Kommentar zum Handelsgesetzbuch: Band 3 (§§ 343–372) [2. Aufl. Reprint 2020] 9783112318157, 9783112306970

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Kommentar zum Handelsgesetzbuch: Band 3 (§§ 343–372) [2. Aufl. Reprint 2020]
 9783112318157, 9783112306970

Table of contents :
Vorwort zum dritten Band
Inhaltsverzeichnis des dritten Bandes (§§ 343-372)
Drittes Buch. Handelsgeschäfte
Erster Abschnitt. Allgemeine Vorschriften
Vorbemerkungen
§ 343
§ 344
§ 345
§ 346
Anhang zu § 346
§ 347
§ 348
Anhang zu § 348
§ 349
Anhang zu § 349
§ 350
§ 351
§ 352
§ 353
§ 354
§ 355
§ 356
§ 357
Anhang zu § 357
§ 358
§ 359
Anhang zu § 359
§ 360
§ 361
Anhang zu § 361
§ 362
§ 363
§ 364
§ 365
Anhang I zu § 365
Anhang II zu § 365
§ 366
§ 367
§ 368
Vorbemerkung vor § 369
§ 369
§ 370
§ 371
§ 372
Anhang zu § 372
Sachregister

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Großkommentar der Praxis

Kommentar zum

Handelsgesetzbuch Früher herausgegeben von M i t g l i e d e r n des R e i c h s g e r i c h t s

Dritter Band (§§ 3 4 3 - 3 7 2 ) bearbeitet von

Dr.jur.h.c. REINHARD F R E I H E R R VON GODIN Rechtsanwalt in München (Zitiermethode: v. Godin in RGR Komm. z. HGB)

Dr.jur. PAUL RATZ Oberstlandesgejrichtsrat in München (Zitiermethode: Ratz in RGR Komm. z. HGB) Zweite Auflage

Berlin

1963

W a l t e r de G r u y t e r & C o . vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Archiv-Nr. 2 2 3 5 6 3 0 Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Alle Rechte, einschließlich des Rechts der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

Vorwort zum dritten Band Mit dem vorliegenden Band ist die 2. Auflage dieses Kommentars in allen Teilen abgeschlossen. Die sechs Lieferungen des III. Bandes konnten nicht „zügig", sondern nur in größeren Zeitabständen erscheinen; im Inhaltsverzeichnis sind die Daten vermerkt. Die berufliche Belastung der beiden Bearbeiter und die wiederholte Erkrankung des einen von ihnen waren die Gründe dieser gewiß bedauerlichen Tatsache. Die Bearbeiter glaubten indes, von der Mithilfe jüngerer Kräfte, selbst mit der Folge einer langsameren Erscheinungsweise des Kommentars, Abstand nehmen zu müssen. Bei einem „Großkommentar der P r a x i s " entspricht eine Arbeit, die von den durch eine lange praktische Erfahrung ausgewiesenen Bearbeitern ab origine persönlich geleistet ist, doch wohl am besten der Erwartung der Benutzer. Bearbeiter und Verlag hoffen für die nächste Auflage, mit verzögernden Umständen nicht mehr rechnen zu müssen, außerdem aber hoffen sie auch, dem von H e r m a n n S t a u b , dem Begründer dieses Werkes, gesetzten Ideal eines „ G r o ß e n " Kommentars einen weiteren Schritt näher zu kommen. M ü n c h e n , im Frühjahr 1963

v. G o d i n

Ratz

VII

Inhaltsverzeichnis des dritten Bandes (§§343-372) Seite

und U m f a n g der Schadensersatzpflicht. Ausgleichung von Vorteil u n d Schaden. Schuldhafte Mitverursachung des Schadens durch den Geschädigten. Ausschluß der H a f t u n g durch Vertrag 131

Drittes Buch Handelsgeschäft Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften Vorbemerkungen Die Handelsgeschäfte . . . § 343 § 344 V e r m u t u n g f ü r die Zugehörigkeit der Rechtsgeschäfte eines K a u f m a n n s zum Handelsbetrieb. Die von einem K a u f m a n n gezeichneten Schuldscheine . . . . § 345 Einseitige Handelsgeschäfte § 346 Rücksichtnahme u n t e r Kaufleuten auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche. Auslegung von Willenserklärungen. Bedeutung d. Schweigens im Handelsverkehr. Geschäftsbedingungen. Treu u. Glauben bei Vertragserfüllung Anhang zu § 346. I. Unsittliche Geschäfte. Einzelfragen : Bierabnahmevertrag ; Warenbezugsverträge; Knebelungsverträge, Schweigevertrag; Schmiergelder; Abhalten vom Bieten; Ausschreibungen ; ehrenwörtliche Bindung; Scheingeschäfte; verbotene Geschäfte; illegale Handlungen; Streik, Boykott, Aussperrung II. Erzwingung des Vertragsabschlusses und von Freizeichnungen I I I . Unmöglichkeit und Verpflichtungsgrenze. Fortfall und Veränderung der Geschäftsgrundlage § 347 Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns. Verschulden vor Vertragsabschluß. Milderungen der H a f t u n g , ursächlicher Zusammenhang. A r t

Bis hierher Lieferung 1; Material bis Anfang 1953 verarbeitet

§ 348

8

12

13

11

93

95

Die von einem K a u f m a n n im Betrieb seines Handelsgewerbes versprochene Vertragsstrafe 156 Anhang zu § 348. Reuegeld . . . . 169 § 349 Bürgschaft. Kreditbürgschaft. Mitbürgen. Rückbürgschaft. Schuldmitübernahme. Kreditauftrag. Kreditvertrag. G a r a n t i e v e r t r a g . 171 Anhang zu § 349. R a t , Empfehlung, Auskunft 212 § 350 F o r m der Bürgschaft, des Schuldversprechens, des Schuldanerkenntnisses. Folgen der Form Verletzung . . 228 § 351 Geschäfte des Minderkaufmanns 246 § 352 Höhe der Zinsen 246 § 353 Verzinslichkeit der Forderungen aus beiderseitigen Handelsgeschäften . . . . 2 4 9 § 354 Anspruch des K a u f m a n n s f ü r Mühewaltung, Dienstleistung, A u f b e w a h r u n g auf Provision, Lagergeld sowie auf Zinsen f ü r Darlehen, Vorschüsse, Verwendungen . . 252 § 355 Das Kontokorrentverhältnis 257 § 356 Fortbestand von Sicherheiten f ü r Einzelforderungen . . . 3 1 0 § 357 P f ä n d u n g der Ansprüche eines Kontokorrentbeteiligten 315 Anhang zu § 357. Die offene Rechnung oder uneigentliche laufende Rechnung 317 § 358 Die Geschäftszeit als Erfüllungszeit 320 Bis hierher Lieferung 2; Material bis Mitte 1954 verarbeitet

§ 359

Besondere Zeitbestimmungen 321 Anhang zu § 359. Die Erfüllungszeit 322

VIII

I nhaltsverzeichnis

§ 360 § 361

Gattungsschuld Maß, Gewicht, Währung, Zeitrechnung, Entfernungen Anhang zu §361. Das Zustandekommen des Vertrags. §§ 145—155 BGB Schweigen als Annahme des § 362 Vertragsantrags § 363 Die kaufmännischen Orderpapiere § 364 Wirkungen des Indossaments Form des Indossaments, § 365 Legitimation des Besitzers. Abhandengekommene und vernichtete Orderpapiere. .

Seite

Seite

331

VI. Die gesetzlichen Pfandrechte 737 VII. Sicherungsübereignung und Sicherungsabtretung . . . 739 VIII. Inkassomandat mit Inkassovollmacht; Inkassoabtretung; Inkassoermächtigung 799

334 346 398 403 431

440

Bis hierher Lieferung 3; Material bis Mitte 1956 verarbeitet

Anhang A. B. C. Anhang

I zu § 365. Der Bank- und Girovertrag Die Banküberweisung . . . Das Dokumentenakkreditiv II zu § 365. Rekta- und Inhaberpapiere

447 501 574 620

Eis hierher Lieferung 4; Material bis Ende 1961 verarbeitet

§ 366

§ 367

§ 368

I. II. III. IV. V.

Der Schutz des gutgläubigen Eigentums- und Pfanderwerbs an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren, insbesondere des gutgläubigen Rechtserwerbs von einem Kaufmann. Ausgleichung des entstandenen Schadens. Guter Glaube an die Verfügungsbefugnis Einschränkung des Schutzes des gutgläubigen Rechtserwerbs an abhanden gekommenen Inhaberpapieren und ihnen gleichgestellten anderen Wertpapieren durch einen Bankier Die Verwertung des Pfandes. — Darstellung des Vertragspfandrechts, der Sicherungsübereignung und der Sicherungsabtretung Gegenstand des Pfandrechts Art der Bestellung des Pfandrechts Schutz des gutgläubigen Pfanderwerbs Wirkungen des Pfanderwerbs Uneigentliches Pfandrecht.

632

683

688 693 698 709 710 736

Bis hierher Lieferung 5; Material bis Anfang 1962 verarbeitet

Vorbemerkung vor § 369. Das Zurückbehaltungsrecht des BGB . 805 Das kaufmännische Zurück§ 369 behaltungsrecht 819 § 370 Das kaufmännische Notzur ü c k b e h a l t u n g s r e c h t . . . . 839 § 371 Die Befriedigung aus der zurückbehaltenen Sache. . 841 § 372 Die Befriedigung beim Eigentumswechsel 846 Anhang zu § 372. Ort und Zeit der Erfüllung 847 I. Ort der Erfüllung, zwischenstaatliches Recht. Die gesetzliche Regel. Änderung durch Vereinbarung. Die Bedeutung des Schweigens, insbesondere beim Bestätigungsschreiben. Erfüllungsort beim Kauf 850 II. Zeit der Erfüllung. Die Zahlungsabreden 888 III. Der Bestimmungsort der Leistung, insbesondere bei Geldzahlungen. Die Lehre von der Geldübersendungspflicht: Wohnsitz des Gläubigers ; Übermittlung auf Kosten und Gefahr des Schuldners; Übermittlung des Geldes an den Gläubiger durch Barzahlung; bargeldsparende Zahlung; bargeldlose Zahlung; Organisation und Träger des bargeldlosen Zahlungsverkehrs; die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bundesbank (Auszug) und der Banken (Auszug); Zahlungen aus öffentlichen Kassen; Erteilung der Quittung und Rückgabe des Schuldscheines durch den Gläubiger . . . 902 Bis hierher Lieferung 6; Material bis Ende 1962 verarbeitet

Sachregister

945

Drittes Buch Handelsgeschäfte Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften Vorbemerkungen Vorbem. 1. Wie schon in Vorbem. 2 zum ersten Abschnitt des ersten Buches erörtert ist, geht, abweichend vom ADHGB., das HGB. bei der Bestimmung des Kaufmannsbegriffs nicht von absoluten und relativen Handelsgeschäften aus, sondern vom Handeiggewerbe. Was Handelsgewerbe ist, bestimmen die §§ 1, 2, 3 und 6 sowie die für Formkaufleute geltenden Einzelbestimmungen (§ 6 Anm. 2). Der Unternehmer eines Handelsgewerbes ist Kaufmann. Das dritte Buch enthält Regeln über die Geschäfte des Kaufmanns oder, was dasselbe sagt, über Handelsgeschäfte, und zwar der erste Abschnitt allgemeine Regeln, der zweite bis siebente besondere Regeln für einzelne Arten von Handelsgeschäften. Vorbem. 2. Der Betrieb eines Handelsgewerbes besteht in der Vornahme von Handelsgeschäften. Er ist in neuerer Zeit in zunehmendem Maße durch öffentliches Recht eingeengt worden (vgl. die Erläuterungen zu § 7). Zwar ist der Grundsatz der Gewerbefreiheit (§ 1 RGewO.) auch für das Handelsgewerbe nicht aufgehoben, aber die Freiheit des Handelsgewerbes sehr beschnitten. Zu verweisen ist hier in erster Linie auf das Gesetz für Sicherungsmaßnahmen auf einzelnen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft i. d. F. v. 5. Mai 1951, (BGB1.S.299) das die BReg. und den BWiftsch. zu Lenkungsmaßnahmen ermächtigt, ferner auf dasWirtschStrG.i.d.F.v.30.Märzl951, das Milch-u.Fettg.v. 2 8. Februar 1951, das Zuckerg. v. 5. Januarl951, das Vieh-u.Fleischg.v.25.Aprill951, das Getreideg. v. 4. April 1950, ferner auf das Gesetz zum Schutze des Einzelhandels vom 12. Mai 1933 mit Änderungen vom 15. Juli 1933, 27. Juni 1934, 13. Dezember 1934 und 9. Mai 1935 (RGBl. 1933 I S. 262, 493; 1934 I S. 523, 1241; 1935 I S. 589), mit Durchführungsverordnung vom 23. Juli 1934 (RGBl. I S. 726). Danach ist die Einrichtung, Erweiterung und Verlegung von Einheitspreisgeschäften gänzlich verboten, die Errichtung oder Übernahme von Verkaufsstellen, in denen Waren zum Verkauf feilgehalten werden, nur bei Zulassung von Ausnahmen gestattet; verbotswidrige Betriebe hat die Polizeibehörde zu schließen (vgl. über die Bedeutung einer solchen Schließung DR 41 S. 288). Diese Verbote berühren aber nach § 7 nicht die Kaufmannseigenschaft des zuwiderhandelnden Unternehmers und die Gültigkeit seiner Handelsgeschäfte. Ist freilich sein Betrieb geschlossen worden, so verliert er damit, wenn er nicht außerdem noch ein erlaubtes Handelsgewerbe betreibt, die Kaufmannseigenschaft. Anders steht es mit der Beschränkung durch die Devisenvorschriften. Nach A. VII des MRG. ü. Devisenbewirtschaftung vom 18. September 1949 (BAnz. Nr. 2 vom 27. September 1949) sind verbotswidrige Geschäfte vorbehaltlich nachträglicher Genehmigung nichtig; gegen das Verlangen, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, kann nicht eingewendet werden, daß die Gegenleistung nicht mehr zurückgewährt werden kann. Zum DevG. sind DVO. ergangen und auf Grund A. II Abs. 1 der 1. DVO. (Datum des Gesetzes) die Interzonenhandelsverordnung vom 15. Januar 1951. Noch anders wirken die Preisbeschränkungen. Zur Zeit ist dafür noch maßgebend das PreisG. vom 10. April 1948 (WGB1. S. 27) i. d. F. vom 3. Februar 1949 (WGB1. S. 14), letztmals bis zum Inkrafttreten eines neuen Preisgesetzes verlängert durch das Gesetz vom 29. 3. 51 (BGBl. S. 323), und die auf Grund des 1

HOB. Bd. i n . (Godin) 2. Aull.

1

§ 343 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 1 § 2 dieses Gesetzes und des G. ü. Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform vom 24.6.1948 (WGB1. S. 59) ergangenen Anordnungen des Verwaltungsrats vom 25. 6.1948 (WGB1. S. 61), des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft jetzt BWM. und der Obersten Landesbehörden. Außer Kraft getreten sind das G. z. Durchf. des Vierjahresplans — Bestellung eines Reichskommissars für Preisbildung — vom 29. Oktober 1936 (RGBl. I S. 927), VO. ü. Preisbindungen und Preisempfehlungen bei Markenwaren vom 3.11.1940 (s. aber Gleiss BB. 52,160), VO. ü. das Verbot von Preiserhöhungen vom 26. November 1936 (RGBl. S. 955), die KrWirtschVO. Die Überschreitung der nach den angegebenen Verordnungen gezogenen Preisgrenzen berührt die Gültigkeit des einzelnen Handelsgeschäftes nicht. Es gilt vielmehr als zum zulässigen Preis abgeschlossen (DR. 1939, 16331 = HER. 39,1088, DR. 1940 S. 869,1528, OLG. Frankfurt HEZ. 2, 96 und 179, OGHZ. 1 S. 79 oben; a. A. OLG. Braunschweig HEZ. 2,177); § 817 S. 2 BGB ist in solchen Fällen regelmäßig nicht anwendbar, weil er zur Folge hätte, daß es bei dem verbotenen Geschäfte bleibt (Paetow NJW. 47/48 S. 296, B r a n d t MdR. 48 S. 169; B a s t i a n JR. 50 S. 17, KG. JW. 38 S. 2144, DR. 40, S. 869, HEZ. 1, S. 98, JR. 51, 657, OLG. Hamburg ebenda S. 147, NJW. 48 S. 125, OLG. Zweibrücken DJ. 42 S. 333, OLG. Hamm HEZ. 40 Nr. 1386, OLG. Frankfurt HEZ. 2, 96, OLG. Halle JR. 51 S. 658: a. A. OLG. Braunschweig HEZ. 2,177, RG. DR. 40 S. 1528, vgl. auch RG. 166 S. 89 (93 unten), — vgl. aber GrZivS. Bd. 161 S. 52 — OLG. Zelle NJW. 49 S. 56). Mit Recht hält KG. JR. 51, 657 § 817 Abs. 2 für anwendbar, wenn der Käufer sich auch beim Weiterverkauf erfolgreich außerhalb der gesetzlichen PrOrdnung hält und den gezahlten Überpreis selbst weiterberechnet (anscheinend a. A. OLG. Frankfurt HEZ. 2, 96). Diese Grundsätze sind jedoch nicht auch für Kompensationsgeschäfte anwendbar, nach welchen der Verkauf und die Lieferung einer Mangelware von dem Gegenverkauf und der Gegenlieferung einer anderen Mangelware abhängig gemacht wird. Diese sind nach wie vor untersagt (§ 15 G. z. Vereinf. des WiStrR. vom 26. Juli 1949, Drost DRZ. 1949 S. 79, OH GZ. 3, S. 59) und in vollem Umfange nichtig, sowohl was die Verpflichtung der einen als auch der anderen Seite betrifft (OGH. a. a. O. BGHZ. 1, S. 128ff.; a. A. OLG. Hamburg HEZ. 2, S. 307), jedoch nicht ohne weiteres auch da» Erfüllungsgeschäft (BGH. JZ. 51, 782). Über Folgen der Verstöße gegen Bewirtschaftungsbestimmungen s. Anm. 24 Anh. zu § 346. Zu diesen deutschen Gesetzen, welche die Handlungsfreiheit des Kaufmanns beschränken, treten die Verbote der Besatzungsmächte, welche marktbeherrschende Absprachen und Preisfestsetzungen und -empfehlungen verbieten (US MG. 56, br MVO. 78, fr. MVO. 96); s. hierüber Gleiss a. a. O.

§ 343 Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören. Die im § 1 Abs. 2 bezeichneten Geschäfte sind auch dann Handelsgeschäfte, wenn sie von einem Kaufmann im Betriebe seines gewöhnlich auf andere Geschäfte gerichteten Handelsgewerbes geschlossen werden. Anm. 1. Der Paragraph bestimmt den Begriff der Handelsgeschäfte, weil es davon, ob ein Geschäft Handelsgeschäft ist, abhängt, ob die Vorschriften dieses Buches darauf anzuwenden sind. Der Unternehmer eines Handelsgewerbes ist Kaufmann (§ 1). Handelsgeschäfte sind die Geschäfte, die zu seinem Handelsgewerbe gehören, gleichviel von welcher Art sie sind. s. Anm. 14. Geschäfte, die nicht zum Handelsgewerbe gehören, sind dagegen keine Handelsgeschäfte, die Geschäfte eines Nichtkaufmanns sind also niemals Handelsgeschäft«. Absolute Handelsgeschäfte gibt es nicht mehr. Was das alte HGB. in dieser Hinsicht aufzählte (Art. 271), ist mit den relativen Handelsgeschäften (Art. 272) unter geringen Abänderungen in § 1 Abs. 2 zusammengefaßt. Dies sind die „Handelsgrundgeschäfte", deren gewerbsmäßiger Betrieb ein Handelsgewerbe bildet und den Unternehmer zum Kaufmann macht. Der Begriff des Handelsgewerbes wird aber durch § 2

2

Handelsgeschäft. Voraussetzungen (Godin)

§ 343 Anm. 2—7 und § 3 Abs. 2 erweitert sowie dadurch, daß die für Kaufleute geltenden Vorschriften auch auf die Handelsgesellschaften und die Formkaufleute (§ 6 Anm. 1, 2) für anwendbar erklärt werden. Wird ein Handelsgewerbe betrieben, so sind nach § 343 alle zu ihm gehörigen Geschäfte Handelsgeschäfte, nicht nur diejenigen, welche die Grundlage dieses Handelsgewerbes bilden, sondern auch alle Hilfs- und Nebengeschäfte, die sogenannten akzessorischen Geschäfte. Absatz 2 ist nach Abs. 1 selbstverständlich, wie sich ohne weiteres ergibt, wenn man die Worte „auch dann" und „gewöhnlich auf andere Geschäfte gerichteten" fortdenkt. Diese wären nur dann berechtigt, wenn Abs. 1 voraussetzen würde, daß ein Geschäft zu denjenigen gehören muß, auf welche das Handelsgewerbe gewöhnlich gerichtet ist; das trifft aber nicht zu. Hildebrandt Anm. 12 übersieht, daß auch Abs. 2 voraussetzt, daß ein Geschäft im Betrieb des Handelsgewerbes des Kaufmannes gemacht sein muß; mehr setzt aber Abs. 1 auch nicht voraus. Der Begriff enthält im einzelnen folgende Merkmale: Anm. 2. 1. a) Ein Handelsgewerbe muß es sein, dem das Geschäft zugehört. Es kann ein Handelsgewerbe nach § 1 oder § 2 oder § 3 Abs. 2 oder auch das Unternehmen einer Handelsgesellschaft, einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft oder eines Versicherungsvereips a. G. sein (§ 6 Anm. 2). Hat ein Kaufmann mehrere Betriebe, von denen nicht jeder ein Handelsgewerbe ist, muß im Einzelfall festgestellt werden, zu welchem Betrieb das Geschäft gehört; jedoch greift die Vermutung des § 344 zugunsten des Handelsgewerbes Platz. Anm. 3. b) Es gelten die Ausnahmen des § 3. Die landwirtschaftlichen Hauptgewerbe sind keine Handelsgewerbe, auch wenn ihr Gegenstand in reinen Handelsgrundgeschäften besteht, und die landwirtschaftlichen erheblichen Nebengewerbe nur dann, wenn der Inhaber sich aus freiem Willen zur Eintragung entschließt. Anm. 4. c) Dagegen gehören auch die Gewerbe der Minderkaufleute dazu; denn auch diese sind Kaufleute, ihre Gewerbe Handelsgewerbe, ihre Geschäfte also Handelsgeschäfte (§4 Anm. 28). Auch die Weiterveräußerungsgeschäfte der Handwerker sind nicht ausgenommen, während ihnen nach Art. 273 Abs. 3 des alten HGB. der Charakter von Handelsgeschäften genommen war. Auch wenn Minderkaufleute sich gesellschaftlich vereinigen, so bilden sie zwar nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, keine oHG. oder Kommanditgesellschaft, wohl aber sind ihre Geschäfte auch in diesem Falle Handelsgeschäfte, weil ihr Gewerbe ein Handelsgewerbe, sie selbst Kaufleute, wenn auch Minderkaufleute, sind (§ 4 Anm. 27). Anm. 5. d) Ferner wird der Begriff des Handelsgewerbes durch § 5 erweitert. Nach diesem ist das Gewerbe einer Person oder Gesellschaft, die mit ihrer Firma in das Handelsregister e i n g e t r a g e n ist, als Handelsgewerbe zu betrachten, auch wenn es kein solches ist, und auch wenn die Eintragung aus der Zeit vor dem 1. Januar 1900 stammt. Demgemäß sind die nach dem 1. Januar 1900 abgeschlossenen Geschäfte einer solchen Person auch dann Handelsgeschäfte, wenn das Gewerbe in Wahrheit kein Handelsgewerbe ist. Hat sich also der Inhaber einer kleinen Leihbibliothek in das Handelsregister eintragen lassen und schafft er neue Bücher an oder leiht er Bücher aus usw., so sind das alles Handelsgeschäfte, ebenso wie seine Neben- und Hilfsgeschäfte (die Anstellung von Personal, die Empfangnahme von Zahlungen usw.). So ist auch der Betrieb einer Ziegelei oder einer Tiefbohrung an sich kein Handelsgewerbe, mögen sie auf eigenem oder fremdem Boden betrieben werden (ROHG. 15, 237; Bolze 8 Nr. 314). Ist aber die Firma eingetragen, so ist das Gewerbe dadurch zum Handelsgewerbe geworden, die Geschäfte sind Handelsgeschäfte (RG. 50,158; vgl. § 1 Anm. 21 Nr. 4). Betreibt ein eingetragener Kaufmann sein Unternehmen nicht mehr weiter, hat er es z. B. verpachtet (§ 1 Anm. 12,17), so ist zwar § 5 nicht anwendbar (§ 5 Anm. 2), aber nach § 15 Abs. 1 kann die Beendigung des Betriebes nur demjenigen entgegengehalten werden, dem.sie bekannt war (§ 5 Anm. 4; RG. 65, 413). Anm. 6. e) Der Begriff der Handelsgeschäfte wird auch dadurch erweitert, daß der, welcher als Kaufmann im Rechtsverkehr auftritt, unter gewissen Voraussetzungen (§ 5 Anm. 7 ff.) gegen sich gelten lassen muß, daß er ein Handelsgewerbe betreibt. Fehlende Geschäftsfähigkeit wird damit nicht gedeckt (RG. 93, 228). Anm. 7. 2. Zum Betriebe des Handelsgewerbes gehören muß das Geschäft. l*

3

§ 343 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Ahm. 8—10 a) Dieses E r f o r d e r n i s i s t n i c h t d a h i n a u f z u f a s s e n , als ob n u r die Ges c h ä f t e , w e l c h e dem b e t r e f f e n d e n H a n d e l s g e w e r b e c h a r a k t e r i s t i s c h s i n d , H a n d e l s g e s c h ä f t e w ä r e n . Es sind nicht nur die Grundgeschäfte gemeint, welche das Gewerbe ohne weiteres zum Handelsgewerbe machen oder welche die Hauptgeschäfte eines Kaufmanns kraft Eintragung oder Formkaufmanns (§ 6) bilden. V i e l m e h r genügt dieser Voraussetzung jedes G e s c h ä f t , m i t w e l c h e m d e r K a u f m a n n die Zwecke s e i n e s H a n d e l s b e t r i e b e s e r m ö g l i c h e n o d e r f ö r d e r n will. Handelsgeschäfte sind insbesondere auch die Neben- oder Hilfsgeschäfte des Handels, die sog. a k z e s s o r i s c h e n H a n d e l s g e s c h ä f t e und die Liquidationsgeschäfte. Anm. 8. Den Gegensatz dazu bilden und zum Handelsbetriebe nicht gehören die Geschäfte, welche der Kaufmann zu anderen, außerhalb seines eigenen Gewerbebetriebes liegenden Zwecken vornimmt, also z. B. zum Privatbedarf, als Vorstand einer außer seinem eigenen Unternehmen stehenden AG. (RG. 96, 57), als Testamentsvollstrecker eines Nichtkaufmanns (vgl. aber über den Testamentsvollstrecker des Kaufmanns § 22 Anm. 28), Vormund oder Konkursverwalter, Angestellter eines anderen Kaufmanns oder Nichtkaufmanns. Anm. 9. W e n n d e m g e m ä ß die g e w e r b s m ä ß i g e T ä t i g k e i t e i n e s K a u f m a n n s auf e i n e n b e s t i m m t e n Geschäftszweig g e r i c h t e t i s t , so f o l g t d a r a u s noch n i c h t , d a ß G e s c h ä f t e , die a u ß e r h a l b d i e s e s G e s c h ä f t s z w e i g e s l i e g e n , n i c h t als zu s e i n e m H a n d e l s g e w e r b e g e h ö r i g a n g e s e h e n we r d e n . Ausdrücklich ausgesprochen ist dies im Abs. 2 unseres Paragraphen für die Handelsgrundgeschäfte des § 1. Abs. 2 sollte nach der Denkschrift (1897 S. 204) der Klarstellung dienen, ist aber zu eng gefaßt und wirkt dadurch mißverständlich. Denn was er sagt, gilt für alle Geschäfte. Wenn irgend Geschäfte, welche die Grundlage eines Handelsgewerbes bilden können, im Betriebe eines gewöhnlich auf andere Geschäfte gerichteten Handelsgewerbes abgeschlossen werden, so sind sie ebenfalls Handelsgeschäfte. Und endlich gilt das gleiche von den zahlreichen Geschäften, die ihrer Natur nach überhaupt nicht geeignet sind, die Grundlage eines Handelsgewerbes zu bilden, die vielmehr nur als Hilfs- oder Nebengeschäfte vorkommen, wie Zahlungsempfangnahmen, Kündigungen, Anstellung von Personal, Miete eines Ladens usw. Über die Geschäfte der Handelsgesellschaften und Formkaufleute s. § 6 Anm. 2. Andererseits kann Abs. 2 des § 343 nicht, wie Schlegelberger (Anm. 1,12) will, dahin verstanden werden, daß bei Vornahme eines der Grundgeschäfte des § 1 Abs. 2 an die Prüfung seiner Zugehörigkeit zum Handelsgewerbe des Kaufmanns geringere Anforderungen zu stellen wären als bei einem andern Geschäft. Auch jenes Grundgeschäft muß „im Betriebe seines Handelsgewerbes" und darf nicht außerhalb dieses Betriebes vorgenommen sein (Anm. 8); das gilt aber für alle Geschäfte gleichermaßen, ebenso auch die Erleichterung der Prüfung durch § 344. F ü r alle diese Geschäfte gilt der Grundsatz: S o l a n g e ein, w e n n a u c h e n t f e r n t e r Zusammenhang m i t d e m G e w e r b e b e t r i e b b e s t e h t , liegt die Zugehörigkeit zum Gewerbebetriebe, also die Eigenschaft als Handelsgeschäft, vor (RG. 72, 435; 58, 23; WarneyerRspr. 1920 Nr. 99). Wenn z. B. ein Glaswarenhändler einmal in Aktien speku(iert (JW. 04, 49626), ein Pfandleiher ein vereinzeltes Rückkaufsgeschäft abschließt 1RG. 79, 363), ein Holzhändler durch Ausstellung von Wechseln und deren Einlösung einem andern kaufmännische Dienste leistet (LZ. 1914, 581)* ein Eisenwarenhändler gelegentlich einmal ein Grundstücksgeschäft gegen Entgelt vermittelt, so sind das Handelsgeschäfte, weil dadurch Geld verdient und so (§ 344) die Verhältnisse des Gewerbebetriebes gefördert werden sollen. Wie weitgehend die Rechtsprechung diesen Grundsatz ausgedehnt hat, beweisen RG. 38, 240; 40,191; 19,123, nach denen klaglose Differenzgeschäfte, Lotteriespiel und die Annahme der Stelle als Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft, und liG. 87, 331, wo der Fall, daß ein Bauunternehmer Wertpapiere in Depot nahm, als zum Handelsbetrieb gehörig betrachtet werden. Anm. 10. b) A u c h die sog. Vorbereitnngsgeschälte g e h ö r e n d a z u und die zu diesem Zwecke eingegangenen Verbindlichkeiten. Nach der 1. Aufl. und der überw. M. gilt dies aber nur, wenn es später dazu kommt, daß das vorbereitete Handelsgewerbe betrieben wird. Dementsprechend, weil sonach der Betrieb des Handelsgewerbes von einer Rückschau abhängt, soll auch die Kaufmannseigenschaft erst durch die spätere

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Handelsgeschäft. Voraussetzungen (Godin)

§ 343 Anm. 11—14 Eröffnung des Handelsgeschäftes erlangt werden (LZ 08,2247). Dies ist nicht folgerichtig; vielmehr liegt in den Yorbereitungshandlungen schon der Betrieb des Handelsgewerbes, auf dessen Dauer und Nachhaltigkeit es nicht ankommt, und wird mit ihnen die Kaufmannseigenschaft erworben. Wer die Absicht hat, durch eine unbegrenzte Reihe von Geschäften ein Handelsgewerbe zu betreiben, betreibt es in dem Augenblicke, in welchem er das erste Geschäft vornimmt, das dieser Absicht dient. Wer z. B. einen Kleiderwarenhandel betreiben will, betreibt ihn, wenn er in dieser Absicht den ersten Posten Ware einkauft, ja sogar schon dann, wenn er das erste dazu erforderliche Hilfsgeschäft vornimmt, z. B. einen Handlungsgehilfen anstellt oder einen Laden mietet (JW. 08, 206 2 '). Schon das erste Geschäft bildet einen Bestandteil des Gewerbebetriebes (§ 1 Anm. 11, Bolze 19 Nr. 317: Anstellung eines Gewerbegehilfen; RGSt. 27, 227: Anschaffung des ersten Warenpostens zum Zwecke der Weiterveräußerung; LZ. 08, 224': Versprechen einer Vertragsstrafe zur Sicherung der Bierbezugspflicht für ein später in Betrieb gesetztes Hotel). Über den Erwerb eines Handelsgeschäfts s. unten Anm. 20. Bei Handelsgewerben nach § 2 und nach § 3 Abs. 2 liegt die Sache allerdings anders. Hier besteht vor der Eintragung kein Handelsgewerbebetrieb. Das gleiche gilt für Formkaufleute, die erst durch die Eintragung entstehen (AG., KGaA., GmbH., eingetr. Genossenschaft); dagegen entsteht der Versicherungsverein a. G. schon mit der Erlaubniserteilung (§15 VersAufsG.). Anm. 11. c) Z w e i f e l h a f t i s t die N a t u r des G e s c h ä f t s , w e n n es zum Teil zu d e m Z w e c k e des H a n d e l s b e t r i e b e s , zum Teil zu P r i v a t z w e c k e n a b g e s c h l o s s e n w u r d e ; z. B., wenn Kohlen zum Teil zur Heizung des Ladens, zum Teil für den Hausbedarf gekauft werden. Man wäre versucht zu sagen, daß der Teil entscheidet, welcher überwiegt. Allein dies trifft nicht zu, und überdies versagt diese Entscheidung, wenn genau die Hälfte für jeden Zweck bestimmt ist. Es ist das ganze Geschäft in solchem Falle Handelsgeschäft, weil das Geschäft einheitlich zu beurteilen ist. Anm. 12. d) Die F e s t s t e l l u n g d e r Z u g e h ö r i g k e i t z u m H a n d e l s g e w e r b e e r ü b r i g t sich in den m e i s t e n F ä l l e n d u r c h die im § 344Abs. l u n d 2 a u f g e stellten Vermutungen. Anm. 13. 3. Eines Kaufmanns Geschäfte müssen es sein. Dieses Begriffsmerkmal ist überflüssig. Denn wer ein Handelsgewerbe betreibt, ist Kaufmann (Anm. 1—18 zu § 1). Und das gleiche gilt im Falle des § 5: Gilt ein Gewerbe als Handelsgewerbe wegen der Firmeneintragung seines Inhabers, so gilt dieser auch als Kaufmann. Da auch Vorbereitungshandlungen zum Betrieb des Handelsgewerbes gehören (s. Anm. 10), also derjenige, in dessen Namen sie vorgenommen werden, bereits ein Handelsgewerbe betreibt und somit Kaufmann ist, kann auch, von Gesetzesänderungen abgesehen, nicht aktuell werden, ob die Kaufmannseigenschaft schon zur Zeit der Vornahme des Geschäftes vorhanden sein muß (hierüber ROHG. 15 S. 225, RGZ. 60 S. 78). Nur bei Gewerbeunternehmen, welche nur auf Grund Eintragung des Inhabers in das Handelsregister Handelsgewerbe sind, ergibt sich auch hier als selbstverständlich, daß vor dieser Eintragung die zum Betriebe gehörigen Geschäfte nicht Handelsgeschäfte sein können. Wenn in § 1 Anm. 12 der Gesellschafter einer oHG. als Kaufmann bezeichnet ist, so ist daselbst schon bemerkt, daß die von ihm abgeschlossenen Geschäfte nur dann Handelsgeschäfte sind, wenn sie zum Betrieb der oHG. gehören, also nicht die Geschäfte, die ihn persönlich angehen (RGSt. 29, 348; JW. 09, 69520). Anm. 14. 4. Geschäfte müssen es sein. Geschäft ist jedes Verhalten, welches einen auf die Herbeiführung eines wirtschaftlichen Erfolges, sei es auch für fremde Rechnung, gerichteten Willen kundgibt, oder kundzugeben scheint (§ 157 BGB, § 346), unabhängig von Willensfehlern und gleichgültig, ob es sich um Rechtsgeschäfte, erst recht, ob um wirksame oder unwirksame, entgeltliche oder unentgeltliche handelt, und unabhängig davon, ob dieses Verhalten zugleich eine unerlaubte Handlung ist (weitergehend Wieland S. 62, der alle der geschäftlichen Sphäre entspringenden unerlaubten Handlungen zu den Geschäften rechnet). Auch rein natürliche Handlungen wie Besitzergreifung fallen darunter. Ansprüche und Verbindlichkeiten aus einem solchen Verhalten sind Ansprüche und Verbindlichkeiten aus Handelsgeschäften. Ansprüche und Verbindlichkeiten, welche von einem Erfolg herrühren, der unabhängig von jedem wirklich oder anscheinend darauf gerichteten geschäftlichen Willen eingetreten ist, z. B. aus

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§ 343 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16—19 einer ungewollten Vermögensverschiebung (ungerechtfertigte Bereicherung RG. 93 S. 56), sind keine Ansprüche und Verbindlichkeiten aus Handelsgeschäften. Der Begriff der „im Betrieb eines Handelsgeschäftes begründeten Verbindlichkeiten" (§ 25ff.) ist weiter. Anm. 15. 5. D a ß die T a t b e s t a n d s m e r k m a l e des H a n d e l s g e s c h ä f t s im E i n z e l f a l l e erkennbar sein m ü s s e n , ist nur insofern richtig, als es ohne Erkennbarkeit überhaupt keinen Gewerbebetrieb gibt (§ 1 Anm. 7). Heimlich läßt sich kein Handelsgewerbe betreiben. Wer damit nicht hervortritt, kann seinen Gegner nicht mit kaufmännischen Zinsansprüchen oder mit einem kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht überfallen. Zur Erkennbarkeit genügt aber schon die Eintragung in das Handelsregister. Ob der Gegner die Tatsache des Handelsgewerbebetriebes wirklich erkannt hat, ist dann gleichgültig (abw. Wolff, Berliner Festgabe für Gierke, 1910, Bd. 2 S. 156ff.; Ritter» 412). Anm. 16. 6. Alle Geschäfte eines Kaufmanns sind Handelsgeschäfte. Das Gesetz macht also gar keine Ausnahme. Insbesondere ist die wichtige Ausnahme des älteren Rechts weggefallen, wonach Verträge über unbewegliche Sachen keine Handelsgeschäfte waren (Art. 275; unten Anm. 17). A b s o l u t e N i c h t h a n d e l s g e s c h ä f t e g i b t es h i e r nach nicht mehr. Beispiele sind dem Verständnis förderlich. Anm. 17. a) Z u n ä c h s t i s t zu e r w ä h n e n , d a ß n u n m e h r a u c h Grundstiicksgeschäfte H a n d e l s g e s c h ä f t e sein k ö n n e n (Anm. 16). Zwar sind sie nicht Handelsgeschäfte nach § 1, da keines der im § 1 aufgezählten Handelsgrundgeschäfte unbewegliche Sachen zum Gegenstand hat. Wohl aber können sie Hauptgeschäfte in einem Handelsgewerbe anderer Art sowie Hilfs- und Nebengeschäft des Handelsbetriebs, also akzessorische Handelsgeschäfte sein. So sind die Miete eines Ladens oder Hotels, der Kauf eines Fabrikgrundstücks durch einen Fabrikanten, die Veräußerung von Grundstücken seitens eines in das Handelsregister eingetragenen Grundstücksspekulanten (RG. 38,18), die Übernahme eines Baues in Entreprise durch einen in das Handelsregister eingetragenen Bauunternehmer, obgleich der Vertrag ein Werkvertrag ist (RG. 70, 30), die Geschäfte einer eingetragenen Ziegelei, einer eingetragenen Tiefbohrunternehmung (oben Anm. 5), Handelsgeschäfte. Hinzuzufügen ist, daß der Kauf einer unbeweglichen Sache zwar ein Handelsgeschäft sein kann, aber nicht ein Handelskauf nach §§ 373ff. Über die Vermittlung von Hypotheken und Grundstückskäufen siehe Vorbem. vor § 93 Anm. 1 ff. Anm. IS. b) H a n d e l s g e s c h ä f t e s i n d i n s b e s o n d e r e die Anschaffungen im H a n d e l s b e t r i e b e z u r B e n u t z u n g o d e r zum V e r b r a u c h so des Geschäftsinventars, der Handelsbücher, der Transportmittel für die Ware, des Verpackungsmaterials, die Anschaffung von Gegenständen zur Ausstattung einer Restauration (ROHG. 10, 243) oder zur Möblierung von Hotelräumen (ROHG. 22, 329), auch von Baumaterialien, welche in einem Geschäftslokal verwendet werden sollen (daß es sich hierbei um eine unbewegliche Sache handelt, ist gleichgültig). Auch der eingetragene Bauunternehmer (oben Anm. 17), der ein Haus zur Vermietung baut, nimmt die Geschäfte zur Herstellung des Hauses (Anschaffung der Herde, Beleuchtungskörper usw.) im Betriebe seines Handelsgewerbes vor; denn er will Gewinn erzielen. Die Anschaffung kann auch durch Leihe geschehen, da Entgeltlichkeit nicht Voraussetzung des einzelnen Geschäfts ist (ROHG. 19, 354). Anm. 19. c) Was Gesellschaftsverträge betrifft, ist man darüber einig, daß die Aufnahme eines stillen Gesellschafters, eines Kommanditisten, die Aktienzeichnung, die Beteiligung als Gründer einer Aktiengesellschaft Nebenhandelsgeschäfte sein können, mögen auch unbewegliche Sachen eingebracht werden (Anm. 17), und daß es auch bei der Gesellschaft zwecks einzelner Handelsgeschäfte darauf ankommt, ob die Gesellschaft von einem Kaufmann in Betrieb seines Handelsgewerbes eingegangen wird (ROHG. 10, 260 u. 428; 16, 2; mag auch einer der Gesellschafter nicht Kaufmann sein), nicht aber darauf, ob das Geschäft auf Seite desjenigen, mit dem nun die Gesellschaft Verträge schließt, ein Handelsgeschäft ist (unentschieden ROHG. 8, 47). Streitig aber ist, ob auch die Eingehung einer oHG. als solches betrachtet werden kann. Schließen zwei Personen, die bereits Kaufleute sind, eine oHG., so ist dies wenigstens ebensowohl ein akzessorisches Handelsgeschäft, wie wenn ein Kaufmann einen Nichtkaufmann in sein Geschäft als Gesellschafter aufnimmt, oder wenn zwei Kaufleute eine Gesellschaft bürgerlichen

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Handelsgeschäfte. Beispiele (Godin)

§ 343 Anm. 20, 21 Rechts schließen (Bolze 5 Nr. 726). Bestritten ist, ob die Eingehung einer oHG, an sich — wenn die Vertragschließenden nicht schon aus anderen Gründen Kaufleute sind — als zum Betriebe eines Handelsgewerbes gehörig zu betrachten ist. Dies« Frage hat die 1. Auflage verneint: Der Abschluß des Gesellschaftsvertrages sei jsc anzusehen wie der E n t s c h l u ß einer einzelnen Person, ein Handelsgewerbe zu betreiben. Erst die Betätigung dieses Entschlusses durch Abschluß des ersten Vorbereitungsgeschäfts der Gesellschaft sei das erste Handelsgeschäft, nicht schon jener Entschluß (a. M. Ritter 2 Anm. 6b; der von Ritter als Beispiel angeführte Anstellungfsvertrag eines Einzelkauimanns mit einem Handlungsgehilfen steht mit dem Zusammenschluß zum Betriebe eines Handelsgewerbes nicht auf gleicher Stufe). Wohl ist dies richtig, aber nicht denkbar, daß der Abschluß eines Gesellschaftsvertrages vom Standpunkt dei einzelnen Gesellschafter aus nicht mehr ist als bloß Entschluß zum Betrieb eines Handelsgewerbes, weil ja schon soziale Verpflichtungen dabei übernommen werden. Es ist also mindestens für jeden Gesellschafter eine Vorbereitungshandlung; sollte er dies dann nicht auch für ihre Gesamtheit sein? Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g zwischen G e s e l l s c h a f t e r n einer offenen Handelsgesellschaft ist akzessorisches Handelsgeschäft; die Auseinandersetzung gehört eben zu den letzten Betriebsakten (ROHG. 12, 368; Bolze 5 Nr. 424; RG. 154, 336; WarneyerRspr. 1914 Nr. 206; vgl. § 1 Anm. 17). — Ebenso ist die Veräußerung des Geschäftsanteils eines persönlich haftenden Gesellschafters án einen anderen Gesellschafter noch Tätigkeit in dem bisherigen Betriebe, wenn auch ihr Abschluß, und daher Handelsgeschäft (LZ. 09, 466*). Anm. 20. d) Der Erwerb und die Veräußerung eines ganzen Handelsgeschäfts (§ 22 Anm. 11 ff.) ist ein beiderseitiges Handelsgeschäft, auf Seiten des Veräußerers regelmäßig der letzte Akt seiner gewerblichen Tätigkeit (JW. 99, 494"; 03, 63®; § 1 Anm. 17), auf Seiten des Erwerbers das erste Handelsgeschäft, das seinen Handelsbetrieb ermöglichen soll und daher zu ihm als Vorbereitungsgeschäft gehört (ROHG. 11, 149; RG. 72, 434; OGHZ. 1, 62), ebenso wie ein Vertrag über Lieferung von Waren für ein erst zu eröffnendes Unternehmen (JW. 08,148 a2 ). Gleichgültig ist, ob der Erwerber des Unternehmens zur Zeit des Erwerbes Kaufmann war; es ist, wenn er das Unternehmen fortführt, sein erstes Geschäft als Kaufmann (JW. 08, 206a'). Es macht auch nichts aus, ob der Erwerb im Wege einer Auseinandersetzung zwischen Erben oder zwischen Handelsgesellschaftern erfolgt (JW. 08, 206 2 '; WarneyerRspr. 1914 Nr. 206; HRR. 1931 Nr. 528). Auch die Vorbereitungsgeschäfte zum Erwerb eines bestimmten Handelsgeschäfts, z. B. die Aufnahme eines Darlehns („Recht" 09 Nr. 2516; LZ. 1912, 9111), sind Handelsgeschäfte. Verbindlichkeiten, die der Kaufmann eingeht, um eine Zweigniederlassung zu errichten, gehören zu deren Verbindlichkeiten (WarneyerRspr. 1934 Nr. 13). Wer aber durch Veräußerung seines Handelsgeschäftes aufgehört hat, Kaufmann zu sein, nimmt kein Handelsgeschäft mehr vor, wenn er später über das Veräußerungsgeschäft einen Vergleich schließt (Recht 1927 Nr. 2011). Uber Veräußerung durch den Konkursverwalter s. § 25 Anm. 5 a. E., 15, 17. Anm. 21. c) Andere Beispiele sind: die A n s t e l l u n g s v e r t r ä g e mit Handlungsgehilfen (ROHG. 11, 57), mit Lehrlingen (ROHG. 14, 19), mit technischen Gewerbegehilfen (ROHG. 11, 387 ; Bolze 19 Nr. 317; RG. 1, 268); Anstellung eines Zeitungsredaicteurs (Nürnberg BuschA. 13, 40), einer Sängerin für ein Café chantant (Nürnberg BuschA. 21, 361) — Betrieb eines Theaterunternehmens (LZ. 07, 5041) — D a r l e h e n u n d s o n s t i g e K r e d i t g e s c h ä f t e : Darlehenshingabe (ROHG. 1, 217; 7,226); Darlehensempfang (ROHG. 3, 367; 14, 282); Gewährung oder Verlängerung eines kaufmännischen Kredits (ROHG. 5,110); Geben und Nehmen von Wechseln (RG. 9, 50); das Verschaffen ausländischen Geldes oder von Devisen — V e r s i c h e r u n g s v e r t r ä g e , soweit sie nicht schon Handelsgrundgeschäfte nach § 1 Nr. 3 sind: das.Nehmen der Versicherung durch einen Kaufmann, das gegenseitige Versichern unter Kaufleuten (ROHG. 4, 199; 5,18; RG. 12, 25); auch das Nehmen einer Leibrentenversicherung (RG. 28, 316) und die Geschäfte eines Versicherungsvereins a. G. (§ 1 Anm. 33 Nr. 3; RG. „Recht" 1923 Nr.' 1363) — die V e r s t ä r k u n g von V e r t r ä g e n : durch Anerkennung, auch wenn die erkannte Schuld kein Handelsgeschäft ist (ROHG. 17, 170; Bolze 7 Nr. 366); durch Abrechnung zwischen Kaufleuten über das Ergebnis der für gemeinschaftliche Rechnung

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§ § 343, 344 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 23, 22. Einl. geführten Handelsgeschäfte (ROHG. 7, 58, aber nicht, wie diese Entscheidung annimmt, wenn die Parteien zur Zeit der Abrechnung nicht mehr Kaufleute sind); die P f a n d b e s t e l l u n g ; insbesondere aber die B ü r g s c h a f t . Diese kann auf einer Seite oder auch auf beiden Seiten Handelsgeschäft sein; sie ist es immer dort, wo sie den Handelsbetrieb fördern soll (RG. 1, 25; vgl. RG. 65, 414); auf Seiten des Bürgen insbesondere dann, wenn er eine Vergütung erhält, aber nicht, wenn er sich erkennbar nur zur Wahrung verwandtschaftlicher oder freunschaftlicher Rücksichten verbürgt (ROHG. 15, 388; JW. 93, 24). Die Verbürgung kann auch dann Handelsgeschäft sein, wenn das Hauptgeschäft kein Handelsgeschäft ist (JW. 93, 24). Dagegen ist umgekehrt die Bürgschaft nicht Handelsgeschäft und daher nicht notwendig formfrei, wenn zwar die Hauptschuld ein Handelsgeschäft ist, nicht aber die Bürgschaft auf seiten des Bürgen (vgl. ROGH. 5, 367; 13, 108). — Die Übernahme von Verpflichtungen aus einer A u s e i n a n d e r s e t z u n g (JW. 93,140 23 ); A b t r e t u n g von Forderungen (JW. 97, 88), auch von Hypotheken (ROHG. 3, 432); E r w e r b v o n P a t e n t r e c h t e n ; A n n a h m e v o n A n w e i s u n g e n , A u f t r a g u n d V o l l m a c h t (vgl. RG. 26, 108; JW. 88, 17018); ein E r s c h a f t s k a u f (JW. 01, 261*»); I n s e r t i o n s v e r t r ä g e ; P a t e n t l i z e n z v e r t r ä g e ; S c h i e d s v e r t r ä g e (ROHG. 23, 259); die sog. M ö b e l l e i h V e r t r ä g e ; auch G e s e l l s c h a f t s v e r t r ä g e (Anm. 19), selbst wenn es sich um solche bürgerlichen Rechts handelt; L o t t e r i e s p i e l (RG. 30, 191); Differenzgeschäfte (RG. 38, 240); V e r k a u f eines H o t e l i n v e n t a r s (JW. 99, 67615); Verkauf eines G e s c h ä f t s - o d e r F a b r i k g e h e i m n i s s e s sowie einer Kundschaft (Vorb. vor § 373 Anm. 3); I n k a s s o g e s c h ä f t e (§2 Anm. 13 Nr. 5; §368 Anm. 113). Anm. 22. Auch freigebige Verfügungen können Handelsgeschäfte sein: Ausstellung von Gefälligkeitswechseln (WarneyerRspr. 1929 Nr. 38); Annahme der Stellung als unbesoldetes Aufsichtsratsmitglied (RG. 19,123); Leistung nach Ablauf der Verjährung (Bolze 4'Nr. 463); selbst S c h e n k u n g e n , z.B. Versprechen der Nachzahlung nach abgeschlossenem Ausgleich (ROHG. 16, 184; RG. 6, 228; Bolze 6 Nr. 458; Holdheim 04,128); Verzichte (RG. 29,11); belohnende Schenkungen (Bolze 8 Nr. 311; 14 Nr. 256); sonstige Zuwendungen (RG. 26, 19, JW. 1902 , 39 8 32 ), z. B. Trinkgelder, Weihnachtsgeschenke an Handlungsgehilfen, freiwillige Urlaubserteilungen oder Pensionszusagen an Angestellte (vgl. §59 Anm. 35, 41), Erlaß einer Darlehnsforderung an den Prokuristen (Bolze 12 Nr. 270); auch die Annahme von Schenkungen (Bolze 19 Nr. 320); nicht auch Verfügungen oder Schenkungen auf den Todesfall (RG. 18, 49). Eine Freigebigkeit kann auf der einen Seite ein Handelsgeschäft sein, auf der anderen nicht, z. B. ein Onkel erläßt seinem Neffen, der Kaufmann ist, eine zum Handelsgewerbe gehörige Schuld; hier liegt auf Seiten des Beschenkten ein Handelsgeschäft vor. Anm. 23. E n d l i c h sind Handelsgeschäfte, wenn zum ausgeübten Handelsgewerbe gehörig: Geschäftsbesorgung ohne Auftrag, Mahnungen, Fristsetzungen; das Angebot, Zusendungen, An- und Abnahme (ROHG. 10, 236): Rat, Empfehlungen und Auskunftserteilung (RG. 20, 194); Zahlung und deren Annahme, auch Zahlung einer Nichtschuld (ROHG. 23, 144; RG. 93, 229; Schwarz § 343 Anm. 5; Ritter 2 Anm. 4; § 352 Anm. 10; anders RG. 96, 57).

§344 Die von einem Kaufmanne vorgenommenen Rechtsgeschäfte gelten im Zweifel als zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehörig. Die von einem Kaufmanne gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betriebe seines Handelsgewerbes gezeichnet, sofern nicht aus der Urkunde sich das Gegenteil ergibt. Einleitung. Der Paragraph stellt im Anschluß an Art. 274 des alten HGB., wo jedoch in Abs. 1 nur von „Verträgen" die Rede war, zwei Vermutungen für die Zugehörigkeit der Rechtsgeschäfte eines Kaufmanns zum Handelsbetriebe auf: für seine Rechtsgeschäfte im allgemeinen (Abs. 1) und für seine Schuldscheine im besonderen (Abs. 2).

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Vermutung der Handelsgeschäftseigenschaft der Geschäfte eines Kaufmanns § 344 Anm. 1—3 1. (Abs. 1.) Die Ton einem Kaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäft« gehören fm Zweifel zum Betriebe seines Handelsgewerbes. Anm. 1. a) Ein Kaufmann muß die Rechtsgeschäfte vorgenommen haben. D i e K a u f m a n n s e i g e n s c h a f t m u ß a l s o f e s t s t e h e n (ROHG. 15, 27; § 343 Anm. 2—6), sie wird nicht etwa auch vermutet (über Kaufmannseigenschaft s. Anm. 1—18 zu § 1). Gleichgültig ist, ob der Kaufmann außer seinem Handelsgewerbe noch ein Handwerk treibt (JW. 87, 2751») oder Landwirtschaft (Weinbau: RG. 130, 235); fällt freilich das einzelne Geschäft nach seiner Natur in die Landwirtschaft, so greift die Vermutung nicht ein (Anm. 3), und ist das Handelsgewerbe nur ein Nebengewerbe zur Landwirtschaft, so gilt § 3 Abs. 2 (JW. 1930, 82923). Betreibt ein Kaufmann mehrere Handelsgewerbe, so wird vermutet, daß das Geschäft zu einem von ihnen gehöre, aber nicht, zu welchem. Auch für Minderkaufleute gilt die Vermutung (§ 4 Anm. 28) und für den Kaufmann nach § 5 (RG. 65, 412) sowie gegen den Scheinkaufmann, sofern er gegen sich gelten lassen muß, daß er ein Handelsgewerbe betreibe (§ 343 Anm. 6; § 5 Anm. 7ff.). Demgegenüber will Hildebrandt-Schl. (Anm. 4) § 344 nur auf den wirklichen Kaufmann anwenden, nicht auf den Kaufmann kraft Registerscheins (§ 5) und nicht auf den uneingetragenen Ssheinkaufmann, obwohl diese beiden auch nach Schlegelberger von § 343 (Anm. 13, 14 das.) betroffen werden. Daß die Vermutungen des § 344 „an die Kaufmannseigenschaft" gebunden sind, ist kein genügender Grund für diese Unterscheidung. Auch § 343 spricht von „Kaufmann" und „Handelsgewerbe". Die Vermutung gilt auch für die Liquidation einer unter Kaufmannsrecht stehenden Gesellschaft, soweit der Liquidator neue Geschäfte zur Abwicklung schwebender Geschäfte abschließen darf. H a n d e l t d e r T e i l h a b e r e i n e r o f f e n e n H a n d e l s g e s e l l s c h a f t , so muß, damit die Vermutung Platz greife, feststehen, daß er für die Gesellschaft gehandelt hat (ROHG. 16, 380). Denn die Vermutung gilt nur für die Handelsgesellschaft selbst, weil ihr Betrieb nicht ein Betrieb des einzelnen Gesellschafters ist (vgl. auch wegen des Kommanditisten und des G. einer KommanditG. Anm. 13c zu §1), eine Vermutung dafür aber, daß der Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft für diese handelt, besteht nicht (ROHG. 13, 288; 18, 227; RG. 119, 67; WarneyerRspr. 1916 Nr. 174; JW. 1913, 436«; LZ. 1910, 393®; SeuffA. 84, 187; Karlsruhe BadRspr. 1926, 149). Macht ein Gesellschafter, der sonst kein Handelsgewerbe betreibt, mit der Gesellschaft selbst Geschäfte, so kann er nicht für diese handeln, die Vermutung ist also unanwendbar (RG. 118, 303). Wenn der Name eines Gesellschafters und die Gesellschaftsfirma gleich lauten, hat man aus der Gesamtheit der Umstände zu beurteilen, in welcher Eigenschaft der Gesellschafter gehandelt hat (WarneyerRspr. 1914 Nr. 210; Hamburg HansGZ. 1915 H. 103). Ist ein Kaufmann zugleich gesetzlicher oder gewillkürter Vertreter eines anderen Kaufmanns, spricht vorbehaltlich § 164 BGB. keine Vermutung dafür, in wessen Namen er gehandelt hat. Ebensowenig besteht eine Vermutung, daß der Vorstand einer Aktiengesellschaft als deren Vertreter handelt (WarneyerRspr. 1930 Nr. 206), oder eine Vermutung, daß ein Kaufmann, der zugleich Geschäftsführer und Anteilseigner einer GmbH, ist, in seiner Eigenschaft als selbständiger Kaufmann handelt („Recht" 1931 Nr. 833 = J W . 1932, 50 11 ). Hat der Vertreter im Namen des Vertretenen gehandelt, und ist dieser Kaufmann, so spricht die Vermutung dafür, daß das Rechtsgeschäft zum Handelsgewerbe des Vertretenen gehört. Anm. 2. b) Auf die Rechtsgeschäfte eines Kaufmanns bezieht sich die Vermutung. Darunter sind alle Geschäfte im Sinne des § 343 zu verstehen, der etwas abweichende Wortlaut rechtfertigt für sich allein keine engere Auslegung (a. M. HildebrandtSchl. Anm. 5). Ohne weiteres gehört dazu die Ausstellung von Gefälligkeitswechseln (WarneyerRspr. 1929 Nr. 38). Die Zugehörigkeit zum Handelsbetriebe wird auch vermutet, wenn ein Teilhaber einer offenen Handelsgesellschaft das ganze Geschäft übernimmt und sich von dem ausscheidenden Gesellschafter die Unterlassung eines Wettbewerbes versprechen läßt. Das Recht aus dem Wettbewerbverbot geht dann bei einem Weiterverkauf des Geschäfts mit Aktiven auf den Erwerber über (RG. 37, 176; 72, 434; 96, 173; J W . 07, 136 l s ; §22 Anm. 14). Anm. 3. c) Im Zweifel gilt die Zugehörigkeit zum Handelsbetriebe. Damit ist eine durch Gegenbeweis widerlegbare Vermutung, eine praesumtio juris, aufgestellt (§ 292 ZPO.). D e s G e g e n b e w e i s e s b e d a r f es n i c h t , w e n n d i e S a c h l a g e s c h o n a n s i c h

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§ 344 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 4—7 k e i n e n Zweifel d a r ü b e r z u l ä ß t , daß das Geschäft dem Handelsgewerbe nicht zugehört (RG. 28, 315). Es fällt aber die Vermutung nicht schon dann fort, wenn das Geschäft keine sichtbare Beziehung, sondern erst dann, wenn es u n z w e i f e l h a f t keine Beziehung zum Handelsgewerbe hat (RG. 28, 315; J W . Ol, 261 29 ), sondern unzweifelhaft ein Privatgeschäft gewesen ist. Für den Fall, daß keine sichtbare Beziehung zum Handelsgewerbe vorliegt, ist die Vermutung gerade gegeben (RG. 29, 13; J W . 02, 188 28 ). Zur Widerlegung der Vermutung genügt nach fast allgemeiner Meinung nicht schon der Beweis, daß das Geschäft tatsächlich nicht zum Handelsgewerbe gehört hat, sondern es muß auch bewiesen werden, daß dies dem Gegner erkennbar war, ein b e r e c h t i g t e r Zweifel also nicht bestehen konnte (ROHG. bei Puchelt Anm. 9 zu Art. 274). Der Gegner hat keine Erkundigungspflicht. Unter dem Gesichtspunkt des Geschäftsgegenstandes (bezüglich der Begleitumstände s. Anm. 4) gilt: Die Vermutung reicht, soweit ein Geschäft zum Betrieb eines Handelsbetriebes gehören kann (s. Anm. 7 zu § 343). Daß ein unentgeltliches Geschäft vorliegt, ist kein geeigneter Gegenbeweis (§ 343 Anm. 22). Auch daß ein im Handelsbetriebe ungewöhnliches Geschäft vorliegt oder daß es nicht in die zum Betrieb gehörige Gewerbeart fällt, beseitigt die Vermutung nicht (Warneyer Rspr. 1920 Nr. 99; Gruch. 33, 1042; J W . 89, 289 20 ; 01, 261 29 ; SeuffA. 86, 219). Selbst ein Vertrag zur Sicherstellung von Kindern wird von der Vermutung des § 344 getroffen, wenn die Möglichkeit besteht, daß er den Handelsbetrieb fördern soll (JW. 91, 556 18 ). Beispiele für den Wegfall der Vermutung; offensichtlicher Kauf für den Haushalt oder für den Privatgebrauch, z. B. Bestellung einer Beleuchtungsanlage für das Wohnhaus; Annahme eines Hausarztes; Bürgschaft aus offenbar verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Rücksichten (§ 343 Anm. 24; aber noch nicht jede Geschäftsbesorgung für Verwandte; vgl. WarneyerRspr. 1939 Nr. 148), Schuldübernahme, um den Sohn vor Strafanzeige zu schützen; Verträge des Familien- und Erbrechts; Schenkungen von Todes wegen (RG. 18, 49). Lebensversicherungsverträge werden sehr häufig auch im Betriebe des Handelsgewerbes geschlossen; bei Kreditbewilligungen ist der Abschluß einer Lebensversicherung des Schuldners oder seiner Ehefrau sehr oft eine der geforderten Sicherheiten, so daß die abweichende Entscheidung RG. 14, 237 nur mit Vorsicht anzuwenden ist. Feuer-, Transport- und Haftpflichtversicherungen eines Kaufmanns hängen mit dem Betriebe des Handelsgewerbes regelmäßig eng zusammen. Bei Leibrentenverträgen ist die Beziehung zum Handelsbetriebe schon seltener, aber auch nicht ausgeschlossen. Bei einem gemischten W a G . (§ 1 Anm. 35) besteht die Vermutung, daß seine Geschäfte seinem Prämienversicherungsbetriebe dienen (RG. im „Recht" 1923 Nr. 1363). Anm. 4. Der e r f o r d e r l i c h e G e g e n b e w e i s kann durch jedes zulässige Beweismittel geführt werden, auch durch Antrag auf Parteivernehmung über eine erhebliche Tatsache (§ 292 ZPO.). Ob er geführt ist, entscheidet nach § 286 ZPO. richterliches Ermessen. Der Gebrauch des von der Firma abweichenden Namens ist nicht ausschlaggebend (unten Anm. 12). Anm. 5. d) Die Zugehörigkeit zum Handelsbetriebe ist ein in Anm. 7 ff. zu § 343 erörterter Begriff. Soweit nach § 343 die Zugehörigkeit möglich ist, wird sie nach § 344 vermutet, wenn der Sachverhalt nicht entgegensteht (JW. 1900, 444 19 ). Anm. 6. e) Die Vermutung gilt fUr und gegen jedermann, insbesondere nicht nur gegen den Kaufmann, sondern auch für ihn (vgl. jedoch § 5 Anm. 9, 10, 14). Aber sie gilt nicht für Innenverhältnisse; so nicht für die Frage, ob im Verhältnis zwischen Kaufmann und stillem Gesellschafter ein Geschäft zum Handelsgewerbe (RG. 92, 294, zweifelnd Hildebrandt-Schi. Anm. 10) im Verhältnis des Veräußerers eines Handelsgewerbes zum Erwerber ein Aktivum oder Passivum zu dem veräußerten Unternehmen gehört (§ 22 Anm. 14, 20), auch nicht für die güterrechtliche Stellung der Handelsfrau (Vorbem. 15 vor § 1 ; die gegenteilige Ansicht bei Staub-Gadow 14. Aufl. Anm. 7 wird fallengelassen; a. M. Hildebrandt-Schl. Anm. 10), weil sich hier das Außen- vom Innenverhältnis nicht trennen läßt, ausgenommen nach § 366 (§ 366 Anm. 36c). Anm. 7. Die Vermutung ist z. B. auch von Bedeutung nach der Verjährungsbestimmung des § 196 Nr. 1 BGB. (ROHG. 12, 233; 14, 256; 15, 38; RG. 5, 274; 130, 235). Sie ist auch steuerrechtlich bedeutsam (RFH. 12, 139); auch für Anwendung des §j25 (RG. 59, 215; 154, 336; § 25 Anm. 14); auch für den Vergleich nach § 67 Abs. 2 AufwG. (JW. 1926, 2567 1 ).

