat; / Nun ist groß Fried’ ohn Unterlaß, / All Fehd hat nun ein Ende. // [2.] Wir loben, preis’n, anbeten dich / Für deine Ehr, wir danken / Daß du, Gott Vater, ewiglich / Regierst ohn alles Wanken. / Ganz unermess’n ist deine Macht, / Fort g’schieht was dein Will hat bedacht; / Wohl uns des seinen Herren. // [3.] O Jesu Christ, Sohn eingebohrn, / Deines himmlischen Vaters, / Versöhner der’r, die war’n verlorn, / Du Stiller unsers Haders, / Lamm Gottes, heilger Herr und Gott, / Nimm an die Bitt von unsrer Noth, / Erbarm dich unser Aller. // [4.] O heil’ger Geist, du höchstes Gut, / Du allerheilsamster Tröster, / Vors Teufels Gewalt fortan behüt, / Die Jesus Christus erlöste / Durch große Mart’r und bittern Tod! / Abwend all unsern Jamm’r und Noth! / Dazu wir uns verlassen. // Nach dem Gebet. – Mel. Helft mir Gott’s Güte etc. [1.] Die Fülle guter Gaben, / Wohnt Gott bei dir allein; / Und was wir sind und haben, / Ist Vater alles dein. / Du Ursprung alles Lichts, / Du wollest Licht und Leben / Auch mir von oben geben. / Giebst du, so fehlt mir nichts. // [2.] Seit ich durch deine Gnade / Mein Elend tief erkannt, / Hat sich vom Sündenpfade / Mein Herz zu dir gewandt. / O daß mich deine Kraft / Befestge nun und gründe, / Bis ich das Leben finde, / Das Jesus mir verschafft. // [3.] Laß niemals mich vergessen, / Die Größe meiner Schuld, / Auf daß ich mög’ ermessen, / Die Tiefe deiner Huld. / Entflamme Herz und Sinn, / Nach dir nur zu verlangen, / Dir einzig anzuhangen, / Durch den ich selig bin. // [4.] Gieb mir den Geist der Liebe, / Der Sanftmuth und der Treu, / Daß ich 9–10 Vgl. 1Kor 13,13

10 Vgl. 1Kor 12,6

21v

478

Am 27. September 1829 vormittags

aus reinem Triebe / Dem Nächsten hülfreich sei. / Vor allem gieb Gedeihn, / Die, so dich jezt noch fliehen, / Zu dir, o Herr, zu ziehen, / Daß sie sich ganz dir weihn. // [5.] Versucht zu neuen Sünden / Mich Satans Macht und List; / So hilf du überwinden, / Der in mir mächtig ist. / Mit dir kann ich voll Muth / Um jene Krone ringen, / Mit dir muß mirs gelingen, / Der große Wunder thut. // [6.] Ich Erdenpilger walle / Hier oft in finstrer Nacht. / Ach hilf! daß ich nicht falle, / Hab’ immer auf mich Acht / Lockt mich ein Irrweg ab, / So halt mich in den Schranken; / Wenn meine Schritte wanken, / So sei du selbst mein Stab. // Nach der Predigt. – Mel. Lobe den Herren etc. [1.] Herzog des Lebens, du wollest mich selber regieren, / So daß ich heilig und selig mein Leben kann führen! / Laß auch den Geist, / Den du den Deinen verheißt, / Reichlich im Herzen mich spüren. // [2.] Was dir entgegen, das will ich auf immer nun hassen, / Will dich mit Liebe, mein Heiland, auf ewig umfassen, / Du sollst mir sein, / Reichthum und Alles allein! / Wer wollte je, Herr, dich lassen? //

Am 4. Oktober 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

16. Sonntag nach Trinitatis (Erntedank), 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Ps 4,8 Nachschrift; SAr 94, Bl. 22r–24v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Keine Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

4. October 1829. Erndtepredigt. Tex t : 4. Psalm v. 8. „Du erfreuest mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben.“ 5

10

15

20

25

M. a. Fr! Es wird heut in dem ganzen Umfange unseres Königreiches das Erndtefest gefeiert. Wie sich nun dieses über eine weite Gegend hinstreckt vom Morgen nach Abend, so ist natürlich in jedem Jahre der Gewinn der Erde mannigfach vertheilt, hier sparsamer, dort reichlicher, aber das Fest ist und bleibt immer dasselbe, und wie wir auch einen Unterschied erfahren zwischen verschiedenen Jahren, so hat auch das keinen Einfluß auf das Fest, es ist immer eins und dasselbe. Fangen wir hiervon an, so werden wir sehen, wie den Worten der Schrift uns die rechte christliche Freunde in dem Herrn beschrieben ist, und so laßt sie uns denn zum Grunde unserer Betrachtung legen. Wenn es heißt: „Du erfreuest mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben“, so schließt der Psalmist sich und die Seinigen von dem reichen Besitz aus, aber wir haben doch Ursach die Freude seines Herzens auf das zu beziehen, was ihm der reichliche Besitz der Andern in die Gedanken gebracht hat, und so sehen wir, daß die Freude an der Erndte nicht von dem eigenen Erwerb und Besitz abhängt. Dieses hat besonders für uns seine Anwendung; denn wir, die wir in dieser großen Stadt wohnen, erfahren viel weniger als Andre von diesem Besitz; und die bei uns die Erde bauen, sind immer nur der kleinere Theil; aber unsere Freude wird ebenfalls erregt, wenn wir von anders woher hören, daß eine reiche Erndte das Land beglückt. Wir in dieser großen Stadt, welcher von allen Seiten Hülfsquellen zuströmen, und die den Segen des ganzen Landes an sich zieht, erfahren wenig von jenem Unterschied des Mehr und Mindern, aber wenn wir des-

22r

480

22v

23r

Am 4. Oktober 1829 früh

halb, weil dieser Unterschied für uns gering ist, verurtheilt wären, gleichgültig zu sein bei diesem allgemeinem Fest, so wäre das sehr übel; aber verhält es sich so, daß die Freude nicht von dem Viel oder | Wenig abhängt, da werden wir sagen, daß auch da, wo dieser Wechsel weit geringer ist, kein Unterschied in dieser Freude Statt findet. – Wenn wir bedenken, meine Freunde, daß wir so oft in dem Verlauf des Jahres im voraus hören die segenvolle Bemerkung vieler Menschen über den Verlauf der Witterung, und wir die Erfahrung dagegen halten, wie doch der Unterschied nicht so bedeutend ist, so sehen wir, wie in der That wol weniger diese Angelegenheit des Gewinns der Erde von dem Wechsel der Witterung abhängt, als wir gewöhnlich glauben, und wir können einen Ausspruch des Herrn auch hierauf anwenden, und sagen: „Sehet das Korn auf dem Felde, die Blume des Grases; es regnet nicht zu rechter Zeit, die Sonne scheint nicht zu rechter Zeit, und es wächst doch.“ Es ist eine zu große Ordnung der Natur in diesen Dingen, als daß sie so leicht sollte gestört werden können, und es müssen schon viele feindliche Kräfte sich vereinen, um ihr hier und da in der That entgegen zu wirken: Wenn wir daran denken, so richten wir an diesem Gedenktage unsere Aufmerksamkeit auf diese große Ordnung der Natur, woran der Herr das Bestehen des menschlichen Geschlechts geknüpft hat, und so sicher als der Bund ist, daß er die Menschen nicht vertilgen wolle durch die Fluthen, so fest ist auch diese Ordnung, und es ist eine und dieselbe Einrichtung, vermöge deren der Herr die Erde fruchtbar gemacht hat und zu den Menschen gesagt: Gehet hin, seid fruchtbar und mehret euch! Es ist eine und dieselbe Schöpferkraft, durch die dieses beides entstand und eine und dieselbe Weisheit, durch die erhalten wird und dauert. Wenn dieses nun der erste Grund ist aller Freude über das, was uns umgiebt, daß dieses Werk ist, der göttlichen Allmacht und Weisheit, und wenn wir die Augen recht öffnen, so daß wir die Zusammenstellung des leiblichen mit dem geistigen Wohl machen und beider Zusammenhang erkennen, so werden auch wir sagen: Du erfreuest mein Herz, und der Unterschied des Mehr und Minder wird keinen | Unterschied in dieser unserer frommen Freude machen, wie jener denn auch in dieser allgemeinen Ordnung fast ganz verschwindet. Lasset uns nur noch weiter gehen und fragen, was wol der Psalmist im Sinn gehabt hat, als er sagt: „Du erfreuest mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben.“ Es sind diese Psalmen, wenn gleich nicht alle, und nicht einmal der größte Theil ein Werk des Königs David, doch alle aus dem Leben des Volkes hervorgegangen, und wenn sie einen Einzelnen zum Gegenstand haben, so ist es immer ein Solcher, der in dem 25 und dauert] Kj und die andauert 12–14 Vgl. Mt 6,26–31; Lk 5,22–29 Gen 6,17–18 23–24 Gen 1,28

18–19 Vgl. Gen 1,26–30

20–21 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Ps 4,8

5

10

15

20

25

30

35

40

481

Volke besonders bedeutend geworden ist, und sie beziehen sich meist auf das allgemeine Verhältniß, das Gott zwischen sich und diesem Volke gestiftet hat. Er war der eigentliche König des Volkes, und die menschlichen Herrscher wurden nur angesehen als seine Stellvertreter, und so hatte der Psalmist als er dieses schrieb, die göttliche Fürsorge für sein Volk besonders in Gedanken. Nun hatte dieses doch eigentlich eine geistige Bedeutung. Zwar als er seinem Volk das Gesetz gab, legte er ihnen vor Fluch und Segen, er sagte: „Wenn ihr das Gesetz haltet, so wird es euch wohl gehen und ihr sollt mein Eigenthum sein vor allen Völkern der Erde; aber wenn ihr das Gesetz vernachlässigt, dann werde ich euch euren Feinden übergeben und eure Sünde heimsuchen bis ins dritte und vierte Glied.“ So lauten diese Worte. Fragen wir aber: Wozu hat Gott dieses Volk erwählt? so werden wir sagen müssen, daß nicht sollte die Erkenntniß Gottes verloren gehen, daß sie nicht sollte unterdrückt werden durch den allgemein verbreiteten Götzendienst, und daß alles das, was sich aus der Erkenntniß Gottes in dem Gemüthe der Menschen entwickelt, sollte erhalten werden in diesem geringen Volk. In diesem Sinn sagt denn auch der Apostel der vor Allem darauf hält, daß der Geist es sei der lebendig mache, das Fleisch aber kein nütze sei, dieser sagt, daß das Gesetz geistig sei, wobei er besonders darauf sah, daß das Gottes-Bewußtsein in dem Gemüth der Menschen erhalten wurde, damit sich entwickeln möge dieses Wohlgefallen des inwendigen Menschen an dem göttlichen Gesetz. Wenn David also hier davon redet, daß der Herr sein Herz erfreue, auch wenn er ihn und sein Volk nicht reichlich segne, so hat er dieses im Sinn, daß | dieses Korn und Wein, welches die Menschen ernährt, auch für sein Land war, daß auch in diesem Lande das allgemeine Gesetz der Erhaltung herrsche, und daß sein Volk sich so erhalten konnte, um den Herrn zum Werkzeuge zu dienen, von wo das Licht und die Gotteserkenntniß ausgehen soll. Und so sehen wir es noch immer, daß, wenn die Menschen zahlreicher neben einander wohnen, alle Kräfte sich reichlicher entfalten und sie den großen Beruf, Herr der Erde zu werden, erfüllen, so hängt das überall ab von den Segnungen des Ackerbaues, und wo die Menschen noch nicht dahin gekommen sind, sondern von dem leben, was sich ihnen von selbst darbietet, da ist noch keine Entwickelung menschlicher Kräfte, und der Zustand ist immer noch ein sehr mangelhafter. Denken wir daran, wie daran daß der Mensch im Schweiß seines Angesichts sein Brot essen soll, die ganze Entwicklung der Menschen abhängt, so werden wir sagen, daß der Gedanke an diese göttliche Ordnung uns immer mit Freude und Dank gegen Gott erfüllt, wenn auch nicht der eigene Besitz besonders beglückt ist. Fragen wir: woran hängt der Zusammenhang zwischen der Lebensweise, wo die Menschen den Ackerbau treiben und der geistigen Entwickelung derselben? So werden wir sagen müssen: Nicht daran, ob der 8–11 Vgl. Ex 19,5 in Verbindung mit Ex 34,6–7 18 Vgl. 2Kor 3,6 Joh 6,63 19 Vgl. Röm 8,3–4 35–36 Vgl. Gen 3,19

18–19 Vgl.

23v

482

24r

Am 4. Oktober 1829 früh

Eine viel hat, oder wenig, sondern nur von dieser Ordnung. Sehen wir auf die Erfahrung des Lebens, so finden wir Völker, die bei Weitem nicht so gesegnet sind mit den Gütern der Erde, wie andere, in denen aber die geistigen Gaben sich herrlicher entwickeln, in größerem Maaße gedeihen und sich schöner ausbreiten. Eben so auch ist es mit den Einzelnen. Es sind nicht die, welche mit den Gütern der Erde am Meisten gesegnet sind, zugleich diejenigen, bei denen wir auch die geistigen Güter suchen, sondern oft ist grade das Entgegengesetzte der Fall. So also ist der Zusammenhang mit dem geistigen Besitz an den irdischen Gütern, nicht an dem Viel oder Wenig gebunden, sondern daran, daß das, was uns der Herr giebt, ein Gemeinbesitz ist, und der Eine dem Andern dient, auf diese oder jene Weise. – So werden wir denn auch auf das Letzte kommen, was uns hier zu betrachten ist, und was das Größte ist von Allem. Wenn | wir zu dem Herrn sagen, daß er unser Herz erfreut, so sind es nicht andere Gegenstände, an die wir denken, sondern er selbst ist es, der diese Freude uns erregt, so wie wir auch bisher gesehen haben, daß das Bewußtsein der göttlichen Allmacht und Weisheit uns erfreut, wenn wir an die Güter der Menschen denken. Wenn wir ihn aber bewundern in seiner Macht, ihn verehren in seiner Weisheit, so lieben wir ihn in seiner Liebe, und daß Gott die Liebe ist, das ist doch das Größte was das Herz der Menschen erfreut. So wie wir nun in diesem Geschäft der Menschen, sich zu Herrn der Erde zu machen, die Natur sich zu unterwerfen, die Macht des Herrn bewundern, seine Weisheit verehren, so laßt uns sehen, was für Ursach wir haben, die Liebe Gottes hierin zu erkennen. Die Liebe offenbart sich daran, daß sie sich erhält, verbreitet und fortpflanzt, und so zeigt sie sich auch hier darin, daß sie die Menschen mit einander vereinigt, und wenn wir dieses sehen, so werden wir sagen: Dadurch erfreut Gott unser Herz, daß wir seine Liebe wahrnehmen. Wenn alle äußern Ordnungen in dem Maaß entstehen, als die Menschen an dem Boden festgehalten werden, den sie bebauen, so ist das ein Strahl der göttlichen Weisheit und diese spiegelt sich ab in den menschlichen Ordnungen und Rechten. Je reiner der Blick ist, mit dem Alles geordnet, je richtiger die Wage, mit der Alles abgewogen wird, um desto mehr spiegelt sich die Weisheit Gottes; aber was ist das Beste, das Schönste, das Edelste in dieser Vereinigung der Menschen? Doch gewiß die Liebe, die herzliche, wahre, brüderlicher Liebe. Diese nun auch erscheint, so lange die Menschen mehr an dem Unterschied des Viel und Wenig hangen, als eine einseitige und eigennützige, ja selbst in diesem Volk des Alten Bundes, aus dem diese schönen Worte unsers Textes geflossen sind, galt doch im Ganzen die Regel, welche 19 das] daß

32 Wage] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1332–1334

19 Vgl. 1Joh 4,8

21–22 Vgl. Gen 1,28

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Ps 4,8

5

10

15

20

25

30

35

483

Christus an den Pharisäern tadelt: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen“, und das finden wir auch bei allen Völkern in den früheren Graden ihrer Entwickelung. Sie halten zusammen, die sich verbunden haben, sie stehen alle für Einen Mann, und das Schönste ist, daß der Einzelne sich nicht scheut, sein Leben für das Ganze zu opfern, aber dabei giebt es immer Feinde, die gehaßt werden, und Andere, gegen die sie sich gleichgültig verhalten. So ist es | schon lange nicht mehr, und der Geist des Christenthums ist es, der diese Grenzen aufgehoben hat, und der, wenn wir einen als Feind erkennen sollen, sogleich das Gefühl dieser Beschränkung in uns hervorruft. So schert sich denn jedes Volk aus diesen Schranken, die es von andern Völkern trennt, heraus, und je mehr dieses Alles wegfällt, um desto mehr ist auch die geistige Entwickelung möglich. Dieses ist die Kraft der Liebe, und fragen wir wie sich diese entwickelt hat, so müssen wir dem die Ehre geben, der aus Liebe für uns gelitten hat und gestorben ist, und durch den wir auch Gott als die Liebe erkannt haben. Er hat den Seinigen ein neues Gebot gegeben, daß sie sich untereinander lieben sollen mit der Liebe, mit welcher er uns geliebt hat, und das ist doch die Liebe zu allen Menschen und der verdanken wir es auch, daß alle Trennungen unter den Menschen immer mehr verschwinden, und sie immer mehr suchen, Ein Volk zu werden unter Einem Herrn. Und dieses finden wir auch in den äußern Verhältnissen, auch da zeigt sich diese Richtung, und es ist die brüderliche Liebe, die alle die Verschiedenheiten ausgleicht, die der Herr gemacht hat: er schafft den guten Tag neben dem bösen, aber die Liebe ist es, welche diese Unterschiede ausgleicht, und wir müssen uns freuen, daß auch sie immer wieder hervortreten, weil dadurch auch die Kraft der Liebe sich immer von Neuem zeigt. So ist denn das Fest, welches wir heut feiern, ein Fest der Liebe, und die Gaben der Erde freuen uns deshalb, weil sie uns die Kraft der Liebe zeigen, weil sie die Ordnung festhalten in der Natur. So laßt uns denn dem nicht nur die Ehre geben, der dieses Alles so geschaffen, sondern auch die Liebe dessen preisen, der es so gewirkt hat, daß sich in uns immer mehr die Kraft der Liebe entwickeln kann, und so sollen wir immer mehr Eins werden in der Liebe mit der er uns geliebt hat, und alle leibliche und geistige Gaben sollen sich uns erweisen zu dem gemeinen Nutzen, der sich über Alles erstreckt, was fähig ist, den Namen des Herrn zu preisen, wenn es auch jetzt noch nicht dahin gelangt ist, den Namen des Herrn, der über Alles ist, was da Odem hat und lebt. Amen.

6 werden] wurden 1–2 Mt 5,43

15–17 Vgl. Joh 13,34

23 Vgl. PredSal 7,14

24v

Am 11. Oktober 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

25r

17. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 4,7 Nachschrift; SAr 94, Bl. 25r−29v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 68, Bl. 71r−72v; Woltersdorff Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

Die Ungleichheit der geistigen Güter ausgehend von dem Maaße der Gaben Christi. Tex t : Epheser IV. 7.: „Einem jeglichen aber unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maaß der Gabe Christi.“ M. a. Fr.! Diese Worte hängen unmittelbar zusammen mit unserer heutigen epistolischen Lection, die in den vorigen Versen so lautet: „So ermahne nun euch Ich Gefangener in dem Herrn, daß ihr wandelt, wie sich’s gebühret eurem Beruf, darinnen ihr berufen seid. Mit aller Demuth und Sanftmuth, mit Geduld, und vertraget einer den andern in der Liebe, und seid fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Ein Leib und Ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eures Berufs. Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe. Ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch alle, und durch euch alle, und in euch allen.“ Ich habe diese früheren Worte mit in das Gedächtniß rufen wollen, um den Zusammenhang, in welchem der Apostel die eigentlichen Wortes unseres Textes geschrieben hat, desto heller ins Licht zu setzen. Es war also eine gemeinsame Ermahnung, die er aus seiner Gefangenschaft an die Christen erließ, er erinnert sie alles dessen, was sie mit einander gemein haben, fordert sie auf zu einem und demselben Wandel in einem und demselben Beruf und zu dem Festhalten der Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Aber es war wol nicht anders möglich, als daß er in diesem Zusammenhang auch gedenken mußte an die unläugbare Ungleichheit die sich in dieser Beziehung in den geistigen Gütern unter den Christen findet, es 6–14 Die Sonntagsperikope ist Eph 4,1–6.

5

10

15

20

Predigt über Eph 4,7

5

10

15

20

25

30

35

40

485

mußte ihm vorschweben, daß das Gemeinsame wol da sei für Alle, aber doch ungleich vertheilt, er konnte erwarten daß seine Ermahnung wol in herzlicher Liebe aufgenommen würde; aber daß der Erfolg doch ein ungleicher sein mußte bei diesem und jenem, und er spricht sich über diese Ungleichheit in den Wortes unseres Textes aus und zeigt, daß sie von nichts Anderem herrühren als von dem verschiedenen Maaß der Gabe Christi. Das sei es denn, was wir zum Gegenstand unserer Betrachtung machen wollen. Es ist aber nicht zu leugnen, daß, wenn wir auf Neue diese Worte hören, auch gleich Allen manches bedenkliche dagegen einfällt, und daher ist es natürlich, daß wir uns 1. dieses vor Augen halten, um es, so gut es sich thun läßt ganz zu übersehen, | dann wollen wir die Worte des Apostels nach ihrem eigentlichen Inhalt zu erwägen suchen, theils 2. um jenes bedenkliche wegzuräumen und 3. dann das zu finden, was uns Grund geben wird auch diese Belehrung der Schrift uns anzueignen. I. Fragen wir was das beides ist, das Einem so leicht immer wieder vorschwebt, wenn man solche Worte, wie diese vernimmt, daß alle Ungleichheit nur herrührt von den Gaben, die von oben kommen, so ist es einmal dieses, daß es uns will bedünken als ob eine zwiefache Unart der menschlichen Natur durch diese nur zu sehr begünstigt wird, und zweitens, daß wir besorgen müssen, es entgehe uns dadurch etwas, und werde uns geraubt was wir zu dem Wichtigsten und Schönsten in diesem Leben rechnen. Was nun das Erste betrifft, sind wir wol einig, daß die Trägheit ein gar großes Uebel sei in der menschlichen Natur, und auf alle Weise dem Wachsthum des Guten hinderlich, und diese Unart scheint durch diese Lehre begünstigt und gewährt zu werden. Findet der Mensch, daß er zurück bleibt in dem geistigen Leben, daß in den Kämpfen des Geistes und Fleisches er gar viele Siege des letzteren aufzuweisen hat, daß sich die Kraft der besseren Natur nur langsam entwickelt, daß von den Früchten des Geistes wenig in dem Leben zu schauen ist, so sollen wir denken, das müsse dem Menschen ein Antrieb werden weiter zu streben, und das Bewußtsein, wie ferne er noch sei von dem Ziele, müsse ihn treiben noch ernstlicher und eifriger danach zu laufen und zu ringen. Aber wenn man sagt: die Gnade, die du hast, hat ihren Grund in dem Maaße der Gabe Christi, so wird er erwiedern: Wohlan denn, daß ich das Ziel nicht erreichen kann, sehe ich wohl, daß ich aber so weit davon zurück bleibe, hat seinen Grund in den wenigen Gaben, mit denen Christus mich bedacht hat, und es ist dieses nicht meine Schuld, sondern daran liegt es, daß ich nicht mehr empfangen 6 verschiedenen] verschiedenem

25v

486

26r

26v

Am 11. Oktober 1829 vormittags

habe. – Eine andere zweite, dieser dem Schein nach entgegengesetzte Unart der menschlichen Natur, zu der aber doch in jedem Menschen eine gewisse Anlage ist, ist der Neid. Sehen wir nun um uns herum viele Andere, an denen herrliche Tugenden können geschaut werden in reicher Fruchtbarkeit eines gesegneten christlichen Lebens, und wir finden uns | gegen diese zurückbleiben, dann regt sich jene Misgunst in der menschlichen Natur, und dann sagen wir: ungleich ist der Herr, und die Liebe des Herrn gegen die Seinen; wenn doch jene Alles, was sie besitzen, und was wir an ihnen rühmen und ehren, nur empfangen haben, so ist es nur eine Gunst von oben her, da denn kein Grund in ihnen selbst ist. Wäre die Gnade die in ihnen waltet, nicht nach dem Maaß der Gabe Christi, sondern nach dem Maaß ihres Ringens und Strebens ihnen zugetheilt, dann wäre kein Grund sie zu beneiden, dann könnte Ruhm und Lob ihrer Vortrefflichkeit zu Theil werden, und es würde ein Stachel in die Seele sein, um durch ein gleiches Tichten und Trachten ein größeres Maaß der Gnade zu erlangen; wenn aber Alles gegeben ist und wenn von dem Unterschiede nichts auf den Menschen selbst kommt, und es nichts anders ist, als das Maaß der Gabe Christi, so mögen wir Andere beneiden und uns selbst beklagen. Wie nun beides gar zusammen in der menschlichen Seele sein kann, in dem einen Augenblick dieses, in dem andern jenes vorherrschend, bald die Menschen sich in Trägheit können zur Ruhe begeben, bald in Neid gegen einen helleren Glanz christlicher Tugenden verfallen, so sehen wir in denen, in welchen beides zusammen ist, einen vollkommenen Zustand der Unseligkeit, wo an einen Wachsthum des Guten nicht zu denken ist. Nun ist wol offenbar, daß das nicht die Meinung des Apostels sein kann, denn er sagt ja selbst: „Nicht daß ich es ergriffen habe, ich strecke mich zu dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel,“ und er hat dieses Nachjagen als ein wesentliches Stück seines Lebens und auch als ein Vorbild für Alle aufgestellt. Derselbe Apostel weist auch und führt die Christen oft dahin zurück, daß sie es nicht sollen bewenden lassen bei dem empfangenen Maaß der Gabe Christi, sondern eingedenk sein der Worte des Herrn, daß wer da anklopfet, dem wird aufgethan, wer da bittet der empfängt. Daß also jenes seine Meinung nicht sein kann, ist wol gewiß, wie aber die Rede unseres Textes sich mit den andern Aussprüchen verträgt, müssen wir uns erst klar machen; aber wollen wir zum Zweiten sehen was es Großes und Schönes in dem menschlichen Leben giebt, dessen wir durch diese Worte beraubt werden. Das | Größte ohne Zweifel und das Schönste, dessen der Mensch sich erfreut, ist die Liebe und diese scheinen die Worte unsers Textes uns zu nehmen. Wir wissen Alle, wie es mit der Liebe geht, der Mensch kann 20 die Menschen] der Mensch 25–27 Vgl. Phil 3,13

31–32 Vgl. Mt 7,7–8; Lk 11,9–10

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,7

5

10

15

20

25

30

35

40

487

ohne sie nicht sein, er ist ein Kind der Sorge, und er wirkt nur durch sie und in ihr, und so wächst sie auch als ein Bestandtheil seines ganzen Lebens. Aber seine erste Liebe scheint mit dem äußeren Guten, was er empfängt, zu sehr in Verbindung zu sein, und nur eine Folge von der Liebe zu sich selbst und von der Sorge um sein eigenes Wohl zu sein. Später beginnt er Liebe zu fühlen und aus dieser Achtung vor Allem, was ihm in der menschlichen Natur Großes und Schönes und Würdiges zu sein scheint, vor allen ausgezeichneten Gaben des Geistes, vor allen menschlichen Vollkommenheiten, die den geistigen Genuß des Lebens Andern verschaffen, und Alle, welche das in sich tragen, macht er zum Gegenstand seiner Liebe. Anders aber ist es noch in dem Reich Gottes, das durch Christum gegründet ist. In diesem entsteht uns erst recht das Bewußtsein von dem Unterschied zwischen dem alten Menschen, dem doch viele von jenen geistigen Gaben mangeln, und dem neuen Menschen, der doch allein geschaffen ist in Gerechtigkeit und Heiligkeit. Dieser neue Mensch ist doch der schönste Gegenstand der Liebe; aber finden wir, daß es Stufen und Grade in der Liebe giebt, daß es eine giebt, die wir vielen beweisen können; aber dann auch eine innigere herzlichere, die wir nur Wenigen widmen können, so scheint uns dieses richtige Maaß der Liebe und Achtung und mit ihr der Genuß, den wir davon haben können, durch die Worte unsers Textes verloren zu gehen. Wo ist denn der neue Mensch? Nirgends; es ist nur die Gabe von oben, der Mensch ist, was er ist, nicht durch sich selbst und also ist auch kein Unterschied des Einen und des Andern für uns. Weil wir nur auf diese Gabe Christi gewiesen werden, und wir nicht wissen, wie wir den Einen deshalb mehr und den Andern weniger lieben sollen, so scheint uns die Liebe ihre ganze Natur zu verlieren und wir um den wahren Genuß derselben zu kommen. Auch das kann unmöglich der Sinn des Apostels sein, denn wenn er selbst in unserer Epistel die Christen ermahnt, zu wandeln in Demuth, Sanftmuth und Geduld, so sieht er grade auf diese Verschiedenheit, | denn das sind doch nur verschiedene Gestaltungen der Liebe, je nach dem der Zustand der Menschen verschieden ist, und er ermahnt sie auch oft, daß sie die erkennen, welche an ihnen arbeiten, er weist sie hin auf eine schöne Anerkennung aller Verdienste, welche die Einzelnen sich um die Gemeine erwerben können, und so will er diesen Unterschied, diese Vertheilung der Achtung und Liebe aufrecht erhalten. Wie verträgt sich nun dieses mit den Worten unseres Textes? Das werden wir sehen, indem wir II. diese Worte erwägen. Der Apostel sagt: „Einem jeglichen unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maaß der Gabe Christi.“ Was ist denn nun eigentlich das, was wir empfangen haben, und wovon hier die Rede ist; was ist die Gnade, die der Apostel hier meint? Er gebraucht dieses Wort in sehr 28–29 Vgl. Eph 4,1–2

27r

488

27v

Am 11. Oktober 1829 vormittags

verschiedener Bedeutung, aber meist versteht er darunter die einem Jeden von oben gegebene Kraft, für das Reich Gottes wirksam zu sein, und den Kreis den Gott einem jeden anweist, und so hat er das Wort auch hier genommen; denn indem er das verschiedene Maaß der Gnade beschreiben will, so sagt er: „Und er hat etliche zu Aposteln gesetzt, etliche aber zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern,“ und da ist eine Abstufung der Kräfte und Wirkungskreise. Also das ist die Gnade, die der Apostel hier meint; aber was ist denn nun das Gemeinsame in dieser? Das, wodurch beides zusammenfällt, die Kraft des Menschen und sein Wirkungskreis. Nichts anders ist es als die Liebe. So sagt der Apostel selbst, wenn er an alle Mühen und Beschwerden denkt, denen er und die andern Apostel sich unterziehen müssen: „die Liebe Christi dringet uns, also daß wir nicht anders thun können,“ und wenn wir nun den köstlichen Ausdruck Gnade in seinem ganzen Umfang nehmen, wie sie immer ausgegangen ist von Christo, in dem die Gnade Gottes den Menschen erschienen ist, so müssen wir sagen: Wem Christus wirklich erschienen ist, wer in ihm die Fülle des eingeborenen Sohnes vom Vater erkannt hat, in dem ist auch diese Liebe kräftig, und sie ist das Wesen der Gnade, von der der Apostel hier redet. Kann mit diesem nun bestehen eine Trägheit oder ein Neid, wie wir meinten, daß sie in dieser Rede des Apostels Vorschub fände? Die Liebe ist nie ohne Eifer und Streben, dem zu gefallen, den wir lieben, nie ohne Freude an dem, welcher | der Gegenstand unserer Liebe ist. Wenn dem nun so ist, wie können wir ruhig sein, und der Trägheit uns hingeben, wenn wir meinen, daß wir wenig Gnade haben, daß wir wenig wirken in seinem Reich? Die Liebe wird uns drängen, daß wir suchen mehr zu schaffen für den, der uns Alles geschafft hat, und den zu lieben, der uns zuerst geliebet hat. Wie läßt sich das denken ohne einen freien Gebrauch der Kräfte, die in dieser Liebe liegen? Das geht nicht an, und wenn wir auch wissen, das was wir ausüben, haben wir empfangen, so können wir nicht die Hände in den Schooß legen, denn dann wäre es nicht die Liebe, die wir empfangen haben, und haben wir die nicht, so sind wir auch nicht zu denen zu rechnen, die etwas messen können nach dem Maaß der Gabe Christi. Wenn nun aber die Liebe eben so nicht sein kann, ohne Freude an dem, den wir lieben, und alle Gnade die Einer hat, nach dem Maaß der Gnade Christi ihm gegeben ist, so sehen wir überall ihn, der da liebet, der da giebt, von dem Alles kommt, und erblicken wir also Andre, die viel empfangen haben, die auserwählte Rüstzeuge sind in dem Reiche des Herrn, wie können wir da anders, als Wohlgefallen haben an dem, der solche lebendige Steine bildet in dem Tempel des Herrn, wie sollte das können ein Gegenstand des Neides sein, 38 Steine] Stimme 5–6 Eph 4,11

12–13 Vgl. 2Kor 5,14

38–39 Vgl. 1Petr 2,5

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 4,7

5

10

15

20

25

30

35

489

indem wir nichts anderes darin sehen, als den, der der einzige und ewige Gegenstand des Wohlgefallens für uns Alle ist. Was aber das zweite betrifft, so scheint es freilich, wenn wir uns nicht auf wunderbare Weise mit unsern Gedanken und Gefühlen theilen sollen, daß, wenn wir in Allem, was dem Menschen gegeben ist, die Gabe Christi sehen, wenn das der einzige Gegenstand der Liebe ist, was durch den Menschen wird in dem Reich Gottes, und alles Andere nicht für uns so ein Gegenstand der Liebe sein kann, wenn aber jenes Alles das Maaß der Gabe Christi ist und wir in diesem Wohlgefallen an Christo haben, so scheint es, als ob es dabei bliebe, und wir nicht den Menschen lieben können, und daß nur Christus Gegenstand unserer Liebe sein kann, nicht aber die Menschen. Das möchte wol sein, m. F.! wenn es uns nur möglich wäre, das beides von einander zu trennen. Wie können wir, wenn ein Mensch so ist, daß er sagen kann: „Was ich noch lebe im Fleisch, lebe nicht ich, sondern Christus in mir“, wie können wir die, welche diese Gnade empfangen haben, und Christum der sie ihnen zugetheilt hat, trennen und sagen: Das ist Christus und indem ich die Gnade sehe, habe ich Wohlgefallen an Christo, und das ist der Mensch, und das hat er gemacht, und dieses erregt mir Wohlgefallen an dem Menschen? So ist es nicht. Was sollen wir | aber auch anders lieben an dem Menschen, als Christus an ihnen, und wenn es wahr ist, daß die, welche Kinder Gottes werden ihn aufnehmen, wie können wir sie lieben ohne ihn, und wie ist nicht beides Eins und dasselbe? Und nun III. laßt uns meine Fr.! diese Worte auch darauf ansehen, was es mit dieser Ungleichheit, die der Apostel hier ausdrücken will für eine Bewandniß hat? Wenn 1. es darauf ankäme, daß wir die Liebe vertheilen sollen, nach dem Maaß der Gnade, so werden wir uns bald überzeugen können, daß diese Ungleichheit eine solche ist, für die wir kein bestimmtes Maaß haben. Ganz etwas anders ist es, was der Mensch empfangen hat, nach welchem Maaß er Christi Gaben in sich trägt, und wie er sie äußert, was er mit ihnen bewirkt. Der Eine kann mit eben dem Pfund fünfe erwerben, ein anderer zehn, ein Anderer zwei, ein Anderer nur Eins, aber das Maaß der Gaben ist doch nur das, was der Mensch in sich trägt, was er aber damit ausrichtet, dazu gehört noch mancherlei Andres, die Umgebungen die Verhältnisse, in denen er lebt, das, was Andere mitgewirkt haben, und dennoch ist nicht seine Gnade zu messen, darum, wollten wir nach dem Aeußeren das Innere bestimmen, so würden wir nie im Stande sein zu wissen, wie viel Einer empfangen hat; denn können wir wol in dem Reich Gottes anders wirken, als nach dem Maaß, wie wir uns gereinigt haben von der Sünde, 14 mir“,] mir.“,

33 Andres] Anders

13–14 Vgl. Gal 2,20

35 Aeußeren] Aeußerem

30–31 Vgl. Lk 19,11–27

28r

490

28v

29r

Am 11. Oktober 1829 vormittags

und überall muß das innere Wirken dem äußeren vorangehen. – Freilich nicht so, als ob wir nicht eher in dem Reich Gottes wirken können, als bis wir ganz rein sind, aber doch giebt es immer ein Inneres, was dem Aeußeren vorangehn muß, und zu jedem Aeußern muß ein Inneres vorwirken – dieses Innere aber, wer kann es wissen? wer kann die Kämpfe sehen, die Einer durchmachen muß um auch nur wenig in dem Reich Gottes zu dienen, und wenn der neue Mensch der Gegenstand unserer Liebe ist, so ist doch der Grund von diesen Kämpfen in dem alten Menschen, und nicht in dem, der der Gegenstand unserer Liebe ist, und den wir messen wollen; aber das ist auch ein so Inneres | daß es niemand mittheilen kann, und es gehört auch nicht zu der christlichen Liebe und Wahrheit, daß wir es thun; denn warum sollten wir alle die Tiefen enthüllen, aus denen diese Kämpfe entstehen? Jeder streitet sie in sich und wenn jeder redlich an sich arbeitet, so wird auch sein geistiges Auge dafür gestärkt werden. Wenn dieses uns nun verborgen ist, wie wollten wir an den Andern das Maaß der Liebe messen, wie unrecht könnten wir unsere Liebe vertheilen, wenn wir nur auf das äußerlich Erscheinende sehen wollten. Wenn nun aber diese Ungleichheit auf der einen Seite nicht gemessen werden kann, so ist es 2. auch eben so wahr, daß sie nur vorübergehend ist. Was sagt der Apostel nachdem er diese Ungleichheit beschrieben hat, mit den Worten: „Und er hat etliche gesetzt zu Aposteln, etliche zu Propheten, etliche zu Evangelisten, etliche zu Hirten und Lehrern“? Dazu sei dieses geschehen, sagt er, „daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Amts, dadurch der Leib Christi erbauet werde, bis daß wir alle hinkommen zu einerlei Glauben und Erkenntniß des Sohnes Gottes, und ein vollkommener Mann werden, der da sei in der Maaße des vollkommenen Alters Christi.“ So sehen wir also seine Meinung ist nicht, daß wir irgend ein Maaß der Gabe Christi ansehen sollen als das bleibende. Wie wäre das auch möglich, wenn doch der, der da giebt, eine unerschöpfliche Fülle zu geben hat, wenn die göttliche Liebe in ihm und durch ihn giebt, die doch nie geleert werden kann, und die nichts zurückzuhalten braucht. Auf welchem Punkt also wir stehen mögen und Andre, keiner ist ein Punkt der Ruhe, immer sollen wir aufs Neue bitten, daß uns gegeben werde, anklopfen daß uns aufgethan werde, ringen und laufen, daß wir das Ziel erreichen. Erwägen wir dieses, so müssen wir noch dazu nehmen 3. daß diese Ungleichheit nothwendig ist; sie ist nichts anders als die Uebereinstimmung des Reichs der Gnade mit dem Reich der Macht. Da ist auch die Ungleichheit der Vertheilung und | in dieser der, welcher in Allen Alles ist, und in Allen Alles wirkt, und von dieser Ungleichheit in dem Reich der göttlichen Macht rührt auch her die, welche da gegeben ist, wo das Reich Gottes sich aufs Neue erbaut in dem Einzelnen und Ganzen. Daher, wegen dieser Ungleichheit in dem alten Menschen, die dem Einen es 20–22 Eph 4,11

22–26 Eph 4,12–13

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Eph 4,7

5

10

15

20

25

491

schwer macht, dem Andern leicht, daß seine Natur sich der göttlichen Gnade unterwirft, muß auch jene andere sein. Nehmen wir dieses zusammen, so können wir freudig dieses Wort des Apostels aufnehmen, wir wissen es ist ein verschiedenes Maaß der Gnade, und das, was wir haben, kommt von den Gaben Christi, aber dieses Maaß ist nur für den Augenblick, und je mehr wir einander die Liebe mittheilen, um so mehr wird sich auch Alles ausgleichen, je mehr wir nichts wollen als den lieben, der uns erst geliebt hat, um so mehr werden wir auch gelangen zu dem einen und demselben Maaß der Vollkommenheit und Erkenntniß in der Aehnlichkeit des vollkommenen Alters Christi. Sehen wir nun hier Ungleichheit, und bedenken daß wir alle einen Beruf haben, und durch das Band des Friedens die Einigkeit sollen festhalten, so müssen wir bezeugen, daß eben diese Ungleichheit das festeste Band der Liebe ist, denn indem der Mensch von dem Andern empfängt, was ihm mangelt, und andern mittheilt, was er reichlich besitzt, so wird dadurch der Friede und die Liebe festgeknüpft, und so lasset uns denn nicht kleinlich solchen menschlichen Empfindungen Raum geben, die nicht in das Reich Gottes gehören. Einmal giebt es nur einen würdigen Gegenstand der Liebe, und in dem lieben wir uns untereinander, und wie er sich für uns gegeben hat, so sollen wir uns für alle geben, nach dem Neuen Gebot: Liebet euch untereinander mit der Liebe, mit der ich euch geliebt, und dann findet es sich mit der | Demuth, Sanftmuth, und Geduld von selber, und es wird ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über alle und durch alle und in allen und nur in einem solchen Sinn, in diesem ausgleichenden Geist der Liebe, der an Allem, was der Herr thut, sein Wohlgefallen findet, können wir zu dem Maaß der Erkenntniß vorschreiten, daß der Apostel uns aufstellt, und darum lasset uns festhalten an diesem Band des Friedens jetzt und immerdar. Amen.

20–21 Joh 13,34

22–23 Vgl. Eph 4,5–6

29v

Am 25. Oktober 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

30r

19. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Mt 9,1–8 Nachschrift; SAr 94, Bl. 30r–35v; Slg. Wwe. SM, Pommer Keine Nachschrift; SAr 68, Bl. 73r–74v; Woltersdorff Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

25. October 1829. Zusammenhang zwischen der Vergebung der Sünden und der Befreiung vom Uebel. Tex t : Matth. IX v. 1–8. „Da trat er in das Schiff und fuhr wieder herüber, und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sahe, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sahe, sprach er: Warum denket ihr so arges in euren Herzen? Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandele? Auf daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, hebe dein Bette auf, und gehe heim. Und er stand auf, und ging heim. Da das Volk das sahe, verwunderte es sich, und preisete Gott der solche Macht den Menschen gegeben hat.“ M. a. Fr.! In dieser Erzählung sehen wir vor dem Erlöser ausgebreitet die beiden größten menschlichen Uebel; das größte unstreitig ist dieses, wenn der Mensch der Vergebung der Sünde bedarf, weil er sich von ihr bedrückt fühlt, das Zweite ist dieses, wenn er nöthig hat, daß einer zu ihm sagt: „Stehe auf und wandele,“ weil er selbst des Gebrauchs seiner Kräfte nicht mächtig ist. Alle geistigen Uebel gehen immer aus dem Ersten hervor und 7 sahe] vgl. Adelung: Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 23

16 sahe,] sahe;

5

10

15

20

Predigt über Mt 9,1–8

5

10

15

20

25

30

35

493

ist das gehoben, so kann es nur Wahn und Irrthum sein, wenn irgend ein geistiges Uebel uns drückt; alle natürliche Uebel sind es nur deshalb und in sofern, als sie uns des freien Gebrauchs unserer Kräfte berauben. Wir sehen, wie der Erlöser uns in der Ausübung seiner Kräfte einen Zusammenhang darstellt zwischen dem Einen und dem Andern; allein, was er hier thut, thut er nur in einem einzelnen Fall, und soll man aus dem Einzelnen und Besonderen einen richtigen Schluß | machen auf das Ganze und Allgemeine, so ist dabei eine große Behutsamkeit nöthig; doch muß uns viel daran gelegen sein, den Zusammenhang zwischen den beiden Worten des Erlösers „Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben, und „Steh auf, nimm dein Bette und gehe hin,“ uns zu erklären, und daher laßt uns 1. die Erzählung selbst näher mit einander betrachten, und dann werden wir 2. im Stande sein, die Folgerungen daraus für uns und für unser Wirken in der Welt zu ziehen. I. Betrachten wir diese Handlung des Erlösers, so ist darin ein großer Unterschied von ähnlichen Fällen, deren uns so viele von den Evangelisten erzählt werden. Leidende treten vor den Erlöser, und indem er ihre Leiden wahr nimmt, ihre Bitten erhört, befreit er sie von ihrem Uebel; hier wird auch ein Solcher vor ihn gebracht, aber ohne auf seine Bitte zu hören, ohne daß ein Gespräch sich entsponnen, nur da er ihren Glauben sah nicht etwa heilt er ihn von seinem Uebel, sondern sprach: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Nun, meine Freunde, ist das gewiß, [daß] doch wol alle Menschen, die mit irgend einem Uebel behaftet, vor den Erlöser gebracht wurden, in dem Fall waren, daß ihnen das große Wort Noth that, womit der Herr hier so freigebig heraus tritt, und wenn wir das anderswo nicht finden, wie sollen wir uns das erklären? Der Erlöser hatte von Anfang an gesagt, er sei gekommen, die Welt selig zu machen, und das war sein Tichten und Trachten, seine Freude und seine Lust; aber die Seligkeit besteht nicht darin, daß die Welt von dem irdischen Uebel befreit werde, und doch sehen wir ihn von diesem so vieles thun, von dem Ersten treten uns in seinem Leben nur wenige Beispiele entgegen. Wenn nun selbst er nichts verlangt, als dieses, was sollen wir anders sagen, als daß er nicht im Stande war, Vielen von denen, welche er von dem andern Uebel befreite, auch diese Wohlthat zu erweisen. Das hat aber seinen Grund darin, daß es nicht möglich ist, einem diese Wohlthat zu erweisen wider seinen Willen; das Wort | das der Herr hier sprach, wäre in dem Wind geredet gewesen, ohne den Willen dessen, zu dem er es sprach, und nicht nur von dem Wort ist die Rede, sondern auch die Kraft des Erlösers scheitert am 7 Besonderen] Besonderem

30v

31r

494

31v

Am 25. Oktober 1829 vormittags

Meisten an der Verstocktheit und Herzenshärtigkeit der Menschen. So lange ihnen die Sünde noch wohlgefällt, so lange sie sich noch freuen an dem Gesetz in ihren Gliedern: wie kann Einer sie davon lösen? und wollen die Menschen nicht davon befreit sein, so kann auch die Macht des Erlösers nichts bei ihnen ausrichten. Nun sagt uns sein Jünger Johannes von ihm, was auch keines weiteren Beweises bedarf und sehr natürlich ist, daß er wol wüßte, was in einem Menschen war; wurden nun so viele Leidende zu ihm gebracht, und er fragte sie: „Was willst du, daß ich dir thue?“ so war das ein Wort der Liebe, ob er könne eine solche Antwort aus ihnen hervorlocken: „Herr! daß ich selig werde“; aber wenn ihm nichts anders erwiedert wurde als: „Herr, daß ich sehend werde, daß ich höre, daß ich gesund werde:“ so konnte er ihnen auch nichts anderes thun. Hier aber erkannte er ein tieferes Bedürfniß und ein höheres Verlangen, und deshalb sagte er auch zuerst: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Wenn nun, nachdem der Herr dieses Wort gesprochen, die Träger des Kranken mit ihm wieder fort gegangen wären, so hätte dieser zwar das Größte gehabt, was einem Menschen kann verliehen werden, aber freilich auch das andere Wort der Liebe des Erlösers wäre nicht erfolgt. Was war nun, wir wollen sagen in diesem Einen Fall, das Band zwischen beiden? Es war nichts anders als der Unglaube. Etliche aber unter den Schriftgelehrten, die damals grade, wie wir aus den anderen Evangelisten sehen, viel ihn umgaben, sprachen bei sich selbst „dieser lästert Gott, wer kann Sünden vergeben denn allein Gott?“ Da sagt der Erlöser zu ihnen „Wie denkt ihr so Arges in eurem Herzen?“ und freilich er hatte wol recht es so zu nennen, so recht auch jene hatten, wenn sie sagten: „Wer kann Sünde vergeben, denn nur Gott allein?“ Der Erlöser obgleich er in jedem Augenblick sagen | konnte: „Wer mich siehet, der siehet den Vater.“ „Ich und der Vater sind Eins.“ „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben,“ so war er doch weit davon entfernt, dieses immer eben wieder zu sagen, weil es auch nur da konnte aufgenommen werden, wo schon etwas Anderes in dem Herzen des Menschen vorangegangen war. Aber bei aller Wahrheit des Wortes jener: „Wer kann Sünde vergeben, denn allein Gott?“ hatte er doch ein Recht zu sagen: „Was denkt ihr so Arges?“ nämlich von ihm, als ob er sich angemaaßt hätte, ein solches nur Gott gebührendes Werk zu vollbringen, ohne daß er es mit Wahrheit thun konnte. Nicht leicht, m. Fr.! giebt es etwas Aergeres, als was jene von dem Erlöser dachten, wenn der Mensch sich etwas zu thun anmaaßt, was 18 Wort] Kj Werk 1 Vgl. Mk 3,5 2–3 Vgl. Röm 7,23 5–7 Vgl. Joh 2,25 8 Mk 10,51; Lk 18,41 22–23 Diese Aussage der Schriftgelehrten findet sich so nicht im Bibeltext, sondern wurde mit Mk 2,7 erweitert. 26–27 Vgl. Joh 12,45 27 Joh 10,30 27– 28 Joh 6,47

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 9,1–8

5

10

15

20

25

30

35

495

er nicht vermag; aber desto ärger ist dieses, je größer das ist, dessen er sich zutraut, weil er dadurch die Menschen auf einen falschen Weg führt, und sie verleitet, das Große zu suchen, wo es nicht ist. Nun hatte der Erlöser von Anfang an sich den wohl begründeten Ruf erworben, daß auch Solche, die zum ersten Mal zu ihm kämen, sagen mußten: „Herr, wir wissen, daß du Wahrheit lehrest,“ und indem er sich dieses Vertrauen erworben, und auch die damals zu ihm gekommen, um Worte von ihm zu hören, doch in der Voraussetzung es gethan, daß er die Wahrheit rede: So mußte er wol sagen: „Was denkt ihr so Arges“? Dieser Unglaube war es, weshalb der Erlöser sich noch einmal an den wendet, zu dem er das Größere gesagt, und er spricht: „Auf daß ihr aber wisset, daß des Menschen Sohn Macht habe auf Erden die Sünden zu vergeben, so stehe du auf, hebe dein Bett auf und gehe hin.“ Zwischen beides aber wirft der Erlöser die Frage: „Welches ist leichter zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben; oder zu sagen: Stehe auf und wandle?“ Er konnte nicht zweifeln über die Antwort, die sie ihm geben würden, denn indem sie bei sich gedacht, daß des Herrn Worte Gotteslästerung seyen, so hätten sie ja dieses erklärt für ein göttliches Werk; irdisches und leibliches Leiden aber, wie verwickelt es auch sei und für unheilbar erklärt von denen, die dazu berufen sind, | diese Leiden zu lindern – es nicht oft einem Zufall oder einem glücklichen Blick dessen, der die Kunst ausübt. Das also konnten sie nicht für das Größere anerkennen, sondern das Andere; aber wie konnte der Erlöser sagen, daß sie um des Kleineren willen glauben sollen, daß er auch das Größere zu thun im Stande sei? Umgekehrt pflegen wir es immer zu halten, daß, wer das Größere vermag, dem trauen wir auch das Kleinere zu, aber nicht eben so dem, wer dieses thut, halten wir jenes fähig, und so scheint die Forderung des Herrn unsern gewöhnlichen Vorstellungen zu widersprechen. Wie hangen nun diese Worte des Erlösers zusammen? Wir verstehen sie aus dem, was ich eben gesagt, daß das Arge, was sie dem Erlöser zutrauten, die Anmaßung war, daß sie glaubten, er habe sich geirrt, daß er sich dieses zuschriebe. Unmittelbar konnte er ihnen diese Meinung nicht nehmen, denn das läßt sich nicht nachweisen, daß einem die Sünden vergeben sind, und hätte auch jener Kranke gesagt: ich fühle das in meinem Herzen, so wäre ihr Unglaube doch derselbe geblieben und mit eben dem Recht; denn sie hätten nun gesagt: dieser täuscht sich selbst, und bald wird die alte Unruhe seiner Seele wiederkehren, und er woanders seine Zuflucht suchen müssen. Nun aber bei dem Zusammenhang der Worte des Erlösers ist dieses zu merken, daß er wol wußte, sie würden glauben, daß, hätte er sich des Größeren falsch angemaaßt, auch das Kleinere ihm nicht gelingen würde. Das 20 dessen] zu ergänzen wohl überlassen 5–6 Vgl. Mt 22,16; Mk 12,14; Lk 20,21

32r

496

32v

33r

Am 25. Oktober 1829 vormittags

beruhte auch auf einem allgemeinen menschlichen Gefühl. Wir halten es für die natürliche Strafe, daß Einer durch sein eigen Werk und Wort beschämt werde, wenn er sich angemaaßt hat, was ihm nicht gebührt, und was könnten wir anders erwarten, da der Herr diese Worte gesprochen: „Stehe auf und wandle,“ und er auch wirklich aufstand und heimging, als daß Alle sich verwundern und Gott preisen würden, der solche Macht den Menschen gegeben. Zwar ist das nur von dem Volke gesagt, und nicht von denen, welche jene Worte gesprochen, und wir mögen es auch natürlich finden, daß sie zu bestürzt waren, um gleich Gott zu preisen; aber wir sehen es doch, als das allgemeine Gefühl, das die ergriff, | welche das sahen, und indem sie Gott preisen, so meinen sie nicht nur das Letzte, sondern auch jenes: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ II. Wenn wir nun so gesehen haben, wie in diesem einzelnen Fall auf der einen Seite doch die erste Bedingung war zu dem, was der Erlöser thun konnte, daß der, zu dem er das große Wort sprach, auch in seinem Herzen nach der Vergebung der Sünden verlangte, und dann auch, daß der Zusammenhang jener beiden Worte des Erlösers nicht erfolgt wäre, wenn sich nicht der Unglaube zwischen ihn und den Gegenstand seiner Liebe und Barmherzigkeit gelegt hätte: so laßt uns jetzt betrachten, wie weit wir hieraus allgemeine Schlüsse ziehen können. Um nun aber, m. Fr.! von dieser Erzählung eine Anwendung auf uns zu machen, so dürfen wir es uns nicht bergen, daß wir sie machen müssen auf eine doppelte Art. Einmal, auch wenn wir schon aufgenommen sind in die Gemeinschaft mit dem Erlöser, sind wir doch immer noch solche, zu denen der Erlöser sagt: „dir sind deine Sünden vergeben“ weil die Sünde immer noch hervortritt; aber nicht nur dieses allein haben wir zu erwägen, sondern wie der Erlöser in den Tagen seiner Auferstehung zu den Jüngern gesagt hat: „Nehmet hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünde erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet denen sind sie behalten,“ so müssen wir auch die Anwendung der Geschichte insofern auf uns machen, als wir solche sind, die dem Erlöser auch nachsprechen sollen: „Sei getrost mein Sohn deine Sünden sind dir vergeben.“ Indem wir das beides zusammenfassen, so müssen wir anfangen mit dem Ersten auf daß wir wissen, wie es in dieser Beziehung um die allgemeine Gültigkeit der Worte und der That des Erlösers steht. [1.] Es war damals, wie die andern Evangelisten uns erzählen, als der Erlöser aus der Wüste in die Stadt, wo er gewöhnlich sich aufhielt, zurückgekehrt war, ein solches Gedränge um ihn, daß die, welche die Kranken trugen, ihn nicht hindurch bringen konnten, und um zu dem Herrn | zu gelangen, das Dach abdeckten und durch die Ziegel das Bett hinunter ließen, 27–29 Joh 20,22–23 Lk 5,16

35–2 Vgl. Mk 2,1–4; Lk 5,17–19

35–36 Vgl. Mk 1,45;

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Mt 9,1–8

5

10

15

20

25

30

35

40

497

und so kam der Kranke, nach Ueberwindung dieser Schwierigkeiten, vor die Augen des Herrn, der dann die Worte sprach: „Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Wir können es uns nicht bergen, m. Fr.! daß das kein besonderer Umstand ist, sondern es ist immer so, und auch noch jetzt. So wie die Menschen geboren werden und sterben, und nach gewissen Gesetzen allmählig ihre Zahl zunimmt, so ist auch ein steter Wechsel unter denen, welche zum Reich Gottes gehören, und es fehlt nie an solchen, die vor den Erlöser kommen mit dem Wunsch, daß ihre Sünden ihnen vergeben werden, und wo dieser Wunsch kräftig wird, da vernimmt der Mensch auch jene tröstlichen Worte. Aber freilich des Gedränges ist auch viel um den Erlöser, und betrachten wir die, welche um ihn versammelt sind, auch jetzt, so giebt es unter ihnen gar viel neugierigen Volks, welche dann, wenn er erscheint, und die Macht, welche er hat, ausübt, eben so über ihn reden, und arges von ihm denken, wie jene Schriftgelehrten. Durch dieses Gedränge muß der Mensch sich nicht zurück schrecken lassen, er muß suchen in die unmittelbare geistige Gegenwart des Erlösers zu gelangen, und ist das geschehen, dann vernimmt er auch das Wort des Erlösers aus seinem Munde; und so ist denn für uns, insofern wir solche sind, die der Erlösung bedürfen, dieses das Erste, daß wir uns von diesem falschen Gedränge, von dieser äußeren Schaale des Reiches Gottes nicht lassen zurückhalten von dem inneren Kern, und so wie wir wirklich in die unmittelbare Nähe des Herrn angelangt sind, dann wird es uns auch nie fehlen, mit derselben Kraft und Gewißheit, wie wir es wünschen, von ihm das Wort zu vernehmen: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben,“ und wenn wir diese vernommen haben, dann laßt uns auch des andern Worts des Erlösers eingedenk sein: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, so wird euch das Andre Alles zufallen.“ | Wenn wir mehr nicht wollen als dieses, wenn die einzige Frucht ist, die wir davon verlangen, daß wir uns an ihn drängen, daß, indem er das Wort der Vergebung ausspricht er uns den Frieden giebt, der nur ausgeht von der Gemeinschaft mit ihm, so sollen wir denn auch, froh und zufrieden, das gefunden zu haben, wonach wir trachteten nichts weiter erstreben, sondern es darauf ankommen lassen, wie und wann uns das Andere zufallen wird. So war gewiß auch der gesinnt, zu welchem der Erlöser jene Worte sprach; aber der Evangelist erzählt doch, daß der Erlöser zu ihm so sprach, nicht nur weil er seinen, sondern weil er ihren Glauben sah, den Glauben derer, die ihn gebracht hatten. Worauf war denn dieser gerichtet? Die Noth, welche jedem die Sünde macht, ist seine eigenste, sie schließt sich so tief in sein Inneres ein, daß Andere meist nichts davon gewahr werden; aber die Noth, die daraus entsteht, wenn Einer des Gebrauches seiner Kräfte beraubt ist, ist eine gemeinsame, die sehen und fühlen auch andere, und der Glaube derer, die jenen zum Erlöser brachten, war 26–27 Mt 6,33

33v

498

34r

34v

Am 25. Oktober 1829 vormittags

auf nichts anderes gerichtet, als daß er sollte geheilt werden, und hätte er sie gefragt: „Was wollt ihr denn mit diesem“? So würden sie wol nichts anders geantwortet haben, als: „Herr, daß er aufstehe und wandle“, und doch heißt es: als der Herr ihren Glauben sah. Also auch der Glaube war ihm etwas wohlgefälliges, der Glaube daran, daß er auch von irdischer Noth die Gläubigen zu befreien habe. Wie hängt dieses nun zusammen? Konnte der Erlöser die Sünden vergeben, weil er Blinde sehend, Lahme gehend machen konnte, oder vermochte er dieses, weil er die Sünden vergeben konnte? Da mögen wir das Vorhergesagte in Anwendung bringen, daß das Größere nicht um des Kleinen, sondern das Kleine um des Größeren ist, und wenn der Herr nicht der gewesen wäre, der da hätte sagen können: „Wer mich siehet, der siehet den Vater“ so hätte er auch | nicht jene Uebel heilen können. Wohlan denn, meine Freunde, die Menschen sind nicht nur mit dem geistigen Uebel belastet, sondern es giebt auch andre, welche sie drükken und an denen auch wir leiden, aber der Erlöser sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes,“ doch wenn uns unsere Sünden vergeben sind, und wir fühlen noch mancherlei Uebel, so sollen wir warten bis uns auch von diesen die Befreiung zufallen wird; aber es ist ein Glaube, der ihm wohlgefällig ist, wenn wir nirgend anders woher die Linderung dieser Uebel erwarten als von ihm. Dieses wahrlich ist ein Glaube, den wol auch jene haben konnten, daß der Erlöser den Menschen von seinen Uebeln befreien würde, aber indem wir nicht mehr das Einzelne im Auge haben, sondern das Große und Ganze, so müssen wir sagen, daß es keine Quelle giebt alles irdischen Heils, aller Verringerungen der menschlichen Unvollkommenheiten, als die Liebe dessen, der uns erst geliebt, als die Eintracht derer, die sich freuen, daß der Herr solche Macht den Menschen gegeben hat, und diesen Glauben können doch nur die haben, welche von dem Worte: „Sei getrost mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“ die Erfahrung an sich gemacht haben. Wohlan denn, in dem Maaß, als wir das Wort vernommen haben: „Deine Sünden sind dir vergeben“ ist auch der Bund geschlossen zwischen ihm und uns, und in diesem Maaß haben wir auch das Wort auf uns anzuwenden, das der Herr zu seinen Jüngern sprach, und fragen wir nun 2. wie haben wir die Anwendung davon zu machen? und was können wir thun, damit es auch an uns in Erfüllung gehe? Zweierlei ist, was unser Werk in dieser Beziehung ist; das eine thun wir, ohne es zu wissen und zu wollen; das Andere aber können und sollen wir thun mit Wissen und Wollen, ja! wir sollen mit allen Kräften danach ringen. Das Erste nun ist dieses: der Friede, welcher | in die menschliche Seele kommt aus der Ueberzeugung; daß der, welcher voller Gnade und Wahrheit war, indem er uns die Sünden vergiebt, nicht anders könne als die Wahrheit reden, der Friede, 11–12 Joh 14,9

15–16 Mt 6,33

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Mt 9,1–8

5

10

15

20

25

30

35

499

welcher, nach dem er das Wort: „Deine Sünden sind dir vergeben“ vernommen hat, dies andere von selbst ausspricht: „Sündige fortan nicht mehr, sondern folge mir nach“ dieser Friede hat eine Kraft, die wir nicht wissen und nicht begreifen können, und diese Kraft ist eine so wirksame, so allgemein sich mittheilende, wie der Erlöser selbst. So wie er, wo er hin kam, diesen Frieden verbreitete, so soll es auch mit uns sein, und nur in diesem Vertrauen konnte der Erlöser zu seinen Jüngern sagen, daß, wem sie die Sünde vergeben würden, dem solle sie vergeben sein. Nun aber können wir doch nicht anders als davon zeugen, daß wir diesen Frieden nur haben in ihm und durch ihn, und indem wir dieses thun, so kann es auch nicht fehlen, daß nicht auch in Andern die Lust entsteht der selben Gnade theilhaftig zu werden, wozu wir ihnen keinen andern Weg zeigen können als den Heiland, denn dieser allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Das Zweite aber, was wir thun können und müssen, ist dieses, daß wir suchen müssen die Menschen durch das falsche Gedränge um den Erlöser zu ihm selbst zu führen, wir müssen sie durch alle menschliche Meinungen und Satzungen geleiten, daß sie zu ihm selbst kommen. Das, m. Fr.! ist der Glaube, und der Beweis des Glaubens der dem Erlöser am meisten wohlgefällt, und das ist es, was ein Jeder leisten muß in seinem Kreise, damit auch Andre das Wort vernehmen: „Gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben,“ aber so wie bei dem Erlöser das andre Wort auf dieses folgte, so sollen auch wir das Eine auf das Andere folgen lassen. Freilich das Herz findet seine Ruhe schon in dem Wort: „ Deine Sünden | sind dir vergeben“ und in der Befreiung von den geistigen Uebeln, aber um des Unglaubens willen sollen wir Alles, was in unseren Kräften steht, thun, daß auch die leiblichen Uebel verschwinden, und es so thun, daß die Menschen bezeugen müssen, daß es aus derselben Quelle kommt, wie jenes. Wie der Apostel Paulus sagt von sich und seinen Mitarbeitern, sie können nicht anders, als das Evangelium verkündigen, die Liebe dränge sie dazu; so sollen auch wir, so lange wir den Unglauben um uns sehen, der es bezweifelt, ob das Reich Gottes in Christo die wahre Quelle des Heils sei, so lange sollen auch wir frisch ans Werk gehen, um jenen zu zeigen wie auch das, was ihr Tichten und Trachten ist, durch nichts kann erreicht werden, als durch die, welche von der Liebe Christi durchdrungen sind, und wenn wir immer eifrig danach streben, dann, m. Fr.! wird es nicht fehlen, daß Alles Volk Gott den Herrn preise, der solche Macht den Menschen gegeben hat. Je mehr wir, nun von der Liebe Christi gedrungen zum Wohl unserer Brüder, Alles thun, was in unseren Kräften steht, um so deutlicher muß es den Menschen werden, daß die eine Macht nur eine Folge der andern ist, 31 Christo] Christo, 7–8 Vgl Joh 20,23

13 Vgl. Joh 14,6

28–29 Vgl. 2Kor 5,14

35r

500

35v

Am 25. Oktober 1829 vormittags

und daß nur die im Stande sind, menschliche Leiden wahrhaft zu lindern, die sich erst in die Quelle getaucht haben, aus der Ströme des lebendigen Wassers fließt, die vorher selbst das Wort vernommen haben: „die Sünden sind dir vergeben“. So werden wir denn auch unseres Theils die Herolde des Herrn sein und seine Verkünder seiner Herrlichkeit, so wird dieser große Zusammenhang, daß alles Uebel, wie es durch die Sünde gekommen ist in die Welt, auch nicht anders aus ihr kann vertrieben werden, als durch die Befreiung von der Sünde, immer mehr durch uns kund gethan werden, und alles Volk wird sich freuen, daß Gott solche Macht den Menschen verliehen hat. Diese aber, worin könnte sie mehr bestehen, als daß das menschliche Leben immer mehr ein würdiges | Ebenbild dessen wird, der von Anfang an gesagt hat, der Mensch solle ein Bild sein ihm gleich, und aus jener Einen Quelle schöpfend, wollen wir das ganze menschliche Leben immer mehr befruchten, auf daß Alles geschehe zu seinem Preise, und er immer gerühmt werde von denen, die berufen sind, seinen Namen zu verherrlichen. Amen.

2–3 Vgl. Joh 7,38

11–12 Vgl. Gen 1,27

5

10

15

Am 1. November 1829 früh Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

20. Sonntag nach Trinitatis, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Gal 4,9 Nachschrift; SAr 68, Bl. 75r–76r; Woltersdorff Keine Keine Keine

Aus der Predigt am 20. S. nach Tr. 29.

5

10

15

20

Gal 4,9 Nun ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid; wie wendet ihr euch denn um wieder zu den schwachen und dürftigen Satzungen, welchen ihr von neuem an dienen wollt. Gestern war der Tag des Gedächtnisses an das große Werk der Kirchenverbessrung, dessen wir uns alle erfreuen und dem wir den wiedergewonnenen reinen Geist der christlichen Lehre und die freiere Gestaltung des christlichen Lebens verdanken: und so ists diese Angelegenheit die ein ausschließlich Recht hat uns heut zu beschäftigen. Darauf beziehn sich die Worte des Textes. So alt ist dasselbe Uebel in der christlichen Kirche gewesen; denn dieser ganze Brief des Apostels Paulus hat keinen andern Gegenstand als den die Gemeinde zu Galatia zu warnen daß sie sich nicht sollten wieder unter die Knechtschaft des Gesetzes geben womit Gott das Volk des alten Bundes geleitet aber nur als mit einem Zuchtmeister bis der Glaube offenbart würde und der Vollgenuß der Sohnschaft durch Christi und die Freiheit der Kinder Gottes. Wie nun hier der Apostel sagt sie sollten nicht wieder umkehren zu den armen und verkehrten Satzungen des Gesetztes – jene Satzungen waren freilich solche welche äußre Vorschriften des Lebens enthielten aus deren Befolgung eine Gefälligkeit vor Gott entstehn sollte, aber es giebt auch Satzungen von Vorschriften welche unsern Glauben betreffen, nämlich sobald etwas von der Art geboten wird daß wir in solchen oder in solchen Worten das Vertrauen, den Glauben und die Liebe ausspre13 Galatia] Gallatia 6–7 Am 31. Oktober wird der Reformationstag gefeiert.

75r

502

Am 1. November 1829 früh

chen sollen daß wir selber auf bestimmte menschliche Weise das Geheimnißvolle was das Fassungsvermögen des Verstandes übersteigt ausdrükken – so waren ja auch das Satzungen was sich eingeschlichen hatte und als Mißbrauch erkannt wurde und wogegen eben das Werk der Reinigung oder Verbessrung der Kirche gerichtet war; Es waren Satzungen von dieser oder jener Art wovor der Apostel warnt, denn alle menschlichen Bestimmungen gehören dahin mögen sie sich nun auf das Leben oder die Lehre beziehn: Alle Satzungen damals hatten ihren Ursprung in den Satzungen des Judenthums oder des Heidenthums, diese hatten ihren Ursprung in den Gebilden menschlicher Weisheit, und sollten nun angewandt werden auf das so weit davon verschiedne Werk des Glaubens! Und die ganze Geschichte der Kirche ist nichts gewesen als der Streit des reinen christlichen Glaubens gegen die Satzungen menschlicher Bestimmungen, aber wie der Apostel schon sagt von solchen Brüdern, von Völkern die in den Schaafskleidern einher gehen: so waren es auch später diese, wodurch das Uebel größer geworden; denn so wie sie herrschen wollten über die Gemüther und ein äußres Ansehn bauen auf das was geistlich sollte gerichtet und gehandhabt werden: so hatte sich von Anfang an der reine Sinn derer erhoben dagegen die das Rechte gefunden aber immer war ihre Stimme betäubt und zurückgedrängt worden durch die Gewalt der Satzungen von äußren Einrichtungen der Kirche und von Bestimmungen der Ausdrücke der Lehre, bis endlich ein Werk zu Stande kam welches nicht wieder zerstört ward, eine eigne Gemeinde sich gestaltete, der auch wir angehören. Aber so groß ist die Gewalt der Satzungen daß sie sich auch in diese wieder eingeschlichen, und daß sich wenigstens immer die Neigung zeigt solch Menschenwerk geltend zu machen, und die Gefahr daß dadurch das freie Walten des göttlichen Geistes gehemmt werde ist so groß, daß wir uns nichts stärker zuzurufen nöthig haben als dieses darauf bezügliche Wort des Apostels: „Ihr die ihr von Gott erkannt seid, d. h. ihm angenehm gemacht seid in seinem Sohn, wie wollt ihr wieder umkehren zu den Menschensatzungen denen ihr durch ihn entrückt seid zu der Freiheit der Kirche Christi!“ So laßt uns fragen: wie haben wir es zu machen oder was können wir thun um eben diese Gewalt der Satzungen zu brechen und gleichsam einen Damm aufzuwerfen daß sie sich nicht wirklich bei uns einschleichen und das reine Christenthum in Lehre und Leben verderben? Es sind zwei Wege auf welchen sich die Satzungen einschleichen können: [1.] es geschieht nämlich auf der einen Seite durch das vielleicht wohlverdiente Ansehn dessen sich Einzelne erfreuen welche von denen die sie umgeben hoch gestellt werden, denen dann mehrere folgen und die Sache übertreibend das Menschenwort überschätzen. 14–15 Vgl. 2Kor 11,13 in Verbindung mit Mt 7,15

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Gal 4,9

503

2. geschiehts dadurch daß die Feststellung solcher Satzungen als Gebote (die die Gewissen binden) auszugehn scheinen von der Gesamtheit der Kirche. Wie nun Beides verschieden ist, so laßt uns sehn wie wir uns jedes zu vergegenwärtigen haben, um der Gefahr desselben zu entgehen. 5

10

15

20

25

30

35

1. Dem Ersten hat der Herr vorbeugen wollen durch das Wort: Einer ist euer Meister ihr seid Brüder untereinander. | Einer ist unser Meister, Christus, wir alle sind Brüder und keiner ist der sich soll einen Meister nennen lassen da wo Christus der Meister ist und sein soll; und wenn der Apostel ermahnt daß keiner soll halten von sich selbst mehr als sich gebührt so wird das am Besten unterstützt dadurch wenn auch wir von keinem Einzelnen mehr halten als sich gebührt von ihm zu halten. Welche Bescheidenheit hat der Apostel Paulus bewiesen: Es war ein hohes Ansehn dessen er sich mit Recht erfreute da er mehr gearbeitet denn sie alle, aber wie bescheiden bediente er sich desselben wenn er um Rath gefragt wurde, z. B. im Briefe an die Corinther wo er eine ihm vorgelegte Frage beantwortet, wie unterscheidet er da das was er hat aus dem Munde aus dem Geiste des Herrn und was er hat als seine Meinung: jenes gebietet er im Namen des Herrn, dieses spricht er nur aus als guten Rath in seinem eignen nicht im Namen des Herrn[.] – Hat der Apostel so unterschieden wie wollte sich Einer herausnehmen, daß sein Wort soll angewandt werden um die Gewissen zu binden und dann gleich gestellt zu werden welches Gegenstand des Glaubens und Verstandes ist. Davon war der so sehr weit entfernt der in der Kühnheit des Glaubens das Werk begann dessen Gedächtniß wir heut feiern: er wollte nicht daß seine Lehre sollte aufgestellt werden als Norm für die Auffassungsart des göttlichen Worts, er wollte nichts sein, sondern wie er nur wollte widerlegt sein aus der Schrift so sollten auch alle Christen belehrt werden aus der Schrift: das Wort der Schrift war ihm Alles und keines Menschen Wort durfte dem gleich gestellt werden. Das ist der einzige Grund auf welchem die Wahrheit beruht: Aber es ist ihm nicht so gut geworden wie er wol hätte hoffen können weil er sich so stark darüber ausgesprochen! sie haben sich genannt nach ihm, sie haben auf sein Wort geschworen und haben es zum Gegenstand des Glaubens gemacht, ganz gegen seinen Willen. Wo nun das geschieht da wird das Wort des Apostels verletzt worin er sagt: „Den Geist dämpft nicht und verachtet die Weissagung nicht“: (Was er hier Weissagung nennt damit meint er die Belehrung der heilgen Schrift.) Darin ist nun er, 25 Werk] Werk,

37 Schrift.] Schrift,

6–7 Vgl. Mt 23,8 15–20 Gemeint ist Paulus’ Antwort zu Ehe und Ehelosigkeit in 1Kor 7,1–40. 24–25 Gemeint ist Martin Luther. 35–36 1Thess 5,19–20

75v

504

Am 1. November 1829 früh

der das Werk begonnen, uns vorangegangen, daß nichts gelten sollte als die Schrift wie sie Geist und Leben ist, daß daran Alles sollte gemessen werden und danach beurtheilt und daß keiner sein Verständniß als Maaß das der Andern aufstellen soll. Soll das nun so sein so muß jeder gehört werden mit seinem Verstehen der Schrift, und so lange das was der Einzelne sagt nicht dem Geist der Schrift entgegen ist hat keiner das Recht ihn auszuschließen aus der Gemeinschaft des Forschens in der Schrift. Was entsteht daraus wenn wir uns das zur Regel machen keinen Menschen über den Werth des Einzelnen hinaus zu schätzen, als daß wir jeden in Liebe aufnehmen der in der Schrift forscht um den zu finden in dem allein Heil ist und Leben; denn wer das thut der gehört dem reinem Christenthum an, und keine Verschiedenheit der Meinungen soll so gewichtig sein daß sie das Band der Liebe auflösen könnte, sondern die Verschiedenheit soll durch die Wirksamkeit der Liebe sich ausgleichen: ists so, so bleibt die Weissagung d. h. die Belehrung der Schrift hoch geachtet und frei kann der göttliche Geist wirken; wir forschen mitsammen in der Schrift und freuen uns wenn der Herr dies dem Einen und jenes dem Andern zeigt und hoffen daß er das noch fehlende uns zu seiner Zeit offenbaren wird, und sehn auf die Zukunft hin, wo wir in der Bruderliebe dem Ziel näher kommen wo wir im Ausdruck des Glaubens und der Gestaltung der Wahrheit vollendet sein werden. Und so laßt uns, wenn wir deutlich einsehn daß wir frei sein werden von Satzungen weil sich das auf Ueberschätzung gegründete Ansehn Einzelner nicht erhalten wird und keiner durch seine menschliche Meinung wird eine Zwietracht unter den Christen anrichten,

76r

2. fragen: Wie wir zu Werke zu gehn haben in wiefern solche Satzungen auszugehn scheinen von der Gemeinschaft der Christen. Auszugehn scheinen; denn es ist kein Gebot wirklich ausgegangen von der ganzen Gemeinschaft. Es war nie die Gesamtheit der Kirche die sich versammelte um irgend etwas gemeinsam zu suchen und dann nach dem Gutbefinden Aller es festzusetzen, sondern immer waren es nur Stellvertretende und die Stimme der Gesamtheit darstellen Sollende. Und wenn für Alle etwas festgesetzt war so gewannen sie immer bald die Einsicht daß sie nicht im Geist gebunden waren sondern daß sie zur Befolgung dessen was festgesetzt war gebunden waren wider ihre Ueberzeugung; | denn Glaube und Ueberzeugung läßt sich nicht gebieten[.] Wenn die, die Gesamtheit Vertretenden, sich vereinten so sollten sie überlegen was das Beste sei für alle und wenn sie darüber einig geworden oder wenn die Mehrzahl Gleiches für das Beste erkannte so geschah es, weil etwas geschehen mußte für das Bedürfniß des Augenblicks. Aber muß 17–18 Vgl. 2Thess 2,6

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Gal 4,9

5

10

15

20

25

30

35

505

es denn geschehen daß etwas festgesetzt wird für ewige Zeiten in Sachen des Ausdrucks des Glaubens? Dazu ist keine Nothwendigkeit da; jeder muß für sich selbst stehen in dieser Beziehung weil jedem aus der Belehrung der Schrift durch den Geist derselben seine Ueberzeugung sich gestaltet in seiner Sele. Darum sind nie Satzungen menschlicher Bestimmungen richtig in Sachen des Glaubens. In Beziehung auf äußre Einrichtungen giebt es Feststellungen, sie sind ein Werk der Kirche, aber wie immer nur das Bedürfnis des Augenblicks dabei berücksichtigt werden kann, so können doch hernach Andre kommen und sagen mit Recht, daß sie sich auch dafür halten daß sie den Geist haben und wenn wir darauf sehn, daß es nöthig sei etwas zu ordnen so müssen wir sagen, daß die eben auch ein Recht dazu haben die später eine reinere Einsicht bekommen oder nur eine andre weil Alles sich so geändert daß andres nöthig ist, sollten sie dann nicht das Recht haben auch zusammenzutreten und anderes zu setzen. Und so kann in keiner Zeit eine Versammlung das Recht haben für die Gesamtheit der christlichen Kirche und noch weniger für künftige Geschlechter etwas festzustellen; Wie hat der Erlöser gesagt zu seinen Jüngern in Beziehung auf die Zukunft und auf das was sie würden darin zu thun haben? Er hat gesagt: „der Geist wird euch in alle Wahrheit leiten:“ Leiten ist eine allmählige Führung, und der Herr hat es bezeichnet als einen langen Weg um zu dem Ziel des Lichts und der Wahrheit zu gelangen. So hat also jeder Christ das Recht sich leiten zu lassen von dem Geist und jede Gemeinschaft soll von einer Zeit zur andern eben durch diese Leitung des Geistes fähiger werden das Beßre zu finden. Fragen wir aber wann wird je eine Gemeinschaft sein der man solch Recht zusprechen kann für Alle und für alle Zeiten etwas festzusetzen? So sagt es uns der Apostel in dem Wort: „wenn wir werden hinzugenahet sein zu dem vollkommenen Alter Christi, wenn das wird erfüllt sein, daß wir ihm gleich sein werden weil wir ihn sehen wie er ist:“ Ja dann kann man sagen daß es eine Gemeinde gebe die feststellen kann für Alle das Beste weil Wahrheit und Liebe dann gleich ist. Aber wenn diese Vollkommenheit eintritt dann wird auch das wahr sein daß Alles Stückwerk aufhört: aber ist nicht alle Satzung Stückwerk, alles Zusammenbauen aus einzelnen Regeln ists nicht Stückwerk? wenn also das aufgehört, dann haben auch alle Satzungen aufgehört. Und eine solche Gemeinde würde am wenigsten darauf kommen Satzungen zu ordnen, weil sie das Bewußtsein haben würde der vollkommenen Freiheit der Kinder Gottes. [Zu Z. 18–21 rechts am Rand:] dieses sich führen lassen, nämlich, 31 daß] das 19 Vgl. Joh 16,13 1Kor 13,10

26–28 Vgl. Eph 4,13 in Verbindung mit 1Joh 3,2

31 Vgl.

506

Am 1. November 1829 früh

Wenn wir aber zu der Vollkommenheit hinanstreben wollen so laßt uns das uns vorhalten worin der Apostel uns dieselbe darstellt, nämlich das Ihmgleichsein: Er lebte aber in der Welt um zu dienen: und so werden wir denn uns der Freiheit der Kinder Gottes bedienen dazu, daß wir durch die Liebe Einer dem Andern dienen werden, einander dienen jeder mit der Kraft die ihm gegeben ist von Oben, um einzudringen in das Wesen des Glaubens, in den rechten Zusammenhang der göttlichen Wahrheit und in den richtigen Unterschied des Erlösers und der Erlösten. Spricht sich so unsre Freiheit aus, daß wir in diesem ununterbrochenen Dienen unsre Befriedung finden, dann wird keiner herrschen wollen, wie auch keine zu Beherrschende da sein werden und wie auch selbst der Erlöser nicht gekommen ist um zu herrschen: Sondern wie er durch seine höchste Thätigkeit immer gedient hat, so wird auch, wer ihm sein Leben weiht durch alles, auch durch das tiefste Forschen in der Schrift, dienen wollen, und sich dienen lassen um zu erkennen ihn, der derselbe bleibt in Ewigkeit und in dem das ewige Heil ruht. – Zu dieser Freiheit der Kinder Gottes möge die Gemeinschaft der Christen heranreifen durch die Kraft des Geistes der in alle Wahrheit leitet bis wir durch ihn endlich dahin gelangen daß wir ihm, der seinen Geist über uns ausgießt, gleich sein werden, weil wir ihn sehen werden wie er ist!

5 dienen werden,] dienen, werden 11–12 Vgl. Mt 20,28; Mk 10,45

19–20 Vgl. 1Joh 3,2

5

10

15

20

Am 1. November 1829 wohl mittags, Begräbnis Termin: Ort:

20. Sonntag nach Trinitatis, Begräbnis Neuer Friedhof der Dreifaltigkeitsgemeinde vor dem Halleschen Tor Bibeltext: Keiner Textzeuge: Drucktext Schleiermachers; in: Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden, Magdeburg 1834, S. 280–285 Wiederabdrucke: SW II/4, 1835, S. 836–840; 18442, S. 880–884 – Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 5, 1877, S. 686–690 – Schleiermacher als Pädagoge, ed. Keferstein, 1887; 19022, S. 167–173 – Auswahl Predigten, ed. Langsdorff, 1889, S. 165–170 – Pädagogischer Schriftsteller, ed. Barckhausen, Bd. 17, 1914, S. 50–56 – Einzeldruck, 1916, Darmstadt, S. 1–8 – Unsterblichkeit. Deutsche Denkreden, ed. Pohl, 1942, S. 75–82 – Pädagogische Schriften, ed. Weniger, Bd. 2, 1957; 19662; 19843, S. 31–35 – Einzeldruck, 1965, S. 1–7 – Kleine Schriften und Predigten, ed. Gerdes u. Hirsch, Bd. 3, 1969, S. 337–341 – Predigten, ed. Urner, 1969, S. 320–325 Andere Zeugen: Nachschrift; FHDS 34, 104/2, Bl. 1r–8r; NiN Nachschrift; SFK 2, Bl. 1r–5v; NiN Nachschrift; SN 593, Bl. 1r–5r; NiN Nachschrift; Privatbesitz; Ammermüller Nachschrift; SBB Nachl. Ludwig Jonas 6, Bl. 1–4; NiN Besonderheiten: Tageskalender: „Das Begräbnis“

Rede an Nathanaels Grabe den 1. November 1829.

5

Meine theuern Freunde, die Ihr hergekommen seid, um mit dem gebeugten Vater am Grabe des geliebten Kindes zu trauern! Ich weiß, Ihr seid nicht gekommen in der Meinung, ein Rohr zu sehen, das vom Winde bewegt wird. Aber was Ihr findet, ist doch nur ein alter Stamm, der so eben nicht bricht von dem Einen Windstoße, der ihn plötzlich 1 Schleiermachers Sohn, Hermann Nathanael, starb am 29. Oktober 1829 im Alter von neun Jahren an Scharlach; vgl. oben Einleitung, Punkt I.2. 5–6 Vgl. Mt 11,7; Lk 7,24

280

508

281

Am 1. November 1829 wohl mittags

aus heitrer Höhe getroffen hat. Ja, so ist es! Für einen zwanzigjährigen vom Himmel gepflegten und verschonten glücklichen Hausstand habe ich Gott zu danken; für eine weit längere von unverdientem Segen begleitete Amtsführung, für eine große Fülle von Freuden und Schmerzen, die ich in meinem Berufe und als theilnehmender Freund mit Andern durchgelebt habe; manche schwere Wolke ist über das Leben gezogen, – aber was von Außen kam, hat der Glaube überwunden, was von Innen, hat die Liebe gut gemacht: nun aber hat dieser Eine Schlag, der erste in seiner Art, das Leben in seinen Wurzeln erschüttert. Ach, Kinder sind nicht nur theure von Gott uns anvertraute Pfänder, für welche wir Rechenschaft zu geben haben, nicht nur unerschöpfliche Gegenstände der Sorge und der Pflicht, der Liebe und des Gebets: sie sind auch ein unmittelbarer Segen für das Haus, sie geben leicht eben so viel, als sie empfangen, sie erfrischen das Leben und erfreuen das Herz. Ein solcher Segen war nun auch dieser Knabe für unser Haus. Ja, wenn der Erlöser sagt: daß die Engel der Kleinen das Angesicht seines Vaters im Himmel sehen, so erschien uns in diesem Kinde, als schaue ein solcher Engel aus ihm heraus, die Freundlichkeit unsers Gottes. – Als Gott ihn mir gab, war mein erstes Gebet: daß väterliche Liebe mich nie | verleiten möge, mehr von dem Knaben zu halten, als recht sei; und ich glaube der Herr hat mir dieß gegeben. Ich weiß sehr wohl, es giebt weit ausgezeichnetere Kinder an geistigen Gaben, an regem Eifer, und auf die sich weit größere Erwartungen bauen lassen von dem, was sie in der Welt leisten werden, und ich freue mich, wenn es deren recht viele giebt. Als ich ihm den Namen gab, welchen er führte, wollte ich ihn durch denselben nicht nur als eine theure willkommne Gottesgabe begrüßen, sondern ich wollte dadurch zugleich den innigen Wunsch ausdrücken: daß er möge werden, wie sein biblischer Namensahn, eine Seele, in der kein Falsch ist; und auch das hat mir der Herr gegeben. Redlich und treuherzig, wie der Knabe war, schaute er voll Vertrauen Jedem in's Auge, zu allen Menschen sich nur Gutes versehend, und Falsches haben wir nie in ihm gefunden. Und eben deßhalb, meine theuern Kinder, die ich hier um mich sehe, weil er wahrhaft war, blieb er auch frei von manchem Trüben, was sonst auch euren Jahren schon naht, war ihm auch selbstisches Wesen fern, und trug er Liebe und Wohlwollen zu allen Menschen. So lebte er unter uns als die Freude des ganzen Hauses; und als die Zeit gekommen war, da es nöthig schien, ihn in eine größere Gemeinschaft der Jugend und in weitere Kreise des Unterrichts einzupflanzen, fing er auch da an, sich einzuleben und zu gedeihen, und auch der verdiente und wohlgemeinte Tadel seiner Lehrer fiel auf guten Boden. So gedachte ich ihn noch weiter zu begleiten mit väterli-

5

10

15

20

25

30

35

40

Am 1. November 1829 wohl mittags

5

10

15

20

25

30

35

40

509

chem Auge und erwartete ruhig, in welchem Maße seine geistigen Kräfte sich weiter entwickeln und nach welcher Seite menschlicher Thätigkeit hin seine Neigung sich wenden würde. Ja, wenn ich mir oft sagte, in ganz anderm Sinne, als nun geschehen ist: daß es mir nicht gegeben sein würde, seine Erziehung zu vollenden, war ich doch gutes Muths. Ich sah auch das als einen schönen Segen meines Berufs an, daß es ihm dereinst nie fehlen würde, treuen väterlichen Rath und kräftigen Beistand zu finden um meinetwillen; aber ich hoffte, er werde ihm auch nicht entstehen um seinetwillen. Diese mir über Alles wichtige Aufgabe für mein ganzes übriges Leben, an der mein Herz mit voller Liebe hing, ist nun unaufgelöst durchstrichen, das freundlich erquickende Lebensbild ist plötzlich zerstört, und alle Hoffnungen, die auf ihm ruhten, liegen hier und sollen | eingesenkt werden mit diesem Sarge! Was soll ich sagen? Es giebt einen Trost, durch den sich viele fromme Christen beschwichtigen in solchem Falle, den auch mir schon mancher liebe, freundliche Mund in diesen Tagen zugerufen hat, und der um so weniger zu übersehen ist, als er von einer richtigen Schätzung der menschlichen Schwachheit ausgeht; es ist nämlich der: daß Kinder, die jung hinweggenommen werden, doch allen Gefahren und Versuchungen dieses Lebens entrückt und zeitig in den sichern Hafen gerettet sind. Diese Gefahren wären auch gewiß dem Knaben nicht ganz erspart; aber doch will dieser Trost nicht recht bei mir haften, wie ich bin. Wie ich diese Welt immer ansehe als die, welche durch das Leben des Erlösers verherrlicht und durch die Wirksamkeit seines Geistes zu immer unaufhaltsam weiterer Entwicklung alles Guten und Göttlichen geheiligt ist, wie ich immer nur habe sein wollen ein Diener des göttlichen Wortes in freudigem Geist und Sinne: warum denn hätte ich nicht glauben sollen, daß der Segen der christlichen Gemeinschaft sich auch an ihm bewähren würde, und daß durch christliche Erziehung ein unvergänglicher Saame in ihm wäre niedergelegt worden? Warum sollt ich nicht auch für ihn, selbst wenn er strauchelte, auf die gnädige Bewahrung Gottes hoffen? Warum nicht fest vertrauen, daß Nichts ihn werde aus der Hand des Herrn und Heilandes reißen können, dem er ja geweiht war und den er auch aus kindlichem Herzen schon angefangen hatte zu lieben, wie denn noch eine seiner letzten besonnenen Aeußerungen in den Tagen der Krankheit eine freundliche Bejahung war auf die Frage der Mutter: ob er auch seinen Heiland recht liebe? – Und diese Liebe, wäre sie auch nicht gleichmäßig fortgeschritten, hätte sie auch bei ihm ihre Störungen erfahren, – warum sollte ich nicht doch glauben, daß sie ihm nie würde verloschen sein, daß sie ihn doch dereinst würde ganz beherrscht haben? Und wie ich Muth gehabt hätte, das Alles mit ihm durchzuleben, ihn dabei zu ermahnen, zu trösten, zu

282

510

283

Am 1. November 1829 wohl mittags

leiten, so ist mir jene Betrachtung nicht so tröstlich, wie vielen Andern. Auf andre Weise schöpfen viele Trauernde ihren Trost aus einer Fülle reizender Bilder, in denen sie sich die fortbestehende Gemeinschaft der Vorangegangenen und der Zurückgebliebenen darstellen, und je mehr diese die Seele erfüllen, um desto mehr müssen alle Schmerzen über den Tod gestillt werden. Aber dem Manne, der | zu sehr an die Strenge und Schärfe des Gedankens gewöhnt ist, lassen diese Bilder tausend unbeantwortete Fragen zurück und verlieren dadurch gar viel von ihrer tröstenden Kraft. So stehe ich denn hier mit meinem Troste und meiner Hoffnung allein auf dem bescheidenen aber doch so reichen Worte der Schrift: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wenn es aber erscheinen wird, werden wir Ihn sehen, wie Er ist! und auf dem kräftigen Gebete des Herrn: Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die seien, die du mir gegeben hast. Auf diesen starken Glauben gestützt und von kindlicher Ergebung getragen, spreche ich denn von Herzen: Der Herr hatte ihn gegeben, der Name des Herrn sei gelobt dafür, daß er ihn mir gegeben, daß er diesem Kinde ein wenn auch kurzes doch helles und heiteres und von dem Liebeshauche seiner Gnade erwärmtes Leben verliehen, daß er es so treu bewachet und geleitet hat, daß sich nun dem theuern Andenken nichts Bitteres beimischt, vielmehr wir bekennen müssen: daß wir reichlich gesegnet worden sind durch das liebe Kind. Der Herr hat es genommen; sein Name sei gelobt, daß er es, wiewohl genommen, uns doch auch gelassen hat; daß es uns bleibt auch hier in unauslöschlichen Erinnerungen ein theures und unvergängliches Eigenthum. Doch ich kann mich nicht trennen von diesen der Verwesung geweihten Ueberresten der lieblichen Gestalt, ohne nun auch noch, nachdem ich den Herrn gepriesen, den gerührtesten Dank meines Herzens auszusprechen vor Allen der theuern Hälfte meines Lebens, durch welche Gott mir dieses Kind geschenkt, für alle mütterliche Liebe und Treue, die sie ihm bewiesen von seinem ersten bis zu seinem letzten in ihren treuen Armen ausgehauchten Athemzuge, – und meinen lieben ältern Kindern Allen für die Liebe, mit der sie diesem Jüngsten zugethan waren und es ihm erleichterten, heiter und froh seinen Weg zu gehen in den Schranken der Ordnung und des Gehorsams, – und allen lieben Freunden, die mit uns sich an ihm gefreut und mit uns um ihn gesorgt haben, zumal aber Euch, liebe Lehrer, die Ihr es Euch zur Freude machtet, an der Entwicklung seiner Seele thätigen Theil zu nehmen, und Euch, ihr lieben Gespielen und Mitschüler, die Ihr ihm in kindlicher Freundschaft zugethan waret, denen er so manche von seinen froheren Stunden verdankte, und die Ihr auch um ihn 11–13 Vgl. 1Joh 3,2

13–14 Joh 17,24

5

10

15

20

25

30

35

40

Am 1. November 1829 wohl mittags

5

10

15

20

25

30

35

511

trauert, weil Ihr gern auf dem | gemeinschaftlichen Wege noch weiter mit ihm fortgegangen wärt, und allen denen Dank, die mir diese Stunde des Abschieds schöner und feierlicher gemacht haben. Aber mit dem Danke verbindet sich ja immer gern eine Gegengabe; und so nehmet denn Ihr Alle zum Andenken an diesen mir so schmerzlich bedeutenden Augenblick noch eine wohlgemeinte Gabe christlicher Ermahnung. Meine Gattinn und ich, wir haben Beide dieses Kind herzlich und zärtlich geliebt, und überdieß sind Freundlichkeit und Milde der herrschende Ton unsers Hauswesens; und doch zieht sich durch unsere Erinnerungen an das Leben mit dem geliebten Knaben hie und da ein leiser Ton des Vorwurfs hindurch; und so glaube ich denn, es geht vielleicht Keiner dahin, gegen den diejenigen, die am meisten mit ihm zu leben hatten, sich, wenn sie sich vor Gott prüfen, vollkommen genügten, wäre auch das anvertraute Leben nur eben so kurz gewesen, wie dieses. Darum laßt uns doch uns Alle untereinander lieben, als Solche, die uns bald, und ach wie bald! könnten entrissen werden. Ich sage das euch Kindern, und glaubt mir: dieser Rath, wenn Ihr ihm folgt, wird Euch keine unschuldige Freude trüben, aber Euch gewiß vor vielen, wenn auch nur kleinen Verschuldungen bewahren. Ich sage es euch Eltern; denn wenn Ihr nicht in meinen Fall kommt, werdet Ihr Euch desto ungetrübter der Frucht dieses Wortes erfreuen. Ich sage es mit meinem besten Danke euch Lehrern; denn wenn Ihr auch zu sehr im Großen mit der Jugend zu thun habt, um Euch mit dem Einzelnen besonders in Verhältniß zu setzen, so wird doch immer mehr Alles, was Ihr thun müßt, um Ordnung und Gesetz aufrecht zu halten, von dem rechten Geiste heiligender christlicher Liebe durchdrungen sein. Ach ja, lasset uns Alle einander als Solche lieben, die bald von einander können getrennt werden! Nun du Gott, der du die Liebe bist, laß mich auch jetzt nicht nur deiner Allmacht mich unterwerfen, nicht nur deiner unerforschlichen Weisheit mich fügen, sondern auch deine väterliche Liebe erkennen! Mache mir auch diese schwere Prüfung zu einem neuen Segen in meinem Berufe! Laß für mich und alle die Meinigen den gemeinsamen Schmerz ein neues Band, wo möglich noch innigerer Liebe werden und ihn meinem ganzen Hause zu einer neuen Anfassung deines Geistes gereichen! Gieb, daß auch diese schwere | Stunde ein Segen werde für Alle, die hier zugegen sind. Laß uns Alle immer mehr zu der Weisheit reifen, die, über das Nichtige hinweg sehend, in allem Irdischen und Vergänglichen nur das 15–16 Vgl. Joh 13,34

27–28 Vgl. Joh 13,34

29 Vgl. 1Joh 4,16

284

285

512

Am 1. November 1829 wohl mittags

Ewige sieht und liebt, und in allen deinen Rathschlüssen auch deinen Frieden findet und das ewige Leben, zu dem wir durch den Glauben aus dem Tode hindurch gedrungen sind. Amen. Dr. Schleiermacher.

Am 8. November 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

21. Sonntag nach Trinitatis, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Eph 6,17 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 94, Bl. 36r–40v; Slg. Wwe. SM, Pommer (Fragment) Keine Keine Nachträgliche Ergänzung einer römischen Zählung und des kirchlichen Sonntagsnamens im Manuskript; vgl. oben Einleitung, Punkt II.3.D.

8. November 1829 Das Wort Gottes das Schwert des Geistes

5

10

15

20

Tex t : Eph. VI, 17.: „Und nehmet den Helm des Heils, und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“ M. a. Fr! In diesem Abschnitt, den ich in seinem ganzen Zusammenhang als bekannt voraussetzen zu können glaube, beschreibt uns der Apostel die ganze geistige Rüstung des Christenthums in einem ausgeführten Bild, als aus mannigfachen Stücken bestehend, von denen einige den Zweck haben, den Streiter zu stärken und die Kraft seiner Glieder zusammen zu halten, andere den, die Waffen des Feindes, die gegen ihn gerichtet sind, abzuwehren und unschädlich zu machen, aber nur dieses einzige Stück nennt er, das für den Streiter Gottes bestimmt sei zu handeln; Alles Andere ist Schild und Helm und was die Glieder bedeckt, aber zum Angriff nur das Eine „Das Schwerdt des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“ So laßt uns denn, m. Fr! dieses in Betrachtung ziehen, [1.] in welchem Sinn und warum so ganz allein und ausschließend das Wort Gottes das Schwerdt des Geistes sein soll, und erwägen, was durch dieses Schwerdt soll eigentlich ausgerichtet werden und dann werden wir uns leicht und von selbst noch von zwei anderen Punkten überzeugen 2. daß wir nichts anderes an dessen Stelle setzen könnten 3. daß es als Schwerdt nichts ande6–14 Vgl. Eph 6,10–16

36r

514

Am 8. November 1829 vormittags

res, auszurichten bestimmt und gegeben ist, als was sich uns der Natur der Sache nach in unserer ersten Betrachtung darbietet.

36v

37r

I. Wenn der Apostel, m. Fr! hier ausgeht von dem Bild eines Streiters im Kriege, indem er redet zu den Christen von dem Kampf, den sie zu bestehen hätten nicht etwa nur mit der menschlichen Schwachheit, sondern mit großen, und gefährlichen Gewalten, und nach Allem andern dieses Eine, das Wort Gottes erwähnt als das Schwerdt des Geistes, was kann er denn | da gedacht haben, daß der Streiter des Herrn mit diesem Schwerdt ausrichtet? Es ist dieses ein verwundendes und tödtendes Werkzeug aber kein edler Krieger hat ja an und für sich und ursprünglich die Absicht zu tödten, aber unterwerfen will er durch die Gewalt daß seine Sache siege und wie der Apostel sagt, das Feld behalte. So ist es auch mit dem Schwerdt des Geistes, in die Hand der Streiter gegeben von dem, der nicht Gefallen hat an dem Tod des Sünders aber unterworfen soll der Menschen werden dem ewigen Rathschluß Gottes zu seinem Heil, der verkündet wird durch das Wort Gottes, und dazu eben bedarf es dieses zweischneidigen Schwerdts, wie die Schrift es sonst nennt. Das Wort Gottes, m. Fr.! was der Apostel damals konnte im Sinne haben, waren nicht die theuren Bücher unsers Neuen Bundes, die damals noch nicht vorhanden und gesammelt waren; aber Zweierlei hat er im Sinn: das Wort Gottes in dem Alten Bunde, auch nicht so fern es ein Buchstabe war; denn oft sagt er: der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig; sondern in so fern es als Geist, als Sitte und Ordnung, als bewegende Kraft lebte in seinem Volke, und in diesem Sinn sagt er ausdrücklich in dem Brief an die Römer, daß auch das Gesetz geistig sei. Das Andre aber, was der Apostel meinte, war das lebendige Wort der Boten des Friedens, die den Menschen verkündigten, daß das Reich Gottes nahe herbei gekommen sei, und sie ermahnete, daß sie sich versöhnen ließen mit Gott. So ist denn die eine Schneide dieses Schwerdts die Stimme des Gesetzes, die der Apostel so oft ausruft, und sie reden läßt zu den menschlichen Gemüthern also: „Sie sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes den sie vor Gott haben sollen, da ist keiner der Recht thut, auch nicht Einer“ und eben durch diese Allgemeinheit der Beschuldigung, bringt dieses Schwerdt des Geistes eine so mächtige Wirkung hervor. So lange nur die | Rede ist von den allgemeinen Schwächen der menschlichen Natur, wie sie in diesem so, in jenem so sind, so lange man im Einzelnen das Mehr oder Weniger der Fehler und Sünden vergleicht, aber auch 1 uns] aus

8 daß] das

35 im] in

12 Vgl. Eph 6,13 13–14 Vgl. Ez 18,23; 33,11 16–17 Vgl. Hebr 4,12 21– 22 2Kor 3,6 23–25 Vgl. Röm 7,14 26–27 Vgl. Lk 10,9; 21,31 27–28 Vgl. 2Kor 5,20 30–32 Vgl. Röm 3,23

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 6,17

5

10

15

20

25

30

35

515

das Mehr und Weniger der Kraft und Gottseligkeit, so lange behält der Mensch noch immer etwas, wo hinter er seine Eitelkeit verbergen kann, und er hat immer noch eine Reihe die hinter ihm ist, und nur mit blinzelnden und sparsamen Blicken sieht er auf die, welche vor ihm sind, aber die Allgemeinheit dieser Beschuldigung: „Sie sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen“ und weil sie alle Sünder sind, sind sie auch alle gleich vor Gott – diese Allgemeinheit der Beschuldigung wirft den Menschen nieder, wenn dieses Schwerdt des Geistes ihm entgegen tritt, und das ist diese segnende Wirkung des Wortes Gottes, daß es die Menschen niederwirft, damit sie nachher frisch wieder aufstehen. Das Zweite nun ist die herrliche aber doch auch gewaltige den Menschen niederwerfende Stimme des Evangeliums. Es ist freilich die Verkündigung der Boten des Friedens aber welche Worte mußten sie reden, ehe sie die Menschen unter dieses Eine beugten? Freilich hatten sie nichts anders zu reden, als dieses, daß Gott seinen Sohn gegeben für uns, da wir noch Sünder waren, aber sie mußten auch hinzufügen: wie wollten wir entrinnen dem Zorn Gottes, wenn wir diesem nicht folgen? Dieses sei, so wie das einzige Wahre, wogegen das Frühere nur ein Schatten, eben so das Letzte, und wer diese Gnade verschmähe, für den sei keine Rettung mehr. So, m. Fr.! so fand das Evangelium die Menschen, daß es nicht anders als mit dieser gewaltigen und schneidenden Sprache selbst das Wort der göttlichen Liebe verkündigen konnte; darum aber eben vermahnt der Apostel alle Christen, alle ohne Unterschied, sie sollten dieses Schwerdt nehmen, und nicht nur zu den Christen jener Zeit ist | das gesagt, sondern zu uns allen, und nicht nur zu denen unter uns, die etwa Gelegenheit haben, von den äußersten Grenzen der Kirche das göttliche Wort denen zuzuführen, die noch in dem Schatten des Todes wandeln, so zu uns allen; denn so wie das ein allgemeines Wort ist, welches die Stimme des Gesetzes ausspricht, so thut auch diese Warnung, mit der das Evangelium begleitet wird, allen Menschen Noth, ehe sie der Stimme des Evangeliums Gehör geben und sich in den neuen Bund der Gnade und des Friedens aufnehmen lassen. Es hält schwer, daß der Mensch, und auch der, in welchem schon manche geistige Kräfte geweckt sind, es hält schwer und kostet einen großen Kampf, bis er sich entschließt, sich ganz und gar auf Christi Gnade zu verlassen, und nicht auf seine eigenen Kräfte vertrauend versuche, wie weit er sich von dem Bösen befreien könne; und so lange er das nicht thut, nicht gegen ihn das Schwerdt des Geistes gezogen werde, bis er wisse, daß die, welche alle Sünder sind, und von denen keiner gerecht ist, auch nicht in sich die Kraft tragen, sondern sie erst empfangen müssen um zu den Wohnungen des 37 werde] worden 15–16 Vgl. Röm 5,8

18 Vgl. Hebr 10,1

39–1 Vgl. Joh 14,2

37v

516

Am 8. November 1829 vormittags

Friedens zu steigen, und daß sie nicht anders, als so vom Tod zum Leben durchdringen können. – Eben deshalb, m. Fr.! weil alle Menschen mit diesem zu kämpfen haben, thut es Noth, daß wir

38r

38v

II. uns überzeugen, daß wir an die Stelle dieses geistigen Schwerdts, des Wortes Gottes, nichts anders setzen können. Freilich unter Christen soll es nicht Noth sein, darauf die Aufmerksamkeit zu richten, und es durch eine genauere Betrachtung deutlich zu machen, daß wir eine menschliche Weisheit an diese Stelle nicht setzen können, daß wir, auf diese sehend, gedemüthigt werden durch ihre schwache Kraft. Wir, die wir die ganze segensreiche Geschichte des Evangeliums vor | uns haben, die wir alle Versuche kennen, die früher und gleichzeitig unter allen Völkern gemacht sind, um sie durch die von Gott dem menschlichen Geist gegebenen Kräfte zu einer höheren Stufe zu erheben, wir wissen es aus der Erfahrung, und aus diesem großen Zeugniß, daß Gott die Weisheit der Welt nicht erwählet hat, und was den Weisen der Welt eine Thorheit oder ein Aergerniß war, darauf hat er das Heil der Menschen gebaut. Die Weisheit der Menschen hat zwei Stufen. Auf der niedrigen tritt sie auch auf in Gestalt des Gesetzes, und deshalb sagt auch der Apostel Paulus in dem Brief an die Römer, daß die Heiden, wie wol sie ohne Gesetz gelebt und gesündigt, doch dem Volke Gottes ganz ähnlich wären, denen Gott das Gesetz gegeben weil sie sich ein Gesetz geworden und damit bezeichnet er diese niedrige Stufe der Weisheit, welche das Recht von dem Unrecht unterscheidet, welche lehrt, was zu thun und zu lassen sei und zeigt, was der Beifall und was der Tadel der Menschen bewirke. Aber wie der Apostel sagt, von dem Gesetz überhaupt, daß es keine andre Kraft habe als den Menschen zur Erkenntniß der Sünde zu bringen, so müssen wir sagen, daß in dem Maaß, als der Mensch dieses Gesetz, was aus der Mitte der Gesellschaft, in der er lebt, hervorgegangen ist, achtet, so legt er sich auch den Ruhm davon bei, und dadurch verliert es auch noch diese Kraft, daß es ihn zur Erkenntniß der Sünde bringt. Sagt sich der Mensch: das hättest du auch eben so wissen können, so giebt er nicht nur dem Gesetz, sondern auch sich selbst den Ruhm, und kommt es auf die Ausführung an, so tröstet er sich leicht damit, daß die alten Gewohnheiten zu überwinden nur ein Werk der Zeit sei, und so bleibt er immer der er gewesen ist, und das Wohlgefallen und der Beifall, den er dem Gesetz giebt, überwiegt das Misfallen an der Sünde. Eine höhere Stufe der Weisheit aber giebt es noch, auf welcher sie sich mehr zu der Aehnlichkeit der göttlichen erhebt, wo sie es einsieht, daß der Buchstabe | tödtet, 23 der ... Tadel] Kj den Beifall und was den Tadel 1–2 Vgl. Joh 5,24 26 Vgl. Röm 3,20

14–16 Vgl. 1Kor 1,18–31 37–1 Vgl. 2Kor 3,6

18–21 Vgl. Röm 2,14

24–

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 6,17

5

10

15

20

25

30

35

40

517

daß es des Geistes bedarf, der ihn belebt, und so entwickelt die menschliche Weisheit die richtige Gesinnung des Menschen, unterscheidet die Triebfedern, welche ihn bewegen und welche ihn bewegen sollen, stellt das Niedere und Höhere in diesem geheimen Getriebe neben einander, und trachtet danach, daß das Niedere von dem Höheren soll überwunden werden. Daß diese menschliche Weisheit nicht ganz ohne Frucht bleiben kann, wer wollte es leugnen? aber über wie wenige haben diese Früchte sich erstreckt, weil schon vieles dazu gehört, um an derselben Theil zu nehmen und dann laßt uns auch bedenken, wie unvollkommen doch immer noch das erreichte Ziel war, wie wenig die Weisen jeder Zeit über das, was das allgemeine Band der Finsterniß ihrer Zeit war, sich erheben konnten, und wie ungenügend ihre Weisheit uns bei dem Lichte des Evangeliums erscheint. Doch lassen wir das, da wol von selbst keiner, welcher die Kraft des göttlichen Worts erfahren hat, diesem die menschliche Weisheit an die Seite setzen wird; aber ein Anderes ist noch das, wenn wir zurück gehen auf die anderen Theile jener Rüstung, die der Apostel uns beschreibt, ob wir nicht bei diesen das Schwerdt des Geistes entbehren können. Sehen wir zurück auf jene Rüstung, wie der Apostel sie uns beschreibt, so finden wir darin freilich alle herrliche Tugenden, zu denen das Evangelium die Menschen hinzieht, und die es als Gaben der neuen Gemeinschaft, und des Lebens in dem Geiste Gottes in ihnen entwickelt. Da ist aufgestellt als ein Harnisch Gottes, der uns in den Stand setzt, an dem bösen Tage Widerstand zu thun, die wahre Weisheit der Kinder des Lichts, wenn sie auch den Kindern der Finsterniß ein Aergerniß und eine Thorheit scheint, und wenn der Apostel sagt: „So steht nun, umgürtet eure Lenden mit Wahrheit, und angezogen mit dem Krebs der Gerechtigkeit,“ wie stellt der uns dar die Kraft der Einfachheit des Herzens und der Wahrhaftigkeit | des Gemüths? und wenn er sagt, wir sollen gestiefelt sein an Beinen als fertig zu verkündigen das Evangelium des Friedens; wie stellt er uns dar die Kraft der Geduld, welche allen Widerstand überwindet, und nur danach strebet, daß Christus immer mehr in uns lebet und wirket. Wider diesen köstlichen Schild des Glaubens, von dem alle Pfeile der Widersacher nicht nur abprallen, sondern auch erlöschen und dieser Helm des Glaubens, der, je höher er sich mit seinem hoch ragenden Busch auf dem Haupte des Kämpfers erhebt und die Blicke der Schwächeren stärkend an sich zieht, um so mehr die Welt überwindet – mit allem diesem was für herrliche, christliche Tugenden bezeichnet der Apostel, heilsam für alle, an denen das Schwerdt des Geistes seine erste Wirkung schon gethan hat. O! keine von diesen köstlichen Tugenden wollen wir in unserer Mitte entbehren, und wenn wir auch so wenig des Kampfes zu bestehen, auch so geringe Widersacher zu bekämpfen haben, so laßt 21–22 Vgl. Eph 6,11 Eph 6,16

25–26 Eph 6,14

27–29 Vgl. Eph 6,15

31–33 Vgl.

39r

518

39v

Am 8. November 1829 vormittags

uns doch nie diese Rüstung ablegen, denn wir wissen nicht, wie bald der böse Tag hereinbrechen kann, wie ein Dieb in der Nacht, wo wir alle diese Stücke gebrauchen, doch die Stelle des Wortes Gottes, das Schwerdt des Geistes, können sie nicht vertreten. Wahr sagt die Schrift: „der natürliche Mensch vernimmt nicht, was von dem Geist Gottes kommt!“ all jene christliche Tugenden sind das Werk des Geistes, und so lange der Mensch den nicht erfahren hat, weiß er auch nicht von dem, den der Geist Gottes treibt, woher er kommt und wohin er fährt, und so sind ihm diese entweder ganz unbekannt, oder er macht sich ein falsches Bild davon, indem er sie mit seinen Anstrengungen vergleicht. Darum, m. Fr.! erst muß das Wort Gottes sein Werk an den Menschen hervorgebracht haben, und dann nur kann er von den Gaben in der Kraft des Geistes streiten. Aber laßt es uns auch nicht vergessen, daß der Apostel indem er alle Christen ermahnt daß sie das Schwerdt des Geistes ergreifen sollen, dieses zuletzt nimmt, und das hat er nicht umsonst gethan. Alle | andre Stücke dieser Rüstung müssen uns gewohnt und leicht sein, wir müssen uns frei mit ihnen bewegen und so zu handhaben wissen, um mit Erfolg das Schwerdt des Geistes zu ziehen; denn m. Fr.! erst das Bewußtsein von der seligmachenden Kraft des Evangeliums kann den Menschen befähigen und stärken, dieses Schwerdt des Geistes zu gebrauchen. Anders heißt es hier nie als: Was wir erfahren haben, von dem reden wir, und nur von dem das Herz voll ist, kann der Mund übergehen. So kann nur der Gebrauch jener andern Waffen uns die Fähigkeit geben, das Schwerdt des Geistes zu ziehen, aber so wie wir zuletzt von jener Rüstung dieses Stück gebrauchen können, so bleibt auch das fest, m. Fr.! daß das Wort Gottes allein mit der Schärfe dieses zweischneidigen Schwertes den Anfang machen kann, um die Menschen zur Seligkeit zu führen. III. Aber laßt uns nun auch sehen, wie wir es als solches zu nichts Anderem gebrauchen dürfen, als eben hierzu. Versetzen wir uns in das Bild des Apostels, in die Zeit des Krieges und Streites, so ist das ein Zustand, nach dessen Ende sich jeder sehnt, und so ist auch uns verheißen ein Zustand, wo nicht mehr das Schwerdt des Geistes seine Wirkung zu thun braucht, weil alle Knie sich beugen vor dem Herrn und alle Zungen bekennen seinen heiligen Namen. Aber wie beschreiben wir jenen Zustand des Friedens? Die Schwerdter verwandeln sich in Pflugscharen und aus den Furchen, welche das Eisen zieht, entsprießt nicht mehr Tod und Verderben sondern Heil und Segen: So auch sagt der Apostel von dem göttlichen Wort, daß es nütze sei zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung 20 nie] wie 1–2 Vgl. 1Thess 5,2; 2Petr 3,10 4–5 1Kor 2,14 21 Vgl. Mt 12,34; Lk 6,45 32–33 Vgl. Phil 2,9–11 34 Vgl. Jes 2,4; Mi 4,3 36–1 Vgl. 2Tim 4,2

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Eph 6,17

5

10

15

20

25

30

519

in der Gerechtigkeit. Dieses sind die herrlichen Werke des Friedens, welche das göttliche Wort betreibt, wenn es als Schwerdt des Geistes seine Wirkung gethan hat. Hat sich der Mensch dem göttlichen Rathschluß unterworfen, dann wandelt sich das Schwerdt in eine sanfte Stimme | des Friedens, dann thut das liebliche Bild des Erlösers immer mehr die Wirkung auf seine Seele, daß er den erkennt, der voller Gnade und Wahrheit den Menschen gegeben ist; dann behält er das Eine Gebot, welches alle anderen überflüssig macht, indem er die Brüder liebt mit der Liebe, mit welcher der Herr uns zuerst geliebt hat. Und dann wirken diese Worte des Friedens alle Züchtigung und Besserung, und wenn sie zuerst als die Milch des Evangeliums den Menschen gegeben sind, dann werden sie hernach auch die stärkere Speise, welche vorgeschritten sind in das männliche Alter, so daß sie sich immer mehr vertiefen können in das Geheimniß des Evangeliums. Aber die Schärfe des Schwerdtes ist von ihnen abgekehrt, und denken wir uns eine Gemeinschaft von Christen, die sich dem Evangelium willig unterworfen haben, dann haben sie das Schwerdt nicht mehr zu fürchten und es ist unter ihnen nicht zu hören und zu sehen. Aber wie viele Warnungen giebt uns die Schrift, daß wir das Wort Gottes als Schwerdt des Geistes nicht zu andern Zwecken gebrauchen? Diesen Misbrauch aber hat jene Verdunkelung der christlichen Kirche herbeigeführt, aus welcher zu der Zeit, als Gott es bestimmt hatte, jene große, schöne Reinigung hervorging, von welcher wir neulich sprachen. Als der Herr auf der Erde wandelte, kam ein Mensch zu ihm, der ihn bat, er möchte doch das Erbe theilen zwischen ihm und seinen Brüdern. Da ergrimmte der Herr und wies ihn zurück, und hielt eine kräftige Rede gegen die, welche so an dem Irdischen hangen, daß sie auch das Höchste damit vermischen. Und wie oft hat man nicht, wie jener barbarische Krieger, der sein Schwerdt in die Waagschale warf, als es sich um das Mein und Dein handelte, das Wort Gottes als Gewicht gebraucht in den Dingen dieser Welt; doch ist das wol dem Willen des Apostels gemäß? Nein, gewiß nicht. Das Wort Gottes ist nur ein Schwerdt des Geistes für das menschliche Herz, aber alle irdischen Angelegenheiten überläßt es zu ordnen, wenn dieses nicht mit Ruhe und Frieden geschehen kann, dem Schwerdt des Rechts und Gesetzes. Wie deutlich | sagt nicht die Schrift, daß die, welche in der Gemeine des Herrn auf besondere Weise dem Worte 11 Speise] Kj Speise bekommen 8–9 Vgl. 1Joh 4,19 10–12 Vgl. Hebr 5,12–14 19–22 Gemeint ist die Reformation; vgl. Predigt vom 1. November 1928 früh 22–26 Vgl. Lk 12,13–21 26– 28 Gemeint ist Brennus, Heerführer der gallischen Senonen, welcher 387 v. Chr. Rom einnahm und plünderte. Mit einem Lösegeld konnten die Gallier zum Rückzug bewegt werden. Es heißt, dass die Römer Brennus vorwarfen, falsche Gewichte zur Ermittlung des Lösegeldes zu benutzen; daraufhin warf dieser sein Schwert in die Waagschale, wodurch sich das Lösegeld erhöhte.

40r

40v

520

Am 8. November 1829 vormittags

Gottes dienen, nicht die Gewissen beherrschen sollen, sondern nur Vorbilder sein für ihre Herde; und doch wie oft wird noch das Wort so gemisbraucht, die Gewissen zu beherrschen, sie zerspalten das Eine Gebot des Herrn, daß wir uns untereinander lieben sollen mit der Liebe, mit welcher er uns geliebt hat, in eine Menge von Satzungen und Rechten, nach denen sie das Leben der Menschen richten und messen, was sich doch gar nicht so messen läßt; denn der Geist Gottes giebt seine Gaben dem weniger, jenem mehr, aber bei Allen sollen sie sich erweisen zur Ordnung und zum gemeinen Nutzen. Darum, m. Fr.! lasset uns ja uns hüten vor allem Misbrauch dieses Schwerdts; würdiget uns der Herr es zu ziehen in seinem Dienst, so sei uns dieses immer ein gesegnetes Geschäft, aber dann laßt uns bedenken, daß wir alle der Gnade unterworfen sind und wir einander den Frieden mittheilen sollen. Wo das leichte Schwerdt des Friedens herrscht, da laßt es uns anwenden zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, da laßt uns gemeinsam forschen nach der Wahrheit des Evangeliums; aber keiner maaße sich eine Gewalt an, die ihm nicht gebührt, keiner wolle in der Gemeine des Herrn das Schwert aufrichten, wo nur die Palme des Friedens weht, und Alle vereinen und verbinden soll. Hat doch noch immer das Schwerdt des Geistes genug zu thun, giebt es doch noch so viele, die erst durch die geistige Macht desselben müssen unterworfen werden. Deren Werk laßt uns begleiten mit unserm Flehen und Beten, wozu auch der Apostel gleich nach unserem Text die Christen auffordert, indem er spricht: „Und betet stets in allem Anliegen mit Bitten und Flehen im Geist und wachet dazu mit allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen, und für mich, auf daß mir gegeben werde das Wort mit freudigem Aufthun meines

[Textabbruch durch Überlieferungsverlust]

3–5 Vgl. Joh 13,34

23–25 Eph 6,18–19

5

10

15

20

25

Am 22. November 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen:

Besonderheiten:

29. Sonntag nach Trinitatis (Totensonntag), 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Petr 1,24–25 Nachschrift; SAr 54, Bl. 145r–154r; NiN, in: Schirmer Sämmtliche Werke, ed. Grosser, Bd. 2, 1873, S. 478–484 und Separatdruck, 1873, S. 5–15 (Textzeugenparallele) Nachschrift; FHDS 34, 104/3, Bl. 1r–8r; NiN Nachschrift; SAr 96, Bl. 1r–10v; Slg. Wwe. SM, Buttmann Nachschrift; SAr 96, Bl. 11r–21v; Slg. Wwe. SM, Buttmann Nachschrift; SAr 97, Bl. 1r–5v; Slg. Wwe. SM, NiN Nachschrift; SAr 106, Bl. 32r–32v; Crayen Keine

Am Todtenfeste, am 29. Sonntage nach Trinitatis 1829.

5

10

15

20

145r

Tex t : 1 Petri 1, 24 und 25. Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen; Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. Das ist aber das Wort, welches unter Euch verkündiget ist. Meine andächtigen Freunde! Es ist eine wunderbar genaue Beziehung zwischen diesen Worten der Schrift und dem heutigen Fest. Sehet da, überall in der Mitte dieses großen Wohnplatzes der Menschen erblickt ihr zerstreut diese Stätten, in denen das Wort verkündet wird, von welchem der Apostel redet; sie füllen sich besonders an dem Tage des Herrn, und dann schweigt das rege frische Leben, welches sonst überall um diese Stätten sich vernehmen läßt. Wenn aber hier das Wort verkündet ist, so geht auch draußen um sie her dieses rege Leben wieder an, es beschäftigt sich meist mit dem, was dieser Welt angehört, mit dem Nichtigen und Vergänglichen; doch ist es auch mehr oder weniger von dem, was hier verkündet wird, durchdrungen. Sehet Ihr aber noch weiter hinaus, so findet Ihr diese Wohnstätten umgeben von den Stätten des Todes, welche immer fort sich anfüllen, und die Füße derer ruhen nicht, welche täglich die Überreste des Flei|sches hinaustragen. Aber in diesem immerfort sich erneuernden und wiederholenden Leben, giebt es auch Abstufungen, und eine solche haben wir heute.