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Vermutung der Handelsgeschäftseigenschaft der Geschäfte eines Kaufmanns § 3 4 4 Anm. 8—13 Anm. 8. 2. (Abs. 2.) Die von einem Kaufmann gezeichneten Schuldscheine gelten als im Betriebe des Handelsgewerbes gezeichnet, sofern sich nicht aus ihnen selbst das Gegenteil ergibt. Eines Kaufmanns Schuldscheine müssen es sein (oben Anm. 1). Die Kaufmannseigenschaft muß zurZeit der Ausstellung bestehen. Wenn ein unter § 2 fallender Gewerbetreibender vor der Eintragung einen Darlehnsschuldschein zeichnet und begibt, jedoch erst nach seiner Eintragung das Darlehn erhält, so ist §344 Abs. 2 nicht anzuwenden. Ob der Teilhaber einer oH G. durch den Schuldschein sich od. die oH G. verpflichtet hat, ist Auslegungsfrage ; insoweit besteht keine Vermutung (Anm. 1; SeuffA. 84,187; JW.1893,203 2 '). Anm. 9. c) Die Schuldscheine. Ein Schuldschein ist nach RG. 116,173 und 120, 89 eine die Schuldverpflichtung begründende oder bestätigende und vom Schuldner zum Zwecke der Beweissicherung für das Bestehen der Schuld ausgestellte Urkunde. Der Begriff ist hier in der weitesten Bedeutung zu nehmen. E r umfaßt alle Urkunden, die ein Verpflichtungsbekenntnis enthalten, gleichviel, ob darin der Schuldgrund angegeben ist oder nicht, ob sie einen Schuldgrund schaffen oder ob sie nur Beweisurkunden sind (JW. 01, 576 14 ), ob sie nur über eine Schuld oder zugleich über eine gegenüberstehende Forderung oder die Einräumung eines andern als eines Schuldrechts lauten — Schuldund Pfandscheine (vgl. WolffZHR. 47,249 mit Literaturangaben) — ebenso die Urkunde, durch welche eine Hypothek bestellt wird. Die Urkunde muß sich aufjein bestimmtes Rechtsgeschäft beziehen und dessen Inhalt im wesentlichen erkennen lassen (ROHG. 20, 402), wenn auch nur durch Verweisung auf eine andere Urkunde (RG. 131, 6). Das Erfordernis, da3 die Urkunden solchenfalls auch äußerlich zusammenhängen müssen, besteht hier nicht. • i Anm. 10. I m e i n z e l n e n g e h ö r e n h i e r h e r : Schuldurkunden mit Schuldgrund (ROHG. 2, 429; 3, 367; 12, I I I ) ; Wechsel (ROHG. 4, 35; 9, 174), und zwar Akzept, Ausstellung, Giro, Aval, Ehrenannahme; Verpflichtungsscheine (ROHG. 8, 431; RG. 77, 57); Bürgschaftsscheine (JW. 06, 87'), selbst solche, die eine künftige Forderung sicherstellen sollen (a. M. ROHG. 20, 400); Konnossemente, Lager- und Ladescheine; Darlehns- und Hinterlegungsscheine (RG. 59, 213); Anerkenntnisse von Abrechnungen, z. B. das schriftliche Anerkenntnis eines Kontokurrents durch einen Restaurateur (ROHG. bei Puchelt Anm. 10 zu Art. 274); Provisionsscheine; Anstellungsbriefe; auch Briefe, welche außerdem einen andern Inhalt haben. Anm. 11. N i c h t h i e r h e r g e h ö r e n : Vermerke in den Handelsbüchern; Quittungen, da diese den Gegensatz zu den Schuldscheinen bilden (§§ 368ff. BGB.); doch sind Quittungen wohl zu unterscheiden von den Empfangsbekenntnissen, welche, wie der Darlehnsschuldschein oder Hinterlegungsschein, die Übernahme einer Verpflichtung begründen oder beweisen (auch Anh. zu § 372 Anm. 69ff.). Anm. 12. d) Sie gelten als zum Betriebe des Handelsgewerbes gehörig, wenn sich nicht aus ihnen selbst das Gegenteil ergibt (JW. 01, 576 11 ). D a s i s t d e r F a l l , wenn der in der Urkunde bezeichnete Schuldgrund dem privaten Leben des Kaufmanns angehört (ROHG. 2, 429), a b e r n i c h t , ' w e n n die Urkunde den ihr zugrundeliegenden Schuldgrund nicht bezeichnet, mag er auch dem Handelsgewerbe nicht angehören. (RG. 56,196; LZ. 1913, 698'); vielmehr sind die Schuldscheine des Kaufmanns ohne Schuldgrund infolge dieser Vorschrift stets als zum Handelsgewerbe gehörig zu betrachten. Auch dadurch wird die Vermutung nicht gebrochen, daß dargetan wird, daß der in der Urkunde angegebene nicht der wahre Schuldgrund ist, der wahre Schuldgrund aber dem Handelsbetriebe nicht angehört (ROHG. 12, 111). Daß der Kaufmann seinen von der Firma abweichenden bürgerlichen Namen gebraucht hat, ist ebenfalls kein ausreichender Gegenbeweis (ROHG. 2, 430; 14, 12 u. 210; Bolze 4 Nr. 466; 14 Nr. 492a; RG. 59, 214; a. M. Wolff ZHR. 47, 250), kann jedoch ein Umstand sein, um in Verbindung mit anderen — aus der Urkunde sich ergebenden oder dem Nehmer oder Erwerber bekannten (Anm. 14) — Tatsachen den Gegenbeweis zu begründen (ROHG. 14, 286; JW. 98,15 38 ). Daß mit der Firma gezeichnet wurde, ist umgekehrt das gewöhnliche Merkmal dafür, daß für das Geschäft gehandelt wurde (ROHG. 14, 211; RG. 56, 197). Anm. 13. e) Auch diese Vermutung gilt gegen und für den Kaufmann, gegen und für den Nehmer und den Dritten, auch für den Erwerber "der Forderung. Sie gilt für alle Außen- (nicht Innen-) Verhältnisse, in denen es sich um die Zugehörigkeit zum Gewerbe-

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§ § 344, 345 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 14, Anni. 1—6 betriebe handelt (oben Anm. 6, 7), so daß die vom Vorbesitzer ausgestellten Schuldscheine als im Betriebe des Handelsgeschäfts ausgestellt gelten, die Schuld also gegenüber dem Gläubiger zu den übernommenen Geschäftsschulden gehört (RG. 59, 216; § 25 Anm. 14). Will sich der Übernehmer im Sinne des § 25 dagegen schützen, so muß er den Abs. 2 des § 25 beobachten. Anm. 14. f) Die Berufung auf die Vermutung ist arglistig, wenn der Nehmer des Schuldscheins bei der Annahme, der Abtretungsempfänger beim Erwerbe gewußt hat, daß der Schuldschein nicht im Betriebe des Handelsgewerbes gezeichnet worden war; ob das zugrunde liegende Geschäft dem Handelsgewerbe angehörte, ist gleichgültig (RG. 56, 198; DürHach.-Werner Anm. 5; abw. Schwarz Anm. 18; Ritter Anm. 7). Wissenmüssen steht dem Wissen hier aber nicht gleich, auch ist der Einwand nicht begründet, wenn der Nehmer oder der Abtretungsempfänger bei der Annahme oder beim Erwerbe gutgläubig war und erst nachher die Nichtzugehörigkeit erfahren hat. Selbst daß zwischen den ursprünglichen Parteien vereinbart war, daß der Schuldschein nicht im Betrieb des Handelsgewerbes gezeichnet werde, geht nach § 344 Abs. 2 den gutgläubigen Erwerber nichts an (a. M. Schwarz Anm. 18).

§ 345 Auf ein Rechtsgeschäft, das für einen der beiden Teile ein Handelsgeschäft ist, kommen die Vorschriften über Handelsgeschäfte für beide Teile gleichmäßig zur Anwendung, soweit nicht aus diesen Vorschriften sich ein anderes ergibt. Anm. 1. 1. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift. Ist das Geschäft auf beiden Seiten ein Handelsgeschäft, d. h. sind beide Teile Kaufleute, so ist kein Zweifel darüber, daß die Vorschriften des 3. Buches auf beide Teile anzuwenden sind, ebensowenig, daß bei einseitigen Handelsgeschäften die Vorschriften des 3. Buches auf denjenigen anzuwenden sind, auf dessen Seite ein Handelsgeschäft vorliegt. Aber das Gesetz geht darüber hinaus und will auch bei einseitigen Handelsgeschäften die Vorschriften des 3. Buches regelmäßig auf beide Teile anwenden. Gleichwohl bedeutet aber § 345 nicht etwa, daß ein Geschäft, an dem nur ein Kaufmann beteiligt ist, immer ein beiderseitiges Handelsgeschäft im Sinne jener Vorschriften sei, die ein solches zum Gegenstand haben oder voraussetzen. Anm. 2. 2. A l l e s das g i l t n i c h t nur von V e r t r ä g e n , sondern von allen R e c h t s g e s c h ä f t e n und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen, bei denen überhaupt „zwei Teile" möglich sind, also auch von empfangsbedürftigen Willenserklärungen und Mitteilungen wie Kündigungen, Vertragsangeboten, Mahnungen. Anm. 3. 3. Die R e g e l g r e i f t auch P l a t z , wenn das G e s c h ä f t zufolge der Vermutung des § 3 4 4 auf der einen S e i t e als H a n d e l s g e s c h ä f t gilt. Anm. 4. 4. Die Kegel gilt für das ganze Handelsgeschäft nach Entstehung, Wirkung und Auflösung; dagegen ist eine Bürgschaft oder Übernahme der Haftung für Verbindlichkeiten aus fremden Handelsgeschäften nicht ohne weiteres Handelsgeschäft und darauf § 345 nicht ohne weiteres anwendbar, wenn nicht für sie eigene Gründe zutreffen, die sie zu einem Handelsgeschäft machen (ROHG. 2 S. 43; 20 S. 400, Anm. 21 zu § 343). Anm. 5. 5. Die F o l g e i s t , d a ß , wenn ein T e i l K a u f m a n n i s t , die V o r s c h r i f t e n ü b e r H a n d e l s g e s c h ä f t e r e g e l m ä ß i g f ü r beide T e i l e g e l t e n . Die Kaufmannseigenschaft muß zur Zeit der Vornahme des Geschäfts, bei Willenserklärungen zur Zeit der Abgabe der Erklärung vorhanden sein (RG. 60, 78; WarneyerRspr. 1920 Nr. 99). Wenn ein unter § 2 fallender Gewerbetreibender vor seiner Eintragung (§ 2) einem Kaufmann ein zu seinem Gewerbe gehöriges Geschäft angetragen und dieser die Annahme zu einer Zeit erklärt hat, zu der der Antragsteller eingetragen war, so ist ein beiderseitiges Handelsgeschäft geschlossen, da die Annahmeerklärung beiderseitiges Handelsgeschäft ist (Wolff, Berliner Festgabe für Gierke, 1910, 12

Anwendbarkeit der Vorschriften über Handelsgeschäfte (Godin))

§ § 345, 346 Anm. 6, 7 S. 153). Bei der Verjährung eines Anspruchs nach § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB. kommt es auf den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs an; nachträglicher Erwerb der Kaufmannseigenschaft begründet nicht die Anwendung des § 196 Abs. 1 Nr 1 BGB. (JW. 05,169'). Anm. 6. 6. Der H a u p t a n w e n d u n g s f a l l d i e s e r f r ü h e r in A r t . 277 e n t h a l t e n e n V o r s c h r i f t w a r die d u r c h A r t . 317 a u s g e s p r o c h e n e F o r m f r e i h e i t a l l e r H a n d e l s g e s c h ä f t e . Er ist im jetzigen HGB. weggefallen. Denn eine besondere Formfreiheitsvorschrift für Handelsgeschäfte gibt es nicht mehr, weil schon das BGB. von der Regel der Formfreiheit der Verträge ausgeht. Diese Regel gilt nun auch im Handelsrecht und zwar nicht mit allen Ausnahmen des BGB. (§§ 350, 351). § 345 ist hauptsächlich bedeutsam für den Handelskauf (s. aber §§ 377—379), für das Kommissions-, Speditions-, Lager- und Frachtgeschäft, für die Beförderung von Gütern und Personen auf den Eisenbahnen, ferner für § 352 Abs. 2 (Zinsfuß), §§ 355—357 (laufende Rechnung), §§ 358—361, 363—365, 366f. Anm. 7. 7. Ausnahmen von § 345 schreiben vor z.B. §§ 346, 347, 348, 349, 350, 351, 352 Abs. 1, 353, 369—372, 377—379.

§ 346 Unter Kaufleuten ist in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehre geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen. Schrifttum außer den Kommentaren: A p t , Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin über Gebräuche im Handelsverkehr 1 1904, II 1905. Neue Sammlung 1 1907, II 1910, III 1914; R. A s c h e n b r e n n e r , Fob-'und Gif-Klausel in ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung, ZBH. 1931,193;^Bernhardt, DR. 1942,1175; v. B r u n n , Die formularmäßigen Vertragsbedingungen der deutschen Wirtschaft; D a n z , Die Auslegung der Rechtsgeschäfte 3. Aufl. 1911; D o v e - A p t , Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft von Berlin 1900; D o v e - M e y e r s t e i n , Gutachten der Handelsbräuche, erst, von der Industrie- und Handelskammer Berlin, I 1907, II 1912, III 1926, IV 1930; E i l l e s , DGWR. 1941, 123; van E r c k e l e n s , ZAk. 1940, 367; F i s c h e r (René), Handelsusanz und objektives Recht, Diss. Zürich 1929; G r o ß m a n n Do e r t h , Der Jurist und das autonome Recht des Welthandels, JW. 1929, 3447; ders., .Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht; H a m a n n , MDR 49, 209 H a u p t , Die Allg. Geschäftsbedingungen der deutschen Banken, 1937; d e r s . , ZAk. 43, 84; d e r s . : Über faktische Vertragsverhältnisse, Leipz. rechtswiss. Studien 124 (1943); H e n l e , Treu und Glauben im Rechtsverkehr, 1912; H ö r s c h e l , DR. 1942, 753; •ders., KartRdsch. 1944, 64; H i l d e b r a n d t , Das R e c h t l e r allg. Geschäftsbedingungen, ArchZivPrax. 143, 326; K l a u s i n g , Der Krediteröffnungsvertrag in Zeitschr. für ausi. u. intern. Privatrecht, 6. Jahrg., Sonderheft^. 85ff., 111 ff.; ders., ZAdDR. 1943, S. 129; K o c h , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, 1932;'Koehler/Allg. Verkaufsbedingungen, 1934; ders., DR. 1944, 166; K o s t , Zur Auslegung allg. Geschäftsbedingungen, 1933; Herrn. K r a u s e , Schweigen im Rechtsverkehr,'1933; L a n c e l l e , DR. 1940, 1449; L a r e n z , Die Methode der^"Auslegung der Rechtsgeschäfte, Leipzig 1930; L e n z , Kriegsrisiko und Gefahrübergang beim Cif-Geschäft, DGWR. 1936, 163; L ö n i n g , Autonomes Recht der Wirtschaft, Mitt. des'Jenaer Instituts Heft 20; M a n i g k , Irrtum und Auslegung, 1918; M e r c k e n s , Rechtsfragen zu den Allgemeinen Bedingungen für den Geschäftsverkehr'mit den Großbanken, 1931; M i c h e l , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen als Vertragsbestandteil in der Rechtsprechung, 1932; M ü l l e r -eisert, Allg. Lieferungsbedingungen der Industrie, des Handwerks und der öffentlichen Hand, 1932; ders., DGWR. 1942, 111; O e r t m a n n , Rechtsordnung und Verkehrssitte, 1914; ders., Bemerkungen über die Bedeutung des Schweigens im Handelsverkehr, ZBH. 1926, 7ff.; P a g e n s t e c h e r , Sittenwidrige Lieferungsbedingungen, 1943; ders., DR. 1943, 977; ders., KartRdsch. 1944, 7; Ludwig R a i s e r , Das Recht der Allg. Geschjschäftsbedingungen, 1935; R i e s e n f e l d , Breslauer Handelsgebräuche, 1900, neue Folge,

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§346 Drittes-Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 1 1900—1906, zweite Folge, 1911; ders., SJZ. 50, 668; Schmid-Loßberg, MDR. 1949, 609; ders., MDR. 1951, 285; R o q u e t t e , JW. 1938, 546; Schreiber, Handelsbräuche, 1922; Titze, Richtermacht und Vertragsinhalt, 1921; Die Lehre vom Mißverständnis, 1910; S c h w a r t z , DR. 1943, 844; Sebba, Bedeutung und Wirksamkeit autonomer Vertragsbedingungen im Verkehrsrecht; Senckpiehl, Allgemeine Geschäftsbedingungen; ders., JW. 1925, 277; ders., JR. 50, 581; ders., JR. 51, 524; ders., MDR. 51, 648; W e i l b a u e r , Die ergänzenden Leistungspflichten nach Treu und Glauben, 1922; W o i t e , Freizeichnungsklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, 1931; W e s e n b e r g , DRiZtg. 1953, S. 19. Einleitung. Die Vorschrift betrifft die Bedeutung, d. h. Deutung eines Tatbestandes von Handlungen und Unterlassungen unter dem Gesichtspunkt, ob er als Willenserklärung und, wenn, welchen Inhalts, anzusehen ist, sei sie auch ohne Erklärungsbewußtsein abgegeben. Für diese Auslegung schreibt § 346 unter Kaufleuten die Rücksicht auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche vor. Selbstverständlich gelten dafür daneben die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (die grundsätzlichen der §§ 133,157 BGB., aber auch sonstige wie § 427 BGB). Für die Auslegung von Willenserklärungen wie auch von Handlungen, die nach der Absicht ihres Urhebers nicht bestimmt waren, einen Rechtsfolgewillen kundzugeben, (s. darüber ausführlich Anm. 2 vor Ziff. 1), gilt der Grundsatz, daß jeder seine Handlungen gegen sich gelten lassen muß als das, als was sie sich nach der Verkehrsanschauung darstellen, nicht als das, was der Handelnde sich darunter vorgestellt hat. Besonders gilt dies von den typischen Handlungen, die einen typischen Sinn haben. Die Vorschrift betrifft auch die Wirkung von Handlungen (einschließlich der bewußten Willenserklärungen) und Unterlassungen. Grundsätzlich hat eine Willenserklärung die als gewollt erklärte Rechtsfolge zur Wirkung, aber auch Handlungen und Unterlassungen, welche nur Willenserklärungen zu sein scheinen und wegen dieses Scheines gelten, haben die entsprechende Rechtsfolge. Außerdem können Willenserklärungen auch Rechtsfolgen haben, die der Erklärende nicht bedacht und nicht gewollt hatte. Diese können sich aus dem Gesetz ergeben, aber es gilt auch in dieser Beziehung außerdem nach BGB. die Verkehrssitte, nach unserer Gesetzesstelle unter Kaufleuten der Handelsbrauch, der die unter Kaufleuten geltende Verkehrssitte ist. Verkehrssitte und Handelsbrauch haben auch eine normative Geltung, die mit der Auslegung nichts zu tun hat (darüber s. ausführlicher unten Anm. 2 vor Ziff. 1). Endlich betrifft §346 auch Wirkungen, die Handlungen und Unterlassungen, ohne Willenserklärungen zu sein oder zu sein zu scheinen, haben können, weil diese Wirkungen keinen Rechtsfolgewillen voraussetzen und auch nicht die Folgen eines solchen ergänzen, wie z. B. Rechtsverluste durch Versäumnis und dergleichen. Auch hier ist dieselbe Rücksicht auf die Gewohnheiten und Gebräuche maßgebend, die im Handelsverkehr bzw. nach der Verkehrssitte neben den einschlägigen Vorschriften des Gesetzes gelten. § 346 bedeutet in diesen Hinsichten unter Kaufleuten, daß derjenige, der sich dem Handelsbrauch nicht unterwerfen will, ihn ausdrücklich- ausschließen muß (BGH., BB. 52. 12) und daß das typisch, nicht das individuell Gewollte verwirklicht wird, wenn letzteres nicht aus der Erklärung hervorgeht oder ihrem Empfänger bekannt ist. Anm. 1. I. §§ 133, 167 BGB. sind maßgebend für die Auslegung von Willenserklärungen auch für das Handelsrecht. § 346 HGB. ergänzt sie nur. Der frühere Art. 279, an dessen Stelle § 346 HGB. getreten ist, hatte bahnbrechend gewirkt, indem er für Handelsgeschäfte anordnete, daß bei der Beurteilung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen ist. Dieser Grundsatz ist nunmehr im § 157 BGB. für die Auslegung von Verträgen allgemein anerkannt, und auf die Auslegung von W i l l e n s e r k l ä r u n g e n ü b e r h a u p t auszudehnen. Der Handelsbrauch ist nur eine Art der Verkehrssitte; daß er dem objektiven Recht näherstände als diese (JurRundsch. Rspr. 1927 Nr. 264), ist nicht anzuerkennen. Über ihr Verhältnis zum Handelsgewohnheitsrecht vgl. Allg. Einl. Anm. 17 ff. und nachstehende Anm. 2 vor Ziff. 1. § 346 kommt eine besondere Bedeutung nur insofern zu, als er bestimmt, daß die im Verkehr u n t e r K a u f l e u t e n geltenden Gebräuche 14

Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen (Godin)

§ 346 Anm. 2 n u r i m R e c h t s v e r k e h r u n t e r K a u f l e u t e n zu beachten sind, (unten Anm. 11), und dies auch nur dann, wenn die Kaufleute nicht etwas vom Handelsbrauch Abweichendes bestimmt haben. Gelten nun auch die Grundsätze der §§ 133, 157 BGB, § 346 allgemein, so sind sie doch nicht auf unerlaubte Handlungen berechnet. Ein Kaufmann, der weiß, daß seine Firma zur Akzeptierung von Wechseln mißbraucht wurde, macht sich daher dem gutgläubigen diskontierenden Bankier nicht etwa von dem Gesichtspunkte aus haftbar, daß er nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte der Fälschung durch Warnung des Bankiers hätte entgegentreten müssen, wenn seine schweigende Duldsamkeit nicht nach § 157 BGB, 346 als Erklärung einer Vollmacht zum Firmengebrauch zu deuten ist; sonst kann aus einer solchen Unterlassung nur wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ein Anspruch aus unerlaubter Handlung hergeleitet werden (vgl. RG. 70, 353; JW. 1911, 7611»; 1935, 34 s ; LZ. 1928, 335; Dresden SächsOLG. 1912,187; § 350 Anm. 56 a. E.; § 54 Anm. 12). Bevor aber an eine Auslegung nach §§ 133, 157 BGB. herangetreten wird, muß immer die Anwendbarkeit deutschen Rechts feststehen (Anh. zu § 372 Anm. 5ff.). Anm. 2. II. Die Auslegung von Willenserklärungen auf Grund der §§ 183 und 157 BGB. Vgl. zu Nachstehendem außer den Erläuterungsbüchern zu HGB. und BGB. ins. M a n i g k , Willenserklärung und Willensgeschäft, ders., Irrtum und Auslegung; ders., Rechtswirksames Verhalten; K r a u s e , Schweigen im Rechtsverkehr; S c h m i d t R i m p l e r , AcP 147 S. 130; R a i s e r , Das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Nach § 133 ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wahre Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu h a f t e n , was auch A. 278 des ADHGB. angeordnet hatte. Nach § 167 sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben dies mit Bücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Grundsätzlich setzt der Eintritt einer gewollten Rechtsfolge den entsprechenden Willen und seine Erklärung voraus. § 133 kann wegen seiner Fassung mißverstanden werden, nämlich in dem Sinn, daß es auf den erklärten Willen nicht ankomme, sondern nur auf den wahren Willen, auch wenn etwas anderes erklärt war, vielleicht auch in dem Sinn, daß der wahre^Wille nur aus der Erklärung selbst durch Auslegung zu ermitteln sei. Es ist aber beidesjlicht gemeint, vielmehr handelt § 133 von der Ermittlung des Inhalts der Erklärung, ohne dazu Stellung zu nehmen, welche der Voraussetzungen, Wille und Erklärung, größere Bedeutung für die eintretende Rechtsfolge hat. Er bestimmt, daß der wirkliche Wille auf welche Weise auch immer zu ermitteln ist, auch um den Sinn der abgegebenen Erklärung festzustellen. Das gilt nicht nur dann, wenn von einem Laien technische Ausdrücke angewandt werden, die einem ihm fremden Gebiet, z. B. der Rechtswissenschaft oder der Technik entnommen sind, oder wenn die oft ungenauen Ausdrücke der Alltagssprache (wie „8 Tage" statt „eine Woche" — vgl. aber § 359 Abs. 2 — oder „nur" statt „erst") oder des kaufmännischen Verkehrs verwandt werden; vielmehr will § 133 auch darauf Rücksicht nehmen, daß nur Wenige die Kunst beherrschen, sich richtig auszudrücken. Ist es gelungen, aus der Erklärung und (oder) sonstigen Umständen den Willen des Urhebers der Erklärung zu ermitteln, so ist damit doch noch nicht festgestellt, welches der Sinn der Erklärung ist, daß dieser Wille, auch nicht, daß kein anderer erklärt war, und welchen Sinn seiner Erklärung der Erklärende gegen sich gelten lassen muß, wenn sein wirklicher Wille trotz (oder infolge) seiner Erklärung verborgen geblieben ist. Die §§ 133, 157 BGB. haben sich als elastische Instrumente der Rechtsprechung bewährt, aber, indem ersterer den Zweck einer Erklärung, letzterer den Vertrauensschutz überbetont, die rechtsgeschäftlichen Elemente etwas durcheinander gebracht. Die Rechtsordnung, der auf die friedliche und gedeihliche Gestaltung des sozialen Lebens gerichtete, durch die jeweiligen Machtverhältnisse und Interessen, nicht zuletzt der Gemeinschaft, und den jeweiligen Stand des gemeinschaftlichen Fühlens, der Kultur und der diesem entsprechenden Ethik bestimmte, von der Organisation des Rechtsvolkes im Staat durchzusetzende Gemeinwille, der entsprechend diesen Faktoren in unserer Zeit von der Freiheit und dem gleichen Recht Aller ausgeht, will — im Rahmen des Rechtsfriedens — den (rechtsgeschäftlichen) Privatwillen erfüllen, der eine Rechtsänderung herbeiführen will, indem sie als seine Rechtsfolge die gewollte Änderung eintreten läßt.

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§ 346

Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften

Anm. 2

(Wenn man diese Rechtsfolge nicht auf den an den Privatwillen anknüpfenden Gemeinwillen, sondern auf ersteren unmittelbar zurückführt, kann man von einer Privatautonomie sprechen.) Die Rechtsordnung unterstellt dabei, daß die gewollte Rechtsänderung, wenn ihr nicht eine zum Schutze des an jeder Rechtsänderung beteiligten Gemeinschaftsinteresses geltende zwingende Norm entgegensteht, mit diesem verträglich und daß das von den im entgegengesetzten Sinn an ihr beteiligten Rechtssubjekten übereinstimmend Gewollte beiden Teilen gerecht wird, also gerecht ist; volenti non fit injuria. Wenn diese Voraussetzung sich nicht als vorhanden erweist, wird die gewollte Rechtsfolge versagt. Die Gewähr dafür, daß sie vorliegt, ist größer bei Verträgen als bei einseitigem (nicht auf einen Vertragsabschluß zielenden) Rechtsfolgewillen, weshalb letzterer stets nur unter zusätzlichen gesetzlichen Kautelen erhört wird, die seine Gerechtigkeit sicherstellen sollen. Um dem Rechtsfolgewillen stattzugeben, kann die Rechtsordnung aber nicht anders verfahren als, indem sie an seine Kundgebung anknüpft, denn ohne solche ist weder feststellbar, daß eine Rechtsfolge gewollt ist, noch welche, noch kann von einem geheim bleibenden inneren Vorgang festgestellt werden, bis zu welchem Stadium er fortgeschritten ist. Ohne Kundgebung des Rechtsfolgewillens wird nicht klar, ob bloße Überlegungen und Pläne bestehen, oder ob die Reife des Entschlusses und endgültigen Wolläns erreicht ist und sich zu einem inneren Faktum aus den vorangegangenen Überlegungen und Plänen entwickelt hat. Aber selbst wenn dies möglich wäre, müßte ein bloß inneres Faktum, ein unabänderlich gefaßter Entschluß, rechtlich außer Betracht bleiben (und könnte der Entschluß zu einem Rechtsgeschäft, mit dem ein Rechtsvorgang herbeigrführt werden soll, wenn er nicht kundgegeben wird, weder als Antrag noch als Annahme eines Antrages wirksam werden); denn in den Bereich des ordnencden Rechts treten nur die Lebensäußerungen der Menschen, worin das soziale Leben besteht, das es zu ordnen hat. Vor allem dient zur Kundgebung des Rechtsfolgewillens, die, sozusagen, technisch erforderlich ist, um an ihn anknüpfen und ihn verwirklichen zu können, seine Mitteilung (Erklärung) an denjenigen, dessen Rechtsstellung von der gewollten Rechtsänderung betroffen wird, wozu regelmäßig dessen Einverständnis erforderlich ist. Als Mittel der Kundgebung des Rechtsfolgewillens ist seine Erklärung gegenüber dem anderen Teil, wenn letzterer schon die Initiative zu einer Rechtsänderung durch eine entsprechende Willenserklärung ergriffen hat, also schon feststeht, daß er mit einer Rechtsfolge einverstanden ist, unter Umständen entbehrlich (§151 BGB.), aber regelmäßig auch dann nicht. Rechtspolitisch ist es erwünscht, daß beide Teile gleichzeitig Kenntnis von dem Eintritt einer Rechtsfolge erlangen, weshalb denn auch das geltende Recht ihren Eintritt, den Beginn der Wirksamkeit der Erklärung, auf den Zeitpunkt verlegt, in welchem sie dem Adressaten zugeht (§ 130 BGB.). Erst von da ab ist auch ein Vertrauensschutz des Empfängers und deshalb die Unwiderruflichkeit der Erklärung erforderlich. Wenn auch die Rechtsordnung die Gewähr für die Gerechtigkeit der gewollten Rechtsänderrung gerade in der Willensübereinstimmung sieht, muß doch, weil ihr nichts anderes übrig bleibt, als an die Willenskundgebung anzuknüpfen, und weil das Vertrauen des Erklärungsempfängers auf die Richtigkeit der empfangenen Erklärung Schutz fordert, in erster Linie, soweit geäußert, der wahre Wille, aber wenn dieser dem Erklärungsempfänger nicht bekannt oder erkennbar ist, die Erklärung für die zufolge des von ihrem Urheber mittels der Erklärung gegebenen Anstoßes eintretende Rechtsfolge maßgeblich sein (letzterenfalls auch wenn sie von ihm abweicht). Die Maßgeblichkeit der Erklärung ergibt sich aus ihrer Natur als Mitteilung an einen anderen und aus dessen berechtigtem Interesse, sich auf den Sinn der Mitteilung verlassen zu können. Nur wenn ihm der wirkliche, in der Erklärung falsch ausgedrückte Wille des Erklärenden bekannt oder schuldhaft unbekannt ist, entfällt diese durch die Rücksicht auf ihn gebotene Erwägung. Das Primat des Willens, wenn er nur überhaupt feststellbar ist, vor der Erklärung, das ihm nur diese Rücksicht zugunsten der letzteren bestreitet, besteht dann unbeschränkt. Es ist ein rechtspolitisches Problem, ob dem Rechtsschutzbedürfnis des Erklärungsempfängers oder dem Gesichtspunkt der Willensübereinstimmung der Vorrang gebührt, durch welche die Rechtsordnung die Gerechtigkeit der von ihr um jener willen gewährten Rechtsfolge gewährleistet sieht.

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Auslegung eines Erklärungstatbestandes (Godin)

§ 346 Anm. 2 Die echte Willenserklärung hat folgende Elemente: den Willen, eine Rechtsänderung (-folge) herbeizuführen, den Willen (das Bewußtsein), ihn zu erklären und zur Kenntnis zu bringen (sehr bestr., s. Krause, aaO. S. 2), endlich seine Erklärung (Kundgebung). Jede echte Willenserklärung ist vorsätzlich. (Neben der echten Willenserklärung spielt aber nach § 346 HGB., § 157 BGB. auch die ungewollte oder unbewußte Herbeiführung eines scheinbaren Erklärungstatbestandes eine große Rolle.) Die Untersuchung zerfällt sonach in zwei Teile: erstens, vom Standpunkte des Urhebers der Erklärung aus: was hat er gewollt und gemeint und dementsprechend sagen und ausdrücken wollen (§ 133 BGB.), wofür die Erklärung selbst und auch jeder Umstand außerhalb der Erklärung heranzuziehen ist, und zweitens, was hat er — man könnte versucht sein zu sagen: vom Standpunkte des Empfängers der Erklärung aus, womit man aber in die Irre ginge — wirklich erklärt; auch dabei sind neben der Erklärung selbst die Begleitumstände beachtlich; denn diese sind nicht nur Mittel der Willenserforschung, sondern Bestandteile des Tatbestandes der Erklärung, deren Inhalt festzustellen es gilt; auf sie kommt es überwiegend an, wenn der wirkliche Wille dem Erklärungsempfänger weder bekannt noch erkennbar war; für diese Frage, was erklärt ist, verweisen §§157 BGB., 346 HGB. auf die Verkehrssitte und auf Treu und Glauben. § 133 BGB. läßt durch seine Fassung, welche die Erforschung des wahren Willens bei Auslegung der Erklärung vorschreibt, ersehen, daß letztere, nicht erstere, das Ziel ist. Irgendwie muß ein Wille in der Erklärung ausgedrückt und mit Mitteln der Auslegung ihr zu entnehmen sein, sonst wäre sie ebenso bedeutungslos wie ein Wille, der nicht erklärt wurde. Es ist aber sehr wohl denkbar, daß die Begleitumstände einer Erklärung, die den Willen erkennen lassen, in einem Verhalten des Urhebers der Erklärung bestehen, und daß dieses nicht nur als Reflex des rechtsgeschäftlichen Willens, sondern zwecks seiner Mitteilung geübt wurde, also nicht nur Mittel zur Auslegung der Erklärung, sondern selbst Erklärung und Gegenstand der Auslegung ist. Wenn ein solches Verhalten und die wörtliche Erklärung einander widersprechen, so ist dies der Zweideutigkeit einer einzigen Erklärung gleichzusetzen.] Zur Anwendung des § 157 BGB. muß Klarheit über drei Fragen gewonnen werden: Erstens ist festzustellen, daß jede Willenserklärung nicht nur die notwendige Kundgebung eines Rechtsfolgewillens ist, welche für die Rechtsordnung selbst unerläßliche Voraussetzung ist, um die gewünschte Rechtsfolge eintreten zu lassen, sondern die Mitteilung eines Rechtsfolgewillens an einen Erklärungsempfänger, den auch die herbeizuführende Rechtsfolge betrifft. In dieser entscheidenden Beziehung ist ihr Zweck also relativ. Jede Auslegung (§ 157 BGB.) ist deshalb gegenstandslos, wenn dem Empfänger der (wirkliche) Wille des Erklärenden bekannt ist, wenn dessen Erklärung diesen Willen nur überhaupt kundgibt. (Es bleibe hier dahingestellt, ob dasselbe schon unter diesem Gesichtspunkt der Relativität für den Fall zu gelten hat, daß er ihm bekannt sein müßte, oder ob es sich letzterenfalls nur aus dem Mangel eines Anspruchs auf Vertrauensschutz (Treu und Glauben) ergibt.) Der zweite Punkt, über welchen Klarheit zu gewinnen ist, ist der Begriff des Erklärungstatbestandes. Seine Klärung ist nicht ganz leicht zu scheiden von der Untersuchung der Bedeutung der Verkehrssitte für die Deutung des Erklärungstatbestandes. Der E r k l ä r u n g s t a t b e s t a n d erschöpft sich nicht in dem Erklärungsakt selbst, der Willenskundgebung des Erklärenden und ihrer Form (Mündlichkeit — Schriftlichkeit, Ausdrücklichkeit — schlüssiges Verhalten); es gehören dazu die Umstände, unter denen ein Wille in einer bestimmten Form kundgegeben wird und die der Erklärende bei Abgabe seiner Erklärung und ihrer Fassung (Form) berücksichtigt in dem Bewußtsein, daß sie dazu beitragen, seiner Erklärung Sinn zu verleihen; insbesondere ist ein Verhalten nur „unter Umständen" schlüssig; aber davon abgesehen, kann auch eine ausdrückliche Erklärung als solche sehr oft nur kraft anderer Erklärungsumstände, insbesondere der vorangegangenen, ausnahmsweise auch nachfolgenden Gegenerklärung vollständig sein. (Bloßes „ja" oder „nein" ist für sich allein völlig sinnlos und keine Erklärung, sondern ein bloßes Wort.) 2

H O B . B d . i n . (Godin) 2. Aufl.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 So schwierig es ist, muß die Deutung eines Erklärungstatbestandes von seiner Feststellung und Begrenzung geschieden werden. Dies ist besonders dann schwierig, wenn eine Erklärung oder ein Verhalten „nach Treu und Glauben und Verkehrssitte" als die Erklärung eines von dem wirklichen Willen des Erklärenden abweichenden Willens zu deuten ist; denn diese Deutung kann nur von dem Erklärungstatbestand ausgehen, und man muß dann wissen, was man dazu zu rechnen hat. Man muß den Fehler vermeiden, alles zum Erklärungstatbestand zu rechnen, was geeignet war oder mitgewirkt hat, den Sinn einer Erklärung (eines Verhaltens) zu verfälschen und darüber zu täuschen; es wird deshalb allein nicht Bestandteil der Erklärung, mag es und seine täuschende Wirkung dem Teil auch bekannt sein, dessen Erklärung (Verhalten) zu deuten ist. (Beispiel: Ich äußere in einer Buchhandlung mein unvermindertes Bedauern darüber, daß meine große reichhaltige Bibliothek teilweise bibliophilen Wertes verbrannt ist, und füge seufzend bei: „ich wünsche mir brennend eine gut erhaltene GoetheGesamtausgabe letzter Hand". Nach einigen Tagen schickt mir der Buchhändler ein gut erhaltenes Exemplar dieser Gesamtausgabe zu. Die Abnahme ist mir wegen des Preises lästig, aber aus Nachlässigkeit (oder weil ich verreist bin) schweige ich ungebührlich lange; der Buchhändler erklärt, er habe sich auf mein Schweigen verlassen. Dieses wäre nur schlüssig, wenn meine Äußerungen zum Erklärungstatbestand gehören würden; sie gehören aber nicht dazu, obwohl sie dazu beigetragen haben, daß mein Schweigen vom Buchhändler mißverstanden wurde.) Jedenfalls kann nur, wenn ein wenigstens möglicher Erklärungstatbestand vorliegt, ein Tatbestand als Erklärung, gar bestimmten Inhalts gedeutet werden. Man kann und muß sich dies an dem für diese Untersuchung gerade praktischsten Fall, dem der Erklärung durch Schweigen, klar machen. Wer am Schreibtisch sitzt und beharrlich schweigt, erklärt durch dieses Schweigen gar nichts. Damit es Erklärung sein könne, ist Voraussetzung, daß es in Beziehung steht zur Erklärung eines anderen. Ist diese mündlich, so bedeutet das Schweigen regelmäßig auch keine Erklärung, mögen noch so lange Verhandlungen vorangegangen sein, und mag der andere seine Auffassung ihres Ergebnisses vortragen. Der krasseste Fall ist wohl, daß sich der Schweigende während dieses Vortrags die Ohren zuhält oder fortfährt, auf Scheiben zu schießen. Aber auch ohne diese Gesten ist sein Schweigen neutral, es kann und wird wohl regelmäßig Ablehnung, unter besonderen Umständen, z. B. wenn er selbst zuerst gesagt hat: „Also bitte, fassen Sie nun einmal zusammen, worüber wir einig sind" auch Zustimmung, oft auch keine Erklärung sein. Hat aber der andere seine Erklärung schriftlich gemacht (Bestätigungsschreiben), so kann sein Schweigen zu dieser nicht in Beziehung treten, bevor sie bei ihm eingetroffen ist. Niemand wird es vorher als Zustimmung gelten lassen und es bedeutet diese nie, wenn das Schreiben nie bei ihm ein-, sondern verloren geht. Das folgt nicht nur aus Treu und Glauben oder Verkehrssitte, vielmehr liegt gar kein Erklärungstatbestand vor. Mitteilungen durch äußerst kleinen Vordruck oder an versteckter Stelle, sind, wenn sie nicht gelesen werden, nicht nur nach der Verkehrssitte dem dazu Schweigenden unschädlich, sondern solchen nicht eingegangenen, gar nicht gemachten Mitteilungen gleichzustellen. Es wird späteren Ausführungen vorgegriffen mit der Feststellung, daß es für den Absender und den Eindruck, den er von dem Schweigen des Adressaten gewinnen muß, ein und dasselbe ist, ob es darauf beruht, daß das Schreiben ihn nicht erreicht hat oder darauf, daß er es nicht zur Kenntnis genommen oder darauf, daß er es mit Schweigen beantwortet hat. Trotzdem ist der rechtlich erhebliche Tatbestand in jedem dieser drei Fälle verschieden. Ein Erklärungstatbestand liegt in dem ersteren Falle überhaupt nicht vor. Die Erklärung ist eine andere, je nach dem, ob ihr Verhandlungen vorausgegangen sind oder nicht. Dies gilt z. B. besonders beim Schweigen auf eine von der Gegenseite eingehende schriftliche Erklärung (Bestätigung). Diese Verhandlungen, zum mindesten die Tatsache, daß sie stattgefunden haben, gehören bzw. gehört zum Erklärungstatbestand, sowohl des sich schriftlich Erklärenden als auch des zur Antwort darauf Schweigenden. Aber auch der Inhalt einer solchen schriftlichen Erklärung gehört zum Erklärungstatbestand der Gegenerklärung. Dies ergibt nicht etwa nur ein Hinweis auf die Ausführungen über Gegenbestätigung (Anm. 16h). Auch bei der Mitteilung einseitiger Vertragsänderungen ist der Erklärungstatbestand eines daraufhin geübten Schweigens

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Feststellung des Erklärungstatbestandes (Godln)

§ 346 Anm. 2 völlig verschieden, je nachdem, ob die Vertragsänderung in einem Bestätigungsschreiben oder in einer gleichzeitig damit übersandten Faktura oder Zusammenstellung der Allgemeinen Geschäfts- und Lieferungsbedingungen enthalten ist oder erst nachträglich nach dem Bestätigungsschreiben oder mit einer'Faktura nach Absendung der Ware gemacht wird. In dem Falle des § 362 HGB. ist es Tatbestand der Erklärung des Schweigenden, daß sein Gewerbebetrieb die Geschäftsbesorgung für andere mit sich bringt, daß ihm ein Antrag bezüglich einer solchen zugeht und daß er mit dem Auftraggeber irt Geschäftsverbindung steht oder sich ihm gegenüber zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat, endlich, daß er schweigt. Daß dieses Schweigen schuldhaft ist, ist, wenn er den Antrag nicht annehmen wollte, Voraussetzung dafür, daß es ihm als Annahme zugerechnet wird. Zum Erklärungstatbestand gehört natürlich wie der Erklärungsakt selbst der in diesem liegende Ausdruck des Gewollten. Dies ist kein Problem, besonders bei wörtlichen Erklärungen, wenn der Sinn des Ausdrucks klar ist und das Gewollte richtig wiedergibt. Es gehören zum Erklärungstatbestand ferner die subjektiven, inneren Momente: Rechtsfolgewillen, Erklärungsbewußtsein. Fehlen diese inneren Momente, und ist nur der äußere Tatbestand einer Erklärung gegeben, so liegt eine Scheinerklärung vor. Es ist das Hauptproblem, welches nach § 157 BGB. und § 346 HGB. zu lösen ist, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang auch an einen solchen bloß äußerlichen Erklärungstatbestand dieselben Rechtsfolgen zu knüpfen sind, welche einzutreten hätten, wenn der entsprechende innere Erklärungstatbestand erfüllt wäre. Es fragt sich, ob es noch andere innere Erklärungstatbestandsmomente gibt, und ob bezüglich dieser das gleiche Problem besteht und ebenso zu lösen ist. Es drängt sich als erstes der Gedanke an die Kenntnis bzw. den Mangel der Kenntnis des äußeren Erklärungstatbestandes vor, in erster Linie des Willens der Gegenseite und seiner Erklärung. Es ist kein Problem, daß jeder sich die Kenntnis des richtigen Willens der Gegenseite anrechnen lassen muß, auch wenn dessen Erklärung davon abweicht, weil letztere ja keinen anderen Zweck hat als die Kenntnis deswillen? zu vermitteln, also neben der schon vorhandenen Kenntnis nur als faktische Äußerung des Willens in Frage kommt, im übrigen aber relativ zum Empfänger gegenstandslos ist. Dagegen besteht das gemäß § 157 BGB 346 HGB. zu lösende Problem, wenn der nunmehr Erklärende den Willen des anderen Teils nicht kennt, oder sich darüber irrt, und wenn er dessen Erklärung nicht kennt oder sie falsch auffaßt. Da die vorhandene Erklärung des Willens der Gegenseite die Grundlage der Erklärung des nunmehr Erklärenden, also ein Moment ihres äußeren Tatbestandes ist, handelt es sich also um einen Fall der Unkenntnis des äußeren Erklärungstatbestandes der eigenen Erklärung oder des Irrtums darüber auf Seite des Erklärenden oder scheinbar Erklärenden. OGHBrZ. 2, 101 Ziff. 4 nahm in einem Falle der Unkenntnis eines freilich atypischen äußeren Erklärungstatbestandes die Unverbindlichkeit der scheinbaren Erklärung an: Ein Empfänger unbestellter Ware, der gleichartige Ware bei demselben Lieferanten bestellt hatte, hielt sie für die bestellte Ware, öffnete die Sendung, behielt sie und verfügte darüber. Er hatte sich darüber geirrt, daß ihm unbestellte Ware zugegangen war, und daß er über Ware verfügte, über die er nicht verfügen wollte. OGH. aaO. nahm an, daß er damit nichts erklärt hatte; denn er habe in seinem Verhalten nichts zu sehen brauchen als die Annahme bereits gekaufter Ware, weil er weder gewußt habe noch habe wissen oder unter den zur Zeit der Annahme der Ware vorliegenden Umständen feststellen müssen, daß er unbestellte Ware annahm und behielt. (Daß nichts erklärt gewesen sei, überhaupt kein Erklärungstatbestand vorlag, dürfte' nicht zutreffen; vielmehr wurde die Annahme bestellter Ware erklärt.) Das von OGH. berücksichtigte Verschuldensmoment betraf die Frage der Zurechenbarkeit eines den äußeren Tatbestand einer Erklärung erfüllenden Verhaltens (scheinbare Annahme eines Kaufantrags durch Entgegennahme und Verbrauch der angebotenen Ware) als Erklärung trotz des Mangels des scheinbar erklärten Rechtsfolgewillens und des Erklärungsbewußtseins. Daß OGH. darauf abstellt, läßt erkennen, daß er an sich (bei Verschulden) aus dem äußeren Erklärungstatbestand auch in diesem Falle trotz der Unkenntnis des scheinbar Erklärenden davon oder seines Irrtums darüber die Folge gezogen hätte, ihn als wirksame Erklärung zu werten. 2* 19

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 Es ist in der Tat kein Grund gegeben, die Unkenntnis des vorhandenen äußeren Erklärungstatbestandes oder den Irrtum darüber anders zu behandeln als die anderen inneren Erklärungstatbestandsmomente: Rechtsfolgewille und Erklärungsbewußtsein. Es fällt vielmehr die richtige Kenntnis bzw. die Unkenntnis davon unter letzteres. Es wird dies auch allgemein, freilich immer unter ausschließlicher Exemplifikation mit dieser, bezüglich der Unkenntnis der vorgängigen Erklärung des anderen Verhandlungs- und Vertragsteils anerkannt. •Zum äußeren Erklärungstatbestand gehört auch das Grundgeschäft. Es ist ein Unterschied, ob A dem B bestellte Ware zuschickt und fakturiert oder unbestellte. Im ersteren Fall will er erfüllen, im zweiten anbieten und erfüllen; umgekehrt erklärt B, wenn er die Ware behält, im ersteren Fall ihre Annahme als ordnungsmäßig und den Willen, daran Eigentum zu erwerben, im zweiten Fall regelmäßig gar nichts. Ebenso richtet sich der Inhalt einer Vollmacht, auch wenn sie abstrakt formuliert wird, nach dem erklärten Auftrag. In diesem Zusammenhange muß auch der s t i l l e n S t e l l v e r t r e t u n g gedacht werden. Zum Tatbestand der im eigenen Namen abgegebenen Erklärung, des stillen Stellvertreters gehört es, daß er für Rechnung und im Auftrag seines Auftraggebers handeln und für diesen Rechte erwerben und Verpflichtungen eingehen will; der Tatbestand kann im Einzelfall noch weiter sein, z. B. kann es sein, daß der stille Stellvertreter aus einem früheren oder dem gegenwärtigen Geschäft Ansprüche gegen seinen Auftraggeber hat; wie die bei solchem Erklärungstatbestand von ihm abgegebene Erklärung zu deuten ist, ist nach § 157 BGB., 346 HGB. zu beurteilen, wenn nicht etwa dem Erklärungsempfänger der wirkliche Wille des stillen Stellvertreters im konkreten Falle bekannt ist. Umgekehrt gehört zum Tatbestand der Gegenerklärung des Empfängers der Erklärung des stillen Stellvertreters die Deutung, welche der Tatbestand der letzteren nach § 157 BGB., 346 HGB. zu erfahren hat, wenn ersterem nicht der etwa davon abweichende wirkliche Wille des stillen Stellvertreters bekannt war. Diese Deutung kann zum Ergebnis haben, daß der stille Stellvertreter, obwohl er seine Erklärung im eigenen Namen abgab, nicht für sich, sondern für seinen Auftraggeber Rechte oder Pflichten begründen wollte. In diesem Falle kann es je nach dem Tatbestand der Erklärung des Gegenkontrahenten des stillen Stellvertreters (z. B. daß er bar, nicht gegen Kredit verkauft) sein, daß sie nach § 157 BGB, 346 HGB. als Einverständnis damit aufzufassen ist, daß unmittelbar zwischen ihm und dem Auftraggeber des Stellvertreters das Rechtsverhältnis entstehen soll ( „ G e s c h ä f t , f ü r d e n es a n g e h t " , vgl. darüber insbesondere Lübtow, ZGHR. 112, 227). Ist ein äußerer Tatbestand erfüllt, der als Tatbestand einer Erklärung bestimmten Inhalts erscheint, ohne daß die subjektiven Erklärungstatbestandsmomente (Rechtsfolgewille, Erklärungswille und -bewußtsein, Kenntnis des vorhandenen äußeren Erklärungstatbestandes) auf Seite desjenigen erfüllt sind, der eine Erklärung abgegeben zu haben scheint, so handelt es sich immer um Fälle, in welchen eine Erklärung entweder überhaupt fehlt oder den wirklichen Willen ihres Urhebers nicht richtig oder nicht eindeutig wiedergibt. Dann gilt es zu entscheiden, ob die scheinbare Erklärung für ihren scheinbaren Urheber verbindlich sein soll. Dieses Problem geht wie das primäre Problem selbst, ob ein Tatbestand als Erklärungstatbestand erscheint, auf in dem des Vertrauensschutzes, nämlich ob derjenige, an welchen die scheinbare Erklärung gerichtet zu sein scheint, in seinem Vertrauen darauf geschützt werden soll, daß der vorhandene Erklärungstatbestand eine verpflichtende Erklärung bestimmten Inhalts darstellt. Ob dem Erklärungsempfänger dieser Vertrauensschutz zu gewähren ist, hängt ab, erstens, von der Deutung des Tatbestandes, nämlich davon, ob seine Auffassung von der Bedeutung des anscheinenden Erklärungstatbestandes, auf welchen er vertraute, berechtigt war, und zweitens davon, ob es gerechtes Ergebnis der Interessenwägung ist, wenn die Gegenseite, welche diesen anscheinenden Erklärungstatbestand hergestellt hat, ihn als ihre Erklärung gemäß jener Auffassung für sich verbindlich gelten lassen muß. Diese Bestandteile des Problems sind aber nicht so scharf unterscheidbar wie es scheint, weil eben das Verhalten der einen Seite sowohl Hauptteil des Erklärungstatbestandes und Objekt der Deutung als auch Grund der Haftung für

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Anscheineuuer Erklärungstatbestand. Treu und Glaube. Verkehrssitte (Godin) § 346 Anm. 2 den daraus erweckten Schein einer Erklärung ist und zudem die gesetzlichen Richtlinien für beide Entscheidungen nach § 157 BGB., 346 HGB. dieselben sind: Treu und Glauben und Verkehrssitte und Handelsbrauch. T r e u und G l a u b e n sind ein Postulat der sozialen Vernunft. Es wird damit die soziale Verläßlichkeit umschrieben, die um des allgemeinen sozialen Interesses willen von jedem Gemeinschaftsmitglied, insbesondere, wenn auch nicht nur, gegenüber einem Verhandlungs- oder Vertragspartner verlangt werden muß. Der schillernde Begriff der V e r k e h r s s i t t e muß geklärt werden; er ist mehrdeutig ( R a i s e r , aaO.). Er bedeutet einmal eine Übung, einen Brauch, worin schon das patinabedeckte Herkommen anklingt, die gleichbleibende Äußerung eines durch sie nach der Erfahrung feststellbaren typischen Willens. Insoweit ist die Verkehrssitte Mittel der Willenserforschung und zugleich mehr noch Erklärungstatbestand (s. oben). Aber außerdem hat der Begriff wie das Wort „Sitte", von dem er stammt, obwohl nicht gleichbedeutend mit guter Sitte, doch nicht nur auch einen ethischen Sinn, bedeutet er vielmehr darüber hinaus auch eine allgemein oder in bestimmten Kreisen oder örtlichen Grenzen geltende Norm rechtsethischen oder nur ordnenden Inhalts. Diese ist Ausdruck eines allgemeinen oder nur partiellen Gemeinwillens. Daß das staatlich gesetzte Recht auf sie verweist und damit mittelbar durch die Gerichte die Staatsgewalt zur Verfügung stellt, um zu erzwingen, daß die Norm befolgt wird, beweist nicht, daß sie nur auf Grund Gesetzes gelte und nicht selbst Rechtsquelle sei, deren Schöpfungen zufolge des Gemeinwillens gelten, aber natürlich von der im Staat durchgeführten Organisation des Rechtsvolks durchgesetzt werden müssen und auf diesem Wege durch ihn kontrolliert werden (anders h. M. und auch Allg. Einl. Anm. 20). Wenn die Rechtsprechung Treu und Glauben (s. unten) als einen die gesamte Rechtsordnung beherrschenden und durchtränkenden Grundsatz anerkennt, obwohl das positive Recht ihn nur bei der Auslegung von Verträgen und der Bewirkung der Leistung (§§ 157, 242 BGB.) erwähnt, so bezeugt auch dies, daß der gesetzliche Hinweis hier nicht erst einem Prinzip zur Geltung verhilft, sondern daß es Prinzipien und Rechtsnormen außerhalb des Gesetzes gibt, die freilich von den Gerichten anerkannt werden müssen — ohne daß diese dazu gesetzlich ermächtigt zu sein brauchen — um durchgesetzt werden zu können. Soweit es sich um Normen handelt, die nicht sittliche Postulate aussprechen, ist die Verkehrssitte abdingbar. Soweit die Verkehrssitte Normen aufstellt, ist sie vom Gewohnheitsrecht nicht unterschieden (so überzeugend R a i s e r aaO., a. A. h. M., auch Allg. Einl. Anm. 20). Der Doppelsinn des Wortes „Verkehrssitte" darf nicht aus den Augen verloren werden, mag er auch nicht immer klar zu scheiden sein. Wenn die Verkehrssitte bei der Auslegung einer Willenserklärung zurate zu ziehen ist, so sind im allgemeinen die Übung und der Brauch des Verkehrs gemeint, aber selten allein, z. B. nicht, wenn aus einem Verhalten, insbesondere Schweigen, Schlüsse um deswillen gezogen werden, weil die Verkehrsanschauung sozialem Pflichtbewußtsein entsprechendes Verhalten zueinander fordert und ersteres zur Aufklärung des Vertra^sgegners hätte Anlaß geben müssen, wenn der Schluß aus dem Verhalten im Ergebnis nicht zutraf. Hier wird bei der Auslegung von (bloß) gefordertem (nicht festgestelltem) Einklang eines Verhaltens mit einer Norm der Verkehrssitte ausgegangen. Diese Norm ist freilich das Gebot der sozialen Verläßlichkeit und deckt sich somit insoweit mit Treu und Glauben. Treu und Glauben und Verkehrssitte überschneiden sich insofern, als eine Verkehrssitte, welche nicht ihrerseits mit Treu und Glauben übereinstimmen würde und von Treu und Glauben bestimmt wäre, eine Verkehrsunsitte wäre. Ein Verhalten, welches durch die Verkehrssitte verboten ist, ist daher immer auch durch Treu und Glauben verboten, und ein Verhalten, welches durch diese, auch von der Verkehrssitte geboten. Für eine große Zahl der Fälle erweisen sich daher die gesetzlichen Vorschriften, Treu und Glauben und die Verkehrssitte zu berücksichtigen, als Tautologie. Aber es gibt viele Verkehrssitten, welche als solche unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben indifferent sind, deren Beobachtung aber deshalb ein Gebot von Treu und Glauben ist, weil sie eben Verkehrssitte geworden sind. Diese Verkehrssitten erweisen sich meist nicht so sehr für die Frage, ob eine Erklärung abgegeben wurde, als für ihren Inhalt und die Rechtsfolgen der Erklärung beachtlich.

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§346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 Außerdem weist der Begriff der Verkehrssitte auf eine ständige Übung Vieler, sei es des ganzen Volkes oder doch größerer örtlich, sozial oder beruflich geschlossener Volkskreise in allen gleichen Fällen hin. Die Deutung eines Tatbestandes nach der Verkehrssitte setzt daher immer einen typischen Erklärungstatbestand voraus. Ist der Erklärungstatbestand atypisch (Beispiel s. oben OGHbrZ. 2 S. 101), so kommt nur die Deutung nach Treu und Glauben, die Verkehrssitte aber als Deutungsrichtschnur nur insofern in Betracht, als eben auch sie ein Verhalten sozialer Verläßlichkeit, d. h. ein Verhalten nach Treu und Glauben verlangt. Eine Deutung nach Treu und Glauben oder nach der Verkehrssitte heißt nicht eine Deutung, wie Treu und Glauben oder die Verkehrssitte zu deuten gebieten, sondern eine Deutung mit der Unterstellung, daß sich der Urheber des zu deutenden Erklärungstatbestandes nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte verhalten hat. Eine gewisse Schwierigkeit schafft die Überlegung, daß letzten Endes jede Erklärung, auch wenn man sie nach der Norm der Verkehrssitte aus einem Tatbestand ermittelt, doch an einen bestimmten Anderen gerichtet ist, und von einer bestimmten Person ausgeht, also ein Akt zwischen zwei individuellen Personen unter individuellen Umständen ist. Die Anwendung der Verkehrssitte zur Deutung eines typischen objektiven Erklärungstatbestandes setzt voraus, daß dieser wirklich vorhanden ist. Es genügt nicht, daß er vom Standpunkt desjenigen aus, der eine Erklärung zu erwarten hat, erfüllt zu sein scheint. (Beispiel: Sein Bestätigungsschreiben, dessen Adressat schweigt, ist bei diesem oder dessen Ablehnung ist bei ihm nicht angekommen.) In einem solchen Falle liegt zwar für denjenigen, der eine Erklärung erwartet, der Schein eines vollendeten Erklärungstatbestandes, in Wirklichkeit aber weder der subjektive noch objektive Erklärungstatbestand vor. Es kann sein, daß sich unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsabschluß eine Haftung des Verhandlungspartners begründen läßt, aber der objektive Erklärungstatbestand selbst ist nur vom Standpunkt des zum Erklärungsempfang Bereiten aus scheinbar, nicht wirklich vollendet. Auch ein atypischer Erklärungstatbestand ist denkbar, ohne daß eine vorsätzliche Willenserklärung abgegeben wurde. Er kann zustande kommen, sei es, indem zu einem typischen Tatbestand individuelle Erklärungsumstände hinzutreten, sei es derart, daß der Erklärungstatbestand sich überhaupt nur aus individuellen Erklärungsumständen zusammensetzt. Im ersteren Fall kann es sein, daß der individuelle Umstand die Deutung des typischen Tatbestandes nicht ändert, sondern bestärkt, also für die Bewertung als Erklärung bedeutungslos ist, oder daß er diese nicht zuläßt, so daß kein typischer Erklärungstatbestand mehr vorliegt. Der zweite Fall würde dann vorliegen, wenn nur atypische individuelle Erklärungsumstände den Erklärungstatbestand zusammensetzen. Als Beispiele drängen sich zuerst die Fälle von Übermittlungsfehlern auf (z. B. A bietet dem B telephonisch eine Partie Waren freibleibend an. Bevor er das Wort „freibleibend" gesprochen hat, wird die Verbindung unterbrochen. B, der sich längere Zeit umsonst bemüht hat, die Verbindung wieder herzustellen, akzeptiert telegraphisch). In diesen Fällen hilft das Gesetz nach, indem es die Anfechtung zuläßt, gibt damit aber kund, daß es eine Erklärung als vorhanden ansieht. Aber auch abgesehen von solchen Übermittlungsfehlern gibt es Fälle eines zweifelhaften und möglicherweise nur scheinbaren, aus atypischen individuellen Umständen zusammengesetzten Erklärungstatbestandes, bei denen es nicht möglich ist, sich auf Verkehrssitte zu berufen, außer um damit zu sagen, daß die Entscheidung sich nach Treu und Glauben zu richten hat, was sich ohnedies selbständig aus der Rechtsordnung ergibt. Beispiel: A läßt den B wissen, daß er ihn aufsuchen werde, um ihm ein Quantum einer bestimmten Sorte einer bestimmten Ware anzubieten und gibt ihm dabei auch den Preis dafür an; er trifft aber den B nicht an, der daraufhin schriftlich akzeptiert. War A gebunden ? Etwa wenn er dem B hat sagen lassen, er sei da gewesen, um ihm das schriftlich angekündigte Angebot zu machen? Heißt letzteres, daß er ein Angebot macht ? Wie, wenn er außerdem sagen läßt, er erwarte den Anruf des B ? Oder wenn er eine Probe der Ware zurückläßt? Zunächst ist hier die Antwort auf die Frage zu suchen: Was ist hier Erklärungstatbestand? Antwort: Der Besuch zwecks Abgabe eines persönlichen Angebotes nach vorgängiger Ankündigung dieses persönlichen Angebots und seines Inhalts. Nächste

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Zurechenbarkeit des Erklärungswerts des objektiven Erklärungstatbestandes § 346 Anm. 2 Frage: Wie ist dieser Tatbestand zu deuten ? Als Angebot oder Versuch eines Angebotes ? Letzte Frage: Wenn als Angebot, obwohl A, da er den B nicht antraf, kein Angebot machen wollte, muß A dies gegen sich gelten lassen ? Die Verkehrssitte kann in diesem atypischen Fall weder auf die zweite noch auf die dritte Frage antworten. Für die Frage, ob ein bestimmter Tatbestand als Erklärungstatbestand anzusehen, der Schein eines solchen ist, obwohl er es mangels der subjektiven Momente nicht ist, kommen Treu und Glauben und Verkehrssitte nebeneinander in Betracht. Nach der Verkehrssitte und nach Treu und Glauben hätte sich jemand anders verhalten, die obwaltenden Erklärungsumstände geändert, wenn er den Willen nicht hatte und nicht hat kundgeben wollen, als dessen Ausdruck jene nach der Erfahrung des Lebens erscheinen. Die Lebenserfahrung ist eine Grundlage menschlicher Erkenntnis und dient ihr zu Schlüssen und Feststellungen, die sich auf solche aufbauen. Dasselbe gilt von der Verkehrssitte, weil sie ein Bestandteil der Lebenserfahrung ist. Darüber hinaus hat sie eine bindende normative Kraft, weil in ihr der Ausdruck eines Gemeinschaftswillens liegt. Die Lebenserfahrung als solche hat diese normative Kraft nicht; sie ist nur mittelbar verpflichtend insofern, als nach dem sittlichen und sozialen Gebot, nicht zu täuschen (Treu und Glauben) niemand ein Verhalten üben darf, durch das derjenige getäuscht wird, der auf die nach der Lebenserfahrung daraus zu ziehenden Schlüsse vertraut. Weil nach der Erfahrung des Lebens ein gewisses Verhalten auf einen gewissen Willen schließen läßt, wird es im Verkehr als Erklärung dieses Willens angesehen, ohne daß der Nachweis zugelassen wird, daß im aktuellen Fall die Lebenserfahrung nicht zugetroffen habe. Lebenserfahrung und Verkehrssitte versagen großenteils bei atypischen Tatbeständen. Hier lautet die Frage: Hatte ein Mann, der einen bestimmten Erklärungswillen unter Umständen, welche in höherem oder geringerem Grade auf ihn schließen lassen, trotzdem nicht hatte, nach Treu und Glauben aus Besorgnis,,die Gegenseite könnte ihn mißverstehen und sich auf einen Willen verlassen, den er nicht hatte, zu verhindern, daß diese schlüssigen Umstände eintraten, oder diese zu ändern? Hier ist man ganz auf Treu und Glauben angewiesen. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, welche darin liegt, daß der Erklärungsgehalt des objektiven Tatbestandes unter dem Gesichtspunkt der sozialen Zuverlässigkeit (Treu und Glauben) nicht gewertet werden kann, ohne die subjektiven Momente des Erklärungsbewußtseins, der Erkenntnis der Erklärungssituation zu unterstellen, von deren Mangel bei unserer Untersuchung ausgegangen wird. Um das Vorhandensem eines objektiven Erklärungstatbestandes zu prüfen, ist die Frage aufzuwerfen, ob ein Mann, der sich in dem Bewußtsein, daß die gegebenen Umstände einen von ihm erklärten Willen bedeuten, nach Treu und Glauben verhielt, wenn er diesen Willen nicht hatte, dies kundgegeben oder den Eintritt der Umstände verhindert oder sie abgeändert hätte. Damit ist, eben weil das subjektive Erklärungsmoment des Erklärungsbewußtseins, der Erkenntnis des objektiven Erklärungstatbestandes nur unterstellt wird und in Wirklichkeit fehlt, noch nichts über die Zurechenbarkeit des Erklärungswerts des objektiven Erklärungstatbestandes gesagt, weil dessen Zurechenbarkeit, wenn das Erklärungsbewußtsein fehlt, besondere Voraussetzungen hat. Auch die Entscheidung über Zurechenbarkeit richtet sich nach Treu und Glauben. Für sie kann die Verkehrssitte nur ausnahmsweise etwas hergeben, wenn ihr nämlich die Norm zu entnehmen ist, daß die scheinbare Erklärung unter allen Umständen zuzurechnen ist. Davon abgesehen aber hat die Entscheidung über die Zurechenbarkeit auf individuelle, also atypische Erklärungsumstände Rücksicht zu nehmen, unter denen sich eine Verkehrssitte oder ein Handelsbrauch nicht bilden kann1). Es handelt sich darum, ob angesichts des gegebenen objektiven Erklärungstatbestandes das Gebot sozialer Verläßlichkeit von demjenigen, gegen den der durch diesen Tatbestand erzeugte Schein einer Erklärung besteht, fordert, daß er für diesen Schein seiner Erklärung einsteht. !) Dieser Teil der Darstellung fällt somit aus dem Rahmen einer Erläuterung des § 346 heraus, kann aber für ihre Geschlossenheit nicht entbehrt werden.