145v

522

146r

146v

Am 22. November 1829 vormittags

Der Kreislauf der Zeit, die sich anschließt an die Offenbarung Gottes in seinem Sohne, ist wieder vollendet, uns nahen die Tage, wo wir wieder aller Welt verkünden die Freude, die ihr widerfahren ist. Aber eh’ wir aufs neue den Christen zurufen: „Freuet Euch, das Wort ist Fleisch geworden“, werden alle Blicke der Christen hingerichtet auf die Stätten des Todes, und wir sprechen: „Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume.“ Doch der Apostel kann dieses nicht sagen, ohne hinzuzufügen: „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit; das ist aber das Wort, welches unter Euch verkündigt ist.“ Und so sind wir, m. F., dazu heute besonders hergerufen, daß indem wir die traurigen Blicke, die thränenden Augen, die auf die Stätten des Todes gerichtet sind, wohin der eine oder andere der Seinigen einige getragen hat, zu erheitern suchen, das Herz erquickt werde durch den Trost, daß das Wort des Herrn ewig bleibt. So laßt uns denn sehen, wie der Apostel das Vergängliche und Ewige verbindet, indem wir Beides, das Vergängliche, wie das Ewige in seinem ganzen Umfange | und in seiner eigenthümlichen Kraft betrachten und darauf laßt uns jetzt unsere Aufmerksamkeit richten. 1. Wenn der Apostel sagt, alles Fleisch sei wie Gras, so bringt er uns dadurch zuerst auf eine sinnliche Weise vor Augen, diese große Menge des menschlichen Lebens, die, überall auf dem Erdboden dichtzusammengedrängt, immer wieder sich erzeugt und aufs Neue vergeht. Wie die Grashalme der Wiese, die Ähren des Feldes keiner zählen kann so legt er uns hier vor Augen die Menge und Mannigfaltigkeit des menschlichen Lebens, denn von diesem sagt er, es ist wie Gras, und dieses Gras – wie vergänglich ist es nicht! Bald ist es der Wind der darüber fährt, und es verdorret, so daß seine Stelle nicht mehr gefunden wird, bald ist es die Sonne, die es mit ihren brennenden Strahlen versengt, bald die Sichel des Schnitters, die alles zu gleicher Zeit hinwegräumt, das Reife, wie das Unreife, damit es dem Zweck des Menschen diene. So sagt der Apostel, alles Fleisch ist wie Gras. So wie dieses in Menge da ist, so muß es auch hinweggerafft werden mit einander und durch einander; das, was klein ist und unscheinbar mit dem, was hoch emporgeschossen ist und hervorragt von dem übrigen, eins ist, wie das andre. Aber wenn der Apostel sagt, alles Fleisch ist | wie Gras, so meint er nicht etwa nur diesen irdischen Leib des Menschen, der von der Erde genommen ist und zu Staube wird, sondern wie er in diesen Worten eine Stelle aus dem Buche drprper Psalmen im Sinne hat, wo es ebenso heißt: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet, wie ein Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer da und ihre Stätte kennet sie nicht mehr:“ so versteht er auch unter diesen Worten das ganze 37–40 Ps 103,15–16

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 1,24–25

5

10

15

20

25

30

35

40

523

menschliche Leben, und nicht nur die leibliche Seite allein. Wie auch, m. F., können wir beides trennen, wie können wir sagen, daß etwas verrichte die Seele durch sich selbst, ohne des Leibes zu bedürfen! Oft zwar haben sich ehedem die Weisen dieser Welt mit diesem Gedanken getröstet, sie haben eine Scheidewand ziehen wollen zwischen dem, was die Seele durch ihren Leib vollbringt, und dem, was sie ganz aus sich schafft; aber das letzte wird eigentlich gar nicht gefunden. Alles, was uns lebhaft bewegt, was wir allmählich erforschen, sei es von der Schöpfung der Welt, oder von der umgebenden Natur, oder von den menschlichen Dingen, woher anders, als durch diese Thore des Leibes gehet es ein in die Seele? und sind sie geschlossen, so ist es auch aus mit aller Betrachtung und keine Erkenntniß mehr geht für die Seele auf, die an diesen Leib gebunden | ist. Und sehen wir auf das innere Getriebe des Geistes, ist der Mensch wohl eines einzigen Gedankens mächtig? kann er eine Bewegung dieses geheimnißvollen Wesens festhalten, wenn er nicht zu Hülfe nimmt das Wort und die Sprache? Und diese haftet ja auch an den geheimen und köstlichen Werkzeugen des Leibes. Kann einer von uns sich rühmen, daß er irgend einen Gedanken erfassen könnte, wenn er die Sprache nicht hätte? Aber diese hat doch ihren Sitz in dem Leibe und ist an ihn gebunden, und wollen wir uns vorstellen, wie wir unserer Gedanken auch mächtig sein könnten ohne die Worte, so sehen wir bald, wie nichtig und eitel dieses Bemühen ist. So sagt denn der Apostel: „Alles Fleisch ist wie Gras, der Mensch ist in seinem Leben wir Gras.“ Aber noch mehr, alle Herrlichkeit der Menschen ist wie des Grases Blume. Was hat er wohl verstanden unter dieser Herrlichkeit der Menschen? O doch gewiß nicht diese Spielereien für das Auge und für die Eitelkeit, die der Mensch aus der Erde hervorwühlt, nicht diese Schätze des Goldes und Silbers, die ihren Werth nur haben, wenn sie niemand hat, sondern wenn sie umhergehn aus einer Hand in die andere – sondern die Herrlichkeit sind eben die ausgezeichneten Eigenschaften des menschlichen Geistes. | Darum vergleicht er sie auch mit einer lieblichen Blume, die aus dem Grase sich hervorhebt; aber so wie diese mit dem Grase vergeht, so auch unsere menschliche Herrlichkeit. Sehet da unsere Wahrnehmungen, unsere Gedanken, wie sie sich gestalten zu den Werken der Kunst, die oft nach Jahrhunderten noch das Auge und Ohr der Menschen entzücken und ihnen eine Ahnung geben von dem Himmlischen. Nicht nur vergeht das Auge und das Ohr, für welches sie unmittelbar geschaffen sind, sondern auch sie selbst sind der Vergänglichkeit Raub. Sind sie auch, wenn das Volk, unter dem sie entstanden, ausgestorben ist, noch übrig, so ist das doch nur ein Schattenleben, welches sie führen, und die Sicherheit ist gar gering, mit der wir wissen, was die, welche sie hervorgebracht und welche im Anfang sich ihrer erfreuten, dabei empfunden haben. Also vergehet Alles. Alle die geistigen Gaben und Talente des Menschen, eben weil sie auch an der Sprache han-

147r

147v

524

148r

148v

149r

Am 22. November 1829 vormittags

gen, die da lebt und nachher stirbt, vergehen mit dieser, und so ist auch diese Herrlichkeit nur wie des Grases Blume. Alles, was der Mensch durch die Kräfte des Verstandes, durch beharrlichen Willen ausübt, o es ist eine Herrlichkeit, je mehr der Mensch dabei sich selbst vergißt, und nur das Große und Ganze | im Auge hat; aber auch diese Herrlichkeit vergeht, wie des Grases Blume. Das, m. Fr., ist die ganze Fülle der menschlichen Vergänglichkeit, der wir ins Auge zu schauen aufgefordert sind. Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume; das Gras ist verdorret und die Blume ist abgefallen. Je länger wir den Lauf des menschlichen Lebens verfolgen, je weiter wir auf die vergangenen Geschlechter zurücksehen können, umso mehr müssen wir die Wahrheit dieses Wortes rühmen, wenn wir auch davor schaudern. Je mehr wir auf einen engen Kreis, in dem wir uns bewegen, beschränkt sind, um desto tiefer, um desto inniger ergreift uns diese Wahrheit. Auch das liebste menschliche Leben, es ist wie Gras, und die anmuthigste Seele wie des Grases Blume. 2. Wohlan denn, meine Freunde, lasset uns nun nach dem Zweiten fragen, von welchem der Apostel redet, „aber des Herrn Wort bleibet ewiglich, das ist aber das Wort, welches unter Euch verkündiget wird.“ Die Stelle aus dem Buch der Psalmen, die der Apostel hier im Sinne hat, sagt etwas anderes, und wohlbedächtigt ist er von jenem Worte abgewichen. Dort heißt es: | „Die Gnade aber des Herrn währet von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind.“ Warum ist der Apostel denn wohl abgewichen von jenen Worten? Ach, meine Freunde, weil der nichtige Sinn der Menschen sie gar zu leicht auf das Nichtige wendet. Wenn wir heut diesen Abschnitt in unserem kirchlichen Leben feiern und dann nach einigen Wochen ein neuer Abschnitt in dem bürgerlichen Leben folgt und viele ihre Blicke zum Himmel richten und Gott danken für das Gute, das er ihnen gethan, ach, wie oft schätzen sie ihr Glück nur nach dem Ruhm und der Ehre, die sie bei den Menschen erwerben, wonach messen sie es mehr, als nach den Schätzen, welche gehäuft sie umgeben, und viele der Besseren, wonach mehr, als nach den freudigen Tagen, die sie vollbracht in der Fülle der Gesundheit und Jugend. Aber das ist doch nur wie das Gras. Darum hat der Apostel jene Worte nicht gebraucht, sondern er sagt: „das Wort des Herrn bleibet ewiglich.“ Das erste Wort des Herrn, von dem wir wissen, ist das, wodurch Himmel und Erde geschaffen sind. Wohlan, freilich wissen wir, daß dieses ewig bleibt. Alles Einzelne vergeht, alles Lebendige ist wie das Gras, und der Weltkörper selbst, | den wir bewohnen, wenn wir ihn weiter durchstreifen, überall wandeln wir auf Trümmern unermeßlicher Vergänglichkeit; aber das 22–23 Ps 103,17

36–37 Vgl. Gen 1,1

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Petr 1,24–25

5

10

15

20

25

30

35

40

525

schaffende Wort, die Kräfte, welche den göttlichen Gesetzen folgen, die dieses Wort ausgesprochen, die bleiben immerdar. Jedoch, m. F., wenn wir nichts wüßten, als daß dieses Wort ewig bleibt, wäre das ein großer Trost für uns, wenn wir so durchdrungen sind von der Vergänglichkeit alles Endlichen? Es gehört eine starke Seele dazu, zu sagen: „ich weiß, daß alles vergänglich ist, daß alles Fleisch ist wie Gras, alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume; aber ich will doch, so lange mir zu wirken vergönnt ist, arbeiten an dem schaffenden Worte des Herrn, dessen Fülle sich entfalten wird in den nachlebenden Geschlechtern der nachlebenden Menschen“ – es ist dieses ein Trost, den der starke Geist sich gern aneignen möchte; doch das schwache Herz unterliegt dem Schmerz über seine Nichtigkeit. Der Apostel meint auch dieses Wort nicht. Er sagt: „das Wort welches unter Euch verkündiget wird.“ Er spricht ja zu den Christen und unter denen ist verkündigt das Wort des ewigen Lebens, die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, und wir, m. F., die wir auch der Verkündigung dieses Wortes theilhaftig gewor|den sind, die wir in ihm einen neuen Frieden gefunden haben, den die Welt nicht geben kann, wir haben diesen größeren und stärkeren Trost, daß wir wissen, dieses Wort, das unter uns verkündiget ist, bleibet in Ewigkeit. „Gern, müssen wir sagen, will ich scheiden aus diesem Leben, von dieser Welt, in der sich der göttliche Geist den Menschen offenbart, von diesem Schauplatz der ewigen Liebe Gottes, die den Blick des Menschen über diese Stätte des Todes erhebt. Aber wenn nun auch ich, dieses Einzelwesen, den Schauplatz dieses Lebens verlasse, wenn alle Thätigkeiten des Geistes schwach werden mit den Werkzeugen, an die sie gebunden sind, wenn das Herz; das wir so nennen; abhängig ist von dem Herzen, das in uns schlägt; wenn wir finden, daß selbst die schönen Empfindungen der Seele sich abstumpfen mit denen des Körpers, wenn ich mir nichts anderes sagen kann, als: ‚hört dieses Ohr auf zu hören, schließt dieses Auge sich ganz der Welt, in der sich Gott offenbart, dann ist auch alles vorbei für dieses einzelne Wesen’: so soll doch der Trost sein für mich, das Wort, welches unter uns verkündiget wird, bleibet ewiglich; ist auch | die einzelne Seele vergänglich, wird auch nichts mehr gefunden von allen früheren Geschlechtern, so bleibet doch das Wort der Liebe, und dessen will ich mich freuen“. Doch, m. th. F., wir werden hieran nicht genug haben, wir sehen uns in den Worten des Apostels nach etwas anderem um. Je mehr wir durchdrungen sind von dem Bewußtsein der menschlichen Vergänglichkeit, um so weniger können wir uns entschließen, an nichts anderes, als an dieses zu glauben; und wenn auch alles wahr ist – wie es denn wahr ist – was wir uns eben vor Augen gehalten, Eines ist doch, wovon wir sagen müssen, 15–16 Vgl. Joh 1,14

17–18 Vgl. Joh 14,27

29–30 Vgl. Ps 94,9

149v

150r

526

150v

151r

Am 22. November 1829 vormittags

es ist nicht von dieser Welt, und das ist das Wort, das von Anfang an also lautet: „Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“; das Wort, das so lautet von Anfang an: „Und Gott der Herr blies dem Menschen seinen Odem ein und da wurde er die lebendige, vernünftige Seele.“ Ja, es ist wahr, von allem, was uns diese Welt zum Gegenstande hat, von allen, auch den edelsten Bewegungen des Gemüthes, die es nur mit dem Menschlichen zu thun haben, von allem diesen können wir sagen, es ist von dieser Welt und es gehört der Vergänglichkeit an; | aber daß der Mensch das Bewußtsein des ewigen Wesens in sich trägt, daß er nicht nur sich selbst lieben kann, sondern daß er fähig ist Gott zu lieben, deshalb, m. gel. F., ist ja der Saame des unvergänglichen Wortes Gottes in seine Seele niedergelegt und dieses Wort Gottes, das unter uns verkündiget wird, bleibt ewiglich; aber es bleibt auch überall ewiglich, wo es ist, und es zieht mit sich empor aus der Vergänglichkeit den Geist, in welchem es seinen Sitz bekommt. Wenn das Wort des Lebens unter uns nur verkündiget ist durch Christum den Herrn, wenn wir sagen müssen, das Ebenbild Gottes war in der menschlichen Seele so gesunken, die Liebe zu ihm so erstickt in einer knechtischen Furcht, daß das Wort erst verkündet ward, als der erschien, von welchem es heißt, daß in ihm das Wort Fleisch geworden ist: so wollen wir doch nicht sagen, daß nur die das Loos der Vergänglichkeit nicht trifft, die ihn schon auf bewußte Weise angenommen haben, sondern wie der Apostel sagt, daß von Anfang an alle Dinge zu ihm geschaffen sind, so ist auch alles Menschliche von Anfang an sein Eigenthum gewesen und wird es bleiben. Wäre es nicht möglich ge|wesen, daß das Wort Fleisch geworden, so hätte auch nicht können das Bewußtsein Gottes in der menschlichen Seele aufgehen; eines ist der Anfang, eines die Vollendung; aber Er ist das A und das O, der Anfang und die Vollendung. Das Wort aber, das unter uns verkündiget ist, hat selbst gesagt: „wo ich bin, da sollen auch die sein, die Du mir gegeben hast,“ und der Glaube sagt, daß Gott ihm gegeben habe alle menschlichen Seelen und er ist es, der alle der Vergänglichkeit entreißt und mit sich in die Ewigkeit zieht. Auf ihm ruht unser Vertrauen und die Ewigkeit des Lebens haben wir in ihm und durch ihn; durch ihn und um seinetwillen war die menschliche Natur dazu erkohren und erwählt, und so wie er das Licht ist, so ist er auch die Ewigkeit, welche die Vergänglichkeit zu sich erhebt. So ist unsere Hoffnung auf ihn gegründet, denn er verschmäht nicht, uns Brüder zu heißen. Aber freilich erfreuen können wir uns dieses Trostes in diesem vergänglichen Leben nur in dem Maße, als wir wirklich mit ihm verbunden sind und in seiner lebendigen Gemeinschaft stehen. Darum müssen wir von den Worten unseres Textes auf die früheren 2 Gen 1,26 3–4 Gen 2,7 19 Vgl. Joh 1,14 26–27 Vgl. Offb 1,8 28–29 Joh 17,24

22 Vgl. Röm 11,36; Kol 1,16

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Petr 1,24–25

5

10

15

20

25

30

35

527

Worte des Apostels gehen. Es sind dieses die Worte, die wir neulich betrachtet | haben. Da ermahnt er seine Brüder in dem Herrn, daß sie sollten ihre Seelen keusch machen im Gehorsam der Wahrheit zu ungetrübter Bruderliebe, und dann führt er fort: als die wiedergeboren sind nicht aus vergänglichem, sondern unvergänglichem Saamen, nämlich aus dem lebendigen Worte Gottes, das da ewiglich bleibt, und dann sagt er weiter: denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume; das Gras ist verdorrt und die Blume abgefallen, aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. So bleibet es auch in einem jeden, der unvergängliche Saame des ewigen Lebens, und so verherrlicht sich uns erst die Vergänglichkeit in das ewige Leben, wenn wir wiedergeboren sind. Da beginnt ein neues Leben, alles bekommt einen höheren Sinn, eine höhere Bedeutung, da ist es etwas anderes, was wir fühlen in jedem Pulsschlage unseres Herzens, etwas anderes was unseren Geist bewegt, wenn es sich in die Tiefe der Betrachtung versenkt. Denn überall erkennen wir da die göttliche Liebe, die sich unserer erbarmt und sich aller erbarmen will; überall finden wir in dem Vergänglichen die Ruhe des Ewigen, mitten in dem Strei|te des Lebens den Frieden, welchen die Welt nicht kennt, und unter den Zerstörungen des Lebens die Liebe des Vaters, das lebendige Wehen des göttlichen Geistes, der immer aufs Neue ruft: „Abba, lieber Vater!“ die herrliche Gemeinschaft mit dem, welcher freilich allein war der Abglanz des göttlichen Wesens, der aber allen, die ihn aufnehmen, die Macht giebt, Gottes Kinder zu heißen. Wohlan denn, m. F., so sei uns denn willkommen die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Ein Geschlecht muß dem anderen Platz machen auf der Erde, denn sie ist der Ort, den Gott bestimmt hat, um den irdischen Geist zu verklären durch den himmlischen. So sei uns gesegnet die menschliche Vergänglichkeit, denn je mehr wir sie fühlen, desto mehr tritt uns auch entgegen die Gnade Gottes, der in uns lebt und webt, von dem Seinigen nimmt und uns verklärt. Wie sollten wir anders, als mitten in der Vergänglichkeit uns der Unvergänglichkeit freuen? wie sollte es nicht wahr sein, daß er, der Weg und die Wahrheit und das Leben, dem Tode seinen Stachel genommen und die Mächte der Finsterniß überwunden hat? Mit ihm sind wir des Lebens theilhaftig, von | dem wir wissen, obgleich es vergänglich ist, so bleibet es doch, und wir sind unserer Ewigkeit ebenso sicher, wie wir die Seinigen sind. Ist es so, so laßt uns Sorge tragen, daß in alles, was uns umgiebt, der Saame dieser Betrachtung gepflanzt werde. Je mehr sich das 36 die] der 1 Die Predigt vom 15. November 1829 früh über 1Petr 1,22 ist nicht überliefert. 2– 6 Vgl. 1Petr 1,22–23 20 Mk 14,37 21–22 Vgl. Hebr 1,3 29–30 Vgl. 2Kor 3,18 32 Vgl. Joh 14,6 32–33 Vgl. 1Kor 15,55

151v

152r

152v

528

Am 22. November 1829 vormittags

Gemüth auf den Herrn richtet, je mehr wir sehen, daß das Ewige ringt mit dem Vergänglichen, und je öfter der unvergängliche Saame siegt über das Unkraut, um desto lebendiger muß unser eigener Glaube werden. So laßt uns bedenken, daß wir Haushalter sind in dem Hause Gottes, obgleich er der große Säemann war. Die ewige Weisheit, die Sicherheit und Festigkeit des Glaubens wird in allen unseren Seelen desto mehr zunehmen, je mehr wir es zu unserem Geschäft machen, diesen unvergänglichen Saamen des göttlichen Wortes auszustreuen, auf daß erkannt werde, wie in dem Vergänglichen das Ewige lebt, und wie die, welche an den Sohn Gottes glauben, mit ihm durch den Tod hindurchgedrungen sind und mit ihm überwunden haben und überwinden werden. Amen.

153r

153v

Herr Gott und Vater! Dank sei Dir, daß Du unter uns hast aufgehen lassen das Wort des Lebens, daß die Saat, welche dein Sohn ausgestreut, | auch unter uns einen fruchtbaren Acker findet, daß wir alle des Glaubens theilhaftig geworden sind, der unsere Seelen mit Dir verbindet. Dank sei Dir für den, durch welchen Du Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hast, laß uns alle immer mehr in seinem Wort und seiner Liebe leben, auf daß wir, von deinem Geist gestärkt und getröstet, auch überall Dich finden, verehren und lieben, in Deinem unerforschlichen Rathschluß unsere Erlösung und Belebung durch Deinen Sohn. Dazu laß denn überall in den Gemeinden der Christen gesegnet sein die Verkündigung Deines Sohnes. Und da wir heute ein Jahr unseres kirchlichen Lebens beschließen, so gieb, daß wir wohl dankbar gegen Dich die Segnungen, die uns geworden sind, erkennen, und je länger je mehr erfahren, daß wir alle Geduld, mit der wir die Leiden tragen, alle Freude des Glaubens, mit der wir dem Bösen widerstehen, nur diesem Leben Christi verdanken, auf daß wir auch in Zukunft uns an nichts halten, als an Deinem Wort des Lebens, und mit seinen ersten Jüngern auch allen Nachkommen sagen mögen: Herr, wohin sollen wir gehen, Du allein hast Worte des Lebens. Damit aber Dein Wort bestehe und die christliche Gemeinschaft, der wir angehören, | immer reiner und unbefleckter sich gestalte, so laß Deine Gnade groß sein über alle diejenigen, die Du gesetzt hast über christliche Völker u. s. w.

29–30 Vgl. Joh 6,68

5

10

15

20

25

30

Am 29. November 1829 früh (vermutet) Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1. Sonntag im Advent, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin 1Joh 2,8 Nachschrift; SAr 94, Bl. 41r–43v; Slg. Wwe. SM, Pommer (Fragment) Keine Keine Keine

[Der Predigtanfang fehlt.]

5

10

15

20

Bundes, als er, aber der Kleinste in dem Reich Gottes sei größer denn er, und so gehört denn auch Johannes der Täufer zu denen, deren Zeugniß er nicht annimmt. Wenn nun er dieses Zeugniß doch nicht annimmt, hätte er da wol das der Propheten annehmen können? Gewiß nicht; und wenn er also selbst so gedacht und geredet hat, so werden wir denn auch wol sagen müssen, daß diese Worte seines Jüngers, die wir ihrem ganzen Wesen und ihrer Natur nach auch auf die Zeiten des Alten Bundes anwenden müssen, auch dem Geiste des Erlösers gemäß sind. Johannes war ein brennendes und scheinendes Licht, aber nicht das wahre, und doch war er größer als alle Propheten, und diese also, die noch geringer waren als er, waren noch weiter davon entfernt, das wahre Licht zu sein. Nun fordert der Herr seine Zeitgenossen und die aus demselben Volke waren auf, daß sie forschen sollten in der Schrift, denn sie sei es, welche von ihm zeuge. Das war aber ganz etwas Anders als jenes, denn nachdem er, das wahre Licht, erschien, konnte er das frühere erleuchten, so daß jenes durch ihn miterhellt wurde; aber dennoch stimmt dieses damit, daß er das Zeugniß, wenn es ohne ihn sei, nicht annehme. Wenn er sagt, sein Volk wollte eine kleine Weile fröhlich sein bei dem scheinenden Licht des Johannes, so deutete das nicht auf den Ernst des Willens, der da trachtet nach dem, was droben ist, sondern auf das vorübergehende leichte Spiel dieses Daseins, und so müssen wir sagen: die Meisten, welche zu Johannes kamen und bei seinem Licht wollten fröhlich sein, hatten nichts im Sinn als die kindischen Vorstellungen von einem neuen Glanze ihres Volkes, und bei diesem wollten sie fröhlich sein, so lange sie konnten. So war denn alles dieses nicht das wahre Licht, und auch die 1 Vgl. Mt 11,11; Lk 7,29 2–3 Vgl. Joh 5,34 8–9 Vgl. Joh 5,35 Joh 1,8 11–13 Vgl. Joh 5,39 17–18 Vgl. Joh 5,35 19 Vgl. Kol 3,2

9 Vgl.

41r

530

41v

42r

Am 29. November 1829 früh (vermutet)

Zeugnisse des Alten Testaments führen die Zeitgenossen Christi zu eben solchen Erwartungen, was sie nicht hätten thun können, wenn sie das wahre Licht gehabt hätten. So also, wenn wir die hellen und klaren Worte der Wahrheit | in der Rede des Erlösers vor Augen haben, und uns durch sie erleuchten, und von hier aus zurücksehen auf die Zeugnisse des Alten Testaments, so sind sie doch nur wie die Finsterniß, wie die schwache Dämmerung im Vergleich mit dem hellen Lichte der mittägigen Sonne, und so sagt der Apostel, indem er das ganze frühere, die Juden und Heiden im Sinne hat, es sei die Finsterniß. Wenn wir also das wahre Licht uns erst erleuchten wollen, indem wir es vergleichen und prüfen mit dem Zeugnisse des Alten Testaments, so ist das eben so, als ob wir das Licht erleuchten durch die Finsterniß, wollten wir die Worte des Neuen Testamentes durch das Alte erläutern, oder auch fragen, ob sie mit den Ansprüchen der natürlichen Vernunft stimmen, so wäre das nur das Licht messen nach der Finsterniß. Von beiden also führen uns gleichmäßig die Worte des Apostels ab, und lehren uns, sie ansehen als reine Finsterniß, die nun vorbei ist. So wenig aber m. Fr.! hieraus folgt, daß wir nicht das Licht der Vernunft gebrauchen sollen, um das Evangelium zu verstehen; denn es sind ja menschliche Worte und Reden, die nur durch die Vernunft können vernommen werden, aber so wenig folgt auch, daß in dem Alten Testament nicht auch Spuren und Hindeutungen sich finden von dem Licht, welches damals erst verheißen war; aber das wahre Licht scheint jetzt, nachdem die Finsterniß vergangen ist. II. Was meint der Apostel, indem er die Zeit des Evangeliums nennt das wahre Licht, das jetzt scheint? Das Licht, m. Fr.! muß immer nicht nur jemandem scheinen, sondern ihm auch etwas erleuchten. Ein Licht, das nur sich selbst zeigt, wäre ein wundersames Licht, ja wir würden nicht einmal wissen was für eine Bewandtniß es damit hat. So ist es auch | mit dem wahren Licht. Indem wir uns der Zeit nähern, wo wir die Geburt des Erlösers feiern, und wo er uns in seiner menschlichen Gestalt vorgeführt wird, als der an Gebehrden wie ein Mensch erfunden, Leib und Blut angenommen hat, wie alle andern Menschen, und also in seiner Persönlichkeit auf Erden erschienen und gewandelt ist: so soll jede solche Feier eine Veranlassung sein zur Ermunterung eines recht persönlichen Verhältnisses mit ihm, daß das Auge auf ihn gerichtet sei und wir ihn erkennen, wie der Apostel ihn erkannt hat. Dazu geben seine Worte so viele Veranlassung und weisen uns auf ihn hin. Aber wenn wir ihn denken als das wahre Licht, so müssen wir doch auch fragen, was dieses Licht uns erleuchtet? Die Antwort auf diese Frage kann nicht schwer sein. Das Erste ist Gott; denn so sagt der Erlöser selbst: „Niemand kennt den Vater, denn der Sohn, und wem es der Sohn 30–32 Vgl. Phil 2,7

40–1 Mt 11,27

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über 1Joh 2,8

5

10

15

20

25

30

35

40

531

will offenbaren“ und hiermit giebt er den Worten des Apostels noch eine neue und volle Bestätigung, indem er so deutlich genug sagt, daß vor ihm auch Gott den Menschen dunkel war, und sie ihn nicht erkannten. Wie wahr nun dieses ist, selbst von denen, die in der Finsterniß des Heidenthums und der Unwissenheit waren, davon ist nicht Noth zu reden; aber auch dem Volk des Herrn selbst war Gott dunkel, weil sie ihn nicht als den Vater kannten. Was der Apostel selbst in einer späteren Stelle seines Briefes sagt, daß Gott die Liebe ist, das ist die Erkenntniß Gottes die wir erst durch den Sohn haben, und die nur der Sohn, wie er sie selbst hatte, offenbaren konnte, und nur wenn wir Gott als die Liebe kennen, kennen wir den Vater. Daß dieses die herrschende Ansicht des Alten Bundes war, wird niemand behaupten. Zwar war da auch eine Vorstellung von einer Liebe Gottes; aber das war die Liebe eines Oberherrn gegen seine | Unterthanen, welche nur auf diese sich beschränkt, und in Zorn entbrennen kann gegen die, welche außerhalb dieses Gebiets sind, und auch in diesem Gebiet stellt sie sich zum Theil durch Furcht sicher und schafft sich Gehorsam. Aber die völlige Liebe treibet die Furcht aus, und das ist die, welche uns offenbart ist durch Christum, und nur indem die Menschen auch ihn sehen, konnten sie so den Vater erkennen, wie denn der Herr sagt: „Wer mich siehet, der siehet den Vater“ weil ohne ihn und seine Offenbarung keiner Gott als den Vater erkennen kann. So wie wir uns dieses vor Augen stellen, so werden wir sagen, daß jede andre Erkenntniß Gottes neben dieser nicht anders sich verhalte, wie die Finsterniß zum Licht. So wie der Mensch in der Dunkelheit, auch wenn sie nicht völlige Nacht ist, die Gegenstände und seinen Weg nur undeutlich sieht, und nur selten dahin gelangt, wohin er gelangen will, so war es auch mit jener Erkenntniß Gottes, die nur einen schwachen Schein gab, der nicht Kraft hatte, ihn sicher zu führen. Daher denn auch diese Erkenntniß sich oft wieder verdunkelte, und das Volk in die Abgötterei sank, was nicht möglich war, wenn das Volk das wahre Licht hatte. Das zweite nun ist daß der Erlöser als das wahre Licht uns selbst erleuchtet, daß wir auch uns erkennen. Wenn wir nun wissen, wie der Apostel Paulus, das so oft einschärft, daß alle Menschen Sünder sind, und des Ruhmes verlustig, den sie vor Gott haben sollen, so müssen wir auch sagen, es gäbe keine wahre Kenntniß des Menschen, welche nicht zugleich die seiner Sünde sei, und wie sehr in dieser Hinsicht die Zeiten des Heidenthums Finsterniß waren wie sehr sich die Menschen wohl gefielen in einem der menschlichen Natur und ihrer Bestimmung unwürdigen Zustand, wie sie in der Sklaverei der Lust und | Begierde ihre Befriedigung fanden, liegt in ihrer ganzen Geschichte zu Tage. Aber indem der Apostel diese Worte aus den Schriften des Alten Bundes anführt, so hat er das Volk der Juden selbst im Sinn, und 7–8 Vgl. 1Joh 4,16 16–17 Vgl. 1Joh 4,18 19–20 Joh 14,9 33 Vgl. Röm 3,23 39–40 Vgl. Röm 3,10–18 40–1 Vgl. Röm 3,20

31–

42v

43r

532

43v

Am 29. November 1829 früh (vermutet)

wenn er sagt, daß das Gesetz eine Erkenntniß der Sünde gab, so werden wir sagen, daß dieses doch nur eine dunkle Dämmerung war im Vergleich mit dem Lichte des Erlösers; denn so wie das Gesetz doch nur aus einer Menge einzelner Vorschriften bestand, so konnte es die Sünde auch nur im Einzelnen kennen lehren; aber dabei blieb doch die Einsicht verborgen, das, was das gemeinsame in allem diesem war, kam nicht zur Klarheit, und so wurde den Menschen auch ihr eigener Zustand nicht deutlich, und sie waren nicht im Stande, sich selbst zu sehen. Wir werden wol gestehen, daß der Erlöser uns eine viel vollkommnere Erkenntniß giebt; denn wenn wir auf ihn sehen, so sehen wir den Unterschied zwischen ihm und jedem andern Menschen, und wo wir eine Verschiedenheit von ihm sehen, da ist auch gleich die Sünde; denn was von ihm abweicht hat seinen Grund in der allgemeinen Unvollkommenheit der Menschen, und so hat es nie eine vollkommene Erkenntniß der Sünde gegeben, als nur in diesem Licht des Erlösers. So war die Zeit des Gesetzes auch Finsterniß, und in dem Licht des Erlösers erkennen wir unsere Sünden viel heller; wir würden ins Dunkele kommen, wenn wir auf jene Satzungen zurückgehen wollten, und gradezu und beständig laßt uns auf das wahre Licht trauen, damit wir so uns selbst erkennen. Das dritte nun ist, daß das wahre Licht uns den Weg erleuchten soll, den wir zu gehen haben aber der Weg ist kein anderer, als von uns zu dem Vater, den das wahre Licht uns erleuchtet. Wie wir aus der Finsterniß der Sünde zu ihm kommen sollen, das ist der Weg, und dieser Weg, diese einzige Art und Weise, zu Gott zu gelangen, ist Christus, und auch die Wahrheit, wie er sich nennt, und die beständige Annäherung an die Gemeinschaft Gottes ist das Leben, wie er auch sich nennt. Hiezu hat es nie ein anderes Licht gegeben. Wo die Erkenntniß Gottes unwillkommen war, konnte auch der Weg zu ihm nicht gezeigt werden konnte es auch davon, was die Gemeinschaft mit ihm sei, nur eine | dunkle und falsche Vorstellung geben. Daher finden wir denn auch zu den Zeiten des Erlösers und kurz vor ihm, und auch noch später da, wo dieses Lichtes Schein nicht hingekommen, so falsche Vorstellungen von der Art und Weise, wie der Mensch zu Gott kommen kann. Wie wir, nun in der Liebe mit Christo, und auch untereinander verbunden zu einer solchen Liebe, daß jeder bei dem Andern das wahre Licht vertritt, um es ihm auch zu bringen, wie wir so vereinigt und Christo angehörig, als Glieder des Leibes, dessen Haupt [er ist] einst zu der Gemeinschaft mit Gott gelangen, dieses ist das Geheimniß des wahren Lichtes; freilich kein Geheimniß da, wo das Licht scheinet, und deshalb denen offenbar, die in demselben schauen, aber deshalb ein Geheimniß, weil 6 allem diesem] allen diesen 23–26 Vgl. Joh 14,6

35–36 Vgl. Eph 4,15; Kol 1,18

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über 1Joh 2,8

5

10

15

20

533

es bis auf diese Zeit verborgen war. M. Fr.! wie der Apostel sagt „die Finsterniß ist vorgedrungen und das wahre Licht scheint“ so laßt uns diese herrliche Zeit aufs Neue dazu benutzen, daß wir aus uns selbst alle Finsterniß verbannen, daß wir immer herzhafter in das wahre Licht schauen, und uns immer mehr erleuchten. Dazu gehört dann aber auch, daß wir das thun, was dieses wahre Licht uns zeigt, wie der Apostel sagt er gebe denen, an die er schreibt, ein Gebot, welches nur deshalb ihnen gegeben werde könne, weil das wahre Licht scheint, nämlich daß der, welcher seinen Bruder nicht liebt, immer noch in Finsterniß ist. Das war das große Werk desselben, daß er uns vereinigte in der Liebe, damit jeder die Kraft des Andern als die Seinige gebraucht, daß es uns immer stärkt in Gemeinschaft mit diesem Licht, und das Auge auf dieses wendet, nicht als ob in uns die Kraft ist, die nur in dem wahren Licht ist, sondern damit wir immer fester in den Kreis, der uns mit ihm umschlingt, gebannt sind, damit der Einzelne sich nicht so leicht davon trennen könne, sollen wir verbunden werden in der Liebe. Wer noch nicht in dieser ist, der ist noch nicht im Licht, und so wie wir dies erkannt haben, muß auch uns daran gelegen sein, daß wir immer mehr in der Liebe leben. So laßt uns denn froh sein und Gott danken, daß die Finsterniß vergangen ist, und das Licht scheint, und laßt uns nicht nur auf eine kurze Zeit Gott danken und uns freuen, sondern selig sein immerdar. Amen.

8–9 Vgl. 1Joh 2,10

Am 6. Dezember 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Sonntag im Advent, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Röm 15,7 (Anlehnung an die Sonntagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 77r–78v; Woltersdorff Keine Keine Tageskalender: „mit üblem Husten“

Aus der Predigt am 2. Adv. S. 29.

77r

Röm. 15, 7. Nehmet euch untereinander auf, gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lobe. Wo der Apostel und Evangelist Johannes im Eingang seines Evangeliums von dem Fleischwerden des göttlichen Worts redet und es verkündet, daß es in Christo erschienen, da sagt er vor demselben, er wäre in sein Eigenthum gekommen aber die Seinen hätten ihn nicht aufgenommen, so viele ihn aber aufgenommen hätten denen hätte er die Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden. Da also wird davon geredet daß wir den Erlöser aufnehmen: hier aber sagt der Apostel wir sollen uns aufnehmen untereinander, so wie er uns aufgenommen. Offenbar muß nun das Eine ein anderer Sinn und Gebrauch dieses Wortes sein als das Andre. Was damit gemeint sei, daß wir den Erlöser aufnehmen, das wissen Alle von denen es wahr ist daß nicht mehr sie selbst leben sondern Christus in ihnen, die also sagen können: „was ich noch lebe das lebe ich im Glauben an Christum.“ Wie nun aber der Erlöser uns aufnimmt, das macht der Apostel hier zur Regel nach welcher auch wir uns untereinander aufnehmen sollen, und das, indem es ein so großes Wort ist, schließt es in sich die Möglichkeit, daß wir thun können durch ihn was der Erlöser thut: es ist also dieses große Wort der ernsteren Betrachtung werth; wir dürfen aber dabei nicht die unmittelbare Absicht des Apostels aus den Augen lassen die er in den diesen Textesworten vorangehenden Worten ausspricht, wo er sagt: „seid Alle einmüthig 23 ausspricht,] ausspricht. 5–6 Vgl. Joh 1,14 Röm 15,5–6

7–10 Vgl. Joh 1,10–11

14–16 Vgl. Gal 2,20

23–2 Vgl.

5

10

15

20

Predigt über Röm 15,7

5

10

15

20

25

30

35

535

auf daß ihr alle mit einem Munde Gott lobet als den Vater unsres Herrn Jesu Christi:“ und darum, sagt er, daß ihr das könnt: „nehmet euch untereinander auf gleich wie Christus uns aufgenommen hat:“ Dies also, das Lob Gottes das ist das was der Apostel im Auge hat bei dieser Ermahnung; wir sollen uns einander aufnehmen um einmüthig Gott zu loben: So ist denn das wol auch eine rechte Adventsermahnung, denn wenn wir uns der Ankunft des Herrn erfreuen wie sollen wir da nicht erfüllt sein von dem seligen Bewußtsein alles dessen was uns durch ihn geworden und dadurch uns gedrungen fühlen Gott zu loben denn was gäbe es für einen größern Gegenstand des Lobes Gottes als das, daß er seinen [Sohn] gegeben für uns: So laßt uns darauf unsre Andacht hinrichten und erwägen 1. Wie denn der Erlöser uns aufgenommen hat und aufnimmt zum Lob Gottes – 2. Wie wir uns einander aufnehmen sollen; auf daß wir Alle einmüthig und mit einem Munde Gott loben. 1. Wenn der Apostel sagt, Christus habe uns aufgenommen zum Lobe Gottes: so muß uns das wol deutlich sein, daß darin das liegt, daß ohne von Christo aufgenommen zu sein ein rechtes Lob Gottes nicht möglich ist, daß es also ohne ihn kein Lob Gottes giebt und vor ihm keins gegeben hat. Das scheint aber im Widerspruch zu sein mit der Erfahrung und Geschichte; Von je her hat sich das menschliche Herz nach Oben gewendet, von je her ist etwas in den Menschen gewesen, das ihnen keine Ruhe ließ wenn sie sich ganz vertiefen wollten in die Dinge der Welt: das ist wahr, aber sie konnten doch den nicht loben den sie nicht kannten, und daß sie ihn nicht kannten das ist so wahr wie das Wort des Herrn daß niemand den Vater kenne denn allein der Sohn und wem er es will offenbaren. Diese große Offenbarung des Sohns, dieses sein Lichtverbreiten über den Gott der in ihm war um die Welt sich zu versöhnen, diese große Offenbarung das er die Liebe ist und als solche in uns sein will, wie wäre die in eines Menschen Sinn gekommen! Das ist das wovon es heißt: es hat kein Auge gesehn, kein Ohr gehört und ist in keines Menschen Herz gekommen. Und weil sie nun Gott nicht loben konnten wie er ist, weil sie ihn nicht kannten als die Liebe: so war eben deshalb ein wahres Lob Gottes nicht möglich. Freilich gab es und mußte es geben ein Verlangen nach Erkenntniß, weil Gott dem Menschen eingehaucht hatte eine vernünftige Sele, es mußte geben eine Sehnsucht nach Gott und wie der Apostel sagt konnte es auch eine Erkenntniß Gottes geben, sie konnten ihn erkennen aus seinen Werken, aber eben wie sie sich die Wahrheit verdunkelt haben durch Ungerechtigkeit, so war es nicht mög26–27 Vgl. Mt 11,27 39 Vgl. Röm 1,18–21

28–29 Vgl. 2Kor 5,19

31–32 Vgl. 1Kor 2,9

37–

536

77v

Am 6. Dezember 1829 vormittags

lich, daß sie ihn recht erkennen und ihn loben konnten. Viel Bewunderung der Allmacht des Höchsten finden wir überall, unter dem Wahn und Aberglauben auch, und wie viel mehr noch unter dem Volke wo sich die Erkenntniß des einigen Gottes erhalten hatte. Viel finden wir auch überall von Lob der göttlichen Güte und Barmherzigkeit, aber indem die Menschen doch das immer weit mehr auf ihr irdisches Dasein bezogen als daß sie gemeint hätten solche Güter (die erst auf bleibende Weise) uns in Christo zu Theil werden, so verging | ihnen immer wieder mit der andern Wendung ihres Geschicks der Gegenstand des Lobes, und bei der Unsicherheit und Unbeständigkeit alles Irdischen schwankten sie immer zwischen Furcht und Dankbarkeit gegen Gott: waren sie sich ihrer Schuld bewußt und er zögerte mit der Strafe so priesen sie seine Barmherzigkeit; überhäufte er sie mit Wohlthaten, so waren sie thöricht genug zu meinen er wolle dadurch ihr Verdienst belohnen und priesen seine Gerechtigkeit aber wenn er sich mit diesem Wohlthun wieder von ihnen wandte, da ward das thörichte Herz in Zittern und Furcht versetzt denn es sah in allem die strafende Hand des höchsten Richters. In solcher Unsicherheit und solchem Schwanken des Gefühls für ihn, da ist das Lob Gottes nicht möglich; darum gab es kein Lob Gottes ehe der kam der uns seinen und unsern Vater als die Liebe offenbarte, und unmittelbar darstellte ihn in sich der die Menschen einlud zu sich auf daß sie Ruhe fänden und Erquikkung für ihre Sele bei ihm, bei ihm der ihnen alle Furcht und alle Last abnahm, indem er ihnen den Frieden gab der in ihm ursprünglich war. Er konnte in jedem Augenblick sagen: „Ich und der Vater sind Eins:“ Und nur indem er uns in seine Gemeinschaft aufnahm, auf daß wir Eins werden konnten durch ihn mit Gott, nur dadurch wird ein wahrhaft sich gleich bleibendes Lob Gottes möglich, und zu diesem Lobe Gottes hat er uns aufgenommen. Aber wie hat er das gethan? Wie ist er zu uns gekommen? Er ist gekommen nicht um zu herrschen sondern um zu dienen und zu geben sein Leben zum Lösegeld für Alle. Er ist gekommen als der der das geknickte Rohr nicht zerbrach, und das glimmende Docht nicht verlöschte, und als der dessen Geschrei man nicht hörte auf den Straßen. Denn wie nimmt er uns anders auf: wie ladet er uns anders zu sich ein, als mit der milden erquikkenden Stimme der Liebe die die Furcht überwindet: so redet er nämlich immer zu den zerknirschten Herzen, daß ihn Gott gesandt habe um sie aufzurichten zu ihm, und indem er sich bereit erklärt alle Güter mit ihnen zu theilen die in ihm ursprünglich sind und das große herrliche Bewusstsein ihnen mitzutheilen das in ihm aus dem Leben Gottes sich entwickelte: so will er sie aufnehmen in die Gemeinschaft seines Lebens zu Gottes Lobe: So sind wir denn darin gewiß Alle Eins, daß es keine größre Verherrlichung Gottes gebe als eben die Erschei20–21 Vgl. Mt 11,28 23–24 Vgl. Joh 10,30 28–29 Vgl. Joh 12,45 Mk 10,45 29–32 Vgl. Mt 12,19–20 (Zitat aus Jes 42,2–3)

29 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 15,7

5

10

15

20

25

30

35

40

537

nung seines Sohnes, da die die Offenbarung und Versiegelung der göttlichen Liebe geworden ist und eben uns durch die Vereinigung mit ihm die Vaterliebe verkündet. Wenn wir nun das erwägen, und vergleichen mit dem Bewußtsein eines von Friede mit Gott durchdrungnen christlichen Gemüths woraus von selbst das beständige Lob Gottes hervorgeht, alles Lob Gottes, welches die Menschen geschöpft haben aus der Natur, alles Lob über Wohlthaten das aber immer wieder verdrängt wurde, durch Furcht: wie können wir sagen, daß das wirklich ein Lob Gottes war! wenn wir es vergleichen mit dem welches hervorgeht aus der stillen ruhigen sich unter allem Wechsel gleich bleibenden Seligkeit der sich an Gott erfreuenden Gemüther, mit der Stimme seines Sohnes der in ihnen lebt, wodurch eben sein Wille der ihre geworden ist und die es in ihrem innern Leben auf unmittelbare Weise erfahren haben, daß von dem Vater der Liebe nichts kommt als gute Gabe zur Verherrlichung seines Reichs, und die eben deshalb dankbar sind in allen Dingen; denn das ist das Lob Gottes wozu uns Christus aufgenommen hat. Nun sagt der Apostel, wie er uns aufgenommen hat zum Lobe Gottes so sollen wir uns untereinander aufnehmen: und das sei das 2. Dies könnte uns viel zu viel gesagt erscheinen, wenn wir dabei nicht denken müßten an das große Wort des Herrn „ein neu Gebot gab ich euch, daß ihr euch untereinander liebt mit der Liebe damit ich euch geliebt habe:“ Wie nun die Liebe sein eigentlich Leben und Wesen ist, so hat er eben durch die Liebe uns aufgenommen | zum Lobe Gottes, welches eben nur aus der Liebe hervorgehen kann, weshalb er eben will, daß die Liebe eben so in uns sei wie in ihm. Ist er es nun der uns erst aus nichts zu etwas, aus solchen die alles Ruhms ermangeln den sie vor Gott haben sollten, zu freudgen Kindern Gottes gemacht und dadurch uns, die er geliebt hat da wir noch Sünder waren zueinander so gestellt daß wir untereinander ohne Unterschied uns lieben sollen, damit das wozu er uns aufgenommen immer mehr wirklich werde und in die Erscheinung trete: so hat auch wol der Apostel recht zu sagen daß wir uns aufnehmen sollen zum Lobe Gottes. Wenn wir uns nun das vergegenwärtigen wie der Apostel das gesagt hat zu Christen die in einer Gemeinschaft des Geistes leben, daß sie sich sollen einander aufnehmen wie Christus sie aufgenommen: so können wir doch nicht anders sagen als, daß er voraussetzt eine Gleichheit in denen die durch dasselbe Band des Geistes verbunden sind. Die Art aber wie Christus uns aufnimmt ist bedingt dadurch, daß wir ihm ungleich sind. Wenn er also sagt, wie Christus auch: so muß er doch bei ihrer Gleichheit eine Ungleich22–23 Vgl. Joh 13,34

28 Vgl. Röm 3,23

29–30 Vgl. Röm 5,8

78r

538

Am 6. Dezember 1829 vormittags

heit erkannt haben, und wenn er sagt, nehmt euch auf damit wir Alle einmüthig Gott preisen – so spricht er eine Gleichheit aus und doch auch einen Wechsel, eine Ungleichheit die noch statt findet unter den Christen. Es ist nämlich eine Gleichheit unter uns in so fern wir von Christo aufgenommen sind, eine Ungleichheit aber insofern wir uns aufnehmen sollen: Es ist ein Gleiches in Allem wodurch wir Gott loben, ein Gleiches daß wir aufgenommen sind in die Gemeinschaft Christi, daß er uns mitgetheilt das göttliche Leben, und daß wir durch ihn Gott angenehm sind und die Macht empfangen Gottes Kinder zu werden: Das ist das Gleiche wovon der Apostel ausgeht indem er zu Christen redet, und nur zu denen kann er überall diese Worte reden. Aber welches ist die Ungleichheit vermöge der wir uns aufnehmen sollen? es ist eine solche die vergehen soll, es ist etwas das sich ausgleichen soll durch das Werk der Liebe. Aber nicht alle Ungleichheit gehört hier her; Es giebt eine Ungleichheit die bestehen soll und die sich erst hervorgethan hat mit und in der christlichen Kirche, nämlich die Mannigfaltigkeit in welcher sich dasselbe menschliche Wesen in dem Einen so, im Andern so entfaltet, in den Gaben der Natur die durch den einen Geist zu Gaben des Geistes werden. Diese Ungleichheit soll bestehen bis an das Ende der Tage, und jemehr in der Mannigfachheit der Gestaltungen das wahr bleibt was das Wesen des Christenthums ausmacht, nämlich, daß Christus in uns lebt: so ist das eben das herrlichste Lob Gottes daß sein Geist auch das verschiedenste durchdringt und mit einem Band der Liebe umschlingt. Diese Verschiedenheit ist von Gott selbst geordnet und soll bleiben, es ist die Offenbarung der Herrlichkeit der christlichen Kirche. – Aber es giebt eine andre Ungleichheit, welche vergehen soll, und die der Apostel bezeichnet in den Worten: „wir die wir stark sind sollen die Schwachen aufnehmen:“ Das ist die Ungleichheit um deren willen wir uns untereinander aufnehmen können und sollen wie Christus uns aufgenommen, der Starke die Schwachen. Es ist mit dieser Ungleichheit mannigfach, nämlich, nicht nur so daß es überhaupt Starke giebt und Schwache, sondern auch so daß der der heute stark ist morgen vielleicht, wenn ihn etwas besonders erschüttert oder niederschlägt, schwach ist, und der der sich gewöhnlich als ein Schwacher zeigt, plötzlich, wenn irgend etwas auf besondre Weise seine Kräfte weckt, ein Starker ist. Dieser wunderbare Wechsel der uns überall entgegen tritt wenn wir mit dem Auge der Liebe die Christenheit betrachten, der soll verschwinden, denn die Stärke soll nicht hie und da sein, sondern immermehr überall verbreitet sein, die Kraft des Geistes Christi soll sich in Allen auf gleiche Weise entwickeln. Ueberall aber wo die Ungleichheit ist, da ist die Gelegenheit uns untereinander aufzunehmen: der Starke soll es wissen, daß er für den Schwachen da ist, um ihn zu stärken, zu erbauen, zu leiten und zur 27 Vgl. Röm 14,1

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Röm 15,7

5

10

15

20

539

Wachsamkeit aufzumuntern, und er soll dabei dessen gewiß sein daß wenn er schwach ist auch Andre ihn so aufnehmen: | Das ist das wahre Band der Liebe das sich um Alle schlingt die in Christo sind, das ist die christliche Gemeinschaft in der jeder erkennt seinen Beruf nach dem Vorbilde des Herrn aus Liebe sein Leben zu lassen um mit der Kraft des Geistes das Leben anzufachen überall, nirgend das geknickte Rohr zu zerbrechen, sondern es aufzurichten, und hülfreich mit der Kraft des Herrn zu wirken überall wo es irgend vergönnt ist. – Jemehr nun das geschieht um so mehr und wohlgefälliger werden wir Gott preisen Alle einmüthig in Christo der uns Alle aufgenommen hat zum Preise Gottes und uns so umfangen hält und durch seine vollkommne Liebe uns untereinander verbindet mit der Liebe die das Band der Vollkommenheit ist, daß das ganze gemeinsame Leben eben weil es in ihm sich gründet nichts andres ist als Lob und Preis Gottes. Dazu ist uns aufs neue das nun begonnene Jahr gegeben daß wir wie er uns aufgenommen uns untereinander aufnehmen, auf daß die Schwachen gestärkt werden durch die Starken, und Alle es wissen daß er allein Alles ist in Allen. Und so möge er Aller Herzen verbinden zum einmüthigen Lobe Gottes, damit so sein heilger Tempel sich erbaue und jeder wisse was das Bild und die Ueberschrift desselben sei, und dadurch fühlen lernen daß vor ihm sich Aller Knie beugen sollen auf daß endlich Alle eine Herde werden, unter Einem Hirten!

6 Vgl. Mt 12,20 (Zitat aus Jes 42,3) 11–12 Vgl. Kol 3,14 14 Gemeint ist das Kirchenjahr. 20–21 Vgl. Röm 14,11 (Zitat aus Jes 45,23) 21–22 Vgl. Joh 10,16

78v

Am 25. Dezember 1829 früh (vermutet) Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

1v

1. Weihnachtstag, 7 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Phil 4,4 Nachschrift; SN 623/2, Bl. 1v; Crayen Keine Keine Keine

Tex t :

„Freuet euch in dem Herrn!“

Indem wir uns des Erscheinens Jesu auf Erden erfreuen, soll uns vor Augen schweben: die ganze Seligkeit welche durch ihn uns zu Theil ward – das ganze Verhältniß worin wir zu ihm stehen – und welch ein großer Trost für uns darin liegt: daß Jesus Mensch ward gleich uns – und sich in ihm – wie in uns – auch nur allmählich entwikelte das was ihn zur Thatkrafft begeisterte. – So wie wir aber mit einem Blik unsers Gemüths überschauen: das ganze Dasein Jesu auf Erden – so müßen wir uns auch recht lebhaft vor Augen stellen: das Licht welches seitdem von ihm ausging und immer weiter sich verbreitete zu erleuchten Alle so sich diesem Lichte nahen. Wie aber auch an dem festlichen Tage der Unsrigen – an dem Tage der sie uns schenkte – unser Blik vorzüglich gerichtet ist: auf das ganze Bild worinn sie unserm Gemüthe vorschweben, und wir nicht blos ihre einzelnen Vorzüge erwägen – und so wie das Verhältniß worinn wir mit ihnen stehn, uns an solchem festlichen Tage mit höherer – reinerer – Freude erfüllt – so wird auch die Feier der Geburt Jesu unser Herz zu einer lebhafteren Freude stimmen! – welche aber dadurch sich vor allen anderen Freuden auszeichnet: daß sie eine gemeinsame Freude ist – deren Unvergänglichkeit uns aber auch die Bürgschaft leistet: für die Unvergänglichkeit unserer heiligen irrdischen Verhältniße und deren Freuden.

5

10

15

20

Am 26. Dezember 1829 vormittags Termin: Ort: Bibeltext: Textzeuge: Texteditionen: Andere Zeugen: Besonderheiten:

2. Weihnachtstag, 9 Uhr Dreifaltigkeitskirche zu Berlin Tit 3,4–6 (Festtagsperikope) Nachschrift; SAr 68, Bl. 79r–80v; Woltersdorff Keine Keine Die Ränder des Manuskriptes sind stark beschädigt, sodass der Text viele Lücken aufweist.

Aus der Predigt am 2. Weihnachtst. 29.

5

10

15

20

25

Tit. 3, 4–6 [Da aber] erschien die Freundlichkeit Gottes! – Nicht um der Werke willen die wir gethan haben, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heilgen Geistes. Welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesum Christum unsern Heiland. Wenn wir in diesem Leben einen neuen Bürger der Erde bewillkommnen, so ists nicht die besondre Beschaffenheit desselben als eines Einzelnen, was unser Herz mit Freude erfüllt denn die besondre Beschaffenheit ist uns noch unbekannt und die Wahrnehmung irgend einer Aehnlichkeit, die auf geistige Aehnlichkeit hinzudeuten scheint mit Anderen täuscht [uns] oft, und so ist unsre ganze Aussicht in die Zukunft in Beziehung auf den neu ange[komm]nen dunkel: Der Gegenstand der Freude ist nur eben das, daß wieder ein Mensch da [ist], daß sich die Schöpfung Gottes erneut nemlich die Schöpfung solcher Wesen worin sich gestalten soll das Ebenbild Gottes und [die] bestimmt sind Herren zu sein auf Erden. Bei der Geburt des Erlösers war es nun freilich nicht ganz so für die die ihm am nächsten waren; denn er war der Sohn der Verheißung, der köstlichsten Verheißung, die zwar freilich menschlicher Weise auf das Mannigfachste zu gestalten war, aber dennoch, die köstlichsten Verheißungen ruhten auf ihm. Und wenn es damals Sitte gewesen wäre die Tage der Geburt in den folgenden Jahren zu feiern, so würde wol eben das ihr Herz mit Freude erfüllt haben ganz besonders an diesen Tagen, daß ihnen, in ihm mit jedem Jahr mehr aufgegangen die Anschauung eines besonders reichen und be4 Barmherzigkeit] Barmherzigkeit:

79r

542

Am 26. Dezember 1829 vormittags

gnadigten Lebens. Aber die rechte Freude, die würdige Feier seiner Geburt hängt doch davon ab daß wir die besondre Beschaffenheit des uns Erschienenen und sein Verhältniß zum ganzen menschlichen Geschlecht erkennen und als tiefste Wahrheit unsres Lebens in uns tragen. Darüber nun finden wir einen Aufschluß in unsern Textesworten: die Beschaffenheit [des] Lebens das uns Allen geboren ist und dessen Geburt wir eben heut feiern, [wir]d uns in diesen Worten des Apostels kund gegeben, denn der Apostel sagt darin, daß er, der Erschienene, es ist der uns selig macht. Aber es ist dies zugleich ein Aufschluß der dem Anschein nach von der Person des Erlösers d. h. von dem was er an sich selbst ist, [lenken] will und dagegen hin zu einer andern Gnadenerweisung Gottes: nämlich: der Apostel sagt, selig werden wir vermöge der Wiedergeburt aus dem Geiste welcher [ausge]gossen ist durch Christum unsern Herrn; also als den eigentlichen Grund unsrer [Selig]keit die Wiedergeburt angiebt, so kann es so scheinen, aber es ist nicht so; denn den stellt er uns ja dar als die Quelle des Geistes Gottes für uns, als den durch den er reich[lich] ausgegossen ist und ohne den wir des Geistes nicht hätten theilhaftig werden können. [Und] so führt uns der Apostel an diesem ersten großen Feste des Daseins und der Wirksamkeit Christi auf Erden auf das Letzte dieser Feste hin oder vielmehr auf den Gegenstand desselben nämlich die Ausgießung des Geistes durch den wir selig werden und durch den schon ein großer Theil des menschlichen Geschlechts Antheil hat an der Seligkeit durch ihn. So laßt uns hierbei stehn bleiben und laßt uns Christum unsern Herrn feiern eben als den Grund und die Quelle jener Wiedergeburt und Erneuerung des Geistes. Wir werden hierin den Sinn des Apostels erreichen wenn wir 1. uns das feststellen, wie wir nur durch die Wiedergeburt aus dem Geist selig gemacht werden können. – Aber dann werden wir auch Christum bei seiner Erscheinung würdig feiern wenn wir uns 2. die Frage beantworten wie er sein mußte damit durch ihn der Geist Gottes wirklich kann ausgegossen werden. Das sei der Gegenstand unser andächtigen Betrachtung die Gott möge gesegnet sein lassen. 1. Wenn wir sagen – wie der Apostel es hier stellt – nur durch die Wiedergeburt konnten wir selig werden: so laßt uns fragen: Was ist denn selig? Aber nicht fragen wir so wie Pilatus fragte: was ist Wahrheit? als Einer der es nicht wußte und es auch gar nicht aus dem Munde des Herrn den er fragte zu vernehmen dachte, sondern als solche die es wohl wissen und es gern bezeugen von wannen ihnen das Bewußtsein der Seligkeit kommt. – Also was [ist] und wer ist selig? Wenn wir von Gott das Größte und Allumfas36 Vgl. Joh 18,38

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Tit 3,4–6

5

10

15

20

25

30

35

40

543

senste sagen wollen was wir Menschen vermögen in einem Wort zu fassen, so sagen wir daß er selig sei im vollstem Sinne des Worts, und wir meinen damit daß er nichts bedürfe und seine volle Befriedigung finde in sich selbst weil er eben Alles ist in und durch sich. Also läßt sich das eigentlich nicht anwenden auf den Zustand des Menschen. – Befriedigung finden freilich gar viele Menschen in diesem Leben eben auf solche Weise daß wir sie beklagen und daß uns grade ihre Befriedigung den nieder|schlagensten Anblick gewährt und wir ihnen wünschen müssen sie mögen doch nicht [befrie]digt sein in dem worin sie leben und was außer ihnen ist, in den nichtigen [Bezie]hungen worin sie zu anderen stehn, in der Ausfüllung ihrer Zeit mit Ve[rgäng]lichem: selig nennen wir diese nicht, und wenn wir sehn daß sie selbst sich glücklich fühlen, so wissen wir ihnen nichts bessres zu wünschen als das Unglück, damit sie erkennen daß nichts Äußres den Menschen wahrhaft befriedgen kann und daß nur das was unabhängig vom Äußren, im Innern ist, seine Befriedgung in sich selbst trägt. Nun wer das hat, nur den können wir selig nennen, nur wer auf selbstständige Weise da ist, und in dem Innern seine Befriedgung findet, der ist selig. Eben darum können wir nicht selig gemacht werden durch irgend etwas was f[ür] [den] Menschen ein Äußres ist und bleibt. Als unser Erlöser zum ersten Mal, nachdem er sich seines großen Berufs bemächtigt in Jerusalem war, da gesellte sich zu ihm jener Nicodemus und redete ihn also an: „Meister wir wissen daß Du ein Lehrer bist von Gott gesandt:“ Das war ein großes Zeugniß und auch ein wahres; aber auch die Lehre, wenngleich nicht sinnlich sondern geistig, ist doch immer etwas was dem Menschen ein Äußres bleiben kann; und so lange sie das bleibt, so vermag sie ihn nicht selig zu machen wenn sie auch ausgegangen von dem der in sich selbst selig ist. Darum lenkt er die Aufmerksamkeit des Nicodemus hiervon ab und auf etwas andres hin, als wenn er sagen wollte das möge zwar wahr sein daß er ein Lehrer sei von Gott gesandt, aber dadurch könnten die Menschen doch nicht selig werden. Und worauf leitet er des Nicodemus’ Aufmerksamkeit hin? Auf die Wiedergeburt und Erneuerung des Geistes. Und damit sagt er denn: es ist ein Anderes als nur das von Außen Kommende und nur als ein geistiges aber unfruchtbares und todtes Bes[ ] aufgenommen, es ist nicht die dem Menschen von Außen kommende und so wa[ ] Sele stehende Wahrheit, wodurch die Seligkeit begründet wird. Und eben [so] ists auch mit dem Anderen was wir so oft auch vereinzelt als das größte V[er]dienst Christi rühmen hierin, nämlich das tadellose Beispiel. Daß das vor [uns] steht, das ist nun freilich auch von großem Werth für uns, und so haben wir [in] unsrer gestrigen Betrachtung auch gesehn wie der Herr von Anfang seines Lebens die Menschen gezüchtigt hat, daß sie verleugnen sollten alles Ungöttliche: 21–22 Vgl. Joh 3,2 fert.