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§346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 Da, insbesondere bei atypischen Erklärungstatbeständen, die Richtschnur, nach welcher ein solcher festzustellen, und nach welcher die Zurechenbarkeit zu prüfen ist, dieselbe ist (Treu und Glauben), fällt es schwer, die beiden Entscheidungen auseinanderzuhalten. Auch ist, was die Zurechenbarkeit angeht, die Schattierung zwischen dem Einstehen für soziale Zuverlässigkeit und für eigenes Verschulden regelmäßig zu schwach, um sichtbar zu sein. So mag in dem obigen Beispiel gesagt werden können, daß A, wenn er eine Probe hinterließ, nach Treu und Glauben wohl gesagt hätte, daß er freizubleiben wünsche, wenn er kein Angebot machen wollte, und daß, indem er dies unterließ, der objektive Tatbestand eines Angebots zustande kam, aber bezüglich der Frage der Zurechenbarkeit nicht behauptet werden können, daß es fahrlässig war, wenn er bei Übergabe der Probe seinen Wunsch, freizubleiben, nicht klarstellte; trotzdem kann, wenn B sich darauf verließ, daß A ihm dieses Angebot gemacht habe (etwa ein anderes, weil es weniger günstig war, ausgeschlagen hat), gesagt werden, das Gebot sozialer Verläßlichkeit (Treu und Glaube) erfordere, daß A sich als gebunden erachte und verhalte; denn es handelt sich bei der Zurechnung nicht um eine Sühne für einen Verstoß gegen Treu und Glauben oder für verletzte Sorgfalt, sondern um ein auf Grund eines vorliegenden Tatbestandes zu übendes Verhalten, welches darin besteht, aus einem vorangegangenen Verhalten die Konsequenz zu ziehen, die ein Mensch ziehen würde, der verläßlich ist. Die h. M. und gelegentlich das Gesetz (z. B. § 362) setzen zu diesem Einstehen für eine scheinbare Erklärung voraus, daß der Schein der letzteren verschuldet war. Man hat aber weiterzugehen und muß regelmäßig die Verursachung eines Mißverständnisses genügen lassen. Vorauszusetzen ist jedoch ein Kausalzusammenhang in einem engeren als im Rechtssinne zwischen dem Erklärungstatbestand, d. h. der Erklärung oder dem als solche zu wertenden Verhalten sowie den für die Wertung als Erklärung in Betracht zu ziehenden, zum Erklärungstatbestand gehörigen Erklärungsbegleitumständen — und zwischen dem entstandenen Schein. Dieser Zusammenhang liegt schon dann nicht mehr vor, wenn dieser umschriebene Erklärungstatbestand für sich allein den Schein nicht herbeigeführt hätte, dieser vielmehr nurdurch das Hinzutreten weiterer Umstände hervorgerufen worden ist, die nicht zu dem beschriebenen Erklärungstatbestand gehören. Des Vertrauensschutzes, um dessentwillen der Schein einer Willenserklärung demjenigen zugerechnet wird, von dem er ausgeht, ist nicht würdig, wer die Unrichtigkeit des Scheines kannte oder erkannte, auch nicht, wer sie aus Fahrlässigkeit nicht erkannte (vgl. § 123 Abs. 2 BGB.). Nicht zuzurechnen ist natürlich der unfreiwillig (gezwungen) erregte Schein, eine Rechtsänderung zu wollen (Drohung §123 BGB.). Wenn bei Erklärungen die respondierende dem wirklichen Willen ihres Urhebers nicht entspricht, kann dies darauf beruhen, daß er die vorangegangene Erklärung seines Verhandlungspartners mißverstanden hat. Hat dies seinen GruncT darin, daß er sie nicht so auffaßte wie sie bei typischem Erklärungstatbestand nach Treu und Glauben, Verkehrssitte und Handelsbrauch oder bei atypischem nach Treu und Glauben gemäß der Lebenserfahrung zu verstehen war, so ist er an seine Erklärung gebunden, obwohl er etwas anderes erklärt hat als er erklären wollte (hat er richtig verstanden und dennoch etwas falsches erklärt, erst recht); es sei denn, daß die Gegenseite das Mißverständnis kannte oder erkennen mußte (der Fall, daß sie es verschuldete, ist schwer vorstellbar, wenn nach der Verkehrssitte bzw. Treu und Glauben ihr Wille aus ihrer Erklärung so zu verstehen war, wie er bestand, und unrichtig verstanden worden ist). Verschuldeter Schein und bewußte, gar beabsichtigte Zweideutigkeit ist immer zurechenbar, wenn der Gegner den wirklichen Wällen nicht kannte. Aber es ist festzuhalten, daß es sich um den Schutz nach Treu und Glauben des Vertrauens darauf handelt, daß ein nach der Verkehrssitte oder Erfahrung als Ausdruck und Erklärung eines bestimmten Willens zu deutendes Verhalten die gewollte Erklärung dieses Willens war. Es ist nicht zu begründen, daß grundsätzlich der Vertrauende nur bei Verschulden des sich falsch Verhaltenden oder Ausdrückenden geschützt sein soll. Es ist petitio principii, wenn man (Manigk, Das rechtswirksame Verhalten) dies damit begründet, daß es sich um Verletzung einer gesetzlichen allgemeinen gegenseitigen Sorgfaltspflicht

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Rechtsfolgewirkung nach Treu und Glaube und normativer Verkehrssitte (Godin) § 346 Anm. 2 im geschäftlichen Verkehr (§ 347 HGB. — culpa in contrahendo) handle. Es kommt darauf an, was man als rechtsethische und -politische Forderung anerkennt; nur die gegenseitige Sorgfaltspflicht oder darüber hinaus, daß jeder für die Folgen der von ihm verursachten Mißverständnisse einstehen muß, auch wenn ihn'kein Verschulden trifft, sozusagen die Gefahr des eigenen Verhaltens trägt. Zu fordern ist aber der oben bereits beschriebene engere kausale Zusammenhang zwischen dem Verhalten und dem Mißverständnis, um nach Treu und Glauben den Mißverstandenen dafür einstehen zu lassen. Indessen sind Treu und Glauben und Verkehrssitte nicht bloß dafür maßgebend, ob ein bestimmter Tatbestand als eine Willenserklärung bestimmten Inhalts zu gelten hat, sondern auch dafür, wie eine ausdrückliche oder bloß in einem objektiven Tatbestand zu erblickende Erklärung auszulegen ist, welche haupt- und nebensächlichen Rechtsfolgen und Bindungen als gewollt erklärt sind. Endlich können sich ähnlich dem, wie das Gesetz an den Abschluß eines Vertrages Rechtsfolgen zu knüpfen pflegt, welche über die unmittelbar gewollten hinausgehen oder das Gewollte ergänzen, auch nach Verkehrssitte und Handelsbrauch derartige weitere Rechtsfolgen aus einer Willenserklärung ergeben, auf die sich der Rechtsfolgewille der Beteiligten nicht erstreckt hat, sofern sie diese nicht ausschließen. Solange der Vertrag nicht geschlossen ist, kann jeder Teil einseitig erklären, daß er diese normative Geltung der Verkehrssitte für das Geschäft ausschließe. Wird dieser Ausschluß nicht erklärt und handelt es sich um die Begründung einer Verpflichtung, so wird angenommen, daß die Vertragsteile sich mangels anderer Hinweise und Anknüpfungen der Verkehrssitte am Erfüllungsort unterwerfen, soweit es sich um die Erfüllung handelt (vgl. Allg. Einl. Anm. 45 a. E. unten Anm. 7 und die dort wiedergegebene teilw. abw. Rspr., auch §242 BGB. und dazu Anm. 30). Auch hier ist die Verkehrssitte als Norm gemeint. Nach diesen Grundsätzen, die — abgesehen von der eben erörterten Voraussetzung des Verschuldens in st. Rspr. und im Schrifttum so gut wie allgemein anerkannt sind, kann es zu Rechtsfolgen gemäß bloß /Scheinbaren, jedenfalls nicht vorsätzlichen Erklärungen kommen, mag ihr Schein fahrlässig hervorgerufen sein oder nicht, auf welche die Bestimmungen des BGB. über die von ihm allein behandelten echten vorsätzlichen Erklärungen nicht unmittelbar anwendbar sind. Der Grundsatz, daß der Urheber einer Erklärung, die nach ihrem Inhalte gewollte oder scheinbar gewollte Rechtsfolge hinnehmen müsse, auch wenn sie nicht wirklich gewollt war, wird von BGB. nicht ausnahmslos durchgeführt. Zwar gilt er, wenn jemand bewußt eine von seinem wirklichen Willen abweichende Erklärung abgibt, sofern nicht auch der Adressat der Erklärung weiß, daß ihr Inhalt nicht gewollt war (§116). Wenn aber der Urheber der Erklärung unbewußt, besonders irrtümlich etwas anderes erklärte, als er wollte, oder gar darüber sich irrte, daß er eine Erklärung abgab, wird er von BGB. an der Erklärung nicht festgehalten, vielmehr ihm die Befugnis gewährt, sie wegen I r r t u m s a n z u f e c h t e n , wenn anzunehmen ist, daß er bei Kenntnis der Sachlage (welcher?, gemeint ist wohl der Inhalt der Erklärung oder der Tatsache ihrer Abgabe) und bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung nicht abgegeben haben würde. Vom geltenden wie vor ihm vom gemeinen Recht (Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band III, S. l l l f f . und S. 326ff.) und von der im Naturrecht herrschenden Lehre (Pufendorf, De jure naturae et gentium III VI § 7, Thomasius, Institutiones Jurisprudentiae Divinae II § 45) wird der Erklärungsirrtum vom Motivirrtum (Irrtum im Beweggrund) unterschieden. Der Unterschied besteht darin, daß bei ersterem etwas erklärt wird, was nicht gewollt wird, es also an dem der Erklärung entsprechenden Rechtsfolgewillen fehlt und daß der Irrtum sich auf den Inhalt der Erklärung oder auf die Tatsache der Erklärung selbst bezieht, Wille und Erklärung daher auseinanderfallen, dagegen beim Motivirrtum wirklich gewollt wird, was als gewollt erklärt wird, aber der erklärte Wille selbst durch falsche (irrtümliche) Vorstellungen geweckt ist, welche in der Erklärung keinen Ausdruck finden, die unerklärt gebliebenen Wirklichkeitsvoraussetzungen irrtümlich waren, die den Willen bestimmt haben. Im Falle des Erklärungsirrtums wird eine dem Vertrauensschutz des Empfängers

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§ 3)46 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 der Erklärung zuwiderlaufende Anfechtungsbefugnis des Urhebers der Erklärung gewährt, beim Motivirrtum nur, wenn die irrtümliche Wirklichkeitsvorstellung, die den Willen erzeugt hat, durch Täuschung herbeigefühtr war und diese von dem Erklärungsempfänger ausging oder ihm bekannt war (§123 BGB.). Während B r a u e r , Der Eigenschaftsirrtum, die verschiedene rechtliche Bewertung des Erklärungs-(Geschäfts-) und des Motivirrtums damit rechtfertigt, daß keiner sein Wort solle verleugnen können, bloß weil sich eine Gefahr verwirklicht hat, die er nach Sinn und Inhalt des Geschäftes tragen sollte, und er mit spekulativen Absichten gescheitert ist, die seinen Antragsgegner nichts angehen, und daß einerseits beim Erklärungsirrtum ein spekulativer Irrtum undenkbar, beim Motivirrtum denkbar und häufig ist, die irrtümlichen Erwägungen spekulativ wenigstens gewesen sein können, bestreitet T i t z e , Festschrift für Heymann „Vom sogenannten Motivirrtum"' den psychologischen Gegensatz zwischen Geschäfts- und Motivirrtum und die Berechtigung verschiedener rechtlicher Behandlung, um freilich auch seinerseits die Anfechtungsbefugnis auszuschließen, wo der Irrtum spekulativen Erwägungen anhaftet. Die Ergebnisse beider nähern sich sehr, da Brauer S. 93 ff. den Begriff der Eigenschaft sehr ausdehnt, indem er das Erfordernis der „unmittelbaren Inhärenz" und der Dauer aufgibt, so sehr, daß faktisch der Irrtum nach § 119 Abs. 2 sich gar nicht mehr auf eine Eigenschaft zu beziehen braucht, um erheblich zu sein, wenn er nur frei von spekulativen Einschlägen ist. (Über den Eigenschaftsirrtum im besonderen, der nach seiner Natur im Handelsrecht besonders beim Kauf eine Rolle spielt, s. Erl. zu § 377.) Erklärungsirrtum, der notwendig frei von spekulativen Einschlägen ist, ist nach Brauer auch der Irrtum über die Soll-Beschaffenheit, d. h. über die Beschaffenheit, die nach der Norm des Geschäftes eine Person oder Sache haben soll und vielfach der von ihm sogenannte Kongruenzirrtum, d. h. der Irrtum, daß Ist- und Soll-Beschaffenheit übereinstimmen. Auch die Praxis ist — vom Eigenschaftsirrtum abgesehen, der von einigen zum Geschäfts- und von anderen zum Motivirrtum gerechnet wird — mit dieser Unterscheidung und dem Ausschluß des letzteren als Anfechtungsgrund nicht ausgekommen. Das Reichsgericht hat nicht nur den Begriff der Eigenschaft sehr erweitert, um auf diesem Wege, da das Gesetz die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums gestattet, aus dem es einen Erklärungsirrtum macht (§119 Abs. 2), Anfechtbarkeit und Gewährleistung auszudehnen — Eigenschaften seien auch alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, welche zufolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach der Verkehrsauffassung einen Einfluß auf die Wertschätzung der Sache zu üben pflegen (z. B. RG. 52, 2 u. st.), übrigens der Wert selbst nach Ansicht des Reichsgerichtes nicht (z. B. 111, 257; 116,18; 149, 238 u. st.), ebenso nicht nachh. L. (Staud.-Riezler Anm. 28; Oertmann Anm. 4b zu §119; Enn.-Nipperdey, 13. Aufl., S. 525, Anm. 29; dagegen mit Recht Rudioff, Wertirrtum und Preisgerechtigkeit, S. 45ff.; Brauer a. a. O. S. 94; Titze a. a. O. S. 98), sondern hat auch in vielen anderen Fällen einen Erklärungsirrtum angenommen, wenn die die Erklärung motivierende, später als falsch erwiesene Vorstellung bei den entscheidenden Verhandlungen oder gar in den Erklärungen Ausdruck gefunden haben (RG. 85, 32; 64, 266f.; 101, 107f.; 105, 406; 149, 235f. (Kalkulationsirrtum); RG. 94, 65f.; 97, 138f.; 101, 51 f.; 116, 15f. (Irrtum über Wertpapierkurse); 154, 190 (Irrtum über Wertbeständigkeit einer Fremdwährung). Wenn jemand infolge falscher Wirklichkeitsvorstellungen z. B. der Börsenkurs sei 100 (RG. 94, 65; 97, 138) oder der Kurs für den Sowjet-Rubel sei 25 Dpf. (RG. 105, 406) mit dem, was er erklärt (z. B. er kaufe oder verkaufe zu 100 oder er zahle den Rubel mit 25 Dpf. zurück), ausgedrückt zu haben meint, was er erklären will (er kaufe zum Börsenkurs oder er zahle zum offiziellen Kurs zurück), so liegt Erklärungsirrtum vor, auch wenn er dem Vertragsgegner nicht erkennbar war (a. A. v. Tuhr LZ. 21, Sp. 153). Wenn ein Preis schon angegeben und vereinbart ist, aber auf Grund einer nur proportionalen Änderung neu berechnet wird (Silberfall: 1000 fein statt 800 fein, wie dem erklärten Preis zugrunde lag, RG. 101,107) und dabei ein Rechenfehler unterläuft (auf Basis von 320 für 800 fein wird für 1000 fein 360 statt 400 berechnet), so liegt Irrtum über den Erklärungsinhalt vor, denn eine Erklärung dieses Inhalts sollte nicht abgegeben werden (sondern eine Erklärung, deren Inhalt einen Preis von 320 für 800 proportional entsprach). Aber wenn dem Vertragsgegner die irrtümlichen Wirklichkeitsvorstellungen bekannt sind,

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Anfechtbarkeit (Godin)

§ 346

Anm. 2

ohne daß diese Bekanntgabe zum Erklärungstatbestand gehört und etwa gar die irrtümliche Vorstellung sich nicht einmal auf den Gegenstand der Erklärung bezieht, wie etwa die irrtümliche Annahme der Verwendbarkeit eines Materials für eine bestimmte Sache, ist nicht ersichtlich, inwiefern der Irrtum sich auf den Inhalt der Erklärung beziehen soll. Es deckt sich auch dann der Inhalt der Erklärung mit dem Gewollten und ist auch dann nur der erklärte Wille durch falsche Vorstellungen hervorgerufen. Die Kenntnis des Erklärungsempfängers von dieser Vorstellung ändert daran ebensowenig etwas wie etwa seine Billigung dieser Vorstellung; diese wird dadurch auch noch nicht zur gemeinsamen Geschäftsgrundlage (s. nachstehend). Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Geschäftsgegner bereit ist, das Geschäft mit dem Inhalt gelten zu lassen, der dem Willen des Irrenden entsprach. Das Anfechtungsrecht ist kein Reuerecht (s. hierüber G r a d e n w i t z , Anfechtung und Reuerecht, Titze a. a. O. S. 104). Wenn ein Bürge erklärt, sich für eine dinglich gesicherte Schuld zu verbürgen (RG. 85 S. 322), so läßt sich möglicherweise im Wege der Auslegung die Aufnahme der Vorstellung der Sicherung in die Erklärung als eine Einschränkung der Erklärung, etwa als Bedingung auffassen; ist diese Auslegung nicht zulässig, so ist nicht ersichtlich, worin der Irrtum über den Inhalt der Erklärung liegen solle. Diese Ausdehnung der Irrtumsanfechtung aus § 119 Abs. 1 kann nicht befürwortet werden. Wie hier Brauer a. a. O. S. 82, welcher nachweist, daß der hier vorliegende Irrtum über die vermeintliche Kongruenz eines Ist-Sachverhaltes mit einem Soll-Sachverhalt reiner Motivirrtum sei, dem spekulative Momente inne wohnen können, so daß er nicht schlechthin Schutz verdient, ferner von Tuhr, LZ. 21 Sp. 153, Krückmann AcP. 128 S. 160, Uhlmann LZ. 32 Sp. 641 ff. Diese Fälle unterscheiden sich nicht von den Fällen des einseitigen Irrtums über die Geschäftsgrundlage (s. unten). Außerdem haben sich in Wissenschaft und Rechtsprechung die Lehren von der clausula rebus sie stantibus und von dem Mangel oder Fortfall oder der Veränderung der Geschäftsgrundlage ausgebildet, die im Grunde Motivirrtümer zum Gegenstande haben und für beachtlich erklären (s. unten Anh. zu § 346 Anm. 39ff.), soweit nicht wie von Larenz (s. unten) gemeinsamer Irrtum verlangt wird. In st. Rspr. wurde — die Windscheid'sche Voraussetzung modifiziert anerkennend — festgehalten, daß bei beiderseitigem Irrtum über die objektive Geschäftsgrundlage bei Verträgen, wenn ohne ihn der Vertrag nicht abgeschlossen worden wäre, auch ohne Anfechtung des Vertrages durch einen Teil der andere sich nicht auf den Vertrag berufen kann, ohne dem Einwand zu begegnen, daß er wider Treu und Glauben verstoße (RG. 156, 77, 160, 267; BGH. Lind-Möh. § 242 Bd. Nr. 1), es sei denn, daß er sich erbietet, •die durch den Irrtum verfehlte Aequivalenz herzustellen; denn wie v. Tuhr a. a. O. Fußn. 8 mit Recht betont, fehlt es jedem Vertragsteil an dem Interesse, welches gegenüber einseitigem Motivirrtum zu schützen ist. Es fragt sich, ob §§ 119,123 BGB. analog auch auf die nach der Verkehrssitte sich als Willenserklärungen darstellenden Scheinerklärungen anzuwenden sind, die wegen und im Rahmen des dem Empfänger nach Treu und Glauben gebührenden Vertrauensschutzes die Rechtsfolgen nach sich ziehen, die als gewollt erklärt scheinen, ohne daß sie wirklich gewollt waren und als gewollt erklärt wurden. Staud.-Riezler, 14 zu § 119 sieht in einem solchen Falle den Vertrag überhaupt nicht als zustande gekommen an; von diesem Standpunkt aus tritt die Frage nicht auf. Die Rspr. des RG. (vgl. insbes. RG. 129, 347) und ein großer, wenn nicht der überwiegende Teil des Schrifttums verneint die Frage, ein anderer bejaht die analoge Anwendbarkeit der Bestimmungen des BGB. Mit der unbeschränkten Zulassung der Anfechtbarkeit wird zweifellos der Vertrauensschutz wieder eingerissen, den die der Verkehrssitte oder Treu und Glauben entnommene Norm, daß Scheinerklärungen verbindlich seien, aufgerichtet hat. Andererseits trifft zu, was Krause a. a. O. S. 134 ausführt, daß dieser Vertrauensschutz nicht weiter gehen kann als das Vertrauen in eine wirkliche (ausdrückliche) Erklärung geschützt ist. Es entfällt daher zwar die Anfechtung mit der Begründung, daß die Erklärung nicht habe abgegeben werden sollen, welche nach der Verkehrsnorm gerade in der Herbeiführung des Scheines einer abgegebenen Erklärung

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§ 346 [Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anra. 2 oder in dem geübten Verhalten zu sehen ist, im übrigen aber ist § 119 BGB. auch was den Inhalt der Erklärung betrifft, anwendbar, insbesondere auch auf den Inhalt, der ihr durch den Inhalt der (angenommenen) Gegenerklärung (Bestätigungsschreiben) zukommt. Der Irrtum über das Bestehen einer Verkehrssitte ist gleichbedeutend mit dem Irrtum über den (kraft der Verkehrssitte) erweckten Schein einer Willenserklärung; er berechtigt daher nicht zur Anfechtung. Ist bei Scheinefrklärungen auch die Anfechtung wegen Irrtums über wesentliche Eigenschaften möglich? Ein solcher Irrtum ist ein Beweggrund und logisch kann^ein Beweggrund einer nicht abgegebenen Erklärung nicht in Frage kommen. Wird schon eine Erklärung fingiert, so kann doch nicht auch ihr Beweggrund fingiert werden. Es ist auch, bei obwaltendem Irrtum, wenn eine Rechtsfolge nicht, sondern nur scheinbar gewollt war, nicht denkbar, daß, wenn sie gewollt worden wäre, sie infolge des Irrtums gewollt worden wäre. Es gibt Fälle (z. B. § 108 Abs. 2 Schlußhalbs, § 177 Abs. 2 Schlußhalbs., § 416 Abs. 1 S. 2, §§ 496, 568, 612, 632 BGB., §§ 85, 362 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2, 377 Abs. 2 / 3 HGB.), denen zum Teil eigentümlich ist, daß es sich darum handelt, eine unerträgliche Ungewißheit zu beenden, in denen das Gesetz mangels einer Erklärung desjenigen, der am Zuge ist, eine solche abzugeben, eine Erklärung bestimmten Inhalts als abgegeben fingiert; nichtsdestoweniger kann auch in diesen Fällen die Erklärung unter besonderen Umständen, etwa wenn schon eine Ablehnung oder Zustimmung vorangegangen war, nach § 157 BGB. in dem Schweigen liegen. Auch der Verkehr kann solche Normen schaffen. Die h. L. (Larenz, Vertrag und Unrecht, T. 1 S. 68, Manigk, Das rechtswirksame Verhalten S. 2 85 ff.) sieht in solchen Bestimmungen keine Regel über die Auslegung des Schweigens, sondern anstelle des Schweigenden getroffene Rechtsfolgebestimmungen und lehnt deshalb auch teils uneingeschränkt (Manigk a. a. O.), teils eingeschränkt (Larenz a. a. O.) die Anfechtungsmöglichkeit ab (a. A., auch hier Krause, Schweigen im Rechtsverkehr S. 135ff.), weil überhaupt keine Willenserklärung vorliege, die Gegenstand einer Anfechtung sein könne (RG. 129, 348). Wenn auch das Gesetz infolge des Schweigens nicht unmittelbar eine Rechtsfolge anzuordnen, sondern eine Willenserklärung zu fingieren pflegt, sodaß es der angewandten Gesetzestechnik folgerichtig entspräche, die Regeln über Willenserklärungen anzuwenden, so will es damit doch auch gleichzeitig die Übereinstimmung der fingierten Erklärung mit dem Willen fingieren. Im übrigen ist gegenüber Folgerungen, die sich nur aus der angewandten Gesetzestechnik und nicht aus der vom Gesetz gewählten sachlichen Lösung des rechtspolitischen Problems ergeben, Vorsicht nötig. Bezüglich Anfechtung wegen Irrtums über eine Eigenschaft gilt gegen Larenz das oben Gesagte; das Gesetz trifft die Anordnung der Rechtsfolge vorbehaltlos ohne zu sagen, „vorausgesetzt, daß sich der Schweigende nicht über wesentliche Eigenschaften geirrt hat". Ein sogenannter versteckter Dissens liegt vor, wenn von zwei Erklärungen zwar weder die eine noch die andere nach der Verkehrssitte gemäß Treu und Glauben einen anderen Willen kundzugeben scheint, als durch sie kundgegeben werden sollte, sie aber nur scheinbar übereinstimmen. Besondere Schwierigkeiten sind in einem Falle möglich, in welchem die respondierende Erklärung — wie „ja", „nein", „angenommen" — für sich allein keinen Sinn gibt, sondern nur in Verbindung mit der vorangegangenen Erklärung und durch diese Verbindung ausgelegt werden muß, der Urheber der zweiten Erklärung aber die erste mißverstanden hat. Der Grund des Mißverständnisses kann ein Hörfehler, das Mißverständnis einer fremden Sprache, eine Verschiedenheit der Bedeutung sein, die der vorangegangenen Erklärung von der Verkehrssitte an dem für ihren Sinn maßgeblichen Ort und an dem Empfangsort beigelegt wird, welch letzterer wiederum für den Sinn der respondierenden Erklärung maßgeblich ist, u. A. Hier liegt versteckter Dissens nur vor, wenn jeder Teil nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die für sie maßgebliche Verkehrssitte die vorangehende Erklärung so verstehen durfte, wie er sie verstanden hat und erwarten durfte, daß der andere Teil erkennen würde, welchen Sinn er der Erklärung beimaß. Dann ist jedem nur der Sinn der Erklärungen zurechenbar, den er ihnen beigelegt hat, und liegen sich nur scheinbar deckende Erklärungen vor. Wenn aber nach den oben entwickelten Grundsätzen über die Zurechenbarkeit unrichtigen Scheins

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Anfechtung einer Willensfiktion kraft Norm, Dissens, Vertragslücke (Godin)

§ 346

Anm. 2

der Urheber der ersten Erklärung nicht erwarten konnte, daß der Empfänger sie so verstehen würde, wie er sie gemaint hatte, vielmehr auf Grund besonderer Umstände oder der Verkehrssitte erwarten mußte, daß der Empfänger sie so verstehen würde, wie dieser sie verstanden hat, ist nach Treu und Glauben dieser Sinn der Erklärung ihrem Urheber zurechenbar und umgekehrt, wenn der Empfänger ihren wahren Sinn erkannt hat oder erkennen konnte; in einem solchen Fall liegen also nicht scheinbar, sondern wirklich übereinstimmende Willenserklärungen vor. Allerdings wird regelmäßig die Erklärung des Einen oder des Anderen nach § 119 B G B . anfechtbar sein. In einem Fall des] Dissenses kann, wenn der Eintritt der Rechtsänderung, wie meist, — des Rechtsfriedens halber von der Zustimmung desjenigen, auf dessen bisherige Rechtssphäre sie einwirkt, d. h. also —' von dem Zustandekommen eines Vertrages abhängt, weder die von dem Einen noch die von dem Anderen gewollte Rechtsänderung eintreten, denn ein Vertrag (eine nach der Verkehrssitte anzunehmende Übereinstimmung zweier Willenserklärungen) ist weder bezüglich der einen noch der anderen Rechtsänderung zustande gekommen. Es kann aber der Dissens von einem (oder jedem) Teil verschuldet sein; dann ist, obwohl kein Vertrag geschlossen wurde, Verschulden bei Vertragsschluß anzunehmen und der schuldhafte Teil dem anderen für das negative Interesse haftbar. Die Rechtsfolgen, welche an die Erklärung eines Rechtsänderungswillens geknüpft werden, können über die gewollten hinausgehen, weil das Gesetz sie als normalerweise mitgewollt und als im Rechtsfrieden gelegen erachtet und deshalb bestimmt, oder weil die Verkehrssitte in einer Willenskundgebung auch die Kundgebung eines solchen weitergehenden Rechtsänderungswillens erblickt. Da die Verkehrssitte die Annahme eines ihr entsprechend erklärten Parteiwillens begründet, geht sie nachgiebigen Gesetzesbestimmungen sozusagen vor. Derartige über den eigenen wirklichen Rechtsänderungswillen hinausgehende Rechtsfolgen können — beruhen sie auf Gesetz, nur, wenn die gesetzliche Bestimmung nachgiebig ist — ausgeschlossen werden. Ist dies aber nicht geschehen, so treten sie auch ohne den Willen ein, sich der Verkehrssitte oder nachgiebigen Gesetzesbestimmungen zu unterwerfen und diesen entsprechende Rechtsänderungen herbeizuführen, und auch dann, wenn Gesetz oder Verkehrssitte einem oder beiden Teilen unbekannt war; es kann sich jeder Teil auf sie berufen, auch wenn er sie bei Abschluß des Vertrages nicht gewollt hat, und ihm nicht bewußt war, daß sie eintreten würden (s. oben; andererseits Anm. 11; vgl. auch Bd. I Allg. Einl. Anm. 25). |Mit Vorstehendem ist aber nach allgemeiner Meinung und ständiger Rechtsprechung die Bedeutung des § 157 noch nicht erschöpft. Vielmehr wird aus ihm über seinen Wortlaut hinaus auch abgeleitet,' daß, wenn bezüglich eines Punktes oder bezüglich eines eingetretenen Falles die Beteiligten keinen (anscheinend) übereinstimmenden Willen erklärt haben, also eine Vertragslücke besteht, diese gemäß dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien auszufüllen ist, der ihrem aus dem Vertrag oder Begleitumständen seines Abschlusses entnehmbaren Willen entspricht. Auch bei dieser Vertragsergänzung spielt die Verkehrssitte eine Rolle, nicht nur insoferne als sie darüber entscheidet, welchen Willen man in dem Vertrag erklärt zu sehen hat, sondern auch, weil außer diesem für den mutmaßlichen Willen in Betracht kommt, was wohl nach der Verkehrssitte gewollt wäre; denn, wenn der aus dem Vertrag oder den Begleitumständen seines Abschlusses entnehmbare Wille nicht dagegen spricht, ist anzunehmen, daß sie Parteien das Verkehrsübliche gewollt hatten, vorbehaltlich individueller Momente ihrer besonderen Interessenlage. Ebenso ist bei der Vermutung des mutmaßlich Gewollten Treu und Glaube zu berücksichtigen, wonach der Vertragsgenosse nicht nur darauf nicht abzielen darf, auf Kosten und zum Schaden des anderen sich zu bereichern, nicht darauf, auf seinem Rücken zu spekulieren, sondern auch, vorbehaltlich der Verhütung eigenen Schadens, die Schädigung des Vertragspartners 'nicht wollen darf, so daß auch nicht anzunehmen ist, daß er sie gewollt hätte. Davon abgesehen kann natürlich der Vollstrecker der Rechtsordnung, der Richter, nicht berufen sein, durch die Art, wie er eine Vertragslücke schließt, Unrecht zu bestimmen. Da Regelmäßig!der mutmaßliche Parteiwille nicht feststellbar ist, handelt es sich in Wahrheit um richterliche Entscheidung gemäß normativer redlicher, der Rechtsethik entsprechender Verkehrssitte.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 1. § 133 BGB. § 133 verlangt völlig freie Handhabung, so daß nicht von der Vermutung ausgegangen werden darf, die Parteien müßten die Gesetze kennen, der Erklärende hätte sich die rechtliche Lage klarmachen müssen (RG. 64, 167); noch auch, der oder jener gebrauchte juristische Ausdruck müsse als richtig hingenommen werden (Hamburg SeuffA. 77, 37). Ebenso sind Fachbezeichnungen, die dem Gegner nicht genügend erläutert werden, unbeachtlich (RG. in SeuffA. 87, 56). Wenn sodann vorgeschrieben ist, daß der wahre Wille erforscht werden soll, so heißt das, daß nur der e r k l ä r t e W i l l e , wie er unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben zu verstehen ist, maßgebend sein darf; was der Erklärende innerlich gewollt hat, ohne diesen Willen dem Gegner erkennbar zu machen, darf nicht beachtet werden (RG. 95, 124; WarneyerRspr. 1932 Nr. 174). Bei der Auslegung der Willenserklärung im Rahmen des § 133 BGB. kommt es nicht darauf an, was der Erklärende innerlich gewollt hat; entscheidend ist vielmehr, wie seine Erklärung von der ihm gegenüberstehenden Partei nach Treu und Glauben und allgemeiner Auffassung des Verkehrs verstanden werden konnte (RG. 169,124/25). Hat sich der Erklärende in einem einseitigen Irrtum befunden und etwas erklärt, was er in Wirklichkeit nicht erklären wollte, so ist ihm nicht durch Auslegung zu helfen; es ist nur Anfechtung wegen Irrtums gegeben (ROHG. 1, 22; RG. 21,180; 54,182; 68,126; 70, 391; WarneyerRspr. 1914 Nr. 36; Anh. zu § 361 Anm. 91 ff.). Es ist feststehender Grundsatz, daß jeder Erklärende sich beim Worte nehmen und gefallen lassen muß, daß seine Erklärung so verstanden wird, wie die Allgemeinheit sie auffaßt. Andererseits muß jeder Teil die Erklärung des Gegners so gegen sich gelten lassen, wie sie nach Treu und Glauben mit Eücksicht auf die Verkehrssitte zu verstehen war. Es gibt insofern keinen Dissens (RG. 68,128; 86, 88; 88, 428; 165,198; Warneyer Rspr. 1912 Nr. 3; 1913 Nr. 395; JW. 1915, 5714; 1918, 765; 1929, 331). Maßgebend ist der Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung, es sei denn, daß die Verkehrssitte ein Abwarten erfordert (JW. 1932, 738). Hat der Gegner eine Erklärung so verstanden, wie sie gemeint war, so ist dieser Sinn maßgebend (JW. 1909, 48910). Tatsachen, die nur dem einen Teile bekannt waren, scheiden aus (DRZ. 1926 Beil. 97343). Bei Beurteilung der Frage, was als erklärter Parteiwille anzusehen ist, kommt zunächst der A u s d r u c k , also auch der Wortlaut in Betracht, der nach Vertragsinhalt, Vertragszweck, Sprachgebrauch, nach den beiderseitigen Interessen, nach den Persönlichkeiten und allen Umständen zu prüfen ist (RG. 79, 438). So ergibt sich der Wortsinn, den die Parteien ihren Ausdrücken beigelegt wissen wollten. Der Satz, daß man sich an den Wortlaut so lange halten müsse, als er irgendeinen verständigen Sinn gibt, würde zu weit gehen; denn der R i c h t e r soll am W o r t l a u t g e r a d e n i c h t h a f t e n (Bolze 3 Nr. 480). Allein zum Abgehen vom Wortlaut oder vom natürlichen Wortsinn bedarf es eines besonderen Anlasses (Bolze 5 Nr. 443); d. h. es müssen die Parteien erkennbar etwas anderes gewollt haben (JW. 07, 269 34 ; 1910, 60 3 ; Gruch. 38,1135; WarneyerRspr. 1912 Nr. 330; LZ. 1912, 8426); in dieser Beziehung ist auch beiderseitiger Irrtum, auch solcher im Beweggrunde, zu berücksichtigen (SeuffA. 64, 137). Bei der Auslegung von Urkunden insbesondere müssen die begleitenden und die der Niederschrift zugrunde liegenden Besprechungen sowie der Vertragszweck (HRR. 1936 Nr. 1610; JW. 1938, 4219) zur Ermittlung des Sinnes herangezogen werden; über eine solche mündliche Vereinbarung ist Antrag auf Parteivernehmung (§ 445 ZPO.) nicht abzulehnen (RG. in LZ. 1920, 2291; JW. 06, II 7 ). Ein zutreffendes Auslegungsergebnis läßt sich nur gewinnen, wenn von dem Sachverhalt ausgegangen wird, der den Parteien bei Abschluß des Vertrages bekannt war (RG. 169 S. 31). Der Ausdruck soll also, wenn er auch das vornehmste Wahrheitserforschungsmittel bleibt, nicht allein entscheiden; auch besteht für die Auslegung k e i n e B e w e i s l a s t , es sei denn, daß die Auslegung auf Umstände gestützt wird, die außerhalb der Urkunde liegen (RG. 131, 350; HRR. 1929 Nr. 1302; 1935 Nr. 715; JW. 1927, 514). Auf diese Weise kann der wahre Wille aus mündlichen Verhandlungen, selbst abweichend von dem Wortlaut von Urkunden, zur Geltung kommen (WarneyerRspr. 1915 Nr. 7). Der Formzwang steht nicht entgegen, wenn der Wille in der Urkunde auch nur unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (falsa demonstratio; RG. 109, 336; JW. 1928,172"). Die s t i l l s c h w e i g e n d e V o r a u s s e t z u n g , von der die Parteien bei Abgabe ihrer Willenserklärungen ausgegangen sind, ist gegenüber der urkundlichen Feststellung von Parteierklärungen insofern von ausschlaggebender Bedeutung, als damit zum Ausdruck kommen sollte, daß die Parteien nach Treu und

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Rechtsprechung über Auslegung (Godin)

§346

Anm. 3 Glauben das oder jenes nur in einem bestimmten Sinne gemeint haben. Dann ist die so geschaffene Auslegung maßgebend (RG. 75, 274, 94, 68; LZ. 1921, 2991), es gibt dann keinen versteckten Dissens (Anh. zu § 361 Anm. 91 ff.). Die Auslegung muß endlich den Gesamtinhalt der Willenserklärung, also den ganzen Vertragsinhalt, im Zusammenhang würdigen. Der Richter muß erkennen lassen, daß er i h n n i c h t in einzelne Teile z e r r i s s e n , sondern z u s a m m e n f a s s e n d b e u r t e i l t hat (JW 05, 135; 1911, 1803). Die Grenzen der Auslegung sind dahin zu ziehen, daß die Auslegung nicht willkürlich, nicht unvernünftig sein und nicht gegen den klaren, nicht auf beiderseitigem Irrtum beruhenden Ausdruck verstoßen darf (RG. 68,126, 95, 126, 126, 327, WarneyerRspr. 1928 Nr 142, LZ. 1912, 6914; 1917, 919; HRR. 1928 Nr. 206, 1932 Nr. 1123; 1935 Nr. 581, JW 1936, 28572). Sie kann nicht an die Stelle der Willenserklärung eine andere setzen (JW 1937, 217). Eine Umdeutung ist dann nicht zulässig, auch wenn die Beweggründe klargelegt werden (RG. in BayZ. 1932, 76), oder wenn die Erklärung gegen Treu und Glauben verstößt, es kommt in diesem Falle Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten in Frage (RG. 82, 316, 126, 327). Sobald die Parteien eine gewisse Auslegung übereinstimmend als gegeben oder als ausgeschlossen bezeichnen, hat sich der Richter diese tatsächliche Unterlage zu eigen zu machen, wenn nicht die gewählte Auslegung zu einem widerspruchsvollen, unvernünftigen Ergebnis führen würde (JW 05, 682a; 06, 8093; 1912, 683®; 1936, 2491, WarneyerRspr. 1912 Nr. 588, 330; Gruch. 52, 932). Ein besonderer Fall letzterer Art ist es, wenn die Parteien ihren Erklärungen absichtlich eine den wahren Willen verdeckende Fassung gegeben haben (z. B. zur Fernhaltung von Angriffen Dritter), alsdann kommt es darauf an, ob das wirklich gewollte Geschäft noch bestehen kann; denn was erklärterweise nicht gewollt war, besteht ja nicht (§§116, 117 BGB., JW 1910, 603). Wenn sich aus der Erklärung der Rechtsfolgewille ihres Urhebers klar ergibt, so ist dieser maßgebend; für eine weitere Auslegung besteht dann weder Anlaß noch Bedürfnis, es sei denn, daß nachweisbar der erklärte Wille nicht vorhanden und dies dem Erklärungsempfänger bekannt war. Ergibt sich so oder nach der Fassung der Erklärung ein Zweifel, so muß die Erklärung ausgelegt werden. Ein von ihr abweichender Wille ist aber auch letzterenfalles nur beachtlich, wenn er irgendwie erklärt war, was aber auch trotz der Unrichtigkeit der Erklärung mittels ihrer geschehen sein kann. Um den Sinn der Erklärung zu ermitteln, sind, wenn die Parteien nicht über ihn einig sind, alle Begleitumstände, Treu und Glauben und Verkehrs(Handels)sitte heranzuziehen, die Begleitumstände nur, soweit sie dem Empfänger der Erklärung bekannt waren und ihm daher deren Sinn erschließen konnten. Von den Nebenumständen, soweit sie zu berücksichtigen sind, abgesehen, kann der Richter die Erklärung dahin deuten, daß sie das übliche besagen soll. In der Sprache des § 157 BGB. heißt dies: Der Richter kann sagen, daß nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte mit einem bestimmten Ausdruck ein bestimmter Sinn verbunden und daraufhin der Wille als in dieser Weise erklärt zu betrachten sei, weil der Gegner den Ausdruck so verstehen durfte (RG. 63,11, JW 1911, 908 und 1792; 1915, 500 und 571). Über die Ergänzung von Lücken s. Anm. 4. Anm. 3. Auch wo die N a t u r des V e r t r a g e s zu e i n s c h r ä n k e n d e r Auslegung zu d r ä n g e n s c h e i n t , wie bei Bürgschaft, Schiedsvertrag, Wettbewerbsverboten (JW 03 Beil. 4392 u. 121 06, 7364; LZ. 09, 31116, RG. in BankA. 21, 3854), Strafgedingen (JW 1910, 9342; 1920,1371,1921,1528), Verwirkungsklauseln (unten Anm. 19), ist der wahre Sinn zu erforschen. Es darf nicht der Satz als R e c h t s s a t z aufgestellt werden, daß eine Vertragsbestimmung grundsätzlich zugunsten des Schuldners auszulegen sei, wie auch die alten Auslegungsregeln nicht mehr gelten, daß zweideutige Ausdrücke zuungunsten desjenigen auszulegen seien, der sie gebraucht oder die Mehrdeutigkeitverschuldet hat (ROHG.14,437 RG.53,60), daß von mehreren Auslegungen der Vorzug, derjenigen einzuräumen ist, bei der das Geschäft Bestand hat (ROHG. 16,430). Als Regeln lassen sich solche Sätze nicht mehr bezeichnen, aber sie können doch im einzelnen Falle brauchbare Fingerzeige dafür geben, wie eine Erklärung nach Treu und Glauben auszulegen ist. So ist es auch zu verstehen, daß mehrdeutige Vertragsbedingungen, die von dem einen Vertragsteil allein ausgearbeitet und festgesetzt sind, Unklarheiten in Freizeichnungsklauseln (RG. 110, 227, 142, 355; JurRundsch. Rspr. 1926 Nr. 819) und Zweifel darüber, ob der Wille dieses Vertragsteils im Vertrag zum Ausdruck gebracht ist, 31

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 4, 5 zu dessen Nachteil wirken (RG. 72, 395, JW !03, 2980; LZ. 1927,"1343), der Verfasser einer zweifelhaften Bestimmung mit verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten muß sie also gegen sich auslegen lassen (RG. 86, 165; RG. „Recht" 1923 Nr. 913), namentlich gilt dies von Unklarheiten in Formularverträgen (RG. 120,18; 145, 26, BGH. NJW 52, 657) und in Versicherungsbedingungen. Diese muß der Versicherer gegen sich auslegen lassen (RG. 94, 29), und zwar nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens, nicht nach fachwissenschaftlicher Terminologie (RG. 97, 209 u. 190; 98, 233 Unfallv , 92, 61 Feuerv.), aber auch nicht nach willkürlicher Auslegung des Versicherungsnehmers (RG. 116, 276). Verzichte sind streng auszulegen (JW 1911, 10148) auch die Frage, ob es zu einem Verzicht gekommen ist, bedarf strenger Auslegung (WarneyerRspr. 1919 Nr. 2). Ausschluß der Haftung für eigenes Verschulden oder Verschulden von Erfüllungsgehilfen kann nur bei ausdrücklicher Erklärung angenommen werden (BGH. NJW 52, 657). Anm. 4. Nach der Verkehrssitte kann sonach festzustellen sein, was erklärt war und ob eine Erklärung vorliegt, u. U. entgegen dem wirklichen Willen desjenigen, der als Urheber der Erklärung in Betracht kommt. Nach der Verkehrssitte bemessen sich — u. U. abweichend vom Willen des Urhebers der Erklärung bzw. dessen, der als Urheber einer Erklärung behandelt wird, — die Rechtsfolgen der Erklärung, nicht nur, weil der Rechtsfolgewille aus der Erklärung nach der Verkehrssitte ermittelt wird, sondern auch weil anzunehmen ist, daß der Erklärende sich den Normen der Verkehrssitte, unterwirft, wenn er sie nicht ausdrücklich abgedungen hat. § 157 BGB. ist aber auch anzuwenden, wenn ein Punkt von den Beteiligten nicht bedacht und auch nach der Auffassung des Verkehrs darüber von ihnen nichts erklärt, noch weniger diesbezüglich etwas in ihren Rechtsfolgewillen aufgenommen war. Anm. o. 2. Das ist allerdings eine freie Auslegung, eine Auslegung m i t tels Analogie. Denn es wird nicht mehr auf Grund wirklicher oder anscheinender Erklärung festgestellt, was die Parteien als ihren Willen erklärt haben. Es wird vielmehr der I n h a l t des R e c h t s g e s c h ä f t s , weil der Parteiwille in Wahrheit nicht festgestellt werden kann, im Sinne des mutmaßlichen Parteiwillens richterlich ergänzt (RG. 142, 33; SeuffA. 88, 131, JurRundsch. Rspr 1927 Nr. 787), indem der Richter gestaltend ausspricht, was für den eingetretenen, von den Parteien nicht vorgesehenen Fall Rechtens sein soll. Ergänzen kann 'man aber nur Lücken, die sich innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen finden (RG. 92, 320 u. 420; WarneyerRspr. 1916 Nr. 157, 1937 Nr. 8; JW 1922, 9812), mögen sie sich auch erst infolge der Entwicklung der Dinge herausstellen (HRR. 1932 Nr. 702). Freilich müssen es wirkliche Lücken sein, die Veränderung der Verhältnisse rechtfertigt für sich allein zwar u. U, die Anwendung des § 242 BGB., ist aber für die Vertragsauslegung ohne Belang (JW 1936,1205). Das Ergebnis dieser Art von Auslegung muß sich als eine natürliche Folgerung aus dem ganzen Zusammenhange darstellen (WarneyerRspr, 1912 Nr. 289; Gruch. 54, 386). Die Ergänzung darf also nicht zu einer U m ä n d e r u n g dessen führen, was sich aus dem Vertrag als Parteiwille ergibt (RG. 129, 88), eine Begründung einer solchen Änderung damit, daß die Parteien den Fall anders geordnet haben würden, wenn sie an das Endergebnis gedacht hätten, ist nicht zulässig (JW 1921, 10771). Auch zu einer E r w e i t e r u n g des Vertragsgegenstandes darf die ergänzende Auslegung nicht führen, und auch mit dem ausdrücklich Verabredeten sichlinicht in Widerspruch setzen (RG. 87, 211, 92, 418; 136, 184, JW 1923, 456; Gruch. 65, 591). In diesen Grenzen erwächst dem Richter die Pflicht, zu ermitteln, wie die Parteien den Fall bei redlichem Verhalten unter Rücksicht auf die beiderseitigen Interessen (JW 1931, 1025a) geordnet haben würden, wenn sie anjihn gedacht hätten, z. B. welche Bedingung sie gesetzt (WarneyerRspr. 1912 Nr. 289), wie sie ihre Verhältnisse geordnet haben würden, wenn"sie an die Folgen des Versailler Vertrages (Danzig JW 1923, 6911), an die lange Kriegsdauer "und feindliche Maßnahmen (RG. 92, 319; JW 1918, 612a) gedacht hätten. Zu einer ähnlichen Gestaltung ist der Richter für das Erfüllungsgeschäft durch § 242 BGB. ermächtigt; darauf beruht die freie Aufwertung und der Ausgleichsanspruch (RG. 132, 49). So kann gefolgert werden, daß ein Bierabnahmevertrag, der keine Zeitdauer angibt, als auf ein Sudjahr geschlossen gilt (JW 99, 44020), daß für ein Alleinverkaufsrecht'eine zeitliche Grenze gewollt war (JW 05, 339'), daß bei einem auf längere Zeit geschlossenen Warenabnahmevertrag mit Vertriebspflicht und Alleinverkaufsrecht wegen des beson32

Rechtsprechung über Vertragsergänzung, über Geltung der Verkehrssitte (Godin) § 346 Anm. 6, 7 deren Vertrauensverhältnisses ein wichtiger Grund (Unverträglichkeit, Zerstörung des Vertrauens) zur sofortigen Auflösung berechtigte (RG. bei Holdheim 08, 208; vgl. auch Anh. zu § 346 Anm. 16 a. E.), daß veränderte Umstände ein Rücktrittsrecht begründen können, wenn nach der Natur des Vertrages beide Teile nur unter sich gleich bleibenden Verhältnissen den Vertrag abgeschlossen haben wollten (RG. 101, 169), daß eine zur Beendigung eines Streites geleistete Zahlung nicht als Zahlung einer Nichtschuld zurückgefordert werden darf (RG. 97, 143), daß der Käufer an denjenigen zahlen muß, der ihm die Ware an Stelle des Verkäufers erkennbar für eigene Rechnung übersendet (RG. 101, 321), daß mit einem Geschäftsverkauf ein stillschweigendes Wettbewerbsverbot verbunden sein kann (§ 22 Anm. 17, RG. 117,180; JW 08,135 s ; vgl. jedoch Karlsruhe OLGR. 28, 112, RG. in LZ. 191 2, 1469), auch, daß eine vierwöchige Kündigungsfrist eine einmonatige sein sollte. Daß der Wirt dem Brauer über die Menge des von ihm anderweit bezogenen Bieres Auskunft geben müsse, hat das RG. in Holdh. 08,14 mit der Begründung verneint, daß es keine allgemeine Auskunftspflicht des Schuldners gebe; das steht aber mit der neueren Rechtsprechung nicht mehr in Einklang (RG. 108, 7; 137, 212). Anm. 6. Die bei der Auslegung zu berücksichtigende Verkehrssitte bedeutet unter Kaufleuten Handelssitte, auch Usance genannt; (oben Anm. 2 vor Ziff. 1 Allg. Anm. Einl. 20ff.). Zu ihrer Bildung bedarf es eines gewissen Zeitraums, durchgehender Zustimmung der Beteiligten und tatsächlicher Übung fRG. 110, 48; 118,140J. Dies gilt auch vom Wiederaufleben eines etwa in anormalen Zeiten wie Krieg abgestorbenen Handelsbrauchs (BGH. BB. 52, 12). Beschränkt sich die Übung auf einen Ort, so wird sie zum Ortsgebrauch, unter Kaufleuten zum örtlichen Handelsgebrauch. Die Verkehrssitte ist wohl der wichtigste Leitstern für die Beurteilung der Schuldverhältnisse nach Treu und Glauben. Aber der einzige ist er nicht (RG. bei Holdheim 24, 221; SächsAR. 1915, 56). Denn es sind alle Umstände des einzelnen Falles, wie Zweck, Veranlassung, Art, Ort und Zeit der Willenserklärung, Sprachgebrauch, Persönlichkeiten, mit in Betracht zu ziehen (oben Anm. 1). Doch ist der Beweis, daß einer der Beteiligten einen anderen Willen gehabt habe, als nach der Verkehrssitte anzunehmen ist, unschlüssig, solange nicht bewiesen wird, woraus der abweichende Wille dem Gegner erkennbar war. Wer also einen Antrag erhält und ihn annimmt, muß widersprechen, wenn er den Antrag in einem anderen Sinne als in dem der Verkehrssitte verstanden wissen will (unten Anm. 9). Es kann dann nicht mangelnde Willensübereinstimmung vorgeschützt werden, der Vertrag ist zustande gekommen, sobald sich die beiderseitigen Erklärungen in diesem Sinne decken (RG. 58, 235; Anh. zu §361 Anm. 91ff.). Anm. 7. 3. Es e n t s c h e i d e t die V e r k e h r s s i t t e (Anm. 6), deren Anwendung nach Ort und Zeit (JW 1929, 1393") dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht. Es ist dies regelmäßig die Verkehrssitte' des Erfüllungsortes (Allg. Einl. Anm. 45). Es ist nicht anzunehmen, daß ein Teil sich der örtlichen Verkehrssitte an den von seinem Wohnort verschiedenen des anderen Teils unterwirft (OHG. Bd. 4 S. 247); um die Geltung des Handelsbrauches über seinen örtlichen Bereich zu erstrecken, sind besondere Anknüpfungspunkte erforderlich. Wer aber die Erklärung seines Vertragsgegners, welche auf den Handelsbrauch am Orte ihrer Abgabe hinweist, unwidersprochen annimmt, unterwirft sich letzterem. Wenn der Düsseldorfer Käufer Schlußscheine entgegennimmt, in denen es heißt „In Streitfällen Hamburger freundschaftliche Arbitrage und Schiedsgericht, Gerichtsstand Hamburg", ohne zu widersprechen, so hat er sich den Hamburger Handelsbräuchen unterworfen (OGH. a. a. O.). Bei zeitlicher Verschiedenheit der Verkehrssitten entscheidet der Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung (JW 1932, 29701); immerhin kann eine später aufgekommene Verkehrssitte für die Lückenausfüllung (Anm. 5) und nach § 242 BGB. von Bedeutung sein (Anm. 20; JW 1938, 85912). Außer der Verkehrssitte sind auch bloße V e r k e h r s a n s c h a u u n g e n (WarneyerRspr. 1919 Nr. 192) beachtlich, wenn sich in den beteiligten Kreisen einheitliche Anschauungen oder Auffassungen gebildet haben (RG. 69, 153; 75, 340; LZ. 1916, 677"; Warn. 1916 Nr. 69); denn sie zeigen, wie Treu und Glauben in jenen Kreisen verstanden wird. Die Auffassung gewisser Fachkreise bindet die außerhalb dieser Kreise Stehenden aber nicht (Warneyer Rspr. 1919 Nr. 192). Ein G e s c h ä f t s g e b r a u c h , d.h. ein gleichartiges Verfahren, das sich in einem Kreise von Geschäftsleuten gebildet hat, ist noch keine Verkehrssitte, weil 3

H O B . B d . i n . (Godln) 2. Aull.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 8—10 sie gerade in ihrem Interesse so verfahren haben können (RG. HO, 48). Dadurch, daß der Geschäftsgebrauch von einer Handelskammer anerkannt wird, kann aber seine Entwicklung zur Verkehrssitte gefördert werden (Stuttgart Verkehrsr. 4, 657). Das Bestehen einer Verkehrssitte ist Gegenstand des Beweises wie jede andere tatsächliche Behauptung. Es muß jedoch der Umfang der Verkehrssitte oder des Handelsbrauchs so bestimmt von dem Behauptenden angegeben werden, daß erkennbar ist, daß Verkehrssitte oder Brauch gerade auf die Streitfrage anzuwenden ist(ROHG. 17,125; Anm. 11). Die Verkehrssitte ist nur da nicht zu beachten, wo das Gesetz sie ausschließt (unten Anm. 10), und da, wo die Parteien etwas von der Verkehrssitte Abweichendes verabredet haben — sei es ausdrücklich oder durch unmißverständliche Ausdrucksweise (RG. Hans GZ. 1915 H. 259) —, und endlich da, wo die Verkehrssitte sich als mit der Sicherheit des Verkehrs unverträglich, d. h. als ein Mißbrauch erweist (RG. 114,14; 125, 79; Allg. Einl. Anm. 22). Ein Mißbrauch wäre es, wenn der Verkäufer ohne Vorbehalt den Käufer mit dem Preisaufschlag belasten könnte, den sein Lieferant ihm berechnet (JW. 1920, 642). Anm. 8. Ist eine Verkehrssitte zum Gewohnheitsrecht geworden, so versteht es sich von selbst, daß dieses anzuwenden ist (J.W 1926, 554a; Allg. Einl. Anm. 17). Anm. 9. Auch gegenüber der V e r k e h r s s i t t e ist der Gegenbeweis n i c h t zulässig, daß der Beteiligte in Wahrheit einen anderen Willen gehabt habe (JW. 1926, 1325); vielmehr ist unabhängig von einem Unterwerfungswillen die Verkehrssitte zu berücksichtigen (Allg. Einl. Anm. 24; über die Möglichkeit anzufechten das. Anm. 25). Es bedarf daher keines Hinweises auf einen Handelsbrauch im Bestätigungsschreiben (RG. in Hans GZ- 1927 H. 32). Nicht einmal ist anzunehmen, daß die Verkehrssitte bedeutungslos für die Vertragschließenden sei, wenn beide Teile sie nicht kannten, oder daß, wenn nur ein Teil sie kannte, sie nur dann Anwendung finden könne, wenn dieser Teil erwarten durfte, daß der andere Teil sie kenne (SeuffA. 85, 103). Die Verkehrssitte würde dadurch in den zahlreichen Fällen von der Anwendung ausgeschlossen, in denen es sich um Punkte handelt, an welche keine der beiden Parteien beim Abschlüsse des Rechtsgeschäfts gedacht hat, und hinsichtlich deren Verkehrssitten bestehen, die keiner der beiden Parteien bekannt waren. Es entspricht durchaus dem Sinne der §§ 157, 242 BGB., wenn bei einem Streite über Art oder Maß der Vertragsverpflichtungen der eine Teil zum anderen sagt: wir haben beide an einen solchen Fall nicht gedacht, wir waren uns auch beide nicht bewußt, was in solchen Falle die Verkehrssitte erfordert, aber ich habe mich jetzt danach erkundigt, und ich verlange nichts anderes, als was der Verkehrssitte entspricht. Das ist nun auch in der Rechtsprechung feststehender Satz (RG. 54, 182; 95, 243; LZ. 1927, 528; JW. 07, 14934; 1931, 10252 a. E.; WarneyerRspr. 1919 Nr. 192). So hat auch das RG. (ElsLothZ. 29, 304) erkannt, daß die Umfüllung des Weins durch den Käufer nach Handelsgebrauch selbst dann Genehmigung bedeuten kann, wenn der Käufer damit nicht genehmigen wollte. Vgl. RG. 97, 218: Treu und Glauben erheischt, daß der Gewerbetreibende sein Verhalten nach dem einrichte, was an dem Ort seines Gewerbes hergebracht ist, und sich danach erkundige. Es kommt also nicht darauf an, ob er die Übung gekannt hat (JW. 1922, 7062; KG. EisenbE. 49, 353). Handelsübliche Klauseln binden die Vertragschließenden in ihrer handelsüblichen Bedeutung (HRR. 1929 Nr. 321). Ein nach Vertragsschluß erklärter Widerspruch einer Partei gegen einen Handelsbrauch ist demnach ohne Bedeutung; die Partei, die nicht gebunden sein will, muß vorher widersprechen (LZ. 08, 9314) oder nachher wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärung anfechten (JW. 1926, 13251). Nur dann verhält es sich anders, wenn der Gegner weiß, daß die Erklärung in einem bestimmten andern Sinne gemeint gemeint ist (oben Anm. 2), oder wenn sich der Ausschluß des Handelsgebrauchs ausdrücklich oder stillschweigend, z. B. durch Gepflogenheiten des beiderseitigen Verkehrs ergibt. Anm. 10. Ist hiernach auf eine Verkehrssitte Rücksicht zu nehmen, so ist diese auch im Widerspruch mit den Gesetzen zur Anwendung zu bringen,wenigstens soweit diese nachgiebiges Recht enthalten. Freilich kann sie das Recht nicht abändern (RG. 135, 345), aber doch wie eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung Geltung beanspruchen (Allg. Einl. Anm. 26). Wenn z. B. in einem bestimmten Handelszweige sich die Verkehrssitte bilden sollte, daß die Handlungsgehilfen mangels anderer Vereinbarung als auf ein Jahr fest angestellt betrachtet werden, so würde dies gegen § 66 HGB. zur Anwendung t u

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Rechtsprechung über geltende Verkehrssitte (Godin)

§ 346 Anm. 1 1 - 1 8 bringen sein. Einem zwingenden Gesetze gegenüber könnte aber nur Gewohnheitsrecht angewendet werden, und zwar gegenüber einem Reichsgesetze nur Reichsgewohnheitsrecht (KG. in J W . 1917, 113; RG. a. a. O.). Über die Frage, ob Verkehrssitte Gewohnheitsrecht ist, s. Anm. 2 vor Z. 1. Anm. 11. Nur eine s o l c h e V e r k e h r s s i t t e i s t zu b e r ü c k s i c h t i g e n , die i h r e r N a t u r nach sich auf das b e t r e f f e n d e R e c h t s g e s c h ä f t e r s t r e c k t . Es muß sich also um eine Sitte handeln, die an diesem Orte gilt, und für das Rechtsgebiet, dem das Geschäft angehört (JW. 06, 736). So würde z. B. eine nur im V e r k e h r zwischen K a u f l e u t e n g e l t e n d e V e r k e h r s s i t t e im V e r k e h r eines K a u f m a n n s m i t einem N i c h t k a u f m a n n n i c h t a n w e n d b a r s e i n , sondern nur unter Kaufleuten, un£ das ist es, was der vorliegende § 346 HGB. hervorhebt. Wenn der Handelsbrauch sich zur allgemeinen Verkehrssitte entwickelt hat, gilt er auch zwischen Kauf- und Nichtkaufleuten, ja auch unter Nichtkaufleuten allein. Wenn ein Nichtkaufmann mit einem Handelsbrauch — etwa zufolge früherer Tätigkeit in dem Geschäftszweig, in welchem er besteht — vertraut ist und sich auf Geschäfte dieses Geschäftszweigs einläßt, so ist zu unterscheiden: Der Kaufmann, dem es bekannt ist, daß sein Geschäftsgegner mit dem Handelsbrauch vertraut ist, kann und wird sich regelmäßig, indem er sich auf ein Geschäft mit ihm einläßt, damit einverstanden erklären, daß es dem Handelsbrauch unterworfen ist (BGH. B B . 52,12), so daß der Handelsbrauch zugunsten des Nichtkaufmanns wirkt. Es kann aber auch sein, daß ein solcher mit dem Handelsbrauch vertrauter Nichtkaufmann auch seinerseits sich der Anwendung des Handelsbrauchs durch den Abschluß des Geschäftes unterwirft. Dann ist er auch zu seinen Ungunsten anzuwencden (JW. 1914, 673; L 1 9 2 7 , 528). Bedenklich ist es aber, diese Unterwerfung eines Nichtkaufmanns unter den Handelsbrauch schon und gerade schon dann anzunehmen, wenn er sich auf ein ihm fremdes Geschäftsgebiet begibt (so J W . 14, 673; J W . 27, 764); denn damit werden die Worte „unter Kaufleuten" der gesetzlichen Bestimmung gerade für diejenigen Fälle ausgeschaltet, für welche sie eingeschoben worden sind. Es muß feststehen, daß der Brauch auch im Verkehr zwischen Voll- und Minderkaufleuten besteht, wenn ein Minderkaufmann gebunden sein soll (JW. 07, 149"). Ein Handelsbrauch, der sich auf einen qualitativ beschränkten Teil eines Geschäftszweiges — Kunsthandlungen „ersten Ranges" — beschränkt, kann sich nicht bilden, weil es dabei an der a l l g e m e i n e n Überzeugung fehlen würde (RG. 135, 345). Ein räumlich beschränkter Handelsbrauch gilt nur für Geschäfte, die nach ihrem eigentlichen Wesen, also nach Bedeutung und Wirkung, diesem beschränkten Gebiete angehören (RG. 97, 218). Wenn aber ein Nichtkaufmann sich in ein Großhandelsgeschäft einläßt, sich also auf ein ihm fremdes Gebiet begibt, so ist anzunehmen, daß er sich den dafür geltenden Handelsgebräuchen unterwirft (JW. 1914, 673). Anm. 12. Im internationalen Verkehr liegt die Sache grundsätzlich nicht anders (RG. 95, 243; J W . 1914, 673 1 ). Der auf veralteter Anschauung beruhenden Rechtsprechung (ROHG. 6, 78; 12, 287), die Kenntnis ausländischer Handelsgebräuche und Unterwerfungswillen verlangte, wird sich nicht mehr folgen lassen (a. M. DürHach. § 346 Anm. 9). Eine Ausnahme ist jedoch bei örtlich beschränkten Handelsgebräuchen anzuerkennen, deren Kenntnis von den im Auslande wohnenden Beteiligten nach Treu und Glauben nicht erwartet werden kann (SeuffA. 82, 313). Dagegen muß ein Ausländer, der im Inlande Geschäfte treibt, sich Kenntnis von den Handelsgebräuchen am Orte seiner Tätigkeit verschaffen (SeuffA. 83, 86). Über die im internationalen Verkehr üblichen Klauseln bei Kauf- und Lieferungsverträgen (incoterms) s. Anh. zu § 382 Anm. 55b. Anm. 13. Der B e w e i s einer V e r k e h r s s i t t e kann, soweit sie nicht dem Gericht ohnehin bekannt ist, auf jede Weise erbracht werden (§ 286 ZPO.; oben Anm. 7). Die Verkehrssitte hat zu beweisen, wer sich darauf beruft. Über das Bestehen von Handelsbräuchen kann von den Kammern f. HS. auf Grund eigener Sachkunde entschieden werden mit derselben Wirkung, wie wenn ein Gutachten erhoben wäre (§114 GVG.). Der Berufungsrichter kann nachprüfen (RG. 44, 34), muß es aber nicht (Allg. Einl. Anm. 29). Das Gericht darf über einen Beweisantritt für das Bestehen eines Handelsgebrauchs nicht mit der Begründung hinweggehen, daß ihm ein solcher Gebrauch nicht zur Kenntnis gekommen sei (WarneyerRspr. 1915 Nr. 282). Stellt es aber das Bestehen oder Nichtbestehen einer Verkehrssitte ohne Übergehung erheblicher Beweisantritte s*

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 14—16 oder als gerichtsbekannt fest, so ist das der Revision nicht zugänglich (RG. 2, 385; Warn. 1919 Nr. 131). Jedoch darf das Berufungsgericht nicht von der Unanfechtbarkeit einer nach § 114 GVG. getroffenen Feststellung ausgegangen sein (RG. 10, 93). Auch müssen Handelsgebräuche, die in mehreren Oberlandesgerichtsbezirken gelten sollen, ohne Rücksicht auf Feststellungen für revisibel erachtet werden (Allg. Einl. Anm. 29). Anm. 14. III. Die Auslegung von Willenserklärungen gehört, soweit sie nach der Sachlage überhaupt möglich ist und die obigen Grandsätze dabei beachtet sind, dem Gebiet der Tatsaehenwürdigung an. Das Revisionsgericht prüft frei, ob die festgestellten Tatsachen einen Verstoß gegen die guten Sitten enthalten (RG. 75, 121; JW. 1912, 854*; WarneyerRspr. 1912 Nr. 252), ob ein allgemeiner Erfahrungssatz besteht (RG. 99, 71; JW. 1922, 706a gegen JW. 1914, 48526), was allgemeiner Sprachgebrauch ist (RG. 105, 419), welcher Sinn einer Erklärung vom Gegner nach Treu und Glauben beigelegt Werden konnte (JW. 1913, 5934; WarneyerRspr. 1919 Nr. 131), was allgemeine Verkehrsauffassung ist (RG. 99, 70; 105, 419), ob Treu und Glauben verletzt erscheint (RG. 110, 216; JW. 06, 457®). Ferner prüft das Revisionsgericht frei nach die Auslegung von Urkunden typischen Inhalts, die in den Bezirken mehrerer Oberlandesgerichte zur Anwendung kommen (RG. 81,119; 83, 322; 124, 332; JW. 1934, 3463), und legt sie selbständig unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Interessen aus (RG. 98,122). Hierher gehören: Versicherungsbedingungen (RG. 81, 119; 124, 332; 158, 285), Satzungen einer AG. (RG. 83, 322; 97, 242), einer bergr. Gewerkschaft (RG. 86, 283), einer eingetr Genossenschaft, einer GmbH. (WarneyerRspr. 1922 Nr. 100), die den Wertpapieren einschließlich der Genußscheine aufgedruckten Bedingungen (RG. 83, 295), formularmäßige Lieferungsbedingungen von Fabriken (JW. 1916, 13417) und überhaupt allgemeine Geschäftsbedingungen, wie bei Transportanstalten, Banken, Maschinenfabriken und größeren Verbänden (vgl. RG. 96, 266; WarneyerRspr. 1922 Nr. 10), allgemein übliche Klauseln (RG. 103, 281), Schleppbedingungen (RG. 98, 123), Konnossementsklauseln (RG. 89, 329). Über die Frage, inwieweit das Bestehen einer Verkehrssitte revisibel ist, s. Anm. 13 und Allg. Einl. Anm. 29. Anm. 15. IV. Beispiele für Auslegung von Willenserklärungen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte. a) Schweigen gilt als Unterlassung im Sinne des vorliegenden P a r a g r a p h e n (ROHG. 15, 96) und überhaupt als Mittel der Willenserklärung, so daß es ebenfalls von der Regel des § 157 BGB. beherrscht wird. Auch für das Schweigen gilt daher der Satz: es ist so zu deuten, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dies gebietet. Schweigen ist erst Willenserklärung in bestimmtem Sinn, wenn Treu und Glauben nach Verkehrssitte andernfalls Sprechen verlangt hätte (RG. 91, 347; 103, 405); es ist alsdann die dem andern Teil gemäß § 130 BGB. abgegebene zustimmende oder ablehnende Willenserklärung (Anh. zu § 361 Anm. 74). Über Anfechtbarkeit s. oben Anm. 2 vor 1. Wenn beiderseits lange Zeit hindurch davon abgesehen wird, einen Vertrag (weiter) auszuführen, so kann das beiderseitige Stillschweigen zu diesem gemeinsamen Verhalten als Vereinbarung ausgelegt werden, daß der Vertrag aufgehoben sein solle (OGH BB. 49, 431 Nr. 1381). Wenn diese Auslegung nicht zutrifft, kann nichtsdestoweniger der eine oder der andere oder jeder Teil das Recht aus dem Vertrag verwirkt haben (s. Anm. 21a; OGH. a.a.O.); denn nach den besonderen zu früherem Handeln oder zu früherer Rede Anlaß gebenden Umständen des Falles kann es ausnahmsweise Treu und Glauben, insbesondere dem eigenen früheren — in vollem Bewußtsein dieser Umstände und freiwillig trotz der Möglichkeit zu anderem Verhalten geübten — Verhalten, demzufolge der andere Teil angesichts der Sachlage darauf rechnen konnte und sich darauf eingerichtet hat, daß der Vertrag nicht geltend gemacht würde (§ 242 BGB., unten Anm. 21a), widersprechen, ihn gleichwohl geltend zu machen, oder gar gegen § 826 BGB. verstoßen (unten Anm. 21a). Anm. 16. Es b e s t e h t kein Handelsbrauch, daß Stillschweigen allgemein als Genehmigung gelte. Stillschweigen gilt zwar nicht nur innerhalb von vertraglichen Beziehungen als Zustimmung ( L 1 9 2 8 , 334®; BGHJZ- 51, 783) und auch nicht nur bei Kaufleuten (RG. SeuffA. 85, 112), aber doch nur dann, wenn besondere Umstände im redlichen Verkehr keine andere Deutung des Schweigens denn als Genehmigung zulassen (BGH NJ. 49, 943; 52, 64; OLG. Stuttg. LB. 50, 308; KG JR. 50, 343), wenn

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Das Schweigen (Godin)

§346 Anm. 16 sich die Entschließung des Erklärenden erkennbar nach dem Schweigen des Erklärungsempfängers als einer Zustimmung richtet; in diesem Falle erfordert Treu und Glauben eine Entgegnung; der Satz: qui tacet, consentire videtur gilt nur in dieser Einschränkung (RG. 54, 180). Der Satz bemißt sich nach den Umständen jeden Falles; er gilt insbesondere nicht, wenn ein Vertragsantrag gestellt wird (vgl. aber § 362), oder wenn es sich um Änderung bestehender Vertragsverhältnisse handelt, da der Empfänger einer darauf gerichteten Anzeige im Bewußtsein seines Vertragsrechts die Antwort auf das unberechtigte Ansinnen meist unterlassen darf (ROHG. 15, 96; RG. 3, 65; JW. 98, 482; HansRGZ. 1932 B 356; Hamburg OLGR. 32, 154; Karlsruhe BadRpr. 1915, 1), wie z. B., wenn der Verkäufer dem Käufer eine Rechnung über einen streitigen Posten zuschickt, oder wenn eine Partei ihre künftige unpünktliche Erfüllung dem Gegner im voraus anzeigt, oder wenn der Schuldner um Stundung sogar mit Angabe der gewünschten Frist bittet (Warneyer 1916 Nr. 10), und wenn eine Partei ihren Standpunkt einmal fest und bestimmt betont hat (JW. 98, 48 2 22). In allen diesen Fällen darf der Empfänger der Erklärung ohne Präjudiz selbst dann schweigen, wenn sie einem Anwesenden gegenüber mündlich abgegeben worden ist (JW. 1911, 535*). Dies schließt nicht aus, daß besondere Umstände das Schweigen nach § 157 BGB. als Willenserklärung erscheinen lassen (vgl. oben Anm. 2 vor Ziff. 1). Auch kann im Handelsverkehr die eingangs des vorigen Absatzes erwähnten Voraussetzungen unter Umständen auf Grund geltender Gewohnheiten und Gebräuche das Schweigen, sei es als Willenserklärung (regelmäßig Zustimmung) anzusehen sein (RG. 54, 181; SeuffA. 82, 251), sei es auf Grund Normen des Gesetzes oder der ungeschriebenen aus Treu und Glauben und den Bedürfnissen des sozialen Lebens abzuleitenden Rechtsordnung oder des Verkehrs unmittelbar Rechtsfolgen wie eine Willenserklärung (Zustimmung) hervorrufen (vgl. im allgemeinen oben Anm. 2 vor Ziff. 1 S. 28 Abs. 2; im besonderen über Schweigen auf Bestätigungsschreiben: unten Anm. 38ff.; RG. 114, 283, das selbst die Anfechtbarkeit einer vorangegangenen Vertragserklärung beseitigen kann, RG. 129, 349; über das Schweigen auf Schlußnoten: RG. 90, 168; 105, 206; 123, 90, unten Anm. 16k; nach Empfang von Geschäftsbedingungen nachstehende Anm. 17). Es ist gleichgültig, ob es sich um Ergänzung eines bestehenden Vertrages in Haupt- oder Nebendingen, um das Zustandekommen eines neuen (Kiel SchlHolstAnz. 1928, 32) oder um Aufhebung eines bestehenden Vertrages handelt (LZ. 1917, 794"). Wird ein zwecks Änderung gekündigtes Dienstverhältnis fortgesetzt, so liegt darin das Einverständnis mit der Änderung (RAG. BenshSamml. 13,495). Besonders gilt das Schweigen dort als Genehmigung, wo der Schweigende die Absicht hat, den anderen zu einer ihm nachteiligen, dem Schweigenden aber vorteilhaften Untätigkeit zu verleiten oder ihn doch über die Folgen gegen Treu und Glauben im ungewissen zu lassen; noch mehr, wo Täuschungsabsicht vorliegt (ROHG. 15, 96; 22, 132; Hamm OLGR. 34, 374). Auch dann steht das Schweigen einer Genehmigung gleich, wenn unter den Verhandelnden eine längere Geschäftsverbindung (BGH JZ. 51, 783, Hildebrandt Anm. 34, a. A. l.Aufl.) oder ein Vertragsverhältnis — aber nicht ohne weiteres (BGH. NJ. 49, 943) — bereits besteht und derBriefschreiber erkennbar ein dringendes Interesse an einer umgehenden Antwort hat (ROHG. 4, 203 u. 350; 15, 97; RG. 30, 62; 145, 94); z. B., wenn dem Gläubiger vom Schuldner angezeigt wird, der bereits fällige geringe Zins werde gleichzeitig mit dem in Kürze fälligen Kapital bezahlt, oder wenn sich nach Vertragsschluß die Ergänzung des Vertrages als nötig zeigt, und der Ergänzungsvorschlag dem Gegner zugegangen ist, oder wenn der Agent einer Brauerei gegen die Kontoauszüge, die die Rückstände von Fässern enthalten, keinen Widerspruch einlegt (WarneyerRspr. 1919 Nr. 203). Ähnlich liegt es, wenn bei Zusendung unbestellter Ware der Empfänger nur einzelne Stücke zurückweist, über die anderen aber nichts sagt (ROHG. 16, 41). Schweigen des Vertretenen bedeutet im allgemeinen nicht Genehmigung (BGHNJ. 51, 398). Schweigen auf ein Vertragsangebot bedeutet im Handelsverkehr regelmäßig nicht Zustimmung, wohl aber, wenn nach Treu und Glauben Widerspruch erforderlich gewesen wäre, nämlich insbesondere bei verspäteter Annahme eines Antrags, wenn keine Umstände vorliegen, die die Möglichkeit nahelegen, daß der Antragende seine Entschließung geändert hat (BGH NJ. 51, 313), wenn die Parteien schon vorher in Geschäftsverbindung standen, wenn zwischen ihnen ein bis dahin noch nicht aufgelöster Vertrag 37

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anrn. 16a bestand, und erst recht, wenn der Urheber des Angebots ein für den Empfänger erkennbares Interesse an einer baldigen Antwort hatte, besonders wenn letzterer selbst ausdrücklich ein schriftliches Angebot verlangt hatte (BGH. 1, 355). Das Schweigen kann auch den Verzicht auf ein Recht bedeuten so z. B., wenn der Verkäufer nicht rechtzeitig die Preiserhöhung anfordert, oder wenn die eine Partei sich auf die Erfüllungsweigerung oder Rücktrittserklärung der Gegenpartei ungebührlich lange still verhält (Anh. zu §374 Anm. 147 ff.). Alles dies immer unter der Voraussetzung, daß nach den dem Schweigenden gewordenen Erklärungen, wie sie nach Treu und Glauben gemäß den Umständen des Falles oder der Verkehrssitte zu verstehen waren (nicht wie er sie verstehen mußte — so die 1. Aufl. — oder verstanden hat, wie JW. 94, 31 822 angenommen), wiederum nach Treu und Glauben und Verkehrssitte eine Antwort erforderlich war, um den Schluß auf Zustimmung (bzw. Ablehnung) aus dem Schweigen auszuschließen. Alsdann genügt nicht die Entschuldigung, man habe das Schreiben nicht gelesen (§ 347 Anm.). Vorbehaltlose Annahme der Faktura über die bestellte Ware gilt als Genehmigung des vorher nicht vereinbarten Preises (ROHG. 3,114). Über die widerspruchslose Annahme von Fakturen Anm. 16 c, d, von Kommissionskopien Anm. 16 e, von Bestellscheinen Anm. 16 f, von Bestätigungsschreiben Anm. 16 h und von Schlußscheinen Anm. 16 k. Über Preislisten und Kataloge Anm. 16 g. Besonders hervorzuheben ist, daß der Schuldner, wenn ihm der Gläubiger rechtzeitig anzeigt, er werde den schuldigen Betrag an einem b e s t i m m t e n Tage durch T r a t t e „entnehmen", durch sein Schweigen dies genehmigt und daher verpflichtet ist, die Protestkosten zu tragen (Riesenfeld „Gebräuche" 1900 Nr. 386 u. 387); dagegen bildet dies keinen selbständigen Klagegrund für die Hauptsumme; der Anspruch auf diese muß vielmehr besonders begründet werden. Anm. 16a. Die Alternative beschränkt sich jedoch nicht auf die beiden Möglichkeiten, daß Schweigen eine rechtlich bedeutungslose Unterlassung oder eine Zustimmungserklärung ist. In besonderen Fällen kann Schweigen auch eine ablehnende Erklärung sein (z. B. § 108 Abs. 2 a. E., § 177 Abs. 2 a. E. BGB.). Negative Erklärungen haben freilich viel seltener rechtsverändernde Bedeutung als positive, aber es kann nicht geleugnet werden, daß sie ihnen zuweilen zukommt. Sie können z. B. eine Bindung des Anderen vorzeitig beenden oder es kann Schweigen einer positiven Vertragsverletzung gleichzusetzen sein. Hat z. B. A als Käufer schon lange auf die längst fällige Lieferung der ihm von B verkauften Ware gewartet und fordert er B auf, ihm nun umgehend mitzuteilen, wann er die Lieferung erwarten oder ob er "überhaupt nicht darauf rechnen könne, so wird sich B, wenn er weiter schweigt, nach § 157 JBGB., 346 HGB. gefallen lassen müssen, dahin verstanden zu werden, daß er nicht liefern wolle. A hat dann die Rechte aus positiver Vertragsverletzung, mag auch die verzögerte Lieferung entschuldigt und noch möglich und B willens gewesen sein, nach Fortfall der Lieferungsbehinderung zu liefern. Oder: A macht dem B ein Angebot 10 Tage fest; nach 5 Tagen hat er Gelegenheit, mit einer anderen Seite abzuschließen. Da die Abschlußgelegenheit sich selten bietet und A sich nicht zwischen zwei Stühle setzen will, bittet er den B telegraphisch unter entsprechender Aufklärung, sich bald zu äußern. Wenn B weder antwortet, daß er den Antrag annehme, noch daß er A an der lOtägigen Frist festhalte, wird ausnahmsweise sein Schweigen als Ablehnung des Antrags aufzufassen sein; denn da A die Ungewißheit, ob sein Angebot für B nicht überhaupt uninteressant ist, angesichts der sich ihm bietenden Geschäftsmöglichkeit nicht zugemutet werden kann, verlangen Treu und Glauben eine Äußerung des B, wenn auch keine Entscheidung. Nach h. Lehre würde, wenn A wegen seiner lOtägigen Bindung infolge des Schweigens des B die sich bietende Geschäftsmöglichkeit unbenützt läßt, B, wenn er dann den Antrag nicht annimmt, aus culpa in contrahendo hinsichtlich des negativen Interesses schadensersatzpflichtig sein. Doch dürfte dies zu weit gehen. Es genügt und entspricht ausreichend der Interessenlage des A, ihn mangels einer Antwort des B aus der Bindung zu entlassen. Dies ist ein Beispiel für die oben Anm. 1 dargestellte h. Lehre, wonach nicht in dem Schweigen des B eine Willenserklärung zu erblicken ist, sondern aus ihm nach der Verkehrsnorm unmittelbar die Rechtsfolge gezogen wird, daß die Bindung des A aufhört, wofür es weder auf den Rechtsfolgewillen des B noch auf sein Erklärungsbewußtsein ankommt.

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Das Schweigen. Vorbehaltlose Annahme der Faktura mit Nebenvermerken § 346 Anm. 16b, o Anm. 16 b. Ist gemäß Anm. 2 vor Ziff. 1, Anm. 15, 16 und 16 a Schweigen als eine Willenserklärung bestimmten Inhalts anzusehen oder sind unabhängig davon, ob daraus ein Rechtsfolgewille als erklärt hervorgeht, auf Grund der Verkehrssitte Rechtsfolgen daraus abzuleiten, so kann sich auch der Schweigende selbst darauf berufen, mag er zur Zeit des Schweigens auch keinen Rechtsfolgewillen, kein Erklärungsbewußtsein bzw kein Bewußtsein der von der Verkehrssitte aus seinem Schweigen abgeleiteten Rechtsfolgen gehabt haben, wenn die Gegenseite sich auf sein Schweigen beruft. Die Frage ist, ob er sich auf das eigene Schweigen und die nach der Verkehrssitte daraus zu ziehenden Folgerungen (hinsichtlich erklärten Rechtsfolgewillens bzw. hinsichtlich unabhängig davon eintretender Rechtsfolgen) trotz des Mangels eigenen Rechtsfolgewillens und Erklärungsbewußtseins auch dann berufen kann, wenn die Gegenseite sich nicht darauf beruft, weil sie das Schweigen anders gedeutet hat, als es nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte zu deuten war; wenn der Schweigende selbst diese Deutung nicht gewollt hat und sie ihm nicht bewußt war, entfällt einerseits das Bedürfnis des Vertrauensschutzes für seine Gegenseite, während andererseits der Schweigende sich nicht selbst auf einen Willen berufen kann, den er nicht nur bewußt nicht geäußert, sondern nicht einmal gehabt hat. Wenn ihm aber bewußt war, daß er durch sein Schweigen nach der Auffassung der Verkehrssitte einen bestimmten Rechtsfolgewillen erklärte, und er in diesem Bewußtsein das Schweigen übte, obwohl er diesen Willen nicht hatte, — ein Verhalten, welches wohl gewöhnlich sinnlos ist und deshalb eine seltene Ausnahme darstellen dürfte — so besteht kein Grund, den Schweigenden anders zu behandeln und ihm die Berufung auf die Erklärung eines Willens zu gestatten, den eivnicht hatte. Es wird vielmehr §116 Satz 2 BGB. entsprechend anzuwenden sein; dem Schweigenden kommt nur in diesem Falle der erste Anschein zustatten, daß er gewollt habe, was aus seinem Schweigen hervorzugehen schien, dem gemäß ja gerade die Verkehrssitte das Schweigen deutet, so daß sich die Gegenseite in einer schier ausweglosen Beweisnot befindet. Handelt es sich aber um eine Rechtsfolge, welche die Verkehrssitte oder gar das Gesetz unmittelbar an die Tatsache des Schweigens knüpft (abseits von dem Gesichtspunkt, daß in ihm die Erklärung eines Reohtsfolgewillens zu erblicken sein könnte), tritt diese Rechtsfolge auch unabhängig davon ein, wie die Gegenseite das'Schweigen gedeutet hat. So ist nach § 151 BGB. erste Alternative, wo es sich allerdings nicht um ein Schweigen, sondern um eine Erklärung handelt, welche nur mangels Zugehens sich für die Gegenseite als Schweigen darstellt, der Vertragsantrag, sofern nach der Verkehrssitte die Annahmeerklärung nicht empfangsbedürftig ist, auch für den Antragenden bindend angenommen, auch wenn er von der Annahmeerklärung keine Kenntnis erhält .und entgegen der Verkehrssitte darum glaubt, daß der Antragsempfänger geschwiegen und den Antrag durch Schweigen abgelehnt habe. Anm. 16 c. Vorbehaltlose Annahme der Faktnra. Liegt die Vereinbarung von den gesetzlichen abweichender Bestimmungen, etwa eines Erfüllungsortes in der vorbehaltlosen Annahme der Faktura, die einen diesbezüglichen Vermerk enthält ? Die Frage ist zu verneinen, das RG. hat sich stets für die Verneinung entschieden und dem einseitigen Vermerk in der Faktura die Bedeutung abgesprochen. Denn die Faktura wird nach Abschluß des Geschäfts übersandt. Zur Zeit der Faktura ist das Geschäft mit den vereinbarten Bedingungen und, soweit keine vereinbart sind, mit den aus dem Gesetz sich ergebenden Bedingungen abgeschlossen. War hinsichtlich des Erfüllungsorts nichts vereinbart, so gilt der gesetzliche Erfüllungsort für beide Teile, und der Verkäufer kann durch einseitige Vermerke in der Faktura diese bereits rechtsgültige Vertragsbedingung nicht mehr ändern (vgl. Anders, Die Faktura, JurRdsch. 1934, 90). Der Besteller kann die Faktura insoweit unbeachtet lassen, als sie Vermerke enthält, die den vereinbarten oder den als vereinbart geltenden Vertragsbedingungen widersprechen. Zur Erhebung eines Widerspruchs erscheint er nicht verpflichtet, durch vorbehaltlose Annahme der Faktura vergibt er sich nichts (RG. 65, 330; 52, 133, 5, 394, ROHG. 22, 144, WarneyerRspr. 1919 Nr. 4, Hamburg LZ. 1920, 4441, Bolze 23 Nr. 349; Karlsruhe JW 1930, 22382, Stuttgart WürttZtschr, SprBeil. 1930, 146, DürHach. II 521 ff., Planck §269 Bern. 2, bzgl. Eigentumsvorbehalt in der Faktura s. Anh. zu § 382 Anm. 63). Dasselbe gilt von der einseitigen Bestimmung des Gerichtsstandes in der Faktura (RG. 65, 331). Das Stillschweigen schadet hier also nicht (hierüber § 346 Anm. 15f.). Auch dadurch, daß wäh39

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16 d—f rend einer dauernden Geschäftsverbindung fortgesetzt Fakturen mit solchen Vermerken übersandt und vorbehaltlos angenommen wurden, werden nach der 1. Aufl. und der Rspr. (RG. 59, 351; 52, 135; RG. in Holdheim 7, 276 und 12, 165; Bolze 12 Nr. 642; J W . 03 Beil. 15 32 ) Fakturenvermerke für die Zukunft nicht wirksam. Daran kann nicht unbedingt festgehalten werden. Solche Vermerke können sehr wohl besonders bei einer Dauerverbindung dem Erklärungstatbestand auf Seite des Verkäufers bei einem künftigen Geschäft zugerechnet werden. Anm. 16 d. Fakturen sind im allgemeinen nur zur Angabe der Warenmenge und des Preises bestimmt (JW. 1922, 1717 1 ). Daher gilt die widerspruchslose Annahme der Faktura über die bestellte Ware als Genehmigung des vorher nicht vereinbarten Preises (ROHG. 3, 113; 1, 85). Auch Preisansätze für die Verpackung (Anh. zu §382 Anm. 122) werden zu berücksichtigen sein, wenn sie nicht mit ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen in Widerspruch stehen (Bolze 18 Nr. 447). Bildet aber die Faktura, die im Vordruck die Geschäftsbedingungen aufzählt, die Beilage eines Bestätigungsschreibens, damit der Empfänger aus der Faktura die Vertragsbedingungen ersehe oder ist die Faktura sonst Bestandteil des Vertragsabschlusses (z. B. bei Ausführung einer Bestellung zu sofortiger Lieferung), dann gelten die Regeln über Bestätigungsschreiben auch für den Inhalt der Faktura (RG. 57, 408; unten Anm. 38). Vorbehalte, die sich auf das dingliche Erfüllungsgeschäft beziehen, das jeder Faktura meist nicht voranzugehen pflegt (z. B. Eigentumsvorbehalt), sind wirksam, auch wenn sie gegen den schuldrechtlichen Vertrag verstoßen. Anm. 16 e. Annahme einer Eommissionskopie. Für den Ausdruck Kommissionskopie gebraucht man im Verkehr auch häufig den Ausdruck Kommissionsnote oder Orderkopie (vgl. Koehler, Orderkopie u. Bestellschein, Rechtsfragen der Praxis NF. 1938 Bd. A 7). Die Kommissionskopie wird von dem Reisenden oder dem sonstigen Vertreter des Geschäfts, der mit dem Kunden verhandelt hat, diesem unmittelbar n a c h dem A b s c h l u ß erteilt. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, daß die Kommissionskopie nur zum Beweise des bereits mündlich Vereinbarten dienen soll und nicht neue, mündlich nicht vereinbarte Punkte enthält. Die Kommissionskopie ist nicht bestimmt, alle abgeredeten Punkte wiederzugeben. Durch vorbehaltlose Entgegennahme gibt der Käufer daher nicht zu erkennen, daß er zusätzliche oder gar abändernde Bestimmungen billige, sollte er auch von ihnen Kenntnis genommen haben (Bolze 23 Nr. 349; RG. bei Holdheim 9, 79; J W . 01, 621 14 ; KG. in KGB1. 01, 52; Karlsruhe BadEpr. 04, 209; Dresden SächsArch. 1919, 293; Hamburg DJZ. 8,108; so auch Reckert, ZBH. 1933, 40; Titze J W . 1926, 725; a. M. Königsberg in DRZ. Rspr. 1933 Sp. 143 Nr. 163) oder daß er Abreden fallen lasse, die in Kommissionskopie nicht aufgenommen sind. Eine abweichenweichende Auffassung kann im Einzelfall nur dann Platz greifen, wenn der Vertrag erst durch die widerspruchslose Entgegennahme der Kommissionskopie als zustande gekommen anzusehen ist (München OLGR. 41, 244; KG. in J W . 1926, 1676 1 ; LG. Hamburg J W . 1926, 725 2 ; LG. Ulm J W . 1926, 2122 13 u. WuR. 1930, 170; vgl. Voswinkel ZBH. 1931, 261); an diesen Beweis sind aber strenge Anforderungen zu stellen (weitherziger Raiser, Das Recht der AGB. S. 191). Der Grund der Unverbindlichkeit ist derselbe wie bei den Fakturen. Daher ändert sich auch nichts, wenn lange Zeit hindurch immer Kommissionskopien des nämlichen Inhalts gegeben worden sind. Eine Auftragsbestätigung, die dem Käufer in einem Ladengeschäfte nach Kaufabschluß ausgehändigt wird, darf von ihm ihrem Inhalte nach unbeachtet gelassen werden (SeuffA. 80, 137). Anders natürlich, wenn eine Kommissionsnote bei der Bestellung vom Kunden unterschrieben und vom Gegner angenommen wird (hierüber folg. Anm.). Anm. 16f. Annahme eines Bestellscheins. Der Bestellschein (auch Kommissionsnote oder Auftragszettel genannt), wird nicht nach Abschluß des Geschäfts, sondern vor A b s c h l u ß erteilt. Er enthält nur das Vertragsangebot des Bestellers. Meist wird das von dem Verkäufer entworfene Bestellscheinformular von ihm oder seinem Vertreter ausgefüllt und dem Kunden ausgefolgt, damit dieser den Schein unterzeichne und nun als seinen Vertragsantrag an den Verkäufer zurückgebe. Niemand, insbesondere nicht der Kaufmann, kann sich darauf berufen, daß er den Bestellschein nicht gelesen, einen Vordruck übersehen habe, wenn nicht besondere Umstände, wie z. B. arglistige Täuschung, ein Übersehen rechtfertigen

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Kommissionskopie. Bestellschein (Godin)

§ 346 Anm. 16 f iRG. 129, 348; LZ. 1910, 629 3 ; Hamburg und Braunschweig OLGR. 19, 55 u. 56). Für das abgeschlossene Geschäft, das auch einfach durch Lieferung zustande kommen kann (Anh. zu § 361 Anm. 67ff.), ist der Inhalt des vom Käufer unterzeichneten Bestellscheins maßgebend; dieser ist zur erschöpfenden Wiedergabe aller Abreden bestimmt und hat deshalb die Vermutung der Vollständigkeit für sich; abweichende mündliche Beredungen sind daher ungültig, wenn sie dem Unternehmer nicht vor seiner Annahme bekannt, insbes. mit ihm selbst getroffen werden (a. A. anscheinend die 1. Aufl). Letzterenfalls sind sie, auch wenn mündliche Abreden formularmäßig ausgeschlossen sind, zufolge eines consensus contrarius gültig (§§ 133, 157 BGB. RG. 95, 175; aber auch DR. 43, 487); mündlich nicht besonders vereinbarte, in dem Bestellschein aber enthaltene Bedingungen dagegen gültig (RG. in Holdheim 14, 237). Etwaige Unklarheiten in der Urkunde sind, wenn sie mehrere Deutungen zulassen, zu ungunsten des Verfassers auszulegen (Hamburg HRR. 1928 Nr. 1218). Übersendet der Käufer einen unterzeichneten Bestellschein mit gewissen Bedingungen und führt der Verkäufer die Bestellung aus, so gilt damit der Vertrag in vollem Umfange als so geschlossen, wie die in dem Bestellschein niedergelegte Vertragsofferte lautet (RG. 95, 96; WarneyerRspr. 1919 Nr. 191). Hat ein V e r m i t t l u n g s a g e n t bei Vermittlung des Geschäfts besondere Versprechungen und Zusicherungen gemacht, so muß sie der Geschäftsherr gegen sich gelten lassen, wenn er das Geschäft ohne Vorbehalt annimmt, selbst wenn er sie nicht gekannt hat (SeuffA. 83, 245). Hat aber der Vermittlungsagent sich nach den Verhandlungen einen Bestellschein von dem Käufer geben lassen, den er dem Geschäftsherrn übermittelt, so gilt bei Bestätigung der überschriebenen Order durch diesen als Vertragsinhalt nur das, was der Bestellschein enthält; etwa sonstige, dem Geschäftsherrn nicht bekannt gewordene Zusicherungen des Agenten bleiben außer Betracht, § 85 ist nicht analog anzuwenden (RG. 60, 188; RG. in Holdheim 14, 162; vgl. Anh. zu § 361 Anm. 32; § 346 Anm. 16). Denn der Bestellschein hat die Vermutung der Vollständigkeit für sich und der Besteller kann sich auf den Tatbestand seiner Erklärung nach Treu und Glauben nur berufen, wie er sich mit seiner Kenntnis nach der Verkehrssitte für den Empfänger darstellt; besonders gilt dies, wenn mündliche Nebenabreden formularmäßig ausgeschlossen waren. Dieselben Grundsätze wie beim Vermittlungsagenten müssen für den R e i s enden, der k e i n e A b s c h l u ß v o l l m a c h t besessen hat, gelten (dagegen Hamburg OLGR. 16, 401; Kiel OLGR. 11, 28; LG. Hamburg LZ. 1912, 252, wonach der Geschäftsherr das Geschäft so gelten lassen muß, wie es der nicht zum Abschluß berechtigte Reisende unter Entgegennahme eines Bestellscheins, der die Zusicherungen des Reisenden nicht enthält, besprochen hat,). Zur Entgegennahme von Vertragsanträgen ist der Reisende berechtigt (§§ 54, 55); der Antrag ist dann unter Anwesenden gestellt. Hat sich der Reisende die Genehmigung seines Hauses vorbehalten, so ist § 147 Abs. 2 BGB. entsprechend anzuwenden. Nur beim A b s c h l u ß a g e n t e n (§ 85 Anm. 1) und bei mit A b s c h l u ß v o l l m a c h t v e r s e h e n e n P e r s o n e n haftet der Geschäftsherr so, wie diese abgeschlossen haben. Hat aber der Kunde erkannt, daß von diesen Abschlußbevollmächtigten abgegebene Erklärungen dem Willen des Geschäftsherrn nicht entsprechen, so haftet der Geschäftsherr nicht (RG. 36, 42), z. r$. bei zugestandenen Abweichungen von allg. Lieferungsbedingungen, wo diese die Abweichung ausdrücklich ausschlössen. Auch binden den Geschäftsherrn ohne sein Wissen von seinem Abschlußbevollmächtigten abgegebene Zusicherungen nicht, wenn der Bestellschein den deutlichen Vermerk enthält, daß nur die in diesem Bestellschein ausdrücklich vermerkten Vereinbarungen Gültigkeit haben, und wenn die Zusicherungen der Bevollmächtigten in dem Bestellschein nicht zu finden sind. Derartige Klauseln, wie diese und die vorerwähnte schränken die Vollmacht des Vertreters ein. Aber auch ohne solche Klausel dürfte gewöhnlich die Vertretervollmacht Abweichungen von allg. Geschäftsbedingungen nicht decken. Anders natürlich, wenn dieser Vermerk so klein oder versteckt angebracht ist, daß er leicht übersehen werden konnte und übersehen worden ist. Darüber, daß der Geschäftsherr die Erläuterung zweifelhafter gedruckter Bedingungen durch die Vertreter oder Vermittler gelten lassen muß, s. Anm. 3. Behält sich der Reisende die Genehmigung seines Prinzipals, etwa durch Beifügung der Klausel „Limit" auf dem Bestellschein, vor, so würde es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Prinzipal die in Ausführung des Auftrags erfolgte Zusendung der Ware als Genehmigungshandlung wegen Irrtums

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16 g noch nach Wochen mit der Begründung anfechten wollte, daß er von dem Vorbehalt keine Kenntnis erlangt habe (RG. 102. 88; § 55 Anm. 4). Das lange Schweigen gehört zusammen mit der Sendung nach der Verkehrsauffassung zum Erklärungstatbestand, der gemäß jener als Genehmigung auszulegen ist; solche unterstellte Willenserklärung ist im Rahmen der Unterstellung nicht anfechtbar (s. Anm. 2 vor Ziff. 1). Die objektiv, wenn auch ungewollt, abgegebene Erklärung ist dem Geschäftsherrn zuzurechnen, weil er dafür zu sorgen hat, daß ihm solche Vorbehalte alsbald bekannt werden. In der Unterlassung entsprechender Vorkehrungen liegt auch Verschulden bei Vertragsschluß. E n t h ä l t d e r v o m K u n d e n u n t e r s c h r i e b e n e B e s t e l l s c h e i n die V e r e i n b a r u n g e i n e s E r f ü l l u n g s o r t e s , so gilt obiges regelmäßig auch dann, wenn der Besteller ein Nichtkaufmann ist. Bei einer fortlaufenden Geschäftsverbindung, jedenfalls Runter Kaufleuten, gilt es sogar für alle späteren Geschäfte, wenn nichts Besonderes ausgemacht wird (KG. in KGB1. 03, 5). Enthält der Bestellschein vorgedruckte, nicht besprochene Bedingungen, ohne daß der Unterzeichner weiß oder annehmen muß, daß ihm außer den besprochenen Verpflichtungen noch andere Verbindlichkeiten auferlegt werden sollen, so sind solche Bedingungen besonders verfänglicher oder ungewöhnlicher Art, z. B. über Erfüllungsort, Gerichtsstand u. dgl., als nicht durch die Unterschrift gedeckt anzunehmen (WarneyerRspr. 1922 Nr. 93; Dresden OLGR. 6, 32; Hamburg LZ. 1912, 253). In besonderen Fällen kann der Kunde den nicht augenfälligen gedruckten Vermerk „zu umstehenden Bedingungen" in der Eile nicht beachtet haben. Willensübereinstimmung ist zwar in diesem Falle vorhanden; aber die Rspr. läßt Anfechtung wegen Irrtums oder Täuschung zu, z. B. wenn dem Käufer unrichtigerweise vorgegeben wurde, der Bestellschein enthalte nur das Besprochene, und er unterzeichnet hat ohne zu lesen, {JW. 01,495). Freilich trifft ihn die Beweislast. Vor allem muß er aber darlegen, wie er dazu gekommen ist eine Urkunde zu funterschreiben, ohne sie gelesen zu haben. (SeuffA. 31, 139; 40, 267). Mit der nackten Behauptung, er habe unterschrieben, ohne den Bestellschein zu lesen, kann er nicht gehört werden (RG. in LZ. 1910, 6303; § 350 Anm. 80). Anm. 16 g. Vermerke in Katalogeil, Preislisten (vgl. Anh. zu § 361 Anm. 13 u. 68; § '346 Anm. 16) und Empfehlungssehreiben haben den Zweck, über den Preis und die Ware aufzuklären. Alle Vermerke über die Art und Beschaffenheit der Ware binden den Käufer, wenn das Geschäft zustande kommt; desgleichen Vermerke über die Höhe des Preises und die Zahlungsbedingungen, soweit sie üblicherweise Gegenstand derartiger Kataloge, Preislisten und Empfehlungsschreiben sind. Dagegen sind Kataloge, Preislisten und Empfehlungsschreiben nicht der Ort für die Verweisung auf allg. Geschäftsbedingungen und so außergewöhnliche Vertragsbedingungen, wie sie in der Vereinbarung eines vom gesetzlichen abweichenden Erfüllungsortes liegen. Solche Vermerke kann der Käufer unbeachtet lassen, auch wenn sie durch stärkeren Druck hervorgehoben sind (Hamburg HansGZ. 1910 Hptbl. 192; Rostock SeuffA. 64, 390; KG. in OLGR. 9, 131; RG. in JW. 01, 621 14 ; RG. „Recht" 04, 2251078; BadRpr. 01, 302; vgl. LZ. 1919, 385 s : Empfehlungsschreiben; a. M. Nau.mburg OLGR. 17, 89; vgl. § 346 Anm. 17). Ebenso verhält es sich bei einer bloßen Randbemerkung über den Erfüllungsort bei einem K o s t e n v o r a n s c h l a g (JW. 03, 4311), während eine Bestimmung dieser Art vor dem eigentlichen Kostenvoranschlag für verbindlich erklärt worden ist (Stuttgart „Recht" 1915 Nr. 1726). Daß in früheren Fällen unter den Parteien immer unter Bezugnahme auf die einen besonderen Erfüllungsort enthaltende Preisliste abgeschlossen worden ist, macht nichts aus (RG. in Holdheim 04, 224). •- -'S Anders verhält es sich natürlich, wenn die Bestellung ausdrücklich auf Grund der Preisliste oder des Katalogs stattgefunden und sich darauf bezogen hat (RG. in Holdheim 04,225 225; Zweibrücken OLGR. 28,61; Hamburg HansGZ. 1910 Hptbl. 192) oder wenn der Verkäufer zu erkennen gibt, daß er nur auf Grund seiner Kataloge und Preislisten, die er übersandt hat, abschließen wolle (RG. 52,136). Gibt ein Kaufmann in einem Rundschreiben, das nicht nur eine Preisliste enthält, seine G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n bekannt und nimmt der Empfänger kurz darauf eine Bestellung vor, so ist er daran gebunden (RG. in Holdheim 03, 278 und BadRpr. 01, 302) und gelten die Bedingungen auch für mündliche Nachbestellungen (München OLGR. 41, 97). Über Verhandlungen auf Grund von Preislisten oder Katalogen und nachfolgende Bestätigungsschreiben unten Anm. 38 b.

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Kataloge, Preislisten, Empfehlungsschreiben. Bestätigungsschreiben fOodin) § 346 Anm. 16h Dasselbe gilt, wenn ein Kunde im Laufe der Geschäftsverbindung mit den Rechnungsauszügen auch die Geschäftsbedingungen des Verkäufers, die einen besonderen Erfüllungsort festsetzen, wiederholt erhalten hat und nun die Verbindung widerspruchslos fortsetzt (RG. in Holdheim 04,105). Uber die Geschäftsbedingungen und Prospekte von Banken, Versicherungs- und Transportanstalten vgl. § 346 Anm. 17 ff. Vermerke über den Erfüllungsort in Zeitungsanzeigen haben keine Bedeutung (oben Anm. 33). Anm. 16h. Bestätigungsschreiben (s. Stiller, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben, Jur. Rundsch. 1927, 289; K. Becker, Bestätigungsschreiben, RuH. 1927, 5; Becker, Wirkung u. Rechtl. Bedeutung des kaufm. Bestätigungsschreibens, Rundsch. G. m. b. H. 1928, 235; Krause, Schweigen im Rechtsverkehr, Beiträge zur Lehre vom Bestätigungsschreiben, von der Vollmacht und von der Verwirkung, Arbeiten zum Handels-, Gewerbe- u. Landwirtschaftsrecht Nr. 37, Marburg 1933, Gessler-HefermehlHildebrandt-Schröder, Anm. 34 zu § 346 HGB.). Das Bestätigungsschreiben i. e. S., welches mit der schriftlichen Bestätigung des Eingangs und der Annahme einer Bestellung — Bestätigungsschreiben i. w. S. — nicht verwechselt werden darf (BGH. L.—M. 2 zu § 151 BGB.), ist eine nach vorangegangenen Verhandlungen über einen Geschäftsabschluß von der einen oder der anderen oder von der einen und der anderen Seite ausgehende schriftliche Zusammenfassung, sei es der vorangegangenen Vereinbarung zwecks Beweises oder zu dem Zwecke, sie in kraft zu setzen, wenn sie, z. B. von einem nicht bevollmächtigten Vertreter abgeschlossen, noch unverbindlich war, sei es zwecks erschöpfender und ausschließlicher Festlegung und im Rahmen des Verhandelten ergänzender Ausgestaltung des begründeten Vertragsverhältnisses, sei es zwecks Herbeiführung der noch nicht zustandegekommenen Einigung. Diese Zwecke gehen nicht selten ineinander über. Es ist Krause a. a. O. S. 9 zuzustimmen, daß Bestätigungsschreiben sehr selten nur Beweisurkunden sind, so daß die Unterscheidung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Bestätigungsschreiben weder praktisch noch sinnvoll und zweckmäßig ist. Dies gilt um so mehr, als einem Bestätigungsschreiben, welches ersichtlich die Vertragsbestimmungen klar und vollständig zusammenfassen will, die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit zukommt, und ein Gegenbeweis nur zuzulassen ist, wenn besondere Umstände dargelegt werden, aus denen hervorgeht, daß neben dem Bestätigungsschreiben oder von ihm abweichend eine mündliche Vereinbarung gelten soll, und als sonst nur bei der Auslegung zweifelhafter Bestimmungen auf die Umstände außerhalb des Bestätigungsschreibens zurückzugreifen ist (R. 1918 Nr. 661 und 832; LZ. 1923, 3443; Seuff.A. 73, 250; 87, 152, OLG. Dresden Seuff.A. 73, 156, s. auch § 350 Anm. 41 ff.). Konstitutiv kann ein Bestätigungsschreiben für sich allein nur in dem Sinne sein, daß es seinen Urheber (für die Dauer der gesetzlichen oder verkehrsüblichen Fristen) bindet, während es Vertragsinhalt nur durch die Zustimmung der Gegenseite werden kann. Das in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend erörterte Problem besteht darin, ob und unter welchen Voraussetzungen der Empfänger, der sich auf das Bestätigungsschreiben hin nicht erklärt — auch in Fällen, in welchen sein Schweigen in Anbetracht aller Umstände in Wahrheit nicht als schlüssiger Ausdruck seiner Zustimmung gewertet werden kann —, doch — ebenso zu seinen wie zu des Absenders Ungunsten und Gunsten — als damit einverstanden zu behandeln ist. Nur wenn der Empfänger Vollkaufmann (RG. 58,69; JW 1911, 9767), ausnahmsweise auch sonst, wenn er mit kaufmännischen Gepflogenheiten vertraut ist oder einen kaufmännisch geführten oder eingerichteten oder großen am Verkehrsleben teilnehmenden, wenn auch nicht kaufmännischen Betrieb hat (RG. Gruch. 71, 254, LZ. 1920, 765), wird sein Schweigen regelmäßig als Einverständnis gewertet. Diese Ansicht vertraten ROHG. und RG. in st. Rspr. und in einer großen Zahl von Entscheidungen (RG. 54, 176; 58, 66; 88, 377; 90, 162, 95, 96, 97, 195, 103, 405, 104, 201, 105, 389; 106, 414, 114, 282, 129, 347; JW 1925, 780; LZ. 1930, 377, 518 u. a.; BGH, BB. 52, 842; WJ 52,1369). Auch das Schrifttum ist darüber völlig einig, wenn auch vielleicht Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob und in welchem Umfang diese Regel unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens oder je nach der für sie gegebenen dogmatischen Begründung einzuschränken ist. Gerade ihre Begründung macht der Dogmatik viele Schwierigkeiten und dem43

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16 b entsprechend sind die Ansichten darüber verwirrend, ohne daß festgestellt werden könnte, daß ihre Verschiedenheit nicht zu verschiedenen praktischen Folgerungen führt. Bevor darauf eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, daß es mitunter zweifelhaft sein mag, ob der Empfänger des Bestätigungsschreibens wirklich geschwiegen hat. Die Rechtsprechung hat gelegentlich folgende Entscheidungen getroffen: Hat der Empfänger des Bestätigungsschreibens durch telephonischen Anruf dem Absender zu erkennen gegeben, daß er mit ihm über den Vertrag zu sprechen wünsche, so hat dies als ein Widerspruch gegen den gesamten Inhalt des Bestätigungsschreibens zu gelten, wenn der Absender sich dem Gespräch durch Abbruch oder sonstwie entzieht (Kiel, SchlHolstAnz. 1930, 270). Hatte der Empfänger schon vor Empfang des Bestätigungsschreibens dem Absender erklärt, daß er den Inhalt ablehne, so kann die Fiktion, daß er zustimme, wenn er nach Empfang des Schreibens schweigt, nicht Platz greifen. Weiter geht RG. 97, 191, wonach das Schweigen schon dann dem Empfänger des Schreibens nicht nachteilig ist, wenn er davon ausgehen durfte, daß der Absender von einer Ablehnung bereits unterrichtet sei. (Es ist schwer,' dies richtig zu begründen.) Die Bemängelung eines von einer auswärtigen Firma übersandten Bestätigungsschreibens gegenüber dem ortsansässigen Vertreter dieser Firma ist nach Handelsbrauch wirksam (so richtig Hamburg, Hans GZ. 1927 HptBl. 67). Im übrigen muß die Antwort an den Bestätigenden gerichtet werden; Beanstandung gegenüber dem Vermittler genügt nicht (RG. 105, 205). Wenn der Absender „um konforme Gegenbestätigung" ersucht hat und diese ausbleibt, kann er daraus nicht auf Zustimmung zu dem Inhalt des Schreibens schließen, weil er durch sein Ersuchen regelmäßig kundgibt, daß er das Schweigen als Ablehnung auffasse (RG. 106, 416; Hamburg OLGR. 24,175); wenn aber in einem solchen Fall vorher ein Vertrag zustande gekommen war, so bleibt es bei diesem ohne die Änderungen, die etwa das Bestätigungsschreiben enthält (RG. 104, 201). Es ist aber u. U. nicht ausgeschlossen, das Schweigen des Empfängers als Zustimmung aufzufassen (RG. 106, 416); das Schweigen auf ein solches Ersuchen kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (Königsberg HRR. 1939 Nr. 1106; RG. 104, 201; 106, 416). Haben die Parteien das Zustandekommen des Vertrages ausdrücklich von gleichlautenden Bestätigungsschreiben abhängig gemacht, so ist der Vertrag nicht geschlossen, solange nicht übereinstimmende Bestätigungsschreiben vorliegen (§154 Abs. 2 BGB.). Wie bereits erwähnt, gehen die Begründungen dafür, daß das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben als Zustimmung dazu zu behandeln sei, auseinander und ergeben sie auch verschiedene Konsequenzen. Am weitesten geht das RG., welches seinen Standpunkt bis zu folgendem in der Entscheidung Bd. 103, 405 ausgesprochenen Extrem entwickelt hat: „Den Erfordernissen des redlichen Geschäftsverkehrs entsprechend, würde ihr (einer Aktiengesellschaft) Schweigen selbst dann als Zustimmung gegolten haben, wenn keine der zu ihrer Vertretung berechtigten Personen von dem Eingang und dem Inhalt des Bestätigungsschreibens sowie von der Bestellung, auf die es sich bezog, Kenntnis erlangt haben sollte, mochte die Nichterlangung der Kenntnis verschuldet oder unverschuldet sein." Diese Entscheidung steht am Ende einer Entwicklung, die mit Bd. 54, 176ff. beginnt, wo freilich in einem Fall verschuldeter Unkenntnis des Bestätigungsschreibens, welches der Empfänger in die Rocktasche gesteckt hatte, ohne es zu lesen, gleichfalls das Schweigen trotz dieser Unkenntnis mit Rücksicht auf die „im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche" und „die Grundsätze von Treu und Glauben" als Zustimmung behandelt worden ist. Charakteristisch ist dieser Rechtsprechung, wenigstens an ihrem angegebenen Endergebnis, daß dem Empfänger nicht bewußt zu sein braucht, daß sein Schweigen ein schlüssiger Ausdruck seiner Zustimmung sein konnte, weil er ja nicht einmal von dem Eingang, geschweige von dem Inhalt des Bestätigungsschreibens Kenntnis zu haben braucht, um gleichwohl sein Schweigen als Zustimmung gelten lassen zu müssen. In dieser Rechtsprechung wird also als Norm der Verkehrssitte behauptet und anerkannt, daß das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben, vorausgesetzt, daß dieses in sich klar und eindeutig ist, und nicht offenbar den Inhalt oder das Ergebnis der vorangegangenen Verhandlungen willkürlich und arglistig falsch wiedergibt (Bd. 129, 347), weil nach vorangegangenen Verharidlungen

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Schweigen auf Bestätigungsschreiben (G-odin)

§ 346 Anra. 16h

regelmäßig schlüssig für die Zustimmung, unter diesen Voraussetzungen schlechthin und immer als solches schon Zustimmung sei. Das RG. hat auch später diese Meinung nicht mehr eingeschränkt. Nicht nur unbedeutende Änderungen eines vorher abgeschlossenen Vertrages durch das Bestätigungsschreiben werden infolge Schweigens des Adressaten wirksam, sondern auch Abweichungen in wesentlichen Punkten von der mündlichen Verhandlung, besonders wenn es sich um die schriftliche Bestätigung des durch einen Vertreter mündlich geschlossenen Vertrages durch den vertretenen Geschäftsherrn handelt (WarnRspr. 1929 Nr. 34). Über Einschränkungen siehe etwas weiter unten. In der Lehre drehen sich die verschiedenen Meinungen immer um die Willensund die Erklärungstheorie, als deren zweckbedingte Abwandlungen sie sich darstellen, um zu brauchbaren Ergebnissen zu gelangen, insbesondere dem Verschuldensgesichtspunkt Rechnung tragen zu können. Am glücklichsten erscheint die Lösung Krauses a. a. O. S. 125ff., der auf das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben die vom Gesetze selbst in § 362 HGB. getroffene Regelung entsprechend anwendet. Auch diese Gesetzesstelle handelt von dem Schweigen als einem von Manigk, Irrtum und Auslegung, sogenannten „typischen Erklärungsakt mit normierter Wirkung", d. h. sie bestimmt, es -solle Schweigen, weil nach der täglichen Erfahrung des Lebens unter den dortigen Voraussetzungen regelmäßig Zustimmung bedeutend, unter diesen Voraussetzungen diese Bedeutung ein für allemal haben, auch wenn sie dem Schweigenden nicht bewußt war, und auch, ohne •daß etwa der Absender des Schreibens die Freiheit hätte, seinerseits den Mangel einer Antwort als Ablehnung oder die Zustimmung als ihm nicht zugegangen zu behandeln. Diese Lösung, § 362 entsprechend anzuwenden, wertet das Schweigen als Zustimmung nur, wenn, wie im Falle des § 362, der Empfänger des Bestätigungsschreibens es zu erwarten hatte, weil Abschlußverhandlungen vorangegangen sind, und gestattet, dabei Verschulden des Empfängers („unverzüglich" = „schuldhaftes Zögern" §121 BGB.) vorauszusetzen, wobei aber der Bogen des Verschuldens weit zu spannen ist. Das gilt auch, wenn der Empfänger von dem Eingang des Schreibens keine Kenntnis «rhält; konnte er auf Grund vorangegangener Verhandlungen ein Bestätigungsschreiben -erwarten, so schützt ihn Unkenntnis seines Eingangs gegen eine Mißdeutung seines Schweigens als Zustimmung nur, wenn er trotz aller Umsicht und Sorgfalt keine Vorsorge dagegen treffen konnte, daß ihm der Eingang unbekannt blieb, oder wenn seine hierauf abzielende Maßnahme, obwohl an und für sich zulänglich, ohne sein Verschulden versagt hat. Waren die Vorverhandlungen abgebrochen oder liegen sie sehr "weit zurück, dann treffen die Voraussetzungen für eine solche Sorgfaltspflicht nicht zu; denn der Empfänger hatte kein Bestätigungsschreiben zu erwarten. War dieses unklar, ließ es insbesondere nicht deutlich erkennen, daß es eine endgültige Zusammenfassung dessen sein sollte, was vereinbart war oder Vertragsinhalt werden sollte, oder wich es willkürlich oder gar arglistig wesentlich von dem Inhalt der vorangegangenen Verhandlungen oder gar Absprachen ab, so war das Schweigen kein schuldhaftes Verzögern der Antwort, weil unter diesen Umständen auch der Absender selbst nicht berechtigt war, aus dem Schweigen eine Zustimmung zu entnehmen. Ebensowenig erfordert die Verkehrssicherheit in diesem Falle, den Inhalt einer Lebenserfahrung zur bindenden Norm zu erheben; es gibt keine Lebenserfahrung, daß unter solchen Umständen Schweigen Zustimmung sei. Gessanteratione legis cessat lex ipsa. Es sind deshalb auch von dieser Lösung aus die nachstehenden, von der Rechtsprechung der Fiktion des Einverständnisses gezogenen Schranken anzuerkennen. Wenn das Bestätigungsschreiben von den mündlichen Vereinbarungen so erheblich -abweicht, daß sein Absender vernünftigerweise mit seiner Billigung gar nicht rechnen konnte, bedeutet Schweigen nicht Zustimmung (RG. 95, 48; Gruch. 71, 253; BGH. B B . 52, 843, weitergehend anscheinend ibid. S. 903), erst recht darf ein Bestätigungsschreiben mit erfundenem Inhalt oder bei bösgläubiger Abweichung von dem Vereinbarten ohne Nachteil unbeachtet bleiben (RG. a. a. 0 . 129, 349; LZ. 1923, 344; 1927, •997; Warn. 1921 Nr. 138; OLGR. 1928, 373; andererseits aber Hamburg HansGZ. 1924, HptBl. 73, über Auftragsbestätigung mit höherem Betrage, wenn hinzugefügt wird, daß >das Einverständnis des Empfängers unterstellt werde, wenn er nicht binnen bestimmter

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16h Frist widerspreche), ebenso ein solches, durch welches ein Abschluß mit einer auf Seiten des Empfängers offenbar unbefugten Person bestätigt wird (RG. 103, 98). Dasselbe gilt von Bestätigungsschreiben, welche aus sich selbst nicht verständlich, nicht eindeutig (RG. JW. 1938, 1902") oder gar widerspruchsvoll sind, z. B. einen unverständlichen Zusatz wie „unter allem derzeitigem Vorbehalt" enthalten, mit dem der Verkäufer sich den Rücktritt bei steigenden Preisen offen lassen wollte (Rostock Meckl.Ztg. 38, 163), oder, welche, wenn schon der Auftrag keinen genügenden Inhalt hatte, gar noch von diesem abweichen (RG. HansRZ- 1930, 70). Die Lösung, welche im Schweigen einen typisierten Erklärungstatbestand mit normativer Wirkung sieht, geht aus von der Ordnung setzenden Macht der allgemeinen Lebenserfahrung. Man ist versucht, das Problem auch unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo anzusehen. Auch er würde voraussetzen, daß vor dem Bestätigungsschreiben Verhandlungen geschwebt haben. Nach neuerer, aber doch wohl heute schon herrschender Auffassung wird kraft Gesetzes durch den Eintritt in die dem Vertragsabschluß vorangehenden Verhandlungen ein mit dem künftigen Vertragsverhältnis nicht identisches selbständiges vertragsähnliches Rechtsverhältnis begründet, welches unabhängig von dem Abschluß des Vertrages für jeden Verhandlungspartner vertragliche Verpflichtungen gegenüber dem anderen erzeugt, dessen berechtigtes Vertrauen nicht irrezuführen; bei einer Vertretung kann zwar der Vertreter selbst sich einer unerlaubten Handlung schuldig machen, werden aber diese Pflichten für den Vertretenen begründet (RGZ. 78, 240 und st., z. B. 162,156ff.; Ermann, AcP. 139, 274f.; Ballerstedt AcP. 151, 501. Zur Haftung für culpa in contrahende bei Geschäftsabschluß durch Stellvertreter KRR. Anm. 3 zu §276; Hildebrandt, Erklärungshaftung S. 92; Stoll, LZ. 1923, 543; Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 43 III, AcP. 151, 501; Esser, Schuldrecht, S. 88; Siber, Schuldrecht, 102; Siebert, bei Soergel, A II l b b und B II 5). Diese Pflichten sind sachlich Aufklärungs- und Mitteilungspflichten; es kann deshalb aus diesem Rechtsverhältnis auch die Verpflichtung des Empfängers des Bestätigungsschreibens abgeleitet werden, ihm zu widersprechen, wenn er nicht damit einverstanden ist. Aus der Verletzung dieser Pflicht kann, wenn sie — im weitesten Sinn — verschuldet war, also auch eine Schadensersatzpflicht hervorgehen. Aber es ist schwierig, den geschuldeten Schadensersatz darin zu sehen, den Vertrag als zu den Bedingungen des Bestätigungsschreibens abgeschlossen gelten zu lassen, weil er doch gerade nicht zustande gekommen wäre, wenn der Empfänger pflichtmäßig den Mangel seines Einverständnisses erklärt hätte; die rechtliche Wirkung seines Schweigens ist also der Wirkung entgegengesetzt, die sein püichtmäßiges Reden gehabt hätte. Er muß sich so behandeln lassen, als hätte er seiner Pflicht in der Weise genügt, daß er so sprach wie sein Schweigen im Hinblick auf jene Pflicht gedeutet wird. Aufgegeben werden die in der ersten Auflage Anm. 38—38c des Anh. zu §372 gemachten zahlreichen Unterscheidungen, die zu keinen praktischen Ergebnissen führen. Festzuhalten ist aber der oben gekennzeichnete Unterschied zwischen Bestätigungsschreiben im Rechtssinn (nach Abschluß oder abschließenden Verhandlungen) und (Bestätigung der) Annahme einer Bestellung, wofür § 150 Abs. 2 BGB. (nicht § 151 BGB.) gilt und Schweigen nicht Zustimmung zu Abweichungen von der Bestellung bedeutet. Wie lange der Empfänger des Bestätigungsschreibens schweigen kann, ohne sich in dem angegebenen Sinn zu präjudizieren, hängt von den objektiven und subjektiven Umständen des Falles ab (Warn.Rspr. 11 Nr. 166). Nach den ersteren: der Art und Eigentümlichkeit und dem Gegenstand des Geschäftes, der Vollständigkeit oder Lückenhaftigkeit des durch die Vorverhandlungen erzielten Ergebnisses, dem Grade, in welchem das Bestätigungsschreiben sich damit deckt, oder in mit Treu und Glauben verträglichen Hinsichten davon abweicht oder es ergänzt usw., richtet sich die Dauer der dem Empfänger einzuräumenden Überlegungsfrist, nach letzteren sein Verschulden. § 147 Abs. 2 BGB. ist entsprechend anwendbar (Gruch. 55, 892). Nach RG. 105, 388 soll die Überlegungsfrist ein bis zwei Tage währen, bei Waren mit stark schwankenden Preisen schleunige, u. U., z. B. bei Börsenaufträgen, telegraphische Antwort nötig sein (LZ. 1910, 854). RG. 129, 347 unten spricht von „angemessener" Zeit, innerhalb deren widersprochen werden müßte.