39 Die Frühpredigt vom 25. Dezember 1829 ist nicht überlie-

79v

544

80r

Am 26. Dezember 1829 vormittags

d[as] hat er gethan durch die reine Unschuld und die vollkommne Gottgefälligkeit s[eines] ganzen Wesens und Lebens, durch dies sein vollkommnes Vorbild dessen w[as] [wir] werden sollten hat er uns gezüchtigt, aber wer der Züchtigung bedarf der [ist] nicht selig, sondern es fehlt ihm eben noch so zu sein daß er kann selig werden, und wenn er dann gezüchtigt wird, so widerfährt ihm Gutes, aber das ist doch die Seligkeit noch nicht. Ja auch das was uns der Unseligkeit beraubt gewährt uns die Seligkeit noch nicht; Wenn der Mensch aus dem Traume des Irdischen erwacht dann hat er der Unseligkeit die Fülle, dann hat er das Bewußtsein daß sein ganzes Leben leer war und sündlich. – Wenn nun der Erlöser während seines irdischen Lebens zu Einem und dem Andern sagte: „gehe hin deine Sünden sind dir vergeben.“ So war das eine große That seiner göttlichen Kraft, aber nahmen nun auch die Menschen das Bewußtsein auf, fühlten sie auch in dem Augenblick sich der Gewalt der Sünde und ihrer Herrschaft in ihrem Innern entnommen, hernach aber doch wieder zurückfielen, was half ihnen da wenn ihnen die frühere Unseligkeit genommen, sie waren ja doch weit entfernt davon selig zu sein wenn sich die Ursach der Unseligkeit wieder erneute in ihnen. – Also, mogte Jesus von Nazareth ein Lehrer sein von Gott gesandt, mogte er gewesen sein das Vorbild aller Tugend und der vollkommensten Gottseligkeit, mag er auch die Kraft gehabt haben die Sünde zu überwinden und es den Menschen zurufen daß sie vergeben sei von Gott, mogte er es ihnen zurufen in Beziehung auf sein Ende als der Vollendung des Siegs über die Sünde, sie wurden dadurch doch nicht selig, wenn das Alles etwas vor ihrer Sele stehendes blieb. – Aber es giebt auch Inneres und Geistiges was doch dem Menschen die Befriedgung und Seligkeit nicht giebt die es ihm geben könnte, weil, wenn es auch in ihm ist und in ihm lebt doch nur ein Schattenleben in ihm führt. – Nämlich | [wenn] die Lehre für uns ein Gut ist so ist sie es nur wenn wir sie als göttliche Wahr[hei]t in uns aufnehmen und in uns verarbeiten, in Uebereinstimmung und Verbindung bringen mit Allem was in uns ist: ist sie aber dabei nicht auch fruchtbar in der Sele, hat sie nicht die Kraft in sich, sich zu vermehren und wirksam zu sein uns zu leiten und zu bestimmen, so ist sie doch nur in uns ein Gebilde ohne Leben und befriedigt uns nicht, wenn wirs uns auch einbilden. Ist das Beispiel Christi uns noch so werth, sehn wir es noch so klar und deutlich vor uns und wünschen wir auch [ihm] [ähn]lich zu werden, ist aber der Reitz anders zu handeln und zu sein als er [stär]ker für uns als sein Beispiel, was andres als nur ein Schattenleben führts [da]nn in uns. Und so ist das, was freilich wenn es sich an uns bewährte eine Seligkeit würde, so ist der in uns sich bildende und mit der Erkenntniß sich immer 6 widerfährt] wiederfährt 11–12 Vgl. etwa Mt 9,2

5

10

15

20

25

30

35

Predigt über Tit 3,4–6

5

10

15

20

25

30

35

545

mehr entwickelnde und höher steigende, aber vor der Erfüllung stets sich niedersenkende Wunsch, nichts als ein erhöhtes Bewußtsein der Unseligkeit: So sagt der Apostel Paulus wo er den Zustand eines Menschen beschreibt der von der Lehre und dem Beispiel des Herrn sich angezogen fühlt dem aber die Wiedergeburt aus dem Geist noch fehlt, so daß er bekennen muß: „ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes, das Wollen hab ich wol aber das Vollbringen fehlt mir“: und darum ruft er aus: „wer wird mich davon erlösen so todt zu sein!“ Und was fügt der Apostel hinzu? Gott sei dank der uns erlöset durch Christi: aber das konnte er nur hinzufügen in so fern als er wirklich von dem leeren Schattenleben von dem Zustand wo das Göttliche uns [vo]rschwebt aber ohne Kraft und Wirksamkeit, wo unser Bewußtsein dessen was wir sein sollen, entgegen ist dem was wir wirklich sind, wo es also Unseligkeit ist [die] in uns lebt, erlöset war, und nun sagen konnte: „nun lebe nicht mehr ich sondern [Christ]us in mir“: Darum anders vermag der Erlöser uns nicht selig zu machen [als] so daß er uns Kräfte mittheilt die wir nicht haben, daß er uns geboren [wer]den läßt zu einem Leben welches durch die Gemeinschaft mit dem seinen ein [gänzl]ich anderes ist als das frühere worin Alles nur Schatten war von dem [was] nun die Kraft und die Wahrheit des Lebens ist. Und nun laßt uns fragen 2. Wie mußte er sein damit durch ihn der Geist, die Kraft des göttlichen Lebens ausgegossen [we]rden konnte wirklich über Alle die an ihn glauben. Um diese Frage zu beantwor[ten] laßt uns ein paar andre Worte desselben Apostels zu Hülfe nehmen. Das eine ist dies daß er sagt: „Niemand kann Jesum einen Herrn nennen ohne den Geist Gottes“: Das andre ist das: „Als die Zeit erfüllet war hat Gott seinen Sohn gesandt der uns der Kindschaft theilhaftig gemacht und des Geistes der in uns ruft: lieber Vater:“ Wenn nun der Apostel sagt: „Niemand kann Jesum einen Herrn nennen ohne den Geist:“ So ist eben freilich das, daß Christus uns nur kann selig machen in so fern er unser Herr ist und daß er nur unser Herr ist um uns selig zu machen, darin ausgesprochen, und das ist dieselbe Wahrheit kurz gefaßt, die wir eben bisher uns vorgehalten haben nämlich daß er nur durch die Widerburt uns selig machen kann. Aber es beweist sich in seiner Herrschaft über uns daß er der sein mußte der er war um das zu können. Nämlich, es giebt keine Herrschaft ohne die Anerkennung derselben in de8 hinzu?] hinzu,? Bd. 4, Sp. 1534

26 Gottes“:] Gottes:“:

34 Widerburt] vgl. Adelung: Wörterbuch,

6 Vgl. Röm 7,22 6–7 Röm 7,17 7–8 Röm 7,24 8–9 Röm 7,25 14 Gal 2,20 25–26 1Kor 12,3 26–28 Vgl. Gal 4,4–6 29–30 Vgl. 1Kor 12,3

546

80v

Am 26. Dezember 1829 vormittags

nen die beherrscht werden, und eben das ist die Freiheit des Menschen daß es keine geistige Unterwerfung giebt für ihn als nur mit seinem Willen. Wo nun ein Herrschen wirklich ist, da ist auch ein Anerkennen desselben, aber dieses Anerkennen entsteht nicht immer aus gleicher Quelle, geht nicht immer unmittelbar aus dem Eindruck den das was Herrschen soll, auf das Gemüth macht hervor. Es wird dem Menschen von Jugend auf eingeflößt eine Ehrfurcht vor Ordnung und Gesetz und vor denen die es handhaben und von denen es gleichsam ausgeht. Der Erlöser aber trat auf als ein dem Äußern nach vollkommen allen andern Menschen gleicher, er stand auf keiner hohen Stufe in der menschlichen Gesellschaft, er hatte um verehrt zu werden keine alte Sitte, kein Recht, keine Auszeichnung für sich. Es beruhte Alles darauf daß sein Wesen, sein eigenthümlich Dasein, so als göttliche Offenbarung auf die Gemüther unmittelbar wirkte, daß sie die Verheißungen anwenden mußten auf | seine Person, und so mußten sie von Innen heraus durch die Ahnung z[ur] Anerkennung seiner Herrschaft gebracht werden. Das konnte nun niemand [wir]ken als er selbst durch die in ihm wohnende Kraft Gottes, eben weil es ihm an [ ] Beistand fehlte. Und so werden wir sagen: wie das Wort des Apostels wahr ist, daß niemand ihn kann Herrn nennen ohne den Geist Gottes: so fing jene Ausgieß[ung] des Geistes durch ihn schon da an wo die Menschen Jesum als ihren Herrn anerkannten. Wenn Johannes das Zeugniß gab für sich und die andern Jünger des Herrn daß sie in ihm gesehn haben die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit, so war das der Geist der sie lehrte ihn ihren Herrn [zu nennen] Wenn Petrus auf die Frage des Herrn ob sie, nämlich er und die andern Jünger, von [ihm] weg gehn wollten, antwortete: „Herr wo sollten wir hingehen Du hast die W[orte] des Lebens:“ so bekannte er dem Herrn in diesem Wort den Gehorsam, die Unterwerfung, die Anhänglichkeit. Und der Herr sagt: „nicht Fleisch und Blut, nicht das äußre Auge und Ohr haben euch das offenbart, sondern das ist die Offenbarung Gottes des Vaters in den Selen, das ist die Stimme Gottes, und eben die ist ja der Geist Gottes der in dem Menschen redet.“ Aber wenn es nichts war als das eigenthümliche Dasein des Erlösers was die Menschen zur Anerkennung seiner Herrschaft brachte, so müssen wir sagen, dieser von ihm ausgehende Eindruck seines Geistes auf ihr Gemüth, das war das erste Band das sie so mit ihm verknüpfte, daß sie nicht vermochten anderwärts hin zu gehen: und wo dies Band geknüpft ist zwischen ihm und der Sele des Menschen, da ist der Anfang der Wiedergeburt gemacht, da wird sie lebendig zum Gehorsam; denn ande[rs] kann er der Herr nicht sein, und nur wo Gehorsam ist da kann sein Wesen sich [dem] Menschen mittheilen, da bleibt ihm die Lehre des Herrn nicht nur Gegenstand 22–23 Vgl. Joh 1,14 Mt 16,17

24–26 Vgl. Joh 6,66–67

26–27 Joh 6,68

28–31 Vgl.

5

10

15

20

25

30

35

40

Predigt über Tit 3,4–6

5

10

15

20

25

30

35

547

des Denkens, sondern wird ein lebendiger Trieb in ihm, und indem er auf seine S[timme] lauscht so hört auch sein Beispiel auf nur in ihm ein Bild zu sein welches [ ]tige Wünsche erregt, es wird Geist und Leben in ihm, und wenn dann nichts and[res] mehr in der Sele wirkt als nur der Geist des Herrn so wird denn auch das ganze [ ] des Menschen durch ihn ein zusammhändes Wort, und in Allem was er in sich [an]nimmt ist Geist und Leben für ihn. Das zweite Wort des Apostels dessen wir uns hierbei erinnern ist das worin er sa[gt] daß der Geist der Kindschaft über uns ausgegossen ist, und das ist der Geist der [in uns] ruft: „lieber Vater“: Aber er kann das eben erst nachdem wir die Kindschaft empf[angen] durch den Gehorsam, und erst wenn er in uns ist vermögen wir zu Gott zu sagen [im] eigentlichen Sinn: „lieber Vater:“ und haben darin dann das Bewußtsein der Seligkeit durch die Wiedergeburt im Geist. Das ist der Zustand nicht der kindischen Kinder die noch des Gebots bedürfen wie die Knechte, sondern des mündigen Sohnes, dessen Wille ohne Gebot eins ist mit dem des Vaters, des Sohns der von demselben Werke dieselbe Ansicht hat und der zur Erreichung desselben Zwecks dieselben Mittel anwendet und aus innerm Triebe dasselbe thut was er den Vater thun sieht, der ihm alle seine Werke zeigt. Und nur wenn wir an dieser Kindschaft theilnehmen ruft der Geist aus uns: „lieber Vater:“ Denn wo diese Uebereinstimmung ist da hat das Anrufen Gottes seine ganze Kraft und Wirkung; in welcher Beziehung eben der Erlöser sagt: „nicht nur ich, sondern der Vater mit mir, wir kommen Wohnung zu machen in eurem Herzen“, und auf diese Weise sind wir uns der Einheit des Wesens mit ihm gewiß, indem wir rufen: lieber Vater: Denn so denken wir Gott nicht mehr als über uns wachend als Lenker unsres Geschicks, sondern als lebendig regierender Wille ist er uns etwas Inneres, von innen heraus uns leitendes und beseligendes, und dann ist das in uns vermöge dessen wir ihn als Vater anrufen. Davon war die ganze Fülle nur in Christo von dem gesagt ist daß Gott in ihm war um die Welt sich zu versöhnen. Er ist erschienen und hat den heilgen Bund der Liebe hergestellt wodurch die Welt geheiligt wird in ihm. Dazu war Gott in ihm; soll er aber so, wie in ihm, in uns sein so mußte sein Leben das unsre werden, und das ists eben daß wir sagen können: nicht ich sondern Christus lebt in mir. So ist der Geist Gottes in uns der ruft: Vater: und die Seligkeit, Eins und dasselbe. Damit also können wir uns die Frage beantworten wie der sein mußte durch den der Geist konnte ausgegossen werden; nämlich er mußte sein der Abglanz und das Ebenbild des Wesens Gottes, der an welchem wir die Herrlichkeit des Vaters 30 daß] das 19 Vgl. Joh 5,19–20 37–38 Vgl. Hebr 1,3

23–24 Joh 14,23

29–30 Vgl. 2Kor 5,19

34 Gal 2,20

548

Am 26. Dezember 1829 vormittags

erblicken. Die Herrlichkeit Gottes aber und seine Herrschaft ist Eins. Ohne seine Herrschaft über die Welt wäre auch seine Herrlichkeit nicht, und Christus ist der Abglanz der Herrschaft insofern die Herrschaft auf ihm ruht, die Herrschaft über die Gemüther, die Kraft sie zu beleben durch den Geist seines Mundes. Aber das Wesen Gottes ist die Liebe und so ist der Erlöser das Ebenbild Gottes, wie er, wie der Vater hat das Leben der ganzen Welt in sich, eben so das in sich selbst hat. Denn wie der Vater hat, so hat er auch dem Sohn gegeben die belebende Kraft zu haben die auch die Todten zum Leben zu bringen vermag; denn die an ihn glauben die gehen hervor zum Leben[.] Und seine Herrschaft ist nichts anderes als die Macht und Gewalt der Liebe die das Wesen Gottes ist von dem er der Abglanz. Sollte er aber der sein der in sich selbst selig aus sich heraus die Seligkeit verbreiten konnte, so mußte er der auch von Anfang an gewesen sein, nicht wie es in uns ist, durfte in ihm die Unseligkeit der Seligkeit vorangehn, denn sonst konnte sie sich nicht aus ihm heraus verbreiten, er mußte ursprünglich rein sein und selig und dabei allen Menschen gleich sonst hätte sein Leben nicht das ihre werden können, uns gleich in Allem, ausgenommen die Sünde. Darum haben wir ein so bestimmtes Recht seine Geburt zu feiern weil er gekommen, der einzige ohne Sünde – der Tempel Gottes der Alles was sich ihm anschließt in den Tempel verwandelt: wir sind sein wohlerworbnes Eigenthum. Darum laßt uns indem wir seine Geburt feiern zugleich uns über sein irdisches Dasein erheben und wandeln in der Erneuung des Geistes vermöge deren nicht wir leben sondern er in uns und wir in ihm.

17–18 Vgl. Hebr 4,15

5

10

15

20

Anhang

Liederblätter aus den Jahren 1816 bis 1828 1 [Liederblatt vom 12. April 1816:] Am Charfreitage 1816. Anfangslied. Porst. No. 75. Die Seele Christi heilge mich etc. Hauptlied. [1.] O Welt, sieh hier dein Leben am Stamm des Kreuzes schweben; dein Heil sinkt in den Tod. Der große Fürst der Ehren läßt willig sich beschweren mit Schlägen, Hohn und großem Spott. // [2.] Tritt her, und schau mit Fleiße, mit Blut und Todesschweiße sein Leib ist überfüllt. Aus seinem edlen Herzen vor unerschöpften Schmerzen ein Seufzer nach dem andern quillt. // [3.] Wer hat dich so geschlagen, mein Heil, und dich mit Plagen so übel zugericht’t? Du bist ja nicht ein Sünder wie wir und unsre Kinder, von Missethaten weißt du nicht. // [4.] Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schläget, und das betrübte Marterheer. // [5.] Ich bins, ich sollte büßen, die Strafe leiden müssen, entbehren Gottes Huld; die Geißeln und die Banden, und was du ausgestanden, verdient’ ich wegen meiner Schuld. // [6.] Du setzest dich zum Bürgen, ja lässest dich erwürgen für mich und meine Schuld; für mich läßt du dich krönen mit Dornen, die dich höhnen, und leidest Alles mit Geduld. // [7.] Hoch bin ich dir verbunden, all’ Augenblick’ und Stunden! Ich bin dein Eigenthum. Es thätig zu beweisen, soll Leib und Seel’ dich preisen. Mein ganzer Wandel sei dein Ruhm. // [8.] Was könnt’ ich dir wohl geben in diesem armen Leben? Das, Jesu, will ich thun: es soll dein Tod und Leiden, bis Leib und Seele scheiden, mir stets in meinem Herzen ruhn! // Nach dem Gebet. Der Chor, ohne Gemeine. Wir, der Erde Pilger, sind mit dem Tod umfangen! Wer, ach wer errettet uns, daß wir Gnad erlangen? Das thust du, Herr alleine! Es reut uns unsre Missethat, die dich, Herr, erzürnet hat! Heiliger! Schöpfer, Gott! Heiliger! Mittler, Gott! Heiliger! barmherziger Tröster! Du ewiger Gott! Laß uns nicht versinken in der Sünden finstre Nacht! Erbarm dich unser! // [1.] Der du Gebet und Thränen / Am Tage deiner Leiden / Dem ewigen Erbarmer / Zum Sühnungsopfer brachtest! // [2.] Der du die Nacht des Todes / Vor unserm Fußtritt theiltest, / Und unsrer Gräber Ruhe / Durch deinen Schlum1

Vgl. Einleitung, Punkt II.3.H.

552

Anhang

mer weihtest! // [3.] Wir bringen dir, Versöhner, / Zu deines Thrones Füßen / Gebete voller Inbrunst, / Und reuerfüllte Thränen. // [4.] Wenn wir nun einst im Tode / Zu dir hinüber schlummern, / Dann laß uns ohne Schauder / Das Thal des Todes grüßen! // [5.] Laß uns zu dir, Vollender, / Durch Tod und Leben dringen! / Ach! hilf uns überwinden! / Denn wer kämpft und siegt, empfängt / Des Lebens Krone! // Unschuldig warst du, gut und freundlich, / Und weis’, und groß an Macht, und herrlich! / Ein Helfer voll Barmherzigkeit! / In Trauer hüllt sich jeder Fromme, / Wir, die dich Freund und Bruder grüßen; / Kein Name nennt der Deinen Schmerz! // Die Gemeine. – Mel. O Traurigkeit, o Herzeleid etc. O Jesu, du mein’ Hülf’ und Ruh, ich bitte dich mit Thränen: Hilf, daß ich mich bis ins Grab nach dir möge sehnen! // Unter der Predigt. Die Gemeine. – Mel. Herzliebster Jesu etc. Laß deines Leidens Frucht mich stets genießen! Laß diesen Quell auf mein Gewissen fließen! Er müsse seyn, zu steter Lust und Freude, des Geistes Weide. // Am Schluß der Predigt. Der Chor ohne Gemeine. Gieb mir, o Herr, auf meiner Bahn dein Leiden stets zu schauen an, den Gang darnach zu richten. Wie du den Himmel und die Welt zu Gute mir hintangestellt, so laß michs auch vernichten, daß mich ewig weder Freuden noch das Leiden von dir trenne und mich nur den Deinen nenne! // Nach der Predigt. Die Gemeine. – Mel. Wie schön leuchtet etc. O Christe, gieb mir deinen Sinn, daß ich, wie du, nun auch forthin der Erden Lüste meide; daß ich, mein Jesu, Gott und Herr, dir ähnlich werde mehr und mehr und diese Zeit mit leide! daß mich, wenn ich hier mit leide, dort die Freude auch erquicke, und dir einst entgegen rücke! // Vor der Kommunion. Der Chor, ohne Gemeine. Christe, du Lamm Gottes. 3 Verse. // Während der Kommunion. – Mel. Nun freut euch, lieben Christen etc. Der Chor. [1.] Der ew’ge König, Jesus, ruft stets neu zum Abendmahle; Verlaßt der Sünden Erdenkluft, und folgt dem Gnadenstrahle! Hier könnt ihr noch am heilgen Ort des Glaubens Quellen fort und fort von seinen Lippen trinken. // Die Gemeine. [2.] Weg andre stolze Wissenschaft! Sein Glaube soll mich stärken! Du, rechter Weinstock, giebst mir Saft und Kraft zu guten Werken. Wir sind zu deinem Leib vereint; Du bist das Haupt, bist unser Freund; dem Haupte muß man folgen. //

Liederblätter

553

Der Chor. [3.] Wo hat ein Freund wohl größre Lieb’ als, der sein göttlich Leben für seine Freund’ aus Liebestrieb in Qual und Tod gegeben? Er gab im letzten Leidensgang sein Leib und Blut als Speis’ und Trank den Freunden zum Gedächtniß. // Die Gemeine. [4.] Wie faßt mein Herz das ew’ge Bild? Ihm folgt ein Wundersegen, und sieh im Herzensglauben quillt mir Fleisch und Blut entgegen. Du Lebenstrank, du Himmelsbrod, wer dich nicht schmeckt ist ewig todt! Du giebst der Welt das Leben. // Der Chor. [5.] Viel heißer, als nach Speis’ und Trank oft ird’sche Sinne schmachten, laß meine Seel’ im Geiste bang’ auf Himmelsweisheit trachten; Und was ich fühl’ und redlich weiß, gieb, daß ich das mit treuem Fleiß in Kraft und That verwandle. // Die Gemeine. [6.] Nie locke, blinder Menge gleich, mich Lohn in Erdentagen! Unnützer Knecht in Gottesreich, der hier nach Lohn will fragen. Schafft Speise, die da ewig bleibt, Euch ew’gem Leben einverleibt, schafft Gottes Werk und Ehre! // Der Chor. [7.] So wißt ihr Alle, was euch frommt; Tragt Christi Reich im Herzen! Wie Eines Hauses Kinder kommt und klagt ihm eure Schmerzen. Er nimmt von euch der Sünden Druck, giebt eurem Herzen reinern Schmuck, und führt euch hin zum Vater. // Die Gemeine. [8.] Strömt her, ihr Seelen, sonder Zahl, und trinkt aus seinen Quellen, zum Herzensbund und Liebesmahl wird euch sein Trank gesellen, und glaubt gewiß, daß nie versiegt der Born, der hier verborgen liegt; Er quillt zum ew’gen Leben! //

[Liederblatt vom 23. Februar 1817:] Am Sonntag Invocavit 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Die Tugend wird. [1.] Laß mir die Feier deiner Leiden / Mein Heiland hehr und heilig sein. / Sie lehren mich die Sünde meiden / Und dir mein ganzes Leben weihn; / Dir, der so ruhig und entschlossen / Des Lebens bittre Leiden trug, / Des Herz, als schon sein Blut geflossen, / Für mich noch heiß von Liebe schlug. // [2.] In der Betrachtung heil’gen Stunden / Will ich am Leidenshügel stehn, / Und Herr für deine Todeswunden / Mit Dank und Thränen dich erhöhn, / Will tief gerührt die Huld ermessen / Womit dein Herz die Welt umfaßt, / Und nie aus Undank es vergessen / Was du für mich erduldet hast. // [3.] Mir sollen diese Feierzeiten / Nicht unbenutzt vorüberfliehn, / Ich will dich an dein Kreuz

554

Anhang

begleiten / Und wilden Freuden mich entziehn. / Dein Leiden sei mein höchster Segen, / Dein Tod mein seligster Gewinn, / Dir walle stets mein Herz entgegen, / Weil ich durch dich gerettet bin. // (Brem. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Helf mir Gottes Güte. [1.] Dich krönte Gott mit Freuden / O Jesu nach dem Streit, / Du drangst durch Schmach und Leiden / Zu deiner Herrlichkeit. / Triumph ward dir dein Tod; / Dein Kampf war ausgekämpfet, / Der Feinde Wuth gedämpfet, / Nun gingst du hin zu Gott, // [2.] Ich, Herr, dein Pilger, walle / Dir meinem Führer nach; / Doch strauchl’ ich noch und falle, / Denn ich bin müd’ und schwach, / Du führst auch mich durch Streit / Durch Kummer und durch Leiden / Zu meines Zieles Freuden / Zu deiner Herrlichkeit. // Chor [3.] Wie Er des Todes Schrecken / Einst siegreich überwand, / Als er ihn ganz zu schmecken / Selbst im Gerichte stand: / So giebt sein Sieg, wenn du / Durchs finstre Thal sollst gehen, / Und im Gerichte stehen, / Auch dir die Kraft dazu. // Selig sind von nun an alle die Todten die im Herrn sterben! Sie werden von ihrer Arbeit ruhn; ihre Werke folgen ihnen nach. // Gemeine. [4.] Ja, wenn ich bis zum Grabe / Vollendet meinen Streit, / Und gut gekämpfet habe / Um meine Seligkeit: / Wie werd ich dann mich freun! / Wie werd ich voll Entzücken / Auf meine Krone blicken, / Wie selig werd ich sein. // Zwei Stimmen. [5.] Ja ich will auf Jesum sehn! / Sollt ich nicht auf Jesum sehn? / Und ihm treu zur Seite stehn. / Denn aus seinem Leiden fließet / Kraft, die sich ins Herz mir gießet. / Ich will an sein Leiden denken, / Wenn mich Feind und Sünde kränken, / Bis mein Leben sich beschließet! // Chor. [6.] Zwischen Hofnung, Angst und Beben / Schwebte dieses kurze Leben, / Ungewissem Ende zu, / Süß ist nun des Todes Grauen, / Durch die Nacht des Grabes schauen / Wir den Schöpfer unsrer Ruh. // Gemeine. [7.] Ich harr indeß und streite / Bis meine Stund erscheint, / Und du stehst mir zur Seite, / Mein Retter und mein Freund! / Sinkt auch im Kampfe mir / Mein Arm ermüdet nieder, / Das Wort erhebt ihn wieder, / „Sei treu, ich bin mit dir.“ // (Münter.) Unter der Predigt. – Mel. Die Seele Christi. Anbetend folgen wir dir nach, / Von Hohn zu Hohn, von Schmach zu Schmach; / Schaun bis zu deinem Kreuz hinan, / Und fassens nicht, und beten an. // Nach der Predigt. – Mel. Herzliebster Jesu. Dein Bild soll stets vor meine Blicke treten, / Mit dir Herr will ich wachen, will ich beten. / Dann werd im Kampf ich niemals unterliegen, / Ich werde siegen. //

Liederblätter

555

[Liederblatt vom 9. März 1817:] Am Sonntag Oculi 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Herzliebster Jesu. [1.] Herr stärke mich dein Leiden zu bedenken / Mich in das Meer der Liebe zu versenken, / Die dich bewog von aller Schuld des Bösen / Uns zu erlösen! // [2.] Vereint mit Gott ein Mensch gleich uns auf Erden / Und bis zum Tod am Kreuz gehorsam werden; / An unsrer Statt gemartert und zerschlagen / Die Sünde tragen: // [3.] Welch wundervoll hochheiliges Geschäfte! / Sinn ich ihm nach, so zagen meine Kräfte, / Mein Herz erbebt, ich sehe und empfinde / Den Fluch der Sünde. // [4.] Gott ist gerecht, ein Rächer alles Bösen, / Gott ist die Lieb’ und läßt die Welt erlösen, / Dies kann mein Geist mit Schrecken und Entzücken / Am Kreuz erblicken. // [5.] Es schlägt den Stolz und allen Dünkel nieder, / Es beugt mich tief, und es erhebt mich wieder; / Lehrt mich mein Heil, macht mich aus Gottes Feinde / Zu Gottes Freunde. // [6.] O Herr mein Heil, an dessen Kreuz ich glaube, / Ich liege hier vor dir gebeugt im Staube, / Verliere mich mit dankendem Gemüthe / In deiner Güte. // [7.] Laß deinen Geist mich stets mein Heiland lehren / Dein großes Opfer gläubig zu verehren, / Er gebe mir die Kraft in deinem Namen / Dich nachzuahmen. // (Gellert.) Nach dem Gebet. – Mel. Jesu der du meine Seele. [1.] Jesu Christe, dessen Wunden / Heil und Leben uns gebracht, / Ach wie hart wirst du gebunden, / Du Verbrechern gleich gemacht! / Deiner Feinde ganze Tücke / Kennst du, und weichst nicht zurücke, / Giebst mit sanftem stillen Sinn / Dich in ihre Bande hin. // [2.] Aller Engel Legionen, / Die um deines Vaters Thron / Seines Winks zu warten wohnen, / Stehn bereit, o Menschensohn. / Nur ein Wink, du bist befreiet / Und der Feinde Heer zerstreuet, / Doch, wie viel ihr Grimm verbricht, / Du winkst deinen Engeln nicht. // [3.] Du bist selber reich an Stärke, / Die auch hier sich nicht verlor, / Doch in diesem hohen Werke / Geht Geduld der Allmacht vor. / Sprächst du nur, gleich Simsons Schlingen / Würden deine Bande springen, / Und der Feinde große Zahl / Stürzte deiner Gottheit Strahl. // [4.] Doch sie beben, und zur Erden / Stürzen sie durch dein, Ich bins, / Daß sie selber Zeugen werden / Deines hohen Heldensinns. / Niemand nimmt von dir dein Leben, / Du willst selbst für uns es geben, / Du nicht Schmach noch Marter scheun, / Für dein Reich uns zu befrein. // [5.] Treuer Bürg, um unsretwillen / Streckst du deine Hände dar; / Gottes Rathschluß zu erfüllen / Schonest du der frechen Schaar; / Wehrst dem Schwerdte deines Freundes, / Heilst die Wunde deines Feindes, / Nimmst die Bande willig an, / Die dein Arm verweigern kann. // [6.] Soll ich einst den Ruhm erlangen, / Daß ich deines Geistes voll / In Bekennerfesseln prangen / Deinetwegen leiden soll; / Gieb dann mir in Pein und Schanden / Reichen Trost aus deinen Banden, / Daß gleich dir ich sie nicht scheu, / Ich gleich dir gelassen sei. // (Jauer. Ges. B.)

556

Anhang

Unter der Predigt. – Mel. In eigner Melodie. O Lamm Gottes unschuldig / Trugst du die harte Versöhnung / Und immer gleich geduldig / Zu meiner Sünden Versöhnung! / Dein Bild soll mich beleben / Zu dulden, zu vergeben, / Wie du zu lieben, mein Jesus. // Nach der Predigt. – Mel. Freu dich sehr. Unsern Jüngerbund erneuern / Hilf uns, Geist der Heiligkeit! / Salb uns, also recht zu feiern / Jesu Christi Leidenszeit! / Aller treuen Brüder Herz / Fülle mit der Wehmuth Schmerz, / Und von deinem Strahl getroffen / Sei es seinem Frieden offen. //

[Liederblatt vom 23. März 1817:] Am Sonntag Judica 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Nun ruhen alle Wälder. [1.] Ach welche Schmach und Plagen / Muß mein Erlöser tragen, / Der nie ein Sünder war! / Ihn stellen Missethäter / Als einen Uebertreter / Den ungerechten Richtern dar. // [2.] Da steht er im Gerichte, / Auf seinem Angesichte / Strahlt Ruh und hoher Muth; / Er achtet nicht der Bande, / Und groß in Schmerz und Schande / Erduldet er der Frevler Wuth. // [3.] Treu bleibt er seiner Wahrheit, / Und seiner Unschuld Klarheit / Versüßt ihm Spott und Hohn. / Er schweigt bei schnöden Fragen, / Doch darf er laut es sagen: / Ich bin der König, Gottes Sohn. // [4.] Ihr unsers Hauptes Glieder, / Ihr Christen fallet nieder, / Und betet Jesum an. / Er ist troz frechen Spottes / Der Sohn des ewgen Gottes, / Ihn betet einst der Weltkreis an. // [5.] Jauchzt, ihr Gerechte, schauet, / Der Herr, dem ihr vertrauet, / Kommt einst, mit ihm sein Lohn! / Wenn dann die Sünder zagen, / Dann könnt ihr fröhlich sagen, / Gelobet seist du Gottes Sohn. // (Sturm.) Nach dem Gebet. – Mel. Zion klagt. [1.] Menschenfurcht und Furcht vor Sünden / Stimmen mit einander nicht; / Wo sich jene pflegt zu finden / Da verlezet man die Pflicht, / Bei dem Wahn, es streu die That / Dornen hin auf unsern Pfad, / Und das Unrecht nur gewähre / Sichern Weg und Menschenehre. // [2.] Lieber Unrecht thun als leiden / Brachte Jesu Gottes Sohn / Bei der Hohenpriester Neiden / Geissel Schmach und Kreuz zum Lohn. / Schau was ein Pilatus kann! / In ihm siehest du den Mann, / Der bei hoher Erdenwürde / Trug der Menschenknechtschaft Bürde. // [3.] Gerne hätt’ er losgegeben / Ihn, deß Unschuld er erklärt, / Hätte nicht das Widerstreben / Frecher Mordlust es verwehrt. / All sein Kommen und sein Gehn / All sein Halbthun läßt dich sehn, / Daß er wollte Recht bewahren / Doch ohn’ eigene Gefahren. // [4.] Läßt du los der Juden König / Bist du nicht des Kaisers Freund, / Dies bewegt ihn, Unschuld wenig, / Wie so hell sie ihm auch scheint, / Seine Hände waschend gab / Er das Todesurtheil ab, / Um des innern Richters Rügen / Selbst sich täuschend zu besiegen. //

Liederblätter

557

[5.] Lieber alles Unrecht leiden / Als das kleinste Unrecht thun, / Nur alsdann kannst du mit Freuden / In des Heilgen Fügung ruhn. / Jener feile Sklavensinn / Täuschet dich nur mit Gewinn, / Denn du trägst im höchsten Stande / Doch der Selbstverachtung Schande. // [6.] Alle Gottesmenschen rangen / Gott zu fürchten mehr als Welt, / Sie der Wahrheit Zeugen drangen / Jedem Leiden dargestellt / Durch des Erdenlebens Nacht / Hin, wo die Vergeltung lacht, / Wo den Treuen schmückt die Krone / Der Gerechtigkeit zum Lohne. // (Brem. Ges. B.) Unter der Predigt. – Mel. Christus der uns selig. Laß das Wort von deinem Kreuz / Mich mit Muth beleben, / Siegreich jeder Sünde Reiz / Hier zu wiederstreben. / Nicht vergebens darf ich nun / Mich um Kraft bewerben, / Gottes Willen treu zu thun / Sünden abzusterben. // Nach der Predigt. – Mel. Freu dich sehr o meine. Hab ich dich in meinem Herzen / Du Brunn aller Gütigkeit, / So empfind ich keine Schmerzen / Auch im herbsten Kampf und Streit. / Ich verberge mich in dich; / Was kann da verlezen mich? / Wer bei dir in Andacht bleibet, / Die Versuchung von sich treibet. //

[Liederblatt vom 4. Mai 1817:] Am Sonntage Cantate 1817. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Eins ist Noth ach Herr dies Eine / Lehre mich erkennen doch! / Alles andre wie’s auch scheine / Ist ja nur ein schweres Joch, / Darunter die Seele mit Sorgen sich plaget / Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget. / Erlang’ ich dies Eine, das alles ersetzt: / So werd ich mit Allem in Einem ergötzt. // [2.] Seele willst du dieses finden, / Such’s bei keiner Kreatur, / Laß nichts irdisches dich binden, / Schwing dich über die Natur. / Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet, / Wo alle vollkommne Fülle erscheinet: / Da da ist das beste nothwendigste Theil, / Mein Ein und mein Alles, mein seligstes Heil. // [3.] Wie zu ihres Freundes Füßen / Sich Maria niederließ, / Ihn den einz’gen zu genießen / Alles andre von sich wies, / Das Herz ihr entbrannte das Alles zu hören, / Was Jesus ihr Meister allein sie kann lehren; / Die Seele war gänzlich in Jesum versenkt / Drum alles ihr wurde in Einem geschenkt. // [4.] Also ist auch mein Verlangen / Liebster Jesu nur nach dir; / Laß mich treulich an dir hangen, / Schenke dich zu eigen mir! / Die Welt mag dann immer beim Eiteln verweilen / Ich will dir mein Heiland im Glauben nacheilen; / Denn dein Wort, o Jesu, ist Leben und Geist; / Was ist wohl das man nicht in Jesu geneußt? // (Schröder) Nach dem Gebet. – Mel. Wachet auf ruft uns. [1.] Herr welch Heil kann ich erringen, / In welche Höh’ darf ich mich schwingen, / Mein Wandel soll im Himmel sein! / O du Wort voll heilgen

558

Anhang

Lebens, / Voll Wonne! Wort des ewgen Lebens, / Im Himmel soll mein Wandel sein! / Ich sink erstaunend hin, / Empfinde wer ich bin / Wer ich sein kann! ich trage noch / Des Todes Joch; im Himmel ist mein Wandel doch. // [2.] Wort vom Anfang! Wunderbarer / O du der Gottheit Offenbarer! / Den Erdkreis deckte Dunkelheit, / Du erschienst, du Licht vom Lichte, / Wir schaun in deinem Angesichte / Nun deines Vaters Herrlichkeit. / Nicht Wahrheit nur, auch Ruh / Strahlst du uns Gottmensch zu, / Seelenfrieden! du hasts vollbracht, / Von Irrthums Nacht, von Nacht der Sünd uns frei gemacht! // [3.] Wenn die Seel in tiefer Stille / Versunken ist, wenn ganz ihr Wille / Der Wille des ist, der sie liebt; / Wenn ihr inniges Vertrauen / Ihr freudges Hoffen fast zum Schauen / Emporsteigt, wenn sie wieder liebt, / Und nun wahrhaftig weiß, / Nach Kampf und Todesschweiß / Weltversöhner, lebst du ihr Heil, / Und Recht und Theil an dir sei Aller ewges Heil. // [4.] O dann ist ihr schon gegeben / Ihr neuer Nam’ und ewges Leben, / Im Himmel ist ihr Wandel dann! / Stark den Streit des Herrn zu streiten / Sieht sie die Krone schon von weitem, / Die Kron am Ziel und betet an. / Preis Ehr’ und Stärk und Kraft / Sei dem, der uns erschafft / Ihm zu leben, der bei uns ist, / Wo sein ein Christ im Glauben denkt, zu jeder Frist. // (Klopstock) Unter der Predigt. – In eigner Melodie. [1.] Nun bitten wir den heiligen Geist / Um den wahren Glauben allermeist / Daß er uns behüte an unserm Ende / Wenn wir heimfahren aus diesem Elende / Herr erbarm dich unser. // [2.] Du werthes Licht, gieb uns deinen Schein, / Lehr uns Jesum Christum erkennen allein, / Daß wir an ihm bleiben dem treuen Heiland, / Der uns bracht hat zu dem rechten Vaterland, / Herr erbarm dich unser. // Nach der Predigt. – Mel. Allein Gott in der Höh. Nimm deinen Geist Herr nicht von mir / Der mächtig in mir walte, / Und mich im Land der Prüfung dir / Treu bis zum Tod’ erhalte. / Er wirk in mir entschloßnen Muth / Nur dein zu seyn, dann hab ichs gut / Im Leben und im Sterben. //

[Liederblatt vom 18. Mai 1817:] Am Sonntage Exaudi 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Valet will ich dir [1.] Wer in der Welt Getümmel / Ein armer Fremdling steht, / Voll Sehnsucht auf zum Himmel / Mit seinen Blicken geht, / Wem hier die Last der Erde / Die matte Brust beengt, / Und mächtige Beschwerde / Das arme Herz bedrängt, // [2.] Dem thut in dunklen Nächten / Sich bald der Himmel auf, / Er schauet dort den echten / Und wahren Lebenslauf; / Er siehet mit Entzücken / Der fernen Heimath Blau, / Und bald muß ihn erquicken / Des ewgen Lebens Thau. // [3.] Denn Jesus der Geliebte / Reicht ihm den Freundes Arm, / Und

Liederblätter

559

bald ist der betrübte / Befreit von allem Harm. / Er sieht als Himmelszeichen / Das Kreuz von unserm Herrn, / Nun muß der Gram entweichen / Vor diesem lichten Stern. // [4.] Getrost laßt uns nur fassen / Des ewgen Freundes Hand, / Er wird uns niemals lassen, / Er bleibt uns zugewandt. / O daß sich nimmer wende / Von seinem Kreuz der Blick! / Dies bleibt am letzten Ende / Allein uns treu zurück. // (Jauer. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Was mein Gott will. [1.] Sei Gott getreu, halt seinen Bund / Bekenn ihn durch dein Leben! / Dein Glaube ruht auf festem Grund, / Drum bleib ihm stets ergeben. / Wie hat Gott dich verpflichtet sich / Durch seine Huld und Gnade! / Vertrau dem Herrn und wandle gern / Der Frommen sichre Pfade. // [2.] Sey Gott getreu von Jugend auf, / Laß keine Lust kein Leiden / Dich je in deines Lebens Lauf / Von seiner Liebe scheiden. / Denn seine Treu ist täglich neu, / Sein Wort kann niemals trügen; / Was er verspricht, das bricht er nicht, / Daran laß dir genügen. // [3.] Sei Gott getreu in jedem Stand, / In den er dich gesezet! / Denn schüzt dich seine starke Hand, / Wer ist der dich verlezet? / Wer seinen Rath zum Beistand hat, / Ist immer wohl berathen; / Wer mit Gebet zur Arbeit geht / Hat Glück bei seinen Thaten. // [4.] Sei Gott getreu, sein theures Wort / Freimüthig zu bekennen, / Vor Jedermann an jedem Ort / Dich seinen Freund zu nennen. / Was in der Welt dir wohlgefällt, / Muß alles bald vergehen, / Nur Gottes Wort bleibt immerfort / Zum Heil der frommen stehen. // [5.] Sei Gott getreu in jedem Streit! / Dann wirst du überwinden; / Denn er läßt Muth und Freudigkeit / Den treuen Kämpfer finden. / Verleze nicht die kleinste Pflicht; / Doch hast du dich vergangen, / So nuz die Reu, geprüft und treu / Die Krone zu erlangen. // Unter der Predigt. – Mel. Es ist das Heil. Herr laß des Wortes Geist und Kraft / Die Herzen ganz durchdringen, / Und uns treu und gewissenhaft, / Was er uns lehrt vollbringen, / Laß uns durch seinen Unterricht / Stets eifriger in unsrer Pflicht / Im Glauben stärker werden. // Nach der Predigt. – Mel. Jesus meine Zuversicht. Auf denn Mitgenossen geht / Muthig durch die kurze Wüste, / Seht auf Jesum, wacht und fleht / Daß er selbst zum Kampf euch rüste. / Der in Schwachen mächtig ist, / Giebt uns Sieg durch Jesum Christ. //

[Liederblatt vom 26. Mai 1817:] Am zweiten Pfingsttage 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Eine feste Burg. [1.] Herr auf dein Wort soll’s sein gewagt / Du kannst mir’s nicht verdenken, / Du hast mir einmal zugesagt / Den heil’gen Geist zu schenken; / Drum komm’

560

Anhang

ich jetzt zu Dir, / Jesu halte mir / Was du verheißen hast! / Du willt ja diesen Gast / Dem geben, der dich liebet. // [2.] Komm Tröster laß mich Gottes Huld / Durch Sünden nicht verscherzen! / Gieb Liebe Hoffnung und Geduld / Gieb Demuth meinem Herzen! / Gieb Andacht im Gebet, / Wann ich vor Gott tret! / Ach laß mich Herz und Sinn / Nur richten bloß dahin, / Woher mir kommt die Hülfe. // [3.] Erleuchte mir du liebes Licht / Des Herzens finstre Höhle, / Verschmähe diese Wohnung nicht / Senk dich in meine Seele! / Herr Gott ich bitte dich, / Stärke, labe mich / Sei Beistand mir und Rath / Und Kraft zu jeder That, / Gieb Freude, mach lebendig! // [4.] Was in mir noch von argem Sinn / Und Fleisch hilf mir bezwingen! / Nimm ganz den bösen Willen hin, / Gieb mir vor allen Dingen, / Daß ich mich in der Lieb / Meines Jesu üb’, / Und täglich fertig sei / Aus dieser Wüstenei / Vor deinen Thron zu treten. // (Stett. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Wie schön leucht’t uns. [1.] O heiliger Geist kehr bei uns ein, / Und laß uns deine Wohnung sein, / O komm du Herzenssonne! / Du Himmelslicht, laß deinen Schein / Bei uns und in uns kräftig sein / Zu steter Freud und Wonne! / Sonne, Wonne, himmlisch Leben / Willt du geben, / Wenn wir beten; / Zu dir kommen wir getreten! // Chor. [2.] Du Quell, draus alle Weisheit fließt / Die sich in fromme Seelen gießt, / Laß deinen Trost uns hören, / Daß wir in Glaubenseinigkeit / Mit deiner werthen Christenheit / Dein wahres Zeugniß ehren! / Höre, lehre, daß wir Sinnen / Und Beginnen / Dir ergeben, / Dir zum Lob und uns zum Leben. // [3.] Lehre mich thun nach deinem Wohlgefallen; / denn du bist mein Gott! Dein guter Geist / führe mich auf ebner Bahn. // Einzelne Stimmen. [4.] Sende Erlöser uns den Tröster, / Daß er uns in alle Wahrheit leite, / Daß er dich in uns verkläre. // Chor. [5.] Auf uns nieder komm o heiliger Gottesgeist, / Komm und erfüll die Herzen der Gläubigen, / Entzünde in ihnen der Liebe heiliges Feuer, / Der du aus allen Sprachen und allerlei Völkern / Uns zu des Glaubens Kraft und Einigkeit hast versammelt. Hallelujah. // [6.] Hör unser Gebet, Gottes Geist / Den Jesus Christus uns verheißt! / Erfüll mit deinen Seeligkeiten / Uns die sich Christo weihten. / Die Völker aller Welt führst du / Ins Heiligthum zu Gottes Ruh; / Es schall Anbetung dir zum Ruhme / Singt Völker ihm im Heiligthume / Hallelujah, Hallelujah. // Gemeine. [7.] Du heiliges Licht, starker Hort / Durch dich leucht’ uns des Lebens Wort, / Den Ewigen lehr uns erkennen, / Von Herzen Vater ihn nennen! / Treib fern von uns des Irrthums Nacht / Laß siegen deiner Wahrheit Macht, / Daß Jesus Christ der ganzen Erde / Bekannt und angebetet werde! / Hallelujah, Hallelujah. // (Klopstock) Unter der Predigt. – Mel. Die Seele Christi. [1.] Komm Gott Schöpfer heiliger Geist / Besuch das Herz der Menschen dein, / Mit Gnaden sie füll’, wie du weißt, / Daß dein Geschöpf soll vor dir

Liederblätter

561

sein. // [2.] Zünd uns ein Licht an im Verstand, / Gieb in das Herz der Liebe Brunst; / Das schwach Fleisch in uns dir bekannt / Erhalt fest deine Kraft und Gunst. // Nach der Predigt. – Mel. Wachet auf ruft. Gottes Geist du Geist der Liebe / Befrucht auch unsres Herzens Triebe / Der großen Gaben werth zu sein, / Geuß ins Herz der Liebe Flammen / Daß wir geschwisterlich beisammen / In deinem Tempel uns erfreun! / In Eintracht singen wir / Als deine Kinder dir / Dir o Vater, Du segnest gern, sei nie uns fern! / Wir folgen dir, dem guten Herrn. //

[Liederblatt vom 1. Juni 1817:] Am Sonntag Trinitatis 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Nun danket alle Gott. [1.] Gelobet sey der Herr, mein starker Schutz, mein Leben, / Mein Schöpfer der mir hat Leib Seel’ und Geist gegeben, / Mein Vater der mich führt von Mutterleibe an, / Der alle Augenblick viel Guts an mir gethan. // [2.] Gelobet sey der Herr, mein ewig Heil mein Leben, / Des Vaters liebster Sohn, der sich für mich gegeben, / Der mich erlöset hat mit seinem theuern Blut, / Der mir im Glauben schenkt des allerhöchsten Gut. // [3.] Gelobet sei der Herr, mein süßer Trost, mein Leben / Des Vaters werther Geist, den mir der Sohn gegeben, / Der mir mein Herz erquickt zu immer neuer Kraft, / Und mir in aller Noth Rath Hülf und Ausgang schafft. // [4.] Gelobet sei der Herr, mein Gott, der ewig lebet, / Den alles liebt, was in den weiten Lüften schwebet, / Gelobet sei der Herr, deß Namen heilig heißt, / Der Vater mit dem Sohn, in uns der heilige Geist. // [5.] Dem lassen wir anitzt das Heilig froh erklingen, / Und wollen mit der Schaar der Engel ihm Lob singen; / Ihn preise dankbar stets die ganze Christenheit, / Gelobt sei unser Gott in alle Ewigkeit. // (Olearius) Nach dem Gebet. – Mel. Es woll uns Gott. [1.] Herr unser Gott wer ist dir gleich / Du allerhöchstes Wesen, / Der du an Gnad unendlich reich / Uns dir zum Dienst erlesen! / Gemeinschaft sollen wir mit dir / Du allerhöchster haben; / Mit deinem Heil willst du uns hier / Und ewig einst begaben, / Du Quelle alles Seegens! // [2.] Wir beten dich o Vater an! / Sind wir gleich vor dir Sünder; / Du führest doch auf ebner Bahn / Auch die verirrten Kinder. / Du hast für uns aus großer Huld / Selbst deinen Sohn gegeben; / Dein Herz voll Güte und Geduld / Lehr uns des Glaubens leben / An dich den rechten Vater. // [3.] O Jesu ew’ger Gottes Sohn / Auf dessen Heil wir hoffen, / Durch dich steht zu des Vaters Thron / Der Weg uns wieder offen, / Uns zu befrein von Sünden-Noth / Kamst du zu uns auf Erden; / So laß dein Leben deinen Tod / Uns recht gesegnet werden, / Und dir im Glauben dienen. // [4.] O heil’ger Geist, du Geist von Gott / Wehr in uns dem Verderben! / Im Glauben an des Mittlers Tod / Hilf uns der Sünde sterben. / Du

562

Anhang

bists der guten Willen schafft, / Gieb Kraft auch zum Vollbringen, / Daß wir durch unsre Pilgerschaft / Das Vaterland erringen / Zum Preise deiner Gnade. // [5.] Herr segn’ uns denn von deinem Thron, / Und gieb uns recht Gedeihen, / Daß wir auf dieser Erde schon / Des Himmels uns erfreuen! / Dein ist das Reich die Herrlichkeit; / Dir wollen wir hier leben: / So wirst du nach vollbrachter Zeit / Uns einst dahin erheben, / Wo wir dein Antlitz schauen. // (Brem. Ges. B.) Unter der Predigt. – Mel. Die Seele Christi. [1.] Die Gnade des Herrn Jesu Christ, / Die Liebe deß der Vater ist, / Des heil’gen Geists Gemeinschaft sei / In seinem Haus’ uns fühlbar neu. // [2.] Der Vater segn’ uns, unser Gott! / Der Sohn segn’ uns durch seinen Tod, / Des heilgen Geistes Gütigkeit / Segne die ganze Christenheit. // Nach der Predigt. – Mel. Komm heiliger Geist, Herre. Lob Preis und Ehre bringen wir / Gott Vater Sohn und Geist nun Dir! / Es müsse jedes Land auf Erden / Voll deiner Herrlichkeit werden! / Wie seelig wie begnadigt ist / Ein Volk, des Zuversicht du bist! / Jehova deinem großen Namen / Sei ewig Ruhm und Ehre, Amen! / Sei hochgelobt, sei hochgelobt. //

[Liederblatt vom 24. August 1817:] Am zwölften Sonntag n. Trinitatis 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Befiel du deine Wege. [1.] Erwachet, Harf’ und Psalter! / Gott hat den Tag gemacht. / Dankt, danket dem Erhalter, / Dem Hüter in der Nacht! / Erwachet ihn zu loben, / Gott hat den Tag gemacht, / Der Hüter sei erhoben / Der Hüter in der Nacht! // [2.] Erwacht zu seinem Ruhme, / Ihr Frommen aus der Nacht, / Zu seinem Eigenthume / Geschaffen und bewacht! / Ihr abgefallnen Kinder / Hört ihren Lobgesang! / Und Buße, Buß’, ihr Sünder, / Sei euer Morgendank! // [3.] So weit die Himmel gehen / Geht, Vater, deine Treu’! / Stets will ich sie erhöhen, / Denn täglich wird sie neu! / Von dem wir Alles haben, / Mein Schutz, mein Heil, mein Licht, / Quell aller guten Gaben, / Gott, wen erfreust du nicht? // [4.] Ich bin durch deine Liebe, / Allvater, was ich bin; / Nimm jeden meiner Triebe / Zu deinem Opfer hin! / Was soll ich Herr dir geben? / Mich ganz und ohne Zwang! / Ein dir geheiligt Leben / Sei ewig, Gott, mein Dank. // (Cramer.) Nach dem Gebet. – Mel. Sei Lob und Ehr dem höchsten. [1.] Ich weiß an wen mein Glaub’ sich hält, / Kein Feind soll mir ihn rauben. / Als Bürger einer bessern Welt / Leb’ ich hier nur im Glauben. / Dort schau ichs was ich hier geglaubt, / Wer ist, der mir mein Erbtheil raubt? / Es ruht in Jesu Händen. // [2.] Mein Leben ist ein kurzer Streit; / Lang währt der Tag des Sieges. / Ich kämpfe für die Ewigkeit, / Erwünschter Lohn des Krieges! /

Liederblätter

563

Der du für mich den Tod geschmeckt, / Durch deinen Schild bin ich gedeckt, / Ich kämpf und überwinde. // [3.] O Herr, du bist mein ganzer Ruhm / Mein einz’ger Trost im Leben, / Zu meinem ew’gen Eigenthum / Hast du dich mir gegeben, / Von fern glänzt mir mein Kleinod zu, / Du schaffest nach dem Streit mir Ruh, / Und reichst mir meine Krone. // [4.] So lenke meines Geistes Blick / Von dieser Welt Getümmel / Auf dich, auf meiner Seele Glück / Auf Ewigkeit und Himmel, / Die Welt mit ihrer Herrlichkeit / Vergeht, und währt nur kurze Zeit; / Im Himmel sei mein Wandel! // [5.] Zu ewgem Glück bin ich erkauft, / O Herr durch deine Leiden; / Auf deinen Tod bin ich getauft, / Wer will mich von dir scheiden? / Du zeichnest mich in deine Hand; / Du bist mir, ich bin dir bekannt; / Mein sind der Deinen Freuden. // [6.] Wie groß ist deine Herrlichkeit, / Empfinde sie o Seele! / Vom Tand der Erde unentweiht, / Erhebe Gott! o Seele! / Der Erde glänzend Nichts vergeht, / Nur der Gerechten Ruhm besteht / Durch alle Ewigkeiten. // (Sturm.) Unter der Predigt. – Mel. Es woll uns Gott genädig sein. Ihr Christen, haltet an und seht / Empor zum großen Lohne, / Nur mitten durch die Feinde geht / Der Weg zu jener Krone. / Ob tausend auch zur Rechten euch / Zur Linken tausend sänken: / Sinkt dennoch nicht! Gott wird sein Reich, / Wird Kraft zum Streit uns schenken, / Wenn wir nicht muthlos weichen. // Nach der Predigt. – Mel. Herzliebster Jesu. [1.] Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, / Noch Engel, die des Höchsten Thron umgeben, / Noch Teufel, noch Gewalt, noch Freud’ und Leiden, / Von Gott mich scheiden. // [2.] So kniet denn erlöste, theure Brüder, / Voll heißen Danks vor seinem Throne nieder, / Ihm alles, was wir haben, unser Leben, / Ganz zu ergeben. //

[Liederblatt vom 7. September 1817:] Am vierzehnten Sonntag n. Trinitatis 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Nun danket alle Gott. [1.] Lobsingt, lobsingt den Herrn / Frohlocket Gott voll Freuden! / Denn er ist unser Heil / In allen unsern Leiden / Er unser Vater nimmt / Sich unser mächtig an, / Und große Dinge hat / Der Herr an uns gethan. // [2.] Wie mächtig ist der Herr! / Wie heilig, hoch zu ehren, / Von Allen, die durch ihn / Erlöst zu sein begehren! / Denn er ist gnädig, ist’s / Durch Zeit und Ewigkeit / Dem, welcher ihm vertraut, / Und seiner Huld sich freut. // [3.] Er steht dem Frommen bei, / Er segnet seine Freunde, / Die Stärke seines Arms / Erfahren seine Feinde, / Er sieht den Uebermuth / Der Stolzen, und sein Blick / Zerstreut sie, und entreißt / Hoffärtigen ihr Glück. // Nach dem Gebet. – Mel. Von Gott will ich nicht lassen. [1.] Zeuch ein zu meinen Thoren, / Sei meines Herzens Gast, / Der du, da ich geboren, / Mich neu geboren hast, / Du hochgeliebter Geist / Des Vaters und

564

Anhang

des Sohnes, / Mit beiden gleiches Thrones, / Mit beiden gleich gepreist. // [2.] Zieh ein, laß mich empfinden / Und schmecken deine Kraft, / Die Kraft, die uns von Sünden / Hülf’ und Errettung schafft. / Daß ich mit reinem Geiste / Dir Ehr’ und Dienste leiste, / Die ich dir schuldig bin. // [3.] Erfülle die Gemüther / Mit reiner Glaubenszier, / Die Häuser und die Güter / Mit Segen für und für / Vertreib den bösen Geist, / Der dir sich widersetzet, / Was uns in dir ergötzet / Aus unsern Herzen reißt. // [4.] Richt unser ganzes Leben / Allzeit nach deinem Sinn, / Und wenn wir’s sollen geben / In’s Todes Hände hin, / Wenn’s hier mit uns wird aus, / So hilf uns fröhlich sterben, / Und nach dem Tod ererben / Des ew’gen Lebens Haus. // (Paul Gerhard.) Unter der Predigt. – Mel. Herzlich thut mich. Laß mich dein sein und bleiben / Du treuer Gott und Herr, / Von dir laß mich nichts treiben, / Halt mich bei reiner Lehr! / Herr, laß mich nur nicht wanken, / Gieb mir Beständigkeit, / Dafür will ich dir danken / In alle Ewigkeit. // Nach der Predigt. – Mel. Befiehl du deine Wege. Mit dir kann ich die Sünden / Mich selbst, die Welt, den Tod, / Und Alles überwinden, / Was mir Verderben droht / Ich werde nicht erliegen, / Ich dring’ ins Reich des Lichts / Ich bin gewiß zu siegen, / Dein Wort, o Gott versprichts. //

[Liederblatt vom 21. September 1817:] Am sechzehnten Sonntag n. Trinitat. 1817. Vor dem Gebet. – Mel. Herzliebster Jesu. [1.] Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben / Noch Engel, die des Höchsten Thron umschweben, / Noch Teufel noch Gewalt noch Feind noch Leiden / Von Gott mich scheiden. // [2.] Der Ewige der über Sonnen thronet, / Hat für mich seines Sohnes nicht verschonet; / Voll Huld hat er, damit wir alle leben, / Ihn hingegeben. // [3.] Wie sollt er nun, wenn uns die Sünden kränken, / Mit Jesu uns nicht alles alles schenken? / Ja alles, o des Wunders voll Erbarmen, / Schenkt er uns Armen. // [4.] So kniet denn erlöste theure Brüder / Voll heißen Danks vor seinem Throne nieder, / Ihm alles was wir haben, unser Leben / Ganz zu ergeben. // [5.] Hier sind wir Gott, du schenktest uns Verlornen / Das Liebste, Jesum deinen Eingebornen, / Und wir, wir bringen dir voll reiner Triebe / Ein Herz voll Liebe. // (Münter) Nach dem Gebet. – Mel. In dich hab ich gehoffet. [1.] Ich freue mich mein Gott in dir, / Du bist mein Trost, und was kann mir / In deiner Liebe fehlen? / Du Herr bist mein, und ich bin dein; / Was mangelt meiner Seelen? // [2.] Du hast mich von der Welt erwählt / Und deinen Kindern zugezählt, / Mag doch die Welt mich hassen! / Du liebst mein Wohl, wirst gnadenvoll / Mich nimmermehr verlaßen. // [3.] Du segnest mich, wenn

Liederblätter

565

man mir flucht; / Und wer hier mein Verderben sucht, / Dem wird es nicht gelingen. / Du stehst mir bei; durch deine Treu / Muß alles Segen bringen. // [4.] Du trägst mich liebreich mit Geduld, / Vergiebst durch Christum mir die Schuld, / Wann ich aus Schwachheit fehle. / An seinem Heil giebst du mir Theil, / Das tröstet meine Seele. // [5.] Du bist mir der bewährte Freund / Der es aufs beste mit mir meint; / Wo fänd’ ich deines Gleichen? / Und dien ich dir, so hilfst du mir / Das schöne Ziel erreichen. // [6.] In Finsterniß bist du mein Licht, / Erfreust mein Herz: drum frag ich nicht, / Nach allem Tand der Erde. / Herr ohne dich ist nichts für mich, / Das mir erfreulich werde. // [7.] Auf deiner Huld allein beruht / Mein wahres Glück, mein höchstes Gut, / In dir leb ich zufrieden; / So dort als hier bleib ich von dir / In Liebe ungeschieden. // [8.] Drum ist mein wahres Wohlergehn / Mich, Herr, in deinem Dienst zu sehn, / Das ist der Quell der Freuden; / Daran kann sich auch ewiglich / Herr meine Seele weiden. // (Jauer Ges. B.) Unter der Predigt. – Mel. Jesu meine Freude. Vater aller Gnaden / Der du uns geladen / Hast an diesen Ort, / Dein Wort anzuhören / Uns den Weg zu lehren / Zu der Himmelspfort! / Zu uns richt dein Angesicht, / Das uns leucht vor unsern Füßen / In den Finsternissen. // Nach der Predigt. – Mel. Helft mir Gott’s etc. Dem Herrn ich mich ergebe / Ihm sei es heimgestellt! / Nach nichts mehr ich sonst strebe / Als nur was ihm gefällt, / Sein Will’ ist mein Begier, / Der ist und bleibt der Beste, / Das glaub ich stets und feste, / Wohl dem der glaubt mit mir. // (Heermann)

[Liederblatt vom 5. Oktober 1817:] Am Erndtefest 1817. Vor dem Gebet. – In eigener Melodie. [1.] Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, / Dem Vater aller Güte, / Dem Gott der große Wunder thut, / Dem Gott der mein Gemüthe / Mit seinem reichen Trost erfüllt, / Dem Gott der allen Jammer stillt! / Gebt unserm Gott die Ehre. // [2.] Was unser Gott geschaffen hat: / Das will er auch erhalten, / Darüber will mit weisen Rath / Und großer Gnad’ er walten; / In seinem ganzen Königreich / Herrscht Macht und Recht und Huld zugleich; / Gebt unserm Gott die Ehre. // [3.] Der Herr ist noch und nimmer nicht, / Von seinem Volk geschieden, / Er bleibt der Frommen Zuversicht, / Giebt ihnen Heil und Frieden; / Er führt mit väterlicher Hand / Die Seinen, die er treu erkannt; / Gebt unserm Gott die Ehre. // [4.] Wenn Trost und Hülf ermangeln will, / Wenn niemand mehr kann rathen: / So setzet Gott der Noth ein Ziel, / Und hilft durch Wort und Thaten. / Er nimmt sich dessen gnädig an, / Der nirgend Ruhe finden kann; / Gebt unserm Gott die Ehre. // (Brem. Ges. B.)