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Schweigen auf Bestätigungsschreiben (Godin)

§ 346 Anm, 16b

Übrigens ist nicht schematisch anzuerkennen, daß das auf Grund seines Schweigens fingierte Einverständnis des Empfängers schlechthin den gesamten Inhalt des Bestätigungsschreibens deckt. Ein Vorbehalt ist insbesondere gegenüber formularmäßig vorgedruckten Vermerken zu machen, welche mit der vorgängigen, individuellen Absprache nicht vereinbar sind (z. B. LG. Bremen RDVR. 17, 61; LG. Göttingen B B . 51, 739). Zwar wird, wenn dem Bestätigungsschreiben allgemeine Geschäftsbedingungen des Absenders beigefügt sind, auch wenn darüber vorher nichts vereinbart oder auch nur gesprochen war, oder auf sie, sei es auch ohne Beifügung, verwiesen wird (BGH. DRiZtg. 52, 194), bei widerspruchsloser Entgegennahme ihre Geltung für das Geschäft anerkannt, (RG. 88, 380; Warn.Rspr. 1911 Nr. 422; 1919 Nr. 50; J W . 1922,1675 3 ; 1926, 1671 1 ; OLGR. 24, 177; SeuffA. 76 Nr. 191; BHG. N J . 51,112; BGH. B B . 52, 842; a. M. RG. J W . 25, 779; Hamburg OLGR. 24,176). Im allgemeinen gilt dies auch von sonstigen vorgedruckten Vermerken, weil der Empfänger mit solchen rechnen muß. Aber wenn solche vorgedruckte Vermerke mit den vorangegangenen Abreden nicht vereinbar sind, kann, wenngleich der Gebrauch solcher Vordrucke erkennen läßt, daß der Absender auf gleichmäßige Ausgestaltung aller seiner Abschlüsse Wert legt und individuelle Vereinbarungen nicht treffen will, wenn er sie vorher eben doch getroffen hat, sich aus der Auslegung seiner Gesamterklärungen doch ergeben, daß der Vordruck hinter der individuellen Absprache zurücktreten muß und der abweichende Vermerk fortfällt, es sei denn, es wurde sein Inhalt oder ein Hinweis auf ihn in den Text des Bestätigungsschreibens (wenn es sich um ein solches im Rechtssinne handelt) aufgenommen. Sind auf der Vorderseite des Bestätigungsschreibens Bedingungen aufgeführt, welche die gleichen Punkte betreffen wie die auf der Rückseite aufgedruckten, und ist im Text der Vorderseite auf diese nicht verwiesen, so sind letztere unbeachtlich (SeuffA. 83, 343; J W . 1925, 779 3 ), ebenso eine leicht zu übersehende Bemerkung des Vordrucks, die gar nicht als Abänderungsvorschlag zu erkennen ist, besonders ein Vermerk über den Erfüllungsort (Warn. Rspr. 1919 Nr. 26), desgleichen Vordrucke oder Aufdrucke, die wegen ihrer Kleinheit gar nicht als Abänderungsvorschläge erkennbar oder für das vorliegende Geschäft widersinnig sind, wie die Bestimmungen einer Reklamationsfrist, die abläuft, bevor der Mangel entdeckt sein kann (Gruch. 67, 372). Im allgemeinen freilich sind das Bestätigungsschreiben und die ausdrückliche oder stillschweigende oder auf Grund seines Schweigens fingierte Zustimmung des Empfängers als die maßgeblichen Parteierklärungen anzusehen-(RG. 129, 347). Die Rechtspr. hat nicht immer Bestätigungsschreiben im Rechtssinne (s. oben) und (Bestätigung der) Annahme einer Bestellung unterschieden und Schweigen als Zustimmung gewertet, wenn Bestellschein und Bestätigungsschreiben sich nicht in allen Punkten decken (SeuffA. 83, 341; LZ. 1930, 377 5 ; OLG. Stuttgart N J . 1947/48, 385; BGH. B B . 51, 456), dagegen aber scharf BGH. L.-M.2 zu § 150 BGB. In N J W . 47/48, 383 und B B . 51, 456 handelte es sich um einen Fall, in welchem sich das Angebot und die dem daraufhin erteilten Auftrag aufgedruckten Bedingungen nicht deckten, s. OLG. München HRR. 42 Nr. 278. Wurde auf Grund von Preislisten, Katalogen usw. verhandelt, auf welche das Bestätigungsschreiben nicht Bezug nimmt, so haben Freizeichnungsklauseln, welche in ersteren enthalten sind, keine Bedeutung mehr (RG. 101, 75). Wird eine Bestellung angenommen, welcher der Besteller die eigenen Einkaufsbedingungen beigefügt hat, und werden der (Bestätigung der) Annahme (nicht Bestätigungsschreiben im Rechtssinne, s. oben) die Lieferungsbedingungen des Lieferanten beigefügt, kann sie aber nach Treu und Glauben als unbeschränkte Annahme aufgefaßt werden, so ist § 150 Abs. 2 BGB. nicht anwendbar; wer einen Antrag annimmt, muß unzweideutig kundmachen, wenn er von seinen Bedingungen abweichen will (BGH. B B . 52, 238). Die Anfechtbarkeit der wegen des Schweigens fingierten Zustimmungserklärung wurde in der Rechtsprechung des RG. (103, 405; unklar 129, 347) anerkannt, ist aber sehr bestritten. Gerade zu dieser Frage herrscht eine verwirrende Vielzahl verschiedenster Meinungen. Die Argumentation, daß nur Willenserklärungen, aber nicht die bei Abwesenheit jedes Willens und Erklärungswillens an die Unterlassung einer Willenserklärung geknüpfte gesetzliche Folge wegen Willensfehlers angefochten werden könne, hat wohl die strenge Logik für sich, entspricht aber nicht dem von jeder Rechtsordnung angestrebten Ziel gerechter Interessenabwägung. Das Argument Krauses a. a.O. S. 134f.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 16t schlägt durch, daß, da die ausdrückliche und die, wenn auch durch Schweigen, schlüssig erklärte Z u s t i m m u n g anfechtbar sei, auch die wegen des Schweigens fingierte Zustimmung anfechtbar sein müsse. Es entfällt freilich die Anfechtung wegen Irrtums über die Bedeutung des Schweigens und wegen Mangels des Erklärungswillens; denn im Rahmen dieses Irrtums macht sich eben die auf der Norm der Verkehrssitte beruhende rechtliche Fiktion breit; neben dieser ist der Wille des Empfängers bedeutungslos. Zulässig ist dagegen die Anfechtung wegen Irrtums über den Inhalt des Bestätigungsschreibens selbst, und zwar vorbehaltlich der Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB. ohne Rücksicht darauf, ob der Irrtum verschuldet war oder nicht (falsch: RG. 129, 347). Ein Irrtum, der sich schon bei den Vorbesprechungen eingestellt hat, ist natürlich belanglos, wenn er bei Empfang des Bestätigungsschreibens nicht mehr obwaltet; ist aber dies der Fall, so ist die Anfechtung wegen Irrtums nicht aus dem Grunde ausgeschlossen, daß er sich schon bei den Vorverhandlungen eingestellt hatte. Wenn RG. 97, 191 die Fiktion des Einverständnisses nicht gelten läßt, weil der Empfänger des Schreibens irrtümlich meint, der Inhalt des Bestätigungsschreibens decke sich mit dem, was er für abgemacht hielt, so handelt es sich hier um einen Irrtum über den Inhalt des Bestätigungsschreibens, der zur Anfechtung berechtigt. Dasselbe gilt entgegen RG. Recht 1920 Nr. 463, wo der Widerspruch überhaupt nicht für erforderlich gehalten wird, wenn der Empfänger des Bestätigungsschreibens davon ausgehen durfte, daß der ausgelassene wesentliche Vertragsbestandteil durch die Auslassung nicht beseitigt werden sollte; es handelt sich auch dabei nur um einen Irrtum über den Inhalt des Bestätigungsschreibens. Einer Anfechtung bedarf es natürlich nicht, wenn das Schweigen überhaupt nicht als Zustimmung gilt, also wenn es auf nicht zu vertretender Unkenntnis des Eingangs des Bestätigungsschreibens beruht. Regelmäßig dürfte es auch nicht erforderlich sein, wegen arglistiger Täuschung anzufechten, denn ist das Bestätigungsschreiben in arglistiger Täuschungsabsicht abgefaßt, so greift die Fiktion überhaupt nicht Platz (s. oben; RG. 129, 347), weil eines Vertrauensschutzes nicht bedarf, wer den wirklichen Willen des Vertragsgegners kennt wie der Täuscher den des Getäuschten. Wenn der Vertreter des Absenders des Bestätigungsschreibens bei den Verhandlungen den Empfänger arglistig getäuscht hat, und dieser beim Empfang des Schreibens noch weiter von der Täuschung befangen, der Absender selbst aber gutgläubig war, kann der Empfänger (trotzdem) die ihm infolge seines Schweigens zugerechnete Zustimmung wegen Irrtums über den Inhalt des Bestätigungsschreibens anfechten, (falsch: RG. a. a. 0., wo zur Voraussetzung gemacht wird, daß der Empfänger den Vertragsabschluß oder den Eingang des Bestätigungsschreibens nicht kannte; ersteres schließt aber überhaupt die Fiktion seiner Zustimmung aus, letzteres, wenn nicht zu vertreten, gleichfalls; verschuldete Unkenntnis ist bedeutungslos). Anm. 161. H a b e n sich B e s t ä t i g u n g s s c h r e i b e n n i c h t ü b e r e i n s t i m m e n den I n h a l t s g e k r e u z t , so fragt es sich, ob die voraufgegangenen Verhandlungen als fester Abschluß aufzufassen sind, den die Parteien nur abändern oder ergänzen wollten, oder lediglich als Vorbesprechungen, die die Parteien erkennbar nur mit den in ihren Bestätigungsschreiben niedergelegten Bestimmungen als Vertrag wollten gelten lassen. Beim Stillschweigen beider Parteien würde im ersteren Falle der Vertrag nach Maßgabe der voraufgegangenen Abmachungen und der Bestätigungsschreiben, soweit sie übereinstimmen, bestehen; doch können bei sich nicht widersprechendem Inhalt unter Umständen beide Bestätigungen Vertragsbestandteil geworden sein (Hamburg in Hans RGZ. 1935B 458). Im letzteren Falle wäre kein Vertrag geschlossen. Versteckter Einigungsmangel liegt aber nur dann vor, wenn die Erklärungen objektiv mehrdeutig sind; bei eindeutigen Erklärungen kommt Dissens nicht in Betracht (KG. in HansRGZ. 1933 B 691). Widerspricht in dem ersteren Falle die eine Partei, so hat das Schweigen der anderen als Zustimmung zu gelten (JW. 1919, 10913). Weicht eines der Bestätigungsschreiben ab durch einen besonderen Vorbehalt, so wird dieser zum Vertragsinhalt, wenn der Empfänger nicht widerspricht (Hamburg HansGZ. 1920 Hprbl. 172). Widerspricht er aber und schweigt nunmehr der andere Teil, so gilt der Vorbehalt als aufgegeben (WarneyerRspr. 1918 Nr. 178). Die Umstände können so liegen, daß beim Stillschweigen des Empfängers auf ein Ersuchen um Gegenbestätigung der Vertrag mit einer in diesem Bestätigungsschreiben enthaltenen Klausel als geschlossen gilt: wenn

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Sich widersprechende Bestätigungsschreiben. Schlußscheine (Godin)

§ 346 Anm. 16k nämlich der Empfänger schon bei einem entsprechenden voraufgehenden Abschluß dieses Ersuchen nicht beantwortet hatte, sich aber auf die Erfüllung der Verträge eingelassen hat (RG. 88, 380). Da unter sich kreuzenden Schreiben nur solche zu verstehen sind, die unterwegs aneinander vorbeigehen, so gilt für Zusätze, mit denen der Empfänger das Bestätigungsschreiben zurückgehen läßt, und für ein abweichendes Schreiben, das er dem Überbringer für den Absender mitgibt, das in der Anm. 16h Gesagte; die abweichenden Bestimmungen darin gelten also, wenn sie sich im Rahmen der bisherigen Verhandlungen halten, beim Schweigen des Gegners als genehmigt, sonst als neues Vertragsangebot (RG. 88, 380; Holdheim 20, 121; „Recht" 1923 Nr. 915). Haben die Parteien Bestätigungsschreiben abweichenden Inhalts gewechselt, so ist unter Berücksichtigung des § 155 BGB. zu prüfen, ob wegen Dissenses überhaupt ein Vertrag zustande gekommen ist (RG. 97, 194; JRdsch. 1930 Nr. 93; „Recht" 1926 Nr. 228), oder ob aus den Umständen, insbesondere Stillschweigen auf die letzte Bestätigung und konkludente Handlung (Lieferung), zu entnehmen ist, daß die eine Partei sich den Bedingungen der andern unterworfen habe (RG. 95, 96; 88, 380; WarneyerRspr.. 1915 Nr. 5). Unter Umständen kann aber eine Willenseinigung auch da angenommen werden, wo die beiderseitigen Erklärungen sich ihrem Wortlaut nach nicht decken, vorausgesetzt, daß die Willenserklärungen nach Inhalt und Tragweite übereinstimmen (vgl. RG. in HRR. 1936 Nr. 181). Ist ein in allen Einzelheiten besprochener und von einer Seite schriftlich bestätigter Vertrag davon abhängig gemacht, daß sich der andere Teil ausdrücklich schriftlich einverstanden erkläre, und erklärt sich dieser demnächst telegraphisch einverstanden, so ist eine schriftliche Erklärung zum Vertragsabschluß nicht mehr erforderlich (RG. HRR. 1929 Nr. 1248). Eine allgemein gültige Handelssitte, daß die Verbindlichkeit eines Abschlusses durch Telegrammwechsel von schriftlicher Bestätigung abhängig sei, besteht nicht. Über den Zusatz: „Brief folgt" siehe RG. 105,13. Ein allgemeiner Handelsbrauch, wonach nur schriftliche Abmachungen gelten, kommt nicht in Betracht, wenn Kaufleute Bestätigungsschreiben gewechselt haben, in denen sie sich auf mündliche Abmachungen berufen und ein Teil Abweichungen von diesen rügt (Karlsruhe R.21 Nr. 1438). Anm. 16 k. Schlußscheine (Schlußnoten) werden die Urkunden genannt, die unter den Parteien zum Zweck schriftlicher Feststellung des Vertragsinhalts gewechselt und von jeder Partei unterschrieben werden. (Sie sind verwandt mit den Schlußnoten der Handelsmakler des § 94, jedoch mit dem Unterschied, daß entweder eine andere Person als ein Makler die Vermittlertätigkeit ausübt oder daß es an jeder Vermittlung fehlt.) Hier kommt der Vertrag durch die Auswechslung der Schlußscheine zustande, gleichwie wenn die Parteien gleichlautende Bestätigungsbriefe gewechselt hätten. Mitunter erteilt aber auch nur eine Partei der anderen einen Schlußschein, der auch Auftragsbestätigung benannt sein kann und nicht nur die Bedeutung einer Kommissionskopie (oben Anm. 35) hat (WarneyerRspr. 1922 Nr. 95). Alsdann gelten die Grundsätze über Bestätigungsschreiben in dem in Anm. 16h erörterten Sinn (JW. 98, 16229; vgl. RG. 59, 350; ROHG. 13, 295). Der widerspruchslos entgegengenommene Schlußschein entscheidet über die Rechte und Pflichten der Parteien und die mit Verweisung auf sie beigegebenen Geschäftsbedingungen insbesondere über den Erfüllungsort (RG. 58, 367; JW. 1924, 4058; Hamburg OLGR. 37, 12; vgl. RG. 105, 206; 90, 168; Dresden SeuffA. 66, 351; Karlsruhe BadRspr. 03, 157; Hamm OLGR. 32, 154). Erhält der Käufer auf seinen Vertragsantrag einen Schlußschein vom Verkäufer, nach dem dieser nur einen Teil der bestellten Ware liefern will, so muß er ersehen, daß der Verkäufer das Geschäft nur insoweit abschließen will, als es der Schlußschein zum Ausdruck bringt. Im Fall stillschweigender Annahme kann der Käufer also regelmäßig den Rest nicht nachfordern. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Agent sich die Genehmigung des Geschäftsherrn vorbehalten hat und nun der Geschäftsherr seinem Vertragsgegner einen Schlußschein unmittelbar zusendet (vgl. RG. 60, 188; Kassel SeuffA. 60, 406; oben Anm. 16 e und § 85 Anm. 2). Auch ein Nichtkaufmann unterwirft sich den in der Schlußnote erwähnten Geschäftsbedingungen der Bank, wenn er von ihr Schlußnoten ohne Widerspruch entgegennimmt (§ 355 Anm. 43); insbesondere unterwirft sich, wer mit einem Bankier i

HOB. Bd. I I I . (Godln) 2. Aufl.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 im Kontokorrentverkehr steht und dessen Schlußnoten vorbehaltlos entgegennimmt, nach denen das Geschäft nach den allgemeinen Börsenbedingungen geschlossen ist, wenn sie auch nicht beiliegen (Hamburg HansGZ. 20 Hptbl. 59); nicht aber unterwirft sich bei Börsengeschäften, wer ohne Widerspruch Schlußnoten annimmt, die Bezug auf Platzusancen nehmen, jeder beliebigen von den Börsenorganen nachträglich gegebenen, zur Platzusance erklärten Bestimmung. Die stillschweigende Entgegennahme eines Schlußscheins hat jedoch keine Bedeutung, wenn gar kein Vertrag zustande gekommen war (Hamburg HansGZ. 21 Hptbl. 16), oder wenn der Empfänger schon vor Empfang bestimmt und deutlich widersprochen hat (Karlsruhe LZ. 1919,1028; Hamburg HansRZ. 1919, 353), oder wenn der Schlußschein erst nach beiderseitigemVertragsvollzugeintrifft (Kiel OLGR. 37,12 Anm.). Ist der Vertrag einmal durch den Austausch unterschriebener Schlußscheine geschlossen, so wird durch Schweigen auf etwa nachfolgende Bestätigungsschreiben an dem Vertragsinhalt nichts mehr geändert; denn ein Antrag auf Änderung eines geschlossenen Vertrags wird durch Schweigen abgelehnt (RG. in HansRGZ. 1932 B 356; Karlsruhe BadRspr. 20, 136). Anderes gilt für das Verhältnis von Bestätigungsschreiben gegenüber den Schlußscheinen des Maklers (§ 92), durchweiche ein Geschäft nur vermittelt, nicht abgeschlossen wird (RG. 123, 97). Anm. 17. b) Geschäftsbedingungen. Schrifttum: siehe die erschöpfenden Angaben bei S t a u d i n g e r - W e b e r , Bd. II Teil 1 Einl. Bemerkung 444, zu folgendem insbes. R a i s e r , Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, H a u p t , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Banken, B r u n n , Die formularmäßigen Vertragsbedingungen der deutschen Wirtschaft, 1944, P a g e n s t e c h e r , Sittenwidrige Lieferungsbedingungen, 1944, ders. ZAK. 39, 169, H a u p t , ZAK. 43, 81). Das rechtliche Phänomen der allgemeinen Geschäftsbedingungen beruht auf der Abdingbarkeit der gesetzlichen Bestimmungen des Schuldrechts. Um Interessenlagen gerecht werden zu können, welche von derjenigen abweichen, die der gesetzlichen Interessenabwägung zugrunde liegen, enthält das Gesetz sich regelmäßig zwingender Vorschriften und gestattet es den Beteiligten, die ihrer individuellen Interessenlage entsprechenden Vereinbarungen zu treffen. Das Gesetz geht aus von dem Individualvertrag. Nicht so die allgemeinen Geschäftsbedingungen. Wenn auch mitunter nur einzelne Unternehmen, haben unter Berufung auf die Nachgiebigkeit der gesetzlichen Bestimmungen ganze Unternehmergruppen und Geswerbezweige einheitliche, nicht individuelle Vertragsverhältnisse zu ihrer Kundschaft abweichend vom Gesetz geregelt, sei es daß wirklich die Art ihres Gewerbes eine Interessenlage mit sich bringt, die verschieden ist von der der gesetzlichen Interessenabwägung zugrunde gelegten, sei es daß sie bloß, ohne Legitimation durch eine solche von der gesetzlich vorausgesetzten Interessenlage abweichenden, einfach die gesetzliche Interessenabwägung zu ihren Gunsten ändern. Dabei kann es wiederum sein, daß infolge der Entwicklung der Wirtschaft, der Technik und des Verkehrs die gesetzliche Interessenabwägung selbst überholt ist und nicht mehr billig und gerecht erscheint, oder daß die gesetzliche Interessenabwägung aus Eigensucht außer kraft gesetzt und durch eine für den Autor der Geschäftsbedingungen vorteilhaftere ersetzt wird. Letzteres ist namentlich da vielfach möglich, wo entweder ein durch die Einzigartigkeit seiner Leistungen besonders mächtiger Einzelunternehmer oder eine geschlossene Unternehmergruppe in einheitlicher Haltung den einzelnen nicht organisierten Kunden gegenübertritt. Wo der Inhalt der allgemeinen Geschäftsbedingungen vom Gesetz abweicht, liegt dieser Abweichung, wenn überhaupt eine individuelle Interessenlage, nicht die eines Einzelfalls, sondern das gleichmäßige besondere Bedürfnis eines ganzen Gewerbezweiges zugrunde, das für alle dazu gehörigen Unternehmungen und für jede in jedem Falle ihrer branchemäßigen Betätigung gleich ist. In dem gleichen Interesse einer Vielzahl von Unternehmungen, welche dieselben Allg. Geschäftsbedingungen solidarisch anwenden, liegt die Gefahr ihrer Einseitigkeit. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind von Formularen für einzelne rechtsgeschäftliche Geschäftsvorfälle zu unterscheiden. Letztere enthalten gewöhnlich nur Erklärungen der einen (Kunden) Seite, deren Inhalt ihr von dem Verkäufer, Lieferer, Leistenden, der das Formular nach Maßgabe seiner eigenen Wünsche entworfen hat und ihr vorlegt, damit meist auch vorgeschrieben wird. Aber sie sind immerhin noch auf Individualvereinbarungen für den Einzelfall abgestellt, mag auch die formularmäßige 50

Geschäftsbedingungen. Geltungkraft Vertrags (Godin)

§ 346 Anm. 17 Ausgestaltung der Einzelfälle gerade auf deren Gleichartigkeit hinweisen. Die Formulare sind daher vielfach die Vorläufer Allgemeiner Geschäftsbedingungen gewesen, sei es daß sie dem Unterzeichner eine große Anzahl von Erklärungen im Interesse des anderen Vertragsteils in den Mund legen, sei es, daß die Allg.G. geradezu eine Codifikation der in einer Vielzahl von Formularen enthaltenen Erklärungen darstellen. Letzteres gilt namentlich von Geschäftsbedingungen, welche für eine längere Geschäftsverbindung gelten sollen, die erfahrungsgemäß eine große Zahl von Geschäften verschiedener Art (nicht immer bloß Kauf, Werklieferung, Beförderung, Kommission) mit sich bringt, wie z. B. die Geschäftsverbindung mit einer Bank^Regelmäßig sehen die Allg. Geschäftsoder Lieferungsbedingungen nicht bloß Befugnisse und Verpflichtungen der einen, sondern beider Seiten vor. In diesem Umfang der Allg.G. liegt ihre zweite große Gefahr, die Gefahr nämlich, daß sie von demjenigen, der an sie gebunden werden soll, nicht zur Kenntnis genommen werden, bevor er sich an sie bindet. Oft kennt nicht einmal derjenige ihren Inhalt, der ihre Geltung ausbedingt. Das Problem, welches sich dadurch stellt, ist weder rechtspolitisch noch dogmatisch damit gemeistert, daß jeder es auf eigene Gefahr unterlasse, von Vertragsbedingungen Kenntnis zu nehmen, an die er sich bindet, auch nicht, wenn wie in st. Rspr. des früheren RG. ein Blankoeinverständnis unterstellt wird, von ihm aber ungewöhnliche und unübliche Bestimmungen der Allg.G. ausgeschlossen werden. Ist die blinde Hinnahme fremder Allg.G. auf Indolenz, Leichtsinn, oder Gedanken- oder Interessenlosigkeit, Denkfaulheit und Scheu vor der mit dem Studium des umfangreichen Schriftwerks verbundenen Mühe, ja selbst Vertrauensseligkeit zurückzuführen, mag es noch hingehen, sich bei obigem Grundsatz zu beruhigen. Aber vielfach ist es das Bewußtsein, sich dem Diktat des anderen Vertragspartners beugen zu müssen und nichts an ihm ändern zu können, welches davon abhält, die als nutzlos erscheinende Mühe aufzuwenden, sich damit vertraut zu machen, und noch häufiger ist es die Zeitnot, welche dies vor Geschäftsabschluß nicht zuläßt, der so dringlich sein kann, daß er telegraphisch oder telephonischstattfindet, im Bewußtsein, daß der andere Vertragspartner nur nach seinen Geschäfts- oder Lieferungsbedingungen abschließt; es kann aber auch sein, daß nicht die Dringlichkeit des Geschäftsabschlusses, sondern der immerwährende Zeitmangel des aktiven Kaufmanns ihn außerstande setzt, an einem Tag die Geschäftsbedingungen vielleicht mehrerer verschiedener Vertragspartner durchzusehen, mit denen er Geschäfte abschließt. Die Lage ist dann ähnlich derjenigen, in welcher sich der Kaufmann gegenüber dem Gesetz selbst befindet, das er meist auch nicht oder nur unzulänglich kennt, aber doch von ihr grundverschieden, weil er sich auf die Gerechtigkeit des Gesetzes verlassen kann, aber nicht auf die Objektivität und Gerechtigkeit seines Vertragsgegners. Die allgemeinen Geschäfts- oder Lieferungsbedingungen sind ein Sorgenkind der Dogmatik. Die wichtigsten ihr gestellten, noch nicht gemeisterten Probleme sind: wodurch gelten für das einzelne Geschäft im Verhältnis der Geschäftsteilnehmer zueinander die Allg. Geschäfts- und Lieferungsbedingungen des einen Teils und in welchem Umfange? Die Meinungen, welche in dem umfangreichen Schrifttum vertreten werden, sind so bunt und zahlreich, daß nur gesagt werden kann, daß Meinungsgruppen bestehen, die einander verwandt sind oder sich schroff gegenüberstehen. Die ä l t e r e , in Lehre und Schrifttum auch heute noch herrschende A n s c h a u u n g (vgl. insbesondere R a i s e r a. a. O., P a g e n s t e c h e r a. a. O., K r a u s e , BB. 52, 996, aber auch B r u n n a. a. O.), mit besonderer Klarheit ausgearbeitet von Raiser a. a. O., unterscheidet die Aufstellung der allgemeinen Geschäfts- und Lieferungsbedingungen und ihre Einführung in das einzelne Geschäft. Erstere geschieht meist einseitig durch den einen Vertragsteil oder durch einen die Angehörigen eines Gewerbezweiges alle oder in ihrer Mehrzahl umfassenden Verband (meist mit der Verpflichtung der Verbandsmitglieder, sie anzuwenden); sie kann aber auch von beiden Vertragsteilnehmern geschehen. Häufig ist die gemeinsame Aufstellung durch einen Interessentenverband im Einvernehmen mit dem Verband der Gegeninteressenten. Es können aber auch die Allg. G., die für ein Geschäft gelten sollen, von einem Dritten aufgestellt sein. Dann besteht ihre „Aufstellung" im Hinblick auf das Geschäft der Vertragsparteien in dem Entschluß, dieses ihnen gemäß zu gestalten; das fließt dann freilich mit der ,,Ver4*

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 Weisung" (s. nachstehend) möglicherweise in großem Umfang zusammen. Auf welche Weise aber auch die Allg.G. aufgestellt worden sein mögen, hat ihre Aufstellung vom Standpunkt der Teilnehmer des einzelnen Umsatzgeschäftes aus für deren Rechtsbeziehungen untereinander nur vorbereitenden und keinen rechtsgeschäftlichen Charakter (a. A. Hueck, IhJ. 1923 S. 108 (Fortsetzung von S. 33ff., 47ff.), s. aber unten). Das ist nicht anders, wenn ein Vertragsteil gegenüber seinem Verband kraft seiner Zugehörigkeit zu diesem verpflichtet ist, die von diesem aufgestellten Allg.G. anzuwenden. Es ist konstruktiv denkbar, wenn der Inhalt Allg.G. durch einen Verband oder durch Verbände vereinbart wird, die einzelnen Verbandsmitglieder als durch den Verband vertreten oder als begünstigt im Sinne des § 328 BGB. aus solcher Vereinbarung anzusehen. Aber auch dann kann für keinen Vertragsteil gegenüber dem anderen Geschäftspartner die Bindung an die vereinbarten Bedingungen stärker sein, als wenn er sie unmittelbar mit jenem für alle künftigen Geschäfte miteinander vereinbart hätte (s. unten). Bestandteil des einzelnen Geschäftes werden die Allg.G. durch Vertrag (§ 305 BGB.), sei es, daß eine Sondervereinbarung zustande kommt, wonach sie für ein bestimmtes Geschäft oder alle künftigen Geschäfte bestimmter Art zwischen den Parteien gelten sollen, sei es, daß ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten auf sie verwiesen wird (das Wort „Verweisung" ist von Raiser a. a. O. eingeführt, während im übrigen Schrifttum und in der Rechtsprechung bezeichnenderweise meist von „Unterwerfung" des einen Teils unter die Allg.G. des anderen gesprochen wird). Wenn die Allg.G. einvernehmlich sei es von den Vertragschließenden, sei es mit dem Verband des einen oder von ihren Verbänden aufgestellt sind, ist die Verweisung entbehrlich; aber da für niemand durch die Aufstellung der Allg.G. eine Verpflichtung, zu kaufen bzw. zu verkaufen usw. begründet wird, kann jeder Teil den Geschäftsabschluß davon abhängig machen, daß die Allg.G. des einen Teils nicht angewandt werden (darin kann ein Verstoß gegen Verbandspflichten des einen oder anderen Teils oder beider liegen, was aber für die Gültigkeit des Umsatzgeschäftes, für welches die Allg.G. ausgeschlossen werden, selbstverständlich bedeutungslos ist). Es kann auch sein, daß die Verweisungserklärung, auch ohne daß sie wirklich abgegeben wird, nach der Verkehrssitte (s. Anm. 2 vor Ziff. 1) in dem Verhalten des einen Teils zu erblicken (über widerspruchslose Annahme eines Bestätigungsschreibens, in welchem auf die Allg.G. des Absenders verwiesen wird, s. oben Anm. 16h, nicht dieselbe Bedeutung kommt dem Schweigen auf die Verweisung auf Allg.G. in der bloßen (Bestätigung der) Annahme einer Bestellung zu (s. Anm. 16 h vorletzter Abs., so zutreffend Krause, BB. 52, 896), ja entbehrlich ist, weil nach der Verkehrssitte mangels ausdrücklicher gegenteiliger Vereinbarung die allgemeinen Geschäftsbedingungen des einen Teils gelten, ja deren Inhalt kann sogar selbst zur Norm der Verkehrssitte geworden sein. Diese Geltung Allg.G. für ein Einzelgeschäft ohne Verweisungserklärung des an ihrer Aufstellung unbeteiligten Vertragspartners zufolge normativer Kraft der Verkehrssitte ist jedoch nur für große Unternehmungen mit Massenbetrieb und zwar bis jetzt nur des Versicherungs-, Bank-, Transport- und Speditionswesens und für große Versorgungsbetriebe anerkannt. Wenn beide Teile und der vermittelnde Makler demselben Warenverein angehören, sind dessen Geschäftsbedingungen „stillschweigend usancemäßig" vereinbart (Hamb. Schiedsspruch MDR. 52, 7, 426). Diese ältere Auffassung, nach welcher im allgemeinen die für ein Geschäft geltenden Geschäftsbedingungen zwar von der einen Seite aufgestellt, aber von den Parteien vereinbart sind, indem sie darauf verweisen, hatte sich mit Folgendem auseinanderzusetzen: ist Voraussetzung ihrer Geltung, daß sie dem anderen Teile, der an ihrer Aufstellung nicht beteiligt war, bekannt sind, oder kann, eventuell unter welchen weiteren Voraussetzungen, dieser sich auch ohne ihre Kenntnis daran gebunden haben? Sie legt die Allg.G., desgleichen die Erklärung, auf Grund deren sie für ein Geschäft gelten (Verweisungserklärung) nach den Grundsätzen aus, welche für die Auslegung von Rechtsgeschäften gelten (s. oben Anm. 2 vor Ziff. 1), und behandelt danach auch die Frage, in welchem Umfange sie gelten. Sie kann dabei in den einzelnen Fällen zu verschiedenen Ergebnissen kommen, je nachdem ob ihr Inhalt bei der Verweisung beiden Teilen bekannt war oder nicht; denn ersterenfalls ist die oben erwähnte Berufung auf die Ungewöhnlichkeit des Inhalts natürlich unzulässig. Nach den für Rechtsgeschäfte geltenden

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Geschäftsbedingungen. Geltung kraft Vertrages. Inhaltliche Wirkung (Godin) § 3 4 6 Anm. 17 a Grundsätzen beantwortet sie auch die Frage ihrer Anfechtbarkeit, ihrer Unwirksamkeit (Nichtigkeit) wegen Verstoßes gegen das Gesetz oder die guten Sitten und bemißt sie die Folgen ihrer Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit für das ganze Geschäft, nicht nur der Verweisung, sondern auch des Umsatzgeschäftes selbst, den Kauf, Auftrag usw., welch letztere aber meist als für beide Teile unerwünscht verneint wird, besonders wenn das Geschäft schon ausgeführt ist. Von dieser älteren, wie schon erwähnt, auch heute im Schrifttum noch herrschenden Auffassung geht auch die nachstehende in Anm. 17 a und 17 b wiedergegebene Rechtsprechung aus. Anm. 17 a. Geschäftsbedingungen können doppelte Bedeutung haben. Regelmäßig bezwecken sie nur die Feststellung, unter welchen Bedingungen künftig Geschäfte abgeschlossen werden sollen (RG. 58, 155; 135, 93). Eine andere Bedeutung gewinnen Geschäftsbedingungen, wenn das Einverständnis über sie bereits den Abschluß eines selbständigen Vertrages enthält. Dies ist der Fall, wenn alle Werte eines Kunden, die in den Besitz seiner Bank gelangen, ihr für ihre gegenwärtigen oder zukünftigen Forderungen verpfändet sein sollen — eine Bedingung, die übrigens keinen Bedenken unterliegt (RG. 84, 4; 122, 77; J W . 05, 2 9 0 " ; 07, 849«; WarneyerRspr. 1933 Nr. 115). Derselbe Fall ist gegeben, wenn die Geschäftsbedingungen besagen, daß mit Übergabe eines Wechsels oder Schecks an die Bank auch die zugrundeliegende Forderung übertragen werde (Vorbem. vor § 373 Anm. 64f). Die Ermächtigung zur Ausübung des Aktienstimmrechts kann einer Bank nur noch in der durch § 114 Abs. 4 AktG. bestimmten Form, nicht mehr in Geschäftsbedingungen erteilt werden. Ganz sicher ist die Unterwerfung unter Geschäftsbedingungen durch ausdrückliche Anerkennung (JW. 07, 849 31 ), auch wenn sie dem Anerkennenden nicht bekannt sind. Zu einer solchen Anerkennung genügt die Unterschrift mit dem Zusatz „Kenntnis genommen"; (RG. 84, 7; J W . 1914, 1 5 8 " ; WarneyerRspr. 1911 Nr. 362) oder „gesehen" (RG. 84, 7; J W . 98, 396 3 ') und die Rücksendung an den Vertragsgegner. Übersendet ein Teil dem andern seine Geschäftsbedingungen zur Anknüpfung einer Verbindung und werden dann Geschäfte gemacht, so gelten die Geschäftsbedingungen als genehmigt (Recht 1929 Nr. 795; J W . Ol, 621 1 4 ; 1927, 1467 4 ; LZ- 1915, 705 l a ; Holdheim 8, 190; BankA. 9, 141 u. 317; Hamburg J W . 1918, 236; Kiel „Recht" 21 Nr. 1442; Dresden SeuffA. 75, 257). Die gelegentlich eines Angebots mitgeteilten allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten unter Kaufleuten auch für alle späteren Geschäfte, mag auch auf das Angebot selbst kein Abschluß erfolgt sein (Hamburg HansGZ. 1917 H. 252, 710; 1927, 1467 4 ); jedoch kommt es darauf an, wie lange die Mitteilung der Bedingungen zurückliegt; sind Jahre vergangen, so hat die veraltete Mitteilung keine Kraft mehr (vgl. WarneyerRspr. 1915 Nr. 44). Der Satz gilt aber nicht allein unter Kaufleuten; auch wenn die Bank zur Einleitung einer Verbindung ihre Bedingungen einem Privatmann übermittelt und dann Geschäfte gemacht werden, gelten diese Bedingungen (RG. in BankA. 24, 456 1 ). Die Genehmigung von Bestätigungsschreiben (s. Anm. 17dff.) umfaßt auch die allgemeinen Geschäftsbedingungen, auf die es sich bezieht, ohne daß sie ihm beilagen (RG. J W . 1922,1675 3 ; KG. in OLGR. 41, 216; BGH. N J . 52, 1369; Raiser S. 173), aber selbst beiliegende oder auf der Rückseite abgedruckte Geschäftsbedingungen nicht ohne weiteres, wenn nicht darauf verwiesen wird, (JW.1925,779 3 3 ; SeuffA. 83,343; sehr bedenklich a.A. OLG. München HRR.1924Nr.377). Nicht genügend ist die Mitteilung der Geschäftsbedingungen in der Rechnung nach Übersendung der Ware (RG.133,338). Nach langjähriger Geschäftsverbindung gelten Geschäftsbedingungen als angenommen, wenn auf sie mehrfach verwiesen war (JurRundsch. Rspr. 1926 Nr. 46; Dresden SeuffA. 75, 257), um so sicherer, wenn die Bedingungen vorher mitgeteilt waren (LZ. 08, 382 2 ). Ist aber, nachdem Jahre hindurch die Lieferungsbedingungen einer Vertragspartei jedesmal ausdrücklich vereinbart worden waren, dies weitere Jahre hindurch unterblieben, so gelten sie für die in dieser Zeit ausgeführten Lieferungen nicht (OLG. Hamburg MDR. 48,15). Änderungen der Geschäftsbedingungen müssen auf denselben Wegen zu Bestandteilen des Vertrages gemacht werden (Hamburg HansGZ. 1923 H. 117); es braucht niemand mit Änderungen zu rechnen. Über Geschäftsbedingungen als Beilage von Bestätigungsschreiben und in solchen Schreiben Anm. 16 h. Wenn Mitglieder von Verbänden, die Geschäftsbedingungen vereinbart haben, miteinander Geschäfte macheu, so haben sie sich vorher schon den Verbands-

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 b bedingungen unterworfen (vgl. RG. 95,91; WarneyerRspr. 1919 Nr. 191). Im allgemeinen macht aber die Kenntnis, daß beim Gegner Geschäftsbedingungen bestehen, diese noch nicht zum Vertragsinhalt (folg. Anm.). Auch wenn die allgemeinen Geschäftsbedingungen für einen Vertrag gelten, kann sich doch aus den Umständen oder mündlichen Abmachungen der Ausschluß einzelner Bedingungen ergeben (SeuffA. 80,131). Andererseits können unter Umständen (z. B. wenn ein Großhändler Erzeugnisse einer bestimmten Fabrik verkauft, welche ,nur unter bestimmten formularmäßigen Bedingungen abschließt) die für das Verhältnis der einen Vertragspartei zu einem Dritten maßgeblichen Allg.G. des letzteren, wenigstens in einzelnen Beziehungen (z. B. hinsichtlich der Freizeichnung), als zwischen den Vertragsteilen vereinbart anzusehen sein (RG. JW. 19, 5703). Überdies ist, wenn in einem solchen Falle der Dritte (Fabrikant) sich zulässigerweise auf die Freizeichnung beruft, die Entscheidung über die Beziehungen unter den Vertragsteilen auch unter dem Gesichtspunkt der Unmöglichkeit der Erfüllung einer beschränkten Gattungsschuld zu treffen. Auf dem Standpunkt der erwähnten älteren Auffassung, daß eine vertragliche Verweisung auf Geschäftsbedingungen notwendig ist, um sie für ein Einzelgeschäft zur Geltung zu bringen, steht auch die nachstehende aus neuerer Zeit stammende Entscheidung des BGH. NJ. 52, 499: Die Grundsätze von Treu und Glauben sind auch im Rahmen des § 150 Abs. 2 BGB. anzuwenden. Sie erfordern, daß der Empfänger einer Bestellung, wenn er von dem Vertragswillen des Bestellers abweichen will, dies in der Bestellungsannahme klar und unzweideutig ausdrückt. Fügt der Besteller der Bestellung seine Einkaufsbedingungen bei, und erklärt er in ihnen von vorne herein, daß abweichende Bedingungen des Lieferers nur gelten sollen, wenn sie von ihm, dem Besteller, schriftlich anerkannt würden, so genügt es nicht, daß der Lieferer in seine Bestellungsannahme nur allgemein einfügt: „Im übrigen gelten unsere allgemeinen Geschäfts- und Lieferungsbedingungen." In dem Schweigen des Bestellers ist in einem solchen Fall keine Zustimmung zu den allgemeinen Bedingungen des Lieferers zu entnehmen. Liefert dieser trotz des Schweigens des Bestellers, so ist der Vertrag zu dessen Bedingungen zustande gekommen (BGH. BB. 52, 238). Anm. 17b. Der V e r t r a g s a b s c h l u ß mit öffentlichen Anstalten (Banken, Versicherungs-, Transportanstalten), welche P r o s p e k t e oder allgemeine B e d i n g u n gen v e r s e n d e n , s e i t e n s solcher P e r s o n e n , die diese P r o s p e k t e oder Bedingungen e r h a l t e n h a b e n , gilt als U n t e r w e r f u n g u n t e r die B e d i n g u n g e n , wenn sie ihm nicht widersprechen (RG. 13, 77). Außer Betracht bleiben hier die Bedingungen von Versicherungsunternehmungen (§§ 5, 10 VersAufsG.), sowie überhaupt die Bedingungen, die von dem Staat bei Zulassung eines Unternehmens vorgeschrieben sind; sie werden, da sie auf öffentlichem Recht beruhen, bei jedem Geschäftsabschluß ohne weiteres zum Inhalt der in diesem Betrieb abgeschlossenen Geschäfte, ohne daß jemand sie zu kennen braucht (ROHG. 14, 36; a. M. mit Recht Raiser S. 204 Anm. 3). Dasselbe gilt von gemeinnützigen Einrichtungen öffentlich-rechtlicher Verbände wie Krankenhäusern, Sparkassen, Kreditvereinen; jedermann weiß, daß sie nur unter allgemeinen Geschäftsbedingungen arbeiten dürfen. Wer von einem städtischen Elektrizitätswerk Strom bezieht, tut es zu den geltenden Bedingungen; selbst sein Widerspruch gegen diese ändert daran nichts, wenn er trotzdem weiterbezieht (RG. 111, 312; KG. JW. 1935,581). Infolgedessen gibt es hier auch keine Anfechtung wegen Irrtums (Raiser S. 161; Hildebrandt S. 338). Eine Sonderstellung nehmen weiterhin die allgemeinen Geschäftsbedingungen ein, die zu Handelsgebräuchen geworden sind (RG. in Gruch. 65,349; Hamburg SpeduSchiffZtg. 23,147); sie gelten mangels abweichender Vereinbarung (s. oben Anm. 9 u. Anm. 2 vorletzter Abs. vor Ziff. 1). Sind Geschäftsbedingungen keine Handelsgebräuche, so werden sie nur durch Vereinbarung Bestandteil des Vertrages. Zur Annahme einer solchen Vereinbarung gehört mindestens ein Hinweis auf die Bedingungen beim Vertragsschluß oder vorher (Anm. 17; Bayer, ansch. OLG. München HRR. 42 Nr. 377). Die bloße Kenntnis, daß beim Gegner oder bei einem Verein, dem er angehört (LZ. 1927, 637), Geschäftsbedingungen bestehen, macht diese noch nicht zum Vertragsbestandteil (RG. bei Gruch. 64, 341; Hamburg HansRZ. 20, 144 u. 500; KG. in OLGR. 41, 216). Viele meinen allerdings, es genüge eine öffentliche Bekanntmachung der Bedingungen. Allein es muß unterschieden werden: Nur bei größeren Unternehmungen rechnet das Publikum mit allgemeinen Geschäftsbedingungen; nur solche Unternehmungen können

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Geschäftsbed. Geltung kraft Norm, Als „bereitgestellte Rechtsordnung"? § 346 Anm. 17 o sich daher mit Erfolg auf Veröffentlichung berufen, wenn diese so geschieht, daßjdie allg. G. der Allgemeinheit bekannt gemacht werden (ROHG. 9, 187; RG. 103, 86; 109, 304; JW. 1931, 19584; Düsseldorf JW. 1926, 609"). Das gilt namentlich für Großbanken (BankA. 28, 203; JW. 1936, 20 9326; Raiser S. 207 Anm. 7). Dagegen kann nicht ein kleines Unternehmen durch Zeitungsinserate oder Rundschreiben diejenigen binden, die später mit ihm Verträge schließen (BankA. 28, 203); mögen sie auch die Kundgebungen gelesen haben, so brauchen sie darum noch nicht anzunehmen, daß wirklich auf deren Grundlage abgeschlossen werden soll (Braunschweig OLGR. 42 229; a. M. Senckpiehl, Allgemeine Geschäftsbedingungen 51). Die Veröffentlichung muß auch in gehörigerWeise geschehen (ROHG. 12, 214; JW. 1931, 19584;Celle BankA. 24, 119); es können zu diesem Zwecke periodische Wiederholungen erforderlich sein (RG. 103, 86). Daß allgemeine Geschäftsbedingungen bestehen, reicht also ohne Hinweis oder genügende Bekanntmachung selbst bei großen Unternehmungen nicht aus (RG. 66, 40; 103, 86; 109, 304). Bin Anschlag oder Aushang in den Geschäftsräumen oder am Schalter, genügt nicht ohne weiteres, wenn nicht darauf deutlich aufmerksam gemacht ist (Kassel SeuffA. 76, 238), oder wenn der Auftraggeber nur durch einen Boten, also nicht persönlich (Kiel, SeuffA. 77, 239), oder durch den Draht oder F«rnsprecher die Bestellung aufgegeben hat. Anders, wenn der Auftraggeber von dem Anschlag Kenntnis erlangt haben, mußte (RG. 103, 86) oder wenn ihm vor der Ausführung die Geschäftsbedingungen behufs etwaigen Widerspruchs mitgeteilt worden waren. Hat sich das Publikum nach einem Eisenbahntarife gerichtet, der mangels ordnungsmäßiger Bekanntmachung ungültig war, so kann sich die Bahn nach Treu und Glauben nicht auf die Ungültigkeit berufen (WarneyerRspr. 1922 Nr. 30; Anm. 21). Siehe oben Anm. 9 und Anm. 2 vorletzter Abs. vor Ziff. 1. Sehr umstritten ist in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. DRZ. 50, 297 Nr. 92; BB. 1950, 831; Hamann, MDR. 49, 209; Senckpiehl, JR. 50, 581; 51, 524; MDR. 51, 648; Schmid-Loßberg MDR. 49, 609; 51, 286) die Verbindlichkeit ohne Vereinbarung der Allg.G. des T r a n s p o r t g e w e r b e s , insbesondere der allg. deutschen Spediteurbedingungen (ADSpB.), der allgemeinen Lagerbedingungen des deutschen Möbeltransports (ALB.), der Kraftverkehrsordnung (KVO.), der Beförderungsbedingungen für den Möbelverkehr (BBL.), insbesondere der ersteren und namentlich seit ihre auf Anordnung des Reichsverkehrsministers vom 29.12.1939, deren Wirksamkeit als Rechtsverordnung jedoch immer problematisch war (vgl. KG. SJZ. 50, 668; OLG. Oldenburg NsächsRpfl. 48, 153; Hamann, MDR. 49, 209) beruhende Allgemeinverbindlichkeit fortgefallen ist (vgl. Anm. 28 zu § 407). Teils wurde ihnen weiter Gesetzeskraft, teils im Anschluß an RG. DR. 41, 1211 (s. nächste Anm.) die „normative Kraft einer fertig bereitstehenden Rechtsordnung" zugeschrieben (so in Betreff der ADSpB. KG. MDR. 50, 286 SJZ. 50, 668 mit sehr zur Vorsicht und Zurückhaltung mahnender Zustimmung Raisers, eingeschränkt durch Urteil des gleichen Senats vom 6. 9. 50, 3 U 1456/49; OLG. SchlH. MDR. 50, 548 und OGH. Köln 1, 83 = NJ. 51, 402/3; NJ. 51, 957; und in Betreff der KVO. BGH. MDR. 51, 284), teils wurden sie als Verkehrssitte auch für Nichtkaufleute (OLG. Oldenburg a. a. O.), teils nur als Handelsbrauch unter Kaufleuten, teils auch wieder nur kraft stillschweigend möglicher Unterwerfung für verbindlich gehalten. Anm. 17c. Die neuere A u f f a s s u n g wurde eingeleitet durch H a u p t , Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der deutschen Banken, S. 189, der ja auch die Lehre von den,.Faktischen Vertragsverhältnissen" begründet hat, die auf verwandten Vorstellungen beruht, von der aber kaum gesagt werden kann, daß sie sich durchgesetzt hat. Haupt führt aus: „Streift man alle rechtskonstruktiven Verschleierungen und Fiktionen, welcher Art sie auch sein mögen, ab und berücksichtigt man lediglich die Tatsachen, dann?kann man der Feststellung nicht ausweichen, daß sich hier im Geschäftsverkehr eine dem B GB. unbekannte einseitige Bestimmung von Vertragsbedingungen durchgesetzt hat, die ihre Geltungsgrundlage zwar noch entsprechend dem gesetzlichen System in rechtsgeschäftlichen Elementen sucht, aber . . . sich ihrer in Wirklichkeit eigentlich nur noch symbolisch bedient . . . Das alles vollzieht sich unter der rechtskonstruktiven Maske der Vertragsfreiheit. Es dürfte jedoch deutlich sein, wie weit sich diese Freiheit von ihrem Idealbild entfernt hat" (vgl. auch Haupt, Vertragsfreiheit und Gesetz, ZAk. 1943 S. 84). Diese Auffassung wurde von der Rechtsprechung erstmals angenommen, wenn auch nicht

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17d recht eigentlich praeconisiert in RG. DR. 1941, 1210 Nr. 12 (vgl. hierzu zustimmend Herschel DR. 42,1743, ferner Bernhard, ebenda S. 1171). Der 7. Senat des Reichsgerichts spricht hier die Ansicht aus, daß eine nachträgliche vertragliche Vereinbarung nicht feststellbar sei, vielmehr die Unterwerfung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung, der Eintritt in ein fertiges Rechtsgebäude, wie es etwas bildreich noch weiter heißt, so daß es nicht darauf ankomme, daß dem Eintretenden das Innere des Hauses, der Inhalt der Allg.G. bekannt sei. Zur gleichen Ansicht bekannte sich der 1. Senat in der Entscheidung Bd. 170, 233 (240/1), um die Auslegung Allg.G. nach der Interessenabwägung der Wirtschaftskreise begründen zu können, denen die Vertragsteile angehören, tind ebenso der 6. Senat Bd. 171, 43 (48) unter demselben Gesichtspunkt. Nach der Aufhebung des Reichsgerichts hat OGH. Köln NJW. 49, 905 und BGH. DRZ. 49, 545 diese Ansicht übernommen. Damit ist diese verfassungsrechtlich und politisch bedenkliche Auffassung bedenklich gefestigt. Vom neuesten Schrifttum scheint Gierke, Handelsrecht 6. Aufl. 1949 S. 405, ihr wenigstens für die oben Anm. 17 genannten Großbetriebe zuzustimmen. Man kann nicht umhin, gegen diese Auffassung einzuwenden, daß sie zur Frage herausfordert, wodurch denn die Geltung dieser fertigen Rechtsordnung begründet ist, „die der eine Vertragsteil dem anderen anbietet", wenn nicht durch die Vereinbarung der Vertragschließenden, worauf ja auch das Wort „anbietet" hinweist, und daß sie die Antwort auf diese Frage schuldig bleibt. Es kann sehr wohl unter Vertragschließenden die Geltung einer Rechtsordnung global vereinbart werden, auch ohne daß sie ihre Einzelheiten kennen. Dies geschieht ja auch bei Abschluß eines Ehevertrages. An dem Mangel der Kenntnis der Bestimmungen braucht man sich nicht zu stoßen. Aber dabei wird eine durch den Gesetzgeber nach objektiver gerechter Interessenabwägung ausgearbeitete Rechtsordnung nicht etwa einseitig zum Inhalt des Vertrages gemacht, während hier eine von dem einen Interessenten (mitunter freilich unter der Garantie behördlicher Mitwirkung) ausgearbeitete Rechtssatzung ohne Vereinbarung kraft seiner einseitigen Bestimmung gelten soll. Soweit Allg.G. gesetzliche Verpflichtungen ihres Urhebers betreffen und solche gesetzlichen Verpflichtungen und die entsprechenden Befugnisse der Gegenseite ausschließen, kann man zugunsten dieser neueren Auffassung anführen, daß bezüglich des gesetzlichen Uberschusses über die den Geschäftsbedingungen entsprechenden Verpflichtungen kein Vertrag zustande kommt. Sagt der eine Teil: Ich verpflichte mich nur zu meiner Hauptleistung und gewissen Hilfsleistungen, zu weiterem nicht, so kann der andere Teil dieses Versprechen annehmen, damit aber keine weitergehenden Ansprüche erwerben, wenn entweder nach Treu und Glauben und Verkehrssitte oder kraft ausdrücklicher Kundgebung das Leistungsversprechen nur mit dem aus den Allg.G. ersichtlichen Inhalt gegeben erscheint. Aber dieser Versuch einer Begründung scheitert daran, daß auch die abdingbaren gesetzlichen Folgen einer Einigung ungewollt eintreten, ihr Ausschluß also vereinbart sein muß, und außerdem besteht der Inhalt der Allg.G. regelmäßig nicht nur in dem Ausschluß oder der Abschwächung der sich aus dem Vertrage gemäß gesetzlicher Norm ergebenden Verpflichtungen, sondern auch in Leistungen der Gegenseite, zu welchen ohne Vereinbarung keine Verpflichtung begründet werden kann, außerdem in der Bestimmung von Folgen aus gewissen Tatbeständen (besonders, wenn es sich um Geschäftsbedingungen handelt, die nicht für einzelne gleichbleibende Leistungen, sondern für eine Dauerverbindung gelten sollen), und in Bestimmungen über Gefahrenübergang, Erfüllungsort und vieles andere. Es bleibt nach dieser neueren Auffassung unklar, woher die von Vereinbarung unabhängige normative Kraft dieser Bestimmungen kommt, wenn sie nicht aus der Verkehrssitte abgeleitet werden kann. Anm. 17d. Die Allgemeinen G e s c h ä f t s b e d i n g u n g e n gelten nicht schrankenlos. Es ist Anm. 17 dargelegt worden, daß sie dazu verleiten, die Interessen ihres Urhebers rücksichtslos auf Kosten des Vertragsgegners zu wahren. Hiergegen einzuschreiten, hat sich die Rechtsprechung stets für berufen gehalten, aber sie verfuhr zaghaft und methodisch nicht unbedenklich. Meist ging sie unzulässig in der Weise vor, daß sie im Wege der Auslegung den Inhalt der Allg. G. so korrigierte, daß er, soweit er anstößig war, als angeblich nicht gewollt entfiel. So wurde z. B. die F r e i z e i c h n u n g

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Geschäftsbedingungen. Sachliche Schranken der Geltung (Godin)

§ 346 Anm. 17 d von der H a f t u n g f ü r V e r s c h u l d e n stets so ausgelegt, daß die Haftung für eigenes Verschulden des Unternehmers und seiner Organe sowie seiner leitenden Angestellten damit nicht gemeint sei, womit der Inhalt der Bestimmung aufhörte, anstößig zu sein, wobei aber — sehr verwunderlich — die Haftung für Verschulden technischer höherer Angestellter (Ingenieure) als vom Ausschluß betroffen anerkannt wurde. In dieser Weise hat das Reichsgericht unüblichen und unangemessenen Bestimmungen, wenn die Geschäftsbedingungen nur bekannt gemacht und nicht individuell mitgeteilt waren, die Anerkennung versagt, weil nicht anzunehmen sei, daß der Vertragsgegner sich ihnen habe unterwerfen wollen (RG. 103, 86; BankA. 28, 185; JW. 31, 19584; Warn.Rspr. 1932 Nr. 1713). Nur wenn eine Bestimmung sich nach dieser Methode im Wege der Auslegung nicht so korrigieren ließ, daß ihr Inhalt erträglich wurde, wurde die Frage des Verstoßes gegen die guten Sitten aufgeworfen. Nach den RG. 128, 251; Warn. 1934, 187 aufgestellten Grundsätzen sollen in erster Linie die Allg. G. nach ihrem Gesamtcharakter und erst in zweiter Linie die einzelnen Bestimmungen auf ihren sittlichen Wert zu prüfen sein. Diese an sich richtigen Grundsätze wurden jedoch auf die Allg. G. nicht wirklich angewandt. RG. hat stets nur die einzelnen Bestimmungen auf Sittenwidrigkeit untersucht, dabei aber, wie gezeigt, jeweils zuerst nach einer Auslegung gesucht, die ihren Inhalt sittlich unangreifbar machte. Es ist daher kein Fall bekannt, in welchem RG. Allg. G. wegen Unsittlichkeit des Gesamtcharakters, aber auch keiner, in dem es wegen der Unsittlichkeit einzelner Bestimmungen die Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit oder gar das Umsatzgeschäft selbst, für welches ihre Geltung vereinbart war, für nichtig erklärt hätte. Wie erwähnt, hat RG. sogar einzelne Bestimmungen teilweise für nichtig (oder nicht vereinbart) erklärt, teilweise aufrecht erhalten. An die Stelle der nichtigen Bestimmung ließ es die gesetzliche treten (RG. JW. 1916, 362; RG. 142, 356). Nichtigkeitsgrund ist übermäßige Eigensucht. Mit Recht hat RG. JW. 38 S. 2398 erklärt: „Wer jede Rücksicht auf den Geschäftspartner aus dem Auge verliert, indem er seine eigensüchtigen Ziele verfolgt, handelt unsittlich." Ist eine übermäßiger Eigensucht entsprungene, sie inhaltlich kundgebende Bestimmung nichtig, weil sie „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstößt, so ist sie dies auch, wenn das Mittel, sie durchzusetzen, nicht Mißbrauch einer Monopolstellung ist. Gewöhnlich ist jedoch diese Voraussetzung gemacht und als gegeben befunden worden, wenn eine Bestimmung als nichtig erklärt wurde (bei richtiger Überlegung ist freilich auch eine inhaltlich nicht wegen übermäßiger Eigensucht nichtige Bestimmung unwirksam, wenn sie durch Mißbrauch einer Monopolstellung durchgesetzt wurde; vgl. unten). Dies beruht auf folgendem Gedankengang: Da die Rspr. es unterläßt, den Gesamtcharakter der Allg. G. eines Unternehmens zu würdigen, vielmehr immer die einzelne Bestimmung wertet, so handelt es sich immer um solche, welche dem Urheber der Allg. G. materiell vorteilhaft, seinen Vertragsgegnern nachteilig ist. Aus § 138 Abs. 2 wird von der Rechtsprechung und der h. L. geschlossen, daß ein bloß auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ein Rechtsgeschäft nicht unsittlich macht. Es ist vielmehr erforderlich, daß dadurch die Notlage, der Leichtsinn und die Unerfahrenheit des Vertragsgegners ausgebeutet wird. Der Große Zivilsenat hat nun aber Bd. 150,1 weiter ausgesprochen „daß auch ohne diese Voraussetzung bei auffälligem Mißverhältnis der Leistungen das Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB. unsittlich sei, wenn eine solche Gesinnung des die übermäßigen Vorteile Beanspruchenden festzustellen ist, daß das Geschäft nach Inhalt, Beweggrund und Zweck gegen das gesunde Volksempfinden verstößt. Auf diese Gesinnung kann u. U. aus dem Mißverhältnis selbst geschlossen werden. Wenn sich ein Teil böswillig oder grob fahrlässig der Erkenntnis verschließt, daß sich der andere aus einer mißlichen Lage heraus auf die schweren Bedingungen eingelassen hat, so kann dies in der Verbindung mit dem Mißverhältnis das Rechtsgeschäft nichtig machen. Wer im Wirtschaftsleben die schwächere Lage des anderen Teils bewußt ausnutzt, um übermäßige Gewinne zu erzielen, zeigt übermäßige Eigensucht und handelt sonach verwerflich. Aber auch der verstößt gegen das gesunde Volksempfinden, der sich in grob fahr-

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§ 344

Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften

Anm. 17 d lässiger Leichtfertigkeit oder böswillig der Erkenntnis verschließt, daß sich der andere Teil nur aus den Nachteilen seiner Lage heraus auf die beschwerlichen Bedingungen eingelassen hat." Nach dieser grundlegenden Entscheidung des Großen Zivilsenats — gegen welche hier nicht polemisiert sei, weil ihr die Diallele nicht bewußt wurde, die in jeder Beschreibung eines Verstoßes gegen die guten Sitten mit der Verletzung des gesunden Volksempfindens liegt, dessen Gesundheit übrigens jeweils untersucht und festgestellt werden müßte, oder ist das Volksempfinden etwa immer gesund?, es ist wie der gesunde Menschenverstand, ein Patient, der sich selbst für gesund erklärt — braucht bei auffälligem Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nicht der Wuchertatbestand des Abs. 2 des § 138 BGB. hergestellt zu sein, um das Geschäft unsittlich zu machen, es reicht dazu vielmehr schon das Bewußtsein oder die böswillige oder grob fahrlässige Außerachtlassung der Zwangslage des anderen Teiles aus, sich auf das Geschäft einlassen zu müssen. Wenn nun auch nicht gesagt ist, daß die Unsittlichkeit des Geschäftes immer ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraussetzt und ebensowenig, daß dieses nur dann geeignet ist, den Vorwurf der Unsittlichkeit zu begründen, wenn die erforderlichen zusätzlichen Tatbestandsmomente in der Ausnutzung einer Macht bestehen, so liegt es doch in der Natur der Dinge, daß bei Allg. G. nur ersteres und als zusätzliches Moment nur die Ausnutzung einer Macht in Frage kommt. Darauf ist es zurückzuführen, daß die Unsittlichkeit der Geschäftsbedingungen unter diesen beiden Gesichtspunkten untersucht zu werden pflegt, ohne daß weitere Voraussetzungen geprüft werden. Von den in den Allg. G. ständig wiederkehrenden Bestimmungen sind es insbesondere die schon erwähnte Freizeichnung von der Haftung für Verschulden und ferner die Ablehnung jedes Ersatzes eines von dem Besteller durch die Nichterfüllung oder mangelhafte Erfüllung erlittenen Schadens, die in Rechtsprechung und Schrifttum am meisten Ärgernis erregen, aber gleichwohl ständig wiederkehren und sich nichtsdestoweniger bis jetzt in allen Allg. G. behauptet haben. Dieses ist auf die schon erwähnte unzulässige Methode des RG. zurückzuführen, im Wege der Auslegung diesen Bestimmungen im Einzelfall das Gift zu nehmen und ihnen einen erträglichen Inhalt zu geben, so daß die Unternehmer durch ihre Beibehaltung keine Gefahr laufen, insbesondere nicht zu befürchten haben, daß die Allg. G. um dieser Bestimmungen willen im ganzen oder gar die Umsatzgeschäfte selbst für nichtig erklärt werden, deren Bestandteil sie wurden. An sich ist diese Methode, wie insbesondere Pagenstecher ZAk. 1939, 619 mit zahlreichen Belegen aus der reichsgerichtlichen Rspr. immer wieder betont, unzulässig. Unzulässig ist es insbesondere von der Würdigung des Gesamtcharakters abzusehen und nur die einzelnen Bestimmungen zu untersuchen und, wenn sie sich nicht durch Auslegung mildern lassen, für nichtig zu erklären, endlich aber, wenn einmal der Gesamtcharakter gewertet wird, von den anstößigen Bestimmungen so viele zu streichen, bis das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung verschwindet. (Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 277ff., 322—324; Schlegelberger, Festschrift für Bumke, 1939 S. l f f . '„Vertragsgestaltung durch den Richter"; Hildebrandt, Anm. 31 und 32 zu § 346 HGB. und AcP. 1943, 345; J . v. Gierke, Handelsrecht, § 57 V 1 halten den Richter im weiteren Umfange, als hier anerkannt wird, für berufen, wirksame Verträge abzuändern und festzustellen, wieweit ein Vertrag oder eine vertragliche Verpflichtung teilunwirksam ist.) Das auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung des Lieferers und Gegenleistung des Bestellers, welches nicht selten durch die weitgehenden Freizeichnungen des ersteren {von Haftung für Verschulden oder für Mängel, von Verpflichtung für Schadensersatz usw.) entsteht, wird zuweilen (z. B. Brunn, Die formularmäßigen Vertragsbedingungen der deutschen Wirtschaft) um deswillen verneint, weil der Lieferer bei seiner Preiskalkulation die Risiken, von denen er sich frei gezeichnet habe, nicht zu berücksichtigen brauche, und deshalb bei der Bestimmung des Preises entgegenkommen könne und komme. Das ist jedoch sowohl nach wirtschaftlichen als auch nach rechtlichen Gesichtspunkten unstichhaltig; nach ersteren, weil die Möglichkeit des Risikoausgleichs nur

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Geschäftsbedingungen. Sachliche Schranken der Geltung (Godin)

§ 346 Anm. 17 d auf Seite des Lieferers liegt, während der Besteller von dem Ausfall der Haftung des Lieferers schwer betroffen sein kann, und, um sich dagegen durch Versicherung zu schützen, sehr viel mehr als Prämie aufwenden müßte, als die Preissenkung des Lieferers beträgt. Nach rechtlichen Gesichtspunkten ist die Verweisung auf die Versicherungsmöglichkeit, selbst wenn der Lieferer gegen eine Preiserhöhung in Form einer Gebühr die Versicherung selbst zu nehmen sich erbietet — dies ließ RG. 99,111 noch zu — kein Ersatz für den Anspruch auf Vertragserfüllung, insbesondere etwa für den Anspruch auf Ware, und widerspricht sie der Sorgfaltsfiflicht des Lieferers und seiner Haftung für die Ordnungsmäßigkeit und Tauglichkeit seines Betriebes (Raiser S. 210; RG. 106, 286; JW. 27, 1580). Die Allg. G. entspringen dem Bedürfnis der Unternehmungen, ihre massenhaften Geschäftsabschlüsse edle einheitlich und gleichmäßig, möglichst in ihrem Interesse, zu regeln. Das ist es, was ihnen den normativen Charakter und deshalb dazu Veranlassung gibt, sie unter allgemein gültigen Gesichtspunkten zu werten und allgemein gültige Maßstäbe an sie anzulegen. Sind gleichwohl dabei individuelle Momente des einzelnen Umsatzgeschäftes, dessen Teil sie ja immerhin bleiben, z. B. besonders niedriger Preis, in Betracht zu ziehen? Kann durch diese das etwa durch den Inhalt der Allg. G. bis zur Unsittlichkeit gestörte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung ausgeglichen sein? Die Frage besteht auch umgekehrt: Können durch besondere Umstände des Einzelfalls allg. G. unsittlich werden? Die Frage ist von denen' zu bejahen, welche die Allg. G. als Bestandteil der für jeden Fall getroffenen Vereinbarung ansehen. Wer in ihnen eine von einem Teil der Volksgenossen dem anderen aufoktroyierte Rechtsordnung sieht (RG. DR. 41, 1210; RGZ. 170, 240; 171, 48; OGH. N J W . 49, 905; BGH. DRZ. 49, 545), müßte sie folgerichtig verneinen. Gleichwohlfwird sie von RG. 165,1 ff. bejaht. (Die Entscheidung stammt vom 5. Senat, während die anderen angeführten Entscheidungen vom 1., 6. und 7. Senat getroffen wurden.) Beachtlich ist, daß, wenn man die Frage bejaht, das sittliche Werturteil über allgemeine Geschäftsbedingungen möglicherweise ganz anders ausfallen wird, je nachdem ob sie zwischen dem Unternehmer und einem anderen Großunternehmen oder einem Privatkunden oder Kleinunternehmen gelten. Ein Großunternehmen, welches selbst massenhafte Verträge derselben Art (als Abnehmer von Lieferungen oder Dienst-, insbesondere Transportleistungen) abschließt, kann z. B. Schäden, die es bei fehlerhafter Vertragserfüllung infolge der Freizeichnung des Geschäftspartners selbst zu tragen hat, leichter ausgleichen und verwinden und wird daher eher auf billigere Preise oder Tarife sehen als ein Kleinunternehmer oder Privater. Individuelle Umstände, die bei Vertragsabschluß vorliegen, können einer dem Kunden nachteiligen Bestimmung der allg. G. im Einzelfall eine besondere Aktualität geben, welche dem Kunden nicht bekannt oder bewußt ist; unter solchen Umständen kann es unsittlich sein und die Vereinbarung der Bestimmung nichtig machen, wenn sie, sei es auch ohne Machtmißbrauch, herbeigeführt wurde, indem diese Unkenntnis des Vertragsgegners ausgenutzt wurde; solche Umstände sind übrigens im besonderen geeignet, auch wenn sie den Bestand der Vereinbarung der allg. G. nicht berühren, gemäß §242 BGB. ihre Anwendung auf das Erfüllungsgeschäft auszuschließen (vgl. jRG. 132, 308). Obwohl die Rechtsprechung wiederholt einzelne Bestimmungen allg. G. für nichtig erklärt hat, hat sie die Frage nicht gestellt, ob in einem solchen Fall nach dem Grundsatz des § 139 BGB. nicht die Geschäftsbedingungen in ihrer Gesamtheit oder gar das Umsatzgeschäft nichtig war. Die Schwierigkeit dürfte für den nicht bestehen, der in den allg. G. eine Rechtsordnung sieht; denn dieser versagt der einzelnen Bestimmung wegen unsittlichen Charakters nur die Geltung als Bestandteil einer Rechtsordnung, was aber die gültige Rechtsordnung nicht berühren kann. Ebenso besteht die Schwierigkeit auch für den nicht, welcher die allg. G. zwar nicht als eine Rechtsordnung anerkennt, aber davon ausgeht, daß ihnen die Rechtsordnung nicht ohne weiteres Wirkung verleiht, weil sie nach der Art ihres Zustandekommens nicht die Gewähr der Gerechtigkeit in sich tragen, wie sonst Verträge unter Gleichberechtigten; denn es wird zwar von diesem Standpunkt aus von der Rechtsordnung dem einseitigen Willen des einen Partners, der diesen dem anderen Partner auferlegt — unter Vorbehalt richterlicher Nachprüfung —, Wirkung verliehen, aber soweit sie es nicht tut, kann man nicht von Teil-

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Affin. 17 d nichtigkeit des Geschäftes sprechen; der Fall liegt vielmehr nicht anders als wenn sonst das Gesetz gewisse, von den Parteien gewollte Wirkungen nicht eintreten läßt (z.B. § 344, 624, 724 BGB.). Endlich besteht die Schwierigkeit auch nicht für den, der den Richter für befugt hält, Verträge zu korrigieren. Letzterer freilich begegnet einer noch schwierigeren Frage, nämlich, wie weit der Richter, der zunächst zu Lasten des einen Teiles in einen Vertrag eingreift, bei diesem Eingriff gehen, ob er insbesondere durch einen weiteren Eingriff das Verhältnis der Leistungen wiederherstellen kann oder muß, das er durch den ersten Eingriff gestört hat. Sehba, Bedeutung und Wirksamkeit autonomer Vertragsbedingungen im^Verkehr, S. 18, fordert z. B. zugunsten des Unternehmers, dessen Freizeichnungsklausel gestrichen wurde, energisch Preiserhöhung; ihm entgegnet Raiser S. 325 mit Recht, daß der Unternehmer, der infolge der Unwirksamkeit der Freizeichnungsklausel ein größeres Risiko, als ihm bewußt war, getragen hat, sich nur in einem Kalkulationsirrtum befunden habe (oder fehlte es an der von ihm vorausgesetzten, dem anderen Teil bekannten, wenn auch nur notgedrungen gebilligten Geschäftsgrundlage?). Die Schwierigkeit der Teilnichtigkeit und ihrer Tragweite gemäß § 139 BGB. besteht also nur für denjenigen, welcher die allg. G. als einen Bestandteil des vereinbarten Rechtsgeschäftes ansieht und dem Richter die Befugnis abstreitet, den Vertrag zu korrigieren. Dieser muß für die Nichtigkeit des ganzen Geschäftes einschließlich des Umsatzgeschäftes eintreten, weil nicht anzunehmen ist, daß beide Teile den Vertrag ohne die nichtige Bestimmung gewollt hätten (§ 139 BGB.). Der Ersatz einzelner oder aller Bestimmungen der allg. G. durch die gesetzlichen (RG. 142, 356) läßt sich von diesem Standpunkt aus nicht begründen (s. aber unten). Hat auch die Rechtsprechung, wie beinahe selbstverständlich, nie aus den Augen verloren, daß Geschäftsbedingungen wie ihre einzelnen Bestimmungen auch ohne auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wegen ihres gesamten Inhalts, Zwecks und Beweggrundes unsittlich sein können, so hat doch immer jenes und, da es für sich allein nach ständig festgehaltener Ansicht ein Rechtsgeschäft nicht unsittlich macht, die mißbräuchliche A u s n u t z u n g e i n e r V o r m a c h t s t e l l u n g die Hauptrolle gespielt. Dazu hat sich das ursprünglich aufgestellte Erfordernis einer Monopolstellung (RG. 99, 107) schon frühzeitig abgeschwächt. Voraussetzung ist, daß es sich um ein für den Verkehr unentbehrliches Gewerbe handelt (RG. a. a. O. 106, 388). Es genügt aber schon der Ausschluß der Konkurrenzmöglichkeit (ebenda) und der Zusammenschluß der Gewerbetreibenden eines Bezirks (RG. 103, 82; 106, 88). Es genügt, wenn die zusammengeschlossenen Unternehmen zwar kein Monopol innehaben, aber eine Gruppe bilden, auf die ein bestimmter Kreis der Geschäftswelt angewiesen ist, weil ihre Angehörigen nach den Anschauungen des Verkehrs allein die Gewähr für eine seinen Anforderungen entsprechende Ausführung des Geschäftes und ausreichenden Vermögensrückhalt bieten, um Schadensersatzforderungen nachkommen zu können (RG. 115, 220). Denn dann befindet sich der kaufmännische Verkehr gegenüber dieser Gruppe in einer Zwangslage und werden ihre Mitglieder nicht aus freier Abwägung der damit verbundenen Vor- und Nachteile in Anspruch genommen (ebenda). Dieser Grundsatz, der schon die Zwangslage des Verkehrs als Voraussetzung genügen läßt, geht überaus weit. Aus der Kasuistik der Rechtsprechung seien außer den schon angeführten folgende Bestimmungen angeführt, welche wegen Mißbrauchs einer Vormachtstellung als nichtig festgestellt wurden, wozu aber ausdrücklich nochmals betont sei, daß die Nichtigkeit den erwähnten Mißbrauch einer Machtstellung voraussetzt, und nicht auch sonst immer anzunehmen ist, wenn dieser Mißbrauch nicht feststellbar ist. Allgemein ist als sittenwidrig erachtet worden, wenn unter Mißbrauch einer Macht dem allgemeinen Verkehr unbillige, unverhältnismäßige Opfer auferlegt oder unbillige, unverhältnismäßige Bedingungen vorgeschrieben werden, welche von den allgemeinen und angemessenen Bedingungen abweichen, etwa der Verzicht auf rechtmäßige Ansprüche (RG. 79, 229; 143, 28), ferner wenn der Inhaber der Macht mißbräuchlich bei den Bedingungen, zu welchen er seine Verträge abschließt, einseitig seine Belange zugrunde legt, ohne Rücksicht darauf, ob diese mit den allgemeinen Verkehrsbedürfnissen vereinbar sind (ebenda und JW. 38 S. 298) oder wenn er unter Umkehrung

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Geschäftsbed. SachL Schranken d. Geltung. Kasuistik a. d. Rspr. (Godin) § 346 Anm. 17 d der vom Gesetzgeber gewollten und vom Verkehr als billig empfundenen Rechtslage sich unverhältnismäßige Opfer ausbedingt, zumal wenn dadurch dem Verkehr besondere Fesseln aufgezwungen werden (ebenda). Diese in der angeführten Entscheidung zusammengestellten Tatumstände wurden als gegeben angesehen in folgenden Fällen: wenn die Benutzung einer dem Staat gehörigen Wasserstraße davon abhängig gemacht wird, daß auf Ersatz aller Schäden verzichtet wird, welche bei der Benutzung infolge Verschuldens des Staates oder seiner Angestellten entstehen (RG. 62, 264, 68, 358; dagegen wurde der vertragliche Ausschluß jeder Haftung des Reiches für Verschulden seiner bei der Schleppung beteiligten Angestellten durch den Schleppvertrag für zulässig gehalten, weil die staatliche Monopolstellung nur hinsichtlich der Benutzung des Kanals bestand, die Schleppung aber auch andere Unternehmer übernahmen (RG. 81, 316). Als sittenwidrig wurde angesehen, wenn Gas- oder Elektrizitätswerke im Konkurs von Abnehmerbetrieben oder in der Zwangsverwaltung von Grundstücken der Kraftabnehmer die Weiterbelieferung von der Bezahlung der Rückstände als Masseschulden abhängig machen, um sich eine bevorzugte Stellung zu verschaffen (RG. 132, 276). Wie schon erwähnt, hat das RG. sich in einer Reihe von Entscheidungen (99, HO; 102, 396; 103, 82,106, 388; 115, 218) mit dem Ausschluß der Haftung des Unternehmers für Verschulden und dem Ausschluß der Verpflichtung zum Schadensersatz befaßt, welche für den Unternehmer ein unabsehbares Risiko -bedeuten kann, da er ja nicht übersehen kann, welche Schäden bei dem Abnehmer, insbesondere durch dessen eigene Haftung gegenüber Dritten aus Verträgen entstehen können. Desgleichen war die Klausel, daß wegen Mangelhaftigkeit der Ware oder des Werkes weder Wandlung noch Preisminderung (noch gar Schadensersatz), sondern nur Nachbesserung verlangt werden könne, wiederholt Gegenstand reichsgerichtlicher Entscheidungen. Diese Ausschlußklauseln gingen im allgemeinen soweit, daß das RG., obwohl es grundsätzlich anerkennt, daß es nur unter besonderen Umständen (Mißbrauch der Vormachtstellung und unerträgliche Bedingung) gegen die guten Sitten verstößt, eine gesetzliche Haftpflicht vertraglich abzudingen (JW 31, 2719), regelmäßig (immer unter der Voraussetzung, daß eine Vormachtstellung ausgenutzt war und daß es sich um einen unentbehrlichen Gewerbebetrieb handelt) ihre Unzulässigkeit festgestellt und mitunter scharfe Worte gebraucht hat, indem es von „gänzlicher Umkehrung der vom Gesetzgeber gewollten und vom Verkehr als billig empfundenen Rechtslage" sprach. Es hat aber ständig gerade diese Klausel nicht etwa für schlechthin nichtig, sondern nur insoweit unanwendbar erklärt, als sie über das zulässige Maß hinausgingen und zuweilen im Wege der Auslegung ihren Inhalt auf das zulässige Maß reduziert. So hält das RG. den Ausschluß der Haftung für fahrlässiges und selbst vorsätzliches Verschulden gewöhnlicher Angestellter für zulässig, für unzulässig nur den Ausschluß der Haftung für eigenes Verschulden und Verschulden leitender Angestellter, auch wenn es nur in Fahrlässigkeit besteht. Es bleibt also insbesondere die Haftung für schlechte Organisation des Betriebes, für Verschulden bei Auswahl. Anleitung und Beaufsichtigung des Personals bestehen (LZ. 1922, 2703) denn trotz aller Freizeichnungsklauseln vertraut der Verkehr darauf, daß der Betrieb des Inhabers ordnungsmäßig organisiert ist (LZ. 1931, 1065) und ist er berechtigt, darauf zu vertrauen (Raiser S. 308/9), nimmt der Betriebsinhaber auch dieses Vertrauen in Anspruch. Deshalb haftet ein Betrieb wegen Verschuldens der Geschäftsleitung, wenn diese es möglich sein läßt, daß ein Vorarbeiter ein Gut entgegennimmt, dessen Verbleib nicht mehr festgestellt werden kann (RG. 109, 396). Die reichsgerichtliche Rspr. stellt LZ. 1931, 1065 auch darauf ab, daß das Gesetz für gewisse Gewerbe, für welche diese Rspr. hauptsächlich ergangen ist, eine besonders strenge Haftung vorsieht. Es dürfte aber unrichtig sein, den Grundsatz, daß der Unternehmer für die Organisation seines Betriebes haftet, auf diese Gewerbe zu beschränken. Andererseits versagt RG. dem Ausschluß der Haftung für Verschulden des Betriebsinhabers und leitender Angestellter die Anerkennung nicht nur, wenn es sich um die Organisation, Leitung, Auswahl, Anweisung usw., sondern auch um die Durchführung des einzelnen Geschäftes handelt. Dies geht nach Raiser a. a. O. zu weit. In der Tat trifft hierauf die oben angegebene Begründung für den Grundsatz nicht mehr zu, andererseits ist auch der Einwand, daß RG. den Großunternehmer damit weniger haften lasse als den mitarbeitenden kleinen deshalb verfehlt, weil dieser wohl nie Inhaber einer 61

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 d Machtstellung ist, also nach § 278 BGB. die Haftung für alle seine Angestellten und auch für eigene Fahrlässigkeit ausschließen kann. Für Auskunfteien hat RG. (LZ. 1931, 1065) den gleichen Grundsatz nicht angewandt, mit dem Ergebnis, daß sie für unrichtige Auskünfte nicht haften, wenn sie auf Verschulden des Berichters oder Übertragungsfehlern beruhen. Unterstützend wurde in jenem Falle erwogen, die geringe Gebühr für die Auskünfte und daß das Gesetz keine erhöhte Haftpflicht vorsehe, in einer früheren Entscheidung, daß das Gewerbe nicht unentbehrlich sei und keine Vormachtstellung bestehe. Weiter verbreitet als Klauseln, welche schlechthin jeden Schadensersatz ausschließen, sind solche, die nur mittelbare Schäden betreffen, welche nicht an den Vertragsgegenstand, sondern an anderen Sachen oder Personen oder durch entgangenen Gewinn entstehen und deren möglicher Umfang durch den Verkäufer (Unternehmer) unübersehbar ist. RG. 142, 254 hat für die Kraftwagenindustrie in einem Falle, in welchem ein Unfall durch einen Mangel des Kraftwagens entstand, den Ausschluß der Haftung für mittelbare Schäden nicht beanstandet, den Kreis der Fehler selbst freilich, auf den sich die Klausel bezog, durch die Überlegung eingeengt, daß dabei die Konstruktionsfehler von der Klausel ausgeschieden wurden, andererseits bei Materialund Arbeitsfehlern ein Verschulden des Inhabers oder leitender Angestellter nicht wohl in Frage kommt. Weit verbreitet ist die Klausel, wonach der Anspruch auf Wandlung und Preisminderung ausgeschlossen und durch eine Verpflichtung des Unternehmers, nachzubessern ersetzt wird, die meist auf alle während einer bestimmten Frist sich zeigenden Fehler einerseits beschränkt, andrerseits erstreckt wird. Diese Klausel blieb unbeanstandet (JW. 1926, 2526; LZ. 1929, 1031), versagt aber zugunsten der gesetzlichen Gewährleistung (Wandlung, Preisminderung, Schadensersatz wegen Nichterfüllung), wenn die Nachbesserung vergeblich versucht worden ist (RG. 87, 335; 96, 267; 142, 356 ob.; LZ-1931,1379) oder wegen völliger Unbrauchbarkeit ausgeschlossen ist (Warn. Rspr. 1922 Nr. 10, RG. 142, 356 ob.). Bezieht sich die Klausel über Ausschluß von Schadensersatz, Wandlung oder Preisminderung auf „Arbeits- und Materialfehler", so sind Konstruktionsfehler nicht davon betroffen (RG. 142, 356; JW. 916, 36a, beidemal ohne die Frage zu stellen, ob die Haftung für Konstruktionsfehler wirksam ausgeschlossen werden kann). Für unbedenklich hält RG. 147, 381 den Eigentumsvorbehalt bis zur Bezahlung aller früheren und zukünftigen Lieferungen, ferner BA. 34, 301 eine Bestimmung, wonach alle Wertpapiere, die für Rechnung eines Kunden in den Besitz der Bank geraten, für alle ihre gegenwärtigen und künftigen Forderungen gegen den Kunden als Pfand dienen. Wenn aber Hildebrandt Anm. 31 zu § 346 seine Zustimmung zu dieser Entscheidung mit dem Interesse der „Allgemeinheit" als solcher, die sich der Bank zur Befriedigung ihrer Kreditbedürfnisse bedient, daran begründet, daß die Bankansprüche gesichert seien, so ist dieser Gesichtspunkt abzulehnen. In mehreren Entscheidungen wurde eine Fristversäumung entgegen den Bestimmungen der allg. G. für unschädlich erklärt. In zweien (RG. 98, 122; Hans GZ. 1930 B 35) handelte es sich um die Versäumung einer nur 48 stündigen Frist für Anmeldung von Ersatzansprüchen wegen Beschädigung eines geschleppten Kahnes gegen die Schleppschiffahrtreederei. RG. 98; 122 führt mit grundsätzlichen Gesichtspunkten aus, die Bestimmung über die Frist sei, wenn man den Schiffseigner nicht auf rein formalistischen und der Vertragstreue widersprechenden Wegen seiner Ansprüche berauben wolle, nur beachtlich, wenn der Reeder im Einzelfall ein besonderes Interesse daran nachweisen könne, daß die Frist innegehalten werde. Zu diesem Ergebnis kommt die Entscheidung, indem sie die Bestimmung gemäß dem mutmaßlichen billigen Willen der Reedereien auslegt. HansGZ. 1930 B 25 stellt auch auf § 138 BGB. ab, verläßt sich also nicht bloß auf Auslegungskunst. Besonders wertvoll ist die von Hildebrandt Anm. 32 zu § 346 mitgeteilte unveröffentlichte E. RG. II 55/42 vom 19.10.1942, die von einer Bestimmung handelt, wonach auch Beanstandungen wegen äußerlich nicht erkennbarer Mängel einer Kaufsache innerhalb dreier Tage nach Empfang der Ware mitzuteilen waren. RG. erklärte diese Bestimmung auch ohne Monopolstellung für unsittlich und nichtig und die Berufung

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Geschäftsbed. Sachl. Schranken d. Geltung. Kritik a. d. Rspr. (Godin) § 346 Anm. 17 d auf sie als unvereinbar mit § 242 BGB., weil die Bestimmung dem Käufer tatsächlich alle Rechte wegen geheimer Mängel entziehe und vom Standpunkt der Allgemeinheit aus Rechte und Pflichten nicht gerecht verteile. An Stelle der Bestimmung wurde § 377 HGB. angewandt. Als nicht unsittlich trotz Ausnutzung einer Monopolstellung wurde angesehen, wenn ein Elektrizitätswerk nur mit Denjenigen Stromlieferungsverträge eingeht, die die Installation durch besonders bezeichnete Firmen vornehmen lassen, weil es das gleiche Interesse an der guten Installation habe wie der Stromabnehmer, auch wenn es dabei auf seinen eigenen wirtschaftlichen Vorteil bedacht sei und die Kosten der Installation bei freiem Wettbewerb geringer wären (RG- 79, 224), ferner auch dann nicht, wenn das Elektrizitätswerk höhere Preise von denjenigen Gewerbetreibenden fordert, die es in kritischen Zeiten in besonderem Maße in Anspruch nehmen (LZ. 1923, 65111). Gültig ist nach OLG. München HRR. 42 Nr. 377 die Bestimmung, daß Zahlungen wegen irgendwelcher Gegenansprüche oder Einreden des Bestellers, auch wenn sie sich auf Sachmängel beziehen, nicht zurückgehalten werden dürfen (in der Tat ist hierin zumindest keine Störung des Gleichgewichts zwischen Leistung und Gegenleistung zu sehen). Als zulässig wurde die Verkürzung der Verjährungsfrist, auch für Ansprüche aus Vorsatz (RG. 135, 176), angesehen. Die Nichtigkeit der allg. G. ergreift auch eine darin enthaltene Schiedsgerichtsklausel, so daß nicht etwa über ihre Gültigkeit das vereinbarte Schiedsgericht entscheiden kann (RG. 43, 408; 58, 155; JW. 1935, 26171). Die Gültigkeit von weiteren Klauseln, die vorstehend nicht erörtert sind, insbesondere der allg. G. der Banken, sind bei der einschlägigen Gesetzesstelle, letztere bei § 355, erörtert. Natürlich kann eine Bestimmung der allg. G. auch ohne Ausnutzung einer Vormachtstellung nach Inhalt, Beweggrund und Zweck unsittlich und deshalb nichtig sein, aber dann muß es sich um etwas anderes als bloß um Verhältnismäßigkeit von Leistung und Gegenleistung handeln. Die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit allg. G. ist von Amts wegen zu prüfen. Es entscheiden die Anschauungen zur Zeit des Urteils und die Umstände zur Zeit des Vertragsschlusses. Mit Recht wird von beachtlicher Seite gegen die Rspr. des RG. eingewandt, daß sie zu einseitig von dem Gesichtspunkt der guten Sitten ausgehe und dabei zu sehr die Voraussetzung einer Ausnutzung einer Vormachtstellung betone. Raiser a. a. O. S. 277 sieht deshalb die Grenzen der Gültigkeit der allg. G. in den Schranken, welche der Vertragsfreiheit überhaupt durch den Vorrang der Gemeinschaft und ihrer Interessen vor dem einzelnen und seinen Interessen gezogen seien. Aber in Wahrheit handelt es sich ja gar nicht um die Interessen der Gemeinschaft, sondern die der einzelnen Vertragsgegner, die, auch wenn deren viele in derselben Lage sind, noch immer nicht die Gemeinschaft und deren Interessen vielmehr noch immer die Interessen Einzelner sind, wenn auch durch die Zahl der Vertragsabschlüsse vervielfacht. Das Interesse der Gemeinschaft an dem Lieferwerk und seiner Prosperität kann sehr viel größer sein als an den durch den einzelnen Vertragsabschluß engagierten Interessen seiner Abnehmer, mögen auch diese zahlreich sein, und gleichwohl bleiben letztere gegenüber dem ersteren schutzwürdig. Der richtige Ausgangspunkt ergibt sich aus den Ausführungen in Anm. 2 vor Ziff. 1. Ihn nimmt auch Haupt, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken, und in seiner Abhandlung „Vertragsfreiheit und Gesetz" ZAk. 1943 S. 84 ein. Gleichgültig, ob die allg. G. dem Vertragsgegner bekannt waren oder nicht, und wie sie in das konkrete Einzelumsatzgeschäft eingeführt sind, ob durch ausdrückliche Verweisung oder stillschweigend oder durch die Norm der Verkehrssitte, sind sie aufgezwungen und tragen sie daher nicht die Gewähr der Gerechtigkeit (Haupt sagt: Richtigkeit) in sich, wie der ausgehandelte Individualvertrag gleichberechtigter Partner (dem das Gesetz gleichfalls die Anerkennung versagt, wenn der eine Teil willensunfrei war (§ 138 Abs. 2, § 119, § 123 BGB.)). Wie das Gesetz auch sonst häufig durch ausdrückliche zwingende Norm sich der schwächeren Seite annimmt und die autonome Herbeiführung von Rechtsfolgen verwehrt, so kann es auch die Rechtsfolgen, die angeblich von beiden Teilen, in Wahrheit nur von einem Teil gewollt sind, nicht zulassen, 63

§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17d ohne daß ihre Gerechtigkeit richterlich nachgeprüft wird, wenn der eine Teil sie nachträglich bestreitet. Denn das Maß von Gewähr der Gerechtigkeit, das ein, Individualvertrag bietet, und um dessentwillen die Rechtsordnung die durch einen solchen bedungenen Rechtsfolgen ohne weiteres eintreten läßt, bieten eben allg. G. nicht. Für gerecht erachtet der Gesetzgeber die von ihm für den Individualvertrag getroffene zwingende und dispositive Regelung: das heißt einerseits, soweit er nachgiebige Bestimmungen getroffen hat, nicht, daß er nicht für ein bestimmtes Gewerbe, eine bestimmte Leistung oder Ware eine andere gerechtere Regelung denkbar hält und deshalb gestattet (a. A. Roquette, DR. 38, 548, der jede Abweichung von einer dispositiven gesetzlichen Norm beanstandet), und andererseits, daß diese andere Regelung, wenn sie einseitig getroffen wird, wegen des Mangels der ihr innewohnenden Gewähr für Gerechtigkeit sich von den gesetzlichen nachgiebigen Normen nicht weiter entfernen darf, als zur Herstellung der Gerechtigkeit erforderlich ist. Gerecht ist aber nicht, was der Gemeinschaft frommt und ihrem Interesse entspricht, sondern die gleichmäßige Wahrung der Interessen beider Teile. Der vom RG. wiederholt ausgesprochene Grundsatz, daß unter dem Gesichtspunkt der guten Sitten der Inhaber einer Vormachtstellung nicht behindert sei, sein Interesse zu bevorzugen und daß nur ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung, ein unerträgliches Opfer des Verkehrs, eine Umkehrung der gesetzlichen Regelung, die völlige Rechtlosigkeit des einen Teiles nicht geduldet werden könne, geht unter diesem Gesichtspunkt nicht weit genug. Hildebrandt Anm. 31 verlangt eine vom Standpunkt der Allgemeinheit (warum dieser?) aus gerechte Verteilung der Rechte und Pflichten. Wenn hier der Standpunkt der Allgemeinheit beschworen wird, nur um auszudrücken, daß individuelle Umstände des Einzelfalles außer acht gelassen werden müssen, so kann dem zugestimmt werden, jedoch nur mit der Maßgabe, daß im Einzelfall dessen individuelle Gestalt nach § 242 BGB. zu berücksichtigen sein kann. Auch dann kann man mit Hildebrandt einverstanden sein, wenn der Standpunkt der Allgemeinheit gleichbedeutend sein soll mit der allgemeinen Anschauung. Auf den Standpunkt der Allgemeinheit als Interessenten aber kommt es nicht an, sondern nur auf die gerechte Abwägung der Interessen der einen und der anderen Seite. Von dieser Meinung aus kann die Frage nicht auftauchen, ob der gesamte Inhalt der Geschäftsbedingungen zu verwerfen ist oder gar ob das ganze Umsatzgeschäft hinfällig wird, wenn eine Bestimmung nicht anerkannt wird. § 139 Ausnahmehalbsatz, der auf den Parteiwillen abstellt, spielt keine Rolle. Niemand kann damit gehört werden, daß er einen gerechten Vertrag nicht geschlossen hätte. Es ergibt sich aus dieser Meinung auch ohne weiteres, daß die gesetzlichen Bestimmungen an die Stelle der nicht anzuerkennenden treten. Auch nach dieser Meinung besteht für die Rechtsprechung die von ihr schon bisher reichlich wahrgenommene Möglichkeit, die Geschäftsbedingungen im Wege der Auslegung zu ändern. Mit der Feststellung der Möglichkeit wird aber nicht gesagt, daß diese Methode zulässig sei. Dies ist vielmehr zu verneinen. Denn ebensowenig wie die Gerichte, von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 343 BGB. abgesehen — sei es auch im Wege der Auslegung — Verträge ändern dürfen (RG. 76, 78; 103, 333; JW. 10, 62; 11, 534; 27, 691; 34, 753; HRR. 34, 1275; aber Schlegelberger, Festschr. f. Bumke, Vertragsgestaltung durch den Richter), dürfen sie eine gesetzliche Norm ändern, welche anwendbar bleibt, wenn der Parteinorm, die an ihre Stelle treten sollte, die Rechtsfolge versagt bleibt. Im Schrifttum wird gestritten, ob für die Auslegung der allgemeinen Geschäftsbedingungen die G r u n d s ä t z e gelten, welche für die Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen anzuwenden sind, oder jene über die Auslegung von Gesetzen. Wenn auch die allgemeinen Geschäftsbedingungen einseitig oktroyierte Normen sind, so beruhen sie doch auf dem Willen, wenn nicht beider, so wenigstens einer Partei und stellen sie die Erklärung dieses Willens dar. Folgerichtig müssen die Grundsätze für die Auslegung von Parteierklärungen maßgebend sein (vgl. hierüber Anm. 2 vor Z. 1). Aber da es sich darum handelt, den Sinn einer Erklärung zu ermitteln, welche für eine Unzahl typischer gleicher Fälle gelten soll, und auch, wenn sie Bestandteil des einzelnen Vertrages werden, doch eben auch für diesen denselben Sinn haben soll wie in einer

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Widersprechende Geschäftsbedingungen. Anfechtung

§ 346 Anm. 17 d Vielzahl anderer gleicher typischer Fälle, so können für die Auslegung die individuellen Umstände des einzelnen Falles nicht herangezogen werden, sondern nur die typischen (RG. 155, 133). Das gilt aber nur von der Auslegung der allgemeinen Geschäftsbedingungen, nicht von der Auslegung der Erklärung des Kunden, daß er damit einverstanden sei, daß sie zur Grundlage des Geschäftes gemacht werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Auslegung der Allg. G. revisibel, wenn sie für mehr als einen OLG.-Bezirk Bedeutung haben. Ist durch die Auslegung ein eindeutiger Sinn der allg. G. nicht zu ermitteln, so ist nicht Dissens anzunehmen, sondern gilt hilfsweise der Satz: in dubio contra stipulatorem (RG. 120, 18; 145, 26 und neuerdings BGH. N J . 52, 657; bestr.). Der zutreffenden Begründung Raisers a. a. O. S. 261 f. ist beizupflichten. Die Verantwortung für die Eindeutigkeit der allg. G. trägt der Unternehmer, auch wenn sie nicht einseitig von ihm aufgestellt sind, der sie dem Kunden fertig vorlegt (Raiser a. a. O. S. 263; OLG. Hamburg HEZ. 3, 56; a. A. Gierke, Handelsrecht, S. 406/7). Verweist der Unternehmer auf allg. G. mehrerer Verbände, so gelten die Bedingungen desjenigen Verbandes, dessen Bedingungen einschlägig sind (OLG. Hamburg HEZ. 3, 54). Haben die Parteien beide ihre Geschäftsbedingungen einander zugeleitet und nicht erklärt, welche gelten sollen, so gibt sich darin eine solche Gleichgültigkeit gegenüber der durch die allg. G. getroffenen Regelung kund, daß die davon betroffenen Punkte im subjektiven Sinn der Parteien nicht als Hauptpunkte ihres Vertrages erscheinen. Haben sie sich über den individuellen Teil ihres Vertrages (Lieferung und Preis) zweifelsfrei geeinigt, so liegt also selbst, soweit der Widerspruch zwischen den beiderseitigen ^Geschäftsbedingungen erheblich ist, kein Mangel der Einigung über einen Punkt vor, über welchen nach der Erklärung auch nur einer von ihnen eine Vereinbarung getroffen werden soll. §jl54 BGB. Abs. 1 ist also nicht anzuwenden. Vielmehr ist §155 entsprechend anwendbar. Der Vertrag gilt, soweit die individuelle Einigung reicht und die allg. G. sich nicht widersprechen, und sie nebeneinander bestehen können. Im übrigen gelten die dispositiven gesetzlichen Bestimmungen. Der Rspr. ist nicht beizupflichten, soweit sie schematisch die allg. G. desjenigen Teiles gelten lassen will, der zuletzt auf die seinigen verwiesen hat, ohne den Widerspruch der Gegenseite zu erfahren. Denn es ist nicht zu übersehen, daß die letztere, die ja auch auf ihre allg. G. verwiesen hat, ihr Einverständnis mit der Geltung der davon abweichenden Bedingungen des anderen Vertragsteils durch bloßes Schweigen nicht kund gibt (s. auch OLG. Hamburg a. a. O.). Die A n f e c h t u n g der „Unterwerfung" unter die allg. G. des Vertragsgegners hat in der Rechtsprechung kaum eine Rolle gespielt (vgl. jedoch RG. 48, 218; J W . 26,1325 und 27, 764, wo freilich die Anfechtbarkeit zu Unrecht für möglich erklärt wird). Es wurde oben gesehen, daß der Inhalt der allg. G. — freilich nur in seltenen Fällen — ganz oder teilweise, insbesondere einzelner Bestimmungen Handelsbrauch, d. i. Verkehrssitte geworden sein und als solche gelten kann. Die allg. G. enthalten dann Rechtssätze. Insoweit ist eine Anfechtung wegen Irrtums über sie und über ihre Geltung ausgeschlossen; denn es handelt sich um eine unmittelbare Rechtsfolge des Vertragsschlusses, deren Unkenntnis nicht zur Anfechtung berechtigt. Dagegen ist auch in einem solchen Falle eine Anfechtung des Vertragsschlusses wegen arglistiger Täuschung über seine Rechtsfolgen (das Bestehen und den Inhalt allg. G.) denkbar. Es kann nach früheren Ausführungen aber auch so sein, daß nicht der Inhalt der allg. G. Norm der Verkehrssitte ist, daß es aber Norm der Verkehrssitte ist, daß die allg. G. des Unternehmers anzuwenden sind, gleichgültig ob der Kunde sie kennt oder nicht, wenn er nur wußte oder wissen mußte, daß solche allg. G. bestehen, und er die Möglichkeit hatte, sie kennen "zu lernen — es sei denn, da die Normen der Verkehrssitte nachgiebig sind, daß er erklärt hat, die allg. G. des Unternehmers nicht gelten lassen zu wollen. Hier wird also nicht etwa ein Verhalten des Kunden, weil typisch für eine Willensrichtüng als Erklärung dieses Willens ausgelegt, sondern eine Erklärung des Kunden, daß er mit der Geltung der allg. G. des Unternehmers einverstanden sei, für entbehrlich angesehen, weil sie kraft Verkehrsnorm gelten. Diese Geltung gemäß normativer Kraft der Verkehrssitte hat'RG. (103, 84) angenommen, wenn bei der Art und dem Umfang des Be6

HOB. Bd. m . (Godin) 2. Aull.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 d triebes nach der Verkehrsübung zu erwarten ist, daß er allg. G. mit ausschließlicher Kraft verwendet. Diese Voraussetzung wurde insbesondere anerkannt für Großbanken und Versicherungsunternehmen, Großunternehmungen der Personen- und Güterbeförderung und Versorgungsbetriebe. Freilich wird RG. sich dabei untreu, indem es eine weitere Voraussetzung macht, die auf den Willen des Kunden abstellt, auf den es hier gerade nicht ankommen soll: die allg. G. dürften keine so unbilligen oder außergewöhnlichen Bestimmungen enthalten, daß mit der freiwilligen Unterwerfung des Kunden unter sie nicht zu rechnen sei. Diese Einschränkung fällt aber in das Gebiet der richterlichen Anerkennung des Inhalts der allg. G.; sie läßt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt rechtfertigen, daß die Geltung der Verkehrsnorm abdingbar ist, weil die Abdingung dispositiver Normen erklärt werden muß. Auch die Börsenusancen und die kodifizierten Handelsgebräuche, die beide ihre Bezeichnungen zu Unrecht führen, weil sie in Wahrheit nicht eine Übung (Usance) oder einen Brauch registrieren, sondern vielmehr vorschreiben (festsetzen) und deshalb inhaltlich im allgemeinen keine Norm der Verkehrssitte darstellen, gelten für das einzelne Geschäft nach diesen Grundsätzen. Eine Norm der Verkehrssitte, daß für Betriebe eines bestimmten Gewerbes allg. G. gelten, welche nicht inhaltlich Handelsbrauch sind, besteht nur mit der Maß gäbe, daß, wenn sie allgemein bekannt gemacht worden und seit Jahren in — wie ergänzt werden muß: allgemeiner, konsequenter — Übung gewesen sein müssen (KG. SJZ. 50, 666 und anschließend die Anm. Raisers betreffend ADSp.); wie Raiser a . a . O . überzeugend ausführt, ist dabei, wenn es sich nicht um Großbetriebe, sondern um kleinere und mittlere Betriebe handelt, und der Gewerbezweig nicht straff organisiert ist, bei der Feststellung der Übung kritisch vorzugehen). Da es sich hier wiederum nicht um eine Erklärung des Kunden handelt, daß die allg. G. des Vertragsgegners für das Geschäft gelten sollen, kann ein Irrtum über das Bestehen oder den Inhalt solcher nur zur Anfechtung des Vertrages selbst führen, wenn er auf Täuschung beruht. Denn im übrigen ist gleichfalls nur Rechtsfolge des Vertragsschlusses, daß für ihn die allg. G. (Börsenusancen, Handelsbräuche) maßgeblich sein sollen (Raiser a. a. O. S. 171/72 will die Anfechtung der Bestimmungen der allg. G. selbst auch in diesem Falle zulassen, wohl um einem Bedürfnis entgegen zu kommen). Der dritte von den vorigen nicht immer klar abgrenzbare Komplex von Tatbeständen wird von der Gruppe jener Fälle gebildet, in welchen der Kunde — sei es durch ausdrückliche, sei es durch eine mittels Auslegung zu ermittelnde Erklärung — sich mit der Geltung der allg. G. seines Vertragsgegners einverstanden erklärt hat. Hier ist die Verkehrssitte (§ 157 BGB.) nur Erkenntnisquelle für die Auslegung; sie lehrt, welchen typischen Sinn eine Erklärung oder ein Verhalten hat. Hier sind die Regeln über die Anfechtung einer Willenserklärung ohne weiteres anwendbar, wenn der Kunde sich über den Inhalt der Allg.G. geirrt hat, etwa geglaubt hat, den Inhalt zu kennen, und nicht bloß gleichgültig gewesen ist, und bei Kenntnis ihres Inhalts und verständiger Würdigung der Sachlage nicht damit einverstanden gewesen wäre. Als Irrtum kann auch — z. B. in Fällen, in welchen die Gegenseite auf ihre allg. G. hinweist, ohne sie beizufügen — bloße unrichtige Vorstellung ihres Inhalts in Frage kommen, wenn dieser von dem Üblichen so stark abweicht, daß der Kunde sich das nicht hat vorstellen können. (In diesen Fällen liegt dies anders wie oben, wo es sich um Geltung der Geschäftsbedingungen kraft Verkehrssitte handelt.) Der Irrtum kann sowohl zur Anfechtung des Einverständnisses mit der Geltung der allg. G. als auch zur Anfechtung des Vertragsabschlusses führen. Die Teilanfechtung einzelner Besstimmungen ist zulässig; es ist dann nach § 139 BGB. abzugrenzen, wie weit die Nichtigkeit zufolge der Anfechtung geht. Wird die Erklärung selbst angefochten, mit der Geltung der Allg.G. einverstanden zu sein, so fallen letztere ganz fort, wenn nicht die all. G. kraft Verkehrssitte auch ohne das Einverständnis des Kunden gelten. Aber es fragt sich auch dann noch, ob der ganze Vertrag nach § 139 BGB. nichtig ist. Die Fragen nach der Gültigkeit (nicht Geltung) allgemeiner G. und der Anfechtbarkeit der Einverständniserklärung sind zu trennen und bestehen nebeneinander, letztere subsidiär zur ersteren. Nach VO. vom 8. 9.1939 über die v e r b i n d l i c h e E i n f ü h r u n g von Normen, Geschäfts- und Lieferungsbedingungen hatte der RWM. umfassende besondere Befugnisse, einheitliche Vertragsbedingungen verbindlich festzusetzen. Eine Ermächtigung,

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Geschäftsbed. Allgemeinverbindlichkeit. Verbot wirtschaftlicher Konzentration § 346 Anm. 17 d Recht zu setzen, enthielt jedoch diese VO. nicht. Sie verlieh dem Minister eine erweiterte Organisationsgewalt innerhalb der gewerblichen Wirtschaft. Die auf Grund ihrer ergangenen Anordnungen, welche allg. G. mit A l l g e m e i n v e r b i n d l i c h k e i t ausstatteten, richteten sich daher an die Mitglieder der Wirtschaftsgruppe, nicht an das Publikum, das mit diesen in Verkehr trat (KG. SJZ. 50, 666, und Raiser, ebenda, ebenso Ewald, BB. Nr. 51, 882). Nachdem diese Organisation der deutschen Wirtschaft zusammengebrochen ist, haben auch diese ministerlichen Anordnungen ihre unmittelbare Bedeutung verloren (Ballerstedt, JZ. 1951, 227; Ewald a. a. O.; Raiser a. a. O.). Sie sind noch bedeutsam für die Frage der Bekanntheit und Üblichkeit der ehedem mit Allgemeinverbindlichkeit ausgestatteten allg. G. und — im negativen Sinne — auch dafür, daß ihre Mißbräüchlichkeit nicht anzunehmen ist. Die ministerlichen Anordnungen, welche Geschäftsbedingungen für allgemeinverbindlich erklärten, haben freilich noch in anderer Beziehung Bedeutung, die heute sogar die Gültigkeit dieser Geschäftsbedingungen in Frage stellt. So weit diese nicht schon Handelsbrauch waren, bevor sie als allgemein verbindlich erklärt wurden, und sie nunmehr nach Fortfall ihrer Allgemeinverbindlichkeit auf Grund oder zufolge der ehemaligen Verabredung, welche durch die ministerliche Anordnung sanktioniert wurde, weiter angewandt werden, erhebt sich das Bedenken, ob sie gegen die Gesetze 56/78 über die Dezentralisation der deutschen Wirtschaft verstoßen (vgl. Gleiss, BB. 51, 802 1. oben, Ewald 882/83.) Über die V e r e i n b a r k e i t allg. G. mit diesen a l l i i e r t e n Gesetzen über das V e r b o t w i r t s c h a f t l i c h e r M a c h t k o n z e n t r a t i o n besteht große Unsicherheit (vgl. insb. Würdinger MDR. 52,129; Ewald, Der "Betrieb, 51, 636, BB. 51, 882/3; Gleiss, BB. 50, 494, 51, 800; NJW. 52, 54; Schmid-Lossberg, BB. 52,103; OLG. Hamm NJ. 51, 244 mit Anm. von Walther — weder dem Urteil noch der Anm. kann beigepflichtet werden —,hierzuEwald,NJ. 51 S. 431). Die Gesetze, welche das bisher in diesem Abschnitt über allg. G. Vorgetragene stark zu modifizieren geeignet sind, bleiben in Kraft, bis ein deutsches Gesetz über Wettbewerbsbeschränkungen mit Zustimmung der Alliierten erlassen wird (Punkt 2 des Programms für die Revision der Besatzungskontrolle vom 6. 3.1951). Die fraglichen Gesetze bezwecken nach ihrer Präambel, die deutsche Wirtschaft in Ohnmacht zu erhalten. Darüber lassen I—III der Präambel nicht den geringsten Zweifel. IV freilich bezeichnet als weiteren Zweck des Gesetzes, die Grundlage für den Aufbau einer gesunden und demokratischen Wirtschaft zu schaffen. Wenn nicht anzunehmen ist, daß dem Gesetzgeber, der sich in I—III zum Ziele gesetzt hat, die deutsche Wirtschaft nieder zu halten, in IV ihre Prosperität oder das Wohlergehen der minderbemittelten Klasse am Herzen liegt, dürfte die hier als Gesetzezsweck verkündete Wirtschaftsdemokratie nur als Mittel zu jenem primären Zweck angestrebt sein, die Ohnmacht der deutschen Wirtschaft sicher zu stellen. Im allgemeinen werden die Bestimmungen der Gesetze außer ihrem Zusammenhang mit dieser Präambel gedeutet und wird als ihr Ziel angesehen, eine uns fremde, sowohl in ethischer als auch in ökonomischer Hinsicht sehr fragwürdige Wirtschaftsauffassung, den ungehinderten Leistungswettbewerb — Leistung nicht qualitativ, sondern quantitativ gemeint — durchzusetzen. Mag letzteres auch als Mittel zu dem weitergehenden Zwecke gewollt sein, so ist es doch unter dem Gesichtspunkt seiner Eignung zu letzterem, nicht unter dem Gesichtspunkt philantropischen Interesses an der deutschen Wohlfahrt zu betrachten. Was IV unter Wirtschaftsdemokratie versteht, ist die Wirtschaftszersplitterung als Selbstzweck. Der freie Leistungswettbewerb ist um seiner für die Industrie ruinösen Wirkungen willen angeordnet (vgl. Präambel I—III). Darum ist sehr zweifelhaft, ob die rule of reason, durch die die Gesetze in ihren Heimatländern gemildert sind, hier anwendbar ist. Die Gesetze sind nicht erlassen zum Schutze Einzelner (also nicht Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.), sondern um ein Wirtschaftsprinzip durchzusetzen, und zwar um damit die deutsche Wirtschaft zu bekämpfen. Aus diesem Grunde können die Gesetze auch nicht mit Hilfe eines Rückgriffs auf die Gebote der Vernunft ausgelegt werden. Dies zeigt sehr klar das NJW. 52, 54 von Gleiss besprochene Urteil des USMilitärgerichts München vom 8.10.1951 in dem Kartell-Strafverfahren gegen die Bayerischen Geflügelzüchter.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 17 d Diese Bemerkungen sind veranlaßt, weil vor den Militärgerichten der Besatzung» mächte keine Berufung auf Vertrauen zu Urteilen der deutschen Gerichte oder zu den im deutschen Schrifttum herrschenden Ansichten entschuldigt oder gar rechtfertigt. Von den Bestimmungen kommen insbesondere in Betracht A I 2 i. V. mit A V 9c Z-1, wonach die Festsetzung von Preisen oder Zahlungs- oder sonstigen Bedingungen beim An- oder Verkauf oder der Bedingungen sonstiger Leistungen durch irgend eine Form der Absprache oder gemeinschaftlichen Vorgehens verboten und nichtig ist, wenn der Z w e c k oder die Wirkung der Absprache oder des Vorgehens darin besteht, den Binnenoder Welthandel, den Zugang zu den Binnen- oder Weltmärkten oder eine andere wirtschaftliche Tätigkeit zu beschränken oder die monopolistische Kontrolle einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu fördern. Nach der Fassung des A V 9c Z-1 ist zweifelhaft, ob jede abgesprochene Festsetzung von Preisen oder Zahlungs- oder sonstigen Bedingungen schlechthin verboten und nichtig ist oder nur, wenn sie den Konditionalsatz des A I Z. 2 erfüllt. Gegen dieses Verbot kann mittels allg. G. auf zweifache Weise verstoßen werden: 1. durch den Inhalt der Bestimmungen, wenn sie die zweite Hand hinsichtlich des Preises, der Zahlungs- oder sonstigen Bedingungen oder auch durch Beschränkung ihrer Bezugsquellen zugunsten des Urhebers der allg. G. binden, auch dann, wenn sie nur von einem einzelnen Unternehmer angewandt werden. Diese Bindung der zweiten Hand ist in der französischen Zone zulässig, in der britischen und amerikanischen nicht. Jedoch haben für Markenartikel die britische und amerikanische Dekartellisierungsbehörde (Sehr, vom 18.11.1952) zugesagt, kein Verfahren gegen Hersteller oder Käufer von Markenartikeln anhängig zu machen, die Wiederverkaufspreise vereinbaren, soweit solche Vereinbarungen nach dem Entwurf des Bundesgesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zulässig sein werden (BB. 1952 S. 960, hierzu Gleiss, ebenda S. 998 u. NJW. 53, 12); 2. wenn sie von mehreren Unternehmern, sei es auf Grund Absprache, insbesondere auf Grund Vorschrift eines Verbandes, sei es ohne gegenseitige Bindung, aber doch in gegenseitiger Abstimmung (gemeinschaftliches Vorgehen), z. B. auch auf Grund bloßer Empfehlung eines Verbandes angewandt werden, wenn in dieser Art der Absprache oder des gemeinschaftlichen Vorgehens eine monopolistische Kontrolle der Beschränkung des Leistungswettbewerbs mittels Preis-, Zahlungs- und sonstigen Bedingungen liegt. Hier kommt nicht nur die Bindung der zweiten Hand (wie unter 1) in Frage, vielmehr ist insbesondere an den Haftungsausschluß und den Ausschluß der Ansprüche aus Mängeln der Ware zu denken. Dies bekämpft Würdinger a. a. O. mit sehr beachtlichen und zutreffenden Erwägungen, von denen aber fraglich bleibt, ob sie gegenüber der eingangs dargestellten Tendenz der Gesetze durchschlagen und Erfolg haben. In diesen Bestimmungen liegt der Wert der allg. G. für die Industrien, die es gerade mittels ihrer übernommen haben, die ihnen drückend erscheinende gesetzliche Regelung mit vereinter Kraft zu ihren Gunsten abzuändern und dem Verkehr die von ihnen gewünschte Regelung aufzuzwingen. Es ist oben an Hand der Rechtsprechung dargestellt worden, daß sie sich dabei ihrer Vormachtstellung bedient haben. Ein demokratisches Vorgehen, das mit dem Bilde vereinbar wäre, das man sich von einer Wirtschaftsdemokratie zu machen hat, war dies gerade nicht. Da sein Zweck erreicht werden soll durch Bedingungen, die verabredet oder auf einander abgestimmt sind, und diese gerade verhindern sollen, daß ein Angehöriger der Wirtschaftsgruppe oder des Gewerbezweiges in diesen Punkten kulantere Vertragsbedingungen zugesteht, so liegt doch wohl eine Beschränkung des Leistungswettbewerbes vor, da durch Absprache Wettbewerber abgehalten werden sollen, die gesetzlichen Haftungen zu tragen, also mehr zu bieten. Wenn auch geltend gemacht wird, daß diese Haftungen keine Kalkulation, also keine Ordnung in der Wirtschaft zulassen, und daß nicht der Leistungswettbewerb ausgeschaltet, aber Ordnung hergestellt werden soll, so ist ein Unterschied von ruinösen Preisunterbietungen nicht erkennbar, die auch nicht verhindert werden dürfen. Es wurden von der Rechtsprechung auch schon nach § 138 BGB. Bestimmungen nicht anerkannt, die auf Mißbrauch einer (monopolistischen) Vormachtstellung beruhten, wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark gestört war. Letztere Voraussetzung entfällt nach den G. 56/78. Soweit inhaltlich allg. G. Handelsbrauch sind, sind sie, auch wenn der Handelsbrauch

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Auslegungsbeispiele a. d. Rechtspr. (Godin)

§ 346 Anm. 18,19 nach ZwecK oder Wirkung den Wettbewerb beschränkt, gegen das Verbot gefeit. Zwar müßte die im Handelsbrauch liegende Norm der jüngeren der G. 56/78 weichen und kann auch A 31 EGBGB., der angesichts der Tendenz der Gesetze ohne weiteres anwendbar wäre, wenn diese Gesetze ausländisches Recht wären, nicht in Frage kommen, weil diese Gesetze geltendes deutsches Recht sind, wenn auch der landfremde Sieger sie der deutschen Wirtschaft aufgezwungen hat; aber von einer Absprache und einem auf einander abgestimmten Vorgehen kann bei einem Handelsbrauch nicht die Rede sein. Soweit die allg. G. nur technische Vorschriften enthalten, welche nur gleichmäßige Abwicklung der Geschäfte im Auge haben, fallen sie nicht unter G. 56/78. Man wird nicht umhin können, die Frage, ob allg. G. den Leistungswettbewerb beschränken, ohne es zu bezwecken, individuell zu untersuchen. Entschließt man sich, der oben angegebenen Ansicht Würdingers beizupflichten, so sind im Ergebnis die allg. G. von den G. 56/78 nicht betroffen. Zu untersuchen, in wie weit die Bindung der zweiten Hand auf Grund Patentrechts zulässig ist, ist hier nicht der Ort. Anm. 18. c) Über Börsenusancen s. Allg. Einleitung Anm. 28. Anm. 19. d) Andere Beispiele: Z a h l u n g von Gold- oder R e i c h s m a r k zum W e r t e von 10/i2 D o l l a r , versprochen in öffentlichen Anleihen, bedeutet Zahlung nach dem Werte des Golddollars, nicht des später herabgesetzten Währungsdollars (RG. 146, 1). Z a h l u n g , wann der V e r p f l i c h t e t e will, heißt: der Gläubiger darf seinen Schuldner nicht zwingen, die Erben müssen aber zahlen; das V e r s p r e c h e n , keine g e r i c h t l i c h e n S c h r i t t e zu u n t e r n e h m e n , wenn der Schuldner Abzahlungen leiste, heißt: der Gläubiger werde keine anderen gerichtlichen Schritte unternehmen, die nötig sind, um die Abzahlungen zu erlangen; zahlt der Schuldner nicht ab, so ist die Zusage hinfällig. Kiel SchlHolstAnz. 23, 103: Z a h l u n g , wenn der M a r k k u r s s i c h b e s s e r t , ist kurzfristige Stundung. RG. 28, 176; J W . 08, 478'; 1919, 305«: Z a h l u n g , wenn der V e r p f l i c h t e t e könne (Besserungsschein), besagt, der Schuldner soll Voll- oder Teilzahlung machen, sobald er ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Lage dazu imstande ist; damit tritt die Fälligkeit ein, die vom Schuldner nicht mehr zu beseitigen ist (Hamburg HRR. 1932, 2). Die Beweislast hat der Gläubiger; nach langem Warten kehrt sich die Beweislast um. Die Verjährung läuft, sobald der Gläubiger von der Besserung Kenntnis erlangt hat (JW. 06, 45710). RG. 40, 200 und Hamburg HansGZ. 97 Beibl. 5: Ist Zeit oder Höhe der Abzahlung dem Ermessen des Verpflichteten überlassen, so entscheidet das billige Ermessen, und es kann im Falle offenbarer Unbilligkeit die Entscheidung des Verpflichteten nach § 315 BGB. angegriffen werden. RG. „Recht" 1910 Nr. 284: Ist ungebührlich lange Zeit verflossen, so ist Rückforderung auch bei mißlichen Verhältnissen zulässig. Sobald der Schuldner das Geschäft aufgibt, ist in der Regel die Stundung als beendet anzusehen, weil der Besserungsschein nur den Fortbetrieb des Geschäfts gewährleisten soll; von der Aufgabe des Geschäfts läuft dann die Verjährung, vgl. SeuffA. 68 Nr. 96. Besserungsscheine können kaufmännische Verpflichtungsscheine sein (§ 363 Anm. 24). LZ. 09, 232 20 ; „ n i c h t " oder „nie v e r k l a g e n w o l l e n " ist nur längere Stundung. RG. 90,180: bei jeder Stundung ist stillschweigend vorausgesetzt, daß der Schuld• ner die Forderung nicht bestreitet; wird sie bestritten, so ist Feststellungsklage oder Klage auf künftige Leistung berechtigt. J W . 05, 168 6 ; 08, 711 4 ; 1920, 705 2 : eine Stundung aus reiner Gefälligkeit kann nach den Umständen dahin auszulegen sein, daß sie bei wesentlicher Verschlechterung der Verhältnisse des Schuldners ihr Ende finden soll (vgl. RG. 50, 257; 62, 267), oder daß sie hinfällig wird, wenn ein dabei erwartetes Moratorium nicht zustande kommt (LZ. 1914, 672); über Stundung s. noch § 353 Anm. 7; Anh. zu § 359 Anm. 3; Anh. zu § 372 Anm. 44; Anh. zu § 374 Anm. 118f. Posen SeuffA. 64, 120; Celle OLGR. 20, 166: Kaufpreisstundung bis zum Verbrauch oder Verkauf aller Waren ist nur angemessene Stundung. Dresden SächsOLG. 22, 251: Abnahme der Ware, wenn sie der Besteller braucht, ist Bestimmung der Erfüllungszeit unter Berücksichtigung der Interessen beider Teile. LZ. 1910, 936", 769': Äußerungen wie „ich schreibe den Posten in den Schornstein" oder „ich mache einen Strich durch die Forderung" sind noch keine Verzichtserklärungen. ROHG. 4, 353; 13, 366: „ s o f o r t , u n v e r z ü g l i c h " bedeuten kein bestimmtes Zeitmaß; vgl. Anh. zu § 359 Anm. 6. SeuffA. 83, 342: „Lieferung schnellmöglichst" bedeutet bevorzugte Erledigung, aber so,

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 19 daß der übrige Geschäftsbetrieb nicht ins Stocken gerät. ROHG. 2, 185: „zahle n a c h B e q u e m l i c h k e i t , wie es mir paßt", nicht Willkür, sondern Ziel nach dem richterlichen Ermessen. ROHG. 15, 176: Höflichkeitsausdrücke wie „aus G e f ä l l i g k e i t " ändern an der bindenden Natur des Geschäfts nichts. ROHG. 8, 209; 15, 334; über „ z i r k a " oder „ u n g e f ä h r " s. Vorbem. vor § 373 Anm. 35; auf die Zirkaklausel kann sich der Verkäufer nicht berufen, wenn er überhaupt nicht geliefert hat (Königsberg DRZRspr. 1935 Nr. 207). „ F r e i b l e i b e n d " (ausführl. Anh. zu § 361 Anm. 17—17p u. Anh. zu § 374 Anm. 49 f) in einem Verkaufsantrag ist gleichbedeutend mit dem Vorbehalt völliger Freiheit des Handelns, kann aber auch eine bedingte feste Bindung, „solange der Vorrat reicht", bedeuten. Über die Klausel „Lieferungsmöglichkeit vorbehalten" s. Anh. zu § 361 Anm. 17f; über die Klausel „fest an die H a n d g e b e n " s. Vorbem. vor § 93 Anm. 17 ; örtlicher Sprachgebrauch und besondere Umstände sind zu beachten (SeuffA. 52 Nr. 149). Verhinderung des Eintritts einer nach freiem Belieben zu erfüllenden Bedingung, um sich die Vorteile des Geschäfts auf andere Weise zu sichern, verstößt nicht gegen Treu und Glauben (RG. 53, 257; Mot. I 263). Vgl. auch Bolze 5 Nr. 446: garantierter Gewinn bedeutet Ausschluß von der Teilnahme am Verlust. Über L a d e n p r e i s Vorbem. vor § 373 Anm. 28. Nachträgliche Stundung auf Raten schließt im Zweifel die V e r f a l l k l a u s e l (clausula cassatoria) in sich, so daß nicht pünktliche Einhaltung der Termine den ganzen Betrag fällig macht (RG. 86, 251; WarneyerRspr. 1912 Nr. 6; Bolze 18 Nr. 265) und die Verjährung für alle künftigen Termine ihren Lauf beginnt, sobald auch nur ein Termin nicht eingehalten ist (JW. 1919, 280 3 ). Die Verfallklausel setzt, wie die ein Rücktrittsrecht des Gläubigers begründende Verwirkungsklausel (§ 360 BGB.), Verzug, also Verschulden an der Säumnis voraus; der Schuldner muß sein Nichtverschulden beweisen (RG. 26, 64; 28, 392; 62, 191; 145, 31; J W . 00, 299; 01, 655; 06, I I I » ; 1911, 805«; 1916, 1584 3 ; 1923, 47 8 ; HRR. 1935 Nr. 2; vgl. WarneyerRspr. 1932 Nr. 66). Der Schuldner kann sich auf entschuldbaren Irrtum über die Leistungszeit oder Berechnung berufen (JW. 1913, 542»; WarneyerRspr. 1913 Nr. 223; Hamburg Hans RGZ. 1938 B 95), erst recht darauf, daß ihm der Gläubiger die Innehaltung der Frist schuldhaft erschwert habe (JW. 1919, 570 4 ). So kann der Gläubiger, wenn der Schuldner bei Anwendung gehöriger Sorgfalt sich zur Verweigerung der Leistung für berechtigt hielt (WarneyerRspr. 1917 Nr. 48), oder wenn infolge von Vergleichsverhandlungen eine Verspätung eintrat (RG. 22, 204), oder wenn er verspätete Leistungen anstandslos angenommen hat, nicht ohne Warnung auf die Klausel greifen (JW. 05, 403 31 ; Warneyer Rspr. 1912 Nr. 162; Dresden ArchfR. 1934, 139). Nach Eintritt der Berechtigung muß auch in angemessen kurzer Zeit dem Gegner der Entschluß des Berechtigten, von der Verfall- oder Verwirkungsklausel Gebrauch zu machen, erkennbar gemacht werden, sonst ist Verzicht anzunehmen (JW. 98, I I I 1 0 ; 08, 235 5 ; WarneyerRspr. 1913 Nr. 406; Anh. zu § 374 Anm. 148a), insbesondere wenn er inzwischen vorbehaltlos Raten angenommen hat (WarneyerRspr. 1920 Nr. 192). Die Beweislast für die ihn entschuldigenden Umstände trägt der Schuldner ebenso wie für die Rechtzeitigkeit der Erfüllung (RG. 134, 160). Umgekehrt kann der Schuldner auch dem Gläubiger das Versäumen einer Ausschlußfrist bei einer Verfallklausel nicht entgegenhalten, wenn er durch sein Verhalten den Gläubiger von Wahrung der Frist abgehalten hat (RG. 22, 205; 87, 283). Alle diese Grundsätze sind aus Treu und Glauben, nicht etwa folgeweise aus § 254 BGB. herzuleiten (a. M. Oertmann J W . 1919, 570 4 ). Die in einer Verwirkungsklausel für die Wahrung eines Rechts gesetzte Frist gewährt regelmäßig nicht nur eine Einrede, sondern ist eine Ausschlußfrist und bringt den Anspruch ohne weiteres mit ihrem Ablauf zum Erlöschen (LZ. 1911, 92719). Verjährungsgrundsätze finden also auf Ausschlußfristen keine Anwendung (RG. 48,164; 88, 295). Es besteht aber ein Unterschied zwischen gesetzlichen und vertraglichen Ausschlußfristen. Gesetzliche Ausschlußfristen sind strenger zu beurteilen; bei ihnen treten die Rechtsfolgen auch bei schuldloser Versäumung ein, bei vertraglichen ist im Zweifel der Schuldlosigkeitsbeweis zuzulassen (RG. 88, 295). Ist innerhalb einer Ausschlußfrist Klage zu erheben, so genügt bei vertraglichen Ausschlußfristen im Zweifel die Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht, wenn der Rechtsstreit demnächst an das zuständige verwiesen wird (§ 276 ZPO., vgl. für eine gesetzliche Ausschlußfrist RG. 94, 135), ebenso die Erhebung der Feststellungsklage, wenn sie erforderlichenfalls später in eine Leistungsklage umgewandelt wird (vgl. für die Verjährung J W . 1921,

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Erfüllung nach Treu und Glauben und Verkehrssitte (Godin)

§ 346 Anm. 20 1681). Die Verpflichtung, m a n g e l h a f t e W a r e j e d e r z e i t z u r ü c k z u n e h m e n , ist nicht wörtlich zu deuten (Bolze 18 Nr. 437); ebenso will die U m t a u s c h k l a u s e l nur besagen, daß die Ware noch innerhalb beschränkter, nach der Natur des Geschäfts zu bemessender Zeit umgetauscht werde (Anh. zu § 382 Anm. 15a). Abruf nach Bedarf enthält die Zusicherung des Käufers, daß er seinen Bedarf nicht anderweitig deckt. Weiteres Anh. zu § 359 Anm. 5, Vorbem. vor § 373 Anm. 35). Über die internationalen Klauseln cif, fob usw. s. Anh. zu §382 Anm. 55 b. „Wegen aller eventuellen Streitigkeiten H a m b u r g e r f r e u n d s c h a f t l i c h e A r b i t r a g e und S c h i e d s g e r i c h t " bedeutet nach Hamburger Platzusance eine echte Schiedsgerichtsklausel. OGH. Br. Z. 4, 247. Ist aber beigefügt: „Über Zahlungen entscheiden lediglich die ordentlichen Gerichte", so ist die Schiedsgerichtseinrede auch gegenüber Klagen des Käufers auf Schadensersatz nicht gegeben, wenn dieser mit einer etwaigen ortsgebundenen einschränkenden Auslegung dieses Zusatzes nicht vertraut war. OLG. Hamburg, HREZ. 3, 56 Nr. 18. Vereinbarung der Rücksendung von E m b a l l a g e (Biereinheitsflaschen) und Bezahlung fehlender Stücke begründet, auch wenn verbunden mit einem Eigentumsvorbehalt zugunsten des Verkäufers, eine darlehnsartige Gattungsschuld des Käufers; der Verkäufer braucht nicht mit der Ersatzzahlung vorlieb zu nehmen, kann vielmehr, solange Lieferung aus der Gattung möglich ist, Ersatzemballage (Flaschen) verlangen. OGHBrZHRE. 3,56 Nr. 19 = NJ. 50, 345. Was in Verträgen unter „ K r i e g s e n d e " zu verstehen ist (Beendigung der Kampfhandlungen oder Normalisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, politischen Verhältnisse) muß in jedem einzelnen Fall nach den individuellen Umständen, insbesondere dem Vertragszweck frei ermittelt werden (OGHBrZ- NJ. 47/48, 624; ähnlich OLG. Nürnberg MDR. 49, 420). „ B e z a h l u n g bei r i c h t i g e m E i n g a n g der W a r e " bedeutet, daß die Ware nur soweit bezahlt wird, als sie keine Mängel hat, dagegen nicht, daß die Gefahr des Transportes von dem Lieferanten zu tragen sei (OLG. Gera Nr. 54 Reg.Bl. Thür. II 47. 43 L). Nach der Klausel „Frei ab Kai" trägt der Verkäufer die Kosten des Aufnehmens und Absetzens sowie die Kai-Umschlaggebühr; den Zuschlag bei Abnahme des Gutes mit Eisenbahn oder Lastkraftwagen oder Fuhrwerk hat jedoch der Käufer zu tragen. Dagegen trägt nach der Klausel „Ab Kai H a m b u r g " der Verkäufer die Kosten des Aufnehmens und der Käufer die Kosten des Absetzens und jeder die Kai-Umschlagsgebühr je zur Hälfte (Handelskammer Hamburg BB. 51, 685). „Rein n e t t o Kasse" ändert nichts an der Regel, daß Zug um Zug zu leisten ist in dem Sinne, daß der Käufer berechtigt wäre, den Kaufpreis vor Empfang der Ware zu bezahlen, um das Währungsrisiko auf den Verkäufer abzuwälzen (BGH. 1, 7/8 vgl. § 242 BGB., der § 271 Abs. 2 in solcher Situation außer Kraft setzt). P r o b e a u f t r a g ist kein Kauf auf Probe im Sinne des § 495 BGB. (IHK. Rottweil BB. 50, 8). Anm. 20. V. Nach Treu und Glauben und Verkehrssitte haben sich Anspruchsschuldner und Anspruchsgläubiger auch bei Ausführung des vereinbarten Schuldrerhältnisses zu verhalten (§ 242 BGB.). Der Schuldner hat nach § 242 BGB. die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Bezieht sich § 157 BGB. auf die Deutung des Erklärungstatbestandes und sonach auf die Ermittlung einer Erklärung, ihres Inhalts und des erklärten Rechtsfolgewillens, der seinerseits auf einen mit der gewollten Rechtsfolge zu erreichenden tatsächlichen, im Gebiet des Handelsrechtes wirtschaftlichen Erfolg zielt, so bezieht sich § 242 BGB. auf Maß und Art der vom Schuldner zu machenden Anstrengungen, um diesen von ihm zugesagten Erfolg herbeizuführen. Als maßgebend werden auch hier Treu und Glauben, d. h. das an den Einzelnen* zu stellende Erfordernis sozialer Zuverlässigkeit, und die Verkehrssitte, die tatsächliche Übung und die aus einer solchen sich ergebende Norm, erklärt. § 242 hat nach dem Gesagten das vom Schuldner, um den vereinbarten Erfolg herbeizuführen, zu übende Verhalten zum Gegenstand, indem er vorsieht, wie das Mindest- und das Höchstmaß und die Art der von ihm zu machenden Anstrengungen, also des an ihn zu stellenden Anspruchs (§ 194 Abs. 1 BGB.) zu bestimmen ist. Maß und Art der vom Schuldner zu machenden Anstrengungen können mit dem Inhalt der von ihm geschuldeten Leistung schlechthin identisch sein, der seinerseits aus dem seinen Anstrengungen zugrunde liegenden Rechtsgeschäft u. U. gemäß § 157 BGB. zu ermitteln ist. Deshalb verschwimmen beide Gesetzesstellen vielfach ineinander, und zwar so sehr, daß mitunter die selbständige Bedeutung des § 157 neben § 242 angezweifelt wird.