566

Anhang

Nach dem Gebet. – Mel. Die Tugend wird etc. [1.] Wir alle Menschenvater bringen / Dir unsern feierlichsten Dank, / Und unsre frohen Herzen singen / Dir ihren lauten Preisgesang! / Gekrönt hast du mit deiner Milde / Rings um uns her das ganze Land, / Dein Segen floß auf die Gefilde / Aus deiner offnen Vaterhand. // [2.] Du schenktest Sonnenschein und Regen / Für jede Frucht zur rechten Zeit, / Und gabst dem Samen Kraft und Segen, / Den Menschenhände ausgestreut. / Für Millionen deiner Kinder / Reicht deiner Gaben Reichthum hin, / Du nährst den Frommen nährst den Sünder, / Mit ewig treuem Vatersinn. // [3.] Wer kann die Güte ganz ermessen, / Die weiter als die Wolken reicht! / Wer undankbar die Huld vergessen, / Die nie von uns im Staube weicht; / O nimm in heißen Freudezähren, / In jedem Pulsschlag unsern Dank! / Wir wollen ewig dich verehren / Durch Thaten wie durch Lobgesang. // [4.] Was du uns gabst wohl anzuwenden / Verlieh uns Weisheit und Verstand! / Nicht um es üppig zu verschwenden / Empfingen wirs aus deiner Hand: / Die Gaben sollen wir genießen, / Doch mäßig auch und dankbar sein, / Und so mit ruhigem Gewissen / Uns deines Vater-Segens freun. // [5.] Auch für den Armen wuchs der Segen, / Den deine Hand so reichlich gab; / Wir wollen seiner liebreich pflegen, / Er trokne seine Thränen ab! / Er danke heute mit uns allen, / Frohlocke laut und bete an, / Daß du nach deinem Wohlgefallen / So viel o Gott an uns gethan. // (Jauer. Ges. B.) Unter der Predigt. – Mel. Nun danket alle Gott. [1.] O könnt ich meinem Gott dem herrlichen lobsingen, / Und heil’ger Andacht voll ihm Dank und Ehre bringen, / O gäbe sich mein Leib und mein erweckter Sinn / Ihm ganz zu seinem Dienst, ihm ganz zum Lobe hin! // [2.] Der du das Wollen mir nach deiner Huld gegeben, / Hinfort ganz dir allein zu Lob und Dienst zu leben, / Gieb zum Vollbringen auch mir deinen guten Geist, / Der mich in deinem Dienst und Loben unterweist. // Nach der Predigt. – Mel. Nun lob mein Seel etc. Jehova Gott der Götter, / An deine Güte reichet nichts! / Wir neigen uns Erretter / Vor dir gebeugten Angesichts. / Von ungezählten Sternen / Erschallen Stimmen dir; / Die Nähen und die Fernen / Ertönen preisend dir; / Es mischt in unsre Chöre / Sich noch die fernste Zeit; / Dir Herr sei Preis und Ehre, / Hallts durch die Ewigkeit. //

[Liederblatt vom 22. März 1818:] Am ersten Ostertag. 1818. Vor dem Gebet. – Mel. O daß ich tausend etc. [1.] Der Tod ist todt, das Leben lebet, / Das Grab ist selbst begraben nun; / Mein Jesus, der sein Haupt erhebet, / Will ferner nicht im Kerker ruhn, / Und stellt mir diese Losung für, / Ich leb’ und ihr lebt auch mit mir. // [2.] Mein

Liederblätter

567

Jesus, Wahrheit Weg und Leben, / Der Leben hat und Leben giebt, / Wie soll ich den Triumph erheben / Der Rach’ an meinen Feinden übt? / Sie liegen dort, du rufest hier, / Ich leb’ und ihr lebt auch mit mir. // [3.] Das Haupt belebet seine Glieder, / Wer wollte dann gestorben sein? / Die Lebenssonne scheint uns wieder, / Und leuchtet bis ins Grab hinein; / Da lesen wir die Grabschrift hier: / Ich leb’ und ihr lebt auch mit mir. // [4.] O todter Tod wie kannst du schrecken? / Mein Jesus nimmt das Schrecken hin. / Wie er sich selbsten kann erwecken, / So werden wir erweckt durch ihn. / Wenn Jesus lebt so leben wir; / Ich leb’ und ihr lebt auch mit mir. // (Schmolke) Nach dem Gebet. – Mel. Nun lob’ mein Seel etc. [1.] Wacht auf ihr Freudensaiten, / Du heller Harfen Psalterspiel, / Ich will mit Ruhm ausbreiten / Des Herren Wunder ohne Ziel! / Mein Jesus hat gerungen, / Und ritterlich gesiegt, / Er hat die Welt bezwungen, / Die Hölle selbst bekriegt. / Es ist ihr Troz verheeret; / Er hat mit seiner Macht / Des Todes Kraft zerstöret, / Das Leben wiederbracht. // [2.] Mit purpurschönen Wangen / Bricht vor die güldne Morgenröth, / Des weiten Himmels Prangen / In voller Freud und Jauchzen steht. / Die Frommen jubiliren, / Die tolle Welt erschrickt, / Sie darf sich nicht mehr rühren. / Die Höll’ ist unterdrückt; / Ihr wüster Schlund erzittert, / Es schnaubt der grimm’ge Tod, / Sein Pfeil ist ihm zersplittert, / Wir sind aus aller Noth. // [3.] Der redlich hat getrunken / Vom Bach am Wege bricht hervor, / Sein Haupt ist nicht gesunken, / Er hebt es als ein Held empor. / Der Simson ist gekommen, / Und hat mit großer Kraft / Das Höllenthor genommen, / Zerbrochen, abgeschafft; / Der David hat geschlagen / Den Riesen Goliath, / Den Sieg davon getragen, / Errettet Gottes Stadt. // [4.] Du Jesu hast gesieget, / Triumph, Triumph o tapfrer Held! / Triumph du lebst vergnüget, / Nachdem du unsern Feind gefällt. / Welt was willst du mich plagen? / Mein Jesus schüzet mich. / Was willst du Hölle sagen? / Mein Retter dämpfte dich. / Tod, was willst du doch toben? / Dein Sieger ist mein Hort. / Ihn sollen alle loben, / Die leben hier und dort. // (Sack) Unter der Predigt. – Mel. Herr Jesu Christ, dich etc. [1.] Willkommen siegend Seelenheil, / Mit der verlangten Beute Theil, / Schreib unter deiner Siegesfahn, / Mich deinen theu’r erlösten an! // [2.] Herr Jesu deine Siegesfreud / Erquicke mich in allem Leid, / Gieb daß ich jetzt aufsteh mit dir / Von Sünd’ und böser Lustbegier. // Nach der Predigt. – Mel. Ach was soll ich etc. [1.] Welch ein freudenreiches Wesen / Ist nun an das Licht gebracht, / Seit wir von der Sünde Macht / Durch den Heiland sind genesen, / Alles Uebel ganz verheert, / Ausgetilgt ist und zerstört! // [2.] Daß nicht wiederkehr der Schade, / Laß mit dir mich auferstehn, / Und des Friedens Früchte sehn! / Gieb ach gieb mir deine Gnade, / Daß ich mich in dir verneu, / Deines Kampfs und Sieg’s mich freu. //

568

Anhang

[Liederblatt vom 19. April 1818:] Am Sonntage Cantate 1818. Vor dem Gebet. – Mel. Liebster Jesu wir etc. [1.] Geist der Wahrheit, lehre mich / Aller Weisheit Quelle kennen, / Jesum Christum, nur durch dich / Kann ich meinen Herrn ihn nennen; / Du du mußt ihn mir verklären, / Und mein Herz zu Gott bekehren. // [2.] In des Irrthums Finsterniß / Müßt’ ich ohne Führer wanken; / Du nur machst das Herz gewiß, / Und erleuchtest die Gedanken, / Offenbarest Gottes Pfade, / Zeugst von Wahrheit und von Gnade. // [3.] Tröster, Tröster heißest du, / Du kannst überschwänglich trösten, / Du erfüllst mit Himmelsruh / Die Gemüther der Erlösten, / Daß sie in der Welt der Sünden / Gottes Vaterhuld empfinden. // [4.] Heiligkeit und Reinigkeit, / Und ein Gott gefällig Leben, / Selige Zufriedenheit, / Wahre Weisheit kannst du geben; / Selig die an deinen Gaben / Theil durch Lieb und Glauben haben. // (Jauersch. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Kommt her zu mir etc. [1.] Gott Vater sende deinen Geist, / Den uns dein Sohn erbitten heißt, / Aus deines Himmels Höhen! / Wir bitten, wie er uns gelehrt, / Laß uns doch ja nicht unerhört / Von deinem Throne gehen! // [2.] Kein Menschenkind hier auf der Erd’ / Ist dieser edlen Gabe werth, / Bei uns ist kein Verdienen; / Es gilt allein die Lieb und Gnad’, / So Christus uns verdienet hat, / Durch Büßen und Versühnen. // [3.] Wir halten Herr an diesem Heil, / Und sind gewiß, daß wir dein Theil / In Christo werden bleiben, / Die wir durch seinen heil’gen Tod, / Des Himmels Erb und Lebensbrodt, / Zu haben treulich glauben. // [4.] Doch ist auch das ein Gnadenwerk, / Und deines heil’gen Geistes Stärk’, / Wir konnten es nicht schaffen; / Dein Geist hält unsres Glaubens Licht, / Wenn alle Welt dawider ficht / Mit Sturm und vielen Waffen. // [5.] Wo Gottes Geist ist, da ist Sieg, / Wo dieser hilft, da wird der Krieg / Gewißlich wohl bestanden; / Wenn uns des Unglücks Wetter schrekt, / Ist er es, der uns schützt und deckt, / Wo wir nicht Hülfe fanden. // [6.] Er macht das bittre Kreuze süß, / Ist unser Licht in Finsterniß, / Und reinigt unsre Seelen, / Doch pflegt er nur was Demuth hegt, / Und göttliches Verlangen trägt, / Zum Wohnsitz zu erwählen. // [7.] Nun Herr und Vater aller Güt, / Hör unsern Wunsch, geuß ins Gemüth / Uns allen diese Gaben; / Gieb deinen Geist, der uns allhier / Regiere, und dort für und für / Im ewgen leben labe. // (P. Gerhard) Unter der Predigt. – Mel. Eine feste Burg etc. Komm heiliger Geist wahrer Gott, / Komm himmlisches Verlangen! / Hilf mir im Leben und im Tod, / Laß mich an Gott fest hangen! / Mein Herze mache neu, / Gieb mir wahre Reu, / Sei meiner Seelen Ruh, / Sprich mir Betrübten zu, / Gieb Weisheit, recht zu leben. // Nach der Predigt. – Mel. Helft mir Gottes etc. [1.] Es freu sich Christi Heerde, / Daß Gott, der seinen Sohn / Hingab, daß er Mensch werde, / Uns auch von seinem Thron / Den heil’gen Geist gesandt, / Der uns die Wahrheit lehret, / Und Jesum uns verkläret. / Als aller Welt Heiland // [2.] O Tage wahrer Freuden / Für Christi Jünger Schaar, / Da er nach

Liederblätter

569

seinem Leiden / Zu Gott gegangen war, / Daß dann der heil’ge Geist, / Auf seine Freund, und Brüder / In Gnaden kam hernieder; / Er sei dafür gepreist. // (Ges. B. d. Br. G.)

[Liederblatt vom 3. Mai 1818:] Am Sonntage Exaudi 1818. Vor dem Gebet. – Mel. Warum sollt ich etc. [1.] Meines Herzens reinste Freude / Ist nur die, daß ich nie / Mich von Jesu scheide, / Daß ich gläubig ihn verehre, / Hocherfreut jederzeit / Seine Stimme höre. // [2.] Freundlich ruft er alle Müden, / Und erfüllt sanft und mild / Ihren Geist mit Frieden. / Seine Last ist leicht zu tragen; / Er macht Bahn, geht voran, / Tröstet, wenn wir zagen. // [3.] Will das Herz vor Jammer brechen, / O dann pflegt er und trägt / Uns in unsern Schwächen, / Selig wer in bösen Zeiten, / In Gefahr immerdar / Sich von ihm läßt leiten. // [4.] Jesu treuster Freund von allen, / Mit dir will froh und still / Ich durchs Leben wallen, / Auch der Tod kann mich nicht schrecken; / Denn du wirst, Lebensfürst, / Einst mich auferwecken. // (Jauersch. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Helft mir Gottes etc. [1.] Komm komm o Himmelstaube, / Komm komm o werther Geist, / Komm komm dieweil mein Glaube / Dich schon willkommen heißt! / Komm kehre bei mir ein, / Es ist, wie sichs gebühret, / Mein Herz schon ausgezieret, / Dein Tempel ganz zu sein, // [2.] Mein Jesus hat die Maie, / Des Glaubens drin gepflanzt, / Und es mit Buß und Reue, / Als einem Zaun umschanzt; / Laß deinen Liebesbach / Mit reichen Ströme fließen, / Den Glaubensbaum begießen, / Sonst bleibt er krank und schwach. // [3.] Du bist ein Mund der Blöden, / Der Armen Schatz und Gut, / Erquickung in der Oeden, / Der hart erschrocknen Muth, / Ein Weg dem der da irrt, / Der Blinden Licht und Sonne, / Der herzbetrübten Wonne, / Der Kranken Arzt und Wirth. // [4.] Du kannst die Herzen lenken / In einem Blick und Nu; / Wenn Menschen Arges denken, / Trittst warnend du hinzu, / Machst bösen Rath zu Spott, / Kannst Herzens Hochmuth schwächen, / Daß jedermann muß sprechen, / Das kann der Geist aus Gott. // [5.] Oft wenn es mit den deinen / Jetzt scheinet aus zu sein, / Und die Tyrannen meinen, / Sie wären es allein, / Die niemand steuern kann, / Pflegt deine Stimm, ein Schrecken / In ihnen zu erwecken, / An ihrer Sündenbahn. // [6.] Drum komm o Trost von oben, / Komm kehre bei mir ein, / So kann im größten Toben / Ich still und muthig sein. / Wenn vor der Welt mit mir / Es scheinet wie geschehen, / Laß du dein Allmacht sehen, / Und ziehe mich herfür. // (Stett. Ges. B.) Unter der Predigt. – Mel. Seelenbräutigam etc. Meines Glaubenslicht / Laß verlöschen nicht, / Salbe mich mit Freudenöle, / Daß hinfort in meiner Seele / Ja verlösche nicht / Meines Glaubens Licht. //

570

Anhang

Nach der Predigt. – Mel. Nun sich der Tag geendet etc. [1.] Gott heilger Geist nimm du auch mich / In die Gemeinschaft ein, / Ergieß um Jesu willen dich / Tief in mein Herz hinein. // [2.] Dein göttlich Licht gieß in mich aus, / Und rechte Liebesbrunst, / Lösch Finsterniß und Falschheit aus, / Erhalt mir deine Gunst. // [3.] Nimm dir dies Herz zum Tempel ein, / Schon jetzt in dieser Zeit, / Und laß es deine Wohnung sein, / In alle Ewigkeit. // (Ges. B. d. Br. G.)

[Liederblatt vom 11. Mai 1818:] Am zweiten Pfingsttage 1818. Vor dem Gebet. – Mel. Wie wohl ist mir etc. [1.] Geist Gottes, wer kann dich verstehen? / Wem leuchtet dein durchdringend Licht? / Wer strebt zu deiner Weisheit Höhen? / Wer weise sich schon dünket, nicht. / Du bist ein Licht, doch nur den Blinden; / Wer bei sich selbst noch Rath kann finden, / Dem ist bei dir kein Trost bereit. / Nur dem bist du des Lebens Quelle, / Der an des Unterganges Schwelle / In sich verzagt um Hülfe schreit. // [2.] Wenn so die Seelen Nothbeladen / Nur sehnlich um Errettung flehn, / Enthüllet sich der Thron der Gnaden, / Du lässest sie den Mittler sehn. / Dann wandelt sich das bange Sehnen / In hochbeglückte Freudenthränen, / Und Trauernacht ist tröstend Licht; / Der Schuldbrief zeiget sich zerrissen, / Es schweigt das richtende Gewissen, / Wenn dein vertretend Zeugniß spricht. // [3.] So wie der Born der reinsten Liebe / In dir geweihten Seelen quillt, / So opfern dir sich alle Triebe, / Die deine Gotteskraft erfüllt. / Auf dem Altare reiner Herzen / Da brennen dir geweihte Kerzen, / Die deine heilge Glut entflammt; / Dein Geisten soll ihr Leuchten mehren, / Und alle fremde Glut verzehren, / Die nicht aus diesem Ursprung stammt. // [4.] O möcht ich allzeit deine Lehren, / Wenn deine Salbung in mir spricht, / Mit treuem Jüngerherzen hören, / Daß nie mich blende täuschend Licht! / Ja möchten meine Geistesaugen, / Mit sicherm Blick zu sehen taugen, / Die Wahrheit und den falschen Schein! / Und möcht ich, fern von stolzen Höhen, / Auch dann im Thal der Demuth gehen, / An deine Zucht gewöhnet sein. // (Brem. Ges. B.) Nach dem Gebet. Chor: Der Herr ist erhöhet durch die Rechte Gottes, und hat empfangen die Verheißung vom Vater. // Solo: Ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben, den Geist der Wahrheit. //

Liederblätter

571

Choral: Du Geist des Herrn, der du von Gott ausgehst, / Und Gotte gleich der Gottheit Tiefen spähst, / Kraft aus der Höh, komm uns zu überschatten, / Und jenes Wort komm’ allen heut zu statten. // Solo: Derselbige wird mich verklären: denn von dem meinen wird er es nehmen und euch verkündigen. // Gemeinde: O Licht vom Licht! gieb uns vollkommnen Tag, / Daß Jesus sich in uns verklären mag! / Du Gottesstimm’ eröffne was verborgen, / Und laß uns schaun den lichten Lebensmorgen! // Solo: Dann werdet ihr erkennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir, und ich in euch. // Choral: Geist Seel und Glieder gehören dir nur zu; / In dir ist Leben und wahre Seelenruh! / Ach gieb daß wir durch dich nur leben, / Wie durch den Weinstock fruchtbare Reben. // Solo: Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. // Chor: In den letzten Tagen spricht der Herr will ich ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch und eure Söhne und Töchter sollen weissagen. // Gemeinde. – Mel. Nun bitten wir etc. O Strom des Lebens ergieße dich, / Und was dich hindern will, das durchbrich! / Segne Jesu Helden in seinen Kriegen, / Und laß uns überall gläubig siegen, / Durch Christi-Blut. // Nach der Predigt. – Mel. Wachet auf etc. Gottes Geist, du Geist der Liebe, / Befrucht auch unsres Herzens Triebe, / Der großen Gaben werth zu sein. / Geuß ins Herz der Liebe Flammen, / Daß wir wie Brüder hier beisammen / In deinem Tempel uns erfreun. / In Eintracht singen wir / Als deine Kinder dir, / Dir o Vater, du segnest gern, bist nie uns fern, / Wir folgen dir dem guten Herrn. //

[Liederblatt vom 6. September 1818:] Am sechszehnten Sonnt. n. Trin. 1818. Vor dem Gebet. – Mel. Gott des Himmels und der Erden etc. [1.] Großer Gott, Herr aller Zeiten, / Dessen Hand die Welt regiert, / Dessen Treu auf allen Seiten / Mich von Jugend auf geführt, / Heute weckt des Tages Lauf / Mich zu lauter Andacht auf. // [2.] Ach! wie lieb’ ich diese Stunden; / Denn sie sind des Herren Fest, / Das mit so viel Trost verbunden, / Da mein Gott mich ruhen läßt, / Und durch seinen guten Geist / Mir den Weg zum Himmel weist. // [3.] Doch das bloße Müßiggehen / Und der Kleider leere

572

Anhang

Pracht, / Werden schlecht vor Gott bestehen, / Der fürs Ewge uns gemacht. / Herr ich bringe was ich kann; / Nimm Du nur mich selber an. // [4.] Habe Dank für diesen Morgen, / Der mir Zeit zum Guten schenkt. / Das sind unsre besten Sorgen, / Da der Mensch an Gott gedenkt, / Und ihm fromme Lieder singt / Daß es durch die Wolken dringt. // [5.] Was ist seelger, als Gott dienen, / Was ist süßer als sein Wort, / Da wir sammeln, wie die Bienen, / Und den Honig tragen fort. / Selig ist, wer Tag und Nacht / Also nach dem Himmel trachtt. // (Neumann.) Vor der Predigt. – Mel. Herzlich lieb hab ich dich o Herr! etc. [1.] Mein höchstes Gut, mein bestes Theil, / O du der Seele einzig Heil, / Des Herzens ew’ge Freude, / Ich bleibe, Gott, allein an Dir! / Was ist das mein Gemüthe hier / Von Deiner Liebe scheide? / Du machst mir Deinen Weg bekannt, / Führst mich bei meiner rechten Hand, / Regierest meinen Lebenslauf, / Hilfst gnädig meiner Schwachheit auf. / O Herr, mein Gott! / Du bist mein Licht! Du bist mein Licht! / Ich folge Dir; dann irr’ ich nicht. // [2.] Nur Du bist meine Zuversicht! / Hab ich nur Dich, so frag ich nicht / Nach allem Gut der Erden. / Ja, wär der Himmel ohne Dich: / So könnte keine Lust für mich / Selbst in dem Himmel werden. / Wärst Du nicht schon auf Erden mein: / So möcht’ ich nicht auf Erden sein; / Denn auch die ganze weite Welt / Hat nichts, was außer Dir gefällt. / Mein Herr und Gott! / Dein will ich sein! Dein will ich sein! / Sei, Herr, mein Gott, auf ewig mein! // [3.] Und sollte mir durch Kreuz und Noth, / Durch Marter, durch Gewalt und Tod / Auch Leib und Seel’ verschmachten: / Dies alles wird, wenns auch noch mehr, / Und schrecklich, wie der Abgrund wär, / Mein Glaube doch nicht achten. / Du bist und bleibest doch mein Heil, / Und meines Herzens Trost und Theil. / So wahr Du bist: durch Dich allein, / Kann Leib und Seele selig sein. / Herr meine Burg / Ich hoffe vest, ich hoffe vest, / Daß Deine Kraft mich nicht verläßt, // [4.] Wer von Dir weicht, und in der Welt / Dir nicht beharrlich Glauben hält, / Der stürzt sich ins Verderben; / Weil er der Erde Lust und Pracht / Zu seinem Himmelreiche macht, / Kann er Dein Reich nicht erben. / Denn wer nicht hier Dich lieben lernt / Und nicht sein Herz von dem entfernt, / Was Dir Du Heiliger mißfällt, / Kömmt nicht zu jener bessern Welt. / Nur den, der hier / Sein Herz Dir weiht, sein Herz Dir weiht, / Nur den führst Du zur Herrlichkeit. // (Neumeister.) Unter der Predigt. – Mel. Ach Gott und Herr. Mich zu erneun, / Mich Dir zu weihn, / Ist meines Heils Geschäfte. / Durch meine Müh’ / Vermag ichs nie; / Dein Wort giebt mir die Kräfte. // Nach der Predigt. – Mel. Herzlich thut mich verlangen. Laß mich Dein sein und bleiben, / Du treuer Gott und Herr! / Von Dir laß mich nichts treiben, / Halt mich bei reiner Lehr’. / Herr! laß mich ja nicht wanken, / Gieb mir Beständigkeit! / Dafür will ich Dir danken / In alle Ewigkeit. //

Liederblätter

573

[Liederblatt vom 1. Januar 1819:] Am Neujahrstage 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Befiehl du deine Wege etc. [1.] Durch Trauern und durch Plagen, / Durch Freude Sorg und Leid, / Durch Hoffnung und durch Zagen / Bin in der Pilgerzeit / Ich nun hindurchgedrungen / Zu diesem neuen Jahr; / Dir Gott sei Lob gesungen, / Der stets mein Helfer war. // [2.] Der du mich hast erbauet, / In dir besteht mein Heil, / Dir ist mein Glück vertrauet, / Du bist und bleibst mein Theil, / Dir ist mein Will ergeben, / Ja er ist nicht mehr mein, / Dieweil mein ganzes Leben / Dein eigen wünscht zu sein. // [3.] Nach dir will ich mich schicken, / Und keinen Einspruch thun. / Soll mich die Armuth drücken? / Ich will dabei beruhn! / Soll mich Verfolgung plagen? / Dein Knecht, Herr, ist bereit! / Soll ich Verachtung tragen? / Dein Sohn hat sie geweiht. // [4.] Soll ich verlassen leben? / Du Herr bist doch bei mir! / Soll ich in Aengsten schweben? / Mein Herz vertrauet dir! / Soll ich an Krankheit leiden? / Ich will gehorsam sein! / Soll ich von hinnen scheiden? / Du führst zum Leben ein. // (Stett. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Mein Salomo etc. [1.] Dich bet’ ich an unwandelbares Wesen, / Du Wesen, das kein Zeitenwechsel trift! / Du bist, von welchem zeugt der Psalmen Schrift, / Daß deiner Jahre Ziel nicht ist zu lesen, / Denn obgleich Erd’ und Himmel muß vergehn, / Bleibst du doch, wie du bist, und ewig stehn. // [2.] Wir aber sind von Gestern her entstanden, / Und müssen auch, eh wir uns des versehn, / Oft in der besten Blüthe untergehn; / Wir sind wie Gras, das frühe zwar vorhanden, / Und doch wol, eh die Sonne von uns weicht, / Durch Schnitters Hand sein Ende schon erreicht. // [3.] Durch Christum ist jedoch uns Heil geschenket, / Der kommt aus deinem Schooß zu uns herab, / Wird Mensch, und scheuet weder Tod noch Grab, / Wodurch er deine Huld so zu uns lenket, / Daß aller Jammer alle Noth und Pein / Uns lauter Segen und Gewinn muß sein. // [4.] Dies ist der Brunn aus welchem hergeflossen, / Was mich in meiner Wallfahrt früh und spat / An Seel und Leib jemals erquicket hat; / Der hat sich stromweis über mich ergossen, / Ich stelle mich dafür in meinem Sinn / Dir großer Gott selbst zum Dankopfer hin. // [5.] Gedenke Herr nicht der vergangnen Zeiten, / Nicht der, ach viel zu großen, Sündenschuld! / Laß deine Gnad’ und milde Vaterhuld / Zu meinem Trost in Christo sie bespreiten! / Was ich gelebet hab, das decke zu, / Was ich noch leben soll regiere du. // [6.] Die Zeit fleucht hin, laß mich auch von ihr fliehen, / Die Ewigkeit rückt näher stets herbei, / Gieb daß ich ihr im Geist recht nahe sei! / Laß mich als eilend stets von hinnen ziehen, / Und mich dereinst mit der erkauften Schaar, / Bei dir begehn das große neue Jahr. // (Freilingshaus) Nach der Predigt. – Mel. Lobt Gott ihr Christen etc. [1.] Herr deine Güte sei der Schild / Der uns in Noth bedeckt. / Und unsern Schmerz und Jammer stillt, / Wenn Unheil uns erschreckt! // [2.] Laß leuchten uns dein Angesicht / Wenn bang um Trost uns ist! / Verlaß uns o Erbarmer

574

Anhang

nicht, / Bis uns das Grab umschließt. // [3.] Wenn nach vollbrachtem Lebenslauf / Der Leib in Staub zerfällt; / So nimm den Geist zu dir hinauf / In eine sel’ge Welt. //

[Liederblatt vom 30. Mai 1819:] Am ersten Pfingsttage 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Komm heiliger Geist etc. [1.] Sei Welterlöser sei gepreist, / Du gabst den Jüngern deinen Geist, / Der sie in alle Wahrheit leite, / Zu deinem Werke zubereite, / Voll innrer Kraft ging nun ihr Wort / Bis an der Erde Grenzen fort, / Erleuchtete die Nationen, / Und drang von Hütten zu den Thronen, / Hallelujah Hallelujah. // [2.] O send ihn auch zu uns den Geist, / Der uns den Weg der Wahrheit weist, / Ach! dunkel sind des Lebens Pfade, / Erleuchte sie durch deine Gnade! / Er lehr uns Gottes Heil verstehn, / Er leit’ uns, wenn wir irre gehn, / Und wenn wir straucheln und ermüden, / Dann stärk er uns mit Kraft hienieden, / Halleluja Hallelujah. // [3.] Hier in dem Heiligthum des Herrn, / Hier warten deiner, Geist des Herrn, / Wir Christen unsers Hauptes Glieder. / Komm segensvoll auf uns hernieder, / Hilf uns! gieb dem Verstande Licht, / Dem Herzen Muth und Zuversicht, / Daß uns von Ihm, den wir bekennen, / Hier weder Glück noch Leiden trennen! / Halleluja Hallelujah. // (Sturm) Nach dem Gebet. – Mel. Herr Gott dich loben etc. [1.] Von Gottes Throne fließt / Ein Strom, der sich ergießt / Voll göttlich tiefer Wissenschaft, / Und göttlich starker Wunderkraft. / Er floß durch Moses Geist und Mund, / That Zukunft den Propheten kund; / Doch überschwänglich goß er sich, / Du Eingeborner, über dich. / Er hat dich ganz erfüllt, / Herr Christe, Gottes Bild, / Du Priester und Prophet, / Herr dessen Reich besteht. // [2.] Auch floß er zu der Jünger Schaar, / Die glaubensvoll versammelt war, / Das ihr verheißne Licht zu schaun, / Und dann der Wahrheit Reich zu baun; / Mit Muth in alle Welt zu gehn, / Mit Muth vor Königen zu stehn, / Zu preisen den der für uns starb, / Des ewgen Heiles Trost erwarb; / Nicht Hohn, nicht Schmach, nicht Quaal zu scheun, / Und treu bis in den Tod zu sein. / Da jenes Sturmwinds Stimm’ erscholl, / Da wurden sie des Geistes voll. // [3.] Vom Sturme zitterte das Haus, / Da goß der Strom auf sie sich aus, / Dein Wunder Herr soll sichtbar sein. / Drum weihst du sie mit Flammen ein; / Es glänzt, indem er spricht, ihr Mund, / Die Thaten Gottes thut er kund, / In Sprachen, die man nie gehört / Von denen, die der Geist belehrt. / Der Kranke wird durch sie geheilt, / Wenn er in ihrem Schatten weilt, / Ja wenn der Zeugen Mund gebot, / Entfloh vor ihnen selbst der Tod. / Gott rüstete Gott führte sie, / Das Heil des Mittlers tragen sie / Zu jeder fernen Nation, / Und aller Heil wird Gottes Sohn, / Das höchste was sie lehren, ist / Nur deine Liebe Jesus Christ. // [4.] Von Ewigkeit hat er geliebt. / Heil dem der Jesum Chri-

Liederblätter

575

stum liebt, / Ihn, und den Bruder, den sein Ruf / Auch mit zu jenem Leben schuf! / O du, der uns der Welt entreißt, / Des Vaters und des Sohnes Geist, / Zur Liebe Christi flamm uns an, / So wandeln wir des Lebens Bahn: / So haben wir, Geist Tröster, Theil / An Jesu Christi ewgem Heil. Amen. // (Klopstock.) Nach der Predigt. – Mel. O heilger Geist etc. Geuß deines edlen Balsams Kraft / Auf uns, daß zu der Ritterschaft, / Wir immer stärker werden! / Und daß wir unter deinem Schuz, / Fest stehen bei der Feinde Truz, / Und grimmigen Gebehrden. / Laß dich reichlich auf uns nieder, / Daß wir wieder / Trost empfinden, / Sünd’ und Welt zu überwinden. //

[Liederblatt vom 8. August 1819:] Gesänge bei der gottesdienstlichen Feier zum Gedächtniß des wohlseeligen Herren Andreas Jacob Hecker Doktors der H. Schrift, Königl. Preuß. Ober-Consistorial-Raths, Pastors der Dreifaltigkeitskirche, und Direktors des Friedrich-WilhelmsGymnasiums, und der damit verbundenen Lehranstalten. Am 8ten August 1819. Vor dem Gebet. 1. Was Gott thut, das ist wohl gethan: es bleibt gerecht sein Wille, wie Er fängt meine Sachen an, will ich Ihm halten stille. Er ist mein Gott, der in der Noth mich wohl weiß zu erhalten, drum laß ich ihn nur walten. // 2. Was Gott thut, das ist wohl gethan: Er wird mich nicht betrügen; Er führet mich auf rechter Bahn, so laß ich mich begnügen an seiner Huld, und hab Geduld: Er wird mein Unglück wenden, es steht in seinen Händen. // 3. Was Gott thut, das ist wohl gethan: Er wird mich wohl bedencken, Er als ein Arzt und Wunder-Mann, wird mir nicht Gift einschenken für Arzeney: Gott ist getreu, drum will ich auf Ihn bauen, und seiner Güte trauen. // 4. Was Gott thut, das ist wohl gethan: Er ist mein Licht und Leben, der mir nichts Böses gönnen kann, Ihm will ich mich ergeben in Freud und Leid, es kommt die Zeit, da öffentlich erscheinet, wie treulich er es meynet. // 5. Was Gott thut, das ist wohl gethan: muß ich den Kelch gleich schmecken, der bitter ist nach meinem Wahn; laß ich mich doch nicht schrecken: weil doch zuletzt ich werd ergötzt mit süßem Trost im Herzen, da weichen alle Schmerzen. // 6. Was Gott thut, das ist wohl gethan: dabey will ich verbleiben, es mag mich auf die rauhe Bahn Noth, Tod und Elend treiben; so wird Gott mich ganz väterlich, in seinen Armen halten, drum laß ich Ihn nur walten. //

576

Anhang

Nach dem Gebet. 1. Jesus lebt! mit ihm auch ich! Tod wo sind nun deine Schrecken? / Er, er lebt, und wird auch mich von den Todten auferwecken. / Er verklärt mich in sein Licht, dies ist meine Zuversicht. // 2. Jesus lebt, ihm ist das Reich über alle Welt gegeben, / Mit ihm werd auch ich zugleich ewig herrschen, ewig leben. / Gott erfüllt was er verspricht, dies ist meine Zuversicht. // Der Chor. 3. Staub bin ich, und muß daher wiederum zu Staube werden. / Das erkenn ich, aber er weckt mich wieder aus der Erden / Daß ich in der Herrlichkeit um ihn sein mög’ allezeit. // Jesaias 40 6–8 Alles Fleisch ist wie Gras, und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blumen: das Gras ist verdorret, und die Blume abgefallen: aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. Gemeine. 4. Jesus lebt! wer nun verzagt, der verkleinert Gottes Ehre. / Gnade hat er zugesagt, daß der Sünder sich bekehre. / Gott verstößt in Christo nicht, dies ist meine Zuversicht. // Der Chor. Seelig sind die Todten, die in dem Herrn sterben. // Vier Stimmen. Sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach. // Chor. Seelig sind die Todten, die in dem Herrn sterben. // 5. Jesus lebt! ich bin gewiß, nichts soll mich von Jesu scheiden, / Keine Macht der Finsterniß, keine Herrlichkeit, kein Leiden. / Er giebt Kraft zu dieser Pficht, dies ist meine Zuversicht. // Gemeine. 6. Jesus lebt! nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben. / Welchen Trost in Todesnoth wird es meiner Seele geben, / Wenn sie gläubig zu ihm spricht: Herr, Herr, meine Zuversicht. // Unter der Predigt. – Mel. Wachet auf ruft uns etc. Selig sind des Himmels Erben, / Die Todten, die im Herren sterben, / Sie gehen ein zur Herrlichkeit. / Nach den letzten Augenblicken / Des Todesschlummers folgt Entzücken / Und Wonne der Unsterblichkeit. / Im Frieden ruhen sie / Von aller Sorg und Müh. / Halleluja! / O Gottes Sohn / Zu deinem Thron / Begleiten ihre Werke sie. // Nach der Predigt. – Mel. O Ewigkeit du Freudenwort etc. 1. O Herr, wenn einst dein Tag erscheint, / Erscheine mir dann als mein Freund / Mit deinen Gnadenblicken; / Daß unbeschämt ich vor dir steh / Verklärt in deinen Himmel geh / Zum ewigen Entzücken; / Und dazu mache mich bereit / Durch Glauben und durch Frömmigkeit. // 2. Dein Name sei mir ewig werth, / Und was dein Wort von mir begehrt, / Das laß mich treulich üben. / Dich, den der ganze Himmel preist, / Dich müß’ auf Erden schon mein

Liederblätter

577

Geist / Aus allen Kräften lieben; / So schreckt mich deine Zukunft nicht, / So hab’ ich Muth auch im Gericht. //

[Liederblatt vom 22. August 1819:] Am 11ten Sonntage nach Trinit. 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Schmücke dich, o liebe Seele etc. [1.] Zeige dich uns ohne Hülle! / Ström’ auf uns der Gnade Fülle, / Daß an diesem Gottestage / Unser Herz der Welt entsage; / Daß, o du, der starb, vom Bösen / Uns Gefallne zu erlösen, / Daß die glaubende Gemeine / Mit dem Vater sich vereine! // [2.] O, daß frey von Erdebürden / Und der Sünde Lasten würden / Unsre Seelen, unser Wille / Sanft wie diese Sabbatsstille! / Daß in deines Himmels Höhen / Wir von fern den Aufgang sähen / Jenes Lichts, das dann verkläret, / Wann der Sabbat ewig währet! // [3.] Was ich strahlen seh am Throne, / Ist es nicht der Sieger Krone? / Was ich überm Grab einst höre, / Sinds nicht Ueberwinderchöre? / Feyernd tragen sie die Palmen: / Ihr Triumph erschallt von Psalmen. / Herr, du selber wollst mich weihen / Diesem Sabbat deiner Treuen! // [4.] Decke meiner Blöße Schande / Mit dem festlichen Gewande / Deiner Unschuld, daß am Tage / Deines Mahls ich froh es wage, / Dort zu wandeln, wo voll Gnaden / Deine Schaar du eingeladen; / Wo nicht mehr die Streiter ringen, / Wo sie Siegeslieder singen. // (Baier. Ges.) Nach dem Gebet. – In eigener Melodie. [1.] O Ursprung des Lebens! O ewiges Licht! / Da niemand vergebens sucht, was ihm gebricht. / Lebendige Quelle! / So lauter und helle / Sich aus seinem heiligen Tempel ergießt, / Und in die begierigen Seelen einfließt. // [2.] Du sprichst: Wer begehret zu trinken von mir, / Was ewiglich nähret, der komme! allhier / Sind himmlische Gaben, / Die süßiglich laben; / Er trete im Glauben zur Quelle heran, / Hier ist, was ihn ewig beseligen kann. // [3.] Hier komm ich, mein Hirte! mich durstet nach dir! / O Jesu bewirthe dein Schäflein allhier. / Du kannst dein Versprechen / Mit Armen nicht brechen, / Du siehest, wie elend und dürftig ich bin, / Auch giebst du die Gaben aus Gnaden nur hin. // [4.] Du, süße Fluth, labest Geist, Seele und Muth, / Und wen du begabest, findt ewiges Gut. / Wenn man dich genießet, / Wird alles versüßet, / Es jauchzet, es singet, es springet das Herz, / Es weichet zurücke der traurige Schmerz. // [5.] Drum gieb mir zu trinken, wie’s dein Wort verheißt, / Laß gänzlich versinken den sehnenden Geist / Im Meer deiner Liebe: / Laß heilige Triebe / Mich immerfort treiben zum Himmlischen hin, / Es werde mein Herze beseligt darin. // [6.] Wenn du auch vom Leiden was schenkest mir ein, / So gieb, dir mit Freuden gehorsam zu seyn. / Denn alle die, welche / Mit trinken vom Kelche, / Den Du hast getrunken im Leiden allhier, / Die werden dort ewig sich freuen mit Dir. // [7.] Drum laß mich auch werden, mein Jesu, erquickt, / Da wo deine Heerden kein Leiden mehr drückt, / Wo Freude die

578

Anhang

Fülle, / Wo liebliche Stille, / Wo Wollust, wo Jauchzen, wo Herrlichkeit wohnt, / Wo heiliges Leben wird ewig belohnt. // (Koitsch.) Unter der Predigt. – Mel. O Haupt voll Blut und Wunden etc. Laß mich dein seyn und bleiben, / Du treuer Gott und Herr, / Von dir laß mich nichts treiben, / Halt mich bei reiner Lehr! / Herr! laß mich nur nicht wanken, / Gieb mir Beständigkeit, / Dafür will ich dir danken / In alle Ewigkeit. // Nach der Predigt. – Mel. Eins ist Noth! ach Herr etc. Gönne uns noch Frist auf Erden, / Zeugen deiner Kraft zu seyn, / Deinem Bilde gleich zu werden, / In dem Tod zu nehmen ein / Des Lebens vollkommene Freyheit und Rechte, / Als eines vollendeten Heilands Geschlechte. / Der Unglaub mag denken, wir bitten zuviel, / So thust du doch über der Bitten ihr Ziel. //

[Liederblatt vom 5. September 1819:] Am 13ten Sonntage nach Trinit. 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Ach bleib bey uns etc. [1.] Erhalt uns, Herr, bey deinem Wort, / Sey wider die ein starker Hort, / Die Jesum Christum, deinen Sohn, / Mit frecher Hand zu stürzen drohn. // [2.] Zeig deine Macht, Herr Jesu Christ, / Der du Herr aller Herren bist, / Und schirme deine Christenheit, / Daß sie dich lob’ in Ewigkeit. // [3.] Gieb uns, o heilger Geist, den Sinn, / Der uns zum Himmel führet hin; / Steh bey uns in der letzten Noth, / Leit uns ins Leben aus dem Tod. // [4.] Vernichte selbst, Herr unser Gott, / Der Feinde Rath, mach ihn zum Spott / Und senke deines Lichtes Schein / Auch in ihr dunkles Herz hinein. // [5.] So werden sie erkennen doch: / Du unser Herr Gott lebest noch / Und hilfst allmächtig deiner Schaar, / Die stets dein treues Erbe war. // Nach dem Gebet. – Mel. Ich hab in Gottes Herz etc. [1.] Du hast auch mir zur Seligkeit, / Mein Gott, dein Wort gegeben. / Hilf, daß ich darauf allezeit / Mög achten, darnach leben. / Sein Unterricht giebt mir gnug Licht / Die Bahn des Heils zu sehen; / Es zeiget mir den Weg zu dir, / Laß mich ihn freudig gehen! // [2.] Eröffne du zu meinem Heil / Die Augen meiner Seele, / Daß ich mein allerbestes Theil / Erkenn und auch erwähle. / Laß ich mich hier, mein Gott, von dir / Und deinem Wort regieren, / So wirst du mich auch sicherlich / Zur wahren Wohlfahrt führen. // [3.] Dein Wort lehrt mich, daß diese Zeit / Mir sey von dir gegeben, / Im Fleiße wahrer Heiligkeit / Nach ewgem Glück zu streben. / Ja, es verschafft mir dazu Kraft, / Wenn ichs zu Herzen fasse. / Drum hilf du mir, daß ich es hier / Nicht aus dem Herzen lasse. // [4.] Nichts giebt uns solchen frohen Muth, / Als deines Wortes Weide; / Kein Glück der Welt, kein irrdisch Gut / Schenkt uns so

Liederblätter

579

große Freude. / Dein Wort allein ist Trost in Pein, / Ist unser Sieg in Schmerzen; / In jeder Noth, auch selbst im Tod, / Ists Trost für fromme Herzen. // [5.] Wie glücklich ist, o Gott, schon hier, / Wer deine Wahrheit ehret / Und durch dein Wort, belehrt von dir, / Die rechte Weisheit höret. / Ein frommer Sinn ist sein Gewinn; / Dein Segen, dein Verschonen, / Bringt hier ihm Ruh, und dort wirst du / Mit ewgem Glück ihm lohnen. // [6.] Wenn alles fällt, so bleibt dein Wort, / O Gott, doch ewig stehen. / Drum laß mich darauf immerfort / In meinem Wandel sehen. / Es macht uns frey, zum Guten treu, / Lehrt jede Noth besiegen. / Drum seys auch mir beständig hier / Das seligste Vergnügen. // Unter der Predigt. – Mel. O Haupt voll Blut etc. Laß mich dein seyn und bleiben, / Du treuer Gott und Herr, / Von dir laß mich nichts treiben, / Halt mich bei reiner Lehr! / Herr! laß mich nur nicht wanken, / Gieb mir Beständigkeit, / Dafür will ich dir danken / In alle Ewigkeit. // Nach der Predigt. – Mel. Was mein Gott will etc. Hilf, daß ich folge treuem Rath / Von falscher Meinung trete; / Den Armen helfe mit der That, / Für Freund und Feind stets bete, / Dien jedermann, so viel ich kann, / Und alles Unrecht meide / An allem Ort, nach deinem Wort, / Bis ich von hinnen scheide. //

[Liederblatt vom 19. September 1819:] Am 15ten Sonntage nach Trinit. 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Sollt ich meinen Gott nicht singen etc. [1.] Gott, durch welchen alle Dinge / Sind, und wirken und vergehn, / Stärke mich, daß ich dich singe, / Lehre mich dein Lob erhöhn! / Laß mich dich im Stillen loben / Mich, den du voll Lieb und Macht / Aus des Irrthums tiefer Nacht / Zu des Christen Licht erhoben, / Dich erheb ich immerdar / Der mich schuf und neu gebar. // [2.] Könnt ihr die Gestirne zählen; / Gottes Gnaden zählt ihr nicht. / Er errettet unsre Seelen, / Ist ihr Lohn, ihr Schild und Licht. / Wenn wir mit den Eitelkeiten / Mit Versuchungen der Lust, / Mit dem Feind in unsere Brust / Wenn wir mit dem Tode streiten, / Stärkt er uns zum Kampf und Lauf / Und hilft unsrer Schwachheit auf. // [3.] Wenn mich Leiden niederdrücken, / Nehm ich sie als Wohlthat an / Von der Hand, die nur beglükken, / Aber niemals schaden kann. / Du belohnst mir meine Schmerzen / Mit des Geistes Heiterkeit / Und versüßest alles Leid, / Gott, durch deine Ruh im Herzen, / Die mich ganz mit Muth belebt, / Ueber allen Schmerz erhebt. // [4.] Von Gefahr und Noth umgeben, / Geh ich zwar den rauhen Pfad / Doch ich weiß, er führt zum Leben / Wo das Leid ein Ende hat. / Sollten mich der Erde Freuden, / Sollte mich der Sünder Spott, / Und das Elend und der Tod, /

580

Anhang

Herr, von deiner Liebe scheiden? / Nein, ich leb’ und sterbe dir, / Ewges Leben giebst du mir. // (Rig. Ges.) Nach dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Eins ist Noth; ach, Herr dies Eine / Lehre mich erkennen doch / Alles Andre, wie’s auch scheine, / Ist ja nur ein schweres Joch, / Darunter die Seele mit Sorgen sich plaget / Und dennoch kein wahres Vergnügen erjaget. / Erlang ich dies Eine, das Alles ersetzt / So werd ich mit Allem in Einem ergötzt. // [2.] Seele, willst du diese finden, / Suchs bei keiner Kreatur, / Laß nichts Irdisches dich binden / Schwing dich über die Natur / Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet, / Wo alle vollkommene Fülle erscheinet, / Da, da ist das Beste nothwendigste Theil / Mein Ein und mein Alles, mein seligstes Heil. // [3.] Wie zu des Erlösers Füßen / Sich Maria niederließ / Ihn den Einzgen zu genießen / Alles andre von sich wieß, / Das Herz ihr entbrannte dies einzig zu hören, / Was Jesus ihr Heiland sie wollte belehren / Ihr Alles war gänzlich in Jesum versenkt / Drum Alles ihr wurde in Einem geschenkt. // [4.] Also ist auch mein Verlangen, / Liebster Jesu, nur nach dir / Laß mich treulich an dir hangen / Schenke dich zu eigen mir / Die Welt mag dann immer beim Eitlen verweilen / Ich will dir mein Heiland im Glauben nacheilen, / Denn dein Wort, o Jesu, ist Leben und Geist; / Was ist wohl, das man nicht in Jesu geneußt? // [5.] Nun so gieb, daß meine Seele / Auch nach deinem Bild erwacht! / Du bists ja, den ich erwähle / Mir zur Heiligung gemacht. / Was dienet zum göttlichen Wandel und Leben / Ist in dir mein Heiland mir Alles gegeben / Entreiße mich aller vergänglichen Lust, / Dein Leben sei Jesu mir einzig bewußt. // (Schröder.) Unter der Predigt. – Mel. Warum sollt ich mich denn etc. Höchster Tröster, komm hernieder! / Geist des Herrn, sei nicht fern, / Stärke Jesu Glieder / Giebst du uns nicht Licht und Stärke, / So gebricht Kraft und Licht / Uns zum Besserungswerke. // Nach der Predigt. – Mel. Von Gott will ich nicht lassen etc. Du Tröster, Geist der Liebe, / Der Freund der Freundlichkeit, / Willst nicht, daß uns betrübe / Zorn, Zank, Haß, Neid und Streit. / O füg in Einen Sinn / Der Menschen Thun zusammen, / Von deiner Liebe Flammen / Laß alle Herzen glühn! //

[Liederblatt vom 3. Oktober 1819:] Am 17ten Sonnt. n. Trin. Erndtefest 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Sei Lob und Ehr etc. [1.] Das laute Loblied der Natur, / Ertönt, Gott, dich zu preisen, / Und uns, vernähmen wir es nur! / Von dir zu unterweisen. / Wem ruft es nicht frohlokkend zu: / „Der Herr ist groß,“ wo ließest du / Dich, Schöpfer, unbezeuget! //

Liederblätter

581

[2.] Wer ist’s, der ihren hohen Gang / Die Sterne wallen lehret? / Wer ist’s, den rings der Lobgesang / Von allen Welten ehret? / Es schallt, aus allen Tiefen schallt’s, / Und von den Höhen wiederhallt’s: / „Gebt unserm Gott die Ehre!“ // [3.] O du, auf dessen Liebesspur, / Mein Herz die Freude findet; / Gott, lehre uns in der Natur / Den Geist den sie verkündet! / Erhöh und schärfe meinen Sinn, / Dann find’ ich heiligen Gewinn / In deiner Erde Wundern! // Nach dem Gebet. – Mel. Wer nur den lieben Gott etc. [1.] O Gott, von dem wir alles haben, / Die Welt ist ein sehr großes Haus; / Du aber theilest deine Gaben / Recht wie ein Vater drinnen aus. / Dein Segen macht uns alle reich, / Ach, lieber Gott, wer ist dir gleich? // [2.] Wer kann die Menschen alle zählen, / Die heut bei dir zu Tische gehn? / Doch muß die Nothdurft keinem fehlen, / Denn du weißt allen vorzustehn, / Und schaffest, daß ein jedes Land / Sein Brodt bekommt aus deiner Hand. // [3.] Du machst, daß man auf Hoffnung säet, / Und endlich auch die Frucht genießt. / Der Wind, der durch die Felder wehet, / Die Wolke, die das Land begießt, / Des Himmels Thau, der Sonne Strahl / Sind deine Diener allzumal. // [4.] Und also wächst des Menschen Speise, / Der Acker selbst wird ihm zu Brodt. / Es nähret sich vielfältger Weise, / Was anfangs schien als wär’ es todt, / Bis in der Erndte Jung und Alt / Erlanget seinen Unterhalt. // [5.] Nun, Herr, was soll man erst bedenken, / Der Wunder ist hier gar zu viel. / So viel als du kann niemand schenken, / Und dein Erbarmen hat kein Ziel; / Denn immer wird uns mehr beschert, / Als wir zusammen alle werth. // [6.] Wir wollen’s auch kein Mal vergessen, / Was uns dein Segen träget ein. / Ein jeder Bissen, den wir essen, / Soll deines Namens Denkmal seyn; / Und Herz und Mund soll lebenslang / Für unsre Nahrung sagen Dank. // Unter der Predigt. – Mel. Sei Lob und Ehr etc. Geist Gottes, mache selbst uns gleich / Dem fruchtbar guten Lande, / Daß wir an guten Werken reich / In unserm Amt und Stande, / Viel Früchte bringen mit Geduld, / Bewahren deine Lehr’ und Huld, / In feinem guten Herzen. // Nach der Predigt. – Mel. Kommt her zu mir etc. [1.] Hilf mir, und segne meinen Geist, / Mit Segen, der vom Himmel fleußt, / Daß ich dir stetig blühe! / Gieb, daß der Sommer deiner Gnad / In meiner Seele früh und spat / Viel Glaubensfrucht erziehe. // [2.] Erwähle mich zum Paradeis, / Und laß mich bis zur letzten Reis’ / An Leib und Seele grünen, / So will ich dir und deiner Ehr / Allein, und sonsten keinem mehr / Hier und dort ewig dienen. //

582

Anhang

[Liederblatt vom 17. Oktober 1819:] Am 19ten Sonntage nach Trinit. 1819. Vor dem Gebet. – Mel. Von Gott will ich nicht lassen. [1.] Groß ist, Herr, deine Güte, / Sehr groß ist deine Treu, / In der Gerechten Hütte, / Zeigt sie sich täglich neu, / Wenn sie in aller Noth / Abwendet Angst und Leiden, / Durch Trübsal führt zu Freuden, / Und zwinget auch den Tod. // [2.] Wie sollt ich denn nicht haben / An dir, Herr, meine Lust, / Der du durch deine Gaben / Mir so viel Gutes thust, / Du giebest mir allein, / Wodurch mein Herz gestillet. / Wodurch mein Wunsch erfüllet, / Und ich kann fröhlich sein. // [3.] Dir, Herr, und deinem Leiten / Befehl ich meinen Weg; / In schweren Unglücks Zeiten / Auf dich die Sorg ich leg, / In Hoffnung, daß du mich / Davon kannst wol befreien, / Und durch ein gut Gedeihen / Ergötzen mildiglich. // [4.] Du kannst es Alles machen, / Und bleibt auch wohl gemacht, / Führst mächtig alle Sachen, / Wie sie dein Rath bedacht. / Thu solches auch an mir, / So will in allen Dingen, / Von deiner Huld ich singen, / Und freudig danken dir. // (M. Vab. Thilo.) Vor der Predigt. – Mel. Nun danket alle Gott. [1.] Dein Wort, Herr, unser Gott, / Ist ganz erfüllet worden; / Der unser Schöpfer ist, / Dein Sohn ist Mensch geworden; / Herab zur Knechtsgestalt, / Erniedrigt, bis zum Tod / Erniedrigt, dennoch auch / In seiner Schwachheit Gott. // [2.] Er lehrt, man hört ihn nicht; / Thut Wunder, sie verstehen / Nicht seines Armes Kraft; / Er spricht und Lahme gehen; / Er rührt die Blinden an, / Und Blinde sehn das Licht: / Und doch erkennt sein Volk / Den Welterretter nicht. // [3.] Er spricht, der Sieche hebt / Sein Bett’ auf und der Taube, / Vernimmt ihn; Todte selbst / Erweckt er aus dem Staube, / Vom Grabe kommen sie / Herauf und sehn das Licht; / Und doch erkennt sein Volk / Den Welterretter nicht. // [4.] Bald aber werden ihn / Die Heiden selbst erkennen, / Bald werden sie voll Lust / Ihn ihren Heiland nennen. / Noch ist er unwerth, noch / Voll Schmerzen, noch entehrt, / Geplagt noch, mit der Last / Der Sünde noch beschwert. // [5.] Lobsingt! Nun ist er schon / Zum Golgatha gegangen. / Lobsingt! Nun hat er schon / Am Holz ein Fluch gehangen. / Lobsingt! wir sind versöhnt, / Er hat das Werk der Macht, / Der Liebe schwerstes Werk, / Er hats, er hats vollbracht. // [6.] Wo sind die Götzen nun, / Des Heidenthums Altäre? / Wo sind sie? Singet, dankt! / Bringt Gott dem Vater Ehre, / Bringt Ehre seinem Sohn! / Er hats, er hats gethan, / Der Liebe größstes Werk; / Der Erdkreis bet ihn an! // (Cramer.) Unter der Predigt. – Mel. Herr ich habe mißgehandelt. Gottes Geist, erheb die Seelen, / Stille jede Leidenschaft; / Wenn uns Erdensorgen quälen, / O so gieb uns Ruh und Kraft, / Wahrheit, Leben, Licht und Stärke, / Hinzuschaun auf Gottes Werke. // Nach der Predigt. – Mel. Wie herrlich strahlt etc. Steh du mit deiner Kraft mir bei, / So werd ich stets mit vester Treu / An dir allein nur hangen. / Nichts, was sonst Menschen wohlgefällt, / Nicht Lust der

Liederblätter

583

Sinne, Ehr und Geld / Befriedigt mein Verlangen. / Von dir / Strömt mir / Beßrer Segen, Herr, entgegen, Ruh und Leben / Wird mir nur bei dir gegeben. //