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 20 Treu und Glaube bezeichnen das Gebot sozialer Zuverlässigkeit, die Verkehrssitte ergibt, wie weit jenes Gebot geht. Es ergibt sich weiter als Reflex, daß entsprechend die Ansprüche des Gläubigers begrenzt sind. Abzulehnen sind dagegen die Rechtsordnung aufweichende —1 wohl auf das Arbeitsrecht zurückgehende, dort gerechtfertigte — Formulierungen und Gesichtspunkte, wonach es ein Gebot gegenseitiger Rücksicht oder über die soziale Zuverlässigkeit hinaus ein Gebot gegenseitiger Treue zwischen Gläubiger und Schuldner oder gar eine Gemeinschaft zwischen ihnen geben soll, von der § 242 handle, obwohl in Wahrheit ihre Interessen einander entgegengesetzt sind und der Vertragszweck jeweils doppelt und für jeden Teil anders ist. Schon die unbestimmte Verweisung auf Treu und Glauben und Verkehrssitte ist, soweit sie die dem Schuldner zumutbaren Anstrengungen begrenzt, dazu angetan, das durch das Schuldverhältnis geknüpfte Band zwischen Gläubiger und Schuldner auszuleiern; in erster Linie ist deshalb geboten, sie positiv als ein an den Schuldner gerichtetes Gebot aufzufassen, wo, wie und wann er zu erfüllen und welche Anstrengungen er zu diesem Zweck zu machen hat, erst in zweiter Linie negativ, daß es eine Grenze dafür gibt. (Anders die 1. Aufl. unter Anführung von RG. 69, 406; 94, 69; 106,131 und 136; JW. 1922, 483; 1913, 129; 1914, 465; Warn.Rspr. 1910, 247). Aus § 242 BGB. kann sich auch nach RG. 95,167, wenn die Vertragsparteien sich verfeindet haben, für die Dauer dieser Verstimmung ein Einwand gegen die Verpflichtung zur Erfüllung (lange dauernder Abnahmeverpflichtungen) ergeben. Deshalb ist die Verkehrssitte, und zwar die am Erfüllungsorte (ROHG. 2, 321; 13, 370; RG. „Recht" 07, 696 1411 ; Anh. zu § 372 Anm. lff.) und zur Erfüllungszeit (JW. 1938, 85912) herrschende Verkehrssitte auch über den Bereich des § 157 BGB. hinaus in Betracht zu ziehen, so daß die Verkehrssitte mit entscheidet, ob der Schuldner nach Ort, Art und Zeit gehörig erfüllt hat, ob die Leistung unmöglich ist (RG. 57,118), ob sich der Schuldner in einer von ihm zu vertretenden Weise in die Unmöglichkeit versetzt hat zu erfüllen (RG. 60,160). D e r G l ä u b i g e r unterliegt dem §242 BGB. auch insofern, als er dem Schuldner nicht zumuten darf, durch die Erfüllungshandlung zu Gesetzesverletzungen mitzuwirken (RG. 96, 240; 99,156; 102, 292; 107,13; JW. 1922, 912), oder ihm vertragswidrigen Wettbewerb zu ermöglichen (JW. 1910, 80414). Aber damit ist die Anerkennung der Verkehrssitte noch nicht erschöpft. So wird z . B . d e r B e g r i f f der F a h r l ä s s i g k e i t in s e i n e r G e s t a l t u n g im E i n z e l f a l l d u r c h die V e r k e h r s s i t t e beeinflußt (§ 347 Anm. 9). Im allgemeinen muß es den Erläuterungsbüchern zum BGB. und den systematischen Darstellungen des bürgerlichen Rechts überlassen bleiben, die volle Tragweite des § 242 BGB. zu entwickeln und darzustellen. Mitunter wird dabei die angebliche Gemeinschaft des Schuldverhältnisses so überbetont, daß man fast mehr von Pflichten des Gläubigers als des Schuldners erfährt. Im Einzelfall können aus § 242 BGB. auch klagbare Nebenverpflichtungen, die nicht Teil der Hauptverpflichtung selbst sind, mit einem wenn auch dem Zweck der Hauptverpflichtung dienenden, dennoch selbständigen Nebenzweck hergeleitet werden; teilweise sind sie, wie die Versendungspflicht des Verkäufers, vom Gesetz selbst angeordnet, teils ergeben sie sich auch aus der Analogie zu gesetzlichen Bestimmungen über solche Nebenverpflichtungen, teils aus § 242 BGB. Von ihnen sind für das Handelsrecht folgende besonders zu erwähnen: Die A u s k u n f t s p f l i c h t des Schuldners, wenn er ohne Schwierigkeit Auskunft geben kann und der Gläubiger über sein Recht im Ungewissen ist (RG. 108, 7; 126,123; DR. 42, 729; OLG. Köln JMB1. NRW. 51,137); die Pflicht zur Auskunft kann jedoch auch mitunter aus einer Schadensersatzpflicht hervorgehen. Vielfach (vgl. Siebert bei Soergel B II 4 zu § 242, Esser, Schuldrecht S. 42) wird eine P f l i c h t jeden Vertragsteils behauptet, z u m g e m e i n s a m e n V e r t r a g s zweck z u s a m m e n w i r k e n . Jedoch besteht mindestens bei Austauschverträgen der Vertragszweck n i c h t im Austausch, sondern für jeden Teil darin, die von ihm bedungene, einzutauschende Leistung zu erlangen; an der eigenen Leistung ist jeder Teil nur interessiert als dem Weg, das eigene Wort einzulösen und die eingegangene eigene Verpflichtung zu erfüllen und ihrer dadurch ledig zu werden, und weil sie die Vorbedingung für die von ihm gewünschte Gegenleistung ist. Dies reicht nicht aus, um einen gemeinsamen Vertragszweck feststellen zu können. Es wird auch anerkannt, daß kein Teil dem anderen behilflich zu sein braucht, die ihm selbst gebührende, jenem obliegende 72

Nebenverpflichtungen. Sorgfaltspflicht im Vorvertragsverhältnis (Godin)

§346 Anm. 20 Leistung zu vollbringen (RG. LZ. 27,1124). Nicht der Gläubiger, sondern der Schuldner h a t , wenn zu seiner Leistung eine b e h ö r d l i c h e G e n e h m i g u n g , z . B . D e v i s e n g e n e h m i g u n g erforderlich ist, diese zu b e s c h a f f e n (RG. H R R . 39,1021). Es ist deshalb falsch, wenn deutsche Gerichte (entsprechend dem von der Bank Deutscher Länder eingenommenen Standpunkt) vor einem Leistungsurteil dem ausländischen Kläger aufgeben, die Devisengenehmigung nachzuweisen oder gar herbeizuführen, mag auch die ^ulässigkeit, das Urteil zu vollstrecken, von ihr abhängen; auf Antrag ist vielmehr der Beklagte zu verurteilen, die Devisengenehmigung zu beschaffen. Neuerdings wird aus §242 BGB. i . V . mit § 254 BGB. auch eine V e r p f l i c h t u n g d e s G e s c h ä d i g t e n o d e r m i t S c h a d e n B e d r o h t e n g e g e n ü b e r d e m S c h ä d i g e r (seine Leistung nicht oder nicht richtig vollbringenden Vertragsgegner) abgeleitet, den von letzterem ausgehenden Schaden abzuwenden oder zu mindern; sogar gegenüber der Allgemeinheit soll diese Verpflichtung bestehen. (Larenz, Vertrag und Unrecht, T. 2,100, Esser, Schuldrecht S. 77, der eine Rücksichtspflicht annimmt, Siebert bei Soergel D U 4 zu § 242). Diese Ansicht ist a b z u l e h n e n (Enn.-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse S. 72, RG. 168, 90, zu Unrecht von Esser für seine Meinung angeführt); sie liefe letztlich doch darauf hinaus, daß der Gläubiger, um Schaden von sich abzuwenden, gegenüber dem Schuldner verpflichtet ist, selbst zu der Leistung mitzuwirken, die ihm gebührt und letzterem obliegt; rechtspolitisch reicht es völlig aus, den Gläubiger an dem entstehenden Schaden zu beteiligen, wenn er es unterläßt, dazu mitzuwirken, daß er vermieden wird, sofern er dazu so unschwer imstande ist, daß ihm diese Mitwirkung zugemutet werden kann. Es ist nicht gut, die von der Rechtsordnung für die Nichterfüllung vertraglicher oder geschäftlicher Pflichten verhängte Sühne der Verpflichtung zum Schadensersatz, das Recht des Gläubigers, einen Ersatz für die ihm gebührende und vorenthaltene Leistung zu erlangen, dadurch abzustumpfen, daß man den Gläubiger anhält, die ihm gebührende Leistung ganz oder teilweise selbst zu vollbringen oder zu ermöglichen. Mit Recht wird eine Verpflichtung des Schuldners zur weiteren F ü r s o r g e f ü r d e n V e r t r a g s g e g e n s t a n d anerkannt, wenn der Gläubiger ihn nicht vertragsmäßig abnehmen kann (RG. 108, 343). Sehr weit geht die moderne Wissenschaft, wenn sie aus § 242 eine gegenständlich fast unbegrenzte S o r g f a l t s p f l i c h t b e i V e r t r a g s v e r h a n d l u n g e n für den Vertragsgegner ableitet (s. Anm. 3-7 zu § 347). Ohne Zweifel besteht im Verhandlungsstadium für jeden Verhandlungsteilnehmer eine M i t t e i l u n g s - u n d A u f k l ä r u n g s p f l i c h t , d . h . gegenüber dem anderen Verhandlungspartner die Verpflichtung, ihn nicht dadurch zu schädigen, daß sein Entschluß, das Geschäft abzuschließen, gefördert oder bestärkt wird, indem ihm Dinge verschwiegen werden, deren Kenntnis ihn möglicherweise bestimmt hätte, von dem Geschäftsabschluß abzusehen. Die Verletzung dieser Pflicht begründet eine Haftung auch dann, wenn es nicht zu dem besprochenen Vertrag kommt (RG. 104, 267; 107,362; 132,310). Die Verpflichtung wird abgeleitet teils aus § 242, teils aus einem „vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis" (RG. 120, 251; 13 2 28, 79; 147, 109; 151, 358; 162,156), begründet und auch inhaltlich bestimmt durch den erhobenen Anspruch auf das Vertrauen des Verhandlungspartners (so treffend Ballerstedt AcP. 151,107), abgeleitet anch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis (Enn.Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse I S. 180), das sich übrigens nicht nur auf die Offenbarungspflicht beschränkt; letztere Auffassung, daß es sich um ein Schuldverhältnis handle, ermöglicht, § 278 BGB. anzuwenden (RG. 103,50; 107, 243; 114,160; JW.1927, 1933 3 ), wobei als Verhandlungsgehilfen alle von einer Partei mit der Vorbereitung und Führung der Vertragsverhandlungen betrauten Personen angesehen werden, auch, wenn sie nicht zum Abschluß bevollmächtigt sind (ebenso Ballerstedt a.a.O.). Mit§242 B G B . k a n n aber diese Ansicht so wenig begründet werden wie mit der Haftung aus Vertrag, wenn anschließend an die Verhandlungen es zu diesem kommt. Indessen ist § 242 nur ein Ausdruck eines allgemeinen naturrechtlichen Grundsatzes, den schon Ulpianus (D I. 1.10) als ein praeceptum juris bezeichnet hat, des honeste vivere und alterum non laedere, aus dem sich die erörterte Verpflichtung ohne weiteres ergibt. Die H a f t u n g für eine Hilfsperson gem. § 278 läßt sich damit freilich nicht begründen. Das Maß der bei den Vorverhandlungen aufzuwendenden Sorgfalt richtet sich ebenso wie die Verjährung

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§ 346 Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 21 nach dem verhandelten Vertragsverhältnis (Enn.-Lehmann a. a. 0 . I S. 181, bestritten). Die Haftung umfaßt das Vertrauens- und ausnahmsweise auch das Erfüllungsinteresse, wenn nämlich das Verschulden den Vertragsabschluß verhindert hat (RG. 103, 47 (50)). Die Hilfsperson (Vertreter) haftet für die Vertrauensverletzung selbst, wenn sie in der Verhandlung um Vertrauen für sich selbst geworben (z. B. sich auf die eigene Sachkunde berufen) hat (Ballerstedt a. a. O.) oder im eigenen Interesse tätig war (RG. 120, 252; 159, 59) oder die Schadenshandlung keine Beziehung zum Geschäftsherrn als solchen hatte, das Vertrauen zu ihm also nicht daran beteiligt war. Der gesetzliche Vertreter und Konkurs-, Nachlaßverwalter, Testamentsvollstrecker haftet allein (RG.132, 76); Ballerstedt a. a. O.) Ein Teil der Lehre ( H a u p t , Über faktische Vertragsverhältnisse, D ö l l e , Außergesetzliche Schuldpflichten ZStW. 103, 67ff., S i e b e r t bei Soergel B II zu § 242 BGB., und vereinzelt die Rechtsprechung (so der 6. Senat des RG. 78, 239) leitet nach § 242 aus Vorverhandlungen vertragliche Verpflichtungen der Verhandlungspartner gegeneinander ab, welche außer jedem Zusammenhang mit dem Zustandekommen und dem Inhalt des besprochenen Vertrages stehen, z. B. die vertragliche Verpflichtung, die körperliche Unversehrtheit des Verhandlungspartners nicht zu gefährden oder zu beeinträchtigen. Diese Verpflichtung wird mit dem „sozialen Kontakt" (Dölle a. a. O.) begründet, in welchen die Verhandelnden zueinander getreten seien; wer in die von einem anderen beherrschte Rechtssphäre eintrete, vertraue damit sich und seine Sachen diesem an, und aus diesem einseitigen Sichanvertrauen entspringe für den Anderen die Pflicht, dieses Vertrauen zu rechtfertigen, wobei ausdrücklich die Verhandlungen, deren Aufnahme immerhin eine Willensbetätigung desjenigen darstellen könnte, welcher haften soll, als unerheblich erklärt werden. Diese Theorie dürfte nicht haltbar sein. Mit Recht hatte RG. 2. Senat Bd. 74,125 (aber 78, 229, wo jedoch die Körperverletzung durch eine eigene typische Verkäuferhandlung [eines Gehilfen] verursacht wurde) ausgeführt, daß sich aus dem Kaufvertragsrecht eine Haftung für die Sicherheit der Verhandlungsräume nicht herleiten lasse, daß vielmehr nur die allgemeine Verkehrspflicht eingreife, die jedem obliege, der in einem Haus einen Verkehr eröffnet. A u c h n a c h v ö l l i g e r A b w i c k l u n g des V e r t r a g s v e r h ä l t n i s s e s können sich nach §242 n o c h V e r p f l i c h t u n g e n für die Vertragsparteien ergeben (RG. 161, 338). Ebenso ist der Anspruch auf R ü c k z a h l u n g e i n e r z u r E r f ü l l u n g einer vertraglichen Verpflichtung g e l e i s t e t e n zu h o h e n Z a h l u n g vertraglich und nicht nur aus Mangel eines rechtlichen Grundes abzuleiten (Hildebrandt, Anm. 4 zu § 347). Ein besonderes Anwendungsgebiet hat § 242 BGB. gefunden in den Grundsätzen, die von der A u f h e b u n g v o n V e r t r ä g e n i n f o l g e v e r ä n d e r t e r U m s t ä n d e u n d Ä n d e r u n g d e r sog. G e s c h ä f t s g r u n d l a g e n , insbesondere infolge des Umsturzes galten, der durch den ersten Weltkrieg, die Revolution, den Versailler Vertrag und den Währungsverfall bewirkt worden war. Das Reichsgericht hat unter Aufrechterhaltung des Vertrags die Vertragsbedingungen nach Billigkeitsrücksichten den veränderten Umständen angepaßt (RG. 100, 130; 104, 222). Auf diesem Gedanken beruht die Auiwertungsrechtsprechung, die mit dem Urteil vom 28.11.1923 (RG. 107, 78) begann, und die Entwicklung des Ausgleichsanspruchs, für den die Urteile RG. 112, 329 und 119, 133 grundlegend waren. Wo auf diesen Wegen geholfen werden kann, wird der Rücktritt vom Vertrage nur noch zugelassen, wenn die Weigerung des Gegners sich als schuldhafte positive Vertragsverletzung darstellt (Zeiler, Aufwertungsfälle Nr. 1677, 1844). Einer Rechtfertigung des Grundgedankens jener Rechtsprechung bedarf es nicht mehr, nachdem sie sich gewohnheitsrechtlich durchgesetzt hat (vgl. unten Anh. III Anm. 44 und Anh. zu § 374 Anm. 48 b). Anm. 21. Unrechtausübung durch Ausübung scheinbaren Rechts (scheinbare Rechtsaugübung). Im Zusammenhang mit § 242 pflegt die früher als Einrede der Arglist bezeichnete, inzwischen längst als Negierung eines geltend gemachten Rechts erkannte, teilweise fälschlich mit Verstoß gegen Treu und Glauben begründete Absage an die mißbräuchliche Berufung auf ein Recht behandelt zu werden. Große Kreise von Fällen, welche unter dem Stichwort „unzulässige (auch unrichtige) Rechtsausübung" mitverstanden werden, haben mit einem Verstoß gegen Treu und Glauben im engeren Sinne (gegen die soziale Zuverlässigkeit) nichts zu tun. Es sind

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Unrechtausübung durch Ausübung scheinbaren Rechts (Godin)

§ 346 Anin. 21

a) die Fälle, in welchen ein Recht über die ihm „immanente Schranke" hinaus ausgeübt wird, die ihm sein institutioneller Zweck von selbst setzt, der sein angebliches Recht geltend Machende also in Wahrheit rechtlos handelt. Jedes persönliche Recht ist Macht über einen Anderen. Davon sagt schon Montesquieu: C'est une expérience éternelle que tout homme qui a du pouvoir est porté à en abuser; il va jusqu' à ce qu' il trouve des limites. Es folgt daraus, daß die Rechtsordnung, wenn sie die Gerechtigkeit verwirklichen und die Volksgemeinschaft befrieden will, jeder Macht, jedem Anspruch Schranken setzen muß. Jedes Recht ist ein Institut der Rechtsordnung, mit dem sie den gerechten Interessenausgleich erstrebt. Wenn seine Ausübung auch nicht deshalb unzulässig ist, weil sie einen anderen schädigt, so kann doch im Einzelfall ein Mißverhältnis zwischen dem durch die Ausübung des Rechts gewahrten eigenen Interesse und dem dadurch verletzten fremden Interesse solchen Ausmaßes entstehen, daß jene dem Ziele der Rechtsordnung zuwiderläuft, einen gerechten Interessenausgleich herbeizuführen, und mit dem oben erwähnten, von Ulpian festgestellten praeceptum juris des honeste vivere, alterum non laedere,suum cuique tribuere unvereinbar ist. Um ein solches Ergebnis zu zeitigen, ist es nicht gewährt, besteht es objektiv nicht. Derjenige, der einen solchen Gebrauch davon macht, handelt also objektiv rechtlos, subjektiv freilich verstößt er gegen die subjektive Gerechtigkeit, die Ulpian a. a. O. als die constans et perpetua voluntas suum cuique tribuendi kennzeichnet. Diese ist nicht identisch mit Treu und Glauben. Rücksichtslose Eigensucht wird von der Rechtsordnung nicht als berechtigt anerkannt. Von den handelsrechtlich interessanten Entscheidungen ist R G . 169,141 anzuführen, wo der Rücktritt von einem Abzahlungsvertrag als unzulässig erklärt wird, wenn er wegen eines nur geringfügigen Rückstandes ausgeübt wird. Zu dieser Gruppe von Fällen gehört es, wenn ein Vertragsteil von dem anderen unzumutbare Vertragstreue (Anm. 43) fordert oder wenn der Inhaber eines Rechtes es geltend machen will, um einen dem Recht völlig fremden, z. B . als Entleiher einen anderen als den vertragsmäßigen (§ 603 BGB.) Gebrauch davon zu machen, oder als Inhaber eines Anspruchs (einer Option) ihn erhebt (die Option ausübt), nicht um den Anspruchs(Options-)gegenstand zu behalten und zu nutzen oder ihn weiter zu veräußern, sondern um ihn (in spekulativer Absicht) zu zerstören, etwa um den Preis für gleichartige Güter, die er schon besitzt, zu steigern, oder etwa, wenn es sich um eine Erfindung handeln sollte, um sie brach liegen zu lassen und den eigenen Erfindungsbestand nicht zu entwerten; ein weiteres Beispiel dafür ist es auch, wenn in Zeiten des Warenmangels der Inhaber eines Anspruchs auf ein Deputat zum Eigenverbrauch oder eines Bezugsscheines sich die ihm zustehenden Güter zuteilen läßt, nicht um sie selbst zu verbrauchen, sondern zu Überpreisen zu veräußern. Während die Kartellquoten früher grundsätzlich als frei veräußerlich angesehen wurden, waren die Kontingente zur Zeit der auf dem Boden der Mangelwirtschaft entstandenen und aufgebauten staatlichen Marktordnung unübertragbar. b) Fälle, in denen das Recht arg- oder hinterlistig oder auch gesetz- oder vertragswidrig erworben oder begründet wurde, mag zur Zeit des Erwerbs oder der Begründung des Rechts schon die Absicht bestanden haben, es später geltend zu machen, um den gesetzlich gewollten Interessenausgleich zu vereiteln, oder auch nicht, wenn seine Ausübung diesen Erfolg hat. Häufig wird in diesen Fällen auch § 826 B G B . anwendbar sein, so daß sich die Unzulässigkeit, das Recht auszuüben, unter dem Gesichtspunkt ergibt, daß die Ausübung schadensersatzpflichtig macht, demnach dazu verpflichten würde, den Zustand wieder herzustellen, der vor der unzulässigen Ausübung bestand. Wo der Tatbestand des § 826 B G B . durch Erwerb oder Begründung oder Ausübung des Rechts nicht hergestellt wird, ist die Unzulässigkeit der Ausübung des Rechtes nicht so sehr wie unter a) damit zu begründen, daß sie die ihm „immanenten Schranken" überspringt, als doch wie dort auch hier damit, daß durch den Erwerb und die Begründung oder Ausübung des Rechtes erstrebt wird, dem Zweck der Rechtsordnung zu vereiteln, einen Ausgleich der Interessen herbeizuführen, und daß die Rechtsordnung nicht billigen und zulassen kann, was ihre eigenen Zwecke zu vereiteln strebt. Hier ist zu erwähnen der (wohlfeile) Erwerb einer aufrechenbaren Gegenforderung (RGZ. 160, 60; 167, 259; J W . 39, 355). Zu diesen Fallgruppen tritt

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§ 346 Anrn. 21

Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften

c) die Gruppe der echten Verstöße gegen das erweckte Vertrauen, welches sich als Verletzung des § 242 darstellen. Sie setzen voraus, daß schon vorher ein Kontakt stattfand, durch welchen auf der einen Seite das Vertrauen darauf erweckt wurde, daß sich die andere in bestimmter Weise verhalte, welches nunmehr durch deren wirkliches Verhalten enttäuscht wird. Dabei braucht weder die Erweckung des Vertrauens noch seine Enttäuschung schuldhaft, gar etwa arglistig zu sein. Hiernach gehört die B e r u f u n g a u f die N i c h t i g k e i t e i n e s V e r t r a g e s w e g e n M a n g e l s d e r g e s c h ä f t l i c h e n F o r m , wenn eine Partei, sei es auch unabsichtlich, die andere zu der Meinung veranlaßt hat, daß keine Form erforderlich sei (RG. 153, 61; 157, 209; OLG. Dresden J R . 1950, S. 24 und N J . 50 S. 604; OGHBrZ. Recht der Landwirtschaft 1950 S. 31; OLG. München, DNotZ. 51 S. 31; OLG. Frankfurt NDR. 51 S. 422, wo aber mit Recht betont wird, daß im Interesse der Rechtssicherheit gegenüber der Berufung auf Formnichtigkeit nur ausnahmsweise der Einwand zugelassen werden könne, daß sie gegen Treu und Glauben verstoße; in der 1. Aufl. will Gadow auf diesen Fall § 826 B G B . anwenden), ferner die B e r u f u n g a u f V e r j ä h r u n g , wenn der Gläubiger es unterlassen hat, den Anspruch gerichtlich geltend zu machen, weil er durch das Verhalten des Schuldners zu dem Glauben verleitet worden war, daß dieser die Einrede der Verjährung nicht erheben werde, z. B . weil dieser über die Höhe des Anspruchs verhandelt (RG. 57, 372), um Stundung nachgesucht und gleichzeitig Erfüllung versprochen hat (RG. Seuff. A. 63 Nr. 128) oder gar zugesichert hat, daß er die Einrede der Verjährung nicht erheben werde (RG. J W . 37, 27). In diese Gruppe von Fällen gehört auch die V e r w i r k u n g e i n e s A n s p r u c h s o d e r R e c h t e s durch allzu langes Warten, so daß die verspätete Geltendmachung illoyal erscheint. Vorausgesetzt ist außer dem Zeitablauf die Möglichkeit, das Recht geltend zu machen und die Unterlassung der Rechtsverfolgung in dem Bewußtsein, daß die Gegenseite dadurch veranlaßt wird, sich darauf einzurichten, daß das Recht nicht geltend gemacht wird (RG. 1 5 5 , 1 4 8 ; 158,107, 238; 1 5 9 , 1 0 5 ; 160, 357; 1 6 7 , 1 8 1 ; 1 7 1 , 1 5 9 ; OGHBrZ. N J . 49, 22; B G H . 1, 283; 2, 53; OLG. Stuttgart N J W . 4 9 S. 507, wo durch jahrelanges Stillschweigen und Nichtzahlung des Kaufpreises der Anspruch auf Auflassung als verwirkt angesehen wurde. B G H . Recht der Landwirtschaft 1951 S. 234). Die Verwirkung wurde ursprünglich vom Reichsgericht nur für einige Sondergebiete wie insbesondere das Aufwertungsrecht, anerkannt, im übrigen abgelehnt. Der 4. Senat hat noch in der Entscheidung 156 S. 77 nur vertragliche Ansprüche als verwirkbar angesehen, jedoch setzt sich der Einwand, wie die angeführte Rechtsprechung zeigt, durch. Wie erwähnt, genügen indessen der Zeitablauf und bloßes untätiges Verhalten nicht. Es geht nicht an, die Bestimmungen über die Verjährung auszuhöhlen und die freilich allzu lange dreißigjährige Verjährungsdauer des B G B . mit Hilfe dieser Neuschöpfung illusorisch zu machen. Zu weitgehend darum wohl Siebert „Verwirkung und Unzulässigkeit der Rechtsausübung" als auch die stellenweise (S. 152) in Phrasen schwelgende R G . 155, 148). Es ist R G . 158 S. 238 zuzustimmen, daß die Verwirkung auf Ausnahmefälle zu beschränken ist, die eigentümliche Sonderheiten in Hinsicht auf das Verhalten des Berechtigten bieten. (Ähnlich R G . 159,105, weniger einschränkend OGHBrZ. 1 , 1 8 1 und 284. Zu bedenken ist auch, daß die Umstände, welche die Ausübung des Rechtes als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, auch wieder wechseln können, so daß unter anderen neu eingetretenen Umständen eine andere Beurteilung begründet sein kann. Mitunter wird übrigens vertragliche Aufhebung eines Vertrages anzunehmen sein, wenn durch längere Zeit keine Seite ihn ausgeführt und die Ausführung in Erinnerung gebracht hat; die Aufhebung eines Vertrages ist immer formlos gültig, auch wenn der Vertrag formbedürftig war. In der 1. Aufl. wurde angenommen, daß gegenüber Ansprüchen aus absoluten Rechten die Verwirkung nicht schon mit Verstoß gegen Treu und Glauben, sondern nur mit Verstoß gegen die guten Sitten begründet werden könne. Diese etwas zu scharfsinnige Auffassung hat sich nicht durchgesetzt (RG. 133, 296; J W . 34, 3054; OGHBrZ. 1, 283). In diese Gruppe von Fällen gehören überhaupt alle Fälle eines V e r h a l t e n s , w e l c h e s s i c h m i t e i n e m f r ü h e r e n e i g e n e n V e r h a l t e n in W i d e r s p r u c h s e t z t . E s genügt aber nicht bloß ein objektiver Widerspruch, das Verhalten muß auch subjektiv dem früheren entgegengesetzt sein. Die bloße Aufgabe eines früheren irrigen

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Unsittliche Rechtsgeschäfte. Begriff d. guten Sitten (Godin)

§ 346 Anhang

Anm. 1, 2

Rechtsstandpunkts dagegen ist kein Verstoß gegen Treu und Glauben. Dagegen ist unzulässig die Berufung auf Vertragsbedingungen, wenn nach dem geübten eigenen Verhalten deren Anwendung nach dem Gesamtinhalt des Vertrages mit Treu und Glauben in Widerspruch steht (RG. 152,150; 153, 59). Als Verstoß gegen Treu und Glauben wird schließlich erachtet, etwas auf Grund eines Rechtes zu v e r l a n g e n , was auf Grund einer auf anderem Tatbestande beruhenden Verpflichtung z u r ü c k g e g e b e n w e r d e n muß. Man hat es hier wohl im Grunde mit denselben Überlegungen zu tun, die die Aufrechnung zulassen. Die Unzulässigkeit des Verlangens dürfte gewissermaßen als eine Vorwirkung (Ausstrahlung) der Rückgabeverpflichtung anzusehen sein.

A n h a n g z u § 346 I. Unsittliche Geschäfte. IL Zwang zum Yertragsschlufi I. Unsittliche Geschäfte Schrifttum: B a u e r - M e n g e l b e r g , Knebelungsverträge, 2. Aufl. 1931; L a u t e r b e r g , Recht u. Sittlichkeit, 1918; v o n M i l l e r , Sittliche Begriffe im deutschen bürgerlichen Recht, DR. 1933, 206. Anm. 1. A. § 138 Abs. 1 BGB. bestimmt, daß ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist. Anm. 2. 1. Der Begriff der guten Sitten ist „dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" zu entnehmen. Bs ist nicht ausgeschlossen, daß die Sittenanschauung eines bestimmten Volkskreises, der Standesgenossen (JW. 04, 2561), z. B. im Handelsverkehr die Anschauung eines ehrbaren Kaufmannes (RG.48,124; dagegen Fischer BayZ. 1911, 173; Salinger JW. 1917, 4) zu berücksichtigen ist, wenn sich in ihr eine herrschende Sitte ausprägt. Jedoch darf sie nicht den allgemeinen Anschauungen widersprechen (RAG. JW. 1933,1616 1 ). Maßstab ist ein guter, den Geboten der reinen Sittlichkeit sich in fortschreitender Entwicklung nähernder Durchschnitt von Sinn für Anstand und Ehrlichkeit, nicht besondere Feinfühligkeit (RG. 67,102; WarneyerRspr. 1913Nr. 189; JW.1936,3308 2 ), aber auch nicht der in der Kriegs- und Nachkriegszeit in manchen Kreisen gesunkene Anstands begriff (RG. 120,148; 129,381). Allgemeine Billigkeitserwägungen (JW. 1914,83"), lassen so wenig wie schroffe Interessenverfolgung (WarneyerRspr. 1921 Nr. 134) die Annahme einer Sittenwidrigkeit zu. Ob ein Rechtsgeschäft sittenwidrig ist, beurteilt sich objektiv nach dem Inhalt des Geschäfts, subjektiv nach Beweggründen und Zweck (richtiger o d e r Zweck, denn die Vorstellung des Zwecks ist identisch mit dem Beweggrunde des Handelns; Kant, Kritik der Urteilskraft 3 S. 350, 381), also nach dem Gesamtcharakter (RG. 78, 263; 80,221; 86.148; 128, 96,257; 150,5; JW. 1938, 23952), und zwar so, wie er sich im Augenblicke des Vertragsschlusses darstellte (RG. 63, 391; WarneyerRspr. 1920 Nr. 143). Spätere Ereignisse kommen nur insoweit in Betracht, als der Vertragswille sie umfaßt (MuW. 12, 552; JW. 09, 713) oder die spätere Entwicklung Rückschlüsse auf die Lage zur Zeit des Vertragsschlusses gestattet. Die o b j e k t i v e S e i t e , die also nur den Inhalt (und damit auch den Gegenstand) des Vertrags betrifft, umfaßt alle den Vertragsschluß vorbereitenden, begleitenden und bei der Erfüllung mitwirkenden Umstände (RG. 80, 221; 84, 211). Daraus ist dann zu entnehmen, ob ein Rechtsgeschäft schon nach Inhalt oder Gegenstand auch auf einen sittenwidrigen Beweggrund schließen läßt, z. B. die Verleitung von Angestellten der Konkurrenz zum Vertragsbruch durch Versprechen von Vorteilen (Warneyer 1913 Nr. 322). Wenn nur einen Vertragschließenden der Vorwurf unsittlichen Verhaltens trifft, kann nur ausnahmsweise Sittenwidrigkeit vorliegen, wenn nämlich das allgemeine Interesse nach dem Vertragsinhalt gefährdet ist (HRR. 1935 Nr. 101, 923) oder die Handlungsweise sich gegen den andern Teil richtet (HRR. 1928 Nr. 589); dies ist z. B. der Fall, wenn die wirtschaftliche Machtstellung einer Partei übermäßig ausgenutzt wird um der anderen ungebührliche Geschäftsbedingungen aufzuzwingen (RG. 93, 30; 99,109; 147, 344;WarneyerRspr. 1916 Nr. 2; 1917 Nr. 194; HRR. 1938 Nr. 1223; Hungerlöhne, §59 Anm. 36); 77

§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 2 a, 3 oder wenn ein Teil die Zwangslage oder Geistesschwäche des andern ausbeutet um außergewöhnliche Vorteile zu erlangen (RG. 98, 79; 113, 5), oder wenn einem Vertragsteil die Befugnis eingeräumt wird, denVertrag zum Nachteil des andern abzuändern (HRR. 1935, 1654), oder wenn die persönliche Freiheit völlig unterbunden wird (Warneyer-Rspr. 1915 Nr. 8; unten Anm. 16b), oder wenn dem Vertragsgegner nur nach außen der Schein der Selbständigkeit verliehen wird, um das Publikum zu täuschen (§368 Anm. 96 a), oder wenn Vertreter oder Angestellte des Vertragsgegners geschmiert werden und dadurch der Vertragsinhalt für ihn ungünstig beeinflußt wird; regelmäßig nicht ohne solche Beeinflussung des Vertragsinhalts (RG. 86,148; unten Anm. 18). Abgesehen von diesen Ausnahmefällen setzt § 138 Abs. 1 BGB. als Regel bei Verträgen — anders bei einseitigen Rechtageschäften, z. B. bei der Ausübung eines Gestaltungsrechts (RG. 142, 412; vgl. dagegen JW. 1934,14091) — einen beiderseitigen Verstoß gegen die guten Sitten voraus (RG. 98, 79; 140,190; JW. 1938, 23952), so daß ein Vertrag nicht deshalb unsittlich ist, weil eine Partei sich unsittlich verhalten (RG. 78, 353), z. B. den Vertrag durch Täuschung oder Drohung (RG. 72, 218; JW. 1912,1336) zustandegebracht hat; hier greifen nur die Anfechtung oder schuldrechtliche Ansprüche oder die Einrede des unerlaubten Rechtserwerbs (§ 346 Anm. 21) Platz. Auch die Kenntnis des einen Teils von unsittlichen Bestrebungen des anderen Teils genügt für sich allein noch nicht (RG. 71,194; LZ. 1919, 79011). Die s u b j e k t i v e Anstößigkeit kann auch ein objektiv einwandfreies Geschäft zum sittenwidrigen stempeln (RG. 98, 73), so kann eine einwandfreie Darlehnsgewährung doch unsittlich werden als Schweigegeld (Anm. 17). Ist der nächste Zweck sittenwidrig, so kommt es auf den erlaubten, vielleicht gar löblichen Endzweck nicht an. Das Geschäft ist dann ein sittenwidriges Mittel zur Erreichung des Endzwecks (RG. 88, 365; RAG. JW. 1933,16161). Der Zweck heiligt die Mittel nicht, aber Mittel entheiligen den Zweck. Sittlich verwerfliche Beweggründe des einen Vertragsteils machen ein an sich erlaubtes Geschäft nicht sittenwidrig (RG. 71, 173; 78, 282); es muß ein sittenwidriger Inhalt hinzukommen (s. oben), oder der andere Teil muß bewußt zu dem sittenwidrigen Zwecke beitragen (WarneyerRspr. 1910 Nr. 49). Ob den Vertragschließenden die Unsittlichkeit bewußt war, ist ohne Belang; es genügt Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt (RG. 97, 255). Daß eine Handlung gegen ein Gesetz verstößt, macht sie noch nicht in jedem Falle unsittlich (Anm. 24). Anm. 2 a. Nebengeschäfte können an sich oder durch ihre Verbindung mit dem Hauptgeschäft unsittlich sein, wie z. B. Vertragsnachträge (RG. 64,149) und Verbürgung (RG. 63,145), ein Strafgeding, eine Wechselausstellung (RG. 63, 371). Nicht unsittlich ist ein Geschäft, welches die Rückgewähr des auf ein unerlaubtes Geschäft Hingegebenen sichern soll (LZ. 1923, 28316). Über Erfüllungsgeschäfte s. unten Anm. 5. Anm. 3. 2. Ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, ist von Amts wegen zu prüfen, und zwar immer nach inländischem Recht, mag auch das Geschäft im übrigen nach ausländischem Recht zu beurteilen sein (RG. 10,113; 46,114; Art. 30 EG.BGB.; Allg. Einl. Anm. 37). Jeder Beteiligte kann sich darauf berufen (RG. 78, 354). Erfüllt ein Geschäft den Wucherbegriff, so ist Abs. 2 des § 138 BGB. anzuwenden und nicht Abs. 1, weil der Tatbestand eines Sondergesetzes erfüllt ist (RG. 72, 69). Erfüllt ein Rechtsgeschäft den Wucherbegriff nicht, so kann es nicht allein wegen des auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung als unsittlich nach § 138 Abs. 1 BGB. erachtet werden. So in Bestätigung einer festen Rechtsprechung RG. (Großer Senat) 150,1: Es muß noch eine verwerfliche Gesinnung hinzutreten, auf dieaber u. U. aus dem Mißverhältnis geschlossen werden kann; sie liegt bei demjenigen vor, der sich böswillig oder grobfahrlässig der Erkenntnis verschließt, daß sich der andere Teil wegen oder zufolge einer mißlichen Lage auf die schweren Bedingungen einläßt. Auf Verwerflichkeit der Gesinnung deuten auch unlautere Machenschaften (RG. 93,106), Ausnützung allgemeiner Not des Geld- oder Arbeitsmarktes z. B. während des Krieges (RG. 90, 402; 93, 293; 99,164), planmäßige Ausnützung eines wirtschaftlich Schwachen (HRR. 1936 Nr. 715 = JW. 1936, 18231). Fehlt es z. B, am Nachweis der Notlage, des Leichtsinns, der Unerfahrenheit, so genügt es doch zu einem Verstoß gegen die guten Sitten, wenn die geistige Minderwertigkeit um eines außergewöhnlichen Vorteils willen ausgenutzt worden ist (RG. 67, 393; 72, 68; WarneyerRspr. 1927 Nr. 46). 78

Folgen der Unsittlichkeit (Godin)

§ 346 Anhang Anm. 4—6 Nicht ausreichend ist die bloße Übervorteilung der Gegenpartei oder der Umstand, daß sich der Darlehnsgeber übermäßigen Gewinn oder Vorteil versprechen läßt für Unterstützung eines Spekulationsgeschäfts. Solche Grenzfragen entstehen auch z w i s c h e n §123 BGB. u n d §138 Abs. 1 BGB. Liegt die Fehlerhaftigkeit eines Rechtsgeschäfts ausschließlich in der unzulässigen Willensbeeinflussung durch Betrug oder Drohung, so ist es nur anfechtbar nach §§ 123, 124 BGB. Haften ihm aber noch andere Merkmale an, durch die es als mit den guten Sitten nicht vereinbar erscheint, ist es nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig, auch wenn das Geschäft durch Betrug oder Drohung zustande gekommen ist (RG. 98, 79; JW. 1917, 8971; 08, 7102). Anm. 4. 3. D a s unsittliche Rechtsgeschäft ist nichtig, so daß Ansprüche, die einen gültigen Vertrag voraussetzen, wie z. B. Gewährleistungsansprüche (Wandelung usw.), nicht gegeben sind (RG. 71, 433). Jeder Dritte, aber auch ein Beteiligter, der selbst gegen die guten Sitten verstoßen hat (WarneyerRspr. 1920 Nr. 145; JW. 1936, 1534"), kann die Nichtigkeit geltend machen, das Gericht hat dies auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts von Amts wegen zu prüfen (Gruchot 70, 547). Die Nichtigkeit ergreift regelmäßig den ganzen Vertrag mit Nebengeschäften (Anm. 2a; RG. 63, 351; 69,134). Die äußerliche Zerlegung in mehrere Verträge, wenn rechtlich eine Einheit gegeben ist, ändert nichts. Nur dann ergreift die Nichtigkeit nicht den ganzen Vertrag, wenn der, welcher sich auf die Gültigkeit eines Teils beruft, den Beweis erbringt, daß der nicht unsittliche Teil auch ohne den unsittlichen von beiden Parteien ebenso abgeschlossen worden wäre (BGB. §139; § 350 Anm. 74ff.). Anm. 5. D a s Erfüllungsgeschäft, d. h. die Auflassung (§925 BGB.), die Sachübergabe (§ 929 BGB.) und bei Schuldverhältnissen die auf den Vollzug gerichtete Willenseinigung (§§ 397, 398 BGB.), sowie das abstrakte Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB.) hat nach der herrschenden Auffassung selbständige abstrakte Natur, so daß die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Grundgeschäfts (des Kausedgeschäfts) das dingliche Erfüllungsgeschäft in der Regel nicht mitumfaßt (RG. 68, 100; 78,285; 93,222; 104,102; 109,202; Enneccerus-Nipperdey I §178 Anm. 17; Oertmann §817 Anm. 4; auch wenn beide zeitlich zusammenfallen (RG. 78,44; 104, 102; LZ. 1918,1270), doch müssen Ausnahmen anerkannt werden, in denen auch das Erfüllungsgeschäft ohne weiteres nichtig ist. So macht Wucher und Ausbeutung geistiger Minderwertigkeit auch das Erfüllungsgeschäft nichtig (RG. 57,96; 72,63; 75,76; 93, 75; 109, 202; JW. 1937,1233 1 ). Ist endlich das Erfüllungsgeschäft selbst nach seinem Zwecke sittenwidrig (RG. 81,175; 145,154; Recht 04 Nr. 2356: Verkauf unsittl. Bilder; WarneyerRspr. 1913 Nr. 129: zur Täuschung von Kreditgebern geeignete Vermögensübertragung), oder war das Erfüllungsgeschäft nach dem Willen der Parteien durch die Gültigkeit des Grundgeschäfts bedingt (WarneyerRspr. 1913 Nr. 129; Planck-Flad § 138 I 3b; vgl. RG. 57, 96; 104,103; Gruch. 54, 887; SeuffA. 71 Nr. 209; 84 Nr. 55), oder ist ein abstraktes Rechtsgeschäft (Abtretung) ein wesentlicher Teil eines andern Rechtsgeschäfts (Kauf) und wäre es nicht abgeschlossen worden, wenn das andere Rechtsgeschäft nichtig ist (§ 139 BGB.; WarneyerRspr. 1912 Nr. 360; vgl. RG. 78, 44), so ist mit dem Grundgeschäft zugleich das Erfüllungsgeschäft nichtig. Übrigens ist nicht einzusehen, warum der Zweck des Erfüllungsgeschäftes, das unsittliche Grundgeschäft zu erfüllen, damit dessen unsittlicher Zweck erreicht werde, kein unsittliches Merkmal des Erfüllungsgeschäftes selbst sein soll, um dessentwillen es nichtig ist; warum sollte bei ihm nur der rechtsgeschäftliche Inhalt entscheiden und Beweggrund und Zweck auf er acht bleiben? I s t n u r d a s s c h u l d r e c h t l i c h e G r u n d g e s c h ä f t n i c h t i g , so fehlt dem Erfüllungsgeschäft der Rechtsgrund. Es ist daher nach den Vorschriften über die Herausgabe ungerechtfertigter Bereicherung rückgängig zu machen. Anm. 6. B. I. Wer vorsätzlich einen anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Welse schädigt, wird schadensersatzpflichtig (§ 826 BGB.), so daß der Geschädigte nicht auf die Geltendmachung der Nichtigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB. beschränkt ist. Dieser Satz hat so allgemeine Geltung, daß er über allen anderen Gesetzen steht und auch eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 826 BGB. durch Verletzung einer Vertragspflicht begangen werden kann (RG. 66, 363; 88,433; JW. 1912, 338 2 ; § 377 Anm. 177 a); z. B. durch das arglistige Zusammenwirken eines Vertragsteils^mit

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 7, 8 Dritten zum Zweck der Vereitelung der Vertragserfüllung oder durch üble Nachrede über den andern Vertragsteil (RG. 79, 56). Selbst die A u s ü b u n g eines Rechts oder die A u s n ü t z u n g einer Rechtsvorschrift (§ 346 Anm. 21) wie überhaupt jede gegen die guten Sitten verstoßende Betätigung, wird von § 826 BGB. getroffen, wenn sie einem anderen Schaden zufügt (RG. 58, 216; 62, 137; 98, 71). Auch eine Unterlassung erfüllt den Tatbestand des § 826BGB., wenn die guten Sitten ein Handeln, z. B. eine Aufklärung, erheischt hätten (JW. 1910, 470). Anm. 7. II. Unsittlicherweise begründete Rechte dürfen nicht geltend gemacht werden, weil der von § 826 BGB. gegebene Schadensersatzanspruch in Wiederherstellung des früheren Zustandes besteht. Der Ersatzpflichtige, der auf unsittliche Weise einen Anspruch erlangt hat, darf davon gegen den Geschädigten keinen Gebrauch machen (RG. 58, 356; JW. 03 Beil. 74170). Ihm steht die Einrede des unerlaubten Rechtserwerbes entgegen. C. Praktische Einzelfragen: Anm. 8. 1. Der Bierabnahmevertrag (Dispeker, Der Bierlieferungsvertrag, München 1913; Künstler, Der Bierlieferungsvertrag, 2. Aufl. Nürnberg 1929). Der B i e r a b n a h m e v e r t r a g , der für Bayern in Art. 13 Bayr. AG.BGB. v. 9. 6.1899, GVB1. Nr. 28, zufolge des Art. 18 EG.HGB. besonders geregelt wurde, ist kein Vorvertrag, gerichtet auf den Abschluß einer Reihe selbständiger Bierkäufe, sondern ein Sukzessivlieferungsvertrag (RG. in DJZ. 02,118). Er unterliegt den Regeln des Kaufs, einerlei, ob er auf den sukzessiven Bezug einer bestimmten Biermenge oder auf Bezug nach Bedarf gerichtet ist. Die d i n g l i c h e Belastung eines Wirtschaftsgrundstücks mit einer Bierbezugspflicht, so daß also jeder Inhaber der Schankstätte gebunden wäre, würde selbst in zeitlicher Beschränkung als Reallast gegen § 8 Nr. 2, 10 GewO. verstoßen (RG. 59,109; 63,334). Als Dienstbarkeit läßt sich eine solche Bezugspflicht nicht bestellen, weil ein Tun in Frage stände. Die Übernahme einer p e r s ö n l i c h e n Verpflichtung zum Bierbezug kann dagegen selbst in der Form nicht beanstandet werden, daß der Übernehmer sich bei Strafe bindet, die BezugspflichtjedemNachfolger in der Wirtschaft aufzuerlegen (WarneyerRspr. 1913 Nr. 219,s. auch u.).Zur Sicherung solcher persönlichen Ansprüche (z.B. auf Vertragsstrafe) kann eine Sicherungshypothek rechtswirksam bestellt werden (vgl.RG. 63,390; Art.l4Bayr. AG.BGB.).Bierabnahmeverträge knüpfen regelmäßig an eine Darlehnsgewährung der Brauerei, oft zwecks Kaufs der Wirtschaft an, wobei sie die Einrichtung des Wirtes kauft und ihm mietweise überläßt, er aber sie mittels eines Aufschlags zum Bierpreis allmählich erwirbt. Wenn die Brauereien zur Ausgleichung ihrer Gefahr die meist unzulänglichen Sicherheiten häufen, sich auf mäßige Zeit Vorteile sichern und durch verständige Strafgedinge einen gewissen Zwang ausüben, so ist der Vertrag nicht unsittlich (RG. 152, 251; JW. 06, 4193 u. 456«); es wird auch dritten Kreditgebern nichts vorgetäuscht (LZ. 1917, 52®; § 368 Anm. 96a). Es kommt darauf an, ob die Bewegungsfreiheit des Wirts unter Würdigung aller Verhältnisse zu sehr beschränkt und der Vertrag deshalb unsittlich ist (RG. 63, 390; 152, 253; JW. 1935, 25531; 1936, 5691; 1938, 23931; HRR. 1935 Nr. 1654 = JW. 1935, 32071, WarneyerRspr. 1938 Nr. 56; BayObLG. 15,142; 32,104; Kolmar ElsLothZ. 39, 573; Hamburg JW. 1934, 301218; KG. JW. 1935, 3041"). Der Bezugszwang darf also nicht zeitlich unbeschränkt sein {RG. 63, 390), es dürfen nicht für den Fall der Kündigung übermäßige Nachteile festgesetzt werden (ROHG. 18,101; WarneyerRspr. 1912 Nr. 242; 1913 Nr. 219); es darf nicht die Verpflichtung vom Bedarf unabhängig sein, es sei denn bei dessen willkürlicher Einschränkung oder Einstellung (München OLGR. 28,113), oder dahin gehen, daß der Wirt unter dem Druck der Darlehnskündigung sich die Lieferung minderwertiger Ware gefallen lassen müsse (Biersklaverei; vgl. RG. 67,102; Anh. zu § 374 Anm. 195). Unter den Begriff der Biersklaverei fällt es, wenn Brauereien eines Bezirks vertraglich nicht nur gegenseitigen Wettbewerb ausschließen, sondern sich gegenseitig verpflichten, kein Bier an Pächter zu liefern, denen eine der Brauereien die Wirtschaftspacht gekündigt hat; hier greift § 826 BGB. Platz (RG. 93,19). In den angegebenen Grenzen kann selbst ein Vertrag von 19jähriger Dauer zu Recht bestehen (vgl. RG. 67,102; JW. 06, 453«; 08, 32 u. 3277; BayObLG. BayZ. 1933, 325), sogar 20jährige Bindung ist nicht ohne weiteres unsittlich (WarneyerRspr. 1913 Nr. 219; LZ. 1919, 10114; WürttRpflZ. 1915, 37); wohl aber Bindung auf unbegrenzte Zeit

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Bierabnahme- und Warenbezugsdauerverträge (Godin)

§ 346 Anhang Anm. 9 (JW. 19 2 7, 11920). Zehnjährige Dauer ist in Bayern üblich (BayObLGZ. 32, 106). Die Gesamtwirkung aller Umstände kann allerdings selbst bei Bindung auf kürzere Zeit eine unsittliche Knebelung ergeben (RG. 67, 102; 76,78; JW. 1910, 62 5 ; 1930,3471; WarneyerRspr. 1912 Nr. 242). Ist der Vertrag wegen zu langer Bindung unsittlich, so kann der Richter nicht einen kürzeren Zeitraum als vereinbart annehmen (RG. 76, 78; JW. 1910, 625). — Bin Bierabnahmevertrag kann auch wegen Wuchers nichtig sein; jedoch genügt es dazu nicht, daß der Wirt gebunden ist, bis er das Darlehn der Brauerei durch den Bierüberpreis abgetragen hat (JW. 06, 7352; BayObLG. im „Recht" 05, 368); Nachteil des Wirts und Vorteil der Brauerei sind auseinanderzuhalten (RG. in PucheltsZ. 29, 451). Ist der Bierabnahmevertrag nichtig, so ist der ganze Vertrag nichtig (also auch der oft damit verbundene Wirtschaftskauf), wenn nicht anzunehmen ist, daß er auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen worden wäre (§139 BGB.; oben Anm. 4). — Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Wirt sich verpflichtet, dafür einzustehen, daß sein Nachfolger in den Vertrag eintritt (so Art. 13 Bayr.AG.BGB.; Bay ObLGZ. 32,113) und diesen in der Restzeit erfüllt (Karlsruhe BadRspr. 03, 222). Es ist keine unwürdige Beengung der persönlichen Freiheit, wenn der Wirt die Auflage eingegangen ist, daß er den Betrieb der Wirtschaft während der Vertragsdauer nicht einstellen darf (München OLGR. 28,113; BayObLGZ. 32,106); denn der Sinn der Auflage kann nur der sein, daß er im Falle der Veräußerung der Wirtschaft dem Nachfolger die Bezugspflicht für die restliche Dauer des Vertrags aufzuerlegen hat. Muß der Wirt aus Umständen, die er nicht zu vertreten hat, die Wirtschaft aufgeben, z. B. infolge der Zwangsversteigerung seines Grundstücks (Dresden OLG. 28,115), oder könnte er den Fortbetrieb nur mit erheblichen Verlusten fortsetzen, so wird im Zweifel für ihn wegen unvorhergesehener Umstände (§ 242 BGB.) ein wichtiger Grund zur Auflösung des Vertrags gegeben sein (München OLGR. 28,113 will die §§ 323ff. BGB. anwenden; vgl. auch RG. 152, 255; BayObLGZ. 32,106). Geht die Brauerei in andere Hände über, so braucht der Wirt, wenn das Bier auch nur in den Augen des Publikums nicht mehr das alte ist, kein Bier mehr zu beziehen (JW. 1913, 5392). Einen anderen rechtlichen Charakter besitzen solche Bierabnahmeverträge, bei denen dem Bezugspflichtigen eine G e n e r a l v e r t r e t u n g (Alleinverkaufsrecht für einen bestimmten Bezirk mit Wettbewerbsverbot) übertragen ist; hier liegt kein reiner Kaufvertrag, sondern ein agenturähnliches Verhältnis vor; es kann entsprechend § 92 Abs. 2 jeder Teil aus wichtigem Grund ohne Frist kündigen (RG. 65,37; 69,363; „Recht" 07, 10 6 62543 ; vgl. JW. 1910, 30910, vgl. Anm. 16a, ferner Anm. 25 zu § 92), so z. B. wegen Unmöglichkeit lohnenden Fortbetriebs (RG. 31, 61; LZ. 09, 551; vgl. WarneyerRspr. 1912 Nr. 121; §92 Anm. 25). Der Verkäufer darf ohne Entschädigung des Generalvertreters nicht in- den vorbehaltenen Bezirk liefern, auch nicht an Personen, denen der Generalvertreter wegen ihrer schlechten Verhältnisse nicht verkaufen will (vgl. § 89 Anm. 4). Anm. 9. 2. Mehrjährige Warenbezugsverträge mit Alleinverkaufsrecht oder ohne solches, mit oder ohne Bezugspflicht des Bezugsberechtigten, beurteilen sich nach ähnlichen Grundsätzen wie der Bierlieferungsvertrag (LZ. 1911, 2243 u. 37911). Solche Verhältnisse können sich ohne ausdrücklichen Vertragsschluß aus der Art langjähriger Geschäftshandhabung herausbilden (MuW.19,166). Solche gemischten Verträge kommen auch in der Form vor, daß nur ein Alleinvertretungsrecht mit der Verpflichtung zum Kauf einer größeren Menge der betreffenden Fabrikate eingeräumt wird; auch die Verträge der letzteren Art bilden rechtlich eine Einheit, denn nur mit Rücksicht auf die Alleinvertretung geht der Käufer die Verpflichtung zur Abnahme einer größeren Warenmenge ein. Der Gedanke, solche Verträge mit Alleinvertrieb und Bezugspflicht unter das Gesellschaftsrecht zu bringen und so die Auflösung wegen eines wichtigen Grundes zu erreichen (§ 723 BGB.), ist abzulehnen, weil es an einem gemeinschaftlichen Zweck fehlt (JW. 07,105 5 ; dahingestellt gelassen in RG. 95,167). Es genügt dem Wesen der Sache aber die entsprechende Anwendung der Vorschriften über Agenten, da ein gewisses Vertrauensverhältnis entsteht (s. Erl. zu § 92 Abs. 2, insb. dort Anm. 25, RG. 65, 37; 78, 22, 385; 92,203; 94,234; 95,167; 102,409; JW. 17,156; MuW. 19,166). Dasselbe gilt von Unmöglichkeit oder Nichtzumutbarkeit (LZ. 1921, 38110) der Fortführung des Geschäfts und vom Konkurs, aber nicht von der Eröffnung des Vergleichst

HOBi Bd. III. (Godin) 2. Auil.