[Liederblatt vom 2. April 1820:] Am ersten Ostertage 1820. Vor dem Gebet. – Mel. Wachet auf etc. [1.] Ehre, Lob und Preis und Stärke / Sei dem Vollender seiner Werke, / Dem Todesüberwinder Dank! / Singt dem Auferstandnen Lieder, / In alle Himmel schall es wieder, / Der ganze Erdkreis sei Gesang. / Ihm der vom Tod erstand, / Der siegreich überwand, / Hallelujah! / Er hats vollbracht, / Es schwand die Nacht, / Und ihm gehört des Lichtes Macht. // [2.] Land der Gräber, düstre Erde, / Empor aus deinem Staube! werde / Ein Land des Lebens und des Lichts! / Er der siegreich auferstanden, / Befreit uns von des Todes Banden / Und von den Schrecken des Gerichts. / Heil uns, das Grab ist leer, / Des Abgrunds Schreckenheer / Ist bezwungen; / Des Todes Nacht, / Der Hölle Macht, / Der Gräber Graun nicht mehr geacht’t. // [3.] Unser Herz darf nun nicht wanken, / Die bangen zweifelnden Gedanken / Besiegt des Glaubens Zuversicht! / Wie ein Fels des Herrn im Meere / Steht unerschüttert Jesu Lehre / Umglänzt von Seligkeit und Licht. / Die Herrlichkeit der Welt / Der Himmel Bau zerfällt, / Alles schwindet; / Doch fort und fort / Steht Jesu Wort, / Bleibt ewig unser theurer Hort. // (Sturm) Nach dem Gebet. – Mel. Sollt ich meinem etc. [1.] Auferstanden, auferstanden / Ist der Herr, der uns versöhnt! / O wie hat nach Schmerz und Banden / Gott mit Ehren ihn gekrönt. / Dort zu seines Vaters Rechten / Ueber Schmerz und Tod erhöht, / Herrscht er nun in Majestät. / Freut euch seiner, ihr Gerechten, / Und ihr seine Feinde bebt! / Hallelujah, Jesus lebt! // [2.] Singt dem Herrn! er ist erstanden, / Er, der starb auf Golgatha! / Rühmt es laut in allen Landen, / Was sein Mund verhieß, geschah. / Wer, wer kann ihm widerstreben? / Mächtig steigt der Held empor, / Im Triumf bricht er hervor, / Und des Abgrunds Pforten beben, / Da ihr Sieger sich erhebt. / Heil uns allen, Jesus lebt! // [3.] Uns vom Tode’ zu befreien / Sank er in des Grabes Nacht; / Uns zum Leben einzuweihen / Stand er auf durch Gottes Macht. / Tod du bist in Sieg verschlungen, / Deine Schrecken sind gedämpft, / Deine Herrschaft ist bekämpft, / Und das Leben uns errungen. / Zagt nicht sündig! nein, erhebt / Eure Häupter, Jesus lebt! // [4.] Aus dem Grab uns zu erheben / Sing er zu dem Vater hin. / Laßt uns ihm zur Ehre leben, / Dann ist Sterben uns Gewinn. / Haltet unter Lust und Leiden / Im Gedächtniß Jesum Christ, / Der vom Tod’ erstanden ist! / Unvergänglich sind die Freuden / Des der nach dem Himmel strebt, / Hallelujah, Jesus lebt. // [5.] Freut euch sein, ihr Gotteskinder, / Er sei euer Lobgesang, / Bringt dem

584

Anhang

Todes-Ueberwinder / Ewig Ehre Preis und Dank. / Rühmt’s in der Versuchung Stunden, / Wenn euch Sünd’ und Elend droht! / Rühmt’s in eurer Todesnoth: / Jesus Christ hat überwunden! / Die ihr nach dem Himmel strebt, / Singet, jauchzet, Jesus lebt. // (Lavater.) Nach der Predigt. – Mel. Jesus meine Zuversicht. Jesus lebt! Ich bin gewiß, / Nichts soll mich von Jesu scheiden, / Keine Macht der Finsterniß, / Keine Herrlichkeit, kein Leiden. / Er verklärt mich in sein Licht, / Dies ist meine Zuversicht. //

[Liederblatt vom 11. Mai 1820:] Am Himmelfahrtstage 1820. Vor dem Gebet. – Mel. Wie wohl ist mir etc. [1.] Vollendet ist dein Werk, vollendet / O Welterlöser unser Heil! / Uns liebet Gott, der dich gesendet, / Und seine Huld wird uns zu Theil. / Verklärt erhebst du dich vom Staube, / Dir nach schwingt sich der Deinen Glaube / O Sieger, in dem himmlisch Licht; / Dich krönt nach Thränen und nach Leiden / Dein Gott mit seinen Gottesfreuden / Vor aller Himmel Angesicht. // [2.] Ich seh empor zu dir, Vertreter, / Dich bet’ ich still mit Thränen an. / Ich weiß, daß auch ein schwacher Beter / Im Glaube dir gefallen kann. / Zwar fallen vor dir Engel nieder; / Doch auch der Engel höh’re Lieder / Verdrängen nicht mein schwaches Lied; / Von meinen aufgehobnen Händen / Wirst du nicht weg dein Antliz wenden, / Du siehst den Dank, der in mir glüht. // [3.] Gieb meinem Glauben Muth und Leben, / Sich über Erde Welt und Zeit / Mit starken Flügeln zu erheben, / Zu dir in deine Herrlichkeit! / Du meines künftgen Lebens Sonne, / Des Himmels und der Erde Wonne, / Durch den sich Gott mit uns vereint, / Du aller Welten Herr und Führer, / Der Geister ewiger Regierer, / Du bist mein Bruder, bist mein Freund. // (Lavater.) Nach dem Gebet. – Mel. Mir nach spricht etc. [1.] Mit Preis und Ruhm gekrönt hast du / Dein großes Werk geendet, / Blickst auf dein Tagewerk mit Ruh; / Denn alles ist vollendet, / Vollbracht der Kampf der Sterblichkeit, / Und du in ew’ger Herrlichkeit. // [2.] Du erndtest nun den vollen Lohn / Für deiner Leiden Menge, / Versammlet stehn um deinen Thron / In fröhlichem Gedränge / Schon Tausende, durch dich beglückt, / Belehrt, geheiligt und erquickt. // [3.] Aus allen Völkern kamen sie / Mühselig und beladen, / Und suchten Ruh und fanden sie, / Und sind des Jochs entladen, / Weihn freudig sich dem hohen Sohn, / Und werden seiner Arbeit Lohn. // [4.] Gerettet sind, die sich verirrt, / In Finsterniß verloren. / Welch eine Schaar von Kindern wird / Dir durch dein Wort geboren, / Wie auf der frischen Morgenau / Aus Blumen ungezählt der Thau. // [5.] Auch wir, o schau von deinem Thron / Herab auf deine Kinder; / Auch wir sind Deiner Schmerzen Lohn, / Wiewol noch schwach und Sünder; / Ach keiner

Liederblätter

585

von uns allen sei / Dir, seinem Retter, ungetreu! // [6.] Laß immer mehr zu dir hinauf / Die Seele freudig dringen! / Hilf uns vollenden unsern Lauf, / Das Tagewerk vollbringen! / Dir glüh das Herz von reinem Dank, / Und ewig sei der Lobgesang, // (Niemeier.) Nach der Predigt. – Mel. Schmücke dich etc. In dem Reiche deiner Ehre, / Jauchzen dir der Himmel Chöre, / Und durch heilige Gesänge / Preist dich der Erlösten Menge, / Die befreit von Furcht und Grauen / Dein verklärtes Antliz schauen. / Selig einst mit diesen Chören, / Werden wir dich ewig ehren. //

[Liederblatt vom 10. Dezember 1820:] Am zweiten Advent 1820. Vor dem Gebet. – Mel. Wie schön leucht’t uns etc. [1.] Wie herrlich strahlt der Morgenstern! / O welch ein Glanz geht auf vom Herrn! / Wer sollte sein nicht achten? / Glanz Gottes der die Nacht durchbricht / Du bringst in finstre Seelen Licht / Die nach der Wahrheit schmachten! / Dein Wort, Jesu, ist voll Klarheit, / Führt zur Wahrheit / Und zum Leben, / Wer kann dich genug erheben. // [2.] Du hier mein Trost und dort mein Lohn, / Sohn Gottes und des Menschen Sohn / Du großer Himmelskönig, / Von ganzem Herzen preis’ ich dich! / Hab’ ich dein Heil so rühret mich / Das Glück der Erde wenig. / Zu dir komm ich! warlich keiner / Tröstet deiner / Sich vergebens, / Wenn er dich sucht, Herr des Lebens, // [3.] Durch dich nur kann ich selig sein. / Geuß tief in meine Seel’ hinein / Die Flamme deiner Liebe! / Damit ich ganz dein eigen sei, / Und nichts zu deinem Dienste scheu, / Gern deinen Willen übe. / Ach dich lieben hilf mir Schwachen! / Hilf mir wachen, / Kämpfen, ringen, / Stark in Dir zu Gott mich schwingen. // (Bair. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Herzliebster Jesu etc. [1.] Gott, wo ist Noth, wo Elend auf der Erde, / Das von der Sünde nicht geboren werde? / Sie ist es, die des Menschen Lebens Freuden / Verkehrt in Leiden. // [2.] O könnten wir vom Jüngling bis zum Greise / Gehorchen deinem Willen gut und weise: / Was könnten wir mit freudigem Gewissen / Für Heil genießen, // [3.] Du hast uns herrlich ausgeschmückt mit Gaben, / Den Erdkreis eingerichtet uns zu laben; / Von wannen strömte nicht uns Heil und Segen / Reichlich entgegen? // [4.] Wie müßte jede Last erleichtert werden, / Und jede wahre Lust erhöht auf Erden, / Wenn unser Herz den Lockungen der Sünde / Stets widerstünde! // [5.] Sie herrschet leider, alles zu zerrütten, / Erschüttert Thronen und verwüstet Hütten, / Trübt jeden Segensquell, droht allen Tagen / Mit neuen Plagen. // [6.] Wenn böse Lust, die Geister fesselnd, wüthet, / So leidet selbst der Sklav, dem sie gebietet, / Und kehrt noch grausam seiner Brüder Freuden / In Gram und Leiden. // [7.] Drum kann der

586

Anhang

Sünder nicht gen Himmel schauen / Und denket dein, Herr, nur mit Furcht und Grauen, / An Tod und Grab und an ein ewig Leben / Nur mit Erbeben! // [8.] Heil uns! wir sind durch deinen Sohn versöhnet, / Der uns zu sich zieht und der Sünd’ entwöhnet, / Der Licht und Kraft auf deiner Bahn zu wallen / Gewähret allen. // [9.] O Vater, dem wir fromm die Hände falten, / Gieb daß wir fest an deinen Sohn uns halten, / Und, siegend in Versuchung, uns zum Leben / Stets mehr erheben. // (Cramer.) Unter der Predigt. – Mel. Nun komm der Heiden etc. [1.] Gott sei Dank in aller Welt, / Der sein Wort beständig hält, / Und der Sünder Trost und Rath / Zu uns hergesendet hat! // [2.] Sei willkommen, unser Heil! / Dir Hosianna, unser Theil! / Zeuch du Ehrenkönig ein, / Wir gehören Dir allein. // Nach der Predigt. – Mel. Freu dich sehr o etc. Liebe laß mich dahin streben, / Meines Heils gewiß zu sein, / Richte selbst mein ganzes Leben / So nach Deinem Willen ein, / Daß des Glaubens Frucht und Kraft, / Den dein Geist in mir geschaft, / Mir zum Zeugniß dienen möge, / Ich sei auf dem Himmelswege. //

[Liederblatt vom 25. Dezember 1820:] Am ersten Weihnachtstage 1820. Vor dem Gebet. – Mel. Nun ruhen alle Wälder etc. [1.] Wie lieblich klingt die Kunde, / Sie geht von Mund zu Munde, / Daß ein Erlöser ist! / Wie lieblich, wie erquickend, / Beseligend, entzückend, / Ist doch dein Name Jesus Christ! // [2.] Wie groß war deine Stärke, / Wie heilig deine Werke, / Wie stärkend ist dein Wort! / Dein Sterben schafft mir Leben! / Dich soll mein Lied erheben, / Du bist mein Heiland hier und dort. // [3.] Wie bist du von den Banden / Des Todes auferstanden, / Wie hat dein Arm gesiegt! / Dein ist des Himmels Leben, / Dir ist das Reich gegeben, / Bis alles Dir zu Füßen liegt. // [4.] Wie reich sind deine Gaben, / Wie hoch bist du erhaben / Auf deinem Königsthron. / Es jauchzen nun und dienen / Dir alle Seraphinen, / Du Gottes und des Menschen Sohn. // [5.] Wie mild wirkt deine Lehre! / Wie fest steht deine Ehre! / Ja Kraft und Reich ist dein / Wer wollte nicht, Regierer / Der Welt, der Deinen Führer, / In Ehrfurcht dir gehorsam sein. // (Brem. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Mein Salomo etc. [1.] So ist denn nun die Hütte aufgebauet, / Die Gottes reinstes Ebenbild enthält; / Vor der das Heer des Himmels niederfällt, / Mit wundervoller Freude sie beschauet, / Weil ihres Gleichen diese weite Welt / An Schmuck und Herrlichkeit nicht in sich hält. // [2.] Ein ird’scher Blick weiß zwar hier nichts zu preisen, / Schlecht ist der Schein, der sich von außen zeigt, / So daß

Liederblätter

587

auch jeden leicht sein Urtheil treugt, / Der alles richtet nach gewohnten Weisen. / Es bleibt die Trefflichkeit, die tief versteckt, / Uns ohne Gottes Licht unaufgedeckt. // [3.] Schaut Jesum an! Er ist es, den ich meine, / Er ist die Hütte, die sich auserkiest, / Das Wort, das ewiglich gewesen ist, / Daß es mit ihr sich inniglich vereine, / Auf daß der Gottheit hehre Majestät / An ihr auf ewig ihren Tempel hätt’. // [4.] O großes Werk! Geheimniß sonder Gleichen, / Wer hat jemals so Herrliches gehört, / Daß so die Gottheit bei uns eingekehrt? / Still betet an! ihr werdets nie erreichen! / Verehret nur die unumschränkte Kraft, / Die Allmacht, die dies große Wunder schafft. // [5.] Durch ihn wohnt nun der Gottheit ganze Fülle / Stets unter uns im menschlichen Geschlecht, / Und nimmer weicht das ewge Licht und Recht, / Das ist des Vaters gnadenvoller Wille. / Und ob der Tod auch jene Hütte bricht, / Ob Jesus stirbt; das Wort verläßt uns nicht. // [6.] Und er ist uns erhöht zum Thron der Gnaden, / Den Engel auch gelüstet anzuschaun; / Ihm nahn die Gläubigen sich voll Vertraun, / Versöhnung zu empfahn für allen Schaden, / Versöhnung, sonst in Bildern eingehüllt, / Die nun in ihm wahrhaftig ist erfüllt. // [7.] O Jesu, du, der vormals angenommen / Für uns die arme menschliche Natur, / Die nur in dir nicht zeigt der Sünde Spur, / Du aus der Höh zu uns herabgekommen, / Bis du auch uns hinauf kannst zu dir ziehn, / Nimm unser Herz zu deiner Hütte hin. // (J. A. Freilingshausen.) Nach der Predigt. – Mel. Wie schön leucht’t uns etc. Wie freu ich dein mich Jesu Christ, / Daß du der erst’ und lezte bist, / Der Anfang und das Ende. / Dir, Herr, befehl ich meinen Geist, / Der auch im Tode dich noch preist, / In deine treuen Hände. / Ewig werd’ ich Herr dich loben, / Einst erhoben / Zu dem Leben, / Das mir deine Huld wird geben. //

[Liederblatt vom 18. März 1821:] Am Sonntage Reminiscere 1821. Vor dem Gebet. – Mel. Herzlich lieb etc. [1.] Sohn Gottes, Heiliger, du bist / Mein Herr und unermeßlich ist / Die Größe deiner Gnaden. / Ich preise Hoherpriester dich, / Selbst trugst du meine Strafen, mich / Von ihnen zu entladen. / Du thatst was uns versöhnet hat, / Was nie ein Hoherpriester that, / Durch den nur Blut der Thiere floß, / Der nicht sein eignes Blut vergoß. / Herr Jesu Christ, / Herr Jesu Christ dein Blut befreit / Und heiligt mich zur Seligkeit. // [2.] Wir sind versöhnt; du bist zu Gott / Ins Heiligthum durch Blut und Tod / Siegprangend eingegangen. / Der Vater höret dein Gebet; / Du hast Gewalt und Majestät / Zum Opferpreis empfangen. / Nun haben wir, denn wir sind dein, / Uns deines Opfers zu erfreun. / Wer Sünde that und Buße thut, / Den reinigt dein versöhnend Blut, / Herr Jesu Christ! / Herr Jesu Christ, erbarme dich, / Versöhne durch dein Blut auch mich. // [3.] Gieb, Heiland, daß mein traurend Herz / Gebeugt

588

Anhang

durch wahrer Reue Schmerz / Dem Vater wohlgefalle! / Laß rein uns sein und tugendhaft; / Und schmücke durch des Glaubens Kraft / Mit Heiligkeit uns Alle! / Auch uns laß deine Priester sein, / Uns willig deinem Dienste weihn, / Und opfern unser Lebelang / Dem Glauben und der Liebe Dank. / Herr Jesu Christ, / Herr Jesu Christ! entschlummern wir / So führ’ uns alle Herr zu dir. // (Jauersch. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Zion klagt etc. [1.] Mitten unter eignen Schmerzen / Fühlt mein Heiland fremdes Leid, / Fühlt’s mit liebevollem Herzen, / Das so gern mit Trost erfreut. / Auch am Kreuz auf Golgatha, / Seiner lezten Stunde nah, / Freut sein Herz sich noch auf Erden / Der Betrübten Trost zu werden. // [2.] „In das Paradies erhaben, / Sollst du heute noch mit mir / Theil an meinem Reiche haben, / Sag ich warlich warlich dir.“ / Jesus sprach es, und das Herz, / Das im herben Todesschmerz / Von dem Helfer Trost begehret, / Sah sein gläubig Flehn gewähret. // [3.] Theures Wort aus Jesu Munde, / Fest versiegelt durch sein Blut, / In der finstern Todesstunde / Giebst du Freudigkeit und Muth. / Sie ist nicht mehr Finsterniß! / Denn wahrhaftig und gewiß / Ist das Wort des treuen Zeugen. / Hier muß jeder Zweifel schweigen. // [4.] Selig furchtlos, rein von Mängeln / Ja von nun an selig ist, / Brüderlich begrüßt von Engeln, / Der im Herrn entschlafne Christ; / Was sein Glaube hier gethan, / Jedes gute Werk folgt dann / Seiner Seele von der Erden / Hin vor Gott, sein Lohn zu werden. // [5.] Nun auch ich, o Herr, befehle, / Wenn ich kaum noch lallen kann, / Die durch dich erlöste Seele / Deinen treuen Händen an. / Und du Heiland stärkest mich, / Rufest mir auch zu, daß ich, / Wenn ich glaubensvoll dir sterbe, / Deine Herrlichkeit erwerbe. // [6.] Ja an jenem Freudentage / Geh ich in den Himmel ein, / Los von aller Furcht und Plage, / Herr bei dir daheim zu sein; / Da genieß ich deines Lichts, / Bis der Tag des Weltgerichts / Aller Gräber Nächte endet, / Wenn mich Seligkeit vollendet. // (Rig. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Herzlich thut mich etc. Belebe du mein Hoffen / Zur bessern Welt zu gehn, / Und laß im Geist mich offen, / Herr, deinen Himmel sehn! / Da werd’ ich mit Entzücken / Und heilger Sehnsucht voll / Nach dir Vollender blicken; / Wer so stirbt, der stirbt wohl. //

[Liederblatt vom 15. April 1821:] Am Palm-Sonntag 1821. Vor dem Gebet. – Mel. Die Tugend wird etc. [1.] Seid mir in diesen Tagen theuer, / Gethsemane und Golgatha! / Ihr Stätten, wo die Welt die Feier / Der allergrößten Liebe sah! / Dorthin will ich voll Andacht schauen / Wo mein Erlöser litt und starb: / Auf ihn allein will ich vertrauen, / Der mir die Seligkeit erwarb. // [2.] Herr in der stillsten meiner

Liederblätter

589

Stunden / Will ich nach deinem Kreuze sehn, / Und dich für deine Pein und Wunden / Durch meiner Thränen Dank erhöhn; / Will tiefgerührt die Huld ermessen, / Womit dein Herz die Welt umfaßt, / Und nie es undankbar vergessen, / Was du für mich gelitten hast. // [3.] Mir soll in diesen Feierzeiten / Lebendig deine Liebe sein! / Sie soll mich stärken, soll mich leiten, / Was dir mißfällig ist zu scheun. / So wird dein Leiden mir zum Segen, / Dein Tod mein ewiger Gewinn, / Mein Herz schlägt dir voll Dank entgegen, / Weil ich durch dich gerettet bin. // (Rigaer. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Ich hab genug etc. [2.] Es ist vollbracht / Das Opfer für die Welt! / Das Licht der Wahrheit siegt! / Es wird die Nacht, des Irthums Nacht erhellt, / Die auf der Menschheit liegt. / Der Gottgesandte hat vollendet, / Sein Blut für unser Heil verpfändet; / Es ist vollbracht // [2.] Es ist vollbracht! / Er ruht nun von der Qual, / Deß Herz für uns nur schlug! / Der Ungemach und Leiden ohne Zahl / Für uns aus Liebe trug. / Sein Geist steigt aus dem Erdgetümmel / Als Ueberwinder in den Himmel; / Es ist vollbracht. // [3.] Es ist vollbracht, / Des Vaters Rath erfüllt, / Erfüllt zu seinem Ruhm! / Der Vorhang riß, auf ewig ward enthüllt / Der Liebe Heiligthum. / Die Feinde des Entschlafnen beben, / Obgleich er ihnen laut vergeben. / Es ist vollbracht. // [4.] Es ist vollbracht! / Wer sah nicht Gottes Spur, / Als er am Kreuz entschlief? / Die Sonn’ erlosch, Angst faßte die Natur, / Die Erde bebte tief, / Es spalteten sich Felsenwände / Bei des allein Gerechten Ende; / Es ist vollbracht. // [5.] Es ist vollbracht! / Mir ist nun himmlisch Licht, / Was Jesus uns gelehrt; / Sein heilger Tod befreit mich vom Gericht, / Mir ist das Heil gewährt! / Wie sollt ich nicht mit heißen Zähren / Ihm neue Lieb und Treue schwören, / Es ist vollbracht. // [6.] Es ist vollbracht! / Ach ewig feierlich / Sei dies Gedächtniß mir! / Geweiht sei stets, zu preisen Mittler dich, / Mein ganzes Leben dir. / Hinauf zu dir blick ich am Ziele, / Und ruf in selgem Dankgefühle: / Es ist vollbracht. // (Bair. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Herzlich thut mich etc. O Freund der Menschenkinder, / Hier liegen wir gebückt! / Wie hoch hat uns, die Sünder, / Dein heilger Tod beglückt. / Dich ehr’ izt unser Glaube, / Anbetung dir und Dank, / Hör ihn, vernimm vom Staube / Den schwachen Lobgesang. //

[Liederblatt vom 22. April 1821:] Am ersten Ostertag 1821. Vor dem Gebet. – Mel. Nun freut euch lieben etc. [1.] Nun freut euch hier und überall, / Ihr Christen, lieben Brüder, / Das Heil, das durch den Todesfall / Gesunken, stehet wieder; / Des Lebens Leben lebet noch, / Sein Arm hat aller Feinde Joch / Mit großer Macht zerbrochen. // [2.] Die Morgenröthe war noch nicht / Mit ihrem Licht vorhanden, / Und

590

Anhang

siehe da war schon das Licht, / Das ewig leucht’t, erstanden; / Die Sonne war noch nicht erwacht, / Da ging hervor in voller Pracht / Die unerschaffne Sonne. // [3.] O Lebensfürst, du starker Leu, / Aus Juda Stamm erstanden! / So bist du nun wahrhaftig frei / Von allen Todesbanden. / Dir wird als Sieger nun zum Lohn / Die ewig unverwelkte Kron’ / Und deine Feinde zittern. // [4.] Ich will dich rühmen, wie du seist / Der Freiheit reiche Quelle, / Gieb, daß ich auch durch deinen Geist / Mich dir zur Seite stelle, / Und mit dir sterbe wie du starbst, / Damit, was siegend du erwarbst, / Stets meine Beute bleibe. // [5.] Ich will von Sünden auferstehn, / Wie du vom Grab aufstehest, / Ich will zum andern Leben gehn, / Wie du zum Himmel gehest; / Dann hab ich schon im Glauben hier / Das ewge Leben, wie du mir / In deinem Wort verheißen. // (P. Gerhard.) Nach dem Gebet. – Mel. Wachet auf etc. [1.] Halleluja! Preis und Stärke / Sei dem Vollender seiner Werke, / Dem Todesüberwinder Dank. / Singt des Helden Auferstehen / Ihr Himmel all in euren Höhen, / Du Erde weih ihm Lobgesang! / Ihm, der vom Tod erstand, / Der für uns überwand, / Weiht Anbetung! sein ist die Macht, / Er hats vollbracht, / Ihm werde Preis und Dank gebracht! // [2.] Was vermag uns zu erschüttern? / Die fern von ihm sind mögen zittern / Vor ihm, der glorreich sich erhebt. / Wir, des Auferstandnen Brüder, / Wir Christen, seines Leibes Glieder, / Wir freun uns des, der ewig lebt. / Für uns litt er den Tod; / Für uns entrückt’ ihn Gott / Bald dem Grabe! Dank ihm erfreut, / O Christenheit, / Sein Leben ist dir Seligkeit. /[3.] Unser Herz darf nun nicht wanken, / Die bangen zweifelnden Gedanken / Besiegt des Glaubens Zuversicht! / Wie ein Fels des Herrn im Meere / Steht unerschüttert Jesu Lehre, / Verbreitet um sich Trost und Licht. / Der Himmel Pracht zerfällt, / Die Herrlichkeit der Welt / Wird verschwinden; nur Jesu Wort / Steht fort und fort, / Es bleibt der Seele Trost und Hort. // [4.] Ja sein Wort macht, daß wir bleiben! / Mag doch des Leibes Bau zerstäuben, / Zu Asche werden mein Gebein: / Jesus lebt, des Hauptes Glieder / Erweckt sein mächtger Ruf einst wieder, / Wie er, unsterblich dann zu sein. / Froh schwinget dann der Geist / Zu ihm sich auf, und preist / Ihn dann ewig. Wir werden sein / Uns ewig freun, / Ihn schaun und mit ihm selig sein. // (W. A. Teller.) Nach der Predigt. – Mel. Wachet auf etc. O, Erstandner, welch ein Segen / Erwartet uns, wenn auf den Wegen / Wir wandeln, die dein Fuß betrat. / Unerforschte Seligkeiten, / Die ewig währen, sind die Beuten, / Die uns dein Sieg erkämpfet hat. / Einst sind sie unser Theil, / Einst krönet uns das Heil / Deines Lebens. Gelobt sei Gott! / Auch noch im Tod / Ist er und bleibet unser Gott. //

Liederblätter

591

[Liederblatt vom 10. Juni 1821:] Am ersten Pfingsttage 1821. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Komm heiliger Geist, Herre Gott / Erfüll mit deiner Gnaden Gut / Deiner Gläubgen Herz und Sinnen, / Entzünd deine Lieb’ in ihnen! / O Herr, durch deines Lichtes Glanz / Zu dem Glauben versammelt hast / Das Volk aus aller Welt Zungen, / Das sei dir Herr zu Lob gesungen. / Hallelujah, Hallelujah. // [2.] Du heiliges Licht edler Hort, / Laß leuchten uns des Lebens Wort, / Und laß uns Gott recht erkennen, / Von Herzen Vater ihn nennen! / O Herr behüt vor fremder Lehr, / Daß wir nicht Meister suchen mehr / Denn Jesum Christ mit rechtem Glauben, / Und ihm aus ganzer Macht vertrauen. / Hallelujah, Hallelujah. // [3.] Du heilige Glut, süßer Trost, / Nun hilf uns fröhlich und getrost / In deinem Dienst beständig bleiben, / Daß Trübsal uns nicht abtreiben. / Durch deine Kraft Herr uns bereit, / Und stärk des Fleisches Blödigkeit, / Daß wir hier ritterlich ringen, / Durch Tod und Leben zu dir dringen. / Hallelujah, Hallelujah. // (Luther.) Nach dem Gebet. – Mel. Helft mir Gott’s etc. [1.] Du Führer unsers Lebens, / Du gnadenreicher Geist, / Dein Licht strahlt nicht vergebens, / Nein kräftig unterweist. / Die sich von Gott entfernt, / Läßt du den Weg jezt wissen, / Auf dem aus Finsternissen / Man ewges Leben lernt. // [2.] Du zeigst geheime Sachen, / Die kein Verstand erdenkt, / Die Gott nur kund kann machen, / Die er den Seinen schenkt, / Was wahren Glauben nährt, / Was rechte Lieb entzündet, / Was feste Hoffnung gründet, / Das wird von dir gelehrt. // Chor. [3.] Senke Gottes Geist dich auf uns herab, / Fülle die Herzen deiner Gläubigen, / Und zünde das Feuer der reinen Liebe in ihnen an. / Komm, o Tröster, Gottes Geist, senke dich auf uns herab, / Der du aus allen Völkern gesammelt die Heerde. // Einzelne Stimmen. Halte sie einig und treu dem Hirten. // Chor. Hallelujah, Hallelujah. // Choral. – Mel. Du Geist des Herrn etc. Chor. [1.] Führ über uns der Wahrheit hellen Morgen, / Und schleuß uns auf was noch vor uns verborgen, / Wahrhaftger Geist, erleuchte du den Geist, / Daß er verläßt was falsch und irrig heißt. // [2.] Dir sei das Herz nun gläubig übergeben, / Entsündge du und schaff ein neues Leben, / Du Freudengeist verleih uns deine Kraft, / Die Freude, Trost und Frieden in uns schaft. // Gemeinde. [3.] Laß reiner Geist mich deine Wirkung spüren, / Zur Heiligung soll sie mich immer führen. / Du Gottesflamm’! entzünde mein Gebet / Zu reiner Andachtsglut, die nichts verweht. //

592

Anhang

Nach der Predigt. – Mel. Wachet auf etc. Gottes Geist, du Geist der Liebe / Beleb’ auch unsers Herzens Triebe / Der großen Gaben werth zu sein! / Geuß ins Herz der Liebe Flammen, / Daß wir geschwisterlich beisammen / In deinem Tempel uns erfreun. / In Eintracht singen wir / Als deine Kinder dir, / Dir o Vater! du segnest gern, / Bist nie uns fern, / Wir folgen dir dem guten Herrn. //

[Liederblatt vom 7. Oktober 1821:] Am 16. Sonnt. nach Trinit. 1821. Vor dem Gebet. – Mel. Herzlich thut mich verlangen etc. [1.] Er hat uns heißen treten, / O Gott, dein lieber Sohn, / Mit Seufzen und mit Beten, / Vor deinen hohen Thron, / Und uns mit theurem Amen / Erhörung zugesagt, / Wenn man in seinem Namen / Nur bittet, fleht und klagt. // [2.] Darauf komm ich gegangen / In dieser Morgenstund: / Ach, laß mich doch erlangen, / Was ich aus Herzensgrund / An dich, mein Gott, begehre, / Im Namen Jesu Christ, / Und gnädig mir gewähre, / Was Seelen nützlich ist. // [3.] Nicht aber mir zu geben, / Bitt ich aus deiner Hand: / Geld, Gut und langes Leben, / Nicht hohen Ehrenstand; / Denn dieses ist nur nichtig, / Und lauter Eitelkeit, / Vergänglich, schwach und flüchtig, / Und schwindet mit der Zeit. // [4.] Ich bitte mir zu schenken / Ein fromm und keusches Herz, / Das nimmermehr mag denken / Auf sündenvollen Scherz, / Das stets mit Liebe flammet / Zu dir, Gott, himmelan, / Und alle Lust verdammet / Der lastervollen Bahn. // (G. Neumann.) Nach dem Gebet. – Mel. Valet will ich dir geben etc. [1.] Du meine Seele singe, / Wohlauf und singe schön, / Dem, welchem alle Dinge / Zu Dienst und Willen stehn! / Ich will den Herren droben, / Hie preisen auf der Erd, / Ich will ihn herzlich loben / So lang ich leben werd. // [2.] Wohl dem, der einzig schauet / Nach Jacobs Gott und Heil! / Wer dem sich anvertrauet, / Der hat das beste Theil, / Das höchste Gut erlesen, / Den schönsten Schatz geliebt, / Sein Herz und ganzes Wesen, / Bleibt ewig unbetrübt. // [3.] Hier sind die starken Kräfte, / Die unerschöpfte Macht; / Das weisen die Geschäfte, / Die seine Hand gemacht! / Der Himmel und die Erde / Mit ihrem ganzen Heer, / Der Fisch’ unzählig Heerde / Im großen wilden Meer. // [4.] Hier sind die treuen Sinnen, / Die niemand Unrecht thun, / All’n denen Gutes gönnen, / Die in der Treu beruhn. / Gott hält sein Wort mit Freuden, / Und was er spricht, geschicht, / Und wer Gewalt muß leiden, / Den schützt er im Gericht. // [5.] Er weiß viel tausend Weisen / Zu retten aus dem Tod, / Er nährt und giebet Speisen / Zur Zeit der Hungersnoth, / Macht schöne rothe Wangen / Oft bei geringem Mahl, / Und die da sind gefangen, / Die reißt er aus der Qual. // [6.] Er ist das Licht der Blinden, / Erleuchtet ihr Gesicht, / Und die sich schwach befinden, / Die stellt er aufgericht; / Er liebet

Liederblätter

593

alle Frommen, / Und die ihm günstig sind, / Die finden, wenn sie kommen, / An ihm den besten Freund. // [7.] Er ist der Frommen Hütte, / Die Waisen nimmt er an, / Erfüllt der Wittwen Bitte, / Wird selbst ihr Trost und Mann; / Die aber, die ihn hassen, / Bezahlet er im Grimm, / Ihr Haus und wo sie saßen, / Das wirft er üm und üm. // Nach der Predigt. [8.] Ach ich bin viel zu wenig, / Zu rühmen seinen Ruhm! / Der Herr ist ewig König, / Ich eine welke Blum! / Jedoch weil ich gehöre / Gen Zion in sein Zelt; / Ists billig, daß ich mehre / Sein Lob vor aller Welt. // (P. Gerhard.)

[Liederblatt vom 30. Juni 1822:] Am 4. Sonnt. nach Trinit. 1822. Vor dem Gebet. – Mel. Wie schön leuchs’t uns etc. [1.] Hallelujah, Lob, Preis und Ehr / Sei unserm Gott je mehr und mehr / Für alle seine Werke! / Sein ist das Reich, die Herrlichkeit, / Weit über alle Himmel weit / Herrscht er mit Huld und Stärke. / Singet, bringet frohe Lieder, / Fallet nieder / Zu erheben / Ihn, durch den wir sind und leben. // [2.] Hallelujah, Dank, Preis und Ruhm, / Sei von uns, deinem Eigenthum, / Sohn Gottes dir gesungen! / Du Mittler zwischen uns und Gott, / Hast durch Gehorsam bis zum Tod / Das Leben uns errungen. / Heilig, selig ist die Freundschaft / Und Gemeinschaft / Aller Frommen, / Die durch dich zum Vater kommen. // [3.] Hallelujah, Gott heilger Geist, / Sei ewiglich von uns gepreist, / Durch den wir neu gebohren, / Der uns mit Glauben ausgeziert / Und uns dem Heiland zugeführt, / Zur Seligkeit erkohren. / Leit uns, stärk uns, daß, in Freude / Wie im Leide / Gott ergeben, / Wir zu seiner Ehre leben. // Nach dem Gebet. – Mel. Nun danket alle etc. [1.] Im Dunkel lag die Welt, / Mit Elend schwer beladen; / Doch Gott erbarmte sich / Der Sünderwelt aus Gnaden: / Ein Bote Gottes ruft / Und bricht dem Herrn die Bahn, / Er kündigt Israel / Den lang verheißnen an. // [2.] Er geht vor ihm voran, / Des Volkes Warner, Lehrer, / Am Geiste stark, ein Licht, / Ein mächtiger Bekehrer, / Ein Eiferer für Gott, / Der ohne Schonung straft; / Auf seinem Geiste ruht / Elias Geist und Kraft. // [3.] Kühn tritt er auf und lehrt, / Ruft laut am Jordanflusse. / Das Himmelreich ist nah, / Bereitet euch, thut Buße! / Der Allbarmherzge hat / Sein seufzend Volk besucht, / Gott will erlösen, büßt, / Und Beßrung sei die Frucht! // [4.] So zeugt vom neuen Heil / Der Wahrheit treuer Lehrer; / Er weist zu Jesu hin / Die heilsbegiergen Hörer. / Seht das ist Gottes Lamm, / Das Aller Schulden trägt, / Gott hat der Sünde Fluch / Auf seinen Sohn gelegt. // [5.] Wohl dem, der diesen Christ / Auf den Johannes weiset, / Mit festem Glauben sucht, / Durch heilges Leben preiset! / Wer, seines Namens werth, / Sich Christo ganz ergiebt, / Der wird in ihm von Gott / Begnadigt und geliebt. // [6.] Das sei auch unser

594

Anhang

Trost! / Des Täufers Amt und Lehre / Verklär’ auch unter uns, / Gott, deines Namens Ehre. / Wer Buße thut und glaubt, / Hat Trost schon in der Zeit, / Und, endet er den Lauf, / Dort Himmelsseligkeit. // (Schlegel.) Nach der Predigt. – Mel. O du Liebe etc. Fest steht nun des Herrn Gemeine, / Fest auf rechtem Felsengrund; / Selbst das Toben ihrer Feinde / Macht nur ihre Siege kund. / Denn des Geistes Himmelsgaben / Wirken mächtig fort und fort; / Ueber alles nun erhaben, / Sieger der Versöhnung Wort. //

[Liederblatt vom 22. September 1822:] Am 16. Sonnt. nach Trinit. 1822. Vor dem Gebet. – Mel. Jesu meine Freude etc. [1.] Meine Seel ist stille / Zu Gott, dessen Wille / Mir zu helfen steht, / Mein Herz ist vergnüget / Mit dem was Gott füget, / Nimmt an wie es geht, / Geht es nur dem Himmel zu / Und bleibt Jesus ungeschieden, / So bin ich zufrieden. // [2.] Meine Seele hanget / An dir und verlanget, / Gott, bei dir zu sein / Aller Ort und Zeiten / Und mag keinen leiden / Der ihr rede ein; / Von der Welt, Lust, Ehr und Geld / Wonach soviel sind beflissen: / Mag sie gar nicht wissen. // [3.] Nein, ach nein, nur Einer, / Sagt sie, und sonst keiner / Wird von mir geliebt! / Jesus, der Getreue, / In dem ich mich freue, / Der sich ganz mir giebt: / Er allein, er soll es sein, / Dem ich wieder mich ergebe / Und ihm einzig lebe. // [4.] Gottes Güt erwäge! / Und dich gläubig lege / Sanft in seinen Schooß! / Lerne ihm vertrauen, / So wirst du bald schauen / Wie die Ruh so groß, / Die da fleußt aus stillem Geist. / Wer sich weiß in Gott zu schicken, / Den kann er erquicken. // (J. E. Schade.) Nach dem Gebet. – Mel. Herzliebster Jesu, was hast etc. [1.] Der du geschworen hast zu Jesu Fahnen, / Sieh, er führt dich auf seine Leidensbahnen; / Ihm nachzufolgen, dies sei deine Freude / In Kreuz und Leide! // [2.] Dein Heiland will, du sollst ihm ähnlich werden, / Wie er hier war, so sollst du sein auf Erden, / Wie er gesinnt, wie er so treu ergeben / Nur Gott zu leben. // [3.] Er will dich in sein heil’ges Bild gestalten, / Von ihm hast du den Gnadenruf erhalten, / Der dich berief in seinen Leidenstagen / Sein Bild zu tragen. // [4.] Er hat als Mensch das Alles selbst erfahren / Was Armuth, Schmerzen, Seelenleiden waren; / Erbarmungsvoll blickt er nun auf die Seinen, / Die leidend weinen, // [5.] Er kann, er will nun helfen allen denen, / Auf immer trocknen aller derer Thränen, / Die freudig hier sein Joch auf sich zu nehmen / Sich gern bequemen. // [6.] Er gab die Leiden dir, um dich zu üben / In Demuth, Sanftmuth, in der Treu, im Lieben, / Durch sie wird rein dein Herz und sanft und milde / Nach Jesu Bilde. // [7.] Er will wie Gold im Feuer dich bewähren, / Die Flamme soll dich läutern, nicht verzehren, / Nach überstandner Prüfung kurzer Tage / Weicht deine Klage. //

Liederblätter

595

[8.] Dann wirst du ihm noch Freudenopfer bringen / Und seiner Treue Hallelujah singen, / Wenn er in dir, nachdem er dich bewähret, / Sein Bild verkläret! // (Oswald.) Nach der Predigt. – Mel. Wachet auf ruft uns etc. Jesu stärke deine Kinder / Und mache die zu Ueberwinder, / Die du erkauft mit deinem Blut. / Schaffe in uns neues Leben, / Daß wir uns stets zu dir erheben / Wenn uns entfallen will der Muth. / Geuß aus auf uns den Geist, / Dadurch die Liebe fleuß / In die Herzen: / So halten wir, getreu an dir / Im Tod und Leben für und für. //

[Liederblatt vom 6. Oktober 1822:] Am Erndtefest. Vor dem Gebet. – Mel. Wer nur den lieben Gott etc. [1.] Du milder Geber aller Gaben, / Herr, dir gebühret Ruhm und Dank. / Du hörst das Schrein der jungen Raben, / So wie der Lerche Lobgesang. / Mein lauter Dank steigt jetzt zu dir; / O nimm ihn gnädig an von mir! // [2.] Du sorgest liebevoll und weise / Für alle Werke deiner Hand; / Giebst Allem, was da lebet, Speise, / Beschirmst und segnest jedes Land; / Du liebest unveränderlich, / Der Bösen selbst erbarmst du dich. // [3.] Der Erdkreis ist von deiner Güte, / Von deiner Weisheit ist er voll. / O, daß mit freudigem Gemüthe / Ich so dir dankte wie ich soll! / Ja, ewig sei von mir geliebt, / Gott, der mir so viel Gutes giebt. // (Liebich.) Nach dem Gebet. – Mel. Sei Lob und Ehr dem etc. [1.] Die Himmel preisen deine Macht / Mit allen ihren Heeren, / Und ihrer Wunder hohe Pracht / Strahlt, Schöpfer! dir zu Ehren. / Was deine Weisheit, Gott, vermag, / Lehrt jeder Tag den andern Tag, / Und jede Nacht die andre. // [2.] Gleich einem Bräutigam geschmückt, / Geht aus des Morgens Pforten / Die Sonn’ hervor, erfreut, entzückt / Die Menschen aller Orten; / Sie eilet rüstig wie ein Held / Von einer Welt zur andern Welt / Den Weg, den du sie führest. // [3.] Dir tönt das Loblied der Natur; / Es rauschen’s Flüss’ und Meere. / Dich rühmen Wald und Thal und Flur, / Dich alle Wesenheere. / Wem ruft nicht Sturm und Donner zu: / Der Herr ist Gott! Wem ließest du / Dich, Schöpfer, unbezeuget. // [4.] Doch deiner Schöpfung Unterricht / Verstanden selbst die Weisen / Mit allem ihrem Forschen nicht, / Und lernten nicht dich preisen / Was wüßten wir, wenn deinen Ruhm, / O Gott, dein Evangelium / Uns nicht verkündet hätte. // [5.] Was gießest Du, o Wort des Herrn, / In unser Herz für Wonne! / Mehr Schimmer, als der Morgenstern, / Mehr Strahlen als die Sonne. / Wie heiligest, und o wie schmückst / Du unsre Seelen! wie beglückst / Du uns mit deinen Lehren! // [6.] Drum wohne hier, wohn’ immer rein / In dieser heilgen Stille, / Daß in des Irrthums Nacht dein

596

Anhang

Schein / Die Wahrheit uns enthülle! / Von jedem Tempel ström’ er aus, / Ström’ Heiterkeit in jedes Haus, / In jede niedre Hütte. // (Jauer Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Lobe den Herren den etc. [1.] Preis dir! Allherscher! Es schalle der Jubel der Chöre / Weit aus dem Tempel, damit auch der Einsame höre, / Daß durch Gesang / Deine Gemeine dir Dank, / Liebe und Anbetung schwöre! // [2.] Herr du erneutest auch dies Jahr die Fruchtkraft der Erde / Prächtig entstand dann der Seegen des Machtworts: Es werde / Gieb nun auch Kraft. / Dem was dein Geist in uns schafft: / Seegne das Volk deiner Heerde! //

[Liederblatt vom 17. August 1823:] Am 12ten Sonntage nach Trinitatis 1823. Vor dem Gebet. – Mel. Preis, Lob, Ehr, Ruhm etc. [1.] Komm beuge dich mein Herz und Sinn / Vor Christi Throne tief darnieder! / Zu seinen Füßen sinke hin / Und bring ihm deines Dankes Lieder! / Erkenne wie du selbst aus dir nichts bist, / Wie Gott in dir und Allen alles ist. // [2.] Wo wär’ in dir ein Funken Kraft, / Wenn du sie nicht erlangt von oben? / Wer hat dir Fried und Ruh geschafft / Vor aller deiner Feinde Toben? / Wer bändigte des Bösen finstre Macht? / Wer hat die Wahrheit stets ans Licht gebracht? // [3.] Ja deine Hand hat uns gefaßt, / Und über all Verdienst und Hoffen, / Hinweggethan der Sünde Last, / Daß nun der Himmel uns steht offen. / Du machst das Herz von Furcht und Zweifel leer, / Und sel’ger Friede waltet um uns her. // [4.] Was zwischen uns sich drängen will, / Hat deine Kraft gar bald vernichtet; / Du hältst den Tempel rein und still, / Den du dir selbst in uns errichtet. / Ja fest besteht sie nun, die Herrlichkeit, / Zu der in dir der Vater uns geweiht. // [5.] Du überschüttest uns mit Lieb’, / Und reinigst Herzen Mund und Sinnen. / Daß wir aus deines Geistes Trieb / Dich immer lieber noch gewinnen. / Du drückst dem Geist der Reinheit Siegel auf, / Daß unbefleckt wir enden unsern Lauf. // [6.] So nimm dafür zum Opfer hin / Uns selbst mit allem was wir haben; / Nimm Leib und Seel, nimm Herz und Sinn / Zum Eigenthum statt andrer Gaben. / Bereite selbst dir aus der Schwachen Mund / Ein würdig Lob; mach deinen Namen kund. // [7.] Hiezu gieb Einen Sinn und Muth, / Halt deine Gläubgen fest zusammen, / Daß unser Herz voll heilger Glut / Entbrenn in deiner Liebe Flammen. / Zu deinem Thron steigt unser Dank empor, / Bis würd’ger er erschallt im höhern Chor. // Nach dem Gebet. – Mel. Was mein Gott etc. [1.] Der Glaube ists, der Wunder schafft, / Kann’s gleich die Welt nicht fassen, / Was Gott gefällt wirkt seine Kraft, / Wenn wir ihn walten lassen. / Wer nur recht freudig glauben kann, / Der wird sein Ziel erreichen; / Denn ihm ist alles unterthan, / Ihm müssen Berge weichen. // [2.] Der, deß die Welt nicht würdig war, / Hat selbst am Kreuz gehangen, / Doch siegreich ist er

Liederblätter

597

seiner Schaar / Zu Gott vorangegangen. / Ihm gehn die Glaubenshelden nach, / Die seine Zeugen waren; / Sie stehen muthig in der Schmach, / In Trübsal und Gefahren. // [3.] Ja kühn und sicher wandelt der, / Der Christo sich ergeben, / Voll Zuversicht im wilden Meer, / Im Tod noch voller Leben. / Froh schauen wir die Tapferkeit / Der Streiter unsres Fürsten, / Und lachen der Verwegenheit, / Die nur nach Blut will dürsten. // [4.] So laßt auch uns in Christi Schuz, / Der Feinde Heer vertreiben, / Und allem Hohngeschrei zum Truz / Mit unsern Vätern gläuben. / Denn wer den Herrn zum Beistand hat, / Das Herz voll seiner Freuden, / Der wird auch gern durch seine Gnad’ / Um seinetwillen leiden. // (Ges. B. d. Br. Gem.) Nach der Predigt. – Mel. Jesu clemens etc. [1.] Gieb uns Kraft die Seligkeiten / Deiner Liebe auszubreiten, / Auch der Leiden und der Thränen / Derer die nach dir sich sehnen. // [2.] O unendlich hohes Wesen, / In dem wir allein genesen, / Mach uns würdig dich zu sehen. / In den Himmel einzugehen. //

[Liederblatt vom 31. August 1823:] Am 14ten Sonntage nach Trinitatis 1823. Vor dem Gebet. – Mel. Schmücke dich, o liebe Seele etc. [1.] Zeige dich uns ohne Hülle! / Ström’ auf uns der Gnade Fülle, / Daß an diesem Gottestage / Unser Herz der Welt entsage; / Daß, o du, der starb vom Bösen / Uns Gefallne zu erlösen, / Daß die glaubende Gemeine / Mit dem Vater sich vereine! // [2.] O, daß frey von Erdebürden / Und der Sünde Lasten würden / Unsre Seelen, unser Wille / Sanft wie diese Sabbatsstille! / Daß in deines Himmels Höhen / Wir von fern den Ausgang sähen / Jenes Lichts, das dann verkläret, / Wann der Sabbat ewig währet! // [3.] Was ich strahlen seh’ am Throne, / Ist es nicht der Sieger Krone? / Was ich überm Grab einst höre, / Sinds nicht Ueberwinderchöre? / Feyernd tragen sie die Palmen: / Ihr Triumph erschallt von Psalmen. / Herr, du selber wollst mich weihen / Diesem Sabbat deiner Treuen! // [4.] Decke meiner Blöße Schande / Mit dem festlichen Gewande / Deiner Unschuld, daß am Tage / Deines Mahls ich froh es wage, / Dort zu wandeln, wo voll Gnaden / Deine Schaar du eingeladen; / Wo nicht mehr die Streiter ringen, / Wo sie Siegeslieder singen. // (Baier. Ges.) Nach dem Gebet. – Mel. Wer nur den lieben Gott läßt etc. [1.] Der wahren Christen ganzes Leben / Ist eine stete Ritterschaft, / Darein hab ich mich auch ergeben, / Und bleib darinn, durch Gottes Kraft: / Gewiß ist, wer hier überwind’t, / Dort Herrlichkeit ohn Ende find’t. // [2.] Kein wahrer Christ ist ohne Leiden, / Gleich wie kein Krieger ohne Feind: / Die Kron’ ist denen nur bescheiden, / So in dem Kampfe Helden sind: / Drum nur frisch und getrost gelitt’n, / Und so den Ehrenkranz erstritt’n! // [3.] Was ist die Trübsal dieses Lebens? / Ein kurzes Weh, ein kleines Ach; / Es darf ein

598

Anhang

wenig Widerstrebens, / So ist besiegt das Ungemach: / Drauf folget große Freud’ und Wonn’, / Auf trübe Nacht die helle Sonn’. // [4.] Zwar Fleisch und Blute pflegts zu grauen, / Es hält das Kreuz für überschwer; / Die aber auf das Künft’ge schauen, / Die fürchten sich davor nicht sehr, / Sie sehen, daß ein Quentlein Müh / Wohl Centnerfreude nach sich zieh. // [5.] Das kann und will ich sicher setzen, / Daß alles Leiden dieser Zeit / Nicht werth noch würdig sei zu schätzen / Der übergroßen Herrlichkeit. / Die nach dem Elend dieser Erd’n / An uns soll offenbaret werd’n. // [6.] Wohlan! so laß denn Noth und Plagen / Nur auf mich dringen rings umher: / Ich bin bereit mich durchzuschlagen; / Glaub’ und Gebet ist mein Gewehr: / Ich kann dabei gar nichts verliern, / Mich wird noch jene Krone ziern. // (Freilingsh. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Wer nur den lieben Gott läßt etc. Hilf, Jesu, mir im Glauben kämpfen. / Und durch dein Blut und meine Tauf, / Welt, Teufel, Sünd und Hölle dämpfen, / Wohl führ’n und enden meinen Lauf, / Daß wenn des Glaubens Kampf geschehn, / Ich deine Herrlichkeit mag sehn. //

[Liederblatt vom 14. September 1823:] Am 16ten Sonntage nach Trinitatis 1823. Vor dem Gebet. – Mel. Herr ich habe mißgehandelt etc. [1.] Gottes Geist send’ heilge Stille / In den Kreis der Betenden! / Gieße hoher Andacht Fülle / In das Herz der Hörenden, / Daß sie sich der Welt entschwingen, / Und voll Ehrfurcht beten, singen! // [2.] Zeig’, o Jesu, deinem Volke / Deiner Sendung hohen Zweck! / Treibe banger Zweifel Wolke / Von des Hörers Seele weg! / Lehr’ uns glauben, hoffen, lieben, / Schmach erdulden, Demuth üben. // [3.] Tröste, die mit Gram im Herzen / Zu dir, bester Vater, flehn! / Mildre huldvoll ihre Schmerzen, / Und gewähr’ der Demuth Flehn! / Sende Wittwen, Waisen, Armen / Hülfe, Beistand und Erbarmen! // [4.] Vorwärts laß uns alle dringen / Auf dem rechten Lebenspfad, / Daß wir reiche Früchte bringen, / Streuen ewger Erndte Saat! / Gieb daß wir einst mit Entzükken, / Auch auf diesen Tag noch blicken. // (Jauersch. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Jesus meine Zuversicht etc. [1.] Jesus ist des Höchsten Sohn, / Beugt euch tief vor ihm im Staube! / Er ist Gott, ist Gottes Sohn, / Wiederhol’ es laut, mein Glaube; / Rühm’s voll Dank, daß Jesus Christ / Seiner Welt Erlöser ist! // [2.] Eh’ er seinen Thron verließ, / Lag die Welt mit Nacht bedecket, / Die Vernunft mit Finsterniß, / Und das Herz mit Greul beflecket. / Wie der Mensch, so roh, so todt, / Also dacht’ er seinen Gott. // [3.] Heil! Er kommt; da öffnen sich / Jenes ewgen Lebens Pforten! / Menschen werden brüderlich, / Dienen ihm an allen Orten; / Nicht die Furcht, nicht Sclavensinn, / Liebe führt zu Gott sie hin. // [4.] Nein, was dieser Mund gelehrt, / Hatte nie ein Ohr vernommen; / Nein, so war des

Liederblätter

599

Menschen Werth / Noch in keines Herz gekommen: / Nur durch Jesum, Gottes Sohn, / Stieg der Mensch zu Gottes Thron. // [5.] Daß mein Herz ihm ganz vertraut, / Daß es keine Schickung scheuet. / Daß es weiß, auf wen es baut, / Wenn es fehlt, wer ihm verzeihet! / Ja, den Weg zum Licht hinauf, / Dies Geheimniß schloß er auf. // [6.] Hochgelobter Gottessohn, / Dir verdank’ ich’s, daß ich glaube; / Du gewährst mir wahren Lohn, / Und Verklärung meinem Staube. / Hier wall’ ich im dunkeln Ort, / Ganz erkenn’ ich einst dich dort. // (Reiber.) Nach der Predigt. – Mel. O der alles hätt’ verloren etc. [1.] O wie liebst du, Herr, die Deinen! / Zärtlich, ewig liebst du sie! / Tröstest die, die trostlos weinen, / Nie verläßest du sie, nie! // [2.] Jesus Christus, Quell des Lebens, / Freundlich ist dein Angesicht! / Dir vertrau ich nicht vergebens, / Wer dir glaubet, stirbet nicht. // (Lavater.)

[Liederblatt vom 28. September 1823:] Am 18ten Sonntage nach Trinitatis 1823. Vor dem Gebet. – Mel. Gott des Himmels etc. [1.] Komm, o komm du Geist des Lebens, / Wahrer Gott von Ewigkeit! / Deine Kraft sei nicht vergebens, / Sie erfüll’ uns jederzeit! / So wird Licht und heller Schein / In den dunklen Herzen sein. // [2.] Laß dein Zeugniß uns empfinden, / Daß wir Gottes Kinder sind, / Und auf seine Gnad uns gründen, / Wenn sich Noth und Trübsal findt, / Weit des Vaters Liebesruth / Uns ist allewege gut. // [3.] Gieb in unser Herz und Sinnen / Weisheit, Rath, Verstand und Zucht, / Daß wir anders nichts beginnen, / Als was Christo bringet Frucht! / Mache sein’ Erkenntniß groß, / Uns von allem Irrthum los! // [4.] Treib uns, daß vor Gott wir treten, / Frei mit aller Freudigkeit, / Seufz auch in uns, wenn wir beten, / Und vertritt uns allezeit; / So wird jede Bitt’ erhört, / Denn der Glaube wird vermehrt. // [5.] O du Geist der Kraft und Stärke, / Du gewisser neuer Geist! / Fördre deine heilgen Werke, / Wo man Christi Namen preist! / Rüst’ uns kräftig aus zum Krieg, / Und erkämpf in uns den Sieg! // Nach dem Gebet. – Mel. Nun lob mein’ Seel’ etc. [1.] Frohlockt zu Gottes Ruhme! / Fest steht die ihm geweihte Stadt, / Die ihm zum Heiligthume, / Des Menschen Sohn erbauet hat; / Erfüllt von hoher Klarheit, / Freut sie sich ihres Herrn; / Er wohnt mit seiner Wahrheit / In ihren Tempeln gern. / Oft wie von Meereswogen, / Ward sie bedroht vom Krieg: / Umsonst, die Feinde zogen / Vorbei, und ohne Sieg. // [2.] Auf Felsengrund erbauet, / Ward sie zu Gottes Stadt erhöht, / Sie, die nur ihm vertrauet, / Und ewig durch sein Wort besteht. / Von ihren Bergen funkelt / Der Wahrheit Sonnenlicht, / Durch Wolken nicht verdunkelt, / Die es mit Macht durchbricht. / Dem falschen Wahn entrissen, / Sucht die Gemein den Herrn, / Und

600

Anhang

reinigt ihr Gewissen, / Scheut ihn und dient ihm gern. // [3.] Frohlocke Kirche, singe, / Erhebe deines Königs Ruhm, / Breit aus sein Reich, und bringe / Die Sünder all’ in’s Heiligthum, / Daß sie gereinigt werden, / Daß sie, von dir erhellt, / Ihn lieben, und auf Erden / Gern thun was ihm gefällt: / Bis alles Volk erneuert, / Und in dein Licht verklärt, / Ein Fest des Friedens feiert, / Das ewig, ewig währt. // Nach der Predigt. – Mel. Nun bitten wir den heiligen Geist etc. [1.] O Strom des Lebens ergieße dich, / Und was dich hindern will, das durchbrich / Heil durch deine Salbung alle die Kranken, / Die, sich zu stärken, zum Kreuze wanken, / Das ist dein Amt. // [2.] Verbind uns izo zur Stund aufs neu / Zu einer heiligen Brudertreu, / Schüz auch alle Helden in Gottes Kriegen, / Und laß uns überall gläubig siegen, / Du Geist des Herrn. //

[Liederblatt vom 7. März 1824:] Am Sonntage Invocavit 1824. Vor dem Gebet. – Mel. Freu dich sehr, o meine etc. [1.] Wir sind alle Jesu Glieder / Und mit seinem Blut erkauft, / Darum komm’ auf uns hernieder, / Geist, der uns mit Feuer tauft. / Lenke du den ernsten Sinn / Auf des Heilands Leiden hin, / Hilf daß wir es würdig feiern, / Sein Gedächtniß fromm erneuern. // [2.] Stell den Mittler unsers Bundes / Uns in seiner Würde vor, / Bring die Reden seines Mundes / Vor das aufgeschlossne Ohr! / Führ uns nach Gethsemane, / Daß dort unser Aug’ ihn seh, / Wie des Todes Macht ihn schrecket / Und ihn blutger Schweiß bedecket. // [3.] Geh mit uns dem Opferlamme / Auf dem blutgen Pfade nach / Zeig’ uns an dem Kreuzesstamme / Seine Hoheit, seine Schmach / Um sein festes Gottvertraun; / Und des Heilgen Tod zu schaun, / Trag uns auf der Andacht Flügel / Zu dem nachtbedeckten Hügel. // [4.] Die begnadigte Gemeinde / Blickt zu deinem Haupt empor / Zu dem göttlich großen Freunde, / Den zum Retter Gott erkor. / Schöpfe Wonn’ und Seligkeit / Dir aus seiner Leidenszeit, / Reiß dich los von dem Getümmel, / Und dein Wandel sei im Himmel. // Nach dem Gebet. Chor. Der Weltversöhner ist bereit / Sein Leiden anzutreten, / Er geht in stiller Einsamkeit / Zu kämpfen und zu beten. / Dort hingesunken auf die Knie / Arbeitet er in schwerer Müh, / Er betet, kämpft und zaget. / Er wünscht den heißen Kampf verkürzet; / Wer sieht’s und höret nicht bestürzt, / Wie leidenvoll er klaget? // Fürwahr er trug unsre Krankheit, und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplaget und von Gott geschlagen und gemartert wäre. //

Liederblätter

601

Gemeine. – Mel. Herzliebster Jesu etc. [1.] Herr stärke mich dein Leiden zu bedenken, / Mich in das Meer der Liebe zu versenken, / Die dich bewog von aller Schuld des Bösen / Uns zu erlösen. // [2.] O Herr, mein Heil, an dessen Tod ich glaube, / Ich liege hier vor dir gebückt im Staube, / Verliere mich mit dankendem Gemüthe / In deiner Güte. // [3.] O welche Liebe, Jesu, welche Treue! / Du leidest, daß der Mensch sich ewig freue, / Ach laß uns nie mit zweifelnden Gedanken / Im Glauben wanken. // Chor. Er war der allerverachtetste und unwertheste voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg. // [4.] Gott ist gerecht, ein Richter alles Bösen, / Gott ist die Lieb’ und läßt die Welt erlösen; / Dies kann mein Geist mit Schrecken und Entzücken / Am Kreuz erblicken. // Christus hat mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet, die geheiliget werden. // [5.] So hat der Leiden dunkle Nacht, / Dem Weltkreis Licht und Heil gebracht, / Der Frommen trosterfülltes Herz / Lobpreiset Jesu Todesschmerz. // Gemeine. – Mel. Nun laßt uns den Leib etc. Mit Dank und Freude folgen wir / Dir unser Herr und Retter hier, / Dort führst du nach vollbrachter Zeit, / Uns zu des Himmels Herrlichkeit. // Nach der Predigt. – Mel. Jesu meine Freude etc. Segne mein Bestreben / Dir allein zu leben; / Gieb mir deinen Sinn! / O was kann mir fehlen, / Retter meiner Seelen, / Wenn ich treu dir bin; / Du wirst mich, ich hoff’ auf dich, / Einst gewiß von allem Bösen, / Dir zum Ruhm erlösen. //

[Liederblatt vom 29. August 1824:] Am 11ten Sonntage nach Trinitatis 1824. Vor dem Gebet. [1.] Allein Gott in der Höh sei Ehr / Und Dank für seine Gnade, / Darum, daß nun und nimmermehr / Uns rühren kann kein Schade: / Ein’n Wohlgefall’n Gott an uns hat; / Nun ist groß Fried’ ohn Unterlaß, / All Fehd’ hat nun ein Ende. // [2.] Wir loben, preis’n, anbeten dich, / Für deine Ehr wir danken; / Daß du, Gott Vater! ewiglich / Regierst ohn alles Wanken. / Ganz unermess’n ist deine Macht, / Fort geschieht, was dein Will hat bedacht, / Wohl uns des feinen Herren! // [3.] O Jesu Christ! Sohn eingeborn, / Deines himmlischen Vaters, / Versöhner der’r die war’n verlorn, / Du Stiller unsers Haders; / Lamm Gottes! heil’ger Herr und Gott! / Nimm an die Bitt von unsrer Noth, / Erbarm dich unser aller! // [4.] O heilger Geist, du höchstes Gut! / Du all’rheilsamster Tröster! / Vors Teufels G’walt fortan behüt, / Die

602

Anhang

Jesus Christus erlöset / Durch große Mart’r und bittern Tod; / Abwend all unsern Jamm’r und Noth, / Dazu wir uns verlaßen. // Nach dem Gebet. – Mel. Wer nur den lieben Gott etc. [1.] Aus Gnaden soll ich selig werden. / Herz! gläubst du’s, oder gläubst du’s nicht? / Was willst du dich so blöd geberden? / Ists Wahrheit, was die Schrift verspricht? / So muß auch dieses Wahrheit sein: / Aus Gnaden ist der Himmel dein. // [2.] Aus Gnaden! Hier gilt kein Verdienen, / Die eignen Werke fallen hin: / Gott, der aus Lieb’ im Fleisch erschienen, / Hat diese Ehre zum Gewinn, / Daß uns sein Tod das Heil gebracht, / Und uns aus Gnaden selig macht. // [3.] Aus Gnaden! Merk dies Wort: aus Gnaden! / So oft dich deine Sünde plagt, / So oft dir will der Satan schaden, / So oft dich dein Gewissen nagt: / Was die Vernunft nicht fassen kann, / Das beut dir Gott aus Gnaden an. // [4.] Aus Gnaden kam sein Sohn auf Erden / Und übernahm die Sündenlast; / Was nöthigt ihn, dein Freund zu werden? / Sags, wo du was zu rühmen hast? / Wars nicht, daß er dein Bestes wollt, / Und dir aus Gnaden helfen sollt? // [5.] Aus Gnaden! / Dieser Grund wird bleiben, / So lange Gott wahrhaftig heißt: / Was alle Knechte Jesu schreiben, / Was Gott in seinem Wort anpreist, / Worauf all unser Glaube ruht, / Ist Gnade durch des Lammes Blut. // [6.] Aus Gnaden! Doch du sichrer Sünder, / Denk nicht: wohlan! ich greif auch zu, / Wahr ists, Gott rufet Adams Kinder / Aus Gnaden zur verheißnen Ruh; / Doch nimmt er nicht aus Gnaden an, / Wer noch aufs neue sünd’gen kann. // [7.] Aus Gnaden! Wer dies Wort gehöret, / Tret’ ab von aller Heuchelei. / Denn, wenn der Sünder sich bekehret, / So lernt er erst, was Gnade sei. / Beim Sünd’gen scheint die Gnad gering; / Dem Glauben ists ein Wunderding. // [8.] Aus Gnaden bleibt dem blöden Herzen / Das Herz des Vaters aufgethan, / Wenn’s unter größter Angst und Schmerzen / Nichts fleht und nichts mehr hoffen kann. / Wo nähm ich oftmals Stärkung her, / Wenn Gnade nicht mein Anker wär? // [9.] Aus Gnaden! Hierauf will ich sterben: / Ich fühle nichts, doch mir ist wohl; / Ich kenn’ mein sündliches Verderben, / Doch auch den, der mich heilen soll: / Mein Geist ist froh, die Seele lacht, / Weil mich die Gnade selig macht. // Nach der Predigt. – Mel. Freu dich sehr, o meine etc. [1.] Laß mich deinen Geist regieren, / Liebster Herr! nach deinem Wort, / Und auf deinen Wegen führen: / Denn du bist mein treuer Hort, / Der im Glauben mich erhält, / Wilder Teufel, Sünd und Welt: / Wenn sie noch so gräulich wüthen, / Kannst du mich doch wohl behüten. // [2.] Du, du wirst die Ehrenkrone / Ungezweifelt schenken mir; / Du wirst mir zum Gnadenlohne / Machen auf die Himmelsthür. / Herr! ich bleibe dir verpflicht; / Herr! ich glaub’ und zweifle nicht, / Du wirst mir nach diesem Leben / Auch des Himmels Freuden geben. //

Liederblätter

603

[Liederblatt vom 12. September 1824:] Am 13ten Sonntage nach Trinitatis 1824. Vor dem Gebet. – Mel. Helft mir Gott’s etc. [1.] Groß ist Herr deine Güte, / Sehr groß ist deine Treu, / In der Gerechten Hütte / Zeigt sie sich täglich neu; / Wenn sie in aller Noth / Abwendet Angst und Leiden, / Durch Trübsal führt zu Freuden, / Und zwinget auch den Tod. // [2.] Wie sollt ich denn nicht haben / An dir Herr meine Lust, / Der du durch deine Gaben, / Mir soviel Gutes thust? / Du giebest mir allein, / Wodurch mein Herz gestillet, / Wodurch mein Wunsch erfüllet, / Und ich kann fröhlich sein. // [3.] Dir Herr und deinem Leiten / Befehl’ ich meine Weg’; / In allen Lebenszeiten, / Auf dich die Sorg’ ich leg’, / In Hoffnung daß du mich / Vom Uebel kannst befreien, / Und durch ein gut Gedeihen / Ergötzen mildiglich. // [4.] Ja du kannst alles machen, / Und bleibt auch wohl gemacht; / Du führest alle Sachen, / Wie sie dein Rath bedacht, / Thu solches auch an mir! / Und mög’ es mir gelingen, / Von deiner Huld zu singen, / Und stets zu danken dir. // (Stett. Gesangb.) Nach dem Gebet. – Mel. Freu dich sehr etc. [1.] Wohl dem der den Herren schauet, / Hält vor Augen seinen Gott! / Selig wer sich herzlich freuet / Zu erfüllen sein Gebot. / Wer den Höchsten liebt und ehrt, / Wird erfahren wie sich mehrt, / Alles was in seinem Leben / Ihm vom Himmel ist gegeben. // [2.] Das gerechte Thun der Frommen / Steht gewiß und wanket nicht, / Sollt auch gleich ein Wetter kommen, / Bleibt doch Gott der Herr ihr Licht, / Tröstet stärket schüzt und wacht, / Bis nach ausgestandner Nacht / Und nach hochbetrübtem Weinen, / Freud und Sonne wieder scheinen. // [3.] Gottes Huld Gnad’ und Erbarmen / Bleibt den Frommen immer fest, / Wohl dem der die Noth der Armen / Ihm zu Herzen gehen läßt, / Und mit Liebe Gutes thut, / Den wird Gott, das höchste Gut, / Gnädiglich in seinen Armen, / Als ein liebster Vater warmen. // [4.] Wenn die schwarzen Wolken blizen / Von dem Donner in der Luft, / Wird er ohne Sorgen sizen, / Wie ein Vöglein in der Kluft; / Er wird bleiben ewiglich, / Auch wird sein Gedächtniß sich / Hie und da auf allen Seiten / Wie die edlen Zweig’ ausbreiten. // [5.] Wenn das Unglück an will kommen, / Das die rohen Sünder plagt, / Bleibt der Muth ihm unbenommen, / Und das Herz ist unverzagt; / Unverzagt ohn Angst und Pein / Bleibt das Herze, das sich fein / Seinem Gott und Herrn ergiebet, / Die verlassnen Brüder liebet. // [6.] Wer Betrübte gern erfreuet, / Wird vom Höchsten wohl ergözt, / Was die milde Hand ausstreuet, / Wird vom Himmel hoch ersezt, / Wer viel giebt erlanget viel: / Was sein Herze wünscht und will, / Das wird Gott mit gutem Willen / Ihm zur guten Zeit erfüllen. // (P. Gerhard.) Nach der Predigt. – Mel. Es ist das Heil etc. Verleihe Kraft zu treiben mir, / Du Schöpfer guter Triebe! / Mein ganzes Herz gehört nur dir, / Erfüll’ es ganz mit Liebe, / Daß ich Gott über alles dich, / Und meinen Nächsten gleich als mich, / Nach Jesu Vorbild liebe. //

604

Anhang

[Liederblatt vom 26. September 1824:] Am 15ten Sonntage nach Trinitatis 1824. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Morgenglanz der Ewigkeit, / Licht von unerschöpftem Lichte, / Schick’ uns diese Morgenzeit / Deine Strahlen zu Gesichte, / Und vertreib durch deine Macht / Unsre Nacht! // [2.] Deiner Güte Morgenthau / Fall auf unser matt Gewissen; / Laß die dürre Lebensau / Lauter süßen Trost genießen, / Und erquick’ uns, deine Schaar, / Immerdar! // [3.] Gieb, daß deiner Liebe Gluth / Unsre kalten Werke tödte, / Und erweck uns Herz und Muth / Bei entstandner Morgenröthe, / Daß wir, eh’ wir gar vergehn, / Recht aufstehn. // [4.] Leucht uns selbst in jene Welt, / Du verklärte Gnadensonne! / Führ’ uns durch das Thränenfeld / In das Land der süßen Wonne, / Da die Luft, die uns erhöht, / Nie vergeht. // Nach dem Gebet. – Mel. Ermuntre dich, mein schwacher etc. [1.] Du bist ein Mensch, das weißt du wohl, / Was strebst du denn nach Dingen, / Die Gott der Herr alleine soll / Und kann zuwege bringen? / Du fährst mit deinem Witz und Sinn / Durch so viel tausend Sorgen hin, / Und denkst: wie will’s auf Erden / Doch endlich mit mir werden? // [2.] Es ist umsonst, du wirst fürwahr / Mit allem deinem Tichten, / Auch nicht ein ein’ges kleines Haar / In aller Welt ausrichten. / Und dient dein Gram sonst nirgends zu / Als daß du dich aus deiner Ruh / In Angst und Schmerzen stürzest / Und selbst das Leben kürzest. // [3.] Wilt du was thun, das Gott gefällt, / Und dir zum Heil gedeihet: / So wirf dein Sorgen auf den Held, / Den Erd’ und Himmel scheuet, / Und gieb dein Leben, Thun und Stand / Nur fröhlich hin in Gottes Hand, / So wird er deinen Sachen / Ein fröhlich Ende machen. // [4.] Denn er, der ewiglich uns liebt, / Macht gut, was wir verwirren, / Erfreut, wo wir uns selbst betrübt, / Und führt uns, wo wir irren, / Und dazu treibt ihn sein Gemüth / Und die so reine Vatergüt’, / In der uns arme Sünder / Er trägt als seine Kinder. // [5.] Drum, liebes Herz, sei wohlgemuth, / Und laß von Sorg’ und Grämen, / Gott hat ein Herz, das nimmer ruht / Dein Bestes vorzunehmen. / Nach seinem Reich nur trachte du, / So muß dir Alles fallen zu, / Es wird der Tag, der morgen, / Auch für das Seine sorgen. // [6.] Thu als ein Kind und lege dich / In deines Vaters Arme, / Bitt ihn und flehe bis er sich / Dein, wie er pflegt, erbarme: / So wird er dich durch seinen Geist / Auf Wegen, die du jetzt nicht weißst, / Nach wohlgehaltnem Ringen / Aus allen Sorgen bringen. // (P. Gerhard.) Nach der Predigt. – Mel. Jesu meine Freude etc. Gott der wird’s wohl machen, / Mächtig in den Schwachen / Ist er allezeit. / Wem hat’s je gefehlet, / Der sich Gott erwählet / In dem Herzeleid? / Drum, mein Herz, vergiß den Schmerz, / Alles steht in seinen Händen, / Gott kann Alles wenden! //

Liederblätter

605

[Liederblatt vom 10. Juli 1825:] Am 6ten Sonntage nach Trinit. 1825. Vor dem Gebet. – Mel. Christus der ist mein Leben etc. [1.] Noch läßt der Herr mich leben! / Mit fröhlichem Gemüth / Eil ich ihn zu erheben. / Er hört mein dankend Lied. // [2.] Du, Herrscher aller Welten, / Nimmst dich auch meiner an. / Wie soll ich dir vergelten, / Was du an mir gethan? // [3.] Wirst du nach Opfern schauen? / Sie gelten nichts vor dir. / Du forderst nur Vertrauen, / Nur Liebe, Gott, von mir. // [4.] So will ich dir lobsingen, / Mich deines Namens freu’n, / Nach deiner Gnade ringen / Mein ganzes Herz dir weihn. // [5.] Laß mich, dir fest vertrauend, / Nach deinem Willen thun, / Dann froh gen Himmel schauend / In deiner Gnade ruh’n. // [6.] Bereit den Lauf zu schließen / Auf deinen Wink, o Gott, / Und selig im Gewissen: / So finde mich der Tod! // Nach dem Gebet. – Mel. Lasset uns den Herren preisen etc. [1.] Unter allen großen Gütern, / Die uns Christus zugetheilt, / Ist die Lieb’ in den Gemüthern / Wie ein Balsam, der sie heilt, / Wie ein Stern, der herrlich blinket, / Wie ein Kleinod, dessen Preis / Niemand zu benennen weiß, / Wie die Schönheit, die nie sinket, / Und die Lust, die jedermann / Trösten und erheben kann. // [2.] Liebe kann uns Alles geben / Was auf ewig nützt und ziert, / Uns mit heil’gem Sinn beleben, / Der hinauf zu Gott uns führt. / Menschen oder Engelzungen, / Wenn sich keine Liebe find’t, / Wie bered’t sie sonst auch sind, / Wie zu Herzen sie gedrungen: / Sind nur flüchtiger Gesang, / Tönend Erz und Schellenklang. // [3.] Wenn ich alle meine Habe / Armen hätte zugewandt, / Nicht erbebte vor dem Grabe, / Scheute nicht der Flamme Brand, / Gäbe meinen Leib auf Erden / Ihnen zu verzehren hin, / Und noch blieb’ im ird’schen Sinn: / Würd’ ich doch nicht besser werden, / Bis mich wahre Liebe krönt, / Jeden Streit mit Gott versöhnt. // [4.] Glaubenssieg und Hoffnungsblüthe / Unterstüzt uns in der Welt / Bis die irdischen Gebiete, / Bis der Schöpfung Bau zerfällt. / Nur der Liebe weite Gränzen / Strecken sich in Ewigkeit, / Alle, welche sie bekleidt, / Werden unaufhörlich glänzen. / Jede Pracht der Welt bleibt hier, / Liebe währet für und für! // [5.] O du Geist der reinen Liebe, / Der von Gott du gehest aus, / Laß mich spüren deine Triebe, / Komm in meines Herzens Haus! / Lehre mich nur Jesu leben, / Fliehen was sich selbst nur meint, / Wandeln meine Feind’ in Freund’, / Alle Schulden gern vergeben. / Lenke meinen ganzen Sinn / Geist der Lieb’ zur Liebe hin! // (Freylinghausens Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Von Gott will ich nicht lassen etc. Hilf uns ja fleißig halten / die Einigkeit im Geist, / Daß über uns mög’ walten / Dein Segen allermeist; / Nach deinem Geist und Sinn / Laß uns einander tragen, / In Liebe, treu nachjagen / Dem köstlichsten Gewinn. //

606

Anhang

[Liederblatt vom 18. September 1825:] Am 16ten Sonntage nach Trinit. 1825. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Morgenglanz der Ewigkeit, / Licht vom unerschöpften Lichte, / Schick uns diese Morgenzeit / Deine Strahlen zu Gesichte; / Und vertreib durch deine Macht, / Unsre Nacht! // [2.] Deiner Güte Morgenthau / Fall auf unser matt Gewissen, / Laß die dürre Lebensau / Lauter süßen Trost genießen: / Und erquick uns deine Schaar / Immerdar! // [3.] Gieb, daß deiner Liebe Glut / Unsre kalten Werke tödte, / Und erweck uns Herz und Muth / Bei entstandner Morgenröthe, / Daß wir, eh wir gar vergehn, / Recht aufstehn. // [4.] Leucht uns selbst in jene Welt, / Du verklärte Gnadensonne, / Führ uns durch das Thränenfeld / In das Land der süßen Wonne, / Da die Lust, die uns erhöht, / Nie vergeht. // Nach dem Gebet. – Mel. Meine Hoffnung stehet veste. [1.] Auf! ihr Christen, Christi Glieder, / Die ihr haltet an dem Haupt, / Auf, wacht auf! ermannt euch wieder, / Eh ihr werdet hingeraubt. / Welt und Zeit / Beut den Streit / Christo und der Christenheit. // [2.] Christi Heeres Kreuzesfahne / Zeigt den Gläubigen die Bahn, / Geht uns auf dem Siegesplane / Trost verkündend schon voran. / Wer so kriegt / Nie erliegt, / Sondern unterm Kreuze siegt. // [3.] Diesen Sieg hat auch empfunden / Vieler Heil’gen starker Muth, / Da sie haben überwunden / Fröhlich durch des Lammes Blut. / Sollten wir / Nun allhier / Nicht auch streiten mit Begier? // [4.] Wen die ew’ge Weisheit lehret / Was die Freiheit für ein Theil, / Dessen Herz zu Gott sich kehret, / Seiner Hoffnung, seinem Heil. / Sucht allein / Ohne Schein / Christi freier Knecht zu sein. // [5.] Kann befried’gen wol das Leben / Ohne wahrer Freiheit Schein? / Wer sich Gott nicht ganz ergeben / Muß der Sünde Sklave sein. / Der nur kriegt / Recht vergnügt, / Der sein Leben selbst besiegt. // [6.] Darum laßt uns überwinden / In dem Namen Jesu Christ, / Auf ihn alle Hoffnung gründen / Dessen Wort uns Zeugniß ist: / Daß fürwahr! / Immerdar / Er beschüzt der Seinen Schaar. // Nach der Predigt. – Mel. Mir nach spricht Christus etc. So laßt uns denn dem lieben Herrn / Mit Leib und Seel nachgehen, / Und wohlgemuth, getrost und gern / Bei ihm im Leiden stehen! / Denn wer nicht kämpft trägt auch die Kron / Des ew’gen Lebens nicht davon. //

Liederblätter

607

[Liederblatt vom 2. Oktober 1825:] Am 18ten Sonntage nach Trinit. 1825. Erndtefest. Vor dem Gebet. – Mel. Sey Lob und Ehr dem etc. [1.] Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht, / Die Weisheit deiner Wege, / Die Liebe, die für alle wacht, / Anbetend überlege: / So weiß ich, von Bewundrung voll, / Nicht, wie ich dich erheben soll, / Mein Gott, mein Herr und Vater. // [2.] Mein Auge sieht, wohin es blickt, / Die Wunder deiner Werke. / Der Himmel, prächtig ausgeschmückt, / Preißt dich, du Gott der Stärke! / Wer hat die Sonn an ihm erhöht? / Wer kleidet sie mit Majestät? / Wer ruft dem Heer der Sterne? // [3.] Wer mißt dem Winde seinen Lauf? / Wer heißt die Himmel regnen? / Wer schließt den Schooß der Erden auf, / Mit Vorrath uns zu segnen? / O Gott der Macht und Herrlichkeit: / Gott deine Güte reicht so weit / Als nur die Wolken gehen. // [4.] Dich predigt Sonnenschein und Sturm. / Dich preist der Sand am Meere. / Bringt, ruft auch der geringste Wurm / Bringt meinem Schöpfer Ehre! / Mich ruft der Baum in seiner Pracht, / Mich ruft die Saat, hat Gott gemacht: / Bringt unserm Schöpfer Ehre! // [5.] Der Mensch, ein Leib, den deine Hand / So wunderbar bereitet; / Der Mensch, ein Geist, den sein Verstand, / Dich zu erkennen, leitet; / Der Mensch, der Schöpfung Ruhm und Preis, / Ist sich ein täglicher Beweis / Von deiner Güt und Größe. // [6.] Erheb ihn ewig, o mein Geist! / Erhebe seinen Namen! / Gott, unser Vater, sey gepreist, / Und alle Welt sag Amen! / Und alle Welt fürcht ihren Herrn, / Und hoff auf ihn und dien ihm gern! / Wer wollte Gott nicht dienen? // Nach dem Gebet. – Mel. Wer nur den lieben Gott etc. [1.] O Gott des Himmels und der Erden, / Der du allgegenwärtig bist, / Und nimmer kannst begriffen werden, / Vor dem kein Ding verborgen ist. / Ach ziehe mich, mein Gott! zu dir, / Und offenbare dich in mir! // [2.] Wohin ich Herz und Augen lenke, / Da find ich deiner Gottheit Spur, / Wenn ich voll Andacht überdenke / Die wundervolle Creatur, / So ruft mir gleichsam alles zu: / Wie groß ist Gott! wie klein bist du! // [3.] Es zeigen alle Elemente, / Wie weis’ und gut der Schöpfer sey. / O! wenn das Stumme reden könnte, / So stimmt es der Ermuntrung bei: / Ihr Menschen! ehrt des Schöpfers Pracht; / Auch euch zu gut sind wir gemacht. // [4.] Herr Gott, wie groß ist deine Liebe! / Die Erd ist deiner Güte voll. / O gieb mir deines Geistes Triebe, / Daß ich dich preise, wie ich soll. / Nimm was ich kann, und hab, und bin, / Zu deinem Dienst auf ewig hin! // [5.] Hilf, daß die Güter dieser Erden / Mich zu dir locken, höchstes Gut! / Daß sie mir nicht zum Fallstrick werden, / Der, statt des Nuzens, Schaden thut, / Laß allen Mißbrauch ferne sein! / Mein Schatz und Ziel sey du allein! // [6.] Hier ist mein Leben eine Reise: / Hier geht mein Weg zur andern Welt. / O mache du mich klug und weise / Daß ich hier thu was dir gefällt. / Nimm endlich nach vollbrachten Lauf / Mich, Gott! in deinen Himmel auf. //

608

Anhang

Unter der Predigt. – Mel. Wer nur den lieben Gott etc. Mein größter Fleiß auf dieser Erde / Sei stets auf meinen Geist gericht. / Daß er zum Himmel tüchtig werde, / Eh dieses Leibes Hütte bricht; / Dazu, Herr, segne meinen Fleiß, / So leb ich hier zu deinem Preis. // Nach der Predigt. – Mel. O Gott, du frommer Gott etc. Lob, Ehr und Preis sey Gott, / Dem Vater und dem Sohne, / Und dem heiligen Geist, / Im höchsten Himmelsthrone! / Dem dreieinigen Gott, / Als der im Anfang war, / Und ist und bleiben wird, / Jetz und und immerdar. //

[Liederblatt vom 17. September 1826:] Am 17ten Sonntage nach Trinitatis 1826. Vor dem Gebet. – Mel. Christus der ist mein Leben etc. [1.] Noch läßt der Herr mich leben! / Mit fröhlichem Gemüth / Eil ich, ihn zu erheben. / Er hört mein frühes Lied. // [2.] Zu ihm entzückt mich wieder / Der Morgensonne Pracht; / Ich falle vor ihm nieder, / Der sie und mich gemacht. // [3.] Du, Herrscher aller Welten, / Nimmst dich auch meiner an, / Wie soll ich dir vergelten / Was du an mir gethan? // [4.] Wirst du nach Opfern schauen? / Sie gelten nichts vor dir. / Du forderst nur Vertrauen, / Nur Liebe, Gott, von mir. // [5.] So will ich dir lobsingen, / Mich deines Namens freun, / Nach deiner Gnade ringen, / Mein ganzes Herz dir weihn. // [6.] Bereit den Lauf zu schließen / Auf deinen Wink, o Gott, / Und lauter im Gewissen: / So finde mich der Tod. // Nach dem Gebet. – Mel. Nun lob mein’ Seel den Herren etc. [1.] Laß uns doch nicht begehren, / O liebste Seel, in dieser Zeit, / Das was dich kann beschweren / Und hindern an der Seligkeit. / Willst du dir Ehr’ erstreben, / Dir nur vergänglich ist? / Ach, flüchtig ist das Leben, / Und kurz der Jahre Frist! / Drum suche du vor allen / Bei Gott die Ehr’ allein, / Ob Erd und Himmel fallen: / Du wirst im Frieden sein. // [2.] Was kann dir Wollust nützen, / O werthe Seel’ in dieser Welt? / Wie kann dich Reichthum schützen, / Wenn uns der Würger überfällt? / Das rechte Heil ist droben, / Wo Christus herrschend thront, / Den alle Himmel loben, / Der einst die Seinen lohnt, / Daß sie gekrönet werden / Mit ewger Herrlichkeit: / Drum kämpfe treu auf Erden / Des Herrn heilgen Streit! // [3.] Was soll dir fröhlich Leben, / Was Pracht und Glanz der Zeitlichkeit? / Der Himmel nur kann geben / Was unvergänglich dich erfreut. / In Jesu sich ergötzen / Bleibt stets das höchste Gut, / Sein Reich vor allem schätzen / Erquicket Geist und Muth. / In Jesu Reichthum haben, / In ihm nur sein geehrt, / Kann dich ohn’ Ende laben; / So hat er selbst gelehrt. // [4.] In Jesu hab’ ich Güter, / In Jesu hab’ ich Lieb und Lust! / Ich flieh, du treuer Hüter, / In jeder Noth an deine Brust. / Laß mich die Welt verachten, / In meines Gottes Schutz / Biet’ ich dem eitlen Trachten / Der Widersacher Trutz. / Laß mich die Welt nur hassen, /

Liederblätter

609

Ich will mit Lieb’ und Treu / Nur meinen Jesum fassen, / So bleib’ ich sorgenfrei. // [5.] Die Welt mag mir auch fluchen, / Mein Segen bleibt doch Jesus Christ, / In ihm nur will ich suchen / Und finden was mir heilsam ist, / Mag mich die Welt versetzen / In Angst und Traurigkeit, / Der Herr wird mich ergötzen, / Dem ich mein Herz geweiht, / Er hat im höhern Leben / Sein Reich mir zugedacht, / Der Trost soll mich erheben / In Schmerz und Todesnacht. // (J. J. Beck.) Nach der Predigt. – Mel. Herr ich habe mißgehandelt etc. O, so hilf, du höchste Stärke, / Richte du mich also zu, / Daß ich deine Kraft vermerke, / Freudig deinen Willen thu: / Daß ich dich allein betrachte, / Und die Erde nicht mehr achte. //

[Liederblatt vom 29. Oktober 1826:] Am 23sten Sonntage nach Trinitatis 1826. Vor dem Gebet. – Mel. Wie wohl ist mir etc. [1.] Lebst du in mir, o wahres Leben, / So sterb’ in mir, was du nicht bist; / Ein Blick von dir kann beßres geben, / Als was der Welt das Beste ist. / O Jesu du sollst mein verbleiben, / Nichts soll mich von der Liebe treiben, / Die du mir zugesaget hast. / O sel’ge Liebe, die mich tränket, / Wenn sich mein Herz in dich versenket, / Und deine Gnade mich umfaßt. // [2.] Zünd’ auch in mir der Liebe Flammen / Zum Dienste deiner Glieder an, / Halt uns in Einem Leib zusammen, / Daß keine Macht uns trennen kann. / Wenn ich wie du nur bin gesinnet, / Dein Bild in mir Gestalt gewinnet, / Und dein Gebot mir heilig ist: / So werd’ ich Freund und Feinde lieben, / So wird ihr Kummer mich betrüben, / Wie du mir vorgegangen bist. // [3.] Gieb mir des Glaubens Licht und Kräfte, / So daß er wahre Früchte zeigt; / Mach mich zur Rebe voller Säfte, / Die nicht von ihrem Weinstock weicht. / Du bist der Fels auf den ich baue, / Du bist der Heiland dem ich traue, / Du bist des Glaubens fester Grund. / Dich will ich allezeit umfassen, / Du wirst den Schwachen nicht verlassen, / Ich halte mich an deinen Bund. // Nach dem Gebet. – Mel. Herzliebster Jesu etc. [1.] Des Herrn Gesetz verkündet den Gemeinen, / Sich hier in Lieb’ und Frieden zu vereinen, / Daß unter Einem Hirten Eine Heerde / Aus Allen werde. // [2.] Mit Einem Opfer sind wir Gott erkaufet, / Und dazu All’ auf Eines Tod getaufet, / Daß Jeder nun mit ernstem heil’gem Triebe / Den Nächsten liebe. // [3.] Die ja zu Einem Meister sich bekennen, / Die darf kein Streit um die Erkenntniß trennen, / Die Herzen, die sich Eines Heilands freuen, / Kein Haß entzweien. // [4.] Laßt uns wie Brüder bei einander wohnen, / Und irrt ein Bruder, seine Schwäche schonen; / Denn uns gelingt nur durch vereinte Kräfte / Des Herrn Geschäfte. // [5.] Wer Gaben hat, der hat sie Gott zu preisen, / Sie sollen sich zu Aller Wohl erweisen; / Wer selbstgefällig ist, der

610

Anhang

ist nicht besser, / Wär er auch größer. // [6.] Wer heller sieht, sei stärker auch in Liebe, / Auf daß sich gern der Schwache mit ihm übe, / Zur rechten Freiheit frei sich lasse leiten / Ohn eitles Streiten. // [7.] Wie wir zuerst die Sonn’ im Morgen sehen, / Eh sie hinaufsteigt zu des Mittags Höhen: / So soll der Glanz, den Kinder Gottes zeigen, / Stets höher steigen. // [8.] So wollen wir in Liebe weiter dringen, / Und harren auf des Gotteswerks Gelingen, / Daß unter Einem Hirten Eine Heerde / Aus Allen werde. // Nach der Predigt. – Mel. Herr Jesu Christ dich etc. [1.] Nimm väterlich dich Aller an, / Und leit’ uns stets auf deiner Bahn, / Und schaffe so zu deinem Ruhm / Dir überall ein Heiligthum. // [2.] Auch die Verirrten führe du / Der Heerde Christi wieder zu; / Mach sie im Glauben fest und treu, / Daß auch ihr Wandel lauter sei. // [3.] Hör unser brünstiges Gebet, / Das allen Brüdern Heil ersteht! / Laß All’ auf deinem Pfade gehn, / Und einst dein Vaterantlitz sehn. //

[Liederblatt vom 12. November 1826:] Am 25sten Sonntage nach Trinitatis 1826. Vor dem Gebet. – Mel. Von Gott will ich etc. [1.] Die Fülle guter Gaben / Wohnt, Gott, bei dir allein; / Und was wir sind und haben / Ist, Vater, alles dein. / Du Ursprung alles Lichts, / Du wollest Licht und Leben / Auch mir von oben geben; / Giebst du, so fehlt mir nichts. // [2.] Seit ich durch deine Gnade / Mein Elend tief erkannt, / Hat sich vom Sündenpfade / Mein Herz zu dir gewandt. / O daß mich deine Kraft / Befestge nun und gründe, / Bis ich das Leben finde, / Das Jesus mir verschafft. // [3.] Laß niemals mich vergessen / Die Größe meiner Schuld, / Auf daß ich mög’ ermessen / Die Tiefe deiner Huld! / Entflamme Herz und Sinn / Nach dir nur zu verlangen, / Dir einzig anzuhangen, / Durch den ich selig bin. // [4.] Gieb mir den Geist der Liebe / Der Sanftmuth und der Treu, / Daß ich aus reinem Triebe / Dem Nächsten hülfreich sey. / Vor Allem gieb Gedeihn / Die, so dich jetzt noch fliehen, / Zu dir, o Herr, zu ziehen, / Daß sie sich ganz dir weihn. // Nach dem Gebet. – Mel. Wie wohl ist mir etc. [1.] Zu unserm Heiland aufzusehen, / Gesinnt, wie er es war, zu seyn, / Auf seinem Weg’ ihm nachzugehen / Und ganz den Brüdern sich zu weihn, / Das hat er denen, die ihn lieben, / Als sein Gesetz einst vorgeschrieben; / Wie heilsam ist dies, und wie süß! / Wenn jeder Christ nur hiernach strebte / Und ähnlich seinem Bilde lebte: / Die Erde würd’ ein Paradies. // [2.] Entflammt war Christi ganze Seele / Von Lieb’ und Treue gegen Gott; / Des Vaters heilige Befehle / Vollzog er unter Schmach und Spott. / Nicht mich, such ich, nur Gottes Ehre, / Das war sein Wahlspruch, seine Lehre, / So offenbart er sich der Welt. / Er läßt den Vater für sich zeugen; / Den Stolz der Feinde selbst

Liederblätter

611

zu beugen / Ist nicht, worin er sich gefällt. // [3.] Wußt er auch Großes zu vollbringen, / Nie schmückt er sich mit eitlem Kranz. / Er hielt sich lieber zu Geringen, / Und suchte nie der Hoheit Glanz. / Wie brüderlich liebt er die Freunde, / Wie duldsam schont er seine Feinde, / Wie zärtlich theilt er Andrer Schmerz! / Im Wohlthun leicht sein selbst vergessend, / Im Kraftgefühl sich nie vermessend, / So zeigt sich des Erlösers Herz. // [4.] Wie ging er den verlornen Schafen / In Israel voll Sorgfalt nach! / Und welche Sanftmuth, wenn im Strafen / Auch Gottes Eifer aus ihm sprach! / Und wie vergißt Beleidigungen, / Er, der von Leiden ganz durchdrungen, / In Gottes Wort nur Freude fand! / Er fleht noch in den lezten Nöthen / Für die, die ihn im Grimme tödten, / Weil sie es thun aus Unverstand. // [5.] Wie er gesinnt zu seyn, zu handeln, / Ist seiner Jünger einzge Pflicht, / Und anders nicht soll jeder wandeln, / Der von Verehrung Christi spricht. / Dann wird zum Fleiß in guten Werken / Uns kräftig der Gedanke stärken, / Daß wir des Vaters Willen thun; / Und dann wird auch sein Wohlgefallen, / Sein Geist und Segen auf uns Allen, / Hier und im Himmel lohnend ruhn. // (Jauers. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Nun danket alle etc. [1.] Dich Vater ruf ich an um Gnade, Licht und Stärke, / Dein Segen aus der Höh begleite meine Werke! / Gehorsam sey mir süß, und gieb mir dies dabei, / Daß ich in allem Thun bei dir im Geiste sey. // [2.] Wie du auch Herr mich führst, laß mich dein Reich verbreiten, / Laß mich auf Jesum sehn, laß seinen Geist mich leiten, / Daß er dir treu zu seyn mich allewege kehr, / Und Christi Bild in mir verkläre mehr und mehr. //

[Liederblatt vom 22. April 1827:] Am Sonntage Quasimodogeniti 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Warum sollt ich mich etc. [1.] Meines Herzens reinste Freude, / Das ist sie, daß ich nie / Mich von Jesu scheide, / Daß ich ihn durch Glauben ehre, / Jederzeit hocherfreut / Seine Stimme höre. // [2.] Freundlich ruft er allen Müden, / Und erfüllt sanft und mild / Ihren Geist mit Frieden. / Seine Last ist leicht zu tragen, / Er macht Bahn, geht voran, / Tröstet, wenn wir zagen. // [3.] Denn er kennt die Leidensstunden; / Größern Schmerz, als sein Herz / Hat kein Herz empfunden; / Darum blickt, wenn seiner Brüder / Einer weint, unser Freund / Mitleidsvoll hernieder. // [4.] Will das Herz vor Jammer brechen, / O dann pflegt er und trägt / Uns in seinen Schwächen. / Selig, wer in bösen Zeiten, / In Gefahr, immerdar / Sich von ihm läßt leiten! // [5.] Jesu, treuster Freund von allen, / Mit dir will froh und still / Ich durchs Leben wallen. / Auch der Tod kann mich nicht schrecken, / Denn du wirst, Lebensfürst, / Mich einst auferwekken. // (Bürde.)

612

Anhang

Nach dem Gebet. – Mel. Ich weiß mein Gott etc. [1.] Ich freue mich, mein Gott, in dir. / Du bist mein Trost, was ist das mir / Bei deiner Liebe fehle! / Du, Herr, bist mein und ich bin dein; / Was mangelt meiner Seele? // [2.] Du hast mich vor der Welt erwählt, / Und deinen Kindern zugezählt, / Du wirst mich nimmer lassen. / Dein Frieden schafft stets neue Kraft, / Mag doch die Welt mich hassen. // [3.] Du trägst mich liebreich mit Geduld, / Vergiebst in Christo mir die Schuld, / Wenn ihn mein Glaub’ erfasset, / Ihm gleichgesinnt dein liebend Kind / Die Lust der Erde hasset. // [4.] Du bist der treu bewährte Freund, / Der es aufs Beste mit mir meint: / Wo find’ ich deines Gleichen? / Du stehst mir bei und bleibst getreu / Wenn Berg’ und Hügel weichen. // [5.] Du bist mein Leben, Trost und Licht, / Mein Fels, mein Heil, drum frag’ ich nicht / Nach Himmel und nach Erden. / Herr, ohne dich mag doch für mich / Kein Heil gefunden werden. // [6.] Du bist mein allerhöchstes Gut, / Darauf mein ewges Wohl beruht; / In dir leb’ ich zufrieden. / Ich bleib’ hinfort von dir, mein Hort, / In Liebe ungeschrieben. // [7.] Du segnest mich, wenn man mir flucht, / Und wenn der Feind mein Unglück sucht, / Wird es ihm nicht gelingen. / Du machst mich frei und stehst mir bei, / Daß ich kann fröhlich singen. // [8.] Du läss’st mir’s ewig wohlergehn, / Einst werd’ ich dich noch näher sehn, / Du Urquell aller Freuden. / An dir wird sich dann ewiglich, / Herr, meine Seele weiden. // Nach der Predigt. – Mel. Herzliebster Jesu etc. [1.] Gieb Frieden! daß die fromme, dir getreue, / Oft schwergeprüfte Seele sich erneue, / Daß sie nicht muthlos hingerissen werde / Vom Geist der Erde! // [2.] Gieb, wie den Vätern, die dir wohlgefallen, / Auch uns den Frieden, die im Kampf noch wallen, / Gieb Hoffnung, daß des Glaubens Palmenkrone / Dem Sieger lohne! //

[Liederblatt vom 24. Mai 1827:] Am Himmelfahrtstage 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Nun lob mein Seel etc. [1.] Du gingst zum höchsten Lohne / Ins Vaters Haus, o Heiland, ein; / Nun ist des Siegers Krone / Und Herrlichkeit und Herrschaft dein. / Von dieser Erden Staube / Schwangst du zum Himmel dich! / Und deiner Jünger Glaube / Steht unerschütterlich. / Der Gott, der dich gesendet, / Nimmt wieder dich hinauf; / Nun ist das Werk vollendet, / Vollbracht der Prüfung Lauf. // [2.] Ich blicke mit Erhebung / Vollendeter hinauf zu dir, / Und Hoffnung und Ergebung / Gewährt dein heilges Vorbild mir. / Du trugst die schwerste Bürde, / Verfolgung, Haß und Spott, / Doch hohe Herrscherwürde / Verleiht dir nun dein Gott. / Wer dein Gebot nun übet / Geht ein zur bessern Welt, / Wo nichts den Frieden trübet, / Wo keine Zähre fällt. // [3.] Vereint mit dir zu werden / Ist unser Ziel, denn wir sind dein. / O möchte schon auf Erden / Im Himmel

Liederblätter

613

unser Wandel sein! / Wir wollen an dir hangen, / Auf dich allein nur sehn, / Wie du vorangegangen, / Den Weg der Treue gehn. / Dies soll das einzge Streben, / Die höchste Lust uns sein: / So gehn durchs Pilgerleben / Auch wir zum Himmel ein. // Nach dem Gebet. – Mel. Wie wohl ist mir etc. [1.] Vollendet ist dein Werk, vollendet, / O Welterlöser, unser Heil! / Uns liebet Gott, der dich gesendet, / Und seine Huld wird uns zu Theil. / Verklärt erhebst du dich zum Staube, / Dir nach schwingt sich der Deinen Glaube, / O Sieger in dein himmlisch Licht; / Dich krönt nach Thränen und nach Leiden / Dein Gott mit seinen selgen Freuden, / Vor aller Himmel Angesicht. // [2.] Ich seh empor zu dir Vertreter! / Dich bet ich still im Glauben an; / Ich weiß, daß auch ein schwacher Beter / Im Staube dir gefallen kann. / Du meines künftgen Lebens Sonne, / Des Himmels und der Erde Wonne, / Durch den sich Gott mit uns vereint, / Du unsers Glaubens Held und Führer, / Der Kirche mächtiger Regierer, / Du bist mein Bruder, bist mein Freund. // Chor. Du sitzest zu der Rechten bei Gott in der Herrlichkeit des Vaters, und einst kömmst du, glauben wir, herunter zum Gericht. Drum stehn wir, hilf uns, hilf den Deinen, die so theuer erkauft sind durch den köstlich Blut. Choral. So wahr als Jesus Christus lebt, / Wir werden mit ihm leben, / Weil uns sein Sieg mit ihm erhebt, / Uns die ihm Gott gegeben. / Dem Sieger Dank / Und Lobgesang! / Wir gehn durch Kampf und Leiden / Mit ihm zu seinen Freuden. // Chor. Herr auf dich steht meine Hoffnung: laß mich nicht zu Schanden werden. // Gemeine. – Mel. Ach Gott und Herr etc. Zeuch uns dir nach! so finden wir / Den Weg zu Deinem Throne, / Dann schmückt uns einst, wenn du erscheinst, / Der Ueberwinder Krone. // Nach der Predigt. – Mel. Wie schön leucht’t etc. Du Herr bist unser Haupt, und wir / Sind deine Glieder; nur von dir / Kommt Wahrheit, Heil und Leben. / Der Liebe Kraft, des Glaubens Licht, / Und Hoffnung, Freud und Zuversicht / Wird uns durch dich gegeben! / Preis dir, daß wir schon auf Erden / Können werden / Gottes Kinder, / Und des Todes Ueberwinder. //

[Liederblatt vom 3. Juni 1827:] Am ersten Pfingsttage 1827. Vor dem Gebet. – In bekannter Melodie. [1.] Komm heiliger Geist, Herre Gott! / Erfüll mit deiner Gnaden Gut / Deiner Gläubgen Herz und Sinnen, / Entzünd deine Lieb in ihnen! / O Herr durch deines Lichtes Glanz, / Zu dem Glauben versammlet hast, / Das Volk

614

Anhang

aus aller Welt Zungen, / Das sei dir, Herr, zu Lob gesungen. / Hallelujah. // [2.] Du heiliges Licht, edler Hort! / Laß leuchten uns des Lebens Wort, / Auf daß wir Gott recht erkennen, / Von Herzen Vater ihn nennen. / O Herr behüt vor fremder Lehr, / Daß wir nicht Meister suchen mehr / Denn Jesum Christ mit rechtem Glauben, / Und ihm aus ganzer Macht vertrauen. / Hallelujah. // [3.] Du heilige Glut, süßer Trost! / Nun hilf uns fröhlich und getrost / In deinem Dienst beständig bleiben, / Daß Trübsal uns nicht abtreiben. / Durch deine Kraft Herr uns bereit / Und stärk des Fleisches Blödigkeit; / Daß wir hier ritterlich ringen, / Durch Tod und Leben zu dir ringen. / Hallelujah. // Nach dem Gebet. – Mel. Helft mir Gott’s etc. [1.] Dein Licht strahlt nicht vergebens, / Du gnadenreicher Geist, / Du Führer unsers Lebens, / Der kräftig unterweist. / Die sich von Gott entfernt, / Ziehst du aus Finsternissen, / Und läßt den Weg sie wissen, / Wie man die Wahrheit lernt. // [2.] So schaffst du fromme Seelen, / Die statt der breiten Bahn / Den engen Weg erwählen, / Und nimmst dich ihrer an. / Wer sich zu dir nur kehrt, / Die Wahrheit redlich liebet, / Und sich der Zucht ergiebet, / Der wird von dir belehrt. // [3.] Du zeigst geheime Sachen, / Die Gott den Seinen schenkt, / Die er nur kund kann machen, / Die kein Verstand erdenkt. / Was wahren Glauben nährt, / Was rechte Lieb entzündet, / Was feste Hoffnung gründet, / Das wird von dir gelehrt. // [4.] Du kannst die Herzen prüfen, / Und der Begierden Lauf; / Du deckst der Gottheit Tiefen, / Ein Strahl der Gottheit, auf. / Dann macht die Wahrheit frei; / Wir folgen deinem Triebe, / Und trauen Gottes Liebe, / Wie er so freundlich sei. // [5.] Wer sich denn treu bezeiget, / Den führst du weiter fort, / Das Herz wird mehr geneiget / Zu deinem Lebenswort. / Ein göttlich starkes Licht / Bestrahlt die Seelenkräfte, / Das Heiligungsgeschäfte / Geht fort und stocket nicht. // [6.] So komm denn und regiere / In meinem Geist, o Geist, / Auf daß ich mächtig spüre / Die Kraft, die Wahrheit heißt. / Erleuchte den Verstand, / Und lenke mein Gemüthe / Zu dem, o ewge Güte, / Was du mir machst bekannt. // (Brem. Gesangb.) Nach der Predigt. – Mel. Du Geist des Herrn etc. [1.] Führ über uns der Wahrheit hellen Morgen, / Und schleuß uns auf, was noch vor uns verborgen. / Wahrhaftiger Geist, erleuchte du den Geist, / Und er verläßt, was falsch und irrig heißt. // [2.] Dir sei das Herz nun gläubig übergeben, / Entsündge du, und schaff ein neues Leben! / Du Freudengeist, verleih uns deine Kraft, / Die Freude, Trost und Frieden in uns schafft. //

[Liederblatt vom 24. Juni 1827:] Am 2ten Sonntage nach Trinitatis 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Sei Lob und Ehr etc. [1.] Erhebe dankbar Gottes Ruhm / Wer ihn als Christ verehret, / Daß er sein Evangelium / Von Jugend auf uns lehret: / Daß er uns früh zum Guten neigt, /

Liederblätter

615

Und uns den Weg der Wahrheit zeigt; / Gebt unserm Gott die Ehre. // [2.] Dies Wort verheißt uns deinen Geist, / Der uns zur Wahrheit leitet, / Zur Frömmigkeit uns unterweist, / Uns stärkt und vollbereitet; / Er giebt uns Freudigkeit ins Herz, / Versüßet uns des Todes Schmerz, / Und hilft uns überwinden. //[3.] Sei innig Herr von uns gepreist, / Du den wir Vater nennen! / Von allem was dein Wort verheißt, / Soll ewig nichts uns trennen; / Nicht Ruhm bei Menschen, nicht ihr Spott, / Gefahr und Angst, selbst nicht der Tod, / Nichts soll von dir uns scheiden! // [4.] Herr dein sind wir, verlaß uns nicht, / Stärk’ uns in unserm Glauben! / Vermehre unsre Zuversicht, / Nichts müsse sie uns rauben. / Getreu bist du; auch uns mach treu, / Daß uns dein Wort stets heilig sei. / Preis sei dir Dank und Ehre. // Nach dem Gebet. – Mel. Ein Lämmlein geht etc. [1.] Dir Vater, der du deinen Sohn / Zum Heil uns hast gegeben, / Dir dank ich hier mit Freuden schon, / Für das erneute Leben; / Ich danke dir, daß du den Geist, / Der uns der Finsterniß entreißt, / Zur Erde hast gesendet. / Auf Jesu Wort kam er herab, / Der seinen Boten Stärke gab, / Daß sie dein Werk vollendet. // [2.] Erfüllt von seiner Wunderkraft, / Gehn sie die Welt zu lehren; / Der Geist, der neue Herzen schafft, / Hilft ihnen sie bekehren. / Die Völker hören hocherfreut, / Die Botschaft ihrer Seligkeit, / Und Licht und Wahrheit siegen. / Die Blindheit und die Sünde flieht; / Wo man den Finger Gottes sieht, / Muß Satans Reich erliegen. // [3.] Umsonst daß wilder Eifer tobt, / Verfolgung zu erregen; / Dein Name Jesus wird gelobt, / Dein Wort ist Kraft und Segen. / Die Jünger schreckt nicht Pein noch Müh, / Dein Geist, o Vater, stärket sie, / Selbst in des Todes Leiden; / Sie bleiben ihrem Herrn getreu, / Bekennen seinen Namen frei, / Nichts kann sie von ihm scheiden. // [4.] Noch jezt bist du der Geist der Kraft, / Noch jezt der Menschen Lehrer; / Du machst uns weis’ und tugendhaft, / Des Sündenreichs Zerstörer. / In Sündern weckst du Reu’ und Leid, / In frommen Seelen Fried’ und Freud’ / Und Muth beim Kampf der Sünden. / Im Leiden sprichst du Trost uns zu, / Im Tode schaffst du Seelenruh, / Und hilfst uns überwinden. // [5.] Des Vaters und des Sohnes Geist, / Du Quell des Lichts, der Liebe, / Den Jesus Betenden verheißt; / O heilge meine Triebe! / Gieb über meine Sünden Schmerz, / Und Muth zum Glauben in mein Herz, / Hilf mir mit Andacht beten. / In bangen Stunden stärke mich, / Und deine Hülfe zeige sich / Mir einst, in Todesnöthen. // (Brem. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Komm heiliger Geist etc. Auch uns hat seines Geistes Kraft / Zu der beglückten Bürgerschaft / In Jesu großem Reich erhoben. / Auf laßt uns unsern König loben, / Und um uns seines Heils zu freun, / Ihm unser ganzes Leben weihn. / Einst hebt er uns, wenn wir ihm trauen, / Empor vom Glauben zu dem Schauen. / Gelobt sei Gott! gelobt sei Gott. //

616

Anhang

[Liederblatt vom 8. Juli 1827:] Am 4ten Sonntage nach Trinitatis 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Nun sich der Tag etc. [1.] Nicht um ein flüchtig Gut der Zeit, / Ich fleh um deinen Geist, / Gott, den zu meiner Seligkeit / Dein theures Wort verheißt. // [2.] Die Weisheit die vom Himmel stammt, / Die, Vater, lehr er mich, / Die Weisheit, die das Herz entflammt / Zur Liebe gegen dich. // [3.] Dich lieben Gott ist Seligkeit! / Gern thun, was dir gefällt, / Wirkt edlere Zufriedenheit / Als alles Glück der Welt. // [4.] Vertrauen hab’ ich dann zu dir; / Dann schenket selbst dein Geist / Das freudige Bewußtsein mir, / Daß du mir gnädig seist. // [5.] Er leite mich zur Wahrheit hin, / Zum Guten stärk’ er mich, / Beweise, wenn ich traurig bin, / Auch mir als Tröster sich. // [6.] Er schaff’ in mir ein reines Herz, / Versiegle deine Huld, / Und er bewaffne mich im Schmerz / Mit Muth und mit Geduld. // [7.] O Geist der Wahrheit leite hier / Mich in der Prüfungszeit; / Sei durch den Tod ein Führer mir / Zur ewgen Seligkeit. // (Jauersch. Ges. B.) Nach dem Gebet. – Mel. Wie schön leuchtet etc. [1.] O heiliger Geist, kehr bei uns ein / Und laß uns deine Wohnung sein, / Sei unsers Herzens Sonne. / Du Himmelslicht, laß deinen Schein / In unsern Seelen kräftig sein / Zu steter Freud und Wonne. / Wenn vor Gottes Thron wir treten / Um zu beten, / Wollst du geben / Muth und Kraft zum wahren Leben. // [2.] Du Quell, draus alle Weisheit fließt, / Die sich in fromme Seelen gießt, / Laß deinen Trost uns hören! / Daß wir in Glaubenseinigkeit, / Mit deiner werthen Christenheit / Dein wahres Zeugniß ehren. / Deiner Wahrheit treu behüte / Das Gemüthe, / Daß wir glauben! / Laß uns nichts dies Kleinod rauben. // [3.] Sei stets bei uns mit deinem Rath, / Und führ uns auf den rechten Pfad, / Weil wir den Weg nicht wissen. / Gieb uns Beständigkeit, daß wir / Getreu hier bleiben für und für, / Auch wenn wir leiden müssen. / Lenk uns gerne still zu halten / Gottes Walten, / Ihm zu trauen, / Und auf seine Huld zu bauen. // [4.] Laß uns zu unsrer Ritterschaft, / Durch deines edlen Balsams Kraft / Allzeit gestärket werden, / Auf daß wir unter deinem Schuz / Begegnen aller Feinde Truz, / Mit freudigen Gebehrden. / Ströme reichlich auf uns nieder, / Daß wir wieder / Trost empfinden, / Und die Trübsal überwinden. // [5.] O starker Fels und Lebenshort, / Laß stets das edle Gotteswort / In unserm Herzen brennen; / Daß wir uns mögen nimmermehr, / Von deiner Weisheitvollen Lehr’ / Und reichen Liebe trennen. / Reichlich ströme deine Güte, / Ins Gemüthe, / Daß wir können / Christum unsern Heiland nennen. // Nach der Predigt. Gieb daß in reiner Heiligkeit, / Wir führen unsre Lebenszeit; / Sei unsres Geistes Stärke! / Und immer bleib uns unbewußt, / Die Eitelkeit, des Fleisches Lust / Und alle todten Werke. / Kräftig führe unser Sinnen / Und Beginnen, / So auf Erden, / Daß wir Himmelsbürger werden. //

Liederblätter

617

[Liederblatt vom 22. Juli 1827:] Am 6ten Sonntage nach Trinitatis 1827. Vor dem Gebet. – Mel. O Ewigkeit, du etc. [1.] Als unser Heiland, Gottes Sohn, / Ging von der Welt zu Gottes Thron, / Kamst du zu seinen Zeugen; / Mit dir, Geist Gottes, kam die Glut / Der Liebe, Kraft und Heldenmuth, / Die Welt zu überzeugen. / Groß war die Erndte, schwer die Müh, / Doch du Geist Gottes stärktest sie. // [2.] Da that der Ungelehrten Mund / Die größten Thaten Gottes kund, / Und lehrte Jesu Lehren; / Da wurden Gözentempel leer, / Da stürzt der falschen Götter Heer, / Sammt Opfern und Altären. / Unüberwindlich war ihr Muth; / Und schwiegen sie, so sprach ihr Blut. // [3.] Wie Gottes Blitze ging ihr Wort / Bis an der Erde Grenzen fort, / Die Nacht mich deinem Licht. / Den beteten die Heiden an, / Von dem wir einst die Kron’ empfahn, / Wenn er kommt zum Gerichte. / Zu ihrem Heil, zu Jesu Ruhm / Schufst du die Welt, Geist Gottes, um. // (Brem. Gesangb.) Nach dem Gebet. – Mel. Komm heiliger Geist etc. [1.] Wohl uns, daß uns des Vaters Rath / Das wahre Heil verkündigt hat! / Das sei von aller Christen Zungen, / Zu Gottes Preise froh besungen. / Die Erde lag in Nacht verhüllt, / Mit Wahn und Gözendienst erfüllt, / Doch du hast diesen Finsternissen / Durch Jesu Licht die Welt entrissen. / Hallelujah. // [2.] Singt Jesu Ruhm! Er ist erhöht, / Und von dem Thron der Majestät, / Beglückt der Herr, der Friedebringer, / Nun alle seine treuen Jünger; / Er sendet den verheißnen Geist, / Der seine Jünger unterweist. / Nun predigen sie seine Lehre, / Daß sich die Welt zu ihm bekehre. / Hallelujah. // [3.] Ein Sturmwind braust und macht ihm Bahn, / Und kündigt ihn den Jüngern an; / Er kommt herab der Geist der Freuden, / Er lehrt sie für die Wahrheit leiden; / Verfolgten giebt er Heiterkeit, / Verzagten Unerschrockenheit, / Und staunend sieht der Kreis der Erden / Aus ihnen Boten Gottes werden. / Hallelujah. // [4.] Gesandt von ihm gehn sie nun gern, / Und sammeln überall dem Herrn / Ein neues Reich, ein Volk von Christen, / Die sich mit Glaubenswaffen rüsten. / Vergebens tobt der Feinde Muth, / Sie siegen, stark durch Gott an Muth, / Troz aller Macht des Hohns und Spottes, / Und wirken große Thaten Gottes. / Hallelujah. // [5.] Auch uns hat seines Geistes Kraft / Zu der beglückten Bürgerschaft / In Jesu großem Reich erhoben. / Auf laßt uns unsern König loben, / Und um uns seines Heils zu freun / Ihm unser ganzes Leben weihn. / Einst hebt er uns, wenn wir ihm trauen, / Empor vom Glauben zu dem Schauen. / Hallelujah. // Nach der Predigt. – Mel. Komm, o komm etc. [1.] O du Geist der Kraft und Stärke, / Der das Gute in uns schafft, / Fördre in uns deine Werke, / Und im Kampfe gieb uns Kraft, / Wenn Versuchung auf uns dringt, / Daß uns dann der Sieg gelingt. // [2.] Neu belebe unsern Glauben, / Daß Verfolgung Schmach und Spott, / Ihn uns nimmer möge rauben, / Daß getrost wir sein in Gott. / Sagt das Herz gleich zweifelnd, nein! / Laß dein Wort gewisser sein. //

618

Anhang

[Liederblatt vom 2. September 1827:] Am 12ten Sonntage nach Trinitatis 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Der Tag ist hin etc. [1.] Mein erster Wunsch, mein innigstes Bestreben / Ist, Herr mein Gott, dich würdig zu erheben, / Unendlich groß ist deine Vatertreu, / Mit jedem Tag wird deine Güte neu. // [2.] Die Sonn’ enthüllt den Schauplatz deiner Werke, / Und alles zeugt von deiner Huld und Stärke; / Ich seh, wie groß sich deine Vorsicht zeigt, / Sie reicht so weit des Himmels Umfang reicht. // [3.] Und sie umfaßt auch mich! Du Höchster denkest / An mich, den Staub; der du die Himmel lenkest, / Du sorgst für mich; ach wie vergelt ichs dir? / Ich bringe dir ein Herz voll Dank dafür. // [4.] Nimms gnädig an, und tilge meine Sünden, / Durch deinen Sohn laß mich Vergebung finden! / Ihm, welcher nie ein gläubges Flehn verwarf, / Verdank ichs, daß ich Vater sagen darf. // [5.] So will ich denn mit kindlichem Vertrauen / Auf dich allein, so lang’ ich lebe, bauen, / Du bist mein Gott, mein Retter in Gefahr, / Mein starker Fels, mein Helfer immerdar. // [6.] Gieb du mir Kraft, gieb Muth zum neuen Leben, / Daß mirs geling dem Beispiel nachzustreben, / Das du uns hast in deinem Sohn gezeigt; / Sanft ist sein Joch und seine Last ist leicht. // [7.] Dein Auge sieht die Schwäche meiner Seele, / Ach laß mich nicht, auch wenn ich täglich fehle! / Nein präge du mir deine Vaterhuld / Auch täglich ein zur Tilgung meiner Schuld. // Nach dem Gebet. – Mel. Nun lob meine Seel etc. [1.] Dir danken alle Wesen / Den Odem, Höchster, dir allein! / Doch uns hast du erlesen / Den Vorzug deiner uns zu freun. / Du lenkst der Welten Zügel / Mit deiner starken Hand, / Gedanken giebst du Flügel / Und Ordnung dem Verstand; / Dir dankt der Menschen Seele, / Ihr Dasein, ihre Kraft, / Daß frei sie Gutes wähle, / Durch dich fühlt sie und schafft. // [2.] Du lenkst auch unser Sorgen / Allmächtiger durch deinen Blick, / Enthüllt liegt jeder Morgen / Vor dir und jegliches Geschick. / Du kannst das kleinste sehen, / Mein Seufzer ist dir nah, / Und eh Bedrängte flehen, / Ist deine Hülfe da / Auch die verborgnen Thränen / Siehst du und trocknest sie, / Wie deine Huld dem Sehnen / Erhörung oft verlieh. // [3.] Doch, was erhebt mein Lallen, / Als höchste Fülle deiner Huld? / Du sahest uns gefallen / Und sandtest Hülfe voll Geduld. / Dein Sohn kommt voll Erbarmen, / Und ladet zu sich ein; / Er will den geistig Armen, / Ein treuer Helfer sein. / Mit ihm ist aufgegangen / Die gläubge Zuversicht, / Wer an ihm bleibet hangen, / Der kommt nicht ins Gericht. // [4.] Dich rühmen gern die Deinen, / An deine Güte reichet nichts; / Voll Dankes wir erscheinen / Vor dir, gebeugten Angesichts. / Von ungezählten Sternen / Erschallen Stimmen dir, / Die Nahen und die Fernen / Ertönen dort und hier; / Es mischt in diese Chöre / Sich noch die fernste Zeit! / Dir Herr sei Preis und Ehre, / Hallts durch die Ewigkeit. // Nach der Predigt. – Mel. Die Tugend wird etc. Ich fliehe des Betrognen Pfade, / Der sich von Gott zur Welt gewandt, / Des Herrn vergessend und der Gnade, / Der Hülfe, die er ihm gesandt, / Ihr gold-

Liederblätter

619

nen Seile treuer Liebe / Zieht mich zu meinem Vater hin, / Daß ich ihm weihe meine Triebe / Wie ich ihm theur erworben bin. //