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anrn. 10 Verfahrens. Auch eine Anfechtung des Vertrags wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit ist möglich (Vorbem. vor § 373 Anm. 39 a u. 47); positive Vertragsverletzungen können vorkommen, z. B. durch schlechte Belieferung oder Täuschung der Kundschaft (Anh. zu §374 Anm. 172ff.). Dann fällt auch ein vereinbartes Wettbewerbsverbot (vgl. JW. 1921, 27"). Der Kündigende muß dem Gegner Zeit zur Erledigung der im Laufe befindlichen Geschäfte gewähren (RG. 95,167). Anm. 10. 3. Knebelungsverträge. Man versteht darunter Verträge, welche die persönliche oder wirtschaftliche Freiheit in einer dem sittlichen Empfinden nicht entsprechenden Weise unterbinden; dies setzt jedoch voraus, da es keineswegs schlechthin unsittlich ist, die eigene oder fremde wirtschaftliche Freiheit zu beschränken, daß die Beschränkung einen sehr hohen Grad erreicht, der Selbstentmündigung oder völliger Aufgabe der geschäftlichen Selbständigkeit nahekommt; es entscheiden die Gesamtumstände und die Interessen beider Teile (RG. 82, 313; 97, 255; 103,85; 128,255; 130,143; 152, 253; JW. 1936, 18231 = HRR. 1936, 715). Nicht zum Tatbestand gehört es, daß den Parteien die Unsittlichkeit bewußt war (RG. 99, 109). Der Knebelnde braucht nicht die Absicht zu haben, den Geknebelten auszubeuten, er kann vielmehr ihm helfen und sich nur sichern wollen; denn häufig, jedoch nicht immer (RG. 136, 240; WarneyerRspr. 1935 Nr. 65), liegt es so, daß der Sittenverstoß durch übermäßige Bindung die Interessen dritter Personen gefährdet (RG. 85,344; 136,253; 143, 52; WarneyerRspr. 1916 Nr. 271; 1917 Nr.194; 1930 Nr. 67,100u. 158; JW.1912,457 3 ;BankA.35,261; RAG. JW.1935,1350 14 ). Ob dies zutrifft, können nur alle Umstände ergeben; die Bedürfnisse, Anschauungen, Beweggründe (Rettung oder Ausbeutung des Schuldners) und die wirtschaftliche Stärke beider Teile (RG. 78, 263; 80,221; JW. 1916, 4761). Dabei ist zu bedenken, daß jedermann auch mittels seiner Überlegenheit möglichst hohen Gewinn anstreben darf; erst die hinzutretende übermäßige Beschränkung der Freiheit macht das Geschäft unsittlich (WarneyerRspr. 1922 Nr. 47; JW. 1919, 4431; Recht 1921 Nr. 2544). Jedenfalls ist von Knebelung keine Rede, wenn der Schuldner trotz aller dem Gläubiger eingeräumten Vorteile sich doch noch wirtschaftlich ausreichend betätigen kann (JW. 1916, 4761; RG. 130,145; RAG. JW. 1933,17883). Maßgebender Zeitpunkt für die Gesamtbeurteilung ist der Augenblick des Vertragsschlusses (WarneyerRspr. 1918 Nr. 223; JW. 1930, 83124); aber die Berücksichtigung des tatsächlichen Verlaufs ist nicht ausgeschlossen (WarneyerRspr. 1912 Nr. 242); sie kann sogar geboten sein. B e i s p i e l e : Herstellung sittenwidriger Abhängigkeit durch Ausnutzung der Notlage des Kreditsuchenden (RG. 97, 255), der Zwang, sich blindlings andern zu unterwerfen (RG. 83, 382; JW. 1917, 966; Gruch. 62, 86; Hamburg HansGZ. 1917 H. 76), übermäßige Wettbewerbsverbote, übermäßige Beschränkung des Wohnsitzes (WarneyerRspr. 1915 Nr. 8), Erzwingung eines Schiedsgerichts, wobei der einen Partei von vornherein die Mehrheit gesichert ist (Warneyer Rspr. 1917 Nr. 194). Abzahlungsvertrag mit unerfüllbaren Zahlungsbedingungen (RG. 147, 347), Darlehnsgewährung gegen feste, den Gewinn übersteigende Gewinnbeteiligung bei entsprechender Fälligkeitsbedingung (RG. WarneyerRspr. 35, 135). Völlige Unterwerfung einer Gesellschaft unter eine andere mittels Auslieferung ihrer Sachgüter an und Bestimmung ihrer Geschäftsführer durch die letztere ohne Sicherung ihrer vertraglichen Rechte anläßlich der Begründung einer Interessengemeinschaft (RG. 82, 314). Hierher gehört ferner die Kreditsicherung durch Übereignung des ganzen Vermögens unter Belassung des Scheins der Selbständigkeit (§ 368 Anm. 96a), die Lohnsklaverei (GewG. München GewKfmG. 22,151), der ungerechtfertigte Zwang zum Vertragsschluß (unten Anm. 35), die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots unter Ärzten (§ 348 Anm. 3), die Sicherung von Verträgen durch ehrenwörtliche Bindung (unten Anm. 22), durch übermäßige Vertragsstrafen (§ 348 Anm. 25), durch unsittliche Wettbewerbsklauseln (§§ 74, 74a, 76 Abs. 1; §348 Anm. 4; vgl. RG. 80, 221); ferner die Biersklaverei (oben Anm. 16); sie kommt, in die Kaufmannswelt übertragen, so vor, daß Warenabnahmeverträge mit Darlehnsgewährung abgeschlossen werden; der Lieferant bekommt seinen Abnehmer dadurch in die Hand, daß er das Darlehn kündigt, wenn der Abnehmer nicht alles unbesehen genehmigt; ein solcher Vertrag ist unsittlich, wenn der Lieferant von vornherein die Absicht hat, mit minderwertiger Ware zu erfüllen. Hierher gehört auch der Fall, in dem bei beliebigen Vertragsverletzungen dem Vertragstreuen der Rücktritt verwehrt und

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Knebelungsvertrag. Schweigevertrag. Schmiergelder (Godin) § 346 Anhang Anm. 11,12 nur ein Recht auf Vertragsstrafe eingeräumt ist (RG. 79,161). Ferner fällt unter den Begriff der Knebelung die übermäßig lange Bindung, den ganzen Bedarf nur bei einer Persönlichkeit zu decken oder nur an diese allein billig zu liefern (LZ. 1918,1256; vgl. WarneyerRspr. 1913 Nr. 187; RG. 79,160; oben Anm. 16 u. 16a), die unstatthafte Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit eines Arztes durch einen Ärzteverband (WarneyerRspr. 1915 Nr. 226). Nicht als Knebelungsvertrag dagegen erscheint es, wenn einem im Niedergang befindlichen Geschäft beigesprungen wird, dann aber dafür scharfe Überwachungsmaßregeln und eine weitgehende, jedoch nicht übermäßige (JW. 1919, 443) Abhängigkeit des Geschäftsinhabers vom Geldgeber vertraglich festgelegt wird (WarneyerRspr. 1917 Nr. 235; Gruch. 62, 89; vgl. RG. „Recht" 1917 Nr. 976). An sich reicht es zur Annahme der Unsittlichkeit noch nicht aus, wenn drückende Bedingungen auferlegt, z. B. Tagespreise berechnet werden (Yorbem. vor § 373 Anm. 28), oder völlige Freiheit der Lieferpflicht oder Lieferzeit oder der Preise vorbehalten (Vorbem. vor § 373 Anm. 22a; Anh. zu § 361 Anm. 17ff.) oder die Haftung für Mängel der Ware oder der Verpackung ausgeschlossen ist. Nicht unsittlich war die von der La-PIataKonferenz eingeführte Bindung durch Frachtrabatte (RG. 118, 84),auch nicht die Bestimmung, daß der Verlader des Rabatts verlustig gehe, wenn sein Spediteur, sei es auch für einen andern Auftraggeber nicht konferenztreu war. Darüber, ob das Recht einseitiger Kündigung oder Verlängerung eines Vertrags gegen die guten Sitten verstößt, entscheiden die Umstände (RG. 91, 330). Ein Beispiel einer weitgehenden und doch nicht sittenwidrigen Bindung bieten die Mietverträge über Maschinen zur Schuhfabrikation im Falle RG. 165, l f f . Verstoß gegen die guten Sitten zieht regelmäßig die Nichtigkeit des ganzen Vertrages (Anm. 4) nach sich. Ist zugleich der Tatbestand des § 826 BGB. erfüllt, so ergibt sich auch ein Schadensersatzanspruch. Anm. 11. 4. Ein Schweigevertrag verstößt nicht ohne weiteres gegen die guten Sitten, es sei denn, daß der beiderseitige Zweck unsittlich ist, was namentlich bei der Vereinbarung eines Schweigegeldes häufig zutrifft. Dann ist § 817 BGB. anzuwenden. Oft dreht es sich darum die Strafverfolgung zu verhindern. Der Prinzipal, der sich für Unterschlagung eines Angestellten von ihm oder dessen Angehörigen schadlos halten läßt und daraufhin oder unter dieser Bedingung verspricht, von der Anzeige abzusehen, handelt ebensowenig unsittlich wie der Versprechende (JW. 09, 487®; HRR. 1940,140); hier handelt es sich nicht um Schweigegeld, sondern um Schadensersatz. Die neben einer schriftlichen Verbürgung getroffene mündliche Nebenabrede, daß die Bürgschaft nur gelten soll, wenn der Gläubiger gegen den Hauptschuldner keine Strafanzeige erstatte, ist rechtswirksam (§ 350 Anm. 6); die Strafanzeige ist hier auflösende Bedingung (vgl. JW. 191 2, 35 23 ); auch die §§ 812 Abs.l, 821 BGB. treffen zu, weil im Falle der Strafanzeige die Verbürgung ohne Grund eingegangen wäre. — Ein Schweigevertrag über Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse verstößt regelmäßig gegen die guten Sitten, wenn der Verpflichtete sein Ehrenwort verpfändet und für die Verletzung der Schweigepflicht oder eines gleichzeitig vereinbarten Wettbewerbsverbots übermäßige Vertragstrafen verspricht (RG- 68, 229; 74, 332; 78, 258). Anm. 12. 5. Schmiergelder zur Bevorzugung vor der Konkurrenz sind unter doppeltem Gesichtspunkt zu betrachten, nämlich vom UnlWG. und von den allgemeinen Bestimmungen des BGB. aus. a) Die S o h d e r b e s t i m m u n g des §13 U n l W G . gewährt in Verbindung mit den §§1,12 einen Anspruch auf Unterlassung und Schadensersatz (§59 Anm. 40). § 12 UnlWG. behandelt es als ein Antragsvergehen, das auch im Wege der Privatklage verfolgt werden kann (§ 22 UnlWG.), wenn einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes (z. B. Agenten) Geschenke oder andere Vorteile (z. B. für Verwandte) zu Zwecken des Wettbewerbs angeboten, versprochen oder gewährt werden, um durch unlauteres Verhalten (d. h. unlauter gegenüber der Konkurrenz und nicht nur pflichtwidrig gegen den Geschäftsherrn) des Angestellten oder Beauftragten bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen eine Bevorzugung für sich oder einen Dritten zu erlangen. Der § 12 UnlWG. beherrscht danach nur das beschränkte Gebiet geschäftlichen Betriebs; er wurde ergänzt durch die Verordnung gegen Bestechung und

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 12 Geheimnisverrat nicht beamteter Personen vom 3. 5.1917 (RGBL S. 393). Diese Verordnung greift über die geschäftlichen Betriebe hinaus. Für § 12 UnlWG. ist kein Zuwiderhandeln gegen die Interessen des Geschäftsherrn erforderlich (RGSt. 48, 291; JW. 1921, 338); ebensowenig nach der VO v.3.5.17. Für Agenten s. § 84 Anm. 13. Das Empfangene oder dessen Wert muß im Urteil gegenüber dem Empfänger, aber gegenüber dem Geber, wenn er das Bestechungsgeld zurückerhalten hat, als dem Staate verfallen erklärt werden (RG. in MuW. 19, 205). Über den Vorrang dieses staatlichen Anspruchs vor dem Herausgabeanspruch des Geschäftsherrn (unten b) s. RG. 146, 208 und § 59 Anm. 40. Bekanntmachung § 23 UnlWG., Buße § 26 UnlWG. § 13 UnlWG. gewährt den Unterlassungsanspruch nicht allein gegen Täter und Teilnehmer, sondern auch gegen den Inhaber des Betriebs, dessen Angestellter oder Beauftragter sich gegen § 12 UnlWG. in diesem Betriebe verfehlt hat, so daß dem Geschäftsherrn der Entlastungsbeweis aus § 831 BGB. hier abgeschnitten ist.Endlich steht jedem Mitbewerber, der durch die Handlung verletzt worden ist, ein Schadensersatzanspruch zu gegen den, der ihn durch einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen § 12 UnlWG. geschädigt hat (§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UnlWG.). b) Die a l l g e m e i n e n V o r s c h r i f t e n des B GB. gelten neben denen des UnlWG. und konkurrierend mit diesen, soweit nicht deren Tatbestand als der eines Sondergesetzes erfüllt ist (WarneyerRspr. 1919 Nr. 452). Das Annehmen und Sichversprechenlassen von Schmiergeldern (heimlichen Provisionen u. dgl.) seitens eines Angestellten bedeutet zunächst eine positive Vertragsverletzung (LZ. 1911, 92717), und gibt dem Geschäftsherrn einen wichtigen Grund zu sofortiger Entlassung (vgl. RG. 77, 98). Der Angestellte oder Bevollmächtigte darf keine von dem Vertragsgegner des Geschäftsherrn ihm angebotenen Sondervorteile annehmen, die in seiner Geschäftsbesorgung ihre Ursache haben; mögen sie auch nur für gehörige Ausführung gewährt werden (RG. 96, 55). Ein solches Verhalten ist nicht allein vertragswidrig, sondern auch sittenwidrig, und hat die Pflicht der Herausgabe an den Geschäftsherrn zur Folge (§ 667 BGB.; RG. 99, 34; vgl. § 59 Anm. 40; § 384 Anm. 29), ohne daß sich der Angestellte damit verteidigen könnte, daß der Geschäftsherr das Geschäft nicht so günstig zustande gebracht hat oder erledigt hätte. Nur wenn es sich um einen persönlichen Erwerb oder um ein persönliches Geschenk handelt, das zum Zustandekommen des Geschäfts oder zu dessen Abwickelung in keiner Beziehung steht, verhält es sich anders, mag auch die Zuwendung aus Anlaß oder bei Gelegenheit der Geschäftsbesorgung geschehen sein (RG. 55, 91; 99, 33), z. B. wenn der Angestellte vom Vertragsgegner Vergütung für einen neuen Gedanken erhalten hat, der sein freies geistiges Eigentum war (MuW. 19, 147); ebenso, wenn kraft Üblichkeit oder besonderer Umstände eine stillschweigende Einwilligung des Geschäftsherrn anzunehmen ist (Warneyer Rspr. 1915 Nr. 168). Zuwendungen sind also nicht immer schon dann frei, wenn sie dem Beauftragten persönlich gemacht sind (ebenso Enneccerus-Lehmann II 1 2 § 158 III; milder Oertmann § 667 Anm. l c ; Staudinger § 667 Anm. lb). Die Rechenschaftspflicht des Angestellten folgt aus § 666 BGB., auch wenn sein Verhalten zugleich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung darstellt (a. M. anscheinend RG. in MuW. 19,147). Immer sind anstößig Kommissions- wie Provisions-, Skonto- und Rabattbewilligungen an Angestellte oder Dienstboten, um die Kundschaft zu erhalten oder anzulocken, und regelmäßig auch dann, wenn der Geschäftsinhaber die Annahme jeder Gratifikation untersagt hat (KB. z. UnlWG. v. 09 S. 28ff. u. 63ff.; JW. 1911, 3818). Unsittlich ist ein hinter dem Rücken des Dienstherrn geschlossener Gesellschaftsvertrag zwischen einem Angestellten und einem Kunden, wodurch die Möglichkeit einer Bevorzugung dieses Kunden vor anderen begründet wird (RG. 161, 229). Verboten ist auch die Beeinflussung eines Angestellten des Kunden zum Zweck der Empfehlung oder Anpreisung derWare (RGSt. 48, 293; JW. 1921, 338 la ). — Der d u r c h S c h m i e r g e l d e r z u s t a n d e g e k o m m e n e V e r t r a g i s t n i c h t o h n e w e i t e r e s n i c h t i g wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB.). Er ist es aber, wenn das Schmiergeld den Geschäftsherrn benachteiligt (RG. 130,142; 134, 56; 136, 360; LZ. 1930,1178; Warneyer Rspr. 1928 Nr. 35; 1929 Nr. 129; SeuffA. 79 Nr. 138; 86 Nr. 152; HRR. 1939, 1293; vgl. RG. 86,148; Recht 1923 Nr. 853; oben Anm. 2), was in der Regel anzunehmen ist. Auf die Nichtigkeit kann sich die Vertragspartei nicht berufen, die das Schmiergeld

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Abhalten vom Bieten (Godin)

§ 346 Anhang Anm. IS gezahlt hat, denn niemand kann seinen eigenen einseitigen gegen einen Anderen begangenen Verstoß gegen die guten Sitten gegenüber diesem geltend machen (§ 826 BGB). Daß der Vertrag auch ohne das Schmiergeld zu gleichen Bedingungen geschlossen worden wäre, hat zu beweisen, wer es behauptet (HRR. 1939,1293). Schon die Möglichkeit der Benachteiligung des Geschäftsherrn genügt (RG. 161, 232). Daß der Vermittler eines Geschäfts einen Teil seiner Provision zu Schmiergeldern verwendet, berührt seinen Auftraggeber nicht (MuW. 21, 99); sind die Schmiergelder noch unbezahlt, so wird unter Umständen ein entsprechender Betrag von der Provision zu kürzen sein, damit der Auftraggeber sich nicht der Beihilfe zu einer unerlaubten Handlung schuldig macht (RG. 96, 237; 99, 157; a. M. RG. in MuW. 21,100); anders bei Schmiergeldern im Auslande, wenn sie dort nicht als anstößig gelten (JW. 1920,138 3 ). Der Abschluß, der durch Bestechung von Angestellten bewirkt wurde, kann zwar nicht wegen Jrrtums über die persönlichen Eigenschaften des Gegners, der sich zu solchen Machenschaften herbeigelassen hat (§119 Abs. 2 BGB.), angefochten werden, weil die Sicherheit der Vertragserfüllung durch die Unmoral des Gegners nicht gefährdet ist (Vorbem. vor § 373 Anm. 39a u. 47); wohl aber kann wegen der durch den Angestellten begangenen arglistigen Täuschung eine Anfechtung gegeben sein (§ 123 Abs. 2 BGB.; RG. 86,148; 107, 211; 134, 48), auch kann die noch ausstehende Erfüllung wegen Unzumutbarkeit verweigert und ein Dauerverhältnis, wenn es sich um ein solches handelt, wegen Erschütterung des Vertrauens gekündigt werden, dies alles erübrigt sich aber, wenn der Vertrag ohnehin nach § 138 BGB. nichtig ist. Das Schmieren eines mit der Warenabnahmeprüfung betrauten Angestellten des Käufers bedeutet eine positive Vertragsverletzung, die den Käufer zum Rücktritt berechtigen kann (RG. 149,189). Die Verjährungsfrist für die Pflicht zur Herausgabe des Empfangenen richtet sich gemäß §§ 667, 675 BGB. nach § 195 BGB., nicht nach § 241 Abs. 5 HGB. (jetzt § 84 Abs. 6 AktG.), wenn der Geschmierte Vorstand einer AG. ist (RG. 96, 55). Anm. 13. 6. Das Abhalten vom Mit- oder Überbieten bei öffentlichen V e r s t e i g e r u n g e n ist nur dann unsittlich, wenn besondere Umstände (Täuschungsabsicht, Vereinbarung ohne Rücksicht auf die Angemessenheit des Mindestgebots) dem Vertrag einen unsittlichen Charakter verleihen (RG. 58, 393; 60, 273; JW. 08, 296 2 ; 1911, 642 s ; 1915, 1257; LZ. 1918, 687). Es ist demnach nicht zu beanstanden, wenn ein Kaufliebhaber sich vom Bieten durch das Versprechen abhalten läßt, daß ihm der Ersteigerer einen Teil des Erwerbs zu einem bestimmten Preis ablasse. Das Aufstellen von Scheinbietern, um sich den Zuschlag zu sichern, ist unsittlich. Das „ K i p p e m a c h e n " , d. h. die Vereinbarung von Steigerüngslustigen, daß einer von ihnen auf seinen Namen, aber für gemeinsame Rechnung, den Zuschlag erwirke, ist an sich erlaubt. Wer Kippemachen behauptet, hat nicht nur seine Behauptung, sondern noch weiter zu beweisen, wie die Teilung gemeint war. „Kippe zu ein Halb", „zu einem Drittel" besagt, daß das Ersteigerte halbiert oder gedrittelt werden soll. Häufig ist es Auslegungsfrage, ob das Ersteigerte gleichmäßig oder im Verhältnis zu den Zuschüssen aufzuteilen ist oder ob es wieder unter den Kippemachern oder im freien Verkauf versteigert werden soll. Setzt sich der Ersteigerer über die Vereinbarung des Kippemachens hinweg, indem er die Sache eigenmächtig weiterverkauft, so macht er sich schadensersatzpflichtig wegen Verletzung einer Vertragspflicht. Wer den Auftrag angenommen hat, das M e i s t g e b o t zu stellen und dieses seinem Auftraggeber abzutreten, muß, wenn er dem Auftrag zuwider sich in eigenem , Namen den Zuschlag erteilen läßt, das, was er aus dieser Geschäftsbesorgung erlangt hat, seinem Auftraggeber übertragen (§ 667 BGB.). Die Geheimhaltung derartiger Abkommen begründet regelmäßig nicht der Sittenwidrigkeit (WarneyerRspr. 1909 Nr. 341). Soll ein Steigerungsliebhaber steigern, um den Gegenstand dann unter die übrigen zu verteilen (RG. 30, 304; JW. 88,107"), so ist dies unbedenklich, darf jedoch die Vereinbarung nicht lediglich darauf abzielen, den Zweck der öffentlichen Versteigerung, einen angemessenen Preis in freier Konkurrenz zu erlangen, zum Nachteil des Schuldners und zum eigenen Vorteil zu vereiteln (RG. 58, 399; SeuffA. 62, 274). Unbedenklich kann ein Steigerungslustiger vom Mitbieten durch das Versprechen abgehalten werden, die Errichtung eines Wettbewerbsgeschäfts auf dem Grundstück zu unterlassen (JW. 93, 20748). Es kommt also in jedem einzelnen Falle (auch im Falle des „Kippe-

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 14,15 machens") auf die Beschaffenheit und den Zweck der Vereinbarung an; jedoch hat die Rechtsprechung, welche den Ton auf angemessene Preise legte, eine Einschränkung erfahren (hierüber folgende Anm. 16). Anm. 14. 7. Bei Ausschreibungen (Submissionen) gelten ähnliche Grundsätze wie beim Abhalten vom Mitbieten oder Überbieten bei öffentlichen Versteigerungen (oben Anm. 19). Es ist also nichts dagegen zu erinnern, daß mehrere Bewerber sich über ihre Preisstellung verständigen oder unter sich vereinbaren, wie die Lieferungen unter ihnen verteilt werden sollen, wenn einem von ihnen auf seine Bewerbung der Zuschlag erteilt wird (vgl. RG. 66, 223); sie machen dann ein Gebot auf gemeinschaftliche Rechnung. Eine Vereinbarung ist nicht unsittlich, nach der der eine Bewerber seine Preise höher greift, um dem anderen den Zuschlag zu verschaffen, wenn damit unreelles Unterbieten verhindert werden soll (JW. 1936, 9163). Dieselbe Vereinbarung ist aber unsittlich, wenn sie bezweckt, durch Ausschaltung des Wettbewerbs dem übermäßig hohen Mindestgebot den Zuschlag zu verschaffen und den Gewinn zu teilen (JW. 08, 296 2 ; OLG. München in SeuffA. 65, 93). Überhaupt ist es unsittlich, wenn eine Vereinbarung in der Weise getroffen wird, daß nicht ein Schutz gegen sachlich ungerechtfertigtes Unterbieten, sondern unangemessener Gewinn erzielt (JW. 1911, 642; 1913, 7342; Holdheim 20,194), oder der Ausschreibende getäuscht werden soll (RG. in ElsLothZ. 17,139; Kiel SeuffA. 64, 135). In den bezeichneten Grenzen sind Submissionskartelle (Schutzabkommen) zulässig, also das Versprechen, ein höheres Gebot zu stellen, damit der Gegenpartei als dem weniger Verlangenden der Zuschlag erteilt werde (JW. 1911, 642; 1913, 7342; 1936, 9163). Wie hervorgehoben, nahm die Rechtsprechung an, es könnten Schutzabkommen überhaupt nicht beanstandet werden, wenn angemessene Preise erzielt seien; die Folge wäre demnach, daß die Beteiligten den so erzielten Gewinn unter sich teilen könnten, ohne einem Einwand zu begegnen (Hamburg HansGZ. 1915 Beibl. 44). Dieser Grundsatz bedarf jedoch der Einschränkung: Hat bei einem Schutzabkommen der Niedrigstbietende, dem also der Zuschlag gewiß ist, an seine Genossen z. B. 20000 DM. herauszuzahlen, so ist der Zuschlag auf unsittliche Weise erlangt durch planmäßige Irreführung des Ausschreibenden (JW. 1914, 9761; 1920, 4311; LZ. 1916, 687). Wenn auf Grund eines erlaubten Schutzabkommens eine Partei das Preisangebot der anderen kennen lernt, und sie unter Mißbrauch der vertraulichen Mitteilung unterbietet und den Zuschlag erhält, anstatt, wie verabredet, zu überbieten (zu schützen), so ist sie nach § 826 BGB. schadensersatzpflichtig, wenn nicht der Gegenstand des Abkommens so bestimmt ist, daß ein Anspruch aus Vertrag begründet ist (JW. 1913, 7342). Ebenso macht sich der Ausscheibende, der das Muster eines Bewerbers einem Mitbewerber zum Zweck der Unterbietung zugänglich macht, nach § 603 BGB. und, wenn das Muster eine schutzfähige Erfindung darstellte und der Ausschreibende mit dem Bewußtsein der Schädigung des ersten Bewerbers gehandelt hat, auch nach § 826 BGB. schadensersatzpflichtig (RG. 83, 37). Sittenwidrig ist das Zusammenwirken eines Lieferanten mit einem Mäkler, wenn der Mäkler sich als Vertreter des Lieferanten ausgeben soll, um diesem bei einer Ausschreibung Lieferungsaufträge zu verschaffen, wenn zur Verbilligung der Angebote Vermittler ausgeschlossen waren (WarneyerRspr. 1919, Nr. 106; vgl. jedoch LZ. 1920, 408). Wenn ein Fabrikant gegen das Versprechen einer Gewinnbeteiligung einen Angestellten des Ausschreibenden mit Erfolg bestimmt, seinen Einfluß zur Zurückdrängung anderer Bewerber zu mißbrauchen (RG. 95, 54), macht er sich nach § 826 BGB. schadensersatzpflichtig. Aufklärungen über Vorarbeiten braucht der Ausschreibende den Bewerbern nicht zu geben; er ist daher auch nicht haftbar, wenn die Vorarbeiten ergeben haben, daß zu den ausgeschriebenen Anschlägen die Arbeiten nicht ausgeführt werden können; es liegt keine Culpa in contrahendo vor (§ 347 Anm. 3); denn jeder Bewerber weiß, daß er auf seine Gefahr die Prüfung vorzunehmen hat (vgl. JW. 1916,115 2 ). Hat der Bewerber, dem der Zuschlag erteilt worden ist, aber Aufklärung über die Vorarbeiten erhalten, und war diese Aufklärung fahrlässig falsch erteilt, so haftet der Ausschreibende für eigenes Verschulden nach § 276 BGB. und für das seiner Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB. (RG. 95, 60; JW. 1915, 2405). Anm. 15. 8. Andere Einzelheiten. a) Über den Eingriff in Vertragsrechte und über die V e r l e i t u n g z u m V e r t r a g s b r u c h sowie die Ausnutzung des Vertragsbruchs RG. 133, 335 und Anh. zu § 377;

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Ausschreibung. Verleitung zum Vertragsbruch § 346 Anhang Ehrenwort. Scheingeschäfte (Godin) Anm. 16—18 über den mehrfachen Verkauf derselben Sache insbesondere Vorbem. vor § 373 Anm. 60c. Über den Z w a n g zum V e r t r a g s s c h l u ß unten Anm. 56. Anm. 16. b) Die e h r e n w ö r t l i c h e B i n d u n g für Geldinteressen ist grundsätzlich sittenwidrig (RG. 82, 224); insbesondere gilt dies von der Verpfändung des Ehrenworts für die Einhaltung von Wettbewerbsverboten (§ 74a Anm. 8; § 22 Anm. 18), für die Bewahrung von Geschäftsgeheimnissen, für die Beobachtung anderer dienstlicher Obliegenheiten (RG. 68, 229; 74,332; 78, 264). Doch macht die Bestärkung einer Schuld dadurch, daß sie als Ehrenschuld bezeichnet wird, sie nicht ohne weiteres ungültig (RG. in MuW. 19, 166). Ist die ehrenwörtliche Verpflichtung nichtig, so ergreift die Nichtigkeit den ganzen Vertrag nach §139 BGB., auch das Strafversprechen, wenn sich nicht die ehrenwörtliche Verpflichtung abtrennen läßt (RG. 74, 334; 87, 9; WarneyerRspr. 1914 Nr. 178; 1915 Nr. 226 u. 227). Dies trifft zu, wenn das Ehrenwort unaufgefordert aus freier Entschließung oder wenn es nur in Vorverhandlungen, nicht im Vertrage selbst, gegeben ist (HansRGZ. 1929 B. 169; JurRundsch. Rspr. 1927 Nr. 651). Anm. 17. c) S c h e i n g e s c h ä f t e (§117 BGB.) um Dritte zu benachteiligen, können unerlaubte Handlungen nach §§ 823, 826 BGB. sein, z. B. wenn vorgenommen, um eine Verpflichtung zu vereiteln (RG. 95,162; vgl. RG. 90, 279), bei Errichtung einer Scheinfirma um Angebote herauszulocken, die sonst nicht zu bekommen wären (Hamburg HansGZ. 23 Beibl. 100). Verdeckte oder verschleierte Geschäfte sind ernstlich gemeinte Rechtshandlungen, also keine Scheingeschäfte, sie haben nur eine den wirklichen Willen verdeckende Fassung, um Dritte irrezuführen. Bezweckt eine solche Verschleierung Steuerhinterziehung, so ist darum der Vertrag noch nicht sittenwidrig, doch können auch Zoll- oder Steuerhinterziehungen sittenwidrig sein (vgl. JW. 1921, 624 s ; HRR. 1935 Nr. 101; oben Anm. 2 a. E.). Anm. 18. d) V e r b o t e n e G e s c h ä f t e (§§134,135,136 BGB.). Es ist folgerichtig, daß das Gesetz, wenn es einen Erfolg oder Vorgang verbietet, einem Rechtsgeschäft, welches die verpönte Wirkung gleichwohl herbeiführen will, diese Wirkung versagt. Das Geschäft ist also wirkungslos — nichtig. Betrifft das Verbot nur das Erfüllungsgeschäft, so ist, da dieses nicht zuwege gebracht werden kann, das Grundgeschäft auf eine rechtlich unmögliche Leistung gerichtet und seinerseits aus diesem Grunde nach § 306 BGB. nichtig. Denn unsinnig wäre es, gestünde das Gesetz der Erklärung eines auf einen unmöglichen Erfolg gerichteten Willens die Wirkung zu, daß sie zur Herbeiführung dieses unmöglichen Erfolges verpflichtet. Betrifft das Verbot jedoch das Grundgeschäft, so ist dieses nichtig, weil es als verboten keine Wirkung haben kann (§ 134BGB), das Erfüllungsgeschäft ist, wenn es nicht auch verboten sein sollte, nicht ohne weiteres nichtig (z. B. nicht beim Kompensationsgeschäft BGH. JZ. 51, 782), aber es ist ohne rechtlichen Grund vorgenommen und gemäß den Vorschriften der §§ 812ff. BGB. rückgängig zu machen. Besteht die Erfüllung des Grundgeschäfts in einer Leistung, die ihrerseits mit einem Rechtsgeschäft nicht verbunden ist, und sollte sich trotzdem ausnahmsweise das Verbot nur gegen die Erfüllungshandlung und nicht auch gegen das Grundgeschäft richten, so wäre letzteres gleichwohl nach § 134 und 138 BGB. nichtig (RG. JW. 1911, 708; 24,1710), wenn beide Teilnehmer die verbotene Erfüllungshandlung in Kenntnis des Verbotes beabsichtigten, andernfalls aber gültig, und nur die Zumutbarkeit der Erfüllung fraglich, was, wenn die verbotene und wohl regelmäßig unzumutbare Leistung bewirkt wird, für die Verpflichtung zur Gegenleistung bedeutsam ist, welche dann regelmäßig geschuldet wird. Die rechtliche Unmöglichkeit der Erfüllung wegen absoluten Verbotes des Erfüllungsgeschäftes, weil dieses nach §134 BGB. nicht zustande kommen kann, macht § 306—308 unmittelbar anwendbar. Die Vorschrift nur entsprechender Anwendbarkeit der §§ 307, 308 durch § 309 BGB. ist sinnvoll nur für Verbote, welche sich ausschließlich gegen das Grundgeschäft richten und nach obigem folgerichtig der Äußerung des auf einen verbotenen Erfolg gerichteten Willens jede Rechtswirkung versagen. Für das Erfüllungsgeschäft sind auch §§ 275, 323 BGB. unmittelbar anwendbar, d. h.: wenn das Erfüllungsgeschäft erst verboten wird, nachdem das Grundgeschäft schon abgeschlossen war, bleibt dieses bestehen, aber der Schuldner •wird frei und hat — vorbehaltlich seiner Verpflichtung zur Herausgabe des für den geschuldeten Gegenstand Erlangten nach § 281 BGB. (nicht anwendbar bei unbeschränkten Gattungsschulden) — die empfangene Gegenleistung nur nach den Vor-

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 18 Schriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückzugeben. Auch der Gläubiger braucht die verbotene Leistung nicht anzunehmen und schuldet die Gegenleistung nicht; er schuldet diese, wenn er die verbotene Leistung annimmt, weil seine Leistung nicht verboten war und das Grundgeschäft gültig ist. Wird das Grundgeschäft (nicht auch das Erfüllungsgeschäft) nachträglich verboten, und versagt sich das Gesetz erkennbar die rückwirkende Geltung nicht, so ist anzunehmen, daß es auch die Wirkung eines noch nicht abgewickelten älteren Grundgeschäftes aufheben will (RG. 102, 213; üb. d. Zulässigkeit der Rückwirkung einerseits OGHBrZ. SJZ. 49, 407, andererseits Ballerstedt ebenda). An einer grundsätzlichen Bestimmung hierüber läßt das BGB. es fehlen. Jedoch ist es Sache des Gesetzes selbst, die Tragweite seiner" Verbote nach dem Gewicht zu bestimmen, die es dem von ihm verfolgten Zweck oder geschützten Interesse beimißt. Gesetzlich verbotene Geschäfte sind nichtig, wenn sich nicht ein anderes aus dem Gesetze ausdrücklich oder durch Auslegung ergibt (§ 134 BGB.), stets, wenn sich das Verbot gegen beide Teile richtet und sowohl das Erwerbsgeschäft selbst wie den Erwerb untersagt (RG. 60,276; 78,353; 100,239, HRR. 28,1915), namentlich, wenn die Interessen der Allgemeinheit geschützt werden sollen, im Gegensatz zu Verboten, die nur die Interessen dès einen Teils zu wahren bestimmt sind. Bei Zuwiderhandlungen gegen minderwichtige Verbote, namentlich Polizei-, Fischerei- und Jagdgesetze wie gegen bloße Ordnungsvorschriften, will das Gesetz oft nicht die Nichtigkeit; dann ist ein die Zuwiderhandlung bezweckender Vertrag auch nicht unsittlich (RG. 6, 169; 60, 276); es ist hier an Zuwiderhandlungen zu denken gegen ein baupolizeiliches Verbot (KG. OLGR. 28,140), gegen § 147 Nr. 1 GewO., soweit es sich um die Einzelverträge des Gewerbetreibenden mit seinen Kunden handelt, anders bei Verträgen zur Umgehung der Konzessionspflicht (RG. 63,145; 87,139; 155,144; RAG. 15,11) und bei Zuwiderhandlungen gegen § 146 a GewO. (RG. 91, 239), gegen die Höchstpreis- und Preiswucherverordnung (RG. 88, 250; 89,196), gegen Richtpreise (RG. 97, 82). Verstöße gegen Bewirtschaftungsbestimmungen berühren nach OGH. 3, 55, 275, 395 die Gültigkeit eines Vertrages nur, wenn die Parteien ihn beide in der Absicht geschlossen haben, daß er ohne ihre Beachtung und unter Verstoß gegen sie durchgeführt werden solle. Über Kompensationsgeschäfte s. BGH. 1,128; JZ. 51, 782. Nach dem ausdrücklichen oder durch Auslegung zu ermittelnden Willen oder Zweck des Gesetzes ist auch die Wirksamkeit von Geschäften zu bestimmen, welche die U m g e h u n g eines ges e t z l i c h e n V e r b o t e s bezwecken. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß der Wille des Gesetzes sich auch gegenüber solchen Geschäften oder Maßnahmen durchsetzt und durchsetzen muß, welche bezwecken, den verbotenen und vom Gesetz mißbilligten Erfolg auf andere Weise herbeizuführen. Es handelt sich um Geschäfte, welche formell erlaubt und ernst gemeint sind, denen aber charakteristisch ist, daß sie entweder unmittelbar einen vom Gesetz verpönten rechtsgeschäftlichen Erfolg herbeiführen wollen, — dieser muß ihnen versagt sein — oder ein vom Gesetz verbotenes Geschäft oder Verhalten (Fall der schon erwähnten RG. 91, 239) möglich oder eine unter den konkreten Umständen vom Gesetz versagte Vergünstigung (Genehmigung) sei es gleichwohl erreichbar, sei es entbehrlich machen sollen. Derartige Vereinbarungen sind sowohl, weil sie regelmäßig unsittlich sind, als auch, weil sie selbst gegen das Gesetz verstoßen, schuldrechtlich und, sollte es sich um ein dingliches Geschäft handeln, dinglich unwirksam und nichtig; das Verhalten, welches sie möglich machen sollen bleibt verboten, ebenso bleibt das verbotene Geschäft, welches sie möglich machen, verboten und nichtig. Handelte es sich darum, eine Genehmigung zu erschleichen oder entbehrlich zu machen, so ist nach RG. HRR. 1932, 482 das Geschäft trotz der erschlichenen Genehmigung unwirksam, dagegen im zweiten Fall, in welchem das Erfordernis der Genehmigung fortfiel, wirksam (RG. SeuffA. 80 Nr. 100). Nichtigkeit liegt auch dann vor, wenn nicht geradezu bezweckt ist, das Gesetz zu verletzen (RG. 123, 84), sofern das Verhalten der Parteien verwerflich ist (DJZ. 31,1181) und der Mißbrauch der benutzten Rechtsform vom Gesetz ausdrücklich oder stillschweigend mißbilligt wird (RG. 100, 212). § 140 BGB. ist auch für § 134 anwendbar (RG. 125, 212); unbedenklich ist daher den Parteien gestattet, mittels einer statthaften Hilfsabrede neben dem primären unzulässigen geschäftlichen Erfolg einen zulässigen Erfolg zu erreichen zu suchen (RG. ebenda).

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Verbotene Verträge. Verträge über Gesetzesübertretung, § 346 Anhang Ein- und Ausfuhrverbote (Godin) Anm. 19 Ob der eingeschlagene (Umgehungs-)Weg wirklich auch gegen das Verbot verstößt, muß deshalb immer sorgfältig geprüft werden. Vorstehendes gilt auch für die U m gehung zwingender Gesetzesvorschriften. §134 gilt auch für Geschäfte, welche zwar nicht unmittelbar verboten, sondern erlaubt sind, aber im konkreten Fall eingegangen werden, um etwas Verbotenes vorzubereiten, sofern beide Teile beabsichtigen, das gesetzliche Verbot zu übertreten (RG. JW. 11, 708; 24,1710). Nach vorstehenden Gesichtspunkten, woneben auch der Gesichtspunkt der Nichtigkeit aus § 138 BGB. zu beachten ist, insbesondere, wenn beide Teile einig sind, daß ein gesetzliches Verbot übertreten werden soll, richten sich auch die Folgen der Ü b e r t r e t u n g eines V e r ä u ß e r u n g s v e r b o t e s , insbesondere einer regelmäßig ein solches darstellenden B e s c h l a g n a h m e . Danach ist das Grundgeschäft nichtig, wenn es bereits beschlagnahmte Güter zum Gegenstand hat (ebenso gemäß ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nach § 3 VO. üb. die Wirkungen der Beschlagnahme zur Regelung des Warenverkehrs vom 4. 8.1940, § 25 RLG.), es sei denn, daß die Beschlagnahme nur vorübergehend ist und deshalb nur vorübergehende anfängliche Unmöglichkeit der Erfüllung des Grundgeschäftes vorliegt (§308 BGB.); ist der Leistungsgegenstand erst nach Abschluß des Grundgeschäftes beschlagnahmt worden, so liegt nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit mit den Folgen der §§ 275, 323, 281 BGB. vor, es sei denn, daß die Beschlagnahme nur vorübergehend ist und die durch sie verursachte vorübergehende rechtliche Unmöglichkeit der Erfüllung des Grundgeschäftes nicht wegen Eintritts einer wirtschaftlichen Unmöglichkeit (Unzumutbarkeit aus wirtschaftlichen Gründen) einer dauernden gleichgesetzt werden muß. Der Schuldner ist verpflichtet, sich um die Aufhebung der Beschlagnahme zu bemühen, der Gläubiger, ihn dabei nach Kräften zu unterstützen (RG. JW. 1918, 218; RG. 93, 332). Ein deutsches Veräußerungsverbot, welches im Ausland, ein zonales, welches in einer anderen Zone nicht gilt, wird der deutsche Richter bzw. der Richter der Zone, in welcher es erlassen ist, immer anerkennen müssen, auch wenn das ausländische Recht bzw. das Recht der anderen Zone anzuwenden ist (§ 30 EGBGB.) und gleichgültig, ob §137 BGB. oder §§275, 323 BGB. Platz greifen; die Lücke, welche dadurch entsteht, daß das anwendbare Auslandsrecht (Recht der anderen Zone) nicht angewandt wird, ist mit den deutschen Normen zu schließen (Kegel-Rupp-Zweigert a a. O. S. 64; RG. JW. 23, 287; 1924,1710). Veräußerungsverbote des Auslandes oder einer anderen Zone stellen im Inland, wenn das ausländische Recht (Recht der anderen Zone) anwendbar ist, gleichfalls einen Grund rechtlicher Unmöglichkeit dar, weil eben nach dem anzuwendenden Recht keine Rechtsfolge des auf die Veräußerung abzielenden Rechtsgeschäftes eintritt; ist A. 30 EGBGB. anwendbar, dürfte aber ausländisches Recht anzuwenden sein, wie wenn das Veräußerungsverbot nicht bestünde. Ist inländisches Recht anwendbar, so kann das ausländische Veräußerungsverbot eine tatsächliche Unmöglichkeit der Erfüllung herbeiführen und § 306 bzw. §§ 275, 323 BGB. anwendbar machen (RG. 161, 300) oder die Vereinbarung, es nicht zu beachten, unsittlich sein, wenn das ausländische Recht den deutschen Anschauungen von guter Sitte entspricht (RG. a. a. O.) oder durch rechtlich-sittliche Erwägungen gerechtfertigt ist, die allen Kulturstsaten gemeinsam sind (RG. 108, 243). Anm. 19. a) V e r t r ä g e ü b e r G e s e t z e s ü b e r t r e t u n g , i n s b e s o n d e r e E i n u n d A u s f u h r v e r b o t e " . Ein- und Ausfuhrverbote richten sich nicht unmittelbar gegen ein Rechtsgeschäft, dessen Ausführung eine Warenbewegung über die Grenze mit sich bringen kann oder wird, sondern unmittelbar gegen letztere selbst. Sie begründen also zunächst nur tatsächliche Unmöglichkeit der Leistung des Schuldners, wenn diese ohne Ein- bzw. Ausfuhr nur mit Schwierigkeiten, Gefahren oder Aufwendungen, welche nicht zumutbar sind (s. über die Rechtsfolgen der Unzumutbarkeit Anm. 54) oder überhaupt nicht bewirkt werden kann und die Ein- bzw. Ausfuhr gleichfalls unzumutbar ist. Wenn auf das Rechtsgeschäft, durch welches die Leistung bedungen wurde, das Recht des Landes anwendbar ist, welches das Verbot erlassen hat, so kann sich aus diesem Recht ergeben, daß das Geschäft selbst schon aus dem Grunde nichtig ist, weil die Beteiligten einig waren, daß zu seiner Ausführung ein gesetzliches Verbot übertreten werden solle (s. Anm. 24, auch § 138 BGB.). Ist dies nicht der Fall,

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§ 346 Anhang Drittes Buch: Handelsgeschäfte. Allgemeine Vorschriften Anm. 19 so kann nach diesem maßgeblichen Rechte die Zumutbarkeit erheblich sein. A. 30 EGBGB. dürfte nur ausnahmsweise eingreifen. Ist deutsches Recht anzuwenden, so macht es für die Frage der Zumutbarkeit der Leistung, wenn sie nicht bewirkt werden kann, ohne das Verbot zu verletzen, einen Unterschied, ob das Verbot von Deutschland oder dem Ausland erlassen ist, und kann das Verbot auf den Bestand des Verpflichtungsgeschäftes selbst nur ersterenfalles einwirken, wenn die Übertretung Inhalt des Geschäftes ist (§134 BGB.), oder doch beide Teile bei Vertragsschluß einig waren, daß ein Verbot übertreten werden solle (Anm. 24). Im übrigen kommt nur §242 BGB. und die Befreiung wegen Unzumutbarkeit in Betracht. Die Zumutbarkeit ist geringer, wenn das Verbot erst nach Abschluß des Verpflichtungsgeschäftes erlassen wurde, als wenn es zur Zeit des letzteren schon bestand. Dagegen ist eine Vernichtung des Verpflichtungsgeschäftes durch ein nach seinem Abschluß erlassenes Ein- oder Ausfuhrverbot kaum denkbar. Bei nachträglich ergangenem Ein- und Ausfuhrverbot ist Unzumutbarkeit, wenn Ware, die aus dem Ausland kommt, Erzeugung, die im Auslande abgesetzt werden soll, Gegenstand des Geschäftes ist, wohl grundsätzlich gegeben. Ein Kaufmann hat gegen den anderen keinen Anspruch darauf, daß dieser, um einen Vertrag einzuhalten, Schleichwege geht, mit deren Notwendigkeit bei Vertragsabschluß nicht zu rechnen war, um so weniger, wenn damit zu Kriegszeiten bezweckt wird, die Behörde des eigenen Landes zu täuschen (RG. 93,185 oben). Diese Zumutbarkeit ist nach deutschem Recht, wenn dieses auf das Geschäft anzuwenden ist, auch zu erwägen, wenn der Schuldner ein Ausländer und das Ein- bzw. Ausfuhrverbot vom Ausland erlassen ist. Da das Verbot sich regelmäßig nicht gegen das Verpflichtungs- oder Erfüllungsgeschäft richtet, ist die Leistung, wenn sie bewirkt wird, nicht etwa als nicht geschuldet bewirkt; denn eine vollbrachte Leistung kann nicht unzumutbar gewesen sein. Die Erfüllung ist auch zumutbar und geschuldet, sobald die Ware, wenn auch verbotswidrig, über die Grenze gebracht ist, zumal derjenige, dem zu spät das Gewissen schlägt, sein Delikt gegen das Einfuhrverbot nicht dadurch wieder gutmachen kann, daß er die Erfüllung unterläßt. Vorliegen und Wirkung eines Verstoßes gegen die guten Sitten kann sowohl bei schon ursprünglich geltendem Ein- und Ausfuhrverbot neben den logischen Folgen des Verbots und der Zumutbarkeit einer seiner ungeachtet zu bewirkenden Leistung, als neben letzterer auch bei nachträglichem Verbot zu prüfen sein. Es kann auch gegen die guten Sitten verstoßen, die Leistung zu verlangen, obwohl sie nur vollbracht werden kann, indem das Verbot übertreten wird. Nachstehend aus der Rechtsprechung: Verträge über Gesetzesübertretung, insbesondere Ein- und Ausfuhrverbote sind, wenn sie auf die Förderung oder Ausführung gewerbsmäßigen Schmuggels (Zollbetrug) von beiden Teilen unmittelbar gerichtet sind, sowohl als verbotswidrige wie als sittenwidrige Geschäfte nach §§ 134,138 BGB. nichtig, als sittenwidrige auch dann, wenn der Schmuggel sich gegen auswärtige befreundete Staaten richtet (RG. 42, 296; 56,181; 96,282; JW. 1921,1229 1 ; 1229, 244; 1931, 928a). Aust ländische Ausfuhrverbote begründen nicht die Nichtigkeit eines nach deutschem Rechzu beurteilenden, von Deutschen geschlossenen Vertrags (RG. Gruch. 61, 460; vgl. RG. 161,299); nur ausnahmsweise liegt die Sache nach Zweck und Inhalt des ausländischen Gesetzes anders (WarneyerRspr. 1912 Nr. 241). Die übereinstimmende Absicht beider Teile, daß die verkaufte Ware einem inländischen Verbot zuwider, in das Inland ein- bzw. aus ihm ausgeführt werhen soll, macht, wenn auch das Verbot sich nur gegen die Ein- bzw. Ausfuhr richtet, das Kaufgeschäft unsittlich und nichtig, selbst wenn der Verkäufer bzw. Käufer Ausländer ist; ist ausländisches Recht anzuwenden, greift A 30 EGBGB. ein (RG. 102, 323; JW. 1924,1710 1 ; 1925,1392 22 ). Ein Vertrag ist nach § 138 BGB. auch nichtig, wenn die Parteien nicht die verbotene Ware geschmuggelt haben, die sie zu schmuggeln beabsichtigten, sondern eine andere (Zucker statt Saccharin, Versuch am untauglichen Objekt; vgl. RG. 105, 67). Haben aber die Parteien über das Verbot (Putativdelikt), nicht über den Gegenstand der Einfuhr geirrt, indem sie zwar wußten, was sie einführten, aber irrtümlich die Einfuhr für verboten hielten, so ist dieser Irrtum der Gültigkeit des Vertrags unschädlich. Demselben Schicksal wie das Schmuggelgeschäft selbst fällt jede wissentliche Beihilfe — z. B. durch Schiffsvermietung (Gruchot 69, 79) — anheim; wer ein Darlehen im einzelnen Falle zum Zweck des Schmuggels gegeben hat, beteiligt sich am unsittlichen Geschäft (§ 49 StGB., JW.

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Handelsbeschränkungen (Godin)

§ 346 Anhang Anm. 20—22 1921,1229 1 ; 1927,2287). Das Rückforderungsrecht ist dem Geber nach §817 Satz 2 BGB. versagt; wer geleistet hat, befindet sich somit im Nachteil (RG. 99,166). Wenn der mit Schmuggel Beauftragte nicht schmuggelt, sondern die empfangene Ware absetzt, so muß er den Erlös als auftragsloser Geschäftsführer herausgeben (§ 687 Abs. 2 BGB.; RG. 96, 282). Ist die geschmuggelte Ware schon durch mehrere H ä n d e gegangen, so erwirbt der Käufer — mag er auch die Erwerbsart seiner Vormänner gekannt haben — nicht durch Schmuggel oder Hehlerei; sein Erwerb ist nicht zu beanstanden (LZ. 1918, 1085; 1921, 264; Rspr. in Str. 4, 489). Anders, wenn ein Vertrag die Umgehung der zur Ein- oder Ausfuhr nötigen Genehmigung einer öffentlich-rechtlichen Stelle bezweckt; hier bleibt die Ware auch dann noch dem Enteignungs- und Beschlagnahmerecht der Stelle unterworfen, wenn die Ware sich nicht mehr in der Hand des Einführenden befindet (RG. 99, 238; 102,255). Im übrigen hindert verbotene Aus- oder Einfuhr den Eigentumserwerb nur, wenn sich das Verbot unmittelbar gegen das Rechtsgeschäft als solches richtet; es kann sich diese Richtung aus dem Gesetz selbst ergeben (RG. 98, 254; 102, 323). Ob der Vertrag im Ausland geschlossen und nach dessen Recht erlaubt war, ist einerlei, weil ein Rechtsgeschäft, das dazu bestimmt ist, deutsche Ein- und Ausfuhrverbote zu verletzen, gegen die guten Sitten verstößt (JW. 1923, 287 4 ). Überläßt der Verkäufer dem Käufer, wie sich dieser mit den bestehenden Gesetzen abfindet (RG. 102, 323), so liegt kein gemeinsames Zuwiderhandeln vor und es kann keine Nichtigkeit dieserhalb angenommen werden. Auch die Kenntnis des einen Teils von der verbotswidrigen Absicht des andern genügt für sich allein noch nicht (WarneyerRspr. 1923/24 Nr. 49; JW. 1920, 4322). Die Kenntnis des Verkäufers kann aber nach den besonderen Umständen zu dem Schlüsse führen, daß schon der Kaufvertrag beiderseits das Schmuggeln zum Zweck hatte (JW. 1924, 1710). Erlangt der Verkäufer die Kenntnis erst nach dem Abschluß, so kann er die Lieferung verweigern, weil er nach Treu und Glauben (§ 242 BGB.) zur Umgehung von Gesetzen nicht mitzuwirken braucht (RG. 106, 317; Warneyer 1923/24 Nr. 49; vgl. § 346 Anm. 20). Diese Erfüllungsweigerung wird rechtlos, wenn der Käufer seinen Entschluß kundgibt, die Ware zu lagern, bis er die Erlaubnis zur Ausfuhr oder Einfuhr erlangt, oder wenn er sie im Inland so absetzt, daß er kein Verbot verletzt (WarneyerRspr. 1917 Nr. 102). Gefahr einer Beschlagnahme oder Verfallerklärung infolge Verletzung eines Ein- oder Ausfuhrverbots bedeutet einen Rechtsmangel der verkauften Ware nach § 434 BGB. (RG. 105, 390; 111, 88). Anm. 20. ß) A u s n a h m e n von der Nichtigkeit solcher Umgehungsverträge sind gegeben, wenn das Verbot vor dem für die Leistung bestimmten Termin wieder aufgehoben wird (§§306, 308 Abs. 2, 309 BGB.; vgl. RG. 105,138). Wer für das Inland lebensnotwendige Ware gegen eine Absperrung seitens des Auslandes hereinbringt, handelt nicht sittenwidrig, ja nicht einmal schuldhaft, wenn er nicht wucherisch verfährt (LZ. 1920, 952; 1921, 264 1 ; WarneyerRspr. 1919 Nr. 105; 1921 Nr. 136). Ist die Einfuhr beendet (RGSt. 51, 405), so ist keine Teilnahme an verbotener Einfuhr mehr möglich; ein Verstoß gegen die guten Sitten kann aber in einem Vertragsschluß über die Ware auch dann noch liegen (JW. 1921,1308 2 ). Anm.21. y) Ü b e r H a n d e l s v e r k e h r z w i s c h e n d e n in d e r Z e i t n a c h d e m W e l t k r i e g e b e s e t z t e n u n d d e n u n b e s e t z t e n G e b i e t e n vgl. StaubKoenige 12./13. Aufl. Anh. zu § 346 Anm. 27. Über Verletzung der Gesetze gegen Preistreiberei s. vor § 373 Anm. 32. Anm. 22. . i; Dauer § 35539; Kündigung § 35540. Kontokorrentzinsen § 352'. Kontrahierungszwang A § 3 4 656. Konventionalstrafe § 348. Konversion, Haftung aus — § 35037. „kostenfrei ab Bahnhof", Erfüllungsort A § 37231. Kraftfahrzeuge, Kauf eines gebrauchten § 36617. Kreationstheorie A II § 36510. Kreditanstalten, Raterteilung durch öffentlichrechtliche — A § 3 4 927. Kreditauftrag § 363 la ; berechtigte Interessen A § 34924; als bürgschaftähnliches Verhältnis § 349"; Erfüllungsort A § 3728; Erfüllungszeit A § 3 7 244. Kreditbrief § 34959. Kreditbürgschaft § 3 4 927 . 28, § 3503. Krediteröffnungsvertrag § 34958. Kreditgeber § 3 4 958. Kreditgeschäft als Handelsgeschäft § 34321. Kreditgewährung, gegenseitige § 3557. Kreditnehmer § 34958. Kreditsicherungsaufträge § 36895e. Kreditversicherung § 34965. Kreditvertrag § 34958. Kreditzusage A I § 365. Kriegsfolgengesetz Allgemeines § 367 9. Kriegsgefangenenentschädigungen, Sicherungsübertragung § 368103c. Kriegslieferungen, Wegfall des Zwecks A § 34649. Kriegssachschädenersatzanspruch, Wegfall der Geschäftsgrundlage A § 34645.

Sachregister Kriegsnoten § 34961. Kriegsnotgeld A II § 365 u . Kriegsnotgeldscheine A l l § 365 11 . Kundensperre A § 34624. Kundschaft, Verkauf der — als Handelsgeschäft § 343". Kursgarantie § 34961. Kursgarantieklauseln § 3615. Kuxe, Zurückbehaltungsrecht § 36916. Kuxschein, Aufgebot § 36513. L Ladenverkäufe, Erfüllungsort A § 37215. Ladeschein A I § 3 6 5 74 ; der Frachtführer § 3 6 3 33 ; Wirkung der Übergabe § 363 35 ; dingliche Wirkung der Übergabe § 365 10 ; Verpfändung § 368 19 ; Zurückbehaltungsrecht § 369 29 . Lagergeld § 354 13 ; Höhe § 35414. Lagerhalter, Pfandrecht des — § 36661. Lagerkosten § 35413. Lagerschein § 3 6 333, A I § 365 76 ; als Inhaberpapier A l l § 365 3 ; dingliche Wirkung der Übergabe § 365 10 ; Verpfändung § 368 19 ; Zurückbehaltungsrecht an — § 369 29 ; Zahlung gegen — A § 3 7 246; Begriff § 36895; Gegenstand § 368 95a ; von Geld und Wertpapieren § 368"; von Rechten und Forderungen § 3 6 8 101 . 102 ; beweglicher Sachen § 368 96 f.; Verstoß gegen gute Sitten § 368 95 f.; Übergabe oder Übergabeersatz §3 6 89 7 a ; von Waren aus Warenlager § 368 976 ; Wirkungen § 36898; im Konkurs § 368111. Sicherungsübereignungsbedingungen § 36896k. Sicherungsübertragung einer Forderung § 368101; Wirkung der —- von Forderungen § 3 6 8106. Sicherungsvertrag § 36894a. Silbersachen, Versteigerung § 3 6 857. Simultanleistung A I § 36522. Skonto A § 35912. Skontobewilligung an Angestellte A § 34612. Skontration A I § 36519. „Sofort" § 34619, A § 3596, A § 37245. „sofortige netto Kasse" A § 37246a. Sommerzeit § 3611. Sondernachlaß A § 35912. 962

Sonntag als Erklärungs- und Erfüllungstag oder Erklärungs- oder Erfüllungsfrist A § 35931. Sorgfalt, Haftung für — in eigenen Angelegenheiten § 34714. Sorgfaltsfrist, kaufmännische § 347. Sorgfaltspflicht, Beweislast bei Ansprüchen aus verletzter — § 3 4 734. Sorgfaltsverletzung, Ausschluß der Haftung für — § 34735. Sparkassenbücher A II § 36521; Verpfändung von § 3681; Zurückbehaltungsrecht an — § 36916; Rückgabe A § 37273. Spediteur, Pfandrecht des — § 36661. Spediteurkonnossement A I § 3 6 573. Speisemarken A II § 36520. Spiel, kein Pfandrecht für Forderung aus — § 3687. Spielgeschäfte, kein Zurückbehaltungsrecht V § 3693. Staatsschuldverschreibungen, Aufgebot § 36513. Staatsverträge und Verweisungsregeln A § 3727. Staffelkontokorrent § 3554b. stale documents A I § 3 6 543. „steckengebliebene Ost-West- und WestOst-Überweisung" A I § 36536. Stellagegeschäft A § 3485. Stellgeschäft A § 3485. Stellvertreter, Erwerb durch — § 36612a. Stellvertretung, stille § 36612a. Stempelfälschung A I § 36578. Stempelmarken A II § 36520. Stempelpflicht, Erfüllungsort A § 3728. Stempelvereinigung A I § 36541. Sterbegeldversicherung, Sicherungsübertragung § 3 6 8 102 i. Stillschweigen als Genehmigung § 34616; als Annahme A § 36123. Straffestsetzung auf Grund Satzung § 3482. Strafgedinge A § 36 142 ; uneigentliche § 3482a; Auslegung § 3 4 8 32 ; Erfüllungsort bei — A § 3728. Strafversprechen § 3482. Strafverträge, selbständige § 348 2a ; Ermäßigungsrecht § 34826. Strafverwirkung, Voraussetzung § 3489. Straßenbahnbillet A II § 36520. Streik A § 34624. Stromlieferungsverträge A § 34625. Strompreiseinheiten A § 34625. Stückeverzeichnis, Eigentumsübergang durch Übersendung § 3662c. 19 Stundenfrist A § 359 . Submissionen A § 34614. Submissionskartelle A § 34614.

Sachregister „sukzessive im November" § 359 1 . Sukzessivlieferungsvertrag, Zurückbehaltungsrecht V § 369 6 . Surrogation § 368 3S . Syndikatspreise A § 361 1 7 m . Tag als Fristbeginn A § 359 16 . Tagesfristen, Berechnung A § 359 22 . Talon als Inhaberpapier A I I § 365 3 ; Haftung des Pfandes für — § 368 37 . Tantieme, Garantie § 349 61 . Teilnahme A § 36 1 6 3 a . Teillagerschein an Order § 363 3 3 a . Teilquittung A § 372 6 9 b . Teilschuldverschreibungen als Inhaberpapiere A I I § 365 3 . Telegramm § 350 2 8 ; Übermittlung durch — § 350 2 8 ; Zugang A § 3 6 1 5 ; Wechsel von — A § 361 11 . Telegraphenbeamter, Haftung § 347 8 . Telegraphie § 350 2 8 . telegraphische Übermittlung § 35028> 30 . „tel quel" § 360 3 . Theaterbillets A II § 365 2 0 . Theaterverträge, Handelsgebräuche bei Abschluß A § 36 18 4 . through bill of lading A I § 3 6 573 . Tilgungskauf § 368 9 5 . traditio brevi manu § 3 6 6 2 . 1 3 . Traditionspapiere, dingliche Wirkung der Übergabe § 365 1 0 , § 3 6 6 2 c . 1 4 . Traditionswirkungen § 365 12 . Traktat A § 36 18 7 a . Transportversicherungspolice § 3 6 3 3 3 ; Zurückbehaltungsrecht an — § 369 18 . Treugeberkonkurs § 3 6 8 m . Treuhand, § 368 9 5 ». 95 °. 95 Treuhandverhältnis eigennützige und uneigennützige § 368 1 0 1 . Treuhänder, § 3 6 8 9 5 c ; als Absonderungsgläubiger § 3 6 8 l n ; Konkurs des — § 368 1 1 2 . Treuhandgeschäfte § 368 95