[Liederblatt vom 16. September 1827:] Am 14ten Sonntage nach Trinitatis 1827. Vor dem Gebet. – Mel. Christus der ist mein Leben etc. [1.] Ach! bleib mit deiner Gnade / Bei uns Herr Jesu Christ, / Daß uns hinfort nicht schade / Des bösen Feindes List! // [2.] Ach! bleib mit deinem Worte / Bei uns, Erlöser werth; / Daß uns beid’ hier und dorte / Sei Trost und Heil beschert! // [3.] Ach! bleib mit deinem Glanze / Bei uns, du werthes Licht! / Dein’ Wahrheit uns umschanze, / Damit wir irren nicht. // [4.] Ach! bleib mit deinem Seegen / Bei uns, du reicher Herr! / Dein’ Gnad’ und all’ Vermögen / In uns reichlich vermehr’! // [5.] Ach! bleib mit deinem Schutze / Bei uns, du starker Held, / Daß uns der Feind nicht trutze, / Noch fäll die böse Welt! // [6.] Ach! bleib mit deiner Treue / Bei uns, mein Herr und Gott! / Beständigkeit verleihe; / Hilf uns aus aller Noth! // Nach dem Gebet. – Mel. Nun lob mein’ Seel etc. [1.] Frohlockt zu Gottes Ruhme! / Vest steht die ihm geweihte Stadt, / Die ihm zum Heiligthume / Des Menschen Sohn erbauet hat. / Erfüllt von hoher Klarheit / Freut sie sich ihres Herrn; / Er wohnt mit seiner Wahrheit / In ihren Tempeln gern. / Oft, wie von Meereswogen, / Ward sie bestürmt von Krieg, / Umsonst! die Feinde zogen / Hinweg und ohne Sieg. // [2.] Auf Felsengrund erbauet / Ward sie zu Gottes Stadt erhöht, / Sie, die nur ihm vertrauet, / Und ewig durch sein Wort besteht. / Von ihren Bergen funkelt / Der Wahrheit Sonnenlicht, / Durch Wolken nicht verdunkelt, / Die es mit Macht durchbricht. / Dem falschen Wahn entrissen / Sucht seine Welt dem Herrn, / Und reinigt ihr Gewissen, / Scheut ihn, und dient ihm gern. // [3.] Die Krone der Belohnung / Gewinnt der Bürger dieser Stadt, / Der hier sich seine Wohnung / Erwählt und treu gestritten hat! / Errettet vom Verderben / Eilt er in hoher Ruh’, / Und freudig, selbst im Sterben, / Dem Vaterlande zu. / Dort wird er zu den Frommen, / Die schon des Lohns sich freun, / Vom Vater aufgenommen, / Vollkommen seelig sein. // [4.] Frohlocke, Kirche, singe, / Erhebe deines Königs Ruhm, / Breit aus sein Reich, und bringe / Die Sünder all’ ins Heiligthum, / Daß sie gereinigt werden, / Daß sie, von dir erhellt, / Ihn lieben, und auf Erden / Gern thun, was ihm gefällt, / Bis alles Volk erneuert, / Und in dein Licht verklärt, / Ein Fest des Friedens feiert, / Der ewig ewig währt. // (Jauersch. Ges. B.) Nach der Predigt. – Mel. Warum sollt ich etc. Geist des Herrn sei unsre Stüze, / Steh uns bei, / Mach uns frei, / In der Prüfungshize, / Führe, wenn nach kurzen Leiden / Gott den Geist / Scheiden heißt, / Uns zu Himmelsfreuden. //

620

Anhang

[Liederblatt vom 30. September 1827:] Am Erndtefeste 1827. Vor dem Gebet. – In eigner Melodie. [1.] Lobe den Herrn den allmächtigen König der Ehren, / Lob’ ihn, o Seele, vereint mit den himmlischen Chören! / Kommet zu Hauf! / Psalter und Harfe wach’ auf! / Lasset den Lobgesang hören. // [2.] Lobe den Herrn der so väterlich waltend regieret, / Der wie auf Flügeln des Adlers dich schüzend geführet, / Der dir gewährt, / Was dich erfreuet und nährt, / Dank’ es ihm innigst gerühret! // [3.] Lobe den Herrn, der dich kunstreich und weise bereitet, / Der dir Gesundheit verliehn und dich freundlich geleitet, / In wieviel Noth / Hat nicht der gnädige Gott / Ueber dir Flügel gebreitet. // [4.] Lobe den Herrn, der in deinem Beruf dich gesegnet, / Der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet! / Denke daran, / Was der Allmächtige kann, / Der dir mit Liebe begegnet! // [5.] Lobe den Herrn, und verkünde des Ewigen Namen! / Alles was Odem hat preise des Heiligen Namen! / Er ist dein Licht, / Seele, vergiß es ja nicht! / Lob ihn in Ewigkeit, Amen. // Nach dem Gebet. – Mel. O daß ich tausend etc. [1.] Dir milder Geber aller Gaben, / Herr dir gebührt Gesang und Ruhm! / Denn alles was wir sind und haben, / Ist nur dein Werk und Eigenthum; / Zu dir steigt unser Lied empor, / O neige gnädig uns dein Ohr. // [2.] Das Saatkorn wird in deinem Namen, / Auf Hofnung in das Land gestreut, / Du schwingst, Allmächtiger, den Samen, / Dein ist der Erde Fruchtbarkeit; / Du giebst allein zur Arbeit Kraft, / Du bists der das Gedeihen schafft. // [3.] Mild öfnest du den Schooß der Erde, / Du tränkst die Flur von oben her, / Schaffst daß der Halm erquikket werde, / Und machst die Aehre segenschwer; / Du träufelst in dem kühlen Thau / Die Fruchtbarkeit auf Feld und Au. // [4.] So sorgst du stets nach Väter Weise, / Erhälst die Werke deiner Hand, / Giebst allen deinen Kindern Speise, / Beschirmst und segnest jedes Land. / Treu bist du, unveränderlich, / Erbarmest selbst der Bösen dich. // [5.] Solch Lob das wir gerührt verkünden, / Nimm, Vater, gnädig von uns an. / Und laß uns tiefer stets empfinden, / Wieviel du Gutes uns gethan, / Auf daß der Dank für deine Treu / Ein dir geweihtes Leben sei. // [6.] Und wie du selber nur aus Liebe / Uns schenkest unser täglich Brod, / So weck’ in uns des Mitleids Triebe, / Zu lindern unsrer Brüder Noth, / Und wie du Reich’ und Arme liebst; / So dien’ auch beiden was du giebst. // [7.] Doch ist nun alles wohl gerathen / Auf dem Gefild, das wir bestellt; / O reisten auch des Glaubens Saaten, / Auf deines Sohnes Erndtefeld! / Wohl uns wenn er mit Freuden sieht, / Wie ihm der Acker grünt und blüht! // [8.] Drum wollest du dem Feinde wehren, / Wenn er geschäftig Unkraut streut! / Laß sich die Frucht des Wortes mehren / Zu deinem Ruhme weit und breit; / Damit am großen Erndtetag / Ein jeder Garben bringen mag. // Nach der Predigt. – In bekannter Melodie. [1.] Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen, / Der große Dinge thut an uns und allen Enden, / Der uns von Mutterleib und Kindesbeinen

Liederblätter

621

an, / Und jetzo noch zu gut unzählig viel gethan. // [2.] Der ewig reiche Gott woll uns in unserm Leben, / Ein immer fröhlich Herz und edlen Frieden geben, / Woll’ uns in seiner Gnad’ erhalten fort und fort, / Und uns aus aller Noth erlösen hier und dort. // [3.] Lob, Ehr und Preis sei Gott, dem Vater und dem Sohne, / Und auch dem heilgen Geist im hohen Himmelsthrone, / Dem dreimal heilgen Gott, als der im Anfang war, / Und ist und bleiben wird wie jezt so immerdar. //

[Liederblatt vom 27. Januar 1828:] Am 3ten Sonnt. n. Epiphan. 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Es ist gewißlich etc. [1.] Erheb’ o meine Seele dich, / Die Finsterniß vergehet, / Der Glanz des Tages zeiget sich, / Die Sonn’ am Himmel stehet; / Zu Gott erhebe deinen Sinn, / Daß er sein Werk in dir beginn’, / Indem sein Licht dir leuchtet. // [2.] Ein Tag geht nach dem andern fort, / Und Gottes Werk bleibt liegen, / Wenn ohne That mit bloßem Wort / Sich Viele leicht begnügen. / Gieb daß wir freudig gehn ans Werk, / Verleih uns Gnade, Kraft und Stärk, / Im Licht, das uns erleuchtet. // [3.] Du zeigst, was zu vollbring’n sei / Auf unsern Glaubenswegen; / So hilf nun auch und steh’ uns bei, / Und gieb uns deinen Segen. / Dann geht, o Herr, dein Will und Wort / Von Land zu Land, von Ort zu Ort, / So weit dein Licht nur leuchtet. // [4.] Das Licht des Glaubens sei in mir, / Ein Licht der Kraft und Stärke; / Es sei die Demuth meine Zier, / Und Lieb’ in jedem Werke; / Der Geist der Weisheit mit mir sei, / Und mache mich des Irrthums frei, / So bin ich ganz erleuchtet. // Nach dem Gebet. – Mel. Der Tag ist hin etc. [1.] O Menschenkind, was trägst du in Gedanken, / Nichts Sterbliches füllt ja der Seele Schranken; / Nur dem, der recht an Jesum Christum denkt, / Wird was sein Herz ersehnt von Gott geschenkt. // [2.] Er müsse stets dir im Gedächtniß schweben, / Der Spiegel sein, darin du schaust dein Leben; / Dein Herz und Sinn sei ganz zu ihm gewandt, / Durch ihn erst wird dein Beruf bekannt. // [3.] Da Christus ist zu deinem Heil geboren, / So bleibe nicht im Irdischen verloren! / Auch du mußt nun, durch ihn von Sünden rein, / Ein neuer Mensch vom Geist gezeuget sein. // [4.] Wie dir zu gut sein Leben er geführet, / So folge du mit Geist und Kraft gezieret, / In stillem Sinn, wie er in Demuth ging, / Und liebevoll, wie er die Welt umfing. // [5.] Wie er empor zur himmlischen Erhöhung / Als Sieger drang nach seiner Auferstehung; / So dringst auch du einst in sein himmlisch Reich, / Hängst du nur treu an ihm, und wirst ihm gleich. // [6.] Was ist es denn, daß wir uns seiner schämen, / Nicht seine Schmach mit Freuden auf uns nehmen? / Er sendet uns, wie Gott ihn hat gesandt, / Was er empfing, wird uns auch zugewandt, // [7.] Wie unser Herr und Heiland hat gewandelt, / Nach welcher Art die Welt mit ihm

622

Anhang

gehandelt, / Das bleibt mit Recht auch seiner Knechte Zier, / Ihr höchster Ruhm, ihr Heil und ihr Gebühr. // [8.] Was Er gethan in dem Erlösungswerke, / Das that der Held aus eigner Gottesstärke; / Wir wirken auch, von seinem Geist beseelt, / Wir leiden mit durch seine Kraft gestählt. // [9.] Durch seinen Sieg sind wir nun Gottes Kinder, / Der Sünde feind, des Fleisches Ueberwinder; / Durch seinen Geist verkünden wir sein Wort, / Und fahren hin zum selgen Friedensport. // Nach der Predigt. – Mel. Auf meinen lieben Gott etc. [1.] Wohin, wohin von dir, / O Jesu gingen wir! / Nein, Geber ewgen Lebens, / Die Welt lockt uns vergebens. / Sie kann mit allen Schäzen, / Was du giebst, nicht ersezen. // [2.] Herr stärke meine Treu, / Und mach sie täglich neu, / Daß keine Last noch Mühe / Mich deinem Dienst entziehe; / Dann leb ich ungeschieden / Von dir in ewgem Frieden. //

[Liederblatt vom 9. März 1828:] An Sonntage Oculi 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Zion klagt etc. [1.] Jesu deine Schmach und Leiden, / Deine Qualen bis zum Tod, / Lehren mich das böse meiden, / Geben Kraft mir in der Noth. / Sollt’ ich mich durch Sünd entweihn? / Nein ich denk an deine Pein! / Der Versuchung zu entgehen; / Darf ich nur auf diese sehen. // [2.] Das Gedächtniß deiner Plagen / Stärket mich mit Kraft und Muth / Allen Lüsten zu entsagen, / Zu bekämpfen Fleisch und Blut. / Auch wenn Freudigkeit mir fehlt, / Wenn mich Sorg und Trübsinn quält, / Will ich, mein Vertraun zu stärken, / Nur auf deine Leiden merken. // [3.] Und bei allem, was mich kränket, / Wird mir so das Herz gestillt; / Kaum daß es der Noth gedenket / Als es deinen Trost schon fühlt. / Jeden kann dein Tod erfreun, / Den die Sünden wahrhaft reun; / Denn du hast, da du gestorben, / Uns Vergebung ja erworben. // [4.] So hab’ ich in meinem Herzen / Hofnung jener Herrlichkeit, / Und besiege Furcht und Schmerzen / Auch im letzten Kampf und Streit. / Ja dein Kampf und deine Pein / Soll mir Trost im Sterben sein; / Und dein Tod, Herr, soll mir geben / Auferstehung Heil und Leben. // Nach dem Gebet. – Mel. Wachet auf, ruft etc. [1.] Heilger Jesu, Heilgungsquelle, / Mehr als Krystall klar, rein und helle, / Du lautrer Strom der Heiligkeit! / Aller Glanz der Cherubinen / Und blendend Licht der Seraphinen / Ist gegen dich nur Dunkelheit. / Sei du ein Vorbild mir! / Ja bilde mich nach dir / Du mein Alles! / Jesu, ja du / Hilf mir dazu, / Daß ich mag heilig sein wie du. // [2.] Stiller Jesu, wie dein Wille / Dem Willen deines Vaters stille / Und bis zum Tod gehorsam war, / Also sei wie du gelassen / Mein Herz und Wille gleichermaßen / Und Gott ergeben ganz und gar! / Mach mir dir gleich gesinnt / Wie ein gehorsam Kind, / Treu und

Liederblätter

623

stille, / Jesu, ja du / Hilf mir dazu, / Daß ich so stille sei wie du. // [3.] Sanfter Jesu, der geduldig / Der Leiden Fülle trug unschuldig, / Den falscher Eifer nie verzehrt, / Der den Gegnern niemals fluchte, / Der nur des Vaters Ehre suchte, / Nur treu als Sohn zu sein begehrt. / Mein Heiland, ach verleih / Mir Sanftmuth und dabei / Guten Eifer! / Jesu, ei nu, / Hilf mir dazu, / Daß ich sanftmüthig sei wie du. // [4.] Liebster Jesu du wollst geben, / Daß immerdar mein ganzes Leben / Sei deinem heilgen Vorbild gleich; / Und daß dein Geist mich so durchdringe, / Daß ich viel Glaubensfrüchte bringe / Und tüchtig werd in deinem Reich. / Zeuch du mich ganz zu dir, / Behalt mich für und für, / Treuer Heiland! / Jesu, ei nu, / Laß mich wie du, / Und wo du bist, einst finden Ruh. // Nach der Predigt. – Mel. Sollt ich meinem etc. Lasset uns mit Jesu ziehen, / Seinem Vorbild folgen nach, / In der Welt der Welt entfliehen, / Auf der Bahn, die er uns brach, / Immerfort gen Himmel reisen, / Irdisch noch, doch himmlisch sein, / Glauben recht und leben rein, / Glauben in der Lieb erweisen. / Treuer Jesu, bleib bei mir, / Geh voran, ich folge Dir. //

[Liederblatt vom 7. April 1828:] Am zweiten Ostertage 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Lobt Gott ihr Christen etc. [1.] Hört’s Alle, hört’s, daß Jesus lebt, / Von Todesbanden frei; / Daß er nun ewig um uns schwebt, / So nah, so mild und treu. // [2.] Er lebet, der im Grabe war, / Er lebt für uns fortan; / Nun geht das große Gnadenjahr / Für all die Seinen an. // [3.] Versiegelt ist der Friedensbund, / Der uns mit Gott vereint; / Nun thut ein Tag dem andern kund, / Gott selbst ist unser Freund. // [4.] Entsündigt dürfen Alle nun / Gen Himmel fröhlich schaun, / Und an dem Vaterherzen ruhn / Mit Herzen voll Vertraun. // [5.] Uns schrekt nicht mehr des Grabes Nacht; / Wo ist des Todes Sieg? / Das Leben ist ans Licht gebracht, / Seit er dem Grab entstieg. // [6.] Das Himmelreich neu aufgethan / Wird uns zum Vaterland; / Uns führt des Vaters Sohn hinan / Mit treuer Bruderhand. // [7.] Verloren ist nun keine Saat, / Mit Thränen hier gestreut; / Die Ernte jeder guten That / Reift dort in Herrlichkeit. // Nach dem Gebet. Chor. Gott hat den Herrn auferwecket, und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. // Recitativ und Duett. Nun ist erfüllt das Wort des Wahrhaft’gen, der Tod ist nun verschlungen in den Sieg. O Tod, wo ist dein Stachel? o Grab, wo ist dein Sieg? Der Tod ist nun verschlungen in den Sieg. //

624

Anhang

Chor. Drum Dank dir, Dank sei dir, Gott, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christ. // Gemeinde. – Mel. Christus der ist mein etc. [1.] Willkommen, Held im Streite, / Aus deiner Grabeskluft, / Wir triumphiren heute / An deiner leeren Gruft. // [2.] In deines Grabes Staube / Liegt unsre Schuld bedeckt; / Dein tröstet sich der Glaube, / Den nun kein Tod mehr schreckt. // [3.] Der Fried’ ist uns erstritten, / Und jeder Schrecken flieht; / In der Gerechten Hütten / Erschallt das Siegeslied. // [4.] Du hast dies Heil erworben; / Wir preisen dich dafür. / Sind wir mit dir gestorben, / So leben wir mit dir. // Chor. Würdig ist das Lamm, das erwürget ist, und hat uns Gott erkauft mit seinem Blut, zu nehmen Stärke und Reichthum und Hoheit und Macht und Ehre und Weisheit und Segen. // Alle Gewalt und Preis und Macht und Ruhm und Lob gebühret dem der auf dem Stuhle thront, und dem erwürgten Lamme von nun an und ewig. Amen, Amen. // Gemeinde. – Mel. Wachet auf, ruft uns etc. Glorreich hat der Held gerungen, / Der Hölle finstre Macht bezwungen, / Und uns von Straf’ und Schuld befreit. / Wir die tiefgefallnen Sünder, / Sind nur durch Christum Gottes Kinder, / Und Erben seiner Seligkeit. / Wir sind durch ihn versöhnt, / Den Gott mit Preis gekrönt. / Hallelujah! Wir sind nun sein; / Und ihm allein / Soll unser ganzes Herz sich weihn. // Nach der Predigt. – Mel. Eine feste Burg etc. Er lebt, o Christen, laßt uns heut / Frohlockend ihn erheben; / Laßt uns von nun an jederzeit / Ihm wohlgefällig leben. / Wir sind sein Eigenthum, / Erkauft ihm zum Ruhm; / Sein wollen wir allein / Todt und lebendig sein, / Und sein auch ewig bleiben. //

[Liederblatt vom 11. Mai 1828:] Am Sonntage Rogate 1828. Vor dem Gebet. – Mel. Kommt her zu mir etc. [1.] Herr meiner Seele großen Werth, / Den mir dein heilges Wort verklärt, / Laß mich mit Ernst bedenken! / Daß ich sie ehre wie ich soll, / Und auf die Sorge für ihr Wohl / Mög’ allen Eifer lenken. // [2.] Welch Heil hast du ihr zugedacht! / Wieviel hat deine Gnad’ und Macht / Schon hier an sie gewendet! / Du schufst sie, Herr, dein Bild zu sein, / Und hast uns, um es zu erneun, / Den Sohn herabgesendet. // [3.] Drum aufwärts richte sich mein Sinn, / Weil ich ja nur ein Pilger bin / Für kurze Zeit auf Erden. / Durch Glauben und Gottseligkeit / Soll größerer Vollkommenheit / Ich einst theilhaftig werden. //

Liederblätter

625

[4.] So leb’ ich denn im Glauben schon / An meinen Heiland, deinen Sohn, / Was ich im Fleisch noch lebe. / Er ist zum Vorbild mir gestellt; / Ich sterbe mit ihm dieser Welt, / Weil ich mich ihm ergebe. // [5.] Durch ihn kann ich mich dein erfreun, / Und ewig dir vereint zu sein, / Zum höchsten Gut mir wählen. / Mich stärke deines Geistes Kraft, / Zum Kampfe meiner Ritterschaft / Kann mir der Preis nicht fehlen. // Nach dem Gebet. – Mel. Liebster Jesu, wir sind etc. [1.] Geist der Wahrheit, lehre mich / Aller Weisheit Quelle kennen! / Jesum kann ich nur durch dich / Meinen Herrn und Heiland nennen, / Du nur kannst ihn mir verklären, / Und mein Herz zu Gott bekehren. // [2.] Du nur machst das Herz gewiß, / Und erleuchtest meine Seele, / Daß ich in der Finsterniß / Nicht den Weg des Heils verfehle; / Du führst mich auf Gottes Pfade, / Zeugst von Wahrheit und von Gnade. // [3.] Unser Tröster heißest du; / Ueberschwänglich kannst du trösten, / Du erfüllst mit Himmelsruh / Die Gemüther der Erlösten, / Daß sie nach der Angst der Sünden / Gottes Vaterhuld empfinden. // [4.] Mächtig stärkst du zum Gebet, / Weckst in uns inbrünst’ges Sehnen, / Das mit stillen Seufzern fleht, / Und zur Wonne führt durch Thränen. / Hofnung und Geduld im Leiden, / Ist dein Werk du Geist der Freuden. // [5.] Heiligung und Reinigkeit, / Und ein gottgefällig Leben, / Selige Zufriedenheit, / Wahre Weisheit kannst du geben; / Selig, die an deinen Gaben / Theil durch Lieb’ und Glauben haben. // [6.] Was mir fehlt, find’ ich bei dir; / Nur durch dich kann ich genesen. / Komm, und wohne selbst in mir! / Schaffst du neu mein ganzes Wesen: / Dann wird meine Schwachheit Stärke, / Und ich wirke Gottes Werke. // [7.] Sieh, ich öffne dir mein Herz, / Läutre du es auch durch Leiden; / Mache mich durch Noth und Schmerz / Würdig deiner Himmelsfreuden. / Hilf mir, Vater, beten, ringen, / Und hindurch zum Ziele dringen. // Nach der Predigt. – Mel. Preis, Lob, Ehr, Ruhm etc. [1.] Nimm du, o Herr, zum Opfer hin, / Uns selbst mit allem, was wir haben; / Nimm Leib und Seele, Herz und Sinn, / Zum Eigenthum statt andrer Gaben. / Bereite selbst dir aus der Schwachen Mund, / Ein würdig Lob, mach deinen Namen kund. // [2.] Hiezu gieb Einen Sinn und Muth; / Halt’ deine Gläub’gen fest zusammen, / Daß unser Herz voll heil’ger Glut / Entbrenn’ in deiner Liebe Flammen. / Zu deinem Thron steigt unser Dank empor, / Bis würd’ger er erschallt im höhern Chor. //

Verzeichnisse

Editionszeichen und Abkürzungen Das Verzeichnis bietet die Auflösung der Editionszeichen und der Abkürzungen, die von den Autoren oder von dem Bandherausgeber sowie in der zitierten Literatur benutzt worden sind, soweit die Auflösung nicht in den Apparaten oder im Kopftext zu den einzelnen Predigten erfolgt. Nicht verzeichnet werden Abkürzungen, die für Vornamen stehen oder die sich von den aufgeführten nur durch das Fehlen eines Abkürzungspunktes, durch Klein- bzw. Großschreibung oder die Flexionsform unterscheiden. Schließlich sind nicht aufgenommen die in den Quellenangaben der Liederblätter vorkommenden Abkürzungen. *

// [] ] PS [!]

Kennzeichnung im Inhaltsverzeichnis für Predigttermine mit Liederblattanhang Seitenwechsel Zeilenwechsel; Markierungen zwischen Band und Teilband, zwischen mehreren Editoren, zwischen Erscheinungsorten, zwischen Reihengliedern Absatzwechsel Ergänzungen des Bandherausgebers Lemmazeichen unsichere Lesart Hinweis auf Anomalie / Aufmerksamkeitszeichen

1Chr 1Joh 1Kor 1Petr 1Thess 1Tim 2Kor 2Petr 2Tim 2Thess

Das erste Buch der Chronik Der erste Brief des Johannes Der erste Brief des Paulus an die Korinther Der erste Brief des Petrus Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher Der erste Brief des Paulus an Timotheus Der zweite Brief des Paulus an die Korinther Der zweite Brief des Petrus Der zweite Brief des Paulus an Timotheus Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher

ABBAW

Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin Abkürzung Allgemeine Deutsche Biographie Die Apostelgeschichte

| /

Abk. ADB Apg

630

Verzeichnisse

Bd. bes. Bl. bspw. bzw.

Band besonders Blatt beispielsweise beziehungsweise

Charfr. Chr. Commun.

Charfreitag Christus Communion

d. d. h. Dtn Dr.

den (bei Datums- bzw. Tagesangaben) das heißt Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Doktor

ebd. Ebr. ed. / edd. Eph etc. Ev. Lucae Ex Ez

ebenda Der Brief an die Hebräer edidit / ediderunt Der Brief des Paulus an die Epheser et cetera Das Evangelium nach Lukas Das zweite Buch Mose (Exodus) Der Prophet Hesekiel (Ezechiel)

f. ff. FHDS 34

Fr.

folgend fortfolgend Fürstliches Hausarchiv Dohna-Schlobitten, Karton 34 (mit Angabe der Archivalien- und Predigtnummer), Depositum im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin, VI. Hauptabteilung Freunde

Gal gel. Gen GStA

Der Brief des Paulus an die Galater geliebte Das erste Buch Mose (Genesis) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin

HA Hebr hg. Hiob Hr.

Hauptabteilung Der Brief an die Hebräer herausgegeben Das Buch Hiob (Ijob) Herr

Jak Jer

Der Brief des Jakobus Der Prophet Jeremia

Editionszeichen und Abkürzungen Jes Jg. Joh

Der Prophet Jesaja Jahrgang Das Evangelium nach Johannes

KGA Kj Kol korr.

Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe Konjektur Der Brief des Paulus an die Kolosser korrigiert

Lk / Luc.

Das Evangelium nach Lukas

m. m. a. Fr. m. and. Fr. Matth. m. Fr. m. gel. Fr. m. g. F. m. g. Fr. m. th. F. m. th. Fr. Mi mitt. Mk / Mar. Mp. Mt

meine (in der Anrede an die Predigthörer) meine andächtigen Freunde meine andächtigen Freunde Das Evangelium nach Matthäus meine Freunde meine geliebten Freunde meine geliebten Freunde meine geliebten Freunde meine theuren Freunde meine theuren Freunde Der Prophet Micha mittags Das Evangelium nach Markus Mappe Das Evangelium nach Matthäus

nachm. NiN Nr. Num

nachmittags Nicht identifizierter Nachschreiber Nummer Das vierte Buch Mose (Numeri)

Offb

Die Offenbarung des Johannes

Phil pp. Pr. PredSal Prof. Ps

Der Brief des Paulus an die Philipper perge perge Predigt Der Prediger Salomo (Kohelet) Professor Der Psalter (Psalmen)

r Rep. Röm

recto (Vorderseite bei Blattangaben) Repositorium Der Brief des Paulus an die Römer

631

632 S. Sach SAr

Verzeichnisse

SnE SnT sog. Sp. Spr Sr. St. SW

Seite Der Prophet Sacharja Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, Schleiermacher Archiv, Depositum 42a (mit Mappennummer) Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz Schleiermacher-Archiv (hg. v. Hermann Fischer u. a.) Schleiermacher-Forschungsstelle der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Sonntag im Advent Signatur Sammlung Witwe Schleiermacher Schleiermacher –Nachlass; Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Nachlass F. D. E. Schleiermacher (mit Angabe der Archivaliennummer) Sonntag nach Epiphanias Sonntag nach Trinitatis sogenannt Spalte Die Sprüche Salomos (Sprichwörter) Seiner Sankt / Saint Schleiermacher: Sämmtliche Werke

Tit

Der Brief des Paulus an Titus

u. usw. / u. s. w.

und und so weiter

v V. v. Verf. vermutl. vgl. vorm.

verso (Rückseite bei Blattangaben) Vers versus (Vers) / von / vor Verfasser vermutlich vergleiche vormittags

Z. z. B.

Zeile zum Beispiel

SB SBB SchlA SFK SiA Sign. Slg. Wwe. SM SN

Literatur Das Literaturverzeichnis führt die Druckschriften und Archivalien auf, die in den edierten Texten, den editorischen Beigaben (Apparaten und Predigtkopftexten) und in der Einleitung des Bandherausgebers genannt sind. Dabei sind folgende Regeln zu beachten: 1. Verfasser- und Ortsnamen werden in einer heute üblichen Schreibweise angegeben. 2. Die Titelangabe erfolgt nicht in diplomatisch getreuer Wiedergabe der Titelblätter; ausführliche Titel können in einer sinnvollen Kurzfassung angeführt werden, die nicht als solche gekennzeichnet wird. Entsprechendes gilt für die Archivalien. 3. Werden zu einem Verfasser mehrere Titel genannt, so werden die Gesamtausgaben vorangestellt. Alle anderen Titel werden chronologisch angeordnet. 4. Bei denjenigen Werken, die in Schleiermachers Bibliothek nachgewiesen sind, wird nach den bibliographischen Angaben in eckigen Klammern das Sigle „SB“ (vgl. Meckenstock: Schleiermachers Bibliothek) mit anschließender Listennummer hinzugefügt. 5. Die im Band benutzten Archivalien werden im Anschluss an die Druckschriften als Anhang aufgeführt, geordnet nach Archiven und deren innerer Systematik.

* * * Adelung, Johann Christoph: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen, Bd. 1–5, Leipzig 1774–1786 [SB 8] Albrecht, Christoph: Schleiermachers Liturgik. Theorie und Praxis des Gottesdienstes bei Schleiermacher und ihre geistesgeschichtlichen Zusammenhänge, Berlin 1962 Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 43, Neudruck der 1. Auflage von 1898, Berlin 1971 Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin auf das Jahr 1823(–1836) enthaltend die Wohnungsnachweisungen aller öffentlichen Institute und Privat-Unternehmungen, aller Hausbesitzer, Beamteten, Kaufleute, Künstler, Gewerbetreibenden und einen eigenen Hausstand Führenden, in Alphabetischer Ordnung, ed. v. J. W. Boike, Berlin 1823(–1836) [SB 2235]

634

Verzeichnisse

Allgemeines Kirchenblatt für das evangelische Deutschland, Jg. 39, 1890 Arndt‚ Andreas/Virmond, Wolfgang: Schleiermachers Briefwechsel (Verzeichnis) nebst einer Liste seiner Vorlesungen, SchlA 11, Berlin/New York 1992 Aus Schleiermacher’s Leben: s. Schleiermacher Bachmann, Johann Friedrich: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher. Ein hymnologischer Beitrag, Berlin 1856 Berliner Gesangbuch: s. Gesangbuch [1829] Gesangbuch zum gottesdienstlichen Gebrauch für evangelische Gemeinen. Mit Genehmigung Eines hohen Ministerii der geistlichen Angelegenheiten, Berlin [1829] [SB 2349] Journal für Prediger, edd. K. G. Bretschneider, D. A. Neander, J. S. Vater, Halle 1770–1842 Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden, als: Abendmahls-, Beicht-, Confirmations-, Einweihungs-, Grab-, Tauf-, Trau- und Verlobungsreden, Bd. 1–8, Magdeburg 1829–1842 Meckenstock, Günter: Kalendarium der überlieferten Predigttermine Schleiermachers, in: KGA III/1, S. 769–1033 : Schleiermachers Bibliothek nach den Angaben des Rauchschen Auktionskatalogs und der Hauptbücher des Verlages G. Reimer, in: KGA I/ 15, S. 637–912 Meding, Wichmann von: Bibliographie der Schriften Schleiermachers, nebst einer Zusammenstellung und Datierung seiner gedruckten Predigten, SchlA 9, Berlin/New York 1992 New York Times vom 17. April 1882 Nowak, Kurt: Schleiermacher. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2002 Reich, Andreas: Friedrich Schleiermacher als Pfarrer an der Berliner Dreifaltigkeitskirche 1809–1834, SchlA 12, Berlin/New York 1992 Rezension von: Schleiermacher, Predigt, gehalten bey der Wieder-Eröffnung der Deutsch-Evangelisch-Lutherischen Kirche, in der SAVOY, zu London, am 16ten Sonntage nach Trinitatis, dem 21. Sept. 1828, in: Journal für Prediger, Jg. 1830, Bd. 1, S. 249–251 Rezension von: Schleiermacher, Predigt am 25sten Sonntage nach Trinitatis 1828, als am Todtenfeste in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1829, in: Journal für Prediger, Jg. 1830, Bd. 1, S. 249–251 Rezension von: Schleiermacher, Die an uns Alle gerichtete Aufforderung, dem Leiden Christi ähnlich zu sein, in: Predigten zum Besten der durch Ueberschwemmung verunglückten Schlesier, dargeboten von Bollert, Brescius, Couard, Deibel, Goβner, Hoβbach, Lisco, Marheineke, Marot, Pischon, Roβ, Sack, Schleiermacher, Schulz, Schweder, Strauβ, Stüler,

Literatur

635

Sydow, Theremin, Wilmsen, Ziehe, ed. A. Sydow, Berlin 1829, S. 136– 153, in: Theologisches Literaturblatt, Jg. 1830, Nr. 19, Sp. 145 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Sämmtliche Werke, 3 Abteilungen, 30 Bde. in 31, Berlin 1834–1864; Abt. II: Predigten, Bd. 1–4, 2. Aufl., Berlin 1843–1844. : Kritische Gesamtausgabe, hg. v. H.-J. Birkner, H. Fischer u. a.; Abt. I: 15 Bde. in 18, Berlin/New York 1980–2005; Abt. II: bisher 5 Bde. in 6, 1998ff.; Abt. III: bisher 8 Bde., 2011ff.; Abt. V: bisher 9 Bde., 1985ff. : Buttmann und Schleiermacher über Heindorf und Wolf, Berlin 1816 (KGA I/14, S. 213–221) : Ueber die Schriften des Lukas, ein kritischer Versuch, Erster Theil, Berlin 1817 (KGA I/8, S. 1–180) : Predigt, gehalten bey der Wieder-Eröffnung der Deutsch-EvangelischLutherischen Kirche, in der SAVOY, zu London, am 16ten Sonntage nach Trinitatis, dem 21. Sept. 1828, [nicht autorisierter Einzeldruck bei J. B. G. Vogel, London-Camberwell 1828] [autorisierter korrigierter Einzeldruck bei G. Reimer] Berlin, 1829 : Predigt am 25sten Sonntage nach Trinitatis 1828, als am Todtenfeste in der Dreifaltigkeitskirche gesprochen, Berlin 1829 : [Predigt] Die an uns Alle gerichtete Aufforderung, dem Leiden Christi ähnlich zu sein, in: Predigten zum Besten der durch Ueberschwemmung verunglückten Schlesier, dargeboten von Bollert, Brescius, Couard, Deibel, Goβner, Hoβbach, Lisco, Marheineke, Marot, Pischon, Roβ, Sack, Schleiermacher, Schulz, Schweder, Strauβ, Stüler, Sydow, Theremin, Wilmsen, Ziehe, ed. A. Sydow, Berlin 1829, S. 136–153 : Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden, Bd. 1–8, Magdeburg 1829–1842; Bd. 4, Magdeburg 1834. : [Predigt] Rede an Nathanaels Grabe den 1. November 1829, in: Magazin von Casual-, besonders kleineren geistlichen Amtsreden, Bd. 4, Magdeburg 1834‚ S.280–285 : Briefwechsel mit J. Chr. Gaß, hg. v. W. Gaß, Berlin 1852 : [Briefe] Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bd. 1–2, 2. Aufl., Berlin 1860; Bd. 3–4, edd. Ludwig Jonas/Wilhelm Dilthey, Berlin 1861– 1863 (Nachdruck Berlin/New York 1974) : [Predigten ed. Grosser] SämmtlicheWerke, Reihe I. Predigten [einzige], Bd. 1–5, hg. v. E. Grosser, Berlin 1873–1877; 2. Aufl., Bd. 1, 1876 : [Briefe ed. Jacobi] Schleiermachers Briefe an die Grafen zu Dohna, ed. J. L. Jacobi, Halle 1887 : Schleiermacher als Pädagoge, ed. H. Keferstein, Jena 1887 (2. Auflage 1902) : Auswahl seiner Predigten, Homilien und Reden. Mit einer einleitenden Monographie von Wilhelm von Langsdorff, Pfarrer in Rittmitz, in: Die Predigt der Kirche (Bd. VII), Leipzig 1889 : Kant und Schleiermacher als Pädagogen. Eine Auswahl aus ihren Schriften, hg. von Direktor H. Barckhausen, in: Pädagogischer Schriftsteller (Bd. 17), Bielefeld/Leipzig 1914

636

Verzeichnisse

: [Predigt] Leichenrede von D. theol. Fr. Schleiermacher, weiland Professor und Prediger in Berlin, gehalten am Grabe seines Sohnes Nathanael den 21. November 1829 in Berlin, Darmstadt 1916 : [Briefe ed. Meisner] Schleiermacher als Mensch. Sein Werden und Wirken. Familien- und Freundesbriefe, ed. H. Meisner, Bd. 1–2, Gotha 1922–1923 : Unsterblichkeit. Deutsche Denkreden aus zwei Jahrhunderten. Besorgt und eingeleitet von Gerhart Pohl, Berlin 1942 : Pädagogische Schriften. Unter Mitwirkung von Theodor Schulze herausgegeben von Erich Weniger. Zweiter Band. Pädagogische Abhandlungen und Zeugnisse, Düsseldorf/München 1957 (2. Auflage 1966; 3. Auflage 1984) : [Predigt] Friedrich Schleiermacher. Totengedenken. Grabrede auf seinen Sohn Nathanael, Neuffen/Württ. 1965 : Predigten, ausgewählt von Hans Urner, Berlin 1969 : Kleine Schriften und Predigten, hg. v. H. Gerdes/E. Hirsch, Bd. 1–3, Berlin 1969–1970 : Liederblätter. Herausgegeben von Schleiermacher. In chronologischer Folge nach den Sammelbänden in London (L) und Hannover (H) sowie nach den Einzelblättern in Berlin (B) zusammengestellt von Wolfgang Virmond, Berlin 1989 : [Liederblätter] (Einzelblätter in der Staatsbibliothek zu Berlin, SAr 1 : [Liederblatt] (Sammelband in London, British Library, Signatur: 3436. h. 29) : [Liederblätter] (Sammelband im Michaeliskloster Hildesheim, Evangelisches Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik Bibliothek des Landeskirchenamtes der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, Signatur: GBA 1816–1827 Schmidt, Bernhard: Lied – Kirchenmusik – Predigt im Festgottesdienst Friedrich Schleiermachers. Zur Rekonstruktion seiner liturgischen Praxis, SchlA 20, Berlin/New York 2002 Seibt, Ilsabe: Friedrich Schleiermacher und das Berliner Gesangbuch von 1829, Göttingen 1998 Theologisches Literaturblatt, ed. E. Zimmermann, Darmstadt 1824–1872 Virmond, Wolfgang: s. Arndt, Andreas Willich, Ehrenfried von: Aus Schleiermachers Hause. Jugenderinnerungen seines Stiefsohnes, Berlin 1909

* * * Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin Nachlass F. D. E. Schleiermacher: Nr. 449 Nr. 593

Tageskalender 1829 Predigtnachschrift NiN

Literatur Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

594 597 601 605 607 610 612 615 619 623

Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift Predigtnachschrift

637

NiN NiN NiN NiN NiN NiN NiN NiN Crayen Crayen

Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin Kirchenbücher der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin: 10/87 Dorotheenstadt: Bestattungen 1826–1830 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin HA VI, Fürstliches Hausarchiv Dohna-Schlobitten, Kasten 34, Nr. 104 Schleiermacher-Forschungsstelle der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Nr. 2

Rede an Nathanaels Grabe

Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz Nachlass Ludwig Jonas: Mp. 6 Schleiermachers Rede am Sarge seines Sohnes Schleiermacher-Archiv Depositum 42a (Angaben nach Archivverzeichnis): Mp. 54 Mp. 67 Mp. 68 Mp. 82 Mp. 94 Mp. 96 Mp. 97 Mp. 106

Schirmer A – 18 Predigten (1818–1831) und Anhang (Dublette mit Besitzvermerk „Jonas“) sowie Beilage Woltersdorff J – 35 Predigten (1828) sowie Beilage Woltersdorff K – 29 Predigten (1829) sowie Beilage Slg. Witwe Schleiermacher I: Dunckel – 3 Predigten (1821–1828) Slg. Witwe Schleiermacher U: Pommer A – 39 Predigten (1827 und 1829–1830) sowie Beilage Slg. Witwe Schleiermacher W: Buttmann – 1 Predigt (1829) Slg. Witwe Schleiermacher X: Nicht identifizierte Nachschreiber – 3 Predigten (1829–1831) Crayen A – 21 Predigten (1821–1831) sowie Beilage

Namen Das Namensregister verzeichnet die in diesem Band genannten historischen Personen in einer heute gebräuchlichen Schreibweise. Nicht aufgeführt werden die Namen biblischer, literarischer und mythischer Personen, die Namen von Herausgebern, Übersetzern und Predigttradenten, soweit sie nur in bibliographischen oder archivalischen Angaben vorkommen, die Namen, die nur in Quellenangaben von Liedertexten genannt sind, sowie die Namen der an der vorliegenden Ausgabe beteiligten Personen und der Name Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers. Bei Namen, die im Schleiermacherschen Text oder die sowohl im Text als auch im zugehörigen Apparat vorkommen, sind die Seitenzahlen recte gesetzt. Bei Namen, die in der Bandeinleitung oder den Apparatmitteilungen des Bandherausgebers genannt werden, sind die Seitenzahlen kursiv gesetzt. Adelung 34.90.100.122.123.128. 131.133.139.166.172.205.207. 224.230.242.292.306.307.332. 335.342.378.398.403.408.418. 451.465.471.476.482.492.545 Albrecht XXIII Arndt XI.XIV Bachmann XXIII Blanc, Ludwig Gottfried XVIII Blanc, Pauline XXXVI Brennus 519 Buttmann XIV–XVI.410–412 Crayen XXI.XXXIII–XXXIV. XXXVII.XL Dohna XIV Dunckel XXXIV–XXXV Gaß XVII Goßner X–XI Heindorf XVI Herz XV Hugo XV Humboldt XIV

Kober XI Leopold I. XV Luther 333.384.503 Marheineke X–XI Meckenstock XXIX Meding XXXII Meisner XVIII–XX Melbourne XIX Meyer XIV Mühlenfels XVIII–XIX Nowak XIII–XIX Pommer XXXV Reich XII–XIII Reimer IX.XXIX.189.232 Rosen XVIII–XIX Schirmer XI.XXXVI.XL Schleiermacher, Henriette XVI. XVIII–XIX. Schleiermacher, Nathanael XIV. XVI–XVII.XXIII.XXXII.507–512

Namen Schmidt XXII–XXIII Schubring XI Schwabe XIX Seibt XXII–XXIII Steinkopf XIX–XX.189.199 Sydow 351 Thirlwall XIX

639

Virmond XI.XIV Willich XVI–XVII Wolf XVI Woltersdorff XXXII–XXXIV. XXXVI–XXXVII.XXXIX–XL Woltersdorff, Ernst Gabriel XXXVI

Bibelstellen Halbfett gesetzte arabische Seitenzahlen weisen Bibelstellen nach, über die Schleiermacher gepredigt hat. Die in Schleiermachers Texten vorkommenden Bibelstellenangaben werden durch recte gesetzte arabische Seitenzahlen verzeichnet. Kursiv gesetzte arabische und römische Seitenzahlen geben solche Bibelstellen an, die im Sachapparat und in der Bandeinleitung genannt sind. Die Abfolge der biblischen Bücher ist an der Lutherbibel orientiert. Das erste Buch Mose (Genesis)

Das erste Buch der Chronik

Gen 1,1 1,26–30 1,26 1,27 1,28 2,7 3,8–9 3,15 3,19 6,17–18 28,12

1Chr 30,1–9 1Chr 30,10–20

524 480 526 107.392.409.500 266.267.480.482 526 396 327 481 480 6

Das zweite Buch Mose (Exodus) Ex 19,5 20,5 20,12 20,19 34,6–7 34,7

481 25 4 77 481 25

Das vierte Buch Mose (Numeri) Num 14,18

25

Das fünfte Buch Mose (Deuteronomium) Dtn 5,9 8,3 10,8–22 27,26

25 138 131 186

189 200

Das Buch Hiob (Ijob) Hiob 1,21

120

Der Psalter Ps 4,8 9,7 9,8 19,2 32,1–3 37,6 40,7–9 40,8–9 85,11 90,4 90,12 94,9 95,7–8 103,15–16 103,17

479–483 115 119 99 144 248 288.332 320.323 153 148 412 525 98 522 524

Die Sprüche Salomos (Sprichwörter) Spr 10,7

412

Der Prediger Salomo (Kohelet) PredSal 1,2 7,14

19 483

Bibelstellen Der Prophet Jesaja Jes 2,4 6,10 28,29 29,13 42,2–3 42,3 45,23 54,13 64,3

518 407 24.114.120.264 109.320.448 56.82.418.536 461.539 539 49.269 98

Der Prophet Jeremia Jer 31,33

49.254.269.278. 279.384.457

Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) Ez 18,23 33,11

514 514

Der Prophet Micha Mi 4,3 5,1

518 469

Der Prophet Sacharja Sach 13,7

230

Das Evangelium nach Matthäus Mt 1,15 2,6 3,2 3,7–10 3,8–11 3,9 3,17 4,1–11 4,4 4,17 4,19 5,2–10 5,3 5,8 5,14 5,20 5,43 6,7

262 469 262 413 18 17.129 321.333 312 138 51.127 434 127–133 406 81 403 128 483 22

6,10 6,21 6,24 6,25 6,26–31 6,27 6,32 6,33 6,34 7,1 7,7–8 7,15 7,16 7,20 7,21 9,1–8 9,2 9,9–11 9,9–13 9,12 9,14 9,15 10,6 10,34 11,3 11,7 11,11 11,23 11,25 11,26 11,27 11,28 11,29–30 11,29 11,30 12,19–20 12,19–21 12,20 12,24 12,30 12,31 12,34 13,1–9

641 311 218 101 138 480 138 138 259.497.498 138.139.430 131 486 502 66 66 7.80.460 492–500.142 386.544 162 219 129 227 227–231 408 XII.129.148.225. 230.247 255–260.251 507 529 183 183.184 185 78.183.184.185. 530.535 183–188.237. 407.536 183.237.459 184.185.419.462. 476 156.184.186.476 82.536 56 461.539 313 213 313 65.238.518 407

642 13,12 13,18–23 13,45–46 13,46 13,52 15,8 15,24 16,16 16,17 16,18 16,20 16,24 18,11 18,12 19,27 20,23 20,28 22,16 23,2 23,3 23,8 23,27 25,11–12 25,14–30 25,21 25,23 25,40 26,3–5 26,31 26,34 26,39 26,42 26,46 26,63–64 26,69–75 26,74–75 27,38 27,51 27,54 28,18 28,19 28,20

Verzeichnisse 406–409 407 188 235 162 109.320.448 293 16.317 397.546 95.328 60 121.148 183.323 82.95 187 324 506 495 312 312 503 196 101 219 139.455 455 115 48 76.230 54 311 50 311 59–66 53 54 314 61.68.80 76 180.201.242.257. 463 201.202.448 201–202.208. 231.453

Das Evangelium nach Markus Mk 1,7 1,15

15 13–19.250–254

1,23–45 1,45 2,1–4 2,5–12 2,7 2,13–17 2,14–16 2,17 2,19 3,5 5,22 7,1–13 7,6 7,13 7,14–15 7,15 8,30 8,34 9,24 10,28 10,45 10,51 10,52 12,14 12,34 14,1–2 14,30 14,34 14,37–38 14,37 14,62 14,66–72 14,72 15,27 15,38 15,39

143 496 142.496 142–146 494 219 162 162–167.129 253 494 313 217 320.448 218 217–220 227 60 121.148 81.190 187 506.536 494 238 495 164 48 54 40 39–45 527 40 40.53 54 314 61.68.80 76

Das Evangelium nach Lukas Lk 1,68–76 1,78–79 2,1–14 2,1–21 2,10–15 2,17 2,18 2,19 3,7–9 3,9

245 245–249 XII 261 261–264.XII 264 264 264.468 413 17

Bibelstellen 5,4–6 5,16 5,17–19 5,17–26 5,22–29 5,27–30 5,27–32 5,31 5,34 6,39 6,41–42 6,45 7,16 7,19–20 7,24 7,29 9,21 9,23 10,9 10,20 11,2 11,9–10 11,15 11,23 11,46 12,13–21 12,31 12,34 12,37 13,25 14,26 14,28 14,42 15,1–7 15,4 16,1–12 16,10–11 16,10 17,10 17,20 17,24 18,9–14 18,10–14 18,28 18,41 19,10 19,11–27 20,21 21,31

429–435 496 142.496 142 480 162 219 406 253 427.428 420–428 65.218.238.518 313 251 507 529 60 121.148 514 336.457 311 486 313 213 184 519 431 140 139 101 184 214 311 413–419 82.95 450 450–457 139.434 115 188.342 463 129 194 187 494 82.183.311.323 219.235.489 495 514

22,1–2 22,15 22,16–18 22,32 22,42 22,52 22,53 22,61–62 22,68 23,28 23,33 23,34 23,44–45 23,45 23,47 23,48 24,21 24,25 24,26 24,29–30 24,30 24,41–43 24,49

643 48 67–70 68 238 311 46–52 47.48.49.50.51 53–58 60 313 314 51.314 59 61.68.80 76 76 76 228 362.369 228 68 68 229

Das Evangelium nach Johannes Joh 1,1–4 1,1 1,4 1,5 1,8 1,10–11 1,12 1,14

1,16 1,19–37 1,35–41 1,41 1,51 2,10 2,25 3,1–21 3,2 3,6

265 98.99 265.267 247 529 534 164.311.386 307–314.16.42. 84.98.99.109.113. 114.152.170.252. 256.295.302.333. 379.438.448.467. 525.526.534.546 95.207 255 302 133 312 260 494 60.163 543 375

644 3,8 3,14 3,16–17 3,16 3,18 3,30 4,8 4,10–11 4,14 4,16 4,23–24 4,23 4,28 4,30 4,32 4,40–42 5,14 5,19–20 5,19 5,20 5,24 5,30 5,34 5,35 5,39 6,27 6,35 6,40 6,44 6,45 6,47 6,58–69 6,63 6,66–67 6,66 6,67–68 6,67 6,68 6,69 7,12 7,16

Verzeichnisse 449.472 337 112 397.398.401.437 119 255 303 238 132 303 113 336 302 302 95 302 360.369 122.419.547 15.23.87.293. 445.451 185.220.296.309 11.118.119.130. 157.281.298.402. 418.516 95 529 529 264.529 381 15.94.132 15.115 444.468 49.269 15.118.445.494 313 74.84.93.236.238. 291.292.305.387. 481 546 312 379.397 312 84.94.95.231.260. 317.379.466.528. 546 16.317 312 379

7,17 7,38 7,45–46 7,48–49 8,12 8,28 8,29 8,31–32 8,36 8,37–41 8,46 8,50 8,51 9,1–2 9,1–3 9,2 9,3 10,7 10,9 10,12 10,14 10,16 10,27 10,30 11,25 12,25 12,26 12,27–28 12,27 12,30 12,32 12,45 12,47 13,13 13,23 13,34

13,38 14,2 14,6–7 14,6

379 500 46 129 426.428 321 268.317.453 220 124.157.187.220. 298.443 17 117 5 118 355 365 279 355.360.369 241 241 82 90–96 259.539 94 143.202.247.257. 309.445.494.536 19 10 3–12.389 5 9 5 166.408 494.536 82.113.119.121. 127.152.201.321 87 308 66.237.317.322. 349.375.436.437. 453.475.483.491. 511.520.537 54 515 112 19.29.45.81.124. 132.259.417.426.

Bibelstellen

14,9 14,10 14,13–14 14,15–26 14,23 14,27 14,30 14,31 14,32 15,1–8 15,4–7 15,5–6 15,5 15,15 15,20 15,26 16,6 16,7 16,13 16,14 16,16–19 17,1 17,8 17,12 17,14 17,16 17,18 17,20–21 17,20 17,21–23 17,22 17,23 17,24 17,25 18,8 18,12–16 18,15 18,17 18,25–27 18,36 18,37 18,38 19,26

428.444.455.468. 499.527.532 5.21.247.349.453. 468.498.531 438 381 228 25.298.317.376. 388.399.408.440. 547 34.256.385.525 41.50.65 42.50 304 305 379 349 260.285.301 157.443.452 91 228 228 114.228 263.505 73.397.403 230 9.10 84 84.85.86 121 87 83 65.249.445 84 304 230 87.88.185 119.510.526 269 91 53 54 53 53 214 79 542 308

19,30 19,37 20,19–22 20,21 20,22–23 20,23 21,15–17 21,16–17 21,18 21,20

645 322.348 76 20 83–89.117.370 496 499 56 57.136 343 257

Die Apostelgeschichte Apg 1,6 1,9–11 1,14 1,21–22 2,1–4 2,1 2,6 2,14–36 2,37–47 2,39 2,46 3,1–8 3,11–12 3,16 4,12 4,20 4,32 5,29 6,1–4 9,1 9,4–5 9,5 9,31 10,40–41 15,1–21 15,8 17,24–25 17,26 17,30–31 17,30 26,14

383 383 149 465 104 149 104 397 466 390 149 121 121 57 19.74.81.257.311 447 467 65 466 177 467 65.179 416 176 469 434 195 267 XII 14.28 65.179

Der Brief des Paulus an die Römer Röm 1,1–4 1,16–17 1,16

111 111 166.467

646 1,17 1,18–21 1,18 1,19–20 1,20 1,22 2,14 2,15 3,10–18 3,20 3,23 3,28 4,25 5,5 5,8 5,10 5,12 5,18–20 6,4 6,5 6,10–11 6,15–23 6,16–18 6,16–22 6,19 6,22 7,5 7,14 7,15–21 7,17 7,18–20 7,18 7,19 7,22–23 7,22 7,23 7,24 7,25 8,1–17 8,1 8,2 8,3–4

Verzeichnisse 414 535 206.219.394 32 106.393 106 108.112.276.516 33.81.224.417 531 102.181.278.414. 516.531 115.246.322.514. 531.537 207 414 35.69.135.342. 402.439 108.116.271.401. 437.439.515.537 131.135 112 321.333 69.316 119 69 441 442 154–161 441–449 444 158.178 514 156 545 394 145.178.190.205. 208 444 444 190.204.394.545 102.156.178.395. 462.494 166.206.257.545 156.545 205 166.375 393 481

8,7–8 8,7 8,9 8,10 8,13–16 8,13 8,15 8,16 8,17 8,21 8,26 8,28 8,32 8,35–39 8,35 8,38–39 10,2 11,32–36 11,33 11,36 12,1 12,2 12,3 12,4–6 12,4–8 12,11 13,7 13,8 14,1 14,7–9 14,8 14,11 14,17 15,1 15,5–6 15,5 15,7 15,14

178 145.210.395 390 387 390–399 156 19.115.139.439. 462.470 373 314.315.317 154.187.298.443 32.109.139.448 22.50.57.138.139. 145.385.404.440 68.259.398 87 166 92.133.174 181 111–116 409 526 283–289.116 74.266.285.291 284 194 285 288 342 115 538 157 233.289 539 69.251.253.373. 408 149 534 400 534–539 149

Der erste Brief des Paulus an die Korinther 1Kor 1,4 1,12 1,18–24 1,18–31

400 100 43 516

Bibelstellen 1,23 1,30 2,1 2,2 2,4 2,9 2,10 2,11–12 2,12–13 2,14 3,5–17 3,11 3,12–15 3,12 3,13 3,16 5,14 6,12 6,19 7,1–40 7,21 7,23 7,40 9,18 9,24 10,12–13 10,31 12,1–11 12,1–12 12,1 12,2 12,3 12,4–6 12,4 12,6 12,7–9 12,7 12,12–27 12,12–31 13,1 13,2 13,3 13,4 13,10 13,13 14,1–40 15,1–8 15,3–8 15,8

210.222.327.469 71.116 193 193 193 98.535 105.108 267 104–110 518 446 259.260.381.467 381 306 260 284.304.387 443 270 387.399 503 443 29 105 299 72 168–175 278 105 458 458 458.459 458–463.545 461 457 29.107.477 324 404 202 35 85.99.100.101 99 99.101 319 505 477 26 176 464 465

15,9–10 15,33 15,55 15,56 15,57

647 176–182.464–470 219 527 68.79 206

Der zweite Brief des Paulus an die Korinther 2Kor 1,12 1,20 3,6 3,17 3,18 5,1 5,14 5,15 5,17 5,18 5,19 5,20 5,21 6,16 7,10 11,1–15 11,13 11,15 11,16–33 12,2–4 12,2 12,7–9 12,7 12,9 12,10 13,13

400 14.81.158.293. 303.467 225.336.447.481. 514.516 409 82.527 291 101.172.187.207. 400.446.447.488. 499 157 17.203 152 16.88.143.386. 535.547 514 41.323 208.399 20 470 502 145 470 448 109 182 257 123.137.140.257. 258 172 400–405

Der Brief des Paulus an die Galater Gal 1,8 1,12 2,1–11 2,10 2,16

29.260 29 469 318 17.414

648 2,19–20 2,20

2,21 3,1 3,2 3,10 3,23–24 3,23–29 3,23 3,25–26 3,27 4,1 4,3 4,4–6 4,4 4,6 4,9 4,18 5,6 5,17 6,1–2 6,3 6,4 6,15

Verzeichnisse 290 18.88.135.159. 165.291.328. 349.373.401.489. 534.545.547 400 21 18.397 186 281 275 280 XII.275–282 122 154.293 276 545 XII.251 19.23.270.470 501–506 473 66.113.116.118. 342.440.471 210 471–478 476 194 259

Der Brief des Paulus an die Epheser Eph 1,13 1,22–23 2,4–6 2,5 2,8–9 2,8 2,11 2,14 2,19 2,20–22 3,2 3,19 4,1–2 4,1–6 4,3 4,5–6 4,7 4,11

204 30 372–374 373 207 207.401 302 259 204 301–306 400 400 487 484 64.449 491 484–491 488.490

4,12–13 4,13 4,15–16 4,15 4,22–24 4,22–25 4,22 4,23 5,2 5,14 5,21–33 5,23 5,26–27 5,27 6,1–9 6,2 6,10–16 6,11 6,12 6,13–17 6,13 6,14 6,15 6,16 6,17 6,18–19

490 205.299.505 208.285.301.318. 346 10.211.380.384. 388.532 150 203–208 17.102.146.192 189–200.XXIII 319–324.36 205 209 304 31 207.343.350 209 4 513 517 468 209–216 514 517 517 517 513–520 520

Der Brief des Paulus an die Philipper Phil 1,15 1,18 2,5–7 2,5–11 2,5 2,7 2,8 2,9–11 2,9 2,10 2,13 3,8–9 3,8 3,10

264 264 XII 339 222.339.341.342 152.530 339–343 518 340.349.362.370. 463 180 35.74.103.135. 145.208.407 222 75 323

Bibelstellen 3,12 3,13 3,15–21 3,17 3,20 4,4 4,13

357.367.375.416 169.224.254.486 221–226 176 362 540.21.230.253. 271 137.188

Der Brief des Paulus an die Kolosser Kol 1,10 1,16 1,18–19 1,18 1,20 1,24 2,9 3,2 3,9 3,10–11 3,12–16 3,14 3,17 3,18–4,6 3,23

344–346 417.526 30 10.211.301.380. 384.388.532 201 325–330 95.129.165.185. 265.303 305.529 17.102 193 290 369.374.376.539 290–296 290 290.294

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher 1Thess 2,19 5,2 5,16–17 5,16–18 5,16 5,18 5,19–20 5,19–22 5,23–28 5,27

35 518 282 20–25 279 280 503 26–31 32–38 28

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher 2Thess 2,6 2,13–14

504 36

649

Der erste Brief des Paulus an Timotheus 1Tim 1,12 6,16

166 453

Der zweite Brief des Paulus an Timotheus 2Tim 1,6 1,7 1,8–9 2,11 2,12 4,2 4,7

297 297–300.403 298 316 315–318.314 518 125

Der Brief des Paulus an Titus Tit 2,11–13 3,4–6

XII 541–548

Der erste Brief des Petrus 1Petr 1,22–23 1,22 1,24–25 2,5 2,9 2,16 2,20–22 2,23 2,25 3,10–14 5,5–6 5,5 5,6–7 5,8

527 436–440.527 521–528 78.304.488 36.202.382 443 351–371 358.367 362.369 147–153 434 134 134–141 140

Der zweite Brief des Petrus 2Petr 3,10 3,13

518 116.261

Der erste Brief des Johannes 1Joh 1,2 1,3 1,4 1,8–9 2,8

265–271 270 270 130 529–533

650 2,10 3,1–24 3,2 4,7–8 4,7–11 4,8 4,10 4,11 4,15 4,16 4,17 4,18 4,19 5,4

Verzeichnisse 533 179 35.243.257.446. 505.506.510 375–376 188 482 120 305 305 86.118.197.298. 321.411.511.531 117–126 25.86.118.298. 350.531 152.379.405.519 116.370

Der Brief an die Hebräer Hebr 1,2 1,3 2,14 2,15 3,1–6 3,1 3,5–6 3,7–8 4,12 4,15 5,8 5,9 5,12–14 6,4–6 6,10 6,11–12 8,1–2 8,1 8,6 8,10 9,6–10 9,7 9,10 9,11–15

14 19.21.98.129.132. 438.527.547 79 68.118 276 269.294 122.451.457 98 148.514 268.548 347 347–350 519 71 72 70–75 383–389 384 385 254.269.278.279. 385 331 332 333 331

9,11 9,13–14 9,14 9,15 9,24 9,26 10,1–4 10,1–15 10,1 10,3 10,5–7 10,5–10 10,7 10,9–11 10,12–14 10,16 10,19.22 10,24–25 10,35 10,39 11,16 12,2 12,3 12,24 13,8 13,9

78 331–338 332.333 385 78 333 384 385 78.149.288.333. 515 145 332 288 320.323 321 384 254.269.278.279. 384 76–82 149 140 381 369 82.159.170.330. 337 322 385 387 377–382.120. 138.169.178.408

Der Brief des Jakobus Jak 1,5 1,17 1,22 1,23–24 3,7–8 5,16

64 84 97–103 101 147 36

Die Offenbarung des Johannes Offb 1,8 3,8–9 3,8 3,10 3,11 3,12

526 242 236.237.240.241 239.240 232–244.XXIV 